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German Pages 422 [410] Year 2006
Steuerberater-Jahrbuch 2005/2006
Steuerberater-Jahrbuch 2005/2006 zugleich Bericht über den 57. Fachkongress der Steuerberater Köln, 27. und 28. September 2005
Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von
Prof. Dr. Detlev J. Piltz
Dipl.-Kfm. Manfred Günkel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Steuerberater u.Wirtschaftsprüfer
Dr. Dr. Ursula Niemann Steuerberater
Zitierweise: Verfasser, StbJb. 2005/2006, Seite
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de
ISSN 0081 - 5519 ISBN 10: 3-504-62651-8 ISBN 13: 978-3-504-62651-8
© 2006 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Hain-Team, Weimar Druck und Verarbeitung: Bercker, Kevelaer Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Printed in Germany
Vorwort der Herausgeber Der 57. Fachkongress der Steuerberater, der am 27. und 28. September traditionell in der Industrie- und Handelskammer zu Köln stattfand, behandelte als einen Schwerpunkt die Ent wicklung des deutschen Steuerrechts im europäischen Kontext. Im Wesentlichen veranlasst durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte und besonders des EuGH sieht sich hier der deutsche Gesetzgeber vor schwierigen Problemen in der Balance zwischen Sicherung des deutschen Steueraufkommens und Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht. Aus ihrer Sicht haben sich hierauf auch die Steuerpflichtigen einzustellen, besonders die Unternehmen. Grenzüberschreitende Aspekte wirken auch auf das andere Schwerpunktthema Bilanzrecht und Bilanzsteuerrecht ein, welches jedoch stets auch „neue alte“ Probleme aufwirft, etwa zu Rückstellungen. Bei dem Leitthema „Personengesellschaften und Mittelstand“ standen die Rechtsprechung des BFH zur Gewerbesteuer, die Erlasse der Finanzverwaltung zur Übertragung von Wirtschaftsgütern und die Nachsteuertatbestände des ErbStG auf der Agenda. Das Internationale Steuer recht widmete sich mit der Auslegung von DBA und der Betriebsstättengewinnermittlung zwei klassischen Themen und der Frage „Was muss ein Berater vom europäischen Steuer recht wissen?“ wiederum einem europäischen Bezug. Die Folgewirkungen des § 8 a KStG für mittelständische GmbH und handelsrechtliche Eigenkapitalmehrungen ohne Steuern füllten das Leitthema „Kapitalgesellschaft und Konzerne“ aus und zum Thema „Immobilien und Verkehrssteuern“ wurden die praktisch hoch wichtigen Fragen der Grunderwerbsteuer bei Unternehmensakquisitionen und Umwandlungen sowie Immobilienumsätze und Umsatzsteuer durchleuchtet. Der Gerhard-Thoma-Ehrenpreis 2005 wurde Herrn Prof. Dr. Franz Wassermeyer für seine fachliche Gesamtlebensleistung im Jahre seines Ausscheidens aus dem Amt als Vorsitzender Richter am Bundesfi nanzhof verliehen. Er hat sowohl als Richter wie als Fachautor und Vortragender dem deutschen Steuerrecht insbesondere im Internationalen Steuerrecht und bei der Besteuerung der Kapitalgesellschaften wegweisende Konturen verliehen. Die Laudatio hat Herr Prof. Dr. Herzig gehalten. Parallel zur Übernahme des Vorsitzes im Fachinstitut der Steuerberater hat Herr Prof. Dr. Detlev J. Piltz die Herausgeberschaft des Jahrbuchs neben Herrn Günkel und Frau Dr. Dr. Niemann von Herrn Prof. Dr. Norbert Herzig über nommen. Herrn Prof. Dr. Herzig sei an dieser Stelle für seine langV
Vorwort der Herausgeber jährige und erfolgreiche Herausgebertätigkeit ganz herzlich gedankt. Er hat die Jahrbücher weiterhin als wichtige Orientierungspunkte im deutschen Steuerrecht verankert. Köln, im Mai 2006
Detlev J. Piltz
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Ursula Niemann
Manfred Günkel
Inhaltsverzeichnis* Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seite V
Professor Dr. Norbert Herzig Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Universität zu Köln Verleihung des „Gerhard-Thoma-Ehrenpreises 2005“ des Fachinstituts der Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . .
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Professor Dr. Franz Wassermeyer Vors. Richter am Bundesfinanzhof a.D., Sankt Augustin Dankesworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Leitthema: Deutsches Steuerrecht in Europa Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Deutsche Steuerperspektiven im europäischen Kontext I. Ausgangssituation in der Europäischen Union . . . . . II. Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung aus nationaler Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reaktion im Rahmen des Lisbon Goal aus EU-Sicht (Wirtschaftsstandort Europa) . . . . . . . . . . . . . . IV. Bemessungsgrundlage (europäisches Steuerbilanzrecht) V. System der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . VI. Tarif . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Wegzug und Unternehmensverlagerung . . . . . . . . VIII. Konzernbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Missbrauchsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . X. DBA-Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europäischen Kontext aus Richtersicht I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Professor Dr. Franz Wassermeyer Vors. Richter am Bundesfinanzhof a.D., Sankt Augustin
* Ausführliche Inhaltsübersicht zu Beginn der jeweiligen Beitäge.
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Inhaltsverzeichnis II. Wegzug/Verlagerung im Inland und Wegzug/Verlagerung über die Grenze im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Im Grundsatz in Betracht kommende Lösungsmöglichkeiten IV. Der daraus sich für den Gesetzgeber ergebende Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Harald Treptow Rechtsanwalt und Steuerberater, Düsseldorf Dr. Katarzyna Muszynska-Herdin, München Europarecht aus der Sicht der deutschen Wirtschaft I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Indirekte Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Direkte Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Leitthema: Personengesellschaften und Mittelstand Dr. Roland Wacker Richter am Bundesfinanzhof, München Personengesellschaften und Gewerbesteuer – Aktuelle Rechtsprechung des BFH I. Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft – Gewerbesteuer nach § 18 Abs. 4 UmwStG 1995, einschl. § 7 Satz 2 GewStG n.F. . . . . . . . . II. „Aufstockungsmodell“: Gewerbesteuerpflicht für Veräußerungsgewinne nach § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG . . . . . . III. Abfärbewirkung bei doppelstöckiger Personengesellschaft – hier: vermögensverwaltende Ober-Gesellschaft; Änderung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Martin Strahl Steuerberater, Köln Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften nach den Erlassen der Finanzverwaltung I. Hinweise zur unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens zu § 6 Abs. 3 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kapitalkonten der Personengesellschaft unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 26.11.2004 . . . . VIII
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Inhaltsverzeichnis III. Steuerneutrale Übertragung begünstigter Wirtschaftsgüter gemäß § 6b EStG unter Berücksichtigung der Rückkehr zur gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise . . . . . . . . . .
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Dr. Heinrich Hübner Rechtsanwalt und Steuerberater, Stuttgart Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG – Zufall und Notwendigkeit? I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Funktion der Nachsteuerbestimmungen . . . . . . III. Das „System“ der Nachsteuerbestimmungen und seine Ungereimtheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Leitthema: Internationale Besteuerung Professor Dr. Christian Waldhoff Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen: Zweck und Rolle des OECD-Kommentars I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 II. Der völkerrechtliche Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 III. Die Methodologie der Auslegung von DBA . . . . . . . . . . . 171 IV. Verfassungsrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 V. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Dipl.-Kfm. Meinhard Remberg Hilchenbach-Dahlbruch Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD – Fallbeispiel: Großanlagenbau I. Betriebsstättenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonderfall Bau- und Montagebetriebsstätte . . . . . . . . . . III. Abgrenzung Dauerbetriebsstätte/zeitlich begrenzte Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Aktuelle Entwicklungen bei der OECD . . . . . . . . . . . . VI. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis Dr. Otmar Thömmes Rechtsanwalt, München Beraterpflichten angesichts europäischer Steuerrechtsentwicklungen I. Allgemeine Beratungspflichten des Steuerberaters aus dem Mandatsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 II. Übertragung der dargestellten Grundsätze auf die Besonderheiten des EG-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . 195 III. Erkenntnisquellen für den Steuerberater auf dem Gebiet europäischer Steuerrechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . 201 IV. Umfang und Zeitpunkt des „Kennenmüssens“ des Steuerberaters von EG-rechtlichen Entwicklungen auf dem Gebiet des Steuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Konkrete Handlungspflichten des Steuerberaters und weitere verfahrensrechtliche Fragen . . . . . . . . . . . 210 VI. Rechtsgrundlage und Umfang eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Steuerberater . . . . . . 214 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
4. Leitthema: Bilanzrecht und Bilanzsteuerrecht Dr. Christoph Ernst Ministerialrat, Bundesministerium der Justiz, Berlin Überlegungen zum künftigen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zum künftigen Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) . III. Die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Karin Heger Richterin am Bundesfinanzhof, München Wohin geht die Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung? I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rückstellungen für nach Erhalt der Gegenleistung zu erbringende Beratungs- und Betreuungsleistungen III. Rückstellungen wegen Verpflichtungsüberhangs – BFH-Urteil vom 30.1.2002 – I R 71/00 . . . . . . . IV. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X
Inhaltsverzeichnis V. Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Forlgerungen für die Bildung von Rückstellungen aus öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dipl.-Kfm. Manfred Günkel Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Düsseldorf Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht I. Abzinsung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten nach dem Abzinsungserlass der Finanzverwaltung . . II. Rückstellungen für Rückkaufverpflichtungen als Drohverlustrückstellungen? . . . . . . . . . . . . . . III. Rückstellung für Aktienoptionsprogramm (AOP) . . . IV. Berücksichtigung nicht abzugsfähiger Rückstellungen im Rahmen einer Betriebsveräußerung . . . . . . . . V. Rückstellungen für unentgeltliche Service-Leistungen VI. Forderungsverzicht gegen Besserungsschein . . . . . .
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5. Leitthema: Kapitalgesellschaft und Konzerne Dr. Norbert Neu Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn Folgewirkungen des § 8a KStG in der mittelständischen GmbH I. Wirkungsweise des § 8a KStG bei mittelständischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rückgriffsfälle – das BMF-Schreiben vom 22.7.2005 . III. § 8a KStG in der mittelständischen GmbH & Co. KG, insbesondere in Rückgriffsfällen . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Handelsrechtliche Eigenkapitalmehrung ohne Steuern I. Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz in Umwandlungsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechnungslegungsvorschriften im Umwandlungsgesetz (§§ 17 Abs. 2 Satz 2, 24 UmwG) . . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Joachim Schmitt Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Wirtschaftsprüfer, Bonn
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Inhaltsverzeichnis III. Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Verschmelzung oder Spaltung einer Körperschaft nach dem Umwandlungssteuergesetz (§§ 3, 11 UmwStG) . . . . . . . . IV. Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Verschmelzung oder Spaltung einer Personengesellschaft bzw. in den Fällen der Einbringung durch Einzelrechtsnachfolge (§§ 20, 24 UmwStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verbesserung des handelsrechtlichen Eigenkapitals . . . . . .
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6. Leitthema: Immobilien und Verkehrsteuern Dr. Stefan Behrens Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Frankfurt am Main Grunderwerbsteuer bei Unternehmensakquisitionen und Umwandlungen I. Verkaufsvorbereitende Umstrukturierung unter Einsatz von Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kauf der Anteile an einer Ziel-GmbH durch zwei Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anteilskauf bei noch nicht feststehender Akquisitionsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anteilserwerb und Begründung der Organschaft. . . . . . V. Optionen auf Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften VI. Umstrukturierung nach Anteilserwerb . . . . . . . . . . VII. Grunderwerbsteuer bei Umwandlungen . . . . . . . . . .
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Ulrich Komander Essen Immobilienumsätze und Umsatzsteuer I. Die Bedeutung der Umsatzsteuer als Entscheidungsfaktor für oder gegen eine Immobilieninvestition . . . . . . . . II. § 9 UStG: Verzicht auf Steuerbefreiung . . . . . . . . . . III. § 13b Abs. 1 Nr. 3 UStG: Leistungsempfänger als Steuerschuldner für Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen und bei denen auf die Steuerbefreiung verzichtet wurde . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs zu § 1 Abs. 1a UStG / Artikel 5 Abs. 8, 6. EG-Richtlinie: Geschäftsveräußerung vs. Grundstückslieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . XII
Inhaltsverzeichnis V. § 15 UStG: Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. § 15a UStG in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung . . . . . . . VII. Steuersatzerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verleihung des „Gerhard-Thoma-Ehrenpreises 2005“ des Fachinstituts der Steuerberater Professor Dr. Norbert Herzig Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, Universität zu Köln Das Fachinstitut der Steuerberater hat beschlossen, den Gerhard-ThomaEhrenpreis 2005 an Herrn Prof. Dr. Franz Wassermeyer zu verleihen. Die Preisverleihung gerade in diesem Jahr drängt sich auf, da Franz Wassermeyer im Februar diesen Jahres das 65. Lebensjahr vollendet hat und damit Ende Februar als Vorsitzender Richter des I. Senats aus dem Bundesfinanzhof ausgeschieden ist. Dieses Ereignis begründet einen deutlichen Einschnitt in der Schaffensphase von Franz Wassermeyer und ist ein sehr geeigneter Anknüpfungspunkt für die hochverdiente Ehrung. Angesichts der ungebrochenen Dynamik des Preisträgers verbietet es sich jedoch, von der Ehrung für sein gesamtes Schaffen zu sprechen. Deshalb kann hier nur das bisherige Gesamtschaffen gewürdigt werden. Aber die überragenden Verdienste von Herrn Wassermeyer für die Fortentwicklung des Steuerrechts gebieten es, den diesjährigen Kongress für die mehr als verdiente Ehrung zu nutzen. Es ist für mich eine große Ehre und Freude, die Laudatio auf Franz Wassermeyer halten zu dürfen, da ich seit 1984 unzählige Veranstaltungen gemeinsam mit ihm bestritten habe. Hervorheben möchte ich insbesondere, dass Franz Wassermeyer während der 15-jährigen Zeit meines Vorsitzes im Fachinstitut durch seine engagierte Mitwirkung bei den Kongressen und Konferenzen sehr zum Gelingen der Veranstaltungen und zur überaus positiven Entwicklung des Fachinstituts beigetragen hat. Franz Wassermeyer entstammt einer alteingesessenen Bonner Juristenfamilie. Er studierte Jura in Bonn, Köln und Genf und wurde 1967 von der Universität Bonn zum Doktor der Rechte promoviert mit einer Dissertation, die noch keinen steuerlichen Bezug aufwies. Seine Hinwendung zu den Steuern erfolgte im Alter von 27 Jahren, in dem er als Regierungsassessor in die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen eintrat. Nach Abschluss des üblichen Ausbildungsganges hat er sehr bald die Leitung der seinerzeit in Erprobung befindlichen Rechtsbehelfstelle beim damaligen Finanzamt Bonn-Land übernommen. Dass Franz Wassermeyer diese Aufgabe außerordentlich erfolgreich bewältigt haben muss, ist an der Tatsache abzulesen, dass er bereits mit 34 Jahren zum Regierungsdirektor ernannt wurde. Dieses Ereignis kommentiert Herr Widmann, Wassermeyers Vor1
Herzig, „Gerhard-Thoma-Ehrenpreis 2005“ gänger als Vorsitzender Richter des I. Senats des Bundesfinanzhofs mit den Worten: „Die Leistungen müssen so überragend gewesen sein, dass an strenge Richtlinien gewöhnte Personalleute nicht anders konnten, als bereits im 34. Lebensjahr von Franz Wassermeyer die Beförderung auszusprechen.“
Im Jahr 1975 wechselte Franz Wassermeyer in die Finanzgerichtsbarkeit und wurde Richter am damaligen Finanzgericht Düsseldorf, Senate in Köln. Auch in dieser Zeit hat er durch die Zahl der von ihm erledigten Fälle Maßstäbe gesetzt. Die für das Wirken von Franz Wassermeyer entscheidende Etappe beginnt jedoch mit seiner Wahl zum Richter am Bundesfinanzhof, wo er seinen Dienst im Jahr 1984 aufnahm. Er hatte das Glück des Tüchtigen und wurde dem Senat zugeteilt, dessen Zuständigkeitsbereich sich weitestgehend mit seinen fachlichen Schwerpunkten deckte. Die Beschäftigung mit Fragen der Körperschaftsteuer, dem Außensteuerrecht und dem Recht der Doppelbesteuerungsabkommen standen im Mittelpunkt seiner 20-jährigen Tätigkeit als Richter am Bundesfinanzhof. Bis auf zwei Jahre als Vorsitzender Richter im IV. Senat gehörte Franz Wassermeyer dem I. Senat an, dessen Vorsitz er im Jahr 2000 übernahm. Er trat damit in die Fußstapfen bedeutender Richterpersönlichkeiten wie von Wallis, Messmer, Ludwig Schmidt und Widmann, die vor ihm dieses Amt innehatten. Schließlich war Franz Wassermeyer viele Jahre Mitglied des Großen Senats des Bundesfinanzhofs. Durch die Preisverleihung wird das bisherige Gesamtschaffen von Franz Wassermeyer gewürdigt als – hoch angesehener Richter, der die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in zentralen Fragen des Unternehmensteuerrechts entscheidend geprägt hat und von dem wichtige Impulse für die Entwicklung des Steuerrechts in Deutschland ausgegangen sind. – Kommentator und Schriftsteller, der mit großen Kommentaren zum Außensteuerrecht und zu den Doppelbesteuerungsabkommen Maßstäbe gesetzt hat, die bisher als von einem einzelnen kaum erreichbar angesehen wurden. – Hochschullehrer und Referent unzähliger Fachtagungen, der sich stets der Diskussion gestellt hat und neuen Entwicklungen gegenüber immer aufgeschlossen war. Als Richter hat Franz Wassermeyer die Entwicklung der Rechtsprechung des I. Senats zweifellos maßgeblich beeinflusst. Auch wenn beim Bundesfinanzhof stets der Senat in seiner Gesamtheit entscheidet, worauf unser Preisträger immer wieder nachdrücklich hingewiesen hat, ist in zahlreichen Urteilen bereits an der unverwechselbaren Sprache erkennbar, wer diesen Entscheidungen seinen Stempel aufgedrückt hat. Das Verständnis von der 2
Herzig, „Gerhard-Thoma-Ehrenpreis 2005“ Aufgabe der Rechtsprechung schlägt sich insbesondere in zwei Entscheidungen sehr deutlich nieder, deren Wassermeyersche Prägung unverkennbar ist. Es geht um die Entscheidung zum Mantelkauf aus dem Jahr 1986 und zur Gesellschafter-Fremdfinanzierung aus dem Jahr 1992. Beiden Entscheidungen ist die konsequente Orientierung am Gesetzeswortlaut zu entnehmen. Abgelehnt wird dagegen, dass die Rechtsprechung die Funktion eines Reparaturbetriebs des Gesetzgebers übernimmt. Beide Entscheidungen enthalten Appelle an den Gesetzgeber, für eine sachgerechte Regelung zu sorgen. In beiden Fällen ist der Gesetzgeber tätig geworden und hat Regelungen geschaffen, deren Erfolg allerdings zweifelhaft ist. In den beiden genannten Entscheidungen ist auch ein zurückhaltender Umgang mit der Missbrauchsvorschrift des § 42 AO angelegt, die in der Folge die Rechtsprechung des I. Senats bestimmt hat. Ein zentraler Bereich der Tätigkeit von Franz Wassermeyer war und ist das Recht der verdeckten Gewinnausschüttung. Hier ging es insbesondere darum, Klarheit in diesen unüberschaubaren und kaum beherrschbaren Bereich hineinzutragen. Dieser Entwicklungsprozess, der in der Diskussion um das Wettbewerbsverbot einen Höhepunkt hatte, hat schließlich zu einer Ausdifferenzierung des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung geführt, die sorgfältig zwischen verschiedenen Ebenen, verschiedenen Personen und verschiedenen Zeitpunkten unterscheidet. Auch mit der Entwicklung der zweistufigen Gewinnermittlung hat der I. Senat dazu beigetragen, Klarheit in einem wichtigen Feld der Unternehmensbesteuerung zu schaffen. Dabei wurde immer wieder der notwendige Dialog mit der Finanzverwaltung angemahnt, dessen Qualität nicht den Vorstellungen von Franz Wassermeyer entsprach. Die Aufgeschlossenheit seines I. Senats gegenüber neuen Entwicklungen kommt insbesondere in der Tatsache zum Ausdruck, dass die erste Anrufung des Europäischen Gerichtshofs aus Deutschland zu einer Frage der direkten Steuer vom I. Senat kam in der Rechtssache Schumacker. Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die ein Bewusstsein für die Bedeutung der Grundfreiheiten des EG-Vertrages auch im Bereich der Unternehmensbesteuerung geschaffen hat. Wendet man sich dem wissenschaftlichen Autor Franz Wassermeyer zu, so stehen die großen Kommentare im Mittelpunkt, die seit Jahren die Meinungsführerschaft in ihrem Bereich erlangt haben. Aber hier ist mir insbesondere mit Blick auf die jungen Autoren wichtig festzuhalten, auch Franz Wassermeyer hat einmal klein angefangen und Probleme wissenschaftlich aufbereitet, die ihm in seiner beruflichen Tätigkeit begegnet sind. So befasste sich der 1. Aufsatz von Franz Wassermeyer mit dem Problem des Flaschenpfands in der Bilanz einer Brauerei und später mit der Zuordnung von Fremdkapitalzinsen zur betrieblichen oder privaten Sphäre. 3
Herzig, „Gerhard-Thoma-Ehrenpreis 2005“ Der eigentliche Urknall in der wissenschaftlichen Karriere von Franz Wassermeyer war das Zusammentreffen mit Hans Flick in den Anfängen des Außensteuergesetzes. Hier hat der junge Oberregierungsrat die Herausforderung angenommen, die völlig neuartige Hinzurechnungsbesteuerung zu kommentieren. Es gab keine Vorlagen, eigene Kreativität war gefragt. Das Kommentieren wurde zu einem Vordenken der Probleme, die sich bei Anwendung dieser Regelungen in Zukunft vermutlich stellen würden. Diese Aufgabe hat Franz Wassermeyer wahrlich eindrucksvoll bewältigt. Die Kommentierung der §§ 7-14 AStG im damaligen Flick/Wassermeyer/Becker und heutigen Flick/Wassermeyer/ Baumhoff entwickelte sich schnell zu der maßgeblichen Quelle, die bei allen Fragen zur Hinzurechnungsbesteuerung konsultiert wird. Der große Erfolg dieser Kommentierung ist entscheidend auf ein Markenzeichen Wassermeyerscher Publikation zurückzuführen, nämlich Klarheit und Präzision. Neben der Hinzurechnungsbesteuerung hat Wassermeyer auch die Kommentierung der Wegzugsbesteuerung, der erweiterten beschränkten Steuerpflicht und später zusammen mit Hubertus Baumhoff die Kommentierung der gesamten Verrechnungspreisproblematik im Rahmen von § 1 AStG übernommen. Der mit der Kommentierung verbundenen Pflicht zu stetigen Aktualisierung hat sich Franz Wassermeyer im Interesse seiner Leser stets gestellt. Die Qualifi zierung der Hinzurechnungsbesteuerung als Scherben haufen vor dem Hintergrund des Europarechts belegt diese These nachdrücklich. Neben der Pflege des aufgebauten AStG-Kommentars richtete sich das Interesse von Franz Wassermeyer zunehmend auf das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen. Der von ihm mit herausgegebene Kommentar zum Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland/Schweiz war ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Seine Meisterleistung gelang ihm jedoch 1996 mit der Kommentierung des OECD-Musterabkommens im Debatin/Wassermeyer. Hier besticht sowohl die Konzeption als auch der Inhalt. Mit der vorangestellten Kommentierung des OECD-Musterabkommens wird ein Rahmen vorgegeben für die Kommentierung der einzelnen Abkommen, die sich insbesondere auf Abweichungen vom Musterabkommen konzentrieren können. Damit wird das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen in einer kompakten Form kommentiert, die bis dahin unbekannt war. Der Kommentar des Musterabkommens von Wassermeyer umfasst mehr als 1000 Seiten, die in knapp drei Jahren neben allen anderen Aufgaben entstanden sind und sich durch höchste Qualität auszeichnen. Der Debatin/Wassermeyer ist heute die fachliche Autorität in allen Fragen zu Doppelbesteuerungsabkommen. Wenden wir uns nun dem Hochschullehrer und Referenten Franz Wassermeyer zu. Der unvergessene Werner Flume hat ihn 1973 als Lehrbeauftragten für die Universität Bonn gewonnen. Nach seinem Wechsel an den Bun4
Herzig, „Gerhard-Thoma-Ehrenpreis 2005“ desfinanzhof wurde er 1985 zum Honorarprofessor der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn ernannt. Auch hier ist erwähnenswert, dass er nicht nur seit mehr als 30 Jahren zu dem ausgezeichneten Ruf des Steuerrechts an der Universität Bonn beigetragen hat, er hat auch eigene Doktoranden zur Promotion geführt. Bei der umfassenden Kompetenz von Franz Wassermeyer überrascht es nicht, dass es für jeden Fachkongress eine Auszeichnung darstellt, ihn als Vortragenden oder Diskussionsteilnehmer zu gewinnen. Dabei kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass er sich für neue und interessante Themen gerne gewinnen ließ, da ihm an dem Gedankenaustausch und der Überprüfung seiner eigenen Meinung stets gelegen war. Bei einer Verpflichtung von Franz Wassermeyer für eine Diskussion war der Erfolg stets gesichert, denn er ist immer bestrebt, für Klarheit zu sorgen und schreckt zur Erreichung dieses Zieles vor Zuspitzungen nicht zurück. Der berühmte Tigerfall ist uns allen noch in bester Erinnerung. Das Fachinstitut ist Franz Wassermeyer zu besonderem Dank verpflichtet, da er auf vielen Kongressen und Konferenzen unseres Instituts maßgeblich mitgewirkt hat. Seinen ersten Kongressvortrag hat er auf dem 25. Fachkongress im Jahr 1973 gehalten zum Thema „Einzelfragen zur Besteuerung von Zwischengesellschaften nach dem Außensteuergesetz.“ Seitdem war er auf vielen unserer Kongresse aktiv tätig. Auf dem letztjährigen Kongress hatte er in einem Referat den Reformbedarf im deutschen internationalen Steuerrecht eindrucksvoll beschrieben. Fasst man die Leistungen unseres Preisträgers in den verschiedenen Bereichen in einer Gesamtschau zusammen, so ist mir keine Persönlichkeit aus dem Bereich des deutschen Steuerrechts bekannt, die auf ein ähnlich umfassendes und qualitativ hochwertiges Werk zurückblicken kann. Franz Wassermeyer hat sich im wahrsten Sinne des Wortes um das deutsche Steuerrecht verdient gemacht. Wir alle wünschen ihm noch viele Jahre produktiven Schaffens und freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit ihm. Aber Franz Wassermeyer ist nicht nur Richter und Schriftsteller. Er ist auch gemeinsam mit seiner Frau Mittelpunkt einer großen Familie mit vier Kindern und bis jetzt vier Enkelkindern. Er ist auch ein vielseitiger Sportler. Früher war er begeisterter Hockeyspieler und hat für die Universität zu Köln in deren Hockeymannschaft gespielt. Nach seinem Rückzug vom Tennis hat er sich in den letzten Jahren dem Golfspiel zugewandt und ist daneben ein hervorragender Skifahrer. Schließlich ist Franz Wassermeyer ein exzellenter Weinkenner, auf dessen Rat man blind vertrauen kann. Herr Wassermeyer, das Fachinstitut ist stolz darauf, Sie in diesem Jahr mit dem Gerhard-Thoma-Ehrenpreis auszeichnen zu können. 5
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Dankesworte Ich bedanke mich bei dem gesamten Fachinstitut der Steuerberater, insbesondere bei seinem Vorsitzenden, Prof. Dr. Piltz, ebenso bei dem ehemaligen Vorsitzenden, Prof. Dr. Herzig, und bei allen übrigen Jury-Mitgliedern für die ehrenvolle Auszeichnung, deren man mich heute für würdig befunden hat. Herrn Prof. Dr. Herzig danke ich für die Laudatio über mein Wirken auf dem Gebiet des Steuerrechts. Ich weiß nicht, ob das Maß der Anerkennung, die mir aus seinem Munde zuteil wurde, einer nüchternen Analyse so recht standhält. Ich sage aber auch, es ist schön, einmal gelobt zu werden, selbst wenn es des Lobes zuviel sein sollte. Ich befasse mich seit dem 15. Mai 1967 mit dem Steuerrecht. Damals trat ich ohne besondere Vorkenntnisse im Steuerrecht in die Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens ein. Meine Laufbahn als jemand, der sich auch wissenschaftlich mit dem Steuerrecht befassen wollte, habe ich ein gutes Jahr später mit einem Beitrag über die bilanzrechtliche Behandlung des Flaschenpfandes begonnen, der in der StBp veröffentlicht wurde. 1970 lernte ich Herrn Dr. Flick kennen, der mich zum Internationalen Steuerrecht geführt hat, wofür ich ihm noch heute dankbar bin. Dies hat entscheidend meinen weiteren beruflichen Werdegang geprägt und war auch bestimmend für das, was am 24. 10. 1973 geschah. Damals hielt ich nämlich als Oberregierungsrat, der 33 Jahre alt war, meinen ersten Vortrag auf diesem Kongress, der allerdings noch im Gürzenich stattfand, über das Thema: „Einzelfragen zur Besteuerung von Zwischengesellschaften nach dem Außensteuergesetz“. Für mich war dieser Tag ein ganz besonderer. Damals bekam übrigens Dr. h. c. Rudolf Thiel den Gerhard Thoma-Ehrenpreis. Ich habe nicht einmal im Traum an die Möglichkeit gedacht, heute in die Fußstapfen von Rudolf Thiel treten zu dürfen. Ich will hier nicht alle Stationen meines beruflichen Lebens nachzeichnen. Ich gestehe jedoch, ich war kein einfacher Streiter im Steuerrecht. Mich hat es immer gereizt, an das geschriebene Recht als jemand heranzugehen, der sich einerseits dem Gesetzeswortlaut verpflichtet fühlt und diesen gewissermaßen wörtlich nimmt, der andererseits aber auch den gesunden Menschenverstand einzusetzen weiß. Ich wollte keinem nach dem Mund reden, sondern habe häufig auf die andere Meinung hingewiesen, der auch eine vernünftige Schlüssigkeit nicht abgesprochen werden konnte. Ich habe mich deshalb nicht immer durchgesetzt. Manche Entscheidung im I. Senat des BFH, die meiner Urheberschaft zugeschrieben wurde, ist in Wirklichkeit ganz anders gefallen. Vielleicht war ich aber ganz überwiegend mit Leib und Seele dabei. Ich war jedenfalls gerne Richter und habe mich darum bemüht, zunächst jedem gründlich zuzuhören, um anschließend aber auch 7
Wassermeyer, Dankesworte die bestehenden Probleme offen und direkt anzusprechen. Ich weiß, dass es vielen nicht gepasst hat, wenn ich immer wieder das bisher allgemein Praktizierte in Frage gestellt habe. Lassen Sie mich noch den 22. 10. 1996 ansprechen. Es handelt sich auch um einen Tag, der den Namen Wassermeyer mit diesem Kongress verbindet. Damals wurde mein Sohn Wolf für seine Dissertation über das US-amerikanische Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht mit dem Gerhard Thoma Ehrenpreis ausgezeichnet. En famille habe ich also jetzt wieder den Ausgleich geschafft. Ich danke dem Fachinstitut noch einmal von ganzem Herzen und wünsche ihm auch für die nächsten Jahre eine erfolgreiche Zukunft. Franz Wassermeyer
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Deutsche Steuerperspektiven im europäischen Kontext Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Inhaltsübersicht I. Ausgangssituation in der Europäischen Union II. Reaktion auf die EuGHRechtsprechung aus nationaler Sicht 1. Nationale Gesetzgebung 2. Verteidigung der Abwehrgesetze gegenüber dem EuGH III. Reaktion im Rahmen des Lisbon Goal aus EU-Sicht (Wirtschaftsstandort Europa) IV. Bemessungsgrundlage (europäisches Steuerbilanzrecht)
V. System der Unternehmensbesteuerung VI. Tarif VII. Wegzug und Unternehmensverlagerung 1. Entstrickung und Verstrickung im betrieblichen Bereich 2. Wegzug natürlicher Personen 3. Umwandlungssteuergesetz 4. Sonstiges VIII. Konzernbesteuerung IX. Missbrauchsbekämpfung X. DBA-Muster
I. Ausgangssituation in der Europäischen Union Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zeichnen sich in ihrem Unternehmenssteuerrecht durch ein erhebliches Belastungsgefälle aus. Dies rührt aus unterschiedlichen Besteuerungssystemen, aus unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen und schließlich aus völlig unterschiedlichen Steuersätzen. Die Unternehmen berücksichtigen diese Unterschiede bei ihren Investitionsentscheidungen. Das bedeutet, die Unternehmen wählen ihren Investitionsstandort dort, wo die steuerlichen Rahmenbedingungen besonders günstig sind, soweit nicht andere Entscheidungskriterien (z. B. Infrastruktur, Arbeitskosten, Marktnähe, etc.) vorrangig sind und die Entscheidung in eine andere Richtung lenken. Daneben versuchen grenzüberschreitend tätige Konzerne durch Steuergestaltungen, zur Ausnutzung des Belastungsgefälles innerhalb der Mitgliedsstaaten, den Gewinn über Verrechnungspreise etc. vorzugsweise dahin zu lenken, wo die Steuerbelastung am niedrigsten ist. 11
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Die Mitgliedsstaaten begegnen diesen Bestrebungen der Wirtschaft bisher gemeinsam über den Ausschluss unfairen Wettbewerbs. Im Rahmen des so genannten Code of Conduct identifi zieren sie daher gemeinsam unfaire Steuerregime des jeweiligen nationalen Rechts und wirken auf deren Abschaffung hin. Die Reichweite einer solchen Maßnahme ist jedoch begrenzt, weil sie sich ausschließlich auf die Bemessungsgrundlage des jeweiligen Steuerrechts beschränkt. Durch so genannte Abwehrgesetzgebung wirken die Mitgliedsstaaten daneben unilateral der Aushöhlung ihres Steuersubstrats entgegen, wie in Deutschland z. B. durch das Außensteuergesetz oder die Regelung des § 8a KStG gegen Gesellschafter-Fremdfinanzierung. Seit einigen Jahren ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg die nationalen Abwehrgesetze kritisch vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des EU-Vertrages überprüft. Dabei entscheidet der EuGH über eine Vertragsverletzung grundsätzlich danach, ob ein grenzüberschreitender Vorgang in der Europäischen Union nicht schlechter behandelt wird als ein inländischer Vorgang (vgl. insbesondere wegen der Niederlassungsfreiheit). Beispielhaft sei an dieser Stelle die Entscheidung des EuGH in Sachen Lankhorst-Hohorst1 erwähnt, nach der die deutsche Vorschrift des § 8a KStG für europarechtswidrig erklärt wurde, weil die Vorschrift hauptsächlich gegen den ausländischen Anteilseigner gerichtet sei. Ob sich in jüngster Zeit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Trendwende zugunsten der nationalen Fisci abzeichnet, wird bei den weiteren Ausführungen zu sehen sein. Deutschland hat in dieser Wettbewerbssituation – aus rein steuerlicher Sicht – einen vergleichsweise schlechten Stand. Die Einkommensteuerbelastung in Deutschland ist im internationalen Vergleich zwar moderat, d. h. Deutschland liegt hier bei einem EU-weiten Vergleich im Mittelfeld. Bei der Besteuerung der international tätigen Unternehmen, und dies sind vorrangig die Kapitalgesellschaften, liegt die Steuerbelastung dagegen sowohl nominal als auch effektiv vergleichsweise sehr hoch. Die nominale Belastung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer liegt mit um die 40 % in Europa am höchsten. Die effektive Belastung, die nach einer Studie des ZEW2 auch die Bemessungsgrundlage in die Beurteilung einbezieht, beläuft sich auf 36 % und nimmt insoweit den vorletzten Platz (vor Frankreich) in Europa ein. Die Folge ist, dass Investitionen nach Deutschland trotz guter anderer Standortkriterien nicht in ausreichendem Maße und Verlagerungen aus Deutschland heraus – insbesondere in die neuen Beitrittsstaaten – festzustellen sind.
1 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-324/00, GmbHR 2003, 44. 2 Spengel/Wiegard, DB 2005, 516.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven
II. Reaktion auf die EuGH-Rechtsprechung aus nationaler Sicht Deutschland kann auf das negative Investitionsverhalten in zweifacher Hinsicht reagieren: Zum einen durch eine Anpassung seiner Steuergesetze und zum anderen über die Verteidigung seiner Abwehrgesetzgebung gegenüber dem Europäischen Gerichtshof. 1. Nationale Gesetzgebung Wie im Jobgipfel am Ende der letzten Legislaturperiode zwischen Koalition und Opposition vereinbart, kann eine Senkung der Unternehmenssteuerbelastung den Trend zu Standortverlagerungen an Deutschland vorbei bzw. aus Deutschland heraus brechen; zum anderen nimmt eine niedrigere Unternehmenssteuerbelastung den Anreiz, Gewinne eher außerhalb Deutschlands auszuweisen. Die rot/grüne Bundesregierung der letzten Legislaturperiode war daher sogar bereit, Selbstfinanzierungseffekte einer solchen Maßnahme bei der Beurteilung der finanziellen Auswirkungen zu berücksichtigen. Nachdem es in der letzten Legislaturperiode nicht mehr zur Umsetzung der so genannten Jobgipfel-Vereinbarungen gekommen ist, besteht nunmehr im Rahmen einer großen Koalition die Möglichkeit zu einer Unternehmenssteuerreform, die auf Änderungen nach den Brühler Empfehlungen aufsetzt und die Steuerbelastung für Kapitalgesellschaften in Deutschland spürbar senkt. Daneben ist der nationale Gesetzgeber gehalten, seine Abwehrgesetzgebung europakonform auszugestalten. Als Beispiel seien hier zwei unterschiedliche Vorschriften mit unterschiedlichen Reaktionen des Gesetzgebers genannt. Zum einen verweise ich auf den § 8a KStG, der auf inländische Sachverhalte ausgedehnt worden ist und insofern die Bedenken des EuGH im Falle Langhorst-Hohorst aufgreift. Zum anderen sei die Vorschrift des § 6 AStG zur Wegzugsbesteuerung genannt, der aufgrund des Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kommission nach dem Urteil des EuGH in Sachen Lasteyrie du Saillant3 dahingehend geändert werden soll, dass eine endgültige Besteuerung des Mehrwerts einer Beteiligung nicht zum Wegzugszeitpunkt, sondern zum Zeitpunkt der Realisation erfolgen soll.
3 EuGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – Rs. C-9/02, GmbHR 2004, 504.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven 2. Verteidigung der Abwehrgesetze gegenüber dem EuGH Bei der Beurteilung nationaler Vorschriften unter EU-rechtlicher Perspektive ist zwar zu berücksichtigen, dass die Grundfreiheiten beachtet werden und insofern grenzüberschreitende Vorgänge nicht schlechter behandelt werden als nationale Vorgänge, soweit die Fälle vergleichbar sind; auf der anderen Seite gilt es für den EuGH, insbesondere im Bereich der direkten Steuern vor dem Hintergrund bisher fehlender Harmonisierung, das nationale Verfassungsrecht und bestimmte Rechtfertigungsgründe für den Eingriff in die Grundfreiheiten zu beachten. Es ist anerkannt, dass der nationale Gesetzgeber die Grundfreiheiten des EU-Vertrages respektiert. Ebenso muss der EuGH darauf achten, dass die Interpretation des EU-Vertrages nicht nationale Verfassungsvorschriften verletzt4 . Würde z. B. die in Deutschland eingeführte Dokumentationspflicht, die angesichts der eingeschränkten Steueraufsicht nur für grenzüberschreitende Vorgänge gilt, für EU-rechtswidrig erklärt, so ergäben sich daraus Vollzugsdefi zite. Mit dem Hinweis auf derartige Defi zite könnten dann auch lediglich national wirkende Korrekturnormen wegen fehlender Gleichbehandlung verfassungsrechtlich angegriffen werden, wie es Professor Tipke im Falle der privaten Veräußerungsgewinne5 vorexerziert hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Eingriffe in die Grundfreiheiten gerechtfertigt, wenn Schwierigkeiten der grenzüberschreitenden Steueraufsicht6 hierzu zwingen. Mit Rücksicht auf die bestehende Amtshilferichtlinie und die Beitreibungsrichtlinie hat der EuGH bisher jedoch noch in keinem entschiedenen Fall diesen Rechtfertigungsgrund praktisch angewandt. Mit Blick auf die vom deutschen Gesetzgeber beabsichtigte allgemeine Regelung der Entstrickung im Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft (SEStEG) muss jedoch gefordert werden, dass die Anerkennung von Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Steueraufsicht als Rechtfertigungsgrund kein Lippenbekenntnis bleibt. Bei der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG mag eine nachgelagerte Besteuerung aus Sicht des Wegzugsstaats noch administrierbar sein, im Falle der Verlagerung von Wirtschaftsgütern ins EU-Ausland ist zur Sicherung einer Beteuerung der im Wegzugstaat entstandenen stillen Reserven jedoch eine Sofortbesteuerung im Zeitpunkt der Verlagerung geboten. Zur Milderung der Belastungswirkung wäre lediglich eine Stundung der Besteuerung bei der Verlagerung von Anlagegütern vertretbar. 4 EuGH, Beschl. v. 13. 7. 1990 – Rs. C-2/88 – „Imm., Zwartveld u. a.“, EuGHE 1990, I – 3635 – Rz. 17. 5 BVerfG, Urt. v. 9. 3. 2004, BVerfGE 110, 94. 6 EuGH, Urt. v. 15. 5. 1997 – Rs. C-250/95 – „Futura Participations und Singer“, EuGHE 1997, I-2471 – Rz. 22.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Als weiteren Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Grundfreiheiten erkennt der EuGH den Gedanken der Kohärenz an. In seiner bisherigen Entscheidungspraxis hat er dies jedoch lediglich in sehr engen Grenzen getan. Danach war es erforderlich, dass ein Nachteil gleichzeitig mit einer für denselben Steuerpflichtigen vorteilhaften Rechtsnorm einhergeht7. Diese Betrachtung dürfte vor dem Hintergrund fehlender Harmonisierung bei den direkten Steuern in der Europäischen Union zu eng sein. Vielmehr ist die Rechtfertigung im Sinne einer Systemkohärenz zu fordern, wie es sich nach dem Votum des Generalanwalts in Sachen Marks & Spencer darstellt8. Danach darf der Verlust einer ausländischen Tochtergesellschaft nur dann bei der inländischen Muttergesellschaft berücksichtigt werden, wenn eine Verrechnung im Sitzland der Tochtergesellschaft nicht möglich ist. Nur so kann eine doppelte Verlustverrechnung europaweit vermieden werden. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH sich dieser Betrachtungsweise anschließt. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann in Grundfreiheiten auch dann eingegriffen werden, wenn dies zur Vermeidung von Missbräuchen erforderlich ist. Der EuGH fordert dabei jedoch den Nachweis eines Missbrauchs im konkreten Einzelfall9. Diese Beurteilung ist nicht überzeugend, wie die Rechtslage in Deutschland deutlich macht. Die Rechtsprechung des ersten Senats beim Bundesfinanzhof hat ihre Rechtssprechung zu § 42 AO mittlerweile sogar in den Fällen so genannter Basisgesellschaften eingeschränkt10, so dass der Nachweis eines konkreten Missbrauchs vor dem ersten Senat auf der Basis des geltenden § 42 AO mittlerweile fast nicht mehr zu führen ist. Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Gesetzgeber vermehrt typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften eingeführt, um den Gesetzesvollzug weiterhin einigermaßen gleichmäßig sicherstellen zu können11. Es sollte darauf hingewirkt werden, dass der EuGH derartige typisierende Missbrauchsbekämpfungsregelungen als Rechtfertigung für Eingriffe in die Grundfreiheiten des EU-Vertrages anerkennt (wegen der Änderung von § 42 AO vgl. IX.). Im Hinblick darauf, dass bei den direkten Steuern bisher keinerlei Harmonisierung in der Europäischen Union besteht, ein Harmonisierungsprozess jedoch in Gang gekommen ist (vgl. unter III.), sollte der EuGH – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung in Steuersachen – die Budgetauswirkungen seiner Entscheidungen stärker beachten. Dies könnte bei Vorabent7 EuGH, Urt. v. 28. 1. 1992 – Rs. C-204/90 – „Bachmann“, EuGHE 1992, I-249 – Rz. 23. 8 Schlussanträge Generalanwalt Maduro v. 7. 4. 2005. 9 EuGH, Urt. v. 17. 7. 1997 – Rs. C-28/95 – „Leur Bloem“, EuGHE 1997, I-4161. 10 BFH, Urt. v. 31. 5. 2005, BFHE 210, 117. 11 Roser, FR 2005, 178.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven scheidungsersuchen – analog Artikel 231 EG-Vertrag – in der Weise geschehen, dass er die Urteilswirkungen auf die Zukunft beschränkt, wenn die Haushaltswirkungen einer Ex tunc-Entscheidung außergewöhnlich hoch ausfallen würden und der jeweilige Mitgliedsstaat bisher auf die Europarechtskonformität seiner Vorschrift vertrauen durfte12 . Für eine solche Entscheidungspraxis, die eine Abwägung zwischen dem Interesse des Gemeinwohls und dem des Einzelnen vornimmt, könnte sich der EuGH auf die Praxis des deutschen Bundesverfassungsgerichts beziehen. Anhängige EuGH-Verfahren mit außergewöhnlich hohen Budgetauswirkungen sind der italienische Fall „Banca Populare di Cremona“13 (120 Milliarden Euro) sowie der deutsche Fall „Meilicke“14 (5 Milliarden Euro). Bei der Beschränkung auf solcher Maßen außergewöhnliche Fälle wäre es weiterhin möglich, dass nicht alle Fälle durchprozessiert werden aus Sorge, man würde bei dem Erfolg in einem Musterfall leer ausgehen; denn grundsätzlich bliebe es bei den Ex tunc-Entscheidungen des EuGH.
III. Reaktion im Rahmen des Lisbon Goal aus EU-Sicht (Wirtschaftsstandort Europa) Eine weitere Verbesserung der Wettbewerbssituation in den einzelnen Mitgliedsstaaten kann dadurch erreicht werden, dass diese gemeinsam versuchen, den Wirtschaftsstandort Europa für Investoren attraktiv zu machen. Dazu gehört auch, gleiche steuerliche Rahmenbedingungen für potenzielle Investoren herzustellen, um diesen niedrige Befolgungskosten (Compliance Costs) zu sichern. Die Europäische Kommission strebt daher kurzfristig eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für Körperschaften an. Sie wird in diesem Bemühen von sehr vielen Mitgliedsstaaten unterstützt. Auch wenn es hierbei kurzfristig nicht zu einer einvernehmlichen Lösung aller Mitgliedsstaaten kommen dürfte, so ist mittlerweile doch eine Lösung für wesentliche Kernstaaten in Europa im Rahmen einer verstärkten Zusammenarbeit denkbar. Sollten sich die damit verbundenen Erwartungen (Investitionsanreiz) in der Praxis bestätigen, ist zu erwarten, dass sich andere Mitgliedsstaaten dieser Lösung anschließen werden. Im Hinblick darauf, dass eine gemeinsame Bemessungsgrundlage viel mehr Transparenz in die Steuerbelastung der einzelnen Mitgliedsstaaten bringen wird, erscheint es unausweichlich, dass eine weitere Verständigung zwi12 Forsthoff, DStR 2005, 1840. 13 Schlussanträge des Generalanwalts Jaobs v. 17. 3. 2005, Rs. C-475/03. 14 Rs. C-292/04.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven schen den Mitgliedsstaaten auf einen moderaten Tarifwettbewerb erfolgt. Dies wäre durch die Vereinbarung eines Tarifkorridors denkbar. Insbesondere Frankreich und Belgien haben derartige Überlegungen bereits offen ausgesprochen. Wenn es zu Angleichungen im Bereich der Bemessungsgrundlage und des Tarifs in Europa kommt, müssten konsequenterweise Verzerrungen durch unterschiedliche Unternehmensteuersysteme in den Mitgliedsstaaten vermieden werden. Bereits heute kann eine freiwillige Angleichung hin zu einer Unternehmenssteuer nach dem Trennungssystem festgestellt werden. Die Umstellung in Deutschland vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren15 und die Entscheidung des EuGH in Sachen „Manninen“ haben auf diese Entwicklung sicherlich entscheidenden Einfluss genommen. In der Tat verletzt ein nationales Anrechnungssystem die Grundfreiheiten der Niederlassung und des Kapitalverkehrs. Eine Ausdehnung über die Grenze ist nicht handhabbar. Demgegenüber eignet sich das Halbeinkünfteverfahren besonders gut insbesondere für grenzüberschreitende Vorgänge, weil dabei auch das Steuersubstrat der Unternehmens- und der Anteilseignerebene zwischen den beiden betroffenen Fisci geteilt wird, ohne dass es eines Clearing-Verfahrens bedarf. Daneben bedarf es einer ganzen Reihe von gemeinsamen Regeln für grenzüberschreitende Umstrukturierungen, wie sie zum Teil mit der Fusionsrichtlinie bereits vorliegen. Aber auch die europäische Aktiengesellschaft wird nur dann in der Praxis ein Erfolg werden können, wenn die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften auch steuerlich flankiert werden. Schließlich bedarf es in Europa eines abgestimmten Vorgehens gegen grenzüberschreitende Gestaltungen zur Steuerminimierung. In dem Zusammenhang ist auch die Absicht der Kommission zu nennen, ein gemeinsames DBA-Muster zwischen den Mitgliedsstaaten und ein solches gegenüber Drittstaaten zu entwickeln. Aus diesen Vorhaben ergeben sich eine Reihe von Baustellen, die national auf Deutschland zukommen bzw. bereits angepackt werden müssen.
15 Müller-Gatermann, GmbHR 2000, 650.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven
IV. Bemessungsgrundlage (europäisches Steuerbilanzrecht) Unter der Leitung der Europäischen Kommission hat sich eine Arbeitsgruppe aus allen 25 Mitgliedsstaaten gebildet, die Vorschläge für eine einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage (common consolidated corporate tax base, CCCTB) erarbeiten soll. Als ersten Schritt strebt die Arbeitsgruppe zurzeit eine gemeinsame Bemessungsgrundlage, d. h. insbesondere ein gemeinsames Steuerbilanzrecht, an; in einem weiteren Schritt müssen dann Grundsätze für die Konsolidierung und Gewinnverteilung erarbeitet werden. Starting point16 für ein gemeinsames Steuerbilanzrecht sind die IFRSGrundsätze. Diese Grundsätze sind nicht im Sinne einer neuen formellen Maßgeblichkeit zu verstehen, sondern sie bilden schon bisher ein gemeinsames Regelwerk, das auf seine Tauglichkeit für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung untersucht werden soll. Der Grundsatz einer (formellen) Maßgeblichkeit der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung wird bei der Erarbeitung eines gemeinsamen Steuerbilanzrechts von den meisten Staaten nicht verfolgt, obwohl er in sehr vielen Mitgliedsstaaten zurzeit geltendes Recht ist. Dies geschieht mit Rücksicht darauf, dass eine Verständigung mit Staaten, die diese Maßgeblichkeit nicht kennen, eher möglich ist. Aus deutscher Sicht gilt zusätzlich, dass die Maßgeblichkeit wegen ihrer Komplizierung und vielen Ausnahmen ohnehin sehr umstritten ist. Hinzu kommt, dass die (wenn auch) geringen Unterschiede der Gewinnermittlung nach § 4 EStG auf der einen Seite und § 5 EStG auf der anderen Seite zwischen Steuerpflichtigen mit und ohne Handelsbilanz kaum zu vermitteln sind. Ohne eine formelle Maßgeblichkeit böte es sich daher an, die Vorschriften der §§ 4 und 5 EStG zusammen zu führen. Ferner ist die weitere Entwicklung der Kapitalerhaltungsbilanz in Deutschland ohnehin unsicher, so dass ein eigenes Steuerbilanzrecht mehr Rechtssicherheit verspricht. Wichtig ist es jedoch, bei der Erarbeitung eines eigenen Steuerbilanzrechts insbesondere die Regeln der IFRS-Bilanz im Auge zu behalten, um – trotz zu erwartender Unterschiede wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen – die unterschiedlichen Abschlüsse aus einem gemeinsamen Rechenwerk mit verhältnismäßig geringem Aufwand vornehmen zu können. Zur Unterstützung der Kommission haben sich bisher drei Unterarbeitsgruppen jeweils unter der Leitung von Deutschland, Italien und Frankreich gebildet. Dabei hat sich Deutschland mit seiner Unterarbeitsgruppe insbesondere die Aktivseite der Bilanz vorgenommen. Italien konzentriert sich auf die Passivseite und Frankreich wird die weiteren Prüffelder auf dem Weg 16 Vgl. für eine Zukunftsperspektive auch Herzig/Bär, DB 2003, 1.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven zur gemeinsamen Bemessungsgrundlage, d. h. des zu versteuernden Einkommens, prüfen. In der von Deutschland geleiteten Arbeitsgruppe hat man sich bisher mit folgenden Themen beschäftigt: – Bei der Defi nition des Vermögenswertes besteht ein Verständnis, das in Deutschland auch für den Begriff des Wirtschaftsguts gilt. Lediglich die selbständige Verkehrsfähigkeit als Merkmal des Vermögenswertes ist in Deutschland nicht bekannt (vgl. Firmenwert). – Bei der Zurechnung von Vermögenswerten orientiert man sich an der Herrschaftsgewalt, dem Verlustrisiko bzw. der Gewinnchance, wie dies auch grundsätzlich schon heute dem deutschen Verständnis entspricht. – Bei der Zugangsbewertung besteht bisher Einvernehmen, dass kalkulatorische Kosten und Fremdkapitalzinsen nicht zu den Anschaffungs- und Herstellungskosten gehören. Daneben ist man sich auch über nachträgliche Anschaffungskosten und Herstellungskosten einig bei der Erweiterung oder wesentlichen Verbesserung von Wirtschaftsgütern. – Hinsichtlich der Wirtschaftsgüter ohne planmäßige Abschreibung ist im Augenblick festzustellen, dass Wirtschaftsgüter, die keinem Wertverzehr unterliegen, auch nicht abgeschrieben werden können und Aufwendungen für geringwertige Wirtschaftsgüter sofort abziehbar sind. – Hinsichtlich der Abschreibungsmethoden werden eingehend sowohl die Möglichkeit einer individuellen Abschreibung als auch einer Gruppenabschreibung – wie sie insbesondere in den skandinavischen Ländern üblich ist – diskutiert. Hierbei werden insbesondere die Chancen einer größeren Vereinfachung bei der Gruppenabschreibung gegenüber der größeren Genauigkeit bei der individuellen Abschreibung gegeneinander abgewogen sowie Möglichkeiten für einen Kompromiss überlegt. – Bei der Behandlung von Veräußerungsgewinnen und -verlusten besteht Einigkeit, dass nicht realisierte Gewinne nicht zu erfassen sind. Die Behandlung nicht realisierter Verluste ist dagegen offen, d. h. das in Deutschland geltende Imparitätsprinzip mit der Folge einer Berücksichtigung nicht realisierter Verluste ist noch nicht Konsens. In der von Italien geleiteten Unterarbeitsgruppe besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei Rücklagen um Eigenkapital und bei Rückstellungen sowie Verbindlichkeiten um Fremdkapital handelt. – Hinsichtlich der Bildung und Behandlung von Rücklagen besteht im Übrigen Einigkeit, dass es sich bei der Bildung von Rücklagen um Gewinnverwendung handelt und diese daher grundsätzlich nicht zur Verminderung der Bemessungsgrundlage führen dürfen. 19
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven – Eine genaue Ausarbeitung der Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen ist noch nicht erfolgt. Konsens besteht jedoch dahingehend, dass Rückstellungen dem Betrag und/oder der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten darstellen. Sie kommen jedoch nur bei Drittverpflichtungen in Betracht. Man ist sich ferner einig, dass die Regelungen in IFRS 37 einen guten Ausgangspunkt für die weitere Arbeit an einer Definition darstellen. – Hinsichtlich der Auswirkungen von Rückstellungen auf die Bemessungsgrundlage wurde noch keine Einigkeit erzielt. Ein Teil der Mitgliedsstaaten favorisiert einen Grundsatz der Nichtabziehbarkeit und möchte die Rückstellungen, die dennoch die Bemessungsgrundlage mindern dürfen, in einer „Positivliste“ aufzählen. Die anderen Mitgliedsstaaten präferieren einen Grundsatz der Abziehbarkeit und eine explizite Aufzählung der nicht abziehbaren Rückstellungen („Negativliste“). – Ferner besteht Konsens, dass Wertminderungen von Vermögenswerten grundsätzlich nicht durch Bildung von Rückstellungen, sondern durch Minderung des aktiven Ansatzes zu erfassen sind (vgl. aber nächstes Tiré). – Noch keine Einigkeit wurde bei der Frage erzielt, ob die Wertberichtigung auf Forderungen aus Lieferungen und Leistungen durch Minderung des aktiven Ansatzes oder durch Ausweis eines Passivpostens zu erfolgen hat. Einvernehmen besteht lediglich insoweit, als eine solche Wertberichtigung die Bemessungsgrundlage mindern soll. Hinsichtlich eines Verfahrens zur Festlegung der Höhe der Wertminderungen wurde bisher noch kein Ergebnis erzielt.
V. System der Unternehmensbesteuerung Ausgelöst durch den Standortwettbewerb in Europa wird in Deutschland eine Diskussion über die Notwendigkeit geführt, die Unternehmenssteuerreform mit dem Ziel fortzusetzen, die Unternehmenssteuern in Deutschland weiter zu senken. Aus der Vielzahl der diskutierten Modelle seien drei Modelle herausgegriffen, die besonders im Fokus der politischen Diskussion stehen: Das Kirchhof-Modell, das Modell des Sachverständigenrats und das Modell der Stiftung Marktwirtschaft. Das Kirchhof-Modell verfolgt insgesamt die Einführung einer flat tax bei gleichzeitig konsequenter Beseitigung aller steuerlicher Ausnahmetatbestände. Die Unternehmensbesteuerung soll in der Weise verändert werden, dass steuerjuristische Personen, damit sind Körperschaften und Personengesellschaften gemeint, einheitlich mit 25 % besteuert werden und gleich20
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven zeitig eine Befreiung für die Dividendenbesteuerung gilt, um auf diese Weise eine Rechtsformneutralität zu erreichen. Für natürliche Personen als Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft wird ein Anrechnungsverfahren zur Berücksichtigung von Grundfreibeträgen etc. vorgesehen. Die Gewerbesteuer soll abgeschafft werden. Das Kirchhof-Modell hat wenig Verwirklichungschancen, weil unabhängig von den problematischen Budget-Auswirkungen bei der Einführung einer flat tax von 25 % die Eckwerte der vorgeschlagenen Unternehmensbesteuerung unrealistisch sind. Die Wiedereinführung eines Anrechnungsverfahrens kann kurz nach dessen Abschaffung aus guten Gründen (Komplexität, Missbrauchsanfälligkeit, Europa-Untauglichkeit) nicht erwartet werden. Daneben kann die Einführung einer Dividendenbefreiung nicht befürwortet werden, weil sich in unterschiedlichen Unternehmenssteuersystemen hier Gestaltungen in internationalen Bereich anbieten, die Entlastungen auf der Unternehmensseite in anderen Staaten ausnutzen. Das Modell des Sachverständigenrats befürwortet die so genannte duale Einkommensteuer. Danach wird insgesamt zwischen Kapitaleinkommen und Arbeitseinkommen unterschieden. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung soll an dem bestehenden Dualismus zwischen Transparenz für Personenunternehmen und Trennungsprinzip für Körperschaften festgehalten werden wegen der Unterschiede bei der Verlusttragung. Das Modell verfolgt vielmehr eine Finanzierungsneutralität bei der Besteuerung, indem der Teil des Gewinns, der einer normalen Verzinsung des Eigenkapitals entspricht, mit jeweils 25 % versteuert wird – ebenso wie der übrige einbehaltene Gewinn bei Kapitalgesellschaften, Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne. Bei Kapitalgesellschaften wird nur der ausgeschüttete Übergewinn beim Anteilseigner als Dividende besteuert; bei Personenunternehmen unterliegt der Übergewinn der normalen Progressionsbesteuerung. Die Umsetzung des Modells erscheint gleich aus mehreren Gründen zweifelhaft. Es behält die bestehenden Komplikationen des Dualismus’ und die Komplexität der Personengesellschaftsbesteuerung bei und fügt weitere Komplizierungen durch die Herstellung einer Finanzierungsneutralität an. Daneben schafft es – wie die Erfahrungen aus Skandinavien zeigen – schwierige Abgrenzungsprobleme zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen. Auch Gestaltungen wegen der begünstigten Dividendenbesteuerung sind zu befürchten. Das Modell der Stiftung Marktwirtschaft verfolgt das Ziel einer einheitlichen und damit rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung und die Schaffung einer kommunalen Unternehmenssteuer mit gleicher Bemessungsgrundlage. 21
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Das Modell der Stiftung Marktwirtschaft ähnelt in seiner Struktur sehr stark dem Modell der integrierten Gewinnsteuer17, das als Fortentwicklung der Brühler Empfehlungen in der Steuerabteilung des Finanzministeriums erarbeitet worden ist. Da die Einzelheiten des Modells der Stiftung Marktwirtschaft noch nicht festliegen, werde ich die einzelnen Strukturelemente anhand des Modells der integrierten Gewinnsteuer näher erläutern. Ich beginne dabei mit der Rechtsformneutralität.18 – Die einheitliche Unternehmensbesteuerung soll nach dem System des Körperschaftsteuerrechts, d. h. nach dem Trennungsprinzip, erfolgen. Dies erlaubt eine günstige und damit wettbewerbsfähige Besteuerung auf der Unternehmensebene, ohne dass das Tarifgefüge des Einkommensteuerrechts geändert werden muss. Dies schont den Haushalt. – Das System der Unternehmensbesteuerung soll für alle Gewinneinkünfte gelten. Die günstige Besteuerung thesaurierter Gewinne ist gegenüber anderen Einkünften dadurch gerechtfertigt, dass mit der Widmung für unternehmerische Zwecke ein erhöhtes Risiko besteht. – Das einheitlich geltende Körperschaftsteuerregime soll für alle Personenunternehmen gelten. Insbesondere die Ausdehnung auf alle Personengesellschaften schafft Vereinfachungen durch den Wegfall der komplexen Personengesellschaftsbesteuerung nach dem Einkommensteuerrecht und verhindert Mischformen (z. B. GmbH & Co. KG) als Gestaltungen zur Steueroptimierung. Im grenzüberschreitenden Verkehr können sich durch die Aufgabe der Transparenzbesteuerung für Personengesellschaften Qualifikationskonflikte ergeben, weil andere Staaten Personengesellschaften transparent besteuern. Hierdurch würden sich jedoch lediglich Qualifi kationskonflikte umkehren, weil bereits heute sehr viele Staaten in Europa und wichtige andere Industriestaaten Personengesellschaften nach dem Trennungsprinzip (optional oder zwingend) besteuern. Bei Einzelunternehmen ist dies anders. Hier wäre Deutschland das einzige Land, das Einzelunternehmen nach dem Trennungsprinzip besteuern würde. Neben der Schwierigkeit, Einzelunternehmen davon zu überzeugen, bei der Besteuerung als fi ktiver Eigner von 100 % Anteilen ihres Unternehmens behandelt zu werden, kämen möglicherweise eine Fülle von Qualifi kationskonflikten im Grenzbereich zum Ausland hinzu. In der weiteren Diskussion wird daher zu überlegen sein, ob man sich darauf beschränkt, nur Gesellschaften insgesamt rechtsformneutral nach einem einheitlichen Regime zu besteuern.
17 Müller-Gatermann in Oestreicher, Konzernbesteuerung, S. 197. 18 Eine Angleichung der hier nicht näher untersuchten Erbschafts- und Schenkungssteuer für Unternehmen und Beteiligungen ist ebenfalls geboten.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven – Ein einheitliches Unternehmenssteuerrecht beließe den Unternehmen die Freiheit, zivilrechtlich ihre bisherige Rechtsform behalten zu dürfen. Mit Blick auf die Änderung des Steuerregimes wären auch grundsätzlich keine negativen Steuerfolgen (z. B. Gewinnrealisierungen) zu besorgen, da hierfür bereits das bestehende Umwandlungssteuerrecht für tatsächlich durchgeführte Umwandlungen hilft. Soweit ausnahmsweise Gewinnrealisierungen stattfinden müssten, gibt es hier die Möglichkeit großzügiger Stundungen, wie dies im Falle ausländischer Mitunternehmer oder des Sonderbetriebsvermögens im Rahmen der Option beim Entwurf des Steuersenkungsgesetzes vorgesehen war19. – Im Hinblick darauf, dass im neuen Regime Entnahmen bei Personenunternehmen wie Dividenden behandelt werden müssten, ergibt sich hier die Notwendigkeit der Kapitalertragsteuer. – Mit der Anwendung des Körperschaftsteuerregimes auf Personenunternehmen ergibt sich – anders als im geltenden § 15 EStG – die Möglichkeit, auch steuerlich Austauschverträge anzuerkennen. Dies schließt die Möglichkeit ein, dass Personenunternehmen mit steuerlicher Wirkung – wie häufig von der Wirtschaft gefordert – Vorsorge für die Alterssicherung (Pensionsrückstellungen!) treffen können. Gleichzeitig bietet die Anerkennung von Austauschverträgen insbesondere für kleinere Unternehmen die Möglichkeit, grundsätzlich den im Unternehmen erwirtschafteten Ertrag weiterhin nach dem Einkommensteuergesetz progressiv als Gehalt, Miete, etc. besteuern zu können und dadurch keine höhere Belastung zu erfahren. Sollte man Einzelunternehmen in das einheitliche Besteuerungsregime einbeziehen, ergäbe sich die Notwendigkeit, dass die Einzelunternehmer vorher in einer einseitigen Erklärung ihre Geschäftsführergehälter etc. dem Finanzamt mitteilen müssten. Die häufig geäußerte Sorge, dass eine Besteuerung von Personenunternehmen nach dem Körperschaftsteuerregime auch die schwierige Auseinandersetzung mit dem Problem der verdeckten Gewinnausschüttung beinhalte, überzeugt nicht. Bereits heute im Halbeinkünfteverfahren ist die Bedeutung von verdeckten Gewinnausschüttungen gegenüber früher deutlich geringer geworden. Bei einem attraktiven Thesaurierungssatz dürfte das Interesse daran, Erträge in den nichtbetrieblichen Bereich zu überführen, vollends verloren gehen. Es ist sogar anzustreben, dass die Belastung ausgeschütteter Gewinne geringfügig über dem Einkommensteuersatz liegt, um die gegenläufige Bewegung zu verhindern. Das Modell der Stiftung Marktwirtschaft verfolgt dem Vernehmen nach eine weitere Möglichkeit, nach der insbesondere kleinere Unternehmen im 19 BT-Drucks. 14/3366, § 4a KStG.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Ergebnis in der transparenten Besteuerung bleiben können. Dies soll nach dem Vorbild des so genannten Dividendenabzugsverfahrens20 in der Weise geschehen, dass Entnahmen zum Abzug (als Betriebsausgabe) zugelassen werden und im Rahmen der Einkommensteuer als unternehmerische Einkünfte progressiv besteuert werden. Neben der aktuellen Besteuerung der Personengesellschaften nach dem Transparenzprinzip mit all ihren Schwierigkeiten stellt die Gewerbesteuer einen der Hauptstörfaktoren21 der deutschen Unternehmensbesteuerung dar. Dies liegt zum einen daran, dass die Gewerbesteuer insbesondere mit ihren Hinzurechnungen (z. B. Dauerschuldzinsen) Substanzsteuerelemente enthält, die als Sonderbelastung der gewerblichen Wirtschaft nicht mehr begründbar sind und in Krisenzeiten teilweise existenzbedrohend wirken. Daneben führt die Gewerbesteuer mit ihrer eigenen Bemessungsgrundlage zu besonderen administrativen Schwierigkeiten, die mit ein Grund für die besondere Komplexität des deutschen Unternehmenssteuerrechts sind. Nachdem im geltenden Steuerrecht bei Personenunternehmen die aufwendige Ermittlung der Gewerbesteuerschuld durchgeführt wird, um dann nach § 35 EStG bei der Einkommensteuer wieder angerechnet zu werden, wird die Ineffi zienz der geltenden aufwendigen Unternehmensbesteuerung besonders augenscheinlich. Aus diesem Grunde wird nicht nur von den eingangs vorgestellten Modellen die Abschaffung bzw. die Ersetzung der Gewerbesteuer gefordert. Die Integration einer Gewerbesteuer soll nachfolgend erläutert werden. – Ausgehend davon, dass ein einheitliches Unternehmenssteuerregime geschaffen werden soll (vgl. oben) und die Hinzurechnungselemente der Gewerbesteuer nicht weiter begründbar sind, bietet es sich an, die Kommunen auf der Basis einer einheitlichen Bemessensgrundlage an der Unternehmenssteuer zu beteiligen. Hierfür muss der Körperschaftsteuersatz von derzeit 25 % auf 28 % angehoben werden. Durch den Wegfall der Hinzurechnungselemente wird Steuersubstrat eingebüßt, das teilweise jedoch durch die Verbreiterung der subjektiven Bemessungsgrundlage (Freiberufler, Land- und Forstwirte) wieder ausgeglichen wird. – Mit Rücksicht auf das Hebesatzrecht der Gemeinden müssen die Gemeinden ein Zuschlagsrecht auf ihren Anteil an der Unternehmenssteuer erhalten. Aufgrund der Erfahrungen aus der bisherigen Gewerbesteuer bietet es sich jedoch an, einen Korridor von etwa 5 Prozentpunkten vorzusehen, damit zum einen die Belastung im international wettbewerbs20 Vgl. Entwurf eines 3. Steuerreformgesetzes, BT-Drucks. 7/1470, S. 329. 21 Müller-Gatermann, Festschrift für Raupach, S. 81 ff.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven fähigen Bereich (Mittelfeld) bleibt und der Wettbewerb zwischen den Gemeinden moderat ausfällt. – Im Hinblick darauf, dass den Gemeinden ein Aufkommen erhalten bleiben muss, das dem heutigen Gewerbesteueraufkommen entspricht, ist es geboten, gleichzeitig über eine Reform der Grundsteuer (vgl. auch reale Werte), eine Veränderbarkeit des Einkommensteueranteils der Gemeinden sowie über den Anteil der Gemeinden an der Umsatzsteuer oder einen entsprechenden Ersatz dafür nachzudenken, der das Band zwischen Kommunen und Unternehmen stärkt. Da jede Reform Gewinner und Verlierer hervorbringt, ist auch darüber nachzudenken, inwieweit über einen Ausgleichsfonds Verlierergemeinden glattgestellt werden.
VI. Tarif Nach dem vorstehenden Unternehmenssteuerkonzept würde Deutschland eine Unternehmenssteuerbelastung zwischen 28 und 33 % erreichen. 19 % würden dem Bund und den Ländern zustehen, wie es auf dem Jobgipfel in der letzten Legislaturperiode angedacht worden ist. 9 % würden sicher den Gemeinden zufließen und eine Zuschlagsmöglichkeit von bis zu 5 Prozentpunkten würde den Gemeinden vorbehalten sein. Mit einer solchen Unternehmenssteuerbelastung wäre Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Die Standortqualität würde angesichts weiterer positiver Standortkriterien (politische Stabilität, gute Infrastruktur, guter Ausbildungsstand der Arbeitnehmer) entscheidend gesteigert. Im Hinblick darauf, dass bisher unfairer Wettbewerb lediglich im Rahmen der Bemessungsgrundlage (Code of Conduct) gemeinsam bekämpft wird, empfiehlt es sich, auch beim Tarif einen Mindestsatz in Europa festzulegen. Eine solche Maßnahme, wie sie kürzlich in Deutschland durch die Einführung eines Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer eingeführt worden ist, trägt im Übrigen wesentlich dazu bei, dass Steuergestaltungen zur Ausnutzung von Belastungsgefälle der Anreiz genommen wird.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven
VII. Wegzug und Unternehmensverlagerung Das deutsche Steuerrecht muss an die neueren EU-rechtlichen Vorgaben angepasst werden. Insbesondere müssen die Einführung der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft steuerlich begleitet und die Änderungsrichtlinie zur Fusionsrichtlinie – z. T. schon mit Wirkung vom 1. Januar 2006 – umgesetzt werden. Daneben gilt es, die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG an die Vorgaben der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Lasteyrie du Saillant anzupassen. Diese Maßnahmen sollen im Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft (SEStEG) umgesetzt werden. Die besondere Herausforderung dieses Gesetzgebungsverfahrens liegt darin, dass auf der einen Seite grenzüberschreitende Vorgänge in der Weise liberalisiert werden, dass diese nicht schlechter behandelt werden als nationale Vorgänge, auf der anderen Seite aber sichergestellt wird, dass die in Deutschland angewachsenen stillen Reserven besteuert werden. Der Gesetzentwurf löst die Aufgabe in der Weise, dass zum einen das Umwandlungssteuergesetz nicht nur im Einbringungsteil grenzüberschreitende Vorgänge regelt, sondern auch hinsichtlich der anderen Umwandlungen eine Ausdehnung auf grenzüberschreitende Vorgänge vorsieht; gleichzeitig werden die verschiedenen Entstrickungstatbestände im geltenden Recht auf systematisch abgestimmte Einzelregelungen zusammengeführt und umfassend im Einkommensteuergesetz (§ 4 EStG) und Körperschaftsteuergesetz (§ 12 KStG) geregelt. Daneben wird die Wegzugsbesteuerung des § 6 AStG gelockert und insgesamt für den betrieblichen und privaten Bereich die Verstrickung über eine Wertverknüpfung in der Weise geregelt, dass Doppelbesteuerungen vermieden werden. 1. Entstrickung und Verstrickung im betrieblichen Bereich Im deutschen Steuerrecht sind derzeit verschiedene Entstrickungstatbestände für grenzüberschreitende Sachverhalte entweder in den jeweiligen Einzelsteuergesetzen oder basierend auf der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (finaler Entnahmebegriff) in Verwaltungsanweisungen22, wie z. B. dem Betriebsstättenerlass, geregelt. Die gesetzliche Grundlage der Verwaltungsanweisungen und die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs werden vermehrt in Frage gestellt23, so dass es geboten ist, die Entstrickungsfrage umfassend gesetzgeberisch zu lösen.
22 Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze, BStBl. I 1999, 1076. 23 Wassermeyer, GmbHR 2004, 613.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Mit dem Hinweis auf den vergleichbaren Inlandsfall, in dem z. B. ein Wirtschaftsgut vom Stammhaus in Deutschland zu einer deutschen Betriebsstätte überführt wird, und dem Bezug auf die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Lasteyrie du Saillant zur Wegzugsbesteuerung wird gefordert, dass auch die Überführung in eine ausländische Betriebsstätte nicht zur Besteuerung der stillen Reserven in dem Wirtschaftsgut führen dürfe, sondern eine solche Besteuerung erst im Falle der Realisation im Ausland zugunsten des deutschen Fiskus erfolgen könne. Dem ist entgegen zu halten, dass die Versteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Überführung des Wirtschaftsguts zwar einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit bedeutet, dieser Eingriff aber durch die eingeschränkte grenzüberschreitende Steueraufsicht gerechtfertigt ist. Der Hinweis, dass die nötige Aufsicht im Wege der Amtshilfe erfolgen könne, überzeugt nicht, da angesichts der Vielzahl der Fälle (vgl. Unterschied zur Wegzugsbesteuerung unter 2.) die Praxis mit einem solchen Verfahren überfordert wäre. Hinzu kommt, dass der Eingriff vergleichsweise schwach ist, da die Gesamtgewinnsituation des Steuerpflichtigen unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Wegzugsund Zuzugsstaat insgesamt gleich wäre und es lediglich angesichts der frühzeitigen Besteuerung im Zeitpunkt der Verlagerung des Wirtschaftsguts zu Liquiditäts- und Stundungseffekten kommt. Um diesen Nachteil abzumildern, könnte die Sofortversteuerung mit einer Stundung verbunden werden, die jedoch nur für Anlagegüter gelten dürfte, da Umlaufvermögen zur alsbaldigen Veräußerung bestimmt ist. Auch der Betriebsstättenvorbehalt in der geänderten Fusions-Richtlinie macht deutlich, dass die Mitgliedsstaaten von einer Steuerpflicht bei Verlagerung der Betriebsstätte über die Grenze ausgehen. Ein Entstrickungstatbestand (§§ 4, 6 EStG, § 12 KStG) könnte danach in der Weise gestaltet werden, dass eine Sofortbesteuerung bei der Überführung des Wirtschaftsguts auf der Basis des gemeinen Wertes erfolgt und dabei eine Stundung für Anlagevermögen auf 5 Jahre vorgesehen wird. Gleichzeitig könnte eine Verstrickung zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung durch Wertverknüpfung in Zuzugsfällen vorgesehen werden. 2. Wegzug natürlicher Personen Im Falle des Wegzugs natürlicher Personen sieht die Situation anders aus. Bisher wurde nach § 6 AStG der Wertzuwachs in den Beteiligungen bei Wegzug abschließend besteuert. Nach der Entscheidung in der Rechtssache Lasteyrie du Saillant zur französischen Wegzugsbesteuerung kann diese Behandlung nicht aufrechterhalten werden. Auch wenn der Wegzugsstaat das unbestreitbare Recht hat, die bei ihm angewachsenen stillen Reserven zu besteuern, so sieht der EuGH hier nur die Möglichkeit, dies erst bei der 27
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Realisation der stillen Reserven zu tun. Anders als bei der Verlagerung von Wirtschaftsgütern bestehen zwar auch hierbei Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Steueraufsicht, wegen der Überschaubarkeit der Fälle dürfte hier jedoch der Vollzug über stärkere Meldepfl ichten und die Inanspruchnahme der ausländischen Amtshilfe sichergestellt werden können. Nachdem der deutsche Fiskus mit dem Wegzug des Steuerpflichtigen nach den Doppelbesteuerungsabkommen mit den europäischen Mitgliedsstaaten sein Besteuerungsrecht verliert, ist der Fiskus jedoch gehalten, ein besonderes Verfahren für die Sicherstellung der Besteuerung im Realisationszeitpunkt einzuführen. Hierfür gibt es im Grundsatz zwei Möglichkeiten: Zum einen kann man die Realisation als rückwirkendes Ereignis fi ngieren, das auf den Zeitpunkt des Wegzugs zurückwirkt. Diesen Weg hat Österreich gewählt. Im Hinblick darauf, dass es unsicher erscheint, ob im Wege der Fiktion eine Steuerpflicht wiederaufleben kann, wird Deutschland die Besteuerung in der Weise sichern, dass sie zwar bei Wegzug besteuert, aber die Schuld zinslos und ohne Sicherheit stundet. Auf diese Weise ist der Steuerpflichtige materiell nicht belastet. Der Widerruf der Stundung ist vorzusehen für den Fall der Veräußerung oder des Wegzugs außerhalb der Europäischen Union oder des EWR-Raum bzw. bei Verletzung von Meldepflichten. Um eine leistungsgerechte Besteuerung sicherzustellen, werden Wertminderungen, die bis zum Realisationszeitpunkt eingetreten sind, bei der endgültigen Besteuerung in Deutschland berücksichtigt, wenn dies nicht im Zuzugsstaat geschieht. Zur Vermeidung von Doppelbelastungen erfolgt in Zuzugsfällen eine Wertverknüpfung mit dem Wert im Wegzugsstaat, da der deutsche Fiskus lediglich die Besteuerung der bei ihm entstandenen stillen Reserven beansprucht. 3. Umwandlungssteuergesetz Bei der Neukonzeption des Umwandlungssteuergesetzes ist zunächst zu entscheiden, ob die Neuausrichtung auf grenzüberschreitende Vorgänge global ausgelegt sein oder sich auf die Europäische Union beschränken soll. Nach der Fusionsrichtlinie ist es sicherlich ausreichend, wenn das deutsche Umwandlungssteuergesetz sich auf grenzüberschreitende Vorgänge innerhalb der Europäischen Union beschränkt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Kapitalverkehrsfreiheit über die Europäische Union hinaus gilt und über einen Zwischenschritt z. B. nach Österreich eine globale Lösung leicht erreichbar ist. 28
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven Vor dem Hintergrund, dass sich bei grenzüberschreitenden Vorgängen die Maßgeblichkeit nicht nur auf die deutsche Handelsbilanz beziehen kann, soll der Grundsatz der Maßgeblichkeit im Umwandlungssteuergesetz aufgegeben werden. Dies beseitigt die bisherigen Beschränkungen im Umwandlungssteuerrecht, die dadurch entstanden sind, dass handelsrechtliche Beschränkungen auf die steuerliche Gewinnermittlung durchgeschlagen sind24. Darüber hinaus nimmt die Aufgabe der Maßgeblichkeit im Umwandlungssteuerrecht lediglich den Verzicht der Maßgeblichkeit in Deutschland insgesamt voraus, der im Rahmen der gemeinsamen Bestrebungen für ein europäisches Steuerbilanzrecht in Brüssel mit Unterstützung Deutschlands verfolgt wird. Aus Gründen der Vereinfachung soll es im Umwandlungssteuerrecht zukünftig nur noch entweder um die Fortführung der Buchwerte oder die Realisation zum gemeinen Wert gehen. Zwischenwertansätze sind danach nicht mehr vorgesehen. Bei Umwandlungen im engeren Sinne (ohne Einbringungen) sind drei gewichtige Änderungen vorgesehen: – Wie bereits in Österreich, soll eine Quellenbesteuerung der offenen Reserven der übertragenden Kapitalgesellschaft im Rahmen des Übernahmeergebnisses eingeführt werden. Diese Änderung berücksichtigt, dass die Umwandlung eine Vermögensübertragung ist, die hinsichtlich der offenen Reserven wie eine Ausschüttung wirkt. – Auf das Übernahmeergebnis soll ebenfalls § 8b Abs. 3 KStG (5-ProzentRegelung) angewendet werden, weil die Umwandlung wie eine Veräußerung wirkt. – Schließlich ist vorgesehen, den Verlustübergang nach § 12 UmwStG zu streichen. Hintergrund dieser Überlegung ist die Sorge vor ausländischen Verlusten bei Hineinverschmelzungen, wenngleich vor dem Hintergrund des Betriebsstättenvorbehalts in der Fusionsrichtlinie die Verrechnung dieser Verluste innerhalb der ausländischen Betriebsstätte erfolgen müsste. Bei den Einbringungstatbeständen wird erwogen, die Rechtsfolgen eines schädlichen Verkaufs von einbringungsgeborenen Anteilen innerhalb der Sperrfrist zu vereinheitlichen. Es ist daran gedacht, im Sinne des geltenden § 26 Abs. 2 UmwStG den Einbringungsvorgang nachträglich steuerpfl ichtig zu machen und Veräußerungen nach der Sperrfrist der normalen Veräußerungsgewinnbesteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren zu unterwerfen. Diese Verfahrensweise hat den Vorteil, dass auf die Behandlung i. S. d. § 8b Abs. 4 KStG mit ihren systemwidrigen Doppelbesteuerungen verzichtet werden kann und sich das Problem der ausländischen Mitunternehmer 24 BMF, Schr. v. 25. 3. 1998, BStBl. I 1998, 268 – Tz. 03.01.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven nach § 20 Abs. 3 UmwStG ebenfalls erledigt. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der rückwirkenden Bewertung müsste allerdings über eine Verkürzung der 7-jährigen Sperrfrist nachgedacht werden, um lediglich bei Bedarf bewerten zu müssen und nicht im Vorfeld bei jedem Einbringungsvorgang die stillen Reserven zu ermitteln. Dies gibt jedoch gleichzeitig die Gelegenheit, die uneinheitlichen Sperrfristen zu vereinheitlichen und damit unser Steuerrecht zu vereinfachen. Die vorgenannte Maßnahme zwingt dazu, eine entsprechende Regelung auch für den Fall des Anteilstausch vorzusehen. Hier wäre jedoch als auslösendes Moment auf die weitere Veräußerung durch den Aufnehmenden zu rekurrieren. Einer lange erhobenen Forderung der Wirtschaft soll darüber hinaus nachgegeben werden, nämlich auf die doppelte Buchwertverknüpfung in § 23 Abs. 4 UmwStG beim Anteilstausch soll verzichtet werden, da das ausländische Recht dem vielfach entgegensteht. Ein Musterprozess beim Bundesfinanzhof zum geltenden Recht hierzu soll jedoch weitergeführt werden. 4. Sonstiges Die internationale Ausrichtung des deutschen Steuerrechts zwingt dazu, auch über die Beibehaltung des Einlagekontos, die weitere Behandlung des Körperschaftsteuerguthabens sowie des so genannten EK 02 nachzudenken. Im Hinblick darauf, dass die meisten ausländischen Rechtssysteme ein Einlagekonto nicht kennen, ist zu überlegen, ob man dieses Konto abschafft und damit keinerlei Differenzierung zwischen Einlagerückgewähr und Ausschüttung mehr macht, oder das Einlagekonto zu erhalten und bei ausländischen Gesellschaften den Nachweis der Einlagerückgewähr in anderer geeigneter Form zulässt. Hinsichtlich des Körperschaftsteuerguthabens aus dem Übergang vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren (§ 37 KStG) wird zu überlegen sein, ob zu einer Verteilung des Restguthabens auf die verbleibenden 14 Jahre unabhängig von der Ausschüttung übergegangen wird. Ähnliches gilt für die Abwicklung des so genannten EK 02. Auch hier wird man darüber nachdenken müssen, die weitere Abwicklung in pauschalierter Form, d. h. im Wege einer ratierlichen Nachbelastung vorzusehen. Zur Abmilderung würde sich allenfalls anbieten, dem Steuerpflichtigen für die verbleibende Übergangszeit den Gegenbeweis offen zu halten, andere Kapitalteile als das EK 02 für die Ausschüttung verwandt zu haben.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven
VIII. Konzernbesteuerung Mit dem Hinweis darauf, dass in Deutschland Stammhauskonzerne anders behandelt werden als gegliederte Konzerne, wird seit Jahren gefordert, die Voraussetzungen der Organschaftsbesteuerung zurückzuführen. Ziel dieser Forderung ist es hauptsächlich, die Verlustverrechnung im gegliederten Konzern zu erleichtern, nachdem im Halbeinkünfteverfahren die Verlustverrechnung gegenüber dem früheren Anrechnungsverfahren noch schwieriger geworden ist. Anstoß nimmt man hauptsächlich an der Voraussetzung des Gewinnabführungsvertrages. Dieser war im geltenden Recht bisher immer ein wesentlicher Grund für die zusammengefasste Besteuerung in der Organschaft, weil sich durch den Gewinnabführungsvertrag über die Pflicht zur Gewinnabführung auf der einen Seite und die Pflicht zur Verlustübernahme auf der anderen Seite auch tatsächlich die Leistungsfähigkeit veränderte. Vor dem Hintergrund eines internationalen Rechtsvergleichs von Gruppenbesteuerungssystemen, bei dem Deutschland mit dem Gewinnabführungsvertrag als Voraussetzung einer Organschaft alleine dasteht, und der handelsrechtlichen Schwierigkeiten, die für den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages zu überwinden sind, wird man im internationalen Steuerwettbewerb die nationalen Organschaftsbesteuerungsregeln weiterentwickeln müssen und dabei auch über den Wegfall des Gewinnabführungsvertrages als eine Voraussetzung der Organschaft nachdenken müssen. Um gleichwohl weiterhin eine zusammengefasste Besteuerung rechtfertigen zu können, bietet es sich jedoch an, für den Wegfall des Gewinnabführungsvertrages eine stärkere fi nanzielle Eingliederung, z. B. von über 75 %, an die Stelle treten zu lassen. Um ferner missbräuchliche Gestaltungen zu unterbinden, sollte darüber hinaus die Verlustberücksichtigung beim Organträger auf den Wert der Beteiligung an der Organgesellschaft, deren Verlust beim Organträger berücksichtigt werden soll, beschränkt werden. Im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Marks & Spencer könnte sich kurzfristig für den deutschen Gesetzgeber die Notwendigkeit ergeben, auf die Berücksichtigung ausländischer Verluste von Tochtergesellschaften bei der inländischen Muttergesellschaft reagieren zu müssen. Die Bundesregierung ist allerdings zuversichtlich, dass der EuGH eine solche Verlustberücksichtigung nur fordern wird, wenn die Verlustberücksichtigung im Land der Tochtergesellschaft ausgeschlossen ist, weil ansonsten eine doppelte Verlustberücksichtigung droht und dies den Grundsatz der Kohärenz eines Steuersystems verletzen würde. Daneben gäbe es sicherlich auch die Möglichkeit, eine Entscheidung zum englischen group relief nicht auf die Organschaft zu beziehen, weil diese – wie dargestellt – sich deutlich durch die Vorausset31
Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven zung des Gewinnabführungvertrages von der englischen und anderen Regelungen zur Gruppenbesteuerung unterscheidet. Sollte man sich gleichwohl genötigt sehen, eine negative Entscheidung zum englischen group relief auf Deutschland anzuwenden, weil z. B. die Europäische Kommission eine solch differenzierte Betrachtung nicht teilt, müsste der deutsche Gesetzgeber zumindest eine Nachversteuerungspfl icht einführen, die die Verlustberücksichtigung bei anschließenden Gewinnen der Tochtergesellschaft wieder ausgleichen würde. Wie oben dargestellt, zeichnet sich schließlich im Rahmen der Harmonisierungsbestrebungen der Kommission ab, eine konsolidierte Besteuerung mit anschließender Zerlegung in Europa einzuführen. Eine solche Besteuerung ginge über die gegenwärtige Organschaftsbesteuerung in Deutschland insoweit hinaus, als nicht nur im Wege der Zurechnung von Ergebnissen eine zusammengefasste Besteuerung erfolgt, sondern Zwischengewinne innerhalb des Konzerns eliminiert werden25. Dies könnte die Gewinnverlagerungsmöglichkeiten innerhalb Europas einschränken. Um die Möglichkeiten einer solchen konsolidierten Besteuerung und deren Auswirkung zu evaluieren, hat die Bundesregierung daher einen entsprechenden Forschungsauftrag erteilt. Dieser schließt die Möglichkeiten und Wirkungen einer Zerlegung ein. Die Diskussion hierüber mit den Mitgliedsstaaten wird möglicherweise bereits Ende nächsten Jahres beginnen.
IX. Missbrauchsbekämpfung Wie oben dargestellt, führt das Belastungsgefälle in der Europäischen Union auch zu missbräuchlichen Gestaltungen, die tendenziell darauf abzielen, die Gewinne im niedriger besteuerten Ausland anfallen zu lassen. Am Beispiel der Gesellschafter-Fremdfinanzierung wird jedoch deutlich, dass sowohl die Rechtsprechung des Bundesfi nanzhofs als auch die EuGH-Rechtsprechung auf der Basis der geltenden Gesetze den deutschen Fiskus nicht vor dem Verlust von Steuersubstrat schützt. Ohne die ausdrückliche Regelung zu § 8a KStG lehnte es der Bundesfinanzhof seinerzeit ab, außerordentlich hohes Fremdkapital, das den vollständigen Gewinn absaugte, als verdecktes Nennkapital zu qualifi zieren26. Die Rechtsprechung des EuGH lehnte es später unter der Herrschaft des § 8a KStG ab, den fiskalischen Ein-
25 Vgl hierzu Müller-Gatermann in Oestreicher, S. 197. 26 Urteil v. 5. 2. 1992, FR 1992, 525 mit Anmerkung von Müller-Gatermann, FR 1992, 497.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven griff zur Missbrauchsbekämpfung als Rechtfertigung für die Verletzung von Grundfreiheiten anzuerkennen27. Nach diesen Erfahrungen mit der Rechtsprechung des BFH erscheint es geboten, die Hauptanwendungsfälle des Missbrauchs nach dem Vorbild der Mantelkaufregelung neben dem abstrakten Missbrauchstatbestand des § 42 AO in seiner jetzigen Form in dieser Vorschrift zusammenzuführen, um den Willen des Gesetzgebers zur Missbrauchsbekämpfung deutlicher zu machen. Daneben wird man die Exkulpationsmöglichkeit des abstrakten Teils für die Restfälle, die nicht einen Hauptanwendungsfall und vergleichbare Gestaltungen darstellen, zumindest beschränken müssen, da nach der Rechtsprechung des I. Senats zu einem Anteilsrotationsfall28 bereits der Steuervorteil aus der Gestaltung als deren (vernünftiger) wirtschaftlicher Grund anerkannt wurde. Gegenüber der Rechtsprechung des EuGH würde man neben dem Versuch, auch typisierende Missbrauchsbekämpfungsregelungen als Rechtfertigung für Eingriffe in Grundfreiheiten durchzusetzen, mit der beschriebenen möglichen Verschärfung des § 42 AO auch auf der Basis der geltenden EuGH-Rechtsprechung Erfolg haben können, da mit der Annahme des strengeren § 42 AO ein konkreter Missbrauch nachgewiesen ist.
X. DBA-Muster Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „D“29, wonach sich ein EU-Bürger für seine Belange nicht auf das jeweils günstigste Doppelbesteuerungsabkommen innerhalb der EU berufen darf, ist der Druck gewichen, eine Harmonisierung der Doppelbesteuerungsabkommen in der EU zur Vermeidung von Cherry-Picking voranzutreiben. Aus anderen Gründen besteht die Notwendigkeit jedoch fort. Zum einen verbietet sich die Doppelbesteuerung in einem Binnenmarkt vom Selbstverständnis der Europäischen Union, zum anderen muss die Vereinbarkeit der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen der Mitgliedstaaten mit dem Gemein27 EuGH-Urt. v. 12. 12. 2002, Rs. C-324/00 „Lankhorst-Hohorst GmbH“. Daneben ist zu beanstanden, dass der EuGH überhaupt eine Diskriminierung von Ausländern und damit Verletzung von Grundfreiheiten angenommen hat, obwohl § 8a KStG in seiner damaligen Fassung nicht nur den Fall der Finanzierung aus dem Ausland betraf und in dem konkreten Fall der vergleichbare rein nationale Fall wegen der besonderen Sachverhaltsausgestaltung schon aus allgemeinen Erwägungen ebenfalls zur Umqualifi zierung des hingegebenen Fremdkapitals geführt hätte. 28 BFH, Urt. v. 18. 7. 2001, BFHE 196, 128. 29 EuGH, Urt. v. 5. 7. 2005 – Rs. C-376/03, IStR 2005, 483.
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Müller-Gatermann, Deutsche Steuerperspektiven schaftsrecht hergestellt werden. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel die Unterscheidung zwischen Gebietsansässigen und Gebietsfremden in den meisten DBA der Mitgliedstaaten kritisiert. Auch der EuGH hat in den letzten Jahren in mehreren Urteilen30 gefordert, dass einige Bestimmungen in den Doppelbesteuerungsabkommen der Mitgliedstaaten an die Grundsätze des EG-Vertrages anzupassen seien, da Doppelbesteuerungsabkommen in einer Weise formuliert seien, die Bürger oder Unternehmen der Gemeinschaft diskriminieren. Bei der Angleichung der Abkommensvorschriften in den Doppelbesteuerungsabkommen der Mitgliedstaaten geht es insbesondere um die Behandlung von Grenzgängern, Sportlern und Künstlern, um Ruhegehälter und um Exit-Taxation. Dass die Angleichung innerhalb eines multilateralen DBA oder eines einheitlichen EU-Musterabkommens kurzfristig erfolgt, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Eine weitere Frage ist schließlich, wie sich die EU im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen ihrer Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten aufstellt. Es ist besonders wichtig, dass die Ausnutzung unterschiedlicher Doppelbesteuerungsabkommen zum so genannten Treaty-Shopping vermieden wird. Deshalb ist es erforderlich, dass sich die europäischen Mitgliedstaaten nach der Angleichung ihrer Doppelbesteuerungsabkommen untereinander schließlich um ein gemeinsames Muster ihrer jeweiligen Abkommen gegenüber Drittstaaten bemühen.
30 Vgl. z. B. EuGH, Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-385/00 – „F. W. L. de Groot“, IStR 2003, 58.
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Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europäischen Kontext aus Richtersicht Professor Dr. Franz Wassermeyer Vors. Richter am Bundesfinanzhof a.D., Sankt Augustin Inhaltsübersicht I. Einführung II. Wegzug/Verlagerung im Inland und Wegzug/Verlagerung über die Grenze im Vergleich III. Im Grundsatz in Betracht kommende Lösungsmöglichkeiten IV. Der daraus sich für den Gesetzgeber ergebende Handlungsbedarf
1. § 6 AStG 2. § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG 3. Unternehmensverlegungen und die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine andere Betriebsstätte 4. § 1 AStG 5. Hinzurechnungsbesteuerung V. Schlusswort
I. Einführung Das Thema „Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europäischen Kontext“ ist sehr weit gefasst. Ich möchte es primär aus der Sicht der Wegzugsbesteuerung behandeln und dabei den Wegzugsbegriff sehr weit fassen. Vorab möchte ich jedoch der Frage nachgehen, wo der tiefere Grund dafür liegt, dass sowohl der EuGH in der Rechtssache de Lasteyrie du Saillant1 als auch die EG-Kommission in dem gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren als auch das BMF in seinem Schreiben vom 8. 6. 20052 von einer mutmaßlichen EG-Rechtsverletzung durch § 6 AStG ausgehen. Ich meine, wir könnten über die notwendigen Gesetzesänderungen erst dann sprechen, wenn wir exakt wissen, was und wo die EG-Rechtsverletzungen zu suchen sind. Dazu sollten wir uns vor Augen führen, dass § 6 AStG ein sog. Vermögenszuwachsbesteuerungstatbestand ist. Durch § 6 AStG werden keine tatsächlich realisierten Einkünfte, sondern es wird eine angenommene Vermögensmehrung besteuert. Die meisten Besteuerungstatbestände des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes sind dagegen sog. Veräußerungsgewinntatbestände. Dazu zähle ich auch die Gewinnermittlung durch Bilanzierung. In der Regel besteuern wir 1 EuGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – Rs. C-9/02, GmbHR 2004, 504. 2 BMF, Schr. v. 8. 6. 2005 – IV B 5 – S 1348 – 35/05, BStBl. I 2005, 714.
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Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext also Einkünfte, die durch einen bestimmten Realisationsvorgang entstanden sind. Die Besteuerung von Vermögenszuwächsen ist die große Ausnahme; es gibt sie allerdings schon de lege lata im allgemeinen Gewinnermittlungsrecht, d. h. in den §§ 4 – 7k EStG. Ich denke insbesondere an die Entnahme und an die Betriebsaufgabe. Der Hinweis auf diese beiden Rechtsinstitute wirft die Frage auf, ob das EG-Recht uns etwa jede Form von Vermögenszuwachsbesteuerungen verbietet oder ob ein hier unterstelltes Verbot sich nur auf ganz bestimmte Fälle von Vermögenszuwachsbesteuerungen bezieht. Insoweit ist die Feststellung von Interesse, dass auch der Wegzug von Gesellschaften bzw. die Auflösung inländischer Betriebsstätten bzw. die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte zu dem erweiterten Themenkreis der Wegzugsbesteuerung zählen. Auch insoweit nehmen wir Vermögenszuwachsbesteuerungstatbestände an. Dennoch kenne ich keinen, der die Auffassung vertritt, jedwede Entnahmebesteuerung bzw. jedwede Betriebsaufgabebesteuerung verletze die Grundfreiheiten nach dem EGV schon deshalb, weil es sich um Vermögenszuwachsbesteuerungstatbestände handelt. Dies spricht dafür, dass die Vermögenszuwachsbesteuerung als solche nicht EG-rechtswidrig ist. Vielmehr bezieht sich die EG-Rechtswidrigkeit nur auf die Fälle, in denen wir reine Inlands- und vergleichbare grenzüberschreitenden Sachverhalte ungleich besteuern. Die Ungleichbehandlung ist der eigentliche Stein des Anstoßes. Sie und nur sie muss beseitigt werden. Dies gilt nicht nur für die Wegzugsbesteuerung, sondern auch für ähnlich gelagerte Tatbestände wie z. B. § 1 AStG und/oder die Hinzurechnungsbesteuerung. Was die Wegzugsbesteuerung im engeren Sinne anbelangt, sollte man beachten, dass der EuGH für die Berufung auf die Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung eine geschlossene Anwendung der beschränkenden Vorschrift – hier also des § 6 AStG – verlangt.3 Diese Forderung ist konsequent, weil es in sich widersprüchlich wäre, einerseits auf die Notwendigkeit der steuerlichen Erfassung aller während der Ansässigkeit im Inland gebildeter stillen Reserven zu verweisen, andererseits aber für bestimmte Bereiche von einer Besteuerung dieser stillen Reserven abzusehen.4 So gesehen ist es von Bedeutung, dass § 6 AStG bis heute nur auf Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften Anwendung findet. Es wäre logisch konsequent, im Rahmen der Wegzugsbesteuerung auch Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften zu erfassen, weil die entsprechenden stillen Reserven in vergleichbarer Weise während der Dauer der 3 EuGH, Urt. v. 14. 10. 1999 – Rs. C-439/97 (Sandoz), EuGHE 1999, I-7066, Rz. 23 f. 4 So auch Tumpel, Europarechtliche Besteuerungsmaßstäbe für die grenzüberschreitende Organisation und Finanzierung von Unternehmen, DStJG Bd. 23 (2000), 321, 348.
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Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext Ansässigkeit des Gesellschafters im Inland angewachsen sind. Inkonsequent ist es, dass § 17 Abs. 1 EStG im spiegelbildlichen Zuzugsfall auch die während einer Ansässigkeit des Gesellschafters im Ausland entstandenen stillen Reserven zu erfassen sucht5. Ferner muss § 6 AStG auch auf Beteiligungsverluste Anwendung finden. Eine mögliche Inkonsequenz ist in § 8b Abs. 2 KStG zu sehen. Eine inländische Kapitalgesellschaft kann ihre Beteiligung an einer anderen in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft steuerfrei mit der Folge veräußern, dass die stillen Reserven ins Ausland abwandern und im Inland nie mehr erfasst werden können. Die ersatzweise Besteuerung des realisierten Veräußerungsgewinnes in der Form auszuschüttender Dividenden genügt nicht, weil entsprechende Ausschüttungen ebenfalls steuerfrei sein können. Schließlich greift § 6 AStG dann nicht ein, wenn ein unbeschränkt steuerpflichtiger Erblasser seiner Beteiligung an einer inländischen Kapitalgesellschaft im Erbwege auf einen im Ausland lebenden Erben überträgt. Der Gesetzgeber muss auch diese Schwachstellen des § 6 AStG erkennen und beseitigen, soweit dies politisch durchsetzbar ist. Er muss stärker das hinter der Wegzugsbesteuerung stehende System als ein geschlossenes Ganzes erkennen und auf seine konsequente Durchsetzung achten.
II. Wegzug/Verlagerung im Inland und Wegzug/ Verlagerung über die Grenze im Vergleich Anerkennt man die Forderung, dass vergleichbare Inlands- und grenzüberschreitende Sachverhalte gleich zu besteuern sind, dann besteht das Dilemma darin, dass eine Wohnsitzverlegung im Inland keine Besteuerung auslöst; für einen Wohnsitzwechsel ins EG-Ausland gilt jedoch etwas anderes. Die Begründung eines Zweitwohnsitzes im Inland löst keine Wegzugsbesteuerung aus. Dagegen greift § 6 AStG bei der Begründung eines Zweitwohnsitzes im Ausland unter den Voraussetzungen seines Abs. 3 Nr. 2 ein. Schenkt ein Steuerinländer seine Beteiligung an einen anderen Steuerinländer, so fällt zwar Erbschaftsteuer, jedoch keine Einkommensteuer an. Bei einer Schenkung an eine im Ausland ansässige Person soll dagegen Einkommensteuer auf einen angenommenen Veräußerungsgewinn nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 AStG erhoben werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der deutsche Gesetzgeber den Fall des doppelt Ansässigen, der beschenkt wird und dessen Mittelpunkt der Lebensinteressen im Ausland liegt, nicht erkannt und deshalb in § 6 Abs. 3 AStG nicht erfasst hat. Inso-
5 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 3. 1996 – VIII R 15/94, BFHE 180, 146 = BStBl. II 1996, 312.
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Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext weit besteht schon heute eine Gesetzeslücke. Entsprechendes gilt für den Erbfall. Schließlich sollte der Gedanke einer geschlossenen Anwendung beschränkender Vorschriften dafür sprechen, dass die in § 6 Abs. 4 AStG geregelten Rückkehrtatbestände spiegelbildlich mit den Wegzugsersatztatbeständen des § 6 Abs. 3 AStG übereinstimmen müssen. Als Rückkehrtatbestand sollte deshalb auch behandelt werden, wenn der Weggezogene seine Beteiligung vom Ausland aus in ein inländisches Betriebsvermögen einlegt bzw. wenn er es an einen unbeschränkt Steuerpflichtigen verschenkt, der seinen Wohnsitz nur im Inland hat. Schauen wir über den Tellerrand des § 6 AStG insbesondere auf den Wegzug von Unternehmen bzw. auf die Überführung von Wirtschaftsgütern aus einem inländischen Stammhaus in eine in- oder ausländische Betriebsstätte, so ergibt sich ein vergleichbares Bild. Verlegt die Lufthansa ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung von Köln nach Frankfurt, so mag dies für die Stadt Köln und das Land Nordrhein-Westfalen ärgerlich sein. Der Wegzug hat jedoch keine Gewinn realisierenden Folgen. Entsprechendes gilt, wenn die Lufthansa Wirtschaftsgüter aus ihrem Stammhaus in Köln in eine Betriebsstätte nach Frankfurt überführt. Nach § 12 Abs. 1 KStG und nach Tz. 2.6.1 der BS-VWG soll jedoch etwas anderes gelten, wenn Sitz und Betriebsstätte eines Unternehmens von Köln nach Paris, Brüssel oder London verlegt bzw. wenn Wirtschaftsgüter von einem Stammhaus in Köln in Betriebsstätten in Frankreich, Belgien oder Großbritannien überführt werden. Diese steuerliche Ungleichbehandlung von reinen Inlandssachverhalten einerseits und vergleichbaren grenzüberschreitenden Sachverhalten andererseits ist es, was die Verletzung der Grundfreiheiten nach dem EGV auslöst. Die Ungleichbehandlung widerspricht den Anforderungen, die an einen einheitlichen Binnenmarkt zu stellen sind.
III. Im Grundsatz in Betracht kommende Lösungsmöglichkeiten Wenden wir uns den in Betracht kommenden Lösungsmöglichkeiten im Grundsätzlichen zu, so haben wir zunächst einmal die Wahl, entweder den grenzüberschreitenden Sachverhalt wie den vergleichbaren „reinen“ Inlandsfall oder aber den „reinen“ Inlandsfall wie den vergleichbaren grenzüberschreitenden zu besteuern. Alternativ dazu können natürlich auch einheitliche andere Lösungen erwogen werden. Bezogen auf Unternehmensverlegungen bzw. auf die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine andere Betriebsstätte bedeutet dies, dass wir entweder jede Unternehmens38
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext verlegung bzw. jede Überführung von Wirtschaftsgütern in eine andere Betriebsstätte Gewinn realisierend erfassen oder aber die Besteuerung jeweils solange aufschieben, bis ein weiterer Gewinnrealisationstatbestand verwirklicht wird. Bei näherer Prüfung erweist sich der erste der beiden genannten Vorschläge wegen der dabei auftretenden praktischen Schwierigkeiten als undurchführbar. Zwar wird man Unternehmensverlegungen auch im Inland relativ eindeutig feststellen können. Jedoch vollziehen sich viele Unternehmensverlegungen im Rahmen von Umwandlungen. Das bei Umwandlungen festzustellende Interesse, Unternehmen steuerneutral umwandeln zu können, steht in einem offenen Widerspruch zu der Forderung, bereits jede Unternehmensverlegung im Inland Gewinn realisierend erfassen zu wollen. Wer davon träumt, die Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen zwei inländischen Betriebsstätten eines Unternehmens Gewinn realisierend erfassen zu können, der mag sich auf das Gelände eines größeren deutschen Unternehmens begeben und die Frage beantworten, wie viele Betriebsstätten des betreffenden Unternehmens sich auf dem betrachteten Gelände befinden. Der Betrachter wird erkennen, dass diese Frage mit Hilfe des § 12 AO nicht zu beantworten ist. Diese Erkenntnis spricht dafür, die Verwirklichung eines anderen Realisationstatbestandes abzuwarten. Entsprechendes gilt im Übrigen für § 6 AStG. Es ist ein Illusion anzunehmen, wir könnten mit jeder Wohnsitzverlegung im Inland die Rechtsfolge des § 17 EStG verknüpfen. Eine solche Regelung wäre maßlos und willkürlich. Sie würde auf keine Akzeptanz stoßen. Viele Sachverhalte wie die Begründung eines Zweitwohnsitzes oder die doppelte Haushaltsführung würden kaum lösbare Probleme aufwerfen. Die Finanzverwaltung sieht allerdings für die grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern in eine Betriebsstätte noch einen dritten Lösungsweg, der darin bestehen soll, alle Geschäftseinrichtungen innerhalb eines Staates de lege ferenda begrifflich zu einer Betriebsstätte zusammen zu fassen. Folge einer solchen Regelung soll sein, dass Überführungen, die sich innerhalb eines Staates vollziehen, ein und dieselbe Betriebsstätte betreffen. Grenzüberschreitende Überführungen sollen dagegen Überführungen zwischen zwei Betriebsstätten sein. Eine Gewinnrealisierung soll nur in diesem letzteren Fall auf Grund einer entsprechenden Gesetzesänderung eintreten. Ich meine, dass eine solche Regelung die EG-rechtliche Problematik nicht zu lösen vermag. Die EG-Mitgliedstaaten bilden einen einheitlichen Binnenmarkt. Innerhalb dieses Binnenmarktes müssen einheitliche Regeln bestehen, d. h. grenzüberschreitende Überführungen zwischen EG-Mitgliedstaaten müssen wie Überführungen im Inland behandelt werden. Die Fiktion, dass alle festen Geschäftseinrichtungen innerhalb eines Staates eine einzige Betriebsstätte bilden, ist letztlich Augenwischerei. Sie ändert in tatsächlicher Hinsicht nichts daran, dass Überführungen 39
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext zwischen Unternehmensteilen in Köln und Frankfurt anders als solche zwischen Unternehmensteilen in Köln und Paris besteuert werden. Diese unterschiedliche Behandlung verletzt die Niederlassungsfreiheit nach dem EG-Vertrag. Letztlich bleibt also nur der zweite Lösungsweg übrig. Deutschland darf erst beim Eintritt eines weiteren Realisationstatbestandes besteuern.
IV. Der daraus sich für den Gesetzgeber ergebende Handlungsbedarf 1. § 6 AStG § 6 AStG ist in seiner heutigen Fassung EG-rechtlich jedenfalls dann nicht haltbar, wenn ein Steuerpflichtiger von Deutschland aus in einen anderen EG-Mitgliedstaat verzieht. Dies ist unstreitig. Bekanntlich schlägt das BMF vor, in dem angesprochenen Fall die Steuer auf den Wegzugszeitpunkt festzusetzen, sie jedoch zinslos und ohne Sicherheitsleistung bis zu einer späteren Veräußerung zu stunden. Die Steuerfestsetzung soll im Billigkeitswege geändert werden, wenn bei der späteren Veräußerung der angenommene Wert nicht realisiert werden kann. Ich halte eine entsprechende Regelung für wenig glücklich. Dies wird deutlich, wenn man die Sachverhalte bedenkt, die der Wegziehende nach dem Wegzug potenziell verwirklicht. So kann im Wegzugszeitpunkt keiner sagen, wie sich der künftige Wert der Beteiligung entwickelt. Der Wert der Beteiligung kann auch durch künftige Ausschüttungen gemindert werden, die im Inland nicht steuerpflichtig sein müssen. Insoweit bestehen Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb ist unklar, ob die festgesetzte Steuer zu zahlen ist oder nicht. Der Wegziehende wandert möglicherweise beruflich bedingt oder aus anderen Gründen später in einen Drittstaat aus. Die sich daraus ergebenden Besteuerungsfolgen müssen auf den ersten Wegzugszeitpunkt zurückprojiziert werden. Der Wegziehende kann Doppelwohnsitze in mehreren ausländischen Staaten innerhalb und außerhalb der EG begründen. Er kann sterben und (auch) von Personen beerbt werden, die innerhalb der EG, außerhalb der EG oder aber in Deutschland leben. Er kann die Beteiligung in einen inländischen Betrieb einlegen oder einer im Inland ansässigen Person schenken. Die Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, kann mit der Folge umgewandelt werden, dass ein neuer Anteil entsteht, der mit der früheren Beteiligung nicht identisch sein muss. Ebenso können aus einem Anteil durch Spaltung zwei werden. Zumindest bei Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften ist es unsicher, ob die deutsche Finanzverwaltung je von deren Veräußerung etwas erfährt. Schließlich ist es fraglich, ob die festgesetzte Steuer nach Ablauf der Stundung je durchgesetzt werden kann. Es kommt 40
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext hinzu, dass im Fall einer späteren Beteiligungsveräußerung durchaus fraglich sein kann, wann die realisierten stillen Reserven angewachsen sind. Es ist denkbar, dass der Wert der Beteiligung nach dem Wegzug zunächst dramatisch sinkt und sich später wieder erholt. Außerdem erneuert sich der Wert einer Beteiligung ständig, weshalb es fragwürdig ist, stille Reserven, die mehr als zehn Jahre nach dem Wegzug durch Veräußerung realisiert werden, dem Zeitpunkt des Wegzuges zuzuordnen. Der Wegziehende darf aus allen diesen Gründen, die möglicherweise sehr unterschiedliche steuerliche Folgen nach sich ziehen, deren Eintritt allerdings im Wegzugszeitpunkt unsicher ist, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden lassen. Er ist gewissermaßen gezwungen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Steuerfestsetzung vorzugehen. Dabei wird er auch geltend machen, dass die vorgesehene Neuregelung ihn schon deshalb in seinen Grundfreiheiten verletze, weil die Steuerfestsetzung wie ein Damoklesschwert über ihm schwebt. Je nachdem, ob der Wegziehende später in einen anderen EG-Mitgliedstaat oder aber in einen Drittstaat umzieht, werden an den ersten Wegzug unterschiedliche Besteuerungsfolgen angeknüpft, obwohl sich dieser erste Wegzug unstreitig zwischen zwei EG-Mitgliedstaaten vollzieht. Anders ausgedrückt kommt es zu einem Rechtsstreit, der überflüssig ist, wenn es später zu einer Änderung der Steuerfestsetzung kommen sollte. Ich meine, wir sollten mit der Steuerfestsetzung bis zum späteren Realisationszeitpunkt warten. Soweit dann die Steuer auf den Wegzugszeitpunkt festgesetzt werden soll, wird man die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist regeln müssen. Es gibt einen weiteren Punkt, der Sorge macht. Der Gesetzgeber will bekanntlich im Ausgangsfall die Steuer auf den Wegzugszeitpunkt festsetzen, weil er davon ausgeht, dass Deutschland in diesem Augenblick noch das Besteuerungsrecht nach den DBA zusteht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Dies mag akzeptabel sein. Dennoch zeigt das Abwarten bis zu einer späteren Beteiligungsveräußerung, dass eine Doppelbesteuerung droht. Die meisten Staaten werden nämlich die Beteiligungsveräußerung auf den Veräußerungszeitpunkt besteuern. Deutschland unternimmt jedoch nichts, um diese Doppelbesteuerung zu vermeiden. Im Gegenteil arbeitet Deutschland mit einem für einen Rechtsstaat unwürdigen „Trick“, um die von ihm abgeschlossenen DBA zu unterlaufen. Geht man davon aus, dass das Besteuerungsrecht an sich dem ausländischen Zuzugstaat zusteht, so wäre es unsere Sache, die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Auch insoweit sollte man eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit bzw. der Kapitalverkehrsfreiheit wegen der drohenden Doppelbesteuerung bejahen können. Auch unter diesem Gesichtspunkt darf eine auf den Wegzugszeitpunkt erhobene Steuer nicht bestandskräftig werden.
41
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext 2. § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG Es verwundert sehr, dass der Gesetzgeber eine Änderung des § 6 AStG plant, sich jedoch zu der gleichartigen Problematik des § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG nicht äußert. De lege lata tritt die Wegzugsbesteuerung auch dann ein, wenn das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile durch ein DBA ausgeschlossen wird. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Anteilseigner unter Beibehaltung seines inländischen Wohnsitzes einen zweiten Wohnsitz in einem DBA-Staat begründet und dorthin den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen verlegt. Es sollte unstreitig sein, dass § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG ebenso wie § 6 Abs. 1 AStG den Wegziehenden diskriminiert und deshalb mit den Grundfreiheiten nach dem EGV unvereinbar ist. Auch insoweit ist eine Regelung geboten, die die Besteuerung durch Deutschland in einem späteren Realisationszeitpunkt sicher stellt. Die DBA müssen angepasst werden. 3. Unternehmensverlegungen und die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine andere Betriebsstätte Gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht auch bei Unternehmensverlegungen. Ich möchte dies an dem folgenden Beispiel deutlich machen. Ich gehe von einer inländischen Kapitalgesellschaft aus, die Sitz und Geschäftsleitung im Inland unterhält. Verlegt diese Kapitalgesellschaft ihre Geschäftsleitung in einen anderen EG-Mitgliedstaat, ohne im Inland eine Betriebsstätte zurück zu behalten, so verbleibt es wegen des inländischen Sitzes bei der hiesigen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht. Da jedoch der inländische Sitz keine Betriebsstätte im Inland begründet, fehlt es aus der Sicht des Art. 7 OECD-MA an einem inländischen Anknüpfungspunkt für die Besteuerung. Das Unternehmen ist zwar im Inland unbeschränkt steuerpflichtig, jedoch abkommensrechtlich wegen Art. 3 Abs. 1 Buchst. d i. V. mit Art. 4 Abs. 3 OECD-MA ein solches des ausländischen Geschäftsleitungsstaates. Bei diesem liegt auch das Besteuerungsrecht gemäß Art. 7 Abs. 1 OECD-MA, wenn man von der Möglichkeit absieht, dass das Unternehmen andere Einkünfte aus inländischen Quellen (z. B. Dividenden) bezieht. Es fehlt im Abkommensrecht an einer Vorschrift, die die Zuordnung von Einkünften zu einer ehemaligen Betriebsstätte regelt. Dies gilt auch im spiegelbildlichen Fall. Unterhält ein ausländisches Unternehmen im Inland eine Betriebsstätte und überführt es ein Wirtschaftsgut aus der Betriebsstätte heraus in das ausländische Stammhaus, so fehlt es schon nach innerstaatlichem Recht an einer Vorschrift, die eine Besteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Überführung erlaubt. Die Überführung stellt sich weder als Veräußerung noch als Entnahme dar. Die Annahme der 42
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext Finanzverwaltung in Tz. 2.63 der VWG-BS vom 24. 12. 1999, dass eine Entnahme vorliege, die auch noch mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten sei, hat keine Rechtsgrundlage. Das wird deutlich, wenn man das ausländische Stammhaus und die inländische Betriebsstätte einer Personengesellschaft zuordnet, an der ein Steuerinländer und ein Steuerausländer zu je 50 v. H. beteiligt sind. Die Entnahme kann für den Steuerin- und den Steuerausländer nur einheitlich beurteilt werden. Die einheitliche Beurteilung kann nicht darauf abstellen, ob der eine Mitunternehmer unbeschränkt und der andere beschränkt steuerpflichtig ist. Wird das Wirtschaftsgut später aus dem Stammhaus heraus veräußert, so ist zumindest unsicher, ob der Veräußerungsgewinn (anteilig) der inländischen Betriebsstätte zugeordnet werden kann. Die Unsicherheit besteht sowohl aus der Sicht des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA als auch aus der des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Es stellt sich jeweils die Frage, ob die Betriebsstätte bei der Entstehung der Einkünfte noch bestehen muss oder ob es ausreicht, dass ein Veranlassungszusammenhang zwischen den Einkünften und einer ehemaligen Betriebsstätte besteht. Insoweit wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert. Die Klarstellung betrifft auch die Unterscheidung zwischen in- und ausländischen Einkünften. Insoweit geht die Frage dahin, ob stille Reserven, die in einer inländischen Betriebsstätte angefallen sind und später in einer ausländischen Betriebsstätte realisiert werden, in- oder ausländische Einkünfte oder gar beides darstellen. Die Frage ist dann von Bedeutung, wenn im Inland ausnahmsweise die Anrechnungsmethode Anwendung finden sollte. In diesen Bereich gehören schließlich auch Aufwendungen für die Gründung einer Betriebsstätte, die vor deren Existenz anfallen. Sie sollten im Wege des Verlustvortrages bei der Betriebsstättengewinnermittlung berücksichtigt werden können. Wird ein einzelnes Wirtschaftsgut unentgeltlich aus dem Betriebsvermögen eines Einzelunternehmers in das Gesamthandvermögen einer Personengesellschaft überführt, an der der Einzelunternehmer als Mitunternehmer beteiligt ist, so ist das Wirtschaftsgut nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG im Betriebsvermögen der Personengesellschaft mit seinem Buchwert fortzuführen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven im Inland sichergestellt ist. Eine entsprechende Sicherstellung wird von der herrschenden Meinung verneint, wenn ein inländischer Einzelunternehmer ein Wirtschaftsgut in das Gesamthandvermögen einer ausländischen Personengesellschaft überführt. Ist die ausländische Personengesellschaft in einem EG-Mitgliedstaat ansässig, so ist es im höchsten Maße zweifelhaft, ob die Verwirklichung eines Ersatzrealisationstatbestandes von der Sicherstellung der Besteuerung der stillen Reserven im Inland abhängig gemacht werden kann. Es bleibt die Tatsache im Raum stehen, dass bei einer entsprechenden Sicherstellung die Besteuerung im Inland ausgeschlossen ist. Es wird also 43
Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext der reine Inlandsfall günstiger als der entsprechende grenzüberschreitende Sachverhalt besteuert. Das ist diskriminierend. Es bleiben deshalb nur die Alternativen, entweder § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG ersatzlos aufzuheben oder aber eine Vorschrift zu schaffen, die es erlaubt, die in einer Personengesellschaft aufgedeckten stillen Reserven dem Mitunternehmer zuzurechnen, der die stillen Reserven ursprünglich einmal in die Personengesellschaft eingelegt hat. 4. § 1 AStG Bekanntlich hat der BFH in seinem Beschluss vom 21. 6. 2001 I B 141/006 Zweifel an der Vereinbarkeit des § 1 AStG mit den Grundfreiheiten nach dem EGV geäußert. Der zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Beschluss hat bis heute keinen Eingang in das Bundesteuerblatt Teil II gefunden. Es existiert jedoch ein unveröffentlichtes BMF-Schreiben vom 14. 1. 2002, das als Argumentationshilfe für die FÄ dienen soll, soweit letztere über die Rechtsfrage zu entscheiden haben. Danach dient § 1 AStG der zutreffenden internationalen Abgrenzung der Besteuerungsrechte. Die Vorschrift soll weder das Gebot der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 ff. EGV noch das Gebot der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 ff. EGV verletzen. Ich meine, dass diese Argumentation das eigentliche Problem verkennt. Es ist nicht zu beanstanden, dass sich Deutschland innerhalb des § 1 AStG zum Fremdvergleich als Maßstab für die Gewinnabgrenzung und die Einkünftezuordnung bekennt. Zu beanstanden ist jedoch, dass der vergleichbare Inlandssachverhalt an einem ganz anderen Maßstab gemessen wird. So kann eine inländische Muttergesellschaft ihrer inländischen Tochtergesellschaft Nutzungen und Dienstleistungen überlassen, ohne insoweit Gewinnkorrekturen hinnehmen zu müssen. Für die inländische Muttergesellschaft einer ausländischen Tochtergesellschaft gilt jedoch etwas anderes. Zudem fehlt es in Deutschland an der Möglichkeit einer Gegenberichtigung, wenn ein ausländischer Staat bei einer ausländischen Muttergesellschaft eine Korrektur nach Art des § 1 AStG vornimmt, die eine Gegenberichtigung bei der inländischen Tochtergesellschaft erfordert. Wir stehen insoweit vor der Wahl, ob wir § 1 AStG ersatzlos aufheben oder ob wir den Maßstab des § 1 AStG auch auf reine Inlandssachverhalte ausdehnen. Letzteres ist leichter gesagt als getan. Die Ausdehnung des Maßstabes des § 1 AStG auf reine Inlandssachverhalte bedeutet auch, dass wir künftig die Angemessenheit des Gehaltes des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH auch nach „unten“ prüfen müssen. Bei einem unangemessen niedrigen Gehalt müsste dem Gesellschafter-Geschäftsführer ein angemessenes Gehalt zugerechnet werden, dass die GmbH ihrerseits als 6 BFH, Beschl. v. 21. 6. 2001 – I B 141/00, BFHE 195, 398.
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Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext Betriebsausgabe absetzen können muss. Dies bedeutet eine erhebliche Komplizierung des Steuerrechts. Man sollte die Frage auch vor dem Hintergrund der von der Politik geforderten einheitlichen Unternehmensbesteuerung sehen. Wenn wir Personen- und Kapitalgesellschaften künftig gleich besteuern wollen, stellt sich durchaus die Frage, ob nicht das, was heute für die Personengesellschaft gilt, künftig auch für die Kapitalgesellschaft gelten soll. Im Ergebnis könnte dies bedeuten, dass bei der Besteuerung von Kapitalgesellschaften stärker das Veranlassungsprinzip zu beachten wäre. Jedenfalls wünsche ich mir, dass der Gesetzgeber im Interesse der Vereinfachung des Steuerrechts die Möglichkeit erkennt, nicht jede Dienstleistung erfassen und mit dem Fremdvergleichspreis bewerten zu müssen. 5. Hinzurechnungsbesteuerung Abschließend soll auf die Hinzurechnungsbesteuerung als eine Sonderform der Wegzugsbesteuerung eingegangen werden. Es entspricht heute einer weit verbreiteten Auffassung7, der sich kürzlich sogar der Abteilungsleiter des Hessischen Finanzministeriums angeschlossen hat8, dass die §§ 7 ff. AStG sowohl die Niederlassungs- als auch die Kapitalverkehrsfreiheit nach dem EGV verletzen. Deutschland besteuert die Beteiligung an ausländischen Kapitalgesellschaften anders als die an inländischen Kapitalgesellschaften. Deutschland nimmt die Niedrigbesteuerung im Ausland zum Anlass, von dem oder den inländischen Anteilseignern eine Art von Nachsteuer zu erheben. Damit stellt die Hinzurechnungsbesteuerung eine Art von Strafsteuer für die Beteiligung von Steuerinländern an einer ausländischen Kapitalgesellschaft dar. Soweit die Kapitalgesellschaft in einem EG-Mitgliedstaat ansässig ist, ist die Strafsteuer mit dem Gedanken eines freiheitlichen und einheitlichen Binnenmarktes unvereinbar. Die Abgrenzung zwischen aktiven und passiven Tätigkeiten orientiert sich nicht strikt an dem Gedanken der Missbrauchsabwehr, sondern erfasst in großem Umfang Sachverhalte, die mit einem Missbrauch nichts zu tun haben. Dies schließt eine Rechtfertigung der Hinzurechnungsbesteuerung aus. Schließlich ist es wenig sachgerecht, wenn § 7 Abs. 6 Sätze 1 und 3 AStG auf Beteiligungen von Steuerin7 Vgl. Schön, DB 2001, 940; Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Köln, 2005; ders., Hinzurechnungsbesteuerung zwischen Steuerwettbewerb und Europäischen Grundfreiheiten, StuW 2005, 158; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Kommentar zum Außensteuerrecht, Vor §§ 7–14 AStG Rz. 81 ff.; Sullivan/Wallner/Wübelsmann, Die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung auf dem europäischen Prüfstand, IStR 2003, 6 ff.; Rättig/ Protzen, Zur Europarechtswidrigkeit der §§ 7–14 AStG und zu den Folgen für die internationale Steuerplanung, IStR 2003, 195 ff.; FG Münster, Beschl. v. 5. 7. 2005 – 15 K 1114/99 F, EW, IStR 2005, 631 mit Anm. von Ribbrock und Körner. 8 Vgl. Schenk/Brusch, Eine neue Kapitalsteuer für Deutschland, DStR 2005, 1254, 1256.
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Wassermeyer, Deutsche Steuerrechtsentwicklung im europ. Kontext ländern in der Mindesthöhe von 1 v. H. bzw. von unter 1 v. H. abstellt. Wer nur zu einem 1 v. H. an einer ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt ist, hat praktisch keine Möglichkeit, die ausländische Gesellschaft als Instrument der Einkünfteverlagerung zu nutzen. Es fehlt an der erforderlichen Beherrschung durch denjenigen, dem der Vorwurf der Einkünfteverlagerung gemacht wird. Wir werden spätestens dann, wenn der EuGH über den britischen Fall Cadbury Schweppes entschieden haben wird, womit Mitte nächsten Jahres gerechnet werden kann, vor der Frage stehen, wie die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung EG-rechtskonform reformiert werden kann und soll. Hier sehe ich keine andere Möglichkeit, als auf jede Hinzurechnungsbesteuerung gegenüber ausländischen Gesellschaften zu verzichten, die in einem EG-Mitgliedstaat ansässig sind. Ob eine Hinzurechnungsbesteuerung gegenüber außerhalb der EG ansässigen Kapitalgesellschaften vom Grundsatz her möglich ist, ist eine Frage der Kapitalverkehrsfreiheit und ihrer Geltung im Verhältnis zu Drittstaaten. Dazu gibt es in der Literatur beachtliche Stimmen, die eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit fordern. Eine Entscheidung des EuGH zu dieser Frage bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird Deutschland auch im Verhältnis zu Drittstaaten abwägen müssen, ob es nicht die Hinzurechnungsbesteuerung auf klare Fälle des Missbrauchs zurückschneidet. Möglicherweise wird man eine ergänzende Regelung in § 42 AO aufnehmen können.
V. Schlusswort Ich hoffe, mit meinen Überlegungen deutlich gemacht zu haben, dass im internationalen Steuerrecht Deutschlands erheblicher Handlungsbedarf besteht. Dabei habe ich aus Zeitgründen nicht alle Fragen ansprechen können. So musste ich z. B. die Folgen aus der Entscheidung des EuGH in der Sache Gerritse aussparen. Auch wenn letztlich der Gesetzgeber die notwendigen Entscheidungen treffen muss, so drängt sich doch der Eindruck auf, dass die Probleme eher auf die lange Bank geschoben als gelöst werden. Es reicht nicht aus, wenn das BMF nur den Kontakt zu Europäischen Kommission und den anderen EU-Mitgliedstaaten sucht, um dort möglichst einvernehmliche Lösungen zu finden. Ich habe Zweifel, ob die EU-Kommission alle Folgefragen, die sich zu den angesprochenen Punkten ergeben, zutreffend überschaut. Eine in Deutschland sich mehr und mehr im Vordringen befindliche Meinung ist nicht mehr bereit, die ständigen Ungleichbehandlungen in Inlandssachverhalten und grenzüberschreitenden Sachverhalten hinzunehmen. Wir müssen auch endlich mit protektionistischen Maßnahmen aufhören. § 8a KStG ist dafür ein Musterbeispiel. Vielleicht kann die sich anschließende Diskussion einen kleinen Beitrag in die richtige Richtung erbringen. 46
Europarecht aus der Sicht der deutschen Wirtschaft Dr. Harald Treptow, Rechtsanwalt und Steuerberater, Düsseldorf Dr. Katarzyna Muszynska-Herdin, München Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Indirekte Steuern 1. Warenbewegungen im europäischen Binnenmarkt 1.1 Praktische Probleme 1.2 Lösungen 2. Ort der sonstigen Leistung 3. Vorschriften zur Umkehrung der Umsatzsteuerschuld 4. Umsatzsteuer als Kostenfaktor
III. Direkte Steuern 1. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung 2. Grenzüberschreitende Umstrukturierungen/Wegzug 3. Quellensteuer 4. Außensteuergesetz/die Hinzurechnungsbesteuerung 5. Gesellschafterfremdfi nanzierung bzw. Abzug von Finanzierungskosten IV. Schlussbemerkung
I. Einleitung Der Begriff des Europarechts war den meisten deutschen Unternehmen noch zu Beginn der neunziger Jahre unbekannt. Heute ist er nicht nur jedem Unternehmer, sondern auch der breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Bedeutung des Europarechts insbesondere auf die nationalen Steuerrechte, braucht nicht besonders betont zu werden, bereits die Tagespresse berichtet inzwischen entsprechend darüber. Bereits eines der ersten bedeutenden Urteile des EuGH zu den Grundfreiheiten hat uns die ungehinderte Einfuhr des Cassis de Dijon beschert. Dieser ungeheuer attraktive, lockende Binnenmarkt; 4,3 Mio. Quadratkilometer groß und mit mehr als 480 Millionen Einwohnern, das sind 65 % mehr als die USA und immer noch 28 % mehr als die gesamte NAFTA haben, führt zu einer dramatisch zunehmenden Konkurrenz der Mitgliedstaaten als potentielle Wirtschaftsstandorte. Dabei geht es um die Gesamtsteuerbelastung von Unternehmen und Arbeitskräften, um Forschungsförderung und um die Flexibilität der Anpassung an wirtschaftliche Gegebenheiten, d. h. günstige Rahmenbedingungen für Umstrukturierungen, Verlustnutzungspotenzial etc. Nach allem Wahlkampfgetöse kann festgehalten werden, dass die Bundesrepub47
Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft lik Deutschland unangefochten europäischer Spitzenreiter in der Steuerbelastung von Unternehmensgewinnen ist, und zwar unabhängig davon, ob es um die Tarif oder die Effektivbelastung geht. Und dass die deutschen Rahmenbedingungen für Umstrukturierungen besonders attraktiv sind, wird auch niemand behaupten mögen. Durch die zahlreichen bereits ergangenen und noch zukünftig erwarteten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), durch die EU-Richtlinien oder EU-Verordnungen bieten sich den Unternehmen in der derzeitigen Entwicklung des Europarechts Chancen, ihre Steuerbelastung zu senken, rechtliche Beschränkungen zu vermindern und auf diesem Weg Erleichterungen in Wirtschaftsbeziehungen zu erzielen. Zwar sieht der EG-Vertrag nur auf dem Gebiet der indirekten Steuern einen expliziten Harmonisierungsauftrag auf der EU-Ebene vor, die Harmonisierung der direkten Steuern ist jedoch durch die Hintertür der Rechtsprechung des EuGH kaum zu übersehen. Dadurch werden die steuerlichen Bestimmungen der einzelnen Mitgliedstaaten vergleichbarer und für expandierende Unternehmen interessanter. Aufgrund dieser Entwicklung nimmt die Konkurrenz der Mitgliedstaaten als potenzielle Wirtschaftsstandorte zu, wie dies vor Kurzem am Beispiel Österreichs zu sehen war, das in einer fast vorbildlichen Art und Weise seine neue Gruppenbesteuerung, vor allem in Deutschland vermarktete. Das Europarecht bietet deutschen bzw. generell europäischen Unternehmen zwar große Chancen, damit sind jedoch auch Gefahren verbunden, wie beispielsweise die Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache Lankhorst-Hohorst1 zum Thema der Gesellschafterfremdfinanzierung gezeigt hat. Die nachfolgenden Ausführungen sollen deshalb im Überblick darstellen, welche Chancen und Risiken bzw. Probleme deutsche Unternehmen auf dem Gebiet der in- aber auch direkten Steuern zu erwarten haben bzw. mit welchen Chancen und Risiken sie noch zukünftig zu rechnen haben.
II. Indirekte Steuern Der europäische Binnenmarkt lässt sich ohne ein funktionierendes Mehrwertsteuersystem nicht zufriedenstellend umsetzen. Die europäische Kommission hat aus diesem Grund wiederholt den Versuch unternommen, die
1 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, GmbHR 2003, 44.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft 6. EG-Richtlinie im Unternehmensinteresse zu reformieren2 . Bislang ist ein entscheidender Durchbruch, der zu einer spürbaren Vereinfachung der Rechtsanwendung führt, jedoch nicht gelungen. Der bisherige status quo bleibt ungenügend. Von der Aufnahme der zehn neuen Mitgliedstaaten in die Europäische Union können Impulse in Richtung Reformbereitschaft noch nicht erwartet werden. Diese Mitgliedstaaten sind vielmehr in hohem Maße mit der vollständigen Umsetzung der 6. EG-Richtlinie beschäftigt. Dies bedeutet aber nicht, dass die europäische Erweiterung zum 1. Mai 2004 im Hinblick auf die Mehrwertsteuer ohne Auswirkung bleiben wird. Weiterhin ist im EG-Vertrag vorgesehen, dass die 6. EG-Richtlinie nur einstimmig mit Zustimmung aller 25 Mitgliedstaaten geändert werden kann. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass unter diesen Voraussetzungen der Prozess der Harmonisierung sehr mühsam und langwierig ist. Es sollte im Interesse der Unternehmen und der gesamten europäischen Wirtschaft darüber nachgedacht werden, ob administrative Vorschriften in der 6. EG-Richtlinie mit qualifi zierter oder einfacher Mehrheit geändert werden können. Zu weiteren Problemkreisen bei der Umsatzsteuer zählen insbesondere: 1. Warenbewegungen im europäischen Binnenmarkt sind durch das derzeitige Mehrwertsteuersystem wesentlich erschwert, 2. die 6. EG-Richtlinie ist in Bezug auf den Ort der Dienstleistung dringend reformbedürftig, 3. Vorschriften zur Umkehrung der Umsatzsteuerschuld bei Umsätzen von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten müssen harmonisiert werden und 4. die Umsatzsteuer ist in der Praxis ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor, der die Unternehmen, aber auch die öffentliche Hand, erheblich belasten kann. 1. Warenbewegungen im europäischen Binnenmarkt 1.1 Praktische Probleme Für ein europäisches Unternehmen sind Lieferungen iSd UStG in einen anderen Mitgliedstaat unter umsatzsteuerlichen Aspekten regelmäßig mit größeren Schwierigkeiten verbunden, als Lieferungen im jeweiligen Inland. Dies ergibt sich insbesondere aus folgenden Gründen:
2 Vgl. u. a. Stephen Bill (Leiter des Referats Mehrwertsteuer der EU-Kommission); „Ein pragmatischer Ansatz der MwSt.-Strategie“; www.europa.eu.int.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Vor dem Hintergrund der Diskussion zum Umsatzsteuerbetrug hat die deutsche Finanzverwaltung in zahlreichen Fällen die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung bei kleinsten formalen Mängeln in Bezug auf den Buch- und Belegnachweis verwehrt 3. Voraussetzung für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung ist, dass der Unternehmer im EU-Ausland die Ware für sein Unternehmen erworben hat. Der Lieferant kann im Inland durch einen qualifi zierten Abruf beim Bundesamt für Finanzen prüfen, ob z. B. die angegebene Umsatzsteuer-Identifikations-Nr. des Abnehmers als Nachweis für die Unternehmereigenschaft im Ausland korrekt ist. Die Finanzverwaltung ging nunmehr davon aus, dass Fehler bei der Registrierung des Abnehmers, die von den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten zu verantworten sind, zu Lasten des Leistenden gehen sollen4. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die UmsatzsteuerIdentifi kations-Nr. des Abnehmers von der Finanzverwaltung nicht korrekt erteilt wurde, weil der Abnehmer z. B. als Scheinunternehmer keine Unternehmereigenschaft im Sinne der 6. EG-Richtlinie hat, so soll im Nachhinein die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung aberkannt werden, obgleich der Leistende die ungerechtfertigte Erteilung der Umsatzsteuer-Identifi kations-Nr. nicht überprüfen konnte. Damit bleiben beim Lieferanten 16 % USt als Einbußen in Bezug auf seinen Umsatz, da er in der Regel die abzuführende Umsatzsteuer nicht von seinem Leistungsempfänger zurückerstattet bekommt. Die deutsche Rechtsprechung hat sich zu diesem Thema bisher uneinheitlich geäußert. In der Tendenz wird das Abwälzen des Risikos auf den Leistenden in Bezug auf die Richtigkeit der Angaben des Empfängers als mit der 6. EG-Richtlinie vereinbar angesehen5. Eine abschließende Rechtsfindung liegt jedoch nicht vor. Der BFH hat am 10. 2. 2005 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen, die zweifelsfrei gegeben sind, alleine mit der Begründung versagt werden darf, dass der Steuerpflichtige den vorgeschriebenen Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt hat6. Es ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH erheblichen Einfluss auf die zukünftige Behandlung der innergemeinschaftlichen Lieferungen haben wird. Insgesamt ist bisher in der Praxis der Eindruck entstanden, dass die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs durch organisierte Karussellgeschäfte 3 Vgl. FG München, Urt. v. 28. 4. 2005 – FG-Report 2005, 66–67; Hessisches FG, Beschl. v. 12. 1. 2005 – 6 V 2698/04; FG Bremen, Beschl. v. 1. 12. 2004 – 2 V 64/04 – rkr., DStRE 2005, 464 f.; FG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14. 9. 2004 – 2 K 2835/02, DStRE 2005, 212 ff. u. v. m. 4 Vgl. Hessisches FG, Beschl. v. 16. 5. 2004, FG Report 2004, 84. 5 Vgl. BFH, Beschl. v. 5. 2. 2004 – V B 180/03, BFH/NV 2004, 988 ff. 6 Vgl. EuGH-Vorlage, BFH, Beschl. v. 10. 2. 2005 – V R 59/03, BStBl. II 2005, 537.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft massiv zu Lasten der steuerehrlichen Unternehmen erfolgt. Dieses Vorgehen ist, so kann der Eindrucks nicht geleugnet werden, in Zeiten leerer Kassen fiskalisch motiviert und schädigt deutsche Unternehmen. Wie können die Aktivitäten der Finanzverwaltung anders verstanden werden, wenn z. B. jüngst ohne gesetzliche Grundlage der Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Gerätehersteller von Handys nicht anerkannt werden soll, für den Fall dass die Gerätenummern (International Mobile Equipment Identity“ – IMEI-Number) nicht in den Rechnungen angegeben wurden? 1.2 Lösungen Der administrative Aufwand bei Warenbewegungen im europäischen Binnenmarkt könnte erheblich reduziert werden, wenn statt des Bestimmungslandprinzips das Ursprungslandprinzip eingeführt werden würde. Dies würde bedeuten, dass der Erwerb im europäischen Ausland nicht besteuert wird und somit eine innergemeinschaftliche Lieferung ausschließlich im Ursprungsland umsatzsteuerpflichtig bleibt. Nach einhelliger Auffassung der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission gilt jedoch die Einführung des Ursprungslandprinzip als gescheitert7. Aus diesem Grund muss über neue Ansätze zur Ausgestaltung der Umsatzsteuer nachgedacht werden. Dabei sollte erreicht werden, dass die Nachweispflichten der Unternehmen sinken und die umsatzsteuerliche Beurteilung von Sachverhalten in der Praxis einfacher nachvollziehbar ist. Aus diesem Grund sollte sich die umsatzsteuerliche Beurteilung von Sachverhalten zukünftig nicht an der Warenbewegung, sondern am Rechnungsweg orientieren. Die Rechnung hat – mit Überarbeitung des Artikels 22 der 6. EG-Richtlinie – bereits heute für den Vorsteuerabzug Urkundencharakter8. Die formalen Anforderungen an das Ausstellen der Rechnung sind bereits erheblich. Wäre der Rechnungsweg für die umsatzsteuerliche Beurteilung maßgeblich, so wären im Fall einer Warenbewegung in andere europäische Mitgliedstaaten keine Probleme mehr hinsichtlich des Verbringungsnachweises von Waren gegeben. Dies würde zu einer erheblichen Entlastung für Unternehmen führen. Durch Einbeziehung dieser Vorgänge in das bestehende Meldesystem hätte im Übrigen auch die Finanzverwaltung ausreichende Prüfungsmöglichkeiten. Die Anwendung des Umsatzsteuergesetzes würde sich zudem erheblich für Unternehmen vereinfachen.. Viele Unternehmen sind mit den bereits geforderten Nachweispflichten überfordert. Dies führt zu erheblichen Steuerrisiken und kann im schlimmsten Fall das Unternehmen in die Insolvenz bringen. 7 Vgl. EU-Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das gemeinsame Mehrwertsystem vom 15. 4. 2004, KOM (2004) 246 endg. 8 Vgl. Richtlinie 2001/115/EG des Rates.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft 2. Ort der sonstigen Leistung Die Ermittlung des Ortes der sonstigen Leistung führt in der Praxis insbesondere im Fall von Leistungsbündeln zu Problemen. Das sind sog. „Rundumsorglospakete“, bei denen der Leistende verschiedene sonstige Leistungen in einem Paket dem Kunden anbietet. Dies ist insbesondere in Fällen, in denen neben der Haupt- sog. Nebenleistungen erbracht werden (z. B. Managementleistungen zwischen Unternehmen, die in der Art und im Umfang schwer zu qualifi zieren und zu quantifi zieren sind). Die Europäische Kommission hat mit Schreiben vom 20. 7. 20059 den Vorschlag unterbreitet, dass der Ort der Leistung im Business-to-business (B2B) -Geschäft immer dort sein soll, wo der Leistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Damit würde die bisherige Ausnahme im B2B-Geschäft zum Grundsatz. Der Vorschlag der Europäischen Kommission wurde von (europäischen) Unternehmen begrüßt. Dies gilt aber nicht für Vorschläge der Europäischen Kommission im Business-to-consumer (B2C)-Bereich z. B. für Telekommunikationsleistungen an Nichtunternehmer außerhalb der Gemeinschaft, da die derzeitige Bestimmung des Verbrauchsortes bei jedem einzelnen Privatkunden der Leistung keine praxistaugliche Lösung darstellt. Für den B2B-Bereich gilt grundsätzlich, dass mit Umsetzung des Kommissionsvorschlags die genannten Abgrenzungsprobleme geringer würden. Artikel 9 Abs. 2 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie, der die bisherigen Ausnahmen bei der Bestimmung des Leistungsortes aufführt, könnte aufgehoben werden. Darüber hinaus würde eine ständige Erweiterung des Ausnahmekatalogs vermieden. Der Vorschlag der Europäischen Kommission könnte diese Vorteile aber nur dann Aufrecht erhalten, wenn die Bereitschaft Ausnahmen zuzulassen gering ist und diesbezüglich Ausnahmen nur sehr restriktiv und aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen eingeführt würden. Exkurs: Weitere Vereinfachungen im Hinblick auf die Bestimmung des Ortes der sonstigen Leistung sind insofern zusätzlich anzustreben, als bei Anwendung des Rechnungsweges als den einschlägigen Weg für eine umsatzsteuerliche Beurteilung, „Rundumsorglospakete“ als Leistungen problemlos umsatzsteuerrechtlich beurteilt werden könnten. Abgrenzungsprobleme zwischen Haupt- und Nebenleistungen wären nicht gegeben.
9 Vgl. KOM (2005) 334 endg.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft 3. Vorschriften zur Umkehrung der Umsatzsteuerschuld Die derzeitige Rechtslage sieht vor, dass Lieferungen und sonstige Leistungen europäischer Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten zur Umkehrung der Umsatzsteuerschuld führen können10. In diesem Fällen hat der Leistungsempfänger die Pflicht, die Umsatzsteuer einzubehalten und an das inländische Finanzamt unter Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs abzuführen. Gegen diese Vorschrift ist aus Sicht der Wirtschaft nichts einzuwenden. Was fehlt und was regelmäßig zu erheblichen Problemen führt, ist eine ausreichende Harmonisierung in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die Umkehrung der Umsatzsteuerschuld kann an die verschiedensten Voraussetzungen geknüpft sein, so dass der Leistende, der Lieferungen oder sonstige Leistungen nach Belgien, Frankreich, Italien oder Griechenland erbringt, im Zweifel mit vier unterschiedlichen Beurteilungen der Sachverhalte hinsichtlich der Umkehrung der Umsatzsteuerschuld rechnen muss. In allen vier Fällen ist er aus diesem Grund gezwungen, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Dabei müssen folgende Problempunkte beantwortet werden: 1. Ist die Rechnung mit oder ohne Umsatzsteuer auszuweisen? 2. Ist eine umsatzsteuerliche Registrierung in einem der vier Länder notwendig bzw. wird dadurch die Umkehrung der Umsatzsteuerschuld ausgeschlossen und 3. wie kann die im anderen Mitgliedstaat gezahlte Umsatzsteuer als Vorsteuer in Anspruch genommen werden? Die Europäische Kommission hat diese Probleme bei Anwendung von Vorsteuervergütungsverfahren innerhalb der Europäischen Union erkannt11. Der zur Lösung des Problems vorgeschlagene „one Stop Shop“ wird von der Wirtschaft sehr begrüßt. Ob ein solcher Vereinfachungsvorschlag in europäisches Recht umgesetzt wird, hängt schlussendlich von der Zustimmung aller 25 Mitgliedstaaten ab. Deutschland hat – soweit bekannt – Bedenken in Bezug auf die Umsetzung des „one Stop Shops“. 4. Umsatzsteuer als Kostenfaktor Im spektakulären Fall der Versteigerung der UMTS-Lizenzen tritt nunmehr die umsatzsteuerliche Behandlung dieser Transaktionen mit Vorlage zum EuGH12 in den Mittelpunkt. Streitig dabei ist, ob es sich bei der Ver10 Vgl. Art. 21 Abs. 1 Buchst. b und c der 6. EG-Richtlinie. 11 Vgl. EU-Kommission, Vorschlag zur Änderung der 6. EG-Richtlinie vom 29. 10. 2004, KOM (2004) 728 endg. 12 Vgl. EuGH, AZ: Rs. C-284/04 und Rs. C-369/04.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft steigerung der UMTS-Lizenzen um umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Umsätze gehandelt hat. Sollte dies der Fall sein, so hätten deutsche Unternehmen auf diesen Erwerb dieser Lizenzen Umsatzsteuer gezahlt. Dies würde sie mit Ausstellen einer ordnungsgemäßen Rechnung berechtigen, Vorsteuer geltend zu machen. Allein in Deutschland handelt es sich um Vorsteuerrückerstattungen in Höhe von acht Milliarden Euro, die der Bund und die Länder zu tragen hätten.
III. Direkte Steuern Im Zusammenhang mit direkten Steuern sollen im Folgenden einzelne Themenbereiche, die vor allem in der jüngsten Vergangenheit europarechtlich motivierte Veränderungen erfahren haben, erwähnt und näher dargestellt werden. 1. Grenzüberschreitende Verlustverrechnung Eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten ausländischer Betriebsstätten als auch Tochtergesellschaften ist nach deutschem Recht derzeit nicht möglich. Aufgrund europaweiter Veränderungen – zum einen der Einführung neuer Gruppenbesteuerungssysteme in anderen Mitgliedstaaten und – zum anderen bevorstehender EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen Marks & Spencer13, Ritter-Coulais14 und Rewe-Zentralfinanz15 ist aber zu erwarten, dass sich der deutsche Gesetzgeber dieser Verpflichtung nicht länger entziehen kann und die Modernisierung der derzeit nicht mehr zeitgemäßen deutschen Organschaftsregelung vornehmen muss. Wie die zukünftige deutsche Organschafs- bzw. Gruppenbesteuerung ausgestaltet sein wird, lässt Raum für viele Spekulationen. Die Schlussanträge in der Rs. Marks & Spencer haben zwar Abrisse einer möglichen Ausgestaltung solcher Regelungen aufgezeigt, es ist aber zu bezweifeln, ob diese Ausgestaltungsmöglichkeiten tatsächlich den Grundfreiheiten des EG-Vertrags entsprechen16. Generalanwalt Maduro führt in seinen Schlussanträgen zur Rs. Marks & Spencer aus, dass ein Ausgleich von Verlusten ausländischer 13 14 15 16
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Rs. C-446/03. Rs. C-152/03. Rs. C-347/04. Bergmann/Schönherr/Stäblein, Die Rechtsprechung des EuGH im Ertragsteuerrecht – Chancen und Risiken für deutsche Unternehmen, BB 2005, 1706, 1713 f.
Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Tochtergesellschaften mit Gewinnen inländischer Muttergesellschaften nur vorgenommen werden muss, sofern die Verluste im Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaften keine gleichwertige steuerliche Behandlung erfahren. Wie jedoch der Begriff der „Gleichwertigkeit“ in dem Zusammenhang verstanden werden soll, bleibt offen. Ob eine – wie vom Generalanwalt angedeutet – Verlustvortragsmöglichkeit bereits ausreichen kann, erscheint fraglich, zumal Verluste inländischer Tochtergesellschaften im Organschaftsverhältnis zu ihren inländischen Muttergesellschaften im Jahr der Verlusterzielung mit Gewinnen der Muttergesellschaft verrechenbar sind. Auf die Möglichkeit eines etwaigen Verlustvortrags wird auch im Inland nicht abgestellt. Deutsche Unternehmen werden von dem noch für dieses Jahr erwarteten Urteil in der Rs. Marks & Spencer, das zum englischen Recht ergehen wird, mit Sicherheit profitieren können. Das Urteil hat zwar keine unmittelbare Wirkung auf das deutsche Recht, denn es wird zum englischen Steuerrecht ergehen. Die englischen Regelungen zur Gruppenbesteuerung unterscheiden sich grundsätzlich von der derzeit geltenden deutschen Organschaftsbesteuerung. Einer der wesentlichen Unterschiede ist die Notwendigkeit des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags. Unabhängig aber von diesen, für einen tauglichen Vergleich hinderlichen Unterschieden ist eindeutig erkennbar, dass eine Modernisierung, Flexibilisierung und Ausweitung der derzeitigen deutschen Organschaftsbesteuerung zwingend erforderlich ist. Allein die flexible und weitreichende Gruppenbesteuerung im Nachbarstaat Österreich erfordert dies. Grundsätzlich könnte der deutsche Gesetzgeber die deutsche Organschaftsbesteuerung insofern dem EU-Recht entsprechend ausgestalten, als er sie gänzlich abschafft. Dies jedoch würde katastrophale Folgen für den Standort Deutschland nach sich ziehen. Ein vielfach verstärkter Sog vom Standort Bundesrepublik Deutschland weg wäre die unausbleibliche Folge. Überdies wäre damit eine erhebliche rechtsformspezifische Belastung von Kapitalgesellschaftskonzernen im Vergleich zu Stammhauskonzernen oder mehrstufigen Personengesellschaften verbunden, bei denen es weiterhin zu einer Konsolidierung von Gewinnen und Verlusten der verschiedenen Einheiten für Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerzwecke (jedenfalls im Inland) kommen würde. Betriebswirtschaftlich macht häufig die gesellschaftsrechtliche Trennung in kleinere Verantwortungseinheiten mehr Sinn als die Bildung großer, leicht unüberschaubar werdender Blöcke. Wird der Gesetzgeber auf die Vorgaben des Europarechts bzw. die europaweiten Entwicklungen und somit mit einer Ausweitung der deutschen Organschaftsregelungen auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte reagieren, so sind vom Gesetzgeber klare gesetzliche Regelungen zu fordern, die den Unternehmen Flexibilität und Planungssicherheit bieten. Aus diesem 55
Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Grund wird die Voraussetzung des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags fallen müssen. Dessen Abschluss stößt grenzüberschreitend überdies auf beachtliche gesellschaftsrechtliche Hürden. Die Attraktivität und Bedeutung des Standortes Deutschland als Investitionsstandort für Unternehmen wird nicht zuletzt von entschlossenen, vorausschauenden, an die Bedürfnisse der Zeit angepassten, klaren Reformen abhängen. 2. Grenzüberschreitende Umstrukturierungen/Wegzug Im Bereich der grenzüberschreitenden Unstrukturierungen bzw. der Sitzverlegung von Unternehmen hat das Europarecht bisher wesentlich zur Anpassungsmöglichkeit der Unternehmen an die wirtschaftlichen Veränderungen beigetragen. Besondere Bedeutung ist insbesondere den neuen Rechtsformen der Societas Europea (SE) und Societas Cooperativa Europaea (SCE) und der Erweiterung der Fusionsrichtlinie beizumessen. Damit werden grenzüberschreitende Umstrukturierungen bzw. Sitzverlegungen von international ausgerichteten Unternehmen europaweit wesentlich erleichtert. Die SE ermöglicht Unternehmen europaweit mit der gleichen Rechtsform auszutreten. Damit lassen sich nicht nur ausländische Tochtergesellschaften einfacher steuern, auch die Expansion über Ländergrenzen hinweg ist unkomplizierter17. Dies stärkt ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Bereits jetzt, knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Verordnung über das Statut der SE und der SCE (SE-VO18) bereiten sich deutsche Unternehmen, die Allianz darf man hier nennen, vor, von der neuen Rechtsform der SE Gebrauch zu machen. Damit können Konzernstrukturen vereinfacht und Einspareffekte erzielt werden. Die Bedeutung der bisherigen und zukünftigen Veränderungen bei der steuerlichen Behandlung grenzüberschreitender Umstrukturierungen soll an einem einfachen Beispiel dargestellt werden. Eine deutsche AG und eine AG eines anderen Mitgliedstaates (im Nachfolgenden die B-AG genannt) planen einen „merger of equals“19. Bei diesem Unternehmenszusammenschluss unter gleichberechtigten Partnern soll die ausländische AG als übernehmende Gesellschaft bestehen bleiben, so dass die Aktionäre der deutschen AG zusätzliche Anteilseigner der B-AG werden. 17 Kuhr, Süddeutsche Zeitung, 8/9. 10. 2005. 18 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. 10. 2001, Abl. EG 2001 Nr. L 294, S. 1. 19 Enders, Möglichkeiten und Grenzen der Steuerplanung mit der neuen EuropaAG, PIS 2004, 253 ff.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Ohne Rückgriff auf das Instrument der Societas Europea würde dieser grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschluss üblicherweise dadurch erreicht, dass die deutschen Aktionäre ihre Aktien im Wege einer Sacheinlage gegen neue Anteile in die ausländische AG einlegen, womit die deutsche AG zu einer Tochtergesellschaft der B-AG wird. Eine solche Struktur birgt wesentliche Nachteile: 1. Es kommt zu einem sensiblen Ober-/Unterordnungsverhältnis zwischen den beiden Altgesellschaften. 2. Da gegebenenfalls nicht alle Aktionäre von einem Tauschangebot Gebrauch machen werden, könnte es zur Existenz von aus Konzernsicht unerwünschten Minderheitsgesellschaftern an der deutschen AG kommen. 3. Den tauschenden Aktionären droht gegebenenfalls eine Gewinnrealisierung. (Bei natürlichen Personen führt dieser Tauschtatbestand zur Steuerpflicht nach § 17 EStG. Bei juristischen Personen erfolgt die Einbringung der Anteile an der deutschen AG in die B-AG gemäß § 23 UmStG grundsätzlich steuerneutral, es sei denn, dass bei der übernehmenden Gesellschaft nach dem ausländischen Recht eine Buchwertverknüpfung nicht möglich ist und der Teilwert der Beteiligung an der deutschen Gesellschaft angesetzt wird.) Insofern bietet auch in diesem Zusammenhang das Europarecht u. U. Abhilfe für die betroffenen Unternehmen. Die Anknüpfung des deutschen Gesetzgebers an den Wertansatz der Beteiligung bei der ausländischen AG für Zwecke der steuerlichen Behandlung im Inland widerspricht dem Gemeinschaftsrecht. Dies hat das FG Baden-Württemberg in einem Urteil20 vom 17. 2. 2005 festgestellt. Eine (doppelte) Buchwertverknüpfung steht nicht im Einklang mit Art. 8 Abs. 1 und Abs. 3 der Fusionsrichtlinie. Nach Auffassung des Gerichts gestattet die Fusionsrichtlinie den nationalen Gesetzgebern nur eine einfache Buchwertverknüpfung. Gegen das Urteil des FG Baden-Württemberg ist Revision beim BFH21 anhängig. Nicht nur insoweit ist der positive Einfluss des Europarechts ersichtlich. Mit der SE-Verordnung bzw. der Erweiterung der Fusionsrichtlinie können auch die unter Punkt 1. und 2. genannten Nachteile der oben dargestellten grenzüberschreitenden Umstrukturierung vermieden werden. Nach den Vorschriften der SE-Verordnung ist die grenzüberschreitende Verschmelzung der deutschen und der ausländischen Aktiengesellschaften insofern möglich, als die ausländische Aktiengesellschaft (B-AG) im Rahmen 20 FG Baden-Württemberg, Urt. v. 17. 2. 2005 – 6 K 209/02, IStR 2005, 278. 21 I R 25/05.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft eines Formwechsels die Rechtsform der SE annimmt. Es findet eine Verschmelzung durch Aufnahme statt, wobei das gesamte Vermögen der deutschen AG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die B-AG übergeht. Dies würde die oben genannten Nachteile vermeiden und mit der Erweiterung der Fusionsrichtlinie mit Wirkung ab dem 1. 1. 2006 bzw. 2007 würde diese Verschmelzung in Deutschland steuerneutral erfolgen, sofern das in Deutschland bestehende Vermögen der (früheren) deutschen AG als Betriebsstättenvermögen der ausländischen SE weiterhin steuerverhaftet bleibt. Allein anhand dieses Beispiels wird deutlich, welchen Beitrag das Europarecht zumindest auf dem Gebiet des Gesellschafts- bzw. Steuerrechts zur Weiterentwicklung der Wirtschaft bzw. des europäischen Binnenmarktes leisten kann. Das Inkrafttreten der SE-VO per 8. 10. 2004 und die Erweiterung der Fusionsrichtlinie, ab 1. 1. 2006 bzw. 2007, sind große Meilensteine. Für die Wirtschaft hocherfreulich! Weniger erfreulich sind jedoch die Fortschritte auf nationaler Ebene. Deutsche Unternehmen haben bei Umstrukturierungen bzw. Wegzug aus Deutschland nach wie vor zu viele und zu hohe Hürden zu überwinden. Die Gesetzgebung auf diesem Gebiet ist unüberschaubar und mit vielen Zweifelsfragen behaftet, die zu erheblicher Planungsunsicherheit führen. Überdies werden in Deutschland stille Reserven beim Wegzug von Unternehmen bzw. bei Überführung von Betriebsvermögen im Zeitpunkt des Wegzugs bzw. der Überführung der Wirtschaftsgüter besteuert. Eine Anpassung an die europarechtlichen Entwicklungen ist noch nicht erfolgt, im Gegensatz zu manchen anderen Mitgliedstaaten22, die eine Besteuerung der stillen Reserven bereits gesetzlich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Gewinnrealisierung hinausgeschoben haben. Diese Benachteiligung eines grenzüberschreitenden Wegzug gegenüber einer Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung ausschließlich im Inland, bei der keine stillen Reserven vor der Gewinnrealisierung aufgedeckt werden, sollte zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit vom EuGH bzw. vorab von einem nationalen Gericht als Verletzung des Europarechts festgestellt werden. Die Besteuerung der im Inland (vor dem Wegzug) entstandenen stillen Reserven ist grundsätzlich – wie der EuGH in seinem Urteil23 zum Wegzug von natürlichen Personen festgestellt hat – kein Verstoß gegen das EURecht. Die Besteuerung im Zeitpunkt des Wegzugs wird jedoch – wie auch in dem bereits genannten EuGH-Urteil in der Rs. Hughes des Lasteyrie de
22 Z. B. Österreich. 23 EuGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, GmbHR 2004, 504.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Saillant24 – einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten, bzw. die Niederlassungsfreiheit darstellen. Wie der deutsche Gesetzgeber zukünftig dieses Problem lösen wird, ist zwar unklar, er bleibt aber aufgefordert, im Hinblick auf die fortschreitende Internationalisierung der deutschen Wirtschaft eine klare, einfache und vor allem eine rasche Lösung herbeizuführen. 3. Quellensteuer Ein weiterer, für international tätige Unternehmen wichtiger Themenbereich im Rahmen der direkten Steuern, ist die Abzugsteuer gemäß § 50a EStG. Auch hier sei anerkannt, dass das Europarecht zu positiven, wenn auch weiterhin unzulängliche Entwicklungen geführt hat. So wurde die MutterTochter-Richtlinie, aber auch die Zins-/Lizenz-Richtlinie in Deutschland bereits umgesetzt, teilweise wurde die Nettobesteuerung von quellensteuerpflichtigen Einkünften möglich und aufgrund der derzeit anhängigen Verfahren vor dem EuGH wird die Quellensteuer insgesamt und ihre derzeitige Ausgestaltung in Frage gestellt. Mit der Entscheidung des EuGH in der Rs. Gerritse25 vom 12. 6. 2003 stellte der EuGH fest, dass eine Bruttobesteuerung von Einkünften eines in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen, selbständig tätigen Künstlers den Grundfreiheiten des EG-Vertrags widerspricht. Die deutsche Finanzverwaltung reagierte auf das Urteil mit einem BMF-Schreiben, das das EuGH-Urteil insoweit sehr „eng“ umsetzt, als nur Einkünfte von in Deutschland nicht ansässigen Künstlern nunmehr nach dem Nettoprinzip, d. h. wie bei inländischen Künstlern, zu besteuern sind. Dies ist durchaus ein Schritt in die „richtige Richtung“, gleichwohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Andere quellensteuerpflichtige Einkünfte (wie grenzüberschreitende) Lizenzgebühren werden weiterhin nach dem Bruttoprinzip besteuert. Dies bedeutet, dass entsprechende Betriebsausgaben nicht die Bemessungsgrundlage der Quellensteuer reduzieren können. Die Quellensteuer kann deshalb höher sein, als die auf diese Einkünfte entfallende entsprechende Steuer im Ansässigkeitsstaat des Lizenzgebers, wo die Einkünfte nach dem Nettoprinzip besteuert werden. Der nicht anrechnungsfähige Teil der Quellensteuer wird so zum endgültigen Kostenfaktor für den Lizenzgeber. Dieses Problem wird auch nicht gänzlich von der im § 50g EStG
24 EuGH, Urt. v. 11. 3. 2004 – Rs. C-9/02 – Hughes de Lasteyrie du Saillant, GmbHR 2004, 504. 25 EuGH, Urt. v. 12. 6. 2003 – Rs. C-234/01 – Gerritse, EuGHE 2003, I-5933 = BStBl. II 2003, 859.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft bereits umgesetzten Zins-/Lizenz-Richtlinie26 vom 3. 6. 2004 gelöst. Die Zins-/Lizenz-Richtlinie sieht lediglich vor, dass grenzüberschreitende Lizenzzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen keiner Quellensteuer zu unterliegen haben. Grenzüberschreitende Lizenzzahlungen zwischen fremden Dritten unterliegen jedoch nach wie vor der Quellensteuer. Aus diesem Grund werden häufig Lizenzverträge abgeschlossen, in denen Nettolizenzgebühren vereinbart werden, und jegliche Quellensteuer zu Lasten des Lizenznehmers gehen soll. Die Quellensteuer wird für deutsche Unternehmen als Lizenznehmer zum nicht unerheblichen Kostenfaktor. Aus europarechtlicher Sicht stellt sich somit die Frage, ob die Quellensteuererhebung in der Form wie sie derzeit im Gesetz normiert ist, den Grundfreiheiten des EG-Vertrags entspricht. Besondere Bedeutung hat vor allem die Nichtberücksichtigung der Anrechnungsmöglichkeit dieser Steuer im Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers. Hoffnung können deutsche Unternehmen in diesem Zusammenhang aus dem derzeit beim EuGH anhängigen Verfahren in der Rs. Denkavit International27 schöpfen, in dem diese Problematik zur Entscheidung ansteht. Ein weiteres Problem ist in der Erhebung der Quellensteuer nach derzeitigem nationalen deutschen Recht festzustellen. Ohne eine Freistellungsbescheinigung des Bundesamtes für Finanzen ist die Reduktion in Höhe von derzeit 21,1 %28, auf den in der jeweiligen EU-Richtlinie bzw. im jeweiligen DBA vorgesehenen Tarif nicht möglich29. Es handelt sich dabei regelmäßig um ein komplexes, unflexibles und langwieriges Verfahren. Dadurch entsteht regelmäßig ein Liquiditätsnachteil für den ausländischen Lizenzgeber, der bis zur Erteilung einer Freistellungsbescheinigung vorab die Quellensteuer von 21,1 % zu tragen hat. Im Lichte der Grundfreiheiten des EG-Vertrags ist überdies die Haftung des Zahlungsschuldners für den Einbehalt der Quellensteuer problematisch. Dies hat vor allem Bedeutung, wenn Nettovereinbarungen zwischen den Vertragsparteien getroffen werden und der Zahlungsempfänger die Quellensteuer nicht trägt. Die Quellensteuer geht dann gänzlich zu Lasten des 26 Richtlinie 2003/49/EG des Rates v. 3. 6. 2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, Abl. Nr. L 157 v. 26. 6. 2003, S. 49–54. 27 Rs. C-170/05. 28 Quellensteuer in Höhe von 20 % + 5,5 % Solidaritätszuschlag. 29 Es ist zu beachten, dass Österreich – voraussichtlich als Reaktion auf die anhängigen Verfahren vor dem EuGH – die sofortige Reduktion des nationalen Quellensteuersatzes auf einen niedrigeren Quellensteuersatz bzw. eine gänzliche Befreiung sofort an der Quelle zulässt, ohne auch einen Antrag des beschränkt Steuerpfl ichtigen auf eine solche Reduktion bzw. Befreiung zu fordern.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Zahlungsschuldners. Auch in dem Fall, verglichen mit einem Inlandssachverhalt, ist eine Ungleichbehandlung des Zahlungsschuldners offenkundig30. 4. Außensteuergesetz/die Hinzurechnungsbesteuerung Erfreulich für deutsche Unternehmen ist, dass die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung – zumindest teilweise – nun auch auf dem Prüfstand vor dem EuGH steht. Bislang war seit 2004 der englische Fall in der Rs. Cadbury Schweppes31 anhängig, aus deren Entscheidung sich deutsche Unternehmen weitreichende Rückschlüsse bzw. zumindest einen richtungsweisenden Einfluss auf die Zukunft der deutschen Hinzurechnungsbestimmungen erhoffen. In seinem Beschluss vom 5. 7. 200532 legt das FG Münster dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Regelungen des § 20 Abs. 2 und Abs. 3 AStG33 gegen die Niederlassungs-34 und die Kapitalverkehrsfreiheit35 des EG-Vertrags verstoßen. Das FG Münster äußert erhebliche Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität des § 20 AStG, da die einschlägigen Grundfreiheiten auch die grenzüberschreitende ausländische Wirtschaftstätigkeit von Inländern vor der steuerlichen Benachteiligung durch ihr Herkunftsland im Inland schützen. Im vorliegenden Fall erschwert § 20 AStG die wirtschaftliche Betätigung in einer ausländischen Betriebsstätte, da er die steuerlichen Vorteile der grenzüberschreitenden Aktivität durch eine innerstaatliche Regelung wieder neutralisiert. § 20 Abs. 2 AStG sieht vor, dass die Doppelbesteuerung von ausländischen Betriebsstätteneinkünften nicht durch Freistellung, sondern durch Anrechnung der ausländischen Steuer im Inland vermieden werden soll, wenn – unter der Annahme, die Betriebsstätte wäre eine ausländische Kapitalgesellschaft – auf die Einkünfte der Betriebsstätte die Hinzurechnungsbesteuerung anwendbar wäre. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass ein Steuerpflichtiger eine ausländische Kapitalgesellschaft durch eine ausländische Betriebsstätte/Personengesellschaft ersetzt, um auf diesen Wege die Hinzurechnungsbesteuerung zu umgehen. 30 Vgl. das beim EuGH anhängige Verfahren in der Rs. Scorpio Konzertproduktionen. 31 Anhängiges EuGH-Verfahren Cadbury Schweppes, Rs. C-196/04. 32 FG Münster, Beschl. v. 5. 7. 2005 – 15 K 1114/99 F, EW, EFG 2005, 1512. 33 I. d. F. des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. 12. 1993. Die im Streitjahr maßgeblichen Abs. 2 und 3 des § 20 AStG entsprechen im Wesentlichen dem heutigen § 20 Abs 2 AStG. 34 Art. 43 EG-Vertrag. 35 Art. 56 EG-Vertrag.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft Die immer deutlicher werdende Schwierigkeit mit der derzeit geltenden Zurechnungsbesteuerung ist für deutsche Unternehmen in der immer häufigeren Erfüllung der Voraussetzung der Niedrigbesteuerung gemäß § 8 Abs. 3 EStG zu erkennen. Aufgrund des derzeit starken Wettbewerbs der einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Höhe der Körperschaftsteuersätze gewinnen die deutschen Hinzurechungsregelungen erheblich an Bedeutung. Vor allem die neuen Mitgliedstaaten wie Estland, Polen, Ungarn etc. konkurrieren mit Steuersätzen von 0–19 %. Dies bedeutet, dass die Folgen der Hinzurechnungsbesteuerung immer häufiger zur Anwendung kommen ohne dass die Niedrigbesteuerung auch nur im Entferntesten Beweggrund für eine geschäftliche Entscheidung war. Aus Sicht deutscher Unternehmen bedarf es vor allem in diesem Bereich einer zeitgerechten und wettbewerbsfähigen Ausgestaltung der Steuergesetze. Erfreulicherweise ist der EuGH mit seiner Rechtsprechung ein starker Motor in der Anpassung der Gesetze an die Anforderungen der Wirtschaft. 5. Gesellschafterfremdfinanzierung bzw. Abzug von Finanzierungskosten Im Gegensatz zu dem oben dargestellten positiven Einfluss des Europarechts auf die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen in Deutschland ist der Fall der Gesellschafterfremdfinanzierung wie auch jener der Abzugsfähigkeit von Finanzierungskosten als Beispiele für eine negative Entwicklung zu nennen. In beiden Fällen hat der deutsche Gesetzgeber auf die Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Sachverhalten mit der Ausdehnung der nachteiligen Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte auf Inlandsfälle in zum Teil nicht zu verantwortender Art und Weise reagiert. Diese negative Entwicklung als Ergebnis der EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Lankhorst-Hohorst36 bzw. Bosal Holding BV37 brachte für Unternehmen beachtliche Nachteile und große Verunsicherung, hervorgerufen durch langwierige und lückenhafte Gesetzesausgestaltung. Neben der langandauernden Diskussion zur Ausgestaltung der zukünftigen Regelungen zur Gesellschafterfremdfinanzierung gab es auch nach dem Inkrafttreten der Regelung Unsicherheit und Zweifel an der Auslegung und Anwendung des Gesetzes. In zahlreichen Punkten ist dies auch heute noch der Fall. Mit dem BMF-Schreiben vom 15. 7. 2004 wurde zwar einiges geklärt und erläutert, wobei ein Teil der Ausführungen des BMF-Schreibens 36 EuGH, Urt. v. 12. 12. 2002 – Rs. C-324/00 – Lankhorst-Hohorst, GmbHR 2003, 44. 37 EuGH, Urt. v. 18. 9. 2003 – Rs. C-168/01 – Bosal Holding BV, EuGHE 2003, I-9409.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft dem Gesetzestext nach unserer Auffassung nicht entnommen werden können. Schon dies zeigt die Problematik dieser Regelung. So wird in § 8a KStG38 auf die „Kurzfristigkeit“ einer Darlehensgewährung abgestellt. Aus dem Gesetzestext ist jedoch nicht erkennbar, was unter einer „Kurzfristigkeit“ zu verstehen ist. Das BMF-Schreiben verweist auf § 8 Nr. 1 GewStG (Dauerschuldzinsen), entgegen der früher geäußerten Auffassung zu § 8a KStG, dass ein Gesellschafterdarlehen nur dann als kurzfristig gewährt gilt, wenn die Laufzeit 6 Monate nicht übersteigt. Weiterer Streitpunkt im Zusammenhang mit § 8a ist beispielsweise die Frage, in welchen Fällen Einkünfte in Deutschland tatsächlich umqualifi ziert werden, wenn die darlehensgewährende Muttergesellschaft in Deutschland, die darlehensempfangende Tochtergesellschaft dagegen im Ausland ansässig ist. Nach dem Gesetzeswortlaut müsste eine solche Umqualifi zierung vorgenommen werden, wenn die im Gesetz genannten Voraussetzungen für die Anwendung des § 8a KStG generell erfüllt sind. Die Finanzverwaltung hingegen führt in ihrem BMF-Schreiben vom 15. 7. 2004 aus, dass eine solche Umqualifi zierung in Deutschland nur in Abhängigkeit von der Umqualifi zierung im Ausland zulässig ist. Diese Auffassung fi ndet jedoch einerseits keine Stütze im Gesetz und steht andererseits in Widerspruch zu EU-Recht. Die Unterstellung einer solchen Abhängigkeit für die Umqualifi zierung widerspricht den Vorgaben des EG-Vertrags. Nicht unerwähnt soll auch die Problematik der Erhebung der Kapitalertragsteuer bleiben. Die Kapitalertragsteuer soll – ihrer Konzeption nach – grundsätzlich eine Sicherungsfunktion erfüllen. Diese Sicherungsfunktion macht bei Anwendung des § 8a KStG bei Zahlungen im Konzern jedoch keinen Sinn. Werden in einem Konzern Zinszahlungen in verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifi ziert, so sind diese (verdeckten) Gewinnausschüttungen bei der empfangenden Gesellschaft in Deutschland körperschaftsteuerfrei. Welche Sicherungsfunktion in dem Zusammenhang die Kapitalertragsteuer erfüllen soll, erschließt sich nicht. Für die Unternehmen bedeutet dies einen Liquiditätsnachteil. Die Absurdität der Erhebung der KESt wird vor allem bei mehrstufigen Konzernen deutlich. Die Gesetzgebung hat klar, überschaubar, effi zient und eindeutig in ihrer Anwendbarkeit zu sein. Die Schaffung entbehrlicher, nicht zu rechtfertigender Hürden für Unternehmen, die Nachteile (wie z. B. Liquiditätsnachteile) mit sich bringen, schaden nur dem Standort. Diese Beispiele zeigen, dass Steuerpflichtige auch mit negativen Reaktionen des nationalen Gesetzgebers auf die (grundsätzlich positive) EuGH-Rechtsprechung zu rechnen haben. 38 I. d. F. des sog. Korb II-Gesetzes v. 22. 12. 2003, BGBl. I 2003, 2840.
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Treptow/Muszynska-Herdin, Europarecht aus Sicht der Wirtschaft
IV. Schlussbemerkung Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Europarecht, vor allem die Rechtsprechung des EuGH, in der Vergangenheit viel an Dynamik und Flexibilität in das deutsche Steuerrecht gebracht hat. Eine Beschränkung der Bedeutung/des Einflusses des EuGH, wie dies auch aus den Reihen der deutschen Richterschaft zu hören ist, löst nicht die aktuellen nationalen Probleme. Man kann nicht den europäischen Binnenmarkt wollen, aber die auftretenden steuerlichen Fragen national regeln. Für die derzeitige Situation kann auch nicht der EuGH verantwortlich gemacht werden, denn es ist vielfach der nationale Gesetzgeber selbst, der durch Nicht-Regelungen oder durch nicht eindeutige Regelungen für die Schwierigkeiten verantwortlich ist. Wäre nicht die Notwendigkeit der Umsetzung von EU-Richtlinien bzw. der Reaktion auf EuGH-Urteile gegeben, so wäre zumindest das deutsche Steuerrecht bei der Reformfreudigkeit des Gesetzgebers weniger fortgeschritten. Und dieser Fortschritt ist im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten teilweise zu bemängeln. Problematisch in Deutschland ist nach wie vor die zu hohe steuerliche Gesamtbelastung der Unternehmen, die Langwierigkeit und die Unvollständigkeit der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Auch die zu „enge“ (z. B. in der Rs. Laysterie du Saillant) bzw. sogar eine für den Steuerpfl ichtigen schädliche (z. B. in der Rs. Lankhorst-Hohorst) Umsetzung von EuGH-Urteilen bzw. von Richtlinien behindert die Entwicklung des deutschen Steuerrechts und verringert die Planungssicherheit für Unternehmen und somit die Attraktivität des Standorts. Deutschland als Standort für eine effi ziente und erfolgreiche Unternehmensentwicklung muss im Wettbewerb der anderen Mitgliedstaaten mithalten können. Die zukünftige Regierung ist aufgefordert, vorausschauend auf weltweite Entwicklungen und Veränderungen sowohl auf dem Gebiet der Steuern als auch auf anderen Gebieten zu reagieren, und eine Modernisierung des deutschen Steuerrechts und des gesamten Unternehmensumfelds zu gewährleisten.
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Personengesellschaften und Gewerbesteuer – Aktuelle Rechtsprechung des BFH – Dr. Roland Wacker Richter am Bundesfinanzhof, München Inhaltsübersicht I. Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft – Gewerbesteuer nach § 18 Abs. 4 UmwStG 1995, einschl. § 7 Satz 2 GewStG n. F. 1. Rechtsentwicklung und Sinn des § 18 Abs. 4 UmwStG 1.1 Gewerbesteuerbarkeit/ Rechtslage bis EZ 2001 (§ 7 GewStG a. F./ohne § 18 Abs. 4 UmwStG) 1.2 Sinn und Zweck des § 18 Abs. 4 UmwStG 1.3 Wortlaut/ Entstehungsgeschichte 2. BFH vom 11. 12. 2001 – VIII R 23/01 2.1 Leitsätze 2.2 Sachverhalt (stark vereinfacht) 2.3 Ansicht des Finanzamts/ Finanzgerichts 3. Ansicht des BFH 3.1 Systematische Stellung des § 18 Abs. 4 UmwStG 3.2 Tatbestand des § 18 Abs. 4 UmwStG 3.3 Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 UmwStG 4. Hinweise
II.
1.
2. III.
1.
2.
3.
4.1 Tatbestand des § 18 Abs. 4 UmwStG 4.2 Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 UmwStG „Aufstockungsmodell“: Gewerbesteuerpflicht für Veräußerungsgewinne nach § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG BFH-Urteil vom 15. 6. 2004 – VIII R 7/01 1.1 Leitsatz 1.2 Sachverhalt 1.3 Aus den Gründen Hinweise Abfärbewirkung bei doppelstöckiger Personengesellschaft – hier: vermögensverwaltende OberGesellschaft; Änderung der Rechtsprechung BFH-Urteil vom 6. 10. 2004 – IX R 53/01 1.1 Leitsatz 1.2 Sachverhalt 1.3 Aus den Gründen Zustimmungsbeschluss vom 6. 11. 2003 – IV ER -S- 3/03 2.1 Leitsatz 2.2 Gründe Hinweise
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer
I. Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft – Gewerbesteuer nach § 18 Abs. 4 UmwStG 1995, einschl. § 7 Satz 2 GewStG n. F. 1. Rechtsentwicklung und Sinn des § 18 Abs. 4 UmwStG 1.1 Gewerbesteuerbarkeit/Rechtslage bis EZ 2001 (§ 7 GewStG a. F./ohne § 18 Abs. 4 UmwStG) Kapitalgesellschaft Betrieb
Personengesellschaft
natürliche Person
+ (!)
–
–
Mitunternehmeranteil
–
–
–
Teil-Mitunternehmeranteil
– (?)
– (Finanzverwaltung)
– (Finanzverwaltung)
1.2 Sinn und Zweck des § 18 Abs. 4 UmwStG Die Regelung steht im Zusammenhang damit, dass einerseits der Gesetzgeber mit dem UmwStG 1995 das Ziel einer möglichst steuerneutralen Umwandlung der Körperschaft (Kapitalgesellschaft) in eine Personengesellschaft verfolgte1 und hierbei durch das Recht zur Buchwertfortführung (§§ 3, 4 UmwStG) sowie die Freistellung des Übernahmegewinns (§ 18 Abs. 2 i. V. m. § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 2 UmwStG) von jeglicher gewerbesteuerlicher Belastung der Umwandlung absah, andererseits jedoch den Grundsatz unberührt ließ, nach dem Gewinne aus Betriebsveräußerung oder -aufgabe zwar bei der Kapitalgesellschaft2, nicht jedoch bei der Personengesellschaft der Gewerbesteuer unterliegen. Hierauf aufbauend will § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 – strukturell gleich den entsprechenden Bestimmungen der UmwStG 1969 und 1977 – als spezialgesetzlicher Ausnahmetatbestand verhindern, dass die Gewerbesteuerpflicht der Kapitalgesellschaft dadurch unterlaufen wird, dass der Betrieb erst nach vollzogener Umwandlung von der Personengesellschaft veräußert oder aufgegeben wird und der hierbei erzielte Gewinn entsprechend den dargelegten allgemeinen Grundsätzen nicht mehr der Gewerbesteuer unterfiele.
1 BT-Drucks. 12/6885, S. 14. 2 Vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG; BFH, Urt. v. 5. 9. 2001 – I R 27/01, BStBl. II 2002, 155 = BFH/NV 2002, 129; v. 8. 8. 2001 – I R 104/00, BFH/NV 2002, 535.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer 1.3 Wortlaut/Entstehungsgeschichte Wird eine Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft umgewandelt und innerhalb von 5 Jahren nach der Umwandlung der Betrieb der Personengesellschaft aufgegeben oder veräußert, so unterliegt der Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs. 4 UmwStG 19953 der Gewerbesteuer. 1.3.1 Wortlaut des § 18 UmwStG 1995 … „(4) Wird der Betrieb der Personengesellschaft oder der natürlichen Person innerhalb von fünf Jahren nach der Umwandlung aufgegeben oder veräußert, unterliegt ein Auflösungs- oder Veräußerungsgewinn der Gewerbesteuer. Satz 1 gilt entsprechend, soweit ein Teilbetrieb oder ein Anteil an der Personengesellschaft aufgegeben oder veräußert wird. Der auf Veräußerungs- oder Aufgabegewinne im Sinne der Sätze 1 und 2 beruhende Teil des Gewerbesteuer-Messbetrags ist bei der Ermäßigung der Einkommensteuer nach § 35 des Einkommensteuergesetzes nicht zu berücksichtigen.“ 1.3.2 Entstehungsgeschichte Durch das Jahressteuergesetz 1997 wurde § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 um einen Satz 2 ergänzt, nach dem mit Wirkung ab 1. 1. 1997 (vgl. § 27 Abs. 4 a UmwStG) Entsprechendes für den Fall gilt, dass ein Teilbetrieb oder ein Anteil an der Personengesellschaft aufgegeben oder veräußert wird. Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde in § 18 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 der Begriff des Vermögensübergangs durch denjenigen der Umwandlung ersetzt. Durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz4 wurde schließlich § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 um einen Satz 3 ergänzt, nach dem die (gewerbesteuerpflichtigen) Veräußerungs- und Aufgabegabevorgänge nach den Sätzen 1 und 2 nicht zur Einkommensteuerermäßigung nach § 35 EStG berechtigen. Dies deshalb, weil ein solcher Entlastungsbetrag der Kapitalgesellschaften nicht gewährt wird.5
3 I. d. F. des Gesetzes v. 28. 10. 1994, BGBl. I 1994, 3267. 4 UntStFG v. 20. 12. 2001, BGBl. I 2001, 3858. 5 Vgl. auch Finanzausschuss, BT-Drucks. 14/7344; zu Zweifeln an der Rechtslage für VZ 2001 vgl. Haritz u.a., GmbHR 2004, 150, 152; Pung in Dötsch u.a., Die Körperschaftsteuer, § 18 UmwStG n. F. Rz 79.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer 2. BFH vom 11. 12. 2001 – VIII R 23/016 2.1 Leitsätze 1. Auch der Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft erfüllte den Begriff des Vermögensübergangs i. S. von § 18 Abs. 4 Satz 1 UmwStG 1995 (i. d. F. vor In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/ 2000/2002). 2. Die Veräußerung oder Aufgabe von Mitunternehmeranteilen an der – durch formwechselnde Umwandlung einer Kapitalgesellschaft entstandenen – Personengesellschaft untersteht auch dann § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 (i. d. F. des Jahressteuergesetzes 1997), wenn die Anteile an der Kapitalgesellschaft zum Privatvermögen ihrer Gesellschafter gehört haben und die veräußerten (oder aufgegebenen) Mitunternehmeranteile unentgeltlich erworben worden sind (hier: aufgrund Erbfalls). 3. Zur Ausklammerung der Teile des Veräußerungsgewinns (oder Aufgabegewinns), die auf Mitunternehmeranteile im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft entfallen. 2.2 Sachverhalt (stark vereinfacht) AX war alleiniger Anteilseigner der X-GmbH, zu deren Vermögen Beteiligungen an gewerblichen Unter-Personengesellschaften gehörten. Die Anteile an der X-GmbH gehörten zum Privatvermögen des AX. Die X-GmbH wurde 1996 in die X-KG formwechselnd umgewandelt. Komplementärin der X-KG war die V-GmbH (Anteilseigner ebenfalls AX). Kurz danach starb A; alleinige Erbin war seine Ehefrau BX. 1998 veräußerte BX sämtliche Anteile an der X-KG sowie an der V-GmbH (Komplementärin). 2.3 Ansicht des Finanzamts/Finanzgerichts Nach Ansicht des Finanzamts unterfiel der Veräußerungsgewinn § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 in der für die Streitjahre (1997 und 1998) geltenden Fassung der Gewerbesteuer. Die Klage blieb ohne Erfolg7. Auf die Revision der Klägerin wurde das Urteil des FG aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.
6 BFH v. 11. 12. 2001 – VIII R 23/01, BStBl. II 2004, 474. 7 Vgl. FG Köln v. 21. 3. 2001 – 4 K 6627/99, EFG 2001, 1086.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer 3. Ansicht des BFH Hinweis: Entsprechend der gekürzten Sachverhaltsdarstellung ist auch die Wiedergabe des Urteils auf die § 18 Abs. 4 UmwStG betreffenden Aussagen konzentriert. 3.1 Systematische Stellung des § 18 Abs. 4 UmwStG „Soweit ein Gewinn (laufender Gewinn) zu beurteilen ist, der bereits nach allgemeinen Grundsätzen (gemeint: § 7 GewStG) gewerbesteuerpfl ichtig ist, bedarf es eines Rückgriffs auf § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 nicht, da diese Vorschrift – als sondergesetzliche Ausnahmeregelung – auf die gewerbesteuer-rechtliche Erfassung solcher Gewinne zielt, die nach allgemeinen Grundsätzen n i c h t der Gewerbesteuer unterstehen“.
3.2 Tatbestand des § 18 Abs. 4 UmwStG 3.2.1 Formwechsel als Vermögensübergang i.S. von § 18 Abs. 4 Satz 1 UmwStG a.F. (vor StEntlG 1999/2000/2002) „Der erkennende Senat teilt im Ergebnis die Ansicht der Vorinstanz, dass die formwechselnde Umwandlung einer Kapital- in eine Personengesellschaft als Vermögensübergang i. S. von § 18 Abs. 4 Satz 1 UmwStG zu qualifi zieren ist. Soweit hiergegen eingewandt wird, dass § 18 Abs. 1 Satz 1 UmwStG den Formwechsel neben dem Vermögensübergang anspreche, § 18 Abs. 4 Satz 1 UmwStG (i. d. F. vor Inkrafttreten des StEntlG 1999/2000/2002) hingegen nur den Vermögensübergang – an dem es im Falle einer formwechselnden Umwandlung fehle –ausdrücklich geregelt habe, kann sich der erkennende Senat diesen Bedenken nicht anschließen. Hierbei wird vor allem verkannt, dass die unmittelbar nur für die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft aufgrund eines (zivilrechtlichen) Vermögensübergangs (Verschmelzung) geltenden Vorschriften der §§ 3 bis 8 und § 10 UmwStG 1995 entsprechend für den Fall der formwechselnden Umwandlung der Kapitalgesellschaft anzuwenden sind (§ 14 Satz 1 UmwStG 1995). Hintergrund dieser Gesetzestechnik ist die Erwägung, dass die handelsrechtliche Vorstellung einer die Identität des Rechtsträgers wahrenden (formwechselnden) Umwandlung der Systematik des Körperschaftsteuer- und Einkommensteuergesetzes widerstreitet, nach der die Körperschaft als selbständiges Steuersubjekt mit ihrem Einkommen der Körperschaftsteuer unterliegt, die Gesellschafter der Personengesellschaft hingegen mit ihrem Gewinnanteil der Einkommensteuer unterworfen sind. Der Rechtsfolgenverweis in § 14 Satz 1 UmwStG 1995 auf die für die Verschmelzung geltenden Bestimmungen der §§ 3 bis 8, 10 UmwStG 1995 zielt demgemäß darauf, auch beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft – entgegen der zivilrechtlichen Wertung – (jedenfalls) für Zwecke der 71
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Einkommensbesteuerung einen Vermögensübergang zu fi ngieren. Hieran anknüpfend sehen § 14 Sätze 2 und 3 UmwStG vor, dass – wiederum abweichend vom Handelsrecht – die Kapitalgesellschaft eine Übertragungsbilanz und die Personengesellschaft eine Eröffnungsbilanz aufzustellen hat.“ Nichts anderes gelte für die gewerbesteuerliche Beurteilung der formwechselnden Umwandlung (und damit auch für § 18 Abs. 4 UmwStG), da § 18 Abs. 1 Satz 1 UmwStG ausdrücklich auf § 14 UmwStG Bezug nehme und damit für den gesamten Regelungsbereich des § 18 UmwStG die Fiktion eines Vermögensübergangs im Falle des Formwechsels anordne. Nur dieses Auslegungsergebnis entspreche Sinn und Zweck des § 18 Abs. 4 UmwStG (s. o.). 3.2.2 Tatbestand des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG (1) BX hat den gesamten Mitunternehmeranteil veräußert (im BFH-Fall: aufgegeben) und damit in eigener Person nicht nur den Tatbestand des § 16 EStG, sondern auch denjenigen des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG verwirklicht hat. (2) Der Anwendbarkeit dieser Bestimmung steht nicht entgegen, dass die Veräußerung der zum Privatvermögen von AX gehörenden Anteile an der X-GmbH keine Gewerbesteuer ausgelöst hätte. Diese ließe unberücksichtigt, dass – im Gegensatz zur Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen vor der formwechselnden Umwandlung i.V.m. dem unveränderten Wertansatz des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft – im Falle der Veräußerung (oder Aufgabe) der Mitunternehmeranteile an der übernehmenden Personengesellschaft der Erwerber die hierbei aufgedeckten stillen Reserven in einer Ergänzungsbilanz auszuweisen hätte und diese somit der Gewerbesteuer endgültig entzogen wären. (3) Unerheblich sei weiterhin, dass BX den Mitunternehmeranteil an der XKG aufgrund des Erbfalls nach AX (also unentgeltlich) erworben habe (ganz h. M.; Rspr. zu § 10a GewStG sei nicht übertragbar). 3.3 Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 UmwStG (1) § 18 Abs. 4 UmwStG erfasse den tatsächlich erzielten Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn. Soweit hierzu im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten wird, es sei (teleologische Reduktion) auf die Verhältnisse zum Umwandlungsstichtag abzustellen8, stehe der eindeutige Gesetzeswortlaut sowie das auf die fortdauernde gewerbesteuerrechtliche Verstrickung des
8 So z. B. Schaumburg, FR 1995, 211, 217.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Vermögens der umgewandelten Kapitalgesellschaft gerichtete Konzept des § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 entgegen. (2) Sollten jedoch zum Vermögen der X-GmbH Mitunternehmeranteile gehört haben (Unterbeteiligungen), so wäre der hierauf entfallende Aufgabegewinnanteil nicht von den Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 erfasst. Da Gewinne aus der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch eine Kapitalgesellschaft (hier: X-GmbH) nicht zum Gewerbeertrag zu rechnen seien9 und im Streitfall zudem die Anteile an der Kapitalgesellschaft nicht zum Betriebsvermögen ihres Gesellschafters (AX) gehörten, bestehe unter dieser Voraussetzung auch dann, wenn die Kapitalgesellschaft in eine (Ober-)Personengesellschaft umgewandelt und im Anschluss hieran die Anteile an dieser Gesellschaft nach § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 aufgegeben oder veräußert werden, kein rechtfertigender Grund dafür, die hierbei realisierten Gewinnanteile – soweit sie auf die Unterbeteiligungen entfallen – gewerbesteuerlich zu belasten (teleologische Reduktion mangels Missbrauchsgefahr). 4. Hinweise 4.1 Tatbestand des § 18 Abs. 4 UmwStG a) Beinahe unverständlich sind Ausmaß und Inhalt der Diskussion zum Kernpunkt des Verfahrens, also zur der Frage, ob § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 in der für die Streitjahre (1997 und 1998) geltenden Fassung (a. F.) nicht nur die Verschmelzung, sondern auch den Formwechsel einer Kapitalgesellschaft erfasst. Folge der ertragsteuerrechtlichen Fiktion eines Vermögensübergangs gemäß Besprechungsurteil10 ist nicht nur, dass auch die Bestimmungen des § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 UmwStG den Formwechsel erfassen; Gleiches gilt darüber hinaus für die Anwendungsvorschriften des § 27 Abs. 1 und 2 UmwStG 1995.11 Hinzu kommt, dass der Gesetzesbegründung zum Steuerentlastungsgesetz 1999 ff. selbst insoweit nicht beigepflichtet werden 9 Vgl. allgemein sowie zu einbringungsgeborenen Anteilen BFH, Urt. v. 27. 3. 1996 – I R 89/95, BFHE 181, 499 = BStBl. II 1997, 224; zum Übertragungsgewinn nach §§ 3, 18 Abs. 1 UmwStG 1977 siehe BFH, Urt. v. 28. 2. 1990 – I R 92/86, BFHE 160, 262 = BStBl. II 1990, 699 = HFR 1990, 561. 10 Zustimmend Haritz, FR 2004, 1098; offenbar nach wie vor irritiert Roser, GmbHR 2002, 388, 389; schroff ablehnend Rose, FR 2005, 1 ff.; ebenso FG Münster, Urt. v. 24. 6. 2005 – 11 K 3961/04 G, DB 2005, 1665 – Rev. VIII R 45/05. 11 Insoweit zustimmend, wenn auch i. Ü. inkonsequent Benkert/Haritz, UmwStG, 2. Aufl., § 27 UmwStG Rz. 7.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer kann, als der nunmehr geltende Gesetzeswortlaut („Umwandlung“) der „Vereinheitlichung der Terminologie“ diene (s. o.). Vielmehr verlässt er die systematisch durch § 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 14 UmwStG 1995 vorgegebene Begrifflichkeit (fingierter Vermögensübergang bei Formwechsel) und hat hierdurch nach Ansicht der Literatur – m. E. jedoch angesichts des Besprechungsurteils nicht durchgreifende (s. vorstehend) – Zweifel an der Geltung des § 18 Abs. 1 Satz 2 UmwStG 1995 bei formwechselnder Umwandlung der Kapitalgesellschaft ausgelöst.12 b) Im Einklang mit der h. M. ist dem Besprechungsurteil weiterhin darin zu folgen, dass die unentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils an der übernehmenden Personengesellschaft (im Streitfall: Erbanfall) zwar – mangels Veräußerung oder Aufgabe – nicht den Tatbestand des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 erfüllt, jedoch der Rechtsnachfolger auf der Basis der bisherigen Buchwerte in die (potentielle) Steuerverhaftung eintritt. Dies gebietet nicht nur der – bezüglich der Person des Veräußerers unbestimmte – Wortlaut des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 sowie der systematische Vergleich mit Satz 1 der Vorschrift, nach der die Veräußerung (Aufgabe) des Betriebs durch die Personengesellschaft ungeachtet dessen der Gewerbesteuer unterliegt, ob innerhalb der 5-Jahres-Frist die Mitunternehmeranteile insgesamt oder auch nur teilweise unentgeltlich auf einen Rechtsnachfolger des bisherigen Gesellschafters übertragen worden sind, sondern vor allem auch Sinn und Zweck der Vorschrift (s. o.). Insbesondere Letzteres schließt es zugleich aus, die Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 UmwStG – in Anlehnung an die Rspr. zum Untergang des gesellschafterbezogenen Verlustabzugs nach § 10a GewStG (partieller Unternehmerwechsel) – auf Veräußerungs- und Aufgabevorgänge durch die an der Umwandlung beteiligten Gesellschafter zu beschränken. aa) Offen bleibt nach dem Besprechungsurteil zum einen die teilentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils. Hierbei wird danach zu unterscheiden sein, ob das Teilentgelt – unter Berücksichtigung des Nichtansatzes eines etwaigen Übernahmeverlusts nach § 18 Abs. 2 UmwStG i. d. F. ab 1. 1. 1999 – nach der sog. Einheitstheorie13 den Buchwert des übertragenen Anteils überschreitet. Ist dies zu verneinen, fehlt es i. S. von § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 an einer (gewerbe-)ertragsteuerrechtlichen Gewinnrealisierung mit der Folge, dass der übergegangene Mitunternehmeranteil in vollem Umfang nach Satz 2 der Bestimmung steuerverfangen bleibt. Anderenfalls (Teilentgelt übersteigt gewerbesteuerrechtlichen Buchwert des Mitunternehmeranteils) ist die Gewinnverwirklichung zwar auch der Ge12 Vgl. Widmann, in: Der Fachanwalt für Steuerrecht im Rechtswesen, 1999, S. 447, 452. 13 Vgl. hierzu Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl., § 16 EStG Rz. 57 ff.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer werbesteuer zu unterwerfen. Ob hiermit allerdings die Exemtion des teilentgeltlichen Rechtsnachfolgers aus dem Regelungsbereich des § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 für den Fall der Weiterveräußerung (oder Aufgabe) des erlangten Mitunternehmeranteils einhergeht, dürfte angesichts der vorstehenden Erwägungen zweifelhaft sein. bb) Nicht zu klären waren im Verfahren VIII R 23/01 ferner die Rechtsfolgen, die mit der Einbringung der Mitunternehmeranteile in eine Kapitalgesellschaft (§ 20 UmwStG) oder in eine Personengesellschaft (§ 24 UmwStG) innerhalb der (5-jährigen) Frist des § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 verbunden sind. Im Grundsatz wird hierbei zwar der h. A. zu folgen sein, dass die Buchwerteinbringung auch i. R. von § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 keine Gewerbesteuerbelastung auslöst (so mutmaßlich auch die Finanzverwaltung14). Äußerst umstritten ist aber nicht nur der Status der aufnehmenden Gesellschaft (Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft; Rechtsnachfolge gleich einer unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils sowohl bei Buch- als auch bei Zwischenwertansatz15), sondern auch die weitere Frage danach, ob in Fällen der Einbringung in eine Personengesellschaft die Verfügung über die Mitunternehmeranteile an dieser aufnehmenden Gesellschaft § 18 Abs. 4 Satz 2 untersteht.16 Nach Ansicht der OFD Koblenz17 sind doppelstöckige Strukturen auch für § 18 Abs. 4 UmwStG anzuerkennen, jedenfalls dann, wenn sie von Anfang an bestanden haben. Beispiel: A ist an einer Ober-Personengesellschaft und dieses an einer Unter-Persongesellschaft beteiligt. Letztere ist aus der Umwandlung einer Unter-Kapitalgesellschaft entstanden. Veräußert A (innerhalb von 5 Jahren) seinen Anteil an der Ober-Personengesellschaft, löst dies weder die Gewerbesteuerbarkeit nach § 7 GewStG (Veräußerung des Mitunternehmeranteils durch eine natürliche Person) noch nach § 18 Abs. 4 UmwStG aus. Die Anweisung lässt allerdings offen, ob die Finanzverwaltung hiervon auch dann ausgehen wird, wenn die doppelstöckige Struktur erst nach Um14 Vgl. BMF v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268 – Tz. 18.05; Centrale-Gutachtendienst, GmbHR 2004, 1008. 15 Bejahend BMF v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268 – Tz. 18.05. 16 Vgl. zum Streitstand Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 18 UmwStG Rz. 194 ff.; Centrale-Gutachtendienst, GmbHR 2004, 1008 auch zu § 42 AO. 17 OFD Koblenz, DStR 2005, 194.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer wandlung der Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft herbeigeführt wird und im Anschluss hieran die Anteile an der Ober-Personengesellschaft veräußert werden (Gesamtplan-Rechtsprechung?). Bei Einbringung des Mitunternehmeranteils zum Teilwert ist die hingegen § 18 Abs. 4 UmwStG einschlägig, soweit sich die Gewerbesteuerpflicht nicht bereits aus der vorrangigen Bestimmung des § 24 Abs. 3 Satz 3 UmwStG i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG (laufender Gewinn soweit Einbringender an der aufnehmenden Personengesellschaft beteiligt ist) ergibt.18 Hierzu sowie zu § 35 EStG (Ermäßigung der Einkommensteuer aufgrund Gewerbesteuer-Anrechnung) s. u. 4.2 Rechtsfolgen des § 18 Abs. 4 UmwStG a) Was die Rechtsfolgen anbelangt, teilt das Besprechungsurteil die Sicht der Finanzverwaltung19, nach der § 18 Abs. 4 UmwStG den von der Personengesellschaft (Sätze 1 und 2) oder den Mitunternehmern (Satz 2) realisierten Gewinn der Gewerbesteuer unterwirft. Nicht maßgeblich ist somit die Höhe der stillen Reserven im Zeitpunkt der Umwandlung der Kapitalggesellschaft in die Personengesellschaft.20 b) Aus dem Vorstehenden ergibt sich m. E. zwar zweifelsfrei, dass der Besteuerungszugriff nach § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 selbst dann zu bejahen ist, wenn die übernehmende Personengesellschaft keine gewerblichen Einkünfte, sondern bspw. solche nach § 18 EStG erzielt; zudem dürfte es unbeachtlich sein, in welcher Höhe ein Übertragungsgewinn angesetzt wurde.21 c) Die aus § 18 Abs. 4 UmwStG resultierende Gewerbesteuer-Belastung ist zwar von der Personengesellschaft – als Schuldnerin der Gewerbesteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG) – und damit von allen Gesellschaftern entsprechend GuV-Schlüssel zu tragen.22 Sie ist demnach Betriebsschuld der Personengesellschaft, mindert jedoch nicht deren laufenden Gewinn, sondern – weil 18 Dazu BFH, Urt. v. 15 . 6. 2004 – VIII R 7/01, BB 2004, 1720 = DB 2004, 1812 sowie unten; gl. A. Centrale-Gutachtendienst, GmbHR 2004, 1008, 1009. 19 BMF v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268 – Tz. 18.07. 20 Krit. Roser, GmbH-StB 2003, 71. 21 Ebenso BMF v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268 – Tz. 18.08, 18.07. 22 Gl. A. Finanzverwaltung, vgl. OFD Koblenz, DStR 2005, 194: Freibetrag (24 500 Euro) und Tarifstaffel (1 % bis 5 %) nach §§ 11 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 GewStG sind zu gewähren; kritisch und instruktiv Günkel/Levedag, GmbHR 2004, 261 einschl. eines hiernach gebotenen Kaufpreisabschlags; zu vortragsfähigen Verlusten nach § 10a GewStG s. Rödder u.a., Unternehmenskauf/-verkauf, S. 616 ff., 624 ff.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer durch den Veräußerungsvorgang veranlasst – als Veräußerungskosten den Veräußerungsgewinn des Mitunternehmers.23 d) Die Konzeption des § 18 UmwStG 1995 wirft eine Reihe von umstrittenen Folgefragen auf, zu denen im Besprechungsurteil nicht Stellung zu nehmen war. (aa) Dies bspw. dann, wenn die Personengesellschaft schon vor der Umwandlung einen Gewerbebetrieb unterhielt und demgemäß der nach dem Wortlaut von § 18 Abs. 4 UmwStG anzusetzende Veräußerungs- oder Aufgabegewinn nicht auf die stillen Reserven aus dem von der umgewandelten Kapitalgesellschaft erlangten Vermögen beschränkt ist. In der Literatur wird deshalb vertreten, den Gewinn insoweit nicht der Gewerbesteuer zu unterwerfen.24 Dem hat sich zwischenzeitlich der BFH angeschlossen.25 (bb) Gleichfalls nicht streiterheblich war die Frage, ob § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 einer teleologischen Reduktion für den Fall zugänglich ist, dass die umgewandelte Kapitalgesellschaft von der Gewerbesteuer befreit war.26 (cc) Zum Einfluss der gewerbesteuerrechtlichen Nichtberücksichtigung eines Übernahmeverlusts nach § 18 Abs. 2 UmwStG (i. d. F. ab 1. 1. 1999) auf die Gewinnermittlung nach § 18 Abs. 4 UmwStG vgl. – bejahend – Widmann/Mayer27; a. A. Roser28. e) Ein weiteres Sonderproblem betrifft die Zugehörigkeit von Mitunternehmeranteilen zum Vermögen der Kapitalgesellschaft mit der Folge, dass nach Umwandlung die übernehmende Personengesellschaft in die Stellung einer Ober-Gesellschaft einrückt (doppelstöckige Personengesellschaft). 4.2.1 Rechtslage bis EZ 2001 Das Urteil nimmt hierzu im Hinblick auf die Rechtslage vor Inkrafttreten von § 7 Satz 2 GewStG n. F. (dazu nachfolgend bb) Stellung. Da hiernach 23 Zutreffend Centrale-Gutachtendienst, GmbHR 2004, 793; gl. A. Finanzverwaltung, vgl. INFO OFD Stuttgart 2004. 24 Vgl. – einschl. weiterer Einzelheiten, z. B. fortdauerndes Teilbetriebserfordernis – Haritz/Benkert, UmwStG, 2. Aufl., § 18 UmwStG Rz. 49; a. A. FG Münster v. 29. 3. 2004 – 4 K 890/01 G – rkr., EFG 2004, 1259; Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 18 Rz. 227; ohne Aussage BMF v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268; zur Veräußerung von Mitunternehmeranteilen an der übernehmenden Personengesellschaft vgl. Centrale-Gutachtendienst, GmbHR 2002, 322. 25 BFH, Urt. v. 16. 11. 2005 – X R 6/04, DStR 2006, 175. 26 Vgl. hierzu differenzierend Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 18 UmwStG Rz. 161 f. sowie jüngst betr. Betriebsaufspaltung BFH-Beschluss X R 59/00. 27 Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 18 UmwStG Rz. 236 f. 28 Roser, GmbHR 2002, 389 f.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen durch eine Kapitalgesellschaft selbst dann nicht der Gewerbesteuer unterlag, wenn der Veräußerungstatbestand auf dem mit der Umwandlung der Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft verbundenen Rechtsträgerwechsel beruht29 oder wenn es sich bei der Beteiligung an der Unter-Personengesellschaft um sog. einbringungsgeborene Mitunternehmeranteile handelt30, ist dem Besprechungsurteil darin zuzustimmen, dass auch die Realisationstatbestände des § 18 Abs. 4 UmwStG, die – s. o. – auf eine zeitliche befristete Nachwirkung des gewerbesteuerrechtlichen Status der umgewandelten Kapitalgesellschaft zielen, die auf die mitunternehmerischen Beteiligungen entfallenden – und ggf. schätzweise zu bestimmenden – Gewinnanteile nicht erfassen. Allerdings steht diese Restriktion nach dem Besprechungsurteil unter dem Vorbehalt, dass – wie im zu beurteilenden Sachverhalt – die Anteile an der (umgewandelten) Kapitalgesellschaft zum Privatvermögen der Gesellschafter gehört haben. Für eine Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf betriebliche Anteile könnte sowohl die Gewerbesteuerfreiheit des Übernahmegewinns nach § 18 Abs. 2 UmwStG 1995 als auch – wenn im Einzelfall erfüllt – das Schachtelprivileg des § 9 Nr. 2a GewStG sprechen.31 4.2.2 Rechtslage ab EZ 2002 Bekanntlich zielt § 7 Satz 2 GewStG n. F. (ab EZ 2002) darauf, dem sog. Ausgliederungsmodell – keine Gewerbesteuer, wenn nach Buchwerteinbringung von Wirtschaftsgütern oder Betrieben in eine Unter-Personengesellschaft der Mitunternehmeranteil von der Kapitalgesellschaft veräußert wird (vgl. vorstehend aa) – die Grundlage zu entziehen (Steuerbarkeit nach Satz 2 Nr. 2 n. F., wenn der Gewinn nicht auf eine natürliche Person – hier: Kapitalgesellschaft – als unmittelbar beteiligter Mitunternehmerin entfällt; zur Steuerschuldnerschaft der Personengesellschaft vgl. Bonertz32, a. A. Günkel/Ledevag33; zum Verhältnis zu § 8b Abs. 6 KStG und zu § 7 GewStG – Kapitalgesellschaftsanteile im Vermögen einer Mitunternehmerschaft, an der wiederum Kapitalgesellschaften beteiligt sind – vgl. BMF34 sowie nunmehr – ab EZ 2004 – § 7 S. 4 GewStG i. d. F. EURLUmsG35).
29 BFH v. 28. 2. 1990 – I R 92/86, BFHE 160, 262 = BStBl. II 1990, 699. 30 BFH v. 27. 3. 1996 – I R 89/95, BFHE 181, 499 = BStBl. II 1997, 224. 31 Vgl. aber – zur Rechtslage nach UmwStG 1977 – BFH, Urt. v. 23. 1. 2002 – XI R 48/99, BFHE 198, 124 = BFH/NV 2002, 993; dazu v. Eichborn, HFR 2002, 916. 32 Bonertz, DStR 2002, 795. 33 Günkel/Ledevag, GmbHR 2004, 26. 34 BMF v. 28. 4. 2003 – IV A 2 – S 2750a – 7/03, BStBl. I 2003, 292 – Tz. 57 f. 35 EURLUmsG v. 9. 12. 2004, BGBl. I 2004, 3310.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Gewerbesteuerbarkeit: Rechtslage bis EZ 2001 (§ 7 GewStG a. F.)/ab EZ 2002 (§ 7 S. 2 GewSt n. F.) – jeweils ohne § 18 UmwStG Kapitalgesellschaft
Personengesellschaft
nat. Person
Betrieb bis 2001 ab 2002
+ +
– +/ – (nat. Pers)
– –
Mitunternehmeranteil bis 2001 ab 2002
– +
– +
– –
TeilMitunternehmeranteil bis 2001 ab 2002
– (?) +
– (Vw) +
– (Vw) +
(1) Mit § 7 Satz 2 GewStG n. F. entfällt zugleich die Deduktionsbasis für die dargestellte teleologischen Reduktion des § 18 Abs. 4 UmwStG 1995 (Ausklammerung des die Mitunternehmeranteile im Gesamthandvermögen der übernehmenden Personengesellschaft betr. Gewinns). Fraglich ist allerdings, ob hiervon bereits dann auszugehen ist, wenn der Gewinn nach § 18 Abs. 4 Satz 2 UmwStG 1995 aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils an der übernehmenden Personengesellschaft im Erhebungszeitraum 2002 erzielt wird (hierfür spricht der Gedanke der gewerbesteuerrechtlichen Nachwirkung des Kapitalgesellschfts-Status i. V. m. der Unbestimmtheit etwaiger Gewinnrealisationen ohne „missbräuchliche“ Umwandlung, s. o.), oder ob die geänderte Beurteilung nur Umwandlungen mit einem steuerlichen Übertragungsstichtag (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UmwStG 1995) ab dem Erhebungszeitraum 2002 ergreift (fortdauernde Exemtion von Altfällen). (2) Zum anderen beeinflusst § 7 Satz 2 GewStG (n. F.) auch insofern den Geltungsbereich des § 18 Abs. 4 UmwStG 1995, als letztere Bestimmung dann nicht zum Tragen kommt, wenn der in Frage stehende Realisationstatbestand bereits nach allgemeinen Grundsätzen der Gewerbesteuer unterfällt.36 36 Vgl. Besprechungsurteil § 18 UmwStG ist gewerbesteuerrechtlicher Auffangtatbestand; Voß in H/H/R, § 18 UmwStG Anm. J 01-4; a. A. aber BMF v. 16. 12. 2003 – IV A 2 – S 1978 – 16/03, BStBl. I 2003, 786, Rz. 14: durchgängiger Vorrang des § 18 Abs. 4 UmwStG; zust. Dötsch/Pung, DB 2003, 208, 210; zur Literatur s. Pung in Dötsch u. a., Die Körperschaftsteuer, § 18 UmwStG n. F. Rz. 81 f.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Dies würde – s. Überblick oben – gemäß § 7 Satz 2 Nrn. 2 und 1 GewStG (n. F.) – den Sachverhalt betreffen, dass die Anteile an der übernehmenden Personengesellschaft (= umgewandelte Kapitalgesellschaft) nicht von natürlichen Personen als unmittelbar beteiligte Mitunternehmer (= Ober-Personengesellschaft oder Ober-Kapitalgesellschaft) veräußert werden; – Gleiches gilt für die Veräußerung oder Aufgabe von Betrieben/Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen durch die übernehmende Personengesellschaft, soweit an dieser nicht natürlichen Personen (also = Ober-Personengesellschaft oder Ober-Kapitalgesellschaft) als Mitunternehmer unmittelbar beteiligt sind; – Gleiches gilt weiterhin für den Fall der Veräußerung von Teilen von Mitunternehmeranteilen – sei es durch die übernehmende Personengesellschaft, sei es durch deren Gesellschafter. Da der hierbei erzielte Gewinn nunmehr – m. E. zweifelsfrei – selbst dann gewerbesteuerpflichtig ist, wenn (wesentliches) Sonderbetriebsvermögen kongruent mitübertragen wird (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG i. d. F. UntStFG37), bedarf es auch insoweit nicht mehr des Rückgriffs auf die Auffangbestimmung des § 18 Abs. 4 UmwStG; – Ebenso schließlich, soweit ein Veräußerungs- oder Einbringungsgewinn nach § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG i. V. m. § 24 Abs. 3 Satz 3 UmwStG in einen laufenden und nach BFH-Urteil vom 15. 6. 200438 (dazu unten) Gewerbesteuerpflichtigen Gewinn umqualifi ziert wird. Der jüngeren Entlastungsarithmetik des Gesetzgebers folgend, wird in all´ diesen Fällen (Verdrängung des § 18 Abs. 4 UmwStG durch die vorrangige Steuerbarkeit nach dem GewStG) der Blick auf die Steuerermäßigung nach § 35 EStG gelenkt, soweit der jeweilige Gewinn über eine Personengesellschaft natürlichen Personen zuzurechnen ist. Ungeachtet der grundsätzlichen Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach dieser Vorschrift auch Veräußerungsgewinne i. S. v. § 16 EStG (bspw. Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils durch eine Ober-Personengesellschaft außerhalb des sachlichen oder zeitlichen Geltungsbereichs von § 18 Abs. 4 UmwStG39) entlastet werden40, bleibt jedenfalls die Suche in § 35 EStG nach einer der Ausschlussregelung des § 18 Abs. 4 Satz 3 UmwStG i. d. F. UntSt37 Vgl. auch Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl., § 16 EStG Rz. 411. 38 BFH, Urt. v. 15. 6. 2004 – VIII R 7/01 BB 2004, 1720 = DB 2004, 1812. 39 Vgl. hierzu auch Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7344 zu § 35 EStG. 40 Bejahend Pauka, NWB F 4, 4587, 4597; BMF, Schr. v. 15. 5. 2002, BStBl. I 2002, 533 – Rz. 9 f. bei Gewerbesteuerpfl icht des Veräußerungsgewinns.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer FG entsprechenden Bestimmung vergebens. Ein – gemessen an den Intentionen des Gesetzgebers41 – sicherlich diskussionswürdiger Befund, der in das Problem münden wird, ob § 18 Abs. 4 Satz 3 UmwStG – trotz Verdrängung der Sätze 1 und 2 – auf die Steuerermäßigung nach § 35 EStG restringierend einwirken kann (m. E. zu bejahen).
II. „Aufstockungsmodell“: Gewerbesteuerpflicht für Veräußerungsgewinne nach § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG 1. BFH-Urteil vom 15. 6. 2004 – VIII R 7/0142 1.1 Leitsatz Der Gewinn aus der Veräußerung des Anteils an einer Personengesellschaft unterliegt der Gewerbesteuer, soweit auf der Seite des Veräußerers und auf der Seite des Erwerbers dieselben Personen Mitunternehmer sind. 1.2 Sachverhalt An der V-KG war die V-GmbH als Kommanditistin zu 70 v. H. beteiligt. Die V-GmbH verkaufte ihre KG-Beteiligung zum 1. 1. 1995 an die T-KG, an der sie – ebenfalls als Kommanditistin – zu 50 v. H. beteiligt war. Den Veräußerungsgewinn behandelte das Finanzamt im Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts auf den 31. 12. 1995 (§ 10a GewStG) zur Hälfte als laufenden Gewinn. Das Finanzgericht gab der Klage statt, da die Fiktion des § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG, nach der ein Veräußerungsgewinn in dem Umfang als laufender Gewinn gelte, in dem auf der Seite des Veräußerers und des Erwerbers dieselben Personen Unternehmer oder Mitunternehmer seien, nichts daran ändere, dass es sich um einen Veräußerungsgewinn handle, der nicht zum Gewerbeertrag gehöre. Die einkommensteuerrechtliche Fiktion wirke sich nicht auf die Gewerbesteuer aus.43 Dem folgte der BFH nicht. Der Veräußerungsgewinn unterliege zur Hälfte der Gewerbesteuer (§ 7 GewStG i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG) und sei nur im Übrigen nicht steuerbar.
41 Siehe auch dazu BT-Drucks. 14/7344. 42 BFH, Urt. v. 15. 6. 2004 – VIII R 7/01, BStBl. II 2004, 754. 43 Vgl. FG Berlin v. 16. 2. 2000 – 6 K 4411/97, EFG 2000, 640.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer 1.3 Aus den Gründen 1. Zwar blieben Gewinne aus der Veräußerung eines Gewerbebetriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmereranteils – selbst wenn Letztere von Kapitalgesellschaften gehalten würden (§ 7 GewStG a. F.; vgl. u. a. BFH-Urteil vom 5. 9. 2001 – I R 27/01, BFHE 196, 293, BStBl. II 2002, 155, m. w. N.) – bei der Ermittlung des Gewerbeertrags außer Betracht (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 17. 2. 1994 – VIII R 13/94, BFHE 174, 550, BStBl. II 1994, 809, unter 2.a der Gründe, und in BFHE 181, 499, BStBl. II 1997, 224, unter II.1.a der Gründe). Bestimmend hierfür sei der sog. Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer, nach dem nur das Ergebnis der Ertragskraft des werbenden Betriebs – d.h. der „laufende Gewinn“ – der GewSt unterliege, nicht aber das Ergebnis aus der Aufdeckung der stillen Reserven anlässlich seiner Beendigung (ständige Rechtsprechung). Letzterer Gesichtspunkt komme jedoch nicht zum Tragen, wenn die Erwerberin des Anteils eine Personengesellschaft sei, an der der veräußernde Gesellschafter selbst beteiligt sei (§ 16 Abs. 2 Satz 3 EStG, § 7 GewStG). 2. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass der Rechtsprechung des BFH zur Nichtsteuerbarkeit von Gewinnen aus der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen insofern eine – den Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer durchbrechende – personale Betrachtung zugrunde liege, als hiernach i. S. des Gewerbesteuergesetzes von einer partiellen Betriebsbeendigung auszugehen sei, obgleich der Betrieb der Personengesellschaft von diesem Veräußerungsvorgang nicht berührt werde. Ohne diese Durchbrechung wäre die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen gewerbesteuerpfl ichtig. Genau diese Durchbrechung werde aber i. S. einer Unterausnahme durch § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG – der gleichfalls auf ein persönliches Element abstelle – für den Fall wieder aufgehoben, dass der veräußernde Mitunternehmer an der erwerbenden Gesellschaft mit der Folge einer partiellen Fortführung des Betriebs durch den (Mit-)Unternehmer beteiligt sei. 3. Maßgeblich hierfür sei der Zweck der §§ 16 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 2 EStG und § 24 Abs. 3 Satz 3 UmwStG 1995. a) „Die Bestimmungen wurden durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom 21. 12. 1993 (…) mit Wirkung für Veräußerungen ab 1. 1. 1994 eingefügt. Mit ihnen sollten die mit dem sog. Aufstockungsmodell angestrebten Rechtsfolgen verhindert werden. (D. h. – Veräußerung/Einbringung eines Betriebs etc. unter Aufdeckung stiller Reserven und Ausnutzung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG sowie 82
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG an eine Personengesellschaft, an der der Veräußerer beteiligt ist, ohne Gewerbesteuer-Belastung; – Aufstockung bei erwerbender Personengesellschaft mit der Folge, dass deren lfd. Gewinn – auch mit Wirkung für die Gewerbesteuer – gemindert wird.) b) Der Gesetzgeber habe diese Gestaltung als rechtsmissbräuchlich angesehen. Dies … betreffe nicht nur die Einkommensteuer und die Inanspruchnahme des tarif- und freibetragsbegünstigten Gewinns, sondern auch die Gewerbesteuer und die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit für die Veräußerungsgewinne. Ziel des Gesetzgebers sei es, die durch die Veräußerung aufgedeckten stillen Reserven mit der sie belastenden Einkommensteuer und Gewerbesteuer zu erfassen. Er habe sich dabei – im Durchgriff durch die Einheit der Personengesellschaft – von der Überlegung leiten lassen, dass insoweit, als Veräußerer und Erwerber identisch seien, der Veräußerer wirtschaftlich betrachtet „an sich selbst veräußert“44. So betrachtet werde der Gewerbebetrieb vom veräußernden (Mit-)Unternehmer im Umfang seiner Beteiligung an der erwerbenden Gesellschaft faktisch nicht beendet, sondern unter Auflösung der stillen Reserven fortgeführt. Bei der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils an eine Schwester-Personengesellschaft liege letztlich nur die (quotale) Fortführung desselben Mitunternehmeranteils durch den Veräußerer vor; es bleibe insoweit alles beim Alten. Der Vorgang ist mit einer nach Einkommensteuerrecht steuerbegünstigten und nach Gewerbesteuerrecht steuerbefreiten Veräußerung an dritte Personen nicht vergleichbar …“. 2. Hinweise (1) Auch wenn der Begründungsgang – personale Betrachtung bei Veräußerung von Mitunternehmeranteilen als Ausnahme zum Objektsteuercharakter; Unterausnahme und damit Rückkehr zum Grundsatz des Objektsteuercharakters in den Umqualifi kationsfällen des § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG – Beachtung verdient, bleibt m. E. die Schwachstelle, dass aus dem GewStG selbst nicht erkennbar ist, dass die Umqualifi kation nach § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG („gilt“ = Fiktion) auch auf die Ermittlung des Gewerbeertrags durchschlägt. So hat der BFH bspw. mit Urteil vom 2. 2. 1972 – I R 217/6945 entschieden, dass die Teilbetriebsfi ktion des § 16 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 Satz 2 EStG für 100 %-ige Beteiligungen an Ka-
44 So die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucks. 12/5630, S. 58, 80 und BR-Drucks. 612/93, S. 60, 82. 45 BFH, Urt. v. 2. 2. 1972 – I R 217/69, BStBl. II 1972, 470.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer pitalgesellschaften für Zwecke der Gewerbesteuer – mangels ausdrücklicher Anordnung im GewStG – nicht greift.46 (2) Zu bedenken ist hierbei weiterhin, dass die Annahme eines lfd. gewerbesteuerpflichtigen Gewinns bei der Klägerin einen doppelten Durchgriff erfordert (erstens bezüglich ihres Mitunternehmers und zweitens mit Rücksicht auf dessen Beteiligungsquote an der Erwerber-KG). Das Besprechungsurteil behilft sich in diesem Zusammenhang mit der Feststellung, dass in Fällen „objektiven Missbrauchs“ (hier: aufgrund der gesetzlichen Umqualifi kation in einen lfd. Gewinn) ein Durchgriff „stets zulässig sei“. (3) Kempermann (Mitglied des IV. Senats) hat in seiner zustimmenden Urteilsnotiz47 allerdings angemerkt, dass die Sicht des VIII. Senats (Besprechungsurteil) bereits im Urteil des IV. Senats (IV R 5/02, betr. Gewerbesteuerpflicht einer nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägten Personengesellschaft48) vertreten worden sei. Insofern wird man – trotz der vorstehenden Bedenken – die Streitfrage als durch die Rechtsprechung geklärt anzusehen haben. (4) Unter Berücksichtigung von § 7 Satz 2 GewStG n. F. (ab EZ 2002) – Gewerbesteuerpflicht von Veräußerungs- und Aufgabegewinne, soweit nicht natürliche Personen Mitunternehmer sind (s. o.) – wäre nicht nur die Hälfte, sondern der gesamte Veräußerungsgewinn der V-GmbH bei der Klägerin gewerbesteuerpfl ichtig gewesen. Dies folgt – ausgehend von der Rechtsansicht des Besprechungsurteils – aus der kumulativen Anwendung von § 7 Satz 1 GewStG i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 3 EStG und § 7 Satz 2 GewStG n. F. (5) Werden Teile von Mitunternehmeranteilen veräußert, so war der Gewinn/Verlust m. E. bereits vor EZ 2002 Teil des Gewerbeertrags (a. A. aus Gründen des Vertrauensschutzes Finanzverwaltung49). Ab EZ 2002 kann hierüber angesichts der Neuregelungen in § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG kein Zweifel mehr bestehen50.
46 47 48 49 50
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Kritisch auch Gosch, StBp 2004, 307. Kempermann, FR 2004, 1001. FR 2004, 644. Vgl. Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl., § 16 EStG Rz. 410. Siehe auch zur Verlustberücksichtigung Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl., § 16 EStG Rz. 411.
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer
III. Abfärbewirkung bei doppelstöckiger Personengesellschaft – hier: vermögensverwaltende Ober-Gesellschaft; Änderung der Rechtsprechung 1. BFH-Urteil vom 6. 10. 2004 – IX R 53/0151 1.1 Leitsatz Beteiligt sich eine vermögensverwaltende Personengesellschaft (Obergesellschaft) mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft), so hat das nicht zur Folge, dass die gesamten Einkünfte der Obergesellschaft als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten (gegen R 138 Abs. 5 Satz 4 EStR). 1.2 Sachverhalt Die X-KG (= Klägerin = Ober-Personengesellschaft) erzielte private Vermietungseinkünfte (rd. 350 000 DM/jährlich) und war zudem an der gewerblichen A-KG (= Unter-Personengesellschaft) als Kommanditistin beteiligt. Bezogen auf ihre Gesamteinkünfte der Klägerin entfielen auf die Beteiligung an der A-KG rd. 1,16 v. H. (in den Streitjahren zwischen 650 DM und 4170 DM). Frage: Löst die Beteiligung – wie bisher vom BFH angenommen – die Abfärbewirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG mit der Folge insgesamt gewerbesteuerpflichtiger Einkünfte aus? Der IX. Senat verneinte dieses unter Änderung der Rspr. und uneingeschränkter Zustimmung des VIII. Senats sowie – bezogen auf die Konstellation einer vermögensverwaltenden OberPersonengesellschaft – eingeschränkter Zustimmung des IV. Senats (dazu nachfolgend). 1.3 Aus den Gründen „2. Im Ergebnis zutreffend hat das FG die Beteiligung der Klägerin an der A-KG nicht ausreichen lassen, um ihre Einkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in vollem Umfang als solche aus Gewerbebetrieb zu beurteilen. a) Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gilt als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit u.a. einer Kommanditgesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt (…). Diese sog. Abfärbewirkung greift aber nicht ein, wenn eine vermögensverwaltende Handelsgesellschaft, die ledig51 BFH, Urt. v. 6. 10. 2004 – IX R 53/01, BStBl. II 2005, 383.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer lich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt, an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft beteiligt ist. Obschon selbst Mitunternehmerin (BFH-Beschluss in BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691), übt sie keine Tätigkeit i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus, sondern erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Das Gesetz unterscheidet in § 15 Abs. 1 EStG innerhalb der Einkünfte aus Gewerbebetrieb solche aus gewerblichem Unternehmen (Nr. 1) von den Gewinnanteilen der Gesellschafter (Nrn. 2 und 3). § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG erstreckt die Abfärbewirkung nur auf den Fall, in dem die Personengesellschaft „auch eine Tätigkeit im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 ausübt“. Im Gegenschluss folgt hieraus, dass Beteiligungseinkünfte nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG allein keine gewerbliche Prägung zu erreichen vermögen (so schon …; a. A. G. Söffi ng, Finanz-Rundschau −FR− 1994, 805; …; R 138 Abs. 5 Satz 4). b) Auch der Sinn und Zweck der Abfärberegelung rechtfertigt es nicht, § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG über seinen Wortlaut hinaus auf die Fälle auszudehnen, in denen eine Personengesellschaft ihrerseits Beteiligungseinkünfte erzielt. aa) Mit der durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 (StBereinG 1986) vom 19. 12. 1985 (BGBl. I 1985, 2436, BStBl. I 1985, 735) in das Einkommensteuergesetz eingefügten Norm sollte die aufgrund langjähriger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des BFH geltende Rechtslage gesetzlich verankert werden (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/3663, S. 8). Jene damals auf § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) a. F. gestützte Rechtsprechung wollte zunächst die erheblichen Schwierigkeiten vermeiden, mit denen die Ermittlung von Einkünften unterschiedlicher Einkunftsarten ein und derselben Gesellschaft verbunden wäre (vgl. BFHUrteil vom 10. 11. 1983 − IV R 86/80, BFHE 140, 44, BStBl. II 1984, 152, unter Hinweis auf Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz 1925, § 29 Anm. 30). Bei Beteiligungseinkünften kommt es zu diesen Schwierigkeiten nicht: Der Gewinnanteil der Obergesellschaft am Gesamtgewinn der Untergesellschaft wird im Rahmen der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der Untergesellschaft ermittelt und den Obergesellschaftern als „mittelbaren Mitunternehmern“ der Untergesellschaft (Niehus, FR 2002, 977, 980) unmittelbar zugerechnet. Das geschieht unabhängig von der Ermittlung der Einkünfte des restlichen Tätigkeitsbereichs der Obergesellschaft. Eine gewerbliche Prägung dieser Einkünfte, die ohnedies gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bilden, führte wegen der damit verbundenen Buchführungspflicht zu − die Obergesellschaft belastenden − zusätzlichen Erschwernissen. 86
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer bb) Ferner soll die Regelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG verhindern, dass infolge unzureichender Abgrenzungsmöglichkeiten zwischen den verschiedenen Tätigkeiten einer Gesellschaft gewerbliche Einkünfte der Gewerbesteuer entzogen werden (so BFH-Urteil vom 30. 8. 2001 − IV R 43/00, BFHE 196, 511, BStBl. II 2002, 152, m. w. N.). Bei Beteiligungseinkünften der hier vorliegenden Art ist das Gewerbesteueraufkommen aber nicht gefährdet. Die Gewinnanteile an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG werden bei einer doppelstöckigen Gesellschaft gewerbesteuerrechtlich als Ertrag der Untergesellschaft erfasst (vgl. auch Niehus, FR 2002, 977, 981). Bei der Obergesellschaft (hier: der Klägerin) würde die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen nach § 9 Nr. 2 GewStG um die Anteile am Gewinn der Untergesellschaft gekürzt, wenn es zu einer Abfärbewirkung käme. Gerade die Einkünfte, die auf andere Einkünfte der Gesellschaft abfärben sollen, würden sich wegen der Kürzung gewerbesteuerrechtlich nicht auswirken. Der Senat überträgt damit den Gedanken, den der IV. Senat (in BFHE 196, 511, BStBl. II 2002, 152) zu der die Gewerbesteuerfreiheit umfassenden „Abfärbung“ entwickelt hat, auf die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 2 GewStG. Weil sich die Gewinnanteile an der Untergesellschaft bei der Obergesellschaft gewerbesteuerlich nicht auswirken, können allein diese Einkünfte nicht zu einer Umqualifi zierung der ansonsten erzielten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung führen. Auch hier gilt: Eine Gewerbesteuerpflicht, die nicht besteht, kann auch nicht gefährdet werden. c) Eine Umqualifi zierung der Vermietungseinkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ist auch nicht erforderlich, um zu gewährleisten, dass die Obergesellschaft ihre als Mitunternehmerin der Untergesellschaft erzielten gewerblichen Einkünfte weiterleiten kann (so aber BFH-Urteil vom 8. 12. 1994 − IV R 7/92, BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264). Die Obergesellschaft kann Einkünfte in unterschiedlichen Einkunftsarten erzielen und als solche an ihre Gesellschafter weiterleiten. Dies ist nicht zuletzt Folge der Entscheidung des XI. Senats des BFH, die bei einem äußerst geringfügigen gewerblichen Anteil an der Gesamttätigkeit i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG eine „Abfärbung" abgelehnt hat (BFH-Urteil in BFHE 189, 419, BStBl. II 2000, 229). d) Ist damit der Einfluss der gewerblichen Beteiligungseinkünfte auf die nicht gewerblichen Einkünfte der Personengesellschaft sachlich nicht geboten, so ist die Ungleichbehandlung der Personengesellschaft im Verhältnis zu einem einzelnen Steuerpfl ichtigen mit unterschiedlichen Einkünften nicht gerechtfertigt. Allein die am Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG orientierte Auslegung entspricht folglich dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Denn wegen der Abfärbung 87
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer der Beteiligungseinkünfte würden ansonsten Überschusseinkünfte aus Vermögensverwaltung zu gewerblichen Einkünften mit der Folge, dass Veräußerungsgewinne steuerbar wären, die bei den Überschusseinkünften nicht der Einkommensteuer unterlägen (vgl. dazu auch Schulze-Osterloh in der Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 1997, 531, 534 f.). 3. Nach diesen Grundsätzen hat die Vorentscheidung Bestand; das FG hat nach den oben entwickelten Maßstäben zutreffend die Einkünfte der Klägerin als solche aus Vermietung und Verpachtung qualifi ziert und eine gewerbliche Prägung durch die Beteiligungseinkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG abgelehnt. 4. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691 ab; denn diese Entscheidung verhält sich nicht zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG (so auch Döllerer, DStR 1991, 1277; Anmerkung zum Beschluss des Großen Senats vom 25. 2. 1991 − GrS 7/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1991, 400). Der Senat weicht aber vom Urteil des IV. Senats in BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264 ab. Der IV. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er der Abweichung von seinem Urteil mit der Maßgabe zustimmt, dass die Einkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (Obergesellschaft) aus der Beteiligung an einer anderen, gewerblich tätigen Personengesellschaft (Untergesellschaft) nicht zur Gewerblichkeit der gesamten Einkünfte der Obergesellschaft führen. Der VIII. Senat hat auf Anfrage einer Abweichung von seinem Urteil vom 18. 4. 2000 − VIII R 68/98 (BFHE 192, 100, BStBl. II 2001, 359) zugestimmt.“ 2. Zustimmungsbeschluss vom 6. 11. 2003 – IV ER -S- 3/0352 2.1 Leitsatz 1. Der IV. Senat des BFH stimmt der Auffassung des IX. Senats zu, wonach die Einkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft (Obergesellschaft) aus der Beteiligung an einer anderen, gewerblich tätigen Personengesellschaft (Untergesellschaft) nicht zur Gewerblichkeit der gesamten Einkünfte der Obergesellschaft führen (…). 2. Mit dieser Zustimmung gibt der IV. Senat des BFH seine bisherige Rechtsprechung nicht auf, wonach die Beteiligung einer betrieblichen, im Urteilsfall landwirtschaftlichen Personengesellschaft (Obergesellschaft) an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft (Untergesellschaft) zur Folge hat, dass die gesamten Einkünfte der Obergesellschaft zu Einkünften 52 BFH v. 6. 11. 2003 – IV ER – S – 3/03, BStBl. II 2005, 376.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer aus Gewerbebetrieb werden (Senatsurteil vom 8. 12. 1994 − IV R 7/92, BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264). 2.2 Gründe „1. Obwohl das Senatsurteil vom 8. 12. 1994 − IV R 7/92 (BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264) die Beteiligung einer landwirtschaftlich tätigen Personengesellschaft an einer gewerblich tätigen anderen Personengesellschaft betraf, beziehen die Entscheidungsgründe ausdrücklich auch die vermögensverwaltende Obergesellschaft in die Erwägungen zur Umqualifi zierung nicht gewerblicher Einkünfte durch die gewerblichen Beteiligungseinkünfte ein. Der Senat hält dies angesichts der zwischenzeitlichen Entwicklung der Rechtsprechung nicht mehr für zwingend und stimmt dem IX. Senat daher in dessen Beurteilung zu, wonach eine vermögensverwaltende Personengesellschaft außer ihren originären Einkünften auch gewerbliche Beteiligungseinkünfte erzielen und diese ohne Auswirkung auf ihre übrigen Einkünfte an ihre Gesellschafter weiterleiten kann. 2. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) kommt eine Abfärbung nur dann in Betracht, wenn die Personengesellschaft auch eine Tätigkeit i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausübt. Es genügt nach dem Gesetzeswortlaut nicht, wenn sie lediglich Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erzielt. Darüber hat sich der Senat in seinem Urteil in BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264 bewusst hinweggesetzt, weil er meinte, andernfalls der systematischen Struktur des § 15 EStG nicht gerecht zu werden. Er meinte, eine vermögensverwaltende Obergesellschaft könne − wenn man die Abfärbewirkung verneine − die Einkünfte aus der Beteiligung an der Untergesellschaft nicht weiterleiten, weil ihre Gesellschafter an ihr nicht − wie es § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfordere − mitunternehmerisch beteiligt seien. Dass die Obergesellschafter unmittelbare Mitunternehmer der Untergesellschaft seien, habe der Große Senat in seinem Beschluss vom 25. 2. 1991 − GrS 7/89 (BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691) ausgeschlossen. 3. Wäre diese Auslegung des Beschlusses des Großen Senats zwingend, könnte die nunmehr vom IX. Senat befürwortete Lösung nicht auf das Urteil des BFH vom 11. 8. 1999 − XI R 12/98 (BFHE 189, 419, BStBl. II 2000, 229) gestützt werden (so aber IX. Senat …). Auch wenn man davon ausgeht, dass aufgrund dieses Urteils die geringfügigen gewerblichen Einkünfte der sowohl gewerblich als auch freiberuflich tätigen Gesellschaft als solche an die Gesellschafter weitergeleitet werden, lässt sich hieraus für die Abfärbewirkung bei der doppelstöckigen Personengesellschaft nichts herleiten. In dem Fall, der dem Urteil in BFHE 189, 419, BStBl. II 2000, 229 zugrunde lag, waren die Gesellschafter Mitunternehmer der weiterleitenden (einstö89
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer ckigen) Gesellschaft, und zwar nicht nur deshalb, weil diese in erster Linie freiberufliche Einkünfte erzielte. Auch wenn eine Hausverwaltungsgesellschaft in geringem Umfang gewerbliche Einkünfte erzielt, sind insoweit ihre Gesellschafter Mitunternehmer. 4. Der Senat hält jedoch die Auslegung des Beschlusses des Großen Senats, wie sie seinem Urteil in BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264 zugrunde liegt, nicht mehr für zutreffend. a) Der Große Senat rechtfertigt seine Auffassung, dass eine GbR Gesellschafter einer Untergesellschaft sein kann damit, dass der wirtschaftliche Gehalt der Betätigung von Personenhandelsgesellschaften und mitunternehmerisch tätigen GbR keine grundsätzlichen Unterschiede aufweise (C.IV., vierter Absatz BStBl. II 1991, 702, re.Sp.). Unter einer „mitunternehmerisch tätigen GbR“ ist eine Gesellschaft zu verstehen, die ihrerseits Einkünfte i. S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt und deren Gesellschafter somit Mitunternehmer sind. So verstanden ließe sich annehmen, dass eine vermögensverwaltende Gesellschaft nicht Obergesellschafterin sein kann mit der Folge, dass ihre Gesellschafter Mitunternehmer der gewerblich tätigen Untergesellschaft sein können. b) Hiergegen spricht nur, dass sich in der Entscheidung des Großen Senats − zwei Absätze weiter − folgender missverständliche Satz findet: „Kann aber eine GbR i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG Gesellschafterin einer anderen Personengesellschaft sein, so ist sie in den Fällen der hier zu beurteilenden Art (GbR als Obergesellschaft einer − gewerblich tätigen − Personengesellschaft) auch mitunternehmerisch tätig. Das folgt schon aus ihrer Stellung als Mitglied einer gewerblich tätigen Personengesellschaft." c) Wollte man diesen Satz dahin verstehen, dass auch eine vermögensverwaltende GbR − wegen ihrer Mitunternehmerstellung − „mitunternehmerisch tätig" sei, enthielte der Satz einen Zirkelschluss. Die Möglichkeit, dass die GbR (unter Ausschluss der Obergesellschafter) Mitunternehmerin der Untergesellschaft sein kann, würde damit begründet, dass sie Mitunternehmerin ist. Der Große Senat hat das nach Auffassung des beschließenden Senats aber nicht gemeint. Das folgt daraus, dass auch in dem vorstehend zitierten Passus vorausgesetzt wird, dass nur eine „GbR i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG“ Gesellschafterin einer anderen Personengesellschaft sein kann − also nur eine Gesellschaft, deren Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind. Das ist bei einer vermögensverwaltenden Gesellschaft aber nicht der Fall. d) Für diese einschränkende Auslegung spricht auch der Umstand, dass es in dem Fall, der der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691 zugrunde lag, darum ging, ob eine mitunternehme90
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer rische GbR Gesellschafterin einer anderen Personengesellschaft sein kann. e) Es ist nicht feststellbar, dass der BFH bisher einmal der Zwischenschaltung einer vermögensverwaltenden GbR Sperrwirkung zuerkannt hätte. Für die Möglichkeit eines Durchgriffs durch die vermögensverwaltende GbR sprechen dagegen zwei BFH-Urteile. Im Urteil vom 7. 3. 1996 − IV R 2/92 (BFHE 180, 121, BStBl. II 1996, 369) hat der beschließende Senat entschieden, dass die Grundstücksaktivitäten zweier personenidentischer vermögensverwaltender Personengesellschaften in einem einzigen Gewinnfeststellungsverfahren zusammengefasst werden dürfen. Im Urteil vom 9. 5. 2000 − VIII R 41/99 (BFHE 192, 273, BStBl. II 2000, 686) hat der VIII. Senat an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten, der zufolge Beteiligungen einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft an Kapitalgesellschaften den Gesellschaftern der Personengesellschaft für die Bestimmung des Veräußerungstatbestands nach § 17 EStG anteilig zuzurechnen sind (sog. Bruchteilsbetrachtung). 5. a) Der beschließende Senat sieht derzeit keine Notwendigkeit, seine Rechtsprechung in BFHE 176, 555, BStBl. II 1996, 264 aufzugeben, soweit sie die Beteiligung einer mitunternehmerschaftlichen (landwirtschaftlich tätigen) Personengesellschaft an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft betrifft. In jenem Fall führte die gewerbliche Prägung der land- und forstwirtschaftlichen Einkünfte zwar zu einer Gewerbesteuerbelastung auch der bisherigen landwirtschaftlichen Erträge, nicht aber zu einer neuen Buchführungspflicht oder zu einer Steuerverstrickung der Wirtschaftsgüter der Obergesellschaft, wie dies bei einer vermögensverwaltenden Personen-(ober-)gesellschaft der Fall wäre; die Wirtschaftsgüter der Obergesellschaft gehören auch ohne die Beteiligung bereits zum Betriebsvermögen des landwirtschaftlichen Unternehmers. Wollte man in diesen Fällen die Abfärbewirkung bei der Obergesellschaft verneinen, könnten sich Schwierigkeiten ergeben, wenn die Obergesellschaft ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG oder § 13a EStG ermittelt. b) Für eine unterschiedliche Behandlung vermögensverwaltender Obergesellschaften einerseits und Obergesellschaften mit Gewinneinkünften andererseits spricht schließlich auch die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Der Gesetzgeber schien zunächst davon auszugehen, dass die gesetzliche Fassung der sog. Abfärberegelung nur betriebliche und nicht auch vermögensverwaltende Personengesellschaften erfassen sollte. Im Entwurf eines Gesetzes zur vordringlichen Regelung von Fragen der Besteuerung von Personengesellschaften heißt es (BT-Drucks 10/3663, 8, li.Sp.): „Absatz 3 Nr. 1 entspricht der bisher in § 2 Abs. 2 Nr. 1 GewStG enthaltenen, aber auch für die Einkommensteuer geltenden (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 10. 11. 1983, BStBl. II 1984, 152) Regelung, wonach bei offenen 91
Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Handelsgesellschaften, Kommanditgesellschaften und anderen Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen sind, die gesamte Tätigkeit als Gewerbebetrieb gilt, wenn die Gesellschaft neben anderen Tätigkeiten auch eine gewerbliche Tätigkeit ausübt.“ Bei diesem eingeschränkten Anwendungsbereich der gesetzlichen Abfärberegelung würde sich die im Fall einer gewerblichen Betätigung (auch) bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften anzunehmende Abfärbung aus der bisherigen Rechtsprechung zu dieser Frage herleiten“. 3. Hinweise (1) Die Rechtsprechungsänderung ist zwar erwartungsgemäß – wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung – auf Zustimmung gestoßen.53 Gleichwohl kann ihr m. E. nicht gefolgt werden.54 Sie widerspricht vor allem dem BFH-Beschluss vom 3. 5. 1993 – GrS 3/9255, BStBl. II 1993, 616, 621 (zu § 10a GewStG), nach dem der grundsätzliche Widerstreit zwischen Einheit der Personengesellschaft und Vielheit der Gesellschafter wie folgt zu lösen ist (Hervorhebungen durch Verfasser): „Die Begriffe ‚Unternehmer‘ und ‚Mitunternehmer‘ sind gleichrangig. Auch der Mitunternehmer ist ein Unternehmer des Betriebs. Der Mitunternehmer unterscheidet sich vom Einzelunternehmer dadurch, dass er seine unternehmerische Tätigkeit nicht allein, sondern zusammen mit anderen (Mit-)Unternehmern in gesellschaftlicher Verbundenheit ausübt. Daraus folgt, dass bei Personenhandelsgesellschaften nicht anders als bei den sonstigen Personengesellschaften die Gesellschafter, die Mitunternehmerrisiko tragen und Mitunternehmerinitiative ausüben können, die Unternehmer des Betriebs der Personengesellschaft sind. … Weil die Gesellschafter die Mitunternehmer des Betriebs sind, der Betrieb auf ihre Rechnung und auf ihre Gefahr geführt wird, werden ihnen die Ergebnisse, Gewinn und Verlust, der gemeinschaftlichen Tätigkeit anteilig als originäre eigene Einkünfte zugerechnet. Von diesem Gesetzesverständnis ist auch der vorlegende Senat … ausgegangen“. Folge dieses dogmatischen Grundverständnisses – Mitunternehmer erzielt in Verbindung mit den andern Mitunternehmern originär gewerbliche Einkünfte – ist nicht nur, dass die Rechtsgrundlage für den Ansatz von Sonderbetriebsvermögen nicht in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG, sondern 53 Heuermann, DB 2004, 2548; Demuth, KÖSDI 2005, 14486, 14496; Gosch, StBp 2005, 59; Kratzsch, INF 2005, 378; Hallerbach, FR 2005, 792. 54 Gl. A. Fischer, FR 2005, 143. 55 BFH, Beschl. v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616, 621.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer in § 4 EStG zu sehen und der Mitunternehmer selbst auch Träger des Verlustabzugs nach § 10a GewStG ist.56 Aus dieser prinzipiellen Sicht ist ferner abzuleiten, dass entgegen der Ansicht in den Besprechungsentscheidungen allein aufgrund der Beteiligung (einer Ober-Personengesellschaft) an einer gewerblichen (Unter-)Personengesellschaft eine gewerbliche Tätigkeit i. S. v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG entfaltet wird und damit die Abfärbewirkung bereits nach dem aktuellen Gesetzeswortlaut zu bejahen ist; anders ausgedrückt: jedenfalls § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 EStG hat lediglich deklaratorische Bedeutung.57 Nur diese Sicht entspricht zudem der ständigen Rspr. des I. Senats58, nach der die Beteiligung einer steuerbefreiten Körperschaft an einer gewerblichen Personengesellschaft einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb begründet (keine Körperschaftsteuerbefreiung; vgl. darüber hinaus zur abkommensrechtlichen Beurteilung der Betriebsstätten einer Personengesellschaft als Betriebsstätten der einzelnen Gesellschafter BFH vom 16. 10. 2002 – I R 17/0159 m. w. N.). (2) M. E. besteht auch keine Veranlassung, dieses Wortlautergebnis im Wege einer teleologischen Reduktion zu korrigieren. Die hiervon abweichenden Erwägungen des IX. Senats vermögen m. E. nicht zu überzeugen60, da weder die Gefahr der Vermögensvermischung noch die Gefahr des Entzugs von Gewerbesteuer-Substrat durch das Feststellungsverfahren betr. die UnterPersonengesellschaft gebannt werden (Beispiel: Überlassung des Teils eines Grundstücks der Ober-Personengesellschaft an die Unter-Personengesellschaft; anteiliger Ansatz von Beteiligungsaufwendungen). Einfacher ausgedrückt: Zweistufige Feststellungsverfahren haben keine höhere Richtigkeitsgewähr als einstufige. (3) Soweit das Besprechungsurteil die bei Personengesellschaften zu beachtende Abfärbewirkung als gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt einstuft, ist darauf hinzuweisen, dass das BVerfG erst jüngst die Verfassungsmäßigkeit des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ausdrücklich bestätigt und hierbei zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es den Beteiligten freistehe, die nicht gewerblichen Tätigkeiten in Parallelgesellschaften auszugliedern.61 (4) Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Urteilsgrundsätze unabhängig von der Höhe der Beteiligungseinkünfte greifen.62 Gleiches wird weiterhin dann 56 So BFH, Beschl. v. 3. 5. 1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616, 621. 57 Insoweit gl. A. mit ausführlicher Darstellung Blumers/Goerg, DStR 2005, 397; zur Reaktion der Finanzverwaltung s. u. 58 BFH v. 27. 3. 2001 – I R 78/99, BStBl. II 2001, 449. 59 BFH v. 16. 10. 2002 – I R 17/01, BStBl. II 2003, 631, 635. 60 A. A. Kratzsch, INF 2005, 378, 382; Blumers/Goerg, DStR 2005, 397, 401. 61 BVerfG, Beschl. v. 26. 10. 2004 – 2 BvR 246/98, BFH/NV 2005, 269; a. A. mit ausführlicher Begründung FG Niedersachsen, FR 2005, 690. 62 Gl. A. Hallerbach, FR 2005, 792, 795.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer gelten, wenn die Ober-Personengesellschaft z. B. Grundstücke an die UnterPersonengesellschaft vermietet (= SBV bei der Unter-Personengesellschaft). (5) Letzteres führt zu dem in systematischer Hinsicht nur schwer hinnehmbaren Wertungswiderspruch, dass in der Konstellation einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung (= Schwester-Personengesellschaft = Gleichordnungskonzern) die Abfärbewirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG bei der Besitz-Personengesellschaft wie bisher – d. h. ungeachtet der geänderten Rspr. zum Überordnungskonzern – zu bejahen ist.63 Dies gilt auch mit Rücksicht darauf, dass auf der Grundlage der geänderten Rspr. allein die Einbringung der Mitunternehmeranteile an der Betriebs-Personengesellschaft (= neue Unter-Personengesellschaft) in die Besitz-Personengesellschaft (= neue Ober-Personengesellschaft) regelmäßig zum Anfall eines laufenden Gewinns führen wird (kein Betriebsaufgabetatbestand, da vermietete WG der bisherigen Besitz-Personengesellschaft zu Buchwerten in das Sonderbetriebsvermögen der Unter-Personengesellschaft gelangen; Ausweg: vorherige Prägung des Besitzunternehmens). Wird umgekehrt vorgegangen (Einbringung der Besitz-Personengesellschaft = neue Unter-Personengesellschaft in Betriebs-Personengesellschaft = neue Ober-Personengesellschaft), behalten sämtliche WG des vormaligen Besitzunternehmens ihren betrieblichen Status. Fazit somit: Nur in der Konstellation des Überordnungskonzerns (Ober-Personengesellschaft-Unter-Personengesellschaft) kann die (Ober-)Personengesellschaft über einen nicht der Abfärbewirkung unterfallenden Bereich verfügen. Ein solches „Sonderrecht“ lädt selbstverständlich zu Gestaltungen ein, hält aber – wie aufgezeigt – auch Fallstricke bereit. (5) Des Weiteren sind die Folgerungen der Rspr.-Korrektur für die Einbeziehung von Sondervergütungen und des Sonderbetriebsvermögen der OberGesellschafter in die Einkünfte der Unter-Personengesellschaft nicht geklärt (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Dies hängt damit zusammen, dass nach Ansicht des IX. Senats auch die vermögensverwaltende Ober-Personengesellschaft Mitunternehmerin der Unter-Personengesellschaft ist64, nach Ansicht des IV. Senats hingegen ein Durchgriff durch die vermögensverwaltende Ober-Personengesellschaft geboten ist mit der Folge, dass die Ober-Gesellschafter selbst unmittelbare Mitunternehmer (fraglich allerdings, ob auch Feststellungsbeteiligte) der Unter-Personengesellschaft sind. Gerade wenn man mit dem IX. Senat die Ober-Gesellschafter weiterhin als nur mittelbare Mitunternehmer der Unter-Personengesellschaft qualifi63 Insoweit gl. A. Kratzsch, INF 2005, 378, 383. 64 M. E. zutreffend; vgl auch Rspr. des BGH zur Gesellschafter-Eigenschaft von GbR.
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer ziert, dürfte der Tatbestand des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht erfüllt sein, weil die Ober-Personengesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung an der Unter-Personengesellschaft keinen Betrieb unterhält (s. Urteilgründe).65 (7) Die Gesamtimplikationen der Rechtsprechungsänderung sind über die bereits genannten Punkte hinaus im Schrifttum bisher nur ansatzweise aufgezeigt worden. Deshalb hierzu nur einige – notwendigerweise gleichfalls unvollständige – Hinweise: – Offen ist zum einen, ob der BFH an der Abfärbewirkung im Falle des Zusammentreffens von luf und/oder freiberuflichen Einkünfte einerseits und gewerblichen Beteiligungseinkünfte andererseits festhalten wird (vgl. Zustimmungsbeschluss des IV. Senats66). – Offen ist ferner, ob die Veräußerung des Mitunternehmeranteils durch die Ober-Personengesellschaft der Regelung des § 7 Satz 2 GewStG untersteht oder ob hierbei auf die Mitunternehmer der Ober-Gesellschaft abzustellen ist (vgl. oben zu Hinweis 667). – Geklärt dürfte nach dem Besprechungsurteil hingegen sein, dass die bloße Beteiligung an der Unter-Personengesellschaft auch im Rahmen von § 14 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KStG n. F. zu keiner „gewerbliche Tätigkeit i. S. v. § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 1 EStG“ führt und deshalb auch nicht geeignet ist, die Organträgereigenschaft der Ober-Personengesellschaft (im Verhältnis zu Organ-Kapitalgesellschaft) zu begründen.68 – Als besonders gravierend könnte sich schließlich die Konstellation erweisen, dass – auf der Grundlage der bisherigen Rspr. – WG zu Buchwerten in die (vermeintlich gewerbliche) Ober-Personengesellschaft überführt wurden. Dem ist nunmehr die Grundlage entzogen, so dass sich die Frage nach der Gewinnrealisierung und, sofern die Bescheide für das Übertragungsjahr bereits bestandskräftig sind, die Frage nach dem Erlass von Änderungsbescheiden gem. § 174 Abs. 3 AO stellt. Letzteres ist dem Rechtsanwender aus der Diskussion um die regelmäßig nicht mehr geprägte GmbH & Co. GbR bekannt.69 Zu weiteren Übergangsfragen vgl. Hallerbach70 und Kratzsch71. Zu den Auswirkungen auf Private Equity
A. A. Heuermann, DB 2004, 2548; Hallerbach, FR 2005, 792, 796. Ablehnend Kratzsch, INF 2005, 378, 382. Vgl. Blumers/Goerg, DStR 2005, 397, 402. A. A. aber Hageböke/Heinz, Der Konzern 2005, 228; Blumers/Goerg, DStR 2005, 397. 69 Vgl. dazu ablehnend Wacker in Schmidt, 24. Aufl., EStG, § 15 EStG Rz. 227; BFH, Beschl. v. 27. 1. 2004 – X B 116/03, BFH/NV 2004, 913: AdV. 70 Hallerbach, FR 2005, 792, 795 f. 71 Kratzsch, INF 2005, 378, 383.
65 66 67 68
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Wacker, Personengesellschaften und Gewerbesteuer Fonds – einschl. sog. Dachfonds – vgl. Plewka/Schienke72: u. U. Abkehr von BMF-Schr. v. 16. 12. 200373 (s. aber nachfolgend). (8) Das BMF hat mit Schreiben vom 18. 5. 200574 angeordnet, das Besprechungsurteil über den entschiedenen Fall hinaus nicht anzuwenden; zugleich hat es eine Gesetzesänderung – im Sinne der bisherigen Beurteilung von Rechtsprechung und Verwaltung – angekündigt.
72 Plewka/Schienke, DB 2005, 1076. 73 BMF, Schr. v. 16. 12. 2003, BStBl. I 2004, 40 – Rz. 17. 74 BMF, Schr. v. 18. 5. 2005, BStBl. I 2005, 698.
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Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften nach den Erlassen der Finanzverwaltung Dr. Martin Strahl Steuerberater, Köln Inhaltsübersicht I. Hinweise zur unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens zu § 6 Abs. 3 EStG 1. Tatbestandsvoraussetzungen der unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten gemäß § 6 Abs. 3 EStG 1.1 Übertragung sämtlicher wesentlicher Betriebsgrundlagen in funktionaler Hinsicht 1.2 Rechtsfolgen einer steuerschädlichen Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen 1.3 Irrelevanz des Gesamtplangedankens 1.3.1 Initialentscheidung zum steuerschädlichen Gesamtplan und Ausdehnung auf andere Steuerrechtsfragen 1.3.2 Problematik der Bestimmung des „engen zeitlichen Zusammen hangs“ 1.3.3 Mangelnde Übertragbarkeit des Gesamtplangedankens auf die Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge 2. Unentgeltliche Aufnahme eines Nachfolgers 3. Unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmerteilanteils
4. II.
1. 2.
3.
III.
3.1 Unterquotale Übertragung des Sonderbetriebsvermögens 3.2 Überquotale Übertragung des Sonderbetriebsvermögens Folgeproblematik „mitunternehmerische Betriebsaufspaltung“ Kapitalkonten der Personengesellschaft unter Berücksichtigung des BMFSchreibens vom 26. 11. 2004 Abgrenzung Auswirkung auf die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens und auf Fälle des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG 2.1 Auswirkung auf die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens 2.2 Auswirkung auf Fälle der Übertragung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG Auswirkung auf die steuerneutrale Aufnahme eines Gesellschafters in ein bestehendes Einzelunternehmen oder eine bestehende Mitunternehmerschaft Steuerneutrale Übertragung begünstigter Wirtschaftsgüter gemäß § 6b EStG unter Berücksichtigung der Rückkehr zur gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 1. Übertragung stiller Reserven in gesellschafterbezogener Betrachtungsweise
2. Problematik Teilentgeltlichkeit 3. Buchhalterische Darstellung und Problematik des § 15a EStG
I. Hinweise zur unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens zu § 6 Abs. 3 EStG 1. Tatbestandsvoraussetzungen der unentgeltlichen Übertragung betrieblicher Einheiten gemäß § 6 Abs. 3 EStG Die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs, eines Teilbetriebs oder des Anteils an einer Mitunternehmerschaft ist nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zwingend zu Buchwerten vorzunehmen. Bei dem Übertragenden entsteht infolgedessen kein Veräußerungsgewinn, während der Vermögensübernehmer die Buchwerte fortzuführen hat. Das Telos der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG besteht darin, einen unbesteuerten interpersonellen Transfer unrealisierter stiller Reserven im Hinblick auf die Fortführung betrieblicher Einheiten zu tolerieren. Danach soll die unentgeltliche Überleitung unter Durchbrechung des subjektbezogenen Einkünftebegriffs zu Buchwerten erfolgen, um den Fortbestand von betrieblichen Einheiten nicht zu gefährden.1 Die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG gründet im Übermaßverbot.2 Nach den Änderungen durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz hat § 6 Abs. 3 EStG mit Wirkung ab dem 1. 1. 2001 den folgenden Wortlaut: „1Wird ein Betrieb, ein Teilbetrieb oder der Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb unentgeltlich übertragen, so sind bei der Ermittlung des Gewinns des bisherigen Betriebsinhabers (Mitunternehmers) die Wirtschaftsgüter mit den Werten anzusetzen, die sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergeben; dies gilt auch bei der unentgeltlichen Aufnahme einer natürlichen Person in ein bestehendes Einzelunternehmen sowie bei der unentgeltlichen Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils auf eine natürliche Person. 2Satz 1 ist auch anzuwenden, wenn der bisherige Betriebsinhaber (Mitunternehmer) Wirtschaftsgüter, die weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehören, nicht überträgt, sofern der Rechtsnachfolger den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußert oder aufgibt. 3Der Rechtsnachfolger ist an die in Satz 1 genannten Werte gebunden.“
1 Vgl. Gratz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 1333 m. w. N. (Stand: Mai 2004). 2 Vgl. Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 16 EStG Rz. B 80 (Stand: Mai 1991); Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommenssteuer, 1981/88, S. 363.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 1.1 Übertragung sämtlicher wesentlicher Betriebsgrundlagen in funktionaler Hinsicht Die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils erfolgt nur dann nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zu Buchwerten, wenn sämtliche in funktionaler Hinsicht wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Rechtsnachfolger übergehen.3 Soll ein Mitunternehmeranteil unentgeltlich zu Buchwerten übertragen werden, ist insoweit bedeutsam, dass sich dieser aus dem Anteil am Gesamthandsvermögen und dem Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters zusammensetzt.4 Erforderlich für die Buchwertfortführung ist bei der unentgeltlichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils infolgedessen auch die Übertragung des Sonderbetriebsvermögens. Nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehören Barmittel,5 Forderungen6 und Verbindlichkeiten.7 Diese Wirtschaftsgüter können infolgedessen vom Übertragenden zurückbehalten werden, ohne dass dies der Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG entgegensteht.8 Auch gewillkürtes Betriebsvermögen wird generell als funktional unwesentlich eingestuft werden können.9 Anteile an einer Komplementär-GmbH sind allenfalls dann funktional wesentlich, wenn sie die Einflussnahme auf die Geschäftsführung stärken.10 Bei freiberuflich Tätigen sind auch Wirtschaftsgüter, die zur Praxiseinrichtung zählen (Geräte, Ausstattungsgegenstände, EDV-Programme), auf Grund der überragenden Bedeutung des Pra-
3 Vgl. BFH, Beschl. v. 31. 8. 1995 – VIII B 21/93, BStBl. II 1995, 890, 893 m. w. N. 4 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 3. 1991 – VIII R 76/87, BStBl. II 1991, 635, 636; v. 24. 8. 2000 – IV R 51/98, BFH/NV 2000, 1554; v. 12. 4. 2000 – XI R 35/99, BStBl. II 2001, 26. 5 Vgl. BFH, Urt. v. 24. 1. 1973 – I R 156/71, BStBl. II 1973, 219, 220; Schulze zur Wiesche, Stbg 2003, 53, 55. 6 Vgl. BFH, Urt. v. 13. 9. 2001 – IV R 13/01, BStBl. II 2002, 287; Schmitt in Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 4. Aufl. 2006, § 20 UmwStG Rz. 21; Stegemann, INF 2005, 344, 345. 7 Vgl. Patt in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG n. F. Rz. 96 (Stand: Februar 2004). 8 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 8. 9 Vgl. auch Kanzler in Festschrift Korn, 2005, S. 287, 292; Wendt, FR 2005, 468, 470, mit dem Hinweis, Ausnahmen seien denkbar (etwa der einzige, zugleich auch intensiv privat genutzte Pkw eines Handelsvertreters) – fraglich ist, ob insoweit nicht notwendiges Betriebsvermögen vorliegt. 10 Vgl. Wendt, FR 2005, 468, 471; Kai, DB 2005, 974, 976; Geck, ZEV 2005, 196, 197; abwägend Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 448, 450 m. w. N.; Stegemann, INF 2005, 344, 345; a. A. OFD Münster, Vfg. v. 10. 9. 2002 – S 2242-21-St 1232b, DStR 2002, 1860 (wesentliche Betriebsgrundlage, ohne Begründung).
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften xiswerts für die freiberufliche Tätigkeit nicht als funktional wesentliche Betriebsgrundlagen einzustufen, wenn sie austauschbar sind.11 Problematisch ist demgegenüber eine etwa aus Gründen der Alterssicherung beabsichtigte Zurückbehaltung der zum Betriebsvermögen rechnenden Grundstücke. Es handelt sich bei ihnen nach herrschendem Verständnis regelmäßig um in funktionaler Hinsicht wesentliche Betriebsgrundlagen.12 – Etwas anderes könnte allenfalls für sog. „Allerweltsgebäude“ gelten, die nicht eigens für die Büro- oder Praxiszwecke hergerichtet sind.13 Sollen Grundstücke zurückbehalten werden, dräut grundsätzlich die Gefahr, dass die unentgeltliche Betriebsübertragung nicht § 6 Abs. 3 EStG zu subsumieren ist, sondern die stillen Reserven aufzudecken sind. 1.2 Rechtsfolgen einer steuerschädlichen Zurückbehaltung wesentlicher Betriebsgrundlagen Werden in funktionaler Hinsicht wesentliche Betriebsgrundlagen zu Buchwerten zurückbehalten (etwa weil mit ihnen eine andere betriebliche Tätigkeit ausgeübt wird), ist nach h. M. ein begünstigter Vorgang nach § 6 Abs. 3 EStG nicht gegeben.14 Es sind dann die stillen Reserven aller an den Vermögensübernehmer übertragenen Wirtschaftsgüter zu realisieren. Der insoweit entstehende Gewinn ist nicht nach § 16 in Verb. mit § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG im Rahmen der außerordentlichen Einkünfte zu erfassen, weil nicht die stillen Reserven sämtlicher (hier in funktional-quantitativer Betrachtungsweise zu bestimmender) wesentlicher Betriebsgrundlagen aufgedeckt
11 Vgl. ähnlich Korn in Korn, EStG, § 18 EStG Rz. 108 (Stand: Februar 2004) mit Verweis auf FG Düsseldorf, Urt. v. 6. 3. 1985 – VIII/XV 362/79 E, EFG 1985, 449 (rkr.), wonach es der Aufgabe einer Zahnarztpraxis nicht entgegensteht, wenn der bisherige Praxisinhaber Inventar, Instrumente und Material in eine andere Praxis überführt, in der er seine berufl iche Tätigkeit fortsetzt. 12 Vgl. dazu BFH, Urt. v. 23. 5. 2000 – VIII R 11/99, BStBl. II 2000, 621; v. 23. 1. 2001 – VIII R 71/98, BFH/NV 2001, 894; v. 2. 2. 2000 – XI R 8/99, BFH/NV 2000, 1135; BFH, Beschl. v. 16. 10. 2000 – VIII B 18/99, BFH/NV 2001, 438; kritisch dazu z. B. Korn, BeSt 2001, 4, 5; einschränkend im Hinblick auf den Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage i. S. von § 6 Abs. 3 EStG Wendt, FR 2005, 465, 472. 13 Vgl. dazu Stapelfeld, DStR 2002, 161, 163; Schulze zur Wiesche, WPg 2003, 90, 92. 14 Einschränkend (RiaBFH) Wendt, FR 2005, 468, 472, der den Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage in Bezug auf Mitunternehmeranteile i. S. des § 6 Abs. 3 EStG dahingehend fassen will, dass ihm nur „für die Personengesellschaft unentbehrliche, also nicht austauschbare oder jederzeit am Markt ersetzbare Wirtschaftsgüter … (z. B. ein von der Personengesellschaft genutztes Patent)“ zu subsumieren sind.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften werden.15 Fraglich ist, ob die Aufdeckung der stillen Reserven auch der Gewerbesteuer unterliegt. Dagegen spricht, dass es sich trotz der Zurückbehaltung einzelner in funktionaler Hinsicht wesentlicher Betriebsgrundlagen um einen Aufgabegewinn handelt, der nach dem Objektprinzip der Gewerbesteuer grundsätzlich nicht als Gewerbeertrag gilt. 1.3 Irrelevanz des Gesamtplangedankens 1.3.1 Initialentscheidung zum steuerschädlichen Gesamtplan und Ausdehnung auf andere Steuerrechtsfragen Die Ableitung der Annahme, der Steuerpflichtige habe nach einem steuerschädlichen Gesamtplan gehandelt, geht auf ein Urteil des IV. Senats des BFH16 zurück, wonach die Tarifbegünstigung für die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nicht zu gewähren ist, wenn auf Grund „einheitlicher Planung und in engem zeitlichen Zusammenhang“ wesentliche Betriebsgrundlagen der Personengesellschaft zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden. In der Literatur wird problematisiert, ob die Entscheidungsgrundsätze auch auf andere Fallkonstellationen denn die Ausgliederung vor Veräußerung Anwendung finden könnten – etwa auf die Ausgliederung wesentlicher Betriebsgrundlagen vor der Einbringung des (Rest-)Betriebsvermögens gem. § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG zu Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft oder auf die Ausgliederung wesentlicher Betriebsgrundlagen (zuvörderst Grundstücke) vor vorweggenommener Erbfolge.17 Die Finanzverwaltung hält die Gesamtplanrechtsprechung in beiden vorgenannten Fällen für anwendbar: (a) Im Zusammenhang mit der Einbringung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft ist nach dem Umwandlungssteuererlass bei Überführung wesentlicher Betriebsgrundlagen in ein anderes Betriebsvermögen die Anwendbarkeit der Grundsätze der Gesamtplanrechtsprechung zu prüfen, wenn sich die Überführung im zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Einbringung in eine Kapitalgesellschaft vollzieht.18 Die Finanzverwaltung verweist insofern auf eine Entscheidung des VIII. BFH-Se15 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 3. 1991 – VIII R 76/87, BStBl. II 1991, 635, 636; BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 6; Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 473 (Stand: Mai 2002). 16 Vgl. BFH, Urt. v. 6. 9. 2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229. 17 Vgl. dazu Strahl, FR 2004, 929, 931, 935. 18 Vgl. Tz. 20.09 des BMF-Schr. v. 25. 3. 1998 – IV B 7-S 1978-21/98 / IV B 2-S 190933/98 (Umwandlungssteuererlass), BStBl. I 1998, 268.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften nats.19 Dieser Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Steuerpflichtige zum 30. 6. 1979 seinen Kommanditanteil veräußert hatte. Die bis zu seinem Ausscheiden aus der KG zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörenden Grundstücke brachte er mit Verträgen vom 13. und 30. 6. 1979 in eine neu gegründete KG ein. Darin sah der BFH ein gleichzeitig mit der Veräußerung des Kommanditanteils erfolgtes Handeln. „Gleichzeitig“ – so der BFH – bedeute nicht „im selben Augenblick, sondern – entsprechend dem … Sinn und Zweck der Regelungen in den §§ 16 und 34 EStG – dass zwischen der Veräußerung des Kommanditanteils und der Einbringung des Grundstücks ein zeitlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang bestehen muss“.20 (b) Wird im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil unentgeltlich an einen Angehörigen der nachfolgenden Generation übertragen, im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang aber eine wesentliche Betriebsgrundlage steuerlich neutral in ein anderes Betriebsvermögen des bisherigen Betriebsinhabers überführt oder entnommen, soll nach Rechtsauffassung der Finanzverwaltung ebenfalls die Gesamtplanrechtsprechung zum Zuge kommen. So heißt es im BMF-Schreiben v. 3. 3. 2005:21 „Wird im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Übertragung des Mitunternehmeranteils (sog. Gesamtplanrechtsprechung, BFH-Urteil vom 6. September 2000 – BStBl. 2000 II S. 229) funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen entnommen oder (z. B. nach § 6 Abs. 5 EStG) zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen überführt oder übertragen, kann der Anteil am Gesamthandsvermögen nicht nach § 6 Abs. 3 EStG zum Buchwert übertragen werden. Die in dem Mitunternehmeranteil enthaltenen stillen Reserven sind in den Fällen, in denen das Sonderbetriebsvermögen zum Buchwert überführt oder übertragen wird, als laufender Gewinn zu versteuern, soweit ein Buchwertansatz nicht in Betracht kommt.“
Zur Erläuterung wird verwaltungsseitig das folgende Beispiel formuliert:22 „Vater V war Kommanditist bei der X-KG, an die er ein Grundstück (wesentliche Betriebsgrundlage) vermietet hatte. V übertrug im Juli 2003 seinen Kommanditanteil unentgeltlich auf seinen Sohn S. Bereits im März 2003 hatte V das Grundstück nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG zum Buchwert auf die von ihm neu gegründete gewerblich geprägte Y-GmbH & Co KG übertragen. 19 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 3. 1991 – VIII R 76/87, BStBl. II 1991, 635. 20 Vgl. dazu kritisch Strahl, FR 2004, 929, 932. 21 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 7. Nicht angesprochen wird die Veräußerung von funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung, vgl. dazu Winkeljohann/Stegemann, BB 2005, 1416, 1417. 22 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 7.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Die Buchwertübertragung des Grundstücks ist nach der sog. Gesamtplanrechtsprechung im Zusammenhang mit der Übertragung des Kommanditanteils nach § 6 Abs. 3 EStG zu beurteilen. Die Voraussetzungen für eine Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 3 EStG liegen danach nicht vor, weil das Grundstück (wesentliche Betriebsgrundlage im Sonderbetriebsvermögen) nicht an S übertragen wurde. Ein Anwendungsfall von § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG (unschädliches Zurückbehalten einer wesentlichen Betriebsgrundlage) liegt nicht vor, weil das Grundstück nicht mehr Sonderbetriebsvermögen der X-KG ist, sondern zum Betriebsvermögen der Y-GmbH & Co KG gehört. V muss deshalb die stillen Reserven in seinem Kommanditanteil im Jahr 2004 als laufenden Gewinn versteuern. Der (zwingende) Buchwertansatz für das auf die GmbH & Co KG übertragene Grundstück wird hiervon nicht berührt.“
1.3.2 Problematik der Bestimmung des „engen zeitlichen Zusammenhangs“ Wie weit der von der Finanzverwaltung als schädlich angesehene enge zeitliche Zusammenhang greift, ergibt sich weder aus dem BMF-Schreiben v. 3. 3. 2005 noch aus dem im BMF-Schreiben als einschlägig erachteten BFHUrteil v. 6. 9. 2000. In der Literatur sind verschiedene Deutungen erfolgt, die mit Bezug auf die erfolgsneutrale Ausgliederung von Betriebsvermögen vor einer unentgeltlichen oder entgeltlichen Übertragung des verbleibenden Teils (mit der Rechtsfolge der Steuerneutralität oder Tarifbegünstigung) einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren als ausreichend ansahen, um einen schädlichen engen Zusammenhang nicht mehr annehmen zu können.23 Für diesen Zeitraum spricht, dass der BFH einen zeitlichen Zusammenhang der Teilschritte einer unentgeltlichen Betriebsübertragung noch bejaht hat, wenn sie 25 Monate auseinanderliegen, und in diesem Zusammenhang darauf verwies, diese Zeitspanne liege „an der oberen Grenze der für einheitliche Vorgänge noch denkbaren Zeitdauer“.24 Abgrenzend hat der BFH entschieden, ein zeitlicher Abstand von drei Jahren zwischen dem ersten und dem letzten Übertragungsakt sei zu groß.25 Kann der Steuerpflichtige bei Überschreiten des Zwei-Jahreszeitraums einen steuerlichen Vorteil (Buchwertfortführung) nicht mehr beanspruchen, kann ihm verwaltungsseitig nach Ablauf der Zwei-Jahresfrist auch nicht entgegengehalten werden, in einem steuerschädlichen Gesamtplan zu handeln. Ein von G. Söffi ng26 und Spindler (als äußerste Grenze)27 vorgeschlagener Fünfjahreszeitraum entspricht nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung – es wird nach der bisherigen Rechtsprechung auch keine über 23 24 25 26 27
Vgl. Förster/Schmidtmann, StuW 2003, 114, 122; Strahl, FR 2004, 929, 936. Vgl. BFH, Urt. v. 12. 4. 1989 – I R 105/85, BStBl. II 1989, 653. Vgl. BFH, Urt. v. 2. 9. 1992 – I R 26/91, BFH/NV 1993, 161, 162. Vgl. G. Söffi ng, BB 2004, 2777, 2787. Vgl. Spindler, DStR 2005, 1, 4.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften fünf Jahre gestreckte Betriebsübertragung anerkannt – und kann als überlang keine indizielle Wirkung entfalten. Paus ist gar der Ansicht, der zeitliche Abstand, bis zu dem zwei vertragliche Maßnahmen des Steuerpflichtigen ohne eindeutig beweisbaren Gesamtplan zusammenzurechnen seien, könne „nur einige Monate“ umfassen.28 Das FG München ist unlängst indes bei einer zeitlichen gestreckten unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen über einen Zeitraum von sechs Jahren von einer begünstigten Übertragung nach § 7 Abs. 1 EStDV (jetzt: § 6 Abs. 3 EStG) ausgegangen.29 Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein zu 50 v. H. an einer Besitz-GbR beteiligter Gesellschafter im Jahre 1992 jeweils 12,4 v. H. der Anteile an der Betriebs-GmbH an seine beiden Söhne unter Ansatz eines Entnahmegewinns übertrug und sich gleichzeitig verpflichtete, bis 1998 auch die Anteile an der Besitz-GbR in entsprechender Höhe auf die beiden Söhne zu übertragen. Insofern nahm er keinen Entnahmegewinn an. Das FG München ist in seiner Entscheidung zutreffend von einem besonders gelagerten Einzelfall ausgegangen, weil der einheitliche Willensentschluss von vornherein vertraglich dokumentiert war. Dies lässt sich nicht dahin verallgemeinern, dass bei einem Zeitraum von sechs Jahren generell noch der Gesamtplangedanke zugrunde gelegt werden kann. Sicherlich ist dies nicht der Fall, wenn es an einer vertraglichen Festlegung fehlt und ein etwaiger zeitlicher Zusammenhang indiziell zu beurteilen ist.30 – Nach Ergehen des BMF-Schreibens v. 3. 3. 2005 hat das FA den Kläger unter Hinweis auf die Übergangsregelung in Tz. 24 (Anwendung auch auf Übertragungen vor dem 1. 1. 2001 auf gemeinsamen Antrag der Beteiligten) klaglos gestellt.31 Der IV. Senat des BFH – der das Gespenst der Gesamtplanrechtsprechung mit der Entscheidung v. 6. 9. 2000 weckte – hat aber bei folgender Konstellation keinen schädlichen Gesamtplan ausgemacht:32 28 Vgl. Paus, StBp 2004, 357, 360. 29 Vgl. FG München, Urt. v. 12. 11. 2003 – 9 K 4811/01, EFG 2004, 496 (rkr. nach Änderungsbescheid des FA und Erledigungserklärung der Beteiligten, vgl. BFH, Beschl. v. 20. 5. 2005 – VIII R 103/03, BFH/NV 2005, 1830). 30 Vgl. auch kk, KÖSDI 2004, 14168; kritisch auch Claßen, EFG 2004, 497, 498 („Ob der zeitliche Zusammenhang daher bei einem Zeitraum von sechs Jahren zwischen den Übertragungsakten noch gewahrt ist, erscheint zweifelhaft. Allein die Tatsache, dass der übertragende Gesellschafter sich im Zuge des ersten Übertragungsaktes 1992 bereits verpfl ichtet hatte, auch die Anteile an der GbR bis 1998 auf den Erwerber zu übertragen, mag zwar einen Gesamtplan begründen, der den Anteilsübertragungen zugrunde lag. Ein einheitlicher Übertragungsvorgang im Sinne der BFH-Rechtsprechung dürfte aber nicht mehr gegeben sein.“). 31 Vgl. BFH, Beschl. v. 20. 5. 2005 – VIII R 103/03, BFH/NV 2005, 1830. 32 Vgl. BFH, Urt. v. 16. 9. 2004 – IV R 11/03, DStR 2004, 1953.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Der BFH hatte über die Gewährung der Tarifermäßigung in einem Fall des sog. Zwei-Stufen-Modells zu befinden, wie es bis zur Einordnung der Veräußerung eines Mitunternehmerteilanteils als laufender Vorgang ab dem 1. 1. 2002 (durch § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG) grundsätzlich steuerbegünstigt durchgeführt werden konnte: Die freie Mitarbeiterin eines Freiberuflers in Einzelpraxis schloss sich mit diesem am 1. 1. 1997 zur gemeinsamen Berufsausübung zu einer GbR zusammen. Sie war zunächst im Umfang von 5 v. H. beteiligt. Durch Vertrag vom 5. 1. 1998 stockte die ehemalige freie Mitarbeiterin ihre Beteiligung um 35 Prozentpunkte auf. Der dafür festgelegte Kaufpreis war in Teilbeträgen schon im Dezember 1997 geleistet und von der Beitretenden durch ein schon im Jahre 1995 aufgenommenes Darlehen fi nanziert worden. Der „Alt-Sozius“ begehrte, dass der Gewinn aus der Veräußerung des erst 1998 übertragenen Anteils tarifbegünstigt versteuert werde. Dem wollte das FA nicht folgen. – Der BFH aber gab dem Steuerpflichtigen Recht: Mit der zweistufigen Sozietätsgründung sei kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts gegeben, weil die Rechtfertigung für die Erhöhung der Beteiligung darin liege, dass die Zusammenarbeit in der Sozietät erst erprobt werden sollte. Zudem lag zwischen dem Abschluss beider Verträge ein Zeitraum von mehr als einem Jahr. Nach der Entscheidung kommt mithin eine zusammenfassende Beurteilung der Verträge im Rahmen der zweistufigen Aufnahme des Partners in eine Einzelpraxis nicht in Betracht, wenn sich beide Vertragsparteien nicht von vornherein in der Weise gebunden haben, dass der zweite Schritt unwiderruflich folgt, und ein ausreichender Zeitraum zwischen beiden Verträgen liegt. Dieser sei regelmäßig bei einer Zeitspanne von mehr als einem Jahr gegeben. Weil es in diesem Verfahren ebenso wie im Urteil v. 6. 9. 2000 um die Anwendung der Tarifermäßigung ging, ist die Schlussfolgerung geboten, dass zumindest in Veräußerungsfällen von einem schädlichen Gesamtplan nicht ausgegangen werden kann, wenn zwischen den Teilakten ein Zeitraum von mehr als einem Jahr liegt. Kempermann (RiaBFH, IV. Senat) vertritt dagegen die Auffassung:33 „Die Dauer der Frist von einem Jahr … lässt sich nicht allgemein als Frist verstehen, bei deren Einhaltung davon ausgegangen werden kann, dass zwischen zwei Rechtshandlungen kein ‚Gesamtplan‘ besteht.“
Deswegen ist aus Gründen der Vorsicht zu empfehlen, in Fällen der Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren zwischen beiden Teilakten vorzusehen.34 33 Vgl. Kempermann, DStR 2004, 2053, 2054 (in Korrektur zu seiner entgegengesetzten Äußerung in DStR 2004, 1956). 34 Vgl. dazu ausführlich Strahl, KÖSDI 2003, 13918, 13923.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 1.3.3 Mangelnde Übertragbarkeit des Gesamtplangedankens auf die Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge Vor Durchführung der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebs oder Mitunternehmeranteils kann sich das Erfordernis stellen, dass einzelne in funktionaler Hinsicht wesentliche Betriebsgrundlagen – zumal betrieblich genutzte Grundstücke – aus Gründen der Alterssicherung ertragsteuerlich neutral zurückbehalten werden. Diese wesentlichen Betriebsgrundlagen werden dann regelmäßig an den Rechtsnachfolger zur Nutzung überlassen. Eine ertragsteuerrechtlich neutrale Zurückbehaltung der beruflich genutzten Räume ist denkbar, indem diese in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden – etwa gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1, 2 EStG unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten35 in das Betriebsvermögen einer gewerblich geprägten Personengesellschaft. Im Anschluss daran wird dann das (verbleibende) Einzelunternehmen oder der um das Sonderbetriebsvermögen „entkleidete“ Mitunternehmeranteil gem. § 6 Abs. 3 EStG unentgeltlich oder entgeltlich auf den Nachfolger übertragen. Diese Vorgehensweise sei anhand der folgenden Abbildung dargestellt:
'KP\GNWPVGTPGJOGT QFGT /KVWPVGTPGJOGT
)OD*%Q-) 'KP\GNWP VGTPGJOGP WPGPVIGNVNKEJG #PIGJ{ QFGT/KV TKIGT gDGTVTCIWPI WPVGTPGJ OGTCPVGKN
80T QFGT
D'5V) $8QFGT 5QPFGT$8
Wie dargestellt, ist die Finanzverwaltung der Rechtsauffassung, die Überführung oder Übertragung funktional wesentlichen Betriebsvermögens im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Übertragung eines Be35 Vgl. zu dem Erfordernis der Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten resp. der unentgeltlichen Übertragung BMF, Schr. v. 26. 11. 2004 – IV B 2-S 2178-2/04, BStBl. I 2004, 1190; s. dazu unten Abschn. II. 2.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften triebs oder Mitunternehmeranteils stehe der Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG für diese Übertragung entgegen.36 Diese Rechtsauffassung begegnet erheblichen Bedenken. Ein Handeln in einem steuerschädlichen Gesamtplan liegt mit Bezug auf die Ausgliederung eines Grundstücks zur Vorbereitung der vorweggenommenen Erbfolge m. E. selbst dann nicht vor, wenn zwischen der Ausgliederung des Grundstücks und der unentgeltlichen Übertragung des verbleibenden Betriebsvermögens ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen sollte. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:37 (a) Im Falle der Ausgliederung vor Veräußerung hat der BFH im Hinblick auf das Telos der Tarifermäßigung entschieden, dass ein Handeln in einem steuerschädlichen Gesamtplan vorliege (keine zusammengeballte Aufdeckung aller stiller Reserven). Das Telos der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG steht dem Ausgliederungsmodell aber nicht entgegen, weil sie im Hinblick auf das Übermaßverbot gewährt wird.38 Danach soll die unentgeltliche Überleitung des Betriebs unter Durchbrechung des subjektbezogenen Einkünftebegriffs zu Buchwerten erfolgen, um den Fortbestand von betrieblichen Einheiten nicht zu gefährden.39 In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle ist das Ausgliederungsmodell dadurch geprägt, dass das auf die gewerblich geprägte Personengesellschaft übertragene Grundstück dem Rechtsnachfolger überlassen wird. Er führt dann den Betrieb in unveränderter Weise fort. Hier eine Realisation der stillen Reserven der übertragenen Wirtschaftsgüter zu verlangen, steht im Widerspruch zum Übermaßverbot.40 Wird eine wesentliche Betriebsgrundlage vor der vorweggenommenen Erbfolge überführt oder entnommen, bleibt der Betrieb indes bestehen, so ist er als solcher eine funktionsfähige Organisationseinheit und kann nach § 6 Abs. 3 EStG steuerneutral übertragen werden. (b) Bei der Durchführung der Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge werden – anders als im Falle der Ausgliederung vor Veräußerung – nicht zwei unterschiedliche Rechtsfolgen erstrebt, weil beide Schritte – sowohl die Ausgliederung als auch die unentgeltliche Übertragung – 36 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 7; s. dazu Abschn. I.1.3.1. 37 Vgl. dazu ausführlich Strahl, FR 2004, 929, 935 f.; gegen die Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung auf Fälle der Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge sprechen sich auch Crezelius, FR 2003, 537, 541; Stegemann, INF 2005, 344, 346; Korn, KÖSDI 2005, 14633, 14637; Geck, ZEV 2005, 196, 197, aus. 38 Vgl. Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rz. B 80 (Stand: Mai 1991). 39 Vgl. Gratz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 1333 m. w. N. (Stand: Mai 2004). 40 Vgl. auch Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 473 (Stand: Mai 2002).
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften mit der Rechtsfolge der Buchwertfortführung verbunden sind. Es wäre nicht nachzuvollziehen, warum ein Vorgang, für den die Buchwertfortführung vorgeschrieben ist (§ 6 Abs. 3 EStG), nicht zu Buchwerten erfolgen darf, weil mit der Ausgliederung ein Vorgang vorgeschaltet ist, der ebenfalls nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1, 2 EStG zwingend zu Buchwerten erfolgt.41 (c) Letztlich spricht die systematische Gesetzesauslegung für den Ansatz der Buchwerte auch für die Übertragung der betrieblichen Einheit nach erfolgter steuerneutraler Ausgliederung des betrieblich genutzten Grundstücks, weil die unentgeltliche Übertragung betrieblicher (Teil-)Einheiten gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG (Buchwertfortführungsgebot) grundsätzlich anders gewürdigt wird als die entgeltliche Übertragung betrieblicher (Teil-)Einheiten gem. § 16 Abs. 1 Satz 2 EStG (laufender Gewinn). Es entspricht mithin der Wertung des Gesetzes, die unentgeltliche Übertragung betrieblicher (Teil-)Einheiten im Gegensatz zur entgeltlichen Übertragung entsprechender Teileinheiten steuerlich zu begünstigen. Bemerkenswert ist, dass sich in jüngerer Zeit mit Kanzler und Wendt auch zwei Richter des IV. Senates des BFH gegen eine Anwendung der Grundsätze der Gesamtplanrechtsprechung auf die Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge ausgesprochen haben. Die von Kanzler gegen die Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung auf Fälle der Ausgliederung vor vorweggenommener Erbfolge zusammengetragene Argumente42 lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Dem BFH-Urteil vom 6. 9. 200043 lasse sich nicht eine – wie auch immer zu bestimmende – „Gesamtplanrechtsprechung“ entnehmen. Die „Gesamtplan“-Entscheidung vom 6. 9. 2000 beruhe allein auf der Erwägung, dass es Zweck der Tarifbegünstigung der §§ 16, 34 EStG ist, die zusammengeballte Realisierung stiller Reserven einer milderen Besteuerung zu unterwerfen; dies aber bedingt die Aufdeckung aller stiller Reserven. – Der Begriff des steuerschädlichen Gesamtplans werde in „Bestandteile“ zerlegt, die als „Tatbestandsmerkmale“ ohne eine gesetzliche Grundlage verselbständigt werden, dadurch jede Prüfung der gesetzlichen Tatbestände der § 6 Abs. 3, Abs. 5 und § 16 EStG überflüssig machen und damit schon gegen den Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung verstoßen.
41 Vgl. ähnlich Crezelius, FR 2003, 537, 541. 42 Vgl. Kanzler in Festschrift Korn, 2005, S. 287, 296 ff. 43 Vgl. BFH, Urt. v. 6. 9. 2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften – Die Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 3 EStG entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit: Da der Übertragende keinen Gewinn realisiert, verzichtet der Fiskus auf eine Besteuerung der stillen Reserven, sofern diese beim Übernehmer gesichert ist. Dabei mag der Verstoß gegen das Subjektsteuerprinzip hinreichend durch das Eigentumsgrundrecht des Gesamtrechtsnachfolgers (Erbrechtsgarantien Art. 14 Abs. 1 GG) gerechtfertigt, ja sogar unabdingbar geboten sein, um eine erdrosselnde Wirkung der Besteuerung stiller Reserven ohne Zuführung entsprechender Mittel auszuschließen. – Letztlich sei im Rahmen von Nachfolgeüberlegungen ein Gesamtplan unerlässlich. Ihn dem Steuerpflichtigen zum Nachteil anzulasten, sei bei der unentgeltlichen Übertragung nicht gerechtfertigt, wenn die stillen Reserven des ausgegliederten Sonderbetriebsvermögens entnahmebedingt versteuert werden oder ihre Besteuerung auf Grund einer Buchwertübertragung in ein anderes Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gesichert bleibt. Dem Rechtsnachfolger wird dann ein Mitunternehmeranteil ohne oder mit einem Rest-Sonderbetriebsvermögen zum Buchwert übertragen. Wendt wendet sich unter Anführung der folgenden Aspekte gegen die Auffassung der Finanzverwaltung:44 – Wie Kanzler betont er zunächst, die Grundsätze des BFH-Urteils IV R 18/99 vom 6. 9. 2000 seien nur durch den Gesetzeszweck des § 34 EStG zu rechtfertigen. – Diese Urteilsgrundsätze seien nicht im Rahmen des § 6 EStG verwertbar: Soweit das Gesetz in § 6 Abs. 3 EStG und § 6 Abs. 5 EStG aus den unterschiedlichsten Gründen Buchwerttransfers – zwingend – vorsieht, sei dieser Gesetzesbefehl vorrangig umzusetzen. Das bedeute, dass auch gleichzeitige Buchwerttransfers nach Abs. 5 und Abs. 3 des § 6 EStG möglich sind. – Die Buchwertverknüpfung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG sei vom Gesetzgeber mit dem Ziel geschaffen worden, Umstrukturierungen von Personenunternehmen zu erleichtern. Dafür werden sogar Verstöße gegen das Steuersubjektprinzip durch ein Überspringen stiller Reserven auf andere Steuersubjekte in Kauf genommen. – Letztlich diene die Vorgabe der Buchwertfortführung in § 6 Abs. 3 EStG der Verwirklichung des in Art. 14 Abs. 1 GG ausdrücklich geschützten Erbrechts.
44 Vgl. Wendt, FR 2005, 468, 471 f.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Diese bedeutsamen Aussagen der Mitglieder des IV. Senats des BFH sind nicht als Ansatz zu betrachten, in dem eine steuerliche Gestaltungsberatung wurzeln könnte. Sie sind aber von erheblichem Gewicht für die in Anbetracht der Verwaltungsauffassung wohl unabwendbaren zahlreichen Fälle der steuerlichen Abwehrberatung.45 2. Unentgeltliche Aufnahme eines Nachfolgers Eine vorweggenommene Erbfolge wird häufig dergestalt vollzogen, dass der bisherige Betriebs- oder Praxisinhaber nicht unmittelbar den Betrieb überträgt, sondern die Berufstätigkeit zunächst – für eine Übergangszeit – gemeinsam mit dem Nachfolger ausübt. Zu diesem Zweck wird eine Mitunternehmerschaft mit dem Nachfolger gegründet, in die dieser ohne Gegenleistung aufgenommen wird. Dies kann sich rechtstechnisch dergestalt vollziehen, dass der bisherige Betriebsinhaber den Betrieb in die mit dem Nachfolger gegründete Mitunternehmerschaft einbringt, an der er zunächst mit 100 v. H. und der Nachfolger mit 0 v. H. vermögensmäßig beteiligt ist. Anschließend erfolgt die Abtretung einer Teilbeteiligung durch den den Betrieb Einbringenden an den Nachfolger.46 Denkbar ist auch, dass der Nachfolger aus künftigen Gewinnen ein Darlehenskonto aufbaut, das zu einem späteren Zeitpunkt in eine vermögensmäßige Einlage umgewandelt wird.47 Diese Gestaltung eröffnet grundsätzlich den Anwendungsbereich des § 24 UmwStG.48 Es bestünde dann das Wertansatzwahlrecht bis zur Teilwertgrenze. Zumal griffe bei der Überlassung von Wirtschaftsgütern im Sonderbetriebsvermögen die fünfjährige Sperrfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG für den Rechtsnachfolger nicht. § 24 UmwStG wird aber nach herrschender Meinung durch die spezialgesetzliche Vorschrift des § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG verdrängt,49 wonach bei der „unentgeltlichen Auf45 Vgl. auch BFH Urt. v. 20. 1. 2005 – IV R 14/03, BStBl. II 2005, 395, Tz. 3 Buchst. S der Urteilsgründe: „Diese sog. Gesamtplanrechtsprechung dient hier ausschließlich der Verwirklichung des Zwecks der Tarifvergünstigung nach §§ 16, 34 EStG“. 46 Vgl. Carlé in Carlé/Korn/Stahl/Strahl, Steueränderungen 2002, 2002, S. 88. 47 Vgl. Carlé in Unternehmensumwandlung, -spaltung und -umstrukturierung im Steuer- und Gesellschaftsrecht (48. TT), 2002, Abschn. C/44. 48 Vgl. z. B. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 4. Aufl. 2006, § 24 UmwStG Rz. 112. 49 Vgl. Wendt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. J 01-11 (Stand: Mai 2002); Fischer in Kirchhof, EStG KompaktKommentar, 5. Aufl. 2005, § 6 EStG Rz. 181; OFD Düsseldorf, Vfg. v. 9. 9. 1999 – S 1978d-4-St 111 K, DB 1999, 1980; kritisch Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 475.1 (Stand: Mai 2002); Carlé in Carlé/Korn/Stahl/Strahl, Steueränderungen 2002, 2002, S. 88.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften nahme einer natürlichen Person in ein bestehendes Einzelunternehmen“ zwingend die Buchwerte fortzuführen sind. Angemerkt sei, dass für die unentgeltliche Aufnahme des Nachfolgers in eine freiberufliche Praxis nichts anderes als für die vorweggenommene Erbfolge in einen Gewerbebetrieb gilt.50 Anders als die Übertragung eines Betriebs oder einer Einzelpraxis setzt die Aufnahme des Nachfolgers in das bisherige Einzelunternehmen unter gleichzeitiger Einbringung in eine Personengesellschaft nicht voraus, dass alle in funktionaler Hinsicht wesentlichen Betriebsgrundlagen auf die Personengesellschaft übertragen werden. Vielmehr ist es gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG ausreichend, wenn sie der Mitunternehmerschaft zur Nutzung überlassen werden. Obzwar der Wortlaut der Vorschrift nahe legen könnte, dass die Mitunternehmerschaft bereits vor dem Übertragungsvorgang bestanden haben muss („weiterhin“ zum Betriebsvermögen „derselben Mitunternehmerschaft“), ist sie nach zutreffender herrschender Meinung dahingehend auszulegen, dass sie auch den Fall der Aufnahme einer natürlichen Person in das Einzelunternehmen umschließt.51 Der bisherige Einzelunternehmer kann also die – zu den in funktionaler Hinsicht wesentlichen Betriebsgrundlagen zählenden – Büro- oder Praxisräume zurückbehalten und der Mitunternehmerschaft zur Nutzung überlassen, sofern er an der aufnehmenden Sozietät beteiligt bleibt. In diesem Fall steht die Buchwertfortführung aber gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG unter den Vorbehalten, dass einerseits der Rechtsnachfolger den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum „von mindestens fünf Jahren“ nicht veräußert oder aufgibt und andererseits die Büro- oder Praxisräume „weiterhin“ zur Nutzung überlassen werden. Beide Merkmale sind nicht hinreichend bestimmt; denn es fragt sich, ob eine Veräußerung des Mitunternehmeranteils durch den Nachfolger schädlich ist, wenn sie nach Verstreichen der Fünfjahresfrist erfolgt, weil der Gesetzeswortlaut „mindestens“ fünf Jahre fordert.52 Die Finanzverwaltung hält bereits die Veräußerung nur eines Teils des übergegangenen Mitunternehmeranteils oder sogar des übertragenen funktional
50 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 18 EStG Rz. 221. 51 Vgl. Fischer in Kirchhof, EStG KompaktKommentar, 5. Aufl. 2005, § 6 EStG Rz. 182a; Schulze zur Wiesche, Stbg 2002, 311, 313; Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 475.4 (Stand: Mai 2002); Rogall/Stangl, DStR 2005, 1073, 1080; so nunmehr auch BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 21. 52 Vgl. dazu kritisch Wendt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. J 01-21 (Stand: Mai 2002); ders., FR 2005, 468, 477.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften wesentlichen Sonderbetriebsvermögens für steuerschädlich.53 War der Übernehmer aber bereits vor der unentgeltlichen Teilanteilsübertragung Mitunternehmer, soll von einer Veräußerung oder Entnahme des übernommenen Anteils erst ausgegangen werden, wenn die Quote der Beteiligung nach der Veräußerung oder Entnahme des (Teil-)Mitunternehmeranteils unter die Quote der übernommenen Beteiligung sinkt oder das mit dem Mitunternehmeranteil übernommene funktional wesentliche Sonderbetriebsvermögen innerhalb der Fünfjahresfrist veräußert oder entnommen wird.54 Eine schädliche Veräußerung liegt aber nicht vor, wenn betriebliche Sachgesamtheiten gem. § 20 UmwStG in eine Kapitalgesellschaft oder nach § 24 UmwStG in eine Mitunternehmerschaft eingebracht werden und weder der Einbringende die für die Einbringung erhaltenen Anteile noch die Kapital- oder Personengesellschaft die eingebrachten Mitunternehmeranteile innerhalb der ursprünglichen Fünfjahresfrist veräußert oder aufgibt.55 Bei Verstoß gegen die Behaltefrist müssen für die gesamte unter § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG fallende Übertragung rückwirkend auf den ursprünglichen Übertragungsstichtag die Teilwerte angesetzt werden. Es entsteht ein laufender Gewinn, der durch Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO der einheitlichen Gewinnfeststellung der Mitunternehmerschaft festgesetzt wird, deren Teilanteile unentgeltlich übertragen worden sind.56 Hinweise: (a) Es herrscht die Meinung vor, dass der nachzuversteuernde Gewinn auch der Gewerbesteuer unterliegt. In den Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften ist (ebenso wie für zahlreiche andere Fälle, in denen 53 Tz. 11 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458; ebenso Glanegger in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 6 Rz. 482; zu Recht a. A. Förster, FR 2002, 649; Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 16 Rz. 435; Kai, DB 2005, 794, 800 (mit Beispiel); Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 448, 454 (jedenfalls bei minimaler Quote); gegen Schädlichkeit der Veräußerung des unterproportional übernommenen Sonderbetriebsvermögens Kempermann, FR 2003, 321, 327. 54 Tz. 12 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, mit Beispiel. 55 Vgl. Tz. 13 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458; ebenso die h. A. im Fachschrifttum, vgl. z. B. Gratz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 1369 (Stand: Mai 2004); Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 455. 56 Vgl. auch Tz. 11 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458; differenzierend Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 448, 455 (m. E. insoweit unklar).
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Aktivitäten von Mitunternehmern auf ihre Rechnung Gewerbesteuereinfluss haben) eine verursacherorientierte Regelung über die Tragung der Gewerbesteuer im Innenverhältnis erwägenswert. Diese Regelung sollte indes die Entlastungswirkung des § 35 EStG berücksichtigen. (b) Beim Übernehmer der Anteile entsteht in Höhe des nachversteuerten Gewinns zusätzlicher anschaffungsähnlicher Aufwand, der unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG in der steuerlichen Ergänzungsbilanz zu berücksichtigen ist; m. E. ist die erforderliche Korrektur ebenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorzunehmen.57 Das Tatbestandsmerkmal „weiterhin“ verlangt nicht eine „ewige“ Zugehörigkeit zum Sonderbetriebsvermögen der betreffenden Mitunternehmerschaft. Vielmehr soll es allein verhindern, dass die spätere Verfügung über den Mitunternehmeranteil oder das Sonderbetriebsvermögen Bestandteil eines im Zusammenhang mit der Aufnahme des Nachfolgers gefassten Gesamtplans ist.58 So heißt es auch im BMF-Schreiben v. 3. 3. 2005 unter Tz. 15:59 „Voraussetzung für die Buchwertübertragung ist außerdem, dass das zurückbehaltene Betriebsvermögen weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehört. Wird das zurückbehaltene Sonderbetriebsvermögen auf Grund eines Gesamtplans im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Aufnahme einer natürlichen Person in ein bestehendes Einzelunternehmen oder der unentgeltlichen Übertragung eines Teils eines Mitunternehmeranteils entnommen oder veräußert, ist eine Buchwertübertragung nicht möglich.“
3. Unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmerteilanteils § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG erstreckt das Buchwertfortführungsgebot ausdrücklich auf die Übertragung von Teilen (Quoten) eines Mitunternehmeranteils (Erwerber müssen aber natürliche Personen sein). Ist Sonderbetriebsvermögen vorhanden, das zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehört, muss es – vorbehaltlich § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG – quotengleich übertragen werden.60 Beispiel: A ist zu 50 v. H. Mitunternehmer der AB KG. Er ist Eigentümer eines Grundstücks, das die AB KG für ihren Betrieb nutzt. A schenkt die Hälfte seines Mitunternehmeranteils der Tochter T, so dass diese zu 25 v. H. an der AB KG beteiligt wird. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ist anwendbar, wenn A der T gleichzeitig 50 v. H. des Grundstücks als Miteigentum schenkt. 57 58 59 60
So auch Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 448, 455 f. Vgl. dazu Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 475.6 (Stand: Mai 2002). Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458. Vgl. Tz. 9 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften
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3.1 Unterquotale Übertragung des Sonderbetriebsvermögens § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG erstreckt das Buchwertfortführungsgebot unter bestimmten Bedingungen jedoch auch auf Fälle, in denen das Sonderbetriebsvermögen nicht auf den Teilanteilserwerber übertragen wird. Ungeachtet des Gesetzeswortlauts (der die Einzahl verwendet: „… eine natürliche Person“) greift die Regelung auch bei gleichzeitiger Übertragung von Teilanteilen an mehrere natürliche Personen (solange der Übertragende Mitunternehmer bleibt).61 Mit der einhelligen Meinung im Fachschrifttum gilt dies ebenso, wenn das Sonderbetriebsvermögen teilweise, aber zu einer geringeren Quote als der Mitunternehmeranteil (also unterquotal) übergeht.62 Voraussetzungen sind: (a) Das zurückbehaltene Betriebsvermögen muss weiterhin zum Betriebsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gehören. (b) Der Übernehmer darf den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußern oder aufgeben (Behaltefrist).
61 Zutreffend z. B. Kanzler in Festschrift Korn, 2005, S. 287, 301; Fischer in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 6 EStG Rz. 182b. 62 Tz. 10 des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 3.2 Überquotale Übertragung des Sonderbetriebsvermögens Zu der im Fachschrifttum kontrovers erörterten Frage, wie die Übertragung einer höheren Quote am Sonderbetriebsvermögen als am Mitunternehmeranteil ertragsteuerrechtlich zu beurteilen ist, hat sich die Finanzverwaltung63 wie folgt geäußert: (a) Bis zur Höhe der Quote am Mitunternehmeranteil ist § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG anzuwenden (zwingende Buchwertfortführung ohne Behaltefrist). (b) Die Übertragung des überquotalen Teils des Sonderbetriebsvermögens fällt (ebenso wie dessen Übertragung ohne Teilanteil) nicht unter § 6 Abs. 3 EStG, jedoch unter § 6 Abs. 5 EStG. (c) Das gilt auch, wenn die Mitunternehmerstellung des Empfängers des Sonderbetriebsvermögens erstmals mit der Teilanteilsübertragung begründet wird.64 Die gedankliche Zweiteilung hat insbesondere erhebliche praktische Bedeutung, weil bei Anwendung des § 6 Abs. 5 EStG die Übernahme von Verbindlichkeiten (außerhalb des Gesamthandsvermögens der Mitunternehmerschaft) als Entgelt gilt und die sog. Trennungstheorie anzuwenden ist, so dass im Fall der Verbindlichkeitenübernahme stets eine partielle Gewinnrealisation droht, falls stille Reserven vorhanden sind.65 Darüber hinaus gilt hinsichtlich des überquotalen Teils die Sperrfrist nach § 6 Abs. 5 63 Tz. 16 ff. des BMF-Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458. 64 Wie die Finanzverwaltung äußerten sich z. B. bereits Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 16 EStG Rz. 435; Ehmcke in Blümich, EStG, § 6 EStG Rz. 1244 (Stand: März 2004); Gratz in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6 EStG Anm. 1366 (Stand: Mai 2004); Kempermann, FR 2003, 321, 327; Brandenburg, DStZ 2002, 511, 518; Förster/Brinkmann, BB 2003, 657, 663; für vollumfängliche Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG hingegen Kanzler in Festschrift Korn, 2005, 287, 304; Wendt, FR 2005, 468, 474; Ley, KÖSDI 2004, 14024, 14027; Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 475.5 (Stand: Mai 2002); ähnlich R 51 Abs. 3 Satz 5 ErbStR 2003. 65 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 17; v. 7. 6. 2001 – IV A 6-S 2241-52/01, BStBl. I 2001, 367. Die Anwendung der Trennungstheorie ist vom VIII. Senat des BFH für den Fall einer vollentgeltlichen Übertragung bestätigt worden, vgl. BFH, Urt. v. 11. 12. 2001 – VIII R 58/98, BStBl. II 2002, 420. Zuvor hatte der IV. Senat des BFH jedoch bei einer teilentgeltlichen Übertragung die Trennungstheorie nicht angewandt, vgl. BFH, Urt. v. 6. 9. 2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229 (zur Buchwertübertragung zwischen Schwester-Mitunternehmerschaften, aus der sich nach der Urteilsbegründung kein Gewinn ergebe, weil der Kaufpreis dem Buchwert entspreche). – Die Verwaltung wird indes nach (MinR im FinMin. NRW) Brandenberg, NWB F 3, 12037, 12043 (Heft 27/2002), an der „Trennungstheorie festhalten, solange sie der BFH nicht ausdrücklich aufgibt“; vgl. auch dens., FR 2000, 1182, 1185.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Satz 4 EStG, wonach rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen ist, wenn das nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG übertragene Wirtschaftsgut innerhalb von drei Jahren nach Abgabe der Steuererklärung des Übertragenden für den Veranlagungszeitraum der Übertragung veräußert oder entnommen wird. Nicht ausdrücklich angesprochen ist in dem BMF-Schreiben, ob übernommene Verbindlichkeiten proportional dem unter § 6 Abs. 3 EStG und dem unter § 6 Abs. 5 EStG fallenden Teil der übertragenen Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens zuzurechnen sind mit der Folge, dass der dem Übergang nach § 6 Abs. 3 EStG zuzuordnende Teil unter die Einheitsbetrachtung fällt. Diese Aufteilung ist m. E. vorzunehmen.66 Beispiel: A ist zu 50 v. H. an der AB KG beteiligt und ist Eigentümer eines zum Sonderbetriebsvermögen gehörenden Grundstücks, das er der AB KG zur Nutzung überlässt. Das Grundstück hat einen Buchwert von 200 und einen Teilwert von 400. Es ist mit Schulden von 200 belastet. A schenkt dem Sohn S 50 v. H. seines Mitunternehmeranteils und das gesamte Grundstück mit der Maßgabe, dass S die Schulden von 200 übernimmt. Beurteilung: Der Teilanteil von 50 v. H. (25 v. H. an der Gesellschaft) und 50 v. H. des Sonderbetriebsvermögens gehen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG zum Buchwert auf S über. 50 v. H. des Grundstücksübergangs fallen zwar grundsätzlich unter § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG, jedoch entsteht folgender Gewinn: Entgelt (übernommene Schulden)
200
Davon nach § 6 Abs. 3 EStG unbeachtlich (insoweit gilt die Einheitstheorie, und übernommene Betriebsschulden sind kein Entgelt) entgeltlich übergegangener Teil des Grundstücks
100 100
Teilwert Entgelt Quote der Entgeltlichkeit nach Trennungstheorie
400 200 50 v. H.
50 v. H. des Buchwerts, soweit er unter § 6 Abs. 5 EStG fällt
50
Gewinn
50
66 So auch (Amtsrätin im BMF) Boeddinghaus, NWB F 3, 13621, 13630 (Heft 32/2005). – Eine abweichende Beurteilung fürchtend jedoch Emmrich/Kloster, GmbHR 2005, 448, 452. Rogall/Stangl, DStR 2005, 1073, 1080, gehen davon aus, die Finanzverwaltung präferiere die Lösung, die Verbindlichkeiten vollumfänglich dem überquotal übertragenen Teil zuzuordnen.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 4. Folgeproblematik „mitunternehmerische Betriebsaufspaltung“ Eine besondere Problematik eröffnet sich, wenn die unentgeltliche Übertragung des Teils eines Mitunternehmeranteils zur Entstehung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung führt. Dies sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Senior R ist alleiniger Kommanditist einer KG, der er ein Grundstück zur Nutzung überlassen hat. Dieses Grundstück hat er unter Aufnahme von Verbindlichkeiten finanziert, die demzufolge negatives Sonderbetriebsvermögen sind. Er beabsichtigt nunmehr, seinem Sohn seinen hälftigen Mitunternehmeranteil zu übertragen.
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Nach der Übertragung stellt sich die Struktur wie folgt dar:
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Damit ist eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung gegeben.67 Erfolgt die Überlassung des Anlagevermögens entgeltlich, sind vorrangig die Rechtsgrundsätze der Betriebsaufspaltung gegenüber der Zuordnung als Sonderbetriebsvermögen anzuwenden.68 Zur Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge kommt es immer dann, wenn im Zuge einer Aufnahme oder Teilanteilsübertragung Wirtschaftsgüter quotal, überquotal oder unterquotal auf den mit dem Mitunternehmeranteil Beschenkten übergehen. Nicht betroffen ist die vollständige Zurückbehaltung von Wirtschaftsgütern (an denen der Beschenkte auch bisher nicht beteiligt war) beim Schenker des Teilanteils, weil die Wirtschaftsgüter in diesem Fall Sonderbetriebsvermögen der Mitunternehmerschaft werden bzw. bleiben. Ebenfalls nicht betroffen ist die vollständige Übertragung des Sonderbetriebsvermögens auf den Beschenkten, weil in diesem Fall nur er Sonderbetriebsvermögen bei der nutzenden Personengesellschaft hat. Entsteht durch einen Übertragungsvorgang nach § 6 Abs. 3 EStG eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass in Fällen des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG „unmittelbar“ eine Zurech67 Vgl. dazu Strahl, KÖSDI 1998, 11533. 68 Vgl. BMF, Schr. v. 28. 4. 1998 – IV B 2-S 2241-42/98, BStBl. I 1998, 583.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften nung der Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens bei der neu entstehenden Besitzpersonengesellschaft nachfolgt und sich diese Überführung in das Sonderbetriebsvermögen bei der Besitzpersonengesellschaft nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG zum Buchwert vollzieht.69 Die Finanzverwaltung unterstellt dann aber unzutreffend70, dass die Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung zwangsläufig damit verbunden ist, das überlassene Wirtschaftsgut werde zu Gesamthandsvermögen der Besitzpersonengesellschaft und der Überführung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG folge eine Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG.71 So heißt es im Beispiel zu Tz. 22 des BMF-Schreibens: „A ist zu 60 % an der AB OHG beteiligt, der er auch ein im Sonderbetriebsvermögen befi ndliches Grundstück zur Nutzung überlässt. In 2002 überträgt A die Hälfte seines Mitunternehmeranteils (1/2 des Gesamthandsanteils und 1/2 des Sonderbetriebsvermögens) unentgeltlich auf C. Die AC-GbR überlässt das Grundstück der ABC-OHG entgeltlich zur Nutzung. Zunächst liegt eine unentgeltliche Teil-Mitunternehmeranteilsübertragung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG vor, die zwingend eine Buchwertfortführung vorschreibt. Im zweiten Schritt ändert sich auf Grund der steuerlichen Beurteilung des neu entstandenen Gebildes als mitunternehmerische Betriebsaufspaltung die bisherige Zuordnung des Grundstücks als Sonderbetriebsvermögen bei der OHG. Das Grundstück ist Gesamthandsvermögen bei der AC-GbR. Die damit verbundene Übertragung des Sonderbetriebsvermögens in das Gesamthandsvermögen erfolgt nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zum Buchwert.“
Nach dieser Verwaltungsauffassung tritt die Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht ein, soweit das Grundstück mit Schulden behaftet ist und diese auf die GbR übergehen (Teilentgeltlichkeit nach Trennungstheorie). Bezogen auf den oben angeführten Beispielsfall ergibt sich damit folgendes: – Das Grundstück des R geht ebenso wie das Sonderbetriebsvermögen (positiv und negativ) zu 50 v. H. auf S über: Übertragung des Teils eines Mitunternehmeranteils nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG = Buchwertfortführung. – Auf Grund der begründeten mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung wechselt das (positive und negative) Sonderbetriebsvermögen aus der Sphäre der nutzenden (Betriebs-)Personengesellschaft in jene der überlas-
69 Vgl. BMF, Schr. v. 3. 3. 2005 – IV B 2-S 2241-14/05, BStBl. I 2005, 458, Tz. 22. 70 Vgl. insofern auch BFH, Urt. v. 18. 8. 2005 – IV R 59/04, BStBl. II 2005, 830, 832, wo darauf verwiesen wird, im Falle einer konkludent entstehenden GbR seien zur Nutzung überlassene Grundstücks-Miteigentumsanteile kein Gesamthandsvermögen und deshalb nur Sonderbetriebsvermögen bei der Besitz-GbR. 71 Zustimmend Wendt, FR 2005, 468, 478.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften senden (Besitz-)Personengesellschaft oder (Besitz-)Bruchteilsgemeinschaft: Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG. – Das Grundstück gilt nebst Verbindlichkeiten als in das Gesamthandsvermögen der Besitzpersonengesellschaft übertragen. Soweit die Besitzpersonengesellschaft auch die Schulden übernimmt, kommt es zur Teilentgeltlichkeit. Daraus können aus Gründen der Vorsicht folgende Gestaltungserwägungen abgeleitet werden: (a) Die Übertragung des Sonderbetriebsvermögens erfolgt in Miteigentum (Beispiel: S wird zu 50 v. H. Bruchteilseigentümer) und der Nachfolger tritt in das Schuldverhältnis ein. Eine Übertragung in das Gesamthandsvermögen des entstehenden Besitzunternehmens erfolgt dann nicht.72 Die Nutzungsüberlassung seitens der Miteigentümer mag zwar konkludent eine GbR entstehen lassen, die die Nutzungsüberlassung vornimmt. Diese wird aber im Beispielsfall nicht Gesamthandseigentümerin des Grundstücks, so dass dieses Sonderbetriebsvermögen der konkludent entstandenen Besitz-GbR bleibt. Der Vorgang fällt unter § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG. Der Übergang der Schulden tritt im Zuge des Übertragungsvorgangs nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ein und ist deshalb kein Teilentgelt bei einer Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG, weil diese nicht stattfindet. Es kommt auch nicht zu einer Übertragung der Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG, weil keine gesonderte Übertragung der Schulden aus dem Sonderbetriebsvermögen des AltGesellschafters in das Sonderbetriebsvermögen des Neu-Gesellschafters, sondern der Schuldeintritt im Rahmen der Übertragung des Mitunternehmerteilanteils nach § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG erfolgt. (b) Die Schulden werden im negativen Sonderbetriebsvermögen des Übertragenden zurückbehalten. In diesem Fall ist indes fraglich, ob die Schuldzinsen nach der unentgeltlichen Übertragung des Mitunternehmerteilanteils noch in voller Höhe als Sonderbetriebsausgaben abzugsfähig sind. Zwar liegt ein unmittelbares Präjudiz nicht vor, doch hat der BFH entschieden,73 im Rahmen einer Betriebsaufspaltung könne es zu einer Nutzungsentnahme kommen, wenn der Steuerpflichtige seine Kinder an der Betriebs-GmbH beteilige, der er allein das Anlagevermögen zur Nutzung überlasse und hierfür einen zu niedrigen Pachtzins vereinba72 Dergestalt – zwischen Überführung in das Sonderbetriebsvermögen bei der Besitzpersonengesellschaft und der Übertragung in ihr Gesamthandsvermögen – differenzierend auch (Amtsrätin im BMF) Boeddinghaus, NWB F 3, 13621, 13633 (Heft 32/2005). 73 Vgl. BFH, Urt. v. 14. 1. 1998 – X R 57/93, BFH/NV 1998, 1160.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften re. Der BFH legte dar, der nicht marktgerechte Pachtzins führe zu einer anteiligen Kürzung des betrieblichen Aufwands des Besitzunternehmens, der in rechtstechnischer Hinsicht mittels der Grundsätze über die Nutzungsentnahme vorgenommen werde. Es liege eine nach Maßgabe des § 12 Nr. 2 EStG nicht abzugsfähige Zuwendung an die Kinder vor. Nach denselben Maßstäben beurteilt sich die sog. disquotale Nutzungseinlage bei Kapitalgesellschaften. Danach gilt folgendes: Werden Nutzungseinlagen (z. B. unentgeltliche Darlehensgewährungen durch den Gesellschafter an die Kapitalgesellschaft) überquotal erbracht – stehen ihnen also nicht entsprechende Beiträge von anderen beteiligten Gesellschaftern gegenüber –, sind die auf den überquotalen Teil entfallenden Aufwendungen (z. B. Refinanzierungskosten) steuerlich grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.74 Davon ist insbesondere auszugehen, wenn es sich bei den Mitgesellschaftern um nahe Angehörige des die Nutzung gewährenden Gesellschafters handelt. (c) Es wird die Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung vermieden, indem das Sonderbetriebsvermögen durch die Besitzpersonengesellschaft unentgeltlich zur Nutzung überlassen wird. In diesem Fall kommt es nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht zur Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung, weil es an einer Gewinnerzielungsabsicht und damit an einer eigenen gewerblichen Tätigkeit der Besitzpersonengesellschaft fehlt. Vielmehr bleibt es dabei, dass die Besitzpersonengesellschaft Sonderbetriebsvermögen bei der Betriebspersonengesellschaft hat.75 Bei einer teilentgeltlichen Nutzungsüberlassung soll eine eigene gewerbliche Tätigkeit der Besitzpersonengesellschaft und damit eine mitunternehmerische Betriebsaufspaltung nur anzunehmen sein, wenn die Voraussetzung der Gewinnerzielungsabsicht bei der Besitzpersonengesellschaft vorliegt. (d) Es wird die Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung vermieden, indem im Gesellschaftsvertrag der nutzenden (Betriebs-)Personengesellschaft der gesetzlichen Vorgabe des § 119 Abs. 1 HGB gefolgt und das Einstimmigkeitsprinzip verankert wird. Ist an der Betriebs-Personengesellschaft ein weiterer Gesellschafter beteiligt, kommt es dann nicht zur Betriebsaufspaltung (ebenso bei einem NurBesitzgesellschafter).
74 Vgl. BFH, Urt. v. 28. 3. 2000 – VIII R 68/96, BFH/NV 2000, 1278. 75 Vgl. BMF, Schr. v. 28. 4. 1998 – IV B 2-S 2241-42/98, BStBl. I 1998, 583, Tz. 1.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften
II. Kapitalkonten der Personengesellschaft unter Berücksichtigung des BMF-Schreibens vom 26. 11. 2004 1. Abgrenzung Mit BMF-Schreiben vom 26. 11. 200476 hat sich die Finanzverwaltung erstmals dezidiert mit der Einordnung der bei Personengesellschaften gebildeten Gesellschafterkonten als Kapital- oder Darlehenskonten mit der Maßgabe auseinandergesetzt, ob die Erfassung des Gegenwertes eines eingebrachten oder eingelegten Gegenstands eine Veräußerung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, eine Veräußerung gegen die Einräumung einer Forderung oder aber eine verdeckte Einlage darstellt. Hintergrund des Schreibens ist eine Entscheidung des BFH,77 wonach die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einen tauschähnlichen Vorgang darstelle, der die Realisation nach sich ziehe. Die Finanzverwaltung hat sich den Rechtsgrundsätzen dieser Entscheidung angeschlossen.78 Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die Abgrenzung wie folgt vorzunehmen: (a) Für die Abgrenzung der Kapitalkonten ist grundsätzlich die Handelsbilanz maßgeblich, weil sich die Gesellschaftsrechte – wenn nichts anderes vereinbart ist – nach dem handelsrechtlichen Kapitalanteil des Gesellschafters richten. Gesellschaftsrechte repräsentieren dabei nach Verwaltungssicht nicht nur das Kapitalkonto I, sondern auch die weiteren variablen Kapitalkonten, die für den jeweiligen Gesellschafter geführt werden. Als Merksatz hält die Finanzverwaltung fest: „Auch wenn das Kapitalkonto eines Gesellschafters in mehrere Unterkonten aufgegliedert wird, so bleibt es gleichwohl ein einheitliches Kapitalkonto. Eine Buchung auf einem Unterkonto des einheitlichen Kapitalkontos (und damit auch auf dem Kapitalkonto II) führt demnach regelmäßig zu einer Gewährung von Gesellschaftsrechten.“
(b) Wesentliches Indiz für das Vorliegen eines Kapitalkontos sei, wenn nach der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung auf dem jeweiligen Konto auch Verluste gebucht werden. Liege danach mit dem betreffenden Gesellschafterkonto nicht ein Kapitalkonto vor, sei regelmäßig von einem Darlehenskonto auszugehen. Erfolgt die Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern gegen Buchung auf einem Darlehenskonto, so kann dieses Konto keine Gesellschaftsrechte gewähren. Wegen des Er-
76 BMF, Schr. v. 26. 11. 2004 – IV B 2-S 2178-2/04, BStBl. I 2004, 1190. 77 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 10. 1998 – VIII R 69/95, BStBl. II 2000, 230. 78 Vgl. BMF, Schr. v. 29. 3. 2000 – IV C 2-S 2178-4/00, BStBl. I 2000, 462.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften werbs einer Darlehensforderung durch den übertragenen Gesellschafter liegt aber insoweit ein entgeltlicher Vorgang vor. (c) Wiederum den Kapitalkonten zuzurechnen ist das gesamthänderisch gebundene Rücklagekonto. Wird der Gegenwert eines eingelegten Wirtschaftsgutes auf diesem erfasst, geht die Finanzverwaltung von einer unentgeltlichen Übertragung im Wege der verdeckten Einlage aus. Ein gesamthänderisch gebundenes Rücklagekonto soll aber nur dann vorliegen, wenn sich der Auseinandersetzungsanspruch aller Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligung dem Grunde nach auch auf das betreffende Konto erstreckt. Es soll mithin nicht von einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagekonto ausgegangen werden können, wenn dieses mit der Maßgabe gebildet wird, dass bei Veräußerung des eingelegten Wirtschaftsguts oder bei Ausscheiden des einlegenden Gesellschafters ausschließlich der einlegende Gesellschafter ein Entnahmerecht habe. In Fällen, in denen auf der Ebene der vermögensmäßig beteiligten Gesellschafter kein Interessengegensatz zu verzeichnen ist (beispielsweise bei der Einmann-GmbH & Co KG), will die Finanzverwaltung geprüft wissen, ob ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 AO anzunehmen sei, wenn der Gegenwert des eingelegten Wirtschaftsguts zunächst auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagekonto erfasst werde. Damit ist die Abgrenzung der Gesellschafterkonten nach Verwaltungssicht wie folgt vorzunehmen:
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 2. Auswirkung auf die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens und auf Fälle des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG 2.1 Auswirkung auf die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens Die Einbringung steuerverstrickten Privatvermögens gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten stellt einen tauschähnlichen Vorgang dar und führt somit zur Versteuerung der stillen Reserven im Zeitpunkt der Einbringung. Die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, wie sie im BMF-Schreiben vom 26. 11. 2004 zum Ausdruck kommt, führt dabei zu zwei für die Praxis erheblichen Verschärfungen: – Als Kapitalkonten, die Gesellschaftsrechte repräsentieren, sollen neben dem Kapitalkonto I auch die weiteren variablen Gesellschafterkonten rechnen, sofern sie personifi ziert einem Gesellschafter zuzuordnen sind. Die Realisation der stillen Reserven ließe sich infolgedessen nicht dadurch vermeiden, dass der Gegenwert des eingebrachten Wirtschaftsgutes statt auf dem Kapitalkonto I etwa auf dem Kapitalkonto II ausgewiesen wird. Bislang war angenommen worden, dass eine Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten nur dann gegeben ist, wenn die Gegenbuchung auf dem Kapitalkonto I (Pflichteinlage) erfolgt, weil dieses Konto maßgeblich für die Gewinnverteilung und die Auseinandersetzungsansprüche ist.79 So heißt es auch unter Tz. 24 des – nicht aufgehobenen – Mitunternehmererlasses:80 „Eine Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten (Einbringung) liegt vor, wenn die durch die Übertragung eintretende Erhöhung des Vermögens der Gesellschaft dem Kapitalkonto des einbringenden Gesellschafters gutgeschrieben wird, das für seine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen maßgeblich ist.“
Dass dem Kapitalkonto II nicht die Eigenschaft zukommt, Repräsentant von Gesellschaftsrechten zu sein, ergibt sich für Kommanditgesellschaften unmittelbar aus § 167 Abs. 2 HGB. Danach ist der Kapitalanteil des Kommanditisten auf den Betrag der vertraglich festgesetzten Einlage (Haft- bzw. höhere Pflichteinlage) der Höhe nach begrenzt. Hat der Kommanditist seine festgesetzte Einlage erbracht, sind weitere Zugänge diesem zweiten Konto zuzuführen, welches nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften gerade nicht Gesellschaftsrechte repräsentiert.81 Für den unbeschränkt haftenden OHG-Gesellschafter und den Komplementär ist gem. §§ 120 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB nur ein einziges variables Kapitalkonto zu führen. Auch hier können indes durch Verabredung im Ge79 Vgl. z. B. Rödder in Thiel/Rödder, FR 1998, 401, 402. 80 Vgl. BdF, Schr. v. 20. 12. 1977 – IV B 2-S 2241-231/75, BStBl. I 1978, 8, Tz. 24. 81 Vgl. Ley, KÖSDI 2002, 13459, 13461.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften sellschaftsvertrag feste und variable Kapitalkonten gebildet werden. Maßgeblich für die gesellschaftsrechtliche Beteiligung ist dann lediglich das feste Kapitalkonto. Die Vorgaben des BMF-Schreibens vom 26. 11. 2004 stimmen mit den gesetzlichen Maßgaben und der kautelar-juristischen Praxis nicht überein. Die Einbringung gegen Gutschrift auf dem Kapitalkonto II muss vielmehr als unentgeltlich gelten, so dass es insoweit nicht zur Realisation kommt. In der Praxis ist dabei sicherzustellen, den Kapitalkontencharakter des betreffenden Gesellschafterkontos zu wahren. Dieser ist dann gegeben, wenn gesellschaftsvertraglich vorgesehen ist, auf dem Konto Verluste zu erfassen. Ist demgegenüber ein Verlustsonderkonto vorgesehen, sollte aus Vorsichtsgründen gesellschaftsvertraglich zumindest geregelt sein, dass Verluste auch auf dem Kapitalkonto II gebucht werden können. Dies reicht nach Auffassung des BFH aus, um den Kapitalkontocharakter sicherzustellen.82 – Auf Bedenken stößt auch die einschränkende Sichtweise der Finanzverwaltung, ein gesamthänderisch gebundenes Rücklagekonto nur dann anzuerkennen, wenn der „Auseinandersetzungsanspruch aller Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligung dem Grunde nach gleichmäßig erhöht“ wird. Dies schließt aus, ein gesamthänderisch gebundenes Rücklagekonto personifi ziert zu führen und damit eine nicht realisierende verdeckte Einlage dadurch herbeizuführen, dass der Gegenwert auf einem Kapitalkonto erfasst wird, das nur für den Fall der Veräußerung bzw. Entnahme des übertragenen Wirtschaftsguts oder des Ausscheidens aus der Mitunternehmerschaft bzw. der Veräußerung der Anteile oder Liquidation der Gesellschaft einen Vorab in Höhe der nicht abgegoltenen stillen Reserven vorbehält.83 Auch Carlé/Bauschatz gehen davon aus, dass gesamthänderisch gebundene Rücklagekonten vor allem dazu dienen, die Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft ohne formelle Erhöhung des Festkapitals zu stärken, wobei sie für jeden Gesellschafter gesondert geführt werden können.84 Ein gesamthänderisch gebundenes Rücklagekonto ist lediglich dann nicht mehr gegeben, wenn die ihm gutgebrachten Beträge zeitnah wieder entnommen werden. Diese Konstellation ist im BMF-Schreiben vom 26. 11. 2004 als Fall fehlender Interessengegensätze angegeben. Nur in diesem Falle ist ein Gesellschafter-Forderungskonto an Stelle eines gesamthänderisch gebundenen Rücklagekontos anzunehmen. 82 Vgl. zu der Problematik BFH, Urt. v. 5. 6. 2002 – I R 81/00, BStBl. II 2004, 344; v. 4. 5. 2000 – IV R 16/99, BStBl. II 2001, 171; dazu auch Carlé/Bauschatz, FR 2002, 1153, 1159. 83 Vgl. dazu Strahl in StbJb. 2000/2001, 2001, 155, 166. 84 Vgl. Carlé/Bauschatz, FR 2002, 1153, 1157.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 2.2 Auswirkung auf Fälle der Übertragung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG Die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter bei Mitunternehmerschaften ist mit Wirkung für Übertragungsvorgänge nach dem 31. 12. 2000 in den folgenden Fallgruppen zwingend zum Buchwert vorzunehmen, wenn sie unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt: – die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft und umgekehrt (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG); – die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft oder einer anderen Mitunternehmerschaft, an der der Mitunternehmer beteiligt ist, und umgekehrt (§ 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG). Begünstigt ist sowohl die Übertragung allein gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten als auch die bloße unentgeltliche Übertragung sowie letztlich der Kombinationsfall. Weil sich das BMF-Schreiben vom 26. 11. 2004 allgemein mit der Einstufung von Gesellschafterkonten als Kapitalkonten befasst, kann es insoweit auch zur Prüfung herangezogen werden, ob den Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1, 2 EStG entsprochen wird, dass die Übertragung lediglich gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten bzw. unentgeltlich erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist es unmaßgeblich, ob eine Übertragung unter Gutschrift des Gegenwertes auf dem Kapitalkonto II als gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten oder unentgeltlich ausgeführt gilt; denn beide Fälle sehen als Rechtsnachfolge den Buchwertfortführungszwang vor. Obacht ist hingegen bei einer gewollten unentgeltlichen Einbringung gegen Gutschrift auf dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagekonto geboten. Wird dieses personifi ziert in der Gestalt geführt, dass der Übertragende sich für den Fall der Veräußerung bzw. Entnahme des übertragenen Wirtschaftsguts oder des Ausscheidens aus der Mitunternehmerschaft bzw. der Veräußerung der Anteile oder Liquidation der Gesellschaft einen Vorab in Höhe der nicht abgegoltenen stillen Reserven vorbehält, könnte verwaltungsseitig von einem Gesellschafter-Forderungskonto mit der Folge ausgegangen werden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht gewahrt sind. Es wären dann die stillen Reserven zu realisieren, weil ein tauschähnlicher Vorgang vorliegt (Einbringung des Wirtschaftsgutes gegen Einräumung einer Gesellschafter-Forderung). Auch dies unterstreicht die gebotene kritische Würdigung der Inhalte des BMF-Schreibens vom 26. 11. 2004.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 3. Auswirkung auf die steuerneutrale Aufnahme eines Gesellschafters in ein bestehendes Einzelunternehmen oder eine bestehende Mitunternehmerschaft Soll entgeltlich eine Personengesellschaft gegründet werden, ohne dass dies für den bisherigen Praxis-Einzelinhaber mit der Realisation stiller Reserven verbunden ist, besteht ein Weg darin, dass der Eintretende eine Aufpreiszahlung in das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft leistet.85 Dieses Zuzahlungsmodell ist regelmäßig mit dem Problem der Überliquidität und Kapitalaufblähung verbunden, was unmittelbar dadurch deutlich wird, dass ein hinzutretender Gesellschafter, der zu 50 v. H. am Gesamthandsvermögen beteiligt werden soll, exakt den Verkehrswert der Praxis des Einbringenden in das Praxisvermögen zu entgelten hat.86 Zur Vermeidung der Überliquidität ist in der Literatur der Gestaltungsvorschlag unterbreitet worden, den Zuzahlungsbetrag mit der Maßgabe in eine gesamthänderisch gebundene Rücklage einzustellen, dass diese bei Auflösung der Sozietät resp. bei Austritt des einbringenden Gesellschafters nur diesem zusteht.87 Diese Lösung ist in Anbetracht dessen problematisch, dass die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 26. 11. 2004 ein gesamthänderisch gebundenes Rücklagekonto offenkundig nur dann als gegeben annehmen will, wenn durch die Buchung auf diesem Konto „der Auseinandersetzungsanspruch aller Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligung dem Grunde nach gleichmäßig erhöht“ wird. Dies ist bei Bildung einer personifi zierten Rücklage gerade nicht der Fall. Es können deswegen in der Praxis andere Gestaltungsüberlegungen anzustellen sein, etwa im Hinblick auf die Vereinbarung eines Gewinnvorabs statt Zuzahlung in das Gesellschaftsvermögen.88
85 Vgl. BFH, Urt. v. 8. 12. 1994 – IV R 82/92, BStBl. II 1995, 599; BMF, Schr. v. 25. 3. 1998 – IV B 7-S 1978-21/98/IV B 2-S 1909-33/98 (Umwandlungssteuer-Erlass), BStBl. I 1998, 268, Tz. 24.10. 86 Vgl. dazu ausführlich mit Beispiel Strahl, StbJb. 2003/2004, 2004, 399, 421 ff. 87 Vgl. Korn, Freiberufler-Personengesellschaften und -kapitalgesellschaften, 1998, Rz. 123; Strahl, StbJb. 2003/2004, 2004, 399, 423. 88 Vgl. dazu Strahl, StbJb. 2003/2004, 2004, 399, 419 f.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften
III. Steuerneutrale Übertragung begünstigter Wirtschaftsgüter gemäß § 6b EStG unter Berücksichtigung der Rückkehr zur gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise 1. Übertragung stiller Reserven in gesellschafterbezogener Betrachtungsweise § 6b EStG i. d. F. des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes (UntStFG) gestattet auf Grund der Neufassung von § 6b Abs. 10 EStG, dass im Rahmen begünstigter Veräußerungsvorgänge aufgedeckte stille Reserven in gesellschafterbezogener Betrachtungsweise übertragen werden können. Praxisrelevant ist insbesondere die Übertragung von Grund und Boden oder Gebäuden sowie bei Personenunternehmen von Anteilen an Kapitalgesellschaften (bis zum Betrag von 500.000 Euro), die jeweils nach § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben müssen. Die gesellschafterbezogene Betrachtungsweise ist nach § 52 Abs. 18a Satz 1 EStG auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31. 12. 2001 vorgenommen werden. Sie erlaubt – ebenso wie dies vor dem 1. 1. 1999 der Fall war – u. a.,89 – den Gewinn aus der Veräußerung eines zum Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft rechnenden Wirtschaftsguts nach Maßgabe der Beteiligungsquote des Mitunternehmers auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigter Reinvestitionsobjekte in seinem Einzeloder Sonderbetriebsvermögen zu übertragen (Übertragung des quotalen Veräußerungsgewinns); in graphischer Verdeutlichung
89 Vgl. dazu im Einzelnen R 6b.2 Abs. 6, Abs. 7 EStR 2005.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften
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– den Gewinn aus der Veräußerung eines zum Sonder- oder Einzelbetriebsvermögen des Mitunternehmers rechnenden Wirtschaftsguts auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigter Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft zu übertragen, soweit sie ihm nach seiner Beteiligungsquote zuzurechnen sind (Übertragung bis zur Höhe der quotalen Reinvestitionskosten); in graphischer Verdeutlichung
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften
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– den Gewinn aus der Veräußerung eines zum Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft I rechnenden Wirtschaftsguts nach der Beteiligungsquote des Mitunternehmers auf die Reinvestitionskosten eines zum Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft II rechnenden begünstigten Wirtschaftsguts zu übertragen, soweit der Mitunternehmer an dieser beteiligt ist (Kombinationsmodell: Übertragung des quotalen Veräußerungsgewinns bis zur Höhe der quotalen Reinvestitionskosten); in graphischer Verdeutlichung #
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Damit ist über § 6b EStG mit Bezug auf Wirtschaftsgüter, die nach Maßgabe dieser Vorschrift begünstigt sind, die steuerneutrale Übertragung auch in solchen Fällen erreichbar, in denen § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG eine Buchwertübertragung nicht eröffnet. Es handelt sich zuvörderst um die folgenden Fälle: (a) Nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG ist lediglich die Übertragung eines Wirtschaftsguts gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten oder unentgeltlich zu Buchwerten durchzuführen. Nicht begünstigt ist damit ein (teil-)entgeltlicher Vorgang, der bereits dann gegeben ist, wenn gemeinsam mit dem Wirtschaftsgut Verbindlichkeiten übernommen werden. In diesem Fall scheidet die Übertragung gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG aus; es kommt zu einem – unter Heranziehung der sog. Trennungstheorie90 zu ermittelnden – Veräußerungsgewinn. Sind demgegenüber die Voraussetzungen des § 6b EStG gewahrt, kann eine steuerwirksame Realisation der stillen Reserven auch bei Übernahme der Verbindlichkeiten (die Teil des Veräußerungspreises sind) grundsätzlich vermieden werden. Zur Problematik der Teilentgeltlichkeit s. unten Abschn. 2. (b) Der Katalog zulässiger Buchwertübertragungen von Wirtschaftsgütern bei Mitunternehmerschaften in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG umschließt nicht ausdrücklich den Fall, dass ein Wirtschaftsgut aus dem Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft I in das Gesamthandsvermögen der Schwester-Mitunternehmerschaft II übertragen wird. Auf Grund der Ausgestaltung des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG als Fallkatalog ist davon auszugehen, dass die Aufzählung enumerativen Charakter hat und nicht ausdrücklich genannte Sachverhalte selbst dann nicht zum Anwendungsbereich der Vorschrift gehören, wenn für sie vor 1999 die Buchwertfortführung anerkannt war.91 Ob eine zweistufige Gestaltung in der Form, dass das auszugliedernde Wirtschaftsgut zunächst in das Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers bei der Mitunternehmerschaft I und anschließend in das Gesamthandsvermögen der gewerblich geprägten Schwesterpersonengesellschaft übertragen wird, die Buchwertfortführung ermöglicht, ist vor dem Hintergrund der Gesamtplanrechtsprechung fraglich. Zwar sind in isolierender Betrachtungs90 Vgl. dazu Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 EStG Rz. 108 (Stand: Juli 2003) m. w. N. Allerdings hat der BFH die Trennungstheorie im Urt. v. 6. 9. 2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229, zur Buchwertveräußerung zwischen Schwester-Mitunternehmerschaften nicht angewandt. Mit Urt. v. 11. 12. 2001 – VIII R 58/98, BStBl. II 2002, 420, hat der BFH hingegen die Anwendung der Trennungstheorie – allerdings für den Fall einer vollentgeltlichen Übertragung – bejaht. 91 Vgl. z. B. Wendt, FR 2002, 43, 57; Hoffmann, GmbHR 2002, 125, 131; Strahl, KÖSDI 2002, 13164, 13169.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften weise beide Teilschritte nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG zu Buchwerten durchführbar. Beide Teilschritte sind aber auf das Gesamtziel der steuerneutralen Übertragung des Wirtschaftsguts in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft II gerichtet; dem ersten Teilschritt (Übertragung in das Sonderbetriebsvermögen der Mitunternehmerschaft I) kommt keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu. Es handelt sich vielmehr um ein Ausweichgeschäft, dem ein Korrekturgeschäft folgt.92 Erfüllt das zu übertragende Wirtschaftsgut die Begünstigungsvoraussetzungen des § 6b Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, Abs. 10 Satz 1 EStG – handelt es sich also etwa um ein Grundstück, das im Übertragungszeitpunkt seit mindestens sechs Jahren zum Anlagevermögen der übertragenden Mitunternehmerschaft I zählt –, ist die Buchwertfortführung im Ergebnis erreichbar, indem das Grundstück an die Schwesterpersonengesellschaft veräußert wird und die stillen Reserven nach § 6b EStG übertragen werden. Der Anwendung des § 6b EStG steht nicht entgegen, wenn das veräußerte und das angeschaffte Wirtschaftsgut, auf das die stillen Reserven übertragen werden sollen, identisch sind.93 Dergestalt wird die Übertragung stiller Reserven nach § 6b EStG auch im Rahmen eines Ausgliederungsmodells eröffnet, das sich dadurch auszeichnet, dass etwa ein Grundstück aus dem Sonderbetriebsvermögen bei einer Mitunternehmerschaft gegen Übernahme der Verbindlichkeiten und Gewährung von Gesellschaftsrechten auf eine Schwesterpersonengesellschaft übertragen wird. 2. Problematik Teilentgeltlichkeit Fraglich ist, wie sich eine etwaige Teilentgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs auf die Anwendung des § 6b EStG auswirkt. Insofern ist folgendes zu berücksichtigen: (a) Eine etwaige Teilentgeltlichkeit ändert nichts an der Einordnung des Vorgangs als Veräußerung i. S. des § 6b EStG. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung,94 wonach eine Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten – gleich welchen Umfangs – als tauschähnlicher Vorgang – und damit als Veräußerung – anzusehen ist. Die Anwendung des § 6b EStG setzt nach Abs. 1 Satz 92 Vgl. zur Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung auf diese Fälle Strahl, KÖSDI 2003, 13918, 13921. 93 Vgl. OFD Koblenz, Vfg. v. 23. 12. 2003 – S 2139 / S 2139 a. A., DStR 2004, 314. 94 Vgl. BFH, Urt. v. 19. 10. 1998 – VIII R 69/95, BStBl. II 2000, 232; dazu BMF, Schr. v. 29. 3. 2000 – IV C 2-S 2178-4/00, BStBl. I 2000, 462.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften 1 der Vorschrift die Veräußerung des Wirtschaftsguts voraus. Entnahmen sind nicht begünstigt.95 Eine solche ist aber nach Maßgabe der vorzitierten Rechtsprechung auch bei einer bloß teilentgeltlichen Veräußerung nicht gegeben. (b) Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass – wie bereits oben ausgeführt – bei einem teilentgeltlichen Vorgang nach Maßgabe der Trennungstheorie eine Aufteilung in einen voll entgeltlichen und einen voll unentgeltlichen Teil zu erfolgen hat. Für den entgeltlichen Erwerbsteil sind das Teilentgelt die Anschaffungskosten, der restliche Teil gilt als unentgeltlich erworben. Der unentgeltlich erworbene Teil ergibt sich aus dem Verhältnis des Teilentgelts zum Verkehrswert des Wirtschaftsguts. Erfolgt eine teilentgeltliche Übertragung (etwa gegen Übernahme der Verbindlichkeiten), wird mithin die Übertragung des Wirtschaftsguts in eine voll entgeltliche und eine unentgeltliche Übertragung aufgespaltet. Dies führt zu folgenden Konsequenzen: (aa) Wird ein Transfervorgang gegen Übernahme von Verbindlichkeiten durchgeführt, der im Übrigen nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG begünstigt ist, steht der Buchwertfortführung nichts im Wege. Hinsichtlich des durch die Übernahme der Verbindlichkeiten abgebildeten entgeltlichen Teils kann eine Übertragung der stillen Reserven nach § 6b EStG erfolgen. Daneben kann die Übertragung gegen Gutschrift auf dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagekonto (also unentgeltlich) oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten vorgenommen werden. Der Übertragungsvorgang ist auf Grund der Aufspaltung nach Maßgabe der Trennungstheorie hinsichtlich des entgeltlichen Teils nach § 6b EStG, hinsichtlich des unentgeltlichen Teils nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG steuerlich begünstigt. (bb) Problematisch ist aber die Übertragung zwischen Schwesterpersonengesellschaften. Erfolgt sie teilentgeltlich, bedeutet das, dass das Wirtschaftsgut teilweise unentgeltlich auf die Schwesterpersonengesellschaft übertragen worden ist. Die unentgeltliche Übertragung auf die Schwesterpersonengesellschaft ist nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG gerade nicht begünstigt, so dass insoweit eine Entnahme unter Aufdeckung der stillen Reserven anzunehmen ist, die nicht nach § 6b EStG neutralisiert werden kann. Es ist deswegen darauf zu achten, dass eine Übertragung eines Wirtschaftsguts auf 95 Vgl. BFH, Urt. v. 6. 12. 1972 – I R 182/70, BStBl. II 1973, 291, 292; R 6b.1 Abs. 1 Satz 4 EStR 2005.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften die Schwesterpersonengesellschaft vollentgeltlich erfolgt, etwa indem neben übernommenen Verbindlichkeiten die Schwesterpersonengesellschaft dem einbringenden Gesellschafter eine Darlehensforderung einräumt. 3. Buchhalterische Darstellung und Problematik des § 15a EStG Den folgenden Überlegungen soll die Übertragung eines Grundstücks, welches die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 6b EStG erfüllt, aus dem Gesamthandsvermögen einer GmbH & Co KG I in das Gesamthandsvermögen einer GmbH & Co KG II zugrunde liegen. An der GmbH & Co KG I ist vermögensmäßig allein der Kommanditist A beteiligt. Er soll auch die alleinige vermögensmäßige Beteiligung an der gewerblich geprägten SchwesterMitunternehmerschaft GmbH & Co KG II übernehmen, so dass nach Maßgabe der gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise eine Übertragung des Veräußerungsgewinns in voller Höhe zulässig ist.96 Graphisch stellt sich die erwogene Gestaltung wie folgt dar:
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Eine steuerneutrale Übertragung des Grundstücks nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG ist nicht zulässig, weil die Norm nicht die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter zwischen den Gesamthandsvermögen von Schwesterpersonengesellschaften zu Buchwerten ermöglicht. Durchführbar ist aber die 96 Vgl. dazu auch Niehus, FR 2005, 278, 283.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Veräußerung des Grundstücks durch die GmbH & Co KG I unter nachfolgender Übertragung der aufgedeckten stillen Reserven gem. § 6b EStG auf das Investitionsobjekt der GmbH & Co KG II, welches dem Veräußerungsobjekt entspricht. Das Grundstück soll einen Buchwert von 100.000 Euro und einen Teilwert von 200.000 Euro haben. Es soll mit Verbindlichkeiten in Höhe von 100.000 Euro belastet sein. Würde die Übertragung nur gegen Übernahme der Verbindlichkeiten vorgenommen werden, so wäre sie zu 50 v. H. entgeltlich. Es entstünde ein Veräußerungsgewinn von: Veräußerungspreis (übernommene Verbindlichkeiten) ./. 50 v. H. des anteiligen Buchwertes Veräußerungsgewinn
100.000 50.000 50.000
Dieser Veräußerungsgewinn könne nach § 6b EStG neutralisiert werden. Im Übrigen gälte das Grundstück als unentgeltlich überführt und damit als aus dem Gesamthandsvermögen der GmbH & Co KG I entnommen. Es entstünde ein Entnahmegewinn in Höhe von 50.000 Euro, der nicht nach § 6b EStG neutralisiert werden kann. Demzufolge ist zu empfehlen, dass das Grundstück vollentgeltlich übertragen wird. Dies kann etwa geschehen, indem die GmbH & Co KG II die Bankverbindlichkeit der GmbH & Co KG I übernimmt und darüber hinaus einen Kaufpreis von 100.000 Euro schuldet. Die Ausgangssituation stellt sich wie folgt dar: )OD*%Q-)+ )TWPFUVEM DTKIG#MVKXC
€ € €
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€ € €
(1) Teilschritt 1: Das Grundstück wird veräußert Buchmäßige Erfassung bei der GmbH & Co KG I: Verbindlichkeiten Forderung an Grundstück sonstiger betrieblicher Ertrag
100.000 100.000 100.000 100.000
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften Buchung des Anschaffungsvorgangs bei der GmbH & Co KG II: Grundstück an Verbindlichkeiten Bank Verbindlichkeiten gegen GmbH & Co KG I
200.000 100.000 100.000
(2) Neutralisation des Veräußerungsgewinns bei der GmbH & Co KG I durch Bildung einer Rücklage nach § 6b EStG Buchung bei der GmbH & Co KG I: sonstiger betrieblicher Aufwand an Rücklage gem. § 6b EStG
100.000 100.000
In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die Bildung der Rücklage gem. § 6b EStG nach dem insoweit einschlägigen Prinzip der umgekehrten Maßgeblichkeit den Ansatz eines korrespondierenden Sonderpostens mit Rücklageanteil in der Handelsbilanz erforderlich macht.97 (3) Übertragung der 6b-Rücklage auf die GmbH & Co KG II Buchung bei der GmbH & Co KG I: Rücklage gem. § 6b EStG an Kapital
100.000 100.000
Buchung bei der GmbH & Co KG II: Kapital an Grundstück
100.000 100.000
Im Ergebnis erhöht sich das Kapital bei der (übertragenden) GmbH & Co KG I erfolgsneutral um 100.000 Euro. Bei der (aufnehmenden) GmbH & Co KG II mindert sich hingegen das Kapital um 100.000 Euro. Diese Buchung wird im Rahmen einer negativen steuerlichen Ergänzungsbilanz vorgenommen. Damit ergeben sich die folgenden Kapitalkonten: Kapital des Kommanditisten bei der GmbH & Co KG I Kapital des Kommanditisten bei der GmbH & Co KG II
600.000 ./. 100.000
Aus dem Beispiel ist unmittelbar ersichtlich, dass die Übertragung der stillen Reserven gem. § 6b EStG bei der übernehmenden Personengesellschaft die Problematik des § 15a EStG evozieren kann, weil nach der Übertragung ein negatives Kapitalkonto ausgewiesen wird. Etwaige Verluste der gewerblich geprägten Personengesellschaft wären dann nicht ausgleichsfähig, sondern nur verrechenbar. Es ist infolgedessen im Rahmen der Gestaltungsü-
97 Vgl. R 6b.2 Abs. 2 Satz 1 EStR 2005.
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Strahl, Übertragung von Wirtschaftsgütern bei Personengesellschaften berlegungen stets auch die Problematik des § 15a EStG zu berücksichtigen. Im Beispielsfall stellt sich die Frage, ob das Entstehen eines negativen Kapitalkontos dadurch vermieden werden könnte, dass die aus der Grundstücksübertragung resultierende Forderung der KG I gegenüber der KG II vom Kommanditisten aus der KG I übernommen und in die KG II eingelegt wird, so dass die Forderung durch Konfusion mit der Verbindlichkeit der KG II erlischt. Buchmäßig stellte sich dieser Vorgang wie folgt dar: Buchung bei der GmbH & Co KG I Kapital A an Forderung gegenüber KG I
100.000 100.000
Buchung bei der GmbH & Co KG II Verbindlichkeit gegenüber KG I an Kapital A
100.000 100.000
Nach Entnahme und Einlage der Forderung wäre bei der KG II mithin für A ein ausgeglichenes Kapitalkonto auszuweisen. Problematisch an dieser Vorgehensweise ist, dass sie in einer Gesamtplanbetrachtung von der Finanzverwaltung dahingehend gewürdigt werden könnte, dass letztlich eine Übertragung nur gegen Übernahme der Bankverbindlichkeit von 100.000 Euro durchgeführt worden ist, so dass es wiederum zur Anwendung der Trennungstheorie käme. Eine ausbedungene Darlehensforderung der übertragenden an die übernehmende Personengesellschaft muss infolgedessen wie vereinbart auch durchgeführt werden, um die steuerliche Anerkennung des Transfervorgangs nach § 6b EStG nicht zu gefährden. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass A persönlich in das Schuldverhältnis hinsichtlich der von der GmbH & Co KG II übernommenen Bankverbindlichkeit eintritt. Die Bankverbindlichkeit bildete dann negatives Sonderbetriebsvermögen des A bei der GmbH & Co KG II und wäre dergestalt nicht in die Ermittlung des Kapitalkontos nach § 15a EStG einzubeziehen. Auch dadurch wäre das Kapitalkonto des A i. S. des § 15a EStG bei der GmbH & Co KG II ausgeglichen.
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Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG – Zufall und Notwendigkeit? Dr. Heinrich Hübner Rechtsanwalt und Steuerberater, Stuttgart Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Die Funktion der Nachsteuerbestimmungen III. Das „System“ der Nachsteuerbestimmungen und seine Ungereimtheiten 1. Veräußerungen 2. Umwandlungs- und Einbringungsvorgänge 2.1 Übertragende Umwandlung 2.2 Einbringungsvorgänge
2.3 Formwechsel 3. Betriebsaufgabe und Auflösung einer Kapitalgesellschaft 4. Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen 5. Kapitalmaßnahmen 5.1 Personengesellschaften 5.2 Kapitalgesellschaften IV. Ausblick
I. Vorbemerkung Zufall und Notwendigkeit1? – Was hat Steuerrecht mit naturphilosophischen Fragen zu tun. Nun: Wer sich mit den Nachsteuerbestimmungen der §§ 13a, 19a ErbStG beschäftigt, fragt sich zwangsläufig, wie eigentlich ein derartiges Monstrum an Ungereimtheiten entstehen kann. Es stellen sich Visionen ein von einer Ursuppe des Steuerrechts, aus der sich – weitgehend zufälligen Einflüssen folgend – steuerrechtliche Normen entwickeln. In der Tat: die Nachsteuerbestimmungen der §§ 13a, 19a ErbStG sind ein Sammelsurium an Ungereimtheiten, Kuriositäten und Absurditäten, wie man sie im Bundesgesetzblatt eigentlich nicht vorfinden sollte. Offenbar hat die Gesetzgebung aus der biologischen Evolution nur die Zufallssteuerung der Generationsprozesse übernommen. Es fehlt – um im Bild zu bleiben – der natürliche Selektionsprozess, der Fehlentwicklungen aussteuert.
1 Jacques Monod, Zufall und Notwendigkeit, Philosophische Fragen der modernen Biologie, München 1971.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG Welche Gesichtspunkte sind die Ursache für diese Fehlentwicklung? Bei der Beantwortung dieser Frage wollen wir uns auf das rechtliche Umfeld beschränken und die Schwierigkeiten des politischen Prozesses ausblenden, die, wie wir alle wissen, an der chaotischen Entwicklung unseres Steuerrecht einen erheblichen Anteil haben. Die Nachsteuerbestimmungen befinden sich an einer Schnittstelle des Gesellschaftsrechts, des Ertragsteuerrechts und des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts. Allein die Kombination dieser verschiedenen Rechtsmaterien mit jeweils eigenständiger Systematik macht es äußerst schwierig, vernünftige Gesetze zu formulieren. Doch damit nicht genug: Weder der Begünstigungsgrund, der – wie auszuführen sein wird – auch die Konzeption der Nachsteuerbestimmungen maßgeblich prägen muss (oder genauer: müsste), noch die Funktion der Nachsteuerbestimmungen ist irgendwo explizit definiert. Er wird mit dem Begriff der erhöhten Sozialgebundenheit umschreiben, beruht auf der Entscheidung des BVerfG vom 22. 6. 19952 und ist letztlich eine Leerformel, ein Platzhalter für etwas, das zwar schon jeder 2 BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 = BStBl. II 1995, 671: „Zudem hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung der Steuerlast zu berücksichtigen, daß die Existenz von bestimmten Betrieben – namentlich von mittelständischen Unternehmen – durch zusätzliche fi nanzielle Belastungen, wie sie durch die Erbschaftsteuer auftreten, gefährdet werden kann. Derartige Betriebe, die durch ihre Widmung für einen konkreten Zweck verselbständigt und als wirtschaftlich zusammengehörige Funktionseinheit organisiert sind, sind in besonderer Weise gemeinwohlgebunden und gemeinwohlverpflichtet: Sie unterliegen als Garant von Produktivität und Arbeitsplätzen insbesondere durch Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern, das Betriebsverfassungsrecht, das Wirtschaftsverwaltungsrecht und durch die langfristigen Investitionen einer gesteigerten rechtlichen Bindung. Sie hat zur Folge, daß die durch die Erbschaftsteuer erfaßte fi nanzielle Leistungsfähigkeit des Erben nicht seinem durch den Erbfall erworbenen Vermögenszuwachs voll entspricht. Die Verfügbarkeit über den Betrieb und einzelne dem Betrieb zugehörige Wirtschaftsgüter ist beschränkter als bei betrieblich ungebundenem Vermögen. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) fordert, diese verminderte Leistungsfähigkeit bei den Erben zu berücksichtigen, die einen solchen Betrieb weiterführen, also den Betrieb weder veräußern noch aufgeben, ihn vielmehr in seiner Sozialgebundenheit aufrechterhalten, ohne daß Vermögen und Ertragskraft des Betriebes durch den Erbfall vermehrt würden. Die Erbschaftsteuerlast muß hier so bemessen werden, daß die Fortführung des Betriebes steuerlich nicht gefährdet wird. Diese Verpfl ichtung, eine verminderte fi nanzielle Leistungsfähigkeit erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen, ist unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe zwischen Erblasser und Erben. Das geltende, historisch überlieferte Erbschaftsteuerrecht beachtet dieses Erfordernis betriebsangemessener Belastung etwa bei der Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft, wenn es dort, gemäß § 36 BewG der Erbschaftsbesteuerung den Ertragswert zugrunde legt, um eine Zerschlagung dieser Wirtschaftseinheiten zu vermeiden.“
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG gesehen hat, das aber keiner beschreiben kann, jedenfalls nicht in justiziabler Weise. Man kann nur rätseln, was das BVerfG denn eigentlich mit seiner Entscheidung im Detail gemeint hat. Der Gesetzgeber, dessen Aufgabe es gewesen wäre, die Aussagen des BVerfG mit justiziabler Substanz zu füllen, hat sich dieser Aufgabe durch eine Anknüpfung an ertragsteuerliche Kategorien entzogen. Das hat naturgemäß die Liste der Probleme nicht verkürzt, sondern eine Vielzahl weiterer hinzugefügt. Und nicht nur der Gesetzgeber steht am Kochtopf; die Erbschaftsteuerrichtlinien sind einerseits erstaunlich großzügig bei der Auslegung des Gesetzes; andererseits aber und häufig ohne nachvollziehbaren Grund geradezu engstirnig. Die Finanzgerichte – allen voran der 2. Senat des BFH – wiederum kochen eine eigene Suppe, denn sie sind ja an die Richtlinien nicht gebunden und das Gesetz gibt angesichts seiner Ungereimtheiten reichlich Spielraum für im Wortsinn eigensinnige Rezepturen.
II. Die Funktion der Nachsteuerbestimmungen Die steuermindernde Wirkung der Begünstigungen nach den §§ 13a, 19a ErbStG können gewaltige Dimensionen annehmen. Sie sind nach oben nicht limitiert, können also – jedenfalls theoretisch – unbegrenzte Größenordnungen erreichen. Nach meiner Einschätzung gibt es wohl keine andere Privilegierung im deutschen Steuerrecht, die in Einzelfällen einen derartigen Umfang annehmen kann. Dieser Umstand war dem Steuergesetzgeber – oder besser der Steuerverwaltung, aus deren Federn das Gesetz letztlich stammt – wohl bewusst. Deshalb ist in das Gesetz auch die Befürchtung eingeflossen, diese Begünstigung könnte als Instrument bloßer Steuerersparnis missbraucht werden, ohne dass die vom Gesetzgeber intendierten Wirkungen der Begünstigungen tatsächlich eintreten oder gar gezielt vermieden werden. Das diese Befürchtung berechtigt ist, wird man nicht von der Hand weisen können. Sie steht allerdings in einem auffälligen Widerspruch zu der schlichten Anbindung der Begünstigung an die Erzielung von Gewinneinkünften, was der BFH in seinem Vorlagebeschluss ja auch kritisiert hat3. Denn es stellt sich bei der gegebenen Konzeption ja doch die Frage, ob es sinnvoll sein kann, eventuelle Missbräuche durch komplexe Nachsteuerbestimmungen zu bekämpfen, wenn man auf der anderen Seite eine schlichte gewerbliche Prägung ausreichen lässt, um die Begünstigung dauerhaft zu gewähren. Diese schizophrene Struktur der §§ 13a, 19a ErbStG war seit dem Gesetzesbeschluss bekannt; gestört hat sich daran bis zur Vorlageentscheidung des BFH indessen niemand. Erst in der Folge des Vorlagebeschlusses des BFH, der insofern jedenfalls eine politische Wirkung erzielt 3 BFH v. 22. 5. 2002 – II R 61/99, BStBl. 2002 II, 598.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG hat4, ist eine Reihe von gesetzgeberischen Versuchen unternommen worden, im Rahmen einer mehr oder weniger breit angelegten Reform des Erbschaftsteuerrechts auch dieses Problem zu lösen. Diese Versuche sind von dem nachvollziehbaren Ansatz getragen, die Begünstigungsgewährung bereits im Ausgangspunkt enger an den Begünstigungsgrund der erhöhten Sozialbindung zu knüpfen und damit Gestaltungen, die letztlich allein um der Begünstigungen willen die Gewerblichkeit ansteuern, zu neutralisieren. Wirklich konsequent setzt aber auch der Entwurf der noch amtierenden Bundesregierung diesen Ansatz nicht um, wobei allerdings zuzugeben ist, das dieses Unterfangen nicht gerade einfach in Gesetzesform zu bringen ist, wenn man nicht – wozu die Steuerverwaltung wohl kaum in der Lage wäre – in jedem Einzelfall das Vorliegen einer noch zu definierenden Sozialgebundenheit für jedes Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens prüfen will. Das ist also die eine Seite der Begünstigungsgewährung: die enge Anbindung der Begünstigungsgewährung an den Begünstigungsgrund der erhöhten Sozialbindung. Die zweite Seite, die allgemein als Missbrauchsproblematik (miss-) verstanden wird, ist die Frage der Nachhaltigkeit des Begünstigungsgrundes. Es liegt natürlich auf der Hand, dass es für die Gewährung eines Steuerprivilegs, das in Einzelfällen durchaus zweistellige Millionenbeträge erreichen mag, nicht ausreichen kann, dass der Begünstigungsgrund gerade eben im Zeitpunkt der Steuerentstehung gegeben ist und unmittelbar danach begünstigungsunschädlich entfallen kann. Das ist aber keine Frage des Missbrauchs, sondern eine Frage des Begünstigungstatbestandes. Die Nachhaltigkeit des Begünstigungsgrundes gehört zum Tatbestand der Begünstigungsgewährung. Die Interpretation der Nachsteuertatbestände als Missbrauchsverhinderungsvorschriften greift deshalb zu kurz; diese Tatbestände stehen nicht als isolierte Steuertatbestände neben anderen Steuertatbeständen, sondern sie ergänzen den Begünstigungstatbestand um das Tatbestandselement der Nachhaltigkeit. Was folgt aus dieser These?: Die Nachsteuertatbestände sind ebenso wie der Tatbestand der §§ 13a, 19a ErbStG auf den Begünstigungsgrund zu beziehen. Es reicht deshalb nicht aus, wie die aktuelle Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs z. T. vermuten lässt, dass man sich bei der Auslegung der Nachsteuertatbestände auf deren „objektiven Sinn“ bezieht, den Gesetzeswortlaut strapaziert oder sich auf begiffsjuristische Übungen beschränkten Auslegungsandeutungen hingibt. Es bedarf einer dezidierten normativen Auslegung sowohl der Begünstigungstatbestände 4 Ob die Vorlage auch den Segen des BVerfG fi nden wird, ist derzeit noch immer nicht absehbar.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG als auch der Nachsteuertatbestände, wobei als Auslegungsmaßstab weder überkommene ertragsteuerliche, noch erbschaftsteuerliche Grundsätze im Mittelpunkt stehen dürfen, sondern allein die Intention, die der Gesetzgeber mit der Begünstigungsgewährung verfolgt hat. Der Gedanke der erhöhten Sozialgebundenheit muss – aller zugegebenen Mängel des Gesetzes zum Trotz – sowohl die Auslegung der Begünstigungstatbestände als auch die Auslegung der Nachsteuertatbestände dominieren. Ich meine, das ergibt sich – mit bindender Wirkung auch für den BFH – aus Art. 20 Abs. 3 GG. Eine kleine Bestandsaufnahme stimmt insoweit allerdings skeptisch, obwohl bereits an dieser Stelle nicht verschwiegen werden soll, dass durchaus auch Lichtblicke zu vermelden sind.
III. Das „System“ der Nachsteuerbestimmungen und seine Ungereimtheiten Nicht ohne Grund ist das Wort „System“ in der Überschrift zu diesem Punkt in Anführungszeichen gesetzt. Wer die Aneinanderreihung der Nachsteuertatbestände unvoreingenommen zur Kenntnis nimmt, gerät an den Rand der Verzweiflung. Offenbar hat hier der Versuch dominiert, die als zu weit empfundene Begünstigungsgewährung in einer zweiten Stufe auf einen noch erträglichen Umfang zurück zu schneiden. Das ist im Grund schon der einzige Gedanke, der sich dieser reichlich wirren Anhäufung von Einzeltatbeständen entnehmen lässt. Ansonsten bleibt allgemeine Ratlosigkeit. Wie kann man eigentlich auf den nur als absurd zu bezeichnenden Gedanken kommen, bei einer Begünstigung, die eine Größenordnung in zweistelliger Millionenhöhe erreichen kann, „Überentnahmen“ von mehr als 52.000 Euro (!) innerhalb von fünf (!) Jahren als begünstigungsschädlich zu behandeln, wobei – und das setzt dem Ganzen noch die Krone auf – auch Entnahmen zur Begleichung der Erbschaftsteuer oder zur Finanzierung erbrechtlicher Ansprüche anderer Beteiligter einzubeziehen sind5. Niemand hat es auch für nötig gehalten, den Begriff der Entnahme zu definieren: Ist der Begriff etwa gesellschaftsrechtlich zu verstehen mit der Folge, dass auch eine Überführung aus dem Gesamthandsvermögen in das Son5 Die Begünstigungsgewährung dient ja gerade dem Ziel, die steuerbedingten Liquiditätsabflüsse aus dem Unternehmen zu minimieren, um den Bestand des Unternehmens nicht zu gefährden. Wenn das so ist, kann doch wohl der Begünstigungsgrund nicht deshalb entfallen, weil die infolge der Begünstigung lediglich reduzierte, im Übrigen jedoch zu zahlende Erbschaftsteuer aus dem Betrieb entnommen wird.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG derbetriebsvermögen (§ 6 Abs. 5 Satz 2 EStG) begünstigungsschädlich sein kann? Oder ist er ertragsteuerlich zu interpretieren6 mit der Folge, dass eine derartige Übertragung unschädlich wäre. Auch hier kann man nur dann zu einem überzeugenden Ergebnis kommen, indem man die Entscheidung davon abhängig gemacht wird, ob das der erhöhten Sozialgebundenheit unterliegende Vermögen in ungebundenes Vermögen umgewidmet wird. Nächste Frage: Wie sind Rahmen der Nachbesteuerung Sachentnahmen zu bewerten. Crezelius hat in einem Aufsatz, der kurz nach dem Inkrafttreten der Vorschriften erschienen war7, die Auffassung vertreten, dass der Teilwert nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG anzusetzen sei. Das wird wohl nicht richtig sein, wenn man dem m. E. zutreffenden Gedanken folgt, dass die Nachbesteuerung allein den Zustand herstellen soll, der sich ergeben würde, wenn das schädlich entnommene Vermögen bereits von Anfang an nicht begünstigt gewesen wäre (R 67 Abs. 1 Satz 2 ErbStR)8. Maßgebend muss also wohl der Wert sein, mit dem das betreffende Wirtschaftsgut im Rahmen des Nachlasses bewertet wurde. Dieser Wert ist allerdings nicht immer einfach festzustellen. So etwa bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, bei denen keine Einzelbewertung der Wirtschaftsgüter nach dem Vorbild des § 98a BewG vorgenommen wird, sondern der Ertragswert des gesamten Betriebes der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Und dieser Ertragswert dürfte wohl kaum davon abhängig sein, ob etwa eine landwirtschaftliche Maschine mehr oder weniger zum Betriebsvermögen gehört. Aber schauen wir uns das „System“ der Nachsteuerbestimmungen noch etwas genauer an. Dabei wollen wir uns auf die Nachsteuerbestimmungen konzentrieren, die für das Betriebsvermögen (§ 13a Abs. 5 Nr. 1, 3 ErbStG) und für Anteile an Kapitalgesellschaften (§ 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG) gelten. 1. Veräußerungen Veräußerungen des sozial gebundenen Vermögens schichten dieses grundsätzlich in nicht gebundenes Vermögen um. Deshalb ist es im Ausgangspunkt folgerichtig, dass Veräußerungen der Nachbesteuerung unterliegen. Allerdings steckt auch bei diesem scheinbar einfachen Sachverhalt der Teufel im Detail: Ist der Begriff der Veräußerung ertragsteuerlich9 oder erb-
6 So R 65 Abs. 1 Satz 4 ErbStR. 7 Crezelius, DB 1997, 1584. 8 Vgl. auch den Gesetzeswortlaut des § 13a Abs. 5 ErbStG: „Die Begünstigungen fallen mit Wirkung für die Vergangenheit weg, soweit …“. 9 So FG Münster, Urt. v. 6. 12. 2001 – 3 K 8565/97 Erb, EFG 2002, 562.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG schaft-/schenkungsteuerlich10 zu interpretieren? Wenn man sich für ersteres entscheidet, sind dann auch die ertragsteuerlichen Veräußerungsfi ktionen11 anzuwenden? Der BFH12 hatte jüngst Gelegenheit, sich mit dieser Frage zu befassen. Es ging darum, ob die Weitergabe begünstigten Vermögens im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge gegen Versorgungsleistungen als Veräußerung zu qualifi zieren ist. Er hat diese Frage wie folgt entschieden: − Die ertragsteuerlichen Veräußerungsfi ktionen13 sind nicht anwendbar (obiter dictum). − Für die Frage, ob ein Vorgang als Veräußerung zu qualifizieren ist, kommt es auf die erbschaft-/schenkungssteuerliche Sicht der Dinge an. Es sticht geradezu ins Auge, dass der BFH sich – jedenfalls ausweislich der Urteilsgründe – nicht damit auseinandersetzt, ob die zu beurteilende Frage nicht unter hervorgehobener Berücksichtigung des Begünstigungszwecks zu prüfen und entscheiden wäre. Der BFH tut so, als gebe es einen Zusammenhang der Nachsteuertatbestände mit dem Begünstigungszweck gar nicht. Er repetiert vielmehr die überkommene schenkungsteuerliche Qualifi kation der Versorgungsleistungen als Gegenleistung oder Leistungsauflage und erklärt diese ohne großes Federlesen für maßgeblich. Das kann man nicht anders bezeichnen als reine Begriffsjurisprudenz. Welche Gesichtspunkte wären für die Entscheidung wichtig gewesen? Folgt man dem Gesetz und den Erbschaftsteuerrichtlinien, kann man erkennen, dass die unentgeltliche (Weiter-) Übertragung des begünstigten Vermögens unschädlich sein soll. Ratio: der Erwerber schichtet die Substanz dieses Vermögen nicht in ungebundenes Vermögen um. In der Logik dieses Ausgangspunktes liegt es weiter, auch Vermögensübertragungen unter Nutzungsvorbehalt als unschädlich zu qualifi zieren, denn der Vorbehalt bezieht sich nur auf die Erträge dieses Vermögens, nicht auf seine Substanz. Dem wird man auch dann zustimmen, wenn man die erbschaftsteuerliche Systematik für allein maßgebend hält. Die Frage ist nun, wie zu entscheiden ist, wenn der Transfer der Früchte zum Nutzungsberechtigten nicht mittels eines Nutzungsvorbehalts, sondern in der Weise bewirkt wird, dass der Übernehmer die Erträge aus der übertragenen Vermögenssubstanz erwirtschaftet und sodann – vollständig oder partiell – als Versorgungsleis10 So die Revisionsentscheidung zu FG Münster EFG 2002, 562, BFH v. 2. 3. 2005 – II R 11/02, ZEV 2005, 353 m. Anm. Hübner, aaO., 354. 11 §§ 6 Abs. 6 Satz 2, 17 Abs. 1 Satz 2, 23 Abs. 1 Satz 5 EStG; erbschaft-/schenkungsteuerliche Fiktionen enthalten die § 13a Abs. 5 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 2, Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 ErbStG. 12 BFH, Urt. v. 2. 3. 2005 – II R 11/02, ZEV 2005, 353. 13 Fn. 11.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG tungen an den Nutzungsberechtigten transferiert. Hierzu führt der BFH lediglich aus, dass die ertragsteuerliche Betrachtung der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen als unentgeltlicher Vorgang „spezifisch einkommensteuerrechtliche Gründe“ habe. Das dürfte wohl kaum richtig sein. Denn die Qualifi zierung der Versorgungsleistungen durch den Großen Senat des BFH als vorbehaltene Erträge ist m. E. keineswegs eine rein einkommensteuerliche, sondern vielmehr eine zutreffende wirtschaftliche Qualifi zierung. Das muss jedenfalls seit der Entscheidung des Großen Senats GrS 1/00 vom 12. 3. 200314 gelten, nach der die Versorgungsleistungen vollständig aus den Erträgen des übergebenen Vermögens finanzierbar sein müssen. Denn damit wird der Grundgedanke der vorbehaltenen Erträge konsequent umgesetzt. Überhaupt bedarf die schenkungsteuerliche Qualifi zierung der Versorgungsleistungen vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des Großen Senats der Überprüfung; denn sie führt insbesondere dann zu schwer lösbaren Ungereimtheiten, wenn ein Nutzungsvorbehalt durch Versorgungsleistungen abgelöst wird15. Dass der BFH bei dieser Ausgangslage letztlich allein mit Leerformeln auf die Maßgeblichkeit überkommener Differenzierungen des Schenkungsteuerrechts verweist, ist schon erstaunlich. Die Weitergabe des Vermögens gegen Versorgungsleistungen zielt auf eine Aufrechterhaltung der erhöhten Sozialgebundenheit im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge. Allein der Umstand, dass sich der Übergeber eine mittelbare Nutzung der Erträge des übergebenen Vermögens zu seiner Versorgung vorbehält, kann die Unschädlichkeit dieses Vorgangs nicht beeinträchtigen. Am Rande: Man sollte sehen, dass die hier geforderte Neuausrichtung der schenkungsteuerlichen Qualifi zierung von Versorgungsleistungen nicht in jeder Konstellation vorteilhaft ist. Die traditionelle Qualifikation der Übertragung gegen Versorgungsleistungen als gemischte Schenkung entzieht der Schenkungsteuer einen Teil der Bemessungsgrundlage, während die Anwendung der Grundsätze der Nutzungsauflage jedenfalls im Anwendungsbereich des § 25 ErbStG den Steuerwert des übertragenen Vermögens ungekürzt der Schenkungsteuer zugrunde legt. 2. Umwandlungs- und Einbringungsvorgänge 2.1 Übertragende Umwandlung Besonders gravierend sind die Ungereimtheiten bei den Umwandlungs- und Einbringungsvorgängen. Zunächst ist festzustellen, dass jedenfalls die Vor14 BFH v. 12. 3. 2003 – GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95. 15 Dazu Hübner, Steueranwaltsmagazin 2004, 42.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG gänge der Verschmelzung und Spaltung tauschähnliche Vorgänge sind und deshalb bereits als Veräußerungsvorgänge zu qualifi zieren sind. Dass allein deshalb eine Nachbesteuerung sachgerecht ist, wird man ebenso bezweifeln müssen, wie die Nachsteueranordnung in § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG für alle Fälle der Vermögensübertragung. Denn typischerweise ist mit diesen Vorgängen gerade keine Umschichtung sozial gebundenen Vermögens in ungebundenes Vermögen verbunden, sondern eine in ihrer Qualität unveränderte Fortsetzung der Sozialgebundenheit. Die Anteile an dem aufnehmenden Rechtsträger sind – um in der Diktion des Tauschgutachten zu formulieren – unter dem Gesichtspunkt der Sozialgebundenheit in aller Regel wert-, art- und funktionsgleich mit den Anteilen an dem übertragenden Rechtsträger. Weshalb dann also eine Nachsteueranordnung? Dieser Thematik hat sich jüngst das FG Münster16 in dankenswerter Weise und mit einer positiv zu konstatierenden, allerdings in der Rechtsprechung nicht weit verbreiteten Hinwendung zum Begünstigungsgrund angenommen. Entgegen der klaren Nachsteueranordnung des Gesetzeswortlauts glaubt das FG Münster, unter Berufung auf eine Verletzung des Übermaßverbots die Nachsteueranordnung im Wege verfassungskonformer Auslegung auf solche Fälle beschränken zu können, in denen ein Gesellschafter im Zuge der Verschmelzung gegen Abfindung ausscheidet. Das wäre ohne Zweifel ein Fall, in dem sozial gebundenes in ungebundenes Vermögen umgeschichtet wird. Der klassische Fall der Verschmelzung, in dem ein Gesellschafter seine Anteile an der übertragenden Gesellschaft in Anteile an der aufnehmenden Gesellschaft tauscht, wäre dagegen von der Nachsteueranordnung des Gesetzes nicht betroffen. In der Sache verdient die Entscheidung des FG Münster uneingeschränkte Zustimmung, weil sie in beispielhafter Weise versucht, die Nachsteueranordnung nur dann eingreifen zu lassen, wenn und soweit das materielle Anliegen des Gesetzes, nämlich die Nachhaltigkeit der Sozialgebundenheit entfällt. 2.2 Einbringungsvorgänge Ebenso absurd ist die Sachlage, wenn man die Folgen der Einbringung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in andere Kapitalgesellschaften oder in Personengesellschaften untersucht und danach differenziert, ob die Anteile an der Kapitalgesellschaft im Betriebs- oder im Privatvermögen gehalten werden. Beispiel (Ausgangsfall): S hat die Anteile an der V-Besitz GmbH & Co. KG, in der er als alleiniger Kommanditist 100 % des Festkapitals – sowie den einzigen Geschäftsanteil der Komplemen16 FG Münster, Urt. v. 14. 10. 2004 – 3 K 901/02 Erb, EFG 2005, 292.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG tär-GmbH – hält, und die Anteile an der V-Betriebs-GmbH von seinem Vater (V) geerbt. Die V-Besitz GmbH & Co. KG verpachtet ein Betriebsgrundstück an die V-Betriebs GmbH. S bringt seine Beteiligung an der V-Betriebs-GmbH in die ebenfalls von ihm allein gehaltene S-Holding GmbH ein. Abwandlung: Die Kommanditanteile an der Besitz-Gesellschaft und der Geschäftsanteil an der Komplementär-GmbH wurden von der Ehefrau (F) des V gehalten (F-Besitz GmbH & Co. KG). Beim Tod des V erwarb S deshalb nur die Anteile des V an der V-BetriebsGmbH. Er bringt diese Anteile in die S-Holding GmbH ein.
Im Ausgangsfall (Betriebsaufspaltung) unterliegt der Einbringungsvorgang nicht der Nachbesteuerung. Das steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, ergibt sich aber mittelbar daraus, dass nach dem Gesetz eine Nachbesteuerung erst stattfindet, wenn „Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert werden, die der Veräußerer durch eine Sacheinlage (§ 20 Abs. 1 UmwStG) aus dem Betriebsvermögen im Sinne des Absatz 4 erworben hat …“, wozu auch das Sonderbetriebsvermögen gehört (§ 97 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 BewG). Das setzt naturgemäß voraus, dass nicht bereits der Einbringungsvorgang selbst die Nachbesteuerung auslöst. Ergebnis also: Einbringungen aus dem Betriebsvermögen sind begünstigungsunschädlich. Das ist sachlich vernünftig, denn die Sozialgebundenheit des begünstigt erworbenen Vermögens wird durch den Einbringungsvorgang nicht berührt. Auch sind – vom Gesetz ausdrücklich anerkannt – unter dem Gesichtspunkt der erhöhten Sozialgebundenheit die Anteile an der Holding GmbH typischerweise wert-, art- und funktionsgleich. In der Abwandlung gilt eigentlich dasselbe: Es ist nicht erkennbar, weshalb die Sozialgebundenheit des begünstigten Vermögens durch die Einbringung leiden sollte: Die Arbeitsverhältnisse in der Betriebs-GmbH werden durch den Einbringungsvorgang nicht berührt, es werden weiter Löhne, Sozialversicherungsbeiträge und Beiträge für die betriebliche Altersversorgung gezahlt, es besteht unverändert weiter ein Betriebsrat mit der Folge, dass im Fall etwa einer Insolvenz ein Sozialplan zu erstellen ist, etc. etc. Gleichwohl wird man – sofern man nicht den Begriff der Veräußerung durch eine am Begünstigungsgrund orientierte teleologischen Auslegung (und das muss heißen: Reduktion) zurückschneidet – bei einer allein am objektiven Sinngehalt des Wortlauts orientierten Auslegung zur Nachsteuerrelevanz der Einbringung kommen, weil § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG – anders als § 13a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG – keinen Verlängerungstatbestand kennt, der eine Nachbesteuerung erst bei der Veräußerung der aus der Einbringung hervorgegangenen Anteile an dem aufnehmenden Rechtsträger anordnet. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten wird man sich fragen müssen, ob es einen sachlichen Differenzierungsgrund gibt, der es erlaubt, Einbringungen von im Privatvermögen gehaltenen Beteiligungen der Nachbesteu148
Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG erung zu unterwerfen, während dies bei der Einbringung von Beteiligungen, die im (Sonder-) Betriebsvermögen gehalten werden, nicht der Fall ist. Ich meine, dass ein solcher Gesichtspunkt nicht in Sicht ist. Ein weiterer Grund, den Begriff der Veräußerung in aus verfassungsrechtlicher Sicht zu reduzieren. 2.3 Formwechsel Nicht weniger absurd stellt sich die Situation dar, wenn man die Nachsteuerrelevanz des heterogenen17 Formwechsels untersucht: − Während für den Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft die Regeln der Einbringung mit der Folge anzuwenden sind, dass erbschaft-/schenkungsteuerlich eine Nachbesteuerung nicht stattfindet, ist beim − Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft § 14 UmwStG anzuwenden mit der Folge, dass der Wortlaut des § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG – jedenfalls vordergründig – eine Nachbesteuerung anordnet. Das verstehe, wer will und kann. M. E. ist die Erwähnung des § 14 UmwStG im Katalog der nachsteuerschädlichen Umwandlungsvorgänge allenfalls auf ein redaktionelles Versehen zurückzuführen. In der Sache gerechtfertigt ist diese Nachsteueranordnung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt. Wenn man aber schon am Wortlaut des Gesetzes klebt und den Bezug der Nachsteuertatbestände zum Begünstigungsgrund nicht beachtet, wird man aber doch wohl zugeben müssen, dass § 13a Abs. 5 Nr. 4 ErbStG in den dort aufgezählten Umwandlungsfällen eine Vermögensübertragung voraussetzt. Dass diese Voraussetzung im Fall des Formwechsels nicht gegeben ist, ist evident und dürfte auch allgemein einsichtig sein. Gleichwohl wird man nicht von vorneherein ausschließen können, dass der BFH an dieser Stelle die Relevanz der ertragsteuerlichen Betrachtung neu entdeckt, die eine Vermögensübertragung allein mit der spezifischen Funktion fingiert, den Wechsel des Besteuerungssystems bewältigen zu können18. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass derartige Erwägungen mit dem Begünstigungsgrund des § 13a ErbStG nichts zu tun haben. 17 Der homogene Formwechsel dürfte nicht nachsteuerrelevant sein. Vgl. zur ertragsteuerlichen Qualifi zierung Tz. 01.05 und 24.02 UmwSt-Erlass v. 25. 3. 1998 – IV B 7 – S 1978 – 21/98, IV B 2 – S 1909 – 33/98, BStBl. I 1998, 268. 18 Man kann in diesem Kontext aber darauf verweisen, dass der BFH in der Entscheidung vom 2. 3. 2005 – II R 11/02, ZEV 2005, 353 – allerdings in einem obiter dictum – ausdrücklich anerkannt hat, dass ertragsteuerliche Veräußerungsfi ktionen im Kontext des § 13a Abs. 5 ErbStG nicht per se relevant sind.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG 3. Betriebsaufgabe und Auflösung einer Kapitalgesellschaft Der gesellschaftsrechtliche Begriff der Auflösung bezeichnet grundsätzlich19 nicht das zivil- oder steuerrechtliche Ende der Kapitalgesellschaft, sondern deren Übergang von der werbenden Tätigkeit am Markt in das Liquidationsstadium und die damit verbundene Änderung des Gesellschaftszwecks. Die Auflösungsgründe sind in § 60 GmbHG, § 262 AktG geregelt. Mit der Anknüpfung der Nachsteuerregelungen an den gesellschaftsrechtlichen Auflösungstatbestand wird im Gegensatz zu den Personenunternehmen der maßgebliche Zeitpunkt extrem nach vorne verlagert, sogar in eine Phase, in der die Gesellschafter ohne weiteres noch die Fortsetzung der Gesellschaft (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG) oder deren Sanierung beschließen können. Geschieht dies, so ist nicht einzusehen, weshalb dann gleichwohl eine Nachbesteuerung erfolgen soll. De lege ferenda sollte der maßgebende Zeitpunkt auf die Vollbeendigung der Gesellschaft verlagert werden, schon um gesetzgeberische Anreize zur Verzögerung von Insolvenzanträgen20 zu vermeiden. Im Übrigen sollte die Nachbesteuerung auf den Wert des Gesellschaftsvermögens beschränkt werden, das im Zuge der Liquidationsabwicklung an die Gesellschafter ausgekehrt wird (§ 72 GmbHG, § 271 AktG) und im Zuge dieser Auskehrung in ungebundenes Vermögen umgeschichtet wird. In einem auffälligen Unterschied zu den Kapitalgesellschaften ist bei Personengesellschaften die Auflösung der Gesellschaft und deren Übergang in das Liquidationsstadium ohne jede Relevanz. Insoweit stellt das Gesetz nicht auf gesellschaftsrechtliche Kategorien ab, sondern auf den ertragsteuerlichen Begriff der Betriebsaufgabe i. S. d. § 16 EStG. Dieser Begriff setzt voraus, dass auf Grund eines (1) Aufgabeentschlusses (2) die bisher in dem Betrieb entfaltete gewerbliche Tätigkeit endgültig eingestellt wird, (3) alle wesentlichen Betriebsgrundlagen (4) in einem einheitlichen Vorgang, also innerhalb kurzer Zeit (5) entweder insgesamt klar und eindeutig, äußerlich erkennbar in das Privatvermögen überführt oder anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt oder an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt werden und (6) dadurch der Betrieb als selbstständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört.21 Diese umfangreiche Definition des Begriffs der Betriebsaufgabe hat eine spezifisch ertragsteuerliche Abgrenzungsfunktion, sie soll die Betriebsaufgabe von der Betriebsveräußerung, der Strukturveränderung, Betriebsverlegung, Betriebsunterbrechung und der allmählichen Abwicklung unterscheidbar machen. Die ebenfalls im Rahmen der Nach19 Ausnahme: § 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG; § 262 Abs. 1 Nr. 6 AktG. 20 §§ 60 Abs. 1 Nr. 4, 64, 71 Abs. 4, 84 GmbHG; §§ 92 Abs. 2, 262 Abs. 1 Nr. 3, 268 Abs. 2, 401 AktG. 21 Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl., § 16 EStG Rz. 173.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG steuerbestimmungen relevante allmähliche Abwicklung wird man demgegenüber nicht der Betriebsaufgabe gleichstellen können; sie wird, soweit sie als Entnahme wesentlicher Betriebsgrundlagen die ertragsteuerliche Identität des Betriebes betrifft, unter § 13a Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG zu subsumieren sein, im Übrigen nur nach Maßgabe des § 13a Abs. 5 Nr. 3 ErbStG (Überentnahme) begünstigungsschädlich sein. Der BFH22 hat sich im Rahmen einer Aussetzungsentscheidung mit der Frage befasst, ob der Aufgabe- oder Auflösungsgrund der Insolvenz einer Nachbesteuerung entgegensteht. Er hat zunächst in dem Beschluss vom 7. 7. 200423 durchaus den Eindruck erweckt, als sei dies jedenfalls nicht eindeutig. Zwischenzeitlich hat er sich in der Entscheidung vom 16. 2. 200524 festlegt, und zwar in dem Sinn, dass die Insolvenz die Nachbesteuerung auslöst. Offenbar beabsichtigt der BFH, allein auf die Verwirklichung des objektiven Nachsteuertatbestandes abzustellen. Dass das sachgerecht ist, wird man in einer Vielzahl von Konstellationen bezweifeln müssen. Denn der Gesetzgeber will die Fortsetzung des unternehmerischen Engagements durch die Unternehmensnachfolger intendieren; folgen diese der gesetzgeberischen Intention, bedeutet dies zwangsläufig auch die Übernahme der unternehmerischen Risiken durch die Nachfolger. Eine Nachbesteuerung muss dann aber insoweit ausgeschlossen sein, als sich eben diese unternehmerischen Risiken konkretisieren mit der Folge, dass das erworbene Vermögen innerhalb der Behaltefrist wertlos wird (gerade im Fall der Insolvenz). Eine gesetzliche Regelung, die in derartigen Fällen allein auf Billigkeitsmaßnahmen verweisen kann, ist bereits im Ansatz verfehlt. Richtig wäre es dagegen, die Nachbesteuerung auf den verbliebenen Wert des begünstigten Vermögens zu beschränken, der nach dem Fehlschlagen des unternehmerischen Engagements der Nachfolger noch vorhanden ist und in ungebundenes Vermögen umgeschichtet wird. Soweit gebundenes Vermögen dagegen während des Bestehens der erhöhten Sozialgebundenheit an Wert verliert, muss eine Nachbesteuerung unterbleiben.
22 BFH, Urt. v. 16. 2. 2005 – II R 39/03, ZEV 2005, 351 m. Anm. Hübner, aaO., 355: „Der Wegfall der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 2 a Satz 3 ErbStG a. F. tritt unabhängig davon ein, aus welchen Gründen das begünstigt erworbene Betriebsvermögen veräußert oder der Betrieb aufgegeben wurde; eine teleologische Reduktion des Nachversteuerungstatbestands kommt insoweit nicht in Betracht.“ 23 BFH, Beschl. v. 7. 7. 2004 – II B 32/04, BStBl. II 2004, 747: „Es ist ernstlich zweifelhaft i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO, ob die Steuervergünstigungen des § 13a ErbStG für den Erwerb eines Anteils an einer KG nachträglich gemäß Abs. 5 Nr. 1 der Vorschrift wieder entfallen, wenn der Anteil dadurch untergeht, dass über das Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet wird und der Konkursverwalter den Gewerbebetrieb der KG aufgibt.“ 24 BFH, Urt. v. 16. 2. 2005 – II R 39/03, ZEV 2005, 351.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG Über diese Fragen, die sich im Grunde jedem aufdrängen, der sich mit dieser Problematik befasst, setzt sich der BFH doch recht lapidar hinweg: das Ziel der Begünstigung werde objektiv verfehlt. Aber man kann noch mehr erstaunliches lesen. So heißt es etwa: Es bestehe aus Verfassungsgründen kein Zwang, die Begünstigung zu gewähren; die günstige Bewertung reiche aus, um die unternehmerischen Risiken adäquat in der Bemessungsgrundlage abzubilden. Auch praktische Probleme halten von einer teleologischen Reduktion ab: Es könnte sein, dass der Erwerber dem Betrieb noch „rechtzeitig“ Vermögensgegenstände entzogen hat. Oder noch schlimmer: im entschiedenen Fall hatte der Kläger keinerlei Angaben zu den im Zusammenhang mit dem begünstigten Vermögen erlangten Vermögensvorteilen gemacht. Es ist zwar nicht erkennbar, was das mit der zu entscheidenden Frage zu tun haben soll, gleichwohl: was liegt bei einem derartigen Abgrund an Mißbrauchsgefahren näher, als kurzerhand zur Nachbesteuerung zu schreiten. Offenbar fehlt den Entscheidungsträgern jede Sensibilität für die wirtschaftlichen Folgen ihrer Entscheidungen bei den Betroffenen. Denn nimmt man den BFH beim Wort, muss die Empfehlung des Beraters wie folgt lauten: Das ererbte Unternehmen muss unmittelbar nach dem Erbfall [ohne Rücksicht auf eine eventuelle soziale Verpflichtung] veräußert oder liquidiert werden, jedenfalls solange es noch einen wirtschaftlichen Wert hat. Keinesfalls dürfen unternehmerische Risiken übernommen werden, denn sonst droht der persönliche Ruin: Wird das Unternehmen insolvent – was bekanntermaßen auch ohne Missbrauchsabsicht denkbar ist –, ist nicht nur der Wert des ererbten Vermögens verloren. Nein: man muss dafür auch noch Erbschaftsteuer nachentrichten. Im Wortlautzusammenhang mit der Betriebsaufgabe, systematisch in Zusammenhang mit der Spaltung von Gesellschaften steht die Frage, welche Folgen die Realteilung einer Personengesellschaft – etwa auch im Rahmen einer Erbauseinandersetzung – hat. R 63 Absatz 3 Satz 2 ErbStR ordnet die Unschädlichkeit einer Realteilung an ohne Unterschied, ob die Realteiler in betriebliche Einheiten (Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil) nachfolgen oder lediglich einzelne Wirtschaftsgüter erhalten, ob ein gewinnrealisierender Spitzenausgleich gewährt wird oder nicht. Anderer Ansicht ist das FG Rheinland-Pfalz25, das jedenfalls dann eine Schädlichkeit annehmen will, wenn den einzelnen Realteilern nur einzelne Wirtschaftsgüter 25 FG Rheinland-Pfalz v. 25. 2. 2005 – 4 K 1777/02, EFG 2005, 1144 – rkr. Der Fall macht auch deutlich, dass die Steuerverwaltung sich an die Richtlinien offenbar nur dann gebunden fühlt, wenn dies dem Steueraufkommen dient. Es ist unverständlich, wie das zuständige Finanzamt entgegen der klaren Weisung in R 63 Abs. 3 Satz 2 ErbStR eine nachsteuerrelevante Betriebsaufgabe annehmen konnte.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG zugewiesen werden. Die Begründung des FG Rheinland-Pfalz stützt sich im Kern darauf, dass es Voraussetzung der Begünstigung sei, dass betriebliche Einheiten insgesamt und im ertragsteuerlichen Sinn identitätswahrend – also zusammen mit allen wesentlichen Betriebsgrundlagen – auf den Nachfolger übergehen. Außerdem erörtert das Gericht breit die ertragsteuerlichen Fragen der Realteilung und der Betriebsaufgabe. Dies alles ist meines Erachtens irrelevant. Denn weder aus dem Gesetzeswortlaut, noch aus dem Bereicherungsprinzip, noch aus dem Begünstigungsgrund lässt sich das Identitätserfordernis26 ableiten; es handelt sich bei dieser These um ein reines Phantom. Denn nach dem Gesetz, dem Bereicherungsprinzip und der Rechtsprechung des BVerfG kommt es allein darauf an, ob der Erwerb des Nachfolgers einer erhöhten Sozialbindung unterliegt und damit dessen Bereicherung gemindert ist. Bei richtiger Betrachtung ist allein maßgebend die Sozialgebundenheit des übergehenden Vermögens beim Erwerber und die damit einhergehende Minderung der Bereicherung oder Leistungsfähigkeit des Erwerbers. Darauf konnte man im konkreten Fall allerdings kaum abstellen, weil es um einen ruhenden Gewerbebetrieb ging, der aufgrund dieses Umstandes einer lediglich fi ktiven Sozialbindung unterlag, materiell also gar nicht begünstigungswürdig war. Es liegt auf der Hand, dass sich derartige Fallgestaltungen für grundsätzliche Erwägungen nicht gerade anbieten. Im konkreten Fall habe ich deshalb auch mit dem gefundenen Ergebnis keine Probleme, wohl aber mit der Begründung. Denn es kann für das Maß der Bereicherung des Erwerbers doch keinen Unterschied machen, welcher Realteiler nun etwa das von zwei Teilbetrieben gemeinsam genutzte Betriebsgrundstück erhält. Eine derartige Konstellation reicht doch schon aus, um aus dem Anwendungsbereich des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG heraus und in den des Satzes 3 zu gelangen, was nach der Begründung des FG wiederum zur Folge hat, dass eine Nachbesteuerung statt zu finden hat; keine Rolle soll es nach dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz dagegen spielen, wenn alle Arbeitsplätze erhalten bleiben, die Realteiler auch weiterhin Sozialversicherungsbeiträge bezahlen etc. Auch hier mein Votum: Wir müssen diese begriffsjuristischen Auslegungsformalismen hinter uns lassen und die Entscheidungen davon abhängig machen, ob und in welchem Umfang sozial gebundenes Vermögen in ungebundenes Vermögen umgeschichtet wird.
26 Vgl. hierzu Viskorf/Hübner/Glier/Knobel/Schuck, ErbStG/BewG, 2. Aufl., § 13a ErbStG Rz. 28 ff.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG 4. Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen Sowohl bei Kapitalgesellschaften (Nr. 4 Satz 2) als auch bei Personenunternehmen (Nr. 1 Satz 2; vgl. auch Nr. 2 Satz 2) führt nach dem Gesetzeswortlaut die Veräußerung – bei Personenunternehmen auch die Entnahme und die Zuführung zu anderen betriebsfremden Zwecken – wesentlicher Betriebsgrundlagen grundsätzlich zur Nachbesteuerung, wobei das Gesetz bei Kapitalgesellschaften als zusätzliche Voraussetzung die „Verteilung des [welchen?] Vermögens an die Gesellschafter“ fordert. In beiden Fällen wird dieser Tatbestand einer Veräußerung des begünstigten Vermögens gleichgestellt („Gleiches gilt …). Diese Bestimmungen provozieren eine Vielzahl von Fragen. In jüngerer Zeit haben sich zwei Finanzgerichte mit der Thematik der wesentlichen Betriebsgrundlagen befasst: Das FG Düsseldorf27 hatte den Fall zu entscheiden, dass ein Betriebsgrundstück im Zuge der Begründung einer mitunternehmerischen Betriebsaufspaltung aus einer Betriebs-KG zu Buchwerten (Streitjahr: 1995) auf eine personen- und beteiligungsidentische Besitz-KG überführt wurde und hat diesen Vorgang als begünstigungsschädlich qualifi ziert. Zur Begründung verweist das FG darauf, dass es für die Frage, ob eine Veräußerung vorliege, auf eine formale bürgerlich-rechtliche Betrachtungsweise abstelle. Außerdem verweist es auf die Vermögensminderung, da der übertragenden KG keine Gegenleistung für die Überführung zugeflossen sei und deshalb eine Minderung des Betriebsvermögens dieser Gesellschaft eingetreten sei. Der letztgenannte Gesichtspunkt legt es eigentlich eher nahe, den Nachsteuertatbestand der Entnahme zu bemühen, als den einer Veräußerung, der jedenfalls nach meinem Verständnis gerade keine buchwertneutrale, also im ertragsteuerlichen Kontext unentgeltliche Überführung oder Übertragung meint. Aber darauf kommt es letztlich nicht an: Das FG geht mit keinem Wort darauf ein, dass es für die Entscheidung möglicherweise darauf ankommen könnte, ob bei der vorliegenden Konstellation Vermögen der erhöhten Sozialbindung entzogen und in umgebundenes Vermögen umgeschichtet wird. Statt dessen wird der Leser mit bedeutsamen Mitteilung konfrontiert, dass das FG eine formale bürgerlich-rechtliche Betrachtung für maßgeblich hält. Wenn das keine Begriffsjurisprudenz ist, was dann. Richtigerweise hätte das FG sich mit der Frage befassen müssen, welche Konsequenzen betriebliche Umstrukturierungen oder Umorganisationen vor dem Hintergrund des Begünstigungsgrundes für die Nachbesteuerung haben sollen. Und hier sollte sich die Auffassung durchsetzen, dass derar27 FG Düsseldorf, Urt. v. 23. 2. 2005 – 4 K 1218/03 Erb, EFG 2005, 1138 zu § 13 Abs. 2a ErbStG a. F.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG tige Umstrukturierungen begünstigungsunschädlich sind, solange sie nicht begünstigtes Vermögen in ungebundenes Vermögen umschichten und der erhöhten Sozialbindung entziehen. Man könnte sich der Thematik ja auch mit der folgenden Kontrollfrage nähern: Wäre das betreffende Vermögen oder Wirtschaftsgut begünstigt, wenn der Erwerb nach der Umstrukturierung stattgefunden hätte28? Wenn man diese Frage bejahen kann, dann sollte man den Erwerber nicht allein deshalb, weil er etwas getan hat, was der Erblasser begünstigungsunschädlich hätte tun können, zur Nachsteuer heranziehen. Und im Übrigen: Gerade der Weg in eine Betriebsaufspaltung mag in einer Reihe von Fällen zu einer nicht unwesentlichen Stabilisierung eines Unternehmens und damit zur Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen. Und noch etwas: Hätte der Erwerber seine erworbene Beteiligung an der Betriebs-KG in eine Holding eingebracht, und sodann durch die Holding eine Besitz-Schwester-KG gegründet und das Wirtschaftsgut aus der BetriebsKG in die Besitz-KG überführt, hätte es auch bei einer formal bürgerlichrechtlichen Betrachtung an einem Nachsteuertatbestand gefehlt. Der Fall der FG Saarland29 war wie folgt gelagert: Nach der Schenkung von KG-Anteilen und von Anteilen an einer Komplementär-GmbH wurden wesentliche Betriebsgrundlagen in das Privatvermögen der Beschenkten entnommen. Hier kann man in der Tat nur der – nur für § 13 Abs. 2a ErbStG a. F. relevanten – Frage nachgehen, ob eine schädliche Verfügung unmittelbar gegen den Freibetrag zu verrechnen ist 30 oder ob eine Nachbesteuerung nur insoweit in Betracht kommt, als sich eine Minderung der Begünstigung ergeben würde, wenn das entnommene Wirtschaftsgut von Anfang nicht begünstigt worden wäre31. 5. Kapitalmaßnahmen Während Kapitalerhöhungen grundsätzlich ohne Folgen für die Nachsteuerregelungen sind, gilt für Kapitalhersetzungen iVm. Ausschüttungen/Entnahmen etwas anderes. Sowohl bei Kapitalgesellschaften als auch bei Personengesellschaften kann man Maßnahmen mit Folgen für das Stamm-, Grund-, Fest- oder das übrige Eigenkapital unterscheiden. Während bei einer Kapitalgesellschaft eine förmliche Herabsetzung des gezeichneten Ka-
28 Vgl. auch den Gedanken des R 67 Abs. 1 Satz 2 ErbStR. 29 FG Saarland, Urt. v. 26. 4. 2005 – 2 K 270/01, EFG 2005, 1142 zu § 13 Abs. 2a ErbStG a. F. 30 So – m. E. zu Unrecht – die gleich lautenden Länderlasse vom 29. 11. 1994, BStBl. I 1994, 905. 31 So nunmehr zutr. R 67 Abs. 1 Satz 2 ErbStR.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG pitals schädlich sein kann, sind vergleichbare Maßnahmen bei Personengesellschaften vollständig unschädlich, solange nicht eine Entnahme folgt. 5.1 Personengesellschaften Veränderungen des Eigenkapitals sind bei Personengesellschaften nur insoweit nachsteuerrelevant, als es sich um Entnahmen handelt. Schädliche Entnahmen können vorliegen, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen entnommen oder im Fall der Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen der Veräußerungserlös entnommen wird oder wenn es sich um Überentnahmen i. S. d. § 13a Abs. 5 Nr. 3 ErbStG handelt. Die Umgliederung von verschiedenen Eigenkapitalpositionen, etwa die Herabsetzung von Festkapital oder der Einlage oder Haftsumme eines Kommanditisten ist für sich unschädlich. Die ErbStR (R 65 Abs. 1 Satz 4 ErbStR) sprechen sich für eine ertragsteuerliche Deutung des Begriffs der Entnahme aus. Weiter ergibt sich aus R 65 Abs. 5 Satz 2 ErbStR inzidenter, dass damit nicht der Entnahmebegriff des § 15a Abs. 3 EStG gemeint sein kann. Die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Gesamthandsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen ist demnach nicht als eine Entnahme zu qualifi zieren. Eine Entnahme liegt danach ebenfalls nicht vor, wenn haftendes Eigenkapital in ein Gesellschafterdarlehen und damit in Fremdkapital der Gesellschaft umgewandelt wird. Auch die Gutschrift von Tätigkeitsvergütungen auf einem variablen Kapital – oder Darlehenskonto ist für sich noch keine Entnahme in diesem Sinn. 5.2 Kapitalgesellschaften Die Regelungen über die Kapitalherabsetzung gehen zum Teil weit über den Gesetzeszweck hinaus und bedürfen einer teleologischen Reduktion. Insoweit ist Verwaltung ausnahmsweise einer in der Literatur geäußerten Kritik32 gefolgt und hat die nur nominelle Kapitalherabsetzung von der Nachbesteuerung ausgenommen (R 66 Abs. 2 ErbStR). Die in R 66 Abs. 2 ErbStR gewählte Formulierung nimmt auch solche Fälle von der Nachbesteuerung aus, in denen die Kapitalherabsetzung mit dem Ziel des Verlustausgleichs erfolgt und der hierfür – noch – nicht benötigte Ertrag aus der Kapitalherabsetzung in die Rücklage eingestellt wird. Auszugehen ist zunächst von den durch das Gesetz verwendeten Begriffen. Danach kann Anknüpfungspunkt für eine Nachbesteuerung nur eine Herabsetzung des Nennkapitals, also des gezeichneten Kapitals sein. Die Her32 Hübner, NWB F. 10 S. 701 ff., 708 f.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG absetzung und Ausschüttung anderer Bestandteile des bilanziellen Eigenkapitals, also etwa der Kapital- oder Gewinnrücklage oder eines Gewinnvortrags wird vom Gesetz nicht missbilligt. Begünstigungsschädlich ist es also nur, wenn Ausschüttungsvolumen durch die Herabsetzung des gezeichneten Kapitals generiert wird und dieses „Vermögen an die Gesellschafter verteilt“, sprich ausgeschüttet wird. Beispiel: A schenkt seinem Sohn S einen Geschäftsanteil an seiner bisherigen Ein-MannGmbH im Umfang des hälftigen Stammkapitals. Das bilanzielle Eigenkapital ist wie folgt ausgewiesen: 1. Variante: Stammkapital 25.000 ; Kapitalrücklage 500.000 . 2. Variante: Stammkapital 500.000 ; Kapitalrücklage 25.000 . Nach der Schenkung soll eine Ausschüttung im Umfang von 400.000 erfolgen, wovon 200.000 auf S entfallen.
In der ersten Variante ist die Ausschüttung nicht begünstigungsschädlich, weil zwar das Eigenkapital reduziert wird, das Nennkapital jedoch nicht herabgesetzt werden muss. Anders in der zweiten Variante: Das angestrebte Ausschüttungspotenzial lässt sich nur durch eine schädliche Kapitalherabsetzung des Stammkapitals mobilisieren. Unschädlich ist es jedoch, das Stammkapital unverändert zu belassen und die Ausschüttung durch die Aufnahme eines Darlehens zu finanzieren. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist es unerheblich, ob das herabgesetzte Nennkapital durch eine Kapitalerhöhung nach dem Erwerb zustandegekommen ist, ebenso ob eine vorhergehende Erhöhung aus Gesellschaftsmitteln – Umwandlung von Rücklagen in Nennkapital – oder durch Einlagen finanziert wurde. Beides kann nicht richtig sein. Der Erwerber muss die Möglichkeit haben, in begünstigungsunschädlicher Weise den Status quo im Zeitpunkt des Erwerbs wiederherzustellen. Auch insoweit ist eine teleologische Reduktion des Tatbestandes erforderlich. Bei einer Gegenüberstellung mit den für Personengesellschaften geltenden Regelungen fällt auf, dass bei Kapitalgesellschaften das gesamte Ausschüttungsvolumen in Form einer Gewinn- oder Kapitalrücklage oder eines Gewinnvortrags, das im Zeitpunkt des Erwerbs bereits vorhanden war, unschädlich ausgeschüttet werden kann. Lediglich der Zugriff auf das gezeichnete Kapital wird mit Sanktionen belegt. Demgegenüber ist ein vergleichbarer Entnahmevorgang bei Personenunternehmen an der kleinkarierten Entnahmebeschränkung der Nr. 3 zu messen.
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Hübner, Die Nachsteuertatbestände des § 13a ErbStG
IV. Ausblick In der Folge des sog. „Job-Gipfels“ im März 2005 haben die Bundesregierung33, die Fraktion der CDU/CSU34 und der Bundesrat35 Gesetzentwürfe „zur Sicherung der Unternehmensnachfolge“ eingebracht, die eine Reihe grundlegender Veränderungen der erbschaft-/schenkungsteuerlichen Begünstigung des so genannten Produktivvermögens zum Gegenstand haben. Sämtliche Entwürfe sind nicht ausgereift und weisen im Detail gravierende Mängel auf, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Dies gilt übrigens völlig unabhängig davon, ob man dem Stundungs/Erlassmodell positiv oder negativ gegenübersteht. Spürbare Fortschritte zeichnen sich jedoch bei der Nachsteuerregelung des § 28 Abs. 3 ErbStG-E36 ab. Obwohl die Nachsteuertatbestände nach wie vor nicht überzeugend formuliert sind und sich an ertragsteuerliche/gesellschaftsrechtliche Begriffe anlehnen, statt das nachhaltige Vorliegen der Begünstigungsvoraussetzungen zum Prüfungsmaßstab der Nachbesteuerung zu erheben, soll es unschädlich sein, wenn das Substrat des Vermögens, über das zunächst schädlich verfügt wurde, wiederum einem begünstigten Vermögen zugeführt wird und dort verbleibt. Das ist neu und würde einige der besprochenen Entscheidungen für die Zukunft gegenstandslos machen. Diese Tendenz ist in der Sache überzeugend und zu begrüßen. Wünschenswert wäre allerdings eine noch weitergehende und klarere Neuorientierung: Die Nachversteuerung muss immer dann unterbleiben, wenn die Vermögenszuordnung nach der zu beurteilenden Maßnahme die Begünstigungsfähigkeit des Vermögens unberührt lässt.
33 34 35 36
BT-Drucks 15/5555. BT-Drucks. 15/5448. BT-Drucks 15/5604. Die zit. folgt dem Regierungsentwurf. Die anderen Entwürfe sind insoweit jedoch wortgleich.
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Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen: Zweck und Rolle des OECD-Kommentars* Professor Dr. Christian Waldhoff Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der völkerrechtliche Rahmen
III. Die Methodologie der Auslegung von DBA IV. Verfassungsrechtliche Fragen V. Schluss
I. Einleitung 1. Eine Vielzahl der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) beruht auf einer Blaupause1: Die OECD hat mit ihrem Musterabkommen ein Modell erstellt, das den Verhandlungen über den Abschluss eines konkreten Abkommens zugrundegelegt werden soll. Sie ist dabei nicht stehengeblieben. Von Anfang an wurde dem jeweiligen Musterabkommen auch ein „quasi-amtlicher“ Kommentar zu dessen Erläuterung beigefügt2 . Das erste derartige Musterabkommen samt Kommentar datiert von 1963, es folgte der Kommentar zum Musterabkommen 1977. Inzwischen geht der OECD-Fiskalausschuss von dem Konzept eines laufend zu verändernden Musterabkommens und Kommentars aus: „Aus der Erkenntnis, dass die Revision des Musterabkommens und des Kommentars ein sich ständig vollziehender Prozess geworden war, kam der Fiskalausschuss 1991 zum Konzept eines laufend zu verändernden Musterabkommens, das periodisch
* Meinem verehrten akademischen Lehrer Klaus Vogel, dem maßgeblichen Förderer der wissenschaftlichen Behandlung des Internationalen Steuerrechts zum 75. Geburtstag. 1 Jörg Manfred Mössner, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in FS für Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 403 (411); Volker Kluge, Das internationale Steuerrecht, 4. Aufl. 2000, Rz. R 40; zu den Tendenzen von „Bilateralisierung“ und „Individualisierung“ im DBA-Recht als Gegenbewegung ebd., Rz. R 42. Zur Geschichte der verschiedenen Abkommensmodelle Rudolf Weber-Fas, Staatsverträge im Internationalen Steuerrecht. Zur Rechtsnatur, Geschichte und Funktion der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, 1982, S. 6 ff. 2 Klaus Vogel in ders./Lehner (Hrsg.), Doppelbesteuerungsabkommen. Kommentar, 4. Aufl. 2003, Einl. Rz. 35.
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Waldhoff, Auslegung von DBA und zeitnah überarbeitet und geändert wird, ohne dass jeweils eine Gesamtrevision abzuwarten ist.“3
Die damit festzustellende Dynamisierung wird augenfällig im Übergang zur Loseblattsammlung als Publikationsform für Musterabkommen und Kommentar4. DBA als völkerrechtliche Verträge sind demgegenüber zeitlich über ihren Abschluss bzw. ihre Ratifikation stets genau fi xierbar und in ihrem Wortlaut letztlich statisch5. Von dem Sonderfall abgesehen, dass während der Vertragsverhandlungen das Musterabkommen und/oder eine einschlägige Kommentarstelle sich verändern, versteht es sich von selbst, dass – so die Vertragsparteien ein Musterabkommen zugrunde legen – dies nur dasjenige sein kann, welches zur Zeit der Verhandlungen und des Abschlusses existiert. Ändern sich anschließend Musterabkommen und vor allem der Kommentar der OECD zum Musterabkommen stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Auslegung des bereits zuvor geschlossenen DBA haben kann6. Eine weitere Dynamisierung im Rahmen der Auslegung von DBA tritt hinzu: Auch Kommentar und Musterabkommen, die früher stets zusammengehörten, haben inzwischen unterschiedliche Änderungsgeschwindigkeiten. Der Kommentar wird häufiger und einschneidender als das Musterabkommen selbst geändert7. Der Steuerausschuss der OECD geht wohl davon aus, dadurch die Steuerpolitik der Mitgliedstaaten besser beeinflussen zu können, da sich eine Änderung des Musterabkommens regelmäßig erst mit einer Verzögerung von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten in der Abkommenspraxis niederschlägt8.
3 Ziffer 9 Einleitung Kommentar zum MA; vgl. ferner Michael Lang, Die Bedeutung des Musterabkommens und des Kommentars des OECD-Steuerausschusses für die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in Gassner/Lang/Lechner (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 1994, S. 11 (13); Kluge (Fn. 1), Rz. R 40. 4 Kritisch zu dieser Veröffentlichungsform Vogel (Fn. 2), Rz. 128; allgemein zu dieser nicht unproblematischen Publikationsform Helmuth Schulze-Fielitz, Über das (Un-)Wesen jurischer Loseblatt-Werke, Die Verwaltung 1995, 265. 5 Das ist Folge des Verfahrens von Vertragsschluss und Ratifi kation; zu den wenigen und praktisch bedeutungslosen Fällen von (vereinfachten) Vertragsänderungen ohne das aufwendige Ratifi kationsverfahren siehe Christian Waldhoff, Vereinfachte Änderung von Doppelbesteuerungsabkommen und die Mitwirkungsrechte des Parlaments, IStR 2002, 693. 6 Michael Lang, Einführung in das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl. 2002, Rz. 115 ff. 7 Vgl. zur alten Politik bereits Weber-Fas (Fn. 1), S. 10; jetzt Arne Schnitger, Die Einbeziehung des OECD-Kommentars in der Rechtsprechung des BFH, IStR 2002, 407 (408). 8 Klaus Vogel, The Influence of the OECD Commentaries on Treaty Interpretation, IBFD-Bulletin 2000, p. 613 (615); Michael Lang, Das OECD-Musterabkommen und darüber hinaus: Welche Bedeutung haben die nach Abschluss eines Doppel-
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Waldhoff, Auslegung von DBA Es liegt nahe, hinter dieser Entwicklung einen Funktionswandel des Kommentars zum Musterabkommen zu vermuten: Nicht mehr nur die Erläuterung einer Blaupause durch ihre Schöpfer ist intendiert, sondern die international-steuerrechtliche Entwicklung insgesamt soll durch ein Expertengremium auch in der praktischen Rechtsanwendung beeinflusst werden. Die internationale steuerliche Koordinierung durch die OECD wendet sich vom Zurverfügungstellen einer Verhandlungsvorlage ab hin zu einer aktiven Beeinflussung der konkreten Anwendung existierender DBA. Dies wird als Kompensation verstanden für die als unzureichend angesehenen, da letztlich stets bilateralen Verständigungsverfahren oder Auslegungen nach dem Gebot der Entscheidungsharmonie9. In Ansätzen kommt dies auch im Kommentar zum Ausdruck: „28. Zu jedem Artikel gibt es einen eingehenden Kommentar, der die Bestimmungen erläutert und interpretiert. 29. Da dieser Kommentar von den Sachverständigen ausgearbeitet und gebilligt wurde, die die Regierungen der Mitgliedstaaten in den Fiskalausschuss entsandt haben, kommt ihm eine besondere Bedeutung für die Entwicklung des internationalen Steuerrechts zu. Der Kommentar ist zwar nicht dazu bestimmt, den von den Mitgliedstaaten geschlossenen Abkommen, die anders als das Musterabkommen die verbindliche völkerrechtliche Vereinbarung darstellen, in irgendeiner Form beigefügt zu werden, sie können aber bei der Anwendung des Abkommens und insbesondere im Fall von Streitigkeiten von großem Nutzen sein. 29.1 Die Steuerverwaltungen der Mitgliedstaaten konsultieren den Kommentar routinemäßig bei der Auslegung ihrer zweiseitigen Steuerabkommen. Der Kommentar ist sowohl bei der Entscheidung alltäglicher Einzelfragen als auch bei der Lösung größerer Fragen, die die politischen Absichten und den Sinn hinter verschiedenen Vorschriften berühren, von Nutzen. Die Steuerbeamten legen der Anleitung, die der Kommentar gibt, großes Gewicht bei. 29.2 In ähnlicher Weise machen auch Steuerpfl ichtige bei der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit und der Planung ihrer geschäftlichen Transaktionen und Investitionen von dem Kommentar ausgiebigen Gebrauch. Der Kommentar ist von besonderer Bedeutung in den Ländern, in denen es kein Verfahren zur Erlangung von Vorwegauskünften zu steuerlichen Fragen von den Steuerverwaltungen gibt; denn in diesem Fall kann er die einzige verfügbare Auslegungsquelle sein. 29.3 Auch die Gerichte wenden sich immer mehr zweiseitigen Steuerabkommen zu. Sie benutzen den Kommentar in zunehmendem Maße bei der Entscheidungsfi ndung. Nach den Erhebungen des Fiskalausschusses ist der Kommentar in den veröffentlichten Entscheidungen der Gerichte der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten erwähnt worden. In vielen Entscheidungen ist er ausführlich zitiert und analysiert worden und hat häufig eine entscheidende Rolle bei den Überlegungen besteuerungsabkommens erfolgten Änderungen des OECD-Kommentars? IStR 2001, 536. 9 Vgl. etwa Ekkehart Reimer, Der Ort des Unterlassens. Die ursprungsbezogene Behandlung von Entgelten für Untätigkeit im Internationalen Steuerrecht, 2004, S. 425.
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Waldhoff, Auslegung von DBA des Richters gespielt. Der Ausschuss erwartet, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, da das weltweite Netz von Steuerabkommen weiterhin wächst und der Kommentar in noch breiterem Umfang als eine bedeutende Auslegungsquelle Anerkennung fi ndet.“
Bemerkenswert an dieser „Selbstinterpretation“10 erscheint, dass zwar einerseits deskriptiv, d.h. berichtend über die Bedeutung des Kommentars gesprochen wird11; durch das Hervorheben der amtlichen Entsendung der Mitglieder des Fiskalausschusses soll dann aber offensichtlich doch eine – wie auch immer beschaffene – normative Bedeutung suggeriert werden12 . Das wird noch deutlicher in der Frage einer „rückwirkenden Anwendung“ des Kommentars zum Musterabkommen: Nach seinem Wortlaut beansprucht der Kommentar auch Wirksamkeit für Bestimmungen, die auf der Grundlage einer älteren Fassung des MA vereinbart wurden13. Allein die Tatsache, dass sich der Wortlaut einer Bestimmung des MA geändert habe, schließe die Heranziehung des Kommentars zu der neueren Fassung nicht aus14.
10 Völlig zu Recht kritisch Michael Lang (Fn. 3), S. 14: „Der Kommentar des OECDSteuerausschusses kann … nicht selbst seine Bedeutung für die Auslegung bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen bestimmen. Diese Frage kann nur durch Auslegung des völkerrechtlichen Vertrages selbst beantwortet werden.“; vgl. auch Vogel (Fn. 8), p. 612 ff. 11 Entsprechend zur sogleich zu erörternden Rückwirkungsproblematik bei der Heranziehung des Musterabkommen-Kommentars dort Einl. Ziffer 36.1: „Die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten befolgen die allgemeinen Grundsätze [der Auslegung von DBA], die in den … vorangegangenen Absätzen angesprochen sind. Dementsprechend glaubt der Fiskalausschuss, dass auch die Steuerpfl ichtigen es nützlich fi nden, spätere Fassungen des Kommentars bei der Auslegung früherer Abkommen zu Rate zu ziehen.“ 12 Vgl. Klaus Vogel, Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, in Haarmann (Hrsg.), Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (= Forum der Internationalen Besteuerung, 26), S. 1 (14): „Die Angehörigen des Committee of Fiscal Affairs … fi nden es nur natürlich, dass ihre Lösungen, auf die sie sehr viel Mühe verwandt haben, nun auch allgemein verbindlich sein, also wie Gesetze wirken sollten.“ Ferner Gerrit Frotscher, Internationales Steuerrecht, 2001, § 5 Rz. 11; allgemein zur Unterscheidung zwischen deskriptiven und präskriptiven Formulierungen in Rechtssätzen Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 1994, S. 46 ff. 13 Kommentar zum MA, Einl. Ziffer 33 ff.; vgl. auch Michael Lang, Later Commentaries of the OECD Committee on Fiscal Affaires, Intertax 1997, p. 7; Frotscher (Fn. 12), Rz. 11; Lang (Fn. 8), S. 536; John F. Avery Jones, The Effect of Changes in the OECD Commentaries after a Treaty is Concluded, IBFD-Bulletin 2002, p. 102. 14 Ziffer 35 f.
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Waldhoff, Auslegung von DBA 2. Einige Anwendungsfälle sollen die Relevanz des Problems illustrieren: a) Zunächst ein Beispiel aus dem Verfahrensrecht: Bei der Frage, was Informationen i. S. des internationalen Informationsaustausches auf der Grundlage von § 117 Abs. 2 AO i. V. m. Art. 26 eines DBA auf der Grundlage des Musterabkommens sind, hat der Musterabkommens-Kommentar eine Wandlung im Sinne einer deutlichen Ausdehnung des Begriffs gebracht: Waren in der Fassung von 1963 nur Auskünfte auf Ersuchen des anderen Vertragsstaats umfasst, ging der Kommentar 1977 zu der heute in Ziffer 9 Musterkommentierung vorhandenen Fassung über, dass neben solchen Auskünften auf Ersuchen auch automatische Auskünfte bzw. „unaufgeforderte“ Mitteilungen, d. h. sog. Spontanauskünfte gemeint seien15. Das FG Münster hatte sich zu Jahresbeginn mit der Auslegung des entsprechenden Art. 26 des DBA Russland aus dem Jahr 1996 zu befassen und stellte – methodisch korrekt – auf die entsprechende Kommentarfassung ab, was im Ergebnis zur Erfassung der Spontanauskünfte führte16. b) Ein zweites Beispiel für relevante Veränderungen des Kommentars zum Musterabkommen betrifft die (teilweise) Abkommensberechtigung von Betriebstätten17: Unterhält ein Unternehmen aus dem Vertragsstaat A eine Betriebstätte in Vertragsstaat B und erzielt es Einkünfte über die Betriebstätte aus Vertragsstaat C, so kommt grundsätzlich die Anwendung des DBA zwischen B und C nicht in Betracht: Die Betriebstätte ist weder Person, noch ist sie ansässig im Sinne des Abkommens B – C. Da sich jedoch Unternehmen des Staates B auf das Abkommen B – C berufen können, stellt sich die Frage, ob die Betriebstätte in Staat B nicht aufgrund des in dem DBA zwischen A und B enthaltenen Betriebstättendiskriminierungsverbots nach Art. 24 Abs. 3 MA auch in den Genuss von Abkommensvorteilen nach dem DBA B – C kommen muss18. Der OECD-Musterabkommenskommentar in der Fassung von 1977 schloss in seiner Ziffer 54 zu Art. 24 eine solche hinkende Abkommensberechtigung kategorisch aus. Die aktuelle Fassung überlässt es in den Ziffern 50 ff. im Anschluss an den „Trian-
15 Vgl. auch Michael Lang, Einführung in das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 2. Aufl. 2002, Rz. 119, 554; ausführlich Michael Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, S. 130 ff. 16 FG Münster, Beschl. v. 10. 1. 2005 – 4 V 5580/04 S, EFG 2005, 754 (755) – nicht rkr.; Beschwerde eingelegt, Az. des BFH: I B 35/05. 17 Ausführlicher zum Problem Alexander Rust in Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA. Kommentar, 4. Aufl. 2003, Art. 24 Rz. 114 ff. m. w. N. 18 Etwa ein von Staat B gewährtes Internationales Schachtelprivileg für Dividenden. Es würde sich allerdings stets um eine hinkende Abkommensberechtigung handeln, da nur Staat B und nicht Staat C zur Gleichbehandlung verpfl ichtet ist, Staat C also keine Abkommensvorteile zu gewähren bräuchte.
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Waldhoff, Auslegung von DBA gular Cases“-Report der OECD von 198719 den beteiligten Staaten, wie das Betriebstättendiskriminierungsverbot zu verstehen ist. Die internationale Rechtsprechung zur Lösung dieser Probleme ist noch uneinheitlich20. Unser Auslegungsproblem stellt sich bei älteren Abkommen, die eine dem Art. 24 Abs. 3 OECD-MA entsprechende Klausel enthalten für Steuerfälle nach 1992. c) Ein gutes Beispiel für eine Kommentaränderung, die – funktional betrachtet – in manchen Fällen, in denen bisher Doppelbesteuerung bestehen blieb, zu einer Problemlösung beiträgt und für die daher um so dringlicher eine „rückwirkende Berücksichtigung“ gefordert werden könnte, betrifft den sog. new approach zum Methodenartikel 23 des MA 21: Im Rahmen der Auslegung eines DBA auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 OECD-MA mittels innerstaatlichen Rechts kann es als Folge eines Qualifi kationskonflikts22 von Einkünften zur Anwendung unterschiedlicher Verteilungsnormen kommen. Nach der früheren Kommentaransicht konnte dies eine Doppelbesteuerung oder doppelte Nichtbesteuerung zur Folge haben, da der Ansässigkeitsstaat bei der Anwendung von Art. 23 MA seine eigene Sichtweise zugrunde legte. Er war also nur (und immer dann) zur Freistellung oder Anrechnung verpflichtet, wenn der Quellenstaat nach Sichtweise des Ansässigkeitsstaats zur Besteuerung befugt war. Nach der jetzigen, im Anschluss an den Partnership-Report 1999 geänderten Kommentar-Fassung23, ist der Ansässigkeitsstaat im Rahmen des Art. 23 MA an die Sichtweise des Quellenstaats gebunden; dadurch kann Doppelbesteuerung oder Doppelnichtbesteuerung verhindert werden24. d) Schließlich sei auf die österreichische Abkommenspraxis hingewiesen: Art. 16 OECD-MA regelt, dass Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen vorrangig der Sitzstaat der Gesellschaft als Quellenstaat besteuert25. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte in einer Entscheidung 19 Zur Bedeutung der OECD-Berichte für die Auslegung von DBA Michael Lang (Fn. 15), Rz. 126 ff. 20 Vgl. die Nachweise bei Rust (Fn. 17), Rz. 114. 21 Vgl. Vogel (Fn. 12), S. 18 f. 22 Dazu allgemein Vogel (Fn. 2), Rz. 150 ff.; Mössner (Fn. 1), S. 417 ff.; Moris Lehner, Interpretation of Tax Treaties according to German Theory and Practice, in Vogel (ed.), Interpretation of Tax Law and Treaties and Transfer Pricing in Japan and Germany, 1998, S. 85 (91 ff.); Marcus Geuenich, Qualifi kationskonfl ikte im OECD-Musterabkommen und deutschen Doppelbesteuerungsabkommen am Beispiel einer atypischen stillen Gesellschaft, 2005, S. 13 ff. 23 Art. 23 Ziffer 32.3 ff. 24 Zum Problem näher Klaus Vogel in ders./Lehner (Hrsg.), DBA. Kommentar, 4. Aufl. 2003, Art. 23 Rz. 37. 25 Vgl. Rainer Prokisch in Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA. Kommentar, 4. Aufl. 2003, Art. 16 Rz. 3.
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Waldhoff, Auslegung von DBA aus dem Jahr 1996 zur Auslegung des von 1974 stammenden Art. 16 DBA Österreich-Schweiz zu entscheiden, ob der Begriff des „Aufsichtsrats“ auf ein kontrollierendes Gremium beschränkt ist (so noch der Musterabkommenskommentar von 1963) oder – wie nach dem Kommentar 1977 – auch kollegiale geschäftsführende Organe erfasst werden26. Er lehnte – methodisch sauber – die rückwirkende Berücksichtigung ab. Demgegenüber vertritt das österreichische Bundesministerium der Finanzen in einem Erlass die Ansicht, die im Musterkommentar selbst gefordert wird27. Diese völlig unterschiedlichen Beispielsfälle machen deutlich, dass es zunehmend Kommentaränderungen von substantiellem Gewicht mit praktischen Auswirkungen gibt, die eine methodisch konsistente Behandlung und Bewältigung verlangen. Durch die Loseblattform des Kommentars und den oben dargelegten Anspruch des Fiskalausschusses der OECD über die juristische Relevanz des Kommentars könnte sich diese Situation zukünftig noch verschärfen. Steuerrechtsdogmatisch handelt es sich bei dem hier zu behandelnden Problem zunächst um eine methodologische Frage, um ein Auslegungsproblem28. Die Frage nach der Auslegung von DBA ist zu Recht als die wissenschaftlich anspruchsvollste Frage des Internationalen Steuerrechts bezeichnet worden29. Über die Auslegung hinaus – wenn auch mit ihr verwoben – stellen sich aber noch zwei weitere Aspekte in der Beurteilung des Bemühens des Steuerausschusses der OECD über die Dynamisierung von Musterabkommen und Kommentar dazu Einfluss auf das grenzüberschreitende steuerliche Geschehen der Staaten zu gewinnen: Ist ein solcher Ansatz überhaupt von den Rechtsgrundlagen der OECD gedeckt? Wo findet ein derartiges „Expertenrecht“ an den verfassungsrechtlichen Vorgaben in den beteiligten Staaten seine Grenze? Der Problemaufriss zeigt, dass die angeführten Beispielsfälle wirklich nur der Illustration dienen: Auf ihre Lösung kommt es hier letztlich nicht an; nicht entscheidend sein kann auch die Frage, ob die jeweils neuere Fassung des Kommentars gegenüber der ursprünglichen Rechtslage Vorteile oder Verbesserungen bietet, denn das wären Zufallsergebnisse. Aufgabe von Rechtsdogmatik – auch und gerade im Bereich des Internationalen Steuer26 Erkenntnis v. 31. 7. 1996, Geschäftszahl 92/13/0172; dazu etwa Michael Lang, Grundsatzerkenntnis des VwGH zur DBA-Auslegung, SWI 1996, 427; ders. (Fn. 8), S. 538 f. 27 BMF, Erlass v. 27. 10. 1995 – Z 04 0610/286-IV/4/95; dazu Stefan Bedlinger, Die Bedeutung der OECD-Kommentare bei der Auslegung der österreichischen Doppelbesteuerungsabkommen, IWB Nr. 23 v. 13. 12. 1995, S. 1089; BMF v. 20. 6. 1994, SWI 1994, 267; Kritik bei Michael Lang (Fn. 15), Rz. 116 f. 28 Lang (Fn. 3), S. 14; ders. (Fn. 8), S. 537. 29 Kluge (Fn. 1), Rz. R 31; Schnitger (Fn. 7), S. 407.
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Waldhoff, Auslegung von DBA rechts – ist es, die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen herbeizuführen, eine Stabilisierungs- und Entlastungsaufgabe für den Rechtsanwender zu erfüllen30, indem die Sachfragen in ein Gedankengerüst – hier: verschiedener beteiligter Rechtsordnungen und Rechtsschichten – eingefügt werden. Damit wird zugleich der steuerrechtlichen Praxis gedient31. Auf unser Problem bezogen: Die methodologischen Fragen und die verfassungsrechtlichen Grenzen entscheiden über die Rolle des Kommentars zum Musterabkommen, nicht eine wirkliche oder vermeintliche Verbesserung der Situation, über die ja in vielen Fällen ohnehin kein Konsens erzielt werden könnte, weil die Interessenlagen gegensätzlich sind. Dogmatik und Methode sind also auch hier – entgegen einer oberflächlichen und vorschnellen Vermutung – gerade für die Praxis von entscheidender Bedeutung. 3. Erfüllt die einschlägige Rechtsprechung des BFH diese Anforderungen? Eine Rechtsprechungsanalyse wird erschwert, da sich der BFH kaum explizit zu entsprechenden methodischen Fragen äußert32 . Letztlich zeigt sich – soweit ich das überblicke – kein einheitliches Bild. Bei der Auslegung des DBA Österreich 1954, das zu einer Zeit abgeschlossen wurde als noch kein OECD-Musterabkommen existierte, hat der BFH gleichwohl auf das aktuelle Musterabkommen samt Kommentar zurückgegriffen33. In mehreren Entscheidungen zur Bestimmung des Begriffs des Künstlers in Art. 17 OECD-MA, die DBA Belgien, Großbritannien, die Niederlande und Österreich betreffend aus den Jahren 199034, 199735 und 200136 wird mehr oder 30 Zur Herstellung von Rechtssicherheit als Zentralfunktion der DBA Klaus Vogel/ Rainer Prokisch, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen. Generalbericht, Cahiers de droit fiscal international LXXVIIIa, 1993, S. 19; allgemein zu diesen Funktionen juristischer Dogmatik Robert Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1983 (Taschenbuchausgabe), S. 326 ff.; nur hingewiesen kann an dieser Stelle auf die stetig zunehmende Bedeutung der DBA in der Rechtsprechung des BFH, vgl. Franz Wassermeyer, Neuere Entwicklungen in der Rechtsprechung zu den DBA, in Fischer (Hrsg.), Steuerplanung zwischen Abkommens- und nationalem Außensteuerrecht, 1998, S. 19 (20). 31 Vogel (Fn. 12), S. 1 ff. 32 Franz Wassermeyer, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – Haltung des BFH, in Mössner/Blumenwitz u.a., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, S. 19; Jörg Manfred Mössner, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen in der Rechtsprechung des Bundesfi nanzhofs, in Lang/ Mössner/Waldburger, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen in der Rechtsprechung der Höchstgerichte Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, 1998, S. 19 (37). 33 BFH, Urt. v. 18. 7. 2001 – I R 26/01, IStR 2001, 653; ausnahmsweise in diesem Fall a. A. die österreichische Finanzverwaltung: AÖFV 88/1997. 34 BFH, Urt. v. 11. 4. 1990 – I R 75/88, BFHE 160, 513 = BB 1990, 1697. 35 BFH, Urt. v. 18. 4. 1997 – I R 51/96, BStBl. II 1997, 679 = IStR 1997, 561 mit Anm. Christian Hensel. 36 BFH, Urt. v. 18. 7. 2001 – I R 26/01, IStR 2001, 653.
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Waldhoff, Auslegung von DBA weniger explizit die aktuelle Fassung des Kommentars zu Auslegungszwecken herangezogen, während ein Judikat von 200037 eher der statischen Betrachtung zuzuneigen scheint, d. h. den Kommentar auf dem Stand des DBA-Abschlusses verwendet. Letztlich wird man festhalten müssen, dass hier eine konsistente Linie noch fehlt38.
II. Der völkerrechtliche Rahmen Die OECD – die Organisation for Economic Co-operation and Development – ist ein Forum der Kooperation der 30 wichtigsten Industrieländer der westlichen Welt39, die über die Hälfte der Güter weltweit produzieren und 70 % des Welthandels abdecken40. Hervorgegangen aus der OEEC (Organisation for European Economic Co-operation), einer Gründung europäischer Staaten zur Koordination der Marshallplan-Hilfe nach dem Zweiten Weltkrieg41, handelt es sich nicht um eine Institution der europäischen Integration, sondern um eine klassische internationale Organisation42 . „International“ steht hier als Gegenbegriff zu „supranational“43, d. h., es bestehen gerade keine Durchgriffsrechte in den Mitgliedstaaten und der Integrationsstand ist auch im Übrigen begrenzt. Als Rechtsakte kann die OECD vor allem Entscheidungen treffen und Empfehlungen aussprechen (Art. 5 des Übereinkommens). Die grundsätzlich einstimmig zu fassenden Entscheidungen haben für ihre Adressaten – die Mitgliedstaaten – echte Rechtspflichten zum Inhalt, sind allerdings nicht vollstreckbar44. Nach 37 BFH, Urt. v. 11. 10. 2000 – I R 44-51/99, IStR 2001, 182 mit Anm. KB. 38 Analyse nach Schnitker (Fn. 7). 39 Mitglieder sind Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakische Republik, Spanien, Südkorea, Tschechische Republik, Türkei, Ungarn und die USA; vgl. auch Matthias Herdegen, Europarecht, 7. Aufl. 2005, § 1 Rz. 11. 40 Matthias Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2003, § 3 Rz. 31. 41 Zur OEEC vgl. Hugo J. Hahn/Albrecht Weber, Die OECD. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 1976, S. 34 ff.; zu ihrer Funktion in der Durchführung des Marshall-Plans Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Probleme des ERP-Sondervermögens, DÖV 2005, 674. 42 Thomas Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, § 3 Rz. 3. 43 In der konkreten Abgrenzung ist hier freilich vieles strittig; vgl. allgemein nur Oppermann (Fn. 42), § 12 Rz. 6 ff.; Herdegen (Fn. 39), § 6 Rz. 8; Ignaz Seidl-Hohenveldern/Gerhard Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 7. Aufl. 2000, Rz. 0113 f. 44 Das explizite Recht, vertragsbrüchige Staaten auszuschließen, das noch in Art. 26 OEEC-Abkommen enthalten war, ist nicht Bestandteil der vertraglichen Grundlagen der OECD geworden.
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Waldhoff, Auslegung von DBA Art. 18 lit. b der Verfahrensordnung der OECD werden Empfehlungen „den Mitgliedern zur Prüfung vorgelegt, damit sie deren Durchführung veranlassen können, falls sie es für angebracht halten“45. Im Anschluss an Dahm spricht Klaus Vogel hier von einer abgeschwächten rechtlichen Verpflichtung46. Das halte ich dann für zutreffend, wenn die Verpflichtung nicht so weit reicht, dass nur im Falle einer offi ziösen Gegenbemerkung oder Distanzierung zu der entsprechenden Kommentarstelle jede normative Bindung ausgeschlossen wird. Die ganze OECD ist auf Koordination und auf Kommunikation ausgerichtet47: Gegenseitige Unterrichtung, Konsultation und Koordination dominieren die in Art. 3 OECD-Vertrag charakterisierten Kompetenzen dieses Forums48. „Die eigentliche Bedeutung der OECD liegt weniger im Erlass verbindlicher Regelungen als in der Abstimmung der Wirtschafts- und Währungspolitik ihrer Mitglieder.“49 Zwangsmittel stehen dieser Organisation praktisch nicht zur Verfügung, ihre Wirksamkeit stützt sich auf ihre fachliche Autorität50. Gerade den sog. Länderexamen kommt hier eine wichtige Bedeutung zu. Es liegt der Gedanke nicht fern, dass diese „moralische“ Autorität kraft Sachkenntnis und Expertise geschwächt, wenn nicht zerstört würde, suchte man durch Interpretation den Vorgaben der OECD eine Rechtswirkung zuzulegen, die sie nach den ihnen wiederum zugrunde liegenden völkerrechtlichen Verträgen nicht haben können51. Die Unbefan45 Deutsche Übersetzung abgedruckt bei Hahn/Weber (Fn. 41), S. 433 ff. 46 (Fn. 2), Rz. 126; (Fn. 8), p. 614; Georg Dahm, Die völkerrechtliche Verbindlichkeit von Empfehlungen internationaler Organisationen, DÖV 1959, 363 (364), der völkerrechtlich den Unterschied zwischen „Entscheidungen“ und „Empfehlungen“ gerade deshalb abgeschwächt sieht, weil auch Entscheidungen regelmäßig nicht vollstreckbar seien und danach für sog. qualifi zierte Empfehlungen eine echte Rechtspfl icht zugrundelegt. 47 Vgl. etwa Seidl-Hohenveldern/Loibl (Fn. 43), Rz. 3005. 48 Hier zitiert nach der amtlichen deutschen Übersetzung in BGBl. 1961 II, 1151; auch abgedruckt in Hahn/Weber (Fn. 41), S. 427. 49 Herdegen (Fn. 40), § 3 Rz. 31. 50 Hahn/Weber (Fn. 41), S. 95 f., 342 ff.: „beobachtende und berichtigende Aufsicht“; „Der Zuspruch der Staatenvertreter und der Angehörigen des Sekretariats haben ebensoviel zum Wohlverhalten oder zur tätigen Wiedergutmachung im mitgliedstaatlichen Bereich und im Rahmen verbandsbezogener völkerrechtlicher Abmachungen beigetragen wie die förmlichen Sanktionsmittel. Deren Wert soll damit nicht herabgesetzt werden. Die Hervorhebung der Ordnungsfunktion auch tatsächlicher Elemente soll vielmehr darauf hinweisen, dass der Zwang im Wirtschaftsrecht der OECD nicht nur von rechtlicher Beschaffenheit ist, sondern dass allein das Vorhandensein des Verbandes, seiner Organe und Organwalter sowie der homogenisierende Einfluss des Zusammenschlusses auf die Mitgliedstaaten ebenfalls die Durchsetzung der Normen des organisationsbezogenen Wirtschaftsrechts bewirkt.“ 51 In diese Richtung wohl auch Hahn/Weber (Fn. 41), S. 99.
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Waldhoff, Auslegung von DBA genheit der empfehlenden Expertengremien wäre den Gefahren politischer und ökonomischer Einflussnahme bei der Erstellung oder Vorbereitung bindender Rechtsakte weit stärker ausgesetzt, als im Rahmen von Empfehlungen. Außerdem ist die Völkerrechtsordnung ein gutes Beispiel dafür, dass die Normbefolgungsbereitschaft dann durchaus ausgeprägt sein mag, wenn gerade kein Sanktionsapparat zur Durchsetzung der Vorschriften zur Verfügung steht52 .
III. Die Methodologie der Auslegung von DBA Die hier im Mittelpunkt stehende Auslegungsfrage stellt sich nur für den Fall, dass beide beteiligte Staaten Mitglieder der OECD sind. Sofern zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten oder zwischen Drittstaaten gleichwohl das Musterabkommen bei der Vereinbarung von DBA zugrunde gelegt wird, kann dem Kommentar dennoch eine – wenn auch geringere – Bedeutung zukommen53. Die Probleme sind zudem entschärft, wenn – wie gelegentlich – die besondere Berücksichtigung des Kommentars ausdrücklich im Abkommenstext oder in rechtsverbindlichen Materialien verankert ist54. Bevor der Musterabkommens-Kommentar in die Auslegungssystematik einzuordnen ist, sei die besondere Auslegungssituation der DBA55 durch folgende vier Faktoren charakterisiert: 1. Regelmäßig existiert keine übergeordnete Instanz über den Vertragsparteien eines DBA, die im Konfliktsfall eine bestimmte Auslegung verbindlich erklären könnte56. Als bilaterale Verträge beanspruchen DBA jedoch eine einheitliche Anwendung durch beide Vertragsstaaten, sollen sie ihren
52 Vgl. etwa Eibe Riedel, Recht, Zwang, Effektivität – Muss Recht justizförmig sein?, in Pawlowski/Roellecke (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, 1996, S. 151 ff., 163 ff.; Heike Krieger, Das Effektivitätsprinzip im Völkerrecht, 2000, S. 55 und öfter. 53 Vgl. Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 31; Franz Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung. Kommentar zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, Loseblattsammlung, Stand: 96. Lfg. Mai 2005, vor Art. 1 MA, Rz. 54 ff. 54 Etwa in Ziffer 16 des Protokolls zum DBA Österreich 2000 oder das Protokoll zum DBA Schweiz v. 18. 6. 1971. 55 Vgl. etwa auch Klaus Vogel, Probleme der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 2000, 103 (105 f.). 56 Vgl. etwa Mössner (Fn. 1), S. 403; Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 26; Frotscher (Fn. 12), § 5 Rz. 9; Michael Lang, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen als Problem der Planungssicherheit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, in Amelung/Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2003, S. 1487 (1489 f.).
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Waldhoff, Auslegung von DBA Zweck erfüllen57. Klaus Vogel spricht hier in Fruchtbarmachung einer Kategorie aus dem Internationalen Privatrecht von einem Gebot der Entscheidungsharmonie bei der Auslegung von DBA58, die letztlich auf längere Sicht zu einer internationalen Steuersprache führe59. 2. Als völkerrechtliche Verträge sind auch bei DBA grundsätzlich, soweit deren Anwendbarkeit gegeben ist, die Auslegungsvorschriften des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens anzuwenden (Art. 31–33)60. Die regelmäßig gegebene Mehrsprachigkeit wird nach Art. 33 WVK etwa dadurch bewältigt, dass beide Fassungen in gleicher Weise verbindlich sind61. Eine zentrale – wie ich meine noch nicht befriedigend geklärte – Frage lautet: Gelten methodologische Besonderheiten bei der Auslegung der DBA, weil es sich in ihren Kernvorschriften, den Verteilungsnormen, regelmäßig um unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Verträge handelt?62
57 Harald Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. 1998, Rz. 16.51, 16.54. 58 (Fn. 2), Rz. 113 ff.; vgl. bereits dens., Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 205 ff. (208, 210, 215 und öfter); dens., Über Entscheidungsharmonie, in FS Flick, 1997, S. 1043; Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 28 ff.; ferner Christoph Ohler, Die Kollisionsordnung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 2005, S. 9 f. und öfter; kritisch Henkel in Becker/Höppner/Grotherr/ Kroppen (Hrsg.), DBA-Kommentar, Loseblattwerk, Grundlagen, Rz. 46. 59 Vogel (Fn. 2), Rz. 163; Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 27; Rainer Prokisch, Does it make sense if we speak of an ‚International Tax Language‘?, in Vogel (ed.), Interpretation of Tax Law and Treaties and Transfer Pricing in Japan and Germany (=Series on International Taxation, 20), 1998, p. 103. 60 Frotscher (Fn. 12), § 5 Rz. 8; Peter Locher, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz, 3. Aufl. 2005, S. 110 f.; zur Anwendbarkeit genauer Christian Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz. Zugleich ein Beitrag zur Lehre von der Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen, 1988, S. 66 ff.; Dieter Blumenwitz, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, in Mössner/Blumenwitz u.a., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, S. 6 (7 f.); allgemein dazu Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, §§ 774 ff.; Torsten Stein/Christian von Buttlar, Völkerrecht, 11. Aufl. 2005, Rz. 81 ff.; aus dem Schrifttum vor Erarbeitung der WVRK Rudolf Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963. 61 Grundsätzlich dazu Meinhard Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, 1973, insbes. S. 49 ff.; Vogel (Fn. 2), Rz. 111 f. 62 Zum Problem etwa Jean van Houtte, Auslegungsgrundsätze im internen und im Internationalen Steuerrecht, 1968, S. II-40; Michael Lang (Fn. 15), Rz. 87; ein strukturell ähnliches Problem stellt sich etwa auch bei der Frage, ob spezifisch steuerrechtliche Bestimmtheitsstandards auf die DBA durchschlagen; in anderem Zusammenhang – ohne Bezug zu DBA – mit wenig überzeugender Pauschalbegründung verneinend BVerfGE 77, 170 (231).
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Waldhoff, Auslegung von DBA 3. Bei DBA kann und muss in anderer Weise als bei gewöhnlichen innerstaatlichen Steuergesetzen63 der Normzweck bei der Auslegung Berücksichtigung finden64. DBA haben die Funktion, Doppelbesteuerung zu vermeiden oder zu beseitigen65. Diese Funktion kann und soll ihre Auslegung steuern66. 4. Die Hauptdiskussion um die Auslegung von DBA kreist um die Frage der Berücksichtigung der Begriffsbildungen des nationalen Steuerrechts, sofern das Abkommen keine eigene Begriffsbestimmung enthält67. Aufgehängt an Art. 3 Abs. 2 OECD-MA stehen sich – neben vermittelnden Positionen – hier die sog. landesrechtliche und die sog. völkerrechtliche Theorie gegenüber68. Vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung des Kommentars zum Musterabkommen für die Auslegung konkreter Abkommen zu bestimmen. Unstrittig ist zunächst, dass der Kommentar für die Auslegung von Abkommen heranzuziehen ist, die nach seinem Erscheinen verhandelt und vereinbart worden sind69. Für die Bedeutung des Musterkommentars ist 63 Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 22 f.; Klaus Tipke/Joachim Lang, Steuerrecht, 17. Aufl. 2002, § 5 Rz. 54: zumindest der allgemeine Fiskalzweck der Steuergesetze, dem Staat Einnahmen zuzuführen, eignet sich nicht als Auslegungszweck; allgemein zur Auslegung im Steuerrecht Rudolf Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1979, S. 82 ff. 64 Insoweit missverständlich Ottmar Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, 1964, S. 60. 65 Statt aller Weber-Fas (Fn. 1), S. 24. 66 Vgl. bereits Hans Flick, Zur Auslegung von Normen des Internationalen Steuerrechts, in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, 1958, S. 151 (165); ferner Blumenwitz (Fn. 60), S. 13; methodologisch grundlegend Reimer (Fn. 9), S. 282 ff.; differenziert Michael Lang (Fn. 15), Rz. 93 ff.; ders., Vermeidung der Doppelbesteuerung und der doppelten Nichtbesteuerung als Auslegungsmaxime für Doppelbesteuerungsabkommen?, in Haarmann (Hrsg.), Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (= Forum der Internationalen Besteuerung, 26), 2004, S. 83. 67 Vgl. nur Klaus Vogel in ders./Lehner (Hrsg.), DBA. Kommentar, 4. Aufl. 2003, Art. 3 Rz. 96 ff; Lang (Fn. 15), Rz. 97 ff., 137 ff.; Wassermeyer (Fn. 30), S. 20 ff.; Reinhard Pöllath, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge aus Sicht der Steuerpraxis, in Mössner/Blumenwitz u. a., Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Recht, 1995, S. 29, weist zu Recht darauf hin, dass die Lücken in DBA nicht zuletzt deshalb so ausgeprägt sind, da diese die Besteuerung nicht vollständig regeln, sondern lediglich nationale Steueransprüche auf diesen aufbauend koordinieren und beschränken. 68 Wassermeyer (Fn. 30), S. 20 ff.; Andreas Kerath, Maßstäbe zur Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung des Verständigungsverfahrens, 1995, S. 177 ff. 69 Henkel (Fn. 58), Grundlagen, Rz. 44; Philip Baker, Double Taxation Conventions and International Tax Law, 1994, C-12; Schaumburg (Fn. 57), Rz. 16.77;
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Waldhoff, Auslegung von DBA dann zu fragen, wie dieser dogmatisch in die Auslegungsregeln der Art. 31 und 32 Wiener Vertragsrechtsübereinkommen einzuordnen ist70. Teilweise wird er als Ausdruck des „Zusammenhangs“ i. S. v. Art. 31 Abs. 2 WVK angesehen71, teilweise wird er zur Ermittlung der besonderen Bedeutung eines im Abkommen verwendeten Begriffs nach Art. 31 Abs. 4 WVK herangezogen72 oder als ergänzendes historisches Auslegungsmittel nach Art. 32 WVK73. Ausgangspunkt entsprechender Erwägungen ist, dass weder das Musterabkommen noch der dazugehörige Kommentar mit dem Vertragswortlaut gleichgesetzt werden dürfen, denn sie sind nicht Vertragsbestandteile. Nur in dem selten vorkommenden Ausnahmefall, dass im Vertragstext oder verbindlichen Umfelddokumenten selbst die Verbindlichkeit der Auslegung des Kommentars angeordnet wird74, gilt anderes. Nach Art. 31 Abs. 1 WVK ist ein völkerrechtlicher Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Zum „Zusammenhang“ gehört nach Abs. 2 des Artikels neben dem Wortlaut der Vertragsbestimmung samt Präambel und Anlagen „jede sich auf den Vertrag beziehende Übereinkunft, die zwischen allen Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses getroffen wurde“ sowie „jede Urkunde, die von einer oder mehreren Vertragsparteien anlässlich des Vertragsabschlusses abgefasst und von den anderen Vertragsparteien als eine sich auf den Vertrag beziehende Urkunde angenommen wurde“. Nach Vertragsschluss erstellte Dokumente können damit niemals zu dem angesprochen „Zusammenhang“ mit dem auszulegenden Vertrag gehören75. Solche jüngeren Dokumente können auch nicht zur Ermittlung des von den Vertragsparteien Gewollten herangezogen wer-
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Michael Lang (Fn. 8), S. 536; Ekkehart Reimer, Tax Treaty Interpretation in Germany, in Lang (ed.), Tax Treaty Interpretation, 2001, S. 119 (134); für das schweizerische Steuerrecht Locher (Fn. 60), S. 130; für die amerikanische Steuerpraxis Jakob Strobl, Zur Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen unter besonderer Berücksichtigung ausländischer Rechtsordnungen, in FS Döllerer, 1988, S. 635 (651 f.). Vogel (Fn. 2), Rz. 125; Michael Lang (Fn. 3), S. 15 ff.; ders. (Fn. 15), Rz. 83. Vogel/Prokisch (Fn. 30), S. 30; Rainer Prokisch, Fragen der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen, SWI 1994, 52 (53 f.). Vogel (Fn. 2), Rz. 126; Wassermeyer (Fn. 53), vor Art. 1 MA, Rz. 44; Schaumburg (Fn. 57), Rz. 16.78; Hugh Ault, The Role of the OECD Commentaries in the Interpretation of Tax Treaties, Intertax 1994, S. 144 (145); John F. Avery Jones, Tax Treaty Interpretation in the United Kingdom, in Lang (ed.), Tax Treaty Interpretation, 2001, S. 357 (364). Alain Steichen, Tax Treaty Interpretation in Luxembourg, in Lang (ed.), Tax Treaty Interpretation, 2001, p. 229 (234). Vgl. das Beispiel bei Michael Lang, Haben die Änderungen der OECD-Kommentare für die Auslegung ältere DBA Bedeutung? SWI 1995, 412 f. Wassermeyer (Fn. 53), Rz. 60.
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Waldhoff, Auslegung von DBA den (Art. 31 Abs. 4 WVK). Auch handelt es sich nicht um eine spätere Übereinkunft (Art. 31 Abs. 3 Lit. a WVK) oder Übung bei der Anwendung des Vertrags aus der Übereinstimmung der Vertragsparteien (Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK)76: Zum einen handelt es sich beim Kommentar nicht selbst um einen Vertrag, also nicht um eine „Übereinkunft“77; auch eine „Übung bei der Anwendung des Vertrags“ ist nicht anzuerkennen, da sich Inhaltsänderungen des Musterkommentars nicht auf ein konkretes Abkommen beziehen und insofern nicht als Ausdruck der Steuerpraxis angesehen werden können78. Als Auslegungshilfe kommt somit stets nur die Fassung von MA und Kommentar in Betracht, die bei Vertragsverhandlung und Vertragsschluss vorlagen79.
IV. Verfassungsrechtliche Fragen Gegen einen wie auch immer gearteten normativen Vorrang des Kommentars zum Musterabkommen sprechen auch diejenigen verfassungsrechtlichen Vorschriften, die die Beziehungen des Grundgesetzes zum Völkerrecht regeln80. Dem OECD-Steuerausschuss sind – zumindest nach deutschem verfassungsrechtlichem Verständnis – keinerlei Kompetenzen zur Rechtsetzung mit Wirkung in den Mitgliedstaaten der OECD übertragen worden81. Art. 23 oder 24 GG sind in keiner Variante anwendbar. Eine normative Bindung durch den Kommentar setzte jedoch voraus, dass dieser denselben normativen Rang wie die auszulegenden Abkommen besäße82 . Der Ausschuss wird von den jeweiligen Exekutiven mit Steuerexperten beschickt; diese sind nicht ermächtigt parlamentarisch ratifi zierte völkerrechtliche Verträge durch verbindliche Interpretation in einer Weise zu mo76 Vogel (Fn. 2), Rz. 125; Michael Lang (Fn. 3), S. 25 f. 77 Vogel (Fn. 8), p. 613; Michael Lang (Fn. 74), S. 414; ders. (Fn. 8), S. 537; Wassermeyer (Fn. 53), vor Art. 1 MA, Rz. 41. 78 Michael Lang (Fn. 3), S. 26 ff.; ders. (Fn. 8), S. 537; ders. (Fn. 15), Rz. 117, u. a. gegen die Auffassung des österreichischen Finanzministeriums; a. A. wohl Frotscher (Fn. 12), § 5 Rz. 12, der hier eine „authentische Interpretation“ der beteiligten Staaten annimmt. 79 Vogel (Fn. 2), Rz. 127, 129 und zwar selbst für den Fall, dass im Vertrag oder in einem rechtsverbindlichen Protokoll die Maßgeblichkeit des MA-Kommentars vereinbart wurde wie etwa in Ziffer 16 Protokoll zum DBA Österreich 2000 oder zum DBA Schweiz v. 18. 6. 1971; Wassermeyer (Fn. 53), Rz. 60 ff.; für die Schweiz ebenso Locher (Fn. 60), S. 130 f. 80 Entsprechend für die Verfassungsrechtslage in Österreich Michael Lang (Fn. 74), S. 415. 81 Vogel (Fn. 55), S. 107 mit dem Hinweis, dass die norwegische Rechtsprechung das teilweise anders sieht. 82 Vogel (Fn. 55), S. 107.
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Waldhoff, Auslegung von DBA difi zieren, die einer Vertragsänderung gleichkämen83. Die Auslegung durch die Vertragsparteien findet also dort ihre Grenze in innerstaatlichen Verfassungsnormen, die den Vertragsschluss regeln: „Im Rechtsstaat verfügt die Exekutive nicht frei über die Normen eines gesetzesinhaltlichen Vertrages.“84 Auch die Tatsache, dass weder das Abkommensmuster noch der dazugehörige Kommentar je Gegenstand parlamentarischer Beratungen gewesen sind, spricht gegen einen mit den konkreten Abkommen selbst vergleichbaren normativen Charakter85. Steuerrecht bedarf – neben der Gewährleistung von Abgabengleichheit – in besonderem Maße der demokratischen Rückbindung. „Quod omnes tangit ab omnibus approbetur“ (was alle angeht, soll von allen gebilligt werden) wurde im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zur Beteiligung der Stände an der Abgabenrechsetzung angeführt; „no taxation without represantation“ brachte im amerikanischen Unabhängigkeitskampf dasjenige auf den Begriff, was auch in der heutigen Verfassungsordnung gilt. Expertenwissen kann niemals unmittelbar zu normativer Wirkung mit Allgemeinverbindlichkeitsanspruch führen86. Klaus Vogel hat darüber hinaus rechtsstaatliche Bedenken wegen der defi zitären Veröffentlichungspraxis der OECD angemeldet87: Es existiert kein Amtsblatt, die Loseblattlieferungen erscheinen nicht stets zeitnah und sind in ihrer Handhabung und Dokumentationswirkung fehleranfällig. Selbst der vermittelnde Vorschlag, die Bindungswirkung zwar nicht in Bezug auf die nationalen Gerichte, wohl aber auf deren (Steuer-)Verwaltungen zu erstrecken und damit dem Kommentar den Rang einer nationalen Ver-
83 Michael Lang (Fn. 56), S. 1492. Die hier angedeutete Abgrenzung ist freilich fließend und damit schwer zu bestimmen, vgl. etwa Blumenwitz (Fn. 60), S. 11; das Bundesverfassungsgericht hatte sich bereits mehrfach im Rahmen der deutschen völkerrechtlichen Verträge über kollektive Sicherheit, v. a. im Rahmen des NATO-Vertrags mit der Grenze zwischen Vertragsänderung und konkretisierender vertragsimmanenter Interpretation zu befassen (BVerfGE 90, 286 [358 ff.] – Auslandseinsätze der Bundeswehr; 104, 151 [206 ff.] – neues strategisches Konzept der NATO); die dort gewonnenen Abgrenzungskriterien sind auf hiesigen Fall jedoch nur sehr beschränkt übertragbar, da für die Argumentation des Gerichts wesentlich ist, dass die dort untersuchten völkerrechtlichen Verträge ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit aufrichten und somit eine inter-, wenn nicht supranationale Organisation begründen und steuern. 84 Blumenwitz (Fn. 60), S. 11. 85 Mössner (Fn. 1), S. 412. 86 Differenziert jedoch Winfried Brohm, Sachverständige Beratung des Staates, in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 1987, § 36 Rz. 31 ff., 36 ff.; Andreas Voßkuhle, Sachverständige Beratung des Staates, ebd. Bd. 3, 3. Aufl. 2005, S. 43 Rz. 21 ff., 50 ff. 87 (Fn . 2), Rz. 128; ders. (Fn. 55), S. 109; ders. (Fn. 8), p. 615.
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Waldhoff, Auslegung von DBA waltungsvorschrift beizumessen88, erscheint nicht unproblematisch, auch wenn die Wirkweise – phänomenologisch betrachtet – ähnlich ist89. Verwaltungsvorschriften beruhen auf einer geschlossenen (Weisungs-)Hierarchie, die die Verwaltung im demokratischen Staat prägt90. Die OECD ist jedoch in keiner Weise in diese jeweils geschlossene Hierarchie, die unmittelbarer Ausfluss des demokratischen Legitimationszusammenhangs zwischen Legislative und Exekutive ist, einbezogen. Die schwammige Empfehlung aus Art. 18 lit c OECD-Verfahrensordnung vermag das nicht zu ändern. Es stellt eine andere Frage dar, ob und wie die deutsche Finanzverwaltung den Musterkommentar als Verwaltungsvorschrift innerbehördlich verbindlich machen könnte. Dabei müssten die Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 7 GG beachtet werden. Eine solche Umsetzung ist bisher nicht üblich. Nur gelegentlich – wie etwa teilweise beim Betriebstättenerlass vom 24. 12. 199991 – wurde ein OECD-Report bzw. eine damit verbundene Kommentaränderung in eine nationale Verwaltungsvorschrift umgesetzt. Nach der hier vertretenen Auffassung können etwaige Vertrauensschutzprobleme des nationalen Erlasses92 nicht dadurch kompensiert werden, dass man sich auf eine kurz zuvor vorgenommene Änderung des OECD-Kommentars beruft.
V. Schluss Wie ist die eingangs aufgeworfene Frage nach einem Funktionswandel des Kommentars zum OECD-Musterabkommen nach diesem Durchgang durch die völkerrechtlichen Grundlagen, die Methodik der Auslegung und die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu bewerten? Darf die multilaterale Arbeit des OECD-Steuerausschusses die weder über die unilaterale Auslegungsbemühungen, noch über Verständigungsverfahren oder andere bilaterale Bemühungen zu erzielende Optimierung der Vermeidung oder Beseitigung von Doppelbesteuerung kompensieren und wenn ja, wie? 88 Vogel (Fn. 55), S. 107 f. 89 Vgl. etwa Eberhard Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, Rz. 6/90: offene Bindungswirkung im Sinne einer Regelvermutung; Roman Seer in Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz. Loseblattsammlung, Stand: 120. Lfg. Dezember 2005, Art. 108, Rz. 167. 90 Vgl. nur Wolfgang Loschelder, Weisungshierarchie und persönliche Verantwortung in der Exekutive, in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 1988, § 68 Rz. 16 ff.; Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 24 Rz. 1 i. V. m. § 9 Rz. 27; Seer (Fn. 89), Rz. 162. 91 BStBl. I 1999, 1076. 92 Vgl. zur Kritik allgemein nur Günther Strunk/Bert Kaminski, Anmerkungen zum Betriebstättenerlass, IStR 2000, 33.
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Waldhoff, Auslegung von DBA Ein genereller Vorrang einer Auslegungsmethode, eines Auslegungsgesichtspunkts oder –mittels existiert weder im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen noch in der Rechtsordnung allgemein93. Ein solcher normativer Vorrang kann auch dem Kommentar zum OECD-MA nicht beigelegt werden94. Im Rahmen der letztlich topisch verlaufenden juristischen Auslegung bietet er gleichwohl einen wichtigen Gesichtspunkt. Sein Gewicht bestimmt sich allerdings nach der Überzeugungskraft der dort vertretenen Argumente im Vergleich zu den übrigen Argumenten aus der Fachliteratur, aus Judikaten, aus Erlassen der Finanzverwaltungen usf.95; es bestimmt sich nicht durch eine normative Anordnung, die es – wie gezeigt werden sollte – nicht gibt96. Der OECD-Steuerausschuss kann aus völkerrechtlichen (die vertraglichen Grundlagen der OECD betreffenden), methodologischen und verfassungsrechtlichen Gründen nicht das im Internationalen Steuerrecht vermisste zentrale Organ sein, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu erzwingen. Damit erweist sich die eingangs geschilderte Dynamisierung der Änderung des Kommentars als kontraproduktiver Beitrag zur Rechtszersplitterung97, der letztlich auch die fachliche Autorität des Steuerausschusses schwächt. Mein Versuch der Rückführung auf das dogmatisch und methodisch Mögliche soll die Wirkung des Kommentars zum Musterabkommen nicht beschädigen helfen, sondern dazu ermuntern, auf den Inhalt der vorgetragenen Argumente statt auf Autorität zu achten. Die Chancen des Kommentars in diesem Sinne sind nicht schlecht.
93 Auf die DBA-Auslegung bezogen Michael Lang (Fn. 15), Rz. 85; allgemein Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 343 ff.; Röhl (Fn. 12), S. 627; in historischer Perspektive Ulrich Huber, Savignys Lehre von der Auslegung der Gesetze in heutiger Sicht, JZ 2003, 1 (6). 94 Schaumburg (Fn. 57), Rz. 16.79. 95 Michael Lang (Fn. 15), Rz. 107. 96 Wassermeyer (Fn. 53), Rz. 51; vgl. auch gemeinsamer Steuerausschuss Deutschland-Österreich-Schweiz, in dem die Bundessteuerberaterkammer, die Kammer der Wirtschaftstreuhänder und die Treuhandkammer vertreten sind: Die Bedeutung des OECD-Kommentars für die DBA-Auslegung, SWI 2000, 576: „Den im OECD-Steuerausschuss vertretenen Finanzverwaltungen sollte allerdings bewusst sein, dass dem OECD-Kommentar keine wie immer geartete normative Bedeutung für die Auslegung jener Doppelbesteuerungsabkommen zukommen kann, die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der jeweiligen Fassung des Kommentars bereits in Kraft sind. Daran ändert auch nichts, dass der Kommentar selbst eine normative Bedeutung für sich in Anspruch nimmt. Da die Verfasserinnen und Verfasser des OECD-Kommentars keine rechtsetzenden Befugnisse haben, können sie auch nicht die Geltung des Kommentars anordnen.“ 97 Auf die verlorengehende Planungssicherheit bezogen Michael Lang (Fn. 56), S. 1490 ff.
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Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD – Fallbeispiel: Großanlagenbau – Dipl.-Kfm. Meinhard Remberg, Hilchenbach-Dahlbruch Inhaltsübersicht I. Betriebsstättenbegriff II. Sonderfall Bau- und Montagebetriebsstätte III. Abgrenzung Dauerbetriebsstätte/zeitlich begrenzte Betriebsstätte IV. Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte 1. Grundregel und Methoden
2. Fallbeispiel: Anlagenbau V. Aktuelle Entwicklungen bei der OECD 1. Anpassungen des Kommentars zum OECD-Musterabkommen 2. OECD-Bericht zur Betriebsstätten-Gewinnermittlung VI. Ausblick
I. Betriebsstättenbegriff § 12 Satz 1 AO enthält eine allgemeine Betriebsstättendefinition. Demnach ist Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient. Eine Betriebsstätte liegt vor, wenn folgende Begriffsmerkmale kumulativ erfüllt sind: – Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung oder Anlage – Nachhaltigkeit dieser Einrichtung – Verfügungsmacht über diese Einrichtung – Bezug zur Tätigkeit des Unternehmens § 12 Satz 2 AO enthält eine exemplarische Aufzählung von Betriebsstätten. Es werden acht Einzelfälle genannt. Gemäß § 12 Satz 2 Nr. 8 AO handelt es sich bei Bauausführungen oder Montagen um Betriebsstätten, wenn die einzelne Bauausführung oder Montage länger als sechs Monate dauert. Im internationalen Steuerrecht ist der Betriebsstättenbegriff in Art. 5 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) geregelt. Art. 5 Abs. 1 OECDMA enthält eine allgemeine Definition mit den Kernelementen „feste Geschäftseinrichtung“ und „Ausübung der Unternehmenstätigkeit“. Art. 5 Abs. 2 enthält einen Positivkatalog betriebsstättenbegründender Tätigkeiten. In Art. 5 Abs. 3 ist festgelegt, dass eine Bauausführung oder Monta179
Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD ge nur dann eine Betriebsstätte begründet, wenn ihre Dauer zwölf Monate überschreitet. Schließlich enthält Art. 5 Abs. 4 einen Negativkatalog. In der betrieblichen Praxis eines internationalen Anlagenbauers kommt hinsichtlich der Qualifi kation einer Baustelle als Betriebsstätte insbesondere drei Problemkreisen eine besondere Bedeutung zu: – Fristberechnung – Ist in der Montageüberwachung eine betriebsstättenbegründende Tätigkeit zu sehen? – Ist in der Fertigungsüberwachung eine betriebsstättenbegründende Tätigkeit zu sehen? Nach herrschender Meinung bzw. Auffassung der Finanzverwaltung gemäß Betriebsstättenerlass vom 24. 12.1999 (Tz. 4.3.1)1 beginnt die Berechnung der Betriebsstättenfrist mit der Aufnahme der Tätigkeit auf der Baustelle. Diese wird in der Regel verkörpert durch den Ankunftstag des ersten Mitarbeiters des Anlagenbauers vor Ort. Die Frist endet mit dem Tag der Fertigstellung der Anlage, konkretisiert durch die Abreise des letzten Mitarbeiters. Auf Sonderprobleme im Zusammenhang mit üblichen Arbeitsunterbrechungen bzw. Unterbrechungen, die der Anlagenbauer nicht zu vertreten hat, Zurechnung der Tätigkeit von Subunternehmern und Zusammenfassung mehrerer Projekte zu einer Betriebsstätte soll hier nicht näher eingegangen werden. Es wird verwiesen auf ein zur Fristberechnung ergangenes BFH-Urteil vom 21. 4. 1999 zum DBA Deutschland-Schweiz2 . Der internationale Wettbewerb führt dazu, dass der Anlagenbauer in zunehmendem Maße die Bau- und Montagetätigkeit nicht mehr selbst durchführt. Vielmehr ist er häufig nur noch für die Montage- und Inbetriebnahmeüberwachung der Anlage verantwortlich. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Montageüberwachungstätigkeiten betriebsstättenbegründend sind. In § 12 AO wird Montageüberwachung nicht ausdrücklich erwähnt. Die herrschende Meinung geht jedoch davon aus, dass die verantwortliche Montageüberwachung – also der Fall, in dem der Anlagenbauer die funktionsfähige Anlage schuldet – betriebsstättenbegründend ist; die lediglich beratende Überwachung, bei der der Unternehmer lediglich die Montageüberwachungsleistungen, nicht jedoch die funktionsfähige Anlage schuldet, ist dagegen nicht betriebsstättenbegründend. Auch in Art. 5 OECD-MA wird Montageüberwachung nicht ausdrücklich erwähnt. In der Kommentierung heißt es, dass Planung und Überwachung nur dann betriebsstättenbegründend sind, wenn sie vom Bauauftragneh1 BStBl. I 1999, 1076 ff. 2 BStBl. II 1999, 694 ff.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD mer selbst durchgeführt werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass in einigen DBA Montageüberwachungsleistungen ausdrücklich als betriebsstättenbegründend bzw. nicht betriebsstättenbegründend eingestuft werden. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass in Fällen, in denen der Anlagenbauer neben der Montage auch Montageüberwachungsleistungen übernimmt, die Montageüberwachung das betriebsstättenbegründende Schicksal der Montage teilt. Schuldet der Anlagenbauer eine funktionsfähige Anlage, erbringt er jedoch keine Montage sondern lediglich Montageüberwachungsleistungen (verantwortliche Montageüberwachung), ist die Montageüberwachung als betriebsstättenbegründende Tätigkeit anzusehen. Lediglich in dem in der Praxis selten vorkommenden Fall, in dem der Anlagenbauer ausschließlich die Montageüberwachung leistet und für die Funktionsfähigkeit der Anlage keine Verantwortung übernimmt, ist in der Montageüberwachung keine betriebsstättenbegründende Tätigkeit zu sehen. Wesentliche Anlagenteile werden in der Regel im Projektstaat bzw. in Drittstaaten auf der Basis des Engineerings des Anlagenbauers gefertigt. Im Rahmen seiner Verantwortung für die Funktionsfähigkeit der Gesamtanlage haftet der Anlagenbauer auch für die Funktionsfähigkeit der Anlagenkomponenten externer Fertiger. Um zu überprüfen, ob die externen Fertiger den Qualitätsstandards des Anlagenbauers genügen, werden Fertigungsüberwacher entsandt. Durch die Tätigkeit der Fertigungsüberwacher wird in der Regel keine Betriebsstätte gemäß Art. 5 Abs. 3 OECD-MA begründet. Zum einen steht ihre Tätigkeit nicht in Verbindung mit der Baustelle; darüber hinaus ergibt sich auch kein Zusammenhang mit der Montage- bzw. Montageüberwachung sondern lediglich mit dem Lieferteil. Allenfalls ist in Fällen der Fertigungsüberwachung zu prüfen, ob nicht eine Betriebsstätte gemäß Art. 5 Abs. 1 OECD-MA vorliegt.
II. Sonderfall Bau- und Montagebetriebsstätte Das Leistungsspektrum zur Errichtung einer funktionsfähigen Industrieanlage beinhaltet in der Regel folgende Hauptkomponenten: Engineeringtätigkeiten, Bauleistungen, Lieferung von Ausrüstungsgegenständen, Montageleistungen sowie Montageüberwachungs- und Inbetriebnahmeleistungen. Hinter diesen Hauptkomponenten verbirgt sich ein Bündel von Einzelleistungen, von denen einige wichtige im Folgenden genannt sind: – Erstellung von Zeichnungen und Plänen zur Projektierung, Errichtung, Inbetriebnahme und zum Betrieb der Anlage – Herstellung von Komponenten bzw. kompletten Teilsystemen 181
Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD – Aufbau eines Netzwerkes von Sublieferanten zur Erbringung unterschiedlichster Teilleistungen – Fertigungsüberwachung – Übermittlung von Know-how – Projektfinanzierung – Bau bzw. Montage der Anlage – Montage- und Inbetriebnahmeüberwachung – Schulung des Kundenpersonals während und nach Errichtung der Anlage – Technische Assistenz zur Optimierung der Anlage – Software-Anpassungen an neueste Entwicklungen – Analyse von Modernisierungsmöglichkeiten an bestehenden Anlagen Der Liefergegenstand des internationalen Anlagenbauers besteht in einer funktionsfähigen Anlage, die die vertraglich festgelegten Parameter erfüllt. Diese funktionsfähige Anlage stellt sich als das Ergebnis eines kontinuierlichen Herstellungsprozesses dar, der im Stammhaus des Auftragnehmers beginnt und letztendlich im Kundenland abgeschlossen wird. Planung, Konstruktion, Auslieferung, Montage, Montageüberwachung und anschließende Inbetriebnahme sind sachlich und zeitlich ineinander verzahnt. Eine Aufspaltung der Teilleistungen in Stammhausleistungen und Leistungen der ausländischen Montagestelle ist daher nicht möglich.
III. Abgrenzung Dauerbetriebsstätte/zeitlich begrenzte Betriebsstätte Um Dauerbetriebsstätten handelt es sich z. B. bei Zweigniederlassungen und Geschäftsstellen von Banken und Versicherungen; oder auch bei Fabrikationsstätten und Werkstätten bzw. Warenlägern und Vertriebsstützpunkten. Die Dauerbetriebsstätte ist der Regelfall. Es liegt eine feste Geschäftseinrichtung und eine nicht nur vorübergehende Tätigkeit vor (Art. 5 Abs. 1 OECD-MA). Bei Bau- und Montagetätigkeiten handelt es sich um zeitlich begrenzte Betriebsstätten. Die Tätigkeit vor Ort ist zeitlich von vornherein vertraglich limitiert. Durch den Auftrag bzw. die Auftragsdurchführung erhält der Anlagenbauer nicht die uneingeschränkte Verfügungsmacht über die Bau- und Montagestelle. Die zeitlich begrenzten Betriebsstätten gemäß Art. 5 Abs. 3 OECD- MA stellen einen Sonderfall dar. 182
Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD
IV. Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte 1. Grundregel und Methoden Die Grundregel der Einkunftsabgrenzung fi ndet sich in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA. Hiernach wird der Betriebsstätte der Gewinn zugerechnet, den sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Tätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständiges Unternehmen ausgeübt hätte. Hierbei wird die fi ktive Selbständigkeit der Betriebsstätte unterstellt. Auch wird eine Aufteilung in Stammhaus- und Betriebsstättentätigkeiten vorausgesetzt. In der Literatur werden drei Methoden der Gewinnzuordnung diskutiert. Es sind dies die direkte und die indirekte Methode sowie Mischformen zwischen direkter und indirekter Methode. Die direkte Methode wird als Normalmethode bezeichnet. Basis ist eine Betriebsstättenbuchführung. Aufwendungen und Erträge werden funktions- und verursachungsgerecht aufgeteilt. In der Praxis ergeben sich hier häufig Zuordnungsprobleme. Die indirekte Methode ist gemäß Art. 7 Abs. 4 OECD-MA ausdrücklich zugelassen. Das Aufteilungsobjekt (Auftragsergebnis) wird nach sinnvollen Schlüsseln zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. In der Praxis haben sich vielfältige Mischformen entwickelt, die Elemente der direkten und indirekten Methode enthalten. Die deutsche Finanzverwaltung hat den Schwierigkeiten, die der internationale Anlagenbauer bei der Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte hat, im Betriebsstättenerlass vom 24. 12. 19993 angemessen Rechnung getragen. In Tz. 4.3.6 heißt es: „Bei komplexen Leistungsbeziehungen kann eine Zuordnung des Auftragsergebnisses entsprechend den Tätigkeiten, Funktionen und der Risikoverteilung zwischen Stammhaus und Montagebetriebsstätte sachgerecht sein, wenn sich auch fremde Dritte die Risiken und Chancen aus dem Auftrag geteilt hätten.“ 2. Fallbeispiel: Anlagenbau Im internationalen Anlagenbau erfolgt die Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in der Regel mittels der Kostenschlüsselmethode, die eine Mischform aus direkter und indirekter Methode darstellt. Ausgangspunkt ist das jeweilige Auftragsergebnis. Dieses wird mittels ge-
3 BStBl. I 1999, 1097.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD eigneter Kostenschlüssel auf Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Konkret stellt sich die Vorgehensweise wie folgt dar4: Schritt 1: Sämtliche, anlässlich der Leistungserbringung bzw. Auftragsdurchführung entstandenen Kosten werden so exakt wie möglich zwischen Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt. Schritt 2: Der auf die Betriebsstätte entfallende Kostenblock wird den Gesamtkosten gegenübergestellt. Schritt 3: Der in Schritt 2 ermittelte Prozentsatz, der den Anteil der auf die Betriebsstätte entfallenden Kosten an den Gesamtkosten darstellt, wird auf das Auftragsergebnis angewandt, um den Betriebsstättenanteil zu errechnen. Wichtige Anwendungsvoraussetzung ist ein speziell auf diese Methode zugeschnittenes Kostenrechnungssystem. Art. 7 Abs. 6 OECD-MA fordert eine Methodenkontinuität. Es heißt hier: „Bei der Anwendung der vorstehenden Absätze sind die der Betriebsstätte zuzurechnenden Gewinne jedes Jahr auf dieselbe Art zu ermitteln, es sei denn, dass ausreichende Gründe dafür bestehen, anders zu verfahren.“
V. Aktuelle Entwicklungen bei der OECD 1. Anpassungen des Kommentars zum OECD-Musterabkommen Die OECD-Musterabkommen sind der Maßstab der DBA-Verhandlungen und Auslegung nicht nur in den Mitgliedsstaaten. Ausgelöst durch die Schwierigkeiten der steuerlichen Fassbarkeit des E-Business, des Global Tradings im Bankenbereich und der zunehmenden Digitalisierung von Geschäftsabläufen arbeitet die OECD an einer Neukommentierung des in Art. 5 OECD-MA definierten Betriebsstättenbegriffs. Verantwortlich ist hier bei der OECD das Committee on Fiscal Affairs (CFA) und hier wiederum die Working Party 1, die sich mit dem DBA-Recht beschäftigt. Das OECD-MA und der dazu gehörige Kommentar widmen dem Maschinen- und Anlagenbau in der Regel nur wenig Raum. Zweifelsfragen werden daher insbesondere von Entwicklungs- und Schwellenländer genutzt, um verstärkt auf Anlagenerrichter und Anbieter komplexer Dienstleistungen Zugriff zu nehmen. Der Anlagenbauer hat ein elementares Bedürfnis, möglichst wenigen Zweifelsfragen hinsichtlich der Betriebsstättenbesteuerung ausgesetzt zu sein, da nur so eine sinnvolle Planung bzw. Kalkulation für 4 Eine ausführliche Darstellung der Kostenschlüsselmethode fi ndet sich in Harald Schaumburg, Internationale Joint Ventures, S. 431 ff.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD das jeweilige Anlagenprojekt vorgenommen werden kann. Die Existenz einer Betriebsstätte ist der entscheidende Tatbestand, wenn es darum geht, Erträge im Ansässigkeits- oder Tätigkeitsstaat zu versteuern. Wie schon bei der letzten Neufassung des OECD-Musterkommentars (OECD-MK) ist auch jetzt wieder ein Trend erkennbar, demzufolge der Betriebsstättenbegriff unzureichend spezifi ziert ausgeweitet werden soll. Es entsteht der Eindruck, dass die OECD dem Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates keinen Vorrang mehr einräumt. Die OECD widerspricht dem und führt aus, dass es nicht beabsichtigt ist, Steuergüter neu zu verteilen. Vielmehr gehe es darum, Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen herzustellen. Insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA scheint sich die Auffassung der OECD von der der deutschsprachigen Fachliteratur zu unterscheiden. Die OECD geht davon aus, dass Art. 5 Abs. 3 ein besonderer Anwendungsfall des Art. 5 Abs. 1 ist und für beide Fälle eine feste Geschäftseinrichtung erforderlich ist. Der einzige Unterschied zwischen Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 bestehe demzufolge darin, dass in Art. 5 Abs. 3 das zeitliche Element exakt fi xiert ist. Die feste Geschäftseinrichtung wird laut OECD bereits durch die Verfügungsgewalt des Anlagenerrichters über die Baustelle erreicht. Darüber hinaus geht die OECD davon aus, dass jegliche Berechtigung bzw. vertragliche Verantwortung betriebsstättenbegründend sein kann5. Im Gegensatz hierzu vertritt die herrschende Meinung die Auffassung, dass Bauausführungen und Montagen mangels Dauerhaftigkeit nur Kraft ausdrücklicher Regelung eine Betriebsstätte begründen, wenn bestimmte zeitliche Voraussetzungen erfüllt sind. Ferner sollen gemäß Tz. 6 des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA sämtliche Dienstleistungen betriebsstättenbegründend sein. Im Ergebnis entspricht das Art. 5 Abs. 3 b des UN-Musterabkommens, in dem es heißt, dass Dienstleistungen einschließlich Beratungsleistungen, die einen Zeitraum von 6 Monaten innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraumes überschreiten, auch ohne Vorliegen einer festen Geschäftseinrichtung als Betriebsstätte gelten. Abschließend ist festzuhalten, dass die aktuelle Version des Kommentars zum OECD-MA (in der Fassung vom 28. 1. 2003) und die Revisionsentwürfe im Bereich der Betriebsstättenbesteuerung eine deutliche Abkehr von traditionellen Konzepten erkennen lassen. Diese führen entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des OECD-MA zu einer Aufweichung des Betriebsstättenbegriffs. Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung wird be5 Zur Auffassung der OECD vgl. auch Bendlinger, SWI 2005, 109 ff.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD zogen auf den internationalen Anlagenbau hierdurch Steueraufkommen vom Inland ins Ausland verlagert. Für den internationalen Anlagenbauer ergibt sich ein erhöhter kostenintensiver Formalaufwand im Ausland. 2. OECD-Bericht zur Betriebsstätten-Gewinnermittlung Am 8. 2. 2001 hat die OECD den Discussion Draft on the Attribution of Profits to Permanent Establishment veröffentlicht. Am 2. 8. 2004 folgte dann die überarbeitete Version des Discussion Drafts6. Es wurden zahlreiche Stellung nahmen von Unternehmensverbänden und Beratern berücksichtigt sowie die Ergebnisse diverser Konsultationsgespräche eingearbeitet. Die Verabschiedung dieses 68 Seiten umfassenden Discussion Draft war ursprünglich für Anfang 2005 vorgesehen. Aufgrund heftiger Kritik und daraus resultierendem weiterem Gesprächsbedarf wurde die Verabschiedung jedoch auf Anfang 2007 verschoben. Der Discussion Draft besteht aus 4 Teilen, wobei in Teil 1 Grundsatzfragen behandelt werden. Die Teile 2 bis 4 regeln branchenspezifische Besonderheiten. Dabei widmet sich der Teil 2 den Banken, Teil 3 den Financial Instruments und Teil 4 den Versicherungen. Die wesentlichen Erkenntnisse des Discussion Draft sollen in den OECDMK eingefügt werden und daher die internationale Unternehmensbesteuerung entscheidend prägen. Die OECD möchte mit dem Discussion Draft der unbefriedigenden Situation bei der Erfolgs- und Vermögensabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in den OECD-Mitgliedsstaaten, wo eine einheitliche Vorgehensweise nicht zu erkennen ist, entgegenwirken7. Der laut OECD bestehende Dissens zwischen den OECD-Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Reichweite der Fiktionen der Selbständigkeit und der Unabhängigkeit der Betriebsstätte gemäß Art. 7 Abs. 2 OECD-MA soll beseitigt werden. Dabei soll vor allem der gemäß Art. 9 OECD-MA für verbundene Unternehmen geltende Fremdverhaltensgrundsatz und die dazu ergangenen Richtlinien der OECD zu Verrechnungspreisen auch auf Betriebsstätten anzuwenden sein. Die OECD favorisiert daher zur Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte den Functionally separate entity-Ansatz, der somit zukünftig den Status eines international anerkannten Standards erreichen kann.
6 Vgl. OECD, Discussion Draft on the Attribution of Profits to Permanent Establishments – Part I (General Considerations), abrufbar unter http://www.oecd. org/dataoecd/22/51/33637685.pdf. Vgl. dazu auch Förster/Naumann, IWB 2004 Fach 10 International Gruppe 1, 1777. 7 Vgl. Konrad, IStR 2003, 786 ff.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD Dem Functionally separate entity-Ansatz liegt die uneingeschränkte Anwendung des dealing at arm’s length-Grundsatzes des Art. 9 OECD-MA auf die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zugrunde. Er geht von der Selbständigkeitsfiktion aus, derzufolge der Betriebsstätte die Gewinne zuzuordnen sind, die sie als fi ktiv verselbständigtes und unabhängiges Unternehmen mit gleicher Funktion unter sonst vergleichbaren Bedingungen erwirtschaftet hätte. Dabei werden zwischen Stammhaus und Betriebsstätte Geschäfte (Dealings) fingiert, die grundsätzlich mit dem Fremdvergleichspreis abzurechnen sind. Der Functionally separate entity-Ansatz sieht eine zweistufige Vorgehensweise vor. Dabei wird in der ersten Stufe eine Funktionsanalyse durchgeführt. Die von der Betriebsstätte ausgeübten Funktionen und die von ihr getragenen Risiken werden identifi ziert. Ferner werden Wirtschaftsgüter Stammhaus oder Betriebsstätte zugeordnet. Gemäß Tz. 56 des Drafts sind dann Key entrepreneurial risk-taking functions branchenspezifisch festzustellen und dem Stammhaus bzw. der Betriebsstätte zuzuordnen. Stufe 2 sieht dann die Gewinnabgrenzung durch Fremdvergleich vor. Dabei werden auf Basis der Funktionsanalyse von der Betriebsstätte übernommene Funktionen, die daraus resultierenden Risiken und die dafür eingesetzten Wirtschaftsgüter nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs bewertet. Hierbei kommen die bekannten Standardmethoden (Preisvergleichs-, Wiederverkaufspreis- und Kostenaufschlagsmethode) zur Anwendung. Bei stark integrierten und verflochtenen Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte werden auch transaktionsbezogene Gewinnabgrenzungsmethoden zugelassen. Tz. 300 des Drafts lehnt die indirekte Methode ausdrücklich ab und sieht insofern eine Abschaffung des Art. 7 Abs. 4 OECD-MA vor. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Functionally separate entity-Ansatz einen fi ktiven schuldrechtlichen Leistungsaustausch zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vorsieht. Es stellt sich die Frage, inwieweit der Functionally separate entity-Ansatz für die Einkunftsabgrenzung im internationalen Anlagenbau anwendbar ist. Dass der Ansatz auf Grenzen stoßen kann, unterstellt auch die OECD, wenn sie in Tz. 26 des Drafts einräumt, dass der Functionally separate entity-Ansatz nicht in allen Fällen umsetzbar ist. Gespräche mit der OECD haben ergeben, dass die im Anlagenbau zur Einkunftsabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte praktizierte Kostenschlüsselmethode nicht im Wiederspruch zum Functionally separate entity-Ansatz steht. Die Methode stellt vielmehr eine nach OECD-Verrechnungspreisgrundsätzen zulässige „Transactional-Profit-Split-Methode“ dar. 187
Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD Trotz der Vereinbarkeit des OECD-Ansatzes mit der praktischen Vorgehensweise des Anlagenbaus hinsichtlich der Einkunftsabgrenzung sind einige Kritikpunkte am Functionally separate entity-Ansatz zu beachten8. Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Draft grundsätzlich an klassischen Dauerbetriebsstätten mit langfristigen festen Geschäftseinrichtungen orientiert. Besonderheiten des Anlagenbaus werden anders als die von Banken und Versicherungen nicht berücksichtigt. Der Anlagenbauer hat auf vertraglicher Basis in einem kontinuierlichen Herstellungsprozess eine funktionsfähige Anlage zu errichten. Stammhaus- und Betriebsstättenaktivitäten sind eng miteinander verzahnt. Baustelle und Stammhaus schließen während der Auftragsdurchführung keine Geschäfte (Dealings) miteinander ab, denen isoliert Gewinnanteile zugerechnet werden könnten. Das Risiko einer Anlagenerrichtung trägt immer das Stammhaus; es kann nicht fi ktiv einer Montagebetriebsstätte zugerechnet werden. Im internationalen Anlagenbau gibt es i. d. R. den fremden Dritten, der fi ktiv die projektbezogenen Baustellenaktivitäten in Form von Montageüberwachung wahrnehmen kann, nicht. Zum einen hat der Anlagenbauer aus Gründen des Know-how-Schutzes kein Interesse, fremde Unternehmer Montage- und Inbetriebnahmeüberwachungstätigkeiten vornehmen zu lassen. Darüber hinaus würde ein fremder Dritter die Haftung für eine nicht funktionierende Anlage nicht übernehmen wollen bzw. können. Der Functional separate entity-Ansatz regelt nicht nur Gewinnabgrenzung dem Grunde nach, sondern greift unzulässigerweise auch in innerstaatliche Gewinner mittlungsmethoden ein. Der von der OECD angestrebte Symmetriegrundsatz, wonach die Summe der von Stammhaus und Betriebsstätte versteuerten Gewinne den gesamten Unternehmensgewinn ergeben soll, setzt weltweit einheitliche Gewinnermittlungsvorschriften voraus und scheitert daher in der Praxis.
8 Vgl. Bendlinger, SWI 2005, 116.
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Remberg, Betriebsstätten-Gewinnermittlung im Blickpunkt der OECD
VI. Ausblick Im Mittelpunkt der OECD-Überlegungen steht die klassische Dauerbetriebsstätte. Den Besonderheiten des Maschinen- und Anlagenbaus wurde bisher nur unzureichend Rechnung getragen. Die Diskussionen mit OECD und BMF sollten fortgesetzt werden, um zu erreichen, dass im vorliegenden Draft nicht nur die Besonderheiten von Banken und Versicherungen, sondern auch die des internationalen Anlagenbaus berücksichtigt werden. Dabei wäre es hilfreich, wenn in Analogie zu Tz. 4.3.6 des Betriebsstättenerlasses vom 24. 12. 1999 eine ausdrücklich die im Anlagenbau vorliegenden komplexen Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte reflektierende Einkunftsabgrenzungsmethode zugelassen würde.
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Beraterpflichten angesichts europäischer Steuerrechtsentwicklungen Dr. Otmar Thömmes Rechtsanwalt, München Inhaltsübersicht I. Allgemeine Beratungspflichten des Steuerberaters aus dem Mandatsverhältnis 1. Auftrag des Steuerberaters 2. Beratungs- und Unterrichtungspfl icht des Steuerberaters II. Übertragung der dargestellten Grundsätze auf die Besonderheiten des EG-Rechts 1. Primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht 2. Rechtsprechung des EuGH 3. Vergleichbarkeit und Unterschiede zwischen den Entscheidungen des EuGH und des BVerfG 4. Informationspfl icht des Steuerberaters über Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Steuerrechts III. Erkenntnisquellen für den Steuerberater auf dem Gebiet europäischer Steuerrechtsentwicklung IV. Umfang und Zeitpunkt des „Kennenmüssens“ des Steuerberaters von EG-rechtlichen Entwicklungen auf dem Gebiet des Steuerrechts 1. Vereinbarkeit einer nationalen steuerlichen Norm mit EG-Recht 1.1 Vorliegen eines Urteils des EuGH 1.2 Schlussantrag des Generalanwalts in einem Verfahren vor dem EuGH
2.
V.
1.
2.
3.
1.3 Vorlagebeschluss eines nationalen Gerichts an den EuGH 1.4 Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit von nationalen Normen in der Literatur Vereinbarkeit einer steuerlichen Norm eines anderen Mitgliedstaates mit EG-Recht 2.1 Urteil des EuGH in einem Vorlageverfahren betreffend die Vereinbarkeit von Steuerrechtsnormen eines anderen EU-Mitgliedstaates mit EGRecht 2.2 Schlussantrag des Generalanwalts im Verfahren vor dem EuGH 2.3 Vorlagebeschluss des Gerichts eines anderen EU-Mitgliedstaates an den EuGH 2.4 Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit von Steuerrechtsnormen eines anderen EUMitgliedstaates in der Literatur Konkrete Handlungspflichten des Steuerberaters und weitere verfahrensrechtliche Fragen Verhalten des Steuerberaters in dem Zeitraum zwischen einem Urteil des EuGH und Beseitigung des EG Rechtsverstoßes Auswirkungen von EuGH-Urteilen auf in der Vergangenheit liegende Veranlagungszeiträume Geltendmachung EG-rechtlicher Einwendungen bei Abgabe der Steuererklärung
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Thömmes, Beraterpfl ichten 4. Geltendmachung EG-rechtlicher Einwendungen im Einspruchsverfahren
VI. Rechtsgrundlage und Umfang eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Steuerberater VII. Zusammenfassung
Die Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Unternehmenssteuerrecht spielten bis vor wenigen Jahren in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. Vereinzelt wahrgenommen wurde der Einfluss des Europarechts bei Entscheidungen des EuGH zum deutschen Ertragsteuerrecht (an dieser Stelle sei nur das Urteil in Sachen Werner aus dem Jahr 19931, das Schumacker-Urteil aus dem Jahr 19952 und das Urteil Compagnie de Saint-Gobain aus dem Jahr 19993 genannt) sowie bei der Umsetzung des sekundären Gemeinschaftsrechts in nationales Recht (Mutter-Tochter-Richtlinie und Fusionsrichtlinie). Die Wahrnehmung des Europarechts hat sich in den letzten Jahren dramatisch geändert. Die Rechtsprechung des EuGH zu dem Einfluss des primären Gemeinschaftsrechts hat entscheidend dazu beigetragen. Die gestiegene Bedeutung des Europarechts für das deutsche Unternehmenssteuerrecht geht einher mit einer gestiegenen Verantwortung für den Steuerberater, die Entwicklungen auf diesem Gebiet zu verfolgen und frühzeitig sich ergebende, mögliche Folgen für den Steuerpflichtigen zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Noch weitgehend ungeklärt ist dabei das Verhältnis der sich ergebenden konkreten Beraterpflichten aus den Entwicklungen auf europäischer Ebene und möglichen Folgen für den einzelnen Berater sofern diesen Entwicklungen nicht genug Beachtung geschenkt wird. Der nachfolgende Beitrag versucht diese Pflichten systematisch aufzuarbeiten, die sich ergebenden Problemfelder freizulegen und erste Lösungsansätze zu bieten.
I. Allgemeine Beratungspflichten des Steuerberaters aus dem Mandatsverhältnis Die bisherige Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte zur Haftung des Steuerberaters4 hatte noch keine Fälle zum Gegenstand, in denen es um die Anwendung bzw. Nichtanwendung von EG-Recht ging. Auch in der Literatur ist der Frage nach den Beraterpflichten, die sich aus der EG1 2 3 4
EuGH v. 26. 1. 1993, Rs. C-112/91 – Werner, Slg. 1993, I-429. EuGH v. 14. 2. 1995, Rs. C-279/93 – Schumacker, Slg. 1995, I-225. EuGH v. 21. 9. 1999, Rs. C-307/97 – Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6163. Entsprechendes gilt für die Beraterpfl ichten des Rechtsanwalts.
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Thömmes, Beraterpfl ichten rechtlichen Rechtsentwicklung ergeben, soweit ersichtlich, noch keine Beachtung geschenkt worden. Der BGH hat die Pflichten des Steuerberaters in ständiger Rechtsprechung wie folgt definiert: „Im Rahmen seines Auftrags hat der Steuerberater seinen Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle bedeutsamen steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Insbesondere muss der Steuerberater seinen Auftraggeber möglichst vor Schaden bewahren; deswegen muss der Steuerberater den nach Umständen sichersten Weg zu dem erstrebten steuerlichen Ziel aufzeigen und sachgerechte Vorschläge zu dessen Verwirklichung unterbreiten. Er hat den Mandanten in die Lage zu versetzen, eigenverantwortlich seine Rechte und Interessen zu wahren und eine Fehlentscheidung vermeiden zu können“5. Damit sind zwei Punkte zu klären: Zum einen muss der Rahmen des Auftrags des Steuerberaters näher dargestellt werden, zum anderen ist die sich daraus ergebende umfassende Beratungs- bzw. Unterrichtungspflicht zu erläutern. 1. Auftrag des Steuerberaters Der Steuerberatervertrag ist in der Regel als Dienstvertrag anzusehen, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, § 675 Abs. 1 BGB6. Dieses gilt insbesondere, wenn es sich um ein sog. unbeschränktes Mandat handelt, d.h. ein Dauermandat, bei dem eine ständige und unaufgeforderte Beratung erwünscht ist, und das nicht einen bestimmten Erfolg zum Gegenstand hat. Dagegen ist ausnahmsweise ein Werkvertrag gegeben, wenn der Berater nur einen Einzelauftrag erhält und nur zu einem ganz bestimmten in sich abgeschlossenen Sachverhalt Stellung nehmen soll wie z. B. in einem Gutachten. Bei einem solchen beschränkten Mandat ist ein ganz bestimmter Leistungserfolg geschuldet. Wie das OLG Karlsruhe7 klarstellt, werden die Leistungspflichten des Steuerberaters von dem konkret erteilten Auftrag bestimmt: „Die Hauptleistungspflichten des Steuerberaters richten sich nach Inhalt und Umfang des ihm erteilten Mandats. Daraus ergibt sich, dass er sich mit all den steuerlichen Punkten zu befassen hat, die zur pflichtgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auftrags zu beachten sind. Innerhalb dieses Rahmens hat er auch ungefragt über die bei der Bearbeitung auftauchenden steuerrechtlichen 5 BGH v. 11. 5. 1995, BGHZ 129, 386, 396; BGH v. 18. 12. 1997, WM 1998, 302. 6 Ständige Rechtsprechung, vgl. u. a. BGH v. 17. 10. 1991, BGHZ 115, 382; BGH v. 21. 11. 1996, WM 1997, 330. 7 OLG Karlsruhe v. 24. 3. 2005, DStRE 2005, 979.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Fragen zu belehren. Darüber hinausgehende Beratungs- und Hinweispflichten des Steuerberaters bestehen dagegen nicht. Insbesondere braucht er Vorgänge, die ihm zwar bei Gelegenheit des ihm erteilten Auftrags bekannt geworden sind, jedoch in keiner unmittelbaren Beziehung zu der von ihm übernommenen Aufgabe stehen, nicht dahin zu untersuchen, ob sie Veranlassung zu Belehrungen, Ratschlägen oder Hinweisen gegenüber dem Mandanten geben“. Aus der unterschiedlichen Natur der beiden Typen von Mandatsverhältnissen ergibt sich zwangsläufig ein unterschiedlicher Beratungsumfang. Bei einem beschränkten Mandat besteht eine Pflicht des Steuerberaters zur Beratung nur in den engen Grenzen des erteilten Auftrags, während bei einem unbeschränkten Mandat sämtliche steuerlichen Rechtsverhältnisse und Verwirklichungen von steuerlich relevanten Tatbeständen Gegenstand der steuerlichen Beratungspflicht sind. 2. Beratungs- und Unterrichtungspflicht des Steuerberaters Die sich aus dem Steuerberatungsvertrag ergebende Beratungs- und Unterrichtungspflicht dem Mandanten gegenüber setzt voraus, dass der Steuerberater selbst umfassend über die steuerlichen Gegebenheiten und Entwicklungen informiert ist. Aus der Verpflichtung des Steuerberaters gegenüber dem Mandanten ergibt sich damit eine persönliche Verpflichtung des Steuerberaters sich zu informieren. Die Rechtsprechung des BGH erwartet dabei nicht, dass dem steuerlichen Berater alle Rechtsgrundlagen, richterlichen Entscheidungen und fachlichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Steuerrechts geläufig sind. Die Vertragspflicht zur Rechtsprüfung verlangt vielmehr (nur), dass der Steuerberater zu seinem schon vorhandenen Wissen, soweit dies erforderlich ist, weitere Rechtskenntnis hinzu erwirbt, die zur vertragsgerechten Erledigung des Mandats notwendig ist. Der Steuerberater ist dazu verpflichtet, sich über die Entwicklung der steuerlichen Rechtsprechung, die Gesetzgebung und die Erlasse der Finanzverwaltung sowie die maßgebliche Literatur zu unterrichten8. Grundsätzlich wird von ihm verlangt, dass er sich in seinem Fachgebiet in den zur Verfügung stehenden Fachzeitschriften über den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung informiert9.
8 BGH v. 15. 3. 1977, NJW 1977, 1102; OLG Stuttgart v. 29. 6. 1987, Stbg 1987, 347; FG Baden-Württemberg v. 31. 5. 1989, EFG 1989, 611. 9 BGH, NJW 1982, 1866.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Die Rechtsprechung des BGH fordert dabei eine dem guten Durchschnitt der sorgfältig arbeitenden und gewissenhaften Berufsangehörigen entsprechende Leistung. Der Steuerberater muss nicht über die beim BFH anhängigen Verfahren informiert sein. Es reicht aus, dass er die bestehenden Gesetze und die hierzu ergangene Rechtsprechung kennt10. Auf diese Aussage des LG Regensburg wird später noch zurückzukommen zu sein. Nach überkommener Ansicht des FG München11 hat der Steuerberater zumindest die BFH Rechtsprechung ab Veröffentlichung in der einschlägigen Fachliteratur, zu der das FG das Bundessteuerblatt zählt, zu kennen. Dabei ist dem Steuerberater in Übernahme der Rechtsprechung des BGH zu den Anwaltspflichten12 eine Karenzzeit von etwa einem Monat ab der Veröffentlichung in den für die Berufsgruppe üblichen Fachzeitschriften einzuräumen. Es muss sich dabei um eine Veröffentlichung in einer allgemein zugänglichen Veröffentlichung handeln13. Nach Ansicht des OLG Köln ist dem Steuerberater eine Karenzzeit von 4 bis 6 Wochen einzuräumen14. Zu unterscheiden ist bei der Frage nach den Beraterpflichten zwischen einer haftungsauslösenden Pflichtverletzung des Steuerberaters und einer lediglich qualitativ schlechten Beratung des Steuerpflichtigen, die jedoch nicht zu einer Pflichtverletzung des Beraters führt.
II. Übertragung der dargestellten Grundsätze auf die Besonderheiten des EG-Rechts Um der Frage nachgehen zu können, ob sich die oben dargestellten allgemeinen Grundsätze auf die Besonderheiten des EG-Rechts übertragen lassen und um festzustellen, welche konkreten Pflichten des Steuerberaters sich dabei ergeben, ist es zunächst notwendig, die wesentlichen Grundlagen und die Besonderheiten des EG-Rechts darzustellen. 1. Primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht Die EG-Rechtsordnung unterscheidet zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht. Während das primäre Gemeinschaftsrecht un-
10 11 12 13 14
LG Regensburg v. 30. 5. 1985, DStR 1987, 134. FG München v. 13. 3. 1969, EFG 1969, 413. BGH v. 16. 4. 1964, NJW 1964, 2058. So Maxl in Beck’sches Steuerberaterhandbuch 2004/2005, Rz. S21. OLG Köln v. 4. 9. 1998, INF 1999, 95.
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Thömmes, Beraterpfl ichten mittelbar geltendes Recht in allen Mitgliedstaaten darstellt, gilt dies für das sekundäre Gemeinschaftsrecht nur bedingt. Primäres Gemeinschaftsrecht sind die Gründungsverträge (EUV, EGV, EGKSV, EAGV) mit den späteren Änderungen und Ergänzungen einschließlich der Anlagen, Anhänge und Protokolle sowie die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ (vgl. Art. 220 EGV) und Gemeinschaftsgrundrechte. Sekundäres Gemeinschaftsrecht ist solches Gemeinschaftsrecht, das aufgrund einer Ermächtigung im primären Gemeinschaftsrecht von den Organen der EU (Rat, Parlament oder Kommission) gem. Art. 249 EGV erlassen wird. Innerhalb des sekundären Gemeinschaftsrechts ist insbesondere zwischen Verordnungen iSv. Art. 249 Abs. 2 EGV und Richtlinien iSv. Art. 249 Abs. 3 EGV zu unterscheiden. Verordnungen sind gem. Art. 249 Abs. 2 EGV Rechtsnormen, die allgemein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Auf dem Gebiet der direkten Steuern sind jedoch bisher keine Verordnungen erlassen worden. Sehr viel wichtiger auf diesem Gebiet sind die Richtlinien nach Art. 249 Abs. 3 EGV, die für jeden Mitgliedstaat aber nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind. Den Mitgliedstaaten wird dabei für die Art der Umsetzung (Form und Mittel) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH15 hat eine Richtlinie unmittelbare Wirkung (nicht unmittelbare Geltung) in den Mitgliedstaaten unter den folgenden Vorraussetzungen: – Die in dem Mitgliedstaat für die Anpassung seines nationalen Rechts vorgegebene Umsetzungsfrist ist abgelaufen und die Richtlinie ist nicht oder unzulänglich umgesetzt. – Die Richtlinie ist inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ausgestaltet. – Die Richtlinie enthält eine für den Einzelnen begünstigende Regelung. – Dem Mitgliedstaat verbleibt bei der Umsetzung kein Ermessensspielraum Folge der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie ist, dass sich der einzelne Bürger gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten auf die
15 St. Rspr. seit EuGH, Urt. v. 4. 12. 1974 – Rs. C-41/74 – van Duyn, EuGHE 1974, 1337.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Richtlinie berufen kann; sie ist von Amts wegen auch von den Behörden der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen 16. 2. Rechtsprechung des EuGH Eine Gewährung von Rechtsschutz aufgrund der Europarechtswidrigkeit einer nationalen Norm ist Sache der nationalen Gerichte, denn europäisches Recht ist Teil der nationalen Rechtsordnungen und nicht fremdes Recht (vgl. Art. 23 Abs. 1 iVm. Art. 25 Abs. 1 GG). Eine unmittelbare Anrufung des EuGH ist dem Steuerpflichtigen nicht möglich. Auf Ebene des EuGH sind zwei Verfahrensarten zu unterscheiden, die dazu geeignet sind eine Gemeinschaftsrechtsverletzung geltend zu machen: Zum einen das sog. Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV und zum anderen das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV. Das Vertragsverletzungsverfahren, das häufig aufgrund einer Beschwerde eines betroffenen Steuerpflichtigen17 von der Kommission eingeleitet wird, läuft nach einem dreistufigen Muster ab: Zunächst richtet die Kommission nach Art. 226 Abs. 1 EGV ein Schreiben an den betreffenden Mitgliedstaat, der im Verdacht steht gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen zu haben. Mit diesem ersten Schritt soll dem Mitgliedstaat Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Das Schreiben der Kommission an den Mitgliedstaat bestimmt dabei schon jetzt den Gegenstand eines später folgenden Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH. Hilft der Mitgliedstaat der Rüge der Kommission nicht ab, so richtet diese eine mit Gründen versehene Stellungnahme an den betreffenden Staat, in der gleichzeitig eine Frist zur Beseitigung des Verstoßes gesetzt wird. Als dritter und letzter Schritt kommt es schließlich zur Anrufung des Gerichtshofes durch die Kommission nach Art. 226 Abs. 2 EGV. Das Urteil des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV hat keine Gestaltungswirkung. Es hat insbesondere nicht zur Folge, dass die strittige nationale Norm als nichtig anzusehen ist. Vielmehr hat der betreffende Mitgliedstaat die in Frage stehende Norm oder Maßnahme zu beseitigen. Das Urteil des EuGH ist als Feststellungsurteil anzusehen; dessen Rechtskraft erstreckt sich nur auf den im Urteil konkret bezeichneten Vorwurf und wirkt nur gegenüber den am Verfahren beteiligten Parteien. Da Ziel des Vertragsverletzungsverfahrens in erster Linie die Beseiti16 Vgl. Fratelli-Costanzo Entscheidung des EuGH v. 22. 6. 1989, Rs. C-103/88, Slg. 1989, 1839. 17 Zur Möglichkeit der Einlegung einer Beschwerde bei der Kommission vgl. Thömmes in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Kommentar zum AStG, vor § 23 UmwStG Rz.78.
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Thömmes, Beraterpfl ichten gung des Verstoßes gegen EG-Recht ist, stellt sich die Frage nach Individualrechtsschutz erst in einem zweiten Schritt. Der aus einem Vertragsverletzungsverfahren resultierende Individualrechtsschutz kann sich aus dem allgemein anerkannten Haftungstatbestand ergeben, der jede dem einzelnen Mitgliedstaat zurechenbare Verletzung des EG-Rechts umfasst18. Haftungsvoraussetzung ist, dass es sich dabei um einen hinreichend qualifi zierten bzw. offenkundigen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht handelt. Ein solcher hinreichend qualifi zierter Verstoß ist immer dann gegeben, wenn der Mitgliedstaat trotz eines Feststellungsurteils iSv. Art. 226 EGV die sich daraus ergebenden Folgen nicht zieht und die vom EuGH als EGrechtswidrig festgestellte Gesetzesnorm oder Verwaltungsmaßnahme nicht beseitigt19. Das zur Erlangung von Individualrechtsschutz gegen Verstöße gegen EGRecht wichtigste Verfahren ist das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV. Aus Sicht der Beteiligten ist dieses in ein Verfahren vor den nationalen Gerichten eingebettet. Werden Normen entscheidungserheblich, die im Verdacht stehen, EG-Recht zu verletzen, so müssen letztinstanzliche Gerichte die Frage nach der Auslegung der maßgeblichen Normen des Gemeinschaftsrechts dem EuGH vorlegen (vgl. Art. 234 Abs. 3 EGV). Gerichte der unteren Instanzen können die Frage vorlegen (vgl. Art. 234 Abs. 2 EGV). In einem nicht kontradiktorischen Zwischenverfahren klärt der EuGH die Auslegung des maßgeblichen Gemeinschaftsrechts. Die konkrete Anwendung im Ausgangsverfahren bleibt jedoch dem nationalen Gericht vorbehalten, das allerdings, ebenso wie alle weiteren Gerichte desselben Instanzenzuges, an die Auslegung des EuGH gebunden ist. Der EuGH beantwortet nur Fragen des vorlegenden Gerichts nach der Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Aus der von den vorlegenden Gerichten häufig gestellten Frage, ob eine bestimmte nationale Norm dem Gemeinschaftsrecht widerspreche, wird die Frage nach der Auslegung von Gemeinschaftsrecht im Wege der Umformulierung des Vorlagebeschlusses durch den EuGH herauskristallisiert. Der EuGH stellt nicht die EG-Rechtswidrigkeit der betreffenden Norm fest, sondern legt ausschließlich das Gemeinschaftsrecht aus. Das vorlegende Gericht ist an die Entscheidung des EuGH gebunden. Gleiches gilt für alle anderen Gerichte des Instanzenzuges, die in derselben 18 Vgl. EuGH v. 19. 11. 1991 – Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991, I-5403 „Francovich“ und v. 5. 3. 1996 – Rs. C-46 und 48/93 „Brasserie du pêcheur“ und „Factortame“, Slg. 1996, I-1131, Rz. 57. 19 EuGH, C-46 und 48/93, „Brasserie du pêcheur“ und „Factortame“, Slg. 1996, I1131, Rz. 57.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Sache zu entscheiden haben.20 Daneben kommt den Vorabentscheidungsurteilen eine allgemeine Bindungswirkung (sog. erga-omnes Wirkung) zu, da davon auszugehen ist, dass die gleiche Frage nach der Auslegung einer EG-Rechtsnorm, würde sie von einem anderen Gericht desselben oder eines anderen Mitgliedstaates erneut gestellt, in der gleichen Weise vom Gerichtshof beantwortet werden würde21. Nur bei eindeutiger und gefestigter Rechtsprechung zu bestimmten Rechtsfragen können die nationalen Gerichte von einer Vorlage an den EuGH absehen, sog. „acte-claire“ Doktrin22 . 3. Vergleichbarkeit und Unterschiede zwischen den Entscheidungen des EuGH und des BVerfG In beiden Fällen EG-rechtlicher und verfassungsrechtlicher Bedenken gegen eine Norm handelt es sich um den Konflikt von Gesetzesnormen unterschiedlicher Normhierarchiestufen: Sowohl nationales Verfassungsrecht als auch EG-Recht geht den einfachgesetzlichen nationalen Rechtsvorschriften vor23. Zwischen der Frage der Verfassungsmäßigkeit und der Frage der EG-Rechtmäßigkeit einer steuerlichen Norm besteht jedoch ein gewichtiger Unterschied: EG-Recht, namentlich die Grundfreiheiten des Vertrages, ist in den einzelnen Mitgliedstaaten als unmittelbar geltendes Recht anzusehen, das von jedem Gericht unbeschadet der Möglichkeit der Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 EGV zu beachten ist. Dagegen besteht für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Gesetzesnorm die ausschließliche Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Dessen Entscheidungen haben in den Fällen des § 13 Nr. 11 BVerfGG Gesetzeskraft (vgl. auch § 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Sie tritt erst mit der Entscheidung selbst und nicht schon vorher ein.24 Das mit dem höherrangigen EG-Recht in Konflikt stehende nationale Recht ist von den nationalen Gerichten nicht anzuwenden, ohne dass es einer vorherigen förmlichen Außerkraftsetzung durch den EuGH bedarf. Aus diesem Grund besitzt der EuGH auch keine Verwerfungskompetenz bezüglich 20 EuGH v. 24. 6. 1969 – Rs. C-29/68 – Milchkontor, EuGHE 1969, 165 (178). 21 Zur Wirkung von Auslegungsurteilen des EuGH vgl. eingehend Dauses, Manfred, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, 2. Aufl. 1995; Thömmes in „Brennpunkte des Steuerrechts“, Festschrift für Wolfgang Jakob zum 60. Geburtstag, 2001, S. 234. 22 Vgl. dazu EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415/3429, C.I.L.F.I.T. 23 Vgl. zum Vorrang des EG-Rechts (Art. 23 GG) BVerfG v. 22. 10. 1986, BVerfGE 73, 33. 24 So auch Beschluss des I. Senats des BFH v. 24. 3. 1998, BFH/NV 1998, 1172.
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Thömmes, Beraterpfl ichten des für EG-rechtswidrig erkannten nationalen Rechts, wie sie dem BVerfG nach Art. 100 GG, §§ 13 ff BVerfGG zukommt. Er besitzt sie deshalb nicht, weil er sie nicht braucht. Das dem EG-Recht entgegenstehende nationale Recht ist unanwendbar. Der Ausspruch des EuGH besitzt dabei lediglich deklaratorischen Charakter. 4. Informationspflicht des Steuerberaters über Entwicklungen auf dem Gebiet des europäischen Steuerrechts Soweit ersichtlich, existiert bisher keine Rechtsprechung zu den Pflichten des Steuerberaters in Bezug auf Entwicklungen im Bereich des europäischen Steuerrechts. Daher ist zu fragen, inwieweit die bisher bekannten Grundsätze auf den Bereich des Europarechts zu übertragen sind. Wie oben (vgl. Teil 1.2) aufgezeigt, ist der Steuerberater dazu verpflichtet, sich über die Entwicklung der steuerlichen Rechtsprechung, die Gesetzgebung und die Erlasse der Finanzverwaltung sowie die maßgebliche Literatur zu unterrichten. Diese Grundsätze, die für das nationale Steuerrecht aufgestellt worden sind, gelten grundsätzlich auch für die Entwicklungen auf Ebene des EG-Rechts und dessen Einfluss auf das nationale Steuerrecht. In der Normenhierarchie zwischen nationalem Recht und EG-Recht besitzt das EG-Recht Vorrang; dies gilt sowohl für das nationale Steuerrecht als auch für das jeweilige nationale Verfassungsrecht25. Wie jedoch oben dargestellt, ist auf Ebene des EG-Rechts zu unterscheiden zwischen einer direkten Anwendung EG-rechtlicher Akte auf Ebene eines einzelnen Bürgers eines Mitgliedstaates, einer direkten Anwendung nur unter bestimmten Voraussetzungen und einer Anwendung nur nach Umsetzung des EG-rechtlichen Akts durch den betreffenden Mitgliedstaat bzw. durch das betreffende nationale Gericht. Sofern es um den Erlass bzw. um die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Steuerrecht geht, dürfte eine Hinweispflicht des Steuerberaters auf die Rechtsänderung im Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Umsetzung einer Richtlinie in nationales Steuerrecht unzweifelhaft gegeben sein. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, welche Pflichten den steuerlichen Berater treffen, wenn eine Richtlinie mit steuerlichen Auswirkungen zugunsten des Steuerpflichtigen nicht bzw. nicht zutreffend umgesetzt wird, bzw. wenn ein Verstoß einer nationalen Steuerrechtsnorm gegen primäres Gemeinschaftsrecht vorliegt. Hier ist weiter zu fragen, ob eine Hinweispflicht des Beraters auf Schadensersatzansprüche zugunsten des Mandanten (Haf25 Allerdings ist das Maastricht-Urteil des BVerfG v. 12. 10. 1993, BVerfGE 89, 155 zu beachten, wonach sich das BVerfG vorbehielt, Gemeinschaftsrecht an den unabdingbaren Grundrechtsstandards des GG zu messen.
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Thömmes, Beraterpfl ichten tung des Mitgliedstaates) besteht, falls in der Folge eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH nach Art. 226 EGV der betreffende Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Aufhebung der gegen EG-Recht verstoßenden Maßnahme oder Norm nicht nachkommt. Um die Frage nach den den steuerlichen Berater in diesem Zusammenhang treffenden Pflichten näher zu untersuchen, ist in einer dreistufigen Prüfung zunächst zu fragen, welche Erkenntnisquellen dem steuerlichen Berater zu seiner Information über die EG-rechtlichen Entwicklungen überhaupt zur Verfügung stehen, was ihm an Nutzung dieser Quellen zugemutet werden kann und schließlich was ihn an Handlungs- und Informationspflichten aus der zumutbaren Quellennutzung trifft bzw. ab wann eine solche Handlungs- und Informationspflicht dem Mandanten gegenüber begründet wird. Bei der Frage der Handlungs- und Informationspflicht des Steuerberaters gegenüber dem Steuerpflichtigen stellt sich insbesondere die Frage, ob aufgrund der Besonderheit eines Vorabentscheidungsverfahrens (hier äußert sich der EuGH abstrakt-generell zur Auslegung von EG-Recht), der Steuerberater dazu verpflichtet ist, eine Parallelwertung vorzunehmen und eine Pflicht zum Tätigwerden schon dann zu bejahen ist, falls Gegenstand des Vorabentscheidungsverfahrens eine Norm eines anderen Mitgliedstaates ist, zu der sich im deutschen Steuerrecht eine vergleichbare Regelung findet.
III. Erkenntnisquellen für den Steuerberater auf dem Gebiet europäischer Steuerrechtsentwicklung An verfügbaren Informationsquellen des steuerlichen Beraters über die steuerlichen Entwicklungen auf der Ebene des EG-Rechts kommen in Betracht: 1. Das Amtsblatt der EG. In diesem werden sämtliche Entscheidungen des EuGH (Leitsätze) sowie Vorlagefragen an den EuGH abgedruckt (in der Regel ca. 2–3 Monate nachdem die Entscheidung erlassen bzw. die Frage an den EuGH vorgelegt wurde). 2. Die nationalen Amtsblätter der verschiedenen Mitgliedstaaten: Hier werden zumindest die jeweiligen nationalen Vorlageverfahren aufgrund einer Vorlage eines nationalen Gerichts an den EuGH veröffentlicht. 3. Die amtliche Entscheidungssammlung des EuGH. Allerdings werden die Urteile des EuGH dort erst mit einer Verzögerung von ca. 12 Monaten abgedruckt. 201
Thömmes, Beraterpfl ichten 4. Nationale Fachliteratur und regelmäßig erscheinende Fachzeitschriften (Berichte und Darstellungen von Richtlinienvorhaben sowie EuGH Verfahren in sämtlichen Verfahrensstadien). 5. Datenbanken wie z. Bsp. juris oder lexinform. 6. Die Homepage des BFH (www.bundesfinanzhof.de): Hier werden sämtliche neu anhängige Verfahren beim EuGH aufgeführt, Entscheidungen jedoch nicht im Volltext dargestellt. 7. Die Homepage des EuGH (www.curia.eu.int): Hier werden die Vorlagefragen der neu anhängigen Verfahren, die Schlussanträge des Generalanwalts sowie die Entscheidungen des EuGH im Volltext dargestellt. Nach der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zur Nutzung von Informationsquellen des Steuerberaters bezogen auf nationales Steuerrecht lassen sich folgende Grundsätze darstellen: Grundsätzlich beschränkt sich die Pflicht eines gewissenhaften und sorgfältigen Steuerberaters auf die Kenntnisnahme der Veröffentlichungen im Bundessteuerblatt.26 Das gleiche OLG hat dagegen im Jahr 1989 entschieden, dass eine BFH Entscheidung auch schon dann als bekannt vorausgesetzt werden kann, wenn sie vorher in mehreren Fachzeitschriften veröffentlicht worden ist.27 Das LG Köln hat festgestellt, dass der Nichtbezug des Bundesgesetzblattes keine Pflichtverletzung eines Steuerberaters darstellt28. Sofern die Entscheidung eines obersten Gerichts lediglich in einer Spezialzeitschrift und nicht in der Entscheidungssammlung oder einer allgemeinen juristischen Zeitschrift veröffentlicht wird, stellt die Nichtbeachtung keine Pflichtverletzung dar29. Fraglich erscheint, ob die bisher aufgestellten Grundsätze auf die Pflicht des Steuerberaters, auf Entwicklungen des Steuerrechts auf europäischer Ebene zu reagieren, übertragbar sind. Entscheidungen des EuGH werden, soweit sie deutsche Vorlageverfahren betreffen, nicht vollumfänglich im Bundessteuerblatt veröffentlicht30. Entscheidungen des EuGH werden in der amtlichen Entscheidungssammlung des EuGH erst nach etwas mehr als einem Jahr veröffentlicht.
26 27 28 29 30
OLG Stuttgart v. 29. 6. 1987, Stbg. 1987, 347. OLG Stuttgart v. 31. 5. 1989, EFG 1989, 611. LG Köln v. 7. 2. 1990, Stbg. 1990, 247. OLG München, NJW-RR 1988, 803. Veröffentlicht wurden z. Bsp. die Entscheidungen in BStBl. II 1999, 851 für das Vorlageverfahren in Sachen „Eurowings“ oder BStBl. II 2003, 859 für das Vorlageverfahren in Sachen „Gerritse“; nicht dagegen veröffentlicht wurde im BStBl. die Entscheidung in Sachen „Lankhorst-Hohorst“, v. 12. 12. 2002, C-324/00.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Die bisherigen Grundsätze enthalten keine Aussagen über die Nutzung elektronischer Informationsquellen wie Datenbanken oder Internet. Dies dürfte daran liegen, dass die betreffenden Aussagen der Zivilgerichte in einer Zeit ergangen sind, als es diese Informationsmöglichkeiten noch nicht bzw. nur vereinzelt gegeben hat31. Bei der Frage, ob einem Steuerberater die sich über das Internet ergebende Nutzungsmöglichkeit von Informationsquellen bzw. die Nutzung von elektronischen Datenbanken mittels eines Computers zugemutet werden kann, ist zum einen dem gestiegenen und heute schon als alltäglich zu bezeichnenden Einsatz von Computern Rechnung zu tragen und zum anderen der Frage nachzugehen, ob ein Steuerberater dazu verpflichtet ist, seine Tätigkeit mit Hilfe eines Computers auszuüben. Hierzu kann eine Parallele gezogen werden zu den Anforderungen an die Steuerpflichtigen und deren Berater, Umsatzsteuer-Voranmeldungen sowie Lohnsteuer-Voranmeldungen auf elektronischem Weg abzugeben32 . Von dieser Verpflichtung zur Abgabe auf elektronischem Weg soll lediglich auf Antrag „zur Vermeidung unbilliger Härten“ abgesehen werden. In diesem Zusammenhang muss auf einen Beschluss des FG Hamburg vom 10. 3. 200533 hingewiesen werden. Das FG Hamburg hat zu der Härtefallregelung folgende Aussage getroffen: „Ein Härtefall liegt dann vor, wenn die elektronische Übermittlung der Daten nicht möglich ist, weil der Unternehmer die für die Übermittlung erforderliche Hardware und einen Internetanschluss nicht besitzt“. Im Gegensatz dazu wird von einzelnen Finanzämtern in Ablehnungsschreiben auf einschlägige Härtefallanträge ausgeführt, dass das Internet und die dafür notwendige Infrastruktur zur Nutzung mittlerweile so weit verbreitet seien, dass von einer allgemein gebräuchlichen Technik wie Telefon oder Rundfunkempfang auszugehen sei34. Unabhängig von der Frage, ob der steuerliche Berater dazu verpflichtet ist, sich im täglichen Arbeiten eines Computers zu bedienen, stellt sich die Frage, ob der Berater auch dazu verpflichtet ist, in regelmäßigen Abständen Datenbanken und Homepages aufzusuchen und sich über die aktuellen steuerlichen Neuerungen auf dem Gebiet des EG-Rechts zu informieren. Hier kann wohl schwerlich eine Pflichtverletzung des Beraters gesehen werden, falls er dies nicht tut. 31 So auch Fischer, AnwBl. 1993, 599. 32 Eingeführt ab 1. 1. 2005 durch das StÄndG 2003 v. 15. 12. 2003, BGBl. I 2003, 2645; vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 27 Abs. 9 EStG; § 41a Abs. 1 Satz 2 iVm. § 52 Abs. 52b UStG. 33 FG Hamburg, Beschl. v. 10. 3. 2005, EFG 2005, 992; Beschwerde beim BFH unter Az. V B 67/05 anhängig. 34 Vgl. dazu ms, KÖSDI 2005, 14500.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Noch weniger kann eine Pflichtverletzung des steuerlichen Beraters darin gesehen werden, sich nicht in einer fremden Sprache auf Homepages ausländischer Anbieter über dort anhängige Verfahren informiert zu haben. Zusammenfassend ist festzustellen: Aufgrund der gestiegenen Relevanz des EG-Rechts und der sich darin widerspiegelnden gestiegenen Anzahl von Veröffentlichungen auch in allgemeinen steuerlichen Fachzeitschriften ist es nach der hier vertretenen Ansicht momentan ausreichend für einen steuerlichen Berater, sich aus den allgemeinen steuerlichen Fachzeitschriften über den Stand der Entwicklungen auf EU-Ebene zu informieren, um den Vorwurf einer Pflichtverletzung auszuschließen. Aufgrund der nicht vollumfänglichen Veröffentlichungspraxis im Bundessteuerblatt erscheint es fraglich, ob eine Information lediglich auf dieser Grundlage als ausreichend anzusehen ist.
IV. Umfang und Zeitpunkt des „Kennenmüssens“ des Steuerberaters von EG-rechtlichen Entwicklungen auf dem Gebiet des Steuerrechts Bei der Frage nach dem konkreten Umfang und dem Zeitpunkt des „Kennenmüssens“ des Steuerberaters von EG-rechtlichen Entwicklungen auf dem Gebiet des Steuerrechts sind zwei Situationen zu unterscheiden: 1. Ausgangspunkt eines Verfahrens vor dem EuGH ist eine nationale steuerliche Norm. 2. Ausgangspunkt eines Verfahrens vor dem EuGH ist eine steuerliche Norm eines anderen Mitgliedstaates. 1. Vereinbarkeit einer nationalen steuerlichen Norm mit EG-Recht Für eine genaue Untersuchung sind die verschiedenen Verfahrensstadien zu betrachten: 1.1 Vorliegen eines Urteils des EuGH In dem Moment, in dem ein Urteil des EuGH betreffend eine nationale Norm vorliegt, hat der Steuerberater gegenüber dem Mandanten eine Informationspflicht dann, sobald er von dem Urteil erfährt. Offi zielles Informationsmedium der EG ist dabei das Amtsblatt der Europäischen Union. Jedoch ist bereits oben festgestellt worden, dass dem steuerlichen Berater nicht zugemutet werden kann, das Amtsblatt der EG regelmäßig zu lesen. 204
Thömmes, Beraterpfl ichten Für deutsche Vorlageverfahren kann jedoch auf die Grundsätze zur Veröffentlichung von BFH-Urteilen im BStBl. zurückgegriffen werden. Zumindest die im BStBl. veröffentlichten EuGH-Urteile muss der Berater innerhalb der üblichen Karenzzeit zur Kenntnis nehmen. Wie bereits oben dargestellt ist der Berater zusätzlich verpflichtet, sich aus den allgemeinen steuerlichen Zeitschriften über Urteile des EuGH zu informieren, die nicht im BStBl. veröffentlicht werden. Hierbei kann es auch nicht entscheidend sein, ob diese im Wortlaut abgedruckt werden oder Gegenstand einer Besprechung oder eines Aufsatzes sind. Die bisher aufgestellten Grundsätze zur Karenzfrist, die dem Berater zugestanden wird um von dem Urteil nach Veröffentlichung Kenntnis zu erlangen, dürften in diesem Fall weiter gelten. Die Informationspflicht besteht selbstverständlich nur dann, wenn die Entscheidung für den konkret zu beratenden Mandanten von Interesse ist. 1.2 Schlussantrag des Generalanwalts in einem Verfahren vor dem EuGH Der Schlussantrag des Generalanwalts markiert lediglich einen Verfahrensabschnitt in dem Verfahren vor dem EuGH. Durch den Schlussantrag kommt es jedoch de-facto, je nach Auffassung des Generalanwalts, zu einer Verdichtung oder Aufweichung der Rechtsposition der Verfahrensbeteiligten. Statistisch betrachtet, folgt der EuGH den Schlussanträgen des GA in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle. Eine Pflicht des Steuerberaters, sich über den Inhalt eines Schlussantrags des Generalanwalts in einem Verfahren vor dem EuGH zu informieren, besteht nur dann, wenn dem Steuerberater ein konkreter Auftrag erteilt worden ist, den Mandanten in einer spezifischen Angelegenheit EG-rechtlich zu beraten. Ob jedoch bereits in diesem Verfahrensstadium im Rahmen eines auf laufende steuerliche Beratung gerichteten Mandats eine Hinweispflicht des steuerlichen Beraters gegenüber dem Mandanten besteht, zum einen auf den Inhalt des Schlussantrags, zum anderen auf das Verfahren an sich, ist zu bezweifeln. Die Frage nach der Hinweispflicht auf ein anhängiges, oder noch nicht entschiedenes Verfahren vor dem EuGH ist in einem nächsten Punkt gesondert darzustellen. Das Erreichen eines bestimmten Verfahrensstadiums kann jedenfalls nach meiner Einschätzung keine Pflicht des steuerlichen Beraters zur Erstinformation des Mandanten begründen. Entweder bestand eine solche Pflicht bereits vorher oder eine solche Pflicht des Steuerberaters ist vor Ergehen des Urteils abzulehnen. Der Schlussantrag des Generalanwalts vermag jedoch eine solche Pflicht nicht zu begründen. 205
Thömmes, Beraterpfl ichten 1.3 Vorlagebeschluss eines nationalen Gerichts an den EuGH Aus der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte betreffend anhängige Verfahren vor den nationalen Gerichten folgt, dass der Steuerberater über noch nicht entschiedene Verfahren (auch wenn sie vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig sind) nicht informiert zu sein braucht. Es reicht aus, vom Steuerberater zu verlangen, dass er die bestehenden Gesetze und die hierzu ergangene Judikatur kennt35. Fraglich ist, ob diese Aussage so auf anhängige Verfahren vor dem EuGH übertragen werden kann. Schon bei Ergehen des oben genannten Urteils des LG Regensburg aus dem Jahre 1985 wurde Kritik in der Literatur geübt 36. Es wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass dies dann nicht gelten könne, wenn in einschlägigen Fachzeitschriften über anhängige Grundsatzverfahren berichtet wird, die Rechtsfragen behandeln, welche in ernstzunehmenden Literaturäußerungen oder von den Finanzgerichten unterschiedlich beurteilt worden sind. Für diesen Fall wird der Steuerberater für dazu verpflichtet gehalten, seinen Mandanten von dem anhängigen Grundsatzverfahren Kenntnis zu geben. Das Urteil des LG Regensburg stammt aus einer Zeit, in der Verfahren mit steuerlichem Hintergrund beim BVerfG oder dem EuGH entweder noch gar nicht oder nur vereinzelt anhängig waren. Bei einer Übertragung dieser Sichtweise auf anhängige Verfahren vor dem EuGH ist festzustellen, dass es sich dabei generell um Grundsatzverfahren handelt, über die mittlerweile auch breit in einschlägigen Fachzeitschriften berichtet wird. Hinzuweisen ist zusätzlich auf die deutlich gestiegene Anzahl der steuerlichen Verfahren vor dem EuGH37 und die erhöhte Anzahl von deutschen steuerlichen Normen, die in Verdacht stehen, mit den Regelungen des EGV im Widerspruch zu stehen38. Aus den für nationale Fälle entwickelten Grundsätzen muss wohl davon ausgegangen werden, dass den steuerlichen Berater eine Pflicht gegenüber dem Mandanten trifft, diesen auf anhängige Verfahren beim EuGH hinzuweisen, sobald sich aus den einschlägigen steuerlichen Fachzeitschriften ergibt, dass ein solches Verfahren anhängig und für den Mandanten von Belang ist. Wenn eine solche Informations- und Hinweispflicht zu bejahen ist, ist weiter zu fragen, ob der Steuerberater damit seinen Pflichten vollumfänglich 35 LG Regensburg v. 30. 5. 1985, DStR 1987, 134. 36 Vgl. Späth, DStR 1987, 135. 37 Bislang sind 59 Urteile mit unmittelbarem Bezug zu direkten Steuern ergangen (Stand: 1. 9. 2005). 38 Vgl. hierzu Kessler/Spengel, DB 2004, Beilage 6 zu Heft 43.
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Thömmes, Beraterpfl ichten und zur Genüge nachgekommen ist, oder ob ihn zusätzlich im Einzelfall noch weitere Handlungspflichten treffen. Zu denken ist dabei insbesondere an eine Pflicht des Beraters, bei einem gleich gelagerten Sachverhalt bzw. Anwendungsbereich zwecks Wahrung der Rechts- bzw. Verfahrensposition des Steuerpflichtigen Rechtsmittel einzulegen und die Rechtsfolgen der §§ 361 Abs. 2 AO, § 69 FGO (Aussetzung der Vollziehung) sowie des § 363 Abs. 2 Satz 2 AO (Ruhenlassen des Verfahrens) herbeizuführen. 1.4 Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit von nationalen Normen in der Literatur Ist zur Frage der Vereinbarkeit einer Vorschrift des deutschen Steuerrechts noch kein Verfahren beim EuGH anhängig, wurde die Frage aber bereits in der steuerlichen Fachliteratur aufgeworfen und erörtert, stellt sich die Frage, ob bereits auf Grundlage einer Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit einer Norm in der Literatur eine Informationspflicht des Steuerberaters gegenüber dem Mandanten gefordert werden kann. Der BGH hat, soweit ersichtlich, lediglich eine Pflicht des Steuerberaters festgestellt, sich über den aktuellen Stand der Rechtsprechung und der Gesetzgebung zu informieren. Eine Informationspflicht des Steuerberaters über einzelne Literaturmeinungen, die eine Unvereinbarkeit einer nationalen Norm mit EG-Recht diskutieren kann daraus nicht abgeleitet werden. Dies würde den Pflichtenkatalog des Steuerberaters sprengen. Man wird hier aber an den Berater, der von seinem Mandanten aufgrund seiner EG-rechtlichen Erfahrung speziell mit einer EG-rechtlichen Fragestellung beauftragt wird, einen höheren Sorgfaltsmaßstab anlegen müssen. 2. Vereinbarkeit einer steuerlichen Norm eines anderen Mitgliedstaates mit EG-Recht Auch bei der Betrachtung der Vereinbarkeit einer steuerlichen Norm eines anderen Mitgliedstaates mit EG-Recht sind die schon oben dargestellten Verfahrensstadien näher zu betrachten. 2.1 Urteil des EuGH in einem Vorlageverfahren betreffend die Vereinbarkeit von Steuerrechtsnormen eines anderen EUMitgliedstaates mit EG-Recht In dem Urteil des EuGH geht es die Auslegung von EG-Recht, die in allen EU-Mitgliedstaaten Geltung beansprucht. Von daher ist jedes Urteil des EuGH grundsätzlich in allen EU-Mitgliedstaaten von Bedeutung. 207
Thömmes, Beraterpfl ichten Eine Kenntnisnahme aus dem Bundessteuerblatt ist in diesem Fall nicht möglich, da eine Veröffentlichung von EuGH-Urteilen, die sich nicht auf deutsche Steuerrechtsvorschriften beziehen, im BStBl. nicht erfolgt. Zusätzlich zu der bereits oben unter Punkt IV.1.1. dargestellten Problematik kommt in dem Fall, dass sich die Entscheidung des EuGH auf eine steuerliche Norm eines anderen Mitgliedstaates bezieht, die Schwierigkeit hinzu, dass aufgrund der generellen Aussage des EuGH im Urteilstenor (vgl. dazu oben unter II.2.) festgestellt werden muss, ob Normen des nationalen Steuerrechts mit ähnlichem Regelungsinhalt ebenfalls von der Entscheidung des EuGH betroffen sein können. Um dies herauszufinden muss eine Parallelwertung vorgenommen werden. Der Regelungsinhalt der Norm, auf den sich das konkrete Urteil des EuGH bezieht, muss festgestellt und dann auf eine Vergleichbarkeit mit der entsprechenden Norm des nationalen Steuerrechts hin untersucht werden. Es kann dem einzelnen Steuerberater aber wohl kaum zugemutet werden, eine solche Parallelwertung zur Vermeidung einer Pflichtverletzung vornehmen zu müssen. Eine solche Parallelwertung verlangt tiefgehende Kenntnisse des Regelungsgehalts der ausländischen Norm und des Hintergrunds des Verfahrens. In der Regel sind die ausländischen Rechtsvorschriften, um die es im Verfahren vor dem EuGH geht, nur in der jeweiligen Landessprache verfügbar. Gleiches gilt in besonderem Maße für die zum Verständnis der Norm erforderliche Kommentarliteratur. Der Schluss auf eine Relevanz der EuGH-Entscheidung auf deutsches Steuerrecht setzt zudem Erfahrung in der Durchführung rechtsvergleichender Studien voraus, die entsprechende Spezialkenntnisse voraussetzen, über die ein Steuerberater im Regelfall nicht verfügt.39 Anders dürfte sich die Situation wiederum darstellen, wenn sich in der Fachliteratur die Anzeichen verdichten, dass ein Urteil des EuGH zu einer steuerlichen Norm eines anderen Mitgliedstaates Auswirkungen auch auf das nationale Steuerrecht hat und eine deutlich erkennbare Parallele vor39 Bedenklich sind die Ausführungen von Generalanwalt Tizzano in den Schlussanträgen vom 10. 11. 2005 in dem Verfahren C-292/04, Meilicke (vgl. IWB F. 11a S. 925, m. Anm. Thömmes), wo der Generalanwalt dem EuGH vorschlägt, die Wirkungen seines für den Sommer 2006 zu erwartenden Urteils auf vor der Verkündung des Verkooijen-Urteils am 6. 6. 2000 vereinnahmte Dividenden zu beschränken. Damit unterstellt der Generalanwalt, dass dem einzelnen Aktionär Existenz und Inhalt des Verkooijen-Urteils sowie dessen Tragweite für die Frage der EG-Rechtswidrigkeit des deutschen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens bekannt waren.Wenn dieser Sorgfaltsmaßstab gegenüber dem einzelnen Steuerpfl ichtigen anzulegen sein soll, dann müsste dies erst recht für dessen steuerlichen Berater gelten. Es ist zu bezweifeln, dass der EuGH dem folgen wird.
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Thömmes, Beraterpfl ichten liegt. Eine solche Diskussion muss der Steuerberater, falls sie in der dem Steuerberater allgemein zugänglichen Fachliteratur mit hinreichender Intensität geführt wird, erkennen und gegebenenfalls den Steuerpflichtigen auf die EG-Rechtswidrigkeit der in Frage stehenden nationalen Norm hinweisen. 2.2 Schlussantrag des Generalanwalts im Verfahren vor dem EuGH Ebenso wie oben in Abschnitt IV.1.2. dargestellt ergeben sich aus diesem Verfahrensabschnitt keine Informationspflichten des Steuerberaters, wenn sich das Verfahren auf die Vereinbarkeit einer steuerlichen Norm eines anderen EU-Mitgliedstaates mit EG-Recht bezieht. 2.3 Vorlagebeschluss des Gerichts eines anderen EU-Mitgliedstaates an den EuGH Handelt es sich um den Vorlagebeschluss eines Mitgliedstaates zur Überprüfung der Vereinbarkeit einer steuerlichen Norm des betreffenden Mitgliedstaates mit EG-Recht, so stellen sich unter dem Blickwinkel der Informationspflicht des Steuerberaters zwei Fragen: Zum einen stellt sich die Frage nach der Möglichkeit der Kenntniserlangung eines solchen Vorlagebeschlusses und zum anderen wiederum nach der Parallelwertung zwischen ausländischem und nationalem Steuerrecht. Wie bereits oben in Abschnitt III festgestellt, ist der Steuerberater nicht dazu verpflichtet sich aus ausländischen Veröffentlichungen oder aus dem Amtsblatt der EG über anhängige Verfahren zu informieren, die auf einem Vorlagebeschluss eines ausländischen Gerichts beruhen. Sofern eine Diskussion in der nationalen Fachliteratur stattfindet (Parallelwertung) und das anhängige Verfahren dabei näher beschrieben wird, ist der Steuerberater dazu verpflichtet, auch dieses zur Kenntnis zu nehmen und sofern einschlägig, den Mandanten darauf hinzuweisen. Im Ergebnis ist dabei eine Kenntnisnahme in dem Zeitpunkt zu bejahen, in dem eine Diskussion in der dem Steuerberater verfügbaren Fachliteratur stattfindet und eine Parallele zum deutschen Steuerrecht deutlich zu Tage tritt. Auch hier stellt sich dann wiederum die Frage, ob den Steuerberater mehr als nur eine Hinweispflicht trifft, oder ob er sogar dazu verpflichtet ist, aktiv zugunsten des Mandanten tätig zu werden Wie bereits oben in Abschnitt IV.1.3. ausgeführt kommt dabei insbesondere das Einlegen eines Rechtsmittels in Betracht um die Rechtsfolgen des § 361 Abs. 2 AO, § 69 FGO sowie des § 363 Abs. 2 AO herbeizuführen. In diesem Fall müsste von dem angerufenen FG bzw. der Finanzverwaltung 209
Thömmes, Beraterpfl ichten eine entsprechende Parallelwertung vorgenommen werden, um dem Begehren des Beraters zu entsprechen 40. 2.4 Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit von Steuerrechtsnormen eines anderen EU-Mitgliedstaates in der Literatur Entsprechend der Darstellung oben unter Punkt IV.1.4. kann den Steuerberater im Zeitpunkt einer bloßen Diskussion der EG-Rechtswidrigkeit einer ausländischen Steuerrechtsnorm in der ausländischen Literatur noch keine Verpflichtung treffen, diese Diskussion zu verfolgen und seinen Mandanten zu informieren.
V. Konkrete Handlungspflichten des Steuerberaters und weitere verfahrensrechtliche Fragen 1. Verhalten des Steuerberaters in dem Zeitraum zwischen einem Urteil des EuGH und Beseitigung des EG Rechtsverstoßes Sofern es sich um eine nationale steuerliche Norm handelt, die den Gegenstand des Verfahrens darstellt, hat der EuGH die Auslegung des EG-Rechts zwar abstrakt und generell vorgenommen, damit aber zugleich die Aussage des nationalen Gerichts vorbereitet, dass die gegenständliche nationale Norm gegen höherrangiges EG-Recht verstößt. Dies bedeutet, dass, selbst wenn keine Reaktion des Gesetzgebers oder der Finanzverwaltung erfolgt, die entsprechende Norm nicht weiter angewendet werden darf. Problematischer ist der Fall, in dem der EuGH die Unvereinbarkeit einer steuerlichen Norm eines anderen EU-Mitgliedstaates mit EG-Recht festgestellt hat und bezüglich der Parallelwertung bezogen auf das nationale Recht unterschiedliche Ansichten zwischen Finanzverwaltung und Berater bestehen. Dieser Fall würde z. B. dann vorliegen, falls der Steuerberater eine entsprechende Regelung des nationalen Steuerrechts für vergleichbar und damit EG-rechtswidrig hält, während die Finanzverwaltung von einer Unvergleichbarkeit der Normen ausgeht bzw. auf das entsprechende Urteil des EuGH nicht reagiert. In einem solchen Fall wäre mit Rechtsmitteln gegen die Auffassung der Finanzverwaltung und die sich daraus ergebenden ablehnenden Bescheide vorzugehen; eventuell sogar mit der Möglichkeit
40 Auch die Finanzverwaltung ist Adressat der Vorschriften des EG-Rechts, vgl. Fratelli-Costanzo Entscheidung des EuGH v. 22. 6. 1989, Rs. C-103/88, Slg. 1989, 1839.
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Thömmes, Beraterpfl ichten eines neuen Vorlageverfahrens nach Art. 234 EGV aufgrund eines Vorlagebeschlusses des Finanzgerichts. 2. Auswirkungen von EuGH-Urteilen auf in der Vergangenheit liegende Veranlagungszeiträume Urteile des EuGH zur Auslegung primären Gemeinschaftsrechts gelten grundsätzlich ab Inkrafttreten der ausgelegten EG-Vertragsnorm. Andererseits haben sie grundsätzlich keine rechtskraftdurchbrechende Wirkung auf in der Vergangenheit liegende Veranlagungszeiträume. Sofern Veranlagungen noch offen sind oder eine Änderungsvorschrift der §§ 171 ff. AO eingreift, stellt sich für den Steuerberater die Frage der Auswirkungen einer EuGH-Entscheidung auf in der Vergangenheit liegende Veranlagungszeiträume. Hierbei ist eine Tendenz der deutschen Finanzverwaltung zu beobachten, die zeitlichen Wirkungen der Urteile des EuGH einzugrenzen. Ein besonders anschauliches und praxisrelevantes Beispiel hierfür stellt die Reaktion der Finanzverwaltung auf das Manninen-Urteil des EuGH41 durch die Veranlassung einer Änderung des § 175 Abs. 2 AO dar. Der EuGH hat in der Rechtssache Manninen entschieden, dass die Artt. 56 und 58 EGV einer Regelung entgegenstehen, wonach der Anspruch eines in einem Mitgliedstaat unbeschränkt Steuerpflichtigen auf eine Steuergutschrift für die Dividenden, die von einer Aktiengesellschaft an ihn ausgeschüttet werden, ausgeschlossen ist, wenn die ausschüttende Gesellschaft ihren Sitz nicht in diesem, sondern in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat. Durch Art. 8a des EURLUmsG wurde § 175 Abs. 2 AO wie folgt geändert: „Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis“. Weiterhin wurde durch Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung der zeitliche Anwendungsbereich des neuen § 175 Abs. 2 AO dahingehend geregelt, dass die neue Fassung erstmalig anzuwenden ist, „wenn die Bescheinigung oder Bestätigung nach dem 29. 10. 2004 vorgelegt oder erteilt wird“. Durch diese Vorgehensweise wird eine Geltendmachung des sich aus dem Urteil des EuGH ergebenden gemeinschaftsrechtlichen Erstattungsanspruchs42 praktisch ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise des deutschen Gesetzgebers scheint bedenklich und im speziellen Fall des § 175 Abs. 2 AO auch wiederum gemeinschaftsrechtswidrig43.
41 EuGH v. 7. 9. 2004 – Rs. C-319/02, noch nicht in der amtl. Slg. veröffentlicht. 42 Vgl. dazu EuGH v. 22. 10. 1998 – C-10/97 – C-22/97, Ministerio delle Finanze/ IN.CO.GE.’90 SrL u. a., Slg. 1998 S. I-6304, Rz. 23. 43 Vgl. zur Vorgehensweise in anderen europäischen Staaten wie z. Bsp. Frankreich Hahn, IStR 2005, 145.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache „Eurowings“44 hat das BMF mit Schreiben vom 26. 4. 200045 reagiert und die Finanzverwaltung angewiesen, bis zu einer gesetzlichen Neuregelung die betroffene Vorschrift des § 8 Nr. 7 GewStG nicht weiter anzuwenden. In diesem Schreiben wird allerdings darauf hingewiesen, dass die betreffenden Steuerbescheide vorläufig nach § 165 AO ergehen sollen und die Regelung des § 8 Nr.7 GewStG bis zu einer gesetzlichen Regelung gem. § 165 Abs. 1 Satz 4 AO ausgesetzt wird. Auch diese Vorgehensweise zur Reaktion der Finanzverwaltung auf ein Urteil des EuGH erscheint in höchstem Maße bedenklich, da sich eine Nichtanwendbarkeit der betreffenden Regelung bereits direkt aus dem Urteil des EuGH ergibt und nicht durch das Schreiben des BMF geregelt werden kann. Auch die Festsetzung der betroffenen Bescheide mit Vorläufigkeitsvermerk erscheint als mit EG-Recht unverträglich, da auf Grundlage einer EGrechtswidrigen Rechtsnorm überhaupt keine Veranlagung erfolgen darf, auch keine unter Vorbehalt des Art. 165 AO. Die Norm ist schlicht unanwendbar. 3. Geltendmachung EG-rechtlicher Einwendungen bei Abgabe der Steuererklärung Fraglich ist, wie bei Abgabe der Steuererklärung durch den Berater und Geltendmachung von EG-rechtlichen Einwendungen verfahren werden sollte. Abgeraten werden muss dabei von einer stillschweigenden Voraussetzung der EG-Rechtswidrigkeit einer Norm und damit deren Unanwendbarkeit auszugehen ohne diese Auffassung in der abgegebenen Steuererklärung kenntlich zu machen. Der Steuerberater würde sich bei einer solchen Vorgehensweise sogar u. U. steuerstrafrechtlichen Vorwürfen aussetzen. In Betracht kommt vielmehr eine Abgabe mit Erläuterung der zugrunde gelegten EG-Rechtswidrigkeit in der Erklärung, eine Abgabe der Erklärung unter Vorbehalt oder eine Abgabe unter Außerachtlassung der EG-Rechtswidrigkeit und späterer Geltendmachung im Einspruchsverfahren. Die Abgabe einer Steuererklärung unter Vorbehalt ist verfahrensrechtlich nicht vorgesehen und birgt wenig Aussicht auf Erfolg. Aus Praktikabilitätsgründen ist eine Abgabe der Steuererklärung dergestalt zu empfehlen, dass auf die Behandlung der betreffenden Norm als EGrechtswidrig hingewiesen wird und dies gegenüber dem Finanzamt näher erläutert wird. Dies hat gegenüber einer Geltendmachung erst im Einspruchsverfahren den Vorteil, dass sich die Finanzverwaltung zum frühest-
44 EuGH v. 26. 10. 1999 – C-294/97. 45 BMF v. 26. 4. 2000, BStBl. I 2000, 486.
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Thömmes, Beraterpfl ichten möglichen Zeitpunkt mit der EG-Rechtswidrigkeit befassen kann und diese Vorgehensweise daher verfahrensökonomischer ist. 4. Geltendmachung EG-rechtlicher Einwendungen im Einspruchsverfahren Sofern EG-rechtliche Einwendungen gegen Steuerbescheide erst im Einspruchsverfahren nach den §§ 347 ff. AO geltend gemacht werden, stellt sich die Frage nach den damit verbundenen verfahrensrechtlichen Folgen. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Anwendung des § 361 Abs. 2 AO (Aussetzung der Vollziehung im Einspruchsverfahren) bzw. des § 69 FGO (Aussetzung der Vollziehung im Klageverfahren). Das EG-Recht enthält betreffend das Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keinerlei spezielle Regelungen. Es entspricht jedoch allgemeiner Auffassung, dass sich das Verfahren auch in dieser Frage nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten richtet46. Aufgrund der durchschnittlichen Verfahrensdauer eines Verfahrens nach Art. 234 EGV von 26 Monaten47 ist der Steuerpflichtige auch auf den vorläufigen Rechtsschutz angewiesen, um seine Rechtsposition wirkungsvoll durchsetzen zu können. EG-rechtliche Bedenken sind dabei grundsätzlich als „ernstliche Zweifel“ iSv. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 FGO anzusehen48. Von einer Ernstlichkeit der Zweifel ist bereits dann auszugehen, „wenn bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erkennbar werden, die Unentschiedenheit oder jedenfalls Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken. Eine Aussetzung der Vollziehung ist geboten, wenn die Gesetzeslage unklar ist, die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich nicht geklärt ist und im Schrifttum Bedenken gegen die Rechtsauffassung des Finanzamtes oder des Finanzgerichts erhoben werden“ 49. Bei der Frage nach den Anforderungen an die „Ernstlichkeit“ der geltend gemachten EG-rechtlichen Zweifel sind verschiedene Fallgruppen zu unterscheiden.
46 BFH v. 11. 7. 1989, BFHE 157, 265; EuGH v. 27. 3. 1980 – Rs. C-61/79, Slg. 1980, 1205, Tz. 25 der Entscheidungsgründe. 47 Vgl. Thömmes in Brennpunkte des Steuerrechts, Festschrift für Wolfgang Jakob zum 60. Geburtstag, S. 232. 48 BFH v. 24. 3. 1998, BFH/NV 1998, 1172; Lohse, DStR 1995, 798. 49 Beschluss des V. Senats des BFH v. 19. 8. 1987, BStBl. II 1987, 830; Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 91.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Dabei kommen folgende Fallkonstellationen in Betracht: – Der mit der Rechtssache befasste Spruchkörper hat in demselben Rechtsstreit bereits einen Vorlagebeschluss an den EuGH nach Art. 234 EGV erlassen – Ein anderes Gericht hat einen Vorlagebeschluss wegen der gleichen als entscheidungserheblich erachteten Frage erlassen – Vorlagebeschluss eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaates Bei der Frage nach der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Finanzverwaltung nach § 361 Abs. 2 AO ist zu beachten, dass nicht nur die Finanzgerichtsbarkeit, sondern auch die Finanzverwaltung unmittelbarer Adressat von Vorschriften des EG-Rechts ist und zur Anwendung von EGRecht und gegebenenfalls zur Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts berechtigt und verpflichtet ist 50. Möglich und ratsam ist auch ein Antrag gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO auf Ruhenlassen des Verfahrens, wenn wegen einer vorgreiflichen Rechtsfrage ein Verfahren bei dem EuGH anhängig ist und der Einspruch hierauf gestützt wird.
VI. Rechtsgrundlage und Umfang eines möglichen Schadensersatzanspruchs gegen den Steuerberater Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Steuerberater hat vor den Zivilgerichten zu erfolgen. Die Verletzung der oben genannten Beraterpflichten stellte vor der Schuldrechtsreform eine positive Vertragsverletzung (pVV) dar51. Seit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform ist der Tatbestand der Pflichtverletzung einschlägig, § 280 BGB. Die Verletzung der Pflichten aus dem Steuerberatervertrag umfasst den Verstoß gegen die vertragliche Hauptpflicht zur Beratung und Betreuung des Auftraggebers sowie die Vernachlässigung vertraglicher Nebenpflichten, die der Erreichung des Vertragszwecks und dem Schutz des Vertragspartners dienen.
50 Vgl. oben unter IV.2.3.; Fratelli Costanzo Entscheidung des EuGH v. 22. 6. 1989 – Rs. C-103/88, Slg. 1989, S. 1839. 51 Grundlegend zur Rechtslage vor der Schuldrechtsreform: BGH v. 17. 10. 1991, BGHZ 115, 382, 387 ff.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Der Umfang eines solchen Schadensersatzanspruchs geht auf das positive Interesse52, d. h. der Mandant ist bei Verletzung der den Berater treffenden Informationspflichten so zu stellen, wie er stehen würde, wenn ihn der Berater zutreffend informiert und unterrichtet hätte (Erfüllungsinteresse). Der Anspruch erstreckt sich damit auf alle mittelbaren und unmittelbaren Nachteile des schädigenden Verhaltens und umfasst auch evtl. notwendige Prozesskosten des Mandanten Ein Schadensersatzanspruch gegen den steuerlichen Berater auf das negative Interesse (der Gläubiger ist in diesem Fall so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte) ist in dem Fall denkbar, in dem es aufgrund der Beratung durch den Steuerberater zur Gewährung einer EG-rechtlich verbotenen Beihilfe an den Steuerpflichtigen gekommen ist und diese Beihilfe später wegen Verstoßes gegen das EG-Recht wieder zurückgefordert wird (vgl. Art. 87 ff. EG). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Begünstigte kein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsgemäßheit einer rechtswidrigen Beihilfe haben kann 53.
VII. Zusammenfassung Den Steuerberater treffen aus dem Steuerberatervertrag allgemeine Beratungspflichten gegenüber dem Mandanten, die in konkrete Beratungs- und Unterrichtungspflichten münden. Um die den Steuerberater sich daraus ergebenden Pflichten zu erfüllen können, muss der Steuerberater selbst umfassend über die steuerlichen Gegebenheiten informiert sein. Der BGH und verschiedene Instanzgerichte haben dazu detaillierte Grundsätze entwickelt. Bei der Frage, ob diese Grundsätze auf die sich aus den Entwicklungen des EG-Rechts ergebenden Informationspflichten des Steuerberaters übertragen werden können, ist den Besonderheiten des EG-Rechts Rechnung zu tragen. Aufgrund der nicht vollumfänglichen Veröffentlichung von Urteilen des EuGH im Bundessteuerblatt trifft den Steuerberater eine erhöhte Verpflichtung, die Darstellungen und Diskussionen in den einschlägigen Fachzeitschriften zu verfolgen. Es begründet (noch) keine Pflichtverletzung des Steuerberaters, wenn dieser die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten elektronischer Informationsabfragen oder die sich aus dem Internet ergebenden Möglichkeiten nicht nutzt. 52 Vgl. Palandt, § 280 BGB Rz. 32. 53 St. Rspr. vgl. nur EuGH Rheinland-Pfalz/Alcan, C-24/95, Slg. 1997, S. I-1607.
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Thömmes, Beraterpfl ichten Bei näherer Betrachtung der verschiedenen Verfahrensstadien vor dem EuGH ist festzustellen, dass den steuerlichen Berater nicht nur eine Informationspflicht bezüglich Entscheidungen des EuGH zu Vorabentscheidungsverfahren oder Vertragsverletzungsverfahren betreffend nationale Normen und Maßnahmen nach Art. 234 EGV trifft, sondern schon dann eine Informationspflicht bejaht werden muss, wenn es zur Vorlage einer für den Mandanten im konkreten Fall entscheidungserheblichen Frage an den EuGH kommt und dies in der einschlägigen Fachliteratur veröffentlicht wird. Dem Steuerberater kann eine Parallelwertung über die Auswirkungen eines Vorabentscheidungsverfahrens über eine steuerliche Norm eines anderen EU-Mitgliedstaates auf die Vereinbarkeit einer nationalen steuerlichen Norm mit EG-Recht unter Pflichtverletzungsgesichtspunkten nicht zugemutet werden. Bei der Geltendmachung von EG-rechtlichen Einwendungen gegen Normen des deutschen Steuerrechts im Rahmen der Abgabe der Steuererklärung für den Mandanten erscheint es ratsam, diese Einwendungen bzw. die Abweichung gegenüber der Gesetzeslage schriftlich gegenüber den Finanzbehörden zu dokumentieren, um eine Pflichtverletzung zu vermeiden. Es ist jedoch auch möglich, diese Einwendungen erstmalig in einem nachfolgenden Einspruchsverfahren geltend zu machen. Bei einer Geltendmachung von EG-rechtlichen Einwendungen im Rahmen eines Einspruchsverfahrens hat der Steuerberater die Möglichkeit eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung nach den §§ 361 Abs. 2 AO bzw. 69 FGO. Bei der Frage wann von Seiten der Finanzverwaltung bzw. der Gerichte „ernstliche Zweifel“ i. S. v. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 FGO zu bejahen sind, müssen verschiedene Fallgruppen unterschieden werden. Ein gegen den steuerlichen Berater gerichteter Schadensersatzanspruch basiert bei einer Verletzung seiner Pflichten gegenüber dem Mandanten auf § 280 BGB. Der Schadensersatzanspruch geht dabei auf das positive Interesse, d. h., der Mandant ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er zutreffend informiert worden wäre.
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Überlegungen zum künftigen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Dr. Christoph Ernst Ministerialrat, Bundesministerium der Justiz, Berlin* Inhaltsübersicht I. 1. 2. 3.
Einleitung Das Bilanzrechtsreformgesetz Das Bilanzkontrollgesetz Das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz II. Zum künftigen Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) 1. Ausgangspunkt: Das 10-PunkteProgramm „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz“ vom Februar 2003 2. Die weitere Entwicklung
3. Aktuelle Tendenzen: Beschlussantrag der Fraktion von SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünen von Oktober 2004 „Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in Deutschland sachgerecht und transparent fortzuentwickeln“ 4. Die nächsten Schritte III. Die weitere Entwicklung 1. Gewinnausschüttung 2. Steuerliche Gewinnermittlung 3. Informationsbedürfnis bei mittelständischen Unternehmen IV. Fazit
I. Einleitung Der Zeitpunkt für diese Veranstaltung ist gut gewählt. Wir stehen am Beginn einer neuen Legislaturperiode. Dies ist ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen: Wo stehen wir im Bereich des Bilanzrechts? Was haben wir erreicht? Wo wollen wir hin? – oder vielleicht auch: Wo müssen wir hin? Die letzte Frage beruht darauf, dass wir in Deutschland die Gesetzgebung im Bilanzrecht ja nicht allein „nach innen gerichtet“ und auf Deutschland fi xiert betreiben können. Deutschland ist eingebettet in den rechtlichen
* Ministerialrat Dr. Christoph Ernst ist Referatsleiter für die Bereiche Rechnungslegung, Publizität und Steuerrecht im Bundesministerium der Justiz, Berlin. Der Autor gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Rahmen der EU. Und viele Grundentscheidungen sind durch EU-Verordnungen und EU-Richtlinien bereits vorgegeben, auch wenn die Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – im EU-Rat und im Europäischen Parlament am Zustandekommen mitgewirkt haben. Gesetzgebung mit rein nationaler Blickrichtung würde darüber hinaus aber auch den Interessen unserer Untenehmen nicht gerecht werden. Viele Gesellschaften sind nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Umfeld oder sogar weltweit tätig. Sie haben ein vitales Interesse an Bilanzregeln, die sie international verwenden und mit denen sie sich international präsentieren können. Ein Blick auf die abgelaufene Legislaturperiode zeigt, dass wir im Bereich des Bilanzrechts vieles erreicht haben. Drei wichtige Gesetzgebungsvorhaben sind in letzter Zeit verabschiedet worden: das Bilanzrechtsreformgesetz, das Bilanzkontrollgesetz und das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz. 1. Das Bilanzrechtsreformgesetz Das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG)1 stellt das wohl wichtigste Vorhaben der abgelaufenen Legislaturperiode auf dem Gebiet des Bilanzrechts dar. Wir haben zum einen die Voraussetzungen für die Anwendung der International Accounting Standards2 oder – wie sie jetzt heißen – International Financial Reporting Standards3 in Deutschland geschaffen (§§ 315a, 325 Abs. 2a HGB). Grundlage war die EU-Verordnung zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsgrundsätze vom Juli 2002. Diese Verordnung sieht bereits verbindlich vor, dass die am geregelten Kapitalmarkt notierten Unternehmen ihren Konzernabschluss ab 2005 nach IAS/IFRS aufstellen müssen4. Diese Regelung haben wir in das HGB übernommen und mit einigen notwendigen Begleitbestimmungen versehen. Des Weiteren sind auch die übrigen Wahlrechte, die die EU-Verordnung den Mitgliedstaaten gewährt hat, in das deutsche Recht übernommen worden. Soweit es um den Konzernabschluss geht, haben nunmehr auch Nicht-Kapitalmarktunternehmen das Wahlrecht, ihren Konzernabschluss entweder nach IAS/IFRS oder aber weiterhin nach den nationalen Bestimmungen der §§ 290 ff. HGB aufzustellen. Dieses Wahlrecht wurde durch entsprechende Änderung des § 292a HGB in Verbindung mit Artikel 58 Abs. 3 Satz 5 EGHGB bereits für Geschäftsjahre ab dem 1. 1. 2003 gewährt. Auch für den Einzelabschluss ist die Verwendung der IAS/IFRS jetzt zuge1 2 3 4
BilReG v. 4. 12. 2004, BGBl. I 2004, 3166. Im Folgenden IAS. Im Folgenden IFRS. Für bestimmte Unternehmen gibt es Übergangsfristen bis zum 1. 1. 2007.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz lassen, aber gemäß § 325 Abs. 2a HGB nur in einem sehr eingeschränkten Umfang: Ein IAS/IFRS-Einzelabschluss kann nur bei der Offenlegung gemäß § 325 Abs. 2 HGB5 anstelle eines herkömmlichen HGB-Abschlusses verwendet werden. Damit ist die Verwendung der IAS/IFRS immerhin dort möglich, wo es besonders wichtig ist: Bei der Information des Bilanzlesers. Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der Regelungen für Gewinnausschüttung und der Maßgeblichkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses für die steuerliche Gewinnermittlung, verbleibt es aber bei den bisherigen Regelungen und damit bei der Verpflichtung zum Aufstellen eines HGB-Abschlusses. Auch diejenigen Unternehmen, die nunmehr im Bundesanzeiger einen IAS/IFRS-Einzelabschluss publizieren, sind demgemäß noch zur zusätzlichen Aufstellung eines HGB-Jahresabschlusses verpflichtet. Eine zugestandenermaßen aufwendige Lösung für diese Unternehmen. Es hat sich jedoch bei den Diskussionen und Beratungen zum Entwurf des BilReG gezeigt, dass nach ganz allgemeiner Meinung ein IAS/ IFRS-Abschluss zwar für Zwecke der Information bestens geeignet ist, ein solcher Abschluss aber als Bemessungsgrundlage für die Gewinnausschüttung und Besteuerung nicht ohne weiteres die Grundlage sein sollte. Daraus lässt sich verallgemeinernd der Grundsatz ableiten: Es wird nicht möglich sein, ein Bilanzregelwerk zu schaffen, das die verschiedenen Funktionen Information, Grundlage für Gewinnausschüttung sowie Grundlage für die Besteuerung in gleicher Weise optimal erfüllen kann. Daraus folgt dann, dass dasjenige Unternehmen, das sich im Interesse einer optimalen Informationsgewährung zum Aufstellen eines IAS/IFRS-Abschlusses entscheidet, zwangsläufig größeren Aufwand in Kauf nimmt, da für Zwecke der Gewinnausschüttung und Besteuerung andere Rechenwerke verwendet werden müssen. Das BilReG enthält auch weitere nennenswerte Veränderungen der HGBRechnungslegungsvorschriften: So sind die Schwellenwerte für die Unterscheidung der Kapitalgesellschaften in kleine, mittlere und große Gesellschaften in § 267 HGB um ca. 17 % erhöht worden, die Anhangvorschrift des § 285 HGB ist um Angabepflichten zu derivativen Finanzinstrumenten erweitert worden und die Bestimmung des § 289 HGB zum Lagebericht fordert nunmehr eingehendere Angaben insbesondere zu Risikomanagementzielen und -methoden der Gesellschaft sowie – bei großen Kapitalgesellschaften – auch zu nicht finanziellen Leistungsindikatoren (§ 289 Abs. 3 HGB). Die letztgenannten Bestimmungen zum Anhang und Lagebericht beruhen auf entsprechenden Anforderungen des EU-Rechts.
5 Dabei geht es um die Veröffentlichung im Bundesanzeiger, die nur für große Kapitalgesellschaften verpfl ichtend vorgeschrieben ist.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bedeutsam und im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens lebhaft diskutiert waren die neuen Regelungen der §§ 319, 319a zur Unabhängigkeit der Abschlussprüfer. Hier wurde deutlich präziser und stringenter als bisher festgelegt, bei welchen finanziellen wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen des Abschlussprüfers zum geprüften Unternehmen Anlass für die Besorgnis der Befangenheit und damit für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes besteht. Kernpunkt der Diskussion war die Frage, inwieweit dem Abschlussprüfer auch weiterhin die gleichzeitige Beratung des geprüften Unternehmens möglich sein sollte. Im Ergebnis sind insbesondere hier die bisher bestehenden Regelungen deutlich strikter gefasst, ohne aber dem Abschlussprüfer jegliche Beratungsmöglichkeit für das geprüfte Unternehmen zu versagen. Das BilReG ist ebenso wie das nachfolgend beschriebene Bilanzkontrollgesetz zum Ende des Jahres 2004 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. 2. Das Bilanzkontrollgesetz Auch mit dem Bilanzkontrollgesetz6 ist das Bilanzrecht in Deutschland wesentlich weiterentwickelt worden. Erstmals wurde hier in Deutschland das so genannte Enforcement-System für den Bereich des Bilanzrechts verankert. Dabei geht es um die Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen durch eine zusätzliche unabhängige Stelle. Das Bilanzkontrollgesetz sieht vor, dass diese Aufgabe zunächst und in erster Linie von einer privatrechtlich organisierten Einrichtung wahrgenommen wird, sofern das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen eine solche Institution durch Vertrag anerkennt und die entsprechenden Enforcement-Aufgaben überträgt (§ 342b HGB). Dies ist mittlerweile geschehen, und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung e. V. mit Sitz in Berlin nimmt diese Aufgaben seit dem 1. 7. 2005 wahr. Es handelt sich jedoch nicht um ein einstufiges, sondern um ein zweistufiges Verfahren. Auf der so genannten zweiten Stufe wird ggf. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) tätig (§ 37p WphG). Die BaFin wird dabei immer dann einschreiten, wenn es auf der ersten Stufe nicht zu einer einvernehmlichen Lösung zwischen dem geprüften Unternehmen und der Prüfstelle für Rechnungslegung kommt. Nach den HGB-Vorschriften hat die private Prüfstelle bewusst keine Zwangsbefugnisse erhalten; die Zusammenarbeit zwischen den geprüften Unternehmen und der Prüfstelle ist freiwillig. Verweigert das Unternehmen die Zusammenarbeit mit der Prüfstelle, wird die BaFin tätig werden. Dies wird auch dann der Fall sein, wenn 6 BilKoG v. 15. 12. 2004, BGBl. I 2004, 3408.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz die geprüften Unternehmen zwar mit der Prüfstelle zusammenarbeiten, dann aber das Prüfungsergebnis der ersten Stufe nicht anerkennen. Insgesamt ist es hier gelungen, in sehr sinnvoller Weise die beteiligten Kreise und alle an der Bilanzaufstellung Interessierten in das Enforcement-System einzubinden und gleichzeitig gewissermaßen als ultima ratio mit dem erforderlichen staatlichen bzw. öffentlich-rechtlichem Instrumentarium zu verbinden. Diese Konzeption ist von allen Beteiligten einhellig begrüßt worden, und so war es zwar erfreulich, aber nicht überraschend, dass sich sehr schnell nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung gegründet hat. 3. Das Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz Vielleicht nicht von grundlegender rechtssystematischer Bedeutung, aber in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wurde der Entwurf zum dritten bilanzrechtlichen Gesetzgebungsvorhaben der vergangenen Legislaturperiode, dem Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz7, das am 11. 8. 2005 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz sieht durch Änderung des § 285 Satz 1 Nr. 9 Buchst. a vor, dass börsennotierte Aktiengesellschaften künftig die Bezüge für jedes einzelne Vorstandsmitglied unter Namensnennung – aufgeteilt nach erfolgsunabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung – offen zu legen haben. Nach früherer Rechtslage mussten demgegenüber nur die Gesamtbezüge für den Vorstand als ganzes angegeben werden. Das Gesetz sieht aber in § 286 Abs. 5 HGB eine so genannte Opting-Out-Klausel vor. Die Hauptversammlung kann mit mindestens ¾-Mehrheit (bezogen auf das bei der Beschlussfassung vertretene Grundkapital) für max. 5 Jahre beschließen, dass die individualisierte Offenlegung unterbleiben kann. Dieses Thema hat die öffentliche Meinung seit geraumer Zeit bewegt. Die Spannbreite reicht von offener Ablehnung durch einzelne Vorstände bis hin zu breiter Zustimmung im Bundestag und Bundesrat. Ausgangspunkt für die Debatte war eine Empfehlung im Deutschen Corporate Governance Kodex zur Angabe der Vorstandgehälter auf individualisierter Grundlage. Die Akzeptanz des Kodex ist im Allgemeinen erfreulicherweise sehr hoch – die Empfehlungen werden von den Unternehmen nahezu vollständig befolgt, dies gilt aber gerade nicht für die Empfehlung zur individualisierten Offenlegung der Vorstandsgehälter. Bis zuletzt waren es nur etwa 70 % der börsennotierten Unternehmen in DAX 30, die der Empfehlung freiwillig nachgekommen sind. Im M-DAX und S-DAX war diese Quote noch deutlich geringer, und es gab Anzeichen, dass viele der verbleibenden Unternehmen 7 VorstOG v. 3. 8. 2005, BGBl. I 2005, 2267.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz auch in Zukunft nicht zu entsprechender Offenlegung bereit gewesen wären. Dies war der Anlass für die gesetzliche Initiative zum Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetz, das dann mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde. In der Gesetzesbegründung wird deutlich ausgeführt, dass es bei Einführung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Offenlegungspflicht nicht darum geht, die Gehälter zu begrenzen. Dem Gesetzgeber ging es auch nicht darum, Neid oder Neugier der Öffentlichkeit zu befriedigen. Vielmehr ging es um die Stärkung der Kontrollrechte der Aktionäre. Die Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens sollen nachvollziehen können, wie viel Geld im Unternehmen wohin fließt. Mehr Transparenz stärkt die Rechte der Aktionäre. Nur wenn die Aktionäre selbst keine Transparenz in diesem Bereich verlangen, sollen sie auch auf ihre Rechte verzichten können – daher das Opting-Out-Modell.
II. Zum künftigen Entwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) 1. Ausgangspunkt: Das 10-Punkte-Programm „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz“ vom Februar 2003 Als Projekt für die neue Legislaturperiode verbleibt damit noch, auch die nationalen Bilanzrechtsvorschriften im HGB zu modernisieren. Die Bundesregierung hatte entsprechende Überlegungen bereits im Rahmen des 10Punkte-Programms „Unternehmensintegrität und Anlegerschutz“ vom Februar 2003 vorgestellt. Diese Überlegungen waren Bestandteil eines Gesamtkonzepts, das Vorschläge zur Implementierung der IAS/IFRS und Einrichtung eines Enforcement-Systems enthielt – beides umgesetzt durch die erwähnten Gesetze Bilanzrechtsreformgesetz und Bilanzkontrollgesetz – und daneben eben auch eine Reform eines nationalen Bilanzrechts vorsah. Grundgedanke dieser Überlegungen war, dass die IAS/IFRS jedenfalls derzeit keine geeignete Grundlage für den Einzel- Jahresabschluss darstellen und insbesondere für die Rechnungslegung von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) nur schwerlich geeignet sind. Ebenso hielt man zwar eine Annäherung des deutschen Bilanzrechts an internationale Grundsätze für sinnvoll, nicht aber den totalen Schwenk auf eine Informationsbilanz nach anglo-amerikanischem Vorbild. Demzufolge wurde im 10-Punkte-Programm betont, dass die Eckpfeiler (Anschaffungskosten – und Vorsichtsprinzip) beibehalten werden sollten. Änderungsbedarf sah man insbesondere bei den Punkten Rückstellungsbewertung, Fair Value für Finanzinstrumente, Konsolidierungskreis, sowie Möglichkeiten zur Abschaffung von Bewertungswahlrechten.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz 2. Die weitere Entwicklung Diese Vorschläge sind von der breiten Öffentlichkeit sehr positiv aufgenommen worden. Viele Organisationen und Institutionen haben sich in der Zwischenzeit daran gemacht, eigene Vorschläge und Vorstellungen zur Weiterentwicklung des deutschen Bilanzrechts zu entwickeln. Die folgende Aufzählung ist daher auch keinesfalls abschließend, sondern greift nur einige Beispiele heraus: So vertritt z. B. der Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft die Auffassung, dass dem Informationsbedürfnis der Unternehmen – wenn es denn besteht – am Besten durch Verwendung der IAS/IFRS Rechnung getragen wird. Ein alternatives Bilanzregelwerk solle sich demgegenüber primär auf die Funktionen der Bemessungsgrundlage für Gewinnausschüttung und Besteuerung beschränken. Im Ergebnis würde dies wohl auf eine „abgespeckte“ HGB-Bilanz hinauslaufen; der ohnehin schon eingeschränkte Informationswert würde weiter reduziert. Immerhin: Für Unternehmen, die auf eine Information der Bilanzleser nicht soviel Wert legen, würde sich der Bilanzaufstellungsaufwand möglicherweise nicht unerheblich verringern. Auch Prof. Dr. Joachim Schulze-Osterloh hat in mehreren Aufsätzen sowie in einem Arbeitskreis mit Vertretern der Bundessteuerberaterkammer und des Bundesverbandes der Deutschen Steuerberater Vorschläge entwickelt, die sehr fest auf dem Boden der derzeitigen HGB-Regelungen stehen. Diese Vorschläge sind geprägt von einem starken Misstrauen bzw. deutlicher Ablehnung der anglo-amerikanischen Bilanzphilosophie mit deren starken Betonung der Bewertung zum aktuellen Zeitwert (Fair Value). Diese Bewertungsmethode habe sich schon in der Vergangenheit als nicht verlässlich erwiesen und sei keine geeignete Grundlage für eine zureichende Darstellung der Vermögens- Finanz- und Ertragslage. Demzufolge sei das HGB zwar in einzelnen Punkten durchaus reformierungsfähig und -bedürftig; für grundlegende Änderungen bestehe aber kein Anlass. Auch Stellungnahmen großer Unternehmensverbände gehen in eine ähnliche Richtung. Demgegenüber gibt es auch Publikationen, die von einer größeren Reformbedürftigkeit des HGB ausgehen. So hat z. B. Prof. Dr. Norbert Herzig seine Vorstellungen zur Entwicklung eines neuen Unternehmenssteuerrechtes sowie der Schaffung eines eigenständigen Bilanzsteuerrechts vorgestellt, kürzlich noch einmal weiterentwickelt im Rahmen eines Arbeitskreises der „Stiftung Marktwirtschaft“. Grundlage dieser Überlegungen ist, dass es mittelfristig unausweichlich sein wird, das HGB an die anglo-amerikanische Bilanzphilosophie anzupassen und weiterzuentwickeln. Sehr ausführlich hat sich auch der deutsche Standardsetter für Rechnungslegung, das Deutsche Rechnungslegungs Standards Committee (DRSC) mit dieser 225
Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Frage befasst und umfangreiche Vorschläge vorgelegt. Am Endpunkt der Entwicklung sieht man auch hier ein deutlich anglo-amerikanisch geprägtes deutsches Bilanzrecht, losgelöst vom Steuerrecht. Auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW) hat Vorschläge erarbeitet, die auf einer der DRSC-Auffassung ähnlichen Position beruhen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass das IASB selbst sich dieser Frage im Rahmen des Projekts „IFRS für KMU“ angenommen hat und ernsthafte Erwägungen anstellt, ob und in welchem Umfang die IAS/IFRS in „abgespeckter“ Form für Belange kleiner und mittelständischer Unternehmen nutzbar gemacht werden können. Das konkrete Ergebnis dieser Überlegungen steht aber noch aus. Im Ergebnis stehen sich daher zwei Grundsatzpositionen gegenüber. Zum einen gibt es Vertreter einer moderaten HGB-Reform, die die positiven Aspekte der derzeit schon bestehenden Regelungen betonen und daher grundsätzlich beibehalten wollen. Zum anderen gibt es die Gruppe derer, die mittelfristig für das HGB eine Verankerung der anglo-amerikanischen Bilanzphilosophie anstreben, da dies im internationalen Trend liege und auch mehr als bisher dem Informationsbedürfnis der Unternehmen Rechnung trage. Die Konsequenz, den Maßgeblichkeitsgrundsatz aufzugeben und ein eigenes Bilanzsteuerrecht zu schaffen, wird dabei in Kauf genommen. 3. Aktuelle Tendenzen: Beschlussantrag der Fraktion von SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünen von Oktober 20048 „Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in Deutschland sachgerecht und transparent fortzuentwickeln“ Ein Spiegelbild des derzeitigen Diskussionsstandes ist der o. g. Beschlussantrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/Die Grünen, der anlässlich der parlamentarischen Beratungen zum Bilanzrechtsreformgesetz im Oktober 2004 in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde. Der Antrag wurde wegen der vorzeitigen Beendigung der Legislaturperiode im Deutschen Bundestag nicht mehr abschließend beraten. Im Zusammenhang mit den Beratungen zum Bilanzrechtsreformgesetz war aber deutlich geworden, dass es zur Anwendung der IAS/IFRS wie auch ganz allgemein zur Struktur des IASB, seiner Zusammensetzung, dem Verfahrensablauf bei der Erarbeitung und Beschlussfassung von IAS/IFRS-Standards sowie insbesondere der Berücksichtigung von europäischen Interessen und spezifischen Interessen von Bilanzaufstellern zahlreiche offene Fragen gibt. Automatisch stellte sich in diesem Zusammenhang natürlich auch die Frage nach der 8 BT-Drucks. 15/4036.
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Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Anwendbarkeit der IAS/IFRS für mittelständische Unternehmen. Eine außerordentlich gut besetzte Sachverständigenanhörung zu diesem Antrag im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im Frühjahr dieses Jahres machte zwar deutlich, dass sich alle Beteiligten sehr intensiv mit der Frage der Fortentwicklung des deutschen Bilanzrechts auseinander setzen. Es wurde aber einmal mehr deutlich erkennbar, dass es die bereits dargestellten unterschiedlichen Auffassungen gibt, die sich – so scheint es mir – fast gleichstark gegenüber stehen. 4. Die nächsten Schritte Was bleibt in dieser Situation zu tun? Einerseits wird man gut beraten sein, auch weiterhin den Prozess der Standardsetzung durch das IASB positiv zu begleiten und zu unterstützen. Nach derzeitigem Stand werden die IAS/IFRS aller Wahrscheinlichkeit nach auch künftig das Rechenwerk für Kapitalmarktunternehmen und sonstige international tätige Unternehmen sein. Gleichzeitig sollte aber das HGB weiterentwickelt werden, um zumindest für Nicht-Kapitalmarktunternehmen eine sinnvolle Alternative zur Verfügung zu stellen. Die nächsten gesetzgeberischen Schritte werden noch von der neuen Bundesregierung zu beschließen sein, da das 10-Punkte-Programm vom Februar 2003 natürlich nicht automatisch auch in der neuen Legislaturperiode gilt. Daher ist an dieser Stelle nochmals zu betonen, dass die Ausführungen ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wiedergeben. Nach wie vor scheint es aber sinnvoll, eine Reform auf der Grundlage dieses Programms zu betreiben. Eine solche HGB-Modernisierung wäre auch keine kleine Reform, sondern würde gewichtige Punkte beinhalten. So wäre bei einer Änderung der Bestimmungen zur Rückstellungsbewertung zu erwägen, stärker als bisher auf international übliche Bewertungsgrundsätze zurückzugreifen. Dies würde eine Abkehr vom strengen Stichtagsprinzip und eine Einbeziehung künftiger Lohn-, Preis- und Wertentwicklungen beinhalten, wobei die sich hiernach ergebenden Beträge dann – ebenfalls in Abänderung des bisher geltenden Rechts – abzuzinsen wären. Wenn man dies konsequent betreibt und insbesondere auch Pensionsverpflichtungen mit in diese neuen Regelungen miteinbeziehen würde, würden sich voraussichtlich allerdings erhebliche bilanzielle Konsequenzen ergeben. Nach bisherigem Recht sind die so genannten Altverpfl ichtungen, die aus der Zeit vor 1985 herrühren, nicht in die Rückstellungsbewertung einzubeziehen (Art. 28 EGHGB), ebenfalls sind mittelbare Pensionsverpflichtungen nicht zu berücksichtigen (ebenfalls Art. 28 EHGHB). Die Berücksichtigung künftiger Wertentwicklungen ist nicht möglich; stattdessen 227
Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz orientieren sich die Unternehmen häufig an den steuerlichen Maßgaben des § 6a EStG. Es wird noch zu prüfen sein, ob man all diese Pensionsverbindlichkeiten künftig tatsächlich in die Rückstellungsbewertung einbeziehen sollte – hier gibt es Pro- und Contra-Argumente. Auch wenn künftig manche dieser Verpflichtungen einbezogen werden sollten, wird nun aber jedenfalls an großzügige Übergangsregelungen denken können. Gleichwohl scheint es aber generell sinnvoll, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. In der internationalen Diskussion und aus der Sicht der Finanzanalysten ist die gegenwärtige Nicht-Berücksichtigung eines großen Teils bestehender Pensionsverpflichtungen eine erhebliche Schwachstelle des deutschen Bilanzrechts und der auf dieser Grundlage aufgestellten Abschlüsse. Auch die Einführung der Fair Value-Bewertung mag – jedenfalls in bestimmten, genau bezeichneten Grenzen – sinnvoll sein. Jedenfalls für Finanzinstrumente, die im Handelsbestand der Unternehmen gehalten werden, wird jetzt schon darauf verwiesen, dass im Rahmen größerer Geschäftstätigkeit, der Absicherung von verschiedenen Finanztransaktionen, Hedge-Systemen sowie Bewertungseinheiten eine Zeitwertbilanzierung geradezu unverzichtbar sei. Ebenso besteht bei der Frage des Konsolidierungskreises möglicherweise Handlungsbedarf. Während nach deutschem Recht das Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung nach wie vor maßgeblich ist, wird international und insbesondere im Rahmen der IAS/IFRS primär auf das Merkmal der Beherrschung („control“) abgestellt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es bei einer entsprechenden Änderung der Konsolidierungsvoraussetzungen sehr viel eher möglich wäre, spezielle Unternehmenskonstruktionen und insbesondere Zweckgesellschaften zu erfassen und in die Konsolidierung einzubeziehen. Leidvolle Erfahrungen der Vergangenheit wie z. B. im Fall „Enron“ scheinen dies auch geraten sein zu lassen. Umgekehrt verweisen bereits jetzt zahlreiche Unternehmensverbände und Interessengruppierungen darauf, dass dann bestimmte Geschäftszweige gewissermaßen ihre Geschäftsgrundlage verlieren würden. Häufig sind Gesellschaftskonstruktionen ja gerade darauf angelegt, bestimmte Risiken aus dem Konzernabschluss „herauszuhalten“. Auch hier wird noch eine sorgfältige Prüfung der verschiedenen Konstellationen erforderlich sein. Wenn sich aber international auch weiterhin das Merkmal „control“ durchsetzt, wird man aber gut beraten sein, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Sinnvoll würde es außerdem sein, bestimmte Regelungen auf den Prüfstand zu stellen, die im Verlauf der letzten zwanzig Jahre klar an Bedeutung verloren haben. Hier ist z. B. an die Aufwandsrückstellungen zu denken. Weitere Einzelvorschläge werden sich im Verlauf der Diskussionen in den nächsten Monaten ergeben. 228
Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz
III. Die weitere Entwicklung Der Weg für die Bilanzrechtsmodernisierung der nächsten ein bis zwei Jahre mag vorgezeichnet sein. Wenn man noch weiter vorausdenkt, wird die künftige Gestaltung des Bilanzrechts mittelfristig von der Entwicklung weiterer Faktoren abhängig sein. Hier gibt es drei wesentliche Gesichtspunkte: Gewinnausschüttung, Besteuerung sowie Informationsbedürfnis bei mittelständischen Unternehmen. 1. Gewinnausschüttung Nach derzeitigem EU-Recht in der so genannten 2. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie ist die Gewinnausschüttung nach wie vor an den sich aus dem Jahresabschluss ergebenden Gewinn geknüpft. Das Bilanzrechtsreformgesetz hat dies berücksichtigt. Der Grundsatz, dass sich eine Gewinnausschüttung an realisierten und nicht an nicht-realisierten Gewinnen zu orientieren hat, ist auch sicherlich richtig. Es ist aber nicht zu übersehen, dass die Frage der Gewinnausschüttung insbesondere für IAS/IFRS-Anwender einer zufriedenstellenden Lösung zugeführt werden muss. Denkmodelle gibt es zahlreiche: Man könnte an die Einführung eines so genannten solvency-Test denken; ebenso könnte den Unternehmen vorgeschrieben werden, im Falle einer IAS/IFRS-Bilanzierung die Zuführung zur gesetzlichen Rücklage zu erhöhen (um damit die Erfassung nicht realisierter Gewinne auszugleichen). Nach wie vor besteht auch die Möglichkeit, nicht-realisierte Gewinne durch die Schaffung von so genannten ausschüttungsgesperrten Rücklagen zu „neutralisieren“ und für Zwecke der Gewinnausschüttung nicht verfügbar zu machen. Nationale Regelungen ließen sich hier durchaus finden. Indessen ist es zu berücksichtigen, dass dieses Thema in der EU auf der Agenda steht und die EU-Kommission beabsichtigt, eine Studie zur Prüfung der verschiedenen Möglichkeiten zu vergeben. Aus diesem Grunde scheint es sinnvoll, auf nationale Alleingänge zu verzichten und hier die EU-Weiterentwicklung abzuwarten – auch wenn dies noch etwas dauern wird. 2. Steuerliche Gewinnermittlung National und international gibt es Tendenzen zur Schaffung eines einheitlichen Steuerbilanzrechts. Überlegungen auf nationaler Ebene zielen im Wesentlichen darauf ab, die bisherigen Grundsätze, wie sie sich aus dem handelsrechtlichen Bilanzrecht und den Modifi zierungen durch das Einkommensteuerrecht ergeben, in Form eines eigenständigen Steuerbilanzrechts festzuschreiben. Ob dies in den nächsten Jahres tatsächlich geschehen wird, ist derzeit noch offen. Über ein tatsächliches Bedürfnis sowie 229
Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz etwaige Vor- und Nachteile lässt sich trefflich streiten. International ist aber zu berücksichtigen, dass bei der EU bereits an der Schaffung eines eigenen Steuerbilanzrechts gearbeitet wird. Eine EU-Harmonisierung der steuerlichen Bemessungsgrundlagen scheint mir durchaus sinnvoll zu sein und könnte ein probates Mittel darstellen, um den Steuerwettlauf der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu unterbinden oder jedenfalls auf eine faire und transparente Grundlage zu stellen. Auch hier sind die zeitlichen Perspektiven aber noch ungewiss. EU-rechtlich gilt hier das Einstimmigkeitsprinzip und naturgemäß gibt es im Bereich des Steuerrechts sehr viele unterschiedliche Interessen. Gleichwohl sollte man aber den Blick vor dieser Entwicklung nicht verschließen und diese Möglichkeit bei der weiteren Entwicklung des Handelsbilanzrechts nicht vernachlässigen. 3. Informationsbedürfnis bei mittelständischen Unternehmen Wenn man einmal – als reines Denkmodell – unterstellt, dass es zu praktikablen Lösungen für die Gewinnausschüttung und für ein eigenständiges Steuerbilanzrecht kommen könnte, hängt die Frage der weiteren Entwicklung des Handelsbilanzrechts aber nach wie vor auch von der Interessenlage der betroffenen Unternehmen ab. Deutlicher formuliert: Wie viel Information ist bzgl. mittelständischer Unternehmen nötig und welche Information sollten diese Unternehmen mit Hilfe ihrer Abschlüsse vermitteln? Auch hier gibt es nach wie vor Pro- und Contra-Argumente. Eine verstärkte Information würde auch mittelständischen Unternehmen eine bessere Reputation im internationalen Bereich sowie auch im nationalen Wettbewerb verschaffen können. Ebenso stellt bessere Bilanzinformation einen zusätzlichen Schutz von Investoren und Gläubigern dar. Auf der Contra-Seite stehen demgegenüber Mehraufwand und höhere Kosten für die Bilanzaufsteller. Insbesondere werden Bilanzaufsteller damit rechnen müssen, dass ein IAS/IFRS-Einzelabschluss von einem Abschlussprüfer zu prüfen sein wird. Ebenso mag der höhere Informationswert einer Bilanz nach anglo-amerikanischem Muster dadurch beeinträchtigt sein, dass eine verstärkte Zeitwertbilanzierung in vielen Bereichen nicht unbedingt verlässliche Werte liefern wird. So wird ja auch den IAS/IFRS in bestimmten Bereichen vorgeworfen, dass hier keine Genauigkeit, sondern nur eine „Scheingenauigkeit“ erzielt werde. Auch die mit einer Zeitwertbilanzierung verbundene erhöhte Volatilität wird von vielen als nachteilig empfunden. Gleichwohl sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich trotz einer derzeit noch sehr vorsichtigen Verhaltensweise mittelständischer Unternehmen die Informationsanforderungen an deren Bilanz und infolgedessen auch das Informationsbedürfnis der Unternehmen selbst erhöhen können. 230
Ernst, Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz International geht der Trend deutlich zu „mehr Information“, und dies wird voraussichtlich auch Auswirkungen auf die Bilanzierung deutscher Unternehmen haben.
IV. Fazit Nach derzeitigem Stand scheint eine Modernisierung der nationalen Bilanzrechtsvorschriften auf vorsichtiger Grundlage nach wie vor sinnvoll. Dies bedeutet, dass jedenfalls in der nächsten Zeit der handelsrechtliche Jahresabschluss auch weiterhin die Grundlage für Gewinnausschüttung und Besteuerung sein würde. Falls in den nächsten Jahren eigenständige Regelungen für Gewinnausschüttung und steuerliche Bilanzierung gefunden werden sollten, sollte das deutsche HGB-Bilanzrecht gleichwohl keinesfalls aufgegeben werden, sondern als vollwertige Alternative zu den IAS/ IFRS insbesondere für Nicht-Kapitalmarktunternehmen beibehalten werden. Dabei sollte eine HGB-Bilanz ein adäquates Maß an Information vermitteln, ohne allerdings sämtlichen Anforderungen der IAS/IFRS genügen zu müssen. Vor diesem Hintergrund sollte es möglich sein, mit Hilfe des HGB-Bilanzrechts den deutschen Unternehmen ein sinnvolles Instrumentarium zur Verfügung zu stellen, mit dessen Hilfe sie eine aussagekräftige Handelsbilanz erstellen können.
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Wohin geht die Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung? Karin Heger Richterin am Bundesfinanzhof, München Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Rückstellungen für nach Erhalt der Gegenleistung zu erbringende Beratungs- und Betreuungsleistungen 1. BFH-Urteil vom 28. 7. 2004 – XI R 63/03 1.1 Sachverhalt 1.2 Begründung der Entscheidung 1.3 Würdigung 2. BFH-Urteil vom 5. 6. 2002 – I R 96/00 2.1 Sachverhalt 2.2 Begründung der Entscheidung 2.3 Würdigung III. Rückstellungen wegen Verpflichtungsüberhangs – BFH-Urteil vom 30. 1. 2002 – I R 71/00 1. Sachverhalt 2. Begründung der Entscheidung 3. Würdigung IV. Schlussfolgerung V. Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen 1. BFH-Urteil vom 25. 3. 2004 – IV R 35/02 1.1 Sachverhalt 1.2 Begründung der Entscheidung 1.3 Würdigung 2. BFH-Verfahren I R 35/03
2.1 Sachverhalt 2.2 Begründung der Entscheidung und Würdigung 3. BFH-Urteil vom 19. 11. 2003 – I R 77/01 3.1 Sachverhalt 3.2 Begründung der Entscheidung 3.3 Würdigung VI. Folgerungen für die Bildung von Rückstellungen aus öffentlichrechtlichen Verpflichtungen 1. Hinreichende inhaltliche und zeitliche Konkretisierung der Verpfl ichtung 1.1 Verpfl ichtung zu einem bestimmten Handeln … 1.2 … innerhalb eines bestimmbaren Zeitraumes 1.3 … unter Androhung von Sanktionen 1.4 Kein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse? 2. Wirtschaftliche Verursachung spätestens im Jahr der Bildung der Rückstellung 3. Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme 3.1 Kenntnis oder unmittelbar bevorstehende Kenntnis der zuständigen Behörde 3.2 Kontrolle durch die Behörde – kein Verzicht auf Durchsetzung des Anspruchs VII. Zusammenfassung
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung
I. Einleitung Im Fokus der Rechtsprechung des BFH stehen nach wie vor Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten. Daneben hat sich der BFH in mehreren Urteilen mit der Frage befasst, ob Rückstellungen für Verpflichtungen, die nach Erhalt der Gegenleistung zu erfüllen sind, gebildet werden dürfen.
II. Rückstellungen für nach Erhalt der Gegenleistung zu erbringende Beratungs- und Betreuungsleistungen 1. BFH-Urteil vom 28. 7. 2004 – XI R 63/031 1.1 Sachverhalt Der Kläger, ein Versicherungsvertreter, verpflichtete sich neben der Vermittlung von Lebens- und Schadensversicherungen u. a. auch zur Betreuung des Bestandes. Für die Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen erhielt er eine Provision, die fällig wurde, sobald der Versicherungsvertrag zustande gekommen war. Folgeprovisionen für die Betreuung der Lebensversicherungsverträge erhielt er nicht. In seiner Bilanz bildete er für bereits vermittelte Lebensversicherungsverträge eine Rückstellung für Verwaltungskosten. Der BFH billigte diese Handhabung. 1.2 Begründung der Entscheidung Der Kläger habe seine Leistung noch nicht voll erfüllt. Neben der Vermittlung habe er die Betreuung der Lebensversicherungsverträge geschuldet, ohne dass er hierfür Folgeprovisionen erhalten habe. Da dies keine unwesentliche Nebenpflicht sei, sei der Vertrag schwebend. Der Kläger habe sich an den Bilanzstichtagen mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner in einem Erfüllungsrückstand befunden, so dass die Verpflichtung auszuweisen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die geschuldete Leistung zum Bilanzstichtag noch nicht fällig gewesen sei. Ausreichend sei vielmehr, dass der Kläger hierfür bereits Provisionsansprüche realisiert habe. Dass die Lebensversicherungsverträge möglicherweise erst nach Ablauf eines längeren Zeitraum zu bearbeiten seien, stehe der Bildung einer Rückstellung nicht entgegen2 . 1 BFH, Urt. v. 28. 7. 2004 – XI R 63/03, BFHE 207, 205 = BFH/NV 2005, 109. 2 Z.B. BFH, Urt. v. 3. 12. 1991 – VIII R 88/87, BStBl. II 1993, 89: 20 Jahre.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung 1.3 Würdigung Der XI. Senat des BFH ist damit von seinem Urteil aus dem Jahr 19923 abgerückt. Dort hatte er die Bildung einer Rückstellung in einem vergleichbaren Sachverhalt mit der Begründung abgelehnt, der Steuerpflichtige sei zum Bilanzstichtag nicht mit Nachbetreuungsleistungen im Rückstand gewesen, die er im abgelaufenen Jahr hätte erbringen müssen. Der XI. Senat knüpft nunmehr die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes nicht mehr an die Voraussetzung der Fälligkeit der geschuldeten Leistung. 2. BFH-Urteil vom 5. 6. 2002 – I R 96/004 Eine vergleichbare Entscheidung hatte der I. Senat BFH bereits mit seinem Urteil vom 5. 6. 2002 getroffen. 2.1 Sachverhalt Dort hatte sich eine GmbH gegenüber Krankenkassen verpflichtet, Hörhilfen an deren Mitglieder zu liefern. Ferner hatte sie u. a. die Erwerber in den Gebrauch der Hörhilfe einzuweisen und bis zu fünf Jahre nach Erwerb ohne weitere Vergütung zu beraten, die Hörhilfen regelmäßig zu überprüfen und ggf. neu einzustellen. Für die Nachbetreuungsverpflichtung bildete die Klägerin Rückstellungen in ihren Bilanzen. Zu Recht, wie der BFH meinte. 2.2 Begründung der Entscheidung Die Pflicht zur Nachbetreuung ergebe sich schon aus dem jeweiligen Veräußerungsgeschäft und nicht erst mit den jeweiligen Nachbetreuungsleistungen. Diese seien nur der Höhe nach ungewiss und noch nicht fällig. Die Leistungen seien unabhängig von unsachgemäßer Behandlung oder Verschulden der Benutzer der Geräte durchzuführen. Der I. Senat wiederholt sodann seine umstrittene Auffassung, es sei bei einer dem Grunde nach bestehenden Verpflichtung unerheblich, ob sie wirtschaftlich vor diesem Bilanzstichtag verursacht sei5.
3 Urt. v. 10. 12. 1992 – XI R 34/91, BStBl. II 1994, 158. 4 BFH, Urt. v. 5. 6. 2002 – I R 96/00, BFHE 199, 309 = BFH/NV 2002, 1638. 5 BFH, Urt. v. 7. 6. 2001 – I R 45/97, BStBl. II 2003, 121; Nichtanwendungserlass BMF v. 21. 1. 2003, BStBl. I 2003, 125.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung 2.3 Würdigung Beiden Urteilen ist zuzustimmen. In beiden Fällen sind Erlöse erzielt worden, für die der Steuerpflichtige die Gegenleistung z. T. noch nicht erbracht hatte. Ohne Ausweis der Verpflichtungen würden Erträge ausgewiesen, die mit künftigen Aufwendungen belastet sind, denen sich der Steuerpflichtige nicht entziehen kann. Handelsrechtlich würde damit gegen die Pflicht zum Kapitalerhalt verstoßen, steuerrechtlich ein nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dieser Periode zutreffend widerspiegelnder Gewinn erfasst werden. Der I. Senat äußert sich in seiner Entscheidung nicht, ob er die Pflicht zur Nachbetreuung dem schwebenden Geschäft zuweist, also ebenfalls einen Fall des Erfüllungsrückstandes annimmt. Statt dessen wiederholt er seine umstrittene Auffassung, dass es bei einer dem Grunde nach bestehenden Verpflichtung unerheblich sei, ob sie wirtschaftlich vor diesem Bilanzstichtag verursacht sei6. Diese Ausführungen sind aber unnötig, da offenkundig ist, dass die fünfjährige Pflicht zur Nachbetreuung mit dem Entgelt für die Lieferung mit abgegolten war und daher eine dem Grunde nach gewisse Verpflichtung gegeben war, für die vor dem Bilanzstichtag die Gegenleistung bereits realisiert war.
III. Rückstellungen wegen Verpflichtungsüberhangs – BFH-Urteil vom 30. 1. 2002 – I R 71/007 Diese Entscheidung ist ähnlich gelagert wie die beiden vorangegangenen. Allerdings betraf sie nicht einen Erfüllungsrückstand, sondern einen Verpflichtungsüberhang. Der I. Senat des BFH bezeichnet damit Sachverhalte, in denen während des Schwebens des Vertrages bereits absehbar ist, dass nach Beendigung des Schwebezustandes von einer Seite noch weitere Leistungen zu erbringen sind. Ein Verpflichtungsüberhang kann insbesondere bei Dauerschuldverhältnisse in Betracht kommen. Demgegenüber befindet sich in Fällen des Erfüllungsrückstands ein Vertragspartner während des Schwebezustands mit seiner Sachleistung im Rückstand8. 1. Sachverhalt Die Klägerin, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, gewährt ihren Pensionären in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen eine Beihilfe. Berechtigt 6 Siehe Fn. 5. 7 BFH, Urt. v. 30. 1. 2002 – I R 71/00, BStBl. II 2003, 279. 8 Z. B. BFH, Beschl. v. 23. 6. 1997 – GrS 2/93, BStBl. II 1997, 735.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung sind aktive Arbeitnehmer für die Zeit nach Eintritt in den Ruhestand. Für diese Verpflichtung bildete die Klägerin in ihren Bilanzen Rückstellungen. Der BFH billigte dies. 2. Begründung der Entscheidung Es liege dem Grunde nach noch keine gewisse Verbindlichkeit vor. Bei der Prüfung, ob dies der Fall sei, sei auf das einzelne Vertragsverhältnis und nicht auf die Summe aller Vertragsverhältnisse abzustellen. Allerdings entspreche es der Lebenserfahrung, dass Pensionäre zugesagte Beihilfeleistungen tatsächlich in Anspruch nähmen. Das Arbeitsverhältnis sei mit dem Eintritt in den Ruhestand beendet. Es handle sich demnach nicht um eine Verbindlichkeit aus einem schwebenden Geschäft. Die Verpflichtung zur Gewährung von Beihilfe sei auch wirtschaftlich vor den jeweiligen Bilanzstichtagen verursacht. Zwar sei die Entstehung des Anspruchs im Einzelfall abhängig von der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen (Krankheit). Ihren wesentlichen wirtschaftlichen Grund, Beihilfe zu leisten, finde die Verpflichtung jedoch im bereits erfüllten Arbeitsverhältnis. 3. Würdigung Dieser Fall unterscheidet sich nur insoweit von den beiden vorangegangenen Fällen, als der BFH die Beihilfeverpflichtung nicht dem schwebenden Geschäft zuordnet. Die Verpflichtung zu Krankheitsbeihilfen an aktive Arbeitnehmer ist aber nicht rückstellungsfähig, weil diese Verpflichtung dem schwebenden Arbeitsvertrag zuzurechnen ist und insoweit kein Fall des Erfüllungsrückstandes gegeben ist. Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses besteht grundsätzlich die Vermutung, dass Arbeitsleistung und Arbeitslohn ausgeglichen sind.
IV. Schlussfolgerung Aus diesen drei Entscheidungen folgt, dass in allen Fällen, in denen realisierten Erträgen aus gegenseitigen Verträgen ungewisse Verbindlichkeiten gegenüberstehen, eine Rückstellung gebildet werden kann. Dabei spielt keine Rolle, ob die ausstehende Leistungspflicht noch während des Schwebezustandes des Vertrages oder erst danach zu erbringen ist. Maßgeblich ist allein die Frage, welcher Periode künftiger Aufwand wirtschaftlich zuzuordnen ist. 237
Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung Die Fälligkeit der Verpflichtung ist nicht erforderlich. Dies entspricht nunmehr der wohl einmütigen Rspr. des BFH. Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Leistung erst nach Jahren oder Jahrzehnten erbracht werden muss, die Annahme eines Erfüllungsrückstandes. Allerdings sind die Rückstellungen nunmehr steuerrechtlich nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG abzuzinsen. Das Verbot von Drohverlustrückstellungen in § 5 Abs. 4a EStG erfordert eine Abgrenzung zu Fällen des Erfüllungsrückstandes. Ein Verlust droht, wenn das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung während des Schwebezustandes wertmäßig gestört ist. Ein Fall des Erfüllungsrückstand liegt dagegen vor, wenn die Sachleistung zum Teil in nachfolgenden Perioden zu erbringen ist, die Gegenleistung hierfür aber bereits vereinnahmt wurde.
V. Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen Der BFH hat sich auch wiederum in einer Reihe von Urteilen zu Rückstellungen wegen öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen geäußert. 1. BFH-Urteil vom 25. 3. 2004 – IV R 35/029 1.1 Sachverhalt Eine Arge ist auf dem Gebiet der Baustoffaufbereitung tätig, Sie erhält von den Anlieferern für die Annahme des Bauschutts ein Entgelt. Der Bauschutt wird bei Bedarf zu Schotter aufbereitet und verkauft. Die nicht recycelbaren Stoffe werden entsorgt. Die Erlöse aus dem Verkauf des Schotters decken die anfallenden Recyclingkosten nicht ab. Die Arge erzielte in den Streitjahren gleichwohl Gewinne, die aus dem Entgelt für die Annahme des Bauschutts herrühren. In ihren Jahresabschlüssen bildete die Arge Rückstellungen für Bauschuttverarbeitung, Sortierung, Aufbereitung und Entsorgung von nicht verwertbaren Rohstoffen. Die Rückstellungen waren der Höhe nach begrenzt durch die Höhe der fremden Deponiekosten. 1.2 Begründung der Entscheidung Der BFH folgte dieser Handhabung im Wesentlichen. Er war der Auffassung, es bestehe eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung für Erzeuger und 9 BFH, Urt. v. 25. 3. 2004 – IV R 35/02, BFHE 206, 25 = BFH/NV 2004, 1157.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung Besitzer von Abfällen, diese unverzüglich oder jedenfalls innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu verwerten. Diese Verpflichtung zur zeitnahen Verarbeitung der Abfälle sei mit der Anlieferung von Bauschutt wirtschaftlich verursacht. Der Zeitraum sei zwar nicht genau bestimmt. Bei Bauschutt verarbeitenden Unternehmen sei aber eine regelmäßige Verarbeitung der angelieferten Stoffe schon deshalb unausweichlich, weil der Platz zur Zwischenlagerung begrenzt sei. Erforderlich sei aber, dass die Behörden von der Aufbereitungstätigkeit des Steuerpflichtigen Kenntnis hätten. Hiervon sei auch bei nicht genehmigungspflichtigen Anlagen bereits infolge der Gewerbeanmeldung auszugehen. Die Einhaltung dieser Verpflichtung werde kontrolliert und sei bußgeldbewehrt. Dieser Verpflichtung könne sich das Unternehmen nur entziehen, wenn es die angelieferten Materialien deponiere. Da dies regelmäßig nicht auf dem eigenen Gelände geschehen dürfe, seien mit der Deponierung Kosten verbunden. Es begegne keinen Bedenken, wenn bei der Errechnung der Höhe der Rückstellungen die Recyclingkosten – wie hier – durch die Kosten der Ablagerung auf einer fremden Deponie begrenzt würden. Der BFH machte den Erfolg der Klage aber davon abhängig, ob die zuständige Behörde die zeitnahe Verarbeitung des Bauschutts auch tatsächlich kontrolliert habe. Sollte dies nicht der Fall sein, könne dies ein Indiz dafür sein, dass die Behörde konkludent erklärt habe, auf eine Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs auf zeitnahe Verwertung verzichten zu wollen. 1.3 Würdigung Mit diesem Urteil hat sich der IV. Senat des BFH von der Entscheidung des I. Senats des BFH10 abgegrenzt, in der dieser einen hinreichend konkreten Gesetzesbefehl zur Beseitigung von Abfällen aufgrund des AbfG nicht angenommen hatte. Die Entsorgung sei weder inhaltlich noch zeitlich konkretisiert. Es sei vielmehr eine betriebliche Notwendigkeit, Abfälle regelmäßig zu entsorgen. Der hierzu erforderliche Aufwand sei nicht rückstellbar. Auch wenn die Sachverhalte der beiden Urteile nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind, ist doch unverkennbar, dass der IV. Senat die Auffassung nicht teilt, die Verpflichtung zur Entsorgung von Abfall sei eine bloße Obliegenheit zur Erhaltung der eigenen Betriebsbereitschaft. Der Entscheidung ist grundsätzlich zuzustimmen. Der IV. Senat des BFH scheint aber der Auffassung zu sein, nur in Fällen, in denen die Verpflich10 BFH, Urt. v. 8. 11. 2001 – I R 6/96, BStBl. II 2001, 570.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung tung, den Abfall zeitnah zu verarbeiten, durch die zuständigen Behörden kontrolliert werde, dürfe eine Rückstellung gebildet werden. Allerdings sind die Ausführungen des BFH wohl nicht so zu verstehen, aus der mangelnden Kontrolle könne möglicherweise geschlossen werden, die zuständige Behörde habe auf die Geltendmachung des Anspruchs insgesamt verzicht. Vielmehr hält er lediglich einen Anspruchsverzicht auf zeitnahe Verarbeitung des Abfalls für denkbar. Dies ist auch richtig. Denn im Bereich zwingenden Verwaltungsrechts wird man aus der mangelnden Kontrolle durch die zuständigen Behörden nur in Ausnahmefällen einen konkludent erklärten dauerhaften Verzicht auf Geltendmachung des Anspruchs annehmen können. Verzichtet die Behörde aber nur auf die zeitnahe Durchsetzung des Anspruchs, bleibt gleichwohl die Verpflichtung, den Abfall zu verwerten oder zu entsorgen, bestehen und durchsetzbar. Vermag sich der Unternehmer dieser Verpflichtung mit Sicherheit in Zukunft nicht zu entziehen, ist aber nicht einzusehen, weshalb in diesen Fällen eine Rückstellung ausgeschlossen sein soll, in Fällen der Verfüllungs- und Rekultivierungsverpflichtung dagegen auch bei Zeiträumen von 30 Jahren und mehr bis zur Fälligkeit der Verpflichtung eine Rückstellung (zeitanteilig) gebildet werden darf. Die Verpflichtung hängt mit bereits realisierten Erträgen vor dem Bilanzstichtag zusammen. Da die steuerliche Gewinnermittlung der zutreffenden Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit innerhalb einer Periode dient, würde bei einem Nichtausweises ein Mehr an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ausgewiesen, als tatsächlich in dieser Periode erwirtschaftet wurde. Nur wenn die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Anspruchs soweit in die Zukunft verschoben wird, dass zeitlich nicht absehbar ist, wann der Anspruch in der Zukunft erfüllt werden muss, kann von keiner Belastung mehr ausgegangen werden. Diese Voraussetzung ist aber deshalb nicht gegeben, weil –wie im Urteil ausgeführt—eine einigermaßen zeitnahe Verwertung schon aus betrieblichen Gründen erforderlich ist. Die Bildung einer Rückstellung von der Kontrolldichte der Ordnungsbehörden abhängig zu machen, scheint mir daher kein geeignetes Kriterium11. Vielmehr wird der zeitlich in die Zukunft geschobenen Verwertung und Verarbeitung oder ggf. Deponierung der Abfälle unter Geltung des § 6 Abs. 3 a Buchst. e EStG durch eine Abzinsung Rechnung getragen.
11 Kritisch insoweit auch Zühlsdorff/Geißler, BB 2005, 1099.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung 2. BFH-Verfahren I R 35/03 Dieses Verfahren hat sich nach Erlass eines stattgebenden Gerichtsbescheides durch Abhilfe erledigt. Der Text ist in DStR 2005, 1485 veröffentlicht. 2.1 Sachverhalt Die Klägerin, eine GmbH, betrieb u.a. den Einkauf, die Verarbeitung und den Vertrieb von Gasen aller Art. Sie bevorratete in X und E Erdgas in verschiedenen Kavernen. Diese waren durch Einleiten von Wasser in das Salzgebirge planmäßig hergestellte Hohlräume. Der Betrieb der Speicher beruht auf Genehmigungen entsprechender Rahmenbetriebspläne durch die jeweils zuständigen Bergämter. Für die Kosten der späteren Verfüllung der Kavernen und die Rekultivierung der darüber liegenden Erdoberfläche nach Beendigung der Kavernennutzung bildete die Klägerin in ihren Jahresabschlüssen ab 1980 Rückstellungen. Die jeweiligen Rückstellungsbeträge führte sie zu jedem Bilanzstichtag zeitanteilig zu. Dabei legte sie eine Betriebszeit der Speicher bis zum Jahr 2024 zugrunde, dem Jahr, in dem der Gasbezugsvertrag mit der längsten Laufzeit endet. 2.2 Begründung der Entscheidung und Würdigung Der BFH teilte diese Auffassung. Bereits mit Errichtung der Speicher sei die Verpflichtung begründet, diesen bei Beendigung der Nutzung wieder zu verfüllen. Dies folge aus dem Gesetz, das dies vorschreibe. Der Umstand, dass eine Verpflichtung zum Verfüllen erst in Zukunft gegeben sei, berühre nur die Fälligkeit. Ist eine Verbindlichkeit –wie hier—dem Grunde nach entstanden, billigt der BFH die Bildung einer Rückstellung, die im öffentlichen Recht wurzelt, auch dann, wenn bis zur Erfüllung Jahrzehnte vergehen. Es reicht aus, dass der Zeitraum bestimmbar ist. Dieser kann sich aus rechtlichen, wirtschaftlichen oder technischen Umständen ergeben, z. B. der Lebensdauer eines Wirtschaftsgutes. Die Kavernenspeicher weisen eine Lebensdauer von mehr als 30 Jahren aus. Auch eine derart lange Lebensdauer steht einer Passivierung nicht entgegen. Der BFH hat ferner eine hinreichende inhaltliche Konkretisierung der Verpflichtung angenommen, obwohl das Gesetz lediglich das zu erreichende Ziel vorgibt, nicht dagegen bestimmt, welche konkreten Maßnahmen vom Adressaten durchzuführen sind. Kommen mehrere technische Möglichkeiten zur Erreichung des Zieles in Betracht, muss aber feststehen, dass ei241
Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung ne der möglichen Maßnahmen auf Kosten des Steuerpflichtigen durchzuführen sein wird. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen das Gesetz die Fortentwicklung des Standes von Wissenschaft und Technik berücksichtigen will, und daher nicht bereits in das Gesetz aufgenommen wird, wie z. B. der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden soll. In diesen Fällen entscheidet die Behörde vielmehr über die konkreten Maßnahme unter Berücksichtigung des zum Entscheidungsstichtag geltenden Stands der Technik und Wissenschaft. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass der I. Senat die zeitanteilige Zuführung der Rückstellung nicht beanstandet hat. Daraus ist zu schließen, dass er nicht der Auffassung von Kessler12 folgt, dass Abbruchund Entfernungsverpflichtungen oder Verfüllungs- und Rekultivierungsverpflichtungen im Zeitpunkt der Errichtung des später wieder zu beseitigenden Objekts als Einmalrückstellung zu erfassen seien. Vielmehr sind sie auch vor Inkrafttreten des § 6 Abs. 3a Buchst. d EStG anteilig der Periode zuzurechnen, durch die sie wirtschaftlich verursacht sind. Da bereits mit dem Anlegen der Kavernen der künftige Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes rechtlich entstanden ist, könnte man hierin einen Bruch zu den Ausführungen des Urteils des I. Senats vom 7. 6. 200113 sehen. In dieser Entscheidung hat er ausgeführt, eine dem Grunde nach gewisse Verpflichtung sei auch dann auszuweisen, wenn sie nicht durch Erträge vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich veranlasst sei. Gleichwohl darf hieraus nicht geschlossen werden, der I. Senat habe damit seine Auffassung revidiert. Dies ergibt sich schon daraus, dass er in dem Gerichtsbescheid ausdrücklich und ohne jegliche Distanzierung auf diese Entscheidung hinweist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass er seine Ansicht auf Fälle von Anpassungsverpflichtungen beschränken will, die, wie Moxter14 gezeigt hat, möglicherweise auch Perioden vor dem Bilanzstichtag zugeordnet werden können. 3. BFH-Urteil vom 19. 11. 2003 – I R 77/0115 3.1 Sachverhalt Die Kl, eine GmbH, erwarb von einer ehemaligen Düngemittelfabrik ein Betriebsgelände. Im Zuge der Kaufverhandlungen ergaben sich Hinweise auf eine Kontamination, die dem zuständigen Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft im August 1988 vorgestellt wurden. Ein Gutachten, das einen 12 13 14 15
Kessler, DStR 2001, 1903. BFH v. 7. 6. 2001 – I R 45/97, BStBl. II 2003, 121. Moxter, DStR 2004, 1098. BFH, Urt. v. 19. 11. 2003 – I R 77/01, BFHE 204, 135 = BFH/NV 2004, 271.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung Sicherungs- und Sanierungsbedarf für den nördlichen Teil des Grundstücks ergab, wurde ebenfalls Vertretern des Amtes für Wasser- und Abfallwirtschaft bekannt gegeben. Vier Jahre nach dem Erwerb des Grundstückes einigte sich die Klägerin mit der vormaligen Eigentümerin darauf, dass die Dekontaminationsverpflichtung auf sie selbst überging. Dafür erhielt sie einen Betrag von 20,8 Mio. DM, den sie als Ertrag behandelte. Zugleich bildete sie eine Rückstellung in gleicher Höhe. Nach einer Außenprüfung schrieb der Prüfer das mit den Anschaffungskosten aktivierte Grundstück auf den Teilwert von 1 DM ab und erkannte die Rückstellung nicht an. 3.2 Begründung der Entscheidung Nach Auffassung des BFH war sowohl eine Teilwertabschreibung als auch eine Rückstellung gerechtfertigt, obwohl die Klägerin diese Verpflichtung auch sechs Jahre nach dem erstmaligen Ausweis immer noch nicht begonnen hatte. Bei der Prüfung, ob die Klägerin mit einer Inanspruchnahme habe rechnen müssen, seien nur solche Umstände zu berücksichtigen, die am Bilanzstichtag vorgelegen hätten und spätestens zum Tage der Erstellung der Bilanz erkennbar geworden seien. Allerdings sei die Rückstellung möglicherweise insoweit zu mindern, als sie auf künftige Herstellungskosten entfalle. 3.3 Würdigung Eine Teilwertabschreibung und eine Rückstellung wären nach jetzigem Recht nicht mehr möglich, da eine Teilwertabschreibung nunmehr eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung erfordert (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Hiervon kann aber nicht ausgegangen werden, wenn durch eine Rückstellung zum Ausdruck gebracht wird, dass das Grundstück künftig saniert werden soll. Bereits nach altem Recht wird man von künftigen Herstellungskosten ausgehen können, da mit der Sanierung das Grundstück über seinen bisherigen Zustand hinaus verbessert wird (§ 255 Abs. 2 Satz 1 HGB). Anders als noch in seiner Entscheidung vom 8. 11. 200016 hat der I. Senat hier zu Recht nicht erwogen, ob das eigenbetriebliche Interesse dem Ausweis als Rückstellung entgegensteht. Da die Klägerin den Betrag, den sie vom Veräußerer zum Zwecke der Sanierung erhalten hat, gewinnerhöhend 16 BFH v. 8. 11. 2000 – I R 6/96, BStBl. II 2001, 570.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung erfasst hatte, wäre es ohne Teilwertabschreibung und Rückstellung zu einem ungerechtfertigten Gewinnausweises gekommen.
VI. Folgerungen für die Bildung von Rückstellungen aus öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen 1. Hinreichende inhaltliche und zeitliche Konkretisierung der Verpflichtung 1.1 Verpfl ichtung zu einem bestimmten Handeln … Nach der Rechtsprechung können für Verpflichtungen, die sich aus öffentlichem Recht ergeben, Rückstellungen gebildet werden, wenn diese inhaltlich und zeitlich hinreichend konkretisiert sind. Unproblematisch sind Fälle, in denen ein entsprechender Verwaltungsakt vorliegt oder eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung geschlossen wurde. Denn daraus lässt sich regelmäßig ableiten, ob der Empfänger zu einem bestimmten Handeln innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums verpflichtet ist. Schwieriger ist dagegen zu bestimmen, ob eine Verpflichtung aus einem Gesetz folgt, da dies notwendiger Weise abstrakter formuliert ist als z. B. ein gegenseitiger Vertrag, in dem die wesentlichen Leistungspflichten regelmäßig konkret vereinbart und schriftlich fi xiert sind. Der BFH hat in den besprochenen Urteilen jeweils eine hinreichende inhaltliche Konkretisierung angenommen, und zwar auch dann, wenn die Rechtsnorm lediglich das zu erreichende Ziel vorgibt, nicht dagegen die konkrete Maßnahme bestimmt. Es muss nur feststehen, dass der Steuerpflichtige wirtschaftlich damit belastet sein wird. Soweit ersichtlich, hat der BFH bislang nur Fälle entschieden, in denen er konkrete Pflichten aus Verwaltungsakten oder Gesetzen ableiten konnte, so z. B. die Verpflichtung zur Verfüllung von Kavernen, die Rekultivierung oder die Pflicht, Abfall zu verarbeiten oder zu entsorgen. Dies bedeutet aber nicht, dass für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, die dem Grunde nach zweifelhaft sind, eine Rückstellung nicht gebildet werden dürfte. Sonst wäre in der Tat die Kritik gerechtfertigt, hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen gelte ein „Sonderrecht“17. Vielmehr genügt auch hier die überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer entsprechenden Verpflichtung. Ist z. B. in der Literatur umstritten, ob eine öffentlich-rechtliche Norm eine entsprechende Verpflichtung ausspricht, kann dies dazu
17 Z. B. Crezelius in Kirchhof, 5. Aufl., Einkommensteuergesetz § 5 EStG Rz. 122; Adler/Düring/Schmaltz, § 249 HGB Rz. 51; Schön, BB 1994, Beilage 9, 8.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung führen, dass von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verbindlichkeit ausgegangen werden kann. Zu prüfen ist dann nur noch, ob zum Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz ernsthaft mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist. Hiervon ist nicht bereits deshalb auszugehen, weil die Auslegung eines Gesetzes umstritten ist, sondern grundsätzlich nur dann, wenn eine Verwaltungsanweisung besteht, entsprechend zu verfahren. Folgt die Behörde in ihrem Gesetzesvollzug dagegen der Auffassung, nach der keine Verpflichtung aus dem Gesetz ableitbar ist, ist zum Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz keine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme gegeben. Zweifelhaft ist dies aber, wenn bereits Gerichtsentscheidungen ergangen sind, die eine Verpflichtung aus dem Gesetz bejahen. Zu diesen Fragen ist derzeit eine Revision beim XI. Senat des BFH anhängig ist (XI R 64/04). In diesem Fall war ein Radiologe von seiner Kassenärztlichen Vereinigung (KV) auf Rückzahlung von bestimmten abgerechneten Leistungen in Anspruch genommen worden. Das Verhältnis zwischen Ärzten und ihrer KV ist öffentlich-rechtlicher Natur. Das Sozialgericht hatte die Auffassung der KV bestätigt. Der Kläger, ebenfalls ein Radiologe, hatte daraufhin in seiner Bilanz eine Rückstellung gebildet, da er bei gleichem Sachverhalt ebenfalls diese Leistungen abgerechnet hatte. Da das Sozialgericht das Bestehen einer derartigen Rückzahlungsverpflichtung bejaht hat, wird man wohl sagen können, zum Bilanzstichtag spreche eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen einer öffentlichrechtlichen Verpflichtung auf Rückzahlung der abgerechneten Leistungen. Fraglich ist nur, ob auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme gegeben ist. In dem anhängigen Verfahren war der Kläger im Bezirk einer anderen KV ansässig. Diese trug vor, sie habe nichts von dem sozialgerichtlichen Verfahren gewusst. Unabhängig davon, wie der BFH den Fall konkret entscheiden wird, wird er sich zu der Frage äußern können, ob eine dem Grunde nach ungewisse öffentlich-rechtliche Verbindlichkeit rückstellungsfähig ist, ferner, ob Gerichtsverfahren, an denen der Unternehmer nicht beteiligt ist, die Bildung einer Rückstellung rechtfertigen können. 1.2 … innerhalb eines bestimmbaren Zeitraumes Der BFH fordert nicht mehr eine Verpflichtung zum Handeln innerhalb eines bestimmten, sondern nur noch eines bestimmbaren Zeitraums. Auch eine ungewisse Verpflichtung, die erst mehr als 20 Jahre nach dem Bilanzstichtag zu erfüllen ist, ist zu passivieren. Ein Zeitraum ist nur dann nicht mehr bestimmbar, wenn der Erfüllungszeitpunkt nicht absehbar ist. 245
Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung 1.3 … unter Androhung von Sanktionen Grundsätzlich ist jede unbedingte öffentlich-rechtliche Verpflichtung insoweit sanktionsbedroht, als sie durch Verwaltungsakt durchgesetzt werden kann. Dabei spielt keine Rolle, ob der Verwaltungsakt eine Geld- oder Sachleistungspflicht ausspricht. Geldleistungspflichten sind unmittelbar vollstreckbar. Pflichten zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen können mit den üblichen verwaltungsrechtlichen Zwangsmitteln, unmittelbarer Zwang, Zwangsgeld oder Ersatzvornahme, durchgesetzt werden. Einer spezialgesetzlichen Sanktion, etwa Bußgeld bedarf es daher nicht. Gleichwohl hebt der BFH in seinen Entscheidungen darauf ab, ob das Handeln bußgeldbewehrt sei, oder führt aus, die Klägerin habe sich der Verpflichtung zum Verfüllen der Kavernen schon deshalb nicht entziehen können, weil sie andernfalls die Zulassung für den Betrieb der Erdgaskavernen verlieren würde. 1.4 Kein überwiegendes eigenbetriebliches Interesse? Die im Urteil vom 8. 11. 200018 vertretene Auffassung, nach der die Bildung einer Rückstellung auch bei bestehender Außenverpflichtung dann nicht auszuweisen ist, wenn das eigenbetriebliche Interesse das Gemeininteresse überlagert, dürfte der BFH nicht aufrecht erhalten19. Der I. Senat des BFH hat jedenfalls in nachfolgenden Entscheidungen, wie z.B. dem soeben besprochenen Fall des verseuchten Grundstückes (I R 77/01), ein eigenbetriebliches Interesse nicht geprüft. Aus der Entscheidung des IV. Senats ist ersichtlich, dass er der Meinung des I. Senats nicht folgt. Auch der VIII. Senat hat in seinem Urteil v. 19. 8. 200220 eine Rückstellung für die Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zugelassen, obwohl auch hier ein eigenbetriebliches Interesse an der Aufbewahrung bestand. Man wird daher davon ausgehen können, dass bei einer tatsächlich bestehenden Außenverpflichtung ein daneben vorhandenes Eigeninteresse die Bildung einer Rückstellung nicht ausschließt.
18 BFH, Urt. v. 8. 11. 2000 – I R 6/96, BStBl. II 2001, 570. 19 Zur Kritik an dieser Entscheidung z. B. Moxter, BB 2001, 569; Mayr, DB 2003, 740. 20 BFH, Urt. v. 19. 8. 2002 – VIII R 30/01, BStBl. II 2003, 131.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung 2. Wirtschaftliche Verursachung spätestens im Jahr der Bildung der Rückstellung Nach wie vor ungeklärt ist, ob die anderen Senate des BFH der Auffassung des I. Senats21 (zu Anpassungsverpflichtungen) folgen, nach der für dem Grunde nach gewisse Verbindlichkeiten auch dann Rückstellungen zu bilden sind, wenn sie wirtschaftlich mit Erträgen künftiger Perioden zusammenhängen. Der I. Senat hat seine Auffassung nicht aufgegeben, vielmehr in nachfolgenden Entscheidungen immer wieder – wenn auch nicht entscheidungserheblich – bestätigt. Allerdings ist unstreitig in allen Fällen, in denen Verpflichtungen wirtschaftlich durch Erträge der laufenden und der vorangegangenen Periode verursacht wurden, eine Rückstellung auszuweisen. 3. Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme 3.1 Kenntnis oder unmittelbar bevorstehende Kenntnis der zuständigen Behörde Der Schuldner muss nur dann ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen, wenn die Behörde den Anspruch kennt oder die Kenntnis unmittelbar bevorsteht. Erlangt die zuständige Behörde Kenntnis von einem Anspruch, ist aber regelmäßig davon auszugehen, dass sie den Anspruch auch geltend machen wird, da sie hierzu nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet ist. Dies entspricht nunmehr ständiger Rechtsprechung, gleichgültig, ob der Anspruch im öffentlichen oder privaten Recht gründet. So hat neben den besprochenen Fällen z. B. der VIII. Senat22 bei Grundstücken, die durch den Betrieb von Reinigungen verseucht waren, eine Rückstellung aus öffentlichrechtlicher ebenso wie eine aus privatrechtlicher Verpflichtung an der mangelnden Kenntnis der Behörden bzw. der Eigentümer der Grundstücke scheitern lassen23. 3.2 Kontrolle durch die Behörde – kein Verzicht auf Durchsetzung des Anspruchs Hat die Behörde auf die Durchsetzung des Anspruchs verzichtet, ist keine Rückstellung zu bilden. Dies wird aber nur selten der Fall sein. Kennt die Behörde den Anspruch, kann allein aus deren Untätigkeit regelmäßig nicht auf einen Anspruchsverzicht geschlossen werden. Durch das Urteil des 21 BFH, Urt. v. 7. 6. 2001 – I R 45/97, BStBl. II 2003, 121. 22 BFH, Urt. v. 11. 12. 2001 – VIII R 34/99, BFH/NV 2002, 486. 23 Siehe auch BFH, Urt. v. 25. 5. 2004 – VIII R 4/01, BFH/NV 2005, 105.
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Heger, Rechtsprechung zur Verbindlichkeitsrückstellung BFH (IV R 35/02) ist aber ungeklärt, ob und in welchem Umfang die mangelnde Kontrolle durch die Behörde der Bildung einer Rückstellung entgegensteht.
VII. Zusammenfassung Die Rechtsprechung zu öffentlich-rechtlichen Verbindlichkeiten ist im Fluss. Nach Auffassung des BFH24 sind die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten – gleichgültig, ob sie im öffentlichen oder privaten Recht wurzeln – dieselben. Ob er dies in früheren Entscheidungen immer beherzigt hat, sei dahingestellt. Mit den jüngsten Urteilen hat der BFH die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen aus öffentlich-rechtlichen denen aus privatrechtlichen Verpflichtungen aber zumindest angenähert. Durch die Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt ist die Frage, ob Rückstellungen für Verpflichtungen gebildet werden dürfen, die nach Erhalt der Gegenleistung zu erfüllen sind, sei es, während des Schwebezustandes des Vertrages, sei es danach.
24 BFH, Urt. v. 11. 12. 2001, BFH/NV 2002, 486; gl. A. z. B. Weber-Grellet in Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 5 EStG Rz. 365; Rätke, StuB 2002, 135.
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Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Dipl.-Kfm. Manfred Günkel Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Düsseldorf Inhaltsübersicht I. Abzinsung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten nach dem Abzinsungserlass der Finanzverwaltung 1. Fall 2. Lösungshinweise II. Rückstellungen für Rückkaufverpflichtungen als Drohverlustrückstellungen? 1. Fall 2. Lösungshinweise 2.1 Charakterisierung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten 2.2 Charakterisierung einer Drohverlustrückstellung 2.3 Abgrenzung zwischen Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften 2.4 Der Grundsatz der Einzelbewertung nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB III. Rückstellung für Aktienoptionsprogramm (AOP) 1. Fall 1.1 Programm 1 1.2 Programm 2 1.3 Gemeinsames 2. Lösungshinweise 2.1 Wirtschaftlicher Hintergrund 2.2 Rechtliche Verpfl ichtungsstruktur
2.3 2.3.1 2.3.2
3. IV.
1. 2. V. 1. 2.
VI. 1. 2.
Rückstellungsansatz Rechtliche Verpfl ichtung Wirtschaftliche Verursachung 2.3.2.1 Statische Ausprägung 2.3.2.2 Dynamische Ausprägung 2.3.3 InanspruchnahmeWahrscheinlichkeit 2.3.4 Wirtschaftliche Last 2.3.5 Zwischenfazit: Rückstellungsansatz 2.4 Rückstellungsbewertung 2.4.1 Erfüllungsbetrag 2.4.2 Weitere Bewertungsaspekte Zusammenfassung Berücksichtigung nicht abzugsfähiger Rückstellungen im Rahmen einer Betriebsveräußerung Fall Lösungshinweise Rückstellungen für unentgeltliche Service-Leistungen Fall Lösungshinweise 2.1 Voraussetzung für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten 2.2 Ungleiche Nachbetreuungsverpfl ichtungen? Forderungsverzicht gegen Besserungsschein Fall Lösungshinweis
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht
I. Abzinsung von Rückstellungen und Verbindlichkeiten nach dem Abzinsungserlass der Finanzverwaltung 1. Fall Die inländische D-GmbH erhält zur Überbrückung einer Ertrags- und Liquiditätskrise von ihrer ausländischen Muttergesellschaft ein Darlehen mit einer Laufzeit von 10 Jahren, welches grundsätzlich mit 1 % verzinst wird. Die Zinsen werden aber solange und für die Jahre nicht erhoben, in denen die GmbH einen Verlust (einschließlich Verlustvortrag) von mehr als der Hälfte des Stammkapitals ausweist. Im Zeitpunkt der Darlehensgewährung ist diese Voraussetzung gegeben. Außerdem hat die GmbH eine Rückstellung für die Rekultivierung einer von ihr für den Abbau von Bodenschätzen genutzten Fläche gebildet. Die Rekultivierung wird sich in mehreren Schritten über einen Zeitraum von 10 Jahren hinziehen (Wiederauffüllung von Erdreich, Regulierung des Grundwassers durch Pumpen, Bepflanzung etc.). Die ersten Maßnahmen (Wiederauffüllung) werden im Jahr nach dem Bilanzstichtag in Angriff genommen. 2. Lösungshinweise Durch BMF-Schreiben vom 26. 5. 20051 sind Zweifelsfragen bei der Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3 a EStG aus Sicht der Finanzverwaltung geregelt worden. Der erste Sachverhalt des Falles betrifft die Frage, ob auch eine ungewöhnlich niedrig verzinsliche Verbindlichkeit abzuzinsen ist und wie Vereinbarungen anzusehen sind, bei denen sich ergibt, dass unter Umständen die vereinbarten Zinsen nicht anfallen. Nach Rz. 13 des BMF-Schreibens vom 26. 5. 2005 ist jede Verzinsung, die über 0 % liegt, als „Verzinslichkeit“ der Verbindlichkeit anzusehen, so dass eine Abzinsung entfällt. Der im vorliegenden Fall ungewöhnlich niedrige Darlehenszinssatz führt daher für sich alleine betrachtet nicht zu einer Abzinsung. Im vorliegenden Fall kommt allerdings hinzu, dass unter bestimmten Bedingungen für einen bestimmten Teil der Laufzeit der Zinsanspruch entfällt, nämlich für die Jahre, in denen die GmbH einen Verlust incl. Verlustvortrag in bestimmter Höhe ausweist. Nach Rz. 19 des BMFSchreibens ist bei Abhängigkeit der Verzinslichkeit von einer Bedingung die Verbindlichkeit zunächst so zu behandeln, als sei die Bedingung nicht eingetreten. Deshalb müsste man wohl im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis 1 BMF, Schr. v. 26. 5. 2005 – IV B 2-S 2175-7/05, BStBl. I 2005, 699.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht kommen, dass eine verzinsliche Verbindlichkeit vorliegt und eine Abzinsung nicht zu erfolgen hat. Da die Frage der Verzinslichkeit der Verbindlichkeit jährlich neu vom Eintritt der Bedingung abhängig ist, ist nach Rz. 17 des BMF-Schreibens eine verzinsliche Verbindlichkeit gegeben, selbst wenn für bestimmte Zeiträume tatsächlich keine Zinsen anfallen sollten. Eine Abzinsung kann daher unterbleiben. Das dazu gegebene Beispiel im Abzinsungserlass lässt darauf schließen, dass eine Unverzinslichkeit in bestimmten Perioden der Laufzeit unschädlich ist und nicht zur Abzinsung führt, da es auf die Gesamtlaufzeit ankommt. Dies erscheint sachgerecht, da in solchen Fällen über die Gesamtlaufzeit betrachtet nur eine niedrige Verzinsung wegen zinsfreier Perioden vorliegt, eine bloße niedrige Verzinsung aber gerade nicht zu Abzinsung führt. Bei der im zweiten Sachverhalt angesprochenen Rückstellung handelt es sich um eine Rückstellung für Sachleistungsverpflichtungen, die unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 a e) EStG ggf. abzuzinsen sind. Fraglich ist in diesen Fällen häufig die Laufzeit, über die abzuzinsen ist. Hier hat das BMF-Schreiben zusätzliche Aufklärung gebracht. Nach dem Wortlaut des Gesetzes und Rz. 25 des BMF-Schreibens ist für die Abzinsung auf den Zeitraum bis zum Beginn der Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung abzustellen. Bei einer in Teilleistungen zu erbringenden Verpflichtung, die als Einheit anzusehen sind, soll der Beginn der ersten Teilleistung maßgebend sein. Nach dem Sachverhalt des Falles ist die erste Teilleistung (Beginn der Wiederauffüllmaßnahmen) bereits im Laufe des nächsten Geschäftsjahres zu erbringen. Es handelt sich insoweit nicht um eine Verbindlichkeit, die vom Bilanzstichtag an eine Laufzeit von mehr als 12 Monaten hat (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 a e) i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG). Deshalb ist im vorliegenden Fall die Sachleistungsverpflichtung, die über einen Zeitraum von 10 Jahren erfolgt, trotzdem nicht abzuzinsen.
II. Rückstellungen für Rückkaufverpflichtungen als Drohverlustrückstellungen? 1. Fall Der Kfz-Händler (A) verkauft im Jahr 01 verschiedene Neuwagen sowohl an ein Leasingunternehmen (B) als auch an ein Autovermietungsunternehmen, das die Fahrzeuge an Dritte für zwei Jahre vermietet. In diesem Zusammenhang verpflichtet sich A, diese Neuwagen nach Ablauf einer zweijährigen Einsatzzeit, d. h. im Jahr 03, zu einem im Jahr 01 festgelegten Preis bzw. zu einem nach den beim Neuwagenkauf vereinbarten Kriterien zu errechnenden Preis zurückzukaufen (Rückkaufsverpflichtung). In diesem 251
Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Zusammenhang besteht das Risiko, dass der Rückkaufspreis über dem tatsächlichen Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Rückkaufs im Jahr 03 liegt und A mit dem Rückkauf einen Verlust erleiden wird. Die dafür von A im Jahr 01 gebildeten Rückstellungen für Verlustrisiken aus Rückkaufverpflichtungen hielt der Betriebsprüfer nach § 5 Abs. 4a EStG für in der Steuerbilanz unzulässig gebildete Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. A hingegen vertrat die Auffassung, dass es sich bei den gebildeten Rückstellungen nicht um Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften handelt, sondern um Verbindlichkeitsrückstellungen, die nicht unter das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 4a EStG fielen. 2. Lösungshinweise Trotz der mit dem Verkauf bereits eingegangenen Rückkaufverpflichtung des Verkäufers dürfte nicht nur das rechtliche, sondern auch das wirtschaftliche Eigentum an den Fahrzeugen übergegangen sein, da nicht nur Besitz und Nutzungsrecht, sondern beispielsweise auch das Risiko des zufälligen Untergangs und das Recht zur anderweitigen Veräußerung übergehen. Für bilanzielle Zwecke beim Händler stellt sich daher die Frage nach der Möglichkeit der Bildung einer Rückstellung für die Rückkaufverpflichtung. 2.1 Charakterisierung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten Nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind u. a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Dieses Gebot gilt durch die Anwendung des in dem § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG verankerten Maßgeblichkeitsgrundsatzes auch für die Steuerbilanz.2 Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung das Vorliegen einer entweder der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer dem Grunde nach ungewissen Verbindlichkeit, deren Höhe zudem auch ungewiss sein kann, und deren wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag liegt. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen.3 Eine wirtschaftliche Verursachung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerk2 Ständige Rechtsprechung; z. B. BFH v. 12. 12. 1991, Az. IV R 28/91, BStBl. II 1992, 600. 3 U. a. BFH v. 1. 8. 1984, Az. I R 88/80, BStBl. II 1985, 44; BFH v. 13. 5. 1998, Az. VIII R 58/96, BFH/NV 1999, 27, m. w. N.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht male für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt.4 Diese für die Rückstellungsbildung geforderte wesentliche Tatbestandsverwirklichung setzt voraus, dass die Verbindlichkeit an einen vor dem Bilanzstichtag eingetretenen betrieblichen Umstand anknüpft, d. h. es bedarf eines in der Vergangenheit liegenden Schuldgrundes.5 2.2 Charakterisierung einer Drohverlustrückstellung Für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften muss in entsprechender Höhe eine Rückstellung in der Bilanz gebildet werden (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB). Ein schwebendes Geschäft i. S. v. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB liegt vor, wenn ein gegenseitiger auf Leistungsaustausch gerichteter Vertrag noch nicht erfüllt ist, d. h. die Sach- oder Dienstleistung (Hauptleistung) noch nicht erbracht ist. Ein solcher Vertrag ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung bilanzmäßig nicht auszuweisen. Allerdings sind Verluste aus schwebenden Geschäften zu berücksichtigen, soweit sie bis zum Abschlussstichtag entstanden sind (§ 252 Abs. 1 HGB). Aus diesem Prinzip kann gefolgert werden, dass Rückstellungen zu bilden sind, wenn konkrete Anzeichen dafür vorliegen, dass der Wert der eigenen Verpfl ichtung aus dem schwebenden Geschäft wahrscheinlich den Wert der Ansprüche auf die Gegenleistung übersteigt, mithin ein sog. Verpfl ichtungsüberschuss besteht. In der Steuerbilanz sind seit dem 1. 1. 1997 gem. § 5 Abs. 4a EStG entsprechende Rückstellungen nicht zu bilden. 2.3 Abgrenzung zwischen Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften Während die Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten bereits eingetretene d. h. vergangene Ereignisse abbildet, nimmt die Drohverlustrückstellung zukünftige Ereignisse vorweg. Entscheidend für die Zulässigkeit der Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz ist, ob der Rückkaufvertrag ein schwebendes Geschäft ist oder Teil eines einheitlichen Geschäfts, dass aus dem Neuwagenverkauf und dem Rückkaufvertrag besteht.6 So ist beispielsweise bei einem PKW-Verkauf die Hauptpflicht die Lieferung des PKW, während eine gleichzeitige Garantiezusage regelmäßig nur eine Nebenpflicht ist. Solange die Hauptpflicht nicht 4 BFH v. 13. 5. 1998 – VIII R 58/96, BFH/NV 1999, 27 m. w. N. 5 BFH v. 15. 4. 1993 – I R 75/91, HFR 1994, 5. 6 Vgl. Kolb, StuB 2002, 1049; Kossow, StuB 2001, 209; Wulf/Petzold, DStR 2004, 2116.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht erfüllt ist, handelt es sich um ein schwebendes Geschäft. Ob eine Vertragspflicht Haupt- oder Nebenpfl icht ist, ist durch die Auslegung des Vertrags zu ermitteln. Kennzeichnend für die Hauptpflicht ist, dass sie im Sinne eines Gegenseitigkeits- und Abhängigkeitsverhältnisses synalagmatisch mit der Gegenleistung üblicherweise verknüpft ist; d. h. die Hauptpflicht wird um der Gegenleistung willen erbracht und umgekehrt.7 Folglich kommt es zivilrechtlich bei A mit dem Neuwagenverkauf mit Rückkaufverpflichtung insgesamt zum Abschluss zweier verschiedener Verträge (Neuwagenverkaufvertrag und Rückkaufvertrag), die rechtlich selbstständig zu beurteilen sind. Dementsprechend würde der Rückkaufvertrag hinsichtlich der Hauptleistung am Bilanzstichtag (Übereignung des Gebrauchtwagens durch B oder C an A) im Jahr 01 noch nicht erfüllt sein, so dass ein schwebendes Geschäft vorliegen würde und eine Bildung der Rückstellung in der Steuerbilanz ausscheiden würde. Anders sieht es jedoch aus, wenn man nicht auf die zivilrechtliche Selbstständigkeit beider Verträge, sondern auf den wirtschaftlichen Gehalt der Rückkaufverpflichtung abstellt und den Neuwagenverkauf mit Rückkaufverpflichtung als ein einheitliches Geschäft sieht. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise beruht auf der Auffassung, wonach das bilanzrechtliche bzw. wirtschaftliche Synalagma weiter zu fassen ist als das zivilrechtliche.8 Aus ökonomischer Sicht stellt die Rückzahlungsverpflichtung von A eine nachträgliche Preisminderung im Jahr 01 dar, die später d. h. im Jahr 03 fällig wird. Zwar mindert dieser Preisnachlass den Ertrag aus dem Hauptgeschäft, grundsätzlich führt er jedoch nicht zu einem Verlust aus dem Gesamtgeschäft. Da jedoch ein Aufwendungsüberschuss über die aus dem Hauptgeschäft realisierten Erträge hinaus nicht Gegenstand einer Drohverlustrückstellung ist, scheidet im zugrunde liegenden Fall die Charakterisierung der Verpflichtung aus Leasinggeschäften als schwebendes Geschäft aus. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Garantie zur Rücknahme der PKW durch A lediglich ein Hilfsgeschäft darstellt, da A auf die Risken und Verluste aus diesem Hilfsgeschäft nur im Hinblick auf die Erträge aus dem Hauptgeschäft (Neuwagenverkauf) eingegangen ist. Ohne Neuwagenverkauf würde es die Rückkaufverpflichtung nicht geben Weiterhin ist zu beachten, dass nicht das Neuwagengeschäft wegen der Rücknahmeverpflichtung, sondern die Rücknahmeverpflichtung wegen des Neuwagengeschäfts eingegangen wurde und somit die Hauptverpflichtung aus dem Neuwagenverkauf mit Rückkaufverpflichtung durch die
7 Heinrichs in Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, vor § 320 BGB Rz. 12 ff. 8 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1998, § 249 HGB Rz. 140.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Übereignung des Neuwagens an das Leasingunternehmen im Jahr 01 erfüllt worden ist, so dass kein schwebendes Geschäft vorliegt. Aus vernünftigen kaufmännischen Gesichtspunkten geht ein Automobilhändler nur Verpflichtungen wie bspw. Bürgschaftsverpflichtungen, Verlusteinstehungsverpflichtungen u. a. ein, wenn sie unmittelbar mit der Realisation des Hauptgeschäfts verbunden sind. Hierbei handelt es sich um Nebenverpflichtungen und nicht um selbstständige Rechtsgeschäfte und damit auch nicht um Verluste aus schwebenden Geschäften, sondern um nachträgliche Aufwendungen aus realisierten Hauptgeschäften, die als Verbindlichkeitsrückstellungen zu passivieren sind. Daher hat A für die eingegangene Verpflichtung zum Rückkauf der PKW gegenüber B und C eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sowohl in der Handels- als auch in der Steuerbilanz zu passivieren. Der Aufwand aus der Rückkaufverpflichtung ist wirtschaftlich vor dem Bilanzstichtag verursacht, da er Erträge alimentiert, die bereits vereinnahmt waren. Die Rechtsprechung hat dies bisher anders beurteilt. Das FG Bremen 9 hat in einer nicht rechtskräftigen Entscheidung die Auffassung vertreten, dass es sich um eine nicht abzugsfähige Drohverlustrückstellung nach § 5 Abs. 4a EStG handelt. Der BFH 10 hat in zwei Entscheidungen zu vergleichbaren Sachverhalten davon gesprochen, dass der Verkäufer eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften bilden müsse. Beide Urteile sind allerdings zum alten Recht vor Inkrafttreten des § 5 Abs. 4 a EStG ergangen, so dass es auf den Charakter der Rückstellung nicht ankam, sondern andere Fragen (Einzelbewertung oder Gesamtbetrachtung) im Vordergrund standen. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH den Fall im Revisionsverfahren auch unter Berücksichtigung seines Urteils zur Rückstellung bei Optionsgeschäften 11 beurteilt. Bei diesem Urteil hat der BFH auch zwei rechtlich getrennte Vorgänge als wirtschaftliche Einheit angesehen und eine Verbindlichkeitsrückstellung vor allem deshalb bejaht, weil ein Teil des Ertrages schon realisiert war – die Vereinnahmung der Optionsprämie. 2.4 Der Grundsatz der Einzelbewertung nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB Der Grundsatz der Einzelbewertung könnte der Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten im Wege stehen. Das Einzelbewertungs9 A. A. FG Bremen v. 26. 8. 2004 – 1 K 99/04, EFG 2004, 1588 ff. 10 BFH v. 15. 10. 1997 – I R 16/97, BStBl. II 1998, 249; BFH v. 25. 7. 2000 – VIII R 35/97, DStRE 2001, 57. 11 BFH v. 18. 12. 2002 – I R 17/02, BStBl. II 2004, 126.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht prinzip hat ihren Ursprung im Vorsichtsprinzip und soll die Saldierung einzelner Wertminderungen und –erhöhungen verhindern. Nach § 6 Abs. 1 EStG gilt dieser Grundsatz auch für die Steuerbilanz. Die Einzelbewertung verschiedener Sachverhalte setzt jedoch voraus, dass diese unabhängig voneinander sind. Liegt jedoch – wie im zugrunde liegenden Fall – eine Bewertungseinheit vor (B und C gehen den Kaufvertrag nur ein, wenn A eine Rückkaufgarantie gewährt), ist das Einzelbewertungsprinzip auf die Bewertungseinheit anzuwenden.12 Folglich ist für die Risiken aus der Rücknahmeverpflichtung eine Verbindlichkeitsrückstellung sowohl in der Handelsals auch in der Steuerbilanz zu passivieren.
III. Rückstellung für Aktienoptionsprogramm (AOP) 1. Fall 1.1 Programm 1 Gegenstand des AOP 1 ist die Gewährung von Bezugsrechten für junge Aktien des Unternehmens. Alternativ ist das Unternehmen berechtigt, die Lieferung alter Aktien oder die Abfindung der Bezugsrechte in Geld zu bestimmen. In der Vergangenheit erfolgte ausnahmslos eine Barabfindung der Bezugsrechte. 1.2 Programm 2 Gegenstand des AOP 2 ist die Gewährung von sog. Stock Appreciation Rights (SAR´s). Dabei handelt es sich um Rechte, die es den Berechtigten ermöglichen, einen an der Steigerung des Aktienkurses des Unternehmens gemessenen Wertzuwachs in Geld zu realisieren. Ersatzweise kann das Unternehmen die Lieferung eigener Aktien bestimmen; hiervon wurde in der Vergangenheit nie Gebrauch gemacht. 1.3 Gemeinsames Die Programmlaufzeit beträgt in beiden Fällen fünf Jahre, sie setzt sich aus einem Erdienungszeitraum von drei und einem anschließenden Ausübungszeitraum von zwei Jahren zusammen. Voraussetzung für die Ausübung der Bezugsrechte bzw. SAR´s ist die gleichzeitige Erfüllung mehrerer Ausübungsbedingungen, im Wesentlichen die Erreichung eines vorgege12 Vgl. Siegel, StuB 2005, 359 f. mit Beispielen, dass eine Bilanzierung ohne die Anwendung des Einzelbewertungsprinzips auf die Bewertungseinheit widersinnig ist.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht benen Aktienkurses zu festgelegten Zeitpunkten während des Ausübungszeitraums. Werden die Bezugsrechte bzw. SAR´s bis zum Ende der Laufzeit nicht ausgeübt oder scheidet der Berechtigte vorzeitig aus dem Unternehmen aus, verfallen sie ersatzlos. 2. Lösungshinweise 2.1 Wirtschaftlicher Hintergrund Dem AOP liegt der Gedanke zu Grunde, dass den Mitarbeitern zusätzlicher Lohn in Geld bzw. Aktien als Gegenleistung für gesteigerte Arbeitsleistungen versprochen wird.13 Maßstab für die tatsächliche Erbringung dieser zusätzlichen Arbeitsleistungen soll die Erfüllung bestimmter Ausübungsbedingungen (im Wesentlichen die Börsenkursentwicklung des versprechenden Unternehmens) nach einem festgelegten Zeitablauf (Erdienungszeitraum) sein. 2.2 Rechtliche Verpfl ichtungsstruktur Mit dem AOP geht das versprechende Unternehmen unter der Bedingung, dass bestimmte Voraussetzungen zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt sind, die rechtlich bindende Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistungen ein (aufschiebend bedingte Verpflichtung)14, die noch von zwei Bedingungen abhängig sind, der Erdienung und dem Börsenkurs. In der Grundstruktur gleicht die AOP-Verpflichtung damit Verpflichtungen aufgrund von Pensionszusagen, Jubiläumszusagen, Pensionsbeihilfezusagen usw., die für die Entstehung der Leistungspflicht ebenfalls an die Erfüllung von Bedingungen und an Zeitabläufe anknüpfen und Gegenleistungen für erbrachte Arbeitsleistungen darstellen. 2.3 Rückstellungsansatz 2.3.1 Rechtliche Verpfl ichtung Solange der Erdienungszeitraum noch nicht abgeschlossen ist, liegt keine rechtlich entstandene Verpflichtung vor. Vielmehr handelt es sich um eine zukünftig (bei Eintritt der vereinbarten Bedingungen) entstehende Verpflichtung.
13 Vgl. Herzig/Lochmann, WPg 2002, 325. 14 Vgl. Kropp, DStR 2002, 1921 f.
257
Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht 2.3.2 Wirtschaftliche Verursachung Die Verpflichtung zur Gewährung aufschiebend bedingt versprochener AOP-Leistungen ist mit der Erbringung von Arbeitsleistung während des Erdienungszeitraums jedoch teilweise wirtschaftlich verursacht. 2.3.2.1 Statische Ausprägung Wirtschaftliche Verursachung liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung (R 31c Abs. 4 EStR) vor, wenn der Tatbestand, an den das Gesetz oder der Vertrag die Verpflichtung knüpft, im Wesentlichen verwirklicht ist. Die Erfüllung der Verpflichtung darf nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern muss auch Vergangenes abgelten. Wesentlicher Tatbestand für die Entstehung der AOP-Leistungspflichten ist das Erreichen des relevanten Börsenkurses. Kein wesentliches Tatbestandsmerkmal hingegen ist die Ausübungserklärung des Berechtigten. Der Ablauf des Erdienungszeitraums als Wartezeit ist ebenfalls kein wesentliches Merkmal. Wäre dies so, dürften auch Pensions-, Jubiläums- und Pensionärsbeihilfe-Rückstellungen nicht vor Erreichen des Rentenalters oder des Jubiläums gebildet werden. Dass die Erfüllung der AOP-Verpflichtung Vergangenes (Arbeitsleistungen bis zum Ausübungszeitpunkt) abgilt, steht nicht in Zweifel. 2.3.2.2 Dynamische Ausprägung Danach liegt wirtschaftliche Verursachung vor, wenn Aufwand zur Erfüllung einer zukünftig wahrscheinlich entstehenden Verpflichtung vor dem Bilanzstichtag bereits wirtschaftlich verursacht ist (Alimentationsgedanke). Die wirtschaftliche Verursachung des AOP-Aufwands liegt in den vor dem Bilanzstichtag erbrachten Arbeitsleistungen begründet (wirtschaftlicher Erfüllungsrückstand). Der Arbeitgeber schuldet zum Bilanzstichtag einen Teil des versprochenen Lohnes. 2.3.3 Inanspruchnahme-Wahrscheinlichkeit Der Ansatz einer Rückstellung ist nur dann zulässig, wenn die Inanspruchnahme aus der Verpflichtung überwiegend wahrscheinlich ist. Daran besteht kein Zweifel, wenn der Gläubiger seinen Anspruch gegenüber dem Verpflichteten kennt. Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme aus der AOP-Verpflichtung ist in jedem Einzelfall gegeben, weil die begünstigten Mitarbeiter ihren Anspruch auf Ausübung der Bezugsrechte bzw. SAR´s gegenüber dem Unter258
Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht nehmen kennen und diesen bei Vorliegen der Ausübungsvoraussetzungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit geltend machen werden. 2.3.4 Wirtschaftliche Last Eine Verbindlichkeit ist nur dann passivierungsfähig, wenn sie eine wirtschaftliche Belastung für das Unternehmen darstellt. Im Regelfall besteht kein Zweifel, dass AOP-Verpflichtungen eine wirtschaftliche Belastung des versprechenden Unternehmens in Form eines zusätzlichen Lohnaufwands darstellen. Fraglich ist aber die wirtschaftliche Belastung im Fall von Programm 1 bei Gewährung junger Aktien im Wege der bedingten Kapitalerhöhung, weil in diesem Fall nicht das Unternehmen belastet ist, sondern die übrigen Aktionäre. Weil in der Vergangenheit jedoch ausschließlich Barauszahlungen stattgefunden haben, ist davon auszugehen, dass die AOP-Verpflichtungen auch in Zukunft in bar erfüllt werden. 2.3.5 Zwischenfazit: Rückstellungsansatz Die Rückstellungsbildung für AOP-Verpflichtungen ist nach Maßgabe des Ersatztatbestands „wirtschaftliche Verursachung“ grundsätzlich ab dem Zeitpunkt geboten, ab dem die erwünschten zusätzlichen Arbeitsleistungen erbracht werden (erster Bilanzstichtag während des Erdienungszeitraums).15 Dass eine rechtliche Verpflichtung zu diesem Zeitpunkt noch nicht besteht, ist für den Rückstellungsansatz somit unerheblich. Allerdings muss das künftige Entstehen einer rechtlichen Verpflichtung überwiegend wahrscheinlich sein; eine bloße Möglichkeit genügt nicht. Das künftige Entstehen hängt von der Erfüllung der Ausübungsbedingungen und damit im Wesentlichen von der Entwicklung des Aktienkurses ab. Diese Zukunftsprognose ist zugegebenermaßen schwierig und mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden, denn der Aktienkurs kann in Zukunft sowohl steigen als auch fallen. Vereinfachend und zugleich objektivierend kann jedoch davon ausgegangen werden, dass das zukünftige Entstehen der AOP-Verpflichtungen aus Sicht des Bilanzstichtags zumindest dann überwiegend wahrscheinlich ist, wenn der Aktienkurs am Bilanzstichtag den festgelegten Ausübungskurs bereits erreicht hat, d. h. die Option werthaltig ist, so dass der Mitarbeiter (eine ggf. noch nicht beendete Erdienungszeit weggedacht) 15 Vgl. auch Fröschle/Kropp in Beck’scher Bilanzkommentar, 5. Aufl. 2003, § 266 HGB Rz. 279 ff.; Lange, StWi 2001, 145 m. w. N., a. A. Gelhausen/Hönsch, WPg 2001, 71.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht am Bilanzstichtag ausüben könnte. Ist der Ausübungskurs am Bilanzstichtag noch nicht erreicht, d. h. die Option nicht werthaltig, kommt der Rückstellungsansatz konsequenterweise nicht in Betracht. Diese Entscheidung ist an jedem Bilanzstichtag von neuem zu treffen, so dass eine Rückstellung an einem folgenden Bilanzstichtag ggf. wieder aufzulösen ist, weil der Aktienkurs unter den Ausübungskurs gefallen ist. 2.4 Rückstellungsbewertung 2.4.1 Erfüllungsbetrag Auf Grundlage der Erfahrungen der Vergangenheit ist für die AOP-Verpflichtungen (Barabfindung der Bezugsrechte bzw. Barausgleich der SAR´s) von Geldleistungsverpflichtungen auszugehen. Diese sind mit dem Erfüllungsbetrag am Bilanzstichtag zu bewerten. Weil der Erfüllungsbetrag unmittelbar von dem Aktienkurs im Ausübungszeitpunkt abhängt, muss eine sachgerechte Schätzung des Erfüllungsbetrags erfolgen. Für handelsbilanzielle Zwecke besteht Uneinigkeit, ob Aktienoptionen zum sog. inneren Wert16 oder zum Zeitwert (fair value) zu bewerten sind. Der innere Wert bezeichnet den Betrag, um den der Aktienkurs den Ausübungskurs übersteigt. Der Zeitwert im Sinne des Wertes der Option beinhaltet zusätzlich eine Zukunftsprognose für die noch ausstehende Zeit bis zur Ausübung; im Fall einer handelbaren Option wäre dies der fremdübliche Verkaufspreis. Bei der Rückstellungsbewertung ist das Stichtagsprinzip zu beachten. Danach ist der Erfüllungsbetrag nach den Preisverhältnissen am Bilanzstichtag zu ermitteln. Ausgehend davon ist die Rückstellungsbewertung zum inneren Wert vorzunehmen, weil dies der Betrag ist, den der Verpflichtete aufwenden müsste, um die AOP-Verpflichtung am Bilanzstichtag zu erfüllen. Der Zeitwert ist dagegen nicht zur Rückstellungsbewertung geeignet, weil dies der gedachte Kaufpreis für das Optionsrecht (einschließlich Zukunftserwartungen) ist und nicht der voraussichtliche Erfüllungsbetrag für die Verpflichtung aus Sicht des Bilanzstichtags. 2.4.2 Weitere Bewertungsaspekte Entsprechend der wirtschaftlichen Verursachung ist die Rückstellung während des Erdienungszeitraums zeitanteilig anzusammeln; die Ansammlung endet mit der ersten Ausübungsmöglichkeit.
16 Vgl. Rode, DStZ 2005, 408.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens Berechtigter aus dem Unternehmen ist auf den Gesamtbestand der AOP-Rückstellungen ein angemessener Fluktuationsabschlag anzuwenden. Die Höhe des Abschlags ist auf Grundlage der Erfahrungen in der Vergangenheit sachgerecht zu schätzen. Abschließend stellt sich die Frage der Abzinsung. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e i. V. m. Abs. 3 EStG sind Rückstellungen für Geldleistungsverpflichtungen mit 5,5 % abzuzinsen, es sei denn, die Verpflichtung ist verzinslich oder ein anderweitiger wirtschaftlicher Nachteil ist damit verbunden. Eine Verzinsung der AOP-Verpflichtung ist nicht vereinbart. Eine vergleichbare Belastung ist nicht zu erkennen. Anders als Sachleistungsverpflichtungen, die regelmäßig einer Maßnahmen- und Kosteninflation unterliegen und den Verpflichteten so einer Verzinsung vergleichbar belasten, steht im Zusammenhang mit AOP-Verpflichtungen keine entsprechende Belastung. Zwar besteht das Risiko, dass der Aktienkurs zunehmend steigt, dem steht jedoch die gleichwertige Chance eines Kursverfalls gegenüber. Im Ergebnis ist eine Abzinsung des Gesamtbestands der AOP-Rückstellungen unvermeidbar, der Abzinsungszeitraum sollte typisierend unter Zugrundelegung einer mittleren Fälligkeit (Ausübung nach der Hälfte des Ausübungszeitraums) enden. 3. Zusammenfassung Für AOP-Verpflichtungen ist mit Beginn des Erdienungszeitraums eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gem. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Handels- und in der Steuerbilanz zu bilden, wenn der Aktienkurs am Bilanzstichtag über dem Ausübungskurs liegt. Die Bewertung der Rückstellung erfolgt auf Grundlage des sog. inneren Wertes. Der Erfüllungsbetrag ist bis zum Ende des Erdienungszeitraums zeitanteilig anzusammeln. Von dem Erfüllungsbetrag ist ein Fluktuationsabschlag nach den Erfahrungen der Vergangenheit vorzunehmen. Die Rückstellung ist zumindest in der Steuerbilanz mit 5,5 % auf einen mittleren Ausübungszeitpunkt abzuzinsen.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht
IV. Berücksichtigung nicht abzugsfähiger Rückstellungen im Rahmen einer Betriebsveräußerung 1. Fall Die A-GmbH veräußert ihr Unternehmen mit nahezu allen Aktiva und Passiva am 31. 12. 02 an eine erwerbende B-GmbH, wobei die Erwerberin im Wege der befreienden Schuldübernahme alle am Übertragungsstichtag begründeten und zum Unternehmen gehörenden Verpflichtungen übernahm. Zu den übernommenen Verpflichtungen gehörten auch vertragliche Leistungen, für die in der Handelsbilanz Rückstellungen gebildet waren: Drohverlustrückstellung aus einem langfristigen Mietvertrag (nicht mehr genutzte Räume) Rückstellung für Arbeitnehmerjubiläen
2,5 Mio. 0,8 Mio. 3,3 Mio.
Beide Rückstellungen waren in der Steuerbilanz bisher nicht gebildet worden ( § 5 Abs. 4, 4 a EStG). Als Kaufpreis wird der handelsrechtliche Buchwert des Betriebsvermögens (Reinvermögen unter Berücksichtigung von Schuldposten) zuzüglich eines Betrags von 2 Mio. Euro für stille Reserven im Aktivvermögen vereinbart. Der Barkaufpreis beträgt 12 Mio. Euro. (Buchwert Aktiva 15 Mio. Euro, sonstige Verbindlichkeiten 1,7 Mio. Euro, Rückstellungen 3,3 Mio. Euro zuzüglich 2 Mio. Euro für stille Reserven). Die A-GmbH ermittelt aus der Transaktion für steuerliche Zwecke einen Veräußerungsverlust von 1,3 Mio. Euro. Die steuerliche Betriebsprüfung geht dagegen von einem Veräußerungsgewinn i. S. v. § 16 Abs. 2 EStG von 2 Mio. Euro aus und argumentiert, die Übernahme der Verpflichtungen, die den handelsrechtlichen Rückstellungen zugrunde liegen, wirke wie ein zusätzlicher Kaufpreis. Der Fall sei vergleichbar der Befreiung von einer ebenfalls nicht bilanzierten privaten Schuld bei Veräußerung eines Unternehmens nach Abschn. H 139 Abs. 10 EStR i. V. m. BFH vom 12. 1. 1983.17 2. Lösungshinweise Der Fall war in abgewandelter Form schon einmal Gegenstand der Diskussion beim Fachkongress.18 Das Urteil des FG Baden-Württemberg19 gibt Anlass, sich erneut mit der angesprochenen Problematik der Berücksichtigung 17 BFH v. 12. 1. 1983 – IV R 180/80, BStBl. II 1983, 595. 18 Vgl. Günkel, StBJb 2002/2003, S. 291 ff. 19 FG Baden-Württemberg v. 2. 6. 2005 – 6 K 247/03, EFG 2005, 1715, NZB anhängig.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht von steuerlich nicht abzugsfähigen Rückstellungen bei Betriebsveräußerungen im Ganzen zu beschäftigen. Das FG Baden-Württemberg ist den Überlegungen der Betriebsprüfung unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 12. 1. 198320 gefolgt. Meines Erachtens ist es aber sehr fraglich, ob die vom BFH in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze zur Befreiung von einer privaten Schuld im Rahmen einer Betriebsveräußerung auf den hier vorliegenden Fall überhaupt anwendbar sind. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, dass die A-GmbH ihren (steuerlichen) Gewinn nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs ermittelt (§ 5 Abs. 1 EStG). Dies gilt auch dann, wenn der Gewinn im Rahmen einer Betriebsveräußerung zu ermitteln ist. § 16 Abs. 2 EStG21 geht von den gleichen Grundsätzen aus, da auch hier dem Veräußerungspreis der Buchwert des Betriebsvermögens gegenüber gestellt wird. Der Wert des Betriebsvermögens ist nach § 5 EStG zu ermitteln. Letztlich kommt es also darauf an, ob und in welchem Umfang sich das (steuerliche) Betriebsvermögen der GmbH nach der Veräußerung gegenüber der „logischen Sekunde“ vor der Veräußerung vermehrt hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich durch die nichtabzugsfähigen Rückstellungen in der Steuerbilanz das Betriebsvermögen schon erhöht hat, welches für Zwecke der Handelsbilanz erst im Rahmen der Veräußerung durch den Wegfall der entsprechenden Passivposten erhöht wird. Mit anderen Worten: Ein Teil des entstehenden Veräußerungserlöses ist steuerlich schon vorweggenommen worden und das dem Veräußerungspreis gegenüberzustellende Eigenkapital (Betriebsreinvermögen) ist entsprechend höher. Dies kann man durch den folgenden Vergleich von Handels- und Steuerbilanz vor und nach der Veräußerung darstellen: HaBil 30. 12. 02 T Aktiva
T
15,0 Eigenkapital
15,0
10,0
Rückstellungen
3,3
Sonst. Verb.
1,7 15,0
20 BFH v. 12. 1. 1983 – IV R 180/80, BStBl. II 1983, 595. 21 Zur Anwendbarkeit bei Kapitalgesellschaften vgl. Abschn. R 32 Abs. 1 KStR.
263
Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht HaBil 31. 12. 02 T Forderung Kaufpreis
T
12,0 EK
10,0
Gewinn
2,0
Rückstellungen
0
12,0
12,0
T
T
StBil 30. 12. 02 Aktiva
15,0 EK (inkl. Gewinnvortrag) Rückstellungen
13,3
Sonst. Verb.
1,7
0
15,0
15,0
StBil 31. 12. 02 T Forderung Kaufpreis
T
12,0 EK 30. 12. Verlust EK Rückstellungen 12,0
13,3 1,3 12,0 0 12,0
Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass die von der Betriebsprüfung angenommene Betriebsvermögensvermehrung in der Steuerbilanz nicht eingetreten ist. Das gefundene Ergebnis hat auch vor dem Hintergrund des Zweckes der Regelung in § 5 Abs. 4, 4 a EStG Bestand. Dadurch soll der steuerliche Abzug bestimmter Aufwandspositionen, die sich in Rückstellungen niederschlagen, bis zu deren Realisierung im Sinne einer Verausgabung aufgeschoben werden. Im Rahmen der Veräußerung tritt aber eben diese Realisierung durch eine Berücksichtigung beim Veräußerungsgewinn ein.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht
V. Rückstellungen für unentgeltliche Service-Leistungen 1. Fall Die A GmbH betreibt ein Fachgeschäft für Hörgeräteakustik. Sie ist Mitglied der Bundesinnung für Hörgeräteakustiker, die mit den Bundesverbänden der Orts-, Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Hörhilfen an Anspruchsberechtigte dieser Kassen abschloss. In diesem Zusammenhang verpflichtete sich A gegenüber den Krankenkassen zur Nachbetreuung und zur Erbringung von Reparaturen und sonstigen Leistungen. Für die mit dem Verkauf von Geräten in Zusammenhang stehenden Nachbetreuungsleistungen für den Patienten bildete sie Rückstellungen, die das Finanzamt unter Hinweis auf ein Urteil des XI. Senats des BFH vom 10. 12. 199222 nicht anerkannte. 2. Lösungshinweise 2.1 Voraussetzung für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH23 entweder das Bestehen einer dem Betrage nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit und ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Daneben muss der Bilanzierende ernsthaft mit der Inanspruchnahme rechnen. Nach Auffassung des I. Senats des BFH24 ist die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr ein Merkmal, das nach der Rechtsprechung des BFH zwar bei der Passivierung künftig entstehender Verbindlichkeiten, nicht hingegen bei der Passivierung dem Grunde nach bereits bestehender – lediglich dem Betrag nach – ungewisser Verbindlichkeiten zu gelten hat. Der I. Senat stellt sich auf den Standpunkt, dass sich eine Verpflichtung des Hörgeräteakustikers aus den von der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker mit den Krankenkassen abgeschlossenen Rahmenverträgen, die im Zeitpunkt der Veräußerung eines Hörgeräts konkretisiert wird, ergibt. Folglich entsteht die Verpflichtung (rechtlich) nicht erst mit der Erforderlichkeit der 22 BFH v. 10. 12. 1992 – XI R 34/92, BStBl. II 1994, 158. 23 U. a. BFH v. 27. 6. 2001 – I R 45/97, BFH/NV 2001, 1334. 24 BFH v. 5. 6. 2002 – I R 96/00, BFH/NV 2002, 1638; vgl. dazu auch OFD Magdeburg v. 13. 8. 2003 – S 2137 – 19 – St 211, BB 2003, 2174; BMF v. 7. 2. 1994 – IV B 2 – S 2137-3/94, BStBl. I 1994, 140.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht jeweiligen Nachbesserungsleistung. Diese betrifft lediglich die bilanzsteuerlich nicht relevante Fälligkeit der jeweiligen (Teil)-verpflichtung. Insoweit ist nach Auffassung des I. Senats der Streitfall nicht mit dem durch den XI. Senat entschiedenen Fall vergleichbar. Der XI. Senat geht hingegen davon aus, dass sich die Nachbetreuungsverpflichtung auf Mängel bezieht, die im Zeitpunkt des Verkaufs noch nicht vorhanden waren, sondern sich auf Schäden bezieht, die z. B. durch Verschleiß oder Verschmutzung der Kunden oder Erschöpfung der Batterien bestehen. Bei dieser Sichtweise konkretisiert sich eine wirtschaftliche Verpflichtung tatsächlich erst, wenn die einzelnen Leistungen notwendig werden und tatsächlich auch durchgeführt werden. Da der XI. Senat die Nachbetreuungsleistungen als zukunftsbezogen beurteilt, scheidet eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten aus. 2.2 Ungleiche Nachbetreuungsverpfl ichtungen? Trotz unterschiedlicher Ergebnisse in Bezug auf die Anerkennung einer Rückstellung, verneint der I. Senat eine Abweichung gegenüber der Rechtsprechung des XI. Senats. Eine Begründung in der Ergebnisabweichung sieht der I. Senat darin, dass in dem von ihm zu entscheidenden Fall sich die Nachbetreuungsleistungen nicht nur auf die Hörhilfe als materiellen Gegenstand bezieht, sondern auch die „einschlägige persönliche Betreuung der Patienten in biologisch-pathologischer Hinsicht umfasst“. Demzufolge beinhaltet die Betreuungsverpflichtung wesentliche Elemente einer umfänglichen Dienstleistung, die unabhängig von der unsachgemäßen Behandlung des Geräts oder Verursachung des Benutzers zu erledigen ist.25 Auch eine Konkretisierung „ratierlich“ im Zeitablauf lehnt er ab. Zwar war die Nachbetreuung über einen bestimmten Zeitrahmen zu erbringen, die Laufzeit bestimmte jedoch nicht lediglich den zeitlichen Rahmen für eine wiederkehrende inhaltlich unveränderte Leistungsverpflichtung; vielmehr haftete die Dauerhaftigkeit an der Leistungspflicht selbst. Folglich ergibt sich die Nachbetreuungsverpflichtung aus dem jeweiligen Veräußerungsgeschäft. Der Umfang einer tatsächlichen Unterscheidung der Nachbetreuungsverpflichtung kann nicht deutlich bestimmt werden. In dem vom XI. Senat vorgelegten Fall heißt es, dass der Hörgeräteakustiker für die Nachbetreuung der von ihm betreuten Patienten verantwortlich ist, wobei auch Beispiele wie das Erneuern von Schläuchen, Reinigen der Otoplastiken usw. genannt werden. In dem durch den I. Senat zu entscheidenden Sachverhalt hingegen werden Leistungen in sechs Unterpunkten umfassend und detail25 Vgl. Scheffler, StuB 2003, 19.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht liert beschrieben. Eine gravierende Unterscheidung, wonach der I. Senat zu einem anderen Ergebnis (Passivierungspflicht) kommt als der XI. Senat (Passivierungsverbot), ist jedoch nicht zu erkennen. Die unterschiedliche Bewertung der Sachverhalte müsste auf anderen Gründen beruhen. Während der I. Senat die Belastungsentstehung aus Nachbetreuungsverpflichtung mit dem Verkauf des Geräts betrachtet (werden keine Geräte veräußert entsteht auch keine Belastung) und damit mit in der Vergangenheit erzielten Verkaufserlösen sieht, betrachtet der XI. Senat die Verpflichtung zur Nachbetreuung als Gegenleistung für die Gewährung der Lieferberechtigung und der Einbeziehung des Akustikers in das Abrechnungssystem der Krankenkassen und damit zukunftsbezogen. Folglich beruhen beide Urteile auf einer unterschiedlichen Bewertung der Rechtsgrundlage für die Nachbetreuungsverpflichtung.26 M. E. ist die Entscheidung des I. Senat zutreffend, wonach die Nachbetreuungsverpflichtung entgegen der Auffassung des Finanzamts nicht erst mit der Erforderlichkeit der jeweiligen Nachbetreuungsleistung entstanden ist, sondern bereits bei Abschluss des Kaufvertrags. Die gewählte Lösung des I. Senats erscheint vor allem insofern vorzugswürdig, als die geschuldeten Nachbetreuungsleistungen mit dem Kaufpreis der veräußerten Geräte abgegolten sind und somit zu einer Gegenleistung für einen bereits realisierten Ertrag gehören. Es kann davon ausgegangen werden, dass solche Leistungen anfallen; nur deren Umfang (Höhe) ist ungewiss. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass bei einer Veräußerung des Betriebs der Erwerber keinen zusätzlichen Ertrag daraus erwarten wird; vielmehr besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein drohender Aufwand im Zweifel preismindernd auswirken wird.27 Außerdem steht das Urteil mit der Entscheidung des I. Senats in Einklang, wonach bei rechtlich bereits entstandenen Verpflichtungen die Frage der wirtschaftlichen Verursachung nicht relevant ist.28 Allerdings ist im vorliegenden Fall sowohl das Merkmal der rechtlichen Entstehung als auch das der wirtschaftlichen Verursachung erfüllt, wenn man unter wirtschaftlicher Verursachung die Zugehörigkeit („Alimentierung“) zu bereits realisierten Erträgen (verkaufte Hörgeräte) versteht. Der XI. Senat des BFH ist mit einer jüngeren Entscheidung 29 zur nachlaufenden Betreuungspflicht eines Lebensversicherungsvertreters von seiner früheren Entscheidung deutlich abgerückt und hat den Vergangenheitsbezug (Abschluss von Lebensversicherungsverträgen und Vereinnahmung der Prämie) im Vordergrund gesehen. 26 27 28 29
Vgl. Scheffler, StuB 2003, 19 f. Ähnlich BFH v. 29. 11. 2000 – I R 87/99, DStZ 2001, 284. BFH v. 27. 6. 2001 – I R 45/97, BStBl. II 2003, 121. BFH v. 28. 7. 2004 – XI R 63/03, BFH/NV 2005, 109.
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VI. Forderungsverzicht gegen Besserungsschein 1. Fall Die A-AG hat gegenüber ihrer Tochtergesellschaft, der B-GmbH, am 31. 12. 1995 eine Forderung aus dem Verkauf einer Maschine in Höhe von 1.000.000 Euro (DM 1.955.883). Die B-GmbH gerät im Laufe des Jahres 1996 in wirtschaftliche Schwierigkeiten. In der Absicht, eine bilanzielle Überschuldung der B-GmbH zu vermeiden, erklärt die A-AG im November 1996 gegenüber der B-GmbH den Verzicht auf die Darlehensforderung. Der Verzicht steht unter dem Vorbehalt, dass die Darlehensforderung dann wieder auflebt, wenn die B-GmbH in zwei nacheinander liegenden Jahren einen Jahresüberschuss erwirtschaftet (sog. Besserungsschein). Die B-GmbH verbucht den Forderungsverzicht handelsbilanziell als außerordentlichen Ertrag; steuerlich behandelt sie den Verzicht auf die unbestritten nicht werthaltige Forderung als verdeckte Einlage, die sie mit dem Nennwert der Forderung ansetzt. Dadurch egalisiert sie den handelsbilanziellen Ertrag. Das Finanzamt setzt die Körperschaftsteuer 1996 in Kenntnis der fehlenden Werthaltigkeit der Forderung entsprechend der Körperschaftsteuererklärung der B-GmbH fest. Die Veranlagung wird daraufhin bestandskräftig. Zum 31. 12. 2003 weist die B-GmbH zum zweiten Mal in Folge einen handelsbilanziellen Jahresüberschuss aus. Sie bucht daraufhin die Darlehensverbindlichkeit handelsbilanziell aufwandswirksam ein und berücksichtigt diesen Aufwand auch steuerlich. Die Finanzverwaltung will im Hinblick auf die Behandlung als Einlage im Jahr 1996 den Aufwand nicht anerkennen und geht von der Rückzahlung einer Einlage aus. 2. Lösungshinweis Der Verzicht des Gesellschafters auf eine wertgeminderte Schuld führt bei einer Kapitalgesellschaft nach dem Beschluss des Großen Senats vom 9. 6. 199730 in Höhe des Teilwerts der Forderung zu einer Einlage. Dies gilt auch, wenn der Forderungsverzicht unter Vorbehalt erfolgt.31 Ist die Forderung nicht werthaltig und die Einlage deshalb mit Null zu bewerten, liegt auch steuerlich (entsprechend der handelsbilanziellen Behandlung) ein Ertrag vor. Bei korrekter Erfassung des im Jahr 1996 erklärten Forderungsverzichts wäre auch steuerlich der Forderungsverzicht als ertragswirksam zu behandeln gewesen.
30 Beschluss des Großen Senats v. 9. 6. 1997 – GrS-1/94, BStBl. II 1998, 307. 31 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 EStG Rz. 550, Stichwort „Gesellschafterfi nanzierung“ m. w. N.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Bei Eintritt des Besserungsfalls ist die Verbindlichkeit bei der B-GmbH wieder einzubuchen. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 30. 5. 199032 stellt das Wiedereinbuchen der Forderung keine verdeckte Gewinnausschüttung, sondern vielmehr eine Einlagenrückgewähr dar, sofern nicht der Verzicht schon betrieblich veranlasst war. Für den Zeitpunkt der Bewertung der rückgewährten Einlage sind zwei Ansätze denkbar. Zum einen könnte die rückgewährte Einlage mit dem Wert anzusetzen sein, der ihr im Zeitpunkt der ursprünglichen Gewährung (also im Zeitpunkt des Forderungsverzichts) materiell beizulegen war. Zum anderen könnte die Einlagenrückgewähr mit dem Wert anzusetzen sein, der ihr im Zeitpunkt der Rückgewähr beizulegen ist. Der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 30. 5. 199033 und die Finanzverwaltung in ihrem BMF-Schreiben vom 2. 12. 200334 entscheiden sich für die erste Alternative. Abzustellen ist hinsichtlich der Bewertung der rückgewährten Einlage auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Gewährung, also im vorliegenden Fall auf den Zeitpunkt des Forderungsverzichts. Der Bundesfinanzhof leitet dies in seinem Urteil vom 30. 5. 199035 aus dem Wesen des Forderungsverzichts mit Besserungsschein ab, der eine Einlage unter einer auflösenden Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 2 BGB darstellt. Der Forderungsverzicht ist auf Grund des von Anfang an vereinbarten Vorbehaltes im Zeitpunkt des Bedingungseintritts so zu behandeln, als sei er nie erklärt worden. Die Gesellschaft erfüllt nach Eintritt des Besserungsfalls nur die ursprünglich eingegangene Verbindlichkeit. Die Auffassung des Bundesfinanzhofs ist konsequent, da nur dasjenige als Einlage zurückgewährt werden kann, was vorher auch als Einlage gewährt wurde. Aus diesem Grund ist für die Bewertung der rückgewährten Einlage auf den Zeitpunkt der Gewährung, also den Zeitpunkt des Forderungsverzichts abzustellen. Damit ist jedoch noch nicht die Frage beantwortet, ob die rückgewährte Einlage mit dem Wert anzusetzen ist, der ihr im Zeitpunkt der ursprünglichen Gewährung (also im Zeitpunkt des Forderungsverzichts) materiell beizulegen war, oder vielmehr mit dem Wert, der ihr in der Steuerveranlagung tatsächlich beigelegt wurde. Das BMF führt in Tz. 2a des Schreibens vom 2. 12. 200336 aus, dass eine Einlagenrückgewähr vorliegt, „soweit die ursprüngliche Ausbuchung nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats vom 9. 6. 199737 als (verdeckte) Einlage zu bewerten war“. 32 33 34 35 36 37
BFH v. 30. 5. 1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588. BFH v. 30. 5. 1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588. BMF v. 2. 12. 2003 – IV A 2 – S-2743 – 5/03, BStBl. I 2003, 648. BFH v. 30. 5. 1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588. BMF v. 2. 12. 2003 – IV A 2 – S-2743 – 5/03, BStBl. I 2003, 648. Beschluss des Großen Senats v. 9. 6. 1997 – GrS-1/94, BStBl. II 1998, 307.
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Günkel, Ausgewählte Probleme zum Bilanzsteuerrecht Diese Formulierung spricht für ein „materielles Korrespondenzprinzip“ – also für die Rückgängigmachung der Einlage in Höhe des materiell zutreffenden Werts und nicht des tatsächlich erklärten Werts der ursprünglichen Einlage -, wobei unklar ist, ob das BMF eine solche Aussage tatsächlich treffen wollte. Eine solche Auslegung entspricht jedoch auch den Vorgaben des Bundesfinanzhofs vom 30. 5. 199038, wonach der Forderungsverzicht – mit Wirkung ex nunc – steuerlich so zu behandeln ist, als wäre er nie erklärt worden. Dies erfordert die Rückgängigmachung der steuerlich korrekt bewerteten Einlage. Würde man dagegen auf ein „formelles Korrespondenzprinzip“ abstellen, so würde der Finanzverwaltung faktisch eine Korrekturmöglichkeit der früheren Veranlagung zur Hand gegeben, obwohl nach den Berichtigungsnormen der Abgabenordnung – insb. nach § 173 AO – keine Korrekturmöglichkeit besteht. § 174 AO ist nicht einschlägig. Die Vorschrift setzt voraus, dass ein Sachverhalt in unvereinbarer Weise Eingang in Steuerbescheiden gefunden hat. Hier geht es aber um zwei Sachverhalte, den Forderungsverzicht und die Geltendmachung des Besserungsscheins 7 Jahre später. Aus diesen Gründen war das steuerliche Ergebnis der B-GmbH im Jahr des Eintritts des Besserungsfalls nicht um den Nennwert der Darlehensforderung zu erhöhen.
38 BFH v. 30. 5. 1990 – I R 41/87, BStBl. II 1991, 588.
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Folgewirkungen des § 8a KStG in der mittelständischen GmbH Dr. Norbert Neu Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn Inhaltsübersicht I. Wirkungsweise des § 8a KStG bei mittelständischen Unternehmen 1. Eigen- und Fremdfi nanzierung im Konzern 2. Eigen- und Fremdfi nanzierung im Mittelstand 3. Vergleich Konzern versus Mittelstand II. Rückgriffsfälle – das BMFSchreiben vom 22. 7. 2005 1. Die gesetzliche Regelung zum Rückgriff in § 8a KStG 2. Die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 15. 7. 2004 3. Die Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 22. 7. 2005 3.1 Kapitalforderung 3.1.1 Abgrenzung 3.1.2 Nicht nur kurzfristige Kapitalüberlassung 3.1.3 Gläubiger und Schuldner der Kapitalforderung 3.2 Verfügungsbeschränkung zugunsten des rückgriffsberechtigten Dritten
3.2.1 Einzelvertragliche Einräumung eines Pfandrechts an Kapitalforderung 3.2.2 AGB-Pfandrecht 3.2.3 Abgrenzung: Dingliche Sicherheiten 3.2.4 Doppelbanken-Fall 3.2.5 Verfügungsbeschränkungen 3.2.6 Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung 3.2.7 Konzernfi nanzierung 3.3 Zusammenhang zwischen Sicherheitenstellung und Darlehensgewährung 3.4 Abschließende Aufzählung? 3.5 Negativbeweis 4. Steuerfolgen in Rückgriffsfällen 4.1 Grundsätze 4.2 Ermittlung 4.3 Problembereiche III. § 8a KStG in der mittelständischen GmbH & Co. KG, insbesondere in Rückgriffsfällen IV. Fazit
I. Wirkungsweise des § 8a KStG bei mittelständischen Unternehmen Das Ziel des zum 1. 1. 1994 eingeführten § 8a KStG bestand darin, die steuerliche Abzugsfähigkeit von Vergütungen für Fremdkapital zu begrenzen, die eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft an ihre Anteil273
Neu, Folgewirkungen des § 8a KStG seigner zahlte, wenn diese Vergütungen nicht im Rahmen einer inländischen Steuerveranlagung erfasst wurden. Nachdem der EuGH die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit dieser Regelung festgestellt hatte1, hat der Gesetzgeber die Vorschrift angepasst und insbesondere auf Inlandsvorgänge ausgedehnt2 . Dies kann für mittelständische Unternehmen erhebliche Zusatzbelastungen auslösen, während Kapitalgesellschaftskonzerne im Regelfall sogar eine Entlastung erfahren. Dies zeigen die nachfolgenden Berechnungen, die danach differenzieren, ob der Gesellschafter eine natürliche Person bzw. eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter oder seinerseits wiederum eine Kapitalgesellschaft ist. Die erste Variante wird als Prototyp für ein mittelständisches Unternehmen verwendet, während die zweite als Konzernfall bezeichnet wird3.
1. Eigen- und Fremdfinanzierung im Konzern Es wird angenommen, dass die inländische M-AG der inländischen Tochter-AG ein Darlehen gewährt hat und dass hierauf Zinsen in Höhe von 100 T gezahlt werden, die unter § 8a KStG fallen4.
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