Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2019/2020 9783504386948


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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2019/2020
 9783504386948

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Steuerberater-Jahrbuch 2019/2020

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Steuerberater-Jahrbuch 2019/2020 zugleich Bericht über den 71. Fachkongress der Steuerberater Köln, 29. und 30. Oktober 2019

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2019/2020, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62666-2 ©2020 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Der 71. Fachkongress der Steuerberater, den das Fachinstitut am 29. und 30. Oktober 2019 im Gürzenich zu Köln veranstaltete, wurde durch einen Einführungsvortrag mit dem Thema „Von Sonderregeln für die digitale Wirtschaft auf dem Weg zu einer neuen Welt-Steuerordnung?“ eröffnet. Anschließend widmete sich der Kongress – wie in den letzten Jahren – am Vormittag des ersten Tages unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Der nachfolgende Beitrag über „Aktuelle steuerpolitische Vorhaben“ vermittelte einen Überblick über bereits umgesetzte und geplante Schwerpunkte in der Steuergesetzgebung der 19. Legislaturperiode. Im Rahmen des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 2 wurden zunächst „Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG“ erörtert. Weitere Themen des Nachmittags waren die „Unechte Realteilung“, „Aktuelle Entwicklungen bei Nießbrauchsvereinbarungen“, „Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen“ sowie „Ausgewählte Aspekte zur Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft- und Schenkungsteuer“. Im Mittelpunkt des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 standen dieses Jahr „Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungsteuerrecht“, und zwar einerseits die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und andererseits Einbringungstatbestände. Ein weiteres Referat behandelte „Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht“. Das Leitthema Bilanzsteuerrecht wurde mit einem Vortrag zu „Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht“ eröffnet. Der nachfolgende Beitrag setzte sich mit „Praxisfragen des § 5 Abs. 2 EStG“ auseinander. Der bilanzrechtliche Vormittag endete mit einem Überblick über „Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts“. Wie in den letzten Jahren begann das Leitthema Internationales Steuerrecht mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“. Gegenstand der nachfolgenden Vorträge waren „Aktuelle Entwicklungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung“ und „Aktuelle Entwicklungen bei Verrechnungspreisen“.

V

Vorwort

Am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über „Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht“. Der zweite Vortrag betrachtete die „Neuregelung der Konsignationslager und zusätzliche Voraussetzungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen“. Weitere Themen waren „Umsatzsteuerbefreiung der Bildungsleistungen“ und „Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte“. Im Rahmen des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken wurde die geplante „Verschärfung des Grunderwerbsteuerrechts bei ShareDeals“ vorgestellt. Gegenstand der weiteren Referate waren „Aktuelle Entwicklungen bei Verständigungsverfahren, Schiedsverfahren, Streitbeilegung“ sowie „Praxisprobleme im Zusammenhang mit § 50a EStG“. Köln, im Juli 2020 Thomas Rödder

VI

Rainer Hüttemann

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

1. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 1 Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

I. Neues zur Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4

II. Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte . . . . . . . . . . . . . .

14

III. Erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Beteiligung an Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

IV. Abzugsverbot für GewSt. bei Anteilsveräußerung . . . . . . . . . . . .

23

Dr. Markus Märtens Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

II. Organschaft – Übertragungsgewinn bei Aufwärtsverschmelzung auf eine Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

III. § 8b KStG – Berücksichtigung der Ergebnisse von Währungskurssicherungsgeschäften bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus Anteilsverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

IV. § 27 KStG – Einlagenrückgewähr durch Drittstaatengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

VII

Inhalt

Dr. Steffen Neumann Ministerialdirigent, Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf Aktuelle steuerpolitische Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

I. Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

II. Gesetzgebung des Jahres 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

III. Gesetzesvorhaben in 2020 und weitere Gesetzesvorschläge . . .

77

IV. Europäische/internationale Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

V. Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

2. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 2 Andreas Görgen Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion NRW, Köln Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG . . . . . . . . . . .

99

I. Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

II. Aktuelle Entwicklungen bei § 34a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Thorsten Kontny Ministerialrat, Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn Unechte Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 III. Diskussion ausgewählter Problemfälle und Gestaltungsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

VIII

Inhalt

Prof. Dr. Frank Hannes Rechtsanwalt/Steuerberater/Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen . . . . . . . . . . . . 165 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Nießbrauch an Unternehmen und Mitunternehmeranteilen . . 169 III. Praxisrelevante Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Diplom-Finanzwirt Wilfried Mannek Regierungsdirektor, Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf Ausgewählte Aspekte zur Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Vorbehaltsnießbrauch bei Übertragung von Betriebsvermögen . 188 II. Bewertung des Zuwendungs- und Vorbehaltsnießbrauchs . . . . . 189 III. Jahreswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 IV. Schuldenkürzung nach § 10 Abs. 6 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 V. Steuerwert des Nießbrauchs in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 217 VI. Nutzungsrechte beim Grundbesitzwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

3. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 3 Ralf Neumann Leitender Regierungsdirektor, Aachen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht – Umwandlungen von Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Teilbetriebsbegriff und Teilbetriebsfiktion (Schumacher) . . . . . . 227 II. Sonderfragen des Downstream Merger (Neumann) . . . . . . . . . . . 230 III. Anteilsveräußerung nach Spaltung (Schumacher) . . . . . . . . . . . . 240 IV. Disquotale Abspaltung als Entnahme? (Neumann) . . . . . . . . . . . 243 V. Einlagefiktion bei Umwandlung in eine Personengesellschaft (Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IX

Inhalt

Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht – Einbringungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 II. Folgen des Brexit für die Einbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 III. Anträge bei Einbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 IV. Einbringungsgewinn durch Aufwärtsverschmelzung . . . . . . . . 262 V. Negatives Betriebsvermögen bei Einbringung . . . . . . . . . . . . . . . 266 VI. Einbringung in Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 VII. Gewerbesteuer-Verlustvorträge bei Umwandlung auf Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 VIII. Einige Probleme bei verbindlichen Auskünften im Rahmen von Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IX. Änderungsvorhaben in der Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . 282 Alexandra Pung Regierungsdirektorin, Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Die neue gesetzliche Regelung zu Ausgleichszahlungen (§ 14 Abs. 2 KStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Probleme bei der Formulierung von Verlustübernahmeverpflichtungen gem. § 17 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 IV. Zuordnung der Organbeteiligung zur Betriebsstätte eines ausländischen Organträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V. Vorrang des § 12 Abs. 2 UmwStG vor der Bruttomethode des § 15 KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 VI. Hinweise auf weitere organschaftsrelevante Entscheidungen der Finanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

X

Inhalt

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 323 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 II. Aktivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 III. Passivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 IV. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Evelyn Hörhammer Regierungsdirektorin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Prof. Dr. Heribert Anzinger Universität Ulm Praxisfragen des § 5 Abs. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 I. Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG und Verhältnis zu anderen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 II. Aktuelles zum Begriff des Wirtschaftsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 III. Herstellung, Anschaffung und Zurechnung von Software . . . . . 374 IV. Kryptowährungen und Token . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 I. Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 II. Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zum notwendigen Betriebsvermögen (Fall 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 III. Bilanzierung vereinnahmter/verausgabter Pfandgelder in der Getränkeindustrie (Fall 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 IV. Rechnungsabgrenzungsposten und Wesentlichkeit (Fall 3) . . . . 406 V. Bewertung von Warenvorräten (Fall 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 VI. Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen (Fall 5) . . 414 VII. Zum Schluss: Bilanzsteuerrecht und Rechtsanwendung . . . . . . 418 XI

Inhalt

5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I. DBA-Auslegung – Qualifikationsverkettung – new approach . . 423 II. Einlagenrückgewähr bei Drittstaatengesellschaften . . . . . . . . . . 438 III. Ausfall grenzüberschreitender Konzerndarlehen – Neuorientierung der BFH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Dr. Wendelin Staats, LL.M. Ministerialrat, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Achim Dannecker Rechtsanwalt/Steuerberater, Stuttgart Aktuelle Entwicklungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung: Status des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 II. Kurzer Abriss denkbarer Neuregelungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Prof. Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn Thomas Rupp Regierungsdirektor, Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen . . . . . . . . . . . 487 I. Entwicklungen in der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 II. Praktische Konsequenzen der neuen Umlage-VWG . . . . . . . . . . . 497 III. Aktuelle Betriebsprüfungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

XII

Inhalt

6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Prof. Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zur Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 II. Rechtsprechung zum Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 III. Fragen nach Einheitlichkeit und Teilbarkeit von Leistungen . . 530 IV. Gegenleistung – Entgelterhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 V. Vorsteuerabzug – Rechnungserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 VI. Steuerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 VII. Varia: Pauschalierung (BFH v. 27.3.2019 – V R 10/19 [V R 60/16]) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Robert C. Prätzler Steuerberater, Frankfurt Wolfgang Tausch Regierungsdirektor, Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf Neuregelung der Konsignationslager und zusätzliche Voraussetzungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zum 1. Januar 2020 . . 553 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 II. Konsignationslager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 III. Neue Vorschriften für innergemeinschaftliche Lieferungen . . . 588 IV. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 Dipl.-Finw. Ferdinand Huschens Oberamtsrat, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Umsatzsteuerbefreiung der Bildungsleistungen – geplante Reform des § 4 Nr. 21 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 II. Geplante Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

XIII

Inhalt

III. Scheitern der Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 IV. EuGH-Rechtsprechung zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 V. Zweiter Anlauf einer Reform mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . 648 VI. Auswirkungen der Reform, Anwendungsbereich der Steuerbefreiung, Folgen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 665 Jan Körner Director VAT, Ludwigshafen Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 1. Ausgangslage vor dem 1.1.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 2. Neuregelungen ab dem 1.1.2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 3. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Gerda Hofmann Ministerialrätin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Thomas Wagner Steuerberater, Düsseldorf Änderungen bei der Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 I. Einleitung/Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . 691 II. Übersicht über die in diesem Beitrag behandelten Themen . . . . 692 III. Geplante Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG . . . . . . . . . . . . . . . . 694 IV. Zeitliche Anwendungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703

XIV

Inhalt

Karsten Flüchter Regierungsdirektor, Bundeszentralamt für Steuern, Bonn Prof. Dr. Michael Hendricks Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Aktuelle Entwicklungen bei Verständigungsverfahren, Schiedsverfahren und Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 II. Grundlagen zwischenstaatlicher Verständigungs- und Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 III. Impulse durch das Multilaterale Instrument der OECD/G20 . . 734 IV. Impulse durch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . 738 V. Herausforderung in der Praxis: Wahl der richtigen Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 VI. Nationale Rechtsbehelfsverfahren vs. zwischenstaatliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 VII. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 Dr. Carsten Schlotter Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Diplom-Finanzwirtin (FH) Sandra Koch Amtsrätin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Praxisprobleme im Zusammenhang mit § 50a EStG . . . . . . . . . . . . . . 751 I. Einleitung (Schlotter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 II. Total Buy-Out-Sachverhalte bei Urheberrechten . . . . . . . . . . . . . 759 III. Folgefragen (Schlotter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772 IV. Gewerbliche Schutzrechte, Entwicklungsleistungen und Know-how . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777 V. Blogger, Youtuber und Influencer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München I. Neues zur Realteilung 1. Ausscheiden gegen Abfindung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils 2. BFH-Urteil vom 2.10.2018 – IV R 24/15 (BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498) 3. Spitzenausgleich bei unechter Realteilung 4. Abfindung in das Privatvermögen 5. BFH-Urteil vom 15.1.2019 – VIII R 24/15 (BFHE 264, 122 = FR 2019, 768) 6. Übertragung des Realteilungsguts auf andere Gesamthand 7. Sperrfristverletzung nach der Realteilung 8. Vollständige Aufgabe der freiberuflichen Tätigkeit? II. Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte 1. Geringfügigkeitsgrenze bei § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG 2. BFH-Urteil vom 6.6.2019 – IV R 30/16 (BFHE 265, 157 = FR 2019, 866) 3. Bedeutung der Entscheidung

4. Änderung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG durch das „JStG 2019“ III. Erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Beteiligung an Personengesellschaften 1. Bedeutung der erweiterten Kürzung 2. Halten einer Beteiligung an einer Personengesellschaft als schädliche Tätigkeit 3. Beschluss des Großen Senats vom 25.9.2018 – GrS 2/16 (BStBl. II 2019, 262 = FR 2019, 437) 4. BFH-Urteil vom 27.6.2019 – IV R 44/16 (BStBl. II 2020, 24 = FR 2019, 1061) IV. Abzugsverbot für GewSt. bei Anteilsveräußerung 1. Veräußerung des Mitunternehmeranteils und GewSt. 2. BFH-Urteil vom 7.3.2019 – IV R 18/17 (BStBl. II 2019, 696 = FR 2019, 614) 3. Reichweite des Abzugsverbots und Bedeutung einer Erstattungsverpflichtung

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I. Neues zur Realteilung 1. Ausscheiden gegen Abfindung als Aufgabe des Mitunternehmeranteils Scheidet ein Gesellschafter aus der Personengesellschaft aus, steht ihm ein Anspruch auf Abfindung zu (§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB), der sich gegen die Gesellschaft selbst richtet.1 Bei Inanspruchnahme der Abfindung wurde der Vorgang früher von der Rspr. und ihr folgend von der FinVerw. und weiten Teilen des Schrifttums als Anteilsveräußerung an die verbleibenden Gesellschafter verstanden.2 Erstmals mit dem Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/133 hat der BFH in dieser Frage eine dogmatische Neuausrichtung vorgenommen und das Ausscheiden gegen Abfindung aus einer fortbestehenden Personengesellschaft als Aufgabe des Mitunternehmeranteils beurteilt. Das neue dogmatische Konzept ermöglicht es, auf das Ausscheiden gegen Abfindung die Regelungen über die Realteilung in § 16 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG anzuwenden (sog. unechte Realteilung). Diese gelten nach Meinung des BFH für alle Tatbestände der Aufgabe in § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG. Folge davon ist, dass als zur Buchwertfortführung geeignete Abfindungen alle in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG genannten Gegenleistungen zählen, also nicht nur Abfindungen mit Teilbetrieben oder Mitunternehmeranteilen, wie die FinVerw. zunächst angenommen hatte,4 sondern auch einzelne Wirtschaftsgüter. Nachdem der BFH dies mit einem Urteil vom 30.3.2017 ausdrücklich klargestellt hat,5 ist dem auch die FinVerw. mit der jüngsten Fassung des Realteilungserlasses vom 19.12.2018 gefolgt.6 Mit dem grundlegend neu gefassten Realteilungserlass wertet die FinVerw. sämtliche vom BFH seit der Entscheidung vom 17.9.2015 ergangenen Entscheidungen aus und übernimmt die dort aufgestellten Rechtsgrundsätze fast vollständig. 1 ZB BGH v. 12.7.2016 – II ZR 74/14, NJW 2016, 3597 = MDR 2016, 1098. 2 ZB BFH v. 14.10.1994 – I R 12/94, BStBl. II 1995, 407; v. 12.12.1996 – IV R 77/93, BStBl. II 1998, 180 = FR 1998, 155. 3 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567; s. hierzu Wendt, StbJb. 2016/2017, 3 (20 ff.). 4 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004 – DOK 2016/1109299, BStBl. I 2017, 36 = FR 2017, 304. 5 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29; s. hierzu Wendt, StbJb. 2017/2018, 27 (29 ff.). 6 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. II 2019, 6 = FR 2019, 93.

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2. BFH-Urteil vom 2.10.2018 – IV R 24/15 (BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498) Ein bereits vor Veröffentlichung des Realteilungserlasses am 19.12.2018 ergangenes Urteil des BFH vom 2.10.20187 konnte allerdings noch nicht berücksichtigt werden; es war bis dahin noch nicht zugestellt und der FinVerw. deshalb nicht bekannt. Das Urteil enthält Aussagen zu zwei bislang noch nicht geklärten Fragen im Zusammenhang mit echten Realteilungen, nämlich zur Behandlung eines Spitzenausgleichs und zur Bedeutung einer Abfindung in ein nicht zur Buchwertfortführung geeignetes Vermögen des Ausscheidenden, insbes. dessen Privatvermögen. Das Urteil ist vom BFH nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen worden. Grund dafür waren Unklarheiten in Bezug auf den Sachverhalt, die nur deshalb nicht zur Zurückverweisung an das FG zur weiteren Aufklärung führten, weil alle denkbaren Sachverhaltsgestaltungen nach Meinung des BFH zu denselben Rechtsfolgen führen würden. Das Urteil betraf das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Personen-Besitzgesellschaft, das sich in mehreren und für das Jahr 1998 vorgesehenen Schritten vollziehen sollte. Über die Abwicklung kam es zum Streit zwischen den Gesellschaftern, der schließlich durch einen gerichtlichen Vergleich im Jahr 2002 beendet wurde. Der Sachverhalt des Verfahrens ist sehr unübersichtlich und war bis zur Entscheidung des BFH nicht in jeder Hinsicht aufgeklärt. Stark vereinfacht waren die Brüder A, B und C an der Besitzgesellschaft beteiligt, die ursprünglich eine aufgrund einer Betriebsaufspaltung gewerbliche Einkünfte erzielende GbR war, im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung aber zu einer GmbH & Co. KG umgeformt wurde (die jetzige Klägerin). In die GbR brachten die Brüder die von ihnen vollständig gehaltenen Anteile an mehreren GmbH der Unternehmensgruppe ein, insbes. der K-GmbH. Alle Beteiligten gingen davon aus, dass A noch Gewinnbezugsrechte aus der K-GmbH zustanden, die mangels Gewinnverwendungsbeschlusses aber noch nicht ausgeschüttet werden konnten. Aus der GbR sollte anschließend C ausscheiden und zur Abfindung ua. die Anteile an der K-GmbH erhalten. Dabei sollten A Gewinnbezugsansprüche iHv. netto 750.000 DM (383.469 t) erhalten bleiben. Dies wurde nach dem Verständnis des BFH so gehandhabt, dass die GbR einen Anspruch auf Dividendenausschüttung erhalten und den daraus 7 BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498.

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resultierenden Gewinn dem A zuweisen sollte. Damit A sofort über den Betrag verfügen konnte, erhielt er ihn von der K-GmbH ausgezahlt, allerdings nur als Darlehen, das allein durch Verrechnung mit dem später tatsächlich entstehenden Dividendenausschüttungsanspruch zu verrechnen war. C verpflichtete sich, einen Gewinnverwendungsbeschluss herbeizuführen, und trat seinen künftigen Dividendenanspruch in der betreffenden Höhe vorsorglich an A ab. Das Ausscheiden von C sollte in der Weise stattfinden, dass C seinen Anteil an der GbR (jetzt KG) zunächst in eine von ihm neu gegründete Ein-Personen-GmbH & Co. KG (N-KG) einbringt und dann die N-KG gegen Abfindung mit den GmbH-Anteilen ausscheidet. Wie sich das Ausscheiden tatsächlich vollzog, blieb im Rechtsstreit ungeklärt. Ob die N-KG im Zeitpunkt des Ausscheidens bereits gegründet war und ob sie bejahendenfalls schon Gesellschafterin der GbR war, konnte nicht geklärt werden. Das FA hatte die Vorgänge zunächst in einem Gewinnfeststellungsbescheid für die GbR betreffend 1998 erfasst. Ein dagegen geführtes Klageverfahren war erfolgreich. Anschließend änderte das FA den Gewinnfeststellungsbescheid der KG für 2002 und erfasste dort einen nicht tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn, der sich aus einem dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Veräußerungserlös iHv. 383.469 t abzüglich des Buchwerts der Anteile an der K-GmbH ergab und A zugerechnet wurde. Das nun erneut von der KG und A angerufene FG wies die Klage ab.8 A habe einen Gewinn iSv. § 17 EStG erzielt, der zu Recht im Gewinnfeststellungsbescheid erfasst worden sei. Die Revision der KG hatte keinen Erfolg. In der Sache war der BFH der Meinung, die GbR als Rechtsvorgängerin der KG habe einen Veräußerungs- oder Aufgabegewinn iSd. § 16 EStG erzielt. Dies stehe trotz des unklaren Sachverhalts fest. Seien die GmbH-Anteile in ein Betriebsvermögen von C oder der N-KG übertragen worden, liege eine unechte Realteilung mit Spitzenausgleich vor, die mindestens zu dem festgestellten Gewinn iSd. § 16 EStG geführt habe. Denn dann seien die Anteile zwar zum Buchwert übergegangen, aber die GbR hätte im Gegenzug den Anspruch auf spätere Gewinnausschüttung aktivieren müssen. Die übergegangenen Anteile seien mit dem Buchwert zu bewerten, wenn sie auf C als ausscheidenden Gesellschafter übertragen worden wären und er die Anteile in einem Betriebs8 FG München v. 5.2.2015 – 15 K 582/12, nv.

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vermögen gehalten hätte. Der Buchwert wäre auch anzusetzen, wenn C seinen Anteil an der GbR vor dem Ausscheiden in die N-KG eingebracht hätte, weil er an dieser vermögensmäßig allein beteiligt gewesen sei. Dasselbe würde aber auch dann gelten, wenn C gegen Abfindung durch Übertragung der GmbH-Anteile auf die noch nicht an der GbR beteiligte N-KG ausgeschieden wäre. Der Anspruch auf spätere Gewinnausschüttung hätte von der GbR aktiviert werden müssen. Dies sei als Spitzenausgleich zu werten, weil ein Abfindungsanspruch nur in Höhe des Werts der GmbHAnteile abzüglich vorbehaltener Gewinne bestanden habe. Der Spitzenausgleich habe seinen Rechtsgrund in § 16 Abs. 3 EStG und sei ohne Abzug von Buchwerten des Abfindungsguts zu erfassen. Habe C die GmbH-Anteile nicht in einem Betriebsvermögen, sondern im Privatvermögen gehalten, sei sein Ausscheiden als gewinnrealisierende Aufgabe des Mitunternehmeranteils zu behandeln. Es könne für das Revisionsverfahren dahinstehen, ob in den übertragenen Anteilen stille Reserven gebunden gewesen seien, die mit der Übertragung aufgedeckt worden sein müssten. Denn zumindest in Höhe des künftigen Gewinnausschüttungsanspruchs habe die GbR dann einen Gewinn in Höhe des festgestellten Betrags erzielt, der als Gewinn aus der Veräußerung einer 100prozentigen GmbH-Beteiligung unter § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG falle.

3. Spitzenausgleich bei unechter Realteilung Wie der Urteilsfall zeigt, kann auch bei einer unechten Realteilung ein Spitzenausgleich erforderlich sein. Das ist dann der Fall, wenn der Abfindungsanspruch des Ausscheidenden durch Übertragung von Gütern des Gesamthandsvermögens erfüllt wird, diese Güter aber einen den Abfindungsanspruch übersteigenden Verkehrswert haben. Der Ausscheidende muss dann den überschießenden Betrag durch eine Gegenleistung ausgleichen. Im Fall des hiesigen Urteils hat der BFH eine solche Situation angenommen, weil der Ausscheidende einen GmbH-Anteil erhielt, in dem wertmäßig Gewinne aus Vorjahren enthalten waren, die nach § 101 Nr. 2 Halbs. 2 BGB noch dem bisherigen Anteilseigner zustanden und nach dem später zu fassenden Gewinnverwendungsbeschluss vom Ausscheidenden an die Gesellschaft zurückzuzahlen waren. Dieser Zahlungsanspruch wurde vom BFH als so sicher beurteilt, dass er von der Gesellschaft bei Ausscheiden des Gesellschafters zu aktivieren war. Er stand damit einer Barzahlungsverpflichtung des Ausscheidenden gleich.

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Das Urteil enthält erstmals eine Entscheidung zum Spitzenausgleich bei unechter Realteilung. Eine solcher Spitzenausgleich führt danach in voller Höhe zu einem Gewinn der Personengesellschaft; Buchwertbestandteile des erhaltenen Abfindungsguts werden nicht gegengerechnet.9 Bemerkenswerterweise soll es sich um einen Aufgabegewinn handeln, obwohl ja nicht die Gesellschaft, sondern der Gesellschafter eine Aufgabehandlung vornimmt, der Gewinn aus dem Spitzenausgleich aber von den verbleibenden Gesellschaftern als Bestandteil des Gesamthandsgewinns zu versteuern ist. Zur Begründung verweist der BFH auf die Rspr. zum Spitzenausgleich bei echter Realteilung, die sich dieser Begründung bedient hat.10 Ob daran festgehalten werden sollte, kann zweifelhaft sein. Eine fiskalische Auswirkung hat diese dogmatische Frage allerdings nicht, denn auch ein Aufgabegewinn ist in diesem Fall nicht tarifbegünstigt, weil ja wegen der Buchwertfortführung gerade nicht alle stillen Reserven aufgedeckt werden.

4. Abfindung in das Privatvermögen Voraussetzung für eine Buchwertfortführung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ist, dass die erhaltenen Wirtschaftsgüter in ein Betriebsvermögen des Realteilers übergehen, im Fall der unechten Realteilung also in ein Betriebsvermögen des Ausscheidenden. Soweit der Ausscheidende Abfindungsgüter in sein Privatvermögen oder in ein nicht qualifiziertes (zB ausländisches) Betriebsvermögen transferiert, liegen die Voraussetzungen für eine Buchwertfortführung nach den Grundsätzen der unechten Realteilung nicht vor. Insoweit müssen dann die allgemeinen Grundsätze der Gewinnrealisierung gelten. Davon war man ganz überwiegend auch vor der Entwicklung der Rspr. zur unechten Realteilung ausgegangen, allerdings unter dem Aspekt, dass der Ausscheidende seinen Mitunternehmeranteil veräußert.11 Nach heutigem Verständnis muss demgegenüber in allen Fällen des Ausscheidens gegen Abfindung aus dem Gesamthandsvermögen von einer Aufgabe des Mitunternehmeranteils ausgegangen werden. Für die Gewinnrealisierung durch Abfindung in ein nicht zur Buchwertfortführung qualifiziertes Vermögen ergeben sich aber aus der 9 Insoweit anders noch der Realteilungserlass, BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. II 2019, 6 = FR 2019, 93 unter Rz. 21. 10 BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607 = GmbHR 1993, 830. 11 ZB BFH v. 14.10.1994 – I R 12/94, BStBl. II 1995, 407; v. 12.12.1996 – IV R 77/93, BStBl. II 1998, 180 = FR 1998, 155.

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dogmatischen Umorientierung keine Änderungen.12 Der BFH beschreibt die Gewinnauswirkungen im hier vorgestellten Urteil13 unter Rz. 64 folgendermaßen: „Scheidet ein Gesellschafter gegen eine Sachwertabfindung aus einer Personengesellschaft aus, bei der die Voraussetzungen der Buchwertfortführung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht erfüllt sind, entsteht hierdurch ein Aufgabegewinn des ausscheidenden Gesellschafters in Höhe der Differenz zwischen dem Abfindungsanspruch und dem Buchwert seines Kapitalkontos. In Höhe dieses Betrags sind auf der Aktivseite der zu diesem Zweck aufzustellenden Abschichtungsbilanz die Buchwerte der Wirtschaftsgüter, die stille Reserven beinhalten, anteilig aufzustocken. Auf der Passivseite ist eine entsprechende Verbindlichkeit gegenüber dem Ausscheidenden auszuweisen. Die Übertragung des Abfindungsguts zur Erfüllung des Abfindungsanspruchs führt zur Aufdeckung der auf die verbleibenden Gesellschafter entfallenden stillen Reserven in diesem Wirtschaftsgut und zur Entstehung eines nach allgemeinen Grundsätzen zu besteuernden Gewinns der Gesamthand.“

Es werden also in einem ersten Schritt die dem Ausscheidenden zustehenden stillen Reserven in allen Wirtschaftsgütern aufgedeckt, im zweiten Schritt folgt die zum Teilwert zu bewertende Entnahme, die dann zur Aufdeckung der den verbliebenen Gesellschaftern noch zustehenden stillen Reserven in dem Abfindungsgut führt. Der Entnahmegewinn ist allen verbleibenden Gesellschaftern nach ihrem gesellschaftsvertraglichen Anteil am Gesamthandsgewinn zuzurechnen. Der im ersten Schritt entstehende Aufgabegewinn ist dem ausscheidenden Gesellschafter allein zuzurechnen. Die vom BFH aufgestellten Grundsätze gelten nicht nur, wenn – wie im entschiedenen Fall – die gesamte Abfindung in ein nicht qualifiziertes Vermögen geleistet wird, sondern auch bei Abfindung mit mehrerer Gütern, die teils in ein qualifiziertes Betriebsvermögen und teils in ein nicht qualifiziertes Vermögen des Ausscheidenden übergehen. Der Gewinn auf der ersten Stufe ist immer allein dem Ausscheidenden zuzurechnen. Dies steht inhaltlich in Übereinstimmung mit der Regelung in § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG für die Aufgabe des Betriebs der Personengesellschaft, wonach „für jeden einzelnen Beteiligten der gemeine Wert der Wirtschaftsgüter anzusetzen [ist], die er bei der Auseinandersetzung erhalten hat“. 12 AA Niehus/Wilke, Ubg. 2019, 194 (200 und 207): Aufgabegewinn des Ausscheidenden in Höhe der Differenz von gemeinem Wert der Abfindungsgüter und (nicht angepasstem) Kapitalkonto; die verbleibenden Gesellschafter erzielen keinen Gewinn. 13 BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498.

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5. BFH-Urteil vom 15.1.2019 – VIII R 24/15 (BFHE 264, 122 = FR 2019, 768) Berichtenswert ist in diesem Zusammenhang ein weiteres zur Realteilung ergangenes Urteil des BFH vom 15.1.2019 – VIII R 24/15,14 obwohl das Urteil nicht die Buchwertfortführung, sondern die Feststellung eines tarifbegünstigten Gewinns aus der Realteilung betrifft. Dies erscheint auf den ersten Blick überraschend, weil mit Realteilung idR die Vermeidung einer Gewinnrealisierung assoziiert wird, zeigt damit aber auf, dass der Begriff der Realteilung zunächst nicht mehr beinhaltet, als die steuerliche Seite der Aufteilung des Gesellschaftsvermögens im Wege einer gesellschaftsrechtlichen Naturalteilung. Im Urteilsfall ging es um die Umstrukturierung einer überörtlichen Anwaltssozietät, die sich in mehrere regionale Sozietäten aufgliedern wollte. Dies geschah im Jahr 2001 in der Weise, dass die Partner der überörtlichen Sozietät an den jeweiligen Standorten örtliche Sozietäten gründeten und die örtlichen Mandate übernahmen. Das FA war nach einer Außenprüfung der Meinung, die Übernahme der Mandate in die Gesamthandsvermögen der örtlichen Sozietäten sei nicht zum Buchwert möglich. In der Folge kam es mit allen Partnern zu einer tatsächlichen Verständigung über den aufzulösenden Praxiswert der alten Sozietät und die Verteilung des Betrags auf die einzelnen Partner. Dementsprechend erhöhte das FA den laufenden Gewinn in der Gewinnfeststellung 2001 der alten Sozietät. Bei den örtlichen Sozietäten wurden in Höhe des anteiligen aufgedeckten Praxiswerts erhöhte Anschaffungskosten in Ergänzungsbilanzen der Partner berücksichtigt. Der Kläger war Partner der Sozietät am Standort X gewesen. Auf die dort gegründete örtliche Sozietät (X-GbR) waren mit Ablauf des 31.3.2001 sämtliche Aktiva und Passiva des Standorts übertragen worden. Mit Wirkung auf den 1.4.2001 0:15 Uhr veräußerte die X-GbR die auf sie übergegangen Fahrzeuge an die jeweiligen Partner. Mit Wirkung von 0:30 Uhr schieden sechs Partner, darunter der Kläger, gegen eine Abfindung aus. Der Kläger wandte sich gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 2001 für die alte überörtliche Sozietät mit dem Antrag, den auf ihn entfallenden 14 BFH v. 15.1.2019 – VIII R 24/15, BFHE 264, 122 = FR 2019, 768, mit Anm. etwa von Burek, StuB 2019, 780; Gröger/Zadowsky, BB 2019, 2152; Haunhorst, DB 2019, 1711; Kanzler, NWB 2019, 2187; Levedag, GmbHR 2019, R235; Marfels, EStB 2019, 303; Nürnberg, NWB 2019, 2184; Riedel, GmbHR 2019, 1028; Wendt, FR 2019, 771; Werth, BFH/PR 2019, 252.

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Teil des Gewinns aus der Aufdeckung des Praxiswerts als tarifbegünstigt zu qualifizieren. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG entschied, der Gewinn sei aus einer „Veräußerung“ an sich selbst entstanden und deshalb nicht tarifbegünstigt.15 Der BFH wies die Revision des Klägers ab. Die tarifbegünstigte Besteuerung eines durch eine echte Realteilung einer Freiberufler-Sozietät ausgelösten Aufgabegewinns gem. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG setze voraus, dass der Realteiler die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen seiner bisherigen freiberuflichen Tätigkeit aufgebe. Hieran fehle es, wenn er – wie hier – unter Mitnahme des ihm im Rahmen der Realteilung zugewiesenen Mandantenstamms in eine andere GbR eintrete und anschließend aus jener in einem zweiten Schritt gegen Abfindung ausscheide. Dass der Realteiler im Ergebnis die freiberufliche Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis zeitnah einstelle, genüge nicht für die Gewährung der Tarifbegünstigung.

6. Übertragung des Realteilungsguts auf andere Gesamthand Eine Buchwertfortführung nach der Realteilung ist nur möglich, wenn das bei der Realteilung erhaltene Wirtschaftsgut vom Empfänger in sein „jeweiliges“ Betriebsvermögen transferiert wird. Dies kann ein Einzeloder Sonderbetriebsvermögen sein, nach Meinung der FinVerw. aber kein Gesamthandsvermögen.16 Der BFH lässt demgegenüber auch ein Gesamthandsvermögen als Übertragungsziel zu, allerdings unter der weiteren Voraussetzung, dass an dem Gesamthandsvermögen nur Realteiler beteiligt sind. „Denn die Verlagerung stiller Reserven in das Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft, an deren Vermögen nur Personen beteiligt sind, die vor der Betriebsaufgabe der Personengesellschaft oder vor dem Ausscheiden eines Gesellschafters gegen Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen an dem Vermögen der Personengesellschaft beteiligt waren, entspricht dem Zweck der Regelung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG“ heißt es im BFH-Urteil vom 2.10.201817 unter Rz. 44. Dies ist keine neue Erkenntnis des BFH, sondern ein Zitat aus Rz. 43 des mit dem Realteilungserlass

15 FG Köln v. 25.6.2013 – 12 K 2008/11, EFG 2015, 1603. 16 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. II 2019, 6 = FR 2019, 93 Rz. 12. 17 BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, BFH/NV 2019, 516 = GmbHR 2019, 498.

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ausgewerteten BFH-Urteils vom 30.3.2017 – IV R 11/1518. Dort war vor der Realteilung eine Ein-Personen-GmbH & Co. KG des Ausscheidenden für eine logische Sekunde zwischengeschaltet worden. Diese Zwischenschaltung hätte nach den Grundsätzen der Gesamtplanbetrachtung zum Ausschluss von der Buchwertfortführung führen müssen, wenn die zwischengeschaltete Gesellschaft nicht auch unmittelbar Ziel der Abfindung hätte sein können. Auf diesen Gedanken hatte sich der BFH auch schon im Urteil vom 16.12.2015 – IV R 8/12 gestützt.19 Die Abfindung in ein Gesamthandsvermögen findet also zwingend zum Buchwert statt, wenn an der Gesamthand ausschließlich Personen beteiligt sind, die zu den Realteilern gehören. Sind Dritte an dem Vermögen der Gesamthand beteiligt, kommt eine Buchwertfortführung grundsätzlich nicht in Betracht. Eine Ausnahme wird allerdings für Personen zu machen sein, denen der ausscheidende Gesellschafter den Mitunternehmeranteil an der aufnehmenden Gesamthand unter Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG übertragen hat.20 Im Fall des Urteils vom 15.1.2019 lagen die Voraussetzungen für eine Buchwertfortführung damit nach heutiger Erkenntnis vor. Die Aufteilung einer Personengesellschaft in mehrere kleinere Personengesellschaften ist ohne Gewinnrealisierung möglich. Aus damaliger Sicht erschien den Realteilern ein Streit über die Frage wohl als zu riskant, weshalb sie sich zu der tatsächlichen Verständigung bereit fanden, der die Annahme einer vollen Aufdeckung der stillen Reserven zugrunde lag.

7. Sperrfristverletzung nach der Realteilung Im Ergebnis wäre aber auch bei aus heutiger Sicht richtiger Behandlung der Realteilung der überörtlichen Sozietät auf deren Ebene ein Gewinn festzustellen gewesen, nämlich insoweit, als der Mandantenstamm auf nach der Realteilung ausgeschiedene Partner entfiel. Dies folgt aus § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG, wonach bei der Entnahme oder Veräußerung von im Rahmen der Realteilung zum Buchwert übertragenen Wirtschaftsgütern, die zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen der Realteilungsgesellschaft gehört haben, innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Abgabe der Ge18 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29; s. hierzu Wendt, StbJb. 2017/2018, 27 (29 ff.). 19 BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510; s. hierzu näher Wendt, StbJb. 2016/2017, 3 (25 ff.). 20 So mE zutreffend bereits Demuth, BeSt. 2016, 15 (18).

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winnfeststellungserklärung für den Veranlagungszeitraum der Realteilung rückwirkend der gemeine Wert anzusetzen ist. Betrachtet man die Übertragung des anteiligen Mandantenstamms in eine von einigen Realteilern gebildete neue Personengesellschaft in Bezug auf jeden Realteiler als Übertragung in „sein jeweiliges Betriebsvermögen“, steht das Ausscheiden aus der neuen Personengesellschaft gegen Barabfindung einer Veräußerung dieses Wirtschaftsguts an die verbleibenden Gesellschafter gleich. Da diese innerhalb der Behaltefrist des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG stattgefunden hat, führt sie in Bezug auf den Teil des Mandantenstamms, der auf den ausgeschiedenen Partner entfällt, zur rückwirkenden Aufdeckung der stillen Reserven auf den Zeitpunkt der Realteilung. Der betreffende Gewinn entsteht auf der Ebene der Gesamthand und ist mE in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG dem ausgeschiedenen Partner zuzurechnen.21

8. Vollständige Aufgabe der freiberuflichen Tätigkeit? Auch auf der Grundlage der heutigen Erkenntnisse war deshalb von einer Gewinnrealisierung auf der Ebene der überörtlichen Gesellschaft auszugehen. Deshalb wäre der Gegenstand des Rechtsstreits heute nicht anders, er beträfe ebenso allein die Tarifbegünstigung des Gewinns. Die Versagung für die Tarifbegünstigung wurde vom BFH damit begründet, dass der Ausscheidende seine freiberufliche Tätigkeit nicht beendet, sondern zunächst in der Regionalgesellschaft fortgesetzt habe. Diese Begründung dürfte auch für einen Gewinn infolge einer Behaltefristverletzung gelten. Denn auch unter diesem Aspekt hat der Kläger nicht bereits mit der Realteilung der Altgesellschaft die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen seiner bisherigen freiberuflichen Tätigkeit aufgegeben, sondern erst bei Ausscheiden aus der Regionalgesellschaft. Das Ergebnis erscheint misslich, denn im Zusammenhang mit dem eine halbe Stunde später stattfindenden Ausscheiden aus der Regionalgesellschaft müsste dem Kläger dann der ermäßigte Tarif zustehen. Wenn beim Ausscheiden aus der Regionalgesellschaft wegen der dann einzubeziehenden positiven Ergänzungsbilanz aber kein Gewinn mehr entsteht, geht die Begünstigung durch den ermäßigten Tarif ins Leere. Da die Gestaltung einem Gesamtplan folgte und am Ende auch die vollständige Beendigung der freiberuflichen Tätigkeit stand, stellt sich die 21 AA BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. II 2019, 6 = FR 2019, 93 Rz. 29.

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Frage, ob insoweit dem Gesamtplan nicht positive Rechtsfolgen entnommen werden können. Eine Gesamtplanbetrachtung führt nicht zur Zusammenfassung mehrerer Transaktionen zu einem der Besteuerung unterliegenden Sachverhalt, sondern es bleibt bei der steuerlichen Beurteilung jedes einzelnen Sachverhalts. Diese müsste berücksichtigen, dass auf der ersten Ebene nicht ein tarifbegünstigter Gewinn und auf der zweiten Ebene ein der vollen Tarifbelastung unterliegender Verlust entstanden sein können. Allenfalls wäre ein saldierter Betrag tarifbegünstigt. Dies festzustellen, dürfte aber verfahrensrechtlich nicht möglich sein. Die Gesamtplanbetrachtung gerät hier an ihre Grenzen.

II. Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte 1. Geringfügigkeitsgrenze bei § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG Im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG für die Abfärbung originär gewerblicher Tätigkeit hat der BFH eine Bagatellgrenze für die Abfärbung angenommen und diese mit Urteilen vom 27.8.2014 konkretisiert.22 Nicht zur Abfärbung kommt es danach, wenn die neben einer freiberuflichen Tätigkeit erzielten Nettoumsatzerlöse aus gewerblicher Tätigkeit im Veranlagungszeitraum weder 3 % der Gesamtnettoumsatzerlöse der Gesellschaft noch den Betrag von 24.500 t übersteigen. Dieser Gesetzesauslegung hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen. Ein weiteres Urteil des BFH vom 12.4.2018 – IV R 5/15,23 nach dem Verluste auch bei Überschreitung der relativen Umsatzgrenze nicht zur Abfärbung auf vermögensverwaltende Einkünfte führen, wird demgegenüber bislang nicht von der Finanzverwaltung akzeptiert. Ob die genannten Grenzen auch für die zweite Alternative der Abfärbung, nämlich für die Abfärbung gewerblicher Beteiligungseinkünfte gelten, und wie die Grenze ggf. zu bestimmen ist, war Gegenstand ausführlicher Diskussionen. Nachdem die Frage bereits einmal vergeblich an den BFH herangetragen worden war,24 gab der Fall des Urteils vom 6.6.2019 – IV R

22 BFH v. 27.8.2014 – VIII R 6/12, BStBl. II 2015, 1002 = ZIP 2015, 486; v. 27.8.2014 – VIII R 41/11, BStBl. II 2015, 999 = FR 2015, 512; zu diesen Grenzen s. auch Wendt, StbJb. 2015/2016, 35 (38 ff.). 23 BFH v. 12.4.2018 – IV R 5/15, BFHE 261, 157 = FR 2018, 959; s. hierzu näher Wendt, StbJb. 2018/2019, 37 (60). 24 BFH v. 26.6.2014 – IV R 5/11, BStBl. II 2014, 972 = FR 2014, 976; s. hierzu näher Wendt, StbJb. 2015/2016, 35 (45 f.).

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30/1625 Anlass für eine Entscheidung der Frage, auf die dabei eine zuvor nicht diskutierte Antwort gefunden wurde.

2. BFH-Urteil vom 6.6.2019 – IV R 30/16 (BFHE 265, 157 = FR 2019, 866) Der Urteilsfall betraf eine nicht gewerblich geprägte Familien-KG, die ursprünglich Immobilien und Kapitalvermögen verwaltet hatte. Im Jahr 2008 hatte ein Gesellschafter Anteile an zwei GmbH & Co. KG eingebracht, die jeweils ein Flugzeug verleasten und für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt wurden. Im Jahr 2008 veräußerte einer der Fonds sein Flugzeug, im Jahr 2010 der zweite Fonds. Seither wurden die Fonds abgewickelt und es ergaben sich nur noch Verluste, die jeweils gesondert und einheitlich festgestellt wurden. In Bezug auf die Familien-KG ging das FA davon aus, dass diese wegen der Abfärbung gewerbliche Einkünfte nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG beziehe, und stellte diese gesondert und einheitlich fest. Im Streitjahr 2011 waren für beide Fonds Verluste festgestellt worden, von denen auf die Familien-KG ca. 1.800 t und 500 t entfielen. Für die Familien-KG wurden auch 2011 Einkünfte aus Gewerbebetrieb festgestellt. Die KG machte nach erfolglosem Einspruch mit der Klage geltend, es könne deshalb nicht zur Abfärbung kommen, weil die Fonds ihre gewerbliche Tätigkeit vor 2011 eingestellt hätten und lediglich noch abgewickelt worden seien. Außerdem sei eine Abfärbung wegen Geringfügigkeit der Beteiligungseinkünfte unverhältnismäßig. Das FG folgte dieser Auffassung nicht und wies die Klage ab.26 Der BFH wies auch die Revision der KG zurück. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG seien infolge des Bezugs gewerblicher Einkünfte aus den Fondsbeteiligungen erfüllt, so dass die Familien-KG infolge einer Abfärbung insgesamt gewerbliche Einkünfte beziehe. Die Vorschrift sei auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen (Beteiligungs-)Einkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte der Gesellschaft abfärben, verfassungsgemäß. Demgemäß führe einkommensteuerrechtlich jede Beteiligung, aus der die Gesellschaft gewerbliche Einkünfte beziehe, zu einer Umqualifizierung aller weiteren Einkünfte dieser Gesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb. Allerdings bedürfe es einer verfassungskonformen Auslegung 25 BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157 = FR 2019, 866. 26 FG Bad.-Württ. v. 22.4.2016 – 13 K 3651/13, EFG 2016, 1246.

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des § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG dahin, dass ein Unternehmen, das nur kraft der Fiktion des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG als Gewerbebetrieb gelte, nicht der Gewerbesteuer unterliege. Anderenfalls enthielte § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung der Personengesellschaft gegenüber einem Einzelunternehmer. Der von der Vorschrift verfolgte Zweck, das GewSt.-Aufkommen zu schützen, könne nicht erreicht werden. Denn die Beteiligungseinkünfte gingen wegen der Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG nicht in den Gewerbeertrag der Obergesellschaft ein. Auch eine Vereinfachung der Gewinnermittlung der Obergesellschaft – ebenfalls ein Zweck der Abfärberegelung – könne nicht erreicht werden, weil auf Ebene der Obergesellschaft keine Gewinnermittlung für den Anteil aus der Untergesellschaft stattfinde, sondern die auf Ebene der Untergesellschaft festgestellten Einkünfte mit ihrem für die Obergesellschaft festgestellten Anteil zu berücksichtigen seien. Auf Ebene der ESt. sei die Abfärbung aber verfassungsgemäß. Sie solle im Wege einer der Kapitalgesellschaft angenäherten Typisierung eine Verstrickung des gesamten Vermögens der Obergesellschaft bewirken.

3. Bedeutung der Entscheidung Die Entscheidung ist erwartungsgemäß auf ein geteiltes Echo gestoßen.27 Die Reaktionen reichen von der Forderung, beide Alternativen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gleich zu behandeln und die Abfärbung hier auch auf die GewSt. zu erstrecken,28 bis zu der Aufforderung an den Gesetzgeber, die Abfärberegelung insgesamt abzuschaffen.29 Denn zT wird auch die einkommensteuerliche Abfärbung als verfassungswidrig beurteilt, weil es für sie keinen sachlichen Grund gebe, insbes. nicht die Vereinfachung der Gewinnermittlung.30 Auf Letzteres hat auch der BFH ausdrücklich hingewiesen. Vereinfachend wirkt aber auf der Ebene der Obergesellschaft, dass deren Vermögen nicht teilweise als Privat- und Betriebsvermögen behandelt werden muss. Denn Güter der Obergesellschaft, die im

27 Vgl. etwa Anm. Bodden, BeSt. 2019, 40; Bolik, StuB 2019, 717; Kanzler, NWB 2019, 2403; Korn/Scheel, DStR 2019, 1665; Krämer, GmbH-StB 2019, 254; Nöcker, FR 2019, 871; Nürnberg, NWB 2019, 2472; Paus, FR 2019, 897; Pohl, Ubg. 2019, 533; Schiffers, Ubg. 2019, 529; Trossen, Ubg. 2019, 531; Wagner, DB 2019, 2135; Weiss, EStB 2019, 360; Weiss, DB 2019, 2316; Wendt, BFH/PR 2019, 250. 28 So etwa Nöcker, FR 2019, 871 Pohl, Ubg. 2019, 533. 29 So etwa Korn/Scheel, DStR 2019, 1665 (1672); Paus, FR 2019, 897 (900). 30 So zB Paus, FR 2019, 897 (898).

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Zusammenhang mit der Beteiligung stehen, müssten auch ohne Abfärbung als Betriebsvermögen behandelt werden. Die Handhabung des BFH, nach der es nun gewerbliche Einkünfte erzielende, aber nicht der GewSt. unterliegende Personengesellschaften gibt, eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten. Diese liegen nicht nur darin, dass für betriebliche Einkünfte vorgesehene einkommensteuerliche Vergünstigungen wie § 6b EStG oder § 7g EStG genutzt werden können. Vielmehr werden auch die Möglichkeiten zur Vermeidung einer Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG erweitert. Die schädliche gewerbliche Tätigkeit kann nicht nur – wie bisher empfohlen und von FinVerw. und Rspr. gebilligt31 – in eine Schwestergesellschaft, sondern nun auch in eine Tochtergesellschaft ausgelagert werden.32 Die Urteilsgründe dürften sich wohl auch auf Personengesellschaften übertragen lassen, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder selbständiger Arbeit beziehen.33 Die gewerbesteuerliche Argumentation trifft auch auf solche Gesellschaften zu. Einkommensteuerlich ist die Relevanz der Abfärbung dort noch geringer, weil das Vermögen der (Ober-) Personengesellschaft ohnehin verstrickt ist. Allerdings ergeben sich Auswirkungen auf die Gewinnermittlung, weil ggf. keine Einnahmenüberschussrechnung mehr zulässig ist oder die pauschale Gewinnermittlung nach § 13a EStG entfällt.

4. Änderung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG durch das „JStG 2019“ Es bleibt abzuwarten, ob die FinVerw. das Urteil über den Einzelfall hinaus anwenden wird. Möglicherweise ereilt sie ein ähnliches Schicksal wie die Entscheidung zur Behandlung von Verlusten bei der Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG,34 die nicht über den Einzelfall hinaus angewendet wird, sondern die Bundesregierung dazu veranlasst hat, in ihrem Entwurf für das sog. JStG 201935 eine rückwirkend korrigierende Gesetzesänderung vorzuschlagen. Danach soll § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG neu 31 ZB BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1 = FR 2008, 818; BFH v. 19.2.1998 – IV R 11/97, BStBl. II 1998, 603 = FR 1998, 890; BMF v. 14.5.1997 – IV B 4 - S 2246 - 23/97, BStBl. I 1997, 566 = FR 1997, 500. 32 So Bodden, BeSt. 2019, 40 (41). 33 Ebenso Kanzler, NWB 2019, 2043. 34 BFH v. 27.8.2014 – VIII R 6/12, BStBl. II 2015, 1002 = ZIP 2015, 486; v. 27.8.2014 – VIII R 41/11, BStBl. II 2015, 999 = FR 2015, 512. 35 Gesetz zur weiteren Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, BT-Drucks. 19/13436.

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gefasst werden und in einem neuen Satz 2 regeln, dass es unabhängig davon, ob aus der gewerblichen Tätigkeit oder den Beteiligungseinkünften ein Gewinn oder Verlust erzielt wird, zur Abfärbung kommt.36 Sollte dieser Vorschlag Gesetz werden, wäre damit mE entgegen der in der Begründung des Gesetzentwurfs vertretenen Ansicht37 auch die Bagatellregelung überholt, denn wenn der Gesetzgeber in Kenntnis der auf einer verfassungskonformen Gesetzesauslegung beruhenden Rspr. gleichwohl keine Bagatellgrenze vorsieht, sondern erneut dem Wortlaut nach jede gewerbliche Tätigkeit zur Abfärbung führen lässt, entscheidet er sich mE gegen eine Bagatellregelung. Eine restriktive Auslegung des Wortlauts ist der Rspr. dann nicht mehr möglich, so dass die Regelung nun möglicherweise insgesamt als verfassungswidrig angesehen werden muss. Zur Begründung dafür, auch Verluste zur Abfärbung führen zu lassen, verweist der Regierungsentwurf darauf, dass damit die Gefahr eines jährlichen Wechsels zwischen Abfärbung und Nichtabfärbung mit der jeweiligen Konsequenz einer Betriebseröffnung und Betriebsaufgabe beseitigt werde.38 Dieses Ziel wird in der Tat erreicht, wenn man bei Gewinnen abweichend von der bisherigen Auslegung durch den BFH keine Bagatellgrenze vorsieht. Nimmt man die Bundesregierung aber beim Wort ihrer Gesetzesbegründung, wonach die doppelte Bagatellgrenze beibehalten werden soll, könnte das Ziel eines unbeabsichtigten Wechsels zwischen Abfärbung und Nichtabfärbung nicht erreicht werden. Denn in Bezug auf die Umsatzgrenzen würde deren Über- oder Unterschreiten eben diese Wirkung haben. Wenn man derartige Wechsel vermeiden will, muss man anders ansetzen, nämlich mit der Einführung einer Nachhaltigkeitsgrenze. Die Korrektur der BFH-Rspr. wird im Übrigen damit gerechtfertigt, für den Schutz des GewSt.-Aufkommens seien auch die Hinzurechnungen zu berücksichtigen, die selbst bei einem Verlust zur Festsetzung eines GewSt.-Messbetrags führten.39 Das Argument müsste allerdings auch für niedrige Gewinne gelten, die nach der Begründung des Regierungsentwurfs weiter durch die Bagatellgrenze von der Abfärbung ausgenommen sein sollen. Überspitzt gesagt sollen potenzielle Hinzurechnungen also bei einem Verlust von 1 t zu berücksichtigen sein, bei einem Gewinn von 1 t aber nicht. Dies erscheint nicht folgerichtig. Wenn man Hinzurech36 37 38 39

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Art. 1 Nr. 11 Ges. v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451 = BStBl. I 2020, 17. BT-Drucks. 19/13436, 96. BT-Drucks. 19/13436, 96. BT-Drucks. 19/13436, 96.

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nungen in Betracht ziehen will, müsste für die gewerblichen Einkünfte eine fiktive Berechnung des GewSt.-Messbetrags vorgenommen werden. Bleibt der Betrag unter 24.500 t, unterbleibt auch die Abfärbung. Übersteigt der Betrag diese Grenze, kommt es zur Abfärbung. Für eine solche Berechnung ist es allerdings unvermeidlich, Ausgaben der Personengesellschaft den verschiedenen Einnahmen zuzuordnen, und zwar einerseits, um den richtigen Gewinn zu berechnen, aber andererseits auch, um die Hinzurechnungen richtig vornehmen zu können. Diese Aufteilung hatte der VIII. Senat des BFH mit seiner Anknüpfung an den Umsatz vermeiden wollen. Die bei Veröffentlichung des Gesetzentwurfs noch nicht bekannte Rspr. zur Abfärbung von Beteiligungseinkünften ist von der geplanten Neuregelung nicht betroffen. Es wird abzuwarten sein, ob im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum „JStG 2019“ auch in Bezug auf das Urteil vom 6.6.2019 – IV R 30/1640 korrigierende Regelungen in das Gesetz aufgenommen werden.41

III. Erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Beteiligung an Personengesellschaften 1. Bedeutung der erweiterten Kürzung Nach § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um 1,2 % des Einheitswerts des zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden Grundbesitzes gekürzt. Diese Kürzung soll typisiert eine Doppelbelastung des Gewinns mit GrSt. und GewSt. vermeiden. Für Unternehmen, die ausschließlich eigenen Grundbesitz verwalten, tritt nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG an die Stelle dieses recht geringfügigen Kürzungsbetrags auf Antrag eine wesentlich weiter gehende Kürzung in Höhe des gesamten aus der Grundbesitzverwaltung erzielten Gewerbeertrags. Diese Kürzung bewirkt faktisch eine völlige Freistellung von der GewSt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich das Unternehmen tatsächlich ausschließlich mit der Grundbesitzverwaltung befasst. Erlaubte Nebentätigkeiten sind lediglich die Verwaltung eigenen Kapitalvermögens und die Betreuung von Wohnungsbauten oder Errichtung und Veräußerung von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern 40 BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157 = FR 2019, 866. 41 Eine entsprechende Änderung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG wurde in der endgültigen Fassung des „JStG 2019“ (Ges. v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451 = BStBl. I 2020, 17) nicht vorgenommen.

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oder Eigentumswohnungen. Die Erträge aus diesen Nebentätigkeiten werden nicht gekürzt. Das im Gesetz geregelte Ausschließlichkeitsmerkmal ist nach der Rspr. keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen. Abweichend von der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gibt es keinen wegen Geringfügigkeit unbeachtlichen Bereich von Nebentätigkeiten, so dass jede noch so kleine unzulässige Nebentätigkeit schädlich ist.

2. Halten einer Beteiligung an einer Personengesellschaft als schädliche Tätigkeit Auf der Grundlage dieser strengen Betrachtungsweise muss auch das Halten von Beteiligungen als schädlich angesehen werden. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Halten einer Beteiligung nicht Bestandteil der grundbesitzverwaltenden Tätigkeit sein kann. Daran könnte man etwa denken, wenn die Beteiligung an einer ihrerseits grundbesitzverwaltenden Gesellschaft gehalten wird. Das Halten der Beteiligung an einer Personengesellschaft ist nach Maßstäben des Einkommensteuerrechts keine originär gewerbliche Tätigkeit iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, wie sich daraus ergibt, dass § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG das Halten der Beteiligung ausdrücklich neben der originären gewerblichen Tätigkeit zur Abfärbung führen lässt. Es ließe sich daher vertreten, das Halten einer Beteiligung an einer ausschließlich Grundbesitz verwaltenden Personengesellschaft für die Anwendung der erweiterten Kürzung ausreichen zu lassen, wenn man über die Beteiligung vermittelten Grundbesitz als eigenen Grundbesitz des Gesellschafters versteht. Dies war allerdings in der Vergangenheit nicht die Haltung des BFH, der als eigenen Grundbesitz nur zivilrechtlich im Eigentum des grundbesitzverwaltenden Unternehmens stehende Grundstücke ansah. Deshalb waren die Beteiligung an einer grundbesitzverwaltenden GmbH & Co. KG als Komplementär42 oder Kommanditist43 für schädlich gehalten worden. Mit dem Abstellen auf zivilrechtliches Eigentum war vom I. Senat des BFH auch die Schädlichkeit der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden KG begründet worden.44 Die Schädlichkeit der Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft war allerdings nicht nur von vielen Stimmen im Schrifttum, sondern auch von Finanzgerich42 BFH v. 17.10.2002 – I R 24/01, BStBl. II 2003, 355 = FR 2003, 158. 43 BFH v. 22.1.1992 – I R 61/90, BStBl. II 1992, 628 = GmbHR 1992, 626. 44 BFH v. 19.10.2010 – I R 67/09, BStBl. II 2011, 367 = FR 2011, 434.

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ten als nicht überzeugend angesehen worden. Auch der IV. Senat des BFH wollte dem nicht folgen, sondern war vielmehr von der Unschädlichkeit einer solchen Beteiligung überzeugt und hatte deshalb den Großen Senat des BFH angerufen.45 In jenem Fall ging es um die Klage einer GmbH & Co. KG, deren Tätigkeit sich auf das Halten einer Beteiligung an einer GbR beschränkte, deren Vermögen ausschließlich aus Immobilien bestand. In den Streitjahren bezog die KG neben ihren Anteilen am Gewinn der GbR lediglich geringfügige Zinseinnahmen. Das FA versagte der KG die erweiterte Kürzung für Grundstücksunternehmen nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG, weil das Halten der Beteiligung an einer grundbesitzverwaltenden Personengesellschaft nicht nach dieser Vorschrift begünstigt sei. Das FG war der Meinung, die erweiterte Kürzung sei zu gewähren, denn der Grundbesitz sei steuerrechtlich der KG und nicht der GbR zuzurechnen.46 Dass es auf die steuerrechtliche Zuordnung und nicht das zivilrechtliche Eigentum an dem Grundbesitz ankommt, war auch die Meinung des für die Revision des FA zuständigen IV. Senats des BFH, der damit aber vom I. Senat des BFH abgewichen wäre und deshalb den Großen Senat des BFH anrufen musste.

3. Beschluss des Großen Senats vom 25.9.2018 – GrS 2/16 (BStBl. II 2019, 262 = FR 2019, 437) Der Große Senat schloss sich mit Beschluss vom 25.9.2018 – GrS 2/1647 der Meinung des IV. Senats an und entschied, dass einer grundstücksverwaltenden, nur kraft ihrer Rechtsform der Gewerbesteuer unterliegenden Gesellschaft die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG nicht nur wegen der Beteiligung an einer rein grundstücksverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Personengesellschaft zu verwehren sei. Der der Untergesellschaft zivilrechtlich gehörende Grundbesitz sei steuerrechtlich infolge der bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften vorgenommenen Bruchteilsbetrachtung anteilig deren Gesellschaftern zuzurechnen. An diese steuerrechtliche Zurechnung knüpfe auch § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG an, so dass der Anteil des Gesellschafters an dem Grundbesitz der vermögensverwaltenden Untergesellschaft als „eigener Grundbesitz“ des Gesellschafters anzusehen sei. Beschränke sich die Tä45 Vorlagebeschluss BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202 = FR 2017, 248. 46 FG Berlin-Brandenb. v. 6.5.2014 – 6 K 6322/13, EFG 2014, 1420. 47 BFH v. 25.9.2018 – GrS 2/16, BStBl. II 2019, 262 = FR 2019, 437.

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tigkeit einer nur kraft ihrer Rechtsform als Gewerbebetrieb geltenden Gesellschaft auf das Halten und Verwalten ihrer Beteiligung an einer ihrerseits ausschließlich zivilrechtlich eigenen Grundbesitz verwaltenden und keine gewerblichen Einkünfte erzielenden Untergesellschaft, stehe der Obergesellschaft die erweiterte Kürzung zu.

4. BFH-Urteil vom 27.6.2019 – IV R 44/16 (BStBl. II 2020, 24 = FR 2019, 1061) Im Anschluss an den Beschluss des Großen Senats ergingen zunächst stattgebende Urteile in dem Ausgangsfall48 sowie in einem parallel gelagerten Fall49. Kurze Zeit später kam es dann in Abgrenzung dazu auch zu zwei Urteilen betreffend die Beteiligung an einer gewerblich geprägten grundbesitzverwaltenden Unterpersonengesellschaft. Im Fall der Leitentscheidung50 bestand die Tätigkeit der klagenden GmbH & Co. KG aus der Verwaltung eigenen Grundbesitzes und dem Halten von Beteiligungen an zwei gewerblich geprägten GbR, die ihrerseits nur eigenen Grundbesitz verwalteten. Das FA sah nach einer Außenprüfung in dem Halten der Beteiligungen eine für die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei der KG schädliche Tätigkeit. Es versagte die erweiterte Kürzung in den anschließend erlassenen geänderten GewSt.-Messbescheiden. Das FG wies die nach erfolglosem Einspruch gegen die Änderungsbescheide erhobene Klage ab.51 Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision als unbegründet zurück. Das Halten der Beteiligung an einer gewerblich geprägten grundbesitzverwaltenden Unterpersonengesellschaft sei nicht als Verwaltung eigenen Grundbesitzes anzusehen, weil der Grundbesitz der Untergesellschaft jener selbst zuzurechnen sei. Das Halten der Beteiligung könne auch nicht als Nebengeschäft zur Verwaltung des eigenen Grundbesitzes der Obergesellschaft angesehen werden. Es verletzte das Ausschließlichkeitsgebot des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG. Dem stehe nicht entgegen, dass der Beteiligungsgewinn wegen der Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG nicht in den Gewerbeertrag der Obergesellschaft eingehe. 48 BFH v. 6.6.2019 – IV R 9/19 (IV R 26/14), BFH/NV 2019, 1242 = GmbHR 2019, 1305. 49 BFH v. 6.6.2019 – IV R 11/19 (IV R 27/14), BFH/NV 2019, 1243. 50 BFH v. 27.6.2019 – IV R 44/16, BStBl. II 2020, 24 = FR 2019, 1061, mit Anm. zB von Schiefer, DStRK 2019, 298; Strahl, NWB 2019, 2908; Weiss, EStB 2019, 402. 51 Schl.-Holst. FG v. 25.5.2016 – 1 K 51/15, EFG 2016, 1899.

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Mit diesem Urteil vom 27.6.2019 und einer Parallelentscheidung vom gleichen Tag52 steht nun fest, dass der Beschluss des Großen Senats über die Beteiligung an rein vermögensverwaltenden und keine gewerblichen Einkünfte erzielenden Personengesellschaften (sog. Zebragesellschaften) hinaus keine Änderung der Rspr. zur erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bewirkt. Es bleibt dabei, dass die Beteiligung an einer gewerblich geprägten Untergesellschaft schädlich ist, und zwar auch dann, wenn sich die Untergesellschaft ihrerseits rein grundbesitzverwaltend betätigt. Denn eine gewerblich geprägte Unterpersonengesellschaft unterhält einen eigenen Gewerbebetrieb, der in der Verwaltung ihres eigenen Grundbesitzes besteht. Der Obergesellschaft wird deshalb anders als bei der Zebragesellschaft die Beteiligung an der Untergesellschaft und nicht deren Grundbesitz zugeordnet. Natürlich steht der eigenen Grundbesitz verwaltenden Untergesellschaft ihrerseits die erweiterte Kürzung zu und die Gewinnanteile werden bei der Obergesellschaft nach § 9 Nr. 2 GewStG aus dem Gewerbeertrag gekürzt. Der gewerbesteuerliche Nachteil der Handhabung des BFH besteht aber darin, dass der Gewinn aus der Verwaltung des eigenen Grundbesitzes der Obergesellschaft der GewSt. nur deshalb unterliegt, weil sie die Beteiligung an der Untergesellschaft hält. Aus Gestaltungssicht sollten doppelstöckige Strukturen solcher Art also vermieden werden.

IV. Abzugsverbot für GewSt. bei Anteilsveräußerung 1. Veräußerung des Mitunternehmeranteils und GewSt. Die GewSt. knüpft nach § 7 Satz 1 GewStG an den einkommensteuerlichen Gewinn an. Danach müssten an sich auch alle Veräußerungs- und Aufgabegewinne der GewSt. unterliegen. Dennoch wurde in der Vergangenheit der Gewinn aus der Aufgabe oder Veräußerung des Gewerbebetriebs eines Personenunternehmens generell nicht als gewerbesteuerbar betrachtet, weil der GewSt. als Objektsteuer nur der Gewinn des aktiven Gewerbebetriebs unterliegen solle.53 Dieser Grundsatz galt für Personenunternehmen bis zum Jahr 2002 uneingeschränkt und damit auch für den Betrieb einer Mitunternehmerschaft und für die Veräußerung oder Aufgabe von Mitunternehmeranteilen. Anders war es schon

52 BFH v. 27.6.2019 – IV R 45/16, BFH/NV 2019, 1245. 53 Vgl. zB BFH v. 20.9.2012 – IV R 36/10, BStBl. II 2013, 498 = FR 2013, 132 Rz. 17; v. 19.7.2018 – IV R 39/10, BStBl. II 2019, 77 = FR 2018, 1055 Rz. 22.

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immer bei Kapitalgesellschaften, deren Gewinne vollständig der GewSt. unterworfen wurden und werden. Seit 2002 hat sich die Rechtslage für Personenunternehmen durch § 7 Satz 2 GewStG geändert, weil zur Vermeidung von Missbrauch die Veräußerung des Betriebs oder Teilbetriebs durch eine Personengesellschaft und die Veräußerung von Mitunternehmeranteilen der GewSt. unterworfen werden, soweit der erzielte Gewinn nicht auf eine unmittelbar beteiligte natürliche Person entfällt. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ist vom BVerfG jüngst bestätigt worden.54 Schon seit längerer Zeit unterliegt nach § 18 Abs. 3 Satz 2 UmwStG die Veräußerung des Anteils an einer Mitunternehmerschaft, die durch Umwandlung aus einer Kapitalgesellschaft hervorgegangen ist, innerhalb einer Frist von fünf Jahren seit der Umwandlung der GewSt. Dabei ist die Rechtsform des Anteilseigners ohne Bedeutung; auch der Gewinn aus der Anteilsveräußerung durch eine natürliche Person wird besteuert. Die GewSt. auf den Gewinn aus der Anteilsveräußerung trägt nun allerdings nicht der Veräußerer, sondern die Personengesellschaft, die nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG Schuldnerin der GewSt. ist. Wirtschaftlich belastet sind damit die Gesellschafter, die bei Entstehung der GewSt. am Gewinn der Personengesellschaft beteiligt sind. Wer seinen Anteil unterjährig veräußert, ist also durch die dabei ausgelöste GewSt. wirtschaftlich nicht unmittelbar belastet. Deshalb wird häufig entweder schon im Gesellschaftsvertrag oder erst im Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung eine Erstattungspflicht des veräußernden Gesellschafters vereinbart. Der Veräußerer wird die Erstattung gewinnmindernd berücksichtigen wollen, etwa durch Abzug vom Veräußerungsgewinn als Veräußerungskosten. In diesem Zusammenhang war zweifelhaft, ob nicht das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5b EStG einer solchen Gewinnminderung entgegensteht. Diese Frage klärt nun das BFH-Urteil vom 7.3.2019 – IV R 18/17.55

54 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BStBl. II 2018, 303 = FR 2018, 427. 55 BFH v. 7.3.2019 – IV R 18/17, BStBl. II 2019, 614 = FR 2019, 614, mit Anm. etwa von Dräger/Dorn, NWB 2019, 3281; Kaminski, AktStR 2019, 405; Micker, Ubg. 2019, 357; Nöcker, FR 2019, 617; Schlücke, Ubg. 2019, 355; Schwetlik, GmbH-StB 2019, 154; Trossen, Ubg. 2019, 359; Weiss, EStB 2019, 207; Wendt, BFH/PR 2019, 172.

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2. BFH-Urteil vom 7.3.2019 – IV R 18/17 (BStBl. II 2019, 696 = FR 2019, 614) Die GewSt.-Belastung des Gewinns aus der Anteilsveräußerung ergab sich in diesem Fall aus § 18 Abs. 3 UmwStG. Die beiden Anteilseigner einer GmbH hatten diese in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, bevor unmittelbar anschließend einer der Gesellschafter seinen nun entstandenen KG-Anteil an den anderen Gesellschafter veräußerte. Dass der Gewinn aus der Anteilsveräußerung der GewSt. unterlag, war den Beteiligten von Anfang an bewusst. In dem Anteilskaufvertrag vereinbarten die Gesellschafter diesbezüglich, dass die anfallende GewSt. von ihnen jeweils zur Hälfte zu tragen sei. Die KG zog bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns im Rahmen der Gewinnfeststellungserklärung die vom Veräußerer getragene GewSt. als Veräußerungskosten ab. Das FA war der Meinung, ein Abzug als Veräußerungskosten scheitere an § 4 Abs. 5b EStG. Die dagegen von der KG erhobene Klage hatte vor dem FG zunächst Erfolg.56 Auf die Revision des FA hob der BFH das Urteil des FG auf und verwies das Verfahren an das FG zurück. Ein Abzugsverbot nach § 4 Abs. 5b EStG komme nicht in Betracht, weil dieses nur gegenüber dem Schuldner der GewSt., also der KG wirken könne. Ob der Veräußerer die von ihm getragene GewSt. als Veräußerungskosten abziehen könne, hänge davon ab, ob die Übernahme betrieblich veranlasst gewesen sei, wobei auch eine Veranlassung durch die Veräußerung als betrieblich zu beurteilen sei. Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung sei jedoch keine betriebliche Veranlassung. Das FG habe noch Feststellungen dazu zu treffen, ob eine solche außerbetriebliche Veranlassung vorliege. Sollte dies nicht der Fall sein, müsse noch geklärt werden, ob der Veräußerungsgewinn dadurch vermindert sei, dass sich infolge der GewSt.-Erstattung das Kapitalkonto des Veräußerers erhöht habe.

3. Reichweite des Abzugsverbots und Bedeutung einer Erstattungsverpflichtung Das Urteil klärt, dass das Abzugsverbot für die GewSt. auch den Abzug als Veräußerungskosten einschließt, soweit es sich um Veräußerungskosten des GewSt.-Schuldners handelt. Wer als Schuldner GewSt. trägt, kann diese weder als laufende Betriebsausgabe noch als Kosten im Zusammenhang mit einer Veräußerung oder Aufgabe abziehen. Wer demgegenüber 56 Saarl. FG v. 16.11.2017 – 1 K 1441/15, EFG 2018, 201.

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GewSt. zu erstatten hat, die jemand anders schuldet, ist von dem Abzugsverbot nicht betroffen. Daraus folgt allerdings nicht, dass die Leistungen zum Ausgleich der GewSt.-Belastung eines Anderen immer als Betriebsausgabe vom laufenden Gewinn bzw. Veräußerungs- oder Aufgabegewinn abgezogen werden könnten. Der BFH stellt klar, dass dafür eine betriebliche Veranlassung vorliegen muss, wobei auch ein Zusammenhang mit der Veräußerung oder Aufgabe eine betriebliche Verlassung bedeutet. Eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung ist aber eine außerbetriebliche Veranlassung. Ist ein Gesellschafter also aufgrund gesellschaftsrechtlicher Vereinbarung zur wirtschaftlichen Übernahme von GewSt. verpflichtet, mindert sich sein steuerlicher Gewinn nicht durch einen Betriebsausgabenabzug, weder ein laufender Gewinn57 noch – wie im hier entschiedenen Fall – ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn. Ist die Übernahme der GewSt.-Belastung als Anspruch der Gesellschaft gegen den ausscheidenden Gesellschafter zu verstehen, ergibt sich daraus nicht ein den GewSt.-Aufwand ausgleichender Ertrag der Gesellschaft, denn während der Zeit seiner Mitgliedschaft kann ein Personengesellschafter keinen „Ertragszuschuss“ an die Gesellschaft leisten. Leistungen an die Gesamthand sind vielmehr als Einlage zu behandeln. Dabei ist mE von einer Einlage zugunsten der Kapitalkonten von allen Gesellschaftern auszugehen. Zweck der Einlage soll ja sein, den Vermögensverlust auszugleichen, der durch die GewSt.-Zahlung aus dem Gesamthandsvermögen entsteht. Den Verlust haben alle Gesellschafter zu tragen, so dass auch zugunsten aller Gesellschafter einzulegen ist. Buchmäßig könnte das durch eine gesamthänderische Rücklage oder durch Erhöhung aller Kapitalkonten II dargestellt werden. Die Einlage muss auch das Kapitalkonto des veräußernden Gesellschafters selbst einschließen, weil der Erwerber des Anteils eben dieses Kapitalkonto übernimmt und von der Vermögensminderung durch die GewSt.-Zahlung betroffen wäre. Folge dieser Betrachtung ist, dass sich der Veräußerungsgewinn des Veräußerers um den Teil der Einlage vermindert, der auf seinen Kapitalanteil entfällt. Bei dieser Handhabung beeinflusst die GewSt. mittelbar ihre eigene Bemessungsgrundlage, weil der Veräußerungsgewinn von der Höhe der vom veräußernden Gesellschafter zu leistenden Erstattung der GewSt. abhän57 BFH v. 19.7.2018 – IV R 14/16, BFHE 262, 124 = GmbHR 2018, 1283: Gewinnverteilungsabrede.

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gig ist. Diese In-Sich-Wirkung der GewSt. ist kein neues Phänomen, sondern entspricht der vor Einführung des Abzugsverbots in § 4 Abs. 5b EStG geltenden Rechtslage. Dementsprechend kann die Berechnung auch nach den damals gebräuchlichen Methoden erfolgen, also etwa nach der 5/6-Regelung der damaligen EStR.58

58 R 4.9 Abs. 2 Satz 2 EStR aF.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften Dr. Markus Märtens Richter am BFH, München I. Umstrukturierungen 1. Abwärtsverschmelzung auf Gesellschaft mit ausländischem Anteilseigner a) Leitsätze und Sachverhalt b) Streitfrage c) Lösung des BFH d) Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot e) Vereinbarkeit mit Unionsrecht f) Offene Fragen 2. Buchwertaufstockung bei gleichzeitiger Einbringung mehrerer Sacheinlagegegenstände a) Leitsatz und Sachverhalt b) Streitfrage c) Auffassung des BFH II. Organschaft – Übertragungsgewinn bei Aufwärtsverschmelzung auf eine Organgesellschaft 1. Leitsatz und Sachverhalt

2. Streitfrage 3. Lösung des BFH 4. Schließung der Gesetzeslücke III. § 8b KStG – Berücksichtigung der Ergebnisse von Währungskurssicherungsgeschäften bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus Anteilsverkauf 1. Leitsatz und Sachverhalt 2. Lösung des BFH („symmetrische“ Behandlung von Gewinnen und Verlusten aus Sicherungsgeschäften) 3. Bedeutung der Bewertungseinheit IV. § 27 KStG – Einlagenrückgewähr durch Drittstaatengesellschaft 1. Leitsätze und Sachverhalt 2. Entscheidung des BFH 3. Ergänzungen der bisherigen Rechtsprechung

I. Umstrukturierungen 1. Abwärtsverschmelzung auf Gesellschaft mit ausländischem Anteilseigner a) Leitsätze und Sachverhalt Der BFH1 hat zu einer Abwärtsverschmelzung auf eine Gesellschaft mit US-amerikanischem Gesellschafter entschieden: 1 BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81. Anm. (zB): Weiss, GmbHR 2019, 28; Kempermann, FR 2019, 85; Schulz-Trieglaff, IStR

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„1. Die Verschmelzung zweier Kapitalgesellschaften kann zu einem steuerfreien Auflösungsgewinn iSd. § 8b Abs. 2 Satz 3 KStG führen, von dem 5 % als nicht abziehbare Betriebsausgaben gelten. 2. Die Verschmelzung einer Mutterkapitalgesellschaft, deren Anteilseignerin im Ausland ansässig ist, auf ihre Tochtergesellschaft (Abwärtsverschmelzung) kann nur dann ohne Aufdeckung stiller Reserven vollzogen werden, wenn die Besteuerung der stillen Reserven der Muttergesellschaft sichergestellt ist. 3. Da bei einer Abwärtsverschmelzung die zum Vermögen der Muttergesellschaft gehörende Beteiligung an der Tochtergesellschaft von der Muttergesellschaft auf deren Anteilseigner übergeht, kommt es für den Buchwertansatz in der steuerlichen Schlussbilanz der Muttergesellschaft darauf an, ob beim Anteilseigner die stillen Reserven des auf ihn übergegangenen Wirtschaftsguts ‚Beteiligung‘ weiterhin dem deutschen Besteuerungsrecht unterliegen. 4. Das Diskriminierungsverbot aus Art. 24 Abs. 4 DBA-USA 1989 steht dem Ansatz nicht abziehbarer Betriebsausgaben iHv. 5 % des Auflösungsgewinns nicht entgegen, wenn Anteilseignerin der übertragenden Muttergesellschaft eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft ist. 5. Gleiches gilt im Hinblick auf die Fusionsrichtlinie und die unionsrechtlichen Grundfreiheiten.“ Dem Fall2 liegt eine dreistöckige Struktur zugrunde, mit einer US-Kapitalgesellschaft (Corporation) an der Spitze, die an einer inländischen Kapitalgesellschaft (Muttergesellschaft) beteiligt war, die wiederum die Anteile einer luxemburgischen Kapitalgesellschaft (Tochtergesellschaft) hielt. Sodann fand eine Abwärtsverschmelzung der Muttergesellschaft zu Buchwerten auf die Tochtergesellschaft statt. b) Streitfrage Infolge der Abwärtsverschmelzung gehen die bisher von der Muttergesellschaft gehaltenen Anteile an der Tochter unmittelbar auf den Anteilseig-

2019, 362; Brandis, BFH/PR 2019, 31; Pfirrmann, HFR 2019, 52; Krüger/Gebhardt, Ubg. 2019, 114; Ludwig/Leidel, IStR 2019, 433; Otto, BB 2019, 307. 2 Im Parallelfall (BFH v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH/NV 2019, 46) war die Übernehmerin eine inländische Kapitalgesellschaft).

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ner der Übertragerin (hier die Corporation) über.3 Da Deutschland nach diesem Übergang der Beteiligung kein Besteuerungsrecht mehr hinsichtlich der in dieser ruhenden stillen Reserven hat – dieses liegt nunmehr abkommensrechtlich bei den USA (Art. 13 Abs. 5 DBA-USA 1989) –, war in dem Fall über die bis dahin streitige Frage zu entscheiden, ob bei einer Abwärtsverschmelzung mit ausländischem Anteilseigner der Buchwertansatz in der Schlussbilanz der Muttergesellschaft in Bezug auf die Anteile an der Tochtergesellschaft auch dann möglich ist, wenn nach der Verschmelzung das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird. c) Lösung des BFH Der BFH hat dies mit der FinVerw.4 und gegen die wohl herrschende Ansicht in der Literatur5 verneint. Er geht zunächst von dem Grundsatz aus, dass die Verschmelzung mit einer Auflösung der übertragenden Gesellschaft verbunden ist und dass der daraus resultierende Auflösungsgewinn (gemeiner Wert – auch der Anteile an der Tochter – abzüglich des Buchwerts) gem. § 8b Abs. 2 Satz 3 KStG grundsätzlich zu den steuerfreien Beteiligungseinkünften zählt, dass aber gem. § 8b Abs. 3 KStG 5 % des Veräußerungsgewinns als nichtabziehbare Betriebsausgaben gelten. Aus dem UmwStG ergibt sich nach Auffassung des BFH keine günstigere Rechtsfolge. Vielmehr rechnet er auch die Beteiligung an der Tochtergesellschaft – die nicht auf die Übernehmerin, sondern auf den Gesellschafter der übernehmenden Gesellschaft übergeht – zu den gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG „übergehenden Wirtschaftsgüter(n)“, die in der Schlussbilanz der übertragenden Gesellschaft nur dann auf Antrag mit dem Buchwert angesetzt werden können, wenn ua. das Besteuerungsrecht Deutschlands an den stillen Reserven nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird. Der BFH hat sich nicht der Auffassung angeschlossen, der zufolge die Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, in der ausdrücklich die Anteile am übernehmenden Rechtsträger angesprochen sind und in der von einem Ansatz mit mindestens dem Buchwert die Rede ist, als Satz 1 der 3 BFH v. 28.10.2009 – I R 4/09, BStBl. II 2011, 315 = FR 2010, 616; v. 20.6.2011 – I B 108/10, BFH/NV 2011, 1924 = GmbHR 2011, 1111. 4 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665 BStBl. I 2011, 1314 Rz. 11.19. 5 Zum bisherigen Meinungsstand s. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 11 Rz. 152 ff.; Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 11 UmwStG Rz. 167 f.

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Vorschrift verdrängende Spezialregelung zu verstehen ist, die umfassend und abschließend den Ansatz der Anteile am übernehmenden Rechtsträger regelt. Er sieht in § 11 Abs. 2 Satz 2 UmwStG vielmehr eine Regelung, die lediglich auf den Beteiligungskorrekturgewinn abzielt. Der BFH verweist für diese Auslegung auf Wortlaut und Zweck der Regelung: Die mit dem Buchwertansatz verbundene Milderung stehe ersichtlich unter dem Vorbehalt, dass sie mit keinem endgültigen Besteuerungsverzicht Deutschlands verbunden sei. Für eine Abwärtsverschmelzung sei keine Ausnahme vorgesehen. Auch könne diesem Ergebnis unter Beachtung des sog. Trennungsprinzips nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass das Wirtschaftsgut „Beteiligung“ iS eines Repräsentationsgedankens durch das (hier: auf die „Tochter“ übergegangene) Eigenvermögen ersetzt werde. d) Abkommensrechtliches Diskriminierungsverbot Das Diskriminierungsverbot gem. Art. 24 Abs. 4 DBA-USA 1989 steht nach Auffassung des BFH der Besteuerung durch den deutschen Fiskus nicht entgegen. Das folge jedenfalls daraus, dass danach ein von ausländischen Gesellschaftern beherrschtes Unternehmen nur dann gleich zu behandeln sei, wenn es einem Unternehmen, das keiner Kontrolle von in dem anderen Staat ansässigen Personen unterliege, ähnlich wäre. Das „ähnliche Unternehmen“ zeichne sich im vorliegenden Zusammenhang aber dadurch aus, dass sein Betriebsvermögen (einschließlich der stillen Reserven) im Inland steuerverstrickt sei und die stillen Reserven nach einer Verschmelzung mit einer anderen Körperschaft verstrickt blieben (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006). Somit könne eine von ausländischen Anteilseignern beherrschte Gesellschaft auch nur dann den Schutz des Art. 24 Abs. 4 DBA-USA 1989 einfordern, wenn auch nach einer Verschmelzung die inländische Steuerverstrickung der stillen Reserven gewahrt bleibe. e) Vereinbarkeit mit Unionsrecht Art. 4 der Fusionsrichtlinie6 vermittelt im Streitfall keine Schutzwirkung. Die Beteiligung der übertragenden (Mutter-)Gesellschaft an der übernehmenden (Tochter-)Gesellschaft wird von dem Begriff des übertragenen Aktivvermögens nicht erfasst, weil diese Beteiligung nicht an die

6 Richtlinie 2009/133/EG des Rates v. 19.10.2009, ABl. 2009 Nr. L 310, 34.

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an der Fusion beteiligte andere (Tochter-)Gesellschaft übergeht, sondern an die Gesellschafter der übertragenden (Mutter-)Gesellschaft. Auf den unionsrechtlichen Grundfreiheiten beruhende Bedenken im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung von Überträgerinnen mit ausländischen Anteilseignern im Vergleich zu solchen mit inländischen Anteilseignern sieht der BFH nicht. Er bezieht sich insoweit auf die EuGH-Rspr. zur Zulässigkeit des Steuerzugriffs auf die stillen Reserven vor einer Entstrickung.7 Angesichts des Umstands, dass lediglich ein Betrag von 5 % der stillen Reserven zu versteuern ist, gebietet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Auffassung des BFH keine mehrjährig gestaffelte Stundung der Besteuerung. f) Offene Fragen Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass die Lösung des BFH heikel wird, wenn der Anteilseigner, auf den die Anteile an der Übernehmerin übergehen, keine Kapitalgesellschaft, sondern eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschaftern ist.8 Denn der Buchwertansatz nach § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG setzt ua. voraus, dass das betreffende Wirtschaftsgut bei der übernehmenden „Körperschaft“ „der Körperschaftsteuer“ unterliegt. Natürliche Personen sind aber weder Körperschaften noch unterliegen sie der Körperschaftsteuer. Die FinVerw.9 ist in diesem Punkt richtigerweise großzügig und subsumiert offenbar auch die Einkommensteuerpflicht unter § 11 Abs. 2 Satz 1 UmwStG. Die Durchbrechung des Wortlauts lässt sich damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle offenkundig nicht die Konstellation der auf den jeweiligen Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft übergehenden Anteile an der übernehmenden Gesellschaft vor Augen gehabt hat. Jedenfalls wäre es kaum mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, würde das Gesetz bei natürlichen Personen als unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschaftern die Möglichkeit eines steuerneutralen Übergangs der Anteile von vornherein ausschließen.

7 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Indus), FR 2012, 25; v. 23.1.2014 – C-164/12 (DMC), GmbHR 2014, 210; v. 21.5.2015 – C-657/13 (Verder Lab Tec), FR 2015, 600. 8 Dazu auch Pfirrmann, HFR 2019, 52. 9 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665 BStBl. I 2011, 1314 Rz. 11.19.

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2. Buchwertaufstockung bei gleichzeitiger Einbringung mehrerer Sacheinlagegegenstände a) Leitsatz und Sachverhalt Zu einem Fall, in dem mehrere Mitunternehmerbeteiligungen in eine GmbH eingebracht worden waren, hat der BFH10 entschieden: „Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG 2006 sind sowohl für jeden Gesellschafter als auch für jeden einzelnen Sacheinlagegegenstand gesondert zu prüfen. Dies gilt auch bei Einbringung mehrerer Mitunternehmeranteile mit positiven und negativen Kapitalkonten.“

Zum Sachverhalt: Gesellschafter der A-GbR und B-GbR waren zu je gleichen Anteilen zwei Brüder. Die Gesellschafter brachten ihre Beteiligungen an den beiden GbR zu Buchwerten rückwirkend zum 1.1.2010 in eine neu gegründete GmbH ein. In ihrer Bilanz zum 31.12.2009 wies die A-GbR ein negatives Kapital aus; das Kapital der B-GbR war dagegen positiv. Die Gesellschafter stritten mit dem FA darüber, ob die Buchwerte der beiden Beteiligungen an der A-GbR gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG in der Bilanz der GmbH durch Auflösung stiller Reserven soweit aufzustocken sind, dass der Wert der steuerlichen Betriebsvermögen nicht mehr negativ ist. Die Gesellschafter waren der Auffassung, bei der Einbringung der Mitunternehmeranteile an den beiden GbR handele es sich um einen einheitlichen Einbringungsvorgang, so dass bei Prüfung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG eine Saldierung des negativen Betriebsvermögens der Anteile an der A-GbR mit den positiven Werten der Anteile an der B-GbR vorgenommen werden könne. b) Streitfrage Wird ein Betrieb, Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil in eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaft eingebracht, und erhält der Einbringende dafür neue Anteile an der Gesellschaft (Sacheinlage), darf die Kapitalgesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG mit seinem Buchwert oder mit einem höheren Wert ansetzen, soweit die Passivposten des eingebrachten Betriebsvermögens die Aktivposten nicht übersteigen; dabei ist das Eigenkapital nicht zu berücksichtigen. Übersteigen demgegenüber die Pas-

10 BFH v. 13.9.2018 – I R 19/16, BStBl. II 2019, 385 = FR 2019, 278. Anm. (zB): Pfirrmann, BFH/PR 2019, 116; Riedel, GmbHR 2019, 306; Maetz, HFR 2019, 219; Carlé, BeSt. 2019, 29; Weiss, EStB 2019, 81.

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sivposten die Aktivposten, sind die im eingebrachten Betriebsvermögen ruhenden stillen Reserven soweit aufzudecken, als dies zum Ausgleich des auf die jeweilige Sacheinlage bezogenen Negativkapitals erforderlich ist. Die Frage, ob bei gleichzeitiger Einbringung mehrerer Einbringungsobjekte bei der Prüfung auf einen negativen Einbringungswert iSd. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG eine Saldierung der Einzelwerte erfolgen kann, war bislang in der Literatur und der Rspr. der Finanzgerichte umstritten. Einigkeit besteht noch darin, dass die Prüfung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG für jeden Gesellschafter getrennt zu erfolgen hat. Von Teilen der Literatur und von einigen Finanzgerichten befürwortet wird indes die Möglichkeit einer Saldierung der Werte der von demselben Gesellschafter eingebrachten Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Gesamtbetrachtung.11 c) Auffassung des BFH Der BFH hält eine Saldierung der Werte der von einer Person eingebrachten Sacheinlagegegenstände nicht für möglich. Er geht zunächst vom Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG aus, wo von dem „eingebrachten Betriebsvermögen“ die Rede ist. Was als „eingebrachtes Betriebsvermögen“ anzusehen ist, ergibt sich aus § 20 Abs. 1 UmwStG, wo es heißt: „Wird ein Betrieb oder Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil … eingebracht“.

Hieraus ist nach Auffassung des BFH abzuleiten, dass das UmwStG sich jeden Sacheinlagegegenstand, dh. jeden Betrieb, Teilbetrieb und eben auch jeden Mitunternehmeranteil einzeln ansieht. Im Streitfall ist daher eine Einzelbetrachtung aller vier eingebrachten Mitunternehmeranteile geboten. Für eine Gesamtbetrachtung mehrerer von einem Gesellschafter eingebrachter Einbringungsobjekte sieht der BFH eine rechtliche Grundlage weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzeshistorie und auch nicht im Gesetzeszweck. 11 Sächs. FG v. 28.7.2010 – 2 K 322/10, EFG 2011, 2027; FG Berlin-Brandenb. v. 10.2.2016 – 11 K 12073/15, EFG 2016, 954 (Vorinstanz des hier besprochenen BFH-Urteils); Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG Rz. 561; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 Rz. 333; aA (stets Einzelbetrachtung) zB Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/ van Lishaut, UmwStG3, § 20 Rz. 166; Menner in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 331, 335.

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Die Sichtweise des BFH wird auch dadurch gestützt, dass die nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG erforderliche Einheitlichkeit der Ausübung des Bewertungswahlrechts ebenfalls auf den jeweiligen einzelnen Einlagegegenstand bezogen wird.12

II. Organschaft – Übertragungsgewinn bei Aufwärtsverschmelzung auf eine Organgesellschaft 1. Leitsatz und Sachverhalt In einem Fall betreffend die Aufwärtsverschmelzung einer GmbH auf eine weitere GmbH hat der BFH13 entschieden: „Wird eine Kapitalgesellschaft auf ihre Muttergesellschaft verschmolzen, die ihrerseits Organgesellschaft einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft mit einer Kapitalgesellschaft als Organträgerin ist, ist auf den Verschmelzungsgewinn weder auf der Ebene der Muttergesellschaft noch auf der Ebene der Organträgerin das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG anzuwenden (entgegen BMF-Schreiben vom 11. November 2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 12.07).“

Die Beteiligten haben in erster Instanz vor allem darüber gestritten, wie ein aktiver steuerlicher Ausgleichsposten bei der Berechnung des Übernahmeergebnisses im Rahmen einer mittelbaren Organschaft zu behandeln ist.14 Zu diesem Punkt ist der BFH in seiner Falllösung nicht mehr gekommen, weil er die Klage unabhängig von dieser Frage aus anderen Gründen als begründet angesehen hat. Daher wird der Sachverhalt hier verkürzt widergegeben: Die D-GmbH wurde rückwirkend zum 31.12.2006 auf ihre Muttergesellschaft (OG-GmbH) verschmolzen. Die aufnehmende Gesellschaft war ihrerseits Organgesellschaft einer ertragsteuerlichen Organschaft mit ihrer Muttergesellschaft (OT-GmbH). Nach Auffassung des FA ist im Zuge der Aufwärtsverschmelzung bei der OG-GmbH ein Übernahmegewinn entstanden. Dieser wäre – das war zwischen den Beteiligten unstreitig – steu12 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 20 Rz. 269; Menner in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 377; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 312; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG Rz. 671. 13 BFH v. 26.9.2018 – I R 16/16, BFHE 263, 131 = FR 2019, 561. Anm. (zB) von Glahe, FR 2019, 565; Hinder/Kawka, Ubg. 2019, 278; Pfirrmann, BFH/PR 2019, 132; Märtens, jurisPR-SteuerR 19/2019 Anm. 4; Schlücke, EWiR 2019, 553. 14 S. hierzu die vorinstanzliche Entscheidung FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 3400/13 K,F, EFG 2016, 594; von Freeden/Joisten, DB 2016, 1099.

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erfrei. Denn § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bestimmt, dass bei der übernehmenden Körperschaft ein Gewinn oder ein Verlust in Höhe des Unterschieds zwischen dem Buchwert der Anteile an der übernehmenden Körperschaft und dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, abzüglich der Kosten für den Vermögensübergang –mit anderen Worten: der jeweilige Übernahmegewinn oder -verlust – „außer Ansatz“ bleibt. Das Übernahmeergebnis ist daher bei der Einkommensermittlung der aufnehmenden Körperschaft außerbilanziell zu neutralisieren.15

2. Streitfrage Die streitige Frage war nun, ob auf diesen Übernahmegewinn das 5%ige Betriebsausgaben-Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG anzuwenden ist, wie das FA gemeint hat. Im Gesetz findet sich dazu in § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG die Regelung, dass § 8b KStG – also auch dessen Abs. 3 – im Hinblick auf einen etwaigen Übernahmegewinn auf Ebene der aufnehmenden Gesellschaft anwendbar ist. Hierauf hat sich denn auch das FA für seine Auffassung gestützt.

3. Lösung des BFH Der BFH kommt zu einem anderen Ergebnis, weil es sich bei der OGGmbH um eine Organgesellschaft einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft handelt. Insoweit sieht § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG vor, dass bei der Ermittlung des Einkommens bei Organschaft abweichend von den allgemeinen Vorschriften § 8b Abs. 1–6 KStG und § 4 Abs. 6 UmwStG 2006 – also auch § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG – nicht anzuwenden sind. In dieser Nichtanwendbarkeit des § 8b KStG-Regimes auf das Ergebnis der Organgesellschaft kommt die sogenannte Bruttomethode zum Ausdruck.16 Die steuerlichen Beteiligungserträge sollen auf der Stufe der Organgesellschaft noch nicht herausgerechnet werden, sondern sollen in deren – dem Organträger zuzurechnenden – Einkommen enthalten sein. Die Steuerfreistellung – und die 5%ige Schachtelstrafe – sollen dann erst auf der Stufe des Organträgers zum Zuge kommen. Dies ergibt sich dann aus § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG, der wie folgt lautet: 15 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665 BStBl. I 2011, 1314 Rz. 12.05. 16 S. zur Bruttomethode zB BFH v. 14.1.2009 – I R 47/08, BStBl. II 2011, 131 = FR 2009, 825; v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052 = FR 2015, 472.

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Märtens, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „Sind in dem dem Organträger zugerechneten Einkommen Gewinne oder Gewinnminderungen iSv. § 8b Abs. 1–3 enthalten, sind § 8b KStG und § 3 Nr. 40 EStG bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers anzuwenden.“

Bei Prüfung des § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG auf der Ebene der OT-GmbH ist aber zu konstatieren, dass in dem zugerechneten Einkommen der OG-GmbH gar kein Übernahmegewinn aus der Aufwärtsverschmelzung „enthalten“ ist, weil das Übernahmeergebnis in Befolgung von § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bei der OG-GmbH „außer Ansatz“ geblieben ist und somit auch nicht Bestandteil des dem Organträger zugerechneten Einkommens geworden sein kann.17

4. Schließung der Gesetzeslücke Das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG kommt sonach weder auf der Ebene der Organgesellschaft noch auf der des Organträgers zum Zuge. Vom Ergebnis her ist dies nicht im Sinne des Erfinders. Der Gesetzgeber hätte gewiss, wenn er sich der Problematik bewusst gewesen wäre, für den Verschmelzungsgewinn in dem Fall, dass die aufnehmende Gesellschaft eine Organgesellschaft ist, ebenfalls die Anwendung der Bruttomethode angeordnet. Nach mE zutreffender Auffassung des BFH lassen sich aber so detailliert technische Regelungen wie § 12 UmwStG und § 15 KStG nicht unter Rückgriff auf allgemeine Überlegungen gegen ihren Wortlaut auslegen. Es liegt vielmehr eine echte Gesetzeslücke vor, die nicht von der Rspr., sondern nur vom Gesetzgeber gefüllt werden kann. Der Gesetzgeber hat inzwischen auf das BFH-Urteil reagiert und die Gesetzeslücke geschlossen. § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 und 2 KStG wurde durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 12.12.201918 wie folgt neu gefasst (Hervorhebungen durch Verf.):

17 So auch die überwiegende Auffassung in der Literatur, zB Rödder in Rödder/ Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 12 Rz. 263; Wisniewski in Haritz/ Menner/Bilitewski, UmwStG5., § 12 Rz. 60; Knöller in Eisgruber, UmwStG2, § 12 Rz. 52; Walter in Bott/Walter, KStG, § 15 Rz. 35; Erle/Heurung in Erle/ Sauter, KStG3, § 15 Rz. 44; Dallwitz in Schnitger/Fehrenbacher, KStG2, § 15 Rz. 92; aA Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 12 UmwStG Rz. 267.39; Neumann in Gosch, KStG3, § 15 Rz. 24; Heinemann, GmbHR 2012, 133 (137). 18 BGBl. I 2019, 2451.

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Märtens, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „§ 8b Absatz 1 bis 6 dieses Gesetzes sowie § 4 Absatz 6 und § 12 Absatz 2 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes sind bei der Organgesellschaft nicht anzuwenden. Sind in dem dem Organträger zugerechneten Einkommen Bezüge, Gewinne oder Gewinnminderungen im Sinne des § 8b Absatz 1 bis 3 dieses Gesetzes oder mit solchen Beträgen zusammenhängende Ausgaben im Sinne des § 3c Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes, ein Übernahmeverlust im Sinne des § 4 Absatz 6 des Umwandlungssteuergesetzes oder ein Gewinn oder Verlust im Sinne des § 12 Absatz 2 Satz 1 des Umwandlungssteuergesetzes enthalten, sind § 8b dieses Gesetzes, § 4 Absatz 6 und § 12 Absatz 2 des Umwandlungssteuergesetzes sowie § 3 Nummer 40 und § 3c Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes bei der Ermittlung des Einkommens des Organträgers anzuwenden; in den Fällen des § 12 Absatz 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes sind neben § 8b dieses Gesetzes auch § 3 Nummer 40 und § 3c Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes entsprechend anzuwenden.“

Die Neuregelung ist gem. § 34 Abs. 6f KStG idF des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften erstmals auf Umwandlungen anzuwenden, bei denen die Anmeldung zur Eintragung in das für die Wirksamkeit des jeweiligen Vorgangs maßgebende öffentliche Register nach dem 12.12.2019 erfolgt ist.

III. § 8b KStG – Berücksichtigung der Ergebnisse von Währungskurssicherungsgeschäften bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns aus Anteilsverkauf 1. Leitsatz und Sachverhalt Zum Fall eines antizipativen Sicherungsgeschäfts im Vorfeld einer geplanten Anteilsveräußerung hat der BFH19 entschieden: „Bei der Bemessung des nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfreien Veräußerungsgewinns aus einem in Fremdwährung abgewickelten Anteilsverkauf ist der Ertrag aus einem Devisentermingeschäft, das der Veräußerer vor der Veräußerung zum Zweck der Minimierung des Währungskursrisikos in Bezug auf den Veräußerungserlös abgeschlossen hat, als Bestandteil des Veräußerungspreises iS des § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG gewinnerhöhend zu berücksichtigen (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 2.4.2008 – IX R 73/04, BFH/NV 2008, 1658).“

Die inländische X-AG erwarb im Jahr 2002 Aktien der in New York börsennotierten US-amerikanischen Y-Inc. auf US-$-Basis. Sie schloss in zeitlicher Nähe zu den Aktienerwerben mit einer Bank mehrere Devisentermingeschäfte zur Kurssicherung ab. Sie hat vorgetragen, dass sie 19 BFH v. 10.4.2019 – I R 20/16, BFHE 265, 63 = GmbHR 2020, 56.

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Märtens, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften

von Anfang an die feste Absicht gehabt habe, die Aktien nach zwei bis drei Jahren wieder zu veräußern und dass die Devisentermingeschäfte den Zweck gehabt hätten, den erwarteten künftigen Veräußerungserlös aus der Weiterveräußerung der Aktien gegen Währungskursschwankungen abzusichern. Die revolvierenden Devisentermingeschäfte wurden in der Folge mehrmals verlängert. In ihren Handels- und Steuerbilanzen bildete die X-AG Bewertungseinheiten zwischen dem Aktienbestand und den jeweiligen Sicherungsgeschäften. In den Jahren 2004 und 2005 veräußerte die X-AG die Aktien in mehreren Tranchen. Aus den Anteilsveräußerungen des Jahres 2004 erzielte die Klägerin einen Buchgewinn, während sich aus jenen des Jahres 2005 ein Buchverlust ergab. Die Devisentermingeschäfte ermöglichten es der X-AG, den in USDollar vereinnahmten Kaufpreis zu den in den Devisentermingeschäften vorab festgelegten Umtauschkursen in Euro zu tauschen. Hierbei realisierte die X-AG jeweils Kursgewinne, die sich in den Streitjahren 2004 und 2005 in zusätzlichen Erträgen niederschlugen. In ihren Jahresabschlüssen wies die X-AG den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile unter Einbeziehung der Ergebnisse (Kursgewinne) aus den Devisentermingeschäften („brutto“) aus. In ihren Steuererklärungen behandelte sie diese Gesamtgewinne als nach § 8b Abs. 2 Satz 1 KStG steuerfrei und setzte nach Maßgabe von § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG einen Anteil von 5 % dieser Gesamtgewinne als nichtabziehbare Betriebsausgaben an. Aus Sicht der Klägerin erhöhen mithin die Erträge aus den Sicherungsgeschäften den nach § 8b KStG steuerfreien Veräußerungsgewinn. Das FA beanstandete die Einbeziehung der Erträge aus den Sicherungsgeschäften in die Ermittlung der nach § 8b Abs. 2 KStG freigestellten Veräußerungsgewinne. Es berief sich dabei insbes. auf ein zu § 17 EStG ergangenes Urteil des IX. Senats des BFH,20 wonach das Ergebnis von Kurssicherungsgeschäften, die der Absicherung des Kaufpreises im Zusammenhang mit der Veräußerung von in Fremdwährung notierten Aktien dienen, bei der Bestimmung des Veräußerungsgewinns nicht zu berücksichtigen sind.

20 BFH v. 2.4.2008 – IX R 73/04, BFH/NV 2008, 1658.

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2. Lösung des BFH („symmetrische“ Behandlung von Gewinnen und Verlusten aus Sicherungsgeschäften) Der I. Senat des BFH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erträge aus den Devisentermingeschäften bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 2 KStG zu berücksichtigen sind, falls der Abschluss der Sicherungsgeschäfte tatsächlich durch die Anteilsveräußerungen veranlasst worden ist. Er ist zu diesem Ergebnis auf eine etwas umständliche Weise gelangt, was offenkundig an der gegenläufigen Entscheidung des IX. Senats zu § 17 EStG liegt. Der I. Senat hat sich zunächst die Frage gestellt, wie etwaige Verluste aus Kurssicherungsgeschäften im Zusammenhang mit Anteilsveräußerungen zu behandeln sind. Und hier ist er auf seine Rspr.21 zur Behandlung von Verlusten aus Aktienzertifikat-Geschäften im Rahmen des § 8b Abs. 2 KStG zurückgekommen, wo er unter Anwendung der Kriterien des Veranlassungsprinzips zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Verluste aus den Sicherungsgeschäften zu den Veräußerungskosten iSd. § 8b Abs. 2 KStG gehören. Der I. Senat meint weiter, dass Verluste aus Währungskurssicherungsgeschäften in gleicher Weise zu behandeln seien wie die Verluste aus den Aktienzertifikaten. Auch diese würden folglich die Veräußerungskosten erhöhen. Wie ist nun vor diesem Hintergrund mit Gewinnen aus Währungskurssicherungsgeschäften zu verfahren? Der I. Senat grenzt sich in zweierlei Hinsicht von der Entscheidung des IX. Senats zu § 17 EStG ab: Zum einen sieht er in § 8b KStG einen erkennbaren Willen des Gesetzgebers, Erträge und Verluste aus Anteilsveräußerungen nach Möglichkeit „symmetrisch“ zu behandeln. Vor allem aber sieht er die „symmetrische“ Behandlung von Erträgen und Verlusten aus den Währungskurssicherungsgeschäften als Gebot der unionsrechtlichen Kaptalverkehrsfreiheit. Er bezieht sich dabei insbes. auf die Rspr. des EuGH,22 in der der Gerichtshof die Außerachtlassung von Währungsverlusten im Zusammenhang mit Anteilsveräußerungen nur als zulässig ansieht, wenn der betreffende Mitgliedstaat mit etwaigen Wechselkursgewinnen in gleicher Weise verfährt. Die Revision der Klägerseite hat zur Zurückverweisung der Sache an das FG geführt. Denn das erstinstanzliche Gericht hatte keine hinreichen21 BFH v. 9.4.2014 – I R 52/12, BStBl. II 2014, 861 = FR 2014, 803. 22 EuGH v. 28.2.2008 – C-293/06 (Deutsche Shell), BStBl. II 2009, 976 „Deutsche Shell“; v. 10.6.2005 – C-686/13 (X), IStR 2015, 1178.

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den Feststellungen zum tatsächlichen Zweck der abgeschlossenen Sicherungsgeschäfte getroffen. Dabei hat der BFH im Übrigen betont, dass nach dem Veranlassungsprinzip nur dann von einer größeren Nähe zum Veräußerungsgeschäft als zum laufenden Geschäftsverkehr auszugehen ist, wenn das Sicherungsgeschäft konkret auf das bestimmte Veräußerungsgeschäft bezogen ist („Micro-Hedge“). Unspezifische globale Absicherungen für Währungskursrisiken einer Vielzahl von Grundgeschäften („Macro-“ oder „Portfolio Hedges“) seien in diesem Zusammenhang hingegen nicht zu berücksichtigen.

3. Bedeutung der Bewertungseinheit Die Klägerseite hatte ihre Auffassung in diesem Fall auch mit den in ihrer Bilanz gebildeten Bewertungseinheiten zwischen Grund- und Sicherungsgeschäften begründet. Dem ist der BFH (wie auch schon die Vorinstanz)23 nicht gefolgt. Hierbei haben drei Gesichtspunkte eine Rolle gespielt: –

Der vorliegende Fall spielt in den Streitjahren 2004 und 2005. In dieser Zeit existierten weder die Bestimmung des § 5 Abs. 1a EStG – nach der in der Handelsbilanz gebildete Bewertungseinheiten auch für die steuerliche Gewinnermittlung zu berücksichtigen sind – noch gab es die erst 2009 in das HGB eingefügte Regelung des § 254 HGB als gesetzliche Grundlage für die Bildung von Bewertungseinheiten in der Handelsbilanz.



Auch unter Geltung der vorgenannten Bestimmungen ist höchst streitig, ob die Bewertungseinheit im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Realisation von Grund- und Sicherungsgeschäft überhaupt noch eine Rolle spielen kann24 oder ob dann nicht ausschließlich die Realisationsgrundsätze zur Anwendung kommen.25

23 FG Berlin-Brandenb. v. 10.2.2016 – 11 K 12212/13, EFG 2016, 1629. 24 So Hahne, StuB 2008, 181 (184 ff.); Glaser/Kahle, Ubg. 2015, 113 (117); Hick in Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Rz. 1738; Teiche, DStR 2014, 1737 (1739). 25 So FG Düss. v. 13.12.2011 – 6 K 1209/09 F, EFG 2012, 1496, rkr.; BMF v. 25.8.2010 – IV C 6 - S 2133/07/10001 – DOK 2009/0743135, DB 2010, 2024 = StEK EStG § 5 Bil. Nr. 125; Drüen in Großkomm. HGB5, § 254 Rz. 13, 26; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 239; Meinert, DStR 2017, 1447 (1451 f.); Schnitger in Schnitger/Fehrenbacher, KStG2, § 8b Rz. 287.

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Im Streitfall ging es nicht um die Ebene der Steuerbilanz, sondern um die Anwendung von § 8b KStG, dh. die Ebene der steuerlichen Einkommensermittlung.

Nach Auffassung des BFH fehlt es bei dieser Sachlage in den Streitjahren an einer gesetzlichen Grundlage für ein „Durchschlagen“ einer gebildeten Bewertungseinheit auf die Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 8b Abs. 2 KStG. Wie die Rechtslage nach Einführung des § 5 Abs. 1a EStG und des § 254 HGB zu beurteilen wäre, ist weiterhin offen.

IV. § 27 KStG – Einlagenrückgewähr durch Drittstaatengesellschaft 1. Leitsätze und Sachverhalt Der I. Senat des BFH hat zu einem Fall der Einlagenrückgewähr durch eine Drittstaatengesellschaft zur Rechtslage nach Schaffung des § 27 Abs. 8 KStG entschieden:26 „1. Auch nach der ab 2006 geltenden Rechtslage können Leistungen aus dem Vermögen von in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaften, für die kein steuerliches Einlagekonto iS. des § 27 KStG geführt wird, als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren sein (Bestätigung des BFHUrteils vom 13. Juli 2016 – VIII R 47/13, BFHE 254, 390). 2. Zwar ist die Höhe des ausschüttbaren Gewinns einer Drittstaatengesellschaft nach dem jeweiligen ausländischen Handels- und Gesellschaftsrecht zu ermitteln (Bestätigung der Rechtsprechung; Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 – I R 117/08, BFHE 232, 15; BFH-Urteil vom 13. Juli 2016 – VIII R 73/13, BFHE 254, 404); seine Verwendung und damit auch die (nachrangige) Rückgewähr von Einlagen unterliegt jedoch der gesetzlichen Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 und 5 KStG (insoweit Fortentwicklung der Rechtsprechung).“ Die Klägerin – eine inländische Kapitalgesellschaft – leistete bis 2004 in ihre in den USA ansässige 100%ige Tochterkapitalgesellschaft (B-Inc.) Einlagen iHv. 10 Mio. t. Im Streitjahr (2008) erhielt sie von der B-Inc. Leistungen über umgerechnet 1 Mio. t zurück. Hierbei handelte es sich weder

26 BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16, BFHE 265, 56 = FR 2019, 907; Anm. (zB): Wacker, FR 2019, 979; Brühl, GmbHR 2019, 1144; Ergenzinger, IStR 2019, 828; Märtens, jurisPR-SteuerR 42/2019 Anm. 5; von Glasenapp, BB 2019, 2418; Baumgartner, DStRK 2019, 269; Günther, EStB 2019, 407.

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Märtens, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften

um die Rückzahlung von Nennkapital noch verfügte die B-Inc. nach den vorinstanzlichen Feststellungen über einen ausschüttbaren Gewinn. Das FA hat angenommen, dass der Klägerin nicht Einlagen zurückgewährt worden seien, sondern sie vielmehr Bezüge iSv. § 8b Abs. 1 KStG iVm. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG erhalten habe, die iHv. 5 % dem pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbot des § 8b Abs. 5 KStG unterlägen. In einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaften könnten an ihre inländischen Gesellschafter keine steuerneutralen Leistungen erbringen. Mit Schaffung des § 27 Abs. 8 KStG, der die Voraussetzungen für die Anerkennung der Einlagenrückgewähr durch im EU-Ausland unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaften regelt, habe der Gesetzgeber den Willen zum Ausdruck gebracht, eine Einlagenrückgewähr durch Gesellschaften aus Drittstaaten nicht anerkennen zu wollen.

2. Entscheidung des BFH Der I. Senat des BFH – wie zuvor auch schon der VIII. Senat27 – sieht die Dinge anders als die FinVerw. Er knüpft an die BFH-Rspr.28 zur Anerkennung der Einlagenrückgewähr durch im Ausland ansässigen Gesellschaften für die Zeit vor dem körperschaftsteuerlichen Systemwechsel an. Nach dieser Rspr. waren über den Wortlaut des seinerzeitigen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG hinaus bei ausländischen Kapitalgesellschaften auch Kapitalrückzahlungen außerhalb der Herabsetzung von Nennkapital nicht zu besteuern, sofern unter Heranziehung des ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts von einer Rückzahlung aus einer Kapitalrücklage auszugehen ist. Für die Frage, ob mit der Schaffung des § 27 Abs. 8 KStG durch das SEStEG ein Ausschluss der Anerkennung einer Einlagenrückgewähr in Drittstaatenfällen verbunden sein sollte, kann der BFH den Gesetzesmaterialien keine eindeutigen Hinweise entnehmen. Er stützt sein Ergebnis aber auf die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit, die grundsätzlich auch Drittstaatenkonstellationen abdeckt. Ein kategorischer Ausschluss der Möglichkeit einer Einlagenrückgewähr – das meinen sowohl der I. als auch der VIII. Senat des BFH – würde die Anteilseigner von Drittstaatengesellschaften im Vergleich zu Anteilseignern von inländi-

27 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFHE 254, 390 = FR 2017, 192. 28 BFH v. 20.10.2010 – I R 117/08, BFHE 232, 15 = GmbHR 2011, 446; v. 13.7.2016 – VIII R 73/13, BFHE 254, 404 = GmbHR 2016, 228.

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Märtens, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften

schen und EU-ausländischen Gesellschaften diskriminieren, ohne dass hierfür ein Rechtfertigungsgrund bestehe.

3. Ergänzungen der bisherigen Rechtsprechung In zwei Punkten ergänzt der I. Senat die bisherige Rspr. zur Einlagenrückgewähr von Auslandsgesellschaften: Er stellt zum einen klar, dass das in § 27 Abs. 8 KStG für EU-Gesellschaften geregelte vorgeschaltete gesonderte Feststellungsverfahren beim Bundeszentralamt für Steuern in den Drittstaatenfällen nicht durchzuführen ist, weil dieses von Gesetzes wegen ausdrücklich nur für die EU-Fälle vorgesehen worden ist, derartige Verfahrensregelungen jedoch einer expliziten gesetzlichen Regelung bedürfen. Zum anderen wendet der BFH auch in Drittstaatenfällen die Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Sätze 3 und 5 KStG an, dh. es gibt keinen Direktzugriff auf das Einlagekonto, sondern es ist erst zu prüfen, ob im betreffenden Zeitpunkt noch ein etwaiger ausschüttbarer Gewinn vorhanden ist. Deshalb ist zwar der ausschüttbare Gewinn einer Drittstaatengesellschaft auf der Grundlage des jeweils anwendbaren ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts zu ermitteln; seine Verwendung unterliegt sodann aber den Zugriffsgrundsätzen des § 27 Abs. 1 Satz 3 ff. KStG. Der BFH begründet dies damit, dass sich aus der Kapitalverkehrsfreiheit kein Anspruch auf Besserstellung gegenüber Inlandskonstellationen herleiten lasse. Das Problem in der Praxis wird – wie schon in den Fällen, in denen § 27 Abs. 8 KStG unmittelbar anwendbar ist29 – sein, inwiefern die auf der Grundlage des ausländischen Rechts ermittelten Werte – wie von der FinVerw.30 für § 27 Abs. 8 KStG verlangt – in einer Überleitungsrechnung entsprechend § 60 EStDV in das deutsche Steuerrecht zu transformieren sind.31 Dies kann große praktische Probleme aufwerfen, insbeso. wenn der betreffende Anteilseigner ein Minderheitsgesellschafter ist, der über keine besonderen Informationsrechte gegenüber der ausländischen Gesellschaft verfügt. Unabhängig davon, wie man hierzu steht, wäre eine einheitliche materiell-rechtliche und ver-

29 Hierzu zB Bauschatz in Gosch, KStG3, § 27 Rz. 144 ff.; Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 229 ff. 30 S. die PDF-Datei „Unterlagenkatalog“ im Zusammenhang mit der Einlagenrückgewähr nach § 27 Abs. 8 KStG auf der Website des BZSt (www.BZSt.de). 31 Vgl. zu dieser Problematik auch Wacker, FR 2019, 979 (988 f.).

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fahrensrechtliche Handhabung der EU-Fälle einerseits und der Drittstaatenfälle andererseits sachgerecht und wäre es zweckmäßig, wenn der Gesetzgeber die Drittstaatenfälle nunmehr in § 27 Abs. 8 KStG integrieren würde.

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Aktuelle steuerpolitische Vorhaben Dr. Steffen Neumann Ministerialdirigent, Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf I. Vorwort II. Gesetzgebung des Jahres 2019 1. Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) v. 25.3.2019 2. Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Jahressteuergesetz 2019) 3. Reform der Grundsteuer 4. Drittes Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes Bürokratieentlastungsgesetz) a) Entstehung b) Aufbewahrungspflicht von Datenverarbeitungssystemen c) Verbesserungen von Arbeitgeberleistungen d) Voranmeldungszeiträume, Kleinunternehmerregelung aa) Voranmeldungen durch junge Unternehmen bb) Kleinunternehmerregelung 5. Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (Forschungszulagengesetz)

6. Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 7. Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht a) Zusammenhang b) Steuermäßigung für energetische Gebäudesanierungsmaßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden (§ 35c EStG) c) Erhöhung der Entfernungspauschale d) Mobilitätsprämie (§§ 101–109 EStG neu) e) Umsatzsteuerliche Ermäßigung des Schienenbahnfernverkehrs f) Anwendungszeitpunkt 8. Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen a) Behandlung der grenzüberschreitenden Steuergestaltungen auf OECD- und EU-Ebene b) Gesetzentwurf der Bundesregierung aa) Überblick bb) Anzeigepflicht bei grenzüberschreitender Gestaltung cc) Keine nationalen Anzeigepflichten dd) Anwendungszeitpunkt

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben III. Gesetzesvorhaben in 2020 und weitere Gesetzesvorschläge 1. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes a) Eindämmung von Share deal-Gestaltungen b) Umwandlung c) Anzeigepflicht d) Übergangsregelung e) Mögliche Änderungen im Gesetzgebungsverfahren f) Sachstand im Gesetzgebungsverfahren g) Freibetrag für Wohnimmobilien (NRW, SH) 2. Restanten aus der ATAD-Richtlinie, zB zur Verhinderung hybrider Gestaltungen 3. Unternehmenssteuerreform

a) Antrag des Landes NRW „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“ b) Antrag des Freistaats Bayern zur „steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft c) Impulspapier der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion d) Vorschläge von dritter Seite (BDI, IDW) IV. Europäische/internationale Vorhaben 1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft 2. Mehrwertsteuerreform V. Nachwort

I. Vorwort Der Schluss des Jahres 2019 verlief recht turbulent. Die Bundesregierung brachte eine stattliche Anzahl von Gesetzesvorhaben auf den Weg, die auch rechtzeitig abgeschlossen werden konnten. Zukunftsweisend darunter ist vor allem das Klimaschutzprgramm 2030, das auch mit Hilfe steuerlicher Belastungen, Entlastungen und Anreize versuchen will, dass Deutschland seine zugesagten Klimaschutzziele dann doch bis 2030 erreichen wird. Wenn sogar die Steuer hierzu einen Beitrag leisten kann, so ist das erfreulich. Zuvor ist allerdings noch ein Vermittlungsausschussverfahren zu überwinden, weil das Gesetz am 20.11.2019 die Hürde im Bundesrat noch nicht geschafft hat. Im Ziel sind sich der Bund und die Länder zwar einig, nicht jedoch in Detailfragen der Zielerreichung und in Bezug auf die finanzielle Lastenverteilung zwischen Bund und Länder. Auf der Zielgeraden ist dem Deutschen Bundestag noch vor dem vom BVerfG gesetzten Enddatum die Reform der Grundsteuer geglückt. Für den doch wahrscheinlich werdenden Fall des Austritts von Großbritannien aus der Europäischen Union ist Vorsorge geschaffen worden. Und die F&E-Förderung ist auch in Deutschland als eines der letzten Staaten 48

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

in der Europäischen Union Wirklichkeit geworden. Die verbesserte Abschreibung von neu geschaffenem Wohnraum zur Milderung des angespannten Wohnungsmarkts in den Ballungszentren ist bereits Gesetz geworden, und auch die Pläne für das Jahr 2020 sind beachtlich, so dass im Großen und Ganzen die Halbzeitbilanz der Bundesregierung sich durchaus blicken lassen kann. Aus steuerlicher Sicht scheint der Ruf der Großen Koalition doch besser zu sein als in der öffentlichen Wahrnehmung.

II. Gesetzgebung des Jahres 2019 1. Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) v. 25.3.2019 Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (United Kingdom – UK) unterrichtete am 29.3.2017 den Europäischen Rat, aus der Europäischen Union austreten zu wollen. Damit lösten es das in Art. 50 EUV beschriebene Verfahren aus. Nach Art. 50 Abs. 3 EUV endet die Mitgliedschaft zwei Jahre nach der Mitteilung, also zum 29.3.2019, sofern nicht der Europäische Rat mit UK einstimmig eine Verlängerung der Frist zuvor beschließt. Dies ist bereits mehrfach geschehen. Nun ist der 31.1.2020 der aktuelle Austrittstermin, der realistisch erscheint. Das Brexit-Steuerbegleitgesetz1 will steuerliche Nachteile abwenden, wenn die Betroffenen in Deutschland steuerpflichtig sind und wenn allein der Brexit für den Betroffenen steuerliche Nachteile auslöst, weil UK mit dem Austritt den Status eines Drittstaats erlangt. Solche Nachteile sieht das Gesetz ua. in den folgenden Sachverhalten: –

Hat ein Stpfl. aus seinem inländischen Betriebsvermögen Wirtschaftsgüter in seine in UK belegene Betriebsstätte überführt, sind die im Zeitpunkt der Überführung vorhandenen stillen Reserven aufzudecken. Die dadurch ausgelöste Besteuerung kann gem. § 4g Abs. 1 EStG gemildert werden, indem in Bezug auf die nämlichen Wirtschaftsgüter steuermindernde Ausgleichsposten in gleicher Betragshöhe wie die aufgedeckten stillen Reserven gebildet werden. Verlassen die über-

1 Gesetz über steuerliche und weitere Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Steuerbegleitgesetz) v. 25.3.2019, BGBl. I 2019, 357.

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führten Wirtschaftsgüter den Raum der Europäischen Union, indem sie in einen Drittstaat wechseln, sind die gebildeten Ausgleichsposten sofort in vollem Umfang gewinnerhöhend nach § 4g Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG aufzulösen. Ein neuer § 4g Abs. 6 EStG regelt, dass allein der Austritt des UK aus der EU nicht dazu führt, dass ein als entnommen geltendes Wirtschaftsgut als aus der Besteuerungshoheit der Mitgliedstaaten der EU ausgeschieden gilt. Es bleibt dann bei der ratierlichen Besteuerung der stillen Reserven über den in § 4g EStG vorgesehenen Zeitraum von fünf Jahren. Wird das Wirtschaftsgut wieder aus dem UK, das inzwischen Drittstaat geworden ist, in das Inland zurückgeholt, bleibt es bei der in § 4g Abs. 3 EStG hierfür vorgesehenen steuerneutralen Auflösung des Ausgleichspostens. –

Verzieht eine Kapitalgesellschaft in einen Drittstaat, so findet im Inland eine Liquidation gem. § 11 KStG statt. Hiervon wird gem. § 12 Abs. 3 KStG abgesehen, wenn die Kapitalgesellschaft in einen Staat der EU und des EWR wegzieht. Hat bereits ein Wechsel der Kapitalgesellschaft in das UK stattgefunden, gelten die og. Regeln. Nach § 12 Abs. 3 KStG führt allein der Austritt des UK nicht dazu, dass eine Körperschaft, Vermögensmasse oder Personenvereinigung als ausgeschieden gilt oder als außerhalb der EU ansässig anzusehen ist. Einer solchen Gesellschaft mit Sitz in UK ist auch nach Austritt ihr Vermögen in der Weise zuzurechnen, wie es vor dem Austritt der Fall war.



Ergänzt wird auch das UmwStG. Es ist nur auf Unternehmen oder Rechtsträger anwendbar, wenn sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung innerhalb der EU bzw. des EWR haben (§ 1 Abs. 2 und 4 UmwStG). So ist es zB bisher möglich, dass ein in Deutschland ansässiges Unternehmen seine Betriebsstätte, die einen Teilbetrieb bildet, in eine britische Kapitalgesellschaft erfolgsneutral einbringt. Umgekehrt ist es einem britischen Unternehmen möglich, ebenfalls erfolgsneutral seine deutsche Betriebsstätte zu Buchwerten in eine deutsche Kapitalgesellschaft einzubringen. Sind solche Vorgänge bereits erfolgt, laufen die Beteiligten jetzt Gefahr, dass sie die Siebenjahresfrist in Bezug auf den Einbringungsgewinn I oder II nicht mehr einhalten können, so dass es dann noch zu einer rückwirkenden Versteuerung der Gewinne käme (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 iVm. § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG). Wenn das UK zum Drittstaat mutiert, ist die erforderliche Voraussetzung, dass der einbringende Unternehmer bzw. die aufnehmende Gesellschaft den geforderten EU-/EWR-Bezug hat, nicht mehr

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erfüllt, und die Beteiligten rutschen damit unverschuldet in die Besteuerungsfalle. § 22 Abs. 8 UmwStG sieht deshalb vor, dass § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 und Abs. 2 Satz 6 UmwStG, die für den Wegfall des erforderlichen EU-/EWR-Bezugs die nachträgliche Besteuerungsfolge vorsehen, in den oben beschriebenen Konstellationen nicht anwendbar sind. Das gilt freilich nur für solche Einbringungs- und Tauschvorgänge, die zeitlich vor dem Brexit liegen. Später erfolgte Einbringungen müssen sich an den dann geltenden Regeln messen lassen. –

Nach § 1 Abs. 2a Satz 2 UStG gilt die Isle of Man als Gebiet des UK. Dies wird mit dem Brexit gegenstandslos, so dass diese Regelung überflüssig wird.



Durch den Brexit könnte im Einzelfall die steuerliche Verschonung nach § 13a ErbStG unterlaufen werden. Das nach § 13b Abs. 2 ErbStG begünstigte Vermögen bleibt zu 85 % (Regelverschonung) steuerfrei, wenn das begünstigte Vermögen insgesamt den Betrag von 26 Mio. t nicht übersteigt. Weitere Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist zudem, dass die Lohnsummenklausel des § 13a Abs. 3 ErbStG, also insbes. die Lohnsummenfrist von fünf Jahren, eingehalten wird. In die Ausgangslohnsummen werden die gezahlten Löhne und Gehälter der letzten fünf Jahre vor dem Erbfall oder der Schenkung ermittelt, wobei es auf die Beschäftigten ankommt, die in einem inländischen zurechenbaren Betrieb oder in einer Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft (bei qualifizierter Beteiligung) arbeiten, die ihren Sitz oder Geschäftsleitung in der EU oder in dem EWR haben. Fällt dies infolge des Brexit weg, können die Lohnsummen der dort Beschäftigten nicht mehr berücksichtigt werden mit der weiteren Folge, dass die Lohnsummenklausel innerhalb der fünfjährigen Frist nicht mehr eingehalten werden kann. Dann vermindert sich der zu gewährende Verschonungsabschlag mit Wirkung für die Vergangenheit in dem Verhältnis, wie die Mindestlohnsumme unterschritten wird (§ 13a Abs. 3 Satz 5 ErbStG).



Gibt ein wesentlich Beteiligter iSd. § 17 EStG seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. seinen Wohnsitz auf und verzieht er in das Ausland, so wurde die Steuer, die durch die Aufdeckung der stillen Reserven entstand, gestundet (§ 6 Abs. 5 AStG). Nach dem Gesetzeswortlaut ist die Stundung nicht allein deshalb zu widerrufen, weil das UK aus der EU ausscheidet. Die Stundung ist erst in den Fällen des § 6 Abs. 5 Satz 5 AStG zu widerrufen. Die dort genannten Fälle knüpfen an ein 51

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weiteres Verhalten des Stpfl. an, das allein mit dem Austritt des UK nicht erfüllt wird. Damit bleibt es grundsätzlich bei der bisherigen Stundungsregelung. Haben Inländer jedoch eine britische limited als Gesellschaftsform gewählt und den Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt, bietet das Brexit-Steuerbegleitgesetz keine Hilfe für die Belange der Inländer. Die in Deutschland vorherrschende Sitztheorie gilt unverändert in Bezug auf Drittstaaten. Lediglich im EU-/EWR-Raum wird aufgrund der Niederlassungsfreiheit der Zuzug von solchen Gesellschaften zugelassen, die im Ausland gegründet worden sind (Gründungstheorie). Wird UK ein Drittstaat, wird aus der limited bei Beteiligung von mindestens zwei Personen einen OHG; hat sie nur einen Beteiligten, wird sie aufgelöst. Beides geschieht nach Auffassung der FinVerw. unter Aufdeckung der stillen Reserven. Einbringungsmaßnahmen, die diese Konsequenz verhindern, gelingen nur bis zu dem Zeitpunkt des Austritts des UK aus der EU. Das Brexit-Steuerbegleitgesetz ist anwendbar ab dem 29.3.2019, und zwar gleichgültig, ob es zu einem geregelten (weichen) oder ungeregelten (harten) Brexit kommen sollte. Es ist nur dann gegenstandslos, wenn der Brexit – was nach der Berichtslage unwahrscheinlich ist – ausbleibt. Hiervon zu trennen ist das Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union (Brexit-Übergangsgesetz).2 Dieses Gesetz geht von einer weichen geordnete Lösung aus und bestimmt, dass dann das gesamte innerstaatliche Recht mit Bezug auf die EU unverändert im Verhältnis zum UK anzuwenden ist. Kommt es zu einem harten Brexit, ist dieses Gesetz ohne Bedeutung.

2. Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Jahressteuergesetz 2019) Dieses Gesetz3 auf der Grundlage eines Entwurfs der Bundesregierung ist am 29.11.20194 nach Zustimmung der Länder im Bundesrat zustande ge2 Ges. v. 27.3.2019, BGBl. I 2019, 402. 3 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Jahressteuergesetz 2019) v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2451. 4 BR-Drucks. 356/19, 256/19.

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kommen. Es enthält ein Sammelsurium von Einzelvorschriften, von denen hier einige insbes. aus dem EStG und KStG ausgewählt und vorgestellt werden. Im Einzelnen: –

§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Nr. 3–5 EStG: Die Regelung knüpft an die bisherige Begünstigung der privaten Nutzung von betrieblichen Kraftfahrzeugen an, die bestimmte ökologische Anforderungen zur Reduzierung der CO2-Belastung erfüllen. Die Neuregelung setzt dabei einen Teil des Klimaprogramms 2030 um, soweit es die Förderung von schadstoffarmen Kraftfahrzeugen geht. Die weitergehenden Begünstigungen sehen vor, dass die Bemessungsgrundlage für die Anschaffung von Kraftfahrzeugen nach dem 31.12.2018 und vor dem 1.1.2031 auf ein Viertel des Listenpreises gesetzt wird (1 %-Regelung, 0,03 %-Regelung), wenn keinerlei CO2-Gase ausgestoßen werden und der Bruttolistenpreis nicht mehr als 40.000 t beträgt (Nr. 3). Ist Nr. 3 nicht anwendbar (also vorhandene CO2-Belastung oder Bruttolistenpreis höher als 40.000 t), wird die Bemessungsgrundlage auf die Hälfte gesetzt, wenn die Anschaffung nach dem 31.12.2021 und vor dem 1.1.2025 erfolgt, die CO2-Belastung höchstens 50g je gefahrenem km beträgt und eine Reichweite bei ausschließlich elektrischem Antrieb von mindestens 60 km erreicht wird (Nr. 4). Bei einer Anschaffung nach dem 31.12.2024 und vor dem 1.1.2031 ist ebenfalls nur die Hälfte der Anschaffungskosten als Bemessungsgrundlage anzusetzen, wenn die CO2-Belastung höchstens 50 g je gefahrenem km beträgt und eine Reichweite bei ausschließlich elektrischem Antrieb von mindestens 80 km erreicht wird (Nr. 5). Für umsatzsteuerliche Zwecke ist die ertragsteuerliche Regelung nicht übertragbar. Zwar ist es möglich, den Wert der Nutzungsentnahme gem. § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG nach der 1 %- bzw. Fahrtenbuchmethode zu ermitteln, wenn das Kraftfahrzeug zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird (vgl. UStAE 15.23 Abs. 5 Nr. 1. a)) und auch zu privaten Zwecken des Unternehmers oder seiner Arbeitnehmer verwendet wird. Die Bemessungsgrundlage bezieht sich jedoch auf den ungekürzten Bruttolistenpreis und damit auf einen Schätzwert, der griffweise zutreffend den Wert der privaten Nutzung widerspiegelt. Die ertragsteuerliche Neuregelung weicht hiervon allein für Zwecke der Subventionierung ab, indem ein Anreiz geschaffen werden soll, die dort genannten Kraftfahrzeuge anzuschaffen. Für eine derartige Subventionierung fehlt es umsatzsteuerlich an einer entsprechenden Rechtsgrundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. 53

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§ 7c EStG: Einführung einer Sonderabschreibung für Elektronutzfahrzeuge und elektrisch betriebene Lastfahrräder iHv. 50 % der Anschaffungskosten im Jahr der Anschaffung.



§ 8 Abs. 1 EStG: Zu den lohnsteuerpflichtigen Sachzuwendungen gehören auch zweckgebundene Geldleistungen, nachträgliche Kostenerstattungen, Geldsurrogate und andere Vorteile, die auf einen Geldbetrag lauten. Insbesondere die Ausgabe von Gutscheinen durch den Arbeitgeber ist damit lohnsteuerpflichtig. Eine Ausnahme wird gemacht, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 10 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG) erfüllt sind. Damit werden von der Regelung vor allem Gutscheine ausgenommen, die zu einem Warenbezug bei dem Emittenten des Gutscheins selbst berechtigen (zB aufladbare Geschenkkarten, die zum Einkauf beim Aussteller der Geschenkkarte berechtigen). Sie müssen allerdings außerdem zusätzlich zu dem ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Steuerfrei bleibt auch eine dem Arbeitnehmer überlassene Wohnung zu einer verbilligten Miete. Die gezahlte Miete muss jedoch mindestens 2/3 der ortsüblichen Miete betragen, wobei diese wiederum nicht mehr als 25 t/m2 als Kaltmiete betragen darf.



§ 9 Abs. 1 EStG: Anhebung der Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen.



§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG: Der BFH hat mit Urteil v. 12.4.20185 entscheiden, dass ein gewerbliches Abfärben auf den gesamten Betrieb dann ausscheidet, wenn in dem abfärbenden Teilbetrieb Verluste erwirtschaftet werden. Die Neuregelung will die bisherige Verwaltungsauffassung wiederherstellen, wonach eine gewerbliche Prägung auch dann erfolgen kann, wenn aus dem gewerblich betriebenen Engagement Verluste erwirtschaftet werden. Es stellt sich nunmehr die Frage nach dem Verhältnis zur Auffassung der Rspr., nach der eine geringfügige positive gewerbliche Tätigkeit keine gewerbliche Prägung zur Folge habt.6



§ 17 Abs. 2a EStG: Mit dieser Neureglung kehrt der Gesetzgeber zu dem Rechtsstand zurück, der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräu-

5 BFH v. 12.4.2018 – IV R 5/15, FR 2018, 959. 6 Vgl. hierzu BFH v. 27.8.2014 – VIII R 6/12, BStBl. II 2015, 1002 = ZIP 2015, 486; vgl. allerdings auch BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, FR 2019, 866.

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chen v. 23.10.20087 galt. Nunmehr sollen die Gesellschafterdarlehen grds. wieder als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung gem. § 17 EStG anzusehen sein. War die Gewährung des Darlehens oder das Stehenlassen des Darlehens in der Krise der Gesellschaft gesellschaftsrechtlich veranlasst, so führten Verluste dieses Darlehens zu nachträglichen Anschaffungskosten. In Ergänzung hierzu will das Gesetz einer Reihe von Entscheidungen des BFH die Grundlage entziehen. In den Fällen von Totalverlusten eines Kapitalstamms ging der BFH davon aus, dass diese als Kehrseite zur Regelung im Abgeltungsverfahren, wonach jede positive und realisierte Vermögensmehrung bei Veräußerung eines Kapitalstamms gem. § 20 Abs. 2 EStG steuerpflichtig ist, ebenfalls steuerlich berücksichtigungsfähig sind.8 Der Gesetzentwurf plante, den Verlust des Kapitalstamms dem Bereich der Privatsphäre und damit dem steuerlich irrelevanten Gebiet zuzuordnen. Nach Auffassung des Bundesrats entwickelt sich hieraus eine asymmetrische und damit systematisch und auch verfassungsrechtlich bedenkliche Schieflage, und er schlägt vielmehr folgenden Lösungsansatz vor: –

Verzicht auf die Wiedereinführung der Anerkennung von Gesellschafterdarlehen als nachträgliche Anschaffungskosten gem. § 17 EStG;



Verzicht auf die Nichtanwendungsgesetzgebung in Bezug auf die Verlustanerkennung als Kehrseite des § 20 Abs. 2 EStG; die Verluste werden ohnehin nur in besonderen Verrechnungskreisen gem. § 20 Abs. 6 EStG berücksichtigt; dies gilt auch für Kapitalforderungen gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG und damit für Forderungen des Gesellschafters gegen seine Gesellschaft;



Ergänzung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b EStG in der Weise, dass die Kapitalerträge des Gesellschafters aus dem seiner Gesell-

7 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 8 BFH v. 24.10.2017 – VIII R 13/15, FR 2018, 1062 zur steuerlichen Berücksichtigung insolvenzbedingter Forderungsausfälle; BFH v. 12.1.2016 – IX R 48/14, BStBl. II 2016, 456; v. 12.1.2016 – IX R 49/14, BStBl. II 2016, 459 = FR 2016, 774; v. 12.1.2016 – IX R 50/14, BStBl. II 2016, 462 = FR 2016, 854, jew. zu Verlusten aus Termingeschäften; BFH v. 12.6.2018 – VIII R 32/16, BStBl. II 2019, 221 = FR 2019, 487 zu Verlusten aus der Veräußerung wertloser Aktien; BFH v. 20.11.2018 – VIII R 37/15, BStBl. II 2019, 507 zu Verlusten aus Knock-Out-Zertifikaten; FG Berlin-Brandenb. v. 14.2.2019 – 10 K 10235/16, nv., nrkr., Rev. Az. BFH I R 24/19.

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schaft gewährten Darlehen dann der Normalbesteuerung unterliegen, wenn die Zinszahlungen bei der Gesellschaft Betriebsausgaben darstellen. Wird das Darlehen notleidend, sind damit auf der Ebene der Gesellschaft keine Betriebsausgaben verbunden. Damit wäre dann § 32d EStG nicht anwendbar, so dass der Kapitalverlust nach den Regeln der Abgeltungsteuer behandelt werden müsste. Der Gesetzesbefehl in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG, dass § 20 Abs. 6 und 9 EStG keine Anwendung findet, greift dann nicht. Der Verlust des Gesellschafterdarlehens wird vielmehr nach den Regeln des § 20 Abs. 6 EStG behandelt. –

Die vorgetragenen Bedenken auch von Seiten der Finanzwirtschaft haben dazu geführt, dass der Gesetzgeber zunächst von einer Änderung des § 20 Abs. 2 EStG im JStG 2019 Abstand genommen hat. Die Wiederanerkennung von Gesellschafterdarlehen, die im Fall ihrer Uneinbringlichkeit zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung werden, bleibt hingegen bestehen. Ist dieser Zustand noch nicht erreicht und sind die weiteren Voraussetzungen des § 32d EStG erfüllt, gilt das Teileinkünfteverfahren. In dem kurz vor Weinachten in das Verfahren gebrachten Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen wird der Gesetzgeber seinen Handstreich vollenden und die Verlustbeschränkung sich kurzerhand vom Bundesrat abnicken lassen. Die Zustimmung kann der Bundesrat nicht verweigern, weil er dann das gesamte Gesetz aufhalten und den endgültigen Abschluss des Verfahrens einem Vermittlungsverfahren überlassen würde. Dies wäre in 2019 nicht mehr zu schaffen, so dass der Bundesregierung wegen Verletzung der Umsetzungsfrist ein teures Vertragsverletzungsverfahren der EU drohen würde,



§ 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG: Diese Regelung ermöglicht die Pauschalierung der Lohnsteuer im Fall der unentgeltlichen oder verbilligten Überlassung eines betrieblichen Fahrrads an den Arbeitnehmer.



§ 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2a EStG: Inländische Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute, die ihr Geschäfte über eine eigene Internetplattform abwickeln oder im Auftrag eines Betreibers einer solchen Plattform Kapitalerträge an die Gläubiger auszahlen, sind kapitalertragsteuerpflichtig.



§ 50d Abs. 13 EStG: Vermeidung einer Variante der Cum-/Cum-Gestaltung, wenn Aktien von einem ausländischen Inhaber an einen In-

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länder geliefert werden und diese Aktien zum Bezug von Dividenden berechtigen. Sollte die Vereinbarung zwischen den beiden am Geschäft Beteiligten den Dividendenbezug des Inländers ausschließen und erhält er stattdessen sonstige Bezüge, gelten diese Bezüge als Dividenden iS des einschlägigen DBA. –

§ 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 und 2 KStG: Diese Bestimmung dient der Klarstellung, dass in allen Fällen des § 12 Abs. 2 KStG, in denen ein Übernahmegewinn oder -verlust aufgrund einer Verschmelzung einer Körperschaft auf die Organgesellschaft entsteht, die Bruttomethode des § 15 KStG anzuwenden ist. Diese gesetzliche Bestimmung bedeutet eine Abkehr von der Entscheidung des BFH v. 26.9.20189.

3. Reform der Grundsteuer Das BVerfG hat mit Urteil vom 10.4.201810 entschieden, dass einige Regelungen des Bewertungsgesetzes verfassungswidrig sind, soweit sie die Bewertung bebauter Grundstücke außerhalb des Bereichs der Landund Forstwirtschaft und außerhalb der neuen Bundesländer betreffen. Nach der Entscheidung des BVerfG gilt das alte Recht weiter bis zum 31.12.2019. Hat der Gesetzgeber bis dahin eine neue Regelung geschaffen, wird ihm eine weitere Frist von fünf Jahren bis längstens zum 31.12.2024 zur Umsetzung des neuen Rechts eingeräumt. Die Länder hatten bereits ein Reformmodell zusammen mit dem BMF erarbeitet, das für die Fortentwicklung des Grundsteuerrechts tauglich sein könnte. Dieses sog. Kostenwertmodell wurde von den Ländern Hessen und Niedersachsen als Bundesratsinitiative in das Gesetzgebungsverfahren im Herbst 2016 eingebracht. Da dem jedoch die Länder Hamburg und Bayern widersprachen, griff der Bundestag diese Initiative nicht auf, so dass sie der Diskontinuität zum Opfer fiel und nunmehr gegenstandslos ist. Der Deutsche Bundestag hat am 18.10.2019 und der Bundesrat am 8.11.2019 die im Wesentlichen vom BMF erarbeitete Grundsteuerreform einschließlich der damit verbundenen Grundgesetzänderungen mit den notwendigen Mehrheiten beschlossen. Es handelt sich um folgende Gesetzeswerke:

9 BFH v. 26.9.2018 – I R 16/16, FR 2019, 561. 10 BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 889/12 ua., BVerfGE 148, 147.

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Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts (Grundsteuer-Reformgesetz – GrStRefG) v. 26.11.2019,11



Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 72, 105 und 125b) v. 15.11.2019,12



Gesetz zur Änderung des Grundsteuergesetzes zur Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die Bebauung v. 5.12.2019.13

Vereinfacht erfolgt hiernach die Ermittlung der Grundsteuer für Wohngebäude nach folgendem wertorientierten Schema: Grundstücksfläche in m2 × Bodenrichtwert = Bodenwert * Umrechnungskoeffizient bei Ein- und Zweifamilienhäusern (§ 257 Abs. 1 BewG) * Abzinsungsfaktor (§ 257 Abs. 2 BewG) = abgezinster Bodenwert Wohngrundfläche in m2 × typisierte Listenmiete (, § 254 BewG, Anlage 39) = Rohertrag ./. Bewirtschaftungskosten = Reinertrag des Grundstücks × Vervielfältiger (§ 253 Abs. 2 BewG, abhängig von der Restnutzungsdauer des Gebäudes, wobei 30 % der Restnutzungsdauer nicht unterschritten werden können; bei Ein- und Zweifamilienhäusern, Mietwohngrundstücken beträgt die Nutzungsdauer 80 Jahre, der Sockel beträgt dann 24 Jahre, so dass eine Wertminderung nur über 56 Jahre der Lebensdauer berücksichtigt wird, also Gebäude mit einer Herstellungsdatum 1965 und älter werden vom Alterswertabschlag nicht mehr erfasst) = kapitalisierter Reinertrag des Grundstücks Die Summe aus abgezinstem Bodenwert und kapitalisiertem Reinertrag des Grundstücks ergibt den Grundsteuerwert (§ 252 BewG). Die Steuermesszahl, mit der der Grundsteuerwert zu multiplizieren ist, beträgt gem. § 15 GrStG 0,34‰. Hierauf wird dann der Hebesatz der Gemeinde angewandt. 11 Ges. v. 26.11.2019, BGBl. I 2019, 1794; vgl. auch BT-Drucks. 19/11085 und 19/13453. 12 Ges. v. 15.11.2019, BGBl. I 2019, 1546; vgl. auch BT-Drucks. 19/13454. 13 Ges. v. 5.12.2019, BGBl. I 2019, 1875. Vgl. BT-Drucks. 19/13959, 19/14076.

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Für Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke wird ein Sachwertverfahren (mit typisierten Normalherstellungskosten) angewendet. Für die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) wird ein besonderes Ertragswertverfahren entwickelt. In einem neuen § 25 Abs. 5 GrStG ist die neue Grundsteuer C geregelt, die von Gemeinden optional für baureife Grundstücke zur Linderung eines angespannten Wohnungsmarkts innerhalb der Gemeinde angewendet werden kann. Vorteile erhalten noch Wohnungsbauunternehmen, die Wohnungen mit Mietpreisbindung auf dem Markt zur Verfügung stellen, und Denkmaleigentümer. Zugunsten solcher Wohnungsbauunternehmen wird der Grundsteuerwert der betreffenden Grundstücke um 25 %, bei aufstehenden denkmalgeschützten Gebäuden um 10 % abgesenkt. Ein besonderes Problem besteht darin, dass ca. 36 Mio. Grundstückseinheiten in Deutschland neu zu bewerten sein werden. Geplant war, dass das Gesetzgebungsverfahren Ende 2019 abgeschlossen sein wird. Dann bleibt der FinVerw. nur ein Zeitraum von fünf Jahren für die Bewältigung dieser Aufgabe bis zum entscheidenden ersten Hauptfeststellungszeitpunkt auf der Grundlage des neuen Rechts. Aufgrund des Drucks aus Bayern ist schließlich eine Länderöffnungsklausel in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG eingefügt worden, die es den Ländern erlaubt, eine vom Bundesgesetz abweichende Regelung zu beschließen. Damit haben die Länder folgende Handlungsoptionen: –

sie können das Bundesmodell wählen,



sie wählen das Bundesmodell, modifizieren es aber im Detail,



sie wählen ein gänzlich anderes Modell wie zB Bayern mit seinem wertunabhängigen Äquivalenzmodell.

Soweit die Länder die Länderöffnungsklausel nutzen, steht für diese fest, dass sie zum Ende 2019 über kein geändertes verfassungsfestes Grundsteuerrecht verfügen. Dieses muss erst mit Hilfe ergänzender Ländergesetze geschaffen werden. Es stellt sich nun die Frage, ob dies den Vorstellungen des BVerfG mit seiner Entscheidung, dass bis Ende 2019 ein neues Gesetz geschaffen werden muss, entspricht. Es heißt in Rz. 167 der Entscheidung des BVerfG nämlich: „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Rechtslage spätestens bis zum 31.12.2019 durch eine Neuregelung zu beseitigen.“

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4. Drittes Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Drittes Bürokratieentlastungsgesetz) a) Entstehung Der Entwurf zu diesem Gesetz14 stammt nicht aus der Feder des BMF, sondern ist ein Anliegen des Wirtschaftsressorts. Neben einer Reihe von außersteuerlichen Maßnahmen sind folgende wesentliche bürokratische Erleichterungen im Steuerrecht vorgesehen: b) Aufbewahrungspflicht von Datenverarbeitungssystemen Unterhält der Stpfl. ein Datenverarbeitungssystem, hat die FinVerw. das Recht, im Rahmen einer Betriebsprüfung herauf zugreifen zu können. Das Gesetz beantwortet jedoch nicht die Frage, wie lange ein Unternehmen die zur Auswertung der gespeicherten Daten notwendigen Gerätschaften (Produktivsystem) vorhalten muss. Diese Frage stellt sich besonders, wenn mit Rücksicht auf den technologischen Fortschritt das Datenverarbeitungssystem mit Hilfe neuer Computer und Peripheriegeräte durchgeführt werden soll und das Unternehmen einen entsprechenden Austausch des alten Systems gegen ein neues vornimmt. Um zur Aufbewahrungspflicht der Unternehmen in einer solchen Situation Klarheit zu verschaffen, bestimmt § 147 Abs. 6 AO nunmehr, dass das alte Produktivsystem noch fünf Jahre lang nach Nutzungsbeginn eines neuen Systems aufbewahrt werden muss. Hat bis zu diesem Zeitpunkt keine Betriebsprüfung stattgefunden, kann der Unternehmer die alten Geräte entsorgen. Er hat allerdings dafür zu sorgen, dass die in dem alten System gespeicherten aufbewahrungspflichtigen Unterlagen auf einen externen Datenträger ausgelagert werden, der weiterhin maschinell lesbar und auswertbar sein muss. Wird jedoch vor Ablauf des fünften Jahres mit einer Betriebsprüfung begonnen, muss das bisherige Datenverarbeitungssystem erhalten bleiben. Eine Auslagerung auf einen anderen Datenträger genügt dann nicht mehr. Diese Neuregelung ist auf alle aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten anwendbar, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen ist.

14 Vgl. BT-Drucks. 19/13959, 19/14076.

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c) Verbesserungen von Arbeitgeberleistungen Der Arbeitgeber kann zusätzlich zum geschuldeten Arbeitslohn Leistungen zur Verhinderung oder Verminderung von Krankheitsrisiken zugunsten seines Arbeitnehmers iHv. bis zu 500 t p.a. erbrinden. Dieser Betrag soll ab 2020 auf 600 t erhöht werden. Die Pauschalierung der Lohnsteuer mit 25 % ist bei kurzfristig Beschäftigten nur möglich, wenn der durchschnittliche Tagesverdienst 72 t nicht übersteigt. Diese Grenze soll auf einen Betrag iHv. 120 t ab 2020 angehoben werden. Diese Anpassung sei wegen der Anhebung des Mindestlohns ab dem 1.1.2019 auf 9,19 t je Arbeitsstunde notwendig geworden. Als Folge dieser Anhebung wird auch die Grenze der Pauschalierungsmöglichkeit (§ 40a Abs. 4 EStG) nach oben angepasst. Der bisherige Stundensatz von 12 t wird auf 15 t ebenfalls ab 2020 angehoben. Neu ist der § 40 Abs. 7 EStG, Er sieht vor, dass Arbeitgeber, deren Arbeitnehmer überwiegend in ausländischen Betriebsstätten arbeiten und daher nicht im Inland steuerpflichtig sind, keine exakte Lohnversteuerung dann vornehmen müssen, wenn diese Arbeitnehmer tageweise in das Inland zum Stammhaus des Unternehmens anreisen. Werden insgesamt nicht mehr als 18 Tage hier verbracht, kann der Arbeitgeber optional ab 2021 auf aufwändige Abgrenzungsfragen verzichten und stattdessen eine Lohnsteuerpauschalierung mit 30 % des Arbeitslohns und Übernahme der Lohnsteuer vornehmen. Die Pauschalierungsgrenze für Beiträge für eine Gruppenlebensversicherung für seine Arbeitnehmer von 62 t jährlich wird zur Bürokratieerleichterung auf 100 t angehoben werden. Diese Änderung gilt ab 2020. d) Voranmeldungszeiträume, Kleinunternehmerregelung aa) Voranmeldungen durch junge Unternehmen Wenn ein Unternehmen seine Tätigkeit erstmals aufnimmt (zB start ups), so ist es gem. § 18 Abs. 2 Satz 4 UStG verpflichtet, in dem Jahr seines Beginns und im Folgejahr auf jeden Fall monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben. Wie hoch die tatsächliche Umsatzsteuer anfällt, spielt keine Rolle. Eine vierteljährliche Abgabe der Voranmeldungen gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 UStG kommt nicht in Betracht. Zum Zweck der Reduzierung der Erklärungen sollen junge Unternehmen zu der vierteljährlichen Abgabeverpflichtung zurückkehren, wenn die maßgebliche Grenze an zu leistender Umsatzsteuer iHv. 7.500 t nicht 61

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überschritten wird. Diese Erleichterung ist noch nicht endgültig. Sie wird gem. § 18 Abs. 2 Satz 6 UStG zunächst für die Besteuerungszeiträume 2021–2026 eingeführt und anschließend evaluiert. Grund dafür ist der Gesichtspunkt, dass die Einführung der monatlichen Voranmeldung im Jahr 2002 der Bekämpfung des Steuerbetrugs insbes. durch Umsatzsteuerkarusselle mithilfe neu gegründeter Gesellschaften diente. Ob diese Vorsichtsmaßnahme nunmehr entbehrlich geworden ist, ist noch nicht abschließend beurteilt, so dass zunächst ein gesetzlicher Versuchszeitraum vorgesehen ist. bb) Kleinunternehmerregelung Nach § 19 UStG wird die Umsatzsteuer nicht erhoben, wenn der Unternehmer nicht mehr als 17.500 t Umsatz im vorangegangenen Jahr erwirtschaftet hat und im laufenden Kj. nicht mehr als 50.000 t erwirtschaften wird. Nutzt der Kleinunternehmer diese Möglichkeit, ist er vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen und kann nur Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis ausstellen. Der Unternehmer ist jedoch frei, auf diese Vergünstigung zu verzichten (§ 19 Abs. 2 Satz 1UStG). Die Grenze von 17.500 t wird nunmehr auf 22.000 t angehoben. Begründet wird dies als Anpassungsmaßnahme an die Inflationsrate. Die andere Messgröße (50.000 t) bleibt unangetastet. Diese Neuregelungen im Umsatzsteuerrecht gelten ab dem Kj. 2020 (Art. 15 Abs. 3 des Gesetzes).

5. Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (Forschungszulagengesetz) Der Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte am 29.11.2019 mit Zustimmung des Bundesrats zu diesem Gesetz.15 Die Gewährung einer Forschungszulage ist eine der wenigen Maßnahmen, die sich mit der Verbesserung der steuerlichen Situation zumindest eines Teils der Unternehmen befasst. Wenn die Gesetzesbegründung darauf verweist, dass hiermit der Unternehmensstandort gestärkt werden soll, indem die Attraktivität des Standorts für Neuansiedlungen und Investitionsentscheidungen verbessert werden soll, ist diese Begründung nachvollziehbar, verschweigt allerdings, dass sich Deutschland gerade deshalb in einer schlechten Ausgangsposition befindet, weil nahezu alle 15 Vgl. BR-Drucks. 242/19.

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Staaten im EU-Bereich bereits eine solche Forschungszulage eingeführt haben und deshalb insoweit Deutschland allein dasteht. Anspruchsberechtigt sind nach § 1 des Gesetzentwurfs Stpfl. iS des EStG und des KStG, wenn sie über ein Betriebsvermögen verfügen, also eine Gewinneinkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 EStG) erfüllen und mit dieser nicht steuerbefreit sind. Eine steuerliche Förderung scheidet für steuerbefreite Personen aus. Außerdem sind Mitunternehmerschaften mit Betriebsvermögen anspruchsberechtigt. ZB nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreite Körperschaften können hiernach nur mit ihrem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb anspruchsberechtigt sein. Die Forschungszulage wird außerhalb des steuerlichen Festsetzungsverfahrens gewährt und weist als Anspruchsvoraussetzung keinen Bezugspunkt zu steuerlichen Parametern auf. Die Zulage wird als Prämie für ein bestimmtes gezeigtes Verhalten im Forschungsbereich ausgezahlt. Bezugsgröße ist der geleistete Arbeitslohn § 2 FZulG beschreibt den förderungsfähigen Gegenstand. Er muss aus den Bereichen der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung oder experimentellen Entwicklung stammen. Einzelheiten hierzu sind in einer Anlage zu § 2 Abs. 1 FZulG niedergelegt. Es steht fest, dass es der FinVerw. nicht möglich sein wird, diese Voraussetzungen einzuschätzen und zu prüfen. Es wird daher gem. § 6 FZulG ein zusätzliches Bescheinigungsverfahren durch eine fachkundige Stelle, die nach § 14 FZulG vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zu bestimmen und zu beauftragen ist,16 erforderlich werden, ggf. mit Grundlagenfunktion. Die begünstigungsfähige Forschung muss nicht allein aus eigenem Antrieb heraus erfolgen; auch die Auftragsforschung führt zu begünstigungsfähigen Vorhaben (§ 2 Abs. 4 Satz 2 FZulG). Nach der Konzeption des Gesetzes sind nur diejenigen anspruchsberechtigt, die selbst Forschung betreiben. In dem Gesetzentwurf war deshalb der ein Forschungsprojekt anstoßende Auftraggeber nicht zulagenberechtigt, sondern allenfalls der Auftragnehmer. Hintergrund dieser Beschränkung war auch die Intention, ausländische Auftraggeber von der Förderung auszuschließen. Die Entscheidung, nur Auftragnehmer fördern zu wollen, hätte gerade im Bereich der Auftragsforschung im Hochschulbereich dazu geführt, dass die forschende Hochschule nicht anspruchs16 Zu den Einzelheiten vgl. die Verordnung zur Durchführung von § 14 Abs. 1 des Forschungszulagengesetzes (Forschungszulagen-Bescheinigungsverordnung – FZulBV) v. 21.11.2019; BR-Drucks. 625/19.

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berechtigt ist, weil sie im hoheitlichen Bereich und nicht in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb tätig ist. Der Auftraggeber selbst ist deshalb nicht anspruchsberechtigt, weil er forschen lässt, selbst aber keine Forschungsaktivitäten entfaltet. Damit fiele der gesamte Komplex der Hochschulforschung aus der Förderung heraus. Im Rahmen der Konsultation der EU-Kommission äußerte die Kommission zudem Bedenken, den Auftragnehmer zu fördern. Nach ihrer Auffassung müsse vielmehr der Auftraggeber gefördert werden. Der Bundesrat hat sich mit dieser Lösung arrangiert, weil der Auftragnehmer seine Lohnaufwendungen für die Forschungstätigkeit letztlich dem Auftraggeber in Rechnung stellen wird, so dass der Auftraggeber wirtschaftlich diese Kosten trägt und der Auftragnehmer sich seine Personalkosten ohnehin erstatten lässt. Aufgrund des Drucks der EU-Kommission ist die Begünstigung des Auftraggebers eingeführt worden. Voraussetzung ist dabei, dass der Auftragnehmer seinen Sitz in der EU haben muss. Die Förderung soll 60 % des Entgelts betragen, das der Auftraggeber an den Auftragnehmer zu zahlen hat. Der Betrag wird allerdings auf ein Gesamtvolumen von 15 Mio. t staatlicher Förderung gedeckelt, wobei sich die Begrenzung auf ein Förderprojekt insgesamt über die gesamte Laufzeit bezieht. Anknüpfungspunkt der förderfähigen Aufwendungen sind nach § 3 FZulG grds. die dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Löhne der Arbeitnehmer des Anspruchsberechtigten sowie bestimmte Auslandslöhne. Dies betrifft nur solche Arbeitnehmer, die in dem geförderten Bereich tätig sind. Der Bruttolohn wird gem. § 3 Abs. 3 FZulG um 20 % erhöht. Auf diese Weise werden pauschal die Arbeitgeberleistungen für Sozialversicherungsbeiträge, die ebenfalls in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, berücksichtigt. Forscht der Inhaber des Unternehmens selbst, sind auch entsprechende Lohnanteile des Gesellschafter-Geschäftsführers (zzgl. 20 %) bzw. Eigenleistungen des Einzelunternehmers in bestimmter Höhe in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Die Summe alle begünstigungsfähigen Lohnaufwendungen im Wj. des Unternehmens stellt die Bemessungsgrundlage dar. Sie ist gedeckelt auf höchstens 2 Mio. t (§ 3 Abs. 5 FzulG) je Wj. Diese Obergrenze gilt auch für alle in einer Konzernstruktur miteinander verbundenen Unternehmen (§ 3 Abs. 6 FZulG)

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Die Forschungszulage, die nur auf Antrag gewährt wird (§ 5 FZulG), beträgt 25 % der og. Bemessungsgrundlage (§ 4 FZulFG) und damit max. 500.000 t pro Unternehmen und Wj. Sie wird nach Ablauf des Wj. festgesetzt und innerhalb eines Monats nach Festsetzung ausgezahlt (§ 9 FZulG). Kritisiert wird die dadurch bedingte Verzögerung der Förderungswirkung. Man könne die Unternehmen schneller mit der Förderung erreichen, wenn ihnen erlaubt würde, die zu beanspruchende Zulage schon während des laufenden Wj. mit der abzuführenden Lohnsteuer zu verrechnen und entsprechende Beträge einzubehalten. Die Forschungszulage gehört nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen und kann auch nicht im Fall einer zu verzinsenden Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Zulage (vgl. § 10 FZulG) als Betriebsausgabe abgezogen werden (§ 11 FZulG). Eine Gewährung einer Zulage oder der Verzicht auf Rückforderung einer gewährten Zulage aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO sind ausgeschlossen (§ 12 FZulG). Die Forschungszulage kann nur für solche Forschungsprojekte beansprucht werden, die erst nach Inkrafttreten des Gesetzes (vgl. § 17 FZulG) begonnen werden. Eine Förderung von Altprojekten ist damit ausgeschlossen. Weiterhin ist nach § 8 FZulG vorgesehen, dass nur solche Lohnaufwendungen, die nach dem 31.12.2019 entstehen, berücksichtigungsfähig werden. § 16 FZulG sieht eine Evaluierung des Gesetzes und der von ihm verfolgten Ziele nach fünf Jahren vor. In den Ausschussberatungen hatte der Bundesrat angeregt, die Förderung nur auf kleine und mittlere Unternehmen zu begrenzen, um die Kosten in Grenzen zu halten. Der Anreiz iHv. maximal 500.000 t sei für große Unternehmen ohne größere Bedeutung. Es wurde ferner angeregt, dass die Bescheinigungsbehörde zugleich die Zulage festsetzen und auszahlen soll, weil die FinVerw. mit einer letztlich für sie sachfremden Arbeit betraut werde. Weiterhin wurde eine Begünstigung von Kooperationen zwischen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen (zB Universitäten) gefordert. Alle diese Vorschläge sind nicht umgesetzt worden.

6. Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 Der Solidaritätszuschlag wurde im Jahr 1991 eingeführt und diente zunächst befristet für ein Jahr vom 1.7.1991 bis zum 30.6.1992 zur Finanzierung der Kosten aus dem Zweiten Golfkrieg und zur Unterstützung der

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neuen Bundesländer.17 Er betrug 3,75 % bzw. 7,5 %. Ab 199518 bis heute wird er iHv. – anfangs 7,5 % – als Ergänzungsabgabe gem. Art. 106 Abs. 1 GG einheitlich mit 5,5 % erhoben.19 Mit dem vorliegenden Gesetz20 verweist die Bundesregierung zwar auf die fortdauernde Berechtigung, den Zuschlag wegen unveränderter wiedervereinigungsbedingter Lasten im Bereich der Rentenversicherung, für den Arbeitsmarkt ua. erheben zu können, schlägt aber gleichwohl den Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidaritätszuschlag ab dem VZ 2021 (§ 6 Abs. 21 SolZG – neu) vor. Technisch erfolgt die Entlastung in der Weise, dass die Freigrenze in § 3 Abs. 3 SolZG von bisher 972 t/1.944 t (Einzel-/Zusammenveranlagung) auf 16.969 t (Einzelveranlagung) bzw. 33.912 t (Zusammenveranlagung) als veranlagte Einkommensteuerbeträge angehoben wird. Damit werden einkommensteuerpflichtige Personen mit einem zu versteuernden Einkommen iHv. rd. 61.300 t/122.500 t bei der Lohnsteuer oder der veranlagten Einkommensteuer von der Zahlung des SolZ vollständig befreit. Eine abrupte Belastung der Stpfl. oberhalb dieses zu versteuernde Einkommens vermeidet der Entwurf durch die Milderungszone des § 4 Satz 2 SolZ, indem die Freigrenze allmählich iHv. 11,2 % der Bemessungsgrundlage (bisher 20 %) abgeschmolzen wird, so dass die uneingeschränkte Belastung mit dem bisherigen SolZ bei einem zu versteuernden Einkommen von etwa 74.000 t/148.000 t eintreten wird. Kapitalerträge, die der Abgeltungsteuer als Kapitalertragssteuerabzug unterliegen, werden nicht entlastet. Mit dieser Maßnahme sollen nach Angabe der Bundesregierung 90 % aller Einkommensteuerpflichtigen von der Zahlung des SolZ vollständig entlastet werden. In Bezug auf das Gesamtaufkommen wird der Bund etwa auf die Hälfte der bisherigen Einnahmen aus dieser Abgabe verzich17 Vgl. Gesetzentwurf zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbraucher- und anderen Gesetzen v. 11.3.1991, BTDrucks. 12/220. 18 Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms (FKPG) v. 23.6.1993, BGBl. I 1993, 944 mit Wirkung vom VZ 1995. 19 In dem Gesetzentwurf wird darauf hingewiesen, dass das Aufkommen aus dieser Abgabe zwischen 1995 und 2016 etwa 275 Mrd. t betragen habe. Die Ausgaben des Bundes für den Solidarpakt I und II bis 2016 und dem Bundesanteil für den „Fonds Deutsche Einheit“ hätten mit 383 Mrd. t die Einnanhmen aus dem Solidaritätszuschlag weit überschritten. 20 Vgl. BR-Drucks. 396/19; BT-Drucks. 19/14103.

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ten. Im Übrigen wird der SolZ unverändert von einkommensteuerpflichtigen Personen oberhalb der genannten Einkommensgrenzen sowie von allen Körperschaftsteuerpflichtigen (insbes. Kapitalgesellschaften) gezahlt werden müssen. Mit Blick auf eine diskutierte verbesserte steuerliche Ausgangssituation für die Wirtschaft wäre mit einem Verzicht auf den Solidaritätszuschlag für Kapitalgesellschaften eine tarifliche Entlastung iHv. 0,825 % verbunden gewesen. Angesichts international zu verzeichnender Entlastungsmaßnahmen maßgeblicher Staaten wie in den USA, bald auch in Frankreich und sicherlich in Großbritannien, ist diese Absage der Bundesregierung enttäuschend. Es wird unweigerlich eine Diskussion aufkommen, ob die unterschiedliche Behandlung der Stpfl. verfassungskonform (Art. 3 GG) sein wird. Entsprechende Klageverfahren sind schon jetzt angekündigt.21 Um die Verfassungswidrigkeit dieser Maßnahme nicht eingestehen zu müssen, gleichwohl den betroffenen Kreis von Stpfl. steuerlich nicht entlasten zu wollen, wird – wieder einmal – eine Integration des SolZ in den Einkommen- bzw. Körperschaftsteuertarif erwogen. Während diese Maßnahme bei der Körperschaftsteuer einfach ist, stößt der Einbau des SolZ in den Einkommensteuertarif auf erhebliche technische Probleme, die man nur umgehen kann, indem der Einkommensteuertarif für die Besserverdienenden vergröbernd angehoben wird.

7. Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht a) Zusammenhang Deutschland hat sich innerhalb der europäischen Partner darauf geeinigt, Anstrengungen zu unternehmen, die Ziele der Weltklimakonferenz 2015 in Paris zu erreichen. Das heißt: Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts soll Treibhausgasneutralität erreicht werden. Der Beitrag von Deutschland besteht darin, die gesamten Treibhausgasemissionen hierzulande bis 2030 um 40 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Als Zwischenziel hat die Bundesregierung es sich zur Aufgabe gemacht, das auf internationale Bühne verabredete Ziel durch eigene Anstrengungen zu erreichen. In dem Klimaschutzprogramm 2030 ist dafür eine Reihe von Maßnahmen verabredet worden. Diese treffen nicht alle Unterneh21 Vgl. Handelsblatt v. 23.10.2019, 9 „Klage gegen das Soli-Gesetz“.

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men, Bürgerinnen und Bürger von Deutschland in gleicher Weise, sondern das Programm versucht differenziert nach den Sektoren, die – jeweils unterschiedlich – für den übermäßigen CO2-Ausstoß verantwortlich sind, vorzugehen. Für die Emittenten aus den Sektoren Industrie, Energie und EU-Flugverkehr soll ein Emissionshandelssystem etabliert werden. Es wird erwartet, dass die betroffenen Wirtschaftszweige (sog. Sektoren) aus ökonomischer Vernunft heraus Anstrengungen unternehmen werden, die Kosten für den Erwerb der Emissionskonzessionen gering zu halten. Eine andere alle Bürger betreffende Maßnahmen besteht in der geplanten CO2-Bepreisung für die Sektoren Verkehr und Wärme. Dies wird sich insbes. in der verstärkten Kostenbelastung des Mineralöls und des Erdgases über das genannte Konzessionssystem und damit in der Verteuerung zB des Benzins, des Heizöls und des für Heizungszwecke verwendeten Erdgases auswirken. Eine Anhebung der Luftverkehrsabgabe ist ebenfalls verabschiedet worden, was sich unmittelbar auf die Höhe der Flugpreise niederschlagen wird. Die dritte Maßnahme besteht darin, dass der Staat die aus den vorgenannten Maßnahmen erzielten Einnahmen wieder für Investitionen zum Zweck des Klimaschutzes verausgabt bzw. sie auf andere Weise dem Bürger in Gestalt einer Entlastung zurückgibt (vgl. S. 53 zur Ermäßigung der prvaten Nutzung betrieblicher Kraftfahrzeuge). Die vierte Maßnahme besteht aus regulatorischen Elementen, die aber derzeit noch nicht ergriffen werden, sondern erst spätestens 2030 verstärkt greifen sollen. Mit dem hier vorgestellten Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht22 werden die Maßnahmen des Klimaschutzpakets umgesetzt, die mit Hilfe der Teile des Steuerrechts umgesetzt bzw. gefördert werden können, für die die Zustimmung des Bundesrats notwendig ist. Im Einzelnen: b) Steuermäßigung für energetische Gebäudesanierungsmaßnahmen bei zu eigenen Wohnzwecken genutzten Gebäuden (§ 35c EStG) Nach dem Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung sei der Gebäudesektor für 14 % der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland unmittelbar verantwortlich. Das sind rund 120 Mio. Tonnen p.a. Mit Errei22 BR-Drucks. 608/19; BT-Drucks. 19/14338.

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chung des 40 %-Ziels sollen es in 10 Jahren nur noch 72 Mio. Tonnen sein. Durch bereits vorhandene KfW-Förderprogramme wird eine Reduzierung auf etwa 90 Mio. Tonnen erwartet, so dass die Differenz durch einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen gemindert werden soll. Eine von diesen Maßnahmen (Bundesförderung für effiziente Gebäude, Förderung von industriell vorgefertigten sachgerechten Fassaden- und Dachelementen, Austauschprämie für alte Heizungsanlagen) ist die steuerliche Förderung energetischer Sanierungsmaßnahmen gem. § 35c EStG unter folgenden Voraussetzungen: –

Gefördert werden die in § 35c Abs. 1 EStG genannten energetischen Maßnahmen wie Wärmedämmung von Wänden, Dachflächen, Geschossdecken, Erneuerung von Fenstern und Außentüren, Erneuerung oder Einbau einer Lüftungsanlage, Erneuerung der Heizungsanlage, Einbau von digitalen Steuerungssystemen zur Verbrauchsoptimierung, Optimierung bestehender Heizungsanlagen, wenn sie älter als zwei Jahre alt sind.



Ausgeführt werden dürfen solche Maßnahmen nur durch beauftragte Fachunternehmen, die die förderfähigen Maßnahmen und deren Höhe bescheinigen.



Begünstigte Objekte sind nur die in der EU oder dem EWR belegenen ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (oder teilweise unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassenen) genutzten Gebäude, die älter als 10 Jahre sind.

Die Förderung erfolgt durch einen progressionsunabhängigen Abzug von der Steuerschuld. Der Abzugsbetrag beträgt höchstens 14 % der Aufwendungen und höchstens 14.000 t im Erstjahr und im Folgejahr nach Abschluss der Investition, und im dritten Jahr 12 % der Aufwendungen, höchstens 12.000 t. Damit sind von einem maximalen Fördervolumen von 100.000 t 40 % förderfähig, was also einer Steuerminderung von 40.000 t entspricht. Eine doppelte Inanspruchnahme der Investitionskosten etwa als Werbungskosten, Betriebsausgaben, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastung ist ausgeschlossen. Ferner sind eine insoweit gewährte Steuerbegünstigung nach § 10f EStG, eine Steuerermäßigung nach § 35a, eine öffentlich geförderte Maßnahme mit Zinsverbilligung oder der Erhalt von steuerfreien Zuschüssen schädlich.

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Anwendbar ist § 35c EStG auf alle Baumaßnahmen, mit denen nach dem 31.12.2019 begonnen wird und die vor dem 1.1.2030 abgeschlossen werden. c) Erhöhung der Entfernungspauschale Für die Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte bzw. Betriebsstätte können Stpfl. ab dem 21. Entfernungskilometer statt der üblichen 0,30 t für jeden weiteren Kilometer 0,35 t in den Jahren 2021–2023 und dann 0,38 t in den Jahren 2024–202623 als Werbungskosten/Betriebsausgabe ansetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 4 EStG – jeweils neu). Es bleibt bei dem bisherigen jährlichen Höchstbetrag von 4.500 t, es sei denn, der Arbeitnehmer/Betriebsinhaber verwendet einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen. Entsprechende Anpassungen finden sich auch für die steuerlich begünstigten Familienheimfahrten. Die Verbesserungen begründet die Bundesregierung damit, dass Arbeitnehmer mit einer längeren Wegstrecke vielfach aus dem ländlichen Raum mit einer unterentwickelten ÖPNV-Struktur anreisen müssen. Sie werden mangels Alternativen in den kommenden Jahren durch die Belastungen des Wirtschaftssektors Verkehr durch die CO2-Bepreisung mit höheren Benzinpreisen rechnen müssen, die durch die Gewährung der erhöhten Entfernungspauschale ab dem 21. Kilometer abgefedert werden soll. Die Befristung auf sechs Jahre dient dem Zweck, den Stpfl. Gelegenheit zu individuellen Anpassungsmaßnahmen zu geben. Verfassungsrechtlich bestehen Bedenken, ob diese Maßnahme trägt. Es stellt sich die Frage nach einer gleichmäßigen Besteuerung. Typischerweise sinken die Kosten für einen PKW mit jedem mehr gefahrenen Kilometer. Mit anderen Worten: die Anfangsstrecke ist bezogen auf den Aufwand für einen PKW immer die teuerste. Hieran ändert im Prinzip nichts, dass die Benzinpreise steigen werden. Davon sind auch diejenigen mit einer kürzeren Strecke zur Arbeitsstelle betroffen. Freilich steigt die Gesamtbelastung mit höheren Benzinpreisen bei einer weiteren Wegstrecke. Die Bundesregierung setzt sich in den Gründen mit der Entscheidung des BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210) auseinander, das die damalige Regelung einer Entfernungspauschale erst ab dem 21. Entfernungskilometer für verfassungs23 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, BT-Drucks. 19/16060.

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widrig erachtet hatte. Sie sieht einen hinreichenden rechtfertigenden Grund für die unterschiedliche Behandlung nunmehr darin, dass der Staat hiermit einen besonderen verkehrs- und umweltpolitischen Zweck verfolge und der Zweck der Einnahmeerzielung demgegenüber zurücktrete. Die Bestimmung der Grenze von 20 Kilometern orientiere sich an der Höhe der Werbungskostenpauschale von 1.000 t, die bis dahin für die Berücksichtigung der Fahrtkosten zur Arbeitsstelle auskömmlich sei. Für andere Verkehrsmittel als das Kraftfahrzeug komme eine Entfernung von mehr als 20 Kilometer allein wegen des damit verbundenen Zeitaufwands auch kaum in Betracht, so dass die geförderte Maßnahme auch zielgerichtet sei. Die Darlegung der Bundesregierung erscheint nicht unvertretbar. Es stellt sich gleichwohl die Frage, ob die Regelung angegriffen werden wird etwa mit dem Gesichtspunkt, dass die Mehrbelastung aufgrund des Klimaschutzpakets alle Pendler beträfe und dass die steuerliche Begünstigung dann unterschiedslos schon ab dem ersten Kilometer gewährt werden müsse. Massenrechtsbehelfsverfahren dürften zu befürchten sein. d) Mobilitätsprämie (§§ 101–109 EStG neu) Anstelle der erhöhten Werbungskosen/Betriebsausgaben für Entfernungen ab dem 21. Kilometer räumt der Gesetzgeber den Stpfl. die Wahlmöglichkeit ein, stattdessen eine Mobilitätsprämie zu beanspruchen. Die Prämie beträgt 14 % (Eingangssteuersatz des Einkommensteuertarifs) des Betrags der Entfernungspauschale iHv. 0,35 t bzw. 0,38 t,24 der ab dem 21. Kilometer entsteht. Arbeitnehmer können diesen Prämienanspruch nur dann geltend machen, wenn mit ihm und den anderen Werbungskosten der Pauschbetrag von 1.000 t überschritten wird. Hiermit sollen diejenigen Stpfl. gefördert werden, deren Einkünfte den Grundfreibetrag nicht überschreiten und damit nicht steuerpflichtig sind. Das wird nicht nur Stpfl. mit entsprechend geringen Einnahmen, sondern auch solche begünstigen, die aufgrund von Verlustvor-und -rückträgen über kein zu versteuerndes Einkommen verfügen. Warum Arbeitnehmer wegen des grundsätzlich ihnen zustehenden Werbungskostenpauschbetrags eine geringere Prämie zugesprochen bekommen selbst dann, wenn sich der Arbeitnehmerpauschbetrag steuerlich überhaupt nicht auswirkt, ist nicht recht verständlich. 24 Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, BT-Drucks. 19/16060.

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Anspruchsberechtigt sind alle unbeschränkt und beschränkt Einkommensteuerpflichtige (§ 102 EStG). Die Mobilitätsprämie entsteht nach Ablauf des jeweiligen Kj. (§ 103 EStG) und wird nur auf Antrag innerhalb von zwei Jahren nach Ende des Jahres gewährt, für das eine Bezugsberechtigung besteht (§ 104 EStG). Die Festsetzung und Auszahlung der Prämie erfolgt durch das FA (§ 105 EStG) und richtet sich im Einzelnen nach den Bestimmungen der AO (§ 107 EStG), auch hinsichtlich der Straf- und Bußgeldregelungen (§ 108 EStG). Die Prämie gehört nicht zu den steuerpflichtigen Einnahmen (§ 106 EStG). Die Gewährung der Prämie wird auch nur für die Kj. 2021–2025 gewährt (§ 101 Satz 1 EStG). e) Umsatzsteuerliche Ermäßigung des Schienenbahnfernverkehrs § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG wird insoweit geändert, als die Beförderungen im Schienenbahnverkehr generell dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen. Die bisherige Beschränkung auf Entfernungen bis 50 km ist entfallen, so dass nunmehr auch der Schienenfernverkehr begünstigt werden soll. Diese Maßnahme soll dazu dienen, dass die Unternehmen entsprechend ihre Preise für den Fernverkehr senken und so die Attraktivität für den Bahnverkehr steigern. Der Busfernverkehr profitiert nicht von dieser Maßnahme. f) Anwendungszeitpunkt Art. 5 des Gesetzes sieht eine Anwendung der og. Bestimmungen grundsätzlich ab dem 1.1.2020 vor mit Ausnahme der Verbesserungen der Entfernungspauschalen und der Einführung der neuen Mobilitätsprämien. Diese Bestimmungen gelten erst ab dem 1.1.2021.

8. Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen a) Behandlung der grenzüberschreitenden Steuergestaltungen auf OECD- und EU-Ebene Die OECD-Empfehlungen zu BEPS sehen in Aktionspunkt 12 die Einführung einer Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen vor.

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Die Europäische Kommission griff die Anregung der OECD auf, entwickelte hierzu zunächst am 21.6.2017 einen Richtlinienvorschlag,25 der schließlich mit der Richtlinie vom 25.5.2018 umgesetzt wurde.26 Die Richtlinie wurde am 5.6.2018 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und trat damit gem. Art. 3 der Richtlinie am 25.6.2018 in Kraft. Anwendbar ist die Richtlinie ab dem 1.7.2020. Die Richtlinie muss dazu noch in das jeweilige nationale Recht umgesetzt werden. Hierfür wurde den Mitgliedstaaten eine Frist bis zum 31.12.2019 eingeräumt. Der Anzeigepflicht muss dann ab dem 1.7.2020 nachgekommen werden. b) Gesetzentwurf der Bundesregierung aa) Überblick Der vorliegende Gesetzentwurf v. 10.10.201927 zur Umsetzung der og. EU-Richtlinie v. 25.5.2018 sieht die Implementation der Anzeigepflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen in den neuen §§ 138d138k AO und § 379 Abs. 2 Nr. 1e–1g AO vor. bb) Anzeigepflicht bei grenzüberschreitender Gestaltung Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei § 138d AO ein. § 138d Abs. 1 AO verpflichtet in erster Linie die sog. Intermediäre – das sind die Personen, die grenzüberschreitende Steuergestaltungen für Dritte vermarkten, konzipieren, organisieren, zur Nutzung breitstellen oder deren Umsetzung durch Andere verwalten –, diese dem Bundeszentralamt für Steuern (BZSt.) mitzuteilen. Welcher Berufsgruppe der Intermediär angehört, ist gleichgültig. Es können Angehörige der steuerberatenden Berufe, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Finanzdienstleister oder andere Berater (zB auch Mitarbeiter der Konzernsteuerabteilung) sein, die sich mit der Vermarktung oder Organisation eines grenzüberschreitenden Gestaltungsmodells befassen. Ist ein solcher Intermediär in der EU nicht vorhanden, weil er zB seinen Geschäftssitz in einem Drittstaat hat, geht die Mel25 „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modell“, COM(2017) 335 final. 26 Richtlinie (EU) 2018/822 des Rates der EU v. 25.5.2018 zur Umsetzung der Richtlinie 2011/16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen, ABl. EU 2018, L 139/1. 27 BR-Drucks. 289/19.

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depflicht auf den Nutzer, also den Stpfl. selbst, über (§ 138g Abs. 1 iVm. § 138f Abs. 7 AO). –

Die Definition der grenzüberschreitenden Steuergestaltung übernimmt § 138d Abs. 2 AO. Sie umfasst alle Steuerarten mit Ausnahme der Umsatzsteuer, Zölle, harmonisierten Verbrauchsteuern und Sozialabgaben (§ 138d Abs. 2 Nr. 1 AO iVm. § § 1 Abs. 2 EUAHiG). Sie muss grenzüberschreitender Natur unter Betroffenheit von mindestens einem Mitgliedstaat der EU sein, wobei die an der Gestaltung Mitwirkenden nicht alle in demselben Staat ansässig sein dürfen. Damit wird deutlich, dass eine rein nationale Steuergestaltung nicht eine solche iSd. § 138d Abs. 2 AO darstellt. § 138d Abs. 2 Nr. 2 AO führt noch weitere Varianten aus, in denen die Akteure aus einem anderen Steuerhoheitsgebiet als dem betroffenen EU-Mitgliedstaat heraus agieren. Schließlich benennt § 138d Abs. 2 Nr. 2. Buchst. e AO den Fall, in dem die Gestaltung geeignet ist, Auswirkungen auf den automatischen Informationsaustausch oder die Identifizierung des wirtschaftlichen Eigentums zu haben.



Hinzukommen muss nach § 138d Abs. 2 Nr. 3 AO, dass die Gestaltung ein Kennzeichen iSd. § 138e Abs. 1 oder Abs. 2 AO aufweist. Hier übernimmt das Gesetz die Richtlinienbestimmungen, wonach die Meldepflicht eines Gestaltungsmodells sich nach einer Reihe von Kriterien, die in dem Anhang IV zu der Richtlinie (Kennzeichen, „hallmarks“) niedergelegt sind. bestimmt. In dieser Konsequenz unterscheidet der Gesetzentwurf solche Merkmale, bei denen neben einem steuerlichen Vorteil (vgl. § 138d Abs. 3 AO) und einem Kennzeichen aus dem Katalog des § 138e Abs. 1 AO zusätzlich noch ein Main-benefit-Test (Steuerersparnis als Hauptvorteil) durchgeführt werden muss (§ 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AO), von solchen, bei denen ein Mainbenefit-Test nicht sachgerecht erscheint (§ 138d Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b AO). In der zweiten Fallgruppe reicht es aus, wenn eine der in § 138d Abs. 2 AO aufgezählten Fallvarianten erfüllt wird. Das Gesetz unterscheidet noch zwischen standardisierten sog. marktfähigen Modellen und maßgeschneiderten Modellen (§ 138h AO). Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf den jeweiligen Umfang des Anmeldekanons.



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Der Inhalt der Meldepflicht umfasst nach § 138f AO Angaben ua. zum Intermediär selbst, zum Nutzer des Modells, zu der Steuergestaltung selbst, Einzelheiten zu den Kennzeichen nach § 138e AO, zu dem Steueroptimierungspotenzial, zu den betroffenen Mitgliedstaa-

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ten uvm. Die Meldepflicht ist gegenüber dem BZSt. zu erbringen. Fortlaufende Meldepflichten treffen Intermediäre bei den sog. marktfähigen Modellen iSd. § 138h AO (Steuergestaltungsmodelle, die generell einsatzbereit sind, ohne individuell angepasst werden zu müssen). –

Die Meldefrist beträgt 30 Kalendertage und bemisst sich ab dem Tag, an dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird oder nach dem die meldepflichtige Gestaltung für den Nutzer umsetzungsbereit ist, oder wenn durch den Nutzer der erste Schritt zur Umsetzung der Gestaltung gemacht wird (vgl. § 138f Abs. 2 AO).



Sind die Daten beim BZSt. eingegangen, weist es dem Intermediär eine Registriernummer zur Kennzeichnung der Gestaltung und eine Offenlegungsnummer für die eingegangene Mitteilung zu (§ 138f Abs. 5 AO). Diese Erfassungsdaten muss der Intermediär dem von ihm betreuten Stpfl. überlassen. Wenn der Stpfl. die angezeigte Gestaltung tatsächlich nutzt, muss er darauf in seiner Steuererklärung unter Angabe der Registrierungs- und Offenlegungsnummer hinweisen (§ 138k AO).



Ist der Intermediär nicht auskunftspflichtig, weil er eine gesetzliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit gegenüber seinem Mandanten zu beachten hat, und wird er nicht hiervon entbunden, geht die Mitteilungspflicht auf den Nutzer über (§ 138f Abs. 6). Dies gilt allerdings nicht für og. marktfähige Steuergestaltungen (§ 138h Abs. 2 AO). Hier bleibt der Intermediär weiter in der Verantwortung (§ 138h Abs. 2 AO). Entbunden wird der Intermediär auch von der Mitteilungspflicht, wenn er gar nicht Adressat der gesetzlichen Regelung sein kann, weil die Richtlinienwirkung zuvor endet. Intermediäre aus Drittstaaten bleiben von der Mitteilungspflicht unbehelligt (§ 138f Abs. 7 AO). Auch in diesen Fällen geht die Meldepflicht auf den Nutzer über (§ 138g AO).



Die nämliche Steuergestaltungsidee muss nur einmal angezeigt werden. Ist sie bereits in einem anderen Verpflichtungsverhältnis angezeigt worden, entfällt die Anzeigepflicht für sonstige Nutzer desselben Modells (§ 138g Abs. 2 AO). Dann wird das BZSt. konsequenterweise keine weitere Register- und Offenlegungsnummer verteilen können. Eine zusätzliche Offenbarung durch den Stpfl. im Fall der Nutzung des Modells kann dann nicht in Betracht kommen.

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Die Meldungen werden Gegenstand eines automatischen Informationsaustauschs und in einem EU-weiten Zentralverzeichnis erfasst und dokumentiert.

Die Richtlinie der EU-Kommission sieht eine veranlagungsbegleitende Komponente vor, so dass gewollt ist, dass die gemeldete Gestaltung kritisch während des Besteuerungsverfahrens des Stpfl., der sie anwendet, gewürdigt wird. Der Gesetzentwurf nimmt auch Rücksicht darauf, dass eine zwischen Berater und Mandanten bestehende Vertrauensbeziehung gefährdet werden könnte. Hieraus wurde verbreitet schon gefolgert, dass es in Deutschland überhaupt keine Mitteilungspflicht von Steuerberatern ua. geben könne. Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Der Intermediär ist bei einer entsprechenden Entbindung von der Wahrung seines Berufsgeheimnisses durch den Stpfl., was auch konkludent geschehen kann, uneingeschränkt zur Meldung aufgerufen. Wird die Anzeigepflicht verletzt, ist dieses Vergehen mit einem Bußgeld bewehrt. Die Missachtung dieser Pflicht soll als ein Steuergefährdungstatbestand normiert (§ 379 AO) werden, der ein Bußgeld von bis zu 25.000 t vorsieht. Auf der anderen Seite ist die Befolgung der Anzeigepflicht mit keinem Zugewinn an Rechtssicherheit im Fall der Nutzung des Modells verbunden. Hier hilft nur die Durchführung eines gebührenpflichtigen Auskunftsverfahrens (§ 89 AO). cc) Keine nationalen Anzeigepflichten Der Gesetzentwurf sieht keine Verpflichtung zur Mitteilung von Modellen mit rein nationaler Bedeutung vor. Einige Bundesländer (insbes. Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein) haben im Vorfeld stets die Erweiterung der Mitteilungspflichten auf rein nationale Fallgestaltungen gefordert. Die Finanzministerkonferenz (FMK), die sich einen Gesetzentwurf durch die Länder Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein für eine nationale Anzeigepflicht erarbeiten ließ, begrüßte mehrheitlich die Einführung einer nationalen Anzeigepflicht und forderte das BMF auf, eine entsprechende Gesetzesinitiative vorzunehmen. Das BMF folgte zunächst dem Wunsch und erarbeitete zusammen mit einer Reihe von Ländern eine nationale Anzeigepflicht. Die ursprüngliche Absicht des BMF, einem entsprechenden Anliegen der FMK zu entsprechen, ist nunmehr wohl (vorerst) aufgegeben worden. Sollte die internationale Anzeigepflicht zu einem gesetzgeberischen Er76

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folg führen, ist ein erneuter Vorstoß in Richtung nationale Anzeigepflicht nicht ausgeschlossen. dd) Anwendungszeitpunkt Das Gesetz tritt nach Art. 5 am Tag nach der Verkündung in Kraft. Nach Art. 97 § 33 EGAO sind die neuen Mitteilungspflichten ab dem 1.7.2020 in solchen Fällen zu erfüllen, in denen der erste Schritt einer mitteilungspflichtigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung nach dem 24.6.2018 umgesetzt wurde. Die Anzeigepflicht ist in solchen Fällen bis zum 31.8.2020 zu erfüllen. Für Gestaltungen, mit deren Umsetzung nach dem 30.6.2020 begonnen wird, gilt die 30-Tagefrist des § 138f Abs. 2 AO.

III. Gesetzesvorhaben in 2020 und weitere Gesetzesvorschläge 1. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes a) Eindämmung von Share deal-Gestaltungen Share deal-Gestaltungen sind solche, bei denen der Grundbesitz in einer Kapitalgesellschaft gehalten wird. Soll das Grundstück verkauft werden, wird nicht dieses unmittelbar, sondern werden die Anteile an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft veräußert. Eine Veräußerung einer Beteiligung an einer solchen Gesellschaft von unter 95 % löst keine Grunderwerbsteuer aus (§ 1 Abs. 2a und 3 GrEStG). In Zeiten des Anwachsens der Grunderwerbsteuersätze wird bei Großimmobilien mit steigender Beliebtheit eine Share deal-Konstruktion gewählt. Steuerpolitisch geriet dies in Misskredit und wird vielfach als missbräuchliche Umgehung verstanden, obgleich die Besteuerung des Anteilseignerwechsels eine Erweiterung und nicht eine Einengung des Besteuerungstatbestands darstellt. Gleichwohl stieß die Politik eine Untersuchung an, auf welchem Weg solche unerwünschten Gestaltungen unterbunden werden können. Als Lösungsmöglichkeiten wurden zwei Ansätze diskutiert: Einmal könnte das Heil in der Herabsetzung der kritischen Beteiligungsgrenze gesehen werden. Erwogen wurde eine Absenkung der 95 %-Grenze auf eine 75 %-Grenze. Ein weiterer Ansatz besteht darin, die Grunderwerbsteuer quotal in Stufen anfallen zu lassen, wenn bestimmte Anteile an der grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft erworben werden. Die Länder 77

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haben diese Modelle auf ihre finanzverfassungsrechtliche Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz gutachterlich untersuchen lassen. Das Ergebnis des Gutachtens war ernüchternd.28 Die Finanzministerkonferenz hat am 21.6.2018 gleichwohl mehrheitlich den Abteilungsleitern/-innen von Bund und Ländern den Auftrag zur Formulierung einer Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 90 % und für ergänzende Maßnahmen, die der Eindämmung der Share deal-Gestaltungen dienen können, erteilt. Das BMF hat in einem Regierungsentwurf 29 die Anregung der FMK aufgegriffen und einen Gesetzentwurf mit folgenden Änderungsinhalten zur Eindämmung von share-deal-Gestaltungen entwickelt: Die sog. Ergänzungstatbestände, bei denen ein Rechtsträgerwechsel in Bezug auf das Grundstück zwar nicht erfolgt, die gleichwohl eine Grunderwerbsteuerpflicht auslösen sollen, werden in dem Gesetzentwurf wie folgt gestaltet: –

§ 1 Abs. 2a GrEStG: Der Grundbesitz ist Eigentum einer Personengesellschaft. Ändert sich der Gesellschafterbestand innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar in der Weise, dass die Gesellschafter mit einem Anteil am Gesellschaftsvermögen iHv. mindestens 95 % innerhalb von fünf Jahren wechseln und das Vermögen auf neue Gesellschafter übergeht, ist dieser Vorgang nach bisheriger Rechtslage steuerbar und steuerpflichtig. Die Neuregelung sieht vor, dass die Beteiligungsgrenze auf 90 % herabgesetzt und der Beobachtungszeitraum für den Wechsel von fünf auf zehn Jahre angehoben wird. Die Rechtsfolge bleibt gleich. Es wird fingiert, dass der Grundbesitz von der bisherigen Personengesellschaft auf eine solche mit neuer Zusammensetzung im Gesellschafterbestand übertragen wird. Damit wird die Personengesellschaft Schuldnerin der Grunderwerbsteuer.



§ 1 Abs. 2b GrEStG: Der Austausch von Gesellschaftern führte bislang nur zu einem steuerpflichtigen Vorgang, wenn die den Grundbesitz haltende Gesellschaft eine Personengesellschaft ist. Mit § 1 Abs. 2b GrEStG wird eine Neuregelung geschaffen, die unter sonst gleichen Voraussetzungen einen Wechsel der Anteile – mindestens zu 90 % innerhalb von zehn Jahren – an einer Kapitalgesellschaft voraussetzt. Steuerschuldnerin ist die Kapitalgesellschaft (§ 13 Nr. 7 GrEStG).

28 Vgl. Drüen, Ubg. 2018, 605. 29 BR-Drucks. 355/19.

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§ 1 Abs. 3 GrEStG: Diese Norm behandelt die Anteilsvereinigung in einer Hand. Wenn der Erwerber der Anteile aufgrund eines Rechtsgeschäfts mindestens 95 % der Anteile an der Gesellschaft, die den Grundbesitz hält, auf sich unmittelbar oder mittelbar vereinigt, wird dieser Vorgang in diesem Zeitpunkt steuerbar. In der Neuregelung wird die Beteiligungsgrenze auf 90 % herabgesetzt.



Soweit das Gesetz bisher zur Verhinderung von Missbräuchen eine Fristeinhaltung von fünf Jahren vorgesehen hat (§ 5 Abs. 3, § 6 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4, § 7 Abs. 3 GrEStG), tritt an die Stelle der bisherigen Zeitbestimmung zehn Jahre.

b) Umwandlung § 8 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG beendet eine weit verbreitete Gestaltung in Umwandlungsfällen. Die A-GmbH will einen Teilbetrieb mit einem Grundstück (keine wesentliche Betriebsgrundlage) in die B-GmbH gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten zu Buchwerten einbringen. Um den für grunderwerbsteuerliche Zwecke gebotenen Wertansatz gem. § 8 Abs. 2 GrEStG (zu Grundbesitzwerten gem. § 157 BewG) zu vermeiden, wird das Grundstück vorab von der A-GmbH an die B-GmbH zu einem vereinbarten Preis, der unter dem Grundbesitzwert liegt, verkauft. Die Bemessungsgrundlage für die GrESt. ist dann nach § 8 Abs. 1 GrEStG die vereinbarte Gegenleistung. Die in dem Grundstück steckenden stillen Reserven würden ertragsteuerlich zumindest zum Teil aufgedeckt. Erfolgt nun eine nach § 20 Abs. 1 UmwStG mit Rückwirkung gem. § 20 Abs. 6 UmwStG versehene Einbringung zu Buchwerten, so wird ertragsteuerlich auch das veräußerte Grundstück erfasst, wenn der Einbringungszeitpunkt vor dem Veräußerungszeitpunkt liegt (vgl. § 2 Abs. 1 UmwStG). Damit wird das Grundstück ebenfalls begünstigt eingebracht, während grunderwerbsteuerlich die Besteuerung nach den Werten des § 8 Abs. 2 GrEStG vermieden wird. Infolge der Ergänzung durch den § 8 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG muss in der beschriebenen Umwandlung der Grundbesitzwert nach § 157 BewG angesetzt werden, wenn er höher als der vereinbarte Kaufpreis ist. c) Anzeigepflicht Die Anzeigepflicht nach § 19 GrEStG wird um die der og. Erwerbsvorgänge entsprechend erweitert. Bedeutsam ist die Änderung durch die neue Bestimmung des § 19 Abs. 6 GrEStG, wonach die Anwendung des § 152 79

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Abs. 10 AO bei der Festsetzung der Verspätungszuschläge ausgeschlossen wird. Damit soll dem Missstand begegnet werden, dass in den Fällen der Anteilsvereinigung oder des Anteilswechsels „vergessen“ wurde, eine entsprechende Anzeige zu erstatten. Wird sie erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erteilt, fällt zwar ein Verspätungszuschlag an, der jedoch wegen der Begrenzung auf höchstens 25.000 t derart gering ist, dass er angesichts der ersparten Grunderwerbsteuer bereits „eingepreist“ wird. Die betragsmäßige Begrenzung entfällt mit dieser Gesetzesänderung. d) Übergangsregelung § 23 Abs. 17 ff. GrEStG sehen eine ausgesprochen komplizierte Übergangsregelung in den Fällen vor, in denen die bisherige Beteiligungsschwelle von 95 % auf 90 % herabgesetzt und die Fristverlängerung von fünf auf zehn Jahre geregelt wird. In der Übergangsregelung wird aus Vertrauensschutzgesichtspunkten Rücksicht darauf genommen, dass ein Altgesellschaften allein wegen der Verlängerung der Frist nicht zu einem jungen Gesellschafter wird, der schädlich innerhalb der zehn Jahre den Anteil erworben hat (vgl. § 23 Abs. 18 GrEStG). Weiterhin gibt es Anwendungsprobleme in Fällen, in denen der Anteil zwischen 90 % und 95 % liegt und nunmehr innerhalb von fünf Jahren über 95 % ansteigt. Nach neuem Recht wäre dieser Vorgang nicht steuerbar, weil die Grenze von 90 % bereits überschritten war. Nach altem Recht wäre dieser Vorgang steuerbar. Dies will § 23 Abs. 19 Satz 1 GrEStG sicherstellen. Weiterhin gibt es Probleme mit den Fällen, in denen bislang eine Beteiligung von mehr als 90 %, aber unter 95 % besteht und nunmehr eine weitere Anteilsvereinigung erfolgt, ohne jedoch die 95 %-Grenze zu erreichen. Dieser Vorgang ist nach neuem Recht steuerbar. Weiterhin gibt es Fälle der Anteilsabsenkung in diesem Korridor, die deshalb steuerbar sind, weil es sich in diesen Fällen um eine Anteilsveräußerung handelt. e) Mögliche Änderungen im Gesetzgebungsverfahren Da ein Gesellschafterwechsel iHv. 90 % innerhalb von 10 Jahren eine Grunderwerbsteuerpflicht bei grundbesitzhaltenden Gesellschaften auslösen kann, ist die Forderung nach einer sog. Börsenklausel bei börsennotierten Aktiengesellschaften erhoben worden. Begründet wird diese 80

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Forderung mit dem Gedanken, dass der Anteilseignerwechsel in nicht von der Gesellschaft zu beeinflussender Weise über die Börse erfolge und deshalb nicht für das Unternehmen erkennbar sei und dies möglicherweise auch mehrfach in dem Zehnjahreszeitraum, so dass dann immer wieder eine nicht kalkulierbare Grunderwerbsteuerpflicht ausgelöst werde. Es wird deshalb die gesetzliche Aufnahme einer Börsenklausel erwogen, und zwar sowohl für die Neuregelung in § 1 Abs. 2b GrEStG (Anteilseignerwechsel bei einer Kapitalgesellschaft) als auch für die bisherige Regelung des § 1 Abs. 2a GrEStG (Anteilseignerwechsel bei einer Personengesellschaft). Es sieht danach aus, dass diese Forderung bei der Politik Gehör findet. Die Einführung einer Börsenklausel ist jedoch aus folgenden Gründen bedenklich: –

Die Vermeidung der Grunderwerbsteuer steht den börsennotierten Gesellschaften offen, wenn die Anteilseigner ihre Beteiligung gezielt über die Börse an die neuen Eigner verkaufen. Da die Börsenklausel Bestandteil einer Regelung ist, die Steuermissbräuche im Share dealSektor vermeiden möchte, wird diese Bestimmung als Spezialregelung dem § 42 AO vorgehen, so dass der gezielte Verkauf über die Börse nicht von § 42 AO gehindert werden kann.



Mittelständischen Kapitalgesellschaften, die nicht börsennotiert sind, haben diese beschriebene Möglichkeit nicht.30



Eine Börsenklausel war bislang für Zwecke des § 1 Abs. 2a GrEStG entbehrlich, obgleich börsennotierte Kapitalgesellschaften Gesellschafter der grundstücksbesitzenden Personengesellschaft sein können und ein mittelbarer Anteilseignerwechsel ebenfalls schädlich ist. Eine bisher nicht gewährte Möglichkeit wird nunmehr zugunsten der Stpfl. eingeführt.



Es ist nicht vorstellbar, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften kein gebundener Vermögensstock iHv. mindestens 10 % der Beteiligung existieren soll. Gibt es einen solchen, kann die beschriebene Situation nicht eintreten, auch wenn dann nahezu 90 % der Beteiligung frei am Markt verfügbar sein sollte. In der Vergangenheit konnte man größere Anteilsverschiebungen nur feststellen, wenn sog. cum/cumAktionen durchgeführt werden sollten, bei denen die Beteiligungen treuhänderisch an inländische Banken zum Zweck der Nutzung der

30 In Deutschland gibt es rd. 12.000 Aktiengesellschaften, von denen etwa 800 börsennotiert sind.

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Steuerfreiheit der Dividendenausschüttungen kurzzeitig durch ausländische Anteilseigner verschoben wurden. Weiterhin wird verlangt, dass die Beteiligungsgrenze von 95 % in § 6a GrEStG ebenfalls auf 90 % abgesenkt werden soll. Hier ist einzuwenden, dass die Grenze des § 6a GrEStG nichts mit der Bekämpfung von Share deal-Gestaltungen zu tun hat. Im Gegenteil: Schädliche Share dealGestaltungen innerhalb eines Konzerns infolge der Absenkung der 95 %Grenze würde steuerbefreit werden, wenn die Anteilseignerstruktur im Konzern unter 95 % (allerdings mehr als 90 %) liegen würde. Die Effekte der Absenkungen verlaufen also gegenläufig. f) Sachstand im Gesetzgebungsverfahren Nach anfänglichen Beratungen haben die CDU/CSU- wie auch die SPDBundestagsfraktion übereinstimmend beschlossen, dieses Gesetzespaket nicht mehr in 2019 zum Abschluss zu bringen, sondern erst im ersten Halbjahr 2020. Sie erklärten auch übereinstimmend, das Ziel der Eindämmung von Share deal-Gestaltungen gemeinsam zu haben, äußerten sich aber nicht zu den hierfür angedachten Methoden.31 g) Freibetrag für Wohnimmobilien (NRW, SH) Die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und NRW hatten sich für die Einführung eines Freibetrags für natürliche Personen bei Erwerb eines Ein- oder Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung stark gemacht. Der Freibetrag soll von dem Kaufpreis für die Immobilie, der Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer ist, abgezogen werden. Die Landesregierung NRW brachte diesen Vorschlag bereits als Entschließungsantrag am 5.9.2017 in den Bundesrat ein, der am 22.9.2017 beraten und zur Weiterberatung an die Fachausschüsse weitergeleitet wurde. Seitdem ist nichts mehr passiert. Wie die Bundesregierung, die nach dem Inhalt des Koalitionsvertrags dem Vorschlag aufgeschlossen gegenübersteht, sich hierzu letztlich verhält, muss abgewartet werden. Zu den Erfolgschancen dieses Vorstoßes muss man berücksichtigen, dass die FDP-Fraktion des deutschen Bundestags bereits am 17.4.2018 den Gesetzgeber aufgefordert hatte,32 eine entsprechende Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Der Finanzausschuss des Bundestags lehnte die31 Vgl. Pressemitteilung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag v. 24.10.2019. 32 BT-Drucks. 19/1696.

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sen Antrag jedoch mit den Stimmen aller anderen dort vertretenen Parteien in seiner Sitzung am 13.6.2018 ab.33 Die SPD-Fraktion verwies die FDP insbes. darauf, dass sie dort, wo sie in den Ländern mitregiere (zB NRW), in erster Linie sich um die Absenkung des Grunderwerbsteuersatzes kümmern solle.

2. Restanten aus der ATAD-Richtlinie, zB zur Verhinderung hybrider Gestaltungen Das BMF hat einen Referentenentwurf des v. 10.12.2019 mit einem Vorschlag vorgelegt, der die sog. ATAD-Steuervermeidungsrichtlinie34 umsetzt, soweit nicht bereits bestehende Abwehrregelungen diesen Zweck erfüllen. Der Regelungskern dieses Gesetzesvorschlags liegt in der Umsetzung der EU-Vorschläge zur Vermeidung nicht gerechtfertigter Steuervorteile aufgrund von hybriden Gesellschaftsstrukturen oder Steuergestaltungen zwischen verschiedenen EU-/EWR-Staaten. § 4k EStG wird insoweit die zentrale Norm sein, die die von der ATAD bezweckte Verhinderung von hybriden Steuereffekten gewährleistet. Im Grunde geht es immer um den Effekt, dass getätigte Aufwendungen steuerlich abziehbar sind und die diesen Aufwendungen entsprechenden Erträgen beim Gläubiger nicht oder nur begünstigt besteuert werden. Diese Asymmetrie kommt in vielerlei Erscheinungsformen vor, denen sich der § 4k EStG im Einzelnen widmet. § 4k EStG spricht in solchen Fällen regelmäßig ein Abzugsverbot der als Betriebsausgaben geltend gemachten Aufwendungen aus. Es kann allerdings aufgrund von Besonderheiten vorkommen, dass die den Aufwendungen korrespondierenden Erträge mehrfach erfasst werden, so dass Ausnahmen vom Abzugsverbot geboten sind, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden. § 4k Abs. 1 EStG erfasst insbes. den Fall, dass eine beim inländischen Stpfl. als Betriebsausgabe abziehbare Zinszahlung vom Staat des Zahlungsempfängers nicht als Zinseinnahme, sondern als Gewinnausschüt33 BT-Drucks. 19/2411. 34 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes (ABl. EU 2016, L 193/1), geändert durch Art. 1 der Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates v. 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern (ABl. EU 2017, L 144/1).

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tung behandelt wird. Erfasst werden auch Transaktionen von Vermögensgegenständen, die von dem einen Staat anerkannt, von dem anderen Staat hingegen nicht anerkannt werden, mit der Folge unterschiedlicher steuerlicher Konsequenzen, die nicht symmetrisch sind. § 4k Abs. 2 EStG erfasst die Besteuerungsprobleme bei hybriden Stpfl., die in dem einen Staat als transparent, in dem anderen hingegen als intransparent behandelt werden. Das kann der Fall sein, wenn Leistungen eines Steuergebildes, das im Ansässigkeitsstaat als intransparent erachtet wird, dort als Betriebsausgaben anerkannt, im Staat des Gläubigers hingegen nicht als steuerpflichtige Einnahme erfasst werden, weil das Gebilde nach dem dort geltenden Recht als transparent angesehen wird. Solche Fälle sind insbes. bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften vorstellbar. § 4k Abs. 3 EStG regelt nach der Gesetzesbegründung Fälle „sog. umgekehrt hybrider Rechtsträger, die im Staat ihrer Errichtung als transparente, im Staat der unmittelbar oder mittelbar Beteiligten als intransparente Rechtsträger behandelt werden, sowie Inkongruenzen auf Grund einer abweichenden Zuordnung von Erträgen zu einzelnen Unternehmensteilen (Betriebsstätten)“. § 4k Abs. 4 EStG befasst sich mit Besteuerungssituationen, in denen Betriebsausgaben doppelt berücksichtigt werden, und bestimmt dabei zugleich, in welchem Staat zuerst der Betriebsausgabenabzug nicht anzuerkennen ist. § 4k Abs. 5 EStG hat sog. importierte Besteuerungsinkongruenzen im Blick, die sich ergeben können, wenn Zahlungen korrespondierend über verschiedene Unternehmensteile in mehreren Staaten stets korrekt als Ausgabe und Einnahme behandelt werden, bis auf der letzten Stufe ein Missverhältnis eintritt, so dass am Beginn der Zahlung dem erfolgten Betriebsausgagenabzug eine korrespondierende Erfassung der Zahlung als Betriebseinnahme auf der letzten Stufe nicht mehr gegenüber steht. § 4k Abs. 6 EStG beschränkt den Anwendungsbereich des § 4k EStG auf Leistungsbeziehungen zwischen nahestehende Personen sowie auf strukturierte Gestaltungen auch zwischen nicht nahestehenden Personen. § 4k Abs. 7 EStG normiert schließlich einen treaty override, indem ausdrücklich angeordnet wird, dass § 4k Abs. 1–6 EStG ungeachtet eines bestehenden DBA Anwendung findet. Weiterhin enthält der Gesetzentwurf Anpassungen an die Entstrickungsund Wegzugsbesteuerung nach den Vorstellungen der ATAD. Wechselt ein Wirtschaftsgut in die Besteuerungshoheit eines anderen EU-/EWRStaats, so führt dies zur Aufdeckung der stillen Reserven. Die hierauf entfallende Steuer kann auf Antrag auf fünf Jahresraten verteilt werden. Wird das Wirtschaftsgut wieder in das Inland zurück überführt, so ver84

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pflichtet die ATAD, dass die Werte, die das Ausland für Besteuerungszwecke angesetzt hatte, auch für das Inland nach Einlagegrundsätzen zu berücksichtigen sind. Der gemeine Wert stellt dabei allerdings die Obergrenze dar. Hierdurch wird erreicht, dass die stillen Reserven, die sich im Ausland gebildet haben, der inländischen Besteuerung entzogen werden. Die deutschen Bestimmungen sahen bereits eine ähnliche Besteuerung bei der Entstrickungs- und Wegzugbesteuerung vor, sind allerdings im Detail an die ATAD-Regelungen anzupassen. Hierzu dienen die Änderungen in § 4 Abs. 1 Satz 3 und 9, § 4g, § 6 Abs. 1 Nr. 4, 5a und 5b, § 9 Abs. 5 Satz 2 und § 36 Abs. 5 EStG. Eine Anpassung in § 12 Abs. 1 und 1a KStG trägt den Wegzugsfällen und Zuzugsfällen vor allem von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU/EWR Rechnung. Eine besondere Härte kommt dabei auf die Stpfl. zu, die wesentlich Beteiligte iSd. § 17 EStG sind und dem § 6 AStG unterfallen. Nach bisherigem Recht werden die in der Beteiligung steckenden stillen Reserven aufgedeckt und die hierauf entfallenden Steuern zeitlich unbeschränkt gestundet. Künftig soll die Stundung auf einen Zeitraum von höchstens sieben Jahren mit entsprechender Ratenzahlung von sieben Teilbeträgen begrenzt werden. Die hiervon ausgehende Belastungswirkung für den Stpfl. kann je nach Umfang der in der Beteiligung steckendenden stillen Reserven beträchtlich sein. Die §§ 1 ff. AStG und § 90 AO zu den Regelungen der Verrechnungspreise zwischen nahestehenden Personen sind neu gefasst und fußen im Wesentlichen auf den Empfehlungen einer Facharbeitsgruppe. Sie dienen nach eigener Zielsetzung einer möglichst fairen Aufteilung der Besteuerungsrechte der Staaten, in denen Konzerne grenzüberschreitenden Aktivitäten nachgehen. Bei der Hinzurechnungsbesteuerung hat sich der Referentenentwurf leider nicht von der bisherigen Vorstellung lösen können und nimmt unverändert eine Niedrigbesteuerung bei Staaten mit einem Steuersatz bis 25 % an. Das Problem der Anrechnungsüberhänge bleibt damit erhalten. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Missstand im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beseitigt werden wird.

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3. Unternehmenssteuerreform a) Antrag des Landes NRW „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“ Der Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Parteien zeichnet sich dadurch aus, dass er – von einer steuerlichen Förderung von F&E-Aufwendungen einmal abgesehen – steuerliche Erleichterungen für deutsche Unternehmen nicht vorsieht. Die letzte Steuersenkung für die Unternehmen stammt aus dem Jahr 2008, als der Körperschaftsteuersatz auf 15 % abgesenkt wurde und die Belastung der Körperschaften zusammen mit der Gewerbesteuer etwa 30 % erreichte. Inzwischen sind zwei Entwicklungen eingetreten, die für den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht förderlich sind: zum einen ist inzwischen die Belastung vielerorts infolge steigender Gewerbesteuerhebesätze klar über 30 % angestiegen, zum anderen haben viele Staaten die Steuerbelastung ihrer Unternehmen deutlich unter 30 % abgesenkt oder planen dieses, so dass die Steuersenkung aus dem Jahr 2008 zunehmend verblasst. Dies erkennend hat NRW mit seinem. Antrag35 einen Vorstoß gemacht, mit dem mit vielen Einzelregelungen versucht wird, die steuerliche Attraktivität von Deutschland für die hier ansässigen Unternehmen zu verbessern oder zumindest zu stabilisieren. Folgende Handlungsfelder wurden ausgemacht, wobei ausdrücklich auf die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes und auf die Streichung des Solidaritätszuschlags verzichtet wurde. Im Einzelnen: –

Steuerliche Förderung für Forschung und Entwicklung (F&E): dieser Vorschlag knüpft an eine Bundesrats-Initiative aus dem Jahr 2016 an, mit der innovative kleine und mittlere Unternehmen mit einer 10%igen Gutschrift auf die Personalkosten für F&E-Aufwendungen gefördert werden sollten. NRW zeigt sich zudem grundsätzlich bereit, auch Großunternehmen in die Förderung einzubeziehen. Die Maßnahme ist umgesetzt worden (s.o. S. 65)



Verbesserte Sofortabschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter. Der Vorschlag geht dahin, die Betragsobergrenze von derzeit 800 t auf 1.000 t je Wirtschaftsgut anzuheben und die sog. Poolabschreibung im Gegenzug abzuschaffen.

35 BR-Drucks. 310/18.

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Anreiz für eine verbesserte Wohnsituation durch Einführung einer linearen Abschreibung von bisher 2 % auf 3 % p.a. Diese Maßnahme ist ebenfalls bereits umgesetzt worden (§ 7b EStG).



Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung bei Personenunternehmen, die nach § 34a EStG einbehaltene Gewinne ermäßigt mit 28,25 % besteuern können: diese Thesaurierungsbegünstigung leidet an einigen Stellen an Erschwernissen, die den Umgang mit dieser Regelung letztlich nur für sehr wohlhabende Unternehmen sinnvoll erscheinen lassen. Der Thesaurierungssteuersatz hat eine Höhe, die für kleine und mittlere Personengesellschaften nicht attraktiv ist. Ähnliches gilt für nicht abziehbare Betriebsausgaben, so dass zu überlegen ist, ob diese genannten Beträge dem Gewinnteil zugerechnet werden sollten, der ermäßigt besteuert wird. Die Verwendungsreihenfolge in Bezug auf entnommenen Gewinne führt zu hemmenden lock in-Effekten bezüglich Altrücklagen. Schließlich müssen Umwandlungen einer thesaurierenden Personengesellschaft leichter und ohne die gegenwärtigen steuerlichen Folgen möglich sein.



Erleichterung bei der Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 EStG sollte endlich vorsehen, dass Verluste in den Fällen der Umwandlung oder Liquidation nicht untergehen.



Die notwendige Rechtssicherheit bei der steuerlichen Entlastung von Sanierungsgewinnen wird angemahnt. Nachdem nunmehr die Neureglung des § 3a EStG im Grundsatz grünes Licht von der EU-Kommission erhalten hat, ist damit dem Anliegen von NRW Rechnung getragen worden. Nun gilt es, die Regelung „gängig“ zu machen.



Aufforderung zur Schaffung eines Systems, das beim Verlustabzug im Fall des Anteileignerwechsels (§ 8c KStG) eine größere Rechtssicherheit angesichts der Schwebesituation infolge der noch offenen Entscheidung des BVerfG zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (Anteilseignerwechsel von mehr als 50 %) einräumt.



Anpassung des § 35 EStG an gestiegene Gewebesteuerhebesätze, um eine sachgerechtere Entlastung der Einkommensteuerpflichtigen zu ermöglichen.



Anpassung gewerbesteuerlicher Regelungen durch Erhöhung des Hinzurechnungsfreibetrags nach § 8 Nr. 1 GewStG von derzeit 100.000 t auf 150.000 t oder 200.000 t, um eine Entlastung kleinerer Gewerbesteuerzahler zu bewirken.

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Start-up-Unternehmen könnten gefördert werden, indem immer dann, wenn die Einräumung von Beteiligungen an dem Unternehmen etwa an eigene Arbeitnehmer zur Bindung dieses Personenkreises an das Unternehmen beabsichtigt ist, die mit diesem geldwerten Vorteil verbundenen (lohn-)steuerlichen Folgen durch Einräumung eines besonderen Freibetrags gemildert werden.



Ferner sieht der Vorschlag von NRW vor, dass das Außensteuerrecht im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung reformiert werden müsse durch folgende Maßnahmen –

Absenkung der Niedrigsteuerschwelle von derzeit 25 % auf einen realistischen angemessenen Satz (zB 15 %).



Sachgerechte Aktualisierung des Katalogs hinzurechnungspflichtiger Einkünfte, so dass insbes. Dividenden außen vor bleiben.



Berücksichtigung von Überhängen ausländischer anrechnungsfähiger Steuern erforderlichenfalls bei der Gewerbesteuer.

Diesem Vorschlag wird durch den Entwurf zur Umsetzung der ATAD zT Rechnung getragen. –

In Bezug auf die Umsatzsteuer macht NRW folgende Vorschläge: –

Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft: der Automatismus, nach dem derzeit die Begründung oder Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bei Vorliegen der gesetzlichen Kriterien eintritt, ist für Stpfl. wie auch den Fiskus gleichermaßen unbefriedigend.



Anpassung der Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugs an die Rspr.: hier gilt es, die Anforderungen an Abrechnungsunterlagen für den Vorsteuerabzug in Übereinstimmung mit der Rspr. des BFH zeitnah und praxisgerecht umzusetzen



Neugestaltung der Verzinsung von Steuerforderungen-/erstattungen: obgleich ein Leistungsaustausch neutral ist, kann es durch den verweigerten und erst später zugestandenen Vorsteuerabzug zu Zinsbelastungen kommen, die unter Beachtung des Unionsrechts kritisch überprüft werden sollten.

Es finden sich im NRW-Antrag auch einzelne Maßnahmen, die sich zu Lasten der Stpfl. auswirken können, aber gleichwohl sachgerecht erscheinen. Es handelt sich dabei um folgende Vorschläge: –

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Bekämpfung von Wettbewerbsnachteilen durch BEPS-Umsetzung: NRW erinnert die Bundesregierung hier an die konsequente Umset-

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

zung der Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie der EU. Hierzu gehören insbes. Regelungen zur Verhinderung doppelter Nichtbesteuerung bei sog. hybriden Gestaltungen (vgl. S. 83 f.). –

Ausschluss von „Windfall-Profits“ bei der Umsatzsteuer: Ändert sich die Umsatzsteuer im Nachhinein aufgrund geänderter Rspr. zuungunsten des Unternehmers, besteht vielfach Vertrauensschutz zugunsten des Unternehmers (§ 176 Abs. 1 AO), während der erhöhte Vorsteuerabzugsbetrag nicht versagt wird. NRW ist der Auffassung, dass hier besondere Korrekturvorschriften angebracht sind, die die beiderseitige Berichtigung iS einer gesetzlichen Korrespondenz erlauben.



Wirksame Besteuerung des Internethandels: Hier finden sich Forderungen, die die Bundesregierung mit ihren Haftungsbestimmungen im Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften inzwischen bereits aufgegriffen hat (§ 22f UStG).



Verfahrensrechtliche Absicherung der Wirkungen verbindlicher Auskünfte: mitunter werden Absprachen gerade in Wegzugsfällen getroffen, die es den Stpfl. erlauben wegzuziehen, ohne die stillen Reserven ihres Betriebsvermögens aufdecken und versteuern zu müssen. Infolge geänderter Rspr. erweist sich diese Einschätzung als fehlerhaft, kann aber infolge eingetretener Verjährung nicht mehr geändert werden. Hier wäre mitunter eine Möglichkeit der rückwirkenden Korrektur sachgerecht.

Ein am Schluss der Liste befindlicher Vorschlag zur Erhöhung der Rechtssicherheit im Steuerrecht, nämlich die Rückkehr zur Gutachterzuständigkeit des BFH, wird beharrlich mit großer Nichtbeachtung von der Fachöffentlichkeit und der BFH-Richterschaft bedacht. b) Antrag des Freistaats Bayern zur „steuerlichen Entlastung der deutschen Wirtschaft Mit seiner Entschließung vom 4.7.201836 verfolgt Bayern noch folgende darüber hinausgehende Anliegen: –

Absenkung der Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften durch teilweise Anrechnung der Gewerbesteuer bei der Körperschaftsteuer.

36 BR-Drucks. 325/18.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

Dies führe mittelbar auch zur Abmilderung der ertragsunabhängigen Besteuerungselemente der Gewerbesteuer. –

Angleichung der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen für die Einführung eines Mindeststeuersatzes auf EU-Ebene.



Berücksichtigung von kleinen Kapitalgesellschaften bei der ersten Stufe des Abbaus des Solidaritätszuschlags.

c) Impulspapier der Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Am 30.1.2019 legte die Arbeitsgruppe Finanzen der Bundestagsfraktionen CDU/CSU erstmals ein Arbeitspapier vor, mit dem sich die Arbeitsgruppe Gedanken zur Modernisierung des Unternehmenssteuerrechts Gedanken macht. Hierzu unterbreitet sie ua. folgende Vorschläge, die sie jüngst wiederholte:37 –

Vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags,



Erhöhung der Gewerbesteueranrechnung für natürliche Personen,



Gewerbesteuer als abziehbare Betriebsausgabe,



Anrechnung der Gewerbesteuer bei Kapitalgesellschaften,



Verbesserung der Zerlegung der Gewerbesteuer,



Optionsmodell für Personengesellschaften, sich wie eine Kapitalgesellschaft behandeln zu lassen,



Reform des Außensteuerrechts (Hinzurechnungsbesteuerung, Katalog der aktiven Tätigkeiten, Wegzugsbesteuerung),



Anpassung des Zinssatzes einschl. § 6a Abs. 3 EStG,



Förderung der zeitnahen Betriebsprüfung,



Bürokratieabbau (Nutzung der Digitalisierung, Reduzierung von Meldepflichten: keine Meldepflicht für nationale Gestaltungsmodelle),



F&E-Forschungsförderung für alle Unternehmen,



Anhebung der Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 1.000 t, Wegfall des Sammelpostens,



Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, Wiedereinführung der degressiven AfA,

37 Vgl. FAZ v. 6.11.2019.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben



Neureglung der Verlustverrechnung



Verbesserung der Thesaurierungsbesteuerung für Personenunternehmen.

d) Vorschläge von dritter Seite (BDI, IDW) Die Vorschläge der großen Wirtschaftsverbände unterscheiden sich nicht wesentlich von denen, die bereits vom Bundeswirtschaftsministerium und den Ländern NRW und Bayern gemacht wurden. Insbesondere das IDW schlägt jedoch ein Optionsmodell vor, wonach Personengesellschaften auf Antrag wie Kapitalgesellschaften behandelt werden können. Um ein solches Optionsmodell möglichst reibungsfrei umsetzen zu können, müssen eine Fülle von Einzelheiten zufriedenstellend gelöst werden. Die größten Probleme sind mit den Übergängen in die Besteuerung als Kapitalgesellschaft und wieder zurück aus der Besteuerung als Kapitalgesellschaft verbunden. Insbesondere muss das Sonderbetriebsvermögen bei dem Wechsel des Besteuerungsregimes entweder eingelegt werden oder entnommen oder in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden. Ob solche Vermögensverschiebungen von den Beteiligten gewollt sind, ist die Frage. NRW wird sein Augenmerk auf bekannte Normen wie § 34a EStG richten und versuchen, dort zu Verbesserungen zu kommen, statt das Wagnis der Einführung eines völlig neuen Systems einzugehen.

IV. Europäische/internationale Vorhaben 1. Besteuerung der digitalen Wirtschaft Die EU-Kommission – ursprünglich angestoßen von Frankreich und Deutschland – macht Vorschläge zur Besteuerung von Unternehmen der Digitalwirtschaft. Unter diesen Vorschlägen sind eine Zwischenlösung und eine langfristige Lösung. Die Zwischenlösung sieht eine Abgabe iHv. 3 % auf Umsätze vor, die durch Vermittlungsleistungen auf digitalem Weg, auf digitale Werbeleistungen und Übermittlung gesammelter Nutzerdaten im Inland erzielt werden (nicht jedoch der internetbasierte Handel mit Waren!). Die vorgeschlagene Steuer beschränkt sich auf Unternehmen mit einem Gruppenumsatz von mehr als 750 Mio. t weltweit und einem einschlägigen steuerpflichtigen Umsatz von mehr als 30 Mio. t innerhalb der EU. Die langfristige Lösung strebt die Schaffung eines neuen steuerlichen Anknüpfungspunkts an: die digitale Betriebsstätte. 91

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

Ursprung dieser Vorschläge sind die exorbitanten Gewinne großer Unternehmen, die mit Hilfe der Digitalisierung Geschäftsmodelle kreieren, die dank entsprechender internetaffiner Kundschaft derartige Gewinne erzielen lassen. Das Internet ermöglicht, dass das Unternehmen vom Ausland aus gesteuert werden kann, die Kunden des Unternehmens jedoch leicht und mühelos überall auf der Welt erreicht werden können. Herkömmliche Einrichtungen als Betriebsstätten und als physischer Anknüpfungspunkt für Besteuerungsinteressen des jeweiligen Fiskus sind entbehrlich geworden. Durch diese neue Beweglichkeit auf Internetbasis ist es operierenden Unternehmen möglich geworden, ihre Gewinne fernab von den Orten, in denen die Gewinne erwirtschaftet werden, auszuweisen und zu versteuern. Bei den einschlägigen Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple (daher GAFA-Steuer) kam hinzu, dass es mit Hilfe hybrider Gesellschaften mit Sitz in der Karibik gelang, die in Europa erzielten Gewinne letztlich in keinem Staat der EU einer nennenswerten Besteuerung zu unterwerfen. Auch in der Karibik wird eine angemessene Besteuerung nicht stattgefunden haben. Aufgrund gegenläufiger steuerlicher Maßnahmen der USA weichen die Großkonzerne legal in Staaten mit einer deutlich geringeren steuerlichen Belastung als in Deutschland aus. Das sind inzwischen auch die meisten EU-Staaten. Die Neuartigkeit der Geschäftsmodelle mit Hilfe der Digitalisierung verknüpft mit der aggressiven Nutzung hybrider Gestaltungsmöglichkeiten hat zu der Forderung einer angemessenen Besteuerung international agierender Unternehmen in Europa geführt. Doch ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingetreten: –

Die Idee, dass der Fiskus, in dem das Unternehmen die geistigen Ursachen und die tragende Geschäftsidee verortet, den Löwenanteil des zu versteuernden Gewinns beanspruchen kann, ist Allgemeingut. Wollte man diese aufgeben, führte dies zu erheblichen Nachteilen für den deutschen Fiskus. Da stellt sich die Frage, warum dies für die Entwicklung der maßgeblichen Algorithmen in der Digitalwirtschaft anders sein soll.



Eine Zusatzbelastung von 3 % (Zuschlagslösung) auf den einschlägigen Umsatz führt zu einer Doppelbelastung, die an sich bei der Bemessung der Gesamtbelastung zu berücksichtigen ist. Mit anderen Worten: Warum soll ein Internetunternehmen mit Sitz in Deutschland, das seine Gewinne uneingeschränkt in Deutschland versteuert, mit dieser zusätzlichen Belastung versehen werden? Wenn hierfür kein

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

sachlicher Grund besteht, dann muss immer eine Vorbelastung mit Ertragsteuern berücksichtigt werden, wobei es wiederum gleichgültig ist, welcher Fiskus sie vereinnahmt. Frankreich ist gleichwohl diesen Weg gegangen und hat eine derartige Besteuerung eingeführt. –

Die Steuer, die an die Nutzung der Produkte anknüpft, lehnt sich an das Bestimmungslandprinzip an und hat damit den Charakter einer Umsatzbesteuerung und nicht den einer Ertragsbesteuerung, die dem Ursprungslandprinzip folgt. ME wird die zukünftige Bedeutung, an die Daten der Nutzer bzw. der Kunden der besagten Unternehmen heranzukommen und diese für eigene geschäftliche Zwecke zu nutzen, vollkommen verkannt.38 Daten der einzelnen Individuen dienen nicht nur in Zukunft dazu, die spezifischen Neigungen und Anfälligkeiten zu ermitteln, um dann maßgeschneiderte Werbung zu platzieren. In nicht allzu ferner Zukunft wird es denkbar sein, das Leben und die Existenz der Individuen mit Hilfe von Computeralgorithmen zu begleiten und aufgrund der Fülle unvergessener Einzelinformationen Produkte der Lebenshilfe wie Partnervermittlung bis hin zur Information über die individuelle gesundheitliche Disposition bis hin zur eigenen Lebenserwartung gegen Entgelt zu vermitteln. Der Nutzer kann damit sein Lebensglück in der Liebe bis hin zu prophylaktischen medizinischen Maßnahmen bei ungünstiger Prognose in Bezug auf seine Sterblichkeit erlangen. Die Daten werden in ihrer Aussagekraft wesentlich stabiler und verlässlicher sein als das Erinnerungsvermögen des jeweiligen von Natur aus zu mehr oder weniger großer Vergesslichkeit neigenden Menschen. Die Daten werden in der Lebensbegleitung ein immer wichtiger werdendes Korrektiv zu den Selbsttäuschungen und Vorstellungen des Einzelnen darstellen, wenn der Einzelne dieses für seine weitere Lebensplanung wünscht. Alles wird von den großen IT-Unternehmen selbstverständlich nur gegen Entgelt angeboten werden. Hier liegen die entscheidenden Geschäftsfelder der Zukunft. Das alles gelingt nur dann, wenn eine hinreichende Menge von Daten erfasst, gespeichert und verarbeitet werden kann. Eine andere Form der wirtschaftlichen Nutzung von Daten konnte man jüngst über den Airbus Konzern erfahren.39 Airbus beabsichtige diejenigen Unternehmen, die mit der Wahrnehmung der Wartungsarbeiten an deren Flugzeugen beauftragt werden und die deshalb die

38 Vgl. zu den verschiedenen Geschäftsmodellen infolge der Relevanz von Nutzeraktivitäten Mammen/Heidecke, Ubg. 2019, 618 (620 ff.). 39 Handelsblatt v. 14.10.2019.

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Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

Daten von Airbus bezüglich des jeweiligen Flugzeuges benötigen, für die Zurverfügungstellung der Daten zur Kasse zu bitten. –

Schlussfolgerung: Daten haben einen relevanten Wert und könne höchst profitabel vermarktet werden. Demzufolge ist der Erwerb der Daten vom Endnutzer elektronischer Produkte ein Tauschgeschäft mit aus meiner Sicht umsatzsteuerlicher Bedeutung. Dieses Tauschgeschäft (Datenerwerb gegen „unentgeltliche“ Nutzung von digitalen Produkten wie zB „soziale Medien“) ist steuerbar und steuerpflichtig. Ort dieser sonstigen Leistung der Digitalunternehmen ist Deutschland (vgl. § 3a Abs. 5 Satz 1 und 2 Nr. 3 UStG). Dieser Ansatzpunkt der Besteuerung ist allerdings zZt. hierzulande völlig unpopulär und politisch nicht gewollt, weil sie mit einer Belastung der Endverbraucher einhergehe. Dieses Argument lieg bei solchen Unternehmen, deren Geschäftsprinzip darin liegt, die Nutzer ihrer Produkte zur Datenüberlassung gerade dadurch anzulocken, dass ihre Kunden ihre elektronischen Produkte „umsonst“ nutzen dürfen, neben der Sache.



Die neueste Entwicklung auf der Ebene der OECD besteht in einem Zwei-Säulen-Modell. Die erste Säule befasst sich mit der internationalen Gewinnaufteilung, wonach der steuerliche „Kuchen“ nach noch zu bestimmenden Kriterien auf die Staaten verteilt werden soll, in denen die digitalen Akteure tätig sind (Zuteilung von Steuerrechten in Nutzer- bzw. Marktstaaten). Die physische Präsenz der Unternehmen in diesen Staaten ist nicht erforderlich. Betroffen sind alle Unternehmen, die auf digitale Weise Kundenkontakte herstellen (möglicherweise mit der Umsatzschwelle im Konzern von weltweit 750 Mio. t). Es bedarf hierzu neuartiger Gewinnverteilungsmechanismen, die noch recht offen und abstrakt erscheinen. Gedacht wird an einen sog. Übergewinn, der zur Verteilung in den Nutzer- bzw. Marktstaaten anstehen soll. Ein anderer Ansatz will die Aufteilung am Maßstab von Verrechnungspreisen als Vergütung für Funktionen im Bereich des Vertriebs orientieren. Die zweite Säule spricht von einer „effektiven globalen Mindestbesteuerung“. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gewinne aus der weltweiten digitalen Geschäftstätigkeit einmal effektiv besteuert werden. Die Diskussionen hierzu befinden sich noch ganz am Anfang.

2. Mehrwertsteuerreform Die EU-Kommission treibt ihr Vorhaben, das Mehrwertsteuersystem auf der Grundlage des Bestimmungslandprinzips umzugestalten, konse94

Neumann, Aktuelle steuerpolitische Vorhaben

quent voran. Außerdem sind erhebliche Liberalisierungen beim Steuersatz (mehrere Steuersätze für die Mitgliedstaaten zur Wahl) und bei der Besteuerung von Kleinunternehmen (erhebliche Anhebung der Größenmerkmale) vorgesehen. Deutschland befürchtet zum einen in Bezug auf die Vielfalt der Steuersätze einen erheblichen Aufwuchs an Bürokratie und zum anderen hinsichtlich der Besteuerung von Kleinunternehmern einen Rückschlag bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Die Ankündigung der Ermöglichung mehrerer unterschiedlich hoher Steuersätze hat Wirkungen insoweit gezeigt, als die Politik sich des Themas „ermäßigter Steuersatz“ wieder einmal annehmen möchte und versuchen will, eine systematische Ordnung in das gegenwärtige System zu bringen. Ob dies letztlich politisch gelingt, muss abgewartet werden.

V. Nachwort Der Rückblick des Verfassers kurz vor dem Weihnachtsfest 2019 auf die stattgefundene gesetzgeberische Aktivität hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite hat der Bundestag eine Menge sinnvoller Regelungen auf den Weg gebracht. Auf der anderen Seite sind grundlegende Vorhaben nicht weiterentwickelt worden. Die Reform der Unternehmensbesteuerung mit dem Ziel der Belastungsreduzierung gehört dazu und lässt auf sich warten. Die Verbesserungen auf diesem Gebiet hätten viel größere Strahlkraft für den Wirtschaftsstandort als die weitere Schaffung komplizierter Abwehrregelungen. Man wird wohl das Wahljahr 2021 abwarten müssen, um einschätzen zu können, wie es auf diesem Gebiet in Deutschland letztlich weiter vorangehen wird.

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Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG Andreas Görgen Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion NRW, Köln Dr. Alexander Bohn Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Köln I. Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG 1. Überblick 2. Funktion des § 35 EStG im Spannungsfeld zwischen GewStG und EStG (Görgen) 3. Verteilung des GewSt.-Messbetrags nach § 35 Abs. 2 EStG bei unterjährigem Gesellschafterwechsel (Bohn) a) Aktuelle Entwicklungen im Zuge der jüngeren BFHRechtsprechung b) Verbliebene Gestaltungsmöglichkeiten und deren Risiken aa) Grundlagen bb) Austausch sämtlicher Mitunternehmer cc) Mitternachtsgeschäft

dd) Sonstige Gestaltungsansätze c) Weitere Aspekte 4. Betriebsbezogene Ermittlung bei mehrstöckigen Mitunternehmerschaften (Görgen) 5. Exegese der Rechtsprechung zu § 35 EStG (Görgen) 6. Schnittstellen zwischen § 35 EStG und § 34a EStG (Görgen) II. Aktuelle Entwicklungen bei § 34a EStG 1. Einführung 2. Nicht entnommener Gewinn – § 34a Abs. 2 EStG (Görgen) 3. Nachversteuerung – § 34a Abs. 6 EStG (Görgen) 4. Exegese der Rechtsprechung zu § 34a EStG (Görgen) 5. Ausblick zu § 34a EStG (Bohn)

I. Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG 1. Überblick Der Anwendungsbereich des § 35 EStG erfuhr im Hinblick auf die Besteuerung von Mitunternehmern in den letzten Jahren einige Nachkorrekturen durch die Rspr. des BFH. So waren insbes. die Fragen der Anrechnungsmöglichkeit der Gewerbesteuerbelastung bei einem un-

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Bohn/Görgen, Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG

terjährigen Gesellschafterwechsel1 und das Anrechnungsvolumen des Schlussgesellschafters bei mehrstöckigen Mitunternehmerschaftsverhältnissen2 höchstrichterlich zu klären. Die FinVerw. setzte die neue Rspr. durch mehrfache Überarbeitung des BMF-Schreibens zu § 35 EStG3 nunmehr um.

2. Funktion des § 35 EStG im Spannungsfeld zwischen GewStG und EStG (Görgen) Ausweislich der in den BT-Drucksachen niedergelegten Motive wollte der Gesetzgeber durch Einführung der Steuermäßigung die Ertragsteuerbelastung gewerblicher wie nicht gewerblicher Unternehmer angleichen.4 Hierfür ermöglicht es § 35 EStG in seiner Grundregel,5 die ESt. des steuerpflichtigen Einzelunternehmers um das 3,8fache des jeweils für den dem Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum für das Unternehmen festgesetzten GewSt.-Messbetrags zu vermindern (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Begrenzt wird die Anrechnung der Gewerbesteuerbelastung dabei durch die tatsächlich gezahlte GewSt. (§ 35 Abs. 1 Satz 5 EStG). Bei Mitunternehmern wird die Ertragsteuerbelastung um das 3,8fache des jeweils für den dem Veranlagungszeitraum entsprechenden Erhebungszeitraum festgesetzten anteiligen GewSt.-Messbetrags der Mitunternehmerschaft gemindert. Für die Mitunternehmer gilt dabei die absolute Anrechnungsgrenze der anteilig tatsächlich gezahlten GewSt. (§ 35 Abs. 1 Satz 5 EStG).

1 BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875 = FR 2016, 1062; v. 14.1.2016 – IV R 48/12, BFH/NV 2016, 1024. 2 BFH v. 20.3.2017 – X R 12/15, BStBl. II 2019, 249 = FR 2018, 31; v. 20.3.2017 – X R 62/14, BStBl. II 2019, 244 = FR 2019, 139. 3 Zuletzt mit BMF v. 17.4.2019 – IV C 6 - S 2296-a/17/10004 – DOK 2019/0328796, BStBl. I 2019, 459 = GmbHR 2019, 622 sowie zuvor bereits mit überarbeiteten Schreiben zu § 35 EStG vom 24.2.2009 idF BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/ 08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112. 4 So sollte ausdrücklich die Gewerbesteuerzahllast von Gewerbetreibenden im Rahmen der Einkommensbesteuerung kompensiert werden; BT-Drucks. 16/ 4841, 65. 5 Dieser maximal mögliche Anrechnungsbetrag wird begrenzt durch den Anteil der tariflichen ESt., der auf die gewerblichen Einkünfte entfällt, und die tatsächlich zu zahlende GewSt.

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Auch den einzelnen Mitunternehmern steht damit eine Anrechnung der von der Mitunternehmerschaft zu tragenden Gewerbesteuerlast zu, wobei ihnen hiervon ausschließlich der nach dem allgemeinen handelsrechtlichen Gewinnverteilungsschlüssel zu verteilende Anteil zugerechnet wird (§ 35 Abs. 2 Satz 2 EStG). Abweichende Gewinnverteilungsabreden wie Vorabgewinne finden nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 EStG ebenso wenig Berücksichtigung wie Ergebnisse aus den steuerrechtlichen Ergänzungs- und Sonderbilanzen der einzelnen Mitunternehmer. Bereits beim Aufteilungsmaßstab nach § 35 Abs. 2 Satz 2 EStG wird daher deutlich, dass die Regeln der Besteuerung des Mitunternehmers nach dem EStG für die Entlastung über § 35 EStG aus Sicht des Gesetzgebers nicht maßgebend sein müssen. Gesetzessystematisch ist bereits anhand dessen ersichtlich, dass § 35 EStG gerade im Hinblick auf die Besteuerung von Mitunternehmerschaften und deren Mitunternehmern in einem Spannungsfeld steht. Denn die gewerbesteuerliche Belastung muss zunächst anhand der nach dem GewStG steuerpflichtigen Mitunternehmerschaft ermittelt werden, während die ertragsteuerliche Belastung nach dem EStG vom steuerpflichtigen Mitunternehmer selbst anteilig getragen wird. Problematiken bei der Auslegung des § 35 EStG sind demnach immer an der Vorfrage zu messen, ob die Anrechnung über § 35 EStG den Grundregeln des GewStG folgt oder auch Wertungen aus dem EStG mitberücksichtigt werden können. Insbesondere in diesem Licht sollen die aktuellen Urteile des BFH einer Analyse unterzogen werden.

Abbildung 1: § 35 EStG im Spannungsfeld zwischen GewStG und EStG

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3. Verteilung des GewSt.-Messbetrags nach § 35 Abs. 2 EStG bei unterjährigem Gesellschafterwechsel (Bohn) a) Aktuelle Entwicklungen im Zuge der jüngeren BFH-Rechtsprechung Hinsichtlich der Verteilung des GewSt.-Messbetrags nach § 35 Abs. 2 EStG auf die Gesellschafter einer Mitunternehmerschaft bei einem unterjährigen Gesellschafterwechsel haben zwei Entscheidungen des BFH v. 14.1.20166 wesentlich zur Rechtsfortbildung beigetragen. Zuvor erfolgte die Zurechnung des GewSt.-Messbetrags – einer entsprechenden Handhabung der FinVerw.7 folgend – im Fall eines unterjährigen Gesellschafterwechsels bei fortbestehender Personengesellschaft in der Praxis regelmäßig in der Weise, dass auch dem ausgeschiedenen Mitunternehmer ein Anteil am GewSt.-Messbetrag in Höhe seiner Beteiligungsquote pro rata temporis zugewiesen wurde. Neben dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel wurden hierbei gleichfalls etwaige Vereinbarungen, die anlässlich des Eintritts oder des Ausscheidens des Gesellschafters getroffen worden sind, berücksichtigt. Nach der jüngeren Rspr. des BFH richtet sich nunmehr der Anteil eines Mitunternehmers am GewSt.-Messbetrag auch bei unterjährigem Gesellschafterwechsel selbst dann nach seinem Anteil am Gewinn der Mitunternehmerschaft nach Maßgabe des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels, wenn sich der aus der Gesellschaft ausgeschiedene Veräußerer eines Mitunternehmeranteils zivilrechtlich zur Übernahme der auf einen Veräußerungsgewinn entfallenden GewSt. verpflichtet hat.8 Zudem ist der Anteil am GewSt.-Messbetrag auch nach unterjährigem Gesellschafterwechsel nur für diejenigen Gesellschafter festzustellen, die zum Zeitpunkt der Entstehung der GewSt. – mithin zum Ablauf des Erhebungszeitraums für die Mitunternehmerschaft (§ 18 GewStG) – Mitunternehmer der fortbestehenden Personengesellschaft als Schuldnerin der GewSt. sind. Die FinVerw. hat sich der vorgenannten Rspr. angeschlossen und rechnet den für den Erhebungszeitraum des unterjährigen Gesellschafterwech6 BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875 = FR 2016, 1062; v. 14.1.2016 – IV R 48/12, BFH/NV 2016, 1024. 7 Vgl. BMF v. 24.2.2009 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 – DOK 2007/0220243, BStBl. I 2009, 440 = FR 2009, 345 Rz. 30 sowie zuvor BMF v. 19.9.2007 – IV B 2 - S 2296-a/0 – DOK 2007/0220243, BStBl. I 2007, 701 = FR 2007, 985 Rz. 28. 8 BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875 = FR 2016, 1062; v. 14.1.2016 – IV R 48/12, BFH/NV 2016, 1024.

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sels oder -austritts festgestellten GewSt.-Messbetrag allein den Gesellschaftern anteilig zu, die zum Ende des gewerbesteuerrechtlichen Erhebungszeitraums noch an der Personengesellschaft beteiligt sind, wobei als Aufteilungsmaßstab der zum Ende des gewerbesteuerrechtlichen Erhebungszeitraums geltende allgemeine Gewinnverteilungsschlüssel angewandt wird.9 Unterjährig ausgeschiedenen Gesellschaftern ist damit kein anteiliger GewSt.-Messbetrag zuzurechnen.10 Auf einheitlichen Antrag sämtlicher zum Ende des gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraums noch beteiligter Mitunternehmer können bis zum VZ 2017 abweichend davon die alten Grundsätze des BMF-Schreibens v. 24.2.200911 weiterhin angewendet werden.12 Für die Verteilung aufgrund des allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssels nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 EStG ist grundsätzlich die sich aus den gesetzlichen Regelungen des HGB oder aus abweichenden gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen ergebende handelsrechtliche Gewinnverteilung maßgeblich, soweit sie auch in steuerrechtlicher Hinsicht anzuerkennen ist.13 Nicht bei der Aufteilung des GewSt.-Messbetrags auf die Mitunternehmer zu berücksichtigen sind gem. § 35 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 EStG Vorabgewinnanteile.14 Gleiches gilt für Sondervergütungen iSd. § 15 9 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 28. Der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn des ausscheidenden Gesellschafters beeinflusst den allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel nicht. 10 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 28. 11 BMF v. 24.2.2009 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 – DOK 2007/0220243, BStBl. I 2009, 440 = FR 2009, 345 Rz. 30. 12 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 34. 13 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 20 f. Als Ursachen für steuerrechtliche Korrekturen werden in dem BMF-Schreiben beispielhaft nicht anzuerkennende gesellschaftsvertragliche Gewinnverwendungen bei Familienpersonengesellschaften oder unzulässige rückwirkende Änderungen der Gewinnverteilungsabrede genannt. 14 Ein Vorabgewinnanteil iSd. § 35 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 EStG ist dadurch gekennzeichnet, dass der betroffene Gesellschafter aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Abrede vor den übrigen Gesellschaftern einen Gewinnanteil erhält. Der Vorabgewinnanteil ist vor der allgemeinen Gewinnverteilung zu berücksichtigen und reduziert den noch zu verteilenden Restgewinn; vgl. BFH v. 5.6.2014 – IV R 43/11, BStBl. II 2014, 695 = FR 2014, 893. Von den für Zwecke der Verteilung des GewSt.-Messbetrags nicht zu berücksichtigenden

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Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sowie für Ergebnisse aus Sonder- und Ergänzungsbilanzen und Veräußerungsgewinne.15 Aus der vorgenannten Rspr. folgt zum einen, dass unterjährig ausgeschiedenen Gesellschaftern grundsätzlich keine Steuerermäßigung nach § 35 EStG zusteht. Zum anderen ist zu beachten, dass unterjährig eingetretenen Gesellschaftern regelmäßig eine – gemessen an ihren laufenden Einkünften aus der Mitunternehmerschaft – überproportionale Steuerermäßigung zugewiesen wird, soweit auf den unterjährig eingetretenen Gesellschafter überhaupt § 35 EStG anwendbar ist. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn die Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den unterjährig eingetretenen Gesellschafter nach § 7 Satz 2 GewStG einen gewerbesteuerpflichtigen Veräußerungsgewinn ausgelöst hat, da der Veräußerungsgewinn dann den maßgeblichen GewSt.-Messbetrag erhöht hat.16 Gegenüber der bisherigen Anwendungspraxis führen die neuen Grundsätze in der Gesamtschau – dh. über alle an der Mitunternehmerschaft beteiligten Gesellschafter hinweg betrachtet – für die Stpfl. insbes., aber nicht nur in diejenigen Fällen zu nachteiligen Wirkungen, in denen ein gewerbesteuerpflichtiger Veräußerungs- oder Aufgabegewinn entsteht und der Veräußerer (mittelbar) eine entsprechende Steuerermäßigung nach § 35 EStG in Anspruch hätte nehmen können (zB bei Veräußerung durch eine Mitunternehmerschaft mit natürlichen Personen als Mitunternehmer oder bei Veräußerung eines Teils eine Mitunternehmeranteils durch natürliche Personen), während der Erwerber oder andere in der Mitunternehmerschaft verbliebene Mitunternehmer die Steuerermäßigung nach § 35 EStG nicht vollständig in Anspruch nehmen können, dh. bei unmittelbar oder mittelbar beteiligten Kapitalgesellschaften oder im Vorabgewinnanteilen abzugrenzen sind sog. Gewinnbegrenzungen, zB in der Form, dass der einem Gesellschafter zuzurechnende Gewinnanteil auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt wird. Solche Gewinnbegrenzungen sind nach der Rspr. des BFH Gegenstand der allgemeinen Gewinnverteilung und deshalb bei der Aufteilung des GewSt.-Messbetrags einer Mitunternehmerschaft auf die Mitunternehmer zu berücksichtigen; BFH v. 5.6.2014 – IV R 43/11, BStBl. II 2014, 695 = FR 2014, 893 Rz. 24; Rohrlack in Blümich, § 35 EStG Rz. 59; Wacker in Schmidt, EStG38, § 35 Rz. 25; Eggert, BBK 2017, 339 (340). 15 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 22, 28. 16 Vgl. U. Förster, DB 2016, 1398 (1401 f.); U. Förster, DB 2016, 2866 (2868 f.); Hautkappe/Linnemann, DB 2018, 1178 (1180 f.).

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Fall von sog. Anrechnungsüberhängen.17 Umgekehrt können die neuen Grundsätze auch die Möglichkeit zur Steuerermäßigung nach § 35 EStG für den oder die Stpfl. positiv beeinflussen. Veräußert beispielweise eine Kapitalgesellschaft unterjährig einen Mitunternehmeranteil, erhöht der gewerbesteuerpflichtige Veräußerungsgewinn den GewSt.-Messbetrag der Mitunternehmerschaft, der am Ende des Erhebungszeitraums (ggf. mittelbar) den an der Mitunternehmerschaft beteiligten natürlichen Personen zugerechnet wird, in voller Höhe.18 b) Verbliebene Gestaltungsmöglichkeiten und deren Risiken aa) Grundlagen Zwecks Vermeidung oder Reduzierung der nachteiligen Wirkungen aus der Anwendung der neuen Grundsätze sind im Schrifttum bereits verschiedene Gestaltungsansätze dargestellt und diskutiert worden.19 Die Gestaltungsansätze gründen sich im Wesentlichen darauf, dass der BFH für die Aufteilung des GewSt.-Messbetrags – wie zuvor dargestellt – auf den Zeitpunkt der Entstehung der GewSt. und damit auf das Ende des gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraums abstellt. bb) Austausch sämtlicher Mitunternehmer Diesem Gedanken folgend muss der GewSt.-Messbetrag dann noch dem ausgeschiedenen Gesellschafter (anteilig) zugerechnet werden können, wenn der Austritt des Gesellschafters auf das Ende des gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraums fällt. Erfolgt nun die Veräußerung des Mitunternehmeranteils nicht zum Ende des Kj., müsste zur Zuteilung eines anteiligen GewSt.-Messbetrags auf den Veräußerer sichergestellt sein, dass ein abgekürzter Erhebungszeitraum entsteht. Dies ist etwa bei einem Unternehmerwechsel im Ganzen iSd. § 2 Abs. 5 GewStG der Fall,20 da hier der Gewerbebetrieb als durch den bisherigen Unternehmer eingestellt gilt. Dies hat ua. zur Folge, dass in dem Zeitpunkt des Unterneh17 Vgl. etwa BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 33 Bsp. 1. 18 Wendt, BFH/PR 2016, 239 (240); U. Förster, DB 2016, 1398 (1403); U. Förster, DB 2016, 2866 (2869); Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (989); Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (629). 19 U. Förster, DB 2016, 1398 (1402); Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (988 ff.); Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (631); Schrade, FR 2017, 862 (872 ff.); Hautkappe/Linnemann, DB 2018, 1178 (1180 ff.). 20 Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, § 2 Rz. 598.

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merwechsels im Ganzen die sachliche Steuerpflicht übergeht21 und gem. § 5 Abs. 2 GewStG gleichzeitig die bisherige Steuerschuldnerschaft erlischt sowie die nunmehrige Steuerschuldnerschaft entsteht, so dass zwei GewSt.-Messbescheide ergehen müssen, die eine zeitgerechte Zuordnung vornehmen.22 Änderungen im Gesellschafterbestand führen indes solange zu keinem Unternehmerwechsel im Ganzen, als mindestens ein bisheriger Unternehmer den Betrieb fortführt.23 Es kommt nicht darauf an, ob er ihn allein oder zusammen mit anderen Unternehmern weiterbetreibt und auf welche Weise (Übertragung, Gesamtrechtsnachfolge oder Anwachsung) die Eigentumsanteile der Ausscheidenden auf den verbleibenden oder die neu hinzutretenden Unternehmer übergehen.24 Soll dem Veräußerer eines Mitunternehmeranteils ein (anteiliger) GewSt.Messbetrag zugewiesen werden, müssen damit gleichzeitig sämtliche 21 Maßgeblich für das Entstehen eines abgekürzten Erhebungszeitraums nach § 14 Satz 3 GewStG ist das Ende der sachlichen Steuerpflicht. Die Gewerbesteuerpflicht in § 14 Satz 3 GewStG knüpft an den Steuergegenstand gem. § 2 GewStG an. Danach unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), der GewSt. Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen iSd. EStG (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Mit dem Begriff „gewerbliches Unternehmen“ werden nicht nur die sachlichen Grundlagen des Betriebs und die mit ihnen ausgeübte Tätigkeit angesprochen, sondern auch deren Beziehung zu dem oder den Unternehmern des Betriebs (BFH v. 3.4.2008 – IV R 54/04, BStBl. II 2008, 742 = FR 2008, 1011). Die Steuerpflicht gem. § 14 Satz 3 GewStG knüpft daher ausschließlich an die sachliche Steuerpflicht und nicht an die persönliche Steuerpflicht (= Steuerschuldnerschaft) an; in diesem Sinne BFH v. 25.4.2018 – IV R 8/16, BStBl. II 2018, 484 = FR 2018, 663 Rz. 16. Besteht die sachliche Steuerpflicht während des Kj. dagegen fort, ist der Steuermessbetrag für das Kj. als Erhebungszeitraum festzusetzen. 22 Gosch in Blümich, § 5 GewStG Rz. 76; s. dazu BFH v. 17.2.1989 – III R 36/85, BStBl. II 1989, 664; v. 25.4.2018 – IV R 8/16, BStBl. II 2018, 484 = FR 2018, 663; R 11.1 Sätze 3 ff. GewStR. 23 Gosch in Blümich, § 5 GewStG Rz. 67a; R 2.7 Abs. 2 GewStR; BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616; v. 27.1.1994 – IV R 137/91, BStBl. II 1994, 477 = GmbHR 1994, 418; v. 14.9.1993 – VIII R 84/90, BStBl. II 1994, 764 = GmbHR 1994, 644; v. 26.6.1996 – VIII R 41/95, BStBl. II 1997, 179 = GmbHR 1996, 790; v. 21.2.1996 – I B 135/94, BFH/NV 1996, 576. 24 BFH v. 18.5.1972 – I R 153/70, BStBl. II 1972, 775 = FR 1973, 244; v. 19.7.1988 – VIII R 220/79, BFH/NV 1989, 319; s. zur Anwachsung BFH v. 19.12.1984 – I R 165/80, BStBl. II 1985, 403 = FR 1985, 362; v. 14.12.1989 – IV R 117/88, BStBl. II 1990, 436.

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Mitunternehmer ausgetauscht werden. Erfolgt ein Austausch sämtlicher Mitunternehmer, entsteht unterjährig ein abgekürzter Erhebungszeitraum aufgrund eines Unternehmerwechsels im Ganzen (§ 2 Abs. 5, § 14 Satz 3 GewStG).25 Der auf diesen Zeitpunkt festzusetzende GewSt.-Messbetrag, der auch einen etwaigen gewerbesteuerpflichtigen Veräußerungsgewinn umfasst, wird dann den ausgeschiedenen Gesellschaftern zugerechnet. Zu beachten ist, dass in dem betreffenden Zeitpunkt auch die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG ausscheiden muss (s. nachfolgendes Schaubild). Scheidet nicht auch gleichzeitig die KomplementärGmbH aus, liegt nach der Rspr. des BFH ein vollständiger Wechsel der Mitunternehmer bei einer GmbH & Co. KG nämlich selbst dann nicht vor, wenn zu einem Zeitpunkt sämtliche Kommanditisten und sämtliche Gesellschafter der am KG-Vermögen nicht beteiligten Komplementär-GmbH wechseln.26 In Abgrenzung dazu sollte es dem Unternehmerwechsel im Ganzen nicht entgegenstehen, wenn ausgeschiedene Mitunternehmer mittelbar an der Mitunternehmerschaft beteiligt bleiben.27

Abbildung 2: Austausch sämtlicher Mitunternehmer 25 Siehe etwa BFH v. 26.6.1996 – VIII R 41/95, BStBl. II 1997, 179 = GmbHR 1996, 790. 26 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616; v. 21.2.1996 – I B 135/94, BFH/ NV 1996, 576; FG Bad.-Württ. v. 18.5.2017 – 1 K 3691/15, EFG 2017, 1183, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 8/17. 27 Vgl. BFH v. 6.9.2000 – IV R 69/99, BStBl. II 2001, 731 = FR 2001, 77 zu § 10a GewStG.

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Beim Austausch sämtlicher Mitunternehmer sind vor allem die Auswirkungen auf den Verlustabzug (§ 10a Satz 8 GewStG) sowie etwaige Anzeigepflichten nach § 138 AO zu beachten. Werden durch den veräußernden Kommanditisten zudem nicht die Anteile an der Komplementär-GmbH mitveräußert, weil die Komplementär-GmbH ihrerseits ihren Komplementär-Anteil auf den bzw. einen Erwerber überträgt, könnte zudem fraglich sein, ob der Veräußerer die Tarifbegünstigung der §§ 16, 34 EStG in Anspruch nehmen kann, da § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG die Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils einschließlich sämtlicher quantitativ und/oder funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögens voraussetzt.28 In vielen Fällen dürften aber die Anteile an der Komplementär-GmbH entweder ebenfalls mitveräußert oder zumindest unter Aufdeckung stiller Reserven ins Privatvermögen überführt werden. Sind neben der Komplementär-GmbH mehrere Kommanditisten als Mitunternehmer an der Mitunternehmerschaft beteiligt und möchten nicht sämtliche Kommanditisten ihren Mitunternehmeranteil veräußern, stellt sich die Frage, wie gleichwohl ein abgekürzter Erhebungszeitraum und auf diesem Weg eine Aufteilung des GewSt.-Messbetrags auch auf den ausscheidenden bzw. veräußernden Mitunternehmer erzielt werden kann. Als Lösung für diese Problemstellung wurde im Schrifttum diskutiert, ob der verbleibende Mitunternehmer seinen Mitunternehmeranteil zeitgleich mit der Veräußerung durch den veräußernden Mitunternehmer nach § 24 UmwStG in eine gewerbliche GmbH & Co. KG einbringen kann.29 Zur Illustration soll das nachfolgende Beispiel dienen:

28 Siehe hierzu etwa Schrade, FR 2017, 862 (875). 29 Vgl. Gläser/Zöller, BB 2017, 987.

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Abbildung 3: Austausch sämtlicher Mitunternehmer durch Verkauf und Einbringung

An der D-KG sind als Kommanditisten die A-KG und der B zu jeweils 50 % beteiligt. Die C-GmbH ist als Komplementärin nicht am Vermögen und Gewinn der D-KG beteiligt. Die Anteile an der C-GmbH werden zu jeweils 50 % von A, dem alleinigen Kommanditisten der A-KG, sowie von B gehalten. Die A-KG möchte ihren Kommanditanteil an der D-KG im Wege der Veräußerung auf die E-GmbH übertragen. B möchte weiterhin (unmittelbar oder mittelbar) an der D-KG beteiligt sein. Im Fall einer unterjährigen entgeltlichen Übertragung ausschließlich der von der A-KG gehaltenen Kommanditanteile wäre der GewSt.-Messbetrag der D-KG, der auch den nach § 7 Satz 2 GewStG gewerbesteuerpflichtigen Veräußerungsgewinn der A-KG umfasst, für Zwecke der Steuerermäßigung nach § 35 EStG anteilig auf den B und die E-GmbH aufzuteilen, da der B und die E-GmbH zum Ende des Erhebungszeit109

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raums an der D-KG beteiligt sind. Die E-GmbH kann als Kapitalgesellschaft indes den auf sie entfallenden Anteil am GewSt.-Messbetrag nicht nutzen. Beim B besteht zudem das erhöhte Risiko, dass die Ermäßigung aufgrund eines verhältnismäßig geringen Gewinnanteils durch den Ermäßigungshöchstbetrag iSd. § 35 Abs. 1 Satz 2 EStG begrenzt ist.30 Alternativ hierzu kann in Betracht gezogen werden, dass der B seinen gesamten Mitunternehmeranteil an der D-KG mit Wirkung zum Zeitpunkt der Veräußerung des A in eine neue Mitunternehmerschaft (hier: B-KG) gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten einbringt31 und zeitgleich die C-GmbH aus der D-KG ausscheidet oder ihren Komplementäranteil auf eine neue Komplementär-GmbH (hier: F-GmbH) überträgt.32 Auch in diesem Fall sollte ein Unternehmerwechsel im Ganzen iSd. § 2 Abs. 5 GewStG bewirkt sein und infolgedessen nach § 14 Satz 3 GewStG ein abgekürzter Erhebungszeitraum entstehen. Fraglich könnte sein, ob die nunmehr mittelbare Beteiligung des B an der D-KG dem Unternehmerwechsel im Ganzen entgegensteht, da § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG den mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligten Gesellschafter dem unmittelbar beteiligten Gesellschafter im Fall einer ununterbrochenen Mitunternehmerkette gleichstellt. Dies sollte hier indes zu verneinen sein, da nach gewerbesteuerlichen Grundsätzen sehr wohl der Mitunternehmer ausgetauscht wird, wie dies auch in der Rspr. des BFH zum Verlustabzug nach § 10a GewStG zum Ausdruck kommt.33 30 Vgl. Schiffers, DStZ 2016, 956 (961); Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (989). 31 Die Einbringung des Mitunternehmeranteils an der D-KG durch den B kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 24 UmwStG ertragsteuerneutral erfolgen. Zu beachten ist allerdings, dass die Anteile an der C-GmbH funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen darstellen können (vgl. hierzu OFD NRW v. 21.6.2016 – S 2242 - 2014/0003 – St 115, StEK EStG § 6 Abs. 3 Nr. 8; FinSen. Berlin v. 7.3.2018 – III B - S 2241 - 3/2003, BeckVerw. 436549; OFD Frankfurt v. 3.12.2015 – S 2134 A - 14 - St 213, DStR 2016, 676). In diesem Fall müssten die Anteile zwecks Erfüllung der Voraussetzungen des § 24 UmwStG mit in die B-KG eingebracht werden. Gegen ein entsprechendes Erfordernis spricht jedoch, dass die C-GmbH zeitgleich mit bzw. eine logische Sekunde vor der Einbringung als Komplementärin aus der D-KG ausscheidet und daher nicht mehr funktional wesentlich sein kann; Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (991). 32 Vgl. ähnlich Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (991). 33 Vgl. BFH v. 6.9.2000 – IV R 69/99, BStBl. II 2001, 731 = FR 2001, 77; s. auch R 10a.3 Abs. 3 Satz 9 Nr. 8 GewStR, wonach in mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen ein Gesellschafterwechsel bei der Obergesellschaft ungeachtet des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG keinen Einfluss auf einen vortrags-

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cc) Mitternachtsgeschäft Als weitere Möglichkeit, dem veräußernden Mitunternehmer für Zwecke des § 35 EStG einen Anteil am GewSt.-Messbetrag zuweisen zu können, sollte eine Veräußerung des Mitunternehmeranteils erst mit Ablauf des gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraums, dh. regelmäßig mit Ablauf des Kj. (§ 14 Satz 2 GewStG), in Betracht kommen.34 Der BFH hat sich zu dieser Frage noch nicht explizit geäußert und musste dies mangels Entscheidungserheblichkeit auch nicht in den zuvor dargestellten Verfahren zum unterjährigen Gesellschafterwechsel. In Bezug auf das Erfordernis der finanziellen Eingliederung bei der ertragsteuerlichen Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG) wird vergleichbar eine solche Veräußerung zum Ablauf des Wj. der Organschaft seitens der FinVerw. anerkannt (R 14.4 Abs. 2 KStR; sog. Mitternachtserlass).35 Gleichfalls hat der BFH zur sog. erweiterten Kürzung des Gewerbeertrags gem. § 9 Nr. 1 Sätze 2 ff. GewStG entschieden, dass die Veräußerung des einzigen Grundstücks zum 31.12., 23.59 Uhr durch ein grundstücksverwaltendes Unternehmen nicht gegen das Ausschließlichkeitsgebot verstößt.36 Insofern sprechen sehr gute Gründe dafür, dem Veräußerer im Fall einer Veräußerung zum Ablauf des Erhebungszeitraums einen Anteil am GewSt.-Messbetrag nach § 35 Abs. 2 EStG zuweisen zu können.37 Fraglich könnte allenfalls sein, ob der zum Ende des Erhebungszeitraums ausgeschiedene Gesellschafter denklogisch noch als anrechnungsberech-

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fähigen Gewerbeverlust bei der Untergesellschaft hat. Darüber hinaus weisen Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (991) mwN zutreffend darauf hin, dass sich die Reichweite des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG auf Tätigkeits- und Nutzungsvergütungen sowie Sonderbetriebsvermögen beschränkt und durch die Vorschrift keine vollständige Gleichstellung des mittelbaren mit dem unmittelbaren Gesellschafter intendiert ist. Siehe hierzu U. Förster, DB 2016, 1398 (1402); U. Förster, DB 2016, 2866 (2869); Gragert, NWB 2016, 3924 (3928); Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (989); Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (631); Schrade, FR 2017, 862 (872); Geiger, DStR 2019, 850 (850 f.). Hiernach ist die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft beim Veräußerer der Anteile bis zum Ende des Wj. (letzter Tag, 24 Uhr) der Organgesellschaft und beim Erwerber der Anteile vom Beginn des anschließenden Wj. (erster Tag, 0 Uhr) der Organgesellschaft an erfüllt, wenn der Organträger seine Beteiligung zum Ende des Wj. der Organgesellschaft an ein anderes gewerbliches Unternehmen veräußert. BFH v. 11.8.2004 – I R 89/03, BStBl. II 2004, 1080 = FR 2004, 1403. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hier grundsätzlich der Tag des dinglichen Vollzugs; BFH v. 14.1.2016 – IV R 48/12, BFH/NV 2016, 1024 Rz. 27.

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tigter Gesellschafter beteiligt sein kann (Problem der logischen Sekunde).38 Soweit ersichtlich hat sich die FinVerw. noch nicht ausdrücklich dazu positioniert, ob ein solches Mitternachtsgeschäft für die Aufteilung des Gewst.-Messbetrags nach § 35 Abs. 2 EStG anzuerkennen ist.39 Allerdings argumentierte das FA in dem eingangs dargestellten BFH-Verfahren IV R 5/14, dass es – entgegen der Ansicht der Klägerin – keiner Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen in den allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel bedürfe, da sich die Vertragsparteien „auch auf eine Übertragung zum Jahresende statt zum 5. Januar des Folgejahres hätten einigen können; dann wäre die von der Klägerin begehrte Verteilung des GewSt.-Messbetrags eingetreten.“40 Zumindest das beklagte FA war damit offenkundig der Auffassung, dass ein Mitternachtsgeschäft zu einer Verteilung des GewSt.-Messbetrags auch auf den bzw. die Veräußerer geführt hätte. Eine generelle Anerkennung des Mitternachtsgeschäfts für Zwecke der Anwendung von § 35 Abs. 2 EStG seitens der FinVerw. kann hieraus freilich nicht abgeleitet werden. Fraglich ist in diesem Kontext, ob eine sog. technische Rückwirkung steuerlich anerkannt werden kann. Sofern dies zu bejahen wäre, könnte der dingliche Vollzug der Übertragung des Mitunternehmeranteils in den ersten Wochen des neuen Kj. mit wirtschaftlicher Wirkung auf den 31.12., 24 Uhr des Vorjahres erfolgen. Die FinVerw. erkennt zumindest in Fällen der Einbringung im Wege der Einzelrechtsnachfolge eine solche technische Rückwirkung von sechs bis acht Wochen grundsätzlich an.41 Nach der Rspr. des BFH kann das steuerliche Rückwirkungsverbot nur in engen Grenzen durchbrochen werden, nämlich nur dann, wenn sich die Rückwirkung nur über eine kurze Zeit erstreckt und mit ihr kein steuerlicher Vorteil erstrebt wird, sie mit anderen Worten lediglich der technischen Vereinfachung der Besteuerung dient und sich in der Zwischenzeit (dh. im Rückwirkungszeitraum) nichts ereignet hat, was möglicherweise für die Besteuerung noch erheblich sein kann.42 Es scheint zumindest nicht 38 Vgl. Schrade, FR 2017, 862 (872). 39 So finden sich beispielsweise in BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/ 08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 keine Ausführungen zu dieser Thematik. 40 BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875 = FR 2016, 1062 Rz. 22; s. ausführlich hierzu oben unter I.3.a). 41 OFD Karlsruhe v. 8.10.2007 – S 1978/20 – St 11, DStR 2007, 2326 = StEK UmwStG 1995 § 24 Nr. 14. 42 Vgl. BFH v. 14.6.2006 – VIII B 196/05, BFH/NV 2006, 1829 mwN.

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ausgeschlossen, dass die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Steuerermäßigung nach § 35 EStG durch den Veräußerer als steuerlicher Vorteil in diesem Sinne anzusehen ist. Vor diesem Hintergrund scheint es fraglich, ob eine technische Rückwirkung beim Mitternachtsgeschäft möglich ist.43 dd) Sonstige Gestaltungsansätze Neben den vorstehend dargestellten Gestaltungsansätzen sind im Schrifttum bereits weitere Überlegungen thematisiert worden, wie zB: –

Aufdeckung von stillen Reserven durch vorgelagerte Maßnahmen;44



Verkauf des Betriebs der Unterpersonengesellschaft im Wege eines Asset Deals.45

Ferner könnten je nach Ausgangssituation und Zielsetzung Umwandlungen vor der Veräußerung in Betracht gezogen werden: –

Formwechsel der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft zu gemeinen Werten (§ 25 iVm. §§ 20–23 UmwStG). Wird die Personengesellschaft vor Veräußerung in eine Kapitalgesellschaft zu gemeinen Werten formgewechselt (§ 25 iVm. §§ 20–23 UmwStG), erfüllt dies grundsätzlich die Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 UmwStG zum Betriebsübergang im Ganzen.46 Damit sollte nach hier vertretener Auffassung auch in diesem Fall ein abgekürzter Erhebungszeitraum auf den – ggf. nach § 25 Satz 2 iVm. § 9 Sätze 2, 3 UmwStG rückbezogenen – steuerlichen Übertragungsstichtag entstehen und eine getrennte Festsetzung des GewSt.-Messbetrags erfolgen.



Einbringung der Mitunternehmeranteile in eine „neue“ Personengesellschaft zu gemeinen Werten aufgrund disquotaler Kapitalerhöhung. Wird ein bereits bestehender Mitunternehmeranteil durch Geldeinlage oder Einlage anderer Wirtschaftsgüter aufgestockt (Kapitalerhöhung), bringen nach Auffassung der FinVerw. die nicht an der Kapitalerhöhung teilnehmenden Gesellschafter ihre Mitunternehmeranteile

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Siehe auch Geiger, DStR 2019, 850 (851). Schrade, FR 2017, 862 (875). Schrade, FR 2017, 862 (875). Dies dürfte ungeachtet dessen gelten, dass die §§ 20–23 UmwStG gegenüber § 2 Abs. 5 GewStG vorrangige Spezialregelungen enthalten; vgl. hierzu Heinemann in Wendt/Suchanek/Möllmann/Heinemann, GewStG, § 2 Rz. 211; Keß in Lenski/Steinberg, GewStG, § 2 Rz. 5620.

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an der bisherigen Personengesellschaft in eine neue Personengesellschaft ein.47 Fraglich ist, ob die Anwendung dieser Grundsätze auch zu einer getrennten Festsetzung des GewSt.-Messbetrags für den Zeitraum vor der disquotalen Kapitalerhöhung einerseits und den Zeitraum nach der disquotalen Kapitalerhöhung andererseits führt. Gegen einen Unternehmerwechsel im Ganzen iSd. § 2 Abs. 5 GewStG und damit das Entstehen eines abgekürzten Erhebungszeitraums dürfte sprechen, dass kein bzw. allenfalls ein partieller Unternehmerwechsel stattfindet. Wenn infolge einer disquotalen Kapitalerhöhung steuerlich aber tatsächlich eine neue Personengesellschaft entsteht, wäre es folgerichtig, dass dies auch einen Wechsel des gewerbesteuerlichen Steuerschuldners darstellen würde. Für den Wechsel des gewerbesteuerlichen Steuerschuldners trotz fortbestehender sachlicher Gewerbesteuerpflicht bei Vorgängen nach dem UmwStG wiederum sieht die FinVerw. eine Festsetzung mehrerer den Steuerschuldnerwechsel berücksichtigender GewSt.-Messbescheide mit Anteilen des einheitlichen GewSt.Messbetrags vor.48 Diese Anteile sollen bei der Ermittlung der Steuerermäßigung nach § 35 EStG maßgeblich sein.49 Hinzuweisen ist darauf, dass die Rechtslage mit Blick auf die Auswirkungen der vorstehend skizzierten Umwandlungsvorgänge vor einer Veräußerung für die Aufteilung des GewSt.-Messbetrags insgesamt als ungeklärt zu bezeichnen ist, so dass die vorstehenden Ausführungen lediglich als Denkanstöße zu betrachten sind. c) Weitere Aspekte In den zuvor dargestellten Entscheidungen des BFH zur Verteilung des GewSt.-Messbetrags beim unterjährigen Gesellschafterwechsel hatte sich der BFH ausschließlich mit Veräußerungen, dh. entgeltlichen Übertragungen, auseinanderzusetzen. Mangels Entscheidungserheblichkeit hatte er sich nicht dazu zu äußern, ob die beschriebenen Grundsätze auch 47 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 01.47 unter Berufung auf BFH v. 25.4.2006 – VIII R 52/04, BStBl. II 2006, 847 = FR 2006, 874 zu § 24 UmwStG aF; kritisch hierzu Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, UmwStG, § 24 Rz. 26. 48 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 30. 49 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 30.

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auf unentgeltliche Übertragungen anzuwenden sind. Ein Differenzierungsgrund zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Übertragungen ist insoweit indes nicht ersichtlich. Somit ist wohl davon auszugehen, dass auch im Fall unentgeltlicher Übertragungen ausschließlich den am Ende des gewerbesteuerlichen Erhebungszeitraums beteiligten Mitunternehmern nach § 35 Abs. 2 EStG ein Anteil am GewSt.-Messbetrag zuzuweisen ist.50 Im Schrifttum ebenfalls thematisiert wurde die Frage, ob bis zum unterjährigen Gesellschafterwechsel geleistete bzw. entstandene Vorauszahlungen zu einer entsprechenden Zuweisung des GewSt.-Messbetrags zu den ausgeschiedenen Gesellschaftern führen.51 Gestützt wird diese Überlegung auf den Wortlaut des § 18 GewStG, wonach die GewSt. mit Ablauf des Erhebungszeitraums „entsteht, soweit es sich nicht um Vorauszahlungen (§ 21) handelt“. Die Vorauszahlungen wiederum entstehen grundsätzlich mit Beginn des jeweiligen Kalendervierteljahrs (§ 21 GewStG). Mithin ist die Gesellschaft bereits quartalsweise mit den Gewerbesteuervorauszahlungen belastet. Der BFH hat seine Entscheidungsgrundsätze zum unterjährigen Gesellschafterwechsel im Wesentlichen darauf gestützt, dass die GewSt. mit Ablauf des Erhebungszeitraums entsteht und (erst) dann die Personengesellschaft mit GewSt. belastet ist mit der Folge, dass nur den in diesem Zeitpunkt an der Gesellschaft beteiligten Mitunternehmern ein Anteil am GewSt.-Messbetrag zugewiesen wird. Da eine solche Belastung bereits mit der Entstehung und Entrichtung von Gewerbesteuervorauszahlungen eintritt, könnte dies vor dem Hintergrund des § 18 GewStG im Zusammenspiel mit § 21 GewStG für eine (Vorab-) Zuweisung eines anteiligen GewSt.-Messbetrags an ausgeschiedene Gesellschafter sprechen.52 Der BFH hat sich weder in den zuvor dargestellten Entscheidungen noch – soweit ersichtlich – in anderen Entscheidungen zu dieser Thematik geäußert, so dass diese Rechtsfrage als derzeit ungeklärt anzusehen ist. Im Weiteren stellt sich die Frage, ob in den Fällen einer unterjährigen Anwachsung eine Aufteilung des GewSt.-Messbetrags für Zwecke des § 35 Abs. 2 EStG zu erfolgen hat. Zu einer Anwachsung iSd. § 738 BGB kommt es, wenn der vorletzte Gesellschafter ausscheidet bzw. mit Ausnahme 50 Siehe bspw. auch Gragert, NWB 2016, 3924 (3927); Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (626); Gläser/Zöller, BB 2017, 987 (988). 51 Vgl. Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (629 f.). 52 Dreßler/Oenings, DStR 2017, 625 (630); kritisch zur Berücksichtigungsfähigkeit von Vorauszahlungen Hautkappe/Linnemann, DB 2018, 1178 (1181 f.).

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des letzten Gesellschafters einer Personengesellschaft alle weiteren Gesellschafter aus der Personengesellschaft ausscheiden; das Gesellschaftsvermögen wächst dem letzten Gesellschafter im Wege der Gesamtrechtsnachfolge an. Aufgrund der partiellen Unternehmeridentität wird die sachliche Gewerbesteuerpflicht im Fall der Anwachsung nicht beendet, dh. es findet kein Unternehmensübergang statt.53 Somit ist der GewSt.Messbetrag einheitlich (unter Berücksichtigung des vollen GewSt.-Freibetrags nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG) für den gesamten Erhebungszeitraum, mithin idR für das Kj., festzusetzen.54 Allerdings findet infolge der Anwachsung ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft von der Personengesellschaft auf den verbleibenden Gesellschafter als Einzelunternehmer statt. Aufgrund dessen ist für den Erhebungszeitraum des Rechtsformwechsels für jeden Steuerschuldner jeweils ein Gewst.-Messbescheid zu erlassen.55 Erst im Anschluss an die einheitliche Ermittlung erfolgt damit eine Aufteilung des GewSt.-Messbetrags auf die verschiedenen Steuerschuldner – im prozentualen Verhältnis der von den beiden Steuerschuldnern erzielten Gewerbeerträge nebst den auf sie entfallenden Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) und Kürzungen (§ 9 GewStG). Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob die getrennte Festsetzung der GewSt.Messbeträge in der Weise maßgeblich für die Anwendung des § 35 EStG ist, dass den ausgeschiedenen Gesellschaftern entsprechend für die Zeit bis zu ihrem Ausscheiden ebenfalls ein Anteil am GewSt.-Messbetrag nach § 35 Abs. 2 EStG zugewiesen wird. Für eine solche Maßgeblichkeit spricht nach hier vertretener Auffassung § 35 Abs. 3 Satz 3 EStG, wonach die Festsetzung des GewSt.-Messbetrags und des anteiligen GewSt.-Messbetrags Grundlagenbescheide für die Ermittlung des anteiligen GewSt.Messbetrags nach § 35 Abs. 2 EStG sind. Auch die FinVerw. scheint hiervon auszugehen.56 Hiervon abzugrenzen sind die Fälle der echten Realteilung, in denen nach den Grundsätzen der BFH-Rspr. eine Betriebsaufgabe der Personen-

53 BFH v. 26.8.1993 – IV R 133/90, BStBl. II 1995, 791; R 2.7 Abs. 2 GewStR. 54 BFH v. 25.4.2018 – IV R 8/16, BStBl. II 2018, 484 = FR 2018, 663; v. 13.10.2005 – IV R 55/04, BStBl. II 2006, 404. 55 BFH v. 25.4.2018 – IV R 8/16, BStBl. II 2018, 484 = FR 2018, 663; v. 13.10.2005 – IV R 55/04, BStBl. II 2006, 404; s. auch BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/ 08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 29; R 11.1 Satz 3 GewStR. 56 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 29.

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gesellschaft vorliegt.57 Eine Betriebsaufgabe auf Ebene der Mitunternehmerschaft und damit ein Fall der echten Realteilung liegt dabei auch bei Ausscheiden eines Mitunternehmers unter Übertragung eines Teilbetriebs, eines (Teil-) Mitunternehmeranteils an einer Tochter-Personengesellschaft oder von Einzelwirtschaftsgütern aus einer zweigliedrigen Mitunternehmerschaft und Fortführung des Betriebs durch den verbleibenden Mitunternehmer in Form eines Einzelunternehmens vor.58 Aufgrund der Auflösung/Vollbeendigung der Personengesellschaft dürfte bei einer echten Realteilung regelmäßig ein Unternehmerwechsel iSd. § 2 Abs. 5 GewStG und zugleich ein Steuerschuldnerwechsel iSd. § 5 Abs. 2 GewStG vorliegen. Daher entsteht bei unterjähriger echter Realteilung stets ein abgekürzter Erhebungszeitraum.

4. Betriebsbezogene Ermittlung bei mehrstöckigen Mitunternehmerschaften (Görgen) Nach § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG ist der Abzug des Steuerermäßigungsbetrags auf die tatsächlich zu zahlende GewSt. beschränkt. Bei gewerbesteuerpflichtigen Mitunternehmerschaften gibt § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG zudem vor, dass die tatsächlich zu zahlende GewSt. sowie der Betrag des GewSt.-Messbetrags und der auf die einzelnen Mitunternehmer entfallende Anteil gesondert und einheitlich festzustellen sind. § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG hält hierfür fest, dass bei dieser Feststellung nach § 35 Abs. 2 Satz 1 EStG auch anteilige GewSt.-Messbeträge, die aus einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft stammen, einzubeziehen sind. Keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben finden sich indes in § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG, in welchem Umfang die Einbeziehung der GewSt.Messbeträge und der tatsächlich gezahlten GewSt. von Untergesellschaften bei Obergesellschaften und schließlich beim anrechnungsberechtigten Schlussgesellschafter stattzufinden hat. Bei einer rein gewerbesteuerlich geprägten, betriebsbezogenen Betrachtungsweise liegt es nahe, dass die Mitunternehmerschaften sowohl auf Unter- wie auf Obergesellschaftsebene isoliert betrachtet werden. Denn jede Mitunternehmerschaft stellt einen separaten Gewerbebetrieb mit sachlicher und persönlicher Steuerpflicht dar (§§ 2 Abs. 2, 5 Abs. 1

57 Siehe etwa BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32 Rz. 33. 58 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Rz. 1.

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GewStG).59 Jede Mitunternehmerschaft wird dementsprechend separat mit GewSt. belastet. Im EStG wird der Schlussgesellschafter unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit besteuert. Maßgeblich ist hiernach nicht, in welcher Höhe die Untergesellschaft gewerbesteuerlich belastet ist, sondern inwiefern die Leistungsfähigkeit des Schlussgesellschafters durch die unmittelbare (wie mittelbare) wirtschaftliche Belastung durch die GewSt. eingeschränkt ist.

Abbildung 4: Spannungsfeld zwischen § 35 EStG und GewStG bei mehrstöckigen Personengesellschaften

Nach bisheriger Verwaltungspraxis wurde die Steuerermäßigung nach § 35 EStG auf Ebene des anrechnungsberechtigen und einkommensteuerpflichtigen Schlussgesellschafters zusammengefasst gewährt.60 Hierfür wurden die GewSt.-Messbeträge sowie die tatsächlich zu zahlenden GewSt.-Beträge zusammengefasst an den Schlussgesellschafter der Obergesellschaft weitergeleitet. Erst beim nach dem EStG steuerpflichtigen Schlussgesellschafter wurde der Anteil an der Obergesellschaft für Zwecke des § 35 EStG als eine zusammengefasste Einkunftsquelle des Mit59 Eine Ausnahme stellt hierbei die persönliche Gewerbesteuerpflicht des handelsgewerbetreibenden Geschäftsinhabers einer atypisch stillen Gesellschaft dar. Ebendiese ist zwar Mitunternehmerschaft und somit sachlich gewerbesteuerpflichtig, jedoch mangels vollstreckbaren Gesamthandsvermögens nicht persönlich gewerbesteuerpflichtig iSd. § 5 GewStG. 60 Im Ergebnis folgte man somit den Wertungen des EStG.

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unternehmers behandelt und der Gegenprobe des § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG unterzogen.61 Fallbeispiel „mehrstöckige Beteiligungsverhältnisse“ – bisherige Verwaltungspraxis: A ist mit 100 % an der A-GmbH & Co. KG (A-KG) beteiligt. Die A-KG ist zu 100 % an der B-GmbH & Co. KG (B-KG) beteiligt. Im Feststellungszeitraum 01 erzielt A einen Gewinn aus den Beteiligungen von insgesamt 150.000 t, wovon wirtschaftlich betrachtet 100.000 t unmittelbar aus der Beteiligung an der A-KG und 50.000 t über die Beteiligung der A-KG an der B-KG zufließen. Im Feststellungszeitraum (= Erhebungszeitraum) 01 wird für die B-KG ein GewSt.Messbetrag iHv. 1.750 t sowie eine zu zahlende GewSt. von 7.000 t festgesetzt. Gegenüber der A-KG wurde ein GewSt.-Messbetrag von 3.500 t und eine zu zahlende Gewerbesteuer von 10.500 t festgesetzt.

Abbildung 5: Lösungsskizze zum Fallbeispiel „mehrstöckige Beteiligungsverhältnisse“ – bisherige Verwaltungspraxis Aufgrund der bisherigen Verfahrensweise kann A als Mitunternehmer gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG iVm. § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG die seitens der B-KG und A-KG gezahlten 17.500 t auf seine ESt. anrechnen lassen. Das 3,8fache der kumulierten GewSt.-Messbeträge (19.950 t) nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG war demnach als höhe-

61 BMF v. 24.2.2009 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 – DOK 2007/0220243, BStBl. I 2009, 440 = FR 2009, 345 idF von BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/ 10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 9 und 25.

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Bohn/Görgen, Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG rer Betrag wegen der Höchstgrenze des § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG nicht anzurechnen. Ebendiese Höchstgrenze greift hier nur auf Ebene des Schlussgesellschafters A.

Der X. Senat des BFH hatte sich in seinen Entscheidungen v. 20.3.201762 nunmehr ausführlich damit auseinanderzusetzen, ob diese bisherige Besteuerungspraxis dem Anwendungsbereich des § 35 EStG genügt. Im Ergebnis hielt der BFH fest, dass im Rahmen des § 35 EStG die gewerbesteuerlich geprägte, betriebsbezogene Betrachtungsweise auch bei mehrstöckigen Personengesellschaften anzuwenden ist. Somit ist, entgegen der bisherigen Praxis, auf jeder Feststellungsebene isoliert die Beschränkung des § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG zu berücksichtigen und nur der so gegenkorrigierte Betrag an die nächste Feststellungsebene weiterzuleiten. Diese Rspr. setzte nun auch das BMF im BMF-Schreiben zu § 35 EStG v. 17.4.2019 um.63 In Konsequenz zur betriebsgezogenen Betrachtungsweise ist demnach der GewSt.-Messbetrag für jeden Gewerbebetrieb und jeden Mitunternehmeranteil getrennt zu ermitteln und jeweils mit dem Faktor 3,8 zu multiplizieren. Ebendiese Beträge werden zur Ermittlung des Anrechnungsvolumens zusammengefasst. Bei mehrstöckigen Beteiligungsverhältnissen findet eine getrennte Ermittlung der Begrenzung des Ermäßigungshöchstbetrags auf die tatsächlich zu zahlende GewSt. gem. § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG für Anteile an der Ober- und Untergesellschaft statt.64 Die neue Rechtslage ist allerdings erst ab dem Veranlagungs- bzw. Feststellungszeitraum 2020 anzuwenden.65 Auf Antrag ist die Anwendung der neuen BFH-Rspr. sowie Verwaltungsauffassung bereits vor dem genannten Zeitraum möglich.66

62 BFH v. 20.3.2017 – X R 12/15, BStBl. II 2019, 249 = FR 2018, 31; v. 20.3.2017 – X R 62/14, BStBl. II 2019, 244 = FR 2019, 139. 63 BMF v. 17.4.2019 – IV C 6 S 2296-a/17/10004 – DOK 2019/0328796, BStBl. I 2019, 459 = GmbHR 2019, 622; das Schreiben ebenfalls kommentierend: Dreßler, DStR 2019, 1078 ff. 64 Der „ggf. begrenzte“ Ermäßigungsbetrag ist dabei über mehrere Beteiligungsstufen „nachrichtlich“ mitzuteilen. Um auch auf den Untergesellschaftsebenen für den Schlussgesellschafter einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber aufgefordert, den verfahrensrechtlichen Rahmen über die bloße „nachrichtliche Mitteilung“ gesetzgeberisch vorzugeben. 65 Bis zu diesem Zeitraum bliebe Zeit, die alte Rechtslage durch Konkretisierung des § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG wiederherzustellen. 66 In der Anlage FE 1 wurde unter der Kennzahl 214 ein entsprechendes Erklärungsfeld eröffnet. Beide Autoren dieses Beitrags konnten indes keinen theoretischen wie praktischen Fall ausfindig machen, in dem der Schlussgesellschafter durch Anwendung der neuen Rechtslage besser gestellt wäre.

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Bohn/Görgen, Aktuelle Entwicklungen bei § 35 EStG und § 34a EStG Fallbeispiel „mehrstöckige Beteiligungsverhältnisse“ – neue Rechtslage: Aufgrund der neuen Rechtslage kann A als Mitunternehmer/Schlussgesellschafter gem. § 35 Abs. 1 Nr. 2 EStG iVm. § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG lediglich 17.150 t auf seine ESt. anrechnen lassen. Die Höchstbetragsberechnung unter Berücksichtigung des § 35 Abs. 1 Satz 5 EStG war sowohl auf Ebene der B-KG wie auf Ebene der A-KG separat durchzuführen.

Abbildung 6: Lösungsskizze „mehrstöckige Beteiligungsverhältnisse“ – neue Rechtslage

Das Ergebnis ist aus Sicht des Schlussgesellschafters unverständlich, da er bei wirtschaftlicher Betrachtung seiner Leistungsfähigkeit nach alter wie neuer Rechtslage 150.000 t aus seiner unmittelbaren wie mittelbaren Beteiligung erhält. Die Wertung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG, wonach der mittelbare Mitunternehmer dem unmittelbaren Mitunternehmer gleichzustellen ist, stützt indes das vom BFH gefundene Ergebnis. Denn hätte A an der B-KG wie an der A-KG zwei separate Beteiligungen gehalten, stünde ihm ebenfalls nur ein Anrechnungsvolumen von 17.150 t zu.

5. Exegese der Rechtsprechung zu § 35 EStG (Görgen) Für Zweifelsfragen zur Steuerermäßigung des § 35 EStG für Mitunternehmer gibt der BFH die Richtung klar vor. Nicht die aus dem EStG bekannten Prinzipien wie die variable Stichtagsgestaltung nach § 4a EStG

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oder die vereinfachte Betrachtung einer Einkunftsquelle des Mitunternehmers auch bei mehrstöckigen Beteiligungsverhältnissen ist für die Anrechnung des § 35 EStG maßgebend, sondern eine rein nach den Wertungen des GewStG orientierte Auslegung angezeigt. § 35 EStG agiert auf die Vorgaben und Wertungen des GewStG damit lediglich reflexartig, um die durch das GewStG ermittelte Belastung der jeweiligen Mitunternehmerschaft auf Ebene des Mitunternehmers pauschal zu berücksichtigen.

Abbildung 7: Spannungsfeld GewStG vs. EStG

Die neuen Vorgaben des BFH zu § 35 EStG sind für viele in der Praxis bisher gelebten Gestaltungen Neuland. Allerdings bietet die konsequente Auslegung des § 35 EStG nach den Vorgaben des GewStG auch Chancen auf Rechtssicherheit. So muss die Rechtspraxis zwar berücksichtigen, dass nach den Regeln des GewStG § 18 GewStG vorgibt, dass der Erhebungszeitraum „starr“ am 31.12. endet. Indes besteht im GewStG die Möglichkeit, eben diesen Erhebungszeitraum nach § 2 Abs. 5, § 14 Satz 3 GewStG abzukürzen. In Konsequenz zur gewerbesteuerlich geprägten Betrachtung des § 35 EStG müsste der abgekürzte Erhebungszeitraum dann auch bei § 35 EStG berücksichtigt werden. Zudem müssen Gestaltungen rund um den Gesellschafterwechsel, die den Zeitpunkt der Beendigung des Erhebungszeitraums des § 18 GewStG zum 31.12. um 24.00 Uhr beachten, ebenfalls 122

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denklogisch insoweit zulässig sein.67 Letztlich wird bei einem Gesellschafterwechsel zukünftig die ggf. fehlende Entlastung durch § 35 EStG indes immer auch Gegenstand der Verhandlungen sein und, wenn nötig, eingepreist werden. Bei mehrstöckigen Beteiligungsverhältnissen führt die bei § 35 EStG anzuwendende betriebsbezogene Betrachtungsweise des GewStG allenfalls zur Kürzung von Anrechnungsvolumen des Schlussgesellschafters. Die durch das BMF gewährte großzügige Übergangsregelung zur Anwendung der alten Rechtslage schürt die Hoffnung, dass bis zur Veranlagung 2020 noch durch Gesetzgebungsinitiativen die alte Besteuerungspraxis per Umformulierung des § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG wiederhergestellt wird.68

6. Schnittstellen zwischen § 35 EStG und § 34a EStG (Görgen) Der Anwendungsbereich des § 35 EStG ist auch für Gewinne aus freiwilliger Nachversteuerung nach § 34a EStG eröffnet. Dies kann in der Praxis zur effektiven Nutzung sonst brachliegenden Ermäßigungspotentials führen. So kann durch überlegte Gestaltung eine beantragte Nachversteuerung nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 EStG sinnvoll sein. Beispiel: A hat als Einzelunternehmer im Wj 01 einen Gewinn erwirtschaftet und ein Anrechnungspotential iSd. § 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG iHv. 10.000 t zugeordnet bekommen. A kann das Anrechnungspotential indes nicht nutzen, da er aus anderen gewerblichen Einkunftsquellen hohe Verluste erzielt hat, die mit dem Gewinn aus seinem Einzelunternehmen verrechnet wurden. Da A auch als Mitunternehmer der A-KG tätig ist, aus deren Beteiligung für ihn ein nachversteuerungspflichtiger Betrag von 10.000 t zugerechnet wird, kann er auf Antrag nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 EStG eine Nachversteuerung generieren. Auf den Teil der ESt., der auf die Nachversteuerung fällt, kann A seine Gewerbesteuerlast aus seinem Einzelunternehmen gem. § 35 EStG anrechnen lassen.

67 Weitere Gestaltungsmöglichkeiten bleiben auch hier denkbar, bedürften aber in der Praxis im Zweifel der vorherigen Einholung einer verbindlichen Auskunft. 68 So könnte § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG dergestalt angepasst werden, dass „bei der Feststellung nach Satz 1 anteilige Gewerbesteuer-Messbeträge sowie die gezahlte anteilige Gewerbesteuer, die aus einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft stammen, jeweils zusammengefasst auf Ebene des Steuerpflichtigen einzubeziehen“ sind.

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Diese Gestaltung ist durch das BMF-Schreiben zu § 35 EStG ausdrücklich vorgesehen.69

II. Aktuelle Entwicklungen bei § 34a EStG 1. Einführung Die Begünstigungsvorschrift des § 34a EStG ist im Jahr 2019 in den Fokus von Gesetzgebungsinitiativen des Unternehmensteuerrechts gerückt.70 Ein aktueller Status Quo zur Vorschrift ist daher auch unter diesem Aspekt lohnend. Durch § 34a EStG werden der Mitunternehmer und der Einzelunternehmer in die Lage versetzt, einer Besteuerung ähnlich einer Kapitalgesellschaft zu unterliegen, indem im Unternehmen stehen gelassene Gewinne mit einem pauschalen Steuersatz von 28,25 % besteuert werden. Ziel des Gesetzgebers war es, Einzel- und Mitunternehmer mit ihren Gewinneinkünften in vergleichbarer Weise wie das Einkommen einer Kapitalgesellschaft tariflich zu belasten.71 Die Vergünstigung wird demjenigen Stpfl. gewährt, der durch seinen Betrieb erwirtschaftetes Kapital nicht entnimmt, sondern weiterhin dem Betrieb zur Verfügung stellt und somit die Eigenkapitalbasis seines Unternehmens und dessen Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärkt. Für dieses Ziel weicht der Gesetzgeber mit § 34a EStG für die Besteuerung von Mitunternehmern ausnahmsweise von der transparenten Besteuerung auch nicht entnommener Gewinne ab. Dies erfolgt in concreto dergestalt, dass der Einzel- oder Mitunternehmer auf Antrag, iSd. § 34a Abs. 2 EStG stehen gelassene, „nicht entnommene“ Gewinne mit einem Besteuerungssatz von 28,25 %72 im Jahr der Gewinnerzielung versteuert. Solange der insoweit festzuschreibende „nachversteuerungspflichtige“ Gewinn weiterhin dem Unternehmen zur Verfügung steht, erfolgt keine weitere Besteuerung. Erst im Fall der Entnahme, der Antragstellung auf freiwillige Nachversteuerung oder der Auslösung eines Tatbestands iSd. § 34a Abs. 4 oder 6 EStG findet eine 69 BMF v. 3.11.2016 – IV C 6 - S 2296-a/08/10002 :003 – DOK 2016/0944407, BStBl. I 2016, 1187 = FR 2016, 1112 Rz. 4 und 15. 70 Siehe hierzu sogleich unter II.5. sowie Wacker, DStR 2019, 585; Karrenbrock, DStR 2020, 1. 71 BT-Drucks. 16/4841, 62. 72 Der Steuersatz wurde dabei pauschal an der Besteuerung einer Kapitalgesellschaft mit 15 % KSt. + 14,25 % GewSt. ausgerichtet.

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dem Steuersatz bei Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften nachempfundene Besteuerung iHv. weiteren 25 % auf diesen nachversteuerungspflichtigen Gewinn statt.

Abbildung 8: Systematik und Phasen des § 34a EstG

Der BFH hatte in den letzten Jahren insbes. in zwei Urteilen Gelegenheit, die Reichweite des Anwendungsbereichs des § 34a EStG klarer zu umreißen. Dabei konnten sowohl hinsichtlich des Anwendungsbereichs des § 34a Abs. 2 EStG („Thesaurierungsphase“) wie für die Beendigung des Anwendungsbereichs des § 34a Abs. 4 und 6 EStG („Nachversteuerungsphase“) wegweisende Entscheidungen getroffen werden, die nachfolgend skizziert und analysiert werden sollen.73

2. Nicht entnommener Gewinn – § 34a Abs. 2 EStG (Görgen) Die Begünstigung des § 34a EStG für nicht entnommene Gewinne umfasst nach § 34a Abs. 2 EStG den nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 EStG ermittelten Gewinn des Betriebs oder Mitunternehmeranteils, vermindert 73 Auf die weitere jüngst zur Anwendung des § 34a EStG ergangene Rspr. sei an dieser Stelle nur hingewiesen: BFH v. 9.1.2019 – IV R 27/16, BStBl. II 2020, 11 = GmbHR 2019, 785 (keine Klagebefugnis der Personengesellschaft gegen Feststellungsbescheide nach § 34a Abs. 10 Satz 1 EStG); FG Düss. v. 8.11.2018 – 12 K 1250/18 E, F, EFG 2019, 109, rkr. (Rücknahme des Antrags auf Begünstigung des nicht entnommenen Gewinns gem. § 34a EStG).

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um den positiven Saldo der Entnahmen und Einlagen des Wj. Nur was dem Unternehmen wirklich weiterhin als Kapital zur Verfügung steht, soll von der Privilegierung des § 34a EStG erfasst werden. In dem Verfahren IV R 13/1774 hatte sich der Vierte Senat des BFH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob auch ein Übernahmegewinn nach § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG als „nicht entnommener Gewinn“ iSd. § 34a Abs. 2 EStG anzusehen ist. Sachverhalt (stark vereinfacht): Die X-GmbH ist 100%ige Anteilseignerin der Y-GmbH. Zum 31.12.2009 spaltet die Y-GmbH einen Teilbetrieb auf die Z-GmbH ab, deren 100%ige Anteilseignerin wiederum die X-GmbH war. Den Anteil an der Y-GmbH veräußert die X-GmbH im April 2010. Bereits am 4.1.2010 veräußerte die X-GmbH ihren Anteil an der Z-GmbH an die A-KG, auf welche die Z-GmbH unter Aufdeckung aller stiller Reserven verschmolzen wird. Der Mitunternehmer A der A-KG wollte nun auch den in der Aufdeckung der stillen Reserven durch Verschmelzung begründeten Gewinn als solchen iSd. § 34a Abs. 2 EStG thesaurieren, was das FA verneinte.

Abbildung 9: Stark vereinfachter Sachverhalt zu IV R 13/17

Das FG Münster hatte im erstinstanzlichen Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34a Abs. 2 EStG mit der Begründung verneint, dass der Übernahmegewinn iSd. § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG als außer74 BFH v. 9.5.2019 – IV R 13/17, BStBl. II 2019, 754 = GmbHR 2020, 51.

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bilanzielle Gewinnkorrektur nicht Bestandteil des nach § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 EStG ermittelten Gewinns der KG sei.75 Der IV. Senat des BFH bejahte indes das Vorliegen des Tatbestands des § 34a Abs. 2 EStG, da das Übernahmeergebnis iSd. § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG Bestandteil des Gewinns iSd. § 34a Abs. 2 EStG ist. Dabei stellt der BFH klar, dass der nicht entnommene Gewinn nach § 34a Abs. 2 EStG nur den innerbilanziellen Gewinn beinhaltet, wovon entgegen der Ansicht der Vorinstanz auch der Übernahmegewinn iSd. § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG umfasst ist.76 Der Gewinn aus dem Vermögensübergang werde dabei zwar nicht unmittelbar nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 EStG ermittelt, dieser Gewinn ist aber als Bestandteil des Betriebsvermögensvergleichs sehr wohl im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 EStG zu berücksichtigen.77 Dem war nach Auffassung der FinVerw. entgegenzuhalten, dass die Vergünstigung des § 34a EStG nur demjenigen Stpfl. gewährt werden soll, der durch seinen Betrieb erwirtschaftetes Kapital nicht entnimmt, sondern weiterhin dem Betrieb zur Verfügung stellt und somit die Eigenkapitalbasis seines Unternehmens nachhaltig stärkt.78 Auf den vorliegenden Fall bezogen war daher diesem Gedanken folgend festzuhalten, dass nicht im Betrieb der A-KG, sondern im Betrieb der Y-GmbH die stillen Reserven erwirtschaftet wurden. Der IV. Senat des BFH stellt in seiner Entscheidung jedoch klar, dass die bei der übertragenden Körperschaft erwirtschafteten Gewinne dazu führen, dass sich in den bei der aufnehmenden Personengesellschaft bilanzierten Anteilen an der übertragenden Körperschaft stille Reserven bilden. Dieser Wertzuwachs entsteht im Betrieb der aufnehmenden Personengesellschaft und führt bei seiner Realisierung zu einer – nach Sinn und Zweck des § 34a EStG begünstigten – Stärkung des bilanziellen Eigenkapitals der aufnehmenden Personengesellschaft.79 75 Zur vorinstanzlichen Wertung (FG Münster v. 28.8.2017 – 3 K 1256/15 F, EFG 2018, 371) s. BFH v. 9.5.2019 – IV R 13/17, BStBl. II 2019, 754 = GmbHR 2020, 51 Rz. 10. 76 Auch der Sitzungsvertreter der FinVerw. betonte, dass der Übernahmegewinn Bestandteil des innerbilanziellen Gewinns ist, die Anwendung des § 34a Abs. 2 EStG aber aufgrund von Sinn und Zweck der Vorschrift vorliegend negiert werden müsse. 77 BFH v. 9.5.2019 – IV R 13/17, BStBl. II 2019, 754 = GmbHR 2020, 51 Rz. 44. 78 Dabei verlangt BT-Drucks. 16/4841, 62 ausdrücklich, dass der Stpfl. durch seinen Betrieb erwirtschaftetes Kapital nicht entnimmt. 79 BFH v. 9.5.2019 – IV R 13/17, BStBl. II 2019, 754 = GmbHR 2020, 51 Rz. 45.

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Ebendiese rein buchhalterische Kapitalerhöhung bei der A-KG reichte dem Vierten Senat des BFH für die Bejahung des Tatbestands des § 34a Abs. 2 EStG somit aus.80

3. Nachversteuerung – § 34a Abs. 6 EStG (Görgen) Nach § 34 Abs. 6 EStG kann zum einen auf freiwilliger Basis per Antragstellung eine Nachversteuerung ausgelöst werden (§ 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 EStG).81 Die übrigen Nachversteuerungstatbestände des § 34a Abs. 6 Satz 1 EStG gewährleisten zum anderen, dass im Fall der Betriebsaufgabe oder eines Wechsels des Besteuerungssystems hin zur Besteuerung von Kapitalgesellschaften die Nachversteuerung final beim Personenunternehmen nachgeholt wird. Im Verfahren III R 49/1782 hatte sich der III. Senat des BFH mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf eine Stiftung in analoger Anwendung des § 34a Abs. 6 Satz 1 EStG eine Nachversteuerung von in der Vergangenheit nach § 34a EStG begünstigt besteuerten thesaurierten Gewinnen auslöst. Nach dem im streitgegenständlichen Zeitraum gültigen Wortlaut der Norm war eine Nachversteuerung ua. nach § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG ausdrücklich nur in den Fällen der Einbringung eines Betriebs oder Mitunternehmeranteils in eine Kapitalgesellschaft oder eine Genossenschaft sowie in den Fällen des Formwechsels einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft vorgesehen. Eine Stiftung war demnach, wie die systematische Abgrenzung zu Kapitalgesellschaften und Genossenschaften in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KStG zu § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG zeigt, nicht vom Wortlaut des § 34a Abs. 6 EStG umfasst.

80 Diese Begründung mag für sich betrachtet das „reale Erwirtschaften der stillen Reserven“ in den Vorjahren des Teilbetriebs in der Y-GmbH negieren. Allerdings ist dem Ergebnis zugute zu halten, dass die stillen Reserven bei genauer Analyse auch im abgespalteten Teilbetrieb vorhanden waren. Eben dieser Teilbetrieb wechselte durch die Abspaltung und den späteren Verschmelzungsund Veräußerungsvorgang zwar das Rechtskleid von Y-GmbH bis zur KG. Dennoch blieb genau dieser Teilbetrieb in seiner Funktionsfähigkeit erhalten. 81 Siehe hierzu auch oben S. 123. 82 BFH v. 17.1.2019 – III R 49/17, BStBl. II 2019, 655 = FR 2020, 171.

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Abbildung 10: Fallskizze (stark vereinfacht) zum Verfahren III R 49/17

Für eine analoge Anwendung des § 34a Abs. 6 EStG auf die Fallkonstellation sprach nach Ansicht des FA, dass durch die Einführung von § 34a EStG ausschließlich natürliche Personen, die der ESt. unterliegen, begünstigt werden sollten. Deshalb sei im Fall eines Wechsels des Besteuerungssystems – von der Besteuerung eines Einzelunternehmens oder eines Mitunternehmers hin zur Besteuerung einer körperschaftsteuerpflichtigen Gesellschaft – der nachversteuerungspflichtige Betrag in jedem Fall zwingend vollständig aufzulösen und eine Nachversteuerung durchzuführen.83 Der BFH hielt indes fest, dass die unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils auf eine Stiftung keine Nachversteuerung von in der Vergangenheit nach § 34a EStG begünstigt besteuerten thesaurierten Gewinnen auslöst. Der Wortlaut des § 34a Abs. 6 EStG ist hinsichtlich der Kapitalgesellschaften und Genossenschaften abschließend und enthält keine Hinweise auf Stiftungen.84 Eine analoge Anwendung des § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG kommt nicht in Betracht.85 Die Voraussetzungen einer Nachversteuerung gem. § 34a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EStG sind nach 83 Siehe zu dieser Argumentationslinie auch die Motive zur Gesetzgebung in BTDrucks. 16/5377, 14. 84 BFH v. 17.1.2019 – III R 49/17, BStBl. II 2019, 655 = FR 2020, 171 Rz. 28. 85 BFH v. 17.1.2019 – III R 49/17, BStBl. II 2019, 655 = FR 2020, 171, Leitsatz der Entscheidung.

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dem im Streitjahr geltenden Gesetzeswortlaut ebenfalls nicht erfüllt, denn die Vorschrift erfasst lediglich die Einbringung eines Mitunternehmeranteils „in eine Kapitalgesellschaft oder eine Genossenschaft“. Der Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet keine extensive Auslegung der Nachversteuerungstatbestände des § 34a Abs. 6 EStG. Mit Gesetz v. 27.6.201786 schloss der Gesetzgeber diese Besteuerungslücke, um in jedem Fall des Wechsels des Besteuerungssystems eine Nachversteuerung nach § 34a Abs. 6 EStG zu gewährleisten.87

4. Exegese der Rechtsprechung zu § 34a EStG (Görgen) Der BFH nutzte in den dargestellten Urteilen die Gelegenheit, die Reichweite des Anwendungsbereichs des § 34a EStG zu konkretisieren. Aus beiden Entscheidungen ist bereits eine prägende Leitlinie zur Klärung von Zweifelsfragen bei § 34a EStG abzuleiten. Sowohl im Hinblick auf die Eröffnung des Tatbestands nach § 34a Abs. 2 EStG („Thesaurierungsphase“) wie für die Beendigung des Anwendungsbereichs des § 34a Abs. 6 EStG („Nachversteuerungsphase“) entschied der BFH im Ergebnis zugunsten der Eigenkapitalstärkung des Unternehmens des Stpfl. In beiden Fallkonstellationen mussten weitere Motive zur Gesetzgebung des § 34a EStG hinter dem Ziel der Eigenkapitalstärkung zurücktreten. So wurde die Erwirtschaftung des nicht entnommenen Gewinns im Betrieb in der Gesellschaft zugunsten des Stpfl. ausgelegt und die für den Gesetzgeber nötige Systemimmanenz der Besteuerung von Mitunternehmern beim Wechsel des Besteuerungssystems (keine extensive Auslegung des § 34a Abs. 6 EStG) dem Ziel der Eigenkapitalstärkung des Betriebs untergeordnet. 86 Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 87 Im Nachgang zum Urteil wurde § 34a Abs. 6 EStG wie folgt abgeändert: „(6) 1Eine Nachversteuerung des nachversteuerungspflichtigen Betrags nach Absatz 4 ist durchzuführen … 3. in den Fällen der unentgeltlichen Übertragung eines Betriebs oder Mitunternehmeranteils nach § 6 Absatz 3, wenn die Übertragung an eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 1 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes erfolgt. 2Dies gilt entsprechend für eine unentgeltliche Übertragung auf eine Mitunternehmerschaft, soweit der Betrieb oder der Mitunternehmeranteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 1 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes als Mitunternehmer zuzurechnen ist …“.

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Im Ergebnis wichtiger ist nach dem BFH auch nach Auslegung von Sinn und Zweck der Vorschrift, dass das Kapital des im Rechtskleid einer Mitunternehmerschaft oder eines Einzelunternehmens geführten Betriebs weiter dem Betrieb/Unternehmen zur Verfügung steht. Diese Rechtsprechungslinie stimmt mit dem Ziel der Vorschrift vollends überein. Hierin eine fiskalkritische Entscheidungstendenz des BFH bei Anwendung der Vorschrift zu sehen („in dubio contra fiscum!“),88 wird der umfassenden Auseinandersetzung des BFH mit den Gesetzgebungsmotiven in beiden Entscheidungen nicht gerecht. Vielmehr dürfte der BFH auch in Zukunft „in dubio pro officina89“ entscheiden.

5. Ausblick zu § 34a EStG (Bohn) Auch wenn der Regelungszweck des § 34a EStG in Gestalt der Herstellung einer weitgehenden Belastungsneutralität zwischen Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen nicht zuletzt aufgrund der weiten Verbreitung von Personenunternehmen in Deutschland weithin anerkannt wird,90 stehen die Vorschriften des § 34a EStG aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung durchaus in der Kritik.91 Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass eine Gleichbelastung mit Kapitalgesellschaften trotz des Thesaurierungsteuersatzes von 28,25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag (mithin ca. 29,8 %) bereits rein rechnerisch nicht erreicht werden kann, da die GewSt. als nicht abziehbare Betriebsausgabe nicht der Thesaurierungsbegünstigung unterworfen werden kann, so dass die Thesaurierungsbelastung selbst bei größtmöglicher Thesaurierung deutlich über derjenigen von Kapitalgesellschaften liegt.92 Dies ist da88 Hannig, NWB 2019, 2498 (2503). 89 Übersetzt: „im Zweifel für den Betrieb“. 90 Siehe etwa Ley, kösdi 2007, 15737 (15743); Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34a EStG Rz. 3; Schiffers, DStR 2008, 1805; Schneider/Wesselbaum-Neugebauer, FR 2011, 166 (168); Klöpping in Prinz/Kahle, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften5, § 7 Rz. 156. 91 Siehe zB die Zusammenfassung bei Wacker in Schmidt, EStG38, § 34a Rz. 5 mwN sowie Ley/Bodden in Korn, EStG, § 34a Rz. 8 f.; Niehus/Wilke in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34a EStG, Rz. 3; Houben/Maiterth, FR 2008, 1044 (1045); Knirsch/Maiterth/Hundsdoerfer, DB 2008, 1405 (1406); Fechner/Bäuml, FR 2010, 744 (745). 92 Rein rechnerisch ergibt sich beispielsweise bei einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % eine Thesaurierungsbelastung iHv. ca. 32,25 % für Personenunternehmen gegenüber einer entsprechenden Steuerbelastung von ca. 29,825 % für Kapitalgesellschaften.

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durch begründet, dass der Gewinn iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 EStG als Ausgangsgröße zur Ermittlung des nicht entnommenen Gewinns (§ 34a Abs. 2 EStG) um nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (wie bspw. die GewSt. nach § 4 Abs. 5b EStG) gemindert ist, so dass diese nicht in den begünstigungsfähigen Gewinn nach § 34a Abs. 1, 3 EStG eingehen, obwohl sie aufgrund der außerbilanziellen Hinzurechnung Teil des im zu versteuernden Einkommen enthalten Gewinns sind.93 Zur Veranschaulichung dieses Effekts soll die nachfolgende Abbildung dienen, in der die Steuerbelastung einer Kapitalgesellschaft mit der Steuerbelastung von Personenunternehmen jeweils bei einem Gewerbesteuerhebesatz von 400 % und unterschiedlichen Thesaurierungsquoten verglichen wird. Ersichtlich wird dieser vorstehend beschriebene Effekt am rechten Rand der Abbildung bei einer Thesaurierungsquote von 100 % (= Thesaurierung des gesamten steuerbilanziellen Gewinns); in der Abbildung wird er als „(Teil-) Effekt 1: GewSt. als n.a. BA“ bezeichnet.

Abbildung 11: Belastungsvergleich zwischen Kapitalgesellschaft und Personenunternehmen (mit und ohne § 34a EStG) in Abhängigkeit von der Thesaurierungsquote

93 BMF v. 11.8.2008 – IV C 6 - S 2290-a/07/10001 – DOK 2008/0431405, BStBl. I 2008, 838 = FR 2008, 930 Rz. 16 mit Beispiel; Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drucks. 16/4841, 63; s. auch Wacker in Schmidt, EStG38, § 34a Rz. 25.

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Daneben ist zu berücksichtigen, dass auch notwendige Steuerentnahmen auf den Gewinnanteil des Mitunternehmers oder den Gewinn des Einzelunternehmers bspw. durch ESt.-Vorauszahlungen den nicht entnommenen Gewinn iSv. § 34a Abs. 2 EStG reduzieren und sich damit die Thesaurierungsbelastung von Personenunternehmen auf ca. 36,16 % (bei einem Hebesatz von 400 %) erhöht.94 Neben der Kritik an der Höhe der Thesaurierungsbelastung wird bisweilen auch bemängelt, dass der starre Nachversteuerungssatz von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag (§ 34a Abs. 4 Satz 2 EStG) nicht die individuellen Verhältnisse des Stpfl. berücksichtigt und damit bei Stpfl. mit einem Grenzsteuersatz unterhalb des Spitzensteuersatzes zu einer Mehrbelastung verglichen mit der individuellen Besteuerung ohne § 34a EStG führt.95 Im Weiteren führt die Gesetzessystematik des § 34a EStG dazu, dass nicht entnommene und nach § 34a EStG begünstigte Gewinne der Vorjahre (= nachversteuerungspflichtige Gewinne der Vorjahre) in Folgejahren als vor den steuerfreien und nicht entnommenen mit dem persönlichen Steuersatz versteuerten Gewinnen der Vorjahre entnommen gelten.96 Somit können bereits mit dem individuellen Steuersatz versteuerte thesaurierte Gewinne oder Alt-Rücklagen nicht entnommen werden, ohne eine Nachversteuerung auf die begünstigt versteuerten thesaurierten Gewinne auszulösen (sog. Lock-In-Effekt). Insbesondere bei Unternehmensgruppen mit mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen ergibt sich bei Inanspruchnahme der Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG in der Praxis zudem eine erhebliche Planungsunsicherheit, da zur Vermeidung einer ungeplanten Nachversteuerung eine teils aufwändige und kaum beherrschbare Überwachung der steuerlichen Ergebnisgrößen und sonstigen für die Anwendung des § 34a EStG relevanten Maßgrößen (zB Entnahmen und Einlagen) erforderlich ist. In diesem Kontext sind vor allem Fallkonstellationen proble94 Siehe hierzu zB auch Dörfler/Graf/Reichl, DStR 2007, 645 (649 f.); Kleineidam/Liebchen, DB 2007, 409 (410). 95 Wacker in Schmidt, EStG38, § 34a Rz. 5; Lammers in BeckOK EStG, § 34a Rz. 28; Ratschow in Blümich, § 34a EStG Rz. 5; Klöpping in Prinz/Kahle, Beck’sches Handbuch der Personengesellschaften5, § 7 Rz. 155; Kavcic, FR 2008, 404 (407). 96 Vgl. zur Verwendungsreihenfolge von Entnahmen BMF v. 11.8.2008 – IV C 6 - S 2290-a/07/10001 – DOK 2008/0431405, BStBl. I 2008, 838 = FR 2008, 930 Rz. 29.

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matisch, in denen einzelne Unterpersonengesellschaften einer Unternehmensgruppe Verluste in ihrer Steuerbilanz ausweisen. Diese Steuerbilanzverluste mindern im Zuge der Anwendung der sog. Spiegelbildmethode auch den steuerbilanziellen Beteiligungsbuchwert der Unterpersonengesellschaften und damit das steuerbilanzielle Ergebnis der Obergesellschaft(en), ohne dass zwangsläufig das handelsrechtliche Ergebnis der Obergesellschaft(en) gemindert wird, da handelsbilanziell eine Abschreibung des Buchwerts von Beteiligungen im Anlagevermögen nur bei voraussichtlich dauernder Wertminderung zwingend ist (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB).97 Wird nun der handelsrechtliche Jahresüberschuss der Oberpersonengesellschaft entnommen, steht dieser Entnahme in der beschriebenen Fallkonstellation idR kein korrespondierender Steuerbilanzgewinn der Oberpersonengesellschaft gegenüber, so dass hier strukturell ein Entnahmeüberschuss iSd. § 34a Abs. 4 Satz 1 EStG entstehen kann, der zur Nachversteuerung führt. Zwecks Beseitigung oder zumindest Abmilderung der vorstehend skizzierten Schwachstellen des § 34a EStG sind in der jüngeren Vergangenheit verschiedene Gesetzgebungsinitiativen gestartet worden.98 Bereits im Juni 2018 hat das Land Nordrhein-Westfalen im Bundesrat einen Entschließungsantrag zur Modernisierung der Unternehmensbesteuerung eingebracht,99 in dem ua. folgende Punkte zur Reform des § 34a EStG gefordert werden: –

Einbeziehung von auf den Begünstigungsbetrag entfallenden Ertragsteuern (GewSt., ESt.) in den Begünstigungsbetrag (dann: Anpassung der Nachversteuerung bei späterer Entnahme);



Anwendung des individuellen Steuersatzes iVm. dem Teileinkünfteverfahren für die Nachversteuerung;



Festlegung eines Entnahmevolumens, bis zu dem laufende Entnahmen aus Altrücklagen auch während der Anwendung der Thesaurierungsbegünstigung möglich sind;



bei Einbringung des Personenunternehmens in eine Kapitalgesellschaft: Übergang des nachversteuerungspflichtigen Betrags auf die

97 Bei einer nur vorübergehenden Wertminderung besteht handelsbilanziell für Finanzanlagen des Anlagevermögens ein Abschreibungswahlrecht (§ 253 Abs. 3 Satz 6 HGB). 98 Vgl. kritisch hierzu Wacker, DStR 2019, 585 (590 ff.). 99 Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen, Entschließung des Bundesrats „Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland – Schritte zu einer modernen wettbewerbsfähigen Unternehmensbesteuerung“, BR-Drucks. 310/18.

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übernehmende Kapitalgesellschaft und dort Erhöhung des ausschüttbaren Gewinns iSd. § 27 KStG; –

Einbeziehung der Feststellung nach § 34a Abs. 10 EStG als unselbständiger Bestandteil in die einheitliche und gesonderte Feststellung.

Daneben hat die Arbeitsgruppe Finanzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Januar 2019 ein Impulspapier zur Modernisierung des Unternehmensteuerrechts in Deutschland veröffentlicht, in dem ua. die folgenden Reformvorschläge für § 34a EStG enthalten sind: –

Tarifabsenkung des Thesaurierungssatzes unter Berücksichtigung der Steuerentnahmen und der GewSt. als nicht abziehbare Betriebsausgabe;



Festlegung eines Entnahmevolumens, bis zu dem laufende Entnahmen aus Altrücklagen auch während der Anwendung der Thesaurierungsbegünstigung möglich sind.

Der Fortgang der vorstehend skizzierten Gesetzgebungsinitiativen bleibt abzuwarten. Eine Reform des § 34a EStG in diesem Sinne dürfte jedenfalls wesentlich dazu beitragen, die Zahl der Stpfl., welche die Thesaurierungsbegünstigung in Anspruch nehmen, zu erhöhen.

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Unechte Realteilung Thorsten Kontny Ministerialrat, Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf Prof. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn I. Einleitung II. Rechtliche Grundlagen 1. Überblick über die jüngere Rechtsentwicklung 2. Die Regelung im Einzelnen III. Diskussion ausgewählter Problemfälle und Gestaltungsüberlegungen 1. Grundfall 2. Grundfall mit Sonderfragen 3. Rückverpachtung 4. Teilweise Übertragung in das Privatvermögen – Mögliche Drittwirkungen 5. Spitzenausgleich 6. Übernahme Verbindlichkeiten statt Spitzenausgleich a) Grundfall

7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

b) Alternativ: Übernahme von Verbindlichkeiten aus dem Sonderbetriebsvermögen II Übertragung auf Schwestergesellschaften? Übertragung Mandate Privatvermögen Abfindung in Geld Zeitnahe Einlagen Besonderheiten bei Körperschaften Realteilung von Kapitalgesellschaften a) Ausgangslage b) Formwechsel in KG c) Realteilung

IV. Zusammenfassung

I. Einleitung „Unecht, und doch Real“. Die Wortschöpfung der „unechten Realteilung“ mag ein Hinweis auf die Komplexität des deutschen (Steuer)Rechts sein. Gleichwohl lohnt sich die Beschäftigung mit dieser Materie, da die Rechtsentwicklung der letzten Jahre das Rechtsinstitut der Realteilung für weitere, wichtige praxisrelevante Fallgruppen zugänglich gemacht hat, die damit von der Möglichkeit einer Buchwertfortführung Gebrauch machen können. Die nachfolgenden Ausführungen sollen einen Überblick über den Stand der aktuellen Rechtsentwicklung sowie die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, Probleme und fortbestehenden Beschränkungen geben. 137

Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

II. Rechtliche Grundlagen 1. Überblick über die jüngere Rechtsentwicklung Mit seinem Urteil vom 17.9.20151 hat der III. Senat des BFH eine neue Entwicklung in der steuerlichen Behandlung der Realteilung eingeläutet. Gingen bis dahin Rspr.2 und FinVerw.3 noch davon aus, dass unter einer Realteilung ertragsteuerlich die „Aufgabe einer Mitunternehmerschaft durch Aufteilung des Gesellschaftsvermögens unter den Mitunternehmern zu verstehen sei, bei der zumindest einer der bisherigen Mitunternehmer ihm bei der Aufteilung zugewiesene Wirtschaftsgüter in ein anderes Betriebsvermögen überführt“, beschritt der III. Senat nunmehr neue Wege. Nach seiner Auffassung könne eine Realteilung auch dann vorliegen, „wenn ein Mitunternehmer unter Übernahme eines Teilbetriebs aus der Mitunternehmerschaft ausscheidet und die Mitunternehmerschaft von den verbliebenen Mitunternehmern fortgesetzt wird.“ Zur Sicherstellung der neuen Rechtsauffassung stimmte sich der III. Senat mit zwei weiteren Senaten des BFH (IV. Senat und VIII. Senat) ab. Nach kurzem Zögern schloss sich die FinVerw.4 der Auffassung des BFH an, beschränkte diese jedoch auf die streitentscheidende Fallgestaltung des Ausscheidens aus einer Mitunternehmerschaft unter Übernahme eines Teilbetriebs. Weiterhin keine begünstigte Realteilung iSv. § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG war danach das Ausscheiden unter Mitnahme von Einzelwirtschaftsgütern aus der real zu teilenden Mitunternehmerschaft. Bereits kurze Zeit später hatte jedoch der IV. Senat5 Gelegenheit, die Realteilung weiter zu konturieren und entschied abweichend von der Verwaltungsauffassung, dass auch das „Ausscheiden eines Mitunternehmers aus der Mitunternehmerschaft gegen Sachwertabfindung aus dem mitunternehmerischen Vermögen“ eine Realteilung darstellt, wenn „die Abfindung nicht in der Übertragung eines Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils, sondern in der Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter besteht.“ Bereits vierzehn Tage zuvor nutzte der IV. Senat6 in einer weiteren Entscheidung die Gelegenheit, dem Ganzen eine griffige Bezeichnung zu geben. Fortan sollte eine Realteilung unter Auflösung der Mit1 2 3 4

BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567. BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242 = FR 2013, 1080 mwN. BMF v. 28.2.2006 – IV B 2 - S 2242 – 6/06, BStBl. I 2006, 228 = FR 2006, 339. BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004 – DOK 2016/1109299, BStBl. I 2017, 36 = FR 2017, 304. 5 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29. 6 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32.

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unternehmerschaft und Verteilung des Betriebsvermögens als „echte“ Realteilung benannt werden und das Ausscheiden mindestens eines Mitunternehmers unter Mitnahme von mitunternehmerischem Vermögen aus einer zwischen den übrigen Mitunternehmern fortbestehenden Mitunternehmerschaft als „unechte“ Realteilung. Die FinVerw. übernahm in ihrem aktualisierten BMF-Schreiben vom 19.12.20187 sowohl die Rechtsauffassung des BFH als auch die neuen Bezeichnungen. Nach Auffassung des BFH gründet sich die neue Rechtsprechungslinie bei der Realteilung im Wesentlichen auf den Sinn und Zweck der Regelung, Umstrukturierungsmaßnahmen durch die steuerneutrale Übertragung von Betriebsvermögen zu erleichtern, sofern das unternehmerische Engagement in anderer Form fortgesetzt wird.8 Der Aufschub der Besteuerung habe personenbezogen und objektbezogen zugunsten des Realteilers zu erfolgen, der das unternehmerische Engagement hinsichtlich des erhaltenen Vermögens in einem anderen Betriebsvermögen fortsetzt. Der BFH stützt sich in seiner Rechtsprechungsentwicklung auch auf die Gesetzesbegründung9 zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/200210, wonach unter einer Realteilung auch Sachverhalte zu verstehen sind, „in denen die Gesellschafter einer Mitunternehmerschaft ihr gemeinschaftliches Engagement beenden und dabei die Mitunternehmerschaft entweder gänzlich auflösen und alle Wirtschaftsgüter in ihre anderen Betriebsvermögen oder ggf. in ihr Privatvermögen überführen oder die Mitunternehmerschaft zwar bestehen bleibt, jedoch Teile des Betriebsvermögens dem ausscheidenden Gesellschafter als Abfindung überlassen werden.“ Ob der gesetzgeberische Wille tatsächlich dahin ging, unter einer Realteilung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG sowohl eine „echte“ als auch eine „unechte“ Realteilung zu verstehen, kann jedenfalls vor dem Hintergrund hinterfragt werden, dass sich die vorgenannte Begründung auf eine andere gesetzliche Fassung der Realteilung mit einer von der heutigen Regelung stark abweichenden Rechtsfolge bezieht. Die Realteilung des StEntlG 1999/2000/2002 regelte nämlich die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter als (steuerpflichtige) Betriebsaufgabe und wendete im Übrigen bei

7 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93. 8 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 14/6882, 34. 9 BT-Drucks. 14/23, 178. 10 BGBl. I 1999, 402.

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der Übertragung von Mitunternehmeranteilen (trotz der grundsätzlichen Entgeltlichkeit des Vorgangs) § 6 Abs. 3 EStG entsprechend an. Hintergrund der meisten Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Mitunternehmerschaften ist auch immer die Frage nach der Anwendung eines tragfähigen Grundkonzepts bei der Besteuerung bzw. Begünstigung von Umstrukturierungen. Hierbei stehen insbes. das sog. Subjektsteuerprinzip, das Realisationsprinzip und das Entstrickungs- bzw. Kontinuitätsprinzip in einem gewissen Spannungsverhältnis. Grundsätzlich geprägt ist das Ertragsteuerrecht vom sog. Subjektsteuerprinzip. Danach hat eine Besteuerung nach der steuerlichen Leistungsfähigkeit bei der einzelnen natürlichen oder juristischen Person zu erfolgen, der das Einkommen zuzurechnen ist bzw. bei der die stillen Reserven gebildet wurden. Grundsätzlich müsste daher jeder (steuerliche) Rechtsträgerwechsel zu einer Gewinnrealisierung führen. Ausnahmen lässt das Steuerrecht allerdings im Bereich bestimmter Umstrukturierungen zu, so dass die Steuer erst bei einem zukünftigen Realisationsakt durch den neuen übernehmenden Rechtsträger anfällt. Im Rahmen der Realteilung findet insbes. bei der Anwendung der sog. Kapitalkontenanpassungsmethode11 eine Ausnahme vom Subjektsteuerprinzip statt, da es zu einem Überspringen stiller Reserven zwischen den Realteilern kommt. Hierbei verfolgt das Gesetz den sog. Kontinuitätsgrundsatz12 und räumt diesem insoweit Vorrang vor dem Subjektsteuerprinzip ein. Eine allgemeine Systematik, die einem der Prinzipien einen Vorrang einräumt, ist allerdings kaum erkennbar. Keine Realteilung stellt sowohl nach Auffassung der Rspr. als auch nach Auffassung der FinVerw. die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter unter Minderung von Gesellschaftsrechten dar, bei der der übertragende Mitunternehmer Gesellschafter der Mitunternehmerschaft bleibt. Insoweit findet § 6 Abs. 5 EStG (vorrangig) Anwendung. Hierbei ist jedoch anders als bei der Realteilung die sog. Trennungstheorie13 zu beachten, bei der die Übernahme von Verbindlichkeiten zu einer Aufdeckung von stillen Reserven führt. Das „Rein in die Mitunternehmerschaft“ wird in Bezug auf einzelne Wirtschaftsgüter auch in § 6 Abs. 5 EStG geregelt und im Übrigen durch § 24 UmwStG. Letztere Norm begünstigt allerdings nur die Übertragung von Sachgesamtheiten (Betrieb, Teilbetrieb und Mitunternehmeranteil).

11 StRspr., vgl. ua. BFH v. 10.2.1972 – IV 317/65, BStBl. II 1972, 419. 12 Vgl. Wendt, FR 2016, 536. 13 Zum Streitstand vgl. ua. Becker, DB 2019, 326.

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2. Die Regelung im Einzelnen § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ist nach den vorgenannten Grundsätzen einschlägig, wenn im Zuge der Realteilung einer Mitunternehmerschaft Teilbetriebe, Mitunternehmeranteile oder einzelne Wirtschaftsgüter in das jeweilige Betriebsvermögen der einzelnen Mitunternehmer übertragen werden. Bei der Ermittlung des Gewinns der Mitunternehmerschaft sind – sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist – die Wirtschaftsgüter zwingend mit den Buchwerten anzusetzen. Der übernehmende Mitunternehmer ist an diese Werte gebunden. Werden bei der Realteilung mit einzelnen Wirtschaftsgütern Grund und Boden sowie Gebäude oder andere wesentliche Betriebsgrundlagen innerhalb einer Sperrfrist nach der Übertragung veräußert oder entnommen, ist für den jeweiligen Übertragungsvorgang gem. § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG rückwirkend der gemeine Wert anzusetzen. Diese Sperrfrist endet drei Jahre nach Abgabe der Steuererklärung der Mitunternehmerschaft (Feststellungserklärung) für den Veranlagungszeitraum der Realteilung. Dabei sind nach Auffassung der Finanzverwaltung14 alle Arten von Folgeumwandlungen (auch zum Buchwert) auf Dritte (aber auf keinen der Realteiler) schädlich. Im Fall einer Realteilung unter Übertragung von Mitunternehmeranteilen, Betrieben oder Teilbetrieben findet die Sperrfrist keine Anwendung. Die Regelungen zur Realteilung werden zudem von zwei sogenannten Körperschaftsklauseln flankiert. Zum einen scheitert gem. § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG bei einer Realteilung, bei der einzelne Wirtschaftsgüter übertragen werden, der Buchwertansatz, soweit die Wirtschaftsgüter unmittelbar oder mittelbar auf eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse übertragen werden; in diesem Fall ist bei der Übertragung der gemeine Wert anzusetzen. Zum anderen wird in § 16 Abs. 5 EStG geregelt, dass bei einer Realteilung, bei der Teilbetriebe auf einzelne Mitunternehmer übertragen werden, Anteile an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse unmittelbar oder mittelbar von einem nicht von § 8b Abs. 2 KStG begünstigten Stpfl. auf einen von § 8b Abs. 2 KStG begünstigten Mitunternehmer übertragen werden, der Buchwertansatz rückwirkend auf den Zeitpunkt der Realteilung durch den

14 Vgl. BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002:004 – DOK 2016/1109299, BStBl. I 2017, 36 = FR 2017, 304.

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Ansatz des gemeinen Werts ersetzt wird; Dies jedoch nur, wenn der übernehmende Mitunternehmer die Anteile innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach der Realteilung unmittelbar oder mittelbar veräußert oder durch einen Vorgang nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 1–5 UmwStG weiter überträgt. § 22 Abs. 2 Satz 3 UmwStG gilt dabei entsprechend. Zur weiteren Anwendung der Realteilung aus Sicht der Finanzverwaltung vgl. BMF-Schreiben vom 19.12.2018.15

III. Diskussion ausgewählter Problemfälle und Gestaltungsüberlegungen 1. Grundfall

A

B

C BV

• •

C verlässt die MU-schaft A und B führen die MU-schaft fort



Die Abfindung erfolgt durch die Übertragung von Teilen des Betriebsvermögens in ein BV des C

Die vorstehende Fallkonstellation stellt sozusagen den „Schulfall“ der unechten Realteilung dar. Hier scheidet aus einer mehrgliedrigen Mitunternehmerschaft ein Mitunternehmer unter Mitnahme von mitunternehmerischen Vermögen (Zivilrecht: „Naturalteilung“) aus der zwischen den übrigen Mitunternehmern fortbestehenden Mitunternehmerschaft aus. Damit werden die Grundelemente der unechten Realteilung alle erfüllt, da die Mitunternehmerschaft selbst nicht aufgelöst wird, sondern fortbesteht und eine Sachwertabfindung an den ausscheidenden Gesellschafter in dessen Betriebsvermögen erfolgt.16 Entgegen der früher vertretenen Ansicht bleibt daher nach jüngerer Rspr. die Realteilung vorliegend

15 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93. 16 Vgl. BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32.

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zwingend erfolgsneutral.17 Die Mitunternehmer sind also sogar gezwungen, in diesem Fall die steuerlichen Buchwerte fortzuführen. Es besteht kein Wahlrecht.18 Dogmatisch wird hierbei eine Aufgabe des Mitunternehmeranteils durch den aus der Mitunternehmerschaft ausscheidenden Gesellschafter gesehen, dh. Beendigung der dreigliederigen und Neugründung der zweigliederigen Mitunternehmerschaft. Diese mussgleichwohl zum Buchwert erfolgen, soweit die stillen Reserven bei diesem Realteiler weiterhin in dessen Betriebsvermögen im Inland steuerverstrickt bleiben. Soweit die Buchwerte der Sachwertabfindung nicht dem Kapitalkonto des ausscheidenden Mitunternehmers entsprechen, sind die Kapitalkonten der verbleibenden Mitunternehmer sowie des ausscheidenden Realteilers erfolgsneutral auf- bzw. abzustocken, wodurch auch stille Reserven zwischen den Beteiligten überspringen können (lediglich ein Überspringen auf Dritte wäre schädlich).19

2. Grundfall mit Sonderfragen •

A

B

C



C verlässt die MU-schaft, das Kapitalkonto ist negativ A und B führen die MU-schaft fort



Die Abfindung von C erfolgt durch die 

BV  

Übertragung von Teilen des Betriebsvermögens das negative Kapitalkonto muss nicht ausgeglichen werden C erhält weiterhin aus dem Gesamthandsvermögen 50.000 € zusätzlich um weitere Streitigkeiten im Rahmen der Auseinandersetzung zu beenden.

Auch hier liegt im Grundsatz eine unechte Realteilung unter Buchwertfortführung vor, da der ausscheidende Gesellschafter das auf ihn überge-

17 Vgl. BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567 Tz. 28. 18 Vgl. BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567 Tz. 29. 19 Vgl. BFH v. 10.12.1991 – VIII R 69/86, BStBl. II 1992, 385 = FR 1992, 368; ebenso BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 22 („Kapitalkontenanpassungsmethode“).

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hende Betriebsvermögen wiederum als solches fortführt. Weitergehende Fragen ergeben sich allerdings aus der Tatsache, dass das negative Kapitalkonto nicht ausgeglichen werden muss und darüber hinaus weitere 50.000 t aus dem Gesamthandsvermögen an den ausscheidenden Gesellschafter gewährt werden. Der Verzicht der verbleibenden Gesellschafter auf den Ausgleich des negativen Kapitalkontos wird nicht als ertragsneutraler Vorgang im Rahmen der Kapitalkontenanpassungsmethode gesehen, sondern als sonstige Gegenleistung aufgrund der darin liegenden Freistellung von der grundsätzlich bestehenden Verpflichtung zum Ausgleich eines negativen Kapitalkontos.20 Mit anderen Worten: das negative Kapitalkonto ist zB nicht (erst) im Rahmen der Kapitalkontenanpassung entstanden, sondern zuvor im „laufenden Betrieb“. Entsprechend lag eine Ausgleichsverpflichtung des C vor. Auch die Zahlung iHv. 50.000 t gilt als zusätzlicher Veräußerungspreis, da dieser Betrag nicht als Teil der der „wertparitätischen Ausgleichsmasse“ (Wert des Anteils im Vergleich zu dem Wert der Sachwertabfindung) und damit einem der Realteilungsmasse gewertet wird, sondern als zusätzliche (Gegen)Leistung und damit als Veräußerungspreis beurteilt wird. Entsprechend ergibt sich in dieser Höhe (abzüglich Veräußerungsund Beratungskosten) trotz der grundsätzlich zu Buchwerten erfolgenden unechten Realteilung ein steuerpflichtiger Aufgabegewinn gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG. Ein Fall eines Spitzenausgleichs sollte dagegen nicht vorliegen, da es vorliegend zum einen nicht um einen Wertausgleich ging und darüber hinaus die Leistungen auch nicht aus den eigenen Mitteln eines bzw. der Mitunternehmer(s), sondern aus der Mitunternehmerschaft selbst geleistet wurden (siehe hierzu auch unter III.5. „Spitzenausgleich“).21

20 Vgl. FG Nürnb. v. 21.2.2018 – 4 K 1425/15, EFG 2018, 1969, in Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde im Ergebnis bestätigend BFH v. 3.7.2019 – VIII B 86/18, BFH/NV 2019, 1130. 21 Vgl. FG Nürnb. v. 21.2.2018 – 4 K 1425/15, EFG 2018, 1969, in Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde im Ergebnis bestätigend BFH v. 3.7.2019 – VIII B 86/18, BFH/NV 2019, 1130.

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3. Rückverpachtung •

C hat vor vielen Jahren die Gesellschaft gegründet und möchte nun in den wohlverdienten Ruhestand – und zwar möglichst

A

B

C EUR B V Rückvermietung



steuerfrei Man erwägt daher folgende Gestaltung:  A und B behalten in der MU-schaft das gesamte „operative“ Vermögen  C erhält alle Grundstücke und Gebäude (ca. 80% des Gesamtwerts) sowie  erhebliche liquide Mittel (ca. 20%)  C willkürt diese WG als SBV bei einer hierzu errichteten C-GmbH & Co KG  Abschluss eines Mietvertrags zwecks „Rückvermietung“ an die sich realteilende MU-schaft

Wiederum liegt im Grundsatz ein Fall der unechten Realteilung vor. Zweifelhaft könnte vorliegend ggf. sein, dass kein Teilbetrieb, sondern nur einzelne wesentliche Betriebsgrundlagen sowie erhebliche liquide Mittel Gegenstand der „Sachwertabfindung“ darstellen, die darüber hinaus zT auch weiterhin von der Mitunternehmerschaft genutzt werden. Gleichwohl wird man vorliegend davon ausgehen können, dass trotz der selektiven und erkennbar zielgerichteten Zusammensetzung der Sachwertabfindung von einer Buchwertprivelegierung auszugehen ist. Denn sowohl die höchstrichterliche Rspr.22 als auch die FinVerw.23 bejahen, dass –

auch Einzelwirtschaftsgüter Gegenstand der Sachwertabfindung sein können



und auch die Zuordnung von liquiden Mitteln24 dem Grunde nach unschädlich bleibt.

22 Vgl. BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29. 23 BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93. 24 BMF v. 19.12.2008 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 3; BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567 Tz. 44. Nach dieser Entscheidung sei auch die Zuordnung erhebliche liquide Mittel (Geld und Forderung) jedenfalls dann unschädlich, wenn

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Die anschließende Rückvermietung sollte gleichfalls unschädlich sein. Da im Zeitpunkt der Rückvermietung keine Gesellschafterstellung mehr besteht, sollte die Rückvermietung zum einen nicht wiederum zu einer Einbuchung in das Sonderbetriebsvermögen bei der verbleibenden AB-KG führen, sondern ein übliches „Drittgeschäft“ darstellen. Auch aus der Tatsache, dass das BMF-Schreiben zur Realteilung ausschließlich eine anschließende Betriebsverpachtung im Ganzen anspricht,25 sollte sich nichts anderes ergeben, da sich diese Ausführungen lediglich auf die Frage beziehen, ob dies zu einer Betriebsaufgabe führt (die dergestalt schädlich wäre, als dadurch die Fortführung als Betriebsvermögen nicht gegeben wäre). Da bei dem vorliegenden Sachverhalt allerdings annahmegemäß eine Widmung der Sachwertabfindung im Sonderbetriebsvermögen der C-KG erfolgte, sollten diesbezüglich keine entsprechenden (Sonder)Probleme entstehen. Die (Rück)Vermietung sollte auch unter Gesichtspunkten eines Gesamtplans bzw. von § 42 AO unkritisch sein, da erkennbar hier eine tatsächliche Struktur und Vermögenstrennung zwischen den Gesellschaftern geschaffen wird, die zu einer dauerhaften Trennung von Vermögensteilen, Belastung der AB-KG durch Mietaufwand einerseits sowie korrespondierenden Einkünften des C andererseits führen, die sich ihrerseits auch nicht vorrangig nur aus einer steuerlichen Gestaltungsmotivation erklären bzw. begründen lassen. Eine solche Gestaltung ähnelt womöglich bzgl. der vorgenommenen Trennung im wirtschaftlichen Ergebnis einer Schenkung eines Mitunternehmeranteils iSv. § 6 Abs. 3 EStG unter vorheriger Ausgliederung von wesentlichen Betriebsgrundlagen gem. § 6 Abs. 5 EStG. Der BFH26 hat die Buchwertneutralität der Gestaltung nicht in Frage gestellt. Nachdem die FinVerw. das Urteil zunächst nicht im BStBl. Teil II veröffentlichte,27 folgt die Verwaltung nunmehr jedoch auch dieser Rspr. (Aufgabe Gesamtplanbetrachtung).28

25 26 27 28

die Gesellschafter hierfür nicht kurz vor dem Ausscheiden Einlagen leisten oder Darlehen aufnehmen. Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 14. Vgl. BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFHE 238, 135 = BStBl. II 2019, 715 = FR 2012, 1113. Vgl. hierzu auch BMF v. 13.9.2013 – BStBl. I 2013, 1164 (Nichtanwendungserlass). Vgl. BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003 – DOK 2019/0964762, BStBl. I 2019, 1291 = FR 2020, 52 Tz. 10.

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4. Teilweise Übertragung in das Privatvermögen – Mögliche Drittwirkungen Womöglich bestehen gewisse Wertungsunterschiede bzw. -widersprüche bezüglich der steuerlichen Behandlung einer anteiligen Übertragung der Sachwertabfindung in das Privatvermögen zwischen der echten und unechten Realteilung. So geht jedenfalls die FinVerw. in Folge der BFHRspr.29 davon aus, dass im Fall der echten Realteilung in das Privatvermögen übertragene Wirtschaftsgüter Entnahmen der Realteilungsgemeinschaft seien. Im Fall der unechten Realteilung realisiere dagegen der ausscheidende Gesellschafter einen Veräußerungsgewinn und die verbleibenden Mitunternehmer dagegen einen laufenden Gewinn aus der Veräußerung der in das Privatvermögen des ausgeschiedenen Mitunternehmers übertragenen Wirtschaftsgüter. Entsprechend seien bei diesem die Buchwerte anteilig aufzustocken.30 Erkennbar führt damit die Übertragung in das Privatvermögen nicht nur bei dem Gesellschafter, der diese Überführung vornimmt, zu Steuerfolgen, sondern jeweils auch bei seinen (ehemaligen) Mitunternehmern. Jedenfalls für den Fall der echten Realteilung lässt allerdings das BMF zu, dass abweichend von einer Zuordnung nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel der Gewinn allein dem entnehmenden bzw. veräußernden Realteiler zuzurechnen ist, wenn dies dem Gesellschaftsvertrag oder einer von den Mitunternehmern schriftlich getroffenen Vereinbarung zu entnehmen ist.31 Ob dies auch für Fälle der unechten Realteilung zugelassen wird, bleibt dagegen offen. Hierfür könnte einerseits sprechen, dass im Grundsatz auch nach Ansicht des BMF echte und unechte Realteilung gleich behandelt werden sollen.32 Und damit (eigentlich) gelten sollte, dass immer dann, wenn keine expliziten Gegenausnahmen gemacht werden (die nach diesem Grundsatz eigentlich auch gar nicht denkbar wären), auch die gleichen Grundsätze greifen sollten. Dagegen könnte sprechen, dass das BMF-Schreiben die ausschließliche Zurechnung des Gewinns nur zu dem 29 Vgl. BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32 Rz. 42. 30 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 9 f.; so auch BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567. 31 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 29, dort allerdings zur Verteilung des Entnahmegewinns bei Verletzung der Sperrfrist nach § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG. 32 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 4.

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entnehmenden Mitunternehmer explizit auf Fälle der echten Realteilung begrenzt und damit womöglich die unechte Realteilung hiervon ausnehmen möchte. Zudem handelt es sich bei der echten Realteilung um die Verteilung eines Entnahmegewinns, wohingegen es sich bei der unechten Realteilung um die Verteilung eines Veräußerungsgewinns handelt. Eine Rücksprache mit der Finanzverwaltung erscheint insoweit ratsam. Vor dem Hintergrund der jüngeren BFH-Rspr. des IV. Senats,33 die sowohl bei der echten als auch bei der unechten Realteilung einheitlich von einer Betriebsaufgabe ausgeht, wäre eine Unterscheidung in zwei Fallgruppen wohl nur noch schwer vertretbar, so dass man (eigentlich) annehmen müsste, dass in beiden Fällen eine entsprechende gesellschaftsrechtliche bzw. sonstige Abrede zwischen den Mitunternehmern, auch für steuerliche Zwecke, anzuerkennen sein sollte. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 16.3.201734 ausgeführt, dass, soweit keine Fortführung in einem „eigenen“ Betriebsvermögen erfolge, auf Ebene der Gesellschaft insoweit ein Aufgabegewinn entstehe, der den einzelnen Realteilern entsprechend der allgemeinen Gewinnverteilungsquote zugerechnet wird. Unklar bleibt an dieser Stelle, ob dies die generelle Sichtweise des BFH ist, oder ob er sich an dieser Stelle mit der Sonderfrage einer abweichenden Vereinbarung zwischen den Mitunternehmern nicht auseinandersetzen musste oder wollte, weil der betreffende Sachverhalt hierfür keinen Anlass bot. Nach jüngeren Äußerungen des gegenwärtig Vorsitzenden Richters des IV. Senats könnte sich hier ggf. eine Konkretisierung bzw. Änderung der Rspr. dergestalt ergeben, dass § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG analog zur Anwendung gelangt. Danach wären dann wohl die Entnahmegewinne personenindividuell nur dem in das Privatvermögen überführenden Gesellschafter zuzurechnen, wodurch anderenfalls eintretende Drittwirkungen insoweit dann sachgerecht vermieden würden.35

33 Vgl. z.B. BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32 Tz. 29, 32. 34 Vgl. BFH 16.3.2017 – IV R 31/14, BStBl. II 2019, 24 = FR 2019, 32 Tz. 42. 35 Vgl. Wendt, StbJb. 2019/2020, 3 (13).

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5. Spitzenausgleich •

Der TB bzw. die WG, die an C gehen, sind 2 Mio. € mehr wert, als sein Anteil

A

B

C •

Er muss daher an A und B je 1 Mio. € zahlen



Insoweit entgeltliche Veräußerung/Anschaffung

BV

Ein sog. Spitzenausgleich liegt dann vor, wenn ein Mitunternehmer aus eigenen Mitteln einen Ausgleich an die anderen leistet, um zB Wertunterschiede zwischen dem Wert des Anteils an der Gesellschaft einerseits und dem Wert der Sachwertabfindung andererseits auszugleichen.36 Diese Zahlung wird nach Ansicht der FinVerw. als Veräußerung durch die verbleibenden Mitunternehmer bzw. Anschaffungsgeschäft durch den ausscheidenden Gesellschafter qualifiziert. Nach Ansicht der FinVerw. können dabei die anteiligen, diesem entgeltlichen Geschäft zugrunde liegenden Buchwerte gegen den Betrag des Spitzenausgleichs gegengerechnet werden und gelten im Rahmen der unechten Realteilung als laufender Gewinn, der hier (anders bei einer echten Realteilung, an der nur natürliche Personen teilnehmen) auch zum laufenden Gewerbeertrag zählen soll.37 Demgegenüber scheint die Rspr. (bislang) die Ansicht zu vertreten, dass im Fall eines Spitzenausgleichs dieser in voller Höhe und damit ohne Gegenrechnung anteiliger Buchwerte zu einem Veräußerungsgewinn führt.38 Vielmehr bleibe es einerseits generell (und isoliert) bei einer 36 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 16 sowie BFH v. 11.4.2013 – III R 32/12, BStBl. II 2014, 242 = FR 2013, 1080. 37 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 17, 19, 21. 38 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567 Tz. 61–63, wobei der BFH hier darstellt, dass es im vorliegenden Fall dahinstehen könne und dieses Urteil Kritik erfahren habe, mit Verweis auf BFH v. 1.12.1992 – VIII R 57/90, BStBl. II 1994, 607 = GmbHR 1993, 830. Weiterhin folgte das FG

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Buchwertfortführung bzgl. des gesamten übergehenden Betriebsvermögens sowie andererseits bei einer (wiederum isoliert) daneben stehenden Ausgleichszahlung, die (aber) daher weder zu einer anteiligen Gegenrechnung der unterliegenden Buchwerte bei den „Veräußerern“ noch zu einer Aufstockung bei dem „Erwerbenden“ berechtigen soll.39 Da insoweit allerdings, als ein Spitzenausgleich gezahlt wird, der Realteiler zusätzliches Betriebsvermögen (über den Wert seines Sachwertabfindungsanspruchs hinaus) von der Mitunternehmerschaft erwirbt, erscheint es (eigentlich) nur schwer vertretbar, die diesen Wirtschaftsgütern zugrunde liegenden Buchwerte nicht im Rahmen des hieraus resultierenden Veräußerungsgewinns gewinnmindernd zu berücksichtigen bzw. dem Erwerber eine Aufstockung auf den Erwerbspreis zu versagen. Dies widerspräche zum einen den allgemeinen Gewinnermittlungsgrundsätzen und zum anderen auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, da sich insoweit die Anschaffungskosten nicht auswirken würden. Allein die Auffassung der FinVerw. führt daher zu einem zutreffenden Besteuerungsergebnis.40

6. Übernahme Verbindlichkeiten statt Spitzenausgleich a) Grundfall

A

B

C

2 Mio. € Verbindlichkeiten

• BV



Der TB bzw. die WG, die an C gehen, sind 2 Mio. € mehr wert, als sein Anteil C übernimmt neben „seinem“ TB daher weitere 2 Mio. € Verbindlichkeiten aus dem Gesamthandsvermögen

Nürnberg der vorgenannten Entscheidung aus 1992, FG Nürnb. v. 21.2.2018 – 4 K 1425/15, EFG 2018, 1969, bestätigt im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde durch BFH v. 3.7.2019 – VIII B 86/18, BFH/NV 2019, 1130. 39 So auch erneut BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, GbmHR 2019, 498. 40 So im Ergebnis zB auch Stenert, DStR 2019, 245 (250).

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Statt der Barzahlung zwischen den Mitunternehmern (wie im vorangegangenen Beispiel dargestellt), die unzweifelhaft als Spitzenausgleich qualifiziert, werden in dieser Fallvariante der Sachwertabfindung „zusätzlich“ 2 Mio. t Verbindlichkeiten der Gesamthandsgemeinschaft dem ausscheidenden „C“ zugeordnet. Erkennbar dient diese Fallgestaltung dazu, den Anteilswert des ausscheidenden Gesellschafters entsprechend „einzustellen“ (zu reduzieren). Vor diesem Hintergrund könnte man fraglich stellen, ob es sich hierbei um eine sonstige Gegenleistung (Entgelt) handelt, aufgrund deren insoweit wiederum nicht von einer erfolgsneutralen Übertragung auszugehen sei. Anders aber als zB im Rahmen von Überführungen gem. § 6 Abs. 5 EStG können in Realteilungsfällen „selbstverständlich“ auch Verbindlichkeiten Teil der Sachwertabfindung darstellen (jedenfalls unzweifelhaft dann, wenn es sich tatsächlich um Verbindlichkeiten der Mitunternehmerschaft handelt, die auch nicht in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang zu der dargestellten Maßnahme erst „künstlich“ generiert wurden). Da darüber hinaus, und insoweit auch in Abweichung zB zu § 24 UmwStG, weiterhin keine Voraussetzung ist, dass jeweils nur Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile Gegenstand der Übertragung sein können, sondern vielmehr auch Einzelwirtschaftsgüter, erscheint auch kein Argument dahingehend möglich, dass Schulden, die gerade nicht zu der qualifizierenden betrieblichen Einheit (zB Teilbetriebe) originär gehören (zB Lieferantenverbindlichkeiten aus übergehenden Vorratsvermögen oder ähnlichem), als „künstliche, zusätzliche Schulden zugeordnet seien“ und daher eine schädliche sonstige Gegenleistung darstellen würden. Gleichfalls dürfte zu verneinen sein, dass es sich hier um eine „schädliche reziproke“ Zuordnung von Finanzmitteln handelt, da faktisch durch die Zuordnung der Verbindlichkeiten zu dem ausscheidenden Gesellschafter sich die Netto-Finanzposition der verbleibenden Gesellschafter entsprechend verbessert. Da auch eine Zuordnung von liquiden Mittel zu dem ausscheidenden Gesellschafter als unschädlich gilt, kann im Umkehrschluss (Verbesserung der Nettoliquidität der verbleibenden Gesellschafter) nichts anderes gelten. Im Ergebnis sollte daher auch diese Vorgehensweise von der geltenden Rechtslage gedeckt sein.41

41 So auch Neufang/Schäfer, StB 2019, 167 (172).

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b) Alternativ: Übernahme von Verbindlichkeiten aus dem Sonderbetriebsvermögen II Übernahme je 1 Mio. € Verbindlichkeiten

• A

B

C • BV

Der TB bzw. die WG, die an C gehen, sind 2 Mio. € mehr wert, als sein Anteil. C übernimmt neben „seinem“ TB daher je 1 Mio. € Verbindlichkeiten aus dem SBV II von A und B (die jeweils aus dem Erwerb deren Anteile an der MU-schaft stammen)

In dieser Variante handelt es sich im Grundsatz um die gleiche Ausgangslage und den grundsätzlich gleichen Lösungsansatz zur Vermeidung eines Spitzenausgleich wie zuvor. Die Besonderheit bzw. Abweichung besteht allerdings darin, dass anders als im vorherigen Fall keine Schulden aus dem Gesamthandsvermögen der Sachwertabfindung zugewiesen werden, sondern vielmehr Schulden aus dem Sonderbetriebsvermögen übernommen werden. Hieraus ergibt sich die Besonderheit, dass zwar einerseits weiterhin der Tatbestandsvoraussetzung genügt wird, dass die Sachwertabfindung aus dem Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft gespeist wird, es sich aber andererseits nicht (mehr) um Gesamthandsvermögen handelt. Aus zivilrechtlicher Sicht liegt vielmehr eine (negative) Ausgleichszahlung zwischen den Gesellschaftern vor. Lediglich aus steuerlicher Sicht wird dies womöglich durch die Betriebsvermögenseigenschaft der verursachungsgerechten Zuordnung („notwendiges Sonderbetriebsvermögen“) der Verschuldung überdeckt. Aufgrund dieser Wertungsunterschiede dürfte diese Alternativstruktur in der Beurteilung (weit?) weniger eindeutig sein als der vorangegangene Grundfall der Schuldübernahme aus dem Gesamthandsvermögen.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

7. Übertragung auf Schwestergesellschaften?



A

?

B

A und B möchten die gemeinsame KG realteilen und die WG jeweils auf Schwester-KG übertragen

?

Das Leitbild der FinVerw. im Rahmen der (unechten) Realteilung geht dahin, dass das übertragene Betriebsvermögen bei dem Übernehmer zB im Rahmen (s)eines Einzelunternehmens fortgeführt wird. Weiterhin wird auch die Zuordnung zu einem Sonderbetriebsvermögen einer anderen Mitunternehmerschaft für möglich erachtet. Dagegen ist es aus Sicht der Verwaltung schädlich, wenn eine Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern auf eine personenidentische Schwester-Personengesellschaft erfolgen soll.42 Hiermit wird erkennbar der Gestaltungsspielraum aus Sicht der FinVerw. im Hinblick auf eine mögliche (Weiter)Übertragung erheblich eingeschränkt. Dem dürfte allerdings die jüngere, sich verstetigende BFH-Rspr. entgegenstehen, nach der auch die Übertragung auf eine personenidentische Schwester-Personengesellschaft als unschädlich für die Buchwertfortführung angesehen wird. Denn nach Ansicht des BFH ist die Verlagerung stiller Reserven in das Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft, an deren Vermögen wiederum nur Personen beteiligt sind, die zuvor an der sich real teilenden Mitunternehmerschaft beteiligt waren, gleichfalls unschädlich, entspreche dies doch dem Zweck der Regelung des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG.43

42 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 12. 43 BFH v. 2.10.2018 – IV R 24/15, GmbHR 2019, 488 mit Verweis auf BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510 sowie BFH v. 15.1.2019 – VIII R 24/15, BFHE 264, 122 = FR 2019, 768. In beiden Fällen war

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

8. Übertragung Mandate

D A

B

E

C DE-KG

• •

• • •

A, B, C betreiben StB-Kanzlei Wegen unterschiedlicher Ausrichtung möchte C „aussteigen“ und sich einer anderen Kanzlei anschließen C erhält als Abfindung „seine Mandate“ und Geld C möchte nun in die RA/StB-Kanzlei D, E „einsteigen“ Als Einlage möchte er seine Mandate leisten

In dem hier aufgezeigten Fall möchte der ausscheidende Gesellschafter die auf ihn übergehenden Wirtschaftsgüter nicht nur in eine Personengesellschaft überführen, an der lediglich einer oder mehrere Realteiler beteiligt sind, sondern weitergehend sich einer neuen Kanzlei anschließen und dementsprechend seinen Mandantenstamm auf diese Gesellschaft übertragen. Nach Ansicht der FinVerw. wäre eine solche Folgeübertragung innerhalb der dreijährigen Sperrfrist, jedenfalls im Fall der Sachwertabfindung in Form von Einzelwirtschaftsgütern, schädlich.44 Auch nach Ansicht des BFH sind (Folge)Überführungen bzw. Übertragungen in diesen Fällen nur insoweit unter Beibehaltung der Steuerneutralität der Realteilung möglich, als keine entgegenstehenden Ausnahmeregelungen des § 16 Abs. 2 EStG greifen. Als „zweckwidrige Übertragung“ werden daher solche Fälle angesehen, die durch die Sperrfristregelung des § 16 Abs. 3 Satz 3 EStG erfasst würden45. Eine direkte Übertragung auf die DE-KG scheidet damit vorliegend jedenfalls dann aus, wenn es sich bei der Sachwertabfindung nicht um einen gesamten Teilbetrieb oder einen Mitunternehmeranteil handelt.

die Frage der Direktübertragung auf ein anderes Gesamthandsvermögen allerdings nicht entscheidungserheblich. 44 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 24–26. 45 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29 Tz. 43.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

Als „sicherer“ Lösungsansatz für Einzelwirtschaftsgüter sollte es in Fällen wie dem vorliegenden gut vertretbar sein, dass C die ihm im Rahmen der Sachwertabfindung übertragenen Mandate lediglich in das Sonderbetriebsvermögen der DE-KG überführt. Denn hierdurch ändert sich nicht die personelle Zuordnung in ein anderes Betriebsvermögen (kein Überspringen von stillen Reserven auf andere Personen als die Realteiler) einerseits, andererseits wird aber dennoch zugleich die betriebliche Verhaftung sichergestellt, und durch die (unentgeltliche) Überlassung an die DE-KG sollten auch die unternehmerischen Ziele im Grundsatz erfüllbar sein. Vorliegend könnte der Fall vielleicht aber auch dahingehend gestaltet werden, dass der ausscheidende Gesellschafter C vor dem Ausscheiden (dies kann auch zeitnah erfolgen) seinen Anteil an der ABC-KG zunächst noch in eine allein dem C zuzuordnende Mitunternehmerschaft einbringt, die dann anstelle von C an der unechten Realteilung teilnimmt46 und als aufnehmende Gesellschaft der Sachwertabfindung (und sozusagen als „Transportgesellschaft“) fungiert und ihrerseits mit den anderenfalls schädlichen Einzelwirtschaftsgüter „aufgeladen“ wird. Hier stellt sich dann allerdings die Folgefrage, ob eine daraufhin erfolgende Verschmelzung der C-KG auf die DE-KG gem. § 24 UmwStG auch steuerneutral für die vorangegangene Realteilung erfolgen kann oder aber im Wertungswiderspruch zu der Sperrfristregelung steht und daher, unbeschadet der Tatsache, dass jeder Schritt für sich gesehen erfolgsneutral möglich wäre, in der Gesamtschau uU eine Überdehnung der Rechtsgrundsätze der Realteilung gegeben wäre und daher innerhalb der dreijährigen Sperrfrist eine solche Verschmelzung uU zur Schädlichstellung der vorangegangenen Realteilung führen könnte. Zwar hat der BFH nunmehr mehrfach entschieden, dass ein Rechtsgrundsatz des Inhalts, „dass eine aufgrund einheitlicher Planung in engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang stehende Mehrzahl von Rechtsgeschäften (Gesamtplan) für die steuerliche Beurteilung zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang zusammenzufassen und sodann unter den Steuertatbestand zu subsumieren ist“, nicht existiert,47 allerdings hinterfragt der BFH bei mehraktigen Gestaltungen, ob diese dem Sinn und Zweck der Regelung entsprechen (teleologische Auslegung).48 Von Bedeutung dürfte insoweit

46 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, BStBl. II 2019, 29 = FR 2019, 29. 47 Vgl. ua. BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510. 48 Vgl. BFH v. 17.12.2014 – IV R 57/11, BStBl. II 2015, 536 = FR 2015, 522.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

sein, dass § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG eine Verlagerung auf Dritte grds. ausschließt. Wenn die Sachwertabfindung allerdings die Qualität eines Betriebs oder Teilbetriebs besitzt, kann nicht außer Acht gelassen werden, dass auch im Grundkonzept der Regelungen zur Realteilung insoweit keine sonstigen Mindesthaltefristen oÄ vorgesehen sind, so dass insoweit der Folgeverschmelzung wohl weniger Bedenken gegenüber stehen dürften.

9. Privatvermögen

A

B

C

[BV]  PV  MU  TB

Ź Alle Wirtschaftsgüter werden in das Privatvermögen überführt Ź FinVerw: keine Realteilung Ź Die Überführung in das PV erfolgt erst: - nach 1 Monat - nach 6 Monaten - nach 12 Monaten - noch später

In diesem Beispiel werden alle Wirtschaftsgüter des ausscheidenden Mitunternehmers im Grundfall unmittelbar in das Privatvermögen übertragen. Nach Ansicht der FinVerw. handelt es sich in diesem Fall nicht um eine Realteilung. Vielmehr richteten sich die steuerlichen Konsequenzen nach den allgemeinen Grundsätzen. Fraglich erscheint, wie Fälle einzuordnen wären, in denen entweder zumindest in geringem Umfang die Wirtschaftsgüter doch (zunächst) einem Betriebsvermögen zugeordnet werden bzw. die gesamte Sachwertabfindung zunächst (kurzfristig) in ein Betriebsvermögen übertragen wird, aber nach absehbarer Zeit entstrickt und in das Privatvermögen weiter überführt werden.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

Im Hinblick darauf, dass grundsätzlich nur für Einzelwirtschaftsgüter eine Sperrfrist (3 Jahre) gesetzlich normiert ist, sollte man im Übrigen eigentlich nach allgemeinen Grundsätzen davon ausgehen, dass insoweit folglich keine spezielle Missbrauchsbekämpfungsvorschrift gesetzlich geregelt wurde und damit im Übrigen ein Ausschluss für die Annahme bzw. Anwendung gesetzlicher Sonderregelungen bis hin zu der Annahme eines Missbrauchs bestehen sollte. Dies sollte wiederum zu dem Ergebnis führen, dass auch der kurze Durchgangserwerb in einem „eigenen“ Betriebsvermögen des ausscheidenden Gesellschafters hinreichend wäre, um die steuerneutrale Realteilung als solche steuerlich nicht infrage zu stellen, wenn und soweit es sich hierbei um qualifizierende Einheiten und nicht nur um Einzelwirtschaftsgüter handelt. Infolgedessen bliebe insoweit die Realteilung selbst steuerlich neutral und die Rechtsfolgen würden sich ausschließlich auf Ebene des ausgeschiedenen Gesellschafters in dessen Betriebsvermögen realisieren. Womöglich resultiert dieses Ergebnis aber auch bereits aus einer analogen Anwendung des § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG. Diesbezüglich wird die weitere Entwicklung der Rspr. abzuwarten sein.

10. Abfindung in Geld

A

B

C

BV V

Ź Die Abfindung besteht ausschließlich in Geld Ź FinVerw.: keine Realteilung (Tz. 3) (so wohl zu „alter“ Rechtslage auch FG Bad.-Württ. v. 17.1.2017 – 11 K 3976/13, EFG 2017, 682, rkr.) Ź Abgrenzung zu Sachwertabfindung(?) Oder kommt es nur darauf an, dass BV verteilt wird? Ź Die Abfindung besteht nur zu: - 99% - 90% - 75% - 51% aus (a) Geld oder (b) Forderungen/Wertpapiere mit stillen Reserven (kurz- oder langfristig)

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

In diesem Fallbeispiel soll die Abfindung im Grundfall ausschließlich in Geld bestehen. Nach Ansicht der FinVerw. ist in dies kein Fall einer Realteilung.49 In der Tat ist einzuräumen, dass eine solche Konstellation durchaus als grenzwertig angesehen werden kann. Denn der Grundgedanke der Realteilung liegt in der Verteilung bzw. anteiligen Teilung des Betriebs- bzw. Gesamthandsvermögens zwischen bzw. auf einen oder mehrere Mitunternehmer und dessen Überführung in ein eigenes Betriebsvermögen. Soweit es sich allerdings bei der „Sachwertabfindung“ ausschließlich um Geld handelt, so tritt der Gedanke der Sachwertabfindung („Naturalteilung“) insoweit inhaltlich stärker in den Hintergrund und auch die Maßgabe der Überführung in ein anderes Betriebsvermögen läuft insofern faktisch leer, da mangels stiller Reserven sich der Höhe nach hieraus auch keine steuerlichen Konsequenzen ableiten würden. Rechtspolitisch mag man daher hier eine mögliche Überdehnung des Gewollten hinsichtlich des eigentlichen Begünstigungszwecks zumindest vermuten können. Hiergegen kann man einwenden, dass das Gesetz nur verlangt, dass Betriebsvermögen verteilt wird. Soweit es sich bei den liquiden Mitteln um Betriebsvermögen handelt, wäre damit rein nach dem Gesetzeswortlaut diesem Genüge getan. Gleichwohl bleiben Zweifel, da der Sache nach wohl gerade keine Sachwertabfindung vorliegt, da alle Sachen in der Gesamthand verblieben und es sich damit materiell um eine Bar-, nicht aber Sachwertabfindung handelt. Erkennbar schwierig ist damit die Abgrenzung zwischen einer möglicherweise schädlichen ausschließlichen Abfindung in Geld und der Fragestellung, ab welcher Höhe die Beimischung sonstiger Wirtschaftsgüter hinreichend wäre, um (auch aus Sicht der FinVerw.) von einer unschädlichen Sachwertabfindung (Realteilung) auszugehen. In diesem Zusammenhang ist womöglich darüber hinaus auch der „Aggregatzustand“ der liquiden Mittel von Bedeutung. Nur Bargeld bzw. Geldbestände auf laufenden Konten können womöglich im engeren Sinne als Bargeld qualifizieren. Forderungen oder Wertpapiere mit stillen Reserven können dagegen nicht ohne weiteres unmittelbar mit Geld gleichgesetzt werden. 49 Vgl. BMF v. 19.12.2018 – IV C 6 - S 2242/07/10002 – DOK 2018/0795144, BStBl. I 2019, 6 = FR 2019, 93 Tz. 3, so wohl auch mit Bezugnahme auf ältere Rechtsprechung des BFH FG Bad.-Württ. 17.1.2017 – 11 K 3976/13, EFG 2017, 682.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

So würde zB im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Ausgabe neuer Anteile nur die Einzahlung von Geld als Barkapitalerhöhung qualifizieren, die Übertragung von Forderungen oder Wertpapieren wäre dagegen als Sachkapitalerhöhung einzuordnen, bei der eine Bewertung der Sacheinlage erfolgen müsste. Soweit zB in Wertpapieren (zB Anleihen) stille Reserven bestehen, wird weiterhin erkennbar, dass auch die Überführung in ein Betriebsvermögen notwendige Voraussetzung für die Steuerneutralität der Maßnahme wäre, so dass aus diesem Blickwinkel eine Abfindung in Forderungen bzw. Wertpapieren mit stillen Reserven womöglich qualitativ bereits wesentlich anders einzuordnen wäre als in (Bar)Geld. Auch hinsichtlich der Übertragung von Barmitteln und Wirtschaftsgütern ohne stille Reserven war vom Vorsitzenden Richter des IV. Senats im Rahmen eines Fachvortrags an anderer Stelle zu vernehmen, dass uU die steuerneutrale Übertragungsmöglichkeit im Wege einer teleologischen Reduktion insoweit auf den jeweiligen Anteil am Gesellschaftsvermögen zu beschränken sei (mit anderen Worten: wenn zB ein Mitunternehmer, der zu 1/3 beteiligt war, ausscheidet, so solle er dann auch nur bis zu 1/3 der liquiden Mittel unschädlich zugeordnet bekommen können), um eine „Versilberung“ der übrigen stillen Reserven zu vermeiden. Allerdings bleibt auch insoweit die weitere Rspr. abzuwarten.

11. Zeitnahe Einlagen

A

B

C

BV Ź Die Abfindung besteht zu 50% aus Geld Ź Die Einlagen erfolgten zuvor pro rata durch A und B: - 1 Tag vor der Realteilung - 1 Monat vorher - 6 Monaten vorher - 12 Monaten vorher

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

In Fortführung der vorangegangenen Beispiele/Überlegungen wird nunmehr unterstellt, dass die Abfindung „nur“ zu 50 % aus Geld besteht. Allerdings seien diese Mittel der Mitunternehmerschaft vor der Realteilung zugeführt worden (zB durch Einlagen der Gesellschafter oder mittels Darlehensaufnahme durch die Gesellschaft). Jedenfalls insoweit, als ein zeitlicher und inhaltlicher Zusammenhang zu der Realteilung bestehen sollte (und nur in diesem Fall), könnte man vor diesem Hintergrund womöglich kritisch diskutieren, ob damit der Charakter der Sachwertabfindung rechtsmissbräuchlich insoweit zu einer Abfindung in Geld transformiert wird, wodurch der anderenfalls eigentlich der Besteuerung zugrunde zu legende Sachverhalt (weniger Geld, mehr Sachwertabfindung) aktiv gestaltet wurde. Der BFH hat zu einer solchen Fragestellung bislang nicht Stellung nehmen müssen, äußert aber Zweifel.50 Des Weiteren könnte man sich in diesem Zusammenhang auch fragen, ob- jedenfalls insofern ein planvolles Vorgehen vorlag und der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang zu bejahen ist – es sich bei der Zuführung um die Schaffung von „betrieblichen Mitteln“ gehandelt hat; also wenn und soweit diese Mittel von den anderen Mitunternehmern nur deshalb besorgt und eingelegt wurden (bzw. die Gesellschaft ein Darlehen aufgenommen hat), um sie an den ausscheidenden Gesellschafter auszuzahlen. UU stellte sich in einer solchen Konstellation die Frage, ob es sich nicht ggf. um einen verdeckten „Spitzenausgleich“ handelt, bei dem lediglich der Zahlungsweg über die Mitunternehmerschaft geleitet wurde, aber inhaltlich und ausgehend von bzw. im Vergleich zu dem Betriebsvermögen vor der Zuführung die Sachwerte wegen der Geldzuführung in weit größerem Umfang in der Mitunternehmerschaft verbleiben, als es der Fall wäre, wenn keine Liquidität zugeführt worden wäre und daher als Substitut hierfür für eine Ausgleichszahlung in Geld zwischen den Mitunternehmern fließt. Ein ähnliches Ergebnis ließe sich womöglich auch hinsichtlich einer missbräuchlichen Gestaltung (§ 42 AO) erwägen.

50 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567 Tz. 45.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

12. Besonderheiten bei Körperschaften AG A

B

C



BV •

Einzelwirtschaftsgüter: Sofortige, aber nur anteilige Steuerpflicht (Ҁ) (§ 16 Abs. 3 Satz 4 EStG) TB oder MU-Anteil: auch auf Körperschaft zu BW übertragbar (hierzu zählt auch eine 100%Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft)

Während sich die vorangegangenen Beispiele alle auf die Besteuerungskonsequenzen bei ausscheidenden Mitunternehmen, die zugleich natürliche Personen waren, bezogen, wird nun angenommen, dass es sich bei dem ausscheidenden Mitunternehmer um eine Kapitalgesellschaft handelt. Hierbei ist im Grundfall beachtlich, dass, soweit qualifizierende betriebliche Einheiten übergehen (Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil sowie 100 %-Anteil Kapitalgesellschaft), auch die Sachwertabfindung an einen ausscheidenden Mitunternehmer in Form einer Kapitalgesellschaft zu keinen besonderen bzw. anderen Folgen führt (steuerneutrale Buchwertfortführung wird auch hier gewährleistet bzw. ist zwingend). Ein markanter Unterschied ergibt sich allerdings insoweit, als Einzelwirtschaftsgüter Gegenstand der Sachwertabfindung sind. Diesbezüglich schließt § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG dem Wortlaut nach die Buchwertfortführung generell aus, aufgrund teleologischer Reduktion erfolgt aber nur in Höhe der Beteiligungsquote der anderen Mitunternehmer eine Besteuerung der stillen Reserven; dh. in Höhe der Beteiligungsquote des ausscheidenden kapitalistischen Mitunternehmers ist eine Buchwertfortführung daher dennoch gegeben.51

51 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG38, § 16 Rz. 555.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

13. Realteilung von Kapitalgesellschaften a) Ausgangslage In dem hier betrachteten letzten Fall besteht in der Ausgangslage die Beteiligung einer Kapitalgesellschaft (AG) sowie einer natürlichen Person an einer GmbH. Eine GmbH als Kapitalgesellschaft wäre keiner Realteilung zugänglich. Hier könnte lediglich eine Auf- oder Abspaltung erfolgen. Da die Tatbestandsvoraussetzungen für deren Steuerneutralität jedoch vergleichsweise hoch sind (§ 15 UmwStG), könnte daher auch erwogen werden, nachstehend beschriebene Strukturierungsalternative zu prüfen, in der zunächst ein Formwechsel in eine Mitunternehmerschaft erfolgt, die dann ihrerseits wiederum real geteilt werden könnte. In einem ersten Schritt würde der Formwechsel der GmbH in eine Mitunternehmerschaft erfolgen. b) Formwechsel in KG Soweit dabei die Besteuerung der stillen Reserven im Inland auch weiterhin sichergestellt ist, kann auf Antrag der Formwechsel der GmbH in eine KG grundsätzlich steuerneutral erfolgen (§ 9 UmwStG). Allerdings kommt es zu einer fiktiven Vollausschüttung der offenen Rücklagen (§ 7 UmwStG), auf die nach hM auch die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen ist. Daneben unterliegt ein etwaiger Übernahmegewinn § 8b KStG bzw. § 3 Nr. 40 EStG; ein Übernahmeverlust kann bei natürlichen Personen bis zur Höhe der Bezüge gem. § 7 UmwStG gegengerechnet werden (§ 4 UmwStG). Durch den Formwechsel in eine Personengesellschaft läuft keine besondere Sperrfrist an, es sei allerdings auf die 5 Jahresfrist bzgl. der Gewerbesteuer gem. § 18 Abs. 3 UmwStG hingewiesen. Insoweit sollte dann auch einer zeitnahen Realteilung der Mitunternehmerschaft nichts entgegenstehen. c) Realteilung Im Rahmen der Realteilung könnten auf die natürliche Person sowohl Teilbetriebe oder Mitunternehmeranteile als auch Einzelwirtschaftsgüter übergehen, ohne dass dies eine schädliche Übertragung bedeuten würde (unter der Nebenbedingung der Fortführung in einem eigenen Betriebsvermögen).

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

Soweit die Sachwertabfindung an die Kapitalgesellschaft erfolgt, wäre dagegen grundsätzlich nur die Zuordnung von qualifizierenden Einheiten (Teilbetrieb, Mitunternehmeranteile, 100 %-Beteiligung Kapitalgesellschaft) unschädlich. Soweit aber eine ergänzende Zuordnung zB von Geld erfolgt oder von Umlaufvermögen ohne relevante stille Reserven, so wäre dies zwar dem Grunde nach schädlich, wenn aber der Höhe nach keine relevanten stillen Reserven vorlägen, blieben nachteilige steuerliche Konsequenzen insoweit dennoch aus. Nach älterer Auffassung der FinVerw. können jedoch die strengen Anforderungen des § 15 UmwStG (zB Vorbesitzzeiten iSv. § 15 Abs. 3 Satz 5 UmwStG) nicht durch einer dem Formwechsel nachfolgenden Realteilung umgangen werden.52

IV. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen belegen, dass sowohl die jüngere Rspr. des BFH als auch die weitgehende Übernahme dieser fortentwickelten Grundsätze durch die FinVerw. im Rahmen des neu gefassten Erlasses zur Realteilung dieses Rechtsinstitut aus seinem Dornröschenschlaf erweckt hat und es nunmehr eine erhebliche Praxisrelevanz besitzt. Hierbei mag man womöglich beklagen, dass dies Gestaltungen „Tür und Tor“ öffne. Im Grundsatz geht diese Kritik allerdings fehl, da die Regelungen zur Realteilung letztendlich in einem systematischen Gesamtzusammenhang auch zu § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG einzuordnen sind. Zwar zeigen sich – wie fast immer – einzelne Aspekte, die im Hinblick auf ihre Folgerichtigkeit weniger zwingend erscheinen, jedoch ist im Ganzen das Grundsystem der Besteuerung der Mitunternehmerschaften klar erkennbar, das nun einmal fundamental auf dem Spannungsfeld der individuellen Besteuerung des einzelnen Steuersubjekts einerseits, aber auch der steuerlichen Verbundenheit der Mitunternehmer andererseits verknüpft mit dem steuerlichen Transparenzprinzip (§ 39 Abs. 2 AO) aufgebaut ist und damit stets nur in der Balance dieser unterschiedlichen Elemente zueinander erklärt werden und auch funktionsfähig sein kann. Vor diesem Hintergrund erscheint diese systematische Weiterentwicklung klar begrüßenswert, da sie das Austreten einzelner Mitunternehmer aus der Mitunternehmerschaft aufgrund der eröffneten Buchwertprivile52 So jedenfalls BMF v. 25.3.1998 – BStBl. I 1998, 268 = GmbHR 1998, 444 Tz. 24.18 mit nachfolgendem Beispiel.

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Kontny/Köhler, Unechte Realteilung

gierung stark erleichtert und damit Personengesellschaften (Mitunternehmerschaften) aus steuerlicher Sicht attraktiver werden lässt. Die Neukonturierung des Systems der Besteuerung der unechten Realteilung dürfte allerdings noch nicht abgeschlossen sein. Eine Reihe von Indizien weisen darauf hin, dass auch weitere Entscheidungen des BFH das Rechtsinstitut weiter ausformen und schärfen werden. Soweit dies auch weiterhin dem Ziel dient, ein sachgerechtes Gesamtsystem auf Basis der tragenden Prinzipien der Besteuerung von Mitunternehmerschaften zu formen, ist hierbei aus Sicht der Stpfl. und deren Berater weiterhin zu hoffen, dass die FinVerw. auch diesen weiteren Entwicklungen folgen wird und auch der Gesetzgeber nicht mit „Nichtanwendungsgesetzen“ ein entstehendes systematisches Ganzes wieder durchbricht. Für die Gestaltungspraxis ergeben sich damit eine ganze Reihe von neu erschlossenen Möglichkeiten. Aufgrund der sich aber wohl noch im Fluss befindlichen Rechtsentwicklung bestehen allerdings zugleich auch noch entsprechende Unsicherheiten, die es zu beachten gilt, wie zB –

Zuordnung von Gewinnanteilen aus Übertragungen (Entnahmen) unmittelbar bzw. in zeitlichem Zusammenhang in das Privatvermögen,



Abgrenzung der buchwertprivilegierten Sachwertabfindung zu Abfindung in Geld,



Abgrenzung zum Spitzenausgleich/anteilige Verrechnung darunter liegende Buchwerte/Aufstockung der Buchwerte bei dem den Spitzenausgleich leistenden Gesellschafter,



Übertragung auf Schwester-Personengesellschaften,



Übertragung auf Rechtsträger/Personengesellschaften an denen Dritte beteiligt sind.

Oder um es kurz zu machen, es ist wie so oft im Steuerrecht, es bleibt spannend.

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Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen Prof. Dr. Frank Hannes Rechtsanwalt/Steuerberater/Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn I. Einleitung 1. Der Nießbrauch als Instrument der Versorgungssicherung 2. Abgrenzung zu anderen praxisrelevanten Versorgungssicherungsinstrumenten 3. Der Nießbrauch in der Erbfolgegestaltung 4. Zivilrechtliche Grundlagen 5. Nießbrauchsarten II. Nießbrauch an Unternehmen und Mitunternehmeranteilen 1. Zivilrechtliche Besonderheiten des Vorbehaltsnießbrauchs 2. Erbschaftsteuerliche Folgen der Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt a) Bewertung des Nießbrauchs für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke (Überblick und Fragen) b) Abzugsbeschränkung bei Erwerb verschonten Vermögens c) Auswirkungen auf die Verschonung des Erwerbs des Mitunternehmeranteils

aa) Der Übergang der Mitunternehmerstellung als Voraussetzung erbschaftsteuerlicher Verschonung bb) Die Lehre von der doppelten Mitunternehmerstellung cc) Die Zweifel des IV. Senats dd) Die neue Voraussetzung einer Buchwertübertragung des X. Senats ee) Weitere Entwicklungen d) Abgrenzung: Nießbrauch am Kapitalgesellschaftsanteil e) Zuwendungsnießbrauch am Mitunternehmeranteil III. Praxisrelevante Einzelfragen 1. Nießbrauchverzicht 2. Neue Aussagen der Finanzverwaltung zur Begünstigungsfähigkeit des fiktiven Nießbrauchs nach § 29 Abs. 2 ErbStG 3. Vorbehaltsnießbrauch in der Grunderwerbsteuer IV. Fazit

I. Einleitung 1. Der Nießbrauch als Instrument der Versorgungssicherung Der Nießbrauch begegnet einem in der Praxis häufig im Rahmen der Gestaltung der Unternehmens- und Vermögensnachfolge. Dort dient der Nießbrauch vor allem als Gestaltungsinstrument zur Sicherung der Ver165

Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

sorgung: Bei lebzeitigen Übertragungen des abgebenden Schenkers (in Form eines Vorbehaltsnießbrauchs) und – vor allem bei Übertragungen von Todes wegen – von versorgungsbedürftigen Familienangehörigen, wie insbes. des länger lebenden Ehepartners, dort häufig in der Form eines Zuwendung- oder Vermächtnisnießbrauchs.

2. Abgrenzung zu anderen praxisrelevanten Versorgungssicherungsinstrumenten Der Nießbrauch bewirkt eine Trennung der Substanz, die dem Nießbrauchbesteller zusteht, von dem Ertrag (Fruchtziehungsrecht), den der Nießbraucher erhält. Eine Alternative zum Nießbrauch kann die Vereinbarung von Versorgungsleistungen in Form von Renten und dauernden Lasten sein. Vor dem Hintergrund der angestrebten Versorgungssicherheit unterscheiden sich die beiden Instrumente vor allem darin, dass mit Versorgungsleistungen der Versorgungsverpflichtete (Beschenkte, Erbe) persönlich in die Pflicht genommen wird, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, wie erfolgreich er mit der erhaltenen Vermögenssubstanz wirtschaftet, während beim Nießbrauch der Nießbraucher lediglich an den Erträgen aus der belasteten Vermögenssubstanz partizipiert und damit – ungeachtet der durch den Nießbrauch vermittelten Mitwirkungsrechte – häufig auch vom Erfolg des Nachfolgers abhängig ist. Schenkungsteuerlich handelt es sich sowohl bei Versorgungsleistungen als auch beim Nießbrauch um eine gemischte Schenkung. Die Versorgungsleistung stellt eine Schenkung unter Leistungsauflage, der Nießbrauch eine Schenkung unter Duldungsauflage dar.1 Der Kapitalwert der Auflage mindert den Wert der Zuwendung.2 Ertragsteuerlich wird die Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen nur unter engen Voraussetzungen als unentgeltlich qualifiziert. Die Versorgungsleistungen sind beim Verpflichteten als Sonderausgaben abzugsfähig und korrespondierend beim Empfänger zu versteuern. Versorgungsleistungen iSd. § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG liegen nur unter den dort normierten – und seit Einführung der Norm immer enger gefassten – Voraussetzungen vor. Insbesondere sind Versorgungsleistungen auf bestimmte Zuwendungsgegenstände – (1.) Anteil an einer Mitunternehmer1 Weinmann in Moench/Weinmann, ErbStG, § 7 Rz. 72 (Stand 3/2018). 2 Sass, ErbStB 2019, 82 (85) mit Verweis auf die gleich lautenden Erlasse der Obersten Finanzbehörden der Länder v. 20.5.2011 – S 3806 - 10 - V A 6, BStBl. I 2011, 562 = StEK ErbStG § 7 Nr. 57.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

schaft, die eine Tätigkeit iSd. §§ 13, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 18 Abs. 1 EStG ausübt, (2.) Betrieb oder Teilbetrieb sowie unter weiteren Voraussetzungen (3.) mindestens 50 % betragender Anteils an einer GmbH – und Leistungsempfänger -der Empfänger der Bezüge muss zum sog. Generationennachfolge-Verbund gehören3 – beschränkt. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf eine Entscheidung des FG Münster vom 20.4.2016,4 nach der bei einer Weiterübertragung der Sonderausgabenabzug erhalten bleibt, wenn wiederum Versorgungsleistungen oder ein Nießbrauch vorbehalten werden. Bei einer Übergabe von Gesellschaftsanteilen kommt als weitere Alternative auch die Vereinbarung von gesellschaftsvertraglichen Sonderrechten (etwa Sondergewinnbezugsrechten und ggf. auch Sonderstimmrechten) in Betracht. Auch diese schaffen Versorgungssicherheit, jedoch nur, wenn die Gesellschaft erfolgreich wirtschaftet. Eine abweichende Gewinnverteilung zugunsten des Schenkers (als Alternative zum Vorbehaltsnießbrauch) führt allerdings zu einem geringeren Wertansatz, da der Wert (bei Personengesellschaften nach Zuweisung von Kapitalkonten und Sonderbetriebsvermögen) nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel aufzuteilen ist (§ 97 Abs. 1a Nr. 1 BewG für Mitunternehmerschaften und § 97 Abs. 1b Satz 4 BewG für Kapitalgesellschaften). Sonderstimmrechte sind grundsätzlich nicht wertbestimmend.5 Die Ausstattung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft mit einer überquotalen Gewinnbeteiligung (als Alternative zum Zuwendungsnießbrauch) kann § 7 Abs. 6 ErbStG unterfallen, wonach das Übermaß an Gewinnbeteiligung als selbständige Schenkung mit dem Kapitalwert anzusetzen ist. Die FinVerw. besteuert dann den pauschal mit dem 9,3-fachen des Jahreswerts zu ermittelnden Kapitalwert.6 Ansonsten ist auch § 7 Abs. 1 ErbStG anwendbar. Bei Kapitalgesellschaften ist unklar, ob überquotale Gewinnbeteiligungen dem § 7 Abs. 6 ErbStG unterfallen. Möglich ist auch, dass diese wie eine verdeckte Gewinnausschüttung zu behandeln sind.7 Zu beachten ist, dass die isolierte Gewährung eines Gewinnübermaßes mangels 3 BMF v. 11.3.2010 – IV C 3 - S 2221/09/10004 – DOK 2010/0188949, BStBl. I 2010, 227 = FR 2010, 349 Rz. 50. 4 FG Münster v. 20.4.2016 – 7 K 999/13 E, juris, rkr. 5 So BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, BStBl. II 2018, 656 = GmbHR 2013, 668 für Verzicht auf Sonderstimmrecht. 6 R E 7.9 Abs. 1 Satz 4 ErbStR 2019. 7 Siehe dazu R E 7.5 Abs. 7 ErbStR 2019.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

Übertragung eines Mitunternehmeranteils nicht begünstigungsfähig ist.8 Auch ertragsteuerlich bestehen Anerkennungsrisiken.9 Sonderrechte, vor allem Sonderstimmrechte, können die Mitunternehmerstellung des jeweils in seinen Mitgliedschaftsrechten Beschränkten tangieren.10

3. Der Nießbrauch in der Erbfolgegestaltung Bei Erbfolgeplanungen geht es häufig um einen Ausgleich der gegenläufigen Gestaltungsziele von einerseits der weitgehenden Freiheit des Ehegatten und andererseits der Sicherung des Letzterwerbs durch die nachfolgende Generation. Im Vergleich zu den Bindungen des Berliner Testaments und der (ggf. befreiten) Vor- und Nacherbschaft wird mit Nießbrauchgestaltungen die weitestgehende Sicherheit der nächsten Generation erzielt, da diese bereits unmittelbar die Vermögenssubstanz erhält. Die Trennung von Substanz und Ertrag wird auch erbschaftsteuerlich nachvollzogen. Der Wert des Wirtschaftsguts wird aufgeteilt in den Kapitalwert des Nießbrauchs und den um diesen Kapitalwert geminderten Wert der Substanz. Gleichzeitig wird der Wert auf mehrere Köpfe verteilt, womit Freibeträge genutzt und Progressionsvorteile erzielt werden können. Damit sind Nießbrauchgestaltungen regelmäßig erbschaftsteuerlich günstiger als etwa Vor- und Nacherbschaften, bei denen das Vermögen (in den häufigeren Fällen des Eintritts der Nacherbfolge bei Tod des Vorerben) ungeachtet der Nacherbenbelastung zunächst beim Vorerben und dann beim Nacherben, also zweimal, voll besteuert wird. Anderes gilt ausnahmsweise, wenn das Vermögen voll oder weitestgehend verschont erworben werden kann, der Nießbrauch aber keiner Verschonung unterliegt.

4. Zivilrechtliche Grundlagen Zivilrechtlich handelt es sich beim Nießbrauch um ein persönliches, nicht übertragbares und nicht vererbliches Nutzungsrecht an einer Sache, einem Recht oder einem Vermögen. Der „Übergang“ eines Nießbrauchrechts erfolgt somit durch Beendigung/Verzicht und Neubestellung. Im 8 R E 7.9 Abs. 3 ErbStR 2019. 9 Siehe OFD Frankfurt v. 13.5.2015 – S 2241 A - 9 - St 213, DStR 2015, 1082 = StEK EStG § 15 Nr. 459 für Personengesellschaften und BMF v. 17.12.2013 – IV C 2 - S 2750-a/11/10001 – DOK 2013/1143118, BStBl. I 2014, 63 = FR 2014, 78 für Kapitalgesellschaften. 10 Vgl. Grever, RNotZ 2019, 1 (9).

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praktisch wohl relevantesten Fall des „Übergangs“ eines im Rahmen einer Schenkung an Kinder vorbehaltenen Nießbrauchs auf den länger lebenden Ehegatten ist rechtstechnisch den Beschenkten aufschiebend bedingt auf den Tod des Schenkers die Neubestellung eines Nießbrauchs zugunsten des länger Lebenden aufzuerlegen (Vertrag zugunsten Dritter). Der länger Lebende erwirbt schenkungsteuerlich vom Erstversterbenden (Zuwendungsnießbrauch), sofern er nicht nach § 333 BGB das erworbene Recht zurückweist. Der Umfang des Nießbrauchrechts kann auf bestimmte Nutzungen beschränkt werden, zB nur auf eine Vermietung ohne Eigennutzung. Auch kann seine Ausübung Dritten überlassen werden. Eine Nießbrauchbestellung ist nicht nur zugunsten natürlicher Personen, sondern auch zugunsten juristischer Personen und Gesamthandsgemeinschaften möglich.

5. Nießbrauchsarten Begrifflich unterscheidet man in der Praxis insbes. zwischen: –

Vorbehaltsnießbrauch (bei der Vermögensübertragung wird dem übertragenden Eigentümer ein Nießbrauchsrecht bestellt), Zuwendungsnießbrauch (der Eigentümer räumt Dritten ein Nutzungsrecht ein) und Vermächtnisnießbrauch (der Erbe hat aufgrund letztwilliger Verfügung einen Nießbrauch an einem Nachlassgegenstand einem Dritten einzuräumen),



Vollrechtsnießbrauch (dh. einem rechtlich möglichst weitgehenden Nießbrauch), Teilrechtsnießbrauch, Ertragsnießbrauch (dh. Nießbrauch bezieht sich nur auf den Ertrag des mit dem Nießbrauch belasteten Gegenstands, nicht aber, etwa beim Nießbrauch an einer Gesellschaftsbeteiligung, auf weitere Mitgliedschaftsrechte), Bruchteilsnießbrauch (Nießbrauch am Bruchteil einer Sache) sowie



Quotennießbrauch (Nießbrauch an einer ganzen Sache, aber nur mit einem teilweisen Nießbrauch).

II. Nießbrauch an Unternehmen und Mitunternehmeranteilen 1. Zivilrechtliche Besonderheiten des Vorbehaltsnießbrauchs Auch beim Vorbehaltsnießbrauch ist der Nießbrauch vom Beschenkten zu bestellen, die Pflicht zur Bestellung wird im Schenkungsvertrag ge169

Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

regelt. Wirtschaftlich kann man jedoch sagen, dass sich der Schenker das Fruchtziehungsrecht als einen Teil des Schenkungsgegenstands „vorbehält“. Bei Einzelunternehmen erfolgt häufig nur die Bestellung eines Ertragsnießbrauchs (unechter Unternehmensnießbrauch), meist als Quotennießbrauch. In diesem Fall wird das Unternehmen vom Eigentümer weitergeführt und der Nießbraucher hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch auf Auszahlung des Gewinns. In der Praxis wohl eher seltener wird ein Vollrechtsnießbrauch (echter Unternehmensnießbrauch) vereinbart. Hier hält der Nießbraucher den unmittelbaren Besitz an den Unternehmensgegenständen, wird als Einzelunternehmen im Handelsregister eingetragen und haftet nach außen. Erforderlich ist eine Nießbrauchbestellung an allen Unternehmensgegenständen entsprechend den für diese geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Bei Beteiligungen an Personengesellschaften werden nach hM mit der Nießbrauchbestellung nicht einzelne Mitgliedschaftsrechte von der Mitgliedschaft abgespalten (sog. Abspaltungsverbot, § 717 BGB), sondern die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte wird zwischen dem Gesellschafter und dem Nießbraucher verteilt („echte Nießbrauchbestellung“).11 Im Hinblick auf das Abspaltungsverbot diskutierte Ausweichgestaltungen (treuhänderische Übertragung der vollen Gesellschafterstellung; Nießbrauch am Gewinnstammrecht) spielen in der Praxis nahezu keine Rolle mehr.12 Einzelheiten der Verteilung – vor allem der Verwaltungsrechte – sind allerdings nach wie vor höchst streitig. Soweit die Nießbrauchbestellung nicht bereits gesellschaftsvertraglich gestattet ist, bedarf sie als Verfügung der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (§ 719 BGB).

2. Erbschaftsteuerliche Folgen der Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt a) Bewertung des Nießbrauchs für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke (Überblick und Fragen) Der gemeine Wert von Nutzungen und Leistungen ergibt sich aus dem kapitalisiertem Jahreswert (§§ 13, 14 BewG) unter Zugrundelegung eines Zinssatzes von 5,5 %. Die Bestimmung des Jahreswerts richtet sich nach § 15 BewG. Maßgeblich sind, wenn nichts anderes vereinbart ist, die 11 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 17; Kepper, NZG 2019, 211 (212). 12 Kepper, NZG 2019, 211 (212).

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

„Nettoerträge“ nach Abzug von regelmäßig wiederkehrenden Aufwendungen. Problematisch in der Praxis sind schwankende Jahreswerte. Nach § 15 Abs. 3 BewG ist in diesem Fall als Jahreswert der Betrag zugrunde zu legen, der in Zukunft im Durchschnitt der Jahre voraussichtlich erzielt werden wird. Für die Bewertung des Nießbrauchs an Personengesellschaften ist regelmäßig auf den durchschnittlichen Gewinn der letzten drei Jahre vor dem Stichtag abzustellen. Streitig ist die Bewertung des Nießbrauchs an GmbH-Anteilen. Dabei soll entweder auf die durchschnittlichen Gewinnausschüttungen der letzten drei Jahre oder, falls keine Ausschüttungen erfolgt sind, auf die Erträge der Gesellschaft abgestellt werden. Fraglich ist auch, ob thesaurierte Gewinne in Beteiligungsgesellschaften bei einem Nießbrauch an einer Holding zu berücksichtigen sind. (Näher zu thesaurierenden Unternehmen Mannek in diesem Band S. 212). Die Begrenzung des Jahreswerts auf 1/18,6 des gemeinen Werts des nießbrauchbelasteten Wirtschaftsguts gem. § 16 BewG ist, nachdem auch die erbschaftsteuerlichen Bewertungsregeln zumindest zu einem dem Verkehrswert angenäherten Wert führen sollen, nur noch von geringer Bedeutung. In der Praxis zu beachten ist allerdings die Korrekturvorschrift des § 14 Abs. 2 BewG, wonach eine Berichtigung der Erbschaftsteuer nach der tatsächlichen statt statistischen Laufzeit einer Nutzung oder Leistung erfolgt, um Härten zu korrigieren, die entstehen können, wenn die Dauer der Nutzung oder Leistung tatsächlich wesentlich kürzer ist als die nach der unterstellten Lebenserwartung zugrunde gelegte Laufzeit. Fraglich ist auch, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nießbrauchlast bereits bei der Unternehmens- und Anteilsbewertung und damit ohne Kappung nach § 16 BewG und ohne Bindung an den Zinssatz berücksichtigt werden kann. (Näher hierzu Mannek in diesem Band S. 213). b) Abzugsbeschränkung bei Erwerb verschonten Vermögens Die Nießbrauchlast mindert als Schuld den Wert des Erwerbs, es besteht jedoch eine Abzugsbeschränkung gem. § 10 Abs. 6 Satz 4, 5 ErbStG. Danach ist eine Nießbrauchlast nicht abzugsfähig, soweit sie im Zusammenhang mit begünstigtem Vermögen steht. Bei einer erbschaftsteuerlichen Verschonung des geschenkten Vermögens (§§ 13a-13c ErbStG) ist der Nießbrauchwert daher anteilig zu kürzen. Das bedeutet für Schenkungen von Unternehmensvermögen unter Nießbrauchvorbehalt, dass bei einer Regelverschonung zunächst nur ein Abzug iHv. 15 % des Nieß171

Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

brauchwerts und bei einer Vollverschonung zunächst kein Abzug erfolgt. Zu beachten bleibt allerdings, dass die Kürzungsregelung nur für die Schulden gelten kann, die Nachlassverbindlichkeiten bilden und daher an sich voll abgezogen werden können. Betriebsschulden stehen zwar sogar in besonders engem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem begünstigen Vermögen. Sie werden jedoch bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit erfasst (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG) und werden daher im Umfang der Begünstigung des Vermögens unmittelbar gekürzt. Für beide Schuldarten gilt im Übrigen, dass sie mit dem Wegfall der Begünstigung nach § 13a Abs. 6 ErbStG wieder voll berücksichtigungsfähig werden.13 (Weitere Einzelheiten und Berechnungsbeispiele bei Mannek in diesem Band S. 216 f.). Im Fall des § 28a ErbStG bestehen keine Abzugsbeschränkungen, da der Erlass nach § 28a ErbStG auf der Ebene der Erhebung und damit nach vollständiger Schuldenberücksichtigung stattfindet.14 c) Auswirkungen auf die Verschonung des Erwerbs des Mitunternehmeranteils aa) Der Übergang der Mitunternehmerstellung als Voraussetzung erbschaftsteuerlicher Verschonung Nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gehört zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen iSd. §§ 95–97 BewG insbes. „inländisches Betriebsvermögen beim Erwerb […] einer Beteiligung an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG“, somit der Erwerb eines Mitunternehmeranteils. Der Beschenkte muss (durch den Erwerb vermittelt) Mitunternehmerrisiko tragen, also am wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der Gesellschaft teilhaben, und Mitunternehmerinitiative entfalten können, dh. die Möglichkeit haben, an unternehmerischen Entscheidungen aktiv mitzuwirken. Hierzu muss er annähernd die Rechte innehaben, die ihm nach dem Regelstatut des HGB als Kommanditist zustehen würden. Das Mitunternehmerrisiko des Nießbrauchsberechtigten drückt sich aus in der unmittelbaren Teilnahme am laufenden Gewinn, der mittelbaren Teilhabe am Verlust, nämlich aufgrund der hierdurch bewirkten Minderung künftiger Gewinne, und der Beteiligung an stillen Reserven bei Ausscheiden, Gesamtveräußerung und Liquidation, seine Mitunternehmerinitiative durch ihm zustehende Stimmrechte, Wider13 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 10 Rz. 71. 14 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 10 Rz. 71.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

spruchsrechte und Kontrollrechte. Nicht vorausgesetzt wird, dass alle der vorgenannten Rechte gewährt werden, Beschränkungen sind vielmehr möglich. Auch kann ein Mehr des einen Merkmals ein Weniger eines anderen ausgleichen, nie aber das völlige Fehlen eines anderen ersetzen.15 bb) Die Lehre von der doppelten Mitunternehmerstellung Da bei der Belastung eines Personengesellschaftsanteils mit einem Nießbrauchrecht (nach hM) die Mitgliedschaftsrechte zwischen Gesellschafter (= Beschenkter) und Nießbraucher (= Schenker) verteilt werden,16 verbleiben dem Gesellschafter notwendigerweise weniger Mitgliedschaftsrechte als ohne Nießbrauchbelastung. Steuerlich gilt (man wird sagen können: seit Jahrzehnten), dass ein Nießbrauch der Mitunternehmerstellung des Gesellschafters nicht entgegensteht, jedenfalls sofern sich die Vereinbarungen am gesetzlichen Leitbild orientieren.17 Vielmehr werden in diesem Fall sowohl der Beschenkte als Gesellschafter, als auch der Schenker als Nießbraucher als Mitunternehmer angesehen, da beide im Regelfall in ausreichendem Maße Mitunternehmerrisiko und Mitunternehmerinitiative tragen (Lehre von der doppelten Mitunternehmerstellung). Steuerlich galt es daher (und gilt es uE nach wie vor), in den vertraglichen Vereinbarungen zur Ausgestaltung des Nießbrauchrechts das Regelungsmodell des BGB abzubilden. Ungeachtet der zivilrechtlichen Meinungsstreite hierzu wird man dieses vereinfacht so beschreiben können, dass dem Nießbrauchbesteller diejenigen Rechte zustehen, welche die Substanz betreffen, und dem Nießbraucher diejenigen, welche sein Fruchtziehungsrecht betreffen.18 Grundlegend aus steuerlicher Sicht war (und ist) dabei die Entscheidung des BFH vom 1.3.199419, aus der sich vereinfacht die nachfolgend tabellarisch dargestellte Verteilung zwischen Nießbrauchbesteller und Nießbraucher ergibt:

15 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 14. 16 Zivilrechtlich bestehen jedoch zahlreiche Zweifelsfragen hinsichtlich der Aufteilung der Mitgliedschaftsrechte, weshalb eine vertragliche Klarstellung immer empfehlenswert ist; hierzu etwa Kepper, NZG 2019, 211 (212). 17 Vgl. ausführlich Hannes/Oenings in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG22, Rz. 8.319 mwN; Hermes, DStR 2019, 1777 (1781) mwN. 18 Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG17, § 13b Rz. 17. 19 BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen Mitunternehmerrisiko Gesellschafter/Nießbrauchbesteller

Nießbraucher

Ertrag aus der Realisierung stiller Reserven des Anlagevermögens

Entnahmefähiger Gewinn im Rahmen der Fruchtziehung

Ertrag aus der Realisierung stiller Reserven und des Geschäftswerts bei Gesamtveräußerung oder Liquidation in Form des Auseinandersetzungsguthabens

Mittelbare Verlustteilnahme durch entsprechende Reduzierung laufender Gewinne

Verlusttragung spätestens bei Gesamtveräußerung oder Liquidation (evtl. Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten) Mitunternehmerinitiative Gesellschafter/Nießbrauchbesteller

Nießbraucher

Ausschließliches Stimmrecht bei Kernbereichsbeschlüssen

Stimmrecht bei Beschlüssen über laufende Angelegenheiten (nicht bei KG-Anteil, da Kommanditist von laufender Geschäftsführung ausgeschlossen)

Stimmrecht bei Beschlüssen über Grundlagengeschäfte und außergewöhnliche Geschäfte (hier aber Zustimmungsrecht des Nießbrauchers, soweit betroffen)

Informations- und Kontrollrechte zur Sicherung des Fruchtziehungsrechts

Auf vorgenannte Beschlussgegenstände bezogene Informationsund Kontrollrechte

Zustimmungsrecht bei Maßnahmen des Bestellers, die das Nießbrauchrecht beeinträchtigen könnten (vergleichbar dem Widerspruchsrecht des Kommanditisten)

Versagt hat der BFH die Mitunternehmerstellung der Beschenkten insbes. in folgenden Fällen: –

Vorbehalt der Ausübung der Gesellschaftsrechte durch die Eltern bei gleichzeitiger Erteilung einer (vorsorglichen) unwiderruflichen Stimmrechtsvollmacht zugunsten der Eltern,20

20 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312 = FR 2009, 677.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen



Vorbehalt der Stimmrechte durch den Schenker auch für Grundlagengeschäfte,21



Vorbehalt von quotenmäßigen Stimm- und Mitverwaltungsrechten durch den Schenker mittels einer Vollmacht des Beschenkten und der Widerrufsmöglichkeit hinsichtlich der Schenkung bei Widerruf der Vollmacht durch den Beschenkten oder der fehlenden Befolgung der Weisungen des Schenkers,22



Vorbehalt sämtlicher Stimm- und Mitverwaltungsrechte durch den Schenker und Nießbraucher,23



Gesellschaftsvertragliche Regelung des Stimmrechts, wonach das Stimmrecht im Fall eines Nießbrauchs allein dem Nießbraucher zustehen soll,24



Vorbehalt der Stimmrechte auch für Grundlagengeschäfte, ergänzt durch entsprechende Stimmrechtsvollmacht.25

Das FG Düsseldorf hat allerdings auch zutreffend ausgeführt, dass die Gewährung einer Stimmrechtsvollmacht nicht grundsätzlich der Ausübung von Mitunternehmerinitiative entgegensteht, solange der Beschenkte auch selbst die ihm als Gesellschafter zustehenden Stimmrechte ausüben kann.26 Der – aufgrund der erbschaftsteuerlichen Veranlassung vor allem durch den II. Senat des BFH geprägten – Lehre von der doppelten Mitunternehmerschaft folgt auch die FinVerw. In den am 11.10.2019 verabschiedeten

21 BFH v. 23.2.2010 – II R 42/08, BStBl. II 2010, 555 = GmbHR 2010, 669. Hier hat der BFH auch das Argument der Einheitlichkeit des Mitunternehmeranteils abgelehnt. In der Folge hat der BFH auch noch an anderer Stelle im Hinblick auf die Betriebsvermögensverschonung betont, dass die Mitunternehmerstellung gerade durch das erworbene Vermögen vermittelt werden muss. 22 BFH v. 16.5.2013 – II R 5/12, BStBl. II 2013, 635 = GmbHR 2013, 839. 23 BFH v. 1.10.2014 – II R 40/12, BFH/NV 2015, 500. 24 BFH v. 1.10.2014 – II R 43/14, BFH/NV 2015, 502. 25 BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821 = FR 2016, 146; v. 6.5.2015 – II R 45/13, BFH/NV 2015, 1412; v. 6.5.2015 – II R 36/13, BFH/NV 2015, 1414. Beachtenswert ist hier folgender Zusatz: „Soweit aus dem BFH-Urteil vom 16.5.2013 – II R 5/12 („und verfahren die Gesellschafter danach“) geschlossen werden könnte, es komme auf das Verhalten nach der Übertragung an, wird klargestellt, dass für die schenkungsteuerliche Beurteilung allein die vertraglichen Regelungen im Zeitpunkt der Übertragung und nicht das Verhalten der Beteiligten nach Übertragung des Gesellschaftsanteils maßgeblich sind.“ 26 FG Düss. v. 24.8.2016 – 4 K 3250/15 Erb, EFG 2016, 1727.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

Erbschaftsteuerrichtlinien 2019 heißt es in R E 13b.30 Abs. 6 ErbStR 2019,27 die sich vordergründig mit dem Zuwendungsnießbrauch befasst: „Wenn ein Nutzungsrecht an einer Beteiligung an einer Personengesellschaft erworben wird, liegt begünstigungsfähiges Betriebsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG vor, wenn es so ausgestaltet ist, dass der Nießbraucher ertragsteuerlich als Mitunternehmer der Personengesellschaft anzusehen ist.“

Sodann unterscheidet die FinVerw. für die Ermittlung des Verwaltungsvermögens, der Finanzmittel etc., die auf das Nießbrauchrecht entfallen, im Wesentlichen zwei Fälle: „Ist der zivilrechtliche Eigentümer des Gesellschaftsanteils Mitunternehmer der Gesellschaft, erfolgt die Ermittlung (…)“

Und „Handelt es sich bei dem zivilrechtlichen Eigentümer des Gesellschaftsanteils nicht um einen Mitunternehmer der Personengesellschaft, sind (…).“

Die FinVerw. setzt damit jedenfalls die Möglichkeit einer doppelten Mitunternehmerstellung voraus. Diese über Jahre gefestigte und in der Praxis angewandten Grundsätze scheinen nun durch Entscheidungen zweier Senate des BFH ins Wanken geraten zu sein. cc) Die Zweifel des IV. Senats Der IV. Senat des BFH könnte insbes. mit folgender Formulierung in seiner Entscheidung vom 19.7.201828 (betreffend eine atypisch stille Gesellschaft) die Annahme der doppelten Mitunternehmerstellung in Frage gestellt haben: „Dem steht nicht entgegen, dass der Erwerber eines Gesellschaftsanteils kein Mitunternehmer wird, wenn ihm zwar einige, aber nicht alle Mitgliedschaftsrechte übertragen werden (vgl. zB BFH v. 6.5.2015 … zur unentgeltlichen Übertragung eines Kommanditanteils unter Nießbrauchsvorbehalt). Denn in einem solchen Fall geht es nicht um die hier streitige Frage, ob für den Gesellschaftsanteil überhaupt eine Mitunternehmerstellung vorliegt, sondern um die davon zu unterscheidende Frage, ob eine bestehende Mitunternehmerstellung auf den Erwerber des Gesellschaftsanteils übergegangen ist. Ausgehend von dem Grundsatz, dass an einem Gesellschaftsanteil nur eine einzige Mitunternehmerstellung begründet werden kann, ist der Erwerber eines Gesellschaftsanteils nur dann Inhaber der daran bestehenden Mitunternehmerstellung geworden, wenn Mitunternehmerinitiative 27 Zuvor schon gleich lautende Ländererlasse v. 2.11.2012, BStBl. I 2012, 1101 = StEK ErbStG § 13b Nr. 13. 28 BFH v. 19.7.2018 – IV R 10/17, BFH/NV 2018, 1268 = GmbHR 2018, 1228.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen und Mitunternehmerrisiko vollständig auf ihn übergegangen sind (z.B. BFH v. 1.3.2018 …).“

Ähnlich hatte der IV. Senat schon in seiner Entscheidung vom 1.3.201829 (betreffend den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums) formuliert: „Der steuerrechtlich maßgebliche Zeitpunkt der Veräußerung des Anteils an einer Personengesellschaft kann bereits vor der zivilrechtlichen Übertragung des Gesellschaftsanteils liegen, wenn der Erwerber aufgrund eines zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann, und Mitunternehmerrisiko sowie Mitunternehmerinitiative vollständig auf ihn übergegangen sind.“

Die Sorge im Schrifttum,30 der IV. Senat könne möglicherweise mit seinen Ausführungen die Annahme einer doppelten Mitunternehmerschaft auch bei Nießbrauchgestaltungen in Frage stellen, wird angesichts folgender Aussage desselben Senats bereits in seiner Entscheidung vom 3.12.201531, die im Unterschied zu den beiden vorstehenden Entscheidungen eine Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt betraf, verständlich: „Dort ging es nur um die Frage, ob der Nießbraucher, dem nach dem gesetzlichen Leitbild, wie auch im Streitfall, nur ein Fruchtziehungsrecht zusteht, als Mitunternehmer anzusehen ist. Ob der Senat an dieser Rechtsprechung festhält, bedarf deshalb im Streitfall keiner Entscheidung.“

Mit „dort“ meint der Senat seine Entscheidung vom 11.4.1973.32 Die Aussagen des IV. Senats werden im Schrifttum überwiegend kritisch beurteilt; teils wird aber auch in Frage gestellt, ob der IV. Senat damit tatsächlich eine Abkehr von der bisherigen Sichtweise der doppelten Mitunternehmerstellung bei einem mit einem Nießbrauch belasteten Mitunternehmeranteil einleiten will. Hierzu wird insbes. eingewandt, –

dass es bei der Entscheidung vom 1.3.2018 allein um die Frage ging, ob dem Erwerber noch vor der zivilrechtlichen Übertragung des Gesellschaftsanteils der Mitunternehmeranteil und der damit verbundene Gewinnanspruch zugerechnet werden konnte. Eine Übertragung unter Nießbrauchvorbehalt sei aber einem Anteilsverkauf nicht vergleichbar.33 Denn bei einem Anteilsverkauf könne entweder nur be-

29 BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539 = FR 2018, 951. 30 Vgl. Hermes, DStR 2019, 1777; Götz, FR 2019, 605; Strahl, kösdi 2019, 21355. 31 BFH v. 3.12.2015 – IV R 43/13, BFH/NV 2016, 742. 32 BFH v. 11.4.1973 – IV R 67/69, BStBl. II 1973, 528 = FR 1973, 291. 33 Götz, FR 2019, 605 (607).

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

reits der Erwerber oder nur noch der Veräußerer Mitunternehmer sein, eine doppelte Mitunternehmerstellung sei hier nicht denkbar. Es gehe allein um den Zeitpunkt des Übergangs. Beim Nießbrauchvorbehalt hingegen verteilen sich gerade die Gewinne auf Gesellschafter und Nießbraucher; so stehen die entnahmefähigen Gewinne aus der Fruchtziehung dem Nießbraucher und die Gewinne aus der Realisierung stiller Reserven dem Gesellschafter zu.34 –

dass für eine doppelte Mitunternehmerstellung zudem spreche, dass eine solche in § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Alt. 2 EStG gerade vorausgesetzt werde. Das Gesetz selbst gehe insbes. für die Teil-Anteilsübertragung gerade von der Zulässigkeit einer vertikalen Teilung des Mitunternehmeranteils aus.35



dass auf der Grundlage der Rspr. des II. Senats zudem davon auszugehen sei, dass mit der Nießbrauchbestellung neben dem Gesellschaftsanteil ein weiteres Wirtschaftsgut, eben das Nießbrauchrecht, entsteht, das als Mitunternehmeranteil besonderer Art (s.o.) qualifiziert.36 Diese beiden Wirtschaftsgüter könnten aber durchaus unterschiedlichen Personen zugerechnet werden.37



dass die Fälle, die den IV. Senat zu seinen Aussagen bewogen haben, sich durchweg von der klassischen Anteilsübertragung unter Nießbrauchvorbehalt unterschieden. Dies gelte auch für die Entscheidung vom 3.12.201538, in welcher der Senat offengelassen hat, ob er an der Rspr. festhält, dass der Nießbraucher, dem nach dem gesetzlichen Leitbild nur ein Fruchtziehungsrecht zustehe, als Mitunternehmer anzusehen ist. Hier ging es um die Frage der Verlustzurechnung und der Senat entschied lediglich, dass mangels einer vertraglichen Regelung die Verluste dem Gesellschafter zuzurechnen sind, sofern er eben als Mitunternehmer zu qualifizieren ist.39 Ein generelles Abstellen auf eine unmittelbare Verlusttragung auch bei der Qualifikation als Mitunternehmer erscheint zudem unangemessen, maßgeblich bleibt vielmehr, dass der Nießbraucher mittelbar durch die Reduzierung seiner künftigen Gewinne am Verlust teilnimmt.

34 35 36 37 38 39

Vgl. Götz, FR 2019, 605 (607) mwN. Stein, ZEV 2019, 131 (135); Götz, FR 2019, 605 (607). Hermes, FR 2019, 852 (854); Hermes, Ubg. 2018, 566 (572). Götz, FR 2019, 605 (608). BFH v. 3.12.2015 – IV R 43/13, BFH/NV 2016, 742. Vgl. Stein, ZEV 2019, 131 (135); Götz, FR 2019, 605 (607).

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

dd) Die neue Voraussetzung einer Buchwertübertragung des X. Senats Der X. Senat des BFH hat mit Entscheidung vom 25.1.201740 zu dem Fall der Schenkung eines (ruhenden) Gewerbebetriebs (Einzelunternehmen) unter Nießbrauchsvorbehalt als Leitsatz formuliert, dass eine Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG nur dann in Betracht kommt, wenn „der Übertragende seine bisherige Tätigkeit einstellt“.

Daran aber fehle es, „wenn die einzige wesentliche Betriebsgrundlage aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauchs vom bisherigen Betriebsinhaber weiterhin gewerblich genutzt wird.“

Zwar war im konkreten Fall ein ruhender Gewerbebetrieb betroffen, der X. Senat erklärte aber ausdrücklich, dass es für ihn keine Rolle spiele, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter Betrieb unter Vorbehaltsnießbrauch übertragen wird. Konsequenz einer solchen Versagung der Buchwertfortführung wäre, dass der vom Beschenkten erworbene nießbrauchbelastete Betrieb nicht begünstigungsfähig iSd. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist. Der X. Senat hat in seiner Entscheidung eine ausdrückliche Abgrenzung zur Rspr. des IV. Senats in Bezug auf die Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs unter Vorbehaltsnießbrauch vorgenommen. Erst mit Entscheidung vom 7.4.201641 hatte der IV. Senat ausgeführt, dass es keinen Unterschied mache, ob der wirtschaftende Betrieb zusammen mit dem Eigentumsübergang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Wegfall des Nießbrauchs übertragen wird. Vielmehr werde der Betrieb zunächst mit der Übertragung unter Nießbrauchvorbehalt in zwei Betriebe aufgespalten, nämlich den ruhenden Eigentümerbetrieb und den aktiven Nießbrauchbetrieb, und nach Wegfall des Nießbrauchs wieder in der Person des Rechtsnachfolgers vereinigt. Der X. Senat ist jedoch der Auffassung, § 6 Abs. 3 EStG sei für land- und forstwirtschaftliche Betriebe einerseits und für Gewerbebetriebe andererseits unterschiedlich auszulegen. Mit Entscheidungen vom 23.10.201842 und 8.5.201943 hat nun aber auch der VI. Senat für den Fall der unentgeltlichen Übertragung eines verpachteten land- und forstwirtschaftlichen Betriebs unter Vorbehaltsnießbrauch die Rspr. des IV. Senats ausdrücklich bestätigt. Gleichzeitig ist er 40 41 42 43

BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BStBl. II 2019, 730 = FR 2017, 1055. BFH v. 7.4.2016 – IV R 38/13, BStBl. II 2016, 765. BFH v. 23.10.2018 – VI R 5/17, BStBl. II 2019, 601. BFH v. 8.5.2019 – VI R 26/17, BStBl. II 2019, 660.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

in der Entscheidung vom 8.5.2019 – relativ deutlich – der Rspr. des X. Senats entgegengetreten: „Soweit der X. Senat des BFH für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb eine abweichende Auffassung vertritt (BFH Urteil in BFHE 257, 227), hat der Senat erhebliche Bedenken, ob er sich dem anschließen könnte.“

Schon in der Entscheidung vom 23.10.2018 hatte er formuliert: „Entgegen der Auffassung des FA sind die vorstehenden Ausführungen nicht auf Forstbetriebe zu beschränken.“

Auch die vorgenannte Entscheidung des X. Senats vom 25.1.2017 hat im Schrifttum überwiegend Kritik erfahren. Insbesondere wird angeführt: –

Die Unterscheidung zwischen der Übertragung gewerblicher und landwirtschaftlicher Betriebe finde im Gesetz keine Grundlage, die unterschiedliche Auslegung verstoße vielmehr gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.44



§ 6 Abs. 3 EStG ordne die Buchwertfortführung sogar für Fälle an, in denen der Übertragende gewerblich tätig bleibt, so insbes. für die Aufnahme einer natürlichen Person in ein Einzelunternehmen und die Übertragung von Teilen eines Mitunternehmeranteils.45



Nicht nur „vertikale Spaltungen“ des Betriebs (§ 6 Abs. 3 Satz 1 EStG), sondern auch „horizontale Spaltungen“ (§ 6 Abs. 3 Satz 2 EStG) seien privilegiert.46



Auch wenn man dem X. Senat für den Fall des Nießbrauchvorbehalts am Einzelunternehmen folgen sollte, käme eine Übertragung dieser Grundsätze auf die Fälle des Nießbrauchvorbehalts am Mitunternehmeranteil nicht in Betracht, da die Mitunternehmerschaft Subjekt der Tätigkeitszurechnung ist und es somit für die Buchwertfortführung nicht auf die Fortführung oder Einstellung der Tätigkeit des übertragenden Mitunternehmers ankommen könne.47

Die aufgezeigte Problematik dürfte sich nicht bei einem isolierten Vorbehaltsnießbrauch nur am Sonderbetriebsvermögen bei der Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils ergeben, die im Schrifttum weit44 Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1222f (Stand 10/2018); Kepper, NZG 2019, 211 (213). 45 Messner, MittBayNot. 2018, 1 (2); Gräfe/Kraft, ZEV 2017, 471 (477); dazu auch Wendt, FR 2017, 1055 (1061). 46 Kepper, NZG 2019, 211 (214). 47 Kepper, NZG 2019, 211 (214); Messner, MittBayNot. 2018, 1 (3); Götz, DStZ 2018, 540 (542).

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

gehend als gestaltungssicher angesehen wird, zumal der Nießbrauch dann zum Privatvermögen gehört. ee) Weitere Entwicklungen Zuletzt war die Entscheidung des X. Senats vom 25.1.2017 auch noch durch das FG Münster mit Urteil vom 20.9.2019 bestätigt worden.48 Der Entscheidung lag wiederum die (Sonder-) Konstellation eines ruhenden Gewerbebetriebs (Einzelunternehmens) zugrunde. Unter Bezugnahme auf das Urteil des X. Senats vom 25.1.2017 heißt es in der Entscheidung des FG Münster: „Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Da § 7 Abs. 1 EStDV bzw. § 6 Abs. 3 EStG der Gedanke zugrunde liegt, dass mit der Betriebsübertragung die Erwerbsquelle übergeht, kann die Fortführung der bisherigen betrieblichen Tätigkeit durch den Übertragenden diesen Anforderungen nicht gerecht werden.“

In dem jüngst veröffentlichten BMF-Schreiben vom 20.11.2019 betreffend Zweifelsfragen zu § 6 Abs. 3 EStG49 hat das BMF nun erstmalig ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Übertragung eines Mitunternehmeranteils unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG nicht entgegensteht und dabei die Grundsätze des zu Einzelbetrieben mit gewerblichen Einkünften nach § 15 EStG ergangenen BFH-Urteils vom 25.1.2017 gerade nicht für die Übertragung von Mitunternehmeranteilen gelten sollen.50 d) Abgrenzung: Nießbrauch am Kapitalgesellschaftsanteil Bei einem Nießbrauch an einem GmbH-Anteil kann idR nur das wirtschaftliche Eigentum des Beschenkten in Frage stehen.51 Doch auch, wenn dieses nicht mit übergeht, bleibt die Schenkung schenkungsteuerbar und der Anteil verschonungsfähig. Die FinVerw.52 differenzierte ursprünglich nach Art des Nießbrauchs, wobei beim Vorbehalts- und Vermächtnisnießbrauch eine Zurechnung beim Nießbraucher und beim 48 FG Münster v. 20.9.2019 – 11 K 4132/15 E, G, EFG 2020, 255. 49 BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003 – DOK 2019/0964762, BStBl. I 2019, 1291 = FR 2020, 52. 50 BMF v. 20.11.2019 – IV C 6 - S 2241/15/10003 – DOK 2019/0964762, BStBl. I 2019, 1291 = FR 2020, 52 Rz. 7. 51 Hierzu BFH v. 24.1.2012 – IX R 51/10, BStBl. II 2012, 308 = FR 2012, 642. 52 BMF v. 23.11.1983 – IV B 1 - S 2253 - 103/83, BStBl. I 1983, 508 (das BMFSchreiben ist in der jährlichen „Positivliste“ der Finanzverwaltung aber nicht mehr aufgeführt).

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

Zuwendungsnießbrauch eine Zurechnung beim Gesellschafter erfolgen sollte. Die finanzgerichtliche Rspr. orientiert sich demgegenüber an den allgemeinen Grundsätzen der Einkünftezurechnung im Rahmen des § 20 EStG, wonach es für die Zurechnung „auf die Dispositionsbefugnis über die Einkunftsquelle“53 und den „wirtschaftlichen Inhaber“54 ankommen soll. e) Zuwendungsnießbrauch am Mitunternehmeranteil Eine Begünstigung nach §§ 13a, 13b ErbStG auch für den Zuwendungsnießbrauch wurde nach der früheren Auffassung der Finanzverwaltung verneint. Begründet wurde dies damit, dass kein Gesellschaftsanteil übergeht („zivilrechtliche Betrachtungsweise“). Nach einer Entscheidung des BFH vom 1.9.201155 hingegen ist es ausreichend, wenn die Mitunternehmerstellung übergeht, auch ohne Anteil an der Gesellschaft („wirtschaftliche Betrachtungsweise“). Nach den gleichlautenden Erlassen vom 2.11.201256 (jetzt R E 13b.30 Abs. 6 ErbStR 2019) ist der Zuwendungsnießbrauch begünstigungsfähig, wenn der Nießbrauch so ausgestaltet ist, dass der Nießbraucher Mitunternehmer wird. Das Nießbrauchrecht gehört dann als immaterielles Wirtschaftsgut zum Sonderbetriebsvermögen des Nießbrauchers als Mitunternehmer. Während die isolierte Übertragung von Sonderbetriebsvermögen grundsätzlich nicht begünstigungsfähig ist, kommt bei der Einräumung eines Nießbrauchrechts eine Begünstigung in Betracht, da hier der Mitunternehmeranteil ausschließlich aus dem Sonderbetriebsvermögen besteht. Zur Ermittlung, inwieweit der begünstigungsfähige Nießbrauch tatsächlich begünstigt ist, wird danach unterschieden, ob auch der Gesellschafter Mitunternehmer ist (dann wird auf den belasteten Anteil abgestellt und das Verwaltungsvermögen, das junge Verwaltungsvermögen, die Finanzmittel, die jungen Finanzmittel und die Schulden nach dem Verhältnis Kapitalwert zu Anteilswert zugeordnet). Bei einem nur teilweise belasteten Anteil wird auf den entsprechenden Teilanteil abgestellt. Bei Vorhandensein von Sonderbetriebsvermögen ist auch dieses in die Ermittlung einzubeziehen, sofern sich der Nießbrauch darauf erstreckt. Ist das nicht der Fall, erfolgt die Zuordnung des für die gesamte Einheit zu ermitteln53 54 55 56

FG Münster v. 14.1.2003 – 7 K 2638/00, EFG 2003, 690, rkr. FG Münster v. 16.5.2013 – 2 K 577/11 E, EFG 2014, 270, rkr. BFH v. 1.9.2011 – II R 67/09, BStBl. II 2013, 210 = GmbHR 2011, 1331. Gleich lautende Ländererlasse v. 2.11.2012, BStBl. I 2012, 1101 = StEK ErbStG § 13b Nr. 13.

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den Verwaltungsvermögens, des jungen Verwaltungsvermögens, der Finanzmittel, der jungen Finanzmittel und der Schulden nach dem Verhältnis des Kapitalwerts zum Wert des Gesamthandsvermögens.

III. Praxisrelevante Einzelfragen 1. Nießbrauchverzicht Der unentgeltliche Verzicht auf ein Nießbrauchrecht ist idR steuerpflichtig nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Bemessungsgrundlage der Besteuerung ist der Kapitalwert des Nießbrauchrechts im Zeitpunkt des Verzichts. Gegenüber dem Kapitalwert im Zeitpunkt des Vorbehalts oder der Zuwendung wirkt sich die in der Zwischenzeit reduzierte Lebenserwartung mindernd aus, eine – auch nur inflationsbedingte – Erhöhung des Jahreswerts hingegen erhöhend. Soweit in Altfällen ein vorbehaltener Nießbrauch nach § 25 ErbStG aF den Wert des Erwerbs nicht minderte, ist der seinerzeit vom Abzug ausgeschlossene Steuerwert des Nießbrauchrechts vom Wert des Verzichts in Abzug zu bringen.57 Die Bereicherung aufgrund Nießbrauchverzichts ist begünstigungsfähig, wenn der Bereicherte Mitunternehmer wird oder bleibt „[…] und dadurch eine Mitunternehmerstellung des Nießbrauchers auf den Gesellschafter übergeht.“58

2. Neue Aussagen der Finanzverwaltung zur Begünstigungsfähigkeit des fiktiven Nießbrauchs nach § 29 Abs. 2 ErbStG Neu ist, dass der – von der FinVerw. so genannte – „fiktive Nießbrauch“ nach § 29 Abs. 2 ErbStG nicht begünstigungsfähig sein soll. Der begünstigungsfähige Mitunternehmeranteil als der ursprüngliche Zuwendungsgegenstand werde durch einen neuen Zuwendungsgegenstand „fiktiver Nießbrauch“, der nicht begünstigungsfähig sei, ausgetauscht.59 UE will § 29 Abs. 2 ErbStG jedoch lediglich das in Abs. 1 angeordnete Erlöschen der Steuerpflicht begrenzen, so dass es bei der Besteuerung des Nutzungsvorteils verbleibt. Durch Abs. 2 kann sich keine höhere als die ursprüngliche Steuerbelastung ergeben. Es findet auch kein Austausch des Zuwendungsgegenstands statt. Insbesondere ändert die Rückabwicklung der Schenkung eines Mitunternehmeranteils nichts daran, dass der

57 BFH v. 20.5.2014 – II R 7/13, BStBl. II 2014, 896 = FR 2015, 96. 58 R E 13b.30 Abs. 6 Satz 1 und 2 ErbStR 2019. 59 R E 29 Satz 3 und 4 ErbStR 2019.

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Hannes, Chancen und Risiken von Nießbrauchvereinbarungen

Erwerber im Zeitpunkt der Steuerentstehung und bis zur Rückabwicklung Mitunternehmer war.

3. Vorbehaltsnießbrauch in der Grunderwerbsteuer Sofern die Übertragung in gerader Linie oder zwischen Ehegatten erfolgt, ist die Schenkung insgesamt steuerbefreit (§ 3 Nr. 4 und 6 GrEStG). Mangels Steuerbefreiung ist aber grunderwerbsteuerpflichtig eine Schenkung außerhalb gerader Linie (etwa Onkel an Neffe, Bruder an Schwester), soweit diese unter Nießbrauchvorbehalt erfolgt. Seit der Abschaffung des § 25 ErbStG qualifiziert der vorbehaltene Nießbrauch schenkungsteuerlich als Gegenleistung, dh. insoweit unterliegt der Erwerb nicht der Schenkungsteuer. Die Grunderwerbsteuerfreiheit aufgrund der Schenkung (§ 3 Nr. 2 GrEStG) greift damit nur für den Anteil abzüglich des Nießbrauchs. In Höhe des Nießbrauchwerts können somit Grunderwerbsteuern ausgelöst werden.60 Bei der Schenkung von Gesellschaftsanteilen (sofern ein Grunderwerbsteuertatbestand ausgelöst wird, § 1 Abs. 2a und 3 GrEStG) unter Nießbrauchvorbehalt in ungünstigen Steuerklassen (Neffen und Nichten) können sich auch dann grunderwerbsteuerliche Fragen stellen, wenn sich im Gesellschaftsvermögen Grundstücke befinden.61 Steuerauslösend ist bereits die grundsätzliche schenkungsteuerliche Abziehbarkeit; unerheblich ist, ob die Nießbrauchslast tatsächlich bei der Schenkungsteuer abgezogen wurde.62

IV. Fazit Der Nießbrauch als Gestaltungsinstrument zur Versorgungssicherung in der Nachfolgeplanung hat bei der Übertragung von Mitunternehmeranteilen durch die jüngere BFH-Rspr. an Gestaltungssicherheit verloren, auch wenn sich die FinVerw. in dem BMF-Schreiben vom 20.11.2019 ausdrücklich gegen die Übertragung der Grundsätze des zu einem verpachteten Einzelunternehmen ergangenen Urteils des X. Senats vom 25.1.2017 auf Mitunternehmeranteile ausgesprochen hat. Es bleibt abzuwarten, ob 60 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 37 Rz. 47 (Stand 4/2019). 61 Vgl. FinMin. Bad.-Württ. v. 15.4.2009 – S 450.5/3, DB 2009, 1156 = StEK GrEStG § 3 Nr. 30. 62 BFH v. 12.7.2016 – II R 57/14, BStBl. II 2016, 897 (betr. nach § 13 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b ErbStG steuerfreie Übertragung auf einen gemeinnützigen Verein).

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insbes. der IV. Senat des BFH die Gelegenheit erhält, seine bisher nur als obiter dicta ergangene Rspr. zu bestätigen, wobei dann angesichts der bisherigen stRspr. des II. Senats wohl eine Anrufung des Großen Senats angezeigt sein dürfte.

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Ausgewählte Aspekte zur Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Diplom-Finanzwirt Wilfried Mannek Regierungsdirektor, Ministerium der Finanzen NRW, Düsseldorf I. Vorbehaltsnießbrauch bei Übertragung von Betriebsvermögen II. Bewertung des Zuwendungsund Vorbehaltsnießbrauchs 1. Überblick 2. Kapitalisierungserlass vom 10.10.2010 3. Dauer des Nießbrauchsrechts 4. Bewertung nach § 13 BewG a) Norminhalt b) Anlage 9a zum BewG (zu § 13 BewG) c) Bewertung von Nießbrauchsrechten mit bestimmter Laufzeit d) Nießbrauchsrechte mit unbestimmter Dauer e) Nießbrauchsrechte mit immerwährender Dauer 5. Bewertung nach § 14 BewG a) Regelungsgehalt b) Übersicht der BMF-Schreiben zu § 14 Abs. 1 BewG c) Tabelle 2019: Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG d) Beispiel „Lebenslängliches Nießbrauchsrecht“ e) Tabelle 2020: Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG f) Beispiel „Lebenslängliches Nießbrauchsrecht“ 6. Berichtigung nach § 14 Abs. 2 BewG 7. Abhängigkeit vom Leben mehrerer Personen a) Regelungsgegenstand

b) Abhängigkeit vom länger Lebenden c) Dauer bei einer aufschiebenden Bedingung d) Zuerst Versterbender berechtigte Person e) Zuletzt Versterbender berechtigte Person f) Sinkende Bezüge nach Tod des Erstversterbenden g) Verlängerte Leibrente h) Höchstzeitbegrenzung/ ungewisse Dauer 8. Nachweis eines abweichenden gemeinen Werts III. Jahreswert 1. Einführung 2. Jahreswert von Sachbezügen 3. Schwankende Nutzungen und Leistungen 4. Jahreswert beim Nießbrauch am Betriebsvermögen 5. Begrenzung des Jahreswerts bei Nutzungen (§ 16 BewG) IV. Schuldenkürzung nach § 10 Abs. 6 ErbStG 1. Bedeutung 2. Nachträglicher Wegfall der Schuldenkürzung a) Überblick b) Steuerbefreiung bei nachträglichem Wegfall der Belastung c) Begünstigung nach § 13a ff. ErbStG bei Wegfall der Belastung

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer 3. Nachversteuerung bei der Betriebsvermögensbefreiung a) Beispiel Lohnsummenverstoß V. Steuerwert des Nießbrauchs in der Rechtsprechung 1. BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17 (BStBl. II 2018, 660)

2. Mehreren Personen nacheinander zustehendes Nutzungsrecht 3. Abzinsung einer aufschiebend bedingten Rentenlast VI. Nutzungsrechte beim Grundbesitzwert

I. Vorbehaltsnießbrauch bei Übertragung von Betriebsvermögen Bei der Regelung der Vermögensnachfolge gehören Vermögensübertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt in der Praxis zu den Standardfällen. Dabei können verschiedene Vorteile gleichzeitig realisiert werden. Zum einen überträgt der Schenker zwar das Vermögen, zum anderen sichert er sich aber weiterhin die Erträge an dem Vermögen. Daneben kann sich der Nießbraucher möglicherweise weitere Rechte vorbehalten, um weiterhin Einfluss auszuüben. Bei der Vermögensübertragung gegen Nießbrauchsvorbehalt sollte den Beteiligten jedoch klar sein, dass die künftig im Rahmen des Nießbrauchs anfallenden Erträge zu neuem Vermögen führen, das zu einem späteren Zeitpunkt der Erbschaft-/Schenkungsteuer unterliegen kann. Das gilt selbstverständlich nicht, wenn die aus dem Nießbrauch resultierenden Erträge weitgehend verbraucht werden. In diesem Zusammenhang ist das Urteil des BFH vom 25.1.20171 zu einem Einzelunternehmen zu beachten. Das Urteil betrifft in erster Linie die Ertragsteuer. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das Urteil auf die Erbschaft-/Schenkungsteuer hat. Der II. Senat des BFH2 hatte die doppelte Mitunternehmerschaft in der Vergangenheit anerkannt. Nach Auffassung des BFH und der FinVerw. reicht es bislang für die Begünstigungen des betrieblichen Vermögens nach §§ 13a, 13b ErbStG aus, wenn der Übernehmer Mitunternehmer wird. Dabei sei es nicht erforderlich, dass der Übertragende seine Mitunternehmerstellung aus dem übertragenden Anteil vollständig verliere. Sofern

1 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BStBl. II 2019, 730 = FR 2017, 1055. 2 Vgl. BFH v. 1.10.2014 – II R 40/12, DStZ 2015, 238.

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die Rspr. des BFH zur Ertragsteuer auf Mitunternehmeranteile zu übertragen wäre, ist davon auszugehen, dass die Begünstigungen der §§ 13a, 13b ErbStG nicht mehr möglich sind. Denn die Begünstigungen iSd. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG sind nur zulässig, wenn der Übernehmer des Betriebsvermögens – ertragsteuerlich – Mitunternehmer wird.3 Vgl. im Einzelnen Hannes in diesem Band, S. 173 ff.

II. Bewertung des Zuwendungs- und Vorbehaltsnießbrauchs 1. Überblick Im Folgenden soll auf die Bewertung des Nießbrauchs eingegangen werden. Der Nießbrauch ist das Recht, die Nutzungen einer fremden Sache, eines fremden Rechts oder eines Vermögens zu ziehen.4 Das Nießbrauchsrecht kann Zuwendungsgegenstand eines Erwerbs von Todes wegen (§ 3 ErbStG) oder einer Schenkung unter Lebenden (§ 7 ErbStG) sein. Das Recht kann bei der Übertragung von Todes wegen oder durch Schenkung unter Lebenden auch vorbehalten werden. Bewertungsrechtlich ist es unerheblich, ob das zugewendete oder vorbehaltene Nießbrauchsrecht zu bewerten ist. Die Bewertung richtet sich regelmäßig nach §§ 13 ff. BewG.

2. Kapitalisierungserlass vom 10.10.2010 Die Bewertung von Kapitalforderungen/-schulden (§ 12 Abs. 1 und 3 BewG) sowie von wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen (§§ 13 ff. BewG) erfolgt nach den Regelungen der gleich lautenden Erlasse zur „Bewertung von Kapitalforderungen und Kapitalschulden sowie von Ansprüchen/Lasten bei wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen nach dem 31.12.2009“.5

3 Vgl. auch Lieder/Pommerening, ZEV 2019, 564. 4 Nießbrauch an Sachen (§ 1030 BGB), Nießbrauch an einer Erbschaft (§ 1089 BGB). 5 Gleich lautende Ländererlasse v. 10.10.2010, BStBl. I 2010, 805 = StEK BewG § 12 Nr. 98. Die Erlasse gelten für Stichtage nach dem 31.12.2008. Für Stichtage nach dem 31.12.2001 gelten die gleich lautenden Erlasse v. 7.12.2001 (BStBl. I 2001, 1041 = StEK BewG § 12 Nr. 96). Für Besteuerungszeitpunkte nach dem

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Die Erlasse gelten für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2009. Allerdings sind die Erlasse auch für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2008 von Bedeutung, weil § 14 BewG mit dem ErbStRG bereits für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2008 geändert wurde. Die Bewertung der Kapitalforderungen/-schulden sowie der wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen werden in den Erlassen durch eine Vielzahl von Beispielen ausführlich dargestellt.

3. Dauer des Nießbrauchsrechts Der Wert des Rechts, die Nutzungen ziehen zu können, ist neben dem zugrunde zu legenden Jahreswert von der Laufzeit des Rechts abhängig. Ist die Dauer des Nießbrauchsrechts vertraglich auf eine festen Laufzeit begrenzt, richtet sich die Bewertung nach § 13 BewG. Hängt die Dauer des Nießbrauchsrechts vom Leben einer oder mehrerer Personen ab, richtet sich die Bewertung nach § 14 BewG. §§ 13 und 14 BewG betreffen die Bewertung von wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen, wobei das Nießbrauchsrecht regelmäßig den Nutzungsrechten zuzuordnen ist.

4. Bewertung nach § 13 BewG a) Norminhalt Nach § 13 Abs. 1 BewG ist der Kapitalwert von Nutzungen oder Leistungen, die auf bestimmte Zeit beschränkt sind, mit dem aus Anlage 9a zu entnehmenden Vielfachen des Jahreswerts anzusetzen. Ist die Dauer des Rechts außerdem durch das Leben einer oder mehrerer Personen bedingt, darf der nach § 14 BewG zu berechnende Kapitalwert nicht überschritten werden. Nach § 13 Abs. 3 BewG ist ein Nachweis des abweichenden gemeinen Werts zulässig. Danach ist der nachgewiesene gemeine Wert zugrunde zu legen, wenn der gemeine Wert der gesamten Nutzungen oder Leistungen nachweislich geringer oder höher ist. Allerdings kann der Ansatz eines geringeren oder höheren Werts nicht darauf gestützt werden, dass mit einem anderen Zinssatz als 5,5 % oder

31.12.1995 und vor dem 1.1.2002 gelten die gleich lautenden Erlasse v. 15.9.1997, BStBl. I 1997, 832 = StEK BewG § 13 Nr. 17).

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

mit einer anderen als mittelschüssigen Zahlungsweise zu rechnen ist. Damit hat der Nachweis in der Praxis nur eine geringe Bedeutung. b) Anlage 9a zum BewG (zu § 13 BewG) Der Kapitalwert der Anlage 9a zum BewG ist unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 % errechnet worden. Er ist der Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise. Kapitalwert einer wiederkehrenden, zeitlich beschränkten Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro Laufzeit in Jahren

Kapitalwert

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

0,974 1,897 2,772 3,602 4,388 5,133 5,839 6,509 7,143 7,745 8,315 8,856 9,368 9,853 10,314 10,750 11,163 11,555 11,927 12,279 12,613 12,929 13,229 13,513 13,783 14,038 14,280

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Kapitalwert einer wiederkehrenden, zeitlich beschränkten Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro

192

Laufzeit in Jahren

Kapitalwert

28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63

14,510 14,727 14,933 15,129 15,314 15,490 15,656 15,814 15,963 16,105 16,239 16,367 16,487 16,602 16,710 16,813 16,910 17,003 17,090 17,173 17,252 17,326 17,397 17,464 17,528 17,588 17,645 17,699 17,750 17,799 17,845 17,888 17,930 17,969 18,006 18,041

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Kapitalwert einer wiederkehrenden, zeitlich beschränkten Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro Laufzeit in Jahren

Kapitalwert

64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

18,075 18,106 18,136 18,165 18,192 18,217 18,242 18,264 18,286 18,307 18,326 18,345 18,362 18,379 18,395 18,410 18,424 18,437 18,450 18,462 18,474 18,485 18,495 18,505 18,514 18,523 18,531 18,539 18,546 18,553 18,560 18,566 18,572 18,578 18,583 18,589

193

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Kapitalwert einer wiederkehrenden, zeitlich beschränkten Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro Laufzeit in Jahren

Kapitalwert

100 101 mehr als 101

18,593 18,598 18,600

c) Bewertung von Nießbrauchsrechten mit bestimmter Laufzeit Die Bewertung von Nießbrauchsrechten mit bestimmter Laufzeit richtet sich nach § 13 BewG. Der Wert des Nießbrauchsrechts ergibt sich durch Multiplikation des Jahreswerts in Euro mit dem Vervielfältiger laut Anlage 9a zum BewG. Beispiel Jahreswert Dauer des Nießbrauchsrechts Vervielfältiger laut Anlage 9a zum BewG Der gemeine Wert ist wie folgt zu ermitteln: Jahreswert 20.000 t × 12,279 =

20.000 t 20 Jahre 12,279 245.580 t

d) Nießbrauchsrechte mit unbestimmter Dauer Sofern vertraglich keine konkrete Laufzeit vereinbart ist und die Dauer ungewiss ist, richtet sich die Bewertung nach § 13 Abs. 2 BewG. In diesen Fällen ist ein Vervielfältiger von 9,3 maßgebend. Beispiel Jahreswert Unbestimmte Dauer des Nießbrauchsrechts Vervielfältiger laut § 13 Abs. 2 BewG Der gemeine Wert ist wie folgt zu ermitteln: Jahreswert 10.000 t × 9,3 =

10.000 t 9,3 93.000 t

e) Nießbrauchsrechte mit immerwährender Dauer Bei Nutzungen und Leistungen mit einer immerwährenden Dauer bestimmt § 13 Abs. 2 BewG einen Vervielfältiger von 18,6. Eine immerwährende Dauer ist in der Praxis äußerst selten anzutreffen. Die Konstellation müsste in der Art angelegt sein, dass ein Recht beispielsweise durch eine Stiftung gewährt wird, wobei das Ende der Laufzeit 194

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

nicht benannt wird und das Recht auch nicht mit dem Tod des aktuell Berechtigten endet. Eine derartige Konstellation dürfte bei einem Nießbrauchsrecht kaum praxisrelevant sein.

5. Bewertung nach § 14 BewG a) Regelungsgehalt § 14 BewG regelt die Bewertung von lebenslänglichen wiederkehrenden Nutzungen oder Leistungen. § 14 Abs. 1 BewG ist ab 20096 neu gefasst worden. Der Kapitalwert ist mit dem Vielfachen des Jahreswerts zu ermitteln. Allerdings ist der Vervielfältiger nicht mehr aus Anlage 9 zum BewG abzulesen. Er richtet sich vielmehr nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamts. Das Bundesministerium der Finanzen stellt die Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro nach Lebensalter und Geschlecht der berechtigten Person in einer Tabelle zusammen und veröffentlicht diese zusammen mit dem Datum der Veröffentlichung der Sterbetafel im Bundessteuerblatt. § 14 Abs. 1 BewG hat folgenden Wortlaut: (1) 1Der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen ist mit dem Vielfachen des Jahreswerts nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzusetzen. 2Die Vervielfältiger sind nach der Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes zu ermitteln und ab dem 1. Januar des auf die Veröffentlichung der Sterbetafel durch das Statistische Bundesamt folgenden Kalenderjahres anzuwenden. 3Der Kapitalwert ist unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit einem Zinssatz von 5,5 Prozent als Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise zu berechnen. 4Das Bundesministerium der Finanzen stellt die Vervielfältiger für den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro nach Lebensalter und Geschlecht der Berechtigten in einer Tabelle zusammen und veröffentlicht diese zusammen mit dem Datum der Veröffentlichung der Sterbetafel im Bundessteuerblatt.

b) Übersicht der BMF-Schreiben zu § 14 Abs. 1 BewG Die bislang veröffentlichten Vervielfältiger ergeben sich aus folgenden Fundstellen:

6 § 14 Abs. 1 BewG idF des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz – ErbStRG) v. 24.12.2008.

195

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Bewertungsstichtage ab

Sterbetafel

Veröffentlicht am

BMF-Schreiben vom

1.1.2020

2016/2018

5.11.2019

2.12.2019, BStBl. I 2019, 1288 = StEK BewG § 14 Nr. 31

1.1.2019

2015/2017

18.10.2018

22.11.2018, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30

1.1.2018

2013/2015

22.10.2016

28.11.2017, BStBl. I 2017, 1526 = StEK BewG § 14 Nr. 29

1.1.2017

2013/2015

22.10.2016

4.11.2016, BStBl. I 2016, 1166 = StEK BewG § 14 Nr. 28

1.1.2016

2010/2012

22.4.2015

2.12.2015, BStBl. I 2015, 954 = StEK BewG § 14 Nr. 25

1.1.2015

2009/2011

2.10.2012

21.11.2014, BStBl. I 2014, 1576 = StEK BewG § 14 Nr. 24

1.1.2014

2009/2011

2.10.2012

13.12.2013, BStBl. I 2013, 1609 = StEK BewG § 14 Nr. 23

1.1.2013

2009/2011

2.10.2012

26.10.2012, BStBl. I 2012, 950 = StEK BewG § 14 Nr. 22

1.1.2012

2008/2010

20.9.2011

26.9.2011, BStBl. I 2011, 834 = StEK BewG § 14 Nr. 20

1.1.2011

2007/2009

4.11.2009

8.11.2010, BStBl. I 2010, 1288

1.1.2010

2006/2008

24.9.2009

1.10.2009, BStBl. I 2009, 1168 = StEK BewG § 14 Nr. 19

1.1.2009

2005/2007

22.8.2008

20.1.2009, BStBl. I 2009, 270 = StEK BewG § 14 Nr. 17

c) Tabelle 2019: Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG Das BMF hat gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG die Vervielfältiger zur Berechnung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen oder Leistungen mit Schreiben v. 22.11.20187 bekanntgegeben, die für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2019 anzuwenden sind. Der Kapitalwert ist nach der am 18.10.2018 veröffentlichten Allgemeinen Sterbetafel 2015/2017 des Sta7 BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30.

196

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

tistischen Bundesamts unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 % errechnet worden. Der Kapitalwert der Tabelle ist der Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise. Aus der Tabelle ergibt sich, dass eine Differenzierung nach dem Geschlecht der berechtigten Person zu erfolgen hat. Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro für Bewertungsstichtage ab 1.1.2019 Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

78,36 77,64 76,66 75,67 74,68 73,69 72,69 71,70 70,71 69,71 68,72 67,72 66,73 65,73 64,74 63,75 62,75 61,77 60,79 59,81 58,83 57,86 56,88 55,91 54,93 53,96

18,400 18,389 18,374 18,357 18,339 18,320 18,301 18,280 18,258 18,235 18,210 18,184 18,157 18,128 18,098 18,066 18,033 17,998 17,961 17,922 17,881 17,838 17,793 17,746 17,695 17,643

83,18 82,44 81,46 80,47 79,48 78,49 77,49 76,50 75,50 74,51 73,51 72,52 71,52 70,53 69,54 68,54 67,55 66,56 65,57 64,58 63,60 62,61 61,62 60,63 59,64 58,65

18,464 18,456 18,443 18,430 18,417 18,402 18,387 18,371 18,354 18,336 18,317 18,297 18,276 18,254 18,231 18,206 18,180 18,152 18,124 18,093 18,062 18,028 17,992 17,955 17,915 17,873

197

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61

52,98 52,01 51,03 50,06 49,09 48,12 47,15 46,18 45,21 44,25 43,29 42,32 41,37 40,41 39,45 38,50 37,55 36,61 35,66 34,73 33,80 32,87 31,95 31,03 30,13 29,23 28,34 27,46 26,59 25,73 24,88 24,05 23,22 22,42 21,62 20,83

17,587 17,528 17,466 17,401 17,333 17,261 17,185 17,106 17,022 16,934 16,841 16,744 16,642 16,535 16,422 16,304 16,180 16,050 15,914 15,771 15,623 15,467 15,305 15,135 14,959 14,775 14,584 14,387 14,182 13,971 13,752 13,527 13,294 13,056 12,810 12,557

57,66 56,67 55,69 54,70 53,71 52,73 51,75 50,77 49,78 48,80 47,82 46,85 45,87 44,89 43,92 42,95 41,98 41,01 40,05 39,09 38,13 37,18 36,23 35,29 34,35 33,42 32,49 31,56 30,65 29,74 28,83 27,94 27,05 26,16 25,28 24,42

17,829 17,783 17,735 17,683 17,629 17,572 17,512 17,449 17,382 17,312 17,238 17,161 17,079 16,993 16,903 16,808 16,708 16,603 16,493 16,378 16,256 16,130 15,997 15,858 15,712 15,561 15,401 15,234 15,062 14,881 14,691 14,496 14,292 14,078 13,856 13,628

198

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97

20,05 19,29 18,54 17,80 17,07 16,35 15,64 14,94 14,25 13,57 12,89 12,23 11,58 10,93 10,30 9,68 9,08 8,49 7,92 7,38 6,86 6,38 5,91 5,47 5,07 4,69 4,34 4,01 3,70 3,42 3,16 2,94 2,72 2,55 2,40 2,27

12,298 12,032 11,759 11,480 11,193 10,898 10,596 10,287 9,970 9,647 9,315 8,976 8,632 8,277 7,920 7,557 7,191 6,824 6,457 6,098 5,745 5,403 5,066 4,744 4,441 4,151 3,873 3,613 3,361 3,126 2,907 2,717 2,534 2,382 2,251 2,136

23,56 22,70 21,85 21,00 20,17 19,34 18,53 17,72 16,91 16,12 15,34 14,56 13,79 13,03 12,27 11,53 10,81 10,10 9,42 8,77 8,15 7,56 6,99 6,45 5,95 5,48 5,04 4,63 4,26 3,92 3,61 3,34 3,09 2,88 2,71 2,54

13,390 13,141 12,883 12,613 12,337 12,049 11,755 11,448 11,127 10,801 10,465 10,114 9,754 9,383 8,997 8,605 8,209 7,803 7,400 7,000 6,606 6,219 5,832 5,455 5,097 4,750 4,418 4,102 3,810 3,537 3,283 3,059 2,849 2,670 2,523 2,375

199

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

98 99 100 und darüber

2,14 2,02

2,027 1,917 1,819

2,40 2,24 2,11

2,253 2,111 1,996

1,91

d) Beispiel „Lebenslängliches Nießbrauchsrecht“ Einem 70 Jahre alten Mann steht ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht mit einem Jahreswert von 24.000 t zu. Der Wert des Nießbrauchsrechts beträgt nach § 14 Abs. 1 BewG: Berechnung für 2019: Vervielfältiger × Jahreswert 9,970 × 24.000 t = 239.280 v e) Tabelle 2020: Anlage zu § 14 Abs. 1 BewG Mit BMF-Schreiben v. 2.12.20198 sind gem. § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG die Vervielfältiger zur Berechnung des Kapitalwerts lebenslänglicher Nutzungen oder Leistungen bekanntgegeben worden, die für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2020 anzuwenden sind. Der Kapitalwert ist nach der am 5.11.2019 veröffentlichten Allgemeinen Sterbetafel 2016/2018 des Statistischen Bundesamts unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5 % errechnet worden. Der Kapitalwert der Tabelle ist der Mittelwert zwischen dem Kapitalwert für jährlich vorschüssige und jährlich nachschüssige Zahlungsweise.

8 BMF v. 2.12.2019 – IV C 7 - S 3104/19/10001:003 – DOK 2019/1043525, BStBl. I 2019, 1288 = StEK BewG § 14 Nr. 31.

200

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro für Bewertungsstichtage ab 1.1.2020 Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

78,48 77,76 76,78 75,79 74,80 73,81 72,82 71,82 70,83 69,84 68,84 67,85 66,85 65,86 64,86 63,87 62,88 61,90 60,91 59,94 58,96 57,99 57,01 56,03 55,06 54,08 53,11 52,13 51,15 50,18 49,21 48,23 47,26 46,29

18,402 18,391 18,376 18,359 18,341 18,323 18,303 18,282 18,261 18,238 18,213 18,188 18,161 18,132 18,102 18,070 18,037 18,002 17,965 17,927 17,887 17,844 17,799 17,752 17,702 17,649 17,594 17,536 17,474 17,409 17,342 17,269 17,194 17,115

83,27 82,52 81,54 80,55 79,56 78,56 77,57 76,58 75,58 74,59 73,59 72,59 71,60 70,61 69,61 68,62 67,63 66,64 65,65 64,66 63,67 62,68 61,69 60,70 59,71 58,72 57,73 56,75 55,76 54,77 53,78 52,80 51,82 50,84

18,465 18,457 18,444 18,432 18,418 18,403 18,388 18,372 18,355 18,337 18,319 18,299 18,278 18,256 18,232 18,208 18,182 18,155 18,126 18,096 18,064 18,030 17,995 17,957 17,918 17,876 17,833 17,787 17,738 17,687 17,633 17,576 17,516 17,454

201

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69

45,33 44,36 43,39 42,43 41,47 40,52 39,56 38,61 37,66 36,71 35,77 34,83 33,90 32,97 32,05 31,13 30,23 29,33 28,43 27,55 26,68 25,82 24,97 24,13 23,30 22,49 21,69 20,90 20,12 19,36 18,61 17,87 17,14 16,42 15,71 15,01

17,032 16,944 16,852 16,755 16,653 16,548 16,435 16,318 16,194 16,065 15,930 15,788 15,640 15,485 15,323 15,153 14,979 14,797 14,605 14,408 14,204 13,993 13,775 13,549 13,316 13,078 12,833 12,580 12,320 12,056 11,784 11,506 11,220 10,926 10,626 10,318

49,85 48,87 47,89 46,92 45,94 44,96 43,99 43,02 42,05 41,09 40,12 39,16 38,21 37,25 36,30 35,36 34,42 33,48 32,55 31,63 30,71 29,80 28,89 27,99 27,10 26,22 25,34 24,47 23,61 22,75 21,90 21,06 20,23 19,40 18,58 17,78

17,387 17,317 17,243 17,167 17,085 16,999 16,909 16,815 16,716 16,612 16,501 16,386 16,267 16,139 16,007 15,869 15,723 15,571 15,412 15,247 15,073 14,893 14,704 14,508 14,304 14,093 13,871 13,642 13,404 13,156 12,898 12,632 12,357 12,070 11,773 11,471

202

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Männer

Frauen

Vollendetes Lebensalter

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

Durchschnittliche Lebenserwartung

Kapitalwert

70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 und darüber

14,33 13,64 12,97 12,31 11,66 11,02 10,38 9,76 9,16 8,57 8,00 7,44 6,92 6,43 5,95 5,51 5,09 4,70 4,34 4,01 3,71 3,42 3,15 2,92 2,69 2,51 2,33 2,19 2,05 1,93 1,82

10,008 9,682 9,353 9,017 8,675 8,326 7,965 7,603 7,242 6,875 6,509 6,138 5,784 5,441 5,097 4,773 4,456 4,156 3,874 3,610 3,366 3,126 2,899 2,704 2,506 2,349 2,191 2,067 1,942 1,834 1,735

16,98 16,19 15,41 14,63 13,87 13,11 12,36 11,62 10,89 10,18 9,50 8,84 8,21 7,61 7,04 6,49 5,98 5,51 5,06 4,65 4,27 3,92 3,61 3,33 3,08 2,85 2,64 2,50 2,35 2,20 2,06

11,155 10,830 10,495 10,146 9,792 9,422 9,043 8,654 8,254 7,850 7,448 7,044 6,645 6,252 5,867 5,484 5,118 4,773 4,434 4,117 3,818 3,537 3,283 3,051 2,840 2,644 2,462 2,340 2,209 2,076 1,951

203

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

f) Beispiel „Lebenslängliches Nießbrauchsrecht“ Einem 70 Jahre alten Mann steht ein lebenslängliches Nießbrauchsrecht mit einem Jahreswert von 24.000 t zu. Der Wert des Nießbrauchsrechts beträgt nach § 14 Abs. 1 BewG: Berechnung für 2020: Vervielfältiger × Jahreswert 10,008 × 24.000 v = 240.192 v

6. Berichtigung nach § 14 Abs. 2 BewG Die Vervielfältiger des § 14 BewG berücksichtigen die statistische Lebenserwartung. So bleibt beispielsweise der tatsächliche Gesundheitszustand ebenso unberücksichtigt wie ein kurz nach dem Besteuerungszeitpunkt eintretender Unfall. Um derartige Veränderungen – im Einzelfall – dennoch berücksichtigen zu können, sieht § 14 Abs. 2 BewG eine Berichtigungsmöglichkeit vor. Danach ist die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern – also beispielsweise die Erbschaft-/Schenkungsteuer – auf Antrag nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung zu berichtigen. Nach § 14 Abs. 2 Satz 3 BewG bedarf die Berichtigung keines Antrags, wenn eine Last weggefallen ist und sich die Berichtigung somit zu Ungunsten des Steuerzahlers auswirkt. Die Berichtigung hängt davon ab, welches Alter bei der Kapitalisierung zugrunde gelegt wurde und wie lange eine nach § 14 Abs. 1 BewG bewertete Nutzung oder Leistung bestanden hat. Die Grenzen der Berichtigungsmöglichkeit ergibt sich unmittelbar aus § 14 Abs. 2 BewG. Hat eine nach § 14 Abs. 1 BewG bewertete Nutzung oder Leistung bei einem Alter 1. bis zu 30 Jahren nicht mehr als 10 Jahre, 2. von mehr als 30 Jahren bis zu 50 Jahren nicht mehr als 9 Jahre, 3. von mehr als 50 Jahren bis zu 60 Jahren nicht mehr als 8 Jahre,

204

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

4. von mehr als 60 Jahren bis zu 65 Jahren nicht mehr als 7 Jahre, 5. von mehr als 65 Jahren bis zu 70 Jahren nicht mehr als 6 Jahre, 6. von mehr als 70 Jahren bis zu 75 Jahren nicht mehr als 5 Jahre, 7. von mehr als 75 Jahren bis zu 80 Jahren nicht mehr als 4 Jahre, 8. von mehr als 80 Jahren bis zu 85 Jahren nicht mehr als 3 Jahre, 9. von mehr als 85 Jahren bis zu 90 Jahren nicht mehr als 2 Jahre, 10. von mehr als 90 Jahren nicht mehr als 1 Jahr bestanden und beruht der Wegfall auf dem Tod des Berechtigten oder Verpflichteten, so ist die Festsetzung der nicht laufend veranlagten Steuern auf Antrag nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung zu berichtigen. Dabei gilt § 5 Abs. 2 Satz 2 BewG entsprechend. Das bedeutet, dass der Antrag bis zum Ablauf des Jahres zu stellen ist, das auf den Wegfall der Nutzung oder Leistung folgt. Vgl. Berechnungsbeispiel S. 217 ff.

7. Abhängigkeit vom Leben mehrerer Personen a) Regelungsgegenstand § 14 Abs. 3 BewG betrifft Fälle, in denen das Nießbrauchsrecht mehreren Personen zusteht. Dabei gilt der höchste Vervielfältiger, wenn das Nießbrauchsrecht beim zuletzt Versterbenden erlischt. Dagegen gilt der niedrigste Vervielfältiger, wenn das Nießbrauchsrecht mit dem Tod des zuerst Versterbenden erlischt. Sofern die Dauer des Nießbrauchsrechts vom Leben mehrerer Personen abhängt, kommt es bei der Wahl des maßgebenden Vervielfältigers auf die konkreten vertraglichen Vereinbarungen an.

205

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

b) Abhängigkeit vom länger Lebenden Hängt die Dauer des Nießbrauchsrechts bei der Berechtigung mehrerer Personen vom Leben des länger Lebenden ab, ist bei der Bestimmung des Vervielfältigers die Person maßgebend, für die sich der höchste Vervielfältiger ergibt. Beispiel: Ein Grundstück wird gegen Nießbrauchvorbehalt übertragen. Der Jahreswert des Nießbrauchs beträgt 10.000 t. Nießbrauchberechtigte Personen sind die schenkenden Eheleute nacheinander. Somit endet das Nießbrauchsrecht mit dem Tod der länger lebenden Person. Die Eheleute sind beide 80 Jahre alt. Vervielfältiger für die Ehefrau9 Vervielfältiger für den Ehemann10

7,400 6,457

Maßgebend ist die Person, für die sich der höchste Vervielfältiger ergibt, also die Ehefrau. Berechnung Jahreswert 10.000 t × Vervielfältiger 7,400 =

74.000 t

c) Dauer bei einer aufschiebenden Bedingung Ist vertraglich vereinbart, dass ein Nießbrauchsrecht vom Leben mehrerer Personen abhängt, kann vereinbart werden, dass das Nießbrauchsrecht zunächst der ersten und danach der zweiten Person zusteht. Häufig wird vertraglich vereinbart, dass die zweite Person nur dann nießbrauchsberechtigte Person wird, wenn sie länger lebt als die zuerst berechtigte Person. In diesem Fall darf die Nießbrauchsberechtigung der zweiten Person bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden, weil sie aufschiebend bedingt ist (§ 4 BewG). Beispiel: Ein Grundstück wird gegen Nießbrauchsvorbehalt übertragen. Der Jahreswert des Nießbrauchs beträgt 10.000 t. Nießbrauchsberechtigte Person ist der Ehemann. Die Ehefrau wird nur dann Nießbrauchsberechtigte, wenn sie den Ehemann überlebt. Die Eheleute sind beide 80 Jahre alt.

9 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 10 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30.

206

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Vervielfältiger für die Ehefrau11 Vervielfältiger für den Ehemann12

7,400 6,457

Maßgebend ist nur die zuerst berechtigte Person, weil die aufschiebende Bedingung nach § 4 BewG nicht zu berücksichtigen ist. Maßgebend ist also der Vervielfältiger des Ehemanns. Berechnung Jahreswert 10.000 t × Vervielfältiger 6,457 =

64.570 t

d) Zuerst Versterbender berechtigte Person Frau E (65 Jahre) und Herrn S (65 Jahre) steht aufgrund eines Vermächtnisses ein Nießbrauchsrecht gemeinsam zu. Es erlischt bei Tod des zuerst Versterbenden. Bei dem Nießbrauchsrecht hängt die Dauer von der Lebenszeit mehrerer Personen ab, wobei es mit dem Tod des zuerst Versterbenden erlischt. Bei einem derartigen Nießbrauchsrecht ist gem. § 14 Abs. 3 BewG das Lebensalter und Geschlecht der Person maßgebend, für die sich der niedrigste Vervielfältiger ergibt. Frau E (65 Jahre)13 Herr S (65 Jahre)14 Maßgebend ist nach § 14 Abs. 3 BewG

12,613 11,480 11,480

e) Zuletzt Versterbender berechtigte Person Frau K (65 Jahre) und Herrn S (65 Jahre) steht aufgrund eines Vermächtnisses ein Nießbrauchsrecht gemeinsam zu. Es erlischt bei Tod des zuletzt Versterbenden. Es handelt sich um ein Nießbrauchsrecht, bei dem die Dauer von der Lebenszeit mehrerer Personen abhängt und bei der das Nießbrauchsrecht mit dem Tod des zuletzt Versterbenden erlischt. Bei einer derartigen Rente ist gem. § 14 Abs. 3 BewG das Lebensalter und Geschlecht der Person maßgebend, für die sich der höchste Vervielfältiger ergibt. 11 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 12 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 13 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 14 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30.

207

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

Frau K (65 Jahre)15 Herr S (65 Jahre)16 Maßgebend ist nach § 14 Abs. 3 BewG

12,613 11,480 12,613

f) Sinkende Bezüge nach Tod des Erstversterbenden Frau H und Herrn S steht aufgrund einer Schenkung ein Nießbrauchsrecht gemeinsam zu. Die Erträge aus dem Nießbrauchsrecht sinken nach dem Tod des Erstversterbenden und der Nießbrauch erlischt bei Tod des zuletzt Versterbenden. In diesen Fällen ist der höhere Jahreswert mit dem niedrigeren Vervielfältiger zu multiplizieren und dem Produkt aus dem niedrigeren Jahreswert und der Vervielfältigerdifferenz hinzuzurechnen. Hinweis: Davon sind allerdings die Fälle zu unterscheiden, in denen den Berechtigten das Nießbrauchsrecht nicht nebeneinander, sondern in zeitlicher Folge nacheinander zusteht. Die in zeitlicher Folge nacheinander zustehende Rente ist nur für den zuerst Berechtigten zu kapitalisieren, weil der darüber hinausgehende Rentenanspruch aufschiebend bedingt und daher nicht zu berücksichtigen ist (§ 4 BewG). g) Verlängerte Leibrente Ein 80 Jahre alter Mann bekommt aufgrund einer ausgeführten Schenkung eine lebenslängliche Rente von mtl. 1 000 t, mindestens jedoch 15 Jahre lang (ggf. Erben). Es handelt sich um eine verlängerte Leibrente (Mindestlaufzeit). Der Vervielfältiger nach § 14 Abs. 1 BewG beträgt17 Der Vervielfältiger nach § 13 Abs. 1 BewG iVm. Anlage 9a zum BewG beträgt

6,457 10,314

Es ist der höhere Vervielfältiger anzusetzen, da es sich um eine verlängerte Leibrente handelt.18 1.000 t × 12 × 10,314 =

123.768 v

15 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 16 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 17 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30. 18 Hinweis auf BFH v. 2.10.1981 – III R 19/78, BStBl. II 1982, 11.

208

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

h) Höchstzeitbegrenzung/ungewisse Dauer Ein 28 Jahre alter Mann bekommt aufgrund einer ausgeführten Schenkung eine lebenslängliche Rente von mtl. 1 000 t, längstens jedoch bis zur Beendigung seiner Berufsausbildung. Der Vervielfältiger für die Leibrente beträgt nach § 14 Abs. 1 BewG19

17,466

Die Höchstzeitbegrenzung ist von der Beendigung der Berufsausbildung abhängig. Der möglicherweise vor dem Ableben eintretende Wegfall der Rente ist mithin von einem Ereignis abhängig, von dem ungewiss ist, ob und wann es eintritt. Es handelt sich um eine auflösende (Rechtswirkung endet erst bei Bedingungseintritt) Bedingung (Ereignis und Zeitpunkt sind ungewiss), die nicht zu berücksichtigen ist. Hinsichtlich der Dauer einer solchen Höchstzeitbeschränkung ist eine unbestimmte Dauer anzunehmen, dh. eine auflösend bedingte Rente ohne feste Dauer ist von „unbestimmter Dauer“ iSd. § 13 Abs. 2 BewG. Bei einer Konkurrenz zwischen den Vervielfältigern des § 14 Abs. 1 BewG und des § 13 Abs. 2 BewG ist gem. § 13 Abs. 2 BewG („… vorbehaltlich des § 14 BewG …“) nicht der Vervielfältiger für eine unbestimmte Dauer (9,3) anzuwenden, sondern der Vervielfältiger nach § 14 Abs. 1 BewG maßgebend. Mithin ist hier mit dem nach § 14 Abs. 1 BewG maßgebenden Vervielfältiger zu kapitalisieren. Dabei müssen der Gesundheitszustand, das tatsächlich frühere Ableben, usw., für die laufend veranlagten Steuern unberücksichtigt bleiben; bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer (keine „laufend“ veranlagte Steuer) ist auf Antrag nach § 14 Abs. 2 BewG eine Berichtigung möglich, wenn der frühere Wegfall auf dem Tod des Berechtigten beruht. 1.000 t × 12 × 17,466 =

209.592 v

8. Nachweis eines abweichenden gemeinen Werts Auch bei Nutzungen oder Leistungen, die vom Leben einer oder mehrerer Personen abhängen, ist der Nachweis eines abweichenden gemeinen Werts möglich. Nach § 14 Abs. 4 BewG ist der nachgewiesene gemeine Wert zugrunde zu legen, wenn er nachweislich geringer oder höher ist

19 Vervielfältiger für 2019, BMF v. 22.11.2018 – IV C 7 - S 3104/09/10001 – DOK 2018/0947021, BStBl. I 2018, 1306 = StEK BewG § 14 Nr. 30.

209

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

als der Wert, der sich nach § 14 Abs. 1 BewG für die gesamten Nutzungen oder Leistungen ergibt. Allerdings kann der Ansatz eines geringeren oder höheren Werts nicht darauf gestützt werden, dass mit einer kürzeren oder längeren Lebensdauer, mit einem anderen Zinssatz als 5,5 % oder mit einer anderen als mittelschüssigen Zahlungsweise zu rechnen ist. Dadurch hat die Vorschrift in der Praxis eine relativ geringe Bedeutung.

III. Jahreswert 1. Einführung Die Höhe des Jahreswerts richtet sich danach, was der Nießbrauchsberechtigte vom Eigentümer (Nießbrauchsverpflichteter) verlangen kann. Somit hängt der Jahreswert von den vertraglichen Vereinbarungen ab, die zwischen dem Nießbrauchsberechtigten und dem Nießbrauchsverpflichteten getroffen worden sind. Beispiel: Ein Vater überträgt seiner Tochter ein Mietwohngrundstück und behält sich das Nießbrauchsrecht an den Nettoerträgen vor. Zudem ist vereinbart, dass zur Abgeltung von etwaigen Instandhaltungsaufwendungen ein Abschlag von der jährlichen Miete iHv. 30 % vorgenommen wird. Maßgebend sind die tatsächlich gezahlten Mieten. Nicht maßgeblich sind – nach den vertraglichen Vereinbarungen – die mit den Mietern vereinbarten (Soll-)Mieten. Die Miete, die tatsächlich von den Mietern gezahlt wurde, beträgt im Kj. Abschlag zur Abgeltung von Instandhaltungsaufwendungen etc., 30 % Maßgebender Jahresertrag

100.000 t 30.000 t 70.000 t

Hinweis: In der Praxis zeigt sich, dass die Regelungen zum konkreten Umfang des Nießbrauchsrechts teilweise nicht hinreichend genau formuliert werden. In diesen Fällen ist es erforderlich, den mutmaßlichen Willen der Vertragsparteien auszulegen. Anhaltspunkt dafür kann in der Praxis häufig die tatsächliche Übung der Vertragsparteien sein.

2. Jahreswert von Sachbezügen Nutzungen und Leistungen, die nicht in Geld bestehen, zB Wohnung, Kost, Waren und sonstige Sachbezüge, sind nach § 15 Abs. 2 BewG mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsorts anzusetzen. 210

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

3. Schwankende Nutzungen und Leistungen Bei Nutzungen und Leistungen, deren Jahreswert ungewiss ist oder schwankt, ist nach § 15 Abs. 3 BewG als Jahreswert der Betrag anzusetzen, der im Durchschnitt der Jahre voraussichtlich erzielt wird. In Fällen, in denen keine konkreten Vereinbarungen der Höhe nach getroffen werden oder getroffen werden können, muss der Jahreswert somit im Wege der Schätzung ermittelt werden. Die vom Gesetzgeber geforderte Zukunftsbetrachtung macht die Aufgabe nicht leichter. Dennoch ist nur die zukunftsbezogene Betrachtung sachgerecht, weil der Wert einer Nutzung von genau diesen künftig zu erwartenden Erträgen geprägt ist. In der Praxis wird die Beurteilung der Erträge in der Vergangenheit Ausgangspunkt der Ermittlung sein. Dabei wird in der Praxis regelmäßig ein Zeitraum der letzten drei Jahre20 vor dem Bewertungsstichtag für eine Durchschnittsbetrachtung zugrunde gelegt werden können. Sofern die Erträge stark schwanken, ist es nahe liegend, einen längeren Zeitraum bei der Ermittlung des durchschnittlichen Ertrags zu betrachten.21 Soweit am Stichtag Umstände feststehen, die auf einen höheren oder niedrigeren künftigen Ertrag hindeuten, sind diese zu berücksichtigen. Somit kann es für eine Prognose sachgerecht sein, erkennbare Tendenzen, die sich in der Zukunft nach den Erkenntnissen vom Stichtag voraussichtlich fortsetzen werden, durch Tendenzzuschläge oder Tendenzabschläge zu berücksichtigen.22 Grundsätzlich unzulässig wäre es, die tatsächliche Entwicklung der Erträge abzuwarten, um diese bei der Ermittlung des künftigen Jahreswerts zu berücksichtigen, weil insoweit das Stichtagsprinzip verletzt würde.

4. Jahreswert beim Nießbrauch am Betriebsvermögen Ist der Nießbrauch an einem Betriebsvermögen bestellt, ist die Ermittlung des Jahreswerts unproblematisch, wenn sich dieser an einer klaren 20 Vgl. auch FG Düss. v. 25.7.2007 – 4 K 2880/03 Erb, EFG 2007, 1968, rkr.; Götz, ZEV 2019, 571; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 12 Rz. 233. Zuletzt BFH v. 28.5.2019 – II R 4/16, BFHE 265, 408 unter Bezug auf BFH v. 11.2.1972 – III R 129/70, BStBl. II 1972, 448. 21 Vgl. FG Bad.-Württ. v. 7.11.1987 – IX 203/82, EFG 1987, 395, rkr.; Götz, ZEV 2019, 571; zuletzt BFH v. 28.5.2019 – II R 4/16, BFHE 265, 408 unter Bezug auf BFH v. 11.2.1972 – III R 129/70, BStBl. II 1972, 448. 22 Götz, ZEV 2019, 571; Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzolz, ErbStG5, § 15 BewG Rz. 9.

211

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

Gewinngröße des Betriebs orientiert. In diesem Fall steht fest, was der Nießbraucher vom Nießbrauchsverpflichteten verlangen kann. Allerdings werden Nießbrauchsrechte häufig auch vorsichtiger bestellt. Zum Teil hängt die Höhe des Jahreswerts von den „ausgeschütteten Erträgen“ ab. Hier stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe bei einem thesaurierenden Unternehmen Erträge in die Ermittlung des Jahresertrags einfließen dürfen. Ferner stellt sich die Frage, wer berechtigt ist, Ausschüttungen zu beschließen. Hier kann beispielsweise der Eigentümer als Gesellschafter oder auch – zusätzlich – der Nießbraucher berechtigt sein. Noch unklarer wäre die vertraglich vereinbarte Abhängigkeit von den „ausschüttungsfähigen Erträgen“, wenn in diesen Fällen nicht eindeutig geregelt ist, nach welchen konkreten Kriterien sich die „Ausschüttungsfähigkeit“ richten soll. Die Antwort dürfte – wie so häufig – vom Einzelfall abhängen. Im Zweifel entspricht der Jahreswertung den Erträgen, die der Nießbraucher rechtsverbindlich einfordern kann. Da der Nießbraucher „bei Ausübung des Nutzungsrechts die bisherige wirtschaftliche Bestimmung der Sache aufrechtzuerhalten und nach den Regeln der ordnungsmäßigen Wirtschaft zu verfahren“23 hat, wird er keine Entscheidungen treffen, die dem Unternehmen schaden, an dem der Nießbrauch bestellt ist. Das bedeutet, dass nur die tatsächlichen Ausschüttungen – in der im Bewertungsstichtag nicht bekannten Zukunft – in die Ermittlung des Jahreswerts einfließen dürften. Zweifellos wird man sich hier in der Praxis an dem Verhalten in der Vergangenheit als Ausgangspunkt orientieren. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass der freiwillige und bewusste Verzicht auf Ausschüttungen zu einer Bereicherung des Nießbrauchsverpflichteten führen, also den Tatbestand einer Schenkung iSd. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllen kann. Die Abgrenzung dürfte allerdings in der Praxis schwierig sein. Jedenfalls ist das bei der Übertragung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft vorbehaltene Nießbrauchsrecht nicht Teil des Anteils an der Kapitalgesellschaft, sondern ein davon unabhängiges Wirtschaftsgut und dementsprechend gesondert zu bewerten.

23 Vgl. § 1036 Abs. 2 BGB.

212

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

5. Begrenzung des Jahreswerts bei Nutzungen (§ 16 BewG) Die Unterscheidung zwischen Nutzungen und Leistungen ist wegen der Regelungen des § 16 BewG bedeutsam. Danach darf der Jahreswert bei Nutzungen höchstens mit dem Wert angesetzt werden, der sich ergibt, wenn der für das genutzte Wirtschaftsgut nach den Vorschriften des BewG anzusetzende Wert durch 18,6 geteilt wird. –

Bei Grundstücken und den wie Grundvermögen bewerteten Betriebsgrundstücken (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 BewG) ist Ausgangswert der nach §§ 157 ff. BewG festgestellte Grundbesitzwert, und zwar vor Abzug von Schulden und Lasten.



Beim Nießbrauch an einer Vermögensmasse ist der Ertrag des gesamten Vermögens maßgebend.



Ist die Nutzung auf einen Teil der Gesamtnutzung beschränkt, ist der Höchstbetrag des Jahreswerts nur zu einem entsprechenden Teil anzusetzen.

§ 16 BewG ist nach dem BFH-Urteil vom 9.4.201424 bei der Erbschaft-/ Schenkungsteuer anwendbar. Bei Nießbrauchsrechten handelt es sich regelmäßig um Nutzungsrechte. Daher kommt eine Begrenzung des Jahreswerts nach Maßgabe des § 16 BewG in Betracht. Somit darf der Jahreswert bei Nießbrauchsrechten nicht höher sein als der Betrag, der sich ergibt, wenn man den Wert des genutzten Wirtschaftsguts durch 18,6 teilt. Auf diese Weise will der Gesetzgeber sicherstellen, dass der Wert einer Nutzung nicht höher sein kann als der Wert des Wirtschaftsguts. Der Gedanke ist auf den ersten Blick einleuchtend, bei näherer Betrachtung jedoch nicht zwingend. Denn bei einer unbeschränkten Nutzung eines Wirtschaftsguts können – je nach vertraglicher Gestaltung – die tatsächlichen Pflichten eines Eigentümers zum Erhalt des Wirtschaftsguts wegfallen. Somit kann der Wert einer Nutzung möglicherweise höher sein als der Wert des genutzten Wirtschaftsguts nach Abzug der damit einhergehenden faktischen Belastungen. Diesem Gedanken ist der Gesetzgeber jedoch – mE mit guten Gründen – nicht gefolgt.

24 BFH v. 9.4.2014 – II R 48/12, BStBl. II 2014, 554 = FR 2014, 946.

213

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Beispiel: Es wird ein Nießbrauchsrecht an der Erdgeschosswohnung eines Zweifamilienhauses mit zwei gleich großen Wohnungen stellt. Der Grundbesitzwert für das Zweifamilienhaus beträgt Der Jahreswert beträgt unter Berücksichtigung der erzielbaren Miete nach den vertraglichen Vereinbarungen Nach § 16 BewG ist der Jahreswert zu begrenzen auf 1.000.000 t × 50 % (Erdgeschosswohnung) × 1/18,6 =

1.000.000 t. 30.000 t 26.881 t

IV. Schuldenkürzung nach § 10 Abs. 6 ErbStG 1. Bedeutung In der Praxis werden häufig Grundstücke übertragen, wobei sich der Schenker ein Nießbrauchsrecht vorbehält. Sofern es sich bei der übertragenen Immobilie um ein Wohngrundstück handelt, ist eine Befreiung von 10 % nach § 13d ErbStG möglich. Im Ergebnis muss das übertragene Wirtschaftsgut, Mietwohngrundstück, nur mit 90 % des Grundbesitzwerts bei der Erbschaft-/Schenkungsteuer erfasst werden. Aufgrund der Teilbefreiung für das Wirtschaftsgut darf die Schuld, die mit diesem Wirtschaftsgut in wirtschaftlichem Zusammenhang steht, ebenfalls nur in demselben Verhältnis abgezogen werden. Dementsprechend kann das vorbehaltene Nießbrauchsrecht nicht in voller Höhe, sondern nur mit 90 % abgezogen werden. Die Schuldenkürzung gilt auch, wenn beispielsweise ein Gewerbebetrieb übertragen wird und ein Nießbrauchsrecht vorbehalten wird. In diesen Fällen kann (unter weiteren Voraussetzungen) der Gewerbebetrieb mit 85 % bzw. auf Antrag mit 100 % verschont werden. Dementsprechend kann auch das vorbehaltene Nießbrauchsrecht nur mit 15 % oder – im Fall der Vollbefreiung – überhaupt nicht abgezogen werden.

2. Nachträglicher Wegfall der Schuldenkürzung a) Überblick In der Praxis ist darauf zu achten, dass die Voraussetzungen für die Schuldenkürzung in der Zeit nach der Übertragung wegfallen können. Solche Konstellationen können beispielsweise beim mehrfachen Erwerb innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren aufgrund der nach § 14 ErbStG angeordneten Zusammenrechnung eintreten. Ebenso denkbar sind Fälle, in 214

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

denen beispielsweise bei zunächst gewährter Befreiung des betrieblichen Vermögens eine Nachversteuerung stattfindet, die beispielsweise durch einen Verstoß gegen die Lohnsummenregelung ausgelöst wird. b) Steuerbefreiung bei nachträglichem Wegfall der Belastung Vater V schenkte seinem Sohn im August 2016 ein vermietetes Zweifamilienhaus mit einem Grundbesitzwert von 750.000 t unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Jahreswert des Nießbrauchs beträgt 20.000 t. Zum Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung ist V 65 Jahre alt. Im Jahr 2018 verzichtet er unentgeltlich auf den Nießbrauch. Zum Zeitpunkt der Ausführung dieser Zuwendung ist V 67 Jahre alt. Der Grundbesitzwert und Jahreswert des Nießbrauchs sind unverändert und betragen 750.000 t bzw. 20.000 t. Erwerb 2016 Grundbesitzwert Steuerbefreiung § 13d ErbStG Gegenleistung: Kapitalwert Nießbrauch (Jahreswert 20.000 t × Vervielfältiger 11,346) davon nicht abzugsfähig (§ 10 Abs. 6 Satz 5 ErbStG) Bereicherung Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb abgerundet Steuer bei Steuersatz 7 % Erwerb 2018 Wert des Nießbrauchsverzichts (Jahreswert 20.000 t × Vervielfältiger 10,860) nicht abzugsfähiger Teil des Nießbrauchs 2016 Bereicherung Wert des Vorerwerbs 2016 Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb abgerundet Steuer bei Steuersatz 11 % anrechenbare Steuer aus dem Vorerwerb festzusetzende Steuer

750.000 t 750.000 t ./. 75.000 t ./. 226.920 t + 22.692 t 470.772 t ./. 400.000 t 70.772 t 70.700 t 4.949 t 217.200 t ./. 22.692 t 194.508 t + 470.772 t ./. 400.000 t 265.280 t 265.200 t 29.172 t ./. 4.949 t 24.223 t

215

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

c) Begünstigung nach § 13a ff. ErbStG bei Wegfall der Belastung Vater V schenkte seinem Sohn einen Gewerbebetrieb mit einem festgestellten gemeinen Wert von 10 Mio. t unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Kapitalwert des Nießbrauchs beträgt 6 Mio. t. Einige Monate später verzichtet er unentgeltlich auf den Nießbrauch. Der gemeine Wert des Gewerbebetriebs beträgt unverändert von 10 Mio. t. Der Kapitalwert des Nießbrauchs beträgt ebenfalls unverändert 6 Mio. t. 1. Erwerb Gemeiner Wert des Betriebsvermögens Steuerbefreiung §§ 13a, b ErbStG Verbleiben Gegenleistung: Kapitalwert Nießbrauch davon nicht abzugsfähig (§ 10 Abs. 6 ErbStG) Gegenleistung Bereicherung Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb

10.000.000 t ./. 8.500.000 t 1.500.000 t ./. 6.000.000 t + 5.100.000 t

./.

900.000 t 600.000 t 400.000 t

2. Erwerb Wert des Nießbrauchsverzichts nicht abzugsfähiger Teil des Nießbrauchs des Vorerwerbs

./. 5.100.000 t

Bereicherung Wert des Vorerwerbs Verbleiben Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb

900.000 t 600.000 t 1.500.000 t ./. 400.000 t 1.100.000 t

6.000.000 t

+

3. Nachversteuerung bei der Betriebsvermögensbefreiung a) Beispiel Lohnsummenverstoß Mutter M schenkte ihrer Tochter einen Gewerbebetrieb mit einem festgestellten gemeinen Wert von 10 Mio. t unter Nießbrauchsvorbehalt. Der Kapitalwert des Nießbrauchs beträgt 6 Mio. t. Nach Ablauf der 5-Jahresfrist erreicht der Gewerbebetrieb nur eine Summe der maßgebenden Lohnsummen von 160.000.000 t statt der erforderlichen 400.000.000 t. Damit ist eine Nachversteuerung durchzuführen, 216

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

weil für die Übertragung nur noch eine Begünstigung von 160/400 × 85 % = 34 % in Betracht kommt. 1. Steuerfestsetzung Gemeiner Wert des Betriebsvermögens Steuerbefreiung gem. §§ 13a, 13b ErbStG Verbleiben Gegenleistung: Kapitalwert Nießbrauch davon nicht abzugsfähig (§ 10 Abs. 6 ErbStG) Gegenleistung Bereicherung Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb 2. Nachversteuerung nach Ablauf von 5 Jahren Gemeiner Wert des Betriebsvermögens Steuerbefreiung gem. §§ 13a, 13b ErbStG Verbleiben Gegenleistung: Kapitalwert Nießbrauch davon nicht abzugsfähig (nun nur noch 34 %) (§ 10 Abs. 6 ErbStG) Gegenleistung Bereicherung Persönlicher Freibetrag Steuerpflichtiger Erwerb

10.000.000 t ./. 8.500.000 t 1.500.000 EUR ./. 6.000.000 t + 5.100.000 t

./.

900.000 t 600.000 t 400.000 t 200.000 t

10.000.000 t 3.400.000 t 6.600.000 t ./. 6.000.000 t + 2.040.000 t ./.

./.

3.960.000 t 2.640.000 t 400.000 t 2.240.000 t

V. Steuerwert des Nießbrauchs in der Rechtsprechung 1. BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17 (BStBl. II 2018, 660) Der BFH hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem es um die Frage ging, ob eine gemischte Schenkung vorliegt und in welcher Höhe Gegenleistungen wertmindernd abgezogen werden dürfen. Sachverhalt: Ein 83-jähriger Onkel übertrug ein Grundstück mit einem Wert von 252.000 t im Juli 2014 auf den Neffen. Im Gegenzug war der Neffe verpflichtet, gegenüber dem Onkel Pflegeleistungen im Wert von 30.000 t zu erbringen. Ferner hatte der Neffe eine monatliche Rente von 300 t zu zahlen, die unter Berücksichtigung der Lebenserwartung des Onkels als Verpflichtung von rund 20.000 t zu berücksichtigen war. Darüber hinaus hatte der Neffe dem Onkel ein Wohnrecht mit einem Wert von 16.000 t sowie ein Nießbrauchsrecht für den vermieteten Teil des Grundstücks im

217

Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Wert von 9.000 t zu gewähren. Die Gegenleistungen beliefen sich somit in der Summe auf rund 75.000 t. Das FA ging von einer gemischten Schenkung aus. Der Onkel verstarb im Dezember 2014. Daraufhin passte das FA die berücksichtigten Verpflichtungen (fälschlicherweise nur zum Teil) nach § 14 Abs. 2 BewG an, weil die lebenslängliche Nutzung nicht mehr als drei Jahren bestanden hatte und somit lediglich die tatsächliche Dauer der Nutzung zugrunde gelegt werden durfte. Der Kläger bestritt das Vorliegen einer gemischten Schenkung, weil er von einer vollen Entgeltlichkeit ausging.

Entscheidung des BFH: Der BFH folgte nicht der Auffassung des Klägers. Der BFH25 betonte, dass eine gemischte Schenkung immer dann vorliegt, wenn –

die Gegenleistungen mindestens 20–25 % von der sonst üblichen angemessenen Gegenleistung abweicht und



der Schenker sich dieses Missverhältnisses bewusst ist, wobei er die genaue Höhe der Wertdifferenz nicht kennen muss.

Dementsprechend berücksichtigte der BFH die Gegenleistungen wie folgt: Wohnrecht, Kapitalisierung über eine Laufzeit von fünf Monaten, Pflegeverpflichtung Rentenverpflichtung Kosten der Grundstücksübertragung Summe Wert des Grundstücks abzüglich Nachlassverbindlichkeiten Wert der Bereicherung

2.500 t 30.000 t 20.000 t 1.500 t 54.000 t 252.000 t 54.000 t 198.000 t

Damit beträgt die Gegenleistung rund 21 % des Werts des Grundstücks. Hinweis: Auf den ersten Blick ist es überraschend, dass der BFH lediglich die Kapitalisierung des Wohnrechts auf fünf Monate begrenzt hat und demgegenüber die Renten- und Pflegeverpflichtung in voller Höhe zum Abzug zuließ. Der BFH hat es insoweit ausdrücklich offen gelassen, ob eine Kürzung auch für die Leistungsauflagen (Pflege- und Rentenverpflichtung) vorzunehmen ist. Denn dem BFH war eine Verböserung aus verfah-

25 BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660.

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

rensrechtlichen Gründen verwehrt, weil vom FA – unzutreffend – keine Kürzung vorgenommen wurde.

2. Mehreren Personen nacheinander zustehendes Nutzungsrecht Nicht unter § 14 Abs. 3 BewG fallen Nießbrauchsrechte, die mehreren Personen nacheinander zustehen. Das hat der BFH mit Beschluss vom 28.2.201926 bestätigt. Danach ist ein Nießbrauch, der für die Zeit nach dem Ableben des zunächst berechtigten Nießbrauchers einem Dritten zugewendet wird, bei der Schenkungsteuerveranlagung nicht zu berücksichtigen, weil er zur Zeit der Zuwendung nicht bestand, es ungewiss war, ob und ggf. wann er je in Kraft treten würde, und derartige Lasten nach § 6 BewG nicht in Ansatz zu bringen sind. Der BFH betonte, durch die Rspr. des BFH sei geklärt, dass § 14 Abs. 3 BewG nicht auf den Fall von nacheinander bestehenden Nutzungsrechten wie Nießbrauchsrechten anwendbar ist. Der BFH habe bereits entschieden, dass § 16 Abs. 4 BewG idF v. 16.10.1934 (aF), die als Vorgängervorschrift inhaltsgleich § 14 Abs. 3 BewG entspricht, nur Anwendung finde, wenn mehrere Personen nebeneinander ein Nutzungsrecht innehaben.27 Der BFH führt sinngemäß aus: Danach fällt der vorliegende Fall von zwei nacheinander geltenden Nutzungsrechten schon nicht unter den Wortlaut des § 16 Abs. 4 BewG aF, weil in diesem Fall der Nießbrauch nicht, wie in § 16 Abs. 4 BewG aF (§ 14 Abs. 3 BewG) vorgesehen, zugleich für alle Berechtigten beim Tod eines von ihnen endet, sondern der Nießbrauch jedes Berechtigten getrennt bei dessen Ableben endet. Durch die Vorschrift sollte gesetzlich geregelt werden, wie die Wertberechnung der Verpflichtung in einem Fall zu erfolgen hat, in dem mehrere Berechtigte nebeneinander nicht mehrere, sondern ein Nutzungsrecht haben. Ein Nießbrauch, der für die Zeit nach dem Ableben des zunächst berechtigten Nießbrauchers einem Dritten zugewendet wird, ist bei der Schenkungsteuerveranlagung nicht zu berücksichtigen, weil er zur Zeit der Zuwendung nicht bestand, es ungewiss war, ob und ggf. wann er je in Kraft treten würde, und derartige Lasten nach § 6 BewG nicht in Ansatz zu bringen sind. Es fehlt die gesetzliche Grundlage dafür, dieses mögliche spätere Recht als aufschiebend bedingte Last bereits vor Eintritt der aufschiebenden Bedingung zu berücksichtigen. Eine solche Berücksichtigung möglicher späterer Rechte würde, gleichviel unter welchem Gesichtspunkt sie erfolgte, gegen die Systematik der allgemeinen Bewertungsvorschriften des BewG verstoßen (BFH v. 21.10.1955 – III 183/55 U, BStBl. III 1955, 342). Auf die 26 BFH v. 28.2.2019 – II B 48/18, BFH/NV 2019, 678. 27 BFH v. 21.10.1955 – III 183/55 U, BStBl. III 1955, 342.

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Möglichkeit, bei Eintritt der Bedingung nach § 6 Abs. 2 iVm. § 5 Abs. 2 BewG einen Antrag auf Berichtigung der Steuerfestsetzung stellen zu können, ist der Kläger in den Erläuterungen zum Schenkungsteuerbescheid hingewiesen worden.

Ebenso hat der BFH in Bezug auf einen Kaufvertrag, der den Schenkungsfällen vergleichbare Verpflichtungen zu sukzessiven Lasten beinhaltete, ausdrücklich deutlich gemacht, dass es bei der Frage, ob eine aufschiebende oder eine auflösende Bedingung vorliegt, nicht auf eine wirtschaftliche Betrachtung ankommt. Zudem ging er – im Rahmen des § 6 Abs. 1 BewG – auf die Methode der Bewertung der aufschiebend bedingten Verpflichtung nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit ein und begründete detailliert, wieso diese Bewertungsmethode nicht im Gesetz verankert wurde, obwohl sie nach Ansicht des BFH gerechter sei.28. Diese Grundsätze hat der BFH in einer dem Streitfall ähnlichen Entscheidung,29 die ein Leistungsrecht betraf, wiederholt und ausgeführt, die bürgerlich-rechtliche Gestaltung sei auch für die steuerrechtliche Beurteilung maßgebend. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise kann nicht dazu führen, eine vom Stpfl. gewählte bürgerlich-rechtliche Gestaltung durch eine andere zu ersetzen, die andere bürgerlich-rechtliche Wirkungen hat. Das würde der Fall sein, wenn man im Streitfall den Übertragungsvertrag so auslegen würde, dass dem aufschiebend bedingt Berechtigten der Anspruch des Erstberechtigten ebenfalls zusteht. Denn dann hätte auch er sofort und nicht erst nach dem Tod des Übertragungsgebers einen klagbaren Anspruch gegen den Eigentümer, was von den Vertragspartnern nach der eindeutigen Fassung des Vertrags nicht beabsichtigt war. In der Literatur werden gegen das höchstrichterliche Verständnis von § 14 Abs. 3 BewG keinerlei Einwände vorgebracht.30 Die Sicht des Beschenkten bei sukzessiven Nutzungsrechten, auf die auch der Kläger abstellt, wurde ebenfalls erörtert und an der Richtigkeit der bisherigen Rspr. keine Zweifel geäußert.31

28 BFH v. 30.4.1959 – III 121/58 S, BStBl. III 1959, 315. 29 BFH v. 31.1.1964 – III 199/61 U, BStBl. III 1964, 179. 30 ZB Esskandari in Gürsching/Stenger, BewG/ErbStG, § 14 BewG Rz. 60 ff.; Grootens in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 14 BewG Rz. 15 ff.; Winter in juris Lexikon Steuerrecht, Bewertung des übrigen Vermögens für Zwecke der Erbschaft-/Schenkungsteuer, Rz. 43 ff.; Marfels, ErbStB 2018, 236 (237); Moench, ErbStB 2006, 97 (98 f.); Gebel, ZErb. 2006, 142 (143). 31 Gebel, ZErb. 2006, 142 (143).

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

3. Abzinsung einer aufschiebend bedingten Rentenlast FG Münster v. 28.2.2019:32 Streitig war in dem Klagefall, ob und ggf. in welcher Höhe eine im Schenkungsvertrag vereinbarte aufschiebend bedingte Verbindlichkeit abzuzinsen ist. Das FG hat zwar die Auffassung des FA bestätigt, dass die Bewertung der zu berücksichtigenden Verbindlichkeit nicht auf den Ereignistag, sondern auf den Zeitpunkt der Übertragung zu erfolgen habe, jedoch die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Die zwischenzeitlich eingelegte Revision wird unter dem Az. II R 26/19 geführt.

Sachverhalt: Am 23.12.2004 schenkte der Vater seinen Kommanditanteil seiner Tochter. Dabei behielt er sich das Nießbrauchsrecht an dem Kommanditanteil bis zu seinem Tod vor. Nach seinem Tod sollte seiner Tochter zu Lasten des Kommanditanteils einen monatlichen, wertgesicherten Betrag iHv. 4.000 t an die Ehefrau des Schenkers und Mutter der Beschenkten zahlen. Nach dem Wortlaut des Vertrags war die Tochter insoweit „auflösend bedingt“ belastet. Der Schenker übernahm die aus der 32 FG Münster v. 28.2.2019 – 3 K 3039/17 Erb, EFG 2019, 824, nrkr., Rev. Az. BFH II R 26/19.

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer Schenkung resultierende Schenkungsteuer, soweit sie nicht bis zum Erlöschen des Nießbrauchs ausgesetzt oder gestundet war. Das FA setzte die Schenkungsteuer durch an den Schenker gerichteten Bescheid fest, wobei wegen des Nießbrauchs eine zinslose Stundung gewährt wurde. Der Schenker verstarb am 25.1.2016 und wurde von seiner Ehefrau als Gesamtrechtsnachfolgerin beerbt. Diese beantragte, die Steuerfestsetzung gegen den Schenker zu ändern und dabei die von der Beschenkten an sie zu entrichtende Rentenlast steuermindernd zu berücksichtigen. Bei einem Jahreswert von 48.000 t und einem am Todestag des Schenkers aufgrund ihres Lebensalters von 78 Jahren anzusetzenden Vervielfältigers von 8,034 wurde der zu berücksichtigende Kapitalwert der Rentenlast mit 385.632 t beziffert. Das FA berücksichtigte zwar die Rentenlast, jedoch nur mit einem Betrag von 213 100 t. Dabei vertrat das FA die Auffassung, dass der auf den Ereignistag, also den Todestag des Schenkers, berechnete Kapitalwert gem. § 12 Abs. 3 BewG auf den Zeitpunkt der Zuwendung, also den 23.12.2004, abzuzinsen ist. Auf diese Weise wird der Zinsvorteil abgegolten, den die Beschenkte durch die erst später eintretende Belastung mit der Schuld hat. Gegen diesen Bescheid wandte sich die Ehefrau des Beschenkten. Sie verlangte eine Abzinsung der Rentenlast nach ihrem damaligen Alter von 67 Jahren und einem Vervielfältiger von 11,952, so dass sich eine Rentenlast von 317.024 t ergibt. Dabei vertrat die Ehefrau des Beschenkten und Klägerin die Auffassung, dass aufgrund der Rspr. des BFH die Bewertung der zu berücksichtigen Verbindlichkeit nicht auf den Ereignistag, sondern zum Zeitpunkt der Übertragung zu erfolgen habe. Das FA folgte der Argumentation nicht. Vielmehr müsse nach Auffassung des FA die Kapitalisierung der Rentenlast auf den Ereignistag erfolgen, da sie wegen der aufschiebenden Bedingung zum Zeitpunkt der Übertragung noch nicht entstanden gewesen sei. Die Abzinsung sei dagegen vorzunehmen, um den Vorteil abzugelten, dass zwischen dem Steuerentstehungszeitpunkt und dem Ereignistag keine Belastung mit einer Schuld vorliegt. Im Klageverfahren vertrat die Ehefrau des Schenkers die Auffassung, dass die volle Rentenlast iHv. 385 632 t zu berücksichtigen und eine Abzinsung unzulässig sei.

Entscheidung: Das FG Münster wies die Klage ab,33 wobei die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen wurde. Das FG vertrat die Auffassung, dass der Übertragungsvertrag zwar wörtlich von einer „auflösenden“ Bedingung ausgeht, jedoch (wie offensichtlich auch die Vertragsparteien in der tatsächlichen Handhabung) davon auszugehen ist, dass tatsächlich eine „aufschiebende“ Bedingung gewollt war. Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung 33 FG Münster v. 28.2.2019 – 3 K 3039/17 Erb, EFG 2019, 824, nrkr., Rev. Az. BFH II R 26/19.

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Mannek, Bewertung des Nießbrauchs in der Erbschaft-/Schenkungsteuer

ein. Bis zum Eintritt der Bedingung sind die Rechtswirkungen des Geschäfts in der Schwebe. Im Entscheidungsfall bedeutete dies, dass die Verbindlichkeit der Beschenkten gegenüber der Klägerin erst mit dem Tod des Schenkers entstanden ist. Für den Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung (25.1.2016, Todestag) ist zutreffend davon auszugehen, dass die Verbindlichkeit mit 385.632 t zu beziffern ist. Dieser Betrag ist nach Maßgabe des § 12 Abs. 3 BewG für den Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der schenkweisen Übertragung und dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung abzuzinsen. Deshalb hat das FA zutreffend eine Verbindlichkeit lediglich iHv. 213.100 t steuermindernd berücksichtigt.

VI. Nutzungsrechte beim Grundbesitzwert Ist ein nach § 198 BewG nachgewiesener gemeiner Wert als Grundbesitzwert festgestellt worden, der aufgrund von Grundstücksbelastungen durch Nutzungs- oder Duldungsrechte, wie zB Nießbrauch oder Wohnrecht, gemindert wurde, kann der Erwerber darüber hinaus das Nutzungsrecht nicht zusätzlich bereicherungsmindernd geltend machen (§ 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG). Das für die Erbschaft- oder Schenkungsteuerveranlagung zuständige FA ist darüber zu unterrichten, dass die Belastung im Rahmen der Feststellung des Grundbesitzwerts berücksichtigt wurde. Beispiel: A überträgt im Jahr 01 B ein Mietwohngrundstück und behält sich den Nießbrauch an den Erträgen vor. Der Grundbesitzwert beträgt 380.000 t und ist bereits um den Wert des Nießbrauchs gemindert (§ 198 BewG). B übernimmt auf dem Grundstück lastende Schulden von 100.000 t. Die Bereicherung des B beträgt Grundbesitzwert Befreiung § 13d ErbStG 10 % von 380.000 EUR Verbleiben Gegenleistung in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Grundstück Duldungsauflage Summe Nicht abzugsfähig 10 % von 100.000 t = Abzugsfähig Bereicherung

380.000 t ./. 38.000 t 342.000 t

+

100.000 t 0t 100.000 t

./. 10.000 t 90.000 t

./. 90.000 t 252.000 t

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Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht – Umwandlungen von Kapitalgesellschaften Ralf Neumann Leitender Regierungsdirektor, Aachen Prof. Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn I. Teilbetriebsbegriff und Teilbetriebsfiktion (Schumacher) II. Sonderfragen des Downstream Merger (Neumann) 1. Anteilseigner der Übertragerin ist im Ausland ansässig 2. Anteilseigner der Übertragerin ist im Inland ansässig und steuerbefreit 3. Anteilseigner der Übertragerin ist eine im Inland ansässige unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft

4. Anteilseigner ist eine inländische Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter III. Anteilsveräußerung nach Spaltung (Schumacher) IV. Disquotale Abspaltung als Entnahme? (Neumann) V. Einlagefiktion bei Umwandlung in eine Personengesellschaft (Neumann)

I. Teilbetriebsbegriff und Teilbetriebsfiktion (Schumacher) Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG sind die Vorschriften zur Vermeidung einer Gewinnrealisierung auf Ebene der übertragenden Körperschaft und ihrer Anteilseigner (§ 11 Abs. 2 und § 13 Abs. 2 UmwStG) nur anzuwenden, wenn auf die übernehmende(n) Körperschaft(en) ein Teilbetrieb übertragen wird und im Fall der Abspaltung bei der übertragenden Körperschaft ein Teilbetrieb verbleibt. Der BFH hatte folgenden vereinfacht dargestellten Fall zu entscheiden: Beispiel 1: Die A GmbH, deren alleiniger Anteilseigner A ist, spaltet ihren operativen Geschäftsbetrieb zur Neugründung auf die B GmbH ab. Bei der A GmbH bleiben nur Bankguthaben und Verbindlichkeiten aus Versorgungszusagen zurück, die keine stillen Reserven beinhalten.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften

Diese Abspaltung erfüllt nicht die Teilbetriebsvoraussetzung des § 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG. Die Wirtschaftsgüter des abgespaltenen Geschäftsbetriebs sind daher gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 11 Abs. 1 UmwStG mit dem gemeinen Wert anzusetzen (auch bei A kommt es gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 13 Abs. 1 UmwStG zur Gewinnrealisierung). Eine teleologische Reduktion der Teilbetriebsvoraussetzung im Hinblick darauf, dass die zurückbleibenden Wirtschaftsgüter keine stillen Reserven beinhalten, ist nicht möglich.1 Bei einer Abspaltung der Bankguthaben und der Versorgungsverbindlichkeiten wäre hingegen mangels stiller Reserven bei der A GmbH kein Gewinn realisiert worden (anders ggf. beim Anteilseigner A in Abhängigkeit von Anschaffungskosten und gemeinem Wert der Anteile). Die Entscheidung enthält auch weitergehende Ausführungen zum Teilbetriebsbegriff. Die FinVerw. wendet bekanntlich auch in reinen Inlandsfällen den Teilbetriebsbegriff der Fusionsrichtlinie an und sieht den wesentlichen Unterschied zum nationalen Teilbetriebsbegriff darin, dass neben den wesentlichen Betriebsgrundlagen auch die nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbaren Wirtschaftsgüter zwingend zum Teilbetrieb gehören.2 Der BFH äußerte sich zwar nicht ausdrücklich zu dieser Frage. Er hat aber einerseits auf den nationalen Teilbetriebsbegriff abgestellt3 und andererseits den Teilbetriebsbegriff der FRL in Bezug genommen,4 ohne auf mögliche Unterschiede einzugehen. Zwar war dies für den vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, weil beide Teilbetriebsbegriffe nicht erfüllt waren. Dennoch könnte daraus geschlossen werden, dass der BFH die Teilbetriebsbegriffe übereinstimmend auslegt. Dies stünde im Einklang mit zwei älteren obiter dicta, nach denen jedenfalls hinsichtlich der Zuordnung der wesentlichen Betriebsgrundlagen kein Unterschied zwischen den Teilbetriebsbegriffen besteht.5 1 Vgl. BFH v. 25.9.2018 – I B 11/18, BFH/NV 2019, 56 = GmbHR 2018, 1331. 2 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 („UmwSt.-Erlass“) Rz. 15.02 und 15.07; zur Auslegung des Teilbetriebsbegriffs ausführlich Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 15 Rz. 135 ff. 3 Vgl. BFH v. 25.9.2018 – I B 11/18, BFH/NV 2019, 56 = GmbHR 2018, 1331 Rz. 7. 4 Vgl. BFH v. 25.9.2018 – I B 11/18, BFH/NV 2019, 56 = GmbHR 2018, 1331 Rz. 10. 5 Vgl. BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467 = FR 2010, 890 Rz. 30; v. 7.11.2013 – X R 21/11, BFH/NV 2014, 676 = GmbHR 2014, 437 Rz. 22).

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften

Zum Ausgangsfall stellt sich die Frage, ob die Teilbetriebsvoraussetzung durch eine vorbereitende Maßnahme erfüllt werden kann. Beispiel 2: Vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag der Abspaltung überträgt die A GmbH das Bankguthaben und die Verbindlichkeiten aus Versorgungszusagen auf die X GmbH, an der sie sämtliche Anteile hält. Die A GmbH spaltet danach ihren operativen Geschäftsbetrieb zur Neugründung auf die B GmbH ab.

Gem. § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG gilt die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, die das gesamte Nennkapital umfasst, als Teilbetrieb. Die Existenz eines Teilbetriebs setzt voraus, dass es neben diesem noch mindestens einen weiteren Teilbetrieb im Rahmen des Gesamtbetriebs gibt.6 Daher hat die gesetzliche Fiktion eines Teilbetriebs denknotwendig zur Folge, dass der Gesamtbetrieb fiktiv aus zwei Teilbetrieben besteht.7 Somit erfüllt die Abspaltung im Beispiel 2 die Teilbetriebsvoraussetzung des § 15 Abs. 1 Satz 2 UmwStG. Mangels stiller Reserven in dem auf die X GmbH übertragenen Vermögen ist auch § 15 Abs. 2 Satz 1 UmwStG nicht einschlägig.8 Aus dieser systematischen Auslegung des § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG kann eine weitergehende Schlussfolgerung gezogen werden. Beispiel 3: Die A GmbH hat keinen operativen Geschäftsbetrieb, sondern verwaltet Kapitalvermögen. Vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag der Abspaltung überträgt die A GmbH einen Teil des Kapitalvermögens auf die X GmbH, an der sie sämtliche Anteile hält. Die T1 GmbH spaltet danach die Beteiligung an dieser GmbH zur Neugründung auf die B GmbH ab.

Ein Teilbetrieb erfordert nach der Rspr. zum nationalen Teilbetriebsbegriff eine gewerbliche Tätigkeit.9 Ob dies auch nach dem Teilbetriebsbegriff der Fusionsrichtlinie gilt, ist offen.10 Die Teilbetriebsfiktion des § 15 Abs. 1 Satz 3 UmwStG führt jedoch unabhängig davon dazu, dass die bei der A GmbH verbliebene Vermögensverwaltung fiktiv als Teilbetrieb 6 Vgl. BFH v. 26.9.2013 – IV R 46/10, BStBl. II 2014, 253 Rz. 37. 7 Vgl. zur Teilbetriebsfiktion des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG BFH v. 28.5.2015 – IV R 26/12, BStBl. II 2015, 797 = FR 2015, 892 Rz. 26. 8 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.16. 9 Vgl. BFH v. 29.11.2017 – I R 7/16, BStBl. II 2019, 738 = FR 2018, 508 Rz. 38. 10 Verneinend zB Lüninghöner, Der Teilbetrieb im Umwandlungssteuerrecht, 2019, 143.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften

gilt. § 15 Abs. 2 Satz 1 UmwStG (Erwerb eines fiktiven Teilbetriebs durch Übertragung von Wirtschaftsgütern, die kein Teilbetrieb sind), ist wegen der Aufdeckung der stillen Reserven bei der Übertragung auf die A GmbH wiederum nicht einschlägig. Die Regelung gilt ohnehin nicht für die Gesellschafterebene, so dass bei A eine Gewinnrealisierung gem. § 13 Abs. 2 UmwStG vermieden werden kann.

II. Sonderfragen des Downstream Merger (Neumann) 1. Anteilseigner der Übertragerin ist im Ausland ansässig Der BFH hat sich in zwei Urteilen vom 30.5.201811 mit der Frage befasst, ob eine Abwärtsverschmelzung eine steuerliche Entstrickung nach sich zieht, wenn der Gesellschafter (in der nachstehenden Abb. 1 die M Ltd.) der übertragenden Obergesellschaft im Ausland ansässig ist und die Beteiligung an der Übertragerin (T-GmbH) keiner inländischen Betriebsstätte zuzurechnen war.

M-Ltd. Ausland Inland T GmbH

Verschmelzung E GmbH

In dem oa. Urteilsfall setzte die Übertragerin (T-GmbH) die Beteiligung an der E-GmbH in ihrer steuerlichen Schlussbilanz mit dem Buchwert an. Die Verschmelzung erfolgte steuerneutral. Fraglich war, ob sich ein 11 BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH/NV 2019, 46.

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Zwang zum Ansatz des gemeinen Werts dadurch ergab, dass das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung eines übertragenen Wirtschaftsguts (hier der Beteiligung an der E-GmbH) bei der übernehmenden Körperschaft ausgeschlossen oder beschränkt wurde. Dies erschließt sich bei wirtschaftlicher Betrachtung erst auf den zweiten Blick, denn die Bundesrepublik Deutschland hatte zu keiner Zeit ein Besteuerungsrecht an den Anteilen der inländischen Obergesellschaft (TGmbH), wohl aber an den E-GmbH-Anteilen. Der Wert der E-Anteile wird auch durch die T-Anteile repräsentiert. Das Besteuerungsrecht an den E-Anteilen geht aber durch die Abwärtsverschmelzung und den damit einhergehenden Untergang der T-GmbH zweifelsohne verloren. Fraglich war nun, ob das Umwandlungssteuergesetz für diesen Fall einen Besteuerungstatbestand vorsieht. § 11 UmwStG bestimmt in Abs. 1, dass im Fall einer Verschmelzung auf eine andere Körperschaft die „übergehenden Wirtschaftsgüter, […] mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind.“

Abs. 2 bestimmt sodann, dass diese „übergehenden Wirtschaftsgüter“ auf Antrag mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden können, „soweit [1.] sichergestellt ist, dass sie später bei der übernehmenden Körperschaft der Besteuerung mit Körperschaftsteuer unterliegen und [2.] das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der übertragenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden Körperschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird […]“.

Nach aktueller Rspr. des BFH12 „[…] gehört zu den übergehenden Wirtschaftsgütern auch die Beteiligung an der übernehmenden Körperschaft[…]“. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass (im obigen Beispielsfall) die E-GmbH-Anteile im Wege des Direkterwerbs13 unmittelbar auf den ausländischen Gesellschafter übergehen, und zwar, ohne zuvor bei der Übernehmerin als eigene Anteile „anzukommen“. Der BFH legt den Begriff der übernehmenden Körperschaft im Fall der Abwärtsverschmelzung allerdings durch teleologische Extension weit aus und weicht insoweit vom handelsrechtlichen Verständnis ab. Er führt dazu Folgendes aus:

12 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; v. 30.5.2018 – I R 35/16, BFH/NV 2019, 46. 13 S. dazu Schmitt/Schlossmacher, DStR 2010, 673 (674) mwN.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften „Soweit die Nr. 1 und 2 der genannten Vorschrift weitere Anforderungen für den Buchwertansatz in Bezug auf die ‚übernehmende Körperschaft‘ stellen, ist auf diejenige Person abzustellen, die die ‚Beteiligung an der Tochtergesellschaft‘ erwirbt.“

Bei dieser Lesart wird das deutsche Besteuerungsrecht an dem übertragenen Wirtschaftsgut „E-Beteiligung“ bei der übernehmenden Körperschaft ausgeschlossen, weil die E-GmbH-Beteiligung bei der M-Ltd. nicht mehr der deutschen Besteuerung unterliegt.14 Nach Ansicht des BFH ergibt sich in Bezug auf diese Beteiligung aus § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG der Zwang zum Ansatz des gemeinen Werts. Der hierdurch entstehende Übertragungsgewinn ist nach § 8b Abs. 2 KStG zwar steuerfrei, allerdings kommt es zum Ansatz nicht abziehbarer Ausgaben iHv. 5 % (§ 8b Abs. 3 Satz 1 KStG). Letzteres ist keine teilweise Einschränkung der Steuerbefreiung, sondern eine gesetzliche Fiktion von nicht abziehbaren Betriebsausgaben.15 Der BFH hält diese Entstrickungsbesteuerung für unionsrechtskonform, weil Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit oder die Kapitalverkehrsfreiheit durch den Gesichtspunkt der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse nach der Rspr. des EuGH16 grundsätzlich gerechtfertigt sind. Im Ergebnis führt eine Abwärtsverschmelzung also immer dann zur Aufdeckung der stillen Reserven in der Beteiligung, wenn der Gesellschafter im DBA-Ausland ansässig ist und der inländische Besteuerungszugriff auf die Anteile an der Übernehmerin verloren geht. Im Ergebnis hat der BFH damit die Sichtweise der FinVerw.17 bestätigt.

2. Anteilseigner der Übertragerin ist im Inland ansässig und steuerbefreit Die Frage nach einer Entstrickungsbesteuerung stellt sich im Fall der Abwärtsverschmelzung auch dann, wenn der Anteilseigner der Übertra-

14 Wollte man die E-Anteile nicht als „übergehendes“ Vermögen ansehen, so müsste man mE die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 1 KStG prüfen; vgl. Benecke in Benecke/Beinert, FR 2010, 1120. 15 Vgl. BFH v. 31.5.2017 – I R 37/15, BStBl. II 2018, 144 = GmbHR 2017, 1339. 16 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10 (National Grid Indus), EuGHE 2011, I-12273 = FR 2012, 25; v. 23.1.2014 – C-164/12 (DMC), FR 2014, 466; v. 21.5.2015 – C-657/13 (Verder Lab Tec), FR 2015, 600. 17 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 13.19.

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gerin steuerbefreit ist (zB steuerbefreiter eV) und die Anteile nicht in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gehalten werden. M eV gemeinnützig

T GmbH

Verschmelzung E GmbH

§ 11 Abs. 2 UmwStG bestimmt, dass die „übergehenden Wirtschaftsgüter“ auf Antrag mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden können“, soweit sichergestellt ist, dass sie später bei der übernehmenden Körperschaft der Besteuerung mit Körperschaftsteuer unterliegen. Der Umwandlungssteuererlass18 regelt dazu in Rz. 11.19, dass ein Ansatz unter dem gemeinen Wert bei der übertragenden T-GmbH möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 KStG erfüllt sind. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KStG spricht der Erlass nicht ausdrücklich an. Dennoch ist auch diese Norm in der vorliegenden Konstellation nach hier vertretener Ansicht zu prüfen. Wird die Beteiligung nicht in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gehalten, ist nicht sichergestellt, dass die stillen Reserven aus der Beteiligung der Besteuerung mit KSt. unterliegen. Deshalb scheidet eine Buchwertfortführung in Bezug auf die E-GmbH-Anteile im vorstehenden Beispielsfall aus, denn die Voraussetzungen der § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KStG sind nicht erfüllt. Ist die Beteiligung an der E-GmbH bei dem M eV der steuer18 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 11.19.

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befreiten Vermögensverwaltung zuzurechnen, erfolgt insoweit keine Besteuerung mit deutscher KSt.19 Zwar ist im Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KStG nur darauf abzustellen, ob die Übernehmerin grundsätzlich körperschaftsteuerpflichtig ist. Geschäftsvorfallbedingte Steuerbefreiungen – zB solche nach § 8b KStG – spielen keine Rolle.20 Im Fall einer gemeinnützigen Körperschaft iSd. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ist jedoch die Körperschaft insgesamt steuerbefreit. Diese Steuerbefreiung wird für wirtschaftliche Geschäftsbetriebe ausgeschlossen (partielle Steuerpflicht). Beteiligungen sind prinzipiell dem Bereich der Vermögensverwaltung zuzurechnen und unterfallen damit bereits im Grundsatz nicht der Körperschaftsteuerpflicht. Deshalb regelt der Umwandlungssteuererlass21 in Rz. 11.07, dass eine Besteuerung mit KSt. nicht sichergestellt ist, wenn im Fall einer Verschmelzung die übernehmende Körperschaft von der KSt. befreit ist. Überträgt man die Grundsätze der oa. BFH-Rspr.22 auf den oben dargestellten Fall, wird man konstatieren müssen, dass der M eV hier in Bezug auf die E-Beteiligung als übernehmender Rechtsträger anzusehen ist. Der BFH führt in der vorgenannten Entscheidung aus: „Soweit die Nr. 1 und 2 der genannten Vorschrift weitere Anforderungen für den Buchwertansatz in Bezug auf die „übernehmende Körperschaft“ stellen, ist auf diejenige Person abzustellen, die die ‚Beteiligung an der Tochtergesellschaft‘ erwirbt.“

Diese insoweit übernehmende Körperschaft ist hier der gemeinnützige M e.V. Der Ansatz der Beteiligung muss deshalb mit dem gemeinen Wert erfolgen. Der UmwSt.-Erlass ist mit der oa. neuen BFH-Rspr. nur dann kompatibel, wenn man die Rz. 11.19 im Zusammenhang mit Rz. 11.07 liest. Soweit man aus der Rz. 11.19 bisher etwas anderes herauslesen konnte, ist der UmwSt.-Erlass mit der Veröffentlichung der neuen BFH-Rspr. im BStBl. partiell überholt.

19 Vgl. Breier StuB 2019, 278 (282). 20 Vgl. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 11 Rz. 230 und Schmidt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 11 UmwStG Rz. 92 ff. 21 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 11.07. 22 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; v. 30.5.2018 – I R 35/15, BFH/NV 2019, 46.

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3. Anteilseigner der Übertragerin ist eine im Inland ansässige unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft Wie unter 1. dargestellt, geht der BFH23 davon aus, dass im Fall eines im Ausland ansässigen Anteilseigners der Abwärts-Verschmelzungsvorgang dazu führt, dass die Beteiligung an der Übernehmerin auf ihn übergeht und er insoweit (partiell) als übernehmende Körperschaft anzusehen ist. Ist der Anteileigner dagegen eine inländische Körperschaft (s. nachstehende Abb. 3), steht eine steuerliche Entstrickung zwar nicht zur Debatte. Es stellt sich aber auch für diesen „Grundfall“ die Frage nach der Reichweite der oa. Rechtsprechungsgrundsätze.

M-GmbH

T GmbH

Verschmelzung E GmbH

Würde man die Rspr. ungefiltert a Würde man die Rspr. ungefiltert auf einen reinen Inlandsvorgang mit inländischen Gesellschaftern übertragen, ergäbe sich die Frage, ob dann die M-GmbH in Bezug auf die E-GmbH-Beteiligung – wie im Auslandsfall – „übernehmende Körperschaft“ ist und insoweit bei ihr § 12 UmwStG Anwendung findet. Wenn ja, entstünde bei der M-GmbH ein Übernahmegewinn, der unter Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG im Saldo zu 5 % der Besteuerung unterläge. Für eine solche Lösung könnte sprechen, dass die M-GmbH unmittelbar Vermögen (hier die E-GmbH-Anteile) im Zuge der 23 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; v. 30.5.2018 – I R 35/15, BFH/NV 2019, 46.

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Verschmelzung übernimmt (Direkterwerb) und die E-Beteiligung auch Teil des übergehenden Vermögens ist. Würde man § 12 UmwStG auf Gesellschafterebene zur Anwendung bringen, käme es zu einer Gleichbehandlung mit dem Fall des Downstream Merger mit einem ausländischen Gesellschafter. Man könnte mit guten Gründen argumentieren, dass im Fall des Downstream Merger auf Gesellschafterebene im Interesse der Gleichbehandlung ein Übernahmegewinn iSd. § 12 Abs. 2 UmwStG in Ansatz zu bringen ist.24 Ob eine Anwendung des § 12 UmwStG auf den Downstream Merger systematisch geboten ist, dürfte aber zweifelhaft sein. Zwar ist darauf hinzuweisen, dass im Fall der Anwendung von § 13 Abs. 2 UmwStG nur die stillen Reserven fortgeführt werden, die M in Bezug auf die T-Anteile aufgebaut hatte, denn die E-Anteile treten bei M steuerlich (dh. auch in Bezug auf ihren Wertansatz) an die Stelle der T-GmbH-Anteile. Die stillen Reserven, die T in Bezug auf die E-Beteiligung gebildet hatte, bleiben in Fall einer Abwärtsverschmelzung unter Buchwertansatz zwar endgültig unbesteuert. Daran würde sich aber auch nichts ändern, wenn man beim Gesellschafter § 12 UmwStG zur Anwendung bringen würde, denn auch in diesem Fall käme es nur zu einer Versteuerung der stillen Reserven in der T-Beteiligung. Die stillen Reserven in den E-Anteilen bleiben trotzdem endgültig unbesteuert. Gegen die Anwendung des § 12 UmwStG auf Gesellschafterebene spricht im Übrigen der Wortlaut dieser Norm, denn die E-GmbH (und nicht die M-GmbH) ist die übernehmende Körperschaft iSd. UmwStG. Nur sie ist an der Verschmelzung unmittelbar beteiligt. Dennoch ist dies aus den nachfolgenden Gründen zu weitgehend. Der BFH25 begründet seine Entscheidung nämlich mit dem Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 UmwStG. Durch das SEStEG26 habe der Gesetzgeber die Steuerneutralität von Umwandlungsvorgängen davon abhängig machen wollen, dass die Besteuerung stiller Reserven der übertragenden Körperschaft sichergestellt wird. Diese Zwecksetzung habe sich unmittelbar in § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwStG niedergeschlagen. So argumentiert der BFH:

24 Vgl. Breier, StuB 2019, 278 (284). 25 Vgl. BFH v. 30.5.2018 – I R 31/16, BStBl. II 2019, 136 = FR 2019, 81; v. 30.5.2018 – I R 35/15, BFH/NV 2019, 46. 26 SEStEG v. 7.12.2006, BGBl. I 2007, 4.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften „Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb gerade im Falle einer Abwärtsverschmelzung das Privileg des Buchwertansatzes ohne Absicherung des inländischen Besteuerungszugriffs auf die stillen Reserven gewährt werden sollte.“

Aus diesen Erwägungen heraus kommt der BFH – wie bereits oben zitiert – zu einem teleologischen Normverständnis: „Soweit die Nr. 1 und 2 der genannten Vorschrift weitere Anforderungen für den Buchwertansatz in Bezug auf die ‚übernehmende Körperschaft‘ stellen, ist auf diejenige Person abzustellen, die die ‚Beteiligung an der Tochtergesellschaft‘ erwirbt.“

Die neue Rspr. hatte also erkennbar nur den Entstrickungsfall im Visier. Die Entscheidung erging zur Auslegung des § 11 Abs. 2 UmwStG und eben nicht zu §§ 12 und 13 UmwStG. Normzweck des § 11 UmwStG ist in erster Linie die Verhinderung steuerneutraler Entstrickungen und die Absicherung des inländischen Besteuerungszugriffs. In diesem Zusammenhang sah der BFH sich gezwungen, die Norm so auszulegen, dass dieser Zweck erfüllt wird. Mit anderen Worten, wenn einzelne Wirtschaftsgüter – hier in Gestalt der Anteile an der E-GmbH – auf einen anderen als den handelsrechtlichen Übernehmer übergehen und dabei die Möglichkeit des inländische Besteuerungszugriffs endet, bedarf es einer teleologisch weiten Auslegung des Begriffs „übernehmende Körperschaft“. In anderen Fällen ist dies entbehrlich. Im Übrigen mag man Zweifel haben, ob Wortlaut und Telos des § 12 UmwStG ein abweichendes (weites) Begriffsverständnis der „übernehmenden Körperschaft“ überhaupt gebieten und erlauben. Zum einen zeigen die Überschrift des § 12 UmwStG und Abs. 1 Satz 1 der Norm, dass das Gesetz offenbar von nur einer (einzelnen) übernehmenden Körperschaft ausgeht. Auch Sinn und Zweck des § 12 UmwStG gebieten es nicht, die Norm im reinen Inlandsfall bei zwei übernehmenden Rechtsträgern anzuwenden, denn es kommt im Fall der vom Wortlaut her zweifelsfrei einschlägigen (und derzeit sowohl von der FinVerw. als auch im Schrifttum favorisierten) Anwendung des § 13 UmwStG nicht zu sog. „weißen Einkünften“, sondern nur zu einer (gewollten) aufgeschobenen Versteuerung der stillen Reserven in den T-Anteilen.

4. Anteilseigner ist eine inländische Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Gesellschafter Ein weiterer Sonderfall ist die Behandlung des Downstream Merger, wenn eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen auf der Gesellschafterebene die Anteile an der übertragenden Gesellschaft hält. In der

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften

nachstehenden Abbildung wird die T-GmbH auf die E-GmbH verschmolzen. Auch hier stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der oa. Rechtsprechungsgrundsätze.

M-KG

T GmbH

Verschmelzung Zunächst ist zu prüfen, ob ein Buchwertansatz E GmbH

Zunächst ist zu prüfen, ob ein Buchwertansatz in der steuerlichen Übertragungsbilanz der T-GmbH (übertragender Rechtsträger) auch hinsichtlich der E-Anteile im vorstehenden Beispielsfall möglich ist, wenn es wie hier nicht zu einer Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts kommt. Der Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG spricht zunächst dagegen, denn in diesem Fall ist gerade nicht sichergestellt, dass das Wirtschaftsgut später bei der übernehmenden Körperschaft der Besteuerung mit KSt. unterliegt. Vielmehr unterliegt es der Besteuerung mit ESt. (Teileinkünfteverfahren bzw. Abgeltungsteuer).

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Der UmwSt.-Erlass regelt dazu Folgendes: „Die Anteile an der Tochtergesellschaft können nach § 11 Absatz 2 Satz 2 UmwStG in der steuerlichen Schlussbilanz der Muttergesellschaft nur dann mit einem Wert unterhalb des gemeinen Werts angesetzt werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 11 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 UmwStG vorliegen.“

Auf § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG nimmt die Verwaltungsanweisung nicht Bezug. Dies hat mehrere Gründe. Zum einen ging der Erlassgeber seinerzeit davon aus, dass ein Übergang auf eine natürliche Person im Anwendungsbereich des § 11 UmwStG gar nicht denkbar ist. Zum anderen sah man einen Regelungsbedarf wohl auch deshalb nicht, weil eine spätere Besteuerung mit ESt. nicht zu einer Statusverbesserung, sondern zu einer Statusverschlechterung führt. Es bleibt abzuwarten, ob die die FinVerw. angesichts der neuen BFH-Rspr. an dieser Regelung im UmwSt.Erlass festhält. Wenn man sie als Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 AO versteht,27 wäre es sicher sinnvoll, hierfür eine spezielle Billigkeitsregelung zu schaffen. Hierzu hat der Große Senat des BFH entschieden, dass eine sachliche Billigkeitsmaßnahme immer auf den Einzelfall abstellen muss und atypischen Ausnahmefällen vorbehalten sei. Sie könne aber durchaus auch in durch besondere Ausnahmevoraussetzungen gekennzeichneten Fallgruppen gewährt werden.28 Ein solcher Fall liegt hier mE grundsätzlich vor. Typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsumierbarer Tatbestände kommen aber nicht in Betracht. Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Reichweite der oa. BFH-Rspr. in Bezug auf die Besteuerung der Gesellschafterebene (M-KG bzw. deren Mitunternehmer). Für eine Anwendung von § 4 UmwStG auf Gesellschafterebene könnte auf den ersten Blick sprechen, dass die M-KG unmittelbar Vermögen (die E-GmbH-Anteile) im Zuge der Verschmelzung übernimmt (Direkterwerb) und die E-Beteiligung Teil des (hier auf die M KG) übergehenden Vermögens ist. Würde man § 4 UmwStG auf Gesellschafterebene zur Anwendung bringen, käme es zu einer systematischen Gleichbehandlung mit dem Fall des Downstream Merger unter Beteiligung im Ausland ansässiger Gesellschafter. Gegen eine Anwendung des § 4 UmwStG spricht aber, dass hier eine Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere Körperschaft vorliegt und 27 So Breier, StuB 2019, 278 (282); Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 11 UmwStG Rz. 180. 28 Vgl. BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften

deshalb bei der übertragenden T-GmbH unstreitig nur § 11 UmwStG einschlägig sein kann. § 3 UmwStG hat ausschließlich Verschmelzungen auf eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person zum Gegenstand und trifft den hier beschriebenen Fall augenscheinlich nicht. § 4 UmwStG ergänzt § 3 UmwStG, indem in Abs. 1 S. 1 bestimmt wird, dass der übernehmende Rechtsträger den Wert iSd. § 3 UmwStG zu übernehmen hat, dh. wenn § 3 UmwStG keine Anwendung findet, kann auch § 4 UmwStG nicht einschlägig sein, und zwar auch nicht für ein Einzelwirtschaftsgut (hier Beteiligung an der E-GmbH), das anlässlich einer Verschmelzung in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft übergeht. Ferner gibt es keine sachliche Notwendigkeit, in dem vorstehenden Beispielfall auf §§ 4 ff. UmwStG zurückzugreifen. Es bedarf gar nicht der Verhinderung steuerneutraler Entstrickungen bzw. einer Absicherung des inländischen Besteuerungszugriffs. Im Ergebnis scheint eine Anwendung von §§ 4 ff. UmwStG also auf Gesellschafterebene im vorstehenden Beispielsfall nicht geboten. Vielmehr greift beim Gesellschafter § 13 UmwStG.29 Dies entspricht auch der Ansicht der FinVerw.30

III. Anteilsveräußerung nach Spaltung (Schumacher) Nach § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG ist § 11 Abs. 2 UmwStG nicht anzuwenden, dh. die Spaltung erfolgt auf der Ebene der übertragenden Körperschaft zwingend gem. § 11 Abs. 1 UmwStG zu gemeinen Werten, wenn durch die Spaltung die Voraussetzung für eine Veräußerung an außenstehende Personen geschaffen wird. Davon ist nach § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Anteile an den an der Spaltung beteiligten Kapitalgesellschaften, die mehr als 20 % der Anteile an der übertragenden Gesellschaft vor der Spaltung ausmachen, veräußert werden. Streitig ist, ob § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG darüber hinaus noch einen eigenen Anwendungsbereich hat oder ob Veräußerungen unterhalb der 20 %-Grenze immer unschädlich sind.31 29 So zutr. Breier, StuB 2019, 278 (284). 30 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 13.01 und 11.19. 31 Vgl. zur Auslegung der Regelungen Schumacher in Rödder/Herlinghaus/ van Lishaut, UmwStG3, § 15 Rz. 225 ff.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften Beispiel 1: Die T1 GmbH, deren alleiniger Anteilseigner die M AG ist, hat einen Teilbetrieb zur Neugründung auf die T2 GmbH abgespalten (unter Ansatz des steuerlichen Buchwerts gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 11 Abs. 2 UmwStG). Der Anteil dieses Teilbetriebs am Wert der T1 GmbH beträgt weniger als 20 %. Unmittelbar nach Wirksamkeit der Abspaltung verkauft die M AG sämtliche Anteile an der T2 GmbH.

Nach Verwaltungsauffassung ist Ersteres der Fall und der Tatbestand des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG soll bei nachweisbarer Veräußerungsabsicht bereits zum Zeitpunkt des steuerlichen Übertragungsstichtags gegeben sein.32 Dies ist allerdings zweifelhaft, weil der BFH in seiner bisher einzigen Entscheidung zu § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber Satz 3 und 4 auch in einem Satz hätte zusammenfassen können und dass die Aufteilung in zwei Sätze nicht indiziert, dass Satz 3 und Satz 4 unterschiedliche Anwendungsbereiche haben.33 Davon ausgehend hat das FG Berlin-Brandenburg einen eigenen Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG verneint.34 Die Revision ist beim BFH anhängig (Az. I R 27/18). Im Streitfall lag die Besonderheit vor, dass eine Organgesellschaft aufgespalten wurde und das FA den angenommenen Übertragungsgewinn bei der Organgesellschaft angesetzt hatte.35 Auch dies hat das FG Berlin-Brandenburg als unzutreffend angesehen. Im Gegensatz dazu hat das FG Hamburg einen eigenständigen Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG bejaht.36 Danach soll § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG insbes. solche Fallkonstellationen betreffen, in denen bereits im Zeitpunkt der Spaltung durch vertragliche Vereinbarungen sichergestellt worden ist, dass die geplante Veräußerung abgewickelt werden soll. Diese Auslegung hätte auch Bedeutung für die in § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG geregelte Fünfjahresfrist. Beispiel 2: Der Verkauf der Anteile erfolgt erst nach Ablauf von fünf Jahren seit dem steuerlichen Übertragungsstichtag (auch das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen

32 33 34 35

Vgl. FinMin. Brandenb. v. 16.7.2014 – 35-S 1978b-2014#001, DB 2014, 2257. Vgl. BFH v. 3.8.2005 – I R 62/04, BStBl. II 2006, 391 = FR 2006, 476. FG Berlin-Brandenb. v. 31.5.2018 – 9 K 9143/16, EFG 2018, 1681, nrkr. Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. Org. 27. 36 FG Hamburg v. 18.9.2018 – 6 K 77/16, EFG 2019., 1140 = GmbHR 2019, 140, nrkr., Rev. Az. BFH I R 39/18.

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Neumann/Schumacher, Umwandlungen von Kapitalgesellschaften geht erst dann über). Der Kaufvertrag über die Anteile wurde im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Abspaltung abgeschlossen.

Das FG Hamburg hat in diesem Urteil in einem obiter dictum auch die Auffassung vertreten, § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG erfasse auch Veräußerungen nach Ablauf der Fünfjahresfrist des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG. Dies entspricht nicht der Auffassung der FinVerw., nach der nur zeitnah nachfolgende Veräußerungen erfasst sind.37 Zu beachten ist im Übrigen das Verhältnis von § 15 Abs. 2 Satz 3 und 4 UmwStG zur Missbrauchsregelung in Art. 15 Abs. 1 Buchst. a der Fusionsrichtlinie (FRL). Danach kann die Anwendung der FRL versagt werden, wenn eine Umwandlung als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat; vom Vorliegen eines solchen Beweggrunds kann ausgegangen werden, wenn der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbes. der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht. Nach der Rspr. des EuGH ist das Vorliegen eines Missbrauchs durch eine Untersuchung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Eine generelle Vorschrift, nach der bestimmte Gruppen von Vorgängen automatisch von den Vorteilen der FRL ausgeschlossen sind, ist unzulässig.38 Des Weiteren hat der EuGH auch in rein nationalen Sachverhalten die Auslegungskompetenz für eine Regelung, wenn der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Richtlinie rein innerstaatliche Sachverhalte und Sachverhalte, die unter die Richtlinie fallen, gleich behandelt.39 Daher ist davon auszugehen, dass die Missbrauchsregelungen des UmwStG seit dem SEStEG auch im Inlandsfall an Art. 15 FRL zu messen sind.40 Der BFH ist allerdings auf diese Fragestellung in seiner Entscheidung zu § 22 Abs. 2 UmwStG überhaupt nicht eingegangen, obwohl nach den Umständen des entschiedenen Einzelfalls erkennbar kein Missbrauch vorlag.41 37 Vgl. FinMin. Brandenburg v. 16.7.2014 – 35-S 1978b-2014#001, DB 2014, 2257. 38 So zB EuGH v. 10.11.2011 – C-126/10 (Foggia-SGPS), EuGHE 2011, I-10923 = AG 2012, 125 Rz. 37. 39 So zB EuGH v. 10.11.2011 – C-126/10 (Foggia-SGPS), EuGHE 2011, I-10923 Rz. 21. 40 So auch Hess. FG v. 10.11.2017 – 4 K 2005/16, DStRK 2018, 130, rkr., Rz. 59 (obiter dictum). 41 Vgl. BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BStBl. II 2019, 45 = FR 2018, 752.

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Das FG Hamburg ließ diese Frage offen, weil eine Abspaltung vorlag, die im Streitjahr 2007 noch nicht von der Fusionsrichtlinie geregelt war. Im Fall des FG Berlin-Brandenburg lag jedoch eine Aufspaltung (Streitjahr 2008) vor, so dass die Frage im Revisionsverfahren Bedeutung erlangen könnte. Zwar erfolgt bei der Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG – anders als nach Auffassung der FinVerw. bei § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG42 – eine Einzelfallprüfung. Es ist jedoch fraglich, ob aus einer Anteilsveräußerung geschlossen werden kann, dass auf der Ebene der übertragenden Gesellschaft – bei der die Rechtsfolge eintritt – ein Missbrauch iSd. Art. 15 der FRL vorliegt.

IV. Disquotale Abspaltung als Entnahme? (Neumann) Das FG München43 hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Frage ging, ob die disquotale Abspaltung eines Teilbetriebs einer AG, deren Anteile sich im Sonderbetriebsvermögen der Kommanditisten einer KG befanden, auf eine im Privatvermögen der Kommanditisten gehaltene andere Kapitalgesellschaft zu einer Entnahme desjenigen Kommanditisten führte, der an der übernehmenden Kapitalgesellschaft mit einem geringeren Anteil beteiligt war als an der übertragenden AG. Der Sachverhalt stellte sich – vereinfacht – wie folgt dar: An der übertragenden Gesellschaft (B-AG) waren EF und EM zu je 50 % beteiligt. Die Aktien befanden sich im Sonderbetriebsvermögen von EF und EM bei der A-KG. Die B-AG spaltete einen Teilbetrieb (TB 1) auf die C-GmbH ab. EM war vor der Spaltung zu 100 % an der C-GmbH beteiligt. Diese Anteile sollen aus Vereinfachungsgründen wertlos gewesen sein. Im Zuge der Abspaltung erfolgte eine Kapitalerhöhung um je einen Geschäftsanteil für EM und EF. An der C-GmbH waren nach der Abspaltung (verkürzt dargestellt) EM zu 99,6 % und EF zu 0,4 % beteiligt. EM und EF hielten die C-GmbH-Anteile im Privatvermögen. Die B-AG-Anteile blieben auch nach der Abspaltung unverändert im Sonderbetriebsvermögen.

Rein wirtschaftlich gesehen gab EM also 50 % des Werts von TB 1 ab und erhielt dafür 99,6 % der C-GmbH-Anteile, die den abgespaltenen Teilbetrieb repräsentierten. EF gab wirtschaftlich ebenfalls 50 % des Werts von TB 1 ab, erhielt im Gegenzug allerdings nur 0,4 % der C-GmbH-An42 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 15.27: unwiderlegbare Vermutung. 43 Vgl. FG München v. 2.11.2017 – 13 K 1170/15, EFG 2018, 932, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 17/17.

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teile. Im wirtschaftlichen Ergebnis übertrug EF also mittelbar 49,6 % des Werts von TB 1 an EM. Dieser unbestreitbare Werttransfer stand im Focus des FG Verfahrens. Die nachstehende Abbildung soll der Verdeutlichung des Sachverhalts dienen:

EM

EF

99,6%

50%

0,4%

50%

50%

50%

A-KG

SBV

C GmbH

Abspaltung TB1

B-AG

TB1

TB2

Das FG München44 entschied den Fall wie folgt: Die in der disquotalen Abspaltung liegende Wertverschiebung zugunsten von EM führe nicht zu einer steuerbaren Entnahme iSd. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG aus dem Sonderbetriebsvermögen der EF. Es liege keine Entnahme des anteiligen Werts des Teilbetriebs (Wertverschiebung) zugunsten von EM vor, denn die abgespaltenen Wirtschaftsgüter seien nicht entnommen worden. Auch sei 44 Vgl. FG München v. 2.11.2017 – 13 K 1170/15, EFG 2018, 932, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 17/17.

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es nicht zur Entnahme des anteiligen Werts der insoweit unstreitig entwerteten B-Aktien gekommen, denn stille Reserven seien nicht ohne das zugehörige Wirtschaftsgut entnehmbar. Gegenstand von Einlagen und Entnahmen können nur bilanzierbare Wirtschaftsgüter sein. Sämtliche B-Aktien (Wirtschaftsgüter) seien aber (bei unveränderter Beteiligungsquote von EM und EF iHv. je 50 %) im Sonderbetriebsvermögen von EM und EF verblieben. Die Anteils- und Mitgliedschaftsrechte an der B-AG bestünden nach der Abspaltung unverändert weiter. Es sei nur zu einem steuerlich unbeachtlichen Werttransfer gekommen, für dessen Besteuerung keine Rechtsgrundlage existiere. Nach angeblicher Auffassung der FinVerw.45 finde auch § 13 UmwStG auf vorstehenden Fall keine Anwendung, soweit es im Rahmen einer Abspaltung zu einer Wertverschiebung zwischen den Anteilseignern komme. Nach alledem seien infolge der Abspaltung keine stillen Reserven der Besteuerung zu unterwerfen. Der Entscheidung des FG München kann nach hier vertretener Ansicht nicht gefolgt werden. Zwar ist einzuräumen, dass kein zivilrechtlicher Übergang von Anteilen auf dritte Personen stattgefunden hat und alle Aktien der B-AG – auch quotal – unverändert im Sonderbetriebsvermögen von EM und EF bei der A-KG verblieben sind. Dennoch ist es im vorliegenden Fall zu einem steuerbaren und steuerpflichtigen Tausch von Anteilen gekommen. § 13 Abs. 1 UmwStG bestimmt: „Die Anteile an der übertragenden Körperschaft gelten als zum gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der übernehmenden Körperschaft gelten als mit diesem Wert angeschafft.“

Die Norm findet auf den vorliegenden Fall ihrem Wortlaut nach unzweifelhaft Anwendung. Dies entspricht auch der Sichtweise der FinVerw. Zwar regelt Rz. 13.03 des UmwSt.-Erlasses:46 „§ 13 UmwStG gilt auch nicht, soweit es aufgrund der Umwandlung zu einer Wertverschiebung zwischen den Anteilen der beteiligten Anteilseigner kommt. Insoweit handelt es sich um eine Vorteilszuwendung zwischen den Anteilseignern, für deren steuerliche Beurteilung die allgemeinen Grundsätze gelten.“ 45 Das FG verweist diesbezüglich auf den UmwSt.-Erlass, BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 13.03. 46 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 13.03.

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Hiermit sollte (zugegebenermaßen etwas verkürzt) zum Ausdruck gebracht werden, dass die Grundsätze der verdeckten Gewinnausschüttung und der verdeckten Einlage sowie der Entnahmen und Einlagen (Einkommensermittlungsgrundsätze) durch § 13 Abs. 2 UmwStG nicht außer Kraft gesetzt werden.47 Wenn zB der Gesellschafter der übertragenden Körperschaft eine Kapitalgesellschaft ist, die durch die Spaltung ihrem Gesellschafter oder einer Schwestergesellschaft einen Vorteil verschafft, dann handelt es sich (unabhängig von § 13 UmwStG) um eine vGA, durch die es zur Aufdeckung der stillen Reserven kommt. Das Gleiche gilt, wenn der Gesellschafter durch den (fiktiven) Tausch seine Anteile aus dem Betriebsvermögen entnimmt und gegen Anteile tauscht, die eben nicht diesem Betriebsvermögen zuzuordnen sind. Hier bleibt es dabei, dass § 13 Abs. 1 UmwStG zunächst einen Tausch fingiert,48 die Entnahmebesteuerung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG aber uneingeschränkt Anwendung findet. Das UmwStG setzt also auf der Gesellschafterebene die allgemeinen Einkommensermittlungsvorschriften nicht außer Kraft.49 Insoweit kann demzufolge durch § 13 Abs. 2 UmwStG keine Buchwertfortführung erreicht werden. So liegt der Fall auch im oa. Urteil des FG München. § 13 Abs. 1 UmwStG fingiert hier im ersten Schritt infolge der Abspaltung einen Tausch von Anteilen. EF und EM tauschen beide (fiktiv) B-Aktien aus dem Sonderbetriebsvermögen gegen C-GmbH-Anteile im Privatvermögen. Die (ggf. schenkungsteuerlich relevante) Wertverschiebung zugunsten des EM spielt dabei ertragsteuerlich keine Rolle. Vielmehr entnehmen EF und EM (beide!) ihre B-AG Anteile, jeder im Umfang von 50 % des Werts des abgespaltenen Teilbetriebs aus dem Sonderbetriebsvermögen. Dies ist logisch zwingend. Wenn nämlich die Gegenleistung für die tauschweise Hingabe eines betrieblichen Wirtschaftsguts in der Erlangung eines Wirt-

47 Zutr. Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 15 UmwStG Rz. 416. 48 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 13.05; Schmitt/Schloßmacher, DStR 2010, 673 (675). BFH v. 19.8.2008 – IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13 = FR 2009, 291 unter II.2.b aa (2) der Gründe; BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 3. 49 Vgl. Neumann in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 13 Rz. 26.

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schaftsguts des Privatvermögens besteht, wird das betriebliche (hingegebene) Wirtschaftsgut immer zuvor entnommen.50 Die nachfolgende unentgeltliche Übertragung von EF auf EM (Wertverschiebung) findet außerhalb des Sonderbetriebsvermögens statt, denn EF erhält für die hingegebenen B-Aktien neue Anteile an der C-GmbH, die allerdings einen deutlich geringeren Wert repräsentieren als ihre wertanteiligen B-Aktien. Erst auf dieser Stufe ist dann zu prüfen, ob die Spaltung eine freigebige Zuwendung ist, die ggf. der Schenkungsteuer unterliegt. Im Ergebnis führt der spaltungsbedingte Tausch iSd. § 13 Abs. 1 UmwStG also entgegen der Sichtweise des FG zwingend zu einer Entnahme der hingegebenen Aktien aus dem Betriebsvermögen. Der logische Bruch in den Entscheidungsgründen des oa. Urteils des FG München besteht in der Verneinung der Anwendbarkeit des § 13 UmwStG dem Grunde nach. § 13 Abs. 1 UmwStG wäre aber nur dann nicht anwendbar, wenn die B-Aktien im Wege einer vGA oder einer Entnahme unentgeltlich übertragen worden wären und bereits dieser Vorgang (Realisationsakt) die Anwendung des § 13 UmwStG obsolet gemacht hätte. Dies ist hier nicht der Fall, denn die Aktien wurden – unabhängig von den bestehenden Wertrelationen – getauscht. Ohne diesen Tausch wäre es nicht zur Annahme einer Entnahmehandlung gekommen, denn – wie das FG zutreffend ausführt – kann eine reine Entwertung eine Entnahme nicht rechtfertigen.

V. Einlagefiktion bei Umwandlung in eine Personengesellschaft (Neumann) Mit Urteil vom 11.4.2019 entschied der BFH,51 dass bei einem Formwechsel einer Kapital- in eine Personengesellschaft die Besteuerung der offenen Rücklagen der Kapitalgesellschaft nach § 7 Satz 1 UmwStG bei nach § 5 Abs. 2 UmwStG fiktiv als eingelegt behandelten Anteilen als Gewinn der Gesamthand und nicht als Sondergewinn des bisherigen Gesellschafters zu behandeln ist. Die Einlagefiktion des § 5 Abs. 2 und 3 UmwStG bewirke, dass die fiktive Ausschüttung nach § 7 UmwStG der Personengesellschaft und nicht den Gesellschaftern zuzurechnen sei. Es handele sich wegen des Subsidia50 Vgl. BFH v. 23.6.1981 – VIII R 41/79, BStBl. II 1982, 18 = FR 1981, 594. 51 Vgl. BFH v. 11.4.2019 – IV R 1/17, BStBl. II 2019, 501 = GmbHR 2019, 842.

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ritätsprinzips gem. § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG um betriebliche Einkünfte der übernehmenden Personengesellschaft. Für dieses Verständnis spreche ua. die Regelung in § 18 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, wonach in Fällen der Einlagefiktion des § 5 Abs. 2 UmwStG ein Gewinn nach § 7 UmwStG gewerbesteuerlich nicht zu erfassen ist. Diese Regelung ziele darauf ab, sicherzustellen, dass die fiktive Dividende nicht der GewSt. unterliegt.52 Diese Regelung liefe ins Leere, wenn die Ausschüttung schon dem Grunde nach gewerbesteuerbelastet wäre. In dem oa. Urteilsfall ging es nicht um die Frage der Behandlung der fiktiven Dividenden im Fall eines im DBA-Ausland ansässigen Gesellschafters. Diese Frage soll hier vor dem Hintergrund der neuen Rspr. näher beleuchtet werden. Der nachstehende Beispielfall behandelt auch die Problematik der Kapitalertragsteueranrechnung. Beispiel: An der AB GmbH sind die im Ausland ansässige A Ltd. und Frau B mit jeweils 50 % beteiligt. Die AB GmbH wird durch Formwechsel in eine KG umgewandelt. Die übernehmende AB KG ist nicht an der AB GmbH beteiligt, sie existiert erst eine logische Sekunde nach dem Formwechsel. Dennoch gilt sie gem. § 5 Abs. 2 und 3 UmwStG fiktiv am Übertragungsstichtag als 100 %-Gesellschafterin der AB GmbH (fiktive Aufwärtsverschmelzung). Infolgedessen ist das Übernahmeergebnis gem. § 4 Abs. 4 UmwStG bei der AB KG zu ermitteln. A Ltd.

AB KG

B

50%

100%

50%

AB GmbH

Verschmelzung

AB GmbH

AB KG

Formwechsel § 5 Abs. 2, 3 UmwStG

Die nunmehr durch den BFH53 bejahte Frage, ob die Einlagefiktionen auch für Zwecke des § 7 UmwStG als fiktive Einlage in das Gesamthandsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft gilt, ist insbes. für

52 So auch BT-Drucks. 16/3369, 10. 53 Vgl. BFH v. 11.4.2019 – IV R 1/17, BStBl. II 2019, 501 = GmbHR 2019, 842.

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Steuerausländer von Bedeutung, da in diesem Fall für die Kapitaleinkünfte beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 2 Nr. 1 KStG (inländische gewerbliche Einkünfte) besteht. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass Gesamthandsvermögen auch nach innerstaatlichem Recht nicht immer mit inländischem Betriebsstättenvermögen gleichzusetzen ist.54 Letztere Problematik soll allerdings an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Wenn die übernehmende Personengesellschaft nach innerstaatlichem Recht eine Betriebsstätte begründet, dann stellt sich die weitere Frage, ob im Inland eine Veranlagung der Bezüge iSd. § 7 UmwStG mit Anrechnung der Kapitalertragsteuer zu erfolgen hat. Die FinVerw. scheint dies im Grundsatz zu bejahen,55 obwohl der Gesetzgeber des SEStEG eine solche Anrechnung wohl nicht beabsichtigt hatte.56 Es ging ihm vielmehr darum, das deutsche Quellenbesteuerungsrecht abzusichern. Eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer setzt voraus, dass die Einkünfte des im Ausland ansässigen Gesellschafters in eine inländische Veranlagung einbezogen werden. Dazu bedarf es zunächst einmal der Annahme inländischer Einkünfte. Unterhält der im Ausland ansässige Gesellschafter eine inländische Betriebsstätte, so erzielt er mit den Bezügen iSd. § 7 UmwStG beschränkt steuerpflichtige Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG iVm. § 2 Nr. 1 KStG. Zur Annahme einer inländischen Betriebstätte genügt nach deutschen Steuerrecht bereits eine gewerbliche Prägung iSd. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, denn § 12 Satz 1 AO fordert in seiner aktuellen Fassung nicht mehr die Ausübung eines stehenden Gewerbes, sondern nur eine unternehmerische Tätigkeit. Folglich werden von § 12 AO auch Betriebsstätten erfasst, die kraft gesetzlicher Fiktion nur ertragsteuerrechtlich als Gewerbebetrieb gelten.57 Im Fall des Formwechsels einer GmbH auf eine gewerblich geprägte Personengesellschaft erzielt der im Ausland ansässi-

54 Vgl. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, FR 2018, 558. 55 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 04.27 und 04.29, jeweils Bsp. 1 zum ausländischen Gesellschafter C. Dort wird hinsichtlich der Frage der Anrechnung in einer Fußnote auf das „DBA-Quellensteuerrecht“ hingewiesen. Nähere Erläuterungen fehlen. 56 Stimpel, GmbHR 2012, 129; Bogenschütz, Ubg. 2011, 328; Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 7 UmwStG Rz. 24. 57 Vgl. BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, FR 2018, 558 mit umfangreichen Nachweisen.

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ge Gesellschafter also bereits ab dem steuerlichen Übertragungsstichtag Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Die bedeutet aber noch nicht, dass Deutschland auch das Besteuerungsrecht für diese betrieblichen Kapitalerträge hat. DBA-rechtlich existiert nämlich möglicherweise keine bzw. am (rückwirkenden) steuerlichen Übertragungsstichtag noch keine Betriebsstätte. Sowohl eine rein gewerbliche Prägung der durch Formwechsel entstandenen übernehmenden GmbH & Co. KG als auch die Zurechnung der Einkünfte auf den rückwirkenden steuerlichen Übertragungsstichtag schlagen nicht auf das DBA durch. Folglich erzielt der Gesellschafter zum rückwirkenden steuerlichen Übertragungsstichtag keine Einkünfte, die (bereits zu diesem Zeitpunkt) einer inländischen DBA-Betriebsstätte zugerechnet werden können. Dennoch sind die Bezüge nach § 7 UmwStG in einer inländischen Veranlagung zu erfassen.58 Ist der Gesellschafter wie im obigen Beispielsfall eine im Ausland ansässige Körperschaft, so ist § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG einschlägig. Die Körperschaftsteuer ist nach dieser Norm nur dann durch den Steuerabzug abgegolten (dh. keine Veranlagung), wenn der Bezieher der Einkünfte beschränkt steuerpflichtig ist und die Einkünfte nicht in einem inländischen gewerblichen Betrieb angefallen sind. Im Umkehrschluss ist eine Erfassung der Einkünfte im Rahmen einer Veranlagung gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG zwingend, wenn es sich um Einkünfte eines inländischen gewerblichen Betriebs handelt.59 Allerdings richtet sich Betriebsdefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG nach deutschen Ertragsteuerrecht und nicht nach dem einschlägigen DBA,60 dh. wenn die Definition des gewerblichen Betriebs des DBA von der des deutschen Ertragsteuerrechts abweicht, ist die Gewerblichkeit der Einkünfte nach deutschem Steuerrecht zu bestimmen.61 Nach deutschem Steuerrecht liegen am steuerlichen Übertragungsstichtag (Zuflusszeitpunkt der Einkünfte iSd. § 7 UmwStG) aber fraglos inländische gewerbliche Einkünfte vor. Die Einkünfte aus einer inländischen gewerblich geprägten KG oder gewerbliche Einkünfte, die nur durch eine Rückwirkung (Fiktion) nach deutschem UmwStG entstehen, sind also in die Veranlagung einzubezie58 Vgl. Pung/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 7 UmwStG Rz. 24. 59 Vgl. Bärsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 170. 60 Vgl. Hendricks in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 32 Rz. 17. 61 Vgl. Wacker, FR 2018, 562 (563), Urteilsanmerkung zu BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15.

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hen. Allerdings sind diese Kapitalerträge gem. § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei und nur mit 0 t zu erfassen. Die Anrechnung der Kapitalertragsteuer bestimmt sich sodann nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG. Nach dieser Norm erfolgt eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer, soweit sie entfällt auf a) die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte oder b) die nach § 3 Nr. 40 EStG oder § 8b Abs. 1, 2 und 6 Satz 2 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibenden Bezüge. Im Beispielsfall bleiben die Bezüge nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz. Dies hat nichts mit dem bestehenden faktischen Vorrang des § 8b Abs. 1 KStG62 im Verhältnis zum DBA-Schachtelprivileg zu tun. Diese Frage stellt sich überhaupt nicht. Vielmehr hat der Sitzstaat bzw. Ansässigkeitsstaat des Gesellschafters das Besteuerungsrecht für die Bezüge iSd. § 7 UmwStG. Der Betriebsstättenvorbehalt des DBA (zB Art. 7 Abs. 4 DBA-NL) findet keine Anwendung, weil die übernehmende Personengesellschaft keine oder am steuerlichen Übertragungsstichtag noch keine Betriebsstätte in Deutschland unterhält. Nach DBA-Recht sind am steuerlichen Übertragungsstichtag also keine Dividendeneinkünfte angefallen, für die Deutschland ein über das Quellenbesteuerungsrecht hinausgehendes Besteuerungsrecht hätte. Nach rein nationalem Recht – worauf § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG abhebt – ist dies anders. Die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (Bezüge iSd. § 7 UmwStG) werden im Rahmen der inländischen Veranlagung zwar erfasst. Sie bleiben aber gem. § 8b Abs. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Soweit die Kapitalertragsteuer auf diese Einkünfte entfällt, ist sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnen.63

62 Vgl. BFH v. 23.6.2010 – I R 71/09, BStBl. II 2011, 129 = GmbHR 2010, 1062. 63 Vgl. Bärsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 172.

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Aktuelle Entwicklungen im Umwandlungssteuerrecht – Einbringungstatbestände Dr. Norbert Schneider1 Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf I. Einleitung II. Folgen des Brexit für die Einbringung 1. Bedeutung 2. Zeitplan und Sachstand 3. Rechtliche Auswirkungen des Brexit auf die Einbringung III. Anträge bei Einbringung 1. Gesetzeslage 2. Antrag auf Rückwirkung nach § 20 Abs. 5 UmwStG: Antragsfrist und Änderungsmöglichkeiten 3. Wertansatzantragsrecht nach § 20 Abs. 2 UmwStG: Was meint der Gesetzgeber mit erstmaliger Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz? IV. Einbringungsgewinn durch Aufwärtsverschmelzung V. Negatives Betriebsvermögen bei Einbringung 1. Regelungsinhalt 2. Relevanz von Entnahmen im Rückwirkungszeitraum auf „negatives Betriebsvermögen“

3. Keine Saldierung bei Einbringung mehrerer Sachgesamtheiten VI. Einbringung in Personengesellschaften 1. Abgrenzung Einbringung – Einlage 2. Einbringung iSd. § 6 Abs. 5 EStG und Folgeumwandlung VII. Gewerbesteuer-Verlustvorträge bei Umwandlung auf Personengesellschaft 1. Unternehmeridentität bei Verschmelzung auf Verlust-KG 2. Kein Übergang des Verlustvortrags bei Ausgliederung einer Holding-Kapitalgesellschaft VIII. Einige Probleme bei verbindlichen Auskünften im Rahmen von Umwandlungen 1. Teilbetrieb als auskunftsfähige Rechtsfrage 2. Gebühren für die Erteilung verbindlicher Auskünfte bei Umwandlungen – Mögliche Streitfragen IX. Änderungsvorhaben in der Grunderwerbsteuer

1 Dem Beitrag liegt der entsprechende Vortrag des Autors zusammen mit MD Dr. Rolf Möhlenbrock (Leiter der Steuerabteilung im Bundesministerium der Finanzen) auf dem 71. Fachkongress der Steuerberater Ende Oktober 2019 zugrunde. Der Autor dankt Rechtsassessor Konrad Seibold, Düsseldorf, für die Unterstützung bei diesem Beitrag.

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Schneider, Einbringungstatbestände

I. Einleitung Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklung der Rechtslage im Umwandlungssteuerrecht im Bereich der Einbringungstatbestände (§§ 20–25 UmwStG) der letzten Jahre. Die gesetzgeberischen Aktivitäten haben sich dabei in Grenzen gehalten und betreffen im Wesentlichen nur Fragen in Zusammenhang mit dem Brexit. Dagegen hat es eine Reihe interessanter Entscheidungen insbes. des BFH gegeben, die für die Rechtspraxis von zT wesentlicher Bedeutung sind. Auf diese Komplexe wird im Folgenden im Detail eingegangen.

II. Folgen des Brexit für die Einbringung 1. Bedeutung Der Brexit kann vielfältige Auswirkungen auf die Besteuerung in Deutschland haben, insbes. (neben der Umsatzsteuer) im Bereich der Ertragsteuern. Über diese war bereits auf dem Fachkongress 2018 ausführlich berichtet worden; auf die Darstellung2 kann daher verwiesen werden. Im Folgenden werden nur die für die Einbringung relevanten Aspekte noch einmal vertieft aufgegriffen.

2. Zeitplan und Sachstand In zeitlicher Hinsicht ist nicht nur wesentlich, wann der (vielfach verschobene) eigentliche Brexit wirksam wird, sondern ab wann das Vereinigte Königreich auch steuerlich als nicht mehr der EU zugehörig behandelt hat. Das betrifft die Frage der Übergangsfrist auf Basis eines Austrittsabkommens. Der eigentliche Brexit fand mit Ablauf des 31.1.2020 statt; damit endete die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Allerdings kam es nicht zu einem vielfach befürchteten ungeregelten („No Deal“-)Brexit. Vielmehr läuft zunächst eine Übergangsfrist. Diese wurde letztlich durch Art. 126, 127 des sogenannten „Johnson-Abkommens“3 vereinbart; der bisherige europarechtliche Rechtsrahmen zwi2 Schneider/Möhlenbrock, StbJb. 2018/2019, 275 ff.; daneben zB auch Schneider/ Stoffels, Ubg. 2019, 1 ff. 3 ABl. EU 2019 C 384 I, 1. Im Wesentlichen übernahm das Johnson-Abkommen die Regelungen, die bereits das von der früheren Premierministerin May verhandelte Austrittsabkommen (das aber nie vom britischen Parlament angenommen worden war) vorsah.

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Schneider, Einbringungstatbestände

schen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik (wie auch den übrigen Mitgliedstaaten der EU) findet danach bis zum 31.12.2020 weiter Anwendung. Eine Verlängerung dieses Austrittsabkommens ist zwar theoretisch denkbar, wird jedoch politisch von britischer Seite (zumindest bisher) ausgeschlossen. Jedenfalls in diesem Übergangszeitraum gilt das Vereinigte Königreich im Bundesrecht gemäß § 1 BrexitÜG weiterhin als Mitgliedstaat der EU.

3. Rechtliche Auswirkungen des Brexit auf die Einbringung Umwandlungssteuerrechtlich ist an erster Stelle hervorzuheben, dass der sachliche Anwendungsbereich des UmwStG – jedenfalls grundsätzlich – auf die Fälle beschränkt ist, in denen ein doppelter EU-Bezug gegeben ist (§ 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 UmwStG). Das bedeutet, dass sowohl der übertragende als auch der übernehmende Rechtsträger nach den Rechtsvorschriften eines EU- beziehungsweise EWR-Staats gegründete Gesellschaften sein müssen und sich deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines dieser Staaten befinden muss. Bei natürlichen Personen kommt es darauf an, dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat haben; die Staatsangehörigkeit ist dagegen irrelevant. Bei Einbringungen iSd. §§ 20–24 UmwStG gibt es bzgl. dieses „doppelten Europabezugs“ allerdings drei abschließende Ausnahmen: –

Die weitestgehende Ausnahme ist, dass Einbringungen (eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils) in eine Personengesellschaft nach § 24 UmwStG nach deutschem Steuerrecht unabhängig davon steuerneutral möglich sind, ob der übernehmende und oder einbringende Rechtsträger einen Europabezug aufweist (§ 1 Abs. 4 Satz 2 UmwStG).



Eine weniger weitgehende Ausnahme verzichtet für die Steuerfreiheit eines Anteilstauschs nach § 21 UmwStG auf den Europabezug nur des übertragenden, nicht hingegen des übernehmenden Rechtsträgers. Dies ergibt sich daraus, dass der Einleitungssatz in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG sich lediglich auf Abs. 3 Nr. 1–4 bezieht, nicht aber auf den in Nr. 5 erwähnten Anteilstausch.



Die engste Ausnahme ergibt sich aus dem Wort „oder“ zwischen den Buchst. a und b in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UmwStG: Für die Umwandlungsvorgänge in § 1 Abs. 3 Nr. 1–4 UmwStG gilt, dass ein Europabezug nur zwingend ist für den übernehmenden Rechtsträger. Ein feh255

Schneider, Einbringungstatbestände

lender Europabezug des übertragenden Rechtsträgers kann hingegen dadurch ausgeglichen werden, dass der Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile in Deutschland steuerverstrickt bleibt. Soweit nach diesen Regeln ein EU-Bezug notwendig ist, stellt sich die Frage, welche Relevanz der Brexit hat. Für zukünftige Umwandlungen, die (grundsätzlich) nach Ablauf der Übergangsfrist erfolgen, lautet die Antwort schlicht: sie sind dann nicht mehr vom UmwStG erfasst. Fraglich war, ob der Brexit Auswirkungen hat auf vergangene Umwandlungen iSd. § 20 UmwStG, sofern noch die 7jährige Sperrfrist des § 22 UmwStG läuft. Denn nach dem Gesetz ist es erforderlich, dass die persönlichen Voraussetzungen des § 1 UmwStG (und damit auch der grundsätzlich doppelte EU-Bezug) zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Sperrfrist nach dem steuerlichen Einbringungszeitpunkt gewahrt sind (§ 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 6 bzw. Abs. 2 Satz 6 UmwStG zu den Voraussetzungen), um nicht eine rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns auszulösen. Hier war streitig, ob der Brexit allein ausreichen könnte, um diese unerwünschte Rechtsfolge herbeizuführen, obwohl der Stpfl. keinerlei Einfluss auf den Eintritt des Wegfalls hat.4 Auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass ohne weiteres Zutun des Stpfl. eine rückwirkende Einbringungsgewinnbesteuerung droht, die dem Grunde nach aber nicht gerechtfertigt ist. Deshalb wurde in 2019 durch das sog. Brexit-Steuerbegleitgesetz5 § 22 Abs. 8 UmwStG eingefügt: Danach gilt, dass allein der Brexit nicht dazu führt, dass der doppelte EU-Bezug wegfällt und damit eine Einbringungsbesteuerung ausgelöst wird. Diese Vorschrift findet gem. § 22 Abs. 8 Satz 2 UmwStG nur dann Anwendung, wenn der Umwandlungsbeschluss vor dem Zeitpunkt erfolgt, ab dem das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied der EU ist oder wie ein solches zu behandeln ist oder ein Einbringungsvertrag vor diesem Austrittszeitpunkt geschlossen wurde. Das Tatbestandsmerkmal „nicht wie ein [Mitglied] zu behandeln ist“ ist dabei iSv. § 1 BrexitÜG zu verstehen, so dass der Übergangszeitraum abgedeckt ist6 – insofern müssen die entsprechenden Akte nach heutigem Stand vor dem 1.1.2021 erfolgen.

4 Vgl. zum Streitstand Schneider/Stoffels, Ubg. 2019, 1 (5 mwN). 5 Vgl. BT-Drucks. 19/7377, 22. 6 Vgl. Nitzschke in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 22 UmwStG Rz. 108 (147. EL Mai 2019).

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Eine weitere Übergangsregelung wurde durch § 122m UmwG iVm. § 1 Abs. 2 Satz 3 UmwStG geschaffen. Infolge des Brexit entfällt für Gesellschaften, die nach britischem Recht gegründet wurden bzw. im Vereinigten Königreich ihren Satzungssitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung haben, die Möglichkeit, sich auf der Grundlage der §§ 122a ff. UmwG an Verschmelzungen mit deutschen Gesellschaften zu beteiligen. Der Gesetzgeber möchte eine solche Verschmelzung auf einen deutschen (neuen oder bestehenden) Rechtsträger noch für eine gewisse Zeit ermöglichen.7 Voraussetzung hierfür ist, dass der Verschmelzungsplan nach § 122c Abs. 4 UmwG vor dem Ende des Übergangszeitraums notariell beurkundet worden ist und die Verschmelzung unverzüglich, spätestens aber zwei Jahre nach diesem Zeitpunkt, mit den erforderlichen Unterlagen zur Registrierung angemeldet wird. Für umwandlungssteuerliche Zwecke ordnet § 1 Abs. 2 Satz 3 UmwStG an, dass eine Gesellschaft, auf die § 122m UmwG Anwendung findet, als eine solche mit Sitz und Geschäftsleitung innerhalb der EU gilt.

III. Anträge bei Einbringung 1. Gesetzeslage Für Einbringungen iSd. § 20 UmwStG räumt das Gesetz dem Stpfl. zwei Wahlrechte ein. Zum einen ein Wertansatzwahlrecht: zwar gilt (wie bei alle anderen Umwandlungen seit den Änderungen durch das SEStEG in 2006) der Grundsatz, dass die eingebrachten Wirtschaftsgüter von der übernehmenden Gesellschaft grundsätzlich mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind; auf Antrag ist ein Buch- oder Zwischenwertansatz möglich, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 (Vorliegen einer qualifizierten Sacheinlage iSd. § 20 Abs. 1 UmwStG, dh. die Übertragung einer qualifizierten Sachgesamtheit – Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteile – gegen Gewährung neuer Anteile;) und Abs. 2 UmwStG vorliegen. Zum anderen ein Wahlrecht bzgl. des steuerlichen Übertragungsstichtags nach § 20 Abs. 5 UmwStG; dieses besteht allerdings nur dann, wenn auch eine qualifizierte Sacheinlage iSd. § 20 Abs. 1 UmwStG tatsächlich vorliegt, dh. insbes. eine begünstigte Sachgesamtheit eingebracht wird.8 Zu beiden Wahlrechten hat der BFH jüngst klarstellende Entscheidungen getroffen. 7 Vgl. Bayer in Lutter, UmwG6, § 122m UmwG Rz. 1. 8 Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 20 Rz. 455.

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2. Antrag auf Rückwirkung nach § 20 Abs. 5 UmwStG: Antragsfrist und Änderungsmöglichkeiten In zeitlicher Hinsicht endet mit der steuerlich wirksamen Erbringung der Sacheinlage die Zurechnung des eingebrachten Vermögens beim Einbringenden und beginnt die erstmalige Zurechnung bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft. Maßgebend ist insofern die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf die übernehmende Gesellschaft.9 Abweichend von dieser Relevanz der tatsächlichen erfolgten Übertragung zur Bestimmung des steuerlichen Übertragungsstichtags ermöglicht § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG, auf Antrag eine Rückbeziehung bis zu 8 Monaten durchzuführen. Erfolgt die steuerliche Einbringung durch eine Umwandlung nach dem UmwG (Verschmelzung oder Spaltungsmaßnahme), kann wahlweise auf den Stichtag der bei der Umwandlung verwandten Bilanz iSd. § 17 Abs. 2 UmwG abgestellt werden, sofern dieser Stichtag bei Anmeldung der Umwandlung maximal 8 Monate zurücklag (§ 20 Abs. 6 Satz 1, 2 UmwStG) – insofern entspricht die Regelung grundsätzlich derjenigen in § 2 Abs. 1 UmwStG für die Umwandlungen, die steuerlich keine Einbringung sind, allerdings eben mit der Ausnahme, dass bei diesen anderen Umwandlungen der steuerliche Übertragungsstichtag stets durch diesen maximal 8 Monate zurückliegenden Bilanzstichtag bestimmt wird, dh. kein Wahlrecht besteht. Bei Einbringungen durch Einzelrechtsnachfolge ist nach § 20 Abs. 6 Satz 3 UmwStG ebenfalls eine achtmonatige Rückbeziehung wahlweise möglich, wobei hier sogar jeder Tag innerhalb dieser 8-Monatsfrist gewählt werden kann. Dieser Antrag nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG ist formfrei möglich.10 Andere Fragen bzgl. dieses Antrags waren dagegen bisher streitig. So ging die FinVerw. beispielsweise davon aus, dass der Antrag spätestens im Zeitpunkt der Einreichung der Steuerbilanz zu stellen wäre.11 Hiergegen wendeten sich weite Teile der Literatur.12 Diese Streitfrage hat mittler9 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 20.13 Satz 1; Frotscher, UmwSt.-Erlass 2011, zu Rz. 20.13; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 235; Menner in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 575. 10 BFH v. 19.12.2018 – I R 1/17, BStBl. II 2019, 709 = GmbHR 2019, 851 Rz. 15; vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 260 mwN. 11 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 20.14. 12 Vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 258 mwN.

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weile der BFH im Ergebnis iSd. Literatur entschieden. Danach ist der genannte Antrag gesetzlich nicht befristet und kann noch bis zur Beendigung der letzten Tatsacheninstanz gestellt werden, in der über die Besteuerung des Vermögensübergangs entschieden wird. Mangels einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung scheidet die Annahme einer Ausschlussfrist aus.13 Der BFH hatte in dieser Entscheidung auch darüber zu entschieden, ob ein einmal wirksam gestellter Antrag später geändert werden kann. Folgt man dem Gedanken des BFH, dass mangels gesetzlicher Anordnung die Annahme einer Ausschlussfrist ausscheide, dann spricht das dafür, dass ein Antrag auf Rückbeziehung nachträglich geändert werden können müsste.14 Schließlich wird erst durch eine Ausschlussfrist erreicht, dass nach ihrem Ablauf Rechte nicht mehr geltend gemacht werden können.15 Der BFH schloss sich dieser Auffassung jedoch nicht an. Der Antrag nach § 20 Abs. 5 Satz 1 UmwStG regele nicht lediglich die Rechtsfolgen eines einmal realisierten Lebenssachverhalts, sondern (auch) den der Einbringungsbesteuerung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Hierdurch würde der Zeitpunkt des Einbringungsvorgangs bestimmt und welche damit verbundenen steuerrechtlichen Folgen eintreten. Zudem basiere die Vorschrift auf dem Gedanken der Vereinfachung. Es würde diesem Vereinfachungsgedanken widersprechen, wenn ein einmal gestellter Antrag – ggf. wiederholt – wieder geändert werden könnte.16 Nach diesem sachverhaltsbezogenen Verständnis des BFH würde mit einem geänderten Antrag eine neue Festlegung getroffen, zu welchem Zeitpunkt und zu welchem maßgeblichen Wert sich ein Einbringungsvorgang vollzieht, so dass dann möglicherweise andere steuerrechtliche Folgen eintreten. Im Ergebnis können sich nach dieser Entscheidung Stpfl. zwar grundsätzlich Zeit lassen mit der Entscheidung, auf welchen Stichtag die Umwandlung im Rahmen der beschriebenen Möglichkeiten erfolgen soll. Allerdings sollten sie dann aber auch entschieden sein, denn eine Änderung ist nicht mehr möglich. Soll der Antrag noch nicht ausgeübt werden, wenn die Steuerbilanz der übernehmenden Gesellschaft abgegeben wird, so ist 13 BFH v. 19.12.2018 – I R 1/17, BStBl. II 2019, 709 = GmbHR 2019, 851 Rz. 15. 14 So i.Erg. Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG Rz. R 302 (94. EL. April 2017); Begründung: FG Berlin-Branden. v. 13.12.2016 – 6 K 6243/14, EFG 2017, 441 Rz. 28), aufgehoben durch BFH. 15 Vgl. Creifelds, Rechtswörterbuch22, 512 (Stichwort Frist). 16 BFH v. 19.12.2018 – I R 1/17, BStBl. II 2019, 709 = GmbHR 2019, 851 Rz. 17 und 19-2.

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dies zwar grundsätzlich möglich; allerdings müsste dann auch sehr klar gemacht werden, dass diese Zeitpunktfrage noch offen ist, damit keine konkludente Ausübung unterstellt wird.

3. Wertansatzantragsrecht nach § 20 Abs. 2 UmwStG: Was meint der Gesetzgeber mit erstmaliger Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz? Die Fristenfrage ist dagegen für die Ausübung des Wertansatzwahlrechts (Wertansatz unter dem gemeinen Wert) nach § 20 Abs. 2 UmwStG durch den Gesetzgeber in § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG eindeutig vorgegeben worden. Danach ist dieser Antrag spätestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz bei dem für die Besteuerung der übernehmenden Gesellschaft zuständigen FA zu stellen. Umstritten war bisher, welche Bilanz mit dem Ausdruck „steuerliche Schlussbilanz“ gemeint ist. Der BFH hat in Übereinstimmung mit der Literatur17 und Stimmen aus der FinVerw.18 Klarheit geschaffen. Unter „steuerlicher Schlussbilanz“ iSv. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG ist die nächste auf den Einbringungszeitpunkt folgende steuerliche Jahresschlussbilanz der übernehmenden Gesellschaft gemeint, in der der Einbringungsgegenstand erstmals anzusetzen ist.19 Damit soll gerade nicht eine von der Steuerbilanz zu unterscheidende eigenständige Schlussbilanz gemeint sein. Dies gelte auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber im UmwStG 2006 den Begriff der „steuerlichen Schlussbilanz“ in § 3 Abs. 1 Satz 1 UmwStG als eine von der Steuerbilanz zu unterscheidende Bilanz verwendet. Dennoch bestehe, so der BFH, kein sachliches Bedürfnis für die Aufstellung einer auf den Einbringungsstichtag bezogenen steuerlichen Schlussbilanz. Im Gegensatz zur Verschmelzung komme es nicht zur Beendigung der Existenz einer Körperschaft; für die übernehmende Gesellschaft handele es sich bei einer Einbringung um laufende Geschäftsvorfälle, die steuerlich im Rahmen der kontinuierlichen Jahresrechnungslegung erfasst werden können und mangels abweichender gesetzlicher Regelungen auch zu erfassen sind.

17 Vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 314 mwN. 18 LfSt. Bayern v. 11.11.2014 – S 1978d.2.1-17/10 St32, GmbHR 2014, 1342. 19 BFH v. 15.6.2016 – I R 69/15, BStBl. II 2017, 75 = FR 2017, 969.

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Aus formaler Sicht kommt es im Übrigen nach dem BFH nicht darauf an, dass die nun ausreichende nächste auf den Einbringungszeitpunkt folgende steuerliche Jahresschlussbilanz eine vollständig eigenständige Steuerbilanz darstellt. Nach § 60 Abs. 1, 2 EStDV kann ein Stpfl., sofern er seinen Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG ermittelt, für seine steuerlichen Erklärungspflichten statt einer eigenen Steuerbilanz auch eine reine Handelsbilanz abgeben, verbunden mit der Erklärung, diese sei auch der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen; möglich ist auch eine Handelsbilanz mit steuerlichen Zusätzen bzw. Anmerkungen. Somit war es im Streitfall ausreichend, dass der Stpfl. einen handelsrechtlichen Jahresabschluss und eine „Überleitungsrechnung“ sowie eine „Korrektur nach § 60 Abs. 2 EStDV“ eingereicht hatte. Das Wertansatzwahlrecht hätte spätestens mit Abgabe dieser Unterlagen ausgeübt werden müssen. Dabei reicht im Übrigen nach dem BFH für den Fristablauf auch eine Handelsbilanz, die nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) entspricht. Die GoB seien Regeln, die die handelsrechtliche Buchführung betreffen und nicht auch die nach den Steuergesetzen gebotenen bilanziellen Modifikationen erfassen. Für diesen Befund spricht durchaus die wertende Überlegung, dass dem Stpfl. mit nachlässiger Buchführung das Antragsrecht über den Zeitpunkt der Einreichung der (nachlässig erstellten) Bilanz nicht erhalten werden darf. Stellt die übernehmende Gesellschaft keinen Antrag auf einen abweichenden Wertansatz, so bleibt es gem. § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG beim Ansatz mit dem gemeinen Wert. Daher habe das FA auch entgegen der Rechtslage vor Inkrafttreten des UmwStG 2006 nicht mehr zu ermitteln, welcher der Wertansätze dem Willen der übernehmenden Gesellschaft entspricht. Wie oben bereits erwähnt, kommt es auf die Steuerbilanz des Jahres an, in der das übernommenen Vermögen bei der übernehmenden Gesellschaft erstmals anzusetzen ist. Fällt der steuerliche Übertragungsstichtag bei der übernehmenden Gesellschaft in das laufende Wj., ist die Frage klar – es ist die Bilanz auf den folgenden Bilanzstichtag. Ist der steuerliche Übertragungsstichtag auch ein Bilanzstichtag bei der übernehmenden Gesellschaft, ist maßgebend die Steuerbilanz auf diesen Stichtag (dh. nicht erst auf den nächsten, und zwar auch nicht, wenn die Umwandlung tatsächlich erst im Folgejahr erfolgt und mit dem Antrag nach § 20 Abs. 5, 6 UmwStG zurückbezogen wurde).20

20 LfSt. Bayern v. 11.11.2014 – S 1978d.2.1-17/10 St32, GmbHR 2014, 1342; Nitzschke in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 20 UmwStG Rz. 91a (139. EL

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IV. Einbringungsgewinn durch Aufwärtsverschmelzung Werden Sperrfristanteile innerhalb von sieben Jahren nach dem Einbringungszeitpunkt veräußert, wird grundsätzlich die rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns ausgelöst. Neben der Veräußerung gilt das auch bei Verwirklichung der Ersatzrealisationstatbestände des § 22 Abs. 1 Satz 6 UmwStG. Das gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 als auch des Abs. 2 UmwStG; lediglich die Sperrfristanteile entstehen auf unterschiedlichen Ebenen (bei der Sacheinbringung iSd. § 22 Abs. 1 UmwStG sind es grundsätzlich die Anteile an der übernehmenden Gesellschaft, beim Anteilstausch iSd. § 21 Abs. 1 UmwStG sind es – unter den weiteren Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 UmwStG – die eingebrachten Anteile). Fraglich ist, ob und inwieweit umwandlungsbedingte Bewegungen der Sperrfristanteile schädlich sind. Das UmwStG selbst enthält nur Ausnahmen für die Bewegung im Rahmen von Einbringungstatbeständen zum Buchwert (vgl. insbes. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 2, 4 und 5 UmwStG), aber nicht für andere Umwandlungen wie Verschmelzungen und Spaltungen, soweit sie nicht unter §§ 20, 21 UmwStG fallen. Nach Ansicht der FinVerw. sind alle umwandlungsbedingten Bewegungen Veräußerungen und daher grundsätzlich schädlich, soweit sie nicht unter die gesetzliche Ausnahme bei Einbringungen zum Buchwert fallen.21 Allerdings hat die Verwaltung in Rz. 22.23 des UmwSt.-Erlasses 2011 eine Billigkeitsregelung vorgesehen, die allerdings unter zahlreichen zT „weichen“ Bedingungen steht; die „Wegverschmelzung“ der Sperrfristanteile durch Aufwärtsverschmelzung der übernehmenden Gesellschaft auf die einbringende Gesellschaft nach einer vorhergehenden Einbringung iSd. § 20 UmwStG soll aber explizit nicht darunter fallen.22 In der Literatur wird diese Lage vielfach stark kritisiert, ua. dass das Gesetz selbst zu eng ist bei den geregelten Ausnahmen, und zudem die FinVerw. durch eine sehr weite Auslegung des Veräußerungsbegriffs und eine zu enge Auslegung der eigenen Billigkeitsregel den Intentionen des

Nov. 2017); Bilitewski in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 381. 21 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 00.02. 22 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 22.23 Beisp. 3.

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UmwStG nicht gerecht wird,23 insbes. jedwede Umwandlung als schädlichen Vorgang erfasst, auch wenn es tatsächlich zu keinerlei Statusverbesserung kommt. Diese allgemeine Kritik erfasst dann auch insbes. den Fall der Wegverschmelzung der Sperrfristanteile durch Aufwärtsverschmelzung. Insofern wurde mit Spannung erwartet, wie die Rspr. einen Fall entschiedet, bei dem es nach einem Anteilstausch – bei dem die eingebrachten Anteile bei der erwerbenden Gesellschaft zu Sperrfristanteilen wurden – zu einer Aufwärtsverschmelzung gekommen war, indem nämlich die eingebrachte Gesellschaft auf die erwerbende Gesellschaft in der Sperrfrist verschmolzen wurde. Zur Darstellung dient hier ein Beispielsfall: Fall: A und B sind zu je 50 % an der A-GmbH und T-GmbH beteiligt. Im ersten Schritt bringen A und B ihre jeweilige Beteiligung an der A-GmbH in die T-GmbH ein; dabei wird die Anschaffungskosten- bzw. Buchwertfortführung nach § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG gewählt. Innerhalb der Sperrfrist wird die A-GmbH aufwärts auf die T-GmbH verschmolzen; die bisherigen Sperrfristanteile an der A-GmbH gingen durch die Verschmelzung unter.

Umwandlungssteuerrechtlich stellt sich damit die Frage, ob durch diese Aufwärts-verschmelzung die rückwirkende Besteuerung des Einbringungsgewinns II ausgelöst wird. Dies ließe sich ausgehend vom Verständnis des Begriffs „Veräußerung“ zunächst bezweifeln. Hierunter ist nach allgemeiner Auffassung die entgeltliche – also gegen eine Gegenleistung erfolgende24 – Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an den Anteilen von einer Person auf einen anderen Rechtsträger zu verstehen.25 Bei einer Aufwärtsverschmelzung fehlt es jedoch an diesem Rechtsträgerwechsel bzgl. der Sperrfristanteile; vielmehr gehen diese hier vollständig unter. Die FinVerw. würde dagegen bzgl. der Verschmelzung – wie bei jeder umwandlungsbedingten Bewegung von Anteilen – eine Veräußerung anneh-

23 Zum Ganzen zB Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 22 Rz. 131 ff. mit breiter Darstellung des Diskussions- und Streitstands. 24 So etwa BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BStBl. II 2019, 45 = FR 2018, 752 Rz. 18 mwN. 25 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 22.07; vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/ UmwStG8, § 22 UmwStG Rz. 24 mwN.

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men;26 dies soll für die Aufwärtsverschmelzung gelten.27 Diese Auffassung wird bei der Besteuerung des Einbringungsgewinns konsequent fortgesetzt. Jede der Einbringung in eine Kapitalgesellschaft nachfolgende Umwandlung oder Einbringung sowohl des Einbringenden als auch etwa der übernehmenden Kapitalgesellschaft führt zu einer Veräußerung iSd. § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG.28 Das FG Hamburg schloss sich dem aber nicht an und lehnte einen schädlichen Ersatzrealisierungsvorgang ab.29 Es sieht bereits Merkmale des Veräußerungsbegriffs nicht erfüllt. Die Entgeltlichkeit fehle, da bei einer Aufwärtsverschmelzung keine Gegenleistung vorliege. Der Gesetzgeber des UmwG verbiete sogar in diesem Fall die Gewährung einer Gegenleistung (§§ 20 Abs. 1 Nr. 3; 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; 68 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwG). Auch liege kein Tausch von Wirtschaftsgütern vor, weil die Übernahme der Wirtschaftsgüter der übertragenden Gesellschaft durch die übernehmende Gesellschaft Teil einer gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge ist. Als systematisches Argument führt das FG Hamburg zudem an, dass sowohl die Grundregelung des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG als auch die Ersatzrealisationstatbestände des § 22 Abs. 2 Satz 6 iVm. Abs. 1 Satz 6 UmwStG Veräußerungen umfassten; daraus schließt das Gericht, dass nicht jeder Veräußerungs- und Weiterübertragungsvorgang schädlich iSd. Einbringungsgewinnbesteuerungsregelung sei. Die Annahme einer Veräußerung entspräche zudem nicht dem Regelungszweck des § 22 Abs. 2 Satz 1 UmwStG. Diese Vorschrift ist eine typisierende Missbrauchsvorschrift. Sie verfolgt den Zweck, Konzeptionen zu sanktionieren, bei denen die Umwandlung nur „Mittel zum Zweck“ ist, um eine steuerliche Statusverbesserung zu erreichen. Diese könnte dann eintreten, wenn nach der Einbringung von Anteilen in eine Kapitalgesellschaft zum Buchwert diese übernehmende Gesellschaft die Anteile innerhalb der Sperrfrist veräußert. Dann könnte es zu einer Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen nach § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 8b Abs. 2

26 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 00.02. 27 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 00.03; ebenso Rz. 22.23 Beisp. 3. 28 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 22.23, 22.07. 29 FG Hamburg v. 21.5.2015 – 2 K 12/13, EFG 2015, 1876.

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KStG kommen.30 Wenn aber die Anteile an der übertragenen Gesellschaft untergehen, könne es zu diesem Missbrauch nicht kommen. Zwar könnten die Wirtschaftsgüter der übertragenen Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft zum Buchwert übergehen. Die darin enthaltenen stillen Reserven sind jedoch im Fall einer Veräußerung durch die aufnehmende T-GmbH genauso steuerpflichtig wie zuvor bei der wegverschmolzenen A-GmbH; und auch die für die Gesellschafter A und B verbliebenen Anteile (an der T-GmbH) sind in keiner Weise im steuerlichen Status verbessert. Der BFH hob diese Entscheidung in der Revision jedoch auf und bejahte einen schädlichen Sperrfristverstoß.31 Dabei argumentiert der BFH formalistisch. Er sieht das Merkmal der Entgeltlichkeit als erfüllt an; bei einer Aufwärtsverschmelzung sei trotz des zivilrechtlichen Untergangs der Sperrfristanteile eine Gegenleistung an den Inhaber dieser Anteile (die übernehmende Gesellschaft) erfolgt, und zwar in Form des Erwerbs des Vermögens des übertragenden Rechtsträgers im Rahmen der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge. Das sei ein tauschähnlicher Vorgang und damit steuerlich eine Veräußerung. Dass die Endstruktur (T-GmbH ist die verbleibende Gesellschaft und hat die Wirtschaftsgüter der A-GmbH übernommen) auch ohne formalen Sperrfristverstoß hätte erreicht werden können (indem A-GmbH ohne vorherige Einbringung auf T-GmbH verschmolzen worden wäre), sich also insgesamt keine Statusverbesserung ergibt, hält der BFH für nicht relevant. Die Entscheidung des BFH ist in der Sache enttäuschend. Sie hätte uE anders ausfallen können; andererseits ist auch durchaus nachvollziehbar, dass der BFH so entschieden hat. Denn das Problem ist bereits im Gesetz angelegt, indem die Ersatztatbestände sehr weit gefasst sind, und für steuerneutrale Anschlussumwandlungen eben nur die Ausnahme bei Einbringungen zum Buchwert vorgesehen ist. Dass dies dem Grunde nach zu eng ist, sieht ja durchaus auch die FinVerw., weswegen sie eine (wiederum enge) Billigkeitsregelung einräumt. Für eine rechtssichere Rechtsanwendung ist das zu wenig. Der Gesetzgeber sollte den Mut haben, hier weitere Ausnahmen von Ersatztatbeständen direkt im Gesetz vorzusehen.

30 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 22 UmwStG Rz. 1 (73. EL Dez. 2011). 31 BFH v. 24.1.2018 – I R 48/15, BStBl. II 2019, 45 = FR 2018, 752.

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V. Negatives Betriebsvermögen bei Einbringung 1. Regelungsinhalt Das Antragswahlrecht gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG wird bei Einbringungen eingeschränkt, wenn und soweit die steuerlichen Buchwerte der Passivposten des eingebrachten Betriebsvermögens die der Aktivposten überschreiten. In diesen Fällen kommt es zu einer Zwangsaufstockung in der Weise, dass der übernehmende Rechtsträger das eingebrachte Betriebsvermögen mindestens so anzusetzen hat, dass sich Aktiv- und Passivposten ausgleichen; das im Saldo negative steuerliche Betriebsvermögen wird also bis auf Null aufgestockt.32 Um diese Zwangsaufstockungen haben sich in der Vergangenheit einige Rechtsfragen ergeben, die der BFH in zwei Urteilen beantwortet hat.

2. Relevanz von Entnahmen im Rückwirkungszeitraum auf „negatives Betriebsvermögen“ Im ersten Urteil33 ging es um die Frage, ob Entnahmen, die nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag – aber noch im Rückwirkungszeitraum – erfolgen, für die dargestellte Prüfung des steuerlichen Saldowerts der Aktiva und Passiva zu berücksichtigen sind oder nicht. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde, wobei zu Verständniszwecken die Beträge an dieser Stelle vereinfacht werden: Der Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Rechtsanwalts-GmbH beschloss die Erhöhung des Stammkapitals von 25 000 t auf 26 000 t, wobei die neue Stammeinlage als Sacheinlage durch Einbringung der Rechtsanwalts-Einzelpraxis zu leisten war. Der steuerliche Übertragungsstichtag wurde auf den 2.1.05 festgelegt. Wirtschaftlich ging das eingebrachte Betriebsvermögen zum 31.8.05 auf die GmbH über. Der Buchwert des eingebrachten Betriebsvermögens war zum steuerlichen Übertragungsstichtag negativ (./. 60 000 t), weshalb in gleicher Höhe bei der GmbH eine Ausgleichsforderung gegen den Gesellschafter aktiviert wurde. In der Einzelpraxis wurde zwischen 2.1.05 und 30.8.05 ein Gewinn im Millionenbereich erzielt, wobei es zu Entnahmen durch den Gesellschafter iHv. 460.000 t kam. Fraglich war im Kern, ob es zu einer Zwangsaufstockung um die im Rückwirkungszeitraum entnommenen 460.000 t kommt.

32 Vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 331. 33 BFH v. 7.3.2018 – I R 12/16, BFH/NV 2018, 1063 = FR 2018, 1153.

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Streitjahr war 2002; die Entscheidung erging also zum „alten“ Umwandlungssteuerrecht vor den Änderungen durch das SEStEG, wobei sich die für diesen Punkt relevanten gesetzlichen Regelungen mit dem UmwStG 2006 nicht geändert haben. Zunächst ist festzuhalten, dass durch die Einbuchung einer Ausgleichsforderung der aufnehmenden Gesellschaft gegenüber dem Einbringenden insoweit jedenfalls kein negatives Betriebsvermögen vorliegt; die ausgleichende Forderung, die erst durch die Einbringung entsteht, wird vom BFH nicht problematisiert. Diese in der Praxis häufiger verwandte Technik wird also offenbar vom BFH akzeptiert. In der eigentlichen Streitfrage (Relevanz der Entnahmen im Rückwirkungszeitraum für den Test, ob das übertragene Betriebsvermögen steuerlich negativ ist) entschied der BFH zugunsten des Einbringenden und gegen die FinVerw. Dabei stützt er sich insbes. auf den Wortlaut des § 20 Abs. 7 Satz 3 UmwStG 2002, der dem des § 20 Abs. 5 Satz 3 UmwStG 2006 entspricht. Dieser spricht bei Entnahmen und Einlagen im Rückwirkungszeitraum lediglich davon, dass die Anschaffungskosten der erhaltenen Anteile um den Buchwert der Entnahmen zu vermindern sind. Damit beinhalte diese Vorschrift lediglich eine Korrektur der Anteilsanschaffungskosten, nicht hingegen die Vorgabe eines Mindestansatzes des eingebrachten Betriebsvermögens. Durch die (in der Literatur geteilte34) Anerkennung negativer Anschaffungskosten entstehe zudem, so der BFH, keine Besteuerungslücke. Es entspreche gerade dem Ziel des Gesetzgebers, dass sich die im Rückwirkungszeitraum vorgenommenen Entnahmen und Einlagen bei einer späteren Veräußerung der Gesellschaftsanteile nicht erfolgswirksam auswirken sollen. Dies ließe sich eben auch durch die Anerkennung negativer Anteilsanschaffungskosten anstelle einer sofortigen Zwangsrealisierung aller im eingebrachten Betriebsvermögen vorhandener stiller Reserven erreichen. Dieser Aspekt der nicht vorhandenen Besteuerungslücke ist rechnerisch durchaus richtig; allerdings könnte man hinzufügen, dass die Besteuerung bei Einbringung und späterer Anteilsveräußerung nicht unbedingt den gleichen Regeln und Steuersätzen unterliegt. Allerdings wäre bei dem klaren Wortlaut der og. Regelungen zu den Entnahmen im Rückwirkungszeitraum ein anderes Ergebnis als dasjenige des BFH auch kaum vertretbar.

34 Vgl. Bilitewski in Haritz/Menner/Bilitewski, UmwStG5, § 20 Rz. 670.

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3. Keine Saldierung bei Einbringung mehrerer Sachgesamtheiten § 20 Abs. 1 UmwStG kennt drei Arten begünstigungsfähiger Sachgesamtheiten: Betriebe, Teilbetriebe und Mitunternehmeranteile. Werden in einem einheitlichen Vorgang mehrere Sacheinlagegegenstände eingebracht, von denen jeder für sich eine begünstigungsfähige Sachgesamtheit darstellt, könnte man bei einerseits positiven, andererseits negativen Betriebsvermögen an eine Saldierung denken, um die oben beschriebene Zwangsaufstockung zu vermeiden. Dies befürworten einige Stimmen in der Literatur. Wenn durch dieselbe Person in einem einheitlichen Vorgang mehrere Sacheinlagegegenstände übertragen werden, solle ein Ausgleich zwischen positiven und negativen Sacheinlagegegenständen vorgenommen werden können, denn in diesem Fall habe der Einbringende neben dem erhaltenen Anteil an dem übernehmenden Rechtsträger insgesamt keinen Ausgleich für negatives Kapital erhalten.35 Andere Stimmen in der Literatur schließen aus der Systematik des § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 UmwStG, dass keine Saldierung möglich sein soll. Die Wertansatzvorschriften des § 20 Abs. 2 Satz 1, 2 UmwStG stellten auf das „eingebrachte“ bzw. „übernommene Betriebsvermögen“ ab. Jenes Betriebsvermögen beziehe sich auf den konkreten Sacheinlagetatbestand iSd. § 20 Abs. 1 UmwStG, der erst die Bewertungsregeln als Rechtsfolge der Sacheinlage („[…] gelten für die Bewertung des eingebrachten Betriebsvermögens […] die nachfolgenden Absätze“) für jede Sacheinlage einzeln und erneut anordnet.36 Der BFH hat einer solchen Saldierung in einem jüngeren Urteil jedoch eine Absage erteilt.37 Im Streitfall ging es um zwei eingebrachte Mitunternehmeranteile. Er stützt sich dabei auf die ablehnende, vorstehend dargestellte Ansicht in der Literatur. Zudem führt der I. Senat an, dass nach der Auffassung des Gesetzgebers die Gewinnverwirklichung bei Einbringung von negativen Sacheinlagegegenständen dadurch gerechtfertigt sei, dass der Einbringende neben den Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft auch den Ausgleich seines negativen Kapitals erhalte. Der Wert dieser neuen Anteile könne nur die Gegenleistung für die eingebrachten stillen Reserven abzüglich des bilanzmäßig ausgewiesenen negativen Ka35 Vgl. Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 20 UmwStG Rz. 333 mwN. 36 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 20 UmwStG Rz. 218 mwN (88. EL Jan. 2017). 37 BFH v. 13.9.2018 – I R 19/16, BStBl. II 2019, 385 = FR 2019, 278.

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pitals sein.38 Auch diese Ausführungen bezögen sich – so der BFH – auf den konkreten einzelnen Sacheinlagegenstand. Für die Stpfl. mag das Urteil zwar nachteilig sein. Die Folge der Zwangsaufstockung ließe sich aber auch ggf. vermeiden. Denkbar wäre hier etwa eine „Verschiebung“ des Kapitals zwischen den beiden Teilen im Vorfeld der Einbringung. Auch könnte man an eine gestufte Einbringung denken; dabei wäre zunächst die Sachgesamtheit mit positivem Eigenkapital in diejenige mit negativem Eigenkapital einzubringen und erst in einem nächsten Schritt letztere (nunmehr saldiert positive) in die Zielgesellschaft einzubringen.

VI. Einbringung in Personengesellschaften 1. Abgrenzung Einbringung – Einlage Die Einbringung von Vermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten hat grundsätzlich Veräußerungscharakter (s.o. zu IV.), da die Gewährung der Anteile für die Anteile als Gegenleistung angesehen wird. Diese Gegenleistung in Form von Anteilen ist das maßgebliche Abgrenzungskriterium zur unentgeltlichen Einlage, bei der umwandlungssteuerliche Privilegierungen wie das Wertansatzwahlrecht nach dem UmwStG grundsätzlich nicht genutzt werden können; bei Personengesellschaften als aufnehmende Gesellschaft kann allerdings § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu einem (zwingenden) Buchwertansatz führen, wenn die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Die Anwendung von § 24 Abs. 1 UmwStG mit den aus dieser Vorschrift folgenden Wertansatz-Wahlrechten setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass der Einbringende als Gegenleistung für seine Einbringung Mitunternehmer bei der aufnehmenden Personengesellschaft wird. Möglich ist auch, dass der Einbringende bereits Mitunternehmer bei der übernehmenden Personengesellschaft war und die Beteiligung aufgestockt wird.39 Nach bisheriger Auffassung der FinVerw. reichte es zur Annahme einer Einbringung in diesem Sinne buchungstechnisch aus, wenn die Einbringung sich auf dem Kapitalkonto des Mitunternehmers bei der Gesellschaft niederschlägt. Dies musste nicht zwingend das Kapitalkonto I sein 38 Vgl. BT-Drucks. 5/3186, 15. 39 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 24.07.

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(nach dem sich in aller Regel die Verteilung der Gesellschaftsrechte wie Gewinnbezugs- und Stimmrechte regelt), sondern die Verbuchung konnte auch ausschließlich auf einem anderen Kapitalkonto erfolgen, insbes. dem Kapitalkonto II oder uU auch auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto, solange das betroffene Konto nach dem Gesellschaftsvertrag Teil des Kapitalkontos ist und nicht Forderungscharakter hat; ein wesentliches Indiz hierfür war nach dem BMF, wenn auf diesem anderen Kapitalkonto auch Verluste gebucht werden. Dies lag für das BMF darin begründet, dass es sich bei den verschiedenen Kapital(unter)konten „gleichwohl [um] ein einheitliches Kapitalkonto“ handele.40 Nach zwei neueren BFH-Urteilen41 ist eine derart freizügige Handhabung bei der Verbuchung nicht mehr möglich, wenn der Vorgang als Einbringung iSd. § 24 UmwStG qualifizieren soll. Nach diesen Urteilen müssen die für die Einbringung gewährten Gesellschaftsrechte auf dem Kapitalkonto verbucht werden, nach dem sich auf Basis des Gesellschaftsvertrags die Verteilung der Gesellschafterrechte (insbes. das Gewinnbezugsrecht) richtet. Diese Gesellschafterrechte richten sich, so der BFH, „in der Regel“ nicht nach dem gesamten Kapitalanteil des einzelnen Gesellschafters, sondern nach dem sog. festen Kapitalanteil. Dieser wird in der Praxis regelmäßig auf dem sog. Kapitalkonto I ausgewiesen. Dementsprechend muss die Verbuchung – zumindest teilweise – auf dem Konto erfolgen, auf dem der feste Kapitalanteil verbucht ist, dh. in der Praxis idR das Kapitalkonto I. Eine ausschließliche Verbuchung zB auf dem Kapitalkonto II oder einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto wäre danach nicht mehr ausreichend. Die FinVerw. hat auf diese Urteile reagiert und ihre frühere großzügigere Auffassung zurückgenommen.42 Die neue restriktivere Auffassung ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden, jedoch mit einer gewissen Übergangsregelung: Auf gemeinsamen Antrag des Einbringenden und der übernehmenden Personengesellschaft kann für Übertragungen bis zum 31.12.2016 die vorherige Verwaltungsauffassung aus dem BMF-Schreiben von 2011 weiterhin Anwendung finden.

40 BMF v. 11.7.2011 – IV C 6 - S 2178/09/10001 – DOK 2011/0524044, BStBl. I 2011, 713. 41 BFH v. 29.7.2015 – IV R 15/14, BStBl. II 2016, 593 = FR 2016, 513; v. 4.2.2016 – IV R 46/12, BStBl. II 2016, 607 = FR 2016, 896. 42 BMF v. 26.7.2016 – IV C 6 - S 2178/09/10001 – DOK 2016/0695791, BStBl. I 2016, 684 = FR 2016, 784.

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2. Einbringung iSd. § 6 Abs. 5 EStG und Folgeumwandlung Bei Personengesellschaften sind die steuerneutralen Übertragungsmöglichkeiten weiter als bei Kapitalgesellschaften. Ausgehend von der Prämisse, dass Umstrukturierungen keine steuerwürdigen Tatbestände darstellen sollen, weil hierdurch kein Markteinkommen geschaffen und das mitunternehmerische Engagement mit demselben Wirtschaftsgut in anderer Form fortgesetzt wird,43 ermöglicht es § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG, auch einzelne Wirtschaftsgüter zum Buchwert zwischen dem Mitunternehmer und seiner Mitunternehmerschaft zu übertragen. Um die Inanspruchnahme dieses Vorteils gegen typisierten Missbrauch zu sichern, sieht das Gesetz allerdings in § 6 Abs. 5 Satz 4 und 6 EStG bestimmte Sperrfristen vor, innerhalb derer bestimmte Weiterübertragungen zu einem rückwirkenden Teilwertansatz führen. Besonders problematisch ist die sog. Körperschaftsklausel in § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG. Diese greift ein, wenn innerhalb einer Sperrfrist von 7 Jahren der Anteil einer (ua.) Körperschaft an dem übertragenen Wirtschaftsgut begründet oder erhöht wird. Liegt ein solcher Fall vor, kommt es zum Wegfall des Buchwertansatzes und zum rückwirkenden Teilwertansatz; wann der Fall innerhalb der Sperrfrist eintritt, ist grundsätzlich egal: der aus dem Teilwertansatz resultierende Gewinn wird zB nicht – wie im Fall des § 22 UmwStG – jährlich reduziert/abgeschmolzen. Zweck dieser Vorschrift ist die Verhinderung der Übertragung stiller Reserven auf Körperschaften, die anschließend von diesen nach § 8b KStG zu 95 % steuerfrei realisiert und dann nach § 3 Nr. 40 EStG teilweise steuerfrei an die Gesellschafter ausgeschüttet werden können.44 Zur Auslegung dieser Körperschaftsklausel sind eine Reihe von Rechtsfragen offen. Das Niedersächsische FG hatte in 2018 einen interessanten Fall bei einer mehrstöckigen Personengesellschaftsstruktur zu entscheiden: Zunächst erfolgte eine Übertragung eines Grundstücks nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG von der Tochterpersonengesellschaft auf die Enkelpersonengesellschaft. Später wurde die Mutterpersonengesellschaft innerhalb der 7jährigen Sperrfrist durch – selbst steuerneutralen – Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt. Hier stellte sich die Frage, ob ein Sperrfristverstoß mit der Rechtsfolge des gewinnrealisierenden Teilwertansatzes angenommen werden kann. Rein ergebnisbezogen führt der Formwechsel jedenfalls dazu, dass es zu einer (mittelbaren) Betei43 Vgl. Kulosa in Schmidt, EStG38, § 6 Rz. 690. 44 Vgl. Kulosa in Schmidt, EStG38, § 6 Rz. 721.

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ligung einer Körperschaft innerhalb der Sperrfrist am übertragenen und immer noch bei der Enkelgesellschaft vorhandenen Wirtschaftsgut kommt, obwohl ein zivilrechtlicher Rechtsträgerwechsel nicht (auch nicht mittelbar) vorliegt. Erste Überlegungen könnten durchaus dagegen sprechen. Es mutet widersprüchlich an, wenn der Gesetzgeber in §§ 25, 20 UmwStG für den Formwechsel selbst die Möglichkeit einer Steuerneutralität vorsieht, aber aus diesem steuerneutralen Vorgang dann anderweitig eine Aufdeckung stiller Reserven zwingend erfolgen können soll. Zudem wäre bei umgekehrter Reihenfolge – zuerst Formwechsel auf Ebene der Muttergesellschaft und im zweiten Schritt eine Übertragung von der Tochter- auf die Enkelgesellschaft – die Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG unzweifelhaft nicht verletzt: der vorherige Formwechsel führt zwar zur Sperrfrist nach § 22 Abs. 1 UmwStG, die aber nur verletzt würde, wenn die Anteile an der Mutterpersonengesellschaft veräußert würden. Auch für § 6 Abs. 5 EStG lässt sich konstatieren, dass durch den Formwechsel der Mutterpersonengesellschaft nur die Möglichkeit geschaffen wurde, dass es zu einer indirekten Übertragung des ursprünglich nach § 6 Abs. 5 EStG übertragenen Wirtschaftsguts durch Nutzung der § 8b Abs. 2 KStG kommt; ohne eine Übertragung der Anteile tritt der Fall mE real aber nicht ein. Das FG Niedersachsen hat dagegen den rückwirkenden Teilwertansatz nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG bejaht.45 Das Urteil ist nicht rechtskräftig, das Revisionsverfahren beim BFH ist derzeit noch anhängig. Nach dem FG Niedersachsen sind von § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG Fälle erfasst, in denen sich der Anteil der Körperschaft nicht schon durch die Übertragung des Wirtschaftsguts, sondern erst aufgrund eines der Übertragung nachgelagerten Vorgangs „beliebiger Art“ begründet oder erhöht. Auf welchem zivilrechtlichen Weg sich die nachträgliche Begründung oder Erhöhung des Anteils vollzieht, sei dabei unerheblich. Insbesondere spräche nicht gegen dieses Ergebnis, dass der Formwechsel gesellschaftsrechtlich nicht mit einem Rechtsträgerwechsel einhergehe. Weder aus dem Wortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ergebe sich, dass ein Rechtsträgerwechsel zwingende Voraussetzung für die Nachversteuerung sei. Nach der Gesetzesbegründung sei es die gesetzgeberische Grundentscheidung, das Überspringen stiller Reserven auf Kapitalgesellschaften zu verhindern. Dass dieses Überspringen nach Ablauf der Sperrfrist steuer45 Nds. FG v. 26.10.2018 – 3 K 173/16, EFG 2019, 421 = FR 2019, 475, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 36/18.

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unschädlich ist, liege lediglich an Praktikabilitätsgründen.46 Wegen dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung sei eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG auch nicht angezeigt. Es entspräche genau dem Sinn und Zweck der Vorschrift, das Überspringen stiller Reserven auf Kapitalgesellschaften zu verhindern. Wird das Grundstück nach dem Formwechsel veräußert, so wäre der daraus resultierende Veräußerungsgewinn nach der Umwandlung der Besteuerung mit Körperschaftsteuer und nicht mehr auf der Ebene des Gesellschafters der Personengesellschaft vor dem Formwechsel mit Einkommensteuer zu unterwerfen. Da dies gerade verhindert werden solle, führe es auch ins Leere, wenn auf die Sperrfristregelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 UmwStG abgestellt wird. Diese schützt nur die Besteuerung stiller Reserven im Fall der Veräußerung durch den Anteilseigner, nicht jedoch das Überspringen auf eine Kapitalgesellschaft. Deshalb sei es auch verfehlt, auf den oben dargestellten Widerspruch abzustellen. Die Entscheidung des BFH bleibt abzuwarten. Aus den oben dargestellten Gründen ist es mE nicht zwingend, eine Gewinnrealisierung anzunehmen.

VII. Gewerbesteuer-Verlustvorträge bei Umwandlung auf Personengesellschaft 1. Unternehmeridentität bei Verschmelzung auf Verlust-KG Das Schicksal von Verlustvorträgen im Rahmen einer Umwandlung hängt im Wesentlichen davon ab, ob die Verlustgesellschaft (dh. eine Gesellschaft mit ertragsteuerlichen Verlustvorträgen und/oder einem laufenden Verlust) umgewandelt wird oder sich der Gesellschafter der Verlustgesellschaft ändert: Wird eine Verlustgesellschaft selbst umgewandelt und erfolgt dies nicht zum gemeinen Wert, tritt der übernehmende Rechtsträger idR steuerlich in die Rechtsstellung der übertragenden Gesellschaft ein. Der Übergang von Verlustvorträgen wird jedoch seit den Änderungen durch das SEStEG ausdrücklich ausgeschlossen. Das ergibt sich aus § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG für die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft bzw. – für den gewerbesteuerlichen Verlustvortrag – zusätzlich aus § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwStG. Für andere Umwandlungen von Kapitalgesellschaften nach den §§ 11, 15 UmwStG wird auf § 4 Abs. 2 46 Vgl. BT-Drucks. 14/6882, 33.

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Satz 2 UmwStG grundsätzlich verwiesen (vgl. § 12 Abs. 3 Halbs. 2 UmwStG). Bei Einbringungen gibt es diesen Verweis zwar nicht, jedoch geht ein Verlustvortrag nach hM auch da nicht über, sondern verbleibt grundsätzlich beim Einbringenden;47 s. dazu auch unten zu 2. Wird dagegen der Gesellschafter einer Verlustgesellschaft umgewandelt, gelten andere Regeln. Bei Kapitalgesellschaften sind die Regelungen des § 8c KStG zu prüfen. Bei Personengesellschaften setzt der Fortbestand des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags nach allgemeinen Regeln voraus, dass die Unternehmensidentität und die Unternehmeridentität bezogen auf die Verlust-Personengesellschaft erhalten bleiben. Unternehmensidentität verlangt, dass der Gewerbebetrieb im Verlustabzugsjahr identisch sein muss mit dem Gewerbebetrieb, der im Jahr der Entstehung des Verlusts bestanden hat.48 Unternehmeridentität erfordert, dass der Gewerbetreibende, der den Verlustabzug in Anspruch nehmen will, den Gewerbeverlust zuvor in eigener Person erlitten haben muss.49 Träger des Rechts auf den Verlustabzug sind die einzelnen Mitunternehmer,50 so dass im Ergebnis eine Mitunternehmeridentität bestehen muss. Bei letzterer stellt sich die Frage, ob es allein auf den unmittelbaren Gesellschafter ankommt oder bei doppelstöckigen Personengesellschaft auf den Obergesellschafter. Die Frage stellte sich für den BFH im Rahmen einer Abwärtsverschmelzung einer Personengesellschaft (KG 1) auf eine Verlust-Personengesellschaft (KG 2), an der erstere (KG 1) allein beteiligt war. Der BFH stellt grundsätzlich auf den unmittelbaren Gesellschafter/ Mitunternehmer ab, so dass im Urteilsfall der gewerbesteuerliche Verlustvortrag der KG 2 in dem Umfang untergeht, in dem er anteilig auf die Ober-Personengesellschaft KG 1 entfiel.51 Für den BFH ist allein auf die KG 1 als unmittelbare Mitunternehmerin und damit Trägerin des Verlustabzugs der KG 2 abzustellen. Entfällt die KG 1 durch Abwärtsverschmelzung und wird damit der Gesellschafter der KG 1 zum unmittelbaren Gesellschafter der Verlust-Personengesellschaft KG 2, ist dies nicht mehr ausreichend; der gewerbesteuerliche Verlustvortrag fällt weg. Dass der Gesellschafter der Ober-Personengesellschaft KG 1 vor der Verschmelzung bereits mittelbar beteiligt war (und 47 Vgl. Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, § 23 Rz. 62 mwN. 48 R 10a.2 Satz 1 GewStR. 49 R 10a.3 Abs. 1 Satz 1 GewStR. 50 R 10a.3 Abs. 3 Satz 1 GewStR. 51 BFH v. 12.5.2016 – IV R 29/13, BFH/NV 2016, 1489 = GmbHR 2016, 1111.

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dies zB für § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG ertragsteuerlich relevant ist), ist nicht entscheidend; nach Ansicht des BFH ist der mittelbare Gesellschafter nicht (auch) Träger des Verlustabzugsrechts. Umgekehrt folgt aus diesem strengen Abstellen auf den unmittelbaren Mitunternehmer, dass ein Wechsel im Kreis der Gesellschafter der OberPersonengesellschaft die Unternehmeridentität unberührt ließe.

2. Kein Übergang des Verlustvortrags bei Ausgliederung einer Holding-Kapitalgesellschaft Wie bereits oben zu 1. geschildert ist die Rechtslage bei Einbringungen bzgl. Verlustvorträgen etwas weniger deutlich im Gesetz geregelt. Der BFH hatte die Frage zu klären, ob der Übergang des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags bei Ausgliederung einer Holding-Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft möglich ist. Ein ausdrücklicher Verweis auf § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG fehlt wie gesagt im Gesetz. Die Frage beantwortet sich nicht auch schon nach § 18 Abs. 1 Satz 2 UmwStG, da diese Vorschrift nicht für Ausgliederungen gilt.52 Damit richtet sich die Beantwortung dieser Frage erneut nach den im vorangehenden Fall aufgezeigten allgemeinen Kriterien der Unternehmensidentität und Unternehmeridentität. Im Streitfall wurde ein Teilbetrieb einer AG auf eine KG ausgegliedert; die AG war anschließend weiterhin bezüglich anderer Beteiligungen als Holding tätig. Das FA meinte bereits, dass die Unternehmensidentität fehle, weil Kapitalgesellschaften nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG stets Gewerbebetrieb seien/blieben. Diese gesetzgeberische Aussage wurde im Streitfall aber auch für die Gegenposition verwendet: Wenn der Gesetzgeber in einer tätigkeitsunabhängigen Betrachtung der Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft die Gewerblichkeit zuschreibt, so sei dieser Umstand ungeeignet dafür, zu begründen, ob eine Unternehmensidentität besteht. Der BFH hat diese Streitfrage im Ergebnis so entschieden, dass er die Unternehmensidentität der ausgliedernden Kapitalgesellschaft als fortbestehend erkennt, und zwar weil diese nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG grundsätzlich als Gewerbebetrieb gilt; ihre Unternehmensidentität überhaupt geht daher auch nicht verloren, wenn die Kapitalgesellschaft einen Teilbetrieb auf einen anderen Rechtsträger überträgt. Das beantwortet aber 52 Umkehrschluss aus Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG8, § 18 UmwStG Rz. 7; BFH v. 17.1.2019 – III R 35/17, BStBl. II 2019, 407 = FR 2019, 660.

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noch nicht, ob der Verlustvortrag auf die Personengesellschaft übergeht. Bei der lehnt der BFH in Bezug auf den verlustgenerierenden Betrieb die Unternehmens- und Unternehmeridentität ab. Die AG als Rechtsträger, bei dem der Gewerbeverlust entstanden war, existierte auch noch nach der Ausgliederung und war aufgrund der Gewerblichkeitsfiktion auch noch identisch mit dem nach der Übertragung noch vorhandenen Betrieb, so dass die KG, die den Verlustvortrag nutzen wollte, nicht identisch mit dem Rechtsträger war, der den Verlust erlitten hat. Ausdrücklich offen lässt der BFH die in der Literatur umstrittene Frage, ob dies anders wäre, wenn die Kapitalgesellschaft nicht noch als Holdinggesellschaft mit mehreren Beteiligungen verblieben wäre, sondern der Gewerbebetrieb der Kapitalgesellschaft im Ganzen im Wege der Ausgliederung auf die Personengesellschaft übergegangen wäre und sich die Kapitalgesellschaft fortan auf die Verwaltung der Mitunternehmerstellung bei der Personengesellschaft beschränken würde. Stimmen in der Literatur53 sprechen sich in diesem Fall dafür aus, dass ein Verlustvortrag auf die übernehmende Personengesellschaft übergeht. Ungeachtet der gewerbesteuerlichen Fiktion hat die Kapitalgesellschaft nach Einbringung gewerbesteuerlich keinen Gewerbebetrieb mehr, da sie sich nur noch auf Vermögensverwaltung beschränkt.54 Diese Streitfrage bleibt bis auf Weiteres offen. Zu beachten ist bei all dem, dass nach früherer Verwaltungsansicht (Änderung dieser im Jahr 2009) der Übergang eines Gewerbeverlusts von einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft möglich war.55 Aus diesem Grund wäre an eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO zu denken, über die im Streitfall das FG Baden-Württemberg, an das der Finanzrechtsstreit zur neuen Entscheidung zurückverwiesen worden ist, nach dem BFH zu entscheiden haben wird.

VIII. Einige Probleme bei verbindlichen Auskünften im Rahmen von Umwandlungen 1. Teilbetrieb als auskunftsfähige Rechtsfrage Die finanzbehördliche Handlungsform der verbindlichen Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO ist bei Umwandlungen von erheblicher praktischer Be53 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 24 UmwStG Rz. 212 mwN (81. EL Aug. 2014). 54 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Körperschaftsteuer, § 24 UmwStG Rz. 212 (81. EL Aug. 2014). 55 Abschn. 68 Abs. 4 Satz 6 iVm. Abs. 2 GewStR 1998.

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deutung. Insbesondere die Grundfrage, ob die konkreten Voraussetzungen für einen Antrag auf Buchwertfortführung vorliegen, ist in aller Regel von erheblicher Bedeutung; sie entscheidet oft darüber, ob eine Umwandlung (bei der ökonomisch real ja keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entsteht) überhaupt durchgeführt werden kann bzw. soll. Bei Einbringungen steht häufig die Frage im Mittelpunkt, ob ein Teilbetrieb als begünstigungsfähige Sachgesamtheit vorliegt und welche Wirtschaftsgüter als funktional wesentliche Betriebsgrundlagen dieses Teilbetriebs rechtlich zwingend mit zu übertragen sind. IdR lassen sich diese Fragen per verbindlicher Auskunft mit der FinVerw. klären. Jedoch wird in Teilen der FinVerw. immer wieder einmal die Auffassung geäußert, dass eine verbindliche Auskunft nicht möglich sei, weil es sich beim Teilbetrieb (vereinfacht) um eine „Sachverhaltsfrage“ handele und keine auskunftsfähige Rechtsfrage. ME ist diese Auffassung falsch:56 der Begriff des Teilbetriebs ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der auslegungsbedürftig ist. Diese notwendige Auslegung wirft zumindest auch Rechtsfragen auf. Wenn die FinVerw. davon ausgeht, der Antragsteller einer verbindlichen Auskunft wolle sich lediglich durch die Auskunft des Subsumtionsrisikos („welche Bestandteile des konkreten Betriebs begründen einen Teilbetrieb und müssen mit übergehen“) entledigen, so ist dies kein valides Argument gegen die auskunftsfähige Rechtsfrage. Denn jede Rechtsanwendung setzt einen zugrunde liegenden Sachverhalt voraus; ob auf diesen Sachverhalt dann aber die Rechtsfolge A oder B anzuwenden ist, ist dann eine (reine) Rechtsfrage. Dabei wird auch nicht das Sachverhaltsoder „Subsumtionsrisiko“ auf die FinVerw. verschoben, denn für den Sachverhalt hat der Stpfl. im Rahmen der Antragstellung die Verantwortung: Der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft muss nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAuskV eine umfassende und in sich abgeschlossene Darstellung des zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichten Sachverhalts enthalten. Die Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft entfällt gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt mehr als nur unwesentlich abweicht. Der Antragsteller wird, um seinem Antrag einerseits zum Erfolg zu verhelfen und andererseits die Bindungswirkung der Auskunft zu erreichen, einen konkreten und ausreichend beschriebenen Sachverhalt vorstellen (müssen), auf dessen Grundlage das FA subsumieren kann, ob die Voraussetzungen des Teil56 Ebenso mit ausführlicher Darstellung Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anh. 14 Rz. 100 mwN.

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betriebs vorliegen. Es geht gerade nicht darum, herauszufinden, wo für das für die Besteuerung zuständige FA die Grenzen etwa des Begriffs Teilbetrieb verlaufen, sondern einen spezifischen Sachverhalt einer Vorabbeurteilung in den daraus resultierenden rechtlichen Fragen zuzuführen und gegenüber dem Stpfl. den Zweck einer verbindlichen Auskunft, nämlich die Gewährung freiheitsschonenden Dispositionsschutzes,57 zu erfüllen. An der Auskunftsfähigkeit bestehen deshalb mE keine Bedenken, und sie führt wie dargelegt auch nicht zur Verschiebung der Sachverhaltsrisiken auf die FinVerw. Es wäre wünschenswert, dass die FinVerw. dies entsprechend positiv handhabt.

2. Gebühren für die Erteilung verbindlicher Auskünfte bei Umwandlungen – Mögliche Streitfragen Gemäß § 89 Abs. 3 AO ist die Bearbeitung eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft gebührenpflichtig. Bei einer Umwandlung, gerade wenn der Sachverhalt etwas komplexer ist und zB mehrere Schritte aufweist, werden mehrere Rechtsfragen relevant sein können, die uU auch mehrere Stpfl. betreffen. Hier stellen sich viele Rechtsfragen, deren Darstellung den hier zur Verfügung stehenden Raum sprengen würden. Auf die entsprechenden Kommentierungen wird hingewiesen.58 Nur zusammengefasst: –

Streitig ist bereits was der einheitliche Sachverhalt ist, auf den sich eine Auskunft bezieht. ME ist der Begriff des Sachverhalts weit zu verstehen als der relevante Lebenssachverhalt. Mehrschrittige Sachverhalte sind deshalb nicht in viele kleine Teil-Sachverhalte aufzuteilen. Im Rahmen des § 174 AO wird dies auch vom BFH bestätigt: maßgebend ist der einheitliche, für die Besteuerung maßgebliche Sachverhaltskomplex.“59 Das sind nicht einzelne steuererhebliche Tatsachen, sondern der einheitliche Sachverhaltskomplex. Mehrere Sachverhaltselemente bilden einen Sachverhaltskomplex, wenn zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht.60 Wird durch mehrere Teilschritte mithin ein Gesamtziel verfolgt, ist daher nicht jeder

57 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 23 (151. EL Febr. 2018). 58 Vgl. zB Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anh. 14 Rz. 128 ff. mwN. 59 BFH v. 14.1.2010 – IV R 46/07, BFH/NV 2010, 1073 Rz. 16. 60 BFH v. 12.2.2015 – V R 38/13, BStBl. II 2017, 31 Rz. 19.

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einzelne Schritt als ein Sachverhalt zu sehen, sondern die gesamte Transaktion bildet einen einheitlichen Sachverhaltskomplex.61 Diese Rspr. ist vom BFH mehrfach bestätigt worden.62 Sie ist mit BMFSchreiben vom 12.1.201763 nun auch in den AEAO zu § 174 AO aufgenommen worden. Bei Umwandlungen folgt daraus, dass auch mehrschrittige Umwandlungen, die auf ein einheitliches Reorganisationsziel ausgerichtet sind, nur ein Sachverhalt sind.64 Ein derartiges weites Verständnis hat der BFH auch in einem der wenigen zu Auskunftsgebühren entschiedenen Fälle, in dem eine mehrschrittige Umwandlung gegeben war und nur eine Gebühr festgesetzt war, nicht bemängelt. Der zugrunde liegende Sachverhalt war so gelagert, dass in Form einer KG-Gründung, einer Anwachsung, einer Anteilseinbringung und einer anschließenden Anteilsübertragung mehrere Schritte nacheinander erfolgten.65 Gleichzeitig wurden zu diesen Schritten insgesamt vier Rechtsfragen gestellt, und zwar bezüglich unterschiedlicher Steuerarten (Ertragsteuern und Grunderwerbsteuer); diese Fragen bezogen sich zudem auf mehrere Personen. Der BFH ging in seiner Entscheidung – ohne dies in irgendeiner Weise in Frage zu stellen – wie selbstverständlich davon aus, dass es um einen einzigen Sachverhalt ging, für den auch nur eine Gebühr anfällt (nur der Gegenstandswert war streitig). Dies ist an mehreren Stellen des Urteils erkennbar, an denen der BFH von „einem Antrag“ spricht.66 Weitere Erkenntnisse sind aus einem anhängigen Revisionsverfahren zu erwarten.67 –

Problematisch ist auch die Frage, ob bei mehreren Antragstellern mehrere Gebühren entstehen. Dies entspricht der Auffassung der FinVerw. (eine Gebühr je Antragsteller). Diese formalistische Betrachtung wird gestützt durch eine Entscheidung des BFH in einem Organ-

61 Vgl. zu § 89 AO auch Keß/Zillmer, DStR 2008, 1466 (1468); iE auch Dannecker/Werder, BB 2011, 2268 (2269) und Roser in Gosch, AO/FGO, § 89 AO Rz. 81.1 und 93 (148. EL Aug. 2018). 62 BFH v. 12.2.2015 – V R 38/13, BStBl. II 2017, 31 Rz. 31 mwN zur BFH-Rspr. 63 BMF v. 12.1.2017 – IV A 3 - S 0062/16/10005 – DOK 2016/1129935, BStBl. I 2017, 51 = StEK AO Vor § 1 Nr. 92 Tz. 28 Buchst. a. 64 Vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, AO, § 89 Rz. 67 (151. EL Febr. 2018); Keß/Zillmer, DStR 2008, 1466 (1468); iE auch Dannecker/Werder, BB 2011, 2268 (2269) und Roser in Gosch, AO/FGO, § 89 AO Rz. 81.1 und 93 (148. EL Aug. 2018). 65 BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989 Rz. 4. 66 BFH v. 22.4.2015 – IV R 13/12, BStBl. II 2015, 989 (juris-Rn. 46 und 47). 67 Az. BFH II R 24/17.

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Schneider, Einbringungstatbestände

schaftssachverhalt, wo Organträger und Organgesellschaft eine Auskunft beantragten. Der BFH stützt sich auf den Verwaltungsaktcharakter der verbindlichen Auskunft, woraus sich die Gebührenpflicht ergebe.68 Allerdings hat der Gesetzgeber auf diese im Ergebnis unbefriedigende Rspr. reagiert, in dem er § 89 Abs. 3 Satz 2 AO eingeführt hat. Danach ist nur eine Gebühr zu erheben, wenn eine verbindliche Auskunft gegenüber mehreren Antragstellern einheitlich erteilt wird. Damit dürfte die Frage, wie mehrere Anträge zu einem einheitlichen Sachverhalt in Fällen gesonderter und einheitlicher Feststellung sowie in Fällen einer Organschaft zu behandeln sind, geklärt sein. Dass hiervon auch Umwandlungen umfasst sind, wird in der Literatur angenommen,69 ist jedoch leider nicht gesetzgeberisch geklärt. Dies wäre wünschenswert. Unabhängig von diesen diversen Einzelfragen darf das Grundproblem nicht aus den Augen verloren werden: Auskunftsgebühren nach § 89 AO sind keine Steuern, sondern Gebühren, die nach stRspr. des BVerfG einer besonderen Rechtfertigung bedürfen, und zwar sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.70 Dem Grunde nach mag eine Gebühr bei einer – positiv erteilten – verbindlichen Auskunft gerechtfertigt sein. Der BFH hat jedenfalls mit Urteil vom 30.3.201171 die Regelungen zur Auskunftsgebühr für im Grundsatz verfassungskonform erachtet und dabei auf die Kostendeckungsfunktion (der Auskunftsantrag verursacht bei der FinVerw. zusätzlichen Aufwand) und die Vorteilsausgleichsfunktion (der Antragsteller erhält durch die Bindungswirkung einer erteilten verbindlichen Auskunft eine individuelle staatliche Leistung) abgestellt.72 Im Grundsatz sei die Gebühr auch „jedenfalls in den Fällen, in denen es – wie im [dortigen] Streitfall – tatsächlich zur beantragten Auskunft kommt“, der Höhe nach verfassungsgemäß, da die Ausgestaltung mit grundsätzlicher Orientierung am

68 BFH v. 9.3.2016 – I R 66/14, BStBl. II 2016, 706 = GmbHR 2016, 778. 69 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 67 (151. EL Febr. 2018). 70 StRspr. des BVerfG, vgl. nur BVerfG v. 19.3.2003 – 2 BvL 9/98, BVerfGE 108, 1 Rz. 53–62. 71 BFH v. 30.3.2011 – I R 61/10, BStBl. II 2011, 536 Rz. 12 mit Verweis auf BTDrucks. 16/3368, 24. 72 BFH v. 30.3.2011 – I R 61/10, BStBl. II 2011, 536 Rz. 11.

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Gegenstandswert, aber in Ausnahmefällen auch auf den Zeitwert, dem Äquivalenzprinzip gerecht werde.73 Das sagt aber noch nichts zur Höhe. Auch diese muss den strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden. Und da verbieten sich Lösungen, die bei zusammenhängenden geplanten Maßnahmen den Lebenssachverhalt so atomisieren, dass die Gebühren sich vervielfältigen. Bei einer einzelnen Höchstgebühr von rund 110 000 t können sich durch eine solche Vervielfältigung Gesamtgebühren ergeben, die die verfassungsrechtlichen Anforderungen mE ersichtlich in grobem Maße verletzten. Dem Verfasser ist sogar ein Fall bekannt, bei dem die FinVerw. versucht hat, in einem mehrschrittigen Umstrukturierungsfall zunächst 46 (sic!) Gebühren festzusetzen, und zwar zunächst alle auch als Höchstgebühren (also über 4,2 Mio. t). Der Fall ist mittlerweile in Teilen bei einem FG anhängig, so dass sich hoffentlich eine gerichtliche Bestätigung ergeben wird, dass der Gebührenpraxis erheblich engere (verfassungs)rechtliche Grenzen gesetzt sind, als manche Finanzbehörden zu erheben versuchen. Dass dies auch ein gleichheitsrechtliches Problem darstellt angesichts einer sehr unterschiedlichen Handhabung durch die einzelnen FÄ (bei der viele mit Augenmaß bei Anzahl und Gegenstandswert vorgehen, um eine insgesamt für angemessen erachtete Gebühr festzusetzen, soll nicht unerwähnt bleiben) liegt auch auf der Hand. Ohnehin ist eine Orientierung an einem Gegenstandswert mE nicht statthaft (und jedenfalls sachlich unbillig) bei einer nicht erteilten bzw. abgelehnten Auskunft. Hier kann es – mangels Eingreifen der Vorteilsausgleichsfunktion – nur um die Abgeltung des tatsächlich entstandenen Verwaltungsaufwands gehen auf Basis einer Zeitgebühr. Dies entspricht der ganz hM in der Literatur,74 war bisher aber noch nicht von den FG oder gar dem BFH zu entscheiden. Insofern gibt es unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben keinen relevanten Unterschied zum 73 BFH v. 30.3.2011 – I R 61/10, BStBl. II 2011, 536 Rz. 20–25. 74 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 70 (151. EL Febr. 2018); Seer, FR 2017, 161 (167); Seer, StbJb. 2012/2013, 557 (574); Roser in Gosch, AO/ FGO, § 89 AO Rz. 94.3 (148. EL Aug. 2018); Rätke in Klein, AO14, § 89 Rz. 75; Lahme/Reiser, BB 2007, 408 (412); Wünsch in Koenig, AO3, § 89 Rz. 36; Werder/Dannecker, BB 2015, 1687 (1692); ähnlich Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 89 AO Rz. 391g (239. EL Aug. 2016) und Joisten/Bergmann, FR 2014, 923 (929); Eilers/Nosthoff-Horstmann, FR 2017, 170 (172); Thieme, DStR 2014, 1093 (1094); Bürkle, Compliance in Versicherungsunternehmen2, § 15 Rz. 144; Steinhauff, jurisPR-SteuerR, 34/2016, Anm. 1 unter Verweis auf Seer, StuSt. 2/2016, Editorial, mwN.

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Fall einer Antragsrücknahme, bei der die FinVerw. selbst nach dem AEAO die Gebühr auf die Zeitgebühr (im Wege einer Gebührenermäßigung aus Billigkeitsgründen nach § 89 Abs. 7 AO) begrenzt.75

IX. Änderungsvorhaben in der Grunderwerbsteuer Auch bei der Grunderwerbsteuer gibt es uU eine Neuerung, die (auch) Einbringungen betreffen kann: Beim Verkauf eines Grundstücks ist die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer gem. § 8 Abs. 1 GrEStG grundsätzlich der Wert der Gegenleistung, mithin der vereinbarte Kaufpreis. Das gilt nach der Rspr. auch dann, wenn der Kaufpreis unterhalb des Verkehrswerts liegt, und zwar auch dann, wenn dies bewusst genutzt wird (idR nur bei Geschäften im Konzern oder anderweitig verbundener Personen). Die Grenze liegt nach der Rspr. dort, wo der vereinbarte Kaufpreis ein lediglich symbolischer Kaufpreis76 ist – dann fehlt es bei Lichte betrachtet an einer Gegenleistung (§ 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 GrEStG), so dass als Bemessungsgrundlage der Grundbesitzwert zu ermitteln ist. In der Praxis wird vielfach davon ausgegangen, dass jedenfalls ein vereinbarter Kaufpreis von nicht weniger als 10 % des Verkehrswerts noch als Gegenleistung iSv. § 8 Abs. 1 GrEStG (und nicht nur als symbolischer Kaufpreis) aufzufassen ist. Ertragsteuerlich werden bei einem solchen Unterpreisverkauf idR die vollen stillen Reserven aufgedeckt. Denn praktisch erfolgen Unterpreisverkäufe nur zwischen verbundenen/nahe stehenden Personen, so dass eine entsprechende Korrektur über vGA oder Entnahme-Grundsätze erfolgen kann. Allerdings war möglich, einen solchen Unterpreisverkauf auch im Zusammenhang mit einer Umwandlung vorzunehmen und die grunderwerbsteuerliche niedrige Bemessungsgrundlage (= Kaufpreis) zu erlangen und gleichzeitig die Aufdeckung der stillen Reserven durch Nutzung der Buchwertfortführung zu vermeiden. Dazu war das relevante Grundstück im steuerlichen Rückwirkungszeitraum vom übertragenden Rechtsträger an den übernehmenden Rechtsträger zu verkaufen und das Eigentum zu übertragen. Hierdurch wurde zweierlei erreicht: durch 75 AEAO zu § 89, Tz. 4.5.2. Die insoweit eindeutigen Verwaltungsvorschriften führen über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung zu einer Ermessensreduzierung auf Null; vgl. FG Rh.-Pf. v. 20.2.2018 – 5 K 1287/16, EFG 2018, 701, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 8/18. 76 Vgl. Viskorf in Boruttau, GrEStG19, § 8 Rz. 53.

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einen vereinbarten Kaufpreis, der niedriger ist als der Grundbesitzwert, wurde ein grunderwerbsteuerlicher Vorteil verwirklicht. Zudem wurde, sofern bezüglich der übrigen Wirtschaftsgüter das Buchwertansatzwahlrecht erfolgreich ausgeübt werden konnte, die Aufdeckung stiller Reserven vermieden. Im Zuge der Ende 2019 diskutierten Grunderwerbsteuerreform (die vornehmlich auf die Begrenzung von Share Deals abzielt) sollte die oben dargestellte Gestaltung begrenzt werden. In § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 GrEStG-Entwurf sollte eine neue Vorschrift zur grunderwerbsteuerlichen Bemessungsgrundlage eingeführt werden. Danach soll der Grundbesitzwert herangezogen werden, wenn zwischen den an einer Umwandlung beteiligten Rechtsträgern im umwandlungssteuerlichen Rückwirkungszeitraum ein Grundstück übertragen wird und der Wert der Gegenleistung niedriger ist als der Grundbesitzwert. Diese Vorschrift soll gem. § 23 Abs. 17 GrEStG-Entwurf für „verwirklichte“ Grundstücksübertragungen ab dem Tag des Inkrafttretens des reformierten GrEStG angewendet werden. Ob und wann eine Grunderwerbsteuer-Reform allerdings erfolgt, ist derzeit nicht wirklich abzusehen. Nicht zuletzt scheinen sich die steuerpolitischen Vorstellungen der Koalitionsparteien der Bundesregierung immer weiter auseinanderzuentwickeln. Ob es daher zu der oben dargestellten Anpassung in § 8 Abs. 2 GrEStG kommt, ist daher aus heutiger Sicht unklar.

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Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht Alexandra Pung Regierungsdirektorin, Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Prof. Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf I. Einleitung II. Die neue gesetzliche Regelung zu Ausgleichszahlungen (§ 14 Abs. 2 KStG) 1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben für Ausgleichszahlungen (§ 304 AktG) 2. Die ablehnende Entscheidung des BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15 3. Die Reaktion des Gesetzgebers: Einführung des § 14 Abs. 2 KStG 4. Begrenzung der Ausgleichszahlung (§ 14 Abs. 2 Satz 2 KStG 5. Keine Anerkennung bestimmter Gestaltungen aus der Vergangenheit 6. Übergangsvorschriften III. Probleme bei der Formulierung von Verlustübernahmeverpflichtungen gem. § 17 KStG 1. Die Anforderungen des § 17 KStG 2. Fehlender Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG 3. Verlustübernahme durch Auflösung von Kapitalrücklagen IV. Zuordnung der Organbeteiligung zur Betriebsstätte eines ausländischen Organträgers

1. Zuordnung zu einer eigengewerblich tätigen Personengesellschaft 2. Zuordnung zu einer Holdinggesellschaft V. Vorrang des § 12 Abs. 2 UmwStG vor der Bruttomethode des § 15 KStG VI. Hinweise auf weitere organschaftsrelevante Entscheidungen der Finanzgerichte 1. Steuerliche Abziehbarkeit von Haftungsschulden (BFH v. 24.10.2018) 2. Mangelnde finanzielle Eingliederung aufgrund fehlender Zurechnung von Stimmrechten aufgrund (nur) eines Stimmbindungvertrags (FG Bremen v. 14.12.2017) 3. Organschaftliche Einkommenszurechnung auch bei einem Aufspaltungsgewinn – Abgrenzung zum Liquidationsgewinn (FG Berlin-Brandenburg v. 31.5.2018) 4. Atypisch stille Gesellschaft verhindert Abführung des ganzen Gewinns (FG Mecklenburg-Vorpommern vom 5.9.2018)

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht 5. Anerkennung von „finalen Verlusten“ erfordert eine Art von grenzüberschreitendem Gewinnabführungsvertrag (FG Schleswig-Holstein v. 13.3.2019)

6. Keine Abführung des ganzen Gewinns bei bilanziellem Nichtausweis einer Forderung aus Verlustübernahme (FG Schleswig-Holstein vom 6.6.2019)

I. Einleitung Die steuerliche Konsolidierung von Einkünften in einer Unternehmensgruppe ist weltweit ein Mittel, um schwankende Erträge innerhalb einer solchen Gruppe auszugleichen. Dementsprechend weit verbreitet sind entsprechende Gruppenbesteuerungssysteme. Deutschland beschreitet mit seiner Anlehnung der steuerlichen Gruppenbesteuerungsregelungen an die aktienrechtlichen Bestimmungen zu Unternehmensverträgen weltweit einen Sonderweg, da nach wie vor ein Gewinnabführungsvertrag iSd. § 291 notwendige Voraussetzung für eine steuerliche Organschaft ist. Die sich durch die Anlehnung an das Konzernrecht ergebende Komplexität sowie die nach wie vor große Zahl von Organschaften führt zu einem anscheinend nie endend wollenden „Strom“ an steuerlichen Problemen. Hinzu kommen mittlerweile nicht wenige Neuregelungen im steuerlichen Organschaftsrecht, die eigentlich (alte) Probleme lösen sollen, aber zugleich neue, andere Probleme schaffen. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit einem Ausschnitt dieser Probleme, die in 2019/2020 bestanden und bestehen.

II. Die neue gesetzliche Regelung zu Ausgleichszahlungen (§ 14 Abs. 2 KStG) 1. Die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben für Ausgleichszahlungen (§ 304 AktG) Ist der Organträger zu 100 % an der Organgesellschaft beteiligt, ist der Gewinnabführungsvertrag zumeist gesellschaftsrechtlich einfach abzuschließen. Anders ist dies, wenn die Organgesellschaft neben dem Organträger noch weitere Gesellschafter hat. Diesen außenstehenden Gesellschaftern wird durch den Gewinnabführungsvertrag die Möglichkeit genommen, an den Gewinnen der Organgesellschaft zu partizipieren.

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

§ 304 Abs. 1 AktG schreibt daher im Rahmen seines Regelungszwecks des Minderheitenschutzes1 für die Vereinbarung von Gewinnabführungsverträgen, die zwischen einem Organträger und einer AG oder KGaA als Organgesellschaft abgeschlossen werden, zwingend vor, dass an außenstehende Aktionäre wiederkehrende Zahlungen als angemessener Ausgleich zu leisten sind. Nach § 304 Abs. 2 AktG ist der Mindestbetrag, den der außenstehende Aktionär zu erhalten hat, der durchschnittliche Gewinnanteil der Organgesellschaft je Aktie nach der bisherigen Ertragslage unter Berücksichtigung der künftigen Gewinnaussichten der Organgesellschaft. Als Rechtsfolge für Gewinnabführungsverträge, die keine Ausgleichszahlungen vorsehen, statuiert § 304 Abs. 3 Satz 1 AktG die Nichtigkeit eines solchen Unternehmensvertrags. Auf der Grundlage eines nichtigen Vertrags vorgenommene Gewinnabführungen sind steuerrechtlich als (nicht ordnungsgemäße) Gewinnausschüttungen zu behandeln. Es gilt jedoch eine Ausnahme von dem Grundsatz der Nichtigkeit des Gewinnabführungsvertrags im Fall einer chronisch defizitären Organgesellschaft als abhängigem Unternehmen. Für diese kann in dem Gewinnabführungsvertrag ein sog. Nullausgleich festgeschrieben werden.2 Die Begründung des BGH in einer Entscheidung zu dieser Fallkonstellation stützt sich darauf, dass bei chronisch defizitären Gesellschaften in der Zukunft kein Ertrag zu erwarten ist, infolgedessen der der Höhe nach zu ermittelnde angemessene Ausgleich mit 0,00 t festzulegen sei. Die Regelung eines Nullausgleichs ist demnach nicht gleichzusetzen mit der Vereinbarung gar keiner Ausgleichszahlung.3 Zwar geht für Zwecke der gesellschaftsrechtlichen Behandlung von Ausgleichszahlungen die hM davon aus, dass der Organträger zivilrechtlicher Schuldner der Ausgleichszahlung ist.4 Jedoch stellt die Zahlung durch die Organgesellschaft entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung der

1 Van Rossum in MünchKomm. AktG5, § 304 Rz. 7; Veil/Preisser in Spindler/ Stilz, AktG4, § 304 Rz. 3 ff. 2 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 392/03, BGHZ 166, 195 = ZIP 2006, 663. 3 Vgl. van Rossum in MünchKomm. AktG5, § 304 Rz. 94 f.; s. auch Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 304 AktG Rz. 32. 4 Deilmann in Hölters, AktG3, § 304 Rz. 5; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 304 AktG Rz. 23; Veil/Preisser in Spindler/Stilz, AktG4, § 304 Rz. 32, jeweils mwN.

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Parteien den praktischen Grundfall dar, von dem auch § 16 KStG als Spezialnorm für die steuerliche Behandlung von Ausgleichszahlungen ausgeht. Die Organgesellschaft übernimmt dabei die Funktion einer reinen Zahlstelle, wenn der Organgesellschaft ein Anspruch in Höhe des Ausgleichsbetrags gegen den Organträger zusteht. Wird eine in einem Gewinnabführungsvertrag vereinbarte Ausgleichszahlung nicht durchgeführt, so unterscheiden sich insoweit die zivilrechtlichen von den steuerrechtlichen Folgen. In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht wird die Wirksamkeit des Gewinnabführungsvertrags nicht berührt.5 Eine derartige Voraussetzung sieht § 304 AktG nicht vor, sondern verlangt lediglich die Vereinbarung eines angemessenen Ausgleichs. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 aE KStG verlangt für die steuerliche Anerkennung der Organschaft, dass der Gewinnabführungsvertrag während seiner gesamten Geltungsdauer (tatsächlich) durchgeführt wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Ausgleichszahlung nicht geleistet wird. Eine solche Nichtdurchführung dürfte der Heilung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sätze 4 ff. KStG nicht zugänglich sein. Unklar ist die Rechtslage nach wie vor im Hinblick auf die (analoge) Anwendung der Regelungen des § 304 AktG auf Organgesellschaften in der Rechtsform einer GmbH. Die Regelungen des AktG gelten nur für AG und die KGaA. Der BGH hat zahlreiche Vorschriften der §§ 291 ff. AktG bereits analog im GmbH-Recht zur Anwendung gebracht, nicht aber § 304 AktG. Die hM geht davon aus, dass Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter im GmbH-Konzern grundsätzlich möglich, allerdings nicht zwingend sind.6 Letzteres soll immer dann der Fall sein, wenn aufgrund der GmbH-Satzung ein einstimmiger Gesellschafterbeschluss für den Abschluss des Gewinnabführungsvertrags vorliegen muss. Wenn jedoch für den Abschluss des Gewinnabführungsvertrags keine Einstimmigkeit der Gesellschafter gegeben sein muss, sondern bereits eine qualifizierte Stimmenmehrheit ausreichend ist (zB 75 %, was der Regelfall sein sollte), ist auch bei einer GmbH als Organgesellschaft zwingend § 304 AktG in

5 So auch Badde, DStR 2019, 194 (196). 6 Vgl. auch BFH v. 4.3.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407 = FR 2009, 1110; v. 10.5.2017 – I R 93/15, BStBl. II 2019, 278 = FR 2018, 844.

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entsprechender Anwendung zu beachten.7 Denn bei einem einstimmigen Gesellschafterbeschluss ist der Zweck des § 304 AktG, der Minderheitenschutz durch Kompensation der in dem Abschluss des Gewinnabführungsvertrags begründeten Dividendenanspruchs, gewahrt,8 da der außenstehende Gesellschafter dem Unternehmensvertrag ohne Vereinbarung von Ausgleichszahlungen zugestimmt hat. Bei einer qualifizierten Stimmenmehrheit hat der Minderheitenschutz hingegen besonders Berücksichtigung zu finden. Gemäß § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG sind bei einer AG oder KGaA als Organgesellschaft die Ausgleichzahlungen danach zu bemessen, was nach der bisherigen Ertragslage der Organgesellschaft und nach ihren künftigen Ertragsaussichten als durchschnittlicher Gewinnanteil auf den einzelnen Geschäftsanteil verteilt werden könnte. Ist die Organgesellschaft auf Dauer gewinnlos, kann der Anspruch nach § 304 AktG auch null betragen, ohne dass dies die Nichtigkeit des Gewinnabführungsvertrags gem. § 304 Abs. 3 AktG nach sich zieht. Ist der Organträger ebenfalls eine AG oder KGaA, kann die Ausgleichszahlung an die außenstehenden Aktionäre gem. § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG auch nach der Dividende bemessen werden, die der Organträger an seine Aktionäre zahlt. Nicht zulässig ist die Bemessung der Ausgleichszahlung an dem tatsächlichen Gewinn der Organgesellschaft. Der Grundfall der Ausgleichszahlung ist daher die Zahlung eines jährlichen Festbetrags. Da § 304 Abs. 2 AktG jedoch nur eine Ausgleichszahlung iS eines Mindestbetrags vorschreibt, bietet das Handelsrecht Gestaltungsspielräume bei der Ausgestaltung der Ausgleichszahlungen, so dass sowohl höhere als auch variable bzw. kombinierte Ausgleichszahlungen vereinbart werden können.9 Dementsprechend wurden in der Unternehmenspraxis kombinierte Ausgleichszahlungen vereinbart, wonach ein fester Sockelbetrag zu zahlen war zuzüglich eines variablen Anteils, so dass der Gesamtbetrag dem Gewinn der Organgesellschaft entsprach, der

7 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 304 AktG Rz. 11a; Zöllner, ZGR 1992, 173 (193 f.). 8 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht9, § 304 AktG Rz. 11a; Kleindiek, ZIP 1988, 613 (617 f.). 9 Vgl. van Rossum in MünchKomm. AktG5, § 304 Rz. 61 f., 47 f.; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 679/3.

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

anteilig auf den Gesellschafter entfallen wäre, gäbe es den Gewinnabführungsvertrag nicht. Offen war lediglich, wie hoch der variable Zuschlag sein durfte. Teilweise wurden insoweit Begrenzungen von 10 % oder 30 % des Festbetrags vertreten.

2. Die ablehnende Entscheidung des BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15 Der BFH hatte bereits in der Vergangenheit eine solche kombinierte Ausgleichszahlung kritisch gesehen und in seiner Entscheidung v. 4.3.200910 als nicht mit § 14 KStG vereinbar angesehen. Die FinVerw. hatte zugunsten der Stpfl. diese Entscheidung allerdings für nicht allgemein anwendbar erklärt.11 Nachdem der BFH in der Rechtssache I R 93/15 erneut Gelegenheit bekommen hatte, sich mit dieser Problematik zu befassen, hielt er an seiner ablehnenden Haltung fest.12 Der BFH begründete seine Auffassung wie folgt: Ob das Gesellschaftsrecht über § 304 AktG hinausgehende Möglichkeiten der Ausgestaltung einer Ausgleichszahlung erlaube, sei für die steuerrechtliche Würdigung irrelevant. Daher spiele es auch keine Rolle, ob und wie § 304 AktG für die GmbH als Organgesellschaft gelte. § 14 KStG fordere für die AG und für die KGaA – und Gleiches gelte über § 17 KStG für die GmbH –, dass der ganze Gewinn der Organgesellschaft abgeführt werde. Eine beliebige Aufteilung des Gewinns der Organgesellschaft zwischen Organträger und außenstehendem Gesellschafter widerspreche dieser Forderung. Zudem stellten die Organschaftsregelungen Ausnahmebestimmungen zu der beschränkten steuerlichen Einkommensverwendung dar; durch die Zurechnung des Organeinkommens zu den Einkünften des Organträgers werde die grundsätzliche Einkommensverwendung durch Ausschüttung durchbrochen. Diese Ausnahme dürfe nicht zweck- und systemwidrig ausgeweitet werden. Daher sei steuerlich nur eine Ausgleichszahlung in den durch § 304 AktG angeordneten Fällen und nicht darüber hinaus mög-

10 BFH v. 4.3.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407 = FR 2009, 1110. 11 BMF v. 20.4.2010 – IV C 2 - S 2770/08/10006 – DOK 2010/0216002, BStBl. I 2010, 372 = FR 2010, 490; damit bestätigend BMF v. 13.9.1991 – IV B 7 - S 2770 – 34/91, StEd. 1991, 348 = GmbHR 1991, 490; v. 16.4.1991 – IV B 7 - S 2770 – 11/91, DStR 1991, 684 = GmbHR 1991, 293. 12 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, BStBl. II 2019, 278 = FR 2018, 844.

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lich. Eine kombinierte Ausgleichszahlung sehe § 304 AktG nicht vor. Die Folge sei, dass bei Leistung einer solchen Ausgleichszahlung nicht, wie gefordert, der ganze Gewinn abgeführt werde und damit eine der Voraussetzungen des § 14 KStG nicht gegeben sei.

3. Die Reaktion des Gesetzgebers: Einführung des § 14 Abs. 2 KStG Die FinVerw. reagierte auf dieses Urteil nicht durch einen erneuten Nichtanwendungserlass, sondern schlug dem Gesetzgeber eine Ergänzung des § 14 KStG vor. Der Gesetzgeber nahm diesen Vorschlag auf, und in dem bislang unbesetzten Abs. 2 des § 14 KStG heißt es aufgrund des Gesetzes zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen ua. v. 11.12.201813 nun: 1Der

ganze Gewinn gilt auch dann als abgeführt iSd. Abs. 1 Satz 1, wenn über den mindestens zugesicherten Betrag iSd. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG hinausgehende Ausgleichszahlungen vereinbart und geleistet werden. 2Dies gilt nur, wenn die Ausgleichszahlungen insgesamt den dem Anteil am gezeichneten Kapital entsprechenden Gewinnanteil des Wirtschaftsjahres nicht überschreiten, der ohne Gewinnabführungsvertrag hätte geleistet werden können. 3Der über den Mindestbetrag nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG hinausgehende Betrag muss nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein.

Damit wird gesetzlich klargestellt, dass – entgegen der Auffassung des BFH – eine Abführung des ganzen Gewinns auch dann gegeben ist, wenn von den (beschränkten) Ausgestaltungsformen einer Ausgleichszahlung gem. § 304 AktG abgewichen wird (Satz 1). Damit wird auch die in der Praxis relevante kombinierte Ausgleichszahlung wieder steuerlich anerkannt. Allerdings ist nicht jede Form der Ausgleichszahlung zulässig: Satz 2 beschränkt die Ausgleichszahlung auf einen Höchstbetrag, nämlich den fiktiven Gewinnanteil, den der außenstehende Gesellschafter erhalten hätte, würde der Gewinnabführungsvertrag nicht bestehen. Zudem muss der über den Mindestbetrag des § 304 AktG hinausgehende Betrag kaufmännisch gerechtfertigt sein (Satz 3). Die FinVerw. ist relativ rasch nach der gesetzlichen Neufassung in einem BMF-Schreiben auf zahlreiche Zweifelsfragen eingegangen.14 Danach ist

13 BGBl. I 2018, 2338. 14 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401.

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der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 KStG nur dann eröffnet, wenn die Ausgleichszahlungen sowohl vereinbart als auch tatsächlich geleistet werden.15 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Ausgleichzahlung von der Organgesellschaft oder dem Organträger geleistet wird und wer diese zivilrechtlich schuldet.16 Dies entspreche dem Rechtsgedanken des § 16 KStG. Würden neben dem aktienrechtlichen Mindestbetrag weitere gewinnabhängige Ausgleichszahlungen nicht geleistet werden, so komme die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 KStG für dieses Wj. nicht zur Anwendung.17 In diesen Fällen richte sich die steuerliche Anerkennung der Ausgleichzahlungen und der Organschaft ausschließlich nach § 14 Abs. 1 KStG und § 16 KStG. Darüber hinaus kann zu der gesetzlichen Neuregelung Folgendes angemerkt werden: Wird eine Vereinbarung getroffen, die eine Kombination aus einem Festbetrag und zusätzlich variablen Ausgleichszahlungen vorsieht, mithin über den § 304 AktG hinausgehende Ausgleichszahlungen, hängt die steuerliche Anerkennung davon ab, dass die Zahlung insgesamt den der Beteiligungsquote des außenstehenden Gesellschafters am Grund- bzw. Stammkapital entsprechenden jährlichen Gewinnanteil nicht übersteigt.18 Von den vorstehenden Varianten der Ausgestaltung des Gewinnabführungsvertrags ist die ausschließlich variable Ausgleichszahlung abzugrenzen, wenn der Ausgleichsbetrag nach dem Gewinn der Organträgergesellschaft iSd. § 304 Abs. 2 Satz 2 AktG bemessen wird, die Ausgleichszahlung jedoch durch die Organgesellschaft erfolgt. Da der mindestens zugesicherte Betrag iSd. § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG Null beträgt, geht der Gesamtbetrag der Ausgleichszahlung folglich darüber hinaus. Hierbei handelt es sich für Zwecke der steuerrechtlichen Behandlung demnach um einen Anwendungsfall des § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG nF, nicht um den Grundfall

15 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 3. 16 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 2. 17 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 4; zustimmend Hasbach, DB 2020, 806 (808). 18 Dazu im Einzelnen Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 679/6.

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des § 14 Abs. 2 Satz 1 KStG nF.19 Dies entspricht auch der Auffassung der FinVerw.20 Die Höhe der über den nach Aktienrecht festgelegten Mindestbetrag hinausgehenden Ausgleichszahlung muss nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein (§ 14 Abs. 2 Satz 3 KStG). Der mit dem Kaufmannstest verfolgte Sinn und Zweck ist es, zu verhindern, dass die besonderen Voraussetzungen der Sondervorschriften für die Organschaft zweck- und systemwidrig durch die Vereinbarung von Ausgleichzahlungen in beliebiger Höhe unterlaufen werden.21 Entgegen dem Wortlaut sollte dieser sog. Kaufmannstest des § 304 Abs. 2 Satz 3 AktG nur bei außenstehenden Anteilseignern erfolgen, die der Organgesellschaft im steuerlichen Sinne nahe stehen.22 Für einen darüber hinausgehenden Anwendungsbereich besteht keine Notwendigkeit, da bei sich als fremde Dritte gegenüberstehenden Parteien ein natürlicher Interessengegensatz zwischen dem Organträger einerseits und dem Minderheitsgesellschafter andererseits gegeben ist, so dass sich die wirtschaftliche Begründung für die Ausgestaltung der Ausgleichszahlung bereits aus diesem Verhältnis ergibt.23 Sofern also zwischen Organträger und Minderheitsgesellschafter kein Näheverhältnis besteht, wird – so auch entsprechend der Auffassung der FinVerw.24 – der Kaufmannstest regelmäßig einer steuerlichen Anerkennung der Organschaft nicht entgegenstehen.

19 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 679/6a; aA Hasbach, DStR 2019, 81 (83); Hasbach, DB 2020, 806 (808) mwN. Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG Rz. 140b, geht unter Rekurs auf die bisherige BFH-Rspr. davon aus, dass eine ausschließlich variable Ausgleichszahlung zur Nichtdurchführung des Gewinnabführungsvertrags führen sollte. 20 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 5. 21 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 13. 22 Vgl. BT-Drucks. 19/5595, 63; so auch Ortmann-Babel/Bolik, DB 2018, 1876 (1879); kritisch auch Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 KStG Rz. 140b. 23 So auch Weiss/Brühl, BB 2018, 2135 (2139), die entsprechend dem begrenzten Anwendungsbereich den „Kaufmannstest“ als möglicherweise überflüssig erachten. 24 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 13.

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4. Begrenzung der Ausgleichszahlung (§ 14 Abs. 2 Satz 2 KStG Eine der zentralen Fragen ist, wie der Gewinnanteil iSd. § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG, „der ohne Gewinnabführungsvertrag hätte geleistet werden können“ und der die Höhe der steuerlich anzuerkennenden Ausgleichzahlungen begrenzt, zu ermitteln ist. Das KStG selbst trifft hierzu keine Aussage. Ausgangsgröße für die Ermittlung ist zunächst der handelsrechtliche Jahresüberschuss der Organgesellschaft zum Ende eines Wj. Für die Bestimmung des Höchstbetrags lässt der Gesetzeswortlaut offen, ob der Gewinnanteil unter Berücksichtigung von (fiktiven) Steuerlasten zu berechnen ist. Einerseits könnte fiktiv von der Nichtanwendung der Organschaftsregelungen insgesamt auszugehen sein. Danach müsste der fiktive Jahresüberschuss der Organgesellschaft nach der Stand-alone-Methode unter Berücksichtigung fiktiver Körperschaft- und Gewerbesteuer ermittelt werden. Andererseits ist denkbar, lediglich zu unterstellen, dass es für das einzelne Wj. keine Gewinnabführungsverpflichtung gibt. Legt man die zweite Alternative zugrunde, so werden vom handelsrechtlichen Jahresüberschuss der Organgesellschaft keine fiktiven Steuern abgezogen.25 Die Finanzverwaltung hat sich in dem BMF-Schreiben vom 4.3.202026 für die vorstehend zuerst genannte Variante entschieden. Maßgebend für die Ermittlung des Höchstbetrags nach § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG sei entsprechend der Stand-alone-Betrachtung der Betrag, der in dem Wj. ohne das Bestehen des Gewinnabführungsvertrags an den außenstehenden Gesellschafter hätte geleistet werden können.27 Im Rahmen der Ermittlung des fiktiven Gewinnanteils sei der handelsrechtliche Jahresüberschuss vor Gewinnabführung um Beträge zu bereinigen, die bei einer Ausschüttung an den außenstehenden Gesellschafter ohne Bestehen der Organschaft nicht zur Verfügung gestanden hätten.28 In diesem Zusammenhang sind entsprechend dem BMF-Schreiben Zuführungen in gesetzliche Rücklagen oder andere Gewinnrücklagen, ausschüttungsgesperrte Beträge und fiktive Ertragsteuerbeträge abzuziehen, während Beträge aus der Auf25 Hasbach, DStR 2019, 81 (85); zustimmend Jauch, DK 2019, 220 (221 f.). 26 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401. 27 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 9. 28 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 10 f.

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lösung von in organschaftlicher Zeit gebildeten Rücklagen, Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter und Körperschaftsteuerbeträge auf Ausgleichszahlungen hinzuzurechnen sind.29 Diese Betrachtungsweise ist zwar zum Nachteil der Stpfl., da der Höchstbetrag, der gem. § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG der Berechnung der Ausgleichszahlung zugrunde zu legen ist, kleiner ist als bei der anderen Ansicht. Andererseits dürfte ihr im Ergebnis zuzustimmen sein, da damit der außenstehende Gesellschafter so steht, wie er stünde, gäbe es den Gewinnabführungsvertrag nicht und würde an ihn sein Anteil am Jahresüberschuss als Dividende ausgeschüttet. In diesem Fall hätte auch die Organgesellschaft „normal“ Ertragsteuern gezahlt. Da die Körperschaftsteuer, die gem. § 16 KStG auf die Ausgleichszahlung entfällt, ebenfalls hinweggedacht wird, kommt es auch nicht zu einer doppelten Steuerbelastung. Nach Auffassung der FinVerw. ist die Ermittlung des Höchstbetrags iSd. § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG für jedes Wj. gesondert vorzunehmen.30

5. Keine Anerkennung bestimmter Gestaltungen aus der Vergangenheit Die gesetzliche Neuregelung hat zur Folge, dass verschiedene Ausgestaltungen von Vereinbarungen von Ausgleichzahlungen, die seitens der FinVerw. bislang akzeptiert wurden, nunmehr der steuerlichen Anerkennung der Organschaft entgegenstehen. Dies gilt insbes. für die Fallgruppe von Ausgleichszahlungen, bei denen zusätzlich zu der Garantiedividende ein variabler Ausgleich gezahlt wird, der sich nach dem Ergebnis bestimmter Unternehmensbereiche der Organgesellschaft bemisst (Tracking stocks).31 Während nach Ansicht der FinVerw. solche Vereinbarungen in der Vergangenheit die Durchführung der ertragsteuerlichen Organschaft nicht beeinträchtigt haben,32 unter29 Vgl. Hasbach, DB 2020, 806 (810), der dieser Auffassung kritisch gegenübersteht. 30 BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 12; zustimmend Hasbach, DB 2020, 806 (811); Jauch, DK 2019, 220 (222). 31 Beispielhaft sind hier Spartengewinne, Tracking stock-Regelungen und ProftCenter zu nennen. 32 BMF v. 13.9.1991 – IV B 7 - S 2770 – 34/91, GmbHR 1991, 490; aA BFH v. 4.3.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407 = FR 2009, 1110. Das BMF hatte daraufhin mit einem Erlass reagiert, dass das vorgenannte BFH-Urteil über den der

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fallen sie nicht der gesetzlichen Neuregelung des § 14 Abs. 2 KStG.33 Auch – steuerlich anerkannte – inkongruente Ausgleichszahlungen, insbes. bei Betrieben der öffentlichen Hand als Hauptanwendungsbereich solcher Gestaltungen34 – fallen unter die Begrenzungsregelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 KStG.35 Denn der Wortlaut der Regelung stellt für die Bestimmung des fiktiven Gewinnanteils einzig auf den dem Anteil am gezeichneten Kapital entsprechenden Gewinnanteil ab.36 Auf sonstige gesellschaftsvertragliche Abreden kommt es mithin nicht an.

6. Übergangsvorschriften § 34 Abs. 6b Satz 1 KStG regelt den zeitlichen Anwendungsbereich der gesetzlichen Neufassung. § 14 Abs. 2 KStG ist demnach grundsätzlich auch für Veranlagungszeiträume vor 2017 anzuwenden. § 34 Abs. 6b Satz 2 KStG sieht allerdings eine Übergangsregelung vor, wenn im Einzelfall eine Organschaft, die bereits vor dem 1.8.2018 bestand, nach neuem Recht nicht mehr anerkannt würde (zB die vorstehender zu 5. aufgeführten Beispiele). In diesen Fällen gilt die Organschaft als bis einschließlich des VZ 2021 als wirksam bestehend. Die Beendigung eines Gewinnabführungsvertrags, der dieser besonderen Übergangsregelung unterliegt, durch Kündigung gilt als aus wichtigem Grund erfolgt (§ 34 Abs. 6b Satz 3 KStG iVm. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 KStG). Damit muss die fünfjährige Mindestlaufzeit des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG nicht eingehalten werden. Zudem gilt eine Anpassung des Gewinnabführungsvertrags an die Anforderungen des § 14 Abs. 2 KStG nicht als Neuabschluss (§ 34 Abs. 6b Satz 4 KStG), dh. es beginnt keine neue fünfjährige Mindestdauer des Gewinnabführungsvertrags iSv. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG zu laufen. Mit den Sätzen 3 und 4 wird es den Stpfl. demnach ermöglicht,

33 34 35

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Entscheidung zugrundeliegenden Einzelfall keine Anwendung haben sollte, s. BMF v. 20.4.2010 – IV C 2 - S 2770/08/10006 – DOK 2010/0216002, BStBl. I 2010, 372 = FR 2010, 490. BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 8. Siehe für die Konsequenzen in der Praxis auch Schiffers, DStZ 2019, 79 (81 f.). Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 679/8a; Jauch/Hörhammer, NWB 2018, 3890 (3893); aA Hasbach, DStR 2019, 81 (85); kritisch Weiss/Brühl, BB 2018, 2135 (2139). BMF v. 4.3.2020 – IV C 2 - S 2270/19/10003: 002 – DOK 2020/0207624, BStBl. I 2020, 256 = GmbHR 2020, 401 Rz. 7; so auch Hasbach, DB 2020, 806 (809); Jauch, DK 2019, 220 (224 f.).

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bestehende Gewinnabführungsverträge, die mit den Vorgaben des § 14 Abs. 2 KStG nicht kompatibel sind, an diese Vorgaben steuerunschädlich anzupassen.

III. Probleme bei der Formulierung von Verlustübernahmeverpflichtungen gem. § 17 KStG 1. Die Anforderungen des § 17 KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG definiert eine Organgesellschaft als eine Europäische Gesellschaft, AG oder KGaA mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in der EU bzw. einem EWR-Vertragsstaat, die sich zur Gewinnabführung verpflichtet. Das KStG sieht in § 17 eine Sonderregelung für Gesellschaften vor, die nicht einer der vorstehenden Rechtsformen angehören. Die Vorschriften zur Organschaft der §§ 14–16 KStG gelten danach entsprechend, wenn eine andere Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedstaat der EU oder einem EWR-Vertragsstaat sich wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen iSd. § 14 KStG abzuführen. Der Hauptanwendungsbereich erstreckt sich dabei auf Organgesellschaften in der Rechtsform der GmbH. Dabei sieht § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG idF des Änderungsgesetzes vom 20.2.2013 (sog. kleine Organschaftsreform) die weitere – in der Praxis erstaunlicherweise streitbefangene und Unsicherheiten auslösende – Voraussetzung vor, dass zwischen Organträger und Organgesellschaft eine Verlustübernahme durch Verweis auf die Vorschriften des § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart wird (obgleich durch die Neufassung eine Entschärfung der rechtlichen Anforderungen eintreten sollte). In der praktischen Anwendung wird seither im Regelfall ein dynamischer Verweis auf den betreffenden § 302 AktG in Gewinnabführungsverträgen vereinbart, so dass die gesetzliche Regelung ohne Einschränkungen angewendet und die Anerkennung der Organschaft sichergestellt wird. Gemäß dem mit dem Kroatien-Steueranpassungsgesetz vom 25.7.201437 bereits wieder abgeschafften § 34 Abs. 10b idF des Änderungsgesetzes v. 20.3.2013, dessen Fortgeltung § 17 Abs. 2 KStG nF statuiert, kommt die vorgenannte Regelung erstmalig zur Anwendung für Gewinnabführungsverträge, die nach dem Tag des Inkrafttretens des Änderungsgeset37 BGBl. I 2014, 1266.

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zes abgeschlossen oder geändert wurden, dh. für nach dem 26.2.2013 abgeschlossene bzw. geänderte Gewinnabführungsverträge. Ferner regelt § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG eine Übergangsregelung für Altverträge dahingehend, dass in der Vergangenheit wirksam abgeschlossene Gewinnabführungsverträge bei einer tatsächlich erfolgten Verlustübernahme bis zum Ablauf des 31.12.2014 an die Anforderungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG angepasst werden sollen. Sofern bis zu diesem Zeitpunkt Verluste entstanden sind und diese tatsächlich übernommen wurden, sind die Gewinnabführungsverträge steuerlich anzuerkennen.

2. Fehlender Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG Beispiel 1:

Die A-AG als Organträgerin und die B-GmbH als Organgesellschaft schlossen am 15.7.2005 einen Gewinnabführungsvertrag. Die Vertragsparteien vereinbarten in Einklang mit R 66 Abs. 3 Satz 2 KStR 2004 eine Verlustübernahme, die § 302 Abs. 1 und 3 AktG in der in diesem Zeitpunkt geltenden Fassung entsprach. Ein dynamischer Verweis auf § 302 AktG wurde nicht vereinbart.

Durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.200438 war noch vor der kleinen Organschaftsreform in § 302 AktG ein neuer Abs. 4 eingefügt worden. Danach verjähren Verlustübernahmevorschriften in zehn Jahren 38 BGBl. I 2004, 3214.

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seit dem Tag der Bekanntmachung der Eintragung der Beendigung des Unternehmensvertrags in das Handelsregister. Die FinVerw. hatte in 2005 mit einem BMF-Schreiben39 auf die geänderten Anforderungen reagiert, die an die Einhaltung der Voraussetzungen des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG in der damals geltenden Fassung gestellt wurden, wonach auch ein Verweis auf § 304 Abs. 4 AktG in dem Gewinnabführungsvertrag hätte vereinbart werden müssen. Aufgrund des BMF-Schreibens war die Anerkennung der Organschaft im Fall von Gewinnabführungsverträgen, deren Verweis auf die Regelungen des § 302 AktG nicht als dynamischer Verweis, sondern nur als Verweis auf § 302 Abs. 1 bis/und 3 AktG ausgestaltet war, abgesichert. Auch eine Anpassung dieser Alt-Gewinnabführungsverträge sollte nach der Ansicht der FinVerw. nicht notwendig sein. Lediglich in neu abgeschlossenen Gewinnabführungsverträgen musste zwingend ein Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG vereinbart werden. Durch diese Billigkeitsregelung waren demnach Alt-Gewinnabführungsverträge und die sich daraus ergebenden Organschaftswirkungen „geschützt“. Als Reaktion auf die Änderung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG durch das Änderungsgesetz vom 20.3.2013 wurde im Rahmen einer Bund-/Länder-Abstimmung beschlossen, dass Alt-Gewinnabführungsverträge, die keinen Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG enthielten, aber bisher von der Billigkeitsregelung des vorstehenden BMF-Schreibens abgedeckt waren, aufgrund der Regelung in § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG aF nicht zwingend bis Ende 2014 angepasst werden mussten. Ungeachtet dessen empfahlen die OFD Niedersachsen40 und die OFD Frankfurt/Main41 jedoch deren wirksame Anpassung bis Ende des Jahres 2014, um die steuerliche Anerkennung dieser Verträge sicherzustellen. Mit dem bereits unter II.2. dargestellten Urteil vom 10.5.201742 versagte allerdings der BFH die Anerkennung einer so „geschützten“ Organschaft mit der Begründung, dass die Billigkeitsregelung des BMF-Schreibens vom 16.12.2005 unbeachtlich sei. Vielmehr sei die Vereinbarung einer Verlustübernahme iSd. § 302 Abs. 4 AktG auch für die Altverträge zu for39 BMF v. 16.12.2005 – IV B 7 - S 2770 – 30/05, BStBl. I 2006, 12 = FR 2006, 193. 40 OFD Niedersachsen v. 13.9.2013 – S 2770 - 121 – St 248, DStR 2013, 2634 = StEK KStG § 17 Nr. 21. 41 OFD Frankfurt v. 30.5.2016 – S 2770 A – 55 – St 51, DStR 2016, 1375 = StEK KStG § 14 Nr. 64. 42 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, BStBl. II 2019, 278 = FR 2018, 844; FG Münster v. 27.11.2019 – 13 K 2898/16 G,F, EFG 2020, 468, nrkr., Rev. Az. BFH I R 7/20.

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dern. Von dem BMF-Schreiben gehe gerade für die Beurteilung der Rechtslage durch den BFH keine Bindungswirkung aus, da es sich um eine bloße Verwaltungsanweisung handele und die Gerichte entsprechend der materiellen Rechtslage zu entscheiden hätten.43 Der BFH verlangt, dass der Verweis auf § 302 AktG alle seine Bestandteile umfasse und in den jeweiligen Regelungsfassungen ausgestaltet werden müsse. Dies beziehe sich überdies auf Regelungsbestandteile der Norm, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Gewinnabführungsvertrags noch nicht in Kraft getreten waren. Wird demnach die aktienrechtliche Vorschrift geändert, fordert der BFH, dass auch eine Anpassung des Gewinnabführungsvertrags erfolgt. Die FinVerw. reagierte auf die BFH-Entscheidung mit einer (weiteren) Vertrauensschutzregelung.44 Darin führt das BMF aus, dass im Hinblick auf Gewinnabführungsverträge, die in den Anwendungsbereich der vormaligen Billigkeitsregelung fielen – dh. vor dem 1.1.2006 abgeschlossen worden waren –, das Fehlen eines Verweises auf die entsprechende Anwendung des § 302 Abs. 4 AktG der Anerkennung der Organschaft nicht entgegenstehe, wenn eine Anpassung der vertraglichen Regelung bis zum Ablauf des 31.12.2019 an das Erfordernis eines dynamischen Verweises umgesetzt werde. Ferner sei hierin kein Neuabschluss des Gewinnabführungsvertrags zu sehen, so dass die fünfjährige Mindestlaufzeit iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG nicht erneut zu laufen beginne. Einer Anpassung bedürfe es jedoch nicht, wenn das Organschaftsverhältnis vor dem 1.1.2020 beendet werde. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, wie der Wortlaut des BMF-Schreibens im Hinblick auf den Zeitpunkt der Vertragsanpassung zu verstehen ist. Denn die Formulierung verlangt in wörtlicher Auslegung lediglich, dass die Anpassung bis zum Ablauf des 31.12.2019 erfolgen muss, nicht hingegen, dass diese auch zu diesem Zeitpunkt wirksam geworden sein muss. Folglich könnte man annehmen, dass allein die gesellschaftsrechtliche Anpassung des Vertragswortlauts des Gewinnabführungsvertrags ausreicht und es auf diesen Zeitpunkt für den Geltungsbereich der Übergangsregelung ankommen sollte, ohne dass auf die Eintragung ins Handelsregister, mithin auf die Wirksamkeit der Vertragsänderung, abzustellen ist. Denn auch für Zwecke der Anwendung des § 34 Abs. 10b Satz 2 KStG soll es – trotz des Wortlauts „wirksam vereinbart[e] [Verlustüber43 Siehe dazu auch BFH v. 24.7.2013 – I R 40/12, BStBl. II 2014, 272 = GmbHR 2013, 1105 (mit Anm. Walter) Rz. 26. 44 BMF v. 3.4.2019 – IV C 2 – S2770/08/10004:001 – DOK 2019/0124865, BStBl. I 2019, 467 = FR 2019, 740.

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nahme]45“ – nicht auf die der Änderung nachfolgenden Rechtsakte ankommen.46 Allerdings sollte vor dem Hintergrund der bestehenden Unsicherheit und der praktischen Umsetzung durch die FinVerw. die Handelsregistereintragung bis zum 31.12.2019 sichergestellt worden sein.47 Im Beispielsfall 1 hätte also der Gewinnabführungsvertrag bis Ende 2019 entsprechend abgeändert werden müssen, um die Organschaft für VZ nach dem 31.12.2019 nicht zu gefährden. Sollte aufgrund von Verzögerungen bei dem zuständigen Handelsregister jedoch eine Eintragung des geänderten Gewinnabführungsvertrags erst zu Beginn 2020 erfolgt sein, sollte sich der Stpfl. darauf berufen, dass die Änderung bereits in 2019 durchgeführt worden war. Zu beachten ist jedoch, dass auch dieses erneute Schreiben des BMF nur die FinVerw., nicht hingegen die Finanzgerichte bindet.

3. Verlustübernahme durch Auflösung von Kapitalrücklagen Beispiel 2:

45 Einfügung durch die Verfasser. 46 Pohl, DB 2019, 1298 (1299) unter Verweis auf die hM und OFD Karlsruhe v. 16.1.2014 – S 2770/52/2 – St 221, FR 2014, 434. 47 So auch Pohl, DB 2019, 1298 (1299); Haberzett, DStR 2019, 2294 (2296).

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht Im Jahr 2015 schlossen die A-AG und die B-GmbH für Zwecke der Begründung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft einen Gewinnabführungsvertrag. In diesem Gewinnabführungsvertrag vereinbarten die Vertragsparteien einen dynamischen Verweis auf die Verlustübernahmevorschriften des § 302 AktG. Für die tatsächliche Verlustübernahme durch die Organträgerin sah der Vertrag ergänzend vor, dass die Verlustübernahme nach den Vorschriften des § 302 AktG erfolge, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen werde, dass den freien Rücklagen – anderen Gewinnrücklagen nach § 272 Abs. 3 HGB und Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB – Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt wurden. Nachdem bei der B-GmbH im Jahr 2016 ein Jahresfehlbetrag entstanden war und somit die A-AG zur grundsätzlichen Verlustübernahme verpflichtet war, erfolgte die Verlustübernahme zum Teil durch Geldzahlung sowie durch die Auflösung von Kapitalrücklagen.

Fraglich ist, ob die ertragsteuerliche Organschaft auch dann anzuerkennen ist, wenn über den dynamischen Verweis auf § 302 AktG iS der Voraussetzung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG hinaus in dem Gewinnabführungsvertrag die Möglichkeit vereinbart wird, die Verlustübernahmeverpflichtung (auch) durch die Auflösung von in organschaftlicher Zeit gebildeten Kapitalrücklagen zu erfüllen. Die OFD Nordrhein-Westfalen stellt in ihrer Verfügung vom 11.7.201848 klar, dass derartige Regelungen in Gewinnabführungsverträgen der Anerkennung der Organschaft entgegenstehen. Denn ausweislich des § 302 Abs. 1 AktG kann die Minderung der Verlustübernahmeverpflichtung nur durch die Auflösung von während der Organschaft gebildeten anderen Gewinnrücklagen erreicht werden. Die FinVerw. verweist zudem auf das rechtskräftige Urteil des FG Düsseldorf vom 17.4.201849. Hier hatte das FG ausgeführt, dass neben dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch der Sinn und Zweck der Regelung dieses Ergebnis gebiete. Denn der Zweck der Norm liege im Schutz des Kapitalerhalts iS der Gesellschaft sowie von deren Gläubigern, so dass eine einschränkende Auslegung der Norm geboten sei.50

48 OFD NRW v. 11.7.2018 – S 2770 - 2018/0013 St 131, DStR 2018, 1869 = GmbHR 2018, 1092. 49 FG Düss. v. 17.4.2018 – 6 K 2507/17 K, GmbHR 2018, 1088, rkr. (mit Anm. Walter). 50 FG Düss. v. 17.4.2018 – 6 K 2507/17 K, GmbHR 2018, 1088 (1090), rkr. (mit Anm. Walter).

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UE zu Recht wird in der Literatur vorgebracht, dass die Kapitalrücklage, aus der der Verlustausgleich erfolgt, auch anteilig außenstehenden Gesellschaftern zustehe, der Verlustausgleich aber vollständig zu Lasten des Organträgers gehen müsse. Werden Kapitalrücklagen für den Verlustausgleich genutzt, würden die Minderheitsgesellschafter dergestalt am Verlustausgleich beteiligt.51 Der Ertrag aus der Auflösung einer Kapitalrücklage falle folglich nicht unter den Gewinnabführungsvertrag. Eine Vereinbarung in einem Gewinnabführungsvertrag, die den Verlustausgleich durch die Auflösung von Kapitalrücklagen vorsieht (wie im Beispielsfall 2), steht demnach der Anerkennung der Organschaft entgegen. Die Stpfl. sind gehalten, von der Verwendung von Formulierungen oder Vertragsergänzungen, die von der klaren Anforderung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG und dem strengen Verweis auf § 302 AktG abweichen, in der Praxis abzusehen. Die Vereinbarung des dynamischen Verweises sollte als konsequent zu handhabendes Tatbestandsmerkmal begriffen werden, von dem bestmöglich nicht abgewichen werden sollte.

IV. Zuordnung der Organbeteiligung zur Betriebsstätte eines ausländischen Organträgers 1. Zuordnung zu einer eigengewerblich tätigen Personengesellschaft Auch nach der kleinen Organschaftsreform kann ein ausländischer Unternehmer ein tauglicher Organträger sein, sofern er die grundsätzlichen Anforderungen an einen Organträger iSd. § 14 KStG erfüllt. Nach Aufhebung des § 18 KStG sind die hierfür zusätzlich zu erfüllenden Voraussetzungen mittlerweile in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 6 und 7 KStG geregelt. Das nachfolgende Beispiel 3 veranschaulicht dies.

51 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 414a; vgl. auch Breuninger/Krüger, GmbHR 2002, 277 (279).

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht Beispiel 3:

Die CH-AG mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz ist zu 100 % an der deutschen D-GmbH & Co. KG beteiligt. Die D-GmbH & Co. KG ist durch ihre Tätigkeit in der Metallproduktion originär gewerblich tätig. Die D-GmbH & Co. KG wird von der B-GmbH, an der sie 100 % der Anteile hält, mit Rohstoffen für die Weiterverarbeitung beliefert. Zwischen der D-GmbH & Co. KG und der B-GmbH ist ein Gewinnabführungsvertrag für die Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft abgeschlossen worden.

Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 6 KStG muss die Organbeteiligung (bzw. bei mittelbarer Organschaft die Beteiligung an der vermittelnden Gesellschaft) einer inländischen Betriebsstätte iSd. § 12 AO des Organträgers zuzurechnen sein. Eine inländische Betriebsstätte in diesem Sinne ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 7 KStG gegeben, wenn die dieser Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte sowohl nach innerstaatlichem Recht als auch nach einem anzuwendenden DBA der inländischen Besteuerung unterliegen. Die Prüfung muss also stets zweistufig erfolgen: In einer ersten Stufe muss eine inländische Betriebsstätte gegeben sein. In einer zweiten Stufe müssen die Anteile an der Organgesellschaft der Betriebsstätte zuzuordnen sein. 304

Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

Abkommensrechtlich vermittelt im Beispielsfall die D-GmbH & Co. KG der CH-AG aufgrund ihrer eigenen betrieblichen Tätigkeit eine Betriebsstätte. Fraglich ist aber, nach welchen Grundsätzen die geforderte Zurechnung erfolgt. Insoweit ist auf die Zurechnungsgrundsätze nach dem deutschen Internationalen Steuerrecht zurückzugreifen. Nach den Regelungen in § 1 Abs. 5 AStG iVm. § 7 BsGaV ist in DBA-Fällen die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zu einer Betriebsstätte von einem tatsächlichen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftsgut und der Betriebsstätte abhängig zu machen, soweit das DBA keine Sonderregelungen52 enthält.53 Unter Anwendung dieses Grundsatzes erfolgt die Zuordnung der Organgesellschaftsbeteiligung zu einer inländischen Betriebsstätte, wenn die Beteiligung in einem funktionalen Zusammenhang mit der in der Betriebsstätte ausgeübten Tätigkeit steht und die Beteiligungserträge Nebenerträge der aktiven Tätigkeit der Betriebsstätte darstellen.54 Es bedarf daher einer funktionalen Notwendigkeit des Wirtschaftsguts für die Tätigkeit der Betriebsstätte.55 Diese funktionale Zuordnung ist im Beispielsfall aufgrund der Zulieferfunktion der B-GmbH gegeben. Anders verhält es sich hingegen in Nicht-DBA-Fällen. Hier richtet sich der Betriebsstättenbegriff nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Danach kann eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG eine inländische Betriebsstätte begründen, da es allein auf den inländischen Begriff der Gewerblichkeit ankommt, nicht aber – wie im DBA-Fall – auf den abkommensrechtlichen Begriff des Art. 7 OECD-MA.56 Für die Zuordnung einer 52 ZB ist nach dem DBA Deutschland-Belgien die Personengesellschaft selbst und nicht der Mitunternehmer im Inland ansässig und damit abkommensberechtigt. 53 BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 283 Rz. 2.2.4.1. 54 BFH v. 23.10.1996 – I R 10/96, BStBl. II 1997, 313 = FR 1997, 352; v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 = FR 2008, 724 (mit Anm. Lohmann/Rengier); s. auch Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 212. In der Literatur wird diesbezüglich kritisiert, dass das Organeinkommen vielmehr Unternehmensgewinne iSd. Art. 7 OECD-Musterabkommen darstelle, nicht hingegen Beteiligungserträge im vorgenannten Sinne. 55 BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, BStBl. II 2002, 848 = FR 2003, 151 (mit. Anm. Kempermann); v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771. 56 BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684 Rz. 27 = FR 2018, 558 (mit Anm. Wacker); kritisch insoweit Gosch in Kirchhof, EStG18, § 49 Rz. 15. Wie der BFH das FG Münster v. 12.4.2019 – 13 K 3645/16 G, EFG 2019, 1317 = FR 2019, 723, rkr. – Im DBA-Fall überlagert der abkommensrechtliche Unter-

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

Kapitalbeteiligung zu der dadurch begründeten inländischen Betriebsstätte in einem zweiten Schritt gilt das sog. Veranlassungsprinzip. Die allein rechtliche Zuordnung zum Gesamthandsvermögen ist nicht ausreichend, wenn es noch eine weitere Betriebsstätte des Mitunternehmers gibt.57 Die Zuordnung nach dem Veranlassungsprinzip entspricht – ungeachtet rechtstheoretischer Unterschiede – in der praktischen Umsetzung im Ergebnis der tatsächlichen funktionalen Zuordnung in DBA-Fällen.58

2. Zuordnung zu einer Holdinggesellschaft Schwieriger gestaltet sich die Begründung einer Organschaft hingegen zu einer nur durch eine sog. geschäftsleitende Holdingfunktion eigengewerblich tätigen Personengesellschaft, wie das nachfolgende Beispiel 4 zeigt. Beispiel 4:

nehmensbegriff § 49 EStG, so dass die nur gewerblich geprägte GmbH & Co. KG keine Betriebsstätte begründet, vgl. grundlegend BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 = FR 2010, 903. 57 BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684 = GmbHR 2018, 480; s. hierzu auch Hagemann, NWB 2018, 1687; Martini/Oppel/Staats, IWB 2018, 605; Mroz/Wellmann, FR 2018, 740. 58 So auch Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 212.

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht In Abweichung von dem Sachverhalt in Beispiel 3 ist die D-GmbH & Co. KG hier neben der B-GmbH ebenfalls zu 100 % an der A-GmbH beteiligt. Zwischen den Gesellschaften bestehen allerdings keine Liefer- oder Leistungsbeziehungen. Vielmehr fungiert die D-GmbH & Co. KG lediglich als geschäftsleitende Holding und übt als solche die Geschäftsleitung über die A-GmbH, die Gummiwaren produziert, und die B-GmbH, deren Tätigkeitsbereich die Folienproduktion ist, aus.

Nach nationalem Steuerrecht ist die D-GmbH & Co. KG zwar (wohl)59 originär gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gewerblich tätig. Hinzukommen muss, dass diese gewerbliche Tätigkeit auch ausreichend ist, um abkommensrechtlich eine Betriebsstätte zu begründen.60 Dies ist notwendig, um in DBA-Fällen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 7 KStG zu erfüllen. Demnach muss die inländische Personengesellschaft in irgendeiner Weise eine gewerbliche Tätigkeit ausüben, die ausreicht, um eine Betriebsstätte iSd. Art. 7 OECD-MA61 zu begründen. Allein der Abschluss oder das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags kann keine gewerbliche Tätigkeit begründen; die Tätigkeit der Organgesellschaft wird hierdurch auch nicht der Personengesellschaft zugerechnet.62 Die FinVerw. verlangt stattdessen in irgendeiner Form betriebene Liefer- oder Leistungsbeziehungen zwischen der Personengesellschaft und der Organgesellschaft.63 UE kann dies durch typische Holdingdienstleistungen (Accounting, Controlling, Personalmanagement, Rechts- und Steuerberatung, Marketing etc.) erbracht werden, die entgeltlich mit Gewinnaufschlag abgerechnet werden. Es müssen so viele Dienstleistungen erbracht werden, das diese einen eigenständigen Gewerbebetrieb der Personengesellschaft begründen können. Eine lediglich geringe Tätigkeit in einem der genannten Overhead-Bereiche (iS der „Obstkarren“-Entscheidung) dürfte zwar im Zweifel für die Frage der Gewerblichkeit, nicht hin-

59 Abhängig von dem Umfang und der Vergütung ihrer Geschäftsleitungstätigkeit (s. hierzu sogleich). 60 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 = FR 2010, 903; s. auch BFH v. 29.11.2017 – I R 58/15, BFH/NV 2018, 684 = GmbHR 2018, 480. 61 Bzw. des Betriebsstättenartikels des im Einzelfall jeweils anwendbaren DBA. 62 Ehlermann/Petersen, IStR 2011, 747 (751). Auch führt allein der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags nicht zu einer gewerblichen Tätigkeit der Personengesellschaft, BFH v. 29.11.2017 – I R 83/15, BStBl. II 2018, 495 = GmbHR 2018, 761 Rz. 26. 63 Hruschka, IStR 2016, 437; Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 14 KStG Rz. 215 ff.; Dötsch/Pung, DB 2014, 1215 (1217, dort Fn. 17).

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

gegen für die Frage der funktionalen Zuordenbarkeit, die im zweiten Schritt zu prüfen ist (s. hierzu sogleich), ausreichend sein.64 Unter Berufung auf eine alte Rspr. des BFH65 fordert die FinVerw. darüber hinaus Leistungen oder Lieferungen an mindestens zwei Konzerngesellschaften.66 Würde man sich im Beispielsfall 4 die A-GmbH wegdenken, könnte danach die B-GmbH nicht organschaftlich in die D-GmbH & Co. KG eingegliedert sein, da sie die einzige Beteiligung wäre, die die KG halten würde. Nach anderer Ansicht kann dies nicht zutreffend sein: Entscheidend ist allein eine gewerbliche Tätigkeit der Personengesellschaft. Ist eine solche gegeben, wird eine abkommensrechtliche Betriebsstätte begründet, der die Anteile an der Organgesellschaft zugeordnet werden können. Entsprechende Leistungen gegenüber nur einer Tochtergesellschaft müssen hierfür ausreichend sein. Will man hingegen auf der sicheren Seite sein, sollte die Forderung der FinVerw. erfüllt werden. Die Holdingpersonengesellschaft sollte demnach (mindestens) zwei Beteiligungen halten.67 Wird die erste Hürde genommen und liegt eine gewerbliche Tätigkeit der Personengesellschaft vor, so ist der zweite Schritt leichter getan. Sofern die Personengesellschaft tatsächlich die Leitungsfunktion für die Organgesellschaft ausübt und die nach Auffassung der FinVerw. notwendigen Liefer- und/oder Leistungsbeziehungen bestehen, ist auch die funktionale Zuordnung gegeben, so dass die Anteile der inländischen Betriebsstätte des ausländischen Organträgers iSd. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 6 KStG zugerechnet werden können. Im Beispielsfall 4 sind zwar zwei Tochtergesellschaften gegeben, jedoch erbringt die D-GmbH & Co. KG keinerlei Dienstleistungen gegenüber den Töchtern. Sie ist daher zwar gewerblich tätig und kann eine abkom64 Vgl. insoweit auch Schmidt/Ungemach, PIStB 2013, 274 (279), die (hohe) Anforderungen an die Ausübung der Geschäftsleitungsfunktion und die notwendige personelle Ausstattung der Betriebsstätte stellen. 65 Vgl. BFH v. 15.4.1970 – I R 122/66, BStBl. II 1970, 554 = FR 1970, 484, zur wirtschaftlichen Eingliederung der gewerbesteuerlichen Organschaft vor Angleichung an die körperschaftsteuerliche Organschaft. 66 Siehe die Nachweise in Fn. 63. Vergleichbar auch die Forderung für die Entlastungsberechtigung gem. § 50d Abs. 3 EStG, vgl. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, BStBl. I 2012, 171 = FR 2012, 233 Tz. 5.3: Eine geschäftsleitende Funktion gegenüber nur einer Tochtergesellschaft ist nicht ausreichend. 67 Dabei sollte die zweite Gesellschaft nicht nur eine „Alibigesellschaft“ ohne Substanz sein.

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mensrechtliche Betriebsstätte begründen; eine funktionale Zuordnung kommt jedoch mangels Liefer- und Leistungsbeziehungen nicht in Betracht. Die Geschäftsleitungsfunktion geht daher „in’s Leere“. Die CHAG kann folglich kein Organträger iSd. § 14 KStG sein.

V. Vorrang des § 12 Abs. 2 UmwStG vor der Bruttomethode des § 15 KStG Beispiel 5:

(Beispiel nach BFH v. 26.9.201868): Die A-AG hält 100 % der Anteile an der B-GmbH. Die B-GmbH ist zu 96 % an der C-GmbH beteiligt. Diese hält wiederum 96 % der Anteile an der D-GmbH. Im Wij. 2006 bestanden körperschaftsteuerliche Organschaften zwischen der A-AG und der B-GmbH, der B-GmbH und der C-GmbH sowie als mittelbare Organschaft eine solche zwischen der B-GmbH und 68 BFH v. 26.9.2018 – I R 16/16, BStBl. II 2020, 206 = FR 2019, 561.

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht der D-GmbH. Mit Vertrag vom 15.7.2007 wurde die D-GmbH rückwirkend zum steuerlichen Übertragungsstichtag am 31.12.2006 auf die C-GmbH unter Auflösung ohne Abwicklung verschmolzen. Infolgedessen entstand bei der C-GmbH ein Übertragungsgewinn.

Der BFH entschied, dass bei einer Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf ihre Muttergesellschaft, die ihrerseits Organgesellschaft einer körperschaftsteuerlichen Organschaft mit einer Kapitalgesellschaft als Organträgerin ist, auf den Verschmelzungsgewinn weder auf der Ebene der Muttergesellschaft noch auf der Ebene der Organträgerin das pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG anzuwenden sei. Mit dieser Entscheidung wich der BFH von Rz. 12.07 des Umwandlungssteuererlasses69 der FinVerw. ab.70 Diese Rspr. führt im Beispielsfall dazu, dass weder auf der Ebene der C-GmbH als Organgesellschaft noch bei der B-GmbH (sowie der A-AG) als Organträgerin die Schachtelstrafe des § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG Anwendung findet. Die vorstehende Entscheidung beruht auf einer Gesetzeslücke im Zusammenhang mit der Anwendung von § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG einerseits und § 12 Abs. 2 UmwStG andererseits71 und deren Konkurrenzverhältnis im Hinblick auf Fälle der Aufwärtsverschmelzung in Organschaftsstrukturen, in denen der übernehmende Rechtsträger Organgesellschaft einer ertragsteuerlichen Organschaft ist.72 Ausgehend von § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bleibt der Übernahmegewinn auf der Ebene des übernehmenden Rechtsträgers – hier der C-GmbH – außer Ansatz und ist demzufolge bereits nicht in dem gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG dem Organträger zuzurechnenden Einkommen enthalten. § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG

69 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314. 70 Beachtlich ist auch der Hinweis des BFH in Rz. 34 der hier betrachteten Entscheidung zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Locked-BoxTransaktionen mit Relevanz für die Erfüllung der Voraussetzung der finanziellen Eingliederung. Nach Meinung des BFH geht das wirtschaftliche Eigentum bei einer aufschiebenden Bedingung einer kartellrechtlichen Freigabe erst mit der Erteilung dieser Freigabe über. 71 Insgesamt zeigt sich, dass die Bruttomethode bei Regelungen in anderen Gesetzen nicht hinreichend berücksichtigt wurde. Vgl. insoweit auch das „Leerlaufen“ der „Schachtelstrafe“ beim gewerbesteuerlichen Schachtelprivileg, was nach der diesbezüglichen Entscheidung des BFH (BFH v. 17.12.2014 – I R 39/14, BStBl. II 2015, 1052 = FR 2015, 472) zur Ergänzung des GewStG durch § 7a GewStG geführt hat. 72 Vgl. Schlücke, EWiR 2019, 553 (554).

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ordnet allgemein die Anwendung des § 8b KStG an, soweit der Gewinn nach Satz 1 abzüglich der darauf entfallenden Kosten für den Vermögensübergang dem Anteil der übernehmenden Körperschaft an der übertragenden Körperschaft entspricht. Zweck der Vorschrift ist dabei die Gleichstellung der steuerlichen Behandlung von Aufwärtsverschmelzungen mit Veräußerungsfällen.73 Wendet man nunmehr § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG isoliert an, wird folglich der Anwendungsbereich des § 8b Abs. 3 KStG auf der Ebene des übernehmenden Rechtsträgers eröffnet, so dass der Verschmelzungsgewinn grundsätzlich der Schachtelstrafe unterfiele. Allerdings muss hier die Besonderheit Berücksichtigung finden, dass es sich bei der C-GmbH ihrerseits um eine Organgesellschaft handelt. Gegenüber der Regelung des § 12 Abs. 2 UmwStG statuiert § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG die sog. Bruttomethode in Bezug auf die Ermittlung des Einkommens bei Organschaften. Dies bedeutet, dass § 8b Abs. 1–6 KStG auf die Einkünfte aus Dividenden und Veräußerungsgewinnen nicht bei der Organgesellschaft, sondern erst beim Organträger zur Anwendung kommt. Diese Regelung führt jedoch nicht zu einer Besteuerung des Übertragungsgewinns auf Organträgerebene, da der Übertragungsgewinn das Einkommen des Organträgers nicht erhöht hat und auch keine nicht abziehbaren Betriebsausgaben iSd. § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG in dem Einkommen enthalten sind. Somit kommt bei einer Verschmelzung einer Enkelgesellschaft auf eine Tochtergesellschaft, die Organgesellschaft ist, die Pauschalierung nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG nicht zur Anwendung, der Gewinn ist mithin vollständig steuerfrei zu stellen.74 Während der BFH dem eindeutigen Gesetzeswortlaut folgend entschieden hat, sprachen sich Vertreter im Schrifttum – in Übereinstimmung mit der Ansicht der FinVerw. – dafür aus, dass nicht abziehbare Betriebsausgaben aufgrund des § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG auf der Ebene der Organgesellschaft zu berücksichtigen seien, da der Satz 2 des § 12 UmwStG gegenüber Satz 1 eine konkretisierende Spezialregelung darstelle.75 Dieser Sichtweise erteilte der BFH eine Absage.

73 Siehe BFH v. 26.9.2018 – I R 16/16, BStBl. II 2020, 206 = FR 2019, 561 Rz. 22 mwN. 74 So auch Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, KStG, § 12 Rz. 91; Wisniewski in Haritz/Menner, UmwStG5, § 12 Rz. 60; Rödder/Schumacher, DStR 2007, 369 (373). 75 Schießl in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 12 UmwStG Rz. 267.41; Heinemann, GmbHR 2012, 133 (137 f.); zumindest kritisch Dötsch/Stimpel in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 12 UmwStG Rz. 61.

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Für eine gesetzliche Korrektur dieser Regelungslücke boten sich zwei Möglichkeiten an: Entweder wird die Anwendung des § 12 Abs. 2 Satz 2 KStG durch eine entsprechende Änderung des § 15 KStG auf Ebene des aufnehmenden Rechtsträgers (im Beispielsfall der C-GmbH) suspendiert und gilt erst auf der Ebene des Organträgers (im Beispielsfall der A-GmbH). Dies könnte dann aber zu Problemen führen, wenn eine natürliche Person, beispielsweise als Mitunternehmer einer Organträger-Personengesellschaft, an der Spitze der organschaftlichen Beteiligungskette steht (in diesem Fall wäre wohl insoweit eher § 4 UmwStG anzuwenden). Oder es wird, vergleichbar der Regelung in § 7a GewStG, die Bruttomethode durch eine Ergänzung des § 12 Abs. 2 UmwStG ausgesetzt, so dass die Schachtelstrafe auf der Ebene des übernehmenden Rechtsträgers bereits zur Anwendung kommt. In beiden Fällen ist zu beachten, dass bei grenzüberschreitenden Aufwärtsverschmelzungen von EU-Kapitalgesellschaften und einer Beteiligung des übernehmenden Rechtsträgers von über 10 % der Übernahmegewinn gem. Art. 7 der Fusionsrichtlinie 2009/133/EG vollumfänglich steuerfrei zu stellen ist.76 Mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderungen weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl. I 2019, 2451) hat der Gesetzgeber sich für die erste Möglichkeit entschieden und die Bruttomethode in § 15 Satz 1 Nr. 2 Sätzen 1 und 2 KStG um den Übernahmegewinn/-verlust iSd. § 12 Abs. 2 UmwStG ergänzt. Damit ist die oa. Regelungslücke geschlossen worden. Nach § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 KStG ist § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bei der Organgesellschaft nicht anzuwenden, dh. ein Übernahmegewinn ist noch in dem dem Organträger zuzurechnenden Einkommen enthalten. Nach § 15 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG ist § 12 Abs. 2 UmwStG auf der Ebene des Organträgers anzuwenden, wobei in den Fällen des § 12 Abs. 2 Satz 2 UmwStG neben § 8b KStG auch § 3 Nr. 40 und § 3c Abs. 2 EStG zu beachten sind, dh. soweit Organträger eine Körperschaft oder eine Mitunternehmerschaft mit Körperschaften als Mitunternehmer ist, wird insoweit, als die Organgesellschaft an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligt ist, § 8b KStG angewendet. Im Ergebnis kommt es damit zur Anwendung des pauschalen Betriebsausgabenabzugsverbots nach § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG. Ist Organträger eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft mit natürlichen Personen als Mitunternehmer, ist

76 Vgl. Glahe, FR 2019, 565 f.

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auf den Übernahmegewinn das Teileinkünfteverfahren anzuwenden. Ein Übernahmeverlust ist nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG nicht abziehbar, und zwar unabhängig davon, ob Organträger eine Körperschaft oder eine natürliche Person bzw. eine Personengesellschaft ist.77 Die Neuregelung ist auf alle Umwandlungen anzuwenden, bei denen die Anmeldung zu dem Handelsregister, bei dem die Eintragung den Umwandlungsvorgang wirksam werden lässt, nach dem 12.12.2019 erfolgt ist (§ 34 Abs. 6f KStG). Bei einer Verschmelzung ist demnach das Datum der Handelsregisteranmeldung maßgeblich, die bei dem übernehmenden Rechtsträger erfolgt.

VI. Hinweise auf weitere organschaftsrelevante Entscheidungen der Finanzgerichte 1. Steuerliche Abziehbarkeit von Haftungsschulden (BFH v. 24.10.2018) Im zugrundeliegenden Sachverhalt78 wurde die Klägerin, eine ehemalige Organgesellschaft, nach Beendigung der körperschaftsteuerlichen Organschaft für Körperschaftsteuerschulden der sich mittlerweile in Liquidation befindlichen Organträgerin in Anspruch genommen. Nach der Mitteilung durch das FA, dass eine Inanspruchnahme beabsichtigt wird, bildete die Klägerin für diese drohende Haftungsinanspruchnahme nach § 73 AO eine Rückstellung. Entgegen der Auffassung des FA unterfiel die Rückstellung nach Auffassung des BFH nicht dem Abzugsverbot nach § 10 Nr. 2 KStG. Dieses Verbot gelte für Steuerschulden und nicht für Haftungsschulden, da auch die AO in § 37 Abs. 1 nach ihrem Wortlaut wie auch ihrer Systematik zwischen beiden Schuldarten unterscheide und nach der BFH-Rspr. der Steuerbegriff in Anlehnung an die AO eng auszulegen sei. Allerdings müsse der mit der Rückstellung passivierte Betrag außerbilanziell als vGA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dem Gewinn wieder hinzugerechnet werden. Entscheidend war hier die Veranlassung der Haftungsinanspruchnahme aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zur vormaligen Organträgerin. Grund für die Haftungsinanspruchnahme war 77 Siehe Dötsch/Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, KSt., § 15 KStG Rz. 66. 78 BFH v. 24.10.2018 – I R 78/16, BStBl. II 2019, 570 = GmbHR 2019, 614. Vorinstanz FG Münster v. 9.8.2016 – 9 K 3999/13 K,G, EFG 2017, 149 = GmbHR 2017, 265.

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der zwischen Organgesellschaft und -trägerin geschlossene Gewinnabführungsvertrag, der immer gesellschaftsrechtlich veranlasst sei. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft – dessen Verhalten als Maßstab für die Veranlassung herangezogen wird – würde diese nicht gegenüber einem fremden Dritten verpflichten, ihren gesamten Gewinn an diesen abzuführen, und zusätzlich das Risiko eingehen, für Steuerschulden des Dritten einzustehen. Grund für solch eine Verpflichtung könne nur ein vorrangiges Konzerninteresse sein. Das Eingehen der Verpflichtung sei mithin aus dem Gesellschaftsverhältnis veranlasst. Dem stehe schließlich auch nicht entgegen, dass sich das Haftungsrisiko erst nach Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses realisiert habe.

2. Mangelnde finanzielle Eingliederung aufgrund fehlender Zurechnung von Stimmrechten aufgrund (nur) eines Stimmbindungvertrags (FG Bremen v. 14.12.2017) Streitgegenständlich war das Vorliegen einer gewerbesteuerlichen Organschaft.79 Nach Auffassung des FA fehlte es an der nötigen finanziellen Eingliederung der vermeintlichen Organgesellschaft (Klägerin) nach § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG iVm. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG. Zwischen der Klägerin und der vermeintlichen Organträgerin – der B-GmbH – bestand zwar ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, die Anteile an der Klägerin wurden jedoch nur zu 50 % von der B-GmbH gehalten, die anderen 50 % wurden von einer weiteren Gesellschafterin (D) gehalten, die allerdings aufgrund eines Stimmbindungsvertrags verpflichtet war, ihr Stimmrecht im Einklang mit der vermeintlichen Organträgerin auszuüben. Die finanzielle Eingliederung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG erfordert, dass der Organträger derart an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht. Diese Stimmrechte müssten nach Ansicht des FG Bremen aus dem (wirtschaftlichen oder zivilrechtlichen) Eigentum herrühren; eine nur schuldrechtliche Stimmrechtsbindung sei nicht ausreichend (ob etwas anderes bei der umsatzsteuerlichen Organschaft gilt, ließ das Gericht ausdrücklich offen). Da die Stimmrechte aus eigenem Recht herrühren müssten, genüge die Zurechnung der Stimmrechte von Angehörigen nach § 15 AO ebenso wenig. Die Anteile iHv. 50 %, die sich im zivilrechtlichen Eigentum der D befanden, seien der 79 FG Bremen v. 14.12.2017 – 3 K 12/17 (1), EFG 2018, 228 = GmbHR 2018, 321, rkr.

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Pung/Benz, Aktuelle Entwicklungen im Organschaftsrecht

B-GmbH auch nicht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO als wirtschaftliches Eigentum zuzurechnen. Der B-GmbH habe weder aufgrund eines Herausgabeanspruchs die Substanz am Eigentum zugestanden, noch habe sie eine rechtlich geschützte Position innegehabt, die auf Erwerb des Eigentums gerichtet war, oder hätte über die Anteile der D verfügen können. Die Klägerin habe die D auch nicht von der Verfügung über ihren Anteil ausschließen können. Der Stimmbindungsvertrag habe lediglich zu einer Innen-GbR mit dem Zweck der gemeinsamen Stimmrechtsausübung geführt, gehe aber im Fall der Veräußerung des Anteils nicht kraft Gesetzes oder aufgrund von Vereinbarung auf einen Erwerber über. Auch der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag stelle kein Veräußerungshindernis dar. Einerseits hätte er mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende gekündigt werden können, andererseits habe er keine Einschränkungen der Verfügungsmacht enthalten. Die B-GmbH hätte die Anteile der D zwar einziehen oder bei einer beabsichtigten Veräußerung durch D ein Vorkaufsrecht ausüben oder ihre Zustimmung verweigern können, dann hätte sie allerdings eine Entschädigung, deren Bemessung sich an den steuerlichen Vorschriften zur Ermittlung des gemeinen Werts orientiert, bzw. den von einem Dritten gebotenen Kaufpreis zahlen müssen. Da eine Entschädigung nach dem gemeinen Wert zu bemessen war, sei D an den stillen Reserven in ihrem Anteil beteiligt gewesen, habe somit die Chancen und Risiken einer Wertsteigerung bzw. -minderung getragen und sei mithin auch wirtschaftliche Eigentümerin des Anteils gewesen.

3. Organschaftliche Einkommenszurechnung auch bei einem Aufspaltungsgewinn – Abgrenzung zum Liquidationsgewinn (FG Berlin-Brandenburg v. 31.5.2018) Im dem dem Urteil80 zugrunde liegenden Sachverhalt wurde eine Organgesellschaft – die B-GmbH – liquidationslos durch Abspaltung zur Übernahme auf mehrere Nachfolge-GmbH (darunter die Klägerin) aufgelöst. Im gleichen Jahr wurden einige der Nachfolge-GmbH veräußert. Streitgegenständlich waren die Fragen, ob eine Buchwertfortführung möglich gewesen oder ob ein gewerbesteuerpflichtiger Übertragungsgewinn entstanden sei und bei wem ein eventuell entstandener Übertragungsgewinn dann zu versteuern sei. 80 FG Berlin-Brandenb. v. 31.5.2018 – 9 K 9143/16, EFG 2018, 1684 = GmbHR 2018, 1081, nrkr., Rev. Az. BFH I R 27/18.

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Der Übertragungsgewinn ist nach Ansicht des FG Berlin-Brandenburg nicht von den Nachfolge-GmbH zu versteuern, sondern von der obersten Konzerngesellschaft als mittelbare Organträgerin im Verhältnis zur B-GmbH. Damit widerspricht das Gericht Rz. Org. 27 UmwSt.-Erlass,81 nach der ein steuerlicher Übertragungsgewinn bei einer Aufspaltung von der Organgesellschaft selbst zu versteuern sei. Da sich bei liquidationslosen Umwandlungen der Zweck der Gesellschaft nicht von einer Erwerbs- zu einer Abwicklungsgesellschaft ändere, sei die Aufspaltung gerade nicht mit der Liquidation der Gesellschaft vergleichbar, so dass die BFH-Rspr.,82 nach der das Abwicklungsergebnis bei einer Liquidation nicht mehr der Gewinnabführung unterliege, im vorliegenden Fall keine Anwendung fände. Der Übertragungsgewinn wäre handelsrechtlich an die Organträgerin abzuführen und sei daher Teil des ihr zuzurechnenden Einkommens.

4. Atypisch stille Gesellschaft verhindert Abführung des ganzen Gewinns (FG Mecklenburg-Vorpommern vom 5.9.2018) Mit Urteil vom 5.9.201883 des FG Mecklenburg-Vorpommern ist erstmals eine finanzgerichtliche Entscheidung im Hinblick auf die Organgesellschaftsfähigkeit einer GmbH, an der ein atypisch stilles Beteiligungsverhältnis besteht, ergangen. Das FG hat in diesem Zusammenhang entschieden, dass eine Kapitalgesellschaft, an der eine stille Beteiligung besteht, nicht als Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft anerkannt werden könne. Bei Vorliegen eines atypisch stillen Beteiligungsverhältnisses sei die Organgesellschaft vertraglich dazu verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns an den stillen Gesellschafter zu entrichten und könne folglich nicht mehr ihren ganzen Gewinn iSd. § 14 Abs. 1 KStG an den Organträger abführen. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem an einer GmbH als Organgesellschaft eine AG als Alleingesellschafter beteiligt war. Diese Gesellschaften vereinbarten einen Gewinnabführungsvertrag mit der AG als Organträgerin. Allerdings beteiligte sich die AG zusätzlich als stille Gesellschafterin an der GmbH und erhielt auf diesem Wege Gewinnausschüttungen. 81 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314. 82 BFH v. 18.10.1967 – I 262/63, BStBl. II 1968, 105 = FR 1968, 285. 83 FG Meck.-Vorp. v. 5.9.2018 – 1 K 396/14, EFG 2019, 1228 = GmbHR 2019, 796, nrkr., Rev. Az. BFH I R 33/18.

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Das FG hatte sich hinsichtlich der Fragestellung, ob eine atypisch stille Beteiligung an einer Organgesellschaft Auswirkungen auf die Anerkennung der ertragsteuerlichen Organschaft habe, vordergründig damit zu befassen, wie der Begriff des „ganzen“ Gewinns iSd. § 14 Abs. 1 KStG überhaupt auszulegen ist. Bestehe an der Organgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung, sei es der Organgesellschaft aufgrund der vertraglichen Verpflichtung, einen Teil ihres Gewinns an die stille Gesellschaft zu entrichten, rechtlich unmöglich, den gesamten Gewinn an den (vermeintlichen) Organträger abzuführen. Im Rahmen der Entscheidungsbegründung trägt das FG im Wesentlichen vor, dass die Gewinnabführung an die stille Gesellschafterin handelsrechtlich betrachtet zwar eine Betriebsausgabe darstelle. Allerdings bestimme sich die steuerrechtliche Beurteilung nicht nach dem Handelsrecht, sondern vielmehr müsse eine eigenständige steuerrechtliche Beurteilung vorgenommen werden. Steuerrechtlich werde der Gewinn bei Vorliegen einer aus Mitunternehmern bestehenden Personengesellschaft – vorliegend die atypisch stille Gesellschaft – auf Gesellschaftsebene ermittelt und sodann für die beteiligten Gesellschafter quotal verteilt und gesondert festgestellt. Gewinnermittlungssubjekt sei somit die Organgesellschaft. Steuerrechtlich liege in Höhe des Gewinns der stillen Gesellschafterin keine gewinnmindernde Betriebsausgabe, sondern eine Gewinnfeststellung des Gewinnanteils eines Mitunternehmers vor. Da jedoch letztlich ein Teil des auf der Ebene der Organgesellschaft festgestellten Gewinns dem stillen Gesellschafter zuzuweisen sei, werde nicht mehr der ganze erzielte Gewinn abgeführt. Die steuerliche Würdigung des FG Mecklenburg-Vorpommern entspricht damit im Übrigen der Auffassung der FinVerw., die ebenfalls atypisch stille Gesellschaften mit der ertragsteuerlichen Organschaft für unvereinbar hält.

5. Anerkennung von „finalen Verlusten“ erfordert eine Art von grenzüberschreitendem Gewinnabführungsvertrag (FG Schleswig-Holstein v. 13.3.2019) Mit Urteil vom 13.3.201984 hat das FG Schleswig-Holstein entschieden, dass die Verrechnung von sog. „finalen Verlusten“ einer in einem EUMitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft mit Gewinnen der inländischen Muttergesellschaft das Bestehen einer verbindlichen schuldrecht84 FG Schl.-Holst. v. 13.3.2019 – 1 K 218/15, EFG 2019, 1466, nrkr., Rev. Az. BFH I R 26/19.

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lichen Vereinbarung zwischen den Gesellschaften voraussetze – diese müsse jedenfalls eine Verpflichtung zur Verlustübernahme durch die Muttergesellschaft für den Fall der Verlustentstehung bei der Tochtergesellschaft vorsehen. Im zugrunde liegenden Fall war eine im Inland ansässige GmbH Alleingesellschafterin einer wiederum in Frankreich ansässigen Kapitalgesellschaft. Diese Tochtergesellschaft erzielte über mehrere Jahre hinweg nur noch Verluste mit der Folge, dass sie nach französischem Recht durch Übertragung ihres gesamten Vermögens auf die deutsche Anteilseignerin ohne Liquidation aufgelöst wurde. Nunmehr begehrte die GmbH die steuerliche Berücksichtigung sowohl des festgestellten steuerlichen Verlustvortrags der französischen Tochtergesellschaft als auch des bis zur Auflösung entstandenen weiteren Verlusts. Das FG hatte sich vorliegend vordergründig mit der Rechtsfrage zu beschäftigen, unter welchen unionsewchtskonformen Voraussetzungen im europäischen Raum eine Verlustverrechnung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft „über die Grenze“ hinweg steuerrechtlich möglich sein kann. Das FG führte zunächst aus, dass sich ein Anspruch auf Berücksichtigung der Verluste nicht auf Grundlage nationaler Regelungen – insbes. nicht aus §§ 14 ff. KStG – ergebe. Eine entsprechende Verlustberücksichtigung setze ein bestehendes Organschaftsverhältnis zwischen der GmbH als Organträgerin und der französischen Tochtergesellschaft als Organgesellschaft voraus. Die französische Kapitalgesellschaft könne jedoch keine Organgesellschaft sein, da sie mangels Sitz oder Geschäftsleitung im Inland keinen Inlandsbezug aufweise. Zudem sei ohnehin ein Gewinnabführungsvertrag zwischen den Gesellschaften nicht geschlossen worden, da ein solcher im konkreten Fall grenzüberschreitend nicht möglich gewesen sei. Selbst wenn die vorliegende Versagung der Verlustverrechnung aufgrund der Nichterfüllung der vorstehend genannten Voraussetzungen dazu führe, dass die Regelungen der §§ 14 ff. KStG grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49, 54 AEUV begründen könnten, müsse eine abschließende Entscheidung dahingehend nicht erfolgen, da jedenfalls die sich durch eine geltungserhaltende Reduktion der §§ 14 ff. KStG ergebenden Voraussetzungen nicht gegeben seien. Zwar dürfte der in §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Abs. 1 Satz 1 KStG normierte sog. doppelte Inlandsbezug gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen, so dass an diesem Erfordernis nicht festgehalten werden dürfe. Etwas anderes gelte jedoch für das Erfordernis eines Gewinnabführungs318

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vertrags, der ein essentielles Merkmal für die Annahme eines Organschaftsverhältnisses darstelle. Auch im Rahmen einer geltungserhaltenden Reduktion der §§ 14 ff. KStG müsse an dem Bestehen eines Gewinnabführungsvertrags als Kernbestandteil der Organschaft so weit wie möglich festgehalten werden. Mindestvoraussetzung für einen Verlustabzug auch in einer grenzüberschreitenden Konstellation sei daher eine verbindliche schuldrechtliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Tochter- und Muttergesellschaften. Diese müsste jedenfalls die Verpflichtung zur Verlustübernahme durch die Muttergesellschaft beinhalten.

6. Keine Abführung des ganzen Gewinns bei bilanziellem Nichtausweis einer Forderung aus Verlustübernahme (FG Schleswig-Holstein vom 6.6.2019) Mit Urteil vom 6.6.201985 hat das FG Schleswig-Holstein entschieden, dass der zwischen einer Organgesellschaft und einer Organträgerin geschlossene Gewinnabführungsvertrag nicht gem. §§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG tatsächlich durchgeführt werde, sofern die Organgesellschaft den ihr gegenüber der Organträgerin zustehenden Anspruch auf Verlustübernahme nicht in ihrer Bilanz ausweise. Dies gelte auch für den Fall, dass die Organträgerin der Organgesellschaft den Verlustbetrag tatsächlich erstattet habe. Im vorliegenden durch das FG zu entscheidenden Fall hatte die Organgesellschaft im fünften Organschaftsjahr den Anspruch auf Verlustübernahme nicht als Forderung in ihrer Bilanz ausgewiesen. Das FA war nur in einem Begleitschreiben zu den Steuererklärungen darauf hingewiesen worden, dass die Gewinne der Vorjahre handelsrechtlich mit dem vororganschaftlichen Verlustvortrag verrechnet worden seien und der Organträger den erstmals entstandenen Verlust nunmehr erstatten müsse. Der Organträger kam seiner Verlustübernahmeverpflichtung drei Monate nach Bilanzerstellung nach. Das FG befasste sich im Wesentlichen mit der Fragestellung, ob ein Gewinnabführungsvertrag auch dann als tatsächlich durchgeführt gelten kann, wenn die beteiligten Gesellschaften zwar Kenntnis im Hinblick auf das Bestehen entsprechender Ansprüche bzw. Verpflichtungen hatten und ein Verlustausgleich tatsächlich vorgenommen wurde, die Verlust-

85 FG Schl.-Holst. v. 6.6.2019 – 1 K 113/17, EFG 2019, 1714 = GmbHR 2019, 1202, nrkr., Rev. Az. BFHI R 37/19.

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ausgleichsforderung bzw. -verpflichtung jedoch nicht bilanziell ausgewiesen wurde. Das FG vertrat die Auffassung, dass der Gewinnabführungsvertrag im Verlustjahr nicht gem. §§ 17 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG durchgeführt worden sei. Eine tatsächliche Durchführung erfolge ausschließlich dann, wenn der Gewinn tatsächlich an den Organträger abgeführt und der Verlust von diesem auch tatsächlich übernommen werde. Die tatsächliche Verlustübernahme vollziehe sich in zwei Stufen: Zunächst sei die entsprechende Forderung bzw. Verbindlichkeit aus dem Gewinnabführungsvertrag bilanziell in den Jahresabschlüssen von Organträger und Organgesellschaft auszuweisen und anschließend zeitlich nachgelagert zu erfüllen. Vorliegend habe bereits die Voraussetzung, die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags entsprechend den gesetzlichen Vorgaben in den Jahresabschlüssen der beteiligten Gesellschaften abzubilden, nicht vorgelegen. Dies stelle jedoch eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen der tatsächlichen Durchführung des Gewinnabführungsvertrags dar. Die in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG vorgesehene Heilungsmöglichkeit hat das FG zudem abgelehnt. Die Nichtbilanzierung der Forderung sei schon nicht als fehlerhafter Bilanzansatz anzusehen – darunter falle nämlich nicht die bilanzielle Behandlung des Verlustausgleichsanspruchs selbst. Ohnehin – so das FG – hätte die Fehlerhaftigkeit im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns erkannt werden müssen. Ob die Nichtbilanzierung des Verlustausgleichsanspruchs möglicherweise als ein geringfügiger Durchführungsmangel vernachlässigt werden könne, hat das FG offengelassen, da es sich bei der Nichtbilanzierung nicht um einen geringfügigen Mangel handle. Es mangele schon an der Grundvoraussetzung der Bilanzierung für die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrags, so dass es auf diese Fragestellung vorliegend nicht ankomme. Letztlich sei der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften Kenntnis im Hinblick auf das Bestehen des Ausgleichsanspruchs hatten, unbeachtlich. Daran ändere auch die im engen zeitlichen Zusammenhang tatsächlich erfolgte Ausgleichzahlung nichts – diese stehe im Widerspruch zu den Jahresabschlüssen und sei damit ohne Bedeutung.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Bilanzsteuerrecht Dr. Peter Brandis Vorsitzender Richter am BFH, München I. Einleitung II. Aktivierung 1. Gezahlte Optionsprämie als Teil der Anschaffungskosten der nach Optionsausübung zum Basispreis erworbenen Aktien a) Leitsatz und Sachverhalt b) Fragestellungen c) Abgrenzungen 2. Teilwertabschreibung auf Anteile an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist a) Leitsätze und Sachverhalt b) Fragestellungen III. Passivierung 1. Umfang der Passivierung von Filmförderdarlehen a) Leitsätze und Sachverhalt b) Fragestellungen 2. Speziell: Rückstellungen a) Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von Mandantendaten (und Handakten) im DATEV-Rechen-

zentrum bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft aa) Leitsätze und Sachverhalt bb) Fragestellungen b) Zur Abzugsfähigkeit einer Kartellgeldbuße aa) Leitsatz und Sachverhalt bb) Fragestellungen 3. Speziell: Pensionsrückstellungen a) Zum Ausweis der Pensionsrückstellung im Jahr der Zusage unter Berücksichtigung neuer „HeubeckRichttafeln“ aa) Leitsatz und Sachverhalt bb) Fragestellungen b) Abfindungsklausel und Eindeutigkeitsgebot aa) Leitsatz und Sachverhalt bb) Fragestellung cc) Leitsatz und Sachverhalt dd) Fragestellungen IV. Schluss

I. Einleitung Das letztjährige „Plädoyer für mehr Systemorientierung im Bilanzsteuerrecht“ von Prinz1 war eindrucksvoll. Immerhin ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die Systemorientierung in der praktischen Anwendung auf

1 Prinz, StbJb. 2018/2019, 437 (468 f.).

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Grenzen stößt, insbes. dann, wenn „das System“ keine klaren Vorgaben bereithält. Dies kann man an dem Streit um das Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), das als handelsrechtlicher Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung unmittelbare Relevanz auch für Aktivierungsfragen in der Steuerbilanz hat (hier konkret: die steuerbilanzielle Behandlung von Anzahlungen), veranschaulichen, wenn es um die Situation der (Aus-)Wirkung auf schwebende Geschäfte (Ertrags- und Aufwandsseite) geht. Insoweit ist nach der Rspr. des BFH eine unmittelbare Ausstrahlungswirkung der Behandlung auf der Ertragsseite (etwa eine Passivierung stornobehafteter Vermittlungsprovisionen [„keine derzeitige Ertragswirkung“]) auf die damit im Zusammenhang stehende Aufwendungsseite abzulehnen (keine Aktivierung des den entsprechenden Leistungen zuzuordnenden Aufwands oder keine Aufwandskürzung unter dem Gesichtspunkt „unfertiger Leistungen“). So hat der BFH2 mit Urteil v. 29.8.2018 – XI R 32/16 entschieden:3 „Aufwendungen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Provisionsvorschüssen stehen, sind nicht zu aktivieren, wenn kein Wirtschaftsgut entstanden ist.“

Zur (auch in diesem konkreten Fall) unterbliebenen „Aufwandsstornierung“, soweit noch keine Ertragsrealisierung stattgefunden hat, hat sich Weber-Grellet kritisch geäußert4 – es liege eine vergleichbare Situation zu künftigem Aufwand vor, der noch nicht zu einer wirtschaftlichen Belastung geführt hat (Gedanke der Nettorealisation – § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 2 HGB bezieht sich auf die Realisierung von „Gewinnen“). Damit

2 Dem Urteil des BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16, BStBl. II 2018, 536 = FR 2018, 964 folgend. 3 BFH v. 29.8.2018 – XI R 32/16, BFH/NV 2019, 259 = FR 2019, 276; Anmerkungen (zB) von jh, StuB 2019, 246; JS, DStZ 2019, 214; Rauch, HFR 2019, 400; Schiffers/ Köster, DStZ 2019, 743 (749); Weber-Grellet, FR 2019, 277; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (46); s. auch – insbes. zur dortigen Bezugnahmeentscheidung des III. Senats des BFH – Prinz, StbJb. 2018/2019, 437 (458 ff.); Weber-Grellet, BB 2019, 43 (48). Für die vorgelagerte Frage der Ertragsrealisierung (Abgrenzung zu Provisionsvorschüssen/„erhaltene Anzahlungen“), die in gewisser Weise vertraglich gestaltbar ist (s. zu disponiblen gesetzlichen Regelungen zB Rauch, HFR 2019, 400 f.), kann es auf Feststellungen des FG zum Vertragsinhalt ankommen (die rechtliche Würdigung dürfte allerdings der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO entzogen sein). Im Streitfall fehlte es an einer Gewinnrealisierung („Provisionsvorschüsse“). 4 Weber-Grellet, FR 2019, 277; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (46).

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hätten sich die Aufwendungen des Streitfalls auf unfertige Leistungen bezogen, die mit künftigen Erträgen in Zusammenhang standen und die daher noch nicht wirtschaftlich verursacht waren (entweder durch „Aktivierung“ der Aufwendungen als unfertige Leistungen/Erzeugnisse [oder halbfertige Arbeiten] mit der Buchung „per unfertige Leistung an Aufwand“ oder durch Korrektur der entsprechenden Abzüge – in beiden Fällen [Aktivierung oder Streichung] werde der entsprechende Aufwand storniert [keine Wirtschaftsgut-Aktivierung, sondern eine Aufwandsstornierung]). Es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die von der Kritik intendierte „gemeinsame Realisierung“ (Vergütungsvorschuss und im Zusammenhang mit diesem stehende Aufwendungen) auch Grundlage für die Maßgaben der korrigierenden Festsetzung im BFH-Urteil v. 7.11.2018 – IV R 20/165 ist.6

II. Aktivierung 1. Gezahlte Optionsprämie als Teil der Anschaffungskosten der nach Optionsausübung zum Basispreis erworbenen Aktien a) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 22.5.2019:7 „Die für die Einräumung der Option ursprünglich angefallenen Anschaffungskosten sind bei Optionsausübung als Anschaffungsnebenkosten Teil der Anschaffungskosten der zum vereinbarten Basispreis erworbenen Aktien.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von C emittierte Optionsanleihen im Nominalwert von … DM. Die mit den erworbenen Anleihen verknüpften Optionsscheine berechtigten den jeweiligen Inhaber zum Erwerb von insg. 210.108 Aktien der C zum Preis von … DM je Aktie (Basispreis). Am 15.12.1986 veräußerte die Klägerin die Anleihen ohne die 5 BFH v. 7.11.2018 – IV R 20/16, BFHE 262, 435 = BStBl. II 2019, 224 = FR 2019, 305 Rz. 43. 6 Für die weitere Darstellung ist die aktuelle Rspr. des XI. Senats des BFH zu Bilanzierungsfragen bei Körperschaften verwertet worden. 7 BFH v. 22.5.2019 – XI R 44/17, BFHE 265, 124 = BStBl. II 2020, 44 = FR 2019, 961; zwischenzeitlich ist eine redaktionelle Berichtigung des Gesetzeszitats in den Urteilsgründen (von § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG in § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG) erfolgt (s. BFH/NV 2020, 176); Anm. (zB) von Bleschick, EStB 2019, 394; jh, StuB 2019, 756; Haisch, RdF 2019, 264; Köhler, DStRK 2019, 290; Mihm, BB 2019, 2353; Schmid, DStR 2019, 2674; Treiber, BFH/PR 2019, 311; Weber-Grellet, FR 2019, 964; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (48).

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Optionsscheine, die sie zurückbehielt und in ihrem Anlagevermögen zum 31.12.1986 mit den anteiligen Anschaffungskosten iHv. … DM erfasste. Die Optionsscheine schrieb sie zum 31.12.1987 auf … DM ab. Nach einer Veräußerung im Jahr 1990 verblieben bei ihr noch 210.000 Optionsscheine zu einem Buchwert von … DM. Im Jahr 1996 (Streitjahr) übte die Klägerin ihr Optionsrecht aus und erwarb 210.000 Aktien der C zu dem in den Optionsbedingungen festgelegten Basispreis für insgesamt … DM. Sie aktivierte die Aktien im Anlagevermögen zum 31.12.1996 mit diesen Anschaffungskosten zuzüglich dem Buchwert der Optionsscheine. Das FA war der Auffassung, dass die erworbenen Aktien mit den Anschaffungskosten zuzüglich der ursprünglichen Anschaffungskosten der Optionsscheine, insgesamt mit … DM, zu aktivieren seien. Die Differenz zwischen dem Buchwert der eingesetzten Optionsscheine und deren historischen Anschaffungskosten sei steuerpflichtiger Ertrag. Das FG Düsseldorf 8 gab der Klage statt. Es führte im Wesentlichen aus, mit der Optionsausübung entfalle das bislang aktivierte Wirtschaftsgut „Option“. Für den Aktienerwerb entstehe ein zusätzlicher Aufwand in Höhe des wegfallenden Bilanzpostens. Hierfür könne nur der Wert berücksichtigt werden, der nicht bereits durch wirtschaftliche Abwertung substantiell verbraucht gewesen sei. Für das Streitjahr sei keine Vorschrift ersichtlich, die – wie § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG idF des StEntlG 1999/ 2000/2002 mit Wirkung ab dem ersten nach dem 31.12.1998 endenden Wj. – eine Wertaufholung anordnen würde. Der BFH war anderer Auffassung. b) Fragestellungen Es geht um das Wirtschaftsgut „Option“ und um das Wirtschaftsgut „Aktie“. Fallentscheidend ist die Konstruktion der Vereinbarung: Die im Rahmen des Erwerbs der Optionsanleihe erlangte Option verbrieft noch kein festes Recht auf den nachfolgenden Erwerb der Aktien. Das Optionsrecht ist allerdings ein Instrument zur Bestimmung des weiteren Geschehensablaufs; es ist zunächst nur auf den Abschluss eines weiteren Vertrags zum Bezug der neuen Anteile gerichtet („Zweivertragstheorie“, wonach zwischen dem Erwerb des Optionsrechts als solchem und der Ausübung der Option mit Abschluss des Hauptvertrags zu unterscheiden ist). Die Verpflichtung der C stellt eine wirtschaftlich und rechtlich selbständige Leistung dar, die losgelöst von dem etwa nachfolgenden Ef8 FG Düss. v. 29.11.2016 – 6 K 4005/14 K,F, EFG 2017, 369 mit Anm. Wackerbeck.

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fektengeschäft zu beurteilen ist. Es handelt sich nicht um eine Neben-, sondern um die eigentliche Hauptleistung aus der Optionsabrede, die inhaltlich spiegelbildlich dem Optionsrecht der Klägerin entspricht. Das von C hierfür (anteilig) bezogene Entgelt dient ihrer Entschädigung für die Bindung und die Risiken, die sie durch die Begebung des Optionsrechts eingeht. Die „Option“ war als eigenständiges Wirtschaftsgut mit dem für die Optionseinräumung anteilig gezahlten Entgelt zu aktivieren; § 8b KStG findet auf eine Aktienoption keine Anwendung.9 Die Ausübung eines Optionsrechts mit dem Erwerb des Wirtschaftsguts gegen die Hingabe des vereinbarten Basispreises ist (abweichend zur Situation der Ausübung eines Bezugsrechts) nicht partieller Tausch iSv. § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG, der als Realisationsakt zur Aufdeckung stiller Reserven eines hingegebenen Wirtschaftsguts führt; die Ausübung des Optionsrechts bedingt mithin keine Realisation der im Rahmen der Option vollzogenen Wertentwicklung. Die Kaufoption wird bei ihrer Ausübung nicht auf den Stillhalter übertragen; sie geht unter. Der Vermögensgegenstand „Option“ wird bei Abgabe der Optionserklärung dahingehend verwendet, den Verpflichteten zu veranlassen, gegen Zahlung des vereinbarten Basispreises den vereinbarten Gegenstand (im Streitfall: Aktien der C) zu liefern. Hierbei wird das Optionsrecht „verbraucht“. Mit der Ausübung der Option entfällt mithin das bilanzierte Wirtschaftsgut, so dass ein Aufwand in Höhe des entfallenden Buchwerts entsteht. Der Erwerb der Option bewirkt, dass bereits in Höhe des hierfür aufgewendeten Betrags Anschaffungsnebenkosten des nachfolgenden Erwerbs der Aktien vorliegen, auch wenn diese spezifische Bedeutung der Option nur dann zum Tragen kommt, wenn das Optionsrecht tatsächlich ausgeübt wird und hierbei selbst untergeht. Diese Zuordnung (aufschiebend bedingt durch die nachfolgende Ausübung des Optionsrechts) ist dadurch gerechtfertigt, dass mit dem Erwerb der Option Bedingungen des späteren „Hauptgeschäfts“ fixiert werden. Dies wird durch die Qualifizierung der Option als eigenständiges Wirtschaftsgut nicht beeinträchtigt. Bis zum Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts erleidet sie grundsätzlich ein „eigenes Schicksal“. Wird das Recht an Dritte veräußert, findet eine Gewinnrealisierung statt, verbleibt es im Betriebsvermögen, kann eine Teilwertabschreibung möglich sein, wird es endgültig nicht genutzt, ist es erfolgswirksam auszubuchen. Insoweit berühren Werterhöhungen oder Wertminderungen, die während der Haltezeit der zu aktivierenden Opti-

9 Köhler, DStRK 2019, 290.

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on im Betriebsvermögen des Optionsinhabers möglicherweise eingetreten sind, die Qualifizierung ausgehend vom Ursprungsbetrag (der Höhe nach) nicht. Zusammengefasst: Die Ausübung eines Optionsrechts ist weder Veräußerung noch Tausch. Mit der Ausübung der Option entfällt das bilanzierte Wirtschaftsgut (Aufwand in Höhe des entfallenden Buchwerts). Der Erwerb der Option bewirkt, dass bereits in Höhe des hierfür aufgewendeten Betrags Anschaffungsnebenkosten des nachfolgenden Erwerbs vorliegen, auch wenn diese spezifische Bedeutung nur dann zum Tragen kommt, wenn das Recht tatsächlich ausgeübt wird und hierbei selbst untergeht. Bis zum Zeitpunkt der Ausübung erleidet das Optionsrecht als eigenständiges Wirtschaftsgut grundsätzlich ein „eigenes Schicksal“: Wird das Recht an Dritte veräußert, findet eine Gewinnrealisierung statt, verbleibt es im Betriebsvermögen, kann eine Teilwertabschreibung möglich sein, wird es endgültig nicht genutzt, ist es erfolgswirksam auszubuchen. Werterhöhungen und -minderungen, die während der Haltezeit der zu aktivierenden Option im Betriebsvermögen des Optionsinhabers möglicherweise eingetreten sind, berühren die Qualifizierung ausgehend vom Ursprungsbetrag (der Höhe nach) nicht. Daher wirkt sich bei einer wertgeminderten Option die Differenz zu den historischen Anschaffungskosten dieses Rechts im Zeitpunkt der Ausübung des Rechts gewinnerhöhend aus („faktisches Wertaufholungsgebot“10). Dies widerspricht weder dem Prinzip der Erfolgsneutralität von Anschaffungsvorgängen noch dem Periodizitätsprinzip. c) Abgrenzungen Das Wertaufholungsgebot nach einer Teilwertabschreibung (seit 1999) ist für spätere Veranlagungszeiträume zu beachten. Auch wenn die Entscheidung zu Aktienoptionen ergangen ist, spricht viel dafür, sie allgemein auf Optionen im betrieblichen Bereich11 anzuwenden.12 Die im Streitfall einschlägige Situation bei einer Optionsanleihe (Anleihe und Optionsrecht als jeweils eigenständiges Wirtschaftsgut) entspricht nicht der Situation bei einer Umtauschanleihe13 („exchangeable“ als „einheitliche Schuldverschreibung“ und als „einheitliches Wirtschaftsgut“. Schmid14 macht 10 11 12 13 14

So Bleschick, EStB 2019, 394 (395). Zutr. Köhler, DStRK 2019, 290. Bleschick, EStB 2019, 394 (395). S. zu jener zB BFH v. 27.3.2019 – I R 20/17, BFHE 265, 44 = ZIP 2019, 2215. Schmid, DStR 2019, 2674.

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darauf aufmerksam, dass der I. Senat zur Situation der Veräußerung der Aktien (Verkäufer der Kaufoption [„Stillhalter“]) mit Blick auf § 8b Abs. 2 KStG abweichend wertet, indem er die Optionsprämie nicht in das (steuerfreie) Veräußerungsgeschäft einbezieht (was wiederum, wie Schmid meint, mit der vom XI. Senat erkannten Rechtsfolge beim Erwerber – evtl. sogar iSd. § 11 FGO divergenzauslösend – konfligieren könnte); dieser „Unterschied“ ist allerdings durch den normspezifischen Zweck des § 8b Abs. 2 KStG erklärt (die Option stellt sich nicht als Kapitalgesellschaftsanteil dar, in dessen Wert sich „aufgespeicherte“/nicht ausgeschüttete Dividenden widerspiegeln können), der eine aufeinander abgestimmte Lösung auf Verkäufer- und auf Erwerberseite behindert. Der Kritik15 an dem Ergebnis des XI. Senats (es liege ein „zeitlich gestreckter Vorgang mit zwei Anschaffungsvorgängen“ vor; es sei eine Gleichstellung der Situation der Vereinigung von zwei Wirtschaftsgütern mit der Aufspaltung eines einheitlichen Wirtschaftsguts in zwei Wirtschaftsgüter vonnöten; der Ansatz des aktuellen Buchwerts sei vorzuziehen) ist nicht zu folgen; die Veranlassung/Vorprägung des Erwerbs des Optionsrechts als Anschaffungsnebenkosten (die bis zum Zeitpunkt der Optionsausübung zwar in den Hintergrund tritt, dann aber die Rechtsfolge bestimmt) wird dort nicht ausreichend gewichtet. Insoweit geht es nicht vordergründig darum, „die Fortschreibung der ursprünglichen Anschaffungskosten des Optionsrechts bei dessen Ausübung rückgängig zu machen“,16 vielmehr geht es darum, den Veranlassungszusammenhang zwischen Optionserwerb (und den zu diesem Zweck angefallenen Aufwendungen17) und Aktienerwerb zu (be-)wahren, was als notwendige Folge die Rückgängigmachung der Fortschreibung nach sich zieht, selbstredend aber die Möglichkeit einer etwaigen Teilwertabschreibung zum nächsten Bilanzstichtag offen lässt. Immerhin ergeben sich18 Gestaltungsmöglichkeiten bei Aktienoptionen mit Blick auf § 8b Abs. 2 KStG; es kann je nach Fallsituation empfohlen werden, Wertsteigerungen der Option durch Optionsausübung in den steuerfreien Bereich („95 %“; § 8b Abs. 2, 3 KStG) zu transportieren, umgekehrt Wertverluste ohne Ausübung (getrennt) zu realisieren (und später unabhängig die Aktien am Markt zu erwerben).

15 16 17 18

Weber-Grellet, FR 2019, 964; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (48). Weber-Grellet, BB 2020, 43 (48). S. Treiber, BFH/PR 2019, 311. So Mihm, BB 2019, 2353.

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2. Teilwertabschreibung auf Anteile an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 13.2.2019:19 „1. Der Teilwert von Anteilen an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist, ist der Börsenkurs der Anteile im Handel im Freiverkehr. 2. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung von Anteilen an offenen Immobilienfonds, deren Ausgabe und Rücknahme endgültig eingestellt ist, liegt vor, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Anschaffungskosten bei Erwerb überschreitet.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin einer Bank. Jene hielt in ihrem Betriebsvermögen zum 31.12.2012 (Bilanzstichtag) Anteile an offenen Immobilienfonds, die sich zum Bilanzstichtag in Liquidation befanden und bei denen die Ausgabe und Rückgabe von Anteilen endgültig ausgesetzt war. Die Klägerin nahm dies zum Anlass, die Anteile zum Bilanzstichtag vom bisher angesetzten Rücknahmepreis auf den (niedrigeren) sog. Zweitmarktwert abzuschreiben (der Zweitmarktwert ist der Börsenkurs im Handel mit den Anteilen im Freiverkehr, insbes. der Hamburger Börse). Da die Ausgabe und Rücknahme der Anteile endgültig ausgesetzt war, war der Handel am Zweitmarkt an der Börse die einzige Möglichkeit, Anteile der betroffenen Fonds zu veräußern oder zu erwerben. Das FA erkannte die Teilwertabschreibungen nicht an. Das FG Münster wies die Klage ab.20 Es nahm an, bezogen auf die Anteile der Klägerin ließen sich die Voraussetzungen für eine Teilwertabschreibung nicht feststellen. Sei aus den vorgenannten Gründen bereits nach allgemeinen Grundsätzen die von der Klägerin begehrte Teilwertabschreibung nicht anzuerkennen, bedürfe es keiner Entscheidung darüber, ob auch das in § 8 Abs. 2 Satz 1 InvStG aF zum Ausdruck kommende Transparenzprinzip eine Abschreibung der Immobilienfonds-Anteile ausschließe oder einschränke. Der BFH war anderer Ansicht.

19 BFH v. 13.2.2019 – XI R 41/17, BFHE 263, 337 = DStR 2019, 859 = DB 2019, 939; Anm. (zB) von Gehm, EStB 2019, 163; Helios, RdF 2019, 264 jh, StuB 2019, 372; Kolbe, StuB 2019, 569; Mihm, BB 2019, 1202; Schindler, DStRK 2019, 164; Treiber, BFH/PR 2019, 147; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (48). 20 FG Münster v. 28.10.2016 – 9 K 2393/14 K, EFG 2017, 379 mit Anm. Oellerich.

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b) Fragestellungen Es geht um den „Sonderfall“, dass der „Erstmarkt“ (Ausgabe und Rücknahme durch die Fondsgesellschaft) endgültig nicht mehr zur Verfügung steht – dann ist zur Teilwertbestimmung der Anteile an den „geschlossenen“ offenen Immobilienfonds (und zur Frage der dauernden Wertminderung) der (in diesem Moment einzig realisierbare tatsächliche) Börsenwert (Verwertung auf dem „Zweitmarkt“ – soweit ein solcher vorhanden ist!) maßgebend. Dieser Wert war allerdings geringer als der im Wesentlichen auf Wertgutachten für die Immobilien beruhende (Ausgabe- oder) Rücknahmepreis. Es besteht keine vergleichbare Situation zur (wegen der Zusage einer Rückzahlung zum Nennwert nach der Rspr. „teilwertabschreibungshindernden“) Situation der festverzinslichen Wertpapiere. Ob der Teilwertabschreibung investmentsteuerrechtliche Hindernisse entgegenstehen (zB bei Verlust betr. ausländische Immobilien oder Kapitalgesellschaftsanteile des Fonds21), blieb im Revisionsverfahren offen (Klärung im zweiten Rechtszug, da aufgrund der fehlenden tatsächlichen Feststellungen des FG nicht beurteilt werden konnte, ob sich aufgrund von § 8 InvStG aF Auswirkungen auf die Höhe der Teilwertabschreibungen ergeben hätten). Zur Bewertung: Der BFH folgt hier der Ansicht, dass der Teilwert von im Umlaufvermögen gehaltenen Anteilen an offenen Immobilienfonds grundsätzlich der Rücknahmepreis ist. Da bei der Teilwertermittlung die Sicht eines gedachten Erwerbers des Betriebs einzunehmen ist (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 iVm. Nr. 1 Satz 3 EStG), ist bei der Ermittlung des Teilwerts von Anteilen an Investmentfonds im Anlagevermögen auf den Ausgabepreis, dh. auf den Preis, zu dem die Anteilsscheine erworben werden können, abzustellen; denn der Wiederbeschaffungspreis entspricht im Allgemeinen dem Börsen- oder Marktpreis am Bilanzstichtag. Allerdings wird der Teilwert von Investmentanteilen, die für den Betrieb entbehrlich sind, durch den Rücknahmepreis der Anteile bestimmt. Dies folgt daraus, dass der Teilwert von zum Absatz bestimmten Wirtschaftsgütern des Betriebsvermögens nicht nur von ihren Wiederbeschaffungskosten, sondern auch von ihrem voraussichtlichen Veräußerungserlös abhängt; der Einzelveräußerungspreis entspricht dem Preis, den der Stpfl. hätte erzielen können, wenn er das Wirtschaftsgut am Stichtag einzeln ohne Rücksicht auf die Betriebszugehörigkeit veräußert hätte (er wird idR mit dem Verkehrswert gleichgesetzt). Dieser Rspr. liegt allerdings die Annahme zu21 S. auch Mihm, BB 2019, 1202.

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grunde, dass Fondsanteile zum Ausgabepreis (als Wiederbeschaffungskosten) von der Fondsgesellschaft erworben bzw. zum Rücknahmepreis (als Einzelveräußerungspreis) an die Fondsgesellschaft zurückgegeben (veräußert) werden können. Diese Möglichkeit kann und wird ein gedachter Erwerber des Betriebs nutzen. Ist hingegen die Ausgabe von Anteilen durch die Fondsgesellschaft endgültig ausgesetzt, ist für jedermann ein Erwerb von der und eine Rückgabe an die Fondsgesellschaft ausgeschlossen. In einer solchen Situation können weder die Wiederbeschaffungskosten mit dem Ausgabepreis, der nicht existiert, noch der Veräußerungserlös, den der Stpfl. hätte erzielen können, wenn er das Wirtschaftsgut am Stichtag einzeln ohne Rücksicht auf die Betriebszugehörigkeit veräußert hätte, mit dem Rücknahmepreis, der existiert, gleichgesetzt werden; denn der Weg des Erwerbs (zum Ausgabepreis) bzw. der Veräußerung (zum Rücknahmepreis) ist verschlossen, und zwar nicht nur vorübergehend, sondern endgültig. Ein gedachter Erwerber des Betriebs muss daher für gedachte Erwerbe bzw. Veräußerungen andere Möglichkeiten nutzen. Entsprechend müssen die Wiederbeschaffungskosten bzw. Einzelveräußerungspreise anhand der objektiv zur Verfügung stehenden Erwerbs- bzw. Veräußerungsmöglichkeiten bestimmt werden. Im Streitfall sind dies der Erwerb und die Veräußerung an der Börse (Zweitmarkt). Der Veräußerungserlös, den der gedachte Erwerber hätte erzielen können, wenn er das Wirtschaftsgut am Stichtag einzeln ohne Rücksicht auf die Betriebszugehörigkeit veräußert hätte, ist daher der Börsenkurs an einer Börse, an der die Fondsanteile gehandelt werden. Zur Teilwertabschreibung: Es liegt eine voraussichtlich dauernde Wertminderung der Anteile vor. Ein Anteilseigner konnte aufgrund der endgültigen Aussetzung der Anteilsrücknahme nicht erwarten, dass der Fonds wieder geöffnet wird und er seine Anteile zum Rücknahmepreis zurückgeben kann. Ebenso wenig konnte er erwarten, dass eine Verwertung des Sondervermögens zu den ermittelten Verkehrswerten erfolgen kann. Zusammenfassend: Der XI. Senat führt in diesem Urteil eine schon bestehende Rechtsprechungslinie des I. Senats des BFH fort, indem nicht nur Anteile an Aktien-Investmentfonds angesprochen werden,22 sondern auch Anteile an Immobilien-Investmentfonds. Die Teilwertvermutung (Wiederbeschaffungskosten/Ausgabepreis am Bilanzstichtag) für Umlauf-

22 Insoweit zustimmend BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171-b/09/10002 :002 – DOK 2016/0666535, BStBl. I 2016, 995 = FR 2016, 916 Rz. 17.

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vermögen wird nicht in entscheidungserheblicher Weise berührt,23 da es zum Ansatz des einzig realisierbaren Werts (Börsenwert als Teilwert) kam. Die Rechtsfragen stellen sich grundsätzlich auch nach aktueller Rechtslage (InvStG 2018); allerdings kann die steuerliche Wirksamkeit einer Teilwertabschreibung bei Teilfreistellung des Fonds oder bei SpezialInvestmentfonds ausgeschlossen sein.24

III. Passivierung 1. Umfang der Passivierung von Filmförderdarlehen a) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 10.7.2019:25 „1. Ist ein gewährtes Filmförderdarlehen nur aus zukünftigen Verwertungserlösen zu bedienen, erstrecken sich die Rückzahlungsverpflichtungen aus diesem Darlehen nur auf künftiges Vermögen. Das Darlehen unterfällt dann dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2a EStG (Ansatzverbot). 2. Die Regelung des § 5 Abs. 2a EStG betrifft auch den (weiteren) Ansatz ‚der Höhe nach‘, nachdem tilgungspflichtige Erlöse angefallen sind.“

Zum Sachverhalt: Unternehmensgegenstand der Klägerin sind Film- und Fernsehproduktionen. Ihr wurde im Jahr 2006 von der F-Bank ein sog. Filmförderdarlehen (Darlehen) zur Herstellung eines Films gewährt. Im Darlehensvertrag war ua. vereinbart, dass eine Tilgung aus den Inlandsund Auslandsverwertungserlösen des Films erfolgen sollte (Nr. 6.1). Ferner war bestimmt, dass vom Produzentenanteil der Verwertungserlöse zunächst bis zu einem bestimmten Teilbetrag von der Klägerin Verfügungen vorgenommen werden konnten (Nr. 6.4), sodann von den – diesen Vorrangbetrag übersteigenden – Produzentenanteilen ein Anteil von 50 % der Verzinsung und Tilgung des Darlehens dienen sollte (Nr. 6.5). Soweit die zur Rückführung des Darlehens zu verwendenden Verwertungserlöse des Films innerhalb von zehn Jahren ab deutscher Erstaufführung nicht zur Darlehenstilgung ausreichen würden und die Klägerin die ihr aus die23 Wohl glA Kolbe, StuB 2019, 569 (572 f.). 24 Mihm, BB 2019, 1202; Kolbe, StuB 2019, 569 (574). 25 BFH v. 10.7.2019 – XI R 53/17, BFHE 265, 249 = BStBl. II 2019, 803 = DStR 2019, 2185 = FR 2020, 90; Anm. (zB) von Dötsch, juris-PR SteuerR 47/2019, Anm. 2; jh, StuB 2019, 834; Kanzler, NWB 2019, 3192; Kanzler, FR 2020, 93; Levedag, GmbHR 2019, R352; Meurer, EStB 2019, 449; Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (43); Treiber, BFH/PR 2020, 3; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (46); Weiss, BB 2019, 2805.

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sem Vertrag ansonsten obliegenden Verpflichtungen ordnungsgemäß erfüllt habe, war bestimmt, dass die Klägerin aus der Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehensrests nebst Zinsen entlassen werde (Nr. 6.7). Eine Verzinsung war iHv. 4,75 % p.a. vereinbart (bis zum Ablauf von 18 Monaten ab deutscher Erstaufführung); die Zinsen waren aus den Verwertungserlösen vorweg abzudecken (Nr. 7). In den Jahresabschlüssen der Jahre 2007 und 2008 (Streitjahre) war das Darlehen zum 31.12.2007 mit … t und zum 31.12.2008 mit … t ausgewiesen (Stand 1.1.2007: … t). Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2007 Umsatzerlöse iHv. … t. In den Umsatzerlösen 2008 von … t waren ua. „Erlöse Weltvertrieb … 7 % USt.“ von … t enthalten. Für den Abrechnungszeitraum bis 31.12.2007 wurden der Klägerin keine Verwertungserlöse gutgeschrieben; allerdings erzielte sie bis 31.12.2007 Erlöse aus Merchandising iHv. … t. Ferner wurde ihr für die Zeit bis 31.12.2008 mit Abrechnung vom 13.3.2009 ein Produzentenerlös von … t gutgeschrieben. Die Klägerin verbuchte in den Streitjahren Zinsaufwendungen für das Darlehen. Das FA veranlagte zunächst erklärungsgemäß (die Steuerfestsetzungen für 2006 sind bestandskräftig); später war es zunächst der Auffassung, dass das Darlehen gem. § 5 Abs. 2a EStG mit 0 t zu passivieren sei (Änderungen hinsichtlich der gebuchten Zinsaufwendungen erfolgten nicht), um dann eine Passivierung des Darlehens in Höhe der Tilgungsverpflichtungen zum 31.12.2007 bzw. zum 31.12.2008 zuzulassen. Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg.26 Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. b) Fragestellungen Es geht um die Frage, inwieweit das Darlehen zu einer „wirtschaftlichen Belastung“ der Schuldnerin geführt hat („zutreffender Ausweis des schuldnerischen Vermögens“; s. BTDrucks. 14/2070, 17 f.). Das Passivierungsverbot (oder: der Passivierungsaufschub) des § 5 Abs. 2a EStG stellt ausdrücklich darauf ab, ob „nur“ künftiges, nicht aber bereits am Bilanzstichtag vorhandenes Vermögen des Schuldners zur Tilgung aufzuwenden ist. Die im Gesetzgebungsverfahren nicht thematisierte Rechtsfrage, ob § 5 Abs. 2a EStG (nur) als Ansatzvorschrift (Ansatz „dem Grunde nach“) an26 FG München v. 25.9.2017 – 7 K 1436/15, EFG 2018, 282 mit Anm. Obermeir.

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zusehen ist oder ihr zusätzlich (nach der Realisierung von „tilgungspflichtigen“ Gewinnen oder Einnahmen) eine Wirkung auf den Ansatz „der Höhe nach“ zukommt (dh. im Ergebnis eine Wirkung als Bewertungsvorschrift hat), wird vom BFH im zuletzt genannten Sinne beantwortet. Die Qualifizierung als Ansatzregelung mit einer damit verbundenen Wirkung auf den Ansatz „der Höhe nach“ steht mit dem Regelungswortlaut im Einklang. Denn die Konjunktion „wenn“ bezieht sich im Satzzusammenhang auf „die“ Einnahmen und Gewinne, aus denen („soweit“) eine Tilgung erfolgen muss. Für dieses Ergebnis streitet auch die gesetzgeberische Absicht, wenn man berücksichtigt, dass eine erste (nicht vollständige) Tilgungsleistung weder den Umstand noch die Höhe weiterer zukünftiger Tilgungsleistungen gewährleistet. Insoweit ist (was dem Regelungsgegenstand in ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist) „wirtschaftliche Belastung“ in der besonderen Situation des Förderdarlehens (mit der Aussicht auf einen Erlass von ungetilgter Schuld) nicht „nennbetragsbezogen“. Vielmehr ist die tilgungsbezogene Teilbarkeit eines („Gesamt-“)Darlehens dieser Struktur immanent. Der Gesetzgeber hat die Frage der wirtschaftlichen Belastung insoweit „typisiert“, als er diese Bedingung erst und nur insoweit als erfüllt ansieht, als „tilgungspflichtige Einnahmen“ erzielt werden. Im Übrigen liegt eine „Teilbarkeit“ (des Nennbetrags einer Verpflichtung) der Normkonzeption auch insoweit zugrunde, als bei Verpflichtungen, die teilweise unabhängig von künftigen Einnahmen oder Gewinnen sind,27 jener Teil schon „dem Grunde nach“ nicht dem Passivierungsverbot unterfällt. Erst aus der Erwirtschaftung von Einnahmen/Gewinnen folgt unmittelbar die (dann bereits nach bilanzsteuerrechtlichen Maßgaben „gewisse“) Verbindlichkeit in eben jener Höhe. Die Rechtsfolge ist einschneidend (Hereinnahme des Darlehens als Ertrag [kein RAP]; die Tilgung ist Betriebsausgabe); der Wortlaut beschreibt zugleich die „Escape-Möglichkeit“: Es werden „weitere Erfüllungsmöglichkeiten“28 vereinbart. Immerhin verweist Weiss29 auf „positive Folgen“ der Sichtweise des BFH (ein möglicherweise „geglätteter Ausweis des Einkommens“) im Vergleich zur dort abgelehnten abweichenden Auffassung einer „aufwandswirksame(n) Passivierung des vollen Nominal-

27 Lt. Weiss, BB 2019, 2805: „gemischtes“ Darlehen; eher zurückhaltend Oser/ Wirtz, StuB 2020, 41 (43). 28 S. Kanzler, NWB 2019, 3192 (3193); Kanzler, FR 2020, 93 (94). 29 Weiss, BB 2019, 2805.

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betrags bei Wegfall des Tatbestands des § 5 Abs. 2a EStG“ (nach Eintritt einer „Teil-Tilgung“).30 Zusammenfassend: Das FG hatte das Darlehen zwar der Regelung des § 5 Abs. 2a EStG unterstellt, aber nur bis zum Zeitpunkt der (ersten) Erwirtschaftung tilgungspflichtiger Erlöse (nur Ansatz „dem Grunde nach“). Für den nachfolgenden Zeitraum hat es allerdings nicht den vollen Betrag angesetzt, sondern den Ansatz einer Rückstellung (ungewisse Verbindlichkeit) befürwortet (Schätzung der Höhe der „Deckungsquote“ eines Filmförderdarlehens): „Kann der Gläubiger eines Filmkredits nach vertraglicher Vereinbarung den Eintritt der Bedingung für die auflösend bedingte Rückzahlungsverpflichtung nicht einseitig herbeiführen, ist die Rückzahlungsverpflichtung des Kreditnehmers steuerlich noch nicht in voller Höhe wirksam entstanden und damit als ungewisse Verbindlichkeit zu qualifizieren, für die lediglich die Bildung einer Rückstellung in Betracht kommt“.

Der BFH folgte dem nicht: Nach dem im Streitfall entscheidungserheblichen § 5 Abs. 2a EStG besteht ein steuerrechtliches Passivierungsverbot für Verpflichtungen, wenn sich der Rückforderungsanspruch des Gläubigers nur auf künftiges und damit nicht auch auf bereits vorhandenes Vermögen des Schuldners am Bilanzstichtag erstreckt.31 Es fehlt beim Schuldner dann an einer (steuerrechtlich maßgebenden) wirtschaftlichen Belastung aus dieser Verpflichtung. Dies führt dazu, dass das Passivierungsverbot auch für Folgejahre gilt, in denen bereits tilgungspflichtige Verwertungserlöse erzielt wurden, aber noch ein Restdarlehensbetrag „offen“ war. Insoweit wirkt das Verbot daher auch „der Höhe nach“. Der Darlehensbetrag stellt danach nur insoweit eine wirtschaftliche Belastung des Schuldners dar, als zu den einzelnen Bilanzstichtagen jeweils tilgungspflichtige Verwertungserlöse erzielt worden waren. Das erste Erzielen von tilgungspflichtigen Verwertungserlösen führt daher nicht dazu, nunmehr die Darlehensverbindlichkeit in vollem Umfang als steuerrechtliche Belastung anzuerkennen.

30 Exkurs: Zur (Nicht-)Anwendung des § 5 Abs. 2a EStG bei der Rückstellungsbildung betr. Gutscheine aus personifizierten Kundenbindungsprogrammen s. FG Nürnb. v. 25.4.2019 – 4 K 1050/17, EFG 2019, 1527 mit Anm. Hüttner; Rev. BFH IV R 20/19; s. auch Feldgen, StuB 2019, 742; Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (44). 31 Ob zugleich ein handelsrechtliches Passivierungsverbot vorliegt (so Oser/ Wirtz, StuB 2020, 41 [43]), ist umstritten.

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2. Speziell: Rückstellungen a) Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von Mandantendaten (und Handakten) im DATEV-Rechenzentrum bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft aa) Leitsätze und Sachverhalt BFH v. 13.2.2019:32 „1. Eine Rückstellung für die Kosten der 10-jährigen Aufbewahrung von Mandantendaten im DATEV-Rechenzentrum bei einer Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft setzt eine öffentlich-rechtliche oder eine zivilrechtliche Verpflichtung zur Aufbewahrung dieser Daten voraus. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung folgt weder aus § 66 Abs. 1 StBerG noch aus einer eigenständigen öffentlich-rechtlichen Aufbewahrungsverpflichtung des Mandanten bei tatsächlicher Aufbewahrung durch den Berater. Eine zivilrechtliche Verpflichtung für die Dauer der Mandatsbindung reicht nicht aus. 2. Eine Rückstellung für die Kosten der 10-jährigen Aufbewahrung von Handakten im DATEV-Rechenzentrum kann wegen der Abwendungsmöglichkeit (§ 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG) nicht allgemein mit einer Aufbewahrungsverpflichtung aus § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG begründet werden.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft. In ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2010 (Streitjahr: 2010) berücksichtigte sie eine Rückstellung für Aufbewahrungsverpflichtungen iHv. … t. Davon entfiel ein Teilbetrag von … t auf Aufwendungen im Zusammenhang mit der Aufbewahrung der eigenen Buchführungsunterlagen; der Restbetrag (… t) betraf die 10jährige Aufbewahrung der Mandantendaten im DATEV-Rechenzentrum. Für jenen Betrag („Mandantendatenarchivierung“) legte die Klägerin je Mandant das pauschal an die DATEV zu zahlende Entgelt (… t p.M.) zugrunde; bei der Ermittlung berücksichtigte sie Abschläge für Mandanten, die ihre Daten auf einer Speicher-DVD sichern ließen, und darüber hinaus für Mandatsbeendigungen innerhalb des 10jährigen Aufbewahrungszeitraums. Die Klägerin machte geltend, dass die zu zahlenden Beträge mit den Mandantenhonoraren für die laufende Buchführung bzw. 32 BFH v. 13.2.2019 – XI R 42/17, DStR 2019, 1679 = DB 2019, 1769 = FR 2019, 919; Anm. (zB) von Bleschick, EStB 2019, 353; Dürr, DStRK 2019, 261; jh, StuB 2019, 679; JS, DStZ 2019, 634; Kanzler, NWB 2019, 2474; Kolbe, StuB 2019, 812; Kubik, BB 2019, 2098; Oser/Wirtz, StuB 2020, 41; Petersen, WPg. 2019, 1079 (1089); Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 37/2019 Anm. 1; Schwetlik, GmbH-StB 2019, 257; Strecker, BeSt. 2019, 38; Treiber, BFH/PR 2019, 280; Weber-Grellet, FR 2019, 921; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (45).

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für die Erstellung des Jahresabschlusses abgegolten seien und nach der StBVV nicht gesondert berechnet werden könnten. Das FA erkannte bei der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags eine (einkommens- und gewerbeertragsmindernde) Rückstellung iHv. … t an (Aufbewahrung der eigenen Buchführungsunterlagen); eine Rückstellung für die Aufwendungen der Mandantendatenarchivierung sei nicht anzuerkennen, da es insoweit an einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung fehle. Aus § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG folge lediglich eine 10jährige Aufbewahrungspflicht für die Handakten nach Beendigung des Mandatsverhältnisses. Dieser Pflicht könne man sich aber durch die Aufforderung an den Mandanten, die Handakten oder die Daten in Form einer DATEV-Archiv-CD in Empfang zu nehmen, entledigen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG). Verzichte man auf diese Möglichkeit, stehe die Mandantenbindung im Vordergrund, was eine Rückstellungsbildung ausschließe. Die Klage wurde vom Thüringer FG abgewiesen.33 Dem folgte der BFH. bb) Fragestellungen Gestritten wird um die Rückstellungsbildung (die Entscheidung lässt selbstredend den [laufenden] Betriebsausgabenabzug von tatsächlich anfallenden Archivierungsaufwendungen unberührt, wie auch eine Rückstellungsbildung für die Aufbewahrung der eigenen Unterlagen nicht angesprochen ist): Ein umfassende öffentlich-rechtliche Pflicht zur Archivierung von Mandantenunterlagen/-daten besteht nicht (Tatbestandsbereich des § 66 Abs. 1 Satz 1 StBerG; s. auch § 51b WPO; § 50 BRAO); immerhin besteht auf dieser rechtlichen Grundlage eine Aufbewahrungspflicht betr. „Handakten“ (nicht: interne Arbeitspapiere, Arbeitsergebnisse) für die Dauer von 10 Jahren nach Beendigung des Mandatsverhältnisses – allerdings verbunden mit einer Abwendungsbefugnis durch den Steuerberater. Vor Beendigung des Mandats besteht daher auch für Handakten keine Aufbewahrungspflicht, danach ist die Abwendungsbefugnis tatbestandsausschließend (daher ist die Qualifizierung als „Verpflichtung ‚zweiter Klasse‘“34 treffend); jedenfalls begründet die tatsächliche Aufbewahrung durch den Berater, um eine zukünftig entstehende (Herausgabe-)Pflicht erfüllen zu können, keine Rückstellungsmöglichkeit – allenfalls könnten in dem Zeitraum zwischen Rückgabeangebot an den Mandanten nach Kündigung und dem Ende der Frist betr. Abwendungsmöglichkeit betr. Handakte rückstellungsfähige Aufwendungen anfal33 Thür. FG v. 1.12.2016 – 1 K 533/15, EFG 2018, 28 m. Anm. Neu. 34 Strecker, BeSt. 2019, 38 (39).

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len.35 Es besteht auch keine zivilrechtliche Aufbewahrungspflicht aus der Mandatierung (sie kann aber ausdrücklich vereinbart sein!36). Die Hoffnung auf den Fortbestand der Mandatsvereinbarung ist auch keine Gegenleistung für eine Aufbewahrung.37 Im Zusammenhang mit eigenen Buchführungsunterlagen besteht für den Steuerberater eine öffentlich-rechtliche Aufbewahrungspflicht aus § 257 HGB/§ 147 AO (ob mandatsbezogene Unterlagen [zB Ausgangsrechnungen] auch als eigene Unterlagen [„Handels- und Geschäftsbriefe“] gewertet und damit einbezogen werden können,38 ist wohl Sachverhaltsfrage); jene steht gegenüber dem eigenbetrieblichen Interesse an der Aufbewahrung im Vordergrund,39 eine entsprechende Pflicht für den Mandanten kann aber nicht auf den Berater erstreckt werden.40 Zur Zeitspanne zwischen Entscheidungsdatum und Veröffentlichung: Es handelt sich um einen zum Urteil „erstarkten“ Gerichtsbescheid nach Zurücknahme des Antrags auf mündliche Verhandlung (§ 90a Abs. 3 FGO41). 35 Bleschick, EStB 2019, 353 (354); so wohl auch Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (42). 36 ZB Schwetlik, GmbH-StB 2019, 257 (258); Petersen, WPg. 2019, 1079 (1090 – Hinweis auf eine entsprechende IDW-Empfehlung). 37 „Schwebendes Geschäft“ mit Blick auf die künftigen Vergütungsansprüche (künftige Aufwendungen können nur berücksichtigt werden, wenn sie durch bereits realisierte Erträge veranlasst sind, „Mandatsbindung“ bezieht sich auf künftige Erträge), es besteht kein Erfüllungsrückstand (in der Vergangenheit verursachte bzw. wirtschaftlich realisierte, aber noch nicht erfüllte Leistungspflicht, die iS einer „Nettorealisation“ auszuweisen wäre – s. im Übrigen zu der Voraussetzung des Erfüllungsrückstands, dass eine Rechtspflicht zur Erbringung der Leistung bestehen muss, BFH v. 25.7.2019 – IV R 49/16, BFH/NV 2020, 15). 38 S. Strecker, BeSt. 2019, 38 (39). 39 Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 37/2019 Anm. 1 – zu D.III.). 40 Exkurs: Zur Herausgabe der Handakte eines StB/WP an den Insolvenzverwalter s. LG Stuttgart v. 16.1.2019 – 27 O 272/18, BB 2019, 1426 = DStRE 2019, 852; zum Einsichtsrecht des Mandanten bzw. zur Herausgabe der Handakte an den Mandanten (zu Rechtsanwalt, gilt hier aber entsprechend) s. OLG Brandenburg v. 11.4.2018 – 11 U 123/16, DStRE 2019, 1097, und BGH v. 17.5.2018 – IX ZR 243/17, DStRE 2019, 1101 (mit Anm. G. Wacker, DStR 2018, 2233). Zur Frage der gesonderten Abrechnung von EDV-Kosten als Beratervergütung nach StBVV („besondere Geschäftskosten“?) s. Feiter, DStR 2017, 1182 (der BFH hatte jedenfalls angeführt, diese Dienstleistung sei nach StBVV – und damit vorbehaltlich einer individuellen Sondervereinbarung – nicht von einem besonderen Vergütungsanspruch begleitet). 41 S. dazu allg. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 90a FGO Rz. 11.

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Anhängige Verfahren in diesen (Rückstellungs-)Zusammenhängen: –

beim XI. Senat noch anhängige Revision BFH XI R 2/1942 zu Kosten für den Rücktransport auf Dauerbaustellen gelagerten Gerüstmaterials (FG: „nicht rückstellungsfähig“ – es liege eine „Überlagerung“ einer zivilrechtlichen Verpflichtung zur Räumung der Grundstücke durch eigenbetriebliches Interesse vor;43 mündliche Verhandlung am 22.1.2020;



ebenfalls steht nach am 20.11.2019 absolvierter mündlicher Verhandlung zur Entscheidung an die Revision XI R 46/1744 (Rückstellungsansatz: Handelsrecht als Obergrenze?, damit: „Deckelung“ des Ansatzes auf der Grundlage des Maßgeblichkeitsprinzips, auch wenn steuerrechtlich [§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG] ein „höherer“ Ansatz möglich wäre?);



beim XI. Senat noch anhängige Nichtzulassungsbeschwerde XI B 31/1945 im zweiten Rechtszug46 zur Frage, ob und in welcher Höhe ein Deponiebetreiber Rückstellungen für Nachsorgeverpflichtungen bei stillgelegten Deponien bilden darf;47



beim XI. Senat anhängige Revision XI R 21/19 zur Rückstellungsbildung für Nachbetreuungsleistungen einer Werkzeugfertigung.48

Die Frage des Zeitpunkts der Rückstellung für nicht hinterziehungsrelevante Mehrsteuern nach einer Außenprüfung ist durch das FG Münster49 in der Weise entschieden, dass (erst) der Bilanzstichtag in Betracht kommt, zu dem der Stpfl. ernsthaft mit einer Aufdeckung des zu den 42 Zu FG Münster v. 5.12.2018 – 13 K 2688/15, EFG 2019, 551 mit Anm. Werning; s. auch Abele, BB 2019, 753; Prinz, WPg. 2019, 978 (980 f.); Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (42). 43 S. auch BFH v. 8.11.2000 – I R 6/96, BFHE 193, 398 = BStBl. II 2001, 570. 44 Zum Urteil des FG Rh.-Pf. v. 7.12.2016 – 1 K 1912/14, EFG 2017, 693 mit Anm. Diehl. 45 Zu FG Münster v. 13.2.2019 – 13 K 1042/17, EFG 2019, 1002 mit Anm. Schmitz-Herscheidt; s. auch Weiss, BB 2019, 1266; Bolik, StuB 2019, 557. 46 Nach BFH v. 8.11.2016 – I R 35/15, BFHE 260, 45 = BStBl. II 2017, 768 = FR 2017, 877. 47 Anhängige Revision zur Bewertung von Deponierückstellungen BFH IV R 24/19 zu FG Münster v. 27.6.2019 – 8 K 2873/17, EFG 2019, 1574 mit Anm. Haversath; s. auch Klein, DStRK 2019, 334; Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (43 f.). 48 FG Münster v. 25.7.2019 – 10 K 902/15, EFG 2019, 1682 mit Anm. Stalbold; s. auch Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (46). 49 FG Münster v. 20.8.2019 – 12 K 2903/15, EFG 2019, 1820 mit Anm. Vasel.

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Mehrsteuern führenden Sachverhalts rechnen muss (die Revision war zwar zugelassen worden, da insoweit eine Differenz zwischen I. und III. Senat des BFH besteht [das FG Münster hat sich der Sache nach dem I. Senat angeschlossen], die Sache ist aber rechtskräftig).50 b) Zur Abzugsfähigkeit einer Kartellgeldbuße aa) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 22.5.2019:51 „Die bloße Heranziehung des tatbezogenen Umsatzes zur Ermittlung der Höhe einer am maßgeblichen Bilanzstichtag angedrohten und nachfolgend auch festgesetzten Kartellgeldbuße bewirkt keine Abschöpfung des unrechtmäßig erlangten wirtschaftlichen Vorteils i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG.“

Zum Sachverhalt: Gegen die Klägerin, eine AG, und weitere Betroffene wurde im Jahr 2013 (Streitjahr) durch das Bundeskartellamt (BKartA) wegen unerlaubter Kartellabsprachen ermittelt. Am 18.7.2013 unterrichtete das BKartA die Klägerin im Rahmen eines Angebots zur einvernehmlichen Verfahrensbeendigung (Settlement-Schreiben) über seine Absicht, ihr gegenüber ein Bußgeld iHv. … t festzusetzen. Mit Bescheid vom 25.2.2014 verhängte das BKartA das Bußgeld in der angedrohten Höhe. Die Abschöpfung des wirtschaftlichen Vorteils iSv. § 34 Abs. 1 GWB ordnete das BKartA nicht an. Der Zumessung des Bußgelds lagen die Leitlinien für die Bußgeldzumessung in Kartellordnungswidrigkeitenverfahren 2013 vom 25.6.2013 zugrunde. Die Klägerin bildete in ihrer Bilanz auf den 31.12.2013 wegen des angedrohten Kartellbußgelds eine handelsrechtliche Rückstellung iHv. … t. Da sie hiervon 49 % iSv. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbs. 1 EStG für steuerrechtlich abzugsfähig hielt, minderte sie im Rahmen ihrer Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr den erklärten Gewinn bzw. Gewerbeertrag um einen Betrag von … t. Die Klage war erfolglos.52 Im Revisionsverfahren hat der nach § 90 Abs. 2 Satz 1 GWB zur Wahrung des öffentlichen Interesses be50 S. zu der Problematik auch Pflaum, StBp. 2019, 176; Oser/Wirtz, StuB 2020, 41 (50). 51 BFH v. 22.5.2019 – XI R 40/17, BFHE 265, 113 = BStBl. II 2019, 663 = GmbHR 2019, 1254; Anm. (zB) von Binnewies/Mehlhaf, GmbHR 2019, 1259; jh, StuB 2019, 797; JS, DStZ 2019, 771; Kleinmanns, BB 2019, 2674; Knaupp, DStRK 2019, 276; Levedag, GmbHR 2019, R319; Reddig, jurisPR-SteuerR 3/2020 Anm. 2; Schwetlik, GmbH-StB 2019, 369; Treiber, BFH/PR 2019, 313; WeberGrellet, BB 2020, 43, 46; Werth, DB 2019, 2716. 52 FG Köln v. 24.11.2016 – 10 K 659/16, EFG 2017, 377 mit Anm. Hennigfeld.

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stellte Vertreter des BKartA von seiner Befugnis, im Revisionsverfahren schriftliche Erklärungen abzugeben, Gebrauch gemacht. bb) Fragestellungen Kern des Rechtsstreits sind drei Fragestellungen. (1) Zeitpunkt der Rückstellungsbildung bzw. Zeitpunkt der Berücksichtigung des „Abschöpfungs-Escapes“ (nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1 EStG darf eine von einer inländischen Behörde festgesetzte Geldbuße den Gewinn nicht mindern; dieses Abzugsverbot gilt nach Satz 4 Halbs. 1 dieser Regelung allerdings nicht, soweit der wirtschaftliche Vorteil, der durch den Gesetzesverstoß erlangt wurde, abgeschöpft worden ist, wenn die Steuern vom Einkommen und Ertrag, die auf den wirtschaftlichen Vorteil entfallen, nicht abgezogen worden sind – daher ist das Abzugsverbot bei einer sog. Bruttoabschöpfung nicht bzw. insoweit nicht anzuwenden, um eine doppelte Steuerbelastung auszuschließen). Hier ist die Offenlegung der späteren Festsetzung im Settlement-Schreiben des BKartA im Streitjahr entscheidungserheblich. Dazu lautet der Obersatz im Urteil: „Das FG hat im angefochtenen Urteil … den Streit um eine auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG … beruhende Einkommens- und Gewerbeertragsminderung in zeitlicher Hinsicht dem Streitjahr zugeordnet. Der Wortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG (‚soweit der wirtschaftliche Vorteil … abgeschöpft worden ist‘) schließt die Bildung einer steuerwirksamen Rückstellung im Hinblick auf eine am maßgeblichen Bilanzstichtag noch nicht verhängte (aber angedrohte) Kartellgeldbuße nicht aus. Vielmehr wäre ein nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG abzugsfähiger Abschöpfungsteil der Geldbuße durch Bildung einer steuerwirksamen Rückstellung zu antizipieren.“

Damit lässt sich dem Urteil entnehmen, dass der Senat den steuerbilanziellen Rückstellungsansatz (entsprechend der handelsbilanziellen Maßgabe des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) befürwortet, wobei allerdings zur Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns die Einkommensminderung durch außerbilanzielle Hinzurechnung insoweit zu neutralisieren ist, als das steuerrechtliche Abzugsverbot reicht (der Abzugsbeschränkung kann nicht im Wege der Rückstellung ausgewichen werden). (2) Gibt es eine materiell-rechtliche Bindungswirkung, wenn der Bußgeldbescheid ausdrücklich nur als „ahndend“, nicht aber als „abschöpfend“ formuliert ist (§ 81 Abs. 5 Satz 1 GWB) – kommt es damit auf den „subjektiven Willen“ der bebußenden Behörde an? Diese Frage wird vom BFH verneint (eine Bindungswirkung hätte in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 342

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EStG angeordnet werden müssen): Es geht um eine „objektive Abschöpfungswirkung“. Dazu heißt es im Urteil: „Der Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG im Streitfall steht nicht unmittelbar ausschließend entgegen, dass das BKartA eine sog. Ahndungsgeldbuße angedroht und nachfolgend auch festgesetzt hat. Jedenfalls kann … ein ‚subjektiver Abschöpfungswille‘ der Kartellbehörde für die steuerrechtliche Rechtsanwendung nicht unmittelbar bindend sein – es kommt vielmehr darauf an, ob eine Abschöpfung inkriminierter Einnahmen tatsächlich erfolgt.“

(3) „Abschöpfung“ setzt bei normspezifischer Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG eine vorherige Konkretisierung des Taterfolgs voraus; eine (pauschalierende) Bemessung auf der Grundlage des „tatbezogenen Umsatzes“ (und die unstreitige Liquiditätsbelastung aufgrund des Bußgelds) reicht nicht aus. Im Streitfall erfolgte eine Heranziehung des tatbezogenen Umsatzes im Rahmen der Bestimmung der Bußgeldobergrenze und es kam zum Ansatz eines „Gewinn- und Schadenspotenzials“ („pauschal“) mit 10 % dieses Mehrbetrags – dies dient dazu, den Unrechtsgehalt der Tat zu bemessen, um auf dieser Grundlage sowohl spezial- als auch generalpräventiv die Tatfolgen zu bemessen. Dazu aus dem Urteil: „Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 Halbsatz 1 EStG sind vorliegend jedoch nicht erfüllt. Die angedrohte und nachfolgend festgesetzte Geldbuße enthält keinen Abschöpfungsteil; ein solcher liegt nicht allein darin, dass das Bußgeld die Liquidität des zu bebußenden Unternehmens belastet. Insoweit ist die Frage, ob einer Geldbuße Abschöpfungswirkung beizumessen ist, unter Beachtung der kartellrechtlichen Wertungen, die der Ermittlung der Bußgeldhöhe zugrunde liegen, zu beantworten. Es ist damit auf der Grundlage bußgeldrechtlicher Bestimmungen zu prüfen, ob und in welchem Umfang sowie in welcher Weise mit der (im Streitfall zunächst noch angedrohten) Geldbuße der aus dem Rechtsverstoß erlangte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden würde. Gemessen daran war die angedrohte Geldbuße nicht auf die Abschöpfung eines konkreten Mehrerlöses bezogen.“

Diesem Ergebnis (das der Sache nach dem Ergebnis der Rspr. des IV. Senats zu einer EU-Geldbuße53 entspricht54 und dem AdV-Beschluss des I. Senats v. 24.3.200455 zu einer EU-Geldbuße nicht [jedenfalls nicht in einer iSd. § 11 FGO erheblichen Weise] widerspricht56) wird entgegen gehalten, es werde die „gebotene wirtschaftliche Betrachtungsweise“ ver53 S. BFH v. 7.11.2013 – IV R 4/12, BFHE 243, 493 = BStBl. II 2014, 306 = FR 2014, 528. 54 Zutr. Knaupp, DStRK 2019, 276. 55 BFH v. 24.3.2004 – I B 203/03, BFH/NV 2004, 959. 56 Entgegen Kleinmanns, BB 2019, 2674.

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nachlässigt.57 Denn die Frage, ob ein Bußgeld „tatsächlich abgeschöpft hat“, könne nicht nach Maßgabe der Wertungen des Kartellrechts beantwortet werden, vielmehr könne allein ein „Vermögensvergleich“ beim Betroffenen entscheidend sein. Insoweit müsse nach einer „saldierenden Betrachtungsweise“ „auch eine reine Ahndungsgeldbuße … abzugsfähig sein, soweit sie der Höhe nach unterhalb der Vorteile aus dem Kartell verbleibt“. Auch Kleinmanns kritisiert das BFH-Urteil.58 Indem das BKartA „Gewinnpotential“ für die Bemessung der Buße heranziehe, sei damit („anteilig“) Abschöpfung verbunden; das FG hätte hier ggf. schätzen müssen. Immerhin ist Kleinmanns darin zuzustimmen, dass es der „Einheit der Rechtsordnung“ dienlich wäre, „wenn schon der Gesetzgeber und die Kartellbehörde die steuerlichen Folgen einer Geldbuße im Blick hätten und das BKartA Feststellungen dazu träfe, wie sich der Betrag einer Geldbuße aus Sanktion einerseits, Gewinnabschöpfung nach § 81 Abs. 5 GWB andererseits herleitet.“ Schwetlik59 differenziert gut nachvollziehbar: „Kommt es für eine rechtlich haltbare Begründung des Bußgelds nicht darauf an, ob und in welchem Umfang ein illegaler Vorteil erzielt wurde, bewirkt der Bescheid keine objektive Abschöpfung, so dass das gesamte Bußgeld dem steuerlichen Abzugsverbot unterliegt. Soweit hingegen die Höhe des Bußgelds nur mit dem illegal erlangten Vorteil begründet werden kann, dürfte das Bußgeld eine objektive Abschöpfung bewirken und in diesem Umfang steuerlich abziehbar sein. Orientiert sich der Bußgeldbescheid bei der Begründung der Bußgeldhöhe an dem tatsächlich erzielten operativen Gewinn, spricht dies für eine objektive Abschöpfungswirkung …“ (Feststellungslast liege beim Stpfl.). Bemerkenswert ist die verfahrensrechtliche Situation einer Kombination des Beitritts einer obersten Landesfinanzbehörde (§ 122 Abs. 2 FGO) mit einer schriftlichen Stellungnahme des BKartA (§ 90 Abs. 2 Satz 1 GWB). Exkurs: Kurz vor der Veröffentlichung des Urteils wurde eine Untersuchung „zur steuerlichen Nutzbarkeit gewinnabschöpfender Maßnahmen“60 bekannt, in der angeregt wird, den (wirtschaftlichen, auch durch die Steuerrechtslage geprägten) Unterschied zwischen Brutto- und Nettomethode im Einzelfall abzuwägen und ggf. den Versuch zu unternehmen, eine Abstimmung mit der Bußgeld- und Finanzbehörde zur Anwendung „der im konkreten Fall präferierte(n) Methode“ zu erreichen. 57 58 59 60

Binnewies/Mehlhaf, GmbHR 2019, 1259. Kleinmanns, BB 2019, 2674. Schwetlik, GmbH-StB 2019, 369 (371). Zimmerl/Roth, Ubg. 2019, 447.

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3. Speziell: Pensionsrückstellungen a) Zum Ausweis der Pensionsrückstellung im Jahr der Zusage unter Berücksichtigung neuer „Heubeck-Richttafeln“ aa) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 13.2.2019:61 „Wird im Jahr der Erteilung einer Pensionszusage eine Pensionsrückstellung gebildet und erfolgt dies im Jahr der Veröffentlichung neuer „Heubeck-Richttafeln“, existiert kein „Unterschiedsbetrag“ i.S. des § 6a Abs. 4 Satz 2 EStG, der auf drei Jahre verteilt werden müsste.“

Zum Sachverhalt: Die Klägerin, eine GmbH, erteilte ihrem zu einem Drittel beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer am 18.11.2005 eine Pensionszusage; der Ausweis zum 31.12.2005 erfolgte ohne einen Mehrbetrag aufgrund der Änderungen der erstmalig im Wj. 2005 anwendbaren sog. Heubeck-Richttafeln 2005 zu den „Heubeck-Richttafeln“ 1998. Das FA ging davon aus, dass ein Unterschiedsbetrag, der auf der erstmaligen Anwendung der Richttafeln 2005 beruhe, gem. § 6a Abs. 4 Satz 2, 3 EStG auf drei Jahre zu verteilen sei (… t). Nach Meinung des FA gelte die Verteilungsregelung auch im Jahr der erstmaligen Zusage. Das Thüringer FG gab der Klage statt.62 Der BFH sah das ebenso. bb) Fragestellungen Die Rechtsfrage der entsprechenden Anwendung des § 6a Abs. 4 Satz 2 EStG auf den Fall des Erstjahres, wie er in § 6a Abs. 4 Satz 3 EStG geregelt ist (§ 6a Abs. 4 Satz 6 EStG), wird bislang unterschiedlich beantwortet. Die FinVerw. favorisiert die Ansicht, die entsprechende Anwendung des Satzes 2 sei in der Weise vorzunehmen, dass im Erstjahr der Pensionsrückstellung, in dem sich auch die Richtwerte geändert haben, die Wahlrechte des § 6a Abs. 4 Satz 3 EStG nur hinsichtlich des Rückstellungswerts auf alter Richtwertgrundlage gelten sollen; der sich aufgrund der Anwendung der neuen Richtwerte ergebende Erhöhungsbetrag soll dagegen durch entsprechende Anwendung des § 6a Abs. 4 Satz 2 EStG auf

61 BFH v. 13.2.2019 – XI R 34/16, BFHE 263, 521 = BStBl. II 2020, 2 = FR 2019, 824; Anm. (zB) von Gehm, EStB 2019, 257; jh, StuB 2019, 373; Kanzler, FR 2019, 825; Nacke, HFR 2019, 355; Prinz, WPg. 2019, 978 (981); Schiffers/Köster, DStZ 2019, 743 (752); Schwetlik, GmbH-StB 2019, 153; Selig-Kraft, BB 2019, 1650; Treiber, BFH/PR 2019, 209; Treiber, DStR 2019, 1256. 62 Thür. FG v. 17.8.2016 – 3 K 228/14, EFG 2017, 978 mit Anm. Lutter.

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drei Wj. verteilt werden.63 Der BFH folgt allerdings der Ansicht der Vorinstanz und Teilen der Literatur, nach der eine Verteilung entsprechend § 6a Abs. 4 Satz 2 EStG nicht vorzunehmen ist. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zweck des § 6a Abs. 4 Satz 6 EStG lässt sich entnehmen, dass generell in allen Fällen der erstmaligen Bildung einer Pensionsrückstellung § 6a Abs. 4 Satz 2 EStG zur Anwendung kommt. Unberührt von dieser Deutung bleibt ein „Unterschiedsbetrag“, wenn eine handelsrechtlich zu passivierende Rückstellung in einem späteren Jahr erstmals steuerlich zu berücksichtigen ist (§ 6a Abs. 4 Satz 3 EStG). Die Entscheidung hindert – durch die Verteilungsregelung („Unterschiedsbetrag, der auf geänderten biometrischen Rechnungsgrundlagen beruht“) veranlasste – abweichende Wertansätze in Handels- und Steuerbilanz für im Tabellen-Übergangsjahr erteilte Zusagen. Soweit im BMF-Schreiben v. 19.10.2018 zum „Übergang auf die ‚Heubeck-Richttafeln 2018G‘“ die Rechtsfrage noch abweichend64 beantwortet wird,65 ist das Schreiben ggf. zu aktualisieren66 – oder67 gibt es eine gegenläufige „gesetzliche Klarstellung“?68. Jedenfalls ist die nachträgliche Veröffentlichung des Beschlusses (Entscheidung iSd. § 126a FGO; der Beschluss wurde zunächst als „NV“-Entscheidung bekannt) nicht auf Ersuchen des BMF erfolgt, so dass daraus nicht unmittelbar auf einen Meinungswechsel in der FinVerw. geschlossen werden kann. Inzwischen ist aber durch BMF-Schreiben v. 17.12.201969 eine Anpassung an die Rspr. erfolgt (zugleich kann aus Billigkeitsgründen auch eine Verteilung praktiziert werden). 63 Vgl. zum Übergang auf die „Richttafeln 2005G“ BMF v. 16.12.2005 – IV B 2 S 2176 - 106/05, BStBl. I 2005, 1054 = FR 2006, 98 Rz. 5; zum Übergang auf die „Heubeck-Richttafeln 2018G“ s. BMF v. 19.10.2018 – IV C 6 - S 2176/ 07/10004 :001 – DOK 2018/0833103, BStBl. I 2018, 1107 = GmbHR 2018, 1287 Rz. 5. 64 BMF v. 19.10.2018 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :001 – DOK 2018/0833103, BStBl. I 2018, 1107 = GmbHR 2018, 1287 Rz. 5 – Verteilungsregelung anwendbar auch auf die im Übergangsjahr erteilten Zusagen. 65 BMF v. 19.10.2018 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :001 – DOK 2018/0833103, BStBl. I 2018, 1107 = GmbHR 2018, 1287 Rz. 5, aber unter Hinweis auf das damals noch anhängige Revisionsverfahren. 66 S. auch Schoeppfer/Steudel/Selig-Kraft, StB 2019, 328 (330); Selig-Kraft, BB 2019, 1650; Prinz, WPg. 2019, 978 (982). 67 Vgl. o.V., NWB 2019, 1200. 68 S. auch Schwetlik, GmbH-StB 2019, 153 (154); Kanzler, NWB 2019, 1874 (konstitutive Regelung, die aber auch ein Wahlrecht vorsehen könnte). 69 BMF v. 17.12.2019 – IV C 6 - S 2176/19/10001 :001 – DOK 2019/1108806, BStBl. I 2020, 82 = FR 2020, 191; s. dazu auch Bolik, StuB 2020, 75.

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S. in diesem Zusammenhang auch BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15:70 Im dortigen Streitfall seien „(d)ie Jubiläumsrückstellungen zum 31.12.2005 … auf der Grundlage der im BMF-Schreiben v. 8.12.2008 verlautbarten Pauschalwerte (‚Richttafeln 2005G‘ von Heubeck) zu bemessen. Dass die Klägerin in ihrer Steuererklärung noch die Pauschalwerte aus dem BMFSchreiben v. 12.4.1999 zugrunde gelegt hatte, steht dem nicht entgegen“. Dazu ist zu lesen: „Für die Bemessung des Teilwerts von Jubiläumsrückstellungen bedarf es zur Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Ausscheidens von Mitarbeitern wegen Todes oder Invalidität eigentlich spezifischer versicherungsmathematischer Berechnungen. Die Praxis nutzt aber häufig die Möglichkeit der sog. Pauschalbewertung: Die Finanzverwaltung setzt auf der Grundlage der Richttafeln von Heubeck Pauschalwerte fest und veröffentlicht diese in Form einer Tabelle, aus der der Steuerpflichtige die Höhe der anzusetzenden Jubiläumsrückstellungen anhand der vom betreffenden Arbeitnehmer bereits abgeleisteten Dienstjahre und des Leistungszeitpunkts der jeweiligen Jubiläumszuwendung ablesen kann. Von der gewählten Bewertungsmethode kann der Steuerpflichtige nach den Vorgaben des BMF für alle Verpflichtungen nur einheitlich Gebrauch machen; zudem ist an der getroffenen Wahl grundsätzlich für fünf Wirtschaftsjahre festzuhalten. Dieser Verfahrensmöglichkeit stimmt der BFH ausdrücklich zu. Hier geht es um den Übergang auf eine aktualisierte Tabelle – die Veranlagung des Streitjahrs war noch ‚offen‘, als die neue Tabelle im Zusammenhang mit der Jubiläumsrückstellung vom BMF in 2008 ergänzend bekannt gemacht wurde, und für die Klägerin ließ sich damit ein höherer Rückstellungsbetrag belegen. Außerdem endete das der Veranlagung zugrunde liegende Wj. nach dem 6.7.2005, nämlich am 31.12.2005. Dass die Klägerin bislang für die Bemessung der Höhe der Jubiläumsrückstellungen noch die ‚alten‘ Pauschalwerte zugrunde gelegt hatte, gereicht ihr nach der Entscheidung des BFH nicht zum Nachteil (keine Bindung an den auf dieser Grundlage ebenfalls rechtmäßigen Ansatz). Das BMF beschränkt die Anwendung der neuen Tabelle nicht auf die Situation des erstmaligen Wertansatzes nach Veröffentlichung. Dies alles muss dann auch für die „Heubeck-Tafeln 2018G“, die zu einem (moderaten) Anstieg der Pensionsrückstellungen führen können, gelten.“

70 BFH v. 27.9.2017 – I R 53/15, BFHE 260, 45 = BStBl. II 2018, 702 = FR 2018, 517; s. dazu die Besprechung (mit Nachweisen) bei Brandis, StbJb. 2018/2019, 67 (68 ff.); Prinz, StbJb. 2018/2019, 437 (439 ff.).

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b) Abfindungsklausel und Eindeutigkeitsgebot aa) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 10.7.2019:71 „Pensionszusagen sind auch nach Einfügung des sog. Eindeutigkeitsgebots (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 EStG) anhand der allgemein geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht klar und eindeutig ist. Lässt sich eine Abfindungsklausel dahin auslegen, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende sog. Sterbetafel trotz fehlender ausdrücklicher Benennung eindeutig bestimmt ist, ist die Pensionsrückstellung steuerrechtlich anzuerkennen.“

Zum Sachverhalt: Die GmbH-Geschäftsführerverträge wurden um eine Pensionszusage ergänzt (jährliche Altersrente ab dem 65. Lebensjahr; vorgezogene Altersrente; Berufsunfähigkeitsrente; Witwen- und Waisenrente). In einer Abfindungsklausel heißt es: „Das Unternehmen behält sich vor, bei Eintritt des Versorgungsfalles wegen Erreichens der Altersgrenze bzw. Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes anstelle der Rente eine einmalige Kapitalabfindung in Höhe des Barwerts der Rentenverpflichtung zu gewähren. Hierdurch erlöschen sämtliche Ansprüche aus der Pensionszusage einschließlich einer etwaigen Hinterbliebenenrente. … Bei der Ermittlung des Kapitalbetrages sind ein Rechnungszinsfuß von 6 von Hundert und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik anzuwenden …“.

Der Posten „Pensionsrückstellung“ wurde in den Streitjahren 2010 um … t auf … t und 2011 um … t auf … t erhöht. Die Bewertung erfolgte jeweils mit einem Rechnungszins von 6 % auf der Grundlage der sog. Richttafeln 2005G von Prof. Dr. Klaus Heubeck (Heubeck-Richttafeln). Das FA war der Meinung, dass die Abfindungsklausel keine Angaben dazu enthalte, welche Sterbetafel für die Berechnung des Barwerts der Rentenverpflichtung zu verwenden sei. Das Schriftformerfordernis des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG sei aber nur erfüllt, wenn das Berechnungsverfahren zur Ermittlung der Abfindungshöhe (einschließlich der zu verwendenden Sterbetafel) eindeutig und präzise fixiert sei.72 Die gegen die Auflösung

71 BFH v. 10.7.2019 – XI R 47/17, BFHE 265, 243 = BStBl. II 2019, 760 = FR 2019, 1101; Anm. (zB) von Böing/Rösen, GmbH-StB 2019, 364; Dommermuth, GmbHR 2019, 1300; jh, StuB 2019, 795; Levedag, GmbHR 2019, R337; Lieb, BB 2019, 2993; Selig-Kraft, DStRK 2019, 304; Treiber, DStR 2019, 2131; Treiber, BFH/PR 2020, 8; Weber-Grellet, FR 2019, 1106; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (46). 72 Hinweis auf BMF v. 6.4.2005 – IV B 2 - S 2176 - 10/05, BStBl. I 2005, 619 = FR 2005, 508 Tz. 3.

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der Rückstellung gerichtete Klage hatte Erfolg.73 Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen. bb) Fragestellung Obwohl sich Abfindungsklauseln auf die Ermittlung der Rückstellungshöhe nicht auswirken,74 sind die Tatbestandsmerkmale des § 6a EStG (hier möglicherweise einschlägig: „schädlicher Vorbehalt“ [§ 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG]; „Verstoß gegen das Eindeutigkeitsgebot bzw. das Schriftformerfordernis [§ 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG]) anerkennungsrelevant. In der Folge kann es zu einer durch § 6a EStG veranlassten Divergenz zwischen Handels- und Steuerbilanz kommen. Der BFH hat hier aber die (Alternativ-)Lösung des FG, dass die in der Pensionszusage gegenüber den Gesellschafter-Geschäftsführern enthaltene Abfindungsklausel (die ua. den Wortlaut des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG übernommen hat) das Eindeutigkeitsgebot des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht dadurch verletzt, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende sog. Sterbetafel nicht ausdrücklich benannt ist (Auslegung des nicht eindeutigen Wortlauts), bestätigt (die gesetzliche Regelung hindere eine Auslegung nicht, was in der Sache stRspr. des I. Senats entspricht). Daher war die Rechtsfrage, die das FG zur Revisionszulassung herausgestellt hatte, ob das Eindeutigkeitsgebot nach der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Zweck der Vorschrift einschränkend dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift nicht die Festlegung der für die Berechnung der Höhe der Kapitalabfindung maßgeblichen Sterbetafel in der Abfindungsklausel verlangt, nicht zu beantworten.75 Im Übrigen ist erkennbar, dass es unschädlich ist, wenn eine bestimmte Sterbetafel benannt ist, im konkreten zukünftigen Fälligkeitszeitpunkt aber eine aktualisierte Fassung dieser Tafel gilt und nach den „anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik“ auch heranzuziehen ist.76 Dommermuth verweist auch auf die Problematik, dass die Höhe des Zinssatzes mit Blick auf die Versorgung eines Gesellschafter-Geschäftsführers (verdeckte Einlage im Zusammenhang mit der Abfindung!) unter 6 % liegen müsste, dass ein Verweis auf einen HGB-Zins aber wegen der Volatilität dieses Werts eine eindeutige Berechnung des Abfindungs73 74 75 76

Schl.-Holst. FG v. 21.2.2017 – 1 K 68/14, EFG 2017, 905 mit Anm. Paetsch. Zutr. Lieb, BB 2019, 2993. S. auch den „Parallelfall“ unten zu cc). S. auch Dommermuth, GmbHR 2019, 1300 (1302 f.).

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betrags zum Abfindungszeitpunkt hindert, was „anerkennungsschädlich“ sein könnte.77 cc) Leitsatz und Sachverhalt BFH v. 23.7.2019:78 „Pensionszusagen sind auch nach Einfügung des sog. Eindeutigkeitsgebots (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 EStG) anhand der geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht klar und eindeutig ist. Lässt sich eine Abfindungsklausel nicht dahin auslegen, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende sog. Sterbetafel und der maßgebende Abzinsungssatz ausreichend sicher bestimmt sind, ist die Pensionsrückstellung unter dem Gesichtspunkt eines schädlichen Vorbehalts (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG) steuerrechtlich nicht anzuerkennen.“

Zum Sachverhalt: Die GmbH sagte ihrem alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer eine betriebliche Altersversorgung zu, die ua. eine Abfindungsklausel (§ 16) enthält: „(1) Endet das Dienstverhältnis des Geschäftsführers unter Mitnahme unverfallbar erdienter Versorgungsanwartschaften, so ist die GmbH berechtigt, die Versorgungsanwartschaften ganz oder teilweise durch eine Kapitalzahlung abzufinden. (2) Die GmbH ist berechtigt, laufende Pensionen ganz oder teilweise durch eine Kapitalzahlung abzufinden. (3) Die Kapitalabfindung ist unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt der Abfindung gültigen Rechnungsgrundlagen für betriebliche Pensionsverpflichtungen zu berechnen. (4) Gilt für diesen Pensionsvertrag im Zeitpunkt einer Abfindung das Betriebsrentengesetz, so sind die im § 3 Betriebsrentengesetz genannten Abfindungsverbote zu beachten. (5) Etwaige gesetzliche Abgaben trägt der Pensionsberechtigte.“

77 S. im Übrigen zu verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Höhe des Rechnungszinsfußes des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG von 6 % (dortiges Streitjahr: 2015) den Vorlagebeschluss des FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, EFG 2018, 287 mit Anm. Neu (Az. BVerfG 2 BvL 22/17); s. dazu auch Seer, StuW 2019, 212 (218 f.). 78 BFH v. 23.7.2019 – XI R 48/17, BFHE 265, 267 = BStBl. II 2019, 763 = FR 2019, 1104; Anm. (zB) von Böing/Rösen, GmbH-StB 2019, 364; Dommermuth, GmbHR 2019, 1300; jh, StuB 2019, 795; Levedag, GmbHR 2019, R337; Lieb, BB 2019, 2993; Treiber, DStR 2019, 2128; Treiber, BFH/PR 2020, 9; WeberGrellet, FR 2019, 1106; Weber-Grellet, BB 2020, 43 (47).

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Das FA meinte, die Rückstellung sei vollen Umfangs aufzulösen – „sofern es zur eindeutigen Ermittlung der in Aussicht gestellten Leistungen erforderlich ist, sind auch die Angaben für die versicherungsmathematische Ermittlung der Höhe der Verpflichtung (z.B. anzuwendender Rechnungszinsfuß oder anzuwendende biometrische Ausscheidewahrscheinlichkeit) schriftlich festzulegen (BMF v. 28.8.2001, BStBl. 2001 I S. 594). Gem. BMF v. 6.4.2005, BStBl. 2005 I S. 619 gelten diese Regelungen für in Pensionszusagen enthaltene Abfindungsklauseln entsprechend.“

Das Schleswig-Holsteinische FG gab der Klage statt.79 Der BFH war anderer Auffassung. dd) Fragestellungen Das FG zielte mit der Revisionszulassung darauf ab, eine Antwort auf die Rechtsfrage zu erhalten, ob das Eindeutigkeitsgebot des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG nach der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang und dem Zweck der Vorschrift einschränkend dahin auszulegen ist, dass die Vorschrift keine weitergehende Fixierung der Berechnungsparameter für eine Abfindung erfordert, wenn „das Werterhaltungsgebot des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG“ ein „transparentes, manipulations- und beweissicheres Verfahren zur Bemessung des Barwertes einer Betriebsrente“ beinhaltet. Diese Frage wird vom BFH allerdings nicht beantwortet. Vielmehr wird nach der (vom FG abweichenden) Feststellung, dass die maßgebenden „Bewertungsparameter“ (hier: Abzinsungssatz; Sterbetafel) im Streitfall „unbestimmt“ sind (jedenfalls schafft die Formulierung: „gültige Rechnungsgrundlagen für betriebliche Pensionsverpflichtungen“ keine Klarheit!), schon die Tatbestandsvoraussetzung des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG („kein schädlicher Vorbehalt“ bzw. dass – umgekehrt – gewährleistet ist, dass der mögliche Abfindungsbetrag mindestens dem Wert des gesamten Versorgungsversprechens zum Abfindungszeitpunkt entspricht) als nicht erfüllt angesehen.80 Dabei wird herausgestellt, dass etwaige „arbeitsrechtliche Maßgaben“ und ein daraus abzuleitendes „Gebot der Wertgleichheit“ des Versorgungsanspruchs zur Abfindungshöhe jedenfalls gegenüber einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer

79 Schl.-Holst. FG v. 21.2.2017 – 1 K 141/15, EFG 2017, 908 mit Anm. Engellandt. 80 Nach Weber-Grellet, BB 2020, 43 (47) wäre „auch“ § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG einschlägig (fehlende Eindeutigkeit) und er bezweifelt, dass man „jede unklare Regelung“ bereits als „Kürzungsvorbehalt“ (§ 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG) verstehen könne.

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als „unternehmerischen Versorgungsberechtigten“ nicht durch sich selbst garantiert ist. Es muss vielmehr Gegenstand der Vereinbarung sein, um (unabhängig von einer etwaigen handelsbilanziellen Erfassung) eine steuerbilanzielle Erfassung der Pensionsrückstellung nach den ertragsteuerlichen Maßgaben des § 6a EStG zu ermöglichen bzw. (umgekehrt) den steuerbilanziellen Ansatz nicht vollen Umfangs zu hindern. Exkurs: Weitere Revisionsverfahren im Zusammenhang mit Pensionsrückstellungen sind anhängig – ua. die Revision XI R 9/1981 zur Bewertung einer Rückstellung für eine arbeitnehmerfinanzierte Pensionsverpflichtung, ebenfalls die Revisionen IV R 22/1982 zu einem steuerschädlichen Vorbehalt iSd. § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG (eine „Änderung nach billigem Ermessen“ ist ungeachtet einer Frage der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit „schädlich“) und IV R 21/1983 betr. Unbeachtlichkeit der arbeitsrechtlichen Unwirksamkeit eines Widerrufsvorbehalts zu der Zusage angesichts der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a EStG („Verstoß gegen § 6a Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG“). Nach mündlichen Verhandlungen (20.11.2019) stehen zur Entscheidung an die beim XI. Senat anhängigen Revisionen XI R 52/17 und XI R 42/18 (§ 4e EStG/Übertragung auf Pensionsfonds und Höhe der Auflösung der Pensionsrückstellung; sog. Kombinationsmodell).

IV. Schluss Das „Plädoyer für mehr Systemorientierung im Bilanzsteuerrecht“ von Prinz84 war und ist weiterhin eindrucksvoll. Dass die Systemorientierung in der praktischen Anwendung auf Grenzen stößt, wenn „das System“ keine klaren Vorgaben bereithält oder sich der (Steuer-)Gesetzgeber mit Spezialregelungen darüber hinwegsetzt und zB im Bereich der Rückstellungen (wie auch die Rspr.) der „vorsichtsgeprägten Perspektive der Handelsbilanz“85 strengere Anforderungen an die Aufwandsentstehung entgegensetzt, lässt sich zu Einzelfragen auch an der bilanzsteuerrechtlichen Rspr. des XI. Senats erkennen. Immerhin wird dem kundigen Leser hoffentlich deutlich, dass der XI. Senat „bemüht“ ist, manche Tradi81 FG Nürnb. v. 2.4.2019 – 1 K 836/18, EFG 2019, 1375 mit Anm. Tiedchen. 82 FG Düss. v. 29.5.2019 – 15 K 690/16, EFG 2019, 1190 mit Anm. Kühnen; s. auch Lieb, BB 2019, 1842; JS, DStZ 2019, 519. 83 Zu FG Düss. v. 29.5.2019 – 15 K 736/16, EFG 2019, 1745 mit Anm. Hennigfeld. 84 Prinz, StbJb. 2018/2019, 437 (468 f.). 85 Prinz, WPg. 2019, 978 (984); s. auch Prinz, DB 2020, 10.

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tionslinien aus der bilanzsteuerrechtlichen Rspr. des (vormals zuständigen) I. Senats aufrechtzuerhalten, was wiederum ersehen lässt, dass dort Rechtsbeständigkeit im Fachbereich „Bilanzsteuerrecht der Kapitalgesellschaften“ als hohes Gut eingeschätzt wird.

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Praxisfragen des § 5 Abs. 2 EStG Evelyn Hörhammer Regierungsdirektorin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Prof. Dr. Heribert Anzinger Universität Ulm I. Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG und Verhältnis zu anderen Vorschriften 1. Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG 2. Verhältnis zu § 248 Abs. 2 HGB 3. Verhältnis zu den Entnahmeund Einlagevorschriften II. Aktuelles zum Begriff des Wirtschaftsguts 1. Bedeutung 2. Selbständiger Wert im Geschäftsverkehr (BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16) 3. Allein oder mit dem Betrieb verkehrsfähig (FG Bad.-Württ. v. 3.5.2017 – 4 K 173/14) 4. Geschäftswertähnliche und abgespaltene Wirtschaftsgüter 5. Entschädigung für die Aufhebung eines unbefristeten Vertriebsvertrags (BFH v. 6.9.2018 – IV R 26/16)

6. Arbeitnehmererfindungen (Bayerisches Landesamt für Steuern v. 19.7.2017) 7. Gemischt materiell-immaterielle Wirtschaftsgüter 8. Immaterielle geringwertige Wirtschaftsgüter III. Herstellung, Anschaffung und Zurechnung von Software 1. Überblick 2. Individualsoftware 3. Standardsoftware 4. Trivialsoftware 5. Customizing 6. Software in der Cloud IV. Kryptowährungen und Token 1. Klassifizierung 2. Qualifikation als Wirtschaftsgut 3. Originärer oder derivativer Erwerb 4. Zugangsbewertung 5. Folgebewertung

I. Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG und Verhältnis zu anderen Vorschriften 1. Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG § 5 Abs. 2 EStG regelt die Aktivierungsfähigkeit von immateriellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Sie sind nur zu aktivieren, wenn sie

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entgeltlich erworben wurden. Für originär erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gilt damit ein Aktivierungsverbot. § 5 Abs. 2 EStG stellt insofern eine Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot dar, als § 246 Abs. 1 HGB als handelsrechtlich kodifizierter Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung auch für die steuerliche Gewinnermittlung gilt und die Aktivierung konkret aktivierungsfähiger Wirtschaftsgüter gebietet.1 Keine Bedeutung hat die Vorschrift für andere Aktivposten als Wirtschaftsgüter, etwa Rechnungsabgrenzungsposten oder geleistete Anzahlungen, und nicht für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens. Auch wenn seit Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes das handelsrechtliche Aktivierungsverbot in § 248 Abs. 2 HGB durch ein Aktivierungswahlrecht für bestimmte Vermögensgegenstände (die nicht Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten oder vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände sind) abgelöst wurde,2 so bestätigt § 5 Abs. 2 HGB letztlich doch einen fortbestehenden handelsrechtlichen GoB. Es ist nach § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB grundsätzlich von einem Aktivierungsverbot für selbst geschaffene immateriellen Vermögensgegenstände auszugehen. § 5 Abs. 2 EStG ist eine folgerichtige Konkretisierung des in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB verankerten Vorsichtsprinzips. Der Stpfl. soll durch einen nicht schätzbaren Wert eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht „reicher“ (leistungsfähiger) erscheinen als er sicher ist. Das Aktivierungsverbot für immaterielle originär selbst geschaffene Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens resultiert aus der Tatsache, dass die Existenz oder Bewertbarkeit dieser Wirtschaftsgüter noch nicht gesichert ist. Immaterielle Werte werden dabei als typischerweise unsichere Werte angesehen.3 Erst wenn sie einen Markttest durchlaufen haben, sollen sie aktiviert werden dürfen.4 Der Gesetzgeber sieht die widerstreitenden Interessen, die in einem entgeltlichen Erwerbsgeschäft ausgeglichen werden müssen, als notwendige, aber auch hinreichende Grundlage für eine Feststellung des objektiven Werts eines selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsguts an. 1 Lutz/Schlag in HdJ, Abt. II/2 Rz. 119; Anzinger in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1752. 2 Zur Entstehungsgeschichte dieses Wahlrechts Kleindiek in Staub, Großkomm. HGB5, § 248 Rz. 18. 3 Anzinger in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1754. 4 Zum Markttesterfordernis Wolffgang in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz. C 50.

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In praktischer Hinsicht vereinfacht die Vorschrift des § 5 Abs. 2 EStG das Besteuerungsverfahren, weil sie insbes. bei selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern nahe liegende Bewertungsunsicherheiten von vornherein vermeidet. Sie ist in ihrem Anwendungsbereich eine streitvermeidende Norm. Bedeutung erlangt § 5 Abs. 2 EStG schließlich durch seine einer Sofortabschreibung auf selbst hergestellte immaterielle Güter gleichkommenden Wirkung. In dieser Funktion schafft die Vorschrift steuerliche Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung und bildet zugleich die Grundlage für Gestaltungen, in denen steuerliche und wirtschaftliche Verluste auseinanderfallen. Im Rechtsvergleich mit Steuerrechtsordnungen, die eine Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Werte vorschreiben, ist sie ein Instrument der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung.

2. Verhältnis zu § 248 Abs. 2 HGB Jenseits des Beihilferechts weitgehend akademischer Natur ist die Frage des eigenständigen Regelungsgehalts des § 5 Abs. 2 EStG. Nach einer Auffassung kommt § 5 Abs. 2 EStG gegenüber § 5 Abs. 1 EStG iVm. den handelsrechtlichen GoB eine rein deklaratorische Bedeutung zu, da das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 HGB dem Aktivierungswahlrecht des § 248 Abs. 2 HGB vorgeht und den allgemeinen GoB entspricht.5 Auch wenn § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB abweichend von § 5 Abs. 2 EStG ein Aktivierungswahlrecht für bestimmte nicht entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens vorsieht, so stellt dieses Wahlrecht letztlich nur eine Ausnahme von dem auch im HGB nach § 248 Abs. 2 Satz 2 HGB geltenden Vorsichtsprinzip dar, das Ausfluss des allgemein geltenden GoB ist. Für diese Ansicht sprechen die bei Ausübung des Aktivierungswahlrechts fortbestehenden Ausschüttungsund Bewertungsausschlüsse nach § 268 Abs. 8 und § 255 Abs. 2a Satz 4 HGB. Die Gegenansicht verbindet den Inhalt der GoB mit § 248 Abs. 2 HGB und dem dort geregelten Aktivierungswahlrecht. Sie erkennt in § 5 Abs. 2 EStG eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit.6

5 Anzinger in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1765. 6 Herzig, DB 2008, 1 (5); Kirsch, DStZ 2008, 28 (30).

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3. Verhältnis zu den Entnahme- und Einlagevorschriften Der sogenannten Sphärenvorrang7 gebietet es, dass die ertragsteuerlichen Normen zur Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 8, § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) gegenüber § 5 Abs. 2 EStG vorrangig zu behandeln sind.8 Der Sphärenvorrang ergibt sich aus der gesetzgeberischen Wertung in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG, wonach Einlagen bei der Gewinnermittlung vom Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wj. und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wj. abzuziehen sind. Damit unterscheidet das Gesetz den nicht steuerbaren privaten von dem steuerbaren betrieblichen Bereich und bringt zum Ausdruck, dass nur im Betrieb erwirtschaftete Werte der Besteuerung unterliegen, nicht dagegen Werte, die vor ihrer Einlage im Privatvermögen entstanden sind.9 Dementsprechend tritt § 5 Abs. 2 EStG gegenüber den Einlagegrundsätzen zurück. Gleiches gilt auch für Entnahmen: Gegenstand einer Entnahme können auch nicht aktivierte immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sein. Denn auch hier gilt die Sphärentheorie, wonach diese immateriellen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung entstanden sind und bei ihrer Veräußerung mit dem Veräußerungserlös das Betriebsvermögen erhöhen würden. Daher muss auch ihre Entnahme gewinnerhöhend berücksichtigt werden, und zwar grundsätzlich gem. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem Teilwert. Auch nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens können Gegenstand einer Entnahme sein.10 Dieser Vorrang der Einlagegrundsätze gilt auch für verdeckte Sacheinlagen, also für die unentgeltliche Übertragung eines immateriellen Wirtschaftsguts vom Gesellschafter auf die Gesellschaft, die nicht offen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten vorgenommen wird.11 Bei der begünstigten Gesellschaft ist ein beim Gesellschafter geschaffenes Wirtschaftsgut damit gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 EStG mit dem Teilwert, höchstens gem. § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a mit den Herstellungskosten anzusetzen, wenn es innerhalb der letzten drei Jahre hergestellt worden ist. Beim verdeckt einlegenden Gesellschafter erhöhen sich die An7 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG38, § 5 Rz. 164. 8 StRspr.: BFH v. 26.5.1994 – IV B 33/93, BFH/NV 1995 (102); v. 22.1.1980 – VIII R 74/77, BStBl. II 1980, 244 = FR 1980, 197. 9 Anzinger in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1773. 10 BFH v. 23.3.1995 – IV R 94/93, BStBl. II 1995, 637 = GmbHR 1995, 683. 11 Wolffgang in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rz. C 50; Anzinger in HHR, EStG/KStG § 5 EStG Rz. 1848.

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schaffungskosten seiner Beteiligung gem. § 6 Abs. 6 Satz 2 EStG um den Teilwert des Wirtschaftsguts bzw. gem. § 6 Abs. 6 Satz 3 EStG um seinen Einlagewert, wenn die Einlage innerhalb von drei Jahren nach der Herstellung stattgefunden hat. Dieser Einlagewert ist nicht wegen § 5 Abs. 2 EStG mit Null anzusetzen. Er entspricht den Herstellungskosten, wenn der Teilwert nicht niedriger ist. Das ergibt sich aus der vorrangigen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a EStG.12

II. Aktuelles zum Begriff des Wirtschaftsguts 1. Bedeutung In Zeiten der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung gewinnen die Regelungen zur Aktivierung von immateriellen Wirtschaftsgütern immer mehr an praktischer Relevanz. Es erscheint bereits fraglich, ob die oben dargestellte ursprüngliche gesetzliche Wertung, nach der immaterielle Wirtschaftsgüter im Vergleich zu materiellen Gegenständen besonders „unsichere“ Werte13 darstellen, in der modernisierten informationseffizienten Gesellschaft noch so ohne Weiteres ihre Berechtigung hat. Unabhängig von dieser Diskussion zeigen die Beispiele aus der aktuellen Rspr. und aus Verwaltungsanweisungen, dass es immer „neue“ Wirtschaftsgüter gibt, die auch im Maßstab des § 5 Abs. 2 EStG rechtlich einzuordnen sind.

2. Selbständiger Wert im Geschäftsverkehr (BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16) So hatte der BFH14 über die Periodenzuordnung von Provisionsansprüchen eines Handelsvertreters zu entscheiden, die unter einer aufschiebenden Bedingung standen. Dem Geschäftsmodell lag die Reisevermittlung und Vermittlung verbundener Reiseleistungen im Rahmen eines Reisebüros zugrunde. Streitig war die Behandlung von Aufwendungen, die durch die Vermittlung von erst im Folgejahr angetretenen Reisen angefallen waren. Die FinVerw. war der Auffassung, dass die Betriebsausgaben, die mit der vom Kläger erhaltenen Provision im Zusammenhang standen, als unfertige Leistung zu aktivieren seien. Als Begründung wurde angeführt, dass sämtliche Leistungen des Klägers hinsichtlich der Ver12 R 5.5 Abs. 3 Satz 3 EStR; Eckstein in HHR, EStG/KStG, § 6 EStG Rz. 855. 13 Vgl. BFH v. 8.11.1979 – IV R 145/77, BStBl. II 1980, 146 = FR 1980, 172. 14 BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16, BStBl. II 2018, 536 = FR 2018, 964.

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mittlung oder des Verkaufs der Reise bereits im Zeitpunkt der Buchung erbracht worden seien, so dass auch die damit zusammenhängenden Aufwendungen bereits entstanden seien. Auch wenn die Gewinnrealisation erst im Folgejahr eingetreten sei, müssten die Aufwendungen – ebenso wie der Ertrag aus den Aufwendungen – periodengerecht zugeordnet werden und die Aufwendungen seien zu aktivieren. Dieser Auffassung erteilt der BFH eine Absage und kommt zu dem Ergebnis, dass für die geleisteten Anzahlungen auf die Provisionsansprüche kein Gewinn realisiert wurde und dass die damit verbunden Aufwendungen nicht als unfertige Leistung zu aktivieren sind.15 Hinsichtlich der Gewinnrealisation stellt der BFH heraus, dass die Zahlungen – sofern sie als Provisionsvorschüsse zu werten seien – noch keine Gewinnrealisation ausgelöst haben, da erst durch die Ausführung der Reise (Bedingungseintritt) der Gewinn durch die Entstehung des Provisionsanspruchs realisiert sei. Hinsichtlich der möglichen Aktivierung einer unfertigen Leistung betont der BFH, dass die Aktivierung von Aufwendungen – abgesehene von RAP – grundsätzlich das Vorliegen eines Wirtschaftsguts voraussetze, dass also Aufwendungen zum Erwerb eines Wirtschaftsguts geführt haben müssen. Dies gelte auch für den Bilanzposten „unfertige Leistungen“ gem. § 266 Abs. 2 B.I.2. HGB. Der Begriff des Wirtschaftsguts werde im EStG zwar nicht definiert, der BFH fasse den Begriff in stRspr. jedoch weit.16 Hierunter fallen Sachen, Rechte oder tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten oder Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt, die einer besonderen Bewertung zugänglich sind, idR eine Nutzung für mehrere Wj. erbringen und zumindest mit dem Betrieb übertragen werden. Nicht jeder Vorteil für einen Betrieb hat schon die Eigenschaft eines Wirtschaftsguts. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt der BFH sodann zu dem Ergebnis, dass sich im vorliegenden Fall kein Wirtschaftsgut herausgebildet hat, das als unfertige Leistung zu aktivieren wäre. Der wirtschaftliche Vorgang sei noch nicht so weit fortgeschritten, dass es sich um einen aktivierungsfähigen Vorteil handelt, der sich bereits verselbständigt habe. Bei den bereits entstandenen Aufwendungen handele es sich vielmehr um laufende Ausgaben. Laufende Betriebsausgaben, die sich nicht eindeutig 15 BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16, BStBl. II 2018, 536 = FR 2018, 964 (unter 2.a). 16 BFH v. 8.4.1992 – XI R 34/88, BStBl. II 2013, 324; v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126.

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bestimmten Aufträgen zurechnen lassen und sich nicht von den laufenden Aufwendungen abheben, sind danach nicht geeignet, ein selbständig bewertungsfähiges Wirtschaftsgut zu begründen. Aufgrund der getätigten Aufwendungen hat sich keine objektiv werthaltige Position für den Betrieb des Klägers gebildet.17 Anders könnte sich das in den Fällen darstellen, in denen die Aufwendungen tatsächlich einzelnen Aufträgen zugeordnet werden könnten. Das ist etwa bei den Leistungen von Insolvenzverwaltern der Fall, die ebenfalls einen Vorschuss erhalten, und bis zum Abschluss ihrer Leistung viele Jahre tätig sind. Auch hier kam der BFH zum Ergebnis, das vor Abschluss der Leistungen noch keine Realisation eingetreten ist.18 Mit der Frage der Aktivierung unfertiger Leistungen hat er sich nicht befasst. Legt man die Entscheidung vom 26.4.2018 – III R 5/16 zugrunde, könnte aber gerade in diesen Fällen ein Wirtschaftsgut entstanden sein, weil sich die Aufwendungen einem Auftrag zuordnen lassen und dem teilweise abgeschlossenen Auftrag im Geschäftsverkehr ein Wert beigemessen würde. Dann stellt sich die Frage, ob das Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte auch die Aktivierung eines immateriellen Wirtschaftsguts ausschließt. Das Vollständigkeitsgebot spricht dagegen.

3. Allein oder mit dem Betrieb verkehrsfähig (FG Bad.-Württ. v. 3.5.2017 – 4 K 173/14) Mit seinem Urteil vom 3.5.201719 hat das FG Baden-Württemberg über die Frage entschieden, ob eine gegen eine Gebühr erteilte Fernsehlizenz iSd. § 5 Abs. 2 EStG entgeltlich erworben ist und die Anschaffungskosten für ein immaterielles Wirtschaftsgut „Sendelizenz“ zu aktivieren sind, oder ob diese vielmehr sofort abziehbare Betriebsausgaben darstellen. Im konkreten Fall ging es um eine Zulassung nach § 12 Abs. 4 Satz 2 Landesmediengesetz Baden-Württemberg. Die Klägerin hatte sich um eine solche Zulassung beworben. Eine Übertragung der Zulassung ist dann anzunehmen, wenn innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren seit der Zulassung mehr als 50 % der Kapital- oder Stimmrechtsanteile auf andere Gesellschafter oder Dritte übertragen werden und dies nach den gesamten Umständen, insbes. bei einer wesentlichen Änderung des 17 BFH v. 26.4.2018 – III R 5/16, BStBl. II 2018, 536 = FR 2018, 964 (unter 2.c). 18 BFH v. 7.11.2018 – IV R 20/16, BStBl. II 2019, 224 = FR 2019, 305 mit Anm. Anzinger, EWIR 2019, 93. 19 FG Bad.-Württ. v. 3.5.2017 – 4 K 173/14, BB 2017, 2416, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 13/18.

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Programmkonzepts oder einer Änderung des Programmnamens, einem Wechsel des Veranstalters gleichkommt. Die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg erteilte der Klägerin die Sendelizenz und setzte hierfür eine Gebühr fest. Die Klägerin behandelte diese Gebühr in ihrer Gewinnermittlung als sofort abziehbare Betriebsausgabe. In der sich anschließenden Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer jedoch die Auffassung, die für die Sendelizenz aufgewandten Kosten seien keine sofort abziehbaren Betriebsausgaben, sondern als Anschaffungskosten für das immaterielle Wirtschaftsgut Sendelizenz zu aktivieren. Das FG Baden-Württemberg kam schließlich zu dem Ergebnis, dass das FA zu Unrecht die aufgewendeten Gebühren nicht als sofort abziehbare Betriebsausgaben behandelt hatte. Es liege bereits kein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut vor und jedenfalls fehle es an dem – für eine Aktivierung als immaterielles Wirtschaftsgut erforderlichen – entgeltlichen Erwerb der Sendelizenz. Das FG begründet dies damit, dass mit der Sendelizenz zwar ein wirtschaftlicher Vorteil für die Klägerin verbunden sei, dieser aber kein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut darstelle. Um dieses Ergebnis zu begründen, wiederholt es zunächst die Formel der der stRspr.20 Danach gehören zu den Vermögensgegenständen iSd. HGB und den Wirtschaftsgütern iSd. Ertragsteuerrechts alle vermögenswerten Vorteile des Betriebs einschließlich tatsächlicher Zustände und konkreter Möglichkeiten, sofern ihnen im Geschäftsverkehr ein selbständiger Wert beigelegt wird und sie verkehrsfähig sind. Die Verkehrsfähigkeit setzt hierbei keine Einzelveräußerung voraus. Ausreichend ist es, dass der Vorteil zusammen mit dem Betrieb übertragen werden kann. Das FG Baden-Württemberg schlussfolgert hierauf bezogen, dass die Sendelizenz zwar mit einem vermögenwerten Vorteil für die Klägerin verbunden sei, da sie durch diese in die exklusive Stellung des einzigen regionalen Fernsehsenders gelangt. Die Annahme eines Wirtschaftsguts scheitere jedoch an der fehlenden Übertragbarkeit der Sendelizenz. Diese sei nach § 12 Abs. 4 Satz 1 Landesmediengesetzes Baden-Württemberg ausgeschlossen. Die Zulassung sei als höchstpersönliches Recht an die Person des Adressaten des Zulassungsbescheids gebunden. Die Übertragungsfähigkeit der Anteile an der juristischen Person, der die Zulassung 20 BFH v. 26.8.1992 – I R 24/91, BStBl. II 1992, 977; v. 3.8.1993 – VIII R 37/92, BStBl. II 1994, 444.

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erteilt wurde, begründe die zur Qualifikation eines Wirtschaftsguts notwendige Übertragbarkeit des Vorteils nicht. Die Lizenz sei auch nicht gemeinsam mit dem ganzen Betrieb übertragbar. Würde man auf eine wirtschaftliche Übertragung abstellen, wäre jeder Vorteil verkehrsfähig, der einer Kapitalgesellschaft zuzuweisen sei. Damit würde einerseits das Merkmal der Verkehrsfähigkeit sinnentleert und andererseits der Begriff des Wirtschaftsguts rechtsformabhängig ausgestaltet, weil bei einem Einzelunternehmer eine so verstandene wirtschaftliche Übertragung nicht möglich wäre. Ob dem Merkmal der Verkehrsfähigkeit tatsächlich eine tragende Rolle im Begriff des Wirtschaftsguts zukommt, oder ob es doch nur ein Hilfsmerkmal der selbstständigen Bewertbarkeit bildet, wird den BFH im anhängigen Revisionsverfahren beschäftigen müssen.21 Dabei wird er sich auch mit der Rspr. zum kommerzialisierbaren Teil eines Namensrechts auseinandersetzen müssen. Der BFH hatte dieses als Wirtschaftsgut qualifiziert und dabei nicht die Übertragbarkeit, sondern die Bewertungsfähigkeit in den Mittelpunkt gerückt.22 Einer selbständigen Bewertung erscheint auf den ersten Blick eine Fernsehlizenz jedenfalls ebenso zugänglich, wie eine Güterverkehrsgenehmigung oder eine Spielerlaubnis. Die Besonderheit der Sendelizenz besteht allerdings darin, dass sie allein an persönliche und sachliche Zulassungsvoraussetzungen anknüpft und keine Kontingentierung besteht. Jeder, der die Voraussetzungen erfüllt, erhält die Zulassung. Wer die Voraussetzungen nicht erfüllt, kann sie auch nicht erwerben, selbst wenn er bereit ist, ein Entgelt zu entrichten. Damit bildet sie für einen Erwerber des ganzen Betriebs keinen selbstständigen Wert. Er müsste diese personengebundene Lizenz selbst noch einmal beantragen. Nur wenn man die Lizenz als Wirtschaftsgut qualifiziert, gelangt man im Regelungszusammenhang des § 5 Abs. 2 EStG zu der Frage des entgeltlichen Erwerbs. Das FG hatte die Entgeltlichkeit mit den folgenden Argumenten abgelehnt. Ein entgeltlicher Erwerb setze voraus, dass das immaterielle Wirtschaftsgut Gegenstand eines gegenseitigen Vertrags sei, bei dem Leistung und Gegenleistung nach kaufmännischen Gesichtspunkten gegeneinander abgewogen werden und bei dem die Leistung der einen Vertragspartei in der Übertragung des Wirtschaftsguts besteht.23 Es zitiert

21 BFH, anhängiges Verfahren Az. IV R 13/18. 22 BFH v. 12.6.2019 – X R 20/17, BStBl. II 2020, 3 = FR 2020, 38. 23 BFH v. 3.8.1993 – VIII R 37/92, BStBl II 1994, 444.

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hierzu auch die BFH-Rspr. zur Güterfernverkehrsgenehmigung im Bewertungsrecht: „Der Firmenwert ist aber nur dann als selbständig bewertbares Wirtschaftsgut anzusehen, wenn er als geldwerte Realität in Erscheinung getreten und damit konkretisiert worden ist. Hierzu ist regelmäßig erforderlich, dass er eine Wertbestätigung durch den Markt erhalten hat. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn das immaterielle Wirtschaftsgut entgeltlich erworben wurde oder die selbständige Bewertungsfähigkeit durch Aufwendungen anerkannt wurde, die auf das zu bewertende Wirtschaftsgut gemacht wurden (…). Als immaterielles Wirtschaftsgut erfasst wird demnach nur die von einem anderen Konzessionsinhaber entgeltlich erworbene, derivativ, nicht aber die ausschließlich originär von der Genehmigungsbehörde verliehene Konzession.“24

Das FG stellt dann fest, dass die Sendelizenz im zu entscheidenden Fall durch die Gebühren der Landesanstalt für Kommunikation keine „Wertbestätigung am Markt“ gefunden habe. Außerdem stellten die Gebühren nach den Vorstellungen der Beteiligten nicht die synallagmatische Gegenleistung für die von der Klägerin erlangte Sendelizenz dar.25 Würde der BFH im anhängigen Verfahren zu dem Ergebnis kommen, dass die Sendelizenz ein Wirtschaftsgut darstellt, müsste er klären, ob zumindest in den Fällen, in denen bei der Bemessung der Gebühren neben dem Verwaltungsaufwand auch das wirtschaftliche Interesse des Lizenzantragstellers berücksichtigt wird, diese Gebühren als Entgelt anzusehen sind. Dafür spricht, dass der Lizenzantragsteller nur dann bereit sein wird, eine entsprechende Gebühr zu bezahlen und die eventuell noch damit verbundenen Nebenkosten in Kauf zu nehmen, wenn die Lizenz für ihn einen entsprechenden Wert hat. Dass Gebühren grundsätzlich ein Marktentgelt widerspiegeln können, ist bei der Versteigerung der UMTSLizenzen besonders augenscheinlich geworden. Bei der Versteigerung der UMTS-Lizenzen bildete aber eine limitierte Verfügbarkeit der Lizenzen die Basis dieses Preisbildungsprozesses.26 Fraglich ist, ob dieser Entgeltcharakter auch dann zu bejahen ist, wenn keine Versteigerung stattgefunden hat. Dafür spricht, dass in den Fällen, in denen Lizenzen, Konzessionen oder Zulassungen als Wirtschaftsgut zu qualifizieren sind und Gebühren erhoben werden, diese gar nicht anders entstehen können als durch Zahlung eines Entgelts. Man mag dann die Frage stellen, wer Her24 BFH v. 22.3.1989 – II R 15/86, BStBl. II 1989, 644. 25 Vgl. hierzu auch BFH v. 14.12.2011 – I R 108/10, BStBl. II 2012, 238 = FR 2012, 213. 26 Zum Hintergrund BVerfG v. 28.3.2002 – 2 BvG 1, 2 2/02, BVerfGE 105, 185 = CR 2002, 499; Becker, Verw. 35 (2002), 1; Hufeld, JZ 2002, 871.

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steller ist, die Behörde oder der Antragsteller. In dem Fall eines Pflanzenschutzmittelherstellers, der eine neue Rezeptur entwickelt hat und deren Zulassung zur Produktion und zum Vertrieb beantragt, bilden die Zulassungskosten bei diesem einen Teil der Herstellungskosten der Rezeptur des Pflanzenschutzmittels,27 aber nur solange, als man die Zulassung nicht als eigenständiges Wirtschaftsgut qualifiziert. Anders wird man kaum den Taxikonzessionär als Hersteller der Konzession ansehen dürfen. Die Behörde beherrscht das Genehmigungsverfahren, nicht der Antragsteller. Der Antragssteller muss eine Gebühr aufwenden, um die begehrte Konzession zu erhalten. Mit dieser Finalität ist deshalb die Gebühr für die Erteilung einer Taxikonzession als Entgelt anzusehen, wenn diese als Wirtschaftsgut zu qualifizieren ist. Man gelangt letztlich auch bei der Frage nach der Entgeltlichkeit wieder zur Frage der Qualifikation des Erlangten. Zu unterscheiden ist wieder der Erwerb einer Lizenz auf einem beschränkten Markt von der bloßen Genehmigung des Betriebs nach Prüfung persönlicher und sachlicher Voraussetzungen. Das lässt sich ebenfalls am Beispiel der zur Aufnahme eines Taxigewerbes erforderlichen Genehmigungen deutlich machen. Neben der Konzession ist ein Personenbeförderungsschein erforderlich. Auch er ist nur gegen Zahlung einer Gebühr erhältlich, aber untrennbar mit der Person verbunden, der er erteilt worden ist. Das Gleiche gilt für eine gaststättenrechtliche Genehmigung, die ebenfalls personenbezogene Elemente enthält. Für diese personengebundenen Lizenzen würde auf den ersten Blick kein gedachter Erwerber des ganzen Betriebs einen eigenen Wert ansetzen, es sei denn, er kann die Personen übernehmen und mit diesen Personen die erteilten personengebundenen Lizenzen. Wenn durch die Gebühr aber kein Wirtschaftsgut erworben wird, kann sie auch kein Entgelt sein. Entgelt können auch Leistungen an einen Dritten sein, die aufgewendet werden, um ein immaterielles Wirtschaftsgut zu erhalten. Wer eine Taxikonzession oder eine noch zu besprechende Vertragsarztzulassung übernimmt, zahlt an den bisherigen Inhaber ein Entgelt, erhält die umgeschriebene Konzession indessen von der Behörde. Schwieriger zu beurteilen sind die Anschaffungsnebenkosten, insbes. die Beratungskosten. Dass diese die eigentlichen Anschaffungskosten um ein Vielfaches übersteigen können, ist nicht ungewöhnlich und spricht, anders als es das FG ausführt,28 nicht gegen ihre Qualifikation als Entgelt. Zu denken ist an 27 BFH v. 8.9.2011 – IV R 5/09, BStBl. II 2012, 122 = FR 2012, 132. 28 FG Bad.-Württ. v. 3.5.2017 – 4 K 173/14, BB 2017, 2416, nrkr. (Rev. Az. BFH IV R 13/18), Rz. 49.

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die Kosten der Implementierung einer Software, die ihre Anschaffungskosten oft vielfach übersteigen und doch als Kosten der Inbetriebnahme nachträgliche Anschaffungskosten bilden können. Im Ergebnis steht und fällt damit alles mit der Qualifikation des Wirtschaftsguts. Ist sie zu bejahen, begründen alle Aufwendungen, die getätigt werden, um das Wirtschaftsgut zu erwerben, die Entgeltlichkeit des Erwerbs. Entscheidend ist allein die Finalität, also die Zweckgerichtetheit der Aufwendungen.

4. Geschäftswertähnliche und abgespaltene Wirtschaftsgüter Der Geschäftswert bildet als Restgröße den einem Unternehmen über die Werte der materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter hinaus innewohnenden Wert ab. Weil er eigenständig abzuschreiben ist, stellt sich die Herausforderung, die wertbildenden Faktoren des Geschäftswerts von den selbständigen geschäftswertähnlichen Wirtschaftsgütern abzugrenzen. Die gleiche Problematik stellt sich bei abgespaltenen Wirtschaftsgütern, etwa den vom Betrieb oder vom Grund und Boden abgespaltenen Produktions-, Liefer- und Prämienrechten. Den Ausgangspunkt dieser Abgrenzung bilden wiederum die Merkmale des Wirtschaftsgutsbegriffs, insbes. das durch die Verkehrsanschauung geprägte Merkmal der selbständigen Bewertbarkeit. Exemplarisch für abgrenzbare geschäftswertähnliche, selbständige immaterielle Wirtschaftsgüter sind der Auftragsbestand29, das Handelsvertreterrecht,30 Belieferungsmöglichkeiten,31 Güterfernverkehrsgenehmigungen und Linienbuskonzessionen,32 Kunden-/Mandantenstamm33. Abgespaltene Wirtschaftsgüter bildeten etwa Milch- und Zuckerrübenlieferrechte34, Betriebsprämienrechte nach der GAP-Reform,35 Wiederbepflanzungsrechte im Weinbau36 oder das Jagdrecht37. 29 FG Münster v. 17.11.2014 – 5 K 2396/13, EFG 2015, 1079, nrkr., nachfolgend BFH v. 10.9.2015 – IV R 49/14, BStBl. II 2016, 722 = FR 2016, 584; FG Münster v. 1.2.2008 – 9 K 2367/03, EFG 2008, 1449, rkr. 30 BFH v. 12.7.2007 – X R 5/05, BStBl. II 2007, 959 = FR 2008, 31. 31 BFH v. 28.5.1998 – IV R 48/97, BStBl. II 1998, 775 = FR 1998, 882. 32 BFH v. 15.12.1993 – X R 102/92, BFH/NV 1994, 543. 33 BFH v. 26.11.2009 – III R 40/07, BStBl. II 2010, 609 = FR 2010, 480. 34 BFH v. 17.1.2019 – VI R 52/16, BStBl. II 2019, 472; v. 17.3.2010 – IV R 3/08, BStBl. II 2014, 512. 35 BFH v. 21.10.2015 – IV R 6/12, BStBl. II 2017, 45 = FR 2016, 672. 36 BFH v. 6.12.2017 – VI R 65/15, BStBl. II 2018, 353. 37 BFH v. 18.7.1974 – IV R 187/69, BStBl. II 1974, 767.

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Wegen ihres wirtschaftlichen Werts und ihrer Verbreitung als praktisch besonders bedeutsam ist die Vertragsarztzulassung hervorzuheben. Für diese hat die Rspr. eine bereichsspezifische Kasuistik entwickelt. Beim Erwerb des Betriebs einer Arztpraxis bildet die Vertragsarztzulassung, die die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Zulassungsbereich ermöglicht, einen wesentlichen, häufig den weit überwiegenden Wert der Praxis. Im Geschäftsverkehr wird ihr daher ein selbständiger Wert beigemessen. Ausgehend von der Rspr. zu den oben aufgezählten geschäftswertähnlichen Wirtschaftsgütern würde es daher nahe liegen, auch die Vertragsarztzulassung als selbständiges Wirtschaftsgut zu qualifizieren. Der BFH hat demgegenüber festgestellt, dass die Vertragsarztpraxis mit der Vertragsarztzulassung grundsätzlich nur ein einheitliches Chancenpaket bildet und daher die Vertragsarztzulassung nicht als eigenständiges Wirtschaftsgut zu qualifizieren ist. Das gilt selbst dann, wenn für die Vertragsarztzulassung ein gesonderter Preis, ein Zuschlag zum Verkehrswert, gezahlt wird.38 Sie bilde mit dem Patientenstamm, dem Standort, dem Umsatz, der Facharztgruppe und weiteren wertbildenden Faktoren ein einheitliches Chancenpaket, das einheitlich mit dem Praxiswert abzuschreiben sei. Von diesem Grundsatz sei nur dann abzuweichen, wenn wirtschaftlich betrachtet nur die mit der Vertragsarztzulassung verbundenen Marktchancen übertragen werden sollen. Nur in diesem Fall qualifiziert sie die Rspr. als selbständiges Wirtschaftsgut.39 Als selbständiges Wirtschaftsgut sei die Vertragsarztzulassung dann aber nicht mehr abnutzbar. Sie sei ein immerwährendes Recht, das auch nicht durch die Altersbegrenzung für Vertragsärzte einer zeitlichen Beschränkung unterliege, weil sie jederzeit selbständig veräußert werden könne und einen eigenständigen Wert behalte.40 In der Feststellung der Nichtabnutzbarkeit mit dem Argument der Möglichkeit der selbständigen Weiterveräußerung offenbart sich ein Widerspruch. Ein Wirtschaftsgut, das als selbständig verkehrsfähig anzusehen ist, das im Verkehr einen selbständigen Wert bildet, ist ein eigenständiges Wirtschaftsgut. Es geht nicht im Praxiswert auf, der durch andere Faktoren, etwa die Lage der Praxisräume, bestimmt wird. Die Rechtsfolge, auf der einen Seite Abschreibung gemeinsam mit dem Praxiswert,

38 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 7/14, BStBl. II 2017, 689. 39 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 24/16, BFH/NV 2017, 899; v. 21.2.2017 – VIII R 56/14, BStBl. II 2017, 694. 40 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 56/14, BStBl. II 2017, 694.

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idR verteilt auf eine Nutzungsdauer von 3–5 Jahren,41 auf der anderen Seite die liquiditätsbelastende Versagung jeder Abschreibungsmöglichkeit, verschärft Abgrenzungsprobleme und zwingt zu Gestaltungen. Überzeugend wäre die durchgehende Qualifikation der Vertragsarztzulassung als selbständiges Wirtschaftsgut mit einer Nutzungsdauer, die der voraussichtlichen Nutzung durch den Arzt, auf den die Zulassung lautet, oder typisierend mit 10–15 Jahren anzunehmen ist und dabei berücksichtigt, dass die Zulassung nur so lange werthaltig ist, als die Zulassung beschränkt ist. Eine solche Marktregulierung kann vom Gesetzgeber jederzeit aufgehoben werden.

5. Entschädigung für die Aufhebung eines unbefristeten Vertriebsvertrags (BFH v. 6.9.2018 – IV R 26/16) In einem nicht amtlich veröffentlichten Urteil vom 6.9.201842 hat der BFH über einen Sachverhalt entschieden, bei dem die Klägerin als Verbindungsnetzbetreiberin ein Telekommunikationsnetz betrieb. Ihre Dienstleistung umfasste unter anderem die Vermittlung von Telefonverkehr über Servicenummern zu Anschlüssen oder Mehrwertdiensten ihrer Kunden. Sie schloss mit der L einen Vertrag über eine Zusammenarbeit. Darin übertrug die Klägerin der L das exklusive Vertriebsrecht von Premium-Rate-Diensten sowie das nicht exklusive Vertriebsrecht für weitere Telekommunikationsdienstleistungen. Der L oblag dabei die Präsentation der Servicenummern auf dem Markt sowie die Kundenakquise. Im Vertrag war vereinbart, dass auch nach der Beendigung des Vertrags die Klägerin weiterhin für noch laufende Kundenverträge die Provision zu entrichten hatte. L ihrerseits garantierte den Kundenschutz. Die Klägerin beendete den Vertrag mit einer Auflösungsvereinbarung. Zur Abgeltung sämtlich bestehender und zukünftiger Ansprüche – auch bezüglich des Kundenschutzes – zahlte die Klägerin an L … DM. Die Klägerin erfasste diese Zahlung in der Gewinn- und Verlustrechnung als außerordentlichen Aufwand. Nach einer die Streitjahre betreffenden Außenprüfung vertrat die FinVerw. die Auffassung, die Zahlung an L sei für den Erwerb eines Rechtsverzichts getätigt worden. Dabei handele es sich um ein immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens iSd. § 5 Abs. 2 EStG, das zu aktivieren und lediglich im Wege der AfA gewinn-

41 FG Köln v. 26.1.2012 – 6 K 4538/07, EFG 2012, 1128, rkr., Rz. 21. 42 BFH v. 6.9.2018 – IV R 26/16, BFH/NV 2018, 1261.

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wirksam zu berücksichtigen sei. Das FG43 hatte der Klage hiergegen stattgegeben und geurteilt, dass die Zahlung an L als Betriebsausgabe abziehbar sei, denn die Klägerin habe kein zu aktivierendes Wirtschaftsgut erworben. Der BFH bestätigte mit seinem Urteil vom 6.9.2018 das Urteil der Vorinstanz. Die wegen der vorzeitigen Vertragsauflösung geleistete Zahlung sei als abziehbare Betriebsausgabe zu behandeln. Der steuerrechtliche Begriff des Wirtschaftsguts sei grundsätzlich weit zu fassen. Er umfasse zum einen alle Gegenstände iSd. § 90 BGB, darüber hinaus aber auch sonstige Vorteile. Darunter sind tatsächliche Zustände sowie konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb zu verstehen, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt und die nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich sind. Von den selbständigen materiellen wie immateriellen Wirtschaftsgütern sind die unselbständigen Teile, die wertbildenden Faktoren, wie zB geschäftswertbildenden Rechtsreflexe, die der Verbesserung des eigenen Firmen-/Geschäftswerts dienen, oder die Nutzungsvorteile eines Wirtschaftsguts abzugrenzen. Ausgehend von diesen Annahmen kommt der BFH sodann zu dem Ergebnis, dass Gegenstand des Auflösungsvertrags nicht der Erwerb eines selbständig bewertbaren Vorteils gewesen sei und die Klägerin kein immaterielles Wirtschaftsgut „Kundenstamm“ oder „Vertriebsrecht“ erworben habe. Sie habe sich vielmehr durch die vorzeitige Vertragsaufhebung in geschäftswertverstärkender Weise von einem Vertrag befreit, der sich als unternehmerische Fehlmaßnahme herausgestellt habe. Der Erwerb eines Kundenstamms sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil ein derartiges immaterielles Wirtschaftsgut dem Unternehmen der L überhaupt nicht entsprach: Der Kundenstamm entstand von vorneherein im Unternehmen der Klägerin und ist in deren Geschäftswert eingegangen. Er konnte daher nicht Gegenstand des Auflösungsvertrags gewesen sein. Ebenso wenig geht der BFH davon aus, dass die Klägerin mit der Auflösungsvereinbarung ein Vertriebsrecht zurückerworben hat. Denn das Entgelt ist insgesamt als „Abstandszahlung“ zu sehen, das nicht der Erlangung des Vertriebsrechts diente, sondern für den Verzicht auf eine weitere Vertragserfüllung gezahlt wurde. Mithin wurde die Zahlung für den

43 FG Köln v. 10.3.2016 – 13 K 1602/11, EFG 2016, 1493, nrkr., nachfolgend BFH v. 6.9.2018 – IV R 26/16, BFH/NV 2018, 1261.

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Untergang des Vertriebsrechts der L gezahlt und nicht zur Rückerlangung des Wirtschaftsguts „Vertriebsrecht“.

6. Arbeitnehmererfindungen (Bayerisches Landesamt für Steuern v. 19.7.2017) Arbeitnehmer müssen ihrem Arbeitgeber während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gemachte patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindungen melden, wenn sie aus ihrer Tätigkeit entstanden sind oder maßgeblich auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs beruhen. Bei diesen gebundenen Erfindungen (Diensterfindungen) kann der Arbeitgeber entscheiden, ob er die Erfindung in Anspruch nimmt oder freigibt. Nimmt er sie in Anspruch, gehen alle vermögenswerten Rechte an der Diensterfindung auf den Arbeitgeber über. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf angemessene Vergütung. Für deren Bemessung sind die wirtschaftliche Verwertbarkeit, die Aufgaben und die Stellung des Arbeitnehmers sowie der Anteil des Betriebs an dem Zustandekommen der Diensterfindung maßgebend. Die Art und die Höhe der Vergütung werden durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgestellt. Das ergibt sich aus den §§ 1–12 ArbNErfG. Für Computerprogramme, die der Arbeitnehmer entwickelt, besteht keine Vergütungspflicht. Die vermögensrechtlichen Befugnisse daran gehen gem. § 69b Abs. 1 UrhG auf den Arbeitgeber unentgeltlich über. Abzugrenzen von den Diensterfindungen sind die Erfindungen, die der Arbeitnehmer nicht im Rahmen der ihm obliegenden Tätigkeit gemacht hat und die nicht auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs beruhen. Auch solche Erfindungen muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber melden und ihm ein nicht ausschließliches Recht zur Benutzung der Erfindung zu angemessenen Bedingungen anbieten. Das ergibt sich aus den §§ 18 und 19 ArbNErfG. Bei der Frage nach der bilanzrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmererfindungen folgt die Verwaltungspraxis dieser Unterscheidung zwischen den Erfindungen der Arbeitnehmer, die während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gemacht wurden und aus dem Arbeitnehmer obliegenden Tätigkeiten entstanden sind oder auf maßgeblichen Erfahrungen oder Arbeiten im Betrieb beruhen (sog. gebundenen Erfindungen oder Diensterfindungen) einerseits und den freien Erfindungen andererseits.

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Bei den gebundenen Erfindungen geht die FinVerw.44 für die bilanzsteuerrechtliche Beurteilung der Aufwendungen davon aus, dass diese Aufwendungen als Herstellungskosten für ein immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren sind und damit dem Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG unterliegen. Demnach begründen solche Vergütungen keinen entgeltlichen Erwerb der Erfindung, sondern stellen lediglich Lohnaufwand im Zusammenhang mit dem Herstellungsvorgang dar. Diese Einordnung ist überzeugend, weil gebundene Erfindungen der Risikosphäre des Arbeitgebers zuzuordnen sind und er damit als Hersteller anzusehen ist. Ob der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit eine Erfindung hervorbringt oder nicht, beeinflusst die Vergütung des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht. Gelingt es dem Arbeitnehmer, ist die nach § 9 ArbNErfG zu gewährende Vergütung wirtschaftlich mit einer Erfolgsprämie vergleichbar und kann daher nicht als Entgelt für die Erfindung angesehen werden. Das ist anders bei freien Erfindungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie außerhalb der Risikosphäre des Arbeitgebers entstehen. Deshalb geht die Verwaltungspraxis überzeugend davon aus, dass übernommene Rechte aus freien Erfindungen mit der vereinbarten Vergütung des Arbeitnehmers als entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut zu aktivieren sind.45

7. Gemischt materiell-immaterielle Wirtschaftsgüter Ein Wirtschaftsgut kann nur insgesamt materiell oder immateriell sein.46 Daher ist für die Anwendung des § 5 Abs. 2 EStG eine Zuordnungsentscheidung zu treffen. Ihr vorangestellt ist die Entscheidung, den ebenfalls möglichen Verbund eines selbstständigen materiellen Wirtschaftsguts mit einem selbständigen immateriellen Wirtschaftsgut auszuschließen. Sie folgt den allgemeinen Kriterien. Insbesondere bei der Verbindung von Hard- und Software ist diese Entscheidung aber nicht immer leicht zu treffen. Maßgebendes Kriterium ist die Verkehrsanschauung über die selbständige Bewertungsfähigkeit.

44 Vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern v. 19.7.2017 – S 2134a.1.1-3/12 St32, EStB 2017, 361. 45 Vgl. Bayerisches Landesamt für Steuern v. 19.7.2017 – S 2134a.1.1-3/12 St32, EStB 2017, 361. 46 Lutz/Schlag in HdJ Abt. II/2 Rz. 17; Vogel in Hachmeister/Kahle/Mock/ Schüppen (Hrsg.), Bilanzrecht, 2018, § 248 Rz. 24.

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Für die Qualifikation eines einheitlichen Wirtschaftsguts als immateriell oder materiell hat die Rspr. eine Reihe von Kriterien entwickelt, die durch neue Produkte und Geschäftsmodelle herausgefordert werden. Sie hat zum einen auf das wirtschaftliche Interesse des Erwerbers abgestellt, und zwar darauf, ob es sich stärker auf die Erlangung des materiellen oder des immateriellen Werts bezieht.47 Bereits beim Kauf eines Buchs zeigen sich die praktischen Schwierigkeiten dieser subjektiven Komponente. Dasselbe Buch mag beim einen ein wichtiger Dekorationsgegenstand für das Bücherregal sein und beim anderen nur des Inhalts wegen gekauft werden. Auch bei der moderneren Erscheinung der Smartphones können Zweifel entstehen, ob sich das wirtschaftliche Interesse auf Hardware oder Software bezieht, wenn die Software nur mit der Hardware bezogen werden kann und sich keine andere Software installieren lässt. Im einen Fall ließen sich Smartphones als materielle Wirtschaftsgüter qualifizieren, im anderen erscheint auch ihre Einordnung als immaterielles Wirtschaftsgut möglich. Weitere Kriterien, die die Rspr. entwickelt hat, sind zum anderen die Wertverhältnisse, die Funktion der körperlichen Komponente, die Natur der zugrunde liegenden Verträge und die Möglichkeit der Vervielfältigung des materiellen Trägers.48 Alle diese Kriterien führen mit dem allgemeinen Bedeutungsgewinn digitaler Geschäftsmodelle zu Abgrenzungsschwierigkeiten. Ein Pkw. gegenwärtigen Zuschnitts ist nach allen bis hierher genannten Kriterien noch klar als materielles Wirtschaftsgut zu identifizieren. Aber was gilt, wenn der Wert der materiellen Komponenten an Bedeutung verliert und die Software in autonomen Fahrzeugen im Wert überwiegt? Alternative Formen der Preisgestaltung verleihen dieser Frage zusätzliches Gewicht. Die im Pkw. durch die Pkw.-Software „produzierten“ und im Rahmen neuer Geschäftsmodelle verwertbaren Daten können den „materiellen“ Wert des Pkw. sogar überschreiten. Folgt man dem, wegen seiner Objektivität vorzugswürdigen, Abgrenzungskriterium der Wertverhältnisse,49 wäre in diesem Fall ein immaterielles Wirtschaftsgut anzunehmen, nach der Funktion des Fahrzeugs als Transportmittel, ein materielles Wirtschaftsgut.

47 BFH v. 30.10.2008 – III R 82/06, BStBl. II 2009, 421; v. 20.9.1995 – X R 225/93, BStBl. II 1997, 320. 48 BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477; v. 3.12.1982 – III R 132/81, BStBl. II 1983, 647. 49 Anzinger in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 1808.

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Die Digitalisierung und damit einhergehende Entmaterialisierung immaterieller Werte hat aber auch zahlreiche ältere Abgrenzungsprobleme gelöst. Software wird heute nicht mehr auf Disketten, CD-ROM, DVD oder UBS-Stick ausgeliefert, sondern im Internet heruntergeladen. Das gilt zunehmend auch für Bücher in Gestalt von E-Books und für Musik. Die Frage, ob ein körperlicher Datenträger und die Verpackung die Qualifikation als materielles Wirtschaftsgut rechtfertigt, stellt sich nicht mehr. Und wer auf dem eigenen 3D-Drucker ein Ersatzteil „druckt“, auf der Grundlage einer digitalen Druckanleitung und einer gekauften Lizenz, hat nur immaterielle Wirtschaftsgüter erworben und selbst ein davon zu unterscheidendes, materielles Wirtschaftsgut hergestellt. De lege lata erscheint es notwendig, mit dem Erscheinen neuer Produkte und Geschäftsmodelle die Funktion als vorrangiges Kriterium heranzuziehen und nicht mehr die Wertverhältnisse. De lege ferenda muss der Gesetzgeber die Entwicklungen aufnehmen und in allen Vorschriften die Bedeutung der Unterscheidung zwischen materiellen und immateriellen Werten hinterfragen.

8. Immaterielle geringwertige Wirtschaftsgüter Trotz des soeben aufgezeigten Reformbedarfs erweisen sich die Gewinnermittlungsregeln des deutschen Ertragsteuerrechts im Großen und Ganzen als hinreichend abstrakt, um auch neue Geschäftsmodelle zutreffend in das innere System der Gewinnermittlung zu integrieren. Nur einzelne Vereinfachungsregeln scheinen gänzlich aus der Zeit gefallen zu sein und scheitern am Bedeutungsgewinn immaterieller Wirtschaftsgüter. Zu diesen dringend reformbedürftigen Vorschriften gehört die in § 6 Abs. 2 EStG geregelte steuerrechtliche Bewertungsfreiheit für geringwertige Wirtschaftsgüter.50 Der Gesetzgeber konnte sich zwar dazu durchringen, die Wertgrenze für nach dem 31.12.2017 angeschaffte Wirtschaftsgüter auf 800 t anzuheben51. Die Vorschrift erfasst aber nach wie vor nur bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Nach der Rspr. können nur materielle Wirtschaftsgüter beweglich iSd. § 6 Abs. 2 EStG sein.52 Das führt dazu, dass grundsätzlich jedes immaterielle Wirtschaftsgut mit einer Nutzungsdauer von mehr als einem Jahr zu aktivieren ist, wenn da50 Dazu bereits Anzinger/Linn, StbJb. 2017/18, 373 f. 51 Anhebung der gWG-Grenze auf 800 t durch das „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ (BGBl. I 2017, 2074). 52 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956.

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von nicht nach dem GoB der Wesentlichkeit abgesehen werden kann. Wo diese Wesentlichkeitsgrenze zu ziehen ist, ist in der Bilanzierungspraxis von der Wertgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter verdeckt worden. Zieht man diese Grenze bei 150 t, muss jedenfalls jedes E-Book über diesem Wert aktiviert werden. Die Verwaltungspraxis behilft sich für Software mit einer Fiktion. In R 5.5 Abs. 1 Satz 3 EStR 2012 waren Computerprogramme, die als Trivialsoftware zu behandeln sind und deren Anschaffungskosten nicht mehr als 410 t betragen, sofort abschreibbar. Mit der Anhebung der gWG-Grenze von 410 t auf 800 t ab 2018 wird auch diese Verwaltungsauffassung in den EStR entsprechend angepasst. So lautete die Antwort des BMF vom 8.6.2017 auf eine schriftliche Frage: „Die in R 5.5. Abs. 2 Satz 3 EStR 2012 genannte Grenze für die Behandlung von Computerprogrammen wie Trivialprogramme iHv. 410 t war an die Grenze für die Bewertungsfreiheit geringwertiger Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 2 EStG angelehnt. Im Rahmen der nächsten Überarbeitung der EStR ist eine Anhebung entsprechend der Änderung in § 6 Abs. 2 EStG vorgesehen.“53

In der Praxis stellt sich mit dem Bedeutungsgewinn immaterieller Güter die Frage, ob sich diese Verwaltungspraxis ausdehnen lässt, etwa auf E-Books oder andere digitale Medien. De lege ferenda sollten alle Vorschriften, die auf das Merkmal der Beweglichkeit abstellen und damit immaterielle Werte ausschließen, an den Bedeutungsgewinn immaterieller Werte angepasst werden; dazu zählen neben § 6 Abs. 2 auch die §§ 6b, 7 Abs. 1 Satz 6, 7 Abs. 2 und 7g EStG.

III. Herstellung, Anschaffung und Zurechnung von Software 1. Überblick Software ist zumindest beim Hersteller immer als immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren. Das gilt gleichermaßen für Individual-, Standard- und Trivialsoftware. Allein im Sonderfall der Steuerungssoftware kann sich die Frage stellen, ob die Software in einem gemischt materiellimmateriellen Wirtschaftsgut aufgeht. Beim Hersteller ist sie in diesem Fall regelmäßig Teil eines Prototyps, der wiederum grundsätzlich als immaterielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren ist.54 Nur wenn die Steue53 BT-Drucks. 18/12750, 21 (schriftl. Frage Nr. 30). 54 Sächs. FG v. 6.10.2004 – 4 K 172/02, EFG 2005, 1217, rkr.

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rungssoftware in eine eigene Produktionsanlage eingeht, kann deren materieller Charakter den immateriellen Charakter der Software absorbieren. Beim Anwender ist demgegenüber zwischen Individualsoftware, Standardsoftware und Trivialsoftware zu unterscheiden; zum einen, um die Frage zu beantworten, ob eine Herstellung oder ein Erwerb vorliegt, und zum anderen, um die von der Verwaltungspraxis vorgenommene Einordnung von Trivialsoftware als materielles Wirtschaftsgut zu vollziehen.

2. Individualsoftware Individualsoftware zeichnet sich dadurch aus, dass sie nach den konkreten Bedürfnissen eines vorherbestimmten Anwenders für eine definierte Aufgabe entwickelt wird. Ihre Bilanzierung beim Entwickler hängt von der Aufgaben- und Risikoverteilung zwischen ihm und dem Auftraggeber und darin von der Zuordnung der Rolle des Herstellers ab. Ausgehend von den allgemeinen Kriterien ist Hersteller, wer das Herstellungsgeschehen beherrscht (Initiative) und die wirtschaftlichen Folgen (Chancen- und Risiken) trägt.55 Trägt der Entwickler als Auftragnehmer, etwa auf der Grundlage eines Pflichtenhefts, das Herstellerrisiko, weil er eine Software liefern muss, die die vereinbarten Eigenschaften erfüllt, und das Entwicklungsgeschehen auch beherrscht, dann sind die Entwicklungskosten bei ihm als Herstellungskosten eines immateriellen Wirtschaftsguts des Umlaufvermögens zu aktivieren. Bei ihm ist die Software zur Weiterveräußerung bestimmt und § 5 Abs. 2 EStG gilt nicht für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens. Beim Erwerber der Software führt § 5 Abs. 2 EStG zu keinem Aktivierungsverbot, weil die Software bei diesem entgeltlich erworben ist. Leistet er eigene Herstellungsbeiträge, ohne Hersteller zu sein, sind diese Herstellungsbeiträge Anschaffungsnebenkosten. Anders ist es, wenn das Herstellungsrisiko beim Besteller liegt, etwa weil die Eigenschaften der Software nicht definiert sind und der Entwicklungsprozess vom Besteller unter seiner Gesamtverantwortung gesteuert wird oder ausschließlich eigene Ressourcen des Anwenders eingesetzt werden. Dann entsteht beim Entwickler kein Wirtschaftsgut, es ist dem Besteller 55 BFH v. 1.2.2012 – I R 57/10, BStBl. II 2012, 407; v. 5.3.1992 – IV B 178/90, BStBl. II 1992, 725.

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zuzurechnen und dieser ist zugleich Hersteller dieses Wirtschaftsguts. Ist die Software beim Besteller dem Anlagevermögen zuzuordnen, weil sie dort dazu bestimmt ist, dem Betrieb dauerhaft zu dienen, dann ist sie weder beim Erwerber zu bilanzieren, noch beim Entwickler. Beim Erwerber verbietet § 5 Abs. 2 EStG die Aktivierung des selbst hergestellten Wirtschaftsguts. Beim Hersteller fehlt es an der Entstehung eines Wirtschaftsguts.

3. Standardsoftware Standardsoftware zeichnet sich in Abgrenzung zur Individualsoftware dadurch aus, dass sie bezogen auf einen vorherbestimmten Anwendungsbereich für eine unbestimmte Gruppe von Anwendern entwickelt wird. Weil in diesem Fall idR kein Anwender das Herstellungsrisiko übernimmt oder das Herstellungsgeschehen beherrscht, stellt sich die Frage der Herstellerrolle nicht. Der Entwickler ist Hersteller. Die entwickelte Software bildet bei ihm einen Prototyp, der dauerhaft in seinem Betrieb bleibt und diesem dient, indem den Erwerbern Kopien des Softwarecodes überlassen werden und Nutzungsrechte eingeräumt werden können. Die selbst hergestellte Software ist daher beim Entwickler dem Anlagevermögen zuzuordnen. Die Herstellungskosten dürfen wegen § 5 Abs. 2 EStG beim Entwickler nicht aktiviert werden. Beim Erwerber einer Kopie und einer Lizenz bildet die Software dagegen ein entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut, das unabhängig von seiner Zuordnung zum Anlage- oder Umlaufvermögen zu aktivieren ist.

4. Trivialsoftware Der Begriff der Trivialsoftware stammt ursprünglich aus einer Zeit, in der Software noch auf Datenträgern und im Paket mit körperlichen Begleitmaterialien ausgeliefert worden ist. Hier stellte sich regelmäßig die Frage, ob die materiellen Komponenten oder die immaterielle Komponente überwiegend war. Die Verwaltungspraxis hat zur Vereinfachung festgelegt, dass bei Trivialsoftware die materielle Komponente überwiegt und zu deren Qualifikation eine Wertgrenze definiert, die sich an der Wertgrenze des § 6 Abs. 2 EStG für geringwertige Wirtschaftsgüter orientierte. Diese historische Rechtfertigung ist fragwürdig geworden, seit insbes. günstige Software vollständig entmaterialisiert mit den Begleitmaterialien aus dem Internet, ggf. gegen Bezahlung, heruntergeladen werden kann. Gleichwohl zeichnet sich eine Verwaltungspraxis ab, nach der auch 376

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für die Einordnung von Trivialsoftware die Erhöhung der Wertgrenze für gWG in § 6 Abs. 2 EStG auf 800 t nachvollzogen wird und Standardsoftware bis zum Kaufpreis von 800 t als materielles Wirtschaftsgut zu qualifizieren ist.56

5. Customizing Insbesondere im Bereich von Software zur Unternehmenssteuerung ist es üblich, nicht für jeden einzelnen Anwender eine eigene Individualsoftware von Grund auf neu zu entwickeln, sondern Standardsoftware auf die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen. Für die Kombination der Methoden der Entwicklung von Standard- und Individualsoftware hat sich der Begriff des „Customizing“ als Anglizismus für „Kundenanpassung“ herausgebildet. Die Kosten dieser Anpassung können die Kosten des eigentlichen Erwerbs der Standardsoftware weit übertreffen. Sie kann durch den Anwender selbst, mit eigenem Personal, durch den Hersteller der Software oder durch einen Dritten beauftragten Unternehmer vorgenommen werden. Aus Sicht der Verwaltungspraxis sind die Grundfragen durch ein BMF-Schreiben zur bilanzsteuerrechtlichen Beurteilung von Aufwendung zur Einführung eines betriebswirtschaftlichen Softwaresystems von 2005 beantwortet.57 Abgrenzungsprobleme ergeben sich beim Customizing in der Einordnung der Anschaffungs- und Herstellungskosten und bei der Beurteilung der Qualität der Anpassung. Dienen die Aufwendungen zur Implementierung der Software im Betrieb lediglich ihrer Ingangsetzung und der Einstellung der betrieblichen Parameter, ohne ihr Wesen durch Eingriffe in den Programmcode zu verändern oder die Software zu erweitern oder zu verbessern, bilden diese Aufwendungen Anschaffungsnebenkosten, die mit den Anschaffungskosten der Software zu aktivieren sind.58 Führen die Aufwendungen hingegen darüber hinaus zu einer Erweiterung, wesentlichen Verbesserung oder Wesensveränderung, wird über das erworbene Wirtschaftsgut hinaus etwas Neues geschaffen. Dann stellt sich die Frage, wer Hersteller dieser neuen Software oder dieser neuen Softwareelemente ist. Diese Frage ist nach den gleichen Kriterien zu be56 Dazu oben zu II.8. 57 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266. 58 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266Nr. III. 2.

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antworten, wie bei der Bestimmung des Herstellers von Individualsoftware. Weniger einfach ist die Frage, wie mit den Anschaffungskosten der Standardsoftware umzugehen ist, die die Grundlage für die Erweiterung bildet. Wird durch das Customizing das Wesen der Software geändert, geht zwar möglicherweise die Selbständigkeit der Software als Wirtschaftsgut verloren. Der Anwender hat aber eine Lizenz erworben, die er weiter braucht, um die Standardsoftware als Basis seiner Weiterentwicklung nutzen zu dürfen. Deshalb behält die ursprüngliche Software ihre selbständige Bewertbarkeit auch dann, wenn sie technisch in der Neuentwicklung aufgeht. Wird die Software nur erweitert, bleibt sie ohnehin in ihrer Selbständigkeit unberührt, die hinzu gekommenen Funktionalitäten bilden dann ein eigenständiges Wirtschaftsgut, dessen Herstellungskosten nicht zu aktivieren sind, wenn der Anwender selbst, bei dem die Software dem Anlagevermögen zuzuordnen ist, als Hersteller zu qualifizieren ist. Die Verwaltungspraxis erkennt die gleiche Rechtsfolge, gerät mit ihr aber in Widerspruch zur grundlegenden Feststellung, dass alle Module einer betriebswirtschaftlichen Software ein einheitliches Wirtschaftsgut bilden.59

6. Software in der Cloud Nicht wirklich neu ist die Entwicklung, Software in Cloud-Umgebungen und nicht vor Ort auf den Rechnern des Anwenders auszuführen. Bevor handelsübliche Büro- und Heimcomputer ihre heutige Leistungsfähigkeit erreichten, war die Ausführung von Programmen in Rechenzentren der Regelfall, die über Netzwerke mit Eingabegeräten und Monitoren an Einzelarbeitsplätzen verbunden waren. Aktuelle Cloud-Umgebungen lassen sich in drei Kategorien einteilen, abhängig davon, ob nur Infrastruktur in Gestalt von Rechen- oder Speicherkapazität (Infrastructure-as-a-Service, IaaS), eine parametrisierbare Softwareumgebung (Platform-as-a-Service, PaaS) oder tatsächlich Anwendungssoftware (Software-as-a-Service, SaaS) angeboten wird. Im letzten Fall kann eine einzelne Softwareinstallation einer Vielzahl von Anwendern zur gleichzeitigen Nutzung zur Verfügung gestellt werden. Der Zugang kann öffentlich sein oder exklusiv für einen einzelnen Anwender oder eine geschlossene Gruppe von Anwendern eingeräumt werden. Unabhängig davon kann die Nutzung der Soft59 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266Nr. II. und III. 2.

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ware in allen Fällen einzeln, für jeden Nutzungsvorgang, zeitraumbezogen oder durch den Erwerb eines dauerhaften Nutzungsrechts entgolten werden. Ein dauerhaftes Nutzungsrecht führt nicht zur Zurechnung der Software zum Nutzungsberechtigten. Er wird nicht wirtschaftlicher Eigentümer der Software. Vielmehr bildet das Nutzungsrecht ein selbständiges Wirtschaftsgut. Es ist selbstständig bewertbar. Der gedachte Erwerber des ganzen Betriebs würde dafür einen eigenen Wert ansetzen. Ebenso leicht lässt sich mit den allgemeinen Regeln die Nutzung gegen ein zeitraumbezogenes Entgelt lösen. Das bestehende Dauerschuldverhältnis bildet ein schwebendes Geschäft, das die Bilanzierung der Rechte und Pflichten über die aktuell abgerechnete Periode hinaus verbietet. Übrig bleiben die Fälle, in denen Vergütung und Vertragsverhältnis nach dem Vorbild von Leasingverträgen ausgestaltet werden. Dann lassen sich die Grundsätze der Leasingbilanzierung entsprechend anwenden.60 Aufwendungen für das Customizing der Software im Unternehmen können nicht als Anschaffungsnebenkosten aktiviert werden, wenn kein Wirtschaftsgut angeschafft wird, das sich aktivieren lässt. Sie lassen sich mit Mietereinbauten vergleichen, und zu denken ist bezogen auf die Kosten der bloßen Parametrisierung der Software an die Begründung eines selbständigen immateriellen Wirtschaftsguts. Seine Aktivierung würde voraussetzen, dass der Anwender nach Ablauf des Nutzungsrechts ein Entschädigungsanspruch oder ein Wegnahmerecht hat; anderenfalls gäbe es keinen Wert, der die Nutzungsdauer des Softwareservice übersteht. Sowohl die Qualifikation eines Wirtschaftsguts als auch seine Zurechnung zum Anwender dürften aber die Ausnahme bilden. Ein SoftwareService-Anbieter wird kaum bereit sein, nach Ablauf der vereinbarten Nutzungsdauer eine Entschädigung für die unternehmensindividuelle Parametrisierung oder für eine unternehmensindividuelle Erweiterung zu zahlen, die er nicht nutzen kann. Der Anwender müsste also mit der Parametrisierung zu einem anderen Software-Service-Anbieter umziehen können. Ob das häufig der Fall ist, darf bezweifelt werden. IdR wird jeder Umzug mit einer Softwareumstellung verbunden sein, die bisherige Anpassungen wertlos macht. Aber selbst wenn man die Entstehung eines Wirtschaftsguts „Softwareeinbauten“ bejahen würde, handelte sich um ein immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens, das selbst vom Anwender geschaffen wurde und für das daher das Aktivierungsver-

60 Zutreffend Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (813).

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bot des § 5 Abs. 2 EStG greift. Die Herstellungskosten wären zuletzt deshalb nicht zu aktivieren.61

IV. Kryptowährungen und Token 1. Klassifizierung Zuerst im Zivil-, Aufsichts- und Umsatzsteuerrecht diskutiert,62 haben Kryptowährungen und Token auch die Praxis des Bilanzsteuerrechts in vollem Umfang erreicht.63 Nach einer Entscheidung des EuGH, der Bitcoin im Umsatzsteuerrecht einer Währung gleichgestellt hat,64 qualifiziert die Rspr. im Ertragsteuerrecht Kryptowährungen in einer ersten Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz als immaterielles Wirtschaftsgut.65 Zur Einordnung dieser Entscheidung ist zunächst zu klären, was Kryptowährungen und Token sind. Dazu können aufsichtsrechtliche Definitionsversuche einen ersten Anhaltspunkt bieten. Ausgehend von Definitionsansätzen in Stellungnahmen der Europäischen Bankenaufsicht66 und der BaFin67 sowie einer Vorlage der EU-Geldwäscherichtlinie68 hat der deutsche Gesetzgeber erstmals in § 1 Abs. 11 Nr. 10 Satz 3

61 Wie hier im Ergebnis Deubert/Lewe, BB 2019, 811 (814 f.). 62 EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin v. 16.7.2015 – C-264/14, BB 2015, 2077; Beck/König, UR 2015, 869; Grube, MwStR 2015, 934; Pfeiffer, ÖStZ 2014, 434; Sorge/Grimberghe, DuD 2012, 479; Spindler/Bille, WM 2014, 1357; Sprengnether/Wächter, RdF 2014, 114. 63 Bünning/Park, BB 2018, 1835; Hakert/Kirschbaum, DStR 2018, 881; Krüger/ Lampter, BB 2018, 1154; Niedling/Merkel, RdF 2018, 141; Prinz/Ludwig, StuB 2019, 257; Reiter/Nolte, BB 2018, 1179; Richter/Augel, FR 2017, 937. 64 EuGH v. 22.10.2015 – C-264/14 (Hedqvist), BStBl. II 2018, 121 = UR 2015, 864; BMF v. 27.2.2018 – III C 3 - S 7160-b/13/10001 – DOK 2018/0163969, BStBl. I 2018, 316 = UR 2018, 299. 65 FG Berlin-Brandenb. v. 20.6.2019 – 13 V 13100/19, BB 2020, 176, rkr. 66 European Banking Authority, EBA Opinion on „virtual currencies“, v. 4.7.2014, S. 11 Nr. 19. 67 BaFin, Virtuelle Währungen/Virtual Currency (VC) v. 28.4.2016, https:// www.bafin.de/DE/Aufsicht/FinTech/VirtualCurrency/virtual_currency_node. html. 68 Art. 3 Nr. 18 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU, ABl. EU 2018, L 156/43.

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KWG69 eine Definition für Kryptowerte vorgenommen, die zwar nur für die Anwendung des KWG gilt, aber auch als Ausgangspunkt für die Einordnung im Bilanzsteuerrecht dienen kann: „Kryptowerte im Sinne dieses Gesetzes sind digitale Darstellungen eines Wertes, der von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen aufgrund einer Vereinbarung oder tatsächlichen Übung als Tausch- oder Zahlungsmittel akzeptiert wird oder Anlagezwecken dient und der auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann.“

Für eine erste Annäherung soll diese Definition und eine grobe technische Einordnung70 genügen. Kryptowährungen und Token beschreiben eine Vermögenszuordnung in einer dezentralen Transaktionsdatenbank. Deren technische Besonderheit besteht darin, dass durch kryptographische Verfahren im Grundsatz sichergestellt ist, dass nur der Inhaber eines kryptographischen Schlüssels eine Transaktion auslösen und dadurch eine Änderung der Zuordnung eines Kryptowerts bewirken kann. Solche dezentralen Register können damit die Funktion traditioneller zur Registerführung berufener Institutionen übernehmen, etwa die Funktion von Kreditinstituten bei der Kontenführung und bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs oder die Funktion von öffentlichen Registern, etwa des Grundbuchs oder des Handelsregisters.71 Im Schrifttum haben sich zwei Klassifizierungsansätze für die Einteilung von Kryptowerten herausgebildet. Zum einen ist eine Klassifizierung nach vermittelten Rechten vorgenommen worden.72 Sie unterscheidet „Native oder Einfache Token“, die mit keinem äußeren Wert verknüpft sind und auch keine Funktion besitzen, die einen Ertrag versprechen könnte. Dazu zählen Kryptowährungen, die an Kryptobörsen gehandelt werden und dadurch einen Tauschwert besitzen, der allein vom Markt abhängt. Ein prominentes Beispiel dafür sind Bitcoin. Eine zweite Kategorie bilden nach dieser Einteilung „Gegenpartei-Token“. Mit diesem Begriff soll ausgedrückt werden, dass dem jeweiligen Inhaber des Token ein An69 Kreditwesengesetz idF des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie v. 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2602. 70 Dazu Kaulartz, CR 2016, 474. 71 Kritisch zur Alternative für das Grundbuch Wilsch, DNotZ 2017, 761; zur Entwicklungsoption für das Handelsregister Knaier/Wolff, BB 2018, 2253. 72 Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 15.

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spruch gegen den Emittenten zusteht. Das kann ein Zahlungsanspruch sein, etwa aus einer mit dem Token verknüpften Darlehensforderung, oder der Anspruch auf eine Dienstleistung oder Warenlieferung. Eine dritte Kategorie sollen „Equity Token“ bilden, mit der Erwartung, sie würden eine gesellschafterähnliche Stellung vermitteln. Im geltenden Recht ist das allerdings nur begrenzt möglich.73 Eine ältere Dreiteilung bezieht sich auf die Funktion und stammt ursprünglich aus den Versuchen, aufsichtsrechtlichen Kategorien auszuweichen.74 Sie unterscheidet Zahlungsmittel-(Currency) Token, Nutzungs-(Utility) Token und Investment-(Security oder Asset) Token.75 Ein Zahlungstoken kann neben seiner Funktion, als Tauschmittel zum Einsatz zu kommen, auch eine Wertaufbewahrungsfunktion haben. Nutzungstoken sollen dagegen eine über die Zahlungsfunktion hinausreichende Funktion vermitteln. Sie können zum Beispiel das Recht auf die Nutzung einer Spielplattform vermitteln oder ein anderes durchsetzbares Nutzungs-, Vertriebs- oder Belieferungsrecht. Das schließt nicht aus, sie zudem als Tauschmittel einzusetzen. Security Token hingegen vermitteln kein Nutzungsrecht auf Waren- oder Dienstleistungsmärkten, sondern transportieren Eigen- oder Fremdkapitalinstrumente. Für die Einordnung im Bilanzsteuerrecht sind beide Klassifikationen von Bedeutung.

2. Qualifikation als Wirtschaftsgut Im Schrifttum sind bei der Diskussion um die Qualifikation von Kryptowerten als Wirtschaftsgut die Merkmale der Greifbarkeit, des Nutzens über einen gewissen Zeitraum und der Verkehrsfähigkeit diskutiert worden.76 Zutreffend ist aber zunächst die Frage der selbständigen Bewertbarkeit in den Mittelpunkt gerückt.77 Nicht nur für börsengehandelte Kryptowerte, die jederzeit in FIAT-Geld, also zB Euro, getauscht werden können, solange ein Markt besteht, ist diese selbständige Bewertbarkeit 73 Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 15. 74 Zu dieser Dreiteilung Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89; Spindler, WM 2018, 2109; v. Allwörden/v. Allwörden, WM 2018, 2118. 75 Komprimiert zusammengefasst bei Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 16 ff. 76 Schroen, DStR 2019, 1369 (1372). 77 Zur selbständigen Bewertbarkeit als Merkmal des steuerrechtlichen Wirtschaftsgutbegriffs Tiedchen in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 586.

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nicht in Frage gestellt worden.78 In Frage gestellt wurde dagegen, ob eine Nutzung für mehrere Jahre möglich ist.79 Das Erfordernis einer mehrjährigen Nutzung darf indessen nicht dahingehend missverstanden werden, dass ein Gegenstand nützlich sein müsse oder mehrfach fruchtbringend oder nutzenstiftend eingesetzt werden kann. Dann wären auch Zweifel an der Qualifikation eines Goldbarrens als Wirtschaftsgut angebracht. Dieses Merkmal soll vielmehr Werte, die sich in kurzer Zeit verflüchtigen, von der Aktivierungspflicht ausnehmen. Es ist keine weitere, neben dem Erfordernis der selbständigen Bewertbarkeit selbständig bestehende Voraussetzung für das Vorliegen eines Wirtschaftsguts.80 In Zweifel gezogen wurde weiter, ob Kryptowerte eine objektiv werthaltige Position widerspiegeln, und es ist, mit dem Ziel, die Wirtschaftsguteigenschaft zu verneinen, die Frage gestellt worden, zu welchem Zweck ein vernünftiger Kaufmann Kryptowerte anschaffen sollte.81 Eine ähnliche Frage mag man sich bei vielen Spekulationsobjekten stellen, die Eingang in das Betriebsvermögen finden. Zumindest bei Bitcoin und ähnlichen Kryptowerten ist ein Zweck überliefert. Seltene Geschäfte können auch im legalen Bereich nur mit Bitcoin getätigt werden.82 Im Übrigen steht es dem Kaufmann frei, welche Zahlungsinstrumente er einsetzt und welche Investitionen er im Betriebsvermögen tätigt. In Zweifel gezogen wurde weiter die Übertragbarkeit, weil sie auf der bloßen Hoffnung beruhe, dass die Mechanismen der gewählten Blockchain noch funktionieren, wenn der Inhaber eines privaten Schlüssels diesen zur Initiierung einer Transaktion verwenden wolle. Dieses Vertrauen muss aber auch jeder Inhaber eines Bankkontos aufbringen und darauf vertrauen, dass der im Briefkasten der Bank eingeworfene Überweisungsträger noch eine Überweisung auslöst. Tatsächlich werden täglich Transaktionen mit Kryptowerten in großer Zahl vollzogen.83 Die überwiegende Ansicht geht daher mit einem Wirtschaftsgutbegriff, dessen Kern die selbständige Bewertbarkeit bildet, zu-

78 Bünning/Park, BB 2018, 1835 (1836); Heck, DStZ 2019, 106 (108); Reiter/Nolte, BB 2018, 1179 (1180). 79 Schroen, DStR 2019, 1369 (1372). 80 BFH v. 26.11.2014 – X R 20/12, BStBl. II 2015, 325 = FR 2015, 803 Rz. 32; Tiedchen in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 563. 81 Schroen, DStR 2019, 1369 (1373). 82 Computerwoche v. 28.2.2018, „Wofür deutsche Unternehmen Bitcoins horten“, abrufbar unter http://www.cowo.de/a/3544409 (Abruf am 3.3.2020). 83 Statistische Angaben finden sich etwa unter https://www.blockchain.com/ de/charts/n-transactions (Abruf am 3.3.2020).

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treffend davon aus, dass Kryptowerte als Wirtschaftsgut zu qualifizieren sind.84 Eine andere Frage ist es, ob alle Kryptowerte auch als immaterielle Wirtschaftsgüter zu qualifizieren sind, für die dann § 5 Abs. 2 EStG gelten kann, oder ob unter ihnen auch monetäre Werte sind, für die § 5 Abs. 2 EStG nicht gelten könnte. Diese Frage ist bisher insbes. im Zusammenhang mit dem Bilanzausweis diskutiert worden.85

3. Originärer oder derivativer Erwerb Qualifiziert man Kryptowerte als immaterielles Wirtschaftsgut und sind sie dem Anlagevermögen zuzuordnen, ist zu prüfen, ob sie selbst hergestellt oder entgeltlich erworben worden sind. Kryptowerte können grundsätzlich auf drei Wegen erworben werden. Zum einen können sie im Rahmen eines Tauschgeschäfts erlangt werden, als Entgelt für eine Lieferung oder Leistung oder unmittelbar durch Erwerb an einer Börse gegen Hingabe von FIAT-Geld (zB Euro). In diesem Fall liegt ein entgeltlicher Erwerb iSd. § 5 Abs. 2 EStG vor. Zum anderen können Kryptowerte bei einer Tokenemission86 erworben werden. Der Erwerber leistet auch in diesem Fall ein Entgelt. Bei ihm liegen alle Voraussetzungen eines entgeltlichen Erwerbs vor. Fragen stellen sich beim Emittenten, und zwar insbes. dann, wenn bei einer Tokenemission nicht alle Token veräußert werden, sondern der Emittent Token zurückbehält. Bei diesen Token handelt es sich dann um selbst hergestellte Kryptowerte,87 die, wenn sie dem Anlagevermögen zuzuordnen sind, nicht aktiviert werden dürfen, es sei denn, es handelt sich um monetäre Werte. Finanzwerte, wie Finanzanlagen, Beteiligungen, Forderungen und Wertpapiere zählen nicht zu den immateriellen Wirtschaftsgütern.88 Damit wären zumindest Zahlungstoken und Investmenttoken stets zu aktivieren.

84 MwN Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 26 ff. 85 Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 29 f. 86 Zum Ablauf Veil, ZHR 183 (2019), 346 (351 ff.). 87 Zum Prozess des „minting“ Kaulartz/Matzke, NJW 2018, 3278 f. 88 Lutz/Schlag in HdJ, Abt. II/2 Rz. 4; Tiedchen in HHR, EStG/KStG, § 5 EStG Rz. 586.

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Die Bilanzierung beim Emittenten hängt wiederum von der Art des Vermögensvorteils ab, den der Kryptowert in seiner spezifischen Ausprägung repräsentiert. Das können Nutzungsmöglichkeiten und Nutzungsrechte, Forderungen, Eigenkapitalinstrumente, materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter oder andere Kryptowerte sein. Originär entstehen Kryptowerte nicht nur bei einem Initial Coin Offering durch „Minting“,89 sondern auch beim sogenannten „Mining“.90 Für die Durchführung von Transaktionen erhalten die sog. Miner zum einen bisher nicht in Umlauf gebrachte Kryptowerte, den sog. Block reward, der durch ihre Berechnungen technisch durch eine zugleich bewirkte Erhöhung der Anzahl an Kryptowerten erzeugt wird. Zum anderen erhalten sie eine zusätzliche Transaktionsvergütung (Transaction fee) von demjenigen, der die Transaktion anstößt.91 Ein positiver Block reward ist insbes. dem Konsensalgorithmus des Proof-of-Work immanent. Im Schrifttum ist diskutiert worden, ob das bei dem Konsensalgorithmus des Proof-of-Stake anders sein müsste.92 Das ist nicht notwendig der Fall. Auch beim Proof-of-Stake-Verfahren lässt sich ein Block reward implementieren, den zum Beispiel derjenige erhält, der mit der Mehrheit abgestimmt hat und mit dem die Kryptowertmenge erhöht werden kann. Umgekehrt ist bei den Konsensalgorithmen, die dem Modell des Proofof-Stake folgen, auch ein negativer Block reward möglich. Zur Einordnung des Block reward lassen sich zwei Perspektiven einnehmen. Technisch betrachtet ist der Block reward der Mechanismus, in dem neue Kryptowerte erzeugt werden. Das spricht dafür, diese Kryptowerte als selbst hergestellte Werte anzusehen. Mit einer wirtschaftlichen Betrachtung lässt sich argumentieren, dass auch der Block reward entgeltlich erworben wird, und zwar Blockchain-Netzwerk im Tausch gegen Rechenleistung. Überzeugend ist die zweite Perspektive nur für die Transaction fee, sie wird im Tausch gegen eine Dienstleistung, nämlich die Berechnung der Blöcke erworben. Kryptowerte, die aus einem Block reward stammen, mit dem die Kryptowertmenge erhöht wird, sind dagegen stets originär durch die Beteiligung am Konsensverfahren geschaffen.93 Praktisch bedeutsam wird diese Abgrenzung freilich selten, da Kryptowerte

89 Kaulartz/Matzke, NJW 2018, 3278 f. 90 Dazu Kaulartz, CR 2016, 474 (478). 91 Arendt in Beck’sches Steuer- und Bilanzrechtslexikon, Ed. 49.2019, „Kryptowährung“, Rz. 4–8; Richter/Augel, FR 2017, 937 (944). 92 Trautmann, DB 2019, 1401. 93 Zutreffend Brinkmann/Meseck, RdF 2018, 231 (234 f.).

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bei den Netzwerkteilnehmern idR dem Umlaufvermögen zuzuordnen sein dürften.94

4. Zugangsbewertung Kryptowerte sind im Zeitpunkt des Zugangs, wie andere Wirtschaftsgüter, mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten. Bei Anschaffungsvorgängen, bei denen das Entgelt in Euro geleistet wird, sind die Aufwendungen, die der Erwerber tätigt, um den Kryptowert zu erlangen (§ 255 Abs. 1 Satz 1 HGB), leicht zu ermitteln. Schwieriger ist das, wenn, wie häufig, ein anderer Kryptowert eingetauscht wird. Dann bildet gem. § 6 Abs. 6 Satz 1 EStG der gemeine Wert der hingegebenen Wirtschaftsgüter die Anschaffungskosten des erlangten Wirtschaftsguts. Dieser gemeine Wert ist gem. § 9 Abs. 2 BewG der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbare Wert. Bei börsengehandelten Kryptowerten ist das der Wert im Zeitpunkt der Lieferung des erworbenen Kryptowerts. Das ist der Realisationszeitpunkt.95 Bei selbst hergestellten Kryptowerten, die ausnahmsweise zu aktivieren sind, bestimmen sich die Herstellungskosten nach § 255 Abs. 2 HGB. Dazu zählen alle Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Dazu gehören die Materialkosten, die Fertigungskosten und die Sonderkosten der Fertigung sowie angemessene Teile der Materialgemeinkosten, der Fertigungsgemeinkosten und des Werteverzehrs des Anlagevermögens, soweit dieser durch die Fertigung veranlasst ist. Neben den Energiekosten können damit auch Abschreibungen auf die Hard- und Software und nicht zuletzt Beratungskosten in die Herstellungskosten einfließen.96 Der Sonderfall des negativen Block reward führt entweder zu verlorenen Anschaffungsnebenkosten oder zählt zu den verlorenen Herstellungskosten. 94 Niedling/Merkel, RdF 2018, 141 (144). 95 Auf diesen Realisationszeitpunkt verweisen zutreffend Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 38. 96 Zum Spektrum der Herstellungskosten vage Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 43 Fn. 166.

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5. Folgebewertung Kryptowerte sind zwar regelmäßig nicht als abnutzbare Wirtschaftsgüter anzusehen. Allerdings ist für die Beurteilung der Abnutzbarkeit, etwa bei Nutzungstoken, für die Bewertung auf die dahinter stehende Nutzungsmöglichkeit abzustellen. Denkbar ist auch, dass Kryptowährungen technisch als Schwundgeld ausgestaltet werden und dann einem technischen Wertverzehr unterliegen. Im Zentrum der Folgebewertung wird in der Praxis allerdings die Teilwertabschreibung stehen. Bei Kryptowerten, die im Anlagevermögen gehalten werden, stellt sich dann die Frage der voraussichtlich dauernden Wertminderung, die für eine Teilwertabschreibung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG Voraussetzung ist. Im Schrifttum ist auf das BMF Schreiben97 und die Rspr.98 zur Feststellung der dauernden Wertminderung bei börsennotierten, börsengehandelten und aktienbasierten Wertpapieren verwiesen worden.99 Danach kommt es auf den Börsenkurs am Stichtag an, wenn der Wertverlust mehr als 5 % beträgt. Fraglich ist, ob diese Grundsätze auf ertraglose Kryptowerte übertragen werden können.100 Hier liefert der Börsenkurs zwar anders als bei Aktien keine bessere Erkenntnis über künftige Risiken und Erfolgsaussichten eines Unternehmens.101 Eine Typisierung erscheint aber unter Vereinfachungsgesichtspunkten berechtigt. Der Börsenwert weist eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, die künftige Kursentwicklung zu prognostizieren.102 Weil Kryptowerte aber ohnehin regelmäßig im Umlaufvermögen gehalten werden dürften, bei denen auch noch der Stichtagskurs bei Aufstellung der Bilanz berücksichtigt werden kann, hält sich die praktische Relevanz dieser Frage in Grenzen. Praktisch relevant ist dagegen die im Schrifttum diskutierte Frage der analogen Anwendung des § 256a HGB bei Currency Token.103

97 BMF v. 2.9.2016 – IV C 6 - S 2171-b/09/10002 :002 – DOK 2016/0666535, BStBl. I 2016, 995 = FR 2016, 916. 98 BFH v. 21.9.2011 – I R 89/10, BStBl. II 2014, 612 = FR 2012, 218. 99 Sixt, DStR 2019, 1766 (1771). 100 Die Optionen abwägend Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 39 f. 101 BFH v. 26.9.2007 – I R 58/06, BStBl. II 2009, 294 = FR 2008, 473 Rz. 12. 102 BFH v. 21.9.2011 – I R 89/10, BStBl. II 2014, 612 = FR 2012, 218 Rz. 15. 103 Hötzel/Krüger/Niermann/Scherer/Lehmann, Unternehmensfinanzierung durch Ausgabe von Kryptotoken – Besteuerung in Deutschland und in der Schweiz, ifst-Schrift 533, 2020, 41 f.

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Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Prof. Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln I. Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht II. Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zum notwendigen Betriebsvermögen (Fall 1) 1. Anteile an Kapitalgesellschaften als Zuordnungsgegenstand für Betriebsvermögen/Privatvermögen 2. BFH v. 10.4.2019 – X R 28/16: Gewinnausschüttungsfall 3. BFH v. 12.6.2019 – X R 38/17: Entnahmefall 4. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen III. Bilanzierung vereinnahmter/ verausgabter Pfandgelder in der Getränkeindustrie (Fall 2) 1. Diskussionsstand zur steuerbilanziellen Pfandgeldbehandlung nach Rechtsprechung und Verwaltungslage 2. Typischer Ausgangssachverhalt der Pfandgeldbehandlung bei einem mittelständischen Brauereibetrieb „in Betriebsprüfung“ 3. Lösungshinweise: Wirtschaftliches Eigentum am Leergut, Dotierung der Verbindlichkeitsrückstellung und Vertrauensschutzfragen IV. Rechnungsabgrenzungsposten und Wesentlichkeit (Fall 3)

1. Rechnungsabgrenzungsposten und Realisationsprinzip 2. FG Baden-Württemberg v. 2.3.2018: Zur Bedeutung des Wesentlichkeitsgrundsatzes a) Sachverhalt b) Lösungshinweise 3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen V. Bewertung von Warenvorräten (Fall 4) 1. Ausgangspunkt: Verlustfreie Bewertung bei Handelswaren 2. FG Münster v. 21.11.2018: Steuerbilanzielle Teilwertabschreibung bei der Bewertung von Warenvorräten 3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen VI. Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen (Fall 5) 1. Verbindlichkeitsrückstellungen im Spannungsverhältnis von Gläubigerschutz- und Leistungsfähigkeitsbesteuerung 2. BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18: Zur Bildung von Gewährleistungsrückstellungen 3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen VII. Zum Schluss: Bilanzsteuerrecht und Rechtsanwendung

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I. Aktuelle Trends im Bilanzsteuerrecht Das deutsche Bilanzsteuerrecht ist in seinen wesentlichen Teilen im Einkommensteuergesetz (§§ 4–7i EStG) kodifiziert. Es greift über die Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB auf handelsrechtliche Bilanzierungsgrundlagen zurück (insbes. §§ 238–257 HGB) und wird durch eine Reihe verfahrensrechtlicher Regelungen in der Abgabenordnung insbes. zu den Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten ergänzt (§§ 140–148 AO). Dieses „Drei-Schichten-System“1 des Bilanzrechts hat in der Praxis wegen des Rückgriffs auf gemeinsame Rechnungslegungsgrundlagen für verschiedene Bilanzierungszwecke eine Reihe von Vorteilen. In den vergangenen Jahren zeigen sich aber auch mehr und mehr die Schwächen der Maßgeblichkeitsverknüpfung handelsrechtlicher GoB mit dem Bilanzsteuerrecht, da in steigendem Umfang steuerbilanzielle Sondernormen den Betriebsvermögensvergleich bestimmen und das Realisationsprinzip und der Vorsichtsgrundsatz „ausgehöhlt“ werden. Dessen ungeachtet hat sich der Steuergesetzgeber in den letzten Jahren zu keinerlei Strukturverbesserungen im Bilanzsteuerrecht bereitgefunden. Es ist eher sogar eine Vertiefung von steuerbilanziellen „Systembrüchen“ festzustellen. Als Beispiele aus jüngerer Zeit lässt sich im Zusammenhang mit dem „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ vom 29.11.2019 auf § 6e EStG wegen Fondsetablierungskosten als Anschaffungskosten oder § 17 Abs. 2a EStG für eine spezielle Anschaffungskostendefinition im Zusammenhang mit bestimmten, im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften verweisen. Einerseits greift das Bilanzsteuerrecht über die handelsrechtlichen GoB unverändert im Kern auf den handelsrechtlichen Anschaffungskostenbegriff des § 255 Abs. 1 HGB zurück; andererseits sind Anschaffungskostenspezifika bruchstückhaft im Bilanzsteuerrechtsteil des EStG selbst oder außerhalb des Bilanzsteuerrechts, etwa bei § 17 Abs. 2a EStG, geregelt. Statt der erforderlichen steuergesetzlichen Strukturverbesserungen ist ein „emsiges Werkeln“ von Rspr. und FinVerw. festzustellen, was der Praxis in der Bewältigung der Details zunehmend Probleme bereitet.

1 Vgl. zu dem dreischichtigen Strukturschema im Bilanzrecht grundlegend Beisse in Festschrift Moxter, 1994, 3 (11–13). Ergänzend dazu auch Beisse, BB 1980, 637–646; Beisse, StuW 1984, 1–14.

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Zu einigen wichtigen Trendbeobachtungen: –

Zum ersten hinterlässt die dauerhafte Niedrigzinsphase „vertiefte Spuren“ auch im Bilanzsteuerrecht. Beispiele sind: Die Unterdotierung von Pensionsrückstellungen wegen marktfernen Festzinses gem. § 6a EStG iHv. 6 % liegt unverändert aufgrund der Vorlage des FG Köln durch Beschluss vom 12.11.2017 dem BVerfG zur Entscheidung vor.2 Laut FG Hamburg vom 31.1.2019 bestehen darüber hinaus ernstliche Verfassungszweifel an der 5,5 %-Abzinsung bei langfristigen Verbindlichkeiten/Rückstellungen.3 In einem Spannungsverhältnis dazu steht, dass der BFH in seinem Urteil vom 22.5.2019 im Hinblick auf die Abzinsung von unverzinslichen Langfristdarlehen zwischen nahestehenden Personen für das Jahr 2010 keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Abzinsungssatzes hat.4 Zudem soll im Bankenbereich keine Abzinsung von bestimmten Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG bei Null- und Negativzinsen erfolgen.5 Schließlich hört man aus der Praxis, dass bei Unternehmen, die eine Kapitalmarktanleihe zu einem Nullzins emitiert haben, seitens der Betriebsprüfung eine Abzinsung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG diskutiert wird. Im Ergebnis sollte die Rechtsnorm teleologisch reduziert werden, weil die Nullverzinsung insoweit der Marktlage entspricht und nicht etwa als Ausfluss gestalterischer Maßnahmen erscheint.



Auch im Bilanzsteuerrecht schreitet – zum zweiten – die Digitalisierung voran. So sieht etwa die aktualisierte Steuertaxonomie 6.3 vom 1.4.2019 für E-Bilanzen weitere Verfeinerungen bei Personengesellschaften mit ihren differenzierten Kapitalkonten, Ergänzungsbilan-

2 Vgl. FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, EFG 2018, 287, Az. BVerfG 2 BvL 22/17. Zu unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich der Verfassungskonformität des § 6a EStG vgl. aus der Literatur Melan, DStR 2018, 1512; Eilers/ Bleifeld, Ubg. 2018, 65; Geberth/Sedemund, DStR 2018, 217; Briese, DStR 2018, 1248; umfassend auch Hey/Steffen, ifst-Schrift Nr. 511, 2016. Die Bundesregierung geht offensichtlich entgegen der Einschätzung des FG Köln nach wie vor von einer Verfassungskonformität des § 6a-Festzinsatzes von 6 % auch in der Niedrigzinsphase aus; vgl. dazu Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der FDP-Fraktion v. 17.7.2018, BT-Drucks. 19/3423. 3 Vgl. FG Hamb. v. 31.1.2019 – 2 V 112/18, EFG 2019, 525, rkr. 4 Vgl. BFH v. 22.5.2019 – X R 19/17, BStBl. II 2019, 795 = FR 2019, 1131. 5 Vgl. LfSt. Nds. v. 2.5.2019 – S 2741 - 436 - St 242, EStB 2019, 275. Zur Ergänzung auch BMF v. 29.3.2019 – IV CX 6 - S 2175/07/10001 :003 – DOK 2019/0226959, FR 2019, 489 mit Anm. Holle.

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zen, Sonderbilanzen und Gewinnverteilungsspezialitäten vor.6 Damit entfernt sich das Mindestumfangsgebot für die Steuertaxonomie gem. § 5b EStG immer mehr von den handelsrechtlichen Gliederungserfordernissen. Des Weiteren ist im Bereich der Steuerkontrolle ein Trendwechsel weg von der „klassischen Betriebsprüfung“ mit Belegeinsichtnahme zu „modernen digitalisierten BP-Verfahren“ mit „Schätzungen allerorten“ nicht nur bei bargeldnahen Kleinbetrieben zu beobachten. Instrumente wie die „Summarische Risikoprüfung“ (SRP) oder das „Monetary Unit Sampling“ (MUS) mit algorithmengestützten Anomalieerkennungen werden vermehrt in der Praxis eingesetzt. Letztlich darf aber eine nur algorithmengestützte Besteuerung nicht erfolgen. Auch dürfen Schätzungen nicht jederzeit und undifferenziert an die Stelle einer „ordnungsmäßigen Buchführung“ gem. § 158 AO treten. –

Zum dritten: Wegen der zweiten, außerbilanziellen Stufe der steuerlichen Gewinnermittlung erfährt der Maßgeblichkeitsgrundsatz zunehmende Relativierung. Ein Beispiel dafür ist das BFH-Urteil vom 24.10.2018, wonach eine Organgesellschaft zunächst eine Haftungsrückstellung für Steuerschulden des insolventen Organträgers gem. § 73 AO bilden darf. Insoweit muss dann aber auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe eine außerbilanzielle Korrektur mittels verdeckter Gewinnausschüttung erfolgen.7 Weitere Beispiele für außerbilanzielle Korrekturen sind etwa: § 4f EStG bei entgeltlichen Schuldübernahmen mit einer 15jährigen Aufwandsverteilung; § 4i EStG im Zusammenhang mit Sonderbetriebsausgaben grenzüberschreitender Mitunternehmerschaften im Ausland sowie § 4j EStG bei Lizenzzahlungen ins niedrig besteuerte Ausland. Auch wird derzeit diskutiert, ob der AOA (§ 1 Abs. 5 AStG, Authorized OECD Approach), für Gewinnabgrenzungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte unter Einschluss von Innentransaktionen (sog. Dealings) in der Steuerbilanz zu erfolgen hat.8 Dies ist mE problematisch, da die Steuerbilanz des Stammhauses jedenfalls im Ausgangspunkt das ausländische Betriebsstättenvermögen mit umfassen dürfte. In die

6 Vgl. BMF v. 2.7.2019 – IV C 6 - S 2133-b/19/10001 – DOK 2019/0523916, BStBl. I 2019, 887. 7 Vgl. BFH v. 24.10.2018 – I R 78/16, BStBl. II 2019, 570 = GmbHR 2019, 614; dazu auch Walter, GmbHR 2019, 579; Norkus, DStRK 2019, 155; Mohr/Herkens/ Trossen, Ubg. 2019, 295; Prinz, WPg. 2019, 978 (983); Weber-Grellet, BB 2020, 43 (47). 8 So etwa Leonhardt, ISR 2019, 677 (681).

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Hilfs- und Nebenrechnung gem. § 3 BsGaV gehören derartige fiktive Betriebseinnahmen/Betriebsausgaben allerdings sicher hinein. –

Zum vierten schließlich stehen aktuell keine bilanzsteuerlichen Systembereinigungen in Aussicht. So scheint etwa das europäische GKBProjekt (Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage) auf der Stelle zu treten. Ein eigenständiges steuerliches deutsches Gewinnermittlungsgesetz wird steuerpolitisch derzeit nicht diskutiert und bleibt in weiter Ferne. Dessen ungeachtet ist aber ein modernes systemorientiertes Bilanzsteuerrecht mehr denn je „vonnöten“; so etwa auch mit Blick auf die immateriellen Wirtschaftsgüter.9

II. Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zum notwendigen Betriebsvermögen (Fall 1) 1. Anteile an Kapitalgesellschaften als Zuordnungsgegenstand für Betriebsvermögen/Privatvermögen Der Begriff „Betriebsvermögen“ ist zentral für die steuerliche Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG). Eine Legaldefinition für Betriebsvermögen fehlt allerdings. Stattdessen hat die stRspr. des BFH die Betriebsvermögens-Kriterien ausgeformt. Danach umfasst Betriebsvermögen alle positiven/negativen Wirtschaftsgüter, die aus betrieblicher Veranlassung angeschafft, hergestellt oder eingelegt werden und zum unmittelbaren Einsatz im Betrieb bei objektiver Würdigung bestimmt sind.10 Die zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter müssen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Betrieb stehen und dem Betriebsinhaber persönlich zuzurechnen sein. Im Handelsbilanzrecht ist dagegen von Vermögensgegenständen und Schulden die Rede, die zum Handelsgewerbe eines Kaufmanns gehören.11 Steuerbilanziell ist eine Dreiteilung des Vermögens in notwendiges Betriebsvermögen, notwendiges Privatvermögen und gewillkürtes Betriebsvermögen üblich. Das notwendige Privatvermögen enthält Wirtschaftsgüter mit ganz überwiegend privater Nutzung, beim gewillkürten Betriebsvermögen muss ein dokumentierter Widmungsakt des Stpfl. zur betrieblichen Nutzung des Wirtschaftsguts vorliegen, was eine betriebliche Nutzung von mehr als 10 % 9 Vgl. dazu eingehender Prinz, DB 2019, 800. 10 Vgl. Loschelder in Schmidt, EStG38, § 4 Rz. 24, 35; ergänzend auch Musil in HHR, § 4 EStG Anm. 40–60. 11 Vgl. etwa § 242 HGB mit der Pflicht zur Aufstellung eines Jahresabschlusses.

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und weniger als 50 % voraussetzt. Im Grundsatz ist der Betriebsvermögensbegriff für alle Gewerbebetriebsformen (Einzelunternehmen, Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft) sowie für Freiberufler und Landund Forstwirte identisch. Anteile an Kapitalgesellschaften werfen insbes. bei einer einzelnen natürlichen Person mit Gewerbebetriebsaktivitäten besondere Zuordnungsfragen in Abgrenzung des Betriebsvermögens zum Privatvermögen mit vielschichtigen Steuerfolgen auf. Im Betriebsvermögen des Stpfl. ist § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG mit steuerlicher Gewinnermittlung einschlägig; bei Zuordnung zum Privatvermögen stellen sich Anwendungsfragen der §§ 17, 20 EStG. Ähnlich gelagerte Kapitalgesellschafts-Zuordnungswertungen stellen sich im Sonderbetriebsvermögen von Mitunternehmern. Schließlich können Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens einer inländischen/ausländischen Betriebsstätte (§ 12 AO, DBA) zugeordnet werden mit international steuerlichen Zuordnungsfolgen, was insbes. auch bei Kapitalgesellschaftsanteilen in der Praxis Schwierigkeiten bereiten kann.12 Der X. Senat des BFH hat kürzlich zwei sachlich zusammenhängende Urteile (X R 28/1613 sowie X R 38/1714) zur Qualifikation von Kapitalgesellschaftsanteilen im Zusammenhang mit einem Einzelunternehmen gefällt, die wegweisend, sehr umfangreich und ungewöhnlich detailbetont sind. Streitjahr ist in beiden Fällen 2010. Die Judikate greifen bekannte Beurteilungskriterien für notwendiges Betriebsvermögen auf, vertiefen diese aber insbes. für den Fallbereich „betrieblicher Förderungsalternative“ (konkret: die Kapitalgesellschaftsanteile sind dazu bestimmt, die gewerbliche Betätigung des Stpfl. entscheidend zu fördern). Im Mittelpunkt der beiden Urteile steht die steuerrechtliche Wertung von Tatfragen. Der X. Senat des BFH wollte offenkundig keinen „Tataspekt“ ungewürdigt lassen.15

12 Vgl. etwa zu Gestaltungsüberlegungen bei Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht im Hinblick auf eine betriebsstättenbezogene Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen Prinz, FR 2019, 597; Wacker, DStR 2019, 836; Wacker, BB 2018, 2519. 13 Vgl. BFH v. 10.4.2019 – X R 28/16, BStBl. II 2019, 474 = GmbHR 2019, 955. 14 Vgl. BFH v. 12.6.2019 – X R 38/17, BStBl. II 2019, 518 = FR 2019, 910. 15 Vgl. zu ersten Kommentierungen der beiden Entscheidungen von Glasenapp, BB 2019, 2032; Reddig, jurisPR-SteuerR 32/2019 Anm. 3 und 36/2019 Anm. 1; Weiss, EStB 2019, 302; Bünning, BB 2019, 2033; Levedag, GmbHR 2019, R235 und R251; Weber-Grellet, BB 2020, 43 f.

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2. BFH v. 10.4.2019 – X R 28/16: Gewinnausschüttungsfall Sachverhalt:16 A unterhält eine Werbeagentur. Er ist Alleingesellschafter/Geschäftsführer der B-GmbH, die gegen Entgelt bestimmte Verwaltungsaufgaben für die Werbeagentur erfüllt (Outsourcing-Vertrag). Die C-GmbH wurde vor Jahren aus der B-GmbH ausgegliedert. Sie wickelt ihr komplettes Marketing über die Werbeagentur des A ab. Es besteht ein Agenturvertrag mit fremdüblichen Klauseln. Darüber hinaus hat A vor Jahren die A-GmbH-Anteile an die B-GmbH veräußert. Die B-GmbH bildet mit ihrem Beteiligungsbesitz einen umsatzsteuerlichen Organkreis. A bestreitet in seiner Werbeagentur rund 99,9 % seiner Umsätze mit den drei GmbH; dabei ist die C-GmbH am bedeutendsten. Vor allem die Bund C-GmbH haben daneben umfangreiches eigenes Geschäft.

A geht – gestützt auf ein Rechtsgutachten – davon aus, dass die B-GmbHAnteile zu seinem Privatvermögen gehören, da deren wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb (unter Einschluss der Enkel-GmbH) weit über den Werbeagenturbetrieb hinausgeht und die Kapitalgesellschaftsanteile daher nicht im überwiegenden wirtschaftlichen Interesse der Einzelunternehmung gehalten werden. Dabei behandelt er die Gewinnausschüttung der B-GmbH im Ergebnis und nach einigem „Hin und Her“ als private Kapitalvermögenseinkünfte. Die Betriebsprüfung stellt dies streitig und geht 16 Nachgebildet der Entscheidung des BFH v. 10.4.2019 – X R 28/16, BStBl. II 2019, 474 = GmbHR 2019, 955.

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von Betriebsvermögenseinkünften aus. Es kommt zum Rechtsstreit, den A in erster Instanz gewinnt. Im Revisionsverfahren unterliegt er. Lösungshinweise: Nach Meinung des X. Senats gehört die Beteiligung des A an der B-GmbH bei Analyse/Wertung der wirtschaftlichen Beziehungen aus der Perspektive der Einzelunternehmung zu seinem notwendigen Betriebsvermögen. Die Gewinnausschüttungen sind deshalb bei den (außerbilanziell zu korrigierenden) teileinkünftebesteuerten gewerblichen Einkünften zu erfassen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG iVm. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG). Der BFH stützt dies im Wesentlichen auf drei Argumentationsstränge: –

Dienlichkeit, nicht „Erforderlichkeit“ der Kapitalgesellschaftsanteile für den Betrieb des Stpfl.: Die Kapitalgesellschaftsanteile müssen laut BFH-Rspr. für eine Betriebsvermögenszuordnung –

dazu bestimmt sein, die gewerbliche (branchengleiche) Betätigung des Einzelunternehmens entscheidend zu fördern (Förderungsalternative) oder



dazu dienen, den Absatz von Produkten oder Dienstleistungen des Einzelunternehmens zu gewährleisten (Absatzalternative).

Maßstab dafür ist der mit der Beteiligungsgesellschaft erwirtschaftete Anteil am Umsatz des Einzelunternehmens, nicht an dessen Gewinn. Insoweit muss eine Abgrenzung zu einer aus überwiegend privaten Gründen gehaltenen Kapitalanlage erfolgen. Der BFH nimmt im Wege einer verfeinernden Auslegung des Betriebsvermögensbegriffs eine enge, bereichsspezifische Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen vor. Ob die beiden vom BFH entwickelten „Zuordnungsalternativen“ ausreichend konkret und im Einzelfall unterscheidbar sind, kann in Einzelfällen durchaus fraglich sein. Konkrete Gesetzesgrundlagen zur Definition von Förderungs- und Absatzalternative gibt es jedenfalls nicht. –

Perspektive des Einzelunternehmers ist entscheidend: Maßgebend für die Zuordnung einer Beteiligung zum notwendigen Betriebsvermögen ist deren Bedeutung für das Einzelunternehmen. Übliche Geschäftsbeziehungen zwischen Einzelunternehmen und den Tochter- und Enkelkapitalgesellschaften reichen nicht aus. Ein eigener Geschäftsbetrieb, der für die zuordnungsrelevanten Kapitalgesellschaftsanteile besteht, ist laut Rspr. unerheblich. Die Abgrenzung betrieblicher und privater Gründe zum Halten von Kapitalgesellschaftsanteilen kann im Einzelfall durchaus schwierig sein und auch im

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Zeitablauf wechseln. Für die Praxis kann bei sich ändernden Geschäftsbeziehungen „im Laufe der Jahre“ eine gedankliche Zuordnung zum gewillkürten Betriebsvermögen hilfreich sein. –

Mittelbar gehaltene Anteile können gleichermaßen dienlich für das Einzelunternehmen sein: Der Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zum notwendigen Betriebsvermögen steht nicht entgegen, wenn die dauerhaften und intensiven Geschäftsbeziehungen nicht unmittelbar zur Beteiligungsgesellschaft, sondern zu einer beherrschten Enkelgesellschaft bestehen. Die wesentliche Förderung der gewerblichen Einzelunternehmung durch die Tätigkeit der (mittelbar gehaltenen) Anteile an einer Enkelgesellschaft reicht danach für die Betriebsvermögenszuordnung der Tochter-GmbH-Anteile aus.

3. BFH v. 12.6.2019 – X R 38/17: Entnahmefall Sachverhalt:17 H betreibt seit dem Jahr 2003 einen Onlineshop als „eingetragener Kaufmann“ (§ 2 HGB). Grund dafür war: Die von ihm und seiner Ehefrau bereits im Jahr 1991 gegründete H-GmbH zum Betrieb von Einzelhandelsfachmärkten an verschiedenen Standorten durfte einen Internetversandhandel wegen des „Vetos“ des zuständigen Einkaufsverbands nicht betreiben. Seit 2003 erfolgten wechselseitige Personalgestellungen und Immobiliennutzungen. Einzelkaufmann und H-GmbH begründeten eine „Bonusgemeinschaft“ für die Wareneinkäufe. H bezog seine Waren in unterschiedlichem Umfang bei der H-GmbH zu Vorzugskonditionen. Eine Mehrheitsbeteiligung des H an der H-GmbH besteht nicht. Im Streitjahr 2010 überträgt H seine H-GmbH-Anteile unentgeltlich auf seine Ehefrau und die beiden Kinder. Da er davon ausging, dass die H-GmbH-Anteile zu seinem Privatvermögen gehörten, zog er daraus keine ertragsteuerlichen Folgen. Die Betriebsprüfung geht dagegen von einer gewinnrealisierenden Entnahme aus seinem Betriebsvermögen aus. Es kommt zum Rechtsstreit. Lösungshinweise: Der X. Senat des BFH gelangt in seinem Judikat zu dem Ergebnis, dass die Beteiligung des H an der H-GmbH zum Zeitpunkt der unentgeltlichen Übertragung zum notwendigen Betriebsvermögen seines Einzelgewerbebetriebs gehört. Nach „Start“ des Onlinegeschäfts in 2003 erfolgte eine Einlage seiner Kapitalgesellschaftsanteile in das Be17 Nachgebildet der Entscheidung des BFH v. 12.6.2019 – X R 38/17, BStBl. II 2019, 518 = FR 2019, 910.

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triebsvermögen der Einzelunternehmung. Wegen der Feststellung des Entnahmegewinns (Verkehrswertermittlung nach IDW S 1) erfolgt eine Zurückverweisung an das FG. Der BFH stützt sich für die Betriebsvermögensqualifikation der H-GmbH-Anteile entsprechend der Handhabung im Gewinnausschüttungsfall auf die „Förderungsalternative“. Dazu muss der Stpfl. seine Kapitalgesellschaftsanteile „zum Wohle seines Einzelgewerbebetriebs“ einsetzen. Dies ist im Wesentlichen Tat-, nicht Rechtsfrage, so dass der BFH als Revisionsinstanz zunächst an die – im Ergebnis nicht ausreichenden – Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlich zuständigen FG gebunden ist und anschließend eine Zurückverweisung vornimmt. Der BFH stützt seine „Bejahung der Förderungsalternative“ auf zwei Aspekte: –

Geschäftsbeziehungen mit erheblicher Vorteilhaftigkeit für das Einzelunternehmen: Zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Einzelunternehmen (konkret dem Onlinehandel) bestanden intensive und nachhaltige Geschäftsbeziehungen in der Form, dass sie sich – verursacht durch das Gesellschaftsverhältnis – als erheblich vorteilhaft für das Einzelunternehmen erwiesen. Eine eng verstandene Branchengleichheit zwischen den beiden Unternehmen ist für die Betriebsvermögenszuordnung nicht erforderlich. Vielmehr sollte eine nachhaltige Förderung des Einzelunternehmens durch die in der Kapitalgesellschaft ausgeübte Geschäftstätigkeit erfolgen. Positive Begleiteffekte für die Kapitalgesellschaft selbst sind unerheblich. Deshalb hindert auch ein eigener Geschäftsbetrieb der Kapitalgesellschaft die Betriebsvermögenszuordnung zum Einzelunternehmen nicht.



Geschäftsbeziehungen mit fremdunüblichen Vorteilen für das Einzelunternehmen indizieren, dass die Kapitalgesellschaftsbeteiligung „erst recht“ zum Zweck der Förderung des Einzelgewerbebetriebs eingesetzt wird.

4. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen Der Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen durch einen Stpfl., der zugleich ein gewerbliches Einzelunternehmen betreibt, sollte im Ausgangspunkt klar gestaltet werden. Die Vor- und Nachteile zur jeweiligen Zuordnung zum Privatvermögen/Betriebsvermögen sind dabei zu bedenken. Als Aspekte sind zu nennen: Gewerbesteuer bei Betriebsvermögen mit Zusatzbelastung gegenüber § 35 EStG (etwa wegen Nichtanwendbarkeit der gewerblichen Schachtelprivilegien oder sog. Anrechnungsüber398

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hängen); Teilwertabschreibung/Wertaufholung mit Teilabzugsfolgen gem. § 3c Abs. 2 EStG gibt es nur im Betriebsvermögen; die Abgeltungsteuer greift nur bei im Privatvermögen gehaltenen Anteilen ein, bei Betriebsvermögenszuordnung ist das Teileinkünfteverfahren einschlägig; schließlich ist auch ein Entnahmegewinn nur bei Zuordnung zum Betriebsvermögen relevant. Die Betriebs- oder Privatvermögenszuordnung ist deshalb häufig nicht nur vor- oder nachteilig; deshalb bestehen insbes. im Rahmen späterer Betriebsprüfungen unterschiedliche steuerliche „Angriffsrichtungen“.18 Die Gestaltungsfrage der Zuordnung stellt sich nicht nur zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile, sondern kann sich durchaus auch „unterwegs“ bei wichtigen geschäftlichen „Einschnitten“, wie etwa der Begründung eines Einzelunternehmens stellen. Bei der jeweiligen Gestaltung der Zuordnung der Kapitalgesellschaftsanteile sollte stets eine dokumentierte Analyse und Wertung der Geschäftsbeziehungen aus dem Blickwinkel der Einzelunternehmung erfolgen. Dabei ist eine stichtagsbezogene Betrachtung erforderlich. Zu bedenken ist auch: Bei im Zeitablauf wechselnder steuerlicher Vermögenszuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen ergeben sich Entnahme- und Einlagefolgen. Auch insoweit sollte der Stpfl. gestalterisch vorgehen und für eine „robuste Dokumentation“ seiner Zuordnungsentscheidung Sorge tragen. –

Sonderkategorie des „gewillkürten“ Betriebsvermögens: Bestehen im Einzelfall weder alleinige private noch rein betriebliche Motive zum Halten der Kapitalgesellschaftsanteile, so kann im Einzelfall die Rechtsfigur des gewillkürten Betriebsvermögens als Auffanglösung vor allem in Fällen ansonsten relevanter „Steuerentstrickung“ aus dem Betriebsvermögen dienen. Dies setzt einen ausreichenden objektiven betrieblichen Bezug sowie die zeitkritisch eindeutige und im Rechnungswesen nachvollziehbare subjektive Widmung zum Betriebsvermögen voraus. Insoweit besteht ein gerade für Kapitalgesellschaftsanteile bedeutsamer „Spielraum“ bei der gewünschten Vermögenszuordnung.19



Abgrenzung zur Sonderbetriebsvermögenszuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen bei Mitunternehmern: Der BFH stellt in seinen beiden Entscheidungen heraus, dass die Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen zum Betriebsvermögen eines Einzelkaufmanns

18 So Reddig, jurisPR-SteuerR 32/2019 Anm. 3. 19 Vgl. dazu etwa Loschelder in Schmidt, EStG38, § 4 Rz. 45.

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nicht zwingend und immer deckungsgleich ist mit den Zuordnungskriterien zum Sonderbetriebsvermögen bei Mitunternehmerschaften. Während für die Sonderbetriebsvermögenszuordnung die Perspektive der Personengesellschaft entscheidend ist, erscheint für die schlichte Betriebsvermögenszuordnung die Sicht des Einzelunternehmers vorrangig.20 Dies schließt natürlich nicht aus, dass die Zuordnungsentscheidung im Einzelfall identisch sein kann. Zudem setzt die Sonderbetriebsvermögenszuordnung eine Beherrschung der Kapitalgesellschaft durch den betroffenen Mitunternehmer – ggf. zusammen mit den anderen Mitunternehmern – voraus. Schließlich kann sich auch im Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft ausnahmsweise steuerliches Privatvermögen befinden. Selbst bei handelsbilanziell im Gesamthandsvermögen ausgewiesenen Kapitalgesellschaftsanteilen kann es sich in speziell gelagerten Einzelfällen durchaus auch einmal um eine private Kapitalanlage handeln.

III. Bilanzierung vereinnahmter/verausgabter Pfandgelder in der Getränkeindustrie (Fall 2) 1. Diskussionsstand zur steuerbilanziellen Pfandgeldbehandlung nach Rechtsprechung und Verwaltungslage In der Getränkeindustrie ist Verkauf und Rückgabe von Leergut (Kästen/ Flaschen) im Mehrwegsystem mit Pfandgeld belegt. Auf jeder Vertriebsstufe (Abfüller – Großhändler – Einzelhändler – Verbraucher) zahlt der Kunde ein Pfandgeld für Leergut, das ihm bei Rückgabe des Leerguts erstattet wird (Anreizwirkung, Sicherstellung der Leergutrückgabe). Aus Sicht der Unternehmen sind Pfandgelder im Grundsatz „durchlaufende Posten“; denn der Erhalt von Pfandgeld stellt beim Unternehmen eine Betriebseinnahme, die Rückzahlung des Pfandgelds eine Betriebsausgabe dar. Der I. Senat des BFH hat sich in einem Urteil vom 9.1.201321 intensiv mit der bilanzsteuerrechtlichen Behandlung von Pfandgeldern bei einem Mineralbrunnenbetrieb befasst, der mit einem Leergut-Pool arbeitet. In dieser Entscheidung urteilt der I. Senat des BFH in Teilen abweichend zur Auffassung der FinVerw. in ihrem BMF-Schreiben vom 13.6.2005.22 Für 20 So BFH v. 10.4.2019 – X R 28/16, BStBl. II 2019, 474 = GmbHR 2019, 955 Rz. 51. 21 Vgl. BFH v. 9.1.2013 – I R 33/11, BStBl. II 2019, 150 = FR 2013, 945. 22 Vgl. BMF v. 13.6.2005 – IV B 2 - S 2137 - 30/05, BStBl. I 2005, 715 = FR 2005, 716.

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Mehrrücknahmen im Pool – es wird mehr Leergut vom Kunden zurückgenommen als an ihn zuvor ausgegeben wurde – entsteht ein Nutzungsrecht im Umlaufvermögen; für die Verpflichtung zur Pfandrückzahlung ist eine Verbindlichkeit, keine Rückstellung zu bilden bezogen auf Individualleergut und Brunneneinheitsflaschen in dem Leergut-Pool. Für Einheitsleergut dagegen (keine Zuordnung zu einem bestimmten Abfüller) kommt eine Passivierung der vereinnahmten Pfandgelder nicht in Betracht, da das Eigentum an dem Leergut zivilrechtlich per Pfandgeld auf den jeweiligen Kunden übertragen wird und es sich insoweit um ein schwebendes Geschäft handelt. Die Entscheidung des BFH ist zwar auf die Spezifika eines Mineralbrunnenbetriebs ausgerichtet, enthält darüber hinaus aber eine auch für andere Bereiche in der Getränkeindustrie geltende Unterscheidung verschiedener Leergutarten. Die FinVerw. hat das BFH-Judikat aus dem Jahr 2013 mit BMF-Schreiben vom 19.2.201923 im Bundessteuerblatt veröffentlicht und – ohne Übergangsregelung – das „alte“ BMF-Schreiben aus 2005 aufgehoben. Grund für die mehr als sechsjährige „Verzögerung“ bei der Veröffentlichung der BFH-Entscheidung war wohl, dass der BFH in seiner Entscheidung vom 9.1.2013 die Sache an das seinerzeit zuständige Hessische FG zurückverwiesen hat und insoweit erst im Jahr 2018 eine einvernehmliche Erledigung zwischen den Parteien erfolgt ist. Im Ergebnis erscheint diese zeitliche Verzögerung recht ungewöhnlich, da die rechtlichen Vorgaben für die ergänzenden Sachverhaltsermittlungen im Rahmen der Rückverweisung allein durch den BFH definiert sind. Neue Beurteilungsgrundsätze für Pfandgelder werden im BMF-Schreiben vom 19.2.2019 nicht genannt. Dies hat vor allem bei den Brauereibetrieben zu großer Rechtsunsicherheit geführt.24 Vermutlich wird die Handelsbilanzpraxis unabhängig vom Leerguttyp auch weiterhin von der Verbuchung der Anschaffungs- und Erhaltungsvorgänge als geringwertige Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und von der Bildung ausreichend dotierter Pfandrückstellungen ausgehen. Gläubigerschutz und Vorsichtsprinzip erfordern – unabhängig von der BFH-Entscheidung aus 2013 – eine Passivierung erhaltener und rückzahlungsbelasteter Pfandgelder.

23 Vgl. BMF v. 19.2.2019 – IV C 6 - S 2133/13/10002 – DOK 2019/0058072, BStBl. I 2019, 210 = FR 2019, 328. 24 Aus der einschlägigen Literatur vgl. Köhler, DB 2014, 2555; Köhler, FR 2015, 318; Köhler, StBp. 2015, 201, 236 und 256; Köhler, StBp. 2019, 359; Oser/ Wirtz, StuB 2020, 41 (48); Krieger, DStR 2014, 1989; Schothöfer, DStR 2013, 1746; Heußner/Moog, FR 2013, 938; Hoffmann, DStR 2013, 1090.

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2. Typischer Ausgangssachverhalt der Pfandgeldbehandlung bei einem mittelständischen Brauereibetrieb „in Betriebsprüfung“ Ein typischer Ausgangssachverhalt zur Veranschaulichung der Pfandgeldproblematik: Die X-GmbH unterhält einen mittelständischen Brauereibetrieb mit kalenderjahrgleichem Wj. Die Anschaffung des Leerguts an Kästen/Flaschen wird seit Jahrzehnten als geringwertige Wirtschaftsgüter im Anlagevermögen verbucht. Insoweit wird das Wahlrecht zur Sofortabschreibung gem. § 6 Abs. 2 EStG genutzt. Die vereinnahmten und verausgabten Pfandgelder werden per Buchungsautomatik und Verknüpfung mit dem jeweiligen Warenwirtschaftssystem über ein Rückstellungskonto abgewickelt. Zum jeweiligen Bilanzstichtag wird das Rückstellungskonto per Bestandsmethode überprüft, angepasst und nach Kürzung um eine erfahrungsgestützte Schwund- und Bruchquote gleichlautend in Handels- und Steuerbilanz passiviert. Die Betriebsprüfung für die Jahre 2015–2017 überprüft die Rückstellung mit Hilfe diverser Schätzungsmethoden (Zeitreihenvergleich, Kalkulation von Umlaufzeiten und Benchmarking mit anderen Betrieben) und verlangt eine Kürzung um 30 % wegen eines seit Jahren überhöhten Ausweises. Im Nachgang zur Veröffentlichung der 2013er BFH-Entscheidung zu Beginn des Jahres 2019 wird eine Kürzung um weitere 10 % wegen des Pfands für Einheitsflaschen in Aussicht genommen. Die X-GmbH will dies nicht akzeptieren. Es bestehe Vertrauensschutz im Hinblick auf das BMF-Schreiben vom 13.6.2005 und die dort genannten Grundsätze, die durch die FinVerw. mit der rückwirkenden Anwendung der BFH-Entscheidung eklatant verletzt seien. Zudem sei die Rückstellung „nachgewiesen“. Wie ist die Rechtslage?

3. Lösungshinweise: Wirtschaftliches Eigentum am Leergut, Dotierung der Verbindlichkeitsrückstellung und Vertrauensschutzfragen Die FinVerw. hat im „rückwirkend aufgehobenen“ BMF-Schreiben vom 13.6.2005 Pfandrückstellungen nach den Umständen des Einzelfalls und unabhängig von der zivilrechtlichen Unterscheidung in Individual- und Einheitsleergut dem Grunde nach anerkannt. Dabei sollte es in der Vergangenheit/Zukunft bleiben. Denn die BFH-Entscheidung vom 9.1.2013 betrifft eine Sonderkonstellation in Mineralbrunnenbetrieben mit Leer-

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gut-Poolbeständen und ist auf Brauereibetriebe nicht „ohne Weiteres“ übertragbar. Dabei sind folgende Steueraspekte wichtig: –

Wirtschaftliches Eigentum an Leergut unabhängig von zivilrechtlichen Unterscheidungen: Steuerbilanziell stellt sich die Frage, ob die auf der BFH-Rspr. beruhende Unterscheidung von Einheitsleergut und Individualleergut mit den unterschiedlichen zivilrechtlichen Eigentumszurechnungen – Eigentumsübergang bei Einheitsleergut (Kaufbzw. Sachdarlehen), Eigentumsverbleib mit einem leiheähnlichen Vertrag bei Individualleergut – für eine Gewinnermittlung nach dem Betriebsvermögensvergleich gem. § 5 Abs. 1 EStG zwingend zu beachten ist. Losgelöst von zivilrechtlichen Eigentumsfragen kommt es für die steuerliche Zurechnung allein auf die wirtschaftliche Eigentümerstellung gem. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO am Leergut an. Die Fragen des wirtschaftlichen Eigentums hat der BFH in seiner 2013er Entscheidung nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden: –

Bei Individualleergut verbleibt zivilrechtliches/wirtschaftliches Eigentum beim Brauereibetrieb. Die in den Mehrwegkreislauf von dem Brauereibetrieb „eingespeisten“ Kästen und Flaschen sind als GWGs zu behandeln mit anschließenden Instandhaltungs-/Ersatzinvestitionen.



Bei Einheitsleergut sollte das wirtschaftliche Eigentum – ungeachtet des zivilrechtlichen Eigentumsübergangs auf den jeweiligen Kunden – wegen gattungsidentischen Ersatzes ebenfalls beim Brauereibetrieb verbleiben. Denn der Brauereibetrieb geht von einem funktionierenden Pfandkreislauf und damit – bei Beachtung einer sachgerechten Bruch- und Schwundquote – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Rückgabe des Leerguts gegen Rückzahlung des sicherungsweise erhaltenen Pfandbetrags aus. Die auf Dauerhaftigkeit ausgerichtete Investition des Brauereibetriebs in Leergut unterscheidet nicht nach eventuellen zivilrechtlichen Gesichtspunkten in Einheits- und Individualleergut. Vielmehr ist die Anschaffung beider Wirtschaftsgütergruppen (Kästen und Flaschen) auf dauerhafte Zuordnung zum Anlagevermögen ausgerichtet. Während der üblichen Nutzungsdauer des Leerguts erfolgt im Rahmen des Mehrwegkreislaufs eine stete Rückgabe an den Brauereibetrieb unter Rückzahlung der vereinnahmten Pfandgelder. Bei Lichte besehen verbleibt das wirtschaftliche Eigentum damit auch bei Einheitsleergut beim Brauereibe403

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trieb. Hilfsweise kommt eine buchwertgestützte Qualifikation als ein Sachdarlehen in Betracht.25 ME steht die BFH-Entscheidung vom 9.1.2013 einer solchen, auf wirtschaftliches Eigentum gestützten Beurteilung nicht entgegen, weil sich der I. Senat des BFH ausschließlich mit den Sonderfragen von Pfandgeldern bei einem Mineralbrunnenbetrieb im Rahmen eines Leergut-Pools befasst hat. –

Bilanzierung/Bewertung der Pfandrückzahlungsverpflichtungen: In der Praxis werden zur Ermittlung der Höhe der Pfandverbindlichkeit im Hinblick auf die im Mehrwegkreislauf beim Kunden befindlichen Kästen und Flaschen zwei unterschiedlich ausgestaltete Methoden angewandt. In beiden Fällen sollte es sich um eine Pfandrückstellung, keine Pfandverbindlichkeit handeln, weil hinsichtlich der Höhe der Außenverpflichtung gegenüber den Kunden Unsicherheit besteht. Dies ist wesensimmanenter Bestandteil einer Rückstellung im Vergleich zur Verbindlichkeit. –

Bestandsmethode: Die Überprüfung der Pfandverpflichtung mittels der Bestandsmethode basiert grundsätzlich auf folgendem Berechnungsschema: Anfangsbestand der Kästen (angeschaffte Kästen) + Zugang an Kästen anhand von weiteren historischen Einkäufen ./. Kastenvermahlung ./. Bruch-/Schwundquote inkl. Nichtrückgabe = Gesamtbestand an Kästen ./. Hofbestand an Kästen (ermittelt durch Inventur am Jahresabschlussstichtag) = Eigenbestand an Kästen beim Kunden × Pfand pro Kasten = Rückstellung für Kästen- und Flaschenpfand



Entscheidend bei der Anwendung der Bestandsmethode ist: Die Bruch- und Schwundquote muss in nachvollziehbarer und dokumentierter Form berücksichtigen, dass im Umlauf befindliches Leergut uU aufgrund von Bruch oder Schwund nicht zurückgegeben wird oder die Brauereien bei der Rückgabe nur beispielsweise

25 Vgl. zum Ganzen auch Jakob/Kober, DStR 2004, 1594; Klein, DStR 2010, 715; Scheller, DStR 2017, 894 zu Palettentauschsystemen.

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„halbvolle“ Kästen zurückerhalten. Üblicherweise werden in der Praxis aus Verkaufsstatistiken abgeleitete Erfahrungswerte zugrunde gelegt, die von der FinVerw. im Rahmen von Betriebsprüfungen beurteilt und ggf. korrigiert werden. –

Umschlagshäufigkeitenmethode: Die Ermittlung und Verprobung der Pfandverbindlichkeit anhand einer Umschlagshäufigkeit stellt ein pauschales Verfahren dar, das jeweils stichtagsbezogen angewandt wird. Die Gebindemenge, die sich in Abhängigkeit von der Umlaufgeschwindigkeit am jeweiligen Bilanzstichtag außerhalb der Brauerei befindet, wird mit dem jeweiligen Pfandsatz multipliziert. Die Umschlagshäufigkeiten beruhen meist auf langjährigen Erfahrungswerten und werden anhand von Absatzstatistiken geschätzt. Die mehrjährige Kumulation einer fehlerhaft ermittelten Schwundund Bruchquote kann insoweit nicht erfolgen. Bruch- und Schwundquote sowie die Umschlagshäufigkeiten müssen zur Anerkennung durch die Betriebsprüfungen „robust“, beispielsweise durch Stichprobenreihen sowie ablauforganisatorisch in das Warenwirtschaftssystem und die Finanzbuchführung integrierte Abläufe, nachgewiesen werden. Die „klassische“ Ermittlung der Höhe einer Pfandverbindlichkeit bereitet in der Praxis erfahrungsgemäß und unabhängig von der neuen Sichtweise der FinVerw. Probleme.



Verprobung der FinVerw. erlaubt nur intensive Einzelfallprüfung und kann „nachgewiesene Ansätze“ nicht verdrängen: Aus Verprobungs- und Schätzungsmethoden der FinVerw. resultierende Ansätze für die Pfandgeldverpflichtung dürfen nicht automatisch an die Stelle von nachgewiesenen und dokumentierten Pfandverbindlichkeiten treten. Nach stRspr. des BFH erlauben derartige Schätzungswerte lediglich eine tiefergehende Überprüfung der vom Stpfl. selbst getroffenen Ansätze (Beweiskraft der Buchführung, § 158 AO). Eine Umkehr der Beweislast insoweit, dass die Stpfl. die Fehlerhaftigkeit des Schätzungswerts nachweisen müssen, ist rechtlich unzulässig.26



Vertrauensschutzfragen: Die rückwirkende Aufhebung des BMFSchreibens vom 13.6.2005 durch das BMF-Schreiben vom 19.2.2019 – veröffentlicht im BStBl. I am 29.3.2019 – unter Bezugnahme auf die der Finanzverwaltungsauffassung teils entgegenstehende Beurteilung des BFH verstößt gegen verfahrensrechtliche Vertrauensschutzgrund-

26 Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. Dazu auch Kulosa, DB 2015, 1797 sowie Prinz, DB 45/2019, M 4.

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sätze. Denn trotz faktischer Kenntnis der BFH-Entscheidung vom 9.1.2013 ist die FinVerw. in Veranlagungsverfahren und Betriebsprüfungen weiterhin nach dem BMF-Schreiben vom 13.6.2005 vorgegangen. Dies wurde seitens der Unternehmen als „faktische Nichtanwendung“ der BFH-Entscheidung verstanden. Insoweit besteht Vertrauen auf eine „untergesetzliche Verwaltungsrechtslage“. Auch liegen Vertrauensschutzverstöße gem. § 176 Abs. 2 AO vor. Zumindest ein „Übergangsschutz“ für vor März 2019 durch die Betriebsprüfung aufgegriffene Fälle bzw. verfahrensrechtlich noch offene Veranlagungen bis einschließlich VZ 2018 ist zwingend. Denn die „sechsjährige Nachdenkenszeit“ der FinVerw. bis zur Veröffentlichung der BFHEntscheidung darf nicht zu Lasten der Unternehmen gehen. Insgesamt erscheint die Pfandgeldproblematik in der Getränkeindustrie als „interessanter Kristallisationspunkt“ wichtiger bilanzsteuerlicher Grundsatzfragen.

IV. Rechnungsabgrenzungsposten und Wesentlichkeit (Fall 3) 1. Rechnungsabgrenzungsposten und Realisationsprinzip Steuerbilanzielle Rechtsgrundlage für aktive/passive Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) ist § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG.27 Handelsbilanziell sind die Rechnungsabgrenzungsposten – in den beiden Grundfällen nahezu wortgleich und mit unionsrechtlichen Wurzeln – in § 250 HGB definiert. Rechnungsabgrenzungsposten sind Ausfluss des Realisationsprinzips zur periodengerechten Erfolgsabgrenzung (kodifiziertes dynamisches Bilanzverständnis). RAP stellen keine Wirtschaftsgüter dar und sind deshalb auch nicht zu bewerten. Sie werden nach Realisationsgrundsätzen als Sonderposten auf der Aktiv- bzw. Passivseite der Steuerbilanz gebildet und nach Maßgabe des „zeitlichen Bestimmtheitserfordernisses“ verursachungsentsprechend aufgelöst.

27 Vgl. als Überblick Prinz in Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht3, Rz. 4930, 6380; Prinz, StbJb. 2017/2018, 407–411; Marx/Löffler, DB 2014, 2765; Priester, DB 2016, 1025.

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2. FG Baden-Württemberg v. 2.3.2018: Zur Bedeutung des Wesentlichkeitsgrundsatzes a) Sachverhalt A unterhält einen mittelständischen Handwerksbetrieb und ermittelt seinen Gewinn kalenderjahrgleich gem. § 5 Abs. 1 EStG. Diverse einmal jährlich anfallende Zahlungen für lokale Werbemaßnahmen, Mitgliedsbeiträge und Kfz.-Steuern behandelt er ohne Periodenabgrenzung als Betriebsausgaben. Bei solchen Kleinbeträgen sei eine verursachungsbezogene Abgrenzung „viel zu mühsam“. Die Betriebsprüfung greift dies auf und grenzt die diversen Zahlungen über einen aktiven RAP minutiös ab. Als Argument wird angeführt: Auch bei unwesentlichen Beträgen bestehe nach dem Wortlaut der einschlägigen Regelungen eine Pflicht zur Bildung eines aktiven RAP; ein Aktivierungswahlrecht hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Es kommt zu einem finanzgerichtlichen Rechtsstreit.28 b) Lösungshinweise Es geht um die steuersystematische Grundsatzfrage, ob bei Rechnungsabgrenzungsposten – auch ohne dass dies der Gesetzeswortlaut selbst vorsieht – unter Wesentlichkeitsaspekten auf eine verursachungsgeleitete Abgrenzung kleinerer Beträge verzichtet werden kann. Die Frage nach der Bedeutung des Wesentlichkeitsgrundsatzes im Bilanzsteuerrecht kann – über die Rechnungsabgrenzungsposten hinaus – durchaus auch andere Wirtschaftsgüter betreffen (etwa die Nachaktivierung von Herstellungskosten bei einer Maschine oder eine Rückstellungsbildung für Kleinbeträge). Das Streitjahr in der FG Baden-Württemberg-Entscheidung ist 2014. Im Ergebnis bekommt der Stpfl. in vollem Umfang Recht. Letztlich wurde die Entscheidung rechtskräftig. Zwar hatte das FG selbst Revision nach § 115 FGO zugelassen; der BFH hat die eingelegte Revision dann aber als unzulässig gem. Beschluss vom 10.9.2018 – X R 14/18 verworfen, da die Rechtslage bereits geklärt sei. Die Argumentation des FG Baden-Württemberg zum Verzicht auf den Ansatz eines aktiven RAP lautet im Kern wie folgt:

28 Der Sachverhalt ist nachgebildet FG Bad.-Württ. v. 2.3.2018 – 5 K 548/17, EFG 2019, 415 mit Anm. Lutter; s. ergänzend auch FG Bad.-Württ. v. 8.11.2019 – 5 K 1626/19, EFG 2020, 435, nrkr., Rev. Az. BFH X R 34/19.

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Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein abschließendes Aktivierungsgebot, der Stpfl. hat insoweit kein Wahlrecht.



Der mitunter auch im Bilanzsteuerrecht heranziehbare „Grundsatz der Wesentlichkeit“ lässt aber Ausnahmen zu. In Fällen von geringer Bedeutung (= unwesentliche Beträge) kann der Stpfl. nach Meinung des FG Baden-Württemberg auf eine genaue Abgrenzung der Aufwendungen verzichten. Das FG hält ein solches Auslegungsergebnis wegen angemessener Vereinfachung der Buchführung im Interesse der Wirtschaftlichkeit für vertretbar. Die Bilanzierungsgrundsätze der Vollständigkeit und Wahrheit werden insoweit nach Meinung des FG Baden-Württemberg eingeschränkt. Dabei nimmt das FG auf ältere/ jüngere BFH-Rspr. Bezug, insbes. den BFH-Beschluss vom 18.3.2010 – X R 20/09.29 Eine weitere steuerbilanzrechtssystematische Herleitung des Wesentlichkeitsgrundsatzes findet sich in der FG-Entscheidung nicht.



Konkretisierung der Wesentlichkeit: Ein Fall von geringer Bedeutung ist nach Meinung des FG Baden-Württemberg durch die Grenze des § 6 Abs. 2 EStG bestimmt. Denn mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass er bei gWG auf einen periodengerechten Ausweis verzichtet und eine Sofortabschreibung für angemessen hält. Wegen Vermeidung von Wertungswidersprüchen soll dies auch für aktiven RAP gelten.

3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen Im Ergebnis ist die Rspr. des FG Baden-Württemberg zum Verzicht auf die Abgrenzung kleinerer aktiver RAP-Beträge zutreffend. Denn der Verzicht auf die Abgrenzung eines aktiven RAP in Fällen von geringer Bedeutung ist letztlich Ausfluss eines auch im Steuerbilanzrecht geltenden Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes. Auch wenn die Rechtsgrundlagen eines solchen Wirtschaftlichkeits- oder Wesentlichkeitsgrundsatzes – beide Be29 Der Beschluss des BFH v. 18.3.2010 – X R 20/09, BFH/NV 2010, 1796 ist ein „steuerjuristisches Unikat“. Es handelt sich nämlich um eine Kostenentscheidung, in die die materiellrechtliche Begründung des früheren Gerichtsbescheids integriert wurde. Der ursprüngliche Gerichtsbescheid galt wegen rechtzeitiger mündlicher Verhandlung gem. § 90a Abs. 3 FGO „als nicht ergangen“. Der X. Senat des BFH verwendet hier den „verfahrensrechtlichen Kniff“, den Inhalt des Gerichtsbescheids dem Rechtsanwender per Kostenbeschluss – also nicht als formales Urteil – kundzutun.

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zeichnungen werden ohne eindeutige Unterscheidung verwendet – letztlich unklar bleiben, erscheint die insoweit zu gewärtigende Beeinträchtigung des Vollständigkeitsgebots vertretbar.30 Denn ein Verstoß gegen das Vollständigkeitsgebot ist bei einem Verzicht auf die Erfolgsabgrenzung kleinerer Beträge im Hinblick auf einen aktiven Rechnungsabgrenzungsposten nicht zu sehen. Ob allerdings die generelle Bezugnahme auf § 6 Abs. 2 EStG zur Definition eines Wesentlichkeitskriteriums überzeugend ist, erscheint zweifelhaft. Sicherlich trägt eine solche Betragsgrenze zur rechtssicheren Anwendung in der Praxis bei. Letztlich fußt § 6 Abs. 2 EStG aber auf einer abweichenden Teleologie, die das detaillierte Verfolgen langjähriger Abschreibungsverläufe bei Kleinbeträgen vermeiden soll. Die kürzlich, dh. zum 1.1.2018 angehobene gWG-Grenze auf 800 t verdeutlicht, dass diese keinen zwingender Wesentlichkeitsmaßstab für die Beurteilung eines aktiven RAP bilden kann. Vielmehr wird man im Einzelfall auf qualitative und auch quantitative Aspekte zurückgreifen müssen. Im Übrigen erscheint eine Gleichbehandlung von aktiven RAP und passiven RAP geboten. In der Besteuerungspraxis wird man deshalb für steuerbilanzielle Zwecke eine dokumentierte Begründung für die Unwesentlichkeit von Einzelbeträgen für Aktivierungszwecke erstellen müssen.

V. Bewertung von Warenvorräten (Fall 4) 1. Ausgangspunkt: Verlustfreie Bewertung bei Handelswaren Fertige Erzeugnisse und Waren eines Kaufmanns gehören zu seinem Vorratsvermögen und werden zum jeweiligen Bilanzstichtag im Umlaufvermögen ausgewiesen. Die steuerbilanzielle Bewertung erfolgt gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG (vereinfacht) mit den Anschaffungs-/Herstellungskosten oder – als Wahlrecht – mit dem niedrigeren Teilwert bei voraussichtlich dauernder Wertminderung sowie dem (latenten) Wertaufholungsgebot. Das Vorratsvermögen unterliegt keiner planmäßigen Abschreibung. Handelsbilanziell ist der Grundsatz verlustfreier Bewer30 Vgl. mit ausführlicher Diskussion Wendt in Festschrift Herzig, 2010, 517; Marx, FR 2011, 267; Hommel/Kunkel/Zick, BB 2019, 1259; Prinz in Prinz/ Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht3, 1111 Rz. 4941. Zur Diskussion um den Wesentlichkeitsgrundsatz beim bilanziellen Fehlerbegriff vgl. auch die Diskussion um den Beschluss des OLG Frankfurt v. 4.2.2019 – WpÜG 3 + 4/16, nv; im Enforcement-Verfahren auch Pöschke, WPg. 2019, 872; M. Schmidt, BB 2019, 2027; Böcking/Gros/Wirth, DB 39/2019, Gastkommentar M 4; Mujkanovic, StuB 2019, 857.

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tung verpflichtend (§ 253 Abs. 4 HGB). Es gilt das Einzelbewertungsgebot (s. auch R 6.8 Abs. 1 EStR). Im Handel sind zur Ermittlung von Wertminderungen bei fertigen Erzeugnissen/Waren unterschiedlich detailgenaue Reichweitenverfahren mit Gängigkeitsabschlägen zu finden, die die Lagerdauer und Umschlagshäufigkeit von Vorratsteilen wertmindernd qualifizieren sollen. Derartige warenwirtschaftsbezogene Systeme sind meist unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten konzipiert, ohne den im Rechnungslegungsrecht gebotenen Nachweispflichten ausreichend Rechnung zu tragen. Die von den Unternehmen geltend gemachten Teilwertabschläge auf Vorratsvermögen werden durch die Betriebsprüfung vor allem im Handel intensiv aufgegriffen. Dabei macht eine sachgerechte steuerliche Teilwertbestimmung eine intensive Auseinandersetzung mit den betriebswirtschaftlich geprägten Kalkulationsmethoden erforderlich.31

2. FG Münster v. 21.11.2018: Steuerbilanzielle Teilwertabschreibung bei der Bewertung von Warenvorräten Im Folgenden stehen Teilwertabschreibungen bei der Bewertung von Warenvorräten im Mittelpunkt. Sachverhalt:32 Die UP-GmbH ist im Einzelhandel tätig und betreibt den An- und Verkauf von Saisonwaren. Nicht verkaufte Saisonware wird eingelagert und in der nächsten Saison wieder zum Verkauf angeboten. Auf den Warenbestand zum Bilanzstichtag werden nach der retrograden Methode – Ausgangspunkt: Rückrechnung aus Absatzmarktperspektive am Bilanzstichtag – Teilwertabschreibungen geltend gemacht wegen gestiegener Selbstkosten (zB wegen lagerzeitabhängiger Zusatzkosten) und erforderlicher Preisabschläge auf die Verkaufserlöse. Kalkulatorisch ermittelt die UP-GmbH die Abschläge wie folgt:

31 Vgl. im Hinblick auf Reichweitenverfahren Kemper/Beck/Konold, DStR 2014, 1370, 2330; Heinemann, DStR 2014, 2327; Schmudlach, NWB 2018, 1843. 32 Der Sachverhalt ist nachgebildet der Entscheidung des FG Münster v. 21.11.2018 – 13 K 444/16 K, G, F, EFG 2019, 464, rkr. Zu Erläuterungen s. Weiss, BB 2019, 690; Schmitz-Herscheid, EFG 2019, 470; Heß, DStRK 2019, 248. Als Überblick auch Hick in Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht3, 1042–1061; Schubert/Berberich in Beck-BilKomm.12, § 253 HGB Rz. 547. Zur Sicht der FinVerw. s. R 6.8 Abs. 2 EStR sowie H 6.7 und 6.8 „Retrograde Wertermittlung“ EStH.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Voraussichtlicher Nettoverkaufserlös ./. Selbstkosten bis zum Bilanzstichtag ./. Selbstkosten bis zum Verkauf ./. durchschnittlicher Gewinnaufschlag = (mögliche) Teilwertabschreibung

Dabei stellt die UP-GmbH auf den durchschnittlichen Branchenwert beim Gewinnaufschlag ab und ermittelt die zukünftigen Selbstkosten auf Vollkostenbasis (einschließlich aller lagerzeitabhängigen Kosten und Vertriebskosten) bis zur Veräußerung. Der so ermittelte Abschlag beträgt 20 % auf die um die üblichen Preisminderungen bereinigten Anschaffungskosten. Die Betriebsprüfung greift den Sachverhalt auf und will den Abschlag auf 10 % kürzen. Es sei nicht der handelsübliche, sondern der betriebsspezifische Unternehmergewinn anzusetzen; zudem seien die nach dem Bilanzstichtag angesetzten Selbstkosten wegen Doppelerfassungen zu hoch. Es kommt zum Rechtsstreit. Lösungshinweise: Das FG Münster gibt dem Stpfl. im Ergebnis „zur Hälfte“ Recht. Die Streitjahre sind 2009–2012. Grundlage der Teilwertabschreibung müssen dabei stets die vorgelegten „tatsächlichen betrieblichen Daten“ sein. Der Stpfl. trägt zudem die Beweislast für die Wahlrechtsausübung. Die Leitsätze der FG Münster-Entscheidung lauten wie folgt: „1. Für die Teilwertabschreibung von Umlaufvermögen stehen grundsätzlich die progressive sowie die retrograde Methode der Wertermittlung zur Verfügung. 2. Die retrograde Berechnungsmethode ist eine Rückrechnung vom voraussichtlichen Veräußerungserlös. Deckt dieser Preis nicht mehr die Selbstkosten der Waren zzgl. des im Betrieb durchschnittlichen Unternehmergewinns, so sind die Anschaffungskosten um den Fehlbetrag zu mindern (vgl. BFH-Rspr.).“

Die Argumentation des FG Münster lautet im Kern: –

Zunächst muss im Rahmen der Wahlrechtsausübung des Stpfl. der Nachweis des niedrigeren Teilwerts zum Bilanzstichtag geführt werden. Dies geschieht –

entweder durch die sog. progressive Methode, die ihren Ausgangspunkt im Beschaffungsmarkt hat, wobei die Wiederbeschaffungskosten für die Vorräte unter die ursprünglichen Anschaffungs-/ Herstellungskosten gesunken sind oder



durch die sog. retrograde Methode. Diese geht aus von der Preisentwicklung am Absatzmarkt und nimmt eine Rückrechnung auf Wertabschläge vom voraussichtlichen Veräußerungserlös (übli411

Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

cherweise bei tatsächlicher Preisherabsetzung) vor mit dem Ziel, die Selbstkosten der Waren zzgl. des durchschnittlichen Unternehmergewinns abzudecken. Neben progressiver und retrograder Methode ist laut R 6.8 Abs. 2 Satz 5, 6 EStR auch die sog. Formelmethode zulässig. Im Übrigen bestätigt der BFH in seinem Judikat vom 9.12.2014 – X R 36/1233 das Wahlrecht zwischen progressiver und retrograder Wertermittlungsmethode und legt ausdrücklich dem Stpfl. die Feststellungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung auf; konkreter Gegenstand des Rechtsstreits sind dabei Teilwertabschreibungen auf Orientteppiche. Dabei sind rein kalkulatorische Kosten naturgemäß nicht in den Teilwertabschlag einzubeziehen. –

Ermittlungen der „Selbstkosten“ bei retrograder Methode: Neben den Selbstkosten bis zum Bilanzstichtag sind auch die bis zur Veräußerung im folgenden Geschäftsjahr anfallenden Selbstkosten – dabei handelt es sich um künftig entstehende Aufwendungen – einzubeziehen. Dabei ist eine Schätzung auf Basis der tatsächlichen betrieblichen Daten, die insoweit aus den Jahresabschlüssen und der zugrundeliegenden Finanzbuchführung abzuleiten sind, zulässig. Das FG Münster bestätigt dabei auch die Möglichkeit der Einteilung in Gängigkeitsklassen, die nach Alter der Waren und durchschnittlicher Verkaufszeit nach Ermittlung der Lagerdauer differenziert. Auch die lagerzeitabhängigen Kosten sind bei der retrograden Bewertungsmethode abzuziehen. Das FG nimmt dabei schätzungsbedingte Unschärfen/Unsicherheiten hin. Bereits der BFH hat in seiner Entscheidung vom 25.7.2000 – VIII R 35/9734 judiziert, dass bei der Ermittlung der Selbstkosten im Rahmen der retrograden Wertermittlungsmethode auch die noch anfallenden Verkaufs-, Vertriebs- und Reparaturkosten sowie ggf. anfallende betriebliche Fixkosten zu berücksichtigen sind. Zudem müsste ein gedachter Erwerber die nach dem Bilanzstichtag anfallenden Selbstkosten berechtigterweise geltend machen.35 Das FG Münster befindet sich deshalb in seiner Argumentation auf der Linie der höchstrichterlichen Rspr.

33 Vgl. BFH v. 9.12.2014 – X R 36/12, BFH/NV 2015, 821. 34 BFH v. 25.7.2000 – VIII R 35/97, BStBl. II 2001, 566. 35 So BFH v. 9.11.1994 – I R 68/92, BStBl. II 1995, 336.

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„Ermittlung des durchschnittlichen Unternehmergewinns“: Die Anwendung der retrograden Methode der Wertermittlung bei Vorräten muss von den konkreten betrieblichen Daten ausgehen. Die Verwendung durchschnittlicher Branchenwerte dagegen ist unzulässig. Es muss demnach eine Ableitung des durchschnittlichen Unternehmergewinns aus den Jahresabschlüssen ggf. unter Berücksichtigung einer Durchschnittsbildung erfolgen. So lässt sich beispielsweise aus der Differenz von Umsatzerlösen und Materialaufwand der konkrete betriebliche „Rohgewinn I“ ermitteln. Dieser ist dann Ausgangspunkt für die retrograde Wertermittlung.

3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen Die Verwendung von Reichweitenverfahren und Gängigkeitsklassen nach Maßgabe betriebswirtschaftlicher Lagerhaltungskennzahlen muss in einem ausreichenden Umfang die steuerbilanziellen Nachweiserfordernisse für Teilwertabschläge berücksichtigen. Bei rein betriebswirtschaftlich ausgerichteten Systemen nach Maßgabe warenwirtschaftlicher Bedürfnisse ergeben sich meist steuerbilanzielle Anerkennungshürden. Auch der BFH erkennt in seinem Urteil vom 24.2.1994 – IV R 18/9236 an, dass die Einteilung des Warenbestands in Gängigkeitsklassen – Umschlagshäufigkeit im Kj., bezogen auf den tatsächlichen Bestand am Inventurstichtag – im Einzelfall geeignet sein kann, Folgerungen für den Teilwert der Waren zu ziehen. Konkret ging es in der Entscheidung um Teilwertabschläge auf Ersatzteile im Kfz.-Handel. Der BFH hat seine Beurteilung im Leitsatz wie folgt zusammengefasst: „Eine lange Lagerdauer rechtfertigt jedoch für sich allein regelmäßig keine Teilwertabschreibung, solange die Waren zu den ursprünglichen oder erhöhten Preisen angeboten und verkauft werden, es sei denn, dass nach den betrieblichen Gegebenheiten auch ohne bereits erfolgte Preisherabsetzungen auf eine geminderte oder ganz entfallende Absatzmöglichkeit geschlossen werden kann.“

Insoweit werden Reichweiten- und Gängigkeitsverfahren von der FinVerw. nur bei ausreichend substantiierten Nachweisen anerkannt. So sind etwa die Gründe für Überstände, konkrete Verschrottungsmaßnahmen für einen repräsentativen Zeitraum sowie Nachweise für konkrete Preisabschläge bei „Altsaison-Waren“ hilfreich. Dokumentierte Nachweisführung zu gesunkenen Teilwerten ist ratsam. So sollten betroffene Unternehmen beispielsweise im Rahmen von Be36 Vgl. BFH v. 24.2.1994 – IV R 18/92, BStBl. II 1994, 514.

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triebsprüfungen Nachweise für Preisabschläge oder Verschrottungsaktionen nach Maßgabe des betrieblichen Rechnungswesens erbringen. Auch ist die Vorlage von Management-Beurteilungen über Wertminderungen und Abschlagssätze geeignet, die in Rede stehenden Teilwertminderungen zu begründen.37

VI. Rückstellungen für Gewährleistungsverpflichtungen (Fall 5) 1. Verbindlichkeitsrückstellungen im Spannungsverhältnis von Gläubigerschutz- und Leistungsfähigkeitsbesteuerung Die Grundkriterien für den Ansatz von Verbindlichkeitsrückstellungen finden sich in § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB und gelten als handelsrechtliche GoB auch für die steuerliche Gewinnermittlung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Neben der Maßgeblichkeitsverknüpfung bestehen steuerbilanziell einige ansatzbegrenzende Sondervorschriften für Verbindlichkeitsrückstellungen (insbes. § 5 Abs. 3, 4 und 4b EStG) sowie ein Verbot für Drohverlustrückstellungen (§ 5 Abs. 4a EStG). Die steuerbilanzielle Bewertung folgt – konzeptionell abweichend zu § 253 Abs. 1 HGB – den Sonderregelungen des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, wird aber nach Meinung der FinVerw. vor allem bei Sachleistungsverpflichtungen im Hinblick auf einen handelsrechtlichen Höchstwert „gekappt“. Liegt der handelsbilanzielle Ansatz unter dem steuerspezifisch ermittelten Rückstellungswert, soll über das Maßgeblichkeitsprinzip eine steuerbilanzielle Wertobergrenze zum Tragen kommen (so R 6.11 Abs. 3 EStR).38 Die handelsrechtlichen GoB zur Begründung von Verbindlichkeitsrückstellungen werden in der Praxis überwiegend durch die finanzgerichtliche Rspr. des BFH ausgelegt. Der BGH dagegen kommt im Bilanzrecht nur ausnahmsweise „zum Zuge“ (etwa bei gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungsbilanzen). In der Praxis werden im Hinblick auf die faktische Prägung der handelsrechtlichen GoB durch die Steuergerichtsbar-

37 So etwa Kemper/Beck/Konold, DStR 2014, 2330 f. 38 Zur streitigen Diskussion vgl. Prinz, WPg. 2017, 1316 (1322) mit Hinweis auf FG Rh.-Pf. v. 7.12.2016 – 1 K 1912/14, EFG 2017, 693, nrkr., Rev. Az. BFH XI R 46/17. Letztlich geht es um die Auslegung der in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG zu findenden Eingangsformulierung des „höchstens insbesondere“. Aktuell auch FG Münster v. 27.6.2019 – 8 K 2873/17 F, EFG 2019, 1574, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 24/19. Vgl. auch Marx, StuB 2019, 885.

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keit zunehmend die Spannungen zwischen Gläubigerschutz/Vorsichtsprinzip auf der einen Seite und den Grundsätzen leistungsfähigkeitsorientierter Ertragsbesteuerung auf der anderen Seite bei Bildung und Dotierung von Rückstellungen immer deutlicher. Kürzlich konnte man vom neu konstituierten Fachausschuss Unternehmensberichterstattung des IDW zu Einzelfragen aus der Rückstellungsjudikatur lesen: Der Beschluss des BFH zu Gewährleistungsrückstellungen vom 28.8.2018 – X B 48/18 ist abzulehnen.39

2. BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18: Zur Bildung von Gewährleistungsrückstellungen Sachverhalt:40 Der bilanzierende Einzelkaufmann UP bildet für Mängel bei der Herstellung/Montage von Planen für Biogasanlagen zum 31.12.2007 eine Einzelrückstellung für Gewährleistungen. Erst im Mai/ Juni des Folgejahres, aber noch vor Bilanzaufstellung, waren nach einer Mängelanzeige Nacherfüllungsarbeiten mit entsprechendem Aufwand durchgeführt worden. Die FinVerw. lehnt die Rückstellungsbildung im Rahmen einer Betriebsprüfung mangels überwiegender Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme ab, da keinerlei Mängelanzeige zum Bilanzstichtag vorlag.

Das FG Mecklenburg-Vorpommern bestätigt in seinem Urteil vom 21.2.2018 die Finanzverwaltungsauffassung ohne Revisionszulassung.41 Die vom Einzelunternehmer eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wird vom BFH als unbegründet abgelehnt. Lösungshinweise: Der Beschluss des X. Senats beim BFH vom 28.8.2018 enthält eine lesenswerte Zusammenfassung der Rechtsprechungsgrund-

39 Vgl. IDW Life 6/2019, 440 zu BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18, BFH/NV 2019, 113. Zum Ganzen auch Prinz, WPg. 2019, 978; Prinz, DB 2020, 10 (13–15). Vgl. davor auch bereits den HFA in IDW Life 11/2017, 1229 in Auseinandersetzung mit BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, BStBl. II 2017, 1043 = FR 2018, 231 zur Nichtanerkennung von Rückstellungen für ein Aktienoptionsprogramm. 40 Nachgebildet BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18, BFH/NV 2019, 113. 41 Vgl. FG Meck.-Vorp. v. 21.2.2018 – 3 K 53/15, nv.

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sätze zur Bildung von Gewährleistungsrückstellungen. Kernargumente des Nichtzulassungsbeschlusses sind: –

Die steuerrechtlichen Anforderungen an die Bildung einer Gewährleistungsrückstellung sind durch die BFH-Rspr. hinlänglich geklärt. Deshalb fehlt es nach Meinung des BFH im Streitfall an der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Auch liegen die vom Kläger gerügten Verfahrensfehler – Verstoß gegen rechtliches Gehör, mangelhafte Sachaufklärung, Überraschungsurteil – nach Meinung des BFH nicht vor. Ein prozessuales Gebot für das FG, seine vorläufige Rechtsauffassung den streitenden Parteien im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Verfahrens vorab mitzuteilen, besteht nicht; im Einzelfall sinnvoll kann es natürlich dessen ungeachtet sein.42



Die Rückstellungsbildung scheidet mangels überwiegender Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme zum Bilanzstichtag aus. Der Werkmangel war beiden Vertragspartnern stichtagsbezogen noch nicht bekannt und entfaltete nach den Tatsachenfeststellungen des FG insoweit auch noch keine erkennbare betriebsbeeinträchtigende Wirkung. Unter stichtagsbezogenen Objektivierungsgesichtspunkten konnte deshalb keine individuelle Gewährleistungsrückstellung gebildet werden.



Eine denkbare, stichtagsbezogen zurückreichende „wertaufhellende Wirkung“ der Mangelkenntnis im Folgejahr bis zum Zeitpunkt der fristgerechten Bilanzaufstellung ist zwar nach Meinung des BFH im Einzelfall durchaus möglich, bedarf aber hinsichtlich der rechtlichen Erfordernisse keiner weiteren Aufklärung durch ein Revisionsverfahren. Allerdings kritisiert der BFH insoweit missverständliche Formulierungen der Vorinstanz zum Sachverhaltsverständnis.43 Zudem stellt der BFH hinsichtlich der wertaufhellend zu berücksichtigenden Tatsachen auf die Beurteilung der Verhältnisse „nach dem subjektiven Erkenntnisstand des sorgfältigen Kaufmanns bei fristgerechter Bilanzaufstellung“ ab.44 Damit bestätigt der BFH einmal mehr, dass für Tatsachenfragen im Rahmen der Bilanzberichtigung der subjektive Kenntnisstand maßgebend ist.

42 BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18, BFH/NV 2019, 113 Rz. 18. 43 BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18, BFH/NV 2019, 113 Rz. 13. 44 BFH v. 28.8.2018 – X B 48/18, BFH/NV 2019, 113 Rz. 29.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

3. Kritische Hinweise/Beratungsüberlegungen Für die Bilanzierungspraxis ist zunächst einmal wichtig, dass mit der Einzelrückstellung und der Pauschalrückstellung eines Unternehmens für Gewährleistungsverpflichtungen unterschiedliche Rückstellungstypen bestehen. Beide Abbildungsformen gehören sicherlich zu den Klassikern gläubigerschützender Bilanzvorsorge für ungewisse Verbindlichkeiten. Dabei kann es sich im Einzelfall um vertragliche, gesetzliche oder aus Kulanzgründen gewährte Garantien handeln, die vom Kaufmann zu tragenden Aufwand für Umtausch, kostenlose Nacharbeiten, Preisnachlässe oder Schadensersatz beinhalten. Die FiVerw. erkennt derartige Rückstellungen – in Übereinstimmung mit der Rspr. – im Grundsatz in beiden Varianten an (vgl. H 5.7 [5] „Garantierückstellung“ EStH). –

Einzelrückstellungen sind für die bis zum Bilanzstichtag bekannt gewordenen Garantiefälle zu bilden, soweit kein Rückgriffsanspruch gegen Vorlieferanten besteht und die Inanspruchnahme des Kaufmanns überwiegend wahrscheinlich ist. Es müssen stichtagsbezogene Einzelnachweise erfolgen. An diesem „Wahrscheinlichkeitstest“ ist die konkrete Gewährleistungsrückstellung im Streitfall des BFH vom 28.8.2018 gescheitert.



Pauschalrückstellungen sind für wahrscheinliche Garantieansprüche von Kunden aufgrund von branchenbezogenen oder betriebsindividuellen Erfahrungen in der Vergangenheit zu bilden und werden üblicherweise umsatzabhängig geschätzt. Den Stpfl. trifft dabei die Darlegungs- und Feststellungslast. Korrespondierende Freistellungsansprüche, etwa gegen Vorlieferanten, sind rückstellungsbegrenzend zu kürzen.45 Gewährleistungsrisiken, die durch Einzelrückstellungen berücksichtigt sind, müssen vorab bei der Bemessung der Pauschalrückstellung gekürzt werden.

Des Weiteren stellt sich für die Praxis die Frage, ob die Kriterien der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung für Gewährleistungsrückstellungen zu restriktiv sind. So hält der Fachausschuss Unternehmensberichterstattung (FAB) des IDW den Beschluss des BFH vom 28.8.2018 für nicht überzeugend und lehnt eine Anwendung für die handelsbilanzielle Abbildung von Einzelgewährleistungsverpflichtungen ab. Wie sich die unterschiedliche Beurteilung handelsrechtlicher GoB in Handels- und Steuerbilanz bezogen auf § 249 Abs. 1 HGB trotz Maßgeblichkeitsgrund45 Vgl. dazu etwa FG Berlin-Brandenb. v. 8.1.2019 – 6 K 6121/17, EFG 2019, 641, rkr. mit Anm. Kleinmanns, BB 2019, 946.

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satz begründen lässt, sagt der FAB nicht. Nach Meinung des Fachausschusses kommt es bei einem bis zum Abschlussstichtag verursachten Mangel nur auf die Kenntnis der Vertragsparteien bis zum Bilanzaufstellungszeitpunkt an. Die Passivierung einer Rückstellung sei dann unter Berücksichtigung wertaufhellender Erkenntnisse geboten. ME richtet sich die Kritik des FAB inhaltlich weniger gegen die Rechtsausführungen des BFH-Beschlusses, sondern mehr auf die in Teilen nicht ganz klaren Tatsachenfeststellungen im konkreten Streitfall. Denn solange sich ein objektiv zum Bilanzstichtag angelegter Werkmangel in den Betriebsabläufen noch gar nicht ausgewirkt hat und deshalb auch nicht bekannt war, kann man an der Berechtigung zu einer aufwandswirksamen Einzelrückstellung für Gewährleistungen unter objektivierten Leistungsfähigkeitsaspekten durchaus zweifeln. Dies dürfte auch für die Handelsbilanz gelten, betrifft im Ergebnis aber allein Tatfragen, nicht Rechtsfragen. In einem solchen Fall erscheint die Einbeziehung von denkbaren Gewährleistungsansprüchen in eine entsprechenden Pauschalrückstellung angemessen und vorziehenswert. Aus besteuerungspraktischer Sicht folgt aus all dem: Das Bestehen eines Werkmangels zum Bilanzstichtag und dessen Kenntnis und Nachweis durch den Stpfl. muss in Handels-/Steuerbilanz gleichermaßen sorgsam dokumentiert werden. Sofern Pauschalrückstellungen in Ansatz gebracht werden, müssen die branchen- und betriebsindividuellen „Erfahrungen in der Vergangenheit“ nicht nur behauptet, sondern konkret nachgewiesen werden. Nur dann haben Gewährleistungsrückstellungen dem Grunde und der Höhe nach Aussicht auf Anerkennung durch FinVerw. und ggf. auch Rspr.

VII. Zum Schluss: Bilanzsteuerrecht und Rechtsanwendung Als Fazit der aktuellen Erfahrungen im Bilanzsteuerrecht lässt sich festhalten: –

Bilanzrechtssystematische Systembereinigungen notwendig: Bilanzsteuerrecht setzt auf dem betrieblichen Rechnungswesen auf, gehört zum „Steueralltag“ der Unternehmen und bedarf einfacher, flexibler und möglichst rechtssicher anwendbarer Regeln. Bilanzsteuerrecht muss „alltagstauglich“ sein. Offenkundig ist das „real existierende Bilanzsteuerrecht“ von diesem Zustand weit entfernt. Das Zusammenspiel von maßgeblichkeitsgeprägten, handelsrechtlichen GoB, steuer-

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

gesetzlichen Ausnahme- und Sonderregelungen im Vergleich zur Handelsbilanz, dem steuergesetzlichen Wahlrechtsvorbehalt und den verschiedenen Sondertypen der Maßgeblichkeit ist eher verwirrend. Deshalb ist eine steuergesetzliche Systembereinigung durch den Gesetzgeber geboten! –

Stets sind wirtschaftliche Wertungen erforderlich: Bilanzsteuerrecht bedarf zur sachgerechten Anwendung wirtschaftlicher Wertungen der im Einzelfall vorzufindenden rechtlichen Strukturen. Dabei ist eine „frei schwebende“ wirtschaftliche Beurteilung ebenso unzulässig wie „kleinteilige Rechtsförmelei“. Allerdings darf sich der Rechtsanwender im Bilanzsteuerrecht nicht allein mit den zivilrechtlichen Grundlagen begnügen, sondern muss diese wirtschaftlich werten. Kurz gefasst: Rechtsanwendung im Bilanzrecht bedeutet juristisch wertende (teleologische) Auslegung unter Berücksichtigung ökonomischer Wirkungen.46



Rechnungslegung ist Rechtsakt und unterliegt als Eingriffsrecht dem Legalitätsprinzip.47 Dies gilt auch für das Bilanzsteuerrecht. Es setzt der FinVerw. Grenzen bei der Anwendung von Schätzungsmethoden, insbes. bei Betriebsprüfungen. Die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO) gilt es zu beachten. Für Schätzungen bleibt nur in Sonderfällen Raum. Wahrscheinlichkeitstheoretisch geformte Algorithmen können Steueransprüche nicht begründen.

46 Zu weiteren Details vgl. Prinz, in Festschrift Crezelius, 2018, 351. 47 Vgl. dazu Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht4, 1.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Prof. Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH I. DBA-Auslegung – Qualifikationsverkettung – new approach 1. BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16 (BFHE 262, 354) a) Sachverhalt b) Aus den Gründen c) Leitsatz 2. Anmerkungen II. Einlagenrückgewähr bei Drittstaatengesellschaften 1. BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16 (BFHE 265, 56 = FR 2019, 907) a) Sachverhalt

b) Aus den Gründen 2. Anmerkung (s. Wacker, FR 2019, 910) III. Ausfall grenzüberschreitender Konzerndarlehen – Neuorientierung der BFH-Rechtsprechung 1. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16 (BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526) a) Sachverhalt b) Entscheidungsgründe c) Leitsätze 2. Anmerkungen

I. DBA-Auslegung – Qualifikationsverkettung – new approach 1. BFH v. 11.7.2018 – I R 44/16 (BFHE 262, 354) a) Sachverhalt „1 Der unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Kläger war in den Jahren 2002–2005 und 2007 (Streitjahre) als Lichtdesigner an verschiedenen Opernhäusern im Ausland (Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Spanien, Schweden, Schweiz, Japan) tätig. Die Honorare wurden nach Abzug von Quellensteuern ausbezahlt. In Arbeitgeber-Bescheinigungen aus Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) sind insoweit nichtselbständige Einkünfte ausgewiesen. 2 Das FA qualifizierte die ausländischen Einnahmen des Klägers insgesamt als Einkünfte aus selbständiger Arbeit und unterwarf sie mit den für die Streitjahre ergangenen Einkommensteuerbescheiden der inländischen Besteuerung, ohne die einbehaltenen Quellensteuerbeträge anzurechnen. 423

Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

3 Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage haben die Kläger geltend gemacht, dass die Einkünfte aus Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) aufgrund der ausländischen Qualifikation als solche aus nichtselbständiger Arbeit steuerfrei seien und lediglich dem Progressionsvorbehalt unterlägen. Zudem sei die Einkommensteuer, soweit sie auf ausländische Einkünfte aus selbständiger Arbeit entfallen sei, unter Anrechnung der im Ausland einbehaltenen Quellensteuer festzusetzen. 4 Das FG Berlin-Brandenburg gab der Klage teilweise statt.1 Es vertrat die Auffassung, die Einnahmen des Klägers in Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) seien ausweislich der vorgelegten ausländischen Bescheinigungen als solche aus nichtselbständiger Arbeit zu qualifizieren. Das FA habe hingegen zu Recht die für die selbständige Tätigkeit des Klägers einbehaltenen Quellensteuern nicht angerechnet.“ b) Aus den Gründen Revision des FA begründet „8 II. Die Revision ist begründet, sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den zuständigen Vollsenat des FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob das innerstaatliche Besteuerungsrecht hinsichtlich der vom Kläger für die in Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) bezogenen Einkünfte nach den einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) ausgeschlossen wird. Unbeschränkte Einkommensteuerpflicht – Welteinkommensprinzip 9 1. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (EStG) sind natürliche Personen, die –wie die Kläger in den Streitjahren– im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4 EStG grundsätzlich auch auf ausländische Einkünfte aus selbständiger oder aber nichtselbständiger Arbeit. Hierzu gehören die vom Kläger erzielten Einkünfte aus seinen Gastauftritten an auslän1 FG Berlin-Brandenb. v. 16.7.2015 – 15 K 1093/10, EFG 2017, 1936.

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dischen Bühnen. Auch besteht – ungeachtet der Qualifikationsunterschiede zwischen den Beteiligten – Einvernehmen über deren Höhe. Der Senat teilt diese Ansicht. DBA-Ausschluss nicht entscheidungsreif 10 2. Ob das innerstaatliche Besteuerungsrecht hinsichtlich der vom Kläger in Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) erzielten Einkünfte nach dem jeweils einschlägigen DBA ausgeschlossen wird, lässt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen. Entscheidungserheblich, ob selbständige – nichtselbständige Arbeit 11 a) Soweit der Kläger nicht ausnahmsweise als Künstler iSd. Art. 12 Abs. 2 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343) – DBA-FRA – oder des Art. 17 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Leistung gegenseitigen Beistands bei den Steuern (Deutsch-schwedisches Steuerabkommen) vom 14. Juli 1992 (BGBl II 1994, 687, BStBl I 1994, 423) – DBA-SWE – oder des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) – DBA-CHE – tätig geworden ist (dazu 3.), kommt es entscheidungserheblich darauf an, ob er selbständige oder nichtselbständige Einkünfte erzielt hat. Letzteres ergibt sich daraus, dass das Besteuerungsrecht für selbständige Einkünfte ohne das Vorhandensein einer festen Einrichtung im Inland (Art. 12 Abs. 2 Satz 1 DBA-FRA, Art. 14 Abs. 1 DBA-SWE, DBA-CHE), hingegen für nichtselbständige Einkünfte (Art. 13 DBA-FRA, Art. 15 DBA-SWE, DBA-CHE) aber nach den vorgelegten Steuerbescheinigungen der ausländischen Arbeitgeber im Ausland läge. Bei Selbständigkeit keine feste Einrichtung im Ausland 12 b) Das FG ist insoweit von nur kurzfristigen und einen Zeitraum von sechs Wochen unterschreitenden Einsätzen des Klägers im Ausland ausgegangen. Es ist aufgrund dieser Feststellungen unter Berufung auf das 425

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Senatsurteil vom 2. Dezember 1992 I R 77/91 (BFHE 170, 126) zu der Auffassung gelangt, dass unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht vom Vorliegen einer festen Einrichtung des Klägers im jeweiligen Quellenstaat auszugehen sei. Dazu hat das FG die Überlegungen des Senats im vorgenannten Urteil wörtlich wiedergegeben. Danach korrespondiert das Tatbestandsmerkmal der ständigen Einrichtung mit dem Betriebsstättenbegriff und fehlt es an der erforderlichen ‚Verwurzelung‘ des Steuerpflichtigen mit dem Ort der Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit (keine feste örtliche Bindung). Die Kläger haben gegen die vorgenannten Tatsachenfeststellungen des FG keine Einwendungen vorgebracht. Der auf dieser Grundlage vom FG gezogene rechtliche Schluss, dass der Kläger seine Tätigkeiten nicht unter Benutzung einer festen Einrichtung im Ausland ausgeübt hat, entspricht den Vorgaben der Senatsrechtsprechung und weist keine Rechtsfehler auf. Abgrenzung gegenüber nichtselbständiger Arbeit 13 c) Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-FRA, Art. 15 Abs. 1 DBA-SWE sowie Art. 15 Abs. 1 DBA-CHE können dabei Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Die Abkommensbestimmungen definieren die Begriffe ‚unselbständige‘, ‚nichtselbständige Arbeit‘ sowie ‚Vergütungen‘ nicht. Deshalb ist der Senat bereits im Urteil vom 18. Juli 1973 I R 52/69 (BFHE 110, 43, BStBl II 1973, 757) unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 26. April 1966 I 216/63 (BFHE 85, 460, BStBl III 1966, 465) und in Übereinstimmung mit der Literatur (vgl. etwa Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art. 15 Rz 63; Reinhold in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 15 OECD-MA Rz 92 ff.; Bourseaux/Levedag in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 15 Rz 70; alle m.w.N.; a.A. Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 15 Rz 27) davon ausgegangen, dass sie nach Art. 3 Abs. 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen – OECD-MustAbk), dem Art. 2 Abs. 2 DBA-FRA, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 DBA-SWE und Art. 3 Abs. 2 DBA-CHE aus der Sicht Deutschlands als Anwenderstaat durch Rückgriff auf § 19 EStG und § 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) auszulegen sind. Bereits zuvor hatte der Senat mit Urteil vom 6. Oktober 1971 I R 207/66 (BFHE 103, 421, BStBl II 1972, 88) entschieden, dass die Frage, ob Einkünfte aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit vorlägen, sich (auch) für die Auslegung eines DBA nach deutschem Recht bestimme, da 426

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die DBA die Abgrenzung der Einkunftsarten nicht regeln. Nichts anderes gilt für die im anhängigen Verfahren einschlägigen Abkommensbestimmungen (vgl. zum DBA-FRA: Kramer in Wassermeyer, Frankreich Art. 13 Rz 11; Bourseaux/Levedag, a.a.O., Art. 15 Rz 164; zum DBA-SWE: Lüdicke in Wassermeyer, Schweden Art. 15 Rz 15 unter Verweis auf die Kommentierung zum OECD-MA; zum DBA-CHE: Brandis in Wassermeyer, Schweiz Art. 15 Rz 26; Bourseaux/Levedag in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art. 15 Rz 259; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rz 5). Arbeitnehmerkriterien 14 d) Der hiernach maßgebliche § 1 Abs. 1 LStDV sieht solche Personen als ‚Arbeitnehmer‘ an, die im öffentlichen oder privaten Dienst angestellt oder beschäftigt sind oder waren und die aus diesem oder einem früheren Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen. Ein ‚Dienstverhältnis‘ in diesem Sinne liegt vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet, d.h., wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (§ 1 Abs. 2 LStDV). Demgegenüber ist eine (natürliche) Person selbständig tätig, wenn sie auf eigene Rechnung und Gefahr tätig ist, d.h. wenn sie das Erfolgsrisiko der eigenen Betätigung (Unternehmerrisiko) trägt und Unternehmerinitiative entfalten kann (vgl. Senatsurteile vom 29. November 1978 I R 159/76, BFHE 126, 457, BStBl II 1979, 182; vom 13. Februar 1980 I R 17/78, BFHE 129, 565, BStBl II 1980, 303; vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66; vom 20. Dezember 2017 I R 98/15, BFHE 260, 169). Keine Qualifikationsverkettung iSd. geänderten OECD-MustKomm. („new approach“) 15 e) Das FG hat zu diesen Abgrenzungskriterien indes keine Feststellungen getroffen, sondern alleine auf die ausländischen Bescheinigungen abgehoben, weil sich nach seiner Ansicht die Einkünftequalifikation i.S. einer Qualifikationsverkettung (siehe dazu die Nachweise im Senatsurteil vom 25. Mai 2011 I R 95/10, BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760) nach den ausländischen Arbeitgeberbescheinigungen richte. Dem ist indes auch mit Blick auf den im OECD-Musterkommentar (OECD-MustKomm) ab dem Jahr 2000 vertretenen sog. new approach (Nr. 32.2 ff. OECD-MustKomm zu Art. 23A OECD-MustAbk; dazu Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 16. April 2010, BStBl I 2010, 354, Tz. 4.1.3.3.1; Prokisch in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 15 Rz 16a unter Verweis auf Leh427

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ner, ebenda, Grundlagen Rz 158 a ff.; Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art. 23A/B Rz 9) nicht zu folgen (ebenso Brettschneider, EFG 2017, 1939; Bodewaldt, Internationales Steuerrecht – IStR – 2017, 124; SchulzTrieglaff, IStR 2018, 341, 344). DBA-SWE = nicht geändertes „Altabkommen“ 16 aa) Für das DBA-SWE, welches trotz der Neufassung des OECD-Musterkommentars unverändert geblieben ist, ergibt sich dies bereits aus der bestehenden Rechtsprechung. Der Senat hat die Annahme einer Qualifikationsverkettung für sog. Alt-DBA ohne entsprechende abkommensrechtliche Anordnung bereits zurückgewiesen (vgl. Senatsurteil in BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760 zu subjektiven Qualifikationskonflikten; Senatsbeschluss vom 13. November 2013 I R 67/12, BFHE 243, 361, BStBl II 2014, 172). Die Tatsache, dass Art. 23A Abs. 1 OECD-MustAbk im Ansässigkeitsstaat die Freistellung für Einkünfte verlangt, die ‚nach diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert werden‘ können, führt danach nicht zur Bindung des Ansässigkeitsstaats an die Qualifikation im Quellenstaat. Vielmehr ist auch im Rahmen dieses Methodenartikels die Frage nach dem ‚Besteuern-Können‘ im Einklang mit Art. 3 Abs. 2 OECD-MustAbk und damit nach dem (nationalen) Recht des Ansässigkeitsstaats des Steuerpflichtigen – des sog. Anwenderstaates – zu beurteilen (Senatsurteile in BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760; vom 26. Juni 2013 I R 48/12, BFHE 242, 195, BStBl II 2014, 367). Ferner widerspricht es der ständigen Spruchpraxis des Senats, im Sinne einer dynamischen Abkommensauslegung der späteren Fortentwicklung oder Änderung von OECD-Verlautbarungen eine streitentscheidende Bedeutung für das Verständnis bereits zuvor verhandelter Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung beizumessen (z.B. Senatsurteile vom 23. September 2008 I R 57/07, BFH/NV 2009, 390; vom 9. Februar 2011 I R 54, 55/10, BFHE 232, 476, BStBl II 2012, 106; in BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760; vom 16. Januar 2014 I R 30/12, BFHE 244, 354, BStBl II 2014, 721; vom 15. April 2015 I R 73/13, BFH/NV 2015, 1674; vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326; vom 12. Oktober 2016 I R 92/12, BFHE 256, 32; Senatsbeschlüsse vom 8. Dezember 2010 I R 92/09, BFHE 232, 137, BStBl II 2011, 488; vom 21. August 2015 I R 63/13, BFH/NV 2016, 36; jeweils m.w.N.). DBA-FRA/CHE zwar geändert, aber 17 bb) Darüber hinaus ist eine Qualifikationsverkettung aber auch für das DBA-FRA und das DBA-CHE abzulehnen. Insbesondere kann sich der Senat nicht der Ansicht der Kläger anschließen, diese Abkommen seien be428

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reits deshalb nach Maßgabe der Neufassung des OECD-Musterkommentars auszulegen, weil sie – wenn auch ohne positive Anordnung einer Qualifikationsverkettung – zeitnah zur Neufassung des Kommentars durch das Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik zum DBA-FRA (BGBl II 2002, 2370, BStBl I 2002, 891) sowie durch das Gesetz zu dem Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 zum DBA-CHE (BGBl II 2003, 67, BStBl I 2003, 165) modifiziert worden sind (vgl. zum DBACHE Kempermann, a.a.O.). Auslegungsgrundsätze des Art. 31 WÜRV 18 aaa) Auszugehen ist hierbei von Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 – WÜRV – (BGBl II 1985, 927), nach dessen Absatz 1 ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seiner Bestimmung in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326). Außer dem in Art. 31 Abs. 2 WÜRV näher beschriebenen systematischen ‚Zusammenhang‘ sind nach Art. 31 Abs. 3 WÜRV in gleicher Weise jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen (Buchst. a) sowie jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (Buchst. b), zu berücksichtigen. Demgemäß kann ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine gemeinsame ‚Übung‘ der beteiligten Finanzverwaltungen für die Abkommensauslegung bedeutsam sein (s. z.B. Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BFHE 215, 237, BStBl II 2010, 778, sowie vom 25. Oktober 2006 I R 18/04, BFH/NV 2007, 875), das aber immer nur insofern, als sie nicht dem Wortlaut des Abkommens zuwiderlaufen (vgl. Senatsurteil vom 27. August 2008 I R 64/07, BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97). Nach Art. 31 Abs. 4 WÜRV ist schließlich einem Ausdruck eine besondere Bedeutung i.S. einer Auslegungshilfe beizulegen, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien dies beabsichtigt haben. Danach: Änderung des OECD-MustKomm. nur bei 19 bbb) Der Senat hat bislang die Frage, ob ein geänderter OECD-Musterkommentar bei der Abkommensauslegung berücksichtigt werden kann, wenn das konkrete Abkommen später geändert wird, noch nicht entschieden. Er hat lediglich ausgeführt, dass Empfehlungen der OECD, wie sie sich im sog. Partnership Report niedergeschlagen haben, eine Hilfe für 429

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die Abkommensauslegung darstellen, aber ‚frühestens‘ ab der entsprechenden Neufassung des OECD-Musterkommentars im Jahre 2000 beachtenswert sein können (Senatsurteil in BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760). Rezeption im Abkommenstext maßgeblich 20 ccc) Der Senat kann es insoweit offen lassen, ob Art. 24 Abs. 1 DBACHE, wonach aus der Schweiz stammende Einkünfte, die ‚nach den vorstehenden Artikeln in der Schweiz besteuert werden können‘, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen werden, überhaupt auslegungsfähig ist. Gleiches gilt für Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-FRA (‚Einkünfte, die nach diesem Abkommen in Frankreich besteuert werden können‘). Er braucht auch nicht zu entscheiden, ob Nr. 32.2 ff. OECD-MustKomm zu Art. 23A OECD-MustAbk überhaupt eine bei der Auslegung zu berücksichtigende ‚Übung der Vertragsstaaten‘ zu begründen vermag (verneinend Senatsurteil in BFHE 244, 354, BStBl II 2014, 721: lediglich Meinungsbild der beteiligten Fisci) oder ob es nicht vielmehr auf die konkrete Abkommensanwendung ankommt, die im Streitfall gerade durch das FA zu einer Verneinung der Bindung Deutschlands an die ausländischen Bescheinigungen geführt hat. Schließlich kann auch offen bleiben, ob eine ausländische Arbeitgeberbescheinigung zu einer unter Nr. 32.2 ff. OECD-MustKomm zu Art. 23A OECD-MustAbk fallenden ‚Qualifikation‘ führen kann. Denn für die Judikative kommt es – gerade mit Blick auf das Gewaltenteilungsprinzip – allein auf den Abkommenstext und den Abkommenszusammenhang an (Senatsurteil in BFHE 244, 354, BStBl II 2014, 721) und kann Abweichendes nur gelten, wenn sich die (vermeintlichen) ‚späteren Übereinkünfte der Vertragsstaaten‘ oder ‚zwischenstaatlichen Übungen‘ in einem geänderten Abkommen sowie einem entsprechenden Transformationsgesetz niedergeschlagen haben (vgl. Wassermeyer in Wassermeyer, Vor Art. 1 MA Rz 63). Verfassungsrechtliches Transformationserfordernis … 21 (1) Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2015 2 BvL 1/12 (BVerfGE 141, 1) betont hat, werden Rang und Einordnung eines völkerrechtlichen Vertrags innerhalb der deutschen Rechtsordnung durch das Grundgesetz (GG) bestimmt. Während die allgemeinen Regeln des Völkerrechts kraft unmittelbar in der Verfassung erteilten Vollzugsbefehls innerstaatlich wirksam sind und im Rang über dem Gesetz stehen (Art. 25 GG), bedürfen völkerrechtliche Verträge, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegen430

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stände der Bundesgesetzgebung beziehen, für ihre innerstaatliche Wirksamkeit gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Zustimmungsgesetzes und haben grundsätzlich nur den Rang eines einfachen (Bundes-)Gesetzes. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören zwar das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts, Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen nehmen aber grundsätzlich nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG vorgesehenen Vorrang teil. Demgemäß können sie nach dem lex-posterior-Grundsatz durch spätere, ihnen widersprechende Bundesgesetze verdrängt werden. nicht durch Vereinbarung der Fisci „ersetzbar“ 22 (2) Aus diesen Verfassungsgrundsätzen ergibt sich nicht nur, dass die zwischen den Fisci getroffene Vereinbarung, nach der eine spätere Übereinkunft der Vertragspartner für die Abkommensauslegung (hier in Form des OECD-Musterkommentars) maßgebend sei, nicht dazu führen kann, dass ein völkerrechtlicher Vertrag für das innerstaatliche Recht eine andere Bedeutung erhält, als dies dem Zustimmungsgesetz entspricht (Senatsurteil vom 1. Februar 1989 I R 74/86, BFHE 157, 39, BStBl II 1990, 4). Erforderlich: „Handeln“ des Gesetzgebers 23 (3) Da – wie erläutert – die Änderung eines völkerrechtlichen Vertrags nur aufgrund eines entsprechenden Zustimmungsgesetzes innerstaatliche Wirksamkeit erlangt, und hierzu ausschließlich der deutsche Gesetzgeber befugt ist, bedarf es keiner weiteren Erläuterung, dass den die DBA vollziehenden Verwaltungsbehörden eine solche Kompetenz nicht zukommt (vgl. Lang in Lüdicke/Mellinghoff/Rödder [Hrsg.], Nationale und internationale Unternehmensbesteuerung in der Rechtsordnung, Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 235, 240). Eine von ihnen getroffene Vereinbarung zur Abkommensauslegung kann, wenn sie keinen Eingang in den geänderten Vertragstext sowie das Zustimmungsgesetz gefunden hat, auch die Gerichte nicht binden. Diese haben vielmehr den Abkommensinhalt nach Maßgabe des Zustimmungsgesetzes zu ermitteln. Demgemäß kann es auch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht in Betracht kommen, der bloßen Änderung des OECD-Musterkommentars, selbst dann, wenn sie mit Zustimmung der deutschen Verwaltung beschlossen worden sein sollte, eine normative und von den Gerichten zu beachtende Bedeutung beizumessen (gl.A. Lang, a.a.O.). OECD-MustKomm lediglich Rang von Gesetzesmaterialien 24 (4) Der OECD-Musterkommentar mag zwar für die Auslegung später abgeschlossener Abkommen bedeutsam sein, er steht aber keinesfalls auf 431

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einer Stufe mit der auszulegenden völkervertraglichen Regelung selbst. Sein Stellenwert ist vielmehr dem der Gesetzesmaterialien bei der Auslegung nationaler Gesetze vergleichbar und es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass sich die Intentionen der ‚Kommentatoren‘ nicht im Gesetzestext widerspiegeln oder durch vorrangig einzustufende systematische oder teleologische Erwägungen verdrängt werden. Im Streitfall: Keine Änderung der DBA-Methodenartikel 25 (5) Kommt es danach auf die Auslegung des Abkommens bzw. des Transformationsgesetzes an, so ist für das anhängige Verfahren von ausschlaggebender Bedeutung, dass durch das Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 20. Dezember 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik zum DBA-FRA (BGBl II 2002, 2370, BStBl I 2002, 891) und durch das Gesetz zu dem Revisionsprotokoll vom 12. März 2002 zum DBA-CHE (BGBl II 2003, 67, BStBl I 2003, 165) die zuvor bereits existierenden Methodenartikel – in für die vorliegende Streitfrage relevanten Passagen – nicht geändert worden sind. Vielmehr wurden die Abkommen nur anderenorts modifiziert. Hinzu kommt, dass die Schweiz in Nr. 81 OECD-MustKomm zu Art. 23A OECD-MustAbk einen Vorbehalt zur Nr. 32 OECDMustKomm erklärt hatte, soweit der Qualifikationskonflikt die Änderung des innerstaatlichen Rechts nach dem Abschluss des Abkommens betrifft. Beiden Änderungen lassen sich mithin keine nachprüfbaren Hinweise darauf entnehmen, dass die Vertragsstaaten eine Qualifikationsverkettung gewollt hätten. Folge: tradiertes Abkommensverständnis 26 ddd) Hiernach kann nicht fraglich sein, dass die Änderung des OECDMusterkommentars zu Fragen der Qualifikationsverkettung keinen Eingang in die vorliegend zu beurteilenden Abkommen gefunden hat und damit aus den dargelegten Gründen auch nicht geeignet ist, ein von der bisherigen tradierten Abkommensauslegung abweichendes Verständnis zu tragen. Hieran kann auch der Grundsatz der Entscheidungsharmonie nichts ändern. Der Grundsatz schließt keineswegs aus, dass die Vertragsauslegung der Vertragsstaaten zu Qualifikationskonflikten führt und diese gegebenenfalls im Wege eines Verständigungsverfahrens ausgeräumt oder gemildert werden (Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art. 23A/B Rz 9, m.w.N.).

432

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Bei Selbständigkeit – Prüfung des Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk 27 3. Hiervon ausgehend wird das FG im zweiten Rechtsgang ferner zu prüfen haben, ob die vom Kläger erzielten Einkünfte insgesamt oder teilweise den – jedenfalls in dem hier verfolgten Zusammenhang – Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk entsprechenden Bestimmungen der Abkommen mit Frankreich, Schweden und der Schweiz unterfallen. DBA-Begriff des Künstlers 28 a) Nach Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk können ungeachtet der Art. 7 und 15 Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person als Künstler aus ihrer im anderen Vertragsstaat ausgeübten Tätigkeit bezieht, im anderen Staat besteuert werden. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung (Senatsurteile vom 8. April 1997 I R 51/96, BFHE 183, 110, BStBl II 1997, 679; vom 18. Juli 2001 I R 26/01, BFHE 196, 135, BStBl II 2002, 410; vom 30. Mai 2018 I R 62/16, zur Veröffentlichung bestimmt) ist der Künstlerbegriff der Art. 17 OECD-MustAbk nachgebildeten DBA-Bestimmungen, zu denen – vorbehaltlich des Art. 12 Abs. 2 Satz 2 des DBA-FRA, der lediglich die selbständige Tätigkeit von Künstlern erfasst – auch die Abkommen mit den Staaten gehören, in denen der Kläger tätig war (vgl. dazu die Nachweise bei Stockmann in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 17 Rz 64), eigenständig abkommensrechtlich auszulegen, wenn das betreffende DBA dafür eine Grundlage bietet. Nationalrechtliche Künstlerbegriffe des Anwenderstaats – wie etwa der Begriff der künstlerischen Tätigkeit in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und in § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG – sind demgegenüber nicht maßgeblich. Aus einer Gesamtschau der in Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk beispielhaft aufgeführten Bühnen-, Film-, Rundfunk- oder Fernsehkünstler und Musiker sowie der Gleichsetzung mit Sportlern ist insoweit abzuleiten, dass es für die Tatbestandsmäßigkeit nicht auf ein besonderes künstlerisches Niveau oder eine bestimmte eigenschöpferische Gestaltungshöhe ankommt. Maßgeblich ist vielmehr, dass es sich um eine persönlich ausgeübte (z.B.) vortragende Tätigkeit handelt, die vornehmlich dem Kunstgenuss oder auch nur der Unterhaltung des Publikums dient (Senatsurteil vom 30. Mai 2018 I R 62/16, zur Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Eine künstlerische Tätigkeit setzt dabei voraus, dass der Künstler unmittelbar oder über Medien mittelbar in der Öffentlichkeit auftritt; entscheidend ist danach, dass die vergüteten Tätigkeiten in direktem Zusammenhang mit einem Auftritt vor Publikum stehen (Senatsurteil vom 30. Mai 2018 I R 62/16). Entsprechend werden Vergütungen für Bühnenmaler (Senatsurteil in BFHE 170, 126) bzw. Regisseure und Bühnenbildner (Senats433

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urteil in BFHE 196, 135, BStBl II 2002, 410), die werkschaffend tätig sind, nicht von Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk erfasst. Die Abgrenzung gegenüber einer künstlerischen Tätigkeit i.S. des Art. 17 Abs. 1 OECD-MustAbk ist danach vorzunehmen, ob der Schwerpunkt der Tätigkeit des Künstlers auf dem Werk selbst oder aber der Entstehung desselben vor dem Publikum liegt (vgl. Stockmann in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 17 Rz 26; Schlotter in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art. 17 Rz 32, m.w.N.). Keine Feststellungen zur konkreten Tätigkeit des Klägers 29 b) Das FG ist zwar – wenn auch bezogen auf die Frage, ob die im Ausland für Vergütungen für eine vermeintlich selbständige Tätigkeit des Klägers einbehaltenen Quellensteuern auf die deutsche Einkommensteuer der Kläger anzurechnen ist – von den Vorgaben der Senatsrechtsprechung ausgegangen. Es hat allerdings ohne weitere Feststellungen zum Inhalt der vom Kläger im Ausland ausgeübten Tätigkeiten als Lichtdesigner angenommen, es handele sich insoweit um ‚Kunstausübung, die nicht in der Darstellung vor einem Publikum‘, sondern in der ‚Herstellung eines Werkes‘ bestanden habe und damit den Tätigkeiten von Malern, Bildhauern, Schriftstellern und Komponisten entspreche. 30 c) Dies hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand, da die rechtlichen Folgerungen des FG nicht von hinreichenden Tatsachenfeststellungen getragen sind. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei den vom Kläger durchgeführten Tätigkeiten an ausländischen Opernhäusern um eine persönlich ausgeübte vortragende oder unterhaltende Tätigkeit gehandelt hat, bei welcher der Kläger unmittelbar oder über Medien mittelbar in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. Es hat auch nicht festgestellt, ob die erhaltenen Vergütungen ganz oder zumindest teilweise in direktem Zusammenhang mit derartigen Auftritten gestanden haben. 31 d) Der Kläger wäre zwar werkschaffend tätig gewesen, wenn er das später zur Aufführung gebrachte Lichtdesign vorab – etwa in seinem im Inland befindlichen Büro – entwickelt und sein Werk sodann vor der eigentlichen Aufführung lediglich an die lokalen Verhältnisse angepasst hätte, ohne aber noch im Rahmen der (späteren) Opernaufführungen auf das Werk Einfluss zu nehmen. Der Senat vermag es aber nicht auszuschließen, dass der Kläger sein Werk in Form des Lichtdesigns – nach Art eines Performance-Künstlers – vor dem Publikum geschaffen haben könnte. So läge der Fall etwa, wenn er das Lichtdesign – als Teil der jeweiligen Opernaufführung – ‚live‘ geschaffen und aufgeführt hätte. 434

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Keine Entscheidungsreife – weiterführende Hinweise 32 4. Das FG-Urteil ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, damit das FG die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Der Senat hält angesichts der besonderen Schwierigkeiten der Sache in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eine Zurückverweisung an den beim FG zuständigen Vollsenat für sachgerecht (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. Juli 2004 IX R 64/01, BFH/NV 2005, 191). 33 Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang weist der Senat auf Folgendes hin: –

Sollte der Kläger im Rahmen seiner Gasttätigkeiten im Ausland ganz oder teilweise Einkünfte als Künstler i.S. des Art. 17 Abs. 1 OECDMustAbk erzielt haben, so hätte das FG nach Maßgabe des jeweils einschlägigen DBA sowie des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG der Frage nachzugehen, ob Deutschland die Doppelbesteuerung durch Freistellung oder aber Anrechnung vermeidet.



Soweit der Kläger bezogen auf die in Frankreich (2002 und 2003), Schweden (2003) und der Schweiz (2007) ausgeübten Tätigkeiten (auch) nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt haben sollte, wären diese mit dem FG im Inland freizustellen und lediglich beim Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen. Insoweit unterliegt es keinen Bedenken, wenn das FG bei der Berechnung des besonderen Einkommensteuersatzes das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um die nach den jeweiligen DBA steuerfreien ausländischen Einkünfte vermehrt (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 EStG) und die Einkünfte als Überschuss der Einnahmen über die (pauschalierten) Werbungskosten ermittelt (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2003 I R 75/03, BFHE 204, 481, BStBl II 2005, 96).



Soweit die Kläger die Anrechnung der im Ausland einbehaltenen Quellensteuern auf die deutsche Einkommensteuer begehren, wäre das FG im Übrigen für den Fall, dass – wie vom Kläger insoweit erklärt – Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit vorliegen sollten, zutreffend davon ausgegangen, dass dies nach § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG i.V.m. den Regelungen der einschlägigen DBA ausscheidet. Alle die vorgenannten Staaten betreffenden DBA weisen dem Ansässigkeitsstaat das ausschließliche Besteuerungsrecht für eine selbständige Tätigkeit zu, wenn diese nicht unter Benutzung einer festen oder ständigen Einrichtung bzw. einer Betriebsstätte ausgeübt wird … .“ 435

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c) Leitsatz „1. Zum Einfluss einer Änderung des OECD-Musterkommentars auf die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen. 2. Ein Lichtdesigner ist werkschaffend tätig, wenn er das später zur Aufführung gebrachte Lichtdesign vorab entwickelt und sein Werk sodann vor der eigentlichen Aufführung lediglich an die lokalen Verhältnisse anpasst, ohne noch im Rahmen der (späteren) Aufführungen auf das Werk Einfluss zu nehmen. Anders ist es dann, wenn er sein Werk – nach Art eines Performance-Künstlers – vor dem Publikum schafft.“

2. Anmerkungen a) Dem Urteil ist zustimmen.2 Es beschäftigt sich neben der Frage der Künstlerbegriffs iSv. Art. 17 OECD-MA vor allem mit der Frage der Abkommensauslegung. Hierin liegt auch seine grundsätzliche Bedeutung. b) Auszugehen ist bei Letzterem von der stRspr., nach der DBA nicht dynamisch nach Maßgabe eines geänderten Verständnisses der Vertragsstaaten einschl. etwaiger Änderungen des OECD-MK auszulegen sind. c) Nicht entschieden war hingegen bisher die Frage, ob sich ein anderes Auslegungsverständnis dann ergibt, wenn das konkrete DBA geändert wird, nachdem der OECD-MK sich ein neues Abkommensverständnis zu eigen gemacht hat (hier: Qualifikationsverkettung aufgrund des sog. new approach). d) Der BFH fordert in diesem Zusammenhang, dass die geänderte Ansicht des MK im Abkommenstext selbst einen hinreichend bestimmten Niederschlag finden muss. Die Entscheidung konnte aus Gründen der Gewaltenteilung und des Rechtsstaatsprinzips nicht anders ausfallen. Vgl. hierzu Pfirrmann:3 „Finden die Auffassungen der ‚Kommentatoren‘ im Gesetzestext keine Stütze oder werden sie durch teleologische Überlegungen verdrängt, dann muss das Gericht Recht abweichend von der Meinung des Kommentars sprechen. Maßgeblich ist für den BFH der Grundsatz der Gewaltenteilung, der allein den Gerichten das Recht und die Pflicht zuweist, den Inhalt des deutschen (Tranformations-)Gesetzes zu bestimmen. Da im Streitfall die punktuellen DBA-Änderungen mit dem sog. new approach nichts zu tun hatten, waren die beiden genannten DBA für Deutschland als

2 Vgl. insbes. Pfirrmann, BFH/PR 2019, 60. 3 Vgl. hierzu Pfirrmann, BFH/PR 2019, 60.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Ansässigkeitsstaat nach herkömmlichem Verständnis ohne sog. Qualifikationsverkettung anzuwenden“.

e) Im Schrifttum wird zudem die Frage diskutiert, ob ein Verweis des Abkommens auf die jeweils „überarbeitete“ Fassung des OECD-MK (s. bspw. Nr. 3 des Protokolls DBA-Ungarn und Nr. 16 des Protokolls DBAÖsterreich) für die Auslegung eine rechtlich und damit auch in einem Gerichtsverfahren bindende Wirkung zuerkannt werden kann. ME ist dies zu verneinen. Zwar ist eine solche Regelung Teil des materiellen Rechts (hier: Transformationsgesetz zum DBA, Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG); auch ist es dem Gesetzgeber unbenommen, im Wege einer sog. statischen (starren) Verweisung fremde und nicht von ihm formulierte Rechtsregeln inhaltlich in das nationale Recht zu übernehmen. Das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip erfordern aber, dass – wie das BVerfG zu einem gleitenden Verweis des Bundesgesetzgebers auf Landesrecht erläutert hat – „der zuständige Gesetzgeber grundsätzlich selbst für eine ordnungsgemäße Inkraftsetzung und Verkündung seiner Gesetze und deren Änderungen sorgt. Vor allem obliegt ihm die Aufgabe, den Inhalt dieser Gesetze in eigener Verantwortung und im Wege der parlamentarischen Willensbildung selbst zu bestimmen und dabei auch ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen; soweit die Verfassung eine Delegation von Normgebungsbefugnissen an andere erlaubt, darf der zuständige Gesetzgeber sich seiner Verantwortung für den Inhalt der Normierung jedenfalls nicht völlig entäußern.“

Gleiches muss – zur Vermeidung eines „parlamentslosen“ Gesetzes und damit, worauf das Handbuch der Rechtförmlichkeit4 (Teil B) ausdrücklich hinweist, zur Wahrung des grundrechtlichen Gesetzvorbehalts (hier: Eingriffsverwaltung5) – erst recht für den Verweis auf einen Konsens der Regierungen (Fisci) gelten. Die genannten Verweisnormen sind daher verfassungskonform6 iS starrer Bezugnahmen zu verstehen mit der Folge, dass spätere Änderungen des OECD-MK – ungeachtet der Rechtsfragen rund um das Verständnis des Art. 31 Abs. 3 WÜRV7 – lediglich den Rang einer fachlichen Äußerung einnehmen, die gleich einem Fachaufsatz das

4 BMJV, Handbuch der Rechtförmlichkeit3, Teil B Rz. 246. 5 Zum Bestimmtheitsgebot s. BVerfG v. 18.12.2018 – 1 BvR 142/15, BVerfGE 150, 244 Rz. 58; BFH v. 24.8.2004 – VII R 23/03, BFHE 207, 88 = BFHReport 2004, 1344; ferner BVerwG v. 29.10.2009 – 7 C 21/08, juris. 6 Einschränkend Lampert, Doppelbesteuerungsrecht und Lastengleichheit, 2010, 87: nur bei mehrdeutiger und damit auslegungsfähiger Verweisungsnorm. 7 Vgl. dazu M. Lang, Aktuelle Entwicklungen im Internationalen Steuerrecht, 1994, 11 (25 f.): weder „spätere Übereinkunft“ noch „spätere Übung“.

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Gesetzesverständnis zu erläutern versucht, das dem DBA unter Berücksichtigung des Musterkommentars im Zeitpunkt des DBA-Vertragsabschlusses zukommt.8 Nur dieses Verständnis entspricht zudem dem parlamentsgesetzlichen Vorbehalt sowie den Bestimmtheitsanforderungen, unter denen die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen nach Art. 80 GG steht.

II. Einlagenrückgewähr bei Drittstaatengesellschaften 1. BFH v. 10.4.2019 – I R 15/16 (BFHE 265, 56 = FR 2019, 907) a) Sachverhalt „1 Die Beteiligten streiten über den Ansatz von nicht abziehbaren Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der für das Streitjahr (2008) geltenden Fassung (KStG) im Zusammenhang mit der Rückzahlung von nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen durch eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft. 2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft, war im Streitjahr zu 100 % an der in den USA ansässigen B Inc. beteiligt. Bis 2004 leistete die Klägerin Einlagen in Höhe von insgesamt … US-$ in die B Inc. 3 Im Streitjahr erhielt die Klägerin von der B Inc. Leistungen in Höhe von … US-$ (… t). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) nahm diese Bezüge gemäß § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG von der Bemessungsgrundlage aus, setzte jedoch im Körperschaftsteuerbescheid 2008 nach § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG steuererhöhend 5 % – und somit … t – als nicht abziehbare Betriebsausgaben an. 4 Der Änderungsantrag sowie der Einspruch der Klägerin blieben ohne Erfolg. Nach Ansicht des FA können in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaften an ihre inländischen Gesellschafter keine steuerneutralen Leistungen erbringen. 5 Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (Finanzgericht – FG – Münster, Urteil vom 19. November 2015 – 9 K 1900/12 K, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2016, 756). Bei der Leistung der B Inc. in Höhe von … US-$ (… t) habe es sich, so das FG, um die Rückzahlung nicht in das 8 GlA – zB – M. Lang, IWB 2011, 281 (286 f.); zust. Gosch, SWI 2015, 505; aA Kaminski, Grundstrukturen deutscher DBA, 2014, 15: uU klarstellend iS eines „soft retroactive effect“.

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Nennkapital geleisteter Einlagen und nicht um eine Ausschüttung laufender oder thesaurierter Gewinne gehandelt, weil die B Inc. in den Jahren 2007 und 2008 über keine ausschüttungsfähigen Gewinne, Gewinnvorträge oder aus Gewinnen gebildete Kapitalrücklagen verfügt habe. Darüber hinaus hat die Vorinstanz ein von der Klägerin vorgelegtes Gutachten berücksichtigt, wonach im US-amerikanischen Recht nur dann von einer Gewinnausschüttung ausgegangen werde, wenn das Unternehmen über Einkünfte oder Profite verfüge. Schließlich sprächen auch die von der B Inc. in den USA abgegebenen und unbeanstandet gebliebenen Steuererklärungen, in denen die Leistung der B Inc. als „Return of capital“ und zu 100 % „Nontaxable“ bezeichnet wurden, für eine Kapitalrückzahlung. Demgemäß gebiete die Kapitalverkehrsfreiheit eine geltungserhaltende Reduktion des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 27 KStG dahingehend, dass die Kapitalrückzahlungen der B Inc. erfolgsneutral mit dem Buchwert der Beteiligung zu verrechnen seien. … 10 Das Bundesministerium der Finanzen ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO). Es unterstützt, ohne einen eigenen Antrag zu stellen, das Revisionsbegehren des FA.“ Die Revision blieb ohne Erfolg. b) Aus den Gründen … Klage hat in der Sache Erfolg (Bestätigung des FG) „Die sonach gegen den Änderungsbescheid vom 3. Februar 2017 gerichtete Klage ist begründet. Das FA hat zu Unrecht bei der Klägerin … t gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG als nicht abziehbare Betriebsausgaben angesetzt. Die Leistung der B Inc. ist als steuerneutrale Einlagenrückgewähr zu qualifizieren, auf die § 8b Abs. 1 und 5 KStG nicht anwendbar sind. Keine Kürzung von Betriebsausgabenkürzung gemäß § 8 Abs. 5 KStG … 13 1. Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG bleiben Bezüge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchst. a EStG bei der Ermittlung des Einkommens einer Körperschaft außer Ansatz mit der Folge, dass gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG 5 % dieser Bezüge als Ausgaben gelten, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden können (pauschales Betriebsausgaben-Ab-

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zugsverbot) und die deshalb dem Gewinn außerbilanziell hinzuzurechnen sind. … nicht bei Einlagenrückgewähr 14 2. Zu den nach den vorstehenden Maßgaben steuerfreien, aber dem pauschalen Betriebsausgaben-Abzugsverbot unterliegenden Bezügen gehören u.a. Gewinnanteile (Dividenden) und sonstige Bezüge aus Aktien (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG), nicht jedoch solche Bezüge, die nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG vom Begriff der Einnahmen aus Kapitalvermögen ausgenommen sind, weil sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S. des § 27 KStG als verwendet gelten. Folge hiervon ist zugleich, dass die Hinzurechnung fiktiver Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG unterbleibt. Dabei bedarf es – mangels Entscheidungserheblichkeit – keiner Stellungnahme dazu, ob die Rückgewähr von Einlagen bis zur Grenze des Beteiligungsbuchwerts vom Begriff der Bezüge i.S. von § 8b Abs. 1 KStG auszunehmen ist (Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 – I R 116/08, BFHE 227, 397, BStBl II 2011, 898) oder ob im Umfang der nicht steuerbaren Verrechnung mit dem Anteilsbuchwert das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf der Grundlage einer teleologischen Reduktion nicht zum Tragen kommt. Grundsätze der Einlagenrückgewähr 15 3. Nach § 27 Abs. 1 KStG hat die unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen am Schluss jedes Wirtschaftsjahrs auf einem besonderen Konto (steuerliches Einlagekonto) auszuweisen (Satz 1) und ausgehend von dem Bestand am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs um die jeweiligen Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahrs fortzuschreiben (Satz 2). Nach der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital das steuerliche Einlagekonto unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung nur, soweit sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen (Einlagenrückgewähr). Der unter Berücksichtigung der Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahrs ermittelte Bestand des steuerlichen Einlagekontos wird gesondert festgestellt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 KStG). Ausdehnung auf EU-Kapitalgesellschaften durch SEStEG 16 4. Die mit dem Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steu440

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errechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2782, ber. BGBl I 2007, 68, BStBl I 2007, 4) eingefügte Vorschrift des § 27 Abs. 8 KStG bestimmt, dass die Regelungen zur Einlagenrückgewähr auch auf Körperschaften oder Personenvereinigungen anwendbar sind, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, wenn sie Leistungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG gewähren können (Satz 1). Die Einlagenrückgewähr ist in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 bis 6 und §§ 28 und 29 KStG – mithin auch unter Berücksichtigung der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG – zu ermitteln (Satz 2). Der als Leistung i.S. des Satzes 1 zu berücksichtigende Betrag wird auf Antrag der Körperschaft oder Personenvereinigung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum gesondert festgestellt (Satz 3). Soweit Leistungen nach Satz 1 nicht gesondert festgestellt worden sind, gelten sie als Gewinnausschüttung, die beim Anteilseigner zu Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG führen (Satz 9). Keine Anwendung bei Drittstaatengesellschaften nach Gesetzeswortlaut, … 17 5. Bei einer am Wortlaut orientierten Anwendung der zuvor beschriebenen Vorschriften würden die im Streitfall in Rede stehenden Leistungen der B Inc. an die Klägerin dem Regime des § 8b Abs. 1 und 5 KStG unterfallen. Die Einschränkung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG wäre nicht anwendbar, weil es sich bei der B Inc. nicht um eine unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaft handelt, die nach Maßgabe von § 27 KStG ein steuerliches Einlagekonto zu führen hat. Und eine Einlagenrückgewähr i.S. von § 27 Abs. 8 KStG liegt nicht vor, weil die B Inc. eine US-amerikanische Gesellschaft ist, die in keinem anderen EU-Mitgliedstaat der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. … aber bei unionsrechtskonformer Auslegung 18 6. Jedoch ist § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dahin auszulegen, dass die (materiellen) Grundsätze zur Einlagenrückgewähr auch für Leistungen einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft, für die kein steuerliches Einlagenkonto i.S. des § 27 KStG geführt wird, zum Tragen kommen. Möglichkeit der Einlagenrückgewähr bereits vor KSt.-Systemwechsel 2001/2002 19 a) Zur Rechtslage vor dem Systemwechsel vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren hat der erkennende Senat entschieden, dass über den Wortlaut des seinerzei441

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tigen § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG hinaus bei ausländischen Kapitalgesellschaften auch Kapitalrückzahlungen außerhalb der Herabsetzung von Nennkapital nicht zu besteuern sind, sofern unter Heranziehung des ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts von einer Rückzahlung aus einer Kapitalrücklage auszugehen ist (Senatsurteil in BFHE 232, 15; ebenso Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. Juli 2016 – VIII R 73/13, BFHE 254, 404; s.a. Senatsurteil vom 27. April 2000 – I R 58/99, BFHE 192, 428, BStBl II 2001, 168). Übertragung auf Rechtslage nach 2001/2002 20 b) Der VIII. Senat des BFH hat sich mit Urteil vom 13. Juli 2016 – VIII R 47/13 (BFHE 254, 390) dafür ausgesprochen, dass dieses Normverständnis auch für die Rechtslage nach dem körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel zu beachten ist und es auch nach Einfügung des § 27 Abs. 8 KStG für Bezüge von Drittstaatengesellschaften weiterhin Anwendung findet. Der erkennende Senat schließt sich dem nach Maßgabe der folgenden Erwägungen an. 21 aa) Die Gesetzesmaterialien lassen keinen eindeutigen Schluss darauf zu, ob der Gesetzgeber des SEStEG mit Schaffung des § 27 Abs. 8 KStG eine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr durch eine in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft hat ausschließen wollen. Während die Empfehlungen des Finanz- und des Wirtschaftsausschusses vorsahen, dass ‚für Einlagenrückzahlungen ausländischer Körperschaften vergleichbare Regeln greifen, die überwiegend auf Richterrecht beruhen‘ und ‚bei Einlagenrückzahlungen von Körperschaften aus Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union die Rechtsprechungsregeln ohnehin weiter angewendet werden sollen‘ (BRDrucks 542/1/06, S. 2 f.), hat die Bundesregierung diese Empfehlungen nicht in ihrer Begründung zum Entwurf des SEStEG aufgegriffen; hiernach soll bei Leistungen nicht unbeschränkt steuerpflichtiger Körperschaften (lediglich) ‚für den Bereich der Europäischen Union die Möglichkeit eröffnet (werden), nachzuweisen, dass eine Zahlung an den Anteilseigner nach den Grundsätzen der Differenzrechnung als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren ist‘ (BTDrucks 16/2710, S. 32; vgl. zum Streitstand: Benecke/Staats, Internationales Steuerrecht – IStR – 2016, 893, 895; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 27 KStG, Rz 295, 300; Häberer, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 840, 846; Mayer-Theobald/Süß, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2017, 137, 138; Peschke/Herrmann, IStR 2014, 371, 373; Rödder/Schumacher, DStR 2006, 1481, 1490; Schönfeld, Finanz-Rundschau – FR – 2015, 156, 158; Sedemund/Fischenich, Betriebs-Berater 2008, 1656, 1660; 442

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Spilker/Peschke, DStR 2011, 385, 390; Stimpel in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, KStG, § 27 Rz 220; Werra/Teiche, Der Betrieb 2006, 1455, 1458). Entsprechende Anwendung aufgrund EU-Kapitalverkehrsfreiheit 22 bb) Indes gebietet die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte – EG – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft – AEUV – (Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47) eine Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 27 KStG dahingehend, dass auch DrittstaatenKörperschaften die Möglichkeit einzuräumen ist, den Nachweis über die Rückgewähr nicht in das Nennkapital geleisteter Einlagen zu erbringen (ebenso BFH-Urteil in BFHE 254, 390). 23 aaa) Der Schutzbereich der auch auf Drittstaaten-Kapitalgesellschaften anzuwendenden Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) ist eröffnet (BFH-Urteil in BFHE 254, 390, Rz 20). § 8b KStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sowie § 27 KStG regeln die Abgrenzung von Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr, ohne dass die Normen an eine bestimmte Beteiligungshöhe anknüpfen. 24 bbb) Sollten Drittstaaten-Körperschaften aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 27 KStG ausgeschlossen sein, würde dies die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) beschränken (so auch BFH-Urteil in BFHE 254, 390). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – früher: Europäischer Gerichtshof – (EuGH) gehören zu den beschränkenden Maßnahmen i.S. des Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (EuGH-Urteil EV vom 20. September 2018 – C-685/ 16, EU: C:2018:743, Rz 55, BStBl II 2019, 111). Dies wäre vorliegend auf der Grundlage eines wörtlichen Verständnisses des § 27 KStG der Fall. Die Nichtanwendung der Grundsätze über die Einlagenrückgewähr bei Drittstaatengesellschaften würden solche Gesellschaften und deren Ge443

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sellschafter im Vergleich zu inländischen oder EU-ausländischen Sachverhalten benachteiligen (BFH-Urteil in BFHE 254, 390, Rz 25). 25 ccc) Ein Rechtfertigungsgrund dafür, dem inländischen Gesellschafter einer Drittstaatengesellschaft von vornherein jede Möglichkeit des Nachweises einer Einlagenrückgewähr zu verweigern, besteht nicht (vgl. BFHUrteil in BFHE 254, 390, Rz 26 f.). Das gilt im Hinblick auf in den USA ansässige Kapitalgesellschaften insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass in Art. 26 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 i.d.F. der Neubekanntmachung vom 4. Juni 2008 (BGBl II 2008, 612, BStBl I 2008, 784) die sog. ‚große‘ Auskunftsklausel vereinbart worden ist, die einen umfassenden Informationsaustausch zwischen den Verwaltungsbehörden der Vertragsstaaten ermöglicht. Keine Stand-Still-Ausnahme 26 ddd) Eine solche Beschränkung wäre auch nicht gemäß Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt Art. 64 Abs. 1 AEUV) zulässig. Danach berührt Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) nicht die Anwendung derjenigen Beschränkungen auf dritte Länder, die am 31. Dezember 1993 auf Grund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften oder auf Grund von Rechtsvorschriften der Union für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen einschließlich Anlagen in Immobilien, mit der Niederlassung, der Erbringung von Finanzdienstleistungen oder der Zulassung von Wertpapieren zu den Kapitalmärkten bestanden. Dabei obliegt es dem nationalen Gericht, den Inhalt einer solchen beschränkenden Regelung zu bestimmen (EuGH-Urteil EV, EU:C:2018:743, Rz 73, BStBl II 2019, 111). Auf der Grundlage der BFH-Rechtsprechung (Urteile in BFHE 254, 390; und in BFHE 254, 404) hat zum Stichtag 31. Dezember 1993 eine solche Beschränkung bezüglich der Einlagenrückgewähr durch eine in einem Drittstaat ansässige Kapitalgesellschaft jedoch, wie erläutert, nicht bestanden. Einlagenrückgewähr gemäß Verwendungsreihenfolge nach § 27 KStG 27 7. Hiervon ausgehend ist zwar die Höhe des ausschüttbaren Gewinns einer Drittstaatengesellschaft auf der Grundlage des jeweiligen ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts zu ermitteln (Senatsurteil in BFHE 232, 15; BFH-Urteile in BFHE 254, 390, und in BFHE 254, 404). Da 444

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die rechtliche Herleitung der Möglichkeit der Einlagenrückgewähr für Drittstaatengesellschaften auf der Vermeidung einer ansonsten gegebenen Diskriminierung der Anteilseigner ausländischer Kapitalgesellschaftsanteile beruht, bestimmt sich sodann die Verwendungsreihenfolge der ausgeschütteten Beträge – in Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung – nach den Grundsätzen der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 und 5 KStG. Nur dieses Rechtsverständnis stellt sicher, dass die Gesellschafter von Drittstaatengesellschaften nicht schlechter, aber auch nicht besser behandelt werden als die Gesellschafter von inländischen oder von EU-ausländischen Gesellschaften. Kein Feststellungsverfahren 28 8. Nicht auf die Einlagenrückgewähr von Drittstaatengesellschaften übertragen werden kann indessen der verfahrensrechtliche Aspekt der vorgeschalteten gesonderten Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 2 Satz 1 KStG) bzw. der Leistungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG (§ 27 Abs. 8 Satz 3 KStG). Da das Gesetz für die Einlagenrückgewähr von Drittstaatengesellschaften kein gesondertes Feststellungsverfahren zur Verfügung stellt (vgl. zum Gesetzesvorbehalt Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 – GrS-2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679), können die damit zusammenhängenden Fragen nur im Rahmen der jeweiligen Festsetzungsverfahren der Gesellschafter geklärt werden (Blümich/Oellerich, § 27 KStG Rz 81). Im Streitfall: Steuerneutrale Einlagenrückgewähr 29 9. Aus der bindenden Feststellung des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) ergibt sich, dass die B Inc. über keine ausschüttungsfähigen Gewinne, keine Gewinnvorträge oder keine aus Gewinnen gebildete Kapitalrücklagen verfügte. Unter Berücksichtigung des Beteiligungsbuchwerts konnte die Ausschüttung im Streitjahr demnach nur zu einer – steuerneutralen – Einlagenrückgewähr führen … .“

2. Anmerkung (s. Wacker, FR 2019, 910) a) Das Besprechungsurteil geht zu Recht davon aus, dass auch nach dem körperschaftsteuerrechtlichen Systemwechsel vom Anrechnungs- zum Teileinkünfteverfahren der Gesetzgeber an seiner Grundentscheidung zur Nichtsteuerbarkeit der Rückgewähr von in das Vermögen von Kapitalgesellschaften geleisteten Einlagen jedenfalls insoweit festgehalten hat, als die Rückgewähr aus dem Vermögen von EU-/EWR-Gesellschaften zu beurteilen ist. Folge hiervon ist, dass die zurückgewährte Einlage mit 445

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dem im Betriebsvermögen ausgewiesenen Anteilsbuchwert zu verrechnen ist und – so jedenfalls im Ergebnis zutreffend die bisherige Rspr. – nach Maßgabe dieses Verrechnungspotentials auch die Gewinnhinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG ausgeschlossen wird. b) Entsprechendes sollte mE für private Anleger auch dann gelten, wenn ihre Anteile nicht § 17 EStG unterstehen, sondern „nur“ nach § 20 Abs. 2 EStG steuerverhaftet sind (str.). c) Offen gelassen hat der Senat, ob die – im Besprechungsurteil befürwortete – Geltung dieser Grundsätze für Leistungen von Drittstaatengesellschaften auf einer steuersystematischen Grundentscheidung des Gesetzgebers zugunsten des vermögensumschichtenden Charakters der Einlagenrückgewähr fußt oder sich gegen einen abschließenden Normzusammenhang stellt (hier: § 27 Abs. 1 iVm. Abs. 8 KStG) und deshalb – so die tragende Begründungslinie des Urteils – ausschließlich auf den Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit gestützt werden kann. d) Ungeachtet dieser nicht nur systematisch bedeutsamen Frage konnte jedenfalls nicht zweifelhaft sein, dass die Verwendungsvorgaben des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG auch in Drittstaatensachverhalten zu beachten sind. Auch Leistungen der Drittstaatengesellschaften sind hiernach nur dann – mithin unter Ausschluss eines Direktzugriffs nur nachrangig – als steuerrechtliche Einlagenrückgewähr zu qualifizieren, wenn sie den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschafsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen. Obgleich die Beteiligten hierdurch mit nicht unerheblichen Dokumentations- und Nachweisobliegenheiten belastet werden und sie die Feststellungslast für eine sie begünstigende Einlagenrückgewähr tragen, war diese Fortentwicklung der Rspr., dh. die Abkehr von den sog. „Rechtsprechungsregeln“ zum Direktzugriff nach Maßgabe des ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts und damit die Abkehr von der alleinigen Maßgeblichkeit des Gesellschafts- und Handelsrechts im Sitzstaat durch das unmissverständliche Diktum des Gesetzgebers zur Behandlung von Leistungen aus dem Vermögen von inländischen und EU-Kapitalgesellschaften vorgezeichnet. e) Dies bedeutet indessen nicht, dass es keiner Feststellung mehr zum ausländischen Recht bedürfte. Ebenso wie bei Leistungen von EU-Gesellschaften ist vielmehr nach dem Handels- und Gesellschaftsrecht der Drittstaatengesellschaft zu beurteilen, ob Nennkapital iSv. § 28 KStG zurückgezahlt wird.9 Ferner ist nach dem Besprechungsurteil auch der aus9 GlA FG Düss. v. 24.8.2018 – 14 K 564/16 E, BB 2019, 97, rkr.

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schüttbare Gewinn (Subtrahend der Differenzrechnung) „auf der Grundlage“ des ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts zu bestimmen. f) Allerdings trifft das Besprechungsurteil – mutmaßlich mangels Entscheidungserheblichkeit und vielleicht auch, um nicht in Widerspruch zur Rspr. des VIII. Senats zu treten10 – keine Aussage dazu, ob – wie von der FinVerw. im Rahmen von § 27 Abs. 8 Satz 2 KStG für EU-Kapitalgesellschaften vertreten – der sich hierbei ergebende Wert einer nachgelagerten Überleitungsrechnung analog § 60 EStDV nach Maßgabe des deutschen Steuerrechts zu unterwerfen und somit an die steuerrechtlichen Vorgaben des § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG zur Ermittlung des Eigenkapitals anzupassen ist. Wie auch immer man sich hierbei entscheidet, es sollte nach dem Besprechungsurteil mE nicht zweifelhaft sein, dass für die Beurteilung von EU-/EWR-Gesellschaften und Drittstaatengesellschaften materiell-rechtlich nur ein einheitliches Verständnis in Betracht kommen kann. g) Eine ganz andere Frage ist schließlich, ob Drittstaatengesellschaften dem Feststellungsverfahren des § 27 Abs. 8 KStG unterfallen. Dies ist mit Rücksicht darauf, dass ein solches Verfahren unter dem Vorbehalt des Gesetzes steht und das fristgebundene Feststellungsverfahren auch mit Rechtsnachteilen verbunden sein kann, zu verneinen. Soweit die FinVerw. dies für EWR-Gesellschaften – unter Einbeziehung von Nennkapitalrückzahlungen – anders sieht und im Schrifttum die tatbestandliche Begrenzung auf EU-Gesellschaften teilweise als gesetzgeberisches Versehen eingestuft wird, kann dies mE keine andere Einschätzung rechtfertigen. h) Allerdings sollte der Gesetzgeber das Besprechungsurteil zum Anlass nehmen, das Feststellungsverfahren auch für Drittstaatensachverhalte rechtssicher zu öffnen, und hierbei – wie angesprochen – zugleich auch für EU-Sachverhalte den materiellen Bezugsrahmen der Differenzrechnung bei ausländischen Gesellschaften gesetzlich konkretisieren.

10 BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFHE 254, 390 = FR 2017, 192.

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III. Ausfall grenzüberschreitender Konzerndarlehen – Neuorientierung der BFH-Rechtsprechung 1. BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16 (BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526) a) Sachverhalt „2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine inländische GmbH, ist Alleingesellschafterin und zugleich Organträgerin der inländischen A GmbH. Letztere war zu 99,98 % an der B N.V., einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Belgien, beteiligt. Die restlichen Anteile an der B N.V. hielt die Klägerin. 3 Die A GmbH führte für die B N.V. ein Verrechnungskonto, das ab dem 1. Januar 2004 mit 6 % p.a. verzinst wurde. Am 30. September 2005 vereinbarten die A GmbH und die B N.V. einen Forderungsverzicht gegen Besserungsschein in Höhe von … t. Der Betrag entsprach dem nach Ansicht der Vertragsbeteiligten wertlosen Teil der gegen die B N.V. gerichteten Forderungen aus dem Verrechnungskonto. Er wurde zwar in der Bilanz der A GmbH gewinnmindernd ausgebucht, jedoch hat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA) die Gewinnminderung mit Rücksicht auf die fehlende Forderungsbesicherung nach § 1 Abs. 1 AStG durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung neutralisiert. 4 Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (Urteil des Finanzgerichts – FG – Düsseldorf vom 10. November 2015 6 K 2095/13 K, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2017, 553). …“ b) Entscheidungsgründe „8 II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Vorinstanz hat zu Unrecht angenommen, dass das Einkommen der A GmbH nicht zu korrigieren ist. KSt.-Bescheid der Organgesellschaft im Streitjahr (noch) kein Grundlagenbescheid 9 1. Nach den Feststellungen der Vorinstanz bestand im Streitjahr eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der A GmbH (als Organgesellschaft) und der Klägerin (als Organträgerin). Dies hat gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (KStG) zur Folge, dass das Einkommen der 448

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A GmbH der Klägerin zuzurechnen ist und die Einwendungen gegen die Höhe des zugerechneten Einkommens von der Klägerin als Organträgerin im Rechtsbehelfsverfahren gegen den an sie gerichteten Körperschaftsteuerbescheid geltend zu machen sind. Der die Organgesellschaft betreffende Steuerbescheid ist insoweit kein Grundlagenbescheid (vgl. Senatsurteil vom 6. Juli 2016 I R 25/14, BFHE 254, 326, BStBl II 2018, 124). Darlehensausbuchung ist außerbilanziell zu korrigieren 10 2. Das FG hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um entscheiden zu können, ob es sich bei dem Verrechnungskonto um ein betrieblich veranlasstes und damit steuerrechtlich anzuerkennendes Darlehen der A GmbH handelte oder ob dieses Konto durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Einlagen in das Vermögen der B N.V. und damit in Höhe der Forderung nachträgliche Anschaffungskosten auf den Beteiligungsansatz der A GmbH ausweist (nachfolgend zu 3.). Dies kann jedoch offenbleiben, da in beiden Fällen die Minderung des Aktivums außerbilanziell zu berichtigen ist (nachfolgend zu 4.). Grundsätze zur steuerrechtlichen Anerkennung nicht fremdüblicher Darlehen 11 3. Nach der zu Verträgen zwischen Angehörigen ergangenen Rechtsprechung ist die Abgrenzung zwischen privater und betrieblicher Veranlassung im Anschluss an die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 1995 2 BvR 802/90 (BStBl II 1996, 34, unter B.I.2.) und vom 15. August 1996 2 BvR 3027/95 anhand der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten mit der Maßgabe vorzunehmen, dass nicht jede Abweichung einzelner Sachverhaltsmerkmale vom Fremdüblichen im Sinne eines absolut wirkenden Tatbestandsmerkmals die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses ausschließt. Vielmehr sind die einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung zu würdigen (vgl. zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. Oktober 2018 X R 44-45/17, BFHE 263, 11 m.w.N.). Nichts anderes kann für Vertragsverhältnisse zwischen Gesellschaften und ihren Gesellschaftern und damit für die Frage gelten, ob eine Kapitalüberlassung der eigenen betrieblichen Sphäre oder derjenigen des Gesellschaftsverhältnisses (hier: Beteiligung der A GmbH an der B N.V.) zuzuordnen ist. Maßgeblich: Ernstlichkeit der Abrede 12 a) Demgemäß bedarf es auch bei der Beurteilung von Kapitalüberlassungen zwischen verbundenen Unternehmen der Abgrenzung, ob das zu449

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geführte Kapital dauerhaft in das Vermögen der empfangenden Gesellschaft übergehen sollte und eine Rückzahlung nicht beabsichtigt war (BFH-Urteil vom 6. November 2003 IV R 10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416) oder ob die Beteiligten – im Sinne einer ernstlichen Abrede – von der Überlassung von Kapital auf Zeit ausgegangen sind und davon ausgehen konnten, dass der Darlehensvertrag durchgeführt, insbesondere also das Darlehen zurückgezahlt wird (dazu Senatsurteil vom 17. Dezember 2014 I R 23/13, BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261, Rz 26). Zwar kann diese Abgrenzung nur auf objektiv überprüfbare Umstände gestützt werden und ist hierbei von den fremdüblichen Voraussetzungen einer Darlehensgewährung auszugehen (sog. Fremdvergleich). Auch insoweit kann jedoch einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beigemessen werden. Diese sind vielmehr – worauf der Senat mit Urteil vom 29. Oktober 1997 I R 24/97 (BFHE 184, 482, BStBl II 1998, 573, unter II.2.) ausdrücklich hingewiesen hat – indiziell zu würdigen (gl.A. BFH-Urteil vom 16. Oktober 2014 IV R 15/11, BFHE 247, 410, BStBl II 2015, 267, Rz 24 ff.). Fehlende Darlehensbesicherung auch iVm. Konzernrückhalt nicht fremdüblich 13 b) Hiervon ausgehend ist zwar in der den Streitfall kennzeichnenden Nichtbesicherung des Schuldsaldos aus dem Verrechnungskonto einerseits ein nicht fremdüblicher Umstand zu sehen, da ein mit der B N.V. nicht verbundener Kreditgeber auf einer banküblichen Sicherheit bestanden hätte. Abweichendes kann auch dem Topos des (sog.) Konzernrückhalts nicht entnommen werden, da er – ohne Hinzutreten einer rechtlichen Verpflichtung, für die Rückzahlung des Darlehens einzustehen – lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und die Üblichkeit zum Ausdruck bringt, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern (z.B. Greil, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2018/2019, 947, 963 ff.). Soweit den Urteilen des Senats vom 24. Juni 2015 I R 29/14 (BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258) sowie in BFHE 184, 482, BStBl II 1998, 573, unter II.3.d, Abweichendes zu entnehmen ist, wird hieran nicht festgehalten. Dies schließt es andererseits – wie erläutert – aber nicht aus, auch ertragsteuerrechtlich von einer ernstlichen, d.h. betrieblich veranlassten Darlehensabrede auszugehen (Senatsurteil in BFHE 184, 482, BStBl II 1998, 573, zu II.2.). Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung sind hierbei neben der fehlenden Konzernüblichkeit der Anspruchsbesicherung (dazu Senatsurteil vom 21. Dezember 1994 I R 65/94, BFHE 176, 571) vor allem 450

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die sonstigen Umstände des Vertragsschlusses (z.B. berechtigte Ertragserwartungen des Kreditnehmers, Einfluss des Kreditgebers auf dessen Geschäftstätigkeit, grundsätzliche Bereitschaft, die kreditnehmende Gesellschaft im Geschäftsverkehr nach außen zu stützen) indiziell mit Rücksicht darauf zu würdigen, ob – trotz des nicht fremdüblichen Verzichts auf die Einräumung einer werthaltigen Sicherung der Darlehensansprüche – die Beteiligten von einer Kapitalüberlassung auf Zeit und damit insbesondere von der Rückzahlung des Kreditkapitals ausgegangen sind und bei objektiver Würdigung ausgehen konnten. Im Streitfall zwar keine Würdigung der Fremdüblichkeit durch FG, … 14 c) Eine solche Gesamtabwägung hat das FG nicht vorgenommen. Sie kann in der Revisionsinstanz auch nicht nachgeholt werden. … Abgrenzung ist aber nicht entscheidungserheblich, da … 15 4. Die Abgrenzung ist im Streitfall indes nicht entscheidungserheblich, da die mit der Forderungsausbuchung verbundene Gewinnminderung ungeachtet dessen außerbilanziell zu korrigieren ist, ob die A GmbH eine durch das Gesellschaftsverhältnis (Beteiligungsverhältnis) veranlasste Kapitaleinlage in das Vermögen der B N.V. geleistet (nachfolgend zu a) oder dieser ein betrieblich veranlasstes Darlehen gewährt hat (nachfolgend zu b und c). … bei Einlage Korrektur nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG … 16 a) Im Fall einer Einlage hätten sich insoweit die Anschaffungskosten der A GmbH auf die Beteiligung an der B N.V. erhöht. Eine gewinnmindernde Teilwertabschreibung auf diese Beteiligung wäre gemäß § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG ausgeschlossen. und bei Darlehen nach § 1 AStG 17 b) Im Fall der Ausbuchung einer betrieblich veranlassten Darlehensforderung wäre hingegen – mit dem nämlichen Ergebnis und wie vom FA vertreten – die Minderung des Steuerbilanzgewinns nach § 1 Abs. 1 AStG zu neutralisieren. Darlehensverzicht: Gewinnminderung und verdeckte Einlage iHv. 0 v … 18 aa) Der gewinnmindernden Ausbuchung der Darlehensforderung steht der sog. Konzernrückhalt und damit auch der Umstand nicht entgegen, dass die A GmbH beherrschende Gesellschafterin der B N.V. war. Soweit der bisherigen Rechtsprechung des Senats entnommen werden konnte, dass allein in den Einflussnahmemöglichkeiten des beherrschenden Ge451

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sellschafters auf den Darlehensnehmer eine fremdübliche (werthaltige) Besicherung des Rückzahlungsanspruchs im Sinne einer aktiven Einstandsverpflichtung zu sehen ist, hält er hieran – wie bereits erläutert – nicht fest (insoweit entgegen Senatsurteil in BFHE 176, 571). Demgemäß schließt der sog. Konzernrückhalt weder aus, dass ein Darlehen wertlos und damit auf den geringeren Teilwert abgeschrieben wird, noch hat er bei der im anhängigen Verfahren zu beurteilenden verzichtsbedingten Ausbuchung des Darlehensanspruchs zur Folge, dass diese durch den Ansatz einer verdeckten Einlage in Höhe des Nominalbetrags des Darlehensverzichts ausgeglichen wird (vgl. Senatsurteile in BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258; vom 12. April 2017 I R 36/15, BFH/NV 2018, 58, Rz 22). Der Einlagewert bestimmt sich vielmehr nach dem Teilwert des Forderungsanteils, auf den verzichtet wurde, im Streitfall mithin – nach den Feststellungen der Vorinstanz – auf null t (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307; sowie nachfolgende Senatsurteile vom 15. Oktober 1997 I R 23/93, BFH/NV 1998, 826; I R 58/93, BFHE 184, 432, BStBl II 1998, 305; I R 103/93, BFH/ NV 1998, 572; vom 28. November 2001 I R 30/01, BFH/NV 2002, 677). … sowie Korrektur der Gewinnminderung durch § 1 Abs. 1 AStG 19 bb) Die hierdurch bedingte Gewinnminderung unterliegt indes in voller Höhe der Korrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG. 20 Werden Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus Geschäftsbeziehungen mit einer ihm nahestehenden Person dadurch gemindert, dass er im Rahmen solcher Geschäftsbeziehungen zum Ausland Bedingungen vereinbart, die von denen abweichen, die voneinander unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen vereinbart hätten, so sind seine Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften gemäß § 1 Abs. 1 AStG so anzusetzen, wie sie unter den zwischen unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären. Geschäftsbeziehung in diesem Sinne ist gemäß § 1 Abs. 4 AStG jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde. 21 (1) Das Darlehensverhältnis zwischen der A GmbH und der B N.V. ist eine solche Geschäftsbeziehung, zu deren Bedingungen die Nichtbesicherung der Ansprüche gehört (noch offen gelassen im Senatsurteil in BFHE 452

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248, 170, BStBl II 2016, 261, Rz 15). Der Begriff der Bedingung ist zwar gesetzlich nicht definiert, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr sind hierzu jedoch – neben Vereinbarungen über die Laufzeit, Art und Weise der Rückzahlung sowie Höhe und Zahlungszeitpunkt der Zinsen – üblicherweise auch Vereinbarungen über die zu stellenden Sicherheiten zu rechnen (vgl. Nr. 13 AGB-Banken, Nr. 22 AGB-Sparkassen). Auch die Rechtsprechung teilt diese Ansicht (z.B. Senatsurteil vom 7. September 2016 I R 11/14, BFH/NV 2017, 165, Rz 21, im Zusammenhang mit einem ‚weitergeleiteten Konzerndarlehen‘ und § 8a Abs. 1 KStG 2002 n.F.; BFH-Urteile vom 16. Dezember 1998 X R 139/95, BFH/NV 1999, 780, und vom 28. November 1990 X R 109/89, BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327). 22 (2) Die Nichtbesicherung weicht – wie bereits ausgeführt – vom Fremdüblichen ab, weil ein fremder Gläubiger die Darlehensgewährung (hier Verrechnungskonto) von der Einräumung werthaltiger Sicherungsrechte abhängig gemacht hätte. Gegen die Annahme fehlender Fremdüblichkeit kann nicht eingewendet werden, dass die dem Schuldsaldo zugrunde liegende Abrede steuerrechtlich als Darlehen angesehen wird. Letzteres beruht – wie gleichfalls bereits erläutert – auf der Würdigung der Gesamtabrede, die trotz fehlender Fremdüblichkeit einzelner Indizien (hier: keine Besicherung) dazu führen kann, nicht von einer durch das Gesellschaftsverhältnis (Beteiligungsverhältnis) veranlassten Einlage, sondern einer darlehensweisen Kapitalausreichung auszugehen. Folge hiervon ist indes nicht, dass der Vertrag in seiner Gesamtheit dem entspräche, was einander Fremde vereinbaren würden. Vielmehr bleibt die Qualifikation der betroffenen und vom Marktüblichen (Banküblichen) abweichenden Vertragsteile als nicht fremdüblich erhalten. Nichts anderes ergibt sich aus § 1 AStG. Im Gegenteil: auch diese Vorschrift unterscheidet nach ihrer Struktur (Tatbestand und Rechtsfolge) die ‚Geschäftsbeziehung‘ zum Ausland – hier das steuerrechtlich anzuerkennende Darlehen – von den einzelnen, nicht fremdüblichen ‚Bedingungen‘ mit der weiteren Folge, dass nur die hierdurch – d.h. die fehlende Fremdüblichkeit einzelner Bedingungen (hier: fehlende Besicherung) – veranlassten Einkunftsminderungen dem Berichtigungsbefehl der Norm unterfallen. Rechtsfolge: Punktuelle Einkünftekorrektur 23 (3) Die Einkünfteminderung ist weiterhin i.S. von § 1 AStG durch (‚dadurch‘) die fehlende Besicherung eingetreten (noch offen gelassen in Senatsurteilen in BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258, Rz 16, und in BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261, Rz 15). Maßgeblich hierfür ist – im Sinne des Ver453

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anlassungsprinzips (dazu Senatsurteil vom 18. April 2018 I R 37/16, BFHE 261, 166, BStBl II 2019, 73, Rz 23) – das die gewinnmindernde Forderungsausbuchung ‚auslösende Moment‘. Bei der hierfür gebotenen wertenden Betrachtung ist nicht auf die Zahlungsunfähigkeit der B N.V., sondern deshalb vorrangig auf den Sicherungsverzicht abzustellen, weil die A GmbH durch eben diesen Verzicht ihren Darlehensrückzahlungsanspruch an die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Tochtergesellschaft geknüpft hat und eine solche ‚Vermischung der Vermögensrisiken‘ im Falle der Einräumung werthaltiger Sicherungsrechte nicht eingetreten wäre. Änderung der Rechtsprechung: Keine Sperrwirkung gemäß Art. 9 DBABelgien 24 cc) Die hierdurch bedingte Einkünftekorrektur gemäß § 1 Abs. 1 AStG wird nicht durch Art. 9 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und zur Regelung verschiedener anderer Fragen auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen einschließlich der Gewerbesteuer und der Grundsteuern vom 11. April 1967 (BGBl II 1969, 18, BStBl I 1969, 39) – DBA-Belgien 1967 – ausgeschlossen (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung). 25 (1) Art. 9 DBA-Belgien 1967 sieht u.a. vor, dass dann, wenn ein Unternehmen eines Vertragsstaats unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, Kontrolle oder Finanzierung eines Unternehmens des anderen Vertragsstaats beteiligt ist und zwischen den beiden Unternehmen hinsichtlich ihrer kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen Bedingungen vereinbart oder auferlegt werden, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden, die Gewinne, die eines der Unternehmen ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet und besteuert werden dürfen. 26 (2) Geht man bei der Ermittlung des Regelungsgehalts eines völkerrechtlichen Vertrags vom Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 – WÜRV – (BGBl II 1985, 927) aus (Senatsurteil vom 11. Juli 2018 I R 44/16, BFHE 262, 354), so ist ein solches Abkommen nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 Abs. 1 WÜRV). 454

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27 (3) Maßgeblich ist mithin der Wortlaut des Vertrags und die ‚gewöhnliche Bedeutung‘ der verwendeten Ausdrücke. Hiernach handelt es sich bei der fehlenden Besicherung um zwischen der A GmbH und der B N.V. ‚vereinbarte Bedingungen‘, die – wie gezeigt – vom Fremdüblichen abweichen. Der Senat hat zwar bisher das Merkmal der Bedingung im Falle der Darlehensgewährung allein auf den vereinbarten Zinssatz – i.S. einer Preiskorrektur – beschränkt (Senatsurteile in BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258, und in BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261). An dieser Rechtsprechung wird indes nicht festgehalten. Unberührt hiervon bleiben hingegen die Grundsätze des Senatsurteils vom 11. Oktober 2012 I R 75/11 (BFHE 239, 242, BStBl II 2013, 1046). Die in dieser Entscheidung zu beurteilende sog. Sonderbedingung in Form einer ‚klaren, im Voraus getroffenen, zivilrechtlich wirksamen und tatsächlich durchgeführten Vereinbarung‘, der beherrschende Unternehmen im Rahmen der Einkommenskorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG unterworfen sind (sog. formeller Fremdvergleich), ist unverändert nicht zu den Bedingungen i.S. des Art. 9 Abs. 1 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD-Musterabkommen – OECD-MustAbk) zu rechnen. 28 (4) Bestätigung findet dieses Verständnis im Zweck des Art. 9 DBA-Belgien 1967. Die Regelung zielt auf die Einkünfteabgrenzung bei grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen am Maßstab des vom Territorialitätsund Veranlassungsprinzip getragenen Fremdvergleichs (Schwenke/Greil in Wassermeyer MA Art. 9 Rz 2). Sie will zudem die gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen unabhängigen und verbundenen Unternehmen sicherstellen. 29 (5) Aus dem Vorstehenden sowie dem prinzipiellen Einklang mit den Erläuterungen zu § 1 AStG ergibt sich weiterhin, dass der Senat einer abschließenden Entscheidung darüber enthoben ist, ob der Auslegung des Art. 9 DBA-Belgien 1967 die Grundsätze des WÜRV oder gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-Belgien 1967 (sog. lex-fori-Klausel) das Recht des Anwenderstaats zugrunde zu legen ist (vgl. zum Verhältnis zwischen Art. 3 Abs. 2 OECD-MustAbk und Art. 31 ff. WÜRV: Erhard in Flick/Wassermeyer/ Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 3 Rz 155; Oellerich in Gosch, AO § 2 Rz 34; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Rz 19.67; Strunk/ Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG/DBA, Art. 3 OECD-MA Rz 5.1; Wassermeyer in Wassermeyer MA Art. 3 Rz 77).

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Vereinbarkeit mit EU-Recht 30 c) Schließlich widerstreitet auch das Unionsrecht nicht einer Einkünftekorrektur nach § 1 AStG. EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt 31 aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – früher: Europäischer Gerichtshof – (EuGH) stellt eine Regelung wie diejenige des § 1 Abs. 1 AStG eine zur Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1) dar (jetzt Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Amtsblatt der Europäischen Union 2008, Nr. C 115, 47; EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt vom 31. Mai 2018 C-382/16, EU:C:2018:366, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 2018, 580). Bei Substanzverlusten keine Korrekturschranke 32 bb) Soweit der EuGH mit der zuletzt genannten Entscheidung für die unentgeltliche Übernahme von Garantie- und Patronatszusagen im Rahmen seiner Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit erkannt hat, dass das wirtschaftliche Eigeninteresse der Konzernobergesellschaft an ihren Beteiligungsgesellschaften sowie die gewisse Verantwortung als Gesellschafterin bei der Finanzierung dieser Gesellschaften Geschäftsabschlüsse unter nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen (‚erklären‘) und damit einer Berichtigung nach § 1 AStG entgegenstehen können, kommt diese Einschränkung vorliegend nicht zum Tragen. 33 (1) Auszugehen ist hierbei davon, dass die genannten wirtschaftlichen Gründe (hier: ‚gewisse‘ Finanzierungsverantwortung der A GmbH für B N.V.; Partizipation an deren Erfolg z.B. über Gewinnausschüttungen) nach dem EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt (EU:C:2018:366, HFR 2018, 580) nicht im Sinne eines Automatismus dazu führen, dass die Wahrung der territorialen Besteuerungsrechte der Mitgliedstaaten (durchgängig) verdrängt werden. Aus den Formulierungen des Urteils (vgl. dort Rz 54, 56 f.: ‚können‘) ergibt sich vielmehr zweifelsfrei, dass das nationale Ge456

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richt Gründe dieser Art zu berücksichtigen und damit im Rahmen einer Abwägung daran zu messen hat, mit welchem Gewicht die jeweils zu beurteilende Abweichung vom Maßstab des Fremdüblichen in den Territorialitätsgrundsatz und die hierauf gründende Zuordnung der Besteuerungsrechte eingreift (gl.A. zur gebotenen Einzelfallabwägung Graw, Der Betrieb – DB – 2018, 2655, 2657; Rasch/Chwalek/Bühl, Internationale Steuer-Rundschau 2018, 275, 279; Schreiber/Greil, DB 2018, 2527, 2534; a.A. wohl BMF-Schreiben vom 6. Dezember 2018, BStBl I 2018, 1305). 34 (2) Hiernach kommt im Streitfall eine Einschränkung der Berichtigung nach § 1 AStG nicht in Betracht. 35 Zwar hatte die A GmbH – im Gegensatz zu einander fremden Dritten – die Wahl, die B N.V. entweder mit Fremd- oder mit Eigenkapital auszustatten. Gleicht die Ausreichung von Fremdkapital aber eine unzureichende Eigenkapitalausstattung aus und ist sie damit zugleich Voraussetzung dafür, dass die darlehensempfangende Gesellschaft die ihr zugedachte wirtschaftliche Funktion (weiter) erfüllen kann, so steht dies nicht nur strukturell der Zuführung von Eigenkapital nahe (vgl. jeweils zu § 1 AStG a.F. Senatsurteile vom 23. Juni 2010 I R 37/09, BFHE 230, 156, BStBl II 2010, 895; vom 27. August 2008 I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; vgl. auch § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG n.F.), sondern hat des Weiteren zur Folge, dass eine unterschiedliche Behandlung von Einlage (dazu unter 4.a) und Darlehensverzicht mit Rücksicht auf den auch unionsrechtlich anerkannten Geltungsanspruch der Gewinnabgrenzung nach Maßgabe fremdüblicher Bedingungen ausgeschlossen ist. Folgen für Nutzungsentgelte (etc) offen 36 Welche Weiterungen sich hieraus für unentgeltliche Garantie- und Patronatserklärungen ergeben, die dem EuGH-Urteil Hornbach-Baumarkt (EU:C:2018:366, HFR 2018, 580) zugrunde lagen, bedarf vorliegend bereits deshalb keiner weiteren Erörterung, weil Verpflichtungen der zuletzt genannten Art mit keiner Änderung des Vermögens- und Liquiditätsstatus der betroffenen Gesellschaften einhergehen, wohingegen die im anhängigen Verfahren zu beurteilenden Verzichtserklärungen – gleich der Leistung einer Einlage – bis zum Eintritt des Besserungsfalls auf einen Kapitalverlust, jedenfalls aber auf einen Kapitaltransfer gerichtet waren. Auch dem ist im Rahmen der gebotenen Abwägung – wie aufgezeigt – das ihm zukommende Gewicht zu geben mit der Folge, dass die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit einer Einkunftskorrektur nach § 1 AStG nicht entgegensteht. 457

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37 5. Nach dem Ausgeführten ist das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen“. c) Leitsätze „1. Die Abgrenzung zwischen betrieblich veranlassten Darlehen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Einlagen ist anhand der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten vorzunehmen. Einzelnen Kriterien des Fremdvergleichs ist dabei nicht die Qualität unverzichtbarer Tatbestandsvoraussetzungen beizumessen (Bestätigung des Senatsurteils vom 29. Oktober 1997 I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl II 1998, 573, unter II.2.) (Rn. 11) (Rn. 12). 2. Der Topos des sog. Konzernrückhalts beschreibt lediglich den rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmen der Unternehmensverflechtung und bringt die Üblichkeit zum Ausdruck, innerhalb eines Konzerns Kreditansprüche nicht wie unter Fremden abzusichern (insoweit entgegen Senatsurteile vom 24. Juni 2015 I R 29/14, BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258, und vom 29. Oktober 1997 I R 24/97, BFHE 184, 482, BStBl II 1998, 573, unter II.3.d) (Rn. 13). 3. Die fehlende Darlehensbesicherung gehört grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen ‚Bedingungen‘ i.S. des § 1 Abs. 1 AStG. Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-Belgien 1967) (Rn. 21) (Rn. 23) (Rn. 24). 4. Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 DBA-Belgien 1967) beschränkt den Korrekturbereich des § 1 Abs. 1 AStG nicht auf sog. Preisberichtigungen, sondern ermöglicht auch die Neutralisierung der gewinnmindernden Ausbuchung einer Darlehensforderung oder einer Teilwertabschreibung hierauf (entgegen Senatsurteile vom 24. Juni 2015 I R 29/14, BFHE 250, 386, BStBl II 2016, 258, und vom 17. Dezember 2014 I R 23/13, BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261) (Rn. 27) (Rn. 28). 5. Ob einer Korrektur nach § 1 Abs. 1 AStG der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Unionsrechts entgegensteht, bestimmt sich nach einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Dabei sind das wirtschaftliche Eigeninteresse und die Finanzierungsverantwortung auf der einen Seite sowie die strukturelle Nähe zur Eigenkapitalausstattung und die Änderung des Vermögens- und Liquiditätsstatus des Darlehensgebers auf der anderen Seite zu berücksichtigen (Rn. 32) (Rn. 33).“ 458

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2. Anmerkungen a) Das zwischenzeitlich im BStBl. Teil II veröffentlichte Leiturteil (Verfassungsbeschwerde, Az 2 BvR 1161/19) ist im Wesentlichen nur von Angehörigen des I. Senats zustimmend kommentiert worden.11 b) Im Übrigen ist es – wenn auch mit differenzierenden Abstufungen und nicht selten blumigen Ausschmückungen – ganz überwiegend kritisch aufgenommen worden.12 c) Das dürfte einerseits auf die geänderten Ergebnisse und die enttäuschten Erwartungen zurückzuführen sein. Andererseits ist der juristische Kern der Einwände nicht immer greifbar. Positiv gewendet, lässt sich dies durchaus als Bestätigung der geänderten Rspr. verstehen; sie braucht – wie bei Neuerungen nicht selten – eine gewisse Zeit der Eingewöhnung. d) Soweit im Schrifttum auf die rasche Abkehr von der bisherigen Rspr. hingewiesen wird, ist dies im Ausgangspunkt zutreffend. Allerdings kann keinerlei Zweifel darüber bestehen, dass selbstverständlich auch der I. Senat des BFH seine Judikatur nicht leichtfertig ändert. Vorliegend bleiben jedoch nicht nur die offenkundigen Begründungsbrüche der bisherigen Rspr. zu beachten. Hinzu kommt, dass für die Streitjahre der vom I. Senat bisher entschiedenen und noch zu entscheidenden sog. Fälle (vgl. Wacker, FR 2019, 449 [550 Fn. 7]) durch die Aufgabe der in den Jahren 2014 und 2015 geäußerten Rechtsauffassung zur Sperrwirkung der Art. 9 OECD-MA entsprechenden DBA-Regelungen das Vertrauen in die Beständigkeit höchstrichterlicher Rspr. bereits aus Gründen der Chronologie nicht beschädigt werden konnte. e) Offen bleiben soll hier, ob – wie teilweise formuliert – das Urteil I R 73/1613 wirklich die Koordinaten des Ertragsteuerrechts der Konzerne grundlegend neu justiert hat. Jedenfalls ergibt sich nunmehr ein klares Bild: Konzerndarlehen können auch bei fehlender Besicherung als steuerrechtliches Fremdkapital Anerkennung finden und damit zum BA-Abzug für angemessene Zinsen führen, wenn die Beteiligten ernstlich von der

11 Wacker, FR 2019, 449; Pfirrmann, BFH/PR 2019, 202; Märtens, jurisPR-SteuerR 27/2019 Anm. 1; Maetz, IStR 2019, 481. 12 ZB Gosch/Rautenstrauch, GmbHR 2019, R179; Bünning, BB 2019, 1330; Breuninger, GmbHR 2019, 729; Kahlenberg, DB 2019, 1752, Busch, DB 2019, 1236; Frase, BeSt. 2019, 25; Schulz-Trieglaff, IWB 2019, 667; Junkers, ISR 2019, 245; Egert, BB 2019, 2327; Gosch, DStR 2019, 2441. 13 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394 = FR 2019, 526.

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Rückzahlung des Kredits ausgegangen sind und – aus objektiver Sicht – ausgehen konnten.14 f) Fehlt es hieran, ist die Kapitalausreichung als Einlage zu werten. g) Liegt hingegen ein steuerrechtlich anzuerkennendes Darlehensverhältnis vor, stellt sich für den Fall des Darlehensausfalls (Verzicht, Ausbuchung aufgrund Wertminderung) die Frage, ob dieser bilanzielle Verlust im Wege der Hinzurechnung bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nach § 1 AStG zu korrigieren ist. Dies wiederum hängt davon ab, ob die Nichtbesicherung fremdüblich war. h) Hierauf haben sich im Kern auch alle bisher vom I. Senat verhandelten Folgeverfahren konzentriert. Bereits aus der Leitentscheidung war insoweit (vgl. Leitsatz 3: „Die fehlende Darlehensbesicherung gehört grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen ‚Bedingungen‘ i.S. des § 1 Abs. 1 AStG. Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk …“) zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Senat zwar die Besicherung als (selbstverständlichen) Regelfall fremdüblicher Geschäftsbeziehungen ansieht, hiervon jedoch im Einzelfall Ausnahmen wiederum nach Maßgabe dessen anerkennt, was fremde („unabhängige“) Dritte (dh. nicht konzernverbundene Vertragspartner) miteinander vereinbaren würden. Ich darf insoweit aus meiner Besprechung (FR 2019, 449 [453]) zitieren: „Hiervon unberührt bleibt selbstverständlich, dass unter besonderen Umständen (zB Gewährung kleinerer und kurzfristiger Darlehen an Unternehmen mit zweifelsfreier Bonität) auch Fremde – dh. innerhalb der Grenzen banküblichen Verhaltens – auf eine Besicherung ihrer Ansprüche verzichten und deshalb bei Vorliegen dieser Voraussetzungen auch konzerninterne Darlehen als fremdüblich anzuerkennen sein können. Ähnliches mag – wiederum grundsätzlich – für Abreden gelten, die ein erhöhtes Kreditrisiko durch Zinsaufschläge abfangen. Allerdings setzt auch hier der Maßstab des Marktüblichen, dh. die Risikokompensationen durch Zinsaufschläge im Rahmen des Banküblichen, und dessen Würdigung im Einzelfall die Grenze für die Qualifikation als fremdübliche Abrede. Zu denken ist des Weiteren an Lieferungen und Leistungen zwischen Konzernunternehmen. Auch hier ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, ob und gegebenenfalls bis zu welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt Außenstände aus solchen Vertragsverhältnissen zwischen Fremden unbesichert geblieben wären“.

i) Auch die bisher veröffentlichten Folgeentscheidungen bestätigen diese Linie.

14 Vgl. zum Darlehen der Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter FG Münster v. 15.5.2019 – 13 K 2556/15 K,G, EFG 2019, 1553 = GmbHR 2019, 1306, rkr.

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(1) BFH v. 27.2.2019 – I R 81/1715 (Darlehen [0,419 Mio. t] und Bürgschaft [0,8 Mio. t] an österreichische Tochter-Kapitalgesellschaft, an der die Klägerin – inländische GmbH – zu 50 % beteiligt war): Leitsatz: „1. Die nicht ausreichende Besicherung eines Darlehens oder eines Regressanspruchs aus der Inanspruchnahme einer Bürgschaft gehören grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen ‚Bedingungen‘ i.S. des § 1 Abs. 1 AStG. Gleiches gilt für Art. 9 Abs. 1 OECD-MustAbk (hier: Art. 9 Abs. 1 DBA-Österreich 2000).“ Aus den Gründen: „13 b) Zu der Frage, ob die Besicherung der Rückzahlungsforderungen aus den Darlehen mit den sicherungsübereigneten Maschinen und die fehlende Besicherung der Bürgen-Regressforderung – auch unter Berücksichtigung des österreichischen Rechts – dem entsprechen, was ein fremder, nicht durch ein Gesellschaftsverhältnis mit der A GmbH verbundener Darlehensgeber bzw. Bürge (ex ante) vereinbart hätte, hat das FG keine Feststellungen getroffen … 21 Das angefochtene Urteil beruht auf einer anderen rechtlichen Beurteilung. Es ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, um diesem die Nachholung der erforderlichen Feststellungen zum Fremdvergleich zu ermöglichen“. (2) BFH v. 27.2.2019 – I R 51/1716 (KG = Klägerin verzichtete auf einen Teil der Forderungen aus Lieferbeziehungen [insgesamt rund 2,56 Mio. t] mit ihrer chinesischen Tochter-Kapitalgesellschaft; im Übrigen wurden diese ausgebucht). Leitsatz: „1. Die fehlende Besicherung einer Forderung aus Lieferbeziehungen gehört grundsätzlich zu den nicht fremdüblichen ‚Bedingungen‘ i.S. des § 1 Abs. 1 AStG …“. Aus den Gründen: „13 a) Die Lieferbeziehung zwischen der Klägerin und der A Ltd. ist eine solche Geschäftsbeziehung, zu deren Bedingungen die Nichtbesicherung der Ansprüche gehört (noch offen gelassen im Senatsurteil vom 17. De15 BFH v. 27.2.2019 – I R 81/17, BFHE 264, 297. 16 BFH v. 27.2.2019 – I R 51/17, BFHE 264, 292 = GmbHR 2019, 1200.

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zember 2014 – I R 23/13, BFHE 248, 170, BStBl II 2016, 261, Rz 15). Der Begriff der Bedingung ist zwar gesetzlich nicht definiert, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr sind hierzu jedoch bei Lieferbeziehungen üblicherweise auch Vereinbarungen über ggf. zu stellende Sicherheiten zu rechnen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in dem Senatsurteil zum Parallelverfahren (vom 27. Februar 2019 – I R 73/16, BFHE 263, 525, BStBl II 2019, 394, Rz 21) Bezug genommen. 14 b) Zu der Frage, ob die fehlende Besicherung der Zahlungsforderungen aus den Lieferverhältnissen dem entspricht, was ein fremder, nicht durch ein Gesellschaftsverhältnis mit der Abnehmerin verbundener Lieferant (ex ante) im konkreten Lieferverhältnis (Kaufpreis von … t, keine Verzinsung) mit der A Ltd. vereinbart hätte, hat das FG keine Feststellungen getroffen. Auch ist dem angefochtenen Urteil nichts dazu zu entnehmen, ob und wann ein fremder Dritter ggf. (zumindest) zu einem späteren Zeitpunkt (nach der Lieferung) auf einer werthaltigen Besicherung der Ausstände bestanden hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Mai 2018 – I B 114/17, BFH/NV 2018, 1092, zu ‚stehengelassenen‘ Forderungen aus Lieferungen und Leistungen)“. j) Die Quintessenz des Vorstehenden ist denkbar einfach. Im Einklang mit der Einsicht, dass die Wahrheit immer konkret ist (Lenin), hilft es nicht, allgemein Beispiele zu benennen, bei denen unbesicherte Darlehen gewährt wurden oder werden. Erkennbar nicht ausreichend ist ferner der Hinweis auf die Konzernüblichkeit der Einräumung unbesicherter Darlehen. Maßgeblich ist vielmehr der konkrete Einzelfall und damit, ob und in welchem Umfang ein fremder („unabhängiger“) Dritter für das konkrete Darlehen (Höhe, Zeitpunkt etc.) mit Rücksicht auf den konkreten Darlehensnehmer, dessen Bonität, dessen Vermögenssituation und Ertragsaussichten (usw.) von einer Besicherung abgesehen hätte. Übertragen auf das Urteil I R 81/17 heißt dies zB, dass in den Fremdvergleich sicherlich auch die Umstände einzustellen sind, die die österreichische Sparkasse dazu veranlasst haben, auf einer Absicherung ihres Kredits durch eine werthaltige Bankbürgschaft der Obergesellschaft (= Klägerin) zu bestehen. k) Demgemäß geht auch der Hinweis von Schumann17 auf die Nichtbesicherung von Schuldscheindarlehen fehl. Er lässt schlüssige Erwägunge dazu vermissen, weshalb Darlehen dieser Art, die typischerweise von Banken, Versicherungen und institutionellen Anlegern in einer Größen17 Schumann, FR 2019, 848.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

ordnung von mindestens 10 Mio. t gewährt werden, einer Fremdvergleichsbetrachtung für Konzerndarlehen an nachgeordnete Tochtergesellschaften, die sich entweder in der Krise und/oder einer Phase der Umstrukturierung oder Marktbehauptung befinden, zugrunde gelegt werden können. Hinzu kommt, dass auch solche Großkredite nur nach Maßgabe der „Bonität des Darlehensnehmers … unbesichert zur Verfügung gestellt werden“ … und es nur bei „ausgezeichneter Bonität durchaus möglich (ist), dass gänzlich auf die Bestellung von Sicherheiten verzichtet wird“18. l) Da sich eine solche Feststellung aber nur auf der Grundlage einer Bonitätsprüfung treffen lässt, stellt sich ertragsteuerrechtlich des Weiteren die Frage, ob der Nachweis der Fremdüblichkeit auf eine fiktive Beurteilung gestützt werden kann („wie hätten sich fremde Dritte verhalten …“) oder ob hierfür – weitergehend – zu fordern ist, dass die Beteiligten selbst, zB bei Hingabe des Kredits, hierüber konkrete Erwägungen angestellt und – hierauf gestützt – von einer Besicherung abgesehen haben. In den mündlichen Verhandlungen vor dem I. Senat blieben Nachfragen dieser Art unbeantwortet. Im Schrifttum wird empfohlen, die Einschätzung der Beteiligten über die wirtschaftliche Lage des Darlehensnehmers zu dokumentieren. Dem wird man aus Gründen der Vorsorge nur beipflichten können. m) Auch zum Urteil Hornbach-Baumarkt darf ich zunächst auf meine Erläuterungen19 verweisen. Soweit gegen die Abwägung territoriale Zuordnung der Besteuerrechts nach Maßgabe des Fremdvergleichs versus wirtschaftlich Gründe des Gesellschafters/Darlehensnehmers für Abkehr vom Fremdüblichen eingewandt wird, sie erzeuge rechtliche Unsicherheit, ist darauf hinzuweisen, dass diese auf die Rspr. des EuGH zurückgeht und richtigerweise keine Notwendigkeit bestanden hätte, die Rechtfertigung der sachgerechten Aufteilung der Besteuerungsrechte durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu relativieren. Hinzu weisen ist ferner darauf, dass mit der Veröffentlichung des Urteils I R 73/16 im BStBl (Teil II) die Verwaltung der EU-rechtlichen Würdigung des BFH zustimmt mit der Folge, dass jedenfalls bei Kapitalverlusten (Substanzverlusten) die wirtschaftlichen Gesellschafterinteressen hinter der Wah18 Woesch/Dietrich, Mustervertrag für Schuldscheindarlehen nach LMA (Loan Market Association)- Standard, BKR 2019, 399. Zu den aufsichtsrechtlichen Vorgaben für Versicherungsunternehmen als typische Investorengruppe s. Staudinger/Freitag, BGB, Neubearbeitung 2015, § 488 Rz. 556 mwN: unbesicherte Schuldscheindarlehen nur bei Unternehmen der „ersten Adresse“. 19 Wacker, FR 2019, 449 (455).

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rung des Fremdvergleichsgrundsatzes zurücktreten und sie damit – auf solche Konstellation – auch die Grundsätze des BMF-Schreibens vom 6.12.201820, BStBl I 2018, 1305 nicht (mehr) anwendet. Nicht entschieden hiermit dürfte aber die Handhabung bei der Korrektur nicht fremdüblicher Nutzungsvergütungen (z.B. unentgeltlicher Patronatserklärungen) sein.

20 BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09 – DOK 2018/0985275, BStBl. I 2018, 1305 = FR 2019, 44.

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Aktuelle Entwicklungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung: Status des Gesetzgebungsverfahrens Dr. Wendelin Staats, LL.M. Ministerialrat, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Achim Dannecker Rechtsanwalt/Steuerberater, Stuttgart I. Einführung 1. Derzeitige Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung 2. Reformbedarf 3. Vorgaben der ATAD I 4. Allgemeine Vorgaben der ATAD I 5. Derzeitiger Stand des Gesetzgebungsverfahrens II. Kurzer Abriss denkbarer Neuregelungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung

1. 2. 3. 4. 5.

Vorbemerkung Beherrschung Niedrigsteuergrenze Aktivkatalog Fallbeispiele zu Dividenden a) Ausgangspunkte b) Streubesitzdividende c) Besteuerung von verdeckten Gewinnausschüttungen d) Fallbeispiel zur Umwandlung 6. Fazit

I. Einführung

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Staats/Dannecker, Aktuelle Entwicklungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung

1. Derzeitige Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung 1972 hat der deutsche Gesetzgeber im Außensteuergesetz erstmals eine Hinzurechnungsbesteuerung eingeführt,1 die vor allem die als missbräuchlich eingestufte Thesaurierung niedrig besteuerter Gewinne im Ausland verhindern sollte.2 Notwendig war eine inländische Beteiligung an den ausländischen Gesellschaften von . 50 %, passive Einkünfte, wobei die Passivität bei nicht explizit im „Aktivkatalog“ genannten Einkünften angenommen wurde, sowie eine niedrige Besteuerung von unter 25 %. Rechtsfolge war die Hinzurechnung passiver Einkünfte, so dass die Stundung der deutschen Steuer bis zur Ausschüttung nicht mehr verhindert werden konnte. Der Hinzurechnungsbetrag unterlag der Einkommensteuer (bzw. Körperschaftsteuer) sowie der Gewerbesteuer. Die späteren Ausschüttungen waren dann grundsätzlich steuerfrei. Seit dem Systemwechsel hin zum Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren in den Jahren 2000/ 2001 dient die Hinzurechnungsbesteuerung auch der Herstellung einer angemessenen Vorbelastung.3

2. Reformbedarf Infolge der OECD-Initiative zur Verlagerung von Steuersubstrat und Gewinnen ins niedrig besteuerte Ausland4 hat der Europäische Rat die sogenannte ATAD I-Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016 erlassen.5 Die in Deutschland bislang schon vorgesehene Hinzurechnungsbesteuerung

1 Art. 1 des Gesetzes zur Wahrung der steuerlichen Gleichmäßigkeit bei Auslandsbeziehungen und zur Verbesserung der steuerlichen Wettbewerbslage bei Auslandsinvestitionen v. 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713. 2 Gesetzentwurf v. 2.12.1971, BT-Drucks. 6/2883, 1 und 19. 3 Beschlussempfehlung und Bericht des FinAussch. v. 16.5.2000, BT-Drucks. 14/3366, 127; krit. hierzu Vogt in Blümich, EStG/KStG/GewStG, Vorb. zu §§ 7–14 AStG Rz. 5–5b (Mai 2016). 4 Sogenannte BEPS-Initiative (Base Erosion and Profit Shifting), dort Aktionspapier 3 „Erarbeitung von Standards für die Hinzurechnungsbesteuerung“; vgl. auch OECD-Bericht, Action 3: Designing Effective Controlled Foreign Company Rules (2015). 5 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, sogenannte Anti Tax Avoidance Directive, auch ATAD I genannt, ABl. EU 2016, L 193/1.

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Staats/Dannecker, Aktuelle Entwicklungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung

entspricht in wesentlichen Teilen den Vorgaben der ATAD I.6 Gleichwohl hat die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative zur Reform7 der derzeitigen Hinzurechnungsbesteuerung angekündigt.8 Es geht im Wesentlichen um zwei Aspekte: a) In einigen Punkten sollen die derzeitigen anderen Mindeststandards der ATAD I (die zum 31.12.2018 umzusetzen gewesen wäre) in deutsches Recht überführt werden. b) Bei der Hinzurechnungsbesteuerung hat die Koalition aus CDU/CSU und SPD eine allgemeine, über die bloße ATAD-Umsetzung hinausgehende Reformbedürftigkeit festgestellt. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Wir werden unsere Verpflichtungen aus der EU-Anti-Steuervermeidungsrichtlinie im Interesse des Standorts Deutschland umsetzen, die Hinzurechnungsbesteuerung zeitgemäß ausgestalten …“9

3. Vorgaben der ATAD I Die vor allem in den Art. 7 und 8 der ATAD I festgelegten Vorgaben werden im Wesentlichen von der derzeit in Deutschland geltenden und in den §§ 7 ff. AStG kodifizierten Hinzurechnungsbesteuerung abgedeckt.10 In einigen Punkten gehen die deutschen Regelungen sogar deutlich über die ATAD I-Vorgaben hinaus, so bei der Erfassung auch im Inland ansässiger natürlicher Personen als Hinzurechnungssubjekte,11 der Erfassung auch kleinster Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften, die fast ausschließlich Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter generie6 Haase, IStR 2019, 761 (768); Hey in Haase (Hrsg.), ifst-Schrift 521 (2017), Vorwort; Staats in Lüdicke/Frotscher/Hummel, Steuerliche Entwicklungen im Kontext der Globalisierung, 2020, 61 (62). 7 Zum Reformbedarf s. Blumenberg/van Lishaut, StbJb. 2018/2019, 509 ff. 8 Umfassende Reform der Hinzurechnungsbesteuerung lt. BMWi, Jahreswirtschaftsbericht 2019 (Jan. 2019), 23; die Antwort auf Frage Nr. 14: „Plant die Bundesregierung Änderungen am Außensteuergesetz, und wenn ja, an welchen konkreten Stellen (zB Hinzurechnungsbesteuerung), und mit welchem Ziel?“ lautet: „Die Willensbildung der Bundesregierung hierzu ist noch nicht vollständig abgeschlossen“, vgl. BT-Drucks. 19/11295, 4. 9 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12.3.2018, 19. Legislaturperiode, S. 69. 10 Kraft in Kofler/Schnitger: BEPS-Handbuch, 2019, 253 Rz. 35; Fehling, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 17.105; Haase, IStR 2019, 761 (768). 11 § 7 Abs. 6, 6a AStG.

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ren, und bei der Beherrschung.12 Auch liegt der derzeitige Mindeststeuersatz von 25 % signifikant über den Vorgaben,13 die die Hälfte des Körperschaftsteuersatzes vorsehen; das wären in Deutschland 7,5 %.14 Probleme ergeben sich allerdings dadurch, dass die ATAD I offensichtlich von einem Körperschaftsteueranrechnungsverfahren ausgeht und deshalb Dividenden als passiv qualifizieren und einbeziehen will, während die derzeitige deutsche Regelung Dividenden als aktiv behandelt, weil sie nach dem Teileinkünfteverfahren freigestellt sind.15 Lediglich die den Dividenden zugrunde liegenden Einkünfte werden der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen.

4. Allgemeine Vorgaben der ATAD I Seit der Verabschiedung der ATAD I 2016 wird in der Literatur kontrovers diskutiert, wie konkret eine Reform auszugestalten ist, deren Maßstab die Art. 7 und 8 der ATAD I sind.16 Betrachtet man den allgemeinen Rahmen der Richtlinie, zeigt sich der freiheitliche Geist des europäischen Binnenmarkts und die relative Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien. So heißt es in Ziff. (3) der allgemeinen Erwägungen zu Beginn der ATAD I-Richtlinie: „… (Die) Umsetzung sollte den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, da diese am besten in der Lage sind, den verschiedenen Elementen der Vorschriften eine ihren Steuersystemen angemessene Form zu geben.“

Sodann ist in Ziff. (5) der sehr wichtige Grundsatz der Einmalbesteuerung vorgesehen: „Die Vorschriften sollen somit nicht nur Steuervermeidungspraktiken unterbinden, sondern auch verhindern, dass Markthemmnisse wie Doppelbesteuerung entstehen.“

Dieser wird bei der Diskussion der konkreten Ausgestaltung noch Beachtung finden müssen. Derzeit ist die Diskussion eher auf die Schließung von Besteuerungslücken als auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung

12 Vgl. zur Beherrschung zB Jacobsen, IStR 2018, 433 (442); Kraft in Kofler/ Schnitger: BEPS-Handbuch, 2019, 253 Rz. 35 ff. 13 Kraft in Kofler/Schnitger: BEPS-Handbuch, 2019, 255 Rz. 44–45. 14 S. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a und b ATAD. 15 § 8b KStG führt bei Körperschaften als Dividendenempfänger zur vollständigen Freistellung, § 3 Nr. 40 EStG bei natürlichen Personen zur teilweisen. 16 S. ua. Kraft, IWB 2019, 104; Haase, DStR 2019, 827; Engelke/Hoffmann, BB 2019, 1564.

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gerichtet. Letztere ist aber für einen Markt mindestens genauso relevant. Sodann heißt es in Ziff. (11): „Innerhalb der Union sollten die allgemeinen Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch auf unangemessene Gestaltungen angewendet werden; andernfalls sollte der Steuerpflichtige das Recht haben, die steuereffizienteste Struktur für seine geschäftlichen Angelegenheiten zu wählen.“

Diese Aussage spiegelt zum einen das wider, was das BVerfG zur wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Bürger schon immer sagt: Jeder darf seine Angelegenheiten auch mit der Maßgabe einer steuereffizienten Struktur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ordnen.17 Lediglich künstliche Gestaltungen, die sich nur aus der Steuerersparnis erklären und rechtfertigen lassen, sollen durch Missbrauchsüberlegungen getroffen werden.18 Für die Annahme von Missbrauch genügt mithin nicht schon, dass nur eines von mehreren Motiven für die Wahl einer Gestaltung die Steuervermeidung ist.19 Vielmehr geht es darum, dass eine Struktur insgesamt und in der Gesamtabwägung praktisch ausschließlich20 der Steuerersparnis dient.21 Zum anderen stellen die konkreten Regelungen keine reinen Missbrauchsvorschriften dar, sieht man einmal von Art. 6 der ATAD I, der eine Harmonisierung der allgemeinen Missbrauchsbekämpfungsvorschriften vorsieht, ab. Bei Art. 7 und 8 ATAD I findet sich in EU-Sachverhalten durch den Motivtest noch am ehesten ein Missbrauchselement. Insgesamt fokussiert sich die ATAD aber auf die Bekämpfung von Gewinnverlagerungen, die nicht zwingend im missbräuchlichen Kontext stehen müssen.

17 BVerfG v. 14.4.1959 – 1 BvL 23/57, BVerfGE 9, 237 (juris-Rz. 46); zuletzt ausdrücklich bestätigt durch BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 = FR 2015, 160 Rz. 254. 18 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht23, 242 Rz. 127 (mwN und Beisp. aus der BFH-Rspr.) und 193 Rz. 99 (mwN und Beisp. aus der EuGH-Rspr.); s. auch BFH v. 23.7.2019 – XI B 29/19, BFH/NV 2019, 1363; AEAO zu § 42 Nr. 2.2. 19 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 42 AO Rz. 25 (Stand Juli 2016); BFH v. 27.10.2005 – IX R 76/03, BStBl. II 2006, 359 = FR 2006, 337 Rz. 15 mwN. 20 Die Angemessenheit einer Gestaltung wird von der FinVerw. insbes. dann geprüft, wenn diese ohne die beabsichtigten steuerlichen Effekte als unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint, AEAO zu § 42 Nr. 2.2 Satz 3. 21 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, BStBl. II 2019, 723 = FR 2015, 457 Rz. 21; v. 18.7.2001 – I R 48/97, BFHE 196, 128 = FR 2001, 1220 Rz. 14 mwN.

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Wichtig ist weiterhin, dass der ATAD I-Richtliniengeber in Ziff. (12) der Vorbemerkungen die Möglichkeit vorsieht, aus pragmatischen Gründen bestimmte Tatbestände von der Hinzurechnungsbesteuerung auszunehmen: „Um den Verwaltungsaufwand und die Befolgungskosten zu verringern, sollte es zudem zulässig sein, dass diese Mitgliedstaaten bestimmte Unternehmen mit niedrigen Gewinnen oder einer niedrigen Gewinnspanne, bei denen ein geringes Risiko der Steuervermeidung besteht, von diesen Vorschriften ausnehmen.“

Konkret finden sich derartige Ausnahmen in Art. 7 und 8 aber nur vereinzelt, etwa in Art. 7 Abs. 3 und Abs. 4 ATAD I. Schließlich hat der Richtliniengeber in der gleichen Ziff. (12) auch die weltweite Situation im Blick, wenn er sagt: „Es ist wünschenswert, sowohl Situationen in Drittländern als auch in der Union in Betracht zu ziehen.“

5. Derzeitiger Stand des Gesetzgebungsverfahrens Obwohl schon seit 2018 immer wieder angekündigt, gibt es derzeit keinen veröffentlichten Entwurf zur Reform der Hinzurechnungsbesteuerung oder gar ein Gesetzgebungsverfahren.22 Es bleibt jedoch nach wie vor die Veröffentlichung eines Regierungsentwurfs abzuwarten. Dies ist auf der Zeitschiene dringend geboten, wenn von einem Reformbedarf der derzeitigen Regelungen der ATAD I ausgegangen wird. Da die Gesetzgebung in 2019 nicht mehr abgeschlossen werden konnte, ist damit zu rechnen, dass die Neuregelung nicht, wie bislang diskutiert, bereits für das Jahr 2019 anzuwenden ist, sondern zu einem späteren Zeitpunkt.23

22 Vgl. BReg. v. 28.6.2019, BT-Drucks. 19/11295, 4. Allerdings gibt es seit dem 10.12.2019 den Referentenentwurf des BMF, abrufbar unter: https://www.bun desfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorha ben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/ ATADUmsG/0-Gesetz.html [5.3.2020]. Dieser war nicht Gegenstand der Erörterung auf dem Fachkongress und wird deswegen nicht im Rahmen dieser den Kongress dokumentierenden Publikation berücksichtigt. Zu dem Gesetzentwurf vgl. Böhmer/Oppel, IWB 2020, 5; Jacobsen, DStZ 2020, 201. 23 Zum Referentenentwurf eines ATAD-UmsG zB Kraft, FR 2020, 105 ff.

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II. Kurzer Abriss denkbarer Neuregelungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung 1. Vorbemerkung Wir wollen diesen Abschnitt knapp halten, da derzeit24 zum einen noch keine gesetzgeberischen Formulierungen feststehen, die konkret kommuniziert werden könnten, sondern nur allgemein Bezug genommen werden kann auf die Vorgaben der ATAD I und zum anderen schon sehr viele Veröffentlichungen und Vorschläge zum Thema existieren.25

2. Beherrschung Bislang sieht § 7 Abs. 2 AStG vor, dass lediglich bei einer Beteiligung unbeschränkt Stpfl. von mehr als der Hälfte26 an ausländischen Gesellschaften eine Hinzurechnung der Einkünfte bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen vorgenommen wird. Eine Kontrolle des einzelnen Beteiligten ist demnach nicht erforderlich.27 Es kann zu Zufallsergebnissen kommen.28 Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD I sieht vor, dass Inländer bei einer Beteiligung von mehr als 50 % von Stimmrechten, Kapitalanteiloder Unternehmensgewinnen an ausländischen Gesellschaften der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Dabei werden die Beteiligungen verbundener Unternehmen zusammengerechnet, mittelbare Beteiligungen werden durchgerechnet (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD I). Folgendes Beispiel mag dies veranschaulichen:

24 Der Vortrag wurde am 30.10.2019 gehalten. 25 Siehe ua. Kraft, IWB 2019, 104; Haase, DStR 2019, 827 (835); Schönfeld, IStR 2019, 397 (400 f.); Schumann/Jahn, IWB 2019, 410 (416); Rödder, Die neue Hinzurechnungsbesteuerung, in Arbeitsbuch der 70. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung v. 27.5.2019, der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht eV 2019, 55 f. 26 Sonderregelung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter (§ 7 Abs. 6, 6a AStG). 27 Kramer in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 7 AStG Rz. 27 (Stand Juni 2019). 28 Vgl. Kraft/Quilitzsch, EWS 2012, 130 (135).

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Die Beherrschung von B bis zu 100 % ergibt sich daraus, dass auch A und B verbundene Unternehmen sind. Selbst bei Ansässigkeit von A im Ausland würde B als zu 100 % beherrschtes Unternehmen verstanden. Deshalb ist es möglich, dass über die Hinzurechnung von Anteilen verbundener Unternehmen eine Hinzurechnungsbesteuerung auch dann eingreift, wenn von deutschen Anteilsinhabern unmittelbar oder mittelbar weniger als 50 % der Anteile gehalten werden. Im Beispiel ergibt sich eine Hinzurechnung von Gewinnen (bei unterstellten passiven, niedrig besteuerten Einkünften) von insgesamt 100 %. Sofern Kapitalanteile, Stimmrechte und Gewinnbezugsrechte unterschiedlich verteilt sind, können sich rein theoretisch Hinzurechnungsquoten ergeben, die auch darüber liegen. Beispiel: Hält A 60 % der Anteile und B 40 % der Anteile an einer niedrig besteuerten Zwischengesellschaft im Ausland und stehen B aber 60 % der Stimmrechte zu, könnte es zu einer Hinzurechnung von jeweils 60 % kommen. Das wäre dann eine Hinzurechnung von 120 % der Einkünfte. Dies bezweckt und verlangt die ATAD I uE aber nicht. Maßgeblich für die Hinzurechnung dürfte in diesem Fall die Beteiligung am Gewinn sein.

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3. Niedrigsteuergrenze Die im Koalitionsvertrag ausgesprochene Verpflichtung zur „zeitgemäßen“29 Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung enthält keine eindeutigen Vorgaben. Vergleicht man die Niedrigsteuergrenzen in der EU, liegt Deutschland mit den derzeit geltenden 25 % an der Spitze.

Niedrigsteuergrenzen im Vergleich

Daneben kann in den letzten Jahren weltweit eine weitere Absenkung der Steuersätze auf Unternehmensgewinne beobachtet werden. Besonders wichtig ist dabei die Absenkung des föderalen Steuersatzes in den USA auf 21 %. Zwar kommt in den meisten Staaten eine Steuer auf Staatenebene hinzu, so dass zB der Steuersatz in Kalifornien insgesamt 28 % beträgt. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich Deutschland nach der deutlichen Absenkung des Körperschaftsteuersatzes von 25 % auf 15 % im Jahr 2008 vom Mittelfeld wieder in Richtung eines Hoch29 Wortlaut: „… faire steuerliche Wettbewerbsbedingungen für grenzüberschreitende unternehmerische Tätigkeit“ und „… Hinzurechnungsbesteuerung zeitgemäß ausgestalten …“, vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12.3.2018, S. 69.

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steuerlands bewegt. Bei einer Grenze von 15 %, die etwa vom BDI gefordert wird,30 würden sehr viele Länder aus der Hinzurechnungsbesteuerung herausfallen, ua. sehr wichtige Handelspartner wie USA, Niederlande oder UK/Vereinigtes Königreich,31 die sicher nicht im Fokus der ursprünglichen Konzeption der Hinzurechnungsbesteuerung standen.32 Rein technisch würde eine Absenkung auf 15 % insbes. das Problem von Anrechnungsüberhängen lösen. Auch die regelmäßige Asymmetrie zwischen Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags einerseits und die Nichtanrechnung der ausländischen Steuer auf die Gewerbesteuer andererseits wäre beseitigt (§ 12 Abs. 1 iVm. § 10 Abs. 1 AStG, § 7 Satz 7 GewStG).33 Daneben würde eine Absenkung der Niedrigsteuergrenze den administrativen Aufwand für alle Beteiligten senken. Gegen eine Absenkung sprechen naturgemäß die damit verbundene schwächere Wirkung der Hinzurechnungsbesteuerung und die drohenden Gewinnverlagerungen auch in Länder, bei denen das bislang nicht möglich ist. Letztlich ist die Absenkung eine politische Entscheidung.

4. Aktivkatalog Über die Ausgestaltung dessen, was als passive Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegt, wurde in den vergangenen Jahren bereits

30 BDI, Steuerpolitische Prioritäten 2018–2021, 11. 31 Statistisches Bundesamt: Außenhandel – Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland 2018, Export: USA (1), Niederlande (4), Vereinigtes Königreich (5); Import: Niederlande (2), USA (4), Vereinigtes Königreich (11), 1.11.2019, unter: https://www.destatis.de/DE/The men/Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.html. 32 Neben der Herstellung von gerechter Steuerlastenverteilung und der Wettbewerbsneutralität des deutschen Besteuerungsregimes im internationalen Kontext wollte der Gesetzgeber mit dem AStG und dessen Anwendung berücksichtigt wissen, dass „die dt. Wirtschaft […] im internationalen Wettbewerb nur bestehen [kann], wenn sie ihre Leistungsfähigkeit ungehindert zur Entfaltung“ bringt und beabsichtigte daher „den Weg ins Ausland stl. nicht zu erschweren“ (RegE v. 2.12.1971, BT-Drucks. 6/2883, 15); vertiefend hierzu Pohl in Blümich, EStG/KStG/GewStG, Vor § 1 AStG Rz. 2 ff. (Stand Mai 2019). 33 In diesen Fällen ggf. Kürzung durch § 9 Nr. 3 Satz 1 (evtl. auch Nr. 7 und 8) GewStG; im Detail sehr strittig, vgl. ua. mwN Vogt in Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 10 AStG Rz. 60 ff.; Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 91 ff. (Stand Aug. 2018); Roser in Lenski/Steinberg, GewStG, § 7 Rz. 412 ff. (Juni 2018).

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heftig diskutiert.34 Ziel einer Reform der Hinzurechnungsbesteuerung sollte immer eine zeitgemäße Ausgestaltung sein.35 Wir wollen uns in diesem Artikel auf wenige Anmerkungen zum aktuellen Diskussionsstand beschränken: a) Den Vorgaben der ATAD, die einen Passivkatalog vorsieht, würde man auch gerecht, wenn das derzeitige Konzept des AStG beibehalten wird, wonach alle ausländischen niedrig besteuerten Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung als passive Einkünfte unterliegen, die nicht ausdrücklich im Aktivkatalog des § 8 Abs. 1 AStG genannt werden. In der Theorie führt zwar die Umwandlung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei einer stringenten Ausgestaltung zu keiner materiellen Änderung. Eine Änderung der „Beweislast“ ist aber dennoch damit verbunden und im Zweifel führt die Änderung zu passiven Einkünften. b) Nach der ATAD könnte eine allgemeine Missbrauchsklausel als Grundlage der Hinzurechnungsbesteuerung dienen (s. Art. 7 Abs. 2 Buchst. b ATAD). Da aber die erste Variante der ATAD just dem bisherigen deutschen Verständnis entspricht, dürfte die Reform einen solchen Systemwechsel eher nicht vollziehen. c) Der Katalog in § 8 Abs. 1 AStG könnte „entschlackt“ werden. Eine Einschränkung des Aktivkatalogs hat allerdings tendenziell eine Ausweitung dessen zur Folge, was unter den Passivkatalog fällt, soweit der Aktivkatalog und Gegenausnahmen der Einschränkungen des Aktivkatalogs wegfallen. Hier liegt also eine weitere, steuerpolitische Wirkung der Beibehaltung des Aktivkatalogs. Lediglich bei einer Beschränkung der Einschränkungen des Aktivkatalogs wirkt sich dieses Vorgehen aus Sicht der betroffenen Unternehmen positiv aus. Letztlich wird aber das komplizierte System beibehalten und dürfte zu einer Ausweitung der Hinzurechnungsbesteuerung führen, da sehr viele Routinetätigkeiten von Landeshandelsgesellschaften und großen Konzernen grundsätzlich in die Passivität fallen. Die EscapeKlausel bzw. der sogenannte Substanztest gewinnen an Bedeutung, so dass es im Ergebnis zentral auf deren Ausgestaltung ankommt. Zudem werden damit Erklärungspflichten (sofern die Niedrigsteuergren34 Rödel in Kraft, AStG2, § 8 Rz. 16; Reiche in Haase, AStG3, § 8 Rz. 5; Lehlfeld in Strunk/Kaminski/Köhler, AStG, § 8 Rz. 8 (Stand Sept. 2016); Wassermeyer/ Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 8 AStG Rz. 11 ff. (Stand Aug. 2014). 35 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 12.3.2018, 69.

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ze eingreift) tendenziell ausgeweitet. Wichtig ist auch in diesem Zusammenhang die Höhe des Hinzurechnungs-Steuersatzes. d) Ein besonderes Problem stellt die Dividendenbesteuerung dar. Dividenden sind laut der ATAD I-Vorgabe passiv.36 Lange war unklar, wie in Deutschland damit umgegangen werden soll. Richtigerweise sollten Dividenden grundsätzlich als aktiv angesehen werden. Dies ist Folge des in Deutschland geltenden Teileinkünftesystems, das den Dividendenbezug bei Körperschaften grundsätzlich von der Steuer freistellt (vgl. § 8b KStG). Strittig dürfte sein, ob dies unter Bezug auf das Teileinkünfteverfahren und die grundsätzliche Freistellung von Dividenden in § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG nur im Grundsatz gelten kann und in Deutschland steuerpflichtige Dividenden auch als passiv der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen müssen oder aber ob es bei diesem allgemeinen Grundsatz und der Aktivität der Dividenden generell bleiben kann. Hier sind sich die Autoren nicht einig. Während Staats für eine Berücksichtigung der Gegenausnahmen plädiert, um die ATAD I systemkonform umzusetzen und Besteuerungslücken zu vermeiden, möchte Dannecker Dividenden stets als aktiv ansehen. Dies wird im Einzelnen bei den Beispielfällen zur Dividendenbesteuerung zu diskutieren sein. e) Escape-Klausel und Substanztest Durch die Entscheidung zu Cadbury-Schweppes des EuGH aus dem Jahr 200637 hat der deutsche Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG die Möglichkeit vorgesehen, dass die der Hinzurechnungsbesteuerung potentiell unterliegenden unbeschränkt Stpfl. nachweisen können, dass die Zwischengesellschaften im Hinblick auf ihre Einkünfte insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat „nachgehen“. Art. 7 Abs. 2 ATAD I greift diesen Gedanken auf und formuliert: „… findet keine Anwendung, wenn das beherrschte und ausländische Unternehmen, gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wie durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen.“

36 Art. 7 Abs. 2 Buchst. a (iii) ATAD I. 37 S. große Kammer des EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), EuGHE 2006, I-7995 FR 2006, 987.

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Seit der Cadbury-Schweppes-Entscheidung hat sich die EuGH-Rspr. weiterentwickelt. So ist erst am 26.2.2019 die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „X“ ergangen.38 In dieser Entscheidung wird die Ausweitung der Escape-Möglichkeit auf Drittstaatengesellschaften thematisiert. Der EuGH geht vor dem Hintergrund des Schutzbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit und deren grundsätzlicher Einschränkung durch die Hinzurechnungsbesteuerung davon aus, dass ein Entlastungsbeweis möglich sein muss, der uU sogar andere Kriterien als den derzeit in § 8 Abs. 2 AStG und in Art 7 Abs. 2 ATAD I vorgesehenen Entlastungsbeweis vorsieht.39 Schließlich gehe es nicht um die Niederlassungsfreiheit, die eine Tätigkeit in einem Staat voraussetze, sondern um die Kapitalverkehrsfreiheit und den Schutz der wirtschaftlich begründeten Entscheidung zum Investment in einem bestimmten Staat in einer bestimmten Form.40 Sollte der deutsche Gesetzgeber das System der Hinzurechnungsbesteuerung umstellen und eine Beherrschung verlangen, dürfte aber allein die Niederlassungsfreiheit einschlägig sein. Einfluss auf die Ausgestaltung des Escape-Tests hat auch das Urteil des BFH v. 13.6.2018,41 in dem der BFH zwei wesentliche Aussagen getroffen hat: Zum einen geht (in Bestätigung der bisherigen Rspr.) eine Gewinnkorrektur aufgrund der nationalen Vorschriften (zB vGA, § 1 AStG) der Durchführung der Hinzurechnungsbesteuerung voraus. Dieser unterliegen also die korrigierten Gewinne. Zum anderen bezieht sich die Frage der Substanz dann lediglich auf die Aktivität und die Einkünfte, die nach der Korrektur zu beurteilen sind. Auch wenn die Entscheidung eine Zeit vor Einführung des § 8 Abs. 2 AStG betraf, geht der BFH wohl davon aus, dass ein Substanztest immer im Hinblick auf die in Rede stehenden, konkreten Einkünfte durchzuführen ist. Hingegen kann dem Cadbury Schweppes-Urteil entnommen werden, dass es auf die Aktivität der Gesellschaft ankommt. Der Missbrauchsvorwurf der dort geforderten rein künstlichen Gestaltung, die allein 38 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X), FR 2019, 313 (auf Vorlage des BFH zu einer 30 %-igen Beteiligung an einer Schweizerischen Zwischengesellschaft, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt hatte). 39 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X), FR 2019, 313 Rz. 85; Schönfeld, IStR 2019, 397 (399). 40 EuGH v. 26.2.2019 – C-135/17 (X), FR 2019, 313 Rz. 83 ff. 41 BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79 = FR 2018, 1092 (sogenanntes Zypern-Urteil).

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zum Eingreifen der Hinzurechnungsbesteuerung führen kann, wird gesellschaftsbezogen verstanden. Als weitere Vorgabe aus der EuGH-Rspr. können die diversen weiteren Urteile v. 26.2.2019 zum allgemeinen Missbrauchsverständnis auf europäischer Ebene herangezogen werden.42 In diesen Urteilen hat der EuGH klargestellt, dass auch im Rahmen der Mutter-TochterRichtlinie und allgemein im europäischen Recht der Missbrauchsgedanke dann anzuwenden ist, wenn die rechtliche Ausgestaltung rein künstlich ist und nicht der wirtschaftlich zugrunde liegenden Struktur entspricht, zB wenn eine Zwischenholding keine wirtschaftliche Substanz, keine Funktion und kein eigenes Interesse an den Einkünften hat, sondern diese Einkünfte lediglich durch sie „durchgeschüttet“ werden.43 Alles das lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Wir können und wollen im Rahmen dieses Aufsatzes die konkreten Anforderungen des Substanztests nicht abschließend diskutieren. Letztlich muss der deutsche Gesetzgeber eine Ausgestaltung finden, die einerseits dem Cadbury Schweppes-Urteil mit seinem Hinweis auf rein künstliche Gestaltungen „gerecht wird“, andererseits dem Rechnung trägt, dass Art. 7 Abs. 2 ATAD I von „wesentlicher wirt42 So genannte Dänemark-Urteile, die im Hinblick auf Dividendenzahlungen dänischer Gesellschaften an europäische Holdings ergingen, die offensichtlich so wenig Substanz hatten, dass ihre Zwischenschaltung zwischen die dänischen Gesellschaften und die eigentlich „wirtschaftlich Berechtigten“ als künstlich aufgefasst wurde, verbundene Rechtssachen EuGH v. 26.2.2019 – C-116, 117/16, IStR 2019, 266; v. 26.2.2019 – C-115, 118, 119 und 299/16, IStR 2019, 308. 43 EuGH v. 26.2.2019 – C-116, 117/16, IStR 2019, 266; v. 26.2.2019 – C-115, 118, 119 und 299/16, IStR 2019, 308.

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schaftlicher“ Tätigkeit und den Parametern Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten spricht. Dannecker ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Escape-Klausel und der Substanztest auf die gesamte jeweilige Gesellschaft und nicht auf einzelne Einkünfte bezogen geprüft werden, so sehe es die ATAD I und die Cadbury Schweppes-Entscheidung vor. Es sei keine segmentierende Betrachtung vorgesehen. f) Nachgeschaltete Gesellschaften Zukünftig findet die Hinzurechnung von ausländischen passiven Einkünften direkt statt; es gibt kein gestuftes System der Zurechnung „durch die Kette“ mehr.

Dies hat vor allem dann Auswirkungen, wenn in der Kette verschiedene passive Einkünfte vorhanden sind und Gewinne und Verluste der einzelnen Zwischengesellschaften zu verrechnen wären. Insgesamt bleibt es aber dabei, dass passive, niedrig besteuerte Einkünfte an der Quelle (also der Gesellschaft, bei der sie entstehen) erfasst werden.

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g) Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften? Abzuwarten ist, ob weiterhin Einkünfte aus Beteiligungen an Kapitalanlagegesellschaften in ähnlicher Weise der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen, wie dies heute durch § 7 Abs. 6, 6a AStG vorgesehen ist. Dies ist allerdings keine ATAD I-Vorgabe, sondern wäre der Wille des deutschen Gesetzgebers. Mit Blick auf das oben zitierte EuGH-Urteil „X“ und insbes. das anschließende Schlussurteil des BFH44 wäre dann aber wohl ein Substanztest auch in Drittlandsfällen vorzusehen. h) Ausnahme für Investmentfonds Nach derzeitigem Recht fallen Einkünfte nicht unter die Hinzurechnungsbesteuerung, wenn die Vorschriften des InvStG in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden sind (§ 7 Abs. 7 AStG). Es wird kontrovers diskutiert, ob es bei dieser Ausnahme bleiben soll.45 Nach der Meinung von Dannecker ist die Beibehaltung der Ausnahme auf jeden Fall notwendig und folgerichtig, da das Investmentsteuerrecht eine Besteuerung der Investoren vorsieht, und zwar trotz des durch die letzte Reform eingeführten Trennungsprinzips46 immer noch im Grunde auch für nicht ausgeschüttete Gewinnanteile. Alles andere würde zu einer Vermischung der unterschiedlichen Besteuerungsregime mit zahlreichen Folgefragen führen. Bei der Investmentbesteuerung handele es sich um ein eigenes System der Hinzurechnung, das alternativ und abschließend neben der Hinzurechnungsbesteuerung steht und mit diesem nicht vermischt werden sollte.47

44 BFH v. 22.5.2019 – I R 11/19, 80/14, BFHE 265, 322 = FR 2020, 30. 45 Vogt in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 AStG Rz. 93 (Stand Nov. 2016); Haug, IStR 2016, 597 (603 ff.). 46 Eingeführt durch Investmentsteuerreformgesetz v. 19.7.2016, BGBl. I 2016, 1730. 47 Vgl. BT-Drucks 18/8739, 117 f.: „Die klare Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Investmentsteuergesetz gegenüber den Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung vereinfacht die Gesetzesanwendung und beseitigt eine Reihe aktueller Zweifelsfragen.“

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5. Fallbeispiele zu Dividenden a) Ausgangspunkte Im Folgenden wird zu thematisieren sein, inwieweit die grundsätzlich weiter als aktiv zu behandelnden Dividenden durch Gegenausnahmen eingeschränkt werden sollen. Im Kern gehen hier die Meinungen der Autoren (wie bereits dargestellt) auseinander. Staats hält die Aktivität der Dividenden unter Geltung der ATAD I-Vorgaben nur dann für rechtfertigbar, wenn die deutschen Gegenausnahmen zur Steuerfreiheit zur Passivität der Dividenden führen. Dannecker lehnt dies ab. Die Aktivität der Dividenden sei bei uns systembedingt, da die Dividenden bei der Körperschaftsteuer dem Grunde nach freigestellt sind. Die Hinzurechnungsbesteuerung drehe sich im Kern um die Herstellung der richtigen Vorbelastung bei den eigentlichen Einkünften, was im sonstigen Passivkatalog geregelt wird. Werde dies durchgeführt, erübrige sich eine Erfassung der Dividenden. Insbesondere die Besteuerung im Ausland erzielter Streubesitzdividenden und sonstiger steuerpflichtiger Dividenden nach § 8b Abs. 7 und 8 KStG sei durch die ATAD I nicht geboten. Die zugrunde liegenden Einkünfte, um die es der Hinzurechnungsbesteuerung primär geht, würden ja erfasst, sofern sie passiv und niedrig besteuert sind. Eine nochmalige Erfassung sei nicht notwendig und solle sich nach den Regeln des jeweiligen nationalen Steuerrechts richten. Eine Erfassung in Deutschland im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung mache systematisch wenig Sinn. Bei vGA (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG sieht eine volle Steuerpflicht vor) gelte dies auch. b) Streubesitzdividende Das folgende Fallbeispiel zeigt, dass durch die Zwischenschaltung einer ausländischen Zwischenholding, die Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften von unter 10 % hält, die Steuerpflicht der Dividenden vermieden werden kann, die ansonsten bei einem Halten der Beteiligung durch einen deutschen Anteilseigner anfiele.

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Laut Staats könnte es rein theoretisch denkbar sein, bei Ausschüttungen der Ltd. an die ZG wegen der Qualifikation der Ausschüttungen als steuerpflichtige Streubesitzdividende (§ 8b Abs. 4 KStG) von passiven Einkünften auszugehen. Laut Dannecker ist dies nicht der Fall. Die Besteuerung von Streubesitzdividenden sei lediglich aus EU-Gründen für in Deutschland ansässige, die Dividenden empfangende Körperschaften eingeführt worden, um eine Symmetrie der Besteuerung von inländischen (Mutter-) Kapitalgesellschaften zu im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaften herzustellen. Dividenden an die ausländischen Mütter hätten schon immer und unterliegen weiterhin der Kapitalertragsteuer, ohne dass die Mutter-Tochter-Richtlinie eingreift. Der Gesetzgeber habe aus fiskalischen Gründen zur Erfüllung der EU-Vorgaben die Steuerpflicht von inländischen Streubesitzbeteiligungen eingeführt und nicht die Kapi482

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talertragsteuer auf Streubesitzdividenden an im EU-Ausland ansässigen Körperschaften abgeschafft. Das hätte er genauso gut gekonnt. Deshalb sei es nicht geboten, in anderen EU-Ländern zufließende Streubesitzeinkünfte der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen. c) Besteuerung von verdeckten Gewinnausschüttungen Das folgende Fallbeispiel zeigt, dass ein zinsloses Darlehen der Enkelgesellschaft an die Tochtergesellschaft aus dem deutschen Blickwinkel eine vGA darstellt.

Laut Staats könnte es hier zu einer dreifachen Besteuerung kommen: Zunächst wären in Anlehnung an die Zypern-Entscheidung des BFH48 bei der Enkelgesellschaft Einkünfte nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf 100,00 t zu korrigieren. Zinsen sind passive Einkünfte, die bei der Muttergesellschaft der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Sodann wäre eine vGA bei der Tochter als passiv nach § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG (Steuerpflicht bei einer Inlandsgesellschaft) zu erfassen. Schließlich wäre zu berücksichtigen, dass die Tochtergesellschaft ggf. keinen Abzug der Zinsaufwendungen hat und dementsprechend bei passiven Einkünften einer entsprechend höheren Hinzurechnung unterliegt. Ein solches Ergebnis sei steuersystematisch sicher nicht richtig. Um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, müsste hierfür eine entsprechende Rechtstechnik gefunden werden. 48 BFH v. 13.6.2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79 = FR 2018, 1092.

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Auch laut Dannecker ist dieses Ergebnis falsch. Die Korrektur der Einkünfte der Enkelgesellschaft sei nach deutschen Grundsätzen und dem Zypern-Urteil durchzuführen. Zu einer Hinzurechnung komme es dann, wenn bei ihr nicht ausreichend Substanz nachgewiesen werden kann. Damit habe aber die von der ATAD I geforderte Hinzurechnungsbesteuerung auch ihr Bewenden. Das Beispiel mache deutlich, dass die Erfassung einer vGA als passiv bei der Tochter überschießende Tendenz hat und die von der ATAD I selbst geforderte Einmalbesteuerung sowie die Vermeidung von Doppelbesteuerung nicht umsetzen würde. Aus demselben Grund müsse bei der Tochter eine Gewinnminderung erfasst werden, ansonsten gäbe es eine Doppelbesteuerung. Dies sei nach § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG geboten und solle bei der Umsetzung des AStG berücksichtigt werden. d) Fallbeispiel zur Umwandlung

Diskutiert werden könnte, dass von der Aktivität von Umwandlungsvorgängen nur noch dann ausgegangen werden kann, wenn sie bei unterstellter deutscher Steuerpflicht nach dem deutschen UmwStG zu Buchwerten durchgeführt werden könnten und auch tatsächlich durchgeführt wurden. Die Vorgabe der tatsächlichen Buchwertfortführung resultiert aus der Angst vor Gestaltungen, bei denen bei möglicher Buchwertfortführung eine tatsächliche Aufstockung stattfand mit dem Ziel, das so ge484

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schaffene Abschreibungspotential gegen passive Einkünfte (zB Lizenzen) „verrechnen“ zu können. Das Problem, um das es nachfolgend gehen soll, ist nicht diese (und nach Meinung von Dannecker zu strenge) Erfassung oder Nichterfassung des Umwandlungsvorgangs selbst, sondern die Frage, ob bei Eingreifen der Hinzurechnungsbesteuerung noch zusätzlich bei der Tochter eine vGA angenommen werden muss. Zwar wird im Unterschied zum alten Umwandlungssteuerrecht nach der Reform durch das SEStEG im Jahr 2006 nicht mehr die vGA-Folge gezogen, sondern lediglich die Buchwertübertragung nicht mehr erlaubt.49 Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die vor dem SEStEG angewandte vGA-Betrachtung im Ausland mangels Anwendung des deutschen Umwandlungssteuerrechts nach wie vor angenommen werden könnte. Dieses sieht nunmehr vor, dass eine vGA an die gemeinsame Mutter und eine Einlage des Vorteils in die empfangende Tochter vorliegt. Ob dabei von einem „vGA-Verbrauch“ ausgegangen werden kann, wie dies der BFH im Zypern-Urteil angenommen hat, ist zweifelhaft. Schließlich liegt zunächst eine vGA vor, die zwar durch die Einlage „neutralisiert“ werden könnte, aber als solche nicht beseitigt wird. Auch eine Anwendung der Korrespondenzvorschrift des § 8b Abs. 1 Satz 4 KStG ist ungewiss, weil es sich um einen Auslandsfall handelt und dort diese Vorschrift nicht unmittelbar angewandt werden kann. Im Ergebnis sollten derartige Probleme einer Lösung zugeführt werden, nicht zuletzt, um unsystematische Doppelbesteuerungen zu vermeiden.

6. Fazit Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass es beim anstehenden Gesetzgebungsverfahren durchaus noch viel Diskussionsbedarf über die konkrete Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung auf der Grundlage der ATAD I-Richtlinie aus 2016 gibt. Im Interesse der Stpfl. bleibt laut Dannecker zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber sich lediglich an den Mindeststandards der ATAD I orientiert und es nicht zu einer umfassenden Fortentwicklung oder gar Verschärfung der Hinzurechnungsbesteuerung kommt. Dies wäre insbes. im Interesse der deutschen Unternehmen mit Auslandsaktivitäten, die anderen-

49 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 Tz. 15.12.

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falls durch eine verschärfte Ausgestaltung der Hinzurechnungsbesteuerung in ihren Aktivitäten durch die Hinzurechnungsbesteuerung wirtschaftlich belastet und durch Erklärungspflichten administrativ überfordert würden.

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Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen Prof. Dr. Xaver Ditz Steuerberater, Bonn Thomas Rupp Regierungsdirektor, Finanzministerium Baden-Württemberg, Stuttgart I. Entwicklungen in der Gesetzgebung 1. Fremdvergleichsverordnung und ATAD-Umsetzungsgesetz 2. Anzeigepflichten für internationale Steuergestaltungen a) Sachverhalt b) Überblick zu den gesetzlichen Grundlagen c) Safe-Harbour Regelung d) Übertragung schwer zu bewertender immaterieller Werte e) Übertragung von Funktionen und Risiken 3. Umsetzung der Streitbeilegungs-Richtlinie a) Sachverhalt b) EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz II. Praktische Konsequenzen der neuen Umlage-VWG 1. Sachverhalt 2. Grundsätze des BMF-Schreibens v. 5.7.2018 3. Inhalt eines Umlagevertrags 4. Mögliche Änderungen nach dem BMF-Schreiben

a) Bestimmung des angemessenen Werts des Einzelbeitrags und dessen Umlage b) Bestimmung des erwarteten Vorteils c) Wahrung von vertraglicher Flexibilität III. Aktuelle Betriebsprüfungsfälle 1. Verlustvertriebsfirmen a) Sachverhalt b) Verluste bei Vertriebsgesellschaften c) Konkrete Konsequenzen für den Sachverhalt d) Folgefragen 2. Gruppeninterne Dienstleistungen a) Sachverhalt b) Verrechnung dem Grunde nach c) Konkrete Konsequenzen für den Sachverhalt 3. Angemessene Lizenzgebühren und DEMPE a) Sachverhalt b) DEMPE-Ansatz der OECD im Überblick c) DEMPE-Ansatz in aktuellen Betriebsprüfungen

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I. Entwicklungen in der Gesetzgebung 1. Fremdvergleichsverordnung und ATAD-Umsetzungsgesetz Nach § 1 Abs. 6 AStG ist das BMF ermächtigt, per Rechtsverordnung Regelungen des Fremdvergleichs selbst sowie seiner Anwendung zu erlassen. Ein entsprechender Entwurf, der bislang nicht veröffentlicht wurde und ua. Regelungen zur Vergleichbarkeitsanalyse, der Anwendung der Verrechnungspreismethoden, des hypothetischen Fremdvergleichs und besonderer Geschäftsvorfälle enthalten soll, wird aktuell nicht weiter verfolgt. Stattdessen veröffentlichte das BMF am 10.12.2019 den lange erwarteten Referentenentwurf zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATAD-Umsetzungsgesetz – ATADUmsG). Neben der Umsetzung der Vorgaben der europäischen Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie,1 die insbes. Änderungen im Bereich der Wegzugs- und Hinzurechnungsbesteuerung erforderlich machte, enthält der Referentenentwurf auch eine Neufassung von § 1 AStG,2 die im Folgenden näher dargestellt wird. Mittels des Referentenentwurfs soll das AStG an internationale Standards, insbes. die Ergebnisse des BEPS-Projekts der OECD, angepasst werden.3 Ein weiteres Ziel ist die Implementierung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 in das deutsche Recht, um eine Bindung der Gerichte an internationale Maßstäbe zu erreichen. Lediglich soweit international kein Konsens besteht, erfolgt insbes. im Bereich der Finanzierung eine „nationale Lösung“ im Rahmen eines treaty override. Hierzu sieht der Referentenentwurf in § 1 AStG den Ersatz der bisherigen Abs. 1–3 durch die neuen Abs. 1–3c vor. Zunächst sieht der Entwurf vor, § 1 Abs. 1 AStG um einen Verweis auf die neu einzufügenden §§ 1a, 1b AStG (s.u.) zu erweitern. Außerdem soll eine Umstrukturierung der bisherigen Nr. 1–3 in § 1 Abs. 2 AStG erfolgen; die neuen Nr. 1–4 ergänzen die Definition der „nahestehenden Person“; ua. wird das Kriterium der „wesentlichen Beteiligung“ dahin gehend präzisiert, dass diese „an dem gezeichneten Kapital, den Mitgliedschaftsrechten, den Beteiligungsrechten, den Stimmrechten oder dem 1 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 19.7.2016, geändert durch Richtlinie (EU) 2017/952 v. 29.5.2017. 2 Soweit auf die §§ der Entwurfsfassung Bezug genommen wird, sind diese als „AStG-E“ gekennzeichnet. 3 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie v. 10.12.2019, 58.

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Gesellschaftsvermögen“ bestehen kann.4 Somit werden zukünftig auch mit Mehrfachstimmrechten ausgestattete sowie stimmrechtslose Anteile, Stimmrechtsbindungen und vergleichbare Vorgänge erfasst.5 Im Ergebnis dürfte das Kriterium des „Nahestehens“ daher zukünftig häufiger erfüllt sein.6 Streitanfällig dürfte die nur in der Gesetzesbegründung enthaltene Auslegung (Einbeziehung) von Netzwerken sein. Die wesentlichste Änderung durch den Referentenentwurf besteht in der Aufteilung des bisherigen Abs. 3 auf vier neue Abs. 3–3c. Zwar wird die Norm hierdurch übersichtlicher, doch enthalten die neuen Absätze auch teilweise neue Regelungen und Erweiterungen. Bei § 1 Abs. 3 AStG-E orientiert sich der Entwurfsgeber ausweislich der Begründung an den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2017.7 Demnach sind eine Funktions- und Risikoanalyse sowie Vergleichbarkeitsanalysen durchzuführen. Die Bestimmung des Fremdvergleichspreises wird anhand der „am besten geeigneten Verrechnungspreismethode“ bestimmt. Die bisher in § 1 Abs. 3 AStG kodifizierte Methodenrangfolge entfällt folglich.8 Auf den hypothetischen Fremdvergleich ist dagegen nur dann abzustellen, wenn sich keine Vergleichswerte ermitteln lassen. Gemäß des neuen § 1 Abs. 3a AStG-E ist die sich bei Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ergebende Bandbreite an Vergleichswerten entsprechend der Interquartilsmethode einzuengen, wenn Unterschiede in der Vergleichbarkeit verbleiben. Die Regelungen zur Funktionsverlagerungsbesteuerung befinden sich in § 1 Abs. 3b AStG-E. Zukünftig müssen nur noch Wirtschaftsgüter oder (bislang „und“) sonstige Vorteile verlagert werden, zudem muss eine Bewertung des Transferpakets erfolgen, wenn keine Vergleichsdaten vorliegen. Zusammen mit dem Entfall der bisherigen Escapeklausel in § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG dürfte die Neuregelung eine erhebliche Verschärfung darstellen. Die Verlagerung von Routinefunktionen dürfte jedoch auch weiterhin keine Gewinnrealisierung zur Folge haben. Mittels § 1 Abs. 3c AStG-E werden schließlich Regelungen zur Behandlung von Übertragungen oder Nutzungsüberlassungen von immateriellen Werten eingefügt. Diese Vorgänge sind zu vergüten, sofern da4 5 6 7 8

§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. 1 AStG-E. Vgl. Referentenentwurf (Fn. 3), 59. Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73. Vgl. Referentenentwurf (Fn. 3), 60 f. § 1 Abs. 3 Satz 5 AStG-E; der Entwurfsbegründung ist allerdings ein Vorrang der Preisvergleichsmethode zu entnehmen, wenn diese und eine andere Verrechnungspreismethode gleichermaßen anwendbar wären, vgl. Referentenentwurf (Fn. 3), 63.

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mit für den Übernehmer, den Nutzer oder den Übertragenden bzw. Überlassenden eine „finanzielle Auswirkung“ (wohl iS von „Nutzen“ zu verstehen)9 verbunden ist. Die verwendete Definition10 entspricht dem Begriffsverständnis der OECD.11 Mangels Einzelübertragbarkeitserfordernisses sind wohl auch solche Werte zu berücksichtigen, die sonst unselbständiger Teil des Goodwill sind. Für die Zuordnung der Erträge aus den immateriellen Werten orientiert sich der Entwurfsgeber am sog. DEMPE-Konzept. Entgegen der grundsätzlichen Zuordnung des § 39 AO stehen die Erträge nicht dem wirtschaftlichen Eigentümer zu, sondern demjenigen, der die DEMPE-Funktionen ausübt. Bezüglich der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Finanzierungsbeziehungen bestand international zum Zeitpunkt der Vorlage des Entwurfs keine Einigkeit. Mittels des neu einzufügenden § 1a AStG-E soll eine nationale Korrekturvorschrift für nicht dem Fremdvergleich entsprechende Aufwendungen aus grenzüberschreitenden Finanzierungsbeziehungen geschaffen werden. Die Norm soll ungeachtet eines DBA gelten, es handelt sich also um einen treaty override. Es bleibt abzuwarten, ob das am 10.2.2020 von der OECD veröffentlichte neue Kapitel X eine Änderung des Entwurfs im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens bewirken wird. Die sog. Preisanpassungsklausel des § 1 Abs. 3 Satz 11, 12 AStG findet sich nach dem Referentenentwurf künftig in § 1b AStG. Die neue Norm regelt die Einkünftekorrektur bei der Übertragung immaterieller Werte sowie Ausnahmen, wann die Anpassungen vermieden werden können.

2. Anzeigepflichten für internationale Steuergestaltungen a) Sachverhalt Die deutsche A-AG hält 100 % der Anteile an der schweizerischen B-AG, der französischen C-S.A.R.L. und der tschechischen D-s.r.o. Die A-AG reicht ein Darlehen an die B-AG aus, wobei sie sich an den Zinssätzen

9 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (74). 10 „Vermögenswerte, die weder materielle Wirtschaftsgüter oder Beteiligungen noch Finanzanlagen sind, Gegenstand eines Geschäftsvorfalls sein können, ohne einzeln übertragbar sein zu müssen und einer Person eine tatsächliche oder rechtliche Position über diesen Vermögenswert vermitteln können“. 11 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 Tz. 6.6.

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gem. Merkblatt der Eidgenössischen Steuerverwaltung orientiert.12 Ferner überträgt die A-AG die Rechte an den bisher gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang mit einem neuen Fertigungsverfahren an die C-S.A.R.L.; der Nutzen aus diesen Erkenntnissen ist noch offen. Schließlich überträgt die A-AG den gruppenweiten Einkauf an die D-s.r.o., was insbes. die Verlagerung von Personal und Lieferantenstamm beinhaltet. Bei allen drei Vorgängen ist die bei der A-AG angesiedelte Konzernsteuerabteilung federführend in die Konzeptionierung und Umsetzung eingebunden. b) Überblick zu den gesetzlichen Grundlagen Durch das Gesetz vom 21.12.201913 wurde die Abgabenordnung um die §§ 138d–138k erweitert. Der Gesetzgeber erfüllte hierdurch die Vorgaben der DAC6-Richtlinie zur Einführung einer Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen.14 Für Intermediäre bzw. Nutzer einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung gilt nunmehr ab dem 1.7.2020 eine Mitteilungspflicht.15 Daneben gilt eine retrospektive Mitteilungspflicht für Gestaltungen, deren erster Schritt zwischen dem 25.6.2018 und dem 1.7.2020 initiiert wurde. Voraussetzung der Mitteilungspflicht ist, dass die grenzüberschreitenden Steuergestaltungen nicht-harmonisierte Steuern betreffen, wie zB ESt., KSt., GewSt., GrESt., ErbSt. Dagegen sind Steuergestaltungen, die zB ausschließlich die USt. betreffen, nicht erfasst. Das Vorliegen einer mitteilungspflichtigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung ist ferner entscheidend an das Vorliegen bestimmter Kennzeichen („hallmarks“) bei der Steuergestaltung geknüpft. Diese lassen sich in fünf Kategorien (A–E) unterteilen und entsprechen den europäischen Vorgaben:

12 https://www.estv.admin.ch/estv/de/home/verrechnungssteuer/verrechnungs steuer/fachinformationen/zinssaetze.html (zuletzt abgerufen am 9.2.2020). 13 Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 21.12.2019, BGBl. I 2019, 2875. 14 Vgl. dazu auch von Bredow/Gibis, BB 2019, 1303; Cloer/Niemeyer, DStZ 2019, 426; von Bredow/Gibis, BB 2019, 1502; Patzner/Nagler, IStR 2019, 402; Welzer/Dombrowski, FR 2019, 360; Ditz/Bärsch/Engelen, DStR 2019, 815; Kowallik, DB 2019, 812; Kepp/Schober, BB 2019, 791; Hey, FR 2018, 633; Eisgruber, FR 2018, 625; Lüdicke/Oppel, NWB 2019, 58; Schnitger/Brink/Welling, IStR 2018, 513. 15 Vgl. § 33 Abs. 1 EGAO.

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A. Allgemeine Kennzeichen, zB bei standardisierten Strukturen, B. Spezifische Kennzeichen, zB bei zirkulären Transaktionen, C. Grenzüberschreitende Zahlungen zwischen verbundenen Unternehmen, die zB im Ansässigkeitsstaat des Zahlungsempfängers steuerbefreit sind, D. Gestaltungen betreffend die Steuertransparenz, E. Verrechnungspreisgestaltungen, wie zB Funktionsverlagerungen. Die Kennzeichen A, B und zum Teil auch C können stets nur dann erfüllt werden und eine Mitteilungspflicht auslösen, wenn die grenzüberschreitende Steuergestaltung im Wesentlichen steuerlich motiviert ist (sog. „Main Benefit Test“). Hierfür ist die Frage zu beantworten, ob einer der Hauptvorteile der Gestaltung in der Erlangung eines Steuervorteils liegt. Die Mitteilung ist vorrangig von den Intermediären der betreffenden Steuergestaltung vorzunehmen. Hierbei wird auf ein tätigkeitsbezogenes Verständnis abgestellt, dh. es kommt auf ein konkretes Mitwirken bei der Steuergestaltung eines Stpfl. bzw. Nutzers an. Unter einer solchen „schädlichen“ Mitwirkung ist das Vermarkten, Konzipieren, Organisieren, zur Nutzung Bereitstellen oder Verwalten der Umsetzung der Steuergestaltung zu verstehen. In erster Linie können damit steuerliche Berater (Steuerberater, Rechtsanwälte) und Finanzinstitute, aber auch Konzernsteuerabteilungen in Bezug auf Konzerntochtergesellschaften Intermediär sein. Nur wenn gar kein Intermediär im Hinblick auf eine bestimmte Steuergestaltung existiert bzw. nicht hinreichend konkret an einer Steuergestaltung mitwirkt, ist der Nutzer (dh. der Stpfl.) selbst zur Mitteilung verpflichtet. Die Mitteilung ist innerhalb von 30 Tagen ab dem sog. mitteilungspflichtigen Ereignis an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt.) in Form eines vorgeschriebenen Datensatzes über eine elektronische Schnittstelle zu übermitteln. Mitteilungspflichtiges Ereignis ist insbes. die Umsetzungsreife bzw. der erste Umsetzungsschritt einer mitteilungspflichtigen Steuergestaltung. Zudem sollen bis 31.8.2020 einmalig alle Steuergestaltungen der letzten zwei Jahre gemeldet werden. Die Mitteilung an das BZSt. soll ua. Informationen zu Intermediär(en) und Nutzer sowie der Steuergestaltung (Beschreibung, Rechtsgrundlagen, Kennzeichen, wirtschaftlicher Wert) beinhalten. Die personenbezogenen Daten des Stpfl./Nutzers sind durch den Intermediär nur dann zu übermitteln, wenn der Nutzer ihn von einer etwaigen Verschwiegenheits492

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pflicht befreit hat. Anderenfalls fällt die Mitteilungspflicht auf den Nutzer zurück. Nach Eingang der Mitteilung beim BZSt. wird eine Registriernummer zur Identifikation der Mitteilung vergeben. Diese hat der Stpfl./ Nutzer in der betreffenden Steuererklärung anzugeben. Das Unterlassen der Offenlegung einer mitteilungspflichtigen Steuergestaltung ab Mitte 2020 kann mit einem Bußgeld bis zu 25 000 t geahndet werden. Entsprechendes gilt, wenn die Registriernummer nicht in der Steuererklärung genannt wird. Einzelheiten der Auslegung durch die FinVerw. einschließlich einer sogenannten „white list“ nicht anzeigepflichtiger Routinemaßnahmen sollen im Rahmen eines umfassenden BMF-Schreibens noch vor Inkrafttreten der Abgabeverpflichtung, dh. vor 30.6.2020 veröffentlicht werden. c) Safe-Harbour Regelung Vorliegend nutzen A-AG und B-AG bei der Darlehensvergabe eine unilaterale Safe-Harbour Regelung für eine festgelegte Kategorie von Geschäftsvorfällen. Denn durch die Orientierung an den von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgegebenen Zinssätzen werden die Gesellschaften insoweit von dem Erfordernis, das Bemühen um Einhalten des Fremdvergleichsgrundsatzes nachzuweisen, entbunden. Damit sind die Voraussetzungen des § 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a AO erfüllt, dh. es handelt sich um eine grenzüberschreitende Steuergestaltung. Diese ist grundsätzlich innerhalb von 30 Tagen nach mitteilungspflichtigem Ereignis – hier das „Bereitsein zur Umsetzung“ bzw. spätestens der Zeitpunkt des ersten Umsetzungsschritts – gegenüber dem BZSt. zu melden. d) Übertragung schwer zu bewertender immaterieller Werte Bei den übertragenen Rechten an dem Fertigungsverfahren handelt es sich um immaterielle Werte, die an ein verbundenes Unternehmen übertragen werden, für die im Zeitpunkt ihrer Übertragung keine ausreichenden Vergleichswerte vorliegen bzw. die Prognosen voraussichtlicher Cashflows bzw. zu erwartender abzuleitender Einkünfte höchst unsicher sind. Damit ist auch der Totalerfolg zum Zeitpunkt der Übertragung nur schwer absehbar. Es handelt sich damit um einen schwer zu bewertenden immateriellen Wert. Damit sind die Voraussetzungen des § 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. b AO erfüllt.

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e) Übertragung von Funktionen und Risiken Bei der Übertragung des gruppenweiten Einkaufs handelt es sich um die grenzüberschreitende Übertragung von Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgütern. Damit können grundsätzlich die Voraussetzungen des § 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. c AO erfüllt sein. Fraglich ist insoweit allein, ob durch diese Verlagerung der erwartete jährliche Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) des übertragenden Unternehmens über einen Zeitraum von drei Jahren nach Übertragung weniger als 50 % des (fiktiven) jährlichen EBIT ohne Übertragung beträgt. Sofern die Verlagerung auch diese Voraussetzung erfüllt, würde auch dies eine mitteilungspflichtige grenzüberschreitende Steuergestaltung darstellen. In Ermangelung eines in die Gestaltungen involvierten Intermediärs (steuerlicher Berater bzw. Finanzinstitution) gilt die A-AG (über ihre Konzernsteuerabteilung) selbst als Intermediär bzw. hat die Steuergestaltungen selbst zu melden. Hierzu hat sie nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz gegenüber dem BZSt. verschiedene Daten zu übermitteln. Dies umfasst neben persönlichen Details auch Beschreibungen der Steuergestaltungen, Angaben zu den einschlägigen Rechtsvorschriften und den voraussichtlichen Wert der Gestaltungen.

3. Umsetzung der Streitbeilegungs-Richtlinie a) Sachverhalt Die in Luxemburg ansässige Dental SA („SA“) betreibt den Handel mit Dental-Altgold. Die SA erwirbt Gold von zumeist deutschen Zahnlaboren oder Zwischenhändlern und veräußert dieses an Scheideanstalten. In den Büroräumen der SA in Luxemburg befinden sich ihre Geschäftsunterlagen und ein Tresor für das Gold. Von dort aus werden auch die Geschäfte der SA durch den Alleingeschäftsführer der SA, Herrn M, geleitet. Herr M hält sich regelmäßig in Deutschland auf, um dort Goldgeschäfte für die SA anzubahnen, abzuschließen und abzuwickeln. Er hat unter der Büroanschrift der SA auch eine Wohnung, die er ständig benutzt. Eine weitere Wohnung befindet sich in der Nähe in einem Haus in Deutschland. Das deutsche FA vertritt die Auffassung, dass die SA in 2018 beschränkt körperschaftsteuerpflichtig sei. M sei durch seine regelmäßigen geschäftlichen Aktivitäten für die SA, die er in Deutschland, ua. auch in der dortigen Wohnung ausübt, ständiger Vertreter iSd. § 13 AO gewesen. Dies löse gem. § 2 Nr. 1 KStG iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG die beschränkte Körperschaftsteuerpflicht der SA in 2018 aus. Die beschränkt körper494

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schaftsteuerpflichtigen Einkünfte sollen 50 % des Gewinns der SA betragen. Außerdem begründe die Tätigkeit des M für die SA eine Vertreterbetriebsstätte iSd. Art. 5 Abs. 5 und 6 des DBA Deutschland/Luxemburg 2012, infolgedessen Deutschland auch das Recht zugestanden werde, die Betriebsstätteneinkünfte zu besteuern. Für luxemburgisch-steuerliche Zwecke hat die SA bislang keine deutsche Vertreterbetriebsstätte erklärt mit der Konsequenz, dass 50 % der Gewinne der SA in 2018 doppelt besteuert werden. b) EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz Zur Lösung innereuropäischer Doppelbesteuerungen können ab dem 1.7.2019 Verständigungs- und Schiedsverfahren auch auf Grundlage der EU-Streitbeilegungsrichtlinie 2017/1852 des Rats v. 10.10.2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union durchgeführt werden. Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie zielt darauf ab, zwischenstaatliche Verfahren zur Beilegung von grenzüberschreitenden Doppelbesteuerungskonflikten für Steuerjahre ab 2018 effizienter zu gestalten. Langfristig soll so für betroffene Stpfl. mehr Rechtssicherheit erreicht werden. Gelingen soll dies ua. durch einen erweiterten Anwendungsbereich für sämtliche aus DBA resultierende Auslegungs- und Anwendungsstreitigkeiten.16 Die EU-Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die EU-Streitbeilegungsrichtlinie v. 10.10.2017 bis zum 30.6.2019 im nationalen Recht umzusetzen. Anträge zur Einleitung von (Beschwerde-)Verfahren können insofern grundsätzlich seit dem 1.7.2019 gestellt werden. Deutschland zählte zu den Staaten, in denen das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Streitbeilegungsrichtlinie nicht fristgerecht abgeschlossen wurde. Das EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG)17 trat schließlich am 11.12.2019 in Kraft. Für die Übergangszeit hatte das BMF eine Verfügung erlassen, wonach die Einleitung der von der EU-Streitbeilegungsrichtlinie vorgesehenen Verfah-

16 Vgl. dazu auch Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 493 mwN. 17 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union v 10.12.2019, BGBl. I 2019, 2103.

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ren auch in Deutschland schon seit dem 1.7.2019 möglich war.18 Das Gesetz ist wie folgt gegliedert:19 Kap. 1: Allgemeiner Teil (§§ 1 ff.) Kap. 2: Streitbeilegungsbeschwerde (§§ 4 ff.) Kap. 3: Verständigungsverfahren (§§ 13 ff.) Kap. 4: Streitbeilegung durch den Beratenden Ausschuss (§§ 17 ff.) Kap. 5: Verfahrensregelungen für den Beratenden Ausschuss (§§ 21 ff.) Kap. 6: Sonderregelung für natürliche Personen und kleinere Unternehmen (§ 28) Kap. 7: Alternative Streitbeilegung (§ 29 f.) Kap. 8: Schlussbestimmungen und gemeinsame Vorschriften (§§ 31 ff.) Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie wird die abkommensrechtlichen Verständigungs- und Schiedsklauseln nicht ersetzen, sondern ergänzen. Mit anderen Worten, kann der betroffene Stpfl. weiterhin wählen, auf welcher Rechtsgrundlage er den Antrag auf Einleitung des entsprechenden Verfahrens zur Abwendung einer drohenden oder schon eingetretenen (abkommenswidrigen) Besteuerung stellt. Anträge auf Verständigungs- oder Schiedsverfahren nach anderen Rechtsgrundlagen bleiben möglich (insbes. kein Anwendungsvorrang, vgl. Erwägungsgründe 1 und 6 der Richtlinie). Die Einreichung einer Streitbeilegungsbeschwerde nach RL/EU-DBA-SBG beendet jedes ggf. laufende zwischenstaatliche Verständigungs- oder Schiedsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention im Zusammenhang mit der relevanten Streitfrage (vgl. § 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG). Nationale Rechtsbehelfe bleiben indes anhängig. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Wahlfreiheit stellt sich in der Praxis die Frage, auf welche Rechtsgrundlage ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens, eine Streitbeilegungsbeschwerde oder ein Antrag auf Durchführung eines Schiedsverfahrens gestellt werden sollte. Soweit vorhanden sollte eine Rechtsgrundlage gewählt werden, die im Verhältnis zum betroffenen Staat die obligatorische Durchführung eines Schiedsverfahrens vorsieht. Darüber hinaus sollte die Rechtsgrundlage in sachlicher und zeitlicher Hinsicht überhaupt anwendbar sein.

18 Vgl. BMF v. 25.6.2019 – IV B 3 - S 1317/16/10058 :010 – DOK 2019/0541626, BStBl. I 2019, 647 = DB 2019, 1477. 19 Vgl. zu Einzelheiten Flüchter, ISR 2020, 56 ff.

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Im vorliegenden Fall der vermeintlichen Vertreterbetriebsstätte in Deutschland kann die SA eine Streitbeilegungsbeschwerde beim BZSt. einreichen, das innerhalb von sechs Monaten ab Zugang der Beschwerde über deren Zulassung zu entscheiden hat. Entscheiden das BZSt. und die luxemburgische Steuerbehörde, die Streitbeilegungsbeschwerde zuzulassen, wird ein Verständigungsverfahren eingeleitet. Wurde die Streitbeilegungsbeschwerde zugelassen, bemühen sich die zuständigen Behörden, die Streitfrage innerhalb von zwei Jahren, ggf. mit Fristverlängerung um ein weiteres Jahr, zu lösen. Bei nicht einheitlicher Entscheidung der zuständigen Behörden kann ein Beratender Ausschuss eingesetzt werden, der innerhalb von sechs Monaten über die Zulassung bzw. Zurückweisung der Streitbeilegungsbeschwerde zu entscheiden hat. Können sich die zuständigen Behörden über die Zulassung der Streitbeilegungsbeschwerde nicht einigen, kann auf Antrag der betroffenen Stpfl. ein Beratender Ausschuss eingesetzt werden. Der Beratende Ausschuss gibt innerhalb von sechs Monaten, ggf. mit Fristverlängerung um weitere drei Monate, eine Stellungnahme über die Zulassung bzw. Zurückweisung der Streitbeilegungsbeschwerde an die zuständigen Behörden. Die zuständigen Behörden haben sich binnen sechs Monaten nach Übermittlung dieser Stellungnahme, wie die Streitfrage zu lösen ist: Besteht eine deutsche Vertreterbetriebsstätte oder nicht? Dabei können die zuständigen Behörden übereinstimmend von der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses abweichend entscheiden. Wird keine Einigung erzielt, sind die zuständigen Behörden an die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses gebunden. Stimmt die SA innerhalb von 60 Tagen nach Bekanntgabe der abschließenden Entscheidung zu und verzichtet sie insofern auf Rechtsbehelfe, ist der deutsche Steuerbescheid entsprechend anzupassen.

II. Praktische Konsequenzen der neuen Umlage-VWG 1. Sachverhalt Die A-BV mit Ansässigkeit in den Niederlanden und die B-GmbH mit Ansässigkeit in Deutschland sind zwei Unternehmen der multinationalen Unternehmensgruppe M. Um Kostenvorteile zu realisieren, bilden sie einen Forschungspool, bei dem die Forschung ausschließlich bei der A-BV angesiedelt wird. Die Aufwendungen der A-BV betragen 100. Die B-GmbH übernimmt Koordinierungsaufgaben, da der Forschungspool 497

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

außerdem Forschungsleistungen von der konzernzugehörigen Gesellschaft C-SA bezieht. Die Aufwendungen der B-GmbH betragen 50, die der C-SA 100. Die C-SA handelt als Contract R&D-Dienstleister und erhält als Vergütung für ihre Leistungen einen angemessenen Gewinnaufschlag von 8 % auf ihre Kosten. Als erwarteter Nutzen an den im Forschungspool entwickelten immateriellen Wirtschaftsgütern (im Folgenden: „IWG“) für A-BV und B-GmbH wird ein Verhältnis von 50:50 unterstellt. Kann der bestehende Kostenumlagevertrag auch nach dem BMF-Schreiben v. 5.7.201820 fortgeführt werden?

2. Grundsätze des BMF-Schreibens v. 5.7.2018 Bis zum 31.12.2018 waren die Grundsätze zur Kostenumlage durch das BMF-Schreiben vom 30.12.199921 („Grundsätze für die Prüfung der Einkünfteabgrenzung durch Umlageverträge zwischen international verbundenen Unternehmen“) geregelt. Ziel dieses Schreibens war es, Regelungen zur Anwendung des Grundsatzes des Fremdvergleichs in den Fällen zu treffen, in denen international verbundene Unternehmen ihre Beziehungen zueinander im Wege von Kostenumlagen gestalten. Eine Kostenumlagevereinbarung stellt grundsätzlich eine Vereinbarung dar, die (international verbundene) Unternehmen untereinander abschließen, um über einen längeren Zeitraum im gemeinsamen Interesse durch Zusammenwirken Leistungen zu erlangen bzw. zu erbringen.22 Durch das Zusammenwirken ziehen die Beteiligten einen wechselseitigen Nutzen und teilen die verbundenen Kosten und Risiken.23 Mit Schreiben vom 5.7.201824 wurde das BMF-Schreiben vom 30.12.1999 aufgehoben. Das Schreiben gilt für alle Umlageverträge, die nach dem 31.12.2018 abgeschlossen werden. Für bestehende Umlageverträge sieht das Schreiben einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.2019 vor. Danach müssen die Verträge auf das neue Konzept umgestellt sein.

20 BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743 = FR 2018, 715. 21 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235. 22 Vgl. Puls/Heravi, Ubg. 2018, 507. 23 Vgl. Greil, ISR 2019, 299. 24 Vgl. BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743 = FR 2018, 715.

498

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

Nach dem neuen BMF-Schreiben ergeben sich die Voraussetzungen für die Teilnahme sowie Art und Umfang der Verrechnung aus Kap. VIII der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017. Der Verweis auf die OECDVerrechnungspreisleitlinie ist in Deutschland eher ungewöhnlich, sollte aber in der Sache unbedenklich sein. BMF-Schreiben sind reines Verwaltungsinnenrecht, das ausschließlich die FinVerw. bindet.25 Wirken mehrere Unternehmen einer multinationalen Unternehmensgruppe im gemeinsamen Interesse zusammen, übernehmen sie gemeinsam Risiken und leisten sie Beiträge, um –

Vermögenswerte gemeinsam zu entwickeln (Entwicklungskostenumlage) oder



Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (Dienstleistungskostenumlage),

sind ihre Beiträge zu Fremdvergleichspreisen zu bewerten und von den Unternehmen anhand der jeweils zu erwartenden Vorteile zu vergüten. Die FinVerw. löst sich also von einer reinen Kostenverrechnung, wie sie in Tz. 2.2 des o.g. Schreibens v. 30.12.1999 noch vorgesehen war. Unklar ist jetzt allerdings, ob eine reine Kostenumlage noch von der deutschen FinVerw. anerkannt wird und was konkret unter einer Bewertung der „Beiträge zu Fremdvergleichspreisen“ zu verstehen ist. Insofern hat das neue BMF-Schreiben zu einer deutlichen Rechtsunsicherheit geführt.26

3. Inhalt eines Umlagevertrags Vorliegend handelt es sich um eine Entwicklungskostenumlage. Der Kostenumlagevertrag musste nach bisheriger Auffassung der FinVerw. insbes. die folgenden Regeln enthalten:27 1. Benennung der Poolmitglieder und der sonstigen nahestehenden Nutznießer; 2. genaue Beschreibung der Leistungen, die Vertragsgegenstand sind;

25 Vgl. Gersch in Klein, AO14, § 4 Rz. 9 mwN. 26 Vgl. zu BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743 = FR 2018, 715 auch Puls/Heravi, Ubg. 2019, 507 ff.; Rasch, ISR 2018, 326; Rasch, ISR 2019, 144; Kluge/Bestelmeyer, IWB 2018, 892 ff.; Greil, ISR 2019, 299 ff. 27 BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235 Tz. 5.1.1.

499

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

3. Ermittlung der umzulegenden Aufwendungen, die Methode der Aufwandserfassung und etwaige Abweichungen; 4. Ermittlung des Nutzens, den die jeweiligen Teilnehmer erwarten; 5. Ermittlung des Umlageschlüssels; 6. Beschreibung, wie der Wert der anfänglichen und der späteren Leistungsbeiträge der Poolmitglieder ermittelt und einheitlich auf alle Poolmitglieder verrechnet wird; 7. Art und Umfang der Rechnungskontrolle (zB bei Vorkasse; Zeitpunkt); 8. Bestimmungen über die Anpassung an veränderte Verhältnisse; 9. Vertragsdauer; 10. Bestimmungen über die Vertragsauflösung sowie ggf. die Voraussetzungen und Folgen des Eintritts neuer Poolmitglieder und des vorzeitigen Austritts bisheriger Poolmitglieder; 11. Vereinbarungen über den Zugriff auf die Unterlagen und Aufzeichnungen über den Aufwand und die Leistungen des leistungserbringenden Unternehmens; 12. Zuordnung der Nutzungsrechte aus zentralen Aktivitäten des Pools im Fall der Forschung und Entwicklung. Nach dem ursprünglichen BMF-Schreiben v. 30.12.1999 wurden Umlageverträge steuerlich nicht anerkannt, wenn diese Einzelbestandteile im Vertrag fehlten.28 Diese Grundsätze haben nach neuer Verwaltungsansicht durch den Wegfall des ursprünglichen Schreibens grundsätzlich keinen Bestand mehr.29 Allerdings kann auch weiterhin dieses Muster angewendet werden. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 2 GAufzV sind Art, Inhalt und Umfang eines Umlagevertrags im Local File aufzuzeichnen.30 Als Dauerschuldverhältnis kann der Umlagevertrag auch einen außergewöhnlichen Geschäftsvorfall nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 GAufzV darstellen. Die hier angesprochenen Einzelaspekte müssen also ohnehin aufgezeichnet werden. Auch werden in den Tz. 8.50 und 8.52 der Verrechnungspreisleitlinie 2017 Dokumentationsanforderungen ua.

28 Vgl. Greil/Greil, ISR 2015, 67 (70 mwN). 29 Zu den Dokumentationsanforderungen nach der neuen Rechtslage s. Greil, ISR 2019, 299 (303). 30 Vgl. Engelen, DStR 2018, 370.

500

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

zur Identität der Poolmitglieder, zur Beschreibung des erwarteten Vorteils, zum Kostenverteilungsschlüssel, Dauer des Vertrags usw. dargestellt. Aus Sicht der FinVerw., die in dem Pauschalverweis auf Kap. VIII der Verrechnungspreisleitlinien 2017 zum Ausdruck kommen, bleibt es also weitgehend bei den bisherigen Kriterien.

4. Mögliche Änderungen nach dem BMF-Schreiben a) Bestimmung des angemessenen Werts des Einzelbeitrags und dessen Umlage Einige Besonderheiten muss die B-GmbH bei der Umstellung des Kostenumlagevertrags zum 31.12.2019 beachten: Anders als bisher erlauben die OECD-Verrechnungspreisleitlinien nur in Ausnahmefällen eine reine Kostenweiterbelastung.31 Vielmehr müssen ab dem 31.12.2019 die einzelnen Beiträge der Poolmitglieder angemessen bepreist werden. Das bedeutet wohl, dass neben den Kosten ein angemessener Gewinnaufschlag eingepreist werden muss. Das kann zu erheblichen Unterschieden führen. Unterstellt, die Entwicklungsleistungen der A-BV würden mit einem Gewinnaufschlag iHv. 15 % und die Kontrolltätigkeiten der B-GmbH mit 3 % angemessen vergütet, stellt sich die interne Verrechnung zwischen A-BV und B-GmbH nach alter und nach neuer Rechtslage wie folgt dar: Nach alter Rechtslage A-BV

B-GmbH

C-SA

Insgesamt

100

50

100

250





8

8

Insgesamt

100

50

108

258

Aufwandsaufteilung

129

129



258

Erstattung





108

108

Zahlung

29

79



108

Aufwand Gewinnaufschlag

31 Vgl. OECD, Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 8.12.

501

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

Nach neuer Rechtslage A-BV

B-GmbH

C-SA

Insgesamt

Aufwand

100

50

100

250

Gewinnaufschlag

15

3

8

26

Insgesamt

115

53

108

276

Aufwandsaufteilung

138

138



276

Erstattung

15

3

108

126

Zahlung

38

88



126

Nettozahllast

23

85



108

Es zeigt sich eine merkliche Gewinnverschiebung hin zur A-BV. Dem müssen die Gesellschaften durch entsprechende Bepreisung ihrer Leistungen im Konzernumlagevertrag entsprechend Rechnung tragen. b) Bestimmung des erwarteten Vorteils Dazu kommt, dass A-BV und B-GmbH regeln sollten, wie sie den jeweils erwarteten Vorteil bestimmen wollen. Hier bietet sich in der Praxis sicherlich an, die Verteilungsschlüssel mittels eines APA abzusichern.32 Eine Bestimmung des Umlageschlüssels anhand des jeweiligen Aufwands ist aus Sicht der OECD und damit der FinVerw. idR nicht sachgerecht. Vielmehr soll anhand der erwarteten Einnahmezuwächse, Kosteneinsparungen oder sonstigen (quantifizierbaren) Vorteile ein Umlageschlüssel ermittelt werden;33 dafür können die A-BV und die B-GmbH auf Prognoserechnungen abstellen.34 c) Wahrung von vertraglicher Flexibilität Entscheidend ist, dass sich sowohl der angemessene Verteilungsschlüssel, sprich der erwartete Vorteil der Teilnehmer, als auch der Wert des Beitrags der einzelnen Teilnehmer über die Laufzeit des Kostenumlagevertrags ändern kann. Daher ist es empfehlenswert, Anpassungsklauseln aufzunehmen. Dabei sollte mit Anlagen gearbeitet werden, die unproble32 Zu APA-Verfahren vgl. Liebchen in Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 13.5 ff. 33 Bernhardt/Ackerman/Dadasov, IStR 2019, 703 (704 f.). 34 OECD, Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 8.19, 8.20.

502

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

matisch paraphiert und ausgetauscht werden können, ohne das gesamte Vertragswerk anpassen zu müssen.

III. Aktuelle Betriebsprüfungsfälle 1. Verlustvertriebsfirmen a) Sachverhalt Die in Deutschland ansässige Konzerntochtergesellschaft (D-TG) vertreibt seit dem Jahr 01 die von ihrer ausländischen Mutter (A-MG) hergestellten Maschinen im deutschsprachigen Raum. Für die Maschinen zahlt sie denselben Einkaufspreis wie fremde Händler. Um den Bekanntheitsgrad der Maschinen zu steigern, hat die D-TG auf eigene Rechnung diverse Werbemaßnahmen gestartet. Ein Vertriebsvertrag zwischen D-TG und A-MG besteht nicht. Die A-MG ist alleinige Inhaberin der produktbezogenen immateriellen Wirtschaftsgüter (zB Markenname, Know-How, etc.). Aus der Vertriebstätigkeit erzielte die D-TG in den Jahren 01–03 durchschnittliche Umsätze iHv. 50 Mio. t p.a. Aufgrund des harten Konkurrenzkampfs und hohen Kostenniveaus in Deutschland entstanden ihr insgesamt jedoch jährliche Verluste iHv. 3 Mio. t, insgesamt also 9 Mio. t, die von der A-MG durch Einzahlungen in die Kapitalrücklage ausgeglichen wurden. Die A-MG ist dagegen hochprofitabel. Die branchenübliche Vertriebsrendite in Deutschland beträgt 2 %. Bezugnehmend auf die Rspr. des BFH35 verweigert der deutsche Betriebsprüfer die weitere Anerkennung der Verluste der D-TG mit der Begründung, dass ein fremder Dritter keine Dauerverluste akzeptieren würde. Abwandlung: Wie wäre der Fall zu bewerten, wenn die A-MG ebenfalls Verluste erzielt? b) Verluste bei Vertriebsgesellschaften Beträgt die Verlustphase einer Vertriebsgesellschaft, die Produkte einer ihr nahe stehenden Produktionsgesellschaft vertreibt, mehr als drei Jahre, löst dies die widerlegbare Vermutung aus, dass die vereinbarten Preise un-

35 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = GmbHR 1993, 446; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 (177) = FR 2002, 154; v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030.

503

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

angemessen und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind.36 Im Rahmen seiner Darlegungslast kann der Stpfl. jedoch nachweisen, dass die Verluste auf Fehlmaßnahmen oder nicht vorhergesehenen Entwicklungen beruhen und, dass er rechtzeitig Anpassungsmaßnahmen ergriffen hat, um die Anerkennung von Verlusten über den Drei-Jahres-Zeitraum hinaus zu erreichen.37 Weiterhin hält nach Auffassung der Rspr. ein Einkaufspreis nicht notwendig schon deshalb dem Fremdvergleich stand, weil er sich an einer Preisliste orientiert, die für alle Kunden des betreffenden Lieferanten gilt.38 Es ist stattdessen eine Vergleichbarkeitsanalyse anhand der ausgeübten Funktionen, getragenen Risiken, eingesetzten Wirtschaftsgüter, der Geschäftsstrategie und des vertraglichen Umfelds vorzunehmen. Nach Ansicht der FinVerw. ist Markenwerbung grundsätzlich Sache des Markenrechtsinhabers. Sie kann jedoch auf eine Tochtergesellschaft verlagert werden, wenn ihr die Erzielung eines angemessenen Totalgewinns in einem überschaubaren Zeitraum möglich ist. Gemäß den OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2017 kann eine verbundene Dauerverlustgesellschaft Anlass zu einer genauen Prüfung der Verrechnungspreisfragen geben, da ein unabhängiges Unternehmen nicht bereit wäre, Verluste auf unabsehbare Zeit hinzunehmen, sondern vielmehr letzten Endes aufhören würde, sein Gewerbe zu betreiben.39 Verbundene Unternehmen können ihre Geschäftstätigkeit dagegen fortsetzen, wenn dies für den gesamten Konzern vorteilhaft ist. Für die FinVerw. ist es in diesen Fällen naheliegend, die zugrunde liegenden Verrechnungspreisgestaltungen näher zu prüfen, insbes., ob die Verlustgesellschaft eine für die aus ihrer Tätigkeit gezogenen Vorteile ausreichende Vergütung erhält. Bei fehlender Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen Substanz der Transaktion kann die FinVerw. die Risikoaufteilung – und damit die Verlustzuordnung – ändern. Zwischen fremden Dritten wäre für die Risikozuordnung entscheidend, wer die Entscheidungsgewalt hinsichtlich der Übernahme von Risiken und deren Management sowie die finanziellen Kapazitäten für das Tragen von Risiken hat. Handelt es sich bei der Ver36 BFH v. 17.2.1993 – I R 3/92, BStBl. II 1993, 457 = GmbHR 1993, 446; v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 (177) = FR 2002, 154. Zu einem Überblick vgl. Ditz in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 6.57. 37 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171 = FR 2002, 154 Rz. 57. 38 BFH v. 6.4.2005 – I R 22/04, BStBl. II 2007, 658 = FR 2005, 1030, 3. Leitsatz. 39 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 1.129 ff.

504

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

lustvertriebsgesellschaft um einen Strategieträger, sind die Verluste anzuerkennen bzw. dieser zuzuordnen. Gleiches gilt auch, sofern die Verluste hausgemacht (zB aufgrund von Managementfehlern) oder marktbedingt (zB aufgrund von Währungsverlusten) sind. Bei Routineunternehmen werden Verluste versagt. Bei Gesellschaften, die weder als Routineunternehmen noch als Strategieträger anzusehen sind (sog. „Mittelunternehmen“), können Verluste berücksichtigt werden, allerdings sind sie so zu kappen, dass ein angemessener Totalgewinn innerhalb eines überschaubaren Zeitraums erzielbar bleibt. In Verlustfällen gelten schließlich auch besondere Aufzeichnungspflichten. Nach § 2 Abs. 4 GAufzV sind bei einer wesentlichen Änderung von Dauersachverhalten Informationen auch nach Geschäftsabschluss aufzuzeichnen. Dies gilt insbes. dann, wenn in einem Geschäftsbereich Verluste erkennbar werden, die ein Fremder nicht hingenommen hätte. Der Stpfl. muss dabei aufzeichnen, was er zur Beseitigung der Verlustursachen unternommen hat. Außerdem sind gem. § 4 Abs. 2 Nr. 5 GAufzV die Ursachen von Verlusten und die Vorkehrungen zur Beseitigung der Verlustsituation aufzuzeichnen, wenn der Stpfl. in mehr als drei aufeinander folgenden Wj. aus Geschäftsbeziehungen mit Nahestehenden einen steuerlichen Verlust erzielt. c) Konkrete Konsequenzen für den Sachverhalt Die D-TG ist als sog. „Mittelunternehmen“ anzusehen. Ihre Verluste sind daher so zu kappen, dass ein angemessener Totalgewinn in einem überschaubaren Zeitraum erzielbar bleibt. Basierend auf der erzielbaren Rendite von 2 % beträgt der steuerlich akzeptable Verlust für die Jahre 01–03 3 Mio. t (2 % von 50 Mio. t entsprechen 1 Mio. t p.a.). Der verbleibende Verlustvortrag der D-TG zum 31.12.03 beträgt folglich 3 Mio t. In Höhe der Differenz zu den tatsächlich entstandenen Verlusten (9 Mio. t) – dh. 6 Mio. t – liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung an die A-MG vor. d) Folgefragen –

Besteht vorliegend ein Vorrang der Preisvergleichsmethode?



Welche Verrechnungspreismethode wendet die Betriebsprüfung an?



Wie verlässlich ist die Bestimmung der 2 % Rendite?

505

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

2. Gruppeninterne Dienstleistungen a) Sachverhalt Die in den USA ansässige B-Holding, Inc. ist zu 100 % an der deutschen A-GmbH beteiligt und erbringt dieser gegenüber Dienstleistungen, die – direkt und indirekt – abgerechnet werden. Im Rahmen der Betriebsprüfung wird ein Nachweis verlangt, in welcher Weise die A-GmbH von den Tätigkeiten einzelner Abteilungen und Projekten der B-Holding Inc. profitiert hat. Ferner wird die Vorlage einer Dokumentation des „tatsächlich erzielten Nutzens und der tatsächlich empfangenen Leistungen“ gefordert. So sollen beispielweise die Kosten der US-amerikanischen M&AAbteilung nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden, da im Betriebsprüfungszeitraum keine Akquisition über Deutschland erfolgte. Abwandlung: Die deutsche A-Gruppe wird im November 2015 von der US-Inc. erworben. Ab 2016 werden eine Konzernumlage (IT, Controlling, Marketing etc.) und eine Dachmarkenlizenz iHv. 1 % verrechnet. Die Betriebsprüfung argumentiert, dass die A-Gruppe bereits über ein funktionsfähiges IT-System verfügt und infolgedessen die Zahlungen nicht als Betriebsausgabe anzuerkennen seien. b) Verrechnung dem Grunde nach Wesentliche Voraussetzung der Verrechenbarkeit konzerninterner Dienstleistungen ist nach Auffassung der FinVerw., dass die Leistungen im Interesse der empfangenden Person erbracht werden, dh. einen Vorteil erwarten lassen.40 Dies entspricht der Auffassung der OECD, wonach eine Verrechenbarkeit konzerninterner Dienstleistungen aus Fremdvergleichsgesichtspunkten dem sog. „benefit test“ genügen muss, dh. der Frage, ob beim leistungsempfangenden Unternehmen ein Nutzen oder Vorteil zum Zeitpunkt der Dienstleistungserbringung zu erwarten war.41 Diese Voraussetzung der Verrechenbarkeit von Dienstleistungen dem Grunde nach findet sich schließlich sowohl in den Verlautbarungen auf europäi-

40 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 (VWG 1983) Tz. 6.2.2.; s. auch BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235 (VWG-Umlagen“) Tz. 3.1.; Greil/Greil, ISR 2015, 67; Ditz, DB 2004, 1949; Kuckhoff/Schreiber, IStR 2000, 350. 41 Vgl. OECD Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.6, 8.19; Baumhoff in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 1748.

506

Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

scher Ebene wie auch in den einschlägigen „US-regulations for services“.42 Im Ergebnis ist daher grundsätzlich zwischen nicht verrechenbaren sog. Kontrollleistungen, die im betrieblichen oder gesellschaftsrechtlichen Interesse der Muttergesellschaft liegen, und verrechenbaren Managementdienstleistungen, die dem empfangenden Unternehmen dienen, zu unterscheiden. Die OECD hat diese Aussagen in den Verrechnungspreisleitlinien seit 2010 weitgehend überarbeitet. Hiernach sind bei der steuerlichen Gewinnermittlung inländischer Konzerngesellschaften nur deren betrieblich veranlasste Aufwendungen abzugsfähig, nicht aber jene, die auf Gesellschafterebene durch die ausländische Muttergesellschaft entstanden sind. Kosten für Leistungen, die im Anteilseignerinteresse getätigt werden (sog. „Shareholder Activities“), sind daher nicht verrechenbar. Bis dato hat allerdings nur das österreichische BMF diese Aussagen aufgegriffen und in seinen Verrechnungspreisgrundsätzen43 aufgelistet. Demnach sind die folgenden gruppeninternen Dienstleistungen nicht verrechenbar: –

Kosten des Vorstands, Aufsichtsrats sowie Gesellschafterversammlungen, soweit diese Kosten nicht Tätigkeiten betreffen, die direkt für die Tochtergesellschaft erbracht werden (zB der Vorstand der Mutterhandelt Verträge für die Tochtergesellschaft aus);



Kosten, welche die rechtliche Organisation des Konzerns als Ganzes betreffen einschließlich zB der Konsolidierung der Konzernbilanz;



Kosten der Konzernspitzengesellschaft für ihr gesetzlich auferlegte Berichtspflichten über die wirtschaftliche Lage der Konzerngesellschaften (EAS 2913 betr. die US-Soxkosten);



Kosten der Leitung und Organisation des Konzerns, die Festlegung der Konzernpolitik, die Finanzplanung für den Gesamtkonzern sowie Konzernrestrukturierungskosten (EAS 2153);



Kosten im Zusammenhang mit Erwerb und Sicherung der Beteiligung an der Konzerngesellschaft (Beratung, Finanzierung, Kontrolle);

42 Vgl. EU-JTPF v. 4.2.2010; Engler/Wellmann in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise4, Kap. N Rz. 73 mwN. 43 Vgl. Richtlinie des öBMF v. 28.10.2010 – BMF-010221/2522-IV/4/2010.

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Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen



Kosten aller anderen Aktivitäten, die auf gesellschaftsrechtlicher und nicht auf schuldrechtlicher Basis in Bezug auf Tochtergesellschaft erbracht werden;44



„aufgedrängte Leistungen“, an denen etwa die Tochtergesellschaft keinen Bedarf hat, zB die Verpflichtung zur Teilnahme an einem neuen Softwaresystem (SAP-Projekt, EAS 3055, OECD-Verrechnungspreisleitlinien Tz. 7.9);



Gewährung und Nutzung des Konzernrückhalts einschließlich des Rechts, den Konzernnamen zu führen,45 sowie der Vorteile, die sich allein aus der rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Eingliederung in den Konzern ergeben (zB höhere Kreditwürdigkeit, OECDVerrechnungspreisleitlinien Tz. 7.13);



die Gewährung und Nutzung von Vorteilen, die sich infolge von Effizienzsteigerungen bei anderen Konzerngesellschaften oder von Synergieeffekten für die Tochtergesellschaft (zB Kreditwürdigkeit) ergeben (OECD-Verrechnungspreisleitlinien Tz. 7.12).

Zu den verrechenbaren Leistungen zählen dagegen beispielsweise: –

Beratungsleistungen in den eigenen wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der Tochtergesellschaft einschließlich der Übernahme von Buchhaltungsaufgaben;



die zeitlich begrenzte Überlassung von Arbeitskräften einschließlich solcher im Führungsbereich;



die Aus- und Fortbildung sowie die soziale Sicherung von Personal, das in der Tochtergesellschaft in deren Interesse tätig ist;



marktübliche Bereitstellungen von Dienstleistungen auf Abruf, soweit dokumentiert werden kann, dass die Tochtergesellschaft diese benötigt, wobei das Ausmaß des tatsächlichen Leistungsbedarfs für einen Mehrjahreszeitraum zu untersuchen ist (OECD-Verrechnungspreisleitlinien Tz. 7.17);



Produktions- und Investitionssteuerung, soweit diese im Interesse der Tochtergesellschaft erfolgt;



Kosten einer laufenden Konzernrevision, wenn diese die Tochtergesellschaft vom Aufwand einer eigenen Revisionsstelle entlastet;

44 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 40 = FR 2001, 246. 45 Vgl. BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 40 = FR 2001, 246.

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Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen



Beratung und Finanzierung beim Erwerb von Beteiligungen durch die Tochtergesellschaft;



Managementkosten (vorab ist hierbei jedoch zu prüfen, ob eine Übertragung des Managements auf die Muttergesellschaft zu einem Wegzug der Tochtergesellschaft führt, da der tatsächliche Ort der Geschäftsleitung sich verändern kann; Rechtsfolge wäre dann die Schlussbesteuerung nach § 12 KStG).

Hinsichtlich der Angemessenheit des Gewinnaufschlags ist zu beachten, dass der sog. „Kontroll- und Koordinierungsstellenerlass des BMF,46 der einen Richtwert von 5–15 % enthielt, von der Kommission als unerlaubte Beihilfe qualifiziert und daher aufgehoben wurde. Laut den österreichischen Verrechnungspreisrichtlinien 201047 kann „als Orientierungshilfe […] für den Gewinnaufschlag bei Dienstleistungen mit Routinecharakter eine Größenordnung zwischen 5 % und 15 % herangezogen werden“. Gemäß der vom EU Joint Transfer Pricing Forum veröffentlichten Studie „European Service Provider Profit Margin Analysis“ aus dem Jahr 2009 bewegten sich die Gewinnaufschläge (bezogen auf die Vollkosten) bei (unabhängigen) europäischen Dienstleistern in den Jahr 1999–2007 in einer Bandbreite von 1,7 % (unteres Quartil) und 10,7 % (oberes Quartil). Der Median lag für diesen Zeitraum bei 4,7 % und der Durchschnitt bei 8,3 %. c) Konkrete Konsequenzen für den Sachverhalt Bezugnehmend auf obige Ausführungen ist zunächst festzuhalten, dass – entgegen dem von der Betriebsprüfung geäußerten Verständnis – die Verrechnung konzerninterner Dienstleistungen dem Grunde nach zwar die Darlegung eines aus Sicht der leistungsempfangenden Gesellschaft (naturgemäß ex ante) erwarteten Nutzens bzw. Vorteils erfordert. Dass dieser Nutzen auch tatsächlich erzielt wurde und damit (ex post) nachweisbar ist, ist demgegenüber für die Verrechenbarkeit von Dienstleistungen nicht notwendig. Man muss auch sehen, dass an die Dokumentation von Konzernumlagen nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden können, wie an die Dokumentation direkt abgerechneter Leistungen. Denn naturgemäß wird eine Umlage gerade in den Fällen erfolgen, in denen eine direkte Abrech46 BMF v. 24.8.1984 – IV C 5 - S 1300 - 3/82, BStBl. I 1984, 458 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 55. 47 S. öBMF v. 28.10.2010 – BMF-010221/2522-IV/4/2010, Tz. 77.

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Ditz/Rupp, Aktuelle Entwicklungen bei den Verrechnungspreisen

nung aus praktischen Gründen nicht möglich ist. Dies kann zB darin begründet sein, dass aufgrund der Art der erbrachten Dienstleistungen der Grad der Inanspruchnahme durch einen einzelnen Leistungsnehmer nur näherungsweise bestimmt werden kann (zB Nutzen aus einer Werbekampagne). Dann ist es aber angemessen, die Umlage auf Basis eines sachgerechten, aber gleichwohl leicht zu verifizierenden Schlüssels (zB Umsatzerlöse, Mitarbeiterzahl, Anzahl Bestellungen) zu bestimmen, der den erwarteten Nutzen der Leistungsempfänger approximiert.48 Jedenfalls wird aber nicht der gleiche Detailgrad wie bei einer direkten Abrechnung verlangt werden können. Ferner entspricht es zwar gem. VWG 1983 der Position der FinVerw., für die Verrechenbarkeit von Leistungen im Konzern grundsätzlich zur Voraussetzung zu machen, dass diese tatsächlich erbracht worden sind.49 Dies schließt allerdings nicht aus, dass auch „das marktübliche Bereitstellen von Dienstleistungen auf Abruf“ verrechenbar ist.50 Auch die OECD stellt diesbezüglich fest, dass die Verrechnung sog. on call-Leistungen bzw. von „standby-charges“ dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Denn auch zwischen fremden Dritten werden regelmäßig Verrechnungen dafür vorgenommen, dass ein Unternehmen einem anderen Unternehmen ermöglicht, Leistungen auf Abruf in Anspruch zu nehmen, bzw. dafür, dass erstgenanntes Unternehmen diese Leistungen bereithält.51 Entsprechendes wird auch auf europäischer Ebene vertreten.52 Damit wird deutlich, dass – entgegen der Auffassung der Betriebsprüfung – auch Dienstleistungen auf Abruf verrechenbar sind, soweit deren Bereitstellung dem Verhalten fremder Dritter entspricht. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass auch die Bereitstellung konzernspezifischer Dienstleistungen unter Fremdvergleichsgesichtspunkten abrechenbar sein kann, die selbst nicht marktgängig sind.53 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das unlängst ergangene BMFSchreiben v. 5.7.201854 betreffend Umlagen selbst zwar keine Hinweise zum Benefit Test enthält, sondern allein auf Kap. VIII der OECD-Verrech48 49 50 51 52 53

Vgl. OECD Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz. 7.23 ff. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.3. Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.3.1. Vgl. OECD Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz. 7.16. Vgl. EU-JTPF v. 4.2.2010, 11. Vgl. Baumhoff in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 1763 ff. 54 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743 = FR 2018, 715.

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nungspreisrichtlinien verweist. Auch dort ist aber die Rede davon, dass die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bedeutet, dass von der Teilnahme am Umlagevertrag ein Vorteil erwartet wird. Ferner würden unabhängige Unternehmen erwarten, dass der Beitrag eines jeden Teilnehmers dem erwarteten Nutzen aus dem Vertrag entspricht.55 Folglich ist der Benefit Test in Form eines erwarteten Nutzens im Zeitpunkt der Teilnahme am Umlagevertrag auschlaggebend; auf den tatsächlichen Nutzen kommt es nicht an. Soweit konzerninterne Dienstleistungen indirekt auf Basis von Aufteilungsschlüsseln verrechnet werden, wird im Rahmen der Betriebsprüfung häufig die Auffassung vertreten, die Aufteilungsschlüssel seien nicht sachgerecht. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach ausdrücklicher Auffassung der FinVerw. der Aufwand auf Basis des erwarteten Nutzens der leistungsempfangenden Gesellschaften aufzuteilen ist, der anhand betriebswirtschaftlicher Grundsätze und aller vernünftigerweise vorhersehbaren Entwicklungen zu ermitteln ist.56 Es ist der Verteilungsmaßstab auszuwählen, der im Einzelfall der sachgerechteste ist. Dabei liegt die Auswahl eines Schlüssels im Ermessen des Geschäftsleiters, dh. des Stpfl.57 Damit ist zunächst festzuhalten, dass es nach Auffassung der FinVerw. selbst keine starren Vorgaben zur Bestimmung von Aufteilungsschlüsseln gibt. Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall im Interesse an einer verursachungsgerechten und leistungsentsprechenden Zuordnung ein Schlüssel zu bestimmen. Dies liegt aber im eigenen, sachgerechten Ermessen des Geschäftsleiters (des leistungserbringenden Unternehmens).58

3. Angemessene Lizenzgebühren und DEMPE a) Sachverhalt Die Schweizer JUMP-Gruppe agiert global unter der Marke „JUMP“ (Wort, grafischer Schriftzug). Die Tochtergesellschaften, einschließlich der in Bonn ansässigen JUMP GmbH, treten im Geschäftsverkehr in den jeweiligen Ländern (hier: in Deutschland) unter der Marke „JUMP“ auf, führen diese in ihrer Firma und vertreiben darunter Produkte an Endkun55 Vgl. OECD Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz. 8.12 f. 56 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235 Tz. 3.1.; s. auch OECD Verrechnungspreisrichtlinien 2017, Tz. 8.19. 57 Vgl. BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235 Tz. 3.2. 58 Vgl. nur Baumhoff in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2094 ff.

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den. Die JUMP AG hat ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in der Schweiz und ist für die konzernweite Führung sowie allen wesentlichen Funktionen im Zusammenhang mit der Marke zuständig. Die Marke ist in allen relevanten Ländern durch die Schweizer JUMP AG als Eigentümerin geschützt und wird mittels entgeltlicher Markenlizenzvereinbarung (umsatzbasierte Lizenzgebühr von 2 %) ua. an die JUMP GmbH lizenziert. Die Betriebsprüfung der JUMP GmbH beabsichtigt eine Korrektur auf Basis einer verdeckten Gewinnausschüttung für die Prüfungsjahre 2014–2016 vorzunehmen. Sie vertritt die Auffassung, dass eine Analyse anhand des sog. DEMPE-Ansatzes der OECD vorzunehmen sei. Schließlich sei dieser DEMPE-Ansatz in den OECDVerrechnungspreisleitlinien 2017 enthalten. Demnach soll in einem ersten Schritt die Wertschöpfung für den zu bepreisenden immateriellen Wert ermittelt und gewichtet werden. Anhand von gewichteten Äquivalenzziffern sollen die Wertschöpfungsbeiträge auf den Lizenzgeber und Lizenznehmer aufgeteilt werden. In einem zweiten Schritt soll die Verteilung der gewichteten Wertschöpfung auf die jeweiligen Beiträge erfolgen. Für diese Verteilung sollen ua. die angefallenen Kosten herangezogen werden. Demnach ist der Lizenzsatz von 2 % viel zu hoch; stattdessen sei ein Lizenzsatz von lediglich 1 % fremdüblich, was durch den DEMPE-Ansatz nachgewiesen werden kann. Schließlich werden funktional alle DEMPE Funktionen durch die JUMP GmbH übernommen, so die Betriebsprüfung. Ist die Anwendung des DEMPE-Ansatzes der OECD durch die Betriebsprüfung sachgerecht?

b) DEMPE-Ansatz der OECD im Überblick Ziel des Aktionspunkts 8 des BEPS-Projekts ist es, den Steuerbehörden neue Instrumente an die Hand zu geben, um Gewinnverkürzungen und -verlagerungen internationaler Konzerne durch die Verlagerung von IP zu bekämpfen. So soll sichergestellt werden, dass die im Zusammenhang mit der Übertragung und Nutzung immaterieller Werte erzielten Gewinne im Einklang mit der Wertschöpfungskette angemessen zugeordnet werden. Hierfür wurde ein Prüfschema mit sechs Schritten von der OECD etabliert:59 Im 1. Schritt müssen die im Rahmen des Geschäftsvorfalls genutzten oder übertragenen IP analysiert werden. Im Beispiel operiert der Konzern unter der einheitlichen Marke JUMP, die in unterschiedlicher Weise verwendet wird. Primär besteht die Marke aus dem Markenzeichen JUMP. Die Marke ist ferner ein Firmenname, da ihn alle Konzerngesellschaften 59 Vgl. OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 6.32 ff., 6.48; Puls/Heravi, IStR 2018, 721 (723 ff.).

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in ihrer Firma führen. Schließlich verbinden die Kunden die unter dieser Marke vertriebenen Produkte mit hoher Qualität; dieses Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der Marke bei den Endkunden spiegeln sich in einer hohen Reputation wider. Im 2. Schritt sind die vertraglichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit den IP zu identifizieren. Dies kann bspw. mittels schriftlicher Verträge oder Markenanmeldungen zwischen den Beteiligten erfolgen. Im vorliegenden Fall erfolgt die Bestimmung des rechtlichen Eigentums über die Markeneintragungen der Schweizer JUMP AG in den verschiedenen Ländern, schriftliche Markenlizenzverträge zwischen der JUMP AG (Lizenzgeberin) und ua. der JUMP GmbH (Lizenznehmerinnen) sowie konzerninterne Richtlinien über die Verwendung der Marke (Branding Guidelines). Die JUMP AG ist als rechtliche Eigentümerin zu qualifizieren. Im 3. Schritt muss im Rahmen einer Funktionsanalyse ermittelt werden, welche Konzerngesellschaften welche Tätigkeiten wahrnehmen, Vermögenswerte nutzen und Risiken übernehmen, und zwar hinsichtlich der Entwicklung (Development), Verbesserung (Enhancement), Aufrechterhaltung (Maintenance), des Schutzes (Protection) und der Verwertung (Exploitation): –

Entwicklung (Development). Die Entwicklungsfunktion umfasst Tätigkeiten hinsichtlich Ideenfindung für mögliche IP. Bei Dachmarken spielt die Entwicklungsfunktion idR eine untergeordnete Rolle, da solche Marken meist seit vielen Jahren etabliert sind. Folgende Tätigkeiten können bspw. darunter erfasst werden: Definition, welche Werte, Leistungen und Charakteristika mit der Marke in Verbindung gebracht werden sollen; Entwicklung möglicher Markennamen und grafischer Schriftzüge.



Verbesserung (Enhancement). Die Verbesserungsfunktion umfasst Tätigkeiten, die darauf abzielen, dass die IP funktionieren und stetig verbessert werden. Bezogen auf eine Dachmarke umfasst die Funktion bspw. folgende Tätigkeiten: Befragungen, mit welchen Attributen eine Marke in Verbindung gebracht wird und welche Stärken/Schwächen sie hat; Überarbeitung eines grafischen Logos; Maßnahmen zur Verbesserung des Markenimages.



Aufrechterhaltung (Maintenance). Die Aufrechterhaltungsfunktion umfasst Tätigkeiten, die darauf abzielen, den Wert von IP und die Ertragsbasis zu erhalten. Die Funktion umfasst bei Dachmarken bspw. folgende Tätigkeiten: Erlass von Richtlinien über die einheitliche Be513

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nutzung der Marke im Konzern (Branding Guidelines) und deren Überwachung; Planung und Durchführung von Marketingkampagnen zur Schärfung der Marke. –

Schutz (Protection). Die Schutzfunktion umfasst Tätigkeiten hinsichtlich des Schutzes von IP sowie die Bekämpfung von Rechtsverletzungen. Bei Dachmarken handelt es sich dabei um eine Funktion, die in der Praxis häufig von der Rechts- und nicht der Marketingabteilung ausgeübt wird. Sie umfasst bspw. folgende Tätigkeiten: erstmalige Registrierung von Marken im Register für geistiges Eigentum; Überwachung und Verlängerung des Gültigkeitsschutzes der Marke in einzelnen Ländern; Abmahnungen an Unternehmen, die unberechtigterweise die Marke verwenden.



Verwertung (Exploitation). Die Verwertungsfunktion umfasst Tätigkeiten im Hinblick auf die finanzielle Verwertung entwickelter IP. Die Funktion hängt stark davon ab, wie industriespezifisch Gewinne aus IP generiert werden. Die Verwertungsfunktion umfasst bspw. folgende Tätigkeiten: Erlass von Richtlinien, wie die Marke im Verkauf hinsichtlich der Erhöhung des Umsatzes am besten eingesetzt wird; Bestimmung des Lizenzsatzes bei Lizenzierung der Marke an Dritte.

Im darauf folgenden 4. Schritt ist zu prüfen, ob die vertraglichen Vereinbarungen (2. Schritt) und die wirtschaftliche Realität (3. Schritt) übereinstimmen. Sofern nicht, ist im 5. Schritt die wirtschaftliche Realität den vertraglichen Vereinbarungen vorzuziehen. Im 6. Schritt ist schließlich für die Transaktion ein fremdüblicher Preis zu ermitteln. Beim DEMPE-Funktionskonzept der OECD handelt es sich somit um ein auf Wertschöpfungsfunktionen basierendes Instrument zur Analyse der konzerninternen Übertragung und Nutzung von IP in Bezug auf wahrgenommene bzw. kontrollierte Tätigkeiten, genutzte bzw. bereitgestellte Vermögenswerte und übernommene Risiken und damit zur Bestimmung derjenigen Konzerngesellschaften, die einen Anspruch auf die Erträge aus der Verwertung der IP haben. Der deutsche Gesetzgeber gedenkt, das DEMPE-Konzept in § 1 Abs. 3c AStG-E zu übernehmen. Diejenige Konzerngesellschaft, die kumulativ rechtliche Eigentümerin ist und alle DEMPE-Wertschöpfungsfunktionen ausübt und kontrolliert, alle dafür notwendigen Vermögenswerte bereitstellt und alle damit zusammenhängenden Risiken übernimmt, hat nach der Diktion der OECD einen Anspruch auf sämtliche Erträge, die der Konzern durch die Verwer514

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tung der IP erzielt. Wenn eine Konzerngesellschaft zwar rechtliche Eigentümerin ist, jedoch keine Funktionen ausübt, keine Vermögenswerte bereitstellt und keine Risiken trägt, hat sie keinen Anspruch auf die Erträge. Dies wäre dann gegeben, wenn der Markeninhaber über die Markenregistrierung zwar rechtlicher Eigentümer wäre, ansonsten jedoch keine Wertschöpfungsfunktionen ausübt. Der Markeninhaber hätte dann ggf. Anspruch auf Entschädigung für die Gebühren der Markenregistrierung. Wenn eine Konzerngesellschaft die Finanzierung der DEMPE-Wertschöpfungsfunktionen übernimmt, diese jedoch selbst weder ausübt noch kontrolliert, hat sie lediglich Anspruch auf eine angemessene risikobereinigte Rendite auf das eingesetzte Kapital. Im Beispiel wäre dies dann gegeben, wenn die Holding alle Kosten im Zusammenhang mit der Marke trüge (Marketingkampagnen, Prozesse gegen Markenverletzungen), diese Funktionen jedoch durch die Tochtergesellschaften ausgeübt und kontrolliert würden. Da die Holding in diesem Fall das finanzielle Risiko trägt, hat sie Anspruch auf eine angemessene Rendite. Wenn eine Konzerngesellschaft gewisse DEMPE-Wertschöpfungsfunktionen an eine andere auslagert, hat sie weiterhin Anspruch auf die Erträge, sofern sie die Kontrolle über die ausgelagerten Funktionen hat. Die Gesellschaft, an welche die Funktionen ausgelagert werden, hat einen Anspruch auf eine marktübliche Entschädigung bspw. auf Basis der Kostenaufschlags- bzw. kostenbasierten Nettomargenmethode. Im Rahmen einer Funktionsanalyse für die Verrechnungspreisdokumentation könnte das Verhältnis zwischen der delegierenden/kontrollierenden sowie der ausführenden Gesellschaft mittels eines RACI-Diagramms festgehalten werden. Mit einem solchen Diagramm wird illustriert, wer eine Tätigkeit effektiv durchführt (responsible), wer die Verantwortung trägt (accountable), wer zu konsultieren (consulted) und zu informieren (informed) ist. Im Beispiel könnte dies wie folgt illustriert werden: Der Konzern möchte das Markenbewusstsein erhöhen und zu diesem Zweck einen internationalen Sportanlass sponsern. Die Holding beschäftigt einen Chief Communication Officer mit Erfahrung im Bereich Branding und Sponsoring. Er instruiert die Marketingabteilung auf Stufe seines Arbeitgebers, der Holding, dieses Sponsoring zu koordinieren und durchzuführen, erteilt ihr dafür klare Weisungen und überwacht die Einhaltung. Die Holding delegiert zwar gewisse Funktionen an die Tochtergesellschaft, behält jedoch die Kontrolle darüber. In diesem Fall hat die Holding weiterhin Anspruch auf die Erträge aus der Verwertung der

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Dachmarke, muss die Tochtergesellschaft jedoch für die Tätigkeiten entschädigen. c) DEMPE-Ansatz in aktuellen Betriebsprüfungen In ihrer Prüfungsfeststellung vertritt die Betriebsprüfung die Auffassung, dass die Tatsache, dass die Schweizer JUMP AG rechtliche Inhaberin immaterieller Wirtschaftsgüter der JUMP-Gruppe sei, nicht zwingend mit einem Anspruch auf die entsprechenden Erträge einhergehe. Vielmehr sei gemäß dem „DEMPE“-Ansatz der OECD die deutsche JUMP GmbH wirtschaftlicher Eigentümer der immateriellen Wirtschaftsgüter, so dass ihr die zugehörigen Erträge zustünden. Diese Auffassung verkennt die Stellung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien und lässt die dazu ergangene BFH-Rspr. völlig unberücksichtigt. Denn die Zurechnung immaterieller Wirtschaftsgüter stützt sich allein auf die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 und das darin enthaltene DEMPE-Konzept. Für die Frage, ob die hier fraglichen immateriellen Wirtschaftsgüter danach der inländischen JUMP GmbH oder der Schweizer JUMP AG zuzurechnen sind, ist dies jedoch ohne Bedeutung. Denn die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 besitzen in Deutschland keine unmittelbare Rechtswirkung. Vielmehr handelt es sich lediglich um eine Auslegungshilfe für solche DBA, die in Struktur und Wortlaut an das OECD-MA anknüpfen. Diese Funktion besitzen die Leitlinien indes nur, wenn die jeweilige Leitlinienversion im Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden DBA bereits gültig war und unterstellt werden kann, dass die Vertragsstaaten diese im Rahmen ihrer Willensbildung berücksichtigt haben.60 Dies entspricht der stRspr. des BFH.61 So hat der BFH ausdrücklich festgestellt, dass Verlautbarungen der OECD „lediglich eine Hilfe für die Abkommensauslegung darstellen“ und „den Willen der Vertragsparteien jener [älteren] Abkommen […] die neueren Kommentierungen der OECD nicht widerspiegeln [können]“.62

Für eine vom rechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung immaterieller Wirtschaftsgüter bieten die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 60 Sog. statische Auslegung, vgl. nur Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 2.174; Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 9 OECD-MA Rz. 103; Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 9 Rz. 28. 61 Vgl. BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, BStBl. II 2013, 186 = FR 2011, 127; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 = FR 2011, 1175. 62 BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, BStBl. II 2013, 186 = FR 2011, 127.

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2017 mithin – entgegen der von der Betriebsprüfung vertretenen Auffassung – keine Rechtsgrundlage. Im Übrigen muss man sehen, dass das vorliegend einschlägige DBA Deutschland-Schweiz aus dem Jahr 1971 stammt. Der hinsichtlich der OECD-Verrechnungspreisleitlinien relevante Art. 9 DBA DeutschlandSchweiz stimmt mit Art. 9 OECD-MA 1963 überein.63 Selbst wenn daher den OECD-Verrechnungspreisleitlinien eine unmittelbare Rechtswirkung zukäme, wären gem. zutreffender statischer Auslegung jedenfalls die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 ohne Belang. Schließlich stellt sich auch die Frage, inwiefern das DEMPE-Konzept der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 mit der Definition des wirtschaftlichen Eigentums gem. § 39 Abs. 1 Nr. 2 AO harmoniert. Beide Konzepte – das DEMPE-Konzept einerseits und das Konzept des wirtschaftlichen Eigentums andererseits – betreffen unterschiedliche Betrachtungsebenen: Im Rahmen des DEMPE-Konzepts geht es um die Beantwortung der Frage nach der wirtschaftlichen Ertragsberechtigung. Insofern handelt es sich um eine Interpretation des Fremdvergleichsgrundsatzes zur Identifikation desjenigen Anspruchsinhabers, dem der aus einem immateriellen Vermögenswert resultierende Erfolg (Gewinn) wirtschaftlich zuzurechnen ist. Dies ist nach deutschem Handels- und Steuerbilanzrecht der wirtschaftliche Eigentümer. Diese Frage betrifft die Gewinnermittlung auf der Grundlage eines Betriebsvermögensvergleichs nach §§ 4 und 5 EStG unter Berücksichtigung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung.64 Die OECD geht davon aus, dass das DEMPE-Konzept über Art. 9 Abs. 1 OECD-MA in die internationale Einkünfteabgrenzung eingreift. Aus deutscher Sicht ist diese Betrachtungsweise allerdings nicht ausreichend; vielmehr ist das deutsche Bilanzrecht zu beachten, das gem. § 39 Abs. 1 Nr. 2 AO den wirtschaftlichen Eigentümer definiert und ihm dann das aus dem Wirtschaftsgut resultierende Einkommen zurechnet. Offensichtlich greift das DEMPE-Konzept der OECD somit auch in die Frage der Zuordnung des immateriellen Vermögenswerts ein und betrifft damit auch das nationale Gewinnermittlungsrecht. Dies ist jedoch in der Literatur umstritten. Es wird auch die Auffassung vertreten, dass sich das DEMPE-Konzept in einer wertschöpfungsbeitragsorientierten Erfolgszurechnung (Einkünfteabgrenzung der

63 Vgl. Scherer in Wassermeyer, DBA, Art. 9 DBA-Schweiz Rz. 1. 64 Vgl. dazu auch Puls/Heravi, IStR 2018, 721 (724 f.).

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Höhe nach) erschöpft und es nicht die Frage der bilanziellen Zuordnung eines Wirtschaftsguts tangiert.65 Im Ergebnis ist die Anwendung des DEMPE-Ansatzes der OECD durch die Betriebsprüfung vorliegend nicht sachgerecht. Dies gilt erst recht für die vorliegenden Prüfungsjahre 2014–2016 und im Verhältnis zur Schweiz.

65 Vgl. Puls/Hervai, IStR 2018, 721 (728).

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Rechtsprechungs-Highlights zur Umsatzsteuer Prof. Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München I. Einleitung II. Rechtsprechung zum Unternehmer 1. Bruchteilsgemeinschaft (BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17) a) Fall b) Bisherige Rechtsprechung zur Vermietung und zu Mähdreschern c) Die neuen Maßstäbe aa) Grundlage: Maßgeblichkeit des Rechtsverhältnisses (BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17) bb) Unionsrecht: Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger cc) Folgen: Kein Außenrechtsverhältnis der Gemeinschaft, sondern Rechtsverhältnisse der Gemeinschafter dd) Vorsteuerabzug, Steuerschuldner, Vollstreckung ee) Einheitliche Feststellung nach § 1 Abs. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO d) Keine Auswirkungen der neuen Rechtsprechung auf nach § 14 BGB rechtsfähige Personengesellschaften e) Rechnung 2. Neues zum erfolglosen Unternehmer a) Fall b) Das Vorabentscheidungsersuchen des V. Senats

c) Kern der Fragestellung III. Fragen nach Einheitlichkeit und Teilbarkeit von Leistungen 1. Pflanzenlieferung für eine Gartenanlage (BFH v. 14.2.2019 – V R 22/17) a) Fall b) Die Entscheidungsgrundsätze 2. Anwendung des Art. 64 MwStSystRL a) Bedeutung b) Entscheidung des BFH aa) Leitsatz und Ergebnis bb) Grundsatz der Sollbesteuerung cc) Berufung auf Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL dd) Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL stellt darauf ab, ob Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Zahlungen Anlass geben c) Der Kern der Entscheidung IV. Gegenleistung – Entgelterhöhung 1. Nachträgliche Entgelterhöhung im Kundenbindungssystem (BFH v. 26.6.2019 – V R 64/17) 2. Zur Besteuerung bei PrepaidVerträgen (BFH v. 10.4.2019 – XI R 4/17) a) Fall b) Leitsatz c) Erster Schritt: Ermöglichen der Plattform-Nutzung ohne Entgelt

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zur Umsatzsteuer d) Zweiter Schritt: Verfall als nachträgliches Entgelt nach § 17 UStG e) Unterschiede zwischen der Kundenbindungs-Rechtsprechung und der PrepaidEntscheidung V. Vorsteuerabzug – Rechnungserfordernisse 1. Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer (BFH v. 14.2.2019 – V R 47/16) a) Fall b) Leitsatz c) Materielles Recht d) Zum Verfahrensrecht 2. Steuerschuld nach § 14c UStG (BFH v. 13.12.2018 – V R 4/18) a) Fall b) Leitsätze c) Wichtige Aspekte der Entscheidung 3. Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment a) BFH v. 16.5.2019 – XI B 13/19 b) BFH v. 14.3.2019 – V B 3/19

VI. Steuerfreiheit 1. Schwimmschule versus Fahrschule 2. Berufsverbände (BFH v. 13.12.2018 – V R 45/17) a) Fall b) Leitsatz c) Unternehmereigenschaft von Vereinen bei Leistungen gegenüber den Mitgliedern d) Besonderheiten bei Berufsverbänden e) Rechtsfehler des FG: Es hat die Stellung als Berufsverband völlig außer Acht gelassen VII. Varia: Pauschalierung (BFH v. 27.3.2019 – V R 10/19 [V R 60/16]) 1. Leitsatz 2. Anwendung des § 25 UStG auf unionaler Grundlage 3. Maßgebliche Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften über die Sonderregelungen für Reisebüros durch EuGH Alpenchalets Resorts

I. Einleitung Die folgenden Ausführungen geben eine Tour d’Horizon über wichtige Judikate im Bereich des Umsatzsteuerrechts, die cum grano salis der Struktur des Gesetzes folgen. Dabei wird einmal mehr deutlich, wie gravierend dieses Rechtsgebiet bestimmt wird durch eine stete Interaktion der nationalen Gerichte mit dem EuGH. So enthält auch diese Übersicht über Highlights des Jahres 2019 wiederum Fragen an den EuGH (erfolgloser Unternehmer) und Entscheidungen des BFH nach einer Antwort auf seine Fragen durch den EuGH (zB zu Art. 64 MwStSyStRL).

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II. Rechtsprechung zum Unternehmer 1. Bruchteilsgemeinschaft (BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17) a) Fall A, B und C entwickelten Systeme zur Gewebecharakterisierung. Diese Erfindungen lizensierten sie gemeinsam an eine KG, die ihnen dafür Lizenzgebühren mit dem Regelsteuersatz gutschrieb. A versteuerte die Lizenz-Gebühren mit dem ermäßigten Steuersatz. Das FA unterwarf die Gebühren dem Regelsteuersatz. Im Rechtsbehelfsverfahren berief sich A auf die Bruchteilsgemeinschaft als Unternehmerin. b) Bisherige Rechtsprechung zur Vermietung und zu Mähdreschern „Vermieten Ehegatten mehrere in ihrem Miteigentum zu gleichen Bruchteilen stehende Grundstücke, bildet nicht zwangsläufig jede nach dem sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz selbständige Bruchteilsgemeinschaft je Objekt ein selbständiges Unternehmen. Die Ehegatten bilden in Gemeinschaft jedenfalls dann nur ein Unternehmen, wenn sie an den Bruchteilsgemeinschaften in gleichem Verhältnis beteiligt sind, wenn eine einheitliche Willensbildung gewährleistet ist und wenn die Ehegatten bei der Vermietung nach außen im wesentlichen gleich auftreten.“1

Unternehmer iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 kann auch eine Bruchteilsgemeinschaft sein. Rechtsfähigkeit iS des BGB ist für die Eigenschaft als Stpfl. iSd es UStG nicht erforderlich. Die Verwaltung gemeinschaftlichen Eigentums (des Gegenstands der Gemeinschaft) kann als unternehmerische Tätigkeit nach den Regeln der Gemeinschaft ausgeführt werden. Der Bildung einer gesonderten GbR bedarf es nicht. Allerdings: Wird der Gegenstand von den Gemeinschaftern jeweils für ihr eigenes Unternehmen genutzt, sah der BFH die Gemeinschafter nach Maßgabe ihrer Umsatztätigkeit als zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt an. BFH v. 1.10.1998 – V R 31/98 (Mähdrescher):2 „1. Erwerben mehrere Landwirte gemeinsam als Bruchteilsberechtigte einen Mähdrescher, um diesen in ihren eigenen landwirtschaftlichen Betrieben einzusetzen, so sind sie umsatzsteuerrechtlich Leistungsempfänger, wenn die Bruchteilsgemeinschaft selbst keine Umsätze ausführt.

1 Leitsatz BFH v. 25.3.1993 – V R 42/89, BStBl. II 1993, 729. 2 BFH v. 1.10.1998 – V R 31/98, BStBl. II 2008, 497 = UR 1999, 36.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zur Umsatzsteuer 2. In diesem Fall steht jedem der Landwirte der Vorsteuerabzug entsprechend seinem Anteil an der Bruchteilsgemeinschaft zu, wenn seine Umsätze nicht der Besteuerung nach Durchschnittsätzen unterliegen.“

c) Die neuen Maßstäbe aa) Grundlage: Maßgeblichkeit des Rechtsverhältnisses (BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17) Die Person des Leistenden und des Leistungsempfängers bestimmt sich nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Dieses Rechtsverhältnis ergibt sich regelmäßig aus den zivilrechtlich getroffenen Vereinbarungen.3 bb) Unionsrecht: Rechtsverhältnis zwischen Leistendem und Leistungsempfänger Auch unional wird nach ständiger EuGH-Rspr. eine Lieferung oder Dienstleistung nur dann gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet.4 Dies ist dann der Fall, wenn es zwischen der erbrachten Leistung und dem erhaltenen Entgelt einen unmittelbaren Zusammenhang gibt, wobei die gezahlten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Leistung darstellen, die im Rahmen eines solchen Rechtsverhältnisses erbracht wurde.5

3 BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17, BFHE 263, 90 = UR 2019, 237. 4 EuGH v. 16.12.2010 – C-270/09 (MacDonald Resorts), UR 2011, 462 Rz. 16; v. 20.6.2013 – C-653/11 (Newey), UR 2013, 628 Rz. 40. 5 EuGHv. 3.3.1994 – C-16/93 (Tolsma), HFR 1994, 357 Rz. 13 f.; v. 16.12.2010 – C-270/09 (Macdonald Resorts), UR 2011, 462 Rz. 16 und 26; v. 10.11.2016 – C-432/15 (Basˇtová), UR 2016, 913 Rz. 28; v. 5.7.2018 – C-544/16 (Marcandi), UR 2018, 706 Rz. 36 f.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zur Umsatzsteuer

cc) Folgen: Kein Außenrechtsverhältnis der Gemeinschaft, sondern Rechtsverhältnisse der Gemeinschafter Auch der BFH vertritt in stRspr. die Notwendigkeit, die Leistung nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu bestimmen.6 Die nicht rechtsfähige Bruchteilsgemeinschaft kann aber keine Verpflichtungen begründen; sie kann keine Berechtigungen erwerben. Deshalb liegt eine Vermietung durch die Gemeinschafter, nicht aber durch die Gemeinschaft vor. Deshalb geht der BFH nunmehr davon aus, dass die Leistung mit dem gemeinsamen Gegenstand anteilig durch die Gemeinschafter, nicht aber durch die Gemeinschaft selbst erbracht wird. dd) Vorsteuerabzug, Steuerschuldner, Vollstreckung Sind die Gemeinschafter die leistenden Unternehmer, müssen sie jeweils den Verzicht nach § 9 UStG erklären. Für die Kleinunternehmergrenzen kommt es allein auf den jeweiligen Gemeinschafter an. Der Gemeinschafter ist demnach auch die zum Vorsteuerabzug berechtigte Person. Grund für diese Rechtsprechungsänderung ist aber auch die –

eindeutige Bestimmung des Steuerschuldners und



Vollstreckbarkeit von Steuerbescheiden.

Die Behandlung der Gemeinschaft als Unternehmer führt nämlich zu Schwierigkeiten, da es die Gemeinschafter sind, die die Vergütung für die gemeinsam erbrachte Leistung vereinnahmen und in Vollstreckungsfällen nur eingeschränkte Beitreibungsmöglichkeiten gegen die Gemeinschaft als Unternehmer bestehen (vgl. § 267 Satz 1 AO). ee) Einheitliche Feststellung nach § 1 Abs. 2 VO zu § 180 Abs. 2 AO Schwierigkeiten ergeben sich aus der rechtlichen Beurteilung weder bei der Leistungserbringung noch beim Leistungsbezug, da die verbindliche Aufteilung auf die Gemeinschafter durch § 1 Abs. 2 der VO über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 1 AO erreicht werden kann. Dies setzt für die USt. voraus, dass mehrere Unternehmer im Rahmen eines Gesamtobjekts Umsätze ausführen oder empfangen. Für das Vorliegen gleichartiger Rechtsbeziehungen zu demselben

6 Vgl. zB BFH v. 2.8.2018 – V R 21/16, BFHE 262, 548 = BStBl. II 2019, 339 = UR 2019, 17 Rz. 22.

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Dritten reichen dabei die entsprechenden Beziehungen auf der Eingangsoder Ausgangsseite aus. d) Keine Auswirkungen der neuen Rechtsprechung auf nach § 14 BGB rechtsfähige Personengesellschaften Nicht betroffen von der Rechtsprechungsänderung sind Personengesellschaften. Sowohl die Personenhandelsgesellschaften als auch GbR sind nach § 14 BGB rechtsfähig. Auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist partiell rechtsfähig (§ 10 Abs. 6 WEG). e) Rechnung Zusätzliche Einzelangaben sind nicht erforderlich. Dabei muss der Rechtsanwender das BFH-Urteil v. 6.10.2005 – V R 40/01 beachten:7 Es reicht für „die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug des unternehmerisch tätigen Ehegatten eine an beide Ehegatten ausgestellte Rechnung aus, auch wenn sie keine Angaben zu den Anteilen der Ehegatten und keine entsprechenden Teilbeträge ausweist, wenn nach den Umständen des Falls keine Gefahr besteht, dass es zu Steuerhinterziehung oder Missbrauch kommt“.

Das muss auch bei der Gemeinschaft im Übrigen gelten.

2. Neues zum erfolglosen Unternehmer a) Fall Im Mittelpunkt steht das Ersuchen des BFH an den EuGH zur Vorabentscheidung mit seinem Beschluss vom 27.3.2019 – V R 61/178 mit einer neuen Variante zum Problembereich des erfolglosen Unternehmers: Im Jahr 2003 richtete der Betreiber eines Altenheim- und Pflegeheims K in einem Anbau eine Cafeteria ein, die für Besucher durch einen Außeneingang und für Heimbewohner durch den Speisesaal des Pflegeheims zugänglich war. Er ging zunächst davon aus, die Cafeteria ausschließlich für steuerpflichtige Umsätze zu nutzen. Aber auch die Heimbewohner konnten mit ihren Besuchern die Cafeteria aufsuchen und nutzen. Eine Verständigung mit dem FA kam zustande, eine steuerfreie Nutzung der Cafeteria zu 10 % anzunehmen; Korrektur nach § 15a UstG. Aber die

7 BFH v. 6.10.2005 – V R 40/01, BStBl. II 2007, 13 = UR 2006, 481. 8 BFH v. 27.3.2019 – V R 61/17, UR 2019, 432, Az. EuGH C-374/19.

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Cafeteria „lief“ in den Folgejahren nicht. Ab dem Jahr 2009 kam es zu keinerlei Warenumsätzen und 2013 wurde das Gewerbe abgemeldet. Das FA und auch das FG gingen nun von einer 100%igen steuerfreien Nutzung der Cafeteria aus. b) Das Vorabentscheidungsersuchen des V. Senats 9 Klärungsbedürftig und nach Auffassung des Senats durch den EuGH zu entscheiden ist, ob eine vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängige Erfolglosigkeit, die zu einer bloßen Nichtnutzung eines Investitionsguts führt, eine Änderung der Faktoren bewirkt, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt wurden (Art. 185 Abs. 1 MwStSystRL). Vorsteuerabzug 10 Der Unternehmer wird durch den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet. Damit wird völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis gewährleistet, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.9 Recht auf Vorsteuerabzug bleibt bei Erfolglosigkeit erhalten 11 Dabei bleibt das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erhalten, wenn der Steuerpflichtige die Gegenstände und Dienstleistungen, die zu dem Abzug geführt haben, später aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, nicht im Rahmen besteuerter Umsätze verwenden konnte.10 Andernfalls käme es entgegen dem Grundsatz der Neutralität zu willkürlichen Unterscheidungen, da die endgültige Zulassung der Abzüge davon abhinge, ob Investitionen zu steuerbaren Umsätzen führen.11 Es ist daher mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht vereinbar, die endgültige Zulassung der Vorsteuerabzüge von den Ergebnissen der vom Steuerpflichtigen ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit 9 EuGH v. 15.12.2005 – C-63/04 (Centralan Property), UR 2006, 418 Rz. 51; v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), UR 2018, 440 Rz. 38. 10 EuGH v. 29.2.1996 – C-110/94 (INZO), UR 1996, 116 Rz. 20; v. 15.1.1998 – C-37/95 (Ghent Coal Terminal), UR 1998, 149 Rz. 19 f.; v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), UR 2018, 440 Rz. 40 und 42. 11 EuGH v. 29.2.1996 – C 110/94 (INZO), UR 1996, 116 Rz. 22; v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), UR 2018, 440 Rz. 43.

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abhängig zu machen. Dies führe zu ungerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen mit demselben Profil und derselben Tätigkeit in Bezug auf die steuerliche Behandlung von identischen Immobilieninvestitionstätigkeiten.12 Gleichstellung absichtsloser Nichtverwendung und Nichtverwendung in Absicht steuerpflichtiger Verwendung 12 Die vom Willen des Unternehmers unabhängige Nichtverwendung ohne weitere Nutzungsabsicht kann einer Nichtverwendung trotz Absicht zu einer steuerpflichtigen Nutzung, wie sie dem EuGH-Urteil Imofloresmira – Investimentos Imobiliários13 zugrunde lag, gleichzustellen sein. 13 Hat der Unternehmer in der Absicht einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Nutzung ein Wirtschaftsgut hergestellt und kann er die beabsichtigte Nutzung wegen einer von seinem Willen unabhängigen Erfolglosigkeit nicht dauerhaft verwirklichen, würde das sich hieraus ergebende Fehlen jeglicher Nutzung und jeglicher Verwendungsabsicht keine Änderung der Verhältnisse bewirken, die zu einer Vorsteuerberichtigung führt. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 14 Die bereits in den Streitjahren bestehende Schließung des Betriebs der Cafeteria beruhte nach den für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) auf der fehlenden wirtschaftlichen Rentabilität und damit auf der Erfolglosigkeit der Klägerin, die für sich genommen keine Änderung der Verhältnisse begründete. Keine ausschließlich steuerfreie Nutzung durch die Heimbewohner 15 Die Schließung des Betriebs der Cafeteria führte nicht dazu, dass eine ausschließlich steuerfreie Nutzung durch die Heimbewohner vorlag. Denn durch die Betriebsschließung hat sich der Umfang der steuerfreien Verwendung durch die Heimbewohner nicht geändert. Diese blieb vielmehr unter Berücksichtigung der Umstände, die nach dem vom FG in Bezug genommenen Prüfungsvermerk zur Annahme einer steuerfreien Mitverwendung führten, unverändert. Die Nutzung für den steuerpflichtigen Betrieb der Cafeteria entfiel ersatzlos, ohne dass an die Stelle dieser bishe12 EuGH v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), UR 2018, 440 Rz. 44. 13 EuGH v. 28.2.2018 – C-672/16 (Imofloresmira – Investimentos Imobiliários), UR 2018, 440.

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rigen Verwendung eine erhöhte Nutzung durch die Heimbewohner trat. Somit lag neben der unveränderten Nutzung durch die Heimbewohner statt des früheren Betriebs der Cafeteria ein nunmehr brachliegender Betrieb mit insoweit ungenutzten Räumlichkeiten vor. Es könnte rechtsfehlerhaft sein, die so unterbleibende Nutzung dahingehend zu deuten, dass nunmehr eine ausschließliche Nutzung für steuerfreie Zwecke vorliegt. Keine sonstigen Umstände –

Bisherige Nutzung ist nicht durch eine andersartige steuerfreie Verwendung wie etwa bei einer nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfreien Vermietung der Räumlichkeiten ersetzt worden, die dann trotz Erfolglosigkeit der ursprünglichen Verwendungsabsicht zu einer Vorsteuerberichtigung führen würde.



Auch keine Privatverwendung oder sonstige Nutzung des Anbaus, die nach Erfolglosigkeit eine Entnahme gem. § 3 Abs. 1b UStG begründen könnte, die bei ihrer Steuerfreiheit eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 8 UStG bewirkt.



Insbesondere blieb der Anbau im Hinblick auf die fortgesetzte Mitnutzung durch die Heimbewohner Unternehmensgegenstand und war nicht Gegenstand einer Entnahme.

c) Kern der Fragestellung Im Kern geht es um die Frage, ob man die Maßstäbe des EuGH zum erfolglosen Unternehmer, der seinen Vorsteuerabzug behält, auch auf den Bereich des § 15a UStG anwenden kann. Denn hier stellt der Stpfl. mit der Cafeteria ein Investitionsgut her, das er zunächst steuerpflichtig verwenden will und deshalb das Recht auf Vorsteuerabzug hat. Wenn er nun den Betrieb der Cafeteria einstellt, weil er sich wirtschaftlich nicht rechnet, bleibt der Gebäudeteil ungenutzt. Hier kann man in zweierlei Richtungen denken: –

Man kann erwägen, ob der Vorsteuerabzug erhalten bleibt, weil – so ein Kernsatz der Entscheidung – das absichtslose Nichtverwenden und das Nichtverwenden in der Absicht steuerpflichtiger Verwendung gleichzustellen ist.



Oder man sieht in dem Sachverhalt einen Anwendungsfall der Vorsteuerkorrektur, eingedenk dessen, dass sich mit dem Leerstehenlassen des der Cafeteria gewidmeten Gebäudeteils die maßgeblichen Verhältnisse geändert haben, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug 529

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maßgebend waren (§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, Art. 185 Abs. 1 und Art. 187 MwStSystRL). Man kann für beide Sichtweisen Gründe finden. Der Unterschied des hier zu beurteilenden Sachverhalts gegenüber den bisher entschiedenen Fällen liegt in der ratierlichen Verwendung eines Wirtschaftsguts, so dass die Korrekturvorschriften möglicherweise das speziellere Regelungskonvolut darstellen – aber: Das kann nur der EuGH einheitlich für die Union entscheiden. Eines hat der BFH aber mit der Wiedergabe des Sachverhalts ausgeschlossen: Man kann nicht die verbleibende marginale Nutzung des Gebäudeteils durch Bewohner des Alten- und Pflegeheims nun als vollumfängliche steuerfreie Nutzung ummünzen.

III. Fragen nach Einheitlichkeit und Teilbarkeit von Leistungen 1. Pflanzenlieferung für eine Gartenanlage (BFH v. 14.2.2019 – V R 22/17) a) Fall K verpflichtete sich im gegenüber F, für das Bauvorhaben Klostergärten sämtliche Leistungen des Gewerks „Garten- und Landschaftsbau“ zu einem bestimmten Preis durchzuführen. Nicht enthalten im vereinbarten Preis war die Lieferung der einzusetzenden Pflanzen, die von F gestellt werden sollten. Eine Kontaktaufnahme zur Fa. L blieb erfolglos, so dass K schließlich die Pflanzenlieferung mit Einsetzen und Anwachsgarantie anbot. F nahm das Angebot an. Frage: Ist die Veräußerung der Pflanzen eine eigenständige Lieferung unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes? So argumentiert K. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für Lieferungen der in der Anlage zum UStG bezeichneten Gegenstände. Dazu gehören zwar die in den Nr. 6–9 der Anlage zum UStG aufgeführten Pflanzen, um die es im Streitfall geht. Oder aber liegt eine einheitliche sonstige Leistung vor, die dem Regelsteuersatz unterliegt? So das FA. b) Die Entscheidungsgrundsätze Nach der Entscheidung des BFH bildet die Lieferung von Pflanzen mit den damit im Zusammenhang stehenden Gartenbauarbeiten eine ein530

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heitliche komplexe Leistung, wenn auf der Grundlage eines Gesamtkonzepts etwas selbständiges Drittes (Gartenanlage) geschaffen wird. Ob der Unternehmer bei seiner Tätigkeit für den Leistungsempfänger eine oder mehrere Leistungen erbringt, ist eine komplexe Fragestellung.14 Folgende Herangehensweise ist nach der Rspr. angezeigt: –

Im Ausgangspunkt ist jede Tätigkeit einzeln zu betrachten. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistungserbringung ist Vergangenheit.



Zusammenfassung mehrerer Tätigkeiten kommt in zwei Ausnahmefällen in Betracht: –

Einheitliche Leistung, wenn zwei oder mehrere Handlungen oder Einzelleistungen des Unternehmers für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.



Haupt- und Nebenleistung. Nebenleistung liegt vor, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen.

Nicht allein bedeutsam ist hingegen, ob die Beteiligten die Vereinbarungen in ein oder zwei Vertragsurkunden niedergelegt haben. Für den umgekehrten Fall hat der BFH bereits im Urteil vom 31.5.2007 – V R 18/05 entschieden,15 dass bloß der Umstand, dass Leistungen aufgrund einer einzigen Vertragsgrundlage erbracht werden, nicht die Annahme einer einheitlichen Leistung rechtfertigt (also allenfalls Indizwirkung). Hier: Einheitliche komplexe Leistung – Schaffung einer Gartenanlage durch Gartenbau mit. gelieferten Pflanzen Es liegt eine einheitliche Leistung in Form einer komplexen Leistung vor, da durch die Kombination der Pflanzenlieferungen (Büsche, Sträucher, Bäume, Rasen) mit den Gartenbauarbeiten eine Gartenanlage und damit etwas Eigenständiges, Neues (Drittes) geschaffen wurde, hinter das die Pflanzenlieferungen und die Gartenbauarbeiten zurücktreten. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers geht es nicht um das bloße Ein14 Vgl. dazu jüngst Baur-Rückert, Die Einheitlichkeit des Umsatzes im Mehrwertsteuerrecht, 2018. 15 BFH v. 31.5.2007 – V R 18/05, BFHE 217, 88 = BStBl. II 2008, 206 = UR 2007, 691 Rz. 19.

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setzen von Pflanzen, sondern um die Erstellung einer für luxuriöse Wohnungen konzipierten Gartenanlage nach dem Vorbild eines Barockgartens, bestehend aus harmonisch angelegten Rasenflächen, Beeten, Pflanzen, Bäumen, Wegen, Brüstungen, Gittern nebst Garagenbegrünung. Bei dieser Anlage sind die einzelnen Liefer- und Leistungselemente so eng miteinander verknüpft, dass etwas Neues geschaffen wurde, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.

2. Anwendung des Art. 64 MwStSystRL a) Bedeutung Wichtig ist besonders die Endentscheidung des BFH in der Sache baumgaren sports & more durch das Urteil vom 20.6.2019;16 denn diese Entscheidung enthält eine wichtige Differenzierung. Sie stellt dem Begriff der Teilleistung eine Leistung gegenüber, die zu aufeinander folgenden Zahlungen Anlass gibt, und damit eine Konstellation, in der die Teilbarkeit auf der Seite der Gegenleistung stattfindet. Fall: K ist 2012 als Spielervermittler im bezahlten Fußball tätig. Er versteuerte seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG. Im Rahmen seiner Tätigkeit erhielt er bei erfolgreicher Vermittlung von Profifußballspielern (Spieler) Provisionszahlungen von den aufnehmenden Fußballvereinen. Der Vergütungsanspruch für die Vermittlung setzte dem Grunde nach voraus, dass der Spieler beim neuen Verein einen Arbeitsvertrag unterschrieb und die DFL GmbH als Lizenzgeber dem Spieler eine Spielerlaubnis erteilte. Die Provisionszahlungen waren in Raten verteilt auf die Laufzeit des Arbeitsvertrags zu leisten, wobei die Fälligkeit und das Bestehen der einzelnen Ratenansprüche unter der Bedingung des Bestehens des Arbeitsvertrags zwischen Verein und Spieler standen. Der von K für den Spieler A vermittelte Arbeitsvertrag hatte eine Laufzeit von drei Jahren über drei Spielzeiten (2012/2013, 2013/2014 und 2014/2015) bis zum 30.6.2015. Für jede Spielzeit war ein „festes Honorar“ zu zwei Terminen, jeweils zum 1.9. und zum 1.3. einer Spielzeit zu zahlen. Voraussetzung für den Vergütungsanspruch war, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Lizenzspielervertrag unverändert fortbestand. Ähnliche Vergütungsbedingungen bestanden in Bezug auf die Vermittlung der Spieler B und C. 16 BFH v. 20.6.2019 – V R 8/19 (V R 51/16), BFHE 265, 544 = UR 2019, 660.

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b) Entscheidung des BFH aa) Leitsatz und Ergebnis Steuerentstehung bei ratenweise vergüteten Vermittlungsleistungen Unternehmer können sich bei ratenweise vergüteten Vermittlungsleistungen auf eine unmittelbare Anwendung von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL berufen. K muss die Entgelte, die er erst nach Ablauf des Streitjahres für die im Streitjahr erbrachten Vermittlungsleistungen vereinnahmt hat, deshalb nicht bereits im Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung versteuern. Er kann sich auf eine unmittelbare Anwendung von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL berufen, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG ist insoweit nicht unionsrechtskonform. bb) Grundsatz der Sollbesteuerung 14 Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 63 MwStSystRL, wonach Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Zudem ordnet § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 2 UStG die Steuerentstehung mit Leistungsausführung auch für Teilleistungen an. Teilleistungen liegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG vor, wenn für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird. 15 Die nationale Regelung für Teilleistungen beruht auf Art. 64 MwStSystRL. Geben Lieferungen von Gegenständen, die nicht die Vermietung eines Gegenstands oder den Ratenverkauf eines Gegenstands i.S. des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL betreffen, und Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass, gelten sie jeweils als mit Ablauf des Zeitraums bewirkt, auf den sich diese Abrechnungen oder Zahlungen beziehen.

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cc) Berufung auf Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL 17 In seinem Urteil baumgarten sports & more17 hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es „bei einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die in der Vermittlung eines Spielers an einen Verein für eine bestimmte Anzahl von Spielzeiten besteht und durch unter einer Bedingung stehende Ratenzahlungen über mehrere Jahre nach der Vermittlung vergütet wird, der Fall zu sein scheint“, dass die Leistung i.S. von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass gibt und dass „vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen davon auszugehen ist, dass der Steuertatbestand und der Steueranspruch bezüglich einer Leistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht zum Zeitpunkt der Vermittlung, sondern mit Ablauf des Zeitraums eintreten, auf den sich die vom Verein geleisteten Zahlungen beziehen“. 18 Mithin kommt es für die zahlungs- und damit vereinnahmungsbezogene Steuerentstehung nach Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL anders als bei Teilleistungen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG nicht auf eine wirtschaftlich teilbare Leistung an.18 dd) Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL stellt darauf ab, ob Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Zahlungen Anlass geben 19 Ausreichend ist es nach Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL vielmehr, dass Dienstleistungen zu aufeinander folgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor. Entgegen der Auffassung des FA ist dabei nicht erforderlich, dass – wie bei einer Nutzungsüberlassung – eine zeitraumbezogene Leistungshandlung vorliegt. Auch Vermittlungsleistungen, die sich nach der Leistungshandlung auf die Vermittlung des Eintritts eines bestimmten Ereignisses beschränken, fallen – wie der EuGH in Kenntnis aller Umstände darlegt – unter Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL. Für die Anwendung dieser Bestimmung genügt, dass eine Vermittlungsleistung nach der Dauerhaftigkeit des vermittelten Erfolgs (hier: Verbleib des Spielers beim aufnehmenden Verein über die vereinbarte Vertragslaufzeit) vergütet wird. 17 EuGH v. 29.11.2018 – C-548/17 (baumgarten sports & more), DB 2018, 3103 = UR 2019, 70 Rz. 30 f. 18 Vgl. hierzu zB BFH v. 9.9.1993 – V R 42/91, BFHE 173, 231 = BStBl. II 1994, 269; v. 21.4.1994 – V R 59/92, BFH/NV 1995, 367 = UR 1995, 306; v. 28.5.2009 – V R 11/08, HFR 2010, 156.

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20 Gegenteiliges folgt entgegen der Auffassung des FA nicht aus der Bezugnahme des EuGH auf sein früheres Urteil Asparuhovo Lake Investment Company19 (EU:C:2015:542). Denn der EuGH hat in voller Kenntnis aller den Streitfall betreffenden Sachverhaltsmerkmale die Anwendung von Art. 64 MwStSystRL als möglich erachtet, obwohl hier mit der Vermittlung – anders als in dem in Bezug genommenen Urteil – keine Dauerleistung vorliegt, sondern mit dem Eintritt des vermittelten Erfolgs von einer einmaligen Leistungshandlung auszugehen ist. Der dem erkennenden Senat insoweit erteilte Prüfauftrag entspricht der Kompetenzverteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten, nach der der EuGH für die Auslegung des Unionsrechts und die nationalen Gerichte für die Entscheidung der Einzelfälle zuständig sind. Zudem kommt unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Erfordernisse eine Differenzierung zwischen aufschiebenden und auflösenden Bedingungen nicht in Betracht. Schließlich bestehen auch keine Abgrenzungsschwierigkeiten zu § 17 Abs. 1 UStG, da diese Vorschrift für die Berichtigung von Steuerbeträgen eine vorherige Steuerentstehung voraussetzt. 21 § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG, der in dieser Form bereits seit dem UStG 1967 und damit vor der unionsrechtlichen Harmonisierung besteht und der darauf abstellt, dass für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird, ist nicht entsprechend Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL richtlinienkonform auslegbar.20 Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Vorschrift bezieht sich das Erfordernis der Teilbarkeit auf die Leistung und nicht auf das Entgelt. 22 Für den Streitfall ist dies unerheblich, da die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung von Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL erfüllt sind. Diese Bestimmung ist sowohl inhaltlich unbedingt als auch hinreichend bestimmt.21

19 EuGH v. 3.9.2015 – C 463/14 (Asparuhovo Lake Investment Company), UR 2015, 781. 20 Zutreffend Hartmann, DStR 2019, 595 ff. (598); Klenk, HFR 2019, 61 (62); a.M. Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, § 13 Rz. 23; Leipold in Sölch/Ringleb, § 13 UStG Rz. 4a, und Stadie, UR 2019, 72. 21 Vgl. hierzu allgemein BFH v. 13.12.2017 – XI R 4/16, BFHE 260, 557 = UR 2018, 450.

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c) Der Kern der Entscheidung Diese wirtschaftlich bedeutende Entscheidung ist das Endurteil in der Sache EuGH baumgarten sports & more22. Der V. Senat folgt darin den Vorgaben des EuGH. Darauf beschränken sich die Aussagen des BFH aber nicht. Vielmehr enthält das Judikat wichtige Ausführungen zur Systematik des nationalen Rechts. Der V. Senat bat den EuGH ja deshalb um eine Vorabentscheidung, weil er den § 13 Abs. 1 UStG eben nicht vollständig iSv. Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL auslegen konnte. Er hatte diese Bestimmung selbstverständlich nicht – wie dies einige Kritiker mutmaßten23 – übersehen. Der Grund liegt darin, dass § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 2 f. UStG eine Regelung für Teilleistungen trifft, so dass für bestimmte Teile einer teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird. Darum geht es im Fall Baumgarten gerade nicht. Denn der Spielervermittler erbringt eine Vermittlungsleistung, die nicht teilbar ist und auch nicht geteilt wurde. Was geteilt wurde, ist allein das Entgelt. Und hier setzt Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL an; denn diese Vorschrift umfasst eine Dienstleistung, die zu aufeinander folgenden Zahlungen Anlass gibt. Das ist genau der Fall Baumgarten, aber etwas völlig anderes als die in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG geregelte Teilleistung.24 Kann das nationale Recht aber nicht iSder Richtlinie interpretiert werden, kann sich der Stpfl. auf das für ihn günstigere unionale Recht berufen – und er muss dies tun, um die Rechtsfolge des Art. 64 Abs. 1 MwStSystRL zu erreichen. Ohne Berufung bleibt es bei der strengen Sollversteuerung. Das eröffnet natürlich – wie jedes Berufungsrecht – Gestaltungsspielräume – und man darf darauf gespannt sein, welche Fallkonstellationen nun aufgegriffen werden.

IV. Gegenleistung – Entgelterhöhung 1. Nachträgliche Entgelterhöhung im Kundenbindungssystem (BFH v. 26.6.2019 – V R 64/17) Fall: K vertreibt seine Produkte über Partnerunternehmen im Internet. Im Rahmen eines Kundenbindungssystems vereinbarte er mit seinen Partnern die Vergabe von Prämienpunkten für den Erwerb seiner Produkte. Die Partnerunternehmen kauften von K die Prämienpunkte zu einen 22 EuGH v. 29.11.2018 – C-548/17 (baumgarten sports & more), DB 2018, 3103 = UR 2019, 70. 23 ZB Stadie, UR 2019, 72; Stadie, UR 2018, 3. 24 Kritisch Neeser, UVR 2019, 187; vgl. auch von Streit, UStB 2019, 49.

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Preis, der sich aus dem Einlösepreis (Gegenwert für den Gegenstand, den K als Prämie ausgibt) und einem Sevicefee zusammensetzt. Die Partnerunternehmen vergaben die Prämienpunkt an ihre Kunden. Die Kunden konnten die Punkte nur bei K einlösen und ggf. einen Gegenstand erhalten. Die Partnerunternehmen konnten keine Erstattung bei Verfall verlangen. Die Fallfrage lautet, wie sich ein Verfall der Prämienpunkte auswirkt. Antwort des V. Senats:25 Nachträgliche Entgelterhöhung im Kundenbindungssystem Erbringt der Programmmanager eines Kundenbindungssystems entgeltliche Verwaltungsleistungen an Partnerunternehmen, an die er auch Prämienpunkte verkauft, die die Partnerunternehmer an ihre Kunden zur Einlösung beim Programmmanager ausgeben, führt der vergütungslose Verfall von Prämienpunkten dazu, dass sich das Entgelt für die Verwaltungsleistungen des Programmmanagers an die Partnerunternehmen nachträglich erhöht. 15 Erst mit der Prämiengewährung kommt es zu steuerbaren und dann auch steuerpflichtigen Leistungen durch K an die Kunden, die durch die Zahlungen der Partnerunternehmen beim Erwerb der Prämienpunkte an K als Drittentgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG vergütet wurden. Hierfür spricht neben dem EuGH-Urteil Loyalty Management UK und Baxi Group26, dass die Kunden Prämienpunkte von unterschiedlichen Partnerunternehmen erlangen und diese für den Bezug nur einer Sachprämie verwenden konnten. Es entspricht nicht der wirtschaftlichen Realität, dann von einer Lieferung an mehrere Partnerunternehmen auszugehen. Unzutreffend ist auch die Annahme einer Kettenlieferung über die Partnerunternehmen an die Kunden. Der Verfall führt zur Änderung der Bemessungsgrundlage: 18 Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Bei der Bemessungsgrundlage, deren Änderung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zur Berichtigung führt, handelt es sich um das Entgelt i.S. von § 10

25 BFH v. 26.6.2019 – V R 64/17, BStBl. II 2019, 640 = UR 2019, 693. 26 EuGH v. 7.10.2010 – C-53, 55/09 (Loyalty Management UK und Baxi Group), UR 2010, 857.

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Abs. 1 UStG.27 Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt (§ 10 Abs. 1 Satz 3 UStG). Aufgrund der Maßgeblichkeit des Entgeltsbegriffs kann sich die Bemessungsgrundlage auch erhöhen und damit zu einem höheren Steuerbetrag führen.28 22 Soweit Prämienpunkte verfielen, erhöhte sich durch die hierfür insoweit geleisteten Zahlungen der Partnerunternehmen das Entgelt für die von der GmbH an die Partnerunternehmen erbrachten Leistungen. Denn nach den vertraglichen Vereinbarungen war K nicht verpflichtet, den Wert verfallener Prämienpunkte an die Partnerunternehmen zu erstatten.

2. Zur Besteuerung bei Prepaid-Verträgen (BFH v. 10.4.2019 – XI R 4/17) a) Fall Auch hier geht um eine Änderung in der Bemessungsgrundlage: K erbringt Telekommunikationsleistungen auf Grundlage von Prepaid-Verträgen. Nach Aktivierung des Mobilfunkanschlusses konnte der Kunde seine Prepaid-Guthaben jederzeit wieder aufladen. Mit diesem Guthaben konnte er Leistungen der K (Telefonie, SMS, Internet) erwerben. Nach Kündigung und Deaktivierung der SIM-Karte verbliebene Guthaben buchte K erfolgswirksam aus, unterwarf sie aber nicht der USt. Das FA vertrat die Auffassung, dass sich ein im Zeitpunkt der Deaktivierung noch vorhandenes Restguthaben, das weder erstattet noch umgebucht wurde, von einer Vorauszahlung in eine Überzahlung wandele.

27 BFH v. 28.5.2009 – V R 2/08, BFHE 226, 166 = BStBl. II 2009, 870 = UR 2009, 652, unter II.3.a; v. 17.12.2009 – V R 1/09, BFH/NV 2010, 1869, unter II.1.; v. 11.2.2010 – V R 2/09, BFHE 228, 467 = BStBl. II 2010, 765 = UR 2010, 458, unter II.1.; v. 3.7.2014 – V R 3/12, BFHE 246, 258 = BStBl. II 2015, 307 = UR 2014, 779, unter II.2.a. 28 BFH v. 6.6.2002 – V R 59/00, BFHE 199, 45 = BStBl. II 2003, 214 = UR 2002, 475.

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b) Leitsatz Die dem Provider bei Prepaid-Verträgen endgültig verbliebenen Restguthaben sind nachträgliches Entgelt für die eröffnete Nutzung der von ihm zur Verfügung gestellten Infrastruktur, die insbesondere die mobile Erreichbarkeit der Prepaid-Kunden ermöglichte.29 Damit ist aus endgültig nicht zurückgeforderten Restguthaben Umsatzsteuer abzuführen. Insoweit liegt ein nachträgliches Entgelt für die von der Klägerin erbrachte Möglichkeit zur Nutzung ihrer technischen Infrastruktur (Plattformleistung) vor. c) Erster Schritt: Ermöglichen der Plattform-Nutzung ohne Entgelt K hat durch die Einrichtung und Aufrechterhaltung einer Plattform den Prepaid-Kunden gegenüber Leistungen iSv. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erbracht, allerdings zunächst nicht „gegen Entgelt“. Die Kunden zahlten im Rahmen ihrer Prepaid-Verträge kein gesondertes Entgelt für die Möglichkeit zur Nutzung der technischen Infrastruktur. Diese von K erbrachte Leistung war nicht gesondert bepreist. Nach den maßgeblichen zivilrechtlichen Vereinbarungen wurden nur die im Einzelnen bepreisten (aktiven) Telekommunikationsleistungen (zB Telefonie, SMS und mobiles Internet) gegen Entgelt von K erbracht. Die Abbuchung vom Prepaid-Guthaben stellte als geleistetes Entgelt den Gegenwert der jeweils in Anspruch genommenen Dienstleistung dar. Dasselbe gilt für die von Drittanbietern auf der Grundlage separater Verträge in Anspruch genommenen Lieferungen und sonstigen Leistungen in Gestalt von zB an Automaten gekauften Getränken bzw. heruntergeladenen Klingeltönen oder bezogenen Fahrkarten. d) Zweiter Schritt: Verfall als nachträgliches Entgelt nach § 17 UStG Endgültig nicht zurückgeforderte Restguthaben aus den Prepaid-Verträgen führen nach Auffassung des BFH jedoch zu einem nachträglichen Entgelt für die eröffnete Nutzung der von der Klägerin zur Verfügung gestellten Infrastruktur, die insbes. die mobile Erreichbarkeit der PrepaidKunden ermöglichte. Rechtsgrundlage ist § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG. Die Vorschrift ist laut BFH nicht nur auf den Fall der Minderung, sondern auch auf eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage anwendbar, ob29 BFH v. 10.4.2019 – XI R 4/17, BStBl. II 2019, 635 = UR 2019, 653.

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wohl das Unionsrecht (Art. 90 Abs. 1 und 2 MwStSystRL) nur Minderungsfälle bezeichnet. Die Deutung, dass auch nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage zu besteuern sind, folgt aus der Grundregel des Art. 73 MwStSystRL, wonach die Bemessungsgrundlage „alles“ umfasst, was letztlich den Wert für die Gegenleistung bildet. Dann wirken aber sowohl nachträgliche Minderungen als auch Erhöhungen der Bemessungsgrundlage auf die Höhe des Steuerbetrags ein. Denn nach der Konzeption des Unionsrechts und des nationalen Umsatzsteuerrechts ist der Steuerbetrag zu erklären, den der Unternehmer tatsächlich vereinnahmt hat. Danach ist nicht davon auszugehen, dass eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage nur deshalb nicht zu erfassen wäre, weil der Richtliniengeber für diesen Fall keine klarstellende Vorschrift erlassen hat.30 e) Unterschiede zwischen der Kundenbindungs-Rechtsprechung und der Prepaid-Entscheidung Die Entscheidung des XI. Senats liegt in einem wichtigen Punkt anders als das Urteil des V. Senats. Im Kundenbindungssystem erbringt der Programmmanager seine Verwaltungsleistung gegenüber seinen Partnerunternehmen von vornherein entgeltlich. Werden später Prämien nicht eingelöst, ist der Gedanke einer Entgelterhöhung naheliegend. Demgegenüber führt das Telekommunikationsunternehmen seine Leistung, die darin liegt, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, nach dem Rechtsverhältnis mit dem Kunden unentgeltlich aus. Der Kunde zahlt nur für die Telefonie, SMS und das Internet. Von daher könnte der Gedanke auf der Hand liegen, dass auch nur diesen Leistungen die Erhöhung des Entgelts zuordenbar ist. Werden aber keine steuerpflichtigen Leistungen abgerufen, gibt es auch kein Entgelt, das sich nachträglich ändern könnte. Wenn man diesen Gedanken weiterdenkt, müsste das Telekommunikationsunternehmen verfallene Guthaben nur dann der Besteuerung unterwerfen, wenn die Kunden bereits telefoniert, SMS verschickt oder das Internet genutzt haben. Erst dann haben sie entgeltliche Leistungen bezogen. Auch das vom XI. Senat für seine Auffassung angeführte Beispiel der Doppelzahlung hinkt ein wenig. Denn eine Doppelzahlung entgilt ja auch 30 Vgl. zB BFH v. 6.6.2002 – V R 59/00, BFHE 199, 45 = BStBl. II 2003, 214 = UR 2002, 475 Rz. 16 zur nachträglichen Gewährung von Rückvergütungen durch eine Genossenschaft an ihre Mitglieder; v. 11.2.2010 – V R 2/09, BFHE 228, 467 = BStBl. II 2010, 765 = UR 2010, 458 Rz. 18 zur nachträglichen Minderung durch Vergleich; jeweils mwN.

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eine steuerbare Leistung, nur eben doppelt. Aber der Fall liegt bei den Prepaid-Leistungen ja so, dass die Plattform unentgeltlich zur Verfügung gestellt wurde. Warum soll das anders sein, nur weil die Kunden die Karte gar nicht genutzt haben? Das Gegenteil müsste richtig sein: Gewährt das Telekommunikationsunternehmen den Zugang zu seinem Netz unentgeltlich, so erst Recht dann, wenn der Kunde dieses Netz in keiner Weise nutzt. Überdies hinge die Qualifizierung als entgeltliche Leistung allein von der Entscheidung des Leistungsempfängers ab. Der Prepaid-Kunde konnte sich ja nach dem Kontrakt mit dem Telekommunikationsunternehmen das Guthaben erstatten lassen. Nur dann, wenn er dies versäumte, kam es zu einem entgeltbegründenden Verfall. Das Verhalten des Leistungsempfängers wäre also die Ursache für die Steuerbarkeit der (nunmehr) entgeltlich erbrachte Nutzungsmöglichkeit.

V. Vorsteuerabzug – Rechnungserfordernisse 1. Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer (BFH v. 14.2.2019 – V R 47/16) a) Fall Fall: K machte 2008 den Vorsteuerabzug aus dem Erwerb von Computerzubehör und Spielkonsolen von der T-GmbH und der F-GmbH geltend. Die Angebote für Lieferungen dieser Fa. wurden K durch die A-AG unterbreitet. Die Ware wurde direkt vom Lager der A-AG an die Abnehmer des K geschickt. Teilweise holte K die Ware vom Lager der A-AG ab. K hatte ausschließlich Kontakt mit Y, den er seit 1982 kannte und der sich als Handelsvertreter der A ausgegeben hatte. Nach Ermittlungen der Steufa hatte die T-GmbH nicht mit Elektroartikeln gehandelt. Die F-GmbH hatte ausschließlich an Internetanbieter veräußert. Unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift der Fa. befand sich eine BüroserviceGmbH, in der den Firmen lediglich Ablagefächer zur Verfügung standen. Die Firmen seien in eine Umsatzsteuerbetrugskette eingebunden gewesen. Das FA versagte K den Vorsteuerabzug. b) Leitsatz Zur Identität von Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer Die für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach ständiger Rechtsprechung erforderliche Identität von Rechnungsaussteller und leistendem 541

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Unternehmer entspricht der Rechtsprechung des EuGH, der zufolge die Angabe der Anschrift, des Namens und der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Rechnungsausstellers es ermöglichen soll, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und dem Rechnungsaussteller herzustellen.31 c) Materielles Recht Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung muss daher Angaben zum leistenden Unternehmer enthalten (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG). Dies entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben. Für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gem. Art. 178 Buchst. a MwStSystRL muss eine Rechnung vorliegen, die nach Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL insbes. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Stpfl. angibt. Der BFH hält daran fest, dass den Vorsteuerabzug nur in Anspruch nehmen kann, wer eine Rechnung vorlegt. Intention von § 14 UStG und Art. 226 MwStSystRL ist es, durch die Rechnungsangaben der FinVerw. zu ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Der BFH hält an seiner Rspr. fest, nach der der leistende Unternehmer, der nach dem der Lieferung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu bestimmen ist, und der Rechnungsaussteller identisch sein müssen. Das entspricht der Rspr. des EuGH, der zufolge die Angabe der Anschrift, des Namens und der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Rechnungsausstellers es ermöglichen soll, eine Verbindung zwischen einer bestimmten wirtschaftlichen Transaktion und einem konkreten Wirtschaftsteilnehmer, dem Rechnungsaussteller, herzustellen.32 d) Zum Verfahrensrecht Scheitert der Vorsteuerabzug im Festsetzungsverfahren, kann eine abweichende Festsetzung der Steuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 31 BFH v. 14.2.2019 – V R 47/16, BFHE 264, 76 = UR 2019, 465. 32 EuGH v. 15.11.2017 – C-374, 375/16 (Geissel und Butin), UR 2017, 970 Rz. 42.

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in Betracht kommen. Der Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren steht im Zusammenhang mit dem Vertrauensschutz, den gutgläubige Unternehmer beanspruchen können. Anders als der XI. Senat (s.u. zu 3.) hält der V. Senat an der überkommenen Rspr. fest. Das Verfahren nach § 163 AO ist gerade für subjektive Aspekte (zB Gutgläubigkeit) offen und soll im Übrigen mit der Steuerfestsetzung verbunden werden (§ 163 Abs. 2 AO). Unionale Bedenken bestehen wegen der Verfahrenshoheit der Mitgliedstaaten nicht. Die Grundsätze der Effektivität und Äquivalenz33 gebieten keine Implementierung des Gutglaubensschutzes in das Festsetzungsverfahren.

2. Steuerschuld nach § 14c UStG (BFH v. 13.12.2018 – V R 4/18) BFH-Urteil vom 13.12.2018 V R 4/18 a) Fall K ist eine gemeinnützige Körperschaft zum Verbraucherschutz. Sie begehrt für Leistungen, die sie bei der individuellen Beratung von Verbrauchern erbrachte, den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG, erteilte aber Rechnungen mit gesondertem Steuersatz nach dem Regelsteuersatz. Sie sah sich hierzu vom FA aufgefordert. Gegen ihre Voranmeldung legte sie Einspruch ein. Der Jahressteuerbescheid wurde zum Gegenstand des Verfahrens. b) Leitsätze 1. Die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht auch bei einer Rechnungserteilung an Nichtunternehmer. 2. Im Rechtsstreit über die Anwendung einer Steuersatzermäßigung ergibt sich die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nicht daraus, dass der Steuerpflichtige für die streitige Leistung eine Rechnung mit einem höheren Steuerausweis erteilt hat und die Anfechtungsklage dann aufgrund einer nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG bestehenden Steuerschuld unbegründet ist.

33 Dazu EuGH v. 24.10.2018 – C-234/17, EuZW 2019, 82.

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c) Wichtige Aspekte der Entscheidung –

Bei einem Streit des Stpfl. mit dem FA über die Besteuerung seiner Umsätze, in dem es um die fehlende Steuerbarkeit, eine Steuerfreiheit oder eine ermäßigte Besteuerung geht, ist die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Rechtsbehelfsverfahren, dass er für die Leistungen keine Rechnung mit gesondertem Steuerausweis über den Regelsteuersatz erteilt.



Liegt nämlich eine derartige Rechnung vor, erübrigt sich die materiell-rechtliche Prüfung. Selbst bei einer – im Streitfall – ermäßigten Besteuerung ergibt sich die Besteuerung aus § 14c Abs. 1 UStG. Diese Steuerschuld entfällt erst aufgrund einer Rechnungsberichtigung, der gerade keine Rückwirkung zukommt.



Die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht auch bei einer Rechnungserteilung an Nichtunternehmer. Es ist nicht auszuschließen, dass die Rechnung dazu eingesetzt wird, um einen Vorsteuerabzug in Anspruch zu nehmen.



Eine Feststellungsklage ist zur Klärung der materiell-rechtlichen Fragen nicht zulässig. Denn der Unternehmer hat es in der Hand, Rechnungen entsprechend seiner Rechtsauffassung auszustellen. Tut er das nicht und erteilt Rechnungen mit Steuerausweis, hat er sich der effektiven Rechtsschutzmöglichkeit durch Anfechtungsklage selbst begeben.

3. Leistungsbeschreibung bei Waren im Niedrigpreissegment a) BFH v. 16.5.2019 – XI B 13/19 1. Nach Maßgabe der summarischen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen im Verfahren um eine AdV ist ernstlich zweifelhaft, ob der Vorsteuerabzug aus Rechnungen im sog. Niedrigpreissegment hinsichtlich der Leistungsbeschreibung voraussetzt, dass die Art der gelieferten Gegenstände mit ihrer handelsüblichen Bezeichnung angegeben wird oder ob insoweit die Angabe der Warengattung („Hosen“, „Blusen“, „Pulli“) ausreicht. 2. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn die Lieferung, über die abgerechnet worden ist, nicht bewirkt worden ist. 3. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Vorsteuerabzug versagt werden darf, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, 544

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dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hatte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. 4. Es ist (weiterhin) ernstlich zweifelhaft, ob beim Vorsteuerabzug Gutglaubensschutz nur im Billigkeitsverfahren zu gewähren ist (Bestätigung der Rechtsprechung). 5. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich in dem Besteuerungszeitraum auszuüben ist, in dem der Leistungsempfänger die Leistung bezogen hat und im Besitz einer Rechnung ist. 6. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass auch bei der Umsatzsteuer im Falle von Verstößen des Steuerpflichtigen gegen die Aufzeichnungspflichten des § 22 UStG und bei sonstigen Buchführungsmängeln das FA zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen befugt sein kann. Diese Schätzungsbefugnis steht in Einklang mit dem Unionsrecht.34 b) BFH v. 14.3.2019 – V B 3/19 Ernstlich zweifelhaft ist, ob der Vorsteuerabzug aus Rechnungen im Niedrigpreissegment hinsichtlich der Leistungsbeschreibung voraussetzt, dass die Art der gelieferten Gegenstände mit ihrer handelsüblichen Bezeichnung angegeben wird oder ob insoweit die Angabe der Warengattung („Hosen“, „Blusen“, „Pulli“) ausreicht.35

VI. Steuerfreiheit 1. Schwimmschule versus Fahrschule Ausgangspunkt: Geänderter Begriff des Unterrichts.36 Nach dem EuGH-Urteil vom 14.3.2019 – C 449/1737 „verweist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts … allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen“. 34 35 36 37

BFH v. 16.5.2019 – XI B 13/19, BFHE 264, 521 = UR 2019, 586. BFH v. 14.3.2019 – V B 3/19, BFHE 263, 571 = UR 2019, 393. BFH v. 23.5.2019 – V R 7/19 (V R 38/16), BFHE 264, 539 = UR 2019, 658. EuGH v. 14.3.2019 – C 449/17 (A & G Fahrschul-Akademie GmbH), UR 2019, 294.

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Darunter fällt kein Fahrschulunterricht. Denn Fahrunterricht in einer Fahrschule ist ein spezialisierter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt und fällt deshalb nicht unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL38 Anders aber nach Auffassung des V. Senats die Schwimmschule. Der Unterschied zum Schwimmenlernen: Ausgeprägtes Gemeininteresse an der elementaren Grundfähigkeit, schwimmen zu können.39 Soweit der Senat in diesem Vorlagebeschluss davon ausgeht, dass es sich bei Schwimmunterricht um Unterricht iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL handelt, beruht dies darauf, dass es sich beim Schwimmen um das Erlernen einer elementaren Grundfähigkeit handelt, an der ein ausgeprägtes Gemeininteresse besteht, was sich für den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kfz. der Klassen B und C1 iSd. Art. 4 Abs. 4 der RL 2006/126/EG v. 20.12.2006 über den Führerschein nicht bejahen lässt.

2. Berufsverbände (BFH v. 13.12.2018 – V R 45/17) a) Fall K ist ein eingetragener Verein, der nach seiner Satzung als Bundesverband die Interessen eines Industriezweigs vertritt. Er „hat die Aufgabe, seine Mitglieder in sozial, wirtschafts- und branchenpolitischen sowie fachlichen Fragen national und international zu vertreten und bei ihren wirtschaftlichen Zielen zu unterstützen, soweit sich diese nicht auf den Bereich eines angeschlossenen Landesverbandes beschränken“ (§ 2 Abs. 2 der Satzung). Er „vertritt keine Individual- oder Mehrheitsinteressen einzelner oder mehrerer Mitglieder, die nicht mit den Interessen der gesamten deutschen [X-]Industrie im Einklang stehen. Insbesondere ist es ihm untersagt, die Interessen eines oder mehrerer Mitglieder gegenüber einem Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar zu vertreten bzw. durchzusetzen“ (§ 2 Abs. 6 der Satzung). Entsprechend seiner Beitragsordnung stellte der Kläger seinen Mitgliedern hinsichtlich der Mitgliedsbeiträge Rechnungen mit gesondertem Ausweis einer Umsatzsteuer von 19 % aus. K machte mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung für Juni 2014 für seine 38 EuGH v. 14.3.2019 – C 449/17 (A & G Fahrschul-Akademie GmbH), UR 2019, 294 Rz. 29 f. 39 BFH v. 27.3.2019 – V R 32/18, BStBl. II 2019, 457 = UR 2019, 418.

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Tätigkeit den Vorsteuerabzug geltend. Das FA versagte den Vorsteuerabzug. K sei bei seiner Tätigkeit für seine Mitglieder nicht als Unternehmer tätig geworden. Die in den Rechnungen ausgewiesene Steuer schulde er nach § 14c Abs. 2 UStG. Rechtslage? Das FG Berlin-Brandenburg40 ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger bei seinen Verbandsaktivitäten im vollen Umfang als Unternehmer tätig war. b) Leitsatz Ein Berufsverband i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG kann entgeltliche Leistungen an seine Mitglieder oder Dritte im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur erbringen, wenn sein Verbandszweck nicht hierauf gerichtet ist, sondern es sich hierbei um eine Nebentätigkeit handelt.41 c) Unternehmereigenschaft von Vereinen bei Leistungen gegenüber den Mitgliedern 13 Bei Vereinen, die gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG auch gegenüber ihren Mitgliedern durch Erbringung entgeltlicher Leistungen tätig sein können, ist in Bezug auf das Erfordernis einer entgeltlichen Leistungstätigkeit für die Unternehmereigenschaft wie folgt zu unterscheiden: 14 Wahrnehmung der allgemeinen Mitgliederinteressen: Leistungen einer Vereinigung zur Förderung bestimmter Branchenerzeugnisse, die die gemeinsamen Interessen der branchenangehörigen Mitglieder betreffen, die dem gesamten Wirtschaftszweig zugutekommen und bei denen sich eine Wirkung zugunsten der einzelnen Mitglieder nur mittelbar aus den Vorteilen ableitet, die allgemein dem gesamten Wirtschaftszweig erwachsen, führen nicht zu einer entgeltlichen Leistungserbringung an die Mitglieder.42 Dies gilt grundsätzlich für die Wahrnehmung der allgemeinen Mitgliederinteressen.43 15 Wirtschaftliche Tätigkeit durch entgeltliche Leistungen gegenüber Mitgliedern: Demgegenüber kann ein Verein gegenüber seinen Mitgliedern entgeltliche Leistungen z.B. dadurch erbringen, dass er diesen dauerhaft Sportanlagen und damit verbundene Vorteile zur Verfügung stellt, 40 FG Berlin-Brandenb.v. 13.9.2017 – 2 K 2164/15, EFG 2018, 63. 41 BFH v. 13.12.2018 – V R 45/17, BStBl. II 2019, 460 = UR 2019, 337; dazu auch Erdbrügger, DStR 2019, 1558. 42 EuGH v. 8.3.1988 – 102/86 (Apple and Pear Development Council) EuGHE 1988, 1443 Rz. 14. 43 EuGH v. 12.2.2009 – C-515/07 (VNLTO), UR 2009, 199 Rz. 34.

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die die Mitglieder z.B. durch ihre Jahresbeiträge vergüten, ohne dass es dabei darauf ankommt, ob der Verein „auf Verlangen seiner Mitglieder gezielte Leistungen erbringt“.44 Mit dieser Rechtsprechung ist die Verwaltungsauffassung, nach der es bei „echten Mitgliederbeiträgen“ allgemein an einem Leistungsaustausch fehlt (UStAE 1.4 Abs. 1 Satz 1) nicht vereinbar.45 Vielmehr ist die Abgrenzung zwischen „echten“ und „unechten“ Mitgliederbeiträgen danach vorzunehmen, ob es zu einer Leistungserbringung an die Mitglieder im vorstehenden Sinne kommt. d) Besonderheiten bei Berufsverbänden 18 Berufsverbände sind Zusammenschlüsse natürlicher Personen oder Unternehmen, die allgemeine, aus der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit erwachsende ideelle und wirtschaftliche Interessen eines Wirtschaftszweigs oder der Angehörigen eines Berufs wahrnehmen.46 Die Steuerfreiheit der Berufs- und Wirtschaftsverbände beruht auf der gesetzespolitischen Anerkennung ihres Wirkens für die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder als eines Wirkens im Interesse der Allgemeinheit.47 Daher muss der Berufsverband die wirtschaftlichen Interessen aller Angehörigen des Berufs- oder Wirtschaftszweigs wahrnehmen und nicht nur Interessen einzelner Angehöriger des Berufs- oder Wirtschaftszweigs als Individualinteressen vertreten.48 19 Der Zweck des Berufsverbands wie in § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG ausdrücklich angeordnet darf nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb „gerichtet“ sein. Wird ein derartiger Geschäftsbetrieb demgegenüber nur als Nebentätigkeit unterhalten, ohne Verbandszweck zu sein, ist dies für die Steuerfreiheit dem Grunde nach unbeachtlich, da sie dann nur im Umfang dieser Nebentätigkeit ausgeschlossen ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1, 2 Buchst. a KStG).

44 EuGH v. 21.3.2002 – C 174/00 (Kennemer Golf), UR 2002, 320 Rz. 40; BFH v. 9.8.2007 – V R 27/04, BFHE 217, 314 = UR 2007, 811, Leits. 3; v. 11.10.2007 – V R 69/06, BFHE 219, 287 = UR 2008, 153, Leits. 2. 45 BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFHE 245, 397 = UR 2014, 732, unter II.1.a. 46 BFH v. 4.6.2003 –I R 45/02, BFHE 203, 43 = BStBl. II 2003, 891 = FR 2003, 1283, unter II.1.; v. 13.3.2012 – I R 46/11, BFH/NV 2012, 1181, unter II.1.a. 47 BFH v. 29.11.1967 I 67/65, BFHE 91, 45 = BStBl. II 1968, 236 = FR 1968, 296, Leits. 1. 48 BFH v. 4.6.2003 – I R 45/02, BFHE 203, 43 = BStBl. II 2003, 891 = FR 2003, 1283, unter II.1., v. 13.3.2012 – I R 46/11, BFH/NV 2012, 1181, unter II.1.a.

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20 Somit kann der Berufsverband ohne Verlust der Körperschaftsteuerbefreiung entgeltliche Leistungen an seine Mitglieder oder Dritte im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur erbringen, wenn sein Verbandszweck nicht hierauf gerichtet ist, sondern es sich hierbei um eine Nebentätigkeit handelt. Die Haupttätigkeit des Berufsverbands hat sich auf die Wahrnehmung der allgemeinen Mitgliederinteressen zu beschränken, wobei sich eine Wirkung zugunsten der einzelnen Mitglieder dann nur mittelbar aus den Vorteilen ableiten darf, die sich allgemein aus der Verbandstätigkeit ergeben, so dass es nicht zu einer weitergehenden Leistungserbringung an die Mitglieder kommt. Eine derartige Leistungstätigkeit gegen Entgelt darf im Rahmen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nur Nebenzweck des körperschaftsteuerfreien Berufsverbands sein. e) Rechtsfehler des FG: Es hat die Stellung als Berufsverband völlig außer Acht gelassen 25 Im Streitfall hat das FG rechtsfehlerhaft die Stellung des K als Berufsverband völlig außer Betracht gelassen und es damit unterlassen, die gesamten Umstände des Streitfalls zu würdigen. Hierin liegt ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung der Vorentscheidung führte. K nimmt für sich in Anspruch, als Berufsverband nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG von der Körperschaftsteuer befreit zu sein. Folge einer derartigen Stellung als Berufsverband ist es, dass der Verbandszweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb durch Erbringung entgeltlicher Leistungen an die Mitglieder gerichtet sein darf und sich eine derartige Leistungstätigkeit somit auf Nebentätigkeiten des Berufsverbands zu beschränken hat.

VII. Varia: Pauschalierung (BFH v. 27.3.2019 – V R 10/19 [V R 60/16]) 1. Leitsatz Die Vermietung von Ferienwohnungen, die der Unternehmer von anderen Unternehmern angemietet hat, unterliegt der Margenbesteuerung nach § 25 UStG unter Anwendung des Regelsteuersatzes.49

49 BFH v. 27.3.2019 – V R 10/19 (V R 60/16), BFHE 264, 377 = UR 2019, 439.

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2. Anwendung des § 25 UStG auf unionaler Grundlage 13 Nach § 25 Abs. 1 UStG gelten die nachfolgenden Vorschriften für Reiseleistungen eines Unternehmers, die nicht für das Unternehmen des Leistungsempfängers bestimmt sind, soweit der Unternehmer dabei gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen auftritt und Reisevorleistungen in Anspruch nimmt. Die Leistung des Unternehmers ist als sonstige Leistung anzusehen. Erbringt der Unternehmer an einen Leistungsempfänger im Rahmen einer Reise mehrere Leistungen dieser Art, so gelten sie als eine einheitliche sonstige Leistung. Der Ort der sonstigen Leistung bestimmt sich nach § 3a Abs. 1 UStG. Reisevorleistungen sind Lieferungen und sonstige Leistungen Dritter, die den Reisenden unmittelbar zugutekommen. 14 Unionsrechtliche Grundlage beruht dies auf Art. 306 Abs. 1 MwStSystRL. Danach wenden die Mitgliedstaaten auf Umsätze von Reisebüros die Mehrwertsteuer-Sonderregelung dieses Kapitels an, soweit die Reisebüros gegenüber dem Reisenden in eigenem Namen auftreten und zur Durchführung der Reise Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anderer Steuerpflichtiger in Anspruch nehmen. Diese Sonderregelung gilt nicht für Reisebüros, die lediglich als Vermittler handeln und auf die zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage Art. 79 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL anzuwenden ist.

3. Maßgebliche Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften über die Sonderregelungen für Reisebüros durch EuGH Alpenchalets Resorts 15 Der EuGH hat in seinem Urteil Alpenchalets Resorts50 entschieden, dass nach Art. 306 ff. MwStSystRL die bloße Überlassung einer von anderen Steuerpflichtigen angemieteten Ferienwohnung durch ein Reisebüro oder eine solche Überlassung einer Ferienwohnung mit zusätzlichen, als Nebenleistungen einzustufenden Leistungselementen unabhängig von dem Stellenwert dieser zusätzlichen Leistungen jeweils eine einheitliche Leistung darstellt, die der Sonderregelung für Reisebüros unterliegt. Der EuGH hat dies ausdrücklich damit begründet, dass er entgegen den Be-

50 EuGH v. 19.12.2018 – C-552/17 (Alpenchalets Resorts), UR 2019, 72, Leits. 1.

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denken, die der BFH in seinem Vorlagebeschluss51 formuliert hat, an seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Sonderregelung festhält. 17 Würden vom Anwendungsbereich von Art. 306 MwStSystRL Leistungen eines Reisebüros allein deswegen ausgeschlossen, weil sie nur die Unterkunft umfassen, so führte das zu einer komplexen steuerlichen Regelung, in der die anwendbaren Mehrwertsteuervorschriften davon abhingen, welche Bestandteile die dem Reisenden angebotenen Leistungen umfassten. Eine solche Steuerregelung widerspräche den Zielen der Richtlinie.52 Dem schließt sich nun auch der V. Senat des BFH an.

51 BFH v. 3.8.2017 – V R 60/16, BFHE 258, 558 = BStBl. II 2018, 37 = UR 2017, 893. 52 EuGH v. 19.12.2018 – C-552/17 (Alpenchalets Resorts), UR 2019, 72 Rz. 25.

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Neuregelung der Konsignationslager und zusätzliche Voraussetzungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zum 1. Januar 2020 Robert C. Prätzler Steuerberater, Frankfurt Wolfgang Tausch Regierungsdirektor, Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf I. Einleitung II. Konsignationslager 1. Hintergrund 2. Unionsrecht a) Überblick b) Rechtsgrundlagen c) Erläuterungen und Beispiele aa) Zweck bb) Grundfall der „Abruflagerregelung“ cc) Abwandlung des Grundfalls (Substitution des voraussichtlichen Erwerbers) dd) Abwandlung des Grundfalls (Lieferung an eine andere Person) ee) Abwandlung des Grundfalls (Rückgabe der Ware) ff) Abwandlung des Grundfalls (Überschreitung des Zeitraums von 12 Monaten) gg) Abwandlung des Grundfalls (Waren, die in einen anderen Mitgliedstaat versandt werden) hh) Abwandlung des Grundfalls (Exportierte Waren) ii) Abwandlung des Grundfalls (Vernichtete Waren)

3. Nationale Umsetzung a) Überblick b) Rechtsgrundlagen c) Erläuterungen und Beispiele aa) Ausgangspunkt bb) Zu § 6b Abs. 1 UStG (1) Allgemeines (2) Zu Abs. 1 Nr. 1 (3) Zu Abs. 1 Nr. 2 (4) Zu Abs. 1 Nr. 3 (5) Zu Abs. 1 Nr. 4 cc) Zu Abs. 2 dd) Zu Abs. 3 ee) Zu Abs. 4 ff) Zu Abs. 5 gg) Zu Abs. 6 4. Erkannte Problemfälle a) Abholfall b) Zerstörung, Diebstahl, Schwund c) Überschreiten der 12-Monats-Grenze d) Keine Übergangsregelung e) Umsetzungsunterschiede f) BFH-Rechtsprechung g) Abgabe der Zusammenfassenden Meldung 5. Ergänzende Hinweise a) Intrastat-Meldung b) Keine Infektion durch Registrierung c) Kein Wahlrecht

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen III. Neue Vorschriften für innergemeinschaftliche Lieferungen 1. Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer und Zusammenfassende Meldung als materielle Voraussetzung für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen a) Hintergrund b) Unionsrecht aa) Rechtsgrundlagen bb) Erläuterungen c) Nationale Umsetzung aa) Rechtsgrundlagen bb) Erläuterungen d) Erkannte Problemfälle aa) Prüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bb) Fehlende UmsatzsteuerIdentifikationsnummer cc) Probleme bei Organschaft

dd) Abrechnung mit Umsatzsteuer und Vorsteuerabzugsrecht ee) Fehler bei der Zusammenfassenden Meldung 2. Einheitliche Belegnachweise für den innergemeinschaftlichen Warenhandel a) Hintergrund b) Unionsrecht aa) Rechtsgrundlagen bb) Erläuterungen c) Nationale Umsetzung aa) Vorgeschichte bb) Rechtsgrundlagen cc) Erläuterungen d) Erkannte Problemfälle aa) Praktisch nicht erfüllbare neue Nachweise bb) Umsetzung im Ausland IV. Schlussbemerkung

I. Einleitung Zum 1.1.2020 sind verschiedene Änderungen der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Europäischen Union wirksam geworden, die sogenannten Sofortmaßnahmen, die im Jahr 2018 verabschiedet wurden.1 Die zwingende Umsetzung in das nationale Umsatzsteuerrecht ist dem Gesetzgeber rechtzeitig gelungen. Der Bundestag hat das Gesetz am 7.11.20192 verabschiedet und die Zustimmung des Bundesrats erfolgte am 29.11.20193. Die Regelungen sind Bestandteil des Jahressteuergesetzes 2019, das den offiziellen Titel „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ trägt und am 17.12.2019 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde.4 1 2 3 4

RL (EU) 2018/1910, VO (EU) 2018/1909, and VO 2018/1912, alle v. 4.12.2018. Gesetzesbeschluss v. 7.11.2019, BR-Drucks. 552/19. BR-Drucks. 552/19 (Beschluss) (neu). BGBl. I 2019, 2451.

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Der folgende Beitrag geht auf drei dieser Sofortmaßnahmen näher ein, beschreibt sie anhand der gesetzlichen Grundlagen und von Anwendungsbeispielen und diskutiert ausgewählte Problemfälle mit möglichen Lösungsansätzen. Die Kommission hat im Dezember 2019 erläuternde Anmerkungen zu den Neuregelungen mit dem Ziel einer einheitlichen Interpretation durch die Mitgliedstaaten veröffentlicht, die auch Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses enthalten. Bis zum Ergehen von so genannten BMF-Einführungsschreiben stellen diese Unterlagen uE eine gute Hilfestellung dar, um auf die sich aus den Neuregelungen ergebenden drängendsten Fragestellungen bis auf Weiteres tragfähige und zugleich praxisnahe Antworten zu finden. Auch wenn weder Leitlinien noch erläuternde Anmerkungen verbindliche Wirkung entfalten,5 ist damit zu rechnen, dass sich die meisten Mitgliedstaaten und auch der EuGH an diesen orientieren, so dass sie zur Rechtssicherheit bei der Anwendung der Neuregelungen für Wirtschaft und Verwaltung beitragen können. Die vierte Sofortmaßnahme betrifft die Zuordnung der Warenbewegung in innergemeinschaftlichen Reihengeschäften. Sie ist nicht Gegenstand dieser Abhandlung.6

II. Konsignationslager 1. Hintergrund Grenzüberschreitende Lagersachverhalte, bei denen ein Lieferant Waren in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union transportiert, die umsatzsteuerlich relevante eigentümerähnliche Verfügungsmacht7 jedoch erst bei Entnahme übertragen wird, werden umsatzsteuerlich gemeinhin unter dem Begriff Konsignationslager verstanden. Bislang sah die MwStSystRL keine besondere Regelung für entsprechende Lager vor. Grundsätzlich bestand daher eine Verpflichtung des liefernden Unternehmers, die Vorgänge als innergemeinschaftliches Verbringen in den Lagerstaat zu behandeln, dort der Erwerbsbesteuerung zu unterwerfen8 und bei Entnahme steuerbare Inlandsumsätze auszuführen. In Deutschland be-

5 Vgl. dazu BMF v. 17.12.2014 – IV D 1 - S 7058/14/10004 – DOK 2014/1109561, BStBl. I 2015, 43 = UR 2015, 56. 6 S. dazu die Ausführungen von Körner in diesem Band S. 677 ff. 7 Vgl. Art. 14 MwStSystRL. 8 Vgl. § 1a UStG und Art. 17 MwStSystRL.

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stand dementsprechend eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht für ausländische Lieferanten.9 Zahlreiche Staaten der Europäischen Union hatten jedoch entweder in ihren nationalen Mehrwertsteuergesetzen oder in anderer Form sogenannte Vereinfachungsregeln erlassen, die bei Einhaltung bestimmter Bedingungen (teilweise zeitliche Fristen, teilweise Belieferung nur eines Kunden aus einem Lager, usw.) gestatteten, die Vorgänge als unmittelbare innergemeinschaftliche Lieferungen in den Lagerstaat zu behandeln.10 Die Europäische Kommission unternahm eine Initiative zur Schaffung einer unionsweit einheitlichen Vereinfachungsregelung, die als eine der Sofortmaßnahmen umgesetzt wurde.

2. Unionsrecht a) Überblick Unionsrechtlich bezieht sich die Neuregelung auf „call-off stock arrangements“, dh. auf eine „Abruflagerregelung“, die allerdings in der deutschen Sprachfassung als „Konsignationslagerregelung“ bezeichnet wird. Darunter versteht die Europäische Kommission eine Situation, in der ein Stpfl. Waren in einen Bestand in einem anderen Mitgliedstaat für einen beabsichtigten Erwerber versendet oder befördert, dessen Identität und USt.-IdNr. zum Zeitpunkt der Beförderung oder des Versands bekannt sind und der das Recht hat, Waren nach eigenem Ermessen aus diesem Bestand zu entnehmen, zu dem Zeitpunkt, zu dem das Eigentum an den Waren übertragen wird. Im Umkehrschluss gilt die Neuregelung nicht für den Fall, dass ein Unternehmen Waren von einem Mitgliedstaat in einen anderen überführt, ohne den beabsichtigten Erwerber in diesem (anderen) Mitgliedstaat zu kennen. Die mit der Neuregelung verbundene Vereinfachung besteht darin, dass den die Ware durch Versenden oder Befördern verbringenden Unternehmer im Eingangsmitgliedstaat der Ware keine MwSt.-Pflichten treffen. Der Vereinfachungseffekt wird wie folgt erreicht: –

keine innergemeinschaftliche Lieferung und kein innergemeinschaftlicher Erwerb zu dem Zeitpunkt, zu dem die Versendung oder Beför-

9 Vgl. dazu OFD Frankfurt v. 12.2015 – S 7100a A - 4 - St 110, UR 2016, 454. 10 Vgl. dazu ebenfalls OFD Frankfurt v. 15.12.2015 – S 7100a A - 4 - St 110, UR 2016, 454; s. auch ausf. unten zu 3.

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derung der Waren in den Bestand in einen anderen Mitgliedstaat erfolgt; –

eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung im Abgangsmitgliedstaat und ein besteuerter innergemeinschaftlicher Erwerb in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Bestand befindet, erst zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der Erwerber das Eigentum an den Waren übernimmt.

Um diese Vereinfachung zu nutzen, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein: –

Sowohl der Lieferant als auch der beabsichtigte Erwerber sind Stpfl.;



der Lieferant ist in dem Mitgliedstaat, in den die Waren versandt oder befördert werden, weder ansässig noch hat er dort eine feste Niederlassung;



der Lieferant zeichnet den Versand/Transport der Ware in das Lager in einem Register auf;



die Waren werden von einem Mitgliedstaat in einen anderen befördert, um dort zu einem späteren Zeitpunkt und nach der Ankunft an einen bereits bekannten Erwerber geliefert zu werden;



der Lieferant erwähnt in seiner zusammenfassenden Erklärung, die für den Zeitraum der Beförderung der Waren vorgelegt wurde, die USt.-IdNr. des beabsichtigten Erwerbers (nur diese, nicht den Wert der Waren);



der beabsichtigte Erwerber wird für MwSt.-Zwecke in dem Mitgliedstaat, in den die Waren verbracht werden, identifiziert;



die Identität des Erwerbers und die USt.-IdNr. sind dem Lieferanten zu dem Zeitpunkt bekannt, zu dem der Versand oder die Beförderung beginnt;



die Waren werden von einem Mitgliedstaat in einen anderen befördert, so dass Einfuhren, Ausfuhren und Lieferungen innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats von der Vereinfachung ausgenommen sind.

b) Rechtsgrundlagen Im Einzelnen sind die vorstehenden Voraussetzungen in den nachfolgend aufgeführten Vorschriften des Unionsrechts geregelt: –

Art. 17a MwStSystRL (Hauptvorschrift) enthält die Vereinfachungsregeln; Gesetzestechnisch folgt die Neuregelung, die dem Grunde 557

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nach einen Fall des innergemeinschaftlichen Verbringens einer Ware behandelt, der aber wegen der besonderen Umstände nicht mehr als solcher behandelt wird, unmittelbar nach Art. 17 MwStSystRL, der das innergemeinschaftliche Verbringen regelt; –

Art. 243 Abs. 3 MwStSystRL enthält die Verpflichtung, bestimmte Register für Abruflagerzwecke zu führen;



Art. 262 MwStSystRL enthält die Verpflichtung, in der Zusammenfassenden Meldung die Identität des beabsichtigten Erwerbers zu erwähnen, für den Waren im Rahmen von Abruflagern transportiert wurden, und über alle Änderungen zu informieren, die sich in Bezug auf die übermittelten Informationen ergeben könnten.



Darüber hinaus enthält Art. 54a MwStVO detailliertere Vorschriften für Register, die für die Zwecke der Abruflagerregelung zu führen sind.

Die oa. Normen lauten wie folgt: „Artikel 17a MwStSystRL (1) Die Verbringung von Gegenständen seines Unternehmens durch einen Steuerpflichtigen in einen anderen Mitgliedstaat im Rahmen einer Konsignationslagerregelung gilt nicht als einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt. (2) Für den Zweck dieses Artikels wird davon ausgegangen, dass eine Konsignationslagerregelung vorliegt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: a) Gegenstände werden von einem Steuerpflichtigen oder auf seine Rechnung von einem Dritten in einen anderen Mitgliedstaat im Hinblick darauf versandt oder befördert, zu einem späteren Zeitpunkt und nach der Ankunft an einen anderen Steuerpflichtigen geliefert zu werden, der gemäß einer bestehenden Vereinbarung zwischen den beiden Steuerpflichtigen zur Übernahme des Eigentums an diesen Gegenständen berechtigt ist; b) der Steuerpflichtige, der die Gegenstände versendet oder befördert, hat in dem Mitgliedstaat, in den die Gegenstände versandt oder befördert werden, weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung; c) der Steuerpflichtige, an den die Gegenstände geliefert werden sollen, hat eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer in dem Mitgliedstaat, in den die Gegenstände versandt oder befördert werden, und sowohl seine Identität als auch die ihm von diesem Mitgliedstaat zugewiesene Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer sind dem unter Buchstabe b genannten Steuerpflichtigen zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung bekannt; d) der Steuerpflichtige, der die Gegenstände versendet oder befördert, trägt die Verbringung der Gegenstände in das in Artikel 243 Absatz 3 vorgesehene Register ein und nimmt die Identität des Steuerpflichtigen, der die Gegenstände erwirbt,

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen sowie die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, die ihm von dem Mitgliedstaat, in den die Gegenstände versandt oder befördert werden, zugewiesen wurde, gemäß Artikel 262 Absatz 2 in die zusammenfassende Meldung auf. (3) Wenn die Voraussetzungen gemäß Absatz 2 erfüllt sind, gelten zum Zeitpunkt der Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, an den Steuerpflichtigen gemäß Absatz 2 Buchstabe c folgende Bestimmungen, sofern die Übertragung innerhalb der in Absatz 4 genannten Frist erfolgt: a) eine Lieferung von Gegenständen gemäß Artikel 138 Absatz 1 gilt als von dem Steuerpflichtigen vorgenommen, der die Gegenstände entweder selbst oder auf seine Rechnung durch einen Dritten in dem Mitgliedstaat versandt oder befördert hat, von dem aus die Gegenstände versandt oder befördert wurden; b) ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen gilt als von dem Steuerpflichtigen vorgenommen, an den diese Gegenstände in dem Mitgliedstaat geliefert werden, in den die Gegenstände versandt oder befördert wurden. (4) Wurden die Gegenstände innerhalb von 12 Monaten nach ihrer Ankunft in dem Mitgliedstaat, in den sie versandt oder befördert wurden, nicht an den Steuerpflichtigen geliefert, für den sie nach Absatz 2 Buchstabe c und Absatz 6 bestimmt waren, und ist keiner der in Absatz 7 genannten Umstände eingetreten, so gilt eine Verbringung im Sinne des Artikels 17 als am Tag nach Ablauf des Zeitraums von 12 Monaten erfolgt. (5) Keine Verbringung im Sinne des Artikels 17 gilt als erfolgt, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, wurde nicht übertragen und die Gegenstände werden innerhalb der in Absatz 4 genannten Frist in den Mitgliedstaat zurückgesandt, von dem aus sie versandt oder befördert wurden, und b) der Steuerpflichtige, der die Gegenstände versandt oder befördert hat, trägt deren Rückversand in das in Artikel 243 Absatz 3 vorgesehene Register ein. (6) Wird der Steuerpflichtige nach Absatz 2 Buchstabe c innerhalb des in Absatz 4 genannten Zeitraums durch einen anderen Steuerpflichtigen ersetzt, so gilt zum Zeitpunkt der Ersetzung keine Verbringung im Sinne von Artikel 17 als erfolgt, sofern a) alle anderen maßgeblichen Voraussetzungen gemäß Absatz 2 erfüllt sind und b) der Steuerpflichtige nach Absatz 2 Buchstabe b die Ersetzung in das in Artikel 243 Absatz 3 vorgesehene Register einträgt. (7) Ist eine der Voraussetzungen gemäß den Absätzen 2 und 6 innerhalb der in Absatz 4 genannten Frist nicht mehr erfüllt, so gilt eine Verbringung von Gegenständen gemäß Artikel 17 als zu dem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die betreffende Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Werden die Gegenstände an eine andere Person als den Steuerpflichtigen nach Absatz 2 Buchstabe c oder Absatz 6 geliefert, so gelten die Voraussetzungen gemäß

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen den Absätzen 2 und 6 unmittelbar vor einer solchen Lieferung als nicht mehr erfüllt. Werden die Gegenstände in ein anderes Land als den Mitgliedstaat, aus dem sie ursprünglich verbracht wurden, versandt oder befördert, so gelten die Voraussetzungen gemäß den Absätzen 2 und 6 unmittelbar vor dem Beginn einer solchen Versendung oder Beförderung als nicht mehr erfüllt. Im Falle von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl gelten die Voraussetzungen gemäß den Absätzen 2 und 6 an dem Tag, an dem die Gegenstände tatsächlich abhanden kamen oder zerstört wurden, oder – falls ein solcher Tag nicht bestimmt werden kann – an dem Tag, an dem die Zerstörung oder das Fehlen der Gegenstände festgestellt wurde, als nicht mehr erfüllt.“

Die Aufzeichnungspflichten im Zusammenhang mit der Konsignationslagerregelung sind in Art. 243 geregelt. Dort ist folgender Abs. 3 eingefügt worden: „(3) Jeder Steuerpflichtige, der Gegenstände im Rahmen der in Artikel 17a genannten Konsignationslagerregelung verbringt, führt ein Register, das es den Steuerbehörden ermöglicht, die korrekte Anwendung des genannten Artikels zu überprüfen. Jeder Steuerpflichtige, an den Gegenstände im Rahmen der in Artikel 17a genannten Konsignationslagerregelung geliefert werden, führt ein Register dieser Gegenstände.“

Die Pflicht zur Meldung der Identität des beabsichtigten Erwerbers, für den Waren im Rahmen von Abruflagern transportiert wurden, und über alle Änderungen, die sich in Bezug auf die übermittelten Informationen ergeben könnten, ist in Art. 262 Abs. 2 (neu) enthalten. Art. 262 hat danach folgende Fassung erhalten: „Artikel 262 MwStSystRL (1) Jeder Steuerpflichtige mit Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer muss eine zusammenfassende Meldung abgeben, in der Folgendes aufgeführt ist: a) die Erwerber mit Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, denen er Gegenstände unter den Bedingungen des Artikels 138 Absatz 1 und des Artikels 138 Absatz 2 Buchstabe c geliefert hat; b die Personen mit Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, denen er Gegenstände geliefert hat, die ihm im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen im Sinne des Artikels 42 geliefert wurden; c) die Steuerpflichtigen sowie die nicht steuerpflichtigen juristischen Personen mit Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, für die er Dienstleistungen erbracht hat, die keine Dienstleistungen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem der Umsatz steuerbar ist, von der Mehrwertsteuer befreit sind, und für die der Dienstleistungsempfänger gemäß Artikel 196 der Steuerschuldner ist.

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen (2) Neben den in Absatz 1 genannten Angaben meldet jeder Steuerpflichtige die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern der Steuerpflichtigen, für die die Gegenstände, die im Rahmen einer Konsignationslagerregelung gemäß den in Artikel 17a festgelegten Voraussetzungen versandt oder befördert werden, bestimmt sind sowie jede Änderung der gemeldeten Angaben.“

Weitere Elemente finden sich in der Verordnung 282/2011 (MwStVO), die im Unterschied zur Richtlinie unmittelbar wirkendes Unionsrecht ist und daher genaugenommen keiner Umsetzung in nationales Recht bedurfte. „Artikel 54a (1) In dem Register gemäß Artikel 243 Absatz 3 der Richtlinie 2006/112/EG, das jeder Steuerpflichtige führen muss, der Gegenstände im Rahmen einer Konsignationslagerregelung verbringt, sind die folgenden Informationen zu verzeichnen: a) der Mitgliedstaat, aus dem die Gegenstände versandt oder befördert wurden, und das Datum des Versands oder der Beförderung der Gegenstände; b) die von dem Mitgliedstaat, in den die Gegenstände versandt oder befördert werden, ausgestellte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Steuerpflichtigen, für den die Gegenstände bestimmt sind; c) der Mitgliedstaat, in den die Gegenstände versandt oder befördert werden, die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Lagerinhabers, die Anschrift des Lagers, in dem die Gegenstände nach der Ankunft gelagert werden, und das Ankunftsdatum der Gegenstände im Lager; d) Wert, Beschreibung und Menge der im Lager angekommenen Gegenstände; e) die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Steuerpflichtigen, der die in Buchstabe b dieses Absatzes genannte Person unter den Voraussetzungen des Artikels 17a der Richtlinie 2006/112/EG ersetzt; f) Steuerbemessungsgrundlage, Beschreibung und Menge der gelieferten Gegenstände, das Datum, an dem die Lieferung von Gegenständen gemäß Artikel 17a Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG erfolgt, und die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers; g) Steuerbemessungsgrundlage, Beschreibung und Menge der Gegenstände sowie das Datum, an dem eine der Voraussetzungen und der entsprechende Grund gemäß Artikel 17a Absatz 7 der Richtlinie 2006/112/EG gegeben sind; h) Wert, Beschreibung und Menge der zurückgesandten Gegenstände und Rücksendedatum der Gegenstände gemäß Artikel 17a Absatz 5 der Richtlinie 2006/ 112/EG. (2) In dem Register gemäß Artikel 243 Absatz 3 der Richtlinie 2006/112/EG, das jeder Steuerpflichtige führen muss, an den Gegenstände im Rahmen einer Konsignationslagerregelung geliefert werden, sind die folgenden Informationen zu verzeichnen:

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen a) die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Steuerpflichtigen, der die Gegenstände im Rahmen einer Konsignationslagerregelung verbringt; b) Beschreibung und Menge der für ihn bestimmten Gegenstände; c) das Datum, an dem die für ihn bestimmten Gegenstände im Lager ankommen; d) Steuerbemessungsgrundlage, Beschreibung und Menge der an ihn gelieferten Gegenstände und das Datum, an dem der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen gemäß Artikel 17a Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2006/ 112/EG erfolgt; e) Beschreibung und Menge der Gegenstände und das Datum, an dem die Gegenstände auf Anordnung der in Buchstabe a genannten steuerpflichtigen Person aus dem Lager entnommen wurden; f) Beschreibung und Menge der zerstörten oder fehlenden Gegenstände und das Datum der Zerstörung, des Verlusts oder des Diebstahls der zuvor im Lager angekommenen Gegenstände oder das Datum, an dem die Zerstörung oder das Fehlen der Gegenstände festgestellt wurde. Wenn die Gegenstände im Rahmen einer Konsignationslagerregelung an einen Lagerinhaber versandt oder befördert werden, der mit dem Steuerpflichtigen, für den die Lieferung der Gegenstände bestimmt ist, nicht identisch ist, müssen die Informationen gemäß Unterabsatz 1 Buchstaben c, e und f im Register dieses Steuerpflichtigen nicht verzeichnet sein.“

c) Erläuterungen und Beispiele aa) Zweck Die Europäische Kommission hat im Dezember 2019 sog. Erläuterungen zu Einzelheiten der Neuregelung veröffentlicht.11 Darin wird das Zusammenspiel der Neuregelungen anschaulich dargestellt. bb) Grundfall der „Abruflagerregelung“ Das Unternehmer A mit Sitz in Mitgliedstaat 1 (und nicht in Mitgliedstaat 2) befördert Waren im Januar im Rahmen einer Abruflagerregelung in den Mitgliedstaat 2. Diese Waren sind für Unternehmer B bestimmt, der in Mitgliedstaat 2 identifiziert (niedergelassen oder nicht) ist. Im September desselben Jahres erwirbt B das Eigentum an der Ware oder einem 11 Vgl. „Explanatory Notes on the EU VAT changes in respect of call-off stock arrangements, chain transactions and the exemption for intra-Community supplies of goods („2020 Quick Fixes“), soll ab März 2020 in allen Amtssprachen verfügbar sein. Englische Erstfassung abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxa tion_customs/sites/taxation/files/explanatory_notes_2020_quick_fixes_en. pdf.

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Teil davon. B verwendet die Waren zB in seinem Produktionsprozess oder verkauft diese an C weiter. C ist entweder Unternehmer oder Privatperson. Lösung: Im Januar muss A die Beförderung der Waren in dem von ihm geführten Register angeben (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 MwStVO). In seiner Zusammenfassenden Meldung muss A die USt.-IdNr. von B angeben, da dies die Person ist, für die Waren im Rahmen der Abruflagerregelung versandt wurden (Art. 17a Abs. 2 Buchst. d und 262 Abs. 2 MwStSystRL). Ebenfalls im Januar muss der beabsichtigte Erwerber die Ankunft der Waren in den Bestand in dem von ihm geführten Register anzeigen (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 2 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 2 MwStVO). Im September wird davon ausgegangen, dass A eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung in Mitgliedstaat 1 und B einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Mitgliedstaat 2 durchführt (Art. 17a Abs. 3 MwStSystRL). Die Anrechnung für Mehrwertsteuerzwecke erfolgt spätestens am 15.10. (Art. 67 und 69 MwStSystRL). A muss die innergemeinschaftliche Lieferung in seiner Umsatzsteuererklärung angeben und den Vorgang in seine Zusammenfassende Meldung aufnehmen, indem er B als Erwerber der Waren sowie den steuerpflichtigen Betrag für diese innergemeinschaftliche Lieferung angibt. B muss die auf den innergemeinschaftlichen Erwerb entfallende Mehrwertsteuer über seine Umsatzsteuererklärung verbuchen. A muss die notwendigen Angaben in dem von ihm geführten Register machen, um es auf dem neuesten Stand zu halten (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. f MwStVO). B muss die von ihm erworbenen Waren in einem Register angeben, das er zum Zeitpunkt des Eigentums an den Waren führt (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 2 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 2 Buchst. d MwStVO). Ist der beabsichtigte Erwerber nicht der Lagerhalter, ist er von den Aufzeichnungen nach Art. 54a Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c, e und f MwStVO (ua. Angabe des Eingangsdatums der Ware im Lager) entbunden. Dann müsste die Angabe des Eingangsdatums der Ware von den Steuerbehörden im Register des Drittlagerhalters gefunden werden. Die Lieferung der aus dem Lager entnommenen Waren von B nach C folgt ihren eigenen Regeln (Inlandslieferung in Mitgliedstaat 2, innergemeinschaftliche Lieferung, Ausfuhr) und fällt nicht unter die Vereinfachungsmaßnahme für Abrufbestände. 563

Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen

cc) Abwandlung des Grundfalls (Substitution des voraussichtlichen Erwerbers) Im September desselben Jahres wird der Abrufvertrag zwischen A und B geändert (oder sogar beendet). Die (Teil-)Waren, die nicht bereits an B verkauft wurden, bleiben jedoch im Mitgliedstaat 2. Gleichzeitig vereinbart A mit dem Unternehmer C, der ebenfalls in Mitgliedstaat 2 registriert ist (niedergelassen oder nicht), eine Abruflagervereinbarung, die die verbleibenden (Teil-)Waren abdeckt, die sich im Lager in Mitgliedstaat 2 befinden. Die Waren können auch zu einem anderen Lagerort in Mitgliedstaat 2 befördert werden. Lösung: Im September, wenn der Abrufvertrag geändert bzw. beendet wird, gibt es im Verhältnis zwischen A und B weder eine innergemeinschaftliche Lieferung noch einen innergemeinschaftlichen Erwerb für den Teil der Waren, für den B vor der Änderung des Vertrags nicht das Eigentum übernommen hat. Was die Ersetzung (Ersetzung) von B durch C betrifft, führt dies für A weder zu einem innergemeinschaftlichen Verbringen nach Art. 17 MwStSystRL noch zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb durch A nach Art. 21 MwStSystRL in Mitgliedstaat 2, sofern die Bedingungen nach Art. 17a Abs. 6 MwStSystRL erfüllt sind. Dies bedeutet ua., dass C auf der Grundlage eines bestehenden Vertrags mit A berechtigt ist, das Eigentum an den Waren zu übernehmen. Obwohl in der MwStSystRL nicht vorgesehen, bedeutet die „Substitution“, dass B vertraglich nicht mehr in der Lage ist, das Eigentum an den Gegenständen zu übernehmen, und dass zu diesem Zweck die erforderlichen Vereinbarungen mit A getroffen wurden. Außerdem muss C ein in Mitgliedstaat 2 registrierter Stpfl. sein und A muss die USt.-IdNr. von C in der zusammenfassenden Erklärung des Zeitraums, in dem die Substitution stattfindet, angeben. Außerdem muss A die Ersetzung von B durch C in dem von ihm geführten Register erfassen (Art. 17a Abs. 6 Buchst. b und Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. e MwStVO). Für die beschriebene Situation hält es die Europäische Kommission für notwendig, dass die Substitution (B wird durch C ersetzt) stattfindet, bevor die Ware von C abgerufen (dh. an C geliefert) wird. Es ist auch erforderlich, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abruflagervereinbarungen mit B nicht mehr bestehen, A bereits den beabsichtigten 564

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Erwerber C identifiziert hat, der B ersetzt und einen Vertrag mit ihm abgeschlossen hat. Der in Art. 17a Abs. 4 MwStSystRL genannte Zeitraum von 12 Monaten beginnt zum Zeitpunkt der Ersetzung nicht erneut. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der ersten Ankunft der Waren in dem Mitgliedstaat, in den sie versandt oder befördert wurden. dd) Abwandlung des Grundfalls (Lieferung an eine andere Person) Im September liefert A die Ware an das Unternehmen C (zB weil C bereit ist, einen höheren Preis zu zahlen) und beendet damit den „Abruflagervertrag“ mit B. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass A und B die „Abruflagerregelung“ für andere (Arten von) Waren als diejenigen, die an C geliefert werden, behalten. Die Waren werden direkt an C übergeben, der zum Zeitpunkt des ursprünglichen Umzugs aus dem Mitgliedstaat 1 nicht als beabsichtigter Erwerber angegeben war und der den ursprünglich beabsichtigten Erwerber gem. Art. 17a Abs. 6 MwStSystRL nicht substituiert hat. Lösung: Im September, wenn die betreffenden Waren an C verkauft werden und dadurch der Abruflagervertrag zwischen A und B geändert bzw. beendet wird, führt dies weder zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung durch A, noch zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb durch B. Gegebenenfalls muss B (oder der Lagerhalter in den in Art. 54a Abs. 2 Unterabs.2 MwStVO genannten Fällen) das von ihm geführte Register in Bezug auf die an C gelieferten Waren anpassen (Art. 54a Abs. 2 Buchst. b und e MwStSystRL). Da A und C einen Warenverkauf und keinen Abruflagervertrag vereinbart haben, gelten die in der ersten Abwandlung genannten Bestimmungen über die Substitution nicht für die an C gelieferten Waren. Daher gilt für die an C gelieferten Waren ein innergemeinschaftliches Verbringen von Waren nach Art. 17 MwStSystRL von Mitgliedstaat 1 auf Mitgliedstaat 2 als erfolgt. Da die Bedingungen für diese Waren in der hier angesprochenen Fallkonstellation als nicht mehr erfüllt gelten, gilt das Verbringen als unmittelbar vor der Lieferung an C erfolgt (Art. 17a Abs. 7 Unterabs. 2 MwStSystRL). Die Europäische Kommission versteht den Begriff „unmittelbar vorher“, obwohl er in der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht ausdrücklich erläutert wird, als am selben Tag wie den Tag der Lieferung von A an C verwirklicht an. 565

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In Bezug auf die an C verkauften Waren gilt das Verbringen für A als eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung in Mitgliedstaat 1 und als ein innergemeinschaftlicher Erwerb in Mitgliedstaat 2. Um seinen innergemeinschaftlichen Erwerb in Mitgliedstaat 2 zu erklären, muss A für MwSt.-Zwecke in Mitgliedstaat 2 registriert werden. A muss die innergemeinschaftliche Lieferung in seiner MwSt.-Erklärung in Mitgliedstaat 1 anmelden und den Vorgang in seine zusammenfassende Erklärung aufnehmen. Außerdem muss A auch die bei seinem innergemeinschaftlichen Erwerb anfallende Mehrwertsteuer über seine Mehrwertsteuererklärung in Mitgliedstaat 2 versteuern. Ferner muss A muss die notwendigen Angaben in dem von ihm geführten Register machen, um es auf dem neuesten Stand zu halten (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. g MwStVO). Die Lieferung von A an C erfolgt nach eigenen Regeln („inländische“ Lieferung in Mitgliedstaat 2, innergemeinschaftliche Lieferung, Ausfuhr) und fällt nicht unter die Vereinfachungsmaßnahme für Abrufbestände. ee) Abwandlung des Grundfalls (Rückgabe der Ware) Im September desselben Jahres wird vereinbart, dass A die restlichen Waren, die nicht von B verkauft oder verwendet wurden, zurücknimmt und sie von Mitgliedstaat 2 zurück in Mitgliedstaat 1 transportiert. Lösung: Bei den Waren, für die B nicht Eigentümer war, gibt es im Verhältnis zwischen A und B weder eine innergemeinschaftliche Lieferung noch einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Was die zurückgegebenen Waren betrifft, so gibt es auch keine innergemeinschaftliche Lieferung (Verbringen) gem. Art. 17 MwStSystRL, die von A in Mitgliedstaat 1 durchgeführt wird, und auch keine innergemeinschaftliche Lieferung gem. Art. 17 MwStSystRL, die von A in Mitgliedstaat 2 durchgeführt wird, wenn A die Rückgabe der Waren in dem von ihm geführten Register gem. Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwsStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. h MwStVO erfasst (Art. 17a Abs. 5 Buchst. b MwStSystRL). Weiterhin muss A in seiner zusammenfassenden Erklärung die USt.IdNr. von B und ein „Kennzeichen“ für die Rückgabe der Ware angeben (Art. 262 Abs. 2 MwStSystRL, da es sich um eine „Änderung der vorgelegten Informationen“ handelt). Der beabsichtigte Erwerber B (oder der Lagerhalter in der in Art. 54a Abs. 2 Unterabs. 2 MwStVO genannten Situation) muss das von ihm geführte Register anpassen (Art. 54a Abs. 2 Buchst. e MwStVO). 566

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ff) Abwandlung des Grundfalls (Überschreitung des Zeitraums von 12 Monaten) Das Unternehmen A mit Sitz in Mitgliedstaat 1 (und nicht in Mitgliedstaat 2) befördert Waren am 5.1. des Jahres N im Rahmen einer Abruflagerregelung in den Mitgliedstaat 2. Die Waren kommen am selben Tag in den Mitgliedstaat 2. Diese Waren sind für Unternehmen B bestimmt, das in Mitgliedstaat 2 identifiziert (niedergelassen oder nicht) ist. Ein Jahr später (Jahr N+1) sind die Waren oder Teile davon noch nicht an B geliefert worden, befinden sich aber immer noch im Gebiet des Mitgliedstaats 2. Lösung: Obwohl in den Rechtsvorschriften nicht ausdrücklich festgelegt, interpretiert die Europäische Kommission die „Ankunft“ iSv. Art. 17a Abs. 4 MwStSystRL als die Ankunft der Waren in dem Lager, in dem sie im Bestimmungsmitgliedstaat gelagert werden. Dies entspricht der Verpflichtung, im Register das Datum anzugeben, an dem die Waren gem. Art. 54a Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 Buchst. c MwStVO im Lager eintreffen. Für die Berechnung des 12-Monatszeitraums selbst wurden keine besonderen Regeln festgelegt. Daher gelten die allgemeinen EU-Vorschriften zur Festlegung von Fristen, Terminen und Fristen.12 Dies bedeutet, dass die 12-Monats-Periode mit der ersten Stunde des ersten Tags der Periode beginnt und mit dem Ablauf der letzten Stunde des gleichen Datums endet wie der Tag, an dem die Periode läuft. Der „erste Tag der Periode“ ist also der Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Ankunft der Ware stattgefunden hat. Bezogen auf die oa. Abwandlung des Grundfalls bedeutet dies: Bis zum Ende des 6.1. des Jahres N+1 hat B das Eigentum an den Waren oder Teilen davon nicht übernommen. Für diese übrigen Waren gibt es im Verhältnis zwischen A und B weder eine innergemeinschaftliche Lieferung noch einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Ab dem 7.1. des Jahres N+1, dem Tag nach Ablauf der 12-monatigen Frist, sind die Bedingungen für die Abruflagerregelung nicht mehr erfüllt und eine Übertragung der übrigen Waren gem. Art. 17 MwStSystRL durch A gilt als von Mitgliedstaat 1 auf Mitgliedstaat 2 erfolgt (Art. 17a Abs. 4 MwStSystRL).

12 Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71.

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gg) Abwandlung des Grundfalls (Waren, die in einen anderen Mitgliedstaat versandt werden) Im September desselben Jahres nimmt A die Waren, die nicht an B geliefert wurden, aus dem Bestand zurück, transportiert sie aber nicht zurück in den Mitgliedstaat 1. Stattdessen werden die Waren in den Mitgliedstaat 3 transportiert, wo sie im Namen von A gelagert werden. Lösung: Im September, wenn die restlichen Waren in den Mitgliedstaat 3 befördert werden, sind die Bedingungen für die Abruflagerregelung für den Transport von Mitgliedstaat 1 nach Mitgliedstaat 2 nicht mehr erfüllt. Daher findet ein innergemeinschaftliches Verbringen gem. Art. 17 MwStSystRL vom Mitgliedstaat 1 in den Mitgliedstaat 2 statt. Die Bedingungen sind nicht mehr erfüllt, so dass die Übertragung unmittelbar vor Beginn der Versendung oder der Beförderung in den Mitgliedstaat 3 als erfolgt gilt (Art. 17a Abs. 7 Unterabs. 3 MwStSystRL). Die Europäische Kommission versteht den Begriff „unmittelbar vorher“, obwohl er in der MwStSystRL nicht ausdrücklich erläutert wird, als am selben Tag wie der Beginn der Versendung oder der Beförderung in den Mitgliedstaat 3 verwirklicht. A bewirkt eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung (Verbringen) in Mitgliedstaat 1 (Art. 17 MwStSystRL) und einen innergemeinschaftlichen Erwerb der übrigen Waren in Mitgliedstaat 2 (Art. 21 MwStSystRL). A muss auch die notwendigen Angaben in dem von ihm geführten Register machen, um es auf dem neuesten Stand zu halten (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. g) MwStVO). B (oder der Lagerhalter, in der in Art. 54a Abs. 2 Unterabs. 2 MwStVO genannten Situation) muss auch sein Register aktualisieren (Art. 54a Abs. 2 Buchst. e MwStVO). A nimmt im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren in den Mitgliedstaat 3 im September eine weitere Übertragung von Mitgliedstaat 2 auf Mitgliedstaat 3 vor. Daher bewirkt A auch dort eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung (Verbringen) gem. Art. 17 MwStSystRL in Mitgliedstaat 2 und einen innergemeinschaftlichen Erwerb gem. Art. 21 MwStSystRL in Mitgliedstaat 3. Für den letztgenannten steuerpflichtigen Sachverhalt muss er in Mitgliedstaat 3 für Mehrwertsteuerzwecke registriert werden. Erklärungen in Umsatzsteuererklärungen und zusammenfassende Erklärungen folgen den normalen Regeln und sind daher nicht mit den Vereinfachungsregeln für Abrufbestände verknüpft.

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Es kann vorkommen, dass diese zweite Beförderung der Waren von Mitgliedstaat 2 nach Mitgliedstaat 3 unter die Vorschriften für Abruflager fällt, sofern alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Dies setzt jedoch voraus, dass A nicht in Mitgliedstaat 3 niedergelassen ist; es müsste eine Vereinbarung mit einem beabsichtigten Erwerber bestehen, der in Mitgliedstaat 3 identifiziert sein müsste; A müsste die Beförderung in das von ihm geführte Register eintragen und A müsste auch den neuen beabsichtigten Erwerber in der zusammenfassenden Erklärung, die in Mitgliedstaat 2 vorgelegt wurde, erwähnen. Jede dieser neuen Situationen muss dann einer völlig separaten Bewertung unterzogen werden. Werden die Waren direkt an C (außerhalb der Abruflagerregelung) in Mitgliedstaat 3 verkauft, so entsprechen die innergemeinschaftliche Lieferung in Mitgliedstaat 2 und der innergemeinschaftliche Erwerb in Mitgliedstaat 3 den normalen Regeln und sind wiederum nicht an die Vereinfachungsregeln für Abruflager gebunden. hh) Abwandlung des Grundfalls (Exportierte Waren) Im September desselben Jahres exportiert A die Waren, die nicht an B geliefert wurden, im Hinblick auf weitere Aktivitäten außerhalb der Europäischen Union. Lösung: Im September, wenn die restlichen Waren außerhalb der Europäischen Union transportiert werden, sind die Bedingungen für die Abruflagerregelung nicht mehr erfüllt. Daher findet eine Übertragung dieser verbleibenden Waren gem. Art. 17 MwStSystRL von Mitgliedstaat 1 auf Mitgliedstaat 2 statt. Da die Bedingungen bei der Ausfuhr nicht mehr erfüllt sind, gilt die Übertragung als unmittelbar vor dem Versand oder der Beförderung in ein Drittland als nicht mehr erfüllt, und es entsteht eine lokale Erwerbsteuerpflicht (Art. 17a Abs. 7 Unterabs. 3 MwStSystRL). Die Europäische Kommission versteht den Begriff „unmittelbar vorher“, obwohl er in der MwStSystRL nicht ausdrücklich erläutert wird, als am selben Tag wie der Beginn der Versendung oder der Beförderung in ein Drittland verwirklicht. A bewirkt eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung gem. Art. 17 MwStSystRL in Mitgliedstaat 1 und einen innergemeinschaftlichen Erwerb gem. Art. 21 MwStSystRL in Mitgliedstaat 2. A muss die notwendigen Angaben in dem von ihm geführten Register machen, um es auf dem neuesten Stand zu halten (Art. 243 Abs. 3 Unterabs. 1 MwStSystRL und Art. 54a Abs. 1 Buchst. g MwStVO). B (oder der 569

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Lagerhalter, in der in Art. 54a Abs. 2 Unterabs. 2 MwStVO genannten Situation) muss auch sein Register aktualisieren (Art. 54a Abs. 2 Buchst. e MwStVO). ii) Abwandlung des Grundfalls (Vernichtete Waren) Im September desselben Jahres und vor der Übernahme aller erhaltenen Waren durch B wird der verbleibende Teil der Ware bei einem Brand zerstört. Lösung: Im September, wenn die restlichen Waren vernichtet werden, sind die Bedingungen für die Abruflagerregelung für diese Waren nicht mehr erfüllt. Daher gilt ein Verbringen gem. Art. 17 MwStSystRL als von Mitgliedstaat 1 in Mitgliedstaat 2 erfolgt. Da die Bedingungen für die Vereinfachung des Abrufbestands nicht mehr erfüllt sind, gilt das Verbringen als an dem Tag erfolgt, an dem die Ware tatsächlich vernichtet wurde, oder, wenn es unmöglich ist, diesen Tag zu bestimmen, an dem die Ware für vernichtet befunden wurde (Art. 17a Abs. 7 Unterabs. 4 MwStSystRL). A bewirkt eine befreite innergemeinschaftliche Lieferung (Verbringen) gem. Art. 17 MwStSystRL in Mitgliedstaat 1 und einen innergemeinschaftlichen Erwerb der vernichteten Waren gem. Art. 21 MwStSystRL) in Mitgliedstaat 2.

3. Nationale Umsetzung a) Überblick Der deutsche Gesetzgeber fügt zur Umsetzung der Neuregelung einen neuen § 6b UStG ein. Dies ist systematisch naheliegend, weil es sich um eine Sonderregelung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs handelt, der in § 6a UStG abgebildet wird. Zusätzlich werden die Aufzeichnungspflichten (§ 22 UStG) erweitert und es kommt zu notwendigen Anpassungen bei den Vorschriften für den innergemeinschaftlichen Erwerb, das innergemeinschaftliche Verbringen und die Zusammenfassende Meldung.

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b) Rechtsgrundlagen Im Einzelnen erfolgt die Umsetzung im UStG folgendermaßen: „§ 6b Konsignationslagerregelung (1) Für die Beförderung oder Versendung eines Gegenstandes aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates für Zwecke einer Lieferung des Gegenstandes nach dem Ende dieser Beförderung oder Versendung an einen Erwerber gilt eine Besteuerung nach Maßgabe der nachfolgenden Vorschriften, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Der Unternehmer oder ein vom Unternehmer beauftragter Dritter befördert oder versendet einen Gegenstand des Unternehmens aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates (Abgangsmitgliedstaat) in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates (Bestimmungsmitgliedstaat) zu dem Zweck, dass nach dem Ende dieser Beförderung oder Versendung die Lieferung (§ 3 Absatz 1) gemäß einer bestehenden Vereinbarung an einen Erwerber bewirkt werden soll, dessen vollständiger Name und dessen vollständige Anschrift dem Unternehmer zum Zeitpunkt des Beginns der Beförderung oder Versendung des Gegenstands bekannt ist und der Gegenstand im Bestimmungsland verbleibt. 2. Der Unternehmer hat in dem Bestimmungsmitgliedstaat weder seinen Sitz noch seine Geschäftsleitung oder eine Betriebsstätte oder in Ermangelung eines Sitzes, einer Geschäftsleitung oder einer Betriebsstätte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt. 3. Der Erwerber im Sinne der Nummer 1, an den die Lieferung bewirkt werden soll, hat gegenüber dem Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet. 4. Der Unternehmer zeichnet die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes im Sinne der Nummer 1 nach Maßgabe des § 22 Absatz 4f gesondert auf und kommt seiner Pflicht nach § 18a Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 6 Nummer 3 und Absatz 7 Nummer 2a rechtzeitig, richtig und vollständig nach. (2) Wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt sind, gilt zum Zeitpunkt der Lieferung des Gegenstandes an den Erwerber, sofern diese Lieferung innerhalb der Frist nach Absatz 3 bewirkt wird, Folgendes: 1. Die Lieferung an den Erwerber wird einer im Abgangsmitgliedstaat steuerbaren und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a) gleichgestellt. 2. Die Lieferung an den Erwerber wird einem im Bestimmungsmitgliedstaat steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1a Absatz 1) gleichgestellt. (3) Wird die Lieferung an den Erwerber nicht innerhalb von zwölf Monaten nach dem Ende der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 bewirkt und ist keine der Voraussetzungen des Absatzes 6 erfüllt, so gilt am Tag nach Ablauf des Zeitraums von zwölf Monaten die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes als das einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellte Verbringen (§ 6a Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 3 Absatz 1a).

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen (4) Absatz 3 ist nicht anzuwenden, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: 1. Die nach Absatz 1 Nummer 1 beabsichtigte Lieferung wird nicht bewirkt und der Gegenstand gelangt innerhalb von zwölf Monaten nach dem Ende der Beförderung oder Versendung aus dem Bestimmungsmitgliedstaat in den Abgangsmitgliedstaat zurück. 2. Der Unternehmer zeichnet das Zurückgelangen des Gegenstandes nach Maßgabe des § 22 Absatz 4f gesondert auf. (5) Tritt innerhalb von zwölf Monaten nach dem Ende der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 und vor dem Zeitpunkt der Lieferung ein anderer Unternehmer an die Stelle des Erwerbers im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1, gilt in dem Zeitpunkt, in dem der andere Unternehmer an die Stelle des Erwerbers tritt, Absatz 4 sinngemäß, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: 1. Der andere Unternehmer hat gegenüber dem Unternehmer die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet. 2. Der vollständige Name und die vollständige Anschrift des anderen Unternehmers sind dem Unternehmer bekannt. 3. Der Unternehmer zeichnet den Erwerberwechsel nach Maßgabe des § 22 Absatz 4f gesondert auf. (6) 1Fällt eine der Voraussetzungen nach den Absätzen 1 und 5 innerhalb von zwölf Monaten nach dem Ende der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 und vor dem Zeitpunkt der Lieferung weg, so gilt am Tag des Wegfalls der Voraussetzung die Beförderung oder Versendung des Gegenstandes als das einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellte Verbringen (§ 6a Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit § 3 Absatz 1a). 2Wird die Lieferung an einen anderen Erwerber als einen Erwerber nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 5 bewirkt, gelten die Voraussetzungen nach den Absätzen 1 und 5 an dem Tag vor der Lieferung als nicht mehr erfüllt. 3Satz 2 gilt sinngemäß, wenn der Gegenstand vor der Lieferung oder bei der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat als den Abgangsmitgliedstaat oder in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet wird. 4Im Fall der Zerstörung, des Verlustes oder des Diebstahls des Gegenstandes nach dem Ende der Beförderung oder Versendung des Gegenstandes im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 und vor dem Zeitpunkt der Lieferung gelten die Voraussetzungen nach den Absätzen 1 und 5 an dem Tag, an dem die Zerstörung, der Verlust oder der Diebstahl festgestellt wird, als nicht mehr erfüllt.“

Nach § 1a Abs. 2 wird folgender Abs. 2a eingefügt: „(2a) Ein innergemeinschaftlicher Erwerb im Sinne des Absatzes 2 liegt nicht vor in den Fällen des § 6b.“

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§ 3 wird wie folgt geändert: Dem Absatz 1a wird folgender Satz angefügt: „Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in den Fällen des § 6b.“

§ 18a wird wie folgt geändert: „a) In Absatz 1 Satz 1 werden die Wörter ‚Absatz 7 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4‘ durch die Wörter ‚Absatz 7 Satz 1 Nummer 1, 2, 2a und 4‘ ersetzt. b) Absatz 6 wird wie folgt geändert: aa) In Nummer 2 wird der Punkt am Ende durch ein Semikolon ersetzt. bb) Folgende Nummer 3 wird angefügt: ‚3. eine Beförderung oder Versendung im Sinne des § 6b Absatz‘1.‘ c) Nach Absatz 7 Nummer 2 wird folgende Nummer 2a eingefügt: ‚2a. für Beförderungen oder Versendungen im Sinne des Absatzes 6 Nummer 3: die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 und 3 oder des § 6b Absatz 5;‘“.

Nach § 22 Abs. 4e werden die folgenden Absätze 4f und 4g eingefügt: „(4f) 1Der Unternehmer, der nach Maßgabe des § 6b einen Gegenstand aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates befördert oder versendet, hat über diese Beförderung oder Versendung gesondert Aufzeichnungen zu führen. 2Diese Aufzeichnungen müssen folgende Angaben enthalten: 1. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Erwerbers im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 oder des § 6b Absatz 5; 2. den Abgangsmitgliedstaat; 3. den Bestimmungsmitgliedstaat; 4. den Tag des Beginns der Beförderung oder Versendung im Abgangsmitgliedstaat; 5. die von dem Erwerber im Sinne § 6b Absatz 1 oder § 6b Absatz 5 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer; 6. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Lagers, in das der Gegenstand im Rahmen der Beförderung oder Versendung in den Bestimmungsmitgliedstaat gelangt; 7. den Tag des Endes der Beförderung oder Versendung im Bestimmungsmitgliedstaat; 8. die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines Dritten als Lagerhalter; 9. die Bemessungsgrundlage nach § 10 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1, die handelsübliche Bezeichnung und Menge der im Rahmen der Beförderung oder Versendung in das Lager gelangten Gegenstände; 10. den Tag der Lieferung im Sinne des § 6b Absatz 2;

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen 11. das Entgelt für die Lieferung nach Nummer 10 sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der gelieferten Gegenstände; 12. die von dem Erwerber für die Lieferung nach Nummer 10 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer; 13. das Entgelt sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der Gegenstände im Fall des einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellten Verbringens im Sinne des § 6b Absatz 3; 14. die Bemessungsgrundlage der nach § 6b Absatz 4 Nummer 1 in den Abgangsmitgliedstaat zurückgelangten Gegenstände und den Tag des Beginns dieser Beförderung oder Versendung. (4g) 1Der Unternehmer, an den der Gegenstand nach Maßgabe des § 6b geliefert werden soll, hat über diese Lieferung gesondert Aufzeichnungen zu führen. 2Diese Aufzeichnungen müssen folgende Angaben enthalten: 1. die von dem Unternehmer im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer; 2. die handelsübliche Bezeichnung und Menge der für den Unternehmer als Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 oder des § 6b Absatz 5 bestimmten Gegenstände; 3. den Tag des Endes der Beförderung oder Versendung der für den Unternehmer als Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 oder des § 6b Absatz 5 bestimmten Gegenstände im Bestimmungsmitgliedstaat; 4. das Entgelt für die Lieferung an den Unternehmer sowie die handelsübliche Bezeichnung und Menge der gelieferten Gegenstände; 5. den Tag des innergemeinschaftlichen Erwerbs im Sinne des § 6b Absatz 2 Nummer 2; 6. die handelsübliche Bezeichnung und Menge der auf Veranlassung des Unternehmers im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 aus dem Lager entnommenen Gegenstände; 7. die handelsübliche Bezeichnung der im Sinne des § 6b Absatz 6 Satz 4 zerstörten oder fehlenden Gegenstände und den Tag der Zerstörung, des Verlusts oder des Diebstahls der zuvor in das Lager gelangten Gegenstände oder den Tag, an dem die Zerstörung oder das Fehlen der Gegenstände festgestellt wurde. 3Wenn

der Inhaber des Lagers, in das der Gegenstand im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 befördert oder versendet wird, nicht mit dem Erwerber im Sinne des § 6b Absatz 1 Nummer 1 oder des § 6b Absatz 5 identisch ist, ist der Unternehmer von den Aufzeichnungen nach Satz 1 Nummer 3, 6 und 7 entbunden.“

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c) Erläuterungen und Beispiele aa) Ausgangspunkt Die deutsche Umsetzung folgt weitgehend den unionsrechtlichen Vorgaben. Nach bisher geltendem nationalem Recht war das Verbringen von Ware durch einen Unternehmer in sein in einem anderen Mitgliedstaat belegenes Konsignationslager bzw. call-off-stock oder Auslieferungslager als ein innergemeinschaftliches Verbringen nach § 3 Abs. 1a UStG einzuordnen, das wie eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a UStG) grundsätzlich steuerfrei ist. Im Bestimmungsmitgliedstaat hatte der Unternehmer spiegelbildlich einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern. Die anschließende Lieferung des Gegenstands an einen anderen Unternehmer (Abnehmer) führte in diesem Mitgliedstaat zu einer steuerpflichtigen Inlandslieferung. Einige Mitgliedstaaten (nicht Deutschland) sahen bisher jedoch „Vereinfachungsregelungen“ vor, wonach das Verbringen von Ware aus einem anderen Mitgliedstaat in ein im Inland belegenes Konsignationslager noch nicht zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb führte. Ein Erwerb wurde in diesen Mitgliedstaaten erst dann angenommen, wenn der Abnehmer die Ware aus dem Lager ausgeliefert bekam. In diesen Mitgliedstaaten galt dieser Abnehmer als Empfänger einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Die unterschiedliche Behandlung in den einzelnen Mitgliedstaaten hatte zur Folge, dass für den Fall des Verbringens der Ware aus einem Mitgliedstaat ohne „Vereinfachungsregelung“ in einen anderen Mitgliedstaat mit „Vereinfachungsregelung“ erhebliche Unstimmigkeiten im innergemeinschaftlichen Kontrollverfahren (sog. MIAS-Verfahren) verursacht wurden. Zum einen entstanden hierdurch Inkongruenzen hinsichtlich des Liefer- und Erwerbszeitpunkts. Das Verbringen in ein Konsignationslager in einen anderen Mitgliedstaat wurde im Sitzstaat des leistenden Unternehmers bereits zu diesem Zeitpunkt als innergemeinschaftliche Lieferung erfasst und in der Zusammenfassenden Meldung13 erfasst und im Rahmen des MIASVerfahrens an den Bestimmungsstaat übermittelt. Dort hingegen wurde das Verbringen noch nicht als innergemeinschaftliche Lieferung bewertet und infolgedessen nicht als solche erfasst. Eine entsprechende Erfassung als innergemeinschaftlicher Erwerb erfolgte erst im Zeitpunkt der Auslieferung der Ware aus dem Lager. Eine weitere Inkongruenz entstand hinsichtlich der USt.-IdNr., weil die Mitgliedstaaten mit „Vereinfachungsregelungen“ erst den Abnehmer der später ausgelieferten Ware 13 Vgl. § 18a UStG.

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als Empfänger der innergemeinschaftlichen Lieferung behandelten. Die Inkongruenzen hinsichtlich des Zeitpunkts der innergemeinschaftlichen Lieferung/des innergemeinschaftlichen Erwerbs und hinsichtlich der USt.-IdNr. führten dazu, dass die Warenbewegungen für die Verwaltung nicht mehr nachvollziehbar waren und effiziente Prüfmöglichkeiten entfielen. Mit der Einfügung des § 6b UStG wird (neben den Änderungen von § 1a UStG und § 3 Abs. 1a UStG) diese unionsrechtliche Regelung in nationales Recht umgesetzt.14 bb) Zu § 6b Abs. 1 UStG (1) Allgemeines Die Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen von der Konsignationslagerregelung auszugehen ist, und beruht auf Art. 17a Abs. 2 MwStSystRL. Ausgangspunkt der Konsignationslagerregelung ist, dass ein Gegenstand aus einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat transportiert wird (grenzüberschreitendes innergemeinschaftliches Verbringen) mit dem Zweck, dass der Gegenstand erst im Ankunftsmitgliedstaat (nach seinem Transport dorthin) verkauft wird. § 6b Abs. 1 UStG führt in seinen Nr. 1–4 abschließend und kumulativ die Voraussetzungen auf, die zur Anwendbarkeit der Konsignationslagerregelung führen. (2) Zu Abs. 1 Nr. 1 Nach dieser Bestimmung setzt die Anwendbarkeit der Konsignationslagerregelung voraus, dass der Unternehmer oder ein von ihm beauftragter Dritter einen Gegenstand des Unternehmens aus dem Gebiet eines Mitgliedstaats (Abgangsmitgliedstaat) in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats (Bestimmungsmitgliedstaat) transportiert. Der Transport muss zu dem Zweck erfolgen, dass nach dem Ende dieser Beförderung oder Versendung die umsatzsteuerliche Lieferung an einen Erwerber bewirkt werden soll, dessen vollständiger Name und vollständige Anschrift dem Unternehmer im Zeitpunkt des Beginns der Beförderung oder Versendung des Gegenstands bekannt ist. Das bedeutet, der Unternehmer kennt den potenziellen Erwerber der Ware zum Zeitpunkt des Beginns des Transports. Der Unternehmer muss außerdem im Zeitpunkt des Endes des Warentransports im Bestimmungsmitgliedstaat umsatzsteuerlich 14 Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 356/19, 176 ff.

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noch die Verfügungsmacht an der Ware haben. Außerdem muss die in den Bestimmungsmitgliedstaat verbrachte Ware mit der der späteren Lieferung identisch sein. Die Konsignationslagerregelung gilt deshalb zB nicht im Fall des Verbringens von Waren, die im Bestimmungsmitgliedstaat zur Ausführung einer Werklieferung an den späteren Erwerber verwendet werden sollen. Der Ort, an den der Gegenstand im Zuge des Transports im Bestimmungsmitgliedstaat gelangt, wird in der Vorschrift (ebenso wie im zugrunde liegenden Unionsrecht) nicht definiert und muss somit nicht zwingend ein Lager als solches sein. Die Ware kann an jedem räumlich und physisch bestimmbaren Ort im Bestimmungsmitgliedstaat zwischengelagert werden (zB auch in einem Eisenbahnwaggon). Für den Fall, dass es sich um ein Lager als solches handelt, kann dieses sowohl auf Initiative des Unternehmers, der den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat befördert oder versendet hat, als auch auf Initiative des späteren Erwerbers der Ware oder auf Initiative eines Dritten (selbständiger Lagerhalter) eingerichtet sein. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 2 Buchst. a und (teilweise) Buchst. c MwStSystRL um. (3) Zu Abs. 1 Nr. 2 Nach dieser Bestimmung setzt die Anwendbarkeit der Konsignationslagerregelung voraus, dass der (die Ware verbringende) Unternehmer in dem Bestimmungsmitgliedstaat nicht ansässig ist. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 2 Buchst. b MwStSystRL um. In diesen Fällen wird davon ausgegangen, dass der Lieferer im Ankunftsstaat bereits für Mehrwertsteuerzwecke registriert ist. Vor diesem Hintergrund hat er dort ohnehin Aufzeichnungs- und Erklärungspflichten zu erfüllen. Es bedarf daher der Vereinfachungsregelung nicht. Die Kommission nimmt zu der Problematik in ihren Erläuterungen15 wie folgt Stellung: „1. Der MwSt.-Ausschuss bestätigt einstimmig, dass die in Art. 17a der MwSt.Richtlinie vorgesehene Vereinfachung der Abruflagerregelung unabhängig davon gilt, ob der Steuerpflichtige, der die Waren überträgt (nachstehend ‚der Lieferant‘ genannt), in dem Mitgliedstaat, in den die Waren im Rahmen dieser Regelung befördert wurden, für MwSt.-Zwecke identifiziert wird oder nicht. 2. Hat der Lieferant jedoch seine Niederlassung oder eine feste Niederlassung im Mitgliedstaat des Eingangs der Waren, so bestätigt der Mehrwertsteueraus-

15 Vgl. Erläuterungen, 2.5.1, s. Fn. 11, unter Verweis auf die 113. Sitzung des Mehrwertsteuerausschusses v. 3.6.2019.

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen schuss einstimmig, dass die in Art. 17a der MwSt.-Richtlinie vorgesehene Vereinfachung der Abruflagerregelung nicht gilt. Der Mehrwertsteuerausschuss stimmt einstimmig zu, dass dies unabhängig davon geschieht, ob die feste Niederlassung des Lieferanten tatsächlich (im Sinne von Art. 192a der MwSt.-Richtlinie) in die vom Lieferanten erbrachten Lieferungen von Gegenständen eingreift oder nicht. 3. Der MwSt.-Ausschuss stimmt einstimmig zu, dass, wenn sich das Lager, zu dem die Waren im Rahmen von Abruflagern befördert werden, im Besitz einer oder mehrerer anderer Personen als des Lieferanten befindet und von diesem betrieben wird, dieses Lager nicht als feste Niederlassung des Lieferanten angesehen wird. 4. Der MwSt.-Ausschuss stimmt mit großer Mehrheit zu, dass, wenn das Lager, in das Waren aus einem anderen Mitgliedstaat befördert werden, um diese Waren zu einem späteren Zeitpunkt an einen identifizierten Kunden zu liefern, im Besitz des Lieferanten ist (oder gemietet wird) und direkt vom Lieferanten mit seinen eigenen Mitteln betrieben wird, die sich in dem Mitgliedstaat befinden, in dem sich das Lager befindet, dieses Lager als seine feste Niederlassung anzusehen ist. Wird dieses Lager jedoch nicht vom Lieferanten mit eigenen Mitteln betrieben oder sind diese Mittel in dem Mitgliedstaat, in dem sich das Lager befindet, nicht tatsächlich vorhanden, so stimmt der MwSt.-Ausschuss mit großer Mehrheit zu, dass das Lager trotz des Besitzes (oder der Vermietung) durch den Lieferanten nicht als seine feste Niederlassung angesehen werden kann.“

(4) Zu Abs. 1 Nr. 3 Nach dieser Bestimmung setzt die Anwendbarkeit der Konsignationslagerregelung voraus, dass der Erwerber, an den die Lieferung bewirkt werden soll, gegenüber dem Unternehmer bis zum Beginn des Warentransports die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte USt.-IdNr. verwendet hat. Der Begriff „Verwendung“ setzt nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers ein positives Tun des Erwerbers bei der Vereinbarung mit dem Unternehmer über den späteren Erwerb der Ware voraus. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL um. Im Unionsrecht wird lediglich gefordert, dass die entsprechende Nummer „bekannt“ ist. Die gleiche Problematik findet sich bei der Umsetzung der Neuregelung für innergemeinschaftliche Lieferungen und wird im entsprechenden Abschnitt weiter erörtert.16

16 S.u. zu III.1.c.

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(5) Zu Abs. 1 Nr. 4 Nach dieser Bestimmung setzt die Anwendbarkeit der Konsignationslagerregelung voraus, dass der Unternehmer den Warentransport in den Bestimmungsmitgliedstaat nach Maßgabe des neu in das Gesetz aufgenommenen § 22 Abs. 4f UStG gesondert aufzeichnet und seiner Pflicht zur Aufnahme der USt.-IdNr. des potentiellen Erwerbers in die Zusammenfassende Meldung nach § 18a Abs. 1 iVm. Abs. 6 Nr. 3 und Abs. 7 Nr. 2a UStG rechtzeitig, richtig und vollständig nachkommt. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 2 Buchst. d MwStSyst-RL um. cc) Zu Abs. 2 Die Vorschrift regelt die Rechtsfolge, die sich aus der Konsignationslagerregelung ergibt, in Form einer Fiktion. Wenn die Voraussetzungen nach § 6b Abs. 1 UStG erfüllt sind, wird zum Zeitpunkt der Lieferung des Gegenstands an den Erwerber, sofern diese Lieferung innerhalb der 12-Monatsfrist nach § 6b Abs. 3 UStG bewirkt wird, die Lieferung an den Erwerber einer im Abgangsmitgliedstaat steuerbaren und steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) gleichgestellt. Überdies wird die Lieferung an den Erwerber einem im Bestimmungsmitgliedstaat steuerbaren innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1a Abs. 1 UStG) gleichgestellt. Anwendungsbeispiel: Derniederländische Gemüseproduzent „Happy Tomato N.V.“ züchtet in den Niederlanden Speisetomaten. Er vereinbart mit dem deutschen Großkunden „Frohsuppe GmbH“ die Einrichtung eines Konsignationslagers auf dessen Werksgelände. Aus den Niederlanden werden laufend frische Tomaten in das Lager transportiert und dort mit zeitlichem Versatz für die Suppenproduktion entnommen. In diesem Zeitpunkt wird dann zwischen den Parteien abgerechnet. Unter der Bedingung, dass die Frohsuppe GmbH eine deutsche USt.-IdNr. angibt, die notwendigen Aufzeichnungs- und Meldepflichten erfüllt werden und die Tomaten spätestens nach zwölf Monaten entweder verwendet oder zurückgeschickt werden, muss sich „Happy Tomato N.V.“ nicht für deutsche Umsatzsteuerzwecke registrieren. Die Lieferungen an die Frohsuppe GmbH werden jeweils im Zeitpunkt der Entnahme als innergemeinschaftliche Lieferungen aus den Niederlanden nach Deutschland abgerechnet und angemeldet.

Die Gleichstellung mit einer im Abgangsmitgliedstaat bewirkten innergemeinschaftlichen Lieferung bedeutet insbes., dass diese Lieferung ohne weitere Nachweisvoraussetzungen steuerfrei ist. Neben den Aufzeichnungen nach § 6b Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 22 Abs. 4f UStG bzw. der Angabe 579

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der USt.-IdNr. des Erwerbers nach § 6b Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 18a Abs. 1 iVm. Abs. 6 Nr. 3 und Abs. 7 Nr. 2a UStG muss der Unternehmer somit keine weiteren Nachweise führen, um die Steuerbefreiung seiner innergemeinschaftlichen Lieferung anwenden zu können. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 3 MwStSystRL um. Hierdurch wird auch eine erhebliche Vereinfachung der buchhalterischen Abwicklung des Wareneinkaufs aus einem Konsignationslager heraus erreicht und zugleich einer zentralen Forderung insbes. aus der Automobilwirtschaft entsprochen. Dort ist es üblich, dass bei Herausnahme der Zulieferteile aus dem Konsignationslager durch den Abnehmer (zB Automobilhersteller) gleichzeitig über den Erhalt der Ware im Gutschriftsverfahren abgerechnet wird. Die gesetzliche Neuregelung ermöglicht in den praktischen Abläufen der Buchhaltung, den Zeitpunkt der Abrechnung in Übereinstimmung mit dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb zu steuern. Weiteres Anwendungsbeispiel: Automobilzulieferer B aus Belgien versendet im Februar Zulieferteile in das Konsignationslager des Automobilherstellers F in Köln. Die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Zulieferteile zu verfügen, geht auf F mit Herausnahme der Teile im Juni desselben Jahres über. Ebenfalls im Juni rechnet F die Lieferung des B ihm gegenüber im Gutschriftsverfahren ab. Die Verbringung der Zulieferteile im Februar wird nicht einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt (B und F haben die Verbringung in das Register nach § 22 Abs. 4f und 4g UStG einzutragen, zudem hat B den Vorgang nach § 18a Abs. 6 Nr. 3 UStG „nachrichtlich“ in der Zusammenfassenden Meldung zu melden). Im Juni verwirklicht B eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Belgien (Erklärungspflichtig in der Zusammenfassenden Meldung nach § 18a Abs. 6 Nr. 1 UStG) und F spiegelbildlich einen innergemeinschaftlichen Erwerb in Deutschland. Die Erwerbssteuer entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 6 UStG zeitgleich mit der Erteilung der Gutschrift, dh. im Monat der Rechnungslegung im Juni. Die Gutschrift des F muss den Anforderungen des § 14a Abs. 3 UStG entsprechen und nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG den Hinweis auf das Vorliegen einer steuerfreien, innergemeinschaftlichen Lieferung enthalten.

dd) Zu Abs. 3 Die Bestimmung regelt den Ausschluss von der Rechtsfolge der Konsignationslagerregelung nach § 6b Abs. 2 UStG. Wird die Lieferung an den Erwerber nicht binnen 12 Monaten nach dem Ende des Warentransports vom Abgangsmitgliedstaat in den Bestimmungsmitgliedstaat bewirkt und ist keine der Voraussetzungen des § 6b Abs. 6 UStG erfüllt, gilt der Warentransport als das einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleich580

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gestellte Verbringen (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UStG iVm. § 3 Abs. 1a UStG) mit den entsprechenden Folgen, die bisher bereits für die Fälle des innergemeinschaftlichen Verbringens gelten. Der Zeitpunkt, zu dem dieses innergemeinschaftliche Verbringen in der Regelung fingiert wird, ist der Tag nach Ablauf des Zeitraums von 12 Monaten nach dem Ende des Warentransports vom Abgangsmitgliedstaat in den Bestimmungsmitgliedstaat. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 4 MwStSystRL um.17 ee) Zu Abs. 4 Die Bestimmung regelt eine Rückausnahme vom Ausschluss von der Rechtsfolge der Konsignationslagerregelung nach § 6b Abs. 3 UStG. Ein innergemeinschaftliches Verbringen wird danach nicht fingiert, wenn die vom Unternehmer beabsichtigte Lieferung der in den Bestimmungsmitgliedstaat transportierten Ware nicht bewirkt wird und die Ware binnen 12 Monaten nach dem Ende des Warentransports aus dem Bestimmungsmitgliedstaat in den Abgangsmitgliedstaat zurück gelangt und wenn der Unternehmer dieses Zurückgelangen nach Maßgabe des § 22 Abs. 4f UStG gesondert aufzeichnet. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 5 MwStSystRL um.18 ff) Zu Abs. 5 Die Bestimmung regelt den Fall, dass statt des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers ein anderer Unternehmer die in den Bestimmungsmitgliedstaat transportierte Ware kauft. Auch dabei handelt es sich um eine Rückausnahme vom Ausschluss von der Rechtsfolge der Konsignationslagerregelung nach § 6b Abs. 3 UStG. Tritt binnen 12 Monaten nach dem Ende des Warentransports in den Bestimmungsmitgliedstaat ein anderer Unternehmer an die Stelle des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers, gilt in diesem Zeitpunkt des Eintritts § 6b Abs. 4 UStG sinngemäß, dh. ein innergemeinschaftliches Verbringen wird bezüglich des Warentransports nicht fingiert, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: der andere Unternehmer (der neue Erwerber) hat (zum Zeitpunkt des Eintritts) gegenüber dem Unternehmer die ihm vom Bestimmungsmitgliedstaat erteilte USt.-IdNr. verwendet, dem Unternehmer ist zu diesem Zeitpunkt der vollständige Name und die vollständige Anschrift des neuen Erwerbers bekannt und der Unternehmer zeichnet den Erwerberwechsel nach Maß17 S.o. 2.c)ff). 18 S.o. 2.c)ee).

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gabe des § 22 Abs. 4f UStG gesondert auf. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 6 MwStSystRL um.19 gg) Zu Abs. 6 Die Bestimmung regelt den Fall, dass eine der Voraussetzungen gem. § 6b Abs. 1 UStG (die in den Bestimmungsmitgliedstaat transportierte Ware soll an einen bestimmten Erwerber verkauft werden) oder des § 6b Abs. 5 UStG (ein anderer als der ursprünglich vorgesehene Erwerber soll die Ware kaufen) binnen eines Zeitraums von 12 Monaten nach Ende des Warentransports wegfällt. Am Tag dieses Ereignisses gilt der ursprüngliche Warentransport wiederum als das einer innergemeinschaftlichen Lieferung gleichgestellte Verbringen (gleiche Rechtsfolge wie nach § 6b Abs. 3 UStG). Solche Fälle können zB vorliegen, wenn die Ware binnen 12 Monaten an einen Dritten, der nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen Erwerber identisch ist, verkauft wird und auch kein Fall des Erwerberwechsels nach § 6b Abs. 5 UStG vorliegt. Auslöser der Rechtsfolge eines innergemeinschaftlichen Verbringens kann aber zB auch sein, dass der Unternehmer binnen 12 Monaten nach Ende des Warentransports im Bestimmungsmitgliedstaat ansässig wird. Weiter regelt die Bestimmung den Fall, dass die Ware vor ihrer Lieferung oder bei der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat als den Abgangsmitgliedstaat oder in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet wird. Auch für diesen Fall wird der ursprüngliche Warentransport in den Bestimmungsmitgliedstaat einem innergemeinschaftlichen Verbringen gleichgestellt und das Verbringen gilt als an dem Tag vor dem Beginn des Warentransports in das Drittlandsgebiet oder in einen anderen Mitgliedstaat als den Ausgangsmitgliedstaat bewirkt. Schließlich regelt die Vorschrift noch die Fälle der Zerstörung, des Verlusts oder des Diebstahls der Ware nach ihrer Ankunft im Bestimmungsmitgliedstaat. Hier wird der ursprüngliche Warentransport einem innergemeinschaftlichen Verbringen gleichgestellt, das an dem Tag als bewirkt gilt, an dem die Zerstörung, der Verlust oder der Diebstahl festgestellt wird. Die Regelung setzt Art. 17a Abs. 7 MwStSystRL um.20

19 S.o. 2.c)dd). 20 S.o. 2.c)dd).

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4. Erkannte Problemfälle a) Abholfall Nach dem Wortlaut sowohl des Unionsrechts als auch des deutschen Umsetzungsgesetzes erfasst die neue Regelung nur Konstellationen, bei denen der Warentransport durch den Lieferanten oder in dessen Auftrag erfolgt. Dies könnte bedeuten, dass ein Abholfall (Transportverantwortung des Kunden) nicht qualifiziert. Die Europäische Kommission hat allerdings bereits zu verstehen gegeben, dass sie dies anders sieht.21 Der Gesetzestext schließe nicht aus, dass der betreffende Dritte der beabsichtigte Erwerber ist, aber es sei wichtig zu betonen, dass in diesem Fall der beabsichtigte Erwerber die Ware „im Namen“ des Lieferanten befördern sollte, was bedeute, dass der Lieferant während des Transports und zum Zeitpunkt der Lagerung der Ware im Lager noch Eigentümer der Ware sei. Wäre dies nicht der Fall, wäre es keine Abrufsituation, sondern direkt eine innergemeinschaftliche Lieferung, gefolgt von einem innergemeinschaftlichen Erwerb. Natürlich sei es Sache des Lieferanten, der Steuerverwaltung nachzuweisen, dass die Bedingungen für die Vereinfachung der Abrufbestände erfüllt sind. Hier wäre grundsätzlich eine klarstellende Änderung des Richtlinienwortlauts wünschenswert. b) Zerstörung, Diebstahl, Schwund Die Vereinfachungsregel ist nicht mehr anwendbar, soweit Lagergut zerstört oder gestohlen wird. Dies ist äußerst unglücklich, weil entsprechende Ereignisse nicht im Kontrollbereich des Lieferanten liegen, jedoch zwingend zu einer Registrierungspflicht im Bestimmungsland führen. Anwendungsbeispiel: Im geschilderten Tomatenlager auf dem Werksgelände der Frohsuppe GmbH kommt es zu einem technischen Defekt. Die gelagerten Tomaten verderben vollständig. „Happy Tomato N.V.“ ist nun verpflichtet, eine deutsche USt.-IdNr. zu beantragen und in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu erklären.

Ein Folgeproblem kann darin bestehen, dass der Lieferant nicht über eine gültige USt.-IdNr. im Lagerland verfügen wird, weil er sich wegen der Natur der Regelung erst später registrieren wird und kann. Damit könnte die

21 Vgl. Erläuterungen, 2.5.9, s. Fn. 11.

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Steuerfreiheit des innergemeinschaftlichen Verbringens in Gefahr sein.22 Die Europäische Kommission hat allerdings geäußert, dass sie für entsprechende Fälle eine großzügige Handhabung und dementsprechend keine Versagung der Steuerbefreiung sieht.23 Nichtsdestotrotz ist zu beachten, dass in verschiedenen Mitgliedstaaten kein Vorsteuerabzugsrecht für Fälle von Diebstahl besteht.24 Probleme mit Schwund bestehen insbes. bei verderblichen Waren (Lebensmittel) und bei flüchtigen Waren (Alkohol, verschiedene Chemikalien). Im Bereich des Zollrechts, in dem ähnliche Probleme bei Lagerregelungen bestehen, gibt es bereits Bagatellgrenzen. Bezüglich Schwund hat sich die Kommission (nicht rechtsverbindlich) auf Leitlinien geeinigt. „Der MwSt.-Ausschuss stimmt mit großer Mehrheit zu, dass für die Zwecke dieser Abruflagerregelung unter ‚kleinen Verlusten‘ Verluste zu verstehen sind, die weniger als 5 % des Werts oder der Menge des Gesamtbestands am Tag der Ankunft am Lagerort betragen, wobei auf den Tag des tatsächlichen Abhandenkommens oder der Zerstörung abzustellen ist, oder, wenn es unmöglich ist, diesen Zeitpunkt festzustellen, den Tag, an dem die Zerstörung oder das Fehlen der Waren festgestellt wurde“.25

c) Überschreiten der 12-Monats-Grenze Die Neuregelung sieht eine 12-Monats-Frist vor, innerhalb derer die Ware entweder vom Erwerber abgenommen oder in den Abgangsmitgliedstaat zurückgeschickt werden muss. Lieferanten müssen dies entsprechend im Auge behalten. Wird die Frist überschritten, kommt es zu einer lokalen Steuerpflicht. Potenziell problematisch können vor allem Lager sein, in denen sich Massenwaren oder nicht trennbare Bestände befinden (Chemikalien, Obst, Gemüse, usw.). Die Europäische Kommission schlägt hier grundsätzlich die Nutzung des FIFO-Verfahrens vor, wobei allerdings erwerberbezogen die Warenbestimmung aufzuzeichnen ist, wenn aus einem Lager mehrere Kunden bedient werden.26 Weitere Entwicklungen sind abzuwarten.

22 Da die USt.-IdNr. eine materiell-rechtliche Voraussetzung ist, Art. 138 MwStSystRL nF. 23 Vgl., Erläuterungen, 2.5.5, s. Fn. 11. 24 Vgl. dazu Art. 185 Abs. 2 MwStSystRL, zur Anwendung EuGH v. 4.10.2012 – C-550/11 (PIGI), UR 2012, 924. 25 Vgl. zitierte Leitlinien des Mehrwertsteuerausschusses in den Erläuterungen, 2.5.1, s. Fn. 11. 26 Vgl. Erläuterungen, 2.5.17, s. Fn. 11.

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d) Keine Übergangsregelung Es ist keine Übergangsregelung vorgesehen. Nach Auffassung der Europäischen Kommission bedeutet dies, dass die Neuregelung nur angewendet werden kann, wenn der Transport in das Lager nach dem 31.12.2019 beginnt.27 Waren, die vorher versendet werden oder sich bereits im Land befinden, fallen weiter unter das alte Recht. e) Umsetzungsunterschiede Der Wortlaut des Unionsrechts schließt die Neuregelung aus, wenn der Lieferant im Lagerstaat seinen Sitz oder seine Niederlassung (Betriebsstätte28) hat. Eine bloße umsatzsteuerliche Registrierung ist hingegen unschädlich. Eine vergleichbare Regelung besteht bereits für Dreiecksgeschäfte.29 Hierzu liegen Erfahrungswerte vor, dass Mitgliedstaaten teilweise die Anwendung der Vereinfachungsregel versagen, wenn eine lokale Registrierung besteht. Es besteht somit ein Risiko, dass einzelne Mitgliedstaaten bei der Konsignationslagerregelung ähnlich verfahren werden. Dies wäre allerdings unionsrechtswidrig. Der EuGH hat für den Bereich der Dreiecksgeschäfte bezüglich Österreich bereits entsprechend entschieden.30 Weiterhin stellt sich die Frage, ob Mitgliedstaaten, die bereits eine Vereinfachungsregelung für Konsignationslager eingeführt hatten, diese zum 1.1.2020 abschaffen werden. Die Europäische Kommission erwartet dies grundsätzlich und sieht keinen Spielraum für abweichende Vereinfachungsregeln.31 Betroffene Unternehmen sollten sich dennoch über die lokale Rechtslage kundig machen. f) BFH-Rechtsprechung Der BFH entschied im Jahr 2016, dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Konsignationslagersachverhalt umsatzsteuerlich als unmittelbare Lieferung an den Abnehmer zu behandeln ist und damit sofort eine entsprechende steuerbare (ggf. als innergemeinschaftliche Lieferung oder

27 28 29 30 31

Vgl. Erläuterungen, 2.5.24, s. Fn. 11. Vgl. dazu Art. 11 MwStVO. Vgl. Art. 141 MwStSystRL. Vgl. EuGH v. 19.4.2018 – C-580/16 (Hans Bühler), UR 2018, 404. Vgl. Erläuterungen, 2.4, s. Fn. 11.

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Ausfuhrlieferung steuerfreie) Lieferung stattfindet.32 Bedingung ist hierbei, dass der Abnehmer feststeht und dass die Lieferung wirtschaftlich verbindlich ist. Zur Anwendung erging ein BMF-Schreiben mit Anpassung des UStAE.33 Allerdings wurde eine Übergangsregelung für die Vergangenheit erlassen34 und angesichts der beschlossenen Sofortmaßnahme der Neuregelung auf europäischer Ebene schließlich bis zum 31.12.2019 verlängert.35 Nach dem Verständnis des BMF ist Voraussetzung entweder, dass die Ware bereits bezahlt ist, oder dass sie verbindlich bestellt wurde. Dabei sind zahlreiche Einzelfragen ungeklärt. Die offene Frage ist nunmehr, ob die BFH-Rspr. durch die Neuregelung der Konsignationslager obsolet geworden ist. Gegen diese Auffassung spricht insbes., dass der BFH an den unionsrechtlichen Lieferbegriff iS des MwSt.-Systems anknüpft. Wenn eine Lieferung aber bereits als ausgeführt gilt, wäre kein Raum mehr für die Vereinfachungsregelung. Die Gegenmeinung sieht die Neuregelung als lex specialis an und damit als vorrangig. g) Abgabe der Zusammenfassenden Meldung Nach der deutschen Umsetzung soll das Verbringen in Konsignationslager mit einer besonderen Kennziffer 3 in der Zusammenfassenden Meldung angegeben werden. Allerdings ergibt sich aus den Unterlagen des Gesetzgebungsverfahrens, dass die technische Umsetzung voraussichtlich erst im Oktober 2021 (kein Druckfehler, das sind 21 Monate nach Inkrafttreten) möglich sein wird.36 Mit Schreiben v. 28.1.2020 hat das BMF daher zur Behandlung der Neuregelung in der Zusammenfassenden Meldung Stellung genommen.37 Wegen der darin genannten, die zeitnahe Umsetzung mittels einer Erwei32 Vgl. BFH v. 16.11.2016 – V R 1/16, BStBl. II 2017, 1079 = UR 2017, 354; v. 20.10.2016 – V R 31/15, BStBl. II 2017, 1076 = UR 2017, 185. 33 Vgl. BMF v. 10.10.2017 – III C 3 - S 7103-a/15/10001 – DOK 2017/0854904, BStBl. I 2017, 1442 = UR 2017, 939; Abschn. 1a.2 Abs. 6 und Abschn. 3.12 UStAE. 34 Vgl. BMF v. 10.10.2017 – III C 3 - S 7103-a/15/10001 – DOK 2017/0854904, BStBl. I 2017, 1442 = UR 2017, 939. 35 BMF v. 14.12.2017 – III C 3 - S 7103-a/15/10001 – DOK 2017/1045076, BStBl. I 2017, 1673 = UR 2018, 137; v. 31.10.2018 – III C 3 - S 7103-a/15/10001 – DOK 2018/0894236, BStBl. I 2018, 1203 = UR 2018, 928. 36 Vgl. BR-Drucks. 356/19, 68. 37 BMF v. 28.1.2020 – III C 5 - S 7427-b/19/10001 :002 – DOK 2020/0077618, BStBl. I 2020, 224 = UR 2020, 206.

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terung des Formulars für die allgemeine Zusammenfassende Meldung verhindernden „organisatorischen Gründe“ wird ein zusätzliches Formular durch das BZSt. zur Verfügung gestellt. Für dessen Abgabe gelten grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für die Zusammenfassende Meldung nach § 18a UStG. In dem Formular ist jeweils die USt.-IdNr. des vorgesehenen Erwerbers zu melden, wenn Ware in ein Konsignationslager transportiert wird, das unter die Neuregelung fällt. Bemessungsgrundlagen sind nicht anzugeben. Eine Kennziffer „1“ ist für diese Vorgänge zu verwenden. Rücktransporte aus dem Lager nach Deutschland sind entsprechend mit Kennziffer „2“ zu melden. Wird ein Erwerber ausgetauscht, ist dessen USt.-IdNr. zusätzlich zu der des ursprünglich vorgesehenen Erwerbers anzugeben und die Kennziffer „3“ zu nutzen.

5. Ergänzende Hinweise a) Intrastat-Meldung Die Meldepflicht nach der Intrahandelsstatistik ist keine umsatzsteuerliche Meldepflicht. Sie knüpft grundsätzlich an andere Kriterien an als das Umsatzsteuerrecht, und zwar primär an innergemeinschaftliche Warenbewegungen.38 Dies bedeutet, dass bei grenzüberschreitenden Konsignationslagern grundsätzlich der melderelevante Tatbestand bereits das Verbringen in das Lager ist. Dementsprechend führt die neue Regelung grundsätzlich zu einer Abweichung zwischen den Umsatzsteuermeldungen und den Intrastat-Meldungen. Dies war bereits in der Vergangenheit für manche Sachverhalte ähnlich.39

38 vgl. Verordnung (EG) Nr. 638/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 31.3.2004 über die Gemeinschaftsstatistiken des Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 33330/91 des Rates, ABl. EG 2004, L 102, 1 (Grundverordnung); Verordnung (EG) Nr. 1982/ 2004 der Kommission v. 18.11.2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 638/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gemeinschaftsstatistiken des Warenverkehrs zwischen Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1901/2000 und (EWG) Nr. 3590/92 der Kommission, ABl. EG 2004, L 343, 3 (Durchführungsverordnung). 39 ZB beim Versand von Warenmustern oder von zur Vermietung bestimmten Gegenständen.

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Nach einer Kommunikation des Statistischen Bundesamts40 gibt der deutsche Abnehmer den Vorgang in der Meldung „Eingang“ an, sobald die Ware im Lager ankommt. Die Rechnungstellung soll nicht relevant sein. Dies dürfte in der Praxis kaum umzusetzen sein. b) Keine Infektion durch Registrierung Da eine bloße umsatzsteuerliche Registrierung im Lagerland unschädlich für die Anwendung der Vereinfachungsregelungen ist, führt eine Registrierungspflicht, die beispielsweise durch Diebstahl oder Zerstörung eines Teils der Waren verursacht wird, nicht dazu, dass alle anderen Lagerwaren aus der Vereinfachungsregelung herausfallen. c) Kein Wahlrecht Nach der Rechtsauffassung der Europäischen Kommission ist die Neuregelung kein Wahlrecht. Will ein Unternehmer sie nicht anwenden, kann er dies allerdings durch aktives Handeln erreichen, indem nämlich die relevanten Aufzeichnungspflichten und Meldepflichten nicht eingehalten werden.41

III. Neue Vorschriften für innergemeinschaftliche Lieferungen 1. Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer und Zusammenfassende Meldung als materielle Voraussetzung für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen a) Hintergrund Seit dem 1.1.1993 mit Einführung des Binnenmarkts42 sind Warenbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten zollrechtlich nicht mehr relevant. Da sich die Mitgliedstaaten seinerzeit nicht auf das ursprünglich gewünschte System der Belastung entsprechender Lieferungen mit der

40 Vgl. https://www-idev.destatis.de/idev/doc/intra/doc/neuerungen_intrastat. pdf. 41 Vgl. Erläuterungen, 2.5.2, s. Fn. 11. 42 Vgl. dazu Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz v. 25.8.1992, BGBl. I 1992, 1548.

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MwSt. des Ursprungslands verständigen konnten, wurde ein Übergangssystem für den innergemeinschaftlichen Warenhandel eingeführt.43 Dieses System sieht grundsätzlich die Steuerfreistellung der Warenlieferung als innergemeinschaftliche Lieferung44 und die Besteuerung beim Abnehmer in Form des sogenannten innergemeinschaftlichen Erwerbs45 vor. Grundsätzlich setzt eine innergemeinschaftliche Lieferung abgesehen vom Sonderfall des Handels mit neuen Fahrzeugen neben einer grenzüberschreitenden Warenbewegung innerhalb der Europäischen Union voraus, dass der Abnehmer entweder ein Stpfl. iS des MwSt.-Systems ist und die Ware für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit erwirbt,46 oder es sich um Abnehmer aus bestimmten besonderen Erwerbergruppen (beispielsweise juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die ein bestimmtes Volumen an innergemeinschaftlichen Akquisitionen überschreiten) handelt.47 In der Folge wurde regelmäßig davon ausgegangen, dass der Erwerber sich mit einer gültigen MwSt.-IdNr.48 aus einem anderen Mitgliedstaat als entsprechend qualifiziert erklären musste.49 Diesem Ansatz entsprach das parallel eingeführte Kontrollsystem für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr,50 das eine Meldepflicht der Lieferungen der Lieferer unter Angabe der entsprechenden MwSt.-IdNr. der Abnehmer an die Finanzbehörden vorsah. Allerdings hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seiner Rspr. ab dem Jahr 2012 entschieden, dass die MwSt.-IdNr. des Abnehmers keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung darstellt, sondern es sich nur um ein formales Merkmal handelt. Demzufolge bejahte der EuGH mehrfach eine inner-

43 44 45 46 47 48 49

Vgl. Art. 402 MwStSystRL. Vgl. Art. 138 MwStSystRL. Vgl. Art. 20 ff. MwStSystRL. Vgl. § 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG. Vgl. § 6a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG. Vgl. Art. 214 MwStSystRL und § 27a UStG. Vgl. dazu BMF v. 6.1.2009 – IV B 9 - S 7141/08/10001 – DOK 2008/0736501, DB 2009, 87: ähnlich noch FG München v. 18.12.2012 – 2 K 2283/10, EFG 2013, 649. 50 Vgl. Art. 262 ff. MwStSystRL, § 18a UStG.

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gemeinschaftliche Lieferung auch ohne solche Nummer.51 Der BFH schloss sich dieser Rspr. an.52 Zahlreiche Mitgliedstaaten haben sich zu dieser Rspr. kritisch geäußert und unter Hinweis auf den erheblichen grenzüberschreitenden Steuerbetrug eine Änderung gefordert. In der Folge schlug die Europäische Kommission eine Änderung der MwSt.-SystRL vor, die in Form einer Sofortmaßnahme mit Wirkung zum 1.1.2020 verabschiedet worden ist. b) Unionsrecht aa) Rechtsgrundlagen Die Sofortmaßnahme besteht aus zwei Änderungen der MwStSystRL, die den Art. 138 wie folgt neu fassen: Abs. 1 erhält folgende Fassung: „(1) Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferung von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder auf deren Rechnung an einen Ort außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) die Gegenstände werden an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person geliefert, die als solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat handeln, in dem die Versendung oder Beförderung beginnt; b) der Steuerpflichtige oder die nichtsteuerpflichtige juristische Person, für den bzw. die die Lieferung erfolgt, ist für Mehrwertsteuerzwecke in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat registriert, in dem die Versendung oder Beförderung der Gegenstände beginnt, und hat dem Lieferer diese Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer mitgeteilt.“

Folgender Absatz wird eingefügt: „(1a) Die Befreiung gemäß Absatz 1 gilt nicht, wenn der Lieferer der Verpflichtung zur Abgabe einer zusammenfassenden Meldung nach den Artikeln 262 und 263 nicht nachgekommen ist oder die zusammenfassende Meldung nicht die gemäß Artikel 264 erforderlichen korrekten Angaben zur Lieferung enthält, es sei denn, der Lieferer kann sein Versäumnis zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden ordnungsgemäß begründen.“

51 Vgl. EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15 (Plöckl) UR 2016, 882; v. 9.2.2017 – C-21/16 (Euro Tyre), UR 2017, 271; v. 27.9.2012 – C-587/10 (VSTR), UR 2012, 832. 52 Vgl. BFH v. 21.5.2014 – V R 34/13, BStBl. II 2014, 914 = UR 2014, 774; v. 21.1.2015 – XI R 5/13, BStBl. II 2015, 724 = UR 2015, 265.

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bb) Erläuterungen Die Änderung des Art. 138 MwStSysRL setzt nunmehr also als materielle Voraussetzung für die Steuerfreiheit eine MwSt.-IdNr. des Kunden aus einem anderen Mitgliedstaat und die Angabe der Lieferung in der Zusammenfassenden Meldung voraus. Dies gilt auch dann, wenn alle anderen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Befreiung erfüllt sind und der Auftragnehmer Grund zu der Annahme hat, dass der Auftraggeber, zB wegen der Art oder Menge der gelieferten Waren, ein Stpfl. oder eine nicht steuerpflichtige juristische Person ist. Die Tatsache, dass der Lieferant die MwSt. auf die Lieferung erhebt, weil die Voraussetzungen des Art. 138 MwStSystRL nicht erfüllt sind, hat keinen Einfluss auf die Mehrwertsteuerbehandlung des innergemeinschaftlichen Erwerbs durch den Abnehmer in dem Mitgliedstaat, in dem der Versand oder die Beförderung der Waren endet.53 Grundsätzlich ist die anders lautende EuGH-Rspr. damit nur noch für Sachverhalte relevant, die bis zum 31.12.2019 verwirklicht wurden. Allerdings erscheint es vorstellbar, dass der EuGH bei objektiv feststehender innergemeinschaftlicher Lieferung entgegen der Neuregelung in Einzelfällen doch eine Steuerfreiheit anerkennen würde. Immerhin hat der Gerichtshof in zwei Entscheidungen bereits sowohl die explizit für die Regelung für Dreiecksgeschäfte geforderte Abgabe der Zusammenfassenden Meldung54 als auch die explizit für die Steuerbefreiung bei der Einfuhr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung verlangte Angabe einer USt.-IdNr. als rein formelle Kriterien bewertet.55 Wohl auch deshalb vertritt die Kommission die Auffassung, dass der Erwerber, der nachweisen kann, dass er zum Zeitpunkt des Erwerbs ein Stpfl. war, seinem Lieferanten zu einem späteren Zeitpunkt eine in einem anderen Mitgliedstaat als dem, von dem aus die Waren versandt oder befördert werden, ausgestellte USt.-IdNr. mitteilen kann, sofern kein Hinweis auf Betrug oder Missbrauch vorliegt. Dann soll der Lieferant die Rechnung nach den in den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften festgelegten Regeln korrigieren können.56 Diskutiert wurde von der Kommission und den Mitgliedstaaten auch, was passiert, wenn der Erwerber bei Lieferung noch keine USt.-IdNr. mitteilen kann, weil die Steuerbehör53 54 55 56

Vgl. Erläuterungen, 4.3.2, s. Fn. 11. Vgl. EuGH v. 19.4.2018 – C-580/16 (Hans Bühler), UR 2018, 404. Vgl. EuGH v. 20.6.2018 – C-108/17 (Enteco Baltic), UR 2018, 635. Vgl. Erläuterungen, 4.3.2, s. Fn. 11.

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de seinen Antrag auf Erteilung noch bearbeitet.57. Nach Auffassung der Kommission scheidet die Steuerbefreiung zunächst aus. Sobald der Erwerber dem Lieferer die rückwirkend erteilte USt-IdNr. mitteilt, soll der Lieferer jedoch seine Rechnung berichtigen und doch steuerfrei liefern können. Die Frage stellt sich auf bei Sachverhalten, in denen unbeabsichtigt fehlerhafte USt-IdNr. verwendet werden. Auch wenn die Sichtweise der Kommission inhaltlich von den Mitgliedstaaten geteilt werden sollte, stößt deren praktische Umsetzung auf technische Probleme. Die IT-Systeme vieler Mitgliedstaaten (auch Deutschlands) lassen eine rückwirkende Erteilung der USt.-IdNr. jedenfalls nicht zu. Zur Rechtssicherheit notwendig erscheinen einheitliche Standards. Zielführend erscheint daher eine verbindliche Regelung, die auch eine nachträgliche Erteilung iS einer „Heilung“ möglich macht oder für die Gültigkeit auf den Zeitpunkt der Verwendung abstellt. Die Kommission bestärkt die Mitgliedstaaten jedenfalls in einer flexiblen Verwaltungspraxis mit der Einräumung großzügiger Möglichkeiten für Rechnungskorrekturen, um jedenfalls eine Doppelbesteuerung in jedem Fall zu vermeiden. Wie oben dargestellt, könnte eine zu strenge Handhabung zu Konflikten mit dem EuGH führen. Das gilt auch zur Auslegung des Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL. In Erwägungsgrund 7 der Richtlinie (EU) 2018/1910 des Rats vom 4.11.2018 hat der Rat den Zweck der Bestimmung wie folgt erläutert: „Darüber hinaus ist die VIES-Liste58 für die Unterrichtung des Eingangsmitgliedstaats über das Vorhandensein von Waren in seinem Hoheitsgebiet von wesentlicher Bedeutung und stellt daher ein Schlüsselelement bei der Betrugsbekämpfung in der Union dar. Aus diesem Grund sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass, wenn der Lieferant seinen VIES-Auflistungsverpflichtungen nicht nachkommt, die Freistellung nicht gilt, es sei denn, der Lieferant handelt in gutem Glauben, dh. er kann vor den zuständigen Steuerbehörden jeden seiner Mängel im Zusammenhang mit der zusammenfassenden Erklärung ordnungsgemäß begründen, was auch die zu diesem Zeitpunkt vom Lieferanten gemäß Art. 264 MwStSystRL geforderte Bereitstellung der korrekten Informationen umfassen könnte“.

Der erste Teil von Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL legt den Grundsatz fest, dass die Freistellung nicht gilt, wenn die Zusammenfassende Meldung nicht vollständig, richtig und rechtzeitig abgegeben wird.59 Der letzte Teil von Art. 138 Abs. 1a MwStSystRL besagt, dass die Freistellung jedoch 57 Vgl. Erläuterungen, 4.3.3, s. Fn. 11. 58 VIES bedeutet: VAT Information Exchange System = MIAS bedeutet: Mehrwertsteuerinformationsaustauschsystem. 59 Art. 262, 263 und 264 MwStSystRL.

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weiterhin gilt, wenn der Lieferant seinen Mangel zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden hinreichend begründen kann. Dieser letzte Teil von Abs. 1a weist darauf hin, dass Verstöße von Fall zu Fall zwischen dem Lieferanten und den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem die Lieferung erfolgte, behandelt werden. Daher könnte davon ausgegangen werden, dass in den folgenden Situationen der Mangel eines Lieferanten hinreichend gerechtfertigt ist, es sei denn, die Steuerbehörden haben Grund zu der Annahme, dass der Mangel Bestandteil eines Betrugssystems ist, vorausgesetzt, dass der Lieferant, sobald er den Fehler, der zu dem Mangel geführt hat, erkannt hat, diesen Fehler korrigiert: –

Der Lieferant hat versehentlich die befreite innergemeinschaftliche Lieferung nicht in die zusammenfassende Erklärung für den Zeitraum, in dem die Lieferung stattgefunden hat, sondern sie in eine zusammenfassende Erklärung für den folgenden Zeitraum aufgenommen;



Der Lieferant hat die freigestellte innergemeinschaftliche Lieferung in die zusammenfassende Erklärung für den Zeitraum aufgenommen, in dem die Lieferung stattgefunden hat, aber einen unbeabsichtigten Fehler in Bezug auf den Wert der betreffenden Lieferung gemacht;



Eine Umstrukturierung des Unternehmens, das die Waren erwirbt, hat zu einem neuen Namen und einer neuen USt.-IdNr. geführt, aber der alte Name und die alte USt.-IdNr. bestehen während eines kurzen Übergangszeitraums weiter. In der zusammenfassenden Erklärung hat der Lieferant versehentlich die Transaktionen unter dieser alten USt.-IdNr. aufgenommen.

c) Nationale Umsetzung aa) Rechtsgrundlagen § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG wird wie folgt gefasst: „b) die innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a); dies gilt nicht, wenn der Unternehmer seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung (§ 18a) nicht nachgekommen ist oder soweit er diese im Hinblick auf die jeweilige Lieferung unrichtig oder unvollständig abgegeben hat. 2§ 18a Absatz 10 bleibt unberührt;“.

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§ 6a Abs. 1 Satz 1 UStG wird wie folgt gefasst: „Eine innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nummer 1 Buchstabe b) liegt vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: 1. der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet, 2. der Abnehmer ist a) ein in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasster Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, b) eine in einem anderen Mitgliedstaat für Zwecke der Umsatzsteuer erfasste juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeugs auch jeder andere Erwerber, 3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung und 4. der Abnehmer im Sinne der Nummer 2 Buchstabe a oder b hat gegenüber dem Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet.“

bb) Erläuterungen Durch die Änderung des § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG wird das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung zum einen an die weitere Voraussetzung geknüpft (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b UStG), dass der Abnehmer der innergemeinschaftlichen Lieferung, soweit er ein Unternehmer ist oder eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, in einem anderen Mitgliedstaat (als dem Mitgliedstaat, in dem die innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt wird), für Zwecke der Umsatzsteuer erfasst ist. Das bedeutet nach Auffassung des Gesetzgebers in Deutschland, der Erwerber muss im Zeitpunkt der an ihn bewirkten Lieferung eine ihm von dem anderen Mitgliedstaat erteilte USt.-IdNr. besitzen. Weiterhin wird durch die Anfügung der Nr. 4 in § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass der Abnehmer der innergemeinschaftlichen Lieferung, soweit er ein Unternehmer ist oder eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, gegenüber dem liefernden Unternehmer 594

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eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte gültige USt.-IdNr. verwendet hat. Die Verwendung einer ihm erteilten gültigen USt.-Idnr. durch den Abnehmer wird somit eine zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Durch die Änderung des § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG wird die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung versagt, wenn der liefernde Unternehmer seiner Pflicht zur Abgabe der Zusammenfassenden Meldung (§ 18a UStG) nicht, nicht vollständig und richtig im Hinblick auf die jeweilige Lieferung nachgekommen ist. Eine etwaige Versagung der Steuerbefreiung tritt zeitlich regelmäßig nach Bewirken des Umsatzes ein, weil die Abgabe einer Zusammenfassenden Meldung zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung immer erst später erfolgt und somit frühestens in diesem Zeitpunkt feststehen kann, ob die Abgabe der Zusammenfassenden Meldung ordnungsgemäß war. Außerdem ist der Unternehmer, der nachträglich erkennt, dass eine von ihm abgegebene Zusammenfassende Meldung unrichtig oder unvollständig ist, verpflichtet, die ursprüngliche Meldung innerhalb eines Monats zu berichtigen (§ 18a Abs. 10 UStG). Die Richtigkeit und Vollständigkeit einer Zusammenfassenden Meldung stehen insbes. auch im Hinblick auf diese Berichtigungsmöglichkeit regelmäßig erst in einem bestimmten zeitlichen Abstand zu der innergemeinschaftlichen Lieferung fest. Deshalb hat der Gesetzgeber in Deutschland das in § 4 Nr. 1 Buchst. b aufgenommene Tatbestandsmerkmal der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung systematisch nicht in die Definition einer innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a UStG) aufgenommen. Berichtigt der Unternehmer eine ursprünglich unrichtig oder unvollständig abgegebene Zusammenfassende Meldung (§ 18a Abs. 10 UStG), soll dies für Zwecke der Steuerbefreiung auf den Zeitpunkt des Umsatzes zurückwirken. Entsprechendes soll für die verspätete Abgabe einer richtigen und vollständigen Meldung gelten.60 Die deutsche Umsetzung befindet sich grundsätzlich sehr nah an den unionsrechtlichen Vorgaben. Der Gesetzgeber wollte bezüglich der Zusammenfassenden Meldung als materiell-rechtlicher Voraussetzung für die Steuerfreiheit insbes. der Tatsache Rechnung tragen, dass USt.-Voranmeldungen regelmäßig ohne Dauerfristverlängerung bis zum zehnten

60 Vgl. Gesetzesbegründung, BR-Drucks. 356/19, 162 f.

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Kalendertag des Folgemonats abzugeben sind,61 während die Zusammenfassende Meldung erst zum 25. Kalendertag einzureichen ist62 und unterhalb eines Schwellenwerts von 50 000 t die quartalsweise Abgabe vorgesehen ist.63 Ein möglicher Konflikt besteht zwischen dem deutschen Ansatz des „Verwendens“ einer USt.-IdNr., verglichen mit dem unionsrechtlichen Wortlaut des „Mitteilens“64. Aus Sicht der deutschen FinVerw. ist in der Vergangenheit in Fällen, in denen die Rechtsfolge von der USt.-IdNr. des Leistungsempfängers abhing, auf ein aktives Handeln des Kunden abgestellt worden. Allerdings muss dieses nicht bei jeder einzelnen Lieferung stattfinden, sondern kann auch insgesamt vereinbart werden. Grundsätzlich soll nach der Gesetzesbegründung wie bei der Verwendung der USt.-IdNr. für Zwecke des § 3a Abs. 2 UStG zu verfahren sein.65 Die entsprechende Rechtsfrage war schon einmal Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des BFH an den EuGH, blieb jedoch unbeantwortet.66 Nach Auffassung der Kommission jedenfalls kann die Mitteilung auf jede erdenkliche Weise erfolgen, die es ermöglicht, den Nachweis zu erbringen, dass die Mitteilung beim Lieferanten eingegangen ist. In diesem Zusammenhang soll etwa ein Austausch von E-Mails ausreichen. Besonders praxisnah ist der Vorschlag der Kommission, dass es für die Mitteilung der USt.-IdNr. ausreichend sein soll, dass der Lieferant die USt.-IdNr. seines Kunden in der Rechnung angibt.67 d) Erkannte Problemfälle aa) Prüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Aufgrund der gestiegenen Bedeutung der USt.-IdNr. stellt sich für Lieferanten die Frage, wie häufig sie entsprechende Nummern ihrer Kunden

61 62 63 64 65 66

Vgl. § 18 Abs. 1 UStG. Vgl. § 18a Abs. 1 UStG. Vgl. § 18a Abs. 1 UStG. Vgl. Erläuterungen, 4.2, s. Fn. 11. Vgl. Abschn. 3a.2 Abs. 10 UStAE. Vgl. Vorlage des BFH v. 1.4.2009 – XI R 52/07, BStBl. II 2009, 563 = UR 2009, 494; nachgehend EuGH v. 18.1.2010 – C-156/09 (Verigen Transplantation Service International), UR 2011, 215. 67 Vgl. Erläuterungen, 4.2, s. Fn. 11.

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überprüfen müssen und ob hierfür die einfache68 oder die qualifizierte69 Bestätigungsabfrage zu verwenden ist. Die Gesetzesregelung verlangt explizit keine Prüfung. Vielmehr reicht für die Steuerbefreiung die Verwendung (ggf. bereits Kenntnis?70) einer gültigen USt.-IdNr. aus. Die Steuerbefreiung kann nicht versagt werden, nur weil keine Prüfung vorgenommen wurde. Jedoch ist unter Risikoaspekten eine Prüfung dringend zu empfehlen. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die Möglichkeit, bei späterer Beanstandung den Vertrauensschutz71 für die Steuerbefreiung zu erhalten. Es muss daher die qualifizierte Bestätigungsabfrage sowohl bei Aufnahme einer Geschäftsbeziehung als auch mindestens in regelmäßigen Zeitabständen empfohlen werden. Dies kann auch digital im Massenabfrageverfahren durch geeignete EDV-Lösungen geschehen.72 Die Ergebnisse sind revisionssicher zu dokumentieren. In besonderen Fällen, beispielsweise bei stark gestiegenen Liefervolumina oder bei potenziell einem höheren Steuerumgehungsrisiko unterliegenden Bargeschäften oder Transaktionen mit bestimmten Waren73 (Pkw., hochwertige Elektronikartikel, Computerchips, Schmuck, Edelmetalle, usw.) sollten häufigere Prüfungen vorgenommen werden. Die entsprechenden Routinen können in einem Tax Compliance Management System74 integriert werden. In extremen Fällen könnte das Unterlassen der Prüfung sanktionsrechtlich relevant sein.75

68 Vgl. § 18e UStG, nur Abfrage auf Gültigkeit. 69 Vgl. § 18e UStG, zusätzlich Abfrage auf Übereinstimmung von Name und Anschrift. 70 Vgl. die Diskussion im Abschnitt zur nationalen Umsetzung, oben zu c)bb). 71 Vgl. § 6a Abs. 4 UStG. 72 Vgl. dazu die Hinweise auf https://www.bzst.de. 73 Vgl. dazu BFH v. 14.11.2012 – XI R 17/12, BStBl. II 2013, 407 = UR 2013, 456. 74 Vgl. dazu BMF v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10001, IV A 4 - S 0324/14/10001 – DOK 2016/0470583, BStBl. I 2016, 490 = StEK AO § 153 Nr. 3; zu „TCMS“ in der Umsatzsteuer ausführlich Gehring, CCZ 2019, 197. 75 Nämlich iS einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder sogar Steuerhinterziehung mit bedingtem Vorsatz (§ 370 AO).

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bb) Fehlende Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Es sind zahlreiche Fälle denkbar, in denen der Kunde keine gültige USt.IdNr. mitteilen kann. Insbesondere bei Neugründung von Unternehmen wird in verschiedenen Mitgliedstaaten eine solche Nummer erst mit Verzögerung von Wochen oder sogar Monaten erteilt oder erst verspätet im MIAS-System76 eingestellt. Bei strenger, wortlautgetreuer Anwendung der Neuregelung müsste in solchen Fällen stets umsatzsteuerpflichtig abgerechnet werden. Dies dürfte allerdings nicht den Absichten der Neuregelung entsprechen. Jedenfalls hat die Europäische Kommission im Entwurf der Erläuterungen zu verstehen gegeben, dass sie bei nachträglicher Mitteilung einer USt.-IdNr. jedenfalls dann die nachträgliche Steuerfreiheit für den richtigen Weg hält, wenn der Erwerber nachweisen kann, dass er imZeitpunkt der Lieferung als Stpfl. gehandelt hat – anders als im Entwurf wird nicht mehr explizit eine im Lieferzeitpunt gültige USt.-IdNr. gefordert.77 Unklar ist damit immer noch der Fall, in dem die Nummer erst später erteilt oder erst später aktiviert wurde. Die Wechselwirkung mit der Neuregelung für die Konsignationslager78 kann potenziell fatal sein. Wenn nämlich ein Lieferant im Vertrauen auf die Vereinfachungsregelung im Lagerstaat nicht mehrwertsteuerlich erfasst war, und es nun beispielsweise durch Diebstahl, Schwund oder Zerstörung zu einem steuerpflichtigen Erwerb kommt, wird es ihm kaum möglich sein, ausreichend zeitnah eine MwSt.-IdNr. zu erhalten. Bei wortlautgetreuer Anwendung der Neuregelung wäre dann das innergemeinschaftliche Verbringen aus dem Abgangsland dort umsatzsteuerpflichtig und es käme zu einer Definitivbelastung. Dies erscheint systemwidrig als Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip. Die Europäische Kommission hat bereits signalisiert, dass sie eine großzügige Handhabung entsprechender Fälle vorschlägt.79 Aus Praktikersicht sei ergänzt, dass die vorsorgliche freiwillige Registrierung in vielen Mitgliedstaaten (einschließlich Deutschland) nicht möglich ist.

76 77 78 79

Mehrwertsteuer-Informations-Austausch-System, auch „VIES“. Vgl. Erläuterungen, 4.3.2, s. Fn. 11. Vgl. Abschn. II. Vgl. Erläuterungen, 2.5.5, s. oben unter b).

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cc) Probleme bei Organschaft Viele Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben die Regelung über die Mehrwertsteuergruppe80 (deutsche Terminologie: Organschaft81) umgesetzt. Allerdings ist der Umgang mit USt.-IdNr. uneinheitlich. Während Deutschland regelmäßig sowohl dem Organträger als auch den Organgesellschaften selbst solche Nummern zuteilt,82 ist es in anderen Staaten teilweise üblich, der Gruppe insgesamt nur eine solche Nummer zu geben. Diese Vorgehensweise entspricht im Übrigen der Vorstellung der Europäischen Kommission.83 In der Praxis ergibt sich bei der Prüfung von USt.-IdNr. gerade im Massenverfahren in derartigen Fällen das Problem, dass keine Übereinstimmung von Firma und Anschrift der Organgesellschaft mit den Daten im MIAS-System besteht, weil dort die Daten des Steuervertreters der Mehrwertsteuergruppe hinterlegt sind. Insoweit sind dann weitere Prüfungsschritte erforderlich. dd) Abrechnung mit Umsatzsteuer und Vorsteuerabzugsrecht Aus Sicht des Lieferanten kann unter Risikoaspekten nur empfohlen werden, bei fehlender USt.-IdNr. zunächst nationale USt. zu verlangen. Problematisch ist allerdings, dass der Vorsteuerabzug des Kunden bezüglich dieser Steuer fraglich ist. Für das Vergütungsverfahren sehen die relevanten Richtlinien aktuell einen Vorsteuerausschluss für Fälle vor, die als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein können.84 In der Vergangenheit wurde daher regelmäßig im innergemeinschaftlichen Warenverkehr die Vorsteuervergütung für abgerechnete USt. versagt. Offen ist, ob dies auch im Anwendungsbereich der Neuregelung gilt. Wenn nämlich die USt.-IdNr. nunmehr eine materiell-rechtliche Voraussetzung der Steuerbefreiung ist, und eine solche nicht vorgelegen hat und nicht vorgelegt werden konnte, handelt es sich nicht um eine Lieferung, die steuerfrei sein könnte. Somit müsste der Vorsteuerabzug eigentlich gewährt werden. 80 81 82 83 84

Vgl. Art. 11 MwStSystRL. Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Vgl. § 27a Abs. 1 Satz 3 UStG und Abschn. 27a.1 Abs. 3 UStAE. Vgl. Erläuterungen, 4.3.5, s. Fn. 11. Vgl. dazu Art. 171 Abs. 3 MwStSystRL für die Vergütung nach der 13. RL und Art. 4 der RL 2008/9/EG für Vergütungsanträge von EU-Unternehmen, sowie BMF v. 16.2.2016 – III C 3 - S 7359/10/10003 – DOK 2016/0112341, BStBl. I 2016, 239 = UR 2016, 252, und Abschn. 18.11 Abs. 1a UStAE.

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Bereits in der alten Rechtslage ungeklärt ist weiterhin der Fall, in dem der Vorsteuerabzug nicht im Vergütungsverfahren, sondern im Regelbesteuerungsverfahren beansprucht wird. Für diesen Fall gibt es in den Richtlinien keine explizite Verbotsregel. Somit erscheint es jedenfalls vorstellbar, den Vorsteuerabzug geltend machen zu können.85 Veröffentlichte finanzgerichtliche Entscheidungen sind zu dieser Rechtsfrage bisher nicht bekannt. Grundsätzliche Rechtsauffassung der Europäischen Kommission ist, dass der Regelfall die Rechnungskorrektur nach Mitteilung einer im Lieferzeitpunkt gültigen USt.-IdNr. bzw. des Nachweises des Handelns als Stpfl. sein soll.86 Es gibt keine explizite Aussage zum Vorsteuerabzug aus entsprechenden Rechnungen. Es wird lediglich ausgeführt, dass der Lieferant ohne gültige USt.-IdNr. mit Umsatzsteuer fakturieren müsse, und es sich um ein materiell-rechtliches Erfordernis handelt.87 Hierzu ist aus deutscher Sicht zu ergänzen, dass das Inverkehrbringen einer Rechnung mit Umsatzsteuerausweis eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG begründen kann, wobei eine entsprechende Steuerschuld nach der BFH-Rspr. nicht rückwirkend beseitigt werden kann.88 Zwar ist angesichts der geänderten Rechtslage (materiell-rechtliche Voraussetzung) zweifelhaft, ob eine wegen fehlender USt.-IdNr. mit USt. ausgestellte Rechnung wirklich einen überhöhten Steuerausweis iS der Sanktionsnorm bewirkt. Unter Risikoaspekten empfiehlt sich jedoch ein anderes Vorgehen, beispielsweise eine Bruttorechnung ohne Steuerausweis.89 ee) Fehler bei der Zusammenfassenden Meldung Ebenfalls ungeklärt ist, wann fehlerhafte Zusammenfassende Meldungen berichtigt werden können, und so die Steuerfreiheit der Lieferung hergestellt werden kann. Der Wortlaut des Unionsrechts verlangt, dass der Lieferer „sein Versäumnis zur Zufriedenheit der zuständigen Behörden 85 Denn zum einen ist die USt.-IdNr. nunmehr materiell-rechtliche Voraussetzung, und zum anderen deutet die explizite Regelng nur für das Vergütungsverfahren darauf hin, dass außerhalb des Vergütungsverfahrens der Vorsteuerabzug möglich ist, denn sonst hätte es der lex specialis nicht bedurft. 86 Vgl. Erläuterungen, 4.3.3, s. Fn. 11. 87 Vgl. Erläuterungen, 4.3.1, s. Fn. 11. 88 Vgl. BFH v. 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474 = UR 2017, 237. 89 Wobei allerdings das Risiko nahe liegt, dass der Kunde diese nur netto bezahlt!

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ordnungsgemäß“ begründet. Dies verlangt die deutsche Umsetzung nicht ausdrücklich. Die Meinung der Europäischen Kommission zeigt, dass so genannte normale Fehler (beispielsweise Zahlendreher in der USt.-IdNr., Übertragungsfehler bei der Bemessungsgrundlage, irrtümlich vom Kunden noch genutzte alte USt.-IdNr.) grundsätzlich als berichtigungsfähig gelten.90 Es bleibt abzuwarten, wie die Rspr. und FinVerw. sich hier positionieren werden. Die Gesetzesbegründung enthält jedenfalls den Hinweis, dass die Berichtigung einer unrichtig oder unvollständig abgegebenen Meldung für Zwecke der Steuerbefreiung auf den Zeitpunkt des Umsatzes zurückwirkt und dies auch bei verspäteter Abgabe gelten soll.91

2. Einheitliche Belegnachweise für den innergemeinschaftlichen Warenhandel a) Hintergrund Bislang waren die Nachweise für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen nicht auf Ebene des Unionsrechts geregelt. Vielmehr handelte es sich um einen Bereich, den die Mitgliedstaaten eigenständig in ihrem steuerlichen Verfahrensrecht regeln konnten.92 Dies führte in der Praxis für Unternehmen, die in zahlreichen Staaten innergemeinschaftliche Lieferungen ausführten, zu erheblichen Erschwernissen, weil sie keinen einheitlichen, für alle Vorgänge anwendbaren Ansatz definieren konnten. Nach entsprechenden Gesprächen kam es daher als Sofortmaßnahme zur Einführung eines Standardnachweises für innergemeinschaftliche Lieferungen. b) Unionsrecht aa) Rechtsgrundlagen Die Regelung zum Standardnachweis findet sich in der MwStVO, ist daher unmittelbar wirkendes Unionsrecht und lautet wie folgt: „Artikel 45a (1) Für die Zwecke der Anwendung der Befreiungen gemäß Artikel 138 der Richtlinie 2006/112/EG wird vermutet, dass Gegenstände von einem Mitgliedstaat an 90 Vgl., Erläuterungen, 4.3.1, s. Fn. 11. 91 Vgl. BT-Drucks. 19/13436, 144. 92 Vgl. EuGH v. 27.9.2007 – C-146/05 (Albert Collée), BStBl. II 2009, 78 = UR 2007, 813.

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen einen Bestimmungsort außerhalb seines Gebiets, jedoch innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert wurden, wenn einer der folgenden Fälle eintritt: a) Der Verkäufer gibt an, dass die Gegenstände von ihm oder auf seine Rechnung von einem Dritten versandt oder befördert wurden, und entweder ist der Verkäufer im Besitz von mindestens zwei einander nicht widersprechenden Nachweisen nach Absatz 3 Buchstabe a, die von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind, oder der Verkäufer ist im Besitz eines Schriftstücks nach Absatz 3 Buchstabe a und einem nicht widersprechenden Nachweis nach Absatz 3 Buchstabe b, mit dem der Versand oder die Beförderung bestätigt wird, welche von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind. b) Der Verkäufer ist im Besitz folgender Unterlagen: i) einer schriftlichen Erklärung des Erwerbers, aus der hervorgeht, dass die Gegenstände vom Erwerber oder auf Rechnung des Erwerbers von einem Dritten versandt oder befördert wurden, und in der der Bestimmungsmitgliedstaat der Gegenstände angegeben ist; in dieser schriftlichen Erklärung muss Folgendes angegeben sein: das Ausstellungsdatum; Name und Anschrift des Erwerbers; Menge und Art der Gegenstände; Ankunftsdatum und -ort der Gegenstände; bei Lieferung von Fahrzeugen die Identifikationsnummer des Fahrzeugs; die Identifikation der Person, die die Gegenstände auf Rechnung des Erwerbers entgegennimmt; und ii) mindestens zwei einander nicht widersprechender Nachweise nach Absatz 3 Buchstabe a, die von zwei voneinander unabhängigen Parteien – vom Verkäufer und vom Erwerber – ausgestellt wurden, oder eines Schriftstücks nach Absatz 3 Buchstabe a zusammen mit einem nicht widersprechenden Nachweis nach Absatz 3 Buchstabe b, mit dem der Versand oder die Beförderung bestätigt wird, welche von zwei verschiedenen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind. Der Erwerber legt dem Verkäufer die schriftliche Erklärung gemäß Buchstabe b Ziffer i spätestens am zehnten Tag des auf die Lieferung folgenden Monats vor. (2) Eine Steuerbehörde kann Vermutungen gemäß Absatz 1 widerlegen. (3) Für die Zwecke von Absatz 1 wird Folgendes als Nachweis des Versands oder der Beförderung akzeptiert: a) Unterlagen zum Versand oder zur Beförderung der Gegenstände wie beispielsweise ein unterzeichneter CMR-Frachtbrief, ein Konnossement, eine Luftfracht-Rechnung oder eine Rechnung des Beförderers der Gegenstände; b) die folgenden Dokumente: i)

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eine Versicherungspolice für den Versand oder die Beförderung der Gegenstände oder Bankunterlagen, die die Bezahlung des Versands oder der Beförderung der Gegenstände belegen;

Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen ii) von einer öffentlichen Stelle wie z.B. einem Notar ausgestellte offizielle Unterlagen, die die Ankunft der Gegenstände im Bestimmungsmitgliedstaat bestätigen; iii) eine Quittung, ausgestellt von einem Lagerinhaber im Bestimmungsmitgliedstaat, durch die die Lagerung der Gegenstände in diesem Mitgliedstaat bestätigt wird.“

bb) Erläuterungen Art. 45a MwStVO sieht vor, dass eine Bedingung für die Freistellung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Waren gem. Art. 138 MwStSystRL, nämlich dass die Waren versandt oder befördert wurden, erfüllt ist. Die neuen Regelungen in Art. 45a MwStVO beschreiben das Höchstmaß dessen, was die Mitgliedstaaten als Belegnachweis für die grenzüberschreitende Warenbewegung fordern dürfen. Daneben dürfen aber nationale Regelungen beibehalten oder neu geschaffen werden, die sich mit geringeren Anforderungen an die Nachweisführung begnügen. Zur Wirkung der Gelangensvermutung nach Art. 45a MwStVO erläutert die Kommission, dass eine umgekehrte Anwendung der Vermutung nicht möglich ist.93 Der Umstand, dass die Bedingungen der Vermutung nicht erfüllt sind, bedeutet also nicht automatisch, dass die Freistellung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht gilt. Mit anderen Worten, wenn die Vermutung nicht zutrifft, soll die Situation unverändert bleiben, wie sie vor dem Inkrafttreten von Art. 45a MwStVO war. Nach Art. 45a Abs. 2 MwStVO kann eine Steuerbehörde die nach Abs. 1 getroffene Annahme widerlegen, dass nämlich Waren aus einem Mitgliedstaat an einen Bestimmungsort außerhalb ihres Hoheitsgebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft, versandt oder befördert wurden. Die Widerlegung der Vermutung impliziert nach Auffassung der Kommission daher, dass die Steuerbehörden in der Lage sind, die notwendigen Angaben zu machen, die belegen, dass die Waren tatsächlich nicht von einem Mitgliedstaat zu einem Bestimmungsort außerhalb seines Hoheitsgebiets, sondern innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert wurden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Steuerbehörden bei einer Kontrolle feststellen, dass sich die Waren noch im Lager des Lieferanten befinden, oder wenn die Steuerbehörden von einem Vorfall während des Transports Kenntnis haben, der dazu geführt hat, dass die Waren vor dem Verlassen des Gebiets vernichtet wurden. Wenn die Steuerbehörden über 93 Vgl. Erläuterungen, 5.2, s. Fn. 11.

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die notwendigen Erkenntnisse verfügen, um die Vermutung zu widerlegen, gilt die Steuerbefreiung nach Art. 138 MwStSystRL natürlich nicht. In diesem Zusammenhang bedeutet „Widerlegung der Vermutung“, dass die Steuerbehörden über Beweise verfügen, die belegen, dass die Beförderung der Waren nicht stattgefunden hat. Die Kommission weist darauf hin, dass sich die „Widerlegung der Vermutung“ von der Situation unterscheidet, in der eine Steuerbehörde nachweisen kann, dass eines der in Art. 45a Abs. 3 MwStVO aufgeführten Dokumente, die als Beweismittel vorgelegt werden, entweder falsche Informationen enthält oder sogar gefälscht ist. In diesem Fall kann sich der Lieferer nicht mehr auf die Vermutung berufen, da die Voraussetzungen für die in Art. 45a Abs. 1 Buchst. a oder b MwStVO genannten Fälle nicht erfüllt sind. Nach Auffassung der Kommission soll der Lieferer jedoch gleichwohl weiterhin in der Lage sein, andere Dokumente iSv. Art. 45a MwStVO vorzulegen, die es ihm ermöglichen würden, von der Vermutung zu profitieren (es sei denn, die Steuerbehörden weisen erneut nach, dass diese Dokumente unrichtig oder gefälscht sind), oder ausreichende Beweise dafür vorzulegen, dass die Bedingungen für die Freistellung von Art. 138 MwStSysRL erfüllt sind.94 Führt der Lieferant oder der Erwerber den Transport mit seinem eigenen Transportmittel durch, kann die Vermutungsregel keine Anwendung finden, da die in Art. 45a Abs. 1 Buchst. a und b Ziff. ii MwStVO festgelegte Anforderung, zwei Nachweise von Parteien zu erstellen, die voneinander, vom Verkäufer und vom Erwerber unabhängig sind, nicht erfüllbar ist.95 Die Kommission weist darauf hin, dass es keine besonderen Regeln in der MwStVO bezüglich des Formats gibt, in dem die schriftliche Erklärung abzugeben ist. Die Kommission erwartet, dass die Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht flexibel sind und keine strengen Beschränkungen auferlegen sollen, zB nur ein papierbasiertes Dokument, sondern auch eine elektronische Version akzeptieren sollen, soweit sie alle in Art. 45a Abs. 1 Buchst. b Ziff. i MwStVO geforderten Informationen enthält.96 Schließlich nimmt die Kommission zu der Frage Stellung, was passiert, wenn der Erwerber dem Verkäufer die in Art. 45a Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i MwStVO genannte schriftliche Erklärung nicht bis zum zehnten Tag des Monats nach der Lieferung übermittelt. Der Zweck der 10tägigen Frist 94 Vgl. Erläuterungen, 5.3.4, s. Fn. 11. 95 Vgl. Erläuterungen, 5.3.5, s. Fn. 11. 96 Vgl. Erläuterungen, 5.3.6., 5.3.7, s. Fn. 11.

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bestehe darin, dem Erwerber einen genauen Zeitrahmen für die Abgabe der schriftlichen Erklärung an den Verkäufer zu setzen, anstatt den Verkäufer zu bestrafen und ihm die Möglichkeit zu nehmen, von der Vermutung zu profitieren, wenn der Erwerber die schriftliche Erklärung nicht rechtzeitig abgegeben hat. Selbst wenn der Erwerber dem Verkäufer die schriftliche Erklärung nach Ablauf der Frist zur Verfügung stelle, könne sich der Verkäufer daher auf die Vermutung berufen, sofern alle anderen relevanten Bedingungen des Art. 45a MwStVO erfüllt sind.97 c) Nationale Umsetzung aa) Vorgeschichte Der Referentenentwurf zur Umsetzung der Sofortmaßnahmen enthielt noch keinen Umsetzungsvorschlag für die Belegnachweise,98 was grundsätzlich nicht zu beanstanden war, weil sie wie dargestellt unmittelbar wirksames Unionsrecht sind. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde dennoch beschlossen, eine Umsetzung im nationalen Recht vorzunehmen. bb) Rechtsgrundlagen Deutschland hat die Belegnachweise für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr in der UStDV geregelt. Zur Umsetzung der Sofortmaßnahme wurde ein neuer § 17a eingeführt, der wie folgt lautet: „§ 17a Gelangensvermutung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Beförderungs- und Versendungsfällen (1) Für die Zwecke der Anwendung der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 4 Nummer 1 Buchstabe b des Gesetzes) wird vermutet, dass der Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist: 1. Der liefernde Unternehmer gibt an, dass der Gegenstand der Lieferung von ihm oder von einem von ihm beauftragten Dritten in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet wurde und ist im Besitz folgender einander nicht widersprechenden Belege, welche jeweils von unterschiedlichen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom liefernden Unternehmer und vom Abnehmer unabhängig sind:

97 Vgl. Erläuterungen, 5.3.8. s. Fn. 11. 98 Vgl. RefE v. 8.5.2019, anders bereits im Regierungsentwurf.

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Prätzler/Tausch, Konsignationslager und innergemeinschaftliche Lieferungen a) mindestens zwei Belege nach Absatz 2 Nummer 1 oder b) einem Beleg nach Absatz 2 Nummer 1 und einem Beleg nach Absatz 2 Nummer 2, mit dem die Beförderung oder der Versand in das übrige Gemeinschaftsgebiet bestätigt wird. 2. Der liefernde Unternehmer ist im Besitz folgender Belege: a) einer Gelangensbestätigung (§ 17b Absatz 2 Satz 1 Nummer 2), die der Abnehmer dem liefernden Unternehmer spätestens am zehnten Tag des auf die Lieferung folgenden Monats vorlegt und b) folgender einander nicht widersprechenden Belege, welche jeweils von unterschiedlichen Parteien ausgestellt wurden, die voneinander, vom liefernden Unternehmer und vom Abnehmer unabhängig sind: aa) mindestens zwei Belege nach Absatz 2 Nummer 1 oder bb) einem Beleg nach Absatz 2 Nummer 1 und einem Beleg nach Absatz 2 Nummer 2, mit dem die Beförderung oder der Versand in das übrige Gemeinschaftsgebiet bestätigt wird. (2) Belege im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 sind: 1. Beförderungsbelege (§ 17b Absatz 3 Satz 1 Nummer 3) oder Versendungsbelege (§ 17b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a); 2. folgende sonstige Belege: a) eine Versicherungspolice für die Beförderung oder den Versand des Gegenstands der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet oder Bankunterlagen, die die Bezahlung der Beförderung oder des Versands des Gegenstands der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet belegen; b) ein von einer öffentlichen Stelle (z.B. Notar) ausgestelltes offizielles Dokument, das die Ankunft des Gegenstands der Lieferung im übrigen Gemeinschaftsgebiet bestätigt; c) eine Bestätigung eines Lagerinhabers im übrigen Gemeinschaftsgebiet, dass die Lagerung des Gegenstands der Lieferung dort erfolgt. (3) Das Finanzamt kann eine nach Absatz 1 bestehende Vermutung widerlegen.“

Die bisherige Nummerierung der §§ 17a–17c verschiebt sich entsprechend um einen Buchstaben nach hinten. Zusätzlich wird im neuen § 17b UStG leicht angepasst. „§ 17b Gelangensnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in Beförderungs- und Versendungsfällen“

Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst: „Besteht keine Vermutung nach § 17a Absatz 1, hat der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen (§ 6a Absatz 1 des Gesetzes) im Geltungsbereich des Gesetzes durch Belege nachzuweisen, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat.“

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cc) Erläuterungen Die Umsetzung erfüllt die unionsrechtlichen Anforderungen vollständig. Unternehmen haben zukünftig die Wahl, ob sie Belegnachweise nach dem neuen § 17a UStDV führen, oder weiterhin die bekannten Belegnachweise nach dem nationalen Recht benutzen. Insbesondere bleibt die Gelangensbestätigung99 weiterhin ein tauglicher Belegnachweis. Von der rechtlichen Qualität her besteht allerdings ein Unterschied. Wenn ein Unternehmer den Belegnachweis nach § 17a UStDV nF führt, ist ein eventueller Gegenbeweis von den Finanzbehörden zu führen.100 Grundsätzlich gilt die Vermutung, dass das Gelangen der Ware in das übrige Gemeinschaftsgebiet als nachgewiesen gilt. Bei den herkömmlichen Belegnachweisen liegt dagegen die Beweislast grundsätzlich beim Lieferer. d) Erkannte Problemfälle aa) Praktisch nicht erfüllbare neue Nachweise Die Europäische Kommission hatte eine sehr gute Absicht, nämlich einen standardisierten Nachweis für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr einzuführen, um die Rechtssicherheit für Unternehmen zu steigern und zugleich Bürokratiekosten und Befolgungskosten zu reduzieren, indem nämlich nicht in jedem Mitgliedstaat eine andere Form der Nachweisführung implementiert werden muss. Leider führen gute Absichten nicht immer zu einem guten Ergebnis. Besonders problematisch ist nämlich, dass die neue Regelung Nachweise verlangt, die von zwei Parteien stammen, die voneinander, vom Lieferer und vom Abnehmer unabhängig sein müssen. Dieser Begriff der Unabhängigkeit wird von der Europäischen Kommission mit Verweis auf Art. 80 MwStSystRL näher definiert101 (nicht rechtsverbindlich). Sollte der Auffassung zu folgen sein, sind insbes. Unternehmen innerhalb eines Konzerns nicht voneinander unabhängig. Dies führt zum großen Problem, dass beispielsweise Transportdokumente, die ein zum Konzern des Lieferers oder zum Konzern des Abnehmers gehörendes Unternehmen ausstellt, kein tauglicher Nachweis sind. Gleiches gilt für eine Bestätigung durch den Lagerhalter, falls dieser nicht un99 Vgl. § 17a Abs. 2 UStDV aF. 100 Vgl. Erläuterungen, 5.2, s. Fn. 11. 101 Vgl. Erläuterungen, 5.3.1, s. Fn. 11.

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abhängig ist. Bedenkt man weiterhin, dass gerade in großen Unternehmen keine Einzelversicherungen für individuelle Warenlieferungen abgeschlossen werden, kommt auch diese Möglichkeit der Nachweisführung nicht in Betracht. Bankdokumente, welche die Zahlung der Lieferung belegen, sind bei intercompany-Sachverhalten ebenfalls die Ausnahme, weil hier regelmäßig der Ausgleich über Verrechnungskonten erfolgen wird. Damit endet die Liste der Auswahlmöglichkeiten sehr schnell negativ. bb) Umsetzung im Ausland Aus anderen Mitgliedstaaten wird teilweise berichtet, dass diese zukünftig nur noch den Belegnachweis nach der Neuregelung gestatten wollen. Dies entspricht nicht der Absicht der Europäischen Kommission102 und kann dazu führen, dass in den bereits beschriebenen Fällen eine Belegnachweisführung unmöglich wird. Es wird abzuwarten sein, wie entsprechende Fälle von der Finanzrechtsprechung und insbes. dem EuGH bewertet werden.

IV. Schlussbemerkung Um den Aufwand zur Implementierung der Neuregelungen in die buchhalterischen Abläufe der Unternehmen möglichst gering zu halten und vor allem für die Rechtssicherheit der Anwendung sowohl für die betroffenen Unternehmen als auch für die FÄ sollte das BMF gemeinsam mit den Ländern möglichst zeitnah BMF-Schreiben zur Änderung des UStAE herausgeben, die die oa. typischen Zweifelsfragen aufgreifen und hoffentlich praktikable Antworten geben. Im Hinblick auf den Umfang der Neuregelungen dürfte dies nicht einfach werden. UE könnte es sich empfehlen, zur Auslegung der Zweifelsfragen von den durch die Kommission erarbeiteten Erläuterungen auszugehen. Diese Erläuterungen sind mit allen Mitgliedstaaten intensiv diskutiert worden. Eine Interpretation anhand dieser Grundlage, auch wenn diese keine Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten entfaltet, würde gleichwohl die nationale Auslegung in einem breiten Konsens auf Unionsebene ermöglichen. Damit die Neuregelungen auch längerfristig als rechtssichere Grundlage im innergemeinschaftlichen Warenverkehr zwischen Unternehmern tra102 Vgl. Erläuterungen, 5.2, s. Fn. 11.

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gen und nicht abermals an den strengen Maßstäben des EuGH zur Wahrung des Neutralitätsgrundsatzes im Warenverkehr zwischen Unternehmern scheitern, sollten Bund und Länder den Appell der Kommission an die Mitgliedstaaten für ein aufgeschlossenes, pragmatisches und flexibles Verwaltungshandeln bei der Anwendung der Neuregelungen als eigenen Maßstab bei der Abfassung der Verwaltungsanweisungen übernehmen.

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Umsatzsteuerbefreiung der Bildungsleistungen – geplante Reform des § 4 Nr. 21 UStG Dipl.-Finw. Ferdinand Huschens Oberamtsrat, Bundesministerium der Finanzen, Berlin I. Vorbemerkung II. Geplante Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 1. Überblick 2. § 4 Nr. 21 UStG a) Regelungsinhalt b) Begünstigte Einrichtungen c) Zweck der Steuerbefreiung d) Begünstigte Leistungen e) Eng verbundene Leistungen f) Andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung g) Selbstständige Lehrer h) Privatlehrer i) Leistungen der Freizeitgestaltung j) Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung strebt keine systematische Gewinnerzielung an k) Wegfall des Bescheinigungsverfahrens 3. § 4 Nr. 22 UStG III. Scheitern der Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 IV. EuGH-Rechtsprechung zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL 1. Bedeutung 2. EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer) – Von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht, Unterricht an einer Volkshochschule

3. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College) – Überlassung einer Unterrichtskraft durch eine Lehreinrichtung an eine andere, Begriff des eng verbundenen Umsatzes 4. EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz) – Erteilung von Unterricht durch Dozenten an einer privatrechtlichen Bildungseinrichtung) 5. EuGH v. 28.11.2013 – C-319/12 (MDDP) – Bildungsleistungen einer nichtöffentlichen Einrichtung 6. EuGH v. 14.3.2019 – C-449/17 (A & G Fahrschul-Akademie) – Fahrschulunterricht 7. EuGH v. 7.10.2019 – C-47/19 (FA Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst) – Surf- und Segelunterricht V. Zweiter Anlauf einer Reform mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften 1. Zielsetzung 2. § 4 Nr. 21 UStG nach dem Referentenentwurf a) Regelungsvorschlag b) Einrichtungen des öffentlichen Rechts c) Private Einrichtungen d) Selbständige Lehrer e) Keine Bescheinigung

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Huschens, Befreiung der Bildungsleistungen – Reform des § 4 Nr. 21 UStG f) Nachweis g) Umfang der Steuerbefreiung h) Einrichtungen ohne systematisches Gewinnstreben – Leistungen der Fortbildung i) eng verbundene Leistungen j) Nicht eng verbundene Leistungen k) Privatlehrer l) Freizeitgestaltung m) Arbeitsförderung/Teilhabe am Arbeitsleben n) Abschließende Hinweise aa) Zusammenfassende Einordnung bb) Folgen? 3. § 4 Nr. 22 UStG nach dem Referentenentwurf 4. Regierungsentwurf VI. Auswirkungen der Reform, Anwendungsbereich der Steuerbefreiung, Folgen für die Praxis

1. Allgemeines 2. Wegfall des bisherigen Bescheinigungsverfahrens 3. Begünstigte Einrichtungen (§ 4 Nr. 21 Satz 1–3 UStG) 4. Schul- und Hochschulunterricht (§ 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 4 UStG) 5. Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung 6. Einschränkung der Steuerbefreiung für Fortbildungsleistungen 7. Freizeitgestaltung 8. Eng mit einer Bildungsleistung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen 9. Privatlehrer 10. Prüfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung – kein Bescheinigungsverfahren

I. Vorbemerkung Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften1 wurde ein zweiter Anlauf unternommen, die Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistung (§ 4 Nr. 21 UStG) an die Vorgaben des Unionsrechts und insbes. an die in den vergangenen Jahren ergangene Rspr. des EuGH anzupassen. Ein erster Versuch einer solchen Reform, die bereits mit dem Regierungsentwurf eines JStG 20132 geplant gewesen war, wurde seinerzeit nicht weiterverfolgt. Bei der Erstellung dieses Beitrags zeichnete sich ab, dass auch die mit dem Gesetzentwurf zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften geplante Neuregelung der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen gestoppt würde mit der Folge, dass sich an der geltenden Rechtslage zunächst nichts ändert. Im Folgenden sollen gleichwohl eine Beschreibung der bisherigen Reformbemühungen in Angriff genommen, die prak1 BR-Drucks. 356/19; BT-Drucks. 19/13436. 2 BR-Drucks. 302/12.

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tischen Auswirkungen einer gesetzlichen Neuregelung bzw. der Anwendungsbereich der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen untersucht werden, wenn es zu einer Gesetzesänderung, wie in dem Gesetzentwurf zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften skizziert, kommen sollte.3

II. Geplante Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 1. Überblick In dem Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 (JStG 2013)4 war eine Reform der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen nach § 4 Nr. 21 UStG unter Wegfall der bisherigen Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG für Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen der in der Vorschrift bezeichneten Einrichtungen sowie eine Reform der Steuerbefreiung für kulturelle und sportliche Veranstaltungen nach § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG vorgesehen.

2. § 4 Nr. 21 UStG a) Regelungsinhalt Durch die Neufassung der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen nach § 4 Nr. 21 UStG sollte die Terminologie des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL in das nationale Umsatzsteuerrecht übernommen werden. Zudem sollte die Vorschrift an die Rspr. des EuGH5 angepasst werden. Nach der folgenden Neufassung von § 4 Nr. 21 UStG, die am 1.1.2013 in Kraft treten sollte, sollten diese Bildungsleistungen steuerfrei sein:

3 Vor Drucklegung dieses Beitrags stand fest: Zu der Reform der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen kam es nicht, weil in dem Gesetzgebungsverfahren aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen zum Regierungsentwurf einstweilen auf die Neuregelung der Umsatzsteuerbefreiung von Bildungsleistungen verzichtet wurde (vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 19/14873 und 19/14909). 4 BR-Drucks. 302/12. 5 Ua. EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174; v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587; v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil.4, 394 = UR 2007, 592.

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Huschens, Befreiung der Bildungsleistungen – Reform des § 4 Nr. 21 UStG „1Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung (Bildungsleistungen) und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, Ersatzschulen, die gemäß Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind, und andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung sowie Bildungsleistungen von Privatlehrern. 2Eine vergleichbare Zielsetzung ist gegeben, wenn die Leistungen der Einrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. 3Nicht befreit sind Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen. 4Erbringt eine andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung Leistungen im Sinne des Satzes 1, die auch der Freizeitgestaltung dienen können, sind diese nur dann befreit, wenn die Einrichtung keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnommen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.“

Diese Reform der Steuerbefreiung für Bildungsleistungen sollte den Vorgaben des EU-Rechts folgen, die von der bis dahin ergangenen EuGHRspr. manifestiert wurden. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind folgende Leistungen umsatzsteuerfrei: Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung. Zudem ist nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht steuerfrei. b) Begünstigte Einrichtungen Nach einem neuen § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG sollten Bildungsleistungen steuerfrei sein, die von folgenden begünstigten Einrichtungen erbracht werden: –

Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind; hierunter fallen zB die Bildungsleistungen der Volkshochschulen, wenn diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisiert sind,



Ersatzschulen, die gem. Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind,



andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung, worunter auch selbstständige Lehrer fallen können, sowie



Privatlehrer.

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c) Zweck der Steuerbefreiung Zweck der Steuerbefreiung sollte weiterhin eine gleichmäßige umsatzsteuerliche Behandlung der privaten und der öffentlichen Schulen sein, da die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterhaltenen Schulen gem. § 2 Abs. 3 UStG regelmäßig nicht steuerbar sind.6 Außerdem sollte durch die Steuerbefreiung von Bildungsleistungen der begünstigten Unternehmer gewährleistet werden, dass der Zugang zu diesen Leistungen nicht durch höhere Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn diese Tätigkeiten umsatzsteuerpflichtig wären.7 d) Begünstigte Leistungen Steuerfreie Bildungsleistungen sollten nach der Legaldefinition des § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG sein: –

der Schul- und Hochschulunterricht,



die Aus- und Fortbildung sowie



die berufliche Umschulung.

Das sollte sowohl für Leistungen der Einrichtungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL als auch für Leistungen von Privatlehrern nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe j MwStSystRL gelten. Zum Bestandteil dieser Leistungen gehören auch diejenigen Elemente, die den organisatorischen Rahmen der Einrichtung ausmachen, in der der Unterricht erteilt wird,8 wie zB die Prüfungstätigkeit. Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts sollte sich nicht nur auf Unterricht beschränken, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf eine Berufstätigkeit vermittelt, sondern auch Tätigkeiten einschließen, bei denen die Unterweisung in Schulen oder Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln. Ein direkter Bezug zu einem Beruf sollte nicht erforderlich sein.

6 Vgl. BFH v. 18.12.2003 – V R 62/02, BStBl. II 2004, 252 = UR 2004, 199. 7 Vgl. BFH v. 21.3.2007 – V R 28/04, BFH/NV 2007, 1604 = UR 2007, 687 unter Hinweis auf EuGH v. 20.6.2002 – C-287/00 (Kommission/Deutschland), HFR 2002, 852 = UR 2002, 316, zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL). 8 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587; v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174.

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Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung, die unter den Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erbracht werden, sollten Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen umfassen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen.9 Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung sollte hierfür unerheblich sein.10 Steuerbegünstigte Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung sollte, entgegen der seinerzeitigen Verwaltungsauffassung, auch im Rahmen von Tagesveranstaltungen erfolgen können.11 Hinweis: Auf die Ziele der Personen, welche die Bildungsleistungen in Anspruch nehmen, sollte es nicht ankommen. Unerheblich sollte deshalb sein, ob die Personen, an die sich die Leistungen der Einrichtung richten, tatsächlich einen Schul- und Hochschulabschluss erreichen wollen, oder ob die Leistungen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung dieser Personen dienen. e) Eng verbundene Leistungen Neben den Bildungsleistungen sollten auch die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen nach § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG befreit sein. Nicht befreit sein sollten jedoch die mit der Unterrichtstätigkeit eng verbundenen Umsätze von Privatlehrern. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL sieht eine derartige Befreiung nicht vor. Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen (Umsätze) sind nur dann mit dem Unterricht „eng verbunden“ und deshalb nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:12 –

sowohl die Bildungsleistung, welche die Haupttätigkeit der Einrichtung darstellt, als auch der damit eng verbundene Umsatz müssen von einer begünstigten Lehreinrichtung erbracht werden;

9 Vgl. BFH v. 24.1.2008 – V R 3/05, BFH/NV 2008, 1078 = UR 2008, 552. 10 Vgl. Art. 44 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 v. 15.3.2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. EU 2011 L 77, 1, im Folgenden: MwSt-VO. 11 Vgl. BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011, 303 = UR 2011, 154. 12 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587.

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der eng verbundene Umsatz muss zur Ausübung der Bildungsleistung unerlässlich sein.13 Das ist dann der Fall, wenn der eng verbundene Umsatz von solcher Art und Qualität ist, dass ohne Rückgriff auf ihn eine Gleichwertigkeit der Bildungsleistung nicht gewährleistet ist;



der eng verbundene Umsatz darf nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, der Einrichtung, die diesen Umsatz ausführt, zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Tätigkeiten gewerblicher Unternehmen stehen.14 Als Nachweis dafür reicht es nicht aus, wenn die Einrichtung als Gegenleistung für den eng verbundenen Umsatz lediglich eine Kostenerstattung verlangt.

Beispiel: Eng verbundene Umsätze können zB die Gestellung einer Lehrkraft durch eine Lehreinrichtung zur vorübergehenden Unterrichtserteilung an eine andere Lehreinrichtung sein.15

Hinweis: Lieferungen von Lehr- und Lernmaterial sind mit einer Bildungsleistung nicht zwangsläufig eng verbunden. Sie könnten nur insoweit steuerfrei sein, als es sich um unselbstständige Nebenleistungen handelt.16 Eine Nebenleistung kann in diesen Fällen vorliegen, wenn das den Teilnehmern überlassene Lehr- und Lernmaterial inhaltlich den Unterricht ergänzt, zum Einsatz im Unterricht bestimmt und von dem die Bildungsleistung erbringenden Unternehmer selbst entworfen ist sowie bei Dritten nicht bezogen werden kann.17 Hinweis: Nicht als eng mit dem Hochschulunterricht verbundene Dienstleistung wäre zB die entgeltliche Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen anzusehen, da sie für den Hochschulunterricht nur nützlich, nicht aber unverzichtbar ist.18 Auch zB die Verpflegung von Seminarteilnehmern im Allgemeinen ist nicht als mit der Aus- oder Fortbildung eng verbundene Dienstleistung oder als Nebenleistung zur Ausoder Fortbildung steuerfrei. Bei der Verpflegung von Seminarteilnehmern 13 Vgl. Art. 134 Buchst. a MwStSystRL. 14 Vgl. Art. 134 Buchst. b MwStSystRL. 15 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587. 16 Vgl. Abschn. 3.10 UStAE. 17 Vgl. BFH v. 12.12.1985 – V R 15/80, BStBl. II 1986, 499 = UR 1986, 146. 18 Vgl. EuGH v. 20.6.2002 – C-287/00 (Kommission/Deutschland), HFR 2002, 852 = UR 2002, 316.

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handelt es sich nicht um eine für die Aus- oder Fortbildung unerlässliche Leistung, sondern um eine hierfür nur nützliche Maßnahme, die vorrangig dazu dient, den Komfort und das Wohlbefinden bei der Inanspruchnahme der Bildungsmaßnahme zu steigern.19 f) Andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Alt. 3 UStG sollten Bildungsleistungen anderer Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung steuerfrei sein. Eine vergleichbare Zielsetzung sollte nach § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG gegeben sein, wenn die Leistungen der Bildungseinrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Als Nachweis hierfür sollte der Lehrplan, die Lehrmethode, die Qualifikation der eingesetzten Lehrkräfte und des Lehrmaterials herangezogen werden können. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG sollte davon auszugehen sein, dass die Einrichtung die erforderlichen Inhalte und Merkmale nicht aufweist oder zu geringe Anforderungen an die Ausbildung stellt. g) Selbstständige Lehrer Zu den anderen Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Alt. 3 UStG sollten auch selbständige Lehrer gehören, die als freie Mitarbeiter dem Schul- und Bildungszweck dienende Unterrichtsleistungen an Schulen, Hochschulen oder ähnlichen Bildungseinrichtungen erbringen. Die Leistungen der selbständigen Lehrer sollten den Schul- und Bildungszweck nicht nur ermöglichen, sondern ihn selbst bewirken. Hinweis: Auf die Rechtsform des Unternehmers sollte es nicht ankommen. Daher sollte die Steuerbefreiung auch anzuwenden sein, wenn Personenzusammenschlüsse oder juristische Personen beauftragt werden, an anderen Bildungseinrichtungen Unterricht zu erteilen. Steuerfrei sollten seinerzeit nicht nur die von einem selbstständigen Lehrer selbst erbrachten Unterrichtsleistungen sein, sondern auch die dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen der von diesem beauftragten selbständigen Dozenten. 19 Vgl. BFH, Urteil v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011, 303 = UR 2011, 154.

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Eine Unterrichtstätigkeit sollte vorliegen, wenn Kenntnisse im Rahmen festliegender Lehrprogramme und Lehrpläne vermittelt werden. Die Dauer einer Bildungsmaßnahme sollte unerheblich sein. Im Hinblick auf die Leistungen selbstständiger Lehrer bedeutete dies, dass auch einzelne Vorträge, die evtl. Bestandteil eines Tages- bzw. Kurz-Seminars sind, entgegen der bisherigen Verwaltungsauffassung unter die Steuerbefreiung fallen konnten. Der selbstständige Lehrer sollte in geeigneter Weise nachweisen müssen, dass er an einer Schule, Hochschule oder ähnlichen Bildungseinrichtung tätig ist. Der Nachweis sollte, wie seinerzeit bereits vorgesehen, durch eine Bestätigung der Bildungseinrichtung geführt werden, aus der sich ergibt, dass diese die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 UStG erfüllt und die Unterrichtsleistung des selbstständigen Lehrers im begünstigten Bereich der Einrichtung erfolgt. h) Privatlehrer Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Alt. 4 UStG sollten auch die Bildungsleistungen von Privatlehrern steuerfrei sein. Als Privatlehrer sollten Lehrer gelten, die für eigene Rechnung, in eigener Verantwortung und in eigener Person Unterrichtsleistungen erbringen. Hierzu sollte zB Privatunterricht gehören, bei dem zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen des Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL schließt insofern keineswegs aus, dass Unterricht, der mehreren Personen gleichzeitig erteilt wird, unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Steuerbefreiung fällt. Hinweis: Die typische Fallgestaltung ist diejenige, dass ein Lehrer Privatstunden in seiner Wohnung oder der des Schülers oder der Studenten erteilt. Aber auch Unterricht, der Gruppen von Einzelpersonen erteilt wird, kann unter den Begriff „Privatunterricht“ fallen. Wo der Unterricht erteilt wird, ist dabei unerheblich.20 Das Erfordernis, dass der Unterricht privat erteilt wird, setzt nicht unbedingt das Bestehen einer unmittelbaren Vertragsbeziehung zwischen den Teilnehmern und dem Unterrichtenden voraus. Eine solche Vertragsbeziehung besteht nämlich oft mit an-

20 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston v. 8.3.2007 in den Rechtssachen C-434/05 (Horizon College) und C-445/05 (Haderer).

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deren Personen als den Teilnehmern, etwa mit den Eltern der Schüler oder Hochschüler.21 Das Merkmal der Selbstständigkeit sollte für sich genommen nicht ausreichen, um einen Lehrer als Privatlehrer iS der geplanten Regelung einzustufen. Anderenfalls wäre dem Begriff des Privatlehrers keine eigenständige Bedeutung mehr zugekommen, da die Selbstständigkeit der Tätigkeit bereits Voraussetzung der Umsatzsteuerbarkeit an sich ist. Nach der Rspr. des EuGH beschreibt das Merkmal „privat“ insoweit auch nicht die Person des Lehrers, sondern die Erteilungsform des Unterrichts. Der Unterrichtende wird dann nicht als Privatlehrer tätig, wenn nicht er, sondern die Einrichtung, an der er Unterricht erteilt, die Unterrichtsleistungen an die Teilnehmer erbringt, dh. als Leistender anzusehen ist. Demnach sind Lehrkräfte, die im Rahmen der von einer anderen Einrichtung angebotenen Lehrveranstaltungen Leistungen erbringen, nicht als Privatlehrer iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL anzusehen.22 Solche selbstständigen Lehrkräfte sollten daher zwar nicht nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Alt. 4 UStG als Privatlehrer, aber ggf. nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Alt. 3 UStG als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung begünstigt sein können. i) Leistungen der Freizeitgestaltung Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen, sollten nach § 4 Nr. 21 Satz 3 UStG nicht steuerfrei sein,23 da diese nicht zu begünstigten Leistungen iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL zählen. Durch die Abgrenzung sollte sichergestellt werden, dass nur – wie vom Unionsrecht vorgegeben – Bildungsleistungen und keine Leistungen im Zusammenhang mit der Allgemeinbildung im weiteren Sinn von der Steuer befreit werden. Maßgebend für die Zuordnung, ob eine Leistung vorliegt, die der reinen Freizeitgestaltung dient, sollte die allgemeine Verkehrsauffassung sein. Eine reine Freizeitgestaltung sollte vorliegen können, wenn die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht durch Vertiefung und Fortentwicklung zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit genutzt werden kön21 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592. 22 Vgl. EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174. 23 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil.4, 394 = UR 2007, 592.

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nen. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer reinen Freizeitgestaltung können sich aus dem Teilnehmerkreis oder der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben.24 Hinweis: Ob die erbrachten Unterrichtsleistungen den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben, kann wohl nur im jeweiligen Einzelfall entschieden werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zB bei Kleinkinder-Sprachkursen ein Teil der „Unterrichtszeit“ dem freien oder angeleiteten Spiel vorbehalten ist, die Eltern teilweise an den Kursen teilnehmen und der Tagesablauf von Kindern dieses Alters im Allgemeinen ausschließlich aus Freizeit besteht. Erst ab einem Alter von 3 Jahren kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Leistungsempfänger derart aufnahmefähig ist, dass überhaupt von einer Bildungsleistung gesprochen werden kann. Im Rahmen von sog. Baby-Schwimmkursen oder Kursen in frühkindlicher Spracherziehung sollten daher noch keine Bildungsleistungen iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 UStG erbracht werden. Bei Kursen, die von ihrer Zielsetzung her auf eine reine Freizeitgestaltung ausgerichtet sind, dachte man seinerzeit an Kurse in Seidenmalerei, Keramik- und Töpferkurse, Kurse, die sich an Eltern von Schülern richten, um die Wartezeit während des Unterrichts der Kinder sinnvoll zu nutzen, Tanzkurse für Senioren25 oder allgemein am Tanz interessierte Menschen oder Flirt-Kurse, wie sie zB auch an einer Volkshochschule angeboten werden. j) Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung strebt keine systematische Gewinnerzielung an Leistungen, die nicht der reinen Freizeitgestaltung dienen, aber neben der Vermittlung von Bildung auch der Freizeitgestaltung dienen können, sollten grundsätzlich umsatzsteuerfrei sein. Lediglich für Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung iSd. Satzes 1, mit Ausnahme von Ersatzschulen, sah § 4 Nr. 21 Satz 4 UStG-E eine zusätzliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung dieser Bildungsleistungen vor. Danach sollten Bildungsleistungen, die nicht der reinen Freizeitgestaltung dienen, nur dann befreit sein, wenn die sie anbietende Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und etwaige

24 Vgl. BFH v. 24.1.2008 – V R 3/05, BFH/NV 2008, 1078 = UR 2008, 552. 25 Vgl. BFH v. 24.1.2008 – V R 3/05, BFH/NV 2008, 1078 = UR 2008, 552.

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Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnommen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Einrichtung handelt, die keine systematische Gewinnerzielung anstrebt, sollten sämtliche Tätigkeiten dieses Unternehmers zu berücksichtigen sein. Die Einrichtung hätte zB im Gegensatz zum Zweck eines gewerblichen Unternehmens nicht darauf gerichtet sein dürfen, für ihre Beteiligten Gewinne zu erzielen. Eine Einrichtung ohne Gewinnstreben sollte jedoch auch dann vorliegen können, wenn sie systematisch danach strebt, Überschüsse zu erwirtschaften, die sie anschließend für die Durchführung ihrer Leistungen verwendet.26 Eine solche Einschränkung der Steuerbefreiung beruht auf Art. 133 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL. § 4 Nr. 21 Satz 4 UStG-E sollte zB den Unterricht in einer Ballett- oder Tanzschule erfassen, wenn die Betreiber dieser Schulen, sofern es sich dabei um andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 und 2 UStG handelt, Gewinne erzielen möchten. Gleiches sollte zB für den Unterricht in einer Musik- oder Schwimmschule gelten. k) Wegfall des Bescheinigungsverfahrens Nach der geplanten Neufassung von $ 4 Nr. 21 UStG sollte für die Anerkennung der Steuerfreiheit einer Bildungsleistung eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nicht mehr erforderlich sein. Die Finanzbehörden sollten das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale in eigener Zuständigkeit prüfen. Die vorher mit der (unbegrenzten) Rückwirkung bzw. rückwirkenden Durchsetzung von Bescheinigungen verbundene Problematik sollte vermieden werden. Auch sollte der „doppelte Rechtsweg“ (Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit es um die Bescheinigung geht; Finanzgerichtsbarkeit, hinsichtlich der Steuerpflicht) entfallen.

3. § 4 Nr. 22 UStG Unter Wegfall des Buchst. a in § 4 Nr. 22 UStG sollte seinerzeit die Steuerbefreiung für kulturelle und sportliche Veranstaltungen nach Buchst. b der Vorschrift ab 1.1.2013 wie folgt geregelt werden:

26 Vgl. EuGH v. 21.3.2002 – C-174/00 (Kennemer Golf & Country Club), BFH/ NV 2002, Beil. 3, 95 = UR 2002, 320.

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Huschens, Befreiung der Bildungsleistungen – Reform des § 4 Nr. 21 UStG „kulturelle und sportliche Veranstaltungen, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbandes dienen, durchgeführt werden, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden oder soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht,“.

§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG beruht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Da diese unionsrechtliche Vorschrift ab 1.1.2013 in § 4 Nr. 21 UStG umfassend umgesetzt werden sollte, wäre folglich die Grundlage für § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG entfallen. Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Verwaltungs- und Wirtschaftsakademien, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbands dienen, durchgeführt werden, sollten deshalb ab 1.1.2013 nur noch unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei sein. § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG in seiner Fassung ab 1.1.2013 sollte inhaltlich der vorherigen Vorschrift entsprechen In der geplanten Neuregelung waren die begünstigten Unternehmer nunmehr aufgelistet und es wurde die Bedingung übernommen, dass die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Die Steuerbefreiung sollte im Hinblick auf die kulturellen und sportlichen Veranstaltungen dieser Unternehmer weiterhin anzuwenden sein.

III. Scheitern der Reform nach dem Regierungsentwurf eines JStG 2013 Die in dem Regierungsentwurf für ein JStG 2013 noch vorgesehene Reform der Umsatzsteuerbefreiung für Bildungsleistungen (§ 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG) wurde seinerzeit nicht weiterverfolgt.27 Damit blieb es auch insbes. bei der seinerzeitigen (und bisherigen) Behandlung der Leistungen gewerblicher Seminarveranstalter und deren Vorsteuerabzugsberechtigung. Im Hinblick auf die hierzu eingegangenen Stellungnahmen schien die Regelung nach Auffassung des BT-Finanzausschusses nicht nur erheblichen Aufwand im praktischen Vollzug zu verursachen, sondern auch EU-rechtlich im Hinblick auf die danach vorgegebene unterschiedliche Behandlung der Leistungen von privat-gewerblichen Bildungsanbietern 27 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 17/11190 und BT-Drucks. 17/11220.

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und Privatlehrern bedenklich. Insbesondere auch vor dem Hintergrund des polnischen Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH v. 2.7.201228 wurde seinerzeit die Neufassung von § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG zurückgestellt. Daher sollte nach Auffassung des BT-Finanzausschusses vor einer Neufassung von § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG die Entscheidung in diesem EuGH-Verfahren abgewartet werden, um eine mögliche weitere Änderung zu vermeiden. Im Lichte dieser EuGH-Entscheidung sollten die Kritiken und Anregungen der privat-gewerblichen Bildungsanbieter zu einem späteren Zeitpunkt erneut geprüft werden.

IV. EuGH-Rechtsprechung zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL 1. Bedeutung Der EuGH hat sich in den letzten Jahren mehrfach zu der unionsrechtlichen Steuerbefreiung für Bildungsleistungen geäußert, was auch Anlass der Reformbemühung mit dem JStG 2013 war. Danach sind weitere EuGH-Entscheidungen ergangen, die Einfluss auf den unten in Abschn. V skizzierten neuen Reformanlauf haben. Nachstehend sollen die wichtigsten Entscheidungen kurz zusammenfassend skizziert werden.

2. EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer) – Von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht, Unterricht an einer Volkshochschule In diesem Verfahren29 ging es um einen Lehrer, der jahrelang als freier Mitarbeiter für das Land Berlin tätig war. Im Streitjahr 1990 erteilte er an einer Volkshochschule Schularbeitshilfe und leitete an einer anderen Volkshochschule und in einem Elternzentrum Keramik- und Töpferkurse. Die Verträge, aufgrund deren der Kläger die genannten Leistungen erbrachte, wurden mit dem Land Berlin jeweils mit halbjähriger Laufzeit abgeschlossen. Sie enthielten Klauseln, denen zufolge durch sie kein „Beschäftigungsverhältnis“ iSd. deutschen Arbeitsrechts begründet werde. Die dem Kläger vom Land Berlin gezahlten Honorare wurden auf Stundenbasis errechnet. Der Kläger trug auch bei Ausfallen der Kurse das Honorarrisiko, selbst wenn der Grund im fehlenden Teilnehmerkreis 28 S. EuGH v. 28.11.2013 – C-319/12 (MDDP), DB 2014, 37. 29 EuGH v. 14.6.2007 – C 445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592.

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lag. Das FA setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr mit der Begründung fest, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 oder Nr. 22 UStG nicht erfülle. Der BFH hatte in seinem Vorabentscheidungsersuchen die Auffassung geäußert, die vom Kläger erbrachten Dienstleistungen könnten nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) steuerbefreit sein, weil eine natürliche Person nicht als „andere Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“ anzusehen sei. Gleichwohl stelle sich die Frage, ob von einem Privatlehrer erteilter Unterricht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) nur dann befreit sei, wenn der Lehrer die Unterrichtsleistung unmittelbar den Schülern als Leistungsempfängern erbringe, von diesen also bezahlt werde, oder ob es ausreiche, dass die Leistung – wie im vorliegenden Fall – an eine Schule oder Hochschule erbracht werde. Der BFH hatte also unterstellt, dass der Kläger grundsätzlich unter Buchst. j der Richtlinie falle und hatte insofern nur Zweifel angesichts der vertraglichen Bindungen, unter denen er seine Leistungen erbrachte. Diese Frage des BFH hat der EuGH nicht beantwortet, sondern er kommt zu dem Ergebnis, dass es schon fraglich sei, ob der Kläger, wie von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie gefordert, als „Privatlehrer“ agiert habe. Die Unterstellung des BFH, dass dem so sei, hat der EuGH schlicht ignoriert und vielmehr die Vorlagefrage des BFH dahingehend uminterpretiert, dass dieser habe erfahren wolle, ob Unterrichtstätigkeiten, die ein Einzelner unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als freier Mitarbeiter ausübt, gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie steuerfrei sein können. Der eigentlichen Befassung mit dem Rechtsstreit gehen zunächst die stereotypischen Wendungen des EuGH voraus, dass die Steuerbefreiungen nach Art. 13 der 6. EG-Richtlinie eng auszulegen sind. Die Vorschrift enthalte autonome gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermeiden sollen. Allerdings müsse die Auslegung dieser Begriffe mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruhe. Daher bedeute die Regel einer engen Auslegung nicht, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen könne. Dies müsse auch für 625

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die spezifischen Bedingungen gelten, von denen die Gewährung dieser Befreiungen abhängig gemacht werde, und insbes. für diejenigen, die die Eigenschaft oder die Identität des Wirtschaftsteilnehmers betreffen, der die von der Befreiungsvorschrift erfassten Leistungen erbringt. Davon ausgehend widerspricht der EuGH zunächst dem Vorbringen des FA, die von dem Kläger erteilten Keramik- und Töpferkurse seien in Anbetracht der engen Auslegungspflicht von ihren Anforderungen her gesehen nicht dem Unterricht, der üblicherweise an Schulen oder Hochschulen erteilt werde, vergleichbar. Solche Kurse dienten vielmehr nur der Freizeitgestaltung. Der EuGH antwortet hierauf (und dies liegt auf der Linie seiner früheren Rspr.), dass die Begriffe „Schule“ und „Hochschule“ nicht mit nationalen Auslegungskriterien beschrieben werden können, sondern es sich um gemeinschaftsrechtliche Begriffe handele, die mit Mitteln des Gemeinschaftsrechts auszulegen sind. Danach ist „Schul- und Hochschulunterricht“ nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt (auch) andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, wenn diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Der wichtigere Teil des Urteils befasst sich mit der Frage, ob der Kläger wie von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie gefordert überhaupt ein „Privatlehrer“ iS der Vorschrift war. Der EuGH bezweifelt dies. Zunächst stellt er fest, dass die Regelungen in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und Buchst. j getrennt voneinander zu betrachten sind. Die beiden Vorschriften bilden (und hier widerspricht der EuGH der EU-Kommission) kein System, mit dem eine Umsatzsteuerbefreiung für Tätigkeiten gewährt werden soll, die nicht jeweils die Voraussetzungen nach der einen oder nach der anderen Vorschrift erfüllen. Der Wortlaut der Buchst. i und j ist – so der EuGH – eng auszulegen und bezieht sich nur auf die Tätigkeiten, die in der jeweiligen Vorschrift einzeln aufgeführt und genau beschrieben sind. Die Tatsache, dass der Kläger als Lehrer auftrat, rechtfertigt also noch nicht allein, dass seine Leistungen unter Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j fallen können (da er unstreitig die Regelung nach Buchst. i der Richtlinie nicht erfüllte). Der Kläger müsste auch Privatlehrer sein. Dies bezweifelt der EuGH und es hat den Anschein, dass er in dem Kläger, anders als vom 626

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BFH vorgetragen, eher einen Arbeitnehmer denn einen Unternehmer sieht. Er entscheidet jedoch nicht abschließend darüber, sondern überlässt dem BFH, im Lichte der Grundsätze des Urteils, dies zu prüfen. Ein Privatlehrer zeichnet sich nach dem EuGH-Urteil durch folgende Merkmale aus: –

Er erbringt seine Leistungen auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung;



der Unterricht wird außerhalb der Bedingungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie erbracht (ob dies bedeutet, dass der Betreffende nicht in einer Bildungseinrichtung oder selbständig und auf eigene Verantwortung für eine solche tätig werden darf, bleibt unklar);



zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und der Qualifikation des Unterrichtenden besteht ein Zusammenhang;



Eine unmittelbare Vertragsbeziehung zwischen dem Unterrichtenden und den Teilnehmern ist nicht erforderlich (insofern hat der EuGH die für den BFH wesentliche Frage beantwortet).

Der EuGH neigt der Auffassung zu, dass der Kläger seine Leistungen nicht als „Privatlehrer“, also nicht auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung erbrachte, sondern vielmehr für das Land Berlin tätig wurde (in dem Sinne, dass er dem Land Berlin als Lehrer zur Verfügung stand). Der EuGH hat zwar keine Entscheidung getroffen, ob die fraglichen Keramik- und Töpferkurse Schul- oder Hochschulunterricht sind. Er hat diesen Begriff jedoch sehr weit ausgelegt, indem er ausführt, dass diese Tätigkeit sich nicht auf Unterricht beschränkt, sondern auch „Unterweisungen“ beinhalten kann, wenn sie nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Insofern stellt sich seinerzeit bereits die Frage, ob zB Jagdschulen, die auf Jägerprüfungen vorbereiten, weiterhin steuerpflichtig behandelt werden können (vgl. seinerzeitiger Abschn. 112 Abs. 9 UStR). Das Bescheinigungsverfahren gem. § 4 Nr. 21 UStG wird vom EuGH nicht erwähnt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Frage, ob eine Bescheinigung der Bildungsbehörde vorliegt oder nicht, vom EuGH als unmaßgeblich für die Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) eingestuft würde.

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3. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College) – Überlassung einer Unterrichtskraft durch eine Lehreinrichtung an eine andere, Begriff des eng verbundenen Umsatzes Bei diesem Verfahren30 ging es um eine Lehreinrichtung (A), die einen bei ihr angestellten Lehrer zeitweilig an eine andere Lehreinrichtung (B) überlassen hatte. Für jede Überlassung war zwischen A, dem Lehrer und B eine Entsendevereinbarung getroffen worden. Diese regelte, dass B dem Lehrer die Arbeitsaufträge erteilte. B war während der Dauer der Überlassung für die gesetzliche Haftpflichtversicherung des Lehrers verantwortlich. Sein Gehalt bezog der Lehrer weiterhin von A. B erstattete A – ohne Aufschlag – die Gehaltskosten. Die niederländische Finanzbehörde hatte diese Überlassung als umsatzsteuerpflichtig behandelt, weil nach ihrer Ansicht die Überlassung nicht unter die Steuerbefreiung gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) für „die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- und Hochschulunterricht, die Aus- und Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung“

fiel. Das Vorlagegericht fragte den EuGH, ob –

die Personalgestellung als Erteilung von Unterricht iSv. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie angesehen werden kann,



es sich – bei Verneinung der ersten Frage – bei der Personalgestellung ggf. um eine eng verbundene Dienstleistung iS der Vorschrift handeln könnte und



es für die Beantwortung der ersten und zweiten Frage einen Unterschied macht, ob die Einrichtung, die den Lehrer überlässt, selbst eine Lehreinrichtung ist.

Die erste Frage hat der EuGH verneint. Zwar sei die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten vom Unterrichtenden an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit. Dies reiche 30 EuGH v. 14.6.2007 – C 434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587.

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aber allein nicht aus, um es bereits als Unterrichtstätigkeit anzusehen, wenn ein Lehrer einer Lehreinrichtung zur Verfügung gestellt wird, um unter der Verantwortung dieser Einrichtung Unterricht zu erteilen. Der EuGH definiert in diesem Zusammenhang den Begriff der Unterrichtstätigkeit, der in der Richtlinie selbst, wie der EuGH konstatiert, offen bleibt. Eine solche Tätigkeit besteht für den EuGH aus einer Gesamtheit von Elementen, zu denen neben denjenigen, die die zwischen den Unterrichtenden und den Studierenden zustande kommenden Beziehungen betreffen, gleichzeitig auch diejenigen gehören, die den organisatorischen Rahmen der betreffenden Einrichtung ausmachen. Unter diesen Umständen war die Überlassung der Lehrkraft keine Unterrichtstätigkeit. Der Umstand, dass die überlassende Einrichtung selbst eine Lehreinrichtung ist, ändert daran nichts. Die zweite Frage bejaht der EuGH in dem Sinne, dass die Überlassung einer Lehrkraft nach den Umständen des Einzelfalls eine mit der Unterrichtstätigkeit eng verbundene und damit ebenfalls steuerfreie Dienstleistung sein kann. Die Urteilsgründe enthalten teils neue, aber auch widersprüchliche Erkenntnisse darüber, wann ein „eng verbundener Umsatz“ vorliegen kann. Zunächst wiederholt der EuGH frühere Rspr., wonach eng verbundene Umsätze vorliegen können, wenn sie tatsächlich als Nebenleistung zu einer steuerbegünstigten Hauptleistung erbracht werden. Es muss eine Verbindung zu einer Hauptleistung bestehen, neben der in den Steuerbefreiungen nach Art. 13 Teil A auch „eng verbundene“ Umsätze begünstigt sind.31 Eine Leistung kann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung angesehen werden, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten.32 Diese Rspr. des EuGH zu Haupt- und Nebenleistungen in dem hier streitigen Kontext, ob ein eng verbundener Umsatz vorliegt, kann nicht in dem Sinne verstanden werden, dass eine Nebenleistung das Schicksal der Hauptleistung teilt. Denn wenn „eng verbundene Umsätze“ Nebenleistungen in diesem Sinne wären, wäre ihre besondere Erwähnung in Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie nicht erforderlich gewesen. Das Abstellen des 31 Vgl. EuGH v. 11.1.2001 – C-76/99 (Kommission/Frankreich), BFH/NV 2001, Beil. 2, 122 = UR 2001, 62. 32 Vgl. EuGH v. 22.10.1998 – C-308/96 und C-94/97 (Madgett und Baldwin), HFR 1999, 129 = UR 1999, 38.

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EuGH auf Haupt- und Nebenleistungen für Zwecke der Auslegung des Begriffs der „eng verbundenen Umsätze“ ist vielmehr so zu verstehen, dass ein eng verbundener Umsatz (als Hauptleistung) die Zwecke für die originär in Art. 13 Teil A begünstigten Umsätze erfüllen muss, die eine Nebenleistung (als Nebenleistung) allgemein für eine Hauptleistung erfüllt, um das Schicksal dieser Hauptleistung teilen zu können. Die vorübergehende Überlassung einer Lehrkraft an eine andere Lehreinrichtung kann für den EuGH unter diesen Kriterien von Haupt- und Nebenleistung grundsätzlich ein eng mit dem Unterricht verbundener Umsatz sein. Dies scheint für den EuGH jedenfalls dann der Fall zu sein, wenn in bestimmten Lehreinrichtungen zeitweilig ein Mangel an Lehrpersonal herrscht. Dann könne die Gestellung qualifizierter Lehrkräfte anderer Lehreinrichtungen es ermöglichen, dass die Studierenden unter den bestmöglichen Bedingungen in den Genuss des von den Zieleinrichtungen erteilten Unterrichts kommen. Dafür ist es allerdings nicht erforderlich, dass die eng mit dem Unterricht verbundenen Dienstleistungen unmittelbar gegenüber den Studierenden erbracht werden. Auch (so der EuGH weiter in Rz. 32 seiner Urteilsgründe – und dies steht im Widerspruch zu Rz. 36 der Urteilsgründe) ist es grundsätzlich unerheblich, dass eventuell zwischen der Haupttätigkeit der Einrichtung, die die Lehrkräfte zur Verfügung stellt, und deren zweitrangiger Tätigkeit, eng mit dem Unterricht verbundene Dienstleistungen zu erbringen, keine unmittelbare Verbindung besteht. Sodann stellt der EuGH weitere (neue) Bedingungen für das Vorliegen eines eng verbundenen Umsatzes auf: Sowohl die Haupttätigkeit der Unterrichtserteilung als auch der eng verbundene Umsatz müssen von einer in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie begünstigten Einrichtung erbracht werden (dies dürfte dann entsprechend auch für Einrichtungen in anderen Bestimmungen von Art. 13 Teil A der Richtlinie gelten). Außerdem (so Rz. 36 der Urteilsgründe) muss die Haupttätigkeit der Einrichtung, mit der eine Leistung eng verbunden ist, selbst (hier nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie) steuerfrei sein. Dies steht aber im Widerspruch zu Rz. 32 der Urteilsgründe (s.o.), wo gerade eine unmittelbare Verbindung zu der Haupttätigkeit nicht erforderlich sein soll. Dieser Widerspruch scheint nur durch die folgende Rz. 37 der Urteilsgründe verständlich zu werden. Denn hier verweist der EuGH zur Erfüllung seiner Forderung, dass die Haupttätigkeit, mit der ein Umsatz eng verbunden ist, selbst steuerfrei sein muss, darauf, dass die Lehreinrichtung, an die die Unterrichtskraft überlassen wurde, selbst eine be630

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günstigte Einrichtung iSv. Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie ist. Dies ist aber eine Beurteilung, die auf die Verhältnisse des Empfängers eines eng verbundenen Umsatzes abstellt. Eine Bestätigung dieser empfängerorientierten Betrachtung findet sich in Rz. 38 und 39 der Urteilsgründe. Der EuGH fordert mit Bezugnahme auf frühere Rspr.33 für das Vorliegen eines eng verbundenen Umsatzes, dass er für die Ausübung der originär steuerfreien Tätigkeit (Hauptleistung) unerlässlich ist. Diese Unerlässlichkeit kann in einem Fall wie dem vorliegenden gegeben sein, wenn die Überlassung der Lehrkraft von solcher Art oder Qualität ist, dass ohne Rückgriff auf eine derartige Dienstleistung keine Gleichwertigkeit des Unterrichts der Zieleinrichtung und damit des ihren Studierenden erteilten Unterrichts gewährleistet wäre. Der EuGH stellt auch insofern wieder auf die Verhältnisse beim Empfänger der (Überlassungs-)Leistung ab. Hier schließt sich jedoch ein zweiter Widerspruch (in Rz. 40 der Urteilsgründe) an. Denn der EuGH stellt sich die Frage, ob der überlassenden Einrichtung (A) auch im Vergleich mit einer gewerblichen (steuerpflichtigen) Lehrervermittlungsstelle die Steuerbefreiung der Personalgestellung gewährt werden könnte. Damit betrachtet der EuGH die Überlassung aber zwangsläufig wieder aus der Sicht des leistenden Unternehmers und nicht aus der Sicht des Leistungsempfängers. Denn er vergleicht zwei verschiedene Anbieter im Wettbewerb untereinander. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Überlassung durch die Einrichtung A dann als unerlässlich für den Unterricht der Einrichtung B angesehen werden kann, wenn die Überlassung zB aufgrund der Qualifikationen des fraglichen Personals oder wegen seiner flexiblen Verfügbarkeit von solcher Art ist, dass das gleiche Niveau und die gleiche Unterrichtsqualität durch den bloßen Rückgriff auf gewerbliche Anbieter nicht sichergestellt werden könnten. Dies ist im Ergebnis doch wieder eine empfängerorientierte Betrachtung, die aber jedenfalls im Widerspruch zur Rspr. des EuGH zum Neutralitätsprinzip der Mehrwertsteuer zu stehen scheint. Nach dieser Rspr. dürfen gleichartige oder gleichgerichtete Umsätze, die deshalb miteinander im Wettbewerb stehen, steuerlich nicht unterschiedlich behandelt werden.34 Bis dahin hatte der EuGH insofern lediglich auf den Inhalt

33 EuGH v. 9.2.2006 – C-415/04 (Kinderopvang Enschede), BFH/NV 2006, Beil. 3, 256 UR 2006, 470. 34 Vgl. insbes. EuGH v. 17.2.2005 – C-453/02 und C-462/02 (Linneweber und Akritidis), BFH/NV 2005, Beil. 2, 94 = UR 2005, 194.

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der Leistung, nicht aber auf die Bedürfnisse des Leistungsempfängers abgestellt. Nach alledem scheint der EuGH – mit allen Widersprüchen seiner Entscheidung – für das Vorliegen eines eng verbundenen Umsatzes Folgendes zu fordern: –

Beide, die Einrichtung, die einen eng verbundenen Umsatz erbringt, und der Empfänger, an den dieser Umsatz ausgeführt wird, müssen begünstigte Einrichtungen iSv. Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie sein (begünstigte Einrichtungen nach Maßgabe der Vorschriften, wonach auch „eng verbundene Umsätze“ steuerbefreit sind);



die Einrichtung, die einen eng verbundenen Umsatz erbringt, muss auch eine originär steuerfreie Hauptleistung nach der jeweiligen Vorschrift von Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie erbringen;



der eng verbundene Umsatz muss mit der Hauptleistung der Einrichtung, die den Umsatz ausführt, nicht in unmittelbarer Verbindung stehen;



die Einrichtung, die einen eng verbundenen Umsatz erhält, muss auch eine originär steuerfreie Hauptleistung nach der jeweiligen Vorschrift von Art. 13 Teil A der 6. EG-Richtlinie erbringen; Der eng verbundene Umsatz muss für die Hauptleistung des Empfängers unerlässlich sein;



schließlich (so der EuGH in Rz. 42 ff. der Urteilsgründe) darf der eng verbundene Umsatz nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, der Einrichtung, die diesen Umsatz ausführt, zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit steuerpflichtigen Tätigkeiten gewerblicher Unternehmen durchgeführt werden (über diese Frage hat grundsätzlich das nationale Gericht zu entscheiden). Als Beweis, dass die betreffende Tätigkeit nicht der Erzielung zusätzlicher Einnahmen dient, reicht es nicht aus, wenn die Einrichtung als Gegenleistung für den eng verbundenen Umsatz lediglich eine Kostenerstattung verlangt (wie im Vorlagefall die Rückerstattung der gezahlten Gehälter).

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4. EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz) – Erteilung von Unterricht durch Dozenten an einer privatrechtlichen Bildungseinrichtung) Bei diesem Verfahren35 ging es um die Frage, ob bestimmte Lehr- und Prüfungsleistungen eines Diplom-Ingenieurs, die dieser an einem privatrechtlichen Bildungsinstitut für Teilnehmer von Fortbildungslehrgängen erbringt, als von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) von der Mehrwertsteuer befreit sein kann. Im Ausgangsverfahren ging es um eine ein Ingenieurbüro betreibende GbR, die durch ihren Gesellschafter an einem Bildungsinstitut in der Rechtsform eines privatrechtlichen Vereins (e.V.) an einer Universität Unterricht erteilte und Prüfungen abnahm. Bei den Lehrgangsteilnehmern handelte es sich um Architekten und Ingenieure, die an den Bildungsveranstaltungen zur Erzielung bestimmter Zusatzqualifikationen auf dem Gebiet des Brandschutzes teilnahmen. Das Bestehen des Sachverständigenlehrgangs führte auf Antrag zur Bestellung der Absolventen als Sachverständige für vorbeugenden Brandschutz durch die Industrie- und Handelskammer. Keinem der Beteiligten wurde eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG erteilt. Das FA behandelte die entsprechenden Umsätze der GbR als steuerpflichtig. Der EuGH hat entschieden, dass die in Rede stehenden Lehrleistungen „Unterrichtseinheiten, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen“, iSv. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie sein können. Auch andere Tätigkeiten als die Lehrtätigkeit im eigentlichen Sinne können solche Unterrichtseinheiten sein, sofern diese Tätigkeiten im Wesentlichen im Rahmen der sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehenden Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende ausgeübt werden. Anders als in seinem Urteil vom 14.6.200736 weist der EuGH darauf hin, dass der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie nur in der deutschen Sprachfassung der Richtlinie so verwendet wird, während alle anderen Sprachfassungen von „Unterrichtseinheiten, die sich auf Schul- und Hochschulunterricht 35 EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174. 36 EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592.

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beziehen“ sprechen. Dementsprechend könne nicht alleine die deutsche Sprachfassung zur Auslegung der Richtlinie herangezogen werden. Aber auch der in den anderen Sprachfassungen verwendete Terminus, so lässt die EuGH-Entscheidung vermuten, ist nicht signifikant anders auszulegen als der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“. Der EuGH verweist nämlich auf seine Entscheidung in der Sache C-445/05, in der er eine genaue Definition ausdrücklich vermieden habe – wohl weil der Begriff der Unterrichtstätigkeit in der Richtlinie selbst offen bleibt. „Schulund Hochschulunterricht“ beschränkt sich danach nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern er schließt andere Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben. Zum Begriff „Unterricht“ hatte der EuGH bereits entschieden, dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Studierende zwar ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit iSv. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der 6. EG-Richtlinie ist, diese Tätigkeit aber aus einer Gesamtheit von Elementen besteht. Hierzu gehören zum einen die Elemente, die die zwischen den Unterrichtenden und den Studierenden zustande kommenden Beziehungen betreffen, zum anderen die, die den organisatorischen Rahmen der Einrichtung ausmachen, in der der Unterricht erteilt wird.37 Der EuGH hatte damit seine im Urteil vom 14.6.2007 – C-445/05 vorgenommene Auslegung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EGRichtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) weiter präzisiert. Er hatte nämlich eine weitere grundsätzliche Feststellung zum Verhältnis der Steuerbefreiungen nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i und j der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL) getroffen. Danach ist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie nicht weniger weit auszulegen, als der in Buchst. i der Vorschrift, obwohl in Buchst. j anders als in Buchst. i nicht ausdrücklich die Aus- und Fortbildung erwähnt ist. In seinem Urteil in der Rs. C-445/05 (Rz. 37) hatte er lediglich ausgeführt, dass nicht allein deshalb, weil beide Steuerbefrei37 Vgl. EuGH v. 14.7.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587.

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ungen auf die Förderung des „Schul- und Hochschulunterrichts“ gerichtet sind, davon ausgegangen werden kann, dass diese beiden Vorschriften zusammen ein System bilden würden, mit dem Tätigkeiten befreit werden sollen, die nicht jeweils die Voraussetzungen einer der Vorschriften erfüllen. Der EuGH hat mit seinem Urteil allerdings keine weiteren als die bis dahin schon bekannten Auslegungshinweise zum Begriff „Schulund Hochschulunterricht“ gegeben. Er hatte aber immerhin bestätigt, dass Schul- und Hochschulunterricht mehr umfasst, als nur die eigentliche Vermittlung von Lehrstoff, und auch eng damit verbundene Leistungen steuerfrei sein können. Denkbar war nach der Entscheidung, dass neben der in der Sache C-434/05 für steuerfrei befundenen Überlassung von Lehrpersonal an eine andere Bildungseinrichtung auch der Verkauf von Lehrmaterial, die Lehrbetreuung von Studierenden außerhalb der eigentlichen Unterrichtsstunden (zB Tutorenkurse uÄ) begünstigt sein können. Der EuGH musste des Weiteren prüfen, ob es sich vor dem Hintergrund seiner Feststellungen in der Rs. C445/05 im Ausgangsfall um einen „Privatlehrer“ handelt, der seine Leistungen für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung erbringt. Obwohl es in derartigen Fällen auf die Umstände des Einzelfalls ankommt, hat der EuGH nicht wie bei der Beurteilung, ob tatsächlich Schul- und Hochschulunterricht vorlag, diese Prüfung dem vorlegenden Gericht überlassen. Er hat nämlich „durchentschieden“, dass im vorliegenden Fall der Kläger den Unterricht nicht als „Privatlehrer“ gem. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie erteilt hat. Die Entscheidungsgründe legen nahe, dass „privat“ iS der Richtlinienvorschrift nicht damit gleichzusetzen ist, dass eine Unterrichtskraft ihre Tätigkeit selbständig, also außerhalb eines Über-Unterordnungsverhältnisses, ausübt. Die Eigenschaft als „Privatlehrer“ ist nach der Entscheidung offenbar immer dann nicht gegeben, wenn die Unterrichtskraft im Rahmen eines von der Einrichtung, an der sie tätig ist, angebotenen Lehrplans bzw. der von dieser angebotenen Lehrveranstaltungen Unterricht erteilt. Offensichtlich, das hat der EuGH aber wiederum nicht zweifelsfrei zu erkennen gegeben, muss ein Privatlehrer iS der Richtlinienvorschrift nicht nur selbständig (auf eigenes wirtschaftliches Risiko) tätig sein, sondern seinen Unterricht auch in von ihm selbst entworfenen Lehrplänen organisieren und durchführen. Dies hieße letztlich, dass nur ein im Rahmen eines Einzelunternehmens einer natürlichen Person geführter Unterrichtsbetrieb die Voraussetzungen eines „Privatlehrers“ erfüllen kann. Ob dies der Richtliniengeber mit der von ihm gewählten Formulierung aber bezweckt hat, darf in hohem Maße bezweifelt werden. 635

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Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. j der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) räumt den Mitgliedstaaten – anders als bei der die Steuerbefreiung nach Buchst. i – nicht die Möglichkeit ein, bestimmte Einrichtungen anzuerkennen. Nach deutschem Umsatzsteuerrecht scheiterte die Steuerbefreiung im vorliegenden Fall nicht zuletzt am Fehlen der Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb bzw. Buchst. b Doppelbuchst. bb UStG. Das vorlegende FG hatte Zweifel, ob diese materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung gemeinschaftsrechtlich zulässig ist. Auf diesen Aspekt ist der EuGH leider nicht eingegangen, so dass die Bedeutung der Bescheinigung unionsrechtlich weiterhin ungeklärt war.

5. EuGH v. 28.11.2013 – C-319/12 (MDDP) – Bildungsleistungen einer nichtöffentlichen Einrichtung Bei dem polnischen Verfahren38 ging es um die Auslegung der Art. 132 Abs. 1, Art. 133 und Art. 134 sowie Art. 168 MwStSystRL. Streitig war die Steuerbefreiung von Bildungsleistungen, sowie der Vorsteuerabzug aus hierfür bezogenen Eingangsleistungen. Die Klägerin war eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete gewerbliche Anbieterin von Fachschulungen und Fachkonferenzen auf den Gebieten Steuern, Finanzen, Management usw. Sie ist nicht im Verzeichnis der nichtöffentlichen Schulen und Einrichtungen nach dem polnischen Gesetz über das Bildungssystem eingetragen. Die Klägerin machte aus ihren Eingangsleistungen den Vorsteuerabzug geltend und trug vor, dass die von ihr erbrachten Bildungsdienstleistungen gemäß den Vorgaben der MwStSystRL nicht der MwSt.-Befreiung unterlägen. Sie sei eine Einrichtung, die nicht in allgemeinem Interesse handele und keine den Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbare Zielsetzung verfolge. Das polnische MwStG in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung sah dagegen eine MwSt.-Befreiung für alle Dienstleistungen mit Bildungscharakter vor, ohne Rücksicht auf ihr Ziel und ihre Art sowie den Leistungserbringer. Dementsprechend wurden die Leistungen der Klägerin als steuerfrei behandelt und der Vorsteuerabzug versagt. Das vorlegende Gericht fragte den EuGH, ob nach den Art. 132 Abs. 1, Art. 133 und Art. 134 MwStSystRL eine Einbeziehung der von nicht38 EuGH v. 28.11.2013 – C-319/12 (MDDP), DB 2014, 37.

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öffentlichen Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken erbrachten Bildungsdienstleistungen in die Mehrwertsteuerbefreiung zulässig ist (erste Vorlagefrage) und ob im Fall der Unvereinbarkeit einer solchen Befreiung der Stpfl. sowohl die nationale (unionsrechtswidrige) Steuerbefreiung als auch zugleich das (unionsrechtlich zulässige) Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen darf (zweite Vorlagefrage). Der EuGH hat mit Bezug auf frühere Rspr. entschieden, dass der gewerbliche Charakter einer Tätigkeit im Rahmen von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht ausschließt, dass es sich dabei um eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit handelt. Der Begriff der Einrichtung in der Vorschrift ist grundsätzlich weit genug, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen. Auch mit Blick auf die Möglichkeit, die Art. 133 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL den Mitgliedstaaten bietet, kann in den Fällen, in denen der Unionsgesetzgeber, wie in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiung nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht hat, das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme einer solchen Befreiung nicht ausschließen. Art. 134 MwStSystRL schließt nicht aus, dass die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL geregelte Steuerbefreiung sich auch auf private Einrichtungen erstreckt, die Bildungsdienstleistungen zu gewerblichen Zwecken erbringen. Art. 134 MwStSystRL ist nach dem vorliegenden Urteil nur auf Umsätze anwendbar, die mit den befreiten Bildungsdienstleistungen iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Mehrwertsteuerrichtlinie eng verbunden sind, also nicht auf die im Kernbereich befreiten Bildungsumsätze. Als Zwischenergebnis aus dem Urteil ist festzuhalten, die Art. 132 Abs. 1 Buchst. i, 133 und 134 MwStSystRL stehen einer Steuerbefreiung für Bildungsdienstleistungen, die von nicht öffentlichen Einrichtungen zu gewerblichen Zwecken (zB gewerbliche Seminaranbieter) erbracht werden, nicht entgegen. Allerdings sind nach weiteren Urteilsgründen Bildungsleistungen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit Bildungsaufgaben betraut sind, oder von anderen Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Die privaten Einrichtungen müssen somit die Voraussetzung erfüllen, dass sie eine vergleichbare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts haben. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i ist nach dem Urteil in637

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soweit eindeutig, dass die Vorschrift es nicht zulässt, Bildungsdienstleistungen sämtlicher privater Einrichtungen zu befreien, auch von Einrichtungen, deren Zielsetzung nicht mit der von Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbar ist. Es ist nach dem Urteil aber grundsätzlich Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, die Regeln aufzustellen, nach denen die Zielsetzung privater Einrichtungen mit der von öffentlichen Einrichtungen vergleichbar ist. Hierbei ist insbes. der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Zur zweiten Frage hat der EuGH entschieden, dass das Unionsrecht es nicht zulässt, gleichzeitig eine Steuerbefreiung für einen Ausgangsumsatz und für damit zusammenhängende Eingangsumsätze den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Im vorliegenden Fall kann der Kläger sich jedoch ggf. auf die Unvereinbarkeit der polnischen Steuerbefreiung mit dem Unionsrecht berufen und den Vorsteuerabzug geltend machen. Es ist Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob die polnische Steuerbefreiung unionsrechtlich gerechtfertigt ist, dh. ob Polen den ihm zustehenden Ermessensspielraum unionsrechtskonform ausgeschöpft hat. Hinsichtlich der Antwort des EuGH auf die erste Vorlagefrage ist das derzeitige deutsche Umsatzsteuerrecht von dem Urteil unmittelbar betroffen, da die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen privater Anbieter nach § 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG (anders als die polnische Regelung) nur für bestimmte – als mit Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergleichbarer Zielsetzung – anerkannte Einrichtungen gilt. Zwar sah die im Rahmen des Referentenentwurfs eines JStG 2013 geplante Neufassung von § 4 Nr. 21 auch insoweit noch eine entsprechende Einschränkung vor, nach diesem Gesetzentwurf sollten jedoch wesentlich mehr Bildungs- bzw. Fortbildungsleistungen (insbes. Leistungen von Seminarveranstaltern) unter die Steuerbefreiung fallen, als bisher. Die Koalitionsfraktionen hatten im Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines JStG 2013 insbes. wegen der unionsrechtlich derzeit nicht zulässigen Möglichkeit der privat-gewerblichen Fortbildungsanbieter, im nationalen Recht wie für die Umsätze nach § 9 UStG eine Option zu Steuerpflicht (so das niederländische Recht) zu schaffen, die Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG abgelehnt. Die Gesetzesänderung sollte im Licht des vorliegenden EuGH-Urteils erneut geprüft werden. Eindeutig ist das Urteil insoweit, als es eine Steuerbefreiung zB gewerblicher Seminaranbieter nicht grundsätzlich ausschließt. Der EuGH gibt jedoch keine konkrete Antwort darauf, nach welchen Kriterien die Zielsetzung einer privaten Bildungseinrichtung mit der einer öffentlichen Bildungseinrichtung ver638

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gleichbar ist, so dass auch Bildungsleistungen privater Einrichtungen zu befreien wären. Der Gesetzentwurf für ein JStG 2013 sah insoweit vor, dass ein Unternehmer für die Anerkennung als Bildungseinrichtung nicht mehr bestimmte sachliche bzw. organisatorische Voraussetzungen erfüllen muss. Vielmehr wäre nach der Planung des Gesetzentwurfs nach § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG-E eine mit einer öffentlichen Bildungseinrichtung vergleichbare Zielsetzung privatrechtlicher Einrichtungen bereits dann gegeben, wenn die Leistungen dieser Einrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Damit hob der Gesetzentwurf offensichtlich darauf ab, dass die Befreiung immer dann in Betracht kommt, wenn die Einrichtung (privat oder öffentlich) nicht lediglich Leistungen anbietet, die der Freizeitgestaltung dienen. Ob diese Abgrenzung mit dem vorliegenden Urteil vereinbar ist, könnte zweifelhaft sein. Der EuGH hat entschieden, dass eine Gleichbehandlung privater Einrichtungen und öffentlicher Einrichtungen voraussetzt, dass die privaten Einrichtungen eine vergleichbare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts haben. Es kommt somit für den EuGH offenbar auf die Verhältnisse der Einrichtung selbst an und nicht auf den Zweck, der mit den angebotenen Bildungsleistungen verfolgt wird (Bildung einerseits und Freizeitgestaltung andererseits). Somit könnte es zB entscheidend sein, ob eine private Einrichtung einen öffentlichen oder damit vergleichbaren Bildungsauftrag erfüllt bzw. von ihrer Struktur und Organisation her mit einer öffentlichen Einrichtung vergleichbar ist. Zur zweiten Vorlagefrage schien sich aus der vom vorlegenden Gericht zitierten EuGH-Rspr.39 bereits eindeutig zu ergeben, dass sich ein Unternehmer nicht einerseits auf eine unionsrechtswidrige Steuerbefreiung berufen und gleichzeitig den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen kann. In den Schlussanträgen v. 7.9.2006 zu diesem Urteil hatte die Generalanwältin Kokott ausgeführt (Rz. 95): „Wenn keine Möglichkeit besteht, das nationale Recht konform mit Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e der 6. EG-Richtlinie auszulegen, kann sich der Einzelne unmittelbar auf die Richtlinie berufen, um den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu erlangen. Sowohl Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. e als auch Art. 17 Abs. 1 und 2 der 6. EGRichtlinie sind hierfür hinreichend bestimmt. Allerdings scheidet eine ‚asymmetrische Berufung‘ auf die Richtlinie aus, dh. der Steuerpflichtige kann grund-

39 EuGH v. 14.12.2006 – C-401/05 (VDP Dental Laboratory), BFH/NV 2007, Beil. 4, 212 = UR 2007, 104.

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Huschens, Befreiung der Bildungsleistungen – Reform des § 4 Nr. 21 UStG sätzlich nicht gestützt auf die Richtlinie den Abzug der Vorsteuer geltend machen, ohne dass die Ausgangsumsätze versteuert werden“.

Dies hat der EuGH vorliegend bestätigt.

6. EuGH v. 14.3.2019 – C-449/17 (A & G Fahrschul-Akademie) – Fahrschulunterricht Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH40 ging es um die Frage, ob Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 von dem Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL erfasst ist. Zwischen den Parteien war für das Streitjahr 2010 streitig, ob die von der Klägerin ausgeführten Fahrschulleistungen, die ihre Kunden zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B (Fahrzeuge mit zulässiger Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 kg und gebaut und ausgelegt zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer) und C1 (Fahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3 500 kg, aber nicht mehr als 7 500 kg und gebaut und ausgelegt zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer) in Anspruch genommen haben, nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL steuerfrei sind. Die Klägerin betrieb in der Rechtsform einer GmbH eine Fahrschule. In den von ihr ausgestellten Rechnungen wies sie keine Umsatzsteuer gesondert aus. Für das Streitjahr erklärte sie zunächst steuerpflichtige Umsätze. Im Dezember 2014 beantragte die Klägerin, die USt. auf 0 t herabzusetzen. Das FA lehnte den Antrag ab. Das FG Niedersachsen41 hatte im Wesentlichen entschieden, eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG komme nicht in Betracht, weil bei den hier streitigen Leistungen im Zusammenhang mit den Fahrerlaubnisklassen B und C1 die Fahrerlaubnis nicht als Anerkennungsnachweis als berufsbildende Einrichtung in Betracht komme. Die Befreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG scheitere bereits daran, dass die Klägerin ihre Leistungen unmittelbar an ihre Schüler und nicht an die in § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG genannten Einrichtungen erbringe. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen. Die einheitliche Leistung der Klägerin bestehe aus der theoretischen Schulung und dem praktischen Fahrunterricht. Dabei handele es sich nicht um Schul- oder Hochschulunterricht, 40 BFH v. 16.3.2017 – V R 38/16, BStBl. II 2017, 1017 = UR 2017, 622. 41 Nds. FG v. 26.5.2016 – 11 K 10284/15, EFG 2016, 1481.

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weil der praktische Fahrunterricht nach der im Streitjahr 2010 geltenden Empfehlung zur Verkehrserziehung in der Schule (Beschluss der Kultusministerkonferenz v. 7.7.1972 idF des Beschlusses v. 17.6.1994) weder erforderlicher noch wünschenswerter Bestandteil des Schul- oder Hochschulunterrichts sei. Der BFH wollte zunächst wissen, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 umfasst. Der BFH neigte zu der Ansicht, dass die Tätigkeit der Klägerin die leistungsbezogenen Voraussetzungen sowohl des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i als auch des Buchst. j MwStSystRL erfüllt, weil die Fahrschulleistung Schulunterricht ist. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Begriff des Schulund Hochschulunterrichts in Buchst. i und j MwStSystRL gleich auszulegen ist.42 Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen wäre, fragte der BFH, ob sich die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehrund der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben kann. Der BFH hatte Zweifel, ob die Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL anerkannt ist. Für eine Anerkennung der Klägerin durch den Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland sprach nach Auffassung des BFH, dass der Betrieb einer Fahrschule gem. § 4 FahrlG das Bestehen einer Fahrlehrerprüfung voraussetzt und gem. §§ 1, 10–13 FahrlG der Erteilung einer von einer Vielzahl von Voraussetzungen abhängigen Fahrlehrer- und einer hiervon getrennten Fahrschulerlaubnis bedarf. Darüber hinaus besteht ein Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung der Fahrschüler zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern. Diese Zielsetzung habe durch § 1 Abs. 1 der im Streitjahr 2010 noch nicht in Kraft getretenen Fahrschüler-Ausbildungsordnung inzwischen ausdrückliche staatliche Anerkennung erfahren. Gegen eine Anerkennung sprach nach Auffassung des BFH, dass der EuGH zur Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL entschieden hat, dass bei der Beurteilung der Gemeinnützigkeit privater Einheiten mit Gewinnerzielungs-

42 EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174.

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absicht insbes. auch die Ziele, die diese Einheiten in ihrer Gesamtheit verfolgen, und die Beständigkeit ihres sozialen Engagements zu berücksichtigen sind.43 Für den Fall, dass die zweite Frage zu verneinen wäre, fragte der BFH, ob der Begriff des „Privatlehrers“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraussetzt, dass es sich bei dem Stpfl. um einen Einzelunternehmer handelt? Der BFH hatte Zweifel, ob die Rechtsform der Klägerin (GmbH) der Annahme des Merkmals „Privatlehrer“ iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL entgegensteht. In den bisher vom EuGH und BFH zur Unterrichtserteilung durch Privatlehrer zu beurteilenden Sachverhalten hatte es sich bei den Stpfl. jeweils um Einzelunternehmer gehandelt. Auch sprachlich legte für den BFH der Begriff des „Lehrers“ nahe, dass es sich um eine natürliche Person handelt. Andererseits verbiete es der Neutralitätsgrundsatz, der bei der Anwendung der in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Befreiungstatbestände zu beachten ist, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleiche Umsätze bewirken, bei der Steuererhebung unterschiedlich behandelt werden. Sollten die Fragen 2 und 3 zu verneinen sein, fragte der BFH schließlich, ob ein Unterrichtender immer dann bereits als „Privatlehrer“ iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL tätig wird, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt, oder ob an das Merkmal „Privatlehrer“ weitere Anforderungen zu stellen sind. Die MwStSystRL definiert den Begriff des Privatlehrers nicht. Aus ihm ergibt sich lediglich, dass eine befreite Unterrichtstätigkeit „privat“ ausgeübt werden muss.44 Der EuGH hatte hierzu entschieden, dass Schul- oder Hochschulunterricht dann iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL von „Privatlehrern erteilt“ wird, wenn die Lehrer dabei für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln und zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen der Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht.45 Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze hatte die Klägerin nach Auffassung des BFH den Fahrschulunterricht „als Privatlehrer erteilt“, weil sie auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelte und der konkrete Inhalt des von ihr erteilten Unter43 EuGH v. 28.7.2016 – C-543/14 (Ordre des barreaux francophones und germanophone ua.), HFR 2016, 844 = UR 2016, 634; v. 17.6.2010 – C-492/08 (Kommission/Frankreich), BFH/NV 2010, 1594 = UR 2010, 662. 44 Vgl. BFH v. 18.11.2015 – XI B 61/15, BFH/NV 2016, 435. 45 EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592.

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richts in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Qualifikationen stand. Dem Merkmal „Privatlehrer“ stand nach Auffassung des BFH auch nicht entgegen, wenn die Unterrichtseinheiten, insbes. die theoretischen, mehreren Fahrschülern gleichzeitig erteilt worden sein sollten, denn durch die Rspr. sei geklärt, dass es der Anerkennung einer Tätigkeit als Privatlehrer nicht entgegensteht, wenn der Unterrichtende mehreren Personen gleichzeitig Unterricht erteilt.46 Es sei auch nicht entscheidungserheblich, ob die der Unterrichtserteilung zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen unmittelbar mit den Fahrschülern oder mit Dritten (zB mit deren Eltern) bestanden haben. Der BFH hatte aber Zweifel, ob es mit der in der Überschrift des Kap. 2 MwStSystRL zum Ausdruck kommenden Zielsetzung der „Steuerbefreiung für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“ in Einklang steht, dass nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL jegliche Aus- und Fortbildung befreit ist, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat und die von Unterrichtenden erteilt wird, die für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln. Die Frage, ob der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL Fahrunterricht umfasst, der im Hinblick auf den Erwerb der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1 iSd. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 erteilt wird, hat der EuGH verneint.47 Damit musste er die übrigen Fragen des BFH nicht mehr beantworten. Der EuGH nimmt Bezug auf seine stRspr., wonach sich der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ nicht auf Unterricht beschränkt, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt, sondern dass er andere Tätigkeiten einschließt, bei denen die Unterweisung in Schulen und Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studenten zu entwickeln, sofern diese Tätigkeiten nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben.48 Davon ausgehend können Tätigkeiten, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung haben, vom Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts erfasst werden, wenn die Unterweisung in Schulen oder Hoch46 EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592. 47 EuGH v. 14.3.2019 – C-449/17 (A & G Fahrschul-Akademie), HFR 2019, 544 = UR 2019, 294. 48 Vgl. EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174.

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schulen erfolgt. Der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL umfasst somit Tätigkeiten, die sich sowohl wegen ihrer spezifischen Art als auch aufgrund des Rahmens, in dem sie ausgeübt werden, abheben.49 Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber, so der EuGH, mit diesem Begriff auf einen bestimmten Typus von Unterrichtssystem abstellen wollte, der allen Mitgliedstaaten unabhängig von den jeweiligen Besonderheiten der nationalen Systeme gemeinsam ist. Für die Zwecke der MwSt. verweist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts daher allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen. Vor diesem Hintergrund bleibt der Fahrunterricht in einer Fahrschule wie im Streitfall, auch wenn er sich auf verschiedene Kenntnisse praktischer und theoretischer Art bezieht, gleichwohl ein spezialisierter Unterricht, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt. Der EuGH hat das Gebot einer eher engen Auslegung des Begriffs des Schul- und Hochschulunterrichts bestätigt. Klar ist, dass Unterricht, der allein der Freizeitgestaltung dient, nicht unter den Befreiungstatbestand fällt. Auch ist die Befreiung nicht nur auf Angebote anwendbar, die zu einem Berufsabschluss führen. Dennoch gibt es zahllose Unterrichtsangebote, die einen gewissen Nutzen für die Teilnehmer haben, ohne eine bestimmte Qualifikation zu vermitteln. Inwieweit Kurse als bloße Freizeitaktivität angesehen werden und daher nicht befreit sind, kann kaum von der subjektiven Einschätzung des Betroffenen abhängen. Der Ausschluss von reinen Freizeitangeboten, wie der EuGH im Urteil Haderer feststellt,50 erlaubt nach dem vorliegenden Urteil jedenfalls keinen Umkehrschluss in dem Sinne, dass jeder andere Unterricht als „Schul- und Hochschulunterricht“ iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL anzusehen ist. Ansonsten wäre ein Ausufern der Steuer49 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587. 50 EuGH v. 14.6.2007 – C-445/05 (Haderer), BFH/NV 2007, Beil. 4, 394 = UR 2007, 592.

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befreiung zu befürchten, da praktisch jeder Unterricht über die bloße Freizeitgestaltung hinaus einer Berufsausübung irgendwie dienlich sein könnte. Dies widerspräche dem Gebot, Befreiungen als Ausnahme eng auszulegen. Das vorliegende Urteil zeigt, dass andere objektive Kriterien für die Abgrenzung der befreiten von den nicht befreiten Unterrichtsleistungen gelten müssen. Wenn man die verschiedenen Fallgruppen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in ihrer Gesamtheit betrachtet, wird deutlich, dass der Unionsgesetzgeber die Leistungen des staatlichen Bildungssystems vor Augen hatte. So wird der Begriff „Unterricht“ nicht als allgemeiner Oberbegriff genannt. Vielmehr wird Schul- und Hochschulunterricht aufgeführt – dies im Kontext mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen und der beruflichen Aus- und Fortbildung. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL stellt dabei in erster Linie auf die Leistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts ab, denen entsprechende Bildungsaufgaben übertragen worden sind. Andere Einrichtungen werden ihnen gleichgestellt, wenn sie eine vergleichbare Zielsetzung verfolgen. Damit wird das Angebot des öffentlich-rechtlichen Bildungssystems zum Leitbild des Befreiungstatbestands. Dies steht im Einklang mit der Gemeinwohlorientierung aller Befreiungen nach Art. 132 MwStSystRL. Die Ausgestaltung des Bildungssystems und der Unterrichtsinhalte obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten. Der EuGH hat vorliegend nochmals bestätigt, dass der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts einen autonomen unionsrechtlichen Begriff darstellt, der in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen ist, und nicht vom konkreten nationalen Unterrichtssystem oder nationalen Recht abhängen kann. Bei der autonomen Auslegung kann jedoch das gemeinsame Grundverständnis aller Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. Öffentliche Bildungseinrichtungen im Bereich des Schul- und Hochschulunterrichts erfüllen danach den staatlichen Auftrag, für die Allgemeinheit geeignete Bildungsangebote bereitzustellen. Unter „Schulunterricht“ kann demnach der Unterricht für Schüler an allgemeinbildenden öffentlichen Schulen zu verstehen sein. Zu den allgemeinbildenden Schulen gehören insbes. Vorschulen, Grundschulen, Haupt- und Mittelschulen, Gesamtschulen und Gymnasien. „Hochschulunterricht“ muss sich an Studierende an einer Hochschule richten. Private Schulen oder Hochschulen stehen den staatlichen Einrichtungen gleich, wenn Sie vergleichbaren allgemeinbildenden Unterricht anbieten und staatlich anerkannt sind.

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Neben dem Schul- oder Hochschulunterricht selbst sind auch Unterrichtsleistungen steuerbefreit, die diesen unmittelbar fördern oder ergänzen. Daher zählen zB auch Nachhilfeunterricht für Schüler oder Repetitorien für Studenten zu den begünstigten Leistungen. Nicht begünstigt sind dagegen sonstige Bildungsleistungen im Privatsektor wie zB Tanzoder Sportkurse, die keinen unmittelbaren und konkreten Bezug zu dem Unterrichtsstoff haben, der an den Schulen und Hochschulen vermittelt wird. Es genügt zudem nicht, dass derartige Unterrichtsangebote einer späteren Berufsausübung irgendwie dienlich sein könnten. Die bloße Möglichkeit, dass einzelne Schüler zB eines Yogakurses später einmal eine Berufsausbildung zum Yogalehrer aufnehmen könnten, führt etwa nicht dazu, den Yogaunterricht als „Schul- und Hochschulunterricht“ zu bewerten. Auch als Aus- und Fortbildung lassen sich solche Angebote nicht qualifizieren, wenn der Bezug zu einer späteren beruflichen Tätigkeit zu vage und zu ungewiss ist. Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Ziele des einzelnen Kursteilnehmers an, sondern auf eine objektive Betrachtung. Danach wird ein normaler Sportkurs im Allgemeinen nicht zum Zweck der späteren beruflichen Nutzung des Erlernten belegt, sondern als Freizeitaktivität.

7. EuGH v. 7.10.2019 – C-47/19 (FA Hamburg-BarmbekUhlenhorst) – Surf- und Segelunterricht Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg ging es um eine etwaige Steuerbefreiung für den Betrieb von Surf- und Segelschulen. Zu diesem Zweck beschäftigte der Unternehmer mehrere Surf- und Segellehrer und unterrichte außerdem einen Teil der Kurse selbst. In den Streitjahren erzielte er Umsätze aus Surf- und Katamarankursen, der Verköstigung und Unterbringung von Kursteilnehmern und anderen Personen, der Schulung von Urlaubern, dem Verleih und Verkauf von Surfartikeln in seinen Shops und dem Verkauf im Internethandel. Hinsichtlich seiner als umsatzsteuerfrei erklärten Kurse berief er sich teilweise auf Art. 132 Buchst. h, i und j MwStSystRL. Mit Beschluss vom 14.12.2018 hatte das FG Hamburg dem EuGH insgesamt fünf Fragen vorgelegt: 1. Umfasst der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL auch Surf- und Segelunterricht? Ist es ausreichend, wenn ein solcher Unterricht in mindestens einer Schule oder Hochschule des Mitgliedstaates angeboten wird?

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2. Ist es für die Annahme eines Schul- oder Hochschulunterrichts iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL erforderlich, dass der Unterricht in die Benotung eingeht, oder ist es ausreichend, wenn der Surf- oder Segelkurs im Rahmen einer Veranstaltung der Schule oder Hochschule erfolgt, etwa einer Klassenreise? 3. Kann sich die Anerkennung einer Surf- und Segelschule als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL aus den Regelungen des Schul- oder Hochschulrechts ergeben, wonach auch externe Surf- oder Segelkurse Teil des Sportunterrichts oder der Hochschulausbildung von Sportlehrern mit einer Benotung oder einem anderen Leistungsnachweis sind, und/oder einem Gemeinwohlinteresse an sportlicher Betätigung? Ist für eine solche Anerkennung eine unmittelbare oder mittelbare Kostenübernahme durch die Schule oder die Hochschule für die Kurse erforderlich? 4. Stellen Surf- oder Segelkurse im Rahmen einer Klassenreise eine eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene Dienstleistung iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL dar; wenn ja, ist dafür eine bestimmte Dauer der Betreuung erforderlich? 5. Setzt die Formulierung „von Privatlehrern erteilter Schul- und Hochschulunterricht“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL voraus, dass der Stpfl. den Unterricht persönlich erteilt? Der EuGH hat nach Maßgabe des Art. 99 seiner Verfahrensordnung durch Beschluss entschieden, da die Antwort auf die vorgelegten Fragen seiner Auffassung nach klar aus der bisherigen Rspr. des EuGH und insbes. aus dem Urteil v. 14.3.201951 (A & G Fahrschul-Akademie, C-449/17) abgeleitet werden könne.52 Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rspr.53 gelangt der EuGH vorliegend zu der Feststellung, dass der Surf- und Segelunterricht in Schulen die Vermittlung verschiedener praktischer und theoretischer Kenntnisse beinhalte, aber gleichwohl ein spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht bleibe, der für sich allein nicht der für 51 EuGH v. 14.3.2019 – C-449/17 (A & G Fahrschul-Akademie), HFR 2019, 544 = UR 2019, 294. 52 EuGH v. 7.10.2019 – C-47/19 (FA Hamburg-Barmbek-Uhlenhorst), UR 2019, 892. 53 Vgl. EuGH v. 14.6.2007 – C-434/05 (Horizon College), BFH/NV 2007, Beil. 4, 389 = UR 2007, 587; v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 174; v. 4.5.2017 – C-699/15 (Brockenhurst College), BFH/NV 2017, 1005 = UR 2017, 435; v. 14.3.2019 – C-449/17 (A & G Fahrschul-Akademie), HFR 2019, 544 = UR 2019, 294.

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den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkomme. Bezüglich der ersten und zweiten Vorlagefrage des FG Hamburg antwortet der EuGH, dass der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er von Surf- und Segelschulen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen durchgeführten Surf- und Segelunterricht für Schulen oder Universitäten, bei denen dieser Unterricht zum Sportprogramm bzw. zur Ausbildung von Sportlehrern gehören und in die Notenbildung eingehen kann, nicht umfasst. Die dritte Vorlagefrage des FG brauchte der EuGH daher nicht zu beantworten. Ferner seien die Leistungen des Surf- und Segelunterrichts auch nicht als „eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung“ iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL verbunden, da diese Leistungen eher in der Vermittlung einer Reihe praktischer und theoretischer Kompetenzen zwecks Ausübung einer sportlichen Tätigkeit bestünden. Darüber hinaus sei auch nicht erkennbar, dass der Unternehmer als Einrichtung von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannt sei. So hat der EuGH auf die vierte Vorlagefrage geantwortet, dass der Begriff „eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundene“ Dienstleistungen iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er Surf- und Segelunterricht, der von Surf- und Segelschulen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen durchgeführt wird, unabhängig davon, ob dieser Unterricht im Rahmen einer Schulfahrt durchgeführt wird, nicht umfasst. Vor diesem Hintergrund brauchte der EuGH die fünfte Vorlagefrage (Eingrenzung des Begriffs des Privatlehrers iSv. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL) ebenfalls nicht zu beantworten.

V. Zweiter Anlauf einer Reform mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften 1. Zielsetzung Mit dem Gesetzentwurf 54 war erneut vorgesehen, die Steuerbefreiung für Bildungsleistungen (§ 4 Nr. 21 und Nr. 22 UStG) zu reformieren. 54 BR-Drucks. 356/19; BT-Drucks. 19/13436.

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2. § 4 Nr. 21 UStG nach dem Referentenentwurf a) Regelungsvorschlag Nach dem Referentenentwurf des BMF v. 8.5.2019 sollte § 4 Nr. 21 UStG mit Wirkung v. 1.1.2020 wie folgt neu gefasst werden: „21. a) Schul- und Hochschulunterricht, Ausbildung und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen, die durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, erbracht werden. 2Leistungen nach Satz 1 sind auch steuerfrei, wenn sie von anderen Einrichtungen erbracht werden, deren Zielsetzung mit der einer Bildungseinrichtung des öffentlichen Rechts vergleichbar ist. 3Einrichtungen im Sinne des Satzes 2 sind Einrichtungen, die in ihrer Gesamtheit darauf ausgerichtet sind, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die geeignet sind, einen Schul- und Hochschulabschluss oder einen Berufsabschluss zu erwerben oder berufliche Kenntnisse durch Fortbildung zu erhalten oder zu erweitern. 4Schulund Hochschulunterricht umfasst die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen je nach Fortschritt und Spezialisierung der Schüler und Studierenden. 5Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung umfassen Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. 6Die Dauer des Unterrichts oder der Schulungsmaßnahme ist unerheblich. 7Fortbildung ist nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen erbracht wird, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden, b) Unterrichtseinheiten, die von einem Privatlehrer persönlich erteilt werden. 2Die Sätze 4 bis 6 des Buchstaben a gelten entsprechend. 2Nicht

befreit sind Leistungen, die nach ihrer Zielsetzung der reinen Freizeitgestaltung dienen. 3Für die in den Nummern 15b und 15c bezeichneten Leistungen kommt die Steuerbefreiung nur unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht;“.

Durch die Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG sollte die Terminologie des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL, die nach der EuGH-Rspr. kein gemeinsames System bilden, in das nationale Umsatzsteuerrecht übernommen. Außerdem sollte die Steuerbefreiungsvorschrift an die entsprechende EuGH-Rspr. angepasst werden (vgl. zur Begründung die nachstehenden Ausführungen unter b) bis m)).

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b) Einrichtungen des öffentlichen Rechts § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a UStG befreit (entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst i MwStSystRL) Schul- und Hochschulunterricht, Ausbildung und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen, wenn sie durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder durch andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Die ebenfalls unter Art. 132 Abs. 1 Buchst i MwStSystRL fallende Erziehung von Kindern und Jugendlichen wird von § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG erfasst. Zu den Einrichtungen des öffentlichen Rechts iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1 UStG, die mit den vg. Bildungsaufgaben betraut sind, gehören zB öffentliche allgemeinbildende oder berufsbildende Schulen, öffentliche Hochschulen, Volkshochschulen, wenn diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisiert sind, oder berufsständische Kammern. c) Private Einrichtungen Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG werden die Leistungen privater Einrichtungen befreit, wenn deren Zielsetzung mit der einer Bildungseinrichtung des öffentlichen Rechts vergleichbar ist. Davon ist auszugehen, wenn die Einrichtung in der Gesamtheit ihrer unternehmerischen Zielsetzung darauf ausgerichtet ist, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die geeignet sind, einen Schul- und Hochschulabschluss oder einen Berufsabschluss zu erwerben oder berufliche Kenntnisse durch Fortbildung zu erhalten oder zu erweitern. Diese Betrachtung entspricht der Rspr. des EuGH, wonach dieser untersagt, allgemein sämtliche Bildungsdienstleistungen zu befreien, ohne dass die Zielsetzung nicht öffentlicher Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, berücksichtigt wird. Hersteller- oder Vertriebsunternehmen, die lediglich den Absatz ihrer Produkte durch entsprechende Schulungen fördern (ua. Einweisungen zu Software und Maschinen), gehören nicht zu den Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung. Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung in diesem Sinne sind: –

Im Bereich des Schul- und Hochschulunterrichts zB Ersatzschulen, die gem. Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind, nach den Schulgesetzen der Länder anerkannte Ergänzungsschulen sowie Hochschulen iS der Hochschulgesetze der Län-

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der, soweit es sich nicht um Einrichtungen des öffentlichen Rechts handelt; ebenso Einrichtungen zur Erteilung von Nachhilfeunterricht für Schüler und Repetitorien, die Studierende auf akademische Prüfungen vorbereiten. Außerdem können zu den Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung solche Einrichtungen gehören, die unterrichtsergänzende Veranstaltungen an allgemeinbildenden Schulen, zB im Rahmen einer Ganztagsschule, erbringen, sofern die Schüler an diesen Veranstaltungen im Rahmen einer schulgesetzlichen Verpflichtung verbindlich teilnehmen. –

Im Bereich der Ausbildung, der Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung zB Ergänzungsschulen, deren Betrieb nach Landesrecht anzuzeigen ist, und andere Bildungseinrichtungen, die in ihrer Gesamtheit unmittelbar der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit dienen. Der Unterricht dieser Einrichtungen kann sowohl zu den im Berufsbildungsgesetz, in der Handwerksordnung, im Seemannsgesetz und den in den Gesetzen der Länder geregelten Ausbildungsberufen wie auch zu den nicht staatlich geregelten Berufen – ua. im Bereich der künstlerischen Berufe – erteilt werden. Zu diesen Einrichtungen können mithin zB Heilpraktikerschulen, Bildungseinrichtungen für nichtärztliche Heilberufe nach Art. 74 Nr. 19 GG (ua. Logopäden, Podologen, technische Assistenten der Medizin), anerkannte Weiterbildungsstätten (v.a. nach den Gesetzen zur Weiterbildung einschließlich der Gesetze zur Weiterbildung in den Gesundheitsfachberufen), Volkshochschulen in privatrechtlicher Organisation, Fernlehrinstitute, sowie Musik- und Ballettschulen, die auf die Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule oder Hochschule für Musik, klassischen Tanz und Ballett vorbereiten, oder Einrichtungen, die Unterricht zum Erlernen des Umgangs mit Computern erteilen, gehören.

Einrichtungen, die Lehrkräfte ausbilden, können nur dann Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung sein, wenn sie den Teilnehmern insbes. auch Kenntnisse und Fähigkeiten der Didaktik und Methodik (Unterrichtslehre), der Pädagogik und Lernpsychologie, sowie hinsichtlich der berufsbezogenen Rechtsvorschriften – wie ua. jener zum Schutz von Kindern und Jugendlichen – in der berufsbezogen erforderlichen Tiefe vermitteln.

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d) Selbständige Lehrer Nach gefestigter Rspr. des EuGH zu Art. 132 MwStSystRL umfasst der Begriff „Einrichtungen“ auch natürliche Personen, Personenzusammenschlüsse und Gesellschaften mit Gewinnerzielungsabsicht. Zu den anderen Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung gehören daher auch selbständige Lehrer, die ihrerseits als freie Mitarbeiter Unterrichtsleistungen an Schulen, Hochschulen oder anderen Bildungseinrichtungen iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1–3 UStG erbringen. Da es für den Begriff der „Einrichtung“ auf die Rechtsform des Unternehmers nicht ankommt, sind auch Personenzusammenschlüsse oder juristische Personen, die mit ihren Mitarbeitern an anderen Bildungseinrichtungen Unterricht erteilen, als „selbständige Lehrer“ in diesem Sinne anzusehen. Umsatzsteuerfrei sind nicht nur die vom selbständigen Lehrer selbst oder von seinen Arbeitnehmern erbrachten Unterrichtsleistungen an den besagten Bildungseinrichtungen, sondern auch die Unterrichtsleistungen, die der selbständige Lehrer seinerseits durch beauftragte selbständige Dozenten erbringen lässt. e) Keine Bescheinigung Für die Steuerfreiheit der Bildungsleistungen nicht öffentlicher Bildungseinrichtungen ist eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nicht mehr erforderlich. Die Finanzbehörden prüfen das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale in eigener Zuständigkeit. Durch die Abschaffung des Bescheinigungsverfahrens entfällt die bislang mit der Rückwirkung bzw. rückwirkenden Durchsetzung von Bescheinigungen verbundene Problematik. Der Unternehmer hat für die Anerkennung der Steuerfreiheit seiner Bildungsleistungen nur noch mit einem Ansprechpartner – der für ihn zuständigen Finanzbehörde – zu tun. Auch entfällt der „doppelte Rechtsweg“ in Form der Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits, soweit es um die Bescheinigung geht, sowie in Form der Finanzgerichtsbarkeit andererseits, soweit die Steuerpflicht im Übrigen betroffen ist. f) Nachweis Gleichwohl hat eine an einer anderen Bildungseinrichtung tätige Lehrkraft in geeigneter Weise nachzuweisen, dass sie an einer Schule, Hochschule oder anderen Bildungseinrichtung iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1–3 UStG tätig ist. Dieser Nachweis ist an keine besondere Form gebunden und kann – wie bereits bisher – durch eine Bestätigung der Bil652

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dungseinrichtung geführt werden, aus der sich ergibt, dass diese die Voraussetzungen erfüllt und mit den Unterrichtsleistungen des selbständigen Lehrers ihrerseits Leistungen erbringt, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 4–7 UStG steuerfrei sind. Eine solche Bestätigung der anderen Bildungseinrichtung ist kein Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 iVm. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO. g) Umfang der Steuerbefreiung Der Umfang der nach § 4 Nr. 21 UStG begünstigten Bildungsleistungen bestimmt sich nach folgenden Grundsätzen: Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts stellt nach unionsrechtlicher Auslegung auf einen bestimmten Typus von Unterrichtssystem ab, der allen Mitgliedstaaten unabhängig von den jeweiligen Besonderheiten der nationalen Systeme gemeinsam ist. Danach verweist der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 4 UStG allgemein auf ein integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum an Stoffen und die Vermittlung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten an die Schüler und Studenten je nach ihrem Fortschritt und ihrer Spezialisierung auf den verschiedenen dieses System bildenden Stufen. Der Schulund Hochschulunterricht beschränkt sich nicht auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung zur Erlangung einer Qualifikation führt oder eine Ausbildung im Hinblick auf eine Berufstätigkeit vermittelt, sondern schließt auch Tätigkeiten ein, bei denen die Unterweisung in Schulen oder Hochschulen erteilt wird, um die Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler oder Studierenden zu entwickeln. Ein direkter Bezug zu einem Beruf ist nicht erforderlich. Umfasst sind auch Leistungen, mit denen auf die Wahl eines Berufs vorbereitet bzw. die berufliche Orientierung unterstützt werden soll (zB Bewerbungstrainings oder Potenzialchecks, mit denen Schüler befähigt werden, Kenntnisse über ihre Kompetenzen und Interessen zielorientiert bei der Berufswahl einzusetzen). Dienstleistungen der Ausbildung, Fortbildung oder der beruflichen Umschulung iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 5 UStG umfassen Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen. Die im Rahmen solcher Schulungsmaßnahmen vermittelten speziellen Kenntnisse und Fertigkeiten müssen objektiv zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sein. Daher sind auch Lehrgänge zur Ausbildung für die Fahr653

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erlaubnis der Klassen C, CE, D, DE D1, D1E, T und L als Dienstleistungen im Bereich Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung anzusehen. Davon abzugrenzen ist hingegen Fahrschulunterricht in einer Fahrschule zum Erwerb der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Klassen B und C1. Dieser ist auch nicht als Schul- und Hochschulunterricht anzusehen, da es sich um einen spezialisierten Unterricht handelt, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt. Im Bereich des sogenannten Coachings oder der sogenannten Supervision sind von den beruflichen Bildungsleistungen die nicht unter diese Norm fallenden Leistungen in der Art einer Unternehmensberatung abzugrenzen, die nicht im engeren Sinne der Bildung der Adressaten, sondern der Verbesserung der Betriebsführung dienen. Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 6 UStG ist die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung für eine eventuelle Befreiung unerheblich. Eine steuerfreie Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung kann somit auch im Rahmen von Tagesveranstaltungen oder Vortragsreihen erfolgen. Im Hinblick auf die Leistungen selbständiger Lehrer bedeutet dies, dass auch einzelne Vorträge, die evtl. Bestandteil eines Tages- bzw. Kurz-Seminars sind, unter den übrigen Voraussetzungen unter die Steuerbefreiung fallen können. Für den Begriff der einzelnen Bildungsleistungen iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 4–7 UStG kommt es jeweils nicht auf die Ziele der Personen an, die diese in Anspruch nehmen. Unerheblich ist deshalb, inwieweit die einzelnen Personen, an die die Leistungen der Einrichtung erbracht werden, tatsächlich jeweils einen Schul- und Hochschulabschluss erreichen wollen oder die Leistungen tatsächlich jeweils der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung dieser Personen dienen. Entscheidend ist die Art der erbrachten Leistung und ihre objektive Eignung, die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Zum Bestandteil der Bildungsleistung gehören auch diejenigen Elemente, die den organisatorischen Rahmen der Einrichtung ausmachen, in der der Unterricht erteilt wird, wie zum Beispiel die Prüfungstätigkeit.

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h) Einrichtungen ohne systematisches Gewinnstreben – Leistungen der Fortbildung Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 7 UStG sind Leistungen der Fortbildung nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen erbracht werden, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden. Diese Einschränkung beruht auf Art. 133 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL. Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich um eine Einrichtung handelt, die keine systematische Gewinnerzielung anstrebt, sind sämtliche Tätigkeiten dieses Unternehmers zu berücksichtigen. Die Einrichtung darf im Gegensatz zum Zweck eines gewerblichen Unternehmens nicht darauf gerichtet sein, für ihre Beteiligten Gewinne zu erzielen. Eine Einrichtung ohne Gewinnstreben kann jedoch dann vorliegen, wenn sie systematisch danach strebt, Überschüsse zu erwirtschaften, die sie anschließend für die Durchführung ihrer Leistungen verwendet, und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnimmt oder an Mitglieder oder Gesellschafter verteilt. Zur Anwendung des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 7 UStG ist es erforderlich, die Leistungen der Ausbildung und beruflichen Umschulung von denjenigen der Fortbildung abzugrenzen. Zu den Leistungen der Ausbildung und beruflichen Umschulung zählen Leistungsangebote (Lehrgänge, Kurse uÄ), die jeweils für sich genommen zum Erwerb von Kenntnissen führen, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen bzw. einen Berufswechsel vorbereiten. Demgegenüber sind Leistungen der Fortbildung solche, die Kenntnisse in einem bereits erlernten oder ausgeübten Beruf vertiefen oder der allgemeinen Qualifizierung für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit dienen, wie zB IT-Schulungen, Computer-Anwenderkurse, Sprachkurse, Kommunikationsseminare uÄ. i) eng verbundene Leistungen Neben den begünstigten Bildungsleistungen sind auch die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen befreit. Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen sind dann als mit der Bildungsleistung „eng verbunden“ anzusehen, wenn sie tatsächlich als eigenständige Leistungen zur Bildungsleistung erbracht werden.

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Außerdem müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: –

sowohl die Bildungsleistung als auch der damit eng verbundene Umsatz müssen von einer begünstigten Lehreinrichtung erbracht werden;



der eng verbundene Umsatz muss zur Ausübung der Bildungsleistung unerlässlich sein; das ist dann der Fall, wenn der eng verbundene Umsatz von solcher Art und Qualität ist, dass ohne Rückgriff auf ihn eine Gleichwertigkeit der Bildungsleistung nicht gewährleistet ist;



der eng verbundene Umsatz darf nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, der Einrichtung, die diesen Umsatz ausführt, zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb zu steuerpflichtigen Tätigkeiten gewerblicher Unternehmen stehen; als Nachweis dafür, dass die betreffende Tätigkeit nicht der Erzielung zusätzlicher Einnahmen dient, reicht es nicht aus, wenn die Einrichtung als Gegenleistung für den eng verbundenen Umsatz lediglich eine Kostenerstattung verlangt.

Ein eng verbundener Umsatz kann zB die Gestellung einer Lehrkraft durch eine Lehreinrichtung zur vorübergehenden Unterrichtserteilung an eine andere Lehreinrichtung sein. j) Nicht eng verbundene Leistungen Nicht als eng mit dem Hochschulunterricht verbundene Dienstleistung ist zB die entgeltliche Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen anzusehen, da sie für den Hochschulunterricht nur nützlich, nicht aber unverzichtbar ist. Auch zB die Verpflegung von Seminarteilnehmern im Allgemeinen ist grundsätzlich nicht als mit der Aus- oder Fortbildung eng verbundene Dienstleistung oder als Nebenleistung zur Aus- oder Fortbildung steuerfrei. Bei der Verpflegung von Seminarteilnehmern handelt es sich nicht um eine für die Aus- oder Fortbildung unerlässliche Leistung, sondern um eine hierfür nur nützliche Maßnahme, die vorrangig dazu dient, den Komfort und das Wohlbefinden bei der Inanspruchnahme der Bildungsmaßnahme zu steigern. Davon abzugrenzen ist eine Leistung, die für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten oder in Anspruch zu nehmen.55 Unselbstständige Nebenleistungen, 55 Vgl. Abschn. 3.10 UStAE.

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die das Schicksal der Hauptleistungen teilen, können Lieferungen von Lehr- und Lernmaterial sein. Eine Nebenleistung liegt dann vor, wenn das den Teilnehmern überlassene Lehr- und Lernmaterial inhaltlich den Unterricht ergänzt, zum Einsatz im Unterricht bestimmt und von dem die Bildungsleistung erbringenden Unternehmer selbst entworfen ist sowie bei Dritten nicht bezogen werden kann. k) Privatlehrer § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b UStG setzt Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL um. Der unionsrechtliche Begriff des Privatlehrers und somit auch nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b UStG umfasst nur natürliche Personen. Der Begriff des Privatlehrers erfordert, dass der Lehrer in eigener Person, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung Unterrichtsleistungen erbringt. Ein Privatlehrer gestaltet und organisiert selbst die Unterrichtseinheiten. Hierzu kann zB Privatunterricht gehören, bei dem zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen des Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht. Der Unterricht des Privatlehrers muss auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Schüler ausgerichtet sein. Typische Beispiele eines solchen Privatlehrers sind unter den genannten Voraussetzungen zB Nachhilfelehrer oder Musiklehrer. Der Unterricht des Privatlehrers darf sich mithin nicht darauf beschränken, den Unterricht losgelöst vom individuellen Förderbedarf der Unterrichteten nach einem mehr oder weniger festen Lehroder Unterrichtsplan durchzuführen. Auch Unterricht, der Gruppen von Einzelpersonen erteilt wird, kann unter den Begriff „Privatunterricht“ fallen, wenn dieser in dem geschilderten persönlichen Vertrauensverhältnis zu den Unterrichteten erfolgt. Privatunterricht in diesem Sinne kann somit zB auch in der Wohnung des Lehrers erteilt werden. Das Erfordernis, dass der Unterricht privat erteilt wird, setzt nicht unbedingt das Bestehen einer unmittelbaren Vertragsbeziehung zwischen den Teilnehmern und dem Unterrichtenden voraus. Eine solche Vertragsbeziehung besteht nämlich oft mit anderen Personen als den Teilnehmern, etwa mit den Eltern der Schüler oder Hochschüler; eine solche Vertragsbeziehung kann unter den übrigen Voraussetzungen auch zwischen dem Privatlehrer und dem Personal seines Auftraggebers bestehen.

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Der Begriff des Privatlehrers ist nicht erfüllt, wenn das Unternehmen organisatorische Strukturen aufweist, die denen eines Schulbetriebs ähnlich sind. Dies ist der Fall, wenn zB entsprechendes Personal und Sachmittel sowie Unterrichtsräume zur Verfügung stehen und beständig Lehrveranstaltungen angeboten werden. Demzufolge kommt für eine Einrichtung, in der sowohl der Inhaber als auch seine Mitarbeiter Unterricht erteilen, eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b UStG nicht in Betracht; und zwar auch nicht anteilig für den vom Inhaber selbst erteilten Unterricht. Eine solche Einrichtung kann nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a UStG befreit sein. Auch ein Lehrer, der im Verhinderungsfall Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung hat oder als Franchisenehmer kein eigenes Unterrichtskonzept entwickelt, kann mangels Tätigkeit für eigene Rechnung bzw. in eigener Verantwortung nicht als Privatlehrer angesehen werden. Das Gleiche gilt für selbstständige Lehrkräfte, die im Rahmen einer von einer dritten Einrichtung angebotenen Lehrveranstaltung Bildungsleistungen erbringen. Das Merkmal „privat“ beschreibt dem EuGH zufolge insoweit nicht die Person des Lehrers, sondern die Erteilungsform des Unterrichts. Ein Lehrer wird dann nicht privat tätig, wenn nicht er, sondern die Einrichtung, an der er Unterricht erteilt, die Unterrichtsleistungen an die Teilnehmer erbringt, d.h. als Leistender anzusehen ist. In diesem Fall kann nur die Einrichtung selbst als Trägerin einer Bildungsleistung angesehen werden. Der Begriff der von einem Privatlehrer persönlich erteilten Unterrichtseinheiten umfasst nicht allein den Schul- und Hochschulunterricht, sondern auch die Bereiche der Aus- und Fortbildung sowie der Umschulung. Da im Rahmen des § 4 Nr. 21 UStG die Begriffe zu den Bildungsleistungen einheitlich auszulegen sind, sind demzufolge nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b Satz 2 UStG die Sätze 4–6 des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a UStG auf die Leistungen von Privatlehrern entsprechend anzuwenden. Nicht befreit sind die mit der Unterrichtstätigkeit eng verbundenen Umsätze von Privatlehrern. l) Freizeitgestaltung Nicht umsatzsteuerfrei sind nach § 4 Nr. 21 Satz 2 UStG Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen. Maßgebend für die Beurteilung, ob eine Leistung vorliegt, die der reinen Freizeitgestaltung dient, ist die allgemeine Verkehrsauffassung. Eine reine Freizeitgestaltung kann vorlie658

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gen, wenn die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten nicht durch Vertiefung und Fortentwicklung zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit genutzt werden können. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer reinen Freizeitgestaltung können sich aus dem Teilnehmerkreis oder der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben. Auf reine Freizeitgestaltung können Kurse gerichtet sein, die Erwerb und Ausbau regelmäßig im Privatleben angewandter Kenntnisse und Fähigkeiten betreffen. Ist zB nach der Zielgruppe, an die sich das Leistungsangebot richtet, oder dem Teilnehmerkreis davon auszugehen, dass eine Leistung der reinen Freizeitgestaltung dient, vermögen auch einzelne beruflich ambitionierte Teilnehmer der Veranstaltung kein anderes Gepräge zu geben. Die bloße Möglichkeit, während einer Freizeitveranstaltung erlernte Fähigkeiten oder Kenntnisse auch beruflich nutzen zu können, nimmt einer solchen Veranstaltung nicht ihren Freizeitcharakter. Dies kann ua. Ski-, Segeloder Jagdschulen betreffen. Keine reine Freizeitgestaltung, sondern eine Bildungsleistung liegt nach allgemeiner Verkehrsauffassung vor, wenn die Kurse es dem Teilnehmer ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit zu nutzen. Dies gilt auch dann, wenn von dieser Möglichkeit tatsächlich nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen. Ob die erbrachten Unterrichtsleistungen den Charakter einer bloßen Freizeitgestaltung haben, kann im Übrigen nur im Einzelfall entschieden werden. m) Arbeitsförderung/Teilhabe am Arbeitsleben Für die in § 4 Nr. 15b UStG bezeichneten Leistungen der aktiven Arbeitsförderung und die in § 4 Nr. 15c UStG bezeichneten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben kommt nach § 4 Nr. 21 Satz 3 UStG die Steuerbefreiung nur unter den dort genannten Voraussetzungen in Betracht. n) Abschließende Hinweise aa) Zusammenfassende Einordnung Der Referentenentwurf baut offensichtlich auf der mit dem Entwurf eines JStG 2013 geplanten Reform auf. Im Ergebnis soll der Anwendungsbereich der Umsatzsteuerbefreiung bei Bildungsleistungen deutlich ausgeweitet werden. Hierdurch kann die bisherige Steuerpflicht auch bei gewerblichen Einrichtungen (zB Seminaranbietern) entfallen, deren Leistungen geeignet sind, den Teilnehmern spezielle Kenntnisse und Fähig659

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keiten zu vermitteln. Die wirtschaftsnahen Weiterbildungseinrichtungen erbringen ihre Dienstleistungen idR für Unternehmen, die ihre Bildungsprodukte aussuchen und einkaufen. Das einkaufende Unternehmen ist der eigentliche Vertragspartner, der Teilnehmer bei offenen Seminaren ist regelmäßig im Auftrag seines Arbeitgebers anwesend, der die Kosten der Weiterbildungsmaßnahme trägt. Die jeweilige Bildungseinrichtung (zB ein gewerblicher Seminaranbieter) würde nach dem vorliegenden Gesetzentwurf grds. keine Möglichkeit mehr haben, auf Eingangsleistungen, die in direktem Zusammenhang mit steuerfreien Bildungsleistungen stehen (Anmietung des Seminarraums im Tagungshotel), einen Vorsteuerabzug geltend zu machen. Damit könnten sich Fortbildungsmaßnahmen, die von Unternehmen für das Unternehmen eingekauft werden, durch den „versteckten“ Umsatzsteueranteil verteuern. Die Verpflegung der Teilnehmer während einer Bildungsveranstaltung soll allerdings kein eng damit verbundener Umsatz und deshalb steuerpflichtig sein. Insoweit ergeben sich aber neue Abgrenzungsfragen bzw. ggf. die Notwendigkeit der Aufteilung der Entgelte in einen steuerfreien und steuerpflichtigen Leistungsanteil. Im Bereich der Fortbildungsmaßnahmen kann weiterhin die Steuerpflicht der Leistungen in Betracht kommen, wenn die Bildungsleistung systematisch Gewinnerzielung anstrebt, also ein gewerblicher Seminaranbieter ist. Mit der Neufassung von § 4 Nr. 21 UStG will man (so die Gesetzesbegründung) die Terminologie der Buchst. i und j des Art. 132 Abs. 1 MwStSystRL, die nach der EuGH-Rspr. kein gemeinsames System bilden, in das nationale Umsatzsteuerrecht übernehmen. Auch soll § 4 Nr. 21 UStG an die Rspr. des EuGH angepasst werden. bb) Folgen? Was bedeuten diese Bestimmungen für gewerbliche und andere Seminarveranstalter, zB im Bereich des Steuerrechts? Seminarangebote im Steuerrecht, zB über aktuelle Entwicklungen auf einem bestimmten Steuerrechtsgebiet, dürften regelmäßig unter den Begriff der Fortbildung fallen, wenn Kenntnisse in einem bereits erlernten oder ausgeübten Beruf vertieft werden oder der allgemeinen Qualifizierung für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit dienen. Diese Leistungen wären grds. steuerfrei.

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Speziell im Bereich der Fortbildung kann aber weiterhin die Steuerpflicht der Leistungen in Betracht kommen, wenn die Bildungseinrichtung systematisch Gewinnerzielung anstrebt, also zB ein gewerblicher Seminaranbieter ist. Insoweit kommt es also auf den Status des Seminaranbieters und seine allgemeine unternehmerische/gewerbliche Ausrichtung an. Entsprechende Leistungen von zB Vereinen wären weiterhin steuerfrei, wenn keine Gewinnerzielungsabsicht besteht und etwaige Gewinne in die Tätigkeit der Einrichtung reinvestiert werden. Einzelvorträge, die nur Teil eines (Gesamt-)Seminars sind, dürften keine begünstigten Unterrichtsleistungen iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL und damit auch nicht iSd. § 4 Nr. 21 UStG-E darstellen. Da Bildungseinrichtungen grds. keine Einzelvorträge erbringen, sondern ihre Bildungsleistungen mindestens in einem Tagesseminar anbieten, wäre eine nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erforderliche vergleichbare Zielsetzung mit anderen Einrichtungen, die lediglich Einzelvorträge erbringen, nicht gegeben. Zwar folgt die Neufassung von § 4 Nr. 21 UStG-E prinzipiell dem Ansatz des BFH-Urteils v. 7.10.201056, wonach Aus- und Fortbildung auch im Rahmen von Tagesveranstaltungen erfolgen kann. An der bisherigen (einengenden) Voraussetzung, dass „die (Unterrichts-) Tätigkeit, bei der Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen festliegender Lehrpläne vermittelt werden, regelmäßig und für eine gewisse Dauer ausgeübt werden muss“ hält § 4 Nr. 21 UStG-E aber nicht weiter fest. Dies allein dürfte aber noch nicht dazu führen, dass auch einzelne Vorträge unter die Steuerbefreiung fallen. Für den Begriff des „Schul- und Hochschulunterrichts“ iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL stellt der EuGH ab auf ein „integriertes System der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen sowie auf die Vertiefung und Entwicklung dieser Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Schüler und Studenten“. Dem EuGH zufolge ist deshalb „spezialisierter Unterricht“ wie zB Fahrschulunterricht nicht steuerfrei. Für die Steuerbefreiung genügt es auch nicht bereits, wenn der betreffende Unterricht „nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung“ hat, sondern die betreffende Unterweisung muss außerdem „in Schulen oder Hochschulen“ erfolgen. Bei dem „Typus von Unterrichtssystem“, auf den der Begriff „Schul- und Hochschulunterricht“ abstellt, handelt es sich um den Un-

56 BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011, 303 = UR 2011, 154.

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terricht im allgemeinen Bildungssystem der Mitgliedstaaten, das idR in „Grundschule, weiterführende Schule und Hochschule“ unterteilt ist.

3. § 4 Nr. 22 UStG nach dem Referentenentwurf § 4 Nr. 22 UStG sollte nach dem Referentenentwurf mit Wirkung v. 1.1.2020 wie folgt gefasst werden: „22. a) (weggefallen) b) kulturelle und sportliche Veranstaltungen, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, von Volkshochschulen oder von Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken dienen, durchgeführt werden, soweit das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht,“.

§ 4 Nr. 22 Buchst. a UStG in der bisherigen Fassung soll insgesamt in der Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG aufgehen. In § 4 Nr. 22 Buchst. b UStG werden die im bisherigen Buchst. a genannten Unternehmer, für die die Steuerbefreiung nach Buchst. b in Frage kommt, übernommen.

4. Regierungsentwurf Anders als im Referentenentwurf vorgesehen sollte die Steuerbefreiung nach dem neu konzipierten § 4 Nr. 21 UStG nicht ab 1.1.2020, sondern erst ab 1.1.2021 gelten. Die Fassung des § 4 Nr. 21 UStG ist im Wesentlichen unverändert geblieben. Statt des Wortlauts der im Referentenentwurf vorgesehenen Sätze 4–6 „Schul- und Hochschulunterricht umfasst die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen je nach Fortschritt und Spezialisierung der Schüler und Studierenden. Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung umfassen Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahme, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dient. Die Dauer des Unterrichts oder der Schulungsmaßnahme ist unerheblich.“

wird im Regierungsentwurf lediglich auf Art. 44 Satz 2 MwSt-DVO verwiesen „Die Begriffe Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung werden in Artikel 44 Satz 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 definiert.“

Auch die Neufassung von § 4 Nr. 22 UStG, die im Vergleich zum Referentenentwurf in Buchst. b der Vorschrift die Wendung „sofern das Entgelt in Teilnehmergebühren besteht“ (anstatt „soweit das Entgelt in Teilneh-

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mergebühren besteht“) erhält, soll erst am 1.1.2021 (und nicht schon am 1.1.2020) in Kraft treten. Das vorgesehene spätere Inkrafttreten der Neuregelung berücksichtigte offensichtlich insbes. die für das Jahr 2020 oft bereits abgeschlossenen Seminarplanungen. Die im Referentenentwurf noch enthaltene Einschränkung in § 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 3 UStG, wonach Bildungsleistungen iSd. § 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 1 UStG nur noch dann steuerfrei sind, wenn sie von Einrichtungen erbracht werden, „die in ihrer Gesamtheit darauf ausgerichtet sind, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die geeignet sind, … einen Berufsabschluss zu erwerben …“ ist im Regierungsentwurf so nicht mehr enthalten. Da unionsrechtlich für die Steuerbefreiung nur Voraussetzung ist, dass die Einrichtung ihrer Zielsetzung nach mit einer Bildungseinrichtung des öffentlichen Rechts vergleichbar sein muss, und diese Voraussetzung bereits in Satz 2 enthalten ist, konnte die in Satz 3 des Referentenentwurfs offenichtlich. als klarstellende Regelung angedachte Formulierung, wonach gewerbliche Unternehmer, die lediglich im Rahmen des Verkaufs von eigenen Waren Produktschulungen anbieten, nicht als Bildungsleistungsanbieter angesehen werden können, entfallen. Durch die beabsichtigte umfassende Umsetzung der maßgeblichen EUVorgaben in § 4 Nr. 21 und 23 UStG entfällt der Bedarf für die Befreiungsnorm des § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG, nach der bislang Vorträge, Kurse und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art ua. von Volkshochschulen und Berufsverbänden umsatzsteuerfrei sind, wenn die Einnahmen überwiegend zur Deckung der Kosten verwendet werden. Der Regelungsbereich des bisherigen § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG soll insgesamt in den Normbereichen des neuen § 4 Nr. 21 UStG (Schul- oder Hochschulunterricht, Ausbildung. Fortbildung oder Umschulung) bzw. des § 4 Nr. 23 UStG (Erziehung von Kindern und Jugendlichen) aufgehen. Auch der Umfang der bisher nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG befreiten Leistungen soll den unionsrechtlichen Vorgaben folgend – unabhängig von der Rechtsform zB der Volkshochschulen – gleich bleiben. Wie bisher sollen Veranstaltungen wissenschaftlicher oder belehrender Art, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schul- oder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung zu qualifizieren sind, von der Umsatzsteuer befreit sein. Künftig sollen sie von den geänderten § 4 Nr. 21 oder 23 UStG erfasst werden.

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Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts unter Berücksichtigung der neuesten Rspr. des EuGH umfasst die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Inhalten je nach Fortschritt und Spezialisierung der Schüler und Studierenden. Eine Einengung oder Begrenzung des Anwendungsbereichs der Befreiung auf formale und berufliche Bildungsangebote ist offensichtlich weder bezweckt noch Inhalt der Neuregelung. Denn der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts beschränkt sich gerade nicht mehr wie bisher auf Unterricht, der zu einer Abschluss- oder Qualifikationsprüfung führt. Die Bereiche der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung werden in den unionsrechtlichen Bestimmungen neben Schul- und Hochschulunterricht gesondert genannt. Befreit werden können insoweit solche Leistungen, die mit besonderer Bezugnahme zur Berufstätigkeit erbracht werden. Danach umfasst die Befreiung ua. solche Leistungsangebote, die formalgesetzlichen Anforderungen entsprechen (zB Berufsbildungsgesetze, Handwerkverordnung, Seemanngesetz und Gesetze der Länder zu den Ausbildungsberufen und zu den nicht staatlich geregelten Berufen). Aber auch die insbes. von Volkshochschulen darüber hinaus gehenden Bildungsmaßnahmen, die dem weniger formalisierten Aus- und Fortbildungsbereich sowie der beruflichen Umschulung zugerechnet werden, können bei entsprechender Ausrichtung des Angebots wie bisher unter die Befreiung fallen. Das in der Gesetzesbegründung diesbezüglich aufgezeigte mögliche Leistungsspektrum ist insoweit offensichtlich nur beispielhaft. § 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 6 UStG sieht vor, dass Fortbildungsleistungen nur dann umsatzsteuerfrei sind, wenn sie von Einrichtungen ohne Gewinnstreben, also regelmäßig von gemeinnützigen Einrichtungen, erbracht werden. Damit wurde offensichtlich auf die Forderungen der gewerblichen Seminaranbieter nach einer „Optionsmöglichkeit“ für Bildungsleistungen im Rahmen des Entwurfs eines JStG 2013 reagiert. Fortbildungsleistungen von gewerblichen Anbietern werden zum überwiegenden Teil gegenüber vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmern erbracht. Für diese Anbieter wäre wegen des mit einer Steuerbefreiung zwangsweise verbundenen Wegfalls des Vorsteuerabzugs die Befreiung eher nachteilig. Wollte man die einschränkende Regelung (Fortbildungsleistungen gewerblicher Anbieter sind steuerpflichtig) zur Vermeidung von Abgrenzungsproblemen auf alle Bildungsleistungen gewerblichen Anbieter aus664

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dehnen, hätte dies zwangsläufig zur Folge, dass zB alle Leistungen der gewerblichen Nachhilfeinstitute, der gewerblichen Musikschulen und viele andere überwiegend gegenüber privaten Endverbrauchern erbrachte Leistungen zurzeit umsatzsteuerbefreiter gewerblicher Bildungseinrichtungen künftig umsatzsteuerpflichtig wären. Dies ist vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollt.

VI. Auswirkungen der Reform, Anwendungsbereich der Steuerbefreiung, Folgen für die Praxis 1. Allgemeines Durch die geplante Neuregelung fallen alle Bildungsleistungen, die bereits bislang nach den unionsrechtlichen Vorgaben umsatzsteuerfrei sind, unter die neu zu fassende Steuerbefreiung des § 4 Nr. 21 UStG. Der Regelungsbereich des bisherigen § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG geht insgesamt in den Normbereichen des neuen § 4 Nr. 21 UStG (Schul- oder Hochschulunterricht, Ausbildung. Fortbildung oder Umschulung) bzw. des § 4 Nr. 23 UStG (Erziehung von Kindern und Jugendlichen) auf. Auch der Umfang der bisher nach § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG befreiten Leistungen bleibt unabhängig von der Rechtsform des leistenden Unternehmers gleich. Das gilt auch für die Leistungen zB der Volkshochschulen und der Berufsverbände sowie anderer Träger öffentlich verantworteter Weiterbildung. Aufgrund der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG sind nach der Rspr. des BFH bereits bisher nicht alle Kurse zum Erlernen von Fähigkeiten oder Fertigkeiten „wissenschaftlicher oder belehrender Art“ iS dieser Vorschrift steuerfrei, sondern nur solche Kurse, die als Erziehung von Kindern und Jugendlichen, als Schuloder Hochschulunterricht, als Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung zu qualifizieren sind. Nur diese können unter dem zusammenfassenden Begriff der „Bildungsleistungen“ befreit werden. Leistungen, die nach ihrer Zielsetzung der reinen Freizeitgestaltung dienen, sind aufgrund der Rspr. des EuGH bereits derzeit nicht als Bildungsleistungen befreit. Diese Differenzierung wird mit der geplanten Reform ausdrücklich konkretisiert. Weiterhin umsatzsteuerfrei sind zB Gewerkschaftsseminare mit juristischen als auch gesellschaftspolitischen Inhalten zur Stärkung des Demokratieverständnisses, Leistungen, mit denen auf die Wahl eines Berufs vorbereitet bzw. die berufliche Orientierung unterstützt werden soll (zB Bewerbungstrainings oder Potenzialchecks), Kurse „Sofortmaßnahmen 665

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am Unfallort“, Kurse zur Vorbereitung auf eine Schöffentätigkeit oder zur Ausbildung von Trainern und Übungsleitern, Nachhilfeunterricht, unterrichtsergänzende Veranstaltungen im Rahmen des Ganztagsunterrichts, Musikunterricht (Instrumental- und Vokalunterricht), Unterricht im klassischen Tanz und Ballett sowie Unterricht für darstellende und bildende Kunst, Vorträge des Besucherdiensts des Deutschen Bundestags. Weiterhin nicht umsatzsteuerfrei sind zB Kurse, die auf Freizeitgestaltung gerichtet sind, und die den Erwerb und Ausbau regelmäßig im Privatleben angewandter Kenntnisse und Fähigkeiten beinhalten, wie zB Kurse in Ski-, Segel-, Surf, oder Jagdschulen oder Kurse zur Erlangung eines PKW-Führerscheins, Flirt-Kurse, Kontakt-Trainingskurse für den Alltag, „Äthiopische Kaffeezeremonie: Geschichte, Land und Leute des ostafrikanischen Landes“, „Ein Fotobuch erstellen“, „Strick-Club: Für Strickbegeisterte und neugierige Strickanfänger/innen“, „Fleischlos glücklich? Lebensmittelauswahl leicht gemacht“.

2. Wegfall des bisherigen Bescheinigungsverfahrens Soweit das nationale Recht für bestimmte private Bildungseinrichtungen bisher ein Bescheinigungsverfahren vorsieht, fällt dieses künftig weg. In diesem Bescheinigungsverfahren wird bisher zB von den Landeskultusbehörden bestätigt, dass die erbrachten Leistungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten. Hier konnte es vorkommen, dass teilweise gleichartige Leistungen von verschiedenen Behörden unterschiedlich eingestuft wurden. In einem weiteren Schritt prüfte dann das FA, ob die von der Bescheinigungsbehörde bestätigten Bildungsleistungen durch eine anerkannte Bildungseinrichtung (Schule oder eine anderen allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtung) erbracht werden. Einen Automatismus dergestalt, dass alle Leistungen, die eine Einrichtung mit Bescheinigung erbringt, umsatzsteuerfrei sind, gab es jedoch nicht. Mit der Abschaffung dieses Bescheinigungsverfahrens entfällt der im Streitfall ggf. zu beschreitende „doppelte Rechtsweg“ in Form der Verwaltungsgerichtsbarkeit einerseits, soweit es um die Erteilung der Bescheinigung geht, sowie in Form der Finanzgerichtsbarkeit andererseits, soweit die Steuerpflicht der Leistung im Übrigen betroffen war.

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3. Begünstigte Einrichtungen (§ 4 Nr. 21 Satz 1–3 UStG) Die Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG bedient sich bewusst allgemeiner Kriterien, die zur Inanspruchnahme der Befreiung unabhängig von der Rechtsform führen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nach Maßgabe der unionsrechtlichen Voraussetzungen und der in Betracht kommenden Bildungsangebote für alle Bildungsanbieter die gleichen Anwendungsvoraussetzungen gelten. Die Unterscheidung der Rechtsformen in § 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 1 sowie Satz 2 und 3 UStG folgt den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Danach sind Schul- und Hochschulunterricht, Ausbildung und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Lieferungen und sonstige Leistungen befreit, wenn sie durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder durch andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Zu den Einrichtungen des öffentlichen Rechts iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1 UStG, die mit den genannten Bildungsaufgaben betraut sind, gehören zB öffentliche allgemeinbildende oder berufsbildende Schulen, öffentliche Hochschulen, Berufsakademien, Volkshochschulen, wenn diese als juristische Personen des öffentlichen Rechts organisiert sind, und berufsständische Kammern. Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung in diesem Sinne sind: –

im Bereich des Schul- und Hochschulunterrichts zB Ersatzschulen, die gem- Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind, nach den Schulgesetzen der Länder anerkannte Ergänzungsschulen sowie Hochschulen iS der Hochschulgesetze der Länder, soweit es sich nicht um Einrichtungen des öffentlichen Rechts handelt; ebenso Einrichtungen zur Erteilung von Nachhilfeunterricht für Schüler und Repetitorien, die Studierende auf akademische Prüfungen vorbereiten. Außerdem können zu den Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung solche Einrichtungen gehören, die unterrichtsergänzende Veranstaltungen an allgemeinbildenden Schulen, zB im Rahmen einer Ganztagsschule, erbringen, sofern die Schüler an diesen Veranstaltungen im Rahmen einer schulgesetzlichen Verpflichtung verbindlich teilnehmen;



im Bereich der Ausbildung, der Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung zB Ergänzungsschulen, deren Betrieb nach Landesrecht anzuzeigen ist, und andere Bildungseinrichtungen, die unmittelbar der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Hinblick auf 667

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die Ausübung einer Berufstätigkeit dienen. Der Unterricht dieser Einrichtungen kann sowohl zu den im Berufsbildungsgesetz, in der Handwerksordnung, im Seemannsgesetz, in den Gesetzen des Bundes geregelten Heilberufsausbildungen und den in den Gesetzen der Länder geregelten Ausbildungsberufen wie auch zu den nicht staatlich geregelten Berufen – ua. im Bereich der künstlerischen Berufe – erteilt werden. Zu diesen Einrichtungen können zB Heilpraktikerschulen, Bildungseinrichtungen für nichtärztliche Heilberufe nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (ua. Pflegefachpersonen, Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Podologen, technische Assistenten in der Medizin), anerkannte Weiterbildungsstätten (v.a. nach den Gesetzen zur Weiterbildung einschließlich der Gesetze zur Weiterbildung in den Gesundheitsfachberufen), Fernlehrinstitute, sowie Musik-, Ballett-, Schauspiel- und Kunstschulen, die auf die Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule oder Hochschule für Musik, klassischen Tanz und Ballett sowie für darstellende und bildende Kunst vorbereiten, gehören. Andere Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung iSd. § 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG sind ferner Volkshochschulen in privatrechtlicher Organisation oder Einrichtungen, die gemeinnützigen Zwecken oder dem Zweck eines Berufsverbands dienen. Hersteller- oder Vertriebsunternehmen, die lediglich den Absatz ihrer Produkte durch entsprechende Schulungen fördern (ua. Einweisungen zu Software und Maschinen), gehören nicht zu den Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung.

4. Schul- und Hochschulunterricht (§ 4 Nr. 21 Buchst. a Satz 4 UStG) Der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts umfasst die Vermittlung und Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Inhalten je nach Fortschritt und Spezialisierung der Schüler und Studierenden. Eine Einengung oder Begrenzung des Anwendungsbereichs der Befreiung auf formale und berufliche Bildungsangebote ist nicht Inhalt der Neuregelung. Denn der Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts beschränkt sich gerade nicht mehr wie bisher auf Unterricht, der zu einer Abschluss- oder Qualifikationsprüfung führt. So sind nach der Rspr. des BFH z.B. auch Vorträge des Besucherdiensts des Deutschen Bundestags als eine Form von Schulunterricht anzuse668

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hen, wobei die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten im Bereich Geschichte und Sozialkunde im Mittelpunkt steht. Für die Qualifikation eines Bildungsangebots als Schul- und Hochschulunterricht ist es daher ausreichend, dass der Bildungsleistung Unterrichtscharakter zukommt und diese über ein „qualitatives Mindestniveau“ verfügt. Diesen Grundsätzen folgend sind zB auch Gewerkschaftsseminare mit juristischen als auch gesellschaftspolitischen Inhalten zur Stärkung des Demokratieverständnisses als Schul- und Hochschulunterricht anzusehen und demnach auch weiterhin von der Neuregelung des § 4 Nr. 21 UStG erfasst. Auch Kurse „Sofortmaßnahmen am Unfallort“, die die Teilnehmer zur Erstversorgung Unfallverletzter und zur Durchführung anderer lebensrettender Sofortmaßnahmen befähigen sollen, sind der Rspr. des BFH folgend als „Schul- oder Hochschulunterricht“ umsatzsteuerfrei. Nicht unter den Begriff des Schul- und Hochschulunterrichts iSd. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL fällt Fahrunterricht für die Fahrerlaubnisklasse B in einer Fahrschule, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.57

5. Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung Die Bereiche der Aus- und Fortbildung sowie der beruflichen Umschulung werden in den unionsrechtlichen Vorgaben neben Schul- und Hochschulunterricht gesondert genannt. Nach Art. 44 MwSt-DV sind unter die Begriffe Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung Schulungsmaßnahmen mit direktem Bezug zu einem Gewerbe oder einem Beruf sowie jegliche Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen, zu fassen. Die Dauer der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung für eine eventuelle Befreiung ist unerheblich. Eine steuerfreie Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung kann somit auch im Rahmen von Tagesveranstaltungen oder Vortragsreihen erfolgen.58 Befreit werden können danach zum einen solche Leistungen, die mit besonderer Bezugnahme zur Berufstätigkeit erbracht werden. Danach umfasst die Befreiung ua. solche Leistungsangebote, die formalgesetzlichen Anforderungen entsprechen (zB Berufsbildungsgesetze, Handwerkverord57 Vgl. BFH v. 23.5.2019 – V R 7/19, BFH/NV 2019, 1210 = UR 2019, 658. 58 Vgl. BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011, 303 = UR 2011, 154.

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nung, Seemanngesetz und Gesetze der Länder zu den Ausbildungsberufen und nicht staatlich geregelten Berufen). Zum anderen fallen auch die von Volkshochschulen und vergleichbaren Einrichtungen angebotenen Bildungsmaßnahmen, die dem weniger formalisierten Aus- und Fortbildungsbereich sowie der beruflichen Umschulung zugerechnet werden, bei entsprechender Ausrichtung des Angebots unter die Befreiung. Darunter dürften jegliche Schulungsmaßnahmen fallen, die dem Erwerb oder der Erhaltung beruflicher Kenntnisse dienen. Eine unmittelbare berufliche Verwertbarkeit eines Bildungsangebots ist nicht erforderlich. Es fallen daher auch solche Kurse unter die Steuerbefreiung, die es Teilnehmern ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung beruflich zu nutzen. Dies gilt auch, wenn von dieser Möglichkeit nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen. Ausbildungsleistungen sind regelmäßig Schulungsmaßnahmen, die dem Erwerb beruflicher Kenntnisse dienen. Davon umfasst sind auch Leistungen, mit denen auf die Wahl eines Berufs vorbereitet bzw. die berufliche Orientierung unterstützt werden soll (zB Bewerbungstrainings oder Potenzialchecks, mit denen Schüler befähigt werden, Kenntnisse über ihre Kompetenzen und Interessen zielorientiert bei der Berufswahl einzusetzen)59 oder die im Rahmen des Freiwilliges Soziales Jahres (FSJ) erbrachten Seminarleistungen unabhängig von der Rechtsform des Anbieters. Auch Musikunterricht (Instrumental- und Vokalunterricht), Unterricht im klassischen Tanz und Ballett sowie Unterricht für darstellende und bildende Kunst wäre nach der Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG weiterhin befreit, unabhängig davon, in welcher Rechtsform die Musik- Ballett-, Schauspiel- oder Kunstschule diese Leistungen anbietet. Musik-, Ballett-, Schauspiel- und Kunstschulen, die auf die Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule oder Hochschule für Musik, klassischen Tanz und Ballett sowie für darstellende und bildende Kunst vorbereiten, gehören zu den berufsbildenden Einrichtungen. Unter den allgemeinen Begriff „Weiterbildungsleistungen“ können sowohl Fortbildungsleistungen als auch Leistungen der beruflichen Umschulung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL zu fassen sein. Leistungen der Fortbildung sind regelmäßig solche Maßnahmen, die Kenntnisse in einem bereits erlernten oder ausgeübten Beruf vertiefen.

59 Vgl. BVerwG v. 12.6.2013 – 9 C 4/12, HFR 2014, 80.

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Davon abzugrenzen sind Leistungen der beruflichen Umschulung, die sich wie Ausbildungsleistungen regelmäßig an Privatpersonen richten und es diesen ermöglichen, sich zB beruflich zu verändern. Hierzu zählen zB Leistungsangebote (Lehrgänge, Kurse uÄ), die für sich genommen zum Erwerb von Kenntnissen führen, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen bzw. einen Berufswechsel vorbereiten. Auch sind ua. Bildungsleistungen im Rahmen von arbeitsfördernden Maßnahmen nach dem SGB II und SGB III oder Integrationskurse seit dem 1.1.2015 unter den Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 15b UStG unabhängig davon, ob es sich um Ausbildungs- oder Fortbildungsleistungen bzw. um Leistungen der beruflichen Umschulung handelt, als Leistungen der sozialen Sicherheit umsatzsteuerfrei.

6. Einschränkung der Steuerbefreiung für Fortbildungsleistungen Nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 6 UStG sind Leistungen der Fortbildung nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen erbracht werden, die keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden. Diese Einschränkung der Vorschrift beruht auf Art. 133 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL.

7. Freizeitgestaltung Die Abgrenzung zwischen steuerfreien Bildungsleistungen und Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen, ist aufgrund der Rspr. des EuGH zwingend vorgegeben. Es dürfte allerdings nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden können, ob eine umsatzsteuerbefreite Bildungsleistung oder eine steuerpflichtige, der reinen Freizeitgestaltung dienende Leistung angeboten wird. Dies dürfte sowohl in rechtlicher als auch angesichts der Vielfalt der Angebote von Anbieterseite in tatsächlicher Hinsicht erforderlich sein. Die im Rahmen der Neuregelung des § 4 Nr. 21 UStG vorgesehene Definition von Bildungsleistungen als Schul- und Hochschulunterricht, Ausbildung, Fortbildung und berufliche Umschulung in Verbindung mit den durch die Rspr. als Abgrenzung dazu definierten Leistungen der Freizeitgestaltung dürfte allerdings nicht dazu führen, dass alle Schulungsangebote, die sich an Menschen richten, die diese Bildungsleistungen in Anspruch nehmen, um in sich ihrer Freizeit ehrenamtlich zu engagieren, 671

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regelmäßig als Leistungen der Freizeitgestaltung und damit als steuerpflichtig anzusehen sind. Vielmehr dürften ua. die Kurse zur Vorbereitung auf eine Schöffentätigkeit oder zur Ausbildung von Trainern und Übungsleitern als Ausbildungsleistungen anzusehen sein, wenn es den Teilnehmern ermöglicht wird, eine „nebenberufliche“ Tätigkeit auszuüben, auch wenn diese ehrenamtlich erbracht wird. Auf reine Freizeitgestaltung können Kurse gerichtet sein, die den Erwerb und Ausbau regelmäßig im Privatleben angewandter Kenntnisse und Fähigkeiten betreffen. Anhaltspunkte, die zur Annahme reiner Freizeitgestaltungen führen, können sich anhand von Verkehrsauffassung, dem Teilnehmerkreis oder der thematischen Zielsetzung eines Kurses ergeben. Ist zB nach der Zielgruppe, an die sich das Leistungsangebot richtet, oder dem Teilnehmerkreis davon auszugehen, dass eine Leistung der reinen Freizeitgestaltung dient, vermögen auch einzelne beruflich ambitionierte Teilnehmer der Veranstaltung kein anderes Gepräge zu geben. Die bloße Möglichkeit, während einer Freizeitveranstaltung erlernte Fähigkeiten oder Kenntnisse auch beruflich nutzen zu können, nimmt einer solchen Veranstaltung nicht ihren Freizeitcharakter. Dies kann ua. Ski-, Segel- oder Jagdschulen betreffen. Des Weiteren fallen unter Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen, zB Kurse, die sich an Eltern von Kindern richten, um die Wartezeit während des Unterrichts der Kinder sinnvoll zu nutzen, oder Kurse für allgemein am Tanz interessierte Menschen. Kurse hingegen, die es einem Teilnehmer ermöglichen, die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten durch Vertiefung und Fortentwicklung schließlich beruflich zu nutzen, fallen unter die Steuerbefreiung auch dann, wenn von dieser Möglichkeit nur wenige Teilnehmer Gebrauch machen.60 Nicht alle Tanzkurse dürften die Voraussetzungen für eine Befreiung erfüllen. Die bloße Erwägung, dass Tanzen allgemein in den Lehrplänen allgemeinbildender Schulen in den Unterrichtsfächern Musik, Darstellendes Spiel und Sport fest verankert ist und zB Tangotanz fester Bestandteil des Hochschulsports ist, könnte nicht ausreichend sein. Insbesondere hier dürfte über die Steuerfreiheit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach Maßgabe des Teilnehmerkreises und der thematischen Zielsetzung des jeweiligen Kurses zu entscheiden sein. Hiermit nicht vereinbar ist nach der BFH-Rspr. eine abstrakt-generelle Betrachtung nach dem Kriterium, ob Ballett- oder Tanzunterricht zum Bestand60 Vgl. BFH v. 24.1.2018 – V R 3/05, BStBl. II 2012, 267 = UR 2008, 552.

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teil der Lehrpläne allgemeinbildender Schulen in bestimmten Unterrichtsfächern des Hochschulsports gehört. Ebenso dürften auch nicht alle von einer Volkshochschule angebotenen Kurse Schul- und Hochschulunterricht sein bzw. der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung dienen.

8. Eng mit einer Bildungsleistung verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen Neben den begünstigten Bildungsleistungen sind auch die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen befreit. Dienstleistungen und Liefe-rungen von Gegenständen sind dann als mit der Bildungsleistung „eng verbunden“ anzu-sehen, wenn sie tatsächlich als eigenständige Leistungen zur Bildungsleistung erbracht werden und bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ein eng verbundener Umsatz kann zB die Gestellung einer Lehrkraft durch eine Lehreinrichtung zur vorübergehenden Unterrichtserteilung an eine andere Lehreinrichtung sein. Nicht als eng mit dem Hochschulunterricht verbundene Dienstleistung ist zB die entgeltliche Forschungstätigkeit staatlicher Hochschulen anzusehen, da sie für den Hochschulunterricht nur nützlich, nicht aber unverzichtbar ist.61 Auch zB Verpflegungs- und Unterbringungsleistungen von Seminarteilnehmern sind der Rspr. folgend im Allgemeinen nicht als mit der Bildungsleistung eng verbundene Dienstleistung oder als Nebenleistung zur Bildungsleistung umsatzsteuerfrei. Denn hierbei handelt es sich idR nicht um eine für die Bildung unerlässliche Leistung, sondern um eine hierfür nur nützliche Maßnahme, die vorrangig dazu dient, den Komfort und das Wohlbefinden der Teilnehmer bei der Inanspruchnahme der Bildungsmaßnahme zu steigern.62 Dies gilt auch dann, wenn die Bildungsleistungen ohne Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Unterkunftsund/oder Verpflegungsleistungen angeboten werden. Inwieweit Verpflegungs- und Unterbringungsleistungen, die von der Bildungseinrichtung selbst organisiert und bereitgestellt werden, für die Bildungsleistung unerlässlich und damit umsatzsteuerfrei sind, bedarf der Prüfung im Einzelfall. Davon abzugrenzen ist eine Leistung, die für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Haupt61 Vgl. EuGH v. 20.6.2002 – C-287/00 (Kommission/Deutschland), HFR 2002, 852 = UR 2002, 316. 62 Vgl. BFH v. 7.10.2010 – V R 12/10, BStBl. II 2011, 303 = UR 2011, 154.

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leistung des Leistenden unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten oder in Anspruch zu nehmen.63 Unselbständige Nebenleistungen, die das Schicksal der Hauptleistungen teilen, können Lieferungen von Lehrund Lernmaterial sein. Eine Nebenleistung liegt dann vor, wenn das den Teilnehmern überlassene Lehr- und Lernmaterial inhaltlich den Unterricht ergänzt, zum Einsatz im Unterricht bestimmt und von dem die Bildungsleistung erbringenden Unternehmer selbst entworfen ist und bei Dritten nicht bezogen werden kann.64

9. Privatlehrer § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b UStG setzt die unionsrechtliche Befreiungsnorm des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL um. Danach befreien die Mitgliedstaaten den „von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht“ von der Mehrwertsteuer. Der unionsrechtliche Begriff des Privatlehrers nach dieser Vorschrift und somit auch nach § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. b UStG umfasst nur natürliche Personen. Der Begriff des Privatlehrers impliziert, dass der Lehrer in eigener Person, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung Unterrichtsleistungen erbringt. Ein Privatlehrer gestaltet und organisiert selbst die Unterrichtseinheiten. Hierzu kann zB Privatunterricht gehören, bei dem zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen des Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht. Der Unterricht des Privatlehrers muss auf die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Schüler ausgerichtet sein. Typische Beispiele eines solchen Privatlehrers sind unter den genannten Voraussetzungen zB Nachhilfelehrer oder Musiklehrer. Der Unterricht des Privatlehrers darf sich mithin nicht darauf beschränken, den Unterricht losgelöst vom individuellen Förderbedarf der Unterrichteten nach einem mehr oder weniger festen Lehroder Unterrichtsplan durchzuführen. Das Merkmal „privat“ beschreibt der EuGH-Rspr. zufolge insoweit auch nicht die Person des Lehrers, sondern die Erteilungsform des Unterrichts. Ein Lehrer wird dann nicht privat tätig, wenn nicht er, sondern die Einrichtung, an der er Unterricht erteilt, die Unterrichtsleistungen an die Teilnehmer erbringt, dh. als Leistender anzusehen ist.65 In diesem Fall 63 Vgl. Abschn. 3.10 UStAE. 64 Vgl. BFH v. 12.12.1985 – V R 15/80, BStBl. II 1986, 499 = UR 1986, 146. 65 EuGH v. 28.1.2010 – C-473/08 (Eulitz), BFH/NV 2010, 583 = UR 2010, 2010, 174 Rz. 52 f.

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kann nur die Einrichtung selbst als Trägerin einer Bildungsleistung angesehen werden.

10. Prüfung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung – kein Bescheinigungsverfahren Nach der Neufassung des § 4 Nr. 21 UStG ist für die Steuerfreiheit der Bildungsleistungen nicht öffentlicher Bildungseinrichtungen eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde nicht mehr erforderlich. Die Finanzbehörden prüfen das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale in eigener Zuständigkeit. Bescheinigungen, wie sie zB durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht zur umfassenden Beschreibung und Zulassung des Lehrgangs erteilt werden, dürften aber als Hilfsmittel für die Entscheidung der Finanzbehörden über das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale für die Anwendung der Steuerbefreiung herangezogen werden können. Dennoch hat eine an einer anderen Bildungseinrichtung tätige Lehrkraft in geeigneter Weise nachzuweisen, dass sie an einer Schule, Hochschule oder anderen Bildungseinrichtung iSd. § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1–3 UStG tätig ist. Dieser Nachweis ist an keine besondere Form gebunden und kann – wie bereits bisher – durch eine Bestätigung der Bildungseinrichtung geführt werden, aus der sich ergibt, dass diese die Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 1 oder Satz 2 und 3 UStG erfüllt, und dass diese mit den Unterrichtsleistungen des selbständigen Lehrers ihrerseits Leistungen erbringt, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 21 Satz 1 Buchst. a Satz 4–7 UStG steuerfrei sind. Eine solche Bestätigung der anderen Bildungseinrichtung ist kein Grundlagenbescheid nach § 171 Abs. 10 iVm. mit § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.

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Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte Jan Körner Director VAT, Ludwigshafen 1. Ausgangslage vor dem 1.1.2020 a) Nationale gesetzliche Regelung in § 3 Abs. 6, 7 und 8 UStG b) Keine Regelung in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie c) Die Rechtsprechung des EuGH d) Vorarbeiten auf europäischer Ebene (VEG/GFV)

2. Neuregelungen ab dem 1.1.2020 a) Art. 36a MwStSystRL b) § 3 Abs. 6a UStG idF des JStG 2019 c) Offene Fragen 3. Ausblick

1. Ausgangslage vor dem 1.1.2020 a) Nationale gesetzliche Regelung in § 3 Abs. 6, 7 und 8 UStG Bereits im Umsatzsteuergesetz 1980 vom 26.11.1979 fand sich im damaligen § 3 Abs. 2 eine Regelung zu den Reihengeschäften: „Schließen mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte ab und erfüllen sie diese Geschäfte dadurch, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft, so gilt die Lieferung an den letzten Abnehmer gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe (Reihengeschäft).“

Diese Regelung hielt sich in weiser Vorahnung kommender Probleme nicht lange damit auf, festzustellen, ob, wer und wann einer der Beteiligten im Reihengeschäft denn Verfügungsmacht seinem Abnehmer verschaffte, sondern fingierte die gleichzeitige Verschaffung der Verfügungsmacht zwischen allen Beteiligten. De facto wurde damit die bewegte Lieferung im Reihengeschäft stets der ersten Lieferung zugeordnet. § 3 Abs. 2 UStG 1980 überlebte jedoch nur die ersten vier Jahre des Binnenmarkts. Die Regelung wurde durch das UStÄndG 1997 zum 31.12.1996 aufgehoben, da sie sich nicht mit der Definition des Zeitpunkts einer Lieferung nach Art. 5 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2 der 6. MwSt.-RL vertrug.1

1 Richtlinie 77/388/EWG v. 17.5.1977, ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1.

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Seit dem 1.1.1997 waren Reihengeschäfte im Inland wie folgt geregelt: § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG enthielt die Legaldefinition des Reihengeschäfts. Voraussetzung war, dass mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand „Umsatzgeschäfte“ abschließen und dieser Gegenstand unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer befördert oder versendet wird. Als Rechtsfolge wurde die Beförderung oder Versendung nur einer der Lieferungen zugeordnet, gemeinhin bekannt als die bewegte Lieferung. Dies hatte Auswirkung auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG, da deren Voraussetzung die Beförderung oder Versendung durch den Unternehmer oder den Abnehmer ist (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Der nachfolgende Satz 6 stellte im Halbsatz 1 für den Fall der Beförderung oder Versendung durch einen (der) mittleren Unternehmer im Reihengeschäft eine widerlegbare gesetzliche Vermutung auf: die Beförderung oder Versendung wurde der Lieferung an den mittleren Unternehmer zugeordnet. Halbsatz 2 regelte, dass dieser mittlere Unternehmer die gesetzliche Vermutung widerlegen kann, indem er nachweist, dass er als Lieferer den Gegenstand der Lieferung versendet oder befördert hat. Abschn. 3.14 Abs. 10 UStAE enthielt Einzelheiten, wie dieser Nachweis genau geführt werden konnte, wobei in dessen Satz 2 bereits ein Auftreten des Unternehmers unter der USt.-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats als Nachweisführung angelegt war. § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG bestimmte für alle Reihengeschäfte des § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG den Ort der der bewegten Lieferung vorhergehenden Lieferung: dies war der Ort des Beginns der Beförderung oder Versendung. § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 UStG bestimmte für alle Reihengeschäfte des § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG den Ort der der bewegten Lieferung nachfolgenden Lieferung: dies war der Ort des Endes der Beförderung oder Versendung. Für Reihengeschäfte, die mit einer Einfuhr aus Drittlandsgebieten in das Inland verbunden sind, konnte § 3 Abs. 8 UStG eine Regelung entnommen werden: derjenige Lieferer, der bzw. dessen Beauftragter Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist, führte die erste im Inland steuerbare Lieferung aus. Für Reihengeschäfte, die zu einer Ausfuhr in Drittlandsgebiete führten, gab es keine explizite gesetzliche Regelung. Gemäß Abschn. 3.14 Abs. 14 UStAE wurde die Regelung des § 3 Abs. 6 Sätze 5 und 6 UStG angewendet, eine Berücksichtigung der Ausführereigenschaft nach Zollrecht war nicht vorgesehen. 678

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b) Keine Regelung in der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie Im Unionsrecht gab es, höchstrichterlich erwähnt in Rz. 27 Urteil des EuGH v. 16.12.2010 in der Rechtssache „Euro Tyre Holding“,2 keine allgemeine Regelung zur Zuordnung der innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung im Reihengeschäft. Die Vereinfachungsvorschrift des Art. 141 MwStSystRL – gemeinhin als Dreiecksgeschäft bezeichnet – setzt allerdings in ihrem Buchst. c die Existenz von Reihengeschäften voraus: „… von dem Steuerpflichtigen … erworbene Gegenstände werden von einem anderen Mitgliedstaat aus als dem, in dem der Steuerpflichtige für Mehrwertsteuerzwecke erfasst ist, unmittelbar an die Person versandt oder befördert, an die er die anschließende Lieferung bewirkt;“.

Die Steuerbefreiungsvorschrift des Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL wiederum setzt die Zuordnung der innergemeinschaftlichen Beförderung oder Versendung zu einer der Lieferungen voraus: „Die Mitgliedstaaten befreien Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung [… by or on behalf of …] nach Orten außerhalb ihres Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden …“.

c) Die Rechtsprechung des EuGH Nach einem guten Jahrzehnt des Bestehens des Binnenmarkts hatte der EuGH im Jahr 2006 erstmals Gelegenheit, in einem österreichischen Fall sich zu den Reihengeschäften zu äußern. Im Fall „EMAG Handel Eder“3 hatte die österreichische Finanzverwaltung dem letzten Abnehmer in einem Reihengeschäft den Vorsteuerabzug versagt, bei dem die Beförderung durch den mittleren Unternehmer „frei Haus Österreich, verzollt, versteuert“ erfolgt war. In ihren Schlussanträgen vom 1.11.2005 legte Generalanwältin Kokott dar, dass im Reihengeschäft diejenige Lieferung als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung anzusehen ist, die unmittelbar zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb führt.4 Der innergemeinschaftliche Er2 Vgl. EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09 (Euro Tyre Holding), ECLI:EU:C:2010:786, UR 2011, 176. 3 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04 (EMAG Handel Eder), ECLI:EU:C:2006:232, UR 2006, 342. 4 Vgl. Schlussanträge GAin Kokott v. 10.11.2015 – C-245/04, ECLI:EU:C:2005: 675, EUR-Lex, Rz. 54.

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werb wird danach durch denjenigen bewirkt, der den Transport veranlasst und damit Verfügungsgewalt über den Gegenstand während der grenzüberschreitenden Verbringung ausübt.5 Der EuGH löste in seinem Urteil vom 6.4.20066 den Fall wie folgt: Die innergemeinschaftliche Beförderung/Versendung kann nur einer Lieferung im Reihengeschäft zugeordnet werden (Rz. 45). Führt bereits die erste Lieferung zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb, befindet sich der Ort der zweiten Lieferung bereits im Ankunftsmitgliedstaat. Dabei ließ der EuGH offen, ob bereits die erste Lieferung zu einem innergemeinschaftlichen Erwerb im Ankunftsmitgliedstaat Österreich geführt hat. Das nächste Urteil des EuGH vom 16.12.20107 führte zu einer weiteren Verfeinerung der Rspr: Es handelte sich um einen niederländischer Fall einer Abholung „ab Lager“ in den Niederlanden. Die Abholung erfolgte durch Lastwagen und Fahrer des letzten Erwerbers, jedoch mit einem Vertreter der mittleren Unternehmer. Der EuGH führt in diesem Fall aus: Wenn die Verfügungsmacht bei Abholung bereits auf den letzten Erwerber übertragen wird, ist der letzten Lieferung die innergemeinschaftliche Beförderung oder Versendung zuzuordnen (Rz. 32). Erfolgt die Beförderung oder Versendung durch oder für Rechnung eines mittleren Unternehmers, hat diese keine Bedeutung (Rz. 40). Der erste Lieferer kann die Zuordnung der bewegten Lieferung zur ersten Lieferung auf die ihm mitgeteilten und bestätigten (belgischen) MwSt.-Id.-Nummern der mittleren Unternehmer stützen (Rz. 39). Im September 2012 wurde dann ein deutscher Fall beurteilt.8 Diesem lag eine Abholung durch den mittleren Unternehmer zugrunde, wobei der Sachverhalt, wie er dem EuGH vorgelegt wurde, unklar ließ, ob ggf. eine sog. „gebrochene Lieferung“ vorlag. Letztendlich gelangte der Gegenstand der Lieferungen nach Finnland. Der Erstabnehmer teilte dabei seinem deutschen Lieferer die MwSt.-IdNr. des finnischen Zweitabnehmers mit. In Anknüpfung an „Euro Tyre Holding“ führte der EuGH aus, dass es auf die umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzel5 Schlussanträge GAin Kokott v. 10.11.2015 – C-245/04, ECLI:EU:C:2005:675, EUR-Lex, Rz. 60. 6 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – C-245/04 (EMAG Handel Eder), ECLI:EU:C:2006:232, UR 2006, 342. 7 Vgl. EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09 (Euro Tyre Holding), ECLI:EU:C:2010:786, UR 2011, 176. 8 Vgl. EuGH v. 27.9.2012 – C-587/10 (VSTR), ECLI:EU:C:2012:592, UR 2012, 832.

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falls (Rz. 32) ankomme. Gibt der Ersterwerber seine Absicht kund, den Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat zu befördern, und tritt mit (s)einer MwSt.-IdNr. dieses Staats auf, kann die innergemeinschaftliche Beförderung bzw. Versendung der ersten Lieferung zugeordnet werden (Rz. 34). Anders ist es aber, wenn der Ersterwerber den Weiterverkauf an einen Zweiterwerber mitteilt, bevor der Gegenstand den Abgangsmitgliedstaat verlassen hat (Rz. 35). Dieser Fall führte zu zwei Folgeurteilen des XI. Senats: Im ersten Folgeurteil vom 28.5.20139 führte der Senat aus, dass die Mitteilung des Weiterverkaufs allein nicht entscheidend ist (Rz. 52 f.), sondern das zeitliche Verhältnis der innergemeinschaftlichen Versendung zur Verschaffung der Verfügungsmacht (Rz. 56). Im zweiten Folgeurteil vom 25.2.201510 präzisiert der XI. Senat, dass die Beförderung bzw. Versendung und Verschaffung der Verfügungsmacht zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale sind, die getrennt zu prüfen sind (Rz. 55 ff.). Im Fall einer non-licet-Situation ist die Grundregel des § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG anzuwenden und die Warenbewegung der ersten Lieferung zuzuordnen (Rz. 76 f.). Der nächste Fall wurde im Juli 2017 durch den EuGH beschieden.11 Es handelte sich um einen litauischen Fall einer Beförderung durch den ersten Erwerber (mittlerer Unternehmer). Teilweise erfolgte noch vor der Beförderung in anderen Mitgliedstaat eine weitere Bearbeitung in Litauen. Entscheidend war für den EuGH, ob eine Übertragung der Verfügungsmacht auf die Zweiterwerber stattgefunden hatte, bevor die innergemeinschaftliche Beförderung stattfand (Rz. 36). Dies bejahte der EuGH (Rz. 38), da die Ware bereits „verkauft“ worden war (obwohl der erste Unternehmer weiterhin das Risiko trug). Zudem schließe die Mitteilung eines Weiterverkaufs die Zuordnung der innergemeinschaftlichen Beförderung zur ersten Lieferung aus (Rz. 44). Zurück zu den Wurzeln ging der EuGH im Urteil vom Dezember 2018.12 Es handelte sich um einen tschechischen Fall und erstmals um einen Fall mit mehr als drei Beteiligten im Reihengeschäft. Dabei erfolgte die Abholung durch den letzten Erwerber unter dem Verbrauchsteueraussetzungsverfahren (ECMS) in Österreich. Der EuGH führte aus, dass der 9 Vgl. BFH v. 28.5.2013 – XI R 11/09, UR 2013, 756. 10 Vgl. BFH v. 25.2.2015 – XI R 15/14, UR 2015, 391. 11 Vgl. EuGH v. 26.7.2017 – C-386/16 (UAB Toridas), ECLI:EU:C:2017:599, UR 2017, 678. 12 Vgl. EuGH v. 19.12.2018 – C-414/17 (AREX CZ), ECLI:EU:C:2018:1027, UR 2019, 101.

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mehrwertsteuerliche innergemeinschaftliche Erwerb unabhängig vom verbrauchsteuerlichen Erwerb zu bestimmen ist (Rz. 67). Aus dieser Passage des Urteils könnten auch Rückwirkungen auf das Verhältnis zum Zollrecht und Auswirkungen auf Reihengeschäfte mit Drittlandsexporten geschlossen werden, wenn in diesen Ausführungen eine vom Einzelfall losgelöste Linie der Rspr. erblickt wird. Wie vormals war das zeitliche Verhältnis der Versendung bzw. Beförderung zur Verschaffung der Verfügungsmacht entscheidend (Rz. 61). Die Übertragung der Verfügungsmacht erfordert dabei nicht, dass der Erwerber physisch über den Gegenstand verfügt, noch dass dieser physisch zu ihm befördert oder physisch von ihm empfangen wird (Rz. 75). Im konkreten Fall hatte der Letzterwerber AREX jedoch durch die Inbesitznahme durch Laden in die Tanks von AREX bereits vor Beförderung die Verfügungsmacht noch im Abgangsmitgliedstaat Österreich erhalten. Ganz anders gelagert ist ein Fall aus dem Mai 2019.13 In diesem polnischen Fall stellte VEGA International ihren Tochtergesellschaften Tankkarten zur Verfügung, erhielt die Rechnungen der Kraftstoffanbieter und fakturierte diese mit einem Zuschlag von 2 % an ihre Tochtergesellschaften weiter. Der EuGH sah hier kein Reihengeschäft, da der mittlere Unternehmer VEGA International keine Verfügungsmacht erhielt; vielmehr entschied ausschließlich der „Zweit“erwerber über Qualität, Menge, Art, Zeitpunkt und Verwendung des erworbenen Kraftstoffs (Rz. 36). Ähnlich hatte der EuGH bereits in der Rechtssache „Fast Bunkering Kleipeda“ argumentiert. Gegenwärtig ist ein tschechischer Fall mit einem der Rechtssache „AREX CZ“ ähnlichen Sacherhalt beim EuGH anhängig.14 d) Vorarbeiten auf europäischer Ebene (VEG/GFV) Im Zuge der Vorbereitung der Vorschläge der Kommission zu einer Besteuerung von Lieferungen im Binnenmarkt (sog. „finales“ System) hatte sich eine gemeinsame Unterarbeitsgruppe aus Mitgliedern der Gruppe zur Zukunft der Mehrwertsteuer (GFV – Vertreter der Mitgliedstaaten) sowie der MwSt.-Expertengruppe (VEG – Vertreter der Interessengruppen und von Hochschulen) mit der Problematik der Reihengeschäfte befasst. Die Dokumente können auf der Website der Generaldirektion Steuern 13 Vgl. EuGH v. 15.5.2019 – C-235/18 (VEGA International), ECLI:EU:C:2019: 412, UR 2019, 461. 14 EuGH C-401/18, ABl. EU 2018 Nr. C 294, 35.

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und Zollunion abgerufen werden.15 Dabei wurden die Mitgliedstaaten befragt, wie folgender Sachverhalt zu beurteilen sei: Reihengeschäft A – B – C – D, der C organisiert den Transport von A (Mitgliedstaat 1) zu D (Mitgliedstaat 2).

Die Rückläufe von den Mitgliedstaaten ließen 4 bzw. 5 Lösungsansätze zur Zuordnung der innergemeinschaftlichen Lieferung erkennen: (1) A – B, (2) B – C, (3) C – D, (4) B – C oder C – D, (5) alle drei Lieferungen kommen in Frage.

Auf Basis dessen wurde empfohlen, eine unionsweite Regelung zu treffen, welcher Lieferung im Reihengeschäft die innergemeinschaftliche Lieferung zuzuordnen ist. Dabei war es die Empfehlung der Interessengruppen, die jedoch von den Vertretern der Mitgliedstaaten abgelehnt wurde, die Zuordnung stets bei der ersten Lieferung im Reihengeschäft vorzunehmen. Weitgehender Konsens der Unterarbeitsgruppe, wenn auch abgelehnt von den Vertretern von zwei Mitgliedstaaten, war die gesetzliche Regelung einer Vermutung der Zuordnung der innergemeinschaftlichen Lieferung zur Lieferung an den Unternehmer, der die Beförderung bzw. Versendung durchführt bzw. vereinbart [„arrange“]. Diese Vermutung sollte durch Vorlage der MwSt.-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats widerlegbar sein. In diesem Fall sollte dann die Zuordnung zu der innergemeinschaftlichen Lieferung durch den Unternehmer, der die Beförderung bzw. Versendung durchführt bzw. vereinbart, erfolgen.

2. Neuregelungen ab dem 1.1.2020 a) Art. 36a MwStSystRL Im Rahmen des Beschlusses der sog. „Quick Fixes“, v.a. in der Richtlinie (EU) 2018/1910 des Rates v. 4.12.2018,16 kommt es nunmehr mit Wirkung ab dem 1.1.2020 erstmals zu einer unionsweiten Teilregelung der

15 ZB Dokument GFV N° 040, URL: https://circabc.europa.eu/sd/a/3984e2293985-4e14-9a1e-3eea13fded8d/GFV%20040%20-%20Option%201B% 20-%20Sub-groups%20report%20-%20Chain%20transactions.pdf, abgerufen: 17.2.2020. 16 ABl. EU 2018 Nr. L 311, 3.

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Reihengeschäfte in einem neuen Art. 36a MwStSystRL im Titel V. Ort des steuerbaren Umsatzes. Die Regelung greift nur für grenzüberschreitende Lieferungen in der EU – „… aus einem Mitgliedstaat in einen anderen …“ (Art. 36a Abs. 1 MwStSystRL). Voraussetzung sind mehrere nacheinander erfolgende Lieferungen und eine unmittelbare Beförderung oder Versendung vom ersten Lieferer bis zum letzten Erwerber. Dabei muss die Beförderung bzw. Versendung durch den Zwischenhändler selbst oder „auf seine Rechnung“ [„acting on his behalf“] durch einen Dritten erfolgen (Art. 36a Abs. 3 MwStSystRL). Zwischenhändler in diesem Sinne ist einer der Lieferer in der Kette mit Ausnahme des ersten Lieferers (Art. 36a Abs. 3 MwStSystRL). Es wird somit nur eine Regelung für grenzüberschreitende Reihengeschäfte innerhalb der EU für den Fall der Transportveranlassung durch einen mittleren Unternehmer im Reihengeschäft getroffen. Keine Regelung erfolgt dagegen für Export- oder Importreihengeschäfte mit Drittlandsbezug. Gerade für erstere bestehen jedoch erhebliche Differenzen innerhalb der EU, da sich einige Mitgliedstaaten am Ausführerbegriff des Zollrechts orientieren, was die praktische Handhabung dieser Exportreihengeschäfte wesentlich erleichtert. Als Rechtsfolge sieht der gesetzgeberische Grundfall des Art. 36a Abs. 1 MwStSystRL vor, dass die Beförderung bzw. Versendung nur der Lieferung an den Zwischenhändler zugeschrieben wird. Die Ausnahmeregelung des Art. 36a Abs. 2 MwStSystRL normiert eine Zuschreibung der Beförderung bzw. Versendung nur der Lieferung durch den Zwischenhändler, wenn der Zwischenhändler seinem Lieferer seine MwSt.-IdNr. des Abgangsmitgliedstaats mitgeteilt hat. Es ist jedoch zu erwähnen, dass auch im Grundfall der Zwischenhändler seinem Lieferer eine MwSt.-IdNr. eines anderen Mitgliedstaats als des Abgangsmitgliedstaats mitgeteilt haben muss, da wegen der ebenfalls neuen Regelung des Art. 138 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nF anderenfalls keine Steuerbefreiung gewährt werden kann. Die neuen Regelungen sind für alle Reihengeschäfte anwendbar, deren Beförderung oder Versendung am oder nach dem 1.1.2020 beginnt. b) § 3 Abs. 6a UStG idF des JStG 2019 Ab dem 1.1.2020 werden die Regelungen des Reihengeschäfts in einen neuen Abs. 6a des § 3 UStG zusammengefasst. Die Neuregelung erfolgt 684

Körner, Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte

durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderungen weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019.17 Die bisherigen Regelungen der Sätze 5 und 6 des § 3 Abs. 6 UStG werden aufgehoben, die Regelungen des § 3 Abs. 7 Satz 2 UStG zu den ruhenden Lieferungen im Reihengeschäft redaktionell angepasst. § 3 Abs. 6a Satz 1 UStG nF enthält die Legaldefinition der Reihengeschäfte, die weitgehend der bisherigen in § 3 Abs. 6 Satz 5 UStG entspricht, außer dass nunmehr der präzisere Begriff der „Liefergeschäfte“ statt der „Umsatzgeschäfte“ verwendet wird. Wesentlich ist die Unmittelbarkeit der Beförderung oder Versendung vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer. Gebrochene Beförderungen oder Versendungen schließen Reihengeschäft insoweit aus, es können aber ggf. mehrere Reihengeschäfte vorliegen. Erfolgt die Beförderung oder Versendung durch den ersten Unternehmer, so ordnet § 3 Abs. 6a Satz 2 UStG nF die Beförderung oder Versendung zu seiner Lieferung zu. Erfolgt die Beförderung oder Versendung durch den letzten Abnehmer, so ordnet § 3 Abs. 6a Satz 3 UStG nF die Beförderung oder Versendung der Lieferung an diesen letzten Abnehmer zu. Anders als Art. 36a MwStSystRL erfolgt im nationalen Recht somit auch eine Regelung der Fälle der Beförderung oder Versendung durch den ersten Lieferer bzw. letzten Abnehmer. § 3 Abs. 6a Satz 4 UStG nF regelt den Fall der Beförderung oder Versendung durch einen Abnehmer, der zugleich Lieferer ist. Ein solcher Abnehmer wird als Zwischenhändler legaldefiniert. Der gesetzgeberische Grundfall ist die Zuordnung der Beförderung oder Versendung der Lieferung an den Zwischenhändler. Der Zwischenhändler kann jedoch nachweisen, dass er als Lieferer befördert/versendet hat. § 3 Abs. 6a Satz 5 UStG nF regelt den Nachweis der Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler als Lieferer, jedoch nur für innergemeinschaftliche Lieferungen. Der Nachweis erfolgt, indem der Zwischenhändler bis zum Beginn der Beförderung oder Versendung gegenüber dem leistenden Unternehmer eine MwSt.-IdNr., die ihm vom Abgangsmitgliedstaat erteilt wurde, „verwendet“. In diesem Fall wird die Beför-

17 BGBl. I 2019, 2451.

685

Körner, Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte

derung oder Versendung der Lieferung durch den Zwischenhändler zugeordnet. § 3 Abs. 6a Satz 6 UStG nF enthält die Regelung des Nachweises der Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler als Lieferer für Lieferungen in das Drittlandsgebiet. Analog zur Regelung des Satzes 5 muss der Zwischenhändler dafür gegenüber dem leistenden Unternehmer bis zum Beginn der Beförderung/Versendung eine MwSt.-IdNr., die ihm vom Abgangsmitgliedstaat erteilt wurde (dies kann nur die deutsche USt.-IdNr. sein), „verwenden“. Anderenfalls gilt der Grundfall des Satzes 4 – die Beförderung oder Versendung ist der Lieferung an den Zwischenhändler zuzuordnen. § 3 Abs. 6a Satz 7 UStG nF regelt den Nachweis der Beförderung oder Versendung durch den Zwischenhändler als Lieferer aus dem Drittlandsgebiet in das Gemeinschaftsgebiet. Wird der Gegenstand der Lieferung im Namen des Zwischenhändlers oder bei indirekter Stellvertretung für Rechnung des Zwischenhändlers zum zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr angemeldet, wird abweichend vom Grundfall des Satzes 4 die Beförderung oder Versendung der Lieferung durch den Zwischenhändler zugeordnet. Es handelt sich um eine Spezialregelung zum unverändert fortbestehenden § 3 Abs. 8 UStG, die ihre Bedeutung v.a. für das ZollVerfahren 42 bei Einfuhren in Deutschland mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung entfaltet. c) Offene Fragen Auf Unionsebene regelt Art. 36a MwStSystRL nicht den Fall der Beförderung oder Versendung durch den ersten Lieferer oder letzten Abnehmer. Insbesondere in Fallkonstellationen analog EuGH „Euro Tyre Holding“18, bei denen die Beförderung durch den letzten Abnehmer, aber „in Vertretung“ für einen Vorerwerber erfolgt, ist die Lage nicht so eindeutig, wie dies die Kommission sieht,19 insbes., da die Rspr. des EuGH eher auf die zeitliche Reihenfolge der Verschaffungen der Verfügungsmacht denn auf die Transportveranlassung abzustellen scheint.

18 Vgl. EuGH v. 16.12.2010 – C-430/09, ECLI:EU:C:2010:786, UR 2011, 176. 19 S. Dokument COM(2017) 569 final v. 4.10.2017, URL: https://ec.europa.eu/taxa tion_customs/sites/taxation/files/vat_proposal_-_definitive_system_for_the_ taxation_of_trade_between_member_states_de.pdf, S. 13, abgerufen 17.2.2020.

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Körner, Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte

Die Definition der Transportveranlassung durch den Zwischenhändler in der deutschen Fassung des Art. 36a Abs. 3 MwStSystRL: „auf seine Rechnung“ entspricht nicht der Intention des Richtliniengebers. Entscheidend ist nach Auffassung der Kommission, wie sie in Tz. 3.6.5 Erläuterungen zu den Quick Fixes zum Ausdruck kommt,20 wer Vertragspartei für den Transport durch einen Dritten ist, mithin die Transportveranlassung. Drittlandsreihengeschäfte werden nicht in Art. 36a MwStSystRL geregelt. Vor allem exportseitig gibt es jedoch erhebliche Differenzen in der Rechtsanwendung, da sich einige Mitgliedstaaten anders als Deutschland an dem Ausführerbegriff nach UZK orientieren (zB Italien) und die Versendung oder Beförderung der Lieferung durch den zollrechtlichen Ausführer zuordnen. Im Inland stellen die Sätze 5 und 6 des neuen § 3 Abs. 6a UStG auf ein „Verwenden“ einer USt.IdNr. ab, wohingegen Art. 36a Abs. 2 MwStSystRL ein bloßes „Mitteilen“ der MwSt.-IdNr. ausreichen lässt. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 10.9.2019 um eine gesetzgeberische Definition des Begriffs „Verwenden“ gebeten.21 Die Bundesregierung hält dies für entbehrlich und verweist auf Abschn. 3a.2 Abs. 10 Sätze 2 ff. UStAE, wonach die „Verwendung einer USt.-IdNr.“ ein positives Tun des Leistungsempfängers, idR bereits bei Vertragsabschluss, voraussetzt.22 Generell ist Vorsicht geboten, wenn dem Lieferanten mehrere MwSt.IdNr. (aufgrund mehrerer MwSt.-Registrierungen) mitgeteilt werden. Hier sollte mit dem Lieferanten eine Verwendungsreihenfolge dieser MwSt.IdNr. abgeklärt werden.

3. Ausblick Ab dem 1.1.2021 werden bei Verkäufen über Marktplätze, Plattformen, Portale etc. bei Nutzung elektronischer Schnittstellen Reihengeschäfte für Fernverkäufe von aus Drittgebieten bzw. -ländern eingeführten Gegenständen bis 150 t Sachwert (Art. 14a Abs. 1 MwStSystRL nF) sowie innergemeinschaftliche Lieferungen durch Drittlandsunternehmen an 20 Explanatory Notes (Erläuterungen) „2020 Quick Fixes“ v. 20.12.2019, DG TAXUD, URL: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/ex planatory_notes_2020_quick_fixes_en.pdf, abgerufen 17.2.2020. 21 BR-Drucks. 356/1/19, 79. 22 BT-Drucks. 19/13712, 7.

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Körner, Gesetzliche Neuregelung der Reihengeschäfte

Nicht-Unternehmer (Art. 14a Abs. 2 MwStSystRL nF) gesetzlich in der Form fingiert, dass der elektronische Marktplatz abweichend vom Zivilrecht als Zwischenhändler gilt. Die Vorschläge der Kommission zum „finalen“ System der Besteuerung vom 25.5.201823 enthalten zwar eine Ablösung des Doppelsystems der Besteuerung als innergemeinschaftliche Lieferung und innergemeinschaftlicher Erwerb. Stattdessen soll nur noch eine Besteuerung der Lieferung im Bestimmungsmitgliedstaat erfolgen. Die Problematik der Reihengeschäfte bleibt jedoch vollumfassend erhalten, es droht aber ggf. sogar eine Mehrfachbesteuerung.24

23 Dokument (COM) 2018 329 final, URL: https://ec.europa.eu/taxation_customs/ sites/taxation/files/25_05_2018_proposal_on_detailed_technical_measures_for_ the_operation_of_the_definitive_vat_system_en.pdf, abgerufen 17.2.2020. 24 Körner, MwStR 2018, 693 (695).

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Änderungen bei der Grunderwerbsteuer Gerda Hofmann Ministerialrätin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Thomas Wagner Steuerberater, Düsseldorf I. Einleitung/Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens II. Übersicht über die in diesem Beitrag behandelten Themen III. Geplante Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG 1. Grundzüge 2. Verhinderung der bisherigen RETT-Blocker-Modelle 3. Begrenzte Überwachungsmöglichkeiten a) Grundsatzproblem b) Verdeutlichung am Beispiel einer börsennotierten AG

c) Übertragungen im Free Float d) Stellung des Ankerinvestors e) Übertragungen bei Fondsinvestoren (ETF) f) Generelle Anmerkungen zur Übertragungshäufigkeit von Aktien g) Reichweite von § 1 Abs. 2b GrEStG-E bei Berücksichtigung weiterer Aspekte IV. Zeitliche Anwendungsvorschriften V. Fazit

I. Einleitung/Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens Am 8.5.2019 wurde der Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom Bundesfinanzministerium veröffentlicht. Darin waren auch geplante Änderungen bei der Besteuerung von Share Deals im Rahmen der Grunderwerbsteuer enthalten. Die vorgeschlagenen Änderungen entsprachen den Erwartungen nach diversen Verkündungen infolge von (Länder-)Finanzministerkonferenzen.1 Die Änderungen sollten für Erwerbsvorgänge ab dem 1.1.2020 anwendbar sein.

1 Vgl. zu diesen Vorschlägen Wagner, DB 2018, 1553 ff. Vgl. hierzu auch die weiteren Beiträge von Brömel/Mörwald, DStR 2018, 1521 ff.; Behrens/Dworog, BB 2018, 1943. ff.; Joisten et. al, ifst-Schrift Nr. 528 „Reform der Erfassung von Share Deals bei der Grunderwerbsteuer“; Hirschberg/Schaflitzl, Ubg. 2019, 253 ff.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer

Die Vorschläge aus dem Referentenentwurf waren sodann inhaltlich unverändert in den Regierungsentwurf vom 31.7.2019 für ein Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes eingeflossen.2 Zum Ende Oktober 2019 wurden die geplanten Neuerungen dann jedoch überraschend nach einem Treffen der Parteien der „Großen Koalition“ vertagt;3 ggf. wurde damit auch auf die deutliche Kritik in der Anhörung im Finanzausschuss des Bundestags vom 14.10.2019 reagiert.4 Gegenwärtig ist daher unklar, ob und wann diese Änderungen nun Gesetz werden. Ungeachtet dessen sollen die geplanten Änderungen in diesem Beitrag mitsamt ihrer Auswirkungen vorgestellt werden.

II. Übersicht über die in diesem Beitrag behandelten Themen Kern der geplanten Gesetzänderungen waren insbes. drei Maßnahmen: –

Die Erstreckung des Tatbestands von § 1 Abs. 2a GrEStG (95%iger Gesellschafterwechsel) auf Kapitalgesellschaften, wobei hierfür ein Abs. 2b in § 1 GrEStG geschaffen werden sollte.



Die Absenkung der Beteiligungsschwellen innerhalb des § 1 GrEStG von 95 % auf 90 %.



Die Verlängerung der bisherigen Fünfjahresfristen vor allem bei § 1 Abs. 2a GrEStG auf zehn Jahre.

Diese Maßnahmen können anhand folgender Tabelle zusammengefasst werden. Die Neuerungen gegenüber dem geltenden Recht sind dabei durch Fettschrift hervorgehoben. Grunderwerbsteuer nach § 1 (…) GrEStG Kategorie Rechtsform der Grundstücksgesellschaft

Abs. 2a Personengesellschaft

Abs. 2b (gänzlich neu) Kapitalgesellschaft

Abs. 3

Abs. 3a

Kapital- oder Personengesellschaft

2 Vgl. BT-Drucks. 19/13437. 3 Vgl. die Pressemitteilung der AG Finanzen Nr. 385/2019 v. 24.10.2019. 4 Siehe eine Zusammenfassung unter https://www.bundestag.de/dokumente/text archiv/2019/kw42-pa-finanzen-grunderwerbsteuer-661270.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer Grunderwerbsteuer nach § 1 (…) GrEStG Direkte und/ oder indirekte Übertragung von 90 % der Anteile an der Gesellschaft auf neue Gesellschafter (Übertragungen auf AltGesellschafter sind ausgenommen)

Direkte und/ oder indirekte Vereinigung von 90 % der Anteile in den Händen eines Erwerbers (oder eines grunderwerbsteuerlichen Organkreises)

Direkte und/ oder indirekte Vereinigung von 90% der Anteile in den Händen eines Erwerbers („Innehaben“)

Relevanter Erwerbsvorgang

Direkte und/ oder indirekte Übertragung von 90 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter (Übertragungen auf AltGesellschafter sind ausgenommen)

Anzahl der Anteilserwerber bei Übertragungsvorgängen

Irrelevant

Einer (bei Einer GrESt.-Organschaft ggf. mehrere)

Überwachungszeitraum

10 Jahre

Irrelevant

Zeitpunkt des Anfalls von GrESt.

Wirksame Übertragung der Anteile (Verfügungsgeschäft/ Closing)

Rechtsgeschäft, das Anspruch auf Anteilsübertragung begründet (Verpflichtungsgeschäft/Signing)5

5 Vgl. in diesem Sinne wohl die gleich lautenden Ländererlasse v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1364 sowie deren „Neufassung“ durch gleich lautende Ländererlasse v. 19.9.2018, BStBl. I 2018, 1078 = StEK GrEStG § 1 Nr. 219, jeweils Tz. 1 Abs. 2. Nach überwiegender Literaturmeinung ist dagegen für Zwecke des § 1 Abs. 3a GrEStG wohl auf den dinglichen Anteilsübergang abzustellen; s. dazu Hofmann, GrEStG11, § 1 Rz. 191; Pahlke, GrEStG6, § 1 Rz. 438; Behrens in Behrens/Wachter, GrEStG, § 1 Rz. 668.

693

Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer Grunderwerbsteuer nach § 1 (…) GrEStG Grundbesitzende Gesellschaft selbst

Bemessungsgrundlage

Grundbesitzwert nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 iVm. § 157 Abs. 1–3 BewG (im Regelfall zwischen 70 % und 90 % des Verkehrswerts des Grundbesitzes)

Rangordnung bei gleichzeitiger Verwirklichung mehrerer Tatbestände

1.

2.

Erwerber (ggf. Organkreis oder bei Fällen der Übertragung bereits vereinigter Anteile zusätzlich der Veräußerer)

Erwerber (bei Fällen der Übertragung bereits vereinigter Anteile zusätzlich der Veräußerer)

Steuerschuldner

3.

4.

III. Geplante Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG 1. Grundzüge Die wohl größte Neuerung wäre die Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG gewesen. Der vorliegende Beitrag ist daher auf diese Vorschrift fokussiert. Auf die folgenden Aspekte ist dabei hinzuweisen: –

§ 1 Abs. 2b GrEStG-E sollte eine für grundbesitzende Kapitalgesellschaften anzuwendende Kopie von § 1 Abs. 2a GrEStG sein. Daher war davon auszugehen, dass die für § 1 Abs. 2a GrEStG entwickelten Grundsätze und auch die einschlägigen Verwaltungsanweisungen entsprechende Anwendung finden sollten.



Anders als bei Personengesellschaften im Kontext des § 1 Abs. 2a GrEStG sollten die Befreiungsvorschriften nach §§ 3–6 sowie 7 GrEStG für Kapitalgesellschaften keine Anwendung finden. Demnach war keine umfassende Gleichbehandlung von grundbesitzenden Personen- und Kapitalgesellschaften für GrESt.-Zwecke angestrebt. Bei den Erwerbsvorgängen sollten Kapitalgesellschaften zwar gleichgestellt werden. Bei den Befreiungstatbeständen sollte jedoch nur § 6a GrEStG zur Anwendung kommen.

694

Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer



Ebenso wie bei § 1 Abs. 2a GrEStG sollten neben direkten Gesellschafterwechseln auch indirekte Gesellschafterwechsel berücksichtigt werden, wobei die Berechnungsmethodik für diese indirekten Gesellschafterwechsel von der Rechtsform der beteiligten Gesellschaft abhängt.



Der erforderliche Übergang von 90 % der Anteile im 10-Jahreszeitraum konnte durch eine Vielzahl von Kleinstübertragungen verwirklicht werden. So genügte es, wenn bspw. 900 mal (verschiedene) 0,1 % der Anteile übertragen werden. Die Mehrfachübertragung des gleichen nämlichen Anteils (bspw. von 900 mal des „gleichen“ 0,1 %-Anteils) sollte dagegen unschädlich sein, wenn nicht weitere Anteilsübertragungen erfolgen, die insgesamt zu einem Überschreiten der 90 %-Schwelle führen.



Die „Immobilienquote“ sowie die Branchenzugehörigkeit der grundbesitzenden Gesellschaft waren irrelevant. § 1 Abs. 2b GrEStG-E sollte nicht nur für überwiegend grundbesitzende Gesellschaften Anwendung finden. Es musste sich nicht um eine Immobilienzweckgesellschaft handeln, die ausschließlich Immobilien hält und verwaltet. Stattdessen konnte es sich auch um operativ tätige Gesellschaften außerhalb des Immobiliensektors handeln, bei denen der Grundbesitz operativ genutzt ist (bspw. als Verwaltungsgebäude oÄ).



Nur Übertragungen auf Neugesellschafter sollten relevant sein. Übertragungen auf Altgesellschafter blieben dagegen unberücksichtigt. Bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen war zu vermerken, dass die FinVerw. ihre Sichtweise zur Neugesellschaftereigenschaft im Kontext des § 1 Abs. 2a GrEStG nach dem jüngsten gleich lautenden Ländererlass nochmals verschärft hat.6



§ 1 Abs. 2b GrEStG-E sollte Vorrang vor den Tatbeständen der Anteilsvereinigung haben, wenn diese „gleichzeitig“ verwirklicht werden.7



Die grundbesitzende Kapitalgesellschaft selbst und nicht einer oder mehrere der anteilserwerbenden Gesellschafter sollte Schuldner der GrESt. sein (§ 13 Nr. 7 GrEStG-E).

6 Vgl. dazu die gleich lautenden Ländererlasse v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314 = StEK GrEStG § 1 Nr. 223, insbes. Tz. 5.2.3 mit einer „Ebenen-Isolierung“ bei beteiligten Kapitalgesellschaften. 7 Vgl. dazu die geplanten Ergänzungen in den Eingangssätzen der Abs. 3 und 3a des § 1 GrEStG.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer

2. Verhinderung der bisherigen RETT-Blocker-Modelle Mit der Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG-E wären die bisherigen RETTBlocker-Modelle bei Kapitalgesellschaften wohl wirksam verhindert worden. Bisher ist es üblich, dass ein Hauptinvestor bis zu 94,9 % der Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft erwirbt. Die restlichen Anteile (mindestens 5,1 %) werden von einen Co-Investor übernommen. Mangels Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile wird keine GrESt. ausgelöst. Nach dem geplanten Recht hätte nur noch GrESt. vermieden werden können, wenn ein Verkäufer 5,1 % der Anteile zurückbehalten hätte – dann für einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren. Bei einer zusätzlichen Absenkung der Beteiligungsgrenze auf 90 % hätten mindestens 10,1 % zurückbehalten werden müssen. Hinzu kam, dass bei derartigen Strukturen unter Rückbehalt von Anteilen beim Verkäufer eine wirksame Kontrolle über mittelbare Gesellschafterwechsel beim 10,1 %-Gesellschafter möglich sein müsste, um ein ungewolltes Auslösen der GrESt. trotz Rückbehalt der 10,1 % der Anteile sicher auszuschließen. Dies gelingt nach geltendem Recht im Hinblick auf den 5,1 %-Gesellschafter nicht. Ferner hätte der 10,1 %-Gesellschafter ggf. „ewig“ und nicht nur für mindestens 10 Jahre beteiligt bleiben müssen, wenn die andere 89,9 % – jedenfalls in Teilen – weiterübertragen werden sollen.

3. Begrenzte Überwachungsmöglichkeiten a) Grundsatzproblem Schon bisher bereitet die im Rahmen des § 1 Abs. 2a GrEStG angewandte Fiktion des Grundstücksübergangs auf eine neue Personengesellschaft in der Praxis Probleme, weil die Steuerpflicht damit bei der Personengesellschaft selbst liegt und nicht beim Anteilserwerber. Während die Personengesellschaft von den direkten Gesellschafterwechseln Kenntnis erlangen kann, ist dies bei indirekten Gesellschafterwechseln oftmals nicht der Fall. Dieses Problem hätte sich zukünftig mit der Erstreckung auf Kapitalgesellschaften gesteigert. Selbst bei direkten Gesellschafterwechseln, bspw. bei börsennotierten AG, ist ein Transfer von Anteilen möglich, ohne dass die Gesellschaft davon Kenntnis nimmt. Im Fall der Kenntnis kann die Gesellschaft den Anfall der Steuer nicht verhindern.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer

b) Verdeutlichung am Beispiel einer börsennotierten AG Die Wirkungsweise der zuvor dargestellten Aspekte soll nun anhand des folgenden Beispiels illustriert werden.

Abb. 1: Börsennotierte Gesellschaft

In dem Beispiel hält eine börsennotierte Aktiengesellschaft (im Folgenden „AG“) Grundbesitz.8 Die Aktionärsstruktur der AG soll im Kern aus drei Aktionärsklassen bestehen: –

Ein Ankerinvestor, der 20 % der Anteile hält.



Diverse Fonds mit jeweils 5 % der Anteile, hier verdeutlicht an einem ETF. Der ETF soll die AG-Anteile dabei physisch halten (dh. kein synthetischer ETF, der die Beteiligung nur über Finanzderivate simuliert).



Free Float bestehend aus kleineren Aktionären, die jeweils weniger als 1 % der Anteile halten.

c) Übertragungen im Free Float Zahlreiche Kleinstübertragungen können insgesamt zu einem Überschreiten der 90 %-Schwelle führen. Die AG müsste daher in der Lage sein, die zahlreichen Bewegungen der Aktionäre zu überwachen. Dies 8 Ob sie diesen Grundbesitz selbst hält oder ob dieser in Töchtern ist, an denen die Gesellschaft direkt und/oder indirekt zu mindestens 90 % beteiligt ist, ist letztlich irrelevant. Wenn der Grundbesitz in den Töchtern ist, wird durch den Börsenhandel mit den Anteilen der Mutter ggf. § 1 Abs. 2b GrEStG-E bei diesen Töchtern und nicht bei der börsennotierten Gesellschaft selbst ausgelöst.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer

wird jedenfalls bei Inhaberaktien nicht möglich sein, weil der AG ihre Aktionäre nicht namentlich bekannt sind.9 Auch § 33WpHG10 schafft an dieser Stelle keine Abhilfe, weil dieser den Free Float aufgrund der dort vorgesehenen Meldeschwelle von 3 % der Stimmrechte nicht erfasst.11 Selbst wenn die AG ihre Aktionäre kennen würde, müsste sie im nächsten Schritt in der Lage sein, zwischen Alt- und Neugesellschaftern iSd. § 1 Abs. 2b GrEStG-E zu unterscheiden. Dies wird regelmäßig nicht oder nur mit sehr großem Aufwand möglich sein. Indirekte Gesellschafterwechsel im Free Float werden wohl nicht für die AG überwachbar sein. Es ist nicht erkennbar, warum bspw. eine zu 0,01 % beteiligte GmbH gegenüber der AG ihre Gesellschafter oder ihre Gesellschafterwechsel (ohne jegliche zeitliche Begrenzung) offen legen sollte. d) Stellung des Ankerinvestors Die fehlende Aufklärbarkeit der Anteilsverhältnisse und -verschiebungen im Free Float ist indes irrelevant, wenn die AG einen Ankerinvestor hat, der stabil 10,1 % der Anteile hält. In diesem Fall können die restlichen 89,9 % beliebig häufig ausgetauscht werden. Aus Sicht der AG ist diese Situation unbefriedigend. Dies liegt insbes. an den folgenden Aspekten: –

Der Ankerinvestor muss seine Anteile „bis in alle Ewigkeit“ halten. Eine Halteperiode bspw. von nur 10 Jahren reicht nicht, wenn die sonstigen Anteile permanent wechseln.

9 Selbst bei Namensaktien sind zumeist indes nur die inländischen Aktionäre bekannt. Bei ausländischen Aktionären kennt die Gesellschaft oftmals nur die depotführende Bank des Aktionärs. Auch wenn die Gesellschaften schon jetzt aus Eigeninteresse Erhebungen über ihre Aktionäre vornehmen, lassen sich – je nach Aktionärsstruktur – oftmals nur Quoten von 95 % oder darunter aufklären. Zudem handelt es sich um eine Stichtagsbetrachtung auf einen Zeitpunkt, der der Analyse um mehrere Wochen vorangeht. 10 Diese Vorschrift wurde im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe erwähnt, da hiermit vermeintlich das Vollzugsdefizit im Bereich börsennotierter Unternehmen abgemildert werden kann; vgl. dazu Hirschfeld/Schaflitzl, Ubg. 2019, 256. 11 Zudem beziehen sich die Meldepflichten gem. § 33 Abs. 1 und 4 WpHG nur auf Aktien an Inlandsemittenten und Emittenten, für die Deutschland der Herkunftsstaat ist. Ausländische Emittenten von Aktien wären damit im Regelfall nicht erfasst. Ob im Ausland dem WpHG entsprechende Regelungen gelten, ist indes ungewiss.

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Hofmann/Wagner, Änderungen bei der Grunderwerbsteuer



Als Ankerinvestor eignen sich im Kern (i) natürliche Personen oder (ii) solche Vehikel, die keine Gesellschafter haben. Anderenfalls kommt es dazu, dass indirekte Anteilsübertragungen zum Anfall von GrESt. führen. Zu (i): Natürliche Personen dürften die Anteile nur „todesbedingt“ übertragen (vgl. § 1 Abs. 2b Satz 6 GrEStG-E). Zu (ii): Hier dürften im Wesentlichen – sofern man Körperschaften des öffentlichen Rechts ausblendet – nur Stiftungen in Frage kommen, wobei diese auch im Visier der FinVerw. stehen und entsprechende Modelle zukünftig unterbunden werden sollen.12



Die AG muss mit dem Ankerinvestor eine Vereinbarung erreichen, nach der er – ggf. gegen ein zusätzliches Entgelt – garantiert, dass er seine Beteiligung sowohl direkt als auch indirekt stabil hält und die AG im Fall eines Garantieverstoßes von allen Kosten freistellt. In jedem anderen Fall wird der Ankerinvestor ein erhebliches Druckpotenzial gegenüber der AG und auch den Mitaktionären haben, weil er im Fall der Veräußerung seiner Anteile (i) GrESt. auslösen kann und (ii) der Gesellschaft ganz erhebliche Kosten für die GrESt.-Compliance aufbürdet. Sowohl die GrESt. nach (i) als auch die Kosten nach (ii) treffen den veräußernden Investor nur im Umfang seiner veräußerten Beteiligung durch den dann (vermutlich) reduzierten Verkaufspreis. Zu (ii): Ungeachtet einer entsprechenden Garantie durch den Ankerinvestor wird sich stets die Frage stellen, ob die AG auf eine weitestmögliche Überwachung ihrer Aktionäre verzichten kann. Eine Rekonstruktion der Anteilsbewegungen über 10 Jahre (bei indirekten Gesellschafterwechseln ggf. sogar mehr) wird wohl nicht möglich sein, wenn der Ankerinvestor seine Beteiligung entgegen der Garantie veräußert.

Angesichts dieses Befunds ist trotz eines (vermeintlich) stabilen Ankerinvestors auch auf die Fondsinvestoren zu blicken. e) Übertragungen bei Fondsinvestoren (ETF) Für nahezu jedes größere börsennotierte Unternehmen in Deutschland dürfte es Standard sein, dass Fonds und dabei insbes. wiederum börsengehandelte Indexfonds in größerem Umfang an ihnen beteiligt sind. Laut einer aktuellen Studie (Stand Juni 2019) entfallen im DAX 22,7 % aller Anteile auf ETF, wovon allein Blackrock mit verschiedenen Investment-

12 Vgl. Wagner, DB 2018, 1557; Hirschfeld/Schaflitzl, Ubg. 2019, 259.

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einheiten 9,4 % repräsentiert.13 Wenn man weitere aktiv verwaltete Fonds hinzunimmt, steigt die von Fonds gehaltene Anteilsquote im DAX gar auf 34,4 %. Die genannte Studie ist relevant, weil es sich bei § 1 Abs. 2b GrEStG-E nicht um eine Vorschrift handelt, deren Anwendungsbereich auf die Immobilienwirtschaft bezogen ist. Für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2b GrEStG-E auf die DAX-Konzerne genügt es, dass ein solcher Konzern über ein oder mehrere inländische Grundstücke verfügt, was regelmäßig der Fall ist. IdR verfügen größere Konzerne auch außerhalb des Immobiliensektors häufig über mehrere hundert oder gar tausend inländische Grundstücke in ihrem Eigentum. Mit Blick auf die von physisch replizierenden ETF (oder sonstigen Fonds) gehaltenen Anteile sind Besonderheiten für Fondsstrukturen zu beachten.14 Demnach wäre für GrESt.-Zwecke zu prüfen, ob es sich bei den an der AG beteiligten Fonds um Sondervermögen, Personengesellschaften, (Investment-)AG oder vergleichbare ausländische Vehikel handelt. Alternative 1 – Die Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) hält die Anteile an der AG treuhänderisch für die Fondsinvestoren: Neben den Direktübertragungen der AG-Anteile müssten auch Anteilsbewegungen bei den Gesellschaftern der KVG überwacht werden. Auch diese indirekten Gesellschafterwechsel sind nach § 1 Abs. 2b GrEStG-E relevant. Nach neuerer Verwaltungsauffassung im Kontext des § 1 Abs. 2a GrEStG-E würde hier zudem die Beschränkung auf 10 Jahre nicht zur Anwendung kommen.15 Konkret am Beispiel von Blackrock verdeutlicht: Wenn eine solche Konstellation vorläge, käme es für das Entstehen von GrESt. bei der AG darauf an, wie sich der Gesellschafterkreis von Blackrock verändert. Blackrock ist US-börsennotiert, dh. man müsste ua. die Anteilsbewegungen an der NYSE nachvollziehen. Alternative 2 – Die Anteile an der AG werden rechtlich vom Fondsvehikel selbst gehalten. In dieser Alternative müssten die Wechsel der ETFAnleger nachvollzogen werden. Hier dürften bei mehreren an einer AG beteiligten ETF mit zahlreichen Privatanlegern weitaus mehr als 1 Mrd.

13 Die Studie von IHS Markit und DIRK ist abzurufen unter: https://cdn.ihs. com/www/pdf/0519/DAX-Study-DIRK.pdf; s. auch die Zusammenfassung unter https://boerse.ard.de/aktien/dax-immer-mehr-in-angelsaechsischer-hand 100.html. 14 Vgl. dazu Wagner, DB 2019, 1409 ff. 15 Vgl. dazu gleich lautende Ländererlasse v. 12.11.2018, BStBl. I 2018, 1314 = StEK GrEStG § 1 Nr. 223, ua. Tz. 6.

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zu überwachende Übertragungsvorgänge erreicht werden.16 Bei Umbrella-Fonds besteht zudem die Besonderheit, dass für GrESt.-Zwecke auf den relevanten Teilfonds abgestellt werden müsste, dieser als rechtliche Einheit nach außen aber gar nicht auftritt. Dieser Aspekt ist vor allem praktisch wichtig, weil bspw. Blackrock zahlreiche seiner ETF im Rahmen von Umbrella-Fonds im Rechtskleid einer Irischen Public Limited Company auflegt.17 Für eine deutsche AG ist der relevante Teilfonds dabei nicht erkennbar. Auch die bereits zitierten §§ 33 ff. WpHG schaffen hier selbst bei einem Überschreiten der Meldeschwelle von 3 % keine Abhilfe und tragen nicht zur Aufklärung der Sachlage bei. Dies gilt zum einen deshalb, weil § 33 WpHG auf Stimmrechte und nicht wie für § 1 Abs. 2b GrEStG-E erforderlich auf Kapital- respektive Vermögensbeteiligungen abstellt. Dies gilt aber auch deshalb, weil hier im Ergebnis die Fondsmanagementgesellschaften und nicht die beteiligten Fondsvehikel meldepflichtig sind. Dementsprechend finden sich in den entsprechenden Statistiken – wiederum verdeutlicht am Beispiel von Blackrock – bspw. die BlackRock Fund Advisors, die BlackRock Asset Management (Deutschland) AG sowie die BlackRock Advisors (U.K.) Ltd. Auf diese Managementgesellschaften kommt es indes nicht an, wenn der praktische Befund zeigt, dass Blackrock seine Fonds in einer der AG vergleichbaren Rechtsform auflegt, die die Anteile an der AG selbst hält. Unabhängig von der Konstellation im Einzelfall dürfte offensichtlich sein, dass § 1 Abs. 2b GrEStG-E an dieser Stelle zu Überwachungsproblemen der AG führen könnte.18 f) Generelle Anmerkungen zur Übertragungshäufigkeit von Aktien Das Deutsche Aktieninstitut hat im Übrigen im Kontext der Einführung des § 1 Abs. 2b GrEStG erhoben, in welchem Turnus – gemessen am DAX – ein Austausch von 90 % der Gesellschafter erfolgt. Im Durchschnitt werden dabei alle 1,23 Jahre 90 % der Aktien ausgetauscht, wobei die 16 An dieser Stelle kann auf das Beispiel von Wagner, DB 2018, 1555 verwiesen werden. Dabei kam es bei einem einzigen Fonds im 10jährigen Überwachungszeitraum zu ca. 200 Mio. Übertragungsvorgängen. Bei 5 derartiger Fonds wäre die Grenze von 1 Mrd. bereits erreicht. 17 Siehe hierzu bspw. den Prospekt des „iShares VII Public Limited Company“ v. 4.4.2019, abzurufen unter www.blackrock.com. 18 Vgl. für die Frage nach einem strukturellen Vollzugsdefizit Behrens/Dworog, BB 2018, 1945 f. sowie Broemel/Mörwald, DStR 2018, 1526.

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Spanne bezogen auf die einzelnen DAX-Werte zwischen 5,3 Monaten und etwas mehr 3 Jahren lag. Bei der Berechnung wurde das Handelsvolumen in Relation zur Marktkapitalisierung gesetzt. Hieraus wird nicht abgeleitet werden können, dass in diesen Zeiträumen auch jeweils einmal GrESt. nach § 1 Abs. 2b GrEStG-E entsteht. Allerdings zeigt sich hier der Umfang der zu überwachenden Anteilsübertragungen durch die AG. g) Reichweite von § 1 Abs. 2b GrEStG-E bei Berücksichtigung weiterer Aspekte Die Reichweite von § 1 Abs. 2b GrEStG-E ergibt sich, wenn man berücksichtigt, dass börsennotierte Unternehmen Grundstücke auch hinzuerwerben bzw. verkaufen. Um § 1 Abs. 2b GrEStG-E Anwendung finden lassen zu können, müssen demnach die Daten aus Grundstückskaufverträgen (oder aus Kaufverträgen von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften) mit den Daten der Gesellschafterwechsel zusammengebracht werden. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Regierungsentwurf nur der letzte Übertragungsakt zur Komplettierung der 90 %Schwelle ab dem 1.1.2020 zu erfolgen hatte, um § 1 Abs. 2b GrEStG-E Anwendung finden zu lassen (vgl. § 23 Abs. 17 GrEStG-E).19 Eine börsennotierte Gesellschaft hätte demnach rückwirkend für 10 Jahre auf unmittelbarer Ebene und auf mittelbarer Ebene sogar zeitlich unbegrenzt ihre Anteilsbewegungen rekonstruieren müssen.

IV. Zeitliche Anwendungsvorschriften Sämtliche Neuerungen inklusive des geplanten § 1 Abs. 2b GrEStG-E sollten nach ursprünglicher Planung erstmals auf Erwerbsvorgänge Anwendung finden, die nach dem 31.12.2019 verwirklicht werden (vgl. § 23 Abs. 17 GrEStG-E). Bei denjenigen Erwerbsvorgängen, die in mehreren Schritten verwirklicht werden können (mithin § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG-E), sollten indes auch schon Anteilsübertragungsvorgänge vor dem 1.1.2020 mitzählen. Insofern brauchte vermutlich nur der letzte Anteilstransfer ab dem 1.1.2020 erfolgen.20 Darüber hinaus sollte durch diverse 19 Für weitere Details zu den zeitlichen Anwendungsfragen s. ua. Wagner, DB 2019, 1286 ff. 20 Vgl. RefE, 215, zu § 23 Abs. 17 GrEStG-E: „hat grundsätzlich auch Bedeutung für Rechtsvorgänge in der Vergangenheit“ (abrufbar unter https://www.bundes finanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/

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Anwendungsvorschriften vor allem vermieden werden, dass durch die abgesenkten Beteiligungsquoten (90 % anstelle von 95 %) Anteilsaufstockungen ohne Anfall von GrESt. möglich werden. Hierzu sollte eine parallele Weiteranwendung der Share Deal-Tatbestände mit der 95 %Schwelle angeordnet werden. Nach dem nunmehr verkündeten Aufschub ist die zeitliche Anwendung unklar.

V. Fazit Vor allem die Einführung von § 1 Abs. 2b GrEStG-E hätte das GrESt.Recht bei Share Deals verschärft. Zwar dürften die bestehenden RETTBlocker-Modelle mit dieser Vorschrift wirksam verhindert worden sein. Allerdings wären vermutlich auch Kollateralschäden verursacht worden, weil durch nicht auf Grundstücksübertragungen gerichtete Gesellschafterwechsel GrESt. auf der Ebene der jeweils grundbesitzenden Gesellschaft ausgelöst worden wäre. Die Gesellschaften hätten den Anfall von GrESt. zumeist nicht verhindern können, hätten aber gleichwohl ein umfassendes Monitoring für die Überwachung von Gesellschafterwechseln etablieren müssen. Besonders bei börsennotierten Gesellschaften (auch mit physisch replizierenden ETF als Gesellschaftern) hätten sich Überwachungsprobleme für die Gesellschaft ergeben. Insofern ist zu hoffen, dass im Zuge der immer noch geplanten Reformen Maßnahmen gefunden werden, um rein auf die Ersparnis von GrESt. abzielende Strukturierungen zu unterbinden.21

Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/201912-17-G-E-Mobilitaet/1-Referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=4). 21 Vgl. dazu auch im Kontext des § 1 Abs. 3 GrEStG BFH v. 22.1.2019 – II B 98/17, GmbHR 2019, 424. Der BFH betrachtet einen Gesellschafterwechsel (vor allem auf mittelbarer Ebene) zunehmend nach wirtschaftlichen Kriterien (Hinweis auf § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO).

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Aktuelle Entwicklungen bei Verständigungsverfahren, Schiedsverfahren und Streitbeilegung Karsten Flüchter1 Regierungsdirektor, Bundeszentralamt für Steuern, Bonn Prof. Dr. Michael Hendricks Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn I. Einführung II. Grundlagen zwischenstaatlicher Verständigungs- und Schiedsverfahren 1. Überblick über die wichtigsten reaktiven Instrumente 2. Zwischenstaatliche Verständigungsverfahren a) Grundlagen und Ablauf im Überblick b) Stellung des Steuerpflichtigen c) Praxishinweise zum Antrag auf Einleitung d) Antragsfrist e) Prozessuale Durchsetzung der Einleitung f) Statistik und peer reviews 3. Zwischenstaatliche Schiedsverfahren a) Rechtsnatur und Bedeutung b) Schiedsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen c) Schiedsverfahren gemäß EU-Schiedskonvention d) Stellung des Steuerpflichtigen e) Ablauf am Beispiel der EU-Schiedskonvention

f) Praxishinweise zum Antrag auf Einleitung g) EU-Schiedskonvention und Brexit III. Impulse durch das Multilaterale Instrument der OECD/G20 1. Zielsetzung 2. Hintergrund und Rechtsnatur des MLI 3. Impulse für Verständigungsverfahren 4. Impulse für Schiedsverfahren IV. Impulse durch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie 1. Hintergrund der Richtlinie 2. Umsetzung in Deutschland 3. Überblick über den Verfahrensgang 4. Neuerungen im Vergleich zu bisherigen Verständigungsund Schiedsverfahren 5. Verhältnis zu anderen Verfahren und Rechtsbehelfen a) Verhältnis zu zwischenstaatlichen Verfahren nach anderen Normen b) Verhältnis zu nationalen Rechtsbehelfen

1 Der Beitrag ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und stellt die persönliche Sicht des Autors dar.

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Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung V. Herausforderung in der Praxis: Wahl der richtigen Rechtsgrundlage

VI. Nationale Rechtsbehelfsverfahren vs. zwischenstaatliche Verfahren VII. Ausblick

I. Einführung Die Landschaft der internationalen Streitbeilegung zur Verhinderung internationaler Doppelbesteuerung und anderer abkommenswidriger Besteuerung ist dabei, sich erheblich zu verändern. Im Zuge des BEPS-Projekts haben sich OECD- und G20-Staaten im Oktober 2015 auf einen umfangreichen Mindeststandard für Verständigungsverfahren geeinigt.2 Inzwischen haben sich über 130 Staaten im Rahmen des sogenannten „Inclusive Framework“ zur Einhaltung dieses Mindeststandards politisch verpflichtet.3 Dazu gehört auch ein Monitoring des Mindeststandards durch peer reviews, dh. eine Überprüfung jedes Staats durch jeweils alle anderen Partnerstaaten. Mittlerweile liegen die Ergebnisse von über 50 solcher peer reviews vor, darunter der erste Bericht zu Deutschland, veröffentlicht im Dezember 2017.4 Zu den Ergebnissen des BEPSProjekts gehört auch ein Bekenntnis von 20 Staaten zu Schiedsverfahren im Anschluss an erfolglose Verständigungsverfahren.5 Um Schiedsklauseln schnell in möglichst viele bilaterale Abkommen integrieren zu kön-

2 Siehe OECD, Making Dispute Resolution Mechanisms More Effective, Action 14 – 2015 Final Report, 2015, deutsche Fassung: Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen, Aktionspunkt 14 – Abschlussbericht 2015, deutsche Fassung erschienen 2018, jeweils Tz. 3 ff. 3 Zum „Inclusive Framework“ s. OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS, Progress report July 2018 – May 2019, abrufbar unter www.oecd.org/tax/beps/ inclusive-framework-on-beps-progress-report-july-2018-may-2019.htm (alle angegeben Links Stand 6.6.2020). 4 Abrufbar unter www.oecd.org/tax/beps/beps-actions/action14. Am 9.4.2020, also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, ist inzwischen auch schon der zweite Bericht zu Deutschland veröffentlicht worden, abrufbar unter demselben Link. 5 OECD, Making Dispute Resolution Mechanisms More Effective, Action 14 – 2015 Final Report, 2015, deutsche Fassung: Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen, Aktionspunkt 14 – Abschlussbericht 2015, deutsche Fassung erschienen 2018, jeweils Tz. 62 f.

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nen, enthält das sogenannte Multilateral Instrument (MLI)6 in seinen Art. 18–26 optional Regeln für ein Schiedsverfahren. Das MLI wurde seit Juni 2017 von inzwischen über 90 Staaten unterzeichnet, darunter Deutschland. Zwar steht die Ratifizierung in Deutschland noch aus, für eine Reihe anderer Staaten ist das MLI aber bereits in Kraft und wird schrittweise immer mehr DBA verändern und ua. Schiedsverfahren ermöglichen. In der Folge des BEPS-Projekts und der Arbeiten an den Schiedsverfahrensregeln im MLI wurde 2017 auch Art. 25 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) angepasst. In Deutschland wurden seit 2016 inzwischen fünf Urteile des FG Köln zum Zugang zu Verständigungsverfahren veröffentlicht – nach zuvor mehr als 15 Jahren ohne ein veröffentlichtes Urteil zu diesem Thema.7 Zudem hat das BMF 2018 eine aktualisierte Fassung des Merkblatts zu Verständigungs- und Schiedsverfahren veröffentlicht.8 Die auf der Ebene des Unionsrechts sichtbarste Veränderung bewirkt die am 10.10.2017 vom Rat der Europäischen Union beschlossene Richtlinie (EU) 2017/1852 „über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union“ (im Weiteren kurz: „EU-Streitbeilegungsrichtlinie“).9 Fast alle Mitgliedstaaten haben die Richtlinie inzwischen umgesetzt. In Deutschland ist dazu, mit leichter Verspätung, ein neues „EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz“ (kurz: „EU-DBA-SBG“) geschaffen worden, seit dem 12.12.2019 steht es im Ge-

6 Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS (deutsch: Mehrseitiges Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung), v. 24.11.2016, s. www.oecd.org/tax/treaties/multilateral-con vention-to-implement-tax-treaty-related-measures-to-prevent-beps.htm. 7 FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 1205/15, EFG 2016, 1151. rkr. (zunächst eingelegte Rev. I R 40/16 später zurückgenommen); v. 14.4.2016 – 2 K 2402/13, EFG 2016, 1218, rkr.; v. 6.5.2015 – 2 K 3712/10, EFG 2015, 2088, rkr.; v. 18.1.2017 – 2 K 930/13, EFG 2017, 715, nrkr., Rev. Az. BFH I R 82/17; v. 4.7.2018 – 2 K 2679/17, EFG 2018, 1745, rkr. Seit dem 19.3.2020 (Tag der Veröffentlichung auf der Website des BFH), also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, liegt auch das Urteil des BFH im Fall I R 82/17 vor (BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = GmbHR 2020, 614). 8 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309; zuvor BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 233. 9 Richtlinie (EU) 2017/1852 v. 10.10.2017, ABl. EU 2017, Nr. L 265, 1.

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setzblatt.10 Anträge („Beschwerden“) können bereits seit dem 1.7.2019 auf die Richtline gestützt werden. Angesichts dieser vielfältigen Entwicklungen soll dieser Beitrag einen Überblick über die jetzt zur Verfügung stehenden Instrumente geben, mit besonderem Fokus auf die Impulse durch MLI und EU-Streitbeilegungsrichtlinie sowie die für die Beratungspraxis wichtige Frage, nach welchen der jetzt in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen im Einzelfall vorgegangen werden sollte.

II. Grundlagen zwischenstaatlicher Verständigungs- und Schiedsverfahren 1. Überblick über die wichtigsten reaktiven Instrumente Rein nationale Rechtsbehelfsverfahren sind nur bedingt geeignet, eine eingetretene Doppelbesteuerung effektiv zu beseitigen. Denn nationale Gerichte wenden DBA ohne grenzüberschreitende Koordination an. Beschreitet der Stpfl.im Fall einer Doppelbesteuerung in beiden involvierten Staaten den nationalen Rechtsweg, kann es passieren, dass die Gerichte in beiden Staaten die Besteuerung des eigenen Staats als abkommenskonform qualifizieren und damit als rechtmäßig bestätigen.11 Dann kann es ggf. bei einer doppelten Besteuerung bleiben, obwohl diese durch das im jeweiligen Fall anwendbare DBA eigentlich verhindert werden soll. Anstelle eines nationalen Rechtsbehelfsverfahrens – ggf. auch daneben oder danach – kann ein Stpfl., der sich abkommenswidrig (insbes. unzulässig doppelt besteuert) sieht, seit jeher12 ein im jeweiligen DBA vorgesehenes internationales Verständigungsverfahren in Gang setzen: Ist ein Stpfl. der Auffassung, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten für ihn zu einer Besteuerung führen, die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht, kann er bei den zuständigen Behörden die

10 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union v. 10.12.2019, BGBl. I 2019, 2102. 11 Vgl. im Einzelnen Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 8.4 ff. 12 Mehr zur Geschichte zB bei Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 Rz. 4; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 13 ff.; vertiefend zB Gloria, Das steuerliche Verständigungsverfahren und das Recht auf diplomatischen Schutz, 1988, 123 ff.

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Einleitung eines internationalen Verständigungsverfahrens beantragen. Geregelt ist das – wegen der prägenden Wirkung des Musters der OECD – in den meisten Abkommen in Art. 25 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 2.13 Nach klassischen Verständigungsklauseln schulden die Vertragsstaaten lediglich das „Bemühen“, durch zwischenstaatliche Verständigung eine abkommenswidrige Besteuerung zu beseitigen (vgl. Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA). Vor diesem Hintergrund werden gelegentlich trotz Bemühens Verfahren ohne Verständigung beendet; in der Folge bleibt es bei der als abkommenswidrig gerügten Besteuerung (ggf. also bei einer Doppelbesteuerung).14 In Deutschland sollen im Fall des Scheiterns eines Verständigungsverfahrens die örtlichen Steuerbehörden prüfen, ob eine Doppelbesteuerung durch einseitige deutsche Billigkeitsmaßnahmen abgemildert werden kann.15 Mit Rücksicht auf diese Schwäche klassischer Verständigungsverfahren ist es aus Sicht der Stpfl. erfreulich, dass das OECD-Musterabkommen seit 2008 – ebenso wie eine wachsende Zahl deutscher DBA – bei erfolglos bleibenden Verständigungsverfahren die Durchführung eines zwischenstaatlichen Schiedsverfahrens vorsieht.16 Sind die Vertragsstaaten im Fall des Scheiterns des Verständigungsverfahrens zur Anrufung einer Schiedsstelle verpflichtet, spricht man von einem obligatorischen Schiedsverfahren; entscheiden sie über die Durchführung eines solchen Verfahrens nach Ermessen, handelt es sich um fakultative Schiedsverfahren.17 Letztere Variante findet sich noch in zwei 13 Art. 25 OECD-MA und die ihm nachgebildeten DBA regeln außerdem in Art. 25 Abs. 3 noch antragsunabhängige Verständigungsverfahren (in Deutschland auch als Konsultationsverfahren bezeichnet); dabei geht es im Wesentlichen um Verständigungen über Auslegungs- und Anwendungsfragen allgemeiner Art, also solche, die eine ganze Gruppe oder Kategorie von Stpfl. betreffen oder betreffen können. Hierauf kann im Rahmen dieses Beitrags nicht näher eingegangen werden. 14 Bei den in 2018 abgeschlossenen 658 Verfahren mit deutscher Beteiligung scheiterte in lediglich ca. 2 % der Fälle nach Verfahrenseinleitung die zwischenstaatliche Verständigung. Mehr Zahlen s.u. zu II.2.f). 15 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 8.2. 16 Zum Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA vgl. zB Herlinghaus, IStR 2010, 125; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 449; Nientimp/Tomson, IStR 2009, 615. 17 Grundlegend Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen, 2001, 31 ff. und 73 ff.

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etwas älteren deutschen Abkommen: in den DBA mit Kanada18 und mit Schweden19. Das OECD-MA (Art. 25 Abs. 5, seit 2008) und aktuell elf deutsche DBA sehen – nach erfolglosem Verständigungsverfahren – obligatorische Schiedsverfahren vor. Es handelt sich um die DBA mit Armenien,20 Australien,21 Frankreich,22 Japan,23 Liechtenstein,24 Luxemburg,25 den Niederlanden,26 Österreich,27 der Schweiz,28 den USA29 und dem Vereinigten

18 Art. 25 Abs. 6 DBA Kanada 2001; dazu W. Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 25 DBA Kanada Rz. 42; Lüthi in Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 25 DBA-Kanada Rz. 5. 19 Art. 41 Abs. 5 DBA Schweden 1992;vgl. hierzu Lüthi in Gosch/Kroppen/ Grotherr/Kraft, DBA, Art. 41 DBA-Schweden Rz. 5. 20 Art. 24 Abs. 5 DBA Armenien 2016, für Steuerjahre ab 2018, dem UN-MA entsprechend nur auf Antrag einer der zuständigen Behörden. 21 Art. 25 Abs. 5 DBA Australien 2015, für Steuerjahre ab 2017. 22 Art. 25 Abs. 5 DBA Frankreich idF des Zusatzabkommens 2015, für Steuerjahre ab 2016; vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 591 ff. 23 Art. 24 Abs. 5 DBA Japan 2015, grds. für Steuerjahre ab 2017, nach Nr. 10 Buchst. h des Protokolls zum DBA nach besonderer Vereinbarung für den Einzelfall auch für ältere Jahre. 24 Art. 25 Abs. 5–7 DBA Liechtenstein 2011. 25 Art. 24 Abs. 5 DBA Luxemburg 2012, für Steuerjahre ab 2014; vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 633 ff. 26 Art. 25 Abs. 5 DBA Niederlande 2012, für Steuerjahre ab 2016; dem DBA direkt anliegend und als dessen Bestandteil geltend eine Verständigungsvereinbarung zur Durchführung von Schiedsverfahren; s. Flüchter in Schönfeld/ Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 638 ff. 27 Art. 25 Abs. 5 DBA Österreich 2000, mit der weltweit bisher einzigartigen Besonderheit, dass der EuGH als Schiedsgericht eingesetzt wurde; vgl. hierzu Stefaner in Wassermeyer, DBA, Art. 25 DBA Österreich Rz. 3 ff.; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 648. 28 Art. 26 Abs. 5–7 DBA Schweiz idF des Änderungsprotokolls 2010, anwendbar auch auf Altfälle; vgl. hierzu Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 26 DBASchweiz Rz. 230 ff.; Kuntschik/Bödefeld, IStR 2012, 137. Konsultationsvereinbarung über die Durchführung von Schiedsverfahren: BMF v. 3.3.2017 – IV B 2 - S 1301-CHE/07/10026-10 – DOK 2016/1197524, BStBl. I 2017, 379 = StEK DoppBest. Schweiz Nr. 121. 29 Art. 25 Abs. 5 und 6 DBA USA idF des Protokolls 2006, anwendbar auch auf Altfälle; hierzu Schönfeld, Ubg. 2008, 544; Loh/Peters, RIW 2008, 294; Eimermann in Wassermeyer, DBA, Art. 25 DBA USA Rz. 59 ff. Verständigungsvereinbarung über die Anwendung des Schiedsverfahrens: BMF v. 16.1.2009 – IV B 2 - S 1301-USA/08/10001 – DOK 2009/0013814, BStBl. I 2009, 345.

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Königreich30. Das MLI wird nach dessen deutscher Ratifizierung einige deutsche DBA so modifizieren, dass zukünftig im Verhältnis zu weiteren Staaten Schiedsverfahren möglich werden (dazu s.u. zu III.). Für den Bereich der Verrechnungspreise (einschließlich der Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten) besteht innerhalb der Europäischen Union bereits seit 1990 neben den DBA eine weitere Rechtsgrundlage für Verständigungsverfahren und ggf. anschließende Schiedsverfahren, nämlich das Übereinkommen 90/436/EWG über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (nachfolgend EU-Schiedskonvention).31 Hierbei handelt es sich um ein multilaterales völkerrechtliches Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten der EU. Es hat in der Praxis mittlerweile recht große Bedeutung erlangt.32 Zu den schon bestehenden Möglichkeiten eines Verständigungsverfahrens und ggf. anschließenden Schiedsverfahrens nach dem jeweils einschlägigen (idR Art. 25 OECD-MA nachgebildeten) Artikel eines bilateralen DBA (ggf. in Verbindung mit dem MLI) oder eines Verständigungsverfahrens und ggf. anschließenden Schiedsverfahrens nach EU-Schiedskonvention

30 Art. 26 Abs. 5 DBA Großbritannien 2010, für Steuerjahre ab 2011; zu dieser Klausel vgl. Beckmann in Wassermeyer, DBA, Art. 26 DBA Großbritannien Rz. 6; Kuntschik/Bödefeld, IStR 2012, 137. Verständigungsvereinbarung zur Regelung der Durchführung des Schiedsverfahrens: BMF v. 10.10.2011 – IV B 3 - S 1301-GB/11/10003 – DOK 2011/0757911, BStBl. I 2011, 956 = StEK DoppBest. Großbritannien Nr. 31. 31 ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10, BGBl. II 1993, 1308 und BGBl. II 1995, 84; später geändert durch Übereinkommen v. 21.12.1995 (Beitritt Österreich, Finnland und Schweden), ABl. EG 1996 Nr. C 26, 1, BGBl. II 1999, 1010 und BGBl. II 2006, 575; Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999, C 202, 1, BGBl. II 1999, 1082 und BGBl. II 2005, 635; Übereinkommen v. 8.12.2004 (Beitritt Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakische Republik, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn, Zypern), ABl. EU 2005 Nr. C 160, 1, BGBl. II 2006, 554, BGBl. II 2007, 754, BGBl. II 2011, 952; Beschl. des Rats v. 23.6.2008 (Beitritt Bulgarien und Rumänien), ABl. EU 2008 Nr. L 174, 1; Beschl. des Rats v. 19.12.2014 (Beitritt Kroatien), ABl. EU 2014 Nr. L 358, 19. 32 Vgl. zur EU-Schiedskonvention zB Krabbe, IStR 1996, 5; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 268; Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474; Hinnekens, EC Tax Review 2010, 109; Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303; Hendricks in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international tätiger Unternehmen, 2014, Rz. 10.30 ff.; vertiefend auch die (allerdings nicht mehr ganz aktuelle) Kommentierung EU-SchÜ von Krabbe in Wassermeyer, DBA.

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ist seit 2019 ein dritter Komplex an Normen hinzugekommen: Auch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie und deren deutsche Umsetzung im EUDBA-SBG sind nunmehr eine Rechtsgrundlage für Verständigungsverfahren und ggf. anschließende Schiedsverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten der EU, wenn diese Streitigkeiten „durch die Auslegung und Anwendung von Abkommen und Übereinkommen entstehen, welche die Beseitigung von Doppelbesteuerung von Einkommen und ggf. Vermögen vorsehen“ (näher zu EU-Streitbeilegungsrichtlinie und EU-DBA-SBG s.u. zu IV.). Für alle genannten Verständigungs- und Schiedsverfahren gilt: Der Stpfl. kann das Verfahren beantragen, ist selbst aber grundsätzlich nicht Beteiligter des Verständigungs- oder Schiedsverfahrens. Es handelt sich nicht um ein Rechtsbehelfsverfahren im engeren Sinne.33 Vielmehr handelt es sich um ein Verfahren eigener Art. Es geht um völkerrechtliche Streitbeilegung in einem Streit zwischen Staaten über Auslegung bzw. Anwendung eines Abkommens, die vom Stpfl. lediglich angestoßen wird. Dennoch werden die Verfahren, zumindest auch, im Interesse der Stpfl. geführt, idR um deren Doppelbesteuerung zu beseitigen. Den Stpfl. kommen auch relevante Verfahrensrechte zu, die in der EU-Streitbeilegungsrichtlinie in der bisher stärksten Weise formalrechtlich garantiert werden, aus deutscher Sicht aber schon zuvor im Rahmen der bisherigen Rechtsgrundlagen anerkannt wurden, wie das Merkblatt des BMF und die Urteile des FG Köln seit 2016 zeigen: Liegen die in der einschlägigen Rechtsgrundlage niedergelegten Voraussetzungen vor, kann der betroffene Stpfl. insbes. ggf. die Einleitung eines Verfahrens (ggf. auch eines Schiedsverfahrens) erzwingen (s.u. zu II.2.e).34 Ein einvernehmlicher Abschluss einer Betriebsprüfung, „audit settlements“ ausländischen Rechts oder auch eine deutsche innerstaatliche tatsächliche Verständigung35 zwischen Stpfl. und Verwaltung stehen einem Verständigungsverfahren nicht im Weg. Das ist Teil des von OECD

33 Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.90. 34 Kritisch zur (bisherigen) Verfahrensstellung des Stpfl.zB Drüen, IStR 2015, 609 (616); kritisch zur Sicherung der Gesetzesbindung Mellinghoff, DStJG 36 (2013), 198 (Diskussionsbeitrag). 35 Tatsächliche Verständigung iSv. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002 – DOK 2008/0411043, BStBl. I 2008, 831; vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor §§ 118–129 AO Rz. 10 ff.; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 78 AO Rz. 112 ff.

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und G20 2015 beschlossenen Mindeststandards zu Verständigungsverfahren36 und kommt inzwischen auch im OECD-Kommentar zum OECDMA 2017 zum Ausdruck.37 Das BMF hat das 2017 ebenfalls in einem Schreiben klargestellt, das 2018 in die Neufassung des Merkblatts zu Verständigungsverfahren integriert wurde.38 Allerdings ist der Zugang zum Verständigungsverfahren nach Verwaltungsauffassung nicht gleichzusetzen mit dem Zugang zu Schiedsverfahren. So ist es aus Sicht des BMF sachgerecht, den Abschluss einer innerstaatlichen tatsächlichen Verständigung davon abhängig zu machen, dass der Stpfl. darauf verzichtet, den Inhalt der tatsächlichen Verständigung zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens zu machen.39

2. Zwischenstaatliche Verständigungsverfahren a) Grundlagen und Ablauf im Überblick Bei einem Verständigungsverfahren handelt es sich wie dargestellt um ein antragsgebundenes zwischenstaatliches Verwaltungsverfahren. Klassische Rechtsgrundlage sind die jeweiligen Verständigungsklauseln der zwischen den Staaten geltenden DBA. Bei Fällen, die Verrechnungspreise zwischen verbundenen Unternehmen oder die Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten innerhalb der EU betreffen, kommt als Rechtsgrundlage außerdem Art. 6 EU-Schiedskonvention in Betracht. Neuerdings – genauer dazu später – bieten auch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie und das sie in Deutschland umsetzende EU-DBA-SBG eine Rechtsgrundlage für Verständigungsverfahren innerhalb der EU. Das vom BMF mit Schreiben vom 9.10.2018 aktualisiert herausgegebene umfangreiche Merkblatt enthält Einzelheiten zu Antragstellung, Einleitung, Durchführung und zur Umsetzung erzielter Verständigungs-

36 Siehe OECD, Making Dispute Resolution Mechanisms More Effective, Action 14 – 2015 Final Report, 2015, deutsche Fassung: Verbesserung der Effizienz von Streitbeilegungsmechanismen, Aktionspunkt 14 – Abschlussbericht 2015, deutsche Fassung erschienen 2018, jeweils Tz. 30 ff. 37 Vgl. Art. 25 OECD-MK 2017 Rz. 45.1. 38 BMF v. 5.4.2017 – IV B 5 - S 1304/0-04 – DOK 2017/0292035, BStBl. I 2017, 707; inzwischen integriert in BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 5. 39 Vgl. BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 5.

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vereinbarungen.40 Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie ist darin noch nicht berücksichtigt. Die Aufgaben der zuständigen Behörde nimmt in Deutschland das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) in Bonn wahr. Fundstellen entsprechender Merkblätter anderer Staaten, ausländische zuständige Behörden und Hinweise auf Besonderheiten der jeweiligen Praxis sind auf der Website der OECD zu finden.41 Daneben hat die OECD schon vor über zehn Jahren ein unverbindliches sog. „Manual on Effective Mutual Agreement Procedures“ (auch „MEMAP“) mit Empfehlungen zur praktischen Durchführung der Verfahren veröffentlicht.42 Das Verständigungsverfahren beginnt mit einem rein innerstaatlichen Verfahrensabschnitt in dem Staat, in dem der Antrag gestellt wird, das ist idR der Ansässigkeitsstaat des Antragstellers. Dieser Abschnitt wird in Deutschland auch als Vorprüfungs- und Abhilfeverfahren bezeichnet. Innerhalb dieser ersten Phase klärt die angerufene nationale Behörde, ob der Antrag zulässig und begründet ist und ob dem Begehren des Stpfl. unilateral abgeholfen werden kann. Ist der Antrag zulässig und begründet und wird eine Möglichkeit zur Abhilfe nicht gesehen, geht das Verfahren dann in die zweite – zwischenstaatliche – Phase über. Erst in dieser zweiten Phase findet das eigentliche Verständigungsverfahren zwischen den beteiligten nationalen Behörden statt: Ein Bemühen um eine zwischenstaatliche Verständigung, die eine abkommenswidrige Besteuerung vermeidet bzw. beseitigt. Bei Verfahren mit deutscher Beteiligung ist dieses Bemühen idR von Erfolg gekrönt und die zuständigen Behörden finden eine Verständigung, fast immer mit dem Vorbehalt, dass diese nur umgesetzt wird, wenn der Antragsteller der Verständigung zustimmt und ggf. noch offene innerstaatliche Rechtsbehelfe erledigt. Verfahrensrechtlich ist die Umsetzung in Deutschland in § 175a AO geregelt. Bei ausbleibender Verständigung ist entweder – je nach Rechtsgrundlage – ggf. ein Schiedsverfahren denkbar oder das Verfahren wird, wenn eine der zuständigen Behörden keine Aussicht auf Einigung mehr sieht, als gescheitert beendet.

40 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. All. Nr. 309; zuvor BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 233. 41 Unter www.oecd.org/ctp/dispute/country-map-profiles.htm. 42 Abrufbar unter: www.oecd.org/ctp/dispute/manualoneffectivemutualagree mentprocedures-index.htm. Das Manual wurde allerdings seit 2007 nicht mehr aktualisiert und enthält entsprechend zB noch keine Hinweise auf den 2015 im Rahmen des BEPS-Projekts beschlossenen Mindeststandard.

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Der Ablauf lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen:

b) Stellung des Steuerpflichtigen Positivrechtliche Regelungen zu der Frage, über welche Rechte der Antragsteller im Verständigungsverfahren nach DBA oder EU-Schiedskonvention verfügt, finden sich – vom Antragsrecht abgesehen – weder auf Abkommens- noch auf innerstaatlicher Ebene. An dem zwischenstaatlichen Verfahren selbst – einem „government-to-government-process“43 – ist der Antragsteller nicht direkt beteiligt. Nach Antragstellung hat der Stpfl. dementsprechend keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf den Ausgang des Verfahrens oder den Inhalt der Verständigung.44 In der Praxis kann der Stpfl. die zwischenstaatliche Verständigung jedoch über den Inhalt seines Antrags beeinflussen. Insbesondere durch eine mit entsprechenden Beweismitteln unterlegte überzeugende Sachverhaltsdarstellung kann er verhindern, dass die involvierten Staaten ihre Verständigung auf einen unzutreffenden Sachverhalt stützen. In der Praxis gewährt die FinVerw. dem Stpfl. innerhalb des Verständigungsverfahrens Anhörungs- und Mitwirkungsrechte. Nach dem deutschen Merkblatt soll das BZSt den Stpfl. über Stand und Fortgang des Verfahrens unterrichten. Der Stpfl. kann ferner Anträge stellen, sich zu den

43 So die Bezeichnung der OECD, vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 163. 44 Drüen in Festg. Wassermeyer, 2015, Nr. 68 Rz. 20; Decker, PIStB 2002, 193 (198).

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für die Verständigung erheblichen Tatsachen und Rechtsfragen äußern sowie sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.45 c) Praxishinweise zum Antrag auf Einleitung Das Verständigungsverfahren nach dem Vorbild von Art. 25 Abs. 1 OECDMA ist antragsgebunden. Die Antragsbefugnis besteht nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA unbeschadet von innerstaatlichen Rechtsbehelfen. Der Umstand, dass der nationale Rechtsweg noch nicht erschöpft ist, steht einem Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht entgegen.46 Für die Praxis ist zu beachten, dass nach dem Verständnis des BMF der Antrag auf Einleitung eines Verständigungsverfahrens nicht einen Antrag auf Erstattung von Quellensteuer ersetzt.47 Ein solcher sollte daher vorab gestellt werden. Erst bei Ablehnung der Erstattung oder sehr langem Ausbleiben einer Entscheidung über die Erstattung ist die Einleitung eines Verständigungsverfahrens anzustreben.48 Als Antragsteller kommt nach den Verständigungsartikeln der DBA idR jede Person in Betracht, die geltend machen kann, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten für sie zu einer Besteuerung führen oder führen werden, die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht (vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Dies setzt voraus, dass sich der Antragsteller überhaupt auf das Abkommen berufen kann. Abkommensberechtigt ist nach den meisten DBA (vgl. Art. 1 OECD-MA), wer in zumindest einem Vertragsstaat ansässig ist.49 Darüber hinaus sind idR auch Staatsangehörige eines Vertragsstaats antragsberechtigt, soweit sie sich auf das Verbot der Staatsangehörigkeitsdiskriminierung berufen, auch ohne in einem der Staaten ansässig zu sein. Schließlich verweist das BMF-Merkblatt darauf, dass der Antrag zusätzlich von jeder Person ge-

45 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 3.3.1. 46 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.1.5. 47 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.1.6. Im Merkblatt wird nur ausländische Quellensteuer ausdrücklich angesprochen. 48 Krämer, IWB 2007, Fach 3 Gr. 2, 1331 (1332). 49 Ausführlich zur Abkommensberechtigung zB Dremel in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 1 Rz. 31 ff.

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stellt werden kann, die durch eine abkommenswidrige Besteuerung betroffen ist, was etwa bei Haftungsfällen der Fall sein kann.50 Nach Verständigungsklauseln, die dem Muster der OECD entsprechen, muss die antragstellende Person im Rahmen ihres Antrags geltend machen, dass Maßnahmen eines Vertragsstaats oder beider Vertragsstaaten „für sie“ zu einer Besteuerung führen (oder führen werden), die dem jeweiligen Abkommen nicht entspricht (Selbstbetroffenheit, vgl. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Das Merkmal Selbstbetroffenheit wird insbes. für Verrechnungspreissachverhalte zu Recht weit verstanden.51 Hier ist zwar häufig evident, dass es zu einer abkommenswidrigen Besteuerung in Form einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung gekommen ist; welcher der beiden Staaten den Fremdvergleichsgrundsatz unzutreffend angewendet hat – und damit gegen die Klauseln zur Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen verstoßen hat (Art. 9 OECD-MA) –, ist hingegen weniger offensichtlich. Es reicht im Verrechnungspreisfall daher aus, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder seine (inländische) Besteuerung oder die (ausländische) Besteuerung des mit ihm verbundenen Unternehmens als abkommenswidrig zu qualifizieren ist. Eine Selbstbetroffenheit ist in diesen Fällen also auch dann zu bejahen, wenn der Antragsteller offen lässt, welcher Staat sich abkommenswidrig verhalten hat.52 Fallstricke können sich ua. in Organschaftskonstellationen ergeben. Hat nur die Organgesellschaft als abkommensberechtigte Person die Durchführung eines Verständigungs- oder Schiedsverfahrens beantragt,53 schlägt ein erfolgreicher Verfahrensabschluss nicht zwingend auf das deutsche Besteuerungsverfahren durch. Denn für Zwecke der deutschen Besteue50 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.1.2. Die Ausdehnung der Antragsbefugnis auf andere als Abkommensberechtigte ist allerdings eine Besonderheit des BMF-Merkblatts, die in den Abkommenstexten selbst oder im OECD-Kommentar keine Erwähnung findet. 51 Vgl. hierzu bereits Hendricks in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international tätiger Unternehmen, 2014, Rz. 10.10 mwN. 52 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.3.1. Flüchter in Schönfeld/ Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 53 ff. sowie Rz. 131 f.; Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 Rz. 33. 53 Die Zugehörigkeit zu einem Organkreis steht der Abkommensberechtigung insoweit nicht entgegen, vgl. nur Wassermeyer in Wassermeyer, DBA, Art. 3 OECD-MA Rz. 18c.

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rung ist das Einkommen idR dem Organträger zuzurechnen. Aber auch auf der Ebene des Organträgers ist eine Berücksichtigung möglicherweise problematisch. Jedenfalls für Zeiträume vor Einführung des Feststellungsverfahrens nach § 14 Abs. 5 KStG54 (also für Zeiträume vor 2014) soll nach einem Urteil des FG München eine Anwendung des § 175a AO auf Organträgerebene nicht möglich sein, wenn nur die Organgesellschaft das Verständigungsverfahren beantragt hatte.55 Zur Vermeidung von Zweifeln sollten – auch für neuere Zeiträume – Organgesellschaft und Organträger einen gemeinsamen Antrag auf Einleitung des Verständigungsverfahrens stellen. Praktische Hinweise zur Antragstellung, insbes. zu den im Antrag erforderlichen Angaben, finden sich im Merkblatt56 und für Verfahren nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie in der Richtlinie selbst (Art. 3 Abs. 3) und in § 5 EU-DBA-SBG. d) Antragsfrist Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA muss der Antrag innerhalb von drei Jahren nach der „ersten Mitteilung der Maßnahme“, die zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führt, gestellt werden. Eine entsprechende Regelung enthält auch Art. 6 Abs. 1Satz 2 EU-Schiedskonvention. Standardfall für den Fristbeginn ist die Bekanntgabe des Steuerbescheids. Spätere Änderungsbescheide können allenfalls insoweit einen neuen Fristbeginn auslösen, wie sie eine neue als abkommenswidrig angesehene Besteuerung mitteilen (etwa bei Verböserung). Für die Fristwahrung ist der Eingang beim BZSt maßgeblich. Bei Anträgen nach DBA (aber nur solchen, also nicht bei Anträgen nach EU-Schiedskonvention oder EUStreitbeilegungsrichtlinie) genügt nach dem Merkblatt auch der Eingang

54 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (UntStReiseKG) v. 20.2.2013, BGBl. I 2013, 285. 55 FG München v. 28.10.2008 – 6 K 2831/07, juris; ebenso Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175a AO Rz. 7; vgl. dazu auch bereits Hendricks, Ubg. 2011, 711 (717 unter 4.6.). 56 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.3.3 und (für Verrechnungspreisfälle) Tz. 11.3.2 und 11.3.4; zuvor bereits BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 233 Tz. 2.3.3, 11.3.2 und 11.3.4.

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beim örtlich zuständigen FA.57 In der Beratungspraxis besonders zu beachten: Die Dreijahresfrist läuft auch während innerstaatlicher Rechtsbehelfsverfahren weiter. Das hat in einem Urteil von 2016 auch das FG Köln bestätigt.58 Die Dreijahresfrist entspricht der regelmäßigen deutschen Abkommenspraxis. Einige wenige Abkommen sehen eine Zweijahresfrist, das DBA USA hingegen eine Vierjahresfrist vor. Die früher im Merkblatt enthaltene Anlage mit einer Übersicht über Abkommen mit besonderen Fristen ist in der Neuauflage 2018 des Merkblatts nicht mehr enthalten, statt dessen werden im Merkblatt selbst die wenigen verbliebenen DBA mit Zweijahresfrist aufgezählt.59 Sofern das jeweilige DBA keine Antragsfrist vorgibt, stimmt die deutsche FinVerw. im Regelfall einer Einleitung des Verfahrens bei Antragstellung innerhalb einer Frist von vier Jahren zu.60 Ob bei DBA ohne Antragsfrist die Einleitung von Verfahren bei späterer Antragstellung abgelehnt werden darf, ist unklar. Das FG Köln hat 2016 geurteilt, bei Abkommen, deren Verständigungsklausel eine Formulierung wie Art. 25 Abs. 2 Satz 1 OECD-MA enthält (wie im Urteilfall das DBA Schweiz), bestehe für die Ablehnung auf Basis einer durch reine Verwaltungsregelung eingeführten Vierjahresfrist keine Rechtsgrundlage.61 Die hiergegen von der Verwaltung zunächst eingelegte Revision wurde später zurückgenommen, die entsprechende Passage des BMFMerkblatts ist bei der Neuherausgabe 2018 aber nicht geändert worden. Möglicherweise kommen je nach Fallkonstellation Einschränkungen

57 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.2.2 einerseits (für Anträge nach DBA) und Tz. 11.2.1 andererseits (für Anträge nach EU-Schiedskonvention); zuvor bereits BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 233 Tz. 2.2.2 und 11.2.1. 58 FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 2809/13, EFG 2016, 1216 Rz. 22, rkr. 59 Vgl. BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.2.2: eine Zweijahresfrist enthalten danach nur noch die DBA Belgien, Indonesien, Italien, Kanada, Pakistan, Portugal und Venezuela. 60 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.2.3; zuvor bereits BMF v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 233 Tz. 2.2.3. 61 FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 1205/15, EFG 2016, 1151, rkr. (mit Anm. BozzaBodden; die zunächst eingelegte Rev. I R 40/16 würde später zurückgenommen); zustimmend Bickenbach, ISR 2016, 305 (310 f.).

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durch innerstaatliche Verjährung oder Verwirkung des Antrags in Betracht.62 Meist werden in einem Doppelbesteuerungsfall zwei Steuerbescheide vorliegen, ein inländischer und ein ausländischer, die erst zusammengenommen zu einer Doppelbesteuerung führen. Bei der Berechnung der Antragsfrist an die Bekanntgabe des „tatsächlich abkommenswidrigen Steuerbescheids“ anzuknüpfen, würde aus Sicht des Antragstellers nicht nur zu erheblicher Unsicherheit bei der Berechnung der Antragsfrist führen, sondern darüber hinaus in der Praxis eine Vielzahl präventiver Anträge provozieren. Wohl vor diesem Hintergrund stellen sowohl die OECD als auch das BMF in diesen Fällen auf die jüngere Maßnahme ab: Beruht die gerügte Abkommenswidrigkeit – wie in Verrechnungspreisfällen – auf dem Zusammenspiel der Besteuerung beider Staaten, so kommt es für den Fristbeginn nach der Verwaltungsauffassung auf die Bekanntgabe des „letzten Bescheids“ an.63 e) Prozessuale Durchsetzung der Einleitung Hält das BZSt einen Antrag auf Verständigungsverfahren für unzulässig (etwa wegen Verfristung) oder unbegründet (weil der Antragsteller aus Sicht des BZSt weder in Deutschland noch im Ausland abkommenswidrig besteuert wurde), dann lehnt es den Antrag ab und unterrichtet den Antragsteller über diese Entscheidung.64 Die Ablehnung kann, wie die in den letzten Jahren veröffentlichten Urteile zeigen, schon nach den bisherigen Rechtsgrundlagen in Deutschland gerichtlich überprüft werden. In einem Fall wurde vom Kläger erfolgreich die Einleitung eines Verständigungsverfahrens erzwungen,65 in den anderen vier seit 2016 veröffentlichten Fällen wurde allerdings die behördliche Ablehnung gerichtlich bestätigt.66 Das FG Köln geht seit 2016 davon aus, dass ein betroffener Stpfl. 62 Vgl. Flüchter, ISR 2016, 311 (314 ff.). 63 BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.2.1; ebenso OECD-MK Ziff. 24 zu Art. 25; OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 Tz. 4.53 Satz 5; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 99 f.; Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 Rz. 38; Becker in Haase, AStG/DBA3, Art. 25 OECD-MA Rz. 20. 64 Vgl. BMF v. 9.10.2018 – IV B 2 - S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.4.3. 65 FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 1205/15, EFG 2016, 1151 Rz. 40 f., rkr. (die zunächst eingelegte Rev. I R 40/16 würde später zurückgenommen). 66 FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 2402/13, EFG 2016, 1218, rkr.; v. 6.5.2015 – 2 K 3712/10, EFG 2015, 2088, rkr.; v. 18.1.2017 – 2 K 930/13, EFG 2017, 715, Rev.

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auf der Grundlage einer dem OECD-MA entsprechenden Verständigungsklausel (und auch bei Anträgen nach der EU-Schiedskonvention) und bei Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen (zulässiger und begründeter Antrag, sowie keine Abhilfe in Deutschland möglich) einen Anspruch auf Verfahrenseinleitung hat.67 Zuvor hatte der größere Teil der Literatur der Verwaltung ein Ermessen bei der Frage der Einleitung zugestanden.68 Im bei Abfassung dieses Beitrags bisher einzigen, aber schon fast 40 Jahre alten BFH-Urteil zum Zugang zu Verständigungsverfahren hatte der BFH eine Klagemöglichkeit unter Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG bejaht, aber offen gelassen, welche Klageart statthaft ist.69 Das FG Köln hat 2016 – in Übereinstimmung mit Teilen der Literatur70 – eine allgemeine Leistungsklage, ohne Notwendigkeit eines vorherigen Einspruchsverfahrens, für statthaft gehalten, die Frage aber letztlich ebenfalls offen gelassen.71 Teile der Literatur halten eine Verpflichtungsklage (nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens),72 andere Teile eine Leistungsklage iVm. einer Anfechtungsklage gegen einen ggf. vorhandenen ablehnenden Bescheid (dann ebenfalls nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens)73 für statthaft. Das BZSt versieht Ablehnungsbescheide mit einer Rechts-

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Az. BFH I R 82/17; v. 4.7.2018 – 2 K 2679/17, EFG 2018, 1745, rkr. Seit dem 19.3.2020 (Tag der Veröffentlichung auf der Website des BFH), also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, liegt auch das Urteil des BFH im Fall I R 82/17 vor (BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = GmbHR 2020, 614); der BFH hat das FG bestätigt. FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 1205/15, EFG 2016, 1151 Rz. 40 f., rkr. (mit Anm. Bozza-Bodden; zunächst eingelegte Rev. I R 40/16 später zurückgenommen). Ausführlich zu dieser Frage mwNFlüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 138 ff. BFH v. 26.5.1982 – I R 16/78, BStBl. II 1982, 583 = FR 1982, 467. Zum seit dem 19.3.2020 (Tag der Veröffentlichung auf der Website des BFH), also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, vorliegenden Urteil des BFH im Fall I R 82/17 (BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = GmbHR 2020, 614) s.u. So etwa Schaumburg in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 23.19; ebenso bereits FG Hamburg v. 13.7.2000 – V 2/97, EFG 2001, 27, rkr. FG Köln v. 14.4.2016 – 2 K 1205/15, EFG 2016, 1151 Rz. 36, rkr.; zuvor schon FG Hamburg v. 13.7.2000 – V 2/97, EFG 2001, 27, rkr. Leising, IStR 2002, 114 (115); Engler/Elbert in Vögele/Borstell/Engler4, Rz. F 263. Flüchter, ISR 2016, 311 (312); Hardt in Wassermeyer, DBA, Art. 26 DBA Schweiz Rz. 36.

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behelfsbelehrung, die zunächst auf den Einspruch verweist. In den seit 2016 veröffentlichten Fällen war die Frage der Klageart nicht entscheidungserheblich.74 Zur Vermeidung von Zulässigkeitsproblemen sollte, wenn eine gerichtliche Überprüfung eines Ablehnungsbescheids beabsichtigt wird, sicherheitshalber innerhalb der üblichen Monatsfristen Einspruch eingelegt und ggf. später geklagt werden. Möglicherweise wird der I. Senat des BFH sich in Kürze im Rahmen der Entscheidung über das Verfahren I R 82/17 zu dieser Frage höchstrichterlich positionieren.75 Die EU-Streitbeilegungsrichtlinie bringt für Anträge (bzw. „Streitbeilegungsbeschwerden“), die auf ihre nationalen Umsetzungsbestimmungen gestützt werden, zusätzliche Möglichkeiten der Erzwingung von Verfahren (mehr zur Richtlinie s.u. zu IV.). f) Statistik und peer reviews International haben zwischenstaatliche Verständigungsverfahren in den letzten zehn Jahren sehr deutlich an Relevanz gewonnen. Die öffentlich zugänglichen (inzwischen recht detaillierten) Zahlen für inzwischen fast 90 Staaten nach den seit 2016 geltenden neuen einheitlichen Zählregeln sind ebenfalls eine Folge des 2015 von OECD und G20 beschlossenen Mindeststandards.76 Aus der Fülle des heute verfügbaren Zahlenmaterials – ua. auch, für die seit 2016 neuen Verfahren, Zahlen zu bilateralen Verhältnissen – können für einen ersten Überblick hier nur einige Zah74 Weil entweder zuvor fristgerecht Einspruch eingelegt und dann innerhalb eines Monats nach Einspruchsentscheidung geklagt worden war, oder weil sich die Verwaltung auf eine Sprungklage eingelassen hatte, oder weil es keinen ablehnenden Bescheid gab, den man mit Einspruch hätte anfechten können/ müssen. 75 Die mündliche Verhandlung in dieser Sache hat am 25.9.2019 stattgefunden. Seit dem 19.3.2020 (Tag der Veröffentlichung auf der Website des BFH), also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, liegt auch das Urteil des BFH vor (BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = GmbHR 2020, 614), der BFH hat im entschiedenen Fall die allgemeine Leistungsklage als statthaft angesehen. Der Fall weist aber die Besonderheit auf, dass es keinen an die Kläger gerichteten ablehnenden Bescheid des BZSt gab, den man zunächst mit Einspruch bzw. Anfechtungsklage hätte anfechten können/müssen; s. dazu auch Hendricks/Strotkemper, Ubg. 2020, 310 (313 f.). 76 Quelle für alle folgenden Zahlen ist die OECD, s. www.oecd.org/tax/dispute/ mutual-agreement-procedure-statistics.htm. In allen genannten Zahlen sind auch Schiedsverfahren enthalten, die nach dem OECD-Statistikrahmen als Teil des Verständigungsverfahrens begriffen werden. Zahlen nur für Schiedsverfahren liegen dagegen nicht vor.

722

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

len zu den Staaten mit den meisten Verfahren wiedergegeben werden. In fast allen Staaten ist die Zahl neuer Verfahren pro Jahr von 2008 bis 2018 erheblich gestiegen, in Deutschland von 177 auf 615.

29

25

32

41

24

22

43

52

50

Dänemark

21

72

68

Deutschland

177 177 150 306 277 267 374 363 353 582

615

Finnland Frankreich

8

5

11

24

13

24

2016

23 20

2015

581

22

2014

213 120 120 151 124 205 428 426 502

China

2013

2012

2011

2010

2018

71

2017

Belgien

2009

2008

Anzahl im jeweiligen Kalenderjahr neuer Verständigungsverfahren

14

56

49

20

45

36

154 169 135 173 181 216 201 173 296 336

449

Indien

30

78 80

148

159 206

256

Italien

14

31

22

41

45

52

Kanada

85

103 101

94

87

127 127 130 124

Luxemburg

31

25

35

75

39

64

51

34

Niederlande

89

136

93

97

45

116 212 284 250

243

83

75

87

128 113 223

357

Österreich

36

30

38

35

61

41

49

43

70

81

89

Polen

19

14

7

9

5

19

18

6

28

70

36

Schweden

104

64

104 111 100

65

91

92

63

114

108

Schweiz

99

119

65

112 120 131 109 148 147 169

170

Spanien

24

24

24

18

36

25

33

112

211

Vereinigtes Königreich

44

56

68

54

69

79

117 115 109 344

251

Vereinigte Staaten von Amerika

308 326 252 279 236 403 354 289 179 299

253

30

85

Angesichts dessen überrascht nicht, dass auch die Zahl der am jeweiligen Jahresende offenen Verfahren gestiegen ist (wobei für Deutschland aber zuletzt, dh. von 2017 auf 2018, die Zahl der offenen Verfahren etwas gesunken ist). 723

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

2014

2015

2016

2017

2018

2012

2011

2010

2013

Belgien

2009

2008

Anzahl der am Jahresende anhängigen Verfahren

152 265 142 241 305 317

492

632

752

738

681

43

56

99

108

131

111

57

72

148

178

193

193

China Dänemark

79

86

67

57

55

Deutschland 519 543 484 702 787 858 1029 1147 1180 1241 1198 Finnland

20

22

32

37

50

103

109

95

109

114

116

Frankreich

328 427 490 539 551 618

549

566

837

882

972

645

763

841

Indien Italien

56

67

102 130 174

250

319

438

583

742

Kanada

186 206 225 225 222 235

257

272

224

176

147

Luxemburg

35

38

59

109

76

72

123

137

234

170

172

Niederlande

127 118

97

99

140 123

198

259

297

350

321

Österreich

105 120 106 110 137 156

180

185

227

255

311

Polen

33

44

40

42

78

129

140

Schweden

125 103 134 163 198 183

186

192

179

208

235

Schweiz

88

143 142 187 231 256

271

328

349

338

349

Spanien

66

76

79

78

93

287

275

408

Vereinigtes Königreich

126 120 131 133 143 160

190

229

314

457

430

Vereinigte Staaten von Amerika

578 724 705 686 573 732

956

998

967

983

1007

32

80

26

84

28

87

29

82

Insgesamt lag die durchschnittliche Dauer bei Verfahren mit deutscher Beteiligung für die in 2017 abgeschlossenen Verfahren bei 22,59 Monaten und für die in 2018 abgeschlossenen Verfahren bei 22,21 Monaten (bei isolierter Betrachtung nur der Verrechnungspreisfälle 2017: 30,35 Monate und 2018: 39,14 Monate).77 Teil des von OECD und G20 2015 beschlosse77 So die von Deutschland via OECD veröffentlichten Zahlen.

724

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

nen Mindeststandards ist es, anzustreben, Verständigungsverfahren im Durchschnitt innerhalb von 24 Monaten abzuschließen. Mit den genannten Zahlen liegt Deutschland im angestrebten Rahmen. Über dem 24 Monate-Durchschnitt lagen 2018 zB Mexiko (53 Monate), Indien (37 Monate) und China (32 Monate), aber auch die USA (34 Monate), Korea (34 Monate) und Italien (29 Monate). Der von der OECD mitgeteilte Durchschnitt aller Staaten lag 2018 bei 21 Monaten (in Verrechnungspreisfällen bei 33 Monaten). Für alle diese durchschnittlichen Verfahrensdauern gilt die übliche Warnung: es handelt sich um einen Durchschnitt, die Verfahrensdauer kann – auch zwischen denselben Staaten – von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Die Zahlen gerade der letzten Jahre zeigen, dass inzwischen Verständigungsverfahren auch für Nicht-OECD-Staaten, insbes. Indien und China, praktische Relevanz gewonnen haben. Bei Indien könnte das auch damit zusammenhängen, dass in der Folge des OECD/G20-Mindeststandards die indische Verwaltung im November 2017 mitgeteilt hat, dass entgegen der dortigen früheren Auffassung Verständigungsverfahren in Verrechnungspreisfällen auch dann geführt werden können, wenn das Abkommen keine Art. 9 Abs. 2 OECD-MA entsprechende Vorschrift enthält.78 Bei den in 2018 abgeschlossenen 658 Verfahren mit deutscher Beteiligung erfolgte in ca. 88 % der Fälle eine unilaterale Abhilfe oder eine bilaterale Verständigung. In ca. 5 % der Fälle wurde der Antrag auf Einleitung als unzulässig bzw. unbegründet abgelehnt, in weiteren 5 % wurde der Antrag vom Antragsteller zurückgenommen. Lediglich in ca. 2 % der Fälle scheiterte nach Verfahrenseinleitung die zwischenstaatliche Verständigung.79 In einzelnen Staaten gibt es aber durchaus höhere Scheiternsquoten. Von allen Verfahren, die von China (mit Deutschland oder einem anderen Staat der Welt) in 2018 beendet wurden, scheiterten zB immerhin 22 %. Seit 2017 bis Ende 2019 hat die OECD die Ergebnisse von mittlerweile über 50 peer reviews veröffentlicht.80 In den peer reviews wird geprüft, in78 Pressemitteilung des Central Board of Direct Taxes v. 27.11.2017, abrufbar unter www.incometaxindia.gov.in/Lists/Press%20Releases/Attachments/674/ Press-Release-Clarification-India-position-acceptance-MAP-bilateral-APAcountries-27-11-2017.pdf; in den Textausgaben des OECD-MA 2017 ist die frühere indische Position, vgl. noch OECD-MK 2014 zu Art. 25, Positionen Rz. 5, entfallen. 79 Siehe www.oecd.org/tax/dispute/2018-map-statistics-germany.pdf. 80 Vgl. insgesamt www.oecd.org/tax/beps/beps-actions/action14.

725

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

wieweit die jeweiligen Staaten und Gebiete den 2015 beschlossenen Mindeststandard zu Verständigungsverfahren erfüllen, der aus einer Reihe von Einzelelementen besteht. Kein Staat erfüllt den Mindeststandard schon vollständig. So gibt es zB überall noch ältere Abkommen, die hinter Art. 25 Abs. 1, 2 und 3 OECD-MA 2014 zurückbleiben und Anforderungen des neuen Mindeststandards noch nicht erfüllen. Eine Reihe von Staaten haben Empfehlungen hinsichtlich der für Verständigungsverfahren zur Verfügung gestellten personellen Ressourcen erhalten. Der im Dezember 2017 veröffentlichte peer review-Bericht zu Deutschland81 hat Deutschland ein ordentliches Zeugnis ausgestellt. Die meisten deutschen Abkommen erfüllen den 2015 beschlossenen Mindeststandard bereits. Die bei der peer review zur Verfügung stehenden Zahlen zur durchschnittlichen Verfahrensdauer lagen noch etwas über dem nach Mindeststandard anzustrebenden Durchschnitt von 2 Jahren.82 Unter anderem das wurde als Indiz dafür gesehen, dass die in Deutschland zur Verfügung stehenden Personalressourcen noch nicht ausreichen könnten,83 eine Prüfung der Ressourcen wurde empfohlen. Zusammenfassend heißt es, insgesamt erfülle Deutschland die meisten Elemente des Mindeststandards, wo es noch Defizite gebe, werde daran gearbeitet.84 Die Anzahl der im BZSt. für den Bereich Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/ 81 Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Report, Germany (Stage 1), veröffentlicht 15.12.2017, s. www.oecd.org/tax/beps/makingdispute-resolution-more-effective-map-peer-review-report-germany-stage-19789264285804-en.htm. 82 Es lagen seinerzeit nur die Zahlen für 2016 vor, die durchschnittliche Verfahrensdauer für 2016 abgeschlossene Verfahren lag bei ca. 26 Monaten. 83 Wörtlich heißt es: „indicates … that additional resources … may be necessary“. 84 Wörtlich: „Overall Germany meets most of the elements of the Action 14 Minimum Standard. Where it has deficiencies, Germany is working to address them.“ Im am 9.4.2020, also nach der Tagung und nach der Abfassung dieses Beitrags, vorgelegten zweiten Bericht zu Deutschland wird bescheinigt, die identifizierten Defizite seien zwischenzeitlich fast alle beseitigt (wörtlich: „Where it has deficiencies, Germany worked to address them, which has been monitored in stage 2 of the process. In this respect, Germany has solved almost all identified deficiencies.“) Spezifisch zu den Personalressourcen heißt es jetzt: „… Germany should closely monitor whether the addition of resources recently provided and foreseen will be sufficient …“. Vgl. Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Report, Germany (Stage 2), veröffentlicht 9.4.2020, s. https://www.oecd-ilibrary.org/taxation/making-dis pute-resolution-more-effective-map-peer-review-report-germany-stage-2_9d6 c280c-en.

726

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

APAs zur Verfügung stehenden Planstellen wurde von 2016 auf 2018 bereits von 43 auf 66 erhöht.85

3. Zwischenstaatliche Schiedsverfahren a) Rechtsnatur und Bedeutung Wie schon vorgehend (zu II.2.a) dargestellt, sind die im internationalen Steuerrecht vorgesehenen Schiedsverfahren dem zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren bei ausbleibender Einigung nachgeschaltete (im OECD-MA als Teil des Verständigungsverfahrens verstandene) einzelfallbezogene zwischenstaatliche Verfahren, die darauf ausgerichtet sind, dass der Besteuerungskonflikt durch den Schiedsspruch einer unabhängigen und unparteiischen Stelle (Schiedsstelle, Schiedsgericht, „Beratender Ausschuss“) entschieden wird. Der Stpfl. erhält bei Vorliegen der Voraussetzungen somit eine Lösung (der er idR zustimmen oder sie ablehnen kann) auch dann, wenn sich die Staaten zuvor im Verständigungsverfahren nicht einigen konnten. Das ist eine Gemeinsamkeit sowohl der Schiedsverfahren nach DBA als auch der Schiedsverfahren nach der EUSchiedskonvention, und auch die neue EU-Streitbeilegungsrichtlinie und das sie umsetzende EU-DBA-SBG weichen im Grundsatz nicht davon ab. Die Schiedsklauseln erhöhen vor allem den Druck auf die zuständigen Behörden, das Verständigungsverfahren aktiv zu führen und sich innerhalb der vorgegebenen Zeit um Verständigung zu bemühen und dabei Augenmaß und Kompromissbereitschaft zu zeigen.86 Auch wenn es in der Praxis zum eigentlichen Schiedsverfahren nur selten kommt87 – ihr Ziel erreichen die Schiedsklauseln auch dann, wenn es allein durch ihre Exis85 Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Report, Germany (Stage 1), Tz. 127 sowie Making Dispute Resolution More Effective – MAP Peer Review Report, Germany (Stage 2), Tz. 179. 86 Züger, Schiedsverfahren für Doppelbesteuerungsabkommen, 2001, 116 f.; Ault/Sasseville, BIT 2009, 208 (215); Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 OECD-MA Rz. 205; Schmitz in Strunk/Kaminki/Köhler, AStG/DBA, Art. 25 OECD-MA Rz. 69 (Stand Okt. 2009); Bödefeld/Kuntschik, IStR 2009, 449 (454); Nientimp/Tomson, IStR 2009, 615 (619); Herlinghaus, IStR 2010, 125 (125); Peters/Haverkamp, BB 2011, 1303 (1306); Becker in Haase, AStG/DBA3, Art. 25 OECD-MA Rz. 47; Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof, 2017, 310 (315 ff.); Grotherr, RIW 2017, 331 (339); Art. 25 UN-MK Rz. 5, vierter Spiegelstrich. 87 Vgl. Hinnekens, ECTR 2010, 109 (109), Lodin, Intertax 2014, 173 (173); s. auch Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 36.

727

Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

tenz, auch ohne eigentliches Schiedsverfahren, zur Einigung der zuständigen Behörden kommt.88 b) Schiedsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen Wie oben bereits bemerkt, enthalten zwar bisher bei weitem nicht alle deutschen DBA Schiedsklauseln, aber doch eine wachsende Anzahl (s.o. die Aufzählung unter II.1.). Dazu gehören die praktisch besonders relevanten DBA mit den Nachbarstaaten Österreich, Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Niederlande und Großbritannien sowie das DBA mit den USA. Hier handelt es sich überall um obligatorische Schiedsklauseln, dh. die Staaten können bei Vorliegen der Voraussetzungen zu Schiedsverfahren verpflichtet sein. Die meisten der DBA-Schiedsklauseln orientieren sich an Art. 25 Abs. 5 OECD-MA (seit 2008 im MA, im MA 2017 leicht verändert). Weniger dem OECD-MA entsprechend sind insbes. die Schiedsklauseln im DBA USA und im DBA Schweiz sowie die weltweit bisher einzigartige Schiedsklausel im DBA Österreich, die den EuGH als Schiedsgericht festlegt. Im September 2017 ist es erstmals zu einer Schiedsentscheidung des EuGH auf der Grundlage des Art. 25 Abs. 5 DBA Österreich gekommen.89 Die DBA-Schiedsklauseln geben den Staaten typischerweise 2 Jahre, manchmal auch 3 Jahre (DBA Österreich, DBA Schweiz, DBA Frankreich) Zeit,90 eine Lösung im Verständigungsverfahren zu finden, erst danach wird eine Schiedsstelle eingesetzt. Details zur Anwendung der Schiedsklauseln sind teilweise in bilateralen allgemeinen Verständigungsvereinbarungen geregelt worden.91 Auch bei der Frage, inwieweit ggf. vorliegen-

88 Owens, IStR 2007, 472 (473); de Ruiter, European Taxation2008, 493 (499); van Herksen, in Bakker/Levey, Transfer Pricing and Dispute Resolution, 2011, 39 (41); Rosenbloom, in Lang/Owens, International Arbitration in Tax Matters, 2015, 159 (166); Hendricks in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 8.105. 89 EuGH v. 12.9.2017 – C-648/15 (Österreich/Deutschland), IStR 2017, 866; siehe dazu Cloer/Niemeyer, FR 2018, 674; Luts/Kempeneers, EC Tax Review 2018, 5; Michel, European Taxation 2018, 2; Strotkemper, IStR 2019, 235. 90 Der Beginn dieser Zwei- oder Dreijahresfrist ist im Detail unterschiedlich geregelt, vgl. zB Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 277 ff. 91 Die Fundstellen der bisher vier vorliegenden allgemeinen Vereinbarungen zur Durchführung der jeweiligen Schiedsklausel (mit den Niederlanden, der Schweiz, den USA und dem Vereinigten Königreich) sind schon oben unter II.1. aufgeführt.

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Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

de nationale Gerichtsentscheidungen einem Schiedsverfahren im Weg stehen können, unterscheiden sich die DBA.92 c) Schiedsverfahren gemäß EU-Schiedskonvention Obwohl nicht in allen deutschen DBA mit den anderen Mitgliedstaaten der EU Schiedsklauseln enthalten sind, waren bereits bisher, dh. auch schon vor der EU-Streitbeilegungsrichtlinie, Schiedsverfahren zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zwischen allen EU-Mitgliedstaaten möglich – allerdings beschränkt auf Fälle von Doppelbesteuerung, die im Rahmen der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen und der Zuordnung von Gewinnen zu Betriebsstätten auftritt. Die in der Praxis wichtige Rechtsgrundlage hierfür ist das „Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen(90/436/EWG)“ v. 23.7.1990, in Kraft seit dem 1.1.1995.93 Es handelt sich um einen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der EU (ursprünglich EWG/EG).94 Die Konvention enthält zum einen materiell-rechtliche Regelungen (Art. 4 EU-Schiedskonvention), die im Grundsatz den parallelen Gewinnabgrenzungsvorschriften in den bilateralen DBA entsprechen (Art. 7 Abs. 2 und. Art. 9 OECD-MA) und damit die Mitgliedstaaten auf den Fremdvergleichsgrundsatz verpflichten.95 Der eigentliche Sinn der EUSchiedskonvention liegt aber, wie die Bezeichnung schon klarmacht, in ihren verfahrensrechtlichen Regelungen: Kommt es im Rahmen der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu einer Doppelbesteuerung und bleibt ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren zu deren Beseitigung erfolglos, sind die betroffenen Staaten innerhalb bestimmter Fristen zur Durchführung eines konfliktbereinigenden Schiedsverfahrens 92 Ausführlich zum Verhältnis zwischen Schieds- und staatlichen Gerichtsverfahren vgl. Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof, 2017, 300 ff. 93 ABl. EG 1990 Nr. L 225, 10, BGBl. II 1993, 1308 und BGBl. II 1995, 84; mit mehreren späteren Änderungen; Fundstellen zu den späteren Änderungen vgl. Fn. 32. 94 Zur Entstehungsgeschichte s. Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 2011, 291 ff. 95 Krabbe in Wassermeyer, DBA, Art. 4 EU-SchÜ Rz. 1; Baßler, Steuerliche Gewinnabgrenzung im Europäischen Binnenmarkt, 2011, 300 f.; Menck in Gosch/ Kroppen/Grotherr, DBA, Anhang C zuArt. 25 OECD-MA, Art. 4 EU-SchÜ Rz. 2.

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Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

verpflichtet (obligatorisches Schiedsverfahren). Auch die EU-Schiedskonvention gibt den Staaten zunächst 2 Jahre Zeit, eine Lösung im Verständigungsverfahren zu finden, erst danach wird eine Schiedsstelle eingesetzt, die hier als „Beratender Ausschuss“ bezeichnet wird (Art. 7 EU-Schiedskonvention). Die EU-Schiedskonvention enthält vergleichsweise ausführliche Regelungen zum Ablauf des Verfahrens. Ergänzend kann der vom Rat der EU und den im Rat vereinigten Vertretern der Regierungen angenommene sogenannte „Verhaltenskodex“ herangezogen werden,96 der im „Gemeinsamen EU-Verrechnungspreisforum“ („Joint Transfer Pricing Forum“ – JTPF)97 erarbeitet wurde. An diesem Verhaltenskodex hat sich auch das BMF in seinem Merkblatt zu Verständigungs- und Schiedsverfahren orientiert. Die entsprechenden Teile sind in der aktualisierten Fassung 2018 des Merkblatts gegenüber 2006 unverändert geblieben. d) Stellung des Steuerpflichtigen Wie bei zwischenstaatlichen Verständigungsverfahren ist der Stpfl.bzw. Antragsteller auch bei zwischenstaatlichen Schiedsverfahren nicht Verfahrensbeteiligter. Er verfügt jedoch über gewisse Beteiligungsrechte. So sieht etwa die EU-Schiedskonvention das Recht vor, auf Antrag vom Beratenden Ausschuss angehört zu werden (vgl. Art. 10 Abs. 2 EU-Schiedskonvention).

96 Verhaltenskodex zur wirksamen Durchführung des Übereinkommens über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, ABl. EU 2006Nr. C 176, 8; Überarbeiteter Verhaltenskodex ABl. EU 2009, Nr. C 322, 1. Dazu Bödefeld/Kuntschik, IStR 2010, 474. Im März 2015 hat das JTPF eine nochmalige Überarbeitung des Verhaltenskodex vorgelegt, s.Puls/Bickenbach, ISR 2015, 356, diese ist aber anders als ihre Vorgänger bislang noch nicht von der Europäischen Kommission dem Rat weitergeleitet worden, dh. sie konnte auch noch nicht vom Rat angenommen werden. 97 Das JTPF war eine Sachverständigengruppe, die 2002 von der Europäischen Kommission eingesetzt wurde und sich aus einem Vertreter jedes Mitgliedstaats sowie Experten aus der Privatwirtschaft und seit 2015 auch Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zusammengesetzt hat; s.http://ec.europa. eu/taxation_customs/taxation/company_tax/transfer_pricing/forum/index_de. htm. Das letzte Mandat des JTPF ist 2019 abgelaufen.

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Flüchter/Hendricks, Verständigungsverfahren/Schiedsverfahren/Streitbeilegung

e) Ablauf am Beispiel der EU-Schiedskonvention Im Detail können die Abläufe bei Schiedsverfahren nach DBA oder nach EU-Schiedskonvention unterschiedlich sein. Nachfolgend werden exemplarisch kurz die Abläufe eines Verfahrens nach EU-Schiedskonvention skizziert.98 Zunächst ist vom betroffenen Stpfl. ein Verständigungsverfahren nach der Schiedskonvention zu beantragen (Art. 6 EU-Schiedskonvention, vgl. oben S. 713 ff.). Wird der Antrag als zulässig und begründet angesehen und nicht unilateral abgeholfen, kommt es zunächst zum Verständigungsverfahren – erst nach 2 Jahren erfolglosem Verständigungsverfahren folgt ein Schiedsverfahren vor dem „Beratenden Ausschuss“ (Art. 7 ff. EU-Schiedskonvention):

Das Schiedsgremium, der „Beratenden Ausschuss“, besteht hier in seiner Mindestbesetzung aus fünf Personen: je einem Vertreter der beiden Behörden und drei Unabhängigen, die aus einer beim Rat der EU geführten Liste zu benennen sind (Art. 9 EU-Schiedskonvention). Der Beratende Ausschuss gibt eine Stellungnahme ab, wie die Doppelbesteuerung beseitigt werden soll, dabei ist er nicht auf die Vorschläge bzw. Anträge der Staaten beschränkt, sondern entscheidet unabhängig.99 Die Staaten sind an die 98 Vgl. hierzu im Einzelnen Hendricks in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international tätiger Unternehmen, 2014, Rz. 10.30 ff. 99 Sogenannter „independent opinion“-Ansatz. Nach manchen DBA-Schiedsklauseln (DBA Schweiz, USA) muss sich das Schiedsgremium dagegen für den (letzten) Entscheidungsvorschlag entweder des einen oder des anderen Staats

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Stellungnahme des Beratenden Ausschusses gebunden, wenn sie sich nicht innerhalb von 6 Monaten danach anderweitig einigen (Art. 12 EUSchiedskonvention). Die Zweijahresfrist, die den Staaten für das Verständigungsverfahren zur Verfügung steht, beginnt nicht unbedingt mit dem Eingang des ersten Antrags. Nach dem Verhaltenskodex, und daran anschließend dem Merkblatt des BMF, ist für den Fristbeginn vielmehr ein Antrag mit vollständigen Mindestinformationen und das Vorliegen einer „endgültigen Entscheidung“ der Steuerverwaltung über die Einkommenserhöhung erforderlich. Praktische Erfahrungen zeigen, dass das BZSt. bei Steuerbescheiden, die noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, eine „endgültigen Entscheidung“ noch nicht sieht. Es ist darauf hinzuweisen, dass das Gebrauchmachen von nationalen Rechtsbehelfen die Fristen bis zur Einleitung eines Schiedsverfahrens nach der EU-Schiedskonvention beeinflussen und ggf. vorliegende nationale Urteile ein Schiedsverfahren sogar ganz verhindern können (Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 7 Abs. 3 EU-Schiedskonvention).100 f) Praxishinweise zum Antrag auf Einleitung Der Weg zu einem Schiedsverfahren – sei es nach DBA, der EU-Schiedskonvention oder neu auch nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie – beginnt immer zuerst mit einem Antrag auf ein Verständigungsverfahren nach der jeweiligen Rechtsgrundlage. Insoweit wird auf die Hinweise oben (S. 713–722), auch zur Antragsfrist und zur prozessualen Durchsetzung, verwiesen. Bei erfolglosem Verständigungsverfahren nach der EUSchiedskonvention ist dann ohne weiteren Antrag das Schiedsverfahren vorgesehen. Nach den Schiedsklauseln der DBA und der Richtlinie sind dagegen nach Ablauf der den Staaten für das Verständigungsverfahren zur Verfügung stehenden Frist noch einmal gesonderte Schiedsanträge erforderlich (mit im Detail unterschiedlichen Regelungen).

entscheiden („final offer“-Ansatz, seit 2017 auch der im OECD-Muster als Regel vorgesehene Ansatz). Zum Unterschied und zu Vor- und Nachteilen vgl. zBLehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 Rz. 231; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 372 f., 386 mwN. 100 Vgl. im Einzelnen Strotkemper, Das Spannungsverhältnis zwischen Schiedsverfahren in Steuersachen und einem Internationalen Steuergerichtshof, 2017, 300 ff., insbes. 303.

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Eine Besonderheit der EU-Schiedskonvention, die sich ähnlich auch in der EU-Streitbeilegungsrichtlinie wiederfindet, ist die Möglichkeit, ein Verständigungs- oder Schiedsverfahren zu verweigern, wenn durch ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren endgültig festgestellt ist, dass eines der beteiligten Unternehmen „durch Handlungen, die eine Gewinnberichtigung gemäß Artikel 4 zur Folge haben, einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß gegen steuerliche Vorschriften“ begangen hat (Art. 8 Schiedskonvention). Einen seltenen Anwendungsfall dieser Vorschrift hat 2017 das FG Köln bestätigt.101 Die Veröffentlichung der Entscheidung des BFH über die hiergegen eingelegte Revision ist in Kürze zu erwarten.102 g) EU-Schiedskonvention und Brexit Bei der EU-Schiedskonvention handelt es sich nicht um Europarecht im eigentlichen Sinne, sondern um einen (multilateralen) völkerrechtlichen Vertrag. Die Austrittserklärung des Vereinigten Königreichs ist also nicht zwingend als Kündigung der EU-Schiedskonvention zu qualifizieren.103 Allerdings verweist Art. 16 EU-Schiedskonvention hinsichtlich des räumlichen Anwendungsbereichs der Konvention auf Art. 227 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den dortigen Geltungsbereich, so dass ein Verfahren für die Zeit nach dem Brexit an der Definition des räumlichen Anwendungsbereichs der Konvention scheitern könnte. Zum Teil wird daher empfohlen, in geeigneten Fällen noch vor Wirksamwerden des Brexit Anträge auf Verfahrenseinleitung zu stellen.104 Für Veranlagungszeiträume ab 2011 bietet aber auch das DBA zwischen Deutschland und Großbritannien eine obligatorische Schiedsklausel, was die Problematik deutlich entschärft.

101 FG Köln v. 18.1.2017 – 2 K 930/13, EFG 2017, 715, Tz. 68 ff., rkr. (mit Anm. Hennigfeld). 102 Rev. Az. BFH I R 82/17. Die mündliche Verhandlung hat am 25.9.2019 stattgefunden. Seit dem 19.3.2020 (Tag der Veröffentlichung auf der Website des BFH), also nach der Tagung und nach Abfassung dieses Beitrags, liegt auch das Urteil des BFH vor (BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, BStBl. II 2020, 229 = GmbHR 2020, 614). Der BFH hat das Urteil des FG bestätigt. Siehe auch Busch, DB 2020, 813, Pfirrmann, BFH/PR 2020, 169; Hendricks/Strotkemper, Ubg. 2020, 310; Haverkamp, ISR 2020, 208. 103 Ebenso zB Martiny/Sassmann/Wehnert, ISR 2017, 140 (142 f.). 104 So Martiny/Sassmann/Wehnert, ISR 2017, 140 (143).

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III. Impulse durch das Multilaterale Instrument der OECD/G20 1. Zielsetzung Mit dem Multilateralen Instrument (MLI)105 sollen die im Rahmen des BEPS-Projekts von OECD und G20 erarbeiteten Änderungen des OECDMA schnell in tatsächliches Abkommensrecht umgesetzt und der sonst erforderliche langwierige Prozess der Revision aller bilateralen DBA (weltweit wohl bis zu 2 000) abgekürzt werden.106 Dazu gehören neben vielem anderem, auf das hier nicht eingegangen werden kann, auch einige Elemente des 2015 beschlossenen Mindeststandards zu Verständigungsverfahren. Außerdem können die Unterzeichnerstaaten des MLI für die Einführung obligatorischer Schiedsverfahren in DBA-Sachen optieren.107

2. Hintergrund und Rechtsnatur des MLI Das MLI wurde als völkerrechtliches Abkommen am 7.6.2017 durch 68 Staaten unterzeichnet, darunter auch Deutschland. Inzwischen gibt es über 90 Unterzeichnerstaaten und -gebiete. Es ist mit Hinterlegung der ersten fünf Ratifikationsurkunden am 1.7.2018 zwischen den ersten fünf Staaten in Kraft getreten. Mittlerweile haben fast 40 Staaten und Gebiete das Übereinkommen ratifiziert, so dass es für immer mehr zwischenstaatliche Beziehungen Anwendung findet. Die Ratifizierung in Deutschland steht aber noch aus, so dass eine Anwendung für Deutschland bis auf Weiteres noch nicht möglich ist. Die Bundesregierung hatte zum Zeitpunkt der Tagung und bei Abschluss dieses Beitrags auch noch kein entsprechendes Zustimmungsgesetz in den Bundestag eingebracht.108 105 Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS (deutsch: Mehrseitiges Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung), v. 24.11.2016, s. www.oecd.org/tax/treaties/ multilateral-convention-to-implement-tax-treaty-related-measures-to-pre vent-beps.htm. 106 Siehe nur Reimer, IStR 2017, 1 ff.; Gradl/Kiesewetter, IStR 2018, 1. 107 Vertiefend zum MLI in Bezug auf Verständigungs- und Schiedsverfahren Grotherr, RIW 2017, 331; Piotrowski, IStR 2018, 257; Nürnberg, IWB 2018, 688; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 432 ff. 108 Seit dem 4.6.2020 liegt aber ein Regierungsentwurf vor (BR-Drucks. 294/20). In diesem Regierungsentwurf werden deutlich weniger Doppelbesteuerungsabkommen als unter das MLI fallende Steuerabkommen („covered tax agreement“) benannt als noch 2019 erwartet.

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Das Abkommen ändert allerdings nicht unmittelbar die bestehenden (bilateralen) DBA, sondern tritt mit seinem Inhalt neben die bilateralen DBA. Die OECD selbst schlägt eine Prüfung des MLI in fünf Schritten vor:109 Eine einzelne Sachregelung – zB die zu Verständigungsverfahren oder zu Schiedsverfahren – im MLI ist im bilateralen Verhältnis zwischen zwei Staaten dann anzuwenden, wenn (1.) beide Staaten Unterzeichnerstaaten des MLI sind, (2.) beide Staaten das MLI für das konkrete DBA für anwendbar erklärt haben („covered tax agreement“), (3.) die Sachregelung nicht von einem zulässigen Vorbehalt eines der beiden Staaten betroffen ist (bzw. bei optionalen Sachregelungen beide Staaten die Option ausgeübt haben), (4.) übereinstimmende Notifikationen beider Staaten in Bezug auf die Sachregelung vorgenommen wurden und (5.) das MLI in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist (das setzt insbes. die Ratifizierung durch beide Staaten voraus).

3. Impulse für Verständigungsverfahren In Bezug auf das Verständigungsverfahren im engeren Sinne soll das MLI vereinfacht gesagt solche DBA, deren Verständigungsklausel bisher nicht Art. 25 Abs. 1–3 OECD-MA 2017 entspricht, auf den Stand des OECDMA 2017 bringen. Dem dient Art. 16 MLI. Damit werden einige Elemente des 2015 beschlossenen Mindeststandards zu Verständigungsverfahren umgesetzt. Da Art. 25 Abs. 1–3 OECD-MA 2017 weitgehend schon im OECD-MA 1977 vorhanden waren, erzielt Art. 16 MLI die größte Wirkung bei DBA, in denen die Verständigungsklauseln bisher hinter der im OECD-MA 1977 zurückbleiben. In den meisten deutschen DBA entsprechen die Verständigungsklauseln aber auch schon vor Anwendung des MLI denen im OECD-MA 1977–2014. Anders als frühere Fassungen von Art. 25 OECD-MA sieht das MLI – ebenso wie nunmehr auch das OECD-MA 2017110 – die Möglichkeit vor, Anträge auf Verständigungsverfahren nicht nur im Ansässigkeitsstaat (und ausnahmsweise im Staatsangehörigkeitsstaat) zu stellen, sondern auch im Quellenstaat. Hiergegen können die Unterzeichnerstaaten aber einen Vorbehalt einlegen, Deutschland hat erklärt, von diesem Vorbehalt

109 Siehe www.oecd.org/tax/treaties/step-by-step-tool-on-the-application-of-theMLI.pdf; vgl. auch Drüen in Wassermeyer, DBA, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 182; Oppel, ISR 2019, 321 (323). 110 Vgl. Art. 25 Abs. 1Sat 1 OECD-MA 2017.

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Gebrauch machen zu wollen.111 Vorbehalte sind auch zu anderen Einzelregelungen möglich (vgl. Art. 16 Abs. 4 MLI), was die tatsächlichen Auswirkungen des Art. 16 MLI weiter einschränkt. Aus deutscher Sicht würde durch das MLI aber immerhin – nach Ratifizierung durch beide Staaten – voraussichtlich im Verhältnis zu drei Staaten eine Dreijahresfrist für Anträge auf Verständigungsverfahren eingeführt werden.112

4. Impulse für Schiedsverfahren Die Regelungen für Schiedsverfahren sind in Art. 18 ff. MLI niedergelegt. Allerdings ist der gesamte Teil des MLI zu Schiedsverfahren optional (Art. 18 MLI), dh. die Unterzeichnerstaaten haben die Möglichkeit, sich vollständig gegen die Einführung von Schiedsverfahren durch das MLI zu entscheiden. Der überwiegende Teil der Unterzeichnerstaaten (ua. auch China und Indien) haben in den veröffentlichten vorläufigen Listen der beabsichtigten Vorbehalte und Notifikationen nicht für Schiedsverfahren optiert. Deutschland gehört zu den bisher etwa 30 Staaten, die laut veröffentlichten (vor Ratifikation noch vorläufigen) Listen der Vorbehalte und Notifikationen für die Schiedsregelung im MLI (Art. 18 ff.) optieren. Deutschland optiert danach allerdings auch dazu, dass die in den bisherigen DBA schon existierenden Schiedsklauseln unverändert bleiben und insoweit die MLI-Regelungen nicht zur Anwendung kommen sollen (vgl. Art. 26 Abs. 4 MLI).113 Nach dem bei Unterzeichnung des MLI veröffentlichten Stand der (teilweise, insbes. für Deutschland, vor Ratifikation noch vorläufigen) Vorbehalte und Notifikationen würden die MLI-Schiedsregelungen für Deutschland im Verhältnis zu Italien, Malta, Spanien, Neuseeland und

111 Auch der Regierungsentwurf v. 4.6.2020 enthält die Ausübung dieses Vorbehalts, s. BR-Drucks. 294/20, 84. 112 Nämlich Italien (bisher Zweijahresfrist), Tschechische Republik und Slowakische Republik (bisher keine im DBA geregelte Frist). Das DBA mit Neuseeland, das ebenfalls bisher keine Frist enthält und ursprünglich als „covered tax agreement“ vorgesehen war, ist im Regierungsentwurf vom 4.6.2020 nicht mehr als „covered tax agreement“ aufgeführt. 113 Auch im Regierungsentwurf v. 4.6.2020 entscheidet sich Deutschland für die gerade genannten Optionen hinsichtlich der Anwendung der Schiedsregelungen des MLI, s. BR-Drucks. 294/20, 85.

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Mauritius zur Anwendung kommen.114 Mit Blick darauf, dass im Verhältnis zu Italien, Malta und Spanien bereits die EU-Schiedskonvention gilt und jetzt auch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie, zeichnet sich die praktische Auswirkung des Schiedsverfahrens-Teils des MLI für Deutschland als zunächst begrenzt ab.115 Möglicherweise optieren aber in Zukunft doch noch mehr – und vor allem mehr außereuropäische – Staaten und Gebiete für Art. 18 ff. MLI als bisher angekündigt.116 Wo durch Art. 18 ff. MLI Schiedsverfahren zur Anwendung kommen, gelten insbes. folgende Vorgaben:117 Das Schiedsverfahren ist obligatorisch (auf Antrag des betroffenen Stpfl.) nach vorausgegangenem erfolglosem Verständigungsverfahren. Den Staaten stehen grundsätzlich 2 Jahre (die Staaten können auch für 3 Jahre optieren) zur Verfügung, um eine Verständigung zu finden, bevor ein Schiedsverfahren verlangt werden kann. Die Zweijahresfrist beginnt nach Vorliegen aller für das Verständigungsverfahren erforderlichen Informationen, und der Fristbeginn ist anders als 114 Im Regierungsentwurf v. 4.6.2020 sind allerdings überhaupt nur noch 14 „covered tax agreements“ vorgesehen, davon nur noch zwei mit Staaten außerhalb der EU (Japan und Türkei), s. BR-Drucks. 294/20, 79 f. Die bisher angenommene zukünftige Anwendung der MLI-Schiedsregelungen zwischen Deutschland auf der einen und Neuseeland bzw. Mauritius auf der anderen Seite würde auf der Basis des Regierungsentwurfs also nicht zustande kommen. Auch zur Anwendung der MLI-Schiedsregelungen im Verhältnis zu Italien, Malta und Spanien würde es auf der Basis des Regierungsentwurfs nicht kommen, weil sich Deutschland danach vorbehält, aus dem Anwendungsbereich der MLI-Schiedsregelungen alle Fälle auszuschließen, die in den Anwendungsbereich der EU-Streitbeilegungsrichtlinie fallen, s. Vorbehalt zu Art. 28, BR-Drucks. 294/20, 86. 115 Die Aussage „zeichnet sich die praktische Auswirkung des Schiedsverfahrens-Teils des MLI für Deutschland als zunächst begrenzt ab“ bezieht sich auf den zum Zeitpunkt der Tagung bekannten Informationsstand, dh. bezüglich Deutschland den Stand der bei Unterzeichnung des MLI veröffentlichten Vorbehalte und Notifikationen. Nach dem Stand des Regierungsentwurfs v. 4.6.2020 (BR-Drucks. 294/20) wäre die praktische Auswirkung des Schiedsverfahrens-Teils des MLI für Deutschland wegen der Einschränkung der „covered tax agreements“ und wegen des neuen Vorbehalts, aus dem Anwendungsbereich der MLI-Schiedsregelungen alle Fälle auszuschließen, die in den Anwendungsbereich der EU-Streitbeilegungsrichtlinie fallen, sogar gleich Null. 116 Vgl. im Einzelnen – allerdings noch ohne Berücksichtigung des Regierungsentwurfs v. 4.6.2020 (BR-Drucks. 294/20) – Hendricks/Strotkemper, Ubg. 2019, 535 ff. 117 Vgl. im Einzelnen Grotherr, RIW 2017, 331; Piotrowski, IStR 2018, 257; Nürnberg, IWB 2018, 688.

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bisher in DBA-Schiedsklauseln sehr ausführlich definiert. Die Schiedsstelle besteht im Grundsatz aus drei unabhängigen Personen, die ad hoc bestellt werden; anders als zB in der EU-Schiedskonvention gibt es Regelungen zur Ersatzvornahme der Benennungen, wenn die Staaten ihren Benennungspflichten nicht nachkommen. Die Schiedsstelle entscheidet – ebenfalls anders als zB in der EU-Schiedskonvention – im Regelfall im „final offer approach“, dh. das Schiedsgericht entspricht entweder ganz dem Antrag des einen oder des anderen Staats. Eine Entscheidung, die keinem der beiden Vorschläge entspricht, ist nicht möglich. Wie häufig im MLI sind insoweit aber Vorbehalte und Gegenvorbehalte möglich. Die Entscheidung des MLI für „final offer“-Verfahren als Regelfall ist bemerkenswert, denn der OECD-Kommentar zum OECD-MA sah bis 2014 als Regelfall noch ein „independent opinion“-Verfahren vor, wonach der Schiedsstelle ein Abweichen von den (letzten) Anträgen der Staaten möglich ist. Im Anschluss an das MLI hat inzwischen auch der OECD-Kommentar zum OECD-MA 2017 das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgedreht und macht jetzt das „final offer“-Verfahren zum Regelfall. Die OECD verweist auf die mit dem „final offer“-Verfahren erzielbare Vereinfachung und Beschleunigung („streamlined method“).118 In deutschen DBA-Schiedsklauseln findet sich ein „final offer“-Verfahren insbes. im Verhältnis zu den USA und zur Schweiz.

IV. Impulse durch die EU-Streitbeilegungsrichtlinie 1. Hintergrund der Richtlinie Schaut man sich sämtliche der zwischen den EU-Mitgliedstaaten geschlossenen DBA an, so verfügen bisher zahlreiche DBA nicht über obligatorische Schiedsklauseln. Wie oben dargestellt119 eröffnet die EU-Schiedskonvention ein Schiedsverfahren nur für Fälle der Doppelbesteuerung im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen sowie zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Zudem gab es – auch wenn die Schiedskonvention insgesamt als erfolgreich eingeordnet wird – doch auch Fälle, in denen es nach den der EU-Kommission zur Verfügung stehenden Daten trotz eigentlich bestehender Verpflichtung der Staaten nicht zu Schiedsverfahren gekommen ist. 118 Zum Unterschied und zu Vor- und Nachteilen vgl. zB Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 Rz. 231; Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 Rz. 372 f. 386 mwN. 119 S. 729.

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Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die EU-Kommission schon länger der Auffassung war, dass die Streitbeilegungsmechanismen zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden sollten.120 Nach einem ausgesprochen zügigen Gesetzgebungsverfahren wurde auf einen im Oktober 2016 veröffentlichten Vorschlag der Kommission121 hin schließlich die Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates v. 10.10.2017122 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union erlassen. Die Richtlinie verpflichtet alle Mitgliedstaaten der EU, den Stpfl. den Zugang zu bestimmten Streitbeilegungsmechanismen zu eröffnen. Vorgesehen ist zunächst ein Verständigungsverfahren, im Fall des Scheiterns auf Antrag des Stpfl. ein obligatorisches Schiedsverfahren oder – als Option der Staaten– eine alternative Streitbeilegung.123 Dabei orientieren sich die geregelten Instrumente deutlich an den bereits in DBA und der EU-Schiedskonvention existierenden Streitbeilegungsmechanismen und stehen in derselben Tradition. Materiell-rechtlicher Anknüpfungspunkt sind vor allem die klassischen DBA. Gegenstand von Verfahren nach der Richtlinie können Angelegenheiten sein, die zu Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten führen, die durch die Auslegung und Anwendung von Abkommen und Übereinkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Einkommen (und ggf. Vermögen) entstehen. Diese Angelegenheiten werden als „Streitfragen“ definiert.124 Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie geht damit deutlich über Verrechnungspreissachverhalte hinaus und erstreckt sich auch auf Sachverhalte, in denen die EU-Schiedskonvention keinen Schutz bietet. So können neben Verrechnungspreisfragen etwa auch Wohnsitzfragen oder Fragen der Arbeitnehmerbesteuerung Anlass für eine Berufung auf die Mechanismen der Richtlinie liefern. Doppelbesteuerung ist nicht Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Richtlinie. Allerdings steht es den Staaten frei, in Fällen ohne Doppelbesteuerung ein 120 Vgl. im Einzelnen Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.1 ff. mwN. 121 COM(2016) 686 final v. 25.10.2016; Commission Staff Working Document, Impact Assessment, SWD (2016) 343 final v. 25.10.2016; dazu zB Rasch, ISR 2017, 43; Strotkemper, IWB 2017, 55. 122 Abl. EU 2017 Nr. L 265, 1. 123 Vgl. zum Inhalt der Richtlinie etwa Zinowsky/Schönfeld, ISR 2018, 7; Hafner/Stiastny, SWI 2018, 12; Lehner, IStR 2019, 277; Pit, Intertax 2019, 745; Rüll, IStR 2019, 728; Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.1 ff. mwN. 124 Art. 1 Satz 3 Richtlinie, § 2 Abs. 1 Nr. 3 EU-DBA-SBG.

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Schiedsverfahren auszuschließen. Eine weitere Ausschlussmöglichkeit besteht im Zusammenhang mit strafrechtlichen Verurteilungen und Ähnlichem.125 Die Richtlinie war durch die Mitgliedstaaten bis zum 30.6.2019 in nationales Recht umzusetzen.126 Sie findet erstmals für Anträge („Beschwerden“) Anwendung, die ab dem 1.7.2019 eingereicht werden und am bzw. nach dem 1.1.2018 beginnende Steuerjahre betreffen. Die zuständigen Behörden können die Anwendung auf frühere Jahre vereinbaren.127

2. Umsetzung in Deutschland In Deutschland wurde die Richtlinie durch das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1852 des Rates vom 10. Oktober 2017 über Verfahren zur Beilegung von Besteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union“ v. 10.12.2019 umgesetzt.128 Dessen wesentlicher Inhalt ist das neu geschaffene „EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz – EU-DBA-SBG“ mit 33 Paragraphen. Auch hier lief das Gesetzgebungsverfahren, nachdem es etwas spät angeschoben worden war,129 schnell. Die einzige nach dem Regierungsentwurf noch vorgenommene Änderung beschränkt sich auf ein gesetzliches Festschreiben der Beteiligungsrechte der deutschen Landesfinanzverwaltungen. Die Funktion der zuständigen Behörde für Zwecke der Richtlinie und des Umsetzungsgesetzes übt das BZSt aus. Insofern ändert sich nichts gegenüber den bisher bekannten Verständigungs- und Schiedsverfahren nach den DBA und der EU-Schiedskonvention. Das EU-DBA-SBG folgt weitgehend der in der Richtlinie verwendeten Terminologie, um späteren Auslegungsfragen vorzubeugen. Das EU-DBA125 Art. 16 Abs. 6 und 7 Richtlinie, § 20 Abs. 1 und 2 EU-DBA-SBG. 126 Neben Deutschland hatten allerdings auch Zypern, Tschechien, Griechenland, Italien, Luxemburg und Spanien bis Ende November 2019 die Richtlinie noch nicht umgesetzt; vgl. Mitteilungen der Europäischen Kommission über Entscheidungen in Vertragsverletzungsverfahren, INF/19/6304, v. 27.11.2019, s. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/inf_19_6304. 127 Art. 23 Richtlinie, § 33 EU-DBA-SBG. 128 BGBl. I 2019, 2103. Dazu (bzw. zum weitgehend identischen Regierungsentwurf) Kircher/Pfeiffer/Boch, IWB 2019, 526; Strotkemper, ZSS 2019, 20; Rüll, IStR 2019, 728; Blank in Kubik/Schmidjell-Dommes/Staringer, SWI Spezial, Das EU-Besteuerungsstreitbeilegungsgesetz (Januar 2020), 180 ff. 129 Trotz der Umsetzungsfrist 30.6.2019 Veröffentlichung eines Referentenentwurfs erst am 16.4.2019, Regierungsentwurf am 17.5.2019, BT-Drucks. 19/ 12112.

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SBG gliedert sich in acht Kapitel und folgt dabei dem chronologischen Ablauf des neuen Verfahrens. Es weicht insofern von der Reihenfolge der Richtlinie ab, die dieser Systematik nur in groben Zügen folgt. Danach ergibt sich eine abweichende Sortierung und Gliederung des EU-DBA-SBG gegenüber der Richtlinie. Hierdurch soll eine bessere Verständlichkeit für den deutschen Rechtsanwender und eine der deutschen Rechtstechnik angepassten Systematik erreicht werden.

3. Überblick über den Verfahrensgang Der in Richtlinie und EU-DBA-SBG niedergelegte Streitbeilegungsmechanismus entspricht im Kern der „klassischen“ zweistufigen Beilegung von Abkommensstreitigkeiten. Vorgesehen ist zunächst eine Verständigungsphase und – im Fall des Scheiterns – eine zwingende Beilegung der Streitigkeit durch Schiedsverfahren. Den Zugang zum Verständigungsverfahren eröffnet ein stärker als in den bisherigen Rechtsgrundlagen formalisiertes Zulassungsverfahren (auch als „Beschwerdeverfahren“ oder „Beschwerdephase“ bezeichnet). Abweichend von der bisherigen Terminologie tritt an die Stelle des Antrags auf Einleitung des Verständigungsverfahrens die „Streitbeilegungsbeschwerde“, die im Regelfall an alle betroffenen Mitgliedstaaten gleichzeitig zu richten ist.130 Es gibt aber eine Vereinfachungsregel für natürliche Personen und kleine Unternehmen, diese müssen Streitbeilegungsbeschwerden nur in ihrem Ansässigkeitsstaat einreichen.131 Über die Zulassung dieser Streitbeilegungsbeschwerde (oder eine unilaterale Abhilfe) müssen die Staaten – anders als nach den bisherigen Rechtsgrundlagen – innerhalb von in Richtlinie und Gesetz klar vorgegebenen Fristen entscheiden. Im Grundfall ist die Entscheidung innerhalb von 6 Monaten nach Eingang der Beschwerde zu treffen. Die Entscheidungsfristen können sich aber verlängern, wenn die zuständige Behörde innerhalb von 3 Monaten nach Eingang weitere Informationen nachfordert. Bleibt eine fristgerechte Entscheidung über die Zulassung aus, wird eine Zulassung fingiert.132 Gegen die Ablehnung der Zulassung sind in diffe130 Art. 3 Abs. 1 Richtlinie, § 4 EU-DBA-SBG, und zwar in Deutschland in deutscher Sprache, § 3 EU-DBA-SBG; bei gleichzeitiger Antragstellung in einem nicht deutschsprachigen Staat damit in mehreren Sprachen. Kritisch dazu Kircher/Pfeiffer/Boch, IWB 2019, 526 (532); Bühl, IWB 2019, 756; Strotkemper, ZSS 2019, 20 (22 f.). 131 Art. 17 Richtlinie, § 28 EU-DBA-SBG. 132 Art. 5 Abs. 2 Richtlinie, § 8 Abs. 4 EU-DBA-SBG.

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renzierter Weise Rechtsbehelfe geregelt, insbes. schon ein zwischenstaatliches Schiedsverfahren über die Zulassung, wenn zwar die Zulassung mindestens eines, aber nicht aller betroffenen Staaten vorliegt. Wurde die Beschwerde von den betroffenen Staaten zugelassen, treten die zuständigen Behörden wie gewohnt in die zwischenstaatliche Verständigungsphase ein. Kommt es innerhalb von 2 Jahren ab der letzten Zulassung nicht zu einer Einigung im Verständigungsverfahren, schließt sich – wie in den Verfahren nach der EU-Schiedskonvention – ein Schiedsverfahren an, das in vielen Punkten ebenfalls der Schiedsphase nach der EUSchiedskonvention entspricht.133 Auf Wunsch eines der Staaten kann die Zweijahresfrist im Einzelfall auf bis zu drei Jahre verlängert werden. Vereinfacht lassen sich die potenziellen Abläufe bei Streitbeilegungsbeschwerde und Verständigungsverfahren wie folgt darstellen:

Scheitert eine Streitbeilegung im Verständigungsverfahren, dann sehen Richtlinie und EU-DBA-SBG – wie die EU-Schiedskonvention – als Regelfall ein Schiedsverfahren vor einem sogenannten „Beratenden Ausschuss“ vor. Dem Muster der EU-Schiedskonvention folgend besteht auch ein Beratender Ausschuss nach der Richtlinie und dem EU-DBASBG im Grundfall zwischen zwei Staaten in seiner Mindestbesetzung aus fünf Personen, nämlich je einem Vertreter der beiden Behörden und 133 Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Richtlinie, §§ 17 ff. EU-DBA-SBG; vgl. im Einzelnen zB Rüll, IStR 2019, 728; Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.42 ff.

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drei Unabhängigen, die wieder aus einer Liste zu benennen sind, im Grundsatz ad hoc für jeden einzelnen Fall. Für diese Liste müssen die Staaten zuvor solche unabhängigen Personen melden. Setzen die Staaten einen Beratenden Ausschuss nicht fristgerecht ein, stellen Richtlinie und EU-DBA-SBG Mechanismen für Ersatzvornahmen durch nationale Gerichte bereit. Der Beratende Ausschuss gibt eine Stellungnahme ab, wie die Streitfrage gelöst werden soll. Wie nach der EU-Schiedskonvention ist er nicht auf die Vorschläge bzw. Anträge der Staaten beschränkt, sondern entscheidet unabhängig. Und wie nach der EU-Schiedskonvention sind die Staaten an die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses gebunden, wenn sie sich nicht innerhalb von 6 Monaten danach anderweitig einigen. Vereinfacht stellt sich der Ablauf in und nach der Schiedsphase also wie folgt dar:

Anders als nach der EU-Schiedskonvention haben nach Richtlinie und EU-DBA-SBG die Staaten die Möglichkeit, nach Vereinbarung für den Einzelfall an Stelle des beschriebenen Beratenden Ausschusses einen sogenannten „Ausschuss für Alternative Streitbeilegung“ einzusetzen. Sowohl die Richtlinie als auch das EU-DBA-SBG geben hier den Staaten weitgehende Spielräume sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Ausschusses als auch hinsichtlich des Verfahrens. Insbesondere wird ausdrücklich die Möglichkeit der Einrichtung eines „Ständigen Ausschusses“ erwähnt, ohne dass ein solcher näher beschrieben würde.134 134 Art. 10 Richtlinie, § 29 EU-DBA-SBG.

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4. Neuerungen im Vergleich zu bisherigen Verständigungs- und Schiedsverfahren EU-Streitbeilegungsrichtlinie und EU-DBA-SBG knüpfen wie beschrieben an dietraditionellen Verständigungs- und Schiedsverfahren nach den DBA und der EU-Schiedskonvention an. Sie bringen dennoch auch einige Neuerungen, insbes.135: –

Richtlinie und EU-DBA-SBG regeln, mehr als die bisherigen Rechtsgrundlagen, eine Vielzahl von Fristen und Konsequenzen bei Fristüberschreitung (zB die fingierte Zulassung der Streitbeilegungsbeschwerde bei Ausbleiben einer Entscheidung über die Zulassung innerhalb der vorgegebenen Frist; zB die Ersatzbestellung von unabhängigen Personen für Beratende Ausschüsse durch nationale Gerichte),



auch der Zugang zum Verfahren kann Gegenstand eines zwischenstaatlichen Schiedsverfahrens werden (wenn die Streitbeilegungsbeschwerde von einer, aber nicht von allen betroffenen zuständigen Behörden zurückgewiesen wurde),



strengere Regeln zu Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter,136



Möglichkeit der Einsetzung eines „Ausschusses für Alternative Streitbeilegung“ (ggf. auch mit dem Charakter eines ständigen Gremiums),



obligatorische Veröffentlichung mindestens einer Zusammenfassung abschließender Entscheidungen nach Schiedsverfahren.137

Ob die Staaten von „Ausschüssen für Alternative Streitbeilegung“, ggf. sogar von einem „Ständigen Ausschuss“, Gebrauch machen werden und wie diese Möglichkeit dann ausgestaltet werden wird, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren erweisen, wenn die ersten Verfahren nach der Richtlinie Schiedsreife erreichen. Die Mitgliedstaaten stellen aber offensichtlich bereits Überlegungen in diese Richtung an.138 135 Vgl. hierzu etwa Strotkemper, ZSS 2019, 20 ff.; sowie jüngst Flüchter, ISR 2020, 56 ff. 136 Art. 8 Abs. 4 Richtlinie, § 25 EU-DBA-SBG. 137 Art. 18 Abs. 3 Richtlinie, § 19 Abs. 2 EU-DBA-SBG. 138 Die EU-Kommission hat im August 2019 ein ausführliches Arbeitspapier einer von Deutschland initiierten Fiskalis-Projektgruppe zur Umsetzung des Art. 10 SBRL veröffentlicht, das Möglichkeiten und deren Vor- und Nachteile darstellt; abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxa tion/files/2019-tax-dispute-resolution-fiscalis-project-group-report.pdf.

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5. Verhältnis zu anderen Verfahren und Rechtsbehelfen a) Verhältnis zu zwischenstaatlichen Verfahren nach anderen Normen Auch nach Inkrafttreten der EU-Streitbeilegungsrichtlinie und ihrer nationalen Umsetzungsbestimmungen bleiben Anträge auf Verständigungsund Schiedsverfahren nach anderen Rechtsgrundlagen möglich, insbes. gilt insoweit kein Anwendungsvorrang. Es gilt insoweit vielmehr der Grundsatz der Wahlfreiheit der Rechtsgrundlagen.139 Beruft sich jedoch der Stpfl. durch Einreichung einer Streitbeilegungsbeschwerde auf die Richtlinie bzw. das nationale Umsetzungsgesetz, wird durch das Einreichen der Streitbeilegungsbeschwerde jedes andere laufende Verfahren, das im Zusammenhang mit der Streitfrage steht, von Amts wegen beendet (Art. 16 Abs. 5, § 4 Abs. 4 Satz 1 EU-DBA-SBG). Neue zwischenstaatliche Verfahren können in Bezug auf die betroffene Streitfrage nicht anhängig gemacht werden(§ 4 Abs. 4 Satz 3 EU-DBA-SBG). Die Streitbeilegungsbeschwerde entfaltet also Verdrängungswirkung. Da diese Wirkung – zumindest nach dem Wortlaut des Gesetzes – unabhängig davon eintritt, ob die fragliche Streitbeilegungsbeschwerde zulässig und begründet ist, besteht in der Praxis die Gefahr, dass durch eine fehlerbehaftete Streitbeilegungsbeschwerde sämtliche Wege für eine zwischenstaatliche Beseitigung der Doppelbesteuerung eliminiert werden.140 Insoweit ist gerade bei Fällen, in denen es (auch) um Besteuerungszeiträume vor 2018 gehen soll, Vorsicht bei auf die Richtlinie bzw. das EU-DBA-SBG gestützten Anträgen geboten. Denn bei solchen Anträgen wird ein Verfahren nach der Richtlinie nur durchgeführt werden, wenn es die zuständigen Behörden besonders vereinbaren; es ist aber derzeit nicht ausgeschlossen, dass Behörden solchen Anträgen dennoch die Wirkung des Art. 16 Abs. 5 Richtlinie zuschreiben, wonach alle übrigen Verfahren beendet bzw. blockiert werden. b) Verhältnis zu nationalen Rechtsbehelfen Die Verdrängungswirkung erstreckt sich nicht auf nationale Rechtsbehelfe. Eine Streitbeilegungsbeschwerde führt also nicht zur Beendigung laufender nationale Rechtsbehelfe; auch können nationale Rechtsbehelfe

139 Vgl. Erwägungsgründe 1 und 6 der Richtlinie; s. mwN Strotkemper, ZSS 2019, 20 (21); Flüchter in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht2, Rz. 24.36 ff. 140 Zu einem fiktiven Praxisbeispiel s. etwa Bühl, IWB 2019, 756.

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– wenn das nach den dafür geltenden nationalen Fristen jeweils noch möglich ist – grundsätzlich noch nach Einlegung einer Streitbeilegungsbeschwerde anhängig gemacht werden. Das parallele Führen nationaler Rechtsbehelfe kann allerdings zur Folge haben, dass insbes. die Zweijahresfrist, die den zuständigen Behörden für ein Verständigungsverfahren zur Verfügung steht, zunächst nicht beginnt, außerdem kann ein ggf. erwirktes nationales Gerichtsurteil möglicherweise Schiedsverfahren nach der Richtlinie endgültig blockieren. Diese Wechselwirkung zwischen nationalen Rechtsbehelfsverfahren und zwischenstaatlichem Verständigungs- und Schiedsverfahren besteht ähnlich bereits bei Verfahren nach der EU-Schiedskonvention. Im Detail sind die Wechselwirkungen in der Richtlinie aber anders.141 Insbesondere besteht jetzt die Möglichkeit, ein nationales Rechtsbehelfsverfahren auszusetzen bzw. ruhend zu stellen und mit dieser Verfahrensunterbrechung die Zweijahresfrist der Richtlinie in Gang zu setzen.

V. Herausforderung in der Praxis: Wahl der richtigen Rechtsgrundlage In der Praxis stehen im Verhältnis zu ein und demselben Staat häufig verschiedene Rechtsgrundlagen für zwischenstaatliche Verständigungs- und Schiedsverfahren zur Verfügung. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Wahlfreiheit stellt sich in der Praxis die Frage, auf welche Rechtsgrundlage ein Antrag auf Einleitung eines Verständigungs- und ggf. anschließenden Schiedsverfahrens bzw. eine Streitbeilegungsbeschwerde gestützt werden sollte. Geht es um Sachverhalte mit Staaten außerhalb der EU, ist die Sache klar. Verfahren nach der EU-Schiedskonvention oder der EU-Streitbeilegungsrichtlinie stehen nicht zur Verfügung, als Rechtsgrundlage kommt nur der Verständigungsartikel des jeweiligen DBA in Frage, ggf. zukünftig (nach deutscher Ratifizierung) modifiziert durch das MLI. Bei Fällen innerhalb der EU kommen aber bis zu drei Rechtsgrundlagen in Betracht (das jeweilige DBA, die EU-Schiedskonvention und die EUStreitbeilegungsrichtlinie in ihrer deutschen Umsetzung durch das EUDBA-SBG). Sachlich ist der Anwendungsbereich der EU-Schiedskonvention auf Verrechnungspreis- und Betriebsstättengewinnaufteilungsfälle beschränkt. Hinsichtlich der Anwendbarkeit von EU-Streitbeilegungs141 Zu Einzelheiten vgl. Art. 16 Abs. 1–4 Richtlinie, § 1 Abs. 2 Satz 2, § 4 Abs. 3 Satz 2, § 8 Abs. 1 Satz 3, § 13 Abs. 3, § 20 Abs. 4 EU-DBA-SBG.

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richtlinie bzw. EU-DBA-SBG wird zunächst vor allem die zeitliche Anwendbarkeit (idR erst für Sachverhalte ab 2018, wenn nicht eine Einigung der zuständigen Behörden über die Anwendbarkeit auf ältere Fälle erfolgt) ein einschränkender Faktor sein. Kommen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht mehrere Rechtsgrundlagen in Frage, ist idR eine Rechtsgrundlage vorzugswürdig, die nach erfolglosem Verständigungsverfahren ein Schiedsverfahren garantiert. Innerhalb der EU enthalten, wie oben schon dargestellt (S. 708 ff.), bereits jetzt die DBA mit Frankreich, Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden und Österreich obligatorische Schiedsklauseln. Für einen Verrechnungspreisfall innerhalb der EU zu Steuerjahren ab 2018 besteht dann im Einzelfall sogar die Wahl zwischen drei gleichzeitig anwendbaren Rechtsgrundlagen für Verständigungsverfahren mit bei Erfolglosigkeit anschließendem Schiedsverfahren.142 In solchen Fällen sollte vor Antragstellung geprüft werden, ob Präferenzen zB hinsichtlich der Regelungen über das Verhältnis zu nationalen Rechtsbehelfen, hinsichtlich der genauen Ausgestaltung des Schiedsverfahrens, hinsichtlich der festgeschriebenen Verfahrensrechte des Antragstellers oder hinsichtlich der Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung von Schiedsentscheiden bestehen.143

VI. Nationale Rechtsbehelfsverfahren vs. zwischenstaatliche Verfahren Neben der Möglichkeit der beschriebenen zwischenstaatlichen Verfahren besteht – jedenfalls solange entsprechende Fristen noch nicht abgelaufen sind – nahezu immer die Möglichkeit, von nationalen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen. So kann in Deutschland im Anschluss an ein Einspruchsverfahren der nationale Rechtsweg vor einem FG und ggf. danach vor dem BFH beschritten werden. Welches Instrument im Einzelfall vorzugswürdig ist, oder ob sich ein paralleles Vorgehen (nationaler Rechtsbehelf und zwischenstaatliches Verfahren) anbietet, ist unter Beachtung der Vor- und Nachteile der einzelnen 142 Eine ausführliche Übersicht über die aus deutscher Sicht für Verständigungsverfahren mit ggf. anschließenden Schiedsverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsgrundlagen im Verhältnis zu allen Staaten der EU und der OECD findet sich bei Hendricks/Strotkemper, Ubg. 2019, 535 ff. 143 Siehe auch Hendricks/Strotkemper, Ubg. 2019, 535 (538); Turcan in Kubik/ Schmidjell-Dommes/Staringer, SWI Spezial, Das EU-Besteuerungsstreitbeilegungsgesetz (Januar 2020), 19 ff.

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Instrumente zu entscheiden. Im Rahmen eines nationalen Klageverfahrens hat der Kläger – zumindest in Deutschland – eine starke prozessuale Stellung und umfangreiche Mitwirkungsrechte. Überdies kann der nationale Rechtsbehelf mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO/§ 69 FGO) verbunden werden. Im Obsiegensfall steht dem Klägerdarüber hinaus ein Kostenerstattungsanspruch zu. Das macht den nationalen Rechtsbehelf vor allem dann attraktiv, wenn aus Sicht des Stpfl.bzw. des Beraters die Erfolgsaussichten besonders gut sind, beispielsweise weil der Steuerbescheid gegen gefestigte Rspr. verstößt. Nachteilig ist, dass die Entscheidung über ein nationales Rechtsbehelfsverfahren immer nur den betroffenen Staat bindet. Andere Staaten sind nicht an deutsche Gerichtsentscheidungen gebunden, mit der Folge, dass das Risiko der Doppelbesteuerung nicht endgültig beseitigt werden kann. Zwischenstaatliche Verständigungs- und ggf. Schiedsverfahren binden demgegenüber beide Staaten. Im Einzelfall können sie sogar multilateral angelegt werden. Sie lösen auch keine Gerichtskosten aus. Nachteilig sind geringer ausgeprägte Verfahrensrechte des Steuerpflichtigen. Ist keine obligatorische Schiedsklausel anwendbar (d.h. in Fällen mit den meisten Staaten außerhalb der EU, abgesehen von derzeit Armenien, Australien, Japan, Liechtenstein, Schweiz, USA), sind zudem die Erfolgsaussichten unsicher. Ist dagegen eine Schiedsklausel anwendbar, die i.d.R. die Beseitigung einer Doppelbesteuerung garantiert, spricht das insbesondere dann für ein zwischenstaatliches Verfahren, wenn das Ergebnis eines innerstaatlichen Klageverfahrens schwer zu prognostizieren ist und die Steuersätze sich nicht stark unterscheiden. Ist im konkreten Einzelfall der Anwendungsbereich nationaler und zwischenstaatlicher Instrumente eröffnet, können diese im Regelfall parallel initiiert werden.144 Allerdings kann, worauf oben (S. 731 f. und 745 f.) schon hingewiesen wurde, ein nationales Verfahren uU zwischenstaatliche Schiedsverfahren vorübergehend blockieren, ein nationales Urteil kann uU sogar endgültig ein zwischenstaatliches Schiedsverfahren blockieren. Die Wahl zwischen innerstaatlichem und zwischenstaatlichem Verfahren und ggf. deren paralleler Einsatz müssen deshalb in jedem Einzelfall abgewogen werden. 144 Siehe für Deutschland BMF v. 9.10.2018– IV B 2 – S 1304/17/10001 – DOK 2018/0785293, BStBl. I 2018, 1122 = StEK DoppBest. Allg. Nr. 309 Tz. 2.1.5. Lediglich im Verhältnis verschiedener zwischenstaatlicher Instrumente kann ein Exklusivitätsverhältnis bestehen, vgl. etwa § 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG; hierzu oben S. 745.

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VII. Ausblick Trotz der schon erheblichen Entwicklungen in den letzten Jahren spricht manches dafür, dass auch in den kommenden Jahren die Streitbeilegung im Internationalen Steuerrecht in Bewegung bleibt. Voraussichtlich 2020 wird in Deutschland mit Hinweisen der Verwaltung zum Verfahren nach der EU-Streitbeilegungsrichtlinie bzw. dem EU-DBA-SBG zu rechnen sein, möglicherweise in Form einer erneuten Überarbeitung des erst 2018 neu aufgelegten Merkblatts zu Verständigungs- und Schiedsverfahren. Das Interesse einer Reihe der EU-Mitgliedstaaten an Art. 10 der Richtlinie lässt außerdem erwarten, dass sich Überlegungen zur Ausgestaltung der „Ausschüsse für Alternative Streitbeilegung“ konkretisieren, möglicherweise als ständiges Gremium. Einzelne Autoren sehen die Staaten auf dem Weg zu einem Europäischen Steuergericht.145 Bei der OECD in Paris wird derweil noch größer gedacht. „Tax Certainty“, dh. Rechts- und Planungssicherheit in Steuerangelegenheiten, ist einer der Begriffe der Stunde, und effektive und effiziente Streitbeilegung werden als wesentliche Bausteine dazu gesehen.146 Die Vorschläge des OECD-Sekretariats in den Papieren zu den Herausforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft enthalten ua. auch gewichtige Streitbeilegungselemente.147 Ob insbes. die Staaten, die sich wie China und Indien im Kontext des MLI bisher noch gegen Schiedsklauseln entschieden haben, im Rahmen dieser neuen Arbeiten zu neuen Formen obligatorischer bindender Streitvermeidung und Streitbeilegung bereit sein werden und wie diese neuen Formen aussehen könnten, gilt es weiter zu verfolgen.

145 So Voje, European Taxation 2018, 309. 146 Siehe zB www.oecd.org/tax/g20-report-on-tax-certainty.htm sowie Geberth, IWB 2019, 838. 147 Das „Secretariat Proposal for a ‚Unified Approach‘ under Pillar One“ vom Oktober 2019 (www.oecd.org/tax/beps/oecd-invites-public-input-on-the-secretar iat-proposal-for-a-unified-approach-under-pillar-one.htm) spricht an mehreren Stellen von noch zu entwickelnden „binding and effective dispute prevention and resolution mechanisms relating to all elements of the proposal“.

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Praxisprobleme im Zusammenhang mit § 50a EStG Dr. Carsten Schlotter Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Diplom-Finanzwirtin (FH) Sandra Koch1 Amtsrätin, Bundesministerium der Finanzen, Berlin I. Einleitung (Schlotter) II. Total Buy-Out-Sachverhalte bei Urheberrechten 1. Vorbemerkungen (Schlotter) 2. Lösung Grundfall (Schlotter) 3. Lösung Abwandlung (Schlotter) III. Folgefragen (Schlotter) IV. Gewerbliche Schutzrechte, Entwicklungsleistungen und Know-how 1. Vorbemerkungen (Schlotter/ Koch) 2. Fallgestaltungen

a) Lösung Grundfall (Schlotter) b) Lösung Abwandlung 1 (Schlotter) c) Lösung Abwandlung 2 (Schlotter) d) Lösung Abwandlung 3 (Schlotter) aa) Vorbemerkungen bb) Lösungsvorschlag V. Blogger, Youtuber und Influencer 1. Vorbemerkungen (Schlotter) 2. Lösungshinweise (Schlotter)

I. Einleitung (Schlotter) Fragen des Steuerabzugs nach § 50a EStG, insbes. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, sind in jüngerer Zeit zunehmend in den Blickpunkt des Interesses geraten. Durch die Verpflichtung zum Steuerabzug nimmt der Fiskus den Vergütungsschuldner für den Steuervollzug in Dienst. Im Rahmen eines effektiven Steuervollzugs soll vermieden werden, dass sich die beschränkt Stpfl. mit ihren Inlandseinkünften veranlagen müssen. Der Steuerabzug hat grundsätzliche abgeltende Wirkung, so dass eine Veranlagung nicht stattfindet.2 Nachdem der Fokus von Verwaltung und Stpfl. zunächst auf Software- und Datenbanksachverhalten lag, werden zwischenzeitlich auch eine Vielzahl von anderweitigen Fallgestaltungen teilweise kontro1 Die Anmerkungen von Koch sind nicht in dienstlicher Eigenschaft gefertigt und geben ausschließlich die persönliche Sicht des Verfassers wieder. 2 Es bestehen lediglich gewisse Veranlagungsoptionen für EU-Ausländer, vgl. § 50a Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG.

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vers diskutiert. Dabei zeigt sich, dass nach wie vor vielfältige Unsicherheiten bei der Auslegung der relevanten Tatbestandsmerkmale bestehen. Zwar ist ein Abzugsverpflichteter bereits „im Zweifel“ berechtigt, den Steuerabzug vorzunehmen.3 Er hat also bereits im Zweifelsfall die Rechtsmacht, kraft öffentlichen Rechts aus einer vereinbarten Vergütung den Steuerabzug vorzunehmen und den Vergütungsgläubiger auf das Erstattungsverfahren zu verweisen. Die Akzeptanz des Steuerabzugs bei den auslandsansässigen Vertragspartnern ist indes gering. Die Wertungen des deutschen Rechts werden aufgrund abweichender Rechtsauffassung im Ansässigkeitsstaat vielfach als nicht nachvollziehbar empfunden.4 Zudem orientieren sich die ausländischen Vertragspartner regelmäßig an den Wertungen des Abkommensrechts und sehen es nicht ein, dass nach deutschem Recht das Abkommensrecht nur berücksichtigt werden kann, wenn rechtzeitig eine Freistellungsbescheinigung vorliegt.5 Vielfach versuchen die auslandsansässigen Vertragspartner daher, Nettoklauseln zu vereinbaren, die faktisch bewirken, dass die Quellensteuer wirtschaftlich auf den Vergütungsschuldner überwälzt wird (hochgerechneter Steuersatz dann 18,8 %).6 Tatsächlich bestehende Erstattungsmöglichkeiten (etwa aufgrund von Doppelbesteuerungsabkommen) bleiben ungenutzt, weil der Vergütungsschuldner aus eigenem Recht entsprechende Erstattungsansprüche nicht geltend machen kann, sondern auf die Mitwirkung des Vergütungsgläubigers angewiesen ist.7 Der Vergütungsgläubiger hat aber wirtschaftlich gar kein Interesse an einer Mitwirkung, weil er aufgrund der Nettoklausel die angestrebte Vergütung bereits erhalten hat. Für den deutschen Fiskus führt die zivilrechtliche Überwälzung der Quellensteuer zu willkommenen, von der Steuersystematik eigentlich gar nicht vorhergesehenen Steuereinnahmen. Der Rat, 3 Vgl. BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 = StEK EStG § 50a Nr. 138 Rz. 10. 4 Man denke etwa an die Wertungen des deutschen UrhG in Bezug auf die Schutzfähigkeit von Werken und die (Nicht-)Übertragbarkeit von Rechten. 5 Der Steuerabzug ist grundsätzlich ungeachtet des Abkommens vorzunehmen (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG), wobei sich der Vorrang des Steuerabzugs in einigen Fällen sogar direkt aus dem DBA ergibt (zB Art. 29 Abs. 1 DBA-USA). 6 Die Bemessungsgrundlage erhöht sich um die vom Schuldner übernommene Steuer. Der rechnerische Steuersatz beträgt dann 17,82 % (ESt) bzw. 0,98 % (SolZ) der Nettovergütung (H 50a.2 EStH). 7 Ein Erstattungsanspruch ergibt sich dabei nicht nur aus abkommensrechtlichen Gründen nach § 50d Abs. 1 EStG, sondern auch dann, wenn der auslandsansässige Vergütungsgläubiger geltend machen kann, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50a EStG im konkreten Fall nicht einschlägig sind.

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Nettoklauseln zu vermeiden, lässt sich aufgrund vielfacher Marktmacht der auslandsansässigen Vertragspartner häufig nicht umsetzen. Das Recht des Vergütungsschuldners, den Steuerabzug bereits im Zweifelsfall vornehmen zu dürfen, nützt dem Vergütungsschuldner bei einer vereinbarten Nettoklausel nichts. Der Vergütungsschuldner wird vielmehr genau prüfen, ob er tatsächlich zum Einbehalt von Quellensteuern verpflichtet ist; ggf. wird er den Gross-up-Betrag anmelden und abführen, dann jedoch nachträglich durch einen Änderungsantrag oder eine Anfechtung8 eine materielle Klärung der Steuerabzugsverpflichtung herbeiführen. Auf abkommensrechtliche Argumente kann er sich dabei aber nicht stützen. Wenn der Abzugsverpflichtete seiner Abzugspflicht nicht nachgekommen ist, wird die Steuer von der FinVerw. bislang auf Gross-up-Basis nacherhoben (Steuersatz 18,8 %). Dies erscheint nur dann gerechtfertigt, wenn der Vergütungsschuldner im Zeitpunkt des Erkennens des unterlassenen Steuerabzugs die Vergütung nachträglich in der Weise erhöht, dass die ausgezahlte Vergütung netto ankommen soll. Ist dies nicht der Fall, ist zu berücksichtigen, dass der in Anspruch genommene Vergütungsschuldner aufgrund des Innenausgleichs in der Gesamtschuld einen zivilrechtlichen Erstattungsanspruch gegen den auslandsansässigen Vertragspartner hat (Überzahlung).9 In Höhe der Überzahlung liegt keine Vergütung iSd. § 50a EStG vor. Vielfach unbeachtet geblieben ist zudem, dass auch ein auslandsansässiger Vergütungsschuldner zum Steuerabzug nach § 50a EStG verpflichtet ist. Dies wird zwar immer wieder angezweifelt, entspricht aber der Rspr. des BFH.10 In der Praxis stellt § 50a EStG viele Unternehmen vor schwierige organisatorische Herausforderungen, weil bereits am Anfang eines Bestellprozesses entschieden werden muss, ob ein Bestellvorgang bei einem aus8 Der Vergütungsschuldner muss die Steuer vierteljährlich anmelden und abführen (§ 73e Sätze 1 und 2 EStDV). Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO) und kann sowohl vom anmeldenden Vergütungsschuldner als auch vom ausländischen Steuerschuldner angefochten werden (Gosch in Kirchhof, EStG18, § 50a Rz. 39). 9 Vgl. auch FG München v. 29.1.2018 – 7 K 52/16, IStR 2018, 606 (611), nrkr., Rev. Az. BFH I R 8/18. 10 BFH v. 22.8.2007 – I R 46/02, BStBl. II 2008, 190. Jedoch sind zu dieser umstrittenen Rechtsfrage aktuell wieder zwei Revisionsverfahren anhängig (I R 8/18, I R 9/18).

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landsansässigen Vertragspartner einen Steuerabzug nach § 50a EStG auslöst. Neben der Steuerabteilung sind daher auch der Einkauf und die Rechtsabteilung in die Prozesse einzubinden.11 Zudem sind viele Auslegungsfragen nicht abschließend geklärt. Zu denken wäre etwa an die Anwendung des § 50a EStG bei Kommissionsstrukturen, Kreuzlizenzen, Schadenersatzansprüchen oder Vergleichszahlungen wegen Schutzrechtverletzungen, Streaming-12 oder Datensachverhalten oder Grenzfragen des Erschöpfungsgrundsatzes im Markenbereich. Forderungen, den Steuerabzug nach § 50a EStG wegen der Komplexität der Rechtsfragen und der vielfachen faktischen wirtschaftlichen Überwälzung auf den Vergütungsschuldner neu zu justieren, werden von Seiten des Gesetzgebers und der Verwaltung bislang unter Hinweis auf den Umstand abgelehnt, dass eine Vielzahl von DBA ein Reststeuersatz zwischen 5 und 15 % vorsehen, dessen Abschöpfung durch den Steuerabzug sicherzustellen sei.13 Eine Rechtfertigung dafür, dass der Steuerabzug in Deutschland so ausgestaltet ist, dass er über den Abkommensumfang weit hinausgeht, ergibt sich daraus naturgemäß nicht. Es ist daher absehbar, dass der Steuerabzug nach § 50a EStG die Unternehmen noch über Jahre intensiv beschäftigen wird, wobei zu erwarten ist, dass sich die Fachdiskussion eher in Wellen vollziehen wird. Hinzu kommen im Einzelfall steuerstrafrechtliche Vorwürfe, regelmäßig gestützt auf § 380 AO. Anmerkungen Koch: Die Abzugsteuer nach § 50a EStG, auch bekannt als sog. „Ausländersteuer“, blickt auf eine lange Historie zurück. Bereits im Jahr 1931 wurde ein Steuerabzug von beschränkt steuerpflichtigen Einkünften, mit Wirkung ab dem VZ 1932, eingeführt und lag allein im Ermessen – ob und in welcher Höhe ein Steuerabzug vorgenommen wird – der jeweils zuständigen Finanzbehörde. Von 1952 bis zum Jahr 2006, demzufolge über ein halbes Jahrhundert lang, mussten im Bereich der grenzüberschreitenden Rechteüberlassung sogar 25 % von Vergütungen einbehalten und abgeführt werden. Erst ab dem Jahr 2009 wurde der Steuersatz von 20 % auf die noch immer gültigen 15 %14 abgesenkt. Die Abzugsteuer ist eine besondere 11 Zu Fragen der Tax Compliance beim Steuerabzug nach § 50a EStG ausführlich Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Handbuch Tax Compliance, 2018, Kap. 28. 12 Vgl. zu Endkundensachverhalten Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Handbuch Tax Compliance, 2018, Kap. 28 Rz. 29. 13 Vgl. zuletzt Wehmhörner, ISR 2020, 35 (36). 14 Zzgl. Solidaritätszuschlag iHv. 5,5 %.

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Form der Einkommensteuer. Diese wird bei beschränkt Stpfl. im Wege des Steuerabzugs erhoben ua. bei Einkünften,15 die durch im Inland ausgeübte künstlerische, sportliche, artistische, unterhaltende oder ähnliche Darbietungen erzielt werden, und aus deren inländischer Verwertung sowie die aus der Überlassung von Rechten oder des Rechts auf Nutzung von Rechten, von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen oder ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten herrühren. Warum erwähne ich das? Weil daran ersichtlich ist, wie beständig der Steuerabzug in seiner aktuellen gesetzlichen Ausgestaltung ist und dass an eine rasche Abschaffung bzw. Veränderung in Anbetracht der stätigen Weiterentwicklung der Doppelbesteuerungsabkommen, gerade des hier in Rede gestellten § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, nicht ohne Weiteres zu denken ist. Inhaltlich hat der § 50a EStG im Laufe der Zeit durchaus einige Änderungen erfahren. Insbesondere hat der EuGH mit seinen Urteilen in den Rechtssachen „Gerritse“16 und „Scorpio“17 den § 50a EStG grundlegend geprägt. Der EuGH bestätigt mit seinem Urteil vom 12.6.200318 (Rs. „Gerritse“) die Rechtmäßigkeit einer grundsätzlichen Besteuerung von beschränkt steuerpflichtigen Einkünften mittels des Steuerabzugs, sofern die Einkünfte eines unbeschränkt Stpfl. zumindest gleich hoch besteuert werden. Auch mit seinem Urteil vom 3.10.200619 (Rs. „Scorpio“) hat der EuGH die Notwendigkeit des Steuerabzugs damit gerechtfertigt, dass zum einen das Steuerabzugsverfahren an sich ein legitimes und geeignetes Mittel sei, die Besteuerung der Einkünfte eines beschränkt Stpfl. im Inland sicherzustellen, und zum anderen eine Nichtbesteuerung sowohl im Ansässigkeitsstaat als auch im Quellenstaat zu verhindern. Abschließend räumt daneben der BFH mit Beschluss vom 29.11.200720 jegliche Zweifel am Steuerabzugsverfahren aus, das trotz der Einführung der EG-Beitreibungsrichtlinie und der dazu ergangenen Durchführungsrichtlinie gerechtfertigt sei. Ein berechtigter Anlass zu einer Neujustierung besteht mE nicht, auch wenn die Komplexität der Rechtsfragen, gerade in Bezug auf die Zielrichtung der Doppelbesteuerungsabkommen, zugenommen hat.

15 16 17 18 19 20

Inländische Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2–4, 6 und 9. EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01 (Gerritse), BStBl. II 2003, 859 = FR 2003, 779. EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio), BStBl. II 2007, 352. EuGH v. 12.6.2003 – C-234/01 (Gerritse), BStBl. II 2003, 859 = FR 2003, 779. EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio), BStBl. II 2007, 352. BFH v. 29.11.2007 – I B 181/07, BStBl. II 2008, 195 = FR 2008, 435.

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Ebenso wie eine nicht gewollte Nichtbesteuerung ist natürlich auch eine Doppelbesteuerung nicht Ziel des Steuerabzugs. Auch wenn diese dem Anschein nach vielleicht eher in Kauf genommen wird. Mit dem Steuerabzug nach § 50a EStG soll vielmehr das Steuersubstrat des beschränkt steuerpflichtigen Ausländers im Inland gesichert werden. Gerade im Hinblick auf die wenigen, aber doch nicht unerheblichen Doppelbesteuerungsabkommen mit Reststeuersätzen (gemessen an einer Spannbreite von 5–15 %21) und natürlich auf die Staaten, mit denen überhaupt kein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen worden ist. Denn hier rückt die Gefahr der Nichtbesteuerung erheblich dichter, die es unter allen Umständen zu verhindern gilt. Wann kommt eine Doppelbesteuerung zustande? Immer dann, wenn es zu sog. Qualifikationskonflikten im Abkommensrecht kommt. Es findet dabei eine unterschiedliche steuerliche Bewertung für ein und desselben Vorgangs statt. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Besteuerungsstaat, zB bei einer Lizenzzahlung, von einer zeitlich befristeten Rechteüberlassung ausgeht, aber der Ansässigkeitsstaat dieselbe Lizenzzahlung als Einkünfte aus einer Rechteveräußerung (endgültig überlassenes Recht), für die nach dem Willen des Gesetzgebers22 keine Quellensteuer einzubehalten ist, einstuft. Für die Vornahme eines Steuerabzugs ist es eben gerade wichtig, die Abgrenzung zwischen der zeitlich begrenzten Überlassung eines Rechts zur Nutzung und der endgültigen Überlassung vorzunehmen, denn nur für die zeitlich begrenzte Überlassung eines Rechts auf Nutzung kommt ein Steuerabzug in Betracht.23 Wie wird die Doppelbesteuerung ausgeräumt? Grundsätzlich ist für die Beseitigung der Doppelbesteuerung immer der Ansässigkeitsstaat verantwortlich. Sollte der Ansässigkeitsstaat die Doppelbesteuerung innerstaatlich nicht ausräumen, bleibt dem beschränkt Stpfl. nur die Einleitung eines Verständigungsverfahren übrig, das unter Umständen sehr langwierig sein kann. Eine Auslegung des innerstaatlichen Rechts mit folglich einschränkenden Besteuerungsrechten, um sich an die verschiedensten internationalen Regelungen anzupassen, kann demnach nicht als zielführend angesehen werden. Eine solche „kleine“ Anpassung kennen wir jedoch bereits. Nach dem BMF-Schreiben zur beschränkten Steuerpflicht und zum Steuerabzug bei grenzüberschreitender Überlassung von Soft21 Zzgl. Solidaritätszuschlag iHv. 5,5 %. 22 BT-Drucks. 16/10189, 62 (Begründung zum JStG 2009). 23 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 = StEK EStG § 50a Nr. 138 Rz. 23.

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ware und Datenbanken vom 27.10.2017 werden nicht nur nach den Doppelbesteuerungsabkommen, sondern bereits auf nationaler Ebene die inländischen Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG von beschränkt Stpfl. und die damit zusammenhängende Abzugsteuer maßgeblich eingeschränkt. Für die Praxis stellt das BMF-Schreiben einen guten Leitfaden dar, der zur wesentlichen Vereinfachung und Handhabung beiträgt. Demgemäß handelt es sich nur noch in Fällen der grenzüberschreitenden Softwareüberlassung um inländische Einkünfte aus der Überlassung von Rechten iSv. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa und Nr. 6 EStG, wenn dem Nutzer umfassende Nutzungsrechte an der Software zur wirtschaftlichen Weiterverwertung eingeräumt werden.24 Mit dieser Regelung wurde erreicht, dass nicht mehr jede zeitlich begrenzte Rechteüberlassung, für die grundsätzlich eine Einbehaltungspflicht besteht, dem Steuerabzug nach § 50a EStG unterliegt. Der bestimmungsgemäße Gebrauch einer grenzüberschreitenden zeitlich begrenzten Softwareüberlassung, wie zB die Nutzung einer standardisierten Präsentationssoftware im Unternehmen, ist damit steuerunschädlich. Vielfach wird zudem die Akzeptanz des Steuerabzugs bei dem Vergütungsgläubiger in Frage gestellt. Das FG Düsseldorf macht in seiner Entscheidung vom 3.8.201125 jedoch deutlich, dass die Alternativen zum Steuerabzugsverfahren, die zum einen aus der Meldepflicht des Vergütungsschuldners bestehen und zum anderen eine Steuererklärungspflicht des Vergütungsempfängers begründen, für den steuerehrlichen Vergütungsempfänger im Ausland im Ergebnis nicht unbedingt weniger belastend seien. Von der Einbehaltung und Abführung des Steuerabzugsbetrags kann der Vergütungsschuldner nur absehen bzw. den Steuerabzug mit einem geringeren Steuersatz vornehmen, wenn der Vergütungsgläubiger im Vorfeld eine Freistellungsbescheinigung nach § 50d Abs. 2 EStG beim Bundeszentralamt für Steuern erwirkt. Das Freistellungsverfahren, aber auch das nachträgliche Erstattungsverfahren, stellen den Stpfl. vor große – scheinbar nicht überwindbare – Hürden. Es wird als zu langwierig, zu aufwendig und zu kostspielig empfunden. Dem kann ich mich nicht ganz anschließen. Hier wird dem Stpfl. bereits im Vorfeld (dh. vor Zahlung der Vergütung) eine Möglichkeit eingeräumt, die Rechtsfrage des Steuerabzugs 24 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42 Rz. 3. 25 FG Düss. v. 3.8.2011 – 11 K 1171/09 H, EFG 2012, 127 (Gerichtsbescheid).

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und die Abzugsverpflichtung klären zu lassen. Sollten demnach die Voraussetzungen für den Steuerabzug vorliegen und nach dem Doppelbesteuerungsabkommen kein oder nur ein geringerer Steuersatz anzusetzen sein, wird eine Freistellungsbescheinigung erteilt. Anderenfalls könnte die Rechtsfrage vor Verwirklichung des Sachverhalts nur im Rahmen einer verbindlichen Auskunft ausgeräumt werden. In allen anderen Zweifelsfällen (Zweifel an der Abzugsverpflichtung oder der beschränkten Steuerpflicht) ist prinzipiell der Steuerabzug in voller Höhe (15 %) vorzunehmen.26 Der EuGH hat ungeachtet dessen mit seinem Urteil vom 3.10.200627 in der Rechtssache „Scorpio“ das eigentliche Verfahren, dass eine Befreiung vom Steuerabzug nur dann erfolgen kann, wenn im Vorfeld die zuständige Finanzbehörde eine Freistellungsbescheinigung erteilt hat, nicht beanstandet. Und gerade dahingehend eine Absage erteilt, dass eine Befreiung vom Steuerabzug nicht gewährt werden kann, wenn der Vergütungsschuldner nur davon ausgeht, dass eine Freistellungsbescheinigung des Vergütungsgläubigers ohnehin erteilt worden wäre, weil seines Erachtens die Voraussetzungen dafür vorlägen. Im Hinblick auf die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Steuerabzugsverfahrens rechtfertigt der EuGH diese Maßnahme.28 Zudem solle nicht der Vergütungsschuldner die Frage, ob die betreffenden Einkünfte aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens steuerfrei sind oder nicht, beantworten und darüber hinaus könne ihm dies auch nicht zugemutet werden.29 Aus den Augen darf aber auch nicht verloren gehen, dass es dabei immer wieder um die Klärung der beschränkten Steuerpflicht des ausländischen Vertragspartners und um die Steuer auf seine inländischen Einkünfte geht, die wiederum nur in einem (seinem) eigenständigen Verfahren geklärt werden können. Das Steuerabzugsverfahren soll diese Aufgabe indes nicht übernehmen, sondern vielmehr das Besteuerungssubstrat an der Quelle sichern. Und natürlich sollte es das eigene Interesse des Vergütungsschuldners sein, allein schon, um eine spätere Haftung auszuschließen, selbst beim Bestellprozess schon über eine mögliche Quellensteuer nachzudenken. Die Einsicht des ausländischen Vertragspartners würde mit einem drohenden Einbehalt der Steuer schnell wiederhergestellt wer-

26 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 = StEK EStG § 50a Nr. 138 Rz. 10. 27 EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio), BStBl. II 2007, 352. 28 EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio), BStBl. II 2007, 352. 29 EuGH v. 3.10.2006 – C-290/04 (Scorpio), BStBl. II 2007, 352.

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den. Vereinbarte Nettoklauseln, die effektiv mit einem Berechnungssatz von ca. 18,8 %30 besteuert werden, auch wenn sie wie erwähnt aus einer Monopolstellung des Vertragspartners erwachsen, stehen dem eigentlichen Kerngedanken des Steuerabzugsverfahrens leider im Weg. Solange solche Nettoklauseln vereinbart werden, solange wird sich auch der beschränkt Stpfl. seiner Mitwirkung entziehen. Sein Interesse an einer Erstattung bzw. Freistellung ist mit vollständiger Zahlung der Vergütung (also ohne Steuereinbehalt) obsolet und der Vergütungsschuldner hat, als Haftungsschuldner, das Nachsehen. Anders verhält sich das in einem entschiedenen Fall des 7. Senats des FG München. Darin ist das FG mit seinem Urteil vom 29.1.201831 zu der Entscheidung gelangt, dass auch im Fall der Nichtvorlage von Verträgen nicht automatisch unterstellt werden könne, dass sich in den Verträgen Regelungen über die Übernahme der im Inland anfallenden Ertragsteuern befinden, und somit nicht zwangsläufig von einer Nettovereinbarung ausgegangen werden könne. Vielmehr sei eine entsprechende Einigung der Vertragsparteien über eine ausdrückliche Auszahlung der Nettovergütung und Übernahme der Steuern durch den Vergütungsschuldner erforderlich gewesen.32 Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt und ist gegenwärtig beim BFH mit dem Az. I R 8/18 anhängig. Ob der I. Senat des BFH diese Rechtsfrage endgültig klärt, bleibt abzuwarten. Vielmehr steht ua. die generelle Verpflichtung zum Steuerabzug auch nach Inkrafttreten der EG-Beitreibungsrichtlinie auf dem Prüfstand.33 Die Entscheidung wird mit Spannung erwartet. Nachfolgend sollen einige ausgewählte aktuelle Diskussionsfelder näher betrachtet werden.

II. Total Buy-Out-Sachverhalte bei Urheberrechten Fall: Der britische Autor X hat sich gegenüber der inländischen TV GmbH verpflichtet, eine Romanvorlage für einen Fernsehfilm zu adaptieren. X räumt der TV GmbH „unwiderruflich das ausschließliche, inhaltlich, zeitlich und räumlich nicht beschränkte Recht ein, das zu erstellende 30 Bei Übernahme der Steuer durch den Vergütungsschuldner ist der folgende Berechnungssatz für die Steuer iHv. 17,82 % und für den Solidaritätszuschlag iHv. 0,98 % anzuwenden. 31 FG München v. 29.1.2018 – 7 K 52/16, EFG 2018, 738, nrkr. 32 FG München v. 29.1.2018 – 7 K 52/16, EFG 2018, 738, nrkr., Rz. 40. 33 Rev. BFH I R 8/18 (inhaltsgleich mit Rev. BFH I R 9/18), Rechtsfrage 4.

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Drehbuch in jeglicher Hinsicht zu verwerten.“ Der Vertrag unterliegt deutschem Recht. Die TV GmbH zahlt dem X bei Fertigstellung des Drehbuchs ein einmaliges Pauschalhonorar iHv. 20 000 t. X hat keine Freistellungsbescheinigung vorgelegt. Abwandlung: Vertragspartner der TV GmbH ist die in Großbritannien ansässige X. Ltd., die das Drehbuch von ihren Mitarbeitern erstellen lässt, die sämtliche Rechte auf die X Ltd. übertragen haben. Unterliegt die Vergütung dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG?

1. Vorbemerkungen (Schlotter) Viele Unternehmen beauftragen heute im Rahmen ihrer Unternehmenskommunikation auslandsansässige Vertragspartner mit der Erstellung von Werbetexten und Reportagen aller Art, Drehbüchern (etwa für Werbefilme) oder Werbespots. Dabei handelt es sich idR um Werkverträge, deren Arbeitsergebnisse der Abnahme durch den inländischen Auftraggeber bedürfen und mit einer Einmalzahlung vergütet werden. Typischerweise wird ein sog. „Total Buy-Out“ vereinbart, bei dem sich der inländische Auftraggeber gegen eine Einmalzahlung sämtliche urheberrechtlichen Nutzungsbefugnisse an dem Werk des auslandsansässigen Vertragspartners einräumen lässt. Hierdurch ist dieser in der Lage, innerhalb der Schutzfrist das Werk im Rahmen eines ausschließlichen Nutzungsrechts inhaltlich, räumlich und zeitlich unbeschränkt für eigene Rechnung zu verwerten (§ 31 Abs. 1 und 3 UrhG). Der ausländische Urheber partizipiert grundsätzlich nicht mehr an den Verwertungserlösen und kann das Werk auch nicht selbst durch Vergabe weiterer Nutzungsrechte verwerten. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht ist danach zu unterscheiden, ob der Urheber das Werk selbst verwertet oder eine Gesellschaft zur Verwertung von Rechten berechtigt ist. Verwertet ein ausländischer Urheber als natürliche Person sein im Ausland erstelltes Werk durch Abschluss eines Werk- und Nutzungsvertrags mit dem inländischen Auftraggeber selbst, erzielt er inländische Einkünfte aus selbständiger Arbeit nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 18 Abs. 1 EStG, mit denen er der beschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 4 EStG unterliegt. Der Urheber verwertet seine im Ausland ausgeübte selbständige Arbeit im Inland, indem er einen Vertrag mit einem Vertragspartner abschließt, dessen Geschäftsleitungsort sich im Inland befand („Ort der Überlassung der Rechte“). Der Ort der Überlassung der Nutzungsrechte befindet sich 760

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im Inland, wenn der Auftraggeber im Inland eine (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte hat, für die er die Nutzungsrechte erwirbt.34 Verwertender im steuerlichen Sinne ist in diesem Fall der Urheber. Mitunter bedienen sich die ausländischen Urheber auch einer eigenen ausländischen Verwertungsgesellschaft. Um diese Gesellschaft in die Lage zu versetzen, Dritten Rechte einzuräumen, muss der Urheber dieser Gesellschaft seinerseits Rechte an bestehenden und künftigen Werken eingeräumt haben. Die Verwertungsgesellschaft schließt dann ihrerseits den Werkvertrag mit dem inländischen Vertragspartner ab und überträgt diesem mit Zustimmung des Urhebers sämtliche Nutzungsrechte an dem Werk (§ 34 Abs. 1 UrhG). Natürlich kann die Gesellschaft dem inländischen Vertragspartner aber auch nur einfache Nutzungsrechte nach § 31 Abs. 1 UrhG einräumen. Die einfachen Nutzungsrechte können zudem befristet und inhaltlich sowie räumlich beschränkt sein. Bei Vereinbarung eines einfachen Nutzungsrechts kann der Urheber das Werk weiterhin selbst verwerten, indem er Dritten weitere Nutzungsrechte einräumt. Bei Zwischenschaltung einer ausländischen Verwertungsgesellschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, die das Werk vom Urheber erstellen lässt und dann durch Übertragung aller Rechte auf das inländische Medienunternehmen für eigene Rechnung verwertet, scheiden Einkünfte aus selbständiger Arbeit schon dem Grunde nach aus, weil der Tatbestand nur von natürlichen Personen verwirklicht werden kann.35 Steuerlich werden in diesem Fall „betriebsstättenlose“ gewerbliche Einkünfte aus der Nutzungsüberlassung bzw. Veräußerung eines Rechts gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 EStG vorliegen, denn die Einkünfte einer ausländischen Kapitalgesellschaft gelten per gesetzlicher Fiktion gem. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 3 EStG als gewerblich. Erforderlich für den Inlandsbezug ist, dass das Recht in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung verwertet wird. Im Unterschied zu § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG kommt es nicht auf die Verwertung durch den Steuerausländer, sondern auf die Verwertung durch den Vergütungsschuldner oder einen Dritten an.36 Im Ausgangspunkt ist der Verwertungsbegriff weit zu verstehen, wobei die Einzelheiten umstritten sind. 34 BFH v. 20.7.1988 – I R 174/85, BStBl. II 1989, 87; v. 24.10.2018 – I R 83/16, BFH/NV 2019, 522. 35 BFH v. 1.12.1982 – I R 238/81, BStBl. II 1983, 213 = FR 1983, 204. 36 Gosch in Kirchhof, EStG18, § 49 Rz. 86. Möglicherweise hat der BFH seine Rspr. neu justiert, denn in beiden Urteilen zum Total Buy-Out wird auf die wirtschaftliche Weiterverwertung durch den Vergütungsgläubiger abgestellt (jeweils Rz. 14).

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Nach Auffassung des BFH genügt ein „Nutzen, Benutzen oder Gebrauchen von Rechten“.37 Der Verwertungsbegriff, den die FinVerw. im Bereich der Überlassung von Software und Datenbanken zugrunde legt, wonach zwischen dem bloßen Gebrauch eines geschützten Werks durch einen unternehmerisch tätigen Endanwender und der wirtschaftlichen Weiterverwertung des Werks durch Vervielfältigung, Verbreitung, Bearbeitung und/oder öffentliche Zugänglichmachung unterschieden wird,38 ist nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig. Vielfach sind die eigentlichen Urheber auch bei einer Gesellschaft als Arbeitnehmer angestellt, die dann wiederum ihren Vertragspartnern Rechte an Arbeitsergebnissen einräumt. Die Gesellschaft leitet im Fall von Urheberrechten ihre Verwertungsbefugnis nach deutschem Rechtsverständnis von ihren Mitarbeitern ab. Ausländische Kapitalgesellschaften erzielen aus der Einräumung von Nutzungsrechten wiederum Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG. Inländische Einkünfte aus der zeitlich befristeten Nutzungsüberlassung – nicht aber Veräußerung – von Rechten, die nach dem UrhG in der jeweils geltenden Fassung geschützt sind, unterliegen dem Steuerabzug gem. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG iVm. § 73a Abs. 2 EStDV. Daraus ergibt sich die bislang umstrittene Frage, ob im Fall des „Total Buy-Out“ eine abzugspflichtige Nutzungsüberlassung eines Rechts oder ein endgültiger „Rechtekauf“ vorliegt.

2. Lösung Grundfall (Schlotter) Die FinVerw. hat sich früh auf den Standpunkt gestellt, dass die Vereinbarung eines „Total Buy-Out“ in Bezug auf Urheberrechte nicht zu einem Rechtekauf führen kann. Grundlage ist die das deutsche Urheberrecht gestaltende monistische Theorie. Erstens könne der Urheber sein Urheberrecht nicht unter Lebenden übertragen (§ 29 Abs. 1 UrhG). Zweitens sei er befugt, ein ausschließliches Nutzungsrecht im Fall der Nichtausübung durch Rückruf gem. § 41 Abs. 1 UrhG zu beenden, was auch den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ausschließe (Möglichkeit des „Rückfalls“). Nach Auffassung der FinVerw. ist daher bei Urheberrechten grundsätzlich nur eine befristete Nutzungsüberlassung gegeben,

37 BFH v. 23.5.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287. 38 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42 Rz. 3, 33.

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die den Steuerabzug auslöst.39 Das Merkmal der zeitlichen Befristung wird daher nicht in zeitlicher Hinsicht verstanden, sondern als reines negatives Abgrenzungsmerkmal vom Rechtekauf.40 Unerheblich sei, ob das erworbene Recht auf Ebene des Auftraggebers zu aktivieren sei. Eine entsprechende Sichtweise wurde insbes. für Buy-Out-Verträge mit ausländischen Journalisten und Bildberichterstattern41 vertreten. Bei Kettenübertragungen von Rechten hat die Sichtweise der FinVerw. zur Folge, dass es auf jeder Stufe zu einem Steuerabzug kommen kann, nur weil nach der gesetzlichen Wertung auf der ersten Stufe das sog. Urheberpersönlichkeitsrecht als unentziehbare Rechtsposition beim Urheber verbleibt (§§ 11 Satz 1, 13 UrhG). Eine entsprechende Auffassung hätte für grenzüberschreitende Asset Deals, bei denen urheberrechtliche Nutzungsrechte von einem inlandsansässigen Erwerber erworben werden, etwa zur Folge, dass aus dem Gesamtkaufpreis ein Teilentgelt zu eliminieren wäre, das dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegt. Allerdings kommt die FinVerw. den Stpfl. dadurch entgegen, dass sie bei Journalisten und Bildberichterstattern eine pauschale Aufteilung der Vergütung im Verhältnis 60:40 zulässt, weil die Vergütung neben der Rechteüberlassung auch eine „Erstellungsleistung“ honoriert, die als im Ausland ausgeübte Arbeitsleistung keine beschränkte Steuerpflicht auslöst.42 Die Auffassung der FinVerw. stand vielfach in der Kritik. Zwar ist das Urheberpersönlichkeitsrecht nach dem UrhG zunächst allein dem Schöpfer, also einer natürlichen Person, zugeordnet (Schöpferprinzip). Das Urheberpersönlichkeitsrecht hat die Schöpfung des Urhebers im Blick, also die Verbindung des Werks mit der schöpferischen Persönlichkeit des Urhebers.43 Die aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht abzuleitenden Befugnisse des Urhebers beinhalten etwa das Recht, über die Veröffentlichung seines Werks zu befinden (§ 12 UrhG), die Anerkennung seiner Urheberschaft zu verlangen (§ 13 UrhG) und Entstellungen seines Werks entgegenzutreten (§ 14 UrhG). Von den aus dem Urheberpersönlichkeitsrecht abzuleitenden Befugnissen sind die Vermögensrechte des Urhebers zu unterscheiden. Diese werden im UrhG als Verwertungsrechte bezeichnet und sind in den §§ 15–23 UrhG geregelt. Auch die Ver39 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 = StEK EStG § 50a Nr. 138 Rz. 23, 25. 40 Vgl. etwa Wehmhörner, ISR 2018, 66 (69 Fn. 28). 41 OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554. 42 OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554. 43 Kroitzsch/Götting in BeckOK Urheberrecht26, § 11 UrhG Rz. 5.

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wertungsrechte sind mit der Person des Urhebers verbunden und stehen nur diesem zu.44 Er kann diese nicht abtreten.45 Hieraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass alle Vermögensrechte beim Urheber verbleiben müssen. Der Urheber kann sein Werk durch Dritte derivativ verwerten lassen, indem er ihnen Nutzungsrechte in mehr oder weniger großem Umfang einräumt (§§ 29 Abs. 2, 31 ff. UrhG).46 Der Umfang der Einräumung des Nutzungsrechts ist dabei frei gestaltbar. Terminologisch ist daher zwischen den dem Urheber zugeordneten Verwertungsrechten einerseits und den abgeleiteten Nutzungsrechten eines Dritten andererseits zu unterscheiden. Mit der Einräumung eines Nutzungsrechts nach § 31 UrhG an den Vertragspartner entsteht im Ausgangspunkt bei diesem jeweils eine neue verkehrsfähige Rechtsposition, nämlich das Nutzungsrecht. Die Einräumung ist konstitutiv. Es entsteht etwas Neues.47 Derartige Nutzungsrechte haben dinglichen Charakter.48 Es gehört zu den Spezifika von Immaterialgüterrechten, dass diese regelmäßig durch Abspaltung von Tochterrechten beliebig teilbar sind. Der Urheber verliert durch den Abspaltungsvorgang keine Rechtsposition, da ihm die Verwertungsrechte verbleiben. Es ist daher anerkannt, dass entsprechende Nutzungsrechte nach § 31 UrhG auf Ebene des Nutzenden auch angeschafft werden können.49 Es liegen daher gerade keine schwebenden Dauerschuldverhältnisse vor, bei denen die überlassene Rechtsposition während der Überlassung dauerhaft beim Überlassenden liegt und lediglich auf schuldrechtlicher Basis die Nutzung gestattet ist. Das Argument der FinVerw., wonach § 29 Abs. 1 UrhG den zivilrechtlichen „Rechtekauf“ bei Urheberrechten generell ausschließen soll, vermag daher für sich nicht zu überzeugen. Zwar trifft es zu, dass das Urheberrecht als solches nicht unter Lebenden übertragbar ist (§ 29 Abs. 1 UrhG). Jedoch kann der Inhaber eines Nutzungsrechts iSd. § 31 UrhG, das ihm der Urheber eingeräumt hat, dieses Nutzungsrecht vollumfänglich durch Abtretung auf einen Dritten übertragen, wenn der Urheber der Übertragung

Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht5, § 15 Rz. 4. Spautz/Götting in BeckOK Urheberrecht26, § 29 UrhG Rz. 1. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 29 Rz. 1. Ohly in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht5, § 31 Rz. 9. Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 52; Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien4, § 31 UrhG Rz. 6; vgl. auch Thiele, DStR 2018, 274 (278). 49 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 11; Soppe in BeckOK Urheberrecht26, § 31 UrhG Rz. 77 ff.; Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien4, § 31 UrhG Rz. 2 ff.

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zustimmt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 UrhG).50 Nach § 34 Abs. 3 UrhG ist die Zustimmung sogar entbehrlich, wenn die Übertragung im Rahmen der Gesamtveräußerung eines Unternehmens oder der Veräußerung von Teilen eines Unternehmens geschieht. Erkennt man diese Zusammenhänge, dann stellt man sich im Ausgangspunkt die Frage, warum entsprechende Nutzungsrechte für Zwecke des § 50a EStG nicht grundsätzlich als Objekt von nicht dem Steuerabzug unterliegenden Veräußerungen anerkannt werden sollten. Veräußerungsobjekt ist dabei nicht das Stammrecht, sondern das hiervon abgespaltene Tochterrecht. Dies ermöglicht zumindest im Fall der Einschaltung eines Dritten, der ein Nutzungsrecht, das ihm der Urheber eingeräumt hat, mit Zustimmung des Urhebers an den Vergütungsschuldner abtritt, einen zivilrechtlichen „Rechtekauf“, der eigentlich keinen Steuerabzug auslösen dürfte, weil sich der Dritte endgültig seiner – vom Urheber abgeleiteten – Rechtsposition begeben hat.51 Für steuerliche Zwecke können die persönlichen Bindungen eines Urhebers zum Werk keine entscheidende Rolle spielen, denn im Zusammenhang mit für das Steuerrecht relevanten Fragestellungen haben allein die vermögensrechtlichen Befugnisse eine Bedeutung. Die nicht veräußerbare Urheberpersönlichkeit (§ 29 UrhG) sollte daher irrelevant sein. Ganz in diesem Sinne wird im Bereich des Patentrechts zutreffend davon ausgegangen, dass ein nicht dem Steuerabzug unterliegender Patentkauf grds. möglich ist,52 obwohl auch im Patentrecht der Erfinder eine Erfinderpersönlichkeit hat, was etwa in §§ 37 Abs. 1, 63 Abs. 1 PatG zum Ausdruck kommt. Bei dem Erfinderpersönlichkeitsrecht handelt es sich um ein absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, das unverzichtbar, nicht übertragbar und nicht pfändbar ist.53 Es ist daher allein danach zu fragen, ob bezogen auf das Nutzungsrecht eine Rechtsposition erlangt wird, die dazu führt, dass das wirtschaftliche Eigentum am Nutzungsrecht vermittelt wird, und ob sich der Vertragspartner seiner wirtschaftlichen Rechtsposition vollständig entledigt. Da sich die Zuordnung von Rechten im Ertragsteuerrecht nach den Grundsätzen des wirtschaftlichen Eigentums beurteilt, können u.E. im Bereich des § 50a EStG als Teil des Ertragsteuerrechts für den Begriff der Veräuße50 51 52 53

Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 34 Rz. 5. Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (507). Vgl. FG Münster v. 15.12.2010 – 8 K 1543/07 E, DStRE 2011, 1309. BGH v. 20.6.1978 – X ZR 49/75, GRUR 1978, 583, 585; Schäfers/Schwarz in Benkard, PatG11, § 63 Rz. 2.

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rung keine abweichenden Grundsätze gelten. Durch ein ausschließliches Nutzungsrecht (§ 31 Abs. 3 UrhG) erlangt der Nutzungsberechtigte nicht nur eine Nutzungsbefugnis, sondern auch eine Abwehrbefugnis, denn das ausschließliche Nutzungsrecht schließt regelmäßig ein Verbotsrecht ein.54 Der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts kann das Werk unter Ausschluss aller anderen Personen einschließlich des Urhebers nutzen.55 Zwar ist der Urheber berechtigt, ein ausschließliches Nutzungsrecht im Fall der Nichtausübung zurückzurufen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 UrhG). In einer früheren Entscheidung hatte der BFH bereits auf § 41 UrhG verwiesen.56 Zudem ist § 42 UrhG zu beachten. Allein das Vorhandensein eines Rückrufsrechts sollte jedoch nicht dazu führen, dass der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums per se ausgeschlossen werden kann, weil der Rückruf lediglich ein urheberrechtliches Gestaltungsrecht ist.57 Allerdings ist zu beachten, dass sich die urhebergesetzlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf ausschließliche Nutzungsrechte, die gegen ein Einmalentgelt eingeräumt werden, kürzlich verändert haben. Für Verträge, die ab dem 1.3.2017 geschlossen werden, ist die Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts gegen Einmalentgelt nach § 40a Abs. 1 UrhG nF grundsätzlich nur auf zehn Jahre limitiert. Der Nutzungsberechtigte verliert sein Recht jedoch nicht. In der Folgezeit besteht das Nutzungsrecht nur als einfaches Nutzungsrecht weiter. Die Rspr. hat diese Kritikpunkte partiell aufgenommen, sich im Ergebnis jedoch mit einem verfeinerten Begründungsansatz der Auffassung der FinVerw. angeschlossen.58 Für den BFH spielt das Urheberpersönlichkeitsrecht scheinbar eine weniger bedeutende Rolle als in der Erlasslage der FinVerw., denn er betont, dass das UrhG verschiedene Schutzvorschriften enthält, die eine weitere Beteiligung des Urhebers an den Erträgen seines Werks wirtschaftlich absichern sollen. Der BFH stellt maßgeblich auf die Erfolgsbeteiligung des Urhebers gem. § 32a Abs. 1 Satz 1

54 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 31 Rz. 29. 55 Wandtke/Grunert in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 31 Rz. 27; Thiele, DStR 2018, 274 (278). 56 BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367 = FR 1983, 202. 57 Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 932 (Stand Dez. 2019); Dreier in Dreier/Schulze, UrhG6, § 41 Rz. 1. 58 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 311, rkr.; FG Köln v. 28.9.2016 – 3 K 2206/13, EFG 2017, 298, rkr.; BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641 = FR 2002, 102.

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UrhG ab.59 Durch diesen im Jahr 2002 eingeführten „Fairnessparagrafen“, der eine Vorgängerreglung in § 36 UrhG aF hat, erhält der Urheber einen Anspruch auf Vertragsanpassung, wenn die vereinbarte Gegenleistung unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werks steht. Der BFH sieht darin einen fortdauernden Eventualanspruch des Urhebers, der diesem einen Anteil an den Erträgen sichert und dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums am Urheberrecht entgegensteht.60 Da dem Urheber weiterhin die wirtschaftliche Substanz zustehe, könne auch kein Fall der „verbrauchenden Rechteüberlassung“ vorliegen. Dabei ist nach Auffassung des BFH irrelevant, ob der Urheber im konkreten Fall jemals mit einem Anspruch auf Nachvergütung rechnen darf, weil der zumindest abstrakt gegebene Vergütungsanspruch die wirtschaftliche Substanz des Rechts betrifft. Dabei ist es für den BFH bedauerlicherweise unerheblich, dass § 32a UrhG nicht den Regelfall, sondern einen absoluten Ausnahmefall betrifft. Im Hinblick auf die beim Urheber verbleibende wirtschaftliche Substanz hat der BFH auch die Auffassung abgelehnt, wonach zwischen dem beim Urheber zurückbleibenden „Stammrecht“ und der endgültigen Veräußerung eines eigenständigen, aus dem Urheberrecht abgeleiteten Nutzungsrechts zu unterscheiden ist, das als eigenständiges Wirtschaftsgut auf den Vergütungsschuldner übergehen kann.61 Eine gedankliche Aufspaltung soll nicht statthaft sein.62 Denn nach Ansicht des BFH bestimmt das fortbestehende Urheberrecht des Vergütungsgläubigers weiterhin den Inhalt des Nutzungsrechts des Vergütungsschuldners; der Nachvergütungsanspruch gem. § 32a UrhG führt gewissermaßen zu einer wirtschaftlichen „Aushöhlung“ des Nutzungsrechts. Der BFH löst sich damit von der zivilrechtlichen Eigentumslage und verneint für Zwecke des § 50a EStG den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums, da aufgrund der urheberrechtlichen Schutzvorschriften ein Teil der „wirtschaftlichen Substanz“ beim Urheber verbleibt. Aus diesem Blickwinkel soll der Total Buy-Out nur eine Nutzungsüberlassung sein, zumal das zivilrechtlich abgespaltene Nutzungsrecht unter dem Vorbehalt des Fairnessparagrafen § 32a

59 Vgl. auch Wehmhörner, ISR 2018, 35 (38: „für sich genommen ausreichendes Gewicht“). 60 Vgl. auch Wehmhörner, ISR 2020, 35 (38). 61 Schlotter/Hruschka, StbJb. 2017/2018, 667 (676 ff.). 62 Wehmhörner, ISR 2020, 35 (38).

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Abs. 1 UrhG steht. Die Frage, ob im Fall des angestellten Urhebers, der seinem Arbeitgeber vertraglich umfassende Rechte an seinen Werken eingeräumt hat, anders zu entscheiden sein könnte, wird nachfolgend behandelt. Der BFH betont zudem, dass es im Hinblick auf den Wortlaut des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG und den Zweck des Steuerabzugsverfahrens nicht zulässig ist, die Wertungen, die für den Bereich der bilanziellen Erfassung von Nutzungsrechten und Nutzungsmöglichkeiten maßgebend sind, auf den Steuerabzug zu übertragen. Diese Aussage des BFH ist wohl so zu verstehen, dass aus der Perspektive des Vergütungsschuldners eine Anschaffung eines Nutzungsrechts vorliegen kann, ohne dass zugleich auf der für § 50a EStG maßgeblichen Ebene des Vergütungsgläubigers eine vollständige Veräußerung erfolgt ist. Ungeachtet dessen darf man gespannt sein, ob die Rspr. auch in das Bilanzrecht ausstrahlt. Im Grundfall ist daher eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG zu bejahen. Wenn das Recht erst noch geschaffen werden muss, wird es dabei auch bei einem Werkvertrag nach der Rspr. nicht beanstandet, wenn der Steuerabzug nur auf 60 % der Vergütung vorgenommen wird, weil wirtschaftlich ein Teil der Vergütung auf die reine Erstellungsleistung (typisiert geschätzter Dienstleistungsanteil) entfällt. Auslandsansässige Vergütungsschuldner werden diese Rspr. kaum nachvollziehen können, weil die dem deutschen Recht zugrunde liegende monistische Theorie nicht dem internationalen Standard entspricht.63 Anmerkungen Koch: Ich stimme dem Ergebnis zum Grundfall dahingehend zu, dass eine Steuerpflicht nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG bejaht wird. Jedoch möchte ich auch zu bedenken geben, dass nicht in sämtlichen Fällen einer Aufteilung der Vergütung der Aufteilungsmaßstab 60:40 anzuwenden ist. Vielmehr sollte auf den konkreten Einzelfall und den Umfang der Rechteüberlassung abgestellt und sorgfältig geschätzt werden. Es wird im Übrigen auf die Ausführungen zu dem Abwandlungsfall hingewiesen.

3. Lösung Abwandlung (Schlotter) Die vorstehenden Ausführungen betreffen Fragen der Einräumung von Nutzungsrechten durch den Urheber (also natürlichen Personen) selbst. Regelmäßig schließen inländische Vertragspartner ihre Verträge jedoch 63 Vgl. auch Pohl, IStR 2019, 428.

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nicht mit den Urhebern selbst, sondern mit ausländischen Gesellschaften. Auch die Abwandlung ist dadurch gekennzeichnet, dass der inländische Vergütungsschuldner nicht mit einer natürlichen Person, sondern einer ausländischen Kapitalgesellschaft kontrahiert hat, die selbst nicht Urheberin sein kann. Die Kapitalgesellschaft leitet ihre Nutzungsrechte vielmehr von den eigentlichen menschlichen Urhebern ab. In Fällen, in denen sich die ausländischen Urheber einer eigenen ausländischen Verwertungsgesellschaft bedienen, räumen diese ihre bestehenden und künftigen Rechte an den Werken ein. Die Verwertungsgesellschaft ist dadurch in der Lage, den Werkvertrag mit dem inländischen Unternehmen abzuschließen und diesem mit Zustimmung des Urhebers sämtliche Nutzungsrechte an dem Werk (§ 34 Abs. 1 UrhG) zivilrechtlich zu übertragen. Der BFH hatte in dem Verfahren I R 69/16 einen Sachverhalt entschieden, bei dem eine britische Limited, deren Anteilseigner die beiden britischen Drehbuchautoren waren, die das Drehbuch erstellt haben, ebenfalls eine Steuerabzugspflicht bejaht. Der BFH hat ausgeführt, dass der Fairnessparagraf auch in Bezug auf diesen ausländischen Vergütungsgläubiger zur Anwendung komme, weil die Parteien die Anwendung deutschen Rechts vereinbart hätten und es sich im Übrigen gem. § 32b UrhG um zwingendes Recht handele. Der BFH hat sich nicht mit dem Argument auseinandergesetzt, dass die Kapitalgesellschaft nur Inhaberin einer von den Urhebern im Rahmen eines Nutzungsrechts abgeleiteten Rechtsposition war und diese zivilrechtlich auch abtreten konnte. Urheberpersönlichkeitsrechte auf vorgelagerter Ebene spielen bei Übertragungen in der Kette keine Rolle, da die Kapitalgesellschaft sich ihrer Rechtsposition vollständig entledigt. Auch hier hält es der BFH für entscheidend, dass die übertragene Rechtsposition wirtschaftlich ausgehöhlt ist, weil nach § 32a Abs. 2 UrhG eine spezielle Haftungsregelung für den Fall der Übertragung des Nutzungsrechts auf einen Dritten besteht. Hat der Vertragspartner des Urhebers, also die ausländische Kapitalgesellschaft, das Nutzungsrecht an einen Dritten übertragen oder weitere Nutzungsrechte eingeräumt und ergibt sich das auffällige Missverhältnis aus den Erträgnissen oder Vorteilen des Dritten, so haftet dieser dem Urheber unmittelbar nach Maßgabe des § 32a Abs. 1 UrhG unter Berücksichtigung der vertraglichen Beziehungen in der Lizenzkette. Daher ist auch der Käufer des Nutzungsrechts in der Kette potenziell einem Nachvergütungsanspruch des Urhebers ausgesetzt, so dass ein Teil der wirtschaftlichen Substanz des Rechts beim Urheber verblieben ist. Der Urheber ist daher nicht auf Dauer vollständig von der Einwirkung auf das immaterielle Wirtschaftsgut ausgeschlossen. Ist Vertragspartner daher 769

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eine den Urhebern gehörende Verwertungsgesellschaft, ist nach Auffassung des BFH eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a EStG anzunehmen. Letztlich überzeugend ist die Argumentation des BFH in diesem Fall jedoch nicht, da der BFH nicht ausschließlich betrachtet, ob sich der auslandsansässige Vertragspartner (die Kapitalgesellschaft) seiner Rechtsposition vollständig entledigt, sondern Rechtspositionen aus einer vorgelagerten Stufe mit berücksichtigt und beachtet, dass die übertragene Rechtsposition unter dem Vorbehalt des § 32a UrhG steht. Es ist schon ein seltsamer Befund, dass sich die beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft ihrer Rechtsposition vollständig entledigt, auf deren Ebene also nichts zurückbleibt, und allein der Umstand, dass die verkaufte Rechtsposition wirtschaftlich belastet ist, einen Verkauf iSv. § 50a EStG ausschließen soll. Im Abwandlungsfall sind die Urheber bei der Kapitalgesellschaft nur angestellt. Hier ist zu berücksichtigen, dass bei Pflichtwerken das Arbeitsergebnis kraft Schuldverhältnis dem Arbeitgeber gehört. Nach § 43 UrhG sind die Vorschriften des Unterabschnitts über Nutzungsrechte (§§ 31–44 UrhG) auch dann anzuwenden, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat, soweit sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt. Der Vorbehalt „soweit sich aus dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt“ ist der Ansatzpunkt der „Abgeltungstheorie“, wonach das Gehalt des Arbeitnehmers eine vollständige und endgültige Gegenleistung für die vertragliche Rechteeinräumung an den Arbeitgeber darstellen soll. Denn aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses ergibt sich, dass der angestellte Urheber dem Arbeitgeber schon mit dem Arbeitsvertrag ein entsprechendes ausschließliches Nutzungsrecht überträgt,64 das der Arbeitgeber dann weiterverwertet. Bei Arbeitsverhältnissen ist zudem zu beachten, dass das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung gem. § 41 UrhG dem Arbeitnehmerurheber nur eingeschränkt zusteht.65 Bei angestellten Urhebern ist umstritten, ob der Arbeitnehmer einen (zusätzlichen) Anspruch auf eine angemessene Vergütung gem. § 32a Abs. 1 Satz 2 UrhG hat.66 Kürzlich hat das OLG Stuttgart im Anschluss an ein BGH-Urteil zu § 36 64 Wandtke in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 43 Rz. 30. 65 Bayreuther in Moll, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1: Individualarbeitsrecht I4, § 99 Rz. 19. Aus wirtschaftlichen Gründen kann er kein Rückrufsrecht geltend machen, denn er wurde ja bereits wirtschaftlich durch das Arbeitsentgelt entlohnt. 66 Lindhorst in BeckOK Urheberrecht26, § 43 UrhG Rz. 22.

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UrhG aF und in Übereinstimmung mit der hL entschieden, dass ein Arbeitnehmerurheber bei Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Gegenleistung und Vorteilen und Erträgen des Arbeitgebers durch § 32a UrhG geschützt ist.67 Es besteht daher ein deutliches Risiko, dass die Rspr. des BFH auch auf Sachverhalte mit angestellten Urhebern zu übertragen ist. Wirklich überzeugend erscheint dies aus besagten Gründen aber nicht. Anmerkungen Koch: Mit dem in der Praxis vielfach umstrittenen veröffentlichten Urteil vom 24.10.201868 zu dem „Total BuyOut“-Fall hat der BFH die bisherige Auffassung der FinVerw., dass bei urheberrechtlich geschützten Rechten nur von einer zeitlich befristeten Rechtüberlassung ausgegangen werden kann, bestätigt. Das vorgehende FG Köln (und vom BFH in der Argumentation folgend) spricht sich mit seinem Urteil vom 25.8.201669 gegen eine endgültige Rechteüberlassung aus. Dafür spreche, dass der vorliegende Vertrag nicht auf eine Übertragung des Urheberrechts (Stammrecht) ausgerichtet war, nach der gesetzlichen Ausgestaltung gem. § 29 Abs. 1 UrhG das Urheberrecht unveräußerlich, nach § 29 Abs. 2 UrhG lediglich die Einräumung von Nutzungsrechten zulässig, der Eventualanspruch des Urhebers auf weitere Erfolgsbeteiligung gem. § 32a UrhG fortdauernd sei und ungeachtet der fehlenden zeitlichen Beschränkung und der Einräumung eines unbeschränkten Verfügungsrechts in wirtschaftlicher Hinsicht kein „wirtschaftlicher Rechtekauf“ vorliege. Aus dem Blickwinkel des Urhebers und seines Leistungsschutzbedürfnisses überzeugt das Urteil sehr wohl und stärkt dabei erheblich sein Urheberpersönlichkeitsrecht. Die steuerliche Würdigung scheint folglich konsequent. Auch zur unterschiedlichen bilanziellen und steuerrechtlichen Behandlung hat das FG Köln sich geäußert und sich gegen eine Würdigung als „eigenständiges übertragbares Wirtschaftsgut“ iSd. Steuerabzugs ausgesprochen, da das Urheberrecht nicht von dem aus ihm abgeleiteten (streitgegenständlichen) Nutzungsrechts abgetrennt werden kann und die Wertungen, die für den Bereich der bilanziellen Erfassung von Nutzungsrechten und -möglichkeiten maßgebend sind, und die eine Abspaltung von Nutzungsrechten und „Stammrecht“ nahelegen, nicht in Betracht kommen. Bei der Unterscheidung zwischen der steuerrechtlichen

67 OLG Stuttgart v. 26.9.2018 – 4 U 2/18, juris, Rz. 282 mwN. 68 BFH v. 24.10.2018 – I R 69/16, BStBl. II 2019, 401 = GmbHR 2019, 616. 69 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 311, rkr.

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und der bilanziellen Behandlung kann es durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Indizwirkung (für oder gegen einen Steuerabzug) kann zwar die bilanzielle Behandlung entfalten. Die abschließende Beurteilung ergibt sich jedoch allein aus dem Steuerrecht. Daneben soll der unterschiedliche Zweck, den die Regelungen der Quellenbesteuerung des ausländischen Vergütungsgläubigers zum einen und die bilanzsteuerrechtliche Beurteilung (Aktivierung: ja/nein) des inländischen Vergütungsschuldners zum anderen verfolgen, nicht aus dem Fokus geraten. Eine ggf. zu bejahende Ausstrahlungswirkung auf das Bilanzsteuerrecht und/oder auf die gewerbesteuerliche Hinzurechnung an die „Total BuyOut“-Rspr. des BFH sei daher nicht zu erwarten. Auch in dem zweiten entschiedenen Fall des BFH (I R 69/16) wurde zutreffend die Steuerabzugsverpflichtung bejaht und seitens der FinVerw. korrekt bemessen. Es darf ergänzend keinen Unterschied machen, ob das urheberrechtlich geschützte Recht direkt von den natürlichen Personen als Autoren oder von einer zwischengeschalteten juristischen Person (hier einer Ltd.), überlassen wird. Anderenfalls könnte durch Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften der Steuerabzug nach § 50a EStG sehr einfach umgangen werden.

III. Folgefragen (Schlotter) Im Zusammenhang mit der Rspr. zum Total Buy-Out bei Urheberrechten stellen sich diverse Folgefragen. Die Rspr. des BFH hat zunächst Auswirkungen auf einfache urheberrechtliche Nutzungsrechte. Der Urheber oder ein Dritter, der Rechte vom Urheber ableitet (etwa der Arbeitgeber), kann seinen Vertragspartnern einfache Nutzungsrechte nach § 35 UrhG einräumen. Gewährt der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts einfache Nutzungsrechte als Enkelrechte, begibt sich der Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts nicht vollständig seiner Rechtsposition, sondern belastet nur sein Nutzungsrecht mit weiteren einfachen Nutzungsrechten zweiter oder weiterer Stufe.70 Ausschließliche oder einfache Nutzungsrechte können vom Inhaber eines Nutzungsrechts aber auch in der Art und Weise übertragen werden, dass diese selbst an einen anderen abgetreten werden. Dieser translative Vorgang ist in § 34 UrhG geregelt. Ein Rückrufsrecht nach § 41 UrhG spielt bei einfachen Nutzungsrechten keine Rolle, weil das Rückrufsrecht nach § 41 Abs. 1 UrhG nur für ausschließliche Nutzungs70 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 34 Rz. 4.

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rechte gilt. Ein einfaches Nutzungsrecht vermittelt nur ein positives Nutzungsrecht, beinhaltet aber kein Verbotsrecht bzw. eigenes Klagerecht gegen Dritte, so dass der Urheber den Nutzungsberechtigten bei der Rechtsverfolgung unterstützen muss.71 Der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts genießt Sukzessionsschutz nach § 33 UrhG, denn dieses Recht ist auch dann geschützt, wenn der Urheber nachträglich einem Dritten das gleiche Nutzungsrecht ausschließlich einräumt.72 Basierend auf dieser Ausgangssituation ist im Bilanz(steuer)recht bei Einmalzahlungen etwa anerkannt, dass einfache urheberrechtliche Nutzungsrechte angeschafft werden können und zu aktivieren sind.73 Anders als bei reinen Gestattungen liegen insoweit grundsätzlich keine schwebenden Geschäfte vor.74 Dies liegt daran, dass der Vertragspartner nach den §§ 31, 34, 35 UrhG ein eigenes, nach hM dinglich wirkendes Nutzungsrecht75 als immaterielles Wirtschaftsgut derivativ eingeräumt erhält. Entsprechendes gilt für Nutzungsrechte an Filmen nach § 31 UrhG.76 Unerheblich ist insoweit, ob das Nutzungsrecht unbefristet oder zeitlich befristet erworben wird. Im letztgenannten Fall ist das Nutzungsrecht über die Nutzungsdauer abzuschreiben. Die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums an einem Nutzungsrechts für bilanzielle Zwecke hängt daher nicht an der Übertragung des Vollrechts, sondern ist für das jeweils eingeräumte Nutzungsrecht zu beurteilen. Aus der Rspr. des BFH ist abzuleiten, dass diese bilanzrechtlichen Erwägungen für Zwecke des § 50a EStG unerheblich sind. Da der BFH rein negativ zum Verkauf abgrenzt, ist auch unerheblich, ob die einfachen Nutzungsrechte im Vertrag zeitlich befristet eingeräumt werden oder über die gesamte Schutzdauer.

71 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 51; Wandtke/Grunert in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 31 Rz. 32. 72 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 52. 73 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266 Rz. 2 (ERP-Software); Trivialsoftware gilt im Wege der Fiktion allerdings aus Vereinfachungsgründen als bewegliches materielles Wirtschaftsgut (R 5.5 EStR). 74 Soppe in BeckOK Urheberrecht26, § 34 UrhG Rz. 13; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 34 Rz. 4. 75 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 31 Rz. 31 zur Frage, ob auch einfache Nutzungsrechte dinglichen Charakter mit Ausschließlichkeitswirkung haben; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 56 mit Nachweisen zur Rspr. 76 OFD Frankfurt v. 15.4.2010 – S 2241 A - 64 - St 213, FR 2010, 533; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 31 Rz. 141.

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Es stellt sich ferner die Frage, ob ein „Urheberrecht“ iSd. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG auch dann vorliegt, wenn das Werk nur im Ausland nach ausländischem Urheberrecht Schutz genießt. Hiergegen spricht, dass nach § 73a Abs. 2 EStDV nur solche Rechte erfasst sind, die nach deutschem UrhG geschützt sind. Dabei ist zu beachten, dass das Urheberrecht territorial ausgestaltet ist. Der Gegenstand des Urheberrechts und der Umfang des Schutzes sind aus der Sicht des Staats zu würdigen, in dessen Staatsgebiet die potenzielle Verletzungshandlung erfolgt („Schutzlandprinzip“). Dem Urheber steht danach kein einheitliches Urheberrecht, sondern ein Bündel nationaler Urheberrechte zu. Man wird daher im Einzelfall unter Berücksichtigung der §§ 120, 121 UrhG prüfen müssen, ob die Werke von Urhebern überhaupt nach deutschem Urheberrecht geschützt sind. Ferner ist zu beachten, dass ausländische Staatsangehörige auf Basis von Staatsverträgen deutschen urheberrechtlichen Schutz genießen. Ist ein derartiger Schutz zu bejahen, wird sich die inhaltliche Prüfung am deutschen Urheberrecht orientieren. Der BFH hatte über Sachverhalte zu entscheiden, bei denen die Geltung deutschen Rechts vereinbart war. Der Inhalt der vertraglichen Rechteeinräumung war daher nach deutschem Recht zu beurteilen (§§ 31 ff. UrhG). Kommt man jedoch zu dem Ergebnis, dass ein deutscher Urheberrechtsschutz nicht besteht, kann es sich zwar immer noch um ein „ähnliches Recht“ handeln, das aufgrund der weiten Formulierung des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG („insbesondere“) vom Steuerabzug betroffen sein kann. Bei einem ausländischen Urheberrecht wird man die Geltung der deutschen urheberrechtlichen Wertungen, insbes. der §§ 31 ff. UrhG jedoch nicht fiktiv unterstellen dürfen, weil die Verknüpfung zwischen Urheberpersönlichkeitsrecht und Urhebervermögensrecht in ausländischen Rechtsordnungen mit Geltung der dualistischen Theorie nicht gilt. Weiterhin ist zu beachten, dass das Urheberpersönlichkeitsrecht im UrhG nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich hat. Das UrhG unterscheidet zwischen dem Schutz von Werken und den verwandten Schutzrechten (Leistungsschutzrechte). Zwar unterliegen auch Vergütungen für die umfassende Nutzungsüberlassung eines urheberrechtlichen Leistungsschutzrechts dem Steuerabzug (§ 73a Abs. 2 EStDV). Jedoch spielt das Urheberpersönlichkeitsrecht bei den Leistungsschutzrechten nur eine untergeordnete Rolle. Dies liegt darin begründet, dass bei Leistungsschutzrechten regelmäßig nicht die persönlichen Beziehungen einer natürlichen Person zum Werk im Vordergrund stehen, sondern regelmäßig

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finanzielle Investitionen.77 Ein Urheberpersönlichkeitsrecht ist im Bereich der Leistungsschutzrechte nur relevant, wenn die entsprechende Geltung des § 29 Abs. 1 UrhG angeordnet ist. Dies ist etwa bei Lichtbildern der Fall.78 Anders ist es etwa bei dem Hersteller einer Datenbank. In Bezug auf die Verwertungsrechte eines Datenbankherstellers nach §§ 87a, 87b UrhG ist eine entsprechende Geltung des § 29 Abs. 1 UrhG nicht vorgesehen.79 Die Rspr. des BFH darf daher nicht unbesehen auf Leistungsschutzrechte übertragen werden. Vielmehr bedarf es einer Analyse im Einzelfall, ob die Normen, auf die der BFH seine Überlegungen gestützt hat, auch bei dem in Rede stehenden Leistungsschutzrecht gelten. Beim Filmrecht wird zu beachten sein, dass das Filmrecht nach § 94 Abs. 2 Satz 1 UrhG als Vollrecht übertragbar ist. Zudem klammern die Verweisungsketten des § 94 UrhG Vorschriften aus, die das Urheberpersönlichkeitsrecht oder spezifische Schutzbestimmungen für Urheber betreffen.80 Dem Filmhersteller kommt neben dem originären Leistungsschutzrecht nach § 94 Abs. 1 UrhG zwar eine zweite Rechtsposition zu, diese ist allerdings nur ansatzweise an das Urheberpersönlichkeitsrecht angelehnt. Die Dinge werden zudem dadurch verkompliziert, dass bei im Rahmen von Werkverträgen zu schaffenden Rechten neben Urheberrechte auch gewerbliche Schutzrechte treten können. Ein Beispielsfall ist das Designrecht. Im Designrecht entsteht der Designschutz erst mit Eintragung (§ 27 DesignG). Auf Ebene des Entwerfers entsteht vorgelagert aber bereits eine Anwartschaft. Sowohl das eingetragene Design als auch die Anwartschaft auf Eintragung eines Design sind übertragbar.81 Der Rechtsübergang vollzieht sich im Wege der Abtretung gem. § 29 Abs. 1 DesignG. Es ist im Wege der Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, ob sich der Vertrag über die Rechteübertragung einer Designanwartschaft isoliert nur auf diese oder auch auf ein daneben tretendes Urheberrecht bezieht.82 Vereinbaren die Parteien explizit eine 77 Ahlberg in BeckOK Urheberrecht26, Einführung zum UrhG, Teil C.II. Rz. 12; Schiefler, GRUR 1960, 156 (163). 78 Lauber-Rönsberg in BeckOK Urheberrecht26, § 72 Rz. 17. 79 Dreier in Dreier/Schulze, UrhG6, Vorb. zu § 87a Rz. 2. 80 Manegold/Czernik in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht5, § 94 Rz. 72. 81 Eichmann/Jestaedt in Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV6, § 29 Rz. 11. 82 Eichmann/Jestaedt in Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV6, § 29 Rz. 13, die dies für den Regelfall mangels entgegenstehender Vereinbarungen bejahen.

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„Übertragung des Urheberrechts“ neben dem Designrecht, steht dies grundsätzlich im Widerspruch zu § 29 Abs. 1 UrhG, der die Unübertragbarkeit des Urheberrechts statuiert. Im Ergebnis führt dies jedoch nicht zu einer Gesamtunwirksamkeit des Vertrags nach § 134 BGB. Man wird regelmäßig bereits auf Auslegungsebene zum Ergebnis kommen, dass eine nicht gegen § 29 Abs. 1 UrhG verstoßende Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts am Urheberrecht nach § 31 Abs. 1 UrhG (jedenfalls für die Dauer des eingetragenen Designrechts) intendiert war. Auf die Frage, ob die Willenserklärungen gem. § 140 BGB unter Beibehaltung des sonstigen Vereinbarungsinhalts in eine ausschließliche Lizenz umgedeutet werden können,83 kommt es insofern erst dann an, wenn die Auslegung zu keinem Ergebnis führt. Auch im DesignG gibt es ein Designerpersönlichkeitsrecht, das aber weniger ausgeprägt ist als im UrhG (insbes. Nennungsrecht des Entwerfers). § 29 UrhG ist auf das Designrecht nicht entsprechend anwendbar. ME kann die Rechtsprechung zum Total Buy-Out zum Urheberrecht nicht unbesehen auf das Designrecht übertragen werden. Die schwächere Ausgestaltung des Urheberpersönlichkeitsrechts sollte dazu führen, dass der Verkauf einer Designanwartschaft nicht dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegt. Wenn neben den Designschutz ein urheberrechtlicher Schutz tritt, werden ggf. die Vorgänge zu separieren und die Vergütung für Zwecke des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG aufzuteilen sein. Nicht abschließend diskutiert ist weiterhin, wie es sich auswirkt, wenn urheberrechtliche Nutzungsrechte im Rahmen von Dienstverträgen eingeräumt werden. Entsprechende Klauseln sind regelmäßig auch in Dienstverträgen vorgesehen, weil die urheberrechtlichen Rechtspositionen vielfach nicht kraft Gesetzes beim Auftraggeber entstehen, sondern auf Ebene der Mitwirkenden, von denen ausgehend dann Nutzungsrechte iSd. §§ 31 ff. UrhG eingeräumt werden. Da der BFH in seiner Rspr. zum Total Buy-Out auf die Perspektive des beschränkt steuerpflichtigen Vergütungsgläubigers abgestellt und sich zudem an den Detailregeln des Immaterialgüterrechts orientiert hat, sind Zweifel aufgekommen, ob aufgrund der Rechteeinräumungen auch im Fall eines Dienstvertrags eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a EStG zu bejahen ist. Selbst wenn man diesen Gesichtspunkt betonen will, wäre mE vielfach zu berücksichtigen, dass einer Rechteüberlassung in diesem Fall regelmäßig wertungsmäßig kein eigenständiger Gehalt zukommen sollte, weil aus dem 83 Eichmann/Jestaedt in Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, GGV6, § 29 Rz. 13.

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steuerlichen Blickwinkel eben nur eine Dienstleistung vergütet wird.84 Dies zeigt sich auch an der steuerlichen Zurechnungslehre, die im Rahmen von Dienstverträgen geschaffene Wirtschaftsgüter von vornherein dem Auftraggeber zuordnet. Eine zivilrechtliche Rechteeinräumung in Bezug auf Arbeitsergebnisse erscheint mit Blick auf die vertragliche Risikoverteilung daher eher als Nebenleistung, weil diese hinter die Dienstleistung zurücktritt. Die Richtigkeit dieser Überlegung zeigt sich auch zivilrechtlich daran, dass bei Dienstverträgen neben dem Dienstleister vielfach auch die eigenen Arbeitnehmer des Auftraggebers am Schöpfungsprozess teilhaben, so dass die Arbeitnehmer des Arbeitgebers als Miturheber anzusehen sind, woraus dem Arbeitgeber dann wiederum eigenständige Nutzungsbefugnisse zustehen können. Anmerkungen Koch: Diese Folgefragen ergeben sich mE aus der Entscheidung des BFH nicht, da mit dieser Rspr. lediglich die bisherige Auffassung der FinVerw. bestätigt wurde.

IV. Gewerbliche Schutzrechte, Entwicklungsleistungen und Know-how 1. Vorbemerkungen (Schlotter/Koch) In der Praxis ist ferner zu beobachten, dass zunehmend gewerbliche Schutzrechte, Know-how-Transferverträge sowie F+E-Sachverhalte in den Fokus des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG geraten. Die Fallgestaltungen sind vielschichtig. Die Sachverhalte reichen vom entgeltlichen Erwerb bereits bestehenden Know-hows oder von Erfindungen, diversen Spielarten der Auftragsentwicklungen bis hin zu Entwicklungskooperationen in unterschiedlichen Ausprägungen. Nachfolgend sollen einige ausgewählte Fallgestaltungen näher betrachtet werden, wobei der vielschichtige Bereich des Markenrechts und der Entwicklungskooperationen85 hier ausgeklammert werden soll.

84 Zustimmend Hruschka, StbJb. 2017/2018, 667 (701). 85 Im Zusammenhang von Entwicklungskooperationen ist zu beachten, dass BMF v. 30.12.1999 – IV B 4 - S 1341 - 14/99, BStBl. I 1999, 1122 = FR 2000, 235 durch BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003 – DOK 2018/0513090, BStBl. I 2018, 743 = FR 2018, 715 aufgehoben wurde. Im Rahmen von Entwicklungskooperationen werden häufig Innen-GbR allein für die Entwicklungsphase,

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2. Fallgestaltungen Fall: Die in Frankreich ansässigen Erfinder A und B haben zusammen eine Einspritzdüse entwickelt und dafür ein Patent erhalten, das im deutschen Patentregister eingetragen ist. Sie lizenzieren das Patent zusammen mit den dazugehörigen Unterlagen (aufwendige, handgefertigte Skizzen und Pläne) für drei Jahre an die Automobil AG, die ihnen eine umsatzabhängige Lizenzgebühr zahlt. Es handelt sich um ein ausschließliches Nutzungsrecht. Abwandlung 1: Die Erfinder verkaufen ihre patentfähige Erfindung (fertige Erfindung) zum Preis von 3 Mio. t an die AG. Die AG lässt daraufhin das Patent auf sich eintragen. Abwandlung 2: Die französische Y SA nutzt ein spezielles Fertigungsverfahren zur Produktion von Einspritzdüsen (keine fertige Erfindung). Es wird ein Technologietransfervertrag mit der Automobil AG geschlossen. Die Y SA überlässt die Konstruktionspläne an die Automobil AG mit Detailinformationen zum Herstellungsverfahren zum Preis von 3 Mio. t und vereinbart, dass sie nicht mehr berechtigt ist, die Pläne selbst zu nutzen. Der Vertrag beinhaltet den Transfer des Know-hows und aller Prozessdokumentationen. Die Automobil AG will auf Basis der Pläne im Inland selbst Einspritzdüsen produzieren. Alternative: Die Automobil AG will einen Zulieferer aus dem Ausland mit der Produktion beauftragen. Abwandlung 3: Die Baupläne für die Einspritzdüse sind das Resultat eines Entwicklungsauftrags (Werkvertrag zum Festpreis von 900 000 t), den die Automobil AG mit der französischen Y SA abgeschlossen hat. Eine patentfähige Erfindung entsteht im Rahmen der Entwicklung nicht. Nach dem Vertrag stehen der Automobil AG einfache Rechte an den Arbeitsergebnissen zu. Die Automobil AG will auf Basis der Pläne im Inland selbst Einspritzdüsen produzieren. Background-Lizenzen des Auftragnehmers86 sind für die Verwertung durch die Automobil AG nicht erforderlich und daher vertraglich auch nicht geregelt.

nicht aber die Verwertungsphase geschlossen, vgl. nur Winzer in Winzer, Forschungs- und Entwicklungsverträge2, Teil 1 Rz. 55 ff. 86 In Entwicklungsverträgen wird üblicherweise zwischen vorhandenen „Altschutzrechten“ des Auftragnehmers („Background“) und „Neuschutzrechten“ bzw. „Arbeitsergebnissen“ (Foreground) unterschieden, die im Zusammenhang mit dem Vertrag neu entstehen.

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Unterliegen die Vergütungen dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG? a) Lösung Grundfall (Schlotter) Im Grundfall unterliegen die Lizenzvergütungen dem Steuerabzug nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 73a Abs. 3 Nr. 2 EStDV. Bei genauer Betrachtung liegen aufgrund der Bruchteilsbetrachtung zwei Vergütungsgläubiger vor. Die Erfinder sind als Bruchteilsberechtigte87 berechtigt, das auf sie eingetragene Patent zu verwerten. Bei dem Patent handelt es sich um ein gewerbliches Schutzrecht iSd. § 73a Abs. 3 Nr. 2 EStDV. Im Rahmen des § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist zu beachten, dass bei einer Verwertung im Inland derjenige, der die selbständige Tätigkeit ausgeübt hat, Verwertender sein muss.88 Eine Verwertung erfolgt dadurch, dass der Erfolg der selbständigen Arbeit im Inland eintritt. Ein entsprechender Erfolg kann durch Erteilung einer Lizenz an einen inländischen Vertragspartner bewirkt werden.89 Ein Steuerabzug wird sich nicht zusätzlich auf §§ 49 Abs. 1 Nr. 3, 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 73a Abs. 2 EStDV stützen lassen. Der Überlassung der aufwendigen Skizzen wird kein eigenständiger urheberrechtlicher Gehalt zuzumessen sein, denn das wissenschaftliche und technische Gedankengut eines Werks ist nicht Gegenstand des Urheberrechtsschutzes und kann daher auch nicht zur Begründung der Schutzfähigkeit von Skizzen, die die technische Lehre wiedergeben, herangezogen werden.90 Anmerkungen Koch: Ich stimme dem Ergebnis zu.

87 Vgl. dazu BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17, BFH/NV 2019, 359 = UR 2019, 179. Von einer GbR wird ohne besondere Abrede nicht auszugehen sein (vgl. BGH v. 17.10.2000 – X ZR 223/98, NJW-RR 2001, 477 = BGHReport 2001, 86). 88 BFH v. 16.12.1970 – I R 137/68, BStBl. II 1971, 200; Loschelder in Schmidt, EStG38, § 49 Rz. 74. 89 BFH v. 11.4.1990 – I R 82/86, BFH/NV 1991, 143; Reimer in Blümich, EStG/ KStG/GewStG, § 49 EStG Rz. 205 (Stand Aug. 2019). Der Umstand, dass das Patent im Inland eingetragen ist, hat daher keine selbständige Bedeutung. Vgl. aber die Regelung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f wonach sich der Inlandsbezug unabhängig von einer Inlandsverwertung schon dadurch ergeben kann, dass Rechte in ein inländisches öffentliches Buch oder Register eingetragen sind. 90 BFH v. 22.11.2018 – V R 65/17, BFH/NV 2019, 359 = UR 2019, 179 unter Hinweis auf BGH v. 15.12.1978 – I ZR 26/77, NJW 1979, 1548.

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b) Lösung Abwandlung 1 (Schlotter) In der Abwandlung 1 ist ein Steuerabzug nach §§ 50a Abs. 1 Nr. 3, 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG mE hingegen nicht vorzunehmen. Das Recht auf das Patent entsteht mit dem Schöpfungsakt der Erfindung auf der Ebene der Erfinder.91 Hier ist zu berücksichtigen, dass den Erfindern als Bruchteilsgemeinschaft gem. § 6 Satz 2 PatG das Recht auf das Patent gemeinschaftlich zusteht. Zwar handelt es sich bei dem Recht auf das Patent (fertige Erfindung) um ein nach dem PatG geschütztes Recht, das als gewerbliches Schutzrecht unter § 73a Abs. 3 Nr. 2 EStDV fällt. Allerdings liegt kein Fall einer Rechteüberlassung vor. Das Recht auf das Patent des Erfinders ist nach § 15 Abs. 1 PatG übertragbar.92 Zivilrechtlich kann eine Erfindergemeinschaft als Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB über das Recht auf das Patent verfügen und dieses an einen Dritten gem. § 398 BGB abtreten.93 Die zivilrechtliche Würdigung ist mE auch steuerlich als Veräußerung anzuerkennen. Zwar hat auch das Recht an der Erfindung eine Doppelnatur, denn es ist einerseits ein Vermögensrecht, andererseits hat das Recht aber auch einen persönlichkeitsrechtlichen Charakter (Erfinderpersönlichkeitsrecht).94 Da auch das Erfinderpersönlichkeitsrecht nicht übertragbar ist, könnte man überlegen, ob die Rspr. des BFH zum Total Buy-Out bei Urheberrechten auch auf Patente zu übertragen ist. Hiergegen spricht jedoch, dass die vermögensrechtliche Rechtsstellung des Erfinders im PatG weit weniger stark ausgeprägt ist als im UrhG.95 Dies scheint auch der BFH so zu sehen, denn er hat in seinen Urteilen zum Total Buy-Out die Rspr. des FG Münster96 in Bezug genommen, die steuerlich einen Patentverkauf dem Grunde nach anerkannt hat. Anmerkung Koch: Ich stimme zu. Jedoch ergibt sich hier: Schutz des Urhebers vs. Schutz des Patents. Die rechtliche Stellung des Erfinders/Schöpfers ergibt sich mE aus dem unterschiedlichen Schutzgedanken der Gesetze. Das Urheberrecht soll vor allem den geistigen Schöpfer (Urheber) vor unerlaubter (und entgeltloser) Mes in Mes, PatG/GebrMG4, § 6 Rz. 15. Mes in Mes, PatG/GebrMG4, § 6 Rz. 21. Mes in Mes, PatG/GebrMG4, § 15 Rz. 7. BGH v. 20.6.1978 – X ZR 49/75, GRUR 1978, 583 (585); Schäfers/Schwarz in: Benkard, PatG11, § 63 Rz. 2. 95 Sonderfragen ergeben sich, bei angestellten Erfindern, die Ansprüche aus dem ArbNErfG ableiten können. 96 FG Münster v. 15.12.2010 – 8 K 1543/07 E, DStRE 2011, 1309. 91 92 93 94

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Nutzung schützen, wogegen das Patentgesetz das Patent an sich schützen soll. Die Urhebereigenschaft wird nach § 7 UrhG dem Schöpfer des Werkes per se zugesprochen. Es bedarf dazu keines expliziten Antrags. Das Urheberrecht schützt dabei gem. § 11 UrhG den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werks und dient gleichzeitig der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung. Eine vollständige Übertragung des Urheberrechts ist hingegen ausgeschlossen (§ 29 Abs. 1 UrhG). Lediglich zulässig ist die Einräumung von Nutzungsrechten. Patente werden hingegen gem. § 1 Abs. 1 PatG für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vor allem werden sie nur auf Antrag des Patentinhabers (muss nicht identisch mit dem Erfinder sein) erteilt. Denn vor dem Patentamt gilt der Anmelder als berechtigt, der die Erteilung des Patents verlangt (§ 7 Abs. 1 PatG). Anders als im Urheberrecht kann nach § 15 Abs. 1 PatG das Recht auf das Patent, der Anspruch auf Erteilung eines Patents und das Recht aus dem Patent vollständig und ausdrücklich auf andere übertragen werden. Von daher kann ein Patent im Gegensatz zu einem dem Urheberrecht unterliegenden Recht vollumfänglich veräußert werden und folglich kann der Patentinhaber sich sämtlicher Rechte entledigen. c) Lösung Abwandlung 2 (Schlotter) Die Abwandlung 2 ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass hier nicht Erfinder (also natürliche Personen), sondern eine auslandsansässige Kapitalgesellschaft Vergütungsgläubigerin ist. Gegenstand des Vertrags ist zudem kein gewerbliches Schutzrecht iSd. § 73a Abs. 3 Nr. 2 EStDV, sondern ein Fertigungsverfahren und Prozesswissen, also Know-how. Es ist daher zu hinterfragen, ob die auslandsansässige Kapitalgesellschaft gem. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG beschränkt körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. aa EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erzielt, die dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Die Anwendung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG kommt dabei im Ausgangspunkt nur in Betracht, wenn man Know-how als Recht iS des Tatbestands ansieht. Ansonsten ist man von vornherein im Anwendungsbereich des subsidiären § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Bei Know-how im steuer781

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lichen Sinne handelt es sich um einen Sammelbegriff, der sich vom zivilrechtlichen Verständnis des Know-hows unterscheidet. Zivilrechtlich ist der Know-how-Schutz im Kern vom Gedanken des Schutzes von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen geprägt.97 Es handelt sich mithin um Geheimnisse, die nicht zugleich Schutz nach den Gesetzen des geistigen Eigentums genießen. Ein Schutz bestand bislang nicht gegen jede Verwendung durch Dritte, sondern nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 17, 18 UWG iVm. §§ 4 Nr. 3, 8, 11 UWG oder der §§ 823, 1004 BGB.98 Zivilrechtlich ist zu berücksichtigen, dass zwischenzeitlich die Know-how-Richtlinie (EU 2016/943) durch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) mit einer eigenständigen Definition des Geschäftsgeheimnisses in § 2 GeschGehG umgesetzt wurde. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der verwendete Terminus des Geschäftsgeheimnisses sowohl kaufmännisches als auch technisches Wissen umfassen.99 Durch das GeschGehG wird die Rechtsstellung des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses deutlich umrissen. Zwar sind viele Regelungsinhalte des GeschGehG an die Normen des Marken-, Patent- und Urheberrechtsgesetzes angeglichen worden, allerdings handelt es sich nach wie vor nicht um subjektives Ausschließlichkeitsrecht, da nur ein Schutz gegen bestimmte Eingriffe in Geschäftsgeheimnisse vorgesehen ist.100 Der steuerliche Know-how-Begriff ist weiter gefasst als das zivilrechtliche Begriffsverständnis. Erfasst ist Spezialwissen als Ergebnis erfinderischer Tätigkeit oder Erfahrungswissen, dessen Wert darin besteht, einem Dritten, dem es vermittelt wird, Zeit und Kosten zu sparen.101 Abzugrenzen ist die Know-how-Überlassung steuerlich von den wissensbasierten Dienstleistungen. Die Vermittlung von Know-how soll den Empfänger in die Lage versetzen, die ihm übertragenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen selbst anzuwenden.102 Eine Know-howÜberlassung erfordert daher stets, dass das Know-how als solches dem Vertragspartner vermittelt wird; es reicht daher nicht aus, wenn eigenes

97 Hauck in MünchKomm. UWG, Teil I. Grundlagen des Lauterkeitsrechts3, Rz. 274. 98 A. Brandi-Dohrn in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB5, Lizenzverträge Rz. 141. 99 Hiéramente in Fuhlrott/Hiéramente, BeckOK GeschGehG, 2019, § 2 Rz. 1 mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung. 100 Apel/Walling, DB 2019, 891. 101 BFH v. 13.11.2002 – I R 90/01, BStBl. II 2003, 249 = FR 2003, 469. 102 FG München v. 27.5.2013 – 7 K 3552/10, EFG 2013, 1412, rkr.; v. 24.11.1982 – I 349/79-E, EFG 1983, 353, 354, rkr.

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Know-how-verwendet wird, um eine Dienst- oder Werkleistung an den Vergütungsschuldner zu erbringen.103 Im Verhältnis von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG zu § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG stellen sich im Kern zwei Probleme. Zunächst stellt sich die Frage, ob der Rechtebegriff des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG nur Ausschließlichkeitsrechte umfasst oder weitergehend auch Know-how-Überlassungen/Übertragungen. Die Frage ist nicht rein akademischer Natur. Zwar wurde mit § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG ein Tatbestand eingefügt, der das Ziel hatte, im Inland auftretende Besteuerungslücken im Bereich des Knowhow-Transfers zu schließen.104 Allerdings ist zu berücksichtigen, dass § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine Nutzung im Inland erfordert, während § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG eine inländische Verwertung der Rechte ausreichen lässt. Der Nutzungsbegriff ist enger, denn Know-how wird nur genutzt, indem es im Inland eingesetzt wird, nicht bereits dadurch, dass es verwertet wird.105 Hierzu bedarf es einer tatsächlichen Nutzung und es darf nicht nur eine bloße Option zur Nutzung bestehen. Die zweite Frage betrifft das Problem, ob § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG Sachverhalte der Know-how-Veräußerungen umfasst oder ob Veräußerungsvorgänge allein im Anwendungsbereich des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG tatbestandsmäßig sind.106 In Bezug auf die erste Frage wird in der Literatur107 für den Rechtebegriff des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG vielfach auf § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG und auf § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG verwiesen. Danach wäre Know-how auch vom Rechtebegriff des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG erfasst. Dies ist nicht über jeden Zweifel erhaben, weil § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG nach seinem Wortlaut einen ausdrücklichen Bezug zu § 21 EStG herstellt, der wiederum in § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG Sachverhalte der Know-howÜberlassung ausdrücklich erfasst. In § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG fehlt 103 BFH v. 16.12.1970 – I R 44/67, BStBl. II 1971, 235. 104 BT-Drucks. 7/1509 und 7/1871. 105 FG Hamburg, v. 19.10.2000 – VI 14/99, EFG 2001, 289, rkr.; Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 1111 (Stand Dez. 2019). Dies verkennt FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18 im Fall des gescheiterten Know-how Transfers. 106 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18; Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 1111 (Stand Dez. 2019). 107 Peffermann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 621 (Stand Aug. 2019); Viebrock in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 49 Rz. 157; Gosch in Kirchhof, EStG18, § 49 Rz. 41a.

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ein derartiger expliziter Bezug auf § 21 EStG. Das FG München hat die Rechtsfrage, ob der Rechtebegriff des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG auch Know-how erfasst, jüngst offen gelassen.108 Selbst wenn man Knowhow als Recht iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG ansehen will, ist aber zu beachten, dass dieses von seiner Struktur her nicht vermietungsfähig ist, da es einer zeitlich begrenzten Übertragung nicht zugänglich ist (das entsprechende Wissen verbleibt tatsächlich).109 Zum zweiten Problemkreis ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG, dass eine Know-how-Überlassung auch zu Einkünften iSd. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG führt, wenn sie zeitlich nicht begrenzt ist.110 Aus der Formulierung „Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung“ ergibt sich m.E. jedoch, dass Veräußerungssachverhalte nicht von § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst sind, so dass ein Veräußerungsentgelt in Bezug auf Know-how höchstens nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, f EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt steuerpflichtig sein kann.111 Selbst wenn man dies anders sehen möchte, wäre jedenfalls für Zwecke des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG zu berücksichtigen, dass der Steuerabzug nach dem gesetzlichen Willen Vergütungen für Veräußerungsvorgänge nicht erfassen soll. Veräußerungen wären daher auch hier aus dem Steuerabzug herauszunehmen. Know-how-Veräußerungen werden in der Praxis bislang nur selten anerkannt. Erforderlich ist nach Auffassung der Finanzgerichte, dass sich der Inhaber mit Abschluss des Vertrags des von ihm entwickelten Knowhows endgültig und in seiner Substanz entledigt.112 Danach wäre ebenso wie bei Urheberrechten unerheblich, ob der Vergütungsschuldner ein Nutzungsrecht am Know-how aktiviert, denn die Aktivierung beschreibt nur eine Nutzungsbefugnis der Erwerbers, nicht aber eine vollständige Entledigung der Substanz auf Ebene des bislang Berechtigten. Zwar kann 108 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18. 109 Reimer in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 49 EStG Rz. 188 (Stand Aug. 2019). 110 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18; Gosch in Kirchhof, EStG18, § 49 Rz. 94. 111 Reimer in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 49 EStG Rz. 311 (Stand Aug. 2019); Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 1111 (Stand Dez. 2019). 112 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18; FG Berlin-Brandenb. v. 14.6.2012 – 9 K 156/05, EFG 2013, 934, rkr.

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ein Know-how-Träger sich vorhandenen Wissens faktisch nicht entledigen, weil die Know-how-Träger das Wissen ja weiterhin haben. Sieht der Know-how-Transfervertrag jedoch eine ausschließliche Nutzungsbefugnis des Erwerbers vor und ist die fehlende fortbestehende Nutzungsbefugnis des bisherigen Inhabers vertraglich abgesichert, sollte für steuerliche Zwecke eine Veräußerung anzuerkennen sein. Ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ist mE in der Abwandlung 2 daher nicht vorzunehmen. Geht man mE unzutreffend in der Abwandlung 2 von einer Nutzungsüberlassung aus, sprechen mE die besseren Gründe für einen Vorrang des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG vor § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG. Danach fehlt es in der Sachverhaltsalternative zur Abwandlung 2, in der das Know-how im Rahmen einer Beistellung einem ausländischen Zulieferer zur Verfügung gestellt wird, m.E. an einer tatsächlichen Inlandsnutzung. Anmerkungen Koch: Dem Ergebnis vermag ich nicht zuzustimmen. In der vorliegenden Knowhow-Überlassung (Annahme von Know-how, da eine unfertige Erfindung nicht patentfähig ist) liegen Einkünfte der beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft nach § 2 Nr. 1 KStG iVm. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG vor, die auch dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegen. Mit der Frage, ob eine Veräußerung von Know-how überhaupt möglich ist und demnach nicht unter § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu subsumieren ist, hat sich ua. das FG München mit seinem Urteil vom 14.5.2018113 befasst. Auch die Rspr. räumt nicht alle Zweifel aus und hinterlässt dahingehend offene Fragen. Aus Sicht des Empfängers spricht viel gegen eine zeitlich begrenzte Überlassung, da die übermittelten Erfahrungen auf Dauer verbleiben.114 Aus Sicht des Know-how-Inhabers spricht alles gegen eine Veräußerung, weil ihm das Know-how mangels eines gegenüber Dritten wirkenden Schutzes seinerseits nicht verlorengehen kann.115 Er kann sich quasi dessen nie ganz entledigen. Letztendlich hat der Gesetzgeber entschieden, dass eine Veräußerung von Know-how grundsätzlich nicht möglich ist und so ist es für die tatbestandliche Einordnung im § 49

113 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18. 114 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184 Rz. 17, nrkr., Rev. BFH I R 18/18. 115 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184 Rz. 17, nrkr., Rev. BFH I R 18/18.

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Abs. 1 Nr. 9 EStG irrelevant, ob ein Know-how zeitlich begrenzt oder unbegrenzt überlassen oder übertragen wird.116 Zudem ist im Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine inländische Nutzung des Know-hows erforderlich. Es kommt dabei gerade nicht auf die tatsächliche Nutzung des Know-hows im Inland an. Allein die Möglichkeit einer inländischen Nutzung ist ausreichend. Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG spielt es keine Rolle, wenn es im Fall eines zB vorzeitigen Auflösens des Vertragsverhältnisses zu keiner Verwirklichung des Know-how-Transfers und somit zu keiner „tatsächlichen“ inländischen Nutzung kommt.117 Sollten in diesem Fall allerdings Zahlungen geleistet worden sein, ist ungeachtet dessen ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG vorzunehmen. Diese Rechtsfragen, ob Know-how endgültig überlassen werden kann und damit veräußerlich ist sowie ob das Tatbestandsmerkmal „Nutzung im Inland“ die tatsächliche Nutzung voraussetzt, sind derzeit beim BFH118 anhängig. Ob sich allerdings der BFH der Rechtsauffassung des vorgehenden FG München anschließt, bleibt abzuwarten. d) Lösung Abwandlung 3 (Schlotter) aa) Vorbemerkungen Bei Abwandlung 3 handelt es sich um einen klassischen Entwicklungsauftrag. Bei entsprechenden Entwicklungsaufträgen stellen sich im Ausgangspunkt mehrere Grundproblematiken: Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Entwicklungsverträge allgemein gehaltene Regeln zum sog. Foreground-IP enthalten, also den bei der Durchführung des Vertrags geschaffenen Arbeitsergebnisse und dem Know-how. Im Bereich des Foreground-IP ist zudem zu beachten, dass die Vertragswerke regelmäßig Sonderregeln für Erfindungen (iSd. PatG) beinhalten, wenn diese zu den Arbeitsergebnissen gehören. Auf der Basis von Werkvertragsrecht sollen regelmäßig die Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber zustehen. Ein vertragliches Regelungsbedürfnis besteht ferner in Bezug auf das Background-IP, also das zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits bestehende, sowohl geschützte als auch ungeschütz116 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184 Rz. 17, nrkr., Rev. BFH I R 18/18. 117 FG München v. 14.5.2018 – 7 K 1440/17, EFG 2018, 1184, nrkr., Rev. Az. BFH I R 18/18. 118 Rev. Az. BFH I R 18/18.

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te, geistige Eigentum. Relevant ist dabei einerseits das Background-IP des Auftraggebers und andererseits das Background-IP des Auftragnehmers. Lizenzklauseln, die sich auf das Background-IP des Auftraggebers beziehen, werden vielfach einen reinen Beistellungscharakter haben und daher nicht Teil des entgeltlichen Leistungsaustauschs sein. Bei Background-IP des Auftragnehmers wird regelmäßig erst nachträglich feststehen, ob Background-IP für eine spätere kommerzielle Verwertungsphase benötigt wird oder nicht. Zudem wird das Background-IP idR nicht konkret im Vertrag bezeichnet, was die Zuordnung eines konkreten Vergütungsanteils zusätzlich erschwert. Der Umstand, dass der Entwicklungsvertrag auch Nutzungsrechte am Background-IP vorsieht, das bei Vertragsabschluss bereits bestanden hat, wird im Regelfall einen Steuerabzug nicht begründen können, denn die Nutzungsrechte am Background-IP dienen als Nebenleistung lediglich der Herbeiführung des geschuldeten Erfolgs, der in einer Neuentwicklung besteht, die der Vertragspartner unter Einsatz des eigenen Personals erstellt. Eine weitere Problematik besteht darin, dass für die einzelnen Arbeitsergebnisse steuerlich unterschiedliche Regeln zum Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG gelten (unterschiedliche Regeln für Urheberrecht „keine Anerkennung des Total Buy-Out“ [s.o.], gewerbliche Schutzrechte und für Know-how). Die vertraglichen Regelungen sehen häufig vor, dass alle Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber zustehen sollen. Welche Arbeitsergebnisse aus dem Entwicklungsauftrag resultieren, steht häufig aber erst ex post fest. Steuerlich ist aufgrund der unterschiedlichen Behandlung der einzelnen Arbeitsergebnisse indes notwendig, für jeden einzelnen F+E-Sachverhalt festzuhalten und zu dokumentieren, ob und wenn ja, welches Arbeitsergebnis entsteht. Eine entsprechende Beurteilung ist selbst ex post vielfach kaum leistbar. Eine weitere Problematik besteht darin, dass der Steuerabzug an den Zahlungszeitpunkt anknüpft. Im Zahlungszeitpunkt steht bei Zahlungen, die einer werkvertraglichen Abnahme vorgelagert sind, aber regelmäßig noch gar nicht fest, ob am Ende des F+E-Prozesses überhaupt verwertbare Arbeitsergebnisse vorliegen werden. Über den Steuerabzug ist aber schon im Moment der Vorschusszahlung zu entscheiden (§ 73c Nr. 3 EStDV). Ob eine Vergütung quellensteuerrelevant ist oder nicht, kann daher bei F+E-Sachverhalten eigentlich erst aus der ex post-Sicht beantwortet werden, wobei sich die Steuerabzugspflicht aus mehreren Quellen (Nutzungsrecht am IP-Foreground, nicht nur untergeordnetes Nutzungsrecht

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am IP-Background) ergeben kann. Dies gilt allerdings nur, wenn einer Rechtsposition überhaupt eine Vergütung zugeordnet werden kann. bb) Lösungsvorschlag Arbeitsergebnis des Entwicklungsauftrages sind Baupläne, also steuerliches Know-how. Bei der Abwandlung 3 ist zunächst zu beachten, dass das Know-how im Ausgangspunkt noch nicht besteht, sondern im Rahmen des Entwicklungsauftrags vom Vertragspartner erst noch geschaffen werden muss. Da ein echter Know-how-Transfer angestrebt ist, wird man im Ausgangspunkt nicht von einer rein wissensbasierten Dienstleistung ausgehen können. Ungeachtet dessen wird man den Erstellungsprozess aber in der Art berücksichtigen müssen, dass zumindest ein Teil der Vergütung dem Erstellungsprozess, also einer nicht dem Steuerabzug unterliegenden Dienstleistung, zuzurechnen ist. Von den Wertungen her interessant ist, dass abkommensrechtlich nach Tz. 10.2, 11 des OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA Vergütungen für die Erstellung von noch nicht bereits vorhandenem Know-how in voller Höhe als Vergütungen für Dienstleistungen angesehen werden, die in den Anwendungsbereich von Art. 7 OECD-MA fallen. Abkommensrechtlich setzt eine Know-how-Überlassung iSd. Art. 12 OECD-MA daher voraus, dass das Know-how bereits besteht. Aufwendungen, die auf die Erstellungsleistung entfallen (Arbeitslohn, Vergütungen von Subdienstleistern), sind daher selbst dann nicht einer Know-how-Überlassung zuzuordnen, wenn dieses als Arbeitsergebnis vertraglich geschuldet ist. ME sollten diese Wertungen auch für die ähnlich gelagerte Frage der Aufteilung im Rahmen des Steuerabzugs nach § 50a EStG berücksichtigt werden und der weitaus überwiegende Anteil der Vergütung der Erstellungsdienstleistung zugeordnet werden. Anmerkungen Koch: Ich stimme grundsätzlich zu. Jedoch kann nicht allgemein die Aussage getroffen werden, dass der weitaus überwiegende Anteil der Vergütung der Erstellungsdienstleistung zugeordnet werden kann. Der Anteil der Vergütung, der auf eine nicht steuerabzugspflichtige Dienstleistung entfällt, sollte sorgfältig (je nach Gesamtwürdigung des Einzelfalls sowie den vertraglichen und tatsächlichen Vereinbarungen) bemessen werden. Die Frage, wofür die Vergütung tatsächlich gezahlt wird, sollte dabei immer eine Rolle spielen.

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V. Blogger, Youtuber und Influencer Fall: Die Z AG hat einen Vertrag mit dem bekannten Influencer A (wohnhaft in der Schweiz) geschlossen, der auf verschiedenen Plattformen zahlreiche Follower hat. A verpflichtet sich, einmal im Monat ein neues Video zu drehen. A nimmt sich dabei selbst auf. Gestalterisch ist A völlig frei. In dem Video muss jedoch prominent ein Produkt der Z AG auftauchen. Die Videos, die einen sehr unterhaltenden Charakter haben, dreht A vertragsgemäß in der Schweiz. Die Z AG stellt dem A jeweils monatlich das neueste Produkt zur Verfügung. A verpflichtet sich, der Z AG alle Nutzungsrechte zu allen Nutzungsarten an den Videos zu übertragen. Die Z AG möchte die Videos auch auf ihren eigenen Social-Media-Kanälen ausstrahlen (zB YouTube-Channel). A muss die Videos seinerseits aber auch auf seinen Social-Media-Channels einstellen, da die Reichweite des A sehr groß ist. Der Vertrag sieht daher vor, dass die Z AG dem Influencer einfache Nutzungsrechte an den Videos einräumt. A soll zudem einmal im Jahr an einem von der Z AG veranstalteten Red Carpet-Event in Berlin teilnehmen, dabei über den roten Teppich laufen, für Interviews und Fotos zur Verfügung stehen. A erhält für seine Leistungen eine monatliche Pauschalzahlung von 25.000 t. Das monatlich überlassene Produkt darf er jeweils behalten. Unterliegen die Vergütungen dem Steuerabzug gem. § 50a EStG?

1. Vorbemerkungen (Schlotter) Im Rahmen ihrer Unternehmenskommunikation nutzen heute eine Vielzahl von Unternehmen die Leistungen von Bloggern, Youtubern und Influencern, die häufig im Ausland leben. Die Sachverhaltsgestaltungen sind dabei durchaus sehr heterogen und bedürfen einer Analyse im Einzelfall. Neben diversen Rechteüberlassungen aller Art (relevant sind insoweit nicht nur Persönlichkeitsrechte, sondern häufig auch Rechte am erstellten Content), werden häufig auch inländische Darbietungen vergütet, so dass neben § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG auch § 50a Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG in den Blick zu nehmen sind. In der Praxis ist mittlerweile auch zu beobachten, dass Blogger, Influencer und Youtuber Rechteverwertungsgesellschaften gegründet haben, die dann in Geschäftsbeziehungen zu den inländischen Werbekunden treten.119 119 In diesem Fall stellen sich dann ähnliche Fragen, wie bei klassischen Rent-aStar-Companies.

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Durch die Formulierung des BMF-Schreibens v. 3.4.2019120 zur Anwendung des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG bei Sachverhalten der Onlinewerbung ist die Frage aufgekommen, ob durch das BMF-Schreiben generell auch Werbeleistungen von Bloggern, Youtubern und Influencern aus dem Anwendungsbereich des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ausgenommen wurden, so dass für diesen Personenkreis von vornherein Steuerabzugspflichten nur auf § 50a Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG gestützt werden kann.121 Nach dem BMF-Schreiben sollen u.a. Entgelte für Social-Media-Werbung, Bannerwerbung und vergleichbare sonstige Onlinewerbung und unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen die Vergütung aufgrund des konkreten Vertragsverhältnisses anfällt (zB Cost per Click, Cost per Order oder Cost per Mille, Revenue Share), nicht dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterfallen. Inhaltlich sind in diesem Zusammenhang mehrere Fragestellungen auseinanderzuhalten. Hintergrund des BMF-Schreibens v. 3.4.2019 war eine Verunsicherung, die insbes. durch literarische Stellungnahmen in Bezug auf Vergütungen für Suchmaschinenwerbung aufgekommen war.122 Richtigerweise unterfallen derartige Sachverhalte an die Betreiber von Suchmaschinen oder Social-Media-Plattformen weder unter dem Gesichtspunkt der Rechteüberlassung noch der Know-how-Überlassung dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG.123 Auch ein Youtuber oder Influencer überlässt nicht sein Know-how (s.o. zu IV.2.c), sondern erbringt eine aktive Werbeleistung. Von Seiten der FinVerw. wird bei Influencern teilweise argumentiert, dass der Werbende wirtschaftlich ein „Werberecht“ überlasse, das als „ähnliches Recht“ anzusehen sei und daher aufgrund der nicht abschließenden Formulierung des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG („insbesondere“) dem Steuerabzug nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliege. Dem ist nicht zuzustimmen. Regelmäßig erschöpft sich die Leistung des Youtubers oder Influencers in einem reinen Product Placement anlässlich einer Darbietung. Bei einem Product Placement werden zivilrechtlich die Visibilität eines Produkts in einem Video (Werkver120 BMF v. 3.4.2019 – IV C 5 - S 2411/11/10002 – DOK 2019/0280293, BStBl. I 2019, 256 = StEK EStG § 50a Nr. 146. 121 Dafür Busemann/Gilson, DStR 2019, 2178 (2180). 122 Hruschka, StbJb. 2017/2018, 667 (712); Hruschka, DStR 2019, 88 ff.; zutreffend dagegen Diffring/Saft, DB 2019, 387 ff.; Linn, DStR 2019, 418 ff. 123 Vgl. bereits Schlotter, StbJb. 2017/2018, 667 (711); ausführlich Diffring/Saft, DB 2019, 387 ff. am Beispiel von Google Ads.

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trag)124 oder die Anpreisungen desselben (Dienstleistung) vergütet. Entsprechende Sachverhalte im schuldrechtlichen Zwei-Parteien-Verhältnis unterfallen daher mangels tatbestandsmäßiger Rechteüberlassung nicht dem Tatbestand des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. Es ist unzulässig, die Entscheidungsmacht, einen Werk- oder Dienstvertrag abzuschließen oder dies zu unterlassen, in eine Rechteüberlassung umzudeuten. Auch ein „ähnliches Recht“ lässt sich damit nicht begründen. Soweit das Product Placement Zusammenhangleistung zu einer Darbietung ist, ist ferner zu beachten, dass eine dafür gezahlte Vergütung ohnehin Teil der Darbietungseinkünfte ist und nicht selbständig betrachtet werden kann.125 Es ist daher zu fragen, ob ein Steuerabzug bei einem Inlandsbezug auf § 50a Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG gestützt werden kann. Anders sind die Sachverhalte gelagert, in denen der Youtuber, Blogger oder Influencer seinem Auftraggeber auch die Überlassung von Rechten an dem von ihm erstellten Content (insbes: Videos, Bildern etc.) schuldet. Regelmäßig bestehen diese Arbeitsergebnisse in urheberrechtlich geschützten Inhalten, so dass der Werbende dem Auftraggeber in diesem Zusammenhang Nutzungsrechte einräumen muss.126 Die Anwendung des BMF-Schreibens v. 3.4.2019 auf die darauf entfallenden anteiligen Vergütungen hätte einen Billigkeits- oder Vereinfachungscharakter. Gegenwärtig ist unklar, ob eine derartige Erstreckung gewollt ist. Stehen Rechteüberlassungen in Rede, ist noch ein weiterer Fragenkreis zu beachten. Die Inszenierungen von Youtubern oder Influencern haben im Einzelfall Darbietungscharakter127 (anders bei Bloggern, wenn deren 124 Vgl. BGH v. 17.5.2018 – VII ZR 70/17, GRUR-RR 2018, 385 zum Vertrag über die Platzierung einer elektronisch gestalteten Werbeanzeige unter einer bestimmten Domain. Der werkvertragliche Erfolg besteht darin, das Produkt dem Kreis von Followern zur Kenntnis zu bringen. 125 Vgl. zur Werbung während einer sportlichen Darbietung BFH v. 6.6.2012 – I R 3/11, BStBl. II 2013, 430. Entsprechendes gilt bei Werbung während einer unterhaltenden oder ähnlichen Darbietung. 126 Vgl. etwa BGH v. 6.2.2014 – I ZR 86/12, MDR 2014, 554 wonach die einzelnen Bilder eines Films unabhängig vom Schutz des Films als Filmwerk oder Laufbildfolge jedenfalls als Lichtbilder nach § 72 UrhG geschützt sind. Da bei Lichtbildern §§ 28 ff. UrhG entsprechend anwendbar sind, ist eine vollständige Übertragung (oder Abtretung) des Urheberrechts nicht möglich, zumal dem Lichtbildner grundsätzlich auch die Urheberpersönlichkeitsrechte zustehen (vgl. etwa Schulze in Dreier/Schulze, UrhG6, § 72 Rz. 16). Die FinVerw. sieht dies daher als Anwendungsfall der Total Buy-out-Problematik. 127 Hier ist im Einzelfall genau zu untersuchen, ob tatsächlich eine Darbietung vorliegt; vgl. insoweit den weiten Darbietungstatbestand des § 49 Abs. 1

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Tätigkeit sich auf reine Schreibarbeit beschränkt). Hier stellt sich dann eine Konkurrenzfrage zwischen § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG einerseits und § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG andererseits, denn nach § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG unterfallen nur Einkünfte aus der inländischen Verwertung von inländischen Darbietungen dem Steuerabzug, nicht aber Einkünfte aus der inländischen Verwertung von ausländischen Darbietungen. Basieren Rechteverwertungen auf einer ausländischen Darbietung, stellt sich die Frage, ob die bewusste gesetzgeberische Entscheidung des § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG dadurch unterlaufern werden darf, dass entsprechende Verwertungseinkünfte bei ausländischen Darbietungen für Zwecke des Steuerabzugs ersatzweise unter § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG subsumiert werden. ME entfaltet § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG eine Sperrwirkung gegenüber § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG.128 Die FinVerw. lehnt eine entsprechende Sperrwirkung in der Praxis bislang ab. Schwierige Abgrenzungsfragen stellen sich bei Blogger-, Youtuber- und Influencer-Sachverhalten im Bereich der Sachzuwendungen,129 insbes. dann, wenn diese Gegenstände nicht behalten werden dürfen, sondern nur kurzfristig für die Erstellung des Contents zur Verfügung gestellt werden. Vielfach werden entsprechende Nutzungsvorteile schnell als Betriebseinnahmen angesehen. Richtigerweise wird man hier jedoch stets vorgelagert fragen müssen, ob nicht lediglich eine Beistellung vorliegt.130

Nr. 9 EStG (unterhaltende oder ähnliche Darbietung). Da eine Darbietung einen Auftritt vor Publikum voraussetzt, stellt sich die Frage, ob ein „Sichselbst filmen“, mit dem Ziel, das Video einem Publikum später visibel zu machen, einen sog. mittelbar öffentlichen Auftritt iS des Gesetzes darstellt. Bei Live-Streams, bei denen der Inhalt dem Publikum direkt visibel gemacht wird, wird dies sicherlich zu bejahen sein. Wenn – wie im Regelfall – nur eine zeitversetzte Ausstrahlung durch nachgelagerte Veröffentlichung des bearbeiteten Videos erfolgen soll, ist dies nicht ganz unzweifelhaft. 128 Schlotter, FR 2010, 651 (656); Schlotter/Pinkernell in Rübenstahl/Idler, Handbuch Tax Compliance, 2018, Kap. 28 Rz. 14; vgl. auch Gosch in Kirchhof, EStG18, § 49 Rz. 24; Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 505 (Stand Aug. 2019), die einen Vorrang des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG gegenüber § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG bejahen. Entsprechendes gilt im Verhältnis § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG und § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. 129 Vgl. zu Sachzuwendungen bei Influencern Schäfer, StB 2019, 209 ff. 130 Zutreffend Pinkernell, Besteuerung von Youtubern, Bloggern. Influencern und Ebay-Verkäufern, DWS Merkblatt 2/2020.

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2. Lösungshinweise (Schlotter) Unter Berücksichtigung der in der Vorbemerkung dargestellten Überlegungen sprechen mE gewichtige Gründe dafür, dass der Großteil der Vergütung an A nicht dem Steuerabzug nach § 50a EStG durch die Z AG unterliegt. Dies liegt darin begründet, dass sich A in der Schweiz aufzeichnet (Sperrwirkung des § 50a Abs. 1 Nr. 2 EStG) und ein Product Placement schon nicht tatbestandsmäßig ist (Werkvertrag). Sieht man hingegen in der Überlassung der Rechte an den erstellten Videos (unter Missachtung der Sperrwirkung) eine tatbestandsmäßige Rechteüberlassung, wäre dieser Leistung ein Vergütungsanteil im Rahmen der Schätzung zuzuordnen und von diesem Anteil wären wiederum 60 %131 dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG zu unterwerfen. Selbständig zu betrachten ist der vertraglich geschuldete Auftritt bei dem inländischen Red-Carpet-Event der Z AG. Hier ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu untersuchen, ob noch eine unterhaltende oder ähnliche Darbietung vorliegt. Bei einem Posen auf einem roten Teppich für Publikum und Fotografen hat das FG Köln132 unlängst eine entsprechende Darbietung bejaht. Überträgt man diese Wertung auf den hier vorliegenden Fall, wäre auch dieser Tätigkeit aus der Gesamtvergütung eine Teilvergütung im Wege der Schätzung zuzuordnen. Die Übereignung der Produkte, die A behalten darf, ist dabei als Sachvergütung Teil der Gegenleistung und erhöht daher die Bemessungsgrundlage für den Steuerabzug. Zu keiner zusätzlichen Gegenleistung führt vorliegend die Rücklizenz in Bezug auf die Videos. Die entsprechende Rechteüberlassung hat lediglich Beistellungscharakter und ermöglicht es dem A, die geschuldete Werkleistung (Einstellung der Videos auf seinen Channels) zu erbringen. Anmerkungen Koch: Ich stimme dem Ergebnis zu. Zu den Ausführungen möchte ich hier jedoch ergänzen, dass das BMF-Schreiben vom 3.4.2019 zum Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG bei Einkünften aus der Überlassung von Rechten und von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten (Know-how) dahingehend eine Regelung getroffen hat, dass Vergütungen, die ausländi131 Vgl. OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554. 132 FG Köln v. 15.2.2018 – 2 K 2612/16, IStR 2019, 429, rkr. (die NZB BFH I B 40/18 wurde als unbegründet zurückgewiesen); s. dazu Holthaus, IStR 2019, 423.

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sche Plattformbetreiber und Internetdienstleister für die Platzierung oder Vermittlung von elektronischer Werbung auf Internetseiten erhalten, nicht dem Steuerabzug unterliegen. Dies gilt gleichermaßen für Vergütungen für Werbung bei Anfragen in Online-Suchmaschinen, über Vermittlungsplattformen, für Social-Media-Werbung, Bannerwerbung und vergleichbare sonstige Onlinewerbung. Auf diese Weise sollten lediglich vergleichbare Fälle vom Steuerabzug ausgenommen werden, weil auch hier die Vergütungen weder für eine zeitlich befristete Rechteüberlassung noch für die Überlassung von Know-how geleistet werden. Damit sind nicht sämtliche Werbeleistungen von Bloggern, Youtubern und Influencern generell aus dem Anwendungsbereich des § 50a Abs. 1 EStG ausgenommen. Auch hier bestimmt weiterhin der Einzelfall und dessen rechtliche Würdigung die Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 50a Abs. 1 EStG. Sofern die Werbeleistungen mit einer unterhaltenden oder ähnlichen Darbietung nach § 50a Abs. 1 Nr. 1 EStG zusammenhängen, ist ein Steuerabzug nicht von vornherein zu verneinen. Scheitern wird der Steuerabzug, wie in dem vorliegenden Fall geschildert, wahrscheinlich an dem fehlenden Inlandsbezug. Zu der grundsätzlich steuerpflichtigen Werbeleistung133 tritt darüber hinaus die Überlassung von diversen Rechten (hier Persönlichkeitsrechte und Nutzungsrechte an dem erstellten Film) hinzu. Die Vergütungen (sowohl die Bar- als auch die Sachleistungen), die der Influencer erhält, können damit dem Steuerabzug unterliegen, der ggf. im Schätzungsweg aufzuteilen ist.

133 Siehe dazu auch BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350 = StEK EStG § 50a Nr. 138 Rz. 30–31.

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Stichwortverzeichnis

A

bfärbung – Geringfügigkeitsgrenze 14 f. – Gewerbesteuer 15 ff. Abwärtsverschmelzung – Buchwertansatz 31 ff. – Diskriminierungsverbot 32 – Gesellschaft mit ausländischem Anteilseigner 29 ff. Anteilsveräußerung – Abzugsverbot für Gewerbesteuer 23 ff. – Währungskurssicherungsgeschäfte 39 ff. ATAD – Hinzurechnungsbesteuerung 85; s. auch dort – hybride Steuereffekte 83 f. – Umsetzungsgesetz 83 ff. – Wegzugsbesteuerung 84 f. Aufgabe des Mitunternehmeranteils – Ausscheiden gegen Abfindung 4 ff. Aufgabe der Tätigkeit – tarifbegünstigter Gewinn 13 f. Aufwärtsverschmelzung – Einbringungsgewinn 262 ff. – Gesetzeslücke 38 f. – Organschaft 36 ff. Ausgleichszahlungen – Begrenzung 294 f. – gesellschaftsrechtliche Vorgaben 286 ff. – kombinierte – 290 ff. – Rückwirkung 295 ff.

B

ewertungseinheit – Sicherungsgeschäfte 42 f. Bildungsleistungen 611 ff. – Arbeitsförderung 659 – begünstigte Einrichtungen 614, 667 f. – begünstigte Leistungen 615 f.

– Einrichtungen des öffentlichen Rechts 650 – Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung 618, 621 f. – eng verbundene Leistungen 616 ff., 628 ff., 655 f., 671 ff. – EuGH-Rechtsprechung 624 ff. – Fahrschulunterricht 640 ff. – JStG 2013 623 f. – JStG 2019 648 ff. – Leistungen der Fortbildung 655, 660 f., 664 f., 669 ff. – Leistungen der Freizeitgestaltung 620 f., 658 f. – Nachweis 652 f. – Neuregelung 613 ff. – nichtöffentliche Einrichtung 636 ff. – Privatlehrer 619 f., 624 ff., 657 f., 674 f. – privatrechtliche Bildungseinrichtung 633 ff., 650 f. – Schul- und Hochschulunterricht 624 ff., 661 f., 664, 668 f. – selbstständige Lehrer 618 f., 652 – Surf- und Segelunterricht 646 ff. – Überlassung einer Unterrichtskraft 628 ff. – Umfang der Steuerbefreiung 653 ff. – Volkshochschulen 624 ff. – Wegfall des Bescheinigungsverfahrens 622, 666, 675 – Zweck der Steuerbefreiung 615 Bilanzsteuerrecht – aktuelle Fälle 389 ff. – Digitalisierung 391 f. – Entnahme 397 ff. – Filmförderdarlehen 333 ff. – Gewinnausschüttung 395 ff. – GKB 393 – Maßgeblichkeitsgrundsatz 392 f. – Niedrigzinsphase 391

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Stichwortverzeichnis – – – –

Optionsrecht 325 ff. Pfandgelder 400 ff. Realisationsprinzip 406 Rechnungsabgrenzungsposten 406 ff. – Rechtsanwendung 418 f. – Rechtsprechungs-Highlights 323 ff. – Rückstellungen 337 ff.; s. auch dort – Teilwertabschreibung 330 ff., 410 ff. – verlustfreie Bewertung 409 f. – Wesentlichkeitsgrundsatz 407 f. – Zuordnung von Kapitalgesellschaftsanteilen 393 f. Brexit-Steuerbegleitgesetz 49 ff. – Aufdeckung stiller Reserven 49 f. – Erbschaftsteuer 51 – Liquidation 50 – Umwandlungen 50 f. – Wegzugsbesteuerung 51 f. Bruchteilsgemeinschaft – Maßgeblichkeit der Rechtsverhältnisse 524 – Personengesellschaften 526 – Rechnung 526 – Rechtsverhältnisse der Gemeinschafter 525 – Steuerabzug nach § 50a EStG 780 – Unionsrecht 524 – Vermietung 523 f. – Vorsteuerabzug 525 Buchwertfortführung – Abfindungen 4 ff. – Gesamthandsvermögen 11 f. – gleichzeitige Einbringung 34 ff. – unechte Realteilung 8 f., 142 ff.

D

igitalsteuer – Vorschläge der EU-Kommission 91 ff. Doppelbesteuerungsabkommen – Auslegung 423 ff. – keine Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA 454 ff. – Künstlerbegriff 433 f.

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– Multilaterales Instrument 734 ff.; s. auch dort – nichtselbständige Arbeit 426 f. – OECD-Musterkommentar 429 f., 436 ff. – Qualifikationsverkettung 427 ff. – Schiedsverfahren 709 ff.; s. auch dort – selbständige Arbeit 425 f. – Transformation 430 f. – Verständigungsverfahren 708 f., 713 ff.; s. auch dort – Wiener Übereinkommen 429 Drittes Bürokratieentlastungsgesetz 60 ff. – Arbeitgeberleistungen 61 – Aufbewahrungspflichten 60 – junge Unternehmen 61 – Kleinunternehmerregelung 62 – Voranmeldungszeitraum 61 Drittstaatengesellschaft – Betriebsausgabenkürzung 441 ff. – Einlagenrückgewähr 43 ff., 438 ff. – Kapitalverkehrsfreiheit 443 f.

Einbringungstatbestände

253 ff. – Antrag auf Rückwirkung 258 ff. – Antrag auf Wertansatz unter dem gemeinen Wert 260 f. – Aufwärtsverschmelzung 262 ff. – Ausgliederung einer HoldingKapitalgesellschaft 275 f. – Folgen des Brexit 254 ff. – Folgeumwandlung 271 ff. – Gewerbesteuer-Verlustvorträge 273 ff. – Grunderwerbsteuer 282 f. – mehrere Sachgesamtheiten 268 f. – negatives Betriebsvermögen 266 ff. – Personengesellschaften 269 ff. – verbindliche Auskunft 276 ff. – Wahlrechte 257 ff. Einlagenrückgewähr – Betriebsausgabenkürzung (§ 8b KStG) 439 f.

Stichwortverzeichnis – Drittstaatengesellschaft 43 ff., 438 ff. – EU-Kapitalgesellschaft 440 f. – Grundsätze 440 Erweiterte Kürzung – Beteiligung an Personengesellschaften 19 ff. – Verwaltung von Grundbesitz 20 ff. EU-Streitbeilegungsrichtlinie 712 f., 738 ff. – Hintergrund 738 ff. – Neuerungen 744 – Umsetzung in Deutschland 740 f. – Verfahrensgang 741 ff. – Verhältnis zu anderen Verfahren und Rechtsbehelfen 745 f.

Forschungszulagengesetz – – – – –

62 ff., 86 Auftraggeber 64 Anspruchsberechtigte 63 f. Bemessungsgrundlage 64 Gegenstand 63 Höhe 65

G

esamthandsvermögen – Buchwertfortführung 11 f. Gewerbesteuer – Abfärbung 15 ff. – Abzugsverbot bei Anteilsveräußerung 23 ff. – Beteiligung an Personengesellschaften 19 ff. Gewerbesteuer-Anrechnung 99 ff. – Austausch sämtlicher Mitunternehmer 105 ff. – Funktion 100 f. – Gestaltungsmöglichkeiten 105 ff. – mehrstöckige Mitunternehmerschaften 117 ff. – Mitternachtsgeschäft 111 f. – Nachversteuerung 123 f. – Verteilung bei Gesellschafterwechsel 102 ff. – Vorauszahlungen 115 Gewinn – tarifbegünstigter 10 f.

Grundbesitz – erweiterte Kürzung 20 ff. Grunderwerbsteuer-Reform 77 ff., 691 ff. – Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens 691 f. – Ankerinvestor 698 f. – Ausnahmen 80 f. – Beteiligungsgrenze 78 – börsennotierte AG 697 ff. – Ergänzungstatbestände 78 f. – Einbringungen 282 f. – Fondsinvestoren 699 ff. – Free Float 697 f. – Freibetrag für Wohnimmobilien 82 f. – geplante Maßnahmen 692 ff. – Kapitalgesellschaften 694 f. – RETT-Blocker-Modelle 696 – Share-Deal 77 ff., 695 – Übergangsregelung 80 ff. – Übertragungshäufigkeit von Aktien 701 f. – Überwachungsmöglichkeiten 696 ff. – zeitliche Anwendung 702 f. Grundsteuer-Reform 57 ff. – Geschäftsgrundstücke 59 – Grundsteuer C 59 – Länderöffnungsklausel 59 – Wohngebäude 58 – Wohnungsbauunternehmen 59

Hinzurechnungsbesteuerung – Aktivkatalog 474 ff. – allgemeine Missbrauchsklausel 475 – ATAD-Umsetzung 85 – Beherrschung 471 f. – derzeitige Ausgestaltung 466 – Dividendenbesteuerung 476 – Escape-Klausel 476 ff. – Investmentfonds 480 – Kapitalanlagegesellschaften 480 – nachgeschaltete Gesellschaften 479

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Stichwortverzeichnis – – – – – – – – –

Niedrigsteuergrenze 473 f. Passivkatalog 475 f. Reformbedarf 466 f. Status des Gesetzgebungsverfahrens 465 ff., 470 Streubesitzdividenden 481 ff. Substanztest 476 ff. Umwandlung 484 f. verdeckte Gewinnausschüttung 483 f. Vorgaben der ATAD I 467 ff.

Immaterielle Wirtschaftsgüter

355 ff. – abgespaltene Wirtschaftsgüter 366 ff. – Arbeitnehmererfindungen 370 f. – Bedeutung des § 5 Abs. 2 EStG 355 f. – geringwertige – 373 f. – geschäftswertähnliche Wirtschaftsgüter 366 ff. – Kryptowährungen 380 ff.; s. auch dort – selbständiger Wert im Geschäftsverkehr 359 ff. – Software 374 ff.; s. auch dort – Verhältnis des § 5 EStG zu anderen Vorschriften 357 ff. – Verkehrsfähigkeit 361 ff. – Vertragsaufhebung 368 ff. – Zuordnungsentscheidung 371 ff. Innergemeinschaftliche Lieferung 588 ff. – eigene Transportmittel 604 – einheitliche Belegnachweise 601 ff. – Gelangensvermutung 601 ff. – Nachweisprobleme 607 f. – Neuregelungen in UStG/UStDV 593 ff., 605 f. – Umsatzsteuer-Identifikationsnummer 594 ff.; s. auch dort – Unionsrecht 590 ff., 601 ff. – Zusammenfassende Meldung 595 f., 600 f.

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Jahressteuergesetz 2019

52 ff. Abfärbung bei Verlusten 54 Bildungsleistungen 648 ff. Cum-/Cum-Gestaltungen 56 f. Gesellschafterdarlehen 54 ff. Kapitalertragsteuer 56 Lohnsteuerpauschalierung 56 private Nutzung emissionsarmer Kfz. 53 – Sachzuwendungen 54 – Sonderabschreibung für Elektronutzfahrzeuge 54 – Verpflegungsmehraufwendungen 54 Jahreswert – Begrenzung bei Nutzungen 213 f. – Sachbezüge 210 – schwankende Nutzungen und Leistungen 211 – Nießbrauch am Betriebsvermögen 211 f. – – – – – – –

Kapitalgesellschaften – Anteilsveräußerung nach Spaltung 240 ff. – ausländischer Anteilseigner 230 ff. – disquotale Abspaltung 243 ff. – Downstream Merger 230 ff. – Einlagefiktion 247 ff. – inländische Körperschaft 235 ff. – inländische Personengesellschaft 237 ff. – inländischer steuerbefreiter Anteilseigner 232 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 29 ff. – Teilbetriebsbegriff 227 ff. – Umstrukturierung 29 ff., 227 ff. – Umwandlung in eine Personengesellschaft 247 ff. Kapitalverkehrsfreiheit – Drittstaatengesellschaft 443 f. Klimaschutzprogramm 2030 67 ff. – CO2-Bepreisung 68 – energetische Gebäudesanierung 68 f.

Stichwortverzeichnis – Entfernungspauschale 70 f. – Mobilitätsprämie 71 f. – Umsatzsteuer im Fernverkehr 72 Konsignationslager 555 ff. – Abholfall 583 – Abruflagerregelung 562 ff. – Anwendungsvoraussetzungen der Neuregelung 575 ff. – Anwendungszeitpunkt der Neuregelung 585 – Diebstahl 583 f. – Ersetzung des voraussichtlichen Erwerbers 564 f. – exportierte Waren 569 f. – Intrastat-Meldung 587 f. – Lieferung an eine andere Person 565 ff., 581 ff. – Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 557 ff. – Neuregelungen im UStG 570 ff. – Rechtsfolge 579 f. – Rechtsfolgenausschluss 580 f. – Rückausnahme vom Rechtsfolgenausschluss 581 – Rückgabe der Ware 566 – Schwund 583 f. – Überschreitung des 12-Monatszeitraums 567, 584 – Unionsrecht 556 ff. – vernichtete Waren 570 – Versand in anderen Mitgliedstaat 568 f. – Zerstörung 583 f. – Zusammenfassende Meldung 586 f. Konzerndarlehen – Besicherung 450 f. – Ernstlichkeit 449 f. – Fremdüblichkeit 449 ff. – Gewinnkorrektur 452 ff. – grenzüberschreitende – 448 ff. – keine Sperrwirkung des Art. 9 OECD-MA 454 ff. – Verzicht 451 f. Kryptowährungen – derivativer Erwerb 384 ff. – Folgebewertung 387

– Klassifizierung 380 ff. – originärer Erwerb 384 ff. – Qualifikation als Wirtschaftsgut 382 ff. – Zugangsbewertung 386 Künstler – Begriff in DBA 433 f.

Liquidation – Brexit-Steuerbegleitgesetz 50

Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen 72 ff. – Anwendungsbereich 74 – Anwendungszeitpunkt 77 – Anzeigepflicht 73 ff., 490 ff. – Bewertung 187 ff. – Inhalt 74 f. – Intermediäre 73 f. – Kennzeichen 74 – Meldefrist 75 – Verletzung der Anzeigepflicht 76 – Verschwiegenheitspflicht 75 Multilaterales Instrument 734 ff. – Hintergrund und Rechtsnatur 734 f. – Impulse für Schiedsverfahren 736 ff. – Impulse für Verständigungsverfahren 735 f. – Zielsetzung 734

Nachversteuerung – bei Betriebsvermögensbefreiung 216 f. – nicht entnommener Gewinn 128 ff. Nießbrauch – Abgrenzung zu anderen Versorgungssicherungsinstrumenten 166 ff. – Abzugsbeschränkung bei Verschonung 171 f. – Arten 169 – aufschiebend bedingte Rentenlast 221 ff.

799

Stichwortverzeichnis – Bewertung für Erbschaft-/Schenkungsteuerzwecke 170 f., 187 ff. – Buchwertübertragung 179 f. – Dauer 190, 194 – doppelte Mitunternehmerstellung 173 ff. – Erbfolgegestaltung 168 – fiktiver – 183 f. – Grundbesitzwert 223 – Grunderwerbsteuer 184 – Instrument der Versorgungssicherung 165 f. – Jahreswert 211 f. – Kapitalgesellschaftsanteil 181 f. – Kapitalisierungserlass 189 f. – Kapitalwert von Nutzungen und Leistungen 197 ff. – Mitunternehmeranteil 172 ff., 182 f. – Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt 170 ff. – Schuldenkürzung 214 ff. – Steuerwert 217 ff. – Unternehmen und Mitunternehmeranteile 169 ff. – Verzicht 183 – Vorbehaltsnießbrauch 169 f., 184, 188 ff. – zivilrechtliche Grundlagen 168 f. – Zuwendungsnießbrauch 182 f., 189 ff.

O

rganschaft – Abspaltungsgewinn 315 f. – atypisch stille Gesellschaft 316 f. – Auflösung von Kapitalrücklagen 301 ff. – Aufwärtsverschmelzung 36 ff. – Ausgleichszahlungen 286 ff.; s. auch dort – ausländischer Organträger 303 ff. – Bruttomethode 309 ff. – eigengewerblich tätige Personengesellschaft 303 ff. – finale Verluste 317 ff. – Haftungsschulden 313 f.

800

– Holdinggesellschaft 306 ff. – Stimmbindungsvertrag 314 f. – Verlustübernahmeverpflichtung 297 ff., 319 f.; s. auch dort

Pensionsrückstellungen – Abfindungsklausel 348 ff. – Eindeutigkeitsgebot 348 ff. – „Heubeck-Richttafeln“ 345 ff. Personengesellschaften – Ausscheiden eines Gesellschafters 5 ff. – Einbringung 269 ff. – erweiterte Kürzung bei Beteiligung 19 ff. – Rechtsprechungs-Highlights 3 ff.

Realteilung

4 ff. – Abfindung in das Privatvermögen 8 f. – Ausscheiden gegen Abfindung 4 ff. – Realteilungserlass 4 ff. – Sperrfristverletzung 12 f. – Spitzenausgleich 7 f. – unechte – 7 f., 137 ff.; s. auch dort Rechnung – Identität von Aussteller und Leistendem 541 ff. – Steuerschuld nach § 14c UStG 543 f. – Waren im Niedrigpreissegment 544 f. Reihengeschäft 677 ff. – Drittlandsreihengeschäft 687 – EuGH-Rechtsprechung 679 ff. – Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 683 f. – Neuregelung im UStG 684 ff. – Rechtslage bis 2019 677 ff. – Transportveranlassung 686 f. Rückstellungen – Aufbewahrung von Mandantendaten 337 ff. – Gewährleistung 414 ff. – Kartellgeldbuße 341 ff.

Stichwortverzeichnis – Pensionsrückstellungen 345 ff.; s. auch dort – Verbindlichkeitsrückstellungen 402 ff., 414 f.

S

chiedsverfahren – Ablauf nach EU-Schiedskonvention 731 f. – Antrag auf Einleitung 732 f. – Brexit 733 – Doppelbesteuerungsabkommen 709 ff., 728 f. – EU-Schiedskonvention 729 f. – Impulse durch MLI 736 ff. – Rechtsnatur und Bedeutung 727 – Stellung des Steuerpflichtigen 730 Schuldenkürzung 214 ff. – Bedeutung 214 – nachträglicher Wegfall 214 ff. – Nachversteuerung 216 f. Share Deal 77 ff., 695 – Beteiligungsgrenze 77 f. – Ergänzungstatbestände 78 f. – Umwandlungen 79 Sicherungsgeschäfte – Bewertungseinheit 42 f. – symmetrische Behandlung von Gewinnen und Verlusten 41 f. Software – Customizing 377 f. – Individualsoftware 375 f. – in der Cloud 378 ff. – Standardsoftware 376 – Trivialsoftware 376 f. Solidaritätszuschlag – Freigrenze 66 – Rückführung 65 ff. – Verhältnis zum Steuertarif 67 Sperrfristverletzung – Realteilung 12 f. Spitzenausgleich – unechte Realteilung 7 f., 149 f. Steuerabzug nach § 50a EStG 751 ff. – Absehen von – 757 ff. – Akzeptanz 752, 757 – Arbeitnehmer 770 f., 776 f.

– Arbeitsergebnisse 786 ff. – und Bilanzierung 771 f. – Blogger, Youtuber und Influencer 789 ff. – Bruchteilsgemeinschaft 780 – Darbietungen 791 ff. – Doppelbesteuerung 756 f. – gewerbliche Schutzrechte, Entwicklungsleistungen und Know-how 777 ff. – Historie 754 f. – Lizenzvergütungen 779 – Nacherhebung 753 – Nettoklauseln 752 f. – Nutzungsrechte 772 f. – organisatorische Herausforderungen 753 f. – Total Buy-Out-Sachverhalte bei Urheberrechten 759 ff. – Überlassung von Rechten 782 ff. – Urheberpersönlichkeitsrecht 763 ff., 774 f. – Verwertung von Urheberrechten 760 ff. – Verwertungsgesellschaften 768 ff. – Zweck 768

Tarifbegünstiger Gewinn – Realteilung 10 f. – vollständige Aufgabe der Tätigkeit 13 f. Thesaurierungsbegünstigung 124 ff. – Kritik 131 ff. – mehrstöckige Personengesellschaften 133 f. – Nachversteuerung 128 ff. – nicht entnommener Gewinn 124 ff. – Reformvorschläge 134 f. – Übernahmegewinn 126 ff. – Ziel 124 Token s. Kryptowährungen

Umlagevertrag – angemessener Wert des Einzelbeitrags 501 f. – erwarteter Vorteil 502

801

Stichwortverzeichnis – Inhalt 499 f. – Regelung bis 2018 498 – Regelung ab 2019 499 ff. – vertragliche Flexibilität 502 f. Umsatzsteuer – Berufsverbände 546 ff. – Bildungsleistungen 611 ff.; s. auch dort – Bruchteilsgemeinschaft 523 ff.; s. auch dort – Einheitlichkeit von Leistungen 530 ff. – Entgelterhöhung 536 ff. – erfolgloser Unternehmer 526 ff. – Fahrschule 545 f. – innergemeinschaftliche Lieferung 588 ff.; s. auch dort – Konsignationslager 555 ff.; s. auch dort – Kundenbindungssystem 536 ff. – Pauschalierung 549 ff. – Prepaid-Verträge 538 ff. – ratenweise vergütete Leistungen 533 ff. – Rechnung 541 ff.; s. auch dort – Rechtsprechungs-Highlights 521 ff. – Reihengeschäft 677 ff.; s. auch dort – Schwimmschule 545 f. – Sofortmaßnahmen 554 f. – Steuerfreiheit 545 ff. – Teilbarkeit von Leistungen 530 ff. – Vorsteuerabzug 527 ff.; s. auch dort Umsatzsteuer-Identifikationsnummer – Fehlen 598 – innergemeinschaftliche Lieferung 594 ff. – Organschaft 599 – Prüfung 596 f. – Vorsteuerabzugsrecht 599 f. Umstrukturierung – Abwärtsverschmelzung 29 ff. – Brexit-Steuerbegleitgesetz 50 f. – Buchwertaufstockung 34 ff. – Einbringungstatbestände 253 ff.; s. auch dort

802

– Gewerbesteuer-Verlustvorträge 273 ff. – Grunderwerbsteuer 79 – Hinzurechnungsbesteuerung 484 f.; s. auch dort – Kapitalgesellschaften 227 ff.; s. auch dort Unechte Realteilung 137 ff. – Abfindung in Geld 157 ff. – Buchwertfortführung 8 f., 142 ff. – Körperschaften 161 ff. – Naturalteilung 142 f. – negatives Kapitalkonto 143 f. – Privatvermögen 156 f. – rechtliche Grundlagen 138 ff. – Rückverpachtung 145 f. – Übernahme von Verbindlichkeiten 150 ff. – Übertragung von Mandaten 154 ff. – Übertragung ins Privatvermögen 147 f. – Übertragung auf Schwestergesellschaften 153 – zeitnahe Einlagen 159 f. Unternehmenssteuerreform – Vorschläge 86 ff.

Veräußerungsgewinn – Währungskurssicherungsgeschäfte 39 ff. Verbindliche Auskunft – Gebühren 278 ff. – Teilbetrieb 276 ff. Verlustübernahmeverpflichtung – Auflösung von Kapitalrücklagen 301 ff. – dynamischer Verweis 298 ff. – Formulierung 297 ff. – gesetzliche Anforderungen 297 f. Verrechnungspreise 487 ff. – ATAD-Umsetzungsgesetz 488 ff. – DEMPE-Ansatz 511 ff. – EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz 495 ff. – Fremdvergleich 489 f.

Stichwortverzeichnis – Fremdvergleichsverordnung 488 ff. – gruppeninterne Dienstleistung 506 ff. – Lizenzgebühren 511 – Streitbeilegungs-Richtlinie 494 ff. – Umlagevertrag 497 ff.; s. auch dort – Verlustvertriebsfirmen 503 ff. Verständigungsverfahren – Antrag auf Einleitung 716 ff. – Antragsfrist 718 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 708 f. – Grundlagen und Ablauf 713 ff. – Impulse durch MLI 735 f. – peer reviews 722 ff. – prozessuale Durchsetzung 720 ff. – Statistik 722 ff. – Stellung des Steuerpflichtigen 715 f. Voranmeldungszeitraum – junge Unternehmen 61

Vorbehaltsnießbrauch 169 f., 184, 188 ff. – Bewertung 188 ff. – Übertragung von Betriebsvermögen 188 ff. Vorsteuerabzug – Bruchteilsgemeinschaft 525 – erfolgloser Unternehmer 526 ff. – Identität von Rechnungsaussteller und Leistendem 541 ff. – Rechnung 541 ff.

W

egzugsbesteuerung – ATAD-Umsetzungsgesetz 84 f. – Brexit-Steuerbegleitgesetz 51 f.

Zusammenfassende Meldung – innergemeinschaftliche Lieferung 595 f., 600 f. – Konsignationslager 586 f. Zuwendungsnießbrauch 189 ff.

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