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German Pages 378 Year 2020
Marc Junge Stalinistische Modernisierung
Histoire | Band 168
Marc Junge (Dr. phil.), geb 1961, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er lehrt und forscht zur Osteuropäischen Geschichte.
Marc Junge
Stalinistische Modernisierung Die Strafverfolgung von Akteuren des Staatsterrors in der Ukraine 1939-1941
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Sergej Ščerbina: »Sozialismus im stalinistischen Staatskorsett«, Grundlage der Montage ist ein Plakat von Veniamin Glan-Globus: »Arbeiterin, sei in den vorderen Reihen des Aufbaus des Sozialismus« Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5014-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5014-7 https://doi.org/10.14361/9783839450147 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt
Dank .................................................................................................... 9 Aussprache ............................................................................................ 11 Szenario ............................................................................................... 13 Allmacht und Ohnmacht..............................................................................15 Großbrand............................................................................................................ 15 Trotzkistische Sabotageorganisation.........................................................................20 Einmischung von ganz oben ................................................................................... 34 Freilassung der Mitglieder der Sabotageorganisation ................................................... 38 Verschwörung gegen den Geheimdienst ..................................................................... 44 Verteidigungsstrategie des Geheimdienstes ............................................................... 53 Verhaftung der Geheimdienstmitarbeiter....................................................................59 Portrait der Verhafteten.......................................................................................... 71 Erster Prozess: Freispruch ...................................................................................... 81 Zweiter Prozess: Tod durch Erschießen ..................................................................... 94 Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren .................................................... 103 Karrierist .......................................................................................................... 103 Gesetzestreue Gebietsleitung .................................................................................. 114 Überzeugte Vollstrecker.........................................................................................120 Handlanger ........................................................................................................ 132 Abmahnungen, Disziplinarverfahren, Entlassungen...................................................... 146 Tätergesichter und Orden.......................................................................... 175 Führungsebene ................................................................................................... 175 Gebietsgeheimdienst............................................................................................. 176 Stadt- und Rajonabteilungen................................................................................... 179 Auszeichnungen................................................................................................... 181
Standpunkt........................................................................................... 183 Widerspruch....................................................................................................... 183 Erziehungsdiktatur ............................................................................................. 188 Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung ......................................................................198 Auswahlverfahren und Akteure............................................................................... 206 Feinjustierung...................................................................................................... 210 Schuld und Sühne................................................................................................ 220 Avantgarde versus »ordinary men«......................................................................... 224 Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz ..................................................................... 232 Stalinistische Modernisierung .................................................................... 241 Rechtfertigung ..................................................................................... 249 Amtsmissbrauch ................................................................................................ 249 Weiße Flecken .................................................................................................... 253 Froschperspektive ............................................................................................... 258 Kampflinien ....................................................................................................... 259 Referenzrahmen und Fragenkomplex....................................................................... 267 Geheimdienst des Gebiets Nikolaev .............................................................273 Gebiet Nikolaev ................................................................................................... 273 Gründung und Personal......................................................................................... 274 Struktur und Aufgaben ......................................................................................... 283 Schematische Darstellung ..................................................................................... 298 Apparat .............................................................................................. 309 Handelnde Personen ........................................................................................... 309 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................................... 346 Archivdokumente......................................................................................... 346 Dokumentenveröffentlichungen ...................................................................... 348 Sekundärliteratur......................................................................................... 355 Glossar .............................................................................................................. 366 Abkürzungen ...................................................................................................... 372 Tabellenverzeichnis ............................................................................................. 374 Abbildungsnachweise........................................................................................... 375
In Gedenken an Rolf Binner und Bernd Bonwetsch
Dank
Die Initialzündung für das internationale Projekt zur Erforschung der Verurteilung von Tätern des Großen Terrors, in dessen Rahmen auch die vorliegende Veröffentlichung entstanden ist, hat das Deutsche Historische Institut Moskau gegeben: Sein Gründungsdirektor, Bernd Bonwetsch, entdeckte bei der Archivarbeit in Kiew im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der Ukraine Prozessakten von Tschekisten, die man 1939-1943 wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit verurteilt hatte und erkannte sofort deren Relevanz für die Stalinismusforschung. Die Projektskizze konnte mit der finanziellen Unterstützung der Petro Jacyk Education Foundation an der Universität Toronto entstehen. Die Durchführung des Projekts und dementsprechend auch diese Arbeit wurde durch folgende Fonds und Universitäten gefördert: American Council of Learned Societies, Harry Frank Guggenheim Foundation, Social Science and Humanities Research Council of Canada, University of Toronto, University of Virginia, Ruhr-Universität Bochum und insbesondere durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Der Autor dankt dem Direktor der Zweigstelle des staatlichen Archivs des Staatssicherheitsdienstes der Ukraine Andrej Kogut und ebenso den weiteren Leitern des Archivs Vladimir Birčak, Sergej Kokin, Igor Kulik und Svetlana Ljaskovskaja für ihre umfassende Hilfe. Die sehr kompetenten Mitarbeiter Maria Panova, Grigorij Smirnov und Irina Buchareva haben herausragende Dokumente aufgespürt und unbürokratisch alle organisatorischen Probleme gelöst. Das Fotokapitel hat Maria Panova ermöglicht. Auch die Leitung der Zweigstelle des staatlichen Archivs des Innenministeriums der Ukraine Natalja Tatus’, Natal’ja Kramarenko und Vladimir Mel’nik haben geholfen die im Archiv für Staatssicherheit der Ukraine gefundenen Dokumente durch Materialien ihrer Archive zu vervollständigen und wesentlich zu erweitern. Seinen herzlichen Dank möchte der Autor auch der Direktorin des Staatlichen Archivs des Gebiets Nikolaev Larisa Levčenko und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Archivs Aleksandr Seredinskij ausdrücken. Die Leiterin des Archivs der Polizei des Gebiets Nikolaev Galina Abelenceva hat ebenfalls dazu beigetragen die örtlichen Materialien zu ergänzen. Der Historiker Sergej Makarčuk war Diskussionspartner und Begleiter während der Arbeit in den Archiven von Nikolaev. Viele Hinweise, Verbesserungen
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und fundamentale Ergänzungen habe ich insbesondere Andrej Savin, aber auch Bernd Bonwetsch, Vadim Zolotarev, Valerij Vasil’ev, Aleksej Tepljakov, Roman Podkur und Christoph Jünke zu verdanken. Teile des Manuskripts hat David Brandenberger kommentiert. Die deutsche Ausgabe wurde zusätzlich von Erik van Ree kritisch gelesen. Das Kapitel zum Geheimdienst von Nikolaev wurde in enger Zusammenarbeit mit Vadim Zolotarev geschrieben. Vadim Zolotarev hat außerdem das Personenverzeichnis ergänzt. Nicht vollendet werden können hätte das Buch ohne die kontroversen Diskussionen mit Benno Ennker über die Stalinsche Staatswerdung. Ansporn und Privileg war es in wissenschaftlicher und menschlicher Hinsicht mit Lynne Viola und Benno Ennker zusammenzuarbeiten. Das vorliegende, in deutscher Sprache verfasste Buch ist eine überarbeitete und wesentlich ergänzte Fassung der im Dezember 2017 erschienenen russischen Ausgabe.
Aussprache
Grundsätzlich wird die wissenschaftliche Umschrift verwendet. Nur in Ausnahmefällen werden im Deutschen bekannte Begriffe und Namen wie Bolschewik, Trotzkist, Menschewiki, Sowchose, Chruschtschow usw. in Dudenumschrift ausgeführt. Für Leser ohne Russisch- und Transkriptionskenntnisse kann folgende kleine Aussprachehilfe verwendet werden: č = tsch; š = sch; šč = schtsch; ž = gesprochen wie der Anlaut im Wort »Journal«; c = z; ch = ch; z = gesprochen wie im Anlaut »Sahne«.
Szenario Undank ist der Welten Lohn. (Sprichwort)
Drei Geheimdienstagenten mit den Codenamen »Gerd«, »Dobrovolskij« und »Ivanov« berichteten im April und Mai 1939 einhellig über eine gefährliche Verschwörung unter gerade erst aus der Untersuchungshaft frei gelassenen Häftlingen. Diese Informationen waren bei der »Geheimen politischen Abteilung« des Volkskommissariats des Inneren des Gebiets Nikolaev der Ukraine eingetroffen, also beim Geheimdienst. Die Hauptaufgabe dieser Abteilung bestand im Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner, also unter anderem gegen Trotzkisten, Rechte Abweichler, Anhänger von Kirchen und gegen Nationalisten. Die von den Agenten geschilderte Angelegenheit war so brisant, dass der Chef des GebietsGeheimdienstes von Nikolaev, I. T. Jurčenko, höchstpersönlich die ukrainische Republikstruktur seiner Behörde in Kiew darüber in Kenntnis setzte. Denn an der Verschwörung waren Personen beteiligt, die hohe Posten in dem für die Landesverteidigung wichtigen Schiffsbaugiganten № 200 von Nikolaev, in dem rund 9.000 Arbeiter beschäftigt waren, bekleidet hatten.1 Sie waren vom Geheimdienst mehr als ein halbes Jahr zuvor unter dem Vorwurf verhaftet worden, in dieser Werft als trotzkistische Gruppe durch Sabotage einen Großbrand verursacht zu haben, der fast zur Vernichtung der ganzen Fabrik geführt hatte. Ausgehoben wurde im Sommer 1939 erstaunlicher Weise dann aber nicht die hochgefährliche trotzkistische Verschwörer-Gruppe. Vielmehr verhaftete man drei leitende Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« des Geheimdienstes von Nikolaev, in deren Auftrag die Agenten »Gerd«, »Dobrovolskij« und »Ivanov« ihre Berichte verfasst hatten. Die Geheimdienstmitarbeiter wurden am 23. März 1941 vom Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks wegen »Amtsmissbrauchs«, konkret wegen »Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« zum Tode 1
Spravka vremenno ispolnjajuščego objazannosti načal’nika 7–go otdela UGB UNKVD po Nikolaevskoj oblasti D. B. Davidenko o količestve rabočich na oboronnych zavodach № 198 i № 200. 19.01.1939, in: Junge, M./Binner, R./Bogunov i. d. (Hg.), »Čerez trupy vraga na blago naroda«. »Kulackаja« operacija na Ukraine 1937-1938 gg. v ramkach prikaza № 00447. T. 2: 1938-1941, Moskau 2010, S. 585-586.
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bzw. zu 10 und 8 Jahren Lagerhaft verurteilt. Ihre Verurteilung erfolgte zusammen mit dem damaligen Geheimdienstchef des Gebiets Nikolaev P. V. Karamyšev, der ebenfalls in den Tod geschickt wurde. Ein zentraler Vorwurf der Anklageschrift gegen die Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« war, dass sie ihre Agenten gezwungen hätten, falsche Informationen über eine vermeintliche Gruppe von trotzkistischen Verschwörern zu liefern, um ihre eigene Haut zu retten; und zwar vor einer Anklage, »ungesetzliche Maßnahmen der Einwirkung«, sprich Folter beim Verhör von Untersuchungshäftlingen angewandt, und Akten, Beweise und Vorhörprotokolle gefälscht zu haben.
Allmacht und Ohnmacht Dafür, dass du, Petr Vasil’evič, mit Scharfblick unser unüberschaubares Land vor Feinden schützt, [verehren wir dich]; dafür, dass du erbarmungslos zu den Feinden bist, dass du Dein Volk liebst und alle deine Kräfte und Deine Gesundheit dem Ruhm deines Volkes opferst. Wir sehen all dies und sind stolz auf Dich, sind stolz darauf, wie ein ehrenhafter sowjetischer Geheimdienstmann arbeitet. (Ein betagter Kolchosmitarbeiter in der Presse über P. V. Karamyšev, 1938) Ich bin Opfer. Die Partei braucht keine Opfer dieser Art und deshalb bitte ich auch darum mich freizusprechen. (P. V. Karamyšev, ehem. Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev, 1941)
Großbrand Das Großfeuer brach in der riesigen Schiffsbauwerft am 2. August 1938 gegen 19 Uhr aus, ausgerechnet im Produktionsbereich der zentralen Werksabteilung1 , dem Kern einer Werft. Die Werft befand sich am Rande der Stadt Nikolaev am Fluss Pivdenij Buh, einem geschützten Zugang zum Schwarzen Meer. Der Brand verbreitete sich deshalb so rasend schnell, weil das Objekt, »soweit das Auge reicht mit Holzspänen, Sauerstoffflaschen, verschiedenartigstem Müll und anderem« übersäht war. Die Werksfeuerwehr war völlig überfordert und die Fabrik drohte voll1
Otseka cecha.
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ständig vernichtet zu werden.2 Zwei Menschen starben, 30 wurden verletzt. Der Sachschaden betrug 2,6 Millionen Rubel.3 Noch während das Feuer loderte waren die Spitzen des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev zur Stelle. Ihr Chef P. V. Karamyšev berichtete im Nachhinein nicht ohne Stolz, dass es gelang, »mit hohem persönlichem Einsatz und mit Hilfe der örtlichen Kommunisten und dem vom Geheimdienst herbeigerufenen Militär, den Brand zu löschen und die Fabrik zu retten.«4 Der Geheimdienst begann sofort im Büro des Direktors der Werft mit den Verhören und der Suche nach Schuldigen. Am späten Abend eilte Karamyšev auf eine aus Anlass des Brandes extra einberufene Sitzung des Büros des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev um sich für seine Maßnahmen Rückendeckung zu holen. Die Einschätzung der Parteiführung war: »Das Büro des Gebietskomitees [der Partei] hält den Brand […] für einen Sabotageakt von Feinden, der in die Tat umgesetzt werden konnte, weil man die Klassenwachsamkeit verloren hat und wegen der verbrecherischen Disziplinlosigkeit der Fabrikführung und des Parteikomitees der Fabrik.«5 2 3
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Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 165. Akt ėkspertnoj komissii inženerov fabriki № 200 g. Nikolaevа. 28.08.1938, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 330-331. Ein einfacher NKVD Mitarbeiter verdiente 1939 zum Vergleich ca. 500-800 Rubel im Monat. 1937 erhielt der Leiter des Rajon-NKVD von Bijsk der Westsibirischen Region M. N. Butorin 900 Rubel, seine Mitarbeiter von 500 bis 700 Rubel, der Leiter des Gefängnisses 450 Rubel; keiner der Tschekisten verdiente weniger als 400 Rubel. Die Bezüge eines Volkskommissars eines Republik-NKVD konnten bis zu 3500 Rubel umfassen. Das Gehalt anderer Vertreter der sowjetischen Nomenklatur war wesentlich niedriger. Im Herbst 1938 betrug das Gehalt eines Sekretärs des Gebietskomitees der VKP(b) 2000 Rubel im Monat, des Leiters des Obersten Gerichts der UdSSR 1200 Rubel, des Leiter des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR 1100 Rubel. Einzurechnen ist auch, dass die Tschekisten mit steigendem Dienstalter bis zu 50 % Zuschläge zum Monatsgehalt bekommen konnten. Hoch waren auch ihre Pensionen. So erhielt der ehemalige Leiter der Kreisabteilung der OGPU von Ačinsk der Region Krasnojarsk 270 Rubel, was höher war als das durchschnittliche Gehalt eines einfachen Bürgers. Arbeiter erhielten 200 bis 250 Rubel, viele Beamte wesentlich weniger. Der große Unterschied zwischen dem Arbeitslohn von leitenden und niedrigen Mitarbeitern des Geheimdienstes bestand auch noch nach 1937. Ein Assistent eines Fahndungsbeauftragten des Rajon-NKVD von Poltava des Gebiets Omsk betrug 1939 insgesamt 650 Rubel. Der Fahndungsbeauftragte der Abteilung für Konterrevolution der Rajonabteilung des UNKVD von Omsk verdiente hingegen 800 Rubel im Monat. Vgl.: Tepljakov, A., Mašina terrora. OGPU–NKVD v Sibiri v 1929-1941 gg., Moskau 2008, S. 528-529. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 165. Protokol № 31 zasedanija orgbjuro CK KP(b) Ukrainy po Nikolaevskoj oblasti »O požare na zavode № 200«. 02.08.1938, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 20, L. 130-131.
Allmacht und Ohnmacht
Von Anfang an und bis zuletzt unbeirrbar davon überzeugt, dass dies kein gewöhnlicher Brand, sondern ein Akt der Sabotage war, sammelte Karamyšev nun alle in seiner Behörde abgelegten kompromittierenden Materialien über verdächtige Personen zusammen und gab dann Befehl, umfangreiche Verhaftungen durchzuführen.6 Nachdem klar war, wer angeklagt werden sollte, schickte der Gebietsgeheimdienst ein Telegramm nach Moskau um die entsprechenden Stellen darüber in Kenntnis zu setzen.7 Übertragen wurden die Ermittlungen der »Geheimen politischen Abteilung«8 der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev, da sich zu diesem Zeitpunkt unter ihrem Dach noch die Unterabteilung für [Landes-]Verteidigung, mit ihrem Leiter P. S. Vološin befand.9 Von den zahlreichen Verhafteten wurde schließlich 11 Personen der Prozess gemacht. Auf Initiative des Leiters der »Geheimen politischen Abteilung« Truškins gab man die acht Rädelsführer des Brandes in die Hände des Militärtribunals. Drei zweitrangige Beteiligte schickten die Untersuchungsführer über die Nationale Trojka.10 6
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Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina 27.12.194004.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 112, 121, 229. Veröffentlicht als: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 27.12.194004.01.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 255-399. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina.18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458 ob, hier L. 424. Veröffentlicht als: Protokol sudovogo zasidannja Vijs’kogo trybunaly dijs’k NKVS Kyїvs’kogo okrugu po obvynuvačennju P. Karamyševa, Ja. Truškina, M. Garbuzova ta K. Voronina. 18.–23.03.1941, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 237-340; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 18.–23.03.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 409-503. Also der 4. Abteilung, ab Ende 1938 umbenannt in 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. In den verwendeten Dokumenten, die zum größten Teil auf nach 1938 datiert sind, ist nicht von der 4., sondern der 2. Abteilung die Rede. Dies ist eben darauf zurückzuführen, dass die 4. Abteilung Ende 1938 in 2. Abteilung umbenannt wurde. Nach Angaben P. S. Vološins befand sich die »Geheime politischen Abteilung« in der Reorganisation. Aus ihr sollte die Unterabteilung für [Landes–]Verteidigung herausgelöst und zu einer selbständigen Abteilung umgewandelt werden, was aber zur Zeit des Großbrandes noch nicht geschehen war. Erst Ende 1939 wurde sie ausgegliedert und in die selbständige 7. Abteilung für Schiffsbauindustrie umbenannt. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 27.12.1940-01.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226. Ebd., L. 226; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 424. Zur Verurteilung der 3 Personen über die Nationale Trojka. Vgl.: Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 18.–23.03.1941 g., OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 484-488, hier L. 486.
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Stalinistische Modernisierung
Der Prozess gegen die acht Hauptangeklagten im Rahmen des Militärtribunals zog sich hin. Die Nationale Trojka hingegen verurteilte knapp zwei Monate nach dem Ausbruch des Brandes alle drei Angeklagten zum Tode und zwar in ihrer Sitzung vom 26. Oktober 1938. Die Hinrichtung erfolgte unmittelbar nach der Urteilsverkündung.11 Einige Tage nach dem Großbrand verfiel der Geheimdienst wieder in hektische Betriebsamkeit. Erst inspizierte der neben Vološin zweite Leiter der Unterabteilung für [Landes-]Verteidigung der »Geheimen politischen Abteilung« K. I. Efremov in den zwei großen Schiffbaufabriken von Nikolaev № 200, mit dem Namen »Kommunarоv 61«12 , und № 198, der Werft »Andrej Marti«, die Brandschutzmaßnahmen. Er stieß auf katastrophale Zustände. Auf dem Gelände der Fabrik № 200 befanden sich direkt neben den Eisenbahngleisen Öltanks, die jeder Zeit von den Funken der vorbeifahrenden Dampflokomotiven hätten entzündet werden können. Auf dem Territorium der Werft № 198 lagerte überall Holz. Efremov konnte aber berichten: »Dies alles wurde nur dank der Einmischung des NKVD entfernt.« Efremov legte über all dies auch auf der Sitzung des Nikolaever Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine Rechenschaft ab.13 Nach Efremov trat der Geheimdienstchef des Gebiets Karamyšev selbst in Aktion. Er machte sich ausführlich mit den herrschenden Zuständen vertraut und informierte dann ebenfalls das Gebietskomitee der Partei von Nikolaev. Dies leitete auf der Grundlage seines Berichts die »Säuberung der Fabrik« ein. Weitere Verhaftungen wurden genehmigt und vom NKVD durchgeführt.14 Am 1. September 1938 stellte Karamyšev auf der Sitzung des Büros des Gebietskomitees der Partei ein umfangreiches Programm zur Verhinderung von Bränden in den beiden zentralen Schiffsbaufabriken vor. In dem Beschluss des Büros hieß es wieder unzweideutig, dass es die Feinde dazu haben kommen lassen, dass die elementarsten Regeln des Brandschutzes nicht eingehalten wurden und werden. Der Direktor der Werft I. G. Miljaškin erhielt einen strengen Verweis und den Auftrag, bis zum 15. Oktober über die Umsetzung der Brandschutzmaßnahmen Bericht zu erstatten.15 11 12
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Ebda. (Prigovor). Eine der ältesten Schiffbaufabriken Russlands. Gebaut wurde hier auch der Panzerkreuzer Potemkin. »Tremsud« (»Trust zum Bau von Meeresschiffen«). 1920 aus dem Zusammenschluss der Fabriken »Russud«, »Remsud« und »Temvod« gebildet. 1931 bekam die Fabrik den heutigen Namen zum Gedenken an 61 Arbeiter der Schifsbaufabrik »Russud«, die von der »Denikin–Armee« in der Nacht vom 20. November 1919 erschossen wurden. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VТ… 27.12.1940-01.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 111-226 ob. Ebd., L. 174. Postanovlene bjuro obkoma KP(b) U Nikolaevskoj oblasti »O doklade tov. Karamyševa – ob obščej i protivopožarnoj ochrane oboronnych zovodov«. 01.09.1938, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 22, L. 54-55.
Allmacht und Ohnmacht
Der Geheimdienst hatte allerdings nicht erst jetzt, sondern auch in der Vergangenheit den besagten Fabriken bzw. Werften viel Aufmerksamkeit geschenkt. Karamyšev kam laut Efremov oft persönlich vorbei und entwarf erfolgreich mit Hilfe von verhafteten – namentlich hier nicht genannten – Ingenieuren Maßnahmen zum besseren Arbeitsablauf der Fabriken.16 Karamyšev selbst berichtete von vielen Problemen: dass die Schiffsbaufabrik »Marti« von Jahr zu Jahr die Pläne nicht erfüllte und sich »systematisch« Brände und Unfälle ereigneten. Diese Fabrik wurde, seinen Angaben nach, so heruntergewirtschaftet, dass sich dort ständig eine Gruppe von Geheimdienst-Mitarbeitern aufhielt. Und wäre nicht der Apparat des NKVD gewesen, unterstützt vom Gebietskomitee der Partei, so hätte ein Brand der Docks diese Fabrik endgültig vernichtet.17 An anderer Stelle zeichnete er dasselbe Bild von beiden Werften: »Ganze Gruppen von Mitarbeitern des Gebiets NKVD (UNKVD) saßen in den Fabriken und beseitigten alle vorhandenen Defizite. Wenn nicht die Mitarbeiter der Gebietsverwaltung des NKVD gewesen wären, hätten die zahlreichen Unfälle und Brände die Zerstörung der Fabriken zur Folge gehabt.«18 Die seine Kontrolltätigkeit in den Werften begleitenden Strafaktionen betrachtete Karamyšev im Ergebnis als vollen Erfolg: »Als Resultat unserer Maßnahmen, die über die Gerichts-Trojka gelaufen sind, haben wir es geschafft und erreicht, dass die für die Landesverteidigung relevanten Fabriken nicht nur die staatlichen Aufgaben und Pläne erfüllten, sondern übererfüllten, einschließlich der Pläne zur Warenproduktion.«19 Als weiteren Schlüssel zum Erfolg sah er »die vom NKVD durchgeführten operativen Maßnahmen, die Ablösung der feindlich gesinnten [Fabrik-]Führung und die verstärkte Einmischung der Parteiorganisation« an.20 Der NKVD war somit nicht mehr »nur« politische Gesinnungspolizei und für soziale Problembeseitigung zuständig, sondern nochmal verstärkt auch damit beauftragt, die Kontrolle von Kernbereichen der Ökonomie bis hin zu organisatorischen Aufgaben zu übernehmen. An erster Stelle stand die Stabilisierung wichtiger Industriebetriebe und – was hier kein Thema ist – die Sicherung des Kolchossystems. 16 17 18 19 20
Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VТ… 27.12.1940-01.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 174. Ebd., L. 227. Ebdа. Ebd., L. 263. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, еbd., T. 1, L. 165.
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Stalinistische Modernisierung
Trotzkistische Sabotageorganisation Den harten Kern der trotzkistischen Sabotageorganisation, der vom Geheimdienst für den Großbrand der Werft № 200 in Nikolaev verantwortlich gemacht wurde, bildeten Ingenieure, Techniker und Bauleiter der Werft. An erster Stelle stand L. P. Fomin, seit 1933 Leiter des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen. Dann folgten A. E. Gavrilov, stellvertretender Leiter des ausgebrannten Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung und L. M. Gladkov, Assistent des Leiters der Werkstatt für Holzbau des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung.21 Hinzu kamen S. S. Melamud, stellvertretender Leiter des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen, G. P. Afanas’ev, Leiter eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen, D. A. Bondar’, ebenfalls Leiter eines weiteren Teilbereichs, A. I. Bazilevič, Meister der Elektroschweißanlage der Fabrik und schließlich T. I. Čikalov, langgedienter Meister des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen und V. I. Nosov, Sortierer dieses Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung.22 Als etwas weniger tief verstrickt in die Sabotage schienen dem Geheimdienst A. A. Barsukov, stellvertretender Leiter für Techniknormierung des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen, N. V. Černochatov, Meister des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung und S. V. Mackovskij, Leiter des Oberkommandos der Luftabwehr der Werft № 200.23 Ursprünglich mit einbezogen in die Gruppe waren auch noch der ehemalige Direktor der Werft N. V. Ščerbina, der leitende Ingenieur G. V. Babenko und der Ingenieur und Lehrer am Schiffsbauinstitut von Nikolaev M. F. Čulkov.24 Im Falle von Fomin, Ščerbinа, Bazilevič und Gavrilov übernahm die »Geheime politische Abteilung« des UNKVD unter der Leitung von Truškin die Ermittlungen. 21 22 23
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Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VТ… 27.12.1940-01.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 129, 112. Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 19.08.1939, еbd., T. 2, L. 30-32; Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, еbd., T. 3, L. 274-287. Obvinitel’noe zaključenie staršego sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR N. A. Burdana po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 11.05.1940, еbd., T. 11, L. 347-358. Veröffentlicht als: Obvinitel’noe zaključenie staršego sledsvennoj časti UGB NKVD USSR po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 11.05.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 245-253; Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 25.09.1939, еbd., T. 2, L. 42-47; Protokol doprosa obvinjаmogo P. V. Karamyševa. 03.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 131-134. Postanovlenie staršego sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR N. A. Burdana ob izbranii mery presečenija dlia M. V. Garbuzova i. d. 03.03.1940, еbd., T. 1, L. 79-81.
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Die Verhöre wurden von ihm und seinen Mitarbeitern M. V. Garbuzov, K. A. Voronin und G. S. Zel’cman durchgeführt.25 Babenko lief über die Unterabteilung für Landesverteidigung dieser Abteilung.26 Im Sabotageszenario, das vom Geheimdienst des Gebiets Nikolaev rekonstruiert wurde, nahm Fomin eine Schlüsselposition ein. Die Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« erhielten von ihm im Verhör die Aussage, dass er und andere die Sabotage geplant habe. Speziell Fomin aber war nur deshalb nicht persönlich zum Zuge gekommen, weil er fast zwei Wochen vor dem Brand und zwar am 20. Juli 1938 verhaftet worden war. Er gab aber in einer Aussage direkt nach dem Brand zu: »Die praktische Arbeit zur Vorbereitung des Sabotageaktes führte der Leiter eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung Afanas’ev aus.«27 Untermauert wurden die Anschuldigungen gegen Fomin durch Informationen über seine suspekte Vergangenheit und persönliche Unzuverlässigkeit. So wusste der Geheimdienstchef Karamyšev zu berichten: »Schon vor seiner Verhaftung war Fomin von der Parteiorganisation der Fabrik entlarvt worden, dass er ständigen Kontakt zum Kadertrotzkisten F. Ja. Pletnev, ehemaliger Direktor der Fabrik № 200, unterhält, der in Stalingrad lebt.«28 Als Beweismittel diente ein beschlagnahmter Schriftverkehr zwischen den beiden.29 Herausgefunden hatte man, dass Fomin eine Dienstreise nach Leningrad dazu genutzt hatte, sich mit dem Kadertrotzkisten Pletnev in Stalingrad zu treffen und dass er anschließend »in Zusammenarbeit« mit seinem Vorgesetzten, dem leitenden Ingenieur Babenko, Dokumente »fabriziert« hat, die Pletnev als guten Leiter der Fabrik beschreiben, obwohl die Werft unter ihm nicht aus den »chronischen Schwierigkeiten« herausgekommen und den Plan nur zu 40-50 % erfüllt hatte. Tatsächlich hatte sich Pletnev Anfang 1938 an den leitenden Ingenieur Babenko gewandt und ihn um Hilfe gebeten, weil ihn die Parteiorganisation von Stalingrad aus der Partei ausgeschlossen hatte. Babenko sollte ihm eine Beurteilung über seine Arbeit als Direktor der Fabrik № 200 in Nikolaev von 1932-1936 schreiben. Daraufhin beauftragte Babenko seinen Mitarbeiter Fomin, um sich rückzuversichern, auf dem Weg nach Leningrad in Stalingrad vorbeizufahren und sich zu erkundigen »wie es um Plentnev in Bezug auf die Partei und seine Arbeit 25 26 27 28 29
Prodolženie doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 17.08.1939, еbd., T. 2, L. 23-26. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, еbd., T. 1, L. 165. Protokol doprosa obvinjаmogo Ja. L. Truškina. 19.08.1939, еbd., T. 2, L. 30-32. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 159. Ebda.
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steht.«30 In einem Brief aus Moskau vom Februar 1938 berichtete Fomin Babenko dann von seinem Aufenthalt in Stalingrad. Er hatte dort erfahren, dass Pletnev im Sommer 1937 in ernsthaften Schwierigkeiten gewesen war – er war drei Monate arbeitslos gewesen, hatte keinerlei Geld gehabt, seine Familie bei seinem Bruder unterbringen müssen und war bei Bekannten »herumgeirrt« – und erst nach einem Appellationsschreiben und vielen Gesprächen ab November 1937 von der Parteiorganisation wieder in seine alte Stellung als Leiter der Unterabteilung für Versorgung der Abteilung Großbauten31 des Bau-Trusts des Gebiets Stalingrad eingesetzt worden. Am 27. Februar 1938 sollte nun seine Angelegenheit abschließend vorm Gebietskomitee der Partei verhandelt werden.32 Um auf diese Entscheidung Einfluss zu nehmen, wurde nun von Babenko augenblicklich ein Gutachten verfasst und von sieben Leitern verschiedener Werkshallen und Abteilungen der Nikolaever Fabrik № 200 unterschrieben und an das Gebietskomitee der Partei von Stalingrad gesandt. Das Gutachten ließ Pletnov in einem hellen Licht erstrahlen. Pletnov hat, so das Gutachten, »sehr viel Energie in die Entwicklung der Fabrik № 200« gesteckt, besonders bei der »Erschließung neuer Produktionswege«, was zur »Aufnahme der Fabrik in die Gruppe derjenigen Fabriken geführt hat, die von besonderer [staatlicher] Bedeutung sind.« Als Person hatte er große Autorität nicht nur beim administrativen und technischen Personal, sondern auch bei den Arbeitern. Er war nicht nur ein guter Direktor, sondern auch ein guter Genosse, der sich um die Belange der Arbeiter und des wissenschaftlich-technischen Personals kümmerte.33 Ganz davon abgesehen, dass der NKVD solche Solidaritätsschreiben und Initiativen zur Ehrenrettung einer Person gar nicht mochte, war es in den Augen des Geheimdienstes ausgesprochen verräterisch, oder prägnanter gesagt, ein gefundenes Fressen, dass Fomin das Informationsschreiben an Babenko damit beendete, dass er diesen aufforderte: »Ich bitte darum, meinen Brief [nach dem Lesen] 30
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Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala Kievskogo Osobogo voennogo okruga protiv L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamuda, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondarja, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova i V. I. Nosova. 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 41-57 ob, hier 53 ob–54. Veröffentlicht als: Protokol sudovogo zasidannja Vijs’kogo trybunalu pro zvynuvačennja L. Fomina, L. Gladkova, S. Melamuda, G. Afanas’jeva, D. Bondarja, M. Bazylevyča, T. Čikalova, V. Nosova. 04.–08.04.1939, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 166-202. Vgl. auch das Urteil: Virok Vijs’kogo trybunalu pro zvynuvačennja L. Fomina, L. Gladkova, S. Melamuda, G. Afanas’jeva, D. Bondarja, M. Bazylevyča, T. Čikalova, V. Nosova jak učasnykiv antypadjans’koї troc’kists’koї organizaciї. 04.–08.04.1939, in: ebd., S. 203-204. Otdel kapital’nogo stroitel’stva, OKS. Pis’mo L. P. Fomina G.V. Babenko. 22.02.1938, еbd., T. 8, L. 196. Charakteristika glavnogo inženera zavoda № 200 G. V. Babenko na byv. direktora zavoda F. Ja. Pletneva. Ne pozže 26.02.1938, еbd., T. 8, L. 197.
Allmacht und Ohnmacht
zu vernichten.«34 Die Unterstützung für Pletnev brachte letztendlich nicht den gewünschten Erfolg. Er wurde vielmehr auf Betreiben des Geheimdiensts des Gebiets Stalingrad am 13. August 1938 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach § 58-7, 58-8 und 58-11 des Strafgesetzbuches der RSFSR zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.35 Zeitgleich habe man, so Karamyšev, weitere Materialien über Fomin erhalten, die ihn der direkten [und langjährigen] Sabotagetätigkeit entlarvten.36 So fanden laut Karamyšev zwei extra einberufene Kommissionen, einmal geleitet von den Ingenieuren M. N. Gordienko und F. S. Stepanenko und zum anderen unter dem Vorsitz von Gordienko und den Mitgliedern E. G. Magilevskij, Leiter des Planungsund Produktionsbüros und G. I. Cechanovskij, Meister der Reinigungskooperative der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 heraus37 : »Fomin hat schon 1933, unter Protesten des Arbeiters [A. M.] Šorin und anderen bewusst die mechanischen Bedingungen und Erfordernisse ignoriert und vorgeschlagen, das U-Boot ›Maljuka‹ aus offensichtlich qualitativ schlechtem Material zu bauen (der Meister Šorin wurde entlassen und an seiner Stelle von Fomin der Trotzkist Vasil’ev, der bei der Arbeit durchgehend Pfusch zulässt, eingesetzt); Zusammen mit dem Feind Ščerbina hat Fomin [außerdem] subversive Arbeit an den Schiffen [№] 1075 und [№] 1076 organisiert, die für die Fernöstliche Region (DVK)38 vorgesehen waren; 1936 haben Fomin und Babenko die Havarie des Stapellaufs des Schiffes № 208 organisiert; 1938 […] zu feindlichen Zwecken den befohlenen Zaun um ein hochwichtiges Objekt, die Versuchswerkstätten39 , errichtet, um dann 34
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Pis’mo L. P. Fomina G. V. Babenko. 22.02.1938, еbd., T. 8, L. 196. Wahrscheinlich wurde das Schreiben Fomins und die anderen Materialien bei der Wohnungsdurchsuchung im Zuge der Verhaftung Babenkos sichergestellt. Nač. učetno–archivnogo otdela UKGB Trapeznikov pomoščniku voennogo prokurora DVO Kal’ko (g. Nikolaev). 14.09.1956, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 294. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 160. Bei § 58-7 ging es u.a. um Schädigung der staatlichen Industrie, bei § 58-8 u.a. um terroristische Akte gegen Vertreter der Sowjetmacht und § 58-11 hob darauf ab, dass die Tätigkeit organisiert war. Akt ėkspertnoj komissii inženerov fabriki № 200 g. Nikolaevа. 28.08.1938, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 330-331. Die zweite Kommission wurde direkt am 2. August 1938 eingesetzt. Protokol doprosa M. N. Gordienko. 10.01.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 8, L. 116-121. D.h. für die Schiffsflotte des Stillen Ozeans. Opytnye otseki.
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das Objekt mit leicht entzündbaren Materialien zu verstellen40 und so weiter und so fort.«41 Karamyševs Fazit daraus war, dass die trotzkistische Sabotagegruppe bewusst die Bedingungen für Brände, Explosionen und Unfälle geschaffen hat. Es wurden »offensichtlich die Brandschutzmaßnahmen sabotiert, die technischen Erfordernisse für Sicherheit ignoriert und die Fabrik mit unnützen und leicht entflammbaren Materialien verstellt.«42 Für den Abtransport der Materialien habe man mehrere Werkszüge und mehrere Monate gebraucht. Aber selbst die unter der Aufsicht des Geheimdienstes auf der Grundlage der Untersuchungen ausgearbeiteten und überwachten »gründlichen und konkreten Maßnahmen zum allgemeinen Schutz und zum Brandschutz der Fabriken«, die sogar mit der Autorität des Republikkomitees der KP(b) der Ukraine versehen waren, indem das Komitee den Direktor der Fabrik verpflichtete, diese umgehend umzusetzen, konnten den besagten Großbrand letztendlich nicht verhindern, weil die Sabotage, so Karamyšev, immer weiterging.43 Die direkte Verknüpfung des Kopfes der trotzkistischen Sabotageorganisation mit dem Brand war dementsprechend nur noch Formsache. A. P. Fedotov, ein Mitarbeiter der ökonomischen Abteilung des UNKVD44 von Nikolaev, wusste zu berichten: »Sofort nachdem man ihn [Fomin] zum NKVD gebracht hatte, brach er in Tränen aus und gab seine Beteiligung an einer konterrevolutionären Organisation zu.«45 Laut Karamyšev hatte Fomin grundsätzlich bekannt, dass er »der Sowjetmacht viel angetan hat.«46 Schon 10 Tage nach seiner Verhaftung, also noch drei Tage vor dem Großbrand, konnte der NKVD durch eine umfassende Aussage Fomins die Sabotagetätigkeit einer großen trotzkistischen Gruppe unter seiner Leitung aktenkundig machen. Dann, unmittelbar nach dem Brand, erhielt der Geheimdienst von Fomin in mehreren Verhören Aussagen und zum Teil sogar von ihm selbst handschriftlich verfasste Stellungnahmen, in denen er nicht nur abermals seine führende Rolle bei bereits weiter zurückliegender Sabotage, sondern auch beim Großbrand selbst 40 41
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Zagramoždat’. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, T. 1, L. 163. Ein Gutachten der Kommission war auf den 28.08.1938 datiert. Vgl.: Protokol doprosa svidetel’ja M. N. Gordienko. 29.11.1956, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 323-324 ob. Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 164. Ebdа. De fakto wurde diese Abteilung im ukrainischen NKVD Anfang 1939 wieder eingeführt. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob. Ebda.
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zugab: Am 28. August 1938 unter dem Beisein des Militärstaatsanwalts und stellvertretenden Staatsanwaltes für Spezialfälle G. A. Karpenko, bei Gegenüberstellungen mit Barsukov, dann mit Afanas’ev vom 24. August 1938 und Melamudovs vom 8. Dezember 1938 und schließlich in Erweiterung seiner Aussagen nochmal am 1. und 14. Dezember 1938, wobei er im Dezember erneut beteuerte, »dass er bei den Untersuchungsführern offene, ehrliche und ausführliche Aussagen über seine subversive Tätigkeit gemacht hat.«47 Die Ergebnisse der beiden speziell einberufenen Expertenkommissionen hatte Fomin am 8. Dezember bestätigt.48 Aber damit nicht genug. Zahlreiche Zeugen hatten in ihren Aussagen und selbst bei Gegenüberstellungen die führende Tätigkeit Fomins unterstrichen u.a. Muratov, ehemaliger Sekretär des Stadtkomitees von Nikolaev der KP(b) der Ukraine, verhaftet am 12. oder 13. Mai 1938 und M. F. Volkov, ehemaliger Erster Sekretär des Organisationsbüros des ZK der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev, der am 23. September 1938 zum Tode verurteilt und noch am selben Tag in Kiew hingerichtet worden war.49 Fomins rechte Hand Afanas’ev ereilte noch am selben Abend nach dem Großbrand in der Werft die Verhaftung und zwar vor Ort durchgeführt vom stellvertretenden Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD M. V. Garbuzov.50 Afanas’ev hatte in der Schicht gearbeitet, während derer sich der Brand ereignete.51 Er gab seine Beteiligung zu, später bestätigt durch eine Aussage Čikalovs, der sich dazu bekannte, zusammen mit Afanas’ev den Brand gelegt zu haben.52 Das allgemeine Bild, das eine große trotzkistische Sabotageorganisation in Nikolaev am Werk gewesen war, komplettierte sich immer mehr durch Informationen über weitere wichtige Mitstreiter Fomins. Der Ingenieur Gladkov, wie Fomin bereits vor dem Brand verhaftet, und zwar am 28. Juli 1938, war, nach den Informationen Karamyševs, 1938 »wegen rechts-trotzkistischer Tätigkeit und Ausfällen 47 48 49
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Protokol doprosa obvinjаmogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, еbd., T. 1, L. 161-162. Ebd., L. 163. Protokol doprosa svidetelja P. S. Vološina, еbd., T. 6, L. 100-107; Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob. Die Kampagne gegen Volkov hatte noch der Volkskommissar des Inneren der Ukraine A. I. Uspenskij eingeleitet. Er unterstellte M. F. Volkov bei seinem Auftritt auf dem XIV Parteikongress der KP(b) der Ukraine im Juni 1938 der Leiter einer rechtstrotzkistischen Organisation in Nikolaev zu sein. Vgl.: Vystuplenie tov. Uspenskogo na XIV s-ezde KP(b)U, in: Bažan, O./Zolotar’ov V., Oleksandr Uspens’kij: »Ja vvažaju sebe učnem Mykoly Ivanovyča Ježova«, in: Z archiviv VUČK-GPUNKVD-KGB, 2014, № 1, S. 379. Protokol doprosa obvinjаmogo Ja. L. Truškina. 19.08.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 2, L. 30-32. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458.
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gegen den Führer der Partei Stalin«, belegt durch zahlreiche Aussagen von Kommunisten und Parteilosen, aus der VKP(b) ausgeschlossen worden.53 Konkret hatte er Kontakt zum Trotzkisten V. K. Kligerman aufgenommen, dem ehemaligen Parteisekretär des Rajonkomitees des Stadtteils Stalino von Odessa.54 Die Entfernung des am 27. Juli 1938 verhafteten Ingenieurs Gavrilov aus der VKP(b) war schon 1937 erfolgt. Begründung war gewesen »Protektion von und Kontakte mit Trotzkisten« und »der Verlust der Klassenwachsamkeit und Kontakt mit Feinden.«55 Nach Angaben des Geheimdienstmitarbeiters Garbuzovs befand sich außerdem in der ersten Unterabteilung seiner Abteilung »aufgearbeitetes Material über die Anwerbung Gavrilovs« für die trotzkistische Organisation, ferner »ein Auszug aus Aussagen des verurteilten [Trotzkisten und ehemaligen Direktors der Nikolaever Werft »Marti«] S. A. Stepanov über die Teilnahme Gavrilovs an einer trotzkistischen Organisation und [schließlich] Materialien der Parteikontrolle56 über seine Kontakte mit verurteilten Trotzkisten. Ein weiterer Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« des NKVD, der Leiter der ersten Unterabteilung K. A. Voronin, brachte Gavrilov »mit den Kadertrotzkisten Kligerman, Gaev und Suchanovskij« in Verbindung. Der Kontakt habe »über viele Jahre hinweg« bestanden.57 Hinzu kam, dass man, laut Karamyšev, über Aussagen verfügte, die Gavrilov »offener faschistischer Äußerungen in der Gefängniszelle« überführten.58 Gavrilovs Verhaftung sei erfolgt, weil man dann auch noch eine Aussage von D. T. Starodubcev gegen Gavrilov erhielt. Starodubcev war ein Ingenieur, der unter Fomin und Afanas’ev bis zu seiner Verhaftung am 10. Juli 1938 wegen »Trotzkismus« als stellvertretender Leiter des Teams des Büros für die Vervollständigung der Technik gearbeitet hatte.59 Voronin berichtete ferner, dass »Gavrilov ihm sofort nach der Verhaftung oder am nächsten Tag umfassende Aussagen über die 53
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Zajavlenie P. V. Karamyševa predsedatelju Tribunala vojsk NKVD Kievskogo Voennogo okruga Ja. M. Vosjutinskomu. 13.07.1940, еbd., T. 13, L. 46-49; Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 21.01.1940, еbd., T. 3, L. 155-164. Kligerman wurde wegen Trotzkismus verurteilt. Am 19.12.1937 wurde Gladkov tatsächlich wegen »alltäglichem und politischem Kontakt« zu den Volksfeinden bzw. Trotzkisten Kligermann, Suchanovskij, Borodaev und Slobodskij« aus der Partei ausgeschlossen. Vgl.: Vypiska iz protokola № 30/5 zasedanija bjuro KP(b)U Gorodskogo partijnogo komiteta g. Nikolaeva. 19.12.1937, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192-s, T. 2, L. 16. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 111-226 ob. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226ob; Prodolženie doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 17.08.1939, еbd., T. 2, L. 23-26; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Partijnaja proverka. Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 21.01.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 3, L. 155-164; Protokol doprosa svidetelja K. A. Voronina. 20.01.1939, еbd., T. 3, L. 244-253. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 21.01.1940, еbd., T. 3, L. 155-164.
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Zugehörigkeit zur rechtstrotzkistischen Organisation gemacht hat.«60 Karamyšev konnte noch die »antisowjetische Agitation« beitragen, die Gavrilov »sogar auf der Straße offen an Straßenecken« betrieb.61 Schon seit 6-7 Jahren seien Gavrilov, Gladkov und Fomin unter Beobachtung des Geheimdienstes gewesen.62 Über die anderen Mitglieder der trotzkistischen Sabotageorganisation lag weniger Material vor. Dies aber war in den Augen des NKVD bei weitem ausreichend für eine Verhaftung und Verurteilung. Melomud, der auf der Grundlage von Aussagen Fomins am 5. Oktober 1938 verhaftet wurde, war nach Angaben Karamyševs ein »altgedienter Kaderzionist« bzw. Mitglied einer zionistisch-nationalistischen Organisation, der Mitglieder für die trotzkistische Gruppe angeworben hat. Er wusste, wie in Verhören herauskam, auch namentlich über die Mitgliedschaft vieler Personen dieser Gruppe bescheid. Um Melomud der Sabotagetätigkeit zu überführen, wurden außerdem wieder zwei Expertenkommissionen eingerichtet. Eine unter der Leitung des Ingenieurs M. G. Nikiforov und die andere wieder unter dem Ingenieur Gordienko, der schon im Fall Fomins gegutachtet hatte. Zusätzlich gab es mindestens vier weitere Zeugenbefragungen in dieser Sache.63 Der Techniker Bondar’, verhaftet am 3. August, hatte wiederum in der Frühschicht vor dem Großbrand in der Werft gearbeitet.64 In mehreren Gegenüberstellungen, bei denen u.a. auch der Assistent des Militärstaatsanwalts Kurov, anwesend war, mit dem sofort am 2. August verhörten und am 7. August verhafteten Čikalov, sagte Bondar’ aus, dass er und Čikalov Mitglieder einer »anitsowjetischen Organisation« seien und Čikalov mit an der Legung des Brandes beteiligt war.65 Laut Čikalov habe Bondar’ in einer Gegenüberstellung wörtlich gesagt: »wir haben den Brand gelegt und müssen vor der Sowjetmacht auf die Knie fallen.«66 Das besonders gefährliche war in den Augen der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev aber, dass die trotzkistische Sabotageorganisation nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil einer allgemeinen rechts-trotzkistischen Verschwörung im gesamten Gebiet Nikolaev mit Kontakten in andere Gebiete der Sowjetunion anzusehen war. So waren 1937 in einer auswärtigen Sitzung des Militärkol60 61 62 63 64 65
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Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Ebda. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 232; Protokol doprosa obvinjаmogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, еbd., T. 1, L. 166. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226ob; Protokol doprosa obvinjаmogo P. V. Karamyševa. 19.10.1939, еbd., T. 1, L. 166. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob. Von Bondar’ wurden insgesamt fünf Mitglieder einer antisowjetischen Organisation genannt. Truškin weißt noch auf die enge Verbindung zwischen Bondar’ und Afanas’ev hin. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226ob; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458.
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legiums des Obersten Gerichts der UdSSR in Aussagen von Angeklagten und Zeugen bereits die Namen von Fomin, Gavrilov und Melamud gefallen. Auch die Verurteilung Stepanovs, des ehemaligen Direktors der Fabrik »Marti«, in einer öffentlichen Gerichtssitzung ging einher mit Hinweisen auf Gavrilov.67 In was für einer zweifelhaften Gesellschaft sich die für den Großbrand verantwortlich gemachten Personen befanden, konnte insbesondere Karamyšev zeigen. Ihre Namen wurden bei den genannten Prozessen in einem Atemzug mit dem des Zweiten Sekretärs des Gebietskomitees von Nikolaev D. Ch. Derevjančenko, ein Protegé S. V. Kosiors genannt. Den ehemaligen Anarchisten Derevjančenko hatte der Zweite Sekretär des ZK der KP(b) der Ukraine M. A. Burmistenko und der stellvertretende Leiter der Zeitung »Južnaja pravda« (Die südliche Wahrheit) und »beste« Politlektor Buranov im April 1938 auf der Gebietsparteikonferenz von Nikolaev als »politischen Doppelzüngler« bezeichnet. Außerdem war er dadurch aufgefallen, dass er »durch Betrügerei zwei Millionen Rubel vom Staat erhalten und seine Schwester wegen eines Sabotageaktes zur Höchststrafe verurteilt worden war.«68 Kernelement der Argumentations- und Entlarvungsstrategie des NKVD bildeten somit die zahlreichen Expertenkommissionen, so dass es sich lohnt hier genauer hinzusehen. Die erste Expertenkommission wurde auf Druck des UNKVD von Nikolaev vom Direktor der Fabrik № 200 I. G. Miljaškin direkt am 2. August 1938, noch am Tage des Brandes, eingerichtet. Ihren Vorsitz übernahm, wie bereits angedeutet, der Ingenieur M. N. Gordienko. Mitglied war der Ingenieur F. S. Stepanenko. Über diese Kommission sind allerdings keine Informationen erhalten. Die zweite Kommission leitete, wie ebenfalls bereits gesagt, auch Gordienko. Mitglieder waren, nochmal zur Erinnerung, der leitende Ingenieur und Technologe und Leiter des Planungs- und Produktionsbüros der Fabrik № 200 E. G. Mogilevskij und der Meister der Reinigungskooperative der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 G. I. Cechanovskij. Diese beiden Kommissionen hatten einen relativ engen Auftrag. Sie sollten die Ursachen für den Großbrand klären. Am 28. August 1938 lieferte die besagte zweite Kommission das Ergebnis ihrer Nachforschungen ab.69 Sie kam zu dem Schluss: »[…] dass der gleichzeitig an mehreren, weit auseinanderliegenden Stellen ausgebrochene Brand und die Stärke des Feuers und seine schnelle Verbreitung kein 67 68 69
Ebd., L. 405-458. Ebd., L. 405-458. Akt ėkspertnoj komissii v sostave M. N. Gordienko, E. G. Mogilevskogo i G. I. Cechanovskogо o požare v ceche № 1 zavoda № 200 g. Nikolaeva. 28.08.1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192-s, T. 6, L. 126-128.
Allmacht und Ohnmacht
Zufall waren, sondern das Resultat einer bewussten, lange vorbereiteten Sabotage.«70 Speziell Babenko wurde beschuldigt, nicht verhindert zu haben, dass Holz, statt Eisen als Sichtschutz verwendet wird, und dass Schweißarbeiten ohne die Wässerung des Holzes durchgeführt werden durften. Fomin habe vom verbrecherischen Handeln Babenkos gewusst, aber dennoch dessen Anweisungen umgesetzt. Schuld an der Vernachlässigung des Brandschutzes seien auch Afanas’ev, Bondar’, Čikalov, Černochatov und Bazilevič gewesen.71 Bis mindestens Mitte Januar 1939 standen die Ingenieure Gordienko und Mogilevskij, die die Gutachten maßgeblich zu verantworten hatten, hinter dieser Diagnose, was demonstrativ vom UNKVD von Nikolaev in jeder Untersuchungsakte zu den verdächtigten Personen dokumentiert wurde.72 Bald nach dem Brand begann der UNKVD seine Strategie, mit Hilfe von Experten die Sabotagetätigkeit der Verdächtigen zu belegen, zu verfeinern. Der UNKVD forderten vom Direktor der Fabrik nicht mehr nur allgemeine und übergreifende GutachterKommissionen, sondern für bestimmte Untersuchungshäftlinge noch ein zusätzliches individuelles Gutachten. Diese Kommissionen untersuchten aber nun nicht mehr nur die Brandursache, sondern auch noch die Arbeitshaltung des betreffenden Untersuchungshäftlings während seiner gesamten Tätigkeit in der Fabrik № 200. Die ersten, an bestimmte Personen gebundene Gutachten wurden schon Ende August 1938 vom UNKVD des Gebiets Nikolaev beim Direktor der Fabrik № 200 in Auftrag gegeben.73 Am 1. September 1938 gab dann der Direktor die Anweisung, ein solches Gutachten auch für den ehemaligen stellvertretenden Leiter des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen S. S. Melamud anzufertigen. Den Vorsitz dieser Kommission übernahm der Ingenieur der 6. Abteilung der Fabrik № 200 M. G. Nikiforov, Mitglieder 70
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Protokol doprosa glavnogo technologa zavoda № 200 g. Nikolaeva E. G. Mogilevskogo. 10.01.1939, еbd., T. 8, L. 129-131, hier L. 129, 130; Protokol doprosa staršego inženera zavoda № 200 g. Nikolaeva M. N. Gordienko. 10.01.1939, еbd., T. 8, L. 116-121, hier L. 117. Akt ėkspertnoj komissii v sostave M. N. Gordienko, E. G. Mogilevskogo i G. I. Cechanovskogо o požare v ceche № 1 zavoda № 200 g. Nikolaeva. 28.08.1938, еbd., T. 6, L. 126-128. Protokol doprosa glavnogo technologa zavoda № 200 g. Nikolaeva E. G. Mogilevskogo. 10.01.1939, еbd., T. 8, L. 129-131; Protokol doprosa staršego inženera zavoda № 200 g. Nikolaeva M. N. Gordienko. 10.01.1939, еbd., T. 8, L. 116-121. Diese Verhörprotokolle befinden sich auch in Band 4 (L. 303-309, 310-313) zu G. P. Afanas’ev, in Band 5 (L. 202-208, 209-2011) zu D. A. Bondar’, in Band 6 (L. 108-113, 114-116), der für T. I. Čikalov angelegt wurde und in Band 7 (L. 113-118, 119-124), auf dessen Umschlag der Name N. I. Bazilevič steht. Postanovlenie UNKVD Nikolaevskoj oblasti o naznačenii ėkspertnoj komissii dlja vskrytija i dokumentacii diversionnoj dejatel’nosti N. I. Bazileviča. 23.08.1938, еbd., T. 6, L. 125. Dieselben Beschlüsse wurden vom UNKVD nachweislich auch in Bezug auf Gladkov, Afanas’ev, Melamud, Fomin, Bondar’ und Čikalov gefaßt. Vgl.: еbd., T. 2, L. 221; T. 3. 327; T. 4, L. 318; T. 5, L. 212; T. 6, L. 125; Т. 7, L. 121; Т. 8, L. 140.
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waren der Ingenieur und Schiffsbauleiter der Projekts № 7-u der Fabrik № 200 A. P. Dubravin und der Leiter der Abteilung № 49 der Fabrik № 200 A. P. Naumovec.74 Melamud wurde als Planungsbüroleiter dafür verantwortlich gemacht, dass die Schiffe nicht nach zentralen Plänen gebaut, sondern die dezentralen Werkstätten und deren Kapazitäten das Tempo bestimmten, was zu Pfusch, Geldverschwendung, Improvisation, niedriger Arbeitsmoral- und Produktivität sowie untragbaren Arbeitsbedingungen und -Organisation geführt habe. Um Zeit zu sparen seien Teile in Schiffe eingebaut worden, die gar nicht für diese vorgesehen waren und man habe halbfertige Schiffe zu Wasser gelassen und diese dann unter hohen zusätzlichen Kosten auf dem Wasser fertiggestellt. Daneben sei auch noch die Reparatur des Maschinenparks vernachlässigt worden. Die Leitungsfähigkeit Melamuds erschien insgesamt in einem sehr schlechten Licht: »Melamud hat sich oft vor selbständigen Entscheidungen wichtiger Fragen gedrückt und keine praktischen Arbeitsanweisungen gegeben. Die Planer haben ohne irgendwelche Führung gearbeitet. […] Dadurch sank die Arbeitsdisziplin und es wurde die Tendenz gefördert nichts zu tun und [trotzdem] ein mittleres Einkommen zu bekommen. Dies führte wiederum dazu, dass mit jedem Monat der durchschnittliche Prozentsatz für die Entlohnung von Extraarbeiten stieg, man Mittel verschwendete und andererseits dadurch die Stachanov-Bewegung diskreditierte, weil durch dieses Verfahren ein Stachanov-Arbeiter weniger verdiente als ein [normaler] Arbeiter.«75 Das Gutachten endete mit dem fundamentalen Satz: »[…] es ist unzweifelhaft nachgewiesen, dass die Tätigkeit Melamuds S. S. auf die Desorganisation der Planung des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung, auf die Verzögerung des Baus von Schiffen, das Stiften von Verwirrung bei der Buchführung, die falsche Vorbereitung der Produktion, die Verteuerung der Arbeit, die Erhöhung von Pfusch, die Verschärfung der Komplikationen bei der Reparatur des Maschinenparks, die Augenwischerei bei der Erfüllung der Pläne für die Objekte und auf die Desorganisation der Arbeit bei der Ausarbeitung der technischen Prozesse ausgerichtet ist.«76 74
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Akt ėkspertnoj komissii v sostave M. G. Nikiforovа, A. P. Dubravinа i A. P. Naumovecа dlja vskrytija i dokumentacii diversionnoj dejatel’nosti S. S. Melamuda. 22.11.1938, еbd., T. 3, L. 231-235. Ebd., L. 234. Ebd., L. 235.
Allmacht und Ohnmacht
Untermauert war das Gutachten mit einer Vielzahl von Expertisen, die direkt von Technikern, Ingenieuren, Finanzexperten und Technologen der Fabrik № 200 eingeholt wurden und als Untergutachten fungierten.77 Zu einer zweiten großen Welle solcher auf bestimmte Personen ausgerichteter Gutachten, die direkt vom UNKVD des Gebiets Nikolaev initiiert wurden, kam es im Dezember 1938. So installierte zum Beispiel der Direktor der Fabrik 200 direkt auf der Grundlage eines Beschlusses des UNKVD vom 14. Dezember 1938 eine ExpertenKommission, die die Arbeit des ehemaligen Assistenten des Leiters der Holzbau Werkstatt des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung der Fabrik № 200 Gladkov untersuchen sollte. An der Spitze der Kommission stand der Ingenieur der 6. Abteilung der Fabrik M. G. Nikiforov. Mitglieder waren der Leiter der Abteilung № 37 M. M. Bressler und der Meister der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 M. L. Fejdin.78 Die Kommission kam am 8. Januar 1939 zu dem Schluss: »[…] die Kommission hält es für bewiesen, dass die Tätigkeit GLADKOVS auf das Scheitern des Produktionsprogramms, die Beschädigung des Maschinenparks der 77
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Spravka mastera cecha № 1 zavoda № 200 Cechanovskоgо v komissiju po delu S. S. Melamuda. 24.11.1938, еbd., T. 3, L. 236; Spravka načal’nika učastka cecha № 1 zavoda № 200 Chmelnickоgо v komissiju po delu S. S. Melamuda. 24.11.1938, ebd., L. 239; Spravka staršego mastera cecha № 1 zavoda № 200 L. K. Oskolkovа v komissiju po delu S. S. Melamuda. 24.11.1938, ebd., L. 240; Charakteristika mastera cecha № 1 G. I. Cechanovskоgо o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 243; Charakteristika nač. PVO Prutjanova o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 244; Charakteristika pomoščnika nač. cecha № 1 Kuzmenko o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 245; Charakteristika planirovčicy cecha № 1 V. A. Storčavy o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 246.; Charakteristika rabočego cecha № 1 A. P. Martynova o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 247; Raz–jasnenie inženera cecha № 1 Žurenko o vrednosti butofornoj postroiki karablej, nabljudaemoj v ceche № 1 v tečenie 1936-1937 gg. 20.11.1938, ebd., L. 248; Charakteristika zavedujuščego CPRB сеcha № 1 Kostin o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 249-250; Charakteristika mastera cecha № 1 Fedina o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 22.11.1938, ebd., L. 251; Charakteristika nač. Učastka cecha № 1 Šul’mana o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 21.11.1938, ebd., L. 252; Ob–jasnenie № 1 staršego mastera cecha № 1 S. D. Jakuškina o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 21.11.1938, ebd., L. 253; Ob–jasnenie № 2 staršego mastera cecha № 1 S. D. Jakuškina o rabote byv. pomoščnika nač. cecha № 1 S. S. Melamuda v 6 otdel zavoda № 200 g. Nikolaeva. 21.11.1938, ebd., L. 254. Akt ėkspertnoj komissij naznačennoj direkcii zavoda № 200 soglasno postanovlenija Nikolaevskogo NKVD ot 14.12.1938 g. 08.01.1939, еbd., T. 2, L. 222-226.
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Werkshalle, die Desorganisation der Produktion, die Zerstörung der Arbeitsdisziplin und die Verschwendung von staatlichen Mitteln abzielt.«79 Als Beleg führte das Gutachten auf, dass Gladkov die Blechwalzen und Blechschneidemaschinen viel zu stark beansprucht habe und entgegen der Gebrauchsanweisung nutzen ließ und dadurch die Walzen und Schneidemaschinen ständig in Reparatur waren und es zu Kurzschlüssen und Produktionsausfällen gekommen sei. Außerdem habe er die vorhandenen Pressen unökonomisch eingesetzt. Nicht zuletzt führte das Gutachten auf, dass in Gladkovs Werkstatt vollständiges Chaos geherrscht habe, überall Materialien herumstanden, was die Verletzungs- und Brandgefahr erhöhte. Außerdem habe es unter ihm Unregelmäßigkeiten bei Entlohnung der Arbeiter gegeben und die Arbeitsdisziplin sei niedrig gewesen. Durch Gladkov kam es auch bei der Durchführung dringender Arbeiten zu Verzögerungen. Selbst an den Planungsfehlern bei der Erweiterung der Produktionsstraße zum Bau von Schiffsrümpfen schien Gladkov beteiligt gewesen zu sein. Gedeckt worden sei er bei allen seinen Verfehlungen durch Fomin.80 Das Gutachten beruhte wieder auf zahlreichen, von verschiedenen Ingenieuren, Technikern und Meistern angefertigten individuellen Untergutachten, alle vom Dezember 1938 und Januar 1939.81 Diese Untergutachten hatten den Vorteil, dass sie auch gegen andere Untersuchungshäftliche verwendet werden konnten und auch wurden. In der Anklageschrift wurden dann die durch das Gutachten zusammengesammelten Informationen noch mit dem durch zahlreiche Zeugenaussagen belegten Trotzkismusvorwurf kombiniert und zur folgenden Bilanz verdichtet: »[Gladkov] wusste von den terroristischen Absichten der [trotzkistischen] Organisation und hat diese vollständig geteilt. […] Er hat Sabotage- und Schädlingsarbeit in der Verteidigunsindustriefabrik durchgeführt.«82 79 80 81
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Ebd., L. 226. Ebda. Spravka mastera po remontu cecha № 1 zavoda № 200 g. Nikolaeva Jaroš v 6 otdel zavoda № 200 v komissiju po delu L. M. Gladkova. 31.12.1938, еbd., T. 2, L. 228; Spravka № 1 nač. cecha № 1 Slavgorodskij o rekonstrukcii cecha № 1. 07.01-1939, еbd., T. 2, L. 229; Spravka № 2 nač. cecha № 1 Slavgorodskij o rekonstrukcii cecha № 1. 07.01-1939, еbd., T. 2, L. 230; Spravka nač. OKC Borisova o rekonstrukcii cecha № 1. 07.01.1939, еbd., T. 2, L. 233; Spravka technika Filevskogo o rabote L. M. Gladkova v zavode № 200 g. Nikolaeva. 31.12.1938, еbd., T. 2, L. 234; Spravka Ščerbakova i Kotenko po delu L. M. Gladkova. 31.12.1938, еbd., T. 2, L. 235; Spravka Drobot po delu L. M. Gladkova. 31.12.1938, еbd., T. 2, L. 237. Spravka mastera po remontu cecha № 1 zavoda № 200 g. Nikolaeva Jaroš v 6 otdel zavoda № 200 v komissiju po delu L. M. Gladkova 06.01.1939, еbd., T. 2, L. 245. Obvinitel’noe zaklučenie po delu po obvineniju L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamud, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondar’, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova, V. I. Nosova. 16.01.1939, еbd., T. 8, L. 143-168, hier L. 150-151, 164.
Allmacht und Ohnmacht
In der vom NKVD vorbereiteten Anklageschrift vom 16. Januar 1939, die die Unterschriften vom Assistenten des Leiters der 1. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« G. S. Zel’cman, dem Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« Truškin und dem Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev Karamyšev trug, hieß es dann abschließend selbstbewusst: »Die Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev hat einen in der Verteidigungsindustriefabrik № 200 in der Stadt Nikolaev existierenden antisowjetischen trotzkistischen Untergrund aufgedeckt und liquidiert.«83 Der Geheimdienst von Nikolaev hatte weder Kraft noch Zeit gespart die Verantwortlichen für den Großbrand der Werft als Teil eines weit gespannten Netzwerkes von Trotzkisten zu enttarnen. Er fand heraus, dass das Netzwerk bis in die Spitzen von Staat und Partei hinein überregional Kontakte pflegte und auch noch mit Kräften der innerparteilichen Rechten Abweichung und selbst mit zionistisch-nationalistischen Kreisen verbunden war. Der Großbrand in der Werft stellte sich ihm als einer von mehreren Höhepunkten einer in Vergangenheit und Gegenwart bewusst gesteuerten und aktiven Sabotagetätigkeit dieses Untergrundes dar. Die führenden Köpfe des trotzkistischen Untergrunds waren so gut organisiert, dass sie selbst aus dem Gefängnis heraus ihre Absichten durch die Hilfe zahlreicher Handlanger verwirklichen konnten. Der NKVD hatte mit dieser Situation schwer zu kämpfen, was die Nichtverhinderung des Großbrandes klar zeigte. Allerdings war der Geheimdienst dennoch mit seinen permanenten Bemühungen insofern erfolgreich, weil er das Schlimmste verhindern konnte und er letztendlich mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, darunter auch Massenverhaftungen, soeben im Begriff gewesen war, das schädliche Netzwerk ein für alle Mal zu zerschlagen. Der NKVD stützte sich bei seiner Enttarnung auf Agenturmaterialien, wie Agentendossiers, und Berichte von informellen Mitarbeitern, auf Zeugenaussagen, Gegenüberstellungen und Geständnisse, zum Teil sogar handschriftlich von den Untersuchungshäftlingen selbst verfasst, dann Zeugenaussagen aus schon gelaufenen Prozessen, Gutachten von eigenen Mitarbeitern und technischen Experten zur Situation in den Fabriken und schließlich auf Unterlagen zum Parteiausschluss von Personen, die wegen Partei- und gesellschaftsschädlichem Verhalten, sprich Korruption, und politischer und moralischer Unzuverlässigkeit aufgefallen waren. 83
Obvinitel’noe zaklučenie po delu po obvineniju L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamud, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondar’, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova, V. I. Nosova. 16.01.1939, еbd., T. 8, L. 143-168, hier L. 143.
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Einmischung von ganz oben Der Geheimdienst von Nikolaev hatte nicht im luftleeren Raum gehandelt, sondern konnte sich bei seiner energischen Bekämpfung der trotzkistischen Sabotageorganisation auf Befehle und Anweisungen aus dem Moskauer Zentrum berufen. Hinzu kamen Kontrollbesuche hoher Staatsangestellter aus Moskau und aus dem Republikzentrum der Ukraine, aus Kiew, die sich genau über den Zustand der Werften erkundigten und Anweisungen erteilten. So war am 17. Juni, gut einen Monat bevor der NKVD den Kopf der trotzkistischen Sabotageorganisation Fomin verhaftet hatte, ein Telegramm des stellvertretenden Volkskommissars des Inneren der UdSSR M. P. Frinovskij beim UNKVD Chef von Nikolaev, Karamyšev eingetroffen. In seinem Telegramm beklagte sich dieser, dass »trotz der Liquidierung der besonders feindlichen Nester, wie rechtstrotzkistischer Spionage und Sabotage und anderer konterrevolutionärer Formierungen, in einer Reihe hochwichtiger Fabriken für die Landesverteidigung, die eine entscheidende Rolle bei der technischen Bewaffnung der Roten Arbeiter und Bauern Armee (RKKA) spielen, in den vergangenen fünf Monaten des Jahres 1938 systematisch die staatlichen Vorgaben nicht erfüllt werden.«84 Neben anderen Fabriken zur Herstellung von Flugzeugmotoren, Artillerie und Schießpulver in der gesamten Sowjetunion, wurde in dem Schreiben explizit auch die Schwester der Werft № 200, die Werft »Marti« mit der № 198 in Nikolaev, als extremes Negativbeispiel genannt. Nur zu 58 % seien die Planvorgaben für die Übergabe von Schiffen an die Militärflotte und ähnliches realisiert worden.85 Eine solche, so Frinovskijs völlig unzweideutige Einschätzung, »verbrecherisch-unordentliche Arbeit der Fabriken für die Landesverteidigung […] ist in Zukunft nicht mehr tragbar.« Frinovskijs allgemeine Erklärung für die Zustände war der hohe Prozentsatz der »Verschmutzung86 der Fabriken mit zweifelhaften, bis klar antisowjetischen Elementen, die den Nährboden für alle möglichen feindlichen Formierungen bilden.« Auf Seiten des Tschekisten-Apparats prangerte er an: 1. das Fehlen eines »seriösen und planmäßigen Kampfes mit den Folgen der Sabotage«, die von den bereits ausgeschalteten trotzkistischen Gruppen durchgeführt wurde, 84
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Telegrama zastupnika narkoma NKVS SSSR M. Frinovs’kogo načal’niku UNKVS Mikolaїvs’koї oblasti P. Karamiševu pro likvidaciju »špiguns’ko–diversijnich ta kontrrevoljucijnich formuvan’« na oboronnich zavodach. 17.06.1938, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’. Kniga četverta, Kiїv/Mikolaїv 2008, S. 261-263, hier S. 261. Ebda. Zasorennost’.
Allmacht und Ohnmacht 2. den unbefriedigten Verlauf des Kampfes mit den Resten der nicht liquidierten »feindlichen Formierungen«, vor allem mit den »Kleinen Fischen87 der Subversion«, 3. das Fehlen von »Maßnahmen zur vollständigen Säuberung« der Fabriken von feindlichen Elementen und schließlich 4. das Fehlen von »operativen Präventivmaßnahmen, die darauf gerichtet sind, den Fabriken praktische Hilfe bei der Erfüllung der Produktionspläne zu geben.«88
Dann befahl der stellvertretende Volkskommissar, angelehnt an seine harsche Kritik, in fünf Punkten diese Defizite bis Ende Juli 1938, also in knapp 6 Wochen, zu beheben und ihm alle 15 Tage von dem bisher Erreichten zu berichten. Das Telegramm hatte unmittelbare Folgen. Auf dem Original der Variante, die speziell nach Nikolaev geschickt wurde, sind zwei handschriftliche Notizen Karamyševs zu finden: »An Pojasov! [1.] Sanktion für die Verhaftung der aufgezeigten Mitglieder der Organisationen einholen[.] [2.] Über die anderen Maßnahmen in der Fabrik mit mir Rücksprache nehmen[.] 21.VI.[1938][.]«89 Das Gebiets-NKVD von Nikolaev, konkret sein Leiter Karamyšev und der Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« Trušin und dessen Mitarbeiter Garbuzov, beriefen sich während der Untersuchungshaft und des Prozesses explizit auf das Frinovskij-Telegramm, Truškin sogar direkt auf Punkt drei der von Frinovskij befohlenen Maßnahmen und zwar begründeten und legitimierten sie damit die im Juli 1938 erfolgten Verhaftungen in den Werften ihres Gebietes.90 Hier hatte es geheißen: »Schauen sie sich unverzüglich in allen Untersuchungsakten und Agenturmaterialien erneut alle entlarvten, aber noch nicht verfolgten Feinde an, um ihre Verhaftung in den nächsten Tagen durchzuführen.«91 Genau dies war dann mit der noch vor dem Großbrand erfolgten Verhaftung Fomins direkt in die Tat umgesetzt worden. Truškin berichtete: 87 88 89
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Nizovka. Ebd., S. 262. Telegramma zamestitelja narodnogo komissara vnutrennich del SSSR M. P. Frinovskogo načal’niku UNKVD Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševu. 17.06.1938, OGA SBU, Kiev, F. 9, D. 672, L. 187-192. Dank an Andrej Savin. Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 405-458; Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, еbd., T. 3, L. 274287; Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 21.01.1940, еbd., T. 3, L. 133-141. Telegrama zastupnika narkoma NKVS SSSR M. Frinovs’kogo, S. 263.
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»Auf der Basis dieses Telegramms von Frinsovskij wurde auf Bitten KARAMYŠEVS ein Gutachten über Fomin erstellt.«92 Dann stimmte Karamyšev die Verhaftung Fomins noch mit dem Ersten Sekretär des Nikolaever Gebietskomitees der KP der Ukraine P. I. Starygin und dem ersten stellvertretenden Volkskommissar für Rüstungsindustrie der UdSSR, dem späteren Volkskommissar für Schiffsbauindustrie der UdSSR I. F. Tevosjan ab, der sich, wahrscheinlich im Zuge des Frinovskij-Telegramms, zu einem Kontrollbesuch in Nikolaev aufhielt. Garbuzov, ein Mitarbeiter von Truškin, berichtete darüber, dass gerade die Visite Tevosjans zu zahlreichen Verhaftungen von Ingenieuren geführt habe. Garbuzov und Truškin führten übereinstimmend direkte Eingriffe Tevosjans in das Geschehen auf. Seine Unterschrift sei auf einigen Gutachten über Mitarbeiter der Werften zu finden. Verhaftet wurden auch sie noch vor dem Großbrand.93 Einen Monat nachdem das Frinovskij-Telegramm in Nikolaev eingetroffen war, befand sich dann der Volkskommissar für Inneres der Ukraine A. I. Uspenskij in Nikolaev. Er nahm an einer zentralen operativen Versammlung des gesamten NKVD-Stabs der Gebiets- Stadt- und Rajonebenen teil. Die Versammlung hatte eine schon drei Tage vor seiner Ankunft vorausgeschickte Brigade unter der Führung des Leiters der 3. Abteilung des NKVD der ukrainischen Republikstruktur A. M. Ratynskij gemeinsam mit dem Gebiets-NKVD vorbereitet. In seinem Rapport über die Versammlung gab Uspenskij u.a. an, dass in den Häfen und in den Werften von Nikolaev subversive Tätigkeit der japanischen, englischen und deutschen Spionage festgestellt worden sei; in der Werft № 200 sogar mit Kontakten zum umgehend verhafteten Direktor Ščerbina. Dieser wiederum gehörte einer rechtstrotzkistischen Organisation an, bei der Uspenskij auch schon den Namen des späteren Kronzeugen im Falle des Großbrandes Starodubcev erwähnte. Besonders beunruhigte Uspenskij aber, dass die Werften nicht vor Angriffen feindlicher U-Boote geschützt sind.94 Es wird davon ausgegangen, dass Frinovskij nicht ohne Uspenskijs Zutun die Werft von Nikolaev mit in sein Beschwerdetelegramm eingefügt hat und Uspenskij demensprechend Druck auf Karamyšev ausübte, die Probleme so schnell wie möglich zu lösen.95 Das Interesse höherer Organe an der Situation in den Werften von 92 93 94
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Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 3, L. 274-287. Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, еbd., T. 3, L. 274-287; Dopolnitel’noe pokazanie M. V. Garbuzova. 12.09.1939, еbd., T. 3, L. 147-149. Raport Narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy A. I. Uspenskogo ob operativnoj zasedanii ot 16 ijulja 1938 g. so vsem sostavom apparata UNKVD i gorrajotdelenij Nikolaevskoj oblasti. 16.07.1938, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 300, L. 42-49. »Am 16. Juli 1938 wurde in der Stadt Nikolaev eine operative Versammlung des Gebiets [NKVD] einberufen, an der auch USPENSKIJ teilnahm.« Vgl.: Raport byvšego načal’nika Chersons-
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Nikolaev erhöhte sich nochmal beträchtlich im Zuge des sich zwei Wochen später ereignenden Großbrandes, zumal die von Frinovskij geforderten Maßnahmen offensichtlich zu spät gegriffen und auch der Besuch Uspenskijs und Tevosjans beim NKVD von Nikolaev nicht gefruchtet hatten. Dies zeigt sich daran, dass die zentrale NKVD-Struktur der Ukraine direkt mit in die Aufdeckung der Rolle der trotzkistischen Sabotagegruppe bei dem Brand eingriff. Sie schickte sofort eine eigene Brigade der 7. Abteilung der ersten Verwaltung des NKVD der Ukraine, die für die Rüstungsindustrie zuständig war, per Flugzeug nach Nikolaev. Die Brigade wurde vom Leiter der 7. Abteilung96 А. М. Zlobinskij angeführt. Mit von der Partie waren ausnahmslos Tschekisten, die den industriellen Aufbau der Sowjetunion begleiteten und in Zukunft auch hier ihre Karriere machen sollten.97 Es handelte sich um A. G. Nazarenko, Leiter der 1. Spezialabteilung des NKVD der Ukraine für Statistik und Registration, dann ab September 1938 Leiter der 7. Abteilung für Verteidigungsindustrie, ferner um Z. A. Novak, ab April 1938 Fahndungsbevollmächtigter der 10. Unterabteilung der 3. Abteilung für Konterspionage des NKVD der Ukraine, dann ab Oktober 1938 in der Untersuchungsgruppe der Spezialabteilung des NKVD des Kiewer Militärbezirks tätig, bis er im Januar 1939 zum Leiter der 7. Abteilung für die Überwachung der Rüstungsindustrie der ersten Verwaltungseinheit des NKVD der Ukraine ernannt wurde. Weitere Mitglieder der Brigade waren P. K. Pugač und A. E. Rudnoj.98 Pugač war aktuell Fahndungsbevollmächtigter der 3. Abteilung, dann ab September 1938 Assistent des Leiters der 9. Unterabteilung der 3. Abteilung und stieg im November 1938 zum kommissarischen Leiter einer Unterabteilung der 8. Abteilung für Industrie auf. Auch Rudnoj war, genau wie sein Kollege Pugač, Fahndungsbevollmächtigter der 3. Abteilung. Selbst Moskau mischte sich direkt in die Untersuchungen des Großbrandes ein. Hier wurde vor allem
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kogo GO NKVD P. I. Katkova na imja osoboupolnomočennogo NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko. 1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 8, L. 108. Dank an V. Zolotarev. In den Befehlen des NKVD der UdSSR zu den einzelnen Mitarbeitern des NKVD von 1938 erscheint die 7. Abteilung (Verteidigungsindustrie) Anfang August 1938 als Unterabteilung der 1. Abteilung der Verwaltung des NKVD der ukrainischen SSR. Ausgehend von der Aussage des Leiters der 6. Unterabteilung der 1. Abteilung der Verwaltung des NKVD der ukrainischen SSR Vasilij Romanov Grabar’ wurde seine Abteilung (d.h. die 7. Abteilung) Ende Juni 1938 gebildet. Dank an V. Zolotarev. Protokol doprosa obvinjаmogo P. V. Karamyševa. 03.10.1939, еbd., T. 1, L. 131-134; Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, еbd., T. 3, L. 274-287; Siehe auch die Antwоrt P. S. Vološins auf die Fragen des Militärtribunals. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob. Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 05.10.1939, еbd., T. 3, L. 274-287; Zajavlenie byvšego operupolnomočennogo UNKVD po Nikolaevskoj oblasti T. T. Čerkesa ob iskrevlenii socialističeskoj zakonosti osoboupolnomočennomu NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko [nicht datiert, aber nicht später als Mai 1939], еbd., T. 12, L. 109-121, hier L. 116.
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aufs Tempo gedrückt. Über die Linie der Staatsanwaltschaft kam, laut Truškin, per Telegramm die Anweisung, die Untersuchungen zum Brand zu beschleunigen.99 Der NKVD von Nikolaev stand also schon vor dem Großbrand unter erheblichem Druck, eigene Versäumnisse bei seiner Aufgabe, die Schiffsbauindustrie mit Hilfe der Ausschaltung von trotzkistischen Sabotageorganisationen und zahlreicher Begleiterscheinungen auf Schwung zu bringen, wett zu machen. Die Aufforderung zur Aktion wurde sofort befolgt, ohne jedoch den Großbrand in der Werft № 200 verhindern zu können, was wiederum zur nochmaligen Ausweitung der Verhaftungen führte.
Freilassung der Mitglieder der Sabotageorganisation Dann aber passierte etwas bis dahin sehr Ungewöhnliches, ja geradezu Sensationelles. Anfang April 1939 wurden die Mitglieder der brandgefährlichen trotzkistischen Sabotageorganisation, die nach den Recherchen des Geheimdienstes von Nikolaev und des Geheimdienstes der gesamten Ukraine unter dringendem Tatverdacht standen, den Großbrand verursacht zu haben, einfach in die Freiheit entlassen. Die Grundlage bildete ein Urteil des Militärtribunals des Kiewer Sondermilitärbezirks vom 8. April 1939.100 Dies war umso erstaunlicher, weil das Militärtribunal noch am 25. März 1939 die vom UNKVD des Gebiets Nikolaev mühevoll angelegte Untersuchungsakte zum Großbrand in der Werft № 200 und die auf dieser Grundlage herausgefilterte Anklageschrift vom 16. Januar 1939 für ausreichend erklärt hatte, ein Verfahren einzuleiten. Der Anklageerhebung lagen die politischen Paragraphen 54-7, 54-8, 54-9, 54-11 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) zugrunde, die dem bekannten politischen Paragraphen des Strafgesetzbuches der Russischen sozialistischen föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) § 58 mit seinen Unterpunkten entsprechen.101 Bei § 54-7 geht es u.a. um Schädigung der staatlichen Industrie, bei § 54-8 u.a. um terroristi99 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. 100 Prigovor voennogo tribunalа № 434 Kievskogo osobogo voennogo okruga protiv L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamuda, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondarja, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova i V. I. Nosova. 04.–08.04.1939, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 274-276; Oborotnaja spravka pomoščnika voennogo prokurora OdVO Kal’ko po delu L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamud, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondar’, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova, V. I. Nosova. 02.08.1956, ebd., L. 272-273. 101 Protokol podgotovitel’nogo zasedanija 434 voennogo tribunalа Kievskogo osobogo voennogo okruga po delu L. P. Fomina, L. M. Gladkova, S. S. Melamuda, G. P. Afanas’eva, D. A. Bondarja, N. I. Bazileviča, T. I. Čikalova i V. I. Nosova. 25.03.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 27.
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sche Akte gegen Vertreter der Sowjetmacht, bei § 54-9 u.a. um die Schädigung des Transportwesens und § 54-11 hebt darauf ab, dass die Tätigkeit organisiert ist. Der daraufhin Anfang April eingeleitete Prozess dauerte ganze vier Tage. Geladen waren neben den 8 Angeklagten insgesamt 54 Zeugen, plus einer vom Gericht zusammengestellten Expertenkommission, die aus den fünf Technologen und Ingenieuren E. G. Mogilevskij, A. P. Norov, A. P. Dubravin, A. P. Naumovec, M. G. Nikiforov bestand, wobei es sich bei Mogilevskij, Dubravin, Naumovec und Nikiforov um vier bereits wohlbekannte Mitglieder von Expertenkommissionen handelte, die kurz nach dem Großbrand gegutachtet hatten. Beim Prozess fällt sofort ins Auge, dass die Gefangenen nur ganz am Rande und nur ganz knapp darüber berichteten, dass sie ihre sich selbst und andere belastende Aussagen unter physischem und moralischem Druck der Untersuchungsführer gemacht haben. Mit Beispielen hielt man sich nicht auf.102 Vielmehr ging es dem Gericht in erster Linie und sehr ausführlich darum, zweifelsfrei den in der Anklageschrift formulierten Vorwurf zu klären, ob eine trotzkistische Sabotageorganisation tatsächlich existiert hat und ob der Brand vorsätzlich gelegt wurde oder nicht. Die massenhaft herbeizitierten Zeugen, bei denen es sich ausschließlich um Arbeitskollegen der Angeklagten aus der Werft № 200 handelte, und auch die Kommission zeichneten nun plötzlich ein Bild, dass entscheidend von den Enthüllungen des Geheimdienstes von Nikolaev abwich. Die Zeugen warfen den Angeklagten durchaus organisatorische und technische Fehlplanungen, Schlamperei und Mittelverschwendung vor, betonten aber gleichzeitig, dass sie unter den herrschenden, zum Teil sehr schwierigen Bedingungen in der Fabrik durchweg versucht hätten, die anfallenden Probleme bei der Produktion zu lösen. Eine direkte persönliche Verantwortung etwa für das Verschwinden von Bauteilen und für die Anwendung dezentraler Planung anstatt, wie vorgeschrieben, nach einem zentral ausgearbeiteten Plan zu arbeiten, konnte vom Gericht nur in Ansätzen festgestellt werden, zumal es offensichtlich chronisch zu Engpässen bei der Materialbeschaffung, bei der Reparatur von Maschinen und auch bei ausgebildeten Arbeitskräften kam. Es konnten keine strafrechtlich relevanten Verfehlungen gefunden werden. Außerdem überwogen letztendlich die positiven Bewertungen der Angeklagten. Beispielsweise zeichnete der abgemahnte Direktor der Fabrik № 200 I. G. Miljaškin praktisch ein Idealbild eines sowjetischen Menschen, als er über den vom Geheimdienst als unverbesserlichen Trotzkisten, gefährlichen Saboteur, Rädelsführer und Hauptverantwortlichen für den Großbrand in der Werft charakterisierten Fomin sprach: »Während meiner Zusammenarbeit mit ihm war er der beste Leiter des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung, dem ich immer den Vorzug gab. Er 102 Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala… 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 41-57 ob.
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verfügte nicht nur bei den Ingenieuren und dem technischen Personal über eine unermessliche Autorität, sondern auch bei den Arbeitern der Produktionsstraße. Fomin wurde mehrmals prämiert. Ich selbst habe ihm einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt, in einer Zeit, als andere Leiter von Produktionsstraßen das nicht hatten. Fomin hat aktiv am gesellschaftlichen Leben teilgenommen. Die Stachanov-Bewegung war in der Produktionshalle nicht schlecht entwickelt. Fomin bemühte sich darum, Stachanov-Arbeiter zu fördern, er war oft bei ihnen zu Hause und hat ihnen gute ökonomische Bedingungen103 geboten. Meine Anweisungen hat Fomin ehrlich und akkurat ausgeführt.«104 Wichtig war aber auch, dass sich der Vorwurf, die zahlreichen verfehlten Stapelläufe der Schiffe gehen auf Diversionstätigkeit zurück, nicht bestätigte. Nur eine unglückliche Verkettung von Ursachen wie Fehlplanung, Materialfehler, Zeitdruck, aber auch Ignoranz, mangelnde technische Kenntnis und Kompetenzüberschreitungen wurde diagnostiziert. Nicht zuletzt kam die vom Gericht zusammengestellte und befragte Expertenkommission zu dem Schluss, »dass der Brand nicht unbedingt als Folge eines Sabotageaktes zustande gekommen sein musste, sondern sich vollständig zufällig ereignet haben kann.«105 Höchstwahrscheinlich war der Brand, wie sich während des Gerichtsprozesses immer mehr verdichtete, durch Funkenflug bei Schweißarbeiten entstanden und nur deshalb nicht rechtzeitig bemerkt worden, weil die Werksfeuerwehr nicht vor Ort gewesen war und starker Wind das Feuer angefacht hatte, sowie Präventivmaßnahmen, wie die Besprengung der Holzbauteile mit Wasser, ignoriert worden waren. Dies führte 1939 wiederum zur Aufnahme eines Verfahrens wegen Dienstvergehen gegen den Assistenten des Leiters der Feuerwehr Zajcev und den wachhabenden Feuerwehrmann Lepkin und den Bauleiter des Objekts № 1066 – also des ausgebrannten Schiffes – Andreev.106 Erstaunlich ist, dass selbst die Kommissionsmitglieder E. G. Mogilevskij, M. G. Nikiforov, A. P. Dubravin und A. P. Naumovec zu dieser Einschätzung der Brandursache kamen, hatten sie doch in der Vergangenheit mehrmals für den Geheimdienst in derselben Sache gegutachtet und ab August 1938 ein halbes Jahr, bis Mitte Januar 1939 stur an ihrer Position festgehalten, klare Beweise für einen bewussten Sabotageakt gefunden zu haben. Der ehemalige Vorsitzende der anderen vom 103 Bytovye uslovija. 104 Ebd., L. 48. 105 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 451; Protokol ėkspertnoj komissii E. G. Mogilevskogo, A. P. Norova, A. P. Dubravina, A. P. Naumoveca, M. G. Nikiforova, 08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192-s, T. 9, L. 58-59. 106 Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala … 04.–08.04.1939, еbd., T. 9, L. 41-57 ob, hier L. 57.
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UNKVD des Gebiets Nikolav zur objektiven Unterstützung ihrer Verschwörungstheorien ebenfalls herbeigerufenen Kommission Gordienko erklärte in einer Befragung von 1956 den plötzlichen Sinneswandel der Mitglieder der Expertenkommissionen im Frühjahr 1939 damit, dass ihn vorher der NKVD unter Druck dazu gebracht habe, vom UNKVD selbst vorbereitete Gutachten zu unterschreiben.107 Allerdings unterscheiden sich die negativen und positiven Gutachten in Stil, Aufbau und sogar weitgehend im Inhalt gar nicht, sondern nur die Schlüsse sind komplementär andere. Die frühen Gutachten zeugen vielmehr davon, dass die Expertenkommissionen genau wie der Geheimdienst sehr schnell mit dem Sabotagevorwurf bei der Hand gewesen waren. Allerdings war die aufgeheizte Stimmung 1937-1938 nicht Thema der Gerichtssitzung bzw. wurde außen vorgelassen. Die durch das Militärkollegium freigelassenen Untersuchungshäftlinge bekamen sogar zum größten Teil ihre ursprünglichen Arbeitsplätze zurück. Der Anführer der Sabotageorganisation Fomin, entlassen am 8. April 1939, wurde wieder zum Leiter des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen ernannt. Afanas’ev, der Fomins Befehle in die Tat umgesetzt haben sollte, arbeitete zwar jetzt nicht mehr als Leiter eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung, aber als Bautechniker. Allerdings verstarb er aufgrund der ihm in der Haft zugefügten Verletzungen schon Anfang der vierziger Jahre.108 Auch Bondar’ bekam nicht mehr die Leitung eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zugewiesen, sondern musste sich mit der Funktion eines Technikers begnügen. Beide waren am selben Tag mit Fomin entlassen worden. Zwei Tage später, am 10. April 1939 erfolgte die Freilassung Gavrilovs. Er übernahm einen Posten in der Behörde für Bodenverwaltung109 des Gebiets Nikolaev. Am 9. April 1939 kam Gladkov aus dem Gefängnis frei und arbeitete dann sogar nicht mehr nur als Assistent des Leiters der Werkstatt für Holzbau des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffsrümpfen, sondern als ihr stellvertretender Leiter. Auch Čikalov wurde 107 Protokol doprosa svidetel’ja M. N. Gordienko. 29.11.1956, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 323-224 ob. Gordienko ist nicht als Zeuge bei der Gerichtsverhandlung aufgetreten.Laut Protokoll der Sitzung des Tribunals befand er sich auf Dienstreise. Ausgesagt hat aber definitiv der Vorsitzende der Expertenkommission Nikiforov. Vgl.: Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala … 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192-s, T. 9, L. 56 ob. 108 Vitjag z protokolu dopitu svidka O. Je. Gavrilova. 24.05.1956, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 269-270. Auf dem 2. Prozess gegen Karamyšev, Truškin, Voronin und Garbuzov trat Afanas’ev aber noch als Zeuge auf. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 405-424. 109 Zemel’noe upravlenie.
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erneut an seinen alten Arbeitsplatz als Meister eingesetzt.110 Der mit in den Prozess verwickelte M. F. Čulkov erhielt seinen Posten als Lehrer am Schiffsbauinstitut von Nikolaev zurück. Freigesprochen wurden auch Bazilevič, Melamud und Nosov.111 Selbst der ebenfalls vom Geheimdienst als Trotzkist entlarvte und durch schwere Korruption aufgefallene ehemalige Zweite Sekretär der KP des Gebiets Nikolaev Derevjančenko wurde wieder freigelassen.112 Dasselbe galt für D. F. Kobcev, der von Mai bis Juli 1938 Zweiter Sekretär des Stadtsowjets von Nikolaev der KP(b) der Ukraine gewesen und wegen trotzkistischer Umtriebe und Korruption am 24. Juli 1938 verhaftet worden war. Aktuell arbeitete er als langgedienter Konstrukteur113 in der Fabrik »Marti« (Werft № 198).114 Beide gehörten zwar nicht wie Čulkov, Gavrilov, Gladkov unmittelbar zur trotzkistischen Sabotageorganisation des Großbrandes, waren aber vom Geheimdienst beschuldigt worden, ebenfalls ein Teil des weit gespannten Netzes trotzkistischer Gruppen im Gebiet Nikolaev gewesen zu sein. Die ehemaligen Gefangenen bekamen Kompensationszahlungen, wahrscheinlich in Höhe ihres Lohnausfalls und kostenlose Kuraufenthalte und sie wurden wieder in die Partei aufgenommen.115 Der Leiter der ersten Unterabteilung der zweiten Abteilung des UNKVD von Nikolaev Voronin musste 900 Rubel an Kobcev zurückzahlen, die er bei diesem beschlagnahmt und nicht ordnungsgemäß bei den staat110 111
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Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226 ob; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Obvinitel’noe zaključenie staršego sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR N. A. Burdana po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 11.05.1940, еbd., T. 11, L. 347-358. Ob sie ihre früheren Arbeitsplätze zurückerhielten, wird nicht deutlich. Protokol ogljadu archivno–slidčoї spravi kolišnich spivrobitnykiv UNKVS Mikolaїvs’koї oblasi. 07.02.1956, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 264-269, hier 266. Auf der Gebietsparteikonferenz von Nikolaev am 29. Mai 1938, veröffentlicht in der Presse, war Derevjančenko als ein von den »Massen abgekoppelter Bürokrat« dargestellt worden. »Hat alarmierende Signale über aktuell entdeckte Feinde gedämpft und auf die lange Bank geschoben und dadurch, bewusst oder unbewusst, den grimmigen Volksfeind Volkov und ihm ähnliche Schurken gedeckt und damit die Parteiorganisation daran gehindert, das wahres Gesicht von maskierten Spionen und Schädlingen zu erkennen.« Vgl.: Polnost’ju vypolnit’ rešenija oblastnoj partijnoj konferencii partii, in: Južnaja Pravda, 30.05.1938, № 116, S. 1. Staršij konstruktor. Freigelassen wurde Kobcev am 2. April 1939. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 111-226 ob. Svodka agenta »Gerd« 2-mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 12.05.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 9, L. 132-133; Dokladnaja zapiska nač. UNKVD po Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko zam. narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu o gruppirovanii byvšich arestovannych, osvobošdennych iz pod straži v gor. Nikolaeve. 22.07.1939, еbd., T. 9, L. 147-152. Veröffentlicht als: Dopovidna zapyska načal’nyka UNKVS po Mykolaїvs’kij oblasti I. Jurčenka zastupnyku narkoma vnutrišnich sprav URSR A. Kobulovu pro nastroї kolyšnich areštantiv. 22.07.1939, Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 222-224.
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lichen Stellen abgegeben hatte. Zusätzlich bekam Kobcev von der Finanzabteilung des NKVD weitere bei Voronin gefundene 1.000 Rubel zurück.116 Für einige Mitglieder der trotzkistischen Sabotageorganisation, deren Fall nicht vor dem Militärtribunal, sondern von der Nationalen Trojka behandelt worden war – eigentlich für den NKVD ein Gremium für weniger wichtige Fälle117 – kam allerdings jede Hilfe zu spät. Barsukov, Černochatov und Mackovskij waren, wie erwähnt, von der Nationalen Trojka, im September 1938 zum Tode verurteilt und am 4. November 1938 um Mitternacht erschossen worden.118 Erst später, im Jahre 1941, korrigierte das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks auch noch die Todesurteile der Nationalen Trojka in dieser Sache, was zumindest den Weg für Kompensationszahlungen für verbliebene Angehörige frei machte.119 Die vollständige Rehabilitierung der Verurteilten erfolgte aber erst nach Stalins Tod 1957.120 Das vom UNKVD von Nikolaev zusammengestellte Material war nach Ansicht des Militärgerichts fehlerhaft. Der Beweis, dass eine trotzkistische Sabotageorganisation für den Brand verantwortlich zu machen war, fehlte. Der Brand war nach den neuesten Informationen zu beurteilen, nicht bewusst herbeigeführt worden, sondern Folge des schlechten allgemeinen Zustands der Fabrik, der unzulänglichen Arbeitsorganisation und der mangelhaften Ausbildung des Personals. Übergreifend ist an dem Prozess zur Freilassung der nicht existierenden trotzkistischen Sabotagegruppe abzulesen, dass das Überprüfungsverfahren kein oberflächlicher Automatismus zur schnellen Freilassung von möglicherweise administrativ plötzlich zu Unschuldigen erklärter Personen bildete, sondern ein relativ aufwendiges Verfahren war, dass unbedingt ausschließen sollte, dass echte Sabotage unentdeckt blieb. 116 117
Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 201. »Pojasov: Karamyšev wollte die Fälle über den Brand an das Militärtribunal geben, aber Truškin schlug vor, nur die Organisatoren des Brandes dorthin zu übergeben und die zweitrangig Beteiligten, Barsukov, Černochatov, Mackovskij durch die Trojka nach der 1. Kategorie zu schleusen. Allerdings wurden die erstrangig Beteiligten vom Militärtribunal freigesprochen.« Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 429. 118 Vypis’ka iz akt rastrela S. V. Mackovskogo komendanta UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Krjukovskogo. Bez daty, GA NikO Ukrainy, F. R–5859, Op. 2, D. 5747, L. 354; Vypis’ka iz akt rastrela A. A. Barsukova komendanta UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Krjukovskogo. Bez daty, ebd., L. 356; Vypis’ka iz akt rastrela M. V. Černochatova komendanta UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Krjukovskogo. Bez daty, ebd., L. 358. 119 Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990–OF, T. 13, L. 485-486 ob. 120 Barsukov, Oleksij Oleksandrovič, 1892, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 458.
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Der Prozess, aber auch sämtliche noch vom NKVD vorbereiteten Untersuchungsmaterialien geben darüber hinaus einen tiefen Einblick in den Arbeitsalltag eines großen sowjetischen Industriebetriebs.121 Es kommen dabei jedoch nicht nur die bereits ausführlich beschriebenen organisatorischen und personellen Schwierigkeiten zum Tragen, sondern es wird auch deutlich, dass die angeklagten und nun freigelassenen Facharbeiter vor ihrer Verhaftung über große Privilegien, Verdienstmöglichkeiten und fast unbegrenzte Geldmittel verfügt haben. Fomins Dienstwagen wurde bereits erwähnt. Sie konnten aber auch große und visionäre Pläne umzusetzen. So hatte der leitende Ingenieur Babenko gigantische Erweiterungspläne der Werft auf den Weg bringen können, die umfangreiche Neu- und Umbauten, Vergrößerungen und selbst Maschinenkäufe im Ausland bedeuteten und, wenn auch in abgespeckter Form, 1939 weitergingen.122 Dies bot zwangsläufig viel Raum für Neid, Konkurrenz und Besserwisserei, zumal Fehler vorprogrammiert waren. Dementsprechend diente der Prozess mit dazu, alle Ingenieure – Angeklagte und Zeugen – energisch darauf hinzuweisen, dass kollektiv Wege gefunden werden müssen, die Herausforderungen der massiv beschleunigten Industrialisierung zu meistern.
Verschwörung gegen den Geheimdienst Die Ingenieure und Techniker, gegen die gerichtlich der Vorwurf fallengelassen wurde, einer trotzkistischen Sabotageorganisation anzugehören begnügten sich jedoch nicht mit ihrer Freilassung und den Wohltaten des sowjetischen Staates und der Partei. Direkt zwei Wochen nach ihrer Entlassung berichtete der Agent »Gerd« seinen Führungsoffizieren aus der »Geheimen politischen Abteilung« des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev: »Von mir gesammelte Fakten zeugen mit zweifelsfreier Klarheit davon, dass sich konterrevolutionäre Gespräche und Gerüchte unter nun freigelassenen Gefange121
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Vgl. dazu neben den zahlreichen anderen Expertengutachten insbesondere: Akt ėkspertnoj komissii v sostave M. G. Nikiforovа, A. P. Dubravinа i A. P. Naumovecа dlja vskrytija i dokumentacii diversionnoj dejatel’nosti S. S. Melamuda. 22.11.1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 3, L. 231-235. Akt ėkspertnoj komissij naznačennoj direkcii zavoda № 200 soglasno postanovlenija Nikolaevskogo NKVD ot 14.12.1938 g. 08.01.1939, еbd., T. 2, L. 222-226, hier L. 223; Spravka № 2 nač. cecha № 1 Slavgorodskij o rekonstrukcii cecha № 1. 07.01-1939, еbd., T. 2, L. 230; Spravka nač. OKC Borisova o rekonstrukcii cecha № 1. 07.01.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 2, L. 233.
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nen, entwickeln. […] Zu verzeichnen sind verstärkt ›antisowjetische Gespräche‹ und ›verschiedene Hirngespinste‹.«123 Um die Brisanz der Situation zu beschreiben, kam der Agent »Gerd« auf freigelassene Gefangene zu sprechen, die sich ganz besonders aktiv gebärden, nämlich die vom Nikolaever Geheimdienst als trotzkistische Sabotageorganisation des Großbrandes in der Werft № 200 eingestuften Personen. Nach den Worten eines Gesprächspartners von »Gerd«, des Lehrers der Schule № 20, T. Bondarenko, treffe sich eine Gruppe von ehemaligen Häftlingen, nämlich Čulkov, Gavrilov, Gladkov, Kobcev und andere, – also alles Mitglieder der vom Geheimdienst verdächtigten trotzkistischen Sabotageorganisation des Großbrandes in der Werft № 200 und ihre Sympathisanten – nach ihrer Freilassung »systematisch« um »sich auszutauschen« und eine »einheitliche Linie« abzusprechen. Speziell über den freigesprochenen Ingenieur und Lehrer am Schiffsbauinstitut von Nikolaev Čulkov wusste »Gerd« zu berichten, dass dieser die politische Lage im Land als ausgesprochen negativ beurteile: Čulkov habe verlauten lassen, dass sich die konterrevolutionären Kräfte bewaffnen und bis in den »innersten Kreis der Partei« vorgedrungen seien, wie die Erschießung A. I. Rykovs124 und anderer hoher Parteifunktionäre zeige. Ferner habe Čulkov die sowjetischen Gefängnisse auf eine Stufe mit den zaristischen gestellt, ja sogar behauptet, die sowjetischen seien schlimmer als die in den finstersten Zeiten der despotischen Herrschaft des Zaren. Zur Illustration habe er angeführt, dass die Gefangenen in den noch aus zaristischer Zeit stammenden Gefängnissen früher immer genug Licht gehabt hätten, »die Fenster nun aber mit speziellen Vorrichtungen vernagelt« worden seien, die alles Licht nähmen. Außerdem bedaure es Čulkov zutiefst, »dass in den zentralen Organisationen [des sowjetischen Staates und der Partei] irgendjemand darauf aufmerksam geworden ist, dass im Land eine offene Konterrevolution im Gange war. Wenn das nicht so gewesen wäre, dann hätte es, so Čulkov, zweifellos [bald] einen politischen Umschwung gegeben und alle Gefangenen wären als Vorkämpfer in die Geschichte einer russischen [Konter-]Revolution, eingegangen.« Gesammelt hatte der Agent »Gerd« die letzteren Informationen bei einem von ihm speziell arrangierten Gespräch mit der Ehefrau von Fesenko-Makeev, die zusammen mit dem ehemaligen Häftling Čulkov in einer Wohnung lebte und mit der Familie eng befreundet war. Über den nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft nun zum stellvertretenden Leiter der Werkstatt für Holzbau des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffsrümpfen aufgestiegenen Gladkov 123
Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 23.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 9, L. 135-136. 124 Rykov wurde zusammen mit N. I. Bucharin u.a. als Leiter der sog. »Rechten Abweichung« im Dritten Schauprozess vom März 1938 zum Tode verurteilt.
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wiederum hatte der Agent »Gerd« die Auskunft, dieser verbreite [das Gerücht], im Gefängnis von Nikolaev habe man »täglich stoßweise Erschießungen durchgeführt.« Die Grundlage für dieses Dossier des Agenten »Gerd« bildeten Aussagen einer Studentin mit dem Namen Slepovata, einer Freundin der Ehefrau des ehemaligen Häftlings Gladkov. Anschließend gab der Agent »Gerd« noch Hinweise zu den wahren Ansichten des ehemaligen Häftlings und von der Werft № 200 nun in die Bodenverwaltung gewechselten Ingenieurs Gavrilov. Sie beruhten auf einem Meinungsaustausch des Agenten mit dem Bruder Gavrilovs. Gavrilov soll gegenüber seinem Bruder verlauten lassen haben, im [Moskauer] Zentrum herrsche »vollständige Verwirrung«. Man wisse dort nicht, was man mit den neun-Millionen Gefangenen machen solle. Einerseits sei es nicht zweckmäßig sie in den Gefängnissen und Konzentrationslagern zu belassen, zumal »vor Ort Kinder aufwachsen und eine Vielzahl von Verwandten [auf sie warten] und um sie herum sind viele, die mit ihnen fühlen.« Andererseits könne man nicht alle Gefangenen auf einmal frei lassen, weil es so vor Ort zu einer Konzentration von Personen komme, die gegenüber der Führung unauslöschbar feindlich gesinnt seien. Schließlich habe wiederum Gladkov, laut seines Bruders und überbracht durch den Agenten »Gerd«, behauptet, dass ihre [trotzkistische] Gruppe während sie in Haft war, über alles Bescheid wusste und dass es ihnen mit Hilfe von Klopfsignalen gelungen sei, [denjenigen, der ihre trotzkistische Sabotageorganisation an den Geheimdienst verraten habe], nämlich [den vom Geheimdienst als Kronzeugen verwendeten] D. T. Starodubcev, dazu zu bringen, seine Aussagen gegen sie zurückzunehmen.125 10 Tage später ergänzte der Agent »Gerd« in seinem Lagebericht vom 3. Mai 1939 seine Informationen über den Verräter Starodubcev und das trotzkistische und aufrührerische Umfeld, in dem sich die freigelassenen Ingenieure und Techniker bewegen. Seine Informationsbasis war diesmal ein auf der Straße geführtes Gespräch zwischen der Ehefrau des »verfolgten Trotzkisten« Starodubcev und dem Direktor der Schule № 14 P. Balduk: Die Ehefrau, A. K. Starodubceva, sei von Balduk die baldige Entlassung ihres Mannes angekündigt worden. Der Direktor führe, laut »Gerd«, diese Kehrtwende darauf zurück, weil »das [Militär-]Gericht126 zu einem Spielzeug mutiert ist, mit dem man versucht, das auszubügeln, was man angerichtet hat.« Balduk malte offenbar diese günstige Situation für die noch in den Gefängnissen sitzenden Personen in seinem Gespräch mit dem Agenten »Gerd« noch weiter aus, indem er ihm erzählte: 125 126
Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkten Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 12.05.1939, еbd., T. 9, L. 132-133. Gemeint ist das Militärtribunal des Kiewer Sondermilitärbezirks, das 1939 die Aufgabe hatte, die Fälle der in Untersuchungshaft sitzenden Personen systematisch zu überprüfen und gegebenenfalls frei zu lassen. Vgl. dazu den Abschnitt »Allmacht und Ohnmacht«, Kapitel »Verschwörung gegen den Geheimdienst« der vorliegenden Veröffentlichung.
Allmacht und Ohnmacht
»Die Hälfte der Mitarbeiter des NKVD hat man schon erschossen und dies nicht nur in Moldawien, sondern auch in anderen Städten.« »Gerd« beließ es aber letztlich nicht dabei, die Unterstützung zu beschreiben, die die Ehefrau des Verräters Staradubcev durch Persönlichkeiten mit hohen Posten erhielt, sondern berichtete auch noch darüber, was für ein katastrophales Bild der Schuldirektor Balduk von der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung zeichnete und dies auch noch verbreitete. Auf den von ihnen gemeinsam besuchten Maifeiertagen habe ihn Balduk auf die »angeblich« in diesem Jahr riesige Anzahl von Personen aufmerksam gemacht, die nicht oder widerwillig an den Demonstrationen teilgenommen habe. Dies sei nach den Worten Balduks »das Resultat der Kampagne eines Betrunkenen, nämlich [des bereits abgesetzten Volkskommissars des Inneren] Ežovs. Es handelt sich [bei denen, die bei den Maifeiertagen abseits gestanden haben] um Ehefrauen, Kinder und Verwandte von Gefangenen und Menschen, die einfach nur mit der Masse der Verhafteten mitfühlen, die in den Gefängnissen sitzen und denen, die in der Verbannung umgekommen sind.« Dieser Druck auf das Land nehme kein Ende und dies betreffe nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder: »Wie sich die Kinder in den Schulen und auf der Straße aufführen, erklärt sich auch mit der Erbitterung, die selbst die Kinder erfasst hat.« Einer vom Agenten »Gerd« und seinem unfreiwilligen Informanten Balduk auf der Straße getroffener ebenfalls entlassener Häftling mit dem Namen Svirsa, bei dem es sich um den ehemaligen Leiter der ukrainischen Gesellschaft für »Aufklärung« (Prosvita) handelte, konzentrierte sich mit rhetorischen Fragen hingegen auf die Diskreditierung der Führung in Moskau: »Wer, meinst du, ist an all dem schuld? Dass dies das Werk [von Kräften] vor Ort ist, darf man keinen Glauben schenken. […] Das hat in der ganzen Sowjetunion stattgefunden, zumal überall und nirgends die gleichen Methoden angewandt wurden. Außerdem soll man nicht annehmen, dass all das ohne Wissen des Zentrums gemacht wurde, zumal jeden Tag an die zentralen Organisationen tausende Beschwerden abgeschickt werden, auf die keiner eine Antwort erhält […]. Allerdings gibt es da auch nichts zu antworten. Gegen die eigenen Maßnahmen vorzugehen ist doch peinlich.« »Gerd« fixierte auch noch die Behauptung Svirsas von einer selektiven Entlassungspolitik des Moskauer Zentrums, unterlegt mit einer Fundamentalkritik am gesamten Strafsystem der Sowjetunion. Laut des ehemaligen Häftlings Svirsa habe der Geheimdienst [von Nikolaev] die Anweisung, die Situation zu beruhigen. Freizulassen seien in erster Linie Mitglieder der Partei, hingegen die Parteilosen hätten noch alles Mögliche auszuhalten, damit die breiten Massen nicht auf die
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Massenentlassung aufmerksam würden. Außerdem seien die Verbannten von einem Gericht verurteilt worden, das von keinem Gesetz auf der Welt vorgesehen sei und [zudem noch auf der Grundlage] von Gesetzen, die in den Augen anderer Staaten die Verfassung untergraben.127 Zur Krönung soll Svirski, nach den Informationen des Agenten »Gerd«, sogar den »[weltweiten] Erfolg der faschistischen Bewegung darauf zurückgeführt haben, dass die [internationalen] Arbeiterorganisationen bei uns [in der Sowjetunion] eine Kluft zwischen den Gesetzen des sowjetischen Staates und der Wirklichkeit feststellen mussten.« Abschließend ließ es sich der Agent »Gerd« aber nicht nehmen, den wahren Charakter seiner unfreiwilligen Informanten Svirski und Balduk bzw. die feindlichen Grundlagen ihres Standpunktes zu enttarnen. Hinsichtlich des ehemaligen Häftlings Svirski machte »Gerd« dies mit Hilfe durch dessen Bericht über seine erneute Wiederaufnahme in die Partei direkt nach seinem Gefängnisaufenthalt. Svirsa habe gegenüber »Gerd« freimütig bekannt durch seine damalige Verhaftung »aus der politischen Orientierung herausgerissen worden zu sein, die er vor seiner Verhaftung hatte.« Dies ist als Hinweis des Agenten »Gerds« zu verstehen, dass Svirsa tatsächlich vor seiner Verhaftung ein Trotzkist war und aktuell auch geblieben war. Die Kompromittierung seiner zweiten Informationsquelle, des Schuldirektors Balduk, bewerkstelligte der Agent, indem er Basismaterial über dessen zweifelhafte Vergangenheit liefert: Das dieser als Lehrer in dem Dorf Varvarovka mit dem verurteilten Trotzkisten I. Skrypnikov verbunden war, mit der Schwester von dessen Ehefrau verheiratet war und er sich mit Skypnikov eine Wohnung teilte, dass er Kontakt mit dem ebenfalls verurteilten griechischen Staatsbürger Matisto hatte, der im internationalen Club gearbeitet hat und dass Balduk Matisto zusammen mit Personen von Besatzungen ausländischer Schiffe bei sich zu Hause empfing. Nicht zuletzt werden Balduks zahlreiche Kontakte mit weiteren Ehefrauen von Verhafteten aufgelistet.128 Schon nach 9 Tagen, am 12. Mai 1939, trafen dann noch einmal frische Informationen des Agenten »Gerd« bei der »Geheimen politischen Abteilung« des Geheimdienstes von Nikolaev ein. »Gerd« war diesmal nicht nur auf der Straße tätig, sondern direkt zu Gast bei den freigelassenen Mitgliedern der trotzkistischen Sabotageorganisation des Großbrandes. Bei Čulkov traf er auf Gavrilov und Gladkov, plus Ehefrauen und eine ihm unbekannte junge Person. Der Agent »Gerd« begann mit der Beschreibung einer Idylle: Die Frauen bereiten den Esstisch vor und die 127 128
Gemeint sind wahrscheinlich die außergerichtlichen Organe (Trojki, Dvojka, Sonderversammlung) und das Militärkollegium des Obersten Gerichts. Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkten Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 03.05.1939, еbd., T. 9, L. 137-138.
Allmacht und Ohnmacht
Männer spielen »Dame«. Dann aber ging der Agent unvermittelt dazu über, zu berichten, dass die versammelte Gruppe plötzlich offen gegen ihn den Verdacht hegte, ein Provokateur zu sein, der sie alle angeschwärzt hat. Die ehemaligen Häftlinge hätten sich dabei auf seinen engen Kontakt zum Verräter Starodubcev berufen, der ihm zu ihrem großen Erstaunen nicht zum Verhängnis wurde, ganz im Gegensatz zu den Mitgliedern ihrer eigenen trotzkistischen Organisation. Selbstverständlich gelang es dem Agenten »Gerd«, zumindest seinen eigenen Angaben nach, sich durch geschickte Argumentation aus der Affäre ziehen: Dass er es selbst nicht habe glauben können, dass er einer Verhaftung entgehen würde, ja er sich aus Furcht sogar überlegt habe, nach Sibirien zu verschwinden. Den eigentlichen Zweck, den der Agent »Gerd« mit der einleitenden Enttarnungsgeschichte verfolgte ist, den Verräter bzw. Kronzeugen Starodubcev, auch im Bewusstsein der Sabotagegruppe als den Schwachpunkt bzw. Plauderer einer in der Vergangenheit tatsächlich existierenden trotzkistischen Organisation herauszustellen, durch dessen Kooperation es dem Geheimdienst schließlich möglich war, viele ihrer Mitglieder zu entlarven. Nachdem es dem Agenten »Gerd« also gelang, den Verdacht der Gruppe gegen ihn einigermaßen zu zerstreuen, habe er die »Genossen« aufgerufen, zu erzählen »wie sie sich fühlen und was so zu hören ist, und wie man das zu verstehen hat, dass man sagt, dass diejenigen die im Gefängnis saßen, besser unterrichtet waren, als die in Freiheit.« Die Antwort des ehemaligen Häftlings Gladkovs auf seine Fragen sei mit einem ironischen Lächeln auf dem Gesicht gewesen: »Wir sind nicht allein, wir bilden irgendeinen millionsten Teil, d.h. sich schlecht zu fühlen gibt es keinen Anlass.« Um zu belegen, dass die Gruppe nicht nur während ihres Gefängnisaufenthalts exzellent informiert war, sondern nun auch in Freiheit, führte »Gerd« an, dass sie über das Eintreffen des Militärtribunals in Nikolaev hervorragend Bescheid wussten und nun darüber spekulierten, ob die Entlassung des Kronzeugen Starodubcevs kurz bevorstünde.129 Besonders wichtig scheint es dem Agenten »Gerd« gewesen zu sein, in diesem Kontext, mit seinen Mitteln, das Gruppenbewusstsein der Anwesenden herauszuarbeiten bzw., dass sich die anwesenden Personen als Gruppe definieren und als Gemeinschaft vor Selbstvertrauen nur so strotzen. Ausdruck dafür ist ein von »Gerd« zitierter Trinkspruch Gladkovs: 129
Starodubcev wurde wahrscheinlich erst nach dem 16. November 1939 von der Sonderversammlung beim NKVD der UdSSR (osoboe soveščanie pri NKVD SSSR) freigesprochen und entlassen. Vgl.: Postanovlenie nač. pervogo otdelenija vtorogo otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti K. A. Voronin po delu D. T. Starodubceva, N. N. Zadorožnyj i G. T. Starodubceva.16.11.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 3688–s, T. 3, L. 385-387.
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»Lasst die Sklaven und Speichellecker auf ›alles Mögliche‹130 trinken, aber wir trinken auf unsere Freundschaft.« Im Unterschied zum freigelassenen Häftling Gavrilov setzte sich im Bericht des Agenten »Gerd« der Mitstreiter Gavrilovs, Gladkov nicht mit dem Selbstverständnis der Gruppe auseinander, sondern wie schon andere, mit der allgemeinen Stimmungslage bei den breiten Massen, nicht ohne dies, nach den überbrachten Agenteninformationen zu beurteilen, mit einer übertriebenen und unbarmherzigen Kritik an der Strafpolitik des sowjetischen Staates zu verbinden. Gladkov vertrat, laut »Gerd«, die folgende Einschätzung: Erst habe man versucht, sich mit mittelalterlichen Methoden von Unbequemen zu entledigen. Nun sei man dazu übergangengen, sie umzustimmen und einzuwickeln, indem man ihnen Geld und Kurortaufenthalte gebe. Aber daraus würde nichts. Erreicht worden sei mit all dem, so Gavrilov laut des Agenten »Gerd«, »dass uns [nach der Entlassung] in der Fabrik tausende Arbeiter-Ingenieure und Techniker einen Empfang bereitet haben, als ob wir von der Vollbringung einer großen Heldentat zurückgekehrt sind, d.h., ihr könnt euch vorstellen, wie das Volk die ganze Sache aufgefasst hat und welche Stimmung bei den breiten Massen herrscht.«131 7 Tage später, am 19. Mai, ging »Gerd« noch einmal auf das große Selbstbewusstsein der Gruppe ein, gespiegelt in den Gerüchten, die sie über das Eintreffen des Militärtribunals in Nikolaev verbreite. Gladkov glaubte zu wissen, dass das Militärkollegium ausschließlich gekommen ist, um unterschiedslos alle freizulassen. Als Beispiel diente Gladkov, so kann aus dem Agentendossier geschlossen werden, die Verhandlung seines eigenen Falls: »Als einige Zeugen ins Stocken gerieten und Hinweise auf die Schuld [der Angeklagten] gaben, wendete sich der Vorsitzende des Tribunals an diese Zeugen und sagte, sie [erwecken den Eindruck], sie versuchten ihre Anschuldigung zu übertreiben, obwohl diese Menschen unschuldig sind. [Er forderte die eigentlich aussagewilligen Zeugen auf], dass nicht zu vergessen.« Der Vorsitzende habe damit, entsprechend dem vom Agenten »Gerd« überbrachten Narrativ Gladkovs, zu verstehen gegeben, dass das Tribunal nicht an einer Anklage interessiert gewesen sei. Unter den Zeugen finde sich nun niemand mehr, der gegen den Angeklagten spreche. Alle 10, in seinem Fall berufene Zeugen hätten für ihn »glänzende« Aussagen gemacht.132 130 Za kogo. 131 Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkte Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 12.05.1939, еbd., T. 9, L. 132-133. 132 Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkte Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 19.05.1939, еbd., T. 9, L. 139.
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Am gleichen Tag traf noch ein weiteres Dossier bei der »Geheimen politischen Abteilung« des NKVD von Nikolaev ein. Diesmal aber von dem Agenten mit dem Codenamen »Dobrovol’skij«. Auch sein Beobachtungsobjekt war die Verschwörergruppe um die freigelassenen Mitglieder der trotzkistischen Sabotageorganisation des Großbrandes in der Werft № 200. Hauptthema des Dossiers ist die Ankunft eines soeben in Nikolaev eingetroffenen Sonderbevollmächtigten des Geheimdienstes der Ukraine. Losgeschickt wurde dieser vom Ersten Parteisekretärs der Ukraine N. S. Chruschtschow. Er hatte den Auftrag, Aussagen von ehemaligen Gefangenen über die Zustände während ihrer Haft aufzunehmen. Der Agent »Dobrovol’skij« meldete, dass die ehemaligen Häftlinge Gavrilov, Derevjančenko, Fomin und andere Personen Gerüchte verbreiten und zwar im Zusammenhang mit ihren Beschwerdeschreiben über die unsäglichen Haftbedingen, die sie an Chruschtschow und den Obersten Staatsanwalt der UdSSR A. Ja. Vyšinskij geschickt haben. Fomin lasse sich nun auch mündlich darüber aus, dass man von ihm und anderen Geständnisse mit »Methoden der Folter abgepresst« habe und er selbst sich gezwungen sah, »ein leeres Blatt Papier« zu unterschreiben. Fomin wird, überbracht von M. F. Golovastikov, einer Person, die der Agent »Dobrovol’skij« ausgehorcht hat, mit den Worten zitiert: »Ich war ein ehrlicher Kommunist und kämpfte für das Glück des Volkes, aber was sie [dann] mit mir gemacht haben… Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass das bei uns in der UdSSR möglich ist, was ich gesehen und erfahren habe. […] Die durchgemachten Qualen werde ich nicht vergessen […] und wir, d.h. Gavrilov, Derevjanko und Fomin, werden ihnen das nicht verzeihen.« Beim mitfühlenden Informanten Golovastikov hätten die Beschreibungen Fomins, so der Agent Dobrovol’skij, den Eindruck erzeugt, dass das Mittelalter herüberwehe. Fomin habe aber auch betont, dass die Mitarbeiter des NKVD jetzt ordentlich »Muffensausen« hätten. Diese »Gerüchte, die in die Bevölkerung eingestreut« werden, führen laut »Dobrovol’skij« dazu, dass gesagt wird »wir und sie«, d.h. wir, das Volk und sie, der Geheimdienst, so als ob man sich in gegenüberstehenden Lagern befände. Zur Gruppenbildung hatte der Agent »Dobrovol’skij« zu sagen, dass der Initiator und Kopf der Fomin-, Gavrilov- und Derevjančenko-»Kampagne« nach den Angaben Fomins Derevjančenko, [ehemaliger Zweiter Sekretär der KP des Gebiets Nikolaev] sei.133 Schon drei Tage später, am 21. Mai, reichte wieder der Agent »Gerd« Informationen über die feindlichen Aktivitäten der entlassenen Häftlinge ein. Er unterrichtete die Mitarbeiter des Geheimdienstes diesmal von Čulkovs großem Befremden, 133
Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkte Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Dobrovol’skij« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 20.05.1939, еbd., T. 9, L. 134.
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warum das Militärkollegium den Fall [des Kronzeugen bzw. Verräters] Starodubcev doch nicht behandelt hat und dass er die Angelegenheit eng mit der endgültigen Niederschlagung des Falls seiner ganzen Gruppe verknüpft: »Ihrem Charakter nach sind diese Fälle gleich«. Čulkovs Einschätzung der Situation war laut »Gerd«: »Jetzt fangen sie erneut an zu zündeln: man hat [offensichtlich] die massenhaften Entlassungen [wieder] eingestellt.«134 Schuld daran sei aber auch die Ehefrau des [Verräters] Starodubcev, diese »Närrin«, die ihrem Mann über einen Gefängniswächter eine Nachricht habe übergeben wollen, dabei aber erwischt und verurteilt worden sei. Nun helfe ihr nur noch Leugnen, dass sie schon einmal eine Nachricht übergeben und sie ihrem Mann bei einer Gegenüberstellung signalisiert habe, nichts mehr preiszugeben. Am 22. Mai, also einen Tag später, berichtete der Agent »Gerd«, genau wie vor ihm schon der Agent »Dobrovol’skij«, welchen Eindruck die Ankunft des von Chruschtschow beauftragten Sonderbevollmächtigten des Geheimdienstes der Ukraine in Nikolaev gemacht hat. »Gerd« schilderte eine große Aufregung in der trotzkistischen Gruppe, die ihm durch die Ehefrau des ehemaligen Häftlings Čulkovs zu Ohren gekommen sei. Sie habe ihm über die Ankunft »irgendeines sehr hohen Verantwortlichen, mit dem Familiennamen Tverdochleb… / oder so ähnlich / aus dem Volkskommissariat für Inneres [der Ukraine] bei der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev« berichtet: »Dieser Mensch sitzt im NKVD und nimmt Erklärungen von ehemaligen Gefangenen entgegen.« Nach Einschätzung der Ehefrau Čulkovs, kolportiert durch »Gerd«, könne dies ein Manöver von Seiten des Volkskommissariats für Inneres sein, »die Geister zu beruhigen.« Und sie sei mit der Anweisung fortgefahren: »Wie dem auch sei, nach der Meinung unserer Gruppe135 muss man jetzt alle Kräfte darauf verwenden, dies unter den ehemaligen Gefangenen zu verbreiten, so dass sie den Bevollmächtigten förmlich mit Erklärungen überhäufen. Man muss betonen, dass sie sich keine Gedanken über Form und Inhalt machen sollen, sondern schreiben, man hat geprügelt, gequält und beleidigt.« Selbst wenn der Bevollmächtigte nur pro forma gekommen sei um 2-3 Erklärungen einzusammeln, müsse man es organisieren, dass er einen Eisenbahnwagon voller drastischer Erklärungen mit zurücknehme, unabhängig davon ob er das wolle oder nicht, so die Ehefrau Čulkovs weiter. Der Agent »Gerd« gibt an, dass sogar 134 135
Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 21.05.1939, еbd., T. 9, L. 140. Našich.
Allmacht und Ohnmacht
er selbst von ihr beauftragt worden sei, »alle Beleidigten« zu benachrichtigen. Wie um nochmal den hohen Organisationsgrad der Gruppe zu belegen, führte »Gerd« abschließend auf, dass es der Plan sei, den Bevollmächtigten unablässig anzurufen und zwar unter der Telefonnummer 1-26 in der Kommandantur des NKVD.136 Die von den beiden Agenten »Gerd« und »Dobrovol’skij« den Führungsoffizieren des Geheimdienstes von Nikolaev zugetragenen Nachrichten lassen das Bild einer aus freigelassenen Häftlingen bestehenden, weiterhin fest im trotzkistischen Milieu verankerten Gruppe mit hohem Organisationsgrad und innerer Bindung entstehen, die über sensible interne Informationen aus Partei und Staat, einschließlich aus dem Geheimdienst, verfügte. Ihre Mitglieder inszenieren sich, laut den Agenten, mit Hilfe von Gerüchten, Falschinformationen und starken Übertreibungen als Opfer. Vor allem haben sie es auf den Geheimdienst von Nikolaev abgesehen, ziehen aber auch das gesamte Gerichts- und Strafwesen der Sowjetunion in den Schmutz. Selbst die Führung in Moskau wird nicht geschont. Der gesamte Geheimdienst erscheint als Hort von Gesetzesbrechern, Folterern und Fälschern. Eine Verdammung des sowjetischen Straf- und Gerichtssystems findet mit Hilfe von Parallelen zum finsteren Mittelalter, der despotischen Hochphase des Zarismus und dem Faschismus statt. Der Bevölkerung wiederum wird große Sympathie für die ehemaligen Gefangenen und die immer noch einsitzenden Häftlinge nachgesagt. Die Bevölkerung wird in hohem Maße als unterdrückt, erniedrigt und beleidigt charakterisiert. Moskau steht einerseits als Hauptorganisator und Mitwisser der Verfolgungen, andererseits in der aktuellen Situation als orientierungslos und unentschieden dar. Sämtliche Agentenberichte über die freigelassenen Gefangenen wurden dann von der »Geheimen politischen Abteilung« des Geheimdienstes von Nikolaev am 3. August 1939 zu einer Akte mit dem Codenamen »Retivye« (die Emsigen) zusammengefasst und mit dem Label »Trotzkisten« versehen.137
Verteidigungsstrategie des Geheimdienstes Im Mai 1939 musste dem Geheimdienst von Nikolaev auf der Grundlage der Agentenberichte klar geworden sein, dass sich unter den freigelassenen Gefangenen eine schlagkräftige trotzkistische Verschwörergruppe insbesondere gegen ihre Behörde formiert hatte. Dies war im Juni 1939 der Anlass für den kommissarisch ein136 137
Sämtliche vorausgehende, nicht extra angemerkte Zitate gehen zurück auf: Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 22.05.1939, еbd., T. 9, L. 131. Zaključenie zam. nač. 2 otdela UGB NKVD USSR N. A. Chazina po agenturnomu delu »Retivye«. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 164-171. Veröffentlich als: Vysinovok po agenturnij spravi »Retivye« UNKVS po Mykolaїivs’kij oblasti. 25.10.1939, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 229-232.
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gesetzten Leiter der Gebietsverwaltung der Gebietsverwaltung des NKVD I. T. Jurčenko einen Bericht über diese Vorgänge an seinen unmittelbaren Vorgesetzten, den vorübergehenden stellvertretenden Volkskommissar des Inneren der ganzen Ukraine A. Z. Kobulov zu schicken.138 Zusammengestellt und verfasst hatte den Bericht der Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des Geheimdienstes von Nikolaev Truškin, der die Agentenberichte entgegengenommen hatte und selbst unter Folterverdacht stand. Schon bevor Truškin den Bericht für den Kiewer Republikgeheimdienstchef Kobulov verfasste, hatte er die Agentenberichte bzw. die Akte »Retivye« (die Emsigen) dem von Chruschtschow beauftragten Sonderbevollmächtigten des NKVD der Gesamtukraine Tverdochlebenko zukommen lassen.139 Der Bericht, der dann die Unterschrift des neuen Geheimdienstchefs Jurčenkos trug, beruhte auf einer Zusammenstellung, Kommentierung und Auswertung von Zitaten aus den beschriebenen Dossiers der Agenten »Gerd« und »Dobrovol’skij«. Lediglich eine nicht in den Akten des Falls »Retivye« (die Emsigen) als Dossier vorliegende Information eines anderen Agenten mit dem Codenamen »Ivanov« floss zusätzlich mit ein. Es wurden in dem Rapport allerdings nur ausgewählte Motive aus den Berichten der Agenten aufgegriffen. Die handelnden Personen, um die es in dem Rapport von Jurčenko ging, waren dementsprechend selbstverständlich wieder die Mitglieder der trotzkistischen Sabotageorganisation, die maßgeblich den Großbrand in der Werft № 200 verursacht haben sollten, einschließlich ihres unmittelbaren Umfelds. Im Zentrum standen die ehemaligen Häftlinge Gavrilov, Gladkov, Čulkov und Kobcev sowie Derevjančenko. Besonderen Wert wurde in Jurčenkos Bericht auf die »Gruppenbildung« gelegt, wobei durch die Auswahl, Zusammenstellung und Interpretation der Zitate noch deutlicher als in den Agentenberichten hervorspringt, dass sie in erster Linie dazu diente, den Geheimdienst von Nikolaev in Misskredit zu bringen. Die Zielpersonen, so der Rapport, »treffen sich systematisch untereinander« und »legen eine gemeinsame Linie über ihr Vorgehen im Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine und in den Erklärungen an die höherstehenden Parteiorgane und an den NKVD der UdSSR und der Ukrainischen SSR fest: Alle sollen schreiben, man habe sie geschlagen und misshandelt.« An zweiter Stelle legte der Rapport Wert darauf zu unterstreichen, dass die aktuell agierende Gruppe in der Vergangenheit Teil einer großen trotzkistischen Sabotageorganisation war und jetzt immer noch Kontakte zum trotzkistischen 138
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Jurčenko hatte im Januar 1939 nach der Entlassung Karamyševs den Posten des Leiters des Gebietsgeheimdienstes von Nikolaev übernommen. Kobulov war von 07.12.1938 bis 02.09.1939 erster stellvertretender Volkskommissar für Inneres der Ukraine. Vgl.: Petrov, N. V./Skorkin, K. V., Kto rukovodil NKVD, S. 236. Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 27.–28.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 3, L. 23-33.
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Umfeld pflegt. Dies geschieht zum einen mit Hilfe der Übermittlung der Informationen über das geradezu verzweifelte Bemühen der Gruppenmitglieder, den Kronzeugen Starodubcev, der sie alle verraten habe, zum Schweigen zu bringen. Zum anderen werden mit Hilfe der Dokumentation des Agenten »Ivanov« die auch aktuell nicht unterbrochenen Kontakte zu Trotzkisten bzw. ihrer Mittelsmänner verdeutlicht. So wird »Ivanov« mit einer Auskunft über ein nach der Freilassung stattgefundenes Treffen Gavrilovs mit dem Vater des »Kadertrotzkisten« Borodaev, der sich augenblicklich in der Verbannung befindet, zitiert. Der entlassene Häftling Gavrilov habe sich für dessen Schicksaal interessiert. Dann wurde der Blick vom NKVD abgewendet und auf die negative Agitation der Verschwörergruppe über das sowjetische Strafsystem gerichtet und zwar auf die Gleichsetzung mit der Strafpraxis des Zarismus und Faschismus. Anschließend ging der Rapport des Geheimdienstchefs von Nikolaev dazu über, die von der Gruppe als vollständig orientierungslos bewertete und als Zwickmühle beschriebene Freilassungspolitik des politischen und administrativen Zentrums der Sowjetunion in Moskau darzustellen: Dass es einerseits »nachteilig« sei, die neun Millionen Gefangenen festzuhalten, weil Ihre Kinder und Verwandte auf sie warten und andere mit ihnen fühlen und es aber andererseits durch die Freilassungen zu einer Konzentration von der Führung gegenüber unkorrigierbar feindlich Gesinnten kommen könne. Ausgelassen wurden in dem Rapport interessanter Weise allerdings die Agentenberichte über die zentrale Rolle und Mitwisserschaft Moskaus an den Verfolgungen.140 Abschließend kündigte der Geheimdienstchef Jurčenko weitere »intensive Ermittlungen« gegen die Gruppe an, die, wie ein zweiter Rapport des Geheimdienstchefs vom 22. Juli 1939 zeigt, auch tatsächlich eingeleitet wurden. In seinem zweiten Rapport bemühte sich der Leiter des Geheimdienstes von Nikolaev durch eine geheime Abhöraktion die Berichte des Agenten »Gerds« über eine Verschwörung gegen den NKVD zu verifizieren. In der entsprechend ausgestatteten Wohnung des Agenten »Gerd« wurde für den 16. Juli 1939 um 22 Uhr ein Treffen mit A. K. Starodubceva, der Ehefrau des Kronzeugen D. T. Starodubcev organisiert. Der Kronzeuge wurde in dem Rapport wiederholt als »Teilnehmer des trotzkistischen Untergrunds« etikettiert. Der Geheimdienstchef von Nikolaev Jurčenko belauschte persönlich das Gespräch zwischen der Ehefrau des Kronzeugen Starodubcev und dem Agenten »Gerd«, unterstützt von seinem Mitarbeiter Garbuzov, dem stellvertretenden Leiter der »Geheimen politischen Abteilung«, des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev. 140 Sämtliche vorrausgehende, nicht extra angemerkte Zitate gehen zurück auf: Dokladnaja zapiska nač. UNKVD po Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko zam. narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu o gruppirovanii byvšich arestovannych, osvobošdennych iz pod straži v gor. Nikolaeve. 02.06.1939, еbd., T. 9, L. 142-146.
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Bevor der Geheimdienstmann jedoch in seinem Rapport zur Schilderung des Verlaufs des Gesprächs kam, wurde als Hintergrundinformation ausführlich über die im Mai 1939 erfolgte Verhaftung A. K. Starodubcevas, also der Ehefrau des Kronzeugen Staradubcev, informiert. Ausgeschmückt wurde der Versuch der Ehefrau über einen Wachmann Namens Ostrovskij einen Brief an ihren Ehemann zu überbringen, in dem Anweisungen standen, sich von seinen Aussagen zu distanzieren und sich darüber zu beschweren, dass man ihn misshandelt habe und er sich deshalb gezwungen sah, sich selbst und andere der Zugehörigkeit zum trotzkistischen Untergrund zu belasten. Der NKVD hatte, wie ebenfalls berichtet wurde, durch den Agenten »Gerd«, Ort und Zeitpunkt der Geld- und Briefübergabe erfahren und somit entscheidend zur Verhaftung der Ehefrau beigetragen. Starodubceva wurde, so der Rapport weiter, daraufhin vom Militärtribunal zu 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, traf sich aber trotz des Warnschusses sofort wieder mit den ehemaligen Häftlingen Kobcev, Gavrilov, Gladkov und Čulkov. Wie nebenbei informierte der Geheimdienstchef von Nikolaev Jurčenko seinen Vorgesetzten in Kiew Kobulov auch noch darüber, dass der Agent »Gerd« schon lange auf den Trotzkisten Starodubcev angesetzt war, bzw. der »Trotzkist« Starodubcev vor seiner Verhaftung im Juni 1938 in Gegenwart von seiner Ehefrau und »Gerd« offen »antisowjetische Unterhaltungen, selbst organisatorischen Charakters über den trotzkistischen Untergrund« geführt habe. Dann ging der Rapport endlich auf die Abhöraktion ein: Laut Jurčenko habe Starodubceva beim Betreten der konspirativen Wohnung gesagt, nicht ohne sich vorher zu versichern, dass im Haus niemand ist: »Das heißt, hier kann man Konterrevolution betreiben.« Bei dem sofortigen Treffen nach ihrer Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe mit den ehemaligen Häftlingen Kobcev, Gavrilov, Gladkov und Čulkov sei herausgekommen, dass sie alle, insbesondere aber Kobcev »Gift und Galle gegen die Führung von Partei und Staat141 speien«, sie mit »knirschenden Zähnen Hass und Wut gegen die Parteiführung äußern.« Gavrilov wiederum habe zu Starodubceva gesagt: »Uspenskij wurde erschossen, Ežov befindet sich in der Psychiatrie. Diese Meldungen häufen sich in diesem Kreis.« Den hohen Organisationsgrad der Gruppe bekräftigte die Ehefrau des Kronzeugen Starodubcevs mit der genauen Beschreibung der Strategie der ehemaligen Häftlinge: »Sie werben Strohmänner an, schicken sie ins Zentrum und sammeln Informationen und indem sie alle zusammentrommeln und alles sammeln. Sie diskreditieren, schwärzen an und schmieden verschiedene Intrigen.« Kobcev habe wörtlich verkündet: 141
Vlast’.
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»Wir haben gehandelt, wir handeln und wir werden handeln.« Insgesamt ist die Beschreibung der Abhöraktion so angelegt, dass der Eindruck entsteht, dass die trotzkistische Verschwörergruppe massiven Druck auf die Ehefrau des Kronzeugen Starodubcev ausübt. Der Rapport legt ihr mit Hilfe des Agenten die Beschwerde in den Mund, dass man ihr seitens der ehemaligen Häftlinge endlos vorgeworfen habe, dass ihr Mann alle verraten habe. Man kann, so Starodubceva, nicht verwinden, dass er alles »ausgeplaudert« hat. Der ehemalige Häftling Gavrilov soll ihr sogar gedroht haben, wenn ihr Mann entlassen werden sollte, dass er dann Nikolaev verlassen müsse und zwar wegen »seines Kleinmuts und seiner Charakterschwäche, die er während der Untersuchung an den Tag gelegt hat und in dessen Zuge er alles über seine und ihre [der Gruppe] antisowjetische Tätigkeit erzählt hat.« Denn Starodubcev habe sie entlarvt und den Untersuchungsführern die ganze Wahrheit, was mit ihnen gewesen ist, erzählt. Es habe die Gruppe viel Kraft gekostet ihn »zur Besinnung zu bringen« und dazu zu »zwingen«, sich von allem wieder zu distanzieren. »Gerd« sprang seiner Gesprächspartnerin hinsichtlich dieser prekären Situation, wenn man dem Bericht des Geheimdienstchefs Jurčenkos trauen darf, auf eine sehr spezielle Weise zur Seite. Auf ihre Frage hin, warum er nicht verhaftet wurde, obwohl ihr Mann und Gavrilov, Gladkov und Čulkov auch mit ihm konterrevolutionäre Gespräche geführt haben, lieferte er zunächst »entsprechende Erklärungen« und erlangte währenddessen erstaunlicher Weise noch das Zugeständnis der Ehefrau des Kronzeugen, dass die Gespräche damals, auf Grund derer die wichtigsten Köpfe der trotzkistischen Gruppe noch vor dem Großbrand festgesetzt werden konnten, tatsächlich konterrevolutionären Inhalt hatten. Nach der Darlegung der Abhöraktion setzte der Geheimdienstchef Jurčenkos am Schluss seines Rapports noch seinen Vorgesetzten Kobulov über die noch anstehende Bestätigung der bereits erfolgten Wiederaufnahme der ehemaligen Häftlinge Kobcev, Gavrilov, Gladkov, Čulkov und Derevjančenkos in die Partei durch die übergeordneten Stellen und zwar durch das Nikolaever Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine in Kenntnis. Dabei vergaß er aber nicht nochmals zu erwähnen, dass sich die ehemaligen Häftlinge in Gavrilov und Derevjančenko in Freiheit nun antisowjetisch aufführten und sie außerdem sicherheitshalber ihrer Arbeit in der Verteidigungsindustriefabrik142 entbunden worden waren. Diese Hinweise können als Fingerzeig für Kobulov verstanden werden, doch auf der Republikebene der Partei noch korrigierend einzugreifen und so kann man ohne Weiteres ergänzen, die ehemaligen Häftlinge auf gar keinen Fall wieder in die Partei aufzunehmen.143 142 V oboronom zavode. 143 Dokladnaja zapiska nač. UNKVD po Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko zam. narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu o gruppirovanii byvšich arestovannych, osvobošdennych iz pod straži v gor. Nikolaeve. 22.07.1939, еbd., T. 9, L. 147-152.
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Die Lauschaktion bzw. die beiden Rapporte lassen sich in zwei Schwerpunkte einteilen. Erstens kann »Gerd« auf der ganzen Linie in seiner Einschätzung bestätigt werden, dass eine gut organisierte Verschwörergruppe existiert, deren Mitglieder mit leidenschaftlicher und polemischer Diktion Partei und Staat ablehnen und insbesondere den Geheimdienst von Nikolaev in jeder Weise diskreditieren. Zweitens, und dies ist ein neuer Aspekt, kommt heraus, dass die Gruppe aus ehemaligen Häftlingen die Ehefrau des Kronzeugen Starodubcev stark unter Druck setzt und gerade damit erneut ihre trotzkistische Einstellung in Vergangenheit und Gegenwart bestätigt und dies auch der Grund ist, wieso sich die Ehefrau Starodubcevs unversehens mit dem Geheimdienst solidarisiert. Die Berichte Jurčenkos und die von ihm geleitete Abhöraktion waren der zentrale Baustein in der gut koordinierten Aktion zum Schutz des Nikolaever Geheimdienstes vor einer drohenden Anklage einiger seiner Mitarbeiter wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Gewarnt gewesen war man mindestens seit Anfang Januar 1939. Denn in dieser Zeit hat mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Gebietsebene eine große operative Versammlung oder Parteiversammlung ausgewählter Mitarbeiter aller Ebenen des UNKVD von Nikolaev stattgefunden, auf der der entscheidende gemeinsame Beschluss des ZK der Partei der Sowjetunion und der Regierung vom 17. November zur Beendigung der Massenverfolgungen vorgelesen und erläutert wurde. In diesem Zuge muss die unehrenhafte Entlassung Karamyševs erfolgt sein, die auf den 15. Januar 1939 zu datieren ist. Er verlor kurz nach seiner Entlassung auch alle seine politischen Ämter, d.h. seine Mitgliedschaft im Nikolaever Gebietskomitees der Partei und seinen Sitz als Deputierter des Obersten Sowjets der UdSSR. Im Frühjahr 1939 holte Karamyšev auch der Großbrand in der Nikolaever Schiffsbauwerft № 200 wieder ein.144 Unterstützend tätig wurde die neue Geheimdienstspitze von Nikolaev unter Jurčenko aber letztendlich erst im April 1939 im Zuge der Freilassung der Gefangenen und mit den gleichzeitig einsetzenden Verhören des abgesetzten Geheimdienstchefs Karamyševs.145 Mit ihrer Observation der ehemaligen Häftlinge handelte der NKVD von Nikolaev nicht einmal gegen neue Instruktionen aus dem Moskauer Zentrum. Befehl № 00262 des NKVD der UdSSR gab vor: »Аlle Freigelassenen sind […] in die operativen Listen aufzunehmen.«146 Die verhafteten Tschekisten und die Tschekisten, denen die Verhaftung drohte, waren also fest im Geheimdienst von Nikolaev verankert und konnten bei dem Versuch, sich zu schützen und letztendlich zu rehabilitieren auf 144 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 451. 145 Die Verhöre Karamyševs begannen im April 1939. Vgl.: Zajavlenie P. V. Karamyševa L. P. Beriju. 27.11.1939, еbd., T. 1, L. 186-186 ob. 146 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 232.
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ein überdurchschnittlich hohes Maß an Unterstützung, insbesondere durch die Führungseliten ihres Gebietes, zurückgreifen.
Verhaftung der Geheimdienstmitarbeiter Trotz aller intensiver Bemühungen selbst des neuen Gebiets-NKVD-Chefs des Gebiets Nikolaev den Geheimdienst rein zu waschen, erfolgte eine gute Woche nach dem letzten Unterstützerschreiben Jurčenkos vom 22. Juli 1939, und zwar Anfang August 1939, die Verhaftung des Leiters der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD von Nikolaev Truškin und seines ehemaligen Vorgesetzten und ehemaligen Leiters des Geheimdienstes des Gebietes Karamyšev.147 Die Verhaftung des Geheimdienstchefs entbehrte sogar nicht einer gewissen Dramatik. In einer Beschwerde an den Untersuchungsführer des NKVD des ukrainischen NKVD schilderte Karamyšev die Situation mit den Worten: »Man hat mich vor den Augen des Publikums gepackt, darunter meine Wähler, man hat mich vom einen Ende des Bahnhofs zum anderen geschleppt und angeschrien: ›Gib die Waffe her‹. Springt man so mit einem Volksvertreter vor den Augen seiner Wähler um. Was soll das? Ist das angemessen? Das ist seltsam und unerklärlich. […] Man hat mich ohne die Vorlage einer Sanktion des Obersten Sowjets der UdSSR verhaftet.«148 Im Haftbefehl der Staatsanwaltschaft von Nikolaev wurden sowohl Truškin als auch Karamyšev nach § 206, Punkt 17 »a« des Strafgesetzbuches der Ukraine Dienstvergehen vorgeworfen, also minderschwere Dienstvergehen.149 Die konkreten Vorwürfe gegen Truškin lauteten, dass er, »unbegründete Verhaftungen durchgeführt und Gutachten über Parteikader und Spezialisten von Fabriken [mit seiner Unterschrift] bestätigt hat, die nicht den Tatsachen entsprachen. 147
Der Haftbefehl gegen Truškin wurde vom 7. auf den 5. August vordatiert. Vgl.: Order na arest Ja. L. Truškina. 05.08.1939, еbd., T. 1, L. 34. Verhaftet wurde er aber schon am 3. August. Vgl.: Anketa arestovannogo Ja. L. Truškina. 07.08.1939, еbd., T. 1, L. 36; Order na arest P. V. Karamyševa. 07.08.1939, еbd., T. 1, L. 7. Karamyšev wurde jedoch schon am 4. August festgesetzt. Vgl.: Anketa arestovannogo P. V. Karamyševa. 15.08.1939, ebd., L. 8-8 ob. 148 Zajavlenie arestovannogo P. V. Karamyševa v sledstvennuju čast NKVD USSR. 18.01.1940, еbd., T. 1, L. 219-220 ob. 149 Postanovlenie voennogo prokurora prograničnych i vnutrennich vojsk kievskogo okruga Morozova o sankcionirovanii aresta P. V. Karamyševa. 02.08.1939, еbd., T. 1, L. 6. Die erste Sanktion für die Ausstellung eines Haftbefehls gegen Truškin stammt vom 1. August 1939. Hier tritt aber auch § 206-17 Punkt »b« auf. Vgl.: Postanovlenie na Ja. L. Truškina. 01.08.1939, еbd., T. 1, L. 31. Der zweite ist vom 2. August. Vgl.: Postanovlenie na Ja. L. Truškina. 02.08.1939, еbd., T. 1, L. 29. Sanktioniert hatte die Verhaftung Karamyševs der Militärstaatsanwalt Morozov und im Fall Truškins der stellvertretende Leiter des NKVD der Ukraine A. Z. Kobulov.
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Ferner, dass er grobe Entstellungen während der Untersuchungsführung zugelassen, er Protokolle in Abwesenheit von Angeklagten hat erstellen lassen, die dann danach von ihm korrigiert wurden und dass er provokative Methoden der Untersuchungsführung förderte und kultivierte; dass er 1939 nach der Entscheidung des ZK und SNK [vom 17. November 1938] bewusst Freilassungen von einer Reihe von Gefangenen hinauszögerte, die man verleumdet hatte und er gleichzeitig ohne Grundlage mehr als 40 Personen freiließ, gegen die seriöse kompromittierende Materialien vorlagen. [Außerdem] wird Truškin in den Aussagen der Verhafteten TEJTEL’ und ŠEPETIN als antisowjetische Persönlichkeit, die konterrevolutionäretrotzkistische Ideen unterstützt, beschrieben.«150 Die Sanktion zur Verhaftung Karamyševs beruhte auf dem Vorwurf als »ehemaliger Leiter der NKVD Verwaltung des Gebiets Nikolaev Verhaftungen auf der Grundlage von gefälschten Gutachten durchgeführt, Untersuchungsakten gefälscht und gegenüber Gefangenen physische Maßnahmen der Einwirkung151 angewendet, Fakten über die Tötung eines Gefangen während des Verhörs gedeckt zu haben und dass er Kontakt mit Personen gepflegt hat, die der antisowjetischen Tätigkeit verdächtigt werden.«152 Hinzu kam, dass er Agentenberichte über feindlich gesinnte Personen ignoriert und eine dieser Personen, eine Ärztin, bei sich übernachten ließ.153 Ein halbes Jahr später, Anfang März 1940 ereilte zwei weiteren Mitarbeitern von Truškin die Verhaftung wegen Dienstvergehen nach Paragraph 206, Punkt 17 »a« und »b« des Ukrainischen Strafgesetzbuches. Es handelte sich um M. V. Garbuzov, Leiter einer Unterabteilung und stellvertretender Leiter der »Geheimen politischen Abteilung«, und K. A. Voronin, ebenfalls Leiter der ersten Unterabteilung dieser Abteilung. Der Hauptvorwurf gegen sie war, gefoltert, oder wie es durchgehend euphemistisch hieß, »physische Maßnahmen der Einwirkung« gegenüber Gefangenen angewendet zu haben.154 Die Einbeziehung der beiden geschah auf Empfehlung des Assistenten des Militärstaatsanwaltes der Truppen des NKVD des Kiewer Militärbezirks M. Dvorenko in einem Schreiben an den Leiter der Untersuchungsabteilung des UGB NKVD der Ukrainischen SSR S. Kalužskij vom 29. Februar 1940. 150 Postanovlenie na Ja. L. Truškina. 02.08.1939, еbd., T. 1, L. 29. Dies sind zwei Aussagen von Kollegen Truškins aus der »Geheimen politischen Abteilung« der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD (SPO UGB UNKVD) des Gebiets Černigov und zwar von Lazar Moiseevič Tejtel (1902-1938) und Avraam Mordkovič Šepetin (1896-1939). 151 Fizičeskie mery vozdejstvija. 152 Protokol doprosa P. V. Karamyševa. 15.08.1939, еbd., T. 1, L. 91-94. 153 Postanovlenie sledovatelja sledsvennoj časti UGB USSR G. A. Grunina v zam. nač. sledsvennoj časti UGB USSR Kalužskij na arest nač. UNKVD P. V. Karamyševa. 02.08.1939, еbd., T. 1, L. 2-3. 154 Verhaftet wurden Garbuzov und Voronin am 7. Mai 1940. Ihre Entlassung aus dem NKVD war am 10. bzw. 1. März 1940 erfolgt. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111 ob–113.
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Seine Argumente waren, dass Garbuzov und Voronin mit an der Manipulation der Akte »Retivye« (die Emsigen) beteiligt waren, ungesetzliche Verhörmethoden angewandt und von Gefangenen Aussagen erpresst hatten. Besonders betroffen gewesen seien leitende Parteimitglieder und Mitarbeiter des sowjetischen Apparats.155 Die wichtigsten Zeugen zur Untermauerung der Vorwürfe waren die in die Freiheit entlassenen Personen, die man der Organisation des Großbrandes in der Werft № 200 verdächtigt hatte. Sie hatten sich in Schreiben an lokale und zentrale Parteistellen, an Parteiführer und staatliche Organe darüber beschwert, dass ihnen in den Verhören durch den Geheimdienst Geständnisse abgepresst, sie künstlich zu einer trotzkistischen Gruppe verbunden worden seien und ihnen systematisch der Kontakt zur Staatsanwaltschaft und anderen Beschwerdestellen verweigert wurde; das man sie ausgetrickst, verprügelt, angespuckt, gequält und sie bedroht habe, selbst damit, auch noch ihre Angehörigen zu verhaften. Die ehemaligen Gefangenen berichteten übereinstimmend über tagelanges Stehen, dick angeschwollene Beine, Wasser- Essens- und Schlafentzug, Prügeln mit Gegenständen, taubgeschlagene Ohren und anderen schweren Verletzungen, mehrtägige Aufenthalte im Karzer und über völlig überfüllte Zellen. Schon während der Haft hatten sich viele von ihren früheren Aussagen distanziert und Details preisgegeben, wie schlecht man sie behandelt hatte.156 Eine wahre Flut von Beschwerdebriefen wurde aber erst durch eine im Mai 1939 vom Volkskommissariat des Inneren der Ukraine und dem Ersten Parteisekretär der Ukraine Chruschtschow nach Nikolaev geschickte Kommission unter der Leitung des Sonderbevollmächtigten A. M. Tverdochlebenko ausgelöst. Denn erst jetzt fanden die Beschwerden der Opfer wirklich Gehör. Der Bevollmächtigte kam direkt aus den Strukturen des Geheimdienstes der GesamtUkraine und war für Ermittlungen gegen verhaftete bzw. zu verhaftende Mitarbeiter seiner Behörde zuständig, die die sozialistische Gesetzlichkeit verletzt und andere Dienstvergehen begangen hatten.157 Konkret hatte die Kommission, wie schon ihre Vorgängerkommission vom September 1938, erneut den Auftrag, die Vorgänge im Geheimdienst des Gebiets Nikolaev zu überprüfen.158 Sie befragte nicht nur die Opfer und verhörte die drei Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« 155 156
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Pis’mo pomoščnika voennogo prokurora vojsk NKVD Kievskogo okruga M. Dvorenko zamestitelju nač. sledstvennoj časti UGB NKVD USSR S. Kalužskomu. 29.02.1940, ebd. T. 1, L. 78. Protokol doprosa obvinjaemogo M. P. Dudina. 26.12.1938, еbd., T. 8, L. 37-39; Protokol doprosa obvinjaemogo M. P. Dudina. 06.02.1939, еbd., T. 8, L. 40-42; Protokol doprosa obvinjaemogo M. I. Muratova. 26.12.1939, еbd., T. 8, L. 53-56. Tverdochlebenko war ein relativ unbeschriebenes Blatt in Bezug auf seine Arbeit in den Organen. Bis 1938 hatte er als stellvertretender Leiter der Zeche »Sofija« des Trusts »Makeevugol’« gearbeitet und war dann erst über das ZK der KP(b) der Ukraine an den NKVD weitergereicht worden. Vgl.: Aftobiografija Tverdochlebova Alekseja Michaloviča. 12.10.1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 166, T. 1, L. 5-8. Svodka agenta »Gerd« 2–mu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 22.05.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 9, L. 131.
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und ihren Chef Karamyšev, gegen die die Vorwürfe erhoben worden waren, sondern befragte auch noch zahlreiche weitere Mitarbeiter aller Ebenen des UNKVD von Nikolaev.159 Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Geheimdienstmitarbeiter Karamyšev, Truškin, Garbuzov und Voronin für sämtliche beanstandeten Vorgänge verantwortlich zu machen sind.160 Während der daraufhin intensivierten Ermittlungen im Zeitraum von 1939 und 1940 wurden die Folterungen und Fälschungen durch erneute Befragungen der Opfer und Mitarbeiter des NKVD von Nikolaev bestätigt.161 Akteur war wieder NKVDinternes Personal und zwar die 2. Abteilung des NKVD der Ukraine, also die Republikstruktur. Die Kader des Geheimdienstes bezichtigten sich gegenseitig. Garbuzov hatte gesehen, wie Truškin Gefangene schlug.162 Auch mehrere andere Kollegen hatten seinen Angaben nach geprügelt, er selbst selbstverständlich nicht.163 Voronin allerdings gab zu, den Gefangenen E. V. Pricker, einen ehemaligen Mitarbeiter des UNKVD, verprügelt zu haben, aber nur als Reaktion auf Übergriffe des Gefangenen auf seine Kollegen, die dieser als Faschisten bezeichnet habe. Pricker hatte sich, so Voronin und auch Garbuzov, während des Verhörs plötzlich auf Garbuzov gestürzt und ihn unter wüsten Beschimpfungen an den Haaren gezogen, ihn gebissen und geschlagen. Garbuzov, der deshalb ebenfalls meinte, dass der Gefangene verprügelt werden durfte, behauptet jedoch, dass er zunächst im Beisein Vološins dem ehemaligen Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« Ju. N. Tolkačev über die Vorfälle berichtet habe und er dann auf Tolkačevs Befehl seinen Kollegen Voronin, Basov und Kozačuk die Anweisung gegeben habe, »physische Maßnahmen der Einwirkung« anzuwenden.164 Fedotov wiederum, ein Kollege Garbuzovs, berichtete mehrmals von Fälschungen von Verhörprotokollen bzw. von Hinzufügungen ohne Beisein der Verhörten durch seinen Chef und Truškin.165 Garbuzov bekannte daraufhin, Verhörprotokolle korrigiert und ergänzt zu haben, allerdings nur in stilistischer Hinsicht oder 159 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 197. 160 Ebd., L. 234. 161 Am 13. September 1939 berichtete der ehemalige Leiter eines Teilbereichs der Werkstatt zur Herstellung von Schiffrümpfen G. P. Afanas’ev von Garbuzov geschlagen worden zu sein und zwar noch im Büro des Direktors der Werft als die Ermittlungen wegen des Großbrandes begannen. Vgl.: Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 194-201. Der Lehrer am Schiffsbauinstitut von Nikolaev M. F. Čulkov schrieb sofort nach seiner Freilassung eine Erklärung an den Staatsanwalt G. A. Karpenko. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 220. 162 Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 212-223. 163 Ebda. 164 Protokol doprosa svidetelja K. A. Voronina. 05.03.1939, еbd., T. 3, L. 270-278; Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 212-223. 165 Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 212-223.
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auf der Grundlage von Informationen aus anderen Quellen wie Parteibeschlüssen, aber nicht ohne darauf zu dringen, dass das veränderte Protokoll den Gefangenen anschließend durch seine Mitarbeiter zur Unterschrift vorgelegt wird.166 Der Assistent des Leiters einer anderen Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung«, P. D. Kozačuk, beschrieb Korrekturen an Verhörprotokollen durch Truškin.167 Ein zentraler Vorwurf gegen Karamyšev war nicht nur »ungesetzliche Methoden der Untersuchung gefördert und kultiviert«, sondern Unregelmäßigkeiten bei der Arbeit der Trojka toleriert und selbst nicht korrekt gehandelt zu haben, vor allem dass die einzelnen Fälle vor der Trojka nicht durch denjenigen vorgestellt wurde, der das Protokoll für die betreffende Person angelegt hatte, d.h. durch den sogenannten Vortragenden168 , sondern durch Personen, die nichts mit dem Fall zu tun gehabt hatten, wie die Leiter der jeweiligen Abteilungen, in denen die Vortragenden arbeiteten169 ; dass einige Trojka-Sitzungen ohne Anwesenheit des Staatsanwaltes und des Parteichefs von Nikolaev, eigentlich feste Bestandteile der Trojka, stattgefunden haben, die Trojka-Protokolle grundsätzlich erst 2-3 Tagen nach der jeweiligen Sitzung mit den Unterschriften der Trojka-Mitglieder versehen wurden und es in mindestens drei Fällen zu der Entfernung einer Person aus den Protokollen gekommen sei, obwohl das Protokoll bereits unterschrieben war.170 Darüber hinaus sollte Karamyšev laut Zel’cman, langgedienter Untersuchungsführer im NKVD, auf einer operativen Mitarbeiterversammlung erklärt haben, dass nun ohne die Sanktion der Staatanwaltschaft Verhaftungen durchgeführt werden dürfen. Zel’cman führte auch antisemitische Ausfälle Karamyševs gegen einen jüdischen Mitarbeiter namens Bromberg an. Dieser war dadurch aufgefallen, Gefangene nicht hart genug angefasst zu haben. Karamyšev habe ihm daraufhin androht, »dieses arme jüdische Herz herauszureißen.«171 In Bezug auf den Großbrand in der Werft № 200 kam scheibchenweise heraus, dass viele kompromittierende Informationen des NKVD über die vermeintlich Beteiligten gar nicht oder nur halb stimmten und diese Ungereimtheiten nicht überprüft worden waren. So hatte der NKVD in seinen Ermittlungsakten und seiner 166 Ebda. 167 Protokol očnoj stavki meždu obvinjaemym Ja. L. Truškinym i svidetelem, byv. obvinjaemym kotoryj soderžalsja pod stražej v UNKVD Nikolaevskoj oblasti P. D. Kozačukom. 17.02.1940, еbd., T. 7, L. 108-124. 168 Dokladčik. 169 Zajavlenie P. V. Karamyševa predsedatelju tribunala vojsk NKVD Kievskogo voennogo okruga Ja. M. Vasjutinskomu. 13.07.1940, еbd., T. 13, L. 46-49 ob; Protokol doprosa svidetelja K. A. Voronina. 20.01.1939, еbd., T. 3, L. 244-253. 170 Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 212-223; Protokol doprosa svidetelja P. V. Karamyševa. 11.02.1940, еbd., T. 1, L. 277-281; Protokol doprosa svidetelja P. V. Karamyševa. 13.02.1940, еbd., T. 1, L. 288-295. 171 Protokol doprosa svidetelja G. S. Zel’cmana. 02.09.1939, еbd., T. 3, L. 139-149.
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Selbstdarstellung verschwiegen, das der Ingenieur A. E. Gavrilov, ehemaliger stellvertretender Leiter der ausgebrannten Werkstatt der Werft, durchaus 1937 wegen Protektion und Kontakten zu Trotzkisten aus der VKP(b) ausgeschlossen worden war, jedoch – diese Information fehlte – im selben Jahr wieder aufgenommen worden war.172 Außerdem stand die Verhaftung Gavrilovs offensichtlich gar nicht im Zusammenhang mit den objektiv untragbaren Verhältnissen in der Werft, sondern war eine Strafaktion des NKVD für seine Weigerung, sich als informeller Mitarbeiter anwerben zu lassen. Man hatte ihn, um ihn weich zu kochen, vor seiner Verhaftung am 27. Juli 1937 eine Woche lang jeden Tag im NKVD von 22 Uhr bis 5 Uhr früh verhört und dann wieder zur Arbeit geschickt.173 Erst nach seiner Verhaftung begann man Materialien gegen ihn zu sammeln, fälschte seine Verhörprotokolle und erfand Personen, die ihn für eine trotzkistische Gruppe angeworben haben sollten. »Am 27. Juli 1938 wurden von den Mitarbeitern des UNKVD FEDOTOV, GARBUZOV und TRUŠKIN ein fiktives Gutachten zum Zweck seiner Verhaftung erstellt, in dem aufgeführt ist, dass Gavrilov durch die Aussagen STARODUBCEVS der Zugehörigkeit zu einer konterrevolutionären Organisation entlarvt wurde, obwohl eine solche Aussage in der Untersuchungsakte [Starodubcevs] und sowieso in den Akten der Gebietsleitung des NKVD von Nikolaev nicht zu finden ist.«174 Schließlich zwangen die Geheimdienstmitarbeiter S. G. Tanfilov, A. Ju. Fedorovskij, Voronin, Garbuzov und Truškin den Untersuchungshäftling Gavrilov durch Verhöre am »laufenden Band« und die Anwendung von »provokativen und ungesetzlichen Methoden der Untersuchungsführung« die Verhörprotokolle zu unterschreiben.175 Gavrilov selbst zeichnete in seiner Befragung vom 8. September 1939 ein Bild vom Geheimdienst, der sich allmächtig gegeben hat. Während des Verhörs soll Garbuzov zu ihm gesagt haben: 172
173
174 175
Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 111-226ob; Prodolženie doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 17.08.1939, еbd., T. 2, L. 23-26; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Gavrilov hatte darüber bei seiner Befragung am 8. September 1939 berichtet und Garbuzov bestätigte im Verhör diese Aussagen. Vgl.: Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 181-186; Protokol doprosa svidetelja K. A. Voronina. 20.01.1939, еbd., T. 3, L. 244-253. Zaključenie zam. nač. 2 otdela UGB NKVD USSR N. A. Chazina po agenturnomu delu »Retivye«. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 164-171. Ukazanija pom. Voennogo prokurora vojsk NKVD Kievskogo okruga Dvorenko po delu byvševo nač. UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa i nač. 2 otdela togo že upravlenija Ja. L. Truškina. 23.12.1939, еbd., T. 1, L. 69-77; Zaključenie zam. nač. 2 otdela UGB NKVD USSR N. A. Chazina po agenturnomu delu »Retivye«. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 164-171.
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»Wir selbst sind Gericht und Untersuchung in einem. Auf unserer Seite ist alles, – die Gesellschaft und das Gerichtswesen. Ihnen glaubt niemand. Wir machen mit ihnen, was wir wollen. Vergessen sie nicht, sie sind in den Fausthandschuhen Ežovs. Nikolaj Ivanovič [Ežov] hat uns alles erlaubt. Wir werden sie wie einen räudigen Hund erschießen, wenn sie nicht das schreiben, was wir von ihnen fordern.«176 Auch nach dem 17. November 1938, nach der aus Moskau befohlenen Beendigung des Massenterrors, arbeiteten die Mitarbeiter des NKVD trotzdem weiterhin mit direkter Folter, allerdings weniger häufig. Aussagen von Gefangenen dazu sind seltener im Vergleich zu ihren Berichten über den Großen Terror. Nun hieß es für die Mitarbeiter des NKVD vielmehr verstärkt »professionelle Tricks« anzuwenden, um die Gefangenen, die sich reihenweise von ihren früheren Aussagen distanzierten, in einem beispiellosen Nervenkrieg wieder auf Linie zu bringen; schon deshalb, um sich selbst zu schützen. Aussagen von Verhafteten, die sich von ihren, sie belastenden früheren Angaben distanzierten, wurden nicht fixiert.177 Ein Fall, bei dem auch noch nach dem 17. November heftig geprügelt wurde, ist der des ehemaligen Zweiten Sekretärs des Stadtparteikomitees von Nikolaev, D. F. Kobcev. Allerdings stand auch bei ihm weiße Folter im Zentrum, um von ihm die Bestätigung seiner früheren Aussagen zu erhalten. Verhört am 2. Dezember 1938 und 16. sowie 18. oder 19. Februar 1939 ließen ihn die Mitarbeiter der zweiten Abteilung unter Beschimpfungen so lange stehen – wahrscheinlich mehrere Tage –, bis seine Füße so stark angeschwollen waren, dass er keine Schuhe mehr tragen konnte und ihm das Blut aus der Nase lief. Man verweigerte ihm zudem einen Arzt, obwohl er sich über Herzschmerzen beklagte und offensichtlich so mit den Nerven fertig war, dass er bei der Bitte um ärztliche Hilfe in Tränen ausbrach, zumal man ihm auch noch 20 Gegenüberstellungen mit anderen Zeugen angedroht hatte. Immerhin gestattete man Kobcev ein Schreiben an den Staatsanwalt der UdSSR A. Ja. Vyšinskij zu verfassen, in dem er sich erneut von den von ihm bei den letzten beiden Verhören bestätigten Aussagen, einer trotzkistischen Organisation angehört zu haben, distanzierte. In dem Schreiben bat er Vyšinskij auch um Sсhutz vor den »bestialischen Prügeleien« durch seine Untersuchungsführer. Das Schreiben brachte Kobcev aber keine Erleichterung, sondern führte ganz im Gegenteil am 18. oder 19. Februar 1939 dazu, dass er im Büro von Voronin unter dessen Anwesen176 177
Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 181-186. Fomin und Gladkov berichten übereinstimmend über diesen Mechanismus. Vgl.: Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala … 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 41-57.
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heit durch Garbuzov so heftig geschlagen wurde, dass er danach mehrere »Anfälle« hatte.178 Der Gefangene M. P. Dudin, ehemaliger Leiter der Produktionswerkstatt der Fabrik bzw. Werft »Marti«, gab zu Protokoll, im März 1939 in Kiew erneut von Truškin und Garbuzov verhört worden zu sein, weil er seine vorherigen Aussagen widerrufen hatte. Das daraufhin angefertigte Verhörprotokoll lasen ihm die Untersuchungsführer zwar ordnungsgemäß vor, gaben ihm aber keine Brille, damit er dessen Richtigkeit überprüfen konnte. Hinterher stellte sich bei einer erneuten Befragung durch den Staatsanwalt des Gebiets Nikolaev heraus, dass ihm die entscheidenden Stellen, wo er sich wieder zu seinen alten Aussagen bekannte haben sollte, nicht vorgelesen worden waren.179 Direkte Beweismittel für Dienstvergehen seitens Truškins erhielten die Untersuchungsführer durch die Durchsuchung seiner Wohnung am Tag seiner Verhaftung. Truškin hatte sofort nachdem er Ende Juli, Anfang August seinen Entlassungsbefehl aus Kiew erhalten hatte, hoch geheime Materialien mit nach Hause genommen, um eine schriftliche Beschwerde beim Volkskommissar für Inneres der Ukraine und seinem Stellvertreter zu munitionieren und gut vorbereitet dann auch nach Kiew und Moskau zu fahren, um sich dort ebenfalls zu beschweren. Man fand Kopien der Agentenberichte über die freigelassenen Gefangenen des Großbrandes, dann Statistiken über die von Truškin seit seinem Arbeitsantritt im Juni 1938 in Nikolaev verhafteten Personen, ferner Statistiken über Agenturmaterialen und Agenten sowie informelle Mitarbeiter, die er vor und nach dem 17. November 1938 betreut hatte. Auch eine Kopie des Frinovskij-Telegramms vom 17. Juni 1938, in dem zu den Verhaftungen u.a. auch in den Werften von Nikolaev aufgefordert wurde, war unter den Materialien. Außerdem fand man Statistiken, die belegen sollten, dass erst nach seinem Amtsantritt in Nikolaev im Juni 1938 wirklich gearbeitet wurde, d.h. die Anzahl der bearbeiten Fälle stark in die Höhe stiegen. Zwei Gutachten wurden auch entdeckt und zwar einmal das von Truškin verfasste, aber im Namen des neuen Geheimdienstchefs Jurčenko Anfang Juni 1939 an die Geheimdienstspitze in Kiew, also an Kobulov, dann nach Moskau an Berija und das ZK der KP(b) der Ukraine geschickte Gutachten über die Agenturberichte zu den freigelassenen trotzkistischen Großbrandaktivisten und zum anderen den Bericht über die Lauschaktion vom Juli 1939, die in der konspirativen Wohnung des Agenten »Gerd« stattgefunden hatte.180 178
Protokol očnoj stavki meždu obvinjaemym Ja. L. Truškinym i svidetelem, byv. obvinjaemym kotoryj soderžalsja pod stražej v UNKVD Nikolaevskoj oblasti D. F. Kobcevym. 05.02.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 7, L. 21-31. 179 Gavrilov hatte darüber bei seiner Befragung am 8. September 1939 berichtet und Garbuzov bestätigte im Verhör diese Aussagen. Vgl.: Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 181-186. 180 Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 14.02.1940, еbd., T. 3, L. 80-85.
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Ein echter Trumpf in den Händen der von Kiew nach Nikolaev gesannten Mitarbeiter der Untersuchungsabteilung des Geheimdienstes der Ukrainischen SSR zur Untersuchung der Vorfälle im Nikolaever Geheimdienst betraf ebenfalls die Zeit nach der Beendigung des Großen Terrors. Schwer belastet wurden Truškin und seine Mitarbeiter Voronin und Garbuzov durch die Aussagen des Agenten »Gerd«.181 Als stellvertretender Leiter des pädagogischen Instituts von Nikolaev eigentlich für die Ausspionierung von Pädagogen zuständig, war er, so stellte sich Ende Oktober 1939 heraus, »aktiv« von der »Geheimen politischen Abteilung« auf die entlassenen Ingenieure der Werft № 200, in der sich der Großbrand ereignet hatte, angesetzt worden.182 Vor allem habe ihn Truškin »hartnäckig aufgefordert aktiv die ehemaligen Häftlinge Čulkov, Gavrilov, Kobcev und andere zu durchleuchten.« Er habe erklärt: »das ist eine Gruppe von Feinden und man muss sie umfassend beobachten.«183 Der Agent »Gerd« bekannte nun offen, dass er über keine konkreten Fakten verfügt habe, sondern die Informationen von ihm zufällig zusammengesammelt wurden und aus dritter Hand stammten, zumal die ins Visier genommene Häftlingsgruppe über Informationen verfügte, dass es sich bei ihm um einen Informanten des NKVD handelte. Als Krönung erklärte der Agent: »Ich bekenne, dass meine Informationen […] stark übertrieben und von mir aufbereitet wurden […]. Ich habe diese Angaben unter dem Druck von TRUŠKIN und GARBUZOV […] aufbereitet und in die Berichte meine Mutmaßungen hineingebracht und als Folge dessen ist der Eindruck entstanden, dass diese Gruppe von Personen mit Kreisen verbunden ist, die antisowjetisch eingestellt sind. […] Die Materialien […] sind unglaubwürdig. Das einzige, was den Tatsachen entspricht […] ist ihre gewisse Wut auf jene Mitarbeiter, die die Untersuchung in ihrem Fall durchgeführt haben und ihre übertriebene Redseligkeit in Bezug auf die Verhörmethoden und so weiter. GAVRILOV, ČULKOV und andere haben sich besonders über die Mitarbeiter des NKVD TRUŠKIN, GARBUZOV und VORONIN beschwert und zwar über die Methoden, die sie bei ihnen während der Verhöre angewendet haben.«184 181
Protokol doprosa F. F. Nikolaevskogo. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 153-163. Veröffentlicht als: Protokol dopytu Fausta Pylypovyča Nikolajїvs’kogo. 25.10.1939, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 225-228. 182 Ebda. Im Laufe der verschiedenen Verhöre von »Gerd« und Truškin in dieser Sache, stellte sich heraus, dass Truškin von Anfang an und nicht erst seit Juni 1939 die Instruktionen für den Agenten bestimmte. Vgl.: Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 26.10.1939, еbd., T. 3, L. 1-6; Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 27.–28.10.1939, еbd., T. 3, L. 23-33; Protokol doprosa F. F. Nikolaevskogo. 19.03.1940, еbd., T. 11, L. 256-257 ob. 183 Protokol doprosa F. F. Nikolaevskogo. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 153-163. »Gerd« gibt später in seiner Aussage zu Protokoll, dass auch Pojasov ihn unter Beisein von Truškin in dieser Weise kritisiert habe. 184 Ebda.
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Auf die Frage des Untersuchungsführers N. A. Kazin, stellvertretender Leiters der 2. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR, was ihn dazu bewogen habe, die »Fakten zu verdrehen«, berichtete »Gerd« über massive Drohgebärden seitens Truškins und des stellvertretenden Leiters des NKVD von Nikolaev A. F. Pojasov im Juni 1939. Sie hätten ihn nicht nur scharf für die von ihm angefertigten Berichte kritisiert, da sie keine konkreten Angaben über die antisowjetische Einstellung und Tätigkeit der trotzkistischen Gruppe enthielten, sondern: »TRUŠKIN erklärte mir, dass ich ein Defätist bin, weil ich nicht aktiv die Ausgestaltung der Gruppe von Feinden fortsetzen möchte. […] Dass er das Fehlen konkreter Materialen […] als Weigerung meinerseits interpretieren wird, Feinde zu bekämpfen und [dann] ließ er mich wissen, dass beim NKVD über mich kompromittierendes Material vorhanden ist. Diese Materialien […] würden genutzt, um mit mir abzurechnen, wenn ich nicht weitermache und keine antisowjetische Tätigkeit dieser Gruppe von Personen aufdecke. TRUŠKIN hat mir unumwunden wörtlich folgendes gesagt: ›Bedenken sie das, ansonsten werden wir mit ihnen hart abrechnen‹.«185 Dass die gesamte Führung des Nikolaever NKVD Druck auf den Agenten »Gerd« ausgeübt hatte, bestätigte sich durch spätere Verhöre Truškins. Und zwar gab der neue Gebietsgeheimdienst-Chef Jurčenko im Juni 1939 Anweisung, die in der persönlichen Akte des Agenten »Gerd« abgehefteten Informationen, dass dieser als Dorfsowjetvorsitzender im Bürgerkrieg nach 1918 Bauern misshandelt, Selbstjustiz ausgeübt und Kontakte zu den Weißgardisten gehabt habe, durch Befragungen vor Ort in den betreffenden Dörfern zu verifizieren, was allerdings nicht den gewünschten Erfolg brachte.186 Außerdem zitierte Jurčenko zusammen mit Truškin und Fedorovskij »Gerd« zu einem Gespräch über diese Angelegenheit heran. Hier versuchte sich »Gerd« aber aus der Affäre zu ziehen, indem er angab, dass Kulaken, die er damals bekämpft habe, über ihn kompromittierende Informationen in die Welt gesetzt hätten.187 Der Untersuchungsführer aus der ukrainschen Republikstruktur des NKVD N. A. Kazin, kam, ausgestattet mit der Autorität der Unterschrift des stellvertretenden Volkskommissars für Inneres der Ukraine N. D. Gorlinskij, vor dem Hintergrund dieser Aussagen »Gerds« am 5. Dezember 1939 in seinem Abschlussbericht über die »Retivye«-Akte zu dem vernichtenden Schluss, dass Truškin, Garbuzov 185 Ebda. 186 Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 26.10.1939, еbd., T. 3, L. 1-6; Zaključenie zam. nač. 2 otdela UGB NKVD USSR N. A. Chazina po agenturnomu delu »Retivye«. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 164-171. 187 Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 8.–9.12.1939, еbd., T. 3, L. 44-56.
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und Voronin vorsätzlich vier Agenten auf die Gruppe der vermeintlichen Trotzkisten angesetzt haben, um ihr »nicht vorhandene feindliche Tätigkeit« nachzuweisen und zwar mit »dem Ziel, die eigene verbrecherische Tätigkeit in den Organen des NKVD zu verschleiern.« Den Agenten »Gerd« empfahl Kazin zu verhaften und »sorgfältigste Untersuchungen« in Bezug auf die gegen ihn vorliegenden kompromittierenden Materialien einzuleiten, was auch geschah.188 Aber Garbuzov und Voronin, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in Freiheit befanden, gaben, ganz im Geiste ihres ehemaligen Chefs Truškin keineswegs auf. Garbuzov schrieb zwei Tage nach diesem niederschmetternden Bericht einen Rapport an den stellvertretenden Volkskommissar für Inneres der Ukraine N. D. Gorlinskij und an den Volkskommissar des Inneren der UdSSR L. P. Berija, in dem er sich ausführlich rechtfertigte. Der Bericht führte auf Anweisung des Geheimdienstchefs des Gebiets Nikolaev Jurčenko zu einer erneuten Befragung von »Gerd« an der sowohl Jurčenkos Stellvertreter L. T. Gotovcev als auch der Fahndungsbeauftragte189 des UNKVD des Gebiets Nikolaev, V. N. Nikitin teilnahmen. Das sensationelle Ergebnis war, dass »Gerd« nun seine am 25. Oktober 1939 gemachten Aussagen, auf denen der kompromittierende Bericht des Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukraine N. A. Kazins in der Hauptsache beruhte, widerrief und, wie Garbuzov betonte, »kategorisch« abstritt, von ihm oder andere durch irgendwelche »provokativen und verbrecherischen Methoden« beeinflusst worden zu sein.190 »Gerd« blieb sogar bei einer erneuten Befragung, diesmal nicht nur durch den Gebiets-NKVD von Nikolaev, sondern durch den NKVD der ukrainischen Republikstruktur und zwar durch den Assistenten der Untersuchungsabteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR M. L. Chajtin bei seiner Distanzierung. Interessanter Weise legte ihm Chajtin während des Verhörs geradezu die richtige Strategie in den Mund um seine Kehrtwende plausibel erscheinen zu lassen. Die von ihm gegen die trotzkistische Gruppe gesammelten Fakten beschrieb »Gerd« nur noch als »verdichtet« im Interesse der besonderen Aufmerksamkeit, die die Mitarbeiter des UNKVD Truškin, Garbuzov und Voronin der Angelegenheit geschenkt hätten. Die Übertreibung von Fakten mutierte zu einer »gewissen Voreingenommenheit« gegenüber der trotzkistischen Gruppe, wegen ihrer kritischen Äußerungen über die Mitarbeiter des NKVD Truškin, Garbuzov und Voronin. Selbst das Wühlen in seiner Vergangenheit als Dorfsowjetvorsitzender im Bürgerkrieg, was von ihm im Oktober-Verhör noch als massiver Druck seitens der NKVD-Mitarbeiter charakterisiert worden war, reduzierte sich nun auf ein bloßes Nachhaken, wobei man dann 188 Zaključenie zam. nač. 2 otdela UGB NKVD USSR N. A. Chazina po agenturnomu delu »Retivye«. 25.10.1939, еbd., T. 9, L. 164-171. Der Agent »Gerd« wurde tatsächlich entlassen. Vgl.: Postanovlenie N. A. Burdana… 03.03.1940, еbd., T. 1, L. 79-81. 189 Operupolnomočennyj. 190 Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 03.03.1940, еbd., T. 3, L. 181-186.
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schnell zum eigentlichen Thema, der Observierung der freigelassenen Gefangenen übergegangen sei. Als Motiv, im Oktober-Verhör von 1939 derart übertrieben zu haben, gab »Gerd« an, vom Sonderbevollmächtigten Kazin damals mit Aussprüchen, dass ihm »bekannt sein müsste, dass Feinde in die Organe des NKVD eingesickert sind und versucht haben, ehrliche Menschen zu schlagen« zu seiner Aussage gedrängt worden sei. Dazu beigetragen hätten auch die Gerüchte, die in Nikolaev umgegangen seien, dass Truškin, Karamyšev und andere sich als Feinde entpuppt hätten.191 Das diese Version tatsächlich weit mehr der Wahrheit entspricht als seine erste Aussage, ist aus dem Auftritt »Gerds« auf dem zweiten Prozess gegen Karamyšev, Truškin, Garbuzov und Voronin im März 1941 abzulesen. Hier wurde der Druck von Seiten Jurčenkos und Truškins zwar nicht mehr ganz so verharmlost, indem der Agent berichtete, er habe bis in die Nacht auf dem Flur auf seine Befragung warten müssen und schon gedacht, er wäre verhaftet worden. Aber dennoch konnte er ausdrücklich weder zustimmen, dass der Ausspruch Jurčenkos »Wir werden mit Ihnen kräftig abrechnen, wenn sich die Materialien über Sie bestätigen«, eine »Einschüchterung« war, noch, dass er durch die Mitarbeiter zu seinen Berichten gedrängt wurde. Ganz im Gegenteil betonte »Gerd« erneut, dass für ihn die Unmutsäußerung der freigelassenen Gefangenen über die bisher unbescholtenen NKVD-Mitarbeiter »antisowjetische Gespräche« gewesen seien, um dann noch entschuldigend hinzuzufügen: »[…] genauso hat man mich 20 Jahre erzogen.«192 Die Verhaftung der NKVD Mitarbeiter gründete somit in der Hauptsache auf Zeugenaussagen von Kollegen und freigelassenen Gefangenen, deren Fall noch nicht abgeschlossen gewesen war. Dokumentarisches Beweismaterial dagegen war rar und betraf Verstöße gegen Befehle und die nicht ganz korrekte Durchführung der Verurteilung von Gefangenen durch das außergerichtliche Organ der Trojka. Allerdings waren die bei der Durchsuchung der Wohnung Truškins aufgefundenen hoch geheimen Materialien ein starkes Beweismittel für einen groben Verstoß der Dienstordnung. Eine zentrale Stellung bei der Überführung von Truškin, Garbuzov und Voronin nahm der Agent »Gerd« ein. Hier war allerdings das Problem, dass der Agent von einem Extrem ins andere verfiel. Zunächst präsentierte er sich als Kronzeuge, dann solidarisierte er sich plötzlich wieder in hohem Maße mit seinen ehemaligen Führungsoffizieren. Er signalisierte, genauso wenig wie diese zu verstehen, wieso das Verhalten der von ihm observierten Personen nun nicht mehr als trotzkistisch, also als politisch extrem illoyal zu bewertet ist. Es 191 192
Protokol doprosa F. F. Nikolaevskogo. 19.03.1940, еbd., T. 11, L. 256-257 ob. »Im Volkskommissariat hat man mich darüber aufgeklärt, dass dieses Verhalten nicht antisowjetisch ist, zumal diese Personen während der Gefangenschaft gute Gründe für eine solche Einstellung gehabt haben.« Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 445 ob–446.
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entsteht letztendlich der Eindruck, dass »Gerd« grundsätzlich auf einer Linie mit seinen Führungsoffizieren Truškin, Garbuzov und Voronin gelegen hatte und, mit einer kleinen Unterbrechung, auch weiterhin lag und sie zusammen mit der Gebietsgeheimdienst-Führung von Nikolaev gerne unterstützt hat, wenn auch nicht immer zu ihrer vollen Zufriedenheit.
Portrait der Verhafteten Bei den vier verhafteten Geheimdienstmitarbeitern handelte es sich um sehr junge Männer, die, mit Ausnahme Truškins, erst in jüngster Vergangenheit begonnen hatten für den Geheimdienst zu arbeiten und in die Partei eingetreten waren. Trotzdem hatten sie nicht nur aus ihrer Sicht, sondern tatsächlich eine steile Karriere hingelegt. Sozial aus kleinsten Verhältnissen waren sie zu einem privilegierten Mitglied der sowjetischen Gesellschaft geworden und beruflich in staatliche Spitzenpositionen aufgestiegen. Soeben noch Geheimdienstchef eines ganzen Gebietes stand Petr Vasil’evič Karamyšev bei seiner Verhaftung im 35. Lebensjahr.193 Geboren wurde er am 16. Januar 1905 in der Kleinstadt Serdobsk an der Unteren Wolga194 im Gouvernement Penza als einziger Sohn einer Kleinbauernfamilie. Seine Nationalität war Russe. Seit seiner frühen Kindheit passte er zusammen mit seinem Vater auf die Gemeindekühe auf. Der Vater hatte ein Haus und ein Pferd und betrieb Ackerbau. In den dreißiger Jahren arbeitete der Vater beim Waldschutz195 und dann als Pferdeknecht bei der Eisenbahnstation von Serdobsk. Die Mutter war Hausfrau. Karamyšev ging erst drei Jahre in die städtische Schule und dann bis 1920 in eine weiterführende Schule196 , die von den Eltern bezahlt werden musste. Er will 1920, also mit 15 Jahren, bei den Roten Einheiten197 an der Niederschlagung des Aufstands der tschechoslowakischen Armeeeinheiten teilgenommen haben.198 Mit 16 Jahren begann er, 193
Das folgende Portrait Karamyševs beruht in der Hauptsache auf seiner Personalakte beim Geheimdienst. Die komplette Akte mit den hier noch aus dem Archiv zitierten Dokumenten wurde veröffentlicht als: Ličnoe delo načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 615-693. Eine ausführliche Biographie zu Karamyšev. Vgl. auch: Bažan, O. G./Zolotar’ov, V. A., »Oblyččja Velikogo tororu«. Storinky biografiї kapitana deržavnoї bezpeky P. V. Karamyševa, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2018, S. 67-83. 194 Nižne-Volžskij kraj. 195 Lesnaja ochrana. 196 Škola vtoroj stepeni. 197 Krasnye otrjady. 198 Anketa special’nogo naznačenija na P. V. Karamyševa. 30.04.1933, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31017, Tom 2, Teil II, L. 1-2 ob.
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nach einer mittleren, aber abgebrochenen Schulbildung, ab 1921 bis 1922 als Statistiker im Amtsbezirksbüro für Statistik des Exekutivkomitees von Serdobsk zu arbeiten. Entsprechende Ausbildungskurse erhielt er in Saratov, einer mittelgroßen Stadt, die auch im Gouvernement Penza lag und das Zentrum des Unteren Wolga-Region bildete. Karamyšev bezeichnete sich selbst als Schreiber. Ferner gab Karamyšev an, dass er mit 17 Jahren, also auch 1922, in einer sog. »Abteilung mit besonderem Verwendungszweck«199 tätig war. Die Abteilung sei deshalb aufgestellt worden, weil auf dem Territorium des Amtsbezirks von Serdobsk das Bandenwesen überhandnahm.200 Diese 1919 gebildeten und bis 1924/25 bestehenden Spezialeinheiten, wurden vor Ort erst aus Kommunisten, dann auch aus Komsomolzen gebildet. Sie bekämpften in der Regel Aufständische und gingen gegen »politischen Banditismus« vor. Schon nach einem guten Jahre wechselte Karamyšev 1923 in die Verwaltungsstrukturen des Komsomol. Hier bekam er auf ganz unterster Ebene, im Unteramtsbezirk201 Kurakino des Amtsbezirks von Serdobsk seinen ersten leitenden Posten und zwar als Sekretär der Basisorganisation des Komsomol. Außerdem war er dort stellvertretender Leiter des politischen Aufklärungspunktes.202 1924 übernahm Karamyšev mit 19 Jahren in Saratov die Funktion eines Ausbilders im Rahmen des Amtsbezirkskomitees des Komsomol des Amtsbezirks Serdobsk, was schon eine kleine Stufe höher war. Im gleichen Jahre wechselte er aber wieder in einen Unteramtsbezirk, in den Unteramtsbezirk Gubarov [?], um dort den Komsomol wiederzubeleben. Dann ging es 1925 wieder hoch in das Amtsbezirkskomitee des Komsomol des Amtsbezirks Serdobsk, das sich, wie erwähnt, aber nicht in Serdobsk, sondern in Saratov befand. Schon 1924 war Karamyšev in die Gewerkschaft eingetreten und 1925 zum Kandidaten der VKP(b) der Parteiorganisation von Serdobsk vorgeschlagen worden.203 In Saratov blieb er bis März 1926, bis er, wie Karamyšev in seiner Autobiographie schreibt, »auf persönlichen Wunsch« hin wieder nach Serdobsk zurückkehrte. Wahrscheinlich hat es aber im Komsomol Konflikte gegeben, da Karamyšev 1924 und/oder 1925 einen Verweis erhielt und ihm zusätzlich ein zweiter Verweis wegen »taktlosem Verhalten« angedroht worden war.204 199 200 201 202 203
Časti osobogo naznačenija (ČON). Poslužnoj spisok P. V. Karamyševa. 30.05.1933, ebd., T. 2, Teil II, L. 3-10 ob. Volost’ Volpolitprosvetpunkt. Ebda.; Anketa special’nogo naznačenija na P. V. Karamyševa. 30.04.1933, ebd., T. 2, Teil II, L. 1-2 ob. 204 Anketa special’nogo naznačenija rabotnika NKVD P. V. Karamyševa. 06.07.1935, ebd., T. 1, L. 5-13; Poslužnoj spisok sodtrudnika Leningradskogo Upravlenija NKVD P. V. Karamyševe. Posle 19.01.1939, ebd., T. 1, L. 13-18. Im ersten Dokument werden unspezifisch die Jahre 1924-1925 als Zeitpunkt des Verweises und der Abmahnung angegeben, im zweiten das Jahr 1926. Vgl.
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Wieder in seiner Heimatstadt Serdobsk angekommen, stieg er bei der Amtszeitung »Krasnaja Derevnja« (Rotes Dorf) als Korrektor und Sekretär der Redaktion ein. Allerdings wurde die Zeitung schon bald liquidiert. Dies bedeutete für ihn die Rückkehr zum Amtsbezirkskomitee des Komsomol, diesmal bis Ende 1927 als stellvertretender Leiter der Abteilung für Agitation und Propaganda. Ebenfalls im Jahre 1927 begann seine Tätigkeit als Gerichtsvollzieher der Stadt Serdobsk und Sekretär des Rajonexekutivkomitees und zwar bis zum 23. Juli 1928. Dann erst startete seine Laufbahn im Geheimdienst, was wahrscheinlich mit seiner Aufnahme in die Partei 1928 verbunden war. Er wurde direkt von der GPU des Amtsbezirks Serdobsk entdeckt oder von der Partei dorthin empfohlen. Mit August 1928 begann für ihn der Dienst in dieser Behörde. Man nahm den jungen Mann in den Mitarbeiterstab des Bevollmächtigten der GPU auf. Hier ging es sofort karrieremäßig bergauf. Schon 1929 bekam er die Stellung eines Assistenten des Bevollmächtigten um dann selbst zum Bevollmächtigten der Informationsabteilung205 der GPU des Landkreises Kamyšin der Unteren Wolga-Region des Gouvernements Penza aufzusteigen. Er half bei der Unterdrückung des Bandenwesens, z.B. der Bande unter der Führung eines gewissen Sinel’nikov, und der Niederschlagung der aufständischen Bewegung in den Kosakenrajons Ol’chovka und Danilovka.206 In der Periode von Februar bis Mai 1929 gab ein Bevollmächtigter für Fahndung in einer Beurteilung Karamyševs als dessen persönlichen Qualitäten an, dass er »energisch« und »diszipliniert« sei, »Beharrlichkeit besitzt«, sich »beherrscht und konspirativ« verhalte und er seine »während der Arbeit gemachten Fehler zugibt und korrigiert.« Sein Verhältnis zu den anderen Mitarbeitern wird nicht als die eines Karrieristen, sondern als eines »Genossen« beschrieben. Sein Verhältnis zu den höheren Instanzen der Organe der OGPU gilt als »normal«. Er stellte sich dem Gutachter außerdem als »politisch gebildet« dar.207 Als dann alle Hände bei der Durchführung der Kollektivierung und noch mehr bei der Bewältigung ihrer Folgen gebraucht wurden, kommandierte der Geheimdienst Karamyšev 1930 in einen der größten Rajons des Landkreises, den Rajon Elan’, um dort im Rahmen der Entkulakisierung Operationen in Form von kleinen bewaffneten Geheimdienstaktionen zu leiten. Die erfolgreiche Durchführung dieser Aktionen brachte ihm ab 1. Oktober 1930 den Posten des Leiters der Rajonabteilung der GPU von Elan’ ein, allerdings nur als Interims-Leiter. Auf diesem Posten auch: Anketa special’nogo naznačenija na P. V. Karamyševa. 30.04.1933, ebd., T. 2, Teil II, L. 1-2 ob. 205 INFO GPU. 206 Poslužnoj spisok P. V. Karamyševa. 30.05.1933, ebd., T. 2, Teil II, L. 3-10 ob. 207 Charakteristika na pomoščnika Upolnomočennogo Kamyškinskogo Okružnogo otdela OGPU P. V. Karamyševa za vremja 24 fevralja 1929 g. po 1 maja 1929 g. [Posle 01.05.1929], ebd., Tom 3, Teil II, L. 1-1 ob.
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kämpfte er weiter gegen Massenaufstände in den Dörfern Eresčinkovo, Nižnjaja Dobrinka und Krasnotalovka des Rajons Elan’ und in den angrenzenden Dörfern des Rajons Rudnja der Unteren Wolga-Region.208 So hatte es ein abgelegenes Dorf im Rajon Rudnja, das Dorf Rybuška, im Januar 1930 sogar zur Erwähnung in einem zentralen Moskauer OGPU-Gutachten über die angespannte Lage im Land gebracht. Hier war berichtet worden, das »als Resultat der Agitation der Tochter eines Kulaken und Händlers alle Frauen ihren Austritt aus der neu gegründeten Kolchose« erklärt hatten. Dies hieß nichts anderes, als dass der Widerstand gegen die Kollektivierung massenhafte Ausmaße in den Regionen angenommen hatte und sicher mit ein Anlass war, dass Stalin nicht nur durch Geheimdienstoperationen, sondern auch durch seine Rede »Vor Erfolgen von Schwindel befallen« vom 2. März 1930 versuchte, die Situation wieder in den Griff zu bekommen.209 Die Parteiorganisation von Elan’ stellte Karamyšev 1931 ein hervorragendes Zeugnis seiner Arbeit in Elan’ aus: »Keine Parteiabmahnungen. Ist korrekt, kennt sich in politischen Fragen gut aus. Ein hingebungsvolles und beherrschtes Parteimitglied und im alltäglichen Leben bescheiden. Bei der Ausführung von Parteiaufgaben ist er ein Vorbild für die Parteiorganisation. Verfügt bei den Partei- und auch bei den Kolchosmitgliedern über die nötige Autorität.«210 Allerding fällt das Ergebnis der Beurteilungskommission der GPU der Unteren Wolga- Region, die den Zeitraum von April 1930 bis April 1931 betrachtet weniger schmeichelhaft aus. »Sein Verhältnis zur anstehenden Arbeit ist ungenügend durchdacht, er ist hitzig, manchmal schätzt er die Schwierigkeit und den Ernst der aufgetragenen Aufgaben falsch ein, macht Fehler, bekennt sie und korrigiert sie schnell. Mit den Agenten ist er nur oberflächlich in Kontakt. Die allgemeinen Informanten versteht er zu führen, bei der Untersuchungsführung ist er unerfahren. Hat Initiative, kann sich [nur] in weniger schwierigen Situationen orientieren. Kam im Großen und Ganzen mit den Aufgaben zurecht, die sich während der Durchführung der Operationen zur Aussiedlung des Kulakentums ergeben haben.«211 208 Poslužnoj spisok P. V. Karamyševa. 30.05.1933, ebd., T. 2, Teil II, L. 3-10 ob. 209 Spravka informacionnogo otdela OGPU o vychodach iz kolchozov. Ne ranee 15 janvarja 1930 g., in: Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivizacija i raskulačivanie. Dokumenty i materialy v 5 tomach. 1937-1939. Tom 2: Nojabr’ 1929 – dekabr’ 1930, Moskau 2000, S. 131-134, hier 132. 210 Charakteristika na člena partii rajupolnomočennogo PP OGPU P. V. Karamyševa. 14.04.1931, ebd., T. 1, Teil II, L. 25. 211 Attestacija OGPU Nižne-Volžskogo kraja na P. V. Karamyševa za period s 1 aprelja 1930 g. po 1 aprelja 1931 g. [Posle 01.04.1931], ebd., Tom 3, Teil II, L. 4-4 ob.
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Abschließend wird die Notwendigkeit betont, ihn zu einer Schulung zu schicken, was durch ein weiteres Gutachten der Regionalverwaltung212 der GPU von Elan’ abermals unterstrichen wird. In diesem Gutachten steht die Empfehlung, Karamyševs politische Kenntnisse zu erhöhen und seine Kompetenzen bei der Führung von Agenten zu verbessern.213 1932 erhielt Karamyšev schließlich den Befehl der Kaderabteilung der Generalvertretung der OGPU der Unteren Wolga-Region sich an der Zentralen Schule der OGPU in Moskau fortzubilden. Nach den Schmalspurkursen, die er nach 8 Monaten auch noch schneller als vorgesehen und ohne Zertifikat beendete214 , wurde er im Januar 1933 in die Ukraine in die Provinz geschickt und arbeitete dort als stellvertretender Leiter der politischen Abteilung der Maschinenund Traktorenstation von Bandurka des Rajons Arbuzinka des Gebiets Odessa. In Bandurka war er fast zwei Jahre. Warum Karamyšev nach den Kursen wieder relativ unten anfangen musste, ist unklar. Ob dies darauf zurückzuführen ist, dass im August 1933 in seine Karteikarte bei der Zentralen Schule der GPU der folgende, sehr ernst zu nehmende, administrative Verweis eingetragen wurde? »Bei Weiterführung der dienstlichen Tätigkeit für 2 Tage verhaften wegen unaufmerksamer Haltung gegenüber der Sache. – Schulbefehl № 87 § 5 vom 08.08.1932.«215 Nach Angaben von Karamyševs wusste er aber nichts von dem Verweis, zumal man die darin angeordneten Maßnahmen nicht in die Tat umgesetzt zu haben scheint.216 Dennoch blieb der Verweis ganze vier Jahre hartnäckig an ihm kleben. Die auf die Zentrale Schule des Geheimdienstes folgenden zwei Jahre als stellvertretender Leiter der politischen Abteilung der Maschinen- und Traktorenstation von Bandurka waren hart und steinig. Im Dezember 1933 musste Karamyšev an einem zweiwöchigen Fortbildungskurs für stellvertretende Leiter der Politabteilungen von MTS und Sowchosen teilnehmen, die von der Gebietsabteilung der GPU von Odessa angesetzt worden waren. Hier fiel Karamyšev auf, weil er zu den Kursen zu spät gekommen war und zwar am 12. Dezember 1933. Dies hatte zur 212 213
RUP. Ebda.; Poslužnoj spisok sodtrudnika Leningradskogo Upravlenija NKVD P. V. Karamyševa. [Posle 19.01.1939], ebd., T. 1, L. 13-18. 214 Dosročno. Vgl.: Poslužnoj spisok na P. V. Karamyševa sostavlen CŠ OGPU. 09.01.1933, ebd., T. 1, Teil II, L. 9-16 ob. Karamyšev hat nicht, wie 1932 offensichtlich angestrebt, ein Abschlusszertifikat der II Stufe der Zentralen Schule der OGPU erworben, sondern die Kurse abgebrochen. Vgl.: Attestacionnyj list na prisvoenie special’nogo zvanija attestacionnoj komissii UNKVD po Leningradskoj oblasti na P. V. Karamyševa. 19.04.1936, ebd. T. 1, Teil III, L. 23. 215 Informacija otdela AChO Central’noj Školy GUGB NKVD SSSR na zapros načal’nika otdela kadrov UNKVD Leningradskoj oblasti. 21.01.1936, ebd., T. 1. Teil II, L. 18. 216 Raport operupolnomočennogo 1-go otdelenija SPU UGB P. V. Karamyševa načal’niku SPO UGB UNKVD Leningradskoj oblasi Lupekinu. 16.12.1935, ebd., T. 1, Teil II, L. 21.
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Folge, so der Leiter der Kurse in seinem Rapport, dass Karamyšev sechs Unterrichtsstunden zum »Zyklus tschekistischer Disziplinen«217 , drei über die Mechanisierung der Landwirtschaft, zwei über Agrartechnik, einen über Viehwirtschaft und zwei über das Thema Militär218 verpasst hatte. Karamyševs Gesamtbeurteilung durch den Kursleiter sieht am Ende jedoch nicht ganz so schlecht aus: Er habe sich am Unterricht aktiv beteiligt und gut mitgearbeitet. Seine Anpassungsfähigkeit sei hoch gewesen. Er sei politisch gebildet. Er verstehe es sich zu benehmen und sei beherrscht. Ungewöhnliches Verhalten beim Umgang mit den anderen Kursteilnehmern habe man nicht feststellen können. Er schloss die Kurse, laut Gutachten, mit den folgenden Parametern ab: 1. Zyklus tschekistischer Disziplinen – vollkommen ausreichend. 2. Sozialistische Rekonstruktion und Parteiarbeit unter den Massen – hervorragend. 3. Die Mechanisierung der Landwirtschaft – gut. 4. Agrartechnik – vollkommen ausreichend. 5. Viehwirtschaft – ausreichend. 6. Thema Militär – ausreichend.
Die Gesamtnote war dementsprechend nur »VOLLKOMMEN AUSREICHEND«.219 Seine eindeutige Vorliebe galt somit der politischen Arbeit. Der ebenso wichtige Kurs »Zyklus tschekistischer Disziplinen«, in dem die Arbeit mit Agenten, die Untersuchungsführung, die korrekte Anfertigung von Verhörprotokollen, die Überwachung von Zielpersonen, die Überwachung und Bearbeitung von Gefangenen in den Gefängniszellen usw. Thema war, ließ zu wünschen übrig. Besonders die Vorgesetzten waren nicht sehr zufrieden mit ihrem neuen Mitarbeiter. Karamyšev wurde aus der Gebietsverwaltung des Geheimdienstes von Odessa genau beobachtet und ungeschminkt beurteilt: »Mit der Arbeit an den Objekten des Dorfes kennt er sich schlecht aus. Hat keine Agenten und [neuen] informellen Mitarbeiter angeworben.220 Hat während seiner Arbeit die wichtigsten und entscheidenden Kolchosen mit einem breiten Netz von informellen Mitarbeitern221 durchzogen. Hat zusammen mit dem Rajonapparat im Rajon Arbuzinka eine Bande aufgedeckt und liquidiert. Gibt Informa217 218 219
Cikl čekistskich disciplin (čekcikl). Voennoe delo. Attestacija na P. V. Karamyševa, okončivšego dvuchmesjačnye kursy perepodgotovki zamestitelej načalnikov politotdelov MTS i sovchozov po rabote OGPU pri Odesskom oblastnom otdele GPU. [Janvar’ 1934 g.], ebd. Tom 2, Teil I, L. 5. 220 Agenty i specosvedomiteli. 221 Ochvatil osnovnye rešajužšie kolchosy massovost’ju.
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tionen rechtzeitig weiter. Verfügt über eine Reihe von Verdachtsmaterialien222 , aber die vorgestellten Dokumente sind schwach durch Agenturmaterialien abgesichert und beruhen im Großen und Ganzen auf offiziellen Angaben und Daten. Die Datei zur Registration von zweifelhaften Personen ist nicht instandgesetzt.223 Der Mitarbeiter ist diszipliniert und energiegeladen aber er kommt wegen geringer tschekistischer Vorbereitung [nur] schlecht mit der Arbeit des stellvertretenden Leiters der politischen Abteilung zurecht.«224 Gar nicht gefiel den Vorgesetzten, dass Karamyšev dem Lehrer von Bandurka das Verhör von Verhafteten überlassen hatte und dann auch noch die Verhörprotokolle ohne jegliche Überprüfung unterschrieb. Schließlich habe sich herausgestellt, dass der Lehrer die Anklage auf der Basis von gefälschten Dokumenten aufgebaut hatte und die Anklageschrift des Falls nicht den in der Akte abgelegten Materialien entsprach. Mehrere Untersuchungsverfahren, die auf diese Weise von Karamyšev erstellt wurden, mussten daraufhin eingestellt werden.225 Trotz aller Kritik und Startschwierigkeiten dynamisierte sich Karamyševs Karriere nach den zwei Lehr- und Anpassungsjahren in der Maschinen-Traktorenstation von Bandurka beträchtlich. Im Dezember 1934 berief man ihn in die Gebietsabteilung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa und Mitte Januar 1935 auf Befehl des Organisationskomitees des NKVD der UdSSR weg aus der Ukraine in die Verwaltung des NKVD des Gebiets Leningrad. Hier wurde er mächtig gefördert. Erst übernahm er den Posten eines Bevollmächtigten (ab 22.01.1935) und dann eines Fahndungsbevollmächtigten (ab 01.08.1935) der 7. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Leningrad. Die allgemeine Einschätzung seiner Person, die zu der Beförderung zum Fahndungsbevollmächtigten führte, lautete: »Genosse KARAMYŠEV verfügt über eine gute allgemeine- und politische Ausbildung. Er ist dazu in der Lage schwierige Beweisaufnahmen durchzuführen, er kennt sich bei der Arbeit mit Agenten aus. Die Befehle des NKVD über die Nachrichtentätigkeit und Untersuchungsführung hat er verstanden. Ein Defizit ist die geringe Menge an neuen seriösen Anwerbungen von Informanten. Ist fähig anzuwerben. Verweise durch die Partei sind bei KARAMYŠEV nicht zu verzeichnen. 1932 hat er im Dienst einen Verweis erhalten. Diszipliniert und leistungsfähig.«226 222 Iniciativnye dokumenty. 223 Učet ne nalažen. 224 Attestacija na zamestitelja načal’nika politotdela Bandurskoj MTS P. V. Karamyševa. [Nojabr’ 1933 g.], ebd., Tom 1, Teil I, L. 3-3 ob. 225 Charakteristika na zamestitelja načal’nika politotdela Bandurskoj MTS P. V. Karamyševa. [Posle 20.10.1933], ebd., Tom 2, Teil I, L. 4-4 ob. 226 Attestacionnyj list načal’nika SPO UGB na upolnomočennogo I-otdelenija SPO P. V. Karamyševa. [1935 g.], ebd., Tom 1, Teil III, L. 26-26 ob.
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Die Ernennung Karamyševs zum Leutnant der Staatssicherheit erfolgte am 23. März 1936. Ab dem 1. November 1936 war er Assistent des Leiters der 1. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung«. Diesmal wurde er besonders wegen der Bekämpfung des trotzkistischen, zinov’evistischen und menschewistischen Untergrunds gelobt, aber auch seine allgemeinen Fähigkeiten herausgestrichen: »Er ist politisch gut entwickelt. Nimmt aktiv am Parteileben des Kollektivs teil (er ist stellvertretender Leiter eines Arbeitskreises). […] Er ist diszipliniert. Beherrscht gut die Agentenarbeit in Bezug auf Trotzkisten, Zinov’evisten und Menschewisten. Ein hervorragender Untersuchungsführer. Hat 1936 einer der größten Fälle in Bezug auf eine trotzkistisch-zinov’evistische terroristische Organisation (die terroristische Gruppe TOMINSKIJS und anderer) und eine Reihe von Fällen trotzkistisch gesinnter Einzelpersonen bearbeitet. Ein guter Führungsoffizier von Agenten.227 Hat keine Anwerbung von Agenten betrieben, weil er mit der Beweisaufnahme überlastet war.«228 Am 1. Mai 1937 stieg Karamyšev zum Leiter der 5. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« auf. Die Begründung ihn zum Leiter einer Unterabteilung zu befördern waren wieder seine gleichbleibend guten Leistungen beim Kampf gegen den Trotzkismus, Zinov’evismus und Menschewismus: »Der beste Untersuchungsführer der 4. Abteilung [der »Geheime politische Abteilung«]. 1936 hat er Beweisaufnahmen gegen die Hauptangeklagten der trotzkistischen-zinov’evistischen Organisation, gegen die Terroristen BANAG; PEČERSKIJ, DMITRIEV, DIDAK, ORLOV, VASIL’EV, TOMSKIJ und andere geführt. Als Resultat seiner Beweisaufnahme hat er ihre terroristische Tätigkeit aufgedeckt. […] 1936 hat er eine Reihe von Agenturberichten über Trotzkisten und Zinov’evisten angestoßen und abgearbeitet. 1937 hat er einige erfolgreiche Anwerbungen von Agenten [die Informationen] über Trotzkisten und Zinov’evisten [bringen] durchgeführt.«229 Seine Arbeit scheint insgesamt so überzeugend gewesen zu sein, dass endlich im September 1936 der 1932 gegen ihn in der Zentralen Schule der OGPU ausgesprochene administrative Verweis gelöscht wurde. Am 25. Juni 1937 erhielt er auf Initiative des Leiters des UNKVD des Gebiets Leningrad L. M. Zakovskij sogar den 227 Agenturist. 228 Attestacionnyj list načal’nika NKVD Leningradskoj oblasti L. M. Zakovskogo na operupolnomočennogo 1-go otdelenija SPO P. V. Karamyševa. [Nojabr’ 1936 g.], ebd., T. 1, Teil III, L. 24-24 ob. 229 Attestacionnyj list načal’nika 4-go otdela UGB Korkina na pomoščnika načal’nika 1-go otdelenija 4-go otdela UGB UNKVD Leningradskoj oblasti P. V. Karamyševa. [Ne pozže maja 1937 g.], ebd., Tom 1, Teil 3, L. 25-25 ob.
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Leninorden. Überreicht wurde der Orden »Für mustergültige und selbstlose Erfüllung von wichtigsten Regierungsaufgaben.« 1937 wurden 55 Mitarbeiter des NKVD der UdSSR – ohne diejenigen mit einzuberechnen, die in Spanien gekämpft hatten – mit dem Lenin-Orden geehrt. Keiner der frischgebackenen Ritter dieses wichtigsten Ordens des Landes hatte aber einen so niedrigen Dienstrang und Posten wie Karamyšev.230 Die Verleihung des Lenin-Ordens katapultierte ihn nach einer kurzen Übergangsphase als Assistent des Leiters der 4. Abteilung des UNKVD des Gebiets Leningrad (01.08.1937 bis 06.10.1937) mit dem 7. Oktober 1937 auf den Posten des stellvertretenden Leiters des UNKVD des Gebiets Rjazan. Dies war gleichzeitig mit der Verleihung des Dienstgrades eines Hauptmanns der Staatssicherheit verbunden. Ab dem 3. März 1938 konnte Karamyšev seine Karriere im Alter von nur 33 Jahren mit der Übernahme der Leitung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev krönen. Das entscheidende Argument für die Versetzung Karamyševs gerade nach Nikolaev war sein Dienst im Januar 1933 bis Januar 1935 als stellvertretender Leiter der Politabteilung der GPU-UGB des NKVD der Maschinen- und Traktorenstation (MTS) von Bandurka des Rajons Arbuzinka des Gebiets Odessa, zumal dieser Rajon dann dem neu gegründeten Gebiet Nikolaev zugeschlagen wurde.231 In Nikolaev war die Übernahme der Leitung der Verwaltung des NKVD auch mit einem gesteigerten politischen und gesellschaftlichen Einfluss verbunden. Mitte 1938 wurde Karamyšev zum Mitglied im Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev und im Mai 1938 zum Deputierten des Obersten Sowjet der Ukraine gewählt.232 Der Erste Sekretär des ZK der KP(b) der Ukraine N. S. Chruschtschow hatte eine so hohe Meinung von der Professionalität Karamyševs, dass er sogar sein Einverständnis gab, ihn auf dem XIV Parteitag der KP(b) der Ukraine, der vom 13. bis 18. Juni 1938 in Kiew stattfand, zum Mitglied des ZK der KP(b) der Ukraine zu wählen. Auf dem Parteitag wies Karamyšev die Avancen Chruschtschows jedoch mit äußerster Bescheidenheit zurück: »Ich bin schon ausreichend mit Parteiarbeit ausgelastet. Ich wurde zum Mitglied des Stadtkomitees [von Nikolaev] und des Büros des Gebietskomitees [des Gebiets Nikolaev] gewählt. Ich denke, dass ist genug für mich.«233 Karamyšev hatte eine Tochter. Seine Frau war bereits 1935 mit 30 Jahren verstorben.234 230 Zolotar’ov, V. A., Oleksandr Uspens’kyj. Osoba, čas, otočennja, Charkiv 2004, S. 114. 231 Ebda. 232 Naši kandidaty v deputaty Verchovnogo Soveta USSR: Karamyšev, P., in: Južnaja gazeta. 30.05.1938. № 116. 233 Zolotar’ov, Oleksandr Uspens’kyj, S. 141. 234 Die wichtigsten Informationen dieses Portraits von P. V. Karamyšev sind zu finden in: Zaklučenie po materialam specproverki na vremennogo načаlnika Elanskogo Rajotdelenija PP
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Der zweite Verhaftete Jakov Luk’janovič Truškin bildete in Bezug auf seinen Kontakt zu Geheimdienst und Partei die Ausnahme von der Regel. Geboren 1904 als Arbeiterkind in der Stadt Kerč’ auf der Krim, war er nur ein Jahr älter als Karamyšev, allerdings war er schon mit 15 Jahren, also seit 1919, Parteimitglied geworden. Hier erhielt er einen Verweis wegen Formalismus. Was ihn wiederrum mit Karamyšev verband war die niedrige Bildung. Aber im Unterschied zu seinem Chef hatte er schon seit seinem 17. Lebensjahr, also mit dem Jahr 1921, in verschiedenen Positionen für den NKVD gearbeitet. Dennoch wurden die Posten erst ab 1927 gewichtiger. Er stieg zum langgedienten Bevollmächtigten der Bezirksabteilung der GPU von Dnepropetrovsk auf, dann war er ab 1930 Leiter der Rajonabteilung der GPU des operativen Sektors der GPU von Dnepropetrovsk. Ab 1931 übernahm er die Leitung der Rajonabteilung der GPU von Veliko-Tokmak des operativen Sektors von Dnepropetrovsk. Ab 1932 war er Leiter der Rajonabteilung des GPU von Ščorsovka des Gebiets Černigov und ab 1933 Leiter der Rajonabteilung der GPU von Novgorod-Severskij des Gebiets Černigov. Dann gelang ihm endlich der Sprung von der Rajonebene auf die Gebietsebene und zwar übernahm er ab April 1935 die Leitung einer Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD des Gebiets Černigov. Hier saß er aber zunächst einmal wieder fest. Neuen Schwung nahm sein Aufstieg dann mit dem Großen Terror auf. So wurde er ab April 1938 stellvertretender Leiter der »Geheimen politischen Abteilung«, ebenfalls in Černigov. Am 1. Juni 1938 bis zum 30. Juli 1939 erhielt er schließlich in der Gebietsstruktur des NKVD von Nikolaev die kommissarische Leitung einer ganzen Abteilung und zwar, wie bekannt, die Leitung der »Geheimen politischen Abteilung«. Er war Leutnant der Staatssicherheit, seine Nationalität russisch, war nicht vorbestraft, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Disziplinarverfahren gegen ihn hat es nicht gegeben. Michail Vasil’evič Garbuzov war, geboren 1909 bei der Eisenbahnstation Derjugino im Gouvernement Kursk, mit 31 Jahren der Jüngste. Er hatte dreieinhalb Jahre in der Produktion gearbeitet. Der Eintritt in die Partei erfolgte 1931. Ab 1932 war er beim Geheimdienst. Sein erster Posten war von 1932-1933 Beauftragter der Stadtabteilung der GPU von Kramatorsk des Gebiets Doneck. Im Jahre 1932 erhielt er zum 15-jährigen Jubiläum der Tscheka das Abzeichen eines »Ehrenhaften Tschekisten« (XV). Von 1933-1937 war er Leiter der Rajonabteilung der GPU-NKVD von Starobeševo des Gebiets Doneck. Am 22. März 1936 war die Ernennung zum Unterleutnant der Staatssicherheit erfolgt. Er wechselte am 7. April 1937 in einen anderen Rajon des Gebiets Doneck, in die Rajonabteilung des NKVD von Petro-Mar’inka. Erst der Große Terror brachte ihn, genau wie seinen Vorgesetzten Trušin, auf die Gebietsebene. Ab dem 7. April 1938 wurde er zum Leiter der 4. Unterabteilung des OGPU P. V. Karamyševa. [1931], ebd., T. 1, L. 3; Avtobiografija Petra Vasel’eviča Karamyševa. 27.05.1935, ebd., T. 1, L. 4.
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UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev ernannt. Mit nur 29 Jahren und zwar ab dem 15. August 1938 bis zum 10. März 1939 bekam er den Stellvertreterposten der »Geheimen politischen Abteilung« der Gebietsverwaltung des NKVD übertragen. Am 10. März 1940 entließ man ihn aus dem NKVD. Er war Russe und hatte nicht in der Roten Armee gedient. Nur ein dienstliches Disziplinarverfahren hatte er durchlaufen, das mit einer Verhängung von 10 Tagen Haft einherging. Die Strafe musste er allerdings nicht absitzen. Er war verheiratet und hatte ein Kind. Konstantin Afanas’evič Voronin war 1906 in Odessa geboren, somit 34 Jahre alt. Seine soziale Herkunft war Arbeiter. Bis zum Eintritt in den NKVD arbeitete er 6 Jahre in der Produktion als Säger. Mit dem Geheimdienst stand er seit 1928 in Kontakt, denn er war von 1928 bis April 1929 bei den Truppen der OGPU. Ab April 1929 fing seine offizielle Laufbahn bei den Organen an. Am 22. März 1936 wurde er zum Unteroffizier der Staatssicherheit ernannt, was wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Übernahme des Postens als Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa zusammenhing. Hier arbeitete er bis zum 9. Oktober 1937. Vom 9. Oktober 1937 bis zum 15. August 1938 bekleidete er die Stellung des Leiters der 1. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Dann ab 1939 war er Leiter der 1. Unterabteilung der 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 1. März 1940 ereilte ihn die Entlassung aus dem NKVD. Außer Karamyšev, der von kleinbäuerlicher Herkunft war, waren die Angeklagten also alle in Arbeiterfamilien aufgewachsen und, wie Karamyšev auch, von niedriger Bildung. Außerdem waren sie allesamt sehr jung. Keiner war vorbestraft; ganz im Gegenteil hatten sie viele Auszeichnungen bekommen. Truškin »einige Anerkennungen und Dankesbekundungen«, Garbuzov das Abzeichen eines »Ehrenhaften Tschekisten«, Voronin wurde »einige Male für gute Arbeit in den Organen des NKVD prämiert« und Karamyšev erhielt den »Lenin-Orden«.235 Bei allen war der Große Terror ein Karrieremotor gewesen. Für Karamyšev ist nachweisbar, dass seine Ausbildung zum Tschekisten eher sporadisch bzw. auf Schnellkursen beruhte. Außerdem hatte er definitiv Gewalterfahrungen im Bürgerkrieg und während der Kollektivierung gesammelt.
Erster Prozess: Freispruch Die Anklageerhebung gegen alle vier Tschekisten stützte sich auf den Paragraphen 206, mit seinem Punkt 17 »a« und »b«: Der volle Wortlaut des Paragraphen ist: 235 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 112-113 ob.
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»Paragraph 206, Punkt 17 a)*) Machtmissbrauch, Ausnutzung von Befugnissen, Tatenlosigkeit im Dienst von Personen des Führungsstabs der Roten Arbeiter- und Bauern Armee, wenn dies systematisch oder aus Eigennutz, oder aus anderem persönlichen Interesse begangen wurde, oder auch in dem Fall, wenn dies auf die anvertrauten Kräfte oder Fälle desorganisierend wirkt oder zur Verbreitung von Militärgeheimnissen führt oder andere schwerwiegende Folgen hat oder in dem Fall, wenn dies zwar nicht die aufgeführten Folgen hatte, es aber offenkundig hätte haben können oder wenn dies in Kriegszeiten oder unter Kampfbedingungen begangen wurde – Freiheitsstrafe nicht weniger als 6 Monate. [Paragraph 206, Punkt 17] b)**) Dieselben Vergehen, aber unter besonders zugespitzten und extremen Umständen – Todesstrafe. [Paragraph 206, Punkt 17] c)** […]. *) [und] **) in der Bearbeitung des Beschlusses des ZK und des SNK der ukrainischen SSR vom 25.01.1928 […].«236 Die Anklage nach Paragraph 206 war eine sehr ernste Angelegenheit, da Punkt »a« bei der Androhung einer Freiheitsstrafe nach oben hin nicht begrenzt war, sondern nur eine Mindeststrafe vorsah. Punkt »b« umfasste sogar die Todesstrafe, was wiederum für Punkt »a« bedeutete, dass tendenziell hohe Freiheitsstrafen zu erwarten waren; zumal in der aktuellen Situation. Besorgniserregend war für die Angeklagten ganz konkret, dass sich die stark entlastende Aussage des Agenten »Gerd« von Mitte März 1940, in der er plötzlich behauptet hatte, doch nicht von seinen Führungsoffizieren und der UNKVDLeitung unter Druck gesetzt worden zu sein, nicht positiv in der Anklageerhebung von Mitte Mai 1940 gegen die Geheimdienstmitarbeiter Karamyšev, Truškin, Garbuzov und Voronin niederschlug. Vielmehr wurden weiterhin die »alten«, hoch kompromittierenden Aussagen von »Gerd« vom Oktober 1939 verwendet. Auch alle anderen, bereits in der Sanktion zum Haftbefehl erwähnten Punkte gegen die Angeklagten schienen nun durch eine Masse an Zeugenaussagen von Kollegen und Opfern und mehrere Gegenüberstellungen sowie einiges Beweismaterial ausreichend untermauert zu sein.237 236 Ugolovnyj kodeks URSR. Oficial’nyj tekst z zminamy i dopovnennjamy na 1 žovtnja 1938 r., Kyїv 1938, S. 132. 237 Mit der gerichtlichen Verfolgung der Tschekisten beschäftigten sich nicht »normale« Zivilgerichte, sondern in der Hauptsache die Militärtribunale der Grenz- und inneren Truppen des NKVD, d.h. spezielle Militärgerichte. In der Ukrainischen SSR waren das die Militärtribunale der Bezirke Char’kov und Kiew. Es ist zu betonen, dass die Bezirke der Militärtribunale des NKVD nicht mit den allgemeinen Militärbezirken übereinstimmten. Ausgefertigt hatte die Anklageerhebung die Republikstruktur des NKVD der Ukraine und zwar ihre Untersuchungsabteilung. Bestätigt wurde sie vom Leiter der Abteilung N. A. Kazin und dem stellvertretenden Leiter des NKVD der Ukrainischen SSR N. D. Gorlinskij. Vgl.: Obvinitel’noe zaključenie… 11.05.1940, еbd., T. 11, L. 347-358.
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Einen weiteren Monat später bestätigte das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR in Moskau die Anklageerhebung und reichte die Durchführung des Prozesses an das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks weiter.238 Der eigentliche Prozess fand aber erst ein halbes Jahr später statt und dauerte eine gute Woche und zwar vom 27. Dezember 1940 bis zum 4. Januar 1941. Prozessort war das Gebäude der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev. Die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Den Vorsitz hatte der Militärjurist ersten Ranges Gur’ev. Beisitzer waren die Laienrichter Čepikov und Lyskov, Sekretär der nicht stimmberichtigte Technik-Intendant 1. Ranges Miljakov. Staatsanwalt und Verteidigung waren nicht zugelassen. Vor das Tribunal geladen wurden insgesamt 44 Zeugen, wobei 6 davon verhindert waren. Bei den Zeugen handelte es sich um (ehemalige) Mitarbeiter des NKVD des Gebiets Nikolaev und ehemalige Gefangene, die Opfer der Methoden des NKVD geworden waren. Allerdings wurde bei den letzteren genau ausgewählt. Nur diejenigen, die in den Werften von Nikolaev gearbeitet hatten und zum größten Teil nun wieder dort arbeiteten, traten in den Zeugenstand. Dagegen waren Zeugen aus Kolchosen, deren Fälle ebenfalls während der Voruntersuchung und auch auf dem Prozess Thema waren, nicht eingeladen. Auf Antrag Karamyševs billigte das Gericht die Einladung fünf weiterer Entlastungszeugen, allesamt Mitarbeiter des NKVD.239 Der größte Nachteil für die Angeklagten war die Nichtzulassung von Verteidigern. Sie mussten das selbst übernehmen, wurden aber, wenn auch spät, mit allen Materialien, die man gegen sie gesammelt hatte, bekannt gemacht. Die Begründung für die Nichtzulassung von Verteidigern war: »[…] weil in den Akten Angaben enthalten sind, die der Geheimhaltung unterliegen.«240 238 Vgl.: Protokol podgotovitel’nogo zasedanija Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu po P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 21.06.1940, еbd., T. 13, L. 2. Veröffentlicht als: Protokol podgotovitel’nogo zasedanija Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu po P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 21.06.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 254. Erst kurz vorher war es offiziell legalisiert worden, Mitarbeiter des NKVD durch die Militärtribunale der Truppen des NKVD verurteilen zu lassen. Vgl.: Ukaz prezidiuma Verchovnogo soveta SSSR »Ob izmenenii podsudnosti voennych tribunalov«. 13.12.1940, in: Baženova, N. A. (Hg.), Organizacija suda i prokuratury v SSSR. Učebnik dlja slušatelej vuzov MVD SSSR, Moskau 1988, S. 69. Davor hatte man sich mit § 204 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR beholfen, der eine Übergabe von NKVD–Mitarbeitern an Militärtribunale vorsieht. Vgl.: Obvinitel’noe zaključenie po obvineniju P. J. Korobceva i E. F. Demčuka. 05.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 198-203, hier L. 202-203. 239 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 111-111 ob. 240 Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom zasedanii kasatel’no I. F. Fedjaeva, A. A. Semenova, A. P. Protopopova, G. I. Barvinoka. 25.–28.11.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 7, L. 213.
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Die Verteidigungsstrategie der Angeklagten hatte mehrere Aspekte. Allen voran ließ Karamyšev nicht den geringsten Zweifel an der Notwendigkeit und Richtigkeit der geleisteten Arbeit des NKVD seines Gebietes aufkommen. Er wurde nicht müde die großen Leistungen und Schwierigkeiten bei der Beseitigung der enormen ökonomischen und organisatorischen Probleme insbesondere in den Werften des Gebiets zu betonen, zumal unter ständiger innerer und äußerer Bedrohung. »Hier waren die englischen, deutschen, japanischen und polnischen Geheimdienste aktiv, besonders der polnische. […] Es war sehr schwer den Überblick zu behalten. 1938 […] waren die großen Fabriken, besonders die für Schiffsbau, mit klassenfremden Elementen verseucht.241 Hier war doch die Heimat Trotzkis. […] Mit viel Schwung haben wir die Feinde vernichtet, aber trotzdem hat ihr Geheimdienst so [gut] gearbeitet, dass, kaum hatte man in der Fabrik ›Marti‹ ein Aggregat installiert, dies sofort in der ausländischen Presse zu lesen war.«242 Im Konkreten betonten die Angeklagten übereinstimmend, dass gegen die von ihnen verhafteten und verhörten Personen genügend Agenturmaterial und insbesondere Aussagen von Zeugen, die für sie gleichwertig mit Beweismitteln waren243 , vorgelegen haben. Außerdem brachten sie immer wieder Beispiele, die zeigten, dass ihre Aktionen in enger Absprache und sogar mit aktiver Beteiligung von Partei und Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden, vor allem wenn es um Personen mit höherem politischen und administrativen Status ging.244 Als schlagender Beweis für die tatsächliche Verstrickung der ehemaligen Gefangenen in das hoch illoyale trotzkistische Netzwerk bis zum heutigen Tag und ihre deshalb vollständig gerechtfertigte Verhaftung im Sommer 1938 fungierte bei allen vier Tschekisten die Akte unter dem Codenamen »Retivye« (die Emsigen) aus dem Jahre 1939. Betont wurde dabei mehrfach, dass sie mit aktiver Unterstützung des augenblicklich amtierenden Leiters des NKVD des Gebiets Nikolaev Jurčenko entstanden war. Die Belastungszeugen aus den Werften, vor allem die, die der NKVD wegen des Großbrandes verhaftet hatte, hielten die Angeklagten unisono für unglaubwürdig, insbesondere deshalb, weil sie eine suspekte Vergangenheit haben und zum Teil auch schon von der Partei dafür abgestraft wurden und jetzt nur darüber verärgert seien, dass sie verhaftet wurden. Für den entlassenen Geheimdienstchef Karamyšev waren die Freigelassenen zudem keine echten Kommunisten, weil sie so früh gestanden haben, noch dazu bei unerfahrenen Untersuchungsführern. 241 Zasoreny. 242 Ebd., L. 263. 243 Auf dem Prozess sagte Karamyšev aus: »Weder ich, noch irgendein anderes Mitglied der Trojka hat am Wahrheitsgehalt der Beweise und Geständnisse gezweifelt.« Ebd., L. 233. 244 Ebd., L. 114-115 ob, 232, 242.
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»Hatten wir es denn bei den meisten überhaupt mit Kommunisten zu tun. Ich bin bis jetzt erstaunt, warum einige [von ihnen] sofort in den ersten Tagen ein Geständnis abgelegt haben und noch dazu bei solchen Untersuchungsführern wie Fedotov, einem jungen, unerfahrenen Mitarbeiter. Ich möchte außerdem anmerken, dass eine Reihe von Personen bei ihrer Freilassung trotzdem nicht wieder in die Partei aufgenommen wurden und dies nur zu recht.«245 Die kompromittierenden Aussagen vieler ehemaliger Kollegen gegen sie führten die angeklagten Tschekisten auf den Wunsch zurück, »persönliche Rechnungen« begleichen zu wollen, weil diese Mitarbeiter in mehreren Fällen sowohl von Karamyšev als auch von Truškin dafür zur Rechenschaft gezogen wurden, sich bei ihrer Arbeit nicht an Recht und Gesetz gehalten zu haben. Die Zeugen sind als Personen unglaubwürdig und haben, so Karamyšev, »im Interesse von Karriere und persönlicher Vorteile« gehandelt.246 Vor allem Karamyšev verstand es während des Prozesses, und auch schon während der Voruntersuchungen, seine vollständige Integrität gegenüber Partei und Staat zu inszenieren. Er stritt konsequent alle Vorwürfe ab und betonte ganz im Gegenteil, dass er in Vergangenheit und Gegenwart sein Bestmögliches getan habe, um Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit zu verhindern. So sei seine erste Amtshandlung bei der Übernahme der Leitungsposition des UNKVD in Nikolaev im April 1938 gewesen, das noch von seinem Vorgänger I. B. Fišer eingerichtete »spezielle Zimmer für das Verprügeln von Verhafteten« abzuschaffen.247 Auf dem Prozess selbst begann Karamyšev mit der Kommission von Ende September 1938 und ihrer Nachfolgekommission von Januar 1939, die beide unter der Leitung des zukünftigen (ab Dezember 1938) stellvertretenden Leiters des NKVD der Ukraine N. D. Gorlinskij den Auftrag bekommen hatte, die Arbeit des UNKVD des Gebiets Nikolaev genau unter die Lupe zu nehmen. Unter anderem inspizierte die Kommission auch die Arbeit der örtlichen Trojka. Nach den Angaben Karamyševs wurde seine Tätigkeit als UNKVD-Chef »als eine der besten in den Gebietshauptstädten der Ukraine« charakterisiert. Die Kommission habe »keinerlei Beanstandungen« gehabt.248 Auch die Abteilung von Truškin bekam explizit gute 245 246 247 248
Ebd., L. 232. Ebda. Protokol doprosa Karamyševa. 15.08.1939, еbd., T. 1, L. 91-94. Im September 1938 war die Gorlinskij–Kommission am 17. und 21. September 1938 in Nikolaev und dann wieder ab Januar 1939 für mehrere Monate. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 115, 173, 232. N. D. Gorlinskij selbst war im September 1938 noch im zentralen NKVD in Moskau Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung des GUGB des NKVD der UdSSR, so dass zu vermuten ist, dass es sich im September um eine aus Moskau geschickte Kommission handelte. Die Januar–Kommission wurde dann möglicherweise aus der Struktur des NKVD der Ukraine gebildet, weil Gorlinskij inzwischen (Dezember 1938) zum stellvertretenden Volkskommissar der Ukraine ernannt worden war.
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Noten.249 Durchaus vorgekommene Fehler habe er – und Karamyšev wird dabei durch Truškin unterstützt – zugegeben und beseitigt. Vor allem wurde laut Truškin, wie in der Resolution vom 17. November 1938 gefordert, die Agenturarbeit verbessert.250 Nach eigenen Aussagen legte Karamyšev nach der Inspektion im September 1938 und dann nach dem 17. November 1938 keineswegs die Hände in den Schoß, sondern leitete mehrere Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter ein, die wegen Unregelmäßigkeiten, bzw. der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit aufgefallen waren. »Wenn es bei den Mitarbeitern vereinzelte Vorkommnisse von ungesetzlichen Maßnahmen der Untersuchungsführung gegeben hat, dann habe ich diese Mitarbeiter mit disziplinarischen Rügen bedacht und den Leiter des Gefängnisses beauftragt, die Zellen und Verhörzimmer251 abzugehen und G. L. Gončarov, Assistent des Leiters der Verwaltung [des NKVD], verpflichtet zu kontrollieren.«252 Karamyševs Argumentation beruhte auf der schon während des Untersuchungsverfahrens eingeschlagenen Strategie die Untersuchungsführung gegen ihn und seine Mitarbeiter als tendenziös darzustellen und sich dagegen im besten Licht zu zeigen. Auch Truškin ging diesen Weg. Auf Karamyševs Kritik traf die »selektive« und »prinzipienlose und provokative Herangehensweise an den Fall« und die Auswahl der Zeugen. »Die Angaben über die Arbeit der Trojka, die in den von dem Untersuchungsführer [N. A.] Burdan zusammengestellten Akten der Kommission auftauchen, verdecken den Kern der Fälle und fälschen die Ordnung der Dinge.«253 Und an anderer Stelle: »Die Direktive des NKVD № 00606 wird von der Untersuchung willkürlich und auf der Basis von tendenziös ausgewählten Angaben interpretiert.«254 Truškin beschwerte sich während der Voruntersuchungen und dann wieder während des Prozesses über Druck, Fälschungen von Zeugenaussagen zu seinen Un249 250 251 252 253
Ebd., L. 245. Ebd., L. 113-115, 232. Komnaty. Ebdа., L. 232. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 233. 254 Ebd., L. 263.
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gunsten und sogar über Schlagen.255 Die große Anzahl an Freilassungen von ehemaligen Untersuchungshäftlingen durch die Untersuchungskommission war für ihn kein Zeichen für von seiner Abteilung gemachte Fehler, sondern dass man nun von einem Extrem ins andere verfalle, was ein häufiger Vorwurf der Angeklagten Tschekisten war. Karamyšev monierte auch noch das Fehlen der Erwähnung seiner politischen Ämter und Auszeichnungen und das Verschweigen seiner »hingebungsvollen Erfüllung wichtigster Regierungsaufgaben.« Dies alles sei »eine Abscheulichkeit und alles andere als ein objektiver Zugang im Geiste der Partei.«256 Ganz in der Diktion der Erklärung des ZK und der Regierung vom 17. November 1938 erklärte er sich und dem Tribunal die seiner Ansicht nach unfaire Untersuchungsführung und die daraus resultierenden völlig übertriebenen Vorwürfe mit dem Einsickern von Feinden in den NKVD, die immer noch ihr Unwesen treiben; speziell in der Ukraine die Protegés Uspenskijs, darunter auch Karamyševs jetzige Untersuchungsführer. Diese Verknüpfung mit dem ehemaligen Volkskommissar der Ukraine Uspenskij war ein heftiger Vorwurf. Der nun als »Volksfeind« geltende Uspenskij war, um seiner drohenden Verhaftung zu entgehen, erst abgetaucht – »Meinen Leichnam […] sucht im Dnepr’« –, dann mit großer Mühe doch aufgespürt, verurteilt und erschossen worden.257 »All diese Tverdochlebovy, Kalužskie sind Protegés Uspenskijs, die die gute Hälfte der Kader der Tschekisten zerschlagen haben. Dasselbe haben sie mit mir gemacht, indem sie die Führung nicht richtig informieren.«258 Mit seiner Einteilung in gute und böse Tschekisten eröffnete Karamyšev sich und den anderen Angeklagten die Möglichkeit sich einerseits auf der hellen Seite einzuordnen, andererseits aber auch die massenhaften Fehler und Exzesse zu erklären. So reklamierten Karamyšev, Truškin, Garbuzov und Voronin für sich selbst, nur »vereinzelt Fehler« gemacht und auf gar keinen Fall Verbrechen begangen zu haben. Karamyšev führt aber gleichzeitig das massenhafte Auftreten dieser Fehler und Exzesse auf das Einsickern von Volksfeinden zurück und stellt sie, einschließlich seiner eigenen Fehler, deshalb als unvermeidbar dar.259 255 Ebd., L. 254; Zajavlenie Karamyševa Ja. M. Vasjutinskomu… 13.07.1940, еbd., T. 13, L. 46-49ob; Zajavlenie Ja. L. Truškina predsedatelju tribunala vojsk NKVD USSR Ja. M. Vasjutinskomu. 03.07.1940, еbd., T. 13, L. 14-19 ob. 256 Zajavlenie P. V. Karamyševa predsedatelju tribunala vojsk NKVD Kievskogo voennogo okruga Ja. M. Vasjutinskomu. 13.07.1940, еbd., T. 13, L. 46-49 ob. 257 Zolotar’ev, V., Oleksandr Uspens’kij. Osoba, čas, otočennjy, Charkiv 2004; Posmertnoe pis’mo narodnogo komissara vnutrennich del USSR A. I. Uspenskogo. Bez daty, OGA SBU, Kiev, F. 13, Op. 1, D. 409, L. 3. 258 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 233. 259 Ebd., L. 245 (Truškin), 261 (Voronin), 262 (Karamyšev), 265 (Garbuzov).
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»Мan muss die Zeitumstände berücksichtigen – es hat sich herausgestellt, dass sich in den Organen des NKVD viele Feinde befinden, die anstatt richtig zu führen, eine feindliche Linie eingeschlagen haben. In Folge dessen wurden nicht nur bei uns, sondern auch anderswo viele Fehler gemacht.«260 Rhetorisch fragte er: »Was hätte ich unter diesen realen Bedingungen tun können? Es ist bekannt, dass sich der subjektive Wille einzelner Mitarbeiter hier als machtlos erweist, – und trotzdem habe ich alles getan, mögliche Fehler zu vermeiden und die gemachten Fehler zu korrigieren.«261 Um sich weiter zu rehabilitieren arbeitete er auf dieser Basis jeden Anklagepunkt einzeln ab. Gegen den Vorwurf, ein allgemeines Klima für die Anwendung physischer Gewalt, sprich Folter, geschaffen zu haben, verwies er zunächst auf die Erlaubnis des Moskauer Zentrums »physische Maßnahmen gegen einzelne feindliche Elemente« anwenden zu dürfen.262 Er habe außerdem nur in maximal fünf Fällen seine Sanktion gegeben und dann auch noch mit gutem Grund, nämlich weil zum Beispiel Derevjančenko auf die Untersuchungsführer losgegangen sei.263 Die von ihm nicht erkannten Vorfälle von Anwendung »ungesetzmäßiger Methoden der Untersuchung« schob er auf Arbeitsüberlastung und dass er weder von seinem Stellvertreter noch seinen anderen Untergebenen ausreichend informiert wurde. »Meine ständige Abwesenheit wurde in den Abteilungen ausgenutzt. Möglicherweise hat Pojasov mehr über die ungesetzlichen Methoden der Untersuchungsführung gewusst, mir davon aber nichts gesagt. Wenn man noch meine Verpflichtungen als Deputierter und die als Mitglied des Gebietskomitees [der Partei] berücksichtigt, so wird deutlich, dass ich oft nicht da war.«264 Den Punkt »unrechtmäßige Verhaftungen« wehrte der ehemalige Leiter des UNKVD von Nikolaev ab, indem er bei den wichtigen Fällen als treibende Kraft Moskau oder auch das Republikzentrum Kiew benannte: »Der Fall Trubin wurde uns aus Moskau zur Untersuchung zugeschickt.«265 260 Ebd., L. 262 (Karamyšev). 261 Zajavlenie P. V. Karamyševa L. P. Beriju. 27.11.1939, еbd., T. 1, L. 186-186 ob. 262 Bisher wurde diese Erlaubnis des ZK der VKP(b) nicht aufgefunden, wobei Stalin diese explizit in seinem Telegramm vom 10. Januar 1939 an die Republik-, Regions- und Gebietsebene der Partei und des NKVD über die Zulassung von Mitteln »physischer Einwirkung« erwähnt. Vgl. dazu im Einzelnen: Massenmord und Lagerhaft, S. 466-469. 263 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 232. 264 Ebd., L. 262. 265 Ebd., L. 232. Nach Angaben des Untersuchungsführers N. E. Syčkovs auf dem Prozess wurde auch der Fall Gučšin auf Anforderung des Ukrainischen NKVD in Nikolaev bearbeitet.
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Einen Verstoß gegen die Direktive № 00606 »Über die Bildung von Besonderen Trojkas266 für die Behandlung von Fällen von Verhafteten im Rahmen der Befehle № 00485 und anderer« des Volkskommissars für Inneres der UdSSR N. I. Ežov vom 17. September 1938, mit dem die Nationale Trojka, oder in den Quellen oft auch Gerichts-Trojka, ihre Arbeit aufnahm, wies Karamyšev weit von sich.267 Allerdings machte das Gericht dagegen geltend, dass der Angeklagte sich nicht an die Vorgaben dieser Direktive und an das ergänzende Zirkular № 189 gehalten hat, über die Nationale Trojka keine Personen zu verurteilen, die nach dem 1. August 1938 verhaftet worden waren. Außerdem war die Nationale Trojka nur für Angehörige von Diasporanationalitäten gedacht gewesen. Dennoch wurden im Gebiet Nikolaev in nicht geringer Anzahl Russen, Ukrainer, Juden und andere Nationalitäten über dieses Gremium entsorgt. Auch an die Einschränkung über diese Trojka keine Spezialisten mit hoher Qualifikation zu verurteilen, wurde sich nicht gehalten. Karamyšev erwiderte, dass dies alles aber nur in Ausnahmen vorgekommen sei und dann oft auch noch mit Sanktion aus Kiew oder Moskau. Uspenskij habe beispielsweise signalisiert, dass bis zu 30 % andere, nicht passende Nationalitäten vertretbar seien.268 Wenn man dann mal Russen, Ukrainer, Juden über die Trojka verurteilt habe, dann seien dies Grenzverletzer und/oder Fälle gewesen, die zu Gruppenakten gehörten. Diese Gruppen habe man »ausgehend von staatlichem Interesse« nicht auseinanderreißen wollen.269 Karamyšev unterstrich übergreifend: »Ich war und bin der Ansicht, dass die Gerichts-Trojka vollkommen richtig und im Interesse der staatlichen Sicherheit gewirkt hat.«270 Sehr wichtig war Karamyšev und auch Truškin sich vom »Volksfeind« Uspenskij abzugrenzen. Uspenskij fungierte in ihrer Argumentation als der Scharfmacher, Karamyšev und Truškin dagegen als diejenigen, die seine Befehle wo immer sie die Gelegenheit hatten, verwässert und konterkariert haben und deshalb ständig unter dem Damoklesschwert standen. Dabei versäumte es Karamyšev aber nicht, seinen ehemaligen Stellvertreter Pojasov in die Nähe von Uspenskij zu rücken. 266 Osobye trojki. 267 Prikaz № 00606 Narodnogo komissara vnutrennich del SSSR ob obrazovanii Osobych Troek dlja rassmotrenija del na arestovannych v porjadke prikazov NKVD SSSR № 00485 i dr[ugich] ot 17.09.1938, in: Junge, M./Bonveč, B. (Hg.), Bol’ševistskij porjadok v Gruzii, Bd. 2: Dokumenty i statistika, Moskau 2015, S. 165. 268 Protokol doprosa svidetelja P. V. Karamyševa. 11.02.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 277-281. 269 Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 01.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 100-104; Protokol doprosa obvinjaemogo P. V. Karamyševa. 04.10.1939, еbd., T. 1, L. 142145; Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 263. 270 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 263.
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»Es ist doch von Uspenskij die Anweisung gekommen 1.000 Personen zu verhaften, was ich nicht ausgeführt habe. Er konnte mich nicht leiden und zu den Versammlungen hat er Pojasov einbestellt und nicht mich. […] Die Frage, welches Strafmaß die Trojka zu verhängen hat, wurde uns sehr deutlich gemacht, d.h. in der Direktive war aufgeführt, dass die Trojka ausschließlich die Höchststrafe oder 10 Jahre Freiheitsstrafe und nur in Ausnahmefällen 8 Jahre Freiheitsstrafe verhängen darf, aber wir haben auf eigene Verantwortung mehr von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Deshalb hat Uspenskij mich herbeizitiert und gesagt: ›Unterlassen sie es, sich liberal zu geben, bereiten sie Zwieback für die Fahrt271 vor‹.«272 Insgesamt wurden, so Karamyšev, unter seiner Leitung in seinem Gebiet 5-6-mal weniger Fälle bearbeitet als in anderen Gebieten. Dies zeuge davon, dass »wir vorsichtiger bei den Verhaftungen waren und nur auf der Grundlage von vorhandenen Materialien verhaftet haben.«273 Ein wichtiger, immer wieder mitschwingender Vorwurf war, dass Karamyšev seine Mitarbeiter schlecht behandelt und außerdem die Parteiarbeit vernachlässigt hat. Dagegen führte er auf: »Ich habe, obwohl mir nur ein Fond von 12.000 Rubel für Auszeichnungen zur Verfügung stand, 18.000 Rubel ausgegeben. Dies zeigt, dass ich genau auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter geachtet habe. Niemals sind mir Beschwerden von Mitarbeitern zu Ohren gekommen.«274 Auch die Partei habe ihm gegenüber nie Beschwerden vorgebracht. »Auf dem Höhepunkt [der Durchführung] der Operation habe ich vorgeschlagen, einen speziellen Tag für Politschulungen einzurichten.«275 Von Karamyšev an vielen Stellen und Gelegenheiten in Variationen vorgebrachtes Grundsatzplädoyer in Bezug auf seine Person lautete: »Im Verlaufe von 10 Jahren habe ich im Wesentlichen einfache operative Arbeit geleistet, habe Tag und Nacht gearbeitet, habe jahrelang keinen Urlaub in der Natur gemacht […] und niemals die revolutionäre Perspektive aus den Augen verloren. […] Denn ich ging immer von sauberen Impulsen – parteilichen und staatlichen Interessen aus. Persönliche Interessen hatte ich nicht und kann sie nicht haben!276 […] Ich bin kein Verbrecher und ich habe mich nicht verbrecherisch betätigt; ganz im Gegenteil habe ich mein ganzes bewusstes Leben Verbrecher und 271 272 273 274 275 276
Gemeint sind die Verhaftung, Verurteilung und der Abtransport in ein Arbeitslager. Ebd., L. 231. Ebd., L. 232. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 264. Ebd., L. 113. Zajavlenie P. V. Karamyševa L. P. Beriju. 18.08.1939, еbd., T. 1, L. 98-99 ob.
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Feinde bekämpft und die Position der Partei und der sowjetischen Macht verteidigt […]277 wofür man mich zum Deputierten des Obersten Sowjet gewählt und mit einem hohen Orden, dem Lenin-Orden […]278 ‹ für selbstlose Erfüllung von Regierungsaufgaben''279 , ausgezeichnet hat. […] Ich bin Opfer. Die Partei braucht keine Opfer dieser Art und deshalb bitte ich auch darum mich freizusprechen.«280 Die anderen Angeklagten legten in ihrer Verteidigung zum Teil andere Schwerpunkte als Karamyšev. Dies hängt in erster Linie mit der Spezifik ihrer Aufgaben als Untersuchungsführer zusammen. Sie hatten in der Regel der Tat und damit ihren Opfern wesentlich näher gestanden als Karamyšev. Bei ihnen ging es neben dem dominierenden Vorwurf der »Anwendung physischer Maßnahmen« auch um Fälschungen der Untersuchungsakten, d.h. Rückdatierungen, »Verschönerungen«, Hinzufügungen, Übertreibungen, Vernichtung von Beweismaterial und andere formale Verletzungen. Zur Erklärung der von ihnen durchaus zugegebenen vereinzelten Fehler, spielte neben dem auch von Karamyšev angeführten Erfolgsdruck aus Kiew und Moskau und dem hohen persönlichen Einsatz innerhalb der Partei die extreme Arbeitsüberlastung eine zentrale Rolle.281 Dazu kam der Versuch, die Fehler zu verharmlosen. Voronin, der als einziger Angeklagter nicht ganz so konsequent alles abstritt, gab zu, dass »wir« in einigen Fällen, insbesondere als sich der Großbrand ereignete, die Verhafteten nicht etwa fünf Tage, sondern maximal zwei bis drei Tage haben stehen lassen, dies aber nur deshalb, weil das Gebietskomitee der Partei und das ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine sie zur Eile angetrieben haben.282 Das davon bei den Häftlingen die Beine anschwollen, wollte ihm nicht aufgefallen sein. Auch Garbuzov behauptete, dass das tagelange Stehenlassen von Gefangenen im Zuge »der sich auf Dienstreise in Nikolaev befindenden Mitarbeiter des NKVD der Ukrainischen SSR legalisiert« und dann überall angewendet wurde. Dann fuhr er verräterisch fort: »Ich hielt diese Maßnahme für völlig legal.«283 Die drei Angeklagten vereint mit Karamyšev, dass sie ihre Fehler auf gar keinen Fall als Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit interpretiert wissen möchten, sie also keine strafrelevanten Maßnahmen angewendet haben. Voronin sagte aus: 277 Zajavlenie P. V. Karamyševa predsedatelju tribunala vojsk NKVD Kievskogo voennogo okruga Ja. M. Vasjutinskomu. 13.07.1940, еbd., T. 13, L. 46-49 ob. 278 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 264. 279 Zajavlenie P. V. Karamyševa L. P. Beriju. 18.08.1939, еbd., T. 1, L. 98-99 ob. 280 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 264. 281 Zum Erfolgsdruck vgl.: Ebd., L. 242 (Voronin), 245 (Truškin). Zur Arbeitsüberlastung vgl.: Ebd., L. 239 (Garbuzov). 282 Ebd., L. 242 (Voronin). 283 Ebd., L. 239.
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»Ich bin gegenüber Verhafteten nicht tätlich geworden und an einem Knüppel habe ich die Verhafteten nicht riechen lassen.«284 In seinem Schlusswort unterstrich er nochmals: »Ich möchte mit reinem Herzen anmerken, dass ich niemals jemanden geschlagen habe. Ich habe ehrlich und gewissenhaft gearbeitet und all das, was mir die Partei anvertraut hat […] erfüllt. […] Ich war ein ehrlicher Bolschewik […] und ich bitte das Gericht mir die Möglichkeit zu geben, unserer Gesellschaft nützlich zu sein.«285 Auch Truškin hob in seinem Plädoyer hervor als Person wahrgenommen werden zu wollen, die »ehrlich und hingebungsvoll« ihre Arbeit getan hat. Wenn er von der Anwendung ungesetzlichen Untersuchungsmethoden erfahren habe, dann habe er »entschiedene Maßnahmen zur Beseitigung solcher Exzesse« ergriffen und auf den operativen Versammlungen gesagt, dass man »auf gar keinen Fall bei den Verhafteten physische Maßnahmen der Einwirkung« anwenden dürfe. Sсhließlich bezeichnete er sich ebenso wie Karamyšev als Opfer, das freigesprochen gehört.286 Der Kern des letzten Wortes des Truškin-Untergebenen Garbuzovs lautete: »Tag und Nacht habe ich gesessen und Verhaftete befragt, jeden einzelnen Beweis analysiert und dank meiner beharrlichen Arbeit gute Ergebnisse erzielt. […] Ungesetzliche Verhaftungen hat es von meiner Seite aus nicht gegeben. Mit der Fälschung von Untersuchungsakten habe ich mich nicht befasst.«287 Die Angeklagten füllten die ihnen zwangsläufig übertragene Rolle als Verteidiger in eigener Sache mit hohem Engagement aus. Sie kannten sich, ähnlich wie professionelle Strafverteidiger, bis ins Detail in den Untersuchungsakten aus und forderten eine auf Beweismaterial und widerspruchslose Zeugenaussagen beruhende Argumentation des Gerichts und der Zeugen ein. Darüber hinaus stemmten sie sich mit zum Teil hoch moralischen Apellen und Selbsteinschätzungen gegen die vorgebrachten Anschuldigungen politischer und persönlicher Unzuverlässigkeit. Voruntersuchung und Prozess hinterlassen insgesamt den Eindruck eines formaljuristisch einigermaßen korrekten Verfahrensverlaufs. Die Befragungszeiten wurden eingehalten, kaum Folter angewandt und nur in Ausnahmen psychischer Druck ausgeübt. Den Angeklagten standen alle Materialien zur Verfügung und mit wenigen Abstrichen war es ihnen möglich, Entlastungszeugen und weitere Materialien anzufordern. 284 285 286 287
Ebd., L. 241. Ebd., L. 261, 262. Ebd., L. 266. Ebda.
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Das Konzept Karamyševs zahlte sich aus. Am 4. Januar 1941 sprach ihn das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks frei. Auf freien Fuß gelassen wurde auch Garbuzov. Man hatte die für ihn vorgesehene zweijährige Lagerhaftstrafe in eine dreijährige Bewährungsstrafe umgewandelt, mit der Begründung, dass der Grad der von ihm ausgehenden gesellschaftlichen Gefahr keine Isolierung erfordere. Sein Kollege Voronin kam mit drei Jahre Lagerhaft davon. Garbuzov und Voronin wurde »nur« Punkt 17 »a« und nicht wie ursprünglich vorgesehen Punkt 17 »b« des § 206 (Dienstvergehen) angelastet. Die härteste Bestrafung erhielt Truškin und zwar nach § 206 Punkt 17, »b«. Aber auch er kam mit einem blauen Auge davon. Eigentlich lautete das Urteil auf Tod durch Erschießen. Das Tribunal zeigte sich aber gnädig, indem es seine seit dem 19. Lebensjahr permanente Arbeit für den Geheimdienst und seinen Einsatz in der Roten Armee in Rechnung stellte. Außerdem habe er die Verbrechen nicht aus Eigennutz begangen. Somit wurden ihm schließlich »nur« 8 Jahre Lagerhaft auferlegt.288 Für erwiesen hielt das Tribunal u.a., dass Truškin Verhaftungen von Arbeitern und Spezialisten von Fabriken durchgeführt hat, ohne ausreichendes Material für Staatsverbrechen vorliegen zu haben, und dass er künstlich in der Werft № 200 mit Hilfe grober Verletzung der Prozessordnung und verfassungsmäßig verbriefter Rechte der Häftlinge, also Grobheiten, Beleidigungen, Stehen, Bedrohungen und pausenlosen Verhören, eine trotzkistische Gruppe zusammengestellt hat. Ferner wurde aufgelistet, dass Mitarbeiter unter seinen Augen Häftlinge geschlagen und auch er selbst in einem Fall mit Hand angelegt hat. Wichtig war auch die Korrektur von Verhörprotokollen, das Suggerieren von genehmen Aussagen, das Zulassen von Verleumdungen der Zeugen untereinander und gegen andere und die überlange Untersuchungshaft und dann wieder die ungerechtfertigte Freilassung von Gefangenen. Dokumentarisch nachweisen konnte das Gericht speziell Truškin die Fälschungen von Verhaftungsdaten und die unerlaubte Aufbewahrung von geheimen Dokumenten in seiner Wohnung. Voronin und Garbuzov wurde ähnliches vorgeworfen, allerdings in klarer Abstufung. Vor allem aber meinte das Tribunal viele Vorwürfe gegen Garbuzov nicht erhärten zu können. Ihm kam explizit auch noch seine von ihm immer wieder betonte Initiative zur Freilassung von Gefangenen zu Gute. Keinen Einfluss auf die Verurteilung der Angeklagten hatte die Akte »Retivye« (die Emsigen) und zwar genau deshalb, weil sich Nikolskij, alias »Gerd« von seinen Aussagen distanziert hatte. Die Ursache für die Freilassung Karamyšev war, dass ihm das Tribunal in jedem Punkt seiner Verteidigung folgte. Sein disziplinarisches Vorgehen gegen aus288 Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.01.1941, еbd., T. 13, L. 305-310. Veröffentlicht als: Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v otnošenii P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.01.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 399-406.
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gewählte Mitarbeiter galt in der Urteilsbegründung als entschiedener Einsatz für die Erhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Unberechtigte Verhaftungen gingen nicht auf Karamyševs Konto, sondern Uspenskij wurde als ihr Initiator gekennzeichnet. Großes Verständnis zeigte das Tribunal auch für die eigentlich nicht gestattete Verurteilung von Ukrainern, Russen und Juden über die Nationale Trojka. Eins zu eins übernahm es die Argumentation Karamyševs, dass dies berechtigt gewesen sei, weil man sie wegen Spionage, Sabotage und Terror, d.h. mit dem Ausland zusammenhängender Vergehen überführt hatte. Das Tribunal ging sogar noch einen Schritt weiter in seiner Solidarität mit dem Angeklagten, indem es sich nicht nehmen ließ, auch noch die Direktive № 00606 bzw. das Ergänzungszirkular № 189 zu kritisieren. »Die Bestätigung des Vorgangs, der verbietet die Fälle dieser Nationalitäten [über die Trojka] zu behandeln, versäumt es die konterrevolutionäre Tätigkeit dieser Personen zu berücksichtigen und schwächt [damit] den Kampf mit den konterrevolutionären Elementen.«289 Man schloss sich auch Karamyševs Interpretation an, dass er keine Spezialisten hoher Qualifikation über die Trojka entsorgt habe. Ebenso sah man alles andere, was noch hätte als Dienstvergehen interpretiert werden können, als nicht strafrechtlich relevant an, weil es sich um Einzelfälle gehandelt habe, die zudem noch durch operative Notwendigkeit gedeckt gewesen seien. Dies betraf insbesondere die regelwidrige Verurteilung von nach dem 1. August 1938 verhafteter und dann über die Trojka verurteilter Personen und im Nachhinein korrigierte Urteile der Trojka.290 Abgesehen hatte es das Gericht vor allem auf Truškin in seiner Doppelrolle als Direkttäter und Organisator der Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit. Der verantwortliche Leiter des UNKVD von Nikolaev wurde dagegen mit allen erdenklichen Mitteln der Interpretation geschont, wobei das Tribunal bei Karamyšev damit bemerkenswert weit gegangen ist.
Zweiter Prozess: Tod durch Erschießen Der Freispruch des Geheimdienstchefs des Gebiets Nikolaev P. V. Karamyšev wurde seiner eigenen Einschätzung nach »von den meisten im Tschekisten-Kollektiv teilnahmsvoll aufgenommen.« Der Freispruch sollte »mich in das Leben jenes Kollektivs zurückholten, mit dem ich organisch verbunden war und in dem ich aktiv 289 Ebda. 290 Ebda.
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an vorderster Front im Klassenkampf stand und die Position der Partei und der Sowjetischen Macht verteidigt habe.«291 Umso größer war der Schock für ihn, als 5 Tage nach der Freilassung, am 9. Januar 1941, seine erneute Verhaftung erfolgte. In einem Hilfe-Schreiben an den Zweiten Sekretär des ZK der KP(b) der Ukraine und Vorsitzenden des Obersten Sowjet der Ukraine M. A. Burmistenko, schrieb Karamyšev: »Dies geht über meine Kräfte […] zumal ich an den Triumph der bolschewistischen Wahrheit glaube.«292 Was er nicht wissen konnte war, dass der Vorsitzende Richter des Tribunals Gur’ev schon am 4. Januar, am Tag der Urteilsverkündung, ein Minderheitsvotum abgegeben hatte. Hier kritisierte Gur’ev zwar nicht den Freispruch Karamyševs, bezeichnete aber das gegen Truškin und Voronin verhängte Strafmaß als zu »weich«.293 Dieses Minderheitsvotum und die mit Sicherheit auf dieser Basis erfolgte Beschwerde gegenüber dem Volkskommissariat für Justiz der UdSSR war wahrscheinlich vordergründig der Anlass für die Überprüfung des Falls in Moskau und letztendlich auch der Grund für die erneute Verhaftung Karamyševs und Garbuzovs. Erst zwei Monate nach dem Ende des Prozesses, am 4. März 1941, wurde formal die Wiederaufnahme des gesamten Verfahrens beschlossen und zwar im Zuge der Appellationsverfahrens zum durchgeführten Prozess. Dies geschah auf höchster Moskauer Ebene durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR. Die wichtigste Neuerung gegenüber dem vergangenen Prozess war, dass die beiden Laienrichter, die das nicht genehme Urteil zu verantworten hatten, in dem entsprechenden Beschluss ausdrücklich durch zwei Mitarbeiter des NKVD, Svirskij und Voedilo, ausgetauscht wurden. Allerdings wechselte zusätzlich auch der Vorsitzende des Gerichts von Gur’ev zu Fel’dman, was neben der sofortigen Wiederverhaftung Karamyševs ein weiteres Zeichen dafür ist, dass das Urteil vom 4. Januar auch über das Minderheitsvotum hinaus, auf keinerlei Akzeptanz in Moskau gestoßen war.294 291
Zajavlenie P. V. Karamyševa sekretarju CK KP(b)U i predsedatelju Verchovnogo Soveta USSR O. M. Burmistenku. 15.01.1941, еbd., T. 13, L. 510. Veröffentlicht als: Zajavlenie arestovannogo, byvšego načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa sekretarju CK KP(b)U i predsedatelju Verchovnogo Soveta USSR O. M. Burmistenku. 15.01.1941 in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 147-148. 292 Ebda. 293 Osoboe mnenie predsedatel’ščego Voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga Gur’eva po delu Ja. Truškina i drugich. [05.01.1941], еbd., T. 13, L. 304 a (Briefumschlag). Veröffentlicht als: Osoboe mnenie predsedatel’ščego Voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga Gur’eva v otnošenii prigovora Ja. Truškinu i K. A. Voroninu. [05.01.1941], in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 406. 294 Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda Sojuza SSR otnositel’no rassmotrenija kassacionnogo protesta na prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskog okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.03.1941, еbd., T. 13, L. 369-
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Der zweite Prozess wurde dann sehr bald angesetzt, gut zweieinhalb Monate nach dem ersten Prozess. Er fand vom 18. bis 23. März 1941 statt, wieder im Gebäude der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev.295 Er unterschied sich im Großen und Ganzen in Nichts vom 1. Prozess. Neben den bereits bekannten Zeugen traten nur einige wenige neue auf, wie beispielsweise der ehemalige stellvertretende Leiter des UNKVD von Nikolaev Pojasov, die aber dem Prozess, genau wie die erneut auftretenden »alten« Zeugen, keine substantiell andere Richtung gaben. Weiterhin wurden die Angeklagten von den Zeugen nicht nur heftig kritisiert, sondern auch sehr gelobt. Der Teufel liegt allerdings im Detail. Erst auf den zweiten Blick ist eine Verstärkung der durchaus im ersten Prozess schon angelegten, aber auf Grund der »falschen« Besetzung des Tribunals nicht zum Tragen gekommene Tendenz des Nachweises der Selbstherrlichkeit, der Unbelehrbarkeit und der Neigung zu Exzessen der angeklagten Tschekisten zu bemerken. Die bewusste Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht, der unverantwortliche Umgang mit den Untersuchungsgefangenen, einschließlich ihren Aussagen, und mit den gegen sie vorliegenden Materialien gewannen an Raum. Der Zeuge und ehemalige Mitarbeiter des Angeklagten Truškin, Ju. S. Lejzerovskij wiederholte erneut, allerdings diesmal mit einem wörtlichen Zitat unterlegt, dass Truškin resistent gegen seine Versuche war, mäßigend in die Feindfindung einzugreifen. Man habe ihn ganz im Gegenteil abgestraft: »Du bist kein Tschekist, nichts verstehst Du, ich entziehe Dir den Fall.«296 Als ehemaliger Untersuchungsgefangener in den Händen des Geheimdienstes sagte der bereits bekannte Leiter eines Teilbereichs der Produktionswerkstatt zur Herstellung von Schiffrümpfen der Werft № 200 Afanas’ev diesmal gegen Truškin aus, dass dieser genau darüber Bescheid wusste, dass seine Mitarbeiter Zel’cman und Zaikin ihn geschlagen haben.297 Truškin und auch sein Mitarbeiter Garbuzov wurden ferner als diejenigen beschrieben, die Beschwerden der Gefangenen unterdrückt und die Gefangenen für Ihre Beschwerden hart bestraft und sogar nicht davor zurückschreckten, einen Gefangenen, der versucht hatte, Selbstmord zu begehen, dafür noch zu verprügeln. Nach den Aussagen eines neuen Zeugen, einem kommissarischen Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung«, B. M. Kuklinskij verhielt sich Truškin nach dem 369 оb. Veröffentlicht als: Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.03.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 407-408. Siehe auch: Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu P. V. Karamyševa i drugich sotrudnikov NKVD. 30.04.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 509-510. 295 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 405-458. 296 Ebd., L. 410-424. 297 Ebda.
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missglückten Selbstmord des ehemaligen Direktors der Werft № 200, Ščerbina, auf ganzer Linie nicht korrekt, indem er u.a. den Abschiedsbrief bzw. Zettel zerriss, auf dem geschrieben stand: »›Ich trete mit sauberem Gewissen aus dem Leben. Ich war und werde niemals ein Feind sein. Es lebe Stalin und der Sozialismus‹. […] [Truškin] hat ihn [den Zettel] zerrissen und Ščerbina unter Fluchen von ›Dreckskerl‹, ›Provokateur‹ ins Gesicht geworfen. […] Ščerbina hat erzählt, dass sie ihn nach seinem Selbstmordversuch zu Truškin gebracht und ihn dort so verprügelten haben, dass er nun vor Schmerzen nicht sitzen kann.«298 Außerdem hatte Truškin, wie sich nun herausstellte, am 16. November 1938, kurz vor der Erklärung des SNK und ZK vom 17. November 1938 also in einer Zeit, als es schon brenzlig für die Geheimdienstmitarbeiter wurde, von dem verhafteten Leiter der Produktionswerkstatt der Fabrik »Marti« M. P. Dudin, für alle Fälle oder vielleicht als Druckmittel eine vorformulierte Aussage gegen den Parteichef des Gebiets Nikolaev P. I. Starygin erhalten.299 Auch Voronin trat im zweiten Prozess nicht mehr nur hauptsächlich als brutaler Untersuchungsführer auf, sondern seine Systemtreue wurde nun noch deutlicher als im ersten Prozess in Frage gestellt. M. F. Gladkov, einer derjenigen, die mit dem Großbrand in Verbindung gebracht wurden und der sich während des Verhörs auf seine verfassungsmäßig garantierten Rechte berief, stellte Voronin als Feind der Stalinschen Verfassung dar: »›Sie [die Stalinsche Verfassung] betrifft mich nicht‹, und dabei fluchte er über die Verfassung.«300 Voronin soll auf die Ankündigung des Ingenieurs Bondar’s, entgegen den von ihm durch Zwang erlangten Geständnisse, vor Gericht dann die Wahrheit zu erzählten, die Autorität eben dieses Gerichts in Frage gestellt haben: »Ich bin dein Untersuchungsführer, und wir werden dich richten.«301 Der Nimbus des Angeklagten Tschekisten Garbuzovs, nur in absoluten Ausnahmen die Hand gegen die Gefangenen erhoben und sich ansonsten immer für die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit eingesetzt zu haben, wurde ebenfalls angekratzt, indem vermehrt Aussagen gemacht wurden, die ihn als systematischen Schläger darstellten. Und Karamyševs ständige Berufung darauf, er habe als Chef des Gebiets- Geheimdienstes nichts über das Schlagen von Gefangenen gewusst und wenn er dies 298 299 300 301
Ebd., L. 436. Ebd., L. 410-424. Ebda. Ebda.
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erfahren habe, dann habe er die entsprechenden Personen zur Rechenschaft gezogen, wurde durch eine andere Aussage des Ingenieurs Bondar’s widerlegt. Bondar’ berichtete, dass er von seinen ihn prügelnden Untersuchungsführern zu Karamyšev geführt worden sei. »Ich habe Karamyšev meine Verprügelung nicht angezeigt, aber meinen Zustand konnte er deutlich auch so erkennen.«302 Der operative Beauftragte des NKVD von Nikolaev im Jahre 1938 T. T. Čerkes stellte als neuer Zeuge, bestätigt durch den ebenfalls neuen Zeugen und ehemaligen Mitarbeiter Truškins, A. P. Fedotov, Karamyšev als einen Leiter des NKVD dar, der den Apparat auf operativen Versammlungen darauf getrimmt hat, sich der Kontrolle durch Partei und Staatsanwaltschaft zu entziehen und es insgesamt nicht so genau zu nehmen. »Geht weniger in die Parteikomitees und zur Staatsanwaltschaft. Wir müssen 2.000 Personen verhaften. […] Es ist nicht schlimm, wenn wir uns bei den Verhaftungen bei der ein oder anderen Person vertun.«303 Fedotov sagte zusätzlich aus: »Einmal hat auf einer operativen Versammlung ein Mitarbeiter angemerkt, dass man sich mit dem Sekretär des Stadtkomitees beraten sollte. […] Karamyšev erklärte daraufhin: ›Was denken sie sich dabei. Lassen sie Sekretäre, Sekretäre sein: Sie sind mehr als ein Sekretär des Stadtkomitees. Sie stellen die Fragen und entscheiden‹.«304 Der ehemalige Zweite Sekretär des Stadtsowjets der Partei, D. F. Kobcev, demontierte Karamyšev noch zusätzlich als eine in der Partei anerkannte Persönlichkeit. »Karamyšev war grob im Umgang. Auf den Versammlungen des Gebietskomitees fluchte er unflätig, weshalb man ihn sogar verwarnt hat.«305 Als einziger von den vier Angeklagten registrierte und verbalisierte Karamyšev die beschriebenen, eher unauffälligen und hier nur kompakt zusammengestellten, aber vor dem Hintergrund der personellen Neubesetzung des Tribunals, nicht zu unterschätzenden Verschiebungen. Er änderte zwar nicht seine Verteidigungslinie, versuchte aber möglichst gegen zu halten. Ausführlicher als im ersten Prozess beschrieb Karamyšev seine ordnende Hand bei der Übernahme der Leitungsfunktion in Nikolaev. Er führte diesmal die Freilassung von 600-700 Personen, von 2.000 302 303 304 305
Ebda. Ebda. Fast wortgleich zitiert auch Fedotov Karamyšev. Vgl.: Ebd., L. 442. Ebd., L. 442. Ebd., L. 405-458.
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noch unter seinem Vorgänger Fischer verhafteten Gefangenen an, dann betont er seine Bemühungen, die Arbeit der Trojka zu verbessern und wies auf sein Verbot hin, informelle Mitarbeiter als Zeugen zu verwenden, was bis dahin gängige Praxis gewesen sei. Insgesamt habe man unter seiner Führung zehnmal – im ersten Prozess waren es fünfmal – weniger Personen verhaftet als in anderen Gebieten. Schließlich ging er noch auf die von ihm initiierte Säuberung des Apparats und die Mobilisierung neuer, zu 30-40 % aus der Partei rekrutierter Kader ein.306 Dann leitete Karamyšev dazu über, dass alle von ihm durchgeführten Maßnahmen auf Befehle aus dem Moskauer Zentrum zurückgegangen seien. Genau wie im ersten Prozess wies er an erster Stelle auf die Erlaubnis des Zentralkomitees der Partei in Moskau hin, »physische Maßnahmen der Einwirkung« anwenden zu dürfen: »Zumal physische Methoden vom Zentralkomitee der Partei sanktioniert worden waren und seit jenem Tag angewandt wurden.«307 Aggressiver im Ton führte er im Unterschied zum ersten Prozess diesmal noch weitere Punkte zur führenden Rolle des Moskauer Zentrums an. So ist zu beobachten, dass sein im ersten Prozess gewählter Kunstgriff Moskau zu schonen, indem er das Einsickerung von Feinden in Staat und Partei für die unhaltbaren Vorwürfe gegen den guten Teil des Tschekistenapparats verantwortlich macht, an Bedeutung verlor: »In dieser Periode hat man uns durch Direktiven aus dem Zentrum das Recht gegeben, Verhaftungen nach Listen und ohne Sanktion der Staatsanwaltschaft durchzuführen. Grenzverletzer und Charbiner konnten sogar verhaftet werden, ohne dass gegen sie Material vorlag und für die Behandlung ihrer Fälle war eine Anklageschrift nicht unbedingt notwendig. […] Diese Herangehensweise wurde nicht von Karamyšev vorgegeben, sondern von höherstehenden, mit Autorität ausgestatteten Organen. Ja, und die Gerichtsinstanzen haben die Fälle in jener Situation in derselben primitiven Art und Weise abgehandelt und sogar eine sehr angesehene Gerichtsinstanz hat am Tag 30 Fälle verhandelt.«308 Bei der Bewertung der Trojka wurde er sogar noch deutlicher: »In diesem Punkt [im Falle der Arbeit der Trojka] stützt sich die Anklage der Staatsanwaltschaft auf das Gesetz, aber ich meine, dass es hier nicht angebracht ist von Gesetz zu reden, weil die Trojki selbst nicht vom Gesetz vorgesehen waren.«309 306 307 308 309
Ebd., L. 448. Ebda. Ebd., L. 447. Ebd., L. 449.
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Er ließ aber, trotz allem, konsequent nicht den geringsten Zweifel daran, dass die Repressionen, einschließlich der Art und Weise ihrer Durchführung, korrekt gewesen sind. Die Politik der Partei war richtig. Ihn störte nur, dass man ihm nun daraus einen Strick drehte. »Die Fälle dieser Personen sind sowohl in der Sache als auch in der Form korrekt untersucht worden und der Politik der Partei widerspricht das Handeln der Trojka nicht.«310 Im Gegensatz zu seinem neuen Zugang, deutlicher Partei und Moskau auch im Detail zu kritisieren, aber im Grundsatz zu loben, knüpfte er dann wieder an die bei ihm im ersten Prozess schon angelegte Strategie der Übertragung der Schuld auf die ukrainische Republikstruktur an. So gab er vordergründig zu, dass unter seiner Führung Exzesse bei der Untersuchungsführung vorgekommen sind, schob diese aber vollständig auf Kiew. »Exzesse gab es weiterhin. Das hing damit zusammen, dass ich während einiger Perioden faktisch von der Leitung entbunden war. Die Leitung wurde von der aus Kiew gekommenen Brigade übernommen.«311 Ihm sei dann nur noch der Ausweg geblieben, die Fehler irgendwie auszubügeln. Nutzlos sei es gewesen, sich bei der Führung in Kiew darüber zu beschweren, dass die Kiewer Brigade unter Zlobinskij Gefangene verprügelt hat.312 Im Gegensatz zu Karamyšev engagierte sich Truškin kaum noch. Offensichtlich hatte er begriffen, dass für ihn die letzte Stunde geschlagen hatte. Er verzichtete nicht nur auf das letzte Wort, sondern machte während des Prozesses sogar einen Fluchtversuch, wurde aber im Vestibül des NKVD-Gebäudes, in dem der Prozess stattfand, wieder aufgegriffen.313 Das Urteil lautete für Karamyšev diesmal nicht auf Freispruch, sondern auf Todesstrafe. Truškin traf das gleiche Schicksal. Voronins Strafe wurde von 3 auf 10 Jahre mehr als verdreifacht und der ursprünglich auf Bewährung in die Freiheit entlassene Garbuzov musste für 8 Jahre ins Arbeitslager. Die Urteilsbegründung dieses Prozesses operierte auf den gleichen, leicht ergänzten Materialien wie die Urteilsbegründung des ersten Prozesses, allerdings diesmal interpretiert von der »richtigen«, vorher ausgetauschten Besetzung des Tribunals.314 Das Tribunal sah es nun als erwiesen an, dass Karamyšev über alles 310 311 312 313 314
Ebd., L. 449 ob. Ebd., L. 448. Ebda. Ebda. Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 23.03.1941 g., OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 484-488.
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Bescheid gewusst und die ungesetzlichen Handlungen von Truškin, Voronin und Garbuzov an den ihnen anvertrauten Häftlingen und die Eingriffe in ihre Untersuchungsakten sanktioniert hatte. Nichts wurde ihm mehr zugute gehalten. Er sollte plötzlich doch gegen Befehle und Anweisungen verstoßen, d.h. Spezialisten über die falschen Verurteilungsorgane, die Trojka, geschickt haben und dies auch noch nach dem ersten August 1938. In Bezug auf Voronin und Garbuzov entfiel im Vergleich zum Urteil des ersten Prozesses komplett die Phrase: das und das ist »nicht nachweisbar«. Alle gegen sie vorgebrachten Vorwürfe galten nun durch Zeugenaussagen und Beweismaterial abgesichert. Für Truškin änderte sich die Urteilsbegründung nur insofern, als dass sie sehr kurz und knapp ausfiel und seine langjährige Tätigkeit für die Organe und seine Tätigkeit im Militär nicht mehr angerechnet wurden.315 Eine Revision des Urteils wurde nicht mehr zugelassen und Truškin und Karamyšev vermutlich im Mai, nachdem erst das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR und dann auch das Präsidium des Obersten Sowjets jegliche Einsprüche zurückgewiesen hatten, erschossen.316 Der Austausch des Personals des Militärtribunals und die etwas korrigierte Auswahl der Zeugen führte somit für zwei Angeklagte zu einem völlig gegenteiligen und für zwei weitere Angeklagte zu einem wesentlich verschärften Urteil. Führungsschwäche, Vernachlässigung der Beschaffung von Agenturmaterialien, unvollständige, korrigierte und selektiv ausgewählte Untersuchungsmaterialien, Verstoß gegen Befehle, Allmachtgebahren und die Anwendung von Folter und die Nichtbefolgung von Anweisungen bildeten den Kern der Verurteilung wegen Dienstvergehen. Wie aber ist die Verurteilung des ehemaligen Leiters des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev P. V. Karamyšev und seiner Untergebenen im Kontext der Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit auf allen Ebenen der Hierarchie des Geheimdienstes im Gebiet Nikolaev zu sehen?
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Ebda. Kokin, S./Rossman, Dž., Prestuplenie i nakazanie. Dokumenty iz archivnych ugolovnych del na sotrudnikov NKVD USSR, osuždennych za »narušenija socialističeskoj zakonnosti« vo vremja Bol’šovo terrora (prodolženie), in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 7-124. Vgl. insbesondere: Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu P. V. Karamyševa i drugich sotrudnikov NKVD. 30.04.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 509-510.
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Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren Überlassen Sie mir den japanischen Kaiser zum Verhör. Er wird innerhalb von 24 Stunden aufgeben und ein umfassendes Geständnis über seine Spionagetätigkeit für den äthiopischen Monarchen ablegen. (F. T. Ovčinnikov, ehem. Leiter der 5. Abteilung der UNKVD des Gebiets Nikolaev, 1939) Die Protokolle wurden umgeschrieben, um die Ausfertigung der Untersuchungen kultivierter zu gestalten. (P. J. Korobcev, ehem. Assistent des Leiters des UNKVD des Gebiets Kirovograd, 1939)
Karrierist Auf der Gebietsebene von Nikolaev traf es neben dem ehemaligen Leiter des Geheimdienstes Karamyšev und seinem Mitarbeiter aus der »Geheimen politischen Abteilung« Truškin noch eine weitere Person, die hohe Posten im UNKVD von Nikolaev bekleidet hatte. Es handelt sich um den Leiter der 5. Abteilung der Gebietsverwaltung des NKVD Fedor Timofeevič Ovčinnikov. Er war im Frühjahr 1938 sogar übergangsweise Leiter der Gebietsverwaltung des NKVD gewesen, nämlich in der, wenn auch sehr kurzen Phase nach der Ablösung Fišers am 3. März 1938 und der realen Übernahme der Leitungsposition durch Karamyševs im April 1938. In seiner Funktion als Leiter der 5. Abteilung fiel in Ovčinnikovs Zuständigkeit die Überwachung der Roten Armee und halbmilitärischer Einrichtungen wie der »Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemieindustrie«1 der Sowjetunion. F. T. Ovčinnikovs Geburtsort war das Dorf Smolka im Kreis Čausy des Gouvernements Mogilev in Weißrussland des russischen Imperiums. Sein Geburtsjahr 1
Osoaviachim.
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war 1902. Somit war er 1938 36 Jahre alt. Viel Platz und Kraft verwendete Ovčinnikov in seiner Autobiographie vom Dezember 1940 darauf, seine soziale Herkunft als lupenrein zu beschreiben. Er berichtete, dass er in einer Familie von armen Bauern hineingeboren wurde. Sein Vater sei 12-14 Jahre Hirte des Dorfes gewesen und habe dann seine Bauernwirtschaft bis 1917 zu einem »schwachen Mittelbauernbetrieb« ausgebaut, wobei die Formulierung »schwach« unspezifisch ist und sich sofort der Eindruck aufdrängt, dass Ovčinnikov hier zu beschönigen sucht. 1929 sei der Vater mit seiner ganzen Familie in die Kolchose »Dzeržinskij« eingetreten. Dieser habe weder das Wahlrecht verloren, noch war er vorbestraft. In der zaristischen Armee sei der Vater einfacher Soldat gewesen und er habe nicht bei den Weißen gedient. Irgendeine gegen die Sowjetordnung gerichtete illegale Nebentätigkeit übte sein Vater auch nicht aus und in seiner Familie gab es keine verfolgten Personen. Augenblicklich arbeite der Vater als Wächter des Lagers der Örtlichen Flugabwehr (MPVO) in der Stadt Mogilev. Nicht zuletzt war er Gewerkschaftsmitglied. Seine Mutter wiederum sei in einer sehr armen Bauernfamilie aufgewachsen und dann lange Magd gewesen. Sie habe weder Verwandte im Ausland gehabt, noch sei sie vorbestraft gewesen, noch habe sie illegale Arbeit verrichtet. Auch seine fünf Geschwister hatten Ovčinnikovs Angaben nach eine völlig reine Weste. Um insgesamt die enge Verbindung seiner Familie zur Roten Armee zu unterstreichen, baut Ovčinnikov in die Information über seinen Vater folgenden Satz ein: »Seit dem Bürgerkrieg bis heute ist die Familie ununterbrochen eine Rote-Armee Familie.« Seine eigene Biographie beschreibt Ovčinnikov als die eines Aufstiegs von ganz unten nach oben und zwar nur durch die Hilfe der Sowjetmacht. Schon mit 10 Jahren half er in der Wirtschaft seines Vaters und verdingte sich bei Nachbarn u.a. als Hirte. Nur im Winter besuchte er die Schule der Kirchengemeinde und die zweiklassige Landwirtschaftsschule des Ministeriums für Volksbildung. Von 19161921 war er auf der zentralen Hebammen- und Sanitäterschule von Mogilev und wurde 1920 im Kampf gegen Typhus eingesetzt. Nach Beendigung der Schule arbeitete er nur kurz als Sanitäter um dann nach einer Phase der Arbeitslosigkeit ab 1922-1924 verschiedene Tätigkeiten zu übernehmen: Sekretär des Dorfrats in Smolka, Sekretär des Bauernkomitees der Gesellschaftlichen Selbsthilfe und Bevollmächtigter der Gewerkschaft für Waldarbeiter. 1924 wurde er in die Rote Armee eingezogen. Hier blieb er freiwillig, bis er im November 1931 zur operativen Arbeit in die Sonderabteilung des ukrainischen Militärbezirks und der GPU der Ukrainischen SSR wechselte. In der Roten Armee diente er als Soldat, arbeitete als Politgruppenleiter und Sekretär der politischen Abteilung und als Militärsanitäter. Von 1925 bis 1931 war er geheimer Mitarbeiter, Kontaktperson für informelle Mitarbeiter2 und geheimer Assistent der Geheimen Abteilung der GPU. Sein Aufstieg im 2
Rezident.
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Geheimdienst lief über folgende Posten: Assistent des Bevollmächtigten der Sonderabteilung des ukrainischen Militärbezirks, Bevollmächtigter, dann Fahndungsbevollmächtigter3 , anschließend Assistent des Leiters einer Abteilung, dann Leiter der 5. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukraine, stellvertretender Leiter der Sonderabteilung des NKVD des Kiewer Sondermilitärbezirks, Sonderbevollmächtigter des NKVD der Ukrainischen SSR, dann Leiter der 5. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit des UNKVD des Gebiets Nikolaev und schließlich Leiter der Sonderabteilung der Armeegruppe. Sein Dienstgrad war Hauptmann der Staatssicherheit. Er bekam »Für den aktiven Kampf mit der Konterrevolution« mehrere Auszeichnungen, darunter am 26. Januar 1937 das »Abzeichen eines ehrenhaften Tschekisten4 der Organe der VČK-OGPU-NKVD.« Am 9. Januar 1936 verlieh man ihm den Grad eines Unterleutnants der Staatssicherheit, am 17. November 1937 den eines langgedienten Leutnants der Staatssicherheit und am 31. Mai 1939 wurde er sogar zum Hauptmann der Staatssicherheit ernannt, was in der Armee einem Oberstleutnant entsprach. Seine Parteikariere lässt sich wie folgt beschreiben: 1923 trat Ovčinnikov in den Komsomol ein, 1931 in die VKP(b). Er betonte bei der Beschreibung seines Verhältnisses zur Partei, dass ihn diese nicht ein einziges Mal abgemahnt oder mit disziplinarischen Strafen belegt habe. Ovčinnikov war verheiratet. Seine Frau war, wie Ovčinnikov nachdrücklich unterstreicht, aus einer Arbeiterfamilie ohne irgendwelche Verfehlungen und dunkle Flecken auf ihrer Biographie und der Biographie ihrer Familie.5 Aufmerksam auf Ovčinnikov wurden die Ermittler des NKVD aus der Zentralstruktur der Ukraine, die den Auftrag hatten, Unregelmäßigkeiten im Geheimdienst zu untersuchen, erst Mitte April 1939. Die ersten kompromittierenden Informationen über seine Person waren aber aus dem Gebiets-Geheimdienst von Nikolaev selbst gekommen. Der Fahnungsbevollmächtigter der »Geheimen politischen Abteilung« des Nikolaever Gebiets-Geheimdienstes A. P. Kublanovskij hatte am 16. April 1939 eine Erklärung an den Sonderbevollmächtigen des NKVD der Ukrainischen SSR Tverdochlebenko geschickt, die Ovčinnikov schwer belasteten. Er wurde beschuldigt, 1937 den Leiter des Stadtsowjets der »Оsoaviachim« von Nikolaev E. G. Majer während des Verhörs geschlagen, dann im März 1938 den Angehörigen des Militärs und Zuständigen für die Luftverbindungen in Kirovograd und noch dazu hohen Ordensträger A. I. Gorodinskij gemeinsam mit anderen Tschekisten 3 4 5
Operativnyj upolnomočennyj. Značek početnogo čekista. Avtobiografija Fedora Timofeeviča Ovčinnikova. 28.12.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324, T. 6, Konvert № 3. Veröffentlicht als: Avtobiografija byvševo načal’nika Osobogo otdela UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Fedora Timofeeviča Ovčinnikova. 28.12.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 476-478.
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so verprügelt zu haben, dass dieser kurz darauf im Karzer des Gebietsgefängnisses seinen schweren Verletzungen erlag.6 Einen Monat später, im Mai 1939, gab ein Opfer an, sein Bruder, ebenfalls ein hoher Militärangehöriger, sei von Ovčinnikov geschlagen und er selbst von dessen Mitarbeitern verprügelt worden.7 Diese Angaben bestätigten sich wiederum durch Zeugenaussagen von Tschekisten und zwar in dem Sinne, dass Ovčinnikov nicht nur selbst zugelangt, sondern auch Untergebene mit seiner Sanktion systematisch zugeschlagen hatten.8 Noch als Leiter des NKVD der Sonderabteilung der 15. Schützendivision der Roten Armee habe es Ovčinnikov verstanden, den Major L. Klejngof nach dreißigstündiger »verschärfter Bearbeitung« zu »knacken«, so dass dieser gestand, nicht nur ein deutscher, sondern auch noch ein lettischer Spion zu sein.9 Angesprochen auf den zweifelhaften Wert einer Aussage, die man durch »Knacken«10 des Untersuchungshäftlings erhalten hat, habe Ovčinnikov nur lächelnd bemerkt: »Nun, was denn, Verbindungen gibt es nicht, dafür nun aber einen Bericht an Kiew über eine von uns aufgedeckte lettische Linie.«11 Weitere Vorwürfe in den Zeugenaussagen von Tschekisten waren, Ovčinnikov habe befohlen, pauschal 25 % des 43. Schützenregiments der 15. Schützendivision von Kirovograd zu verhaften und NKVD-Mitarbeitern mit Verhaftung gedroht, wenn sein Befehl nicht ordnungsgemäß ausgeführt wird.12 Unterstützung habe Ovčinnikov für diese Aktion auch noch durch den stellvertretenden Leiter des NKVD von Nikolaev Pojasov erhalten, der auf das Argument von Mitarbeitern, dass nicht einfach so 20-25 % des Regiments verhaftet werden könnten, ohne dass das Material dafür reicht, nur erwiderte: »Sie maßen sich einiges an. So sollte sich ein echter Tschekist nicht verhalten. Um uns herum sind [überall] Feinde.«13 Auch die schlechten Führungsqualitäten und die Hybris Ovčinnikovs gegenüber jungen Mitarbeitern kamen zur Sprache. Er habe die folgenden Sätze vor dem tschekistischen Nachwuchs geäußert: 6 7 8 9 10 11 12 13
Ob–jasnenie sotrudnika NKVD A. P. Kublanovskogo osoboupolnomočennomu NKVD USSR. 16.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324, T. 2, L. 9-13. Vypiska iz kopii zajavlenija člena partii K. A. Sabina na imja central’nogo komiteta VKP(b) I. V. Stalinu. [Nach 29.05.1939], еbd., T. 2, L. 6-7. Vypiska iz zajavlenija sotrudnika UNKVD Nikolaevskoj oblasti Mamontova na imja osoboupolnomočennogo NKVD USSR. 19.05.1939, еbd., T. 2, L. 16-22, hier L. 18. Ebd. l. 17. Raskol. Ebda. Ebd., L. 18-20. Ebd., L. 22.
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»Sie haben sich von der Wirklichkeit entfernt. Sie fassen die Feinde mit weißen Samthandschuhen an, planlos, unfähig sie zu knacken.14 In Kiew macht ein Verhafteter innerhalb von 24 Stunden eine Aussage. […] Überlassen Sie mir den japanischen Kaiser zum Verhör. Er wird innerhalb von 24 Stunden aufgeben und ein umfassendes Geständnis über seine Spionagetätigkeit für den äthiopischen Monarchen15 ablegen und Sie werden in seiner Aussage als Komplize seiner Spionagetätigkeit figurieren.«16 Ebenfalls Ende Mai erhielt der Sonderbevollmächtigte Tverdochlebenko zwei weitere belastende Erklärungen über Ovčinnikov. Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev bestätigten die vorangegangene unzureichende und falsche Anleitung von jungen Mitarbeitern der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev.17 Ungünstig war für Ovčinnikov auch, dass gegen ihn noch zusätzlich eine ältere Beschwerde vorlag, die nun ebenfalls hinzugezogen wurde. In der bereits vor einem Jahr eingegangenen Erklärung trat Ovčinnikov als Anhänger der Leplevskij-»Kamarilla« auf, die ihrem Chef »den Nimbus eines Führers verliehen haben und [für ihn] der Prügelstab der ukrainischen Tschekisten waren.«18 I. M. Leplevskij war im Januar 1938 als Volkskommissar der Ukraine seines Postens enthoben und durch Uspenskij ersetzt und in den zentralen NKVD-Apparat der UdSSR versetzt worden. Am 26. April 1938 wurde er verhaftet und am 28. Juli 1938 als Trotzkist, Mitglied einer Verschwörung im NKVD und als polnischer Spion zum Tode verurteilt und hingerichtet.19 Wesentlich besser verlief für Ovčinnikov die parallel durchgeführte Durchleuchtung seiner Person durch die Partei, die für ihn persönlich ebenfalls im April 1939 gestartet wurde. Der Überprüfung durch die Partei lag eine noch aus dem Jahre 1936 stammende und am 20. September 1938 durch das Politbüro wieder 14 15 16 17
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Ne umeete kolot’. Abissinskij negus. Ebd., L. 16. Vypiska iz zajavlenija zam. nač. 1 otdelenija ĖKO UNKVD po Nikolaevskoj oblasti A. P. Fedotova na imja osoboupolnomočennogo NKVD USSR. 21.05.1939, еbd., T. 2, L. 23-24; Vypiska iz zajavlenija zam. nač. 1 otdelenija 3 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti Černobyl’skogo na imja osoboupolnomočennogo NKVD USSR. 22.05.1939, еbd., T. 2, L. 25-27. Vypiska iz sobstvennoručnych pokazanii obvinjaemogo L. D. Teliševskogo. 26.04.1938, еbd., T. 2, L. 1-2. Die Vorwürfe, der Leplevskij–Clique angehört zu haben, spielten während des späteren Untersuchungsverfahrens nur noch eine marginale Rolle, d.h. in der Untersuchungsakte sind lediglich zwei ältere Rapporte Ovčinnikovs abgeheftet, in denen er gegenüber Uspenskij versuchte zu entkräften, dass Leplevskij sein Förderer war. Vgl.: Raport operupolnomočennogo OO NKVD USSR i KVO F. T. Ovčinnikova načal’niku OO NKVD USSR i KVO M. K. Aleksandrovskomu. Osen’ 1937, еbd., T. 1, L. 16-25; Raport nač. 5 otdela UGB UNKVD USSR po Nikolaevskoj oblasti F. T. Ovčinnikova Narodnomu komissaru vnutrennich del NKVD USSR A. I. Uspenskomu. 13.06.1938, еbd., T. 1, L. 26-39. Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kiew 1997, S. 178-182.
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reaktivierte Anweisung des ZK der VKP(b) über die notwendige Überprüfung und Bestätigung jedes einzelnen Mitarbeiters des NKVD-Apparats durch die Gebietskomitees der Partei zugrunde.20 Ovčinnikov musste, weil er aktuell Leiter der Sonderabteilung des NKVD des Kavаllerie-Regiments von Proskurov war, vor dem Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine von Kamenec-Podolsk Rechenschaft ablegen, da die Stadt in diesem Gebiet lag. Erstaunlicher Weise wurde Ovčinnikov durch die Partei in seiner Funktion bestätigt. Offensichtlich waren die beim Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukraine Tverdochlebenko über ihn gesammelten kompromittierenden Informationen noch nicht bis zu dem mit der Überprüfung der NKVD-Kader beauftragten Parteigremium auf der Gebietsebene vorgedrungen. Dies galt auch für höhere Parteistellen. Ende Mai, Anfang Juni 1939 erfolgte auch noch die Bestätigung Ovčinnikovs durch das ZK der KP(b) der Ukraine.21 Ganz so glatt, wie es erscheinen mag, war die Überprüfung über den Parteistrang dennoch nicht verlaufen. Auf Bitten des Sekretärs des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine von Kamenec-Podolsk musste Ovčinnikov persönlich nach Kiew zum Leiter der Sonderabteilung des NKVD der Ukrainischen SSR N. Osetrov fahren. Hier wurden, laut Ovčinnikov, Informationen aus einem vom Sonderbevollmächtigten Tverdochlebenko nicht aktuell, sondern in der Vergangenheit angefertigten und in seiner Personalakte abgelegten Gutachten über seine Person überprüft und zwar inwiefern Ovčinnikov in der Geheimdienstsache »Maskierung«22 Schuld an der Nichtaufdeckung der Doppelagentin (Polen-Sowjetunion) Ekaterina Negruš gewesen war. Außerdem war in dem Gutachten auch noch die Rede davon, dass Ovčinnikov den NKVD Mitarbeiter des Gebiets Nikolaev Aleksandrov 20
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Chaustov, V. N. u.a. (Hg.), Lubjanka. Stalin i Glavnoe upravlenie gosbezopasnosti NKVD 19371938, Moskau 2004, S. 663-664, Anmerkung 92; Postanovlenie Politbjuro ob učete, proverke i utverždenii v CK VKP(b) otvetsvennych rabonikov Narkomvnutdela, Komiteta oborony, Narkomata voenno–morskogo flota, Narkomindela, Narkomata oboronnoj promyšlennosti, Komissii partijnogo kontrolja i Komissi sovetskogo kontrolja. 20.09.1938, in: Chlevnjuk, O. V./Kvašonkin, A. V./Košeleva, L. P./Rogovaja, L. A. (Hg.), Stalinskoe Politbjuro v 30–e gody, Moskau 1995, S. 42-44. Vgl. darüber hinaus: Direktiva CK VKP(b) ob učete i proverke v partijnych organach otvetstvennych sotrudnikov NKVD SSSR, 14.11.1938, in: Chaustov, V. N. u.a. (Hg.), Lubjanka. Stalin i Glavnoe upravlenie gosbezopasnosti NKVD 1937-1938, Moskau 2004, S. 604-606. Sobstvennoručnye pokazanija arestovannogo F. T. Ovčinnikova. 15.10.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324, T. 4, L. 194-216, hier L. 202 ob. Maskirovka. Es handelte sich um eine Aktion des NKVD zur Ausspionierung von in die Sowjetunion eingewanderten bzw. zurückgekehrten Personen aus Polen, die verdächtigt wurden, Mitgliedern der exilrussischen, von Weißgardisten dominierten, »Bruderschaft der russischen Wahrheit« (Bratstvo russkoj pravdy, BRP) zu sein.
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zu Trinkgelagen animiert hatte.23 Der Leiter der Sonderabteilung des NKVD Osetrov war jedoch letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass alle Vorwürfe gegenstandslos seien.24 Offensichtlich verfügte also selbst Osetrov als Vertreter des Geheimdienstes der Ukraine nicht über die aktuell von Tverdechlebnikov gegen Ovčinnikov gesammelten Materialien, sondern nur über die »alten« Eintragungen in seine Personalakte. Nach der erfolgreichen Überprüfung und Bestätigung durch die Partei und auch Teile des NKVD schien alles in Ordnung zu sein. Im Mai 1939 erhielt Ovčinnikov durch eine Anweisung des Volkskommissars des Inneren der UdSSR L. P. Berija sogar die außerordentliche Bezeichnung »Hauptmann der Staatssicherheit« verliehen, um die er sich sehr bemüht hatte. Dann wurde ihm auch noch eine kostenlose Kur nach Soči ans Schwarze Meer genehmigt. Vollkommen überraschend für Ovčinnikov erfolgte dann aber 10 Tage nach seiner Rückkehr aus der Kur, am 5. August 1939, seine Verhaftung.25 Die im entsprechenden Beschluss26 zur Aufnahme eines Untersuchungsverfahrens vom 2. August aufgeführten Punkte machen noch einmal deutlich, dass Ovčinnikov ausschließlich wegen der vom Sonderbevollmächtigten Tverdochlebenko gegen ihn neu ab April 1939 gesammelten Dienstvergehen zur Verhaftung freigegeben worden war und nicht wegen der in seiner Personalakte abgelegten Vorwürfe, d.h. weder der Fall der Doppelagentin, noch die Nähe Ovčinnikovs zu Leplevskij oder die Trinkgelage spielten für seine Verhaftung, die Aufnahme und den Verlauf des Untersuchungsverfahrens sowie seine Verurteilung irgendeine Rolle, mit einer Ausnahme und zwar bei Ovčinnikov selbst, der nach Erklärungen suchte und sich nicht vorstellen konnte, dass die aufgeführten Dienstvergehen für seine Verhaftung ausreichend gewesen sein sollten. Dementsprechend war in dem vom vorrübergehenden stellvertretenden Volkskommissar der Ukrainischen SSR Kobulov bestätigten Beschluss zur Aufnahme eines Untersuchungsverfahrens »nur« aufgeführt, dass 23
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Ebda., L. 202-204; Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 26.03.194028.03.1940, еbd., T. 6, L. 55-74 ob, hier 71ob; Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 10.03.1941-13.03.1941, еbd., T. 6, L. 188-226, hier 194. Protokol sudebnogo zasedanija VT… kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 10.–13.03.1941, еbd., T. 6, L. 194. Zajavlenie arestovannogo F. T. Ovčinnikova sekretarju G. M. Malenkovu, sekretarju N. S. Chručševu, členu CK VKP(b) L. P. Berija, narodnomu komissaru USSR, voennomu prokuroru NKVD USSR. 09.09.1939, еbd., T. 4, L. 31-44, hier L. 31-35. Zu Ovčinnikovs Bemühungen um die Erhöhung seines Ranges, vgl. u.a.: Raport nač. 5 otdela UGB UNKVD USSR po Nikolaevskoj oblasti F. T. Ovčinnikova Narodnomu komissaru vnutrennich del NKVD USSR A. I. Uspenskomu. 13.06.1938, еbd., T. 1, L. 26-39. Postanovlenie.
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Ovčinnikov Massenverhaftungen durchgeführt, von Gefangenen falsche Geständnisse erpresst, diese geschlagen und sogar den »Militärangehörigen und Zuständigen für die Luftverbindung in Kirovograd und Ordensträger GORODINSKIJ« erschlagen und dann behauptet zu haben, dass dieser Selbstmord begangen habe. Vorgeworfen wurde ihm auch noch »in seiner Arbeitspraxis […] künstlich neue Wege eingeschlagen zu haben«, indem er Mindestzahlen27 für Verhaftungen festlegte. Z.B. habe er den Fahndungsbevollmächtigten und Unterleutnant der Staatssicherheit N. E. Mamontov beauftragt, in der von ihm betreuten Truppe28 den Kommandeur, den Kommissar und 25 % des Leitungsstabs zu verhaften und bei Nichterfüllung seinem Mitarbeiterstab mit Verhaftung gedroht.29 Die Anklage sollte ursprünglich auf der Grundlage von § 206-17, Punkt »b« (schwere Dienstvergehen) erfolgen, wurde dann aber auf Intervention des kommissarisch eingesetzten Militärstaatsanwaltes der Grenz- und Inneren Truppen der UdSSR Morozov »nur« nach § 206-17, Punkt »a« (minderschwere Dienstvergehen) aufgenommen.30 Im Untersuchungsverfahren, dass von Anfang August 1939 bis März 1940, also knapp ein Dreivierteljahr andauerte, wurde versucht, die Vorwürfe gegen Ovčinnikov zu erhärten. Dasselbe galt für den Prozess, der vom 26. bis 28. März 1940 in Nikolaev im Gebäude der Gebietsverwaltung des NKVD stattfand.31 Wie in den Prozessen gegen die Karamyšev-Gruppe und den noch folgenden Untersuchungsverfahren stützte sich die gesamte Untersuchung fast ausschließlich auf Zeugenaussagen. Beweismittel spielten eine marginale Rolle. Im Zentrum der Voruntersuchung und dementsprechend auch des Prozesses stand der Tod des Militärs Gorodinskij, bei dem man annahm, er sei von Ovčinnikov und seinen Mitarbeitern zu Tode geprügelt worden. Problem war jedoch, dass keine der Mitarbeiter direkt bezeugen konnte, dass Ovčinnikov die Hand gegen Gorodinskij erhoben hatte. Die Zeugen hatten »lediglich« gesehen, dass der furchtbar zugerichtete Mann aus dem Zimmer getragen wurde, und hatten Schreie gehört. Entlastend für Ovčinnikov wirkte, dass die Mitarbeiter mitbekommen hatten, dass Gorodinskij Ovčinnikov scheinbar am Arm verletzt hatte. Auch die direkte Beteiligung Ovčinnikovs an einer möglichen Manipulation der Todesursache des Gefangenen ließ sich nicht eindeutig belegen. Die befragten Mitarbeiter des zentralen Gefängnisses von Nikolaev, in dem Gorodinskij schließlich seinen Verletzungen erlegen war, gaben dazu 27 28 29 30
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Limity. Polka. Postanovlenie sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR G. A. Grunina po obvineniju F. T. Ovčinnikova. 02.08.1939, еbd., T. 1, L. 2-3. Siehe den handschriftlichen Vermerk Morozovs auf dem Haftbefehl: Ebd. l. 2. Zur Umsetzung der Anweisung. Vgl.: Postanovlenie sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR G. A. Grunina po obvineniju F. T. Ovčinnikova. 01.08.1939, еbd., T. 1, L. 4. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 26.–28.03.1940, еbd., T. 6, L. 55-74 ob.
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keine klare Auskunft. Die Militärstaatsanwaltschaft versuchte ferner Ovčinnikov auf Umwegen zu überführen, indem man Aussagen sammelte, dass er schon vorher öfters Gefangene geschlagen hatte. Ovčinnikov gab sogar schließlich zu, zwei Personen (Mejer und Kravcevič) tatsächlich, wenn auch nur »leicht« geschlagen zu haben. Weiteren Aussagen von Opferzeugen waren nur bedingt verwendbar, weil klar wurde, dass die betreffenden Personen »nur« von Dritten gehört hatten, dass Gefangene von ihm geschlagen oder dass bei den Verhören Eisenstangen verwendet wurden. Als Nebeneffekt des Verhörs von zahlreichen Zeugen kam heraus, auf welcher Grundlage Ovčinnikov und seine Abteilung ihre Opfer auswählen und verurteilen ließen. Eine Person, die auf dem Flughafen von Kirovo gearbeitet hatte, M. B. Galickij, war mit anderen wegen Pfuschs32 verhaftet und dafür zu zwei Jahren Bewährungshaft verurteilt worden.33 Vorgegangen war man, laut Aussage des Verurteilten dabei wie folgt: »Alle während meiner zehnjährigen Arbeit gemachten Fehler wurden zusammengesammelt und mir dann vorgeworfen.«34 In seinem Schlussplädoyer gab sich Ovčinnikov um sich ins rechte Licht zu rücken, genau wie Karamyšev, als derjenige aus, der »gegen die Entstellung der Gesetze im Apparat des NKVD der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik gekämpft hat.« Außerdem lobte er sich dafür, »nicht wenige Volksfeinde in den Organen des NKVD aufgedeckt zu haben.« Nur am Schluss gab er nochmal zu, tatsächlich, allerdings nur ausnahmsweise, die Militärangehörigen Mejer und Kravcevič geschlagen zu haben. Dies sei »mit Erlaubnis« geschehen und es habe sich um »offensichtliche Volksfeinde« gehandelt.35 Anschließend wiederholte sich beim Prozess gegen Ovčinnikov, das, was vom Prinzip her schon durch den Karamyšev-Fall bekannt ist. Das Urteil fiel ausgesprochen milde aus. In der Urteilsverkündung wurde die Verprügelung des Militär Gorodinski verharmlost. Das Gericht schloss sich der Interpretation der Entlastungszeugen an, die die Tötung zu einem Akt der Notwehr uminterpretiert hatten, mit dem der Gefangene zur Räson gebracht werden sollte: »Während des Verhörs hat sich der Verhaftete GORODINSKI auf OVČINNIKOV gestürzt und ihm mit einem Stuhl Schläge auf den Kopf und die Arme verpasst. Nach einem Hilfeschrei OVČINNIKOVS kamen die Mitarbeiter angelaufen und als sie den Verhafteten mit einem Stuhl in den Händen erblickten, haben sie, indem sie physische Mittel anwendeten um ihm den Stuhl zu entreißen, GORDINSKIJ 32 33 34 35
Chaladstvo. Ebda. 1939 schlug das Millitärtribunal alle Urteile wegen Pfuschs nieder. Protokol sudebnogo zasedanija VT… kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 26.–28.03.1940, еbd., T. 6, L. 68 ob, 69 Ebd., L. 74.
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geschlagen. In der Nacht wurde GORDINSKIJ von OVČINNIKOV in kritischem Zustand in das Gefängnis zurückgebracht und in den Karzer geworfen. Danach, nach etwa fünf Stunden, hat man GORDINSKIJ tot im Karzer aufgefunden.«36 Der Tod des Gefangenen erschien dem Gericht als Akt der Selbsttötung. Es führte an, dass der Gefängnisarzt »auf seine eigene Initiativ hin« geschrieben habe, dass »der Gefangene, um Selbstmord zu begehen, durch Stoßen der Stirn an die Wand starb [und zwar] in Folge einer Gehirnerschütterung.« Das Schlagen von anderen Gefangenen könne Ovčinnikov nicht nachgewiesen werden, da es keine anderen Beweise gäbe als ihre eigenen Aussagen. Auch die Mitarbeiter habe Ovčinnikov nicht aufgefordert, bei den Verhören »physische Maßnahmen« anzuwenden. Ungerechtfertigte Verhaftungen von bestimmten Personen wurden in der Urteilsbegründung ebenfalls angezweifelt, da, wie das Gericht ausdrücklich unterstrich, bereits »einige Materialien« vor der Verhaftung vorgelegen haben. Als Schuld wurde Ovčinnikov ausschließlich angekreidet, Gorodinskij keine medizinische Hilfe geleistet, nicht die Todesursache aufgeklärt und ihn nicht über die Leichenschauhalle, sondern so wie jemanden, der zur Todesstrafe verurteilt wurde, begraben lassen zu haben, was nichts anderes bedeutet, dass der Leichnam nicht individuell bestattet, sondern in ein Massengrab geworfen worden war. Ovčinnikov erhielt eine zweijährige Haftstrafe, die allerdings dahingehend abgemildert wurde, als dass das Tribunal sie für drei Jahre auf Bewährung ausgesetzte, also Ovčinnikov sofort freigelassen werden konnte. Extra betont wurde, dass er nicht nach § 206-17, Punkt »b«, sondern nach Punkt »a« verurteilt wird. Als mildernde Umstände mit eingeflossen waren, dass er keinesfalls aus Karrieregründen gehandelt, nicht vorbestraft und »nicht sozial gefährlich« sei.37 Drei Monate später, am 22. Juni 1940 erfolgte aus Moskau wie bei Karamyšev, wenn auch einiges später, Einspruch gegen das gefällte Urteil und zwar durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR. Hier hieß es, dass das Strafmaß anzuzweifeln sei. Zur Begründung führte man an, die Voruntersuchung zeige, dass Ovčinnikov Massenverhaftungen durchgeführt, ungesetzliche Maßnahmen bei der Untersuchungsführung angewandt und im Fall Gorodinskijs »physische Maßnahmen«, die zu seinem Tod geführt haben, angewandt hat. Außerdem seien zusätzliche Fakten zutage getreten, die zu überprüfen sind.38 36 37
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Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 28.03.1940, еbd., T. 6, L. 77-78. Ebd. Gefällt hatten das Urteil als Vorsitzender der Militärjurist 3. Ranges Fomičev und die beiden Mitglieder des Tribunals, der langgediente »politruk« Genosse Kosmačev und der Sergant der Miliz Nesterenko. Opredelenie № 2-511 Voennoj kollegii Verchovnogo suda Sojuza SSR kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 22.06.1940, еbd., T. 6, L. 91-91 ob.
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Die nun von neuem gestartete Untersuchung unterschied sich, genau wie im Karamyšev-Fall, nicht wesentlich von der Vorangegangenen. Es wurden wenige neue Zeugen hinzugezogen und ausgewählte, bereits befragte Zeugen, nochmals vorgeladen. Wichtiger war, dass in Bezug auf einen zentralen Punkt der Verteidigungsstrategie Ovčinnikovs von den NKVD Ermittlern nun echte Beweismittel herangezogen wurden. Ovčinnikov hatte zu Recht immer wieder hartnäckig darauf verwiesen, dass er ohne die Sanktion der Militärstaatsanwaltschaft und des NKVD der Ukrainischen SSR keine Verhaftungen hätte durchführen können.39 Man konnte ihm nun aber genau nachweisen, dass in den Akten der Verhafteten nicht immer ein entsprechendes Telegramm aus Kiew abgeheftet war.40 Fakt bleibt dennoch: Im Kern kam nichts substantiell Neues zu Tage. Die zweite Anklage erfolgte, mit kleinen Abstrichen, genau wie bei Karamyšev, auf der Grundlage der bereits vorhandenen Informationen. Um beim zweiten Prozess – ebenfalls vergleichbar mit dem zweiten Karamyšev-Prozess – nichts dem Zufall zu überlassen, wurden der Richter und, was besonders wichtig zu sein schien, auch die Beisitzer ausgetauscht: »Ich bitte sie, für die Teilnahme an der Behandlung dieses Falls, zwei Personen aus den vom NKVD bestätigten Laienrichtern auszuwählen.«41 Mit einem Jahr Abstand zum ersten Prozess tagte dann am 10. bis 13. März 1941 erneut das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks und entschied in seinem Urteil, Ovčinnikov nach § 206-17, Punkt »b« (schwere Dienstvergehen) zu 10 Jahren Lagerhaft zu verurteilen. Es erklärte Ovčinnikov nun in allen Punkten für schuldig, rechnete aber an, dass er lange Jahre in der Roten Armee und im NKVD gedient hatte.42 Als neu an der Akte Ovčinnikov ist hervorzuheben, dass Partei und Sonderbevollmächtigte des NKVD nicht zusammengearbeitet haben und sogar Teile des NKVD nicht über alle Ermittlungen der Sonderbevollmächtigten informiert waren. Auch die Bereitschaft der Partei vor Ort und die der Tribunale, den Angeklagten frei zu sprechen war noch einmal höher als beim ersten Karamyšev-Prozess. 39 40 41
42
Protokol doprosa obvinjaemogo F. T. Ovčinnikova. 12.10.1940, еbd., T. 5, L. 13-17, hier L. 14; Protokol doprosa obvinjaemogo F. T. Ovčinnikova. 15.10.1940, ebb, T. 5, L. 45-58, hier L. 45-46. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 10.–13.03.1941, еbd., T. 6, L. 188-226. Predsedatel’ Voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga Ja. M. Vasjutinskij nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti ob organizacii processa protiv F. T. Ovčinnikova. Mart 1941, ebd., T. 6, L. 154. Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 13.03.1941, еbd., T. 6, L. 230-232.
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Gesetzestreue Gebietsleitung Mit Ermittlungen und Prozessen überzogen wurden im Gebiet Nikolaev nicht nur die Mitarbeiter der Gebietsebene, sondern auch die niedrigste Ebene des Geheimdienstes, die Rajonebene, blieb nicht ungeschoren. Einer dieser Fälle ist sogar direkt, wenn auch nur locker, mit dem Karamyšev-Fall verknüpft und zwar der Prozess gegen den ehemaligen Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Vladimirovka Z. D. Livšic. Geboren wurde Zel’man Davidovič Livšic 1888 im Dorf Koločin im Rajon Rečica im ehemaligen Gouvernement Gomel’ von Weißrussland und zwar in einer armen jüdischen Familie mit 8 Familienmitgliedern. 1907 wurde er, wie schon sein Vater, Kleinverkäufer für den Waldsektor im Dorf Koločin, angestellt bei einem »Kulaken«. 1910 bis 1913 diente er in der zaristischen Armee. 1914 wurde er im Zuge des ersten Weltkriegs für die Armee mobilisiert. Er befand sich bis 1918 in Kriegsgefangenschaft in Deutschland. Nach seiner Rückkehr arbeitete Livšic als Registrator, Sachbearbeiter und dann stellvertretender Sekretär des Kreisrevolutionskomitees von Rečica. 1919 siedelte er nach Žitomir um. Vor seinem Eintritt in die TschekaGPU war Livšic Mitarbeiter für politische Aufklärung43 im Militärkrankenhaus von Žitomir. Ende 1921 begann er für den Geheimdienst zu arbeiten. Bis 1926 war er im ehemaligen Gouvernement Volynsk tätig und zwar in einer der Kreisabteilungen der GPU als Assistent des Fahndungsbevollmächtigten für politische Gruppierungen. Danach diente er sich mühsam über verschiedene GPU-Posten in der Armee und in zahlreichen Rajonabteilungen des NKVD bis zum Leiter der Rajonabteilung von Vladimirovka empor. Diese Position übernahm Livšic am 1. Oktober 1937. 1928 war sein Eintritt in die VKP(b) erfolgt. Er war verheiratet und hatte eine Tochter. An Auszeichnungen konnte er erst mal »nur« zwei Metalluhren aufweisen, die er beide 1927 zum Anlass des zehnjährigen Bestehens der Tscheka überreicht bekommen hatte. Dafür war er immer mal wieder negativ aufgefallen, gerade in den dreißiger Jahren. 1934 wurde er für fünf Tage in Haft genommen, weil er »einem fremden Element« die Bewachung eines Gefangenen überlassen hatte. 1936 wurde er offiziell zum Chef des Geheimdienstes des Gebiets bestellt, weil er Untersuchungsakten nicht ausreichend kontrolliert hatte. Dies war aber nur eine Verwarnung gewesen, d.h. eine Strafe, die wesentlich geringer war als ein Verweis. Im selben Jahr erhielt er dennoch einen strengen Verweis mit Verwarnung wegen Verletzung der »Finanzdisziplin« und des »unbefriedigenden Zustands« der Finanzen der Rajonabteilung, 1937 dann wieder einen Verweis durch den Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev für »prinzipienlose Intrigen mit Mitarbeitern der Rajonmiliz vor dem Hintergrund persönlicher wirtschaftlicher Bereicherung.«44 Noch im Früh43 44
Politrabotnik. Spravka nač. OO 844 GKK Žitomirskoj Kavalerijskoj divizii GO GPU Gagorskij o Z. D. Livšice rajupolnomočennomu GPU g. N–Odessa. 02.10.1932, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4518–OS, L. 6; Ra-
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
jahr 1938 hieß es in einem Gutachten, dass er in der operativen Arbeit »schwach«, »ungenügend gebildet«, »ziellos hektisch«, »ungenügend initiativ« sei und er »viel redet und wenig tut.« Er benötige tägliche Führung und Kontrolle bei der Arbeit.45 Im Sommer 1938 schien Livšic dann aber eine Hundertachtzig-Grad Wende vollzogen zu haben. In einer von Karamyšev unterschriebenen Auszeichnungsurkunde46 hieß es plötzlich, dass Livšic »zufriedenstellend politisch entwickelt«, »diszipliniert«, »akkurat« und »initiativ« sei. Obwohl er die ganze Zeit allein im Rajon gearbeitet habe, habe er es verstanden »die Arbeit zur Entdeckung des feindlichen Untergrunds im Rajon anzustoßen indem er Initiative und Beharrlichkeit entwickelte.«47 In der Urkunde hieß es weiter: »Im Rajon sind zwei aufständische Organisationen, bestehend aus ehemaligen Sozialrevolutionären und Kulaken, entdeckt worden. 38 Personen wurden verurteilt, davon 37 nach der ersten Kategorie. Entdeckt wurde eine Organisation, die aus Kadern der kommunistischen Partei der Ukraine besteht. 18 Personen sind im Visier, 12 davon schon verhaftet. Entdeckt wurde eine aufständische Gruppe mit 27 Personen, davon sind 7 bereits verhaftet. Die Untersuchung in dem Fall läuft erfolgreich.«48 Ausgezeichnet wurde Livšic als Dank mit »teuren Geschenken«.49 Im Herbst 1938 wendete sich jedoch wiederum das Blatt komplett. Livšic wurde im November 1938 von Karamyšev wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit bestraft, wenn auch nur, wie schon in der Vergangenheit, administrativ. Der konkrete Zusammenhang vom Karamyšev-Fall zu dem von Livšic besteht darin, dass Karamyšev während seines eigenen Prozesses zu seiner Verteidigung wiederholt unterstrich, sich schon immer energisch für die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit eingesetzt zu haben.50 Als leuchtendes Beispiel führte er sein Vorgehen gegen Livšic Ende 1938 an.51 Karamyševs Selbstdarstellung als Gebiet-NKVD-Leiter, der die sozialistische Gesetzlichkeit verteidigt, kann tatsächlich auch dokumentarisch untermauert werden. Livšic war am 17. November 1938 auf Karamyševs Betreiben zu 20 Tagen Haft verdonnert und von der operativen
45 46 47 48 49 50 51
jupolnomočennyj GPU Novo–Odesskogo rajona Osipčuk nač. Večickogo Rajotdelenija GPU. 31.08.1932, ebd., L. 7; Poslužnoj spisok sotrudnika Odesskogo oblastnogo Upravlenija NKVD tov. Z. D. Livšica. Bez daty [undatiert], ebd., Čast’ I. Attestacija na Z. D. Livšica. 28.03.1938, ebd., Čast’ II, L. 19. Nagradnoj list. Nagradnoj list UNKVD Nikolaevskoj oblasti na nač. Vladimirovskogo rajonnogo otdela NKVD Z. D. Livšica. 05.07.1938, ebd. Čast’ II, L. 20-20 ob. Ebd. Ebd. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 1, L. 91-94; T. 13, L. 112-113 ob, 232. Ebd., T. 13, L. 112-113 ob, 232.
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Arbeit abgezogen worden, was faktisch einer Entlassung gleichkam. Der entsprechende, von Karamyšev und seinem für Kaderfragen zuständigen Mitarbeiter Bovčaljuk unterzeichnete Befehl der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev führte, explizit als Begründung für die Strafmaßnahmen gegen Livšic, Unregelmäßigkeiten bei der Untersuchungsführung auf: »Wegen der wissentlichen Aufzeichnung von Falschaussagen von Verhafteten und der auf dieser Grundlage vorgenommenen Verhaftungen von ehrlichen Kolchosmitarbeitern.«52 Bei einer im Vorfeld durchgeführten Untersuchung waren Fälschungen von Akten festgestellt worden, die Bedrohung und Täuschung von Angeklagten und die Anwerbung von Agenten und informellen Mitarbeitern, um von ihnen genehme Aussagen zu erhalten, mit denen Livšic dann seine eigene unzulässige Arbeitsweise verschleierte.53 Im Dezember 1938 beschwerte sich Livšic daraufhin beim vorrübergehenden stellvertretenden Leiter des NKVD der Gesamtukraine Kobulov über die, seiner Ansicht nach, unangemessen hohe Bestrafung. Ein Gutachter empfahl schließlich Ende des Monats die Strafe abzumildern, es also bei einer disziplinarischen Rüge zu belassen und Livšic zur Reserve bereitzuhalten.54 Dem wurde stattgegeben und die Beugehaft von 20 auf 15 Tage reduziert.55 Eine Suspendierung vom Dienst gab es auch nicht. Livšic arbeitete erst mal vorrübergehend in der ersten Spezialunterabteilung des NKVD der Ukrainischen SSR und dann als kommissarischer Fahndungsbevollmächtigter.56 Die, wenn auch nur symbolische Abstrafung Livšic wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit im November bzw. Dezember 1938 stand in einem größeren Kontext von Disziplinierungen des gesamten Apparats durch die Führung der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev noch unter der Leitung Karamyševs. So erwähnte Karamyšev während seines Prozesses ebenfalls die Leiter von anderen Rajonabteilungen des NKVD, gegen die er vorgegangen sei und zwar die Mitarbeiter Gavrilenko und F. I. Darov. Auch sie wurden wahrscheinlich wegen entsprechender Vergehen zur Rechenschaft gezogen.57 Namentlich traten bei Karamyšev 52 53 54 55 56
57
Prikaz № 340 po UNKVD po Nikolaevskoj oblasti »O naloženii disciplinarnogo vzyskanija« v otnošenii Z. D. Livšica. 17.11.1938, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 2, L. 166. Zaključenie vrid. osoboupolnomočennogo UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Artem’eva o Z. D. Livšice. 23.12.1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4518–OS, Čast’ II, L. 35-37. Ebda. Raport Z. D. Livšica narkomu vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu. Posle 19.05.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 27-32, hier L. 28. Operativnyj upolnomočennyj. Vgl.: Raport Z. D. Livšica nač. otdela kadrov NKVD USSR Krutovu. 31.12.1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4518–OS, L. 43; Anketa arestovannogo Z. D. Livšica. 16.06.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 11-11 оb. Die Vermutung, dass auch diesen Personen der Prozess gemacht wurde, stützt sich auf folgende Stelle im Prozessprotokoll. Vgl.: Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievs-
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zusätzlich folgende Personen auf: I. G. Belov, den Karamyšev beschuldigt hatte, Verhaftungen ohne Grundlage durchgeführt zu haben und dafür 20 Tage festsetzte58 , des Weiteren Lavrinenko59 , A. I. Mišustin60 , I. F. Martynenko, L. I. Vinnickij und Ju. M. Poberežnyj.61 Gegen diese Personen kam es zu Disziplinarverfahren, Versetzungen und auch zu Entlassungen.62 Der sich hier geradezu aufdrängende Eindruck von einer eher sporadischen Bereitschaft der Gebietsführung des NKVD von Nikolaev Dienstvergehen zu ahnden, kann auf der Grundlage einer näheren Betrachtung eines ebenfalls von Karamyšev als weiteres Beispiel für seinen Einsatz für die sozialistische Gesetzlichkeit erwähnten Falls des ehemaligen Sekretärs der Rajonabteilung des NKVD von Elanec des Gebiets Nikolaev I. F. Martynenko erhärtet werden. 1911 vor Ort im Dorf Vossijackoe des Kreises Elisavetgrad des Gouvernement Cherson als Ukrainer und Sohn von armen Bauern geboren, verfügte Ivan Filippovič Martynenko nur über geringer Bildung. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Frau arbeitete in der örtlichen Kolchose. Er war kein Mitglied der Partei, war aber von 1933-1938 im Komsomol gewesen. Am 27. August 1938 erfolgte seine Verhaftung. Vorgeworfen wurde ihm Mitglied einer »antisowjetischen trotzkistischen, terroristischen Gruppe« zu sein. Die Anklageerhebung beruhte auf den politischen Paragraphen 54-8 und 54-11 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR, muss dann aber schon bald in die ebenfalls politischen Paragraphen 54-10 (bei Beibehaltung von Paragraph 5411) umqualifiziert worden sein.63
58 59 60 61
62 63
kogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.01.1941, еbd., T. 13, L. 305-310. Unterlagen zu den entsprechenden Prozessen wurden bisher jedoch nicht aufgefunden. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 405-458. Lavrinenko wurde wegen Unregelmäßigkeiten wahrscheinlich entlassen Karamyšev führt die Entlassung Mišustins erst auf dem zweiten Prozess auf. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Die Erwähnung der Personen. Vgl.: Ebd., L. 113 ob. Es ließ sich aus Mangel an Informationen nicht nachverfolgen, welche Mitarbeiter auch entlassen wurden. Lavrinenko und Poberežnyj wurden wahrscheinlich nur einem Disziplinarverfahren unterzogen. Poberežnyj hatte auch in der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev als Leiter der 4. Unterabteilung der 4. Abteilung (nach der Neustrukturierung des NKVD) gearbeitet. Vgl.: Zajavlenie byvš. operupolnomočennogo 4 otdela UGB UNKVD po Nikolaevskoj oblasti T. T. Čerkesa ob iskrevlenij socialističeskoj zakonosti osoboupolnomočennomu NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko. 16.05.1939, еbd., T. 12, L. 80-85. Das Disziplinarverfahren hat Poberežnyj offensichtlich nicht geschadet. 1940 leitete er die Untersuchungsabteilung des NKVD im am 04.12.1939 neu gegründeten Gebiet Drogobyč (Ukraine). Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 112-113 ob, 232. Postanovlenie operupolnomočennogo 4 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti Tkačenko o I. F. Martynenko. 28.08.1938, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 76471, L. 4; Postanovlenie operupolnomočen-
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Bis Ende Januar 1939 blieb es bei dieser Ausrichtung. Alle Verhörprotokolle hatten sich nur um die Aufdeckung der trotzkistischen Gruppe bemüht. Dann wurde aber im Haftverlängerungsantrag des anbrechenden Jahres 1939 plötzlich als weitere Begründung hinzugefügt: »Er hat Geld verschwendet, Machtmissbrauch betrieben und Dokumente gefälscht.«64 Allerdings schlug sich das nicht in den Verhörprotokollen nieder. Еrst weitere vier Monate später, am 16. April 1939 wurde im Fall Martynenko eine echte Kehrtwende vollzogen. Man ließ die politischen Paragraphen ganz fallen, zumal sich der Untersuchungshäftling schon Mitte März von seinem »Geständnis« distanziert hatte, einer trotzkistischen Gruppe angehört zu haben, was zudem ein ehemaliger Belastungszeuge bestätigte.65 Martynenko wurde jedoch nicht frei gelassen, sondern die Akte in minderschwere Dienstvergehen nach den Paragraphen 104 und 206-17 »a« umqualifiziert. Den Fall übernahm nun der Sonderbevollmächtigte des NKVD des Gebiets Nikolaev.66 Zahlreiche Zeugen wurden befragt und man stellte ein engmaschiges System der Folterung von Gefangenen fest, bei der nicht nur Martynenko beteiligt, sondern auch etliche Mitarbeiter der Rajonabteilungen des Geheimdienstes und der Miliz von Elanec.67 Am 3. Dezember 1939 tagte dann das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Militärbezirks von Odessa und verurteilte Martynenko auf der Grundlage der aufgeführten Paragraphen zu fünf Jahren Lagerhaft. Im Falle des Leiters der Rajonabteilung von Vladimirovka Livšic dauerte es ähnlich lange wie bei Martynenko bis es zu der Aufnahme eines ernsthaften Untersuchungsverfahrens wegen Dienstvergehen kam. Erst im Frühjahr 1939 ließ Karamyševs Stellvertreter Pojasov, schon um sich, wie Livšic vermutete68 , selbst zu schützen, nochmals intensiv die Livšic in der Vergangenheit vorgeworfenen Vergehen untersuchen. Im April und Mai 1939 wurden ehemalige Mitarbeiter von Livšic verhört und Opfer befragt. In dieser Phase versuchte Livšic, genau wie Truškin, einen informellen Mitarbeiter, der ihm dabei behilflich gewesen war, ins Visier geratenen Personen Waffen unterzuschieben, daran zu hindern, seine stark manipulierten Zeugenaussagen zurückzunehmen. Er reiste diesem bis ins Gebietszentrum
64 65 66 67
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nogo 4 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti M. N. Tkačenko o I. F. Martynenko. 05.10.1938, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 76471, L. 8. Postanovlenie operupolnomočennogo 2 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti Makarenko o I. F. Martynenko. 21.01.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 76471, L. 18. Protokol doprosa obvinjaemogo I. F. Martynenko. 13.03.1939, ebd., L. 80; Vypis’ka iz pokazanii obvinjaemogo Ja. E. Otrošenko. 26.03.1939, ebd., L. 82-83. Postanovlenie načal’nika 3 otdelenija 2 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti A. Ju. Fedorovskij o I. F. Martynenko. 16.04.1939, ebd., L. 92-93. Protokol ogljadu archivno–slidčoї spravy kolyšn’ogo spivrobienyka Jelanec’kogo rajviddilu NKVS I. F. Martynenko, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 280. Sledsvennoe delo Z. D. Livšica. 1938-1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, T. 3, L. 40 ob.
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nach und fing ihn vor dem Gebäude der Gebietsverwaltung des Geheimdienstes ab, damit dieser doch nicht zu Pojasov geht um auszupacken, was allerdings gründlich misslang.69 Die Vorwürfe gegen Livšic verdichteten sich immer mehr und wurden noch durch weitere ergänzt, darunter auch Folter.70 Bereits am 2. April 1939 hatte das Rajonkomitee der VKP(b) von Vladimirovka eine strenge Parteirüge mit Eintrag in die Parteiakte gegen Livšic ausgesprochen und zwar »für Verleumdung und die Infrontstellung71 seiner dienstlichen Position zur Parteiorganisation des Rajons.«72 Immerhin bedeutete dies noch keinen Parteiausschluss. Dennoch zog sich die Schlinge um seinen Hals unweigerlich weiter zu. Die vom 5.-7. Mai 1939 durchgeführte Parteiversammlung des NKVD des Gebiets Nikolaev stellte Livšic nun schon als Person dar, die »bei ihrer Arbeit grobe Entstellungen zugelassen hat.«73 Am 19. Mai 1939 wendete sich Livšic hilfesuchend an den Sonderbevollmächtigen des NKVD der Ukrainischen SSR A. M. Tverdochlebenko, der in Nikolaev, wie bereits bekannt, den Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Gebietsverwaltung des Geheimdienstes nachging und versuchte sich vor ihm zu rechtfertigen.74 All dies half aber nichts mehr. Am 8. Juli 1939 erfolgte seine Verhaftung durch die Republikstruktur des NKVD der Ukraine.75 In diesem Zuge kam es auch zum Parteiausschluss. Schon vier Monate später verurteilte ihn das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks am Ende einer geschlossenen Verhandlung vom 30. Oktober bis zum 2. November 1939 nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 6 Jahren Lagerhaft unter Aberkennung seiner Orden und seines Dienstgrades.76 Bei dem Prozess wurde deutlich, dass neben vielen anderen Vergehen die Spezifik von Livšic Amtsführung gewesen war, dass er systematisch die nicht gestän69
70
71 72 73 74 75 76
Ebd., L. 30, 30 ob.; Protokol doprosa kolchoznika N. K. Martynova. 01.11.1938, ebd., Т. 1, L. 103107; Protokol doprosa kolchoznika N. K. Martynova. 21.05.1938, ebd., Т. 1, L. 122-124; Protokol doprosa kolchoznika N. K. Martynova. 18.06.1938, ebd., Т. 1, L. 118-121. Vgl. z.B.: Protokol doprosa inspektora Vladimirovskogo rajonnogo otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti K. P. Litvinenko. 26.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 134-137; Protokol doprosa brigadira ogorodnoj brigady kolchoza »Červonyj Zamožnik« vladimirskogo rajona Nikolaevskoj oblasti. 21.05.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 122-128. Protivopostanovlenie. Protokol doprosa Z. D. Livšica. 04.07.1939, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4518–OS, L. 67-69, hier L. 67. Protokol doprosa nač. vtorogo otdelenija ĖKO UNKVD Nikolaevskoj oblasti A. P. Fedotova. 31.08.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324, Т. 2, L. 28-38, hier L. 36. Raport Z. D. Livšica narkomu vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu. Posle 19.05.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 27-32, hier L. 32. Postanovlenie operupolnomočennogo NKVD USSR Petrova na arest Z. D. Livšica. 08.07.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 1, L. 2. Prigovor voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga protiv Z. D. Livšica. 02.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, Т. 2, L. 388-390.
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digen Untersuchungshäftlinge unter Bewachung mehrere Tage, »normaler Weise« 3-4 und in Extremfällen bis zu neun Tagen und Nächten, stehen oder auf einem extra angefertigten, gefährlich hochbeinigen Hocker sitzen ließ, von dem der Gefangene hinunterstürzte, wenn er einschlief. Livšics starke Motivation, Feinde in seinem Rajon zu finden und mit seinen speziellen Mitteln Geständnisse abzupressen, ist u.a. auch darauf zurückzuführen, dass seine sehr einflussreiche Stellung in Vladimirovka keineswegs unumstritten war. Bei den geheimen Wahlen zu den Parteigremien hatte er mehrere Gegenstimmen kassiert, was er wiederum als klaren Beweis interpretierte, dass sich immer noch Illoyale auf seinem angestammten Territorium befinden.77 Die Partei war im Falle Livšic ausnahmsweise sehr aktiv und trug entscheidend mit zu seiner Demontage bei. Der Fall Martynenko wiederum führt vor Augen, dass es sich von Sommer 1938 bis April 1939 um eine Übergangsphase handelte und der Vorwurf des Trotzkismus in dieser Phase durch Dienstvergehen ersetzt wurde.
Überzeugte Vollstrecker Die Verurteilungen von Mitarbeitern auf der niedrigsten Ebene des NKVD, einer Rajonabteilung, waren keine Einzelfälle. Am 16. November 1939, also genau zwischen dem Livšic-Prozess und dem Verfahren gegen Martynenko, wurden zwei weiterer Personen zur Rechenschaft gezogen: der Leiter des Rajon-NKVD von Dolinsk des Gebiets Nikolaev und der Assistent des Fahndungsbevollmächtigten desselben Rajons. Ursprünglich angeklagt nach Paragraph 206-17, Punkt »b«, verurteilte man schließlich beide nach Paragraph 206-17, Punkt »a«, also minderschwere Dienstvergehen. Verurteilende Instanz war ebenfalls das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks. Der erstere erhielt 10 Jahre, der zweite 8 Jahrе Lagerhaft.78 Das Tribunal tagte weder in Dolinsk noch in Nikolaev, sondern in Kirovograd. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Rajon Dolinsk nun nicht mehr wie ursprünglich zum Gebiet Nikolaev gehörte, sondern dem am 10. Januar 1939 neu gegründeten Gebiet Kirovograd, das größtenteils aus dem Gebiet Nikolaev herausgeschnitten wurde, zugeschlagen worden war. Bei den Verurteilten handelte es sich einmal um Petr Jakovlevič Korobcev, 1904 im Dorf Kajdaki der Region Dolinsk im Gouvernement Ekaterinoslav geboren. Zum Zeitpunkt seiner Verurteilung war er erst 35 Jahre alt. Er war russischer Herkunft 77 78
Sledsvennoe delo Z. D. Livšica. 1938-1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, T. 3, L. 26-42, hier L. 30 ob (Gegenstimmen), 31 ob, 33, 34 ob, 36, 36 ob, 38 (Stehenlassen von Gefangenen). Prigovor voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka. 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 231-234.
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und hatte eine geringe Bildung. Lediglich sechs Jahre Schulbildung konnte er vorweisen. Seine Eltern waren Arbeiter. In den Untersuchungsakten wird der Vater als Eisenbahner bezeichnet. Korobcev selbst unterstreicht: »Ich bin Sohn eines Kaderarbeiters, mein Vater hat 44 Jahre in der Produktion gearbeitet und arbeitet dort immer noch. Kommunist.« Korobcevs Mitgliedschaft im Komsomol ging schon auf das Jahr 1920 zurück. Auch sein Bruder gehörte der Jugendorganisation der Partei an. Seine Schwester beschrieb er ebenfalls als Kommunistin. 1927 trat Korobcev in die Partei ein. 1928, mit 24 Jahren, ging es zum Geheimdienst. Am 23. März 1936 bekam er die Bezeichnung »Leutnant der Staatssicherheit« verliehen. Im Jahre 1938 wurde er zum Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk ernannt. Dann wechselte er in das neu gebildete Gebiet Kirovograd. Hier setzte man ihn als vorläufigen Assistenten des Leiters des Gebiets UNKVD von Kirovograd ein, was als großer Karrieresprung gelten kann. Seine Verhaftung am 24. Mai 1939 unterbrach abrupt seinen gerade erst begonnenen steilen Aufstieg.79 Die zweite Person, der zusammen mit Korobcev der Prozess gemacht wurde, war Elizar Fedorovič Demčuk. Sein Aufstieg war weniger spektakulär. Geboren 1905 im Dorf Dereviči des Kreises Novograd-Volynsk des Gouvernement Volynsk (heute Rajon Ljubar des Gebiets Žitomir), verfügte er, genau wie sein Chef, über eine geringe Bildung, stammte aber nicht von Arbeitern, sondern von armen Bauern ab. Seit 1928 war er Mitglied der Partei. Zum Geheimdienst kam er 1929, direkt nach dem Dienst in der Roten Armee. Zuerst war er einfacher Sachbearbeiter in der Bezirksabteilung der GPU von Nežin und Černigov. Dann von 1930 bis 1933 Bote und Leiter der Poststelle der operativen Abteilungen der GPU von Ovruč und Olevsk. 1933 erfolgte der Wechsel zur operativen Arbeit in der Stellung eines hauptamtlichen80 Assistenten des Fahndungsbevollmächtigten des Rajonapparats der GPU von Gel’mjazov. Von 1933 bis 1937 in der Politabteilung der Sowchosen »Rekonstrukcija« (Rekonstruktion) und »Progress« (Fortschritt). Von Februar 1937 bis April 1938 bekleidete er die Stellung eines Assistenten des Fahndungsbevollmächtigten der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk. Genau wie bei Korobcev nahm erst danach seine Karriere Fahrt auf und zwar auch mit der Bildung des neuen Gebiets Kirovograd. Er war zum Fahndungsbevollmächtigten der 4. Abteilung des UNKVD des Gebiets Kirovograd ernannt worden und arbeitete hier, bis er am 7. Mai 1939 wegen »Verletzung der Arbeitsdisziplin« entlassen wurde. Bis zu seiner Verhaftung durch die zentrale NKVD-Struktur von Kiew fast zwei Monate später am 27. Juli 1939 war er Leiter des Dorfsowjets von Bratoljubovka des Rajons Dolinsk des Gebiets Kiro79
80
Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka. 16.11.1939, еbd., T. 1, L. 217-225 оb., hier L. 217, 217 ob, 225. Sverchštatnyj.
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vograd. Er war also schon vorher aus dem Dienst für den Geheimdienst entlassen worden.81 Der Fall Korobcev und Demčuk lag auf zwei Ebenen anders als der im vorherigen Kapitel beschriebenen Fall Livšic. Zum einen waren die beiden Mitarbeiter nicht schon wie Livšic im Jahre 1938 aufgefallen, sondern die frühesten Ermittlungsdokumente stammen erst von Ende März 1939, als unter dem Vorsitz des Leiters der 3. Abteilung des UGB des UNKVD des Gebiets Kirovograd, A. A. Gajduk und der aktiven Unterstützung des Leiters der Rajonabteilung von Dolinsk Vorovik eine Kommission nach Dolinsk reiste, um kompromittierenden Informationen nachzugehen, dass es in diesem Rajon zu Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit gekommen ist.82 Ausgestattet war die Kommission mit einem bereits fast ein Jahr alten, vierseitigen Beschwerdeschreiben an den Vorsitzenden des Obersten Sowjet der UdSSR M. I. Kalinin über Folterungen und Beleidigungen von Gefangenen durch Mitarbeiter des Rajon-NKVD von Dolinsk. Verfasst hatte die Beschwerde am 17. April 1938 der im Gefängnis von Nikolaev einsitzende, ehemalige Direktors der Sowchose »Karl Marx« A. Ja. Bažko.83 Der Rajonleiter des NKVD von Dolinsk Korobcev trat in dieser Beschwerde als derjenige auf, der federführend an der schlechten Behandlung des Gefangenen beteiligt war. Außerdem war die Kommission davon unterrichtet, dass eine Person, die die Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk eigentlich zur Verurteilung vorgesehen hatte, am 13. März 1939 aus der Haft entlassen worden war, weil die gegen sie erhobenen Vorwürfe – ausgearbeitet im Rajon – völlig aus der Luft gegriffen waren. Der zweite Unterschied zur Akte Livšic war zum anderen, dass sich die Ermittlungen und dann auch die Verurteilungsbegründung nicht wie bei Livšic auf den durchaus auch aufgetretenen Vorwurf der Anwendung »physischer Mittel der Einwirkung«, sprich Folter, konzentrierte, sondern praktisch ausschließlich auf die Fälschung von Zeugenaussagen und Gutachten. Besonders interessant ist, dass genau nachvollzogen werden kann, wie es zu den umfangreichen Manipulationen der Akten durch die Geheimdienstmitarbeiter kommen konnte und wieso der Leiter der Rajonabteilung Korobcev der Überzeugung war, dass er trotz allem korrekt und im Sinne von Staat und Partei gehandelt hat. Im Idealfall sah die praktische Abwicklung der Massenverfolgungen durch die Rajonabteilung, wie aus einem Rapport des Sekretärs der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk, P. A. Gončarov deutlich wird, folgendermaßen aus: 81 82 83
Spravka po materialam archivnogo ličnego dela E. F. Demčuka. 07.04.1958, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 314, T. 1, L. 12, 13. Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 224 ob. Žaloba byvšego direktora Sovchoza im. »K. Marks« A. Ja. Bažko predsedatelju Verchodnogo soveta SSSR M. I. Kalininu. 17.04.1938, еbd., T. 1, L. [im Briefumschlag am Ende der Akte].
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Im Vorbereitungsstadium im Juli 1937 unmittelbar vor dem Beginns der Operation nach Befehl № 00447 und der nach den Nationalen Linien wurde Korobcev zu einer Unterweisung nach Dnepropetrovsk beordert, wo die in Moskau vom 16. bis 20. Juli 1937 instruierten Leitungskader nun in ihren jeweiligen Gebieten ihre Untergebenen darüber aufklärten, welche Aktionen bevorstehen und wie diese durchzuführen sind.84 Zurückgekehrt aus Dnepropetrovsk versammelte Korobcev nicht nur seinen eigenen Mitarbeiterstab, sondern, wie das wahrscheinlich so auch in Dnepropetrovsk kommuniziert worden war, noch die Milizmitarbeiter, die seit der Unterbringung der Geheimpolizei und der Miliz unter dem Dach des NKVD ab 1934 ohnehin zu ein- und derselben Struktur gehörten. Er kündete auf der Zusammenkunft eine »große operative Arbeit zur Aushebung konterrevolutionärer antisowjetischer Elemente« an. Der ganze technische Apparat wurde nun herangezogen, Listen anzufertigen und zwar von Personen, die in Agentenberichten85 , Dossiers86 und Informationen bei Organisationen und Institutionen, sog. Primärakten87 auftauchen und von Personen, über die beim Rajon-NKVD noch zu konkretisierende kompromittierende Materialien vorlagen. Dann wurde dem operativen Stab von Geheimdienst und Miliz des Rajons die Aufgabe erteilt, sich die letztere Personengruppe vorzunehmen und sich zu diesem Zweck in die entlegenen Teile ihres Einflussbereiches zu begeben um dort Zeugenaussagen zu sammeln, die das unsystematisch gesammelte Geheimdienstmaterial bestätigen. Als Leiter des Rajon-NKVD war es Korobcevs Spezialaufgabe, mit den bereits vollständigen Materialien, also den erwähnten Agentenberichten, PersonenDossiers und den Informationen aus Organisationen und Betrieben nach Krivoj Rog zu fahren, wo sich der operative Sektor, oder, wie es in der Ukraine hieß, 84
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Vor der Bildung des Gebiets Nikolaev am 22. September 1937 aus Teilen des Gebiets Odessa und Dnepropetrovsk gehörte der Rajon Dolinsk zum Gebiet Dnepropetrovsk. Erst 1939 wurde der Rajon dem Gebiet Kirovograd und 1940 endgültig dem Gebiet Odessa zugeschlagen. Zu den wenigen verfügbaren Informationen über die Moskauer Konferenz. Vgl.: Massenmord und Lagerhaft, S. 31-35. Agenturnye razrabotki. Sog. »dela-formuljary (dela formuljarnogo učeta)« sind personenbezogene Dossiers, die von der GPU ab Mitte der 1920 Jahre angelegt wurden. Primär Akten = Registrierte bzw. archivierte Primär–Materialien (dela pervičnogo učeta), d.h. grundlegende bzw. allgemeine Akten, die von der GPU und dann dem NKVD zur Überwachung von bestimmten Organisationen und Institutionen (einschließlich Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben) angelegt wurden. Abgelegt wurden hier zum einen die eintreffenden operativen Materialien, darunter Informationen von Agenten über bestimmte verdächtige Personen. Dazu gehörten aber auch spezielle Kartotheken über Vertreter der ehemaligen »ausbeuterischen Klassen«, Angehörige der zaristischen Geheimpolizei (ochrana), der Gendarmerie, der Polizei, der Mitglieder »antisowjetischer Parteien«, Offiziere der zaristischen und Weißen Armeen, Mitglieder verschiedener aufständischer Gruppen und krimineller Banden.
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die »rajonübergreifende operative Gruppe«88 , befand. Die rajonübergreifenden operativen Gruppen waren wie ein Netz über die ganze Ukraine gespannt, fassten immer mehrere Rajons zusammen und koordinierten die Massenoperationen auf unterer Ebene. Sie waren als eine Art Zwischenglied zwischen der Gebietsverwaltung des NKVD und den Rajon-Abteilungen des NKVD gedacht. In Krivoj Rog angekommen ließ sich Korobcev vom Leiter der operativen Gruppe L. S. Rajces die Verhaftung einiger Personen direkt auf dem Einband ihrer Akten sanktionieren. Wieder in seinen Rajon zurückgekehrt begannen sofort die entsprechenden Aushebungen. Parallel dazu wurde dem operativen Stab des Rajons von Korobcev ein inzwischen im ganzen Rajon zusammengetragener Stapel von Protokollen von Zeugenaussagen über weitere zur Verhaftung vorgesehene Personen vorgelegt. Nach einer Prüfung stellte sich aber heraus, dass die angefertigten Protokolle nicht den notwendigen Anforderungen entsprachen, woraufhin eine spezielle Gruppe eingerichtet wurde, die die Protokolle zu überarbeiten hatte: »Im Zusammenhang damit, dass die Protokolle von den Amtsinspektoren fehlerhaft, ohne Sinn und schlampig geschrieben wurden, hat KOROBCEV erklärt, dass solche Protokolle nicht den Untersuchungsakten angefügt werden dürfen und er hat eine Gruppe für die Umschreibung und Verbesserung der Protokolle zusammengestellt.«89 Korobcev fügte noch erklärend hinzu: »Ich habe die Anweisung erteilt jene Protokolle umzuschreiben, in denen unzulässige Formulierungen von antisowjetischem Charakter waren und befohlen, dass die Protokolle chronologisch aufzubauen sind. […] Die Protokolle wurden umgeschrieben, um die Untersuchungsakte kultivierter zu gestalten.«90 Für dieses Team wurden nicht nur Geheimdienstmitarbeiter, sondern auch die untergeordneten Strukturen der Miliz des Rajons aktiviert, insbesondere die der Fahndungsabteilung der Polizei (URO RKM). Es bestand aus dem Sekretär der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk Gončarov, dem Fahndungsbevollmächtigten der Rajonabteilung des NKVD Demčuk, dem Leiter der Passstelle N. G. Tovstik, dem Assistenten des Bevollmächtigten der Verwaltung der Rajonabteilung der Miliz L. I. Suchoj und dem Archivar des Standesamtes Kovsjukov. 88 89
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Mežrajopergruppa. Raport byv. sekretarja Dolinskogo rajonnogo otdela NKVD Kirovogradskoj oblasti P. A. Gončarovа nač. UNKVD Kirovogradskoj oblasti G. P. Neborakovu. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 1-4, hier L. 1; Protokol sudebnogo zasedanija VT…16.11.1939, еbd., T. 1, L. 223 ob. Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 220 ob.
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Кorobcev selbst stellte diesem Team die notwendigen Korrekturen zur Verfügung, die in die Protokolle einzutragen waren. Die fertigen Protokolle wurden, folgt man den Angaben des Sekretärs Gončarov, abschließend den Zeugen nochmals zur Unterschrift vorgelegt.91 Korobcev fuhr anschließend nochmal in den operativen Sektor um dort überprüfen zu lassen, ob die angefertigten Akten diesmal hieb- und stichfest sind. Es stellte sich heraus, dass dies, trotz der schon erfolgten Überarbeitung der Zeugenprotokolle, eben immer noch nicht der Fall war. Man hatte, so die Kritik, gerade bei den Zeugenaussagen die Aufmerksamkeit zu sehr auf die suspekte Vergangenheit der ins Visier geratenen Personen gerichtet. Aussagen zu aktuellen Verfehlungen fehlten fast ganz. »Außerdem wurde, nach den Worten KOROBCEVS, in den operativen Gruppen ein höheres Tempo bei der Untersuchung der Fälle eingefordert und ihm gewissermaßen ein ›Plan‹ für die Vorlage einer weiteren Menge an Fällen für ein bestimmtes Stichdatum gegeben.«92 Als Folge dieser Schwierigkeiten wurde im Rajon Dolinsk das Team zur Bearbeitung der Protokolle nochmal umstrukturiert. Tovstik, Suchoj und Demčuk blieben, neu hinzu kamen der Leiter der Rаjonabteilung der Miliz F. A. Kolisnyj, der Bevollmächtigte der Verwaltung der Rajonabteilung der Miliz Derevoj und die Abteilungsinspektoren der Miliz M. I. Коrolenko und Zalevskij93 und schließlich auch noch Korobcev selbst. Der Sekretär der Rajonabteilung des NKVD Gončarov bekam die Aufgabe zugeteilt, die Haftbefehle auszustellen, bei der Staatsanwaltschaft die vorgesehenen Verhaftungen sanktionieren zu lassen, den Fragebogen für die Verhafteten auszufüllen und die endgültige Akte zusammenzufügen, einschließlich eines Inhaltsverzeichnisses.94 Im Gegensatz zum Idealfall sah die Arbeitsrealität des Rajon-Geheimdienstes, der Miliz und der anderen noch hinzugezogenen Kräfte jedoch etwas anders aus. Dies begann schon mit den offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Sammlung von kompromittierenden Zeugenaussagen: »Es war schwierig Zeugen aufzutun, die tatsächliche Aussagen über dieses und jenes antisowjetische Verhalten der Verhafteten machen konnten. In der Hauptsache erhielt man Aussagen über die Vergangenheit des Angeklagten. Es gab auch Akten, in denen gar keine antisowjetische Agitation oder andere konterrevolutionäre Tätigkeit verzeichnet waren.«95 91 92 93 94 95
Raport P. A. Gončarovа. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 1-4, hier L. 1-2. Ebd., T. 2, L. 2. 1939 nach § 206 des Strafgesetzbuches der Ukraine verurteilt. Raport P. A. Gončarovа. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 1-2. Ebd., T. 2, L. 2.
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Die Untersuchungsführer behalfen sich damit, dass sie auch auf Zeugen zurückgriffen, die vom NKVD bezahlt wurden und zusätzlich geheime Mitarbeiter von Geheimdienst und Miliz für Aussagen mit heranzogen; und dies, obwohl das Sondergericht der Trojka, wie der Sekretär des Rajon-NKVD ebenfalls zu berichten weiß, das offiziell nicht akzeptierte. Diese Art von Zeugen hatte für die Tschekisten und Milizmitarbeiter den »Vorteil«, dass sie »Aussagen machten, die für die Untersuchungsakte gebraucht wurden.«96 Ergänzend berichtete der Leiter der Passstelle Тоvstik, dass es bezahlte Zeugen gegeben hat, z.B. Marikuc: »Er hat immer, zu jeder Zeit und was auch immer unterschrieben.«97 Gončarov beschrieb die Verwendung von solchen Zeugen als Regelfall und nannte zudem konkrete Namen. Die bezahlten Zeugen hätten den Mitarbeitern sogar auch mal einfach nur leere Blätter unterschrieben und dann konnten in der Kanzlei die Protokolle so ausgefüllt werden, wie es gebraucht wurde.98 Ein weiteres Fehlverhalten war, sich beliebige Namen aus den Hofverzeichnissen99 des Rajons herauszusuchen und diese dann als vermeintliche Zeugen in die Protokolle einzutragen und in ihrem Namen zu unterschreiben.100 Auch bei der Reinschrift der Zeugenprotokolle wurde von dem extra eingerichteten Team manipuliert. So sei, laut Gončarov, von den Untersuchungsführern in die Protokolle der Zeugen neben der tatsächlichen suspekten Vergangenheit der Angeklagten noch zusätzlich einiges »hineingezwängt« worden: »Es wurden notwendige Formulierungen über antisowjetische Agitation hineingeschrieben, die auf die Verhinderung der Maßnahmen der Sowjetmacht abzielten und an die Adresse der Führer der Partei und der Mitglieder der Regierung gerichtet waren.«101 Tovstik bestätigte dies, indem er davon sprach, dass dem Team, das die Protokolle der Zeugenaussagen von Korobcev »verbessert«, »fertige Textbausteinen antisowjetischen Inhalts« geliefert wurden, die dazu dienten, »den vermeintlichen Aussagen der Zeugen mehr Gewicht zu verleihen und mit Fakten über angeblich konterrevolutionäre Tätigkeit der Angeklagten zu sättigen.«102 Ein geheimer Mitarbeiter der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk berichtete freimütig, dass er 96 97
Ebda. Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 220 ob. 98 Raport P. A. Gončarovа. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 4. 99 Dvorovye knigi. 100 Mehrere Zeugen bestätigen, dass sie nie befragt wurden. Vgl.: Protokol doprosa svidetelja I. [?] Fursa. [April 1939 g.], еbd., T. 2, L. 43-44; Raport nač. Dolinskogo RO NKVD Vorovik nač. UNKVD Kirovogradskoj oblasti G.P. Neborakovu. 27.03.1939, ebl, T. 2, L. 101. 101 Raport P. A. Gončarovа. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 4. 102 Dopolnitel’nye pokazanija nač. Dolinskogo RO RKM Kirovogradskoj oblasti N. G. Tovstika. 12.04.1939, еbd., T. 2, L. 142-143.
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ein solches, ihm vom NKVD zum zweiten Mal vorgelegtes, überarbeitetes Protokoll einfach blind unterschrieben habe.103 Um sich auch noch die Arbeit zu ersparen, die verbesserten Protokolle nochmal den Zeugen zur Unterschrift vorzulegen, hatte das Team weitere, die Prozedere nochmal wesentlich vereinfachende Strategien entwickelt. Vorgeworfen wurde Demčuk, die überarbeiteten Protokolle im Namen der Zeugen einfach mit seiner linken Hand unterschrieben zu haben, was auch durch ein graphologisches Gutachten überprüft und bestätigt wurde.104 Unsauber gearbeitet wurde aber nicht nur bei den Zeugenaussagen, sondern auch noch bei einem anderen wichtigen, zumal obligatorischen Bestandteil der Untersuchungsakte und zwar den Gutachten oder Charakteristiken des Dorfrates, in dem die verhaftete Person gelebte hatte.105 Nach den Aussagen des NKVDSekretärs Gončarov nutzte der NKVD des Rajons von Dolinsk seine Autorität, um auch hier Einfluss auf deren Inhalt zu nehmen. »Wenn die Gutachten aus den Dorfräten der Rajonabteilung nicht passend waren, dann hat der Leiter der Rajonabteilung des NKVD den Vorsitzenden des Dorfrates einbestellt und ihn aufgefordert ein Gutachten zu schreiben, was gebraucht wurde. Es gab einen Vorsitzenden des Dorfrates PODLUBNYJ, der Gutachten mit beliebigem Inhalt lieferte und nicht nur er, sondern alle Dorfräte waren so eingestellt, dass bei Auftauchen eines Mitarbeiters des NKVD im Dorfrat, der ein Gutachten über irgendeinen Bürger erbat, nicht gefragt wurde wofür dieses Gutachten benötigt wird, sondern der Vorsitzenden des Dorfrates dachte, dieser Bürger ist ein Feind und hat gleich nachgefragt, welchen Inhalt das Gutachten haben soll.«106 Im eigentlichen Gerichtsverfahren vom Winter 1939 gegen Korobcev und Demčuk wurden die gesamten, bereits in der Voruntersuchung festgestellten Vorfälle nochmals ausführlich dargelegt und diskutiert. Neben den Angeklagten traten allerdings lediglich vier Zeugen auf. Davon waren drei Mitglieder des Teams gewesen, das die Zeugenprotokolle »bearbeitet« hatte, nämlich der ehemalige Leiter der 103 Protokol doprosa rabotnika kolchoza »Perebudova« s. Belovo [?] Dolinskogo rajona Kirovogradskoj oblasti Ja. S. Bondarja. [April 1939 g.], еbd., T. 2, L. 30-32. 104 Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka. 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 218 ob, 219; Pom. voennogo prokurora vojsk NKVD Kievskogo okruga Chačaturin zam. nač. sledstvennoj časti NKVD USSR N. A. Kazinu. Sentjabr 1939 g., еbd., T. 1, L. 186. 105 Binner, R./Junge, M., Gutachten der Dorfräte als Routinefaktor bei der Verurteilung von Bauern, in: Binner, R./Bonwetsch, B./Junge, M. (Hg.), Stalinismus in der sowjetischen Provinz 1937-1938. Die Massenaktion aufgrund des operativen Befehls № 00447, Berlin 2010, S. 503514. 106 Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka. 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 221 ob.
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Passstelle und nun Leiter der Miliz des Rajons Dolinsk Tovstik, der Sekretär des Rajonabteilung des NKVD Gončarov und der Amtsinspektor der Rajonabteilung der Miliz M. I. Korolenko. Beim vierten, nicht ehemals zum Korrektur-Team gehörigen Zeugen G. S. Glušakov handelte es sich um einen Opferzeugen, der darüber berichtete, dass Demčuk ihn gefoltert und beleidigt habe.107 Die beiden Angeklagten, einschließlich der drei Mitglieder des KorrekturTeams, die als Zeugen der Anklage auftraten, redeten sich auf den ersten Blick ganz klassisch mit Befehlsnotstand heraus. Korobcev wies darauf hin, dass aus dem Gebiets NKVD, also von höheren Stellen, die Direktive gekommen sei, »so viel wie möglich Fälle zu bringen.« Der Leiter des UNKVD von Nikolaev Fišer und auch der Leiter der rajonübergreifenden operativen Gruppe Rajcis hätten ihm gegenüber offen erklärt: »Wenn auch nur eine antisowjetische Person im Rajon übrigbleibt, dann muss der Leiter der Rajonabteilung dafür die 1. Kategorie bekommen«, was nichts anderes hieß, dass Korobcev dann seine Erschießung drohte.108 Auch Demčuk berief sich auf Befehle von oben, indem er in seinem Abschlussplädoyer die Situation, in der er gesteckt hatte, wie folgt umschrieb: »Damals hat die feindliche Leitung des Gebiets solche Direktiven ausgegeben.«109 Der in der Hierarchie niedriger stehende Amtsinspektor der Miliz Korolenko führte seine prekäre Situation als Ausführender konsequenter Weise nur auf den Druck im Rajon selbst zurück. »Ich muss ihnen sagen, wenn ich die Anweisungen des Leiters der Rajonabteilung des NKVD und des Leiters der Rajonabteilung der Miliz, obwohl sie ungesetzlich waren, nicht befolgt hätte, dann hätte man mich verhaftet und vor Gericht gebracht.«110 Korolenko unterstrich ergänzend mehrmals, dass er sogar auf die Missstände hingewiesen habe, aber immer wieder auf taube Ohren gestoßen sei. »Ich habe irgendwann mal den Leiter der Rajonabteilung der Miliz [F. A.] KOLISNYJ über die ungesetzlichen Verhöre von Zeugen informiert. Er hat mir geantwortet: ›Das ist nicht ihre Angelegenheit‹.«111 Und an anderer Stelle: »Ich wusste, dass das eine Fälschung ist, aber ich habe nicht gewusst, was ich tun soll. Den Befehl des Leiters der Rajonabteilung des NKVD nicht zu befolgen konnte ich nicht. Ich habe irgendwann mal versucht darüber zu sprechen, aber der 107 108 109 110 111
Ebd., T. 1, L. 218, 220, 221, 222 ob. Ebd., T. 1, L. 223 ob. Ebd., T. 1, L. 225. Ebd., T. 1, L. 219. Ebdа.
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Leiter der Rajonabteilung des NKVD und der Leiter der Rajonabteilung der Miliz haben mir geantwortet, dass sie für die Operation verantwortlich sind und nicht ich.«112 Der Angeklagte Korobcev versuchte sich auch noch auf eine andere Weise zu entlasten. Er stellte die Vorkommnisse in seiner Rajonabteilung als absolute Ausnahme von der Regel, eben als Einzelfälle dar.113 Beim zweiten Blick auf die Akte Korobcev und Demčuk offenbaren sich jedoch erhebliche Risse in der Argumentationsstruktur über Befehlsnotstand. Die Selbsteinschätzung der Angeklagten und auch die der Zeugen ist gerade in Bezug auf ihre Erklärung, warum sie während des Großen Terrors so gehandelt haben, wie sie es zugegebenermaßen taten, gelinde gesagt widersprüchlich. Schon während der Voruntersuchung prägte der Amtsinspektor Korolenko zur Legitimierung, was ihn dazu veranlasste, die Korrektur der Zeugenaussagen mit zu tragen, den Satz: »Ich denke, wenn das vom Leiter der Rajonabteilung des NKVD kommt, dann ist das gesetzeskonform.«114 Mit einer ähnlich gelagerten Stellungnahme demontierte er auch noch die Glaubwürdigkeit seiner Aussage, er hätte die Korrekturen sogar wider besseres Wissen ausgeführt, weil man ihn harsch zurückgewiesen und außerdem mit Verhaftung gedroht habe. So betont er in demselben Kontext: »Außerdem ist mir nicht in den Sinn gekommen, dass der Leiter der Rajonabteilung des NKVD mit seiner Arbeit ungesetzlich gehandelt hat.«115 Dass er eigentlich den Durchblick gehabt und wenigstens kritisch nachgefragt haben will, schwächt er weiter mit der Aussage: »Ich bin nicht besonders entwickelt und habe nicht Bescheid gewusst, ob man mir Befehle richtig oder falsch erteilt hat.«116 Der Angeklagte Demčuk brachte es schließlich auf den Punkt, wie die Haltung der Tschekisten im Großen Terror war und ließ außerdem einen Einblick zu, wie er nun die neue Situation 1939 bewertete. 112 113 114 115 116
Ebd., T. 1, L. 218 ob. Ebd., T. 1, L. 223 ob, 224 ob. Protokol doprosa učastkovogo inspektora RKM Dolinskogo rajona Kirovogradskoj oblasti M. I. Korolenko. 26.03.1939, еbd., T. 1, L. 95-99, hier 97. Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 219. Ebd., T. 1, L. 219 ob.
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»Mein Fehler bestand auch darin, dass ich als Kommunist blind den Anweisungen vertraut habe.«117 Beim Angeklagten Korobcev dagegen ist selbst 1939 ein Unrechtsbewusstsein darüber, dass in seinem Rajon etwas falsch gelaufen sein könnte, letztendlich nicht feststellbar. Er sah die »Verbesserung« der Zeugenaussagen vielmehr in einem Gesamtzusammenhang. So waren die von ihm angeordneten inhaltlichen Hinzufügungen zu den Protokollen der Zeugenaussagen und selbst die Erstellung von ganzen Zeugenprotokollen ohne Anwesenheit von physischen Personen für ihn deshalb kein Problem, weil ihr Inhalt auf Agenturmaterialien fußten, die über suspekte Individuen und Gruppen in seinem Rajon-NKVD vorlagen. »Als wir damit begannen die Untersuchungen über die Verhafteten auszufertigen, habe ich tatsächlich aus den Agenturmaterialien Notizen herausgesucht, was ein bestimmter Zeuge über einen Angeklagten aussagen kann und diese Notizen habe ich den Untersuchungsführern gegeben.«118 Selbst als Korobcev dann durchaus zugab, sogar drei Befragungen von Zeugen ganz ohne dieselben durchgeführt zu haben, fügte er sofort erklärend hinzu, dass allerdings der Inhalt der fiktiv erstellten Protokolle auf vorhandenen Agenturmaterialien beruhte: »Ich habe tatsächlich in der Rajonabteilung des NKVD auf der Grundlage von Agenturmaterialien drei Protokolle von Zeugenaussagen angefertigt und mit diesen Protokollen den Amtsinspektor der Miliz КОROLENKO zu unserem geheimen Mitarbeiter zur Unterschrift geschickt, der sie anstandslos unterzeichnet hat.«119 Auch eine real nicht durchgeführte Gegenüberstellung von Zeugen entschuldigte der ehemalige Leiter des Rajon-NKVD mit derselben Argumentationsstrategie: »Ich habe in die Protokolle der Gegenüberstellung von OLEJNIK die Aussagen der Zeugen eingefügt, und zumal OLEJNIK seine antisowjetische Tätigkeit gestanden hatte dann auch noch dies in das Protokoll der Gegenüberstellung hineingebracht. Tatsächlich habe ich keine Gegenüberstellung mit OLEJNIK durchgeführt.«120 Welchen hohen Stellenwert bzw. Wahrheitsgehalt Korobcev bei dieser Arbeitsweise seinen Agenturmaterialien einräumte, zeigt der Fall des Buchhalters des Han117 118 119 120
Ebd., T. 1, L. 225. Ebd., T. 1, L. 223 ob. Ebda. Ebd., T. 1, L. 224 ob.
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dels und Produktionskontor des NKVD M. L. Fiсh.121 Er war auf der Grundlage eines Denunziationsschreibens eines Kollegen verhaftet worden. Als dieser sich jedoch von seinen Aussagen distanzierte, wurde Fich dennoch nicht freigelassen. Korobcevs Begründung dafür war, eine Freilassung sei »politisch nicht opportun«. Den Hintergrund für diesen Ausspruch bildete, dass gegen Fich beim Rajon-NKVD sowohl Agenturmaterialien als auch ein negatives Führungszeugnis122 des Dorfsowjets vorlagen. In diesen wurde er als »antisowjetische Persönlichkeit«, »ehemaliger Händler«, als jemand mit »Verwandten im Ausland« und noch dazu als einer dargestellt, der den »Trotzkismus gelobt« hat. Fich verurteilte man letztendlich mit Hilfe von fiktiven Zeugenaussagen, die selbstverständlich auf der Grundlage der vorliegenden Informationen angefertigt wurden, zu 10 Jahren Lagerhaft. Der Fall Fich wurde am 8. Mai 1939 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR niedergeschlagen und Fich in die Freiheit entlassen.123 Weitere ähnliche Fälle habe es, laut dem NKVD-Sekretär Gončarov, im Rajon-NKVD gegeben.124 Korobcevs allgemeiner Kommentar zu der Angelegenheit war: »Zu dieser Zeit bin ich so verfahren und hielt meine Handlungen für richtig.«125 Er sieht sich insgesamt als Opfer einer böswilligen Uminterpretation seiner Handlungen. »Ich muss Ihnen sagen, dass die Untersuchungsführer, die meinen Fall bearbeitet haben, den Fall in einen eines Fälscher verfälscht hat.«126 Anhand der Akte der überzeugten Vollstrecker Korobcev und Demčuk wird klar, dass es für eine Verurteilung nicht zwingend notwendig war, Folterungen von Gefangenen nachgewiesen zu bekommen, sondern auch schon Fälschungen von Akten und Manipulation des Untersuchungsverfahrens ausreichten um hohe Haftstrafen zu erhalten. Dies zeigt ferner, dass der ehemalige Geheimdienstchef Karamyšev nicht nur deshalb verurteilt wurde, weil man auch höhere Kader für die Kampagne brauchte. Sein Handeln, auch wenn er nicht direkt Hand angelegt hatte, war deshalb nun verurteilungswürdig, weil er nicht genügend kontrolliert oder die gesetzeswidrigen Vorgänge toleriert hatte. 121
Reabilitovani istorijeju. Kirovograds’ka oblas’, Kniga 2, Oblastna Redakcijna kolegija S. M. Nedilko i.d., Kiїv/Kirovograd 2004, S. 204. 122 Spravka, charakteristika. 123 Ebda. Frei gelassen wurde auch die zu 8 und 10 Jahren Verurteilten. 124 Raport P. A. Gončarovа. 17.04.1939, еbd., T. 2, L. 3-4 125 Protokol VT kasatel’no P. Ja. Korobceva i E. F. Demčuka. 16.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809, T. 1, L. 220 ob, 223 ob. 126 Ebd., T. 2, L. 220 ob, 223 ob, 224 ob.
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Handlanger Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten zur Verurteilung von NKVDMitarbeitern wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit stießen die Sonderbevollmächtigten des NKVD ähnlich spät wie im Fall Korobcev und Demčuk auf eine ganze Gruppe von Geheimpolizei- und Milizmitarbeitern, die in der Stadtabteilung des Geheimdienstes von Cherson des Gebiets Nikolaev gewütet hatte. Den Kern bildeten vier Tschekisten der mittleren Ebene, also einer Stadtabteilung; darunter sogar ein informeller Mitarbeiter des NKVD, ohne Festanstellung beim Geheimdienst. Zwei Besonderheiten zeichnen dieses Verfahren aus. Erstens fanden zwei Prozesse statt, obwohl es sich »nur« um Mitarbeiter der mittleren Ebene und nicht um die Führungsebene wie bei Karamyšev und Ovčinnikov handelte. Zweitens waren die Hauptfiguren beider Prozesse erstaunlicher Weise nicht die drei angeklagten regulären Mitarbeiter des Geheimdienstes der Stadtabteilung des NKVD von Cherson, sondern ihre Zuarbeiter, d.h. Agenten, informelle Mitarbeiter, bezahlte Zeugen und einfache Informanten. Im direkten Fokus stand ein mit auf der Anklagebank sitzender informeller Mitarbeiter des Geheimdienstes. Offiziell bildete die Spitze der angeklagten Vierergruppe aber Ivan Fedorovič Fedjaev, denn sein Name war es, der auf dem Aktendeckel stand. Er hatte während des Großen Terrors, also während der Tatzeit, als Fahndungsbevollmächtigter der 4. Unterabteilung der Stadtabteilung des Geheimdienstes von Cherson gearbeitet und zwar vom 27. Oktober 1937 bis April 1938. Danach wurde er, nach seinen eigenen Angaben zu beurteilen, aus persönlichen Gründen entlassen. Er wechselte in die Spezialgruppe der Nikolaever Industriegewerkschaften. Hier überwachte er bis Ende August 1938 als Leiter dieser Spezialgruppe die Kaderpolitik der Gewerkschaften. Diese Position brachte ihm die Auszeichnung, »Hervorragend zur Mobilisierung vorbereitet«127 ein. Dies wiederum bedeutete, dass Fedjaev weiterhin engen Kontakt zum Geheimdienst hatte. Denn in der UdSSR waren alle Mobilisierungspläne und Maßnahmen für den Kriegsfall geheim und standen unter der Kontrolle der Organe des NKVD. Ab dem 1. September 1938 bis zu seiner Verhaftung im Dezember 1939 war er stellvertretender Direktor der Verwaltung der Wirtschaftsabteilung des Staatlichen Pädagogischen Instituts von Cherson. Auch hier war er gleichzeitig für die Mobilisierung von Personal und dessen Überwachung zuständig. Geboren wurde Fedjaev 1904 als Sohn eines Knechts bzw. armen Bauern im Dorf Berezuevo des Kreises Duchovčina des Gouvernements Smolensk, heute im Rajon Jarcevo des Gebiets Smolensk. Er war ethnischer Russe, sein Bildungsgrad niedrig. 1911-1916 kurz zur Schule gegangen, hatte er dann eine nur zwei Kurse dauernde Ausbildung am Automobiltechnikum abgebrochen. Danach 127
Za otličnuju postanovku mobraboty.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
arbeitete er drei Jahre in einer Industrieweberei und anschließend vier Jahre als Fahnder bei der Miliz der Städte Melitopol’, Sirоhozy, Džankoe und Zaporož’e in der Ukraine. Hier bekämpfte er ab 1929 das Bandenwesen und erhielt dafür mehrere Auszeichnungen, darunter die Pistole »Nagan«. 1931 war er für 10 Monate als Inspektor der Kontrollkommission der Arbeiter und Bauerninspektion von Denepr ’Bau 128 und als Vorsitzender [der Kommission] zur Säuberung des sowjetischen Apparats tätig. Gleichzeitig schloss er eine Ausbildung als Fahnder ab. Dann studierte er vom 8. Dezember 1931 bis 25. Dezember 1932 am Automobiltechnikum von Zaporož’e, bis er schließlich 1932 beim Geheimdienst landete. Als Geheimdienstmitarbeiter konnte er »einen englischen Spion aufdecken« und eine »ukrainische aufständische Organisation« entlarven. Er erhielt mehrere Belobigungen und Würdigungen, z.B. 1936 für die Aufdeckung einer »faschistischen Gruppe« in der Fabrik »Lenin« und für die »beste Komplettierung der Truppen des NKVD«. Er war nicht vorbestraft, hatte aber 10 Tage im Karzer gesessen, weil er während des Großen Terrors versäumt hatte einen »kommunistischen Chauffeur« zu verhaften. Auf 1931 ist Fedjaevs Aufnahme in die Partei zu datieren. Sein Rang war Unteroffizier des Staatssicherheitsdienstes. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder.129 Die zweite Person, die den Sonderbevollmächtigten zur Untersuchung von Amtsmissbrauch besonders auffiel, war Aleksandr Aleksandrovič Semenov. Semenov wurde 1895 in Cherson in einer ukrainischen Arbeiterfamilie geboren, hatte niedrige Bildung und musste seit früher Kindheit als Träger arbeiten. Er erhielt dann aber eine Ausbildung als Schlosser. 1912-1915 übte er diesen Beruf auch während seiner Arbeit im Hafen von Nikolaev aus. Von 1917-1924 diente er in der Roten Armee; ab 1917 erst als Roter Partisan und ab 1922 als richtiger Armeeangehöriger. 1920 war er Kommandeur eines Bataillons zur Bekämpfung des Bandenwesens. Nachdem er von 1924-1930 bei der »Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemieindustrie«130 in Zinov’evsk, dem zukünftigen Kirov bzw. dann Kirovograd, Anstellung gefunden hatte, nahm er 1930 Arbeit bei der Fischfabrik von Cherson auf. Hier bekleidete er die Stellung eines Leiters der Spezialabteilung und stellvertretenden Leiters der Kaderabteilung. Offiziell beim NKVD angestellt war er nie, befand sich aber regelmäßig im Gebäude des Geheimdienstes und nahm auch als Zeuge an Verhören teil und führte selbst Verhöre durch. Außerdem war er informeller Mitarbeiter des NKVD. 1939 wurde 128 129
Dneprostroj. Charakteristika direktora Chersonskogo gosudarstvennogo pedagogičeskogo instituta Zagorodnij o I. F. Fedjaeve. 15.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 2, L. 138; Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom zasedanii kasatel’no I. F. Fedjaeva, A. A. Semenova, A. P. Protopopova, G. I. Barvinoka. 25.–28.11.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 7, L. 213; Avtobiografija I. F. Fedjaeva. 15.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 2, L. 140-141. 130 Osoaviachim.
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er »mobilisiert, um seine ukrainischen und weißrussischen Brüder zu befreien.«131 1939 erfolgte sein Eintritt in die Partei.132 Eine Vorstrafe lag nicht vor. Bei der dritten Person handelte es sich um Anatolij Petrovič Protopopov. Er war im November 1937 mobilisiert worden um im NKVD zu arbeiten, obwohl er bereits 1935 als Mitarbeiter der Grenztruppen des NKVD in Pension gegangen war. Er arbeitete von November 1937 bis August 1938 in der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. Im Anschluss daran nahm er wieder seine Tätigkeit in der Maschinenbaufabrik »Petrovskij« von Cherson auf, bei der er bereits ab Ende 1934 nach seiner Pensionierung als Mitarbeiter der Grenztruppen des NKVD als Schlosser angestellt war. Diesmal übernahm er aber sofort die hohe Position eines Assistenten des Direktors der Fabrik. Geboren war Protopopov 1897, nach anderen Angaben 1895, in Nikolaev in einer russischen Arbeiterfamilie. Seine Bildung war niedrig. 1905 brachte ihn die Teilnahme an einem Fabrikstreik für 2 Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung war er drei Jahr arbeitslos bis er ab 1916 in einer der drei Schiffbaufabriken von Nikolaev, aus denen dann die Fabrik № 200 »Kommunarоv 61« hervorging, wieder Arbeit fand. Im Jahre 1917 war er aktiv daran beteiligt, die Übergangsregierung zu stürzen und trat 1917 den Roten Garden bei. Ab 1918-1921 diente er in der Roten Armee und »hat zusammen mit ihren glorreichen Helden für Sivaš gekämpft und am Kampf zur Vernichtung von Wrangel teilgenommen.« Sofort danach nahm er seine Arbeit bei den Grenztruppen des Geheimdienstes auf und ging, wie bereits erwähnt, 1935 in Bezug auf diese Arbeit in Pension. Verweisen konnte er auf zahlreiche Auszeichnungen in Form von Diplomen und Prämien, darunter Schmuckwaffen und Uhren. Seit 1939 war er Kandidat für die Mitgliedschaft in der Partei. Er war verheiratet und nicht vorbestraft.133 Grigorij Ivanovič Barvinok war die vierte Person, deren Tätigkeit während des Großen Terrors in Cherson von den Ermittlern genau untersucht wurde und zur Aufnahme eines Strafverfahrens führte. Schon seit 1935 arbeitete er bei den Organen des NKVD und zwar bei der Miliz. Von Anfang 1937 bis zum 10. Januar 1938 wurde er vorübergehend zur Arbeit in der Stadtabteilung des NKVD von Cherson mobilisiert. »Nur wegen meiner Hingabe an die Arbeit und meiner Rechtschaffenheit in Bezug auf die Arbeit wurde ich zeitweise für die Arbeit in der Stadtabteilung des NKVD 131
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Avtobiografija I. F. Fedjaeva. 15.04.1939, ebd., L. 141. Die Rede ist hier von dem sog. »Befreiungsfeldzug« der Roten Armee, begonnen am 17. September 1939 gegen Polen, dessen Resultat die Angliederung von Teilen Polens an die westliche Ukraine und Weißrussland war. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 7, L. 211 ob, 242ob; Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom zasedanii kasatel’no I. F. Fedjaeva, A. A. Semenova. 06.–07.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 3, L. 14 ob. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 7, L. 211 ob, 242-242 ob.
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von Cherson mobilisiert […], ich war zufrieden und stolz, dass man mir vertraute in solch einer verantwortlichen Behörde zu arbeiten.«134 Es gelang ihm während seiner Arbeit in der Stadtabteilung eine faschistische Organisation aufzudecken, die »sich zur Aufgabe gesetzt hatte, bei Bedarf Eisenbahnschienen und Brücken zu sprengen und damit die Volkswirtschaft unseres Landes zu desorganisieren.«135 In einer Fabrik für Glasverpackungen entdeckte er eine Bande, die »der Sowjetunion schaden und ihre Kraft untergraben« wollte.136 Ab Januar 1938 bis zu seiner Verhaftung war er Leiter der Spezialabteilung der Gebietsverwaltung der Miliz von Nikolaev. Sein Rang war einfacher Leutnant der Miliz. An Dienstauszeichnungen hatte er vier Prämien angesammelt. Außerdem konnte er noch zwei Urkunden als Bestarbeiter der sozialistischen Arbeit vorweisen. Während seiner Arbeit im NKVD wurde er drei Mal befördert. Ordnungsstrafen oder irgendwelche anderen vollwertigen Strafen hatte er nicht erhalten. 1939 erfolgte der Eintritt in die Partei. 1935 [?] war er allerdings zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er einen Gefangenen geschlagen hatte. Geboren worden war er 1907 in einer ukrainischen Eisenbahnerarbeiterfamilie bei der Eisenbahnstation Znamenka. Schon als Kind musste er zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. »Dank der Sowjetmacht konnte ich aus der armen Familie herauskommen und eine mittlere Ausbildung erhalten.«137 Nach der Ausbildung wollte er sich durch praktische Arbeit bewähren. Er nahm einen Job in der Waldwirtschaft an, wo er »einige Prämien und Danksagungen usw.« erhielt.138 Die Verhaftung der Vierergruppe spielte sich in zwei Etappen ab. Fedjaev und Semenov wurden im Dezember 1939 und zwar am 8. Dezember bzw. am 29. Dezember festgesetzt; Protopopov und Barvinok erst ein halbes Jahr später, am 7. Juli 1940. Das Besondere beim ganzen Verfahren war, dass die Anzahl der Angeklagten vom ersten zum zweiten Prozess verdoppelt wurde. So richtete sich der erste Prozess nur gegen Fedjaev und Semenov. Er fand vom 6. bis 7. Juli 1940 statt. Der zweite Prozess, der fast 5 Monate später vom 25. bis 28. November 1940 durchgeführt wurde, erfasste die ganze Gruppe.139 Den ersten Prozess leitete der Militärrichter Ja. M. Vasjutinskij, den zweiten der Militärrichter Gur’ev; beide schon bekannt, weil sie auch den ersten bzw. zweiten Karamyšev-Prozess durchgeführt haben. 134 135 136 137 138 139
Ebd., L. 242. Ebda. Ebda. Ebda. Ebd., L. 211 ob, 212, 242; Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 3, L. 5 ob. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 1-21 ob; Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 211-243.
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Besonders dramatisch war, dass Protopopov und Barvinok direkt auf dem ersten Prozess gegen Fedjaev und Semenov verhaftet wurden, auf dem sie noch als Belastungszeugen figuriert hatten. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, dass der erste Prozess nur stattfand, um die Anzahl der Angeklagten zu erhöhen. So wurden Protopopov und Barvinok im ersten Prozess von Anfang an nicht als Zeugen, sondern wie Angeklagte behandelt. Sie mussten sich permanent Aussagen von Zeugen über Folter und Fälschungen stellen.140 Z.B. trat der Opferzeuge Š. Ch. Meerson explizit auch gegen Barvinok auf: »Mit dem ersten Tag meiner Verhaftung habe ich überall hin Erklärungen und Beschwerden geschickt: an die Genossen Stalin, Berija, Chruschtschow, wohin auch immer. In all diesen Erklärungen werden sie den Namen Barvinok antreffen und ich werde ihn niemals vergessen. […] Barvinok hat mich von Ende Dezember [1937] bis 7. Januar [1938] systematisch geschlagen.«141 Der gesamte erste Prozess wurde schließlich mit der Begründung abgebrochen, dass Zusatzuntersuchungen in Bezug auf den festgestellten Missbrauch von Untersuchungsakten notwendig geworden und dass Barvinok und Protopopov mit einzubeziehen sind.142 Konkretisiert werden sollten »die Erstellung von fiktiven Verhörprotokollen und Gegenüberstellungen und erzwungene, nicht der Wahrheit entsprechende Geständnisse«143 , insbesondere in Bezug auf den ehemaligen Direktor der Fischfabrik von Cherson P. K. Zubkov. In diesem Fall hatte das Gericht sogar echte Beweismittel für Unregelmäßigkeiten vorzuweisen. Zubkov war schon am 30. Dezember 1937 von der Trojka zum Tode verurteilt worden, die Anklageschrift trug aber das Datum vom 3. Februar 1938 und auf ihr war illegaler Weise handschriftlich ein »R« hinzugefügt, was »rasstreljat’« (erschießen) bedeutet und auf eine mögliche Vorverurteilung durch das NKVD-Personal hindeutete.144 Die Hauptfigur beider Prozesse, der informelle, nicht reguläre Mitarbeiter des NKVD Semenov wies alle Vorwürfe gegen ihn zurück Falschaussagen und Manipulation von Informationen vorgenommen zu haben. Der Kern seiner Strategie seine Unschuld zu beweisen war, sich als Opfer des NKVD zu inszenieren und die Mitangeklagten zu diskreditieren. Sofort bei seinem ersten Auftritt behauptete er, er habe einen Selbstmordversuch unternommen »weil die Mitarbeiter der Stadtabteilung mich unter Druck gesetzt haben, verschiedene Materialien über verhaftete Personen ausfindig zu machen.«145 Gebetsmühlenartig wiederholte er auf beiden 140 Ebd., T. 3, L. 4 ob–7 ob, 11-12, 19 ob. 141 Ebd., T. 3, L. 6, 6 оb. 142 Opredelenie po obvineniju I. F. Fedjaeva, A. A. Semenova. 07.06.1940, еbd., T. 3, L. 29-32, hier L. 29. 143 Ebda. 144 Ebda. 145 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 1.
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Prozessen, er habe die Sammlung von Materialien und die Erstellung von fiktiven Zeugenaussagen nur unter Zwang durchgeführt.146 Allerdings scheint es laut Zeugen aus dem Mitarbeiterstab des NKVD und auch nach seinen eigenen Angaben zu beurteilen genau umgekehrt gewesen zu sein. Semenov war im NKVD ein und ausgegangen.147 Der Chef der Stadtabteilung des NKVD I. P. Rudnickij soll Semenov nach Erinnerung des NKVD Mitarbeiters M. S. Val’ mit dem Satz gelobt haben: »Semenov ist so viel Wert wie zehn operative Mitarbeiter.«148 Der ehemalige Mitarbeiter des NKVD M. A. Verben berichtete: »Semenov arbeitete als Ermittler149 , trieb Zeugen auf, die die Verhafteten kannten, und die empfahl er dann.«150 Beide Mitarbeiter betonten aber gleichzeitig die überbordende Aktivität Semenovs. Es seien, so Val’, Gerüchte umgegangen, »wenn irgendwer Material brauche, man sich an Semenov wenden solle und der besorgt alles nur erdenkliche Material und auch über jede Person.«151 Vesbejn thematisierte zusätzlich Semenovs unrühmliche Rolle als Zeuge: Semenov trat in den Untersuchungsakten zur Überführung der Verhafteten als Zeuge auf, obwohl er informeller Mitarbeiter des NKVD, und dies, so ist zu ergänzen, verboten war.152 In Vesbejns Augen war Semenov regelrecht »Enthusiast beim Geben von Aussagen« und ein »Verleumder.«153 Semenov hatte sogar selbst stellvertretend für Mitarbeiter des NKVD Zeugen befragen dürfen, was ebenfalls nicht gestattet war.154 Die Schlüsselrolle Semenovs wurde noch dadurch unterstrichten, dass sich vor allem der zweite Prozess zu einem Hebel entwickelte, in großer Anzahl das Verhalten der mehr, mal weniger freiwilligen Zuarbeiter des NKVD zu durchleuchten. Im ersten Prozess traten Zeugen auf, von denen mindestens drei von 16 Zeugen informelle Mitarbeiter oder zumindest freiwillige Informationsgeber für den NKVD waren. Im zweiten Prozess stieg deren Anzahl auf 9 von 25 Zeugen. Ein solcher Zeuge war der 78-jährige I. E. Chrapko, ehemaliger politischer Zwangsarbeiter während der Zarenzeit. Er hatte bereits seit 146 Ebd., T. 3, L. 1, 3 ob, 18-20; Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 220, 224 ob. 147 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 220. Bei der Voruntersuchung bezeichnet er sich als ein für bestimmte Zeit mobilisierter Ermittler (sledovatel’). Vgl.: Protokol doprosa A. A. Semenova. 22.12.1939, еbd., T. 1, L. 172. 148 Ebd., T. 7, L. 216. 149 Ustanovščik. Semenov überprüfte nach eigenen Angaben die Adressen der Verhafteten. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 16. 150 Ebd., T. 3, L. 16. 151 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 216. 152 Zur Streitfrage, ob Semenov tatsächlich mit dem Agenten »Mironov« identisch ist. Vgl.: Ebd., T. 7, L. 219 ob, 222. Ein Mitarbeiter entlastete Semenov insofern, als das er anführte: »Die Anordnung, die Primärquelle, das heißt den Agenten als Zeugen zu befragen, hat es gegeben. Diese Anordnung hat der Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets [Fišer] erteilt.« Ebd., T. 7, L. 222. 153 Ebd., T. 7, L. 221. 154 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 12 ob, 13 ob.
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zwei Jahren eng mit dem NKVD als Informant zusammengearbeitet und war regelmäßig beim Geheimdienst vorgeladen worden, um z.B. darüber Auskunft zu gegeben, wer ein ehemaliger Sozialrevolutionär oder Menschewik war.155 Chrapko beteuerte: »[…] alle jene Aussagen, die ich gemacht habe, waren immer richtig […].«156 Wie eine solche Aussage Chrapkos aussah ist dokumentiert durch seine Befragung über den erwähnten Direktor der Fischfabrik Zubkov. Fixiert wurde sie durch den NKVD-Mitarbeiter G. N. Nertik: Zubkov wurde hier als Sohn eines großen Bauunternehmers bezeichnet. Er war dazu noch Offizier bei den Weißen gewesen, weil Chrapko Zubkov 1919 mit einer Offiziersuniform gesehen haben will. Außerdem habe Zubkov Chrapko und andere Arbeiter versucht zu überzeugen, nicht gegen die Weißen aufzutreten, da die Rätemacht den Weißen unterlegen sei. Dann ging Chrapko dazu über, Zubkov als konterrevolutionären Trotzkisten darzustellen. 1927 sei Zubkov auf einer Arbeiterversammlung im Gewerkschaftshaus »Der Bauarbeiter«157 mit anderen, auch namentlich genannten, inzwischen verhafteten Trotzkisten gegen die Formel [Stalins] vom Aufbau des Sozialismus in einem Lande aufgetreten und eng mit diesen verbunden gewesen.158 Seine Aussage von 1937 bestätigte Chrapko auch noch zweieinhalb Jahre später auf dem ersten Prozess gegen Fedjaev in folgender Form: »Ich habe ausgesagt, dass Zubkov ein Bauunternehmer war und sein Sohn Zubkov Pavel antisowjetische Agitation in Bezug auf die Frage über die Unmöglichkeit den Sozialismus in einem Land aufzubauen betrieben hat […]. Ich denke das Nertik in diesem Fall meine Aussage richtig fixiert hat, zumal Zubkov Pavel sich im antisowjetischen Geist geäußert hat, d.h. er mit dem Trotzkisten Fajtelevič und anderen verbunden war.«159 Richtig interessant wird es aber erst, weil Chrapko gleichzeitig den Inhalt eines zweiten, ebenfalls von Nertig angefertigten Befragungsprotokolls und auch den Inhalt einer dritten Befragung vom Januar 1938, diesmal durch Fedjaev, vehement bestritt. In diesen Protokollen stand, dass Chrapko definitiv wusste, dass der Fischfabrikdirektor bei den Weißen gedient hat und er selbst Zeuge war, wie dieser im 155
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Ebda; Postanovlenie osoboupolnomočennogo UNKVD po Nikolaevskoj oblasti V. N. Nikitina v porjadke nadzora prokurora Nikolaevskoj oblasti po obvineniju P. K. Zubkova. 07.12.1939, еbd., T. 8, L. 130-136, hier 132-133. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 10. Stroiteli. Protokol doprosa svidetelja I. E. Chrapko. 19.10.1937, еbd., T. 8, L. 52. Ebda.
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Dokument namentlich genannte Kommunisten erschoss.160 Chrapko hatte demnach also scheinbar seine erste Aussage wesentlich konkretisiert. Zur Erklärung, wie es zu solchen Protokollen mit von ihm aktuell plötzlich abgestrittenen Aussagen kommen konnte, die aber dennoch alle von ihm unterzeichnet sind, führte Chrapko auf, man habe ihm die Protokolle nicht vorgelesen und zudem habe er auch mal leere Blätter unterschrieben. Dieses Argumentationsschema Chrapkos entwickelte sich während des zweiten Fedjaev-Prozesses zu einer Position, auf die sich die meisten Zuarbeiter, einschließlich des Angeklagten Semenov, zurückzogen. Zwei fügten auch noch psychologischen Druck hinzu.161 Allerdings entlastet diese Strategie der Zeugen, sie hätten ihre Befragungen ohne Prüfung einfach abgezeichnet und den NKVD-Mitarbeitern darüber hinaus auch noch nicht ausgefüllte Protokolle unterschrieben, nicht wirklich. Sie bleiben auf Grund ihres blinden Vertrauens Mittäter, zumal, wie das Beispiel der Aussage Chrapkos verdeutlicht, der Unterschied zwischen dem was sie als Zeugen selbst gesagt haben und dem was die Protokolle dann wiedergeben, sehr gering ist. Außerdem sind auch die von Chrapko als seine eigenen anerkannten Aussagen hoch problematisch. Es fällt auf, dass der ehemalige politische Zwangsarbeiter auf dem ersten Prozess gegen Fedaev durchaus zu seinen früheren Aussagen steht, aber diese dennoch an zentralen Punkten revidierte. Es war plötzlich nicht mehr die Rede von Zubkovs Vergangenheit als Weißer Offizier, denn dies war höchst unglaubwürdig, weil Zubkov zum betreffenden Zeitpunkt erst 20 Jahre alt war und einen so hohen Rang noch nicht hätte erreichen haben können. Auch der Vater von Zubkov war nun nicht mehr ein großer Bauunternehmer, sondern nur noch ein gewöhnlicher Bauunternehmer. Nicht zurück nahm Chrapko jedoch den schweren Vorwurf der »antisowjetischen Agitation« im Zusammenhang mit den Zweifeln Zubkovs an der offiziellen Parteidoctrine. Insgesamt ist erkennbar, dass der Zeuge bis zuletzt Information nicht neutral weitergab, sondern stark interpretierte, wertete und denunziatorisch verwendete, dazu noch je nach Situation revidierte. Das Ausmaß an Schaden, das Chrapko mit dieser Art von Aussagen angerichtet hat, zeigt schon die reine Menge seiner Befragungen in den zurückliegenden zwei Jahren. Er wurde 200 bis 300 Mal beim NKVD zu den unterschiedlichsten Personen befragt.162 Fragwürdig ist auch, dass Chrapko als ein ehemaliger politischer Zwangsarbeiter, der wahrscheinlich während der Zarenzeit Folter und Gefängnis am eigenen Leibe erfahren, oder zumindest gesehen hatte, nun dem Strafsystem seines eigenen Regimes so leichtfertig vertraute und sich geradezu aufdrängte 160 Protokol [dopolnitel’nogo] doprosa svidetelja I. E. Chrapko. 19.10.1937, еbd., T. 8, L. 53-54 ob; Protokol [dopolnitel’nogo] doprosa svidetelja I. E. Chrapko. 13.01.1938, еbd., T. 8, L. 55; Protokol [dopolnitel’nogo] doprosa svidetelja I. E. Chrapko. 10.08.1939, еbd., T. 8, L. 99-100. 161 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 218, 220, 225 ob, 231 ob, 232, 232 об, 234. 162 Postanovlenie V. N. Nikitina. 07.12.1939, ebd., T. 8. L. 132.
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als Zeuge zu arbeiten. Die NKVD-Mitarbeiter ihrerseits haben die Andeutungen, Halbwahrheiten und Interpretationen Chrapkos für sich genutzt, um ihre Akten rund zu machen. So war, um auf das zentrale Opfer zurückzukommen, der Fischfabrikdirektor Zubkov wegen Trotzkismus verhaftet worden und Chrapkos Aussagen, insbesondere, dass er als Offizier in der Weißen Armee gedient haben sollte, machten in der Anklageschrift die zentralen Punkte aus, ihn schließlich zum Tode zu verurteilen.163 Für den NKVD waren solche Zeugen, derer es offensichtlich ausreichend gab, unerlässlich. Sie erleichterten ihnen die Arbeit, die Akten wasserdicht zu machen, erheblich. Drei weitere, dem Hauptstrang allerdings untergeordnete Dinge zeichnen die Akte zum Fedjaev-Prozess aus. Zum einen werden ausnahmsweise Ereignisse wieder aufgerollt, die weiter zurücklagen. Es handelt sich in der Akte um Fälle, die vom NKVD Ende 1937, Anfang 1938 bearbeitet worden waren. In dem betreffenden Zeitraum stand an der Spitze der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev noch nicht Karamyšev, sondern Fišer. Die wichtigste Person, die nun rehabilitiert wurde, der Direktor der Fischfabrik, war nicht, wie bei den anderen Täter-Prozessen in Gebiet Nikolaev, wenn auch nach großem Leiden, lebend dem NKVD entkommen, sondern bereits verurteilt und hingerichtet. Zum anderen kann anhand der Akte Fedjaev nachvollzogen werden, dass Dienstvergehen als Strafverfolgungsgrund für Tschekisten bis zur großen sowjetunionweiten Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, die im Frühjahr 1939 begann, eine marginale Rolle spielten. Drittens wird besonders klar, wann und wie es zu einer Aufnahme eines Strafverfahrens gegen die Tschekisten gekommen ist. So war Fedjaev, wie aus seiner Personalakte deutlich wird, nicht erst im ausgehenden Jahre 1939 in erheblichen Schwierigkeiten, sondern er stand schon einmal, eineinhalb Jahre vorher und zwar im Frühjahr 1938 unter großem Druck von Seiten seines Arbeitgebers und der Parteiorganisation des NKVD. Er war wegen sexueller Belästigung, »unethischem Verhalten«, schlechter Parteiarbeit, grober Behandlung von Gefangenen, bis hin zu Schlagen, und wegen antisemitischer Aussprüche aufgefallen. Im Zentrum der damaligen Ermittlungen standen sein Antisemitismus und das er Gefangene mit Anwendung von Gewalt verhört und dabei regelmäßig seinen Hund zur Einschüchterung von Häftlingen mitgeführt hatte.164 Außerdem 163
Obvinitel’noe zaključenie po obvineniju P. K. Zubkova. 03.02.1938, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 8, L. 84-85; Vypiska iz protokola № 27 zasedanija trojki pri UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 30.12.1937, еbd., T. 8, L. 86. 164 Charakteristika na operupolnomočennogo 4–ogo otdela UGB Chersonskogo gorotdela NKVD I. F. Fedjaeva, OGA SBU, Cherson, F. 5, D. 2372, L. 3-5; Zasedanie partkomiteta Nikopol’skogo gorodskogo otdela NKVD »Punkt 1: ›Ob antisemitičeskij vyskazyvanii člena VKP(b) tov. [I. F.] Fedjaeva‹. 04.03.1937, ebd., L. 46-49; Vypis’ka iz občšego zakrytogo partijnogo sobranija partkollegii v gorode Nikopopole »Punkt 2: ›O narušenii partijnoj etiki tov. [I. F.] Fedjaeva‹. 19.03.1937, ebd., L. 50-52; Vypis’ka iz protokola № 17 zakrytogo partsobranija partorganizacii
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
hatte er, wie bereits erwähnt, es versäumt, einen Konterrevolutionär zu verhaften und dafür 10 Tage Isolationshaft auferlegt bekommen.165 Die Angelegenheit wurde jedoch in der Periode vor der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit »gütlich« geregelt. Man einigte sich wohl letztendlich darauf, dass Fedjaev selbst den Antrag stellt, aus dem NKVD entlassen zu werden und zwar aus familiären Gründen.166 Tatsache ist, dass er damals nicht unehrenhaft entlassen und weiterhin zur Reserve bereitgehalten wurde und auch kein Parteiausschluss erfolgte. Vielmehr versorgte man ihn mit einem hohen Posten bei der Spezialgruppe der Industriegewerkschaften von Nikolaev, wo er Geheimdienst- und Kontrollaufgaben übernahm und Auszeichnungen erhielt. Seine Kollegen Semenov und Protopopov hatten dagegen keine Eintragungen in der Personalakte.167 Sowohl Semenov als auch Protopopov kehrten im August 1938 nach getaner Arbeit im NKVD wieder an ihre ursprünglichen Arbeitsplätze zurück, der eine in die Fischfabrik, der andere in die Maschinenbaufabrik. Beide waren dort, ähnlich wie Fedjaev, für wichtige Kontrollaufgaben in den jeweiligen Kaderabteilungen zuständig. 1939 wurde der eine in die Partei aufgenommen, der andere zum Kandidaten erhoben. Lediglich das Verhalten Semenovs während seiner Zeit im NKVD von Cherson war kurz Thema gewesen und zwar zuerst im Herbst 1938. Der stellvertretende Leiter des NKVD von Nikolaev Pojasov hatte Semenov im Herbst 1938 zu Mitarbeitern der Stadtabteilung des NKVD von Cherson befragt gegen die Aussagen wegen schlechter Behandlung von Gefangenen und Aktenmanipulation vorlagen.168 Der Leiter der 5. Abteilung des UNKVD von Nikolaev A. I. Ligermann berichtete Mitte Dezember 1938 das der UNKVD-Leiter des Gebiets Nikolaev Karamyšev auf einer operativen Versammlung die Zustände in Cherson angesprochen und dabei Semenov als »Halunke« bezeichnet habe.169 Im Frühjahr 1939 scheint Semenov dann noch einmal vom neu eingesetzten Leiter des UNKVD von Nikolaev Jurčenko zu Protopopov befragt worden zu sein. Wie dann später auch während der Prozesse hatte er schon hier behauptet, von Protopopov gezwungen worden zu sein, manipulierte Zeugenaussagen zu machen. Der darauf RO NKVD Fricgekkortovskogo rajona Nikolaevskoj oblasti »O [neetičeskom povedenii] člena VKP(b) tov. [I. F.] Fedjaeva«. 14.09.1937, ebd., L. 77; Načal’nik otdela kadrov UNKVD Nilolaevskoj oblasti F. M. Gorin načal’niku otdela kadrov NKVD USSR Kabyzevu o I. F. Fedjaeve. 27.04.1938, ebd., L. 82-84. 165 Zakliučenie operupolnomočennogо otdela kadrov UNKVD Nikolaevskoj oblasti Artem’eva o nevypolnenii operativnogo rasporjašenija so storony I. F. Fedjaeva. 10.01.1938, ebd., L. 78. 166 Avtobiografija I. F. Fedjaeva. 15.04.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 2, L. 140-141. 167 Ličnoe delo A. A. Semenova, OGA SBU, Cherson, F. 5, D. 4998; Ličnoe delo A. P. Protopopova, OGA SBU, Cherson, F. 5, D. 1963. 168 Osoboupolnomočennyj UNKVD po Nikolaevskoj oblasti V. N. Nikitin io osoboupolnomočennomu NKVD USSR P. S. Ikovu »O vysylke archivnogo materiala rassledovanija o Boltjanskom i drugich«. 21.08.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 5, L. 82-83. 169 Ob–jasnenie A. I. Ligermana. 16.12.1939, еbd., T. 5, L. 41-44.
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angesprochene Protopopov kam aber offensichtlich zu diesem Zeitpunkt noch mit einer mündlich ausgesprochenen Rüge durch Jurčenko davon.170 Barvinok wiederum arbeitete schon im Januar 1938 wieder bei der Miliz. Seine Eingliederung in die Partei ist auch auf das Jahr 1939 datiert. Von Nachforschungen über seine Arbeit im NKVD vor 1939 ist nichts bekannt. Alle bis Mitte 1939 durchgeführten Ermittlungen gegen die vier ehemaligen Mitarbeiter und Zuarbeiter des UNKVD von Nikolaev waren also schließlich im Sande verlaufen, hatten ihnen folglich nicht ernsthaft geschadet, wie die 1939 erfolgten Parteieintritte bzw. die Aufnahme als Kandidat von Protopopov, Semenov und Barvinok deutlich zeigen. Gefährlich wurde es für die Vierergruppe erst Ende 1939. Ins Rollen kam die Sache durch ein am 11. April 1939 von der Familie des ehemaligen Fischfabrikdirektors Zubkov nach Moskau an das ZK der VKP(b) geschicktes Beschwerdeschreiben, dass am 29. April 1939 von der Parteikontrollkommission als eingegangen gestempelt wurde. Das Beschwerdeschreiben bekam besonderes Gewicht dadurch, dass die Familie gut über die Anklagepunkte gegen ihren Angehörigen informiert war und sämtliche Familienmitglieder fest in der Partei verankert waren. Was die Familie zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht wusste, war, dass man ihren Mann, Bruder und Schwager zum Tode verurteilt und bereits erschossen hatte. Tragischer Weise glaubte sie immer noch dem offiziellen Standardschreiben der Behörden, dass er »ohne Erlaubnis auf Briefkontakt« in einem Lager einsäße. In der Beschwerde der Familie wurde mit Hilfe von Zeugen glaubwürdig widerlegt, dass Zubkov je mit den Weißen zusammengearbeitet hatte. Nach den Angaben der Familie hatte er vielmehr in der Roten Armee gekämpft und war 1919 in die Partei eingetreten und hatte entscheidend beim Aufbau der Parteiorganisation in Cherson mitgewirkt. Die Familie bezeichnete nicht zuletzt die Gerüchte über eine Offizierslaufbahn Zubkovs bei den Weißen als Verleumdung einer aus der Fischfabrik entlassenen Person. Feinde geschaffen hatte sich der Fischfabrikdirektor, laut seiner Familie, durch seinen konsequenten Kampf gegen Korruption.171 Die Parteikontrollkommission scheint dann das Schreiben der Zubkovs an die Staatsanwaltschaft der UdSSR weitergegeben zu haben. Möglich ist aber auch, dass sich die Familie bereits parallel dorthin gewandt hatte. In jedem Fall wurde frühestens im Juni 1939 vom gerade erst eingesetzten Obersten Staatsanwalt der UdSSR M. I. Pankrat’ev persönlich der Auftrag an die Staatanwaltschaft des Gebiets Nikolaev erteilt, die zu dem Zeitpunkt unter der Leitung I. D. Lančukovskijs stand, im Fall Zubkov alte und neue Zeugen zu befragen. Daraufhin nahm die Spezialabteilung der Gebietsstaatanwaltschaft von Nikolaev erste Untersuchungen auf.172 Anfang August 1939 befragte der Assistent der Gebietsstaatsanwaltschaft Dubin, zuständig 170 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 224 ob. 171 Pros’ba Zubkovych. 04.11.1939, еbd., T. 8, L. 88-88 ob. 172 Postanovlenie V. N. Nikitina. 07.12.1939, ebd., T. 8. L. 131.
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für Spezialfälle, die ersten Zeugen und stellte umfangreiche Recherchen zur Vergangenheit Zubkovs an.173 Am 17. November 1939 waren die Recherchen seitens der Staatsanwaltschaft abgeschlossen und sie schickte, entsprechend ihrer Aufsichtsfunktion bzw. ihrer Funktion als »Hüterin der sozialistischen Gesetzlichkeit«, ein Protest an den Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev Jurčenko, in dem sie den NKVD aufforderte, das Trojka-Urteil gegen Zubkov aufzuheben und Untersuchungen gegen die NKVD-Mitarbeiter Fedjaev, Barvinok und Nertik einzuleiten.174 Semenov und Protopopov traten hier also noch gar nicht auf, dafür aber der Mitarbeiter Nertik, der die Zeugenbefragungen gegen Zubkov durchgeführt hatte.175 Am 7. Dezember 1939 wertete dann der nun zum Sonderbevollmächtigten der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev ernannte Nikitin – also nicht mehr die Staatsanwaltschaft – die angesammelten Materialien aus und rehabilitierte Zubkov und seine stigmatisierte Familie. Die von der Staatsanwaltschaft gegen Fedjaev, Barvinok und Nertik geforderten Untersuchungen wurden ebenfalls eingeleitet.176 Jurčenko gab einen Tag später seine Zustimmung zur Verhaftung, die wiederum der Staatsanwalt von Nikolaev Lančukovskij sanktionierte.177 Noch am selben Tag wurde dann, wie bereits erwähnt, der Haftbefehl gegen Fedjaev ausgestellt. Nertik wurde jedoch unerklärlicher Weise nicht verhaftet, sondern stattdessen am 29. Dezember 1939 der informelle Mitarbeiter des Geheimdienstes Semenov. Barvinoks Verhaftung erfolgte, wie auch bereits bekannt, erst ein halbes Jahr später am 7. Juli 1940. Mit hineingezogen in die Angelegenheit wurden Fedjaev, Semenov und dann später auch Protopopov und Barvinok deshalb, weil alle vier am Fall Zubkov beteiligt gewesen waren und die befragten Zeugen ihnen Manipulation der Akten vorwarfen. Außerdem fanden sich, wie im Falle Barvinoks, auch Zeugen, die unabhängig vom Fall des Fischfabrikdirektors unter den Verhörmethoden der Tschekisten gelitten hatten. »Alte« Beschwerdeschreiben über solche Vergehen wurden jetzt plötzlich aktiviert.178 Aktiviert wurden auch wei173
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Protokol doprosa svidetelja I. E. Chrapko. 09.08.1939, еbd., T. 8, L. 99-100; Protokol doprosa svidetelja D. E. Masal’skij. 09.08.1939, еbd., T. 8, L. 101-102; Zam. prokurora Nikolaevskoj oblasti A. Goman prokuroru Kovalevskogo rajona Char’kovskoj oblasti po delu P. K. Zubkova. 15.08.1939, еbd., T. 8, L. 116-117. Die Staatsanwaltschaft war weder dazu befähigt, Urteile des NKVD außer Kraft zu setzen, noch war sie weisungsbefugt. Vgl.: Rebitschek, I., Die disziplinierte Diktatur. Stalinismus und Justiz in der sowjetischen Provinz, 1938-1956, Köln/Wien/Weimar, 2018. Protest v porjadke nadzora po delu obvinenija P. K. Zubkova i.o. zam. prokurora po specdelam Dubin nač. NKVD po Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko. 17.11.1939, ebd., T. 8. L. 1-4. Postanovlenie V. N. Nikitina. 07.12.1939, ebd., T. 8. L. 130-135. Postanovlenie nač. NKVD Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko po delu P. K. Zubkova. 08.12.1939, еbd., T. 1, L. 12-13. Z.B. bekamen die Beschwerdeschreiben Š. Ch. Meerson von 1937 und 1938 über Barvinok nun plötzlich Relevanz. Vgl.: Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 6-6 оb.
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ter zurückliegende Vorwürfe. So suchten die Untersuchungsführer nun sämtliche Unterlagen zur Entlassung Fedjaevs im April 1938 wieder heraus u.a. die Angelegenheit mit dem zu den Verhören mitgebrachten Schäferhund.179 Diese Vorwürfe spielten eine wichtige Rolle, als man ihn 1940 zum Tode verurteilte. Dass alles schließlich im Fedjaev-Prozess endete und sogar das Trojka-Urteil gegen Zubkov aufgehoben wurde – was eine große Seltenheit war –, ist auch damit zu erklären, dass schon mit dem entscheidenden Beschwerdeschreiben der Familie des Fischfabrikdirektors der Verdacht aufgekommen war, dass der NKVD von Cherson einer Intrige von Geheimdienstzuarbeitern aufgesessen war und ohne Prüfung an ihn herangetragene kompromittierende Informationen übernommen hatte.180 Nicht einmal das übliche Schema, dass der NKVD seinerseits durchaus über kompromittierendes Material verfügte, wie Korruptionsverdacht, Schlamperei und Verschwendung oder an seiner Seite eine starke Parteigruppe hatte, die an der Beseitigung einer Person interessiert war und die Zuarbeiter hauptsächlich dazu genutzt wurden, solche Information abzusichern, traf beim Fall Zubkov zu. Vielmehr hatte tatsächlich ein von Zubkov entlassener Mitarbeiter mit Unterstützung des Angeklagten Semenov, der wiederum in der Kaderabteilung der besagten Fischfabrik arbeitete, kräftig manipuliert und den Direktor schließlich aus der Sicht des Gerichts unter Ausnutzung der schlampigen, unverantwortlichen und voreingenommenen Haltung der Geheimdienstmitarbeiter Fedjaevs, Protopopovs und Barvinoks in den Tod schicken können.181 Protopopov erklärte im Angesicht des Militärgerichts die Ursachen dafür, wieso er auf den Handlanger Semenov hereinfallen konnte, so: »Wegen der gegebenen internationalen Atmosphäre und weil ich Semenov nicht kannte, habe ich letzterem geglaubt. Nun habe ich mich davon überzeugt, dass er […] provokatorische Aussagen gemacht hat und ich diese nicht überprüft habe […]. Ich bekenne mich auch schuldig, dass ich die Klassenwachsamkeit verloren habe.«182 Bei ihm musste die außenpolitische Situation, allerdings kombiniert mit der innenpolitischen Lage, sogar für sein gesamtes Fehlverhalten herhalten u.a. dass er selbst wissentlich Zeugenprotokolle, wenn auch nur wenige, gefälscht hatte. »Ich habe zwei Verhörprotokolle gefälscht […]. Dies habe ich deshalb gemacht, weil ich die Schuld nicht nachweisen konnte. Veranlasst dazu hat mich die internationale Situation, in der wir uns in dieser Zeit befunden haben, d.h. der Kampf 179
Im zweiten Band der Fedjaev–Prozess Akten sind auf fast 150 Seiten alle Unterlagen, die gegen Fedjaev im Frühjahr 1938 zusammengetragen wurden abgelegt. Vgl.: Ebd., T. 2. 180 Pros’ba Zubkovych. 04.11.1939, еbd., T. 8, L. 88-88 ob. 181 Postanovlenie V. N. Nikitina. 07.12.1939, еbd., T. 8, L. 130-136. 182 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 240 ob.
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in Spanien, der Überfall auf unsere Sowjetunion im Fernen Osten und die Aufdeckung konterrevolutionärer Banden innerhalb unseres Landes […].«183 Zusätzlich führte er noch an, dass er bedingungslos der Autorität Kiews vertraute: »Die Verhörprotokolle von Ličkaki habe ich aus Kiew bekommen und deshalb habe ich ihnen geglaubt, d.h. ich glaubte dem Zentrum. Anders hätte ich niemals verfahren können.«184 Geht es um Semenov, argumentierte der Mitangeklagte Fedjaev ähnlich wie Protopopov, wenn auch etwas allgemeiner: »Ich war mit Arbeit überschüttet und daraus resultierte, dass ich den Feind übersah, d.h. ich habe die Klassenwachsamkeit verloren und war unfähig den Verleumder SEMENOV zu erkennen, der mich mit seinen verleumderischen Aussagen provoziert hat. Während meines Kampfes mit den Feinden war mir sonnenklar, dass ich damit die Sowjetunion stärke und deshalb bin ich mit den Feinden erbarmungslos umgegangen. Aber bei diesem Kampf war ich außer Stande einen Verleumder zu bemerken.«185 Auffällig ist jedoch, dass sich Fedjaev noch beim ersten Prozess wesentlich weniger fixiert auf Semenov zeigte. Deutlich wurde hier vielmehr die eher untergeordnete Funktion des Zuarbeiters Semenov und die aktive und bestimmende Rolle Fedjaevs bei der »Überführung« des Fischfabrikdirektors, die in den Kontext der allgemeinen Repressionsstimmung und der extremen Vereinfachung des Untersuchungsverfahrens einzuordnen ist. So führte Fedjaev im Falle Semenovs hier zu seiner Verteidigung an: »Zubkov wurde drei Mal aus der Partei ausgeschlossen […] und ich sah in der Person Zubkovs einen Feind, zumal gegen ihn zusätzlich zu der Zeugenaussage Semenovs viele andere Aussagen vorlagen […]. Um einen ehemaligen Offizier zu verurteilen war damals nicht viel Material notwendig. Außerdem hat [der Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Cherson] Rudnickij die Anweisung gegeben mit ehemaligen Offizieren kurzen Prozess186 zu machen. Er hat gewarnt, dass nicht einer aus diesem Verhaftungskontingent entlassen werden darf.«187 Wenn es bei Fedjaev um die allgemeine Situation ging, in der er gesteckt hatte, berief er sich noch deutlicher als Protopopov auf Befehlsnotstand: 183 184 185 186 187
Ebd., T. 7, L. 240. Ebdа. Ebd., T. 7, L. 243. Ne ceremonitsja. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, еbd., T. 3, L. 20 ob.
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»Ich bekenne mich nicht für schuldig, weil ich lediglich mir gegebene Befehle ausgeführt habe […].«188 Ausgesprochen zynisch fuhr er dann aber fort, dass er nur diejenigen geschlagen habe, die bereits zum Tode verurteilt waren um von ihnen noch wichtige Informationen zu erhalten.189 Barvinoks Aussagen waren insgesamt wesentlich schlichter. Zum informellen Mitarbeiter Semenov nahm er nicht speziell Stellung. Er gab nur Grobheiten gegenüber Gefangenen, nicht Schlagen zu. Er begründet sie folgendermaßen: »Ich habe in ihnen Volksfeinde gesehen und gegenüber Feinden war ich immer hart.«190 Verurteilt wurden Fedjaev und Semenov auf der Grundlage von § 206-17 Punkt »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR am 28. November 1940 zum Tode durch Erschießen. Protopopov erhielt nach demselben Paragraphen 10 Jahre Lagerhaft, Barvinok wurde »nur« wegen minderschwerer Dienstvergehen nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 8 Jahren Lagerhaft verurteilt.191 Verurteilende Instanz war auch in diesem Fall das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks. Das Militärtribunal sprach mit dem Fedjaev-Prozess eine deutliche Wahrung an den UNKVD von Nikolaev aus, Zeugenaussagen und Aussagen von informellen Mitarbeitern von jetzt an genau zu überprüfen. An die Handlanger war insbesondere die harte Verurteilung des Agenten Semenov ein Hinweis, dass Intrigen, Verbreitung von Halbwahrheiten und persönliche Vorteilsnahme schwerste Konsequenzen haben können.
Abmahnungen, Disziplinarverfahren, Entlassungen Die Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit im Gebiet Nikolaev in den Grenzen bis Januar 1939 beschränkte sich bei weitem nicht auf die sechs beschriebenen Verfahren. Daneben kam ein breites Tableau von disziplinarischen Maßnahmen zum Einsatz. Um diese umfassend darzustellen, wäre es wünschenswert gewesen, systematisch die in den Staatssicherheitsarchiven von Nikolaev, Cherson und Kropivnickij (ehemals Kirovograd bzw. Kirov) noch vorhandenen Personalakten von Mitarbeitern, die 1937-1941 auf dem Territorium des UNKVD von 188 189 190 191
Ebd., T. 3, L. 3 ob. Ebd., T. 3, L. 4. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 242 ob. Opredelenie № 16687-r Voennoj kollegii verchovnogo suda SSSR po osušdeniju I. F. Fedjaeva, A. A. Semenova, A. P. Protopopova, G. I. Barvinoka. 17.01.1941, еbd., T. 7, L. 363-363 ob.
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Nikolaev gearbeitet haben, auf Einträge wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu untersuchen. Kriegsbedingt war dies jedoch vor Ort in den Archiven nicht möglich. Ausgeholfen wurde sich damit, dass bei den aufgeführten lokalen Archiven die Personalakten derjenigen zur Analyse nach Kiew bestellt wurden, die in den sechs bereits untersuchten Prozessakten zusätzlich zu den Angeklagten als Schläger und Fälscher erwähnt werden. Einige Personalakten mit entsprechenden Einträgen konnten so aufgefunden werden, viele nicht. Zusätzlich wurden Materialien der »Sonderinspektion«192 hinzugezogen, die speziell das Gebiet Nikolaev betreffen. Sie lagern mit wenigen Ausnahmen hauptsächlich in Kiew. Die aus der Not geborene Idee, die in den Prozessen und Prozessakten zusätzlich zu den Angeklagten als Schläger und Fälscher erwähnten Tschekisten zu benutzen, das Defizit systematischer Untersuchungsmöglichkeit auszugleichen, konnte unerwartet zu einer befriedigenden methodischen Hilfskonstruktion weiterentwickelt werden, die es ermöglicht, den Kontext auszuleuchten, in dem die sechs realisierten Verfahren stattgefunden haben. So werden, um einen Eindruck zu vermitteln, in welchem Umfang im Gebiet Nikolaev nicht angeklagte Mitarbeiter des NKVD von der Aktion zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit betroffen waren, exemplarisch drei der sechs Prozessakten herausgegriffen und zwar der KaramyševFall, die Akte Fedjaev und der Korobcev-Fall. Dann werden diese nicht angeklagten, aber als Schläger und Fälscher erwähnten Tschekisten eingehend untersucht. Abschließend wird anhand dreier Fallbeispiele im Detail gezeigt, über welche Wege, oder besser Umwege, die Disziplinierungsmaßnahmen in Bezug auf die Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit erfolgten. Auch diese Fälle konnten nur mit Hilfe der Prozessakten entdeckt werden. Geschildert werden immer auch die konkreten Auswirkungen, die die Durchleuchtung der Arbeitsweise der Tschekisten auf ihre Kariere hatte. In der Prozessakte des ehemaligen Geheimdienstchefs Karamyšev trat mit 37 namentlichen Erwähnungen sehr oft der langgediente Untersuchungsführer G. S. Zel’cmans auf. Er hatte während des Großen Terrors in der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD des Gebiets Nikolaev unter der Leitung von Truškin gearbeitet. Obwohl er auch Belastungszeuge war – er warf Karamyšev Antisemitismus vor – fällt bei ihm sofort auf, dass er faktisch Mitangeklagter war. Allein sechs Opferzeugen machten Zel’cman für stundenlanges Stehenlassen, Drohungen und Folterungen, hauptsächlich in Form von Schlagen, verantwortlich. Typisch für entsprechende Anschuldigungen waren Aussagen der Ingenieure A. F. Sednev, M. P. Dudin und G. P. Afanas’ev. Sednev beschrieb sein Leiden unter Zel’cman mit einer ganzen Sequenz: 192
Osobaja inspekcija.
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»Am nächsten Tag forderte Zel’cman mich erneut auf die Aussage von Muratov zu bestätigen, aber ich weigerte mich zum wiederholten Mal. Da begann er meinen Kopf vor die Wand zu stoßen193 und mir den Briefbeschwerer in den Magen zu rammen. […] ›Wir haben dich gewarnt, dass du mit deinem eigenen Blut unterschreiben wirst. Wir haben allen Grund dafür, alles ist überprüft‹.«194 Dudin wiederum gab detailliert Einblick in die Praxis der Erpressung von Aussagen durch Zel’cman: »Zel’cman forderte: ›Schreib. Du bist uns ausgeliefert. Wir sind die Partei und was wir wollen, das machen wir auch‹. Er begann zu diktieren und ich habe geschrieben. Am siebten Tag fragte er mich, wen ich in Nikolaev kenne. Ich habe viele Bekannte und ich habe sie genannt. Er hat sie aufgeschrieben und ist sofort herausgegangen. Als er dann zurückkam, waren hinter einigen von mir genannten Personen ein Häkchen, und er forderte mich auf, über deren konterrevolutionäre Tätigkeit zu berichten. Dieses Protokoll wurde [dann] mehrmals umgeschrieben.«195 Der Ingenieur Afanas’ev berichtete neben Verprügelungen vor allem von psychologischem Druck: »Am 8. August brachte man mich ins Gefängnis in eine Zelle von acht Metern, in der sich 20 Personen befanden. Nach einem oder eineinhalb Monaten wurde mein Fall an Zel’cman übergeben und er bestand ebenfalls auf ein Geständnis, und überredete mich damit, dass ich noch so jung bin.«196 Aber nicht nur Zel’cman, sondern so gut wie alle anderen Belastungszeugen, die aus dem Mitarbeiterstab des NKVD kamen, waren quasi Mitangeklagte im Sinne ähnlicher Vorwürfe; so auch der ehemalige Leiter des Rajons Skadovsk S. A. Šor. Seine real angeklagten Kollegen und ehemaligen Vorgesetzten Truškin und Garbuzov behaupteten, dass Šor »ungesetzliche Methoden der Untersuchungsführung« angewandt habe.197 Truškins und Garbuzovs Ziel war es Šors negative Zeugenaussagen über sie als Rache darzustellen und zwar dafür, dass sie als Kollegen und Vorgesetzte forciert haben, dass er wegen Schlagen von Gefangenen und anderen Unregelmäßigkeiten aus der 3. Unterabteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson in den Rajon-NKVD von Skadovsk abgeschoben wird.198 Der Befehl, Šor 193 Bit’ menja ob stenu. 194 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 123-124. 195 Ebd., L. 125. 196 Ebd., L. 138. 197 Delo Karamyševa, еbd., T. 7, L. 183. 198 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 239.
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zum Leiter des Rajon-NKVD von Skadovsk zu ernennen erfolgte am 28. April 1938. Karamyšev konnte sich in seiner Stellungnahme nicht mehr an die Gründe für eine Versetzung erinnern, bestätigte aber indirekt, dass eine Versetzung stattgefunden hat. Hingegen der ehemalige stellvertretende Leiter des UNKVD von Nikolaev Pojasov wusste nur, dass Truškin auf einer operativen Versammlung Šor das Schlagen von Gefangenen unterstellt hat.199 Scheinbar wurde Šor jedoch nicht in den Rajon von Skadovsk zurückgestuft. Im September 1939 wurde er weiterhin als Mitarbeiter der 3. Unterabteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson gelistet. Der Name eines nicht näher vorgestellten Mitarbeiters des UNKVD von Nikolaev V. N. Zaikin trat weniger häufig im Karamyšev Prozess auf. Speziell der Opferzeuge Afanas’ev aber warf auch ihm Folterungen und Erniedrigungen seiner Person vor: »Letzterer hat mich besonders beleidig: hat mir ins Gesicht gespuckt, mich mit Fäusten in die Seite geschlagen und mir kein Wasser gegeben. Vom langen Stehen schwollen mir die Beine an. […] Eines Nachts hat auch Zaikin mich mit Schimpfwörtern überschüttet, mich beleidigt und geschlagen und hat gefordert ›Schreib‹. […] Zaikin hat mich vom zweiten bis 8. August [1939] systematisch geschlagen.«200 Die Aussage Afanas’evs wurde in Teilen sogar von dem Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« A. P. Fedotov bestätigt: »[Der Gefangene] Priker hat [den UNKVD-Mitarbeiter] GARBUZOV gekränkt, und dafür haben ihn GARBUZOV, Voronin und Zaikin verprügelt.«201 Ein schlechtes Licht fiel während des Karamyšev-Prozesses auch auf den Belastungszeugen und ebenfalls Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« А. Ju. Fedorovskij. Er war den anwesenden Zeugen nicht direkt wegen Folter aufgefallen, sondern hatte sich als virtuoser Manipulator von Akten und durch Einschüchterung von Gefangenen sowie zweifelhafte Befehle an Untergebene hervorgetan. Einer seiner Opfer, der Techniker A. E. Gavrilov, gab zu Protokoll: »Während des Verhörs sagte Fedorovskij zu mir: ›Wir sind das Gericht und wir machen, was wir wollen‹.«202 P. N. Kireev, ein Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev ergänzte: 199 Ebda.; Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. 200 Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. 201 Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. 150. Es trafen »Signale darüber ein, das er [Zaikin] ungesetzliche Maßnahmen der Untersuchungsführung angewandt hat.« Vgl.: Delo Karamyševa, еbd., T. 7, L. 183. 202 Ebd., L. 111-226.
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»Dann hat Fedorovskij das Verhörprotokoll über Gavrilov vorbereitet und darin geschrieben, dass Gavrilov ein Mitglied einer trotzkistischen Organisation ist. Dieses Verhörprotokoll hat mir Fedorovski gegeben und gesagt: ›Setzen sie durch, dass das Protokoll von Gavrilov unterschrieben wird‹.«203 Der oben genannte Zeuge aus dem Mitarbeiterstab des NKVD Fedotov wurde allerdings selbst von Opferzeugen, den Technikern und Ingenieuren L. P. Fomin, D. A. Bondar’ und T. I. Čikalov, beschuldigt, sie auf den Kopf und in den Magen geschlagen, sie mit Wasser übergossen und fünf Tage am Stück stehen gelassen zu haben.204 Aber auch der UNKVD-Mitarbeiter Kireev selbst wird von einem Opferzeugen belastet: Der ehemalige stellvertretende Leiter des Nikolaever Stadtsowjet F. V. Sucholencev beschwerte sich über Drohungen, Einschüchterungen und Vorverurteilungen. »Kireev kam […] während des Verhörs herein und sagte: ›Асh, Du, trotzkistische Fresse, konterrevolutionäre Drecksau. […]. Übergebt ihn mir, da wird er bald gestehen‹.«205 In ähnlicher Weise belastete Sucholencev auch noch den Mitarbeiter des UNKVD Бас.206 Der Opferzeuge Sednev wusste dasselbe über die Geheimdienstmitarbeiter I. M. Gankin und P. A. Berestovoj zu berichten.207 Afanas’ev wiederum wurde nochmal besonders deutlich in Bezug auf Gankin: »In der Nacht kam Gankin in alkoholisiertem Zustand […] hinein, schloss das Fenster und begann mir ein Geständnis abzupressen: ›Wenn du deine Frau und dein Kind wiedersehen und am Leben bleiben möchtest, dann schreib. Bedenke, dass ich dich erschießen kann und anschließend erstelle ich ein Protokoll, in dem steht, dass du mich angefallen hast. Oder ich erschieße dich an der Tür und dann schreibe ich, getötet bei dem Versuch zu fliehen‹. Er packte mich an der Kehle und drückte mir die Luft ab, so dass ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, hat mir Gankin Papier gegeben und ich war gezwungen auf seinen Befehl hin zu schreiben, dass ich zusammen mit Afanas’ev den Brand [in der Werft № 200] verursacht habe und noch vieles andere mehr.«208 Während des Karamyšev-Prozesses fielen im Zusammenhang mit den beschriebenen Unregelmäßigkeiten auch noch die Namen der UNKVD-Mitarbeiter S. G. 203 204 205 206 207 208
Ebda. Ebda. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458. Ebda. Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, еbd., T. 13, L. [?]. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 405-458.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Tanfilov, I. S. Kupnyj, M. S. Boltjanskij, D. I. Kaljužnyj und Е. L. Al’brecht, manche Namen, wie der von Al’brecht, allerdings nur am Rande. Extra hervorzuheben ist noch der ehemalige stellvertretende Leiter der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev Pojasov. Ihm wurde nicht nur im Karamyšev Prozess, sondern auch im Prozess gegen Martynenko (siehe oben) vorgeworfen, geschlagen zu haben. Der Zeuge N. I. Syčkov, langgedienter Untersuchungsführer der Untersuchungsabteilung des UNKVD von Nikolaev, sagte beispielsweise im Karamyšev Prozess aus: »Am dritten Tag setzte Pojasov ihn [den Gefangenen Čistjakov] Schlägen aus, mir scheint zusammen mit dem Gefängnisleiter209 des Moskauer NKVD, […] dieser Gefängnisleiter hat dann nochmal, diesmal ohne Pojasov, bei Čistjakov physische Mittel angewendet und nach ca. 6-10 Tagen verstarb Čistjakov.«210 Im Fall Martynenko: »Pojasov schlug Machal’skij mit der Hand ins Gesicht.«211 Daneben wurde Pojasov immer wieder als derjenige erwähnt, der Sanktionen zum Schlagen von Gefangenen erteilt und sich durch Hinterhältigkeit und Hochmut hervorgetan hat.212 Einige dieser Mitarbeiter und viele weitere wurden aber nicht erst auf den beiden Karamyšev-Prozessen als Folterer und Fälscher angeprangert, sondern auch schon während der Voruntersuchung zu diesem Fall. Im Februar 1940 fertigte der langgediente Untersuchungsführer der Untersuchungsabteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR N. A. Burdan, also ein Ermittler aus der Republikstruktur des NKVD, ein Gutachten an, in dem zahlreiche Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev beschuldigt wurden, bei der Befragung von verhafteten Personen ungesetzliche Verhörmethoden angewandt zu haben.213 Darunter Mitarbeiter Truškins, wie der Leiter der 1. und 2. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« und anschließend stellvertretender Leiter der Abteilung Ju. S. Lejzerovskij, dann A. 209 Komendant. 210 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo Osobogo voennogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 18.03.1941-23.03.1946, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 405-458. 211 Protokol ogljadu archivno–slidčoї spravy kolyšn’ogo spivrobienyka Jelanec’kogo rajviddilu NKVS I. F. Martynenko, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 275-280, hier S. 278. 212 Vgl. exemplarisch die Aussagen Sedovs, Gajdts und Syčkovs im vorliegenden Kapitel. Zum hochmütigen Verhalten Pojasovs. Vgl. die Aussage M. V. Garbuzovs: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga po obvineniju P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 233. 213 Postanovlenie Staršego sledovatelja sledstvennoj časti UGB NKVD USSR N. A. Burdana o pričastii k iskrivlenijami v sledstvennoj rabote primenenie nezakonnye metody vedenija sledsvija sotrudnikov UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 07.02.1940, еbd., T. 7, L. 242.
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F. Boguslavskij214 , Zerson, Vološin und D. Z. Ėl’zon. In diesem Gutachten tauchten auch schon die bereits im Zusammenhang mit den beiden Karamyšev-Prozessen erwähnten Mitarbeiter Gankin, Zel’cman, Zaikin, Tanfilov, Kaljužnyj und Fedotov auf. Jenseits des Burdan-Gutachtens wurden von Zeugen und potentiellen Angeklagten während der Voruntersuchung auch die Namen zusätzlicher Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« und anderer Abteilungen des UNKVD bis hinunter auf die Stadtebene als Folterer und Fälscher genannt und zwar A. G. Jakimenko215 , der ehemalige Leiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD R. N. Saraev216 , M. S. Boltjanskij, der Leiter der 3. Abteilung des UGB UNKVD L. T. Gotovcev217 , Černjak218 , P. K. Pugač219 , der Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Cherson P. I. Katkov und A. I. Ligerman. Die Akte Karamyšev war keine Ausnahme von der Regel, sondern es traten ohne jegliche Abweichung auch in allen anderen Akten und Prozessen viele der eigentlich als Belastungszeugen herbeigerufenen Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev, Cherson und Kirovograd faktisch als Mitangeklagte wegen Foltervorwürfen, Manipulationen und nicht dienstkonformen Anweisungen auf; in der Akte Fedjaev z.B. wieder der Assistent einer Unterabteilung der 7. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev A. I. Ligerman, der Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Cherson I. P. Rudnickij220 und der Fahndungsbevollmächtigte der Stadtabteilung des NKVD von Cherson F. M. Stebnovskij.221 Jenseits der Prozesse spielten in den Überprüfungsakten der Sonderinspektion im Gebiet Nikolaev neben den bereits bekannten Namen noch andere Personen eine Rolle. Nachgegangen wurde auf Anweisung des Sekretariats des NKVD der Ukraine, das wiederum auf Anstoß von Moskaus handelte, kompromittierenden Aussagen E. F. Demčuks, der im Korobcev-Prozess zu 8 Jahren Lagerhaft verurteilt worden war, und zusätzlich Beschwerden von ehemaligen, nun freigelassenen Gefangenen.222 Die Aussagen und Beschwerden richteten sich gegen den ehemaligen Leiter der 11. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev K. I. Efremov und den ehemaligen Fahndungsbevollmächtigten derselben Abteilung M. N. 214 215 216 217 218 219 220
Siehe auch: Delo Karamyševa, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 7, L. 29; T. 12, L. 193. Ebd., T. 12, L. 81. Ebd., T. 12, L. 110. Ebd., T. 12, L. 114. Ebd., T. 12, L. 115. Ebd., T. 12, L. 116. Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 3, L. 20 ob; Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, еbd., T. 7, L. 230. 221 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 3, L. 4, 6. 222 Nač. otdelenija sekretariata NKVD USSR Vorob’eva osoboupolnomočennomu NKVD SSSR P. S. Veretennikovu o zajavlenii E. F. Demčuka. 05.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 1.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Vasil’evskij, dann gegen den ehemaligen Leiter der Unterabteilung für Häfen der 11. Abteilung S. F. Petrov und P. A. Novakov Leiter der Unterabteilung für Transportwesen der 11. Abteilung sowie gegen den inzwischen nach Ternapol’ versetzten und zum stellvertretenden Leiter des UNKVD des Gebiets Ternapol’ aufgestiegenen A. M. Sedov und den ehemaligen Fahndungsbevollmächtigten der Sonderabteilung des NKVD der Ukraine S. Vasil’ev, wie Sedov ebenfalls ehemaliger Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev.223 Speziell bei Sedov, Vasil’ev und Efremov forderte der stellvertretende Leiter des NKVD der Ukraine Gorlinskij eine »sorgfältige Untersuchung« und das man ihm von den Ergebnissen umgehend berichte.224 Ermittelt wurde wegen der kompromittierenden Aussagen Demčuks auch gegen den Leiter der Kaderabteilung des UNKVD von Nikolaev Bovčaljuk, den ehemaligen Assistenten des Fahndungsbevollmächtigten des UNKVD von Nikolaev Kompaniec225 und gegen den ehemaligen Leiter der Landwirtschaftsabteilung des UNKVD von Nikolaev Ju. M. Poberežnyj.226 Demčuks Kompromat kam dadurch zustande, dass er nach seiner Verurteilung zu 8 Jahren Lagerhaft nicht einsah, wieso ausgerechnet er belangt wird und andere, die sich seiner Meinung nach viel schlimmer verhalten und außerdem auf hohen Posten gesessen hatten, nach wie vor im NKVD arbei223 Das Novakov geschlagen hat, bestätigte folgender Zeuge: Vypiska iz protokola doprosa svedetelja N.V. Kalinina. 05.03.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 168, L. 56. Zur schlechten Behandlung von Gefangenen durch Novakov. Vgl. auch: Protokol doprosa vrid. nač. 2 specotdelenija UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. I. Lyskova. 09.03.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 168, L. 61-63. Petrov wird zusätzlich zu Demčuk durch den Zeugen Gajdt, ehemaliger Interimsleiter der Gebietsabteilung für Kommunikation, der ihm Schlagen, Drohen und Beleidigungen vorwirft, belastet: Vypiska iz protokola doprosa svedetelja S. I. Gajdta. 04.03.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 168, L. 57. 224 Zu den Folgen der Belastung Sedovs, Efremovs und Vasil’evs durch Demčuk, vgl.: Zam. Narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy N. D. Gorlinskij nač. UNKVD Ternapol’skoj oblasti A. A. Vadis o primenenii fizičeskich mer vozdejstvija pri doprosach arestovannych i falsifikacii del so storony sotrudnika UNKVD A. M. Sedova. 16.04.1940, ebd., L. 78; Zam. Narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy N. D. Gorlinskij nač. UNKVD Stanislavskoj oblasti A. N. Michalovu o primenenii fizičeskich mer vozdejstvija pri doprosach arestovannych i falsifikacii del so storony sotrudnika UNKVD M. S. Vasil’eva. 16.04.1940, ebd., L. 82; Zam. narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy N. D. Gorlinskij nač. NKVD po Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko o primenenii fizičeskich mer vozdejstvija pri doprosach arestovannych i falsifikacii del so storony sotrudnika UNKVD K. I. Efremova. 19.04.1940, ebd., L. 89. 225 Anfang 1938 stellvertretender Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Bobrinec des Gebiets Nikolaev. Ebda. 226 Spravka operupolnomočennogo [apparata] OSU NKVD USSR N. D. Pomazovа [?] o byvšich sotrudnikach UNKVD Nikolaevskoj oblasiti, prochodivšie po zajavleniju E. F. Demčuka. 03.06.1940, ebd., L. 91; Zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin nač. sekretariata NKVD SSSR Mamulovu o rezul’tatach rassledovanij grubych izvraščenij v sledsvennoj rabote UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 04.07.1940, ebd., L. 92-93.
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ten. In diesem Sinne verfasste er u.a. ein Beschwerdeschreiben an Moskau bzw. Berija.227 Vasil’evskij, konfrontiert mit den Foltervorwürfen und der Anschuldigung, er habe Demčuk mit Parteiausschluss bedroht, weil dieser keine Erfolge bei der Führung von Verhören aufweisen konnte, sah sich Mitte März 1939 veranlasst, eine achtseitige, dicht beschriebene Rechtfertigung zu verfassen. Hier schilderte er Demčuk als Trinker und Intrigant, der durch nichts gerechtfertigte Gerüchte über ihn verbreite.228 Damit war für Vasil’evskij aber keineswegs die Sache beendet. Wenige Tage später wurde er durch den Fahndungsbevollmächtigten des UGB UNKVD des Gebiets Odessa Belaš zur Aussage Demčuks verhört und davon in Kenntnis gesetzt, dass viele derjenigen, gegen die er eine Anklage vorbereitet hatte, inzwischen frei gelassen wurden, weil sich die Vorwürfe als falsch erwiesen haben. Außerdem kam in allen Details sein nahes Verhältnis zu Uspenskij zur Sprache.229 Der belastete Sedov, der sich in seiner ebenfalls handschriftlichen Verteidigung als besonnener Untersuchungsführer darstellte, der die Gefangenen sorgfältig verhört und sie bei den geringsten Zweifeln sofort freigelassen habe, gab dennoch zu, dass er einen seiner Ansicht nach sehr gefährlichen Spion, gegen den viele Materialien vorlagen, zwei Mal geschlagen habe, allerdings mit ausdrücklicher Erlaubnis des stellvertretenden Leiters der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev Pojasov. Zu Sedovs großem Erstaunen wurde dieser Gefangene dann aber Ende 1938 einfach freigelassen.230 In der Stadtabteilung von Kirovograd wurde Vorwürfen von Leichenfledderei durch das örtliche Erschießungskommando nachgegangen. Ermittelt wurde gegen den kommissarisch tätigen Leiter des Gefängnisses von Kirovograd, Pugač231 und die Fahrer Rudenko und Grisjuk.232 Ebenfalls aufgefallen durch Foltern von Gefangenen waren die Mitarbeiter derselben Stadtabteilung V. P. Poljuškin und der 227 Zajavlenie E. F. Demčuka Narodnomu komissaru vnutrennich del L. P. Beriju. 03.12.1939, ebd., L. 2-17. 228 Zam. Narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy N. D. Gorlinskij nač. UNKVD Odesskoj oblasti A. I. Starovojtu o zajavlenii E. F. Demčuka. 02.02.1940, ebd., L. 23; Vypis’ka iz protokola doprosa E. F. Demčuka. Bez daty, ebd., L. 53; O–bjasnenie M. N. Vasil’evskogo upolnomočennomu UNKVD Odesskoj oblasti Baranjuku. 15.03.1940, ebd., L. 28-31 ob. 229 Protokol doprosa M. N. Vasil’evskogo. 19.02.1940, ebd., L. 32-37. 230 Pojasnenie A. M. Sedov zam. narodnogo komissara vnutrennich del Ukrainy N. D. Gorlinskomu o zajavlenii osuždennogo Voennomu Tribunalu Kievskogo Voennogo okruga E. F. Demčuka. 23.04.1940, ebd., L. 79-81. 231 Diese Person sollte nicht mit P. E. Pugač verwechselt werden. 232 Zaključenie zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin po materialam rassledovanija na N. G. Ševčenko. 29.10.1940, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 281-285.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Assistent des Fahndungsbevollmächtigten Negor sowie A. Ch. Svjatskij und Vološin.233 Was aber hatte es für Konsequenzen, dass die Mehrzahl der Belastungszeugen der sechs Verfahren im Gebiet Nikolaev, die in ihrer großen Mehrheit aus dem Pool der (ehemaligen) Mitarbeiter des NKVD stammten, gleichzeitig faktisch Mitangeklagte waren? Welche Folgen hatten die schon ab September 1938 durchgeführten zahlreichen Vorladungen und Befragungen von NKVD Mitarbeitern, die Verhören gleich kamen, über Unregelmäßigkeiten bei der Untersuchungsführung? Eine sehr frühe Entlassung wegen Dienstvergehen im Rahmen der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ist beim ehemaligen Leiter der 11. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev K. I. Efremov zu verzeichnen und zwar schon im Herbst 1938. Aber er fiel weich, denn er bekam sofort Arbeit als Assistent des Direktors der Fabrik »Marti« (Werft № 198) in Nikolaev und war dort in der Personalabteilung der Fabrik tätig, in der er ähnliche Kontrollaufgaben wahrnahm, wie bei seiner Arbeit im Geheimdienst.234 Zurückzuführen ist seine Entlassung noch auf den Versuch der Gebietsführung des NKVD von Nikolaev, Bauernopfer für die sich erst in der Startphase befindende Kampagne zu finden und so ihre eigene Entlassung zu verhindern. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den ehemaligen Fahndungsbevollmächtigten der Sonderabteilung des NKVD der Ukraine S. Vasil’ev.235 Welche zusätzlichen Schwierigkeiten sowohl Efremov als auch Vasil’ev dann im Zuge der im Frühling 1940 wieder intensivierten Untersuchungen bekommen haben könnten, ließ sich nicht rekonstruieren. Was weitere Mitarbeiter des NKVD betrifft, ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den frühen Entlassungen. Definitiv seinen Job beim NKVD kostete im Jahr 1940 den langgedienten Untersuchungsführer Zel’cman sein abweichendes, durch Zeugen bestätigtes Verhalten während des Großen Terrors.236 Dennoch fiel er ähnlich weich wie sein Kollege Efremov. 1940 erfolgte seine Aufnahme in die Partei und mindestens ab Dezember 1940 war er Mitarbeiter der Leitung einer Fabrik mit dem Namen »Stalin«. Schwer zu sagen ist dagegen, ob die Verwicklung in den Karamyšev-Prozess dem ehemaligen Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« A. P. Fedotov 233 Ebda. 234 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VТ… 27.12.1940-01.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 111-226; Zajavlenie E. F. Demčuka Narodnomu komissaru vnutrennich del L. P. Beriju. 03.12.1939, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 168, L. 2-17. 235 Spravka operupolnomočennogo [apparata] OSU NKVD USSR N. D. Pomazovа o byvšich sotrudnikach UNKVD Nikolaevskoj oblasiti, prochodivšie po zajavleniju E. F. Demčuka. 03.06.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 91. 236 Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga kasatel’no P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 305-310.
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geschadet hat. Als er Ende 1940 als Zeuge auf dem ersten Prozess gegen Karamyšev auftrat war er noch stellvertretender Leiter der ökonomischen Abteilung (ĖKO) des UNKVD des Gеbiets Nikolaev. Beim zweiten Prozess, drei Monate später, wird keine Funktion mehr angegeben. Auch trat er im Personaltableau des NKVD von Nikolaev nach 1940 nicht mehr auf. Wurde er entlassen? Eine Versetzung in ein anderes Gebiet kann aber auch der Grund für sein Verschwinden sein. Nachweisbar entlassen wegen Dienstvergehen wurden nach April 1940 der ehemalige Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« Fedorovskij und der Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev Zaikin.237 Allerdings tritt Zakin dann 1942 plötzlich wieder als Sonderbevollmächtigter des UNKVD der Autonomen SSR Dagestan auf. Fedorovskij wurde 1940 »auf Beschluss des Sonderbevollmächtigten wegen regelwidriger Untersuchungsführung« aus den Organen der Staatssicherheit entlassen.238 Von einer Anklage gegen ihn wurde jedoch abgesehen. Er wurde einfach pensioniert und erhielt sogar noch eine Rente. Selbst um den Ausschluss aus der Partei kam er herum.239 Über den ehemaligen Mitarbeiter des UNKVD von Nikolaev Šor ist zu sagen, dass ihm sein Benehmen im Großen Terror wie Fedorovskij bis April 1940 nicht geschadet hat. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er noch als Leiter der 3. Unterabteilung der 2. Abteilung des UNKVD von Nikolaev. Dennoch ist dies kein sicheres Indiz für einen glimpflichen Verlauf, weil auch sein Kollege Fedorovskij erst nach April 1940 entlassen wurde. Poberežnyj, der unter Truškin in der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev als Leiter der vierten Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« (nach der Neustrukturierung des NKVD) gearbeitet hatte, wurde »nur« einem Disziplinarverfahren unterzogen.240 Das Disziplinarverfahren hatte keine sichtbaren Folgen. 1940 leitete er die Untersuchungsabteilung des NKVD im Gebiet Drogobyč der Ukraine, dass am 4. Dezember 1939 neu gegründet worden war. Weitere Informationen fehlen. Gegen den stellvertretenden Leiter des UNKVD von Ternapol’ Sedov, der als Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Elanec seine Dienstvergehen begangen haben sollte, ordnete, wie bereits erwähnt, das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Gebiets Odessa im Rahmen des oben bereits behandelten Prozesses gegen 237 Ebda. 238 Protokol dopitu kolišn’ogo spivrobitnika Mikolaїvs’kogo oblastnogo upravlinnja NKVS A. Ju. Fedorovs’kogo. 14.12.1955, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 261-263, hier S. 261. 239 Ebda. 240 Zajavlenie byvš. operupolnomočennogo 4 otdela UGB UNKVD po Nikolaevskoj oblasti T. T. Čerkesa ob iskrevlenij socialističeskoj zakonosti osoboupolnomočennomu NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko. 16.05.1939, еbd., T. 12, L. 80-85.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Martynenko Ende 1939 an, dass gegen ihn und seine Mitarbeiter, den Amtsinspektors der Miliz und der Bote K. I. Gudimov Ermittlungen aufgenommen werden sollten.241 Dies war für Sedov deshalb eine unangenehme Sache, weil er sich gerade in einer Phase eines kometenhaften Aufstiegs befand. Er war innerhalb weniger Jahre vom Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Elanec in die Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev gewechselt und aktuell stellvertretender Leiter der Gebietsverwaltung des NKVD von Ternapol’. Für Sedov und andere Mitarbeiter des NKVD, die durchleuchtet wurden, gingen die Ermittlungen letztendlich ohne größeren sichtbaren Schaden aus. Im Juli 1940 wurde empfohlen das Verfahren gegen den ehemaligen Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Elanec Sedov einzustellen, genauso wie gegen den ehemaligen operativen Fahndungsbevollmächtigten des UNKVD von Nikolaev Vasil’evskij, den ehemaligen Assistenten des Fahndungsbevollmächtigten Kompaniec und den ehemaligen Leiter der Fahndungsabteilung des NKVD Poberežnyj. Die Begründung lautete: »Die Fakten der Verletzung [der sozialistischen Gesetzlichkeit] durch diese Personen, auf die Demčuk verweist, haben sich nicht bestätigt.«242 Sedov konnte daraufhin ungestört seine Karriere fortsetzen. Er behielt seinen Posten als stellvertretender Leiter des UNKVD von Ternapol und nahm auch danach hohe Geheimdienstfunktionen während des zweiten Weltkriegs in der Armee und dann wieder in verschiedene Gebietsverwaltungen des NKVD ein, bis er schließlich Anfang der 50-ger Jahre bei der Miliz bzw. den Lagerstrukturen landete. Schon kurz nach der Affäre, am 24. September 1940, stieg er zum Hauptmann der Staatssicherheit auf. Am 28. Mai 1941, nicht einmal ein Jahr später, bekam er das »Abzeichen eines ehrenhaften Mitarbeiters des NKVD« zugesprochen, dann folgte 1943 der Orden »Roter Stern« und dann noch weitere Orden, Auszeichnungen und Medaillen. 1944 wurde er schließlich auch noch zum Oberst ernannt.243 Vasil’evskij wechselte in den UNKVD von Odessa und blieb dort mindestens bis Ende Februar 1940 unbehelligt. Wahrscheinlich wurde das gegen ihn angestrengte Verfahren aber eingestellt. Sicher ist, dass er während des »Großen Vaterländischen Krieges« Kariere bei den Organen der »SMERŠ« gemacht und sich bis zum 241 Protokol ogljadu archivno–slidčoї spravy kolyšn’ogo spivrobienyka Jelanec’kogo rajviddilu NKVS I. F. Martynenko, in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 280. 242 Zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin nač. sekretariata NKVD SSSR Mamulovu o rezul’tatach rassledovanij grubych izvraščenij v sledsvennoj rabote UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 04.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 92-93. 243 Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 376.
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Oberstleutnant hochgedient hat. 1944 bekam er den Orden »Roter Stern« überreicht.244 Poberežnyj war 1940 Leiter der Fahndungsabteilung des NKVD im am 4. Dezember 1939 neu gegründeten Gebiet Drogobyč (Ukraine). Er nahm wie Vasil’evskij am »Großen Vaterländischen Krieg« teil und stieg zum Major auf. Er wurde mit dem Orden »Roter Stern« und dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung ausgezeichnet, so dass anzunehmen ist, dass er keine Nachteile wegen der Nachforschungen zu Vergehen der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit hatte.245 Was dagegen aus Kompaniec geworden ist, ist unbekannt. Bei anderen wurde das Untersuchungsverfahren im Juli 1940 allerdings nicht eingestellt, wie beim immer noch als Leiter der Unterabteilung für (Binnen-)Schifffahrt arbeitenden Petrov.246 Ob gegen ihn ein Prozess geführt wurde oder das Verfahren letztendlich im Sande verlief, muss bis auf Weiteres im Dunklen bleiben. Zu einer Bestrafung kam es auch gegenüber dem Fahndungsbevollmächtigten der Stadtabteilung des NKVD von Cherson М. S. Boltjanskij. Die Fälschung von Untersuchungsakten trug ihm Ende 1938 einen administrativen Verweis ein, der 15 Tage Gefängnis zur Folge hatte. Dann wurde er nach Odessa versetzt und schließlich aus dem Geheimdienst entlassen und zwar am 9. Mai 1939 im Zuge der intensivierten Nachforschungen.247 Am 15. Mai 1940 wurde das Verfahren gegen ihn allerdings eingestellt.248 Als nicht mehr tragbar galt schon im Mai 1939 der stellvertretende Leiter des UNKVD Pojasov. Er wurde am 15. Mai 1939 aus dem NKVD entlassen, erhielt aber als Ausgleich eine Arbeit als Direktor einer Werkstatt zur Herstellung von Fässern im Gebiet Jaroslavl’, aber nicht ohne ihn intensiv zu den Vorgängen 1938 zu verhören und als Zeugen zu laden.249 Ursprünglich sollte auch er verhaftet und an das 244 Vypiska iz ob–jasnitel’noj zapiski P. A. Novakova osoboupolnomočennomu po Nikolaevskoj oblasti V. N. Nikitinu. 26.02.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 54-55. 245 http://podvignaroda.ru/?#id=1002520373&tab=navDetailManCard (abgefragt am 29.04.2018). 246 Zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin nač. sekretariata NKVD SSSR S. S. Mamulovu o rezul’tatach rassledovanij grubych izvraščenij v sledsvennoj rabote UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 04.07.1940, ebd., L. 92-93. 247 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 25.–28.11.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 7, L. 211243, hier 220 ob; Zaključenie staršego sledovatelja OU NKVD USSR Petrova po materialam rassledovanija ob izvraščennych metodach vvedenija sledstvija sodrudnikam UNKVD po Nikolaevskoj oblasi. 14.09.1940, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 35-39; Sledstvennoe delo I. F. Fedjaeva, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 2, L. 120; Sledstvennoe delo P. V. Karamyševa. 1939-1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 12, L. 74. 248 Zaključenie pom. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Petrovа o prekraščenii dela A. I. Ligermana, M. S. Boltjanskogo, Ivanošenko, A. A. Semenova, A. P. Protopopova. 15.05.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 5, L. 3-6. 249 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 424, 430.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Militärbezirks übergeben werden.250 Was mit ihm nach 1941 geschah, muss noch herausgefunden werden. Ebenfalls entlassen wurde der Leiter der Stadtabteilung von Cherson Rudnickij, denn auf dem Fedjaev-Prozess trat er als stellvertretender Leiter der staatlichen Reederei von Nižnevolsk des Gebiets Stalingrad in Erscheinung.251 Dagegen stieg sein Kollege Gotovcev in den Jahren 1939-1941 zum stellvertretenden Leiter des UNKVD von Nikolaev auf.252 In Schwierigkeiten geriet er erst im September 1941, als er Hals über Kopf vor den herannahenden deutschen Truppen floh. Man verhaftete ihn noch im gleichen Monat, verurteilte ihn aber erst am 29. Juli 1942 nach § 206-17 »a« wegen »unerlaubter Entfernung vom Dienst« zu 10 Monaten Haft. Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit spielte keine Rolle. Am 15. Juli 1944 wurde er vollständig rehabilitiert und auch danach nicht wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit belangt.253 Die Ermittlungen in der Stadtabteilung des NKVD von Kirovograd wegen Leichenfledderei und Unterschlagung von Geld von Gefangenen, Folterungen und Fälschungen hatten zur Folge, dass der Gefängnisleiter Pugač entlassen wurde und die Fahrer Rudenko und Grisjuk einen strengen Verweis erhielten.254 Auch der Ermittler Svjackij wurde aus dem NKVD geworfen. Der Assistent des Fahndungsbevollmächtigten Nekor erhielt einen administrativen Verweis – 10 Tage Gefängnishaft.255 Vološin ereilte die Entlassung aus dem NKVD am 22. Oktober 1940. Ėl’zon und Lejzerovskij wurden nicht belangt. Nur am Rande erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der Fall des ehemaligen Leiters des UNKVD des Gebiets Nikolaev I. B. Fišers, da die Informationen über ihn rar und zweischneidig sind. Er hatte zwar seine Absetzung als UNKVDChef im März 1938 gut überstanden indem er in das Lagersystem des NKVD wechseln konnte, wurde dann aber doch am 14. September 1939 aus dem NKVD entlassen. Unsicheren Angaben nach befand er sich sogar schon ab Juli 1939 in Pension. Was die Gründe für die Entlassung sind, kann nur vermutet werden. Erst im Oktober 1939 erhielt er den Posten eines Leiters der kommunalen Wohnungsverwaltung der Verwaltung der Schiffs-Reederei der Flotte von Černomorsk und war dann ab Oktober 1940 zynischer Weise Prüfer der Verwaltung des Volkskommissariats für 250 OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 7, D. 150, L. 8-9. 251 Protokol VT kasatel’no I. F. Fedjaeva. 06.–07.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 3, L. 20 ob. 252 Ebda. 253 Sledsvennoe delo Leonida Trofimoviča Gotovceva, OGA SBU, Kiev, F. 6, D. 45391. 254 Zaključenie zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin po materialam rassledovanija na N. G. Ševčenko. 29.10.1940, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 281-285. 255 Ebdа.
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Justiz der Ukrainischen SSR und ab April 1941 Stellvertreter der juristischen Beratung von Odessa. Ab Juli 1941 bis 1948 kehrte er sogar wieder zum NKVD zurück und arbeitete erst in der Armee und dann bei verschiedenen Ministerien als Geheimdienstmitarbeiter. Hier wurde ihm am 11. Februar 1943 der Rang eines Oberstleutnants der Staatssicherheit zugesprochen. Ab Februar 1948 kehrte er dann in den Zivilbereich als juristischer Berater, bzw. Advokat zurück.256 Um neben der Quantität und Breitenwirkung noch deutlicher die Qualität der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit in Bezug auf Tschekisten, die nicht angeklagt wurden aufzudecken, werden, wie bereits angekündigt, drei Fallbeispiele präsentiert. Sie sollen helfen, das bisher eher verwirrende Gesamtbild ein Stück weit zu ordnen. Das erste Beispiel ist der bereits oben kurz erwähnte Leiter der Unterabteilung für Transportwesen der 11. Abteilung P. A. Novakov, das zweite der zuletzt als Fahndungsbevollmächtige der 12. Unterabteilung der 2. Abteilung beim UGB NKVD des Gebiets Nikolaev angestellte A. I. Ligerman. Beim dritten Fall handelt es sich um den ehemaligen Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Kirovograd N. G. Ševčenko. Präsentiert werden diese Fälle in einer Mischung aus der Selbstwahrnehmung der Tschekisten, der bürokratisch gesteuerten Wahrnehmung des Mitarbeiters durch die NKVD-Bürokratie außerhalb der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit und schließlich der Bewertung des betroffenen Tschekisten, gesteuert durch die Kampagne. Beim ersten Fallbeispiel Novakov ist interessant, wie es diesem jungen NKVDMitarbeiter schließlich doch, trotz erdrückender Zeugenaussagen, gelingen konnte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. In Odessa 1904 in einer russischen Arbeiterfamilie geboren, wuchs Petr Aleksandrovič Novakov dennoch bei einem armen Bauern in Moldawien auf. Er hatte schon mit drei Jahren seine Eltern verloren und war zunächst in einem Kinderheim untergebracht. Er verfügte über eine mittlere Bildung. Von 1922 bis 1924 diente er als einfacher Soldat in der Roten Armee. Nach der Demobilisierung schlug er sich 1924 bis 1925 als Hilfsarbeiter durch um dann von 1924 bis 1929 als Schlosser zum Leiter der Werkstatt der Fabrik »Blagoev« von Odessa aufzusteigen. Von Januar bis August 1930 erhielt er die Stellung eines Volksrichters des Rajons Troickoe des Gebiets Odessa. Diese Tätigkeit führte zu seiner Aufnahme in Kurse für angehende Juristen des Volkskommissariats für Justiz der Stadt Odessa, die er für ein Jahr besuchte. Diese Kurse reichten aus um sich dann Jurist zu nennen und von 1931 bis 1932 als Volksrichter die Leitung einer Sektion des Stadtgerichts von Odessa zu übernehmen. Sein Einstieg beim Geheimdienst erfolgte 1932 als Bevollmächtigter der Gebietsabteilung der OGPU von Odessa. Dies mündete in die Funktion eines Sonderkontingent-Assistenten des Bevollmächtigten der »Geheimen politischen Abteilung« der GPU von Odessa. 256 Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 424.
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Von 1934 bis 1935 war er Bevollmächtigter im Rajon-NKVD von Očakov des Gebiets Odessa. In den Jahren 1934 bis 1935 nahm Novakov an Kursen für den operativen Mitarbeiterstab des NKVD der Ukraine in Char’kov teil. 1936 bis 1937 setzte er seine Arbeit als Bevollmächtigter der »Geheimen politischen Abteilung« im Rajon Očakov fort, wurde dann aber schnell in das Gebiets-NKVD von Odessa versetzt. Hier übernahm Novakov von Mai bis August 1937 den Posten eines Fahndungsbevollmächtigten der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Odessa. 1937 bis 1938 arbeitete er in derselben Stellung im Gebiet Nikolaev um dann als Leiter der Unterabteilung für Transportwesen der 11. Abteilung von April bis August 1938 vorübergehend die stellvertretende Leitung der 11. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev zu übernehmen. Im Dezember 1937 verlieh man ihm im Zuge des zwanzigjährigen Bestehens der Organe für seine gute Arbeit im NKVD ein »Ehrenabzeichen«. Ende 1938 wurde Novakov nach Kiew in das Republikzentrum versetzt. Hier übernahm er die stellvertretende Leitung der Verwaltung für Straßen № 1 [der Abteilung] für Hauptverkehrsstraßen des NKVD der Ukrainischen SSR. Im Mai 1939 bekam er die Leitung der 2. Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB UNKVD des neu gegründeten Gebiets Kirovograd zugewiesen, die er bis September 1939 bekleidete. Hier führte er sich, nach seiner Personalakte zu beurteilen, vorbildlich und bekam schon zwei Monate nachdem er diesen Posten übernommen hatte, am 13. Juli 1939, als »energischer, disziplinierter und aktiver Mitarbeiter, der die operative Untersuchungsarbeit gut beherrscht und gute Kennziffern bei der Arbeit aufweist« den Grad eines Unterleutnants der Staatssicherheit zugesprochen.257 Von 1939 bis 1940 war er dann stellvertretender Leiter der Untersuchungsabteilung der Gebietsverwaltung des NKVD von Kirovograd um dann 1940 oder 1941 in das neu gegründete Gebiet Izmail (ehemals Akkerman) versetzt zu werden, in dem er die stellvertretende Leitung der Abteilung für Konterspionage des Gebiets übernahm. Für diesen Wechsel hatte ihm der stellvertretende Leiter für Kaderfragen A. S. Čmelev des UNKVD des Gebiets Kirovograd ein ausschließlich positives Zeugnis über seine gesamte bisherige Laufbahn mit auf den Weg gegeben.258 Von Mai 1941 bis 1945 nahm Novakov verschiedene Geheimdienstaufgaben in der Roten Armee wahr. Sie brachten ihm mehrere Auszeichnungen, Orden und Medaillen ein.259 Trotz des oberflächlich gesehen steilen beruflichen Aufstiegs Novakovs schwelte es gefährlich im Hintergrund. Es begann damit, dass im Frühjahr 1939 Gefan257 Attestacionnyj list starševo operupolnomočennogo otdela kadrov UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti na P. A. Novakova, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [Ličnoe delo P. A. Novakova], L. 15. 258 Memorandum zam. nač. po kadram UNKVD po Kirovogradskoj oblasti A. S. Čmelev na starye attestacii sostavlennye do 1 nojabrja 1938 g. na P. A. Novakova. 06.06.1940, ebd., L. 13. 259 Die vorhergehenden Informationen über Leben und Berufslaufbahn Novakovs beruhen vor allem auf: Spravka zam. nač. upravlenija MGB Nikolaevskoj oblasti po kadram V. Ivanov o P. A. Novakove. 06.09.1952, ebd., L. 1-1 ob; Nagradnoj list na P. A. Novakova. 12.04.1951, ebd., L. 27; Aftobiografija Petra Aleksandroviča Novakova. 15.08.1949, ebd., L. [?].
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gene wegen Beweismangel freigelassen wurden, dessen Fälle Novakov bearbeitet hatte; darunter am 16. März 1939 der ehemalige Leiter der Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen des Gebiets Nikolaev S. I. Gajdt. Zudem reichte Gajdt seine Freilassung nicht. Vielmehr richtete er am 11. Mai 1939 ein Beschwerdeschreiben über seine grausamen Haftbedingungen an das ZK der VKP(b) in Moskau, an den Sekretär des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev und den Leiter der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev. Novakov trat in diesem Schreiben an prominenter Stelle als einer derjenigen auf, die Gajdt während der Untersuchung gefoltert haben sollten, durch Schlagen bis zur Bewusstlosigkeit u.a. unter Nutzung einer eisernen Gürtelschnalle und Treten in den Magen. Außerdem habe auch Novakov, so Gajdt, Verhörprotokolle gefälscht. Die Verhöre wurden begleitet von »extrem unflätigem Fluchen, dass ich in meinem Leben als sowjetischer Bürger noch nicht einmal von einem vollkommen verdorbenen Rowdy gehört habe.«260 Als Gajdt dieses Verhalten als »faschistische Verhörmethoden« bezeichnete, hat man ihn, seinen Angaben nach, noch mehr geschlagen. Schließlich habe er dann, »um trotzdem am Leben zu bleiben und irgendwann vor der Partei seine Schuldlosigkeit bezeugen zu können, sich entschieden den Misshandlungen zu entgehen. Ich sagte, gut, ich bin einverstanden, das zu schreiben, was Sie brauchen, nur um die Quälerei zu beenden. Danach […] wurde ich [dem stellvertretenden Leiter des UNKVD von Nikolaev], Hauptmann POJASOV vorgeführt. Da war auch NOVAKOV dabei. […] Ich dachte, vor mir sitzt nun ein ehrlicher Kommunist bei dem ich Schutz suchen kann, aber es stellte sich heraus, dass ich falsch gedacht habe. POJASOV kam auf mich zu und bezeichnete mich als Prostituierte und schlug mir mit der Faust ins Gesicht […]. Anschließend sagte POJASOV zu NOVAKOV, ich werde ihn heute Nacht selbst verhören, besorgen sie mir einen ordentlichen Knüppel aus Buche. Als ich diese Worte hörte, beschloss ich mein Leben mit Selbstmord zu beenden und sofort als man mich in die Zelle brachte, schlug ich mit meinem Kopf gegen die Heizung, als dies meine Mitgefangenen sahen, packten sie mich und ließen mich nicht wieder los, ich ergriff daraufhin ein tönernes Gefäß und zerschlug es auf meinem Kopf. Mein Kopf war blutüberströmt. Als NOVAKOV davon erfuhr, rannte er herunter zur Zelle, rief mich heraus auf den Korridor und begann mich direkt vor Ort im Keller zu würgen, ich begann zu schreien und meine Schreie waren in allen Zellen des NKVD zu hören. So ging die Exekution durch NOVAKOV und PETROV weiter. Mehr kann ich darüber nicht schreiben, ich habe 260 Zajavlenie S. I. Gajdta sekretarju Nikolaevskogo obkoma S. I. Butyrinu i nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko. 11.05.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. 93-95 ob [in der Akte № 93]; Protokol doprosa S. I. Gajdta v kačestve svedetelja. 04.03.1940, ebd., L. 85-86 ob [in der Akte № 93].
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keine Kraft, alles genau zu schildern, was geschehen ist, nur die Wände und die Mitgefangenen sind meine Zeugen.«261 Gajtds Schreiben endete mit der Forderung: »Ich möchte darum bitten, den Verleumder [M.L.] Smorodinskij und jene Personen, die mich verhört haben, insbesondere POJASOV, EFREMOV, NOVAKOV, PETROV S., ČEREPANOV, DEMČUK, LYSKOV zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bin der Ansicht, dass für solche Personen kein Platz im ruhmreichen sowjetischen Geheimdienst ist. Sie haben durch ihre verbrecherische Tätigkeit und den ungesetzlichen Verhaftungen die Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen desorganisiert, indem sie eine Reihe führender Kräfte und Spezialisten verhaftet haben. Soeben wurden diese in die Freiheit entlassen und ihnen ihre ursprünglichen Posten zurückgegeben […]. Ich bin der Ansicht, dass PETROV S. und NOVAKOV und mit ihnen Gleichgesinnte das Kampforgan NKVD diskreditiert und unserer sozialistischen Heimat kolossalen Schaden zugefügt haben. Ich bin der Ansicht, dass diese Personen, die die schwersten Landesverbrechen begangen haben, durch die sozialistische Gesetzlichkeit bestraft werden müssen.«262 Trotz dieser Beschwerde kam es aber erst ein halbes Jahr später zur Aufnahme von ernsthaften Untersuchungen gegen Novakov und zwar im Zuge der Aussage des wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit verurteilten ehemaligen UNKVD-Mitarbeiter Demčuks. Demčuk hatte u.a., wie oben bereits angedeutet am 3. Dezember 1939 darüber berichtet, dass Novakov daran beteiligt war den Leiter der Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen des Gebiets Nikolaev S. I. Gajdt systematisch zu schlagen und zu zwingen, »falsche Geständnisse darüber abzulegen, dass in der Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen von Nikolaev unter der Führung von Gajdt eine rechtstrotzkistische Organisation besteht und an dieser Organisation ŠURCHOVECKIJ V. G., KALININ N. V., ČERNICKIJ V. D. und andere beteiligt sind.«263 Auch gegenüber den Personen, die auf der Grundlage der Aussage Gaidts verhaftet wurden, habe Novakov dann Folter angewendet.264 Novakov wurde daraufhin aufgefordert, eine Stellungnahme abzugeben, die er am 26. Februar 1940 einreichte. In dieser verteidigte er sich mit der gleichen Strategie wie der ebenfalls belastete UNKVD Mitarbeiter Vasil’evskij (siehe oben). Novakov unterstellte Demčuk Kontakte zu »zweifelhaften Elementen, sprich Trinkkumpanen« und einen »verbrecherischen Charakter« und beschrieb ihn als ein »Subjekt«, das »im Namen des Staates zu jedem Verbrechen« fähig gewesen sei. 261
Zajavlenie S. I. Gajdta sekretarju Nikolaevskogo obkoma S. I. Butyrinu i nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko. 11.05.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, Op. [?], D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. 93-95 ob [in der Akte № 93]. 262 Ebda. 263 Ebda. 264 Ebda.
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Novakov vermutete insbesondere persönliche Motive bei Demčuk, weil er, Novakov, wegen Unregelmäßigkeiten die Entfernung Demčuks von seinem Posten als Fahndungsbevollmächtigter betrieben habe. Den Vorwurf, dass es 1939 zu Freilassungen von Verhafteten und deren Rehabilitierung gekommen war, denen auch Novakov als Untersuchungsführer schwere Verbrechen unterstellt hatte, konterte Novakov mit dem Argument, dass durchaus Materialien gegen die entsprechenden Personen vorlagen, wie z.B. Zeugenaussagen darüber, dass Flugzeugmotoren schlampig gewartet wurden, was einen Absturz zur Folge gehabt habe. Schlagen von Gefangenen stritt Novakov rundheraus ab.265 Einen Tag nachdem Novakov seine Erklärung eingereicht hatte, also am 27. Februar 1940 wurde Demčuk erneut zu den Vorwürfen, die er u.a. gegen Novakov geäußert hatte, befragt. Er bestätigte hier ausdrücklich seine Aussagen vom Dezember 1939.266 Nur wenige Tage später, am 3. März 1940, gab der Sonderbevollmächtigte des UNKVD von Nikolaev V. N. Nikitin dann die Anweisung Befragungen von freigelassenen Gefangenen durchzuführen u.a. auch von Gefangenen, die Novakov gequält haben sollte.267 Befragt wurden daraufhin Gajdt, der seine Vorwürfe wiederholte und vier weitere, schon Ende Januar 1939 auch freigelassene angebliche Mitglieder der trotzkistischen Verschwörergruppe in der Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen, und zwar N. V. Kalinin, V. D. Černickij, I. A. Drutman und V. G. Šurchoveckij; alle direkt Anfang März 1940.268 Kalinin sagte aus, dass ihn Novakov geschlagen habe: »Von Novakov wurde ich nur einmal geschlagen, aber dieser Schlag war für mich das Schmerzhafteste, so dass ich ihn nicht vergessen kann. […] Novakov sagte mir, […] dass ich ein Konterrevolutionär bin und ich mich versteckt gehalten habe, und während er diese Anschuldigung gegen mich vorbrachte, trat er mir feste mit dem 265 Vypiska iz ob–jasnitel’noj zapiski P. A. Novakova osoboupolnomočennomu po Nikolaevskoj oblasti V. N. Nikitinu. 26.02.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 54-55. 266 Protokol doprosa E. F. Demčuka. 27.02.1940, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. 10-11 ob [in der Akte № 93]. 267 Osoboupolnomočennyj UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Nikitin nač. pervogo specotdela UGB UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Somojlenko o proverke raznych lic prochodjaščie po učetam pervogo specotdela. 03.03.1940, ebd., L. 28 [in der Akte № 93]. 268 Protokol doprosa S. I. Gajdta v kačestve svedetelja. 04.03.1940, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. 85-87 [in der Akte № 93]; Protokol doprosa N. V. Kalinina v kačestve svedetelja. 05.03.1940, ebd., L. 96-97 об [in der Akte № 93]; Protokol doprosa I. A. Drutmana v kačestve svedetelja. 06.03.1940, ebd., L. 104-106 [in der Akte № 93]; Protokol doprosa V. G. Šurchoveckogo v kačestve svedetelja. 04.03.1940, ebd., L. 102-103 ob [in der Akte № 93]; Protokol doprosa V. D. Černickogo v kačestve svedetelja. 04.03.1940, ebd., L. 111114 [in der Akte № 93].
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Fuß – / mit der Spitze des Schuhs / in den weichen Teil des Hinterns. Ich musste einen unglaublichen Schmerz durchstehen und dies nicht nur, weil der Tritt solche Schmerzen erzeugt hatte, sondern auch aus dem Grund, weil mich NOVAKOV unmenschlich behandelt hat.«269 Černickij wurde von Novakov mit einem speziell präparierten Elektrokabel blutig geschlagen.270 Šurchoveckij wiederum beschrieb folgende Szene in Novakovs Kabinett. »›Was denn, er schreibt nichts?‹ Öffnete die Schublade des Schreibtisches und zog einen Gürtel mit einer Schlaufe heraus und begann, ohne etwas zu sagen, mich mit dem Gürtel zu schlagen, bis die Gürtelschnalle zerbrach. ›So muss man verhören… schafft dieses A… weg‹.«271 Bei Drutman hatte Novakov aber nicht mit Hand angelegt.272 Von Kollegen, N. M. Mitrofanov und V. D. Smal’čenko und zwei weiteren Mitarbeitern, erhielten die Ermittler des NKVD keine kompromittierenden Aussagen gegen Novakov.273 Bis zum April 1940 wuchs die Akte Novakov auf insgesamt 224 Seiten an.274 Die Angelegenheit nahm schließlich sogar Kiew in die Hand, nicht ohne dabei Rücksprache mit Moskau zu halten. Am 4. Juli 1940 berichtete der Sonderbevollmächtigte des NKVD der Ukrainischen SSR Pronin dem Leiter des Sekretariats des NKVD der UdSSR S. S. Mamulov, dass Ende 1939 vom Militärtribunal der Truppen des NKVD des Gebiets Odessa angeordnete Untersuchungen gegen Novakov wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit nicht eingestellt, sondern ganz im Gegenteil fortgeführt werden.275 Am 30. Oktober 1940 wurde Novakov schließ269 Protokol doprosa N. V. Kalinina v kačestve svedetelja. 05.03.1940, ebd., L. 96-97 об [in der Akte № 93]. 270 Protokol doprosa V. D. Černickogo v kačestve svedetelja. 04.03.1940, ebd., L. 111-114 [in der Akte № 93]. 271 Protokol doprosa V. G. Šurchoveckogo v kačestve svedetelja. 04.03.1940, ebd., L. 102-103 ob [in der Akte № 93]. 272 Protokol doprosa I. A. Drutmana v kačestve svedetelja. 06.03.1940, ebd., L. 104-106 [in der Akte № 93]. 273 Protokol doprosa dežurnogo pomoščnika nač. Nikolaevskoj tjurmy v kačestve svedetelja. 16.05.1939, ebd., L. 120-121 [in der Akte № 93]; Protokol doprosa operupolnomočennogo vodnogo otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti V. D. Smal’čenko v kačestve svedetelja. 05.03.1940, ebd., L. 115-117 [in der Akte № 93]. 274 Nač. Osoboj inspekcii otdela kadrov KGB pri Sovet ministrov USSR Čerkašin pom. nač. upravlenija KGB pri Sovet ministrov USSR Nikolaevskoj oblasti po kadram N. V. Čistomu po delu P. A. Novakova. 19.09.1958, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. [?]; Dela № 93 Petra Aleksandroviča Novakova. 16.02.1940-02.04.1940, ebd., L. 1-224. 275 Zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin nač. sekretariata NKVD SSSR S. S. Mamulovu o rezul’tatach rassledovanij grubych izvraščenij v sledsvennoj rabote UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 04.07.1940, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 168, L. 92-93.
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lich verhaftet. Er kam aber letztendlich mit einer geringen Strafe davon. Er wurde mit der Begründung, er habe die sozialistische Gesetzlichkeit verletzt, für 10 Tage ins Gefängnis gesteckt. Gleichzeitig erhielt er einen Verweis und man warnte ihn, dass er »bei einer Wiederholung derartiger Vorfälle einem Gericht übergeben wird.«276 Seine Vergangenheit als Folterer und Fälscher holte Novakov dennoch wieder ein, wenn auch erst sehr viel später, und zwar während der Entstalinisierung Ende der fünfziger Jahre. Am 22. April 1961 entfernte das Gebietskomitee der Kommunistischen Partei des Gebiets Nikolaev Novakov »wegen der Verletzung der sowjetischen Gesetzlichkeit während seiner Arbeit in den Organen des NKVD 1937-1938« aus den Reihen der Partei.277 Außerdem wurde darüber nachgedacht, ihm seine Pension zu kürzen, was üblicher Weise auch geschah. Losgetreten hatte den Vorgang der Militärstaatsanwalt des Militärbezirks von Odessa 1958 im Zuge der Rehabilitierung von Personen, deren Fälle Novakov 1937-1938 bearbeitet hatte.278 Im Gegensatz zu Novakov traf es das zweite Fallbeispiel A. I. Ligerman härter, wenn auch nicht so hart wie seine in den sechs untersuchten Verfahren zu hohen Haftstrafen oder zu Lagerhaft und sogar zum Tode verurteilten Kollegen. Er verlor »nur« seinen Arbeitsplatz. Vor allem die Rolle der Partei bei der Ausbremsung Ligermans ist beachtenswert. Aron Isaakovič Ligerman wurde 1912 in Odessa in einer Arbeiterfamilie geboren. Der Vater arbeitete in einer Bürstenfabrik, die Mutter war Verkäuferin. Beide waren sie jüdischer Herkunft. Ligermans Bildung kann als niedrig bezeichnet werden. 1926 beendete er nach fünf Klassen die Arbeiterschule.279 Ausgebildet wurde er dann als Schmied. Von 1929 bis 1931 stand er an der Pressmaschine in der Fabrik »Januar-Aufstand« in Odessa und war in der Metallergewerkschaft. Er war verheiratet. Schon 1929 Mitglied des Komsomol, trat er 1932 in die VKP(b) ein. Mobilisiert durch die Stadtparteiorganisation von Odessa wechselte er 1931 »als einer der besten Aktivisten-Kommunisten« zur GPU, also zum Geheimdienst.280 Bis 1936 war er Agent und Mitarbeiter für besondere 276 Zaključenie pom. nač. upravlenija KGB pri Sovet ministrov USSR Nikolaevskoj oblasti po kadram N. V. Čistogo o primenenii ograničenija v pensionnom obespečenii k byvšemu sotrudniku organov gosbezopasnosti P. A. Novakovu. 27.05.1961, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818 [ličnoe delo P. A. Novakova], L. [?]]. 277 Nač. UKGB Nikolaevskoj oblasti P. Semenov pomoščniku predsedatelja KGB USSR ob isključenii P. A. Novakova iz KPSS. 23.11.1967, ebd., L. [?]. 278 Zaključenie pom. nač. UKGB Nikolaevskoj oblasti N. Čistyj nač. UKGB Nikolaevskoj oblasti P. Semenovu o primenenii ograničenija v pensionnom obespečenii k P. A. Novakovu, ebd., L. [?]. 279 Trudškola. 280 Aftobiografia A. I. Ligermana. Bez daty, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4447 [Ličnoe delo Arona Isaakoviča Ligermana], Čаst’ I; Attestacija nač. otdela kadrov GPU USSR N. S. Bačinskogo na A. I. Ligerman. 21.10.1931, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4447 [Ličnoe delo Arona Isaakoviča Ligermana], Čаst’ III.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Aufgaben der GPU-NKVD des Gebiets Odessa. Von 1936 bis 1937 kurz in der Unterabteilung »Hafen« des UGB des NKVD der Stadtabteilung des NKVD von Nikolaev, übernahm er dann vom 1. August 1937 bis 5. Oktober 1937 kommissarisch den Posten eines Fahndungsbevollmächtigen in der 4. Abteilung also der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD von Nikolaev. Somit war er Truškin unterstellt. Danach, bis 15. Januar1938, war er Fahndungsbevollmächtigter der 12. Unterabteilung der 4. Abteilung des UGB NKVD des Gebiets Nikolaev, arbeitete im Januar 1938 jedoch vorrübergehend als Leiter der zweiten Unterabteilung der 7. Abteilung, anschließend ein knappes Jahr, vom 15. Januar 1938 bis 1. Dezember 1938, als Fahndungsbevollmächtigter der 3. Unterabteilung der 3. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Sein kontinuierlicher Aufstieg ging damit weiter, dass er vom 1. Dezember 1938 bis 10. Mai 1939 zum Assistenten des Leiters einer Unterabteilung der 3. Abteilung, der »Abteilung für Verteidigung« des UNKVD des Gebiets Nikolaev ernannt wurde.281 Seine politische und dienstliche Biographie war bis 1939 blütenrein. Er hatte nicht zu irgendwelchen antiparteilichen Gruppen tendiert, war auch nicht vorbestraft, einschließlich Ordnungsstrafen.282 Allerdings ließen Auszeichnungen auf sich warten, was aber auf seine kurze Dienstzeit und sein junges Alter zurückzuführen ist. Nichts desto trotz stellte ihm im Jahre 1938 der Interims-Leiter der 7. Abteilung des UGB des UNKVD von Nikolaev Efremov, bestätigt durch den Geheimdienstchef Karamyšev, im Zuge der Verleihung des Dienstgrades »Unterleutnant« ein sehr positives Zeugnis aus: »Er hat sich die operative Arbeit gut angeeignet, wie die mit Agenten und die Untersuchungsführung. Faktisch erfüllt er die Arbeit eines Leiters einer Unterabteilung der Abteilung für [Landes-]Verteidigung. Er ist diszipliniert und bemüht. Er liebt die Arbeit der Organe des UGB NKVD. Hat Autorität.«283 Ligermans Karriere befand sich insgesamt gesehen also im Aufwind. Das plötzliche Ende kam im Mai 1939. Ligerman wurde aus dem NKVD entlassen und mit 10 Tagen Einzelhaft bestraft. Nicht überstanden hatte er die von Moskau angeordnete Überprüfung der NKVD-Kader durch die Partei. Das Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev erwirkte aber nicht nur seine Entlassung, sondern wies auch die entsprechende Basisorganisation der Partei an 281
Spravka osoboupolnomočennogo NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko ob A. I. Ligermane. Ijun’ 1939 g., ebd., L. 14-15; Vypis’ka iz poslužnogo spiska ob A. I. Ligermane. 13.05.1939, ebd., L. 10. 282 Vzyskanija. 283 Dosročnaja attestacija vrid. nač. 7 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti Efremova na operupolnomočennogo 3 otdela UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti A. I. Ligermana, ebd., L. 9.
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»die Frage seiner Parteimitgliedschaft zu diskutieren«, was im Klartext hieß, dass ihm auch noch der Verlust der Parteimitgliedschaft drohte.284 Festgestellt worden war mit Hilfe des bereits wohlbekannten Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukrainischen SSR Tverdochlebenko, dass Ligerman verschwiegen hatte, dass sein Vater nicht in Odessa, sondern in Warschau geboren war und die Mutter seiner Ehefrau 1936 mit Waren spekuliert hatte. Das Schwerwiegendste aber war, dass Ligerman »während er im UNKVD Untersuchungen durchführte an der Entstellung der Methoden der Untersuchungsführung beteiligt war und gegenüber einer Reihe von Gefangenen physische Maßnahmen des Einflusses angewendet hat; gegenüber BABENKO und GORBENKO und anderen, die gegenwärtig aus der Haft entlassen wurden.«285 Im Gutachten Tverdochlebenkos hieß es noch genauer, er habe Zeugen leere Zeugenprotokolle unterschreiben lassen, die er dann in Abwesenheit der Zeugen nach seinem Gutdünken ausfüllte. Er habe zudem den Zeugen Semenov beauftragt, irgendwelche Zeugen zu finden und dann in ihrem Namen, gefälschte Protokolle zu erstellen, die Ligerman dann unterschrieb.286 Gegen diese Vorwürfe hatte sich Ligermann schon Anfang Januar 1939 noch gegenüber Karamyšev am Schluss eines ausführlichen Rapports mit dem folgenden moralischen Appell zu verteidigen versucht: »Ich arbeite ehrlich und gewissenhaft, ich kann es nicht glauben, dass ein solches Unglück über mich hereinbricht. Diese Personen, die ihre Menschlichkeit verloren haben, wie die Zeugen und Semenov, können, ohne sich zu schämen, lautstark einen ehrlichen, unschuldigen und aufstrebenden jungen TschekistenBolschewisten verleumden und für sein ganzes Leben in Verruf bringen.«287 Nach seiner Entlassung im Mai legte Ligerman noch einmal nach. Er schrieb eine Beschwerde an Chruschtschow und auch an Berija, in der er, wie schon im Januar 1939 behauptete, die Anschuldigungen gegen ihn beruhten auf Aussagen von zwei Provokateuren.288 Die daraufhin um Stellungnahme gebetene Republikstruktur des NKVD der Ukraine in der Person Kobulovs und auch der Leiter des UNKVD 284 Zam. narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulov narodnomu komissaru vnutrennich del SSSR L. P. Berija ob uvolnenii A. I. Ligermana. 23.07.1939, ebd. Materialy specproverki, L. 62. 285 Spravka osoboupolnomočennogo NKVD USSR A. M. Tverdochlebenko ob A. I. Ligermane. Ijun’ 1939 g., ebd., Čаst’ III, L. 14-15. 286 Ebda. 287 Raport vrid. nač. 2 otdelenija 7 otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasit A. I. Ligermana načal’niku UNKVD Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševu. 04.01.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 5, L. 40. 288 Nač. dela kadrov NKVD USSR P. T. Čemisov nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko o raporte A. I. Ligermana N. S. Chruščevu i L. P. Berija. 11.07.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4447 [Ličnoe delo Arona Isaakoviča Ligermana]. Materialy specproverki, L. 73.
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von Nikolaev Jurčenko lehnten jedoch eine Wiedereingliederung Ligermans aus den besagten Gründen einhellig und endgültig ab.289 Gestattet wurde lediglich, Ligerman auf die Reserveliste der Roten Armee zu stellen.290 Schließlich scheint am 15. Mai 1940, also ein Jahr nach seiner Entlassung, das Verfahren gegen Ligerman eingestellt worden zu sein. Allerdings ist nicht bekannt, was dann schließlich tatsächlich geschehen ist, oder ob ihm nicht doch der Prozess gemacht wurde. Denn zwei andere, gegen die im selben Dokument von unzureichendem Beweismaterial die Rede war und deren Verfahren ebenfalls eingestellt werden sollte, nämlich Protopopov und Semenov, wurden kurze Zeit später verhaftet und dann, wie oben im Fedjaev-Prozess gezeigt, Protopopov zu einer hohen Haftstrafe und Semenov sogar zum Tode verurteilt.291 Beim dritten Fallbeispiel, dem Fall Nikolaj Grigor’evič Ševčenko, kommt es auf Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung an. Geboren wurde Ševčenko 1901 im Dorf Bol’šaja Korenicha (Nikolaevka) des Amtsbezirks Korenicha des Kreises Odessa des Gouvernements Cherson (heute im Gebiet Nikolaev). Der Vater war Seemann und stammte aus einer armen Bauernfamilie. Der Vater der Mutter war Träger im Hafen von Odessa. Sie selbst arbeitete als Hausfrau. Besonders wichtig war Ševčenko in seiner Autobiographie in Bezug auf seine familiäre Herkunft zu unterstreichen: »Von meinen Verwandten war niemand Verfolgungen durch die Sowjetmacht ausgesetzt, keiner hat in antisowjetischen Armeen gedient, Entzug des Wahlrechts hat es nicht gegeben. Es leben weder Verwandte noch Bekannte im Ausland.«292 Ševčenko war Ukrainer. Besucht hatte er nur die vier Klassen der Volksschule von Bol’šaja Korenicha. Mit 14 Jahren begann er in den Nickel-HeimindustrieWerkstätten von Vlasov von Odessa zu arbeiten. Von 1916 bis 1920 erhielt er eine Ausbildung als Dreher in der Fabrik »Belin Fendrik« in Odessa. Der Kontakt zum Geheimdienst kam sehr früh. Schon mit 19 Jahren ließ er sich auf eigenen Wunsch 1920 vom Gewerkschaftsrat des Gouvernements zur Arbeit in 289 Nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. T. Jurčenko nač. otdela kadrov NKVD USSR P. T. Čemisovu ob otkaze ot vostanovlenija v NKVD A. I. Ligermana. 03.07.1939, ebd. Čаst’ III, L. 9-11; Zam. narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulov narodnomu komissaru vnutrennich del SSSR L. P. Berija ob uvolnenii A. I. Ligermana. 23.07.1939, ebd. Materialy specproverki, L. 62. 290 I. o. zam. nač. otdela kadrov NKVD USSR M. E. Kremenčugskij vrid. nač. otdela kadrov UNKVD Odesskoj oblasti N, D. Dubovomu. 09.10.1939, ebd. Materialy specproverki, L. 64. 291 Zaključenie pom. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Petrovа o prekraščenii dela A. I. Ligermana, M. S. Boltjanskogo, Ivanošenko, A. A. Semenova, A. P. Protopopova. 15.05.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 5, L. 3-6. 292 Aftobiografija Ševčenko Nikolaja Grigor’eviča, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 107-109.
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der Tscheka des Gouvernements von Odessa abkommandieren. Bis 1923 arbeitete er in der Sonderabteilung der Grenzabteilung im Ort Beljaevka des Gouvernements Odessa als bevollmächtigter Kontrolleur und dann als langgedienter Kontrolleur. 1924 beendete Ševčenko die einjährigen regelmäßigen Kurse für Grenztruppen der GPU der Ukrainischen SSR in Char’kov. Ein Jahr diente er dann bei den Grenztruppen der GPU der Stadt Mogilev-Podolsk als Leiter der Grenztruppen № 24. Von 1925 bis 1927 erfolgte der Besuch der höheren Grenztruppenschule der OGPU in Moskau. Anschließend arbeitete er bis 1932 bei den Grenztruppen von Slavuta des Gebiets Odessa, erst als Leiter und dann als langgedienter Bevollmächtigter der Grenztruppen. Damit war seine Tätigkeit im Grenzgebiet beendet. Denn im September 1932 kam es zur Ernennung zum Rajonbevollmächtigten der OGPU des Rajons Grasulovo des Gebiets Odessa. Von Oktober 1933 bis Dezember 1934 übernahm Ševčenko die Leitung der GPU des Rajons Skadovsk, wurde dann aber als Fahndungsbevollmächtigter Anfang 1935 in die Stadtabteilung von Cherson versetzt. Hier stieg er im Juli 1937 vom operativen Bevollmächtigen zum Leiter auf und wechselte ebenfalls als Leiter im Oktober 1937 in die Stadtabteilung des NKVD von Kirov bzw. Kirovograd, wo er bis September 1938 blieb. Hier war er gleichzeitig Leiter der rajonübergreifenden operativen Gruppe – in der übrigen Sowjetunion »operative Sektoren« genannt –, die im Rahmen der Massenoperationen des Großen Terrors die Überprüfung der Fälle von mehreren, sich in der Nähe von Kirov/Kirovograd befindenden Rajons koordinierte. Anschließend ging sein Aufstieg durch Berufung in die Strukturen des Republik-NKVD der Ukrainischen SSR zuerst in die 11. Abteilung, die Abteilung für Binnenschifffahrt der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR und dann zum Leiter der 6. Abteilung der 1. Verwaltung des NKVD der Ukranischen SSR weiter. Im Oktober 1938 wechselte er in die Sonderabteilung des NKVD des Kiewer Sondermilitärbezirks. Hier war er Assistent des Leiters der Abteilung und gleichzeitig Leiter der ersten Unterabteilung und stieg 1939 zum stellvertretenden Leiter der Abteilung auf. An Auszeichnungen erhielt Ševčenko 1930 eine Urkunde von der GPU der Ukrainischen SSR, im Dezember 1937 zu Ehren des 20-jährigen Bestehens der Organe der VČK-GPU-NKVD »Für die vorbildliche Erfüllung der Aufgaben der Regierung, den aktiven Kampf gegen die Konterrevolution und den Schutz der Interessen der Werktätigen« »ein teures Geschenke des Zentralen Exekutivkomitee der Ukrainischen SSR«293 und 1938 das Ehrenabzeichen »Verdienter Mitarbeiter der VČK-GPU«.294 293 Pro nagorodžennja pracivnykiv NKVS URSR. Postanova Central’noho Vykonavčoho Komitetu URSR, in: Visti (Kyїv), 20.12.1937. 294 Burjakov, A. M. Vedomstvennye nagrady OGPU-NKVD. 1932-1940 gg. Čast’ II. Znak početnyj rabotnik VČK-GPU (XV), Vladivostok 2008, S. 262.
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Die Beschreibung seiner politischen Laufbahn begann Ševčenko 1938 mit dem Satz, dass er nicht an der revolutionären Bewegung teilgenommen hat; was aber aufgrund seines jungen Alters als verzeihbar gelten kann. 1925 wurde er als Kandidat für die VKP(b) zugelassen und 1927 aufgenommen. Ferner betonte Ševčenko: »An oppositionellen Strömungen habe ich nicht teilgenommen. Abweichungen von der Generallinie der Partei hat es nicht gegeben.«295 Ab 1931 erhöhte sich seine Parteiaktivität beträchtlich. An seinen jeweiligen Arbeitsorten engagierte er sich auf dem Plenum und im Büro der Rajonparteikommitees und dann der Stadtparteikomitees der KP(b) der Ukraine. 1938 wählte ihn die Parteiorganisation von Kirov sogar zum Delegierten für die Gebietsparteikonferenz in Nikolaev. Ševčenko verschwieg in seiner Autobiographie nicht, dass er sich 1934 von der Parteiorganisation von Skadovsk eine Parteirüge einhandelte, weil er die Ermordung eines Mitglieds des Dorfrats einer Ansiedlung des Rajons »nicht politisch ausreichend« beurteilt hatte. Beeinträchtigt hat dieser Vorfall seinen kurz darauffolgenden Wechsel in die Stadtabteilung von Cherson aber nicht. Die Rüge wurde 1935 vom Stadtparteikomitee von Cherson sofort wieder aus seiner Personalakte entfernt. Sein Familienstand war verheiratet mit zwei Kindern. Seine Frau arbeitete 1938 als Leiterin des städtischen Standesamtes von Kirov.296 Bis Ende Mai 1939 scheint auch bei Ševčenko noch alles in Ordnung gewesen zu sein, da er am 13. Mai 1939 durch einen Beschluss des Politbüros des ZK der KP(b) der Ukraine in seiner augenblicklichen Funktion als Leiter der 5. Abteilung, d.h. der Auslandsabteilung des UGB der Ukrainischen SSR bestätigt wurde und Kobulov den stellvertretenden Volkskommissar für Inneres S. N. Kruglov am 26. Mai bat, den Beschluss ebenfalls zu bestätigen.297 Am 28. August wurde der Bitte Kobulovs mit dem Befehl des NKVD der UdSSR № 1640 nachgegeben.298 Am 26. April 1940 erhielt Ševčenko außerdem noch die Tapferkeitsmedaille zugesprochen. Ende 1940 stockte seine Karriere im NKVD. Er stürzte vom Leiter einer Abteilung der größten Republik im sowjetischen Verband herab in die Position eines Leiters einer Unterabteilung einer Abteilung in einer winzigen Republik. Er wurde zum Leiter der ersten Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB des NKVD des gerade erst okkupierten Estlands ernannt. In dem entsprechenden Gutachten wurde 295 Aftobiografija Ševčenko Nikolaja Grigor’eviča, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 107-109. 296 Ebda. 297 Chomenko, V. D. ta inši (avt. uporjad), Kerivnyky Ukraїns’koї zovnišn’oї rozvidky, Kyїv 2010. S. 81-83; Narkom vnutrennich del USSR A. Z. Kobulov zam. narodnogo komissara vnutrennich del SSSR po kadram S. N. Kruglovu ob utveršdenii v dolžnosti N. G. Ševčenko. 26.05.1939, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 155. 298 Žukov, A. N. (Hg.), Kadrovyj sostav NKVD SSSR 1935-1939, in: http://nkvd.memo.ru/index. php. Шевченко_Николай_Григорьевич.
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angemerkt, dass er 1940 auf einer Dienstreise nach Kišinev bei einer informellen Mitarbeiterin ein Radio gekauft und an einen Saufgelage teilgenommen hatte. Vor Schlimmerem bewahrt hat ihn offensichtlich, dass das Gutachten auch betonte, dass Ševčenko »die Arbeit im NKVD bis zur Vollkommenheit beherrscht« und viele Auszeichnungen bekommen hat. Außerdem strengte sich Ševčenko auf seinem neuen Posten offensichtlich mächtig an, so dass der Leiter der Kaderabteilung Chanson nicht nur aufführte, dass er die neue Arbeit im Griff habe, sondern »voll und ganz mit Arbeit von großem Umfang zurechtkommt.«299 Erstaunlich ist, dass das Gutachten des Kaderchefs von Estland nicht erwähnte, dass zu diesem Zeitpunkt gegen Ševčenko noch ganz andere, wesentlich gefährlichere Informationen über Dienstvergehen vorlagen. Von Oktober 1940 stammte ein Gutachten des Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukrainischen SSR Pronin, in dem Ševčenko nicht nur der Ausrutscher, bzw. eine Intimbeziehung zu einer Schauspielerin, von der er das Radio gekauft hatte, und ein Saufgelages während seiner Dienstreise vorgeworfen wurde, sondern auch noch Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit. Nämlich, dass er als Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Kirovograd unberechtigte Verhaftungen durchgeführt, zusammen mit dem Mitarbeiter A. Ch. Svjackij Gefangene geschlagen habe und Gelder von ihm nicht ordnungsgemäß verbucht worden seien, die man bei Gefangenen konfisziert hatte. Außerdem habe er von der Leichenfledderei seiner Mitarbeiter gewusst.300 Ševčenko muss nach Sommer 1940 hinsichtlich der gesamten Vorwürfe intensiv verhört worden sein, da zu allen Punkten seine Stellungnahmen aufgeführt werden. Er hatte sogar zugegeben einen Gefangenen geschlagen zu haben, allerdings mit Sanktion des ehemaligen stellvertretenden Leiters des UNKVD von Nikolaev Pojasov.301 Letztendlich erhielt Ševčenko aber nur einen Verweis. Dann im Oktober 1942 kam es aber doch zu einer härteren Bestrafung. Ševčenko hatte es entgegen aller Warnungen versäumt in seiner neuen Funktion als Leiter der Sonderabteilung des NKVD der operativen Gruppe von Primor’e des Gebiets Primor’e darauf zu achten, dass seine Untergebenen nicht die sozialistische Gesetzlichkeit verletzen. Dies hatte zur Folge, dass er seines Postens entbunden wurde.302 Er wechselte aber wahrscheinlich sofort in die Rote Armee an die Front. Schon im April 1943 war wieder alles in Ordnung. Mit einem Frontbefehl vom 19. April wurde Ševčenko der Orden »Roter Stern« verliehen und zwar mit der Begründung, dass er »als Mitarbeiter der Sonderorgane des NKVD seit den ersten 299 Spravka zam. narkoma vnutrennich del Еstonskoj SSR po kadram Chanson o N. G. Ševčenko. Posle nojabrja 1940 g., OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 161-161 ob. 300 Zaključenie zam. osoboupolnomočennogo NKVD USSR Pronin po materialam rassledovanija na N. G. Ševčenko. 29.10.1940, ebd., L. 281-285. 301 Ebda. 302 Spravka, kopii zaključenij i drugaja perepis’ka po ličnomu delu N. G. Ševčenko, ebd., L. 276.
Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren
Tagen des Vaterländischen Krieges großartige Arbeit bei der Entlarvung von konterrevolutionären Elementen geleistet hat: von Spionen, Terroristen, Diversanten und Saboteuren, die in die Armee eingesickert sind.«303 Im Mai 1945 erhielt er den »Rotbannerorden« und im Dezember 1945 wurde er sogar mit dem »Lenin-Orden« ausgezeichnet.304 Nach dem Krieg hat Ševčenko dann bis 1949, bis er ausdrücklich wegen Erreichens des Pensionsalters entlassen wurde, weiter im Geheimdienst gearbeitet.305 Allerdings wurde Ševčenko dann 1956, nach Stalins Tod, in der gleichen Sache und ähnlicher Fälle von Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit wieder strafrechtlich verfolgt, dass Verfahren gegen ihn aber letztendlich wieder eingestellt.306 Allerdings wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Die Ausleuchtung des Kontexts, in dem die sechs Verfahren und acht Prozesse wegen Dienstvergehen bzw. Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit stattgefunden haben, ergibt ein widersprüchliches Bild. Eindeutig ist nur – und das ist allerdings nicht wenig –, dass systematisch jede den Sonderbevollmächtigten zu Ohren gekommene Verfehlung zum Verhör der Verdächtigen und Befragung von Opfern und Kollegen führte. Die Informationsbasis der Sonderbevollmächtigten beruhte auf Beschwerdebriefen und Zeugenaussagen von Opfer an die politische und staatliche Führung und auf gegenseitigen Beschuldigungen der Mitarbeiter des NKVD in den Voruntersuchungen zu den Prozessen und in den Prozessen selbst. Besonders unübersichtlich wird das Bild, wenn es um die Konsequenzen geht, die die Nachforschungen der Sonderbevollmächtigten hatten. Festgestellt werden konnte, dass das Spektrum der Bestrafung von Versetzungen, administrativen Kurzstrafen bis zur Entlassung aus dem Geheimdienst und sogar Miteinbeziehung in die Prozesse reichte. Kam es »nur« zur Entlassung, scheinen die davon betroffenen Tschekisten in der Regel mit einem anderen Job versorgt worden zu sein. Einmal aus dem NKVD entfernt, gab es, so der Eindruck, nur in Ausnahmen einen Rückweg in den NKVD. Die nur abgemahnten Tschekisten dagegen hatten immer die Chance sich zu bewähren, weiter aufzusteigen, Auszeichnungen zu erhalten und in die Partei aufgenommen zu werden. Zu vorübergehenden Karriereschwierigkeiten ist es aber dennoch auch gekommen, wie der Fall Ševčenko gezeigt hat. Eine klare Regelhaftigkeit auf welcher Grundlage, welche Strafen verhängt wurden, konnte nicht festgestellt werden. Die Menge der Auffälligkeiten 303 Prikaz vojskam Leningradskoj armii protivodušnoj oborony № 78/n. 19.01.1943, CAMO, F. 33, Op. 682525, D. 398, L. 19-23. (http://podvignaroda.ru/?#id=60036361&tab= navDetailDocument) (abgefragt am 29.04.2017). 304 Žukov, A. N. (Hg.), Kadrovyj sostav NKVD SSSR 1935-1939, in: http://nkvd.memo.ru/index. php. Шевченко_Николай_Григорьевич (abgefragt am 29.04.2018). 305 Postanovlenie staršego sledovatelja Osoboj inspekcii Otdela kadrov KGB pri Sovete ministrov USSR Krocha o prekraščenii sledstvija po delu I. Gončarova i. d. 26.04.1956, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, Op. [?], D. 2592 [Ličnoe delo N. G. Ševčenko], L. 299-308 ob, hier L. 308. 306 Ebd., L. 299, 308 ob.
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spielte sicher eine Rolle, auch das anschließende Verhalten und die in der Vergangenheit festgestellten Abweichungen von der geforderten bzw. nun geänderten Norm. Es kam auch auf das Personal der Sonderbevollmächtigten an, ob sie aus dem Republikzentrum kamen oder aus der örtlichen UNKVD-Struktur. Beide waren mit erheblichen Machtmitteln ausgestattet, wobei die aus Kiew wesentlich schärfer waren. Die Nachforschungen abzuwehren war schwierig und erforderte von den betroffenen Mitarbeitern viel Zeit und Aufwand, so dass von einer nur symbolischen Aktion nicht gesprochen werden kann. Die Kampagne hatte eine breite Dimension und zeichnete sich durch große Gründlichkeit und Hartnäckigkeit aus. Die sechs großen Verfahren waren nur die Spitze des Eisbergs. Abmahnungen, Disziplinarverfahren, Degradierungen, Versetzungen und Entlassungen waren ein mindestens ebenso wichtiger Bestandteil der Kampagne.307
307 Zu den vielfältigen Maßnahmen jenseits der Prozesse auch in anderen Republiken und Gebieten, vgl. ergänzend: Prikaz NKVD SSSR № 00438 »Prikaz NKVD SSSR № 00438 »O nezakonnych metodach sledsvija v NKVD Kirgizskoj SSR«. 27.04.1939, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 564-566; Prikaz NKVD SSSR № 00486 »O nezakonnych metodach sledstvija v DTO NKVD Belorusskoj železnoj dorogi«, 04.05.1939, in: Ebd., S. 566-568; Prikaz NKVD SSSR № 00498 »O nezakonnych metodach sledsvija v DTO NKVD Oktjab’skoj železnoj dorogi«. 08.05.1939, in: Ebd., S. 569-571. Die Befehle sind als Regieanweisungen aus Moskau zu verstehen, wie vor Ort auch in anderen Republiken, Regionen und Gebieten zu verfahren ist. Nur deshalb sind Befehle, die beispielsweise Kirgisien oder das Gebiet Kalingrad betreffen auch in der Ukraine zu finden.
Tätergesichter und Orden
Führungsebene Abbildung 1: I. B. Fišer, ca. 1937
Abbildung 2: P. V. Karamyšev, ca. 1938; Abbildung 3: P. V. Karamyšev, 1939
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Abbildung 4: A. F. Pojasov, ca. 1920; Abbildung 5: A. F. Pojasov, ca. 1938
Gebietsgeheimdienst Abbildung 6: Ja. L. Truškin, ca. 1939
Tätergesichter und Orden
Abbildung 7: K. A. Voronin, ca. 1938; Abbildung 8: M. V. Garbuzov, ca. 1938
Abbildung 9: F. T. Ovčinnikov, ca. 1937; Abbildung 10: F. T. Ovčinnikov, ca. 1940
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Abbildung 11: G. S. Zel’cman, ca. 1938; Abbildung 12: A. Ju. Fedorovskij, ca. 1940
Abbildung 13: P. A. Novakov, ca. 1938; Abbildung 14: A. I. Ligermann, ca. 1938
Tätergesichter und Orden
Stadt- und Rajonabteilungen Abbildung 15: Z. D. Livšic, ca. 1937
Abbildung 16: P. Ja. Korobcev, ca. 1936; Abbildung 17: P. Ja. Korobcev, ca. 1938
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Abbildung 18: E. F. Demčuk, ca. 1938; Abbildung 19: I. F. Fedjaev, ca. 1938
Abbildung 20: A. A. Semenov, ca. 1938; Abbildung 21: S. A. Šor, ca. 1938
Tätergesichter und Orden
Auszeichnungen
Abbildung 22: Lenin-Orden; Abbildung 23: Rotbanner-Orden
Abbildung 24: Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK (V); Abbildung 25: Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK (XV)
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Standpunkt Platon ist tot. Wer Platon interpretiert, führt Gespräche mit sich selbst, in der Doppelrolle des Platonlesers – einmal als Platonleser und dann als Beurteiler des Gelesenen. (Kurt Flasch, Wahrheit und philosophische Methode, 2003) Vor Zuspitzungen soll nicht Halt gemacht werden, wenn aus Vergrößerung nicht Vergröberung und wenn das Hyperbolische nicht durch Plakatives verdrängt wird. (Käte Meyer-Drawe, Die Welt als Kulisse, 2018) Und der Mittelweg ist ja, wie wir wissen, der einzige, der nicht nach Rom führt. (Joachim Kaiser, »Ich widerspreche«, 2017)
Widerspruch Die ausführliche Darlegung der Dokumente war Methode. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Täter sollte möglichst nur nachgezeichnet werden. Zurückgehalten habe ich mich bis jetzt, als sicheres Einfalltor für dogmatischen und ideologischen Import, mit interpretatorischer Erläuterung, Bewertung, Klarstellung und Kontextualisierung. Es wurde versucht, als Fakten dargestellte Informationen, Aussagen und Selbstwahrnehmungen als Fakten anzusehen und selten zu bezweifeln. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass die Auswahl und Zusammenstellung und erst recht die Darlegung von Quellen schon Interpretation sind. Auch um dem Hochmut eines später Geborenen zu entgehen, ging es nicht um eine Entlarvung der Akteure, sondern um die Darstellung der inneren Logik der Welt der Täter
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und um ihre Argumentationsstrategien und darum, ihre Verankerung in der Gesellschaft nachzuzeichnen, ohne jedoch Brüche zu verdecken. Absicht war es Abschnitte zu präsentieren, in denen eine dramatische Geschichte erzählt wird, die »nach Quellen schmeckt« (Kurt Flasch). Quellen strengen an, führen auf falsche Fährten, sind oft unüberschaubar, unendlich wortreich und widersprüchlich. Ihr großer Wert liegt aber darin, dass sie irritieren und gewohnte Denkmuster stören und dabei behilflich sein können, für den Leser und die Leserin nachvollziehbar Autoritäten zu stürzen. Ganz positivistisch dienen sie der Kontrolle des Denkens und dazu, »der Neigung des Verstandes sich an seine Vorlieben zu klammern«, entgegenzuwirken.1 Ziel war es beim Umgang mit dem Material eine möglichst strenge Trennung zwischen Darlegung und Deutung der verwendeten Dokumente anzustreben. Meine eigene Deutung und Kontextualisierung des Materials hat sich dementsprechend auf den nun folgenden Abschnitt »Standpunkt« verschoben. Erst hier werden das Denken, Handeln und Selbstverständnis der Täter bewertet; gekennzeichnet als ein aktuell konstruierter Sinnzusammenhang. Konkret gilt es nun den dokumentarisch dargelegten krassen Widerspruch aufzulösen, dass es 1939-1941 die vor wenigen Monaten im Großen Terror noch allmächtigen Geheimdienstmitarbeiter traf und nicht die konterrevolutionäre trotzkistische Sabotage Organisation, die unter dringendem Tatverdacht gestanden hatte, ein Großfeuer in einem kriegswichtigen Schiffsbaubetrieb verursacht zu haben. Entsprach der Vorwurf der groben Missachtung der sozialistischen Gesetzlichkeit während des Verhörs der in der Obhut des Geheimdienstes befindlichen Häftlinge tatsächlich der Wahrheit? Handelte es sich bei ihnen also um diejenigen, die laut der halböffentlichen2 Erklärung der Moskauer Parteispitze und sowjetischen Zentralregierung vom 17. November 1938 – mit der die Massenverfolgungen des Großen Terrors für beendet erklärt wurden –, durch »Fehler« und »Mängel« die grundsätzlich als richtig und notwendig betrachtete massenhafte innere Feindbekämpfung der vergangenen eineinhalb Jahre in Misskredit gebracht hatten?3 Oder sollten die Geheimdienstmitarbeiter als Sündenböcke für die gerade erst gestoppten sowjetunionweiten Massenverfolgungen 1
2
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Flasch, K., Einfach dem anderen zuhören. Zum Tod des Philosophen Hans-Georg Gadamer, in: Berliner Zeitung. 15.03.2002, S. 13; Meyer-Drawe, K., Die Welt als Kulisse. Übertreibungen in Richtung Wahrheit, Paderborn 2018, S. 13. »Halböffentlich« heißt, dass die Erklärung nicht in der Presse erschien, aber dennoch in der Partei, Regierung und unter den Mitarbeitern des NKVD in Versammlungen breit diskutiert wurde. Der Rat der Volkskommissare der UdSSR und das CK der VKP(b) »Über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Durchführung des Untersuchungsverfahrens«. 17.11.1938, in: Binner, R./Bonwetsch, B./Junge, M., Massenmord und Lagerhaft. Die andere Geschichte des Großen Terrors, Berlin 2009, S. 479-483.
Standpunkt
herhalten, um die Verantwortung von Staat und Partei fern zu halten? Ging es vielleicht nur darum, vor Ort die Clique des gerade erst verhafteten Geheimdienstchefs der UdSSR, N. I. Ežov, zu neutralisieren um erfolgreich die Clique seines Nachfolgers, L. P. Berija, zu etablieren? In welchen ukraine- und sowjetunionweiten Kontext ist die Verurteilung einzuordnen? Der Dreh- und Angelpunkt bei der ausführlichen Ausbreitung der Dokumente war somit die Umbruchssituation kurz vor und kurz nach der Beendigung des Großen Terrors, vom Sommer 1938 bis Sommer 1939. Dieser Zeitabschnitt steht im Zentrum, weil sich die angeklagten Geheimdienstmitarbeiter in diesem Zeitraum zuerst für Staat und Partei in der Offensive befanden, dann aber immer mehr, vor allem persönlich, in die Defensive gerieten und schließlich sogar von ihrem eigenen Staat angeklagt und verurteilt wurden. Näher betrachtet werden nun auch der Mechanismus des Untersuchungsverfahrens und die Prozesse gegen die Angeklagten. Es gilt zu erklären, welche Funktion ihre Verurteilung gehabt haben könnte, welche Interessen die Militärstaatanwaltschaft verfolgte und welchen Sinn die Eingriffe von oben aus der Republikstruktur der Ukraine und aus Moskau hatten. Es werden nun die Umstände der Verhaftung und dann unerwarteten Freilassung der Opfer bewertet und mögliche Gründe genannt, warum es plötzlich zur Anklage gegen die Geheimdienstmitarbeiter gekommen ist. Folgende Leitfragen stehen dabei im Vordergrund: Wiesen die Täter dem sozialistischen Staat und der Partei Mitschuld für das ihnen vorgeworfene Fehlverhalten zu? Sind die Foltervorwürfe und Fälschungen der Untersuchungsakten und Urteile gegenstandslos und dienen nur dazu, die Arbeit des Geheimdienstes zu diffamieren oder war doch etwas an den Vorwürfen dran? Gab es bei den Tätern Momente der Einsicht, gar Reue? Die dargelegten Akten lassen aber nicht nur eine Bewertung der Prozesse, also der Zeit zwischen 1939 und 1941 zu, sondern eröffnen auch die Möglichkeit, einen Rückgriff auf den Großen Terror zu machen. Direkt nach dem Großen Terror war das Gedächtnis der Täter noch frisch, selbstverständlich unter dem notwendigen Vorbehalt, dass ihre Aussagen unter neuen Rahmenbedingungen erfolgten. Es wird gefragt, ob es für sie objektive Gründe gab, die Verhaftung bestimmter, in ihren Augen zweifelhafter Personen zu veranlassen oder haben die Mitarbeiter des NKVD tatsächlich die Fälle, etwa aus Karrieregründen, von vorne bis hinten gefälscht? Waren die Angeklagten Einzeltäter und deformierte Persönlichkeiten, Sadisten, die entgegen allen Anweisungen, Befehlen und Gesetzen die ihnen anvertrauten Häftlinge mit Vergnügen folterten, oder handelt es sich bei ihnen eher um »gewöhnliche Männer« (ordinary men), die in der Regel mit bestem Wissen und Gewissen für Staat und Partei ihre Arbeit gemacht haben und nur durch deren Anstiftung zu Folterknechten mutierten? Kommt man bei ihnen mit dem Begriff »situative Gewalt« weiter? Die Einschätzung des Materials ist inspiriert durch die Täterforschung zu Deutschland, bzw. durch Saul Friedländer, Johann Chapoutot und Stefan Hördler.
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Hier wird deutlicher als in der Sowjetunionforschung das Problem von Determination und Handlungs- bis zu Wahlmöglichkeiten des Individuums bzw. Subjekts in den Vordergrund gestellt. Der Rat des israelischen Historikers Friedländer lautet, entsprechend seinem Forschungsgebiet, den Holocaust als »integrated history« darzustellen: Die Perspektiven der unterschiedlichen Akteure – »the policies of the perpetrators, the attitudes of the surrounding society, and the world of the victims« – sollen zusammen in den Blick genommen werden. Denn man kann, so Friedländer, die gesellschaftlichen Konstellationen ebenso wie die Interaktionen nur nachvollziehen, wenn man das Verhalten der Einzelnen und die historischen Entwicklungen begreift.4 Der Historiker Chapoutot aus Frankreich, ebenfalls ein Spezialist für Nationalsozialismus, stellt »einen Determinismus und Fatalismus, der die Individuen und historischen Akteure zu Gefangenen nicht nur ihrer sozio-ökonomischen, sondern auch kultureller Determinanten macht«, in Frage. Denn »dabei wird die grundlegende Dimension der historischen Existenz jedes Einzelnen ignoriert oder übergangen.« Sein Credo ist, dass »die Akteure […] immer, und sei es nur vorübergehend oder in eingeschränkter Weise, die Möglichkeit [haben] zu wählen und über sich selbst zu bestimmen.«5 Stefan Hördler, deutscher Historiker und Direktor der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, ergänzt: Bei der »Gewichtung subjektiver Triebfedern im Sammelbecken menschlicher Dispositionen« geht es aber »weniger um die persönlichen Motive, sondern [um den] räumlichen und zeitlichen Zusammenhang von Handlungskomplexen. Der analytische Blick auf die Person bleibt dabei nicht auf diese allein fokussiert, sie eröffnet vielmehr eine Perspektive auf weitere Zusammenhänge.«6 Es soll verhindert werden, »Verhalten eindeutig und monokausal [etwa] mit ideologischen Vorgaben zu erklären.«7 Auch Jan Erik Schulte betont zurecht kritisch, dass sich Entscheidungsverläufe nicht immer konsequent auf individuelle Haltungen und Dispositionen zurückführen lassen, sondern die Motivlage und Handlungsvoraussetzungen für größere Kollektive immer neu analysiert werden müssen.8 Bezogen 4 5
6 7
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Friedländer, S., Nazi Germany and the Jews, Vol. 1: The Years of Persecution, 1933-1939, New York 1997, S. 1. Alle drei vorangegangenen Zitate. Vgl.: Chapoutot, J., Die Geschichtsschreibung zum Nationalsozialismus und der Cultural Turn, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2017, № 2, S. 247-257, hier S. 252. Hördler, St., Sichtbarmachen. Möglichkeiten und Grenzen einer Analyse von NS-TäterFotographien, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2017, № 2, S. 259-271, hier S. 262. Chapoutot, Die Geschichtsschreibung zum Nationalsozialismus, S. 253. Den weiteren Schritt Chapoutots damit »verstehen« zu wollen im Sinne von sich hineinversetzen, wird nicht vollzogen. Es bleibt bei der Darstellung von Handlungskomplexen. Schulte, J. E., Individuelle Herrschaftspartizipation im Nationalsozialismus, in: Totalitarismus und Demokratie, 7, 2010, № 2, S. 213-238, hier S. 213 (http://nbn-resolving.de/ urn:nbn:de:0168-ssoar-32189) (abgefragt am 02.12.2018).
Standpunkt
auf die sowjetischen Täter bedeutete dies, sie als integralen Bestandteil der sowjetischen Gesellschaft, gebunden an Ort und Zeit zu beschreiben und gleichzeitig ihre »individuelle Leistung«, ihre individuelle Schuld und Verantwortung herauszuheben; sie nicht ausschließlich als Opfer der Verhältnisse, sondern ebenso deutlich als selbständige Akteure in ihrem konkreten Handeln darzustellen. Grundthese ist, dass gerade eine Umbruchssituation wie die kurz vor und kurz nach der Beendigung des Großen Terrors, deren Kennzeichen die Allmacht und Ohnmacht der Tschekisten ist, besonders tiefe Einblicke in das Verhältnis zwischen Individuum und politischen, sozialen, geographischen und ökonomischen Bedingungen erlaubt. In Krisen- und Wendesituationen zeigen sich, so die Annahme, einerseits der Grad der Internalisierung und Habitualisierung von Normen und Gruppencodes und deren Festigkeit und andererseits die Handlungsmöglichkeiten und -Optionen des einzelnen Individuums.9 Ausgangsthese des nun folgenden Deutungsversuchs der dokumentarischen Darlegung ist: Mit der Verurteilung der Geheimdienstmitarbeiter driftete der Fokus weg von der Einforderung politischer Loyalität von den Mitarbeitern des Ge9
Das Verhältnis von Individuum bzw. Subjekt und System wird auch in der Sowjetunionforschung intensiv diskutiert: Stephen Kotkin sah trotz seiner neuen Einschätzung des Stalinismus als »set of values, a social identity, a way of life« die treibende Kraft im Individuum. Vgl.: Kotkin, St., Magnetic Mountain. Stalinism as a Civilization, Berkley 1995, S. 22. Zur Formung des Bewusstseins und der Handlungen des sowjetischen Menschen als Schnittmenge und Knotenpunkt von Diskursen. Vgl.: Hellbeck, J., Revolution on my mind. Writing a Diary under Stalin, Cambridge 2006; Hellbeck, J./Heller, K. (Hg.), Autobiographical Practices in Russia/Autobiographische Praktiken in Russland, Göttingen 2004; Halfin, I., Terror in my Soul. Communist Autobiographies on Trial, Cambridge 2003; Halfin, I., From Darkness to Light. Class, Consciousness, and Salvation in Revolutionary Russia, Pittsburgh 2000. Sandra Dahlke macht in Rückgriff auf Pierre Bourdieu neben Diskursen die Kategorien Herrschaft und Intention stark, um die Bedeutung von Machtbeziehungen zu unterstreichen. Sie verwendet außerdem zur Verdeutlichung ihres Identitätsbegriffs die ebenfalls von Pierre Bourdieu geprägten Begriffe »Habitus« und »explizites Subjekt« und setzt sich mit seinem »Feldbegriff«, d.h. mit dem Ringen des Subjekts um politisches, soziales und symbolisches Kapital auseinander. Sie wendet sich gegen die von Halfin verwendeten religiösen Codes zur Beschreibung des Verhältnisses von System und Individuum bzw. Subjekt und favorisiert die Untersuchung von Intentionen, Interessen und Emotionen. Vgl.: Dahlke, S., Individuum und Herrschaft im Stalinismus. Emel’jan Jaroslavskij. 1878-1943, München 2010, S. 25-28, 403, 416418. Mit ähnlicher Aufwertung des Subjekts Brigitte Studer und Heiko Haumann. Vgl. insbesondere den Abschnitt: »Kader entscheiden alles« – Die Rückkehr des Subjekts, in: Studer, B./Haumann, H. (Hg.), Stalinistische Subjekte. Individuum und System in der Sowjetunion und der Komintern. 1929-1953, Zürich 2006, S. 12-19. Siehe auch: Schattenberg, S., Stalins Ingenieure. Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren, München 2002; Erren, L., »Selbstkritik« und Schuldbekenntnis. Kommunikation und Herrschaft unter Stalin. 1917-1953, München 2008; Edele, M., Stalinist Society: 1928-1953, Oxford/New York 2011, hier S. 236-243.
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heimdienstes hin zum Postulat der Loyalität gegenüber dem stalinistischen Staat. Mit Hilfe einer hochdidaktischen Aktion sollte durch die systematische Statuierung von Exempeln in allen Republiken und Gebieten der Sowjetunion die Einschwörung des Individuums auf staatliche Strukturen vollzogen werden.
Erziehungsdiktatur Die Verurteilung der Tschekisten im Gebiet Nikolaev hat Anknüpfungspunkte zum Großen Terror. Es wurde, genau wie bei den Massenverfolgungen, nicht punktuell zugegriffen, sondern in einer sowjetunionweiten Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Eine direkte Ähnlichkeit mit den Massenverfolgungen des Großen Terrors ist die geheime Durchführung der Prozesse, auch wenn man sie durch die zahlreiche Beteiligung von Opferzeugen und Zeugen aus dem Kollegenkreis als halböffentlich bezeichnen kann. Gleich ist auch der Zwang zur Verurteilung der genau im Sinne der Kampagne selektierten Angeklagten. Nur ausnahmsweise wurden in einigen wenigen Gebieten der Ukraine einmal angeklagte Tschekisten letztendlich freigesprochen; im Gebiet Nikolaev kein einziger. Im Detail gibt es ebenfalls auffällige Übereinstimmungen. Die Angeklagten hatten, genau wie bei den Massenverfolgungen und den sogenannten Kleinen Prozessen des Großen Terrors, keinen Verteidiger, wobei sich die Angeklagten, im Gegensatz zu den außergerichtlichen Organen der Massenverfolgungen, selbst verteidigen konnten und physisch vor Gericht geladen wurden, was wiederum ein verbindendes Element mit den Kleinen Prozessen ist.10 Gleich ist auch, dass Beweismaterial in der Regel fehlte und die Anklage auf Zeugenaussagen, Gegenüberstellungen und gegenseitigen Bezichtigungen aufgebaut war. Zumindest für das untersuchte Gebiet Nikolaev sind das aber schon alle Gemeinsamkeiten. Der auffälligste Unterschied zum Großen Terror ist die inhaltliche Füllung der Kampagne. Ihre Ausrichtung auf die Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit kann sogar als einmalig für die Geschichte der Sowjetunion gelten, auch wenn es schon 1933 Versuche gegeben hat, Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit im Zuge von Kollektivierung und Industrialisierung umfassend zu bekämpfen.11 Repräsentativ hierfür ist die geheime Direktive des ZK der VKP(b) und SNK der UdSSR mit der Unterschrift Stalins und V. M. Molotovs vom 8. Mai 1933 10 11
Bei den Großen Schauprozessen hatten die Angeklagten Verteidiger. Das Vorgehen der Partei gegen die Exzesse des Geheimdienstes (VČK) in Bezug auf die Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zwischen 1918 und 1921 wird aufgrund der Bürgerkriegsbedingungen als Sonderfall betrachtet. Vgl.: Tepljakov, A. G., Čekisty Kryma v načale 1920-ch gg., in: Voprosy istorii, 2015, № 11, S. 139-145.
Standpunkt
an alle Partei- und Sowjetfunktionäre und OGPU-Organe. Im Dokument werden die Massenverhaftungen und die Umsiedlung von Bauern, die auf dem Dorf von verschiedenen Vertretern der Sowjetmacht, angefangen von den Vorsitzenden der Dorfräte und bis zu den Mitgliedern der Kolchosleitungen durchgeführt wurden, einer heftigen Kritik unterzogen. »Es ist – laut der Direktive – nicht verwunderlich, dass bei einer solchen zügellosen Verhaftungspraxis der Organe, die das Recht haben die Verhaftungen vorzunehmen, darunter die Organe der OGPU und besonders der Miliz, das Gefühl für das richtige Maß verloren gegangen ist, und teilweise sogar Verhaftungen ohne jeden Grund durchgeführt wurden.«12 Schließlich bestanden Stalin und Molotov darauf die Zuständigkeit der Organe der Staatsanwaltschaft und der OGPU und die Aufsicht der Staatsanwaltschaft über die Ausstellung von Haftbefehlen und der Durchführung von Verhaftungen zu beachten, sowie die Rolle der Gerichte zu stärken.13 Der Kirov-Mord stoppte allerdings die Bemühungen und das 1. DezemberDekret des zentralen Exekutivkomitees der UdSSR von 1934 eröffnete im Gegenteil neue Möglichkeiten für den NKVD.14 Dies hieß aber nicht, dass durch das im Geheimdienst und Miliz etablierte System von Kontrolleuren und Sonderbevollmächtigten keine Nachforschungen bei Dienstvergehen mehr durchführt wurden. Selbst während des Großen Terrors fanden, wie der hier untersuchte Fall des Geheimdienstmitarbeiters der Stadtabteilung des NKVD von Cherson Fedjaev15 und der Fall des Leiters des Rajon-NKVD von Vladimirovka Livšic16 gezeigt haben, Ermittlungen statt, die jedoch im Sande verliefen und höchstens zur Entlassung führten bei gleichzeitiger Versorgung mit guten Posten außerhalb des Geheimdienstes.17 12
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Direktiva-instrukcija CK VKP(b) i SNK SSSR »O prekraščenii massovych vyselenij krest’jan, uporjadočenii proizvodstva arestov i razgruzke mest zaključenija«. 08.05.1933, in: Danilov, V./Zelenin, I./Kondrašin, V. u.a. (Hg.), Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivizacija i raskulačivanie. Dokumenty i materialy v 5 tomach. 1937-1939, Tom 3: Konec 1930 – 1933, Moskau 2001, S. 746-750. Fainsod, M., Smolensk under Soviet Rule, Cambridge 1958/1989, S. 185-188. Khlevniuk, O., The Politburo, Penal Policy and »Legal Reforms« in the 1930s, in: Solomon, P., Soviet Criminal Justice under Stalin, Cambridge 1996, S. 190-206, hier 198; Postanovlenie Prezidiuma CIK SSSR. 01.12.1934, http://doc.histrf.ru/20/postanovlenie-prezidiuma-tsik-sssr-ot1-dekabrya-1934-goda (abgefragt 09.03.2018). Vgl. unter: »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vgl. unter: »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Gesetzestreue Gebietsleitung« in der vorliegenden Veröffentlichung. Im Januar 1938 wies Vyšinskij Stalin und Molotov auf »unberechtigte Verhaftungen von Sekretären der Rajonkomitees der VKP(b) und die Anwendung von ungesetzlichen Methoden der Untersuchungsführung durch den NKVD der tatarischen ASSR« hin. Vgl.: A. Vyšinskij I. V. Stalinu i V. M. Molotovu o materialach o neobosnovannych arestach sotrudnikami NKVD Ta-
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Allerdings kam es auch 1939-1941 nicht in allen Gebieten und Republiken der Sowjetunion zu Prozessen. In Georgien haben 1939-1941 keine stattgefunden. Dort blieb es durch den Schutz des neuen Volkskommissars für Inneres der Sowjetunion L. P. Berija bei Ermittlungen, Disziplinarverfahren und Entlassungen. Dagegen führte man aber in der Ukraine wahrscheinlich in allen Gebieten und Republiken entsprechende Prozesse durch.18 Selbst eine Teilung bestimmter Gebiete zwischen 1939 und 1941, wie im Fall des Gebiets Nikolaev, in die Gebiete Nikolaev und Kirovograd, führte in dem neuen Gebiet auch zu Prozessen. Die Verurteilung der Tschekisten erfolgte wegen Dienstvergehen nach § 206, Punkt 17 »a« oder »b« des ukrainischen Strafgesetzbuches. Dieser auf den sowjetischen Staat bezogene Vorwurf ersetzte ab ca. Herbst 1938 fast komplett die Verurteilung von Tschekisten (und anderen Eliten) mit Hilfe politischer Verurteilungspunkte, meist als Trotzkisten. Politische Paragraphen, wie der berüchtigte Artikel 58 – in der Ukraine der analoge Paragraph 54 – mit seinen vielen Unterpunkten, traten in den Hintergrund. Abstrakter formuliert: nicht mehr politische Loyalitätsabweichung stand bei den Eliten an erster Stelle, sondern die Abprüfung der Loyalität zum sowjetischen Staat. Der zwischen 1936 und 1938 bis zur Absurdität auf die Spitze getriebene, entleerte und ritualisierte juristische Nachweis der trotzkistischen (bucharinistischen und zinov’evistischen) Abweichung wurde nicht nur im Falle der Tschekisten zu Gunsten einer wieder rationaleren, diesmal auf den sozialistischen Staat ausgerichteten Verurteilungspraxis ersetzt. Die inzwischen nur noch inszenierte Gegnerschaft zum Trotzkismus hatte als Legitimierung ausgedient. Damit griff der sowjetische Staat bereits im Großen Terror vorhandene Tendenzen auf. Schon bei den Verurteilungen im Rahmen der Massenverfolgungen waren politische Paragraphen bzw. Vergehen eher Beiwerk gewesen, um die Untersuchungsakten wasserdicht zu machen.19 Dieses Vorgehen entbehrt nicht einer
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tarskoj ASSR, in: Voprosy istorii, 2017, № 1, S. 103. Am 27. März 1938 wurde im »Krasnojarskij robočij« (Arbeiter[zeitung] aus Krasnojarsk) in einem Artikel »Wilde Willkür« von einem Leiter der Rajonabteilung der Miliz, einem gewissen Grigor’ev berichtet, der unberechtigter Weise Jugendliche als Hooligans verhaftet hatte. Am 8. Mai 1938 informierte dann dieselbe Zeitung darüber, dass sich alle Fakten bestätigt hätten und der Leiter der Verwaltung der Arbeiter- und Bauernmiliz der Region Krasnojarsk Najdenov befohlen habe Grigor’ev zu entlassen und wegen grober Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit an das Militärtribunal zu übergeben. Außerdem seien alle Mitarbeiter von Rajon- und Stadtmiliz gewarnt worden, dass man sie zur Rechenschaft ziehe, wenn sie die sozialistische Gesetzlichkeit verletzen. Vgl.: Dikij proizvol, in: Krasnojarskij rabočij, 27.03.1938; Krasnojarskij rabočij, 08.05.1938, S. 4. Es liegen definitiv für die Gebiete Kiew, Dnepropetrovsk, Char’kov, Žitomir, Doneck, Odessa, Vinnica, Lugansk, Kirovograd, Poltava, Černigov, Chmelnickij, Kamenec-Podol’sk und die Republik Moldawien Prozessakten vor. Man hat durchaus auch nach 1938 weiterhin den Vorwurf des »Trotzkismus« verwendet, aber nicht mehr systematisch wie in den dreißiger Jahren.
Standpunkt
gewissen Logik. Politische Opposition existierte seit ca. Mitte der dreißiger Jahre praktisch nicht mehr.20 Diese Veränderung hatte für die Sonderbevollmächtigten aus dem NKVD von Nikolaev und der Kiewer Republikstruktur sowie die Juristen des Kiewer Bezirks erhebliche Vorteile. Es war nun nicht mehr notwendig, die Tschekisten erst angestrengt in irgendwelche fiktive trotzkistische Netzwerke einzugliedern und nur nebenbei und sporadisch Dienstvergehen mit einzubeziehen, sondern sie konnten sofort damit beginnen, ihnen Folter, Fälschungen, Korruption und Nichteinhaltung von Befehlen und Richtlinien nachzuweisen. Hinzu kam, dass dies nun nach dem Großen Terror wesentlich einfacher war, zumal die aufgezählten Dienstvergehen vorher toleriert und sogar gefördert, jetzt aber von der obersten politischen und staatlichen Spitze plötzlich als Exzesse eingestuft wurden. Auf den Wegfall der fiktiven und damit auch rechtswidrigen Anklagepunkte und die für die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens getroffene Vorauswahl von den schwärzesten unter den schwarzen Schafen ist zurückzuführen, dass die eigentlichen Untersuchungen und Prozesse von Nikolaev den Eindruck von formaljuristisch relativ sauberen Verfahren erwecken. Aber auch tatsächlich unterschieden sich die Methoden erheblich von denen, die den Tätern zu Last gelegt wurden. Die Angeklagten wurden in der Regel gar nicht und wenn nur ausnahmsweise gefoltert. Auch der psychische Druck auf sie war wesentlich geringer. Es wurde wenig mit Tricks, Täuschung, Manipulation, Übertreibung und Fälschung gearbeitet. Die Prozesse dauerten schlicht viel länger, gingen über mehrere Tage. Den Angeklagten standen alle Materialien zur Verfügung und während des Prozesses konnten sie Entlastungszeugen und weitere Materialien anfordern. Auch die Beweisaufnahme war ausführlich und langwierig. Im Großen Terror hatten die Trojki in ihren jeweiligen, wenn auch oft mehrstündigen Sitzungen, ohne Zeugenanhörung und ohne physische Anwesenheit der Angeklagten am Ende mit einer Unterschrift oft hunderte von Personen zu langer Lagerhaft oder zum Tode verurteilt. Die Gerichtsverhandlungen des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR dauerten 1937-1938 im Schnitt 15 Minuten, selbst wenn die Angeklagten auftreten durften. Die Beweisaufnahme bei Personen, die man über außergerichtliche Organe verurteilte, war auf das Allernotwendigste beschränkt, die Akten des Militärkollegiums, dass Eliten verurteilte, bedeutend umfangreicher, aber immer noch nicht zu vergleichen mit der annähernd 6.000 Blätter umfassenden Karamyšev-Akte.21 Die Prozesse gegen die Tschekisten waren 20 21
Vgl. dazu ausführlich unter »Standpunkt« das Kapitel: »Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz« in der vorliegenden Veröffentlichung. Zu den Ähnlichkeiten und Unterschieden von außergerichtlichen Organen und dem Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR. Vgl.: Junge, M./Kldiašvili, G., Regionalisierung der Verfolgungsmacht, in: Junge, M./Bonwetsch, B. (Hg.), Bolschewistische Ordnung in Georgien. Der Große Terror in einer kleinen kaukasischen Republik, Berlin 2015, S. 86-125.
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unter sowjetischen Verhältnissen wieder normale Gerichtsverfahren, die der außergerichtlichen Organe und des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR des Großen Terrors nicht. Eine Gleichsetzung mit den Prozessen und außergerichtlichen Verfahren des Großen Terrors und die Annahme, die Täter seien nun selbst Opfer desselben Strafsystems geworden, dem sie vorher gedient haben, wäre somit grob vereinfachend. Nicht zu vernachlässigen ist dabei jedoch, dass dieser Wandel nicht einem gesteigerten Rechtsbewusstsein geschult war, sondern darauf zurückging, dass alles in allem betrachtet die Situation 1939-1941 günstiger für die Einhaltung von Recht und Gesetz stand. Staats- und Parteispitze halfen dem Recht wieder zum Durchbruch.22 Dies lässt in den Hintergrund rücken, dass die Anerkennung der Beweise für die Schuld der trotzkistischen Sabotagegruppe in Nikolaev, die der Gebietsgeheimdienst zusammengesammelt hatte, nicht in erster Linie eine Frage der Richtigkeit oder Nichtrichtigkeit waren, sondern ebenso von der jeweils aktuell vorherrschenden, von oben bestimmten gesellschaftspolitischen Tendenz abhingen, was dementsprechend auch für die Bewertung des Verhaltens der NKVD-Täter im Großen Terror in den Jahren 1939-1941 gilt. Tendenz und Recht und Gesetz näherten sich gerade wieder mal gegenseitig an. Die noch zu diskutierende Frage ist dennoch, ob in diesem Kontext nicht doch langfristig eine Entwicklung hin zu insgesamt mehr Rechtssicherheit zu verzeichnen ist, also der stalinistische Staat die selbst angelegten Fesseln auf die Dauer nicht bei jeder Gelegenheit wieder von sich warf.23 Ebenfalls weit weniger positiv zu bewerten ist, dass die Untersuchungskommissionen, die zur Aufnahme der Verfahren führten, und dann anschließend auch die Untersuchungsführer aus derselben Behörde kamen, die sie überprüfen sollten, was allerdings seit 1922 gängige Praxis war. Es handelte sich nicht um professionelle Juristen. Bessere Manipulierbarkeit der Kampagne für die anvisierten staatlichen Zwecke könnte dahintergesteckt haben. Keineswegs hatte die enge Einbindung des NKVD in das Verfahren aber die Funktion, den NKVD zu schützen. Ganz im Gegenteil kann dies als wichtiger Teil des Programms der Kampagne zur Wiederherstellung der sozialistischen Gesetzlichkeit verstanden werden – selbst bei Berücksichtigung der Tatsache, dass die »Selbstuntersuchung« eine Spezifik des sowjetischen bzw. russischen Rechtssystems bis heute ist.24 22
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Eine Ausnahme von der Regel bildeten die von der UdSSR okkupierten Gebiete in Moldawien und im Baltikum, was sich 1945 dann auch in den ebenfalls neu hinzugewonnenen Territorien fortsetzte. Vgl.: Shearer, D., Policing Stalin’s Socialism. Repression and Social Order in the Soviet Union, 1924-1953, New Haven and London 2009, S. 405-436. Vgl. dazu den Abschnitt »Stalinistische Modernisierung« in der vorliegenden Veröffentlichung. Über die Spezifik des russischen Rechtsystems und die Funktion der Staatsanwaltschaft bis heute. Vgl.: Shklyaruk, M., In dubio pro quo? Russland. Freispruchquote und Rechtsstaat, in: Osteuropa, 2017, № 9-10, S. 51-58.
Standpunkt
Die Untersuchungen und Prozesse hatten in Nikolaev, vor dem Hintergrund der Rückholung der Repressionsmacht zurück in das Moskauer Zentrum, eine wichtige erzieherisch-didaktische Funktion. Konzept der sowjetunionweiten Vorgehensweise war: Unter Aufsicht und Leitung des politischen Zentrums in Moskau und der Militärstaatsanwaltschaft untersucht sich der NKVD selbst.25 Erst werden interne NKVD-Kommissionen mit Sonderbevollmächtigten gebildet, die allgemeine Anzeichen von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit des Apparats aufdecken und exemplarisch besonders auffällig gewordenes Personal auf allen Ebenen der Hierarchie und zusätzlich Verantwortliche mit hohen Posten aus der großen Masse von Geheimdienst- und Milizmitarbeitern herausgreifen sollen. Dass eindeutig vorher selektiert wurde und es um das Statuieren von Exempeln ging, möglichst mit aktueller Reichweite, zeigt, dass andere hohe Mitarbeiter, über die auch Foltervorwürfe vorlagen, nicht angeklagt, sondern herabgestuft, versetzt oder ihrer Posten enthoben wurden, wie der ehemalige stellvertretenden Leiter des NKVD von Nikolaev A. F. Pojasov und der ebenfalls bereits am 3. März 1938 degradierte ehemalige Leiter des UNKVD von Nikolaev I. B. Fišer. Parallel laufen in jedem Gebiet Versammlungen des Mitarbeiterstabs des NKVD unter der Beteiligung von Vertretern der Partei und der Staatsanwaltschaft, auf denen Dienstvergehen zu thematisieren sind.26 Als nächster Schritt werden durch 25
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Kobulov berichtete aus Moskau, dass auf Anweisung Berijas drei Viertel des Apparats [des NKVD] in die Überprüfung der Fälle einzubinden sei. Denn allein für die Ukraine lagen zum März 1939 13.000 noch nicht abgeschlossene Fälle vor, die noch überprüft werden mussten. Zum 17. November 1938 waren es sogar ukraineweit noch 15.143 Personen gewesen. Zum 10. Februar waren von den 15.143 Personen 10.130 überprüft und 3.441 Personen wieder in die Freiheit entlassen worden. Die anderen (von 10.130) gingen an verschiedene Gerichte oder die Sonderversammlung. Zu den 15.143 Personen kamen noch 10.808 bereits abgeschlossene Trojka- und Sonderversammlungs-Fälle von Verurteilten, die auf der Grundlage des Berija Befehls № 00762 ebenfalls zu überprüfen waren. Dies summiert sich auf ca. 26.000 Fälle für die ganze Ukraine. Für das Gebiet Nikolaev befanden sich zum 17. November 1938 914 Personen in den Gefängnissen, deren Fälle noch nicht abgeschlossen waren. Zum 10. Februar 1939 immer noch 777. Zusätzlich hatte man 853 »Alt–Fälle« von bereits abgeschlossenen Trojka- und Sonderversammlungs-Fällen bearbeitet. Von diesen Alt–Fällen waren zum 10. Februar 1939 216 dann wieder frei gelassen, an das Militärtribunal 46 Personen, an das Gebietsgericht 548 und an die Sonderversammlung 43 Personen weitergereicht worden. Vgl.: Protokol operativnogo soveščanija pri NKVD USSR. 02.03.1939, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 324, L. 65; Spravka zam. nač. specotdela NKVD USSR Smirnova o sledstvennoj rabote organov NKVD USSR za vremja 17.11.1938 po 10.02.1939. 14.02.1939, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 360, L. 101-110; Svodka zam. nač. specotdela NKVD USSR Smirnova o razchode razgruzki sledsvennych arestovannych organov NKVD USSR za vremja 17.11.1938 po 20.02.1939. Bez daty, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 360, L. 141. Ausgerechnet für das Gebiet Nikolaev ist aber nicht sicher, ob solche Sitzungen stattgefunden haben.
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Militärtribunale der Truppen des NKVDeinige (spektakuläre), noch vom Geheimdienst vorbereitete Prozesse platzen gelassen und die Opfer freigesprochen. Dann werden halböffentliche Prozesse mit vielen Zeugen aus der Elite (Partei-, Funktionsund Tschekistenapparat) und einigen wenigen (Opfer-)Zeugen aus der Bevölkerung bewusst vor Ort in den NKVD-Gebäuden der Gebiete oder sogar der Rajons durchgeführt. Ziel ist, einerseits die vergangene Arbeitsweise des Apparats anhand konkreter Beispiele zu kritisieren und die zukünftige Arbeitsweise festzulegen. Andererseits werden die bei den Prozessen auftretenden, möglichst voll zu rehabilitierenden Zeugen aus Partei- und Funktionselite und der einfachen Bevölkerung dazu eingespannt, informell weiterzutragen, dass die Schuldigen für die massenhaften Verfolgungen der vergangenen Jahre beim NKVD zu finden sind und nun, von der hintergangenen Partei- und Staatsspitze, energisch gegen sie vorgegangen wird. Der geradezu triumphale Empfang der freigelassenen Mitarbeiter der Werften von Nikolaev durch die Kollegen bestätigte den Erfolg dieses Konzeptes, stellvertretend für alle Regionen der Sowjetunion. Unterhalb der Durchführung der Prozesse sollen viele Mitarbeiter des NKVD wegen Dienstvergehen, die mit der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zusammenhingen mit Verweisen belegt, versetzt und sogar entlassen werden, was auch geschah. Die didaktische Funktion beschränkte sich auf dieses Feld. Massenhafte Rehabilitierung von bereits verurteilten Opfern der Massenverfolgungen und auch der verurteilten Eliten hat es nicht gegeben. Lediglich einzelne Fälle sind zu verzeichnen.27 Man schaute – typisch stalinistisch – nur in die Zukunft. Was gestern war, blieb gültig und im Grundsatz richtig. Von Glück reden konnten, mit wenigen Ausnahmen, nur die Opfer, deren Fälle noch nicht abgeschlossen, oder abgeschlossen, aber noch nicht realisiert gewesen waren. Es hat sich gegenüber früheren Forschungen sogar der Eindruck verfestigt, dass es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Niederschlagung von Urteilen von Opfer und der Kampagne der Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit gegeben hat, bzw. die Revisionen Mittel zum Zweck der Disziplinierung und Umorientierung des Geheimdienstes waren. So scheint es, dass in der Hauptsache nur Verfahren und Urteile von Opfern außer Kraft gesetzt wurden, die dazu beitrugen, »Exzesstäter« zu verurteilen. Der klägliche Rest ging auf persönliche Initiative von einflussrei27
Zwischen dem 17. November 1938 und 10. Februar 1939 wurden für die Ukraine, rechnet man lediglich auf der Basis der Operation nach Befehl № 00447 und der zu vernachlässigenden Zahlen der Sonderversammlung, nur 2,8 % (3441x100/121994=2,8 %) freigelassen, für das Gebiet Nikolaev sogar nur 1,1 % (216x100/18930=1,1 %), wobei schon die Übergabe der Fälle an das Gerichtswesen und die Sonderversammlung (ukraineweit 10.130-3441= 6689 Personen, Nikolaev 853-216=637 Personen) die Chance auf Freilassung wesentlich erhöhte. Vgl.: Protokol operativnogo soveščanija pri NKVD USSR. 02.03.1939, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 324, L. 65; Sowjetunionweite Verfolgungsstatistik, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 648-649.
Standpunkt
chen Personen zurück, die Interesse an einer Niederschlagung des Urteils gegen bestimmte Personen hatten.28 Entsprechend des informellen, halbgeheimen Charakters der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit blieb die Presse, mit wenigen, allerdings wichtigen Ausnahmen auf Republik- und Gebietsebene, außen vor. In der Ukraine druckte das Zentralorgan der KP(b) der Ukraine »Kommunist« Ende Dezember 1938, Anfang Januar 1939 an drei Tagen auf den hinteren Seiten einen Bericht über einen laufenden Prozess gegen Tschekisten aus Moldawien wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit.29 Auch in Sibirien wurde ein ähnlicher Prozess in der Presse behandelt.30 Für die Ukraine kann nachgewiesen werden, dass die Zeitungsartikel und der öffentlich durchgeführte Prozess in Moldawien trotz ihrer Einzigartigkeit in der Ukraine ihre Wirkung beim ukrainischen Geheimdienstapparat und der Bevölkerung nicht verfehlt haben.31 Sie schlugen ganz im Gegenteil ein wie eine Bombe; schon deshalb, weil in den Zeitungsartikeln offen zu lesen war, dass alle vier Angeklagten zum Tode verurteilt wurden.32 28
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Vgl. die Diskussion über die Gründe für die nur sporadische »Rehabilitierung« von Opfern bei: Ščelkunov, A. A., Ot žaloby k osvoboždeniju. Organy prokuratury i NKVD v reabilitaciii 1939-1941 g., in: Rossijskaja istorija, 2017, № 3, S. 103-118. Vgl. auch: Ujmanov, V. N., Byla li »Berievskaja ottepel’« v SSSR? K voprosu o reabilitacii žertv repressij, in: Vestnik Tomskogo gosudarstvennogo universiteta, 2012, № 358, S. 39-45; Varfolomeeva, M. I., Osobennosti repressivnoj politiki sovetskoj vlasti v konce 1930-ch godov, in: Naučnye vedomosti Belogorodskogo gosudarstvennogo universiteta. Serija: Istorija, 41, 2008, № 1, S. 103-109. Siehe auch das Kapitel »Rehabilitierung der Opfer« in: Massenmord und Lagerhaft, S. 551-585. Sprava grupy kolyšnich spivrobitnykiv NKVS Moldavs’koї ARSR, in: Komunist, 5876, 30.12.1938, № 299, S. 4; 5877, 31.12.1938, № 300, S. 4; 5878, 01.01.1939, № 1, S. 4. Veröffentlicht auch in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 481-491. Vgl.: Tepljakov, A. G., »Detskoe delo« v Kuzbasse: k voposu o podopleke otkrytogo processa 1939 g. nad čekistam – »narušiteljami zakonnosti«, in: Sudebnye političeskie processy v SSSR i kommunističeskich stranach Evropy: sbornik materialov franko–rossijskogo seminara (Pariž, 29-30 nojabrja 2010 g.), Novosibirsk 2011, S. 141-154. Bisher ist nur die Erwähnung von solchen Prozessen in der Presse für Sibirien und die Ukraine nachweisbar. Veröffentlicht sind die entsprechenden Zeitungsartikel in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 481-514. Außerdem sind zentrale Teile der Unterlagen zum Prozess in Moldawien (Anklageerhebung, Anklageschrift, Prozessprotokoll und Urteil) abgedruckt in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 143-189. Zum Prozess in Moldawien vgl. auch unter »Standpunkt« das Kapitel »Feinjustierung« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vgl. die folgenden Dossiers zur Reaktion der Bevölkerung: Dokladnaja zapiska № 7519 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudebnyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 30.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 783-786; Dokladnaja zapiska № 7524. 31.12.1938, in: Ebd., S. 488-491; Dokladnaja zapiska № 7534. 31.12.1938, in: Ebd., S. 491494; Dokladnaja zapiska № 7537. 31.12.1938, in: Ebd., S. 494-496. Der Sekretär der Rajonabteilung des NKVD von Vladimirovka des Gebiets Nikolaev I. P. Iljuščenko nahm u.a. auch den Prozess gegen NKVD–Kader in Moldawien zum Anlass, über
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Um letztendlich verstehen zu können, wie stark die öffentliche Erwähnung der Prozesse gegen die Mitarbeiter des NKVD auf das sowjetische Publikum gewirkt haben, sollte man sich zusätzlich das Bild ins Gedächtnis rufen, dass Mitte der dreißiger Jahre in Presse und Literatur von einem Tschekisten gezeichnet worden war. So erschien im Herbst 1936, am Vorabend des Großen Terrors in voller Länge das bekannte »Pädagogische Poem« von A. S. Makarenko, in dem der Autor die Mitarbeiter der Staatssicherheit als sowjetische Übermenschen beschrieb: »Der Tschekist hat einen sehr hohen Intellekt, gepaart mit Bildung und Kultur, der [aber] niemals den in meinen Augen hasserfüllten Ausdruck eines russischen Intellektuellen übernommen hat. […] Tschekisten sind sehr prinzipientreue Menschen, aber für sie sind Prinzipien keine Augenbinde […]. Für Tschekisten sind Prinzipien ein Gradmesser, dessen sie sich genauso ruhig wie angemessen bedienen, ohne Eile und ohne die Hast einer von der Jagd aufgedrehten Katze […]. Ich habe noch viele andere Besonderheiten entdecken können: eine alles durchdringende Munterkeit, Verschwiegenheit, die Antipathie gegenüber Klischees, die Unfähigkeit sich auf dem Sofa auszuruhen oder den Bauch auf den Tisch zu legen, dann die fröhliche, aber grenzenlose Leistungsfähigkeit, ohne Leidensmiene und Scheinheiligkeit, ohne jegliche Andeutung abstoßender ›heiliger Aufopferung‹. Schließlich habe ich jene edle Materie gesehen und wahrgenommen, die ich nicht anders als mit sozialem Klebstoff benennen kann: Dieses Gefühl für die gesellschaftliche Perspektive, die Fähigkeit in jedem Augenblick der Arbeit alle Mitglieder des Kollektivs im Auge zu behalten, dieses ständig präsente Wissen von den großen, gesamtgesellschaftlichen Zielen, ein Wissen, dass trotzdem niemals den Charakter eines Buchstabenglaubens und großmäuligen, leeren Geschwätzes annimmt.«33 Das didaktische Konzept der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit hatte für die stalinistische Formation von Partei und Staat nur Vorteile. Die Verurteilung der Tschekisten und die Freilassung der Ingenieure und der Personen vom Lande war ein zentraler Baustein zur Beruhigung der Situation, ohne dass aber echte Zugeständnisse an die Gesellschaft gemacht werden mussten. Der einmal eingeschlagene Weg des radikalen Umbaus von Ökonomie und Gesellschaft konnte ganz im Gegenteil ohne jegliche Abstriche beibehalten werden. Die Führung folgte damit einem bereits Anfang der dreißiger Jahre erprobten Schema.
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Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit seines ehemaligen Chefs Z. D. Livšic zu berichten. Vgl.: Raport sekretarja Vladimirovskogo RO NKVD nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševu. 08.01.1939, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 31019, T. 3, L. 3-4. Der Prozess in Moldawien war in der Ukraine allgegenwärtig. Auch wird er auf den operativen Versammlungen und den Parteiversammlungen des NKVD immer wieder erwähnt. Außerdem ist er immer wieder Thema in den Voruntersuchungen zu den Prozessen gegen die Tschekisten. Makarenko, A. S., Pedagogičeskaja poema, Moskau 1937, Bd. 2, S. 214-215. Andrej Savin Dank für den Hinweis auf das Zitat.
Standpunkt
Wie schon nach dem Höhepunkt der Kollektivierungs- und Industriealisierungskampagne folgte auch auf den Großen Terror die Bestrafung der »Übertreiber«.34 Wieder galt es »Exzesse« zu ahnden, was wiederum heißt, dass nicht von den ursprünglichen Zielen abgerückt wurde und klare Grenzen für Kritik gesetzt blieben.35 Dass diese Strategie der Abkühlung auch jetzt wieder funktionierte zeigt, dass selbst die jungen Aufsteiger und Nutznießer des stalinistischen Systems, wie der Erste Parteisekretär von Nikolaev P. I. Starygin und sein Nachfolger S. I. Butyrin es sehr schnell verstanden, dass die Jagd nach Feinden, sprich Loyalitätsabweichlern, ab jetzt nicht mehr systematisch, sondern nur noch selektiv betrieben werden durfte und außerdem die Feindrhetorik insgesamt zurückzufahren und, besonders wichtig, das öffentliche Anprangern von konkreten Personen stark einzuschränken ist.36 Vorzuwerfen ist dem Regime, dass mit dieser Konzeption das Leiden der verhafteten Opfer aufgrund der relativ langen Übergangsphase nach dem gemeinsamen Beschluss des ZK der Partei der Sowjetunion und der Regierung vom 17. November 1938 zur Beendigung der Massenverfolgungen, in der man die Akteure und Statisten der Kampagne ausgewählt hat, stark verlängert wurde. Die Täter drangsalierten die Opfer auch nach dem 17. November weiter, diesmal in eigener Sache um sich selbst vor einer Anklage wegen Dienstvergehen zu schützen. In welchem Maße aber auch die Grenzen zwischen Tätern und Opfern fließend waren zeigt, dass die eigentlichen Opfer, also die gefolterten Gefangenen, den ihnen zugefügten Schaden als unrechtmäßig verurteilten, gleichzeitig aber, speziell der ebenfalls gequälte ehemalige Zweite Sekretär des Stadtsowjets von Nikolaev, D. F. Kobcev, Verständnis dafür hatte, das »bei Banditen und ähnlichem, physische 34 35
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Peregibčiki. Savin, A., Pis’ma vo vlast’ kak specifičeskaja forma političeskoj adaptacii sovetskich graždan v 1930–e gody, in: Vestnik Novosibirskogo gosudarstvennogo universiteta. Serija: Istorija, filosofija, 15, 2016, № 8, S. 133-145, hier S. 135-136, 141. Starygin stand im Mai 1938 an vorderster Front bei der Bekämpfung jeglicher Art von Feinden bis in seinen engsten Umkreis hinein. Im Februar 1939, ein knappes Jahr später hielt er sich ganz heraus und wechselte von der örtlichen Politik nach Kiew in das Volkskommissariat für Lebensmittelindustrie. Butyrin, nun Erster Sekretär, beließ es 1939 bei allgemeiner Feindrhetorik und der Aufforderung zur bolschewistischen Wachsamkeit. Ähnlich auch die anderen Beiträge, selbst zur kriegswichtigen Schiffsbauindustrie. Siehe im Vergleich: Protokol i stenografičeskij otčet pervoj oblastnoj partijnoj konferencii KP(b) U Nikolaevskoj oblasti. 24.–29.05.1938, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 3, L. 1-271; L. 1-19 (Starygin); Protokol i stenogramma vtoroj konferencii KP(b) U Nikolaevskoj oblasti. 26.02.–01.03.1939, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 35, L. 1-186, insbesondere L. 2-6 (Butyrin), L. 88-92 (Samarin, Direktor der Fabrik Marti), L. 127-135 (M. G. Piven’ über die Meeresflotte), L. 163-165 (Fillipov und Mansimov, gegen die massenhafte Säuberung der Partei und für eine differenzierte, individuelle Herangehensweise).
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Mittel der Einwirkung« angewendet wurden.37 Außerdem war der Zweite Sekretär des Gebietskomitees von Nikolaev D. Ch. Derevjančenko, der nun ebenfalls zu den Opfern gehörte, als Mitglied der außergerichtlichen Kulaken-Trojka 1938 daran beteiligt gewesen, viele Menschen zum Tode oder zu Lagerhaft zu verurteilen.38
Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung Der russische Historiker Oleg Chlevnjuk betont die Inkonsequenz der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit: »Trotz der bemerkenswerten Aktivität des Parteiapparats und der Staatsanwaltschaft bei der Ahndung der Verbrechen des NKVD sind die Organe der Staatssicherheit aus der aktuellen Säuberung im Großen und Ganzen mit weit weniger großen Verlusten, als man hätte erwarten können, herausgekommen.«39 Seine Einschätzung, bei der er die Schlüsselrolle der Sonderbevollmächtigten des NKVD ganz vernachlässigt, beruht allerdings ausschließlich auf der Analyse zentraler Moskauer Dokumente, die noch dazu nicht sehr reichlich gesät sind. Aus diesem Blickwinkel kann tatsächlich der Eindruck entstehen, dass der neue Volkskommissar des Inneren L. P. Berija mit Billigung und sogar punktueller Unterstützung Stalins eine effektive Gegenkampagne zur Bewahrung der »Ehre der Uniform« seines Dienstes entfacht und damit die eigentliche Kampagne bis zur Unkenntlichkeit verwässern hat.40 Unterstützung findet Chlevnjuk, wenn auch aus anderer Perspektive, sogar bei Autoren, die sich näher mit den Prozessen gegen Tschekisten wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit von 1939-1941 befasst haben und regionales Material mit einbeziehen. So streicht Aleksej Tepljakov, ebenfalls Historiker aus Russland, zunächst heraus, wie Chlevnjuk auch, dass die Verurteilungen der Tschekisten wegen Dienstvergehen ab Herbst 1938 durchaus eine neue Erscheinung war.41 Er unterscheidet im Gegensatz zu Chlevnjuk dabei aber zwei 37 38 39 40
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Protokol zakrytogo sudebnogo zasеdanija VT… 27.12.1940-04.01.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 201. Postanovlenie staršego sledovatelja osoboj inspekcii OK KGB pri SM USSR P. Krocha o prekraščenii sledsvii. 26.04.1956, OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, D. 2592, L. 299-308, hier L. 303. Chlevnjuk, O., Chozjain. Stalin i utverždenie stalinskoj diktatury, Moskau 2010, S. 362. Vgl. dazu auch die noch stark unter dem Eindruck der zentralen Dokumente stehende Analyse des Telegramms Stalins vom 10. Januar 1939 an die Republik-, Regions- und Gebietsebene der Partei und des NKVD über die Zulassung von Mitteln »physischer Einwirkung« durch das ZK der VKP(b) 1937 und der zahlreichen Schreiben Berijas an die Staatsanwaltschaft: Stalins »Hilfestellung« für den NKVD, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 466-469. Auch vor Herbst 1938 wurden Tschekisten wegen Dienstvergehen verurteilt, aber diese Verbrechen traten in der Regel immer zusammen mit trotzkistischer Verschwörungstätigkeit im NKVD auf, dann aber verschwand der Vorwurf der trotzkistischen Verschwörung ganz und
Standpunkt
außergewöhnliche Entwicklungen. Er stellt erstens einen Paradigmenwechsel fest, nämlich, dass bis Herbst auffällig gewordene Tschekisten in der Regel wegen »konterrevolutionärer Tätigkeit« verurteilt wurden, danach aber plötzlich durchgehend wegen Dienstvergehen, und noch dazu zu harten Strafen wie zum Tode und zu langer Lagerhaft. Dies sei zweitens vor allem deshalb etwas Besonderes gewesen, weil sich die vorherige Strafverfolgungspolitik der Sowjetmacht, mithin die der zwanziger und dreißiger Jahre, durch einen »nachsichtigen Umgang mit Verbrechen, die von den ›Eigenen‹ im Kampf gegen ›Volksfeinde‹ begangen wurden« auszeichnete.42 Kritisch sieht Tepljakov – und nährt damit aus seiner Perspektive erheblich das »Inkonsequenz«-Argument Chlevnjuks –, dass »ein bedeutender Teil« der zu Lagerhaft verurteilten Tschekisten durch eine breite Amnestie schon kurz nach ihrer harten Verurteilung begnadigt und an die Front geschickt wurden, sich dort bewähren konnten, Auszeichnungen erhielten und nicht selten während des Krieges und auch danach wieder Geheimdienstaufgaben übernommen haben.43 Auf diese Weise ist es den bestraften Mitarbeiter gelungen, sich »faktisch zu rehabilitieren«, so der Autor weiter.44 Tepljakov behauptet sogar – ohne dies allerdings empirisch zu belegen –, dass durch diese spezielle Form der Amnestie in die Armee und den Geheimdienst Personen eingesickert sind, »die es darauf abgesehen hatten, sich endgültig in den Augen der Macht zu rehabilitieren, indem sie [wieder] die gewohnte Praxis der Fälschung großer Fälle und des Erhalts von notwendigen
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auf unterer Ebene sogar oft auch noch der Vorwurf der Verschwörung im NKVD. Nur auf zentraler Moskauer Ebene und bei den in Moskau verurteilten Tschekisten spielte der Vorwurf der Verschwörung im NKVD noch eine Rolle wie z.B. die Fälle Percov und Dolgušev zeigen. Vgl.: Bažan, O./Zolotar’ov, V., Vysuvanec’ Mikoly Ježova abo Trajektorija zletu ta padinnja kapitana deržavnoї bezpeky Oleksija Dolguševa, in: Krajeznavstvo, 2013, № 4, S. 233-246. Tepljakov, A., Amnistirovannye čekisty 1930–ch gg. v period Velikoj otečestvennoj vojny, in: Klio, 2012, № 7, S. 69-76, hier S. 69. Formal stellt Tepljakov eine Kontinuität zur Strafpraxis Anfang der dreißiger Jahre fest, dass verurteilte Tschekisten frühzeitig wegen guter Führung zur Arbeit im Lagersystem entlassen wurden. Ebd., S. 69. Dazu führt der Autor zahlreiche Beispiele an: Ebd., S. 69-76. Vgl. auch seine neueste Arbeit gemeinsam mit Andrej Savin: Savin, A./Tepljakov, A., »Čistka čistil’ščikov« kak instrument disciplinirovanija NKVD. Sotrudniki UNKVD po Odesskoj oblasti na skam’e podsudimych, 1939-1943 gg., in: Junge, M./Viola, L./Rossman, D. (Hg.), Čekisty na skam’e podsudimych. Sbornik statej, Moskau 2017, S. 271-369. Ob es einen offiziellen Befehl gegeben hat, der eine Amnestie für abgestrafte Tschekisten und Milizmitarbeiter anordnete, ist unbekannt. Bekannt ist, dass L. P. Berija sich im Dezember 1941 mit der Bitte an Stalin wandte im Zuge des Mangels an Kadern für die Front, 1.610 Tschekisten, die in der Hauptsache ihre Strafe wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit absitzen, zu entlassen. Vgl.: Chaustov, V. N. u.a. (Hg.), Lubjanka. Stalin i NKVD-NKGB-GUKP »SMERŠ«. 1939-mart 1946. Archiv Stalina. Dokumenty vysšich organov partijnoj i gosudarstvennoj vlasti, Moskau 2006, S. 563. Tepljakov, Amnistirovannye čekisty, S. 75.
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Geständnissen mit allen nur erdenklichen Methoden anwendeten.«45 Auch deshalb haben, so Tepljakov abschließend im gleichen Duktus, die klassischen Methoden des Stalinschen Geheimdienstes wie »Provokationen, die Verwendung von Zellenagenten, darunter Personen, die man zum Erschießen verurteilt hatte, Täuschung, Erpressung, Einschüchterung und auch Schlagen und Folter« überlebt.46 Das von Tepljakov beobachtete Phänomen der Entlassung von verurteilten Tschekisten in die Armee ist auch für das Gebiet Nikolaev nachweisbar. Einmal für den zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilten Leiter der Rajonabteilung der Miliz von Dolins’k P. Ja. Korobcev. Er wurde auf der Grundlage eines Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 9. Dezember 1941 amnestiert und an die Front geschickt. Ob er in der Armee mit Geheimdienstaufgaben betraut wurde und ob er nach dem Krieg wieder für den Geheimdienst gearbeitet hat, ist indessen unklar. Sicher ist, dass er 1948 wieder in die Partei aufgenommen wurde und 1956 als stellvertretender Vorsitzender des Stadtexekutivkomitees der Stadt Zalatonoša und Leiter der städtischen Kommunalwirtschaft gearbeitet hat, also zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für den Geheimdienst tätig war.47 Der zweite Fall ist der ehemalige Leiter der 5. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev F. T. Ovčinnikov. Er wurde aus dem Lager in Sibirien entlassen und am 27. April 1943 vom Rajonmilitärkommissariat von Novosibirsk (Rajon Novosibirsk des Gebiets Novosibirsk) in die Rote Armee einberufen. Hier diente er bis zum 29. Juli 1945 als Feldwebel und Sanitäts-Unteroffizier in der ersten militärischen Einheit (Batterie) des mit dem »Rotbannerorden« »Aleksandr Nevskij« ausgezeichneten 790-ten Artillerieregiments der Roten Armee. Am 29. Juli 1945 zeichnete man ihn mit der Tapferkeitsmedaille48 für den Kampf um das südöstliche Berlin beim Dorf Klein-Köris aus. Daraus folgt, dass Ovčinnikov in der Armee keine Geheimdienstaufgaben wahrgenommen hat und wahrscheinlich danach ebenfalls nicht mehr. Dennoch blieb er, genau wie Korobcev, in Freiheit. Er hatte sich durch seinen Dienst in der Armee bewähren können.49 Auch der zu 5 Jahren verurteilte ehemalige Sekretär der Rajonabteilung des NKVD von Elanec des Gebiets Nikolaev I. F. Martynenko wurde durch das Rajonmilitärkommissariat von Belomorsk der 45 46 47
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Ebd., S. 69, 75. Ebd., S. 75. Zapros v KGB SSSR i otvеt ob ispolzovanii P. Ja. Korobceva po vypolneniju speczadanija. [Bez daty], OGA SBU, Kropivnickij, F. 5, D. 6941, L. 262-264; Protokol doprosa P. Ja. Korobceva. 05.04.1956, ebd., L. 107-111 ob, hier L. 107. Die Stadt Zalаtonoša befindet sich im heutigen Gebiet Sumy der Ukraine. Za otvagu. Prikaz podrazdelenija № 102/n 790 artillerijskomu Krasnoznamennomu ordena Alekssandra Nevskogo polka. 29.07.1945, CAMO, F. 33, Op. 687572, D. 305. № zapisi 37239219. Siehe: https://pamyat-naroda.ru/heroes/podvig-chelovek_nagrazhdenie37239223/ (abgefragt am 03.03.2017).
Standpunkt
Karelo-Finnischen SSR (Rajon Belomorsk), also dem Ort, wo er sich im Lager befand, 1941 in die Armee geschickt. In den Armee-Unterlagen stimmen Name, Geburtsjahr und der Geburtsort überein. Er erhielt am 6. September 1944 die Tapferkeitsmedaille und am 9. März 1945 die Medaille »Für Großtaten beim Kampfeinsatz«.50 Als in die Armee entlassen tritt zusätzlich der zu 8 Jahren Lagerhaft verurteilte ehemalige Milizmitarbeiter G. I. Barvinok auf. Sein Einzug in die Rote Armee als einfacher Soldat erfolgte am 10. März 1942 durch das Rajonmilitärkommissariat von Kamenskij des Gebiets Kirovograd. Im Februar 1944 schied er als vermisst aus der Armee aus.51 Möglicherweise wurde auch A. P. Protopopov amnestiert und diente in der Roten Armee. So erhielt ein Anatolij Petrovič Protopopov am 19. Januar 1943 den »Rotbannerorden« und am 22. August 1944 eine Medaille für die »Verteidigung Leningrads«. Der Geburtsort, die Stadt Nikolaev, stimmt überein, aber das Geburtsdatum weicht mit 1895 um zwei Jahre von dem im Prozess angegeben Jahr 1897 ab.52 Die These Chlevnjuks von der Inkonsequenz und Oberflächlichkeit, und damit letztendlich der Wirkungslosigkeit der Kampagne, kann auf der Grundlage der Materialien aus dem Gebiet Nikolaev dennoch in Frage gestellt werden. Die Kampagne hatte, zumindest in diesem Gebiet, so die Gegenthese, eine enorme Breiten-, Tiefen- und damit auch Langzeitwirkung. Als Beweis dafür werden hier zum einen nochmal die Zeugen der Anklage der realisierten Prozesse und zum anderen die letztendlich nicht strafrechtlich verfolgten Mitarbeiter des NKVD, die aber dennoch wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit durchleuchtet wurden, in Augenschein genommen. Die erste Gruppe, die Zeugen der Anklage, werden vor allem statistisch betrachtet. Im LivšicProzess waren 38,5 % der Zeugen (ehemalige) Mitarbeiter des NKVD von Vladimirovka, weitere 50 % entweder informelle Mitarbeiter dieses Rajons oder Personen, die hier zentrale Posten, wie Dorfrats- oder Kolchosvorsitzender bekleidet hatten. Sie wurden nun zu ihren während des Großen Terrors gemachten kompromittierenden Aussagen befragt. Nur zwei Personen (7,7 %) waren Zeugen, die selbst Opfer 50
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Martynenko, Ivan Filippovič. Seržant, CAMO. Kartoteka nagraždenij. Škaf 56. Jaščik 2. Siehe: https://pamyat-naroda.ru/heroes/podvig-chelovek_kartoteka1269534370/(abgefragt am 08.03.2018). Spisok voennoslužaščich, s kotorymi sem’i poterjali svjaz’ po M. K. Aleksandrovskomu rajonu Kirovogradskoj oblasti. 30.05.1947, CAMO, F. 58, Op. 977520, D. 596. Siehe: https://pamyatnaroda.ru/heroes/memorial-chelovek_dopolnitelnoe_donesenie61575206/ (abgefragt am 03.03.2018). Prikaz podrazdelenija № 1/n. 19.01.1943, CAMO, F. 33, Op. 686044, D. 4317. № zapisi 22436298. Siehe: https://pamyat-naroda.ru/heroes/podvig-chelovek_nagrazhdenie22436321/ (03.03.2017); Аkt № 26 vručenija medali »Za oboronu Leningrada«. 22.08.1944, CAMO, F. 138, D. 39. Siehe: https://pamyat-naroda.ru/heroes/podvig-chelovek_nagrazhdenie1533725261/ (abgefragt am 03.03.2018).
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des Rajon-NKVD gewesen und gerade eben in die Freiheit entlassen worden waren. Bei einem Zeugen (3,8 %) handelte es sich um einen Entlastungszeugen für die Täter.53 Beim Korobcev/Demčuk Prozesses betrug das Verhältnis von MitarbeiterZeugen (3 Personen) und Opferzeugen (1 Person) ¾ zu ¼ (75 % zu 25 %). Im ersten Prozess gegen Ovčinnikov waren 19 der insgesamt 26 Zeugen, also 73 %, folglich mehr als 2/3 der Zeugen NKVD-Mitarbeiter, die zur Tatzeit in den NKVD-Strukturen von Nikolaev, einschließlich des zentralen Nikolaever Gefängnisses, gearbeitet hatten. Nur knapp 1/3, bzw. 27 % der Zeugen, insgesamt 7 Personen, waren entweder freigelassene Opfer (4 Personen) oder Personen (3 Personen), die der NKVD unter Druck verhört hatte, um in der Hauptsache kompromittierende Aussagen über den Militär Gorodinskij zu erhalten. Sie werden hier, weil sie ihre Aussagen nicht freiwillig gemacht haben, auch als Opferzeugen gezählt.54 Im zweiten Prozess gegen Ovčinnikov war das Verhältnis ähnlich, bzw. veränderte sich nur ein wenig zu Gunsten der Zeugen aus der NKVD-Struktur.55 Beim Fedjaev-Prozess56 ist die Lage komplizierter. Beim ersten Prozess traten insgesamt 16 Zeugen auf. Davon waren nur 4 Personen (25 %) aktuell noch beim NKVD beschäftigt. 3 weitere (19 %) waren im Tatzeitraum Mitarbeiter gewesen. An reinen Belastungszeugen ohne Zugehörigkeit zum NKVD und auch keine Oper sind 2 Personen (12 %) zu verzeichnen. 7 Opferzeugen (44 %) waren geladen. Beim zweiten Fedjaev-Prozess erhöhte sich die Anzahl der Zeugen um ein gutes Drittel auf 25 Personen. Wieder nur 24 % (6 Personen) sind Mitarbeiter und zusätzlich ein (4 %) ehemaliger Mitarbeiter. Die Anzahl der reinen Belastungszeugen (ohne Opferstatus) schwillt von 12 % auf 48 % (12 Personen) an. Der Anteil der Opferzeugen geht von 44 % mit 24 % (6 Personen) auf fast die Hälfte zurück. Auf bestimmte Weise geordnet ergeben diese Zahlen folgendes Bild: Im LivšicProzess traten 88,5 % (38,5 %+50 %), d.h. fast 90 % Zeugen auf, die im Rajon-NKVD von Vladimirovka gearbeitet oder diesen Rajon mit betreut hatten. Darin eingeschlossen sind auch Zeugen, die dem Rajon-NKVD als informelle Mitarbeiter oder örtliche Eliten mal mehr, mal weniger freiwillig zugearbeitet hatten. Der klägliche Rest von gut 10 % (7,7 %+3,5 %) waren Opfer- oder Entlastungszeugen. Beim Ovčinnikov-Prozess betrug das Verhältnis von NKVD-Mitarbeiter-Zeugen zu Opferzeugen 2/3 (73 %) zu 1/3 (27 %). Im Korobcev/Demčuk-Prozess ist mit 25 % Op53
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Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no Z. D. Livšica. 31.10.–02.11.1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240. Т. 3, L. 26-42. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v zakrytom sudebnom zasedanii kasatel’no F. T. Ovčinnikova. 26.–28.03.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324, T. 6, L. 55-74 ob. Ebd., L. 188-226. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
ferzeugen die Bilanz ähnlich positiv, wird jedoch dadurch relativiert, dass in der Voruntersuchung die Befragung von Mitarbeitern, Agenten und bezahlten Zeugen die 90 % Marke deutlich überschreitet, was in der Tendenz auch für die anderen Akten zutrifft. Der Fedjaev-Fall wiederum weicht von diesem Schema ab, zumindest auf den ersten Blick. Im ersten Prozess ist die Zahl der Opferzeugen mit 44 % ungewöhnlich hoch. Dies wird jedoch mit dem zweiten Prozess korrigiert und auf den Normalfall von 24 % gesenkt. Wichtiger ist, dass vom ersten zum zweiten Prozess die Anzahl derjenigen Zeugen, die dem NKVD zugearbeitet haben von 2 auf 12 Personen, also von 12 % auf 48 % erhöht wird, so dass ein ähnliches Bild wie beim Livšic-Prozess entsteht. Auch hier waren 76 % (28 %+48 %) – beim Livšic-Prozess sogar 88,5 % – Mitarbeiter des NKVD oder seine Zuarbeiter. Die eindeutige Verteilung der Zeugen in Voruntersuchung und Prozess zu Gunsten von NKVD-Kadern und näherem Umfeld bestätigt mit Zahlen, dass es bei der Kampagne in der Hauptsache um »Schulung« und Disziplinierung des Repressionsapparats des sowjetischen Staates mit Hilfe halböffentlicher Prozesse ging. Schlagen von Gefangenen, Anwendung von Folter und Fälschung von Untersuchungsmaterialien sollte es nicht mehr geben. Ermahnt werden sollten aber nicht nur die NKVD-Kader selbst, sondern auch ihre Agenten, informellen Mitarbeiter und ihre freiwilligen oder unfreiwilligen Zuarbeiter (Dorfrats- und Kolchosvorsitzende, Brigadiere und Kolchosmitarbeiter). Sie hatten beim Livšic-Prozess 50 % der geladenen Zeugen und im Fedjaev-Fall 40 % ausgemacht. Die Botschaft war hier, das blindes Unterschreiben von vom NKVD vorbereiteten Verhörprotokollen, Gefälligkeitsaussagen für den Dienst, die Verbreitung von Halbwahrheiten und interpretierten und selektierten Informationen nicht erwünscht sind. Auf der Grundlage der aufgeführten Zahlen lässt sich somit in erster Linie die didaktische Ausrichtung der Kampagne belegen. Allerdings stützen sie zusätzlich die These, dass die Prozesse auch deshalb durchgeführt wurden, um die Gesellschaft zu beruhigen. Wie festgestellt, standen die Opfer-Zeugen zwar eindeutig in der Gunst der Aufmerksamkeit durch die NKVD-Ermittler und Militärtribunale an zweiter Stelle. Dennoch handelte es sich, genau wie schon im Karamyšev-Fall, um Personen, die man freigelassen, rehabilitiert, entschädigt und wieder mit hohen Posten versehen bzw. wieder mit ihren ursprünglichen Funktionen versorgt hatte. Z.B. wurden die beiden Brüder A. A. Sabin-Guz und K. A. Sabin, die als gefährliche Volksfeinde und Spione verhaftet worden waren – der eine hatte in der Armee gearbeitet und der andere beim Staat –, im Frühjahr 1939 aus der Haft entlassen und erhielten wieder hohe Positionen. Sabin-Guz arbeitete 1940 in Dnepropetrovsk im metallurgischen Institut, sein Bruder Sabin im Gebietssowjet in Nikolaev. Beide waren wieder in die Partei aufgenommen worden.57 57
Ebd., L. 67 ob, 69.
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Die, wenn auch wenigen Opfer, die beim Livšic-Prozess und in der Akte Korobcev und Demčuk auftraten, sollten der Landbevölkerung eine kleine Genugtuung verschaffen, die des Ovčinnikov-Prozesses in die Armeestrukturen hineinstrahlen. Beim Fedjaev-Prozess waren es die städtischen Institutionen, aber auch, vergleichbar mit den Karamyšev-Prozessen, die örtlichen Industriebetriebe. Selbst wenn dies nur punktuell geschah, darf hier der informelle Effekt nicht unterschätzt werden. Die partielle Entschädigung der Opfer wiederum zeigt, dass der sowjetische Staat als alleiniger und sehr anspruchsvoller Arbeitgeber nicht nur die Peitsche einsetzen, sondern auch Zuckerbrot an die Geschädigten verteilen konnte. Untermauert werden kann sowohl die erzieherisch-didaktische als auch die beruhigende Funktion der Prozesse nicht nur durch die Auswahl der Täter und Zeugen, sondern zusätzlich durch die Örtlichkeit, an denen die Verfahren stattfanden. So führte man den Livšic-Prozess, im Gegensatz zu den Prozessen gegen die Gebietsgeheimdienst-Kader (Karamyšev- und Ovčinnikov-Prozesse), nicht in der Gebietshauptstadt Nikolaev durch, sondern das Militärtribunal tagte direkt in der ländlichen Provinz, im Gebäude des Rajongeheimdienstes von Vladimirovka. Der Prozess gegen Korobcev und Demčuk spielte zwar im neuen Gebietszentrum Kirovograd, kann aber wegen der ländlichen Struktur des Gebiets, neben der Konzentration auf das neu gebildete Gebietszentrum auch als ein weiteres informelles Signal für die ländliche Bevölkerung betrachtet werden. Der Fedjaev-Prozess fand in Cherson statt und war auf Grund der vollständigen Rehabilitierung des Fischfabrikdirektors und seiner Familie ein Signal der Entspannung an die städtischen Eliten. Die gewisse geographische Streuung der Prozesse sollte in jedem Fall die Wirkung der Kampagne erhöhen. Die Erziehung des NKVD-Apparats und seines Anhangs und auch die symbolträchtige Entschädigung einiger Opfer können darüber hinaus noch in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Sie sind im weiteren Sinne ein zentraler Baustein eines umfassenden Bestrebens, der Kampagne Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung zu verleihen. Als zweiter, ebenso wichtiger Baustein kann die systematische und umfassende Untersuchung praktisch aller von Mitarbeitern und Opfern erwähnten Unregelmäßigkeiten bei der Untersuchungsführung durch Sonderbevollmächtigte und Staatsanwaltschaft angesehen werden. Mit der Untersuchung von Amtsmissbrauch wurde klar kommuniziert, dass dieses Verhalten nicht (mehr) tolerabel ist und schwere Konsequenzen nach sich zieht, oder bei erneuter Auffälligkeit nach sich ziehen kann. Tatsächlich angewendete Maßnahmen jenseits der Prozesse waren Abmahnungen, Disziplinarverfahren, Degradierungen, Versetzungen und Entlassungen. Selbst wenn die Nachforschungen nicht immer ernsthafte Folgen hatten, werden sie im Sinne einer Tiefenwirkung ihre disziplinierende Wirkung auf den Apparat nicht verfehlt haben. Die nicht angeklagten Fälscher und Folterer, deren Verhalten untersucht und oft auch außergerichtlich bestraft wurde, hatten also eine multiplikatorische und katalysatorische Funktion für die sechs
Standpunkt
im Gebiet Nikolaev durchgeführten Verfahren. Als dritter Baustein kann die oben festgestellte geographische Streuung der Prozesse bezeichnet werden. Der vierte Baustein des Konzeptes, der Kampagne Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung zu garantieren, ist die erstaunliche Menge der durchgeführten Prozesse und die Anzahl der Verurteilten und die Höhe der Strafen. Auf dem Territorium des Gebiets Nikolaev in den Grenzen von 193858 fanden insgesamt sechs Verfahren mit acht Prozessterminen gegen 13 Mitarbeiter des NKVD (Geheimdienst und Miliz) wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit statt. Einer davon wurde zu 5 Jahren, einer zu 6, drei zu 8, vier zu 10 Jahren und ebenfalls vier Personen zum Tode verurteilt. Hohe Strafen, mit hohem Aufmerksamkeitseffekt, waren also die Regel. Der fünfte und letzte Baustein waren die Prozesse zur Rehabilitierung von Opfern. Auch sie verliehen der Kampagne Durchschlagkraft. Von Inkonsequenz kann aufgrund der fünf Bausteine für das Gebiet Nikolaev folglich nicht die Rede sein. Die Untersuchungen und Prozesse waren keine Inszenierungen und die Urteile als rein symbolisch zu bezeichnen, ist ebenfalls nicht möglich, zumal die Täter formal gesehen tatsächlich gegen geltende Gesetze verstoßen hatten. Die Quellen geben ganz im Gegenteil deutliche Hinweise darauf, dass die Staatsanwaltschaft und auch die Sonderbevollmächtigten des NKVD tatsächlich an einer Aufklärung der Verbrechen bzw. Gesetzesverstöße interessiert waren. Insbesondere die Staatsanwaltschaft verfügte diesbezüglich über eine gewisse Unbefangenheit, weil sie in der Hochphase des Terrors nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Vollkommen ausgeblendet wurde bei der Aufklärung der Verbrechen die Mitverantwortung von Staat und Partei. Vor diesem Hintergrund sollte selbst der von Aleksej Tepljakov vorgebrachte negative Einfluss der Amnestierung der verurteilten Tschekisten auf die Kampagne nicht überbewertet werden. Ihre Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung war dadurch nicht substantiell gefährdet. Die Entlassungen in die Armee als falsches Signal zu verstehen war schon deshalb kaum möglich, da jederzeit bei wieder auftretenden Unregelmäßigkeiten die alten Vorwürfe wieder hervorgeholt werden konnten und auch wurden, jederzeit verfügbar abgelegt in den Personalakten und den Akten der Sonderinspektion. Dasselbe gilt für das widersprüchliche Bild der Folgen der Nachforschungen für nicht verurteilte Fälscher und Folterer. Außerdem war weder die Amnestierung vieler verurteilter Tschekisten, noch die erstaunlichen Karieremöglichkeiten der nur disziplinierten Mitarbeiter eine Rehabilitierung, sondern »nur« die Möglichkeit einer Bewährung, blieb also eine klassische Amnestie, die jederzeit eine Reaktivierung der Vorwürfe zuließ. Die auf Nachhaltigkeit angelegte Kampagne hatte zur Folge – so die These –, dass die in 58
Betrachtet wurde das Gebiet Nikolaev in den Grenzen bis 1939, so dass auch der Prozess im Gebiet Kirovograd mit einbezogen wurde.
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den zwanziger und dreißiger Jahren dominante nachsichtige Bewertung und Ahndung von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit nicht mehr Grundtenor war, auch wenn dies für die Zeit ab 1941 noch empirisch zu belegen ist. Grundsätzlich aber ist anzuführen, dass effektive staatliche und politische Kontrolle und Steuerung von Personal nicht über Nachlässigkeit funktioniert.59
Auswahlverfahren und Akteure Alle sechs untersuchten Verfahren haben eindeutig gezeigt, dass nach einer formalen Anklageerhebung60 , und der damit verbundenen Verhaftung, der Fall unweigerlich in einer Verurteilung der Angeklagten endete. Ein Abbruch des Untersuchungsverfahrens oder Freisprüche hat es im Gebiet Nikolaev nicht gegeben. Sie waren offensichtlich nicht vorgesehen. Sieben verschiedene, wenn auch ineinandergreifende, hier aber separat aufgelistete Faktoren haben die Einleitung einer Voruntersuchung und formalen Anklageerhebung erheblich begünstigt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Vorherige Nutzung des betreffenden NKVD-Mitarbeiters als Bauernopfer; Kompromittierende Aussagen von verhafteten Kollegen; Beschwerdeschreiben von Opfern; Die Niederschlagung von Anklagen gegen freigelassene Opfer; Umqualifizierungen von Fällen von Trotzkismus zu Amtsvergehen; Suche nach einem Hauptverantwortlichen; Druck von oben.
Wie der untersuchte Fall des Leiters des Rajon-NKVD von Vladimirovka Livšic belegt61 , war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im Frühjahr 1939 gegen Personen eine Voruntersuchung eingeleitet wurde, die bereits 1938 von der Führung der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev dazu benutzt worden waren, entschiedenes Vorgehen gegenüber Verstößen gegen die sozialistische Gesetzlichkeit zu demonstrieren. Bei diesen, in der vorliegenden Veröffentlichung als Bauernopfer bezeichneten Mitarbeitern handelte es sich ausschließlich um Kader der unteren Ebene. Über solche Personen hatte man bereits viel Material archiviert; meist Beschwerden von Opfern und Aussagen von Kollegen. Allerdings kamen die bereits bekannten 59 60 61
Vgl. dazu unter »Standpunkt« das Kapitel: »Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz« und die Zusammenfassung »Stalinistische Modernisierung« der vorliegenden Veröffentlichung. Postanovlenie. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Gesetzestreue Gebietsleitung« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
Fakten erst 1939 richtig zum Tragen, bzw. führten zur Verhaftung und Anklageerhebung. Erst als sie gebraucht wurden »Übertreibungen« zu ahnden, wurden sie beachtet. Auch dafür steht der Fall Livšic exemplarisch.62 Ernsthafte Untersuchungen wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit wurden ab Frühjahr 1939 auch gegen Personen eingeleitet, die in Befragungen des Mitarbeiterstabs oder in Verhören von bereits verhafteten Tschekisten immer wieder als Folterer und Fälscher aufgetaucht waren. Dies trifft insbesondere auf den Fall des Mitarbeiters der Stadtabteilung des NKVD von Cherson Fedjaev63 und den der Rajonobteilung des NKVD von Dolinsk Korobcev/Demčuk64 zu. Ungünstig für Mitarbeiter war zudem, wenn mehrere Beschwerdeschreiben von Folteropfern gegen sie vorlagen. In der Regel fanden Beschwerden, die bereits während des Großen Terrors geschrieben worden waren, erst 1939 richtig Beachtung. Der Grund für diese extreme Verzögerung war, dass noch im April 1938 der Oberste Staatsanwalt der UdSSR A. Ja. Vyšinskij ein Zirkular herumgeschickt hatte, in dem befohlen wurde nur »in Ausnahmefällen« Beschwerden von Bürgern zu bearbeiten, die die Rechtmäßigkeit ihrer Verurteilung auf der Grundlage der Befehle des NKVD № 00447, № 00485 und anderer anzweifelten. Es sei ihnen vielmehr zu antworten, dass das Urteil endgültig sei und ihr Fall nicht überprüft werde.65 Viele Beschwerden waren daraufhin einfach unbeachtet ins Archiv gewandert oder erst gar nicht registriert worden, wie Berija in seinem Befehl № 00788 »Über die Resultate der Untersuchung der Arbeit der 1. Spezialabteilung des NKVD der USSR« vom Dezember 1938 konstatierte.66 Dann aber verfassten, wie der Karamyšev-Fall am deutlichsten belegt, ab Frühjahr 1939 freigelassene, oder auch noch nicht freigelassene Gefangene massenhaft Berichte an Partei- und Staatsvertreter über Folterungen, Fälschungen und unbegründete Anklagepunkte.67 Ermutigt wurden die Opfer durch die Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukrainischen SSR und der einzelnen Gebiete, die vor Ort für die Untersuchung der Gesetzesverstöße zuständig waren. Meist konnten 62 63 64 65
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Ebda. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Überzeugte Vollstrecker« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vyšinskij, A. Ja. (Zirkular № 1/001532) an alle Staatsanwälte der Republiken, Staatsanwälte der Regionen und Gebiete über die Verfahrensweise bei der Entscheidung über Beschwerden zu Strafsachen, die auf der Grundlage der Befehle des NKVD № 00447, № 00485, № 00596 u.a. geprüft werden. 17. April 1938, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 338. Prikaz Narodnogo Komissara Vnutrennich del SSSR L. P. Berija № 00788 »O rezul’tatach obsledovanija raboty 1-go Special’nogo otdela NKVD SSSR«. 10.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora. Tom 3, Moskau 2018, S. 546-551. Eine große Anzahl solcher Beschwerdebriefe von Opfer sind abgedruckt in dem Kapitel »Pis’ma vo vlast’«, in: Ebd.
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sie in ihren Beschwerdeschreiben sogar Namen nennen; war dies nicht der Fall, so war es bürokratisch leicht rückverfolgbar, durch welche Abteilung sie verhaftet worden waren und wer sie anschließend verhört hatte. Ernsthafte Sorgen machen musste sich der Mitarbeiterstab des NKVD auch im Zuge der Niederschlagung von vom NKVD noch während des Großen Terrors vorbereiteten Prozessen durch die Militärtribunale der Sondermilitärbezirke Ende 1938 und im Jahre 1939. Die hier erfolgten Freilassungen der Gefangenen bedeuteten nämlich umgekehrt, dass der NKVD die Personen unter falschen Anschuldigungen verhaftet und deren Fälle ausgearbeitet hatte. Die vorgeladenen Zeugen und Angeklagten machten außerdem keine für den NKVD vorteilhaften Aussagen. Exemplarisch hat dies der untersuchte Prozess gegen die wegen des Großbrandes in der Fabrik № 200 angeklagten Personen belegt.68 Ein weiterer Grund, in die Mühlen der Ahndung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu geraten war, wenn man sich wie Martynenko bereits 1938 in Untersuchungshaft befand. Hier wurden dann 1939 die bis dahin üblichen Anklagepunkte wegen Trotzkismus einfach fallengelassen und durch Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ersetzt und der Angeklagte schnell verurteilt. Dies war deshalb sehr einfach und schnell möglich, weil der Vorwurf des Trotzkismus vor allem bei unteren Kadern bereits 1938 zu einer Chiffre zur Verurteilung von Dienstvergehen geworden war, so dass diese Vergehen in der Voruntersuchung bereits auftauchten und nur noch konkretisiert und ausgebaut werden mussten. Bei Karamyšev spielte auch eine Rolle, dass ein Hauptverantwortlicher gebraucht wurde; allerdings nicht nur. Dies war ein Faktor unter vielen. So wurden auch ihm zahlreiche Dienstvergehen nachgewiesen. Nicht zuletzt diente massiver Druck von oben dazu, dass bereits in den Personalakten vorhandenes Material, die Aussagen von Tschekisten gegen ihre Kollegen und auch die Beschwerdeschreiben von Opfern auch tatsächlich vor Ort zu Untersuchungen gegen verdächtige Mitarbeiter führten. Der Druck von oben war besonders bei hohen Kadern wie Karamyšev, Garbuzov und Ovčinnikov notwendig, die vor Ort geschont wurden. Dieser Druck von oben bestand aus einem komplizierten Geflecht der Einflussnahme. An erster Stelle ist das veränderte allgemeine Klima zu nennen. Ab Spätsommer 1938 bildete man Kommissionen, besetzt mit hohen Vertretern aus Politik und Staat, fasste Politbürobeschlüsse, bezog den Rat der Volkskommissare und das Zentralkomitee ein und gab durch Staatsanwaltschaft und NKVD zahlreiche Befehle, Direktiven und Zirkulare aus um die Massenverfolgungen abzustoppen und in diesem Zuge die Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit anzuschieben, zu regeln und zu justieren. 68
Vgl. dazu unter »Allmacht und Ohnmacht« das Kapitel: »Freilassung der Mitglieder der Sabotageorganisation« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
Ein weiterer Strang der Kampagne waren die Parteiversammlungen und operativen Versammlungen des NKVD in jedem Gebiet der Sowjetunion um den Januar 1939. Presse spielte eine untergeordnete Rolle, wie die einzigen zwei in Moldawien und im Gebiet Novosibirsk veröffentlichten Kurzberichte über Prozesse gegen Tschekisten verdeutlichen, auch wenn ihre Wirkung überproportional war.69 Insgesamt kam es in diesem Zuge zu einer starken Aufwertung der Partei und der Staatsanwaltschaft gegenüber dem NKVD.70 Nicht zuletzt liefen alle im Rahmen der Kampagne verhängten Todesurteile neben Todesurteilen von Gerichten in anderer Sache zur Bestätigung auch über die »Gerichtsverfahren-Kommission des Politbüros des ZK.« In ihrer Sitzung vom 12. Mai 1941 bestätigte die Kommission das Todesurteil des Militärtribunals der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks gegen Truškin. Diese Entscheidung wurde dann am 17. Mai auch vom Politbüro gebilligt.71 Das Protokoll der »GerichtsverfahrenKommission des Politbüros des ZK« zu Truškin ist aber weder veröffentlicht, noch einsehbar. Allerdings steht ein entsprechendes Beispiel-Protokoll vom 23. Februar 1940 unter dem Vorsitz M. I. Kalinins und mit den Mitgliedern V. N. Merkulov, M. F. Škirjatov und M. I. Pankrat’ev, in dem sich unter 75 insgesamt aufgeführten Personen auch fünf Todesurteile wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit befinden, zur Verfügung. Daran kann abgelesen werden, welche Information sowohl der Kommission als auch dem Politbüro als Entscheidungsgrundlage vorgelegen haben. Es handelt sich um den Fall des ehemaligen Leiters des Rajon-NKVD von Jarun’ des Gebiets Žitomir I. T. Rybal’čenko: »[…] [Angehört:] 8. R[ybal’čenko] Ivan Timofeevič [(1901-1939)] wurde auf Beschluss des Militärtribunals der Truppen des NKVD des Kiewer [Sonder-]Militärbezirks vom 22.-23. November 1939 zum Tode durch Erschießen nach § 206-17 Punkt ›b‹ des Strafgesetzbuches der der Ukrainischen SSR verurteilt und zwar deshalb weil er als Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Čudnov [des Gebiets Žitomir], unter Ausnutzung seiner Dienststellung, grob die revolutionäre Gesetzlichkeit verletzt hat, indem er grundlose Verhaftungen von Bürgern 69
70
71
Die Notiz über die Verurteilung des Leiters der Stadtabteilung des NKVD von Leninsk–Kuzneck des Gebiets Novosibirsk erschien, wie bereits erwähnt, in der Zeitung »Sovetskij Sibir’« (Sowjetisches Sibirien), dem Organ des Gebietskomitees der VKP(b) des Gebiets Novosibirsk. Vgl.: Tepljakov, A. G., »Detskoe delo« v Kuzbasse: k voposu o podopleke otkrytogo processa 1939 g. nad čekistam – »narušiteljami zakonnosti«, in: Sudebnye političeskie processy v SSSR i kommunističeskich stranach Evropy: sbornik materialov franko–rossijskogo seminara (Pariž, 29-30 nojabrja 2010 g.), Novosibirsk 2011, S. 141-154. Vgl. dazu im Einzelnen die Kapitel: »Beendigung der Operation« und »Rehabilitierung der Opfer« in: Massenmord und Lagerhaft, S. 451-585. Hier sind auch entsprechende Dokumente abgedruckt. Žukov, A. N. (Hg.), Kadrovyj sostav organov gosudarstvennoj bezopasnosti SSSR. 19351939//http://nkvd.memo.ru/index.php/ (abgefragt am 21.10.2017)
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durchführte, nicht gesetzeskonforme Verhörmethoden anwendete und fiktive Gutachten und Charakteristiken über Gefangene erpresste usw. Außerdem hat er beim Verhör den unberechtigt verhafteten Gefangenen, den Bürger Manilo, erschlagen und zur Verwischung der Spuren seines Verbrechens der Akte ein fiktives Gutachten eines Arztes über den vermeintlich natürlichen Tod Manilos beigelegt. [Beschluss:] Billigung [des Urteils] auf Erschießen von R[ybal’čenko] I. T.«72 Die insgesamt generelle Billigung der Todesurteile, die wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit ausgesprochen wurden, war ein deutliches politisches Zeichen für die konsequente Unterstützung der Kampagne durch das Politbüro. Außerdem saß als Transmissionsriemen auch noch der neue Geheimdienstchef Berija seit dem 19. Januar 1939 als Mitglied mit in der Kommission, wenn er nicht gerade durch seinen Stellvertreter Merkulov vertreten wurde.73
Feinjustierung Vor allem die zusätzlich zum Karamyšev-Prozess untersuchten Fälle helfen die Entstehung, Ausformung und Entwicklung der Kampagne zu konkretisieren und den Blick auf Orientierungs- und Übergangsperioden zu richten.74 Auch ist ein Unterschied zwischen der Verurteilung von hohen und niederen Kadern feststellbar. Gerade die Entstehungs- und Orientierungsphase zwischen Sommer 1938 bis etwa Ende Dezember 1938, Anfang 1939 näher zu durchleuchten erlauben die Fälle des Leiters des Rajon-NKVD von Vladimirovka Livšic75 und des Sekretärs des Rajon-NKVD von Elanec Martynenko76 und der Fedjaev-Fall77 von Cherson; vor allem in der Hinsicht, wie schwer es den Geheimdienst- und Milizstrukturen vor Ort gefallen ist, den von Moskau angestoßenen Paradigmenwechsel, weg von der Bekämpfung des Trotzkismus, Bucharinismus und Zinov’evismus, hin zur systema72 73
74 75 76 77
Protokol № 17 zasedanija Кomissii Politbjuro CK VKP(b) po sudebnym delam ot 23.02.1940, in: https://cont.ws/@osa777/94576 (abgefragt am 27.05.2018). Vgl.: l. 61. Postanovlenie Politbjuro CK VKP(b) »O sostave Кomissii Politbjuro CK po sudebnym delam« s priloženiеm zapiski M. I. Kalinina, in: www.alexanderyakovlev.org/fond/issues-doc/58627 (abgefragt am 27.05.2018). Veröffentlicht als: Vypiska iz protokola № 17 zasedanija Кomissii Politbjuro CK VKP(b) po sudebnym delam. 23.02.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 725-741. Vgl. sämtliche Kapitel unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Gesetzestreue Gebietsleitung« in der vorliegenden Veröffentlichung. Ebda. Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
tischen Ahndung von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit, nachzuvollziehen.78 Aus dem Fedjaev-Fall von Cherson ist deutlich geworden, dass Dienstvergehen bis zum Sommer 1938, also bis zur Aufwärmungsphase der großen Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zwar durchaus nachverfolgt wurden, allerdings weder systematisch noch konsequent. Die betroffenen Mitarbeiter kamen mit Ermahnungen und kleinen administrativen Strafen davon, selbst wenn wie bei Fedjaev auf der Hand gelegen hatte, dass Gefangene von ihm misshandelt worden waren und er auch noch durch weiteres Fehlverhalten aufgefallen war.79 Von einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Dienstvergehen ist für das Gebiet Nikolaev bis zur zweiten Etappe der Kampagne nichts bekannt. Dementsprechend weisen die Untersuchungen der Sonderbevollmächtigten für die Zeit des Großen Terrors keinen einzigen Fall auf. Ganz im Gegenteil war die Entlassung aus den Organen, wie bei Fedjaev im April 1938 praktiziert, schon die »Höchststrafe«, allerdings bei gleichzeitiger Abfederung durch gut bezahlte Arbeitsplätze in der staatlich gelenkten Wirtschaft. Auch der ehemalige Leiter des UNKVD von Nikolaev Fišer wurde, wie bereits erwähnt, trotz seiner bekannten Vergehen, das er geschlagen und ein Folterzimmer angelegt hatte, letztendlich nicht belangt, sondern ganz im Gegenteil im April 1938 mit einem guten Posten im Bautrust № 203 des NKVD in der Stadt Molotovsk80 versorgt. Von Juli 1938 bis Juli 1939 arbeitete er dann als stellvertretender Leiter der Verwaltung des Arbeitsbesserungslagers »Vjatlag« des NKVD. Kurz vor der Versetzung Fišers wurde im März 1938 sein Stellvertreter L. I. Mejtus in das GULAG-System versetzt.81 Im Grunde versuchte die NKVD-Führung von Nikolaev auch ab Sommer 1938 schon mit dem Beginn der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit diesen gewohnten Weg weiterzugehen, wenn auch mit kleinen Zugeständnissen. Sie reagierte auf die frühen Untersuchungen durch die Gorlinskij-Kommission vom September 1938 und die Entscheidung des ZK und SNK vom 17. November 1938 nur mit einer sehr leichten Straffung der Zügel. Sie verbot im Sommer 1938 ausdrücklich das Stehenlassen82 von Untersuchungshäftlingen. Diese lang eingeübte 78 79 80 81
82
Vgl. zum diagnostizierten Paradigmenwechsel genauer unter »Standpunkt« das Kapitel: »Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz« in der vorliegenden Veröffentlichung. Vgl. dazu die Aussage Ligermanns im Frühjahr 1938. Protokol doprosa A. I. Ligermana. [Načalo 1938], OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218, T. 2, L. 40-43. Die Stadt Severodvinsk im Gebiet Archangelsk wurde von 1938 bis 1957 in Molotovsk umbenannt. Heute heißt die Stadt Sverdlovsk. Über die Besonderheiten der Versetzung von Tschekisten in das GULAG-System. Vgl.: Zolotar’ov, V., Kolyšni spivrobitnyky NKVS URSR na erivnij roboti v systemi GUNAB (1936-1939), in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVD-KGB, 2013, № 1/2, S. 51-78; Zołotariow, W., Funkcjonariusze NKWD Ukraińskiej Socjalistycznej Republiki Sowieckiej w kierowniczych organach Poprawczych Obozów Pracy NKWD Związku Sowieckiego w latach 1937-1939, in: Bednarek, J. (Red.), Sowiecki system obozów i więzień. Przykłady wybranych państw, Łódź 2013, S. 193-229. Stojka.
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und weit verbreitete Form der weißen Folter, bei der die Gefangenen tagelang unter Bewachung stehen mussten, bis sie die ihnen unterstellte Schuld »zugaben«, war jedoch das Äußerste was man wahrhaben wollte.83 Die objektiv schwerwiegenden Dienstvergehen Livšic und anderer wurden nun immerhin nicht mehr nur einfach ignoriert oder informell das Problem beseitigt, wie dies im Fedjaev-Fall geschehen war. Die Strafen, die man nun im Gebietszentrum verhängte, fielen allerdings sehr milde aus. Die 15 Tage Beugehaft für Livšic und auch das nur sporadische Vorgehen gegen weitere Mitarbeiter sind geradezu ein Sinnbild für den sehr niedrigen Stellenwert, den Karamyšev und auch sein Stellvertreter Pojasov den Unregelmäßigkeiten einräumte und wie diese zu bekämpfen seien. Man wollte es bei Disziplinarverfahren, administrativer Kurzhaft und vorübergehender Entfernung oder Versetzung aufgefallener Personen niedrigen Ranges von der Arbeit belassen, was ironischer Weise, wie im Falle Livšic zu diesem Zeitpunkt von der NKVD-Führung in Kiew noch unterstützt wurde. Aus diesem Grund sind Livšic und die anderen Tschekisten als reine Bauernopfer der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev zu bezeichnen. Zu erklären ist die regelrechte Blauäugigkeit der UNKVD-Führung von Nikolaev in der Hauptsache vor dem Hintergrund des beschriebenen Selbstverständnisses der Tschekisten und ihrer dominanten Rolle im Großen Terror. Sie waren und blieben der festen Überzeugung, dass sie, bis auf kleine Fehler, alles richtig gemacht hatten und deshalb selbst aus dieser neuen Richtung der Disziplinierung unangreifbar waren, zumindest was ihre Amtsführung betraf. Die Ursachen für die verhaltene Bereitschaft beim UNKVD in Nikolaev den Kurs zu korrigieren sind aber auch bei der Moskauer Zentrale von Partei und Staat zu suchen. Diese befand sich in der Entstehungs- und Orientierungsphase der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, also im Zeitabschnitt von Sommer 1938 bis Winter 1938, noch auf der Suche nach einem neuen, schlüssigen Konzept, auf welche Weise und mit welchen Mitteln sowjetunionweit ein effektiver Stopp der Massenverfolgungen im NKVD-Apparat eingeleitet und durchgesetzt werden kann und wie damit auch noch die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen ist. Ein frühes Experimentierfeld für diese Suche war die Autonome sozialistische Sowjetrepublik Moldawien.84 Schon am 29. September 1938, also noch gut sechs Wochen vor der entscheidenden Erklärung des ZK und des SNK vom 17. November 1938, verschickten Ežov und Berija gemeinsam den Befehl № 00638 in die Ukraine, der die Ablösung und Verhaftung des Leiters des NKVD von Moldawien I. T. Širokij »wegen Provokationen während der Untersuchungsführung, der Erpressung von unwahren Protokollen und der Fälschung von Verhörprotokollen« beinhaltete und mit der Anweisung 83 84
Sledsvennoe delo Z. D. Livšica. 1938-1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240, T. 3, L. 29 ob. Zu anderen frühen Versuchen, die Macht des Geheimdienstes wieder zu beschränken. Vgl.: Chlevnjuk, Chozjain, S. 354.
Standpunkt
versehen war, den Befehl dem gesamten operativen Personal zur Kenntnis zu bringen.85 Beachtenswert ist, dass in diesem Befehl der übliche, auch in Moldawien noch im Juni bis in den August 1938 exzessiv verwendete Vorwurf der Bildung einer trotzkistischen Verschwörung im NKVD fehlte.86 Im Gegenteil klingt die Formulierung der Gründe für das Vorgehen gegen den NKVD von Moldawien nur nach Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Wahrscheinlich schon einen Monat früher, also Ende August, war dem Absetzungsbefehl die Bildung einer Untersuchungskommission durch den NKVD der Ukraine vorausgegangen, die die Arbeit des Geheimdienstes der autonomen Republik überprüfte. Als Folge des unbekannten Ergebnisses der Kommission kam es ab Anfang September 1938 zu einer ausführlichen Befragung Širokijs in Kiew durch den Ukrainischen Republik-Geheimdienst. Hier gab der NKVD-Chef von Moldawien – mit einer kurzen Unterbrechung – reumütig zu, provokativen Aussagen von Volksfeinden aufgesessen zu sein bzw. diese nicht ausreichend überprüft zu haben, was zur Folge gehabt habe, dass ehrliche Kommunisten ins Visier seines Geheimdienstes gerieten. Außerdem sei er überarbeitet und aufgrund seiner allzu steilen Karriere überfordert gewesen.87 Somit kamen auch in den Aussagen Širokijs ausschließlich Dienstvergehen zur Sprache. Den ultimativen Hebel, nun schon ganz im Sinne der Erklärung des ZK und des SNK vom 17. November am Geheimdienst von Moldawien ein Exempel wegen Aktenmanipulation, unzulässiger Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegenüber Gefangenen, Übertreibungen, Selbstüberschätzung und mangelnder interner Kontrolle, sprich wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu statuieren bildete jedoch schließlich nicht das Vorgehen des NKVD von Moldawien gegen das Spitzenpersonal der KP und der Staatsstrukturen der ASSR, sondern mit populistischem Anstrich das Beschwerdeschreiben eines Direktors einer Schule im Dorf Bližnyj Chutor im Rajon Tiraspol der ASSR Moldawien an den Ersten Sekretär der 85
86 87
Prikaz NKVD SSSR № 00638 »O snjatii s raboty i predanii sudu Narkomvnudela Moldavskoj ASSR I. T. Širokovo i nalošenii disciplinarnych zasedanij na I. F. Mjakova i I. A. Lošilova. 29.09.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 541-542. Zum Fall des ehemaligen Leiters des NKVD der ASSR Moldavien N. Ljutov und seinen Stellvertreter L. Rivlin vom Juni 1938. Vgl.: Kokin/Rossman, Prestuplenie i nakazanie, S. 12-142. Kašu, I.: »Čistka« sotrudnikov NKVD Moldavskoj ASSR posle Bol’šogo terrora. Delo Ivana Tarasoviča Širokogo-Majskogo, in: Čekisty na skam’e podsudimych. Sbornik statej, Moskau 2017, S. 595-620; Zajavlenie narodnogo komissara vnutrennich del Moldavskoj ASSR I. T. Širokogo narodnomu komissaru vnutrennich del USSR A. I. Uspenskomu. 07.09.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 29-30; Raport narodnogo komissara vnutrennich del Moldavskoj ASSR I. T. Širokogo narodnomu komissaru vnutrennich del USSR A. I. Uspenskomu. 24.09.1938, in: Ebd., S. 31-32; Zajavlenie arestovannogo, byvševo narodnogo komissara vnutrennich del Moldavskoj ASSR I. T. Širokogo sledovatelju po osobo važnym delam prokuratury SSSR L. P. Šejninu. 16.12.1938, in: Ebd., S. 48-49.
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KP der Ukraine N. S. Chruschtschow von Ende November 1938.88 Dieser Direktor mit dem Namen T. G. Sadaljuk war im Juli 1938 wegen Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären trotzkistischen faschistischen Jugendorganisation verhaftet und sein Automobil (Marke: GAZ-A) beschlagnahmt worden, das er als enthusiastischer Anhänger der Sowjetunion und seinen technischen Errungenschaften im Mai 1938, also zwei Monate vor seiner Verhaftung, als Propagandaaktion vom Sowjetischen Volkskommissariat (SNK) der Ukrainischen SSR zugesprochen bekommen hatte, allerdings von ihm selbst bezahlt.89 Nun in den Händen des Geheimdienstes presste man Sadaljuk dort mit Hilfe »verbrecherischer Verhörmethoden« ein entsprechendes Geständnis ab, dass unter anderem beinhaltete, dass er das Automobil mit Hilfe von Geldern des Rumänischen Geheimdienstes finanziert haben sollte. Am 10. Oktober 1938 wurde Sadaljuk aber plötzlich wieder entlassen. Er erhielt auch sein Auto zurück. Der Tachostand des Wagens hatte sich um 17tausend Kilometer erhöht und das Automobil befand sich in einem erbärmlichen Zustand.90 Daraufhin beschwerte sich Sadaljuk nicht nur bei Chruschtschow, sondern auch beim Vorsitzenden des SNK der Ukraine D. S. Koročenko und selbst bei Stalin, Molotov, Ežov und Uspenskij über das kaputte Auto und über die Verhörmethoden und behauptete, dass man von ihm verlangt habe, auch Aussagen gegen Chruschtschow und Koročenko zu machen, was sich allerdings nicht bestätigte. Die Folge aus seiner Beschwerde war, dass ihm das faktisch mächtigste Organ der Sowjetunion, das Politbüro, höchstselbst zur Seite sprang. Es beschloss am 1. Dezember 1938 Sadaljuk das Nachfolgemodell von GAZ-A, das Automobil ГАЗ-M1 zu übergeben und einen öffentlichen, in der Presse zu verbreitenden Prozess gegen die Verantwortlichen durchzuführen.91 Vieles spricht dafür, dass der abgesetzte NKVD Chef der ASSR Moldawiens Širokij als Hauptangeklagter des vom Politbüro befohlenen Prozesses figurieren sollte.92 Dazu kam es jedoch nicht, weil Širokij am 18. Dezember 1938 im Inneren Ge88
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Zur Bedeutung des Fall Sadaljuk als ein allgemeinverständliches Zeichen einer Wende in der Verfolgungspolitik und des Vorgehens gegen den NKVD-Moldawiens. Vgl.: Chlevnjuk, O. V., 1937-j. Stalin, NKVD i sovetskoe obščestvo, Moskau 1992, S. 223. Details zur möglichen Initiativrolle Chruschows, diesen Fall politisch zu nutzen. Vgl.: Kokin, S./Rossman, Dž., Prestuplenie i nakazanie. Dokumenty iz archivnych ugolovnych del na sotrudnikov NKVD USSR, osuždennych za »narušenija socialističeskoj zakonnosti« vo vremja Bol’šovo terrora, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 12-142. Ebda.; Kašu, »Čistka«, 615. Obvinitel’noe zaključenie po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuzmenko. 23.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 145-151; Chaustov, V., Novyj zagovor v NKVD, in: Čekisty na skam’e podsudimych. Sbornik statej, Moskau 2017, S. 42-74, hier S. 68; Chlevnjuk, 1937-j, S. 224; Kašu, »Čistka«, 615. Chlevnjuk, Chozjain, S. 357. In jedem Fall sollte Širokij mitangeklagt werden, wie aus der vom 10. bis 13. Dezember 1938 vorbereiteten Anklageerhebung durch den Untersuchungsführer für besondere Fälle
Standpunkt
fängnis des NKVD der Ukraine Selbstmord begann. Der Prozess wurde daraufhin, wie bereits erwähnt, gegen hohe Mitarbeiter Širokijs durchgeführt.93 Dafür hatte der neue Volkskommissar des Inneren der UdSSR L. P. Berija am 22. Dezember 1938, also eine Woche vor dem Prozess, an den stellvertretenden Volkskommissar der Ukraine A. Z. Kobulov die Anweisung herausgegeben, in enger Abstimmung mit Chruschtschow einen öffentlichen Prozess gegen die Tschekisten, die den Fall Sadaljuk bearbeitet hatten, zu planen. Befohlen wurde in dem Schreiben auch, das Gerichtsverfahren vom Militärtribunal der inneren- und Grenztruppen des NKVD des Kiewer Bezirks durchführen zu lassen und zwar unter der Aufsicht des Assistenten der Zentralen Moskauer Militärstaatsanwaltschaft A. Ch. Kuznecov. Die Auswahl dieses Militärstaatsanwaltes aus Moskau, der den Prozess zwar nicht führte, sondern »nur« begleitete, ging wiederum auf die Oberste Staatsanwaltschaft der UdSSR zurück.94 Der Prozess fand vom 29. bis zum 31. Dezember in Tiraspol statt. Auch auf dem Prozess war keine Rede von einer trotzkistischen Verschwörung im NKVD, nur Dienstvergehen bzw. die Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit kamen zur Sprache und die Grundlage gegen alle Angeklagten, die Todesstrafe zu verhängen, bildeten nicht politische Paragraphen, sondern der Dienstvergehensparagraph 206, Punkt 17 b) des Strafgesetzbuches der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik.95 Der Prozess war außerdem, wie vom Politbüro und Berija angeordnet, »öffentlich«, d.h. ein ausgewähltes Publikum bestehend aus sowjetischer Intelligenz (Kunstschaffenden und technischer Intelligenz), Mitgliedern der Stachanovbewegung, hohen Parteifunktionären und Staatsangestellten und Pressevertretern nahm daran teil.96 Ein Bericht über den Prozess wurde, wie ebenfalls befohlen, in der Presse und zwar in der ukrainischsprachigen Zeitung »Kommunist« veröf-
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der Staatsanwaltschaft der UdSSR L. Šejnin deutlich wird. Vgl.: Kokin/Rossman, Prestuplenie i nakazanie, S. 12-142. Vgl. die Erwähnung des Prozesses gegen die Tschekisten aus Moldawien unter »Standpunkt« das Kapitel: »Erziehungsdiktatur« in der vorliegenden Veröffentlichung. Pis’mo narkoma vnutrennich del SSSR L. P. Berija pervomu zamestitelju narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu ob organizacii sudebnogo processa po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 22.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, S. 144-145. Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala prograničnych i vnutrennich vojsk Kievskogo okruga po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 29-31 dekabrja 1938 g., in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 152-179; Prigovor Voennogo tribunala prograničnych i vnutrennich vojsk Kievskogo okruga po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 29-31 dekabrja 1938 g., in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 179-185. Kokin/Rossman, Prestuplenie i nakazanie, S. 12-142.
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fentlicht.97 Auch in den Zeitungsartikeln war ausschließlich von Dienstvergehen und Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit die Rede. Besonders betont wurde das selbstherrliche, außerhalb der Normen des sowjetischen Lebens stehende Verhalten der betreffenden Tschekisten. Um nichts dem Zufall zu überlassen gab offensichtlich der stellvertretende Leiter des Geheimdienstes der Gesamtukraine A. Z. Kobulov den Befehl, noch während der Prozess lief, die Reaktion der Bevölkerung im Auge zu behalten. Er erhielt mindestens vier Dossiers, die auch an Moskau, an Berija und seine Stellvertreter weitergeleitet wurden.98 Interessanter Weise wurde in den Dossiers aber nicht die Reaktion der Bevölkerung von Moldawien abgefragt, sondern es kamen die (sowjetische) Intelligenz, Parteimitglieder und Staatsangestellte in Kiew zu Wort. In den wörtlichen Zitaten der belauschten Personen wurde wiederholt der Prozess als Beginn einer einzigartigen Wende mit großer politischer und moralischer Bedeutung gelobt. Er wurde so verstanden, dass die neue Führung des NKVD unter Berija in Allianz mit Stalin und der Partei des Zentrums und der Ukraine im NKVD von Moldawien aufgeräumt und energisch auf die Einhaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit und die Regeln der Verfassung bestanden haben. Deshalb wachse das Prestige des NKVD und der Sowjetmacht eher, als das es schwinde. Die Massenverfolgungen der letzten zwei Jahre wurden den aus dem Ruder geratenen Mitarbeitern des NKVD zugeordnet, die das Volk und die Intelligenz gegen die Sowjetunion bzw. die Partei aufbringen wollten. Ein hellsichtiger ehemaliger Menschewik verstand sogar die Gesamtkonzeption des Prozesses: »Der Prozess hat offensichtlich zwei Ziele: die in Panik versetzte Bevölkerung zu beruhigen und die Gesetzlichkeit in die Organe des NKVD zu implementieren.«99 Heftig kritisiert oder befürchtet wird in den Dossiers, dass es bei diesem einen Prozess bleiben könnte. Man mahnte mehrmals an, dass weitere Prozesse im Ukrainischen Republikzentrum und sogar sowjetunionweit diesmal nicht mehr nur gegen 97 98
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Vgl. zur Veröffentlichung des Prozesses in der Presse auch unter »Standpunkt« das Kapitel: »Erziehungsdiktatur« in der vorliegenden Veröffentlichung. Dokladnaja zapiska № 7519 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudebnyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 30.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 783-786; Dokladnaja zapiska № 7524. 31.12.1938, in: Ebd., S. 488-491; Dokladnaja zapiska № 7534. 31.12.1938, in: Ebd., S. 491-494; Dokladnaja zapiska № 7537. 31.12.1938, in: Ebd., S. 494496. Zu einer ersten Analyse der Artikel und der Dossiers. Vgl.: Kokin, S./Rossman, Dž., Prestuplenie i nakazanie. Dokumenty iz archivnych ugolovnych del na sotrudnikov NKVD USSR, osuždennych za »narušenija socialističeskoj zakonnosti« vo vremja Bol’šovo terrora, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 12-142. Dokladnaja zapiska № 7524. 31.12.1938, in: Ebd., S. 488-491.
Standpunkt
die unteren Kader, sondern auch gegen Führungskräfte folgen müssen, um glaubwürdig zu bleiben. Der programmatische, auf gebremste oder halbinformelle Öffentlichkeitswirksamkeit ausgerichtete Charakter der gesamten Veranstaltung kam aber nicht nur durch die eindeutige Festlegung des Prozesses gegen die Tschekisten aus Moldawien auf Dienstvergehen und Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit zum Ausdruck, sondern wurde noch durch die ebenfalls in der Presse abgedruckte Rede des aus Moskau abgesandten, aufsichtsführenden Militärstaatsanwalts Kuznecov unterstrichen. Seine Rede, die er am dritten Prozesstag hielt, hatte drei Aspekte. Erstens betonte er, dass keinerlei Zweifel an der Autorität der Organe des NKVD und seiner Mitarbeiter bestehen könne und es sich bei den Angeklagten um Ausnahmefälle handele. Sie hätten erfolglos versucht, die Organe »in Verruf zu bringen« und »zu besudeln« und würden nun dafür hart bestraft.100 Der Exzesstäter stand also im Vordergrund. Zweitens unterstrich der Staatsanwalt die »unverbrüchliche Beziehung« zwischen Bevölkerung und Parteiführern und drittens wies er auf das grenzenlose Vertrauen der sowjetischen Bevölkerung in ihr Rechtssystem hin: »[…] die Entlarvung dieser Verbrecher hängt mit dem Beschwerdeschreiben eines der Opfer, dem Lehrer und Komsomolzen Sadaljuk, zusammen; mit einem einzigen Beschwerdeschreiben, einem einfachen Brief, abgeschickt mit der normalen Post an den Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Bolschewiki der Ukraine [N. S. Chruschtschow]. Dies hat ausgereicht, dass sofort, innerhalb kürzester Zeit, dieser Fall untersucht wurde und man diese Schurken entlarvt und sie gezwungen hat vor dem proletarischen Gericht Rede und Antwort zu stehen. […] Wo noch und in welch einem anderen Land ist so etwas sonst möglich? Dies zeugt von einer organischen und unverbrüchlichen Beziehung der breiten Schichten unseres Volkes und unserer sowjetischen Intelligenz mit den Führern unserer Partei und ihren obersten Leitern. Wo noch und in welch einem anderen Land ist der Glaube аn den Triumpf des Rechts und die Aufrichtigkeit so grenzenlos?«101 100 Sprava grupy kolyšnich spivrobitnykiv NKVS Moldavs’koї ARSR, in: Komunist, 5878, 01.01.1939, № 1, S. 4. Veröffentlicht sind die Zeitungsarktikel in russischer Übersetzung in: Ėcho Bol’šogo, Tom 3, Moskau 2018, S. 481-483, 486-488, 496-498. 101 Sprava grupy kolyšnich spivrobitnykiv NKVS Moldavs’koї ARSR, in: Komunist, 5878, 01.01.1939, № 1, S. 4. Das diese Aussage tatsächlich der Wahrheit entsprach, belegt das Schreiben Berijas vom 22.12.1938 in dem er auch eine Kommission des NKVD der UdSSR erwähnte, die die Durchführung eines öffentlichen Prozesses zum Fall Sadaljuk beschlossen habe. Vgl.: Pis’mo narkoma vnutrennich del SSSR L. P. Berija pervomu zamestitelju narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu ob organizacii sudebnogo processa po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 22.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, S. 144-145.
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Die zweite und interessanteste Phase der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit, die Anfang 1939 begann und sich im Gebiet Nikolaev bis Ende 1940 hinzog, ist als Übergangsphase zu bezeichnen. Sie ging mit der Verhaftung und ersten Verurteilung von Tschekisten einher. Die Peripherie stemmte sich in dieser Phase zunächst erfolgreich gegen die Kampagne. Vor Ort in Nikolaev ging die Solidarität im Karamyšev-Fall so weit, dass die Angeklagten mit Hilfe der örtlichen Laienrichter und des zuständigen Militärrichters im Herbst 1940 freigesprochen oder mit relativ milden Strafen belegt wurden. Dienstliche Notwendigkeiten, zur Not auch gegen Recht und Gesetz, zum Schutz des sowjetischen Systems, hatten, ganz im Sinne des Selbstverständnisses der Tschekisten im Großen Terror, den Vorwurf strafrelevante Dienstvergehen begangen zu haben, neutralisiert. Auch beim Ovčinnikov-Fall102 schlugen sich die Bemühungen der örtlichen Eliten, die zentral aus Moskau gesteuerte Kampagne massiv zu verwässern nieder. Der Partei vor Ort und auch im Kiewer Zentrum war bis 1939 nicht aufgefallen, dass es bei Ovčinnikov Unregelmäßigkeiten bei der Amtsführung gegeben hatte. Der Militärstaatsanwalt des Kiewer Sondermilitärbezirks signalisierte selbst noch während des schon laufenden Anklageverfahrens Verständnis für den schließlich doch ins Visier geratenen NKVD-Mitarbeiter, indem er beim Beschluss zur Aufnahme eines Verfahrens gegen Ovčinnikov den aufgeführten Paragraphen in seinen Unterpunkten von schwere in leichte Dienstvergehen veränderte. Dann zeigte sogar das Militärtribunal und insbesondere die örtlichen Laienrichter großes Einfühlungsvermögen gegenüber Ovčinnikovs Rechtfertigungsstrategie. Sie verurteilten ihn, gemessen an der Schwere der Vorwürfe, nur zu einer symbolischen Strafe. Klar unterscheiden muss man jedoch in dieser Orientierungsphase zwischen der Verurteilung der oberen (Gebietsebene) und unteren (Rajonebene einschließlich Stadtabteilungen) Kader. Als im Frühjahr 1939 gegen Livšic, Martynenko, Korobcev, Demčuk, Fedjaev, Semenov, Protopopov und Barvinok103 , die als Vertreter der unteren und mittleren Kader gelten können, ernsthafte Ermittlungen wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit begannen, konnten sie im Gegensatz zum Ovčinnikov- und Karamyšev-Fall auf wenig, oder gar keine Hilfe zu ihrem Schutz vor einer Verurteilung rechnen. Man versuchte sie ganz im Gegenteil wie schon Livšic und andere untere Kader im Jahre 1938 weiterhin als Bauernopfer zu verwenden. Die Führung des NKVD von Nikolaev, die erst nach der dramatischen Ablösung von Karamšev ihre missliche Situation vollständig realisierte, bemühte sich – insbesondere Karamyševs Stellvertreter Pojasov –, den 102 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Karrierist« in der vorliegenden Veröffentlichung. 103 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« die Kapitel: »Gesetzestreue Gebietsleitung«, »Überzeugte Vollstrecker« und »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
Fall Livšic nun durch besonders enthusiastische Aufklärung von dessen Dienstvergehen als Schutzschild zu benutzen, um der eigenen Verhaftung zu entgehen, was ihm auch gelang. Bei dem Prozess gegen Korobcev und Demčuk104 engagierte sich aber nicht ein ebenfalls von Verhaftung bedrohter hoher Mitarbeiter, sondern mit A. A. Gajduk ein junger aufstrebender Tschekist der 3. Abteilung für Konterrevolution des NKVD des Gebiets Kirovograd. Die Fälle Martynenko105 und Fedjaev wiederum wickelte der Sonderbevollmächtige der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev V. N. Nikitin mit viel Einsatz ab. Im Falle Fedjaevs hatte auch noch die Staatanwaltschaft der UdSSR und des Gebiets Nikolaev großes Interesse gezeigt und Druck erzeugt. Diese Phase ist noch stark vom Geist vor Ort beeinflusst. Man konzentrierte sich auf die Verurteilung derjenigen, die »nah dran« gewesen waren bzw. die juristisch nachweisbar gefoltert und gefälscht hatten. Sie wurden durchweg hart bestraft. Dieses Vorgehen war von hierarchischem Denken geleitet, oder plakativ formuliert, ein Exempel statuierten »light«. Denn Führungspersonal, bei dem sich nicht hundertprozentig durch Zeugenaussagen und Beweismaterial nachweisen ließ, dass es selbst bei den Folterungen und Fälschungen mit Hand angelegt hatte und sich außerdem nicht ungeschickt in seiner Verteidigung angestellt hatte, wurde hingegen sehr viel geringer bestraft oder gleich freigesprochen. Aber auch insgesamt wurden die höheren Kader geschont, insbesondere, aber nicht nur, ging dies auf die Beisitzer (Laienrichter) zurück, die eng mit den örtlichen Verhältnissen verknüpft waren. Selbst der ehemalige Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des NKVD von Nikolaev Truškin, der als die Idealfigur für eine Verurteilung in dieser Phase gelten kann, wurde nicht in den Tod geschickt, sondern seine Strafe von Todesstrafe auf 10 Jahre abgemildert. Ein Beleg dafür, dass mit zweierlei Maß gemessen wurde, ist, dass der Militärrichter Gur’ev in seinem Minderheitenvotum im ersten Prozess gegen Karamyšev im Dezember 1940 nichts am Freispruch des ehemaligen NKVD-Chefs auszusetzen hatte, sondern daran, dass Truškins Strafe von »Tod durch Erschießen« in 10 Jahre umgewandelt worden war. Gur’ev war auch die Höhe der Strafe für Voronin zu gering. Der Militärrichter hatte außerdem schon beim einen Monat früher stattgefundenen Fedjaev-Prozess in Cherson hohe Strafen für mittlere Kader durchgesetzt. Der Einfluss der Peripherie auf die Kampagne manifestierte sich auch darin, dass gerade bei den Bauernopfern ein Filter für die Auswahl von Personen, die für einen Prozess in Frage kamen, war, dass sie nicht nur früher wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit aufgefallen waren, sondern u.a. auch schon vorher wegen Alkoholproblemen, schlechter 104 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Überzeugte Vollstrecker« in der vorliegenden Veröffentlichung. 105 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Gesetzestreue Gebietsleitung« in der vorliegenden Veröffentlichung.
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Parteiarbeit, Antisemitismus, Korruption und überergeizigem und denunziatorischem Verhalten, fixiert in ihren Personalakten. Die dritte und letzte Phase der Kampagne, die im Gebiet Nikolaev erst Ende 1940 begann, ist als die endgültige Durchsetzungsphase des Zentrums gegen die Peripherie zu kennzeichnen bzw. als die Phase in der Moskau die enge Symbiose zwischen Peripherie und Zentrum, die während des Großen Terrors geherrscht hatte, einseitig und demonstrativ vollständig aufkündete. Unter klarer Intervention und Regie Moskaus wurden sowohl Karamyšev als auch Ovčinnikov in einem zweiten Prozess mit einer »angemessenen« Strafe belegt. Damit unterstrich man deutlich, dass Dienstvergehen durchaus reichen, Tschekisten zu hohen Strafen zu verurteilen. Dies geschah auf der bereits vorhandenen Materialbasis. Der Interpretationsspielraum zur Bewertung der Materialien wurde dabei durch Moskau aber keineswegs manipuliert, lediglich eingeschränkt und die neue Richtung vorgegeben und auch durchgesetzt. Man störte sich nun nicht mehr daran, dass die Beweislage nicht ganz so optimal war, also in der Hauptsache auf Zeugenaussagen beruhte. Die zuvor angerechneten mildernden Umstände, die als Spiegel der vergangenen, nun nicht mehr tragfähigen allgemeinen Linie gelten können, fielen fast vollständig weg. Wenigstens rettete ein kleiner Teil von ihnen Ovčinnikov noch das Leben.
Schuld und Sühne Die heiße Phase der Kampagne zur Widerherstellung der sozialistischen Gesetzlichkeit war in Nikolaev das Frühjahr 1939 und dies, obwohl Stalin mit seinem legendären Telegramm vom 10. Januar 1939 dem NKVD zur Seite gesprungen zu sein schien. Hier hatte er klargestellt, dass das ZK der VKP(b) 1937 Mittel »physischer Einwirkung« gegenüber Volksfeinden zugelassen hatte.106 Trotz des Telegramms sondierten nun Kommissionen und Sonderbevollmächtigte des NKVD, wer nun konkret für eine Anklage auszuwählen ist. Im Gebiet Nikolaev war das keine leichte Aufgabe, weil die ins Visier geratenen Tschekisten, insbesondere der Gebietsebene, mit umfassender Unterstützung des Gebietsgeheimdienstes und all seiner Ressourcen, selbst unter Zuhilfenahme von Agenten, gerade in dieser Phase wie Pech und Schwefel zusammenhielten. Mit allen Mitteln wehrten sie sich gegen eine Anklage. Vor allem die Akte »Retivye« (die Emsigen) ist ein Zeugnis für die illegalen Praktiken des Geheimdienstes.107 Hier wurde manipuliert, hinzuerfunden und 106 Vgl. ausführlich über das Stalin Telegramm das Kapitel: Stalins »Hilfestellung« für den NKVD, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 466-469. 107 Vgl. unter »Allmacht und Ohnmacht« die Kapitel: »Verschwörung gegen den Geheimdienst« und »Verteidigungsstrategie« in der vorliegenden Veröffentlichung.
Standpunkt
Halbwahrheiten verbreitet. Dieses Tauziehen offenbarte dennoch – und dies macht die Attraktivität der Akte »Retivye« (die Emsigen) aus – das, was die Tschekisten insgeheim gedacht haben, aber nicht offen zu ihrer Verteidigung sagen konnten. Von den bedrängten Tschekisten wurden die von ihnen bestellten Agentenberichte, oder genauer gesagt, die darin enthaltenen, als feindlich deklarierten Aussagen der freigelassenen Opfer als Sprachrohr für ihre eigene Kritik an dem augenblicklichen, für sie völlig unverständlichen Vorgehen der politischen und administrativen Führung genutzt. Dabei ist schwer zwischen dem Standpunkt der mit Verhaftung bedrohten Mitarbeiter des Geheimdienstes und den ihnen zuarbeitenden Agenten zu unterscheiden. Allerdings erscheint dies auch nicht unbedingt notwendig, da die Gedankenwelt beider Gruppen ähnlich war und die Agenten wegen Falschinformation von Verhaftung bedroht waren und somit ebenfalls unter Rechtfertigungsdruck standen. Das Machtzentrum in Moskau wurde als naiv und unentschlossen dargestellt und indirekt Warnungen lanciert, die über die gefährlichen Folgen der Kampagne zur Ahndung der Verstöße gegen die sozialistische Gesetzlichkeit aufklärten. In den Dossiers wurde ausgesprochen, dass Staat und Partei selbst den Boden für die Verfolgungen bereitet haben, die Strafmaßnahmen mit der Einrichtung der außergerichtlichen Organe wie den Trojki und der Dvojka über das Ziel hinausgeschossen sind und das sowjetische Rechtssystem diskreditiert haben sowie gleichzeitig die durchaus als notwendig betrachteten Maßnahmen zur Begrenzung des Schadens in die falsche Richtung laufen. Dies ist jedoch nicht als Systemkritik zu verstehen, sondern als Fingerzeig, für eine milde und faire Behandlung derjenigen, die die staatlichen Direktiven umgesetzt haben. Aber die Warnungen an die Führung mussten, genau wie der mit den Agentenberichten ebenfalls beabsichtigte Diskreditierungsversuch der Opfer, ungehört bleiben. Im gewohnten, nun aber überkommenen Stil des Trotzkismusvorwurfs formuliert, konnte beides nur verhallen. Die Rahmenbedingungen hatten sich entscheidend verändert. Hinzu kam, dass auch die Militärtribunale auf diesem Auge blind waren. Das allgemeine, von Staats- und Parteiführung im Großen Terror geschürte Repressionsklima, das vor Ort auf sehr fruchtbaren Boden gefallenen war, wurde demonstrativ ignoriert, obwohl die Angeklagten sich indirekt, wie der Fedjaev-Prozess108 vermittelt, immer wieder darauf beriefen. Das auffällig hohe Engagement und sehr organisierte, und zunächst erfolgreiche Vorgehen der ins Visier geratenen Tschekisten bei ihrer Selbstverteidigung, speziell von Karamyšev und Ovčinnikov109 , geht auf die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Angeklagten und der Geheimdienstführung in Nikolaev zu108 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Handlanger« in der vorliegenden Veröffentlichung. 109 Vgl. unter »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« das Kapitel: »Karrierist« in der vorliegenden Veröffentlichung.
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rück, ist also die Folge einer stark situativen Konstellation. Letztendlich hatte das aber fatale Folgen für die Angeklagten, denn gerade dieses Zusammenspiel wurde besonders konsequent geahndet. Die im zweiten Karamyšev- und OvčinnikovProzess gefällten Urteile fielen, im Vergleich zu ähnlichen Prozessen, etwa im Gebiet Odessa, im Gebiet Nikolaev auffällig hart aus. Es ist anzunehmen, dass sich die neu bestellten Militärrichter und ihre Beisitzer, die sich nun der besonderen Aufmerksamkeit Moskaus sicher sein konnten, in vorauseilendem Gehorsam verpflichtet sahen, besonders scharfe Urteile zu fällen. Von einem starken Korpsgeist bei den Tschekisten vor dem Hintergrund des zunächst erfolgten Freispruchs zu sprechen ist durchaus angebracht, ihm aber wirkliche Durchsetzungsfähigkeit zu bescheinigen, verfehlt. Ganz im Gegenteil geriet der wichtigste Unterstützer der Angeklagten, der Chef der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev Jurčenko, bei dem es sich nicht um einen professionellen Tschekisten handelte, aufgrund seines Einsatzes für die ehemaligen Mitarbeiter und seiner insgesamt dilettantischen Arbeitsweise, selbst ins Straucheln.110 Direkt vom Journalisten und 1. Sekretär des Rajonkomitees der KP(b) der Ukraine von Bazar des Gebiets Žitomir zum Leiter des Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev aufgestiegen – ein in dieser Phase nicht ungewöhnlicher Fall –, wurde er im Sommer 1940 erst als Leiter des UNKVD abgelöst und im Oktober 1940 ganz aus dem Geheimdienst entlassen. Er arbeitete vom Februar 1941 bis Juni 1941 als Direktor einer Mühle, konnte sich dann allerdings im 2. Weltkrieg wieder bewähren, indem er ab Oktober 1941 in der Roten Armee Geheimdienstaufgaben übernahm. Grundsätzlich hat man nicht den Eindruck, dass die Täter im Großen Terror im Gebiet Nikolaev in erster Linie wegen des Drucks von oben, aus Konformitäts- und Gruppenzwang, blindem Gehorsam handelten, also letztendlich aus Angst gegen Recht und Gesetz oder ihre möglichen moralischen Bedenken und Einstellungen verstoßen zu haben. Besonders deutlich zeigen dies die Akten der verurteilten niederen Kader. Sie erwiesen sich in den Voruntersuchungen und während der Prozesse als wesentlich gesprächiger und durchschaubarer als Karamyšev und auch Ovčinnikov. Zum einen wird unzweifelhaft deutlich, dass die Tschekisten die Taten auch begangen hatten, die ihnen vorgeworfen wurden. Im Gegensatz zu den Angeklagten der Gebietsebene, gaben sie diese offen zu. Zum anderen bestand der Druck von oben, wie sich bei den Prozessen gegen die Rajonebene schließlich herauskristallisiert hat, lediglich darin, dass man im Großen Terror länger, schneller und effektiver arbeiten musste. Die Kader vor Ort waren ansonsten willige und überzeugte Vollstrecker. Sie haben gerne mit Hilfe der über ihnen stehenden Strukturen, die Anweisungen und Vorgaben aus dem Moskauer Zentrum und Kiew den schwierigen Verhältnissen in ihrem Machtbereich angepasst. Sie erscheinen als 110
Protokol operativnogo soveščanija nač. sostava UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 05.04.1940, OGA SBU, Kiev, F. 16, D. 421, L. 108-119.
Standpunkt
ein gut geschmiertes, keineswegs unwichtiges Rädchen im Gesamtsystem der Verfolgungen. Sie waren nicht nur Instrument, sondern aktiv Beteiligte mit eigenen Interessen. Nicht zu zweifeln ist außerdem an ihrer Loyalität zum Regime. Der Apparat des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev handelte also im vollen Bewusstsein dessen, dass er dem System dient. Sie waren Straforgane aus Überzeugung und nicht Straforgane unter Zwang. Der durchsichtige Rekurs der Angeklagten der Rajon-NKVDs und der Miliz von Dolinsk auf Befehlsnotstand stellt sich als ein von ihnen ad hoc und eher dilettantisch ausgearbeitetes Konstrukt dar, mit dem sie versuchten, die neue Situation 1939, in der nun das kriminalisiert wurde, was ihnen vorher im Großen Terror als richtig erschienen war, zu kompensieren. Gerade die starken Brüche in der Rechtfertigungsstrategie der Tschekisten haben es erlaubt, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und sich damit der Psychologie der Täter aber auch der realen Vorgänge während und nach dem Großen Terror deutlicher als bei den Prozessen gegen die Tschekisten der höheren Ebene anzunähern. Zu Gute kam der Analyse auch der Umstand, dass im Gegensatz zum Nationalsozialismus gerade die unteren Kader aufgrund der Regimekontinuität nicht genau einschätzen konnten, wie ihre Erfolgschancen auf Freispruch waren und ob tatsächlich eine andere Zeit angebrochen war. Deutlich nachvollziehbar war der Wandel ihrer Selbstwahrnehmung vom Gefühl der Allmacht zur Ohnmacht. Dementsprechend kann man im Unterschied zu den Nazitätern dem Thema »Befehlsnotstand«, man also gezwungen war wider besseres Wissen und gegen das eigene Gewissen die Befehle von oben auszuführen, real eine in der Rechtfertigungsstrategie der Angeklagten marginale Rolle zuweisen. Eher im Sinne des Begriffs »positiver Befehlsnotstand«111 interessierte sie – und dies betrifft ausnahmslos alle Ebenen der Hierarchie – die Rechtsgültigkeit der Befehle und Direktiven wenig und moralische Bedenken waren kein Thema. Die Legitimation der Befehle durch staatliche Stellen und die Partei stand an oberster Stelle oder mit Hannah Arendt ausgedrückt: Der Wille der Führung war ausschlaggebend für die Beurteilung der »Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Handlung.«112 Gegen die insbesondere von Oleg Mozochin, Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes, vertretene Position, nach der der NKVD reiner Empfänger und Exekutor von Befehlen gewesen sei113 , ist somit einzuwenden, dass der NKVD – einschließlich der Miliz – integraler Teil des Systems war und gerade 1937-1938 über großen Gestaltungsspielraum verfügt hat. Auch die gewichtige Rolle der niedrigsten Ebenen beider Institutionen, der Rajon- und Stadtabteilungen, die im Zuge der 111 112 113
Viola, L., The Question of the Perpetrator in Soviet History, in: Slavic Review, 72, 2013, № 1, S. 1-23, hier S. 4. Arendt, H., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus. Imperialismus. Totalitarismus, München 2003, S. 844. Mozochin, O. B., Pravo na repressii. Vnesudebnye polnomočija organov gosudarstvennoj bezopasnosti. 1918-1953, Moskau 2006.
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Durchführung von Befehl № 00447 die Möglichkeit nutzten, praktisch alle irgendwie auffällig gewordene Personen ohne lästige Kontrolle und langwierige Verfahren loszuwerden, wird dabei außer Acht gelassen. So muss schon auf Grund der bei Befehl № 00447 festgestellten breiten Übertragung von Kompetenzen und Vollmachten an untergeordnete Stellen von einem »partiellen Gleichklang der Motive von Führer und Gefolgschaft« ausgegangen werden. Der NKVD und seine Mitarbeiter haben in Übereinstimmung mit der Ideologie und den Motiven der Staatsmacht gehandelt.114 Sie haben, ebenso wie andere Instanzen und Organisationen des Staates, der Führung, die ihnen ihr Verhalten ermöglicht hat, »entgegengearbeitet«. Aber auch rein juristisch gesehen kommt eine Entlastung für die begangenen Taten nicht in Frage. Bei den Tätern fand weder während, noch nach dem Großen Terror eine Reflexion über den verbrecherischen Aspekt ihrer Taten statt; auch nicht darüber, dass ihre Vorbilder aus Kiew und Moskau ungesetzlich und verbrecherisch gehandelt haben. Nur einige wenige signalisierten doch verstanden zu haben, was im Großen Terror vor sich gegangen war. Der ehemalige Leiter des UNKVD des Gebiets Čeljabinsk F. G. Lapšin, verhaftet 1939, verfasste in seinen Aussagen ein Extrakapitel mit der Überschrift »Wie ich zum Verbrecher wurde«, in dem er unter anderem schrieb: »Es gab Momente in denen bei mir ein Gefühl von Gewissen, Scham und Reue erwachte. Der Wunsch kam auf, offen davon zu erzählen und die laufenden Verbrechen zu beenden. Aber ich habe die Verantwortung gescheut und nichts gemacht und mich in mich zurückgezogen. Die Maschine fuhr fort wie vorher zu arbeiten.«115
Avantgarde versus »ordinary men« Der Fall der Tschekisten war, wie die Materialien aus Nikolaev auch zeigen, deshalb besonders tief, weil der NKVD zumindest in diesem Gebiet vorher, während des Großen Terrors, zu einer Schlüsselbehörde aufgestiegen war. Der Gesinnungsund Loyalitätspolizei war in dieser Periode, neben sozialen Aufgaben, auch noch verstärkt die Aufgabe einer Polizei für das Funktionieren der Ökonomie von wichtigen Bereichen aufgebürdet worden. Der NKVD überwachte zwar auch schon vorm 114
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Vgl. das von dem deutschen Historiker und Sowjetologen Jürgen Zarusky verwendete Konzept von der »Ermöglichungsmacht«: Zarusky, J., Herrschaftsstellung und Herrschaftsstil der Diktatoren, in: Zarusky, J. (Hg.), Stalin und die Deutschen, München 2006, S. 248. Veprev, O. V./Ljutov, V. V., Gosudarstvennaja bezopasnost’. Tri veka na južnom Urale, Čeljabinsk 2002. S. 311-312. Dank an A. Tepljakov.
Standpunkt
Großen Terror die großen Fabriken und ahndete Dienstvergehen von verantwortlichen Personen (Unterschlagung, bewusste Nichtbeachtung von Regeln technologischer Prozesse um die Planvorgaben leichter erfüllen zu können) bzw. übte Druck auf Personen aus, die die Disziplin verletzten, Pfusch zuließen und praktizierten und Technologie zerstörten.116 Zu betonen ist aber, dass diese Funktion im Großen Terror noch einmal ausgebaut worden war. In Kombination mit der Schwächung der Macht der örtlichen Parteigremien durch zahlreiche Verhaftungen und Entlassungen hatte der NKVD wahre Höhenflüge erlebt, was Ordnungsmacht und Einfluss betreffen. In Nikolaev übernahm im Großen Terror der NKVD mit Karamyšev an der Spitze u.a. die vollständige Kontrolle über die Schiffsbaugiganten und bekämpfte mit seinen Mitteln die zweifelsfrei weit verbreitete Desorganisation, Korruption, Improvisation und den Pfusch.117 Karamyšev operierte jedoch nicht etwa widerwillig und nur aufgrund des Drucks aus Kiew und Moskau, sondern mit großem individuellem Engagement. Abstrakt formuliert war dieser Täter nicht nur Opfer von Ort und Zeit oder ausschließlich Instrument örtlicher und übergreifender staatlicher und parteilicher Metastrukturen. Er war Teil eines Täternetzwerkes, das sich durch großes Konsenspotential auszeichnete. Er war es gewesen, der im Mai 1938 Seite an Seite mit dem neuen und jungen, ideologisch besonders scharfen Parteisekretär P. I. Starygin auf der VI. Stadtparteikonferenz von Nikolaev und der Gebietsparteikonferenz auftrat und den verschiedenen Parteiorganisationen des Gebiets und der großen Fabriken, mit Stalin auf der Zunge, eine lediglich zur Schau gestellte Wachsamkeit vorwarf. Dagegen forderte er echte bolschewistische Wachsamkeit ein und las daneben noch der Partei und den Staatsstrukturen öffentlich und sogar unter der Nennung von konkreten Namen auf den Gebieten der Ökonomie (Fabriken und Handel) und der Volksbildung die Leviten. Unter anderem kritisierte er das spätere Opfer seiner Behörde, den Zweiten Sekretär des Gebietskomitees von Nikolaev D. Ch. Derevjančenko, weil dieser es an Selbstkritik und Kritik des Organisationsbüros des Komitees der Partei hatte mangeln lassen. Ebenfalls stellte Karamyšev zu diesem Zeitpunkt auch schon den Leiter der Werkstatt zur Herstellung von Schiffrümpfen der Werft № 200 L. P. Fomin, wegen seines Einsatzes für den ehemaligen Fabrikdirektor F. Ja. Pletnev, öffentlich bloß.118 116 117
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Zu den ökonomischen Überwachungsaufgaben des NKVD vor dem Großen Terror. Vgl.: Tepljakov, A., Mašina terrora. OGPU – NKVD v Sibiri v 1929-1941 gg., Moskau 2008, S. 422. Vgl. dazu insbesondere die Negativaussagen der Zeugen zur Arbeitsweise und Arbeitsorganisation der angeklagten Ingenieure und Facharbeiter im Prozess vom 4.–8. April 1939: Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala … 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 41-57 ob. Karamyšev, P. V., Vyše revoljucionnuju bditel’nost’, in: Južnaja Pravda, 23.05.1938, № 110 Dank an Maria Panova und Irina Buchareva für die Durchsicht der Zeitung »Južnaja Pravda«. Vgl. auch: Vystuplenie P. I. Starygina i P. V. Karamyševa na večernom zasedanii I oblastnoj konferencii KP(b) U Nikolaevskoj oblasti. 24.05.1938, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 3, L. 1-7,
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Auf der Ersten Parteikonferenz des Gebiets Nikolaev vom 24. bis 29. Mai 1938 wurde Karamyšev zum Mitglied des Gebietskomitees und des Organisationsbüros der Parteiorganisation des Gebiets Nikolaev gewählt. Sein Name trat direkt nach den drei Parteisekretären auf.119 Ein Untergebener von Karamyšev beschrieb den Eindruck, den sein Chef auf der Parteikonferenz hinterlassen hatte, folgendermaßen: »Karamyšev nahm seine Arbeit im Nikolaever UNKVD im März 1938 auf. Im Mai 1938 trat er auf der Gebiets-Konferenz der KP(b) der Ukraine auf. In seinem Auftritt zeichnete er ein ziemlich düsteres Bild, das darauf hinauslief, dass überall und nirgends Feinde wimmeln.«120 Am 25. Juni 1938 erfolgte Karamyševs Wahl zum Obersten Sowjet der Ukraine. Ein betagter Kolchosmitarbeiter aus seinem Wahlbezirk schwärmt öffentlich in der Zeitung: »Dafür, dass du, Petr Vasil’evič, mit Scharfblick unser unüberschaubares Land vor Feinden schützt [lieben wir dich]; dafür, dass du erbarmungslos zu den Feinden bist, dass du dein Volk liebst und alle deine Kräfte und deine Gesundheit dem Ruhm deines Volkes opferst. Wir sehen all dies und sind stolz auf dich, sind stolz darauf, wie ein ehrenhafter sowjetischer Geheimdienstmann arbeitet.«121 Gleichzeitig behängte man Karamyšev mit hohen Orden für seinen Einsatz für Partei und Staat.122 Er bekam sogar, allerdings bevor er nach Nikolaev kam, als einziger ukrainischer Tschekist auch den »Lenin-Orden« verliehen.123 Karamyšev ließ es jedoch nicht dabei bewenden, sondern schwang sich im Gebiet Nikolaev an die Spitze einer von Moskau im Frühjahr 1938 lancierten Kampagne zur Stärkung der Schiffsbauindustrie. Den Auftakt bildete für Nikolaev ein Ende März in der »Južnaja Pravda« (Süd-Pravda) abgedruckter »Pravda-Artikel« 167-170. Sämtliche von und über Karamyšev in der »Južnaja Pravda« veröffentlichten Artikel (siehe auch unten) sind abgedruckt im Abschnitt »Gazetnye stat’i načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa«, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 406-441. 119 Pervaja Nikolaevskaja partijnaja konferencija zakončila svoju rabotu, in: Južnaja Pravda. 30.05.1938, № 116, S. 1. 120 Protokol doprosa svidetelja M. V. Garbuzova. 21.01.1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 3, L. 133-141. 121 Naši kandidaty v deputaty Verchovnogo Soveta USSR: Petr Karamyšev, in: Južnaja Pravda. 30.05.1938. № 116, S. [?]. 122 Zur extrem hohen sozialen Mobilität von Mitarbeitern des Geheimdienstes bis Ende 1938 vgl.: Savin, A., Orden für die Kollektivierung. Die Rolle von Auszeichnungen für den Aufstieg der Tscheka-Kommandeure in die neue sowjetische Elite in den 1930er Jahren, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, 65, 2017, № 2, S. 239-261. 123 Segodnja vse na vybory Verchovnogo Soveta Ukrainy, in: Južnaja Pravda, 25.06.1938, № 139, S. 8.
Standpunkt
mit der Überschrift »Einführung bolschewistischer Ordnung beim Wassertransportwesen.«124 Ab Ende Mai bis Ende Juni 1938 setzte sich dann Karamyšev in regelmäßigen Abständen mit fünf großen, fast ein Drittel der Zeitungsseiten einnehmenden Artikeln in der örtlichen Presse in Szene. Hier erwies er sich als regelrechter Falke, indem er in der (Schiffsbau-)Industrie von Nikolaev geradezu rituell ein Bedrohungsscenario aus »ausländischen faschistischen Geheimdiensten und ihrer trotzkistisch-bucharinistischen, bourgeoise-nationalistischen und anderer Agentur« heraufbeschwor, deren Werkzeuge unzählige Saboteure waren.125 Die Artikel Karamyšev kopierten die Intention des Artikels »Über einige heimtückische Methoden ausländischer Geheimdienste«, der in der Pravda am 4. Mai 1937 erschien und unter direkter Beteiligung Stalins entstanden ist. Der Pravda-Artikel war ein wichtiges Element der ideologischen Begleitung des Großen Terrors. Der Artikel wurde mehrmals in örtlichen Zeitungen und auch Büchern nachgedruckt und zur Propaganda genutzt. Er war darüber hinaus Gegenstand in verschieden, von Staat und Partei organisierten Diskussionszirkeln. Daneben erschienen eine Reihe ähnlicher Artikel führender Persönlichkeiten aus Staat und Partei in der Presse: Z.B. der des stellvertretenden Volkskommissars des Inneren der Ukrainischen SSR L. M. Zakovskijs »Methoden und Herangehensweisen ausländischer Geheimdienstorgane und ihrer trotzkistisch-bucharinistischen Agenturen«, der Artikel des Obersten Staatsanwaltes der Sowjetunion A. Ja. Vyšinskijs »Methoden der subversiven Sabotage trotzkistisch-faschistischer Agenten«, der von N. Rubin und Ja. Serebrov »Über die umstürzlerische Tätigkeit der faschistischen Geheimdienste in der UdSSR und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung« und der Artikel von S. Uranov »Die heimtückischen Methoden der Anwerbung von ausländischen Geheimdiensten.«126 Karamyševs ständigen Auftritte in der »Južnaja Pravda« fanden ausdrücklich von höchster Stelle in Moskau Unterstützung: »Die Presseabteilung des ZK der Partei hat meine Mitarbeit in der Presse wohlwollend beurteilt und sogar angeboten, das von mir Geschriebene als gesonderte Broschüre herauszugeben.«127 124 Navesti bol’ševistskij porjadok na vodnom transporte, in: Južnaja Pravda, 30.03.1938, № 67, S. 1. 125 Die Artikel erschienen immer unter derselben Überschrift als Fortsetzung. Vgl.: Karamyšev, P. V., O metodach i priemach podryvnoj raboty fašistskich razvedok i ich trockistsko–bucharinskoj buržuazno–nacionalstičeskoj agentury, in: Južnaja Pravda, 23.05.1938, № 110; 24.05.1938, № 111; 04.06.1938, № 120; 09.06.1938, № 124; 30.06.1938, № 144; 04.07.1938, № 146; 10.07.1938, № 151. 126 Chlevnjuk, Chozjain, S. 297-298. 127 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, еbd., T. 13, L. 430 ob.
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Orchestriert wurden seine Artikel durch Reaktionen von Arbeitern der entsprechenden Fabriken, die versprachen, angesichts der Gefahr, noch mehr und noch besser arbeiten zu wollen.128 Schließlich fehlten auch nicht Auftritte von Karamyšev auf Massenversammlungen von Arbeitern.129 Die mentale Ausrichtung Karamyševs hatte unmittelbaren Einfluss auf seine Arbeit als Geheimdienstchef, wobei er eng mit Kiew zusammenarbeitete. Der ehemalige Fahndungsbevollmächtigte des UNKVD von Nikolaev T. T. Čerkes gibt nicht nur zu Protokoll, dass im Sommer 1938 von Karamyšev die Anordnung erfolgt sei, 2.000 Personen zu verhaften und sich nicht mehr so oft an die Staatsanwaltschaft zu wenden, sondern er beschreibt auch die Grundhaltung seines Chefs: »Karamyšev war damals gerade aus Kiew zurückgekehrt und sprach von der Notwendigkeit der Säuberung des Gebiets wegen des bevorstehenden Krieges.«130 Die örtliche Partei leistete ebenfalls ihren Beitrag zur Kampagne, indem auf der Gebietsparteikonferenz der KP(b) der Ukraine des Nikolaever Gebiets die extremen Schwächen der beiden Schiffsbaufabriken № 200 und № 198 offen gelegt wurden, vor allem die Sabotagetätigkeit der »Feinde«, die in der Fabrik № 200 zur Explosion der Kessel, mit Toten und Verletzten geführt, Pfusch begünstigt und die Arbeitsmoral habe sinken lassen.131 Einen Monat später, am 22. Juni, also kurz nach dem Frinovskij-Telegramm, erfolgt dann vom Büro des Gebietskomitees der Partei eine detaillierte Erklärung zum desolaten technischen, organisatorischen und ideologisch-politischen Zustand von Fabrik und Leitung der Werft № 200. Hier hieß es abschließend: »Die Fabrik hat einen gegen den Staat gerichteten Pfad eingeschlagen indem die von Regierung und Partei gesetzte Aufgabe des Aufbaus einer starken Militärflotte für das Land nicht erfüllt wird.«132 Anfang Juli erschien in der »Južnaja Pravda« eine Rede des Staatschefs der UdSSR, des Vorsitzenden des Zentralen Exekutivkomitees, M. I. Kalinin: »Für eine große 128
Do konca razgromit’ vrašeskuju agenturu. Obzor pisem i otklikov trudjaščichsja na stat’i P. V. Karamyševa »O metodach i priemach podryvnoj raboty fašistskich razvedok i ich trockistsko–bucharinskoj i buržuazno–nacionalističeskoj agentury«, in: Južnaja Pravda, 15.07.1938, № 155, S. 3. 129 Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 430 ob. 130 Ebd., L. 405-458. 131 Otčetnyj doklad o dejatel’nosti orgbjuro CK KP(b) Ukrainy po Nikolaevskoj oblasti na I oblastnoj partijnoj konferencii. 24.05.1938, GA NikO Ukrainy, F. P–7, Op. 1, D. 4, L. 87-89; Otčetnyj doklad o dejatel’nosti orgbjuro CK KP(b) Ukrainy po Nikolaevskoj oblasti na I oblastnoj partijnoj konferencii. 25.05.1938, ebd., D. 5, L. 110. 132 Postanovlene bjuro obkoma KP(b) Ukrainy Nikolaevskoj oblasti »O chode vypolnenija proizvodstvennoj programmy po zavodu № 200«. 22.06.1938, ebd., D. 18, L. 128-131.
Standpunkt
sowjetische Hochseeflotte« vor Arbeitern, Ingenieuren und Technikern der Schiffsbaufabrik Ordžonikidze in Leningrad, in der er verlangte, so schnell wie möglich anzufangen zu bauen, möglichst preiswert und mit hoher Qualität. Man befinde sich im Konkurrenz- und Aufrüstungskampf mit den stärksten kapitalistischen Ländern. Das Ziel sei es, diese zu überholen. Durchaus als Kontrapunkt zu Karamyšev anzusehen war seine Kritik, dass man »alle Mängel auf Schädlinge abwälzen möchte.« Vielmehr forderte er entschiedene Selbstkritik ein.133 Vor diesem Hintergrund stellt sich Karamyšev nicht mehr als ein von höherer Stelle getriebener Untergebener dar, sondern im umfassenden Sinne als aktiver Teil einer Kampagne zum Aufbau einer Kriegsmarine, deren Wichtigkeit in Nikolaev im Juni und Juli 1938 durch das Telegramm des stellvertretenden Leiters des Volkskommissars des Inneren der UdSSR Frinovskijs, die Visite des Volkskommissars des Inneren der Ukraine Uspenskijs und den Besuch des Volkskommissars für Schiffsbauindustrie der UdSSR Tevosjans nur noch zusätzlich unterstrichen wurde. Bei den Prozessen gegen die Tschekisten entsteht aber, entgegen des außenpolitischen Schwerpunkts der Militärflotten-Kampagne der Eindruck, dass Karamyšev fast ausschließlich die örtlichen Probleme interessierten und er in enger Symbiose und Zusammenarbeit mit der Parteiführung des Gebiets134 , tatkräftig unterstützt vom ukrainischen Republikgeheimdienst und Partei in Kiew und auch der Justiz, die inneren Feinde bekämpfte und Spielräume für seine Arbeit breit nutzte. Mit sicherer Hand hatte er sich immer das Passende aus den sehr weich formulierten und demensprechend interpretierbaren Befehlen aus Moskau herausgesucht. Dass es dabei zu ernsthaften »liberalen« Abweichungen von der von seinem Kiewer Vorgesetzten Uspenskij verfolgten harten Linie gegeben hat, wie Karamyšev dann im Nachhinein behauptete, kann praktisch ausgeschlossen werden. Falsch ist auch Karamyševs Aussage, er habe in seinem Gebiet fünf- bis sechsmal oder sogar zehnmal weniger Menschen verfolgen lassen als in anderen Gebieten. Er lag im Durchschnitt.135 133
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Kalinin M. I., Za bol’šoj sovetskoj morskoj flot. Iz reči na sobranii rabočich, inženerov i techničeskich rabotnikov i služaščich zavoda im. Ordžonikidze v Leningrade ot 19.06.1938, in: Južnaja Pravda, 08.07.1938, № 148, S. 2. Die Spitze des Eisbergs der engen Zusammenarbeit ist die direkte Teilnahme des Ersten Parteisekretärs des Gebietskomitees von Nikolaev der KP(b) der Ukraine P. I. Starygin an Verhören von Parteimitgliedern. Vgl.: Protokol doprosa obvinjaemogo Ja. L. Truškina. 16.08.1939, еbd., T. 2, L. 1-9. Der Parteisekretär nahm außerdem regelmäßig an operativen Versammlungen des NKVD teil. Vgl.: Protokol zakrytogo sudebnogo zasedanija VT… 18.–23.03.1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990, T. 13, L. 430 ob. Die Verfolgungszahlen für das Gebiet Nikolaev sind allerdings zwischen Januar und November 1938 unvollständig und bisher nicht verifizierbar. Vgl.: Sowjetunionweite Verfolgungsstatistik, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 648-649.
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Karamyšev befand sich also im Juni/Juli 1938 auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Seine hohe persönliche Autorität und sein hoher Integrationsgrad in das örtliche Machtgefüge ist nicht nur auf seine Position als Leiter des UNKVD von Nikolaev zurückzuführen, sondern sie ruhten auch auf seinem hohen politischen Status, getragen durch seine Parteiämter und Auftritte auf Parteiversammlungen, Parteitagen, vor den »Massen« und in der Presse und nicht zuletzt auf seinem hohen persönlichen Engagement.136 Der sich kurze Zeit später ereignende Großbrand in der Werft № 200 von Anfang August war insofern ein erheblicher Misserfolg für Karamyšev, den er und sein Apparat mit entsprechend großem Einsatz, Eifer und Härte wieder wett zu machen versuchten. Die verurteilten Mitarbeiter der 2. Abteilung mit Truškin an der Spitze waren nicht weniger enthusiastisch als Karamyšev dabei gewesen, allerdings auf der Ebene der direkten Feindfindung. Die Führung vor Ort trug den Terror mit, sie wurde keineswegs heimtückisch manipuliert und von gewissenlosen zentralen Strukturen und Führern missbraucht. Das Verhältnis von lokalen und übergreifenden Handlungsebenen zeichnete sich vielmehr durch Patronage und Protektion aus. Zweifellos vorhandene Konflikte und Rivalitäten, untereinander und vertikal, haben eher zu einer Dynamisierung als zu einer Beeinträchtigung der Zusammenarbeit geführt. Informelle Befehlspraxis war an der Tagesordnung. Diese Männer, einschließlich Karamyšev, als »ordinary men« zu bezeichnen ist kaum möglich. Es bietet sich vielmehr ein Vergleich mit der SS und SA des nationalsozialistischen Regimes Deutschlands an. Wenn auch, im Gegensatz zur SS und SA, nicht besonders gebildet und von niedriger sozialer Herkunft waren die Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes und der Polizei – und das verbindet sie wiederum mit den deutschen Schergen – faktisch und auch in ihrem Selbstgefühl ein herausgehobenes Element der sowjetischen Gesellschaft, nochmal deutlich aufgewertet in der Phase des Großen Terrors. Sie fanden sich hervorragend im System zurecht, in dem sie ihre Karriere gemacht hatten und deren Produkt sie waren und dem sie, wie ihre Biographien zeigen, alles zu verdanken hatten. Sie sind als engagierte Vertreter der offiziellen Linie anzusehen, die Staat und Partei gegen das, was sie für eine echte Gefahr hielten, zu schützen. Das stalinistische System hatte, nochmal verstärkt im Großen Terror, Scharfmachern und jungen, karrierebewussten Tschekisten wie ihnen besonders großen Raum und geradezu kometenhafte Aufstiegschancen geboten. Der Anwendung von Folter und Fälschung zur Erleichterung und Beschleunigung ihrer Arbeit nicht abgeneigt, waren die verurteilten Tschekisten im Gebiet Nikolaev also weder Karrieristen im negativen Sinne des Wortes oder Sadisten, die zu ihrem eigenen persönlichen Vorteil gehandelt hatten. Ihr Fokus war 136
Zur Bedeutung und Füllung der Begriffe Status und Autorität in der Sowjetunion. Vgl.: Dahlke, Individuum und Herrschaft im Stalinismus, S. 186.
Standpunkt
die Absicherung des jungen, aufstrebenden sozialistischen Systems vor Ort, situative Faktoren spielten bei ihrem Handeln eine untergeordnete Rolle, wobei aber offensichtlich wird, dass die von ihnen im Bürgerkrieg und während der Kollektivierung und Industrialisierung eingeübte Gewaltkultur im Großen Terror sofort wieder virulent werden konnte. Den Antrieb der Tschekisten handlungsleitend auf einen besonders hohen Grad an Ideologisierung zurückzuführen war dokumentarisch nicht nachweisbar, zumal die marxistische Ideologie nicht aufhetzend oder primär aufhetzend ist. Dies unterscheidet die sowjetischen Täter wiederum klar von der SS und SA. Sie handelten vielmehr ausschließlich im Kontext der durch Staat und Partei extrem aufgeheizten Atmosphäre der rücksichtslosen gewaltsamen Stabilisierung des stalinistischen Umbaus von Ökonomie und Gesellschaft. Ihr Rahmen war eine berechtigter Weise als Krise wahrgenommene Situation, in der zur Herrschaftssicherung dichotomische Freund-Feind Schablonen und Wahrnehmungsmuster von allgegenwärtiger Konspiration und Sabotage, transportiert durch Medien und verschiedene Akteure, gefördert wurden.137 Reaktiviert wurde in dieser Situation die gewalttätige Bürgerkriegspsychologie von innerer und äußerer Bedrohung. Eine pauschale Dehumanisierung der Opfer über Entindividualisierung und Kategorisierung, wie im Nationalsozialismus, hat dabei aber dennoch nicht oder nicht in dem Ausmaß stattgefunden, was allerdings für die zahlreichen Opfer wenig tröstlich ist. Aufgrund des enormen Machtzuwachses und seiner zentralen gesellschaftlichen und ökonomischen Aufgaben und Stellung geriet der NKVD unweigerlich zwischen die Fronten. Die Anforderungen an die Industriebetriebe in Nikolaev waren mit unerfüllbaren Erwartungen überfrachtet, dagegen die technischen und organisatorischen Möglichkeiten extrem begrenzt und die zur Verfügung stehenden Fachkräfte äußerst rar. Es herrschte Materialmangel, Fachkräfte fehlten, die vorhandenen Materialien waren von schlechtester Qualität und die Arbeitsorganisation chaotisch.138 Die Lösung des örtlichen NKVD mit Hilfe von Verhaftungen und Druck die Situation in den Griff zu bekommen und den Arbeitern und Fachkräften aktive und bewusste Sabotage zu unterstellen, brachte nur mäßigen Erfolg, wenn es auch den NKVD etwas entlastete. Der Großbrand in der Werft № 200 vom Sommer 1938 war aber nicht nur ein riesiger Misserfolg für den Geheimdienst von Nikolaev, sondern ist vor allem ein Sinnbild für das klägliche Scheitern staatlicher Kampagnen- und Zwangspolitik in Ökonomie und Gesellschaft mit Hilfe von Polizei und Staatssicherheitsdienst. 137
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Zur Tendenz der Polarisierung. Vgl.: Beyrau, D., Das bolschewistische Projekt als Entwurf und als soziale Praxis, in: Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit. (Hg. von Wolfgang Harthwig unter Mitarbeit von Philip Cassier), München 2003, S. 13-39, hier S. 38; Dahlke, Individuum und Herrschaft, S. 414, 418. Vgl.: Protokol sudebnogo zasedanija Voennogo tribunala … 04.–08.04.1939, OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 1192–s, T. 9, L. 41-57 ob.
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Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz Tschekisten und Milizmitarbeiter wurden in der Ukraine 1939-1941, wie festgestellt, nicht mehr auf der Grundlage von politischen Paragraphen wegen Trotzkismus verurteilt.139 Vielmehr belangte man sie nun systematisch nach dem explizit unpolitischen Paragraphen 206, Punkt 17 a) und b) des Strafgesetzbuches der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (UK USSR) wegen Dienstvergehen.140 Daneben wurden zahlreich weitere Mitarbeiter – ebenfalls systematisch – wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit verhört, mit Disziplinarstrafen belegt, versetzt oder entlassen, aber letztendlich ohne sie gerichtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Vorgehen weist nicht nur auf einen Paradigmenwechsel bei den Verfolgungsmotiven hin, sondern war auch Ausdruck und Folge der tatsächlichen Veränderung der Funktion des Geheimdienstes und der Miliz.141 Nach der »erfolgreichen« politischen und auch physischen Vernichtung organisierter Opposition und Unterdrückung kritischen Geistes in der Sowjetunion, also der Durchsetzung des Einheitszwangs, wandelte sich der Daseinszweck von Geheimdienst und Miliz von einem Instrument des innenpolitischen Kampfes der stärksten Fraktion in der Partei, der Stalinisten, gegen Trotzkisten, Bucharinisten, Zinov’evisten und andere vermeintlich Illoyale, zum Staatsschutz. Dies schlug sich auch in den Bezeichnungen nieder. Schon ab 1934 wurde der Geheimdienst von Vereinigte staatliche politische Verwaltung (OGPU) in Verwaltung für Staatssicherheit (UGB) umbenannt, allerdings noch schamhaft versteckt unter dem Mantel des Volkskommissariats des Inneren (NKVD), der neuen gemeinsamen Dachstruktur für Geheimdienst und Miliz, die aber oft mit dem Geheimdienst gleichgesetzt wird, zumal sie vom Chef des Geheimdienstes geleitet wurde. Erst ab 1941 bezeichnete man das Volkskommissariats des Inneren (NKVD) eindeutig und konsequent als Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB). Ab 1954 fiel schließlich auch noch das ideologische Feigenblatt »Volkskommissariat« weg, indem die Dachstruktur ganz verschwand und Geheimdienst und Miliz wieder zu eigenständigen Behörden wurden. Der Geheimdienst hieß von nun an ganz offen Komitee für Staatssicherheit (KGB). 139
Dieser Abschnitt wurde vom Autor auf der Basis einer Kooperation und Diskussion mit Benno Ennker verfasst. 140 In der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wurden die Mitarbeiter von Miliz und Geheimdienst nach den in etwa gleichlautenden Paragraphen 109 und 110 des Gesetzeskodexes dieser Republik verurteilt. 141 Auch Susanne Schattenberg stellt durch die Analyse von Filmen eine Wende in der zugeschriebenen Rolle und Funktion des NKVD 1938/39 fest. Vgl.: Schattenberg, Stalins Ingenieure, S. 397-400. Rittersporn spricht allgemein von einer Wiederentdeckung der Intelligenzia 1939. Vgl.: Rittersporn, G., Stalinist Simplifications and Soviet Complications. Social Tensions and Political Conflicts in the USSR. 1933-1953, Chur u.a. 1991, S. 322.
Standpunkt
Einschränkend ist in Bezug auf den praktischen Wegfall politischer Verurteilung von Geheimdienst- und Milizmitarbeitern jedoch zu sagen, dass nicht gesichert ist, dass die Motive der Verfolgung der Tschekisten und Milizmitarbeiter vor Ort in den Provinzen mit den Motiven der nicht untersuchten Verurteilung von hohen Provinzkadern im Moskauer Zentrum durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR übereinstimmen. Weitgehend unbekannt sind, ebenfalls aus Mangel an Zugangsmöglichkeit zu den Quellen, auch Inhalt und Motive der Verurteilung von Kadern des zentralen Moskauer NKVD-Apparats. Die wenigen veröffentlichten, aber gänzlich unvollständigen Materialien von solchen Prozessen, die in der Zentrale der Sowjetunion durchgeführt wurden, deuten aber zu mindestens darauf hin, dass auch hier der Vorwurf des Trotzkismus verblasste. Die Anklage lautete nicht mehr durchgehend »trotzkistische Verschwörung im NKVD«, sondern »nur« noch »Verschwörung im NKVD«, untermauert durch Vorwürfe von Dienstvergehen.142 Der Kontext für den beschriebenen Wandel ist, dass sich die Sowjetunion bereits seit Anfang der dreißiger Jahre in einem Prozess der Verstaatlichung143 der gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen befand. Die Berufung auf Lenins revolutionäre These vom »absterbenden Staat«144 , den das »als herrschende Klasse organisierte Proletariat« nur in einer kurzen Übergansphase brauche, wurde während der gesamten dreißiger Jahre als anti-sowjetisch denunziert. Kritisiert wurden beispielsweise L. D. Trotzki und N. I. Bucharin für ihre Äußerungen zum Verschwinden bzw. Umbau des Staates. Ausdrücklich als konterrevolutionär bezeich142 Vgl.: Spravka voennogo prokurora оtdela Glavnoj voennoj prokuratury SSSR Chimiča po delu byv. nač. UNKVD Moskovskoj oblasti S. F. Redensa.13.09.1955, in: Naumov, L., Stalin i NKVD, Moskau 2007, S. 497-501. In Bezug auf die Verurteilung von Führungspersonal des NKVD in Moskau durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR vgl. auch: Pokazanija byvšich sotrudnikov UNKVD po Altajskomu kraju pri rassmotrenii ich del Voennoj kollegiej Verchovnogo suda SSSR. 27.–29.05.1941, OSD UADA AK, F. r. 2, Op. 7, D. 5700/8, L. 288-290. In einem persönlichen Gespräch mit dem Autor hat der russische Historiker Vladimir Chaustov, dem in handschriftlicher Übertragung Teile der Untersuchungsakte des ehemaligen stellvertretenden Volkskommissars des Inneren M. P. Frinovskijs vorliegen, zudem bestätigt, dass Trotzkismus in der Akte keine Rolle mehr spielt. Frinovskij wurde am 04.02.1940 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zum Tode verurteilt. Vgl. auch: Iz obvinitel’nogo zaključenija sledovatelja sledsvennoj časti GUGB NKVD SSSR po delu byv. zamestitelja narkoma vnutrennich del SSSR M. P. Frinovskogo. [Ne pozdnee 02.02.1940], in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, S. 723-724.; Iz prigovora Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR v otnošenii byv. zamestitelja narkoma vnutrennich del SSSR M. P. Frinovskogo. 02.02.1940, in: Ebd., S. 724-725. 143 Ogosudarstvlenie. 144 Lenin W. I., Staat und Revolution//https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1917/ staatrev/ (03.11.2017). Zum Verständnis Lenins von der Rolle des Staates, vgl.: Harding, N., Lenin, socialism and the state in 1917, in: Rogovin-Frankl, E./Frankl, J./Knei-Paz, B. (Hg.), Revolution in Russia. Reassessments of 1917, S. 287-303.
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nete M. D. Rezunov, Professor an der Staatlichen Universität Leningrad und langgedienter Mitarbeiter des Instituts für sowjetischen Aufbau und Recht der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, 1934 die Überlegungen Trotzkis, dass es nach der Liquidierung der Klassen zu einem Verschwinden des Staates und zu einer Demokratisierung der sowjetischen Gesellschaft kommen wird. Außerdem ist für Rezunov »absolut falsch«, dass Bucharin 1928 empfiehlt, den sowjetischen Staat in Richtung eines »Kommune-Staates« umzubauen bzw. darauf dringt, vermeintliche Überzentralisierung abzubauen und noch dazu behauptet, dass die Idee des »Kommune-States« auf Lenin zurückgehe. Ähnlich äußerte sich auch M. B. Mitin, 1939-1944 Leiter des Instituts für Marxismus Leninisms. Der sowjetische Rechtsexperte A. K. Stal’gevič schoss besonders gegen Bucharin.145 Schon 1930 hatte Stalin dagegen die Leitlinie aufgebracht: »Höchste Entwicklung der Staatsmacht zur Vorbereitung der Bedingungen für das Absterben der Staatsmacht« in der künftigen, kommunistischen Gesellschaft.146 Das aus der historischen Situation abzuleitende Motiv für diese Apotheose der Staatsmacht ist zunächst als Gegenposition zu den »Rechten Abweichlern« zu verstehen um dann aber bis 1933 zur unumstößlichen Doktrin zu werden und in der »maximalen Stärkung« der Staatsmacht zur Liquidierung der »Überreste der sterbenden Klassen« einerseits und andererseits in der Organisation der »Verteidigung gegen die kapitalistische Umkreisung« zu münden.147 Die klassenmäßige, leninistische Legitimation als »Staat der Diktatur des Proletariats« behielt so bis auf weiteres ihre Geltung. Der historische Rahmen, in dem diese Apotheose des Staates von Stalin entwickelt wurde, entspricht der allgemeinen Tradition von Staatsbildungsprozessen nach der These von Charles Tilly, Staatsgründungen seien in der Geschichte überwiegend mit der Führung von Kriegen verbunden gewesen, ja Herrscher sahen sich zur Einrichtung von Zwangsmitteln zur Kriegsführung und zur inneren Machausübung veranlasst, um mit ihrer Herrschaft zu überleben und um sowohl inneren Widerstand zu überwinden als auch in der Lage zu sein, erobertes Territorium auszubeuten und zu verwalten.148 Für die Sowjetunion der späten zwanziger und 145
Rezunov, M. D., Sovetskoe gosudarstvo i socialističeskoe obščestvo, Leningrad 1934, S. 8, 29; Mitin, M. B., Der proletarische Staat und die Änderungen in der Verfassung der UdSSR, in: Unter dem Banner des Marxismus, 9, 1935, № 1, S. 1-20; Stal’gevič A. K., K voprosu o Bucharinskom ponimanii gosudarstva, in: Sovetskoe gosudarstvo i prava, 1935, № 3, S. 130-133. 146 Stalin, I., XVI S-ezd VKP(b) 26 ijunia–13 ijulja 1930 g. Političeskij otčet CK XVI s-ezdu VKP(b) 27 ijunja 1930 g., in: Stalin, I., Polnoe sobranie sočinenija. T. 12, Moskau 1951, S. 235-373, hier S. 369f. 147 Stalin, I., Die Ergebnisse des ersten Fünfjahrplans, in: Stalin Werke, Bd. 13, Berlin 1959, S. 188189. 148 Tilly, Ch., Coercion, Capital, and European States A.D. 990-1992, Cambridge, Mass. 1991, S. 2026.
Standpunkt
dann dreißiger Jahre bedeutet das: Der Verweis auf die Bedrohung von außen war im innersowjetischen Diskurs spätestens seit 1927 ständig präsent und vertraut. Wichtiger scheint jedoch die Entwicklung des inneren Bürgerkrieges, in den sich die bolschewistische Führung mit der zwangsweisen Kollektivierung und gewaltsamen »Ent-Kulakisierung« begeben hatte. Hier ging es tatsächlich um Eroberung von fremdem Territorium und dessen Ausbeutung und Verwaltung. Damit wurde ein bolschewistischer Elitenkonsens eingefordert, der der Gewaltsamkeit in diesem Bürgerkrieg besondere Legitimität verschaffen sollte. Diese allgegenwärtige Gewalt und das Problem, ihr »Legitimität« zu vermitteln, motivierte dann die Rechtsund Staatsdiskussion der dreißiger Jahre.149 Und dass es in diesem Zuge für die Herrschaft des Bolschewismus tatsächlich ums Überleben ging, offenbarte Stalins Alarm-Brief »Vor Erfolgen von Schwindel befallen« überdeutlich.150 Wenn er sich im Sommer 1930 zu jener Staats-Verherrlichung aufschwang, so hat dies Gründe in jener bürgerkriegsähnlich in Gang gesetzten »Revolution von oben.« Im Laufe der dreißiger Jahre wurde das Politikmonopol auf dem Weg der immer stärkeren Verschränkung von Staat und Partei im Staat fest verankert. Folge war, dass der von der Partei der Bolschewiki »durchherrschte« sowjetische Staat Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, und Verteidigung nur noch von staatlichen Institutionen regeln ließ.151 Bis Ende der zwanziger Jahre noch über gewisse Freiheiten verfügende gesellschaftliche Organisationen wurden entweder aufgelöst oder zu einem Anhängsel des Staates umgestaltet. Ihre Kontrolle nur durch eine dominierende kommunistische Fraktion genügte nicht mehr den neuen Ansprüchen.152 Auf der Ebene des Politischen führten nicht nur Säuberungen und Verfolgungen 149 Zur Kriegsthese Tillys bzw. zu ihrer Übertragung auf die Kollektivierungskampagne sind vielfältige Hinweise und Literaturangаben bei David Shearer zu finden. Vgl.: Shearer, D., Stalin at War, 1918-1953. Patterns of Violence and Foreign Threat. Paper prepared for the conference »Stalinism and War,« sponsored by the National Research Institute. Higher School of Economics, Moscow, Russia, 24-26 May 2016. 150 Stalin, I., Vor Erfolgen von Schwindel befallen. Zu den Fragen der kollektivwirtschaftlichen Bewegung, 2. März 1930, in: Stalin, J. W. [I. V.]: Werke, 16 Bde., Band 12: April 1929 – Juni 1930, Berlin 1954, S. 168-175. 151 Der Begriff »durchherrscht« ist in der DDR–Forschung verbreitet. Günther Heydemann spricht bei der Rolle der Partei in der DDR von »Durchherrschung der Gesellschaft«. Vgl.: Heydemann, G., Gesellschaft und Alltag in der DDR, in: Deutschland in den 70er/80er Jahren. Informationen zur Politischen Bildung, 2002, Heft 270. www.bpb.de/izpb/9766/gesellschaftund-alltag-in-der-ddr?p=all (01.05.2018). Ebenso schon früher: Bessel, R./Jessen, R. (Hg.), Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 17. Prägend: Kocka, J., Eine durchherrschte Gesellschaft, in: Kaelble, H. u.a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994. Der Begriff der »durchherrschten« Gesellschaft wird hier von Jürgen Kocka und Alf Lüdtke vorgeschlagen. Vgl.: Ebd., S. 547-550, 552. 152 Il’ina, I. N., Obščestvennye organizacii Rossii v 1920-e gody, Moskau 2001; Junge, M., Die Gesellschaft ehemaliger politischer Zwangsarbeiter und Verbannter. Gründung, Entwicklung, Liquidierung (1921-1935), Berlin 2009.
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Stalinistische Modernisierung
– insbesondere in Verbindung mit dem Großen Terror –, sondern auch erhebliche Anstrengungen zur Beseitigung der Unterinstitutionalisierung zwischen Mitte und Ende der dreißiger Jahre zu einer signifikanten Schwächung des Patron-KlientelSystem, das als Gegen- bzw. Alternativmodell zum Staat verstanden werden kann. Entgegen dieser Interpretation wird in der Literatur das Patronage-System zwar untersucht, gleichzeitig aber deren Einfluss, Eigenständigkeit und Eigendynamik überinterpretiert. Vielmehr verlor das Patronage-System sein Eigengewicht als lokales und regionales Patronagesystem und wurde stattdessen ganz auf das Zentrum ausgerichtet. Dies wird in der vorliegenden Veröffentlichung als die entscheidende Schwächung und Bändigung interpretiert, bzw. als Unterordnung unter den zentralen Einparteienführerstaat.153 Das Programm zur Entmachtung der lokalen Machtzentren mit dem entsprechenden »Austausch« der Kader wurde von Stalin in seiner Rede »Über die Mängel der Parteiarbeit« auf dem Februar/März-Plenum 1937 erläutert.154 Das domestizierte, auf das Zentrum ausgerichtete Patronagesystem blieb nur deshalb sichtbar wirksam, weil im Zuge der spezifisch stalinistischen Stärkung des Staates das Nomenklatur-Prinzip weiter ausgebaut wurde bzw. ausgebaut werden musste. Auch das Justiz- und Strafwesen richtete man mit Ende des Großen Terrors in Rolle und Funktion endgültig auf staatliche Bedürfnisse hin aus.155 Die Armee wiederum diente zur Verteidigung des sozialistischen Staates vor der kapitalistischen Einkreisung. Flankiert wurde die gesamte Entwicklung von einer, ebenfalls auf staatliche Institutionen übertragenen vereinheitlichten Ideologisierung, deren Sinnbild auf der Ebene der Künste die Staatsästhetik des Sozialistischen Realismus156 war und in Bezug auf die Partei- und Staatsideologie der »Kurze Lehrgang 153
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Gill, G., The Origins of the Stalinist Political System, Cambridge/New York 1990. Empirisch nachgezeichnet bei: Easter, G. M., Reconstructing the State. Personal Networks and Elite Identity in Soviet Russia, Cambridge 2000. Stalin, I. V., Über die Mängel der Parteiarbeit und die Maßnahmen zur Liquidierung der trotzkistischen und sonstigen Doppelzüngler. Referat und Schlußwort auf dem Plenum des CK der VKP(b), 3. und 5. März 1937, in: Stalin, I. W. [I.V.]: Werke, 16 Bde, Band 14: Februar 1934–April 1945, Dortmund 1976, S. 144-160. Solomon, P., Soviet Criminal Justice under Stalin, Cambridge 1996; Solomon, P., The Bureaucratization of Criminal Justice under Stalin, in: Solomon, P. (Hg.), Reforming Justice in Russia, 1864-1994. Power, Culture, and the Limits of the Legal Order, Armonk u.a. 1997, S. 228-255. »Der Staat und seine Verbände monopolisierten das Kunstschaffen.« Vgl.: Mania, A., Lob und Preis für eine ferne Zukunft. Der sozialistische Realismus zeichnet in vorauseilendem Gehorsam die Utopie einer idealen kommunistischen Gesellschaft, in: Süddeutsche Zeitung, 11.10.2016, № 236, S. 16; Vgl. auch das Standardwerk: Günter, H., Die Verstaatlichung der Literatur. Entstehung und Funktionsweise des sozialistisch-realistischen Kanons in der sowjetischen Literatur der 30er Jahre, Stuttgart 1984.
Standpunkt
der Geschichte der KPdSU«157 sowie speziell für die Geschichtswissenschaft »Der kurze Lehrgang der Geschichte der UdSSR.«158 Die Transformation des Marxismus in eine doktrinäre und uniformierte Hausphilosophie kam zum Abschluss. Lenin stand endgültig als einziger Autor an der Seite von Marx’ Wort, als bringe er dessen definitive Auslegung. Im Zweifel galt aber nicht Lenins Wortlaut, sondern die »allgemeine Auslegung« seiner Lehre, sprich die der Parteispitze. Lenin war monumentalisiert. Nur konsequent war auch das neue »blutleere« Konzept des sowjetischen »Hurra-Patriotismus« auf Staatsinteressen hin ausgerichtet.159 So weist Eric van Ree, Historiker aus den Niederlanden, explizit nach, dass Stalin dem Staat eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der ideologischen, kulturellen und politischen Ziele gegenüber der Gesellschaft zuwies und die Bedeutung eines sozialistischen Staates bei der Reglung der Ökonomie und Organisation der Verteidigung durch ein stehendes Heer herausstrich. Der Zentralismus und die Stärke des Staates wurden von ihm und der sowjetischen Geschichtswissenschaft zusätzlich durch historische Rückbezüge etwa auf Ivan den Schrecklichen und Peter den Großen untermauert.160 Auch der US-amerikanische Historiker David Brandenberger diagnostiziert in seiner Analyse von Stalins redaktioneller Bearbeitung des Entwurfs für den »Kurzen Lehrgang« einen »heavy focus on the central state.« Dem zentralen Partei- und Staatsapparat wurde hiernach erhöhte Bedeutung beigemessen, während die regionalen Formationen an Gewicht verloren. In Bezug auf das in der vorliegenden Studie bei der Verurteilung der Tschekisten 1939-1941 festgestellte Verblassen des Trotzkismusvorwurfs ist interessant, dass Brandenberger herausarbeitet, welchen hohen Wert Stalin in seiner Version des »Kurzen Lehrgangs« darauf legt, die Bedeutung der politischen Opposition zu minimieren.161 Man kann für die Sowjetunion der dreißiger Jahre sogar von einem monströsen Prozess der Stalinschen Staats-Neugründung sprechen, die 157
Istorija VKP(b). Kratkij kurs. Učebnik po istorii Vsesojuznoj kommunističeskoj partii (bol’ševikov), Moskau 1938; Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang, Dortmund 1976. 158 Šestakov, A. V. (red.), Kratkij kurs istorii SSSR. Učebnik dlja 3–go i 4–go klassov, Moskau 1937. 159 Brandenberger, D., Propaganda State in Crisis. Soviet Ideology, Indoctrination and Terror under Stalin, 1927-1941, Yale 2012. 160 Ree, E. van, Stalin and the state, in: Ree, E. van, The Political Thought of Joseph Stalin. A Study in Twentieth–Century Revolutionary Patriotism, London 2002, S. 136-154. 161 Brandenberger, D., Ideological Zig–Zag: Official Explanations for the Great Terror, 1936-1938, in: Harris, J. (Ed.): The Anatomy of the Terror. Political Violence under Stalin, Oxford 2013, S. 143-157; Brandenberger D., The Fate of Interwar Soviet Internationalism. A Case Study of the Editing of Stalin’s 1938 Short Course on the History of the ACP(b), in: Revolutionary Russia, 2016 (http://dx.doi.org/10.1080/09546545.2016.1168996. 15.11.2016); Brandenberger, D./Zelenov, M. V., Stalin’s Answer to the National Question. A Case Study on the Editing of the 1938 Short Course, in: Slavic Review, 72, 2014, № 4, S. 859-880; Brandenberger, D., Propaganda State in Crisis. Soviet Ideology, Indoctrination and Terror under Stalin, 1927-1941, Yale 2012.
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nicht nur in einer neuen Verfassung, sondern auch einem neuem Volk, dem »Sowjetvolk« Ausdruck findet, das dieser Verstaatlichung unterworfen wurde.162 Van Ree interpretiert Stalins Staatsverständnis ähnlich: »In his [Stalin’s] own mind, the size of his state distinguished it from the political machinery of his predecessors, rather than being a point of similarity. He was mainly struck by the fact that the bolshevik state was bigger than the imperial had been […]. He explained the need for state gigantism mainly with reference to the socialist ambition to own, plan and administer the whole economy.«163 Dabei liegt gewiss ein wichtiger Unterschied der »politischen Maschine« stalinistischer Staat gegenüber dem zaristischen tatsächlich in seiner Größe bzw. Monstrosität, resultierend aus dem Anspruch, die Ökonomie zu regeln. Stalin unterschlägt jedoch, dass es sich um einen anderen Staatstypus handelt. Seine Spezifik ist eher in seiner Einheitlichkeit und kompletten Funktionalisierung zu suchen. Die Entstehung von staatlichen Institutionen, die in der Lage waren, eigengesetzlich zu handeln, sei es miteinander oder gegeneinander oder gegen die herrschende Partei, wurde konsequent verhindert. Somit sollte der instrumentelle Charakter des Sowjetstaates zur Durchsetzung der Ziele der Parteiführung betont werden.164 Die ausschlaggebende Kategorie war nicht der Staat, sondern die politische Ordnung, die durch den Staat gestärkt und verstetigt wurde. Das in der Forschung festgestellte Oszillieren zwischen stürmischen Kampagnen165 und institutionellen Regulierungen war diesem Prozess ambivalenter Staatsbildung geschuldet. Oleg Chlevnjuk konstatiert ein endloses Hin-und-herSchwanken zwischen sowjetunionweiten Terror-Kampagnen und der demonstrativen Begrenzung der Macht des Geheimdienstes durch den (deklarierten) Vorrang von rechtsförmigen Verfahren.166 An anderer Stelle schreibt er zur Erklärung des »Temperaturanstiegs«167 des Regimes 1934: 162
Ennker, B., Sovetskij narod, stalinskij režim i konstitucija 1936 g. v političeskoj istorii Sovetskogo Sojuza. Isledovatel’skie podchody i predvaritel’nye vyvody, in: Soviet History Discussion Papers, 2014, № 3 (www.perspectivia.net/publikationen/shdp/ennker_narod, abgefragt 18.04.2016); Ennker, B., Ohne Ideologie, ohne Staat, ohne Alternative? Fragen an Jörg Baberowski, in: Osteuropa, 2012, № 4, S. 103-114, hier S. 109-111. 163 Van Ree, The Political Thought, S. 139-140. 164 Zum stark instrumentellen Charakter des Rechts, vgl.: Rittersporn, G., Extra–judical Repression and the Courts. Their Relationship in the 1930s, in: Solomon, P. (ed.): Reforming Justice in Russia, 1864-1994. Power, Culture, and the Limits of the Legal Order, New York 1997, S. 207227, hier S. 221. 165 Šturmovščina. 166 Khlevniuk, O., The Politburo, Penal Policy and »Legal Reforms« in the 1930s, in: Solomon, P., Soviet Criminal Justice under Stalin, Cambridge 1996, S. 190-206. 167 Poteplene.
Standpunkt
»Die Parteileitung entschied tatsächlich 1934 ein wenig das Niveau der Verfolgungen zu senken, d.h. die Extreme des staatlichen Terrors einzustellen und die Rolle der rechtlichen Mechanismen zu stärken. An diesem Vorhaben war nichts Besonderes. Wie schon Historiker des sowjetischen Rechts bemerkt haben, war die Trennung von Recht und Terror und die aktive Nutzung rechtlicher Regulatoren eine notwendige Bedingung für das Überleben des Regimes, besonders in Perioden, die auf die massenhafte Anwendung von Terror folgten, der die wichtigsten Grundlagen der gesellschaftlichen Stabilität zu erschüttern gedroht hatte.«168 Terry Martin stellt eine Logik fest, die in einem institutionellen Dualismus zwischen integrierenden und desintegrierenden, zwischen »soft politics« repressiver Sowjetpolitik und »hard politics« von Terrorherrschaft stecken geblieben war.169 Die Ordnungsfunktion institutioneller Regulierung wurde also immer erneut durchbrochen, um mittels gewalttätiger Kampagnen die Projekte der Parteiführung durchzusetzen. Die Durchsetzung dieser Ordnungsfunktion traf dort auf Grenzen, wo es galt, den Trägern der außerordentlichen staatlichen Gewalt (NKVD) die terroristische Handlungsfreiheit zu bewahren, um die Gesellschaft in Schach zu halten. Die Ambivalenz dieser Verstaatlichung führte dazu, dass dabei die Ordnungs- und Kontrollfunktion paradoxerweise der Partei und der Staatsanwaltschaft, genauer der »Prokuratura« zufiel.170
168 Chlevnjuk, O., Politbjuro. Mechanizmy političeskoj vlasti v SSSR, Moskau 1996, S. 128-129. Dank an Andrej Savin. Vgl. auch: Lewin, M., Vers le règne de l’arbitraire, in: Lewin, M., Le siècle Soviétique, Columbia 2003, S. 108. Auf Lewin beruft sich auch: Werth, N., Staline en son système dans les années 1930, in: Werth, N., Le Terreur et le désarroi. Staline et son système, Paris 2007, S. 170-198, hier S. 174-175. 169 Martin, T., Interpreting the New Archival Signals. Nationalities policy and the nature of the Soviet bureaucracy, in: Cahiers du Monde russe, 40, 1999, № 1-2, S. 113-124. 170 Empirisch dargelegt in den Prozessen, die die Beendigung des Großen Terrors begleiteten bzw. ihnen nachfolgten. Vgl.: Chlevnjuk, O., Chozjain. Stalin i utverždenie stalinskoj diktatury, Moskau 2010, S. 338-367.
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Stalinistische Modernisierung Höchste Entwicklung der Staatsmacht zur Vorbereitung der Bedingungen für das Absterben der Staatsmacht. (Iosif Stalin, 1930) Das Schwierigste am Kommunismus ist, dass seine Verbrechen sich auf eine komplizierte Weise gerade aus seinen überbordenden menschheitlichen Vorstellungen und Befreiungsversprechen ergeben. (Gerd Koenen, 2017)
Nahziel der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit von 1939 bis 1941 war die gesamten Kader von Geheimdienst und Miliz zu erziehen, zu disziplinieren, zu korrigieren und zu professionalisieren. Daneben galt es die Gesellschaft zu beruhigen oder wie es Oleg Chlevnjuk ausdrückt, »die soziale Unzufriedenheit zu neutralisieren und von den wirklich Schuldigen für die Tragödie [des Großen Terrors] abzulenken.«1 Übergreifend ging es um die Konsolidierung und Straffung des Systems. Das Moskauer Zentrum führte die Kampagne und die damit verbundene Wende aus der Position der Stärke durch, ohne innere und äußere Konkurrenten zu fürchten. Dafür spricht die selektive Freilassung und Entschädigung von verhafteten, ursprünglich als höchst gefährliche Volkfeinde eingestufter Personen nach dem 17. November 1938; im Gebiet Nikolaev die Ingenieure und Techniker der Schiffsbauwerft № 200. Die Realisierung der didaktischen Funktion geschah, wie beispielhaft am Gebiet Nikolaev gezeigt wurde, mit Hilfe von mehreren halböffentlichen, auf das Gebiet verteilten Prozessen gegen besonders aufgefallene Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Miliz und durch die begleitende systematische Nachverfolgung jeglicher zusätzlicher Informationen über Folterungen und Fälschungen durch den Apparat. Garantiert wurde auf 1
Chlevnjuk, Chozjain, S. 349.
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diesem Wege die Breiten-, Tiefen- und Langzeitwirkung der Aktion. Das Gebiet Nikolaev war allerdings ein Gebiet in dem die Kampagne schleppend verlief, trotz des Drucks von oben. Der Sonderbevollmächtigte des NKVD der Ukrainischen SSR A. M. Tverdochlebenko und seine Helfer vor Ort konnten bei ihrer Aufklärungsarbeit nur mit sehr wenig Unterstützung durch den Gebietsgeheimdienst rechnen. Aber auch die Gebietsstaatsanwaltschaft tat sich nicht durch besondere Aktivitäten hervor. Immer wieder mussten Eingriffe aus Moskau durch die Militärstaatsanwaltschaft und selbst durch das Politbüro erfolgen, um die Verfahren »erfolgreich« zu Ende bringen zu können. Oleg Chlevnjuk konzentriert sich auf eine andere Erklärung der Motive der Kampagne. Zum einen stuft er das Vorgehen gegen Geheimdienst und Miliz als eine von Stalin gewährte Revanche der Partei gegen den NKVD ein: »Viele [Mitglieder der VKP(b)] wurden selbst Opfer des Terrors, der nicht nur die alten Kader beschmutzte, sondern auch die Aufsteiger. Sogar jene jungen Kader, die das Glück gehabt hatten, verschont geblieben zu sein, verstanden, dass ihr Schicksaal im Falle der Weiterverfolgung des bisherigen Kurses am seidenen Faden hängt. Stalin nutzte dieses Potential einer Revenge des Parteiapparats gegenüber den Organen des NKVD vollständig aus.«2 Zum anderen sollte, so Chlevnjuk, der NKVD wieder aus leitenden Parteipositionen verdrängt und der Geheimdienst seines Einflusses auf die Partei auf anderen Wegen, wie der Agentenanwerbung unter Funktionsträgern, enthoben werden.3 Im Gebiet Nikolaev fiel die Revange der Partei gegen den NKVD allerdings sehr milde aus. Auf Gebiets- und sogar Republikebene war der Partei nicht aufgefallen, dass die Führungskräfte des Gebietsgeheimdienstes von Nikolaev schwere Dienstvergehen begangen hatten. Nur auf niedriger Ebene des NKVD beteiligte sie sich punktuell an den von oben angeordneten Nachforschungen und den Disziplinierungen. Die zweite These Chlevnjuks, dass der NKVD aus hohen Parteiposten verdrängt werden sollte, trifft für das Gebiet Nikolaev dagegen zu. Karamyšev war 1938 Mitglied im Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev gewesen und hatte kräftig auf den Parteitagen mitgemischt, bis zur Kommentierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dies wurde nun konsequent abgestellt. Der NKVD hatte sich auf seine Bereiche zu beschränken und agierte von nun an vornehmlich im Hintergrund. In der Forschung dominiert zur Erklärung der Motive der sowjetunionweiten Kampagne die Clan-These. Ihr Kern ist, dass das Hauptziel der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit gegen Geheimdienst und 2 3
Ebd., S. 351. Ebd., S. 358.
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Miliz gewesen sei, dominante oder mächtige Clans in diesen Apparaten zu entmachten und durch andere oder neue Gruppen zu ersetzen.4 Für das Gebiet Nikolaev trifft dies nicht zu. Hier war von einer gezielten Ausschaltung irgendwelcher Ežov- bzw. Uspenskij-Clans nichts zu verspüren, auch wenn das Verhältnis zu Uspenskij genau überprüft wurde.5 Als Alternative zur Clanbekämpfungsstrategie bietet sich vor dem Hintergrund der neuen und ab Sommer 1938 forcierten stalinistischen Staatsbildung, die in der vorliegenden Veröffentlichung an der sowjetunionweiten Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit festmacht wurde, ein alternatives Erklärungsmodell an.6 Mit der Kampagne sollte das Clan-System bzw. Patron-Klientel-System als Ganzes torpediert werden.7 Es sollte mit Hilfe einer Einschwörung unterschiedslos aller Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Miliz auf den Staat geschwächt, domestiziert und auf lange Sicht beseitigt werden. Auch Verselbständigungstendenzen und Eigendynamik dieser Behörde galt es mit der Kampagne zu unterbinden.8 Die demonstrative Anbindung des Geheimdienstes und der Miliz an den stalinistischen Staat durch die Kampagne war auf den zweiten Blick also mehr als eine reine Disziplinierung und Erziehung der Kader oder die Rückführung in den vor 1937 für Geheimdienst und Miliz geltenden Rahmen. Nicht weit genug geht demensprechend auch die durch 4
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Naumov, L., Stalin i NKVD, Moskau 2007, S. 335, 344-345; Blauvelt, T. K., March of the chekists. Beria’s secret police patronage network and Soviet crypto–politics, in: Communist and Post–Communist Studies, 2011, № 44, S. 73-88, hier S. 80-82; Wehner, M., Wer waren Stalins Vollstrecker? Ein russisches Handbuch legt den Grund für eine Täterforschung des Stalinismus, in: FAZ, 30.05.2000. Zur Untersuchung der Bekämpfung vermeintlich jüdischer Clans im NKVD mit eindeutig antisemitischem Unterton, siehe: Šamsutdinov, R., Kišlok fošeasi. Žamoališggiriš, surgun [Die Tragödie von Kišlok. Kollektivierung, Entkulakisierung und Verbannung in die mittelasiatischen Republiken], Taškent 2003. (www.centrasia.ru/newsA.php4?=108206736, abgerufen am 20.05.2017); Bilokin’, S., Social’nyj portret čekistiv, in: Personal, 2003, № 8, S. 39-46; Bilokin’, S., Dvadcjat’ rokiv jevrejs’koї deržavnosti v Ukraїnі, 1918-1938, in: Personal, 2004, № 1, S. 18-20; № 2, S. 18-27; Bilokin’, S., Masovij teror jak zasib deržavnoho upravlinnja v SRSR (1917-1941 rr.): Džereloznavče doslidžennja, Tom 1, Kyїv 1999, S. 107-112. Der ehemalige Leiter der 5. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev Ovčinnikov blieb bis zuletzt bei dem Glauben, dass ihn letztendlich seine Clan-Verstrickungen zu Fall gebracht haben. Damit blieb er fest verhaftet im Denken der Welt des Patronage-System, aus dem die Sowjetunion aber nun auf speziell stalinistische Art und Weise »befreit« werden sollte. Vgl. dazu den Abschnitt »Standpunkt« unter »Vom Cliquenschutz zum Staatsschutz« in der vorliegenden Veröffentlichung. Grundsätzliche Überlegungen zum sowjetischen Staat. Vgl.: Ennker, Ohne Ideologie, ohne Staat, S. 110; Gerstenberger, H., Die subjektlose Gewalt. Theorie der Entstehung bürgerlicher Staatsgewalt, Münster 1990, S. 487f. Vgl.: Mann, M., The Autonomous Power of the State. Its Origins, Mechanisms and Results, in: Hall, J. A. (Hrsg), State in History, Oxford 1986, S. 109-136.
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Chlevnjuk vorgenommene Einstufung des Vorgehens gegen Geheimdienst und Miliz als eine von Stalin gewährte Revanche der Partei gegen den NKVD. Dasselbe trifft auf seine These zu, dass der NKVD wieder aus hohen Parteipositionen verdrängt werden sollte. Es erscheint nicht zuletzt auf der Grundlage der Überlegungen zur stalinistischen Staatsbildung als zu einfach, den festgestellten Wechsel der Verfolgungsmotive weg vom Trotzkismus hin zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit lediglich darauf zurückzuführen, dass Stalin sowohl im Kurzen Lehrgang als auch auf dem 18. Parteikongress vom März 1939 die trotzkistisch-bucharinistische Opposition für besiegt erklärt hatte.9 Der Ansatz wäre stark personalistisch. Allein die Unberechenbarkeit und Volten des Führers erschienen prägend für das System.10 Dagegen wird hier die Ansicht vertreten, dass trotz der unbestrittenen Rolle Stalins als Impulsgeber und Kommunikator die komplexen staatlichen Gebilde und Herrschaftsformen der Neuzeit nicht mit den Begriffen Despotie oder Willkür, einschließlich inflationär gebrauchter ähnlicher Begriffe für das stalinistische (Repressions-)System, beschrieben werden können. In gewisser Weise inkonsequent ist vor diesem Hintergrund, dass in dieser Studie der ebenfalls personalistisch anmutende Begriff »Stalinismus« bzw. »stalinistisch« weiterverwendet wird. Dies geschieht zum einen mangels Alternative und zum anderen wird der Begriff explizit als strukturgeleitete Systembeschreibung verstanden.11 Die Betrachtung der inhaltlichen Füllung der Kampagne hat einen Paradigmenwechsel bei den Verfolgungsmotiven offenbart, weg von der Ahndung politischer Abweichung hin zur Verurteilung explizit unpolitischer Vergehen: Das inzwischen stark angerostete Damoklesschwert des Verdachts auf »konterrevolutionäre trotzkistische Tätigkeit« wurde in Fakten von Amtsmissbrauch umgeschmiedet und damit auch noch frisch geschärft, denn mit der Bestrafung von Dienstvergehen hatten Partei- und Staat ein neues, profundes Mittel entdeckt Loyalität zu erzeugen und zu erhalten. Für alle verurteilten Tschekisten war die Überprüfung, Voruntersuchung und die Verurteilung ein tiefer Fall und vor allem psychologisch unerträglich. Sie waren ohne Ausnahme regimetreue Stalinisten, die sich in ihren Augen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften für die Ziele von Staat und Partei eingesetzt hatten. In den Überprüfungsverfahren und den Prozessen war es ihre Absicht, politi9 10
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Dank an David Brandenberger für seinen Kommentar zum Abschnitt über die stalinistische Staatsbildung. Zur inhaltlichen Füllung der Kampagne siehe unten. Dies erinnert an die Definition des Begriffs Despotie nach Karl Wittfogel. Er beschreibt Despotie als Herrschaftsform in der die Willkür und die Launen des Herrschers ausschlaggebend sind. Vgl.: Wittfogel, K. A., Oriental Despotism. A comparitive study of total power, New Haven 1957. Grundsätzliche Überlegungen zur Charakterisierung der Massenverfolgungen als „willkürlich“ usw. Vgl.: Junge, M., Goal-Oriented Repression vs. Stochastic Repression, in: Junge, M., Stalin’s Mass Repression and the Cold War Paradigm, New York 2016 (Kindle e-book).
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sche und moralische Loyalität gegenüber dem Regime zu beweisen und nicht wie die Nazitäter kleinzureden. Sie konnten, wollten und mussten ihr System nicht in Frage stellen. Mit Fug und Recht bestanden die Tschekisten auf einer Opferrolle der plötzlichen Wende der politischen und administrativen Führung, die sie äußerst erfolgreich als Sündenböcke für die vorangegangene Politik missbrauchte. Die Geheimdienst- und Milizmitarbeiter hatten in ihrer Wahrnehmung – und auch tatsächlich – immer das gemacht, was man von ihnen verlangt hatte, auch wenn ihnen dabei – wie sie es bezeichneten – »kleine Fehler« unterlaufen waren, die sie jedoch als nicht strafrelevant und korrigierbar empfanden. Unter diesen Bedingungen Reue über die begangenen Taten zu zeigen, fiel aus. Spezifisch für die Sowjetunion ist, dass »ihre« Täter unter Regimekontinuität verurteilt wurden. Die Täter waren damit gezwungen zu realisieren, dass sie nun von einem Staat überprüft und sogar angeklagt wurden, der das, was sie getan hatten, zuvor befohlen, nahegelegt oder zumindest geduldet hatte, was ein erheblicher Unterschied zum »Nürnberger Komplex« ist. Das Gefühl der Ohnmacht wurde noch dadurch verstärkt, weil sie sich als Täterindividuen aller Ebenen jeder auf seine Weise an einem Projekt beteiligt hatten, das sie akzeptierten und unterstützten und, wie an Karamyšev gezeigt werden konnte, faszinierte. Nachahmung und Gruppendruck haben ihr Übriges getan. Erst so war die mörderische Effizienz des Großen Terrors auch im Gebiet Nikolaev zustande gekommen. Die Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit wurde in den Kontext des Stalinschen Staatsbildungsprozesses der dreißiger Jahre gestellt. Als Gedankenspiel soll zum Abschluss dieser Prozess mit einem ambivalenten Begriffspaar bezeichnet werden und zwar mit »Stalinistische Modernisierung«. Die Absicht ist, damit einerseits der Staatsbildung die Aura eines rationalisierenden Fortschritts und einer Apologetik des Stalinismus zu nehmen. Andererseits kann damit im Sinne »instrumenteller Vernunft« (Theodor W. Adorno) erklärt werden, wieso die Regenerationsfähigkeit des Regimes hoch war und es für die Verhältnisse des XX Jahrhunderts lange überlebt hat. Das sowjetische »Führer-Regime« unterzog sich mit seiner Hinwendung zum Staat, längst umgebaut in ein Hybrid aus Einheitspartei und Staatsstrukturen, einer spezifisch stalinistischen Modernisierung. Stalinistische Modernisierung heißt, dass das »Führer-Gefolgschaftsprinzip«, dessen Sinnbild bis zum Ende des Großen Terrors der Kampf gegen den Trotzkismus ist, durch eine Fixierung auf den mit der Partei verflochtenen, vollständig funktionalisierten und zentralisierten Staat umorientiert und verstetigt wurde. Formal blieb die Partei an der Spitze, faktisch verschmolz sie, insbesondere personell, mit den staatlichen Strukturen. Manfred Hildermeier beschreibt die Verstaatlichung der Partei mit etwas anderen Worten und zwar wandelte sich seiner Ansicht nach die Partei
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von einer »Bewegung« hin zu einem »Regime«.12 Auch seine noch weiter gehende Diagnose, die er aber erst für die späten fünfziger Jahre stellt, kann durchaus in die späten dreißiger Jahre rückverlegt werden: »Eben weil die Monopolpartei den Staat übernahm, verliert die Unterscheidung zwischen beiden einen Großteil ihres Sinns. Es ist zu kurz gegriffen, dieses Verhältnis als Unterwerfung des Staates unter die Partei zu deuten. Vielmehr rächten sich Anspruch und exklusive Stellung der Partei von Anfang an auch darin, dass die Partei verstaatlichte‹.«13 Aber auch schon aus grundsätzlichen staatstheoretischen Überlegungen heraus liegt es nahe, die Partei eines Einparteiensystems als quasisynonym mit Staat einzustufen. Insbesondere aus dieser Sicht verliert die in der Stalinismus-Forschung dominante Achsentheorie, dass im stalinistischen System Macht entlang der beiden Achsen Partei und Staat durch Rivalität verteilt und ausbalanciert wurde, an Überzeugungskraft. So argumentiert Van Ree noch folgendermaßen: »I see Stalinism as a hybrid system along two axes. One, several institutions rivaled for power, the party, the state, the NKVD etc., but, even though its somewhat weakened, the party always remains at the top. Two, Stalinism was a hybrid of Weberian bureaucracy (but not exclusively state) and clientelist cliques, resulting in a never-ending cycle of centralization and decentralization.«14 Mit der Entwicklung hin zur Verstaatlichung wurde der zunehmenden ökonomischen und sozialen Komplexität begegnet, die einen wachsenden Reglungsbedarf erforderte. Die Einhaltung und Durchsetzung von Regeln hatte vornehmlich hierarchische Ausprägung. Verlässlichkeit wurde von den jeweils höheren Machtinstanzen eingefordert, transportiert über Regeln und Institutionen. Für die Nomenklaturа und Institutionen erhöhte sich so die Berechenbarkeit des Systems. Der bedeutende Unterschied zum Anfang der dreißiger Jahre war außerdem, dass die Ausübung von Gewalt nicht mehr an Parteimitgliedschaft gebunden war. Es wurde nun klargemacht, dass sich an Recht und Gesetz zu halten ist und das für alle bei Nichtbeachtung Sanktionen drohen.15 Der Preis für die Führung war, dass 12 13 14 15
Hildermeier, M., Geschichte der Sowjetunion 1917-1991: Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 2017, S. 485. Ebd., S. 821. Zitat aus einer Diskussion des Autors mit Erik van Ree vom Mai 2018. Der Titel der Dissertation von Immo Rebitschek weist noch mehr als der Titel des schließlich erschienen Buches darauf hin, dass der Autor ähnlich argumentiert: Vgl.: Rebitschek, I., Die Selbstdisziplinierung der Diktatur. Die Geschichte der sowjetischen Staatsanwaltschaft in Molotov 1938 bis 1956 (2018). Erschienen als: Rebitschek, I., Die disziplinierte Diktatur. Stalinismus und Justiz in der sowjetischen Provinz, 1938-1956, Köln/Wien/Weimar: Böhlau, 2018.
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die Einhegung von Gewalt zunahm, aber je näher dem Gipfel, umso mehr verlor dies an Bedeutung. Stalinistisch geprägte Modernisierung heißt aber auch, dass kein Umbau zu einer »modernen nach Kompetenzen gegliederten Staatsanstalt« (Max Weber) stattfand.16 Ein Staat, der aus sich selbst heraus – seinen Institutionen, aus rechtsförmigen Verfahren usw. – seine Legitimität erhält, war nicht erwünscht. Es blieb dabei, dass der Staat die entscheidende Legitimität letztendlich durch das von der bolschewistischen Partei definierte Interesse empfängt. Das Recht war Markt der Politik. Subjektives Recht nicht existent. Der Stalinsche Staat war geballter Machtstaat, der Zentralisierung gegen alle föderalistischen Formen in erster Linie für die Regulierung der Wirtschaft durchsetzte. Er war im Verhältnis zu den ihm gestellten Aufgaben aber altmodisch, schwerfällig und monströs, ohne wirkliche Macht. Unterstützt wurden die Stärke des Herrschers und die Ausweitung des bürokratischen Apparats. Was die Rolle der Partei betrifft, so wurde mit der Kampagne gegen die Tschekisten ihre Macht wiederhergestellt, aber, für Geheimdienst- und Milizmitarbeiter deutlich herausgestrichen, im Korsett eines zentralisierten Führerstaates. Es ist davon auszugehen, dass mit den Täterprozessen in der Sowjetunion grundsätzlich das Motiv des Machterhalts und der Umstrukturierung der Macht und nicht wie im Nachkriegsdeutschland der ideologiekritische und aufklärerische Aspekt bei der Bestrafung der Täter im Vordergrund stand. Nicht zuletzt wurden dadurch die Vorbereitungen auf einen bevorstehenden Krieg verstärkt. Außerdem gelang es auch noch die auf »Selbstvernichtung hinauslaufende Spirale des Terrors« anzuhalten, also die »kumulative Radikalisierung«, zu stoppen.17
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Zu seinen Merkmalen zählt u.a. »eine Verwaltungs- und Rechtsordnung, welche durch Satzungen abänderbar ist, an der der Betrieb des Verbandshandelns des (gleichfalls durch Satzung geordneten) Verwaltungsstabes sich orientiert.« Vgl.: Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 1980, S. 393. Ennker, B., Der Führer im Europa des 20. Jahrhunderts – eine Synthese, in: Ennker, B./HeinKircher, H. (Hg.), Der Führer im Europa des 20. Jahrhunderts, Marburg 2010, S. 347-378; Mommsen, H., Der Nationalsozialismus. Kumulative Radikalisierung und Selbstzerstörung des Regimes, in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 16, München 1976, S. 785-790; Mommsen, H., Nationalsozialismus oder Hitlerismus?, in: Bosch, M. (Hg.), Persönlichkeit und Struktur in der Geschichte, Düsseldorf 1977, S. 62-71, hier S. 66.
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Rechtfertigung An die Realisten. – Ihr nüchternen Menschen, die ihr euch gegen Leidenschaft und Phantasterei gewappnet fühlt und gerne einen Stolz und Zierath aus eurer Leere machen möchtet, ihr nennt euch Realisten und deutet an, so wie euch die Welt erscheine, so sei sie wirklich beschaffen: vor euch allein stehe die Wirklichkeit entschleiert, und ihr selbst wäret vielleicht der beste Theil davon, – oh ihr geliebten Bilder von Sais! (Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1888 [1887])
Ich will keine Erkenntniß mehr ohne Gefahr: immer sei das tückische Meer, oder das erbarmungslose Hochgebirge um den Forschenden. (Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, 1880-1882)
Amtsmissbrauch Ausgangspunkt der Studie waren das Untersuchungsverfahren und die beiden Prozesse gegen die drei Geheimdienstmitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« der Verwaltung des Volkskommissariats des Inneren (UNKVD) des Gebiets Nikolaev, die man wegen der schlechten Behandlung von Gefangenen verhaftet hatte. Die gesamte Akte trägt den Namen des ehemaligen Leiters des Geheimdienstes des Gebiets Nikolaev Karamyšev mit dem sie zusammen verurteilt wurden.1 1
Sledsvennoe delo P. V. Karamyševa. 1939-1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 67990. Erste Informationen zu Karamyšev sind zu finden bei: Zolotar’ev, V., Oleksandr Uspens’kij. Osoba, čas,
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Sie besteht aus 13 Bänden mit einem Umfang pro Band von bis zu 500 Blättern, insgesamt rund 6.000 Seiten. Zu finden ist hier u.a. die Einleitung der Untersuchungen, Zeugenbefragungen, Gegenüberstellungen, Befragungen der Angeklagten und Opfer, Materialien zur Tätigkeit der Agenten, Unterlagen zur Untersuchung des Vorwurfs der Aktenfälschung und sämtliche Dokumente zu den zwei Prozessen, die gegen die Angeklagten stattgefunden haben. Zusätzlich wurde die Personalakte Karamyševs herangezogen. Sie erlaubte es diesen Täter, stellvertretend für die drei Geheimdienstmitarbeiter, deren Personalakten bisher nicht aufgefunden werden konnten, deutlicher als Individuum im Verhältnis zur staatlichbürokratischen (Verfolgungs-)Maschinerie des NKVD zu betrachten bzw. die Formung und Kontrolle Karamyševs durch bürokratische Verfahren zu durchleuchten.2 Die Einbindung des Karamyšev-Falls in den Gesamtkontext der Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit im Gebiet Nikolaev geschah mit Hilfe von Unterlagen zu fünf weiteren Verfahren gegen Geheimdienstmitarbeiter dieser Region, alle wegen Amtsmissbrauchs nach § 206, Punkt 17 »a« oder »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Zwei Untersuchungsakten mit drei bzw. zwei Bänden richteten sich gegen Mitarbeiter der unteren Ebene des Geheimdienstes und der Miliz. Angeklagt wurden einmal der ehemalige Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Vladimirovka Z. D. Livšic und zum zweiten der Leiter der Rajonabteilung der Miliz von Dolins’k P. Ja. Korobcev und der Assistent des Fahndungsbevollmächtigten3 der Miliz E. F. Demčuk.4 Die Verurteilung aller drei Personen erfolgte gegen Ende 1939 wegen Dienstvergehen; Livšic zu 6, Korobcev zu 10 und Demčuk zu 8 Jahren Arbeitslager. Zu Livšic und Demčuk sind auch Personalakten erhalten.5 In einem dritten Verfahren wurde ebenfalls ein Rajonmitarbeiter, diesmal der Sekretär der Rajonabteilung des NKVD von Elanec I. F. Martynenko nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu fünf Jahren verurteilt. Auch dieser Prozess fand, wie beschrieben, Ende 1939 statt.6 Bei der vierten Untersuchungsakte handelte es sich um den siebenbändigen Fedjaev-Fall bei dem der abschließende Gerichtsprozess
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otočennjy, Charkiv 2004, S. 95, 100, 101, 245-247, 299. Zolotarev ordnet Karamyšev in den Clan des Leiters des UNKVD von Leningrad L. M. Zakovskij ein. Ebd., S. 95, 100, 101. Ličnoe delo P. V. Karamyševa, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 31017. Die Personalakte Karamyševs ist vollständig abgedruckt als: Ličnoe delo načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 615-693. Pomoščnik operativnogo upolnomočennogo. Beide Rajons befinden sich nun im heutigen Gebiet Kirovograd der Ukraine. Vgl.: Sledsvennoe delo Z. D. Livšica. 1938-1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 48240; Sledsvennoe delo P. Ja. Korobceva. 1939-1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38809. Ličnoe delo Livšica Zel’mana Davidoviča, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4518–OS; Ličnoe delo Demčuka Elizara Fedoroviča, OGA SBU, Kiev, F. 12, D. 4461–OS. Sledsvennoe delo I. F. Matynenko, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 76471.
Rechtfertigung
am 28. November 1940 durchgeführt wurde.7 Vier Personen der mittleren Ebene, der Stadtebene, wurden hier verurteilt. Einmal I. F. Fedjaev Fahndungsbevollmächtigter der 4. Unterabteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. Er wurde erschossen. Der zweite, der ebenfalls mit der Todesstrafe belegt wurde, war A. A. Semenov, ein informeller Mitarbeiter des NKVD von Cherson. A. P. Protopopov, ehemals bei den Grenztruppen des NKVD angestellt, erhielt 10 Jahre Lagerhaft. Er war der dritte Angeklagte. Der vierte war G. I. Barvinok, Mitarbeiter der Miliz. Sein Urteil lautete auf 8 Jahre. Grundlage der Verurteilung für alle vier war wieder § 206-17 Punkt »a« bzw. »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR. Die fünfte zusätzliche Untersuchungsakte in sechs Bänden, die hier ebenfalls mit einbezogen wurde, widmete sich, genau wie bei der im Zentrum dieser Studie stehenden Karamyšev-Akte, der Gebietsebene von Nikolaev. Sie drehte sich um den ehemaligen Leiter der 5. Abteilung der Gebietsverwaltung des NKVD F. T. Ovčinnikov.8 Er wurde am 13. März 1941 auch nach § 206, Punkt 17 »b« zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt.9 Insgesamt wurden also 6 Prozessakten verwendet. Über die Prozessakten hinaus waren in der Ukraine zum ersten Mal die Akten der »Sonderinspektion«10 des NKVD der Ukraine zugänglich. Dies sind Akten über die regelmäßige Überprüfung des Mitarbeiterstabs des NKVD der Ukraine. Mit diesem Hebel kontrollierte das Republik-NKVD mit Unterstützung der NKVDStruktur der einzelnen Gebiete turnusgemäß bzw. routinemäßig zum einen die eigene Behörde und die einzelnen Verwaltungen des NKVD der Gebiete als Ganzes auf Unregelmäßigkeit bei der Arbeit und zum anderen wurde jeder Mitarbeiter gesondert nochmal individuell unter die Lupe genommen. Es sind Vorgänge bei denen von einem Strafverfahren abgesehen wurde, zumindest für den Zeitraum, den die jeweiligen Akten behandeln.11 Einige Akten davon betrafen direkt das Gebiet Nikolaev.12 Ähnliche Informationen sind auch in Personalakten von Mitarbeitern des Geheimdienstes aus den Gebieten Nikolaev, Cherson und Kirovograd (heute Kropivnickij) entdeckt worden; denn nicht selten sind hier Unterlagen über eine Überprüfung der jeweiligen Person wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu finden. Die entsprechenden Mitarbeiter wurden letztendlich jedoch nicht belangt oder erst sehr viel später in den fünfziger Jahren.13 Eine ebenso wichtige Quelle für die Untersuchung der Ahndung der Verletzung der sozialistischen 7 8 9 10 11 12 13
Sledsvennoe delo I. F. Fedjaeva, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 68218. Die 5. Abteilung war eine Spezialabteilung, die die Armee und halbmilitärische Einrichtungen überwachte. Sledsvennoe delo F. T. Ovčinnikovа. 1939-1941, OGA SBU, Kiev, F. 5, D. 38324. Osobaja inspekcija. OGA SBU, Kiev, F. 12 (Osobaja inspekcija). OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 31, D. 36; OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 33, D. 5. Vgl. dazu im Einzelnen den Abschnitt »Bauernopfer, Sündenböcke, Multiplikatoren« unter »Abmahnungen, Disziplinarverfahren, Entlassungen« in der vorliegenden Veröffentlichung.
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Gesetzlichkeit, diesmal aber jenseits der Prozessakten, sind große Parteiversammlungen und operativen Versammlungen des NKVD Ende 1938 und Anfang 1939, die in jeder Region und jedem Gebiet der Sowjetunion stattgefunden haben müssten. Verlesen und erläutert wurden auf diesen Sondersitzungen, in der Regel unter der Aufsicht des Parteisekretärs und des Staatsanwalts des Gebiets, in erster Linie der gemeinsame Beschluss des ZK der Partei der Sowjetunion und der Regierung vom 17. November 1938 zur Beendigung der Massenverfolgungen.14 Es kamen bei der anschließenden Diskussion die Gesetzesverletzungen und die Arbeitsbedingungen während des Großen Terrors zur Sprache. Allerdings wurde ausgerechnet für das Gebiet Nikolaev bisher keine solche Versammlung aufgefunden. Es ist noch nicht einmal klar, ob hier überhaupt eine stattgefunden hat. Eine allgemeine Analyse von operativen Zusammenkünften und Parteiversammlung des NKVD, die in anderen Gebieten der Ukraine stattgefunden haben, wurde bereits durchgeführt und diente als Orientierung.15 Jenseits der beschriebenen Täterakten stand weiteres einmaliges Quellenmaterial zur Verfügung. Es betrifft die Behandlung der Opfer. 1939 tagte im Gebiet Nikolaev mehrmals das Militärtribunal des Kiewer Sondermilitärbezirks. Es hat auf diesen Sitzungen die vom UNKVD von Nikolaev vorbereiteten Prozessakten zum Großbrand in der Werft № 200 überprüft und für ungültig erklärt und alle Angeklagten freigesprochen. Diese Akten wurden daraufhin untersucht, wie das Militärgericht vorgegangen ist und wie es den Freispruch begründet hat.16 Verwendet wurden ferner Materialien, die nicht direkt die Kampagne zur Wiederherstellung der sozialistischen Gesetzlichkeit zum Thema haben, sondern den ökomischen und politischen Zustand des Gebietes Nikolaev während des Großen Terrors betrafen. Dazu wurden nicht nur die Geheimdienstarchive in Kiew und Nikolaev, sondern auch das staatliche Archiv des Gebiets Nikolaev herangezogen.17 Hier lagern noch zusätzlich Untersuchungsakten von Opfern des Großen Terrors dieses Gebietes. Die örtliche Presse wurde ebenfalls ausgewertet. Die Monographie ist Teil und Produkt eines größeren Projekts zur Erforschung sowjetischer Täter des Großen Terrors an dem Wissenschaftlerinnen und Wissen14
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Der Rat der Volkskommissare der UdSSR und das CK der VKP(b) »Über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Durchführung des Untersuchungsverfahrens.17.11.1938«, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 479-483. Vgl.: Ėcho Bol’šogo terrora. Tom 1, Moskau 2017. Zur allgemeinen Bedeutung der Versammlungen, vgl. die beiden Einleitungen zu diesem Dokumentenband zum einen von Lynne Viola und zum anderen von Valerij Vasil’ev und Roman Podkur.Siehe zusätzlich das Kapitel: Kritik von unten nach oben im NKVD, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 459-464. OGA SBU, Nikolaev, F. 6, D. 3688–s. Gosudarstvennyj archiv Nikolaevskoj oblasti Ukrainy (GA NikO Ukrainy).
Rechtfertigung
schaftler aus der Ukraine, Russland, Kanada, den USA, Moldawien, Georgien und Deutschland teilgenommen haben.18 Durch die Einbindung in die internationale Projektgruppe war es nicht notwendig, die theoretisch und auch praktisch ebenfalls zur Verfügung stehenden zahlreichen Untersuchungsakten zu Mitarbeitern des Geheimdienstes der mittleren und unteren Ebenen vieler Gebiete der Ukraine und der mittleren Ebene des NKVD der Gesamtukraine ausführlich mit den Materialien des Gebietes Nikolaev zu vergleichen. Die Einbettung des Gebiets Nikolaev in den Gesamtzusammenhang der Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit in der Ukraine fand vielmehr mit Hilfe der Einbeziehung der Analyseergebnisse der Projektpartner und Partnerinnen statt, die andere Gebiete der Ukraine untersucht haben.19
Weiße Flecken Die Quellen der Studie sind ohne Ausnahme Materialien, die durch Organe des sowjetischen Staates und der Partei produziert oder zumindest durch deren Filter gegangen sind. Es fehlen klassische Ego-Dokumente wie Autobiographien, Tagebücher, Reiseaufzeichnungen und persönliche Briefe, bei denen die Autoren und Autorinnen ihren Standpunkt im privaten Umfeld auf eigenen Wunsch hin darlegen. Grundsätzlich kann aber gesagt werden, dass klassische Ego-Dokumente20 ei18
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Die folgenden Veröffentlichungen sind aus dem Projekt hervorgegangen und bilden die Grundlage der vorliegenden Monographie: Viola, L., The Question of the Perpetrator in Soviet History, in: Slavic Review, 72, 2013, № 1, S. 1-23; Junge, M./Viola, L./Rossman, J. (Hg.), Čekisty na skam’e podsudimych. Sbornik statej, Moskau: Probel–2000, 2017; Viola, L., Stalinist Perpetrators on Trial. Scenes from the Great Terror in Ukraine, Oxford: Oxford University press, 2017; Junge, M./Viola, L./Rossman, J. (Verantwortliche Redakteure), Ėcho Bol’šogo terrora. Sbornik dokumentov v trech tomach, Tom 1: Partijnye sobranija i operativnye soveščanija sotrudnikov upravlenija NKVD USSR (nojabr’ 1938-nojabr’ 1939 gg.), Hg. v. V. Vasil’ev, L. Viola, R. Podkur, Moskau 2017; Tom 2: Dokumenty iz archivnych ugolovnych del na sodrudnikov organov NKVD USSR, osužennych za narušenija socialističeskoj zakonnosti. Oktjabr’ 1938 g. – ijun’ 1943 g., Kniga 1: NKVD Moldavskoj ASSR, Dorožno-transportnyj otdel GUGB NKVD Severo-Doneckoj železnoj dorogi, UNKVD po Žitomirskoj oblasti i UNKVD po Odesskoj oblasti, Hg. v. S. Kokin, Dž. Rossman, Moskau 2018; Tom 2, Kniga 2: UNKVD po Kievskoj, Nikolaevskoj, Vinnickoj, Char’kovskoj i Vorošilovogradskoj oblastjam, Hg. v. S. Kokin, Dž. Rossman, Moskau 2019; Tom 3: Čekisty Stalina v tiskach »socialističeskoj zakonnosti«. Ego-dokumenty 1938-1941 gg., Hg. v. A. Savin, A. Tepljakov, M. Junge, Moskau 2018. Junge, M./Viola, L./Rossman, J. (Hg.), Čekisty na skam’e podsudimych. Sbornik statej, Moskau: Probel–2000, 2017; Viola, L., Stalinist Perpetrators on Trial. Scenes from the Great Terror in Ukraine, Oxford: Oxford University press, 2017. Krusenstjern, B. von, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie. Kultur, Gesellschaft, Alltag, Bd. 2, 1994, S. 462-471, hier S. 463; Schulze, W., Ego-
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ne Ausnahme im Milieu der Mitarbeiter der sowjetischen Straforgane darstellen.21 Sie sind deshalb so selten, weil der Bildungsgrad bis hinein in die Führungsebene niedrig war. Ein weiterer Grund ist vermutlich, dass den Kadern klar war, dass Ego-Dokumente jederzeit gegen sie verwendet werden konnten, was sich ebenfalls negativ auf ihre Fähigkeiten als Autor ausgewirkt haben könnte. Auch ist schon die Zeit abgelaufen mit Hilfe von Interviews annähernd vergleichbares Material zu akquirieren.22 Das Fehlen von klassischen Ego-Dokumenten war für eine Studie, die sich als eine wichtige Aufgabe gesetzt hat, Täter als Individuen darzustellen und wenigstens in Ansätzen ihre Selbstwahrnehmung herauszuarbeiten, eine Herausforderung. Zur Verfügung standen für dieses Ziel lediglich in den Prozessakten abgelegte, von den Angeklagten handschriftlich verfasste Geständnisse, dann die Verhörprotokolle und die in den Untersuchungsakten ebenfalls abgehefteten sog. »Briefe an die Macht«, d.h. von den angeklagten Tätern verfasste Beschwerdeschreiben an die Partei- und Staatsspitze. Ferner waren die auf den Prozessen gehaltenen Verteidigungsreden der Angeklagten und, am Ende der Prozesse, ihre »letzten Worte« verwendbar. Diese Materialien sind nach einem breiteren Verständnis auch EgoDokumente, aber sie kennzeichnet allesamt, dass sie, im Gegensatz zu den klassischen Ego-Dokumenten, – mal mehr mal weniger – unfreiwillig entstanden sind, in einer extremen Situation, oft auf der Schwelle von Leben und Tod und mit dem Bewusstsein von vergangener Allmacht und nun Ohnmacht. Dies erklärt die hohe Emotionalität und persönliche Färbung der Dokumente, die sich besonders deutlich in den »Briefen an die Macht« widerspiegelt.23 Immer zu berücksichtigen war,
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Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung »Ego-Dokumente«, in: Schulze, W. (Hg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte. Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 2, Berlin 1996, S. 11-30. Eine Ausnahme sind die Memoiren des ehemaligen Polizeichefs von Ivanovo M. P. Šrejder, die 1995 in Teilen veröffentlicht wurden. Vgl.: Šrejder, M. P., NKVD iznutri. Zapis’ki čekista, Moskau 1995. Zu den wenigen veröffentlichen autobiographischen Selbsteugnissen von Tschekisten vgl. auch: Savin, A./Tepljakov, A./Junge, M., »Pis’ma vo vlast’« kak sostavnaja čast’ materialov sudebnych processov nad »narušiteljami socialističeskoj zakonnosti«. 1939-1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 7-28. Ein seltenes Interview mit einem pensionierten Mitarbeiter des Geheimdienstes, das auch noch die Thematik der »Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« streift ist: Gol’dberg, G., Slovo i delo po sovetskij. Poslednij iz NKVD, in: Rodina, 1998, № 9, S. 85-87. Dieses Interview hat D. S. Ljapcev unter Pseudonym (sic!) gegeben. Er war von Januar 1938 bis Januar 1939 Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des NKVD der Kreisabteilung (okrotdel) des UNKVD des Gebiets Omsk. 1939 wurde Ljapcev wegen grober Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit aus der VKP(b) ausgeschlossen. Übergreifende Überlegungen zum Quellentyp. Vgl.: Krusenstjern, Was sind Selbstzeugnisse?, S. 462-471; Schulze, W., Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung »Ego-Dokumente«, in: Schulze, W. (Hg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschich-
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dass all diese Dokumente der persönlichen Verteidigung dienten und die Version der vergangenen Ereignisse des Großen Terrors aus der Sicht von Mitarbeiter der Straforgane darstellen, die nun selbst zu Opfer geworden sind. Sie sahen sich tendenziell dazu gezwungen zu beschönigen und ihren Eigenanteil an den »Exzessen« möglichst niedrig zu halten. Sie waren darüber hinaus in hohem Maße daran interessiert ihre Loyalität zum System und zu dessen Führungspersönlichkeiten zu bekunden. Das Dilemma der Unfreiwilligkeit der Entstehung der zentralen Quellen der Studie war nicht auflösbar, auch nicht mit der zusätzlichen Heranziehung von Lebensläufen aus den Personalakten der angeklagten oder überprüften Tschekisten. Denn auch die Lebensläufe sind im offiziellen Rahmen geschrieben worden und dienten dazu, einen Job zu bekommen und zu verstetigen. Außerdem sind sie durchweg als Bildungsroman verfasst, indem sie einen Aufstieg von ganz unten nach oben beschreiben, gefördert von der Sowjetmacht. Das relativiert ihre Aussagefähigkeit über den Wirklichkeitsgehalt der Lebensgeschichte. Andererseits waren sich die Verfasser bewusst, dass nachweisbare Verfälschungen als strafwürdig behandelt werden. Bei insgesamt niedrigschwelliger Unfreiwilligkeit haben die Lebensläufe immerhin einen Einblick geben können, aus welchen Schichten sich die Straforgane sowjetischen Typs formiert haben, zumal gerade Informationen aus der frühen Lebensphase ein wichtiger Bestandteil der Lebensläufe sind. Ebenfalls haben diese Art von Ego-Dokumenten gezeigt, welche Vorstellungen ein Tschekist davon hatte, wie die Biographie eines Mitarbeiters des sowjetischen Geheimdienstes auszusehen hat. Die Lebensläufe haben in der Bilanz entscheidend dazu beigetragen, den Anspruch der Studie zu realisieren, ein Portrait jedes einzelnen angeklagten Tschekisten zu zeichnen. Jenseits der Unmöglichkeit das Problem der unfreiwilligen Entstehung der meisten Prozessakten und weiterer Dokumente auszubalancieren, ist es dennoch durch einen Kunstgriff gelungen, die Tiefe und Breite der Loyalität der angeklagten Kader zum Regime zu überprüfen und deren konkrete Handlungsspielräume und Vorstellungswelten zu ermitteln, wenn auch nicht unbedingt auf ein einzelnes Individuum eingegrenzt. Zur Verfügung stand dazu eine ungewöhnliche Quelle, te. Selbstzeugnisse der Neuzeit, Bd. 2, Berlin 1996, S. 11-30, hier S. 28 (https:// www.historicum.net/fileadmin/sxw/Lehren_Lernen/Schulze/Ego-Dokumente.pdf) (abgefragt am 12.11.2017); Schulte, J. E., Individuelle Herrschaftspartizipation im Nationalsozialismus, in: Totalitarismus und Demokratie, 7, 2010, № 2, S. 213-238 (http://nbnresolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-32189) (abgefragt am 02.12.2018). Vgl. auch: Savin, A./Tepljakov, A./Junge, M., »Pis’ma vo vlast’« kak sostavnaja čast’ materialov sudebnych processov nad »narušiteljami socialističeskoj zakonnosti«. 1939-1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 7-28. Sandra Dahlke weißt zusätzlich darauf hin, dass die zentrale Stellung von Emotionen im Stalinismus auch strukturelle und historische Ursachen hat. Vgl.: Dahlke, Individuum und Herrschaft im Stalinismus, S. 104-106.
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ebenfalls abgelegt in den Prozessakten, und zwar die Dossiers von Agenten und informellen Mitarbeitern der Verwaltung des NKVD von Nikolaev; in erster Linie Dossiers, die bei der Ausarbeitung des Falls »Die Emsigen«24 angesammelt wurden. Diese Akte diente, wie bereits ausführlich behandelt, dem Ziel der Diskreditierung der Opfer der Massenverfolgungen und der Rettung der Mitarbeiter der Verwaltung des Gebiets Geheimdienstes von Nikolaev vor einer Anklage. Die These war, dass die Materialen über ihren direkten Informationsgehalt hinaus deshalb das Verständnis von Loyalität, Handlungsspielräumen und die Vorstellungswelten der mit Anklage bedrohten Mitarbeiter der Straforgane offenbaren, weil sie explizit auf persönliche Initiative der unter Druck geratenen Tschekisten entstanden sind und sie deren Inhalt nachweislich stark beeinflusst haben. Die Dossiers waren somit gesteuert und auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtet, was wiederum zu der Annahme geführt hat, dass sie für die Auftraggeber ein Mittel waren, die Agenten, bzw. die von ihnen überbrachten und dann aufbereiteten Informationen, als Sprachrohr für ihre eigenen Belange zu nutzen. Aus diesem Grund wurden schließlich die insbesondere vom Agenten »Gerd« kolportierten Gespräche der freigelassenen Untersuchungshäftlinge in weiten Teilen mit dem Standpunkt der von Anklage bedrohten Tschekisten gleichgesetzt. Die Tschekisten haben somit mit Hilfe ihrer Agenten, also vermittelt und indirekt, ihre Einschätzung der Kampagne zur Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit dargelegt und in der Konsequenz Staat und Partei für seine Maßnahmen gegen sie kritisiert. Direkte Kritik zu äußern war für sie unmöglich. Diese Form der Instrumentalisierung von Dossiers hat deshalb so gut wie reibungslos funktioniert, weil die Agenten Teil und Produkt der Gedankenwelt der Straforgane waren. Ein weiterer Dokumentenkomplex an dem diesmal eher der Grad und die Qualität der Übereinstimmung der Täter mit den Zielen von Partei und Staat abgelesen werden konnte, waren die Zeitungsartikel des Geheimdienstchefs von Nikolaev P. V. Karamyšev, veröffentlicht in der örtlichen Presse 1938 noch während des Großen Terrors.25 Der hohe Wert der Quelle liegt nicht nur darin, dass sie geringfügige Unfreiwilligkeit auszeichnet, sondern auch darin, dass sie während des Großen Terrors entstanden ist. Sie belegt das persönliche Interesse des Individuums und seine aktive, ja enthusiastische Beteiligung am kollektiven Projekt. Wechselt man die Perspektive vom Individuum zum System, so haben die Zeitungsartikel auch vorgeführt, welche Formen der Kommunikation und Narrative das Regime dem Subjekt zur Verfügung gestellt und wie es das Individuum mobilisiert und geleitet hat. Die Leitung und Kontrolle des Individuums durch das System ließ sich auch anhand der Personalakten der Tschekisten zeigen. Neben Kariereinformationen 24 25
Retivye. Die Zeitungsartikel sind abgedruckt als: Gazetnye stat’i načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 406-441.
Rechtfertigung
befinden sich hier über einen längeren Zeitraum verteilt in regelmäßigen Abständen durchgeführte Einschätzungen über die beruflichen Fähigkeiten der Person, Unterlagen zu Auszeichnungen, Beschwerden von Kollegen bis hin zu Dossiers von Agenten sowie Abmahnungen und Unterlagen von Strafverfahren. Dabei ist zu unterstreichen, dass es einen Schutz der Privatsphäre nicht gegeben hat, so dass »Verfehlungen« auch in diesem Bereich wie z.B. Partnerschaftsprobleme bis zu Gewalt in der Ehe, Kindesvernachlässigung und Schulden immer wieder in den Personalakten dokumentiert, in dieser Studie aber bewusst außen vorgelassen werden. Dasselbe gilt für Informationen über den Gesundheitszustand der Mitarbeiter. Dem Grad der individuellen Schuld der Angeklagten an den Folterungen und Fälschungen im Großen Terror habe ich mich durch Abwägen der zahlreichen Zeugenaussagen von Kollegen und Opfern und durch Vergleichen der verschiedenen Prozessakten angenähert. Gerade mit Hilfe des Vergleichs der Prozesse konnte die geradezu hermetisch abgeschlossene Verteidigungsstrategie der höheren Kader durchbrochen und der Anteil jedes einzelnen Individuums an den Verbrechen ausgeleuchtet werden. Aus quellenkritischer Sicht ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die meisten der verwendeten Quellen nach dem Großen Terror, in einer neuen Situation von Ohnmacht und nicht mehr staatlich gewährter Allmacht, entstanden sind. Schließlich sollte auch nicht verschwiegen werden, dass das Gros der Materialien in einen hohen Maße durch den stalinistischen Staat instrumentalisiert wurde: die Parteiund Staatselite benutzte Ende der dreißiger Jahre die allgemeinen Vorwürfe massenhaft Folter angewendet, gefälscht und »völlig unschuldige Personen« verhaftet zu haben, um die alleinige Verantwortung für die »Übertreibungen« und »Exzesse« und »die Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« ausschließlich dem NKVD unterzuschieben und damit gleichzeitig die Hauptrolle des Staates und der mit ihm verschmolzenen Partei bei den Verfolgungen zu verschleiern.26 Eine Spezifik der Prozessakten ist, dass die Fragen des Gerichts nicht mitstenographiert wurden, also, wenn überhaupt, eine Intention des Gremiums nur indirekt herausgelesen werden kann. 26
Zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Quellengattung gerade in dieser Hinsicht. Vgl.: Junge, M., Vozmožnosti i problemy izučenija Bol’šogo terrora s pomošči istočnikov 1938-1941 i 1954-1961 godov (doprosy karatelej), in: Istorija stalinizma. Repressirovannaja Rossijskaja provincija. Materialy meždunarodnoj naučnoj konferencii. Smolensk, 9-11 oktjabrja 2009, Moskau 2011, S. 63-70.
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Froschperspektive Die Ahndung von Amtsmissbrauch bzw. die Ahndung von Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit durch Täter des Großen Terrors wurde nicht von ungefähr aus dem Blickwinkel eines einzigen Gebietes der Ukraine, dem Gebiet Nikolaev, untersucht. Dies hat drei Gründe. Der erste ist, dass 1939-1942 alle auffällig gewordenen hochrangigen Mitarbeiter der Republik-, Regions- und Gebietsgeheimdienste, einschließlich des Moskauer Zentrums und der Ukraine, extra nach Moskau überführt und dort vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zu hohen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt wurden. Die Erforschung dieser Materialien wird allerdings von den aktuell herrschenden politischen Eliten in Moskau blockiert. Soeben hat man diese Prozessakten weitere 30 Jahre unter Verschluss gestellt u.a. mit dem juristisch zweifelhaften Argument, dass es sich um nicht rehabilitierte Personen handelt.27 In den ehemaligen Republiken, Regionen und Gebieten der Sowjetunion sind dementsprechend in der Regel »nur« Materialien von Tschekisten der mittleren und unteren Ebene vorhanden, die vor Ort von den Militärtribunalen der jeweiligen Militärbezirke wegen Amtsmissbrauch verurteilt wurden. Aber auch diese Dokumente sind, genau wie die in Moskau lagernden Prozessakten, nicht zugänglich; mit einer Ausnahme und zwar in der Ukraine. Dies war der zweite Grund den Blick geographisch weiter einzuschränken. Der dritte Grund, sich schließlich auf das Gebiet Nikolaev der Ukraine festzulegen, war ein rein pragmatischer. Ausnahmsweise wurde im Gebiet Nikolaev mit Karamyšev ein Leiter eines GebietsNKVD, also ein hochrangiger Tschekist, noch dazu im Juli 1937 in Leningrad mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet, vor Ort in Nikolaev, also nicht wie üblich in Moskau, wegen Amtsmissbrauch verurteilt. Außerdem waren für das Gebiet Nikolaev alle Prozesse, die in dem Gebiet wegen Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit stattgefunden haben, zugänglich und darüber hinaus viele Personalakten und Materialien der Sonderinspektion, die nicht nur verurteilte, sondern auch nicht verurteilte, aber dennoch verhörte Mitarbeiter von Geheimdienst und Miliz betrafen. Es war damit möglich, exemplarisch anhand eines Gebietes für alle Gebiete der Sowjetunion stellvertretend in allen Einzelheiten die Durchführung der sowjetunionweiten Kampagne der Ahndung der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit zu untersuchen. Es wurde schließlich sogar, trotz aller Risiken, das Experiment gewagt, aus dieser Froschperspektive Rückschlüsse auf die Motive des Moskauer Zentrums zu ziehen. 27
www.gazeta.ru/social/2016/01/19/8030279.shtml?utm_source=change_org&utm_medium= petition (abgefragt am 22.04.2016). Hier schützt sich die Macht-Elite vor einer kritischen Betrachtung der Vergangenheit.
Rechtfertigung
Kampflinien Täterforschung hieß für die Sowjetunion bis zu ihrem Zusammenbruch Anfang der neunziger Jahre fast ausschließlich Forschen über Stalin. Er galt, sieht man von den Thesen einiger »Revisionisten« ab, in direkter Kontinuität zu Nikita Chruschtschows Geheimrede von 1956 als der Hauptäter, als »the terror’s director general«.28 Die Dokumente zu den Massenverfolgungen, die ab 1991 ans Licht kamen, brachten dann Bewegung in die Täterforschung. Gemeint sind mit Massenverfolgungen die sog. Kulakenoperation gegen Kulaken, Kriminelle und andere »konterrevolutionäre Elemente«, die »Nationalen Operationen« gegen Deutsche, Polen, Iraner usw. und die Operationen gegen »sozial gefährliche Elemente« (Bettler, Prostituierte, Kriminelle usw.), denen insgesamt ca. 1,6 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die neuen Dokumente nahmen einige russischen Wissenschaftler sofort zum Anlass für eine diametral entgegengesetzte Interpretation der Rolle Stalins. Es kam zumindest in Ansätzen zur Bildung der Legende vom hintergangenen und schwachen Diktator, dem mit N. I. Ežov, dem Volkskommissar des Inneren, ein eigenmächtiger Akteur im Großen Terror 1937-1938 das Vorgehen diktiert habe.29 Die Forschung konnte dies jedoch bald überzeugend zurückweisen.30 Der Leiter der unter dem Dach des Volkskommissariats des Inneren (NKVD) vereinten Geheimpolizei und Miliz wird nun vielmehr, »sorgfältig kontrolliert und gelenkt«, als williger Exekutor der Aufträge Stalins und als sein »fähiger und eifriger Schüler« beschrieben.31 Systematische Forschungen zu den Massenverfolgungen und parallele Auswertungen von Materialien des Kreml-Archivs (Präsidentenarchivs) durch den russischen Geheimdienst-Historiker Vladimir Chaustov und den schwedischen Historiker Lennard Samuelsen zur Mitwirkung der Führungsriege an den Verfolgungen insgesamt, haben ebenfalls gezeigt, dass Stalin weiterhin als oberster Schreibtischtäter gelten muss. Gleichzeitig wurde jedoch deutlich, dass seine 28
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Tucker, R. C., Stalin in Power. The Revolution From Above, 1928-1941, New York 1990, S. 444; Chlewnjuk, O. W., Das Politbüro. Mechanismen der politischen Macht in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, Hamburg 1998, S. 14, 294. Die unzählige Literatur zur persönlichen und politischen Biographie Stalins kann aus Platzgründen im Einzelnen nicht aufgeführt werden. »Ezhov’s primary crime, however, consisted in the fact that he had not informed Stalin of his actions«. Vgl.: Starkov, B. A., Narkom Ezhov, in: Getty, J. A./Manning, R. T. (Hg.), Stalinist Terror. New Perspectives, Cambridge M. A. 1993, S. 38; Jansen, M./Petrov, N., Stalin’s Loyal Executioner. People’s Commissar Nikolai Ezhov, 18951940, Standford 2002; Chlevnjuk, O. V., Chozjain. Stalin i utverždenie stalinskoj diktatury, Moskau 2010, S. 299; Baberowski, J., Stalin und der Große Terror (Vortrag vom 13.07.2011 bei der Vortragsreihe »Stalinistischer Terror in der Sowjetunion und in Osteuropa: Neue Forschungen zu Tätern – Opfern«) www.stiftung-aufarbeitung.de/veranstaltungsnachlese-20112493.html?id=1711, abgefragt 07.09.2017. Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 270, 294, 295; Poljanskij, A., Ežov. Istorija »železnogo« stalinskogo narkoma, Moskau 2001.
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Rolle während des Großen Terrors differenzierter zu betrachten ist. Stalin setzte Schwerpunkte. Er konzentrierte sich in erster Linie auf die Eliten. An ihrer Verfolgung war er nicht nur mit seiner Unterschrift unter Verhaftungs- und Verurteilungslisten beteiligt, sondern neben einigen Personen aus diesen Listen befinden sich auch seine Randbemerkungen, die für die Betroffenen meist tödliche Folgen hatten. Dasselbe gilt für einige Verhörprotokolle und Prozessakten. Stalins Mitwirkung bei den Massenoperationen hingegen, die sich in der Hauptsache gegen die einfache oder nicht privilegierte sowjetische Bevölkerung richteten, beschränkte sich auf allgemeine Kontrolle.32 Insbesondere die Durchführung der Kulakenoperation wurde der Partei- und NKVD-Führung vor Ort überlassen. Stalin hat sich in ihren Verlauf nicht eingemischt, sondern sich auf »allgemeine Anweisungen zur Erhöhung der Verfolgungsquoten beschränkt und den Eifer des NKVD angespornt.«33 Neueste Archivfunde in Georgien weisen allerdings darauf hin, dass selbst das von Stalin und anderen Politbüromitgliedern zweifellos ausgeübte »Letztkontrollrecht« bei der Verfolgung der Eliten, etwa bei den sog. Stalinschen Listen, kritisch gesehen werden muss. Handelt es sich hier tatsächlich um eine personenbezogene Kontrolle oder nicht vielmehr in den meisten Fällen um eine rein mechanische Bestätigung für vom zentralen NKVD-Apparat ausgearbeitete Urteile? Allein die Tatsache, dass Stalin, unterstützt von den anderen Politbüromitgliedern, seine Unterschrift unter umfangreiche Listen mit insgesamt mehr als 40.000 Personen gesetzt hat und seine Randbemerkungen nur bei wenigen Personen zu finden sind, spricht für letzteres. Stalin und die Politbüromitglieder verfügten weder über genügend Zeit noch über das persönliche Potential (Gedächtnis, persönliche Bekanntschaften usw.), mit jedem Einzelnen der gelisteten Namen etwas zu verbinden. Die Korrekturen oder Eingriffe mussten sich schon deshalb auf ein absolutes Minimum beschränken.34 Zusätzlich zur Diskussion der Stellung Stalins bei den Verfolgungen rückte mit der Entdeckung der Dokumente zu den Massenverfolgungen die wichtigste und größte Tätergruppe in den Fokus der Forschungen. So stellte sich auf der Grundlage des neuen Materials heraus, dass gerade der NKVD, d.h. Geheimdienst und Miliz, im Großen Terror bei der Durchführung der gesamten Verfolgungen, insbeson32
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Junge, M./Bonwetsch, B., Die Durchführung des Befehls № 00447. Eine Gesamtbilanz, in: Binner, R./Bonwetsch, B./Junge, M. (Hg.), Stalinismus in der sowjetischen Provinz 1937-1938. Die Massenaktion aufgrund des operativen Befehls Nr. 00447 Veröffentlichung des Deutschen Historischen Instituts Moskau, Bd. 2, Berlin 2010, S. 37-52; Chaustov, V./Samuel’son, L., Stalin, NKVD i repressii 1936-1938 g., Moskau 2009, S. 6, 273-274, 283. Ebd., S. 281, 286, 328. Junge, M./Kldiašvili, G., Regionalisierung der Verfolgungsmacht, in: Junge, M./Bonwetsch, B. (Hg.), Bolschewistische Ordnung in Georgien. Der Große Terror in einer kleinen kaukasischen Republik, Berlin 2015, S. 86-125.
Rechtfertigung
dere der Massenoperationen, eine herausragende Position einnahm. Obwohl 19371938 durchaus auch andere Institutionen und die Partei eingebunden waren, liefen die Verfolgungen im Gegensatz zur Kollektivierungs- und Industrialisierungskampagne, die Anfang der dreißiger Jahre stattfand, jetzt in der Regel unter eindeutiger Führung des Staatssicherheitsdienstes ab.35 Keineswegs entschieden ist jedoch die Frage nach der Art und Weise der Mitwirkung und der Verantwortlichkeit des Geheimdienstes und der Miliz. Dasselbe gilt für das Selbstverständnis der Organe. Interessant ist in diesem Zusammenhang schon eine rein philologische Betrachtung des Täterbegriffs. In der russischen Sprache existiert kein Äquivalent für den Begriff »Täter«. Gebräuchlichste Begriffe sind »Exekutoren« (izpolniteli) oder »Henker« (palači), die den ausführenden bzw. emotional-moralischen Aspekt stark betonen. Passender wäre »karateli« (übersetzbar in etwa als »Schergen«). Allerdings war dieser Begriff aus ideologischen Gründen in der Sowjetunion für die Angehörigen zaristischer und faschistischer Straforgane reserviert. Bis heute bestehen auch in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion große Vorbehalte gegen seine Verwendung, die jedoch hier allmählich abgebaut werden. Ein Nachteil dieses Begriffs ist zweifellos, dass er nur für den Geheimdienst und die Miliz und nicht für alle Täter, also nicht auch für Stalin, Partei und Regierung anwendbar ist. Grundsätzlich lässt sich die Forschung über den Geheimdienst und die Miliz in drei Hauptströmungen einteilen: Stellvertretend für die Richtung, die dem heutigen Geheimdienst der Russischen Föderation (FSB) bzw. seinen Forschungsinstitutionen nahe steht, kann Oleg Mozochin gelten. Er ist Mitarbeiter des zentralen Geheimdienstarchivs des FSB und Mitglied der russischen »Gesellschaft zur Erforschung des vaterländischen Geheimdienstes«. Er unternimmt, wie angesichts einer in Russland erkennbaren Tendenz zur Rehabilitierung 1937-1941 bzw. 19541961 verurteilter NKVD-Mitarbeiter kaum anders zu erwarten, vor allem den Versuch einer Ehrenrettung des Geheimdienstes.36 Gemäß dem Titel seines Werkes »Recht auf Repressivmaßnahmen« wendet er sich gegen eine seiner Meinung nach unzulässige Kriminalisierung des sowjetischen Geheimdienstes. Dieser habe seine »außergerichtlichen Vollmachten« von den höchsten gesetzgebenden Organen des 35 36
Junge, M./Bonwetsch, B., Die Durchführung des Befehls № 00447, S. 37-52. Zur Rehabilitierung einiger NKVD-Mitarbeiter, die an den Massenverfolgungen beteiligt waren. Vgl.: Tepljakov, A., Die Rolle des NKVD der Westsibirischen Region in der »Kulakenoperation« 1937-1938, in: Binner, R./Bonwetsch, B./Junge, M. (Hg.), Stalinismus in der sowjetischen Provinz 1937-1938. Die Massenaktion aufgrund des operativen Befehls Nr. 00447, Berlin, 2010, S. 421-458; Tepljakov, A., Paradoksy reabilitacii, in: Rossijskie socialisty i anarchisty posle oktjabrja 1917. Issledovatel’skaja programma NIPC »Memorial«. »Socialisty i anarchisty – učastniki soprotivlenija bol’ševistskomu režimu« (http://socialist.memo.ru/discuss/d01/ d0103.htm, abgefragt 07.12.2018)
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Landes übertragen bekommen.37 Damit einhergehend reduziert Mozochin den Geheimdienst auf ein rein ausführendes Organ.38 Er führt zwar nicht zu Unrecht die Schaffung der außergerichtlichen Organe wie der Sonderberatung oder Sonderversammlung39 , der »Dvojka« (Zweiergremium) und »Trojka«, in denen der NKVD die dominierende Rolle spielte, auf Gesetze und Politbürobeschlüsse zurück. Dasselbe gilt auch für ihre Kompetenzen und die zahlreichen Befehle, Direktiven und Anweisungen, die die Arbeit dieser Gremien begleitet haben. Aber für die Zeit des Großen Terrors schirmt Mozochin den Staatsicherheitsdienst doch allzu offenkundig vor möglicher Kritik ab. Sowohl der Weg in die massenhaften Verfolgungen als auch der Große Terror selbst erscheinen in seiner Darstellung in erster Linie als vielleicht überzogene, aber grundsätzlich legitime Reaktion der politischen Führung auf außenpolitische und weltwirtschaftliche Bedrohungen und in zweiter Linie als Reflex auf den Kampf um die Macht innerhalb der politischen Eliten, wobei er die linke und rechte »Abweichung« im Blick hat.40 Den Hintergrund bilden die psychische Disposition Stalins, sein Kampf um die persönliche Macht sowie sein Bestreben, ein bürokratisches System zu installieren.41 Explizit innenpolitische Faktoren einschließlich des Überwachungs- und Unterdrückungsalltags werden nur am Rande erwähnt. Die eigenen Vorschläge des NKVD zur Bekämpfung von »Missständen« sowie sein Stil und seine Methoden zu ihrer Lösung finden kaum Beachtung. Auf diese Weise werden die Eigeninteressen und Spielräume des NKVD und die Mitverantwortung des Staatssicherheitsdienstes und der Miliz aus dem Blickfeld verbannt. Wenn sich das Thema dennoch einmal nicht vermeiden lässt, wie bei den Massenoperationen, wird der NKVD damit entschuldigt, dass er von seiner Führungsspitze und der Politik gehetzt, gedrängt, verführt und nicht zuletzt »gezwungen« worden sei.42 Andere Autoren dieser Richtung gehen noch weiter als Mozochin. Sie diagnostizieren einen Befehlsnotstand im NKVD. Es habe keine andere Wahl bestanden, als die Verfolgungen durchzuführen, da andernfalls den NKVD-Mitarbeitern selbst Verfolgung gedroht habe. Eine andere Form der »Entschuldigung« des NKVD findet sich bei dem russischen Historiker Viktor Danilov, der in den Organen Widerstand gegen die Vorbereitung und Durchführung der Massenverfolgungen ausmacht. Danilov schließt aus der Tatsache, dass im Juli 1937 einige hochrangige NKVD-Mitarbeiter verhaftet wurden, auf deren Widerstandsgeist, den er mit ihren schlechten Erfahrungen 37 38 39 40 41 42
Mozochin, O. B., Pravo na repressii. Vnesudebnye polnomočija organov gosudarstvennoj bezopasnosti. 1918-1953, Moskau 2006, S. 20-22. Ebd., S. 193-194. Osoboe soveščanie. Ebd., S. 14-15, 17. Ebd., S. 14. Ebd., S. 146, 158, 161, 171.
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mit der Kollektivierung und Industrialisierung 1928-1933 erklärt: »In diesem Milieu bestand eine Abneigung gegen die Teilnahme an der blutigen Abrechnung mit Tausenden von unschuldigen Menschen.«43 Andere Autoren meinen selbst bei den niederen Rängen des NKVD eine kritische Haltung zum Terror zu erkennen, einschließlich der Fähigkeit, sich von den von oben angeordneten Maßnahmen zu distanzieren. Diese Position erweckt den Eindruck, als hätten die Täter auf der untersten Ebene die Wirklichkeit eigentlich erkannt, aber nichts gegen die angeordneten Verfolgungsmaßnahmen tun können.44 Die dritte und wichtigste Strömung wird von dem russischen Historiker Aleksej Tepljakov (Novosibirsk) und dem ukrainischen Historiker Vadim Zolotar’ov45 (Char’kiv) vertreten. Sie gehen zweigleisig vor. Einerseits rekonstruieren sie die Biographien führender Vertreter des Geheimdienstes aus Sibirien und der Ukraine.46 Andererseits untersuchen sie die Maschinerie des Terrors.47 Aleksandr Vatlin (Moskau) hat mit ähnlichem Ansatz eine Mikrostudie vorgelegt.48 Tepljakov zeigt in seiner Analyse von »Psychologie, Sitten und Wesen« des sowjetischen Geheimdienstes dessen clanhafte Struktur. Er beschreibt aber nicht nur persönliche Unter43
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Danilov, V. P., Sovetskaja derevnja v gody »Bol’šogo terrora«, in: V. Danilov, R. Manning, N. Ochotin u.a. (Hg.), Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivizacija i raskulačivanie. Dokumenty i materialy v 5 tt. 1927-1939, Bd. 5. 1937-1939, Teil 1. 1937, Moskau 2004, S. 34-35, 43. Kamanov, V., Čekistskaja meždousobka, in: Kuzbass, 13.11.1997; Ovčinnikov, V./Pavlov, S., Glas vospijuščego… v zastenkach NKVD, in: Jurga, 15.12.2004, S. 5; Vatlin, A., Tatort Kunzewo. Opfer und Täter des Stalinschen Terrors 1937/1938, Berlin 2003, S. 92-93; Lejbovič, O., Sotrudniki NKVD v Prikam’e v 1937-1938 gg. (ungedr. Manuskript für die Konferenz »Les méchanismes de la terreur« vom 9.–11.12.2007 in Paris). Ukrainische Transkribierung. Tepljakov, A., Opričniki Stalina, Moskau 2009; Tepljakov, A. G., Personal i povsednevnost’ Novosibirskogo UNKVD v 1936-1946 gg., in: Minuvšee, 21, 1997, S. 240-293; Šapoval, Ju./Zolotar’ov, V., Vsevolod Balic’kyj. Osoba, čas, otočennja, Kiïv 2002; Zolotar’ov, V., Oleksandr Uspens’kyj. Osoba, čas, otočennja, Kiïv 2004; Zolotar’ov, V., Viprobuvannja sovistju. Storiniki biografiï komisara deržbezpeky 3 rangu S. Mazo, in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVD-KGB 2000, 24, S. 374-389; Zolotar’ov, V., Zaručnik systemy Ja. Kamins’kyj, in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVDKGB 1998, 1-2, S. 286-304. Sehr verdienstvoll für die erst aufkeimende Täterforschung bzw. die Rekonstruktion der Biographien der Täter ist: Petrov, N./Skorkin, K. V., Kto rukovodil NKVD 1934-1941. Spravočnik, Moskau 1999. Tepljakov, A., Sibir’. Procedura ispolnenija smertnych prigovorov v 1920-1930-ch godach, in: Golosa Sibiri. Literaturnyj al’manach, 4 ,2006, S. 213-277. http://golosasibiri.narod.ru/ almanah/vyp_4/027teplyakov_04.htm, abgefragt 09.04.2019); Tepljakov, A., Mašina terrora. OGPU-NKVD Sibiri v 1929-1941 gg., Moskau 2008; Tepljakov, A., Die Rolle des NKVD in der Westsibirischen Region 1937-1938, in: Stalinismus in der sowjetischen Provinz, S. 421-458; Zolotarev, V. A., Osobennosti raboty UNKVD po Char’kovskoj oblasti vo vremja provedenija massovoj operacii po prikazu Nr. 00447, in: Junge, M./Bonveč, B./Binner, R. (Sost.), Stalinizm v sovetskoj provincii. 1937-1938 gg. Massovaja operacija na osnove prikaza Nr. 00447, Moskau 2009, S. 572-594. Vatlin, Tatort Kunzewo.
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ordnungsverhältnisse (Patronatswesen), sondern auch die Korruptheit der Organe und ihre schnelle Bereitschaft, Folter anzuwenden und Untersuchungsmaterialien zu fälschen. Ein Privilegiensystem, kombiniert mit der Furcht, jederzeit auch Opfer werden zu können, habe die Loyalität der Täter gegenüber dem Regime gesichert.49 Problematisch bei Tepljakovs sehr zuverlässigen und reflektierten Arbeiten50 ist seine Neigung, durch Diabolisierung und Kriminalisierung Distanz zu den Tätern aufzubauen. So werden über weite Strecken Karrieristen, Sadisten und alkoholkranke Tschekisten beschrieben. Es entsteht der Eindruck, die Täter und ihr Milieu seien von der sowjetischen Gesellschaft abgespalten gewesen. Zolotar’ov wiederum betreibt in seinen Arbeiten vornehmlich Personengeschichte, wenn auch unterlegt mit Strukturgeschichte. Sein Ansatz ist faktologisch geprägt, ohne methodische Überlegungen oder systematische Fragestellung. Außerdem gelingt es Zolotar’ov und auch Tepljakov sowie auch Vatlin immer nur punktuell Aussagen zur sozialen Herkunft und zur Eigen- und Fremdwahrnehmung der Mitarbeiter des Geheimdienstes zu machen.51 Der Hauptgrund ist allerdings akuter Quellenmangel. Ebenfalls anzumerken wäre, dass keiner der genannten Autoren den Mythos des Geheimdienstes als Opfer des Drucks von oben und dann der Verfolgung der Verfolger substantiell dekonstruiert. Auch die Interaktion zwischen Maschinerie und Individuum kommt kaum zur Geltung. Dasselbe gilt für einen weiteren wichtigen Autor der russischen Täterforschung, Nikita Petrov. Die Mitarbeiter des Geheimdienstes und der Miliz bleiben auch bei ihm als Personen konturenlos, trotz des dominierenden biographischen Ansatzes.52 Darüber hinaus werden situative Aspekte des Verfolgungsalltags bzw. Unterschiede im Verhalten der Täter in verschiedenen Perioden vernachlässigt.53 Die Folge ist eine Entpersonalisierung und Abstrahierung der Täter. Ein explizit methodisches Problem der genannten Autoren ist, dass sie die ihnen nur in Auszügen oder in Form weniger Akten und Dokumente zur Verfügung stehenden Untersuchungsakten und Beschwerdebriefe der Mitarbeiter des 49 50 51
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Ebd., S. 346-454; 465-593; Tepljakov, Opričniki Stalina, S. 9. Vgl. insbesondere seine neueste Arbeit: Tepljakov, A. G., Dejatel’nost’ organov VČK-GPUNKVD. 1917-1941 gg. Istoriografičeskie i istočnikovedčeskie aspekty, Moskau 2018. Zolotar’ov, V. A./Ruščenko I. P., Počatok i final kar’jery peršoji chvyli čekists’koji verchivky Ukrajiny. Social’no-statystyčnyj analiz, in: Nukovi zapysky Charkivs’kogo ekonomiko-pravovogo universytety, 2004, №1, S. 158-169; Tepljakov, Opričniki Stalina, 52-54. Sowjetunionweite Zahlen, die diesen Trend bestätigen, vgl., Wehner, M., Wer waren Stalins Vollstrecker? Ein russisches Handbuch legt den Grund für eine Täterforschung des Stalinismus, in: FAZ, 30.3.2000. Petrov, N., Nagraždeny za rasstrel. 1940, Moskau 2016. Auch Oleg Chlevnjuk stellt irritiert fest, dass bei Ežov weder in seiner persönlichen noch politischen Biographie eine Disposition dafür vorliege, sich im Großen Terror als williger und aktiver Vollstrecker zu zeigen: Chlewnjuk, Das Politbüro, S. 282. Zur frühen Biographie Ežovs, vgl.: Getty, J. Arch: Ezhov. The Rise of Stalin’s Iron Fist, Yale UP 2008.
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Geheimdienstes, denen 1938-1941 und 1954-1961 der Prozess gemacht wurde, als Hauptquelle zur Rekonstruktion der Ereignisse und des Verhaltens der Tschekisten im Großen Terror benutzen. Eine Einordnung in den historischen Kontext der unmittelbaren Phase nach dem Terror und in die Chruschtschow-Ära, in der die Aussagen der Täter über den zurückliegenden Großen Terror getroffen wurden, findet nicht statt. Dasselbe gilt für die Auswertung der wenigen Memoiren von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern.54 Nur einige wenige Autoren haben sich bisher Gedanken über die Motive der Verfolgung der Täter 1938-1941 und 1954-1961 gemacht. Leonid Naumov ist der Ansicht, dass die erste Welle der Täterprozesse unmittelbar nach dem Großen Terror dazu diente, das Clanwesen des NKVD zu schwächen und die Kader für die neue Konjunktur der nun nur noch partiellen Repressionen umzugruppieren.55 Timothy Blauvelt und Nikita Petrov erscheinen sie als Mittel, Ežovs Netzwerke zu neutralisieren und Berijas Anhänger in den Geheimdienst einzuschleusen.56 Explizit antisemitisch orientierte »Wissenschaftler« unterstellen Stalin die Absicht, er habe den Geheimdienst von jüdischen Elementen, die allzu selbständig gehandelt hätten, säubern wollen.57 Zusammen mit meinen Kollegen habe ich die Ansicht vertreten, dass die Verfolgungen auf eine Disziplinierung des NKVD insgesamt hinausliefen bzw. der NKVD wieder in seinen alten Rahmen gepresst werden sollte.58 Die Verfolgungen der Täter 1954-1961 wiederum werden in der Forschungsliteratur ausschließlich als politisches Instrument, also als Teil der Entstalinisierungsbzw. Rehabilitierungskampagne angesehen. Der Aufklärungs- und Aufarbeitungsaspekt spielt keine Rolle. Laut Nikita Petrov war Chruschtschow weder an einer 54 55 56
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Die bekanntesten und informativsten Memoiren sind: Šrejder, M. P., NKVD iznutri. Zapiski čekista, Moskau 1995. Naumov, L., Stalin i NKVD, Moskau 2007, S. 335, 344-345; Tumšis, M., VČK. Vojna klanov, Moskau 2004. Blauvelt, T. K., March of the chekists. Beria’s secret police patronage network and Soviet crypto-politics, in: Communist and Post-Communist Studies, 44, 2011, S. 73-88, hier S. 80-82; Wehner, M., Wer waren Stalins Vollstrecker? Šamsutdinov, R., Kišlok fošeasi. Žamoališggiriš, surgun [Die Tragödie von Kišlok. Kollektivierung, Entkulakisierung, Verbannung. Das Beispiel der Mittelasiatischen Republiken], Taškent 2003. (www.centrasia.ru/newsA.php4?=108206736, abgefragt 11.11.2018); Bilokin’, S., Social’nyj portretčekista, in: Personal, 2003, № 8, S. 39-46; Bilokin’, S., Dvadcjan’ rokiv jevrejs’koï deržavnosti v Ukraïni, 1918-1938. (www.ukrcenter.com/library/read.asp., abgefragt 07.09.2018). Der Osteuropahistoriker und Journalist M. Wehner vermutet auf der Grundlage rein statistischer Überlegungen antisemitische Tendenzen in der Führung. Vgl.: Wehner, M., Wer waren Stalins Vollstrecker? Binner, R./Bonwetsch, B./Junge, M., Disziplinierung und Umorientierung der Täterbehörde, in: Dies., Massenmord und Lagerhaft. Die andere Geschichte des Großen Terrors, Berlin 2009, S. 454-479.
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tatsächlichen Aufklärung der Verbrechen interessiert, noch gab es zu seiner Regierungszeit eine breite Verurteilung von Tätern. Diese seien nur exemplarisch zur Rechenschaft gezogen worden, um der Bevölkerung Genugtuung zu verschaffen bzw. die massenhaften Lagerentlassungen und die Rehabilitierungen zu legitimieren.59 Timothy Blauvelt ist Vertreter der üblichen Interpretation, dass die Verfolgungen der Verfolger in der Chruschtschow-Ära in erster Linie dazu diente, Berijas Anhänger kalt zu stellen.60 Aber auch der Autor des vorliegenden Buches wird kritisiert. In der russischen Ausgabe der vorliegenden Veröffentlichung steht: »Nach der »erfolgreichen« politischen und auch physischen Vernichtung organisierter Opposition und Unterdrückung kritischen Geistes in der Sowjetunion, also der Durchsetzung des Einheitszwangs, wandelte sich der Daseinszweck von Geheimdienst und Miliz von einem Instrument des innenpolitischen Kampfes der stärksten Fraktion in der Partei, der Stalinisten, gegen Trotzkisten, Bucharinisten, Zinov’evisten und andere vermeintlich Illoyale, zum Staatsschutz. Dies schlug sich auch in der Bezeichnung des Dienstes nieder. Ab 1941 wurde er nun nicht mehr nur als Volkskommissariat des Inneren (NKVD) bezeichnet, sondern als Volkskommissariat für Staatssicherheit (NKGB) und dann ab 1954 sogar nur noch als Komitee für Staatssicherheit (KGB).«61 David Shearer merkt dazu an: »That transition occurred in 1934, not 1941. In 1934, the State Political [Police] Administration, the OGPU, was abolished, reorganized, and given a new charter as the Chief Administration for State Security, the GUGB. There existed no political police after 1934.«62 59
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Vgl. den Bericht von Teresa Tammer zum Vortrag von Nikita Petrov in der Veranstaltungsreihe »Stalinistischer Terror in der Sowjetunion und in Osteuropa. Neue Forschungen zu Tätern – Opfern – Folgen« am 22. Juni 2011 in der Bundesstiftung (http://de-de.facebook.com/note. php?note_id=227987700557688, abgefragt 07.09.2018) Blauvelt, T. K., March of the chekists, S. 85-87; Blauvelt, T. K., Patronage and betrayal in the post-Stalin succession. The case of Kruglov and Serov, in: Communist and Post-Communist Studies, 41, 2008, № 1, S. 1-16; Knight, A. W., Beria. Stalin’s first lieutenant, Princeton 1993; Sokolov, B., Berija. Sud’ba vsesil’nogo narkoma, Moskau 2003; Toptygin, A., Lavrentij Berija. Neizvestnyj maršal gosbezopasnosti, Moskau 2005. Vgl. in der vorliegenden Veröffentlichung unter »Standpunkt« den Abschnitt »Avantgarde versus ›ordinary men‹«. Shearer, D., Review oft the book: »Chekisty Stalina: Moshch΄ i Bessilie ›Berievskaia ottepel΄‹ v Nikolaevskoi oblasti Ukrainy. By Marc Junge. Series: Pervaia publikatsiia v Rossii. Moscow: AIRO–XXI, 2017«, in: Slavic Review, 78, 2019, № 2, S. 585-586.
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Die Datierung der Umbenennung des Geheimdienstes von »Politischer Polizei« in »Staatsschutz« auf das Jahr 1941 ist tatsächlich falsch.63 Diese Wende (transition) hat, wie Shearer zurecht betont, bereits 1934 stattgefunden. Zu Bedenken ist dennoch, dass die Umbenennung erst einmal eine formale war, bzw. eine richtungsweisende Entscheidung des politischen und administrativen Zentrums in Moskau. In die Köpfe der Staatsanwaltschaft und insbesondere der Tschekisten wurde die Wende mit »Unterstützung« Moskaus erst in den Jahren 1940-1941/42 implantiert, als man begann, die Geheimdienst- und Milizmitarbeiter nicht mehr wegen politischer Abweichung, sondern wegen Dienstvergehen zu harten Strafen zu verurteilen. Ferner geht Shearer auf den für diese Veröffentlichung zentralen Begriff der »stalinistischen Modernisierung« ein. Er legt ihn so aus, dass damit »a move away from a personalized to a ›statist‹ dictatorship« beschrieben werde. Das Eine wird also durch das Andere ersetzt. Ziel war es jedoch vielmehr mit »stalinistischer Modernisierung« die Verquickung, ja symbiotische Verschränkung dieser beiden Prinzipien zum zentralistischen und autoritären Einparteienführerstaat zu thematisieren.64 Durch die Beschreibung der Struktur und Logik dieses Systems wird auch in Frage gestellt, dass es genügt, den Stalinismus als ein auf beliebiges Handeln einer Person ausgerichtete Willkürherrschaft bzw. als Despotie zu beschreiben. »Willkür«, einschließlich inflationär gebrauchter ähnlicher Begriffe treffen nicht den Kern der stalinistischen Herrschaft. Strukturelle und langfristige Veränderungen bleiben gegenüber personenfixierten unterbelichtet. Es soll sogar die These gewagt werden, dass der zentralistische und autoritäre Einparteienführerstaat, wenn auch versehen mit einem demokratischen Anstrich und angepasst an die neuen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, das dominante Strukturkennzeichen vieler Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere des russischen Staates, bis heute ist.
Referenzrahmen und Fragenkomplex Der Referenzrahmen für die Einschätzung des dokumentarischen Materials zum Gebiet Nikolaev im vorliegenden Buch war die hoch entwickelte Täterforschung zum Nationalsozialismus. Allerdings hat es sich als unsinnig herausgestellt, einen direkten Vergleich anzustreben: Das verbieten allein schon die grundlegenden Unterschiede der Verfahren: In Deutschland wurde ein öffentlicher, von der Wissenschaft begleiteter Täterdiskurs geführt, der sich allerdings unter dem von 63 64
Die vorliegende deutsche Ausgabe wurde entsprechend verbessert. Ebda.
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außen kommenden Druck der Alliierten erst nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus im Zuge der Nürnberger- und anderer Prozesse entwickelt hat. Dagegen fanden in der Sowjetunion die Untersuchungen und Prozesse im Geheimen oder halböffentlich statt, noch dazu unter den Bedingungen der Regime- und weitgehender Personalkontinuität. Zu überprüfen war auch, ob oder wieweit die sowjetischen Täter im Sinne rechtsstaatlicher Normen in den nach dem Großen Terror durchgeführten Prozessen tatsächlich zu Opfern geworden sind, sich also die Methoden der Verfahren nicht von denen unterschieden, die ihnen zur Last gelegt wurden. Direkt angeregt und beeinflusst wurde die Bewertung des Materials insbesondere durch die Überlegungen Christopher Brownings zum Täter als »ordinary men« und die Kontroverse um Daniel Goldhagens intentionalistisches Täterbild.65 Ebenfalls eingeflossen sind die sozialpsychologischen Überlegungen Harald Welzers und der Vorwurf an ihn, einen betont anthropologischen Diskurs zu führen.66 Die seit den neunziger Jahren zu beobachtende Wende der NS-Forschung hin zum Konkreten und Empirischen67 hat das vorliegende Buch insofern beeinflusst, als es versucht, im Sinne von Peter Longerich das Verhältnis von Mensch und Maschine, Disposition und Situation, Zentrum und Peripherie, Intention und Funktion, 65
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Browning, Ch. R., Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die »Endlösung« in Polen, Hamburg 1993; Goldhagen, D. J., Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996; Heer, H./Naumann, K. (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944, Hamburg 1995; Heil, J., Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt a.M. 2000; Aly, G., Biedermann und Schreibtischtäter. Materialien zur deutschen Täter-Biographie, Berlin 1987; Perels, J./Freudiger, K., NS-Täter in der deutschen Gesellschaft, Hannover 2002. Welzer, H., Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a.M. 2005; Wahrnehmung, die Realität schafft. Ein Gespräch über die Sozialpsychologie von Tätern, in: Friedländer, S., Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte, Göttingen 2007, S. 121-160; Freimüller, T., Alexander Mitscherlich. Gesellschaftsdiagnosen und Psychoanalyse nach Hitler, Göttingen 2007; Milgram, St., Das Milgram Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität, Reinbek 1974; Mitscherlich, A., Gesammelte Schriften, hg. von K. Menne, 10 Bde., Frankfurt a.M. 1983; NS-Täterforschung: Karrieren zwischen Diktatur und Demokratie, Göttingen 2011. Thema Mensch und Maschine: Mallmann, K.-M., Die Gestapo nach 1945 : Karrieren, Konflikte, Konstruktionen ; Wolfgang Scheffler zum Gedenken, Darmstadt 2009; Jäger, H., Verbrechen unter totalitärer Herrschaft. Studien zur nationalsozialistischen Gewaltkriminalität, Frankfurt 1997. Paul, G., Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002, S. 13-90; Bornschein, J., Gestapochef Heinrich Müller, Leipzig 2004; Herbert, U., Best : biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft. 19031989, Bonn 1996; Lingen, von K., SS und Secret Service. »Verschwörung des Schweigens«. Die Akte Karl Wolff, Paderborn 2010; Mallmann, K.-M., Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004; Seeger, A., »Gestapo-Müller«. Die Karriere eines Schreibtischtäters, Berlin 1996.
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Rationalität und Ideologie als unterschiedliche Aspekte der historischen Wirklichkeit zu betrachten, die sich ergänzen, ja sich gegenseitig bedingen.68 Allerdings wurde auch der ältere Täterdiskurs aufgegriffen, wenn es um die Erörterung von Phänomenen ging, die schließlich nicht ohne Grund Anlass zur Kriminalisierung und Diabolisierung von Tätern gegeben haben.69 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass zur Analyse der Mechanismen und Spezifik von Täterprozessen ebenfalls einschlägige Literatur zur NS-Problematik herangezogen wurde um den Blick auf die konkreten Dokumente zu schulen.70 Wie bereits erwähnt, ist das Buch im Kontext eines internationalen Forschungsteams zur Erforschung sowjetischer Täter des Großen Terrors entstanden. Eben dieses Team hat den Referenzrahmen der nationalsozialistischen Täterforschung dazu verwendet, vom Forschungsteam für das Forschungsteam folgende konkrete Fragen an das Material zu entwickeln. Diese Fragen haben somit auch bei der Konstruktion der vorliegenden Veröffentlichung assistiert: 1
Täter und die Maschinerie der Verfolgungen: Aus welcher Generation und Schicht kamen die verurteilten Täter? Wie war das durchschnittliche Alter? Was war die soziale und nationale Herkunft? Warum haben die Mitarbeiter des NKVD die sozialistische Gesetzlichkeit »verletzt«? Hat der politische und soziale Kontext oder vielmehr die »Atmosphäre« in den Organen selbst die »Verletzung« gefördert? Gab es Manipulationen der Kader? Welche Rolle spielten Befehlsnotstand,
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Longerich, P., Tendenzen und Perspektiven der Täterforschung, in: Politik und Zeitgeschichte 14-15, 2007, S. 25. Bettelheim, B., Aufstand gegen die Masse. Die Chance des Individuums in der modernen Gesellschaft, München 1960; Buchheim, H./Broszat, M./Jacobsen, H.-A./Krausnick, H., Anatomie des SS-Staates, 2 Bde, München 1967; Crankshaw, E., Die Gestapo, Berlin 1959; Friedrich, J., Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik, Berlin 2007; Picard, M., Hitler in uns selbst, Erlenbach/Zürich 1946; Hillberg, R., Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 19331945, Frankfurt a.M. 1997; Höhne, H., Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS, München 1967; Krause, P., Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse, Frankfurt a.M. 2002. Earl, H., The Nuremberg SS-Einsatzgruppen Trial, 1945-1958: Atrocity, Law, and History, Cambridge 2009 (Hier ist eine ausführliche Literaturliste zu finden); Richter, I., SS-Elite vor Gericht : die Todesurteile gegen Oswald Pohl und Otto Ohlendorf, Marburg 2011; Rückerl, A., NS-Verbrechen vor Gericht. Versuch einer Vergangenheitsbewältigung, Heidelberg 1982; Scheffler, W., NS-Prozesse als Geschichtsquelle. Bedeutung und Grenzen ihrer Auswertbarkeit durch den Historiker, in: Scheffler, W./Werner Bergmann (Hg.), Lerntage des Zentrums für Antisemitismusforschung V. Lerntag über den Holocaust als Thema im Geschichtsunterricht und in der politischen Bildung, Berlin 1988, S. 13-27; Wamhof, G., Das Gericht als Tribunal oder : wie der NS-Vergangenheit der Prozess gemacht wurde, Göttingen 2009; Zimmermann, V., NS-Täter vor Gericht. Düsseldorf und die Strafprozesse wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, Düsseldorf 2001.
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Autoritätshörigkeit und sozialer Druck im NKVD selbst oder die Bedingungen eines arbeitsteiligen Verfolgungsprozesses? Gab es persönliche Motive und worin lag der persönliche Beitrag der Mitarbeiter? Gab es »Zweifler«, Enthusiasten? Welche Rolle spielten Karriereüberlegungen und materielle Aspekte, welche weltanschauliche Dispositionen? Wieso wurde Miliz und Geheimdienst erlaubt, ja geradezu angehalten, die »sozialistische Gesetzlichkeit« derart zu »verletzen«, wie es im Zuge der Verfolgungen geschah? Was sagt dies über das Thema der stalinistischen Kontrolle bei der Durchführung des Großen Terrors aus? Täter und Opfer: In welcher Weise und in welchem Ausmaß haben Miliz und Geheimdienst, vereinigt im Volkskommissariat des Inneren (NKVD), die »sozialistische Gesetzlichkeit« verletzt? In welchem Maße kann man dokumentarisch abgesicherte Informationen über das Leiden der Opfer des Großen Terrors erhalten? Haben die Täter systematisch Folter angewandt? Wie ist die Täter-, wie die Opfersicht? In welchem Ausmaß wurden die Untersuchungsakten gefälscht? Gibt es aus der Sicht der Täter »reale Gründe« für die Verurteilung einer Person? Gab es Unterschiede zwischen den Strafmaßnahmen gegen die Eliten und die »kleinen Fische« oder gegen ethnische Minderheiten und eingewanderte Nationalitäten? Ist der Begriff »Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« insgesamt nur eine beschönigende Beschreibung eines weitgehend durch Gesetze nicht geleiteten Verhaltens der Mitarbeiter des NKVD gegenüber den Untersuchungshäftlingen? Staatliche und politische Motive: War die Verfolgung der Täter tatsächlich reine »Sündenbock«-Politik, die letztlich auf nachträgliche Rechtfertigung des Regimes abzielte? Ging es in beiden Perioden der Täterverurteilung um die Beseitigung oder Schwächung von Geheimdienst-Clans oder besser -Cliquen und Seilschaften oder vielmehr um eine allgemeine Kaderrotation? Spielte latenter Antisemitismus bei der Beseitigung bestimmter Kader eine Rolle? Können neu zugänglichen Akten, wofür es Hinweise gibt, einen Zusammenhang von Täterverurteilung und Entstalinisierung 1954-1961 und ein Geflecht von Interessen und Kommunikation der Akteure untereinander belegen? Struktur und Inhalt: Welche Ebenen innerhalb des Justizsystems waren zuständig für die Täterprozesse? Wie war die allgemeine Struktur der Untersuchungsführung und der Gerichtsprozesse? Was wurde unter »Verletzung« der sozialistischen Gesetzlichkeit verstanden? Wo lagen die »Tabus« bzw. Grenzen der Aufklärung? Sind Unterschiede zwischen der Untersuchungsführung und dann der Verurteilung von leitenden Kadern und den Tätern der niederen Ebene nachweisbar? Haben die Prozesse eine nicht steuerbare Dynamik mit unbeabsichtigten Folgen entwickelt? Zentrum und Peripherie: Welche Rolle war den Gerichtsorganen vor Ort in den Republiken, Regionen und Gebieten (Staatsanwaltschaft und den Militärjuris-
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ten) zugedacht? In welcher Weise haben sich die Rechtsaufsichtsorgane (die zentrale Militärstaatsanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft der UdSSR) in die regionalen Prozesse eingemischt? Geheimdienst und Partei und Staat: Welche zusätzlichen Hebel wurden neben dem Gerichtswesen angewandt, um den NKVD wieder in seinen »normalen« Rahmen zurückzuführen? Gab es eine Wechselwirkung zwischen der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und der der Partei? Welche Rolle spielte die Partei im Zentrum und vor Ort bei der Aufklärung? War Aufklärung überhaupt intendiert? Inwiefern wurden von Moskau in den verschiedenen Perioden politische Vorgaben zu den zu erreichenden Untersuchungsergebnissen gemacht und wenn ja, wurden diese dann auch eingehalten? Wurden Zeugenaussagen in diesem Sinne manipuliert? Welchen »Reim« machten sich die Täterbehörde bzw. die Täter auf die veränderte politische Konjunktur und ihre Anklage? (Es gilt hier einerseits zu klären, wie zentrale und regionale Strukturen von Geheimdienst und Miliz als Organisationen auf die Vorwürfe der Justiz reagierten und andererseits herauszuarbeiten, welche individuelle Strategien die ehemaligen Täter entwickelten, um sich vor den Anklägern und der Anklage zu schützen). Welcher Unterschied besteht zwischen der Eigenwahrnehmung der Täter und der Fremdwahrnehmung durch die Staatsanwaltschaft und die Opfer? Auf welche Weise konnten die Täter einer Verurteilung entgehen oder ihre Strafe abmildern? Haben sie eine Vorstellung von eigener Schuld entwickelt oder sie auf andere »abgewälzt«? Wie beurteilten sie aus zeitlicher Distanz ihre eigene Tätigkeit 1937-1938 (Psychologie und Spezifik der Denkweise)? Wieweit etwa bestätigen sie Jochen Hellbecks Überlegungen zur sowjetischen sozialistischen Identitätsbildung?71 Hat die Abstrafung bei den Tätern Spuren hinterlassen? Wie sind die Täter mit der häufigen Urteilsbegründung umgegangen, sie hätten egoistische Eigen- oder Gruppeninteressen zum Schaden von Staat und Partei verfolgt? Nürnberg und die sowjetischen Täterprozesse: Sind Ähnlichkeiten zwischen dem großen Prozess in Tiflis im Sommer 1955 und den Nürnberger Prozessen feststellbar? Gab es sogar direkte Einflüsse? Sind die Strategien der sowjetischen Justiz in den fünfziger Jahren zur Verurteilung der Täter insgesamt mit denen der Nürnberger Prozesse vergleichbar? Hellbeck, J., Revolution on My Mind. Writing a Diary Under Stalin, Cambridge 2006. Auch die Betrachtungen zum »sozialen Tod« von nicht verurteilten, aber dennoch ausgeschlossenen oder degradierten Tätern waren von Interesse: Fitzpatrick, Sh./Lüdtke, A., Energizing the Everyday. On the Breaking and Making of Social Bonds in Nazism and Stalinism, in: Fitzpatrick, Sh./Geyer, M. (Hg.), Beyond Totalitarianism. Stalinism and Nazism Compared, Cambridge 2009, S. 301.
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In dem hier publizierten Buch wird nicht auf alle diese Fragen eine Antwort gegeben. Es ist lediglich ein erster Schritt auf dem noch langen Weg der Erforschung sowjetischer Täter.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev Seit vielen Jahren arbeiten unter dem Deckmantel internationaler Spezialisten in den Fabriken des Gebiets Nikolaev englische und deutsche Spione, die einen großen Spionage- und Sabotage-Untergrund aufgebaut haben. (I. B. Fišer, ehem. Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev, 1938) Den Boden für Spionage bereiten Deutsche, Polen, klerikale Kreis, ehemalige weiße Offiziere, Personen, die Kontakte in die grenznahen Gebiete haben, langjährig Beschäftigte in der Schiffsbaufabrik ›Naval‹ und polnisch-deutsche Siedlungspunkte. (I. B. Fišer)
Gebiet Nikolaev Das im Zentrum der Betrachtung stehende Gebiet Nikolaev wurde offiziell am 22. September 1937 aus den Gebieten Dnepropetrovsk und Odessa herausgeschnitten. Es bestand dann aus neun vorwiegend »tief provinziellen« Rajons des Gebiets Dnepropetrovsk und aus 32 Rajons des Gebiets Odessa. Mit den Rajons Fric Gekkert (Fritz Heckert), Tiligulo-Berezanka, Velikaja-Lepeticha und Novotroickoe flossen Rajons mit ein, die neben deutschstämmiger Bevölkerung auch einen bedeutenden Anteil ethnisch polnischer Bevölkerung aufwiesen. Die Besonderheit des insgesamt ländlichen Gebiets war, dass sich hier auch, insbesondere in der Stadt Nikolaev, große, für die Landesverteidigung wichtige Schiffsbauindustrie, also riesige Werften mit Zulieferbetrieben befanden. In und um Nikolaev gab es 1937 darüber hinaus noch weitere Industriebetriebe, insgesamt 45 mit 31.775 Arbeitern. Aber auch in den Städten Kirovo und Cherson war Industrie angesiedelt, davon einige Fabriken, ähnlich wie die Werften in Nikolaev, von
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großer staatlicher Bedeutung, sog. »režimnye zavody«, die besonderer Geheimhaltung, Zuzugsbedingungen und der direkten Aufsicht Moskaus bzw. Kiews unterlagen. Diese versorgten u.a. den Energiesektor1 und das Militär. Nikolaev und Cherson waren außerdem zwei große Schwarzmeerhäfen von sowjetunionweiter und internationaler Bedeutung.2 Am 10. Januar 1939 kam es zu einer weiteren Trennung. Vom Gebiet Nikolaev wurde das Gebiet Kirovograd abgespalten und die neue Hauptstadt von Kirovo in Kirovograd umbenannt. 30 Rajons erhielt das neue Gebiet.3 Erst am 30. April 1944 entstand durch erneute Teilung des Gebiets Nikolaev das Gebiet Cherson. 1939 hatten das Gebiet Nikolaev 1.176.437 Millionen und das Gebiet Kirovograd 1.107.898 Millionen Einwohner, insgesamt also 2.284.335 und damit fast 2,3 Millionen Einwohner.4
Gründung und Personal Die Verwaltung des Geheimdienstes, des sog. Volkskommissariats des Inneren, abgеkürzt UNKVD, des Gebiets Nikolaev wurde mit Befehl № 00620 des Volkskommissariats des Inneren (NKVD) der UdSSR am 29. September 1937 im Zuge der Neugründung des Gebiets aus der Taufe gehoben.5 Nach zwei Tagen berief der amtierende Volkskommissar des Inneren der Ukraine I. M. Leplevskij eine Versammlung ein, die die Bildung der neuen Gebietsverwaltungen des NKVD betraf. Er ordnete an »sofort heute einen Befehl über die Strukturierung der neuen Gebietsverwaltungen, die Ernennung der Interims-Leiter dieser Verwaltungen aus1 2
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»Hauptverwaltung für Transport und Verkauf von Öl« (Glavneftesbyt) in Nikolaev. Itogovyj doklad nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. V. Fišera narodnomu komissaru vnutrennich del USSR I. M. Leplevskogo o provedennoj operativno–seldstvennoj rabote otdelami UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti, OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 31, D. 36, L. 52-117, hier L. 52; Politiko-ėkonomičeskaja charateristika Odesskoj oblasti. Načalo ijulia 1937 g., in: Junge, M./Binner, R./Kokin, S. i. d. (Hg.), »Čerez trupy vraga na blago naroda«. »Kulackаja« operacija na Ukraine 1937-1938 gg. v ramkach prikaza № 00447. T. 1, Moskau 2010, S. 418-433, hier S. 430. Seit der Gründung des Gebiets Nikolaev war die Anzahl der Rajons durch Teilung ebenfalls stark angewachsen, von gut 40 auf ca. 59. Poljakov, Ju. A./Žiromskaja V. B./Isupov, A. A./Kiselev, I. N. (Hg.), Vsesojuznaja perepis’ naselenija 1939 goda. Osnovnye itogi, Moskau 1992, S. 33-34. Petrov, N. V./Skorkin, K. V., Kto rukovodil NKVD 1934-1941. Spravočnik, Moskau 1999, S. 78. Dieser und der folgende Abschnitt wurden in enger Zusammenarbeit mit Vadim Zolotar’ov verfasst. Absicht ist es, eine kompakte Information über den Geheimdienst des Gebiets Nikolaev vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderungen im Moskauer Zentrum und der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik der Jahre 1937-1938-1939 zu geben. Wiederholungen in Bezug auf den Hauptteil des Buches waren unvermeidlich.
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zugeben und […] die Kandidaten für die leitenden Bereiche6 der Verwaltung der Staatsicherheit festzulegen und diese Kandidaten mit den Leitern der entsprechenden Abteilungen abzustimmen.«7 Am gleichen Tag, am 1. Oktober 1937, wurden mit dem Personalbestand-Befehl8 № 369 des NKVD der Ukrainischen SSR die folgenden Personen bestätigt: Interims-Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev wurde der langgediente Leutnant der Staatsicherheit I. B. Fišer. Er war damit sowohl der Chef der Verwaltung der Staatssicherheit9 als auch der Leiter der Verwaltung der Arbeiter und Bauern Miliz.10 Denn das gemeinsame Dach dieser beiden Hauptstränge war die Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev. Für die untergeordnete Milzstruktur wurde gesondert ein Leiter ernannt (siehe unten), was für die Geheimdienststruktur nicht der Fall war.11 Vorher war Fišer Leiter der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des UNKVD des Gebiets Char’kov gewesen. Zum Leiter der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des UNKVD des Gebiets Nikolaev wurde der Unterleutnant der Staatsicherheit B. M. Kušnir ernannt. Er kam aus dem Republikzentrum. Dort hatte er als Leiter einer Unterabteilung der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR gearbeitet. Die 4. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD von Nikolaev übernahm der langgediente Leutnant der Staatsicherheit R. N. Saraev. Auch er kam aus dem Republikzentrum. Geleitete hatte er dort eine Unterabteilung der 4. Abteilung. Als vorübergehender Stellvertreter des Leiters der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev trat der Leutnant für Staatssicherheit B. M. Gol’dštejn an. Zuletzt war er Leiter der 4. Unterabteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Kreisabteilung des NKVD der Ukrainischen SSR. Die Stellung der Finanzabteilung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev bekam N. S. Živov überantwortet, aber nur als Leiter auf Abruf. Sein vorheriger Posten war die Leitung der Abteilung für Akten über den Vermögensbestand der Bevölkerung12 der Gebietsverwaltung des NKVD von Odessa. Interims-Leiter der Abteilung für Kommunikation13 der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev wurde S. Ch. 6 7 8 9 10 11 12 13
Učastki. Ukazanija narkoma tov. Leplevskogo na soveščanii po voprosu organizacii novych oblupravlenij NKVD. 01.10.1937, in: »Čerez trupy vraga na blago naroda«, S. 198-199. Prikaz po ličnomu sostavu. Upravlenie gosudarstevennoj bezopasnosti, UGB. Raboče–krest’janskaja milicija, RKM. Behandelt wird im Folgenden nur der Zweig der Staatsicherheit. Die Miliz wird bis auf die Erwähnung der Ernennung des Leiters der Milizstruktur, außen vorgelassen. Otdel aktov graždanskogo sostojanija. Otdel svjazi.
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Šechtman, vorher Inspektor der administrativen Wirtschaftsabteilung14 der Verwaltung des NKVD des Gebiets Char’kov.15 Der neue Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev I. B. Fišer trat seinen Job am 1. Oktober 1937 an. Sein Apparat war allerdings erst Mitte Oktober arbeitsfähig. Die Ernennung Fišers zum NKVD-Chef löste unter den leitenden Mitarbeitern des NKVD der Ukrainischen SSR, also der Republikstruktur, Erstaunen aus. A. M. Ratynskij, der zu dieser Zeit stellvertretender Leiter der 5. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Ukrainischen SSR war, erinnerte sich später: »Ich fragte Sapir [Assistent des Leiters der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Ukrainischen SSR] wie es sein kann, dass man einen solchen talentlosen Menschen wie Fišer ernennen kann, selbst wenn er eng mit Leplevskij verbunden ist? Sapir antwortete mir, dass Leplevskij Fišer schon lange kennt und ihm vertraut […]. Aber auch ich kenne Fišer als eine Person, der nie an die Sache geglaubt und sie auf jede Art und Weise verdorben hat. Immer hat er genörgelt und war mit seiner Situation unzufrieden.«16 Hervorzuheben ist, dass Fišer, obwohl er bald bis zum Rang eines Hauptmanns der Staatssicherheit aufstieg, die Führung tatsächlich enttäuschte, was sich auch darin äußerte, dass er als einer der wenigen Leiter von Gebietsverwaltungen des NKVD im Dezember 1937 keine Auszeichnung erhielt. Am 3. Oktober 1937 wechselte der Hauptmann der Miliz A. M. Kuz’menko, bisher stellvertretender Leiter der Arbeiter und Bauernmiliz der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa, in das Gebiet Nikolaev und übernahm hier ebenfalls die Leitung der Milizstruktur der Verwaltung des NKVD. Dies geschah auf der Grundlage des Personalbestand-Befehls des NKVD der Ukrainischen SSR № 378. Am 9. Oktober 1937 wurden mit einem weiteren Personalbestand-Befehl, dem Befehl № 388, 24 Mitarbeiter von der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa nach Nikolaev versetzt um dort die Funktionen von Leitern verschiedener Unterabteilungen, von Fahndungsbevollmächtigten und Assistenten von Fahndungsbevollmächtigten in der Verwaltung der Staatsicherheitsstruktur zu übernehmen. Zum Beispiel wurde der Sonderbevollmächtigte der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa, der Leutnant der Staatssicherheit A. Ja. Ozerjanskij, in Nikolaev nun zum InterimsLeiter der Kaderabteilung. Der Inspektor der 8. Unterabteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa, der Unteroffizier der Staatssicherheit M. I. Slavinskij, kam im Gebiet Nikolaev auf den gleichen Posten, wenn auch erst mal vorübergehend. Der entsprechende Befehl endete mit der 14 15 16
Administrativnyj-chozjajstvennyj otdel. Kerivnyj sklad NKVS USSR u 1937-1938 rr., in: Šapoval, Ju. [ta in.] (Avt.-uporjad.), Ukraїna v dobu »Velykoho teroru«. 1936-1938 roki, Kyїv 2009, S. 151-152. Zolotar’ov, V. A., Oleksandr Uspens’kyj. Osoba, čas, otočennja, Charkiv 2004, S. 114-115.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
strengen Aufforderung I. M. Leplevskijs: »Die Abkommandierung der aufgelisteten Mitarbeiter an den neuen Einsatzort ist unverzüglich durchzuführen.«17 Am 3. März 1938 wurde I. B. Fišer von seinem Posten als Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev entfernt und dem NKVD der UdSSR zur Verfügung gestellt. Seine Entlassung erklärte Fišer später damit, dass der Volkskommissar des Inneren der UdSSR N. I. Ežov und der Volkskommissar des Inneren der Ukraine A. I. Uspenskij auf einer operativen Versammlung, die in Kiew im Februar 1938 stattfand, ihm das Vertrauen wegen schlechter Arbeit entzogen hätten. Um dann auch noch der persönlichen Verantwortung für die Gesetzlosigkeit des Großen Terrors auch in seinem Gebiet zu entgehen, erklärte Fišer 1956 bei einem Verhör durch die Staatsanwaltschaft: Ich war zu machtlos um mich gegen die ungesetzlichen Verhaftungen und verzerrenden Verhörmethoden aufzulehnen. Persönlich habe ich niemanden befragt und dementsprechend keine verzerrenden Verhörmethoden angewandt. Auf den Parteiversammlungen der Verwaltung des NKVD waren in dieser Zeit Fragen zur Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit kein Thema. Ganz im Gegenteil machte man denjenigen Kommunisten Vorhaltungen, die keine Verhaftungen und Geständnisse von Verhafteten vorweisen konnten. Aufgrund meines Charakters waren mir die Form der Verhöre und die Arbeit des Leiters der Verwaltung des NKVD zuwider. Auf jede Art und Weise habe ich versucht mich zu drücken, obwohl ich wusste, dass dies gefährlich war. Das meine Worte wahr sind, bestätigt, dass ich nicht wie andere ausgezeichnet und [schließlich sogar] von meiner Arbeit entbunden wurde.«18 Fišer hatte man 1938 nicht nur von seinem Posten entfernt, sondern ganz aus dem aktiven Dienst für die Staatssicherheit herausgenommen, indem man ihn in das GULAG-System versetzte. Seinen Stab in Nikolaev übernahm am 3. März 1938 der Hauptmann der Staatsicherheit P. V. Karamyšev. Vor seiner Einsetzung als neuer Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev war er nur stellvertretender Leiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Rjazan gewesen. Der ukrainische Historiker Vadim Zolotarev führt die Ernennung Karamyševs zum Leiter eines ganzen Gebiets auf die Unterstützung des neuen stellvertretenden Volkskommissars des Inneren der Ukrainischen SSR, den Kommissar der Staatssicherheit Ersten Ranges L. M. Zakovskij zurück. Dieser habe Karamyšev durch ihre gemeinsame Arbeit in Leningrad gekannt und zweifellos auch seine Auszeichnung mit dem Lenin-Orden gefördert.19 Karamyšev siedelte am 23. März 1938 nach Nikolaev um. Der Leiter der 17 18 19
Dank an V. Zolotarev für diese Information. Zolotar’ov, Oleksandr Uspens’kyj, S. 114. Ebd., S. 101.
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5. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev, der langediente Leutnant der Staatsicherheit F. T. Ovčinnikov, der nach der Entfernung Fišers vorübergehend die Leitung des Gebiets Verwaltung des Geheimdienstes übernommen hatte, übergab ihm die Amtsgeschäfte. Seines Postens wieder entbunden wurde Karamyšev am 15. Januar 1939 und am 19. Januar verhaftet. Erst ein gutes halbes Jahr später, am 15. September 1939, übernahm I. T. Jurčenko seinen Posten. Bis dahin war dieser 1. Sekretär des Rajonkomitees der KP(b) der Ukraine von Bazar des Gebiets Žitomir gewesen. Bei seiner Ernennung zum Leiter der Verwaltung des NKVD von Nikolaev hatte er keinerlei Dienstgrade der Staatlichen Verwaltung der Staatsicherheit des NKVD vorzuweisen. Nun schnell zum Hauptmann der Staatsicherheit befördert, konnte Jurčenko letztendlich aber nicht überzeugen. Schon ein Jahr später, am 21. Oktober 1940, verlor er seine Stellung und wurde in die Reserve geschickt.20 Sein bisheriger Stellvertreter, der Hauptmann der Staatssicherheit V. K. Tret’jakov trat am 5. November 1940 an seine Stelle.21 Die ebenfalls wichtige Funktion des stellvertretenden Leiters der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev wies ähnlich wenig Kontinuität wie der Leitungsposten auf. Seit Herbst 1937 stand Fišer der langgediente Leutnant der Staatssicherheit L. M. Mejtus zur Seite. Er hatte bis dahin als Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Nikolaev gearbeitet. Der Befehl über seine Ernennung wurde bisher noch nicht aufgefunden, aber seine Versetzung in den NKVD der UdSSR am 4. März 1938, die ihn als vorübergehenden Leiter der Verwaltung des NKVD von Nikolaev bezeichnet, gibt Auskunft über seine vorherige Funktion.22 Mejtus erhielt am 17. März 1938 die Leitung der 3. Abteilung (operative-Tschekistenabteilung) des Fernstraßen[bau]lagers23 des NKVD in der Fernöstlichen Region.24 Im Herbst 1938 füllte die Funktion des stellvertretenden Leiters der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev F. T. Ovčinnikov aus, der aber offizielle nie für diesen Posten ernannt worden war. Am 25. Mai 1938 erhielt der Leutnant der Staatssicherheit A. F. Pojasov den Stellvertreterposten aber nur als Interims-Leiter. Gearbeitete hatte er bis dahin als Leiter der 11. Abteilung, d.h. der Abteilung für Wassertransportwesen25 , der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Kiew. Am 1. Juni 1938 wurde er in seiner 20 21 22 23 24 25
Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 458. Ebd., S. 408-409. Šapoval, Ju. [ta in.] (Avt.-uporjad.), Ukraїna v dobu »Velykoho teroru«. 1936-1938 roki, Kyїv 2009, S. 152. Šosdorlag. Timšis, M. A./Zolotar’ov, V. A., Evrei v NKVD SSSR 1936-1938 gg. Opyt biografičeskogo slovorja, Moskau 2017, S. 437. Vodnoj.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Stellung bestätigt.26 Auf den 25. April 1939 ist die Enthebung Pojasovs, inzwischen zum Hauptmann aufgestiegen, zu datieren. Am 15. Mai 1939 schickte man ihn in die Reserve. Abgelöst wurde er durch den bereits erwähnten langgedienten Leutnant der Staatssicherheit V. K. Tret’jakov, der als Leiter der Ökonomischen Abteilung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Zaporože gearbeitet hatte.27 Ab dem 22. September 1939 bis September 1941 bekam der langgediente Leutnant der Staatsicherheit L. T. Gotovcev die stellvertretende Leitung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev übergeben. Gleichzeit leitete dieser noch bis zum 12. April 1941 die 3. Abteilung derselben Verwaltung.28 Als Assistent des Leiters der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev arbeitete ab Mai 1938 der Leutnant für Staatssicherheit G. L. Gončarov, versetzt nach Nikolaev von seiner Stellung als Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Skadovsk des Gebiets NKVD von Nikolaev. Am 22. Oktober 1937 wurde der Leutnant der Staatssicherheit M. I. Fajnburd-Kozlov zum Leiter der 2. Abteilung, der operativen Abteilung, der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev ernannt aber schon am 23. Juli 1938 vom NKVD der UdSSR wieder abgezogen.29 Den Posten des Leiters der 3. Abteilung, der Abteilung für Konterrevolution, bekam am 1. Oktober 1937 der Unterleutnant der Staatssicherheit V. M. Kušnir übergeben, vorher Leiter einer Unterabteilung der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR.30 Am 25. März 1938 wechselte er in die Udmurtische ASSR und nahm dort dieselbe Position ein.31 Nach dem Wechsel Kušnirs blieb die Position in Nikolaev erst mal unbesetzt. Die Arbeit Kušnirs übernahm sein Stellvertreter, der Leutnant für Staatssicherheit L. T. Gotovcev. Erst am 15. Juni 1939 berief man diesen offiziell zum Leiter der 3. Abteilung.32 Bei einem Verhör durch die Staatsanwaltschaft des Gebiets Nikolaev vom 3. Dezember 1955 betonte Gotovcev, dass er auf eigene Initiative um die Versetzung in das Gebiet Nikolaev gebeten habe, weil er sich vor einer Abstrafung durch den ehemaligen Volkskommissar des Inneren der Ukrainischen SSR A. I. Uspenskij für seine mangelnde Initiative beim Kampf gegen Volksfeinde in Kiew gefürchtet habe.33 26 27 28 29 30 31 32 33
Šapoval, Ju. [ta in.] (Avt.-uporjad.), Ukraїna v dobu »Velykoho teroru«, S. 152. Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 408-409. Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kiew 1997, S. 454-455. Zolotar’ov, V. A., ČK-DPU-NKVS na Charkivščyni. Ljudy ta doli, 1919-1941, Charkiv 2003, S. 444. Šapoval, Ju. [ta in.] (Avt.-uporjad.), Ukraїna v dobu »Velykoho teroru«, S. 152. Timšis, M. A./Zolotar’ov, V. A., Evrei v NKVD SSSR, S. 379. Kolomijec’, V. O. (Uporjadn.), Sosni zamist’ obelyskiv. Bilocerkivs’kyj martyrolog, Bila Cerkva 2015, S. 44. Protokol doprosa byvšego sotrudnika Osobogo otdela NKVD USSR L. Gotovceva v Voennoj prokurature KVO o ego pričastnosti k rassledovaniju del »NSNU« 3 dekabrja 1955 g., in: Ru-
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Die 4. Abteilung, die »Geheime politische Abteilung«, der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolav übernahm am 1. Oktober 1937 übergangsweise der langgediente Leutnant der Staatssicherheit R. N. Saraev, vorher Leiter einer Unterabteilung der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR. Aber schon zwei Monate später, am 8. Dezember 1937 erfolgte seine offizielle Versetzung in die Verwaltung des NKVD des Gebiets Kirov34 , zumal er schon ab dem 16. November dort als Leiter der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit fungierte.35 In Nikolaev ersetzte ihn am 8. Dezember der langgediente Leutnant der Staatssicherheit Ju. N. Tolkačev. Dessen vorausgehende Stellung war die des stellvertretenden Sonderbevollmächtigten des NKVD der Ukrainischen SSR. Am 28. Mai 1938 wurde er abgesetzt und nach 5 Tagen verhaftet.36 Man klagte ihn der Spionagetätigkeit für Polen und der Beteiligung an einer antisowjetischen trotzkistischen Organisation, die angeblich im NKVD der Ukrainischen SSR existierte an und erschoss ihn.37 Nach der Absetzung Tolkačevs und die Ankunft eines neuen Leiters der Abteilung im Mai-Juni 1938 wurde die Arbeit durch den Leutnant der Staatsicherheit P. S. Vološin übernommen. Am 28. Mai 1938 ging die Leitung der 4. Abteilung dann auf Abruf in die Hand des bereits wohlbekannten, langgedienten Leutnants der Staatssicherheit Ja. L. Truškin über, vorher stellvertretender Leiter der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Černigov. Am 3. August 1939 wurde auch Truškin verhaftet. Die Leitung der 5. Abteilung hatte ab dem 9. November 1937 vorrübergehend der Unterleutnant der Staatsicherheit F. T. Ovčinnikov inne, vorher Sonderbevollmächtigter des NKVD der Ukrainischen SSR. Nach der Umstrukturierung der Abteilung am 20. Juni 1938 wurde Ovčinnikov zum Leiter der Sonderabteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der 15. Schützendivision von Sivašskoe des Rajons Novotroickoe des Gebiets Nikolaev. Aus der vorangegangenen Beschreibung wird deutlich, dass es nur in Ansätzen möglich ist alle Kettenglieder des leitenden Mitarbeiterstabs der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev zu rekonstruieren. Der Grund dafür ist, dass im Großen Terror die Kaderrotation groß war und sich nicht immer in entsprechenden Personalstand-Befehlen des NKVD der UdSSR und des NKVD der Ukrainischen SSR bzw. in den Personalakten der Mitarbeiter niederschlug. Außerdem fehlen Statistiken und Gutachten über die Kaderentwicklung. Unklar ist außerdem, wie
34 35 36 37
blev, A. (Sost.)/Ajsfel’d, A. (Redaktor), Delo »Nacional’nogo sojuza nemcev na Ukraine« 19351937 gg. Dokumenty i materialy, Kiew 2016, S. 496-508. Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni, S. 548. Petrov, N. V., Kto rukovodil organami gosbezopasnosti. 1941-1954. Spravočnik, Moskau 2010, S. 768. Šapoval, Ju. I./Zolotar’ov, V. A., Vsevolod Balic’kij. Osoba, čas, otočennja, Kyїv 2002, S. 434. Zolotar’ov, Oleksandr Uspens’kyj, S. 189.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
viele Mitarbeiter insgesamt im neu gegründeten Gebiets-NKVD von Nikolaev gearbeitet haben. Brauchbare Daten sind bisher nicht aufgefunden worden. Um einen ungefähren Eindruck zu vermitteln, wie groß die Anzahl der Kader gewesen sein könnte, kann das am 15. Oktober 1932 gegründete Gebiet Černigov herangezogen werden.38 Eine andere Wahl besteht nicht. Nur für dieses Gebiet liegen bisher entsprechende Zahlen vor und zwar für das Stichdatum 1. Januar 1940. Das Gebiet war allerdings nicht in dem Maße industrialisiert wie das Gebiet Nikolaev. In gewisser Weise ist das Gebiet aber doch mit dem Gebiet Nikolaev vergleichbar. Genau wie aus dem Gebiet Nikolaev im Januar 1939 das Gebiet Kirovograd hervorgegangen ist, ging aus dem Gebiet Černigov am 10. Januar 1939 das Gebiet Sumy hervor. Der Unterschied ist wiederum, dass die Gründung des Gebiets Černigov 5 Jahre weiter als die des Gebiets Nikolaev zurücklag, also mehr Zeit für eine Konsolidierung bestanden hatte. Im Apparat der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) der Verwaltung des NKVD des Gebiets Černigov umfasste der operative Stab 171 Personen. Eigentlich standen dem Gebiet aber im operativen Bereich 6 weitere Mitarbeiter zu. Ihre Stellen (1 Sonderbevollmächtigter, 1 Leiter einer Unterabteilung, 1 stellvertretender Leiter einer Unterabteilung, 2 langgediente Fahndungsbevollmächtigte und 1 langgedienter Ermittler) waren vakant, weil die entsprechenden Personen im Dezember 1939 an die Kaderabteilung des Ukrainischen Republik-NKVD abgetreten werden mussten. Als sog. technische Mitarbeiter waren in der Verwaltung der Staatsicherheit zusätzlich 102 Personen angestellt. Beim technischen Mitarbeiterstab fehlten 10 Personen, 3 Sekretäre, 4 Schreibkräfte und 3 Fahrer. In den nicht-operativen Bereichen der Verwaltung des NKVD des Gebiets Černigov, die nicht Teil der Verwaltung der Staatsicherheit, sondern Teil der übergreifenden Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets waren, also auch die Miliz mit versorgten, d.h. in den Gefängnissen, in der Abteilung für Akten über den Vermögensbestand der Bevölkerung, im Inspektionsbüro für die [Mitarbeiter-]Reserve39 , in der administrativen Gefängnisabteilung40 , in der administrativen Wirtschaftsabteilung41 und dem Gebietsarchiv arbeiteten nochmal zusätzlich 554 Personen, allerdings 49 weniger als benötigt, bzw. möglich. Somit betrug der Bestand an Mitarbeitern der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD von Černigov zum 1. Januar 1940, insgesamt 273 (171+102) Personen, wobei davon im 38 39 40
41
Otčet ob agenturno-operativnoj dejatel’nosti Černigovskogo oblastnogo upravlenija NKVD za 1939 g. 01.01.1940, OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 32, D. 38, L. 74-78. Bjuro inspekcija rezervov, BIR. Das Büro kümmerte sich u.a. um die Mitarbeiter, die als Reserve für die Verwaltung des NKVD des Gebiets zur Verfügung standen. Administrativno-tjuremnjy otdel, ATO. Die Dechiffrierung der Abkürzung ATO ist unklar. Es handelte sich vermutlich um eine Abteilung, die die Arbeit der Gefängnisse koordinierte und kontrollierte. Administrativno-chozjajstvennyj otdel, AChO.
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Rahmen der Staatssicherheit »nur« 171 Mitarbeiter mit operativer Arbeit befasst waren. Die restlichen 554 Mitarbeiter bildeten den gemeinsamen Apparat für Geheimdienst und Miliz. Für das Gebiet Nikolaev ist lediglich gesichert, dass die Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev 1937-1938 stark unterbesetzt war. Mitte Februar 1938 ist die Lücke bei den operativen Mitarbeitern auf 33 Personen zu beziffern: 14 Leiter und Assistenten von Leitern von Unterabteilungen und 19 Fahndungsbeauftragte und Assistenten von Fahndungsbeauftragten fehlten. In absoluten Ziffern war die Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev im operativen Bereich einer der am schlechtesten ausgestatteten der Ukrainischen SSR. In der entsprechenden Rangliste nahm sie den Platz 11 von 13 ein. Nach ihr kamen mit 27 fehlenden Mitarbeitern nur noch das Gebiet Černigov und mit 5 Mitarbeitern die ASSR Moldawien.42 Die schon als chronisch zu bezeichnende personelle Unterbesetzung im Gebiet Nikolaev schlug sich auch in einem Gutachten des Leiters des UNKVD von Nikolaev Fišers wieder. Er wies Anfang des Jahres 1938 darauf hin, dass die personelle Ausstattung zu gering für die an die neue Verwaltung herangetragenen Aufgaben war; denn gegründet worden war diese Gebietsverwaltung mitten im Großen Terror, was bedeutete, Wege zu suchen, die enorm angestiegenen Verhaftungs- und Verurteilungszahlen zu bewältigen. Fišer schlug dazu umfangreiche strukturelle Veränderungen und Personalaufstockungen vor und zwar für die zwei wichtigsten Abteilungen der Verwaltung der Staatssicherheit (UGB) der Gebietsverwaltung des NKVD, die 3. Abteilung für Konterspionage und 4. Abteilung, die »Geheime politische Abteilung«. Offensichtlich noch ganz unter dem Eindruck des Besuchs des Volkskommissars des Inneren N. I. Ežovs in der Ukraine Mitte Februar 193843 , der wieder eine verstärkte Hinwendung zu äußeren Feinden und ihre »fünfte Kolonne« im Land bedeutete, war Fišers Begründung für die massive Ergänzung des Apparats der 3. und 4. Abteilungen von 73 auf 118 Mitarbeiter, also um fast 40 % (38 %), dass »seit vielen Jahren unter dem Deckmantel internationaler Spezialisten in den Fabriken des Gebiets Nikolaev englische und deutsche Spione arbeiten, die einen großen Spionage- und Sabotage-Untergrund aufgebaut haben.«44 Die verschiedenen Konsulate in Odessa, Kiew und Char’kov, wie das japanische, deutsche, italienische und polnische, organisieren, laut Fišer, über die ausländischen Schiffe in den Häfen von Nikolaev und Cherson ihre Spionagenetze in den großen Fabriken und kleinen Betrieben. Den Boden dafür bereiten »Deutsche, Polen, klerikale Kreis, 42 43 44
Šapoval, Ju. I., Ukraїna XX stolittja. Osobi ta podiї v konteksti važkoї istoriї, Kyїv 2001, S. 44. Über den Besuch Ežovs in der Ukraine im Februar 1938, vgl.: Verfolgung des »anderen konterrevolutionären Elements«, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 293-298. Proekt nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti I. B. Fišera o reorganizacii 3-go i 4-go otdelov UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 02.1938, OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 31, D. 36, L. 34-51.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
ehemalige weiße Offiziere, Personen, die Kontakte in die grenznahen Gebiete haben, langjährig Beschäftigte in der Schiffsbaufabrik ›Naval’ und polnisch-deutsche Siedlungspunkte (die Rajons Fric Gekker, Tiligulo-Berezanka, Velikaja-Lepeticha und Novotroickoe).«45 Die Stadt Cherson und die umliegenden Rajons seien in der Vergangenheit die »Platzdame« für die »Weißen Banditen« und die »Griechischen Okkupanten« gewesen. Nach dem Bürgerkrieg haben sich hier, so Fišer weiter, ehemalige Weiße angesiedelt, die »seriöse konterrevolutionäre Sabotage- und terroristische und aufständische Organisationen« gebildet haben.46 »Unter den ehemaligen Weißen waren viele in der Emigration und wurden dort von ausländischen Geheimdiensten für Spionage- und Sabotage in der Sowjetunion und für die in den Grenzgebieten operierende weißgardistische Organisation ›ROVS‹ angeworben.«47 Die von Fišer angedachte Personalaufstockung wurde jedoch wahrscheinlich nicht, oder nur in geringerem als geforderten Umfang umgesetzt, zumal auch die von ihm ebenfalls vorgeschlagenen Umstrukturierungen in Richtung einer stärkeren Ausdifferenzierung der beiden Abteilungen keine Beachtung gefunden haben. Erst als es Anfang 1939 zur Heraustrennung des Gebiets Kirovograd aus dem Gebiet Nikolaev kam, kann dokumentarisch eine Erhöhung des Mitarbeiterstabs nachgewiesen werden: Das Gebiet Nikolaev behielt, trotz der Verkleinerung bzw. Teilung des Gebiets, seine ursprüngliche Personalausstattung bei.
Struktur und Aufgaben Bei der Gründung des Gebiets Nikolaev hatten die Dachverwaltungen der GebietsNKVDs (UNKVD) der Ukraine eine einheitliche Organisationsstruktur: Ihnen untergeordnet waren die Verwaltung der Staatssicherheit (UGB) und die Verwaltung der Arbeiter- und Bauernmiliz (URKM). Die Verwaltung der Arbeiter- und Bauernmiliz umfasste die Milz selbst, ihre Fahndungsabteilung und ihre Abteilung zur Bekämpfung der Unterschlagung von sozialistischem Eigentum.48 Zusätzlich war den Dachverwaltungen der Gebiets-NKVDs mehrere nicht-operative Abteilungen zugeordnet: Die Abteilung für internen Schutz49 , die Kaderabteilung, die Finanzabteilung, die administrative Wirtschaftsabteilung50 , in die auch die Komman45 46 47 48 49 50
Ebda. Ebda. Ebda. Otdel po bor’be s chiščeniem socialističeskoj sobstvennosti, OBChSS. Otdel vnutrennej ochrany. Administrativno-chozjajstvennyj otdel, AChO.
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danturen fielen, die Abteilung für Haftanstalten51 , die Abteilung für Arbeitskolonien52 , die Feuerwehrabteilung53 , die Abteilung für Fernstraßen54 , die Abteilung für Akten über den Vermögensbestand der Bevölkerung55 , die Abteilung für Maße und Gewichte, die Abteilung für die [Mitarbeiter-]Reserve56 , der [Kontroll-]Apparat des Sonderbevollmächtigten, das Sekretariat der Verwaltung des NKVD und das UNKVD-eigene Gefängnis (vgl. die Tabellen 1 und 4).57 Die Arbeit der Dachverwaltung des NKVD wurde zuerst von Fišer geleitet. Er stand gleichzeitig der Dachverwaltung des NKVD und der diesem Dach untergeordneten Verwaltungseinheit der Staatsicherheit vor. Dem Leiter der übergreifenden Struktur, also der Verwaltung des NKVD ging, mit Ausnahme des Gebiets Char’kov, nur ein »echter« Stellvertreter, der keine weiteren Posten ausfüllte, zur Hand. Ein zweiter Stellvertreter stand in Personalunion gleichzeitig der ebenfalls untergeordneten Verwaltung der Arbeiter- und Bauernmiliz vor. Ein Assistent des Leiters der Verwaltung des NKVD – nicht sein Stellvertreter – war für die sog. nicht-operativen Abteilungen oder die Abteilungen, die nicht zur Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) gehörten, zuständig. Untergeordnet waren dem Leiter der Dachstruktur noch ein oder zwei Inspektoren und der Sekretär der Dachverwaltung des NKVD (vgl. Tabelle 1). In der Verwaltungseinheit der Staatssicherheit waren folgende Posten vorgesehen: Jeweils ein Leiter für die verschiedenen Abteilungen, ein stellvertretender Leiter, ein Assistent des Leiters, jeweils ein Sekretär für die verschiedenen Abteilungen, jeweils ein Leiter für die verschiedenen Unterabteilungen, ein stellvertretender Leiter oder ein Assistent des Leiters der Unterabteilungen. Hinzu kamen für die gesamte Verwaltungseinheit der Staatsicherheit ein Sonderbevollmächtigter und ein Assistent des Sonderbevollmächtigten (vgl. Tabelle 1). Zur Verwaltungseinheit, bzw. kurz Verwaltung der Staatssicherheit der einzelnen Gebiets-Verwaltungen des NKVD gehörten die folgenden Abteilungen: die 2. Abteilung, die sog. operative Abteilung, die 3. Abteilung, die für Konterspionage, die 4. Abteilung, also die »Geheime politische Abteilung«, die 5. Abteilung, bzw. die Sonderabteilung, die 8. Abteilung für Statistik und Registration, die 9. Abteilung, bezeichnet als Spezialabteilung, die 11. Abteilung für Wassertransportwesen58 und die 12. Abteilung für operative Technik. Eine 1. Abteilung für Personenschutz59 gab 51 52 53 54 55 56 57 58 59
Otdel mest zaključenija, OMZ. Otdel trudovych kolonij, OTK. Otdel požarnoj ochrany, OPO. Otdel šossejnych dorog, OŠOSDOR. Otdel aktov graždanskogo sostojanija, OAGS. Otdel rezervov. Vnutrennjaja tjurma UNKVD. Vgl. zur gesamten Struktur: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 32-33. Vodnyj. Ochrana.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
es nur auf der Republikebene im Apparat der Dachverwaltung der Staatssicherheit der Ukrainischen SSR. Ihre Funktion erfüllte auf der Gebietsebene die 2. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit. Die 6. Abteilung für Transportwesen wurde im August 1937 umstrukturiert und auf ihrer Basis die Straßen- und Transportabteilungen60 der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD gebildet, d.h. sie fielen nicht mehr in die Kompetenz der einzelnen Gebiete, sondern stellten nun eine eigene Struktur innerhalb des NKVD dar und wurden von Moskau aus direkt gesteuert. Sie gehörten zu den administrativen Zentren der Eisenbahnlinien und versorgten in operativer Hinsicht die Eisenbahnlinien. Die 6. Abteilung wurde auch im Apparat der Verwaltung der Staatsicherheit der Republikstruktur des NKVD der Ukrainischen SSR restrukturiert. Die ukrainische Straßen- und Transportabteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Ukrainischen SSR kam unter die direkte Führung der 6. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der UdSSR und ihre Mitarbeiter wurden durch Personalstand-Befehle des NKVD der UdSSR bestätigt (vgl. Tabelle 2). Weder auf der Gebiets- noch auf der Republikebne gab es 1937 eine 7. Abteilung (Auslandsabteilung). Sie bestand nur auf der zentralen Moskauer Ebene. Die Funktion der 10. Abteilung, der Abteilung für Gefängnisse, führte auf der Ebene der Verwaltung der Staatsicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR (Republikebene) die Verwaltung der Haftanstalten61 aus, auf der Gebietsebene der Verwaltungen des NKVD die entsprechende Abteilung für Haftanstalten (vgl. Tabelle 2).62 Die 2. Abteilung, die operative Abteilung, der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR – also der Republikstruktur – hatte die äußere Beobachtung63 zur Aufgabe, d.h. die Bespitzelung und geheime Verhaftung, dann die Überwachung der Bevölkerung durch Agenten und informelle Mitarbeiter64 , konkret die Erfassung der politischen Stimmung in verschiedenen Schichten der Gesellschaft, der Armee und unter den Bauern. Ermittlung und Fahndung, einschließlich Verhaftungen und Razzien standen außerdem auf der Agenda dieser Abteilung. Ihre Mitarbeiter rückten auch bei besonderen Ereignisse aus, vernichteten konfisziertes Eigentum, fahndeten und ermittelten Personen im Auftrag anderer Abteilungen, bekämpften antisowjetische Agitation auf der Straße, übernahmen den Spezialschutz, d.h. den Personenschutz von Partei-, sowjetischen und Wirtschaftsleitern, dann die geheime Überwachung von Behörden und schließlich 60 61 62 63 64
Dorožno-transportnye otdely, DTO. Upravlenie mesta zaključenija, UMZ. Otdel mesta zaključenija, OMZ. Naružnoe nabljudenie. Agenturno-osvedomitel’noe nabljudenie.
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die Betreuung von Feierlichkeiten, Parteitagen und Gerichtsprozessen (vgl. Tabelle 2).65 Die 3. Abteilung für Konterspionage war die größte Abteilung. Sie überprüfte die Loyalität von in der Sowjetunion lebenden Ausländern aus den Nachbarstaaten und ethnische Minoritäten, deren Herkunftsland einer dieser Nachbarstaaten war. Außerdem wurden ukrainische, nationalistisch gesinnte Gruppen kontrolliert. Gerade ihre Mitarbeiter führten im Großen Terror die sog. Nationalen Operationen durch, die mit Hilfe der Dvojkas und Nationalen Trojkas umgesetzt wurden. Auf der Ukrainischen Republikebene bestanden in der 3. Abteilung für Konterspionage der Verwaltung der Staatsicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR im Mai 1937 14 Unterabteilungen, deren Bezeichnungen beredt über ihre Spezifik Auskunft geben: die 1. Unterabteilung war die »westliche«, die 2. die »östliche«, die 3. die »polnische«, die 4. die »mitteleuropäische«, die 5. die »ukrainische«, die 6. die »rumänische«, die 7. die Abteilung zum »Kampf mit der weißen und inneren Konterrevolution«, die 8. die für »Verteidigungsindustrie«, die 9. die für »Maschinenbau, Metallbau und chemische Industrie«, die 10. war die Abteilung für »Kohle- und Zechenindustrie und Energieversorgung«66 , die 11. die für »Leichtindustrie«, die 12. für »Landwirtschaft«, die 13. die Abteilung für »Information«67 und die 14. die »operative Registrationsabteilung«. Die Anzahl der Unterabteilungen der 3. Abteilung variierten auf der Gebietsebene je nach der Spezifik des Gebiets, aber die Grundlinien der operativen Arbeit waren gleich (vgl. Tabellen 2 und 5).68 Die 4. Abteilung, die »Geheime politische Abteilung«, der Verwaltung der Staatssicherheit des NKVD der Ukrainischen SSR – wir sind somit immer noch bei der Republik- und nicht Gebietsstruktur – hatte ein Auge auf innersowjetische Feinde ohne (potentielle) Auslandskontakte. Sie arbeitete in vier Richtungen: Trotzkisten und antisowjetische Parteien, ukrainische Konterrevolution, Konterrevolution in der Landwirtschaft69 und kirchliche Konterrevolution. Beim Kampf gegen Konterrevolution und Trotzkismus lag der Schwerpunkt auf Entlarvung, Bearbeitung70 und Registrierung von antisowjetischen Elementen in der Produktion, die Durchleuchtung der politischen Stimmung in der Arbeiterklasse; die Pflege und Anwerbung von Agenten71 , die Überführung und Liquidation von 65
66 67 68 69 70 71
Zolotar’ov, V., »Vykorystani ta vykynuti«. Spivrobitnyky UNKVS po Charkivs’kij oblasti, zasudženi za porušenija »socialistyčnoї« naprykinci 1930-ch rr., in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVDKGB, 2015, № 1, S. 236-237. Ugol’naja, rudnaja i ėnergetika. Informacionnoe. Okipnjuk, V. T., Organy deržavnoї bezpeki URSR. 1922-1941 rr. Istoryko-pravovyj analiz, Cherson 2017, S. 266-267. Sel’skaja kontrrevoljucija. Prorabatyvanie. Nasaždenie agentur.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
terroristischen Gruppen unter der Arbeiterjugend in den Industriebetrieben; die operative Betreuung (einschließlich der Anwerbung von Agenten) aller Bildungseinrichtungen, die die Industrie versorgen; das Aufspüren von antisowjetischen politischen Parteien und antiparteilichen Organisationen und Gruppen (Trotzkisten, Anarchisten, Menschewiki, Anhänger des Bund, Zionisten, Dezisten72 , Georgische Menschewiki, Dašnaken73 ) (vgl. Tabellen 2 und 5). Die Aufdeckung ukrainischer Konterrevolution erforderte die folgenden Kompetenzen: das Aufspüren von antisowjetischen ukrainischen Parteien, d.h. der Ukrainischen Partei der Sozialisten-Revolutionäre74 , der Ukrainischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei75 , der Ukrainischen Partei der SozialistenFöderalisten76 , der Ukrainischen kommunistischen Partei77 , der Ukrainischen Partei der unabhängigen Sozialisten78 , dann der Landwirte79 , der ehemaligen Mitglieder politischer Parteien aus Galizien; die Entlarvung ukrainischer konterrevolutionärer Kreise und Emigranten aus Galizien; die Überwachung80 der Allukrainischen Akademie der Wissenschaften81 , der Akademieinstitute, der wissenschaftlichen Vereinigungen und Organisationen, die mit der Allukrainischen Akademie der Wissenschaften zusammenhingen; die Überwachung des Volkskommissars für Bildung mit all seinen Organisationen, d.h. der Hauptverwaltung für wissenschaftliche- und wissenschaftlich-künstlerische- und Museums-Behörden82 , Hauptverwaltung für Literatur- und Verlagswesen83 , Hauptverwaltung für politische Aufklärung84 , Theater-Vereinigungen; die Kontrolle von Literaturvereinigungen, Verlagen und der Presse; die Überprüfung von Artisten- und Musikergruppen, Kinovereinen, Museen und Bibliotheken; die Überwachung von Volkshochschulen85 , der ukrainischen Professorenschaft, der städtischen Lehrerschaft und des ukrainischen Roten Kreuzes (vgl. Tabellen 2 und 6). 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
Eine Gruppe demokratischer Zentralisten, die 1919 in der RKP(b) entstand und von bekannten Persönlichkeiten der Linken Kommunisten geleitet wurde. Eine 1890 in Tiflis (Georgien) entstandene sozialistisch-national orientierte armenisch- revolutionäre Föderation. Ukrainskaja partija socialistov revoljucionerov, UPSR. Ukrainskaja social-demokratičeskaja partija, USDRP. Ukrainskaja partija socialistiv-federalistov, UPSF. Ukraninskaja kommunističeskaja partija, UKP. Ukrainskaja partija socialistov-samostijnikov, UPSS. Zemledel’cy. Razrabotka. Vseukrainskaja akademija nauk, VUAN. Glavnoe upravlenie naučnymi, naučno-chudožestvennymi i muzejnymi učreždenijami, Glavnauka. Glavnoe upravlenie po delam literatury i izdatel’stva, Glavlit. Glavnoe političeskoe prosveščenie, Glavpolitprosveščenie. Obščeobrazovatel’nye vuzy.
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Die Aufgabe beim Kampf gegen konterrevolutionäre Kräfte in der Landwirtschaft waren: die Entlarvung und Ausschaltung von aufständischen, konterrevolutionären Kulaken-Organisationen und Gruppen, die Überwachung von KulakenFamilien, die Überwachung von Familien von verurteilten und in die Verbannung geschickten Kulaken; die Aufdeckung und Kontrolle von konterrevolutionären Organisationen und Gruppen, die sich auf rechts-opportunistische Elemente auf dem Dorf konzentrieren; die Überwachung sog. dritter Kräfte auf dem Dorf, d.h. von Roten Partisanen; die Aufdeckung von konterrevolutionären Organisationen unter der Intelligenz auf dem Dorf und der Jugend, also unter Lehrern, medizinischem Personal und Agrarwissenschaftlern; die Entdeckung von terroristischen Organisationen unter der Kulaken-Jugend; die Registrierung und operative Reaktion auf alle antisowjetischen Erscheinungen auf dem Lande, also Massenaufstände, terroristische Akte, Brandstiftung und Flugblätter; die Eruierung der politischen Stimmung unter allen Schichten der Bauernschaft; die Begleitung und operative Betreuung aller politischen und landwirtschaftlichen Kampagnen auf dem Lande; die allgemeine Begleitung und operative Betreuung des Volkskommissars für Landwirtschaft der Ukrainischen SSR (außer Sabotage-Fälle), Kolchosen- und SowchosenZentren, landwirtschaftliche Kooperationen, das Kreditsystem der Landwirtschaft und andere Landwirtschaftsbehörden, die von kulakischen Ideologen und Organisationen instrumentalisiert werden können, dann Organe von Gewerkschaften und ukrainischen landwirtschaftlichen Zentren und Kooperationen, Kolchosen, Sowchosen, MTS und des unteren sowjetischen Apparats, die sich an der Peripherie befinden; die allgemeine Kontrolle und operative Betreuung von Landwirtschaftsschulen, Technikschulen und Kursen. Zu kontrollieren waren hier die Professoren, die agrarwissenschaftliche Intelligenz und die Studenten. Dann kam noch die Kontrolle der wissenschaftlich-forschenden Landwirtschaftsinstitute; die Überwachung der antisowjetischen Parteien und Gruppen, die hauptsächlich auf dem Lande operieren, d.h. rechte- und linke Sozialisten-Revolutionäre, die Volkstümler, die »Trudoviki«86 , die Werktätige Bauernpartei87 mit allen ihren Richtungen (vgl. Tabellen 2 und 5). In Bezug auf die kirchliche Konterrevolution kontrollierten die Mitarbeiter der »Geheimen politischen Abteilung« die legal existierenden kirchlichen Organisationen, d.h. die Altslavische Kirche, die Kirche der Erneuerer88 , die Ukrainsche autokephale orthodoxe Kirche, die georgische orthodoxe Kirche, die armenisch-apos86
87 88
Eine russische politische Organisation von mehrheitlich konstitutionellen Demokraten mit sozialrevolutionärem und sozialdemokratischem Hintergrund, die von 1906-1917 bestand. Sie wurde von Duma-Abgeordneten gegründet. Sie setzten sich für die Interessen der Werktätigen, d.h. der Bauern, Arbeiter und werktätigen Intelligenz ein. Ihr zentrales Thema war die Agrarfrage. Trudovaja krestjanskaja partija. Obnavlency.
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tolische Kirche und griechisch-orthodoxe Kirche. Sie entlarvten und zerschlugen die im Untergrund operierenden kirchlich-monarchistischen konterrevolutionären Organisationen und Gruppen, die ultra-orthodoxen »Podgorkovcy«89 , die verschiedenen Bruderschaften und Wandermönche. Sie enttarnten antisowjetische Elemente in den Kirchenräten, führten operative Agentenarbeit unter den Gläubigen durch und überführten konterrevolutionäre Elemente, die sich um die Kirchen scharrten. Es ging auch um die informationsgestützte Ausleuchtung und Bearbeitung aller Arten von Sekten mit Hilfe von Agenten, wie den Evangelisten, Baptisten, Geislern und Kopten. Dann um die Ausspionierung von jüdischen religiösen Vereinigungen (vgl. Tabellen 2 und 5).90 Obwohl die Stoßrichtung der Arbeit insgesamt gleich war, war für alle Verwaltungen des NKVD der Ukrainischen SSR der einzelnen Gebiete die Anzahl der Unterabteilungen der »Geheimen politischen Abteilung« unterschiedlich. Zum Beispiel bestand im Mai 1938 die 4. Abteilung der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Char’kov aus 8 Unterabteilungen: die 1. Unterabteilung entlarvte Rechte Abweichler und Trotzkisten, die 2. antisowjetische politische Parteien, die 3. ukrainische Konterrevolution, die 4. Unterabteilung Konterrevolution in Sowchosen, die 5. Konterrevolution auf dem Lande, die 6. betreute die Hochschulen, die 7. die Kirchen, die 8. Unterabteilung führte die operative Registration (Vgl. Tabelle 2 und 6).91 Die 5. Abteilung, die Sonderabteilung, der Verwaltung der Staatssicherheit der ukrainischen SSR – also auf Republikebene – betreute in operativer Hinsicht die Rote Arbeiter- und Bauern-Armee (RKKA) und ihre verschieden militärischen Organisationen: die Stabs und die Aufklärungsabteilungen; die Einheiten, die die RKKA mit Waffen und Technik ausstatteten; die Kavallerie, die Infanterie, die höheren Bildungseinrichtungen der Armee; die Luftflotte; die Baumaßnahmen zur Verteidigung92 ; die Magazine; Osoaviachim und den Kommandostab der Reserve; die Grenz- und inneren Truppen des NKVD und der Arbeiter und Bauernmiliz; die Einheiten, die für die Mobilisierung zuständig waren. In den Gebietsverwaltungen des NKVD der Ukrainischen SSR hing die Anzahl der einzelnen Mitarbeiter der 5. Abteilung von der Größe und Bedeutung der Militäreinheiten ab, die im Gebiet stationiert waren. Laut Befehl № 0096 des NKVD der Ukrainischen SSR vom 26. Mai 1937 verfügte die 5. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa über 12 Stellen und die Abteilung hatte im Gegensatz zum Gebiet Char’kov keine Unterabteilungen. Auch im Gebiet Dnepropetrovsk gab es keine Unterabteilungen und nur 8 Mitarbeiter (vgl. Tabelle 2).93 89 90 91 92 93
Ukrainische Sekte. Zolotar’ov, V. A., Sekretno-polityčnyj viddil DPU USSR. Spravy ta ljudy, Char’kov 2007, S. 39-41. Zolotar’ov, V. A., ČK-DPU-NKVS na Charkivščyni. Ljudy ta doli, 1919-1941, Charkiv 2003, S. 286. Oboronnoe stroitel’svo. Okipnjuk, V. T., Organy deržavnoї bezpeki URSR, S. 268-269.
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Die 8. Abteilung, die Abteilung für Aufzeichnung und Registration94 (bis 1937 Abteilung für Statistik und Registration) und der Verwaltung der Staatssicherheit der Verwaltung des NKVD sorgte für die Registration der Agenturmaterialien, für die Registration von beschlagnahmten Eigentums und die Aufbewahrung der Sachen der Verhafteten. Sie befasste sich mit der Beschlagnahmung von Eigentum und der Wohnung der Verhafteten, dann mit der Registration der Untersuchungsakten und der Verhafteten. Sie führte die Entscheidung der Gerichtsorgane und der Sonderversammlung beim NKVD der UdSSR aus. Nicht zuletzt kontrollierte sie die Registration der Verbannten und der Verhafteten und die Registration von zweifelhaften Bürgern (vgl. Tabelle 2).95 Die 9. Abteilung, die Spezialabteilung, kümmerte sich um den Schutz von Informationen, darunter die Sicherung von Telefongesprächen von verantwortlichem Partei- und sowjetischem Personal vor Abhörmaßnahmen (vgl. Tabelle 2). Die Aufgabe der 11. Abteilung für Wassertransportwesen war die »tschekistische Betreuung des Wassertransportwesens, der Fernstraßen und des Verkehrs«. Sie hatte 5 Unterabteilungen: die 1. war die für Binnenschifffahrt, die 2. für Meeresschifffahrt, die 3. für Verkehr, die 4. für Fernstraßen und die 5. für Statistik und Registration.96 Nach diesem Vorbild wurde auch in der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev eine 11. Abteilung gebildet, die aber als Hafenabteilung bezeichnet wurde. Die 12. Abteilung für operative Technik versorgte die anderen Abteilungen mit Abhörtechnik und anderen speziellen Apparaten (vgl. Tabelle 7). Verkompliziert wird die Angelegenheit dadurch, dass es auf der Grundlage des Beschlusses des ZK der VKP(b) vom 28. März 1938 und dem Befehl des NKVD der UdSSR № 00362 vom 9. Juni 1938 zu einschneidenden Veränderungen der dargelegten, ohnehin schwer zu durchschauenden, Struktur des NKVD kam. Folgende Veränderungen sind zu beachten: Die unter dem Dach des NKVD angesiedelte staatliche Verwaltung für Staatsicherheit wurde aufgelöst und an ihre Stelle drei Verwaltungseinheiten gesetzt: Die 1. Verwaltung für Staatssicherheit, die 2. Verwaltung für Sonderabteilungen. Die 3. Verwaltungseinheit war die für Verwaltung des Transportwesens und Verkehr (vgl. Tabelle 8). Die 1. Verwaltung für Staatssicherheit bestand aus 8 Abteilungen: die 1. war für den Schutz der Regierung zuständig, die 2. war die operative Abteilung, die 3. war die Abteilung für Konterspionage, die 4. bildete die »Geheime politische 94 95 96
Učetno-registracionnyj otdel. Bažan, O./Zolotar’ov, V., Vysuvanec’ Mikoly Ježova, S. 217. Bažan, O./Zolotar’ov, V., »V Odesi dity, jaki prožyvaly nepodalik oblupravlinnja, grajuči miž soboju kryčaly ›Kolis’, špigun’‹«. Štrychy do portretu načal’nyka UNKVS Odes’koї oblasti Pavla Kysel’ova, in: Pivdennyj Zachid. Odesyka. Istoryko-krajeznavčyj naukovyj al’manach. Vyp. 23, Odessa 2017, S. 128-129.
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Abteilung«, die 5. war die Auslandsabteilung, die 6. überwachte die militarisierten Organisationen wie die Miliz und die Osoaviachim und hatte ein Auge auf die Feuerwehr und die Militärkommissariate, d.h. die örtlichen Organen der Militärverwaltung, und auf Sportvereinigungen. Die 7. Abteilung befasste sich mit der Verteidigungsindustrie, die 8. Abteilung mit der Industrie allgemein und die 9. war die Landwirtschaftsabteilung (vgl. Tabelle 8). Die 2. Verwaltungseinheit der drei neu gebildeten Verwaltungen, die Verwaltung für Sonderabteilungen war für militärische Konterspionage zuständig. Die 3. und letzte neue Verwaltungseinheit war die Verwaltung für Transportwesen und Verkehr (vgl. Tabelle 8). Außerdem wurden jenseits der drei Verwaltungseinheiten noch vier weitere selbständige Abteilungen gebildet, die 1. Spezialabteilung, die nun für die operative Statistik und Registration zuständig war und die Funktion der ehemaligen 8. Abteilung übernahm. Die 2. Spezialabteilung, die die operative Technik verwaltete und die 3. Spezialabteilung die für geheime Verschlüsselung zuständig war. Eine weitere Abteilung ohne Nummerierung wurde als Gefängnisabteilung bezeichnet (vgl. Tabelle 8).97 Das genaue Datum, wann die entsprechenden Reformen im NKVD der Ukrainischen SSR realisiert wurden, konnte bisher nicht ermittelt werden. Aus isolierten Aussagen von Tschekisten kann gefolgert werden, dass im Republikapparat der Ukraine die 5., 6., 7., 8. und 9. Abteilung der 1. Verwaltung (Verwaltungseinheit für Staatssicherheit) real im Juni 1938 ihre Arbeit aufnahmen. Aber in PersonalbestandBefehlen tauchen die Abteilungen erst Mitte August 1938 auf. Der größte Einschnitt der Reform scheint in den Gebietsverwaltungen des NKVD, folgt man den Aussagen der Tschekisten, die Liquidation der 5. Abteilung, der Sonderabteilung, gewesen zu sein.98 Obwohl mit dem 29. September 1938 durch den Befehl № 00641 des NKVD der USSR die neue Struktur eingeführt wurde, kamen die Neuerungen, insbesondere die Nummerierungen erst ab Januar 1939 zum Tragen.99 In der wiederhergestellten staatlichen Verwaltung für Staatsicherheit gab es nun auf Republikebene 7 Abteilungen plus den nicht nummerierten Fahndungsteil: die 1. Abteilung zum Schutz von Partei- und Regierungsführern, die 2., die »Geheime politische Abteilung«, die 3. Abteilung für Konterspionage, die 4., bzw. die Sonderabteilung, die 5. Abteilung für Chiffrierung, die 6. Abteilung zur Kontrolle der Miliz, der Feuerwehr, Osoaviachim (aufgelöst am 28. Dezember 1938) und die 7. Abteilung für geheime Chiffrierung. 97 98 99
Kokurin, A. I./Petrov, N. V. (Hg.), VČK-OGPU-NKVD-MGB-MVD-KGB. 1917-1991. Spravočnik, Moskau 2003, S. 66-67. Information Vadim Zolotarev. Ebd., S. 66-67.
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Jenseits der Einteilung des NKVD in drei Verwaltungen bestanden im NKVD der UdSSR, also in der Moskauer Zentrale, noch weitere Verwaltungen: die Verwaltung für Ökonomie, die Hauptverwaltung für Transportwesen des NKVD der UdSSR und die Hauptverwaltung für Haftanstalten mit ihren Abteilungen vor Ort in den einzelnen Verwaltungen der NKVD der Gebiete. Wieder im Sinne des ZK Beschlusses und des Befehls des NKVD der UdSSR № 00362 vom 9. Juni 1938 wurde im Zentrum auch eine 1. Spezialabteilung für operative Statistik und Registration, eine 2. Spezialabteilung, für operative Technik gebildet. Abweichend von den Instruktionen war eine 3. Spezialabteilung für operative Razzien, Verhaftungen und äußere Überwachung zuständig. Um wenigstens ein ungefähres Bild vom Aufbau und vor allem den Aufgaben der einzelnen Abteilungen und Unterabteilungen der Dachverwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev zu vermitteln, muss aus Mangel an weiteren, über die oben dargelegten Informationen hinaus, auf Materialien von 1940 zurückgegriffen werden. Mit Vorsicht betrachtet werden sollten hier aber die Zahlen in Bezug auf die Anzahl der Agenten und informellen Mitarbeiter. Sie können aufgrund des in dieser Nach-Terror-Periode staatlich befohlenen massiven Ausbaus des Agentenapparats und der zum Teil wilden Anwerbung von informellen Mitarbeitern – selbst in den höheren Klassen der Schulen – als künstlich aufgebläht eingestuft werden (vgl. für das Folgende auch Tabelle 9). Zweite Abteilung: »Geheime politische Abteilung«: Die »Geheime politische Abteilung«, ehemals vierte, nun zweite Abteilung, wurde 1940 weiterhin durch einen Leiter und stellvertretenden Leiter geführt. 1940 bestand sie aus vier Unterabteilungen. Die erste Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« befasste sich mit Trotzkisten, Rechten und ehemaligen Trotzkisten. Vier Mitarbeiter arbeiteten hier. Sie konnte auf einen »geheimen Apparat« von 12 Personen zurückgreifen, darunter wenige Agenten und viele informelle Mitarbeiter. Drei konspirative Wohnungen waren vorhanden. Die zweite Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung«, mit drei Mitarbeitern und 13 Agenten, versorgte die Geistlichkeit, Sekten, die Ukrainische autokephale orthodoxe Kirche, Zionisten, russische antisowjetische politische Parteien und den Bund. Es bestanden zwei konspirative Wohnungen. Die dritte Unterabteilung mit theoretisch sechs, real aber vier Mitarbeitern hatte »die ukrainische konterrevolutionäre Öffentlichkeit«, »die ukrainischen antisowjetischen politischen Parteien«, Theater, Redaktionen, Druckereien, Museen, den Verlag »Gebietsliteratur«100 , die Bibliotheken, die Staatsanwaltschaft, Gerichte, Ad100 Obllit.
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vokaten101 , die Gebietsvolksbildung102 , einschließlich der Schulen, das Gebietsgesundheitsamt103 und das Pädagogische Institut zur Aufgabe. 19 Agenten und eine konspirative Wohnung standen zur Verfügung. Die vierte und letzte Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« bestand faktisch aus vier Mitarbeitern. Vorgesehen waren aber eigentlich fünf. Ziele dieser Unterabteilung waren das Gebietsmilitärkommissariat104 , das StadtMilitärkommissariat, der Gebietsrat für Leibesübungen und Sport, die Miliz, das militarisierte Feuerwehrteam105 der Fabrik № 198, die militarisierte Feuerwehr der Fabrik № 200, drei Stadt-Feuerwehren, der Flugzeugklub, Osoaviachim und die örtliche Flugabwehr (MPVO). 65 informelle Mitarbeiter, darunter ein Agent halfen bei der Informationsbeschaffung. Eine konspirative Wohnung war vorhanden. Ende 1939 wurde aus der »Geheime politischen Abteilung« die Unterabteilung für [Landes-] Verteidigung herausgelöst und zu einer selbständigen 7. Abteilung für (Binnen-)Schifffahrt106 umgewandelt.107 Dritte Abteilung: »Konterspionage«: Die dritte Abteilung für Konterspionage hatte einen Leiter und einen stellvertretenden Leiter. Unter dem Dach der dritten Abteilung gab es zwei Unterabteilungen plus der »Unterabteilung ›Ausland‹, INO«.108 Die Anzahl der Mitarbeiter dieser Unterabteilungen ist unbekannt. Die erste Unterabteilung der dritten Abteilung führte entlang der deutschen, bulgarischen, rumänischen, polnischen, der östlichen und verschiedener anderer Spionage-Linien Ermittlungen durch. 23 Agenten und 13 informelle Mitarbeiter arbeiteten den Mitarbeitern der Abteilung zu. Die zweite Unterabteilung der dritten Abteilung hatte zur Aufgabe, die »ukrainische und weiße Konterrevolution« zu überwachen. Es gab hier vier Agenten und 10 informelle Mitarbeiter. Die »Unterabteilung ›Ausland‹« (INO) der dritten Abteilung stand unter der Leitung des stellvertretenden Leiters der dritten Abteilung. Die Gruppe bereitete in der Hauptsache Agenten zur Entsendung hinter die Grenzlinien vor. Die Abteilung verfügte über 7 Agenten und drei informelle Mitarbeiter. 101 102 103 104 105 106 107
Zaščita. Oblnarobraz. Oblzdravotdel. Oblvoenkomat. Voenizirovannaja požkomanda. Vodnyj otdel. In den Akten wird diese Abteilung jedoch nur selten als 7. Abteilung bezeichnet, so dass nicht sicher ist, ob es sich hier um zwei verschiedene Abteilungen handelt. 108 Inostrannoe otdelenie.
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Abteilung für Ökonomie (ĖKO): Die Verwaltung der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev verfügte noch über eine weitere Abteilung. Es handelte sich um die Abteilung für Ökonomie109 , die nicht durchnummeriert war. Auch diese Abteilung wurde durch zwei Personen geleitet, vom Chef und seinem Stellvertreter. Die Gesamtzahl der Mitarbeiter konnte nicht ermittelt werden. Fünf Unterabteilungen waren dieser Abteilung zugeordnet. Die erste Unterabteilung der ĖKO war für das Heiz- und Stromkraftwerk110 , die Straßenbaumaschinenfabrik »Dormašina«, die medizintechnische Fabrik Bolschewik, [die Fabrik] »21. Jahrestag der Oktoberrevolution«, den Bau-Trust des Gebiets und die Metallzubehör-Fabrik zuständig. Vier Agenten und 37 informelle Mitarbeiter waren ihr angegliedert. Die zweite Unterabteilung der ĖKO, die für »Verteidigung«, versorgte die Verteidigungsindustriefabriken № 198 und № 200, den 44. Bauhof111 , das Schiffsbauinstitut, das Bau Technikum, die Verwaltung für den Verkauf von Lastwagen und Traktoren112 und den Trust zur Herstellung für elektronische Teile für die Schiffsbauindustrie.113 16 Agenten und 96 informelle Mitarbeiter waren vorhanden, drei Wohnungen, um diese zu treffen. Die dritte Unterabteilung der ĖKO war zuständig für die Gebietsverwaltung für Grund und Boden114 , die Sonderbevollmächtigten des Volkskommissariats zur Überwachung des Plans der Getreideproduktion, die Getreidebeschaffung115 , die Verwaltung für Transport und Verkauf von Öl116 , die Sowchosen des Volkskommissariats für Sowchosen, der Schweineaufzucht-Trust117 und seine vorstädtischen Betriebe, die Landwirtschaftsgeräteausstattung118 , die Transportmittelbeschaffung119 , die Koordination für Transporte für Sowchosen120 , die staatliche Brotinspektion, die Beschaffung für Rauchwaren.121 Vier Agenten und 16 informelle Mitarbeiter mit einer konspirativen Wohnung bildeten die Informationsbasis. Die vierte Unterabteilung der ĖKO befasste sich mit dem Wasserkanal, dem Straßenbahndepot, der städtischen Abteilung für kommunale Wirtschaft122 , dem Fleischkombinat, der Fischfabrik, Butterfabrik № 9, Glasfabrik, [Möbel-]Fabrik 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Ėkonometdel, ĖKO. Teploėlektrocentral’, TĖC. Strojtrest. Avtotraktorsbyt. Ėlktromorskoj trust. Oblastnoe zemel’noe upravlenie. Zagotzerno. Neftesbyt. Svinovodtrest. Selchozsnab. Zagottrans. Sovchoztrans. Zagotpušnina. Gorkomchoz.
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»ASTRA«, der Spirituosen-, Konditorwaren-, Nudel-, Seifen-, Mineralwasser- und Brotfabrik № 1 und № 2, dem Getreidemühlen-Trust und dem Gebietsindustriesowjet. Die vierte Unterabteilung hatte vier operative Mitarbeiter und 16 informelle Mitarbeiter. Die fünfte Unterabteilung der ĖKO überwachte die Staatliche Handelsgesellschaft123 , die Verbraucherkooperation124 , die Finanzorgane, den GrundversorgungsTrust125 , die Abteilung für Handel des Gebiets, die Industriebank, die Landwirtschafsbank, die kommunale Bank, die städtische Finanzabteilung und die Stoffhandelsgesellschaft. Außerdem bekämpfte sie den Schmuggel. Vier Agenten, 16 informelle Mitarbeiter und eine Kontaktperson für informelle Mitarbeiter126 lieferten Informationen. Abteilung für (Binnen-)Schifffahrt: Auf die ökonomische Abteilung (ĖKO) folgte die Abteilung für (Binnen-)Schifffahrt.127 Diese Abteilung bestand aus 8 Personen, die 17 Objekte kontrollierten: die technische Flotte mit 450 Arbeitern, die militarisierten Schutztruppen mit 150 Arbeitern, die Verladestation128 mit 270 Arbeitern, die Mechanisierung mit 130 Arbeitern, die Verwaltung für den Lastwagenpark129 mit 101 Arbeitern, die Lebensrettungsgesellschaft (OSVOD) (31 Arbeiter), die Verwaltung des Hafens (230 Arbeiter), die Fabrik für Hebezeuge130 mit 240 Arbeitern, die Schiffsreparatur Fabrik mit 437 Arbeitern, die Bauabteilung131 mit 85 Arbeitern, die Polyklinik für (Binnen-)Schiffer132 mit 120 Arbeitern, die Handelsgesellschaft für Meerestransport133 mit 350 Arbeitern, den Internationalen Klub134 mit 7 Arbeitern, die internationale Flotte (6 Arbeiter), den Getreideexport135 mit 10 Arbeitern und schließlich den Kohleexport136 mit 11 Arbeitern. Zwei Agenten und 51 informelle Mitarbeiter hatte die Abteilung. Zwei Kontaktpersonen für informelle Mitarbeiter und eine konspirative Wohnung bestand.137 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137
Gostorgovlja. Potrebkooperacija. Trest obščepita. Rezident. Vodnyj otdel. Pogruzučastok. Avtogruž. Elevator. Strojčast’. Poliklinika vodnikov. Torgmortrans. Interklub. Ėksportchleb. Ėksportugol’. Spravka nač. vodnogo otdela UNKVD Nikolaevskoj oblasti S. Petrova po vodnomu otdelu UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 01.08.1940, OGA SBU, Kiev, F. 16, Op. 33, D. 5, L. 172.
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Dritte Unterabteilung für Transportwesen: Ohne die Nennung einer Dachabteilung138 wird nun eine weitere operative Unterabteilung genannt und zwar die dritte Unterabteilung für Transportwesen.139 Allen Augenschein nach arbeitete diese Unterabteilung selbständig, wie eine vollwertige Abteilung, war also keiner bestehenden Abteilung zugeordnet. Sie hatte drei Mitarbeiter, die auf 15 informelle Mitarbeiter zurückgreifen konnten. Ihre Aufgabe war es, folgende Betriebe und Behörden zu überwachen: die Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen140 , die Telefonstation, den Telegraphen, die Radiostation, das Radiokomitee, die Post, die Gebietsdruckerei141 , die zivile Luftflotte, die Gebietsabteilung für Verkehrswege142 und den Gebietstransport-Trust. Untersuchungsteil: Zu nennen ist noch der sog. »Untersuchungsteil«143 der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev. Er beschäftigte sich nicht nur zur Unterstützung der anderen Abteilungen mit der Anfertigung von Untersuchungsakten bereits verhafteter Personen, sondern auch mit dem Verhör von Flüchtlingen; 1940 in einem Umfang von ca. 1.000 Personen, die aus angrenzenden Staaten in das Gebiet »eingedrungen« waren. Erste Spezialabteilung: Die Verwaltung des NKVD verfügte darüber hinaus noch über die frühere 8. Abteilung für Statistik und Registration und nun in 1. Spezialabteilung umbenannte Abteilung. Sekretariat: Es ist unklar, ob es neben der 1. Spezialabteilung auf Gebietsebene noch ein Sekretariat gab, oder ob dies Teil der 1. Spezialabteilung war. Kaderabteilung: Zusätzlich existierte noch die Kaderabteilung, die für die Ausstattung der Gebietsstruktur des NKVD mit Mitarbeitern und deren Überprüfung zuständig zeichnete.144 138 139 140 141 142 143 144
Otdela. Transportnoe otdelenie. Svjazi. Oblsojuzpečat’. Obldorotdel. Sledsvennaja čast’. Die vorausgehenden Informationen beruhen auf: Spravka zam. nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti V. K. Tret’jakova o faktičeskom naličii operativnych rabotnikov v period janvarja i fevralja mesjacev 1940 g. 2–go otdela UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 28.03.1940, ebd., L. 3030ob; Akt obsledovanija sostojanija agenturno–operativnoj raboty Nikolaevskogo UNKVD.
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Stadtabteilung von Cherson: Dann folgt in der Hierarchie die Stadtabteilung von Cherson. Sie bestand aus 16 Mitarbeitern, wobei auf die Unterabteilung für »(Binnen-)Schifffahrt« allein 8 Mitarbeiter fielen. Betreut wurde die Stadtabteilung durch die jeweiligen Gebietsabteilungen des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Ausgewählte Mitarbeiter aus der Stadtabteilung mussten Kontakt zu bestimmten Gebietsabteilungen des NKVD von Nikolaev halten, konkret zur zweiten und dritten Abteilung, zur ĖKO und zur 7. Abteilung für (Binnen-)Schifffahrt, wobei für den letzteren Kontakt extra eine Unterabteilung für »(Binnen-)Schifffahrt« innerhalb der Stadtabteilung bestand. Die Unterabteilung für (Binnen-)Schifffahrt der Stadtabteilung, die offensichtlich wichtigste Abteilung, hatte vor allem den Hafen, die Schiffsbaufabrik, die Schiffsbaubetonwerft« im Visier. Man verfügte hier über fünf Agenten, zwei Kontaktpersonen für informelle Mitarbeiter145 und zwei konspirative Wohnungen. Zusätzlich musste die Stadtabteilung in organisierter Form (personell) den Rajon Cherson betreuen. Im Rajon befanden sich 24 Dorfräte146 mit 89 Kolchosen. Rajonabteilungen: Im Oktober 1940 zählten zum Gebiets-NKVD Nikolaev 23 Rajonabteilungen: Die Rajonabteilungen Cherson, Berislav, B. Aleksandrovo, Bereznegovatoe, Varvarovka, Vladimir, Gornostaevka, Kazanka, Kalinindorf, Kachovka, Kalančak, Novyj Bug, N. Voroncovskij, Novаja Odessa, Očakov, Privol’noe, Snigirevka, Tiligulo-Berezanka, Čaplinka, Dorfrat von Nikolaev, Belozerka, Golaja Pristan’, Skadovsk.147 Das Netz aus Agenten, informellen Mitarbeitern und Kontaktpersonen für informelle Mitarbeiter148 bestand auf dieser Ebene aus 1.667 Personen, darunter 124 Agenten, 80 Kontaktpersonen für informelle Mitarbeiter und 1.463 informelle Mitarbeiter.149 Die Anzahl der NKVD-Mitarbeiter in den Rajons ist unbekannt, mit Ausnahme des Rajons Varvarovka. Rajon Varvarovka: Der Rajon Varvarovka befand sich auf der rechten Seite des unteren Flusslaufs des Bug, ca. 6 Kilometer von Nikolaev entfernt. Im Rajon lebten 47.000 Personen. Er 02.04.1940, ebd., L. 43-106; Protokol operativnogo soveščanija načal’nogo sostava UNKVD Nikolaevskoj oblasti. 05.04.1940, ebd., L. 108-119. 145 Rezidenty. 146 Selsovety. 147 Otčetnost’ nač. sekretariata UNKVD Nikolaevskoj oblasti Potapova po rajotdelenijam NKVD za oktjabr’ mesjac 1940, ebd., L. 153. Aus unerfindlichen Gründen fehlt im entsprechenden Dokument der Rajon Elanec. 148 Rezidenty. 149 Otčetnyj doklad vrid. nač. UNKVD Nikolaevskoj oblasti V. K. Tret’jakova zam. narkoma vnutrennich del USSR I. M. Tkačenko ob agenturno–operativnoj rabote pereferijnych organov NKVD po Nikolaevskoj oblasti. 11.11.1940, ebd., L. 192-197.
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bestand aus 24 Dorfräten, darunter 7 mit einer bedeutenden Anzahl an deutschstämmiger Bevölkerung von insgesamt 14.500 Personen. Im ganzen Rajon gab es 66 Kolchosen, 7 Sowchosen, drei Maschinen-Traktoren Stationen (MTS), eine Landwirtschaftsschule, vier Mittelschulen, eine Schule für Fahrer und Traktorfahrer, eine Butterfabrik, eine Dachziegelfabrik und vier Industriegenossenschaften.150 Fünf NKVD-Mitarbeiter betreuten den Rajon Varvarovka. Der Leiter hatte seinen Posten 1940 übernommen. Zuständig war er für die Klientel der dritten Abteilung (Konterrevolution), hatte aber auch ein Auge auf die Fälle der ĖKO und die der zweiten Abteilung (»Geheime politische Abteilung«). Der zweitwichtigste Mitarbeiter des Rajons war ein soeben erst für den NKVD angeworbener Fahndungsbevollmächtigter. Sein Arbeitsbereich waren die Zielpersonen und Objekte der zweiten und dritten Abteilung. Ihm zur Seite stand ein weiterer Mitarbeiter, der sog. Assistent des Fahndungsbevollmächtigten. Zuständig zeichnete dieser für die ĖKO. Der vierte Mitarbeiter war der Sekretär und die fünfte Mitarbeiterin eine Schreibkraft. 80 Personen arbeiteten der Rajonabteilung zu, darunter 10 Agenten, eine Kontaktperson für informelle Mitarbeiter, zwei Halter von konspirativen Wohnungen und 67 informelle Mitarbeiter. Allerdings wurden die meisten davon – 60 Personen – erst im Jahre 1940 angeworben. Der Arbeitstag der Rajonabteilung des NKVD ging von 9 Uhr morgens bis um fünf Uhr nachmittags und von 8 Uhr abends bis Mitternacht. Das heißt das Rajon-NKVD war von 9 Uhr morgens bis um 24 Uhr besetzt, bis auf eine Pause von 17 bis 20 Uhr.151
Schematische Darstellung
Tabelle 1: Struktur der Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev. 1937 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev Personal: Ein Leiter (I. B. Fišer), jeweils ein 1. Stellvertreter und ein 2. Stellvertreter (A. M. Kuz’menko), ein Assistent des Leiters, ein Sekretär und ein oder zwei Inspektoren Aufteilung Verwaltung der Staatsicherheit (UGB)
Verwaltung der Miliz (URKM)
Nicht-operative Abteilungen
Leiter: I. B. Fišer
Leiter: A. M. Kuz’menko
Leiter: Assistent des Leiters
150 Akt nač. pervogo otdelenija 3–go otdela UGB UNKVD Nikolaevskoj oblasti S. A. Brant o sostojanii agenturnoj raboty v Varvarovskom rajonnom otdelenii NKVD Nikolaevskoj oblasti. 15.11.1940, ebd., L. 198-205. 151 Ebda.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Tabelle 2: Struktur der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) Abteilungen/ Unterabteilungen
Bezeichnung
Operative Objekte
1. Abteilung (nur Republikebene)
Personenschutz
2. Abteilung
Operative Abteilung (äußere Beobachtung)
Bespitzelung und geheime Verhaftung von Personen, die Überwachung der Bevölkerung durch Agenten und informelle Mitarbeiter, die Beobachtung wichtiger Veranstaltungen, plus Personenschutz
3. Abteilung
Konterspionage
Ausländern und ethnische Minoritäten, mit Herkunftsland außerhalb der UdSSR, ukrainische Nationalisten
4. Abteilung
»Geheime politische Abteilung« (Abteilung zur Bekämpfung innerer Feinde)
Trotzkisten und antisowjetische Parteien, ukrainische Konterrevolution, Konterrevolution in der Landwirtschaft, kirchliche Konterrevolution
.5 Abteilung
Sonderabteilung
RKKA und (halb-)militärische Organisationen
6. Abteilung (Ausgelagert und zu einer eigenen Abteilung im NKVD der UdSSR/USSR umstrukturiert)152
Straßen- und Transportabteilungen (DTO) NKVD der UdSSR/USSR
Insbesondere Eisenbahnlinien
7. Abteilung (nur NKVD der UdSSR)
Auslandsabteilung
8. Abteilung
Statistik und Registration
152 Diese Abteilungen unterstanden nicht den Gebieten, sondern bildeten eine eigene Struktur. Sie waren den administrativen Zentren der Eisenbahnlinien zugeordnet und kontrollierten
299
300
Stalinistische Modernisierung
9. Abteilung
Spezialabteilung
Hauptsächlich Informationsschutz
10. Abteilung (auf Republikebene übernahm die Verwaltung für Hatanstalten (UMZ) deren Funktion, auf der Gebietsebene die Abteilung für Hatanstalten (OMZ))
Gefängnisse
Ausgelagert in die nichtoperativen Abteilungen des NKVD der Republiken und des UNKVD (siehe unten)
11. Abteilung
Wassertransportwesen
Wassertransport, Fernstraßen, Verkehr, Häfen
12. Abteilung
Operative Technik
Versorgung der anderen Abteilungen
Tabelle 3: Struktur der Verwaltung der Arbeiter und Bauernmiliz des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev Verwaltung der Arbeiter und Bauernmiliz (URKM) Abteilungen/Funktion Fahndungsabteilung Abteilung zur Bekämpfung der Unterschlagung von sozialistischem Eigentum
in operativer Hinsicht die Eisenbahnlinien. Im UGB NKVD der Ukrainischen SSR wurde die 6. Abteilung ebenfalls restrukturiert, so dass die ukranischen Straßen- und Transportabteilungen (DTO) direkt der 6. Abteilung des GUGB NKVD der UdSSR zugeordnet waren.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Tabelle 4: Nicht-operativen Abteilungen des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev Nicht-operative Abteilungen Abteilungen/Funktion
Erläuterungen
Interner Schutz Kader Finanzen Administrative Wirtschatsabteilung
Hier war die Kommandantur mit eingeschlossen
Hatanstalten (OMZ)
Auf Republikebene Verwaltung für Hatanstalten (UMZ)
Arbeitskolonien Feuerwehr Fernstraßen Akten zum Vermögensstand der Bevölkerung Maße und Gewichte Mitarbeiterreserve Apparat des Sonderbevollmächtigten Sekretariat UNKVD eigenes Gefängnis
Interne Kontrollfunktion für UNKVD
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Stalinistische Modernisierung
Tabelle 5: Unterabteilungen der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des NKVD der Ukraine. 1937 Dach: NKVD der Ukraine (Republikstruktur)153 Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) Unterabteilungen der 3. Abteilung
Bezeichnung/Operative Objekte
1. Unterabteilung
Westliche
2. Unterabteilung
Östliche
3. Unterabteilung
Polnische
4. Unterabteilung
Mitteleuropäische
5. Unterabteilung
Ukrainische
6. Unterabteilung
Rumänische
7. Unterabteilung
Weiße und innere Konterrevolution
8. Unterabteilung
Verteidigungsindustrie
9. Unterabteilung
Maschinenbau, Metallbau, chemische Industrie
10. Unterabteilung
Kohle- und Zechenindustrie, Energieversorgung
11. Unterabteilung
Leichtindustrie
12. Unterabteilung
Landwirtschaft
13. Unterabteilung
Informationswesen
14. Unterabteilung
Operative Registration
153 Die Anzahl der Unterabteilungen der 3. Abteilung variierten auf der Gebietsebene je nach der Spezifik des Gebiets, aber die Grundlinien der operativen Arbeit waren gleich. Die vorliegende Tabelle wird aufgeführt, da für die Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev für das Jahr 1937 keine Auffächerung in Unterabteilungen der 3. Abteilung vorliegt.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Tabelle 6: Unterabteilungen der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit des UNKVD des Gebiets Char’kov. 1937 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des GebietsC har’kov154 Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) Unterabteilungen der 4. Abteilung
Operative Objekte
1. Unterabteilung
Rechte Abweichler, Trotzkisten
2. Unterabteilung
Antisowjetische politische Parteien
3. Unterabteilung
Ukrainische Konterrevolution
4. Unterabteilung
Konterrevolution in Sowchosen
5. Unterabteilung
Konterrevolution auf dem Lande
6. Unterabteilung
Konterrevolution in Hochschulen
7. Unterabteilung
Kirchen und Sekten
8. Unterabteilung
Operative Registration
Tabelle 7: Unterabteilungen der 11. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit des NKVD der Ukraine. 1937 Dach: NKVD der Ukraine (Republikstruktur)155 Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) Abteilungen/ Unterabteilungen
Bezeichnung/ Operative Objekte
Operative Objekte
11. Abteilung
Wassertransportwesen (bzw. Hafenabteilung)
Wassertransport, Fernstraßen, Verkehr, Häfen
1. Unterabteilung
Binnenschifffahrt
2. Unterabteilung
Meeresschifffahrt
3. Unterabteilung
Verkehr
4. Unterabteilung
Fernstraßen
5. Unterabteilung
Statistik und Registration
154 Obwohl die Stoßrichtung der Arbeit insgesamt gleich war, war für alle Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR der einzelnen Gebiete die Anzahl der Unterabteilungen der »Geheimen politischen Abteilung« unterschiedlich. Die vorliegende Tabelle wird aufgeführt, da für die Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev für das Jahr 1937 keine Auffächerung in Unterabteilungen der 4. Abteilung vorliegt.
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Stalinistische Modernisierung
Tabelle 8: NKVD der Ukraine. 1938 Dach: NKVD der Ukraine (Republikstruktur) Verwaltungen/Abteilungen
Abteilungen/Funktion
1. Verwaltung für Staatssicherheit (UGB)
1. Abteilung – Schutz der Regierung 2. Abteilung – Operative 3. Abteilung – Konterspionage 4. Abteilung – »Geheime politische Abteilung« 5. Abteilung – Auslandsabteilung 6. Abteilung – Militarisierte Organisationen wie Miliz, Osoaviachim, Feuerwehr, Militärkommissariate, Sportvereinigungen 7. Abteilung – Verteidigungsindustrie 8. Abteilung – Industrie 9. Abteilung – Landwirtschat
2. Verwaltung für Sonderabteilungen
Militärische Konterspionage
3. Verwaltung
Transportwesen und Verkehr
Verwaltung für Ökonomie (nur NKVD der UdSSR) Hauptverwaltung für Transportwesen (nur NKVD der UdSSR) Hauptverwaltung für Hatanstalten (nur NKVD der UdSSR) 1. Spezialabteilung
Operative Statistik und Registration
2. Spezialabteilung
Operative Technik
3. Spezialabteilung
Geheime Verschlüsselung
3. Spezialabteilung (nur NKVD der UdSSR)
Operative Razzien, Verhatungen, äußere Überwachung
Gefängnisabteilung
155 Die Anzahl der Unterabteilungen der 11. Abteilung variierten auf der Gebietsebene je nach der Spezifik des Gebiets, aber die Grundlinien der operativen Arbeit waren gleich. Für die Verwaltung des NKVD des Gebiet Nikolaev liegt für das Jahr 1937 keine Auffächerung in Unterabteilungen für die 11. Abteilung vor.
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Tabelle 9: Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1940 Dach: Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev Verwaltung für Staatssicherheit (UGB) Abteilungen/ Unterabteilungen
Bezeichnung/Operative Objekte
2. Abteilung
Geheime politische Abteilung
1. Unterabteilung
Rechte Abweichung, Trotzkisten
2. Unterabteilung
Geistlichkeit, Sekten, ukrainische autokephale orthodoxe Kirche, Zionisten, russische antisowjetische politische Parteien, Bund
3. Unterabteilung
Ukrainische konterrevolutionäre Öffentlichkeit, ukrainische antisowjetische politische Parteien, Theater, Redaktionen, Druckereien, Museen, Verlag »Gebietsliteratur«, Bibliotheken, Staatsanwaltschaft, Gerichte, Advokaten, Gebietsvolksbildung, einschließlich der Schulen, das Gebietsgesundheitsamt, Pädagogisches Institut
4. Unterabteilung
Gebietsmilitärkommissariat, Stadt-Militärkommissariat, Gebietsrat für Leibesübungen und Sport, Miliz, das militarisierte Feuerwehrteam der Fabrik № 198, das militarisierte Feuerwehrteam der Fabrik № 200, drei Stadt-Feuerwehrteams, der Flugzeugklub, Osoaviachim, die örtliche Flugabwehr (MPVO)
3. Abteilung
Konterspionage
1. Unterabteilung
U.a. deutsche, bulgarische, rumänische, polnische, östliche Spionage
2. Unterabteilung
Ukrainische und weiße Konterrevolution
Ausland (INO)
Vorbereitung von Agenten zur Entsendung hinter die Grenzlinien
Abteilung für Ökonomie (ĖKO) 1. Unterabteilung
Heiz- und Stromkraftwerk (TĖC), Straßenbaumaschinenfabrik »Dormašina«, medizintechnische Fabrik »Bolschewik«, [die Fabrik] »21. Jahrestag der Oktoberrevolution«, Bautrust des Gebiets, Metallzubehör-Fabrik
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Stalinistische Modernisierung
2. Unterabteilung für Verteidigung
Verteidigungsindustriefabriken № 198 und № 200, 44. Bauhof, Schiffsbauinstitut, Bautechnikum, Verwaltung für den Verkauf von Lastwagen und Traktoren, Trust zur Herstellung für elektronische Teile für die Schiffsbauindustrie
3. Unterabteilung
Gebietsverwaltung für Grund und Boden, Sonderbevollmächtigter des Volkskommissariats zur Überwachung des Plans der Getreideproduktion, Getreidebeschaffung, Verwaltung für Transport und Verkauf von Öl, Sowchosen des Volkskommissariats für Sowchosen, Schweineaufzucht-Trust und seine vorstädtischen Betriebe, Landwirtschaftsgeräte Ausstattung, Transportmittelbeschaffung, Koordination für Transporte für Sowchosen, die staatliche Brotinspektion, die Beschaffung für Rauchwaren
4. Unterabteilung
Wasserkanal, Straßenbahndepot, städtische Abteilung für kommunale Wirtschaft, Fleischkombinat, Fischfabrik, Butterfabrik № 9, Glasfabrik, [Möbel-]Fabrik »ASTRA«, Spirituosen-, Konditorwaren-, Nudel-, Seifen-, Mineralwasser- und Brotfabrik № 1 und № 2, Getreidemühlen-Trust, Gebietsindustriesowjet
5. Unterabteilung
Staatliche Handelsgesellschaft, Verbraucherkooperation, Finanzorgane, Grundversorgungs-Trust, Abteilung für Handel des Gebiets, Industriebank, Landwirtschafsbank, kommunale Bank, städtische Finanzabteilung, Stoffhandelsgesellschaft, plus Bekämpfung von Schmuggel
Abteilung für (Binnen-) Schifffahrt
Technische Flotte, militarisierte Schutztruppen, die Verladestation, die Mechanisierung, die Verwaltung für den Lastwagenpark, die Lebensrettungsgesellschaft (OSVOD), die Verwaltung des Hafens, die Fabrik für Hebezeuge, die Schiffsreparatur Fabrik, die Bauabteilung, die Polyklinik für (Binnen-)Schiffer, die Handelsgesellschaft für Meerestransport, der Internationale Klub, die internationale Flotte, der Getreideexport, der Kohleexport
3. Unterabteilung Transportwesen
für
Gebietsverwaltung für Kommunikationswesen, die Telefonstation, der Telegraph, die Radiostation, das Radiokomitee, die Post, die Gebietsdruckerei, die zivile Luftflotte, die Gebietsabteilung für Verkehrswege, der Gebietstransport-Trust
Geheimdienst des Gebiets Nikolaev
Untersuchungsteil
Unterstützung der anderen Abteilungen mit der Anfertigung von Untersuchungsakten, plus Verhör von Flüchtlingen
Nicht-operative Abteilungen 1. Spezialabteilung
Statistik und Registration
Sekretariat Kaderabteilung
Ausstattung der Gebietsstruktur des NKVD mit Mitarbeitern und deren Überprüfung
Stadt- und Rajonabteilungen des NKVD des Gebiets Nikolaev Stadtabteilungen
Insgesamt 1 Stadtabteilung (Cherson)
Rajonabteilungen
Insgesamt 23 Rajonabteilungen
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Apparat
Handelnde Personen Afanas’ev, Grigorij Petrovič (1910) Geboren in Nikolaev. Nationalität Russe. Aus einer Arbeiterfamilie. Angestellter. Mittlere technischе Ausbildung. Seit 1938 Mitglied der VKP(b). Ab 1924 in der Produktion tätig. 1938 Leiter eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen der Fabrik № 200 in Nikolaev. Im Jahre 1941 Bautechniker der Fabrik № 200. Im Zuge seiner Verhaftung am 03.08.1938 aus der Partei ausgeschlossen. Al’brecht, Evgenij Leonidovič (1904) Geboren in St.-Peterburg. Seit 1928 Mitglied der VKP(b). Im März 1936 Mitarbeiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa. Unterleutnant für Staatssicherheit. 1938-1939 Mitarbeiter der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev. 1939 Leutnant für Staatssicherheit. Im Juli 1941 vom Stadt-Militärkommissariat von Kirovograd der Ukraine in die Rote Armee eingezogen und am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Von September 1942 bis 1945 Leiter der Ausstattung der 78. RajonLuftaufnahmeabteilung der 17. Luftwaffenarmee mit Fahrzeugen.1 Hauptmann der militärischen Verwaltungsbehörde, die die Truppe mit allen materiellen Bedürfnissen (außer Waffen und Munition) versorgt (Intendantendienst). Ausgezeichnet mit den Medaillen »Für die Verteidigung Stalingrads«, »Für die Eroberung Wiens«, »Für die Eroberung Budapests« und dem Orden »Roter Stern«. Babenko, Georgij Vasil’evič (1904) Aus einer Arbeiterfamilie. 1938 leitender Schiffsbauingenieur in der Fabrik № 200 von Nikolaev. Parteilos. Barvinok, Grigorij Ivanovič (1907-1944) Geboren bei der Eisenbahnstation Znamenka in der Ukraine. Soziale Herkunft Arbeiter. Nationalität Ukrainer. Mittlere Bildung. Ab 1935 Arbeit bei der Miliz. Anfang 1937 bis zum 10.01.1938 vorübergehend zur Arbeit in der Stadtabteilung des NKVD von Cherson mobilisiert. Ab Januar 1938 Leiter der Spezialabteilung der Gebietsverwaltung der Miliz von Nikolaev. Leutnant der Miliz. 1939 Eintritt in die VKP(b). Am 07.07.1940 verhaftet. Am 28.11.1940 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer 1
Nač. obozno-veščevogo snabženija 78 rajona aviacionnogo bazirovanija 17 vozdušnoj armii.
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Stalinistische Modernisierung
Bezirks nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 8 Jahren Lagerhaft verurteilt. Amnestiert und am 10.03.1942 in die Rote Armee eingezogen. Im Februar 1944 als vermisst aus der Armee ausgeschieden. Bazilevič, Nikolaj Ivanovič (1909) Geboren im Dorf Buzovka des Rajon Žaškov des Gouvernements Kiew. Einfache bäuerliche Herkunft. Nationalität Ukrainer. Arbeiter. Parteilos. Niedrige Bildung. 1938 Meister der Elektroschweißanlage der Fabrik № 200 von Nikolaev. Am 09.08.1938 verhaftet. Im April 1939 entlassen. Verheiratet. Belov, Ivan Grigor’evič (1897) Geboren im Dorf Černov des heutigen Rajons Lenin des Gebiets Moskau. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Seit 1925 Mitglied der VKP(b). Ab 1919 beim Geheimdienst. Von 1935-1937 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Odessa. Am 22.03.1936 zum Leutnant der Staatssicherheit ernannt. 1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Novo-Troickoe. Auf Anweisung von Karamyšev entlassen. 1940 Leiter der Rajonabteilung von Golaja-Pristan’ des NKVD des Gebiets Nikolaev. Im März 1946 Oberstleutnant und Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Krasno-Perekopsk des UNKVD des Gebiets Krim. Berestovoj, Pavel’ Abramovič (1906) Geboren in Nikolaev. Nationalität Jude. Bäuerlicher Herkunft. Mittlere Bildung. Seit 1930 Mitglied der VKP(b). 1938-1939 Sonderbevollmächtigter der Geheimen politischen Abteilung des UGB NKVD des Gebiets Nikolaev. Berija, Lavrentij Pavlovič (1899-1953) Geboren im Dorf Mercheuli in Abchasien. Nationalität Georgier. Aus einer Kleinbauernfamilie.2 Nicht abgeschlossene höhere Bildung. Seit 1917 Mitglied der VKP(b). Vom 14.01.1931-31.08.1938 Erster Sekretär des ZK der KP(b) von Georgien. Vom 25.11.1938-29.12.1945 Volkskommissar des Inneren der UdSSR. 09.07.1945 Marschall der Sowjetunion. Seit 05.04.1953 Innenminister der UdSSR. Verhaftet am 26.06.1953. Am 23.12.1953 zum Tode verurteilt und erschossen. Boguslavskij, Abram Filipovič (1913) Geboren in Lozovaja-Pavlovka des Rajons Kadievka des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Mitglied der VKP(b). Seit 1938 bei den Organen der VČK-OGPU-NKVD. Im August 1938 zum Unteroffizier der Staatssicherheit ernannt. 1938 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ab September 1944 Leiter einer Unterabteilung der Abteilung für Konterspionage »SMERŠ« der 7. Gardearmee. Major. Ausgezeichnet mit dem Orden »Roter Stern«, dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung und mit der Medaille »Für die Verteidigung Stalingrads« und der Tapferkeitsmedaille.3 2 3
Bednjak. Za otvagu.
Apparat
Boltjanski, Michail Savič (1909-1943) Geboren in Nikolaev. Aus einer Arbeiterfamilie. Angestellter. Abgebrochene mittlere Bildung. Nationalität Jude. Verheiratet. Seit 1937 Mitglied der VKP(b). 1925-1931 angestellt bei der Fabrik »A. Marti« in Nikolaev. 1931-1935 in der Roten Armee gedient. 1935-1937 verantwortlicher Sekretär und Leiter der Spezialabteilung der Städtischen kommunalen Wirtschaftsverwaltung.4 Ab Juni 1938 beim NKVD angestellt. Die Fälschung von Untersuchungsakten trug ihm Ende 1938 einen administrativen Verweis ein, der 15 Tage Gefängnis zur Folge hatte. Dann wurde er nach Odessa versetzt und schließlich aus dem Geheimdienst entlassen und zwar am 9. Mai 1939 im Zuge der intensivierten Nachforschungen wegen der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit. Am 15.05.1940 Einstellung des Verfahrens. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Eingezogen vom Stadt-Militärkommissariat von Nikolaev. Letzte Dienststellung Technik-Intendant zweiten Ranges der 324. Sonderbrigade der Marineinfanterie der Schwarzmeerflotte. Gefallen am 28. März 1943 in Novorossijsk. Bondar’, Dmitrij Anatolevič (1910) Geboren im Dorf Novyj Bug des Rajons Novyj Bug des Gouvernements Cherson. Ukrainer. Parteilos. Bäuerlicher Herkunft. Mittlere Bildung. Seit 1931 ununterbrochen in der Fabrik № 200 tätig. 1938 Leiter eines Teilbereichs des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung zur Herstellung von Schiffrümpfen. Am 03.08.1938 verhaftet. Am 08.04.1939 entlassen. 1941 Techniker in der Fabrik № 200 von Nikolaev. Bressler, Maks Mojseevič. Leiter der Abteilung № 37 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Burdan, Nikolaj (Naum) Aronovič (1910) Geboren in Odessa. Nationalität Jude. Langgedienter Fahndungsbeauftragter des UGB NKVD der Ukrainischen SSR. 1937 Unteroffizier der Staatssicherheit im Apparat des NKVD der Ukrainischen SSR. Im Februar 1942 Unterleutnant der Staatssicherheit. Leiter der 4. Unterabteilung der Sonderabteilung des NKVD der 57. Armee der Südfront. Burmistenko, Michail Alekseevič (1902-1941) Geboren im Dorf Aleksandrovka des Kreises Atakarsk des Gouvernements Saratov. Nationalität Russe. Bäuerlicher Herkunft. Hohe Bildung. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Vom 27.01.193809.09.1941 Zweiter Sekretär des ZK der KP(b) der Ukraine. Vorsitzender des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR. Starb am 09.09.1941 an der Front. Cechanovskij G. I. Meister der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Čerkes, Taras Tichonovič (1906) Geboren im Dorf Cybulevo des Gebiets Kirovograd. Nationalität Ukrainer. Soziale Herkunft Knecht. Niedrige Bildung. Mitglieder der VKP(b) seit 1931. Mitarbeiter für Spezialaufgaben5 der Textilfabrik in Nikolaev. Im März 1938 durch die Partei zur Arbeit für den NKVD mobilisiert. Ab 4 5
Gor. komchoz. Specrabotnik.
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Stalinistische Modernisierung
März 1938 Fahndungsbevollmächtigter der Geheimen politischen Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Im August 1939 Leiter der Spezialabteilung6 des Brottrustes in Nikolaev. Černickij, Vladimir Davidovič (1883) Geboren in Nikolaev. Nationalität Ukrainer. Mittlere technische Bildung. Parteilos. 1940 Techniker in der Telegraphen- und Telefonabteilung der Verwaltung für Kommunikationswesen des Gebiets Nikolaev. Chrapko, Ivan Ermolovič (1862) Nationalität Ukrainer. Geringe Bildung. Arbeiter. Heizer. Ehemaliges Mitglied der Partei der Sozialisten-Maximalisten.7 Dann parteilos. Roter Partisan. Ehemaliger politischer Zwangsarbeiter. Nicht vorbestraft. Keine Auszeichnungen. Čikalov Timofej Ivanovič‘ (1888) Geboren im Dorf Bogojavlenskij des Rajons Cherson des Gouvernements Odessa. Nationalität Ukrainer. Einfache bäuerliche Herkunft. Arbeiter. Niedrige Bildung. Seit 1922 in der VKP(b). Ab 1903 in der Produktion tätig. Im Zuge seiner Verhaftung am 07.08.1938 aus der Partei ausgeschlossen. Im April 1939 entlassen. 1941 Posten als langgedienter Meister in der Fabrik № 200 von Nikolaev. Čuchnov, Il’ja Grigorevič. Čulkov, Matvej Fedorovič (1904) Geboren in einer Arbeiterfamilie. Seit 1930 Mitglied der VKP(b). Eine Abmahnung durch die Partei. Während der Parteisäuberung ausgeschlossen. 1940 langgedienter Meister in der Schiffsbaufabrik № 200 von Nikolaev. Darov, Fedor Ivanovič (1893) Geboren in Juzovki des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Russe. Soziale Herkunft Arbeiter. Seit 1918 Mitglied der VKP(b). Von 1935 bis 1936 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Vinnica. 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Wechsel in den UNKVD von Nikolaev. Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Aleksandria des Gebiets Nikolaev. Am 25.03.1939 aus dem UNKVD des Gebiets Kirovograd entlassen, weil er »ein Verbrechen begangen hat«. Verhaftet. Hatte im Herbst 1938 Schwierigkeiten wegen der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit und wurde wahrscheinlich verurteilt. Möglicher Weise wurde er aber amnestiert und diente in der Roten Armee als Unteroffizier bzw. einfacher Soldat, obwohl das Geburtsdatum in den entsprechenden Akten der Armee abweicht. Demčuk, Elizar Fedorovič (1905) Geboren 1905 im Dorf Dereviči des Rajons Ljubar des Gouvernements Kiew. Geringe Bildung. Soziale Herkunft von armen Bauern. 1928 Mitglied der VKP(b). Dienst in der Roten Armee. Ab 1929 beim Geheimdienst. Zuerst einfacher Sachbearbeiter in der Bezirksabteilung der GPU von Nežin und Černigov. Dann von 1930 bis 1933 Bote und Leiter der Poststelle 6 7
Specčast’. Ėsery-maksimalisty.
Apparat
des operativen Sektors der GPU von Ovruč und Olevsk. 1933 erfolgte der Wechsel zur operativen Arbeit in der Stellung eines hauptamtlichen8 Assistenten des Fahndungsbevollmächtigten des Rajonapparats der GPU von Gel’mjazov. Von 1933 bis 1937 in der Politabteilung der Sowchosen »Rekonstrukcija« (Rekonstruktion) und »Progress« (Fortschritt). 02.1937-04.1938 Assistent des Fahndungsbevollmächtigten der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk. 1939 Fahndungsbevollmächtigter der 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Kirovograd. Am 07.05.1939 aus dem NKVD entlassen. Leiter des Dorfsowjets von Bratoljubovka des Rajons Dolinsk des Gebiets Kirovograd. Am 27.07.1939 verhaftet. Am 16.11.1939 verurteilt durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach Paragraph 206-17, Punkt »a« des Strafgestetzbuchs der Ukrainischen SSR zu 8 Jahren Lagerhaft. Derevjančenko, Dmitrij Chirsanovič (1902) Geboren in der Stadt Makeevka des Gebiets Doneck. Nationalität Ukrainer. Hohe Bildung. Mitglied der VKP(b) seit 1923. 1937-1938 Zweiter Sekretär des Gebietskomitees von Nikolaev der KP(b) der Ukraine. 1938 aus der VKP(b) wegen Doppelzüngigkeit ausgeschlossen. Am 20.07.1938 verhaftet und angeklagt nach § 54-7, 54-10, Teil 1, 54-11 des Strafgesetzbuchs der Ukrainischen SSR. Am 04.04.1939 an ein Gericht übergeben und zwar auf der Grundlage von § 54-10, Teil 1, 54-7, 54-11 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR. Einstellung des Verfahrens wegen fehlendem Beweismaterials auf der Grundlage von § 97 des Strafgesetzbuchs der Ukrainischen SSR. Am 11.04.1939 auf der Grundlage von § 5 aus der Haft entlassen. Drutman, Il’ja Aronovič (1908) Geboren in Nikolaev. Nationalität Jude. Herkunft aus einer Arbeiterfamilie. Im Kinderheim aufgewachsen. Des Lesens und Schreibens kundig. Seit 1929 Mitglied der VKP(b). 1940 Leiter der Kinoreparaturwerkstatt des Trusts für die Ausstattung des Gebiets Nikolaev mit Kinos. Dubravin, Andrej Petrovič. Ingenieur und Schiffsbauleiter des Projekts № 7-u der Fabrik № 200 von Nikolaev. Dudin, Michail Petrovič (1894) Mitglied der VKP(b) seit 1921. Vor der Verhaftung und nach seiner Freilassung stellvertretender Leiter der Produktionswerkstatt der Fabrik »Marti« von Nikolaev. Efremov, Konstantin Ivanovič (1904) Nationalität Russe. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Im März 1936 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Odessa. Langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Vor der Versetzung nach Nikolaev Leiter der Rajonabteilung von Bobrinec des Gebiets Nikolaev. Ab ca. Sommer 1938 Leiter der 11. Abteilung des NKVD von Nikolaev. Ab ca. Ende 1938 Assistent des Direktors der Fabrik »Marti« (№ 198) von Nikolaev. Hier in der Personalabteilung tätig. Während des »Großen Vaterländischen Krieges« Mitarbeiter des UNKGB des Gebiets Sverdlovsk. Ausgezeichnet mit dem Ehrenabzeichen 8
Sverchštatnyj.
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Stalinistische Modernisierung
»Verdienter Mitarbeiter der VČK-GPU« und dem »Rotbannerorden« und dem »Lenin-Orden«. Ėl’zon, David Zel’manovič (1908) Geboren in Kazatina des Kreises Berdičev des Gouvernements Kiew. Nationalität Jude. Mitglied der VKP(b). Bis 09.09.1937 Assistent des Fahndungsbevollmächtigten der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Odessa. 13.05.1937 Unterleutnant der Staatssicherheit. 1939 stellvertretender Leiter der 1. Unterabteilung der 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1940 in die West-Ukraine abkommandiert. Hat an der südwestlichen Front, im Nordkaukasus, an der 1. Ukrainischen und der 1. Weißrussischen Front am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ab März 1945 stellvertretender Leiter der Abteilung für Konterspionage »SMERŠ« der 260. Schützendivision der 47. Armee. Hauptmann. Ausgezeichnet mit dem »Orden des Vaterländischer Krieg« 2. Ordnung. Ežov, Nikolaj Ivanovič (1895-1940) Geboren in Sankt-Peterburg. Russe. Niedrige Bildung. Mitglied der VKP(b) seit 1917. 01.02.1935-21.03.1939 Sekretär des ZK der VKP(b). 28.02.1935-21.03.1939 Vorsitzender der Parteikontrollkommission beim ZK der VKP(b). 29.09.1936-25.11.1938 Volkskommissar des Inneren der UdSSR. Ab 28.01.1937 Hauptkommissar9 der Staatssicherheit. Am 17.07.1937 mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet. Vom 12.10.1937-21.03.1939 Kandidat zum Mitglied des Politbüros des ZK der VKP(b). Ab 08.04.1938-21.03.1939 Volkskommissar für Wassertransportwesen der UdSSR. Am 10.04.1939 verhaftet. Am 04.02.1940 zum Tode verurteilt. Am 06.02.1940 erschossen. Ausführlich, vgl.: Pavljukov, A., Ežov. Biografija, Moskau 2007; Petrov, N./Jansen, M, »Stalinskij pitomec«. Nikolaj Ežov, Moskau 2008. Fedjaev, Ivan Fedorovič (1904) Geboren im Dorf Berezuevo im Rajon Jarcevo des Gouvernements Smolensk. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. 1911-1916 Schulbildung. Dann eine zwei Kurse dauernde Ausbildung am AutomobilTechnikum abgebrochen. Danach arbeitete er drei Jahre in einer Industrieweberei und anschließend vier Jahre als Fahnder bei der Miliz der Städte Melitopol’, Sirоhozy, Džankoe und Zaporož’e in der Ukraine. 1931 für 10 Monate als Inspektor der Kontrollkommission der Arbeiter und Bauerninspektion von Dnepr’-Bau10 und als Vorsitzender [der Kommission] zur Säuberung des sowjetischen Apparats tätig. Gleichzeitig schloss er eine Ausbildung als Fahnder ab. Vom 08.10.1931-25.12.1932 Studium am Automobil Technikum von Zaporož’e. Ab 1932 beim Geheimdienst. Vom 27.10.1937-04.1938 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Unterabteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. Im April 1938 aus dem NKVD entlassen. Ab April 1938 Wechsel in die Spezialgruppe Industriegewerkschaften von Nikolaev. Hier überwachte er bis Ende August 9 10
General’nyj kommissar. Dneprostroj.
Apparat
1938 als Leiter dieser Spezialgruppe die Kaderpolitik der Gewerkschaften. Ab 01.091938 bis zu seiner Verhaftung im Dezember 1939 stellvertretender Direktor der Verwaltung der Wirtschaftsabteilung des Staatlichen Pädagogischen Instituts von Cherson. 1931 Eintritt in die VKP(b). Unteroffizier des Staatssicherheitsdienstes. Verheiratet, zwei Kinder. Am 08.12.1939 verhaftet. Am 28.11.1940 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206-17 Punkt »b« UK USSR zum Tode verurteilt. Fedorovskij, Aron Judkovič (Adolfovič) (1902) Geboren in der Stadt Radomysl’ des Gouvernements Kiew. Geboren in einer Angestelltenfamilie. Herkunftsfamilie Kleinhändler. Jude. Niedrige Bildung. Seit 1929 Mitglied der VKP(b). 1919-1920 Sachbearbeiter der Verwaltung des Komitees für Nahrungsmittel11 von Radomysl’. 1920-1922 Sachbearbeiter der Agentur für Versorgung des Militärs mit Nahrungsmitteln des Kreises.12 Mitarbeiter des Geheimdienstes seit 1922-1924 und mit kurzer Unterbrechung ab 1925. In der Roten Armee von 1924-1925. 19351938 Fahndungsbeauftragter der Unterabteilung für Transportwesen der 4. Abteilung UGB UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk, dann Leiter der 4. Abteilung desselben Gebiets. 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Hat im UNKVD des Gebiets Nikolaev gearbeitet. Ab Juni 1938 Assistent des Leiters der 3. Unterabteilung der 4. Abteilung des UGB. Ab August 1938 Leiter der 3. Abteilung des UGB, ab März 1939 Interims-Leiter der 1. Unterabteilung der ĖKO. einer Unterabteilung der ĖKO. Dann bis zum 22.10.1940 Leiter der 5. Unterabteilung der ĖKO des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Danach Entlassen wegen »Nichtverwendbarkeit für die Arbeit in der Hauptverwaltung für Staatssicherheit«. Fedotov, Aleksandr Pavlovič (1913) Geboren in Kadievki Gebiet Lugansk. Nationalität Russe. Mittlere Bildung. Seit 1938 Mitglied der VKP(b). Seit März 1938 Mitarbeiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 23.08.1938 Unteroffizier der Staatssicherheit. 1939 stellvertretender Leiter der 1. Unterabteilung, dann Leiter der 2. Unterabteilung der ökonomischen Abteilung (ĖKO). Arbeitete Anfang 1941 als stellvertretender Leiter der ĖKO des UNKVD des Gеbiets Nikolaev. Fejdin, Michail Lazarevič (1938) Meister der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Fich, Mojsej Lejbovič (1894) Nationalität Jude. Buchhalter des Handels und Produktionskontors des NKVD. Von der Trojka des Gebiets Nikolaev am 09.12.1937 zu 10 Jahren Haft verurteilt. Fišer, Iosif Borisovič (1896) Geboren in Dorf Trostjanec im Gouvernement Kamenec-Podol’skij. Vater Kleinhändler. Nationalität Jude. Seit 1925 in der 11 12
Uprodkom Uezdvoenprodsnab.
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Stalinistische Modernisierung
VKP(b). 1918 kurz in der Roten Armee. 03.1918-02.1919 in einem privaten Holzlager in Odessa angestellt. 03.1919 erste Kontakte zum Geheimdienst. 09.191906.1920 in der Roten Armee. Ab 06.1920 im Geheimdienst der Ukraine in verschieden Gebieten. 1933-1934 Leiter der 8. Unterabteilung der OO GPU der Ukrainischen SSR. 1934-05.06.1934 Leiter der 7. Unterabteilung der OO GPU der Ukrainischen SSR. 05.06.1934-1936 Leiter der 3. Unterabteilung der OO GPU Ukrainischen SSR. 1936-11.1936 Leiter der 10. Unterabteilung der Ökonomischen Abteilung (ĖKO) UGB NKVD Ukrainischen SSR. 03.01.1937-04.08.1937 Leiter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Vinnica. 04.08.193701.10.1937 Leiter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Char’kov. 01.10.1937-03.03.1938 Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 06.1938-09.1938 stellvertretender Leiter des Bautrust (Stroitel’stvo) № 203 des NKVD in der Stadt Molotovsk. 23.10.1938-07.1939 stellvertretender Leiter der Verwaltung des Arbeitsbesserungslagers »Vjatlag« des NKVD. Am 14.09.1939 aus dem NKVD entlassen. 07.1939-01.1940 Pensionär. 10.1939-01.1940 Leiter der kommunalen Wohnungsverwaltung der Verwaltung der Schiffsreederei von Černamorsk 01.1940-04.1941 Prüfer der Verwaltung des Volkskommissariats für Justiz der Ukrainischen SSR. 04.1941-07.1941 Stellvertreter der juristischen Beratung von Odessa. Ab 07.1941-1948 wieder bei den Organen des Geheimdienstes. 02.194810.1950 Stellvertreter der juristischen Beratung von Odessa. 10.1950–? Advokat bei der juristischen Beratung von Odessa. 1958 vom Gebietskomitee der KP der Ukraine des Gebiets Odessa aus der Partei ausgeschlossen. Niedrige Bildung, dann Abendkursе. 1952 juristischer Abschluss an der Universität Odessa. 08.01.1936 Leutnant der Staatssicherheit. 17.11.1937 Hauptmann der Staatssicherheit. 11.02.1943 Oberstleutnant der Staatssicherheit. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 563-565; Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 424. Fomin, Leonid Pavlovič (1906) Geboren im Dorf Blagodatnoe des Rajons Cherson des Gouvernements Odessa. Bäuerlicher Herkunft (Mittelbauer). Nationalität Ukrainer. Seit 1931 in der VKP(b). Angestellter. Seit 1925 in der Produktion tätig. Seit 1929 in der Fabrik № 200 von Nikolaev. Vorher in der Fabrik № 198 von Nikolaev. Begann als Schiffsbauzeichner und arbeitet sich zum Leiter der Produktionswerkstatt hoch. Von 1933-1936 Militärdienst bei der Militärflotte. Hohe technische Bildung. Verhaftet am 19.07.1938. Im Zuge seiner Verhaftung aus Partei ausgeschlossen. Entlassen am 08.04.1939. Arbeitete nach 1940 wieder als Leiter der Produktionswerkstatt der Fabrik № 200 von Nikolaev. Seit 1933 in dieser Position. Verheiratet. Frinovskij, Michail Petrovič (1898-1940) Geboren in der Stadt Narovčat des Gouvernements Penza. Nationalität Russe. Soziale Herkunft Angestellter. Niedrige Bildung. Seit 1918 Mitglied der VKP(b). Seit 1919 bei den Organen der VČK-
Apparat
OGPU-NKVD. 11.07.1934-15.04.1937 Leiter der Hauptverwaltung des Grenzund inneren Schutzes des NKVD der UdSSR. 29.11.1935 Kommandeur eines Armeekorps. 16.10.1936-15.04.1937 stellvertretender Volkskommissar des Inneren der UdSSR. 15.04.1937-08.09.1938 erster Stellvertreter des Volkskommissars des Inneren der UdSSR. Ab 08.09.1938 Volkskommissar der militärischen Meeresschifffahrtsflotte der UdSSR. 14.09.1938 Kommandeur der Armee 1. Ranges. Verhaftet am 06.04.1939. Am 04.02.1940 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zum Tode verurteilt. Am 08.02.1940 erschossen. Ausführlich, vgl.: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 425-426. Gajdt, Stefan Iosifovič (1899) Geboren in Nikolaev. Nationalität Ukrainer. Aus einer Arbeiterfamilie. 1913-1918 Malergehilfe und Schlossergehilfe. 1919-1923 bei der Kavallerie in der Roten Armee. 1924 Leiter der Wachabteilung der Finanzabteilung der Stadt Priluchi. 1924-1927 Schaffner des Straßenbahndepots von Nikolaev. 1927-1930 Schlosser in der Fabrik »Marti« in Nikolaev. 1930-1934 Assistent des Leiters der Stadtabteilung für Kommunikationswesen von Nikolaev, 1934-1936 dann ihr Leiter. 1937 Bevollmächtigter des Komitees für Beschaffung der GPK der Stadt Nikolaev. 1937-1938 Leiter der Verwaltung für Kommunikationswesen des Gebiets Nikolaev. Seit 1925 Mitglied der VKP(b). Mitglied der Gewerkschaft seit 1917. Verhaftet. Vom 21.04.1938-16.03.1939 in Untersuchungshaft. Fall eingestellt. 1940 Leiter der Genossenschaft des Industriekombinats von Nikolaev. Gajduk, Aleksandr Arsent’evič (1913) Nationalität Ukrainer. Geboren im Gouvernement Cherson. Mitglied der VKP(b). Wahrscheinlich erst 1938 zum NKVD gekommen. August 1938 Unterleutnant der Staatssicherheit. Stieg jedoch schon 1939 zum Leiter der 3. Abteilung der Gebietsstruktur des NKVD von Kirovograd auf. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Mai 1943 Hauptmann der Staatssicherheit. Langedienter Mitarbeiter der Abteilung für Konterspionage der »SMERŠ« des 23. Panzer-Korps der Front von Voronež. Am 04.10.1942 mit der Tapferkeitsmedaille, am 22.05.1943 mit dem Orden »Roter Stern«, am 20.11.1943 mit dem »Orden des Großen Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung und am 08.08.1945 mit dem »Orden des Großen Vaterländischen Kriege« 1. Ordnung ausgezeichnet. Gankin, Isaak Michajlovič. Ehemaliger Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Garbuzov, Michail Vasil’evič (1909) Geboren bei der Eisenbahnstation Derjugino im Gouvernement Kursk. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Dreieinhalb Jahre in der Produktion gearbeitet. 1931 Eintritt in die VKP(b). Ab 1932 für den Geheimdienst tätig. Von 1932-1933 Beauftragter der Stadtabteilung der GPU von Kramatorsk des Gebiets Doneck. Von 1933-1937 Leiter der Rajonabteilung der GPU-NKVD von Starobeševo des Gebiets Doneck. 22.03.1936 Unterleutnant der Staatssicherheit. Ab 07.04.1937 Leiter der Rajonabteilung des NKVD
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von Petro-Mar’inka des Gebiets Doneck. Ab 07.04.1938 Leiter der 4. Unterabteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 15.08.1938-10.03.1940 stellvertretender Leiter der Geheimen politischen Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 10.03.1940 aus dem NKVD entlassen. Am 07.05.1940 verhaftet. Am 23.03.1941 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206, Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 8 Jahren Lagerhaft verurteilt. Unteroffizier der Staatssicherheit. 14.08.1938 Abzeichens eines »Ehrenhaften Tschekisten« (XV). Verheiratet. Ein Kind. Ausführlich, vgl.: Zolotarev, V./Stepkin, V., ČK-GPU-NKVD v Donbasse 1919-1941, Doneck 2010, S. 133-134. Gavrilov, Aleksandr Epifanovič (1906) Mitglied der VKP(b) seit 1925. Bis zur Verhaftung stellvertretender Leiter einer Abteilung des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung für den Bau von Schiffsrümpfen der Fabrik № 200. Am 10.04.1939 entlassen. 1940 in der Gebietsverwaltung für Landwirtschaft des Gebietes Nikolaev. Gerd. Vgl. Nikolaevskij, F. F. Gladkov Leonid Michajlovič (1901) Geboren in Nikolaev. Bäuerlicher Herkunft, Mittelbauer. Ukrainer. Angestellter. VKP(b) seit 1923. Am 19.01.1938 aus der Partei ausgeschlossen. Wieder in die Partei aufgenommen. Im Zuge seiner Verhaftung wieder aus der Partei ausgeschlossen. Dreher. Hohe Bildung. Arbeitete in der Fabrik № 200 in Nikolaev seit 1915-1932. Von 1932-1935 Ausbildung am Schiffsbauinstitut. Abschluss 1935. Ab 1937 wieder Arbeit in der Fabrik № 200 erst als Assistent des Leiters, dann als stellvertretender Leiter der Holzbau Werkstatt des Produktionsbereichs der zentralen Werksabteilung.13 Am 28.06.1938 verhaftet und am 09.04.1939 wieder entlassen. 1940 Assistent des Werkstattleiters der Fabrik № 200. Verheiratet. Glušakov, Grigorij Semenovič (1899) Geboren im Dorf Chotimska von Weißrussland. Nationalität Weißrusse. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Die Eltern waren arme Bauern. Brigadier einer Kolchose. 1937 Vorsitzender des Dorfrates von Katovka der Region Dolinsk des Gebiets Kirovograd. Gončarov, Grigorij L’vovič. 1936-1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Skadovsk des Gebiets Odessa, dann Gebiet Nikolaev. Leutnant der Staatssicherheit am 22.03.1936. Ab Mai 1938 Assistent des Leiters des UNKVD des Gebiets Nikolaev für die Abteilungen, die nicht der Verwaltung der Staatsicherheit zugehörig waren. Am 23.08.1938 Ernennung zum langedienten Leutnant der Staatssicherheit. Am 08.07.1939 aus dem NKVD entlassen und von der Reserveliste gestrichen. 1940 Assistent des Leiters der Verwaltung der Staatlichen Bank14 für Inkasso-Verfahren. 13 14
Obrabotočnyj učastok cecha. Gosbank.
Apparat
Gončarov, Pavel Afanes’evič (1906) Nationalität Ukrainer. Vater Arbeiter. Seit 1928 bei der Miliz. Seit 1936 in der Verwaltung für Staatssicherheit. 1937-1938 Sekretär der Rajonabteilung von Dolinsk des Gebiets Nikolaev. Seit 1939 Kandidat zum Mitglied der VKP(b). Nicht vorbestraft. Gordienko, Michail Nikolaevič (1906) Geboren im Dorf Krasnogrigor’evka des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Ukrainer. Parteimitglied. Hohe Bildung. 1933 das Schiffsbauinstitut von Nikolaev abgeschlossen. Von März 1938 bis Januar 1941 in der Fabrik № 200 von Nikolaev als langgedienter Ingenieur in der 6. Abteilung. Seit 1928 Mitglied der VKP(b). Gorin (Gol’denberg) Fedor Michajlovič (1897) Geboren in Simferopol. Nationalität Jude. Soziale Herkunft Arbeiter. Seit 1930 Mitglieder der VKP(b). Seit 1919 in den Organen der VČK-OGPU-NKVD. Bis zum 16.12.1936 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Nikopol’ des Gebiet Dnepropetrovsk. Seit 22.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Ab 16.12.1936 Assistent des Leiters der Kaderabteilung des UNKVD des Gebiets Doneck. Ab 26.01.1938 Interims-Leiter der Kaderabteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Verhaftet im Sommer 1938 und wieder freigelassen wegen »Mangel an Beweisen«. Gorlinskij, Nikolaj Dmitrievič (1907-1965) Geboren in Achtyrki des Kreises Sumy des Gouvernement Char’kov. Nationalität Ukrainer. Niedrige Bildung. Soziale Herkunft Arbeiter. Sein Vater arbeitete schließlich in einer Schiffbaufabrik. Mit 11 Jahren die Mittelschule abgebrochen. Arbeit als Hirt. Dann Lehrling in einer Schuhmacherei als Postbote der Buchhaltung. Ab 04.1920, mit 13 Jahren, Sachbearbeiter, dann Registrator bei der Tscheka in den Kreis- und Rajonapparaten des Gebiets Sumy der Ukraine. Ab 05.1930 Wechsel zur operativen Arbeit in den Rajonabteilung der OGPU von Konotap und Sumy. Seit 1931 in der VKP(b). 03.1932 zentrale Schule der OGPU in Moskau. Danach, ab 03.1932, Leiter einer Unterabteilung im UNKVD des Gebiets Char’kov und des Gebiets Černigov. 1938 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung des GUGB NKVD der UdSSR in Moskau. Seit 12.1938 zweiter stellvertretender Volkskommissar für Inneres der Ukrainischen SSR. Ab 08.1940 Wechsel in den zentralen Apparat des NKVD. Später Übernahme hoher Posten in verschiedenen Gebietsapparaten des NKVD. 1945 Ernennung zum Generalleutnant. Am 29.08.1951 im Zusammenhang mit dem Fall V. S. Abakumovs seiner Posten wegen »Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« enthoben und in das Lagersystem des NKVD versetzt. Nach Stalins Tod von L. P. Berija wieder in den zentralen Apparat zurückgeholt. Ab 03.1953 Leitung der 5. (ökonomischen) Verwaltung des MVD der UdSSR. Im Zuge des Falls Berijas am 28.07.1954 aus dem KGB entlassen. Des Amtsmissbrauchs, Veruntreuung, der Organisation der »Leningrader Affäre« und »der groben Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit« beschuldigt. Verlor am 23.11.1954 seine militärischen Auszeichnungen. 1956 Ausschluss aus der Partei. Ab Ende 1954-1957 stellvertretender Leiter der Bau- und Monta-
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geverwaltung des Ministeriums für mittleren Maschinenbau der UdSSR. 1957 pensioniert. Ende 1964 Wiederanerkennung seiner militärischen Bezeichnungen. Ausführlich, vgl.: Petrov, N. V., Kto rukovodil organami gosbezopasnosti. 1941-1954. Spravočnik, Moskau 2010, S. 301-303. Gorodinskij, Aleksandr Ivanovič (1891-16.03.1938) Geboren in Žitomir. Nationalität Pole. Ehemaliger Offizier in der zaristischen Armee. Militärangehöriger der Roten Armee. Leiter der Werkstätten der 15. Luftbrigarde in Kirovo. Leiter der Reparaturwerkstatt von Motoren und Flugzeugen. Im Oktober 1937 von der Sonderabteilung der 15. Luftbrigarde wegen konterrevolutionärer Sabotagetätigkeit verhaftet. Während der Untersuchungshaft zu Tode gekommen. Gotovcev, Leonid Trofimovič (1903) Geboren im Dorf Ryžanovka des Amtsbezirks Zvenigorod des Gouvernements Kiew. Seit 1931 in der VKP(b). Seit 1921 in den Organen der VČK-OGPU-NKVD. Ab 1935 Fahndungsbevollmächtigter der Sonderabteilung des UGB NKVD der USSR. 08.01.1936 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Ab 1937 Assistent des Leiters der 1. Unterabteilung der 3. Abteilung UGB NKVD USSR. Ab 02.09.1937 stellvertretender Leiter der deutschen Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. 20.04.1938-15.06.1939 stellvertretender Leiter der 3. Abteilung des UGB NKVD UNKVD des Gebiets Nikolaev. Seit 1938 faktisch Leiter der Abteilung, da der Posten des Leiters unbesetzt war. 15.06.1939-12.04.1941 Leiter der 3. Abteilung des UGB NKVD UNKVD des Gebiets Nikolaev. 22.09.1939-12.04.1941 stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Ab 12.04.1941 stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev (nach der Aufteilung des UNKVD in UNKGB und UNKVD). Am 10.09.1941 verhaftet. Am 29.07.1942 verurteilt durch die Sonderversammlung beim NKVD der UdSSR nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR wegen »unerlaubter Entfernung vom Dienst« zu 10 Monaten Haft unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Am 03.09.1942 entlassen. Am 07.10.1942 wandte er sich an den stellvertretenden Volkskommissar für Inneres der UdSSR B. P. Obručnikov mit der Bitte wieder beim NKVD arbeiten zu dürfen, woraufhin er in der Verwaltung für Arbeitsbesserungslager (UITL) des NKVD der ASSR Tatarstan angestellt wurde. Am 13.08.1943 erst zum InterimsLeiter der 1. Unterabteilung »A« der 2. Abteilung und dann zum stellvertretenden Leiter der 2. Abteilung des NKGB der ASSR Tatarstan aufgestiegen. Zum Major der Staatssicherheit ernannt. Am 24.05.1944 setzte sich der Volkskommissar der ASSR Tatarstan A. F. Ručkin beim Volkskommissar der UdSSR V. N. Merkulov dafür ein, die eingetragene Vorstrafe zu löschen und ihn als stellvertretenden Leiter der 2. Abteilung des NKGB der ASSR Tatarstan zu bestätigen. Am 15.07.1944 erfolgte auf Beschluss der Sonderversammlung beim Volkskommissar für innere Angelegenheiten der UdSSR die Löschung und die vollständige Rehabilitierung. Dann zum Leutnant der Staatsicherheit ernannt. Ab 1951 Leiter der Abteilung zur Bekämpfung der Unterschlagung von sozialistischem Eigentum
Apparat
(OBChSS) der Verwaltung der Miliz des MVD der USSR. Ab 1956 in Pension. Oberst. Ausgezeichnet mit dem »Lenin-Orden«. Zweimal mit dem »Rotbannerorden« (einmal davon im Januar 1945). Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 454-455; Kolomijec’, V. O. (Uporjadn.), Sosni zamist’ obelyskiv. Bilocerkivs’kyj martyrolog, Bila Cerkva 2015, S. 73; Protokol doprosa byvšego sotrudnika Osobogo otdela NKVD USSR L. Gotovceva v Voennoj prokurature KVO o ego pričastnosti k rassledovaniju del »NSNU« 3 dekabrja 1955 g., in: Rublev, A. (Sost.)/Ajsfel’d, A. (Redaktor), Delo »Nacional’nogo sojuza nemcev na Ukraine« 1935-1937 gg. Dokumenty i materialy, Kiew 2016, S. 496-508. Gudimov, Kuprijan Ipatovič. Heckert, Fritz (1884-1936) Deutscher Kommunist. Jakimenko, Aleksej Gavrilovič. Ehemaliger Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Im August 1938 zum Unteroffizier der Staatssicherheit ernannt. Jakuškin, Sеrgej Dmitrievič. 1939 langgedienter Meister der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Jurčenko, Ivan Timofeevič (1903-1971) Geboren im Dorf Avgustinovka des Gouvernements Ekaterinoslavl’. Nationalität Ukrainer. Aus einer Familie von Kleinbauern. Hohe Bildung. Mitglied der VKP(b) seit 1928. Von 09.1937-01.1939 Erster Sekretär des Rajonkomitees von Bazar des Gebiets Kiew dann Žitomir. 15.01.1939-10.1940 Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 21.02.1939 Hauptmann der Staatssicherheit. 18.10.1940 in die Reserve entlassen. Im 2. Weltkrieg in den Sonderabteilungen des NKVD und der Abteilung für Konterspionage »SMERŠ«. 11.02.1943 Oberstleutnant der Staatsicherheit. Ausführlich, vgl.: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 458. Kalinin, Nikolaj Vladimirovič (1903) Geboren in Kiew. Nationalität Ukrainer. Nicht abgeschlossene mittlere Bildung. Seit 1924 Mitglied der VKP(b). Von 1920-1923 bei der Roten Flotte von Černomorsk in der Ukraine. 1940 Leiter der Materialsektion der Werkstatt № 34 der Fabrik № 198 von Nikolaev. Kaljužnyj, Denis Ivanovič (1910) Geboren im Dorf Glodosy des Rajon Chmelevoe des Gebiets Kirovograd. Nationalität Ukrainer (nach anderen Angaben Russe). Seit 1932 Mitglied der VKP(b). Von 1923-1936 bei der Roten Armee. Seit 1938 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 22.07.1939 Unteroffiziers der Staatssicherheit. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. 1942-1943 stellvertretender Leiter, dann Leiter der Sonderabteilung der 31. Ausbildungsschützenbrigade der 3. Stoßarmee. Leutnant für Staatssicherheit. 1943 Major für Staatssicherheit. Ausgezeichnet mit der Medaille »Für Großtaten
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beim Kampfeinsatz«15 und dem »Rotbannerorden« und 1945 mit dem »Orden des Großen Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung. Kaljužnyj, Solomon Davidovič (1903-1943) Geboren in Pavlograd des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Soziale Herkunft Angestellter. Seit 1928 Mitglieder der VKP(b). In den Organen der GPU-NKVD seit 1930. 1932-1937 im UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk. 23.03.1936 Unterleutnant der Staatssicherheit. Bis zum 10.07.1938 Assistent des Leiters einer Unterabteilung, dann Leiter der 1. Unterabteilung der 4. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) der 1. Verwaltung des NKVD der USSR. 23.08.1938 Leutnant der Staatsicherheit. 14.08.1938 ausgezeichnet mit dem »Abzeichen eines verdienten Mitarbeiters der VČK-GPU-NKVD (XV)«. 1939-1940 stellvertretender Leiter der Untersuchungsabteilung des NKVD. 01.07.1939 langgedienter Leutnant der Staatsicherheit. Ab 1940 stellvertretender Leiter der 2. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) des UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk. 05.02.1941 verhaftet und der Verletzung der sozialistischen Gesetzlichkeit angeklagt. 01.07.1941 Einstellung des Verfahrens. Entlassen. Karamyšev, Petr Vasil’evič (1905-1941) Geboren in Ekaterinburg, Gouvernement Penza in einer einfachen Bauernfamilie. Nationalität Russe. Abgebrochene mittlere Bildung. Ab 1922 Mitglied des Komsomol. Seit 1928 Mitglied der VKP(b). Ab 1928 bei der GPU. Ab 01.01.1933 Assistent des Leiters der Politischen Abteilung der GPU der MTS von Bandurka des Rajons Arbuzinka des Gebiets Odessa. Versetzt erst in die Gebietsverwaltung des NKVD von Odessa, dann in die »Geheime politische Abteilung« des UNKVD des Gebiets Leningrad. Hier ab 22.01.1935 Bevollmächtigter und ab 01.08.1935 Fahndungsbevollmächtigter der 7. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung«. Ab 01.11.1936 Assistent des Leiters der 1. Unterabteilung der Geheimen politischen Abteilung und ab 01.05.1937 Leiter der 5. Unterabteilung der 4. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) des UNKVD des Gebiets Leningrad. Ab 01.08.1937 Assistent des Leiters der 4. Abteilung des UNKVD des Gebiets Leningrad. 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Vom 07.10.1937 stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Rjazan. Vom 03.03.1938-15.01.1939 Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 07.10.1937 Hauptmann der Staatssicherheit. 1938 Mitglied im Gebietskomitee der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev. 1938 Deputierter des Obersten Sowjet der Ukraine. Verhaftet am 04.08.1939. Am 23.03.1941 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206, Punkt »b« des UK USSR zum Tode verurteilt. Vermutlich im Mai 1941 erschossen, nachdem auch das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR jegliche Einsprüche zurückgewiesen hatte. 25.06.1937 »Lenin-Orden«. Verheiratet, eine Tochter. Ausführlich, vgl.: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 222; Šapoval, Ju. I./Pristajko, 15
Za boevye zaslugi.
Apparat
V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 483. Karpenko, Grigorij Antonovič (1893) Geboren im Dorf Dobrovol’skoe des Gouvernements Char’kov. Mitglied der VKP(b) seit 1919. Ab 10.04.1940 langgedienter Assistent des Staatsanwaltes des Gebiets Nikolaev für Spezialfälle. Katkov, Pavel Ivanovič (1899) Geboren in der Stadt Kasimov des Gouvernements Rjazan. Nationalität Russe. Mittlere Bildung. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Seit 1920 bei den Organen der VČK-GPU-NKVD. Bis zum 23.02.1936 Leiter einer Unterabteilung der ĖKO UNKVD des Gebiets Char’kov. Seit 23.02.1936 Leiter des operativen Punktes der Transportabteilung des UNKVD des Gebiets Char’kov. Ab 11.05.1937 Leiter einer Unterabteilung der 4. Abteilung des UNKVD des Gebiets Char’kov. 23.02.1936 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Ab 22.08.1937 Leiter der Sonderabteilung des NKVD der 15. mechanisierten Brigade von Šepetovka, dann Leiter der 11. Unterabteilung, der Abteilung für Wassertransportwesen der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. 19.05.193825.04.1939 Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. Gleichzeitig bis 11.1938 Leiter der rajonübergreifenden operativen Gruppe, die außer Cherson noch 13 Rajons umfasste. Leiter der Ökonomischen Abteilung (ĖKO) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 14.08.1938 ausgezeichnet mit dem Abzeichen eines Ehrenwerten Tschekisten16 der Organe des NKVD. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ausgezeichnet mit dem Orden »Roter Stern«, dem »Rotbannerorden« und dem »Lenin-Orden«. 1945 Oberstleutnant. Mitarbeiter des UNKGB des Gebiets Nikolaev. Kazin, Nikolaj Alekseevič (1910-1991) Geboren im Dorf Stariči des Gouvernements Tula. Russe. Aus einer Familie eines reichen Bauern. Nicht abgeschlossene mittlere Bildung. Mitglied der VKP(b) seit 1931. In den Organen der GPU-NKVD seit 1933. 1936-1937 Fahndungsbevollmächtigter der Rajonabteilung des NKVD von Charcyzsk des Gebiets Doneck. 23.08.1938 Unterleutnant der Staatsicherheit. Ausgezeichnet mit dem »Abzeichen eines ehrenwerten Tschekisten«.17 Ab 31.08.1937 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung des UGB NKVD USSR. 10.07.1938-1939 Leiter einer Unterabteilung der Geheimen politischen Abteilung des NKVD der USSR. 23.08.1938 Leutnant der Staatssicherheit. Am 14.08.1938 ausgezeichnet mit dem »Abzeichen eines ehrenwerten Mitarbeiters der VČK-GPU« (XV). 1939-1940 stellverstretender Leiter der Untersuchungsabteilung des NKVD der USSR. 26.04.1940 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. 26.04.1940 ausgezeichnet mit dem »Ehrenabzeichen«.18 Ab 13.01.1941 16 17 18
Značek početnogo čekista. Znak početa.
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Stalinistische Modernisierung
Leiter der Untersuchungsabteilung des NKVD der USSR. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 480; Zolotarev, V./Stepkin, V., ČK-GPU-NKVD v Donbasse 1919-1941, Doneck 2010, S. 191-192; Tračuk, O., »My ne šli v ataku s krikami: ›Za Stalina!‹ Eto bylo by nelepo v tylu vraga…«, in: Fakty, Kiew, 05.10.2008; Skrypnik, A., Za golovu »polkovnika Kalinovskogo« fašisty poobeščali 50 tysjač rejchsmarok i 20 gektarov zemli, in: Fakty, Kiew, 12.10.2010. Kireev, Pavel Nikolaevič (1914) Geboren in Lugansk. Russe. Soziale Herkunft Arbeiter. Mittlere Bildung. Kandidat zum Mitglied der VKP(b). 1934-1937 in der Roten Armee gedient. 1938 Mitarbeiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Ab Juli 1939 Leiter der dritten Unterabteilung für Transportwesen des Gebiets Nikolaev. Unterleutnant der Staatssicherheit. Im »Großen Vaterländischen Krieg« bis zum Garde-Hauptmann aufgestiegen. War 1985 noch am Leben. Kobcev, Danil Filippovič (1899) VKP(b) seit 1930. Mai bis Juli 1938 Zweiter Sekretär des Stadtsowjets von Nikolaev der KP(b) der Ukraine. Am 24.07.1938 unter dem Vorwurf des Trotzkismus und Bestechlichkeit verhaftet. Nach seiner Entlassung am 02.04.1939 langgedienter Konstrukteur19 in der Fabrik »Marti« (Werft № 198) von Nikolaev. Kobulov, Amajak Zacharovič (1906-1955) Geboren in Tiflis. Nationalität Armenier. Aus einer Hafenarbeiterfamilie. Niedrige Bildung. Seit 1932 Mitglied der VKP(b). Seit 1927 bei den Organen der GPU-NKVD. Im NKVD der Georgischen SSR tätig: Ab 12.1935 Leiter der ĖKO, ab 17.01.1937 Leiter einer Unterabteilung der 4. Abteilung, ab 07.03.1937 Leiter der 2. Unterabteilung der 1. Abteilung (Personenschutz), ab 15. August 1937 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Achalciche, ab 28.05.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Gagra. 13.05.1936 Leutnant der Staatssicherheit. 23.08.1938 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Im Oktober–November 1938 Interims-Volkskommissar des Inneren der ASSR Abchasien. 07.12.1938-08.1939 Interims-Volkskommissar für Inneres der Ukrainischen SSR. Offiziell war er der erste Stellvertreter des Volkskommissars für Inneres der Ukrainischen SSR. 28.12.1938 Major der Staatssicherheit. Ab 26.08.1939 Berater der Vertretung der UdSSR in Deutschland. Ab Juli 1941 im NKVD-MVD der UdSSR. 09.07.1945 Generalleutnant. Am 27.07.1953 verhaftet. Am 01.10.1954 zum Tode verurteilt. Am 26.02.1955 erschossen. Ausführlich, vgl.: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 234-235; Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 488-489. Kolisnyj, Fedor Aleksandrovič. 1938 Leiter der Rajonabteilung der Miliz des NKVD von Dolinsk des Gebiets Nikolaev. 19
Staršij konstruktor.
Apparat
Korobcev, Petr Jakovlevič (1904) Geboren im Dorf Kajdaki der Region Dolinsk im Gouvernement Ekaterinoslav. Nationalität Russe. Geringe Bildung. Soziale Herkunft Arbeiter. Mitgliedschaft im Komsomol ab 1920. 1927 Eintritt in die VKP(b). Ab 1928 beim Geheimdienst. 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. 1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Dolinsk des Gebiets Nikolaev. 1939 übergangsweise Assistent des Leiters des Gebiets UNKVD von Kirovograd. Am 24.05.1939 verhaftet. Am 16.11.1939 verurteilt durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach Paragraph 206-17, Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 10 Jahren Lagerhaft. Am 09.12.1941 amnestiert und an die Front geschickt. 1948 Wiederaufnahme in die Partei. 1956 stellvertretender Vorsitzender des Stadtexekutivkomitees der Stadt Zalatonoša des Gebiets Čerkask und Leiter der städtischen Kommunalwirtschaft. Korolenko, Michail Ivanovič (1907) Nationalität Ukrainer. Seit 1938 Kandidat zur Aufnahme in die VKP(b). Drei Klassen Schulbildung. Nicht vorbestraft. Von 1926-1929 in der Roten Armee gedient. Seit 1930 bei den Organen der Arbeiterund Bauernmiliz. Kosior, Stanislav Vikent’evič (1889-1939) Geboren in der Stadt Vengruv des Gouvernements Sedlec. Nationalität Pole. Bildung: Grundausbildung an einer fabrikeigenen Schule. Seit 1907 Mitglied der VKP(b). Seit 1930 Mitglied des Politbüros. 1928-1938 erst Generalsekretär, dann ab 1934 Erster Sekretär des ZK der KP(b) der Ukraine. Für Landwirtschaft zuständig. Ab Januar 1938 stellvertretender Vorsitzender des Rats der Volkskommissare der UdSSR und Vorsitzender Kontrollkommission der Sowjets beim Rat der Volkskommissare der UdSSR. Am 03.05.1938 verhaftet mit dem Vorwurf der »Polnischen Militärorganisation« anzugehören. Am 26.02.1939 durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zum Tode durch Erschießen verurteilt und erschossen. Kozačuk, Petr Dmitrievič (1909) Geboren im Dorf Beleck des Amtsbezirks Polonoe des Kreises Novograd-Volyn des Gouvernement Volyn. Nationalität Ukrainer. Soziale Herkunft Bauer. Niedrige Bildung. Seit 1932 Mitglied der VKP(b). Seit 03.1938 beim Geheimdienst. Ab 01.04.1938 Assistent des Leiters der 2. Unterabteilung der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Ab 22.08.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Kampaneevka des Gebiets Nikolaev. Ab 23.08.1938 Unterleutnant der Staatssicherheit. 1939-1940 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Novo-Praga des Gebiets Kirovograd. Am 2. Weltkrieg teilgenommen. 1943-1944 Leiter der Abteilung für Konterspionage »SMERŠ« der 146. Schützendivision. Major. Am 25.01.1944 ausgezeichnet mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung, am 21.02.1944 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung und am 21.04.1945 mit dem »Rotbannerorden«. Kuklinskij, Boris Moiseevič (1910) Geboren im Dorf Romanovka des Gebiets Nikolaev. Nationalität Jude. Soziale Herkunft Kleinbauer. Mittlere Bildung. Seit
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Stalinistische Modernisierung
1938 Mitglied der VKP(b). Arbeitete im Juli 1938 vorübergehend in der 4. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) des UNKVD im Gebiet Nikolaev. Im September 1939 Interims-Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Kalinindorf des Gebiets Nikolaev. Kupnyj, Ippolit Sazontovič (1908) Nationalität Ukrainer. Seit 1938 Mitglied der VKP(b). 03.1936 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiet Odessa. Hauptmann der Staatssicherheit. Bis 29.01.1940 Leiter einer Unterabteilung der 2. Abteilung der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev. Am 29.01.1940 entlassen und auch von der Reserveliste gestrichen. Hat am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ausbilder für Agitation der 623. Schützentruppe der 231. Schützendivision der 24. Armeeeinheit. Wurde an der Front in Stalingrad schwer verletzt. Ab 02.1943 stellvertretender Leiter der Politabteilung der Schule für musikalische Zöglinge der Roten Armee in Sverdlovsk. Ausgezeichnet mit den Medaillen »Für die Verteidigung Stalingrads«, »Für den Sieg über Deutschland«, »Für Großtaten beim Kampfeinsatz«20 und mit dem »Orden des Großen Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung. Kušnir, Ben’jamin (Veniamin) Michajlovič (1906) Geboren in Odessa. Nationalität Jude. Soziale Herkunft Kleinbürger. Seit 1931 Mitglied der VKP(b). Seit 1929 in den Organen der GPU-NKVD. 09.01.1936 Unterleutnant der Staatsicherheit. Ab 1937 Assistent des Leiters einer Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. Ab 09.09.1937 Leiter der 6. Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. 01.10.1937 Leiter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 17.11.1937 Leutnant der Staatssicherheit. 17.05.1938 abkommandiert in den NKVD der UdSSR. Ab 28.05.1938 Leiter der 3. Abteilung des UGB NKVD der ASSR Udmurtien. 05.06.1939 entlassen und in die Reserve geschickt. Ausführlich, vgl.: Timšis, M. A./Zolotar’ov, V. A., Evrei v NKVD SSSR 1936-1938 gg. Opyt biografičeskogo slovorja, Moskau 2017. S. 379. Kuznecov, Aleksej Charitonovič (1901) In der RKKA seit 1919. In der RKP(b) seit 1920. Divisionsmilitärjurist seit 03.07.1936. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Erst 1942 als Staatsanwalte der Nord-Westlichen Front, dann als Staatsanwalt der Moskauer Verteidigungszone und des Moskauer Militärbezirks eingesetzt. 1945 Ernennung zum Generalmajor der Justiz zum Dienst im Rücken der Roten Armee. Lančukovskij, Il’ja Danilovič, Staatsanwalt des Gebiets Nikolaev. Lejzerovskij, Jusef Semenovič (1906-1943) Geboren in Odessa. Nationalität Jude. Seit 1932 Mitglied der VKP(b). Seit 1931 beim NKVD. 1937 Sekretär der 4. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1938 Fahndungsbevollmächtigter derselben Abteilung. Von 05.1939 bis 1941 Leiter der 3. Unterabteilung der Ökonomischen Abteilung (ĖKO) der Verwaltung 20
Za boevye zaslugi.
Apparat
des NKVD des Gebiets Nikolaev. Unteroffizier der Staatssicherheit. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. 1942 Leutnant der Staatssicherheit. Leiter der Sonderabteilung des NKVD der 17. mechanisierten Brigade der Südfront. 01.05.1943 durch Befehl des Militärrates der Südfront mit dem Orden »Roter Stern« ausgezeichnet. Gefallen im Rajon Balki Matveev Kurgan im Gebiet Rostov. Ausführlich, vgl.: Abramov, V., Evrei v KGB, Moskau 2005, S. 439. Leplevskij, Izrail’ Moiseevič (1896-1938) Geboren in Brest-Litovsk des Gouvernements Grotno. Nationalität Jude. Aus einer Familie eines Kleinhändlers. Selbststudium. 1909-1914 Mitglied des Bundes. Ab 1917 Mitglied der VKP(b). Ab 1918 in den Organen der VČK-OGPU-NKVD. Zweimal mit dem »Rotbannerorden« ausgezeichnet, einmal 1923, dann 1932. 1924 Auszeichnung »Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK« (V). 1932 Auszeichnung »Ehrenhafter Mitarbeiters der VČK« (XV). Ab 10.12.1934 Volkskommissar der SSR Weißrussland. 29.11.1934 Kommissar der Staatssicherheit 2. Ranges. 14.02.1936 mit dem »Rote-Sterne« Orden ausgezeichnet. Ab 28.11.1936 Leiter der Sonderabteilung des GUGB NKVD der UdSSR. 14.06.1937-25.01.1938 Volkskommissar des Inneren der Ukraine. 22.07.1937 ausgezeichnet mit dem »Lenin-Orden«. Deputat des Obersten Sowjet der UdSSR der 1. Wahl. Ab 25.01.1938 Leiter der 6. Abteilung, der Abteilung für Transportwesen GUGB NKVD der UdSSR. Ab 28.03.1938 Leiter der 1. Abteilung, der Abteilung für Eisenbahnwesen und stellvertretender Leiter der 3. Verwaltung, der Verwaltung für Transportwesen des NKVD der UdSSR. Ab 08.04.1938 Leiter der 3. Verwaltung des NKVD der UdSSR. Am 26.04.1938 verhaftet und am 28.07.1938 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach § 58, Punkt 1 (b), 8, 11 des Strafgesetzbuches der RSFSR zum Tode verurteilt und erschossen. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 143-186. Livšic, Zel’man Davidovič (1888) Geboren im Dorf Koločin im Rajon Rečica im Gouvernement Gomel’ von Weißrussland in einer armen jüdischen Familie mit acht Familienmitgliedern. 1907 wurde er, wie schon sein Vater, Kleinverkäufer für den Waldsektor im Dorf Koločin, angestellt bei einem »Kulaken«. 1910-1913 in der zaristischen Armee. 1914 Mobilisierung für die zaristische Armee. Bis 1918 in Kriegsgefangenschaft in Deutschland. Nach der Rückkehr Registrator, Sachbearbeiter und dann stellvertretender Sekretär des Kreisrevolutionskomitees von Rečica. 1919 Mitarbeiter für politische Aufklärung21 im Militärkrankenhaus von Žitomir. Ab 1921 im Geheimdienst tätig. Bis 1926 im ehemaligen Gouvernement Volynsk, dann in der Kreisabteilung der GPU Assistent des Fahndungsbevollmächtigten für politische Gruppierungen. Danach verschiedene GPU-Posten in der Armee und in zahlreichen Rajonabteilungen des NKVD. 01.10.1937 Leiter der Rajonabteilung von Vladimirovka. Ab 1928 Mitglied der VKP(b). Am 21
Politrabotnik.
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08.07.1939 verhaftet und Parteiausschluss. 02.11.1939 Verurteilung durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206-17 Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 6 Jahren Lagerhaft unter Aberkennung aller Orden und des Dienstgrades. Verheiratet. Eine Tochter. Marty, André (1886-1956) Französischer Kommunist. Mitglied der Nationalversammlung 1924-1955. Sekretär der Komintern 1935-1943. Politischer Kommissar der Komintern, Leiter einer internationalen Brigade im spanischen Bürgerkrieg 1936-1938. Martynenko, Ivan Filippovič (1911) Geboren im Dorf Vossijackoe des Rajons Elanec des Gouvernements Cherson in der Ukraine. Nationalität Ukrainer. Sohn eines armen Bauern. Geringe Bildung. Verheiratet, zwei Kinder. Von 1933-1938 im Komsomol. Parteilos. 1938 Sekretärs der Rajonabteilung des NKVD von Elanec des Gebiets Nikolaev. Verhaftet am 27.08.1938 nach den politischen Paragraphen 54-8 und 54-11 bzw. 54-10 und 54-11 des Strafgesetzbuches der Ukraine. Am 03.12.1939 Verurteilung durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Gebiets Odessa nach § 206. Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu fünf Jahren Lagerhaft. 1941 Einzug in die Rote Armee. Fahrer des 98. separaten Motorrad-Bataillons des 31. Panzerkorps. 06.09.1944 Tapferkeitsmedaille. 09.03.1945 die Medaille »Für Großtaten beim Kampfeinsatz«.22 Martynov, A. P. 1939 Arbeiter der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Meerson, Šlem Charkeevič (1901) Geboren in Char’kov. Arbeiter. Mitglied der VKP(b). 1937 Gerichtsverfahren, freigesprochen. Mejtus, Leonid Isaakovič (1897) Nationalität Jude. Ab 1928 Mitglied der VKP(b). Seit 1921 in den Organen der VČK-GPU-NKVD. 08.01.1936 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Bis 1937 Leiter der 5. Unterabteilung, der Sonderabteilung, des UGB NKVD der ASSR Moldawien. 02.09.1937 Assistent des Leiters der Stadtabteilung des NKVD von Nikolaev des Gebiets Odessa. Ab Herbst 1937 vorrübergehender stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 04.03.1938 abkommandiert zum NKVD der UdSSR. Ab 17.03.1938 Leiter der 3. Abteilung, der operativen Tschekisten-Abteilung des Fernstraßenbaulagers des NKVD der Fernöstlichen Region. Ab 15.06.1940 aus der Position des Leiters der 3. Abteilung der Verwaltung für Arbeitsbesserungslager der Abteilung für Arbeitskolonien des UNKVD der Region Chabarovsk in die Reserve entlassen. Ausführlich, vgl.: Timšis, M. A./Zolotar’ov, V. A., Evrei v NKVD SSSR 1936-1938 gg. Opyt biografičeskogo slovorja, Moskau 2017, S. 437. Melamud, Samuil Solomonovič (1904) Geboren im Dorf Bratskij des Rajons Bratskij des Gouvernements Odessa. Nationalität Jude. Aus einer Angestelltenfamilie. Verheiratet. Angestellter. Hohe technische Bildung. Parteilos. Seit 1929 in 22
Za boevye zaslugi.
Apparat
der Fabrik № 200 von Nikolaev beschäftigt. Nicht vorbestraft. Am 05.10.1938 verhaftet. Miljaškin, Ivan Georgievič (1904-1979) Geboren in Lugansk. Hohe Bildung. 03.193412.1936 Ingenieur-Konstrukteur der Schiffsbaufabrik № 194 »Marti« in Leningrad. Hier Konstrukteur und verantwortlicher Materialbeschaffer für ein Torpedo U-Boot.23 01.1937 zum Ingenieur-Konstrukteur und dann 29.08.1937 zum leitenden Ingenieur ernannt. Ab 1939 Direktor der Schiffsbaufabrik № 200 in Nikolaev. Ab 08.1939 Direktor der Leningrader Schiffsbaufabrik »A. A. Ždanov«. Ab 02.1942 stellvertretender Volkskommissar, dann stellvertretender Minister für Schiffsbauindustrie der UdSSR. Ingenieur und 1958 Vize-Admiral. Mitrofanov, Nikolaj Maksimovič (1905) Geboren im Dorf Guryvka des Rajons NovoOdessa im Gouvernement Cherson. Nationalität Ukrainer. Des Lesens und Schreibens kundig. Seit 1938 Mitglied der VKP(b). Arbeitete 1939 als wachhabender Assistent des Leiters des Gefängnisses von Nikolaev. Mišustin, Afanasij Ivanovič. 1935-1937 Mitglied des UNKVD des Gebiets Odessa. 22.04.1936 Unteroffizier der Staatssicherheit. Bis zum 28.04.1938 Leiter der Rajonabteilung von Privol’noe des Gebiets Nikolaev. Ab 18.04.1938 Leiter der Rajonabteilung von Petrovo des Gebiets Nikolaev. Am 31.07.1939 aus der Stellung des Leiters der Rajonabteilung des NKVD von Bobrinec des Gebiets Kirovograd in die Reserve entlassen. Mogilevskij, Emanuel Gdal’evič (1906) Geboren in Nikolaev. Nationalität Jude. Leitender Technologe der Fabrik № 200. 1938-1939 Leiter des Planungs- und Produktionsbüros der Fabrik № 200 von Nikolaev. Naumovec, Andrej Pavlovič. 1939 Leiter der Abteilung № 49 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Nazarenko, Andrej Grigor’evič (1903) Geboren im Dorf Malyj Sambor des Kreises Konotop des Gouvernements Černigov. Nationalität Ukrainer. Soziale Herkunft Kleinbauer. Hohe Bildung. Ab 1925 Mitglied der VKP(b). Seit 1932 in den Organen der GPU-NKVD. Im UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk gedient. Ab 01.12.1935 hier Fahndungsbevollmächtigter der Sonderabteilung, ab 01.04.1937 Assistent des Leiters einer Unterabteilung der 3. Abteilung. 23.03.1936 Unterleutnant der Staatsicherheit. Ab 11.09.1937 Leiter der 8. Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. 04.04.1938-14.08.1938 Leiter der 8. Abteilung, der Abteilung für Statistik und Registration, UGB NKVD USSR. 20.05.1938 langgedienter Leutnant der Staatsicherheit. 14.08.193815.09.1938 Leiter der 1. Spezialabteilung des NKVD USSR. In Stellvertretung vom 04.06.1938-29.08.1938 Fahndungsbevollmächtigter des NKVD der USSR. 14.08.1938 Auszeichnung »Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK-GPU« (XV). Ab 15.09.1938-02.1939 Interims-Leiter der 7. Abteilung der 1. Verwaltung des NKVD 23
Golovnaja podvodnaja lodka.
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USSR. Am 26.02.1938 verhaftet. Am 23.05.1941 zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ausführlich, vgl.: Bažan, O./Zolotar’ov, V., Vysuvanec’ Mikoly Ježova abo Trajektorija zletu ta padinnja kapitana deržavnoї bezpeky Oleksija Dolguševa, in: Krajeznavstvo, 2013, № 4, S. 215-232. Nertik, Georgij Nikolaevič (1903) Geboren im Dorf Gruzkoe des Gouvernements Odessa. Assistent des Fahndungsbevollmächtigten der Stadtabteilung des NKVD von Cherson des Gebiets Nikolaev. 27.03.1938 abkommandiert zur Verfügung der Kaderabteilung des NKVD der Ukrainischen SSR. Nikiforov, Michail Germanovič. 1938 Ingenieur der 6. Abteilung der Fabrik № 200 von Nikolaev. Nikitin, Vladimir Nikitič (1886) Nationalität Russe. Mitglied der VKP(b) seit 1918. Im März 1936 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Odessa. Langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. 1939 Leiter der Kaderabteilung der Gebietsverwaltung es NKVD von Nikolaev. 1942 abkommandiert zum NKVD von Tatarstan. 1945 Leiter der Sonderinspektion des NKVD der ASSR Tatarstan. Oberstleutnant. 1945 mit dem »Rotbannerorden« und dem »Lenin-Orden« ausgezeichnet. Nikolaevskij, F. F. (1881) Geboren im Dorf Kirievka des Gouvernements Podolien. Nationalität Ukrainer. Aus einer Arbeiterfamilie. Nicht vorbestraft. 1938 stellvertretender Leiter des pädagogischen Instituts von Nikolaev. Norov, Afanasij Pavlovič. Ingenieur und stellvertretender Leiter der Werkshalle № 10 der Fabrik № 200 von Nikolaev. Nosov, Vasilij Ivanovič (1894) Geboren im Dorf Neverovka des Gouvernements Vladimir. Russe. Niedriger bäuerlicher Herkunft. Arbeiter. Parteilos. Niedrige Bildung. Arbeitete seit 1928 in der Fabrik № 200. 1938 Sortierer in der Fabrik № 200. Am 05.08.1938 verhaftet. Verheiratet. Novak, Zinovij Abramovič (28.08.1908) Geboren in Ekaterinoslav im Gouvernement Ekaterinoslav in einer Familie eines Schmiedes. Nationalität Jude. Niedrige Bildung. Mitglied der VKP(b) seit 1930. Von 1935-1938 beim UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk. 23.03.1936 Unterleutnant der Staatssicherheit. Hier ab 1937 Fahndungsbevollmächtigter der dritten Unterabteilung (Konterspionage) des UGB der Stadtabteilung des NKVD von Zaporože. Ab 20.04.1938 Fahndungsbevollmächtigter der 10. Unterabteilung der dritten Abteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR. Vom 03.10.1938 bis 11.11.1938 Mitglied der Untersuchungsgruppe bei der Sonderabteilung des NKVD des Kiewer Militärbezirks. Am 23.01.1939 zum Leiter einer Unterabteilung der 7. Abteilung der 1. Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR ernannt. Ab 20.01.1940 Leiter der Unterabteilung der ökonomischen Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR. Novakov, Petr Aleksandrovič (1904) Geboren in Odessa. Nationalität Ukrainer. Bei OGPU-NKVD seit 1932. 1932-1937 Bevollmächtigter der Sonderabteilung der Gebietsabteilung der GPU/UNKVD von Odessa. 22.03.1936 Unteroffizier der
Apparat
Staatssicherheit. Ab 1937 Sonderbevollmächtigter der 3. Abteilung für Konterspionage des UGB UNKVD des Gebiets Odessa. Ab 09.1937 Assistent des Leiters einer Unterabteilung der 3. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Von April bis August 1938 Interims-Leiter der Unterabteilung für Transportwesen der 11. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 13.10.1938 abkommandiert zur Verfügung des »Straßenbautrusts der Ukraine«.24 Ab 1939 vorrübergehend stellvertretender Leiter der Verwaltung № 1 für Straßen der Hauptverwaltung für Überlandstraßen des NKVD (GUŠOSDOR) der Ukrainischen SSR. Im Mai 1939 Leiter der 2. Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Kirovograd. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. 1945 Leiter der Abteilung für Konterspionage »SMERŠ« des 57. Schützenkorpus. Major. 1952 aus der Stellung eines Leiters der 2. Abteilung des UMGB des Gebiets Kirovograd entlassen. Am 19.12.1937 ausgezeichnet mit dem »Ehrenabzeichen«.25 Am 10.07.1944 mit dem Orden »Roter Stern«, am 04.10.1945 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung und am 06.04.1985 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung ausgezeichnet. Ovčinnikov, Fedor Timofeevič (1902) Geboren im Dorf Smolka im Kreis Čausy des Gouvernements Mogilev von Weißrussland in einer Kleinbauernfamilie. Nationalität Weißrusse. Niedrige Bildung. Sanitäter. 1923 Eintritt in den Komsomol, 1931 in die VKP(b). 1922-1924 verschiedene Posten auf der niedrigen Ebene des sowjetischen Apparats: Sekretär des Dorfrats in Smolka, Sekretär des Bauernkomitees der Gesellschaftlichen Selbsthilfe, Bevollmächtigter der Gewerkschaft für Waldarbeiter. 1924-1931 in die Rote Armee eingezogen. In der Roten Armee diente er als Soldat, als Politgruppenleiter, Sekretär der politischen Abteilung und als Militärsanitäter. Von 1925-1931 geheimer Mitarbeiter, Betreuer von Agenten und informellen Mitarbeitern (rezident) und geheimer Assistent der Sonderabteilung der GPU. Ab 11.1931 operative Arbeit in der Sonderabteilung des ukrainischen Militärbezirks und der GPU der Ukrainischen SSR. Hier ab 1933 Bevollmächtigter der Sonderabteilung der GPU der Ukraine. Sein weiterer Aufstieg im Geheimdienst lief über folgende Posten: Assistent des Bevollmächtigten der Sonderabteilung des ukrainischen Militärbezirks, Bevollmächtigter, dann ab 03.01.1937 Fahndungsbevollmächtigter, anschließend Assistent des Leiters einer Abteilung, dann Leiter einer Abteilung der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. Ab 08.08.1937 Leiter der 5. Abteilung des UGB NKVD und stellvertretender Leiter der Sonderabteilung des Kiewer Militärbezirks. Ab 27.09.1937 stellvertretender Leiter des Sonderbevollmächtigter des NKVD der Ukrainischen SSR. Ab 09.11.1937 Leiter der 5. Abteilung des UGB 24 25
Ukrdorstrojtrest. Znak početa.
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Stalinistische Modernisierung
UNKVD des Gebiets Nikolaev. Schließlich Leiter der Sonderabteilung der Armee. Im März 1938 bis zum Eintreffen Karamyševs Interims-Leiter des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1938 übte er in Stellvertretung die Funktion des stellvertretenden Leiters des UNKVD des Gebiets Nikolaev aus. Ab 20.06.1938 Leiter der Sonderabteilung des NKVD der 15. Schützendivision. Ab 09.09.1938 Leiter der Sonderabteilung des NKVD der Kavallerie-Gruppe von Proskurov des Kiewer Sondermilitärbezirks. Verhaftet am 05.08.1939. Entlassen am 28.03.1940. Abermals verhaftet am 20.01.1941. Verurteilt am 13.03.1941 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206. Punkt »b« des UK USSR zu 10 Jahren Lagerhaft. Am 25.04.1941 lehnt das Militärkollegium des Obersten Gerichts eine Rehabilitierung ab. Am 27.04.1943 in die Rote Armee einberufen. Bis 29.07.1945 Feldwebel und Sanitäts-Unteroffizier im 790. Artillerieregiment. 26.01.1937 Abzeichen eines »Ehrenhaften Tschekisten« der Organe der VČK-OGPU-NKVD (XV). 29.07.1945 Tapferkeitsmedaille. 09.01.1936 Unterleutnant der Staatssicherheit. 17.11.1937 langgedienter26 Leutnant. 31.05.1939 Hauptmann der Staatssicherheit. Verheiratet. Ein Kind. Osetrov, Nikolaj Alekseevič (1905-1992) Geboren in Moskau. Nationalität Russe. Aus einer Familie eines Försters. Mitglied der VKP(b) ab 1926. 10.1933-02.1939 Studium in der Artillerie-Akademie Džeržinsk in Leningrad. 04.02.193907.09.1939 Leiter der Sonderabteilung des NKVD des Kiewer Sondermilitärbezirks. 04.02.1939 Major der Staatssicherheit. Ausführlich, vgl.: Petrov, N. V., Kto rukovodil organami gosbezopasnosti, S. 659. Pankrat’ev, Michail Ivanovič (1901-1974) Geboren im Dorf Kablukovo des Kreises Bežeck des Gouvernements Tver’. Nationalität Russe. Ab 1920 Mitglied der VKP(b). Ab Mai 1938 Staatsanwalt der RSFSR. 31.05.1939-07.08.1940 Oberster Staatsanwalt der UdSSR. Petrov, Sergej Fedorovič. 1935-1937 im UNKVD des Gebiets Odessa. 22.03.1936 Leutnant der Staatsicherheit. 1938 Leiter der Unterabteilung für Häfen der 11. Abteilung für Binnenschifffahrt des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 14.08.1938 Abzeichen eines »Ehrenhaften Mitarbeiters der VČK-GPU« (XV). Am 22.08.1940 endgültig aus dem NKVD entlassen und zwar entbunden von seinem Posten als Leiter der Abteilung für Binnenschifffahrt des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Pletnev, Fedor Jakovlevič (1889) Geboren in Moskau. Von 1932-1936 Direktor der Fabrik № 200 in Nikolaev. Ab 1937 in Stalingrad Leiter der Abteilung für Versorgung des Trusts »Abteilung für Großbauten« (OKS) des Gebiets Stalingrad. Im Sommer 1937 aus der Partei ausgeschlossen. Auf Betreiben des UNKVD von Stalingrad am 13.08.1938 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR 26
Staršij.
Apparat
nach § 58-7, 17-58-8 und 58-11 des Strafgesetzbuches der RSFSR zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Poberežnyj, Juda Markovič (1903) Geboren in der Stadt Verchnedneprovsk des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Die Schule für Sowjet- und Parteimitglieder abgeschlossen. Ab 1926 Mitglied der VKP(b). Ausgezeichnet mit dem »Rotbannerorden« für Werktätige. Im März 1938 vom ZK der KP(b) der Ukraine zur Arbeit im NKVD mobilisiert. Ab 01.04.1938 Leiter der 2. Unterabteilung der 4. Abteilung, der Geheimen politischen Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 23.08.1938 Unterleutnant der Staatssicherheit. Ab 12.1939 Leiter der 9. Abteilung für Landwirtschaft des UNKVD von Nikolaev. 1940 Leiter der Fahndungsabteilung des NKVD im am 04.12.1939 neu gegründeten Gebiets Drogobyč (Ukraine). Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Major. Am 03.04.1943 mit dem Orden »Roter Stern« und am 11.04.1943 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung ausgezeichnet. Pojasov, Akim Filipovič (1892) Geboren im Dorf Berezniki des Landkreises27 Jur’evPol’skij in einer Bauernfamilie. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Seit 1919 beim Geheimdienst. Von 1929-09.1930 Assistent des Leiters einer Unterabteilung der Bezirks-GPU von Pervomajsk. Von September 1930-1932 Assistent des Leiters einer Unterabteilung der Rajonabteilung der GPU von Pervomajsk. Von 1932-1933 Fahndungsbevollmächtigter und Leiter einer Unterabteilung der Bezirks-GPU von Kiew. Von 1933-01.04.1934 stellvertretender Leiter der Sonderabteilung des 45. mechanisierten Corps.28 Von 01.04.1934-09.1934 Leiter der Rajonabteilung der GPU-NKVD von Belocerkov’ des Gebiets Kiew. Von 01.04.1934-09.1937 Leiter der Sonderabteilung der 2. Schützendivision von Turkestan. Vom 26.08.1936-09.1937 Leiter der Sonderabteilung der 13. Schützendivision. Von 27.09.1937-25.05.1938 Leiter der 11. Abteilung (Schifffahrt, vodnoj otdel) des UGB des UNKVD des Gebiets Kiew. Von 1937-1938 Leiter der rajonübergreifenden operativen Gruppe von Belocerkov’. Vom 01.06.1938-25.04.1939 stellvertretender Leiter des UNKVD von Nikolaev. Am 15.05.1939 aus dem NKVD entlassen auf der Grundlage von Paragraph 38 V vom 25.04.1939 wegen »Nichtverwendbarkeit für die Arbeit in den Organen der Staatssicherheit«. Im Jahr 1941 arbeitete Pojasov als Direktor einer Fabrik zu Herstellung von Fässern des Gebiets Jaroslavl’. Am 19.12.1937 mit dem Orden »Roter Stern« und am 22.02.1938 mit der Medaille »XX Jahre Rote Arbeiter- und Bauern-Armee« ausgezeichnet. Am 09.02.1936 Ernennung zum langedienten Leutnant der Staatsicherheit. Am 15.06.1938 Hauptmann der Staatssicherheit. Poljuškin, Vasilij Prochorovič (1902-1955) Geboren in der Stadt Kinel’ des Gouvernements Samara. Ab März 1936 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Odessa. 27 28
Uezd. Mechanizirovannyj korpus.
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1938 Mitarbeiter der Stadtabteilung von Kirovograd. Unteroffizier der Staatssicherheit. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Pricker, Efim Vladimirovič (1899) Nationalität Jude. 1917-1919 Mitglied der sozialistisch-zionistischen polnischen Partei »Poalej Cion«. 1919-1920 Mitglied der RKP(b). Dann ausgeschlossen. Anschließend Kandidat zum Mitglied der VKP(b). 22.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Ab 1937 Fahndungsbevollmächtigter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Odessa. Ab 09.10.1937 Fahndungsbevollmächtigter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 29.03.1938 verhaftet. 26.03.1939 aus der Haft entlassen. Protopopov, Anatolij Petrovič (1895) Geboren in Nikolaev. Soziale Herkunft Arbeiter. Niedrige Bildung. Die Teilnahme an einem Fabrikstreik brachte ihn für 2 Jahre ins Gefängnis. Nach der Freilassung drei Jahr arbeitslos. Ab 1916 Arbeit in einer der drei Schiffbaufabriken von Nikolaev, aus denen dann die Fabrik № 200 »Kommunarоv 61« hervorging. 1917 Teilnahme am Sturz der Übergangsregierung. 1917 Beitritt zu den Roten Garden. Ab 1918-1921 Dienst in der Roten Armee. Anschließend Arbeit bei den Grenztruppen des Geheimdienstes. Ging 1935 in Bezug auf diese Arbeit in Pension. Seit 1939 Kandidat für die Mitgliedschaft in der Partei. 11.1937-08.1938 in der Stadtabteilung des NKVD von Cherson tätig. Im Anschluss daran nahm er wieder seine Tätigkeit in der Maschinenbaufabrik »Petrovskij« von Cherson auf, bei der er bereits ab Ende 1934 als Schlosser angestellt war. Diesmal übernahm er sofort die hohe Position eines Assistenten des Direktors der Fabrik. Verheiratet. Am 07.07.1940 verhaftet. Am 28.11.1940 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206-17 Punkt »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt. Wahrscheinlich amnestiert und an die Front geschickt. Am 19.01.1943 Verleihung des »Rotbannerordens«. Am 22.08.1944 Medaille für die »Verteidigung Leningrads«. Im Herbst 1945 Leiter der Militärfakultät des Staatlichen pädagogischen Instituts von Nikolaev. Pugač, Petr Kuz’mič (1905) Geboren im Ort Teplik des Amtsbezirks Gajsin des Gouvernements Kamenec-Podolskij. Nationalität Ukrainer. Aus einer Kleinbauernfamilie. Seit 10.1928-1962 Mitglied der VKP(b). 1927-1929 in der Roten Armee. 1929-1931 an der Arbeiterfakultät des Instituts für Volkswirtschaft von Char’kov. 1931-1932 Student des ersten Kurses des Instituts für Ingenieurwesen und Ökonomie in Char’kov. Seit 1932 beim NKVD. 1936-1937 Assistent des Fahndungsbeauftragten und dann Fahndungsbeauftragter der 3. Abteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR. Ab 02.09.1937 Assistent des Leiters der 9. Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR. Dann bis zum 01.11.1938 Interims-Leiter der 3. Unterabteilung des UGB NKVD USSR. Am 27.12.1938 zum Interims-Leiter der 8. Unterabteilung für Industrie der 3. Abteilung des UGB des NKVD der Ukrainischen SSR ernannt. Von 03.1940-08.1941 stellvertretender Leiter des UNKVD-UNKGB des Gebiets Dnepropetrovsk. Am
Apparat
»Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Nach dem Krieg stellvertretender Leiter des UNKGB-UMGB des Gebiets Ternapol’. Anschließend stellvertretender Leiter, dann Leiter des UMGB des Gebiets Kirovograd. Anschließend Leiter des UMVD des Gebiets Poltava. Dann stellvertretender Leiter des UKGB des Gebiets Zaporož’e. Leutnant. Seit 1955 in Pension. Am 14.08.1938 ausgezeichnet mit dem »Abzeichen eines ehrenwerten Mitarbeiters der VČK-GPU«, dann mit dem »Rotbannerorden«, zweimal mit dem Orden »Roter Stern« und mit vier Medaillen. Rajces, Lev Samojlovič (1900) Geboren in Łódź. Nationalität Jude. Aus einer Arbeiterfamilie einer Textilfabrik. Geringe Bildung (Grundschule). Seit 1924 bei den Organen tätig. Ab 01.1937 Leiter der 3. Unterabteilung der 3. Abteilung für Konterspionage im UNKVD von Dnepropetrovsk. 1937-1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Melitopol’. Am 04.03.1938 abkommandiert in die NKVD Strukturen der UdSSR. Von 1938-14.04.1939 bei der 3. (operative-Tschekisten)Abteilung des Fernöstlichen Lagers (Dal’lag) des NKVD als Leiter einer Unterabteilung, dann Assistent des Leiters der 3. Abteilung. Ab 1939 Leiter der Kontakt-Unterabteilung im Gebiet Stalino. 1943 an der Front umgekommen. Ratynskij-Futer, Arkadij Markovič (1902-1939) Geboren in Kiew. Nationalität Jude. Soziale Herkunft aus einer Familie mit einer Dreher Werkstatt. Niedrige Bildung. Seit 1928 Mitglied der VKP(b). Seit 1921 bei den Organen der VČKGPU-NKVD. 20.12.1933 ausgezeichnet mit dem »Abzeichen eines ehrenhaften Mitarbeiters der VČK-GPU« (XV). Ab 22.11.1934 Leiter der Sonderabteilung des UGB UNKVD des Gebiets Odessa. 08.01.1936 Hauptmann der Staatsicherheit. Ab 28.01.1937 Leiter der 3. Unterabteilung und in Stellvertretung Leiter der 5. Abteilung, der Sonderabteilung des GUGB NKVD USSR. Ab 22.04.1937 stellvertretender Leiter der 5. Abteilung des UGB UNKVD USSR. Ab 20.05.1938 Leiter der 3. Abteilung für Konterspionage des UGB NKVD USSR. Am 23.07.1938 verhaftet. Am 04.03.1939 zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 536-537. Rudnickij, Ignat Petrovič (1905) Geboren bei der Eisenbahnstation Čerpuško des Gouvernement Perm’. Nationalität Russe. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Bis 23.09.1934 Fahndungsbevollmächtigter der Sonderabteilung des UGB der Stadtabteilung von Zinov’ev (dann Kirovograd) des NKVD des Gebiets Odessa. Vom 23.09.1934 Fahndungsbevollmächtigter der Sonderabteilung des UGB der Stadtabteilung des NKVD von Žitomir des Gebiets Kiew. Vom 31.10.193427.09.1937 Leiter der Sonderabteilung des GUGB NKVD der 15. Flugbrigade des Gebiets Odessa. 1937 Interims-Leiter der Stadtabteilung von Kirovo (dann Kirovograd) des Gebiets Odessa. Vom 27.09.1937-26.05.1938 Interims-Leiter der Stadtabteilung des NKVD von Cherson der Gebietsverwaltung des NKVD von Nikolaev. Leutnant für Staatssicherheit. Am 19.07.1938 versetzt zum NKVD
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der UdSSR. 22.03.1936 Unterleutnant für Staatssicherheit. 1938 Leutnant für Staatssicherheit. Am 2. Weltkrieg teilgenommen, jedoch nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Langgedienter Leutnant. Zweimal ausgezeichnet mit dem Orden »Roter Stern« am 18.06.1944 und am 10.11.1945, dann am 06.04.1985 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung. Ausführlich, vgl.: Petrov, N. V., Kto rukovodil organami gosbezopasnosti, S. 722. Rybal’čenko, Ivan Timofeevič (1901-1939) Geboren im Dorf Novo-Georgievka des Gouvernements Cherson. Nationalität Ukrainer. Soziale Herkunft Mittelbauer. Seit 1931 Mitglied der VKP(b). 1935-1936 im UNKVD des Gebiets Odessa. 22.04.1938 Unterleutnant der Staatssicherheit. Seit 1937 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Čudnov des Gebiets Žitomir. 14.08.1938 Auszeichnung »Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK-GPU« (XV). Verhaftet 1939. Am 23.11.1939 zum Tode verurteilt. Erschossen. Sadaljuk, Timofej Grigor’evič. Sohn eines alten Kommunisten. Höhere Bildung. Seit 1928 Mitglied des Komsomol. 1938 Direktor einer Schule im Dorf Bližnyj Chutor im Rajon Tiraspol der ASSR Moldawien. Im Juni 1938 wegen Mitgliedschaft in einer faschistischen Jugendorganisation verhaftet. Am 10.10.1938 wieder entlassen. Sapir, Abram Vladimirovič (1900-1957) Geboren in der Stadt Bluden’ des Gouvernements Grodno. Jude. Aus einer Eisenbahnerfamilie. Selbststudium. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Seit 1919 bei den Organen der VČK-OGPU-NKVD. 20.12.1932 »Abzeichen eines ehrenhaften Mitarbeiters der VČK-GPU« (XV). Ab 11.06.1935 Leiter der Auslandsabteilung des UGB NKVD USSR. 13.12.1935 Hauptmann der Staatssicherheit. Ab 21.12.1936 Leiter des UNKVD der ASSR Moldawien. Ab Februar 1937 Assistent des Leiters der 3. Abteilung des UGB NKVD USSR. Am 21.02.1938 verhaftet. Am 23.09.1939 entlassen. Am 25.06.1941 wieder verhaftet. Am 21.09.1943 zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČK-GPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 374-375. Saraev, Roman Nikolaevič (1903) Geboren in Zmieva des Gouvernements Char’kov. Nationalität Ukrainer. Basisbildung. Seit 1930 Mitglied der VKP(b). 1960 ausgeschlossen. Seit 1920 bei den Organen der VČK-OGPU-NKVD. Ab 1935 Leiter der Geheimen politischen Abteilung des UGB der Stadtabteilung von Zaparože. 23.03.1936 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Ab 08.08.1937 Leiter einer Unterabteilung der 4. Abteilung des UGB NKVD USSR. 01.10.193708.12.1937 Leiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 16.11.1937 zum Leiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Kirov ernannt. Dann in leitenden Positionen im NKVD-NKGB-MGB-MVD. 09.10.1944 General. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Pristajko, V. I./Zolotar’ov, V. A., ČKGPU-NKVD v Ukraїni. Osoby, fakty, dokumenty, Kyїv 1997, S. 547-548; Petrov, N. V. Kto rukovodil organami gosbezopasnosti, S. 768-769.
Apparat
Ščerbina, Nikolaj Vasel’evič (1890) Geboren im Dorf Nikolaevka des Rajons Amvrоsievkа des Gouvernements Ekaterinoslav. Bäuerlicher Herkunft. Nationalität Ukrainer. Mitglied der VKP(b) seit 1917. Nach dem Abschluss der Handwerksschule von Enakievo des Gouvernements Ekaterinoslav von 1905-1918 Arbeit als Schlosser in der metallverarbeitenden Fabrik von Enakievo. 1930 Abschluss der Industrieakademie. In der Schiffsbauindustrie von Sevastopol und Stalingrad tätig. Vom 25.09.1936-02.09.1937 Direktor der Schiffsbaufabrik № 200 von Nikolaev. Verhaftet am 02.09.1937. Freigelassen 1939 [?]. 1942-1944 Direktor der Fabrik für den Bau von Schnellbooten (OASO »Vympel«) in Rybinsk des Gebiets Jaroslavl’. Sednev, Anatolij Fedotovič (1891) Seit 1920 Mitglied der VKP(b). Arbeitete bis zur Verhaftung 27 Jahre in der Fabrik »A. Marti«, zuerst als einfacher Arbeiter, dann Ingenieur der Produktionsstraße.29 1940 bei der »Hauptverwaltung für Transport und Verkauf von Öl«.30 Sedov, Aleksej Michajlovič (1904-1981) Geboren im Dorf Novinki im Kreis Kovrov des Gouvernements Vladimir. Nationalität Russe. Geboren in einer Arbeiterfamilie. Seit 1928 in der VKP(b). Holzsäger. 1926-1928 in der Roten Armee. 19281932 Ausbildung zum Schlosser. Ab 1932 beim Geheimdienst. Ab 1933-1936 stellvertretender Leiter der politischen Abteilung der OGPU-NKVD der Sowchose »Bolschewistischer Sturm« der Stadt Bol’še-Aleksandrovskoe des Gebiets Odessa. Von 10.1936-11.1937 Fahndungsbevollmächtigter der Stadtabteilung des NKVD von Nikolaev. Von 11.1937-09.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Elanec des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Vom 09.1938-10.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Očakov des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Von 10.193803.1939 stellvertretender Leiter der 9. Abteilung des UGB des Gebiets Nikolaev. 03.1939-11.1939 stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Dnepropetrovsk. Von 11.1939-02.1940 Leiter der operativen Gruppe des NKVD von Ternapol. Von 02.1940-07.08.1940 stellvertretender Leiter des UNKVD des Gebiets Ternapol. Von 07.08.1940-08.1941 Leiter des UNKVD des Gebiets AkermanIzmail’. Danach verschiedene leitende Posten auf Gebietsebene des NKVD und in der Armee. Ausführlich, vgl: Petrov/Skorkin, Kto rukovodil NKVD, S. 376. Semenov, Aleksandr Aleksandrovič (1895) Geboren in Cherson. Soziale Herkunft Arbeiter. Nationalität Ukrainer. Niedrige Bildung. Von 1912-1915 Schlosser. Von 1917-1924 in der Roten Armee. 1924-1930 bei der »Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemieindustrie« in Zinov’evsk. 1930 Arbeit bei der Fischfabrik von Cherson als Leiter der Spezialabteilung und stellvertretenden Leiters der Kaderabteilung. 1939 mobilisiert für den am 29 30
Cech. Glavneftesbyt.
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Stalinistische Modernisierung
17.09.1939 von der Sowjetunion begonnenen Krieg gegen Polen. Ab 1939 Mitglied der VKP(b). Am 29.12.1939 verhaftet. Am 28.11.1940 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206-17 Punkt »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zum Tode verurteilt. Šepetin, Avraam Mordkovič (1896-1939) Geboren in Luck des Gebiets Volynsk. Nationalität Jude. Aus einer Uhrmacherfamilie. Niedrige Bildung. 1917-1918 Mitglied des Bundes. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Ab 07.07.1935 Leiter der Geheimen politischen Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Černigov. 08.01.1936 langgedienter Leutnant der Staatsicherheit. Am 27.06.1937 in die Reserve entlassen. Am 26.04.1938 verhaftet. Am 17.03.1939 Selbstmord durch Erhängen in der Gefängniszelle. Ausführlich, vgl.: Šapoval, Ju. I./Zolotar’ov, V. A., Vsevolod Balic’kij. Osoba, čas, otočennja, Kyїv 2002. Širokij (Majskij), Ivan Tarasovič (1903-1938) In OGPU-NKVD seit 1927. Während des Großen Terrors Leiter der 5. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Černigov (03.01.37-05.03.38), dann vorübergehender stellverstretender Leiter des UNKVD des Gebiets Černigov (05.03.38 – 20.03.38), dann stellverstretender Leiter des UNKVD des Gebiets Černigov (20.03.38-20.05.38). Anschließend Volkskommissar des Inneren der ASSR Moldawien (20.05.38-27.09.38). Verhaftet am 28.09.1938; angeklagt nach § 216-17 »а« des Strafgesetzbuchs der Ukrainischen SSR wegen der Erzwingung falscher Aussagen von Gefangenen. Nachdem ihm die Anklageschrift übergeben wurde, nahm er sich am 18.12.1938 im Gefängnis das Leben. Dienstgrade: Langgedienter Leutnant der Staatssicherheit (08.01.36); Hauptmann der Staatsicherheit (20.05.38). Auszeichnungen: Medaille »ХХ Jahre Rote Arbeiter- und Bauernarmee« (22.02.38). Smal’čenko, Vasilij Dmitrievič (1909) Geboren im Dorf Kutanovka des Kreises Lebedin des Gouvernements Char’kov. Arbeitete ab dem 12.01.1938 in der für Häfen zuständigen Unterabteilung (dann Unterabteilung für Schifffahrt der 11. Abteilung) im UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Ausgezeichnet mit dem Orden »Roter Stern« und der Medaille »Für Großtaten beim Kampfeinsatz«.31 Šor, Sysoj Abramovič (1906) Geboren in Lugansk. Nationalität Jude. Eltern Arbeiter. Niedrige Bildung. Seit 1930 Mitglied der VKP(b). Von 1920-1921 als Freiwilliger bei der Roten Armee. Bis zum 28.04.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Chorlovskij des Gebiets Nikolaev. Vom 28.04.1938 Leiter der Rajonabteilung des NKVD von Skadovsk des Gebiets Nikolaev. 09.1939 Leiter der 3. Unterabteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson der Verwaltung des NKVD von Nikolaev. 1940 Leiter der 3. Unterabteilung der 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 20.06.1936 Unteroffizier für Staatssicherheit. 31
Za boevye zaslugi.
Apparat
Šorin, Aleksandr Michajlovič (1900) VKP(b). Parteiorganisator der Werkstatt der Werft № 200. Starodubcev, Dmitrij Trifonovič (1904) Geboren im Dorf Vladimirovka des Rajons Vladimirovka des Gouvernements Odessa. Sein Vater war bis 1922 Lehrer, dann von 1923-1938 in der Dorfkirche von Vladimirovka als Psalmensänger tätig. Nationalität Ukrainer. Vom 1921-1929 Mitglied des Komsomol. Ab 1926 Mitglied der VKP(b). Hat am Schiffsbauinstitut von Nikolaev studiert. Nicht abgeschlossene hohe technische Bildung. Ingenieur. Nicht vorbestraft. Arbeitete bis zu seiner Verhaftung am 10.06.1938 als stellvertretender Leiter des Teams des Büros für die Vervollständigung der Technik der Fabrik № 200 von Nikolaev. Am 16.11.1939 freigesprochen. Verheiratet. Starygin, Pavel Ivanovič (1897-1973) Geboren im Dorf Bol’šoj Pakšik des Kreises Jaransk des Gouvernements Vjatsk. Soziale Herkunft Kleinbauer. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Seit 1921 Mitglied der VKP(b). Ab 10.1937 stellvertretender Leiter der Abteilung für leitende Parteimitglieder der Organe des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev. Von 03.1938 Dritter Sekretär des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev. 05.1938-02.1939 Erster Sekretär des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev. 18.06.1938-13.05.1940 Mitglied des ZK der Ukraine. 19391949 Volkskommissar, dann Minister für Fleisch und Milchindustrie der Ukraine. Ausführlich, vgl.: Lozickij, V. S., Politbjuro CK Kompartiї Ukraїny. Istorija, osoby, stosunky (1918—1991), Kyїv 2005; Filippov, S., Territorial’nye rukovoditeli VKP(b) v 1934-1939 gg. Spravočnik, Moskau 2016. Stepanov, Sergej Aleksandrovič (1894) VKP(b) seit 1913. 1920-1921 Vorsitzender des Gouvernementrats der Volkswirtschaft in Nikolaev. 1921-1925 Direktor der Schiffsbaufabrik in Nikolaev. 1925-1926 Stellvertreter des Leiters des Trusts »Južmaš«.32 1927-1929 Direktor der Fabrik »Petrovskij« und »Lenin« im Dnepropetrovsk. 1929-1931 Ausbildung in der Industrieakademie, 1931-1934 Leiter von »Centrostal«. Erhielt im Mai 1930 eine Parteirüge: »An den Pranger zu stellen für ein passives, spießbürgerliches Verhältnis gegenüber der Verbreitung von konterrevolutionären Lügengeweben und Gerüchten, die die Partei diskreditieren«, wurde dann durch einen Beschluss des CKK VKP(b) und des Kollegiums des ZK RKI der UdSSR vom 09.04.1933 »Über die Arbeit zur Beseitigung von finanziellen Ungereimtheiten33 bei der Arbeit von Centrostal« mit einem strengen Verweis belegt. Ende 1937 verhaftet. Storčava, Valentina Aleksandrovna. 1939 Planerin der Werkshalle № 1 der Fabrik № 200 von Nikolaev. 32 33
Južmаštrest. Nedočety.
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Stalinistische Modernisierung
Suchoj, Luka Iosipovič (1901) Geboren im Dorf Tekel’kevka des Rajons Dolinsk des Gouvernements Odessa. Nationalität Ukrainer. Parteilos. Niedrige Bildung. Aus einer Mittelbauerfamilie. Nicht vorbestraft. Arbeitete 1939 als Assistent des Fahndungsbevollmächtigten der Rajonabteilung der Miliz von Dolinsk des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Sucholencev, Fedor Vasel’evič (1889) Ehemaliger stellvertretender Leiter des Stadtsowjets von Nikolaev. Vorher 35 Jahre in einer Fabrik gearbeitet. Seit 1920 Mitglied der VKP(b). Šurchoveckij, Venedikt Georgievič (1894) Geboren in Nikolaev. Nationalität Ukrainer. Mittlere Bildung. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Einfacher Kämpfer bei der Roten Garde. 1940 Leiter der Abteilung für Arbeit und Versorgung des BauTrusts des Gebiets Nikolaev. Svjackij, Aleksandr Chonovič (1906) Nationalität Jude. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Von 1935-1937 Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Odessa. 22.03.1936 Unteroffizier der Staatssicherheit. Bis zum 28.04.1938 Fahndungsbevollmächtigter der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. Vom 28.04.1938 Assistent einer Unterabteilung der 3. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1938 Ermittler der Stadtabteilung des NKVD von Kirovograd des UNKVD von Nikolaev. Ab 12.1941 am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. 02.1942 zum Gardehauptmann ernannt. Langgedienter Ermittler der Abteilung für Konterspionage der »SMERŠ« der 36. Schützengarde des 11. Korpus der Gardearmee des 1. baltischen Frontabschnitts. Ausgezeichnet mit der Medaille »Für Großtaten beim Kampfeinsatz« und dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung. Tanfilov, Semen Grigorevič (1913-1943) Arbeitete 1938 im UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 02.06.1939 in den NKVD von Dagestan versetzt. Bis zum 25.02.1940 stellvertretender Leiter der Fahndungsabteilung des NKVD der ASSR Dagestan in Machačkala. Dann aus dem NKVD entlassen und von der Reserveliste gestrichen wegen »Nichtverwendbarkeit für die Arbeit der Hauptverwaltung der staatlichen Sicherheit«. Bis 02.06.1939 Unteroffizier der Staatssicherheit. Anschließend Leutnant der Staatssicherheit. Am 03.07.1941 vom RajonMilitärkomitee Stalin der Ukrainischen SSR in Char’kov des Rajons Stalin in die Rote Armee eingezogen. 10.1943 als vermisst aus der Armee ausgeschieden. Tejtel’, Lazar’ Michajlovič (1902-1938) Geboren in der Stadt Ostrov des Gouvernements Lomža. Nationalität Jude. Aus einer Buchhalterfamilie. Mittlere Bildung. Seit 1927 Mitglied der VKP(b). Seit 1921 bei den Organen der VČK-GPUNKVD. In der Geheimen politischen Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Černigov gedient und zwar ab 26.12.1933 als Leiter einer Unterabteilung und ab 23.07.1937 als Interims-Leiter der Abteilung. 22.03.1936 langgedienter Leutnant der Staatssicherheit. Am 16.03.1938 verhaftet. Am 23.09.1938 zum Tode
Apparat
verurteilt und erschossen. Ausführlich, vgl.: Zolotarev, V./Stepkin V., ČK-GPUNKVD v Donbasse 1919-1941, Doneck 2010, S. 308. Tevosjan, Ivan Fedorovič (1902-1958) Geboren in der Stadt Šuša des Gouvernements Elizavetpol’. Nationalität Armenier. Niedrige Bildung. Seit 1918 Mitglieder der VKP(b). August 1937 Gründung des Volkskommissariats für Verteidigungsindustrie, in dessen Kompetenz auch der Schiffsbau überging. Zuerst zum Leiter der 2. Hauptverwaltung ernannt. Dann Übernahme des Postens des 1. stellvertretenden Volkskommissars für Verteidigungsindustrie der UdSSR. Die Ernennung fiel zusammen mit der Anweisung der Regierung über den Bau einer U-Boot Flotte. 01.1939 Gründung des Volkskommissariats für Schiffsbauindustrie der UdSSR und Ernennung Tevosjans zu dessen Volkskommissar (1939-1940). 1940-1946 Volkskommissar für Eisen- und Stahlindustrie. 1949-1953 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR. Tolkačev, Jurij Nikolaevič (1900-1938) Geboren im Kreis Novyj-Oskol des Gouvernements Kursk. Nationalität Russe. Soziale Herkunft Arbeiter. Seit 1931 Kandidat zur VKP(b). 20.02.1934 Leiter einer Unterabteilung der Geheimen Politischen Abteilung der Gebietsabteilung der GPU von Odessa. 22.03.1936 langgedienter Leutnant der Staatsicherheit. 07.1937 vorrübergehender stellvertretender Leiter des Sonderbevollmächtigten des NKVD USSR. 08.12.1937 Leiter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 28.05.1938 seiner Stellung enthoben. 02.06.1938 verhaftet. 23.09.1938 zum Tode verurteilt und erschossen. Tovstik, Nikolaj Grigor’evič (1902) Geboren im Dorf Ol’chovec des Rajons Boguslav des Gouvernements Kiew. Nationalität Ukrainer. Seit 1928 Mitglied der VKP(b). Niedrige Bildung, aus einer armen Bauernfamilie. 1938 Leiter der Passstelle des Rajons Dolinsk. 1939 Leiter der Miliz des Rajons Dolinsk des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Truškin, Jakov Luk’janovič (1904-1941) Geboren als Arbeiterkind in der Stadt Kerč’ auf der Krim. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Seit 1919 Mitglied der VKP(b). Hier ein Verweis wegen Formalismus. Seit 1921 für den Geheimdienst gearbeitet. Ab 1927 langgedienter Bevollmächtigter der Bezirksabteilung der GPU von Dnepropetrovsk. Ab 1930 Leiter der Rajonabteilung der GPU des operativen Sektors der GPU von Dnepropetrovsk. Ab 1931 Leiter der Rajonabteilung der GPU von Veliko-Tokmak des operativen Sektors von Dnepropetrovsk. Ab 1932 Leiter der Rajonabteilung des GPU von Ščorsovka des Gebiets Černigov. Ab 1933 Leiter der Rajonabteilung der GPU von Novgorod-Severskij des Gebiets Černigov. Von 04.1935 Leiter einer Unterabteilung der Geheimen politischen Abteilung des UNKVD des Gebiets Černigov. Ab 04.1938 stellvertretender Leiter der »Geheimen politischen Abteilung«, ebenfalls in Černigov. Vom 01.06.1938 bis 30.07.1939 kommissarischer Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Verhaftet am 05.08.1939. Am
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Stalinistische Modernisierung
23.03.1941 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206, Punkt »b« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zum Tode verurteilt. 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Verheiratet. Zwei Kinder. Tverdochlebenko, Aleksandr Michajlovič (1905) Geboren in Odessa. Nationalität Ukrainer. Aus einer Angestelltenfamilie. Ab 1925 Mitglied der VKP(b). Ab 1937 oder 1938 beim Geheimdienst. Ab 08.1938 stellvertretender Leiter der 8. Unterabteilung (für Industrie) der 1. Abteilung (für Staatssicherheit) der Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR. 29.08.1938-1939 vorrübergehend Sonderbevollmächtigter des NKVD der Ukrainischen SSR. 1940 Leiter der 1. Abteilung der ökonomischen Leitung des NKVD der Ukrainischen SSR. 1941 stellvertretender Leiter der »Geheimen politischen Abteilung« des NKVD von NordOssetien. 1942-1943 Leiter der ökonomischen Abteilung des NKVD (ĖKO) von Nord-Ossetien. Noch 1949 beim NKVD. Ausgezeichnet mit dem Ehrenabzeichen »Verdienter Mitarbeiter der VČK-GPU«, mit Kampfwaffen34 [Ehrendolchen, Schmuckpistolen und anderen (verzierten) Waffen] und Urkunden des NKVD der Organe des Nord-Ossetischen NKVD. Eine weitere Auszeichnung für den erfolgreichen Kampf mit der Konterrevolution. 1943 ausgezeichnet mit der Tapferkeitsmedaille, 1945 mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung und 1949 mit dem Orden »Roter Stern«. Ab 08.1949 Oberstleutnant. Uspenskij, Aleksandr Ivanovič (1902-1940) Geboren im Dorf Verchnij Suchodol des Kreises Aleksin des Gouvernements Tula. Nationalität Russe. Aus einer Familie von Kleinhändlern. Niedrige Bildung. Seit 1920 Mitglied der VKP(b). Ab 1920 bei den Organen der VČK-OGPU-NKVD. 22.02.1930 ausgezeichnet mit dem »Rotbannerorden«. 26.01.1930 Auszeichnung zum »Ehrenhaften Mitarbeiters der VČK« (V), 04.02.1933 Auszeichnung zum »Ehrenhaften Mitarbeiters der VČK« (XV). Ab 14.04.1933 Stellvertreter des bevollmächtigten Vertreters der OGPU des Gebiets Moskau. Ab 19.02.1935 stellvertretender Kommandant des Moskauer Kremls für inneren Personenschutz. 28.02.1936 langgedienter Major der Staatssicherheit. Ab 28.02.1936 stellvertretender Leiter des UNKVD der West-Sibirischen Region, Novosibirsk. Ab 16.03.1937 Leiter des UNKVD des Gebiets Orenburg. 1937 Deputat des Obersten Sowjets der UdSSR ersten Wahl. Ab 25.01.1938 Volkskommissar des Inneren der Ukrainischen SSR. 25.01.1938 Kommissar der Staatssicherheit 3. Ranges. Kandidat zum Mitglied des ZK der KP(b) der Ukraine. 02.07.1937 mit dem »Lenin-Orden« ausgezeichnet. Am 14.11.1938 inszenierte er seinen Selbstmord und tauchte ab. Am 15.04.1939 in der Stadt Miass des Gebiets Čeljabinsk verhaftet. Am 27.01.1940 vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR zum Tode verurteilt und erschossen. Ausführlich, vgl.: Zolotar’ev, V., Oleksandr Uspens’kij. Osoba, čas, otočennjy, Charkiv 2004; Bažan, O./Zolotar’ov. V., Oleksandr Uspens’kij: »Ja vvažaju sebe učnem Mykoly 34
Boevye oružija.
Apparat
Ivanovyča Ježova«, in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVD-KGB, 2014, № 1, S. 344-398; Chinštejn, A. E., Podzemel’ja Lubjanki, Moskau 2005, S. 224-251; Zolotar’ov, V., Favoryn Ježova. Storinky biografiї narkoma vnutrišnich sprav URSR O. I. Uspens’koho, in: Polityčni represiї v Ukraїns’kij RSR. Doslidnyc’ki refleksy ta intepretaciї. Do 75-riččja »Velykoho teroru« v SRSR. Materialy Vseukraїns’koї naukovoї konferenciї. Kyїv. 15 bereznja 2012 r., Kyїv 2013, S. 164-187. Val’, Mojsej Solomonovič (1904) Geboren in Odessa. Nationalität Jude. Niedrige Bildung. 1940 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung der Stadtabteilung des NKVD von Cherson. Vasil’evskij, Michail Naumovič (1902) Geboren im Dorf Lodyžin des ehemaligen Kreises Gajsin des Gouvernements Podolien. Nationalität Jude. Angestellter. Mittlere Bildung. Mitglied der VKP(b) 1920-1921 und dann wieder ab 1927. 1913-1917 Arbeiter auf einer Tabakplantage im Gebiet Vinnica. 1915-1918 Geselle bei einem Juwelier in Odessa. 1918-1920 in der Roten Armee. Von der Denikin-Armee gefangengenommen und nach Char’kov verbracht. 1920-1921 operativer Mitarbeiter der Tscheka in Vladikavkaz. 1921-1922 Mitarbeiter bei der Gouvernement Tscheka von Podol’sk und der Gebietsabteilung35 der GPU und des Grenzpostens von Jampol’. 1922-1923 Leiter des Militärzensur-Punktes der Kreis-Abteilung der GPU von Novo-Ušica. 1923-1925 Kontrolleur und Leiter Grenzeinheit der GPU der Stadt Mogilev-Podol’sk. 1925-1926 Instrukteur in der Stadt Balt der ASSR Moldawien. Bis 17.04.1939 Fahndungsbevollmächtigter der 11. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 17.04.1939 als Reservekader nach Odessa versetzt. Unterleutnant der Staatssicherheit. Am »Großen Vaterländischen Krieg« teilgenommen. Vesbejn, Michail Aleksandrovič (1890) Geboren in Krivoj Rog des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Niedrige Bildung. VKP(b) 1927. Arbeitete 1940 in der Industriekolonie des NKVD № 10 als Leiter der Versorgungsabteilung. Vinnickij, Lazar’ Il’ič (1915) Geboren in Odessa. Nationalität Jude. Mittlere Bildung. Mitglieder der VKP(b) seit 1939. Bis 09.10.1937 Assistent des Fahndungsbevollmächtigten des UNKVD des Gebiets Odessa. Kandidat für einen Sonderdienstgrad.36 Ab 09.10.1937 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung des UNKVD des Gebiets Odessa. 1938 erst 3. Abteilung (Konterrevolution) der Verwaltung des NKVD von Nikolaev, dann 2. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«). 1940 langgedienter Fahndungsbevоllmächtigter UNKVD des Gebiets Drogobyč der Ukrainischen SSR. Volkov Nikolaj Fedorovič (1898-1938) Geboren im Dorf Fedorovka im Kreis Sergač des Gouvernements Nižegorod. Nationalität Russe. Niedrige Bildung. Seit 1918 Mitglied der VKP(b). Von 03.1936-06.1937 Erster Sekretär des Rajonkomitees 35 36
Okrotdel. Speczvanie.
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Stalinistische Modernisierung
Novyj Bug der KP(b) der Ukraine des Gebiets Odessa. Von Juni bis 14.10.1937 Interims-Vorsitzender des Exekutivkomitees des Gebietssowjets von Odessa. Von September 1937 bis April 1938 Sekretär des Organisationsbüros des ZK der KP(b) der Ukraine des Gebiets Nikolaev und 1. Sekretär auf Abruf des Gebietskomitees der KP(b) der Ukraine. Mitglied der Gerichts-Trojka des NKVD des Gebiets Nikolaev. Am 30.04.1938 verhaftet. Erschossen am 23.09.1938. Ausführlich. vgl.: Bažan, O./Zolotar’ov, V., Oleksandr Uspens’kij: »Ja vvažaju sebe učnem Mykoly Ivanovyča Ježova«, in: Z archiviv VUČK-GPU-NKVD-KGB. 2014. № 1. S. 379; Filippov, S., Territorial’nye rukovoditeli VKP(b) v 1934-1939 gg. Spravočnik, Moskau 2016. Vološin (Lejzerzon) Petr Solomonovič (1900) Geboren im Dorf Sestrinevka des Kreises Berdičev des Gouvernements Kiew. Nationalität Jude. Mittlere Bildung. Ab 1936 Leiter einer Unterabteilung der Geheimen politischen Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa. Mit dem 23.03.1936 Leutnant der Staatssicherheit. Von 09.10.1937 Leiter der 4. Unterabteilung, der Geheimen politischen Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Nikolaev. Arbeitete 1938 als Leiter der 1. Unterabteilung der 2. Abteilung (»Geheime politische Abteilung«) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Von 1939-1940 stellvertretender Leiter der Fahndungsabteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 22.10.1940 aus den Organen des NKVD entlassen und aus der Reserveliste gestrichen. Voronin, Konstantin Afanas’evič (1906) Geboren in Odessa. Nationalität Ukrainer. Soziale Herkunft Arbeiter. Bis zum Eintritt in den NKVD arbeitete er 6 Jahre in der Produktion als Säger. Von 1928 bis 04.1929 bei den Truppen der OGPU. Seit 1928 in Kontakt mit dem Geheimdienst. Von 04.1929-01.03.1940 offiziell beim Geheimdienst. 22.03.1936 Unteroffizier der Staatssicherheit. Bis zum 09.10.1937 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit der Verwaltung des NKVD des Gebiets Odessa. Von 09.10.193715.08.1938 Leiter der 1. Unterabteilung der Geheimen politischen Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1939 Leiter der 1. Unterabteilung der 2. Abteilung des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Am 01.03.1940 aus dem NKVD entlassen. Am 07.05.1940 verhaftet. Am 23.03.1941 durch das Militärtribunal der Truppen des NKVD des Kiewer Bezirks nach § 206, Punkt »a« des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt. Unteroffizier der Staatssicherheit. Zaikin, Vladimir Nikiforovič (1917) Nationalität Russe. Mitglied des Komsomol. Seit 1938 bei den Organen des NKVD. Ab 23.08.1938 Unteroffizier der Staatssicherheit. 1942 Sonderbevollmächtigter des UNKVD der Autonomen SSR Dagestan. Am 05.11.1942 auf Befehl der Truppen der transkaukasischen Front mit der
Apparat
Medaille »Für hervorragende Arbeit«37 bei der »Tschekistischen Betreuung«38 von zwei Bataillons, mobilisiert zum Aufbau der Frontlinie von Machačkala. Zel’cman, Grigorij Semenovič (1911) Geboren in Jusovka des Gouvernements Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Niedrige Bildung. Seit 1938 in der VKP(b). Von 1935-1937 Fahndungsbevollmächtigter der 4. Abteilung des UGB UNKVD des Gebiets Doneck. Seit 22.05.1936 Unteroffizier der Staatssicherheit und Mitarbeiter des UNKVD des Gebiets Doneck. Versetzt in den UNKVD des Gebiets Nikolaev. Arbeitete 1938 als langgedienter Untersuchungsführer im UNKVD des Gebiets Nikolaev. Anfang 1939 bis 20.05.1940 Assistent des Leiters der 1. Unterabteilung der »Geheimen politischen Abteilung« des UNKVD des Gebiets Nikolaev. Aus dem NKVD entlassen. Ende 1940 Mitarbeiter der Leitung der Fabrik »Stalin«. Nicht vorbestraft. Während des »Großen Vaterländischen Krieges« Hauptmann. 1985 ausgezeichnet mit dem »Jubiläums-Orden des Vaterländischen Krieges« 2. Ordnung. Zlobinskij, Aleksandr Michajlovič (1902) Geboren in Ekaterinoslav. Nationalität Jude. Seit 1931 in der VKP(b). Seit 1921 bei den Organen der VČK-GPU-NKVD. Seit 1936 langgedienter Leutnant der RKKA. Ab 1937 Leiter der 3. Unterabteilung der 3. Abteilung für Konterrevolution der Verwaltung des NKVD des Gebiets Vinnica. Ab Oktober Leiter der 1. Unterabteilung der 3. Abteilung für Konterrevolution der Verwaltung des NKVD im Gebiet Kamenec-Podol’sk. 04.03.1938 stellvertretender Leiter des Leiters der 3. Abteilung des UGB NKVD des Gebiets Kamenec-Podol’sk. Ab 20.04.1938 Leiter der 6. Unterabteilung der 3. Abteilung der Verwaltung des NKVD der Ukrainischen SSR, dann vorübergehender Leiter der 7. Abteilung für Verteidigungsindustrie der 1. Verwaltungsabteilung des NKVD der Ukrainischen SSR. Am 9. Mai 1938 ausgezeichnet mit dem Abzeichen eines »Ehrenhaften Tschekisten«.39 Ab September 1938 in der Hauptverwaltung für Überlandstraßen40 des NKVD der UdSSR. Ab August 1941 Dienst in der Armee. Wieder bei Hauptverwaltung für Straßenbau des NKVD der UdSSR des NKVD der UdSSR. Ab 10.1949-1951 stellvertretender Leiter des Arbeitslagers und Bauprojekts № 8 der Hauptverwaltung für Straßenbau des NKVD des Gebiets Zaparože. 1951 pensioniert. Oberstleutnant. Ausgezeichnet mit zwei weiteren Orden, mit dem »Orden des Vaterländischen Krieges« 1. Ordnung und mit dem »Rotbannerorden«. Ausführlich, vgl.: Timšis, M. A./Zolotar’ov, V. A., Evrei v NKVD SSSR 1936-1938 gg. Opyt biografičeskogo slovorja, Moskau 2017. S. 310. 37 38 39 40
Za trudovoe otličie. Za »čekistskoe obsluživnie«. Značek početnogo čekista. Glavnoe upravlenie šosejnych dorog.
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Stalinistische Modernisierung
Zubkov, Pavel Karpovič (1897) Geboren im Dorf Anenkovo des Rajons Fatež des Gouvernements Kursk. Nationalität Russe. Angestellter. Des Lesens und Schreibens fähig. Parteilos. KP(b)U seit 1919. 1937 ausgeschlossen. Nicht vorbestraft. Bis zur Verhaftung Direktor der Fischfabrik von Cherson. Am 30.12.1937 von der Kulaken-Trojka des Gebiets Nikolaev zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1939 rehabilitiert.
Quellen- und Literaturverzeichnis Archivdokumente CAMO Central’nyj archiv ministerstva oborony Rossii (Zentrales Archiv des Verteidigungsministeriums Russlands). Fond 33: Nagradnye dokumenty Glavnogo upravlenija kadrov Ministerstvа oborony Rossii (Dokumente über die Verleihung von Auszeichungen der Hauptverwaltung für Kader des russischen Verteidigungsministeriums). Fond 58: Dokumenty o bezvozvratnych poterjach v Velikoj Otečestvennoj vojne (Dokumente über unwiederbringliche Verluste im Großen Vaterländischen Krieg). Fond 138: Upravlenie Odesskogo voennogo okruga (Verwaltung des Militärbezirks von Odessa). Kartoteka nagraždenij (Kartei über [vergebene] Auszeichnungen). GA NikO Ukrainy Gosudarstvennyj archiv Nikolaevskoj oblasti (Staatliches Archiv des Gebiets Nikolaev der Ukraine). Fond P-7: Nikolaevskij oblastnoj komitet kommunističeskoj partii Ukrainy (Gebietskomitee der kommunistischen Partei der Ukraine des Gebiets Nikolaev). Fond R-5859: Upravlenie služby bezopasnosti Ukrainy Nikolaevskoj oblasti (Verwaltung des Staatssicherheitsdienstes der Ukraine des Gebiets Nikolaev). OGA SBU Otraslevoj gosudarstvennyj archiv služby bezopasnosti Ukrainy (Zweigstelle des staatlichen Archivs des Staatssicherheitsdienstes der Ukraine). Kiew: Fond 5: Ugolovnye dela na nereabilitirovannych lic (Strafakten nicht rehabilitierter Personen). Fond 6: Ugolovnye dela na reabilitirovannych lic (Strafakten rehabilitierter Personen). Fond 9: Normativno-rasporjaditel’nye dokumenty ČK-KGB (Normative-Weisungsdokumente von ČK-KGB).
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Fond 12: Ličnye dela byvšich sotrudnikov organov bezopasnosti (Personalakten ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes). Fond 13: Kollekcija pečatnych izdanii KGB USSR (Sammlung gedruckter Veröffentlichungen des KGB der Ukrainischen SSR). Fond 16: Sekretariat GPU-KGB USSR (Sekretariat von GPU-KGB der Ukrainischen SSR). Nikolaev: Fond 5: Ugolovnye dela na nereabilitirovannych lic (Strafakten nicht rehabilitierter Personen). D. 818 Ličnoe delo P. A. Novakova (Personalakte P. A. Novakovs). D. 4447 Ličnoe delo A. I. Ligermana (Personalakte A. I. Ligermans). D. 5200 Ličnoe delo A. F. Pojasova (Personalakte A. F. Pojasovs). Fond 6: Ugolovnye dela na reabilitirovannych lic (Strafakten rehabilitierter Personen). D. 3688-s Archivno–sledsvennoe delo na N. V. Ščerbina i.d. (Untersuchungsakte N. V. Ščerbinas und anderer). D. 1192-s Archivno–sledsvennoe delo na L. P. Fomina, L. M. Gladkova i.d. (Untersuchungsakte L. P. Fomins, L. M. Gladkovs und anderer). Cherson: Fond 5: Ugolovnye dela na nereabilitirovannych lic (Strafakten nicht rehabilitierter Personen). D. 2372 Archivno–sledsvennoe delo na I. F. Fedjaeva i. d. (Untersuchungsakte I. F. Fedjaevs und anderer). D. 4998 Ličnoe delo A. A. Semenova (Personalakte A. A. Semenovs). D. 1963 Ličnoe delo A. P. Protopopova (Personalakte A. P. Protopopovs). Kropivnickij (ehemals Kirovograd): Fond 5: Ugolovnye dela na nereabilitirovannych lic (Strafakten nicht rehabilitierter Personen). D. 2592 Ličnoe delo N. G. Ševčenko (Personalakte N. G. Ševčenkos). D. 6941 Delo osoboj inspekcii po obvineniju P. V. Kliševskogo, A. Krivošeeva, P. Ja. Korobceva i d. (Akte der Sonderinspektion zur Anklage P. V. Kliševskijs, A. Krivošeevs, P. Ja. Korobcevs und anderer). OSD UADA AK Otdel special’noj dokumentacii upravlenija archivnogo dela Altajskogo kraja (Abteilung für Spezialdokumente der Verwaltung von Archivakten der Altaj-Region). Fond R 2: Upravlenie FSB Rossijskoj Federacii po Altajskomu kraju (Verwaltung des FSB der Russischen Föderation der Altaj-Region).
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Dokumentenveröffentlichungen Avtobiografija byvševo načal’nika Osobogo otdela UNKVD po Nikolaevskoj oblasti Fedora Timofeeviča Ovčinnikova. 28.12.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 446-448. Barsukov, Oleksij Oleksandrovič (1892), in: Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga perša, Kiїv/Mikolaїv 2005, S. 458. Chaustov, Vladimir N. u.a. (Hg.): Lubjanka. Stalin i Glavnoe upravlenie gosbezopasnosti NKVD 1937-1938, Moskau 2004. Chaustov, Vladimir N. u.a. (Hg.): Lubjanka. Stalin i NKVD-NKGB-GUKP »SMERŠ«. 1939–mart 1946. Archiv Stalina. Dokumenty vysšich organov partijnoj i gosudarstvennoj vlasti, Moskau 2006. »Čerez trupy vraga na blago naroda«. Siehe: Junge, Marc/Binner, Rolf/Kokin, Sergej i. d. (Hg.): »Čerez trupy vraga na blago naroda«. »Kulackаja« operacija na Ukraine 1937-1938 gg. v ramkach prikaza № 00447, Tom 2: 1938-1941, Moskau 2010. Der Rat der Volkskommissare der UdSSR und das ZK der VKP(b) »Über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Durchführung des Untersuchungsverfahrens«. 17.11.1938, in: Massenmord und Lagerhaft, S. 479-483. Dikij proizvol, in: Krasnojarskij rabočij, 27.03.1938, S. 3; Krasnojarskij rabočij, 08.05.1938, S. 4. Direktiva CK VKP(b) ob učete i proverke v partijnych organach otvetstvennych sotrudnikov NKVD SSSR, 14.11.1938, in: Chaustov, Vladimir N. u.a. (Hg.): Lubjanka. Stalin i Glavnoe upravlenie gosbezopasnosti NKVD 1937-1938, Moskau 2004, S. 604-606. Direktiva-instrukcija CK VKP(b) i SNK SSSR »O prekraščenii massovych vyselenij krest’jan, uporjadočenii proizvodstva arestov i razgruzke mest zaključenija«. 08.05.1933, in: Danilov, Viktor/Zelenin, I./Kondrašin, V. u.a. (Hg.): Tragedija sovetskoj derevni. Kollektivizacija i raskulačivanie. Dokumenty i materialy v 5 tomach. 1937-1939. Tom 3. Konec 1930-1933, Moskau 2001, S. 746-750. Dokladnaja zapiska № 7519 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudebnyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 30.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 483-486. Dokladnaja zapiska № 7524 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudebnyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 31.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 488-491. Dokladnaja zapiska № 7534 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudeb-
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nyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 31.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 491-494. Dokladnaja zapiska № 7537 zamestitelja narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulova rukovodstvu NKVD SSSR o reagirovanii naselenija g. Kieva na sudebnyj process nad byvšimi sotrudnikami Moldavskoj ASSR. 31.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 494-496. Do konca razgromit’ vrašeskuju agenturu. Obzor pisem i otklikov trudjaščichsja na stat’i P. V. Karamyševa »O metodach i priemach podryvnoj raboty fašistskich razvedok i ich trockistsko–bucharinskoj i buržuazno–nacionalističeskoj agentury«, in: Južnaja Pravda, 15.07.1938, № 155, S. 3. Dopovidna zapyska načal’nyka UNKVS po Mykolaїvs’kij oblasti I. Jurčenka zastupnyku narkoma vnutrišnich sprav URSR A. Kobulovu pro nastroї kolyšnich areštantiv. 22.07.1939, Reabilitovani istorijeju. Mikolaїvs’ka oblas’, Kniga s’oma (Nr.7), Kiїv/Mikolaїv 2017, S. 222-224. Ėcho Bol’šogo terrora. Siehe: Junge, Marc/Viola, Lynne/Rossman, Džeffri (Verantwortliche Redakteure): Ėcho Bol’šogo terrora. Gazetnye stat’i načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 406-441. Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang, Dortmund 1976. Gol’dberg, G.: Slovo i delo po-sovetskij. Peslednij iz NKVD, in: Rodina, 1998, № 9, S. 85-87. Istorija VKP(b). Kratkij kurs. Učebnik po istorii Vsesojuznoj kommunističeskoj partii (bol’ševikov), Moskau 1938. Iz obvinitel’nogo zaključenija sledovatelja sledsvennoj časti GUGB NKVD SSSR po delu byv. zamestitelja narkoma vnutrennich del SSSR M. P. Frinovskogo. [Ne pozdneee 02.02.1940], in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, S. 723-724. Iz prigovora Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR v otnošenii byv. zamestitelja narkoma vnutrennich del SSSR M. P. Frinovskogo. 02.02.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, S. 724-725. Junge, Marc/Binner, Rolf/Kokin, Sergej i. d. (Hg.): »Čerez trupy vraga na blago naroda«. »Kulackаja« operacija na Ukraine 1937-1938 gg. v ramkach prikaza № 00447, Tom 1: 1938-1941, Moskau 2010. Junge, Marc/Viola, Lynne/Rossman, Džeffri (Verantwortliche Redakteure): Ėcho Bol’šogo terrora. Sbornik dokumentov v trech tomach, Tom 1: Partijnye sobranija i operativnye soveščanija sotrudnikov upravlenija NKVD USSR. Nojabr’ 1938 – nojabr’ 1939 gg., Hg. v. Vasil’ev, Valerij/Viola, Lynne/Podkur, Roman, Moskau 2017; Tom 2: Dokumenty iz archivnych ugolovnych del na sodrudnikov organov NKVD USSR, osužennych za narušenija socialističeskoj zakonnosti. Oktjabr’ 1938 g. – ijun’ 1943 g., Kniga 1: NKVD Moldavskoj ASSR, Dorožno-transportnyj otdel GUGB NKVD Severo-Doneckoj železnoj dorogi, UNKVD po Žito-
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mirskoj oblasti i UNKVD po Odesskoj oblasti, Hg. v. Kokin, Sergej/Rossman, Džeffri, Moskau 2018; Tom 2, Kniga 2: UNKVD po Kievskoj, Nikolaevskoj, Vinnickoj, Char’kovskoj i Vorošilovogradskoj oblastjam, Hg. v. Kokin, Sergej/Rossman, Džeffri, Moskau 2019; Tom 3: Čekisty Stalina v tiskach »socialističeskoj zakonnosti«. Ego-dokumenty 1938-1941 gg., Hg. v. Savin, Andrej/Tepljakov, Aleksej/Junge, Marc, Moskau 2018. Kalinin, Michail Ivanovič: Za bol’šoj sovetskoj morskoj flot. Iz reči na sobranii rabočich, inženerov i techničeskich rabotnikov i služaščich zavoda imeni Ordžonikidze v Leningrade ot 19.06.1938, in: Južnaja Pravda, 08.07.1938, № 148, S. 2. Karamyšev, Petr V.: O metodach i priemach podryvnoj raboty fašistskich razvedok i ich trockistsko–bucharinskoj buržuazno–nacionalstičeskoj agentury, in: Južnaja Pravda, 23.05.1938, № 110; 24.05.1938, № 111; 04.06.1938, № 120; 09.06.1938, № 124; 30.06.1938, № 144; 04.07.1938, № 146; 10.07.1938, № 151. Abgedruckt auch in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 406-441. Karamyšev, Petr V.: Vyše revoljucionnuju bditel’nost’, in: Južnaja Pravda, 23.05.1938, № 110. Abgedruckt auch in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 406409. Lenin Wladimir I.: Staat und Revolution//https://www.marxists.org/deutsch/ archiv/lenin/1917/staatrev/ Ličnoe delo načal’nika UNKVD po Nikolaevskoj oblasti P. V. Karamyševa, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 615-693. Makarenko, Anton Semenovič: Pedagogičeskaja poema, Moskau 1937. Mitin, Mark Borisovič: Der proletarische Staat und die Änderungen in der Verfassung der UdSSR, in: Unter dem Banner des Marxismus, 9, 1935, № 1, S. 1-20. Navesti bol’ševistskij porjadok na vodnom transporte, in: Južnaja Pravda, 30.03.1938, № 67, S. 1. Naši kandidaty v deputaty Verchovnogo Soveta USSR: Petr Karamyšev, in: Južnaja Pravda. 30.05.1938, № 116. Abgedruckt auch in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 417-420. Obvinitel’noe zaključenie po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuzmenko. 23.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 145-151. Obvinitel’noe zaključenie staršego sledsvennoj časti UGB NKVD USSR po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 11.05.1940, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 245-253. Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.03.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 407-408. Opredelenie Voennoj kollegii Verchovnogo suda SSSR po delu P. V. Karamyševa i drugich sotrudnikov NKVD. 30.04.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 509-510.
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Osoboe mnenie predsedatel’ščego Voennogo tribunala vojsk NKVD kievskogo okruga Gur’eva v otnošenii prigovora Ja. Truškinu i K. A. Voroninu. [05.01.1941], in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 406. Pervaja Nikolaevskaja partijnaja konferencija zakončila svoju rabotu, in: Južnaja Pravda, 30.05.1938, № 116, S. 1. Pis’mo narkoma vnutrennich del SSSR L. P. Berija pervomu zamestitelju narkoma vnutrennich del USSR A. Z. Kobulovu ob organizacii sudebnogo processa po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 22.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, S. 144-145. Politiko–ėkonomičeskaja charateristika Odesskoj oblasti. Načalo ijulia 1937 g., in: »Čerez trupy vraga na blago naroda«, S. 418-433. Polnost’ju vypolnit’ rešenija oblastnoj partijnoj konferencii partii, in: Južnaja Pravda, 30.05.1938, № 116, S. 1. Postanovlenie Politbjuro CK VKP(b) »O sostave kommissii politbjuro CK po sudebnym delam« s priloženiem zapiski M. I. Kalinina, in: www.alexanderyakovlev. org/fond/issues-doc/58627 (abgefragt 21.05.2018). Postanovlenie Politbjuro ob učete, proverke i utverždenii v СK VKP(b) otvetsvennych rabonikov Narkomvnutdela, Komiteta oborony, Narkomata voenno–morskogo flota, Narkomindela, Narkomata oboronnoj promyšlennosti, Komissii partijnogo kontrolja i Komissi sovetskogo kontrolja. 20.09.1938, in: Chlevnjuk, O. V./Kvašonkin, A. V./Košeleva, L. P./Rogovaja, L. A. (Hrsg): Stalinskoe Politbjuro v 30–e gody, Moskau 1995, S. 42-44. Prigovor Voennogo tribunala prograničnych i vnutrennich vojsk Kievskogo okruga po delu G. N. Jufy, I. V. Volkova, I. A. Špica, P. G. Čičikalo i S. P. Kuz’menko. 29-31 dekabrja 1938 g., in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 1, Moskau 2018, S. 179-185. Prigovor Voennogo tribunala vojsk NKVD Kievskogo okruga v otnošenii P. V. Karamyševa, Ja. L. Truškina, M. V. Garbuzova, K. A. Voronina. 04.01.1941, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 2, Kniga 2, Moskau 2019, S. 399-406. Prikaz № 00606 Narodnogo komissara vnutrennich del SSSR ob obrazovanii Osobych Troek dlja rassmotrenija del na arestovannych v porjadke prikazov NKVD SSSR № 00485 i dr[ugich] ot 17.09.1938, in: Junge, Marc/Bonveč, Bernd (Hg.): Bol’ševistskij porjadok v Gruzii, Bd. 2: Dokumenty i statistika, Moskau 2015, S. 165. Prikaz Narodnogo Komissara Vnutrennich del SSSR L. P. Berija № 00788 »O rezul’tatach obsledovanija raboty 1-go Special’nogo otdela NKVD SSSR«. 10.12.1938, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 546-551. Prikaz NKVD SSSR № 00486 »O nezakonnych metodach sledstvija v DTO NKVD Belorusskoj železnoj dorogi«, 04.05.1939, in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 566-568.
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Apparat
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Glossar Charbiner Die so genannten Charbiner – benannt nach der mandschurischen Stadt Harbin – waren Sowjetbürger, die ab 1935, nach dem Verkauf der Ostchinesischen Eisenbahn durch die Sowjetunion an Japan, in die Sowjetunion zurückgekehrt waren. Sie hatten als Ingenieure, Angestellte oder Bahnarbeiter bei dieser Bahngesellschaft gearbeitet. Im Rahmen der Nationalen Operation (siehe auch unter dem Stichwort Trojka) gegen die Charbiner (Befehl № 00593 vom 20. September 1937) wurden 46.317 Menschen verurteilt, davon 30.992 zum Tode durch Erschießen.
Apparat
Dvojka Die Dvojka, wie ihr Name sagt eine Zweierkommission, war zusammengesetzt aus dem Republiks-, Regions- oder Gebietsstaatsanwalt und dem jeweiligen Leiter des NKVD. Die Dreierkommission der Nationalen Trojka bestand genau wie bei der Kulaken-Trojka in der Regel aus dem Republiks-, Regionsoder Gebietsleiter des NKVD, dem jeweiligen Staatsanwalt und dem Parteisekretär. Die Dvojka verhängte Urteile bis zu einer Höhe von 10 Jahren oder die Todesstrafe. Die Dvojka wurde im Spätsommer 1938 durch die Nationale Trojka (vgl. unter Trojka) ersetzt. Dies geht auf den Befehl № 00606 »Über die Bildung von Besonderen Trojkas für die Behandlung von Fällen von Verhafteten im Rahmen der Befehle № 00485 und anderer« des Volkskommissars für Inneres der UdSSR N. I. Ežov vom 17. September 1938 zurück. Der wichtigste formale Unterschied zur Trojka bestand darin, dass die Dvojka ihre Urteile nicht ohne vorherige Genehmigung durch die so genannte Große Dvojka in Moskau unter Vorsitz von N. Ežov, Volkskommissar des Inneren, und ihrem Mitglied A. Vyšinskij, Staatsanwalt der UdSSR, vollstrecken lassen durften. Dazu wurden so genannte »Alben«41 samt Untersuchungsakten nach Moskau geschickt, die ähnlich wie die Trojka-Protokolle zu jeder Person Kurzanklagen und das geplante Strafmaß enthielten und dort bestätigt werden mussten. Gebiet Siehe unter Region. Kulaken Operation Siehe unter Trojka. Kulaken-Trojka Siehe unter Trojka Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR (Voennaja kollegija Verchovnogo Suda SSSR). Ein Allunionsorgan des Obersten Gerichts der UdSSR, dass dafür vorgesehen war, Fälle von besonderer Bedeutung zu behandelte. Es war eigentlich nur für die Leitungskader der Armee und Flotte (Kommandeur einer Einheit und höher) und auch für Personen, die wegen Verrats der Heimat angeklagt waren gedacht. Während des Großen Terrors verurteilte das Militärkollegium allerdings auch Vertreter der sowjetischen Führungsebene, Militärs, Ingenieure, Wissenschaftlicher, Kulturschaffende und Mitarbeiter des NKVD. Das Militärkollegium kontrollierte auch die Militärtribunale. (Siehe auch unter Militärtribunal der Truppen des NKVD). Militärtribunal der Truppen des NKVD (Voennyj tribunal vojsk NKVD). »Die Militärstaatsanwaltschaft und die Militärtribunale der Truppen des NKVD wurden auf der Basis des gemeinsamen Befehls des NKVD der UdSSR, der Staatsanwaltschaft der UdSSR und des Obersten Gerichts der UdSSR vom 7. Oktober 1934 ›Über die Reorganisation der Militärtribunale und der Militärstaatsanwaltschaften der Grenz- und Inneren Sicherheit‹ gegründet und nach administrativ-territorialen Prinzipien verteilt, d.h. sie wurden in den Regionen 41
Albomy.
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und Gebieten und in den Unionsrepubliken und Autonomen Republiken installiert und auch bei den Truppen des NKVD in den Kreisen, den großen Arbeitsbesserungslagern und den speziellen Bautrusts des NKVD der UdSSR. Gesteuert wurden die Tribunale durch das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR und zwar durch die 3. Abteilung. In den Vorkriegsjahren wurden 76 Militärtribunale der Truppen des NKVD gebildet. In den Zuständigkeitsbereich der Militärtribunale fiel die Behandlung von verhältnismäßig gefährlichen staatlichen Verbrechen von Bürgern, Mitarbeitern der Organe für Inneres und der Staatssicherheit, des Strafvollzugssystems und von Militärs der Truppen des NKVD. Den Militärstaatsanwälten der Truppen des NKVD wurde die Aufsicht über die Untersuchungsabteilungen des NKVD, der Miliz, der Truppen des NKVD, der Gefängnisse und die Untersuchungsführung bei Kriegsverbrechen und gewöhnlichen Verbrechen, die von Militärangehörigen verübt werden, übertragen. […]. Im Beschluss des Rats der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der VKP(b) vom 17. November 1938 ›Über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Durchführung des Untersuchungsverfahrens‹ heißt es, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits keine ausreichenden Maßnahmen zur Beseitigung der Unzulänglichkeiten bei der Arbeit der Organe der Staatssicherheit unternimmt indem sie in der Regel ihre Beteiligung bei der Untersuchung auf Registrierung und Abstemplung der Untersuchungsmaterialien beschränkt. Die Organe der Staatanwaltschaft haben es nicht nur versäumt die Verletzung der revolutionären Gesetzlichkeit zu beseitigen, sondern sie legalisieren faktisch die Verletzungen. […]. Anfang 1940 fasst das Politbüro des ZK der VKP(b) den Beschluss, dass bei allen Fällen von konterrevolutionären Verbrechen, die sich in der Bearbeitung der Organe der Staatanwaltschaft und des Gerichts befinden, die Gefangenen nur mit Einverständnis des NKVD entlassen werden können. […].«42 Erst am 13.12.1940 wurde offiziell legalisiert, Mitarbeiter des NKVD durch die Militärtribunale der Truppen des NKVD verurteilen zu lassen.43 Davor hatte man sich mit § 204 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR beholfen, der auch eine Übergabe von NKVD-Mitarbeitern an Militärtribunale vorsieht. Miliz-Trojka Siehe unter Trojka. Nationale Linien Siehe unter Trojka. Nationale Operationen Siehe unter Trojka. Nationale Trojka Siehe unter Trojka. 42 43
Zabava, A., Prokuratury i tribunaly vojsk NKVD, in: www.pogranec.ru/showthread.php?t= 32701 (06.03.2017). Ukaz prezidiuma Verchovnogo soveta SSSR »Оb izmenenii podsudnosti voennych tribunalov«. 13.12.1940, in: Baženova, N. A. (Hg.), Organizacija suda i prokuratury v SSSR. Učebnik dlja slušatelej vuzov MVD SSSR, Moskau 1988, S. 69. Abgedruckt auch in: Ėcho Bol’šogo terrora, Tom 3, Moskau 2018, S. 741-742.
Apparat
Operative Sektoren Die Territorien wurden auch im Großen Terror in operative Sektoren unterteilt, die entsprechenden Leiter ernannt und die operativen Gruppen zusammengestellt. Das Gebiet Kiew war in 7 Sektoren eingeteilt, die Moldauische ASSR in 2 Sektoren. Der Leiter des UNKVD des Gebiets Kiew sah folgenden Vorteil in den Sektoren: »Für die Ziele, die operative Leitung näher an die Organe der Peripherie, die die Operation durchführen, heranzubringen, wurden an 7 Punkten des Gebiets (Kiew, Žitomir, Korosten’, Novograd Volynsk, Uman’, Čerkassy und Belaja Cerkov) operative Untersuchungsgruppen eingerichtet, denen die umgebenden Rajon angegliedert sind«. Auf die operativen Sektoren wurden die der Republik, Region oder dem Gebiet aus Moskau zugewiesenen Limite aufgeteilt. Eine zentrale Rolle kam den Leitern der operativen Sektoren zu. Sie kontrollierten die Zusammenstellung der Verhaftungslisten, stellten den Haftbefehl aus, überwachten die Voruntersuchung und leiteten die meist kaum eine Seite umfassende Anklageschrift an die Trojka weiter. Der Mitarbeiterstab des operativen Sektors bestand aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl aus Mitarbeitern der Rajonabteilungen von Geheimpolizei und Miliz (im Falle der dokladčiki/Vortragenden) und aus Mitarbeitern aus dem Gebietszentrum von Geheimpolizei und Miliz.44 In der Ukraine wurden die Operativen Sektoren »Rajonübergreifende operative Gruppen«45 genannt. Umstritten ist allerdings, ob die »Rajonübergreifenden operativen Gruppen« vollständig identisch mit den Operativen Sektoren waren, oder ob es sich um größere Einheiten handelte, die nur vorrübergehend installiert worden waren. Der Autor dieser Veröffentlichung tendiert zu der Einschätzung, dass es sich um ein- und dieselbe Organisationsform handelte, nur mit unterschiedlicher Bezeichnung. Osoaviachim (Obščestvo sodejstvija oborone, aviacionnomu i chimičeskomu stroitel’stvu). Gesellschaft zur Förderung der Verteidigung, des Flugwesens und der Chemieindustrie Eine 1927 gegründete gesellschaftliche Organisation, die vor allem in den 1930er- und 1940er-Jahren die Aufgabe hatte, Nachwuchs an Personal für die sowjetischen Luftstreitkräfte durch die Vorauswahl von geeigneten Personen bzw. durch Vorschulungen zur Verfügung zu stellen. Prosvita (Vseukrainskoe obščestvo »Prosveščenija« imeni Tarasa Ševčenko). Eine in der Ukraine 1868 gegründete gesellschaftliche Organisation, die Werte der Aufklärung auch den breiten Massen zugänglich machen und damit auch einheitliche Werte für eine Nationsbildung schaffen sollte. Rajonübergreifende operative Gruppe (Mežrajopergruppa). Siehe unter operative Sektoren. 44 45
Ausführlich, vgl.: Massenmord und Lagerhaft, S. 46, 125. Mežrajopergruppa.
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Region (Kraj). Gebiete46 , die ethnische administrative Untereinheiten umfassten, trugen die Bezeichnung Region. SMERŠ (Glavnoe upravlenie kontrrazvedki »Smert’ špionam« nardodnogo komissariata oborony SSSR). Hauptverwaltung für Konterspionage »Tod den Spionen« des Volkskommissariats für Verteidigung der UdSSR. Militärischer Abschirmdienst der Sowjetunion. Gegründet am 19.04.1943 und im Mai 1946 aufgelöst. Er diente vornehmlich der Spionageabwehr, bzw. »Verräter, Deserteure, Spione und kriminelle Elemente« dingfest zu machen, richtete sich aber nicht nur gegen Agenten der deutschen Abwehr. So wurden grundsätzlich auch kriegsgefangene sowjetische Soldaten, die in ihr Heimatland fliehen konnten, als Verräter und Desereure angesehen und entsprechend geprüft und öfter verfolgt. Sonderbevollmächtigter (Osoboupolnomočennyj). Siehe unter Sonderinspektion. Sonderinspektion (Osobaja inspekcija). Innerhalb des Geheimdienstes und der Miliz hat es ein Art Polizei mit Sonderkontrollrechten gegeben. Ab 1923 bis 1924 hat eine Kommission zur Bekämpfung von Bestechung im Geheimdienst der RSFSR bestanden. Ab 1934 bis 1941 wurden im NKVD sog. Sonderbevollmächtigte installiert und zwar auf der zentralen Ebene, der Ebene der einzelnen Republiken und der Regions- und Gebietsebene. Sie hatten die Aufgabe Spezialaufträge zu erfüllen, die die Überprüfung und Verfolgung von Fällen von Mitarbeiter des NKVD betrafen, die Gesetzesverletzungen begangen haben; die Überprüfung von Materialien auf der Grundlage von Eingaben, Beschwerden und Rapporten über Verbrechen im Dienst; die Anregung und Durchführung von Untersuchungsverfahren gegen Mitarbeiter; die Überwachung der einzelnen Teilbereiche der Arbeit der örtlichen Organe des NKVD. 1941-1947 wurde dann eine Sonderinspektion bei der Kaderabteilung des NKVD der UdSSR, der Republiken, Regionen und Gebieten eingerichtet; 1947-1953 dann getrennt nach Geheimdienst und Miliz. Mit diesem Hebel kontrollierte das Republik-NKVD der Ukraine mit Unterstützung der NKVD-Struktur der einzelnen Gebiete turnusgemäß bzw. routinemäßig zum einen die eigene Behörde und die UNKVDs der Gebiete als Ganzes auf Unregelmäßigkeiten bei der Arbeit und zum anderen wurde jeder Mitarbeiter gesondert nochmal individuell unter die Lupe genommen. Sonderversammlung beim NKVD der UdSSR (Osoboe soveščanie pri NKVD SSSR). Die Sonderversammlung wurde durch einen gemeinsamen Beschluss des Zentralen Exekutivkomitees und des Rats der Volkskommissare vom 5. November 1934 nach der Liquidierung des Gerichtskollegiums der OGPU eingerichtet und am 1. September 1953 wieder abgeschafft. Mitglieder der Sonderversammlung waren: Stellvertreter des Volkskommissars für Inneres, ein Fahndungs46
Oblasti.
Apparat
bevollmächtigter des NKVD der RSFSR, der Leiter der Arbeiter- und Bauernmiliz und der Volkskommissar der Unionsrepubliken, auf dessen Territorium der Fall angestoßen wurde. Die Sonderversammlung konnte Gefängnisstrafen, Verbannung und andere Strafen verhängen. Während des Großen Terrors erfüllte die Sonderversammlung eine unterstützende Rolle. Das maximale Strafmaß betrug in dieser Periode offiziell 8 Jahre. Mit dem Beschluss des Rats der Volkskommissare der UdSSR und des ZK der VKP(b) vom 17. November 1938 »Über Verhaftungen, staatsanwaltliche Aufsicht und Durchführung des Untersuchungsverfahrens« wurde bestimmt, dass der Sonderversammlung nur Fälle übergeben werden dürfen, die nicht öffentlich durch die operativen Versammlungen des NKVD behandelt werden können. Die Sonderversammlung war nicht Teil des Gerichtssystems, also ein außergerichtliches Organ, zumal sie in Abwesenheit des Betroffenen den Fall behandelte. Faktisch verfügte die Sonderversammlung aber über Gerichtsvollmachten. Die Urteile wurden in einem vereinfachten Verfahren ausgesprochen, ohne die Anwesenheit des Angeklagten und ohne einen Advokaten. Trojka Es handelt sich um ein auf Gebiets-, Regions- und Republikebene gebildetes Dreiergremium, das in einem außergerichtlichen Schnellverfahren seine Urteile aussprach. Dem Gremium gehörten in der Regel der Leiter des NKVD, der Erste Parteisekretär und der Erste Staatsanwalt des jeweiligen Gebiets47 , der Region48 oder der jeweiligen Republik an. Im Großen Terror von 1937-1938 sind drei verschiedene Trojki zu unterscheiden, die sogenannte Kulaken-Trojka, die Nationale Trojka und die Miliz-Trojka. Im Rahmen der Kulaken-Trojka wurden auf der Grundlage nach Befehl № 00447 »Kulaken, Kriminelle und andere konterrevolutionäre Elemente« zu 5, 8, 10 Lagerhaft oder zum Tode verurteilte. Die Nationale Trojka bediente die Verfolgungskampagne gegen in der Sowjetunion lebende Ausländer aus den Nachbarstaaten und ethnische Minoritäten, deren Herkunftsland einer dieser Nachbarstaaten war. Die Basis dafür bildeten die sog. Nationalen Operationen (Nationale Linien) gegen Deutsche, Polen, Letten, Griechen, Türken, Iraner, Japaner usw. Als drittes ist die Miliz-Trojka zu nennen. Sie wurde »zur Prüfung von Strafsachen krimineller und deklassierter Elemente und Personen, die böswillig gegen die Passordnung verstoßen« im Mai 1935 sowjetunionweit ins Leben gerufen. Allerdings hat es in der Ukraine mindestens schon seit 1929 auf zentraler Ebene eine Miliz-Trojka gegeben. Vorsitzender war in der Regel der Leiter des UNKVD bzw. sein Stellvertreter, Mitglieder waren ein Gebietsstaatsanwalt und der Leiter der Verwaltung der Miliz sowie der Leiter der verantwortlichen Abteilungen der Miliz, dessen Akte 47 48
Oblast’. Kraj.
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auf der Miliz-Trojka-Sitzung behandelt werden sollte. Der ebenfalls anwesende Sekretär kam entweder aus der Verwaltung des Staatssicherheitsdienstes (UGB) oder der Miliz. Die Miliz-Trojka verurteilte sogenannte »sozial feindliche Elemente«, d.h. Vagabunden, Bettler, Diebe, Prostituierte, Verletzer der Passgesetze usw. bis zu fünf Jahren Lager.49
Abkürzungen АСhO Administrativno-chozjajstvennyj otdel (Administrative Wirtschaftsabteilung). ASSR Avtonomnaja socialističeskaja sovetskaja respublika (Autonome sozialistische Sowjetrepublik). BIR Bjuro inspekcija rezervov (Inspektionsbüro für [Mitarbeiter-]Reserve). BRP Bratstvo russkoj pravdy (Bruderschaft der russischen Wahrheit). CAMO Central’nyj archiv ministerstva oborony Rossii (Zentrales Archiv des Verteidigungsministeriums Russlands). Čаst’ Teil. CIK Central’nyj ispolnitel’nyj komitet (Zentrales Exekutivkomitee). ČK Črezvyčajnajа komissja (Außerordentliche Kommission = Geheimdienst). CKK Central’naja kontrol’naja komissija (Zentrale Kontrollkommission). D. Delo (Akte). ĖKO Ėkonomičeskij otdel (Ökonomische Abteilung). F. Fond. GA NikO Gosudarstvennyj archiv Nikolaevskoj oblasti (Staatliches Archiv des Gebiets Nikolaev). GO Gorodskoj otdel (Stadtabteilung). GPU Gosudarstvennoe političeskoe upravlenie (Staatliche politische Verwaltung). GUGB Glavnoe upravlenie gosudarstvennoj bezopasnosti (Hauptverwaltung für Staatssicherheit). ITL Ispravitel’no-trodovoj lager’ (Arbeitsbesserungslager). k.-r. Kontrrevoljucionnyj (konterrevolutionär). Karateli/Karatelnye otrjady (Mitglieder von zaristischen Strafabteilungen). KGB Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti (Komitee für Staatssicherheit). KOVO Kievskij osobyj voennyj okrug (Kiewer Sondermilitärbezirk). KP(b)U Kommunističeskaja partija (bol’ševikov) Ukrainy (Kommunistische Partei der Bolschewiki der Ukraine). 49
Vgl. ausführlich zu den verschieden außergerichtlichen Organen der Trojki und Dvojki: Junge, M., Die Massenoperationen, in: Junge/Bonwetsch, Bolschewistische Ordnung in Georgien, S. 33-41.
Apparat
KPSS Kommunističeskaja partija sovetskogo sojuza (Kommunistische Partei der Sowjetunion). KRO Kontrrazvedyvatel’nyj otdel (Konterspionage Abteilung). L. List (Blatt). MGB SSSR Ministerstvo gosudarstvennoj bezopasnosti SSSR (Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR). МТS Mašino-traktornaja stancija (Maschinen- und Traktorenstation). MVD Ministerstvo vnutrennich del (Innenministerium). nač. Načal’nik (Leiter). NKGB Narodnyj komissariat gosudarstvennoj bezopasnosti (Volkskommissariat für Staatssicherheit). NKVD Narodnyj komissariat vnutrennich del (Volkskommissariat des Inneren). ob. oborotom (Rückseite). OBChSS Otdel po bor’be s chiščeniem socialističeskoj sobstvennosti (Abteilung zur Bekämpfung der Unterschlagung von sozialistischem Eigentum). OGA SBU Otraslevoj gosudarstvennyj archiv služby bezopasnosti Ukrainy (Zweigstelle des staatlichen Archivs des Staatssicherheitsdienstes der Ukraine). OGPU Ob-edinennoe gosudarstvennoe političeskoe upravlenie (Vereinigte staatliche politische Verwaltung). OMZ Otdel mest zaključenija (Abteilung für Haftanstalten). ОО Osobyj otdel (Sonderabteilung). Op. Opis’ (Verzeichnis). OPO Оtdel požarnoj ochrany (Feuerwehrabteilung). OŠOSDOR Otdel šossejnych dorog (Abteilung für Fernstraßen). OSU NKVD Osoboupolnomočennyj NKVD (Sonderbevollmächtigter des NKVD). OTK Otdel trudovych kolonii (Abteilung für Arbeitslager). RKKA Raboče-krest’janskaja krasnaja armija (Rote Arbeiter- und Bauern-Armee). RKM Raboče-krest’janskaja milicija (Arbeiter- und Bauernmiliz). RKP(b) Russkaja kommunističeskaja partija (bol’ševikov) (Russische Kommunistische Partei (Bolschewiki)). RO Rajonnyj otdel (Rajon-Abteilung). ROVS Russkij obščevoinskij sojuz (Russische allgemeinmilitärische Vereinigung). SPO Sekretno-političeskij otdel (Geheime politische Abteilung). Т. Tom (Band). Tscheka Siehe VČK. Tschekisten Sammelbezeichnung für Mitarbeiter der/des VČK-OGPU-NKVDKGB. UdSSR (SSSR) Sojuz sovetskich socialističeskich respublik (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken). UGB Upravlenie gosudarstvennoj bezopasnosti (Verwaltung für Staatssicherheit). UK Ugolovnyj kodeks (Strafgesetzbuch).
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UKP Ukraninskaja kommunističeskaja partija (Ukranische kommunistische Partei). UITK Upravlenie ispravitel’no-trudovych kolinij (Verwaltung für Arbeitsbesserungskolonien). UNKVD Upravlenie narodnogo komissariata vnutrennich del ([Gebiets-] Verwaltung des Volkskommissariats des Inneren). UPSF Ukrainskaja partija socialistiv-federalistov (Ukrainische Partei der Sozialisten-Föderalisten). UPSR Ukrainskaja partija socialistov revoljucionerov (Ukrainsche Partei der Sozialisten-Revolutionäre). UPSS Ukrainskaja partija socialistov-samostijnikov (Ukrainische Partei der unabhängigen Sozialisten). URO RKM Otdel ugolovnogo rozyska RKM (Fahndungsabteilung der Arbeiter- und Bauernmiliz). USDRP Ukrainskaja social-demokratičeskaja partija (Ukrainische sozialdemokratische Arbeiterpartei). USSR Ukrainskaja sovetskaja socialističeskaja respublika (Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik). VČK (ČK) Vserossijskaja črezvyčajnaja komissija po bor’be s kontrrevoljuciej, sabotažem i spekuljaciej (črezvyčajnaja komissija) (Allrussische Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Sabotage und Spekulation [Tscheka]). VKP(b) Vsesojuznaja kommunističeskaja partija (bol’ševikov) (Kommunistische Allunions-Partei (Bolschewiki)). VO Voennyj okrug (Militärbezirk). vrid. Vremeno izpolnjajuščij dolžnosti (kommissarisch tätig). VT Voennyj tribunal (Militärtribunal). VUAN Vseukrainskaja akademija nauk (Allukrainische Akademie der Wissenschaften). zam. zamestitel’ (Stellvertreter). ZK (CK) Centralnyj komitet (Zentralkomitee).
Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Struktur der Verwaltung des NKVD (UNKVD) des Gebiets Nikolaev. 1937. Tabelle 2 Struktur der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937. Tabelle 3 Struktur der Verwaltung der Arbeiter und Bauernmiliz des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937.
Apparat
Tabelle 4 Nicht-operativen Abteilungen des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1937. Tabelle 5 Unterabteilungen der 3. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des NKVD der Ukraine. 1937. Tabelle 6 Unterabteilungen der 4. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des UNKVD des Gebiets Char’kov. 1937. Tabelle 7 Unterabteilungen der 11. Abteilung der Verwaltung der Staatsicherheit des NKVD der Ukraine. 1937. Tabelle 8 NKVD der Ukraine. 1938. Tabelle 9 Verwaltung der Staatsicherheit (UGB) des UNKVD des Gebiets Nikolaev. 1940.
Abbildungsnachweise Foto 1 Fišer, Iosif Borisovič, ca. 1937, Petrov, Nikita V./Skorkin, Konstantin V.: Kto rukovodil NKVD 1934-1941. Spravočnik, Moskau 1999, S. 424. Foto 2 Karamyšev, Petr’ Vasilevič, ca. 1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31017, Tom 1. Foto 3 Karamyšev, Petr’ Vasilevič, 1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, Op. 1, D. 67990, T. 1, L. 9 (konvert). Foto 4 Pojasov, Akim Filipovič, ca. 1920, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 5200. Foto 5 Pojasov, Akim Filipovič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 5200. Foto 6 Truškin, Jakov Luk’janovič, 1939, OGA SBU, Kiev, F. 5, Op. 1, D. 67990, Tom 1, L. 37 (konvert). Foto 7 Voronin, Konstantin Afanas’evič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4478os. Foto 8 Garbuzov, Michail Vasil’evič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4491-os. Foto 9 Ovčinnikov, Fedor Timofeevič, ca. 1937, OGA SBU, Kiev, F. 5, Op. 1, D. 38324, Tom 6. Foto 10 Ovčinnikov, Fedor Timofeevič, 1940, OGA SBU, Kiev, F. 5, Op. 1, D. 38324, Tom 6. Foto 11 Zel’cman, Grigorij Semenovič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 2071-os. Foto 12 Fedorovskij, Aron Judkovič, ca. 1940, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4541-os. Foto 13 Novakov, Petr Aleksandrovič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 818-os. Foto 14 Ligermann, Aron Isaakovič, ca. 1938, OGA SBU, Nikolaev, F. 5, D. 4447-os. Foto 15 Livšic, Zel’man Davidovič, ca.1937, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31019. Foto 16 Korobcev, Petr Jakovlevič, ca. 1936, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31309-os. Foto 17 Korobcev, Petr Jakovlevič, ca. 1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31309-os. Foto 18 Demčuk, Elizar Fedorovič, ca. 1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, Op. 1, D. 31020-os. Foto 19 Fedjaev, Ivan Fedorovič, ca. 1938, OGA SBU, Cherson, F. 5, D. 2372-os.
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Foto 20 Semenov, Aleksandr Aleksandrovič, ca. 1938, OGA SBU, Kiev, F. 5, Op. 1, D. 68218, T. 3. Foto 21 Šor, Sysoj Abramovič, ca. 1938, OGA SBU, Kiev, F. 12, Služebnaja kartočka. Foto 22 Lenin-Orden. Foto aus Archiv des Autors. Foto 23 Rotbanner-Orden. Foto aus Archiv des Autors. Foto 24 Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK. Ausgegeben ab dem V Gründungsjubiläum der Geheimpolizei 1921. Foto aus Archiv des Autors. Foto 25 Ehrenhafter Mitarbeiter der VČK. Ausgegeben ab dem XV Gründungsjubiläum der Geheimpolizei 1932. Foto aus Archiv des Autors.
Geschichtswissenschaft Reinhard Bernbeck
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»Humanisierung der Arbeit« Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts 2019, 336 S., kart., 1 Farbabbildung 34,99 € (DE), 978-3-8376-4653-5 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4653-9
Alexandra Przyrembel, Claudia Scheel (Hg.)
Europa und Erinnerung Erinnerungsorte und Medien im 19. und 20. Jahrhundert 2019, 260 S., kart., 10 SW-Abbildungen, 2 Farbabbildungen 24,99 € (DE), 978-3-8376-4876-8 E-Book: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4876-2
Eva von Contzen, Tobias Huff, Peter Itzen (Hg.)
Risikogesellschaften Literatur- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven 2018, 272 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4323-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4323-1
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