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German Pages 368 Year 2000
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 58
Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels von 1830 bis 1888
Von
Thomas Keiderling
Duncker & Humblot · Berlin
THOMAS KEIDERLING
Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels von 1830 bis 1888
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer Band 58
Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels von 1830 bis 1888
Von
Thomas Keiderling
Duncker & Humblot • Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Keiderling, Thomas:
Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels von 1830 bis 1888 / von Thomas Keiderling. - 1. Aufl. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ; Bd. 58) Zugl.: Leipzig, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-09952-4
Alle Rechte vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-09952-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©
Vorwort Das 19. Jahrhundert brachte für Deutschland umfassende, ja revolutionäre Veränderungen. Nachdem die Voraussetzungen zur Industrialisierung gegeben waren, setzte ein langanhaltender wirtschaftlicher Aufschwung ein, der nahezu alle Bereiche des sozialen, politischen und kulturellen Lebens modernisieren sollte. Die Wissenschaft hat sich dieser faszinierenden Thematik intensiv angenommen und eine Vielzahl von profunden Gesamtdarstellungen, aber auch in die Tiefe gehenden Einzelstudien vorgelegt. Trotz der jüngsten Konjunktur hochspezialisierter wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Arbeiten zur Industrialisierung bleiben noch manche Forschungslücken zu schließen. Bislang ungesichtete Archivalien, neue Fragestellungen und Beurteilungsperspektiven sowie verbesserte Möglichkeiten der quantitativen sowie qualitativen Auswertung werden auch in Zukunft das Interesse an dieser Epoche wachhalten. Vor allem wird es darum gehen, den Ertrag der Spezialforschung in kompetenter Weise zu synthetisieren. Die Modernisierung des Kommissionsbuchhandels ist ein Bestandteil der Industrialisierung, der für viele Zeitgenossen nicht so transparent ablief wie in anderen Wirtschaftszweigen. Viele Unternehmer außerhalb Leipzigs konnten sich den konkreten Geschäftsbetrieb kaum vorstellen, da sie die Buchhandelsmetropole durch eigenen Augenschein nicht kannten oder bei kurzen Messeaufenthalten nur wenig von der Arbeitsweise der Kommissionsgeschäfte erfuhren. Einerseits waren sie erfreut über die Aufgabenabwälzung an den Kommissionär, andererseits verärgert über die jährlich zu zahlenden Spesen und Kommissionsgebühren. Das alles führte zu überspannten Erwartungen, Gerüchten und Beschuldigungen, die sich durch die Branchenblätter, Buchhändlerkorrespondenzen und Literaturen jener Zeit zogen. Insofern verwundert es nicht, daß die Veränderungen im Buchhandel keine so große Öffentlichkeit erreichten wie beispielsweise die Einführung neuer Maschinen in der Industrie oder im Verkehrssektor. Erhielten aber die Zeitgenossen Einblicke in den Kommissionsbuchhandel, dann waren sie begeistert von den dortigen revolutionären Veränderungen. Seit mehr als fünf Jahren arbeite ich an der Thematik. Anfangs beschäftigte mich der Kommissionsbuchhandel in seiner Bedeutung für den überregionalen wie übernationalen Warentransfer, den ich am Beispiel deutsch-englischer Handelskontakte untersuchte. Die Tatsache, daß bis heute keine Monographie zum Kommissionsbuchhandel vorliegt, die diesen während seiner Hauptwachstümsphase im 19. Jahrhundert untersucht, hat mich in der Entscheidung bestärkt, dieses Thema zu einer Dissertation auszuweiten.
6
Vorwort
Für mannigfache Hilfe habe ich herzlich zu danken. Mein besonderer Dank gilt dem Mentor Prof. Dr. Hartmut Zwahr, der die Dissertation von Anfang an sehr wohlwollend unterstützt und verständnisvoll betreut hat. Das von ihm geleitete Oberseminar sowie der Sozialgeschichtliche Arbeitskreis gaben wiederholt Anlaß, um von den Fortschritten und Problemen der Arbeit zu berichten. Der intensive Kontakt zum buchwissenschaftlichen Fachbereich der Universität Leipzig unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Dietrich Kerlen hat den Blick für weiterführende ökonomische Fragestellungen geschärft. Ferner möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig, besonders bei Simone Bieneck, Birgit Foth, Sigrid Gentsch und Carola Staniek, sowie den Mitarbeitern des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig und des Sächsischen Hauptstaatsarchivs in Dresden für die Bereitstellung des Quellenmaterials bedanken. Mir wurde ein Zugang auch dann gestattet, wenn es der desolate Zustand einiger Akten, z. B. des Brockhaus-Nachlasses, nur unter Vorbehalt zuließ. Die Benutzung der teilweise nicht öffentlich zugänglichen Archive in Österreich und in der Schweiz wurde ermöglicht durch Gerhard Anton vom Hauptverband des Österreichischen Buchhandels in Wien und Peter Oprecht vom Vereinsarchiv des Buchverleger-Verbandes der deutschsprachigen Schweiz in Zürich. Ferner haben Heinz Sauerländer und Tobias Greuter vom Sauerländer-Archiv Aarau bei der Quellenrecherche geholfen. Besonders hervorheben möchte ich das intensive Fachgespräch und die gemeinsame Lehrtätigkeit mit Dr. Volker Titel, die für das Zustandekommen der Arbeit wichtige Impulse gegeben haben. Die Projektarbeit innerhalb der „Kontaktgruppe Buchhandelsgeschichte" (KGB), besonders die Ausstellung „Leipzig 1896. Momentaufnahmen einer Buchhandelsstadt" im Alten Rathaus sowie das jüngst angelaufene umfangreiche Oral-History-Projekt zur Befragung von Zeitzeugen des Leipziger Buchgewerbes für die Zeit von 1920 bis zur Gegenwart haben die Forschungsarbeit in so mancher Hinsicht beflügelt. Der anregende Briefwechsel mit Dr. Wolfgang Berg, dem Geschäftsführer von der Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH in Kornwestheim bei Stuttgart, ermöglichte mir darüber hinaus tiefe Einblicke in die Probleme des heutigen Zwischenbuchhandels. Ein großes Dankeschön gilt der Studienstiftung des deutschen Volkes, die meine wissenschaftliche Arbeit nicht nur finanziell ermöglicht, sondern auch durch Doktorandenseminare fachlich betreut hat. Insbesondere hat Prof. Dr. Tilman Butz in seiner Funktion als Vertrauensdozent der Studienstiftung meine Arbeit stets unterstützend begleitet. Dank seiner Befürwortung beteiligte sich die Studienstiftung an der Finanzierung meiner zahlreichen Archivreisen im Ausland. Die vorliegende Publikation wurde am 9. April 1999 von der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig als Dissertation angenommen. Bei den Gutachtern Prof. Dr. Hartmut Zwahr (Lehrstuhl für Sozialund Wirtschaftsgeschichte der Universität Leipzig), Prof. Dr. Hubert Kiesewetter
Vorwort
(Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Katholischen Universität Eichstätt) sowie Prof. Dr. Ernst Fischer (Professur am Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz) bedanke ich mich nachdrücklich für die vielen fachlichen Hinweise und Anregungen. Mein Dank gilt schließlich Herrn Prof. Dr. Dr. Wolfram Fischer, der die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte" ermöglichte. Die Drucklegung wurde durch die Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH in Kornwestheim sowie durch die Koch, Neff & Oetinger & Co. GmbH in Stuttgart - zwei traditionsreichen Firmen des Zwischenbuchhandels - zu gleichen Teilen gefördert. Leipzig, den 18. Oktober 1999
Thomas Keiderling
Inhalt Einführung
19
I. Problem- und Fragestellung
20
II. Theoretisch-methodisches Vorgehen und Quellenkategorien III. Forschungsstand
21 24
Kapitel 1 Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren I. Zentrale Begriffe
33 33
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
38
III. Die Herausbildung des Leipziger Kommissionsbuchhandels bis 1830
58
IV. Der Leipziger Kommissionsbuchhandel im Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten
65
1. Nationalstaaten mit einer teilweise adaptierten Version des Leipziger Kommissionsbuchhandels
65
2. Nationalstaaten mit eigenen Organisationsformen des Zwischenbuchhandels
67
3. Nationalstaaten ohne einen organisierten Zwischenbuchhandel
70
V. Zusammenfassung
72
Kapitel 2 Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen I. Öffentlichkeit und Diskussionsführung II. Bekannte und anonyme Initiatoren
74 75 83
III. Die Forderung nach einem Usancenkodex
86
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
90
1. Grundlegende Reformen des Kommissionsbuchhandels
91
10
Inhalt 2. Teilreformen
96
a) Kommissionsvertrag und Kommissionsgebühren b) Buchhaltung
96 99
c) Bestellung
102
d) Auslieferung
104
e) Transportorganisation und Transporthaftung
106
f) Abrechnung (Messe)
111
g) Geld-und Kreditangelegenheiten
114
h) Vereins-und Boykottfragen
118
V. Zusammenfassung
119
Kapitel 3 Auftakt und grundlegende Modernisierung 1830 -1849 I. Allgemeine Entwicklungen
121 121
1. Der Geschäftsbetrieb in den dreißiger Jahren
121
2. Der Geschäftsbetrieb in den vierziger Jahren
130
II. Innovationen
137
1. Der Vorschlag einer Zentral-Kommissionsanstalt 1828
138
2. Ein Zirkular Friedrich Volckmars an seine Kommittenten 1833
143
3. Die Leipziger Zettelbestellanstalt 1842
147
4. Das Memorandum der Leipziger Kommissionäre 1846
152
5. Die Diskussion um eine Leipziger Paketbestellanstalt 1849-1850
162
III. Zusammenfassung
172
Kapitel 4 Konsolidierung und Vervollkommnung 1850-1888/1892 I. Allgemeine Entwicklungen
174 174
1. Der Geschäftsbetrieb in den fünfziger und sechziger Jahren
174
2. Der Geschäftsbetrieb in den siebziger und achtziger Jahren
180
II. Innovationen 1. Das Aufkommen von Barsortimenten 1847-1861
186 186
2. Debatten über die Umgestaltung der Abrechnung und der Buchhändlermesse 1861-63,1867 193
Inhalt 3. Rationalisierung durch Wachstum und Konzentrierung: Die dynamische Entwicklung einiger Großkommissionäre in den achtziger Jahren 200 4. Die Gründung des Vereins Leipziger Kommissionäre 1884
210
5. Das zweite Memorandum der Leipziger Kommissionäre von 1892. Ein histori213 scher Vergleich zum ersten Memorandum von 1846 III. Zusammenfassung
215
Kapitel 5 Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen I. Die Struktur des Kommissionsbuchhandels II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
217 217 219
1. Augsburg
221
2. Berlin
222
3. Budapest (Pest)
224
4. Frankfurt am Main
225
5. Köln
227
6. München
227
7. Nürnberg
228
8. Offenbach
229
9. Prag
230
10. Stuttgart
231
11. Wien
233
12. Zürich
234
III. Der Leipziger und der süddeutsche Kommissionsbuchhandel
235
IV. Modernisierungsprobleme in Süddeutschland
240
1. Süddeutsche Zersplitterung
241
2. Frankfurt oder Stuttgart
242
3. Die Alleinherrschaft Stuttgarts
250
V. Ausbreitung und Durchsetzung des Leipziger Modells. Drei Beispiele für einen Technologietransfer 254 1. Wien
255
2. Berlin
264
3. Stuttgart
269
12
Inhalt 4. Tabellarische Zusammenstellung der aufgezeigten Technologietransfer-Leistungen
VI. Zusammenfassung
274 275
Kapitel 6 Das Verhältnis zu staatlichen Instanzen
277
I. Kommissionsbuchhandel und Zensur
277
1. Zensur- und Zollgesetzgebung
278
2. Zur Zensurpraxis
280
II. Kommissionsbuchhandel und Post
290
1. Der Beginn einer offenen Auseinandersetzung 1841
291
2. Der Modernisierungswettbewerb zwischen Post und Buchhandel
294
3. Pläne der Post zur Liquidierung von Kommissions- und Sortimentsbuchhandel 1874 299 III. Zusammenfassung
306
Quellen- und Literaturverzeichnis
309
1. Archivalische Quellen
309
2. Gedruckte Quellen
314
3. Literatur
315
Anhang
329
1. Leipziger Kommissionsbuchhandlungen 1830-1888
329
2. Kommissionsbuchhandlungen im Besitz von Frauen 1835-1888
341
3. Leipziger Großkommissionäre mit der jährlichen Anzahl ihrer Kommittenten 1830-1888 343
Personen- und Firmenregister
353
Sachwortregister
359
Verzeichnis der
aben
Tab. 1:
Anzahl der Unternehmer im Leipziger Kommissionsbuchhandel 1835-1888
41
Tab. 2:
Firmenbesitzerinnen im Leipziger Kommissionsbuchhandel 1835-1888
42
Tab. 3:
Geschäftsführende weibliche Kommissionäre 1835-1888
42
Tab. 4:
Die zehn auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte 1830-1888
46
Tab. 5:
Angestellte in einzelnen Leipziger Kommissionsgeschäften 1869-1889
53
Tab. 6:
Angestellte im Leipziger Kommissionsbuchhandel anhand der Kommittentenzahlen 1830-1888
54
Tab. 7:
Prokuristen in Leipziger Kommissionsgeschäften 1835-1888
56
Tab. 8:
Wichtige Expertenkommissionen zur Modernisierung des Kommissionsbuchhandels 1830-1888
82
Tab. 9:
Hauptauslieferungstage Leipziger Kommissionäre um 1837
104
Tab. 10: Fremde Buchhändler auf der Leipziger Ostermesse 1830-1840
123
Tab. 11: Verlegerische Auslieferungslager in Leipzig 1865 -1890
180
Tab. 12: Die durchschnittliche betriebliche Kommittentenkonzentration in Leipzig 1830-1888 201 Tab. 13: Kommittentenkonzentrationen in den beiden größten Firmen mehrerer Standorte (Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig, Nürnberg, Stuttgart, Wien) 1830— 1888 206 Tab. 14: Die absolute betriebliche Kommittentenkonzentration im Standortvergleich (Berlin, Leipzig, Stuttgart, Wien) 1850 und 1880 206 Tab. 15: Aufkäufe der Großunternehmen im Leipziger 1870-1888
Kommissionsbuchhandel 208
Tab. 16: Kommissionäre / Kommittenten im Standortvergleich führender deutscher Kommissionsplätze (Berlin, Leipzig, Stuttgart, Wien) 1830-1888
218
Tab. 17: Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Augsburg 1836-1872 221 Tab. 18: Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Budapest 1869-1888 224 Tab. 19: Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Frankfurt am Main 1830-1868 226 Tab. 20: Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes München 1865-1873 228
14
Verzeichnis der Tabellen
Tab. 21 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Nürnberg 1830-1873 229 Tab. 22
Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Prag 1862-1888
Tab. 23
Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Zürich 1853-1888 ... 235
231
Tab. 24 Der Leipziger und süddeutsche Kommissionsbuchhandel im Vergleich
236
Tab. 25
Vergleich der Kommissionsgebühren in Leipzig und Wien um 1860
261
Tab. 26
Vergleich der Kommissionsgebühren in Leipzig und Stuttgart um 1872
272
Tab. 27
Vergleich der Modernisierungen an den vier führenden Kommissionsplätzen infolge eines Technologietransfers (Leipzig, Berlin, Wien, Stuttgart) 275
Verzeichnis der Grafiken und Abbildungen Grafiken Graphik 1:
Der Bestellvorgang über Leipzig (nach 1842)
36
Graphik 2:
Die Auslieferung über Leipzig
36
Graphik 3:
Die zehn auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte 1830-1888
47
Graphik 4:
Die Usancendebatte um 1800
78
Graphik 5:
Die Usancendebatte nach 1830
81
Graphik 6:
Die Bestellübermittlung vor der Leipziger Zettelbestellanstalt (vor 1842) 148
Graphik 7:
Die Bestellübermittlung durch die Leipziger Zettelbestellanstalt (seit 1842) 150
Graphik 8:
Die quantitative Entwicklung der sechs auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte 1850-1888 207
Graphik 9:
Der Standortvergleich führender Kommissionsplätze anhand der Kommittentenzahlen (Berlin, Leipzig, Stuttgart, Wien) 1888 218
Graphik 10: Das Post-Buch-Amt
301
Abbildungen Abb. 1: Der große Zentral-Packhof im Koehlerhaus, Täubchenweg, in: Das neue Geschäftshaus der Firma K. F. Koehler in Leipzig, Leipzig K. F. Koehler 1894 Abb. 2:
45
Friedrich Volckmar, in: Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, Porträtsammlung
48
Karl Franz Koehler, in: Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, Porträtsammlung
49
Friedrich Fleischer, in: O. A. Schulz, Adreßbuch für den Deutschen Buchhandel, Leipzig Schulz 1865
51
Abb. 5:
Heinrich Brockhaus, in: Illustrirte Zeitung Nr. 1271 Leipzig 1867
52
Abb. 6:
Der Markthelfer Gottlob Holze, in: Adolf Tietze: Das alte und neue Buchhändlerheim, Leipzig 1888
57
Abb. 3: Abb. 4:
Abb. 7:
Das Koehlerhaus, Täubchenweg, in: Koehler & Volckmar Leipzig - Stuttgart - Berlin, Leipzig Koehler & Volckmar 1931 107
16 Abb. 8:
Verzeichnis der Grafiken und Abbildungen Der Abrechnungs- und Versammlungssaal in der Alten Buchhändlerbörse, Ritterstraße, in: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Photothek
113
Die Alte Buchhändlerbörse um 1836, Ritterstraße, in: Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig
124
Abb. 10: Die Alte Buchhändlerbörse um 1900, Ritterstraße, in: Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig
125
Abb. 9:
Abb. 11: Volckmars Hof, Grimmaischer Steinweg (1846-1878), in: BB1 Nr. 19, 23. 1. 1934 146 Abb. 12: Abrechnungsszene im Saal der Alten Buchhändlerbörse, Ritterstraße, in: Hermann Pfeiffer, Festschrift 178 Abb. 13: Das Buchhändlerhaus, Hospitalstraße, in: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Photothek 181 Abb. 14: Ostermeßabrechnung 1854, in: Adolf Tietze: Das alte und neue Buchhändlerheim, Leipzig 1888 194 Abb. 15: Kantatefestmahl im Schützenhaus 1870, in: Adolf Tietze: Das alte und neue Buchhändlerheim, Leipzig 1888 199 Abb. 16: Das Volckmarhaus, Königstraße, in: Koehler & Volckmar Leipzig - Stuttgart - Berlin, Leipzig Koehler & Volckmar 1931 209 Abb. 17: Kartenskizze des Süddeutschen Buchhandelskreises um 1894, in: Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, Archivalien, Kasten 21/129 237
Verzeichnis der A b u n g e n APZ
Allgemeine Press-Zeitung. Annalen der Presse, der Literatur und des Buchhandels
BB1
Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel
Bd., Bde.
Band, Bände
betr.
betreffend
BöH
Signatur des Börsenvereins-Archivs im Leipziger Buch- und Schriftmuseum
BÖV
Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig
ca.
circa
cm
Zentimeter
DBSM
Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig
DDR
Deutsche Demokratische Republik
d. h.
das heißt
d. i.
des insbesondere
ders.
derselbe
dgl.
dergleichen
ebd.
ebenda
enth.
enthaltend
FaHS
Firmenarchiv Hans Sauerländer Aarau
fl.
Gulden
fl. ö. W.
Gulden österreichischer Währung
HAB
Historisches Archiv des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Frankfurt am Main
HABV
Hamburg-Altonaer-Buchhändler-Verein
Hrsg.
Herausgeber
HVÖ, VA
Vereinsarchiv des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels Wien
jun.
junior
kg
Kilogramm
kgl.
königlich
km
Kilometer
Kr.
Kreuzer
k. u. k.
kaiserlich und königlich
Lfd. Nr.
Laufende Nummer
LKG
Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel
m
Meter
MDB
Magazin für den Deutschen Buchhandel
M. M.
Leipziger Michaelismesse
2 Keiderling
18
Verzeichnis der Abkürzungen
mm
Millimeter
Ngr.
Neugroschen
Nr.
Nummer
ÖBC
Österreichische Buchhändler-Correspondenz
ODB
Organ des Deutschen Buchhandels oder Allgemeines Buchhändler-Börsenblatt
O. M.
Leipziger Ostermesse
RM.
Reichsmark
RWK
Rheinisch-westphälischer Kreisverein
S.
Seite
SBV
Süddeutscher Buchhändler-Verein
SBZ
Sowjetische Besatzungszone
sen.
senior
Sgr.
Silbergroschen
SHStA
Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden
SML
Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Sp.
Spalte
StadtAL
Stadtarchiv Leipzig
StAHH
Staatsarchiv Hamburg
StAL
Sächsisches Staatsarchiv Leipzig
SWBV
Schweizerischer Buchhändler-Verein
Thlr.
Taler [in Zitaten]
Tlr.
Taler
u. a.
und andere
u. a. m.
und andere(s) mehr
usw.
und so weiter
VBL
Verein der Buchhändler zu Leipzig
VDS
Verein Deutscher Sortimentsbuchhändler
vgl.
vergleiche
VLK
Verein Leipziger Kommissionäre
VVDS, VA WB1
Vereinsarchiv des Buchverleger-Verbandes der deutschsprachigen Schweiz Zürich Wochenblatt für Buchhändler, Antiquare, Musik- und Disputationshändler
z. B.
zum Beispiel
z. T.
zum Teil
zit.
zitiert
zugl.
zugleich
Einführung Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels war eng mit dem Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozeß in Deutschland verbunden. Günstige Voraussetzungen zur buchgewerblichen Industrialisierung wurden bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert geschaffen. Die quantitative Ausbreitung des Alphabetentums in den rasch anwachsenden Städten leitete eine langanhaltende Konjunktur in der Buchbranche ein.1 Als Friedrich Koenig, der deutsche Konstrukteur in London, zwischen 1810 und 1814 mehrere Patente für eine leistungsfähige Druckmaschine erwarb, waren die technischen Voraussetzungen für die Massenproduktion gegeben.2 Die Herstellung wurde zum industriellen Führungssektor innerhalb der Buchbranche, zum Katalysator ihres langfristigen Wirtschaftswachstums. Bereits in den zwanziger Jahren kam es zum ersten Großeinsatz von Schnellpressen. Die Druckereien von Spener (Berlin), J. B. Metzler (Stuttgart), F. A. Brockhaus und B. G. Teubner (beide Leipzig) wandelten sich von mechanischen Kleinwerkstätten zu fabrikartigen Großdruckereien, in denen viele Arbeitskräfte ja man kann bereits sagen: ein modernes Proletariat - konzentriert wurden. 3 Ilsedore Rarisch hat in ihrer quantitativ-statistischen Untersuchung zum Buchgewerbe ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum nach 1830 festgestellt. 4 Ein Befund, mit dem die Autorin die Fünf-Phasen-Theorie von Rostow grundlegend bestätigt sah, die den Take-Off der gesamten deutschen Wirtschaft um 1850 ansiedelte.5 Tatsächlich setzte mit den dreißiger Jahren eine Expansion des Buch- und Zeitschriftenmarktes ein, die mit zeitlicher Verzögerung zu umfangreichen Umgestaltungen und Professionalisierungen im Buchhandel und somit zu einer Modernisierung des Kommissionsbuchhandels führen mußte. Die veränderte Marktsituation stellte bisher bewährte Handelspraktiken der Bestellung, Auslieferung und Abrechnung in Frage und leitete eine brancheninterne unternehmerische Fachdis1
Vgl. Rarisch, Industrialisierung, S. 12-17. Von den Darstellungen zu Koenig sind besonders hervorzuheben: Bolza, Koenig; Kiesewetter, Koenig; Lorck, Buchdruckerkunst, Bd. 2, S. 305-311. 3 Rarisch ermittelte, daß 1819 in Preußen bereits 516 „Schnellpressen" aufgestellt waren. Vgl. Rarisch, Industrialisierung, S. 29. Es kann dabei wohl kaum die Erfindung von Koenig (Zylinderdruckmaschine) gemeint sein, da um 1823 erst vier von diesen Maschinen bei Spener in Berlin aufgestellt wurden. Vgl. Lorck, Buchdruckerkunst, Bd. 2, S. 309. F. A. Brockhaus kaufte 1826 mehrere Handpressen sowie eine Schnellpresse von der Firma Koenig & Bauer. Vgl. Brockhaus, Jubiläum, S. 26. 2
4
Vgl. Rarisch, Industrialisierung, S. 10. 5 Vgl. Rostow, Wachstum, S. 14, 22-24.
2*
20
Einführung
kussion ein, die sogenannte Usancendebatte, in deren Ergebnis wichtige Neuerungen sukzessive in die Wirtschaft eingeführt wurden. Bezogen auf den Modernisierungsprozeß des Kommissionsbuchhandels als brancheninternen Dienstleistungsbereich des Buchhandels, stellten gleichfalls die dreißiger und vierziger Jahre eine wichtige Periode dar. Es herrschte Aufbruchstimmung an den buchhändlerischen Hauptumschlagplätzen, insbesondere in Leipzig. Die Akteure reagierten allerdings in sehr unterschiedlichem Maße auf die notwendige, sich anbahnende Umgestaltung. Ein Großteil von ihnen war Kleinunternehmer, der eine Modernisierung aufgrund ihrer schwachen Wirtschaftskraft, fehlender Rationalisierungsmöglichkeiten sowie geringer Erfahrung und Reputation schwerlich initiieren konnten. Einer kleinen, elitären Gruppe von Leipziger Großkommissionären blieb es vorbehalten, wichtige Neuerungen aufzugreifen und einzubringen. Sie formten den lokalen Kommissionsbuchhandel zu einem modernen, professionalisierten und leistungsfähigen Handelszweig.
I. Problem- und Fragestellung Ziel dieser Publikation ist es, die Modernisierung eines Branchenzweigs am Beispiel des Leipziger Kommissionsbuchhandels zu untersuchen. Es wurde der Zeitraum von 1830 bis 1888 ausgewählt, in dem nachweislich die wichtigsten Innovationen des Branchenzweigs im 19. Jahrhundert stattfanden. In den frühen dreißiger Jahren setzte ein umfangreicher Modernisierungsprozeß ein, der 1888 mit der Einführung der buchhändlerischen Verkehrsordnung seinen ersten Abschluß fand. Die zeitliche Rahmensetzung erfolgte nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus quellenbedingten und methodischen Erwägungen heraus. Der konjunkturbedingte Aufschwung des Leipziger Buchhandels kann erst seit den frühen dreißiger Jahren durch serielle und quantifizierbare Quellen wissenschaftlich erschlossen werden. Da sich die branchenspezifische Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels aus einer Vielzahl von kleineren Innovationen zusammensetzte, werden die wichtigsten von ihnen inhaltlich besprochen. Dabei spielen folgende Fragestellungen eine zentrale Rolle: Seit wann lagen die grundlegenden Ideen vor? Von wem wurden sie entworfen bzw. wieder aufgegriffen? Wie wurden diese Vorschläge in der buchhändlerischen Öffentlichkeit diskutiert? Warum konnten einzelne Neuerungen rasch, andere wiederum nur nach einer zeitlichen Verzögerung oder überhaupt nicht umgesetzt werden? Welche Rahmenbedingungen waren für die Einführung von Innovationen kennzeichnend? Anhand welcher Kriterien lassen sich Innovationsleistungen historisch einschätzen? Welche Schlußfolgerungen ergeben sich für die Analyse wirtschaftlicher Modernisierungsprozesse? Komparativ zum Leipziger Kommissionsbuchhandel werden auch Innovationen an anderen Standorten aufgezeigt, um die lokale Umgestaltung in ihrer Außenwir-
II. Theoretisch-methodisches Vorgehen und Quellenkategorien
21
kung einschätzen zu können. Im Mittelpunkt der Standortbesprechungen stehen quantitative Wachstumsprozesse sowie qualitative Verbesserungen der zwischenbuchhändlerischen Technologie. Es werden aber auch rückläufige Entwicklungen thematisiert, die bis zur völligen Aufgabe eines Kommissionsplatzes führen konnten. An drei ausgewählten Beispielen wird der Technologietransfer vom Leipziger Zentrum zu anderen Standorten betrachtet. Dabei ist von Interesse, welche Probleme sich bei der Übernahme von bereits existierenden Techniken an anderen Wirtschaftsstandorten ergaben und über welche „Kanäle" Techniken übertragen wurden. Schließlich wird das Verhältnis zwischen der thematisierten Unternehmergruppe und dem sächsischen Staat in den relevanten Konfliktfeldern Zensur und staatlicher Buch- und Zeitschriftenauslieferung unter der Fragestellung untersucht, wie es den Unternehmern gelang, modernisierungshemmende staatliche Rahmenbedingungen abzubauen bzw. völlig zu beseitigen.
II. Theoretisch-methodisches Vorgehen und Quellenkategorien Die Untersuchung des Leipziger Kommissionsbuchhandels beansprucht den Charakter einer Unternehmensgeschichte im makrotheoretischen Verständnis von Werner Plumpe.6 Danach stehen nicht einzelne Firmen im Mittelpunkt der Betrachtung, vielmehr werden die Unternehmen innerhalb der relevanten Branchenspezialisierung in größere Gruppen eingeteilt, um grundlegende Aussagen über bestimmte Phasen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung formulieren zu können (etwa Modernisierungsschübe, Konsolidierungsphasen usw.). Nach diesem Prinzip werden Strukturen erfaßt, indem auf Kollektivphänomene, Organisationsformen, Verhältnisse und Zustände eingegangen wird. 7 Selbstverständlich werden in diversen Spezialfragen auch mikrotheoretische Ansätze verfolgt, indem auf die Entscheidungsfindung einzelner Unternehmer rekurriert wird, deren Handlungen jedoch auch in größere Sachzusammenhänge eingeordnet werden. Der konkrete Betrieb ist insofern von Interesse, als sich an seiner Entwicklung phasentypische oder untypische Erscheinungen verifizieren lassen. Einen großen Wert legt die Untersuchung auf die Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Aussagen. Hervorzuheben ist die umfangreiche Adreßbuchauswertung 8, mit deren Hilfe die exakte Größe der thematisierten Unternehmensgrup6
Vgl. Plumpe, Unternehmen, S. 55-58. Nach Kocka gehören Ereignisse, Entscheidungen und Handlungen nicht zur Strukturgeschichte. Vgl. Kocka, Sozialgeschichte, S. 71-73. 8 Hartmut Zwahr verwies bereits 1965 auf die Notwendigkeit, diese Quellengattung in der sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Forschung anzuwenden. Sein Vortrag wurde drei Jahre später veröffentlicht. Vgl. Zwahr, Stadtadreßbuch. Volker Titel hat in einem Artikel von 1995 die modernen Möglichkeiten der systematischen und computergestützten Adreßbuch-Auswertung thematisiert. Vgl. Titel, Adreßbuch. 7
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pe, die quantitative Zunahme, das Wachstum und Erlöschen der Kommissionsgeschäfte, die ungefähre Unternehmensgröße am Standort sowie im Standortvergleich, die Aufkaufbewegungen innerhalb der Gruppe und weitere Datensätze ermittelt werden konnten. Über quantitative und qualitative Inhaltsanalysen wurden darüber hinaus serielle gedruckte Quellen methodisch erschlossen, die von früheren Untersuchungen nur unvollständig hinzugezogen worden waren. Schließlich wurden komparatistische Untersuchungsstrategien in den unterschiedlichsten Fragestellungen angewandt. So bei der Festlegung der Kommissionärstypen, der Klassifizierung ihrer Angestellten sowie bei der Untersuchung von Modernisierungen im Länder-, Regional-, Standort- und Firmenvergleich. Die vorliegende Arbeit ruht auf einer breiten Quellenbasis. Den Kernbestand bilden die Akten aus den Leipziger Archiven. Es sind zu nennen das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, das Sächsische Staatsarchiv Leipzig und das Stadtarchiv Leipzig. Der Provenienz nach handelt es sich vorwiegend um Firmennachlässe (Geschäftsrundschreiben, [Kommissions-]Verträge, Konten- und Abrechnungsbücher, geschäftliche Schriftwechsel, Geschäftsreiseberichte), Personalia (persönliche Dokumente, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen), Vereinsakten (vereinsbedingte Schriftwechsel, Eingaben, Statuten und Einzelvorgänge) sowie Behördenakten (Gerichtsverfahren, Zensurangelegenheiten, Briefwechsel von Personen / Firmen oder Vereinen mit Ämtern). Im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden fand sich aufschlußreiches Material zu Zensurfragen und zu Auseinandersetzungen zwischen dem Leipziger Buchhandel und staatlichen Behörden. Als gewinnbringend erwiesen sich die Studien in Archiven und Bibliotheken von Aarau, Basel, Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, München, Stuttgart, Wien und Zürich, denn dort wurden Dokumente aufgespürt, die in Leipzig infolge von Kriegseinwirkungen oder anderen Verlusten nicht mehr vorhanden waren bzw. die die hiesige Quellenlage komplettieren. Es handelt sich neben seltenen gedruckten Texten aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert vor allem um Korrespondenzen Leipziger Kommissionäre. Einen glücklichen Fund stellen beispielsweise Abrechnungen sowie geschäftliche und private Briefe der Leipziger Kommissionäre von H. R. Sauerländer dar, die sich heute im Firmenarchiv Sauerländer in Aarau befinden. 9 Im Vereinsarchiv der Wiener Korporation haben sich ebenso einige Leipziger Korrespondenzen erhalten, die Einblicke in das wechselseitige Verhältnis erlauben. Trotz der Freude über Erhaltenes soll nicht unerwähnt bleiben, daß es für mehr als 90 Prozent aller Leipziger Kommissionsgeschäfte des 19. Jahrhunderts keinerlei Firmennachlässe mehr gibt. Dieser Tatbestand ist einerseits auf Verluste im Zweiten Weltkrieg zurückzuführen, andererseits auf das geringe Interesse des Kommissionsbuchhandels, seine Tätigkeit für die Nachwelt zu dokumentieren. 9
Die Leipziger Kommissionäre von Sauerländer waren F. C. W. Vogel (1830-1842) sowie K. F. Koehler (1843-1888). Vgl. Schulz, Adreßbuch.
II. Theoretisch-methodisches Vorgehen und Quellenkategorien
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Man kann insofern von einer kontinuierlichen Quellenverdunklung im Kommissionsbuchhandel sprechen, da die Kommissionäre angehalten waren, alle Kenntnisse, die sich aus dem Geschäftsverkehr und der Betreuung ihrer Kommittenten ergaben, vertraulich zu behandeln. Öffentlich wurden niemals konkrete Daten aus den Kommissionsverbindungen (Absatz von bestimmten Verlagsartikeln, vereinbarte Dienstleistungen usw.) preisgegeben. Drangen doch Einzelheiten nach außen, so erlauben sie nur selten eine quantitative oder komparative Analyse. Ebenso wurde internes Material im Interesse des Kommittenten nur so lange wie wirklich nötig aufgehoben und danach regelmäßig vernichtet. Somit sind vergleichende Aussagen über die Ausgestaltung der Kommissionsbeziehungen sehr schwierig. Qualitative Einzelbeispiele können nicht oder nur unter Vorbehalt verallgemeinert werden. Die Quellenlage bei Personennachlässen u. ä. erlaubt trotz Lücken, Verlusten und Zugangsschwierigkeiten eine Akzentsetzung auf die Unternehmergeschichte. Viele der angesprochenen Modernisierungen im Gewerbe erweisen sich primär als Leistungen von Unternehmern; nur in wenigen Fällen gehen sie auf Anregungen von Angestellten zurück. 10 Wo es gelang, aus den Überlieferungen Aspekte der sozialen Modernisierung im Angestelltenbereich freizulegen, eröffneten sich bemerkenswerte Einblicke in das spannungsreiche Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. 11 Eine weitere Quellengattung stellen die buchhändlerischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts dar. Nach ihrer Wichtigkeit für die vorliegende Fragestellung handelt es sich um das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (1834-1888), die Süddeutsche Buchhändler-Zeitung (1838-1876), das Organ des Deutschen Buchhandels (1834-1850), die Österreichische Buchhändler-Correspondenz (1860-1888) und das Wochenblatt für Buchhändler, Antiquare, Musik- und Disputationshändler (1820-1836). Die inhaltsanalytische Auswertung der wichtigsten Zeitschrift, des Börsenblatts, erfolgte größtenteils computergestützt, so daß ein schnelles Aufsuchen der nach Schlag- und Stich Worten geordneten ca. 1.850 Aufsätze 12 möglich wurde. Für die quantitative Ermittlung der Leipziger Kommissionäre wurden die Leipziger Adreßbücher von 1830-1838 und das Adreßbuch für den Deutschen Buchhandel von Otto August Schulz von 1839-1888 herangezogen. Weitere Buchhändlerlisten erwiesen sich als hilfreich, wenngleich sie im Verhältnis zu den eben genannten Listen als zu ungenau erscheinen. Gemeint sind die Verzeichnisse der Buch-, Kunst- und Musikalien-Handlungen von Immanuel Müller, die im eigentli10 Siehe u. a. die Innovation der Zettelbestellanstalt S. 147-152. 11 Aus dem Bestand Brockhaus gehen Auseinandersetzungen zwischen der Unternehmerfamilie und den in den graphischen Betriebsteilen beschäftigten Angestellten hervor. Vgl. Keiderling, Brockhaus, S. B24-B29. 12 Durchschnittlich wurden pro Jahr 34 relevante Aufsätze erfaßt, wobei diese Texte eine Auswahl aus einem noch viel umfangreicheren Material darstellen.
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Einführung
chen Sinne als die Vorläufer des Adreßbuches Schulz zu bezeichnen sind. Leider sind von den zwischen 1817 und 1848 publizierten Verzeichnissen nur die Bände 1834 bis 1836 (im Untersuchungszeitraum) erhalten geblieben.13 Ungenau ist auch das Verzeichniss der Kunst- und Musikalienhandlungen von Gustav Schubert für 1838.14 Die ab 1852 herausgegebenen Leipziger Mess-Hilfsbücher könnten im Zusammenhang mit dem Adreßbuch Schulz weitere statistische Erkenntnisse liefern, etwa zu den fremden messebesuchenden Buchhändlern, doch sie haben sich nur noch für die Jahre 1852 und 1870 erhalten. 15
I I I . Forschungsstand Die historiographische Reflektion über den Leipziger Kommissionsbuchhandel setzte in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein, als unter der Leitung der Historischen Kommission des Börsenvereins mit der Aufarbeitung der deutschen Buchhandelsgeschichte begonnen wurde (Kapp-Goldfriedrich, Kirchhoff, Meyer, Schürmann). Der Kommissionsbuchhandel stand zwischen 1900 und 1939 in seiner vollsten Entfaltung und regte die Wissenschaft zu einer vermehrten Beschäftigung mit seiner Geschichte und Gegenwart an. Aufgrund der fortgeschrittenen Konzentration in wenigen Kommissionsgeschäften galt das Interesse vor allem Fragen der rechtlichen Entwicklung des Kommissionärs und seiner Aufgabenvermehrung. Die erste monographische Darstellung war die Dissertation Der Kommissionär im Buchhandel von Walter Kohlhammer, 1904 an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig eingereicht. Sie war die erste von mehreren juristischen und nationalökonomischen Arbeiten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Alma Mater Lipsiensis entstanden. Deutlich zeigt Kohlhammer die juristische Besonderheit des buchhändlerischen Kommissionärs. Seine Dissertation gilt noch immer auch wenn die historische Entwicklung stark in den Hintergrund gerückt wurde und die Spezialisierungsprozesse der sechziger Jahre völlig unberücksichtigt blieben - als eine unübertroffene Momentaufnahme des Kommissionsbuchhandels.16 Paul Jordan veröffentlichte 1911 die bislang wohl umfassendste Darstellung zum 13 Im Verzeichnis Müller wurden 1835 zwar genauso viele Kommissionäre genannt wie im Leipziger Adreßbuch (57), jedoch lag die Anzahl der Kommittenten deutlich unter den anderen Angaben. 1836 fehlten im Verzeichnis Müller zwei Kommissionäre. Vgl. Müller, Verzeichniss. 14
Schubert bezeichnete sich selbst als Kommissionär mit 9 Kommissionsbeziehungen, obwohl ihn das Leipziger Adreßbuch in diesem Jahr nicht aufführte. Vgl. Schubert, Verzeichniss. 15 Vgl. Schulz, Mess-Hilfsbuch; Seidel, Mess-Hülfsbuch, in: S M L I K 49a. 16 Weitere juristische Arbeiten wie z. B. die Dissertation von Max Müller Der Kommissionär im Buchhandel, eingereicht 1918 an der Juristischen Fakultät der Universität Leipzig, boten bei fast gleicher Themenstellung wenig neue Erkenntnisse und wurden nicht publiziert.
III. Forschungsstand
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Kommissionsbuchhandel: Der Zentralisations- und Konzentrationsprozeß im Kommissionsbuchhandel Jordan brachte die beiden Begriffe Zentralisation und Konzentration ein, die im Grunde zwei unterschiedliche Aspekte eines Wachstumsprozesses hervorhoben. 17 Daß er von beiden Begrifflichkeiten fasziniert war, lag zum einen am damaligen Diskurs innerhalb der Nationalökonomie, zum anderen an aktuellen Prozessen innerhalb des Kommissionsbuchhandels, wo in den ersten zwei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts gewaltige Aufkaufprozesse in Leipzig, Stuttgart und Berlin stattfanden. Auf Jordans qualitative Begriffsunterscheidung für den Kommissionsbuchhandel wird in dieser Arbeit verzichtet, da hierfür der Begriff der Modernisierung gewählt wurde. Jordan zog es vor, die qualitative Metamorphose des Kommissionsbuchhandels durch drei unterschiedliche Begriffe auszudrücken. Er sprach beim frühen Kommissionsbuchhandel von einem Kommissionärswesen, im 18. Jahrhundert von einem Kommissionsgeschäft und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erst von einem richtigen Kommissionsbuchhandel. Tendenziell ist gegen die Beobachtung, daß sich im Laufe der Jahrhunderte ein Wandel im Kommissionsbuchhandel vollzog, nichts einzuwenden. Nur: Jordan hatte seine Begriffseinteilung nicht deutlich voneinander abgegrenzt. Auch der Umstand, daß er sie zeitlich ungenau fixierte, führte eher zu Mißverständnissen.18 Jordans Zäsursetzungen für den Kommissionsbuchhandel des 19. Jahrhunderts - das muß ebenso einschränkend festgestellt werden - erfolgten ohne nennenswertes Quellenstudium. Er warf die gängigen Darstellungen aus den bereits publizierten Schriften von Kapp, Goldfriedrich und G. Fischer ineinander und flankierte sie mit wenigen Artikeln aus dem Börsenblatt und der Süddeutschen Buchhändler-Zeitung. In einer Besprechung schrieb R. L. Prager 1912, daß Jordan für diese Frühzeit „naturgemäß auch nicht viel Neues zutage gefördert" hatte, wobei „selbst die Erwähnung von vollkommen Bekanntem [ . . . ] niemals ermüdend" wirkte. 19 In den 1920er Jahren entstanden erwähnenswerte Arbeiten von Friedrich Schulze (1925), Hermann Pfeiffer (1926) und Lutz Franz (1927), die den Kommissionsbuchhandel in ihren grundlegenden Darstellungen zum Buchhandel z. T. mit wirtschaftsgeschichtlichem Ansatz untersuchten. Gerhard Menz behandelte in einer quellenorientierten Biographie Friedrich Völckmar (1925), den sowohl wirtschaftlich als auch intellektuell bedeutendsten Vertreter des Leipziger Kommissionsbuchhandels im 19. Jahrhundert. 20
17 Zentralisation meinte den Zusammenfluß aller buchhändlerischen Beziehungen über einen Kommissionsplatz, wie er insbesondere in Leipzig zu beobachten war, Konzentration hingegen den Zusammenschluß einzelner Kommissionsbetriebe innerhalb des Kommissionsplatzes. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 5.
18 Vgl. Ebd., S. 11-12,20,24-25. 19 BBlNr. 16,20. 1. 1912, S. 833. 20 Vgl. Menz, Buchhändler, S. 163-178.
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In den dreißiger Jahren faßte Emil Niewöhner das bisher gesammelte Material das meiste lag seiner Meinung nach verstreut in Archiven, was die wissenschaftliche Aufarbeitung erschwerte - in seinem herausragenden Buch Der Konzentrationsprozeß im Deutschen Buchhandel unter besonderer Berücksichtigung des Leipziger Platzes (1935) zusammen. Jede der hier genannten Darstellungen zum Kommissionsbuchhandel zeichnete sich durch eine Fokussierung auf den Konzentrationsprozeß des frühen 20. Jahrhunderts aus. Sie beschrieben vornehmlich die rechtliche Entwicklung in ihrem zeitlichen Ablauf und standen ganz im Zeichen des nationalökonomischen Historismus. Ihre geschichtlichen Exkurse wiesen allerdings erhebliche Lücken, Verkürzungen und sogar Fehlinterpretationen auf, da sie die gesamte Vorgeschichte des Vereins Leipziger Kommissionäre auf die Fragestellung der Konzentration und Zentralisation zuschnitten. Im Zeitraum von 1900 bis 1941 (letzte Schrift Niewöhners) erfolgte die bislang intensivste Beschäftigung mit dem Kommissionsbuchhandel. Kriegs- und Nachkriegszeit unterbrachen für lange Zeit die Fortführung. Während der alliierten Bombenangriffe auf Leipzig, besonders während des Großangriffs auf das Graphische und Buchhändler-Viertel am 4. Dezember 1943, sanken große Teile des Leipziger Kommissionsbuchhandels in Schutt und Asche. Ein Berichterstatter des marktführenden Kommissionshauses Koehler & Volckmar schrieb nach der Bombennacht: „Keines unserer verschiedenen Geschäftshäuser in Leipzig steht mehr." 21 Der Kommissionsbuchhandel wurde notdüftig in Teilen der zerstörten Firmengebäude oder in Ausweichquartieren, wie dem Grassi-Museum, fortbetrieben. In der SBZ/DDR, wo nach 1946 die noch vorhandenen Kommissionsgeschäfte fast sämtlich enteignet und in „Völkseigentum" überführt worden waren 22 , bestand offiziell aus politisch-ideologischen Gründen wenig Interesse daran, Leipzigs historischen Stellenwert im Buch- und Verlagswesen einschließlich der Buchmesse als eine Leistung von bürgerlichen Unternehmerpersönlichkeiten zu begründen. Die Forschungen blieben sporadisch, beschränkten sich zumeist auf Stadt- oder Firmengeschichte und waren vielfach einem politischen Auftrag verpflichtet. Hervorzuheben sind neben einer Vielzahl von kleineren Aufsätzen zwei Firmenschriften von Kurt-Rudolf Böttger und Hans Hünich 23 zum Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel (LKG) von 1968 und 1985 sowie eine Darstellung zur Geschichte 21 Zumindest waren die noch existierenden Geschäftshäuser stark beschädigt. StAL, Koehler & Volckmar Leipzig, 125. 22 In den Nachkriegsjahren hatten viele Kommissionäre den Standort in Richtung Westdeutschland verlassen (wie Koehler & Volckmar, Otto Meier GmbH und Fleischer). In den achtziger Jahren firmierten neben dem LKG nur noch H. G. Wallmann, ein Auslieferer für christliche Literatur, sowie die Firma Winter als Barsortiment bzw. Grossist für Nichtbuchhändler. 23 Hünich war lange Jahre der Leiter des LKG.
III. Forschungsstand
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des Buchhandels der DDR von 1972.24 Trotz der sozialistischen Referenz beider Firmenschriften zum LKG wird aus anderen Quellen deutlich 25 , daß der Betrieb als ein monopolisierter und verstaatlichter Nachfolger von Koehler & Volckmar unter den konkreten Bedingungen eines zensierten und relativ autarken DDRBuchmarktes litt. Es setzte - trotz einiger beachtlicher logistischer Leistungen ein technischer Überalterungsprozeß des Betriebes ein, der ganz im Gegensatz zu den hier untersuchten Modernisierungserscheinungen stand.26 Eine Aufarbeitung dieser Geschichte des Leipziger Kommissionsbuchhandels steht noch aus und ist höchst wünschenswert. Der heutige Leiter des LKG, Jürgen Petry, ist mit der Herausgabe einer Firmenschrift beschäftigt, die sich dieser Vergangenheit erstmals kritisch widmen möchte. Für die Buchhandelsgeschichtsschreibung der Bundesrepublik bis 1989 sind bezüglich des Kommissionsbuchhandels zwei Einschätzungen zu treffen. Einerseits war sie durch die politische Zweiteilung Deutschlands von einem Großteil der relevanten Quellen für das 19. und frühe 20. Jahrhundert - insbesondere den Leipziger und Dresdner Archiven - getrennt. Andererseits gab es seitens der Historischen Kommission des Frankfurter Börsenvereins erst sehr spät Bemühungen, die Buchhandelsgeschichte systematisch aufzuarbeiten. 1983 beschloß die Historische Kommission auf Anregung von Herbert Göpfert, das „Jahrhundertwerk" von Kapp-Goldfriedrich zur Geschichte des Deutschen Buchhandels von 1871 an fortzuschreiben. In der geplanten Fortführung will man sich sozial- und wirtschaftshistorisch auch dem Zwischenbuchhandel widmen. Der erste Band soll nach der Jahrtausendwende erscheinen.27 Mit der Herstellung der deutschen Einheit im Jahre 1990 erhielt der Forschungskomplex einen neuen Auftrieb. Das „historisch verschleppte", sich nun aber wieder regende Forschungsinteresse benannte Roland Schäfer (1991) in einem ausgezeichneten Aufsatz über offene Forschungsdesiderate. Seither erschienen fundierte Beiträge von Dohle-Schäfer (1992) und Lehmstedt (1996). Hier ordnen sich auch meine Arbeiten zur Rolle des Kommissionsbuchhandels im deutsch-englischen Buchhandel (1996), zum Verhältnis Post und Zwischenbuchhandel (1998), zum Memorandum der Leipziger Kommissionäre (1999) sowie zu den Markthelfern und Meßmarkthelfern als ungelernte Angestellte und Saisonarbeiter im Leipziger Kommissionsbuchhandel (1998) ein. Dennoch sind die Zentralstellung Leipzigs, das branchenbedingte Wachstum und die Vorgeschichte des Vereins Leipziger Kommissionäre immer noch nicht hinreichend untersucht. 24 Vgl. Fauth, DDR-Buchhandel. Darin auch ein Beitrag von Harry Fauth und Hans Hünich zum Wiederaufbau des Zwischenbuchhandels. 2 5 Vgl. Florstedt, LKG. 26 Jürgen Petry schilderte in einem Interview für die Kontaktgruppe Buchhandelsgeschichte den betrieblichen Verfall des LKG. Es ist geplant, das Gespräch im Rahmen einer größeren Dokumentation zu veröffentlichen. 27 Zum Stand des Projekts siehe Estermann, Projekt.
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Einführung
Dem kritischen Befund ist sofort die Feststellung hinzuzufügen, daß die in Leipzig laufenden Forschungsaktivitäten auf eine verstärkte Hinwendung zum Kommissionsbuchhandel hoffen lassen. Die Beschäftigung bezieht neue Anstöße und Fragestellungen aus einer interdisziplinären Herangehensweise, bei der die Modernisierungs- und Innovationsforschung eine Rolle spielt. Diese sind daher in ihrer Bedeutung und Nutzanwendung hier kurz zu debattieren. Die Modernisierungsforschung - nach dem 2. Weltkrieg zunächst in den USA, dann auch in Westeuropa in Mode gekommen28 - ist kein selbständiger Wissenschaftsbereich, sondern ein Interessengebiet mehrerer Disziplinen. Neben der Geschichte beschäftigen sich auch die Anthropologie, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften, Soziologie, Verfassungsgeschichte und Wirtschaftswissenschaften eingehend mit Modernisierungserscheinungen, ohne aufeinander in größerem Maße Bezug zu nehmen.29 Hinsichtlich des Modernisierungsbegriffes gibt es einen vergleichbaren Befund. So viele Untersuchungen es zu diesem Thema gibt, so viele unterschiedliche Auffassungen zur Begriffsbildung lassen sich feststellen. Die Historiker Wehler und Stremplowski betonen, daß es sich bei der Modernisierung um einen außerordentlich dehnbaren Begriff handelt, dessen Attraktivität gerade in seinem vagen, allgemeinen, vieldeutigen, amorphen Charakter besteht, und der obendrein noch durchweg positive Assoziationen weckt. 30 Dieser Befund läßt darüber nachdenken, ob sich die Modernisierungstheorie eignet, um Phänomene des Fortschritts theoretisch fundiert zu erklären. In der vorliegenden Untersuchung wird der Begriff der Modernisierung lediglich dazu eingeführt, um eine Phase intensiver Innovationstätigkeit als eine solche zu kennzeichnen. Es kann also weder die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung sein, einen allgemeingültigen Modernisierungsbegriff zu erarbeiten, noch sieht sich diese in einem Rechtfertigungszwang für die Allgemeingültigkeit der Modernisierungstheorie. An der Freien Universität Berlin konstituierte sich zwischen 1975 und 1981 eine Forschungsgruppe „Historische Modernisierungsforschung", die sich mit dem Begriff vor allem sozialhistorisch auseinandersetzte und sowohl der historischen Einmaligkeit als auch dem systematischen Charakter von Modernisierungsprozessen ihre Aufmerksamkeit schenkte.31 Der Arbeitskreis stellte Theorien, Modelle und Entwicklungskonzeptionen auf, die auch für die vorliegende Untersuchung fruchtbringend herangezogen wurden. 32 Einschränkend muß neben einigen Gemeinsam28
Vgl. Flora, Modernisierungsforschung, S. 13; Bendix, Modernisierung, S. 179. Vgl. Steinbach, Modernisierungstheorie, S. 16. 30 Vgl. Wehler, Modernisierungstheorie, S. 11; Stremplowski, Modernisierung, S. 9. 31 Vgl. Bergmann, Wandel, S. 5. Der Gruppe gehörten an: Jürgen Bergmann, Jürgen Brackstedt, Hartmut Kaelble, Horst Matzerath, Hermann-Josef Rupieper, Peter Steinbach und Heinrich Volkmann. Vgl. Kaelble, Modernisierung, S. 5. 32 Bemerkenswerterweise hatte sich die Arbeitsgruppe anschließend in einen vergleichenden historischen Regionalforschungskreis umgewandelt. Sämtliche neuere Arbeiten bestätigen, daß es sich bei der Untersuchung von Modernisierungsprozessen lohnt, einen regionalen 29
III. Forschungsstand
29
keiten auch auf Unterschiede zwischen sozialen und wirtschaftlichen Modernisierungen hingewiesen werden. Wenn zum damaligen Zeitpunkt die soziale Modernisierung verallgemeinernd als ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozeß bezeichnet wurde, der sich durch ein strukturveränderndes Wachstum der materiellen und nichtmateriellen Güter, durch Differenzierungsprozesse oder erhöhte Selbststeuerungskapazitäten, einer Veränderung des Bewußtseins und sozialen Verhaltens auszeichnete, so können diese Äußerungen auch problemlos auf wirtschaftliche Modernisierungen übertragen werden. Wenn dort aber von einer zunehmenden Gleichberechtigung der Zugriffschancen auf gesellschaftliche Güter, von einer erhöhten Partizipation und Demokratisierung die Rede ist, so können wirtschaftliche Modernisierungsprozesse auch ohne diese soziale Komponente auskommen. Sie zielen oft sogar auf den Ausschluß anderer ab, wie die Untersuchungen einiger Innovationen zeigen werden. In Beantwortung der Frage, wie Modernisierungen strukturell verlaufen, wurden mehrere Modelle entwickelt. Dazu gehören das Trend-, das Typologie- sowie das Stadienmodell.33 Insofern Modernisierungen über Entwicklungstrends beschrieben werden, stehen zumeist langsame quantitative Veränderungen im Blickpunkt, die weder zeitlich noch „mengenmäßig" genau erfaßt werden können. Über die Beschreibung von Trends werden weiche und variabel einsetzbare Modelle entwikkelt. 34 Demgegenüber sind sowohl Entwicklungstypologien als auch Entwicklungsstadien verhärtete Modelle, die eine gewisse Abstraktion (Theoriebildung) aufweisen. Typologien- und Stadienmodelle zerlegen die Modernisierung in qualitative Segmente. Es werden Zäsuren und Brüche angenommen, die unterschiedliche Entwicklungsphasen sinnvoll voneinander trennen. 35 Die Innovationsforschung, ein zentrales Betätigungsfeld der Wirtschaftswissenschaften, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die „Findung und Gestaltung von Neuem" 36 zu thematisieren. Da der klassische Ort von technischen Innovationen das Unternehmen ist, hat sich die Betriebswirtschaftslehre diesem Thema im besonderen Maße zugewandt. Jedes Unternehmen muß sich an Veränderungen der Marktbedingungen (der betrieblichen „Umwelt") anpassen. Wer dies versäumt, wird aus dem Markt gedrängt. Innovationen können ein Mittel sein, das Unternehmen an seine veränderliche Umwelt anzugleichen.37 Bezugs- oder Vergleichsrahmen heranzuziehen. Vgl. Steinbach, Modernisierungstheorie, S. 47; Bramke, Sachsen, S. 21; Kiesewetter, Revolution, S. 11. 33 Vgl. Flora, Modernisierungstheorie, S. 20-22; Zapf, Modernisierungstheorien, S. 1; Zapf, Modernisierung, S. 23, 60-68; 34 Vgl. Ebd., S. 21. Trends im Kommissionsbuchhandel sind z. B. die Zunahme des Bargeldverkehrs oder die allmähliche Übernahme von Abrechnungsfunktionen durch den Kommissionär. 35 Für die vorliegende Untersuchung wurde eine dreiteilige Typologie der Kommissionäre anhand der Variabel „Unternehmensgröße" vorgenommen. Die Einteilung in zwei verschiedene Stadien der Modernisierung erfolgte mit der Zäsursetzung um 1850. 36 Franke-Braun, Innovationsforschung, S. VII.
30
Einführung
Die hier thematisierten Innovationen zielen vorrangig auf wirtschaftliche Verbesserungen ab, wobei sie auch soziale Komponenten besitzen können.38 Sie bestehen zunächst aus Inventionen (Konzepten und Plänen), die mit zeitlicher Verzögerung umgesetzt werden und somit zu tatsächlichen bzw. vollständigen Innovationen (Einrichtungen, Verfahren, Produkten, veränderten Verhaltensweisen und Handlungsabläufen) führen. 39 Insofern Neuerungen in der Planphase steckenbleiben, weil es beispielsweise wirtschaftliche Hindernisse bei der Einführung gibt, handelt es sich um unvollständige Innovationen. Nicht alle Innovationen folgen einem Bedürfnis. 40 Oftmals erblicken sie das Licht der Welt aufgrund der besonderen Motivation (Ehrgeiz) von Persönlichkeiten, die durch ihre Neuerungen einen individuellen Vorteil erlangen möchten. In der Wirtschaft ist vor allem der Wettbewerb Motor zur Innovationsproduktion. 41 Die kritische Einschätzung von Innovationsleistungen wird durch uneinheitliche Bewertungsmaßstäbe erschwert. Was einem Zeitgenossen als eine unglaubliche Neuerung erscheint, wird in späterer Betrachtung mitunter als eine einfache, zwingend logische und sogar längst überfällige Schlußfolgerung hingestellt - und umgekehrt. Ebenso werden Innovationen von den Akteuren einer Zeitebene unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Hinzu kommt, daß Innovationen weder räumlich noch zeitlich allgemeingültig sind. Sie besitzen ein Verfallsdatum, d. h. sie können durch neue Innovationen überholt oder durch eine radikale Veränderung der Rahmenbedingungen unbrauchbar werden. In diesem Zusammenhang wird zwischen subjektiven und objektiven Innovationen unterschieden.42 Subjektive Innovationen liegen vor, wenn eine Neuerung von einem Individuum oder einer Organisation als neu bewertet wird, unabhängig davon, ob die Neuerung bereits von anderen Individuen bzw. Organisationen angewendet wird. Im Gegensatz dazu bezeichnet die objektive Innovation eine erstmalige Anwendung. Eine historische Auswertung von Innovationen unter der Fragestellung, wie man die in ihnen enthaltenden Neuerungspotentiale einschätzen kann, hat von folgenden Kriterien auszugehen:
37
Vgl. Strebel, Innovation und ihre Organisation, S. 3. Gemeint sind soziale Verbesserungen in Betrieben, die sich infolge der Einführung neuer Techniken einstellten (z. B. die Abnahme schwerer körperlicher Arbeiten), nicht aber diejenigen, die sich die Arbeitnehmer erkämpfen mußten. 39 Im engeren Sinne sind Innovationen die ökonomische Umsetzung von Erfindungen. Vgl. Kiesewetter, Europa, S. 142. In Erweiterung dieser Definition soll aber auch die Konzeption (Invention) mit hinzugerechnet werden. Vgl. Hanel, Technologietransfer, S. 22; Zapf, Transformation, S. 28; Rogers, Innovations, S. 14. 40 Vgl. Kiesewetter, Europa, S. 139-142. 41 Vgl. Zwahr, Harkort, S. 206-207. 42 Vgl. Hanel, Technologietransfer, S. 22. 38
III. Forschungsstand
31
a) Neuheitswert Durch die Einführung neuer Technologien kann ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile erlangen. Doch viele Innovationen, die als völlig neuartig deklariert werden, sind in Wirklichkeit Neuvarianten, Überarbeitungen oder gar vollständige Imitationen vorhandener Ideen und Einrichtungen. 43 Eine Untersuchung des Neuheitsweites gestaltet sich aufgrund der Quellenlage sehr schwierig. Bei den unten genannten Vorschlägen wurden oftmals „irgendwie vorhandene" Ideen durch einzelne Unternehmer wieder aufgegriffen und inhaltlich verbessert. Diese Innovationen besaßen lediglich einen prozentualen Neuheitswert.
b) Umsetzbarkeit Ein wichtiges Kriterium für das Innovationspotential einer Idee ist ihre wirtschaftliche Umsetzbarkeit, d. h., ob sie sich problemlos oder nur unter einem hohen Aufwand in die ökonomische Praxis einführen läßt. Die Umsetzbarkeit ergibt sich nicht nur durch objektive technische Rahmenbedingungen. Mitunter hängt es von der subjektiven Wahrnehmung einiger Unternehmer, ihrer Überzeugung und Risikobereitschaft ab, ob kostenaufwendige Modernisierungen das Licht der Welt erblicken oder nicht. Die Einführung und Umsetzung von technischen Neuerungen kann in mehrere Stadien unterteilt werden. Ein mögliches Erklärungsmodell, dessen Grundlage bereits in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts entwickelt wurde, veranschlagt drei Phasen. Der Innovationsprozeß beginnt danach mit der Entwicklung des Grundgedankens einer Invention (Erfindung). In einer zweiten Phase, auch als „Reifezeit der Innovation" bezeichnet, wird die Grundidee verbessert und auf ihre praktische Anwendung hin weiterentwickelt. Am Ende der zweiten Phase steht die erste Einführung der Innovation (Vermarktung). Die dritte oder auch Diffusionsphase kennzeichnet die allgemeine Durchsetzung und Übernahme der Innovation. Wird diese in der Praxis nochmals verfeinert, kann man von einer Verbesserungsinnovation sprechen.44 Anhand dieses Modells läßt sich die zeitliche Aufeinanderfolge von dynamischer Innovationstätigkeit und branchenspezifischer Konjunkturphase verdeutlichen, die sich am Beispiel des Kommissionsbuchhandels verifizieren läßt. 45 Demnach stehen häufig technisches Wissen und Erfindung lange Zeit zur Verfügung. Erst die Umsetzung der Innovation durch einen oder mehrere Unternehmer bewirkt die Konjunktur. 46 43 Kiesewetter spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer „Sucht nach Nachahmung". Vgl. Kiesewetter, Europa, S. 135-139. 44 Vgl. Walz, Innovationsforschung, S. 31-32; Pohl, Technologie, S. 7. 45 Auf diesen Sachverhalt hatte bereits Schumpeter 1912 in seiner Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung hingewiesen. Vgl. Schumpeter, Konjunkturzyklen, Bd. 1, S. 146-147.
32
Einführung
c) Ökonomischer Nutzen Im Verbund mit der Umsetzbarkeit stellt sich für jeden Unternehmer bei der Einführung von Innovationen die Kosten-Nutzen-Rechnung.47 Nur wenn sich ein erkennbarer Gewinn ableiten läßt, sind Unternehmer bereit, Änderungen in der technischen Ausstattung, dem Geschäftsablauf oder der Personalstrukturierung durchzuführen. Mit Blick auf diese Zielsetzung kann man von der Mehrzahl der wirtschaftlichen Innovationen behaupten, daß sie auf eine Erhöhung der Renditen hinauslaufen.
46 Vgl. Pohl, Technologie, S. 8. 47 Vgl. Ebd., S. 5.
Kapitel 1
Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren Aufgrund der Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes macht es sich erforderlich, die in der vorliegenden Publikation gebrauchten Begriffe definitorisch festzulegen. Zum besseren Verständnis wird die zu untersuchende Branchenspezialisierung, getrennt nach Unternehmern und Angestellten, typologisch und quantitativ vorgestellt. Eine Zusammenfassung der Geschichte des Leipziger Kommissionsbuchhandels vor 1830 sowie der internationalen Unterschiede des Zwischenbuchhandels hilft bei der Einordnung in größere Sachzusammenhänge.
I. Zentrale Begriffe Buchhandel umfaßt den Handel mit gedruckten Erzeugnissen, d. i. Büchern, Zeitschriften, Kunstsachen, Musikalien und Landkarten; ebenso den Wiederverkauf von antiquarischen Druckerzeugnissen. Der Begriff Buchhändler ist analog zu verstehen und bezeichnet nicht etwa nur einen Sortimentsbuchhändler - wie oftmals irrtümlich gebraucht - , sondern steht ganz allgemein für einen Branchenteilnehmer des Verlags-, Kommissions-, Sortiments-, Antiquariats-, Musikalien- und Kunstbuchhandels. Im 19. Jahrhundert wurden lediglich Unternehmer als Buchhändler bezeichnet; ein gelernter Angestellter hieß Buchhandlungsgehilfe. Modernisierung ist im Sinne der vorliegenden Untersuchung als ein komplexer wirtschaftlicher Transformationsprozeß zu verstehen, der sich aus einer Vielzahl kleinerer Innovationen und Teilverbesserungen zusammensetzt.1 Modernisierungen laufen nicht kontinuierlich, sondern phasenhaft ab. Es lassen sich dabei Modernisierungsschübe mehr oder weniger deutlich von Konsolidierungs- oder Retardierungserscheinungen trennen. Der Modernisierungsbegriff ist insofern normativ, als er einen zielgerichteten historischen Prozeß annimmt, anhand dessen man einzelne Innovationsleistungen nachzeichnen kann.2 1 Wirtschaftliche Modernisierungen können auch anhand weiterer Begrifflichkeiten untersucht werden. Dazu gehören u. a. Mobilität, Professionalisierung, Verrechtlichung, Wachstum, Konzentrierung. Vgl. Steinbach , Modernisierungstheorie, S. 42. 2 Vgl. Plumpe , Unternehmen, S. 56. Steinbach hierzu: „Modernisierung erscheint nur als gesamtgesellschaftlich gleichgerichteter Abbau traditioneller und der simultanen Zunahme moderner Elemente denkbar." Steinbach, Modernisierungstheorie, S. 39.
3 Keiderling
34
Kapitel 1 : Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Zur Modernisierung bedarf es oft des Anstoßes von außen. Die Besonderheit des Modernisierungsprozesses im Kommissionsbuchhandel lag darin, daß dieser Branchenzweig im Gegensatz zu anderen deutschen Wirtschaftsbereichen keine Stimuli aus den industriellen Führungsländern England und Frankreich benötigte, sondern selbst zu einem Pioniersektor avancierte, von dem der internationale Buchhandel lernen konnte. Während Deutsche nach England reisten, um die neuesten typographischen Maschinen auszuspionieren3, reisten Franzosen und Engländer nach Leipzig, um die fortgeschrittene Organisation des Buchhandels zu studieren.4 Der Begriff der Innovation wird in der Forschung unterschiedlich verwendet, wobei neuartige Produkte, Verfahren oder neue Verhaltensweisen und der Prozeß der Entwicklung, Verbreitung und Realisierung einer neuen Idee unterschieden werden. Unabhängig vom verwendeten Innovationsbegriff sind Innovationen Inventions (Erfindungen), die erstmals einer ökonomischen Nutzung zugeführt werden, wodurch der Stand der Technologie auf ein höheres Niveau angehoben wird. 5 Der Kommissionsbuchhandel ist eine im deutschsprachigen Raum übliche Form des Zwischenbuchhandels, der den Geschäftsverkehr zwischen Verlagsbuchhandel und Sortimentsbuchhandel (auch Letztbuchhandel) organisiert und vermittelt. Ausgeschlossen bleiben die Buchproduktion und der Verkauf an das Publikum.6 Die Begriffe Zwischenbuchhandel und Kommissionsbuchhandel werden in der vorliegenden Untersuchung bis etwa 1850 synonymisch verwendet. Für die Zeit danach wird die Begrifflichkeit getrennt, da es zur allmählichen Herausbildung von Barsortimenten und weiteren Grossisten kam, die eigene zwischenbuchhändlerische Spezialisierungen darstellten. Zwischen dem Unternehmer im Kommissionsbuchhandel (Kommissionär) und seinem Auftraggeber (Kommittent) wurde ein Kommissionsvertrag abgeschlossen. Die rechtlichen Besonderheiten des Kommissionsvertrages sind in einschlägigen juristischen Arbeiten eingehend besprochen worden. 7 Ein hervorstechender Unterschied des buchhändlerischen zum kaufmännischen Kommissionär bestand darin, daß er nicht in eigenem Namen auf Rechnung des Auftraggebers arbeitete, sondern in fremdem Namen auf fremde Rechnung. Er war also kein „richtiger" Kommissionär, sondern eher ein Handlungsbevollmächtigter, ein Agent oder Handlungs3 Vgl. Lorch, Buchdruckerkunst, Bd. 2, S. 54-58, 305-311. Hermann Ziegenbalg, ein Prokurist von F. A. Brockhaus, setzte alles daran, um auf einer Geschäftsreise 1865 eine fabrikneue Setzmaschine in Manchester besichtigen zu können, was ihm auch gelang. Vgl. Keiderling, Ziegenbalg, S. 355-360. Otto Kistner, ebenfalls ein Prokurist in dieser Firma, zeichnete nach dem Besuch einer Londoner Druckerei im Jahre 1898, die dort gesehene Druckmaschine aus dem Gedächtnis in sein Reisetagebuch. Vgl. StAL, F. A. Brockhaus Leipzig, 124. 4 Vgl. Bücher, Wissenschaft, S. 315-328; Carlsohn, Lebensbilder, S. 71 - 7 3 ; Menz, Europa, S. 16; Zwahr, Leipzig, S. 140-148. s Vgl. Hanel, Technologietransfer, S. 22. 6 7
Zur Begriffsbestimmung siehe auch Schaper, Zwischenbuchhandel. Vgl. Kohlhammer, Kommissionär; Grunow, Recht; Klameth, Kommissionsgeschäft.
I. Zentrale Begriffe
35
agent.8 Der Kommissionär vermittelte zwischen dem Verleger und dem Sortimenter derart, daß beide in einem direkten Geschäftsverhältnis miteinander stehen blieben.9 Erst das später sich herausbildende Barsortiment sprengte diese Beziehung auf. Bei ihm war nun der Zwischenbuchhändler Eigentümer der Ware, er verdiente nicht nur an der Vermittlung der Ware, sondern war am eigentlichen Buchhandel spekulativ beteiligt. Der Kommissionsbuchhandel über Leipzig war folgendermaßen organisiert: Nach Abschluß und öffentlicher Bekanntgabe des Kommissions Vertrages 10 übergab der auswärtige Sortimenter seinem (Sortimenter-)Kommissionär die gesammelten Bestellzettel, die dieser via Zettelbestellanstalt an die Leipziger Kommissionäre der auswärtigen Verleger bzw. an die Leipziger Verleger weiterleitete (siehe Graphik 1). Der auswärtige Verleger vertraute seinem (Verleger-)Kommissionär treuhänderisch ein Lager der gangbarsten Artikel an sowie eine Auslieferungsliste, d. h. ein Verzeichnis derjenigen Sortimentsbuchhandlungen, welche bei ihm Kredit genossen. Der Verleger-Kommissionär lieferte die auf den Bestellzetteln bezeichneten Artikel entweder vom Leipziger Handlager des Verlegers aus oder er informierte den Verleger über zu Lieferndes. Je nach Vereinbarung wurden die Bücher dann entsprechend der Bezugsarten bar, fest 11 oder ä condition 12 in möglichst preiswerten Sammelsendungen weitergeleitet. In regelmäßigen Abständen fertigte der Kommissionär dem Verleger eine Liste der ausgelieferten Werke (aus dem Auslieferungsbuch) zur Übersicht und Kontrolle an. Diese Liste hieß im Untersuchungszeitraum ebenfalls Auslieferungsliste. 13 Für den Sortimenter organisierte der Sortimenter-Kommissionär den Versand der Bücher und Zeitschriften (siehe Graphik 2). War ein Kommittent sowohl Verleger als auch Sortimenter, flössen die jeweiligen Dienstleistungen des Kommissionärs ineinander. Seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts übernahm der Kommissionär auch routinemäßig Abrech8
Vgl. Niewöhner, Konzentrationsprozeß, S. 3 - 4 . In diesem Zusammenhang wird in der Forschung auch zwischen Verleger- und Sortimenterkommittenten unterschieden. Diese Einteilung ist im Untersuchungszeitraum aufgrund der nur schwach ausgeprägten Spezialisierung der Kommittenten oftmals nur theoretisch anzuwenden. 10 Die Anzeigenpraxis blickt auf eine lange Tradition zurück und ist nach Bücher bereits dem kursächsischen Mandat vom 27. Februar 1686 zu entnehmen. Zitiert in: Bücher, Wissenschaft, S. 29. 11 Die Usance „fest" war eine gestundete Bezugsart. Der Sortimenter nahm dem Verleger die Bücher ohne Remissionsrecht auf Rechnung ab, bezahlt wurde zur nächsten Leipziger Ostermesse. 12 A condition bedeutete, daß der Verleger seine Bücher dem Sortimenter auf eigene Rechnung zuschickte. Der Sortimenter verpflichtete sich, diese im Besitz des Verlegers verbleibende Ware zum Verkauf anzubieten. Nach Veräußerung der Bücher teilten sich Verleger und Sortimenter den Gewinn. Bei Nichtverkauf schickte der Sortimenter die Bücher als Remittenden zur nächsten Leipziger Ostermesse auf eigene Kosten zurück. 13 Vgl. Meyer, Geschäftsbetrieb, S. 52. 9
3*
36
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren Graphik 1
Der Bestellvorgang über Leipzig (nach 1842) VerlegerKommissionär in Leipzig
Verleger in Leipzig
Sortieren und Weiterleiten > der Bestellzettel
ZettelBeste IIAnstalt
Übergabe der Bestellzettel
Bestellwünsche
0
Verleger in Stuttgart
Austragen der Bestellzettel
Austragen der Bestellzettel
^SortimentsS- V geschäft 1 Bremen
Weiterleiten der Bestellzettel, wenn Bücher nicht auf Lager
Bestellzettel im offenen Bestellbrief
Sortimenter- ]\ Kommissionär in Leipzig J j
Graphik 2 Die Auslieferung über Leipzig
Übergabe bestellter Bücher vom VerlegerHandlager
Übergabe eines Handlagers
>
VerlegerKommissionär in Leipzig
Weiterleiten von Sendungen des Verlegers
Auslieferung bestellter Bücher
Verleger in Stuttgart
Verleger in Leipzig
Verkauf Sortiments geschäft Bremen
Ü
Sammelsendungen
SortimenterKommissionär in Leipzig
Ubergabe bestellter Bücher vom eigenen Lager
I. Zentrale Begriffe
37
nungsarbeiten, er vermittelte das Bargeschäft und streckte soliden Geschäftspartnern Gelder vor. 14 Als zum Kommissionsbuchhandel zugehörig werden Unternehmer und Angestellte eines Kommissionsgeschäfts erachtet. Ihre Tätigkeit - und das soll dem eben Formulierten als Einschränkung dienen - muß aber tatsächlich eine zwischenbuchhändlerische sein, d. h. der Vermittlung zwischen Verlegern und Sortimentern dienen. Alle darüber hinausgehenden Arbeiten in Richtung Buchproduktion oder Buchverkauf an das Publikum sind aus der Betrachtung ausgeschlossen, auch wenn sie im Kommissionsvertrag vereinbart oder vom Kommissionär in seiner Eigenschaft als Verleger, Sortimenter oder Buchdrucker ausgeführt wurden. Die Termini Leipziger und süddeutscher Kommissionsbuchhandel meinen nicht allein den Kommissionsbuchhandel in Leipzig oder in Süddeutschland, sondern ein bestimmtes Handelsmodell, einen Geschäftstyp bzw. ein Geschäftssystem, nach dem die Buchhändler miteinander in geschäftliche Verbindungen traten. Insofern war der Leipziger Kommissionsbuchhandel nicht nur in seinem Zentrum Leipzig anzutreffen, zu seinem System gehörten auch alle auswärtigen (beispielsweise alle süddeutschen bzw. ausländischen) Kommittenten, die nach den Leipziger Usancen im Kommissionsbuchhandel handelten und an der entsprechenden buchhändlerischen Fachkommunikation teilnahmen.15 Analog dazu verhielt es sich mit dem Modell des süddeutschen Kommissionsbuchhandels, wobei die meisten norddeutschen Buchhändler keine Teilhaber dieses System waren, da die Vermittlung zwischen Nord und Süd fast ausschließlich nach Leipziger Usancen erfolgte. Die unterschiedliche Entwicklung des deutschen Kommissionsbuchhandels an den einzelnen Standorten weist auf regionale Unterschiede während des Modernisierungsprozesses hin. Innerhalb Norddeutschlands gab es Spannungen zwischen Berlin und Leipzig (Preußen und Sachsen), im Süden zwischen Augsburg, Frankfurt, Nürnberg und Stuttgart. Der Befund, daß die Industrialisierung ein regionales Phänomen ist 16 , läßt sich auch im Buchhandel wiederfinden. Das geographische Verbreitungsgebiet des süddeutschen Kommissionsbuchhandels war weit größer, als es der Name zunächst vermuten läßt. Neben Süddeutschland zählen dazu Rheinpreußen, Hessen-Darmstadt, Frankfurt, Kurhessen und Nassau, ja sogar weite Landesteile Österreichs und der Schweiz.17 Während des Untersuchungszeitraums erfolgte eine Reduzierung des Verbreitungsgebietes vor allem durch die Ab14
Eine detaillierte Beschreibung der Tätigkeiten eines Kommissionärs findet sich bei Meyer. Ebd., S.51-60. 15 Zum Begriff der buchhändlerischen Fachkommunikation siehe: Niedermeier, Böhmen, S. 23-28. 16
Vgl. Kiesewetter, Industrialisierung, S. 2-11. Diese Aufzählung folgt zeitgenössischen Äußerungen süddeutscher Buchhändler. Auf den Verhandlungen des Süddeutschen Buchhändler-Vereins wurde zudem die Hoffnung ausgesprochen, die Buchhändler der Niederlande und des Elsaß mögen sich an der Korporation beteiligen. Vgl. SBZ Nr. 39, 23. 9. 1844, S. 267-271, 275-279; BB1 Nr. 62, 5. 7. 1844, Sp. 1914. 17
38
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
wendung von Österreich, das nach 1846 seinen Buchhandel über das modernisierte Wiener Zentrum neu ordnete. Die Usancen des Leipziger Kommissionsbuchhandels hatten sich über einen langen Zeitraum am Leipziger Standort herausgebildet und ließen bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine eindeutige Spezialisierung sowie vor 1840 eine gewisse Rationalisierung und Professionalisierung erkennen. 18 Infolge des bedeutenden Warenumschlags wurde der Kommissionsbuchhandel in Leipzig frühzeitig hauptberuflich geführt. Charakteristisch für ihn waren eine umfangreiche Lagerhaltung, Bestellvermittlung, Auslieferung, Spedition sowie Remission von Büchern und Zeitschriften. Im Untersuchungszeitraum kamen weitere Funktionen hinzu, wie die Abrechnung und Kreditierung. Die liberale Zensur sowie die Frankatur sorgten für günstige Standortbedingungen Leipzigs. Im Gegensatz dazu war der süddeutsche Kommissionsbuchhandel bis 1850 durch veraltete, uneinheitliche und zumeist sehr flexibel gehandhabte Handelsbräuche charakterisiert. 19
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten Zur Deskription des Leipziger Kommissionsbuchhandels ist eine vorausgehende IVpologisierung erforderlich, da innerhalb der thematisierten Unternehmer- und Angestelltengruppe größere Kompetenz- , Aufgaben- und Statusunterschiede existierten. Die Unternehmer Im Leipziger Kommissionsbuchhandel gab es in der Zeit von 1830 bis 1888 insgesamt 406 Firmen (siehe Firmenliste 1 im Anhang). Diese Kommissionsgeschäfte lassen sich nach der Auftragslage und nach der Spezialisierung einteilen. Betrachtet man die Auftragslage der 406 Unternehmen, so ist der hohe Anteil augenfällig, der seine Dienstleistungen nur wenigen Kommittenten anbot. Die größte Gruppe stellten Kommissionäre mit weniger als durchschnittlich 20 Kommittenten.20 Es handelte sich um 197 Firmen mit 1 - 3 Kommittenten (49 Prozent) und 136 Firmen mit 3 - 2 0 Kommittenten (33 Prozent). Wer mehr als durchschnittlich 20 Kommittenten besaß - im Untersuchungszeitraum waren das 73 Firmen (18 Prozent) - verfügte bereits über ein beträchtliches Auftragsvolumen. 18
Grundlegende Literatur zum Professionalisierungsbegriff: Vgl. Gieseke-Schmelzle, Professionalisierung; Siegrist, Berufe; Wehler, Profession. 19 Zur Frankatur und Rotstift siehe S. 235-240. 20 Die durchschnittliche Kommittentenzahl ist ein für den Untersuchungszeitraum 1830 — 1888 errechneter Mittelwert. Siehe Firmenliste 1 in Anhang S. 329-340.
I
Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
39
Quellenkritisch muß den genannten Einteilungen folgendes hinzugefügt werden: Zur exakten Einschätzung sämtlicher Kommissionsverbindungen müßte die Entwicklung der Umsätze sowie Gewinne der Kommissionäre für einen längeren Zeitraum vorliegen. Da diese Informationen nicht mehr verfügbar sind, wurde zur Größeneinschätzung der Kommissionsgeschäfte die jährliche Anzahl der Kommittenten herangezogen. Zwei Gründe sprechen dafür, diese (Ersatz-)Variable bei einer entsprechenden Kritik zu verwenden. Erstens gibt es keine zweite verläßliche serielle Kenngröße, mit der man heute alle Leipziger Kommissionsgeschäfte sowohl in ihrer Entwicklung als auch vergleichend zueinander einschätzen könnte. Zweitens sind innerhalb einer Spezialisierung 21 betriebsübergreifende Gemeinsamkeiten bei der Aufnahme neuer Kommittenten anzunehmen. So dürfte es als äußerst unwahrscheinlich gelten, daß ein Kommissionsgeschäft mit etwa 40 Kommittenten nur große Firmen vertrat, während sich ein zweites Unternehmen mit derselben Kommittentenzahl ausschließlich „Zwergunternehmen" zuwandte. Gegen eine solche Polarisierung spricht die Tatsache, daß sich ein nicht unbeträchtlicher Teil des jährlichen Kommittentenzuwachses aus Neugründungen rekrutierte, die sich mit unterschiedlicher Intensität auf alle Leipziger Kommissionshäuser verteilten. Die Leipziger Kommissionäre - stets an neuen Geschäftsbeziehungen interessiert - konnten niemals richtig einschätzen, ob ein Unternehmen reüssieren oder fallieren würde. 22 Wenn sich eine Kommissionsbeziehung besonders positiv entwickelte, war das ein Glücksumstand für den Kommissionär; er partizipierte am Erfolg des Auftraggebers. Folgt man diesem Gedanken, so ergibt sich, daß zwei Firmen mit derselben Kommittentenzahl zwar nicht exakt dieselbe Auftragslage besaßen. Ihre Handelsbilanzen lagen jedoch innerhalb eines bestimmten Erwartungsbereichs. Stichproben in den Kommittentenlisten bestätigen, daß jeweils einer geringen Anzahl von bekannten Firmennamen (hypothetisch als umfangreichere Kommissionsbeziehungen angenommen) eine Mehrzahl von unbekannten Firmen (erwartungsgemäß kleine Aufträge) gegenüberstanden. Bis heute hat sich im Kommissionsbuchhandel eine Regel überliefert, die besagt, daß ungefähr 20 Prozent der Kommittenten 80 Prozent des Umsatzes besorgen.23 Den Spezialisierungsgrad der Leipziger Kommissionsgeschäfte machte die Forschung zumeist an zwei Kriterien fest: Es wurde untersucht, ob sich (a) die Unternehmer innerhalb der Branchenspezialisierungen des Buchhandels (Verlag, Kom21
Gemeint sind nach Jordan sogenannte Buchkommissionäre, nicht Buchbinder- oder Musikalienkommissionäre. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 117-118. 22 Derartige Kenntnisse oder Prognosen waren auch nicht unbedingt notwendig, da der Kommissionär nur für seine Dienstleistungen bezahlt wurde, also kein zu großes geschäftliches Risiko bei neuen Auftraggebern übernahm und im Falle eines Bankrotts sogar noch auf einige Sicherheiten zurückgreifen konnte. Zumeist konfiszierte er die treuhänderisch verwalteten Lagerbestände. 23
Aus einem Gespräch mit Dr. Wolfgang Berg, Geschäftsführer von der Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH in Kornwestheim bei Stuttgart.
40
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
missionsbuchhandel, Sortiment) mehrheitlich oder ausschließlich auf den Kommissionsbuchhandel konzentriert hatten oder (b) ob sie sich innerhalb des Kommissionsbuchhandels nochmals spezialisiert hatten (Buch-, Buchbinder- oder Musikalienkommissionäre etc.). Hinsichtlich der ersten Spezialisierung wurde wiederholt der Begriff des „reinen" Kommissionsgeschäfts gebraucht. 24 Unter einem „reinen" Kommissionsgeschäft hatte man sich ein Unternehmen vorzustellen, das sich bei völliger Abspaltung von Verlag und Sortiment vollständig auf den Zwischenbuchhandel spezialisiert hatte. Mitunter gab es auch lockere Auffassungen über ein „reines" Kommissionsgeschäft. Jordan sprach davon, daß zwar in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts die erste Firma auftrat, die sich als „reines" (oder nur als) Kommissionsgeschäft bezeichnete. Tatsächlich aber müsse man mit dem Begriff zeitlich soweit zurückgehen, bis man ein Unternehmen finden würde, bei dem das Kommissionsgeschäft den Verlags- und Sortimentsbuchhandel überflügelt habe.25 Kleine Kommissionäre konnten insofern „rein" sein, als sie neben der Auslieferung einer Zeitschriftenreihe oder dgl. nichts weiter taten. Große Kommissionäre hingegen konnten auch Verlag, Sortiment oder Antiquariat betreiben und waren wie etwa Koehler oder Volckmar über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg keine „reinen K Kommissionsgeschäfte. Wegen der genannten Unzulänglichkeiten sollte der Begriff des „reinen" Kommissionsgeschäfts vermieden werden. Eine Antwort auf die Frage, wann und inwieweit sich ein Betrieb auf den Kommissionsbuchhandel spezialisiert hatte, können nur tiefergehende qualitative Einzelstudien liefern, die - wie oben ausgeführt - für einen Großteil der Leipziger Kommissionäre des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu leisten sind. In einer Studie zum Kommissionsgeschäft von F. A. Brockhaus wird aufgezeigt, daß eine hinreichende Spezialisierung im Kommissionsbuchhandel durchaus in Unternehmen stattfinden konnte, die nebenbei auch andere Spezialisierungen mit großen Erfolg betrieben. 26 Wichtig war eine innerbetriebliche Absonderung der Teilbereiche durch eigene Räumlichkeiten, besonderes Leitungs- und Angestelltenpersonal sowie einer gesonderten Kassen- und Buchhaltung. Die Leipziger Firma F. A. Brockhaus war mehrfach spezialisiert und besaß neben der 1827 gegründeten Kommissionsabteilung weitere Bereiche, wie einen Verlag (seit 1805), eine Druckerei (seit 1818), eine Sortiments- und Antiquariatsbuchhandlung (seit 1837) sowie weitere typographische Abteilungen. Um den Kommissionsbuchhandel als ein marktführendes Unternehmen betreiben zu können, mußten die Unternehmer Brockhaus keine weitere Spezialisierung aufgeben.
24 Vgl. Koehler 1914, S. 7; Müller, Kommissionär, S. 8; Niewoehner, Konzentrationsprozeß, S. 7; Klameth, Kommissionsgeschäft, S. 12. 25 Ebenso läßt sich durch die Adreßbücher nicht feststellen, welche Rolle das Kommissionsgeschäft für den jeweiligen Betrieb spielte. Vgl. Jordan , Konzentrationsprozeß, S. 67, 102-106. 26 Vgl. Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 241 -250.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
41
Die Zahl der Unternehmer im Leipziger Kommissionsbuchhandel läßt sich anhand der Adreßbücher jährlich genau bestimmen. Durch Assoziationen mehrerer Geschäftspartner, der Beteiligung von Familienmitgliedern und -generationen an der Firmenleitung lag sie zwischen 1835 und 1888 bei 12-28 Prozent über der Firmenanzahl. Im Untersuchungszeitraum wuchs die Unternehmergruppe im Verhältnis zur Firmengruppe schneller an. Wenn die Firmenbesitzer nicht in Leipzig agierten, wurden Geschäftspartner oder Prokuristen mit der Besorgung der Kommissionsgeschäfte betraut. 27
Tabelle 1 Anzahl der Unternehmer im Leipziger Kommissionsbuchhandel 1835 -1888 Jahr
Firmen
Unternehmer
Unternehmer pro Firma
1835
57
65
1,14
1840
79
91
1,15
1845
79
89
1,12
1850
82
93
1,13
1855
77
89
1,15
1860
82
95
1,15
1865
91
106
1,16
1870
101
114
1,12
1875
105
121
1,15
1880
132
167
1,26
1885
132
170
1,28
1888
140
174
1,24
Quellen: DBSM, Archivalien, BöH 84, Bd. 3, Bl. 87-88; Schulz, Adreßbuch.
Das Adreßbuch von Schulz wies durchschnittlich 4,1 Prozent Frauen in der Geschäftsleitung von Kommissionsgeschäften aus (siehe Tabelle 2). Diese Angabe deckt sich ungefähr mit den Ergebnissen von Mark Lehmstedt und Volker Titel, die für die deutsche buchhändlerische Unternehmerschaft des 18. und 19. Jahrhunderts einen weiblichen Anteil von durchschnittlich 4,7 Prozent errechneten. 28 Den weiblichen Kommissionären standen in der Regel männliche Miteigentümer oder Prokuristen zu Seite, die die eigentlichen Geschäfte leiteten (siehe Liste 2 im Anhang).
27 Siehe die Ausführungen zu den Prokuristen S. 55- 56. 28 Vgl. Lehmstedt, Kaufmannsfrau, S. 88-89; Titel, Buchhändlerinnen, S. 156.
42
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren Tabelle 2 Firmenbesitzerinnen im Leipziger Kommissionsbuchhandel 1835-1888 Jahr
Besitzer
Besitzerinnen
1835
57
4
(7,0%)
1840
89
3
(3,2%)
1845
87
2
(2,2%)
1850
91
2
(2,2%)
1855
86
3
(3,4%)
1860
90
5
(5,3%)
1865
99
7
(6,6%)
1870
112
2
(1,8%)
1875
117
4
(3,3%)
1880
159
6
(3,7%)
1885
161
9
(5,3%)
1888
164
10
(5,7%)
= 0 4,1% Firmenbesitzerinnen im Leipziger Kommissionsbuchhandel Quellen: DBSM, Archivalien, BöH 84, Bd. 3, Bl. 87-88; Schulz, Adreßbuch.
In den ausgewählten Jahren zwischen 1835 und 1888 konnten nur 6 Firmen ermittelt werden, die ausschließlich von Frauen geleitet wurden. Angesichts der Vertrauensstellung des Leipziger Kommissionärs ist diese Beteiligung des weiblichen Geschlechts einerseits ein erfreulicher Befund. Setzt man sie aber ins Verhältnis zu allen lokalen Kommissionsfirmen der genannten Jahre (ausgewiesen in der Tabelle 1), so ergibt es eine verschwindend geringe Beteiligung von etwa 1 Prozent.
Tabelle 3 Geschäftsführende weibliche Kommissionäre 1835-1888 Jahr
Firma
1835
Rein
1850
Weiler, E. 0.
Kommittenten 43 1
1875
Schultze, H.
60
1880
Seits, G. W.
5
1885
Gutzschebauch
15
1888
Haendel, C. A.
3
Quellen: DBSM, Archivalien, BöH 84, Bd. 3, BL 87-88; Schulz, Adreßbuch.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
43
Bei den in Tabelle 3 aufgeführten Firmen handelt es sich um mittelständische und kleine Kommissionsgeschäfte. Wie aus der Liste 2 im Anhang hervorgeht, wurde bei größeren Unternehmen wie Forberg, Friese, Hermann und Steinacker mindestens ein Prokurist zur Geschäftsleitung herangezogen. Aus firmengeschichtlichen Quellen geht hervor, daß sich die Besitzerinnen der größeren Kommissionsgeschäfte von der konkreten Geschäftsausübung weitgehend fernhielten. 29 Hinsichtlich der Unternehmer im Kommissionsbuchhandel soll eine Typisierung nach der Größe vorgenommen werden. Neben den hier stilisierten Formen gab es Mischformen d. h. Firmen, die nicht eindeutig einem bestimmten Typ zugeordnet werden konnten. Allen Kommissionären war gemeinsam, daß sie ein Unternehmen leiteten, das sich in Familienhand befand. Typ A: Der Kleinkommissionär Der häufig vorkommende Typ des Kleinkommissionärs besorgte für eine eng begrenzte Anzahl von Geschäftsfreunden den Zwischenbuchhandel. Er war entweder Verleger oder Sortimenter, der das Kommissionsgeschäft als Nebenverdienst betrieb (Al), oder leitete hauptberuflich ein sehr spezialisiertes zwischenbuchhändlerisches Auslieferungsbüro (A2). 30 Der Kleinkommissionär kümmerte sich um nahezu alle Belange persönlich oder wies seine wenigen Mitarbeiter in die täglichen Arbeiten ein. Die Geschäftsräume waren klein und beengt und ließen nur in beschränktem Maße einen rationalisierten Arbeitsablauf zu. Der Unternehmer vom Typ A l verdiente seinen Lebensunterhalt nicht hauptsächlich aus dem Kommissionsbuchhandel und konnte sich recht lange in den Kommissionslisten behaupten. Der Unternehmer A2 kämpfte aufgrund seiner relativ geringen Einkünfte tagtäglich ums geschäftliche Überleben. In der Regel wurde das Büro eines hauptberuflichen Kleinkommissionärs nach wenigen Jahren wieder geschlossen. Seine Kommittenten wechselten dann meist zu größeren Kommissionshäusern (Beispiele für A l : A. Dürr, Hahnsche Verlagsbuchhandlung, C. A. Klemm, Ph. Reclam jun.; Beispiele für A2: Büro der Elbeblätter, Expedition der Locomotive, Verlags-Bureau Arnold Rüge).
29
Bei Hermann überließ die Witwe Frau Sophie Hermann 1856 sämtliche geschäftliche Entscheidungen dem Prokuristen Julius Mues. Vgl. Hermann 1889, S. 13. Der Witwe Caroline Louise Steinacker war der langjährige Prokurist Bruno Jäger unersetzbar, den sie 1893 zum Dank als Teilhaber aufnahm. Vgl. Koehler und Volckmar 1931, S. 78. Für weitere Großbetriebe lassen sich vergleichbare Aussagen zusammentragen. 30 Jordan zählte zu diesen Kleinbetrieben Gelegenheits-, Gefälligkeits-, Musikalien- und Buchbinderkommissionäre. „Ihre ganze Kommissionstätigkeit, die kaum den Namen verdient, besteht vielleicht in der Besorgung eines vermittelnden Auftrages von einem buchhändlerischen Bekannten [ . . . ] Ein derartiger Kommissionär kann daher, recht besehen, schließlich fast jede Leipziger Firma sein." Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 115.
44
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Typ B: Der mittelständische Kommissionär Hierbei handelte es sich um einen Unternehmer, der ein einträgliches Kommissionsgeschäft leitete. Häufig beschäftigte er sich zugleich mit Verlag und/oder Sortiment. Sein Betrieb wies eine fortgeschrittene Organisationsstruktur auf. Es gab innerhalb des Personals hierarchische Strukturen und spezialisierte Mitarbeiter. Die Arbeit war trotz beengter Räumlichkeiten gut organisiert. Das Geschäft besaß ein Kontor, ein oder mehrere Pack- und Speditionsräume sowie mehrere Bücherlager, die unter Umständen an verschiedenen Adressen der Stadt untergebracht waren. Dieses Kommissionsgeschäft hatte bescheidene jährliche Zuwachsraten zu verzeichnen. Die ständige Zunahme des Auftragsvolumens machte mitunter ein häufiges Umziehen innerhalb der Stadt erforderlich (Beispiele für B: W. Engelmann, Fr. Hofmeister, Ch. E. Kollmann, E. Kummer, Ch. Fr. Leede, I. Müller, H. Schultze). Typ C: Der Großkommissionär Mit dem dritten Typ des Kommissionärs, der zahlenmäßig am wenigsten vorkam (nur ca. 7 Prozent, siehe Anhangliste 3), haben sich - zumindest in der Literatur - die meisten Vorstellungen „über einen richtigen Leipziger Kommissionär" verknüpft. Dieser war Großunternehmer (mitunter ein Millionär 31 ), der einen modernen, rationell arbeitenden Betrieb leitete. Er gehörte zur wirtschaftlichen Elite seiner Branche. Der Betrieb wies eine fortgeschrittene Strukturierung auf, d. h. gleichartige Arbeiten waren in Spezialabteilungen zusammengefaßt und wurden jeweils durch leitende Angestellte geführt. Seit den achtziger Jahren ließen einige von diesen Großunternehmern neue Geschäftshäuser, sogenannte Kommissionspaläste32, errichten, die als Zweckbauten den Ansprüchen einer modernen zwischenbuchhändlerischen Tätigkeit gerecht wurden und die weitere umfangreiche Expansion des Unternehmens aufnehmen konnten. In diesem Zusammenhang ist das neue Geschäftshaus von Koehler zu nennen, das 1893/94 am Täubchenweg auf einer Gesamtfläche von 4.800 m 2 errichtet worden war. Sein 1.083 m 2 großer Innenhof (auch Zentral-Packhof genannt) war mit einem Glasdach versehen worden, damit die Markthelfer - vor Wind und Wetter geschützt - ihre Packarbeiten bei Tageslicht ausführen konnten33 (Beispiele 31 Das Unternehmen von Volckmar repräsentierte nach einer Inventur von 1887 den Wert von über 3 Millionen Mark, das private Vermögen der Besitzer und deren Familienangehörigen nicht mit gerechnet. Vgl. StAL, Koehler & Volckmar Leipzig, 5. 32 Luckhardt schrieb 1872, daß die Zweckbauten kolossale Dimensionen besaßen. Vgl. Luckhardt, Verbesserung, S. 12. 1881 bezeichneten die Österreichische Buchhändler-Correspondenz das neue Geschäftshaus von Koehler als ein Palais imposanter Größe. Vgl. ÖBC Nr. 41, 8. 10. 1881, S. 383. 33 Vgl. Koehler 1894; Koehler & Volckmar 1931. Im Jahre 1917/18 wurde sogar darüber nachgedacht, einen Teil des Täubchenwegs zu überdachen. Es sollte ein riesiger gläserner Packhof entstehen. Vgl. Merseburger, Packhof; Schramm, Bücherhof.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
45
Abbildung 1 : Der große Zentral-Packhof im Koehlerhaus, Täubchenweg
für C: K. Fr. Koehler, Fr. Volckmar; E. Fr. Steinacker, B. Hermann, Fr. Fleischer, F. A. Brockhaus). Wie bereits erwähnt, existierten auch Mischformen der genannten drei Typen (Beispiele für AB: L. H. Bösenberg, Dörffling & Francke; für BC: R. Giegler, H. A. Haessel). Einige Unternehmen vergrößerten sich in ihrer Firmengeschichte und durchliefen verschiedene Typen z. B. von A nach B (E. Bredt, F. E. Fischer), von B nach C (F. A. Brockhaus, Fr. Volckmar), von A nach C (G. Brauns, H. Fries). Die Firmenentwicklung konnte sich auch umkehren: von B nach A (J. A. Barth, G. Böhme). Keine Beispiele konnten für C nach B gefunden werden. Diese Unternehmen wurden nicht verkleinert, sondern von anderen Großbetrieben „geschluckt". An der Modernisierung der Branche nahmen die Unternehmertypen B und C aktiv teil, wobei dem Typ C eine besondere Bedeutung zukam. Nur diese Unternehmer besaßen das Know-how, um notwendige Veränderungen rechtzeitig erkennen zu können. Ihr Wissen resultierte aus der Führung eines bereits rationalisierten Betriebes. Großkommissionäre waren im Zentrum des deutschen Buchhandels tätig. Sie vermittelten und betreuten einen größeren Kommittentenkreis und erhielten so exklusive Einblicke, die kleineren Kommissionären verwehrt
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
46
blieben. 34 Es gibt unzählige Belege dafür, daß Verleger aus ihrer zwischenbuchhändlerischen Tätigkeit viele Anregungen für eigene Vorhaben erhielten. Entsprechend nahm ihr Einfluß im Berufsverband sowie ihre wirtschaftliche Machtstellung zu. Die wirtschaftliche Führungsgruppe des Leipziger Kommissionsbuchhandels läßt sich namentlich feststellen. Mittels einer quantitativ-statistischen Auswertung (siehe Tabelle 4 und Graphik 3) wurden dazu die zehn auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte zwischen 1830 und 1888 errechnet. Die Plazierung ergab sich aus der Summe aller jährlich angegebenen Kommittenten (siehe Liste 3 im Anhang). Die aufgezeigte Reihenfolge ist nur gültig für den festgesetzten Untersuchungszeitraum 1830 bis 1888. Würde man zeitlich etwas zurückgehen, würden solche Firmen wie Barth und Cnobloch an die Spitze vorrücken. 35 Bei einer Verschiebung des Zeitrahmens hin zum 20. Jahrhundert hätten sich die drei Firmen Koehler, Volckmar und Fleischer von der größeren Führungsgruppe weiter nach vorn abgesetzt.
Tabelle 4 Die zehn auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte
1830-1888
Leipziger Großkommissionäre
Summe aller jährlichen Kommittenten 1830-1888
Volckmar
10.385
Koehler
9.626
Steinacker
8.263
Wagner
6.234
Hermann
6.090
Fleischer
4.716
Herbig
4.645
Kittler
4.464
Brockhaus
4.443
Schulze
4.082
Quellen: Leipziger Adreßbuch; Schulz, Adreßbuch.
34
Die Großbetriebe verfügten über einen technologischen Vorsprung gegenüber mittleren und kleineren Betrieben am Ort. Vgl. Hanel, Technologietransfer, S. 148. 35 Cnobloch war 1832 mit 82 Kommittenten marktführend vor Barth, der bislang die Kommissionslisten anführte. In diesem Jahr bediente Cnobloch 9 Prozent der über Leipzig vertretenen Kommittenten. Vgl. Jordan, Cnobloch, S. 19.
IL Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
47
Graphik 3 Die zehn auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte 1830-1888
12000/ 10000
Quellen: Leipziger Adreßbuch; Schulz, Adreßbuch.
Aus der Graphik 3 ist ablesbar, daß die späteren Magnaten des Kommissionsbuchhandels nicht durch „Blitz-Karrieren" nach oben gekommen waren, sondern sich mit ihren Geschäften von klein auf kontinuierlich emporgearbeitet hatten.36 Die quantitativ ermittelte Liste der Wirtschaftselite zeigt ferner genau den Personenkreis, der auch anhand qualitativer Untersuchungen als besonders innovativ aufgefallen ist. Die folgenden vier biographischen Kurzbeispiele nennen herausragende Innovationsleistungen führender wirtschaftlicher Akteure: 1. Friedrich Volckmar (1799-1876). Sein 1829 begründetes Kommissionsgeschäft wurde bald marktführend. Er war der Verfasser sowie Mitverfasser von zwei wichtigen Aufklärungsschriften zum Leipziger Kommissionsbuchhandel: den Handschriftlichen Mittheilungen an die Herren Committenden (1833) sowie dem Memorandum der Leipziger Kommissionäre (1846). Viele technische Neuerungen wurden zuerst in seinem Kommissionsgeschäft eingeführt. Seine Aktivitäten sowie der Umfang seines Kommissionsgeschäfts berechtigen dazu, ihn als den bedeutendsten Kommissionär des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen und im Sinne der Untersuchung als einen der größten Modernisierer. Der Neffe Volckmars, Carl Voerster, trat 1854 dem Geschäft bei und setzte das Werk seines Onkels zielstrebig fort. Seit 1847 entwickelte er vor allem die Grundlagen des Barsortiments. 37
36
R. Hoffmann und R. Streller hatten 1888 mit 158 und 192 Kommittenten ebenfalls eine hohe Auftragslage, da ihre Geschäfte aber erst in den fünfziger bzw. siebziger Jahren einstiegen (1853 und 1875), ist ihre Kennziffer nicht so hoch (2.362 und 1.464). 37 Vgl. Volckmar-Frentzel, Stürme; Ziegler, Voerster; Volckmar 1910.
Abbildung 2: Friedrich Völckmar
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
Abbildung 3: Karl Franz Koehler
50
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
2. Karl Franz Koehler 7//. 38 (1843 -1897). Unter seiner Führung trat das Unternehmen in die größte Expansionsphase ein, die mit dem Aufkauf des Kommissionsgeschäfts von H. Fries 1881 (Übernahme von 208 Kommittenten) eingeleitet wurde. In der Folgezeit machte er sich besonders um die Weiterentwicklung des Barsortiments verdient, das er 1888 in wirklich großem Umfang begründete und durch spezialisierte, insbesondere wissenschaftliche Literaturlager ausstattete. Das von ihm mitentworfene Firmengebäude im Täubchenweg markierte eine Entwicklung im Kommissionsgeschäft, die in der Verbindung von Rationalisierung und moderner, zweckentsprechender Architektur bestand. Das neue Geschäftshaus von Koehler wurde auch als eine Sehenswürdigkeit Leipzigs bezeichnet.39 3. Friedrich Fleischer (1794-1863). Er übernahm 1819 das väterliche Geschäft und vergrößerte es enorm, wobei er sich an erster Stelle verlegerisch und erst dann zwischenbuchhändlerisch engagierte. Dieser Umstand schmälert aber nicht seine Leistungen als Protagonist des Leipziger Kommissionsbuchhandels. In seiner 25jährigen Tätigkeit als Vorsitzender des Leipziger Buchhändlervereins war er an der Konzeption und Einführung vieler Verbesserungen beteiligt, wie dem Börsenblatt (1833), der Buchhändlerbörse (1836), der Lehranstalt für Buchhändler (1852) sowie - für den Zwischenbuchhandel bedeutsam - der Zettelbestellanstalt (1842) und der Paketbestellanstalt (1849/50). Die letztgenannte Idee wurde auf Betreiben von Koehler, Volckmar sowie weiterer führender Kommissionäre verworfen, so daß Fleischer ihre Verwirklichung nicht mehr erlebte. 4. Heinrich Brockhaus (1804-1874). 1827 kaufte er das Kommissionsgeschäft von H. E. Gräfe auf, das er nach einer raschen Modernisierungsphase zu dem größten in Leipzig aufbaute. Sogar politisch aktiv 40 , beteiligte er sich an bedeutenden buchhändlerischen Innovationen. Er führte frühzeitig die doppelte Buchhaltung ein (1825) 41 , brachte als erster die Schnellpresse nach Sachsen (1826) und wandte sich entschieden gegen den Nachdruck (1840/41). 42 Zur Verbesserung der Messegeschäfte trat Heinrich Brockhaus 1846-47 und 1861-62 vergeblich für eine Neuordnung der Abrechnung und für eine Verlegung der Messe ein. Nahezu alle Innovationen des Leipziger Kommissionsbuchhandels wurden von ihm befürwortet und entschieden unterstützt.
38 Diese Bezeichnung wurde in einschlägigen Biographien für den Enkel des gleichnamigen Firmengründers benutzt. Vgl. Pfau, Biographien, S. 218; Schmidt , Biographien, S. 570. 39 Siehe S. 107. Vgl. Koehler 1914; Koehler 1925; Schmidt, Biographien, S. 571. 40
Brockhaus war von 1842 bis 1847 Mitglied der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtags. Vgl. [Auswahl] Aus den Tagebüchern; Klitzke, H. Brockhaus; Brockhaus, Jubiläum; Hübscher, Brockhaus. 41 Die Einführung der doppelten Buchführung geschah unter Anregung und Mitwirkung von Albert Höpstein, dem damaligen Buchhalter der Firma F. A. Brockhaus. Vgl. BB1 Nr. 40, 2. 4. 1862, S. 692. 42 Vgl. Brockhaus, Eingabe; ders., Gesetzentwurf.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
Abbildung 4: Friedrich Fleischer 4*
51
52
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Abbildung 5: Heinrich Brockhaus
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
53
Auch die anderen sechs Kommissionäre tauchten in den unterschiedlichsten Zusammenhängen fortschrittlich und meinungsbildend auf. Sie stritten auf Versammlungen, unterzeichneten Memoranden und führten in ihren Geschäften wichtige Neuerungen ein. Allerdings waren sie nicht so auffällig wie die vier vorgenannten Wortführer des Kommissionsbuchhandels. Erklärungsmodelle für ihre relative Zurückhaltung bei der Modernisierung sind in erster Linie im biographischen und somit auch im individual-psychologischen Bereich zu suchen. Nicht alle Unternehmer in führenden Positionen entwickelten automatisch die gleiche Problemlösungsfähigkeit bzw. denselben Ehrgeiz. 43 Es gab innerhalb der Führungsgruppe nochmals einen engeren Zirkel einflußreicher Personen, die die Modernisierung engagiert vorantrieben. Die Angestellten Es ist außerordentlich schwierig, für die Angestellten im Leipziger Kommissionsbuchhandel quantitative Aussagen zu treffen, da Statistiken völlig fehlen. Einzelne punktuelle Angaben vermitteln Einblicke. Friedrich Volckmar schrieb 1831, der Leipziger Kommissionsbuchhandel würde 150 Menschen beschäftigen, was bei einem Abzug der etwa 50 Kommissionäre 100 Angestellte vermuten läßt. 44 Eduard Wengler schätzte 1863 die in der Branche Tätigen auf insgesamt 750 Personen, davon 80 Unternehmer sowie 670 Angestellte. Die letzteren unterteilten sich seiner Einschätzung nach in 250 Gehilfen, 120 Lehrlinge sowie 300 Markthelfer und Laufburschen. 45 Für die folgenden Jahre liegen konkrete Zahlen aus einigen führenden Kommissionsgeschäften vor (siehe Tabelle 5).
Tabelle 5 Angestellte in einzelnen Leipziger Kommissionsgeschäften 1869-1889 Jahr
Kommissionär
Kommittenten
Angestellte
Kommittenten auf einen Angestellten
1869
Koehler, K. Fr.
168
33
5
1872
Brockhaus, F. A.
111
17
6,5
1879
Volckmar, Fr.
387
74
5,2
1889
Hermann, B.
176
22
8
1889
Koehler, K. Fr.
513
112
4,6
= 0 5,8 Kommittenten auf einen Angestellten Quellen: Firmengeschichtliches Material und Börsenblatt.
46
43 Vgl. Steinbach, Modernisierungstheorie, S. 44. 44 Vgl. Volckmar, Mittheilung, S. 17, in: DBSM, Kummersches Archiv, IV 239/1 [37]. 45 Vgl. BB1 Nr. 43, 13. 4. 1863, S. 781. 46 Quellen: Für Koehler vgl. BB1 Nr. 96, 28. 4. 1869, S. 1323. Im Jahre 1889 arbeiteten 72 im Kontor und 40 als Markthelfer. Vgl. Winkler, Koehler, S. 140-141. Für Brockhaus wur-
54
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Aus der Tabelle 5 konnte ein durchschnittliches Verhältnis von 5,8 Kommittenten auf einen Angestellten ermittelt werden. Auf die Kommissionsgeschäfte umgelegt, würde das bedeuten, daß ein Unternehmen mit 1 - 3 Kommittenten schätzungsweise 0 - 1 Angestellte, mit 3 - 2 0 Kommittenten 2 - 4 Angestellte, mit 2 1 100 Kommittenten 5 - 1 7 Angestellte und über 100 Kommittenten mehr als 17 Angestellte besaß. Dividiert man die Zahl aller über Leipzig vertretenen Kommittenten durch den Wert 5,8, so kommt man in Tabelle 6 auf folgende Richtzahlen für die Angestelltenschaft im Leipziger Kommissionsbuchhandel.
Tabelle 6 Angestellte im Leipziger Kommissionsbuchhandel anhand der Kommittentenzahlen
1830-1888
Jahr
Anzahl der in Leipzig vertretenen Kommittenten
Anzahl der Angestellten (bei 5,8 Kommittenten auf einen Arbeitnehmer)
1830
839
1835
1.045
145 180
1840
1.253
216
1845
1.536
265
1850
1.762
304
1855
1.963
338
1860
2.258
389
1865
2.848
491
1870
3.442
593
1875
4.202
724
1880
4.984
859
1885
5.747
991
1888
6.305
1.087
Quellen: Kommittentenzahlen aus Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 35; Schulz, Adreßbuch.
Die hier ermittelten Zahlenwerte können nur als grobe Richtlinie dienen. Die tatsächliche Beschäftigtenzahl war wohl - je nach Spezialisierung des Kommissionsgeschäfts - variabel anzunehmen, da zu Zeiten besonderer Geschäftsaktivitäten, wie beispielsweise zur Ostermesse oder zum Weihnachtsgeschäft, kurzfristig Hilfspersonal eingestellt wurde. Auch die Tatsache, daß es sich bei den bekannten Angestelltenzahlen um größere, rationalisierte Kommissionsgeschäfte handelt, läßt vermuten, daß Mittel- und Kleinfirmen im Schnitt mehr als einen Angestellten für den die Angestellten noch weiter spezifiziert: vier Gehilfen, vier Expedienten und Kopisten sowie neun Markthelfer und Burschen. Vgl. Brockhaus 1872, S. 13. Für Volckmar vgl. Lorch, Leipzig, S. 50-51. Für Hermann gab es folgende Unterteilung: ein Prokurist, zehn Gehilfen, ein Kontordiener, ein Lehrling, sieben Markthelfer und zwei Burschen. Vgl. BB1 Nr. 7, 9. 1. 1889, S. 147; Hermann 1889.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
55
sechs Kommittenten benötigten, da sie diese Arbeiten nicht so effizient durchführten. Kleinere Unternehmen benötigten eine personelle Grundausstattung, um überhaupt arbeitsfähig zu sein, während große Firmen die Vorteile arbeitsteiliger Spezialisierung voll ausnutzen konnten. Aufgrund der genannten Kriterien ist ein wirklich proportionaler Anstieg der Angestelltenzahlen mit wachsender Auftraggeberzahl nicht zu erwarten; es geht vielmehr um die Wiedergabe einer Tendenz. Eine Grundaussage läßt sich nämlich der Tabelle 6 entnehmen: Infolge des rasanten Anstiegs des Auftragsvolumens um das Sieben- bis Achtfache, mußte sich die Zahl der Angestellten adäquat erhöhen. Bei der Klassifizierung des Angestelltenpersonals lassen sich grundsätzlich vier Kategorien unterscheiden: 1. Gehilfen als gelernte Buchhändler in mittleren, höheren oder sogar leitenden Angestelltenpositionen (Prokuristen); 2. Markthelfer als unbefristet angestelltes, ungelerntes Personal in mittleren (Obermarkthelfer) und unteren Positionen; 3. Meßmarkthelfer und (Lauf-)Burschen als befristet angestelltes, ungelerntes Personal in den unteren Bereichen (Teilzeit- bzw. Saisonarbeiter); 4. Lehrlinge als Auszubildende im Kommissionsbuchhandel mit wechselnden Aufgaben, zumeist Hilfstätigkeiten. 47 Die Frage, ob Frauen in Kommissionsgeschäften angestellt waren, kann mit absoluter Sicherheit nicht beantwortet werden. Während Photographien aus dem frühen 20. Jahrhundert einen geringen Frauenanteil bei Koehler & Völckmar erkennen lassen - die weiblichen Angestellten waren vor allem mit Rechen-, Buchungs- und Schreibarbeiten beschäftigt 48 - , konnte keine Aussage für das 19. Jahrhundert gefunden werden. Gehilfen stellten den geringsten Teil der Angestelltenschaft. Es ist wahrscheinlich, daß die kleineren Kommissionsgeschäfte neben dem „Chef 4 über keine Gehilfen verfügten, sondern nur über ein bis zwei Hilfsarbeiter bzw. Lehrlinge. Einer Statistik des Leipziger Buchhandels zufolge arbeiteten 1861 von 175 Leipziger Buchhandlungen 70 ganz ohne Gehilfen (40 Prozent). Von den verbleibenden 94 Firmen hatten 40 einen, 22 zwei Gehilfen. Nur eine Buchhandlung konnte sich 18 Gehilfen leisten.49 Die Anzahl der Prokuristen konnte anhand des Adreßbuches Schulz jährlich ermittelt werden (siehe Tabelle 7). Es lassen sich bei ihnen drei verschiedene Typen ausmachen: 1. Für den Fall, daß der Besitzer nicht in Leipzig arbeitete oder als Erbe einer Kommissionsbuchhandlung keine Berufserfahrungen besaß, erledigte ein Prokurist 47 Ihre Lehrzeit betrug im Schnitt drei bis vier Jahre. Die Lehrlinge verließen nach Abschluß der Ausbildung meist das Geschäft. Vor Errichtung der Buchhändlerlehranstalt (1853) wurde die schlechte Qualität der Ausbildung in Leipziger Kommissionsgeschäften wiederholt kritisiert. 48 Vgl. Koehler & Völckmar 1931, S. 18, 20, 23, 27-29, 42. 49 Vgl. BB1 Nr. 92, 24. 7. 1861, S. 1509.
56
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
als leitender Angestellter das Unternehmen. Diese Filialleiter, Geschäftsführer oder auch Manager 50 genossen weitgehende Freiheiten. 2. Wenn der Kommissionär ein Familienmitglied (Sohn) oder einen entfernteren Verwandten (Neffen) in das Geschäft einführte, durchlief dieser erst ein „Prokurastadium", bevor er in die Teilhaberschaft aufrückte. Auch diese leitenden Angestellte waren durch ihre Nähe zum Firmenbesitzer mit umfangreicheren Kompetenzen ausgestattet. 3. Die Mehrheit der Prokuristen waren verdiente Gehilfen, die sich durch ihr besonderes Engagement in eine leitende Anstellung emporgearbeitet hatten. Sie unterstanden der direkten Anweisung der Firmeninhaber und hatten deren Richtlinien in den Arbeitsbereichen rasch durchzusetzen.
Tabelle 7 Prokuristen in Leipziger Kommissionsgeschäften 1835-1888 Jahr
1835
1840
1845
1850
1855
1860
1865
1870
1875
1880
1885
1888
Zahl
12
7
11
16
13
16
22
20
20
33
41
44
Quellen: DBSM, Archivalien, BöH 84, Bd. 3, Bl. 87-88; Schulz, Adreßbuch.
Mehr als die Hälfte der Bediensteten waren ungelernte Arbeitskräfte, sogenannte Markthelfer. Sie waren ganzjährig im Kommissionsbuchhandel angestellt und verfügten über Spezialkenntnisse.51 Auf den praktischen Fähigkeiten und Kenntnissen der Markthelfer ruhte ein nicht unbeträchtlicher Teil des geschäftlichen Erfolges. Es verwundert daher nicht, daß der Markthelfer zu einem Symbol, ja fast zu einem Original der Buchstadt Leipzig wurde. An Verfluchungen und Lobeshymnen hatte es nie gefehlt. 52 Eine sozial- und wirtschaftshistorische Untersuchung dieser Berufsgruppe steht allerdings noch aus. Die Quellenlage ist - wie bei allen Angestelltengruppen - sehr kompliziert.
50
Zum Managerbegriff siehe Kocka, Unternehmer, S. 14-15. Pfeiffer schrieb: „Nehmen wir einmal an, der Markthelfer aus einer anderen Branche würde unvermittelt in den Betrieb eines Leipziger Kommissionsgeschäftes versetzt, um Hand ans Werk zu legen, er würde hilflos wie ein neugeborenes Kind dastehen. Schon als Packer würde er vollkommen versagen. [ . . . ] Aber nicht nur Packen muß der Markthelfer können, es werden auch mancherlei andere Leistungen von ihm verlangt: im Barpaket verkehr sicheres Rechnen, im Rechnungspaketverkehr die Kenntnis des Kommissionärs jeder dem Verkehr über Leipzig angeschlossenen Firma. Die Schulung hierfür erlangt er in seiner mehrjährigen Laufburschenzeit." Pfeiffer, Festschrift, S. 12. 51
52
Verfluchungen entstanden zumeist aufgrund von Veruntreuungen bis hin zu schweren Raubüberfällen, verübt durch einige Markthelfer. Lobpreisungen gab es vor allem in den späteren Festschriften der großen Kommissionshäuser sowie des Vereins Leipziger Kommissionäre. Vgl. Keiderling, Markthelfer.
II. Zur Typologie Leipziger Kommissionäre und ihrer Angestellten
(ßottlob qoijr. 55 3ahre Ittarftbclfcr jur Ceip3iger Weffe bei €tti»tger aus ©otl)ii unb frcyer üater aus (Siefen. (flrboren 6. 2Iugufl J?67.
Abbildung 6: Der Markthelfer Gottlob Holze
58
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Die Meßmarkthelfer wurden nur während der umfangreichen Remittendengeschäfte in den Wochen unmittelbar vor, während und nach der Leipziger Ostermesse vom Kommissionär angeheuert. Sie erhielten wie alle Markthelfer und auch die Gehilfen einen Wochenlohn, wobei Tagelöhne nicht ausgeschlossen waren. Volckmar schrieb 1833, daß bei ihm ein ungelernter Packer 16 Groschen am Tag erhielt. 53 Während der Messe gab es für beide Markthelfergruppen zusätzliche Meßgeschenke, d. h. Trinkgelder der Kommittenten sowie Handgelder für das Austragen der Pakete in der Stadt und bei der Übergabe an Fuhrunternehmen. 54 Mit der Wandlung der Leipziger Ostermesse zu einer unternehmerischen Kommunikationsmesse dürften die Meßmarkthelfer nach 1867 weitgehend verschwunden
I I I . Die Herausbildung des Leipziger Kommissionsbuchhandels bis 1830 Die Zeit vor 1830 ist durch eine schlechte Quellenlage und durch ein fast völliges Fehlen von quantifizierbaren Aussagen zum Kommissionsbuchhandel gekennzeichnet. Darum wählten die meisten Forscher einen qualitativ-inhaltsanalytischen Methodenansatz, der bei einer entsprechenden Quellenkritik über die Auswertung von Einzelfällen oder -beispielen eine „logische Rekonstruktion des Entwicklungsprozesses in seinen Grundzügen" 56 erreichen wollte. Diese Verfahrensweise scheint in der Tat die einzig mögliche zu sein, obgleich sie Unzulänglichkeiten in sich birgt, da sie empirisch nicht gesättigt ist. Die Anfänge des Kommissionsbuchhandels sind in das Jahrhundert der Gutenberg-Erfindung zu datieren und liegen gleichfalls im Dunkeln. Waren die ersten Händler von gedruckten Schriften eine Art Universalperson, die alle Formen des Buchgewerbes wie Schriftgießer, Buchdrucker, Verleger und kolportierenden Händler in sich vereinigte, so setzte bald eine geringfügige Spezialisierung ein. Mit Zunahme des Absatzes und der damit verbundenen Verlagstätigkeit konnte der Wanderverkehr nicht mehr wie bisher bewältigt werden. Es entstand der Typ des seßhaften Buchhändlers (stationarii), der sich entgegen dem Hausierer (Wander53 Vgl. Volckmar, Mittheilung, S. 13. Nach einer anderen Quelle sollen um 1820 ein bis zwei Markthelfer während der Messe 12 bis 18 Taler verdient haben, was gewiß nicht zutreffend ist. Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 157. 54 Stein schrieb dazu: „Der Umstand, daß sie [die Markthelfer, Th. K.] nicht allzustreng auf ihre Garderobe zu halten haben, trägt dazu bei, daß sie gewöhnlich ein hübsches Sümmchen sparen, mit welchem sie sich auf einem der nächsten Dörfer von Leipzig ein Häuschen kaufen. Solcher Markthelfer, die ein eignes Haus besitzen, kenne ich in einer hiesigen Buchhandlung drei. Der Gehilfenstand dürfte wohl sehr selten einen solchen Erfolg aufzuweisen haben." Stein , Sommer, S. 24. 55 Siehe dazu S. 193-200. 56 Lehmstedt, Herausbildung, S. 452.
III. Die Herausbildung des Leipziger Kommissionsbuchhandels bis 1830
59
buchhändler, Kolporteur) an einem Meßplatz niederließ und sein Geschäft von hier aus weiterverfolgte. Der Messeplatz war für die wandernden und seßhaften Buchhändler gleichermaßen Kristallisationspunkt und die Messe jene Gelegenheit, in der sich die Buchhändler versammelten, um in enger Anlehnung an den sonstigen Warenhandel ihren Absatz zu erzielen. 57 In dieser frühen Zeit kam es in Verbindung mit dem Meßhandel zur Übernahme von Gewohnheiten anderer Handelszweige. So übernahm der Buchhandel bereits im 15. Jahrhundert den Gebrauch, die nichtabgesetzte Ware auf dem Meßplatz zurückzulassen.58 Die Verwaltung übergab man einer örtlichen Vertrauensperson. Der Hauptgrund hierfür lag in der Erkenntnis, daß dadurch Spesen und Verluste für den An- und Abtransport vermieden wurden. Die Urform des Kommissionsbuchhandels, die Vertretung am Meßplatz, war geboren. Nach Jordan führte die Trennung von Drucker-Verlegern und wandernden Buchführern zu ersten Kommissionsbeziehungen. Während die Buchführer einerseits die Ware von den ersteren auf eigene Rechnung bezogen, vermieteten sie diesen andererseits ihre Tätigkeit und sorgten auf Kosten und Gefahr der Drucker-Verleger für den Absatz. 59 Generell gab es eine Formenvielfalt unter den Meßplatzvertretern. Sie waren Geschäftsleute mit sehr unterschiedlichen Kenntnissen und Befugnissen. Untersuchungen von Goldfriedrich, Kapp, Kirchhoff, Lehmstedt und Meyer haben dafür Beweise erbracht. Die Palette reichte von völlig selbständigen Buchführern, die kleine Gelegenheits- und Freundschaftsdienste leisteten, über Angestellte, die in der Funktion eines Prokuristen die auswärtigen Anweisungen minutiös abarbeiteten, bis hin zu Nichtbuchhändlern, die ausschließlich als Lagerhalter fungierten. Als im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts offene Buchläden entstanden, gingen die Verleger dazu über, Filialen, Kommanditen oder zumindest Niederlagen an den größeren Messestandorten zu errichten. Das Sortiment bestand aus den in der Stadt zurückgelassenen Bücherbeständen, die von den örtlichen Vertretern verwaltet wurden. Absatzprobleme dürften es also gewesen sein, die den Übergang vom Kommanditen- zum Kommissionsbuchhandel diktierten. Jordan sprach davon, daß es zwischen den seßhaft gewordenen, selbständigen Buchführern zu KonkurrenzStreitigkeiten kam. 60 Kirchhoff sah in der Bestellung von Kommissionären am Meßplatz einen Notbehelf der auswärtigen Kommittenten, die sich dadurch dem Widerstand der einheimischen Buchführer entzogen. Denn für den uneingeschränkten lokalen Verkehr war das Bürgerrecht und die Übernahme der damit verbundenen Aufwendungen und Pflichten erforderlich. Die Gewinnung eines Ortsbürgers als Vertreter oder Faktor geschah erst, nachdem jegliche Versuche, sich
57
Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 8-10. Vgl. Schmidt-Rimpler, Kommissionsgeschäft, S. 14. 59 Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 11. 60 Vgl. Ebd. 58
60
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
persönlich festzusetzen, gescheitert waren. Sie sorgten für Spesenersparnis und problemlosen Absatz. 61 Derartige Faktoren sind schon für das dritte Jahrzehnt des gedruckten Buchhandels nachgewiesen. Der Nürnberger Verleger Anton Koberger besaß um 1476 Faktoren oder Kommissionsführer in mehreren Städten. Als Agent des Auswärtigen erhielten die Kommissionsführer provisionsähnliche Gewinnbeteiligungen - entsprechend dem kaufmännischen Kommissionär - und blieben den Einheimischen gegenüber oft unerkannt, „unter verkapptem Visier". 62 Das langsame Übergehen von Kommanditen- zum frühen Kommissionsbuchhandel erfolgte an vielen Meßplätzen gleichzeitig und wurde erst in einer späteren Phase der weiteren Herausbildung des Kommissionsbuchhandels auf wenige Zentralpunkte, den Hauptmessen, eingegrenzt. Eine neue Qualität wurde mit der buchhändlerischen Auslieferung am Meßplatz erreicht. Der Agent verwaltete nicht nur die ständigen Lager der fremden Verleger, sondern auch den Verkauf der Kommissionsartikel auf den großen Frankfurter und Leipziger Messen. Er war eine Art Großsortimenter, wenn auch nicht auf eigene Rechnung. Durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges setzte im Buchhandel eine Rückentwicklung ein. Aufgrund mangelnden Bargelds und unsicherer Straßen Verhältnisse ging man zum Tausch- oder Changehandel über, was zur Folge hatte, daß der bisherige Wanderhandel zugunsten eines vorwiegenden Meßhandels und bereits vorhandene Spezialisierungen zugunsten einer erneuten buchhändlerischen Universalfunktion aufgegeben wurden. Man konnte ja nur tauschen, wenn man eigene Produktion anbot. Die Bücher wurden verstochen, d. h. Bogen gegen Bogen getauscht. Frankfurt am Main, im 15. Jahrhundert der größte deutsche Meßplatz mit internationalem Charakter, wurde auch die wichtigste Messe für den Handel mit gedruckten Büchern. Seit 1564 gab es hier den ersten Messekatalog und seit 1569 die Bücherkommission. Der Messekatalog diente der übersichtlichen Kenntnisnahme aller Neuerscheinungen und stellte eine einzigartige Erleichterung dar. Die Einführung der Bücherkommission entsprang den politisch-religiösen Auseinandersetzungen zwischen Protestantismus und Katholizismus. Sie sollte eine inhaltliche Kontrolle der Bücher gewährleisten und war ein Instrument der Zensur. Mit dem Aufstieg Leipzigs bahnte sich eine Verlagerung des deutschen Buchhandelszentrums - und somit des Entwicklungszentrums des Kommissionsbuchhandels - in den nord/mitteldeutschen Raum an. Die Gründe für den Aufschwung Leipzigs sind in mehreren Entwicklungen zu sehen. Der vermehrte Absatz von deutschsprachigen Büchern, deren Produktionsstätten sich vor allem im nördlichen und mittleren Teil Deutschlands (und speziell in Leipzig) befanden, die aufstreben61 Vgl. Kirchhoff, 62
Pantzschmann, S. 77.
So entpuppte sich Jakob Schmidt von Geithain bei einer Gerichtsverhandlung als „Diener" zweier Drucker-Verleger. Vgl. Kirchhoff, Document, S. 18-19; ferner Hase, Koberger.
III. Die Herausbildung des Leipziger Kommissionsbuchhandels bis 1830
61
de Messe, die Universität sowie die liberale Zensur waren wichtige Kriterien. 63 Leipzig erlangte zunächst nur eine nationale Bedeutung, während sich in Frankfurt noch lange Zeit der internationale Buchhandel zusammenfand. 64 Nach Goldfriedrich erreichte Leipzig spätestens 1680 die Führungsposition. Den vielzitierten „Todesstoß" versetzte Philipp Erasmus Reich der Frankfurter Messe, als er sie im Jahr 1764 nicht mehr besuchte und für „begraben" erklärte. 65 Neben diesen zwei großen Zentren faßte der hier beschriebene frühe Kommissionsbuchhandel rasch auch in anderen Städten Fuß, namentlich in Augsburg, Basel, Breslau, Erfurt, St. Gallen, Naumburg, Nördlingen, Nürnberg, Straßburg, Zurzach, um nur einige zu nennen.66 Waren die Verleger zwischen den Messen mit der Produktion neuer Bücher vollauf beschäftigt und ruhte zu dieser Zeit größtenteils der Verkauf, so kam es während der Messen zu einer explosionsartigen Entladung der angestauten Produktion (Tausch, Vermittlung, Verkauf). Mark Lehmstedt entwarf hierfür das ungewöhnlich originelle, wenn auch etwas schiefe Bild einer „asthmatischen Dampfmaschine", die sich zur Büchermesse abreagiere. 67 Mit der allmählichen Loslösung vom eigentlichen Meßverkehr entwickelten sich die Meßplätze von Kauf- und Zahlungsstätten zu Kommissions- und Abrechnungsplätzen. Der Changeverkehr verlor an Bedeutung und machte leistungsfähigeren Bezugsarten Platz. In Norddeutschland dominierte bald der Netto- oder Kontanthandel über Leipzig, d. h. aufgrund ihrer monopolartigen Stellung (insbesondere, weil sie begehrte Bücher verlegten) ließen sich die Leipziger Verleger die Bücher ohne Remissionsrecht „fest" (gestundet) bezahlen. Mit der Reichsschlußnahme von Nürnberg 1788 fand eine Einigung der bis dahin rivalisierenden Tausch- und Nettobuchhändler statt. Der Kompromiß bestand im Konditionshandel. Der Verleger übergab die Bücher dem Sortimenter mit der Bedingung, die unverkauften nach einem Jahr zu remittieren und die verkauften mit 33 Prozent Buchhändlerrabatt abzurechnen. Nach 1788 nahm der Tauschhandel fast gänzlich ab und machte dem Konditionshandel Platz, der zur Hauptbezugsform aufstieg. Für die weitere Entwicklung des Kommissionsbuchhandels war der Konditionshandel von hoher Bedeutung, denn für seine Durchführung bedurften die Buchhändler der Hilfe ihres Meßplatz Vertreters. Zunächst war dieser für die Sendungen pro Novitate oder auch Novasendungen verantwortlich, die eine Vorform des Konditionshandels darstellten. 68 Der Kommissionär erhielt damit eine weitere wichtige 63
w 65 66 67
Vgl. Schroeder, Die Verlegung, Vgl. Sichel, Umschlagplatz, S. 101. Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 2, S. 139. Vgl. Ebd., S. 278-285; Kirchhoff, Geschäftsverkehr, S. 50. Vgl. Lehmstedt, Herausbildung, S. 457.
68 Die Anfänge der Novasendungen gehen in die Reformationszeit zurück, als die Buchhändler ihren guten Kunden Bücher zur Ansicht und mit dem Recht zur Rückgabe zuschickten.
62
Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Funktion. Er organisierte die Spedition, indem er entsprechende Firmen (Post, private Fuhrunternehmen, später Eisenbahn) mit dem Transport beauftragte. 69 Am Ende des 18. Jahrhunderts war die Entwicklung des Kommissionsbuchhandels soweit vorangeschritten, daß ein regelmäßiger Geschäftsbetrieb ohne den Kommissionär nicht mehr möglich war. 70 Das quantitative Wachstum der Buchhandlungszahlen sorgte für eine zunehmende Bündelung des Geschäftsverkehrs beim Kommissionär. Während dieser bisher nur vom auswärtigen Verleger beauftragt wurde, Nova an die Sortimenter zu senden, bestellten zunehmend auch Sortimenter einen Kommissionär für den Empfang und die gesammelte Weiterbeförderung der an sie adressierten Artikel. 1829 nannte Carl Wolf diese Verleger- und Sortimenterkommissionäre treffend Versendungs- und Empfangskommissionäre. 71 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß sich der Beruf des Kommissionärs über einen langsamen Professionalisierungsprozeß herausgebildet hatte. Professionalisierung bedeutete für den Kommissionär eine Aufgaben- und Kompetenzerweiterung. Er erhielt ein abgestecktes Tätigkeitsfeld, verfügte zunehmend über spezialisierte Fachkenntnisse und erlangte dadurch einen generellen Bedeutungsund Prestigegewinn. Der Wunsch, für das Auftreten eines Kommissionärs eine Erstdatierung zu erhalten, hatte viele Autoren veranlaßt, Jahreszahlen ins Spiel zu bringen. Sie zitierten Quellen, in denen die Berufsbezeichnung Kommissionär „zum ersten Mal" auftauchte. Meyer fand die Bezeichnung Kommissionär erstmalig in einem Brief von Friedrich Nicolai an Philipp Erasmus Reich aus dem Jahre 1760.72 Kirchhoff wies sie bereits 1717 für Leipzig aus.73 Jordan schrieb später zurecht: „Darum zu streiten, wann und wie der Kommissionär entstanden ist, ist müßig. Es kommt tatsächlich auch ganz auf den Standpunkt an, von dem aus der Begriff Kommissionär angesehen wird." 7 4 Bis zum 17. Jahrhundert hießen die auswärtigen Auftraggeber Gewalthaber, Prinzipal, Herr. Der Vertreter am Meßplatz Faktor, Diener, Diener des Herrn. 75 Diese Tätigkeitsbezeichnungen unterstrichen das Unterstellungsverhältnis des Meßplatzvertreters. Im 18. Jahrhundert setzte mit der Verselbständigung des Kommissionsbuchhandels eine Emanzipation ein. Der Vermittler wurde über die Wortwandlungen Commercio 76, Commissarius 77, Commissionario 78, Kommissarius 69
Vgl. Jordan , Konzentrationsprozeß, S. 24. Vgl. Müller, Kommissionär, S. 6. 71 Vgl. Wolf, Buchhandel, S. 23. 72 Vgl. Meyer, Verhältnisse, S. 245. 73 Vgl. Kirchhoff, Buchhandelsbrauch, S. 258. 74 Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 14. 75 Vgl. Ebd., S. 15. 76 Vgl. Schwetschke, G. Codex nundinarius Germaniae literatae bisecularis. Halle 1850, S. VII, zit. in: Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 1, S. 448-522. 70
III. Die Herausbildung des Leipziger Kommissionsbuchhandels bis 1830
63
und Kommissär 79 schließlich als Kommissionär bezeichnet. Aus dem einstigen Diener war ein ernstzunehmender Geschäftspartner geworden, vor dem der Auftraggeber Respekt hatte. Der Kommissionsbuchhandel entwickelte sich neben dem Verlags- und Sortimentsbuchhandel zu einem eigenständigen Branchenzweig. Ein ausschließlich auf den Verlag oder Sortiment spezialisierter Buchhändler war ebenso die Ausnahme wie ein „Nur-Kommissionär". Allein die Leipziger Kommissionäre waren bis ins frühe 19. Jahrhundert stets zugleich Großsortimenter 80, häufig auch Verleger. Ein Kommissionsverzeichnis von 1778 wies für Leipzig 20 Kommissionäre aus, an deren Spitze angesehene lokale Verlagsbuchhändler wie Heinsius (26 Kommittenten), Hertel (17), Crusius (16), Böhme, Hilscher und Junius (je 15) standen.81 Die Entwicklung des Kommissionärs gestaltete sich in einer Art Aufgabenanreicherung. Am Ausgangspunkt war er bloßer Lagerverwalter, sodann Auftraggeber des Spediteurs und schließlich Vertreter in Zahlungsgeschäften, Bankier und Kreditgeber. 82 Daß bereits die frühen Meßplatzverteter Aufgaben andeutungsweise oder in Ausnahmefällen übernehmen konnten, die erst in späterer Zeit zum typischen Aufgabenfeld des Kommissionärs gehörten, ist aufgrund der beschriebenen Metamorphose vom Meßplatzvertreter zum Kommissionär nicht verwunderlich. Diese Einschätzung soll am Beispiel der Zahlungsfunktion einmal näher erläutert werden. Mark Lehmstedt verwies auf eine Praxis um die Mitte des 18. Jahrhunderts, wonach diejenigen Kommittenten, denen eine Anreise zur Leipziger Messe nicht möglich war, ihren Kommissionären Bücher und Gelder mit entsprechenden Instruktionen zuschickten, damit er die Meßgeschäfte erledigen konnte. Georg Conrad Gsellius aus Celle überreichte so im Jahre 1748 seinem Leipziger Kommissionär Philipp Erasmus Reich ein siebeneinhalb Seiten langes Memorial, worin er ihm alle nötigen Schritte erklärte. Der Kommissionär erhielt auch Gelder zur Begleichung offener Rechnungen.83 Dieser Fall zeigt, daß die Zahlungsfunktion des Kommissionärs eine - wenn auch wiederholt ausgeführte - Ausnahmesituation darstellte. Aus den genannten 77
Der Begriff ist um 1720 von der Firma Jansson van Waesberge in Amsterdam gebraucht worden. Vgl. Kirchhoff, Buchhandelsbrauch, S. 236. 78 Um 1730 von Buggel und Fritz in Nürnberg zur Bezeichnung ihres Leipziger Kommissionärs August Martini gebraucht. Vgl. Kirchhoff, Bücherprivilegien, S. 78. 79 Vgl. Kohlhammer, Kommissionär, S. 4. so Vgl. Schürmann, Usancen, S. 174; Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 3, S. 235. 81 Vgl. Lehmstedt, Herausbildung, S. 469. Das Verzeichnis stammt aus der Hamburger Buchhändlerzeitung, XIII. Stück, 26. 3. 1778, S. 193-202. 82 Der Kommissionär war beständig auf die Geldmittel seines Kommittenten angewiesen. Konnte dieser nicht zahlen, blieben ihm nur zwei Möglichkeiten: auf die Verbindung zu verzichten oder Kredit einzuräumen. Letzteres half dem Geschäft oft aus einem Engpaß. Vgl. Niewöhner, Konzentrationsprozeß, S. 19; Kohlhammer, Kommissionär, S. 21. 83 Vgl. Lehmstedt, Herausbildung, S. 460.
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Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Beispielen geht eher die Unprofessionalität der Bankierfunktion hervor, die Hennig später treffend als erste Spuren des modernen Abrechnungswesens [im Buchhandel, Th. K.] bezeichnete.84 Der Unterschied ist offensichtlich: Vor 1830 mußte der Kommissionär vom Kommittenten schriftlich eingewiesen werden, ein Beleg für seine Unselbständigkeit. Nach 1830 kehrte sich dieses Verhältnis um. Der Kommissionär widmete sich routinemäßig dem Geldgeschäft und diktierte seinem Kommittenten durch Memoranden und Erklärungen, wann und wie die Gelder in Leipzig eintreffen müßten, damit sie im Interesse des auswärtigen Buchhändlers bearbeitet werden konnten. Vergleicht man die Definitionen des buchhändlerischen Kommissionärs und Kommittenten über den Zeitraum von 1855 bis 1935, so läßt sich feststellen, daß sie stets an Genauigkeit und Differenziertheit zunahmen. In seinem Erklärenden Fremdwörterbuch für Buchhändler (1855) bzw. Usancen-Codex (1859) verstand Wengler unter dem Kommissionär einen Auftragsempfänger: „Für uns ist es Derjenige, welcher an buchhändlerischen Commissionsplätzen, wie Leipzig, Frankfurt, Stuttgart etc., für seine auswärtigen Geschäftsfreunde Geschäfte gegen eine gewisse jährliche Vergütung besorgt. Der auswärtige Geschäftsfreund als Auftraggeber heisst Committent." 85 August Schürmann erweiterte 1881 die Funktionsbestimmung: „Commissionär nennt man im deutschen Buchhandel den offenkundigen, in fremdem Auftrage und in fremdem Namen handelnden Vertreter eines Verlags- oder Sortimentshändlers an einem Centraipunkte des buchhändlerischen Verkehrs. Committent ist derjenige, welcher sich in dieser Weise vertreten läßt." 86 Und Kohlhammer schrieb: „Der Kommissionär handelt im Auftrag, im Namen und für Rechnung des Kommittenten. Er ist ohne weiteres zur Empfangnahme von Sendungen aller Art, sowie zur Empfangnahme von Zahlungen für Rechnung des Kommittenten befugt." 87 Niewöhner zitierte schließlich aus der buchhändlerischen Verkehrsordnung: „Der Kommissionär handelt im Auftrag, im Namen und für Rechnung des Kommittenten. Er darf Sendungen aller Art sowie Zahlungen für Rechnung seiner Kommittenten entgegennehmen. Aus dem von ihm verwalteten Auslieferungslager des Verlegers liefert er für dessen Rechnung mit dessen Originalfakturen." 88 Allen diesen Definitionen war gemeinsam, daß sie den Kommissionär als einen ausschließlichen Interessenvertreter des Kommittenten bezeichneten. Der Kommittent hatte also - gemäß dem Kommissionsvertrag - unbedingtes Weisungsrecht. In der Praxis konnte es aber auch umgekehrt zu Weisungen des Kommissionärs an dem Kommittenten kommen, natürlich nur, wenn sie die Interessen des letzteren wahrten.
84 85 86 87 88
Vgl. Hennig, Kommissionsgeschäft, S. 38. Wengler, Fremdwörterbuch, S. 13. Schürmann, Usancen, S. 151. Kohlhammer, Kommissionär, S. 15. Niewöhner, Konzentrationsprozeß, S. 3.
IV. Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten
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IV. Der Leipziger Kommissionsbuchhandel im Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten Nach Darstellung der Herausbildung des Kommissionsbuchhandels soll die Frage kurz beantwortet werden, ob sich dieser Branchenzweig auch in anderen Nationalstaaten entwickelt hatte und wenn ja, wie er im Vergleich zum Leipziger Wirtschaftsmodell organisiert wurde. Zum internationalen Vergleich des Buchhandels liegen Arbeiten von Schulz (1836), Buzello (1930), Schiedermair (1934), Druckenmüller (1935), Vaternahm (1937) und Menz (1941) vor. Sie gehen jedoch nur unbefriedigend auf einen Vergleich des Zwischenbuchhandels ein. Ergiebiger ist ein Gutachten zum europäischen Zwischenbuchhandel von Alfred Voerster, das er für den VI. Internationalen Verlegerkongreß 1908 in Madrid anfertigte. Der hier vorzunehmende internationale Vergleich des Zwischenbuchhandels orientiert sich an den genannten Schriften. Generell läßt sich feststellen, daß die Aufgaben, die der Leipziger Kommissionsbuchhandel historisch übernommen hatte, auch in jedem anderen Land mit einem leistungsfähigen Buchhandel erfüllt werden mußten.89 Der internationale Vergleich einiger ausgewählter Länder zeigt, daß die Vermittlung zwischen Verlag und Sortiment in Wirtschaftsräumen ohne einen spezialisierten Zwischenbuchhandel entweder durch Verleger bzw. Sortimenter als Nebengeschäft oder durch einzelne Unternehmer, die an die Stelle des Kommissionärs traten, übernommen wurde (z. B. spezialisierte Speditionsunternehmen für den Buchhandel in den USA oder eine Buchhandlung als Bestellanstalt in Schweden). Dabei wurde weder die Aufgabenfülle noch die Professionalität der Leipziger Kommissionäre erreicht. In allen anderen Ländern finden sich vom deutschen Buchhandel abweichende Organisationsformen:
1. Nationalstaaten mit einer teilweise adaptierten Version des Leipziger Kommissionsbuchhandels a) Dänemark: In Kopenhagen arbeiteten Kommissionäre ganz im Leipziger Sinne. Sie vermittelten die Bücher zwischen Verlag und Sortiment mehrheitlich nach der Usance ä condition. 1894 wurde eine genossenschaftliche Bestellanstalt für Zettel und Pakete errichtet. Da Kopenhagen von jeher ein Kommissionsplatz war, der den deutschen Buchhandel mit dem skandinavischen verband, waren auch viele norwegische und schwedische Buchhändler Kommittenten der Bestellanstalt. Die Abrechnung wurde sowohl durch die Bestellanstalt als auch durch Kommissionäre vermittelt. Als Zahlungsort galt der Wohnort des Verlegers. Im ausgehenden 89
Gemeint ist eine gewisse Bündelung der Bestellung, Lagerung, Spedition und Abrechnung an zentralen Handelsplätzen. 5 Keiderling
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Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
19. Jahrhundert hatten sich in Dänemark Großsortimente herausgebildet, die ähnlich arbeiteten wie die deutschen Groß- und Barsortimente. Im Unterschied dazu übernahmen sie auch Funktionen als Kommissionäre, z. B. die Besorgung bestellter Bücher, und standen somit in Konkurrenz zur bestehenden Bestellanstalt. b) Niederlande: Am Hauptkommissionsplatz Amsterdam arbeiteten wie in Deutschland Kommissionäre und Großsortimenter. Die Abrechnungsmodi und Lieferbedingungen stimmten mit den deutschen Gepflogenheiten größtenteils überein. Der Verleger lieferte dem Sortimenter auf Jahres- bzw. Halbjahresrechnung zumeist fest oder ä condition. Ursprünglich waren die Amsterdamer Kommissionäre Vertreter ausländischer (meist deutscher) Buchhändler, bevor sie auch ihre Landsleute betreuten. Sie trugen entscheidend zum Technologietransfer des Leipziger Kommissionsbuchhandels bei. Nach Leipziger und Berliner Vorbild wurde 1874 auf genossenschaftlicher Basis eine Bestellanstalt errichtet, die bereits kleine Pakete vermittelte. Die Sendungen wurden franko Bestellanstalt verschickt. Wie Voerster berichtete, verloren die Kommissionäre mit Errichtung der Bestellanstalt ihre Bedeutung.90 c) Norwegen: Bis zur Errichtung einer Bestellanstalt in Kristiania (Oslo) im Jahre 1890 gab es nahezu keine Hinweise auf einen eigenen Zwischenbuchhandel. Für die Zeit davor spielte Kopenhagen als Umschlagplatz eine Rolle. Die Bestellanstalt vermittelte als genossenschaftliche Einrichtung Bestellzettel, (Bar-)Pakete und verfügte über ein Auslieferungslager der auswärtigen Verleger. Bei Transportschäden übernahm sie sogar die Haftung. In Norwegen wurden noch um 1900 drei Viertel aller Sendungen nach der Usance ä condition verschickt. Die Abrechnung fand einmal jährlich in Kristiania statt. d) Schweden: Der schwedische Zwischenbuchhandel war ein Spätentwickler und erhielt erst im ausgehenden 19. Jahrhundert eine zunehmende Bedeutung. Um die Jahrhundertwende wurde er durch zwei Kommissionäre repräsentiert, die ihren Sitz in Stockholm hatten. Einer von beiden, die Firma Selig & Co., vermittelte einen Großteil des schwedischen Bücherumschlags, so daß sie den nationalen Zwischenbuchhandel in der eigenen Firma weitgehend monopolisierte. Ihre Tätigkeit entsprach der einer zentralen Bestellanstalt, wie in sie Dänemark existierte, nur mit dem Unterschied, daß die erzielten Gewinne nicht den genossenschaftlich vereinigten Buchhändlern, sondern einem Privatunternehmer zuflössen. 91 Die genannte Firma besorgte Bestellungen, empfing Beischlüsse92, packte Sammelsendungen, löste Barpakete ein und übernahm in Absprache mit den Kommittenten sogar die Abrechnung. Wie im deutschen Buchhandel, so wurde auch in Schweden franko Zentralplatz (Stockholm) geliefert. Der Konditionshandel war weit verbreitet. Die Abrechnung fand einmal im Jahr in Stockholm statt.
90
Vgl. Voerster, Verbesserung, S. 64. 91 Vgl. Ebd., S. 72. 92
Beischlüsse waren kleine Buchpakete, die zu einem Ballen verschnürt wurden.
IV. Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten
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2. Nationalstaaten mit eigenen Organisationsformen des Zwischenbuchhandels a) Belgien: Wie sich der niederländische Buchhandel am deutschen orientierte, so tat dies der belgische am französischen. Es gab in Belgien keine spezialisierten Kommissionäre, sondern nur Buchhandlungen, meist Sortimenter, die das Kommissionsgeschäft als Nebenverdienst betrieben. Diese sogenannten Kommissionäre traten in erster Linie als Spediteure auf und vermittelten aus Brüssel, dem Zentrum des Zwischenbuchhandels, den Import wie Export. Aufgrund der geringen Landesgröße wurde auf eine zentrale Lagerhaltung verzichtet. Der Verleger setzte einen nicht unbeträchtlichen Teil direkt beim Publikum ab, was dem Zwischenbuchhandel wenig Entwicklungsmöglichkeiten bot. Die Lieferbedingungen stimmten mit denen Frankreichs mehrheitlich überein, d. h. es dominierten Sendungen zu Bar- und Festpreisen. Sendungen ä condition waren bekannt, aber deutlich weniger verbreitet als in Deutschland. Wenige Großsortimente vermittelten den inländischen Bedarf, ohne die Bücher binden zu lassen. Eine Bestellanstalt gab es nicht. b) Frankreich: Paris galt zu jeder Zeit als das organisatorische Zentrum des französischen Buchhandels. Hier konzentrierte sich ein Großteil des Verlags. Zugleich war die Stadt der wichtigste zwischenbuchhändlerische Standort. Glaubt man den Angaben von Menz, so ging die Bedeutung des Kommissionsbuchhandels in Frankreich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zurück. Er schrieb: „Ursprünglich hatten auch in Frankreich die Provinzbuchhändler in der Hauptstadt Kommissionäre, die ihren Verkehr mit dem dortigen Verlag vermittelten. 1860 gab es deren noch 36, die 950 Kommittenten vertraten. 1887 waren es nur noch 4. Davon war der größte Hachette."93 Die Einschätzung, daß der französische Kommissionsbuchhandel an Boden verlor, teilte auch Voerster. Er konstatierte, daß um die Jahrhundertwende viele der französischen Provinzialsortimenter keinen Kommissionär in Paris mehr unterhielten, sondern ihren Bedarf durch Reisende bezogen. Auch war es für Buchhändler mit einem Kommissionär üblich, diesen nicht ständig, sondern nur saisonweise in Anspruch zu nehmen.94 Ein Pariser Kommissionär war also mit einem Leipziger Kommissionär nicht gleichzusetzen. Er besorgte zwar verlangte Bücher für seine inländischen Auftraggeber, seine Bedeutung leitete er jedoch aus der Vermittlung des ausländischen Buchhandels ab. 95 Der Verkauf der Bücher wurde mehrheitlich bar und fest, zu einem geringen Teil ä condition organisiert. Eine Ab93
Vgl. Menz, Europa, S. 20. Es wird nicht deutlich, woher Menz seine Zahlenangaben be-
zog. 94
Die Pariser Kommissionshäuser verkauften - so Voerster - bei schlechter Auftragslage Möbel, Kupferstiche oder antiquarische Bücher. Vgl. Voerster, Verbesserung, S. 55-56. 95 Zur Tätigkeit der Pariser Kommissionäre für den Leipziger Kommittenten Brockhaus gibt es Aufzeichnungen in den Reiseberichten des Brockhaus-Prokuristen Ziegenbalg, in: StAL, F. A. Brockhaus Leipzig, 128. Vgl. ferner Keiderling, Ziegenbalg, S. 330-336, 347352. 5*
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Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
rechnung zu einem bestimmten Termin gab es nicht. Trotz wiederholter Vorschläge kam keine Bestellanstalt zustande. Die französischen Buchhändler waren der Meinung, daß sie eine solche Einrichtung nicht benötigten. Buzello schrieb, daß eine Pariser Zettelbestellanstalt ohnehin nur Bestellzettel mit der Aufschrift „vergriffen" retournieren würde. 96 Ebenso fehlten eigentliche Großsortimente in Frankreich. Diese Funktion wurde zum Teil von den Kommissionären übernommen, zum Teil gab es wenige Spezialbuchhandlungen etwa für juristische oder medizinische Werke. c) Großbritannien : Wie in Frankreich, so konzentrierte sich auch in Großbritannien ein Großteil des Buchhandels in der Hauptstadt. London wies im 19. Jahrhundert die größte buchhändlerische Konzentration der Welt auf, die jene von Paris bei weitem übertraf. 1855 gab es hier 1082 Firmen. 97 1866 waren in London schätzungsweise 70 Prozent aller englischen Verleger und 84 Prozent der Verlagsproduktion vereint. 98 Der enorme Statusunterschied zwischen den anerkannten Verlegern und den oftmals kleinen papier- und schreibwarenhandelnden Sortimentern (stationers), die mitunter weitere Kleinartikel verkauften, machte die Etablierung eines eigenständigen, vermittelnden Zwischenbuchhandels schwierig. Für den britischen Zwischenbuchhandel war typisch, daß sich die provinziellen, kolonialen sowie ausländischen Buchhandlungen durch sogenannte Agenten vertreten ließen. Kommissionäre Leipziger Prägung gab es nur in Ausnahmefällen, wenn eingewanderte deutsche Buchhändler in London für ihre Landsleute auf dem Kontinent als solche tätig wurden. 99 Im Unterschied zum Leipziger Kommissionär hatte sich der Londoner Agent nur wenig auf den Zwischenbuchhandel spezialisiert. Er war entweder direkter Angestellter eines auswärtigen Auftraggebers oder Sortimentsbuchhändler, der diese Vermittlung für einen kleinen Kundenkreis übernahm. Als Sortimenter unterhielt er ein größeres Lager, das durch häufige Auktionsaufkäufe bei den Trade Sales aufgefüllt wurde. 100 In seiner Funktion als Agent organisierte er fast ausschließlich die Spedition, versuchte aber auch - freilich unter großen Schwierigkeiten - ein gewünschtes Buch zu besorgen. Somit hatte sich in Großbritannien kein Zwischenbuchhandel als selbständiger Berufszweig herausgebildet. Hinzu kamen weitere Unterschiede in den geltenen Usancen. Es dominierte der Barverkehr. Sendungen ä condition (Sale or Return) galten, weil „dem kaufmänni-
96 97 98 99
Vgl. Buzello, Vergleich, S. 43-44. Vgl. Hudson, Directory, S. 67-76. Vgl. Menz, Europa, S. 16. Vgl. Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 211-213, 220-221, 242-250.
100
Es handelte sich beim Trade Sale um eine Versteigerung, die häufig mit einem üppigen Essen abgeschlossen wurde. „Die ganze Auflage eines fertigen Werkes (wovon aber gewöhnlich nur ein Exemplar zur Einsicht vorliegt, da die Auslieferung des Erstandenen erst einige Tage später erfolgt) wird unter den Hammer gebracht. Erlangt man darauf von einem oder von mehreren, die sich zum gemeinschaftlichen Kaufe vereinigen, kein entsprechendes Gebot, so theilt sie der Verleger in beliebige Parthien und läßt darauf die Gebote abgeben [usw.]" Schulz, Sonst-Jetzt, S. 259.
IV. Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten
69
sehen Geiste der Gegenwart widersprechend" 101, als verpönt. Eine jährlich oder halbjährlich geregelte Abrechnung gab es überhaupt nicht. Der Kommissionär hatte mit dem Zahlungsverkehr nicht das geringste zu tun, da die Verleger und Sortimenter direkt miteinander in Verbindung standen und auch über Reisende102 viele Geschäfte abwickelten. Neben London spielten Manchester für England, Edinburgh und Glasgow für Schottland sowie Dublin für Irland eine zunehmende Rolle für den Zwischenbuchhandel. An diesen Standorten entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert Großsortimente, die zum Teil Aufgaben eines Kommissionärs sowie Barsortiments übernahmen, indem sie bestellte Bücher besorgten (durch Collectors) oder Partien preiswert einbinden ließen. Da eine Bestellanstalt in Großbritannien fehlte, versuchten die Agenten und Grossisten mehr schlecht als recht diese Fehlstelle zu besetzen. d) USA: Die Zentren des amerikanischen Buchhandels waren auch die des dortigen Zwischenbuchhandels: New York, Philadelphia, Washington, Chicago und San Francisco. Die größeren Verleger übten sich insofern als Zwischenbuchhändler, als sie Großsortimente anlegten, um bei Bedarf schnell reagieren zu können. Die Bedeutung dieser Grossisten war zu jeder Zeit weit größer als die der kleinen Speditions-Kommissionäre (vergleichbar mit den Londoner Agenten). Voerster bezeichnete sie als die „Zentralen des amerikanischen Buchhandels"103, da sie bestellte Bücher auch auf anderen Lagern suchen ließen, wenn diese nicht vorrätig waren. Aufgrund der enormen geographischen Ausdehnung des Landes wurden schon sehr frühzeitig Büchersendungen zusammengefaßt, um Kosten zu sparen. Mit der Verbesserung der Transportmittel, insbesondere dem Ausbau von Binnenschiffahrt und Eisenbahnnetz, entwickelten sich Expreßgesellschaften, d. h. auf den Buchhandel spezialisierte Transportunternehmen, die enorme Kostensenkungen durch den Zusammenschluß mehrerer Pakete erzielten. In New York übernahm - wie in Stockholm - eine Firma die buchhändlerische Paketauslieferung und fungierte somit als private Bestellanstalt. Der direkte Verkehr zwischen den Verlegern und dem Publikum hatte eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Er wurde durch Verlagsvertreter auf Provisionsbasis (Reisende) hergestellt und neben den Expreßgesellschaften auch in einem großen Umfang durch die Post vermittelt. Die Bücher kaufte der Sortimenter fast ohne Ausnahme auf feste Rechnung, während bei den meisten Zeitungen ein Remissionsrecht bestand.
101 In Großbritannien mußte der Sortimenter bei Sale or Return Hin- und Rückfracht bezahlen. Voerster war der Ansicht, Sale or Return bedeute auch, daß Bücher vom Sortimenter mit teil weisem Rückgaberecht gekauft wurden. Vgl. Voerster, Verbesserung, S. 39. Vaternahm bestritt dies: Diese Regel gehöre nicht zum Konditionshandel, sondern sei eine eigene Usance (im Englischen: See Safe). Vgl. Vaternahm, Vergleich, S. 168. 102 Reisende waren entweder fest beim Verleger angestellt oder arbeiteten bei diesem auf Provisionsbasis. Diese Art der Vermittlung zwischen Verlag und Sortiment war in Deutschland aufgrund des Konditionsverkehrs lange Zeit vernachlässigt worden. Vgl. Vaternahm, Vergleich, S. 167; Buzello, Vergleich, S. 59. 103 Voerster, Verbesserung, S. 12.
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Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
Konditionslieferungen waren nur in Ausnahmefällen anzutreffen. Abgerechnet wurde mehrmals im Jahr.
3. Nationalstaaten ohne einen organisierten Zwischenbuchhandel a) Griechenland: Der Buchhandel Griechenlands war über große Zeiträume des 19. Jahrhunderts marginal entwickelt und kaum organisiert. In den ersten Jahrzehnten nach dem Wiener Kongreß stand das gerade von der türkischen Herrschaft befreite Land buchhändlerisch unter deutschem und französischem Einfluß. Die erste größere ausländische Buchhandlung gründete 1833 der Münchner Georg Jaquet unter dem Namen B. Ritz in Nauplia, später auch in Athen. 104 Bald eröffneten Franzosen Filialen, allen voran der Pariser Verleger Didot. Der junge griechische Buchhandel stand, wie Menz schrieb, stets „in Verbindung mit Leipzig, dessen Organisation er bewunderte" 105 - aber nicht übernahm. Es wurden französische, englische und italienische Bücher vor allem an Wissensreisende verkauft. 1851 produzierte Griechenland ganze 150 Titel. Die ca. 350 Buchhandlungen des Landes meist handelte es sich um Papier- bzw. Schreibwarenhandlungen - standen ohne Zwischenbuchhändler in direkter Verbindung mit den Verlegern. b) Italien: Der italienische Buchhandel zeichnete sich wie der deutsche lange Zeit durch einen stark zersplitterten Wirtschaftsraum aus. Im Unterschied zu diesem war sein Handel aber schlecht organisiert. Ein eigenständiger Zwischenbuchhandel hatte sich nicht herausgebildet. Es gab keinen zentralen Stapelplatz für Bücher, keine Kommissionäre und keine Grossisten 106, von einer Bestellanstalt ganz zu schweigen. Die Verleger und Sortimenter standen im direkten Verkehr zueinander und rechneten halb- oder ganzjährlich ab. Eine Art Kommissionärsdienst leistete der Verleger dem Sortimenter unentgeldlich, wenn er bei der Bücherbeschaffung half. Neben Bar- und Festbezug war in Italien auch der Konditionshandel für Novitäten und ältere Bücher bekannt. c) Rußland: Die beiden Hauptzentren des insgesamt sehr mangelhaft organisierten russischen Buchhandels waren Moskau und St. Petersburg. Hier wurde der Zwischenbuchhandel meist durch Sortimenter ausgeführt. Sie unterhielten größere Bücherlager auf eigene Kosten, gaben Kataloge heraus und stellten Sammelsendungen zusammen. In ihrer Funktion als Großsortimenter ließen sie die Bücher auch schon mal einbinden, mehrheitlich handelten sie aber mit broschierten Werken. Es war nicht üblich, daß die Verleger an den Zentralpunkten Auslieferungslager einrichten ließen. Sie verkauften ihre Bücher entweder an die dortigen Grossisten oder - was weniger der Fall war - sie beauftragten Buchhändler dieser Zen104 Vgl. Leipziger Adreßbuch, 1833; Schulz, Sonst-Jetzt, S. 263. los Menz, Europa, S. 51. 106 Von einigen Schulbuchgeschäften einmal abgesehen. Vgl. Voerster, S. 68.
Verbesserung,
IV. Unterschied zum Zwischenbuchhandel anderer Nationalstaaten
71
tren mit der Auslieferung (Weiterleitung) ihres Verlags in die Region. Die Abrechnung erfolgte direkt zwischen Verleger und Sortimenter. Ort, Zeit und Modalitäten der Abrechnung unterlagen der freien Vereinbarung beider. Der russische Buchhandel arbeitete mit wenig Kredit, es dominierte der Barbezug. Bei Partiebezügen gab es einen relativ hohen Rabatt von bis zu 40 Prozent. 1906 gab es den Versuch, ein ,/egelrechtes Kommissionswesen" deutscher Art in den russischen Buchhandel einzuführen, der jedoch scheiterte. 107 d) Spanien: Der spanische Buchhandel befand sich, um mit Menz zu sprechen, „das ganze 19. Jahrhundert hindurch am Rande der europäischen Entwicklung." 108 Die mäßige Verlagsproduktion des Landes verteilte sich auf die Städte Madrid und Barcelona. Ein Zwischenbuchhandel war in spezialisierter Form nicht anzutreffen. Die „Kommissionäre" waren meist Sortimenter, die ihre Dienste weniger für inländische Buchhandlungen, sondern mehr für süd- und mittelamerikanische Sortimenter anboten, für die sie die Beischlüsse zu Sammelsendungen zusammenstellten. Sie waren im Prinzip nichts weiter als fachkundige Spediteure und hatten mit weiteren Aufgaben, wie der Abrechnung, Lagerhaltung usw., nichts zu tun. Großsortimente gab es bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert nicht. Neben dem Bezug in fester Rechnung war das Konditionsgeschäft gebräuchlich. Innerhalb Spaniens gab es für Sendungen ä condition 20 Prozent bei Bezahlung der Fracht durch den Verleger. Die Abrechnung erfolgte nach persönlicher Absprache, meistens aber halbjährlich oder jährlich per Tratte oder Barzahlung. Abschließend läßt sich festhalten, daß die Usancen des deutschen Kommissionsbuchhandels vor allem von Nordeuropa 109 sowie von weiteren Nachbarstaaten Deutschlands (z. B. den Niederlanden) weitgehend übernommen wurden, da diese Gebiete traditionell unter einem sehr starken Einfluß des deutschen Buchhandels standen. In Westeuropa sowie Nordamerika verfügten die Länder des organisierten Buchhandels über selbständige zwischenbuchhändlerische Einrichtungen, die sich vom deutschen Kommissionsbuchhandel deutlich unterschieden, wobei sie zum Teil ganz vergleichbare Wirkungen erzielten. 110 In den buchhändlerisch wenig bedeutsamen sowie schlecht organisierten Ländern Süd- und Osteuropas wurden zwischenbuchhändlerische Tätigkeiten wenn überhaupt, dann nur ansatzweise oder in Ausnahmefällen von Verlegern bzw. Sortimentern übernommen.
107 Vgl. Ebd., S. 76. los Menz, Europa, S. 24. 109 Voerster schrieb sogar: „Im allgemeinen ist der nordische Buchhandel dem deutschen ähnlich, nur läßt sich von ihm behaupten, daß er die Ideen mit mehr Konsequenz zur Durchführung bringt, die auch in Deutschland der Gegenstand mehr theoretischer Erörterungen gewesen sind." Voerster, Verbesserung, S. 73. 110 Agenten in London und Expreßgesellschaften in den USA als auf die Spedition spezialisierte Kommissionäre; Barsortimente in einigen großen britischen Buchhandelszentren als kleine Bestellanstalten.
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Kapitel 1: Voraussetzungen und Bestimmungsfaktoren
V. Zusammenfassung Einleitend wurden die wichtigsten Begrifflichkeiten, die in der vorliegenden Untersuchung Verwendung finden, definiert und die grundlegenden Tätigkeiten des Leipziger Kommissionärs im 19. Jahrhundert erläutert. In enger Verbindung mit den Messen hatte sich der Kommissionsbuchhandel seit der frühen Neuzeit auf dem Gebiet des deutschen Buchhandels herausgebildet. Durch seine Vermittlung konnte der Geschäftsverkehr zwischen Verlegern und Sortimentern trotz ungünstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen (staatliche bzw. rechtliche Uneinheitlichkeit) besser organisiert werden. Leipzig wurde in Auseinandersetzung mit anderen Wirtschaftsstandorten (insbesondere Frankfurt) spätestens im 18. Jahrhundert zum wichtigsten Zentrum dieses Geschäftssystems. Hier gelang es den lokalen Buchhändlern durch eine Aufgaben- und Kompetenzerweiterung, sich auf den Kommissionsbuchhandel zu spezialisieren. Mit der umfangreichen Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels, die um 1830 einsetzte, wurde der Professionalisierungsprozeß weiter vorangetrieben. Anhand quantitativer Auswertungen konnte ein enormes Wirtschaftswachstum des Leipziger Kommissionsbuchhandels nachgewiesen werden. Von 1830 bis 1888 verdreifachte sich die Unternehmerzahl, während die Zahl der Beschäftigten schätzungsweise auf das Sieben- bis Achtfache anstieg. Die enormen quantitativen Veränderungen waren Voraussetzung für die qualitative Umgestaltung des Branchenzweigs. Das jährlich ansteigende Auftragsvolumen sorgte für einen hohen Modernisierungsdruck. Kein Unternehmen konnte sich diesem Zwang entziehen, ohne die eigene Existenz zu gefährden. Die Umgestaltung des Kommissionsbuchhandels brachte für den Kommissionär eine weitgehende Professionalisierung mit sich. Über eine Funktions- und Kompetenzerweiterung verwandelte sich der einstige Gefälligkeits- und Nebenverdienst in eine selbständige Branchenspezialisierung, deren Aufgabenbereich klar determiniert war. Der generelle Prestigegewinn der Profession des Kommissionärs differierte entsprechend der wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäfts. Im allgemeinen stiegen die Kommissionäre, die über einen Großbetrieb und über unternehmerische Eigenschaften wie Engagement, Risikobereitschaft und Innovationsfreudigkeit verfügten, zu einer Schlüsselposition in der Branche auf. Die Träger der Modernisierung waren vor allem die Unternehmer der größten Leipziger Kommissionsgeschäfte (siehe namentliche Ermittlung der zehn auftragsstärksten Kommissionsgeschäfte). Sie verfügten über das nötige Know-how und das wirtschaftliche Durchsetzungsvermögen, um Neuerungen auch gegen den Widerstand anderer einzuführen. Daraus resultierte, daß sich die Innovationselite aus der wirtschaftlichen Elite des Branchenzweigs rekrutierte. Es war nicht ausgeschlossen, daß sich einzelne mittelständische und Kleinunternehmer am Modernisierungsprozeß aktiv beteiligen konnten, wenngleich deren Möglichkeiten bei der Konzeptionierung und Umsetzung von Innovationen sehr begrenzt waren.
V. Zusammenfassung
73
Der internationale Vergleich des Zwischenbuchhandels belegt die hohe Ausstrahlungskraft des Leipziger Modells. Der Technologievorsprung Leipzigs wurde von vielen Ländern Europas sowie von den USA intensiv wahrgenommen. Insofern es die Rahmenbedingungen zuließen, wurden Leipziger Einrichtungen über einen Transfer auch an anderen nationalen Buchhandelszentren etabliert. Dieser Umstand sowie die Tatsache, daß der Leipziger Kommissionsbuchhandel weltweit gesehen viele Besonderheiten aufwies, berechtigen dazu, ihn während der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts als einen wirtschaftlichen Pioniersektor zu bezeichnen.
Kapitel 2
Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen Der Leipziger Kommissionsbuchhandel hat im Zuge seiner Modernisierung wesentliche Impulse von einer breiten Reformdiskussion erhalten. Da der Buchhandel kein zünftiges Gewerbe war, konnte man ihn nur über einen intensiven Diskurs der Unternehmer erneuern. Zur Einführung und Durchsetzung von Innovationen brauchte man Mehrheiten, die mittels eines Überzeugungsprozesses erst einmal geschaffen werden mußten.1 Breite Fachdiskussionen über branchenspezifische Verbesserungen sucht man in anderen Handelszweigen des 19. Jahrhunderts vergeblich. Die Frage, warum gerade der Buchhandel eine derartige Diskussion anregte und erfolgreich praktizierte, wurde oftmals mit der besonderen gegenseitigen Abhängigkeit der Buchhändler begründet, die sich aus ihrer berufstypischen Spezialisierung sowie der besonderen Eigenschaft der Ware Buch ergab.2 Beide genannten Faktoren haben sicherlich dazu beigetragen, ein besonderes Bewußtsein im Buchhandel zu schaffen. Die gesteigerte unternehmerische Selbstsicht der Buchhändler als „Erfüller einer Kulturmission" scheint aber eher eine spezifisch deutsche gewesen zu sein.3 Im europäischen Vergleich läßt sich feststellen, daß in vielen Staaten - Frankreich und Großbritannien mit zeitweilig heftigen Auseinandersetzungen einmal ausgenommen4 - bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts derartige Branchendiskussionen gänzlich fehlten, obwohl es dort vergleichbare wirtschaftliche Probleme im Buchhandel gab. Die Usancendebatte zog sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. Jahrhundert. August Schürmann bezeichnete diese De1
Mehrheiten sind in diesem Sinne nicht absolut zu sehen. Es genügte, eine Mehrheit einflußreicher Firmen an den wichtigsten Standorten zu bilden. 2 Auf den sogenannten Doppelcharakter des Buches wurde in zeitgenössischen Darstellungen wiederholt hingewiesen. Bücher besitzen danach sowohl einen ökonomischen als auch einen kulturellen Wert. Der erstere ist Voraussetzung für den Handel, der letztere gibt jedem Buchtitel eine besondere Bedeutung gegenüber dem gewöhnlichen Produkt. 3 Vgl. Estermann, Monika, Der Buchhändler - eine Doppelnatur. Zum Selbstverständnis des Buchhandels, in: BB1 Nr. 28, 6. 4. 1984, S. 959-968. Vgl. ferner Barbier, L'empire; Bettmann, Berufsideale; Keiderling, Brockhaus; Zwahr, Inszenierte Lebenswelt. 4 Etwa der „erste englische Buchkrieg" 1850-52 um die Einführung des festen Ladenpreises (Net Price). Vgl. Mumby, Bookselling, S. 326.
I. Öffentlichkeit und Diskussionsführung
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hatte als eine Art Seeschlange, die immer von neuem auftauchte, um von neuem zu verschwinden.5 Somit hob er einerseits ihre Kontinuität hervor, um andererseits auf ihre schwankende Intensität zu verweisen. Einmal andiskutierte Fragen konnten für Jahrzehnte „verschwinden", bevor sie wieder aufgegriffen und einer Lösung zugeführt wurden. Im folgenden soll die Usancendiskussion mit Blick auf die Umgestaltung des Kommissionsbuchhandels in wesentlichen Fragestellungen untersucht werden.6 Ihr erklärtes Ziel bestand darin, Unzulänglichkeiten im Geschäftsbetrieb aufzudecken, interessenausgleichende Lösungsvarianten vorzustellen, zu diskutieren bzw. deren Verwirklichung vorzubereiten. Es galt, die sich langsam verändernden, freien Geschäftsgepflogenheiten in eine schriftlich fixierte, rechtlich verbindliche und zeitgemäße Geschäftsordnung, den Usancenkodex, umzuwandeln. Somit unterstützte die Debatte Professionalisierungs-, Rationalisierungs- und Verrechtlichungsprozesse im Buchhandel.
I. Öffentlichkeit und Diskussionsfuhrung Seit der Gutenberg-Erfindung stellten die Messen die effektivste Möglichkeit dar, um eine buchhändlerische Öffentlichkeit 7 herzustellen. Auf den großen Märkten in Frankfurt oder Leipzig waren genug Berufskollegen versammelt, um gemeinsam Veränderungen im Geschäftsablauf vornehmen zu können. Die dadurch erzielten Korrekturbewegungen konnten aber nur mittel- oder langfristig greifen, so daß der Buchhandel nur schwerfällig auf veränderte Rahmenbedingungen reagierte. Außerhalb der Messezeiten wurde die Fachkommunikation stark eingeschränkt. Ursache dafür waren der ruhende Handel zwischen den Buchhändlern und die hohen Kosten, die Geschäftsreisen und -korrespondenzen verursacht hätten. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts veränderte sich diese Situation grundsätzlich. Die vermehrte Rezeption, Produktion und Distribution hatte den persönlichen Meßhandel (Tauschhandel) durch den leistungsfähigeren Kommissionsbuchhandel abgelöst, der durch die ganzjährig verschickten Ansichts- und Konditionssendungen für ein größeres Kommunikationsbedürfnis zwischen den Messen sorgte. In diese Zeit fielen erste Versuche, Fachzeitschriften und Branchen vereine zu etablieren.8 5
Vgl. Schürmann , Krisis, S. 74. Die Usancendebatte führte zu einer massenhaften Produktion von Ideen, deren ausführliche Wiedergabe in der vorliegenden Arbeit nicht vorgesehen ist. Sie bietet den Stoff zu einer eigenständigen Publikation. 7 Der Begriff ist eng an die Kategorie der „bürgerlichen Öffentlichkeit" von Habermas angelegt. Vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 12-33, 69-85. 8 Die Hamburger Buchhändlerzeitung (1778-1785) war die erste von vielen kleinen und kurzlebigen Branchenzeitschriften des 18. Jahrhunderts, die sich kritisch mit den Problemen 6
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
In der Aufbruchphase zur deutschen Industrialisierung (1780 bis 1835)9 wurde der Modernisierungsdruck immer größer. Die rasch ansteigende Zahl der Buchhandlungen stellte bisher bewährte Praktiken, wie die lange Kreditgebung, die persönliche Abrechnung und Auslieferung, in Frage. Grundlegende Reformen wurden nötig. Um eine erste Verständigung unter den Unternehmern zu erreichen, begannen die Buchhändler, neue Formen der Diskussionsführung auszuprobieren. Bei der um 1800 von den Buchhändlern Barth, Dyk, Göschen und Kummer eingeleiteten Reformdiskussion wurde ein Expertenausschuß gebildet, der die freiwillig eingesandten Meinungen aller Börsenmitglieder zur Bildung eines „Buchhändlervertrages" in einem empfehlenden Gutachten verarbeiten sollte. 10 Wie aus dem Aufsatz Über die Buchhandelskrise und Reformversuche (1802) von J. L. Bertuch in Weimar hervorging, nährte sich der Reformwunsch aus Klagen, die die Buchhändler bei ihren jährlichen Zusammenkünften auf der Leipziger Ostermesse vorgetragen hatten.11 Wegen weiterer Verschlechterung der Geschäftslage wurde zur Leipziger Ostermesse 1802 unter Leitung Horvaths eine Versammlung im damaligen Börsenlokal, dem Paulinum, anberaumt, die sich den „im Buchhandel eingerissenen Unordnungen und Mängeln" widmen wollte. In ihrem gemeinsamen Rundschreiben „Über ein künftiges Regulativ für den Buchhandel" führten die anwesenden 16 Deputierten Deutschlands aus: 12 „Wir bitten Sie, Ihre Gedanken und Erfahrungen über die Mängel des Buchhandels, und Ihre Vorschläge zur Verbesserung desselben, vornehmlich über die in der Beilage erwähnten Gegenstände, an denjenigen Deputirten, der Ihnen am nächsten ist, ausführlich und freimüthig vor dem Monat September dieses Jahres einzusenden. Wir versprechen, aus allen bei uns eingehenden Aufsätzen getreue Auszüge zu veranstalten, den Inhalt derselben zweckmäßig zu ordnen, und die verschiedenen Meinungen in einem allgemeinen Aufsatze treu und klar darzustellen. Wir selbst werden nicht ermangeln, unsere eigenen buchhändlerischen Erfahrungen und Beobachtungen hinzuzufügen. Dabei versprechen wir als ehrliche Männer mit der Branche beschäftigten. Vgl. Wittmann , Buchhändlerzeitschriften, S. 653. Ein in Leipzig 1765 begründeter Buchhändlerverein, die Buchhandlungsgesellschaft, existierte allerdings nur wenige Monate. Vgl. Titel, Geschäft und Gemeinschaft, S. 31 -35. 9 Vgl. Henning, Industrialisierung, S. 35. 10 Zu diesen Vorgängen gibt es durch das Kummersche Archiv sowie durch weitere Personalakten eine umfangreiche Überlieferung im Leipziger Buch- und Schriftmuseum. Der Buchhändlervertrag ist in einer Dokumentation von Ernst Fischer veröffentlicht. Vgl. E. Fischer, Buchmarkt, Bd. 2, S. 299-322. H Vgl. DBSM, Kummersches Archiv, I 5a/1 [4]. 12 Zu den Deputierten gehörten: Bohn in Hamburg, Breitkopf & Härtel in Leipzig, Cotta in Tübingen, Crusius in Leipzig, Fritsch in Leipzig, Göschen in Leipzig, Hahn in Hannover, Horvath in Potsdam, W. G. Korn in Breslau, Kummer in Leipzig, Kussler in Nürnberg, Nicolai in Berlin, Varrentrapp & Wenner in Frankfurt am Main, Vieweg in Braunschweig, Gebr. Waither in Dresden, Wappler in Wien. Die Herren Breitkopf & Härtel, Göschen und Kummer wurden von den übrigen Deputierten zu Sekretären ernannt. Vgl. DBSM, Kummersches Archiv, I 38a/1 [8].
I. Öffentlichkeit und Diskussionsführung
77
der unverbrüchlichsten Zusage, bei unserm Nachdenken über die Herstellung der ehemaligen Würde unsers Handels nur das allgemeine Beste zu berücksichtigen, und unser eigenes Interesse zu vergessen. [ . . . ] Nachdem wir die uns eingeschickten Aufsätze ruhig und partheilos untersucht, und, so weit als möglich, unter allgemeine Gesichtspunkte gebracht haben, werden wir in Gemässheit derselben ein Regulativ für den Buchhandel entwerfen, und solches, nebst dem obgedachten allgemeinen Aufsatze, allen Mitgliedern unserer Versammlung nach der Michaelismesse dieses Jahres gedruckt zusenden."13 Wenn die Stoßrichtung der Reformdiskussion zunächst gegen den hohen Rabatt, die Zunahme der Buchhandlungen und mangelnde Zahlungspraxis gerichtet war, so wurde dieser Problemkreis bald inhaltlich erweitert. In einem zusammenfassenden Gutachten hatte Göschen 1803 die eingegangenen Aufsätze über die Verbesserung des Buchhandels thematisch geordnet und inhaltlich besprochen. Dieses Schreiben wurde an sämtliche Deputierte versandt und konnte von allen anderen Buchhändlern eingesehen werden. Einer Publikation der Schrift wollte Göschen anfangs nicht zustimmen, „damit die Sache nicht ins große Publikum komme." 14 1804 erschien das Gutachten dennoch im Druck. Den Initiatoren fehlten damals aber noch die Mittel, um die im Gutachten ausgewiesenen 18 Punkte in der Praxis durchzusetzen. Der Reformversuch scheiterte kläglich. 15 In dieser frühen Diskussion finden sich bereits wesentliche Merkmale der späteren Usancendebatte. Das gilt nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in struktureller Hinsicht. Zunächst gab es mehrere Initiatoren, die die Diskussion in Gang brachten. Sie organisierten den Meinungsstreit und waren erste Ansprechpartner bei rückläufigen Fragen. Um sich herum bildeten sie eine Führungsmannschaft („Deputierte"), die als ein Expertengremium fungierte und die Verbindung zu weiteren Buchhändlern („Basis") herstellte. 16 Jeder Buchhändler konnte sich nach eigenem Wunsch an der Diskussion beteiligen und Vorschläge einreichen. Die Ergebnisse wurden von den Initiatoren in Zusammenarbeit mit der Führungsmannschaft überarbeitet und veröffentlicht. Auffällig an diesem Procedere war das Bemühen, die Basis in die Reformdiskussion mit einzubeziehen. Statusunterschiede zwischen den einzelnen Diskutanten wurden dadurch kaschiert, daß die Meinungsbeiträge anonym blieben. Eine sachliche und gleichberechtigte Auseinandersetzung war somit grundlegend gewährleistet.
13 DBSM, Kummersches Archiv, I 38a/1 [8]. 14 DBSM, Kummersches Archiv, III 212/1 - 5 [34]. 15 Vgl. E. Fischer, Buchmarkt, Bd. 2, S. 432. Die einzelnen Punkte wurden 1835 von Enslin im Zusammenhang mit der wieder auflebenden Usancendebatte besprochen. Vgl. BB1 Nr. 34,21.8. 1835, Sp. 913-921. 16 Die Delegierten wurden nicht aus den Reihen aller Buchhändler (gemeint waren die Börsenmitglieder) gewählt, sondern rekrutierten sich selbst als Initiativgruppe. Es handelte sich dabei um einflußreiche Unternehmerpersönlichkeiten, zumeist Verleger. Vgl. E. Fischer, Buchmarkt, Bd. 2,-S. 431.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen Graphik 4
Die Usancendebatte um 1800
Als in den 1830er Jahren die Usancendebatte wieder intensiviert wurde, hatten zwei Entwicklungen die Rahmenbedingungen des Meinungsstreits entschieden verändert. Buchhändlerische Zeitschriften sorgten nun für eine neue Öffentlichkeit, Branchenvereine für eine grundlegende Möglichkeit zur Operationalisierung und Durchsetzung der Verbesserungsvorschläge. Für die Branchenzeitschriften gab die Hamburger Buchhändlerzeitung (1778 — 1785) das Zeichen zum Anfang, wenngleich sie aufgrund ihres Umfangs kaum Diskussionsbeiträge aufnehmen konnte. Es folgten nach weiteren kurzlebigen Versuchen17 das Wochenblatt für Buchhändler, Antiquare , Musik- und Disputationshändler von Krieger in Marburg (1820-1836), das Leipziger Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel und das Berliner Organ des Deutschen Buchhandels - beide als Konkurrenzausgaben 1834 gegründet, wobei das Organ 1850 wieder einging - und die Süddeutsche Buchhändler-Zeitung (1838-1876). Als Nachzügler kann die Österreichische Buchhändler-Correspondenz (gegründet 1860) bezeichnet werden. Die Reformdiskussion wurde auch durch kostengünstige Verbreitung der Zirkulare über den Kommissionsbuchhandel vorangebracht. Die Zirkulare wurden vom Kommittenten an den Leipziger Kommissionär geschickt, der sie wiederum weite17
Zur Einschätzung der frühen buchhändlerischen Branchenzeitschriften siehe Wittmann, Buchhändlerzeitschriften.
I. Öffentlichkeit und Diskussionsführung
79
ren Bücher- und Zettelsendungen beilegte. Nach Errichtung der Zettelbestellanstalt nahm der Zirkularverkehr derart zu, daß es öffentliche Beschwerden darüber gab, jeden eben vorkommenden Gedanken flugs in tausend und mehr Exemplaren zu verteilen, wie es einige Buchhandlungen mehrmals die Woche taten. 18 War die Diskussion in früheren Jahren noch ausschließlich an Briefwechsel sowie Privat- und Gruppengespräche gebunden, erlaubten nun die Spalten einer brancheninternen Zeitschrift eine breite und wiederholte Diskussion über einen längeren Zeitraum hinweg. Einen besonderen Platz nahm das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel ein. Nicht nur, daß das Börsenblatt sämtliche Vorläufer und Konkurrenzausgaben überdauerte, auch an Umfang, Bedeutung und Reichweite übertraf es die anderen Buchhändlerblätter. Es war die wichtigste Zeitschrift der deutsch(sprachig)en Buchhändler. „Kampfplatz der Oeffentlichkeit" - so wurde die Funktion des Börsenblatts 1845 bezeichnenderweise tituliert. 19 Nicht zu jeder Zeit wurde die Rolle der Branchenzeitschriften als ein neutrales Medium der Öffentlichkeit angesehen. In Aufsätzen - vor allem in den Konkurrenzausgaben des Börsenblatts - wurde wiederholt die Zensur der Börsenblatt-Redaktion angeprangert. Sie veröffentliche nicht alle Aufsätze, kürze Beiträge entstellend zusammen oder mache am Rand abwertende Bemerkungen. 20 1860 wurde sogar eine Gutachterkommission gebildet, um neben dem Börsenblatt eine zweite kritische Zeitschrift herauszugeben. Auch das Magazin für den Deutschen Buchhandel von August Schürmann verfolgte dieses Ziel, obgleich die recht interessante Zeitschrift nur eine kurze Episode war. 21 1872 gegründet, wurde das Magazin für den Deutschen Buchhandel 1874 aus Kostengründen dem Börsenblatt einverleibt. Das Börsenblatt war von seiner Anlage her eine brancheninterne Fachzeitschrift. Da es lange Zeit durch die Post ausgeliefert wurde, bestellte es auch der eine oder andere Nichtbuchhändler. 1881 wurde dieser Umstand bemängelt und die Befürchtung geäußert, daß die Diskussion interner Probleme Gift in den Händen des Publikums sei. Der Börsenverein beschloß, die Zeitschrift ab dem 1. Januar 1882 nur noch über die Kommissionäre an die Kommittenten auszuliefern. 22 Neben Fachzeitschriften sorgten auch Branchenvereine, insbesondere der Börsenverein, für Öffentlichkeit bei der Usancendebatte. Für den Leipziger Kommissionsbuchhandel bedeutsam waren neben dem Börsenverein der Verein der Buchhändler zu Leipzig (seit 1833) sowie der Verein Leipziger Kommissionäre (seit 1884). An anderen Standorten wurde der Modernisierungsprozeß im Kommissi-
18 Vgl. BB1 Nr. 7, 17. 1. 1853, S. 75-76. 19 BBlNr.26, 1.4. 1845, S. 313. 20 Vgl. dazu auch Haug, Krieger, S. 160-161. 21 Vgl. die kritische Rezension in: BB1 Nr. 291, 17. 12. 1873, S. 4727-4729. 22 Nebenbei sparte der Verein das Postporto. Die Kommissionäre verlangten für ihre Vermittlung bei weitem nicht so viel.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
onsbuchhandel analog dazu zunächst von den dortigen Lokalvereinen 23 und in zweiter und dritter Instanz von Regional- bzw. Landesvereinen24 unterstützt. Einen Spezialverein der Kommissionäre gab es nur in Leipzig. Die Buchhändlervereine sorgten für die Möglichkeit, daß die Ergebnisse der Usancendebatte in die Geschäftspraxis eingeführt werden konnten und nicht wie um 1800 verpufften. Durch die Vereinsbewegung im deutschen Buchhandel erhielt die Usancendebatte eine enorme Aufwertung. Bereits 1835 wurde im Börsenblatt gefordert, der Börsen verein solle aufgrund der akuten Mißstände im Buchhandel mehrere Konferenzen während der Leipziger Ostermesse abhalten und sich an die Spitze der Reformbewegung stellen.25 Vergleicht man das Procedere der Usancendebatte nach 1830 mit demjenigen vor dieser Zeit, so läßt sich feststellen, daß es wiederum Initiatoren gab, die die Diskussion anschoben und voranbrachten. Sie gehörten meistens zu den Vorständen von Vereinen, so daß sie von einem bestimmten Buchhändlerkreis (also nicht von allen Buchhändlern) gewählt wurden. Konnte man sich während der Mitgliederversammlungen nicht einigen, wurde die Bildung von Expertengremien, sogenannten Kommissionen, vorgeschlagen. Die anwesenden Mitglieder stimmten darüber ab, ob eine solche notwendig sei oder nicht. In der Regel wurden die Mitglieder derselben sofort namentlich festgelegt. Wie bei den „Delegierten" von 1802 handelte es sich bei den Kommissionen um kleine, temporär gebildete Sachkundigenkreise. Die Frage, wie sich eine Kommission zur Begutachtung von Usancenfragen zusammensetzen sollte, wurde von den Buchhändlern recht übereinstimmend beantwortet. Nur eine Ausgewogenheit aller Charaktere konnte akzeptable Lösungen produzieren. Deshalb mußten vier bis zwölf erfahrene und redliche Kollegen gefunden werden. „Nicht bloß Matadore, in Hinsicht auf Geschäft und Vermögen [ . . . ] denn: ,die Großen4 drängt nicht gleiche Noth wie uns, der Strom, der in den »Niederungen4 wüthet." 26 Sie sollten je zur Hälfte aus Verlags- und Sortimentshändler bestehen, kleinerer und größerer Handlungen angehören und aus Nordund Süddeutschland stammen. In den umsatzschwachen Sommermonaten hatten sie sich an einem beliebigen Ort Deutschlands zu treffen, um über brennende Fragen beraten und Lösungswege aufzeigen zu können. Die Unkosten sollte der Verein tragen. 27 Jeder Buchhändler konnte die Arbeit der Kommission durch 23
Beispiele für Wien: Gremium der Wiener Buch-, Kunst- und Musikalienhändler (gegr. 1807); für Stuttgart: Verein der Buchhändler in Stuttgart (gegr. 1842); für Frankfurt: der Versuch eines lokalen Buchhändlerverbandes scheiterte. 24 Beispiele für Frankfurt: Weinheimer Buchhändler-Verein (gegr. 1839); für Stuttgart [und Frankfurt]: Süddeutscher Buchhändler-Verein (gegr. 1845); für Wien: Verein der Österreichischen Buch-, Kunst- und Musikalienhändler (gegr. 1859). 2 5 Vgl. BB1 Nr. 14, 3. 4. 1835, Sp. 354,401. 2 6 BB1 Nr. 16, 17. 4. 1835, Sp. 406. 27 Vgl. BB1 Nr. 13, 25. 3. 1836, Sp. 323.
I. Öffentlichkeit und Diskussionsführung
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Graphik 5
Die Usancendebatte nach 1830
Meinungsäußerungen in den Fachblättern unterstützen. Nach Ablauf der gesetzten Frist (meist war es ein Zeitpunkt unmittelbar vor der nächsten Hauptversammlung) wurde den Vereinsmitgliedern das Gutachten bekanntgegeben und eine Empfehlung ausgesprochen. Über diese Empfehlung stimmte die nächste Hauptversammlung ab. Einigen Buchhändlern reichten diese kurzlebigen Expertengremien nicht aus. Sie regten an, permanente Kommissionen zur Prüfung von Verbesserungsvorschlägen des Buchhandels zu etablieren. Andere Vorstellungen sprachen von einem Buchhändler-Handelsgericht, das nach dem Vorbild bereits bestehender Vergleichsdeputationen (Schlichtungskommissionen) konkrete Auseinandersetzungen beispielgebend bearbeiten sollte. Auch diese Gremien sollten paritätisch mit Verlegern und Sortimentern, Leipzigern und Nichtleipzigern, Sachsen und Nichtsachsen besetzt sein. Die ständigen Gutachterkomitees blieben bis auf wenige Ausnahmen nur Theorie. 28 28
Ein ständiges Expertengremium des Buchhandels ist die Historische Kommission des Börsenvereins, die, abgesehen von einigen kurzen Unterbrechungen sowie einem Doppeldasein während der deutsch-deutschen Teilung, seit 1876 existiert. 6 Keiderling
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Tabelle 8 Wichtige Expertenkommissionen zur Modernisierung des Kommissionsbuchhandels
1830-188829
Jahr
Thema
Verein
1833/34
Errichtung eines Börsengebäudes (u. a. zur Abrechnung der Kommissionäre)
BÖV
1835/36
Usancenkodex für den deutschen Buchhandel30
BÖV
1836 1841/42 1844/46 1845 1845/46 1845/47 1846 1848/49
Modernisierung des süddeutschen Kommissionsbuchhandels nach Leipziger Vorbild 31
-
Petition an die sächsische Regierung zum literarischen Rechtsschutz und Zensur
BÖV
Haftung bei Transportschäden
BÖV
Erarbeitung einer Denkschrift zum Erhalt des Leipziger Kommissionsbuchhandels32
BÖV
Bräuche des süddeutschen Buchhandels
SBV
Verlegung der Leipziger Ostermesse
BÖV
Eingabe an die sächsische Regierung zu Zensurfragen
BÖV
Usancenkodex für Süddeutschland
RWK
1851/52
Ermittlung eines süddeutschen Hauptkommissionsplatzes
SBV
1857/58
Regelung der Spedition im süddeutschen Kommissionsbuchhandel (u. a. Frankatur)
SBV
1860/61
Normierung der Tarifsätze Stuttgarter Kommissionäre
SBV
1861/62
Inhaltliche Veränderung und Verlegung der Leipziger Ostermesse
BÖV
1866/67
Einführung der Frankatur nach Stuttgart
SBV
1877/78
Bauliche Erweiterung bzw. Verlegung der Leipziger Zettelbestellanstalt
LBV
1885/88
Errichtung eines neuen Buchhändlerhauses in Leipzig mit größeren Räumen für Abrechnung der Kommissionäre und Zettelbestellanstalt
BÖV
1887/88
Einführung einer Geschäftsordnung
BÖV
Quellen: Buchhändlerische Zeitschriften. 29
Weitere Kommissionen beschäftigten sich mit Vereinen und deren Statuten, buchhändlerischen Einrichtungen, Eingaben wegen Zensur und Nachdruck, der Umgestaltung des Börsenblatts oder der Herausgabe von Schriften zur Geschichte des Buchhandels (Historische Kommission). 30 Nur Enslin wurde als Gutachter eingesetzt. Vgl. BB1 Nr. 34, 21. 8. 1835, Sp. 913-921. 31
Die Initiatoren waren einzelne süddeutsche Buchhändler. Die Ausarbeitung wurde schließlich dem Braunschweiger Rechtsanwalt, Landtagspräsidenten und politisch-staatsrechtlichen Schriftsteller Heinrich Friedrich Karl Steinacker (1801-1847) übergeben, der seit 1835 zusammen mit Karl von Rotteck und Karl Welcker das Staatslexikon herausgab. 32
II. Bekannte und anonyme Initiatoren
83
Temporäre Expertenteams hingegen wurden recht häufig gebildet. Sie leisteten eine außerordentlich wertvolle Arbeit und waren äußerst konstruktiv. Wenn sie ihre Aufgaben nicht erfüllten, was hin und wieder einmal vorkam, so hatte das seine Ursache in der mangelnden Kompromißfähigkeit der Gutachter. Die zweite Kommission zur Verlegung der Leipziger Ostermesse konnte sich 1863 beispielsweise nicht zu einer Empfehlung durchringen. Sie zerfiel in zwei Standpunkte, die in einem Majoritätsbericht (sieben Stimmen gegen die Meßverlegung) und einen Minoritätsbericht (fünf Stimmen dafür) präsentiert wurden. 33 Ähnlich beendete die Ulmer Kommission 1852 ihre Arbeit. Mit ihrer „Empfehlung" zur Frage des süddeutschen Hauptkommissionsplatzes konnte niemand etwas anfangen. 34 Durch derartige Mißerfolge erlitt die Usancendebatte Rückschläge. In der zweiten Hälfte der vierziger Jahre kam es sogar zu Ermüdungserscheinungen. Die sinkende Bereitschaft, wirtschaftliche Innovationen über eine demokratische Diskussion einzuführen, fand ihren deutlichen Niederschlag in einer ganzen Reihe von Boykottvereinen, mit denen wichtige Modernisierungen gegen den Willen anderer durchgesetzt werden sollten.35
II. Bekannte und anonyme Initiatoren Zu den bekannten Initiatoren der Usancendebatte - hierbei handelte es sich um eine Minderheit aller Wortmeldungen - gehörten buchhändlerische Unternehmer, Kommissionäre und Kommittenten gleichermaßen. Es kam aber auch vor, daß sich Angestellte (Prokuristen, Gehilfen) oder Nichtbuchhändler (Wissenschaftler, staatliche Beamte usw.) zu Wort meldeten. Hinsichtlich des Verhältnisses von unternehmerischen und arbeitnehmerischen Innovationen läßt sich einschätzen, daß die Unternehmer als die Hauptträger des Modernisierungsprozesses im Kommissionsbuchhandel erscheinen. Hierfür besaßen sie die besten Voraussetzungen. Sie waren gebildet, hatten Zugang zu den Fachzeitschriften sowie Branchenvereinen, konnten sich mit anderen Unternehmern inhaltlich austauschen und verfügten über genug Zeitreserven, um sich eingehend mit Fachfragen zu beschäftigen. Und nicht zuletzt hatten gerade sie ein wirtschaftliches Interesse an derartigen Umgestaltungen. Bei der Konzipierung neuer Ideen sahen sich Kleinunternehmer den mittelständischen und Großunternehmern gegenüber allgemein im Nachteil. Denn in Ermangelung leitenden Angestelltenpersonals, mußten sie diese Arbeit allein leisten. Es liegt die Vermutungen nahe, daß ein Großteil der unkonstruktiven oder gar völlig undurchführbaren anonymen Pläne von Kleinunternehmern stammte. Sie hatten ihre Ideen zuvor nicht im internen Kreis besprechen können. 33
Die Meßverlegung wurde abgelehnt, siehe S. 193-200. 4 Siehe S. 251 -252. 3 5 Siehe S. 118-119. 3
6*
84
Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Bei Mittel- und Großunternehmen lag der Fall anders. Von diesen Firmen wurden weniger überzogene, weitausschweifende Forderungen, sondern eher pragmatische, auf Nahziele orientierte Verbesserungen produziert. Die Unternehmer erhielten Zuarbeiten aus dem Angestelltenbereich, insbesondere von leitenden Angestellten.36 Beide, die Unternehmer wie auch ihr Führungspersonal, einte das Ringen um Verbesserungen. Als Innovateure besaßen sie gleiche Eigenschaften, wobei die Anerkennung dieser gemeinsam erarbeiteten Leistungen automatisch den Unternehmern zukam. Dieser Umstand war dem Patriarchat im Buchhandel geschuldet, das nur sehr langsam zugunsten eines modernen kapitalistischen Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnisses abgebaut werden konnte, in dem sich der Arbeitnehmer weitgehend emanzipierte. 37 In einigen Fällen gelang es, die Autorenschaft von Meinungsäußerungen eindeutig zu bestimmen. Meistens konnten die Urheber jedoch nicht ermittelt werden, da sie anonym blieben. Die selbstverursachte Anonymität von Innovateuren hatte ihre Wurzel in wirtschaftlichen Überlegungen. Insbesondere verschwiegen die Autoren dann ihre Identität, wenn sie erstens eine unreife Idee äußerten, bei deren Ablehnung sie einen Prestigeverlust vor dem Berufsverband befürchteten, zweitens eine Idee präsentierten, die an sich gar nicht neu war 38 , oder drittens durch das Ansprechen von bestehenden Mißständen und deren Verursachern einen wirtschaftlichen Verlust erfahren konnten.39 Es ist also keineswegs verwunderlich, daß eine nicht geringe Anzahl von Zirkularen, Streit- und Denkschriften anonym blieb. In den buchhändlerischen Zeitschriften wurde oftmals darüber geklagt, daß sich Autoren nicht zu erkennen gaben. Sie wurden als „Feiglinge", „Wegelagerer" oder „Buschklepper" bezeichnet, die „aus ihrem Versteck ihre giftigen Geschosse auf den ruhig seines Weges Gehenden absenden."40 Ludwig Christian Kehr aus Kreuznach bat 1837 darum, von öffentlichen Beschuldigungen in den langen Erörterungen abzusehen. Die Redaktion des Börsenblatts sollte „in allen Fällen, wo Namen oder Personen berührt werden, den Namen des Einsenders nennen [ . . . ] , denn es ist wenigstens sehr bequem, unter der Hülle der Anonymität seine Bolzen abzuschießen."41 Denn wer Gutes 36 Zu verweisen ist auf den Buchhalter Höpstein und die Prokuristen Rottner, Trömel und Ziegenbalg von F. A. Brockhaus, die zur Entwicklung der doppelten Buchführung sowie zum Aufbau eines neuen Geschäftszweiges Export-/ Importbuchhandel entscheidende Beiträge geleistet haben. Vgl. Keiderling, Ziegenbalg, S. 317-319. 37 Patriarchalische Muster waren auch lange Zeit im Verhältnis Unternehmer und Markthelfer zu finden. Erst die massiven Markthelferstreiks nach 1905 führten zu einer Emanzipation des Hilfsarbeiterpersonals. Vgl. DB SM, Archivalien, Kasten 92. 38 In diesem Sinne waren wirklich ernstzunehmende Neuerungen meist autorisiert, während viele anonyme Verbesserungen keinen großen Neuheitsgrad besaßen. 39 Dieser Grundsatz hatte in der Geschäftswelt eine besondere Prägnanz, wo ein kritisierter Berufskollege von heute ein wichtiger Geschäftspartner von morgen sein konnte. 40 ODBNr. 1,7. 1. 1843, S. 3.
41 BBlNr. 3, 10. 1. 1837, Sp. 45.
II. Bekannte und anonyme Initiatoren
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will, so Gustav Remmelmann 1846, wird es durch offene Meinungsäußerung weit eher erreichen als durch anonyme Artikel, die a priori ihre Verfasser verdächtig machen.42 In diesem Zusammenhang erstaunt es dann schon, daß ein Aufsatz wider die Anonymität selbst anonym blieb. 43 Kodierte Unterschriften erlaubten eine teilweise Rekonstruktion der Namen oder gaben Auskunft darüber, welche verschiedenen Texte von ein und demselben Autor stammten. Die Verfasser gaben sich entweder durch ihre Namenskürzel zu erkennen (z. B.: R R., S.), verrieten Einzelbuchstaben ihres Namens (-d, r, W r, dr.), unterschrieben mit Phantasiebezeichnungen (X., X. Y. Z.; Ypsilon, Phi, Dixi, Spondäus, • , 1\ ++) oder Zahlen (10, 18, 40) bzw. verhüllten ihre Identität in einer größeren Gruppe, ohne diese zu vertreten (z. B.: ein Leipziger Kommissionär, ein kleiner Kommissionär in Leipzig, ein Leipziger Auslieferer, kein Kommissionär, ein (alter) Sortimenter, ein Verleger, ein Süddeutscher, ein bayrischer Buchhändler; [oder gänzlich unbestimmt:] einer von vielen, encore un avis aux librairies usw.). Ein besonderes Problem der anonymen Diskussionsführung lag darin, daß man Einzelfälle zum Anlaß nehmen konnte, um sich über das Verhalten bestimmter Geschäftskollegen öffentlich zu beschweren. Dabei wurden keine generellen Vorschläge zur Behebung derartiger Vorfälle gemacht. Solche Aufsätze waren keine konstruktiven Beiträge zur Usancendebatte. Insbesondere wurden bei der Schilderung von geschäftlichen Streitigkeiten bis hin zu Gerichtsprozessen persönliche Beschuldigungen ausgesprochen, die mitunter gar nicht der Wahrheit entsprachen. In diesen Fällen zog es die Redaktion des Börsenblattes vor, auf eine Namensnennung zu verzichten. 44 Das folgende Beispiel soll die negativen Folgen anonymer, unwahrer Wortmeldungen illustrieren. Das Berliner Organ des Deutschen Buchhandels bekam nach der Veröffentlichung eines anonymen Artikels im Jahre 1845 großen Ärger. In dem betreffenden Aufsatz mit der Überschrift „Aus Leipzig. (Rügen)" wurden schwerwiegende Anschuldigungen gegenüber dem Leipziger Kommissionsbuchhandel geäußert.45 Der anonyme Schreiber behauptete, er kenne einen Fall, wo ein Leipziger Buchhandlungslehrling Bestellzettel fälsche, um sich zu bereichern, und fügte hinzu, das sei eine weit verbreitete Praxis. Die Leipziger waren über 42 Vgl. BB1 Nr. 112, 29. 12. 1846, S. 1516. 43
Vielleicht wußten einige Kollegen mit der Unterschrift „*r" etwas anzufangen. Vgl. BB1 Nr. 69, 30. 7. 1847, S. 915. 44 Im Börsenblatt wurde protestiert: „So gewiß es von der einen Seite ist, daß unsern hiesigen Commissionairen mit den allgemein hingestellten Klagen sehr oft Unrecht geschieht, ebenso wenig ist zu läugnen, daß sich nicht überall und zu jeder Zeit alles in der Ordnung und in dem Gange befindet, worin es sich den heutigen Anforderungen gemäß befinden soll. [ . . . ] Nur müssen wir wünschen, daß Persönlichkeiten nur in den dringendsten und klar erweisbaren Fällen uns auch da nur in soweit berührt werden, als sie von der in Rede stehenden Sache nicht zu trennen sind." BB1 Nr. 87, 4. 10. 1842, Sp. 2357, 2359. 4
5 Vgl. ODB Nr. 23, 8.6. 18. 1844, S. 177-178,186.
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diese Beschuldigungen ungehalten und kündigten strengste Untersuchungen bis hin zu gerichtlichen Schritten an. 46 Im August 1845 erklärten die Leipziger Deputierten, daß sie im öffentlichen Interesse der Sicherheit Ermittlungen durch das Vereinte Kriminalamt in Berlin einleiten ließen. Diese hatten folgendes zum Ergebnis: Zunächst wurde der Redakteur des Organs aufgefordert, den Namen des Verfassers preiszugeben. Dieser nannte einen Ernst Wagner als solchen. Bei den polizeilichen Befragungen Wagners zu den geäußerten Eigentumsverbrechen in Leipzig verstrickte sich dieser in Ausreden. Der Aufsatz sei, so Wagner, gar nicht für eine Publikation vorgesehen gewesen. Wagner konnte die darin enthaltenen Angaben und Vermutungen auch nicht weiter begründen. Er nannte Informanten, die sich wiederum nach Befragung in Widersprüche verhedderten. 47 Dieses Beispiel zeigt, daß im Schutze der Anonymität Aufsätze abgedruckt wurden, die sich weder auf eine Recherche stützten, noch zur Usancendebatte beitrugen. Das Thema Anonymität, das im vorigen Jahrhundert eine wichtige Rolle im Börsenblatt gespielt hat, ist nach Monika Estermann eines der ganz wenigen Themen, „die heute gegenstandslos sind und den Redakteuren des Blattes keine Schwierigkeiten mehr bereiten." 48
I I I . Die Forderung nach einem Usancenkodex Der Wunsch vieler Buchhändler nach einer umfassenden, schriftlich fixierten Verrechtlichung speiste sich aus den täglichen Problemen des Handels sowie einer uneinheitlichen und unzulänglichen Rechtssprechung in den deutschen Staaten. Wurden Rechnungen nicht beglichen, traten Schäden bei Transport oder Lagerung auf, so war eine angemessene Entschädigung kaum zu erzielen. Insofern es zu Gerichtsprozessen kam, zogen sich diese in die Länge und begünstigten durch Fehlurteile so manchen Schadensverursacher. Nach der erfolglosen Reformdiskussion um 1800, in der es auch um Verrechtlichungsfragen ging, kam es in den dreißiger Jahren zu erneuten Aktivitäten. Der Vorsteher des Börsenvereins, Theodor Enslin, machte 1835 in der Generalversammlung darauf aufmerksam, wie zeitgemäß und zweckmäßig ein Kodex buchhändlerischer Usancen sei. 49 Zu dessen Ausarbeitung sollte „jeder, der sich berufen fühlt, seine Ansichten, Wünsche und Vorschläge im Börsenblatt niederlegen." 50 46 Vgl. BB1 Nr. 59, 25. 6. 1844, Sp. 1785.
47 Vgl. BB1 Nr. 77, 29. 8. 1845, S. 893. 48 Estermann, Monika, Der Buchhändler - eine Doppelnatur. Zum Selbstverständnis des Buchhandels, in: BB1 Nr. 28, 6. 4. 1984, S. 959. 49 Vgl. BB1 Nr. 23, 5. 6. 1835, Sp. 603. so Vgl. BBlNr. 34, 21. 8. 1835, Sp. 913.
III. Die Forderung nach einem Usancenkodex
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Enslin erklärte sich dazu bereit, die eingehenden Meinungsäußerungen zusammenzustellen und sie der Hauptversammlung im nächsten Jahr zum Beschluß vorzulegen. Das Leipziger Börsenblatt brachte noch 1835 24 Artikel, die zur Feststellung buchhändlerischer Usancen beitrugen. Eine zentrale Frage betraf die Gesetzeskraft des Usancenkodex.51 Sollte er eine verbindliche oder eine lose und informative Sammlung buchhändlerischer Handelsbräuche sein? Drei Argumentationen wurden gegen die Verrechtlichung ins Feld geführt: 1. Die traditionelle
Argumentation
- Bisher ist man ohne einen schriftlichen Usancenkodex ausgekommen, also braucht man auch zukünftig keinen. - Wenn die Usance ein herkömmlicher, aus der Praxis hervorgebrachter Gebrauch ist, der sich durch freie Entwicklung gebildet hat, dann kann man das sich fortwährend Verändernde wohl kaum in einer gesetzlich bindenden Regel künstlich festhalten, ohne dadurch Schaden anzurichten. 52 2. Die pessimistische Argumentation - Die sehr unterschiedlichen Interessen einzelner Buchhändler und Branchenzweige sowie deren lokale und regionale Rivalität verhindern eine Einigung in dieser Frage. - Kommt man doch zu einer Einigung, so ist sie zu Lasten einer Unternehmergruppe (vielleicht zu ungunsten der Sortimenter, einer Region oder dgl.). 3. Die liberalistische
Argumentation
- Eine moderne Wirtschaftsgesinnung braucht keine Gängelung. Für diejenigen, die an der Notwendigkeit eines Kodexes zweifelten, schrieb Enslin: „Wohl möchte einer oder der andere einwenden, daß der deutsche Buchhandel seine blühendste Epoche ohne schr[i]ftl[ichen] Codex durch freie stillschweigende Uebereinkunft der Einzelnen erreicht habe. Dies zugegeben, so würde daraus noch keineswegs folgen, daß auch in Zukunft ein solches äußerliches Band entbehrlich wäre. Wo eine Gesellschaft zu gemeinschaftlichen Zwecken sich frei und gleichsam von selbst verbindet und gestaltet, da ist anfangs oft von schriftlichen, bindenden Regeln nicht die Rede. Die Mitglieder kommen gelegentlich zusammen und können dann leicht etwaige Differenzen ausgleichen [ . . . ] Wenn aber die Privatinteressen mit der wachsenden Zahl der Mitglieder sich vervielfältigen, wenn am Ende die Gesellschaft so groß wird, daß ein regelmäßiges Zusammenkommen, Berathen und Verständigen aller Einzelnen nicht mehr möglich ist, dann wird es bald an 51 Vgl. Ebd., Sp. 921-925. 52 Vgl. BB1 Nr. 36, 4. 9. 1835, Sp. 977-981. Kein geringerer als Friedrich Perthes schloß sich dieser Meinung an.
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der der Gesammtheit ersprießlichen Einigkeit fehlen, wenn sie nicht durch eine alle Einzelnen bindende Gesetzgebung erhalten wird." 53 Enslin sah also in der gestiegenen Anzahl der Buchhändler und der damit verbundenen Interessenvielfalt einen Beweggrund, um das bisherige Gewohnheitsrecht durch eine neue Rechtsform zu ersetzen. Das Argument, daß eine Fixierung sich ständig verändernder Bräuche unmöglich sei, entkräftete er dahingehend: Nachdem die Börsenordnung fünf Jahre lang zweckmäßig war, mußte sie im sechsten Jahr abgeändert werden, weil es die Verhältnisse erforderten. „So will mir nicht einleuchten, daß eine dem Usancen-Codex temporair beigelegte gesetzliche Kraft irgend Jemandem, oder auch der weiteren Entwickelung des Geschäfts oder der Literatur zum Nachtheil gereichen könne. [ . . . ] Mein Votum auf diese Principfrage ist also für die Beilegung einer Gesetzeskraft." 54 Die Diskussion im Börsenblatt entsprach in den ersten Jahren nicht den gesteckten Erwartungen. Enslin stellte 1836 fest, daß die Ausbeute an Materialien so unerheblich gewesen sei, daß man kein einziges Gutachten daraus herstellen könne.55 Obwohl der Wunsch nach einem schriftlich fixierten Handelsgesetzbuch oftmals hinter anderen Tagesforderungen zurückblieb, wurde er aber nie gänzlich aus den Augen verloren. In den vierziger Jahren gab es zu Messezeiten Schlichtungskommissionen (z. B. in Leipzig und Stuttgart), die kleinere Streitfälle beizulegen hofften. Obwohl diese über einen empfehlenden Charakter nicht hinauskamen, führten sie den Buchhändlern die Notwendigkeit der Verrechtlichung vor Augen. Im Jahr 1848 wurde sogar darüber diskutiert, ob der Börsenverein eine gesetzgebende und richterliche Macht erhalten sollte. Der Verein war damals jedoch weit davon entfernt, von nichtsächsischen Behörden oder gar der buchhändlerischen Mehrheit überhaupt anerkannt zu werden. 56 Im süddeutschen Raum stellte der dortige Buchhändlerverein 1846 die „Bräuche des süddeutschen Buchhandels" auf, 1849 folgte ihm der Rheinisch-westphälische Kreisverein mit den „Grundzügen der Geschäfts-Usancen des deutschen Buchhandels". Beide Entwürfe erlangten keine Verbindlichkeit, zumal sie sich nur auf die rechtlichen Belange ihres süddeutschen Einzugskreises beschränkten und den Verlagsbuchhandel gegenüber dem Sortimentsbuchhandel bevorzugten. Eine erste Publikation mit dem Titel Usancen-Codex veröffentlichte Eduard Wengler im Jahre 1859. Als ein Nachfolgewerk seines 1855 erschienenen Fremdwörterbuchs für Buchhändler war es zwar eine große Hilfe beim Bestimmen unklarer Begriffe 57 , um einen Usancenkodex handelte es sich aber auf keinen Fall. 53 BB1 Nr. 28, 10. 7. 1835, Sp. 738-739. 54 BBlNr. 13,25. 3. 1836, Sp. 325. 55 Vgl. Ebd., Sp. 322-323. 56 Die sächsische Regierung war die einzige, die den Börsenverein als wirtschaftliche Interessenvereinigung respektierte. Siehe S. 280-290. 57 „Usance" definierte Eduard Wengler als einen unter Buchhändlern üblichen Gebrauch, wobei „eine Rechtsgültigkeit wohl nur dann dafür zu beanspruchen ist, wenn sie überhaupt
III. Die Forderung nach einem Usancenkodex
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Wengler ließ 1865 den genannten Publikationen sein Praktisches Handbuch für Buchhändler und Geschäftsverwandte folgen. Alle drei Fachwörterbücher hielten in einer alphabetischen Abfolge Gewohnheitsbegriffe der Buchhändler fest. Natürlich konnte es sich hierbei nicht um Definitionen handeln, wie sie von Expertenkommissionen ausgearbeitet worden wären, sondern nur um Vorschläge des Verfassers für eine noch einzuleitende Diskussion. Insofern war der Titel des Buches nur programmatisch zu verstehen. Trotzdem handelte es sich hierbei um ausgezeichnete zeitgenössische Quellen für das damalige Begriffsempfinden im Buchhandel. Aus einschlägigen Rezensionen geht hervor, daß die Zeitgenossen die kleinen Bände mit Wohlwollen aufnahmen und besonders jungen Buchhändlern empfahlen. 58 Als programmatisch galt auch das umfassende Werk von August Schürmann Die Usancen des Deutschen Buchhandels und der ihm verwandten Geschäftszweige,, das er 1867 parallel zu einer breit angelegten inhaltlichen Debatte um die Festlegung der Handelsbräuche veröffentlichte. Er beschrieb die Geschäftsgepflogenheiten des Buchhandels systematisch und bereicherte sie mit profunden juristischen Bewertungen. Sein Buch bildete eine gute Voraussetzung für die weitere Verrechtlichungsdiskussion und erlebte 1881 eine zweite Auflage. Schließlich veröffentlichte August Bolm 1880 eine Schrift mit dem Titel Was ist Usance im Buchhandel?, die sich mit dem rechtlichen Usancenbegriff und den Besonderheiten buchhändlerischer Usancen intensiv auseinandersetzte.59 Das Hauptproblem bei der Abfassung des Usancenkodexes war also nicht, einen Verfasser zu finden, der in die Belange des Buchhandels so weit eingeweiht war, daß er die richtigen Einschätzungen treffen konnte. Vielmehr ging es darum, jemanden zu finden, der eine ausgewogene Sichtweise vertrat, mit der alle Branchenspezialisierungen leben konnten. Während beispielsweise Schürmann als Sortimenter aus Halle in den Augen einiger Zeitgenossen eher die Interessen des Sortimentsbuchhandels vertrat, war Albrecht Kirchhoff, ein zweiter Kandidat für die Niederschrift einer Gesetzgebung, „ein Mann des Börsenvereins und der Centrale". 60 Im Mai 1878 trafen sich die Sortimenter in Eisenach, um in einer Konferenz ihren Standpunkt zu besprechen. Sie forderten (1) die Ausarbeitung eines Usancenkodexes unter Hinzuziehung von Verlegern, Kommissionären und Sortimentern, (2) die Beschränkung des Zugangs zur Leipziger Bestellanstalt zur Minderung von Konkurrenz, (3) die Aufstellung einer Schlichtungskommission zur Überwachung und Bestrafung der Ausschreitungen, (4) die Niederschrift eines „wirklichen" d. h. „gereinigten" Buchhändlerverzeichnisses (Adreßbuches). im Rechte begründet ist, oder eine specielle contractliche Verpflichtung unter den Beteiligten vorliegt." Wengler, Usancen-Codex, S. 70. 58 Vgl. SBZ Nr. 25, 20. 6. 1859, S. 109; SBZ Nr. 47, 21. 11. 1870, S. 209. 59 Vgl. Bolm, Usance. 60 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 507-508. Kirchhoff war also der Vertreter des Verlagsbuchhandels - in gewisser Hinsicht auch derjenige des Kommissionsbuchhandels.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Immerhin gelang es dem Sortimenterverein mit seinem Forderungskatalog, den Börsenverein in Bewegung zu bringen. Wenige Monate später besprach der Börsenvorstand in Weimar buchhändlerische Reformen um das Forderungspapier von Eisenach. Obwohl der Börsenverein keine konkreten Beschlüsse fassen konnte, wurden wichtige Grundprobleme erörtert und deren Lösung als dringend anerkannt. Dazu gehörten neben der Durchsetzung des festen Ladenpreises zwischenbuchhändlerische Fragen, wie der Bezug über En-Gros-Buchhandlungen oder die Verlegung der Meßabrechnung. Auf Empfehlung der Weimarer Versammlung wurde eine Enquete-Kommission ernannt, die 1879 eine Reformierung des Börsenvereins beantragte. Die Kommission stellte mehrere Fragen, von denen zwei lauteten: Sollte der Börsenverein seinen Mitgliedern Normen (Geschäftsordnung) vorschreiben bzw. sollte er Normen zwischen Buchhandel und Publikum (Verkaufsordnung) erstellen? Beide wurde nach langen Debatten bejaht.61 Das Grundanliegen der Verrechtlichung wurde in den folgenden Jahren weiter verfolgt und mit Abschluß der Krönerschen Reform 1888 in der Geschäfts- und Verkaufsordnung des deutschen Buchhandels manifestiert. Diese beiden Verordnungen erfüllten grundlegend die Forderung nach einer Verrechtlichung, auch wenn sie zunächst nur empfehlenden Charakter trugen und es noch mehrere Jahre dauerte, um sie mehrheitlich durchzusetzen. Nachdem der Börsenverein dank der Krönerschen Reform einen bedeutenden Machtzuwachs erhalten hatte, war er in der Lage, alle Buchhändler zur Einhaltung der Beschlüsse zu zwingen. Wer sich nicht daran hielt, dem drohte seit 1885 der Ausschluß aus der Vermittlung über die Leipziger Zettelbestellanstalt und somit im Prinzip ein Berufsverbot seitens der Branche.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten Die Aussichten, neue Ideen relativ rasch in die Praxis umzusetzen und die Hoffnung, dadurch geschäftliche Vorteile und Anerkennung im Berufsverband zu erlangen, beflügelten manch einen Buchhändler zur Formulierung brauchbarer, aber auch völlig abwegiger Vorschläge. Nachdem Enslin 1835 zur Usancendebatte aufgerufen hatte, veröffentlichte er ein Jahr später einhundert Fragen zur Feststellung buchhändlerischer Geschäftsgebräuche. 62 Binnen drei Monaten wünschte sich Enslin von den „geschäftskundigen und erfahrenen Buchhändlern" Hinweise, wie man diese offenen Fragen beantworten könne.63 Inhaltlich drehten sie sich um einzelne Rechtsfragen, Nachdruck, Überproduktion, Schleuderei 64, Konkurrenz durch neue 61 Vgl. Ebd., S. 524. 62 Neben dem Abdruck im Börsenblatt ging sein Fragebogen auch allen Börsenvereinsmitgliedern als Zirkular zu. 63 Enslin bemerkte noch, daß süddeutsche Fragestellungen von den dortigen Buchhändlern zuzuarbeiten wären. Vgl. BB1 Nr. 35, 26. 8. 1836, Sp. 1026-1030.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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Buchhandlungen, mangelhafte Professionalität in kaufmännischen Dingen (zu langer Kredit, unsinnige Abrechnungsmodi), fehlende Einheitsnormen und staatliche Hemmnisse (Post-Porti, Steuern, Zensur, Zölle). Eine derart umfassende Auflistung aller offenen Usancenfragen hatte der deutsche Buchhandel bis dato noch nicht gesehen. Der Fragebogen von Enslin stellte eine hervorragende Bestandsaufnahme dessen dar, was die Unternehmer zu diesem Zeitpunkt als veränderungswürdig erachteten.65 Von den genannten 100 Fragen betrafen 45 die Modernisierung des Kommissionsbuchhandels mit folgenden thematischen Schwerpunkten: 20 Fragen zur Verbesserung der Auslieferung, 11 Fragen zu Haftungen bei Transport und Lagerung, 10 Fragen zur Abrechnung durch den Kommissionär, 4 Fragen zur Kommissions- und Geldverwaltung durch den Kommissionär und zur zwischenbuchhändlerischen Tätigkeit durch Nichtbuchhändler. Beachtet man das inhaltliche Themenspektrum, so läßt sich feststellen, daß die Debatte alle Spezialisierungen des buchhändlerischen Geschäftsbetriebes erfaßte. Einen Schwerpunkt sahen die Unternehmer in der Umgestaltung des Kommissionsbuchhandels, der ihrer Meinung nach besonders veränderungswürdig war. Die einzelnen Diskussionsbeiträge wiesen unterschiedliche Qualitäten auf. Mit zunehmender Intensität der Debatte nahm dabei die Anzahl unsachlicher und redundanter Beiträge zu.
1. Grundlegende Reformen des Kommissionsbuchhandels Innerhalb der Modernisierungsdebatte um den Kommissionsbuchhandel kam es wiederholt zu Überlegungen, das gesamte System des deutschen Buchhandels zu verändern. Der Kommissionsbuchhandel sollte dann entweder völlig neue Aufgaben erfüllen oder regelrecht abgeschafft werden. Gespeist wurden solche Vorstellungen aus dem internationalen Vergleich der Buchhandelsorganisation. Es gab nicht nur keinen zweiten nationalen Buchhandel, der genauso wie der deutsche organisiert war, sondern im amerikanischen, englischen und französischen Modell erkannten einige Zeitgenossen sogar sehr erfolgreiche Varianten, die gerade diejenigen Probleme zu meistern versprachen, die der deutsche Buchhandel seit Jahrhunderten nicht in den Griff bekam. 64
Der Begriff „Schleuderei" meinte generell eine zu hohe Rabattgewährung. Innerhalb des Buchhandels gewährten einige Verleger oder Zwischenbuchhändler (vor allem Barsortimenter, Grossisten) den Sortimentern einen außergewöhnlich hohen Preisnachlaß. Aber auch die Sortimenter räumten dem Publikum Rabatte ein. 65 In der Folge wurden weitere Usancenfragen veröffentlicht. Buchhändler warfen in Zirkularen und Streitschriften weitere Probleme auf, die kurzfristig gelöst werden sollten. Georg Heubel aus Hamburg stellte 1849 sogar einen 21-Fragen-Katalog zusammen. Vgl. BB1 Nr. 46, 12.5. 1849, S. 517.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Wichtig ist festzustellen, daß die Forderung nach einem Ausstieg aus dem deutschen Kommissionsbuchhandel und der Zuwendung zu einem anderen Buchhandelssystem stets auf einem einseitigen und somit unsachgemäßen internationalen Vergleich beruhte. Während einige der damaligen Buchhändler aufgrund des Barzahlungsverkehrs im englischen und französischen Buchhandel das erstrebenswerte „kaufmännische Muster" erkannten, übersahen sie, daß die dortigen Rahmenbedingungen (Nationalstaatlichkeit, zentralisierte Verlagsproduktion usw.) nicht auf Deutschland zu übertragen waren und daß im Gegensatz dazu der deutsche Buchhandel Leistungen vollbrachte, die man vergeblich in anderen Ländern suchte (rationalisierte Zusammenfassung von Bestellung, Lagerhaltung und Auslieferung, lange Lieferbarkeit von Buchtiteln, fortgeschrittene Raumerschließung und Serviceleistung durch einen spezialisierten Sortimentsbuchhandel). Sehr nachteilig für den Verlagsbuchhandel wirkte sich in Deutschland der lange Kredit und damit verbunden die Bezugsarten Nova und à condition aus. Obwohl es bereits seit den ausgehenden dreißiger Jahren einen deutlichen Trend zum Barverkehr gegeben hatte, wollten einige Verleger diese Entwicklung beschleunigen. Eine Möglichkeit sahen sie in der sofortigen Einstellung von Kreditsendungen, wodurch viele Serviceleistungen der Kommissionsgeschäfte von heute auf morgen überflüssig geworden wären. Der Schriftsteller Karl Ferdinand Gutzkow präsentierte 1837 einen Plan zur Abkehr vom Novaversenden66, den der Buchhändler Otto Wigand zwei Jahre später wieder aufgriff. Beide verwiesen auf England und Frankreich, wo ein solches Verfahren nicht gebräuchlich war, und plädierten für die Übernahme der dortigen Vertriebsorganisation, was sich aber als unausführbar erwies. 67 Das Revolutionsjahr 1848 gab erneuten Anlaß, um über grundlegende Reformen nachzudenken. Auf der Leipziger Ostermesse konnten viele Sortimenter ihre Jahresrechnungen nicht begleichen. Die Verleger, die sonst ihren Schuldnern gegenüber sehr geduldig waren, übten starken Abrechnungsdruck aus.68 In dieser Situation veröffentlichte der junge Leipziger Verleger Johann Andreas Romberg einen Reformplan. 69 Dreißig bis maximal fünfzig der besten Verleger Deutschlands - so Romberg - sollten sich zu einem Verein zusammenschließen und durch ihre Wirtschaftskraft schlechte Sortimenter und Kommissionäre ausmerzen.70 In einem er66 Vgl. BB1 Nr. 60, 28. 7. 1837, Sp. 1337-1340, 1369 f., 1649 f. 67 Wigand hatte zuvor die Unterschiede zwischen dem deutschen, französischen und englischen Buchhandel im Börsenblatt besprochen. Es handelte sich um jenen polemischen Artikel, den Gerhard Menz 1941 wieder aufgriff. Vgl. BB1 Nr. 80, 6. 9. 1839, Sp. 1873-1876, 2089-2091, 2705-2707; Menz, Europa, S. 8-11. 68 Vgl. SBZ Nr. 23, 5. 6. 1848, S. 130-131. 69 Romberg sagte später, er sei nicht der Erfinder des Plans gewesen, sondern habe ihn lediglich aufgegriffen. Vgl. BB1 Nr. 93, 24. 10. 1848, S. 1104. 70 Vgl. BB1 Nr. 53, 6. 6. 1848, S. 619-620.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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sten Schritt hätten sie eine Liste derjenigen Sortimentsbuchhandlungen anzufertigen, die in der Ostermesse gezahlt haben. Nur diese wenigen sollten weiterhin Verlag erhalten. Der Mehrzahl der nichtzahlenden Buchhandlungen war die Geschäftsverbindung aufzukündigen. Die hier geäußerte Idee eines Verleger-Boykottvereins war nicht neu. Bereits 1838 gab es einen solchen in Berlin. Doch Romberg ging noch weiter. Er entwarf ein völlig neues Kommissionsnetz für ganz Deutschland. Die 200 größten Städte sollten fortan jeweils nur einen Kommissionär aufweisen, der den Ort und seine Umgebung mit Verlag versorgte. Die Kommissionäre sollten für alle Bücher die Haftung übernehmen, durften neue Titel erst dann an Privatleute abgeben, wenn alle örtlichen Kommittenten damit eingedeckt waren, und mußten Kommittenten, die schleudern, sofort den Kredit entziehen. Sollten die Kommissionäre ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen, so hatte der Verlegerverein andere zu benennen.71 Um einen zentralen Kommissionär für eine Stadt zu verpflichten, entwarf Romberg spezielle Kommissionsverträge, die sich bis heute erhalten haben.72 Die Vorteile dieser Manipulation lagen für Romberg in einem überschaubaren kollegialen Berufskreis, in dem sich eine größere Geldsicherheit, weniger Konkurrenz und geringe Auflagen durchsetzen würden. 73 Die wenigen Neu-Kommissionäre hätten ein zufriedenes Leben: Sie würden hohe Rabatte erzielen, höhere Prozente für Dienstleistungen verlangen und bequemere Abrechnungstermine vereinbaren. Die Sortimenter lieferten Sendungen zu 25 Prozent frei Haus, für die sie weder Fracht, noch Emballage, noch Kommissionsgebühren zu tragen hätten, da die Hin- und Rücktransporte der Bücher auf Kosten der Verleger erfolgten. Kredit würden die Sortimenter nicht von den Verlegern, sondern von den Kommissionären erhalten.74 Die Reaktionen auf diesen Plan waren fast durchweg ablehnend. Eduard Wengler meinte, daß er und mehrere andere Buchhändler den Plan sofort nach dem Hören verwarfen. Ohne eine entschiedene Modifikation könne Romberg, so Wengler, diesen Entwurf nicht ausführen. 75 Im Börsenblatt warnte man vor den rechtlichen Folgen und vor einer zunftmäßigen Organisation des Buchhandels. Einige Schreiber wiesen Romberg die Nachteile des direkten Bezugs und die Vorteile des bestehenden Kommissionsbuchhandels Punkt für Punkt nach. Auch könnten sich die 71
„Wahr ist", so Romberg, „daß der Verleger seinem Commissionär großes Vertrauen schenken muß, daß er, um die Wahrheit einfach zu sagen, bei diesem Commissionär viel an einen Nagel hängt; aber es ist die Aufgabe des Verlegers, diejenigen Handlungen zu Commissionären zu wählen, welche fest stehen, und ich habe sie gefunden." BB1 Nr. 93, 24. 10. 1848, S. 1104. 72 Romberg schloß einen solchen Vertrag mit Trewendt in Breslau ab. Vgl. Contractliche Bestimmung J. A. Romberg, 6. 12. 1848, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/91-94. 73 Die geringen Auflagen würden vollständig abgesetzt werden, da keine Nova mehr achtlos in Buchhandlungen herumlägen. ™ Vgl. BB1 Nr. 67, 25. 7. 1848, S. 765-766. 7 5 Vgl. ODB Nr, 40, 21. 10. 1848, S. 287.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Sortimenter bei 25 Prozent Rabatt trotz Frankofreiheit schwerlich halten. Einer Kontrolle durch den Kommissionär des Verlegers könnte kein gesund Denkender zustimmen. Vom kaufmännischen Standpunkt her wären Einzelkommissionäre in einer Stadt nur bei Waren möglich, die für das Publikum ein Grundbedürfnis darstellten.76 L. Rehinger fragte: „Warum rütteln an einem Baume, der schon lange vor Herrn Rombergs Zeiten fest begründet und gut befunden war? Warum rütteln an einem Hause, das wir bisher immer noch als Muster hinstellten den Franzosen und den Engländern, den Spaniern und den Italienern, so wie andern civilisirten und uncivilisirten Völkerschaften? [ . . . ] hüte man sich doch ja an diesen Grundpfeilern zu rütteln und zu wühlen! hüte man sich doch namentlich jetzt zu reformiren, wo gerade die allerschlechteste Zeit zum Reformiren ist!" 7 7 Ungeachtet des ablehnenden Echos verfolgte Romberg seine Pläne weiter. 1853 wurde der Leipziger Verlegerverein gegründet, dessen erklärtes Ziel es war, die schlechte Zahlungsmoral zu beseitigen. In Reaktion auf diese Vereinsgründung präzisierte Romberg mit der Schrift Enthüllungen aus dem Buchhandel und Vorschläge zur Verbesserung desselben (1854) seine Pläne. Danach sollten die Kommissionäre ab sofort nicht mehr für die Vermittlung bemüht werden und der Verkehr zwischen dem angedachten Rombergschen Verlegerverein und den Sortimentern direkt erfolgen. 78 Das Ganze lief auf eine völlige Demontage des Kommissionsbuchhandels hinaus. Romberg selbst hatte dazu mit seinen Kommissionären die Geschäftsbeziehung beendet. Doch das Buch erhielt eine negative Besprechung.79 Sein Verein gegen schlechte Zahler, für den er noch 1855 eine Sitzung in Leipzig organisiert hatte, kam nicht zustande. Dem Verein fehlte nicht nur der Zuspruch der Verleger, sondern auch derjenige der Leipziger Kommissionäre, die sich verpflichten sollten, nicht zahlende Kommittenten zu boykottieren. 80 Auch das Bibliographische Institut in Hildburghausen schmiedete Pläne zur Veränderung des Kommissionsbuchhandels. Im Gegensatz zu den früheren Vorstellungen von Romberg wollte man dort nicht in allen Städten einen Kommissionär wählen, sondern nur ein paar Kommissionäre für ganz Deutschland. Ein anderer Vorschlag von 1850, das Gebiet des deutschen Buchhandels in zwanzig 7 6 Wollten einzelne Verleger mit einem Schulbuchverlag, wie z. B. Steinkopf in Stuttgart, Einzelkommissionäre in einigen Städten halten, so ließe sich das rechtfertigen. „Das sind Bücher, die gebraucht werden; den gesammten deutschen Buchhandel hiernach aber organisiren, wäre ein unkluges, unmotivirtes, unheilbringendes - und sehr müßiges Beginnen." BB1 Nr. 91, 17. 10. 1848, S. 1079. 77 BB1 Nr. 95, 31. 10. 1848, S. 1135. 78 Wirklichkeitsfremd waren die Ausführungen zu den Befugnissen des angedachten Verlegervereins. Romberg stellte sich vor, daß der Verlegerverein den Sortimentern einer Stadt je nach Belieben eine zweite Buchhandlung zur Seite setzen könnte, wenn er der Meinung war, daß die bestehende ein Monopol anstrebe oder sich aus sonstigen Gründen nicht genug um den Absatz kümmere. Vgl. Romberg, Enthüllungen, S. 13. 79 Vgl. BB1 Nr. 108, 25. 8. 1854, S. 1419-1420. so Vgl. BB1 Nr. 31, 12. 3. 1855, S. 426-427.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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Kreise mit jeweils einer Kreiskommissionsstadt einzuteilen81, ließ sich ebensowenig realisieren. Danach sollten die Verleger in den Kreiskommissionsstädten einen für den regionalen Absatz verantwortlichen Kommissionär wählen. Am Ende stünde jeder Verleger mit nur 20 Kommissionären in geschäftlicher Verbindung, während die Sortimenter jeweils nur einen Kommissionär bräuchten. Das ganze sollte mit Modifikationen in den Liefer-, Transport- und Abrechnungsbedingungen einhergehen. Ein weiterer Vorschlag von 1855 zielte in die andere Richtung. In Deutschland sollten sämtliche Kommissionsplätze zu einem zentralen zusammengelegt werden. Über diesen einen noch existierenden Kommissionsplatz würden alle Buchhändler in einer Währung verkehren und sich die Remittenden unfrankiert zusenden. Die Kommittenten eines Ortes hätten durch gemeinsame Sammelsendungen die Arbeiten der Kommissionäre weitgehend zu unterstützen, die Kommissionäre sollten feste Spesentarife veröffentlichen und genaue Lieferzeiten angeben.82 In nuce enthielten einige Dezentralisierungs- und Neukonzentrationsvorstellungen die spätere Idee des Vereinssortiments, mit der die Monopolstellung des etablierten Kommissionsbuchhandels gebrochen werden sollte. Als neue zwischenbuchhändlerische Spezialisierung wollte das Vereinssortiment die Buchhandlungen einer Stadt, eines Kreises oder einer Region zum Zwecke des gemeinsamen Bezugs zu einem Verein oder einer Genossenschaft zusammenschließen. Hatten sich auf diese Weise zwanzig oder dreißig Sortimenter vereint, so konnten sie direkt vom Verleger günstige Partiekäufe im großen Stile tätigen. Ende der siebziger Jahre entstanden in Hamburg, Ölten und in anderen Kreisen, die fernab von den großen Kommissionszentren lagen, derartige zwischenbuchhändlerische Zusammenschlüsse. Den Kommissionsbuchhandel aber stellten sie zu keiner Zeit in Frage. 83 Schließlich stand auf die Reformliste der oft vorgetragene Wunsch, Leipzig als Hauptkommissionsplatz gänzlich aufzugeben. Solche Äußerungen tauchten seit 1828 (Einladung an alle deutschen Buchhandlungen) wiederholt auf, ohne daß sie 81 Vorgeschlagene Kreise: 1. Böhmen und Mähren (Kommissionsstadt: Prag); 2. Bayern (Nürnberg); 3. Baden, West-Schweiz und südliches Elsaß (Mannheim oder Karlsruhe); 4. Württemberg, Hohenzollern, Ost-Schweiz (Stuttgart); 5. Luxemburg, Belgien, Rheinpreußen, westliches Westpfalen, Holland (Köln); 6. Hannover, Oldenburg, Bremen, Braunschweig und nordöstliches Westfalen (Hannover); 7. Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Lübeck (Hamburg); 8. Nassau, Hessen-Darmstadt, Frankfurt, südöstliches Westphalen, nördliches Elsaß (Frankfurt am Main); 9. Kurhessen (Kassel); 10. Kgr. Sachsen mit den sächsischen und schwarzburgischen Fürstentümern (Leipzig); 11. Preußisch Sachsen (Halle); 12. Brandenburg, Pommern (Berlin); 13. Schlesien, Posen, preuß. Polen, Kgr. Polen, Krakau (Breslau); 14. Ost- und Westpreußen (Danzig); 15. Österreich, Steiermark, Illyrien (Wien); 16. Tirol, Lombardei, Venedig (Innsbruck); 17. Ungarn und Donaufürstentümer (Pest); 18.-20. weitere, noch festzulegende Gebiete außerhalb des deutschen Buchhandels, ggf. Dänemark, Rußland usw. mit deren Hauptumschlagplätzen. Vgl. BB1 Nr. 44, 10. 4. 1849, S. 505-508.
82 Vgl. SBZNr. 24, 11. 6. 1855, S. 107. 83 Siehe S. 184-1>86.
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eine echte Realisierungschance gehabt hätten.84 Erst die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges enthoben im Verbund mit der Nachkriegsentwicklung Leipzig von seiner Funktion als Hauptkommissionsplatz in Deutschland.
2. Teilreformen Da das Unterfangen, den Leipziger Kommissionsbuchhandel durch Radikalreformen zu modernisieren, scheiterte, wurde nach moderaten Wegen und Mitteln der Erneuerung gesucht. In diesem Abschnitt werden sie unter dem Oberbegriff Teilreformen subsumiert. In der Tat gab es neben den größeren Innovationen, wie der Einführung von Abrechnungslokalen, Zettel- oder Paketanstalten, eine Vielzahl von kleineren Rationalisierungen, die die branchenspezifische Modernisierung vorantrieben. Im folgenden sollen einige wesentliche Verbesserungsvorschläge thematisch geordnet vorgestellt werden.
a) Kommissionsvertrag
und Kommissions gebühren
Ein außerordentlich wichtiges Dokument für den Kommissionsbuchhandel war der Kommissionsvertrag. Er mußte öffentlich bekanntgegeben werden und wies aufgrund seiner jahrhundertelangen Herausbildung juristische Besonderheiten auf. 85 Für ihn galt lange Zeit Formfreiheit, d. h., er konnte mündlich, schriftlich oder durch konkludente Handlungen abgeschlossen werden. Weil es sich meist um langfristige Verträge handelte, wurde zunehmend Schriftlichkeit bevorzugt. Die wenigen erhaltenen Kommissionsverträge des 19. Jahrhunderts fixierten die grundlegenden Vereinbarungen beider Vertragspartner sowie Willenserklärungen über die Rechtmäßigkeit der Beziehung.86 Ein interessanter Vorschlag bezüglich des Kommissionsvertrages wurde 1836 geäußert. Mittels einer Standardisierung sollte ein im gesamten deutschen Buchhandel gültiges Vertragsschema entworfen und eingeführt werden, „in welchem die Hauptbedingungen, unter denen man Geschäfte machen will, aufgeführt sind, und noch ein angemessener offener Raum gelassen wird, um noch besondere Bestimmungen, wie sie in den Verhältnissen der Contrahenten liegen, hinzufügen zu können. Ein solches Contracts-Schema muß mit allen legalen (jedoch außergerichtlichen) Formen versehen sein, um bei Prozessen als bindendes (betreffenden 84 Bolm hatte 1884 einen Wechsel des Kommissionsgeschäfts nach Berlin vorgeschlagen. Vgl. Bolm, Centralisation. 85 Nach dem kursächsischen Mandat von 1686 mußten die Buchhändler zu Leipzig anzeigen, „für welche auswärtige Handlungen sie Commissions- oder Speditionsgeschäfte führen, und ob und an welchem Ort dieselben ein Bücherlager zu Leipzig haben." Zit. in: Bücher, Wissenschaft, S. 29. Vgl. Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 223-224.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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Falls sogar wechselkräftiges) Beweismittel gegen Contravenienten zu dienen, und wird jedesmal von den Contrahenten durch eigenhändige Unterschrift und Beifügung des Handlungssiegels vollzogen, im Duplicat ausgefertigt und gegenseitig ausgetauscht."87 Dieser Vorschlag wurde aber nicht weiter verfolgt. Obwohl das frühe 19. Jahrhundert bereits Vertrags Vordrucke kannte, die freilich nur von einigen Unternehmern für ihre eigenen Abschlüsse zur Verwendung kamen, hätte ein vereinheitlichter Kommissionsvertrag, der in einer entsprechenden Qualität ausgefertigt worden wäre, viele Vorteile besessen und die Verrechtlichung im Kommissionsbuchhandel weiter vorangeführt. Andere Forderungen drehten sich um eine rechtliche Veränderung des Kommissionärs, die sich auch auf den Kommissionsvertrag auswirken sollte. 1864 wollten mehrere Buchhändler den Kommissionär direkt zwischen Verleger und Sortimenter stellen und ihn im Sinne des kaufmännischen Kommissionärs im eigenen Namen handeln lassen, so wie dies beim Barsortiment der Fall war. Erst mit einer deutlichen Aufgaben- und Kompetenzerweiterung des Kommissionärs wären ihrer Meinung nach viele Mängel im Buchhandel zu beseitigen.88 Zu dieser rechtlichen Kompetenzerweiterung kam es ebenfalls nicht. In erster Linie sträubten sich die Kommissionäre dagegen, daß sie es sein sollten, die durch wirtschaftliche Boykottmaßnahmen die Branche zur Modernisierung zwangen.89 Gegen eine solche Rolle des Kommissionärs sprach seine tradierte Funktion als Auftragsempfänger und Serviceanbieter im Buchhandel. Es ist kein Zufall, daß es kaum Belege für Spannungen im Vertragsverhältnis zwischen Kommissionär und Kommittent gibt. Nur wenige Kommissionärwechsel wurden durch Unzufriedenheiten mit dem Kommissionär begründet. 90 Wenn es doch einmal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Partnern kam, wurde oftmals eine Schlichtung durch den Kommissionär herbeigeführt. Sehr bezeichnend war ein heftiger Streit zwischen dem Hamburg-Altonaer und Leipziger Buchhändlerverein, nachdem der letztgenannte sogar einen Passus im Reglement der Zettelbestellanstalt streichen ließ. 91 87 BB1 Nr. 53, 30. 12. 1836, Sp. 1748.
88 Vgl. BB1 Nr. 136, 2. 11. 1864, S. 2425-2426, 2474-2476. 89 Bei ihrem Standpunkt sind die Kommissionäre geblieben, sieht man einmal von dem Boykott gegen Schleuderer nach 1880 ab. 90 Der Kommissionärwechsel bezeichnet die Wahl eines neuen Kommissionärs am Kommissionsplatz durch den Kommittenten. Oftmals waren Firmenzusammenbrüche Ursache für einen derartigen Schritt. Mitunter konnten andere Gründe eruiert werden. Für den deutschenglischen Buchhandel konnten bei 16 Wechseln des Leipziger Kommissionärs durch einen britischen Kommittenten nur zwei Äußerungen gefunden werden, die Spannungen andeuteten. Vgl. Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 224-226. 91 Als der Hamburger Buchhändler W. Schardius 1866 seine Kommission von Ernst Kollmann an Robert Apitzsch übergab, reagierte Kollmann damit, daß er bei der Bestellanstalt Einspruch gegen den Kommissionswechsel erhob, da Schardius ihm noch Geld schulde. Kollmann ließ die gesamte Auslieferung und Bestellung des Hamburger Kommittenten stoppen und fügte ihm einen finanziellen Schaden zu, obwohl Schardius das Geld zwischenzeitlich angewiesen hatte. Schardius gelang es, den Hamburg-Altonaer-Buchhändler-Verein zu
7 Keiderling
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Die Kommissionsgebühren setzten sich aus einem geringen Grundhonorar, das halb- oder ganzjährlich in Leipzig zu zahlen war, und weiteren Unkosten zusammen, die sich mit dem Umfang der in Anspruch genommenen Leistungen steigerten. 92 Obwohl es Absprachen in diese Richtung gab, konnten diese Gebühren auf einem Kommissionsplatz nie völlig vereinheitlicht werden. Dazu waren die einzelnen Dienste der großen und kleinen Kommissionäre zu unterschiedlich. 93 Wiederholt gab es Klagen darüber, daß sich die „Abgaben" an die Leipziger Kommissionäre von Jahr zu Jahr erhöhten. Für Außenstehende ergaben sich aufgrund der Tatsache, daß ihnen die Kommissionäre stark vereinfachte Honorarlisten zusandten, Unklarheiten über die Zusammensetzung der einzelnen Posten. Die in der Usancendebatte diskutierten Reformen der Kommissionsgebühren gingen folgerichtig dahin, das geringe Pauschal-Kommissionshonorar abzuschaffen. Der Kommissionär sollte nur noch nach seinen wirklichen Leistungen bezahlt werden. Ein Leipziger Kommissionär unterbreitete 1841 den Vorschlag, durch eine Neuordnung der Berechnungen auf das Honorar zu verzichten. Die Kommissionäre sollten sich zudem untereinander über die Tarifstaffelungen verständigen. 94 Eine Schwierigkeit hinsichtlich Honorarverzichts bestand darin, daß zu Beginn der vierziger Jahre viele Leipziger Kommissionäre an der unteren Grenze ihrer Honorarund Spesenberechnungen angelangt waren. Trotz gestiegener Unterhaltungskosten für Lagerung, Miete, Licht usw. waren ihre Gebühren aufgrund des lokalen Wettbewerbsdrucks seit Jahren konstant geblieben oder nur leicht gestiegen. Angesichts dieser angespannten Situation war an eine Spesenerniedrigung nicht zu denken. Als anläßlich der Eröffnung weiterer Eisenbahnen mehrere Kommittenten 1842 eine Halbierung der Emballageberechnungen verlangten, weil sie ihre Sendungen nicht wie bisher in Leinwand, sondern in Pappe verpackt wünschten, schrieb ein Leipziger Kommissionär, daß diese Kostensenkung beim besten Willen nicht zu erreichen wäre. 95 Die von einigen Kommittenten erhoffte Senkung der Kommissionsgebühren blieb demzufolge zunächst aus. einer Eingabe zu bewegen. Als sich herausstellte, daß sich im Statut der Bestellanstalt ein Passus befand, die Pakete eines Kommittenten seien solange an den bisherigen Kommissionär abzuliefern, bis dieser selbst erkläre, die Kommission wäre beendet, lenkte der Leipziger Buchhändlerverein ein. Vgl. BB1 Nr. 34, 21. 3. 1866, S. 693-694; BB1 Nr. 37, 13. 2. 1867, S. 386. 92 Es gehörten dazu Lagerzinsen, Bestellpfennige, Auslieferungsgebühren und Emballagekosten (Makulatur, Pappe, Holz, Leinwand und Bindfaden), Extrabesorgungen auf der Messe oder Auszahlungen außerhalb der O. M., Meßgeschenke an die Gehilfen während der O. M. und vierteljährliches Zentnergeld an das Markthelferpersonal des Kommissionärs. Vgl. Wengler, Usancen-Codex, S. 17-18. 93 Vgl. Hennig, Kommissionsgeschäft, S. 169. 94 Vgl. BB1 Nr. 103, 26. 11. 1841, Sp. 2652-2653. 95
„Sie verlangen (und erhalten) jetzt wöchentlich mehrere Sendungen per Dampfwagen, während früher Einen Fuhrballen und das Nöthigste in einem Postpacketchen. Durch die Zerstückelung aber in mehrere Packete [ . . . ] erwachsen uns [den Kommissionären, Th. K.] nicht allein viel mehr Arbeiten, sondern auch viel mehr Kosten, da kleinere Sendungen im Verhält-
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Eine Trendwende in der Honorarberechnung markierte das Jahr 1858, als der Kommissionär Friedrich Volckmar zu einem neuen System überging. Den Hinweisen einzelner Kommittenten folgend, berechnete er seine Arbeiten genauer und übersichtlicher. Insgesamt verbilligten sich seine Spesen etwas. Die Kosteneinsparung war auf eine verringerte Abgabe an die Leipziger Aufläderkompagnie zurückzuführen, für deren „Einschlag" Volckmar nur noch einen Groschen für den Kolli im Gewicht bis zu einem Zentner zahlte. Größere Sendungen wurden sogar noch preiswerter berechnet. Andere Firmen folgten seinem Beispiel, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 96 Mit der langfristigen Senkung des Honorars hatte der Leipziger Kommissionsbuchhandel seinen Standortvorteil weiter ausgebaut. b) Buchhaltung Ein nicht unwesentlicher Arbeitsaufwand wurde in den Kommissionsgeschäften für das Notieren von ein- und ausgehenden Waren und Zahlungen verwendet. Aus den fünfziger Jahren gibt es Aussagen darüber, wie einige Betriebe ihre Buchhaltung organisierten. Die Rechnungsführung wurde zunächst danach getrennt, ob sie im Namen des Kommissionärs oder des Kommittenten erfolgte. Dem Konto des Kommittenten wurden die jeweiligen Leistungen berechnet wie Emballage, Kommissionsgebühren, Provision auf Geldgeschäfte, Lagermiete und sonstige Auslagen. Auf dem Konto des Kommissionärs, dem sogenannten KommissionsgeschäftKonto, wurden alle Ausgaben für Löhne, Lokal- und Lagermiete, Abgaben, Heizung, Beleuchtung, Packmaterial, Handlungsutensilien und sonstige Spesen gebucht. Die Differenz zwischen dem ersten Konto (Einnahme) und dem zweiten (Ausgabe) bildete den reinen Gewinn oder Verlust. Da das Bargeschäft zahlreiche Besonderheiten aufwies, wurde zur Kontrolle die doppelte Buchhaltung favorisiert, die die historisch veraltete einfache Buchhaltung verdrängen sollte. In den meisten Kommissionsgeschäften war es nach der neuen Buchhaltung üblich, daß für jeden Kommittenten zwei Rechnungen geführt wurden. Die eine nahm voneinander getrennt alle baren Einnahmen und Ausgaben auf. Die andere Rechnung wies den tatsächlichen Kontostand aus. Sie umfaßte die Gesamtsumme der monatlichen Einnahmen und Ausgaben, ferner die Beträge der ein- und ausgehenden Wechsel sowie alle Berechnungen für die Kommissionsbesorgung. In der Hauptbuchhaltung des Kommissionsgeschäfts wurden diese zwei Konten noch einmal durch ein Kollektiv-Konto (Kommittenten-Debitoren- und Kreditoren-Konto) überprüft. 97 Parallel zu der beschriebenen Vervollkommnung der Hauptbuchhaltung fand ein zweiter Prozeß statt, der auf eine Vereinfachung der routinemäßigen Buchungen niß höher zu stehen kommen. Es werden daher mehr Arbeitskräfte und mehr Zeit in Anspruch genommen." BB1 Nr. 23, 22. 3. 1842, Sp. 635. 96 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 348. 97 Vgl. BB1 Nr. 43, 11. 4. 1859, S. 725. 7*
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
abzielte. Im Leipziger Kommissionsbuchhandel wurde seit 1841 über die Einrichtung der Zahlungslisten nachgedacht. Zahlungslisten waren alphabetisch nach den Firmennamen geordnete Saldo-Verzeichnisse, die der Sortimenter seinem Leipziger Kommissionär vor der Ostermesse zur Begleichung der Rechnungen zusandte. Zugleich erhielt der Kommissionär vom Sortimenter Geld, um die Forderungen decken zu können. Wollte der Kommittent ein Exemplar davon quittiert zurückerhalten, so mußte er seinem Kommissionär zwei gleichlautende Listen einsenden. Beim einfachen Quittieren wurde auf die Anfertigung der zeitraubenden Doublette verzichtet. Der Kommissionär schickte fortan die unquittierte zweite Liste (oder einen Brief) mit der einfachen Mitteilung zurück, daß die verzeichneten Posten ordnungsgemäß geleistet wurden. Somit verblieben also die Quittungen der Verleger über den Geldempfang in den Händen der Kommissionäre. 98 Einige Buchhändler meinten, nur die alphabetisch geordnete Liste sei praktisch, wenn sie auch die Namen der Kommissionäre aufführe und so viel Raum enthielte, daß man unter jedem Buchstaben noch einige Namen ergänzen könne. Auf keinen Fall sollte eine nach den Kommissionären geordneten Zahlungsliste verwendet werden, die bei jedem Kommissionswechsel eine zweifache Veränderung nötig machte." Im Jahre 1845 schlug Wilhelm Einhorn 100 vor, daß das doppelte Quittieren der Zahlungslisten durch die Leipziger Kommissionäre allgemein aufhören sollte. Die Kommissionshäuser Kummer, Vogel, Barth sowie G. Wigand hätten bereits vor Jahren auf dieses uneffektive System verzichtet. Einhorn argumentierte, daß damit „ein wahres Kapital von nutzlos verschwendeter Zeit, und zwar Meßzeit, künftig erspart" bliebe. Denn die doppelten Quittungen schoben die Auszahlungen zur Messe mindestens um drei bis vier Tage hinaus. „Bedenkt man ferner, daß die Ihnen gesandte quittirte Liste nie zum Beleg verlangt wird und daß sie in der Regel von Lehrlingen ausgefüllt und von den fremden Herren Collegen oft gar nicht beachtet ward, so dürften Sie sich um so eher bewogen finden, auf diese Quittungen zu verzichten." 101 Etliche Kommittenten waren mit diesem Schritt ihrer Kommissionäre nicht einverstanden, weil sie, fortan eines wichtigen Beweismittels beraubt, Veruntreuungen befürchteten. Die Prager Firma Borrosch & André schrieb im März 1845 empört, es sei die Pflicht des Empfängers, eine ihm geleistete Zahlung zu bestätigen. Da der Kommissionär als Bevollmächtigter nicht Empfänger, sondern Vermittler der Gelder ist, kann er nicht anstatt des Empfängers oder dessen bevollmächtigten Kommissionärs quittieren. Überlassen einige Prinzipale das Ausstellen Lehrlingen, so haften dieselben auch dafür. Quittiert der Kommissionär des Zahlenden die Li98 Geschäftsrundschreiben der Leipziger Kommissionäre im Februar 1846, in: DBSM, Archivalien, Kasten 20/270. 99 Vgl. BB1 Nr. 16, 23. 2. 1841, Sp. 369. 100 Ein Teilhaber vom Kommissionsgeschäft Steinacker in Leipzig. 101 BBlNr. 8,28. 1. 1845, S. 80.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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ste, so hört diese auf, ein juristisches Beweismittel zu sein. Eine durch seinen Kommissionär quittierte Zahlungsliste ist bloß eine Bestätigung seinerseits, die auszuzahlende Summe empfangen zu haben. Der Vorschlag Einhorns hat daher nichts mit Vertrauen und seine Verwerfung mit Mißtrauen zu tun. Er ist einfach schlecht. 102 Trotzdem wurde das einfache Quittieren mit dem Februarzirkular der Leipziger Kommissionäre - auch gegen den Protest einiger Buchhändler - Leipziger Usance. 103 Zu Beginn der siebziger Jahre wurde vorgeschlagen, daß die Kommissionäre bei der Abrechnung zur Ostermesse den anwesenden Buchhändlern gleich einen summierten Zahlungszettel vorlegten, um Zeit einzusparen. In der Ostermesse 1872 besaßen ungefähr zwölf der größeren Kommissionäre ein derart vereinfachtes Formular. 104 Aber nicht nur in dieser Beziehung setzten sich die Leipziger Kommissionäre durch. Bereits im Memorandum von 1846 hatten sie geschrieben, daß das achtmalige Buchen der Barpakete eine aufwendige Arbeit war, der sie sich bei der weiteren Zunahme des Barverkehrs nicht mehr stellen wollten. 105 Sukzessive fanden hier Vereinfachungen in der Buchung statt. Insbesondere sorgten die wöchentlichen Abrechnungen der Leipziger Kommissionäre untereinander dafür, daß sie auf derartig aufwendige Schreibarbeiten verzichten konnten. Ein weitere, auf eine Beschleunigung des Verkehrs abzielende Praxis bestand darin, daß die Kommissionäre die durch ihre Hände laufenden Pakete nicht quittierten. Trotz intensiver Diskussionen in den Jahren 1844 bis 1850 weigerten sich die Leipziger Kommissionäre vehement, Quittungen auszugeben, obwohl dies an anderen Kommissionsplätzen bereits praktiziert wurde. Ihre Entscheidung begründeten sie damit, daß man den Inhalt der über Leipzig laufenden Pakete nicht überprüfen könne, ohne enorme Zeit bei der Auslieferung zu verlieren. Und was man nicht kontrolliere, darüber könne man auch keine Verantwortung übernehmen. Es wäre falsch, wenn man diese Weigerung der Leipziger Kommissionäre dahingehend auslegen würde, daß sie Veruntreuungen Tür und Tor geöffnet hätte. Im Gegenteil, die Leipziger Kommissionäre rechtfertigten das große Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wurde, durch eine sehr akkurate Arbeitsweise. Trotz vereinzelter Klagen über Paketverluste war der Kommissionsbuchhandel nach 1850 ein sehr sicherer Warenverkehr geworden.
102 Vgl. BB1 Nr. 26, 1.4. 1845, S. 313-314. i° 3 Die Wiener Buchhändler legten gemeinschaftlich gegen das Februarzirkular Beschwerde ein. Vgl. HVÖ, VA, Korporation, 1846/14. 104 Vgl. BB1 Nr. 90, 21. 4. 1873, S. 1456. 105 Vgl. Volckmar, Memorandum, S. 21-22.
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c) Bestellung Mit der Leipziger Zettelbestellanstalt wurde 1842 eine wichtige Beschleunigung erzielt. Diese Einrichtung war aber nicht die einzige Innovation innerhalb der Bestellung gewesen. Darüber hinaus gab es weitere Bestrebungen zu Standardisierungen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Bestellungen den Kommissionären oder Verlegern einfach schriftlich mitgeteilt. Sie befanden sich in der Form einer Liste oder Tabelle entweder am Schluß einer gewöhnlichen Geschäftskorrespondenz oder wurden gesondert in einem Brief verschickt. Die Verwendung von Bestellzetteln, sogenannten Verlangzetteln, kam zu Beginn der zwanziger Jahre auf. Diese Zettel erleichterten das Aufsuchen der Bücher ungemein. Während zuvor die Angestellten eines Kommissionsgeschäfts die Bücher entweder einzeln heraussuchen oder in den Sammellisten abstreichen mußten, konnten sie nun die Bestellzettel, auf denen jeweils nur ein Titel angefordert wurde, nach bestimmten Kriterien sortieren. Sie wurden dann nach den Verlegern, Kommissionären oder einzelnen Handlagern (wenn es mehrere davon gab) sortiert und anschließend herausgesucht. Der Vorteil der Bestellzettel bestand in der Sortierfähigkeit und im preiswerten Zusenden, denn sie waren auf derart dünnem Papier gedruckt, daß 50 Zettel und mehr in einer Briefsendung, dem „offenen Bestellbrief 4, unterkamen. 106 Ihr Nachteil lag darin, daß sie nicht standardisiert waren und die stets neue Anordnung der Informationen zu Zeitverlusten führte. 1859 bemängelte Wengler diesen Umstand: „Wünschenswerth wäre es, wenn alle Verlangzettel gleiche Einrichtung hätten, namentlich in Beziehung zu den darauf angebrachten Worten: zur Post, zur Fuhre, ä Cond[ition], fest, baar, und kein Verlangzettel sollte ohne Markierung eines dieser Ausdrücke abgehen, damit der Verleger genau ersehen könnte, ob die Bestellung eile, und ob sie eine für feste Rechnung oder nur eine ä Cond[ition]-Bestellung sei." 1 0 7 Wenn der Sortimenter die Bezeichnung „zur Post" oder „zur Fuhre" nicht richtig unterstrich, wurden die Bücher mit der preiswerteren, aber dafür langsameren Fuhre ausgeliefert. Eilige Sendungen konnten meist nicht mehr an den Käufer gebracht werden, dessen Kaufwunsch sich in der Zwischenzeit erledigt oder durch andere Bezugsquellen ergeben hatte. Waren die Lieferbedingungen ä condition, fest oder bar auf den Zetteln nicht angekreuzt, so buchte der Kommissionär gemäß einer alten Usance nach der Bezugsart fest. 108 106 Vgl. StAL, Börsenverein Leizpig, 420, Bl. 64. Heue beschrieb, daß ca. 1.200 bis 1.300 Bestellzettel dem Gewicht von 1 / 2 kg entsprachen. Das war aber nur der Fall, wenn „vor dem Wiegen Postkarten, Postbestell-Anfragen und ausergewöhnlich grosse Verlangzettel vorzüglich aus Circularen geschnittene entfernt" wurden. Heue, Bestellanstalt, in: DBSM, Archivalien, BöH 102, S. 42. 107 Wengler, Usancen-Codex, S. 75. los Vgl. BB1 Nr. 96, 1. 8. 1864, S. 1648.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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Über einen gedruckten Verlangzettel wurde in den siebziger Jahren diskutiert. Eine Anfrage von 1870, ob die Verlangzettel der Firmen Braumüller & Sohn, Burdach, Ernst am Ende sowie Internationale Buchhandlung allgemein benutzt werden könnten, obgleich sie die Firmennamen im Kopf trugen, beantwortete ein Leipziger Kommissionär, der des öfteren die Bestellanstalt beaufsichtigte: „Der Ueberdruck der Firma auf den Bestellzetteln mag wohl etwas hinderlich bei dem Sortiren sein - besonders bei der Eile, die bei diesem Geschäft stets nötig ist - unsere Leute hier in der Anstalt sprechen sich in der Weise aus, daß, wenn alle Zettel so eingerichtet, würde unser Personal hier um 1 - 2 Mann vergößert werden müssen, weil nicht immer deutliche Handschriften auf den Zetteln sichtbar sind." 1 0 9 Der erste normierte Bestellzettel des Leipziger Kommissionsbuchhandels wurde im Memorandum der Leipziger Kommissionäre von 1892 abgedruckt. 110 Es handelte sich um ein von den Kommissionären ausgegebenes Schema, das ausschließlich für die „Empfohlenen Bestellungen" gedacht war. Dieser gedruckte Zettel für Eilbestellungen war vermutlich schon seit den achtziger Jahren in Gebrauch. Lange vor dem standardisierten Bestellzettel waren seit den zwanziger Jahren teilstandardisierte, informative Wahlzettel für Novitäten weit verbreitet. 111 Da die Zahl der Sortimentshandlungen, die Nova unverlangt entgegennahmen, ständig abnahm, hatten einzelne Verleger damit angefangen, gedruckte Ankündigungen neuerscheinender Bücher an die Sortimenter zu schicken, die dann ihrerseits diese Annoncen ausschneiden und zur Bestellung zurückschicken konnten. 112 So hatte F. Mauke in Jena einen „Allgemeinen Novazettel" auf rosa-Löschpapier entworfen, der zwischen 1840 und 1849 häufig verwendet wurde. Ihm folgten die Unternehmer C. W. B. Naumburg (ab 1846), O. Leiner mit seinem „Zentral-Wahlzettel" (um 1849), G. Wigand (um 1852), J. Wallerstein (1856) und Retemeyer („Wahlzettel für den Kunsthandel" um 1858). Ihnen allen war - ausgenommen Naumburg nur ein kurzzeitiger Erfolg vergönnt. Der Trend ging vom Nova-Zettelverkehr zur Nova-Bestellung per Börsenblatt. 113 Bereits 1846 wurde eine allgemeine Wahlzettelexpedition in Leipzig vorgeschlagen, die die Verpflichtung übernehmen sollte, einen für alle Buchhändler gültigen einheitlichen Novitäten-Wahlzettel drucken zu lassen. Der Wahlzettel sollte einmal die Woche ausgeliefert werden. In alphabetischen, nach Genre und/ oder Fachgebieten geordneten Listen würde er ein schnelles Orientieren ermöglichen. 114 Das war ein wirklich bemerkenswerter Vorschlag, so daß G. W. F. Müller 109 SBZ Nr. 48, 28. 11. 1870, S. 213. ho Vgl. Der buchhändlerische Verkehr
1892, S. 9.
in Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 340. U2 Die Annahme unverlangter Neuigkeiten ging zwischen 1823 und 1871 von 50 Prozent auf 30 Prozent zurück. Vgl. Ebd., S. 355. 113 Einen ersten Vorschlag in diese Richtung hatte bereits G. W. F. Müller (Berlin) im Jahre 1840 gemacht. Vgl. BB1 Nr. 67, 24. 7. 1840, Sp. 1638. 114 Vgl. BB1 Nr. 99, 13. 11. 1846, S. 1329.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
meinte, der Börsenverein solle sich seiner annehmen.115 Die Hinrichssche Bibliographie als Novitätenanzeiger setzte sich immer weiter durch. 116 Sie wurde zur Information der Branche im Börsenblatt abgedruckt und besaß keine WahlzettelFunktion. Die zentrale Ankündigung neu erscheinender Bücher war eine Einrichtung, die die Bestellung über die Kommissionsplätze enorm verkürzte und eine nicht zu unterschätzende Vereinfachung für den Kommissionsbuchhandel mit sich brachte.
d) Auslieferung In den dreißiger Jahren gab es nur wenige Absprachen zwischen den Leipziger Kommissionsbuchhandlungen. Das betraf die Spesenberechnung ebenso wie die Auslieferung, die von jeder Firma separat organisiert wurde. Die folgende Tabelle zeigt die unterschiedlichen Auslieferungstage wichtiger Leipziger Kommissionäre um 1837.
Tabelle 9 Hauptauslieferungstage Leipziger Kommissionäre um 1837 Kommissionär
Wochentag
1.
Dyk, Schmidt, Steinacker, Weidmann
täglich außer sonnabends
2.
Herbig
größtenteils wie l . 1 1 7
3.
Brockhaus, Engelmann, Hermann & Langbein, Kummer, Leich, Mittler, Rein, Vögel
montags und donnerstags
4.
Koehler, Kollmann
dienstags und freitags
5.
Volckmar
donnerstags
6.
Barth, Fleischer, Liebeskind
an keinem bestimmten Tag
Quelle: ODB Nr. 6, 11. 2. 1837, S. 43.
Der Wunsch nach beschleunigter Auslieferung führte in den folgenden Jahrzehnten noch nicht zu einer allgemeinen Absprache zwischen den Kommissionsgeschäften. Doch mehrere Gründe, so der Erscheinungstag populärer Zeitungen und Zeitschriften, diktierten eine Angleichung. Während man dem Memorandum von Iis Vgl. BBl Nr. 108, 15. 12. 1846, S. 1466. U6 Der Hinrichs, erstellt von der Hinrichsschen Buchhandlung in Leipzig, erschien nach 1842 in verschiedenen Ausgaben - wöchentlich, [im Börsenblatt ], vierteljährlich, halbjährlich sowie fünfjährlich und galt, trotz gewisser Mängel bei der Titelaufnahme, als offizielle Nationalbibliographie. Für die Sortimenter waren diese Bibliographien Bestellgrundlage und Nachschlagewerk. 117 So formuliert in der Quelle.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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1846 noch keinen Hauptauslieferungstag entnehmen konnte 118 , setzte sich vermutlich in den fünfziger Jahren der Freitag als solcher durch. Den Kommissionären bereitete es einige Mühe, die Kommittenten davon zu überzeugen, ihre Lieferungen zum Kommissionsplatz an den Hauptauslieferungstagen zu orientieren. 1867 setzten dreißig Leipziger Kommissionäre ihre VerlegerKommittenten in Kenntnis, daß sie möglichst bis Donnerstag früh sämtliche Sendungen an den hiesigen Kommissionär zu schicken hatten. Später eintreffende Pakete würden in der Woche nicht mehr zur Verteilung kommen. 119 Nach einigen Beschwerden über verzögerte Auslieferungen schlugen die Stuttgarter Kommissionäre 1873 vor, die Leipziger Auslieferungslager zu dezentralisieren. Offensichtlich sei der Leipziger Kommissionsbuchhandel nicht mehr in der Lage, seiner Vermittlungsaufgabe jederzeit gerecht zu werden. Die Versammlung beschloß, daß Stuttgart, dem Berliner Beispiel folgend, seine Leipziger Auslieferungslager zurückzieht. Die verbesserten Eisenbahnverbindungen beider Städte sowie die günstigen Portotarife der Post ab Januar 1874 würden günstige Rahmenbedingungen dafür liefern, den Stuttgarter Verlag in kürzester Zeit direkt oder über Leipzig auszuliefern. 120 Der Entschluß der Stuttgarter Buchhändler wurde sicherlich von dem Wunsch geleitet, den eigenen Kommissionsplatz aufzuweiten. In der Praxis aber bedeutete er - wie im Falle von Berlin - eine wochenlange Verzögerung der Auslieferung. Er wurde darum wieder zurückgenommen. 121 Im Jahre 1879 erwogen einige Leipziger Kommissionäre, den Hauptauslieferungstag von Freitag auf Donnerstag vorzuverlegen. Sie reagierten damit auf das veränderte Erscheinen der vielgelesenen Illustrirten Zeitung, die rasch versandt werden mußte. Der neue Termin zog eine Umstellung des gesamten deutschen Auslieferungsverkehrs nach sich, da nun eilige (empfohlene) Sendungen bereits bis Dienstag respektive bis Mittwoch früh in Leipzig sein mußten, um sie noch in derselben Woche weiterleiten zu können. Nicht alle Städte profitierten von der veränderten Terminsetzung, da aufgrund ihrer Entfernungen ein Tag nicht ins Gewicht fiel oder schnelle Bahnanschlüsse fehlten. 122 Eine weitere Frage, die sich um die Auslieferung drehte, betraf die Reihenfolge des Versendens. Üblicherweise wurden die bestellten Bücher einmal nach dem Städtealphabet und innerhalb größerer Städte nochmals nach dem Firmenalphabet verschickt. Wenn nun die Novitäten nach dem letzten Modus ausgesandt wurden, dann gab es Wettbewerbsbenachteiligungen bei zwei Buchhändlern einer Stadt. 118 Sondern nur die Information, daß sich die Auslieferung zum Ende der Woche hin steigerte. Vgl. Volckmar, Memorandum, S. 10. H9 Vgl. BB1 Nr. 264, 13. 11. 1867, S. 2917. 120 Vgl. BB1 Nr. 138, 18. 6. 1873, S. 2182.
1 21 Der Berliner Verlag traf nicht unter zwölf Tagen, in der Regel erst nach drei bis vier Wochen am Bestimmungsort ein, wenn man ihn über Leipzig orderte. Vgl. BB1 Nr. 154, 7. 7. 1873, S. 2447-2448. 122 Vgl. BB1 Nr. 21, 17. 1. 1879, S. 335.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Der eine mit dem Buchstaben A erhielt seine Ware bis zu einer Woche vor dem Buchhändler W, so daß er gerade bei aktuellen Zeitschriften in den Augen der lokalen Kundschaft als der bessere Geschäftsmann erschien, ohne etwas dazu beigetragen zu haben. 123 Dieser Benachteiligung konnte der Buchhändler W entweder durch eine Firmenumbenennung oder eine gründliche Ermahnung des Leipziger Kommissionärs entgegenwirken, die Pakete nicht nach dem Namensalphabet zu versenden. Deshalb erhöhten die Leipziger Kommissionäre an den Hauptauslieferungstagen kurzfristig ihr Personal in den Pack- und Versandräumen durch interne Personalumbesetzungen oder Hinzunahme von Kurzarbeitern. Zugleich legten sie in Absprache mit der Eisenbahn und sonstigen Fuhrunternehmen die Fahrpläne derart, daß dringende Bestellungen fast zeitgleich an alle Besteller abgingen. Ein weiteres Kriterium für eine schnelle Auslieferung war die Einführung einer modernen Lagerhaltung in den Kommissionsgeschäften. Viele der zu Beginn des Jahrhunderts in der Leipziger Innenstadt untergebrachten Kommissionsgeschäfte besaßen unzulängliche Lagerräume, die oftmals über die Stadt vertreut waren. Meist lagerten die Bücher in Räumen, die aufgrund ihres schlechten baulichen Zustandes kaum dafür geeignet waren. In einigen Gewölben, die besser als Kartoffeloder Kohlenkeller gedient hätten, waren die Bücher der Feuchtigkeit und dem Schmutz ausgesetzt, so daß sie schon nach relativ kurzer Zeit durch Wasserschäden oder Pilzbefall zu Makulatur wurden. 124 Mit dem Auszug vieler Kommissionsgeschäfte in die Ostvorstadt, dem späteren Kommissionsbuchhändlerviertel, verbesserte sich die Lagerhaltung spürbar. F. A. Brockhaus war eine der ersten Firmen, die 1843 mit dem Umzug in die Querstraße Nr. 8 optimale Bedingungen für die Kommittentenlager erzielte. In ihrem Kommissionsgeschäft waren sogar zwei der im Erdgeschoß gelegenen Packzimmer mit Handlagern kombiniert worden, in denen häufig gewählte Titel griffbereit lagerten. 125 Mit Blick auf die Errichtung moderner Zweckbauten bei Koehler oder Völckmar konnte man weitere Verfeinerungen der Lagerordnung erkennen. Das 1894 errichtete neue Koehlerhaus besaß im Kellergeschoß gut sortierte Stapel- und Ballenlager. Die Kommittenten-Handlager befanden sich mit einem eigenen Packsaal in der ersten und zweiten Etage. Alle Geschosse waren durch mehrere Aufzüge miteinander verbunden. 126
e) Transportorganisation
und Transporthaftung
Eine wichtige Aufgabe des Kommissionärs bestand in der Vorbereitung des Bücher- und Zeitschriftentransports. Die Ware mußte stoßsicher verpackt und ord123 124 125 126
Vgl. BB1 Nr. 60, 30. 6. 1843, Sp. 1905-1906. Vgl. BB1 Nr. 11, 7. 2. 1845, S. 115. Vgl. ferner Winkler, Koehler, S. 124. Vgl. Brockhaus 1857; Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 242-246. Vgl. Koehler 1894, S. 32 f.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
nungsgemäß beschriftet werden. Da der Kommissionär den eigentlichen Transport meist anderen Firmen überließ, wie privaten Fuhrunternehmen zu Land und zu Wasser oder staatlichen Einrichtungen wie Post und Eisenbahn127, war er selbst nicht der Spediteur, sondern nur der Auftraggeber. Um seine Spesen sowie die Ausgaben seiner Kommittenten gering zu halten, hatte er möglichst niedrige Tarife und günstige Übergabetermine mit den Fuhrunternehmen abzusprechen. Die diesbezüglichen Verträge schlossen nicht nur einzelne Firmen, sondern durch die Vermittlung der lokalen Buchhändler- und Kommissionärsvereine, mitunter mehrere Firmen gleichzeitig ab. Die zwischenbetriebliche Absprache ergab sich schon deshalb automatisch, da einige Kommissionsgeschäfte auf engster Nachbarschaft operierten. Transportschäden infolge schlechter Verpackungen waren eines der zentralen buchhändlerischen Probleme vor der Mitte des vorigen Jahrhunderts gewesen. Es mangelte in dieser Zeit nicht an Anregungen, wie man ein Paket am günstigsten packte. Als Georg Carl Knapp, Besitzer der Kümmeischen Sortimentshandlung in Halle, eine Anleitung herausgab, wie man ohne Packstöcke Ballen auf eine leichte Art sehr fest schnüren kann, erhielt er folgende Erwiderung: Die hier als erfunden bezeichnete Packmethode ist allen längst bekannt. Knapp ist nicht Erfinder der Methode, darum hat er auch nicht das Recht, sie als ein Geheimnis gegen Honorar zu verkaufen. 128 1841 schlug jemand vor, die Bücher doch in Kisten oder mit starken Brettern auf der Ober- und Unterseite der Ballen zu versenden, wie dies in Frankreich und Belgien schon seit längerem geschah. Die Kosten der Anschaffung solcher Bretter und selbst der Kisten wären gering im Verhältnis zu dem Ärger und den Reparationskosten, denen Verleger und Sortimentshändler ständig ausgesetzt sind. Es bedürfe nur einer Aufforderung seitens der Leipziger Kommissionäre an ihre Kommittenten und schon würde die Mehrzahl derselben dieser Verbesserung beitreten. 129 Um 1851 wurde diese Praxis bereits als „Bretterhandel", als ein eigener Industriezweig im Buchhandel, tituliert. 130 Ein Großteil der Beschwerden richtete sich gegen schlecht gepackte Remittendenpakete. Die Sortimenter behandelten die Remittenden als fremdes Eigentum nicht selten grob fahrlässig und gaben sie schludrig auf. Ein Verleger regte 1840 an, zur bevorstehenden Leipziger Ostermesse eine Ausstellung der kuriosesten Remittenden zu organisieren. 131 Die Klagen verstummten auch in der Folge nicht: 127 Hinsichtlich der Eisenbahn muß berücksichtigt werden, daß viele Strecken zunächst auf privatwirtschaftlicher Aktienbasis entstanden, bevor sie der Staat später aufkaufte. 128 Vgl. BB1 Nr 101, 20. 11. 1840, Sp. 2673. 129 V g l . BBl Nr. 83, 17. 9. 1841, Sp. 1995. 130 Vgl. BBl Nr. 22, 18.3. 1851, S. 305, 757-758, 1055-1056. 131
„Sie müssen, wenn es brochirte Bücher sind, dem unbefangenen Blick sofort erkennen lassen, daß sie im Kreise der Freunde von Hand zu Hand gegangen, sie müssen also ganz aufgeschnitten sein, wobei es keinen Unterschied machen soll, ob dies mit der flachen Hand oder einem schartigen Tischmesser oder durch die Kunst des Buchbinders bewerkstelligt worden. Der Umschlag muß total abgerissen, höchstens darf am Rücken noch eine Spur
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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„Es ist wirklich unverantwortlich, nicht selten sogar - empörend, in welcher Verpackung (man kann es kaum Verpackung nennen) und in welchem Zustande von manchen Seiten die Remittenden eingehen - beschmutzt, ge-, ja zerlesen, zerdrückt, aufgelöst, u.s.w. u.s.w., so daß man das Rückkommende fast nur noch als Makulatur betrachten kann." 1 3 2 Nur bei akkurater Versendung konnten Verluste und Fehlleitungen während des Transports vermieden werden. Darum gaben die Leipziger Kommissionäre über Zirkulare, Memoranden, Zeitschriften oder persönliche Gespräche wiederholt Ratschläge aus, wie die Kommittenten zur Mängelbeseitigung beitragen könnten. So sollten die Fakturen sauber ausgefüllt sein und mit dem Inhalt übereinstimmen. Die Exemplarziffern hatten nicht durch-, sondern nur mit einem Blei- oder Rotstift vorgestrichen zu werden, weil man im Leipziger Kommissionsgeschäft bei der Bearbeitung nochmalige Anstreichungen vornahm. Beim Packen war darauf zu achten, daß die Lagen der rohen Werke verschränkt gelegt wurden und die verschiedenen Exemplare ein und desselben Werkes möglichst beisammen blieben. Die Fakturen sollten sich beim Paket befinden und zwar so, daß sie außen angeklebt, jedoch nicht mit verpackt waren. Wenn eine Faktur für mehrere Pakete ausgestellt wurde, so war anzugeben, in welchem Paket sie sich befand und wieviele insgesamt verschickt wurden. Der Name des Absenders mußte auf jedem Paket wiederholt werden, weil in Leipzig die verschiedenen Sendungen selten beieinander liegen blieben. Insgesamt wurde größter Wert darauf gelegt, däß die Pakete gut und sorgfältig gepackt waren. 133 Für den unzulänglichen Zustand in der Paketauslieferung wurden vor allem an Haftungsfragen bei Transport und Lagerung festgemacht. Wer haftete beispielsweise, wenn Remittendenpakete zwischen dem Kommissionär des Sortimenters und demjenigen des Verlegers abhanden kamen? Nach der kaufmännischen Regel hätte einer der Kommissionäre den Schaden ersetzen müssen. Aber der buchhändlerische Kommissionär agierte beim Transport nicht im eigenen Namen und weigerte sich sogar (zumindest in Leipzig) für empfangene Pakete zu quittieren. Auch hier gab es unzählige Vorschläge, von denen einzelne nur kurz genannt sind: Man verlangte eine Teilung der Unkosten unter allen Beteiligten. 134 Das Börsenblatt sollte verlorengegangene Pakete öffentlich anzeigen.135 Für Paketvormaliger Herrlichkeit sichtbar sein. Titelblätter und Titelkupfer müssen mit Kaffee begossen oder mit reichen Fliegen-Arabesken geziert sein. [ . . . ] Bei Taschenbüchern müssen mindestens die Titelkupfer herausgerissen sein. Der bloße Umstand, daß sie klebrig anzufassen sind und ganz und gar zerlesen erscheinen, also eine leihbibliothekarische Benutzung verrathen, giebt keinen Anspruch auf Zulassung, da sonst von dieser Seite her allzugroßer Andrang zu befürchten stände." BB1 Nr. 36, 5. 5. 1840, Sp. 946. 132 BB1 Nr. 26, 30. 3. 1847, S. 347. 133 Vgl. BB1 Nr. 4, 23. 1. 1835, Sp. 65-68. 134 Wie wäre es, wenn 1 / 2 der Kommissionär, 3/8 der Verleger und 1/8 der Absender trüge? Vgl. BB1 Nr. 33, 23. 4. 1841, Sp. 803. 135 „Damit man sehe, bei wem es am meisten passirte. [ . . . ] Dem Kaufmann würde es nicht einfallen, eine Quittung zu verweigern." BB1 Nr. 89, 11. 10. 1842, Sp. 2427.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Schäden hatte der Leipziger Buchhändlerverein in seiner Eigenschaft als Interessenvertreter der Leipziger Kommissionäre aufzukommen. 136 Man regte auch an, die Kommissionäre selbst sollten die Sendungen quittieren und ihre Markthelfer besser kontrollieren. 137 Gerade die Leipziger Markthelfer wurden trotz ihrer körperlich schweren und unverzichtbaren Arbeit meist zu Unrecht von den auswärtigen Buchhändlern angefeindet. Im Jahre 1836 ging im Nichtleipziger Buchhandel das Gerücht um, daß sich 15-20 Markthelfer mehrerer Kommissionsgeschäfte (Volckmar, Wigand, Fleischer) zusammengetan hätten, um Pakete verschwinden zu lassen.138 Auf diese Weise hätten sie ein verstecktes Lager schöngeistiger Literatur im Wert von 6.000 Tlr. angelegt. Die Kommissionäre Koehler und Volckmar widerlegten diese Behauptungen und schrieben, daß ein Betrüger Schuld an den verschwundenen Paketen sei. Trotzdem hörten die Verdächtigungen nicht auf. 139 1844 wurden die Leipziger Kommissionäre ermahnt, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Einige Markthelfer hätten sich durch Veruntreuungen in den Besitz eines kleinen Vermögens gebracht: „Man betrachte nur die hiesigen Markthelfer, ihren häuslichen Luxus in Wohnung, Meublement und Kleidern, ihr Wirthshausleben, wo es auf eine Zehrung von mehreren Thalern pro Abend für eine ganze Familie nicht ankommt, ferner ihre Kränzchen, verschwenderischen Bälle; man vergleiche dies Alles mit ihrem Einkommen [der durchschnittliche Jahresverdienst betrug damals schätzungsweise 180-250 Tlr., Th. K . ] " 1 4 0 Nach hitzigen Debatten berief der Börsenverein 1844 zur Klärung von Haftungsfragen einen außerordentlichen Ausschuß, der ein Jahr später ein Gutachten vorlegte. Doch konnte eine verbindliche Lösung in der Haftungsfrage nicht erzielt werden. Der breite Meinungsstreit hatte jedoch im Zusammenhang mit dem Gutachten des Börsenvereins von 1845 weitreichende Wirkungen. Im Leipziger Kommissi136 V g l .
BBl Nr. 73, 30. 7. 1852, S. 1097.
137
„Ist es eben so gut möglich, daß alle Paquete bei Abgabe von Commissionairen an Commissionaire an den Speditionsplätzen des deutschen Buchhandels u[sw.] quittiert werden können, wenn gedruckte Schemas eingerichtet werden. Wie häufig geschieht es, daß Markthelfer oder Laufburschen falsche Paquete abgeben, namentlich bei gleichlautenden Firmen. [ . . . ] Es wird mit den Paqueten umgesprungen als hätten die Bücher nicht mehr Werth als Maculatur. Auf der Straße werden sie bei gutem und schlechten Wetter collationirt und ins Gewölbe geworfen. Vorsicht wird keinem anempfohlen, und wenn sie auch noch so schlecht gepackt sind, sondern die Lehrlinge und Markthelfer machen sich lustig und Witze dabei." BBl Nr. 89, 11. 10. 1842, Sp. 2425-2426. 138 Volckmar meinte dazu, daß seine zwei Markthelfer (er betreute zum damaligen Zeitpunkt 36 Kommittenten) ständig unter seiner Aufsicht stünden. Vgl. ODB Nr. 30, 30. 7. 1836, S. 234. 139 Vgl. ODB Nr. 25, 25. 6. 1836, S. 193-194, 217-218, 233-234. 140 ODB Nr. 24, 15. 6. 1844, S. 185. Wenn Volckmar 1833 einem seiner Packer rund 16 Groschen pro Tag zahlte, dann waren das in der Woche 4 Taler und im Jahr 208. Weitere Zuwendungen in Form von Meßgeschenken, Weihnachtsgratifikationen usw. kamen noch hinzu. Vgl. Volckmar, Mittheilungen, S. 13.
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onsbuchhandel wurden die Angestellten, namentlich das Hilfspersonal, besser angeleitet und kontrolliert. Wenn sich auch die Kommissionäre weiterhin weigerten, für den Paketempfang zu quittieren, so gab es in der Folgezeit - im Verhältnis zu allen über Leipzig laufenden Sendungen - nur wenig Paketverluste. Die hohe Verläßlichkeit des Leipziger Kommissionsbuchhandels trug wesentlich dazu bei, daß der sogenannte formlose Verkehr bis in das 20. Jahrhundert hinein erhalten blieb. 141
f) Abrechnung (Messe) Mit der allmählichen Übernahme der Abrechnungsfunktion konnten die Kommissionäre gezielt Verbesserungen durchsetzen, deren Einführung bei einem Direktverkehr zwischen Verlegern und Sortimentern weitaus längere Zeit benötigt hätte. 1836 entwarfen sie neue Abrechnungslisten. Diese und die Remittenden sollten zehn bis vierzehn Tage vor der Messe in Leipzig eintreffen, damit man sie im Kommissionsgeschäft in Ruhe öffnen, vergleichen und berichtigen konnte. 142 Eine weitere Unart war das auf „Alte Rechnung"-Schreiben (Antedatieren) von Büchern. Da der Kredit der Verleger manchmal 1 1 / 2 Jahre dauern konnte, griffen einige Verleger zu einem Trick. Sie lieferten im neuen Jahr Bücher ä condition, die mit einem Datumsstempel des alten Jahres versehen waren. Mit der Zurückdatierung in das alte buchhändlerische Rechnungsjahr, welches am 31. Dezember endete, hofften sie, daß die Sortimenter bereits zur nächsten Ostermesse zahlen würden. Einige Bücher wurden noch im März oder Anfang April auf „Alte Rechnung" verschickt. Das Antedatieren war ein Betrug, der auch im Kommissionsgeschäft für Unsicherheiten bei der Abrechnung sorgte. 143 Die Sortimenter begegneten solchen Manipulationen durch Nichtbeachtung und Überträge auf Michaelis. 144 Bei der Diskussion dieses Streitpunkts wurde stets der Kommissionär als wichtiges Kontrollorgan gegen mißbräuchliche Praktiken angesehen. Denn erstens sollte er nur solche Sendungen auf „Alte Rechnung" annehmen, die bei ihm nachweislich bis zum 31. Dezember abgegeben wurden. Gegen eine kleine Extravergütung sollte der Sortimenter veranlassen, daß der Kommissionär am Silvesterabend einen einfachen 141 „Dieser formlose Verkehr hat sich in der Praxis sehr gut bewährt und es ist, wie ich von Leipziger Kommissionären gehört habe, zu irgend welchen nennenswerten Störungen und Differenzen nicht gekommen. Auf der anderen Seite hat diese Art des Verkehrs den Vorteil äußerst schneller und glatter Erledigung." Hennig, Kommissionsgeschäft, S. 114. 142 Vgl. BB1 Nr. 8, 19. 2. 1836, Sp. 179-181. 143
„Denn ists nicht lächerlich, wenn wir hier in Leipzig den 2. März Beischlüsse von benachbarten Handlungen in Braunschweig spediren, die den 26/2 eingingen und welche Datum vom 1/12 und 30/12 1842 tragen? Wie soll da künftig irgend ein Nachweis aus den Speditionsbüchern möglich werden? Dergleichen Thun kann nur Anlaß zur Unsicherheit im Commissionsgeschäft geben und wäre es von den Herren, die dem System des in alte Rechnungverschleppen huldigen, wenigstens zu erlangen, daß sie endlich die Zeit der Expedition angäben." BB1 Nr. 19, 7. 3. 1843, Sp. 589. 1 44 Vgl. BB1 Nr. 13,13.2. 1844, Sp. 372-373.
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Rechnungs-Schlußstrich in sein Rechnungsbuch setzte.145 Zweitens hatte er jedes Paket mit einem Eingangsstempel zu bezeichnen, wie es die Postämter taten. 146 Die Selbsthilfe der Sortimenter war in Verbindung mit den Kontrollfunktionen der Kommissionäre sehr erfolgreich. Schon 1859 bezeichnete Wengler das Antedatieren als völlig aus dem Gebrauch gekommen. Kein Sortimenter sei dazu verpflichtet, derartige Sendungen in alter Rechnung anzuerkennen. 147 Parallel zu den Reformversuchen der vierziger und sechziger Jahre, die eine Verlegung der Leipziger Buchhändlermesse bezwecken wollten, gab es weitere, teilweise profane Vorschläge zur Umgestaltung der Messe. Eine Entlastung der messebesuchenden Buchhändler bei der Abrechnung durch die Kommissionäre erleichterte es jenen, sich mehr als zuvor dem Messegespräch zu widmen. Bei der jährlich ansteigenden Firmenzahl war es jedoch unmöglich, daß sich die Berufskollegen untereinander kannten. So kam der Wunsch auf, daß sich die Buchhändler auf der Messe durch weithin erkennbare Firmen- oder Namensschilder an Hut oder sonstiger Kleidung kenntlich machten. 148 Es wurde auch der Aushang einer Präsenzliste im Börsenlokal angeregt, so daß zu jeder Zeit sichtbar war, welche Kollegen sich im Raum befinden. 149 Die einzigen Personen, die sich im Börsenlokal auch dem Branchenneuling per Namen vorstellten, waren die Leipziger Kommissionäre. Jeder Tisch war mit einem Firmenschild versehen. Zum einen erleichterte diese Einrichtung das Auffinden des Kommissionärs, zum anderen war sie ein Zeichen ihrer Institutionalisierung. Denn die Kommissionäre trafen sich wöchentlich im Börsengebäude, um Zahlungen untereinander zu begleichen. Ihre Sitzordnung behielten sie ganzjährig bei. Mit dem Ausbau der zwischenbuchhändlerischen Abrechnung ging die Suche nach neuen Inhalten für die Leipziger Ostermesse zumeist in die Richtung geselliger und unterhaltsamer Zusammenkünfte. Otto Wigand schlug 1853 vor, die Buchhändlermesse zu einer Art Ausstellermesse umzuwandeln, zu der auch Gelehrte und Bücherfreunde Zutritt erhielten. Dieser Vorschlag blieb unbeachtet.150 Die Ideen von 1840 und 1855, nach denen die Buchhändler ein gemeinsames Abendessen zur Ostermesse organisieren sollten, waren schon realistischer. 1840 wurde angeregt, die Meßabrechnung mit einem gemeinsamen Mahl zu verbinden, um die Attraktivität der Anreise und die Möglichkeit der geschäftlichen und privaten Gespräche zu erhöhen. „So habe ich auch daran gedacht, ob es nicht eingerichtet werden könnte, daß ein Saal im Börsengebäude während der Messe einem der so unterneh145 Vgl. BB1 Nr. 22, 27. 5. 1836, Sp. 595-597. 146 V g l . BBl Nr. 21, 22. 5. 1835, Sp. 543. 147 Vgl. Wengler, Usancen-Codex, S. 3. 148 Vgl. BBl Nr. 36, 3. 5. 1852, S. 577-578. 149 Vgl. BBl Nr. 44, 15. 4. 1863, S. 795. 150 Vgl. BBl Nr. 109, 29. 8. 1853, S. 1331. Die publikumsoffene Buchmesse bildete sich erst im 20. Jahrhundert heraus.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
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Abbildung 8: Der Abrechnungs- und Versammlungssaal in der Alten Buchhändlerbörse, Ritterstraße
menden und thätigen Gastwirthe Leipzigs eingeräumt würde, um eine Mittagstafel für uns einzurichten, abgesehen von der Annehmlichkeit: sich von der Börse aus gleich zu Tische verfügen zu können, ohne das Haus verlassen zu müssen, würde dies gar sehr zu gegenseitiger Annäherung beitragen und könnte vielleicht durch das vom Wirthe zu zahlende Pachtgeld wohl auch für die Casse des Vereins nicht unvortheilhaft sein." 151 Im Jahre 1855 kritisierten einige der jüngeren Messebesucher die „Öde und Verwaisung", der sie am Kantate-Sonntag ausgesetzt wären. Sie hätten das Unglück, „nicht zu den Zweckessen der Herren Kommissionäre geladen zu seyn. Der Umstand, daß jene kleinern Zusammenkünfte seit neuerer Zeit, unter stillschweigender Vereinbarung beider Theile da und dort unterblieben sind, vermehrt nur noch die Zahl derer, welche an dem bezeichneten Tage ,zwecklos' und leer, abgeschnitten von Freundes-Umgang, die Zeit zu tödten angewiesen sind, weil sie gar nicht wissen, an welchen Orten sie Kollegen überhaupt nur aufsuchen können." 152 Angesichts des tiefgreifenden Bedeutungswandels der Messe wurde schon mal die Grundsatzfrage gestellt, ob die Buchhändlermesse bei den neuen Entwicklun151 BB1 Nr. 64, 14. 7. 1840, Sp. 1558. 152 SBZ Nr. 1 und 2, 5. und 12. 1. 1857, S. 7. 8 Keiderling
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gen im Leipziger Kommissionsbuchhandel überhaupt noch einen Sinn hätte? Friedrich Frommann unterbreitete 1877 einen Vorschlag, der einen Proteststurm im Buchhandel auslöste. Zunächst sollte die Rechnung halbjährlich erfolgen und die Abrechnung vollständig durch die Leipziger Kommissionäre abgewickelt werden. Da durch diese Veränderung die Ostermesse als Termin wegfiel, brauchte man nur noch einen Termin für die Hauptversammlung des Börsenvereins, die nach Frommann zugleich als ein neuer geselliger Termin des Buchhandels Pfingsten stattfinden sollte. 153 Die Berliner, Hamburg-Altonaer und Leipziger Buchhändlervereine verwarfen den Vorschlag sofort. 154 Eine Berliner Kommission, bestehend aus drei Sortimentern, meinte, daß sich der erste Punkt eindeutig gegen den Sortimentsbuchhandel richtete, denn die Abrechnungsarbeiten hielten zu sehr vom Verkauf ab. Bei ihrem Urteil spielten auch die Berliner Erfahrungen eine Rolle, denn in der Reichshauptstadt wurde der zweite Zahlungstermin im Jahr (am 15. August) seit mehreren Jahren nur noch selten genutzt. Die Sortimenter sollten zur Belebung der Geschäfte vielmehr die Kundenrechnungen verkürzen. Sollte es allerdings zu einer vollständigen Übernahme der persönlichen Abrechnung durch die Kommissionäre kommen, so müßte der Börsenverein Sorge tragen, daß ein reiches Programm genug Zeit für persönliche Kontakte böte. 155 An eine Verlegung der Hauptversammlung dachte kaum jemand, da die meisten Buchhändler es vorzogen, Pfingsten im Kreise der Familie zu feiern. g) Geld- und Kreditangelegenheiten
Ein spannungsreiches Kapitel des Kommissionsbuchhandels war der Ausbau seiner Zahlungs- und Kreditfunktion. Noch in den dreißiger Jahren gab es mitunter Probleme, wenn der Kommissionär Zahlungen übernahm. 1834 forderte Karl Franz Koehler den Börsenverein auf, gesetzliche Bestimmungen über das Quittieren durch Leipziger Kommissionäre abzufassen. Anlaß seiner Klage war ein Urteilsspruch des Leipziger Handelsgerichts, daß hiesige Kommissionäre nicht gesetzlich befugt seien, Zahlungen anzunehmen und Quittungen für die in dem Müllerschen Buchhändler-Verzeichnis als deren Kommittenten angegebenen Handlungen auszustellen. Nur wenn er eine schriftliche Prokura-Erklärung des Kommittenten hätte, sei dies statthaft. 156 Koehler kritisierte, daß das Gerichtsurteil gegen eine wichtige Grundlage und Usance des Kommissionsbuchhandels gerichtet sei, dem gegenseitigen Vertrauen von Kommittent und Kommissionär. 157 153 Vgl. BB1 Nr. 206, 5. 9. 1877, S. 3325-3326. 154 Vgl. BB1 Nr. 31, 6. 2. 1878, S. 483-485. 155 Dazu gehörten: „Weitere zwanglose gesellige Zusammenkünfte, Ausflüge in die Umgegend, Besuche der verschiedenen großartigen Anstalten Leipzigs, die mit dem Buchhandel zusammenhängen." BB1 Nr. 274, 26. 11. 1877, S. 4654. 156 Vgl. BB1 Nr. 10, 7. 3. 1834, Sp. 166-168.
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Obwohl der Kommissionär als Beauftragter seines Kommittenten in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis stand, kehrte sich dieses Verhältnis um, wenn der Kommissionär seinem Auftraggeber Gelder vorschoß oder ihm sogar über einen Bankrott hinweghalf. Der Kommittent befand sich dann in einem Schuldnerverhältnis. Wenn auch diese Tatsache von den Kommissionären aus geschäftlichen Gründen nicht öffentlich gemacht wurde, so hatte sie doch eine wichtige Auswirkung auf die Profession des Zwischenbuchhändlers: Der Status des Kommissionärs übertrumpfte denjenigen des Sortimenter- oder Verleger-Kommittenten. Zum ersten Mal wurde dies deutlich, als die Leipziger Kommissionäre in den dreißiger und vierziger Jahren mit gemeinsamen Zirkularen und Memoranden ihren Kommittenten Anweisungen zur Abrechnung gaben. Auswärtige Buchhändler fragten, ob der Kommissionär dem Kommittenten etwas vorschreiben könne. 158 Die Kommissionäre erlaubten sich so manche Eigenwilligkeiten beim Einsetzen der ihnen anvertrauten Gelder. So entnahmen sie bei Kommittenten, die als unregelmäßige Zahler bekannt waren, ihre eigenen Spesenforderungen zuerst, auch gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Auftraggeber. 159 Georg Reimer beklagte 1836 das eben beschriebene, „so oft vernommene" Vorgehen mancher Leipziger Kommissionäre. Der Auftraggeber sei dazu berechtigt, über die Gelder zu bestimmen, keineswegs der Empfänger oder Verwalter, schrieb er. 1 6 0 Als die Wiener Kommissionäre 1845 wie die Leipziger Kollegen ihren Kommittenten Vorschriften machen wollten 161 , gab es Proteste. „Hier sind offenbare Eingriffe in den Willen und das Recht jedes Einzelnen. Eine solche Vorschrift ist unausführbar und wird kein Verleger unterzeichnen." 162 Anders als in Leipzig stellte sich in Wien die Frage, ob „Kreisvereine" dem Buchhandel außerhalb ihres eigenen Kreises Vorschriften machen durften. Die vier Wiener Beschlüsse betrafen den ganzen deutschen Buchhandel, wurden diesem aber nicht zur Beratung vorgelegt. Kein Zweifel, daß dasselbe Recht, welches die österreichischen Buchhändler in 157
„Dieses auf gegenseitiges Vertrauen und Achtung gegründete Verhältniß, welches in frühern Zeiten entstand, wo nur 10-12 Commissionshandlungen hier bestanden, ist auch auf die Gegenwart übergegangen. [ . . . ] es ist löblich und macht allen Collegen Ehre, - aber es entbehrt des gesetzlichen Schutzes und ist darum nicht mehr ausreichend [ . . . ] Es handelt sich nun darum, ein uns gegenseitig bindendes und unter uns gesetzliches Verhältniß zu begründen, das unsere gegenseitigen Interessen schützt, übereinstimmend mit den hiesigen Gesetzen ist und keine Weitläufigkeiten verursacht." BB1 Nr. 13, 28. 3. 1834, Sp. 228. 158 „Hat in Leipzig ein Commissionair das Recht, seinen Committenden gegenüber, einseitig Maaßregeln zu treffen, gleichviel ob das Interesse dieser auswärtigen Geschäftsfreunde dadurch gefährdet werde oder nicht? Hat derselbe ferner das Recht, Zahlungen, die ihm am Börsentage in seinem Geschäfts-Local für seine Committenden eigenhändigt wurden, zurückzuweisen?" BB1 Nr. 110, 23. 12. 1845, S. 1406. Vgl. ferner SBZ Nr. 10, 11. 3. 1839, S. 71. 159 Vgl. ODB Nr. 5, 6. 2. 1836, S. 33-34. 160 Vgl. BB1 Nr. 35, 26. 8. 1836, Sp. 1031 -1033. 161
Vgl. Geschäftsrundschreiben der österreichischen Buchhändler über die neuen Geschäftsbestimmungen 1845, in: BB1 Nr. 107, 12. 12. 1845, S. 1357. 162 BBlNr. 109, 19. 12. 1845, S. 1388. 8=
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Anspruch nahmen, auch anderen zugestanden werden mußte. 163 In diesem Sinne sollte nichts ohne und gegen den Börsenverein beschlossen werden. Im Kampf gegen die schlechten Zahler wurde versucht, Druck über die Kommissionäre auszuüben, „um der immer mehr um sich greifenden Willkür und steigenden Keckheit solcher Pflichtvergessenen Schranken zu setzen." 164 In diesem Zusammenhang wurde eine Diskussion über Rechte und Pflichten des Kommissionärs geführt. Drei Fragen spielten darin eine Rolle. Erstens: Hatte der Kommissionär jeden neuen Buchhändler als Kommittenten zu akzeptieren oder sollte er dessen Bonität eingehend prüfen und ihn im Zweifelsfall ablehnen?165 Letztere Bedenken berücksichtigten nicht, daß jedes Kommissionsgeschäft an einem Kommittentenzuwachs interessiert war. 166 Hinzu kam, daß eine neugegründete, nichtzahlende Sortimentsbuchhandlung den Verleger ungleich mehr schadete als den Kommissionär. Warum sollte dann aber der Kommissionär an Stelle des Verlegers tätig werden und sich zum „Konzessionserteiler", zum Buhmann der Branche aufschwingen? Zweitens: Durfte ein Kommissionär einem zahlungsunfähigen Kommittenten die Rechnung kündigen, was ohnehin nur selten oder in besonders begründeten Fällen geschah? Warum sollte der Kommissionär bei einem ersten Ausbleiben der Zahlungen gleich alle Hoffnung fahren lassen? Fast jeder Kommittent befand sich schließlich schon einmal in einer prekären Finanzsituation, aus der er mit Hilfe des Kommissionärs gerettet wurde. 167 Abgesehen davon, war es recht schwierig, einen Kommittenten loszuwerden. „Meistens ist der Commissionair bei solchen im Vorschuß; bricht er da mit ihnen, so riskirt er sein Guthaben. Er müßte also einen Zeit-
163 „Wenn nun die Leipziger oder Stuttgarter gleichfalls Beschlüsse in ihrem Sinne fassen wollten, so würden dieselben sicherlich ganz anders und zum Theil in ganz entgegengesetztem Sinne ausfallen als die vorliegenden. Wohin sollte also der deutsche Buchhandel sich wenden? Bald würden hundert verschiedene Beschlüsse sich durchkreuzen und die unserm Buchhandel durchaus nothwendige gleichmäßige Verfassung zu Grabe getragen sein. Und weshalb umgehen die österrreichischen Buchhändler den Börsenverein? [ . . . ] Ein einzelnes Glied des Organismus empört sich gegen den Körper; das ist ein Krankheitssymptom." BB1 Nr. 110, 23. 12. 1845, S. 1404. 164 BBl Nr. 35, 29. 8. 1834, Sp. 649. 165 Dazu Julius Springer: „Ein süchtiger' Commissionair [ . . . ] ist für jedes Geschäft, Verlag wie Sortiment, eine große Hülfe: für ein beginnendes Sortimentsgeschäft aber, wir nehmen keinen Anstand es auszusprechen, eine durch nichts zu ersetzende Stütze. Wir sprechen hier aus Erfahrung und ich bekenne es offen, daß mein eigenes Geschäft bei seinem Beginne der Umsicht und Unermüdlichkeit meines Commissionairs viel, sehr viel zu verdanken hat." BBl Nr. 59, 26. 6. 1846, S. 692. 166 Siehe S. 200-210.
167 Koehler schrieb für viele Kollegen: „In dergleichen nicht seltenen Fällen ist es wohl unsre Pflicht, ihn nicht gegen jeden neugierig Fragenden bloßzustellen und sein Interesse zu gefährden, - sondern ihn zu unterstützen, - um wie gewöhnlich in 1 - 2 Jahren mit Genugtuung zu sehen, daß wir in ihm wie früher einen soliden und pünktlichen Committenten besitzen." BBl Nr. 11, 7. 2. 1840, Sp. 265.
IV. Vorschläge und Lösungsvarianten
117
punkt abwarten, wo der Committent Cassa gut hat und nun plötzlich innehalten und keine Sendungen mehr machen. Dann aber ruinirt er das Geschäft des bisherigen Committenten dadurch." 168 Drittens: Durfte ein Kommissionär dritten Personen gegenüber Auskünfte über die Solidität seiner Kommittenten geben? Koehler überließ es der Entscheidung seiner Kollegen. Doch man sollte darüber im klaren sein, daß sich ein möglicher Vertrauensbruch schnell herumsprach und das Geschäft schädigte.169 Wie immer die Diskussion ausging, in zwischenbuchhändlerischen Kreisen war man sich darin einig, daß ihre Antworten und Empfehlungen letztlich nicht praktikabel waren, weil sie dem Wesenszug des Kommissionsbuchhandels grundlegend widersprachen. Nur ein Beispiel: Kam es wirklich einmal vor, daß der Kommissionär einen nichtzahlenden Kommittenten von der Liste strich, erhob sich in der Branche sofort ein Protestschrei gegen solche Eigenmächtigkeit.170 Mit der wachsender Bedeutung des Kommissionärs als Kreditgeber wurden auch Ideen geäußert, die in der Kombination von Bank- und Kommissionsgeschäft eine zukunftsweisende Entwicklung sahen. 1844 wollten mehrere Unternehmer für das bessere Einlösen der Barpakete ein Bankgeschäft unter der Bezeichnung „Allgemeines Barkonto" in Leipzig errichten, das gegebenenfalls in Verbindung mit der dortigen Bestellanstalt Sortimentern Vorschuß gewähren sollte. 171 Dieser Plan erlebte mehrere Auflagen. Im Dezember 1848 wurde eine buchhändlerische Diskontobank in der Leipziger Buchhändlerbörse vorgeschlagen, um das Wechsel- und Bargeldgeschäft gleich auf der Messe abschließen zu können. 172 1859 und 1864 gab es vergleichbare Anregungen für eine buchhändlerische Bank am Zentralplatz Leipzig. 173 Im Rausch der Gründerzeit erhielt diese Idee unter dem Namen Deutsche Buchhändlerbank eine neue Variante. Gegründet am 19. Februar 1872, sollte sie als Aktiengesellschaft ihren Hauptsitz in Berlin und eine Filiale Leipzig nehmen. 174 Die Betreiber bezeichneten ihr Kreditinstitut, unbeachtet aller vorherigen Versuche, als eine Neuheit. Die angedachte Bank sollte sich durch den allmählichen Aufkauf von buchhändlerischen Firmen - in erster Linie Verlagsunternehmen, später aber auch Druckereien - zu einem Imperium entwickeln. Ihr erklärter Hauptgegner war der bestehende Kommissionsbuchhandel. „In keinem Zweige ist der Buchhandel reformbedürftiger", so die Schreiber, „und mehr in den 168 BBl Nr. 23, 22. 3. 1842, Sp. 638. 169 Vgl. BBl Nr. 11, 7. 2. 1840, Sp. 261-265. 170 Vgl. BBl Nr. 119, 26. 5. 1873, S. 1898-1899. 1 71 Zur Finanzierung des „Barkontos" äußerte sich der Initiator nicht. Vielleicht hatte er sich einen Zusammenschluß der Kommissionäre vorgestellt, denn die Bestellanstalt war ein solcher. Vgl. BBl Nr. 77, 27. 8. 1844, Sp. 2497. 172 Vgl. BBl Nr. 105, 5. 12. 1848, S. 1281 -1282. 173 Für 1859 vgl. Geschäftsrundschreiben vom 18. 2. 1859, in: DBSM, Archivalien, Kasten 22/131; für 1864 vgl. BBl Nr. 120, 26. 9. 1864, S. 2112-2114. 174 Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 12. 3. 1872, in: DBSM, Archivalien, Kasten 22/132.
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Kapitel 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
Fesseln einer vergangenen Zeitepoche, als in dem Commissions-Geschäft. [ . . . ] Ohne jede Concurrenz hat sich das Commissions-Geschäft gegen alle zeitgemäße Neuerungen gesträubt, während die Besitzer dieser Geschäfte Millionen gewonnen. Es wird Aufgabe der Deutschen Buchhändler-Bank sein, in diesem Geschäftszweige mit zeitgemäßen Reformen [!] vorzugehen und sie ist hierbei der lebhaften Zustimmung des deutschen Buchhandels sicher." 175 Die „zeitgemäßen Reformen" - im Vorstand der Gesellschaft befanden sich zunächst die vier Verleger Friedrich Luckhardt (Leipzig), William French (Leipzig), Paul Parey (Berlin) und Friedrich Rennemann (Berlin) - wurden im Verlaufe des Jahres nochmals gründlich überarbeitet und in Form von Statuten und einer Denkschrift veröffentlicht. 176 Wie man ein Jahr später erfahren konnte, mißlang das Vorhaben einer Deutschen Buchhändlerbank „durch beharrlich aufrecht gehaltene Meinungsverschiedenheiten der Interessenten." 177 Im Jahre 1873 wurde von Leipzig aus ein zweiter Gründungsversuch gestartet, dem aber nicht mehr so „namhafte Experten" angehörten. August Schürmann schätzte ein, daß der Plan der Gründer, Leipzig und Berlin durch eigene Güterwagen zu verbinden, ein Zeugnis absoluter Unkenntnis sei. Seit Jahrzehnten würde diese Leistung durch die Berliner Zettelbestellanstalt sowie Packanstalt nach Leipzig (für Pakete) erbracht. 178 Dieser Versuch scheiterte ebenso wie ein dritter aus dem Jahre 1879. 179 Der Gedanke, ein Bank- mit einem Kommissionsgeschäft zu verbinden, folgte vorhandenen Praktiken im Kommissionsbuchhandel, war aber nicht wirklich tragfähig, da zum einen die Leipziger Kommissionäre bereits Kreditfunktionen zufriedenstellend erfüllten, zum anderen zunehmend professionelle Banken verlegerische Vorfinanzierungen übernahmen.
h) Vereins- und Boykottfragen
Wenn es den Innovateuren nicht gelang, eine unternehmerische Mehrheit von ihren Neuerungen zu überzeugen, so dachten sie an Zwangsmaßnahmen, um ihre Ziele durchzusetzen. Boykottmaßnahmen waren nur wirksam, wenn sich einflußreiche Firmen zusammentaten. Aus diesem Grund gingen sie zumeist von den großen Buchhandelszentren aus. Die Vereinsbildung erlebte nach Gründung des Börsenverein 1825 eine wahrhafte Konjunktur im deutschen Buchhandel. Es entstanden diverse Lokal-, RegioBBl Nr. 49, 28. 2. 1872, S. 759. 176 Zu den Statuten siehe BBl Nr. 60, 13. 3. 1872, S. 953-954; zur Denkschrift siehe Luckhardt, Verbesserung. 177 BBl Nr. 45, 24. 2. 1873, S. 715. 178 Vgl. BBl Nr. 83, 10. 4. 1873, S. 1341 -1342. 179 Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 1. 7. 1879, in: DBSM, Archivalien, Kasten 22/133. 175
V. Zusammenfassung
119
nal- und Spezialvereine, die ihre Sonderinteressen formulierten. 180 Erste Boykottversuche ließen nicht lange auf sich warten. 1838 traten die Berliner Verleger zusammen, um gemeinsam gegen säumige Zahler (Sortimenter) vorzugehen. 181 Die Stuttgarter und Leipziger Verleger folgten 1841 und 1853 diesem Beispiel. Die meisten Boykottzusammenschlüsse waren allerdings von nur kurzer Dauer, da es ihnen an wirtschaftlicher Kraft fehlte. Von einzelnen Buchhändlern wurden wiederholt Ideen geäußert, wie der Leipziger Kommissionsbuchhandel zu einem Boykottmittel werden könnte. Die Kommissionäre sollten zu einem richterlichen Gremium aufsteigen, um folgende Übel zu beseitigen: (1) Minderung der Konkurrenz durch Konto Verweigerung neuen Kommittenten oder ungelernten Buchhändlern gegenüber 182; (2) Blockade von Nachdrucken, indem sie diese nicht weiterleiteten 183 ; (3) Abbruch von Handelsbeziehungen zu zahlungsunfähigen Kommittenten und damit verbunden: keine Kreditgewährung bei schlechten Zahlern. Die einzigen Boykottmaßnahmen, zu denen sich die Kommissionäre bereitfanden, waren gegen die Schleuderei gerichtet. So erklärten am 3. Februar 1880 64 Leipziger Kommissionäre, daß sie die Geschäftsbeziehungen zu denjenigen Firmen bzw. Kommittenten aufheben wollten, die Schleuderei betrieben. 184 Der 1884 gegründete Verein Leipziger Kommissionäre hielt sich an die Verlegererklärung von 1879/1880 gegen die Schleuderei und legte fest, daß die Kommissionäre nur dann die Lieferung zu einem Sortimenter einstellten, wenn die Anzeige eines Verlegers vorlag und die Beschuldigung bewiesen werden konnte. 185 Alle weiteren Boykottpläne, z. B. hinsichtlich des Geschäftsausschlusses zahlungsunfähiger Kommittenten 186 , wurden nicht umgesetzt.
V. Zusammenfassung Die Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels wurde durch eine brancheninterne Reformdiskussion eingeleitet, die in der Forschung als Usancen180 Zu buchhändlerischen Vereinen im 19. Jahrhundert vgl. schaft. 181 Vgl. BB1 Nr. 10, 1.2. 1839, Sp. 211-213.
Titel,
182
Geschäft und Gemein-
Die Kommissionäre Koehler, Fleischer und I. Müller erklärten in den frühen zwanziger Jahren, daß sie gerade die Geschäftsbeziehungen zu ungelernten Kommittenten nicht entbehren könnten. Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 141. 183 Um 1820 wurden die Leipziger Kommissionäre von den dortigen Deputierten mit Erfolg angehalten, keine Kommissionen von süddeutschen Nachdruckern anzunehmen. Vgl. Ebd., S. 136-140. 184 Vgl. BBl Nr. 31, 7. 2. 1880, S. 521. 185 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 547-548. 186 Vgl. ODB Nr. 33, 21. 8. 1847, S. 257-258.
1 2 0 K a p i t e l 2: Die Usancendebatte um zwischenbuchhändlerische Fragen
debatte bezeichnet wird. Aufgabe dieser Diskussion war es, Innovationen der buchhändlerischen Öffentlichkeit bekannt zu machen, diese konträr zu besprechen und nach interessensausgleichenden Lösungen zu suchen. Denn Innovationen konnten nur von einer Mehrheit der betroffenen Unternehmer umgesetzt werden. Die Usancendebatte nahm im ausgehenden 18. Jahrhundert ihren Anfang und erhielt um 1800, bereits vor der Industrialisierung, ihren ersten Höhepunkt. Trotz des hohen Engagements einer kleinen Initiativgruppe blieben alle Reformbestrebungen dieser Frühphase ohne Ergebnis, da es den Betreibern an geeigneten Mitteln fehlte, um Diskussionsergebnisse in die Wirtschaftspraxis einzuführen. Durch die Gründung von Branchenzeitschriften und -vereinen in den zwanziger und dreißiger Jahren änderte sich die Situation grundlegend. Branchenzeitschriften sorgten für eine neue Qualität der Öffentlichkeit, Branchenvereine für eine grundlegende Operationalisierung und Durchsetzung der Verbesserungsvorschläge. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Diskussion lag während dieser zwei Jahrzehnte auf der Modernisierung des Kommissionsbuchhandels, der von vielen Buchhändlern als besonders reformbedürftig erachtet wurde. Ohne das Zusammenwirken von organisatorischen und diskursiven Faktoren wäre eine Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels in der raschen Abfolge nicht möglich gewesen. Wenn es nicht gelang, akzeptable Lösungsvarianten diskursiv zu erzielen, dann wurden Expertenkommissionen aufgestellt, die zu einem festgelegten Zeitpunkt Gutachten anzufertigen hatten. Anhand ihrer Empfehlungen wurden Modernisierungen von den Vereinen gemeinschaftlich beschlossen oder verworfen. Die Qualität des Meinungsstreits erhielt durch die Expertenbeteiligung eine spürbare Verbesserung. Die nach thematischen Schwerpunkten geordnete Besprechung ausgewählter Reformvorschläge um den Leipziger Kommissionsbuchhandel zeigt deutlich, daß es weniger um radikale Veränderungen des Gesamtsystems, sondern vielmehr um praktikable und kurzfristige Teilverbesserungen, also um Modernisierungen in kleinen Schritten ging. Dieser Befund bestätigt die These, daß Modernisierungen in Wirtschaftsbereichen komplexe Transformationsprozesse sind, die sich aus einer Vielzahl von kleinen Innovationen zusammensetzen. Charakteristisch für die erfolgreiche Modernisierung des Kommissionsbuchhandels war zugleich eine massenhafte Inventions- und Innovationsproduktion. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der aufgezeigten Verbesserungsvorschläge blieb in der Konzeptionsphase stecken, so daß es sich bei ihnen um unvollständige Innovationen handelte.
Kapitel 3
Auftakt und grundlegende Modernisierung 1830-1849 Die dreißiger und vierziger Jahre stellten bei der Umgestaltung des Leipziger Kommissionsbuchhandels eine Schlüsselzeit dar. In dieser Periode wurden tiefgreifende Neuerungen eingefühlt, die einen Modernisierungsschub der Branche bewirkten. Während im ersten Teil des Kapitels der Geschäftsbetrieb in seinen grundlegenden Zügen umrissen wird, widmet sich der zweite Teil der Konzeption, Diskussion und Umsetzung einzelner Innovationen.
I. Allgemeine Entwicklungen In den dreißiger Jahren stand die Neuorganisation der Leipziger Messe im Mittelpunkt der buchhändlerischen Aufmerksamkeit. Eine für den Kommissionsbuchhandel bedeutsame Entwicklung bestand darin, daß der Kommissionär zunehmend das Meßgeschäft für den auswärtigen Buchhändler besorgte und für diesen - auch bei der Abrechnung - unentbehrlich wurde. Ein weiterer Schwerpunkt wurde in der Modernisierung von Bestellung und Auslieferung gesehen, der man sich in den vierziger Jahren widmete. Hier mußten Techniken gefunden werden, um die Warenvermittlung zeitlich zu verkürzen und sicherer zu gestalten. An der Frage einer Leipziger Paketbestellanstalt, die womöglich noch Haftungen übernehmen sollte, schieden sich die Auffassungen der Leipziger Kommissionäre.
1. Der Geschäftsbetrieb in den dreißiger Jahren Der allmähliche Aufschwung der deutschen Wirtschaft nach dem Wiener Kongreß von 1815 machte sich auch im Buchhandel bemerkbar. Die drastisch zunehmende Anzahl von Buchhandlungen in immer mehr Städten, die dynamisch-spekulative Zunahme von Neuerscheinungen (Titelproduktion) sowie der größere Absatz von Büchern, Zeitungen und Zeitschriften hatten die Arbeiten an den Messe- und Kommissionsplätzen explosionsartig vermehrt. 1 i Vgl. Wittmann, Geschichte, S. 201-203. 1833 wurden über Leipzig 30.000 Zentner Bücher und Zeitschriften versandt. 8.000 Zentner davon erreichten unverkauft als Remittenden
122
Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
Trotz dieser Entwicklungen war die buchhändlerische Abrechnung in Leipzig bis zur Errichtung der Buchhändlerbörse im Jahre 1836 in einem völlig veralteten und unzeitgemäßen Zustand geblieben. Obwohl der ganzjährige Neuigkeitsverkehr die Messen etwas entlastet hatte, nahm die Abrechnung und Bearbeitung der Remittenden zu viel Zeit in Anspruch. Zu Beginn der zwanziger Jahre dauerte die Leipziger Messe drei bis vier, in den dreißiger Jahren noch bis zu drei Wochen. Ein Buchhändler schrieb 1835: „Wer die Leipziger] Messe noch nicht besuchte, kann sich kaum einen Begriff von der Arbeit machen, welche in diesen wenigen Wochen zusammen fällt. Da sollen die dickleibigen [ . . . ] Remittenden-Pakete geöffnet und revidirt, die seitenlangen Facturen durchgesehen, nachsummirt und eingetragen werden. Kaum ist hiermit einigermaßen aufgeräumt (denn die tagtäglich von nah und fern wieder neu ankommenden Ballen nöthigen, diese odiöse Arbeit fast bis zum Schluß der Messe immer wieder von neuem zu beginnen), dann ist das Börsenlocal geöffnet. Das Rechnen nimmt ein Paar Tage vollauf in Anspruch, und nun beginnt die Wanderung durch beinahe ganz Leipzig zu den Herren Commissionairen. Nicht selten ist man bei starker Concurrenz genöthigt, oft stundenlang zu warten, wenn man nicht seinen Besuch noch einigemal, vielleicht mit demselben Erfolge, wiederholen will, wozu man ohnedies durch selber oft spät erst eintreffende Zahlungen einzelner Häuser genöthigt wird." 2 „Das Lästigste und Zeitraubendste", so bestätigten weitere Buchhändler, war in der Tat „die Abrechnung bei den Kommissionären, weil man hier gewöhnlich das Abrechnen mehrerer Vörmänner abwarten mußte. Endlich folgte auf die Meßgeschäfte selbst noch die saure Arbeit der Inventur des Leipziger Lagers, das damals noch viel vollständiger zu sein pflegte als später."3 In dem Maße, wie die Messebesucher den langen Aufenthalt in Leipzig als unnötigen Zeit- und Geldverlust empfanden, sannen sie nach Auswegen. Einzig sinnvoll schien ihnen die verstärkte Nutzung des Meßplatzvertreters zu sein. Über einen allmählichen Prozeß vollzog sich ein Bedeutungsaufschwung des Leipziger Kommissionärs. Als erstes blieben einige Sortimenter weg. Sie übergaben den Kommissionären zusammengestellte Rechnungslisten sowie die nötigen Deckungen zum Zahlungsausgleich. Die Kommissionäre beglichen dann zur Messe die Rechnungen mit den Verlegern. Allein an den absoluten Zahlen der fremden, messebesuchenden Buchhändler läßt sich das beginnende Fernbleiben der Sortimenter nicht beobachten, da sich diese Zahl von Jahr zu Jahr langsam nach oben bewegte. Während sich zwischen 1830 und 1840 die Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz von 860 auf 1.340 um etwas mehr als 55 Prozent vermehrten 4, stieg die Zahl der wieder die Stadt und wurden entweder verramscht oder zu Makulatur verarbeitet. Demnach wurden in diesem Jahr über Leipzig 22.000 Zentner verkauft. Vgl. BB1 Nr. 8, 21. 2. 1834, Sp. 124. 2 BBlNr.4,23. 1. 1835, Sp. 65. 3 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 157.
123
I. Allgemeine Entwicklungen
fremden Buchhändler, die die Leipziger Ostermesse besuchten, nur um 37 Prozent (siehe Tabelle 10).
Tabelle 10 Fremde Buchhändler auf der Leipziger Ostermesse 1830-1840 Jahr
1830
1831
1832
1833
1834
1835
1836
1837
1839
1840
Anzahl
192
193
a) 198 b) 183
212
235
242
273
262
233
266
Quellen: Listen der fremden Messebesucher und Börsenblatt.
5
Die schleppende Übernahme des Meßgeschäfts durch die Kommissionäre führte die Messe, die ohnehin in einem umfassenden Strukturwandel begriffen war, in eine erste Bedeutungskrise.6 Die Verleger beklagten sich, daß die Anwesenheit der Sortimenter den Erfahrungsaustausch einschränkte.7 In Leipziger Buchhändlerkreisen wurde seit den frühen dreißiger Jahren darüber nachgedacht, auf welche Weise man die Abrechnung entlasten könne, denn eine Beibehaltung des bisherigen Meßbetriebes hätte die Ostermesse zeitlich weiter ausgedehnt. Einige Buchhändler begannen 1832 damit, die alte Zweiteilung der Konten in Ordinär und Netto aufzuheben. 8 Innerhalb des Vereins der Buchhändler zu Leipzig beschäftigte man sich seit Oktober 1835 mit Verbesserungen in Abrechnungsangelegenheiten. Auf der Generalversammlung vom 25. Januar 1836 wurde beschlossen, die Börse auch außerhalb der Messe jeden Mittwoch von 14 bis 16 Uhr für die Leipziger Kommissionäre zur Begleichung der in jeder Woche eingegangenen Zahlungsaufträge und im übrigen zu persönlicher und geschäftlicher Besprechung zu nutzen.9 Die Leipziger Kommissionäre hatten sich bisher von der Börsenabrechnung ferngehalten. Besonders die Besitzer größerer Firmen zeigten keine Einsicht, ihre schweren Geschäftsbücher in den Abrechnungsaal, das Paulinum, hinüberzutragen. Erst bei Eröffnung der neuen Börse 1836 versprachen sie dem Börsenverein, sich zur Messe in einem gemeinschaftlichen Saal unter folgenden Bedingungen einzufinden: Erstens sollten die Remittenden so eingesandt werden, daß sie spätestens
4 Vgl. Ebd., S. 219. 5 Quellen: für 1830, 1831, 1834, 1837, 1839, 1840, vgl. DBSM, Archivalien, BÖH 84; für 1832 a) DBSM, Kummersches Archiv, I I 143a/1 [8], für 1832 b) II 154/1 [19]; 1833, 1835, 1836 siehe BB1. 6
Diese sollte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts noch mehrere Male wiederholen. Vgl. StAL, Börsenverein Leipzig, 468, 551; Schulze , Strömungen, S. 52. s Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 345. 9 Vgl. BB1 Nr. 26, 24. 6. 1836, Sp. 715-716. Mit der Einhaltung des wöchentlichen Termins gab es noch in den vierziger Jahren Schwierigkeiten. Vgl. ODB Nr. 48, 28. 11. 1840, S. 377-378. 7
126
Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
acht Tage vor Jubilate in Leipzig waren. 10 Zweitens hätten die Kommittenten zu akzeptieren, daß alle vom Kommissionär geleisteten Zahlungen künftig doppelt quittiert würden, damit auch er Belege erhielte. Und drittens müßten Zahlungsaufträge und Gelder bis spätestens Jubilate in den Händen der Kommissionäre sein.11 Wer sich an diese Auflagen nicht hielt, mußte damit rechnen, daß seine Forderungen während der Messe unberücksichtigt blieben. Die Leipziger Kommissionäre wiederholten auch in den folgenden Jahrzehnten ihre Bedingungen jeweils kurz vor der Messe. Trotz einiger Wortmeldungen, in denen der bislang unbekannte Forderungston der Kommissionäre kritisiert wurde, hielten sich die auswärtigen Buchhändler strikt an die Vorgaben. Sie erkannten in den Bestimmungen eine bedeutende Vereinfachung der Abrechnungsgeschäfte, die in ihrem Interesse lag. Friedrich Volckmar regte 1836 an, daß der Kommittent die Abrechnung zu Hause vorbereitete und dem Kommissionär nur das reine Zahlungsgeschäft überließ. Diese Regel setzte sich seitdem rasch durch. 12 Neben der vom Sortimenter eingesandten Zahlungsliste druckte der Kommissionär weitere „Zahlungslisten" als Verzeichnisse der Kommittenten. Die Zahlungsempfänger quittierten den betreffenden Posten in der Originalzahlungsliste und auf einem Zahlzettel, während sie den zweiten Zahlzettel bei sich behielten. Ob der Kommittent nach Büchern oder Listen abrechnen lassen wollte, darüber konnten sich die Kommissionäre keine Vorschriften erlauben. Die erstere Art der Abrechnung - früher nach der Meßstrazze, später dann nach einem Auszug daraus, dem sogenannten Abschlußbuch - war den steigenden Anforderungen nicht gewachsen und wurde bald abgelegt. Verbunden mit der Abrechnung wurde auch der Umtauschkurs diskutiert. Am 6. Oktober 1836 tagte der Verein der Buchhändler zu Leipzig über eine Abkehr vom festen Zahlungsverkehr, der Buchhändlerwährung. 13 Die Leipziger Kommissionäre befürchteten, daß das jahrhundertelang währende Vertrauen im Kommissionsbuchhandel verloren gehen würde. „Mit der Einfachheit und Uebersichtlichkeit der jetzigen Geschäftsführung würde aber, bei Annahme des Vorschlags auch die Controle verloren gegangen sein, welche gegenwärtig der auswärtige Committent über seinen hiesigen Commissionair zu führen im Stande ist. Jetzt weiß der Committent 10
Nach Goldfriedrich wurde diese Forderung schon in den frühen dreißiger Jahren aufgestellt. Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 344. Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 1. 2. 1836, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/80. 12 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 344. 13 Die Buchhändlerwährung war keine selbständige Geldsorte, sondern eine festgelegte Liste von akzeptierten Geldern, deren Umrechnungskurs nicht unmittelbar von den Börsenschwankungen abhängig war und nur in größeren Zeiträumen korrigiert wurden. Wengler dazu: „Die Zahlungen zur Ostermesse in Leipzig, geschehn in sogenannter Buchhändler-Währung, d. h. der Zahlende erhält ein kleines Agio [ . . . ] doch fällt dieses Agio bei Beträgen unter 3 Thlr. ganz weg; ebenso außerhalb der Meßzeit. Für Süddeutschland, also in Frankfurt oder Stuttgart ist die Währung die des Süddeutschen Münzvereins 24 1 / 2 Gulden = 1 Mark Silber Cölnisch." Wengler, Usancen-Codex, S. 40-41.
I. Allgemeine Entwicklungen
127
genau, was er bei seinem Commissionair zu gut hat und worüber er zu verfügen berechtigt ist. Alle Zahlungen reduciren sich auf Buchhändlerwährung, und versieht sich der Commissionair, so geschieht es für seine Rechnung und Gefahr. Ein ganz anderes Verhältniß würde durch Annahme des Deputations-Vorschlags herbeigeführt worden seyn. Die Sortencourse wechseln von Woche zu Woche, oft von Tagen zu Tagen, und es giebt, sobald sie unter Briefen stehen, nicht den mindesten Anhalt für deren Reellität." 14 Neben der Abrechnung blieb das Remittendengeschäft ein Tätigkeitsbereich, den man zunächst nur geringfügig rationalisieren konnte. Für den pünktlichen Rechnungsabschluß war notwendig, daß die Arbeiten an den Remittenden rechtzeitig vor der Messe begannen. Für diesen Zweck wurden ausreichend Hilfskräfte und Saisonarbeiter eingestellt, sogenannte Meßmarkthelfer, die mehrheitlich auswärtigen Buchhändlern, aber auch Leipziger Kommissionären halfen. 15 Jede nur brauchbare Hand war für diese Hilfsarbeiten gefragt, so daß sich auch Gehilfen bis hin zu Prokuristen am Remittendenzählen beteiligten. Die umfangreichen, seit Wochen vor der Messe eintreffenden Remittendenpakete wurden zunächst in den einzelnen Lagern gezählt, geöffnet und auf Differenzen überprüft. Danach begann das Eintragen der Fakturen (Packzettel) in die jeweiligen Strazzen (Bücher-Inventarverzeichnisse). Trat ein Fehler auf, so mußten die einzelnen Posten erneut durchgesehen werden. Bei zu großen Unstimmigkeiten konnte die Rechnung nicht zur Messe, sondern erst später abgeschlossen werden. Wenn alle Arbeiten erledigt waren - in der Regel 8 - 1 4 Tage nach Pfingsten - erhielt der Kommittent sein Transportbuch wieder zurück. Fehlerhafte Meßabrechnungen waren den Leipziger Kommissionären höchst unangenehm, da nicht nur die Kritik, sondern auch die Nacharbeiten an ihnen hängen blieben. So schrieb 1836 ein auswärtiger Buchhändler: „Mag auch der Einzelne, welcher von Auswärts kommt und hier weiter keine Arbeit als seine alleinige Rechnung findet, sich durcharbeiten, so ist doch für den Leipziger Commissionair, bei dem sich so Vieles concentrirt, dies Plus so enorm, daß es schon der höchsten Spannung bedarf, um das Unumgängliche in Ordnung zu halten. Es liegt weder im Sinne, noch im Interesse des Verfassers, die Beschwerden des Commissionairs in dieser Hinsicht zu schildern; er will nur im Gesammtinteresse darauf hinweisen, daß nutzlos edle Zeit zersplittert werde." 16 Der erste Modernisierungsschub der Leipziger Abrechnung wurde von einer dreijährigen Absatzkrise überschattet. Die Ostermessen 1836 bis 1838 waren durch große geschäftliche Probleme gekennzeichnet, wie aus diversen zeitgenössischen Dokumenten hervorgeht. Geringer Absatz, schlechte Zahler, strenge Winter, Ver14 BB1 Nr. 44, 28. 10. 1836, Sp. 1340. 15 Winkler schrieb, daß die Meßmarkthelfer den auswärtigen Buchhändlern das „Mädchen für alles" waren. Morgens wurde ausgekehrt, Kleider gereinigt, Frühstück besorgt. Dann stürzte man sich ins Geschäft. Vgl. Winkler, Koehler, S. 125. 16 BBlNr. 8, 19. 2. .1836, Sp. 180.
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Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
heerungen durch Feuer und Wasser erzeugten eine allgemeine Verbitterung. 17 Dies alles, so wurde im Börsenblatt verkündet, trage „bei dem Begräbnisse des Deutschen Buchhandels die Zipfel des Leichentuches."18 Klagen über die Ostermesse 1838 waren auch im Berliner Organ des Deutschen Buchhandels zu lesen. Kaum die Hälfte der Buchhändler hatte vollständig gezahlt. Viele begnügten sich, ä-Konto-Zahlungen zu leisten, also damit, die gegenseitigen Kontoschulden zu streichen, um wenigstens sagen zu können: „sie hätten gezahlt". Den Leipziger Kommissionären wurde unkollegiales Verhalten vorgeworfen. Sie würden schlecht zahlende Sortimenter decken, da sie an ihnen nichts verlören und die Schulden ausschließlich den Verlegerkonten belasten. Und überdies würde der Vorstand des Börsenvereins solchen Mißständen tatenlos zusehen.19 Gegen die schlechte Zahlungsmoral richtete sich der Vorschlag, jeder Buchhändler sollte dem Börsen vorstand eine Liste zuschicken, worin er die Zahler und Nichtzahler nannte.20 Einer Schätzung zufolge wurde das Verhältnis von Zahlenden zu Nichtzahlenden mit 2 zu 3 angegeben. Diese Angabe dürfte jedoch nicht die tatsächliche Situation widerspiegeln. Angesichts ausbleibender Gelder einiger Buchhändler, die ihre Zahlungsunfähigkeit mit sagenhaften Kniffen und Lügen zu vertuschen suchten21, hielten auch zahlungsfähige Buchhändler ihre Rechnungen so lange wie möglich zurück, um liquide zu bleiben. Eine Möglichkeit, Zahlungen künstlich herauszuzögern bestand im Disponieren. 22 Am 30. Oktober 1838 traten 28 Berliner Verleger zusammen und beschlossen, säumige Zahler gemeinsam zu boykottieren und wenn möglich auch gerichtlich gegen sie vorzugehen. In einer zweiten Sitzung vom 5. November listeten sie 189 bedenkliche Firmen auf, wovon aber nach gründlicher Prüfung nur 85 schriftlich aufgefordert wurden, ihren Zahlungspflichten nachzukommen. Das geschäftsführende Komitee dieser Vereinigung forderte von den Schuldnern, daß sie die gewöhnliche Zahlungsweise über den Leipziger Kommissionär zwar einzuhalten, je17 18 19 20
Vgl. BB1 Nr. 55, 12. 6. 1838, Sp. 1170-1171. BB1 Nr. 73, 14. 8. 1838, Sp. 1633. Vgl. ODB Nr. 31, 4. 8. 1838, S. 241-242. Vgl. BB1 Nr. 95, 30. 10. 1838, Sp. 2267.
21 Einige Sortimenter beantworteten die verlegerischen Mahnschreiben mit: „Eben ist dieser Saldo an meinen Herren Kommissionär in Leipzig abgegangen." Drohten ihnen die Verleger bei ausbleibender Zahlung mit einem Lieferungsstop, dann erwiderten die Sortimenter, sie würden dem Publikum andere Verlagsartikel empfehlen. Vgl. BB1 Nr. 100, 16. 11. 1838, Sp. 2410. 22 Der Sortimenter verpflichtete sich bei Sendungen ä condition gegenüber dem Verleger, die Bücher zur nächsten Leipziger Ostermesse zurückzusenden. Wenn sich der erstere nach Ablauf dieser Frist einen weiteren Verkauf der noch nicht abgesetzten Ware versprach, konnte er in Absprache mit dem Verleger eine Verlängerung vereinbaren. Die Bücher wurden zu Disponenden. Durch diese Usance wurden Transportgebühren eingespart, die durch den Rücktransport und die Neubestellung entstanden wären. Es gab aber auch den Mißbrauch, daß bereits abgesetzte Bücher von den Sortimentern disponiert wurden, um Gelder zurückzuhalten.
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doch eine Zahlungsliste nach Berlin zu schicken hatten. Die gesteckten Erwartungen konnte der Boykottverein aber nicht erfüllen. Gegen allgemein eingerissene Unarten in der Branche war ein Zusammenschluß von wenigen Unternehmen machtlos.23 Im Jahre 1839 hatte der deutsche Buchhandel seine zyklische Absatzkrise überwunden. Die Geschäfte nahmen ihren Aufschwung, was auch allgemein auf den Messen zu spüren war. In dieser Situation gingen die Leipziger Kommissionäre mit weiteren Initiativen nach vorn, um die Reform der Abrechnung komplett zu machen. Im Februar 1839 gaben zweiundzwanzig, zumeist führende Leipziger Kommissionsgeschäfte, folgende Bestimmungen zur diesjährigen Meßabrechnung bekannt: 1. Für die ordnungsgemäße Abrechnung ist es notwendig, daß der Kommissionär rechtzeitig im Besitz aller Gelder ist. Nicht selten müssen 15-20 Konten zusammengeführt werden. Fehlt eines, so kann die Abrechnung nicht endgültig abgeschlossen werden. 2. Sobald ein Kommissionär mit einem Verleger abgerechnet hat, sind beide für diese Messe getrennt, denn ersterer ist von morgens bis abends vollauf beschäftigt und sollte von seinen Tätigkeiten nicht durch ständige Nachfragen abgehalten werden. 3. Insofern bei der Abrechnung ein Posten offen bleibt, wird der schuldende Sortimenter solange von der Auslieferungsliste gestrichen, bis er ihn beglichen hat. 4. Für jeden, der in der Jubilate-Messe zahlt, wird der Louisdor um 2 Groschen höher angenommen, als dessen Kurs nach preußisch Kurant beträgt. Wer später zahlt, von dem wird nur preußisch Kurant al pari der Buchhändlerzahlung angenommen. 5. Zu spät eingeschickte Zahlungslisten können - auch wenn sie nur zwei Tage später in Leipzig ankommen - nicht mehr berücksichtigt werden. Die Abrechnung muß für diesem Fall nach der Messe erfolgen. 6. Um das häufige Quittieren in ein übersichtliches System zu bringen, sollen die exakt vom Kommittenten vorbereiteten Zahlungslisten spätestens Sonntag Jubilate beim Kommissionär sein. Spätere Ergänzungen, sind sie auch noch so gering, können nicht mehr berücksichtigt werden. 7. Diejenigen Unternehmer, die Wechsel auf fremde Plätze nach Leipzig senden, werden gebeten, diese zeitig genug einzuschicken, damit der Kommissionär rechtzeitig den Akzept einholen kann. 24 Die Untersuchung des Geschäftsbetriebes in den dreißiger Jahren hat ergeben, daß es nach Eröffnung des Börsengebäudes im Jahre 1836 mindestens drei Jahre
23 Vgl. BB1 Nr. 10, 1. 2. 1839, Sp. 211 -214. 24 Vgl. BB1 Nr. 17, 26. 2. 1839, Sp. 387-389. 9 Keiderling
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dauerte, bis die angedachten Verbesserungen im Leipziger Kommissionsbuchhandel greifen konnten. Es waren die führenden Leipziger Kommissionäre gewesen, die durch ihre entschiedene Überzeugungsarbeit die auswärtigen Kommittenten dazu zwangen, die Reformen mitzumachen. Dabei zeugten die jährlich zur Messe veröffentlichten Forderungslisten von einem neuen Selbstbewußtsein der Kommissionäre. Sie waren es, die fortan die Bedingungen für die Abrechnung diktierten natürlich nicht gegen, sondern im Interesse der auswärtigen Kommittenten.
2. Der Geschäftsbetrieb in den vierziger Jahren Zu Beginn der vierziger Jahre umfaßte der eigentliche Messebesuch nur noch die beiden Wochen Jubilate und Kantate. Die Verleger pflegten zu Jubilate einzutreffen, die wenigen Sortimenter am Mittwoch darauf, wenn sie selbst abzurechnen wünschten. Wenn nicht, erschienen sie erst einige Tage später. Während der Jubilatewoche war die Börse Mittwoch bis Sonnabend den auswärtigen Buchhändlern und den Leipziger Nichtkommissionären geöffnet und erst am Montag nach Kantate erschienen die Kommissionäre. Letzteren gelang es, ihre Schlüsselfunktion bei der Abrechnung weiter auszubauen.25 Nicht alle Buchhändler konnten sich damit anfreunden, daß immer mehr Sortimenter der Messe fernblieben. „So ist es denn gekommen," schrieb man, "daß fast nur Verleger, die Gelder zu empfangen haben, die Messen besuchen: die Zahl der Sortimentshändler, die wir auf der Börse sehen, ist sehr gering, von dieser geringen Anzahl sind es nur wenige, welche mit dem Abschluß der Rechnung noch einen andern geschäftlichen Zweck verbinden." 26 Angesichts solcher Entwicklungen publizierte das Börsenblatt 1841 die folgende Satire eines Anonymus: Drei Buchhändler, die von den zwischenzeitlichen Reformen in Leipzig nichts erfahren hatten, besuchten 1851 die Leipziger Messe. Dort angekommen, stellten sie fest, daß sie die einzigen Messebesucher waren. „Hier erfuhren unsere Freunde denn die ganze große Umwandlung, [ . . . ] wie schon in den dreißiger Jahren ein verwegener Neuerer von Zeit zu Zeit in das Reformhorn geblasen habe." Remittenden gab es keine mehr. Wo sonst mehrere hundert Buchhändler auf der Börse drei bis vier Wochen rechneten, sah „man jetzt kaum 60 Menschen in 3 - 4 Tagen das ganze Rechnungswesen abmachen. Ach, und wie einfach ist das Commissionsgeschäft geworden! Welche tückische Ersparniß von Menschen und Arbeit und Zeit und Geld! Ueber 300 Firmen sind weniger geworden, und dennoch, ich kann es selbst nicht leugnen, sind die Geschäfte bedeutender, viel lohnender, und was am Unbegreiflichsten ist, die Buchhändlerwelt hat eine weit geachtetere Stellung im Staate bekommen [ . . . ] Genug, riefen unsere
25 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 345. 26 BB1 Nr. 54, 9. 6. 1840, Sp. 1261.
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drei Freunde, sagen Sie keinem Menschen, daß wir hier waren, noch heute wollen wir mit dem Dampfwagen nach Wien fahren, und uns dort einige Tage jener für Sie verlorenen guten alten Zeit erfreuen." 27 Wenn diese Beschreibung auch die Ängste einiger Zeitgenossen widerspiegelte und sogar eine gewisse Innovationsabneigung erkennen ließ, so enthielt sie doch eine richtige Kernaussage: Die Abrechnungsmesse der Zukunft war eine des Kommissionsbuchhandels. Mit der Entwicklung des modernen Geschäftsverkehrs bürgerte es sich ein, daß der Sortimenter den Kommissionär mit entsprechenden Geldern zur Auslösung der Barpakete ausstattete. Vorauszahlungen wurden grundsätzlich von neuen Firmen verlangt. 28 Der als solide befundene Kommittent erhielt Kredit. Der Kommissionär übernahm erste Bankierfunktionen im Buchhandel, von denen Volckmar 1833 noch behauptet hatte, daß sie unvereinbar mit dem Wesen des Kommissionsbuchhandels wären. 29 Generell nahm die Zahl der Barpakete im Buchhandel weiter zu. Das war eine Entwicklung, die die Verleger freute, die Sortimenter jedoch verärgerte, da sie ihren Stammkunden häufig einen Kredit von bis zu zwei Jahren einräumten. Der ansteigende Bestell- und Auslieferungsverkehr mußte die Umgestaltung des Leipziger Kommissionsbuchhandels weiter vorantreiben, so daß - um mit den Worten Johann Goldfriedrichs zu sprechen - „aus dem verfilzten Getriebe sich umeinandertreibender Menschen mit all seinen altväterlichen Behaglichkeiten, [ . . . ] Reibungen und Hemmungen [ . . . ] endgültig der Mechanismus, die rasch und exakt arbeitende Maschine rein heraustrat, aufgestellt gleichsam im ausgeräumten Saale zwischen glatt geweißten Wänden."31 Mit der Zettelbestellanstalt wurden 1842 die Bestellarbeiten vieler Leipziger Kommissionsgeschäfte zusammengelegt. Im Grunde funktionierte sie wie eine buchhändlerische Stadtpost. Der Kommissionär übergab die gesamten, von seinen Kommittenten erhaltenen und für andere Buchhändler bestimmten Zettel einfach dieser Anstalt. Die Papiere wurden nach den Leipziger Kommissionären sowie Verlegern sortiert und mehrmals täglich ausgetragen. Aber nicht nur die Bestellung, sondern auch die Abrechnung erzielte Fortschritte. Für die vollständige Übernahme der Abrechnung durch die Leipziger Kommissionäre veranschlagte Goldfriedrich die Zeit zwischen 1836 und 1846, wo27 BB1 Nr. 47, 15. 5. 1841, Sp. 1034-1036. 28
Volckmar teilte 1835 einem jungen Anfänger, Morgenroth in St. Petersburg, auf dessen Anfrage die Bedingungen seiner Kommissionsarbeiten mit. Er verlangte einen Taler Emballage pro Zentner, die geringen Kommissionsgebühren und eine Geldkasse für die Barpakete. Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 347. 29 Vgl. Volckmar, Mittheilung, S. 12. 30 Noch um 1860 wurde diese Praxis beschrieben. Vgl. BB1 Nr. 128, 15. 10. 1860, S. 2087-2089. 31 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 342. 9*
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bei zur Ostermesse 1849 die letzten Abrechnungsbücher auf der Messe verschwunden wären. 32 Diese Aussage läßt sich an den Quellen nicht bestätigen und muß nach hinten korrigiert werden. Vielmehr handelte es sich um einen längeren Übergangsprozeß, der erst in den sechziger Jahren seinen Abschluß fand. Das bestätigte auch die Auswertung des „Leipziger Meß-Cassa-Buches" von H. Sauerländer in Aarau. Bis 1845 rechnete er noch persönlich, danach erledigte sein Kommissionär Koehler zunehmend die Rechnungen. Bis 1861 führte Sauerländer sein Abrechnungsbuch weiter und verzeichnete darin auch einige wenige Abrechnungen, die er selbst auf der Leipziger Messe vorgenommen hatte.33 Die Zahlungsgeschäfte erfuhren in jenen Jahren eine weitgehende Vereinfachung. Das doppelte Quittieren wurde in den Leipziger Kommissionsgeschäften zugunsten einer einfachen Buchung abgelöst. Bereits seit längerem in einigen Firmen erfolgreich eingefühlt, erhielt diese Praxis mit dem Februarzirkular von 1846 Allgemeingültigkeit. Die einfach quittierte Zahlungsliste blieb als Beleg beim Kommissionär und wurde nicht mehr in tagelanger Arbeit zur Kenntnis des auswärtigen Kommittenten abgeschrieben.34 Zu den Barpaketen, die insgesamt achtmal notiert wurden, wollte man sich in einem baldigen Memorandum äußern. 35 Das Februarzirkular der Leipziger Kommissionäre wurde einerseits von der Branche sehr gelobt, „sowohl seines Inhalts als seiner Form wegen, die sich durch ihre überzeugende Klarheit und altsächsische Urbanität von vielen andern collegialischen Mittheilungen [ . . . ] sehr vorteilhaft auszeichnet."36 Andererseits gab es insbesondere durch die österreichischen Buchhändler Kritik, die in dieser Ankündigung eine „das Recht und die Rechtssicherheit der Committenten bedrohende Maßregel" sahen.37 „Dieser Vorschlag", so hieß es in einer internen handschriftli32 Vgl. Ebd., S. 343-344. 33 Vgl. FaHS, Verwaltung, A 26. 34 „Wenn Sie also auf die, ausserordentliche Zeit raubende Doublette (d. h. die von Ihnen eingesandte Zahlungsliste ebenfalls quittirt zu erhalten) verzichten, und damit zufrieden sind, dass der Commissionair Ihnen ein Exemplar Ihrer Liste mit der Erklärung sendet, dass die darauf verzeichneten Posten ordnungsmässig im Laufe der Oster-Messe gezahlt sind, so entsteht dadurch eine wesentliche Erleichterung für Zahler und Empfänger." Geschäftsrundschreiben der Leipziger Kommissionäre im Feburar 1846, in: DBSM, Archivalien, 20/270, Bl. 2. 35 Vgl. Ebd., Bl. 1. 36 So Fr. J. Frommann, der auch einen Forderungskatalog aufstellte: Erstens sollte Montag, spätestens Dienstag nach Kantate, jeder Leipziger Kommissionär auf seinem Platz in der Börse sein und zwar mit Zahlungszetteln und barem Geld. Zweitens hatten sie ihren Börsenbesuch täglich fortzusetzen und ein eventuelles kurzes Fehlen an der Börsentafel bekanntzumachen. Drittens sollte in der Reihenfolge Auswärtige vor Leipziger, Leipziger Verleger vor Leipziger Kommissionären abgerechnet werden. Vgl. BB1 Nr. 23, 20. 3. 1846, S. 307. 37 BB1 Nr. 34, 28. 4. 1846, S. 433. Sie bezogen sich dabei auch auf eine Kritik der böhmischen Firma Borrosch & André (Prag), die bereits ein Jahr zurücklag. Vgl. BB1 Nr. 26, 1.4. 1845, S. 313-314.
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chen Erklärung der Wiener Buchhändler vom 1. April 1846, „bedroht den Zahler ihm das wichtigste, vor dem Gerichte allein entscheidende Dokument zu beseitigen, nämlich den Besitz des unmittelbaren Beweismittels über geleistete Zahlung. [ . . . ] Die in Summa summarum von einer Mittelsperson (dem Commissionair) quittirten Zahlungsliste giebt dem Zahler dem Empfänger gegenüber kein Beweismittel, sondern lediglich einen Rechtsanspruch auf einen Dritten, von welchem er demnach abhängig bleibt, ohne für dessen Fortbestehen eine Bürgschaft zu haben." 38 Mit großer Souveränität reagierte Franz Koehler auf die österreichischen Proteste. Er verwies darauf, daß viele auswärtige (und sogar österreichische) Kommittenten das Februarzirkular begrüßt hätten. Einerseits war es nicht richtig, daß die Österreicher das ganze Schreiben bemängelten, sondern nur den Schlußteil, worin es um das doppelte Quittieren ginge. Andererseits war die Idee des einfachen Quittierens kein Schnellschuß, sondern wurde von den Kommissionären Kummer und Vogel schon seit mehr als dreißig Jahren [!] erfolgreich durchgefühlt. „Es handelt sich, in Bezug auf den hart angegriffenen Vorschlag, nicht darum, irgend einem Einzelnen eine Rechtssicherheit zu entziehen, sondern darum, ob der auswärtige Geschäftsfreund in seinem hiesigen Commissionär die Garantie erblickt, ihm volles Vertrauen im Bezug auf das Vertheilen der Gelder zu schenken, nachdem er ihm ohne Bedenken die ganze Summe zuvor übermachte." 39 Wenn aber einzelne Kommittenten das einfache Quittieren nicht wünschten, so war bereits dem Februarzirkular zu entnehmen, daß dies ganz individuell zwischen jedem Kommissionär und Kommittenten beschlossen oder verworfen werden konnte. Im Februarzirkular gaben die Leipziger Kommissionäre ebenso bekannt, daß sie endgültig von der Talerrechnung des Vierundzwanzig- zur derjenigen des Dreißiggroschensystems übergingen. Damit beendeten sie eine fast sechsjährige Münzreform-Diskussion im deutschen Buchhandel. Vor allem süddeutsche Buchhändler hatten mit der Einführung des Dezimalsystems40 Benachteiligungen bei der Umrechnung von der Taler- in die Guldenwährung befürchtet. Da Leipzig der Hauptabrechnungsplatz des nationalen Buchhandels war, ergab sich der Zwang, diese neue Rechnungsweise im gesamten deutschen Buchhandel zu berücksichtigen. 41 Auf der zweiten Generalversammlung des Börsenvereins von 1841 konnte in der Dreißiggroschenfrage keine Einigung mit Süddeutschland erzielt werden. Die Leipziger machten darauf aufmerksam, daß die Anregung zu dieser Reform keineswegs vom hiesigen Buchhandel ausgegangen sei, sondern von der sächsischen Regierung. Auf Dauer könne man sich dieser Umstellung 38 HVÖ, VA, Korporation, 1846/14, Bl. 1. 39 BBlNr.35, 1.5. 1846, S. 448. 40 Nach diesem System wurde der Taler zu 30 Neugroschen ä 12 Pfennigen berechnet. Preußen hatte dieses System 1821, Hannover 1834 und Sachsen mit dem 1. Januar 1841 eingeführt. Vgl. Kiesewetter, Revolution, S. 57-59. 41 Vgl. BBlNr. 12, 9. 2. 1841, Sp. 249-254.
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nicht entziehen. Süddeutsche Buchhändler führten ins Feld, daß die Leipziger Kommissionäre als Interessenvertreter der auswärtigen Buchhändler auch deren Wünsche in bezug auf das Währungssystem berücksichtigen sollten. „Das einzige, was die Leipziger Commissionäre höchstens verlangen können, ist, daß die BaarConti darin geführt werden, weil die alten Groschen nicht mehr existieren, was allenfalls zugegeben werden kann." 42 Enslin betrachtete den „Dreißiggroschenkrieg" gelassen: „Es kommt jetzt aber nicht darauf an, die alten Streitigkeiten und Erbitterungen wieder aufzuregen, sondern vielmehr dasjenige Rechnungssystem zu wählen, welches unter den gegenwärtigen Verhältnissen, die wir Buchhändler nicht ändern können, das vernünftigere, zweckmäßigere und bequemere ist, und uns nicht durch eine unselige Spaltung das ohnehin so mühselige Geschäft noch mehr zu erschweren. Wir haben mehrere ähnliche kleine Kriege erlebt: der Uebergang zu einer veränderten Buchhändlerwährung war z. B. ein solcher, die frühere Weigerung der Leipziger Commissionaire auf die Börse zu kommen, auch, und zuletzt ist auch noch die zweckmäßige Leipziger Zettel-Bestellanstalt nicht ohne Anfechtung in und außer Leipzig geblieben. Ich frage, ob man diese drei Dinge in den alten Zustand zurück versetzen möchte, wenn man auch könnte? - Ueberall hat der gesunde praktische Sinn gesiegt, - er wird bei den 30 Groschen wohl auch seine Macht geltend machen."43 Der Leipziger Buchhändlerverein als Interessenvertreter des hiesigen Buchhandels verhalf im Dezember 1844 durch Meinungsbekundungen Leipziger Firmen zu einem Umdenken in dieser Frage. 44 Der Widerstand der süddeutschen Buchhändler wurde durch eine Erklärung der namhaftesten Stuttgarter Firmen gebrochen, von 1846 an in Neugroschen zu rechnen. Seit der Leipziger Ostermesse 1846 wurde mehrheitlich in Neugroschen gezahlt, und 536 Firmen erklärten im Börsenblatt ihre Zustimmung.45 Einzelne hielten am alten System fest. Den Rekord erzielte wohl die Firma Vieweg & Sohn in Braunschweig, die sich noch bis 1860 an der alten Umrechnung orientierte. 46 Durch die stark vereinfachte und über die Kommissionäre zentralisierte Abrechnung verbesserte sich die Zahlungsmoral. 1845 schrieb G. W. F. Müller in Berlin, daß 63 Prozent seiner Schuldner zur Ostermesse ganz oder teilweise bezahlt hät42 SBZNr. 49, 6. 12. 1841, S. 330. 43 BB1 Nr. 40, 11. 5. 1843, Sp. 1424. 44 89 Buchhandlungen erklärten, daß sie, beginnend mit dem 1. Januar 1845, die neue Rechnung akzeptierten. 18 Leipziger sprachen sich dagegen aus, und 14 konnten sich nicht festlegen. Ende Dezember 1844 hatte sich die Zahl der zustimmenden Leipziger Handlungen auf 93 erhöht. Die 18 Gegenstimmen gaben wenig später gemeinschaftlich zu verstehen, daß sie sich der neuen Talerrechnung durchaus nicht widersetzen würden, wenn sich die Mehrheit der deutschen Buchhändler dafür ausspräche. Vgl. BB1 Nr. 107, 10. 12. 1844, Sp. 3771; BB1 Nr. 109, 17. 12. 1844, Sp. 3849. 45 Vgl. StAL, Börsenverein Leipzig, 382. 46 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 345.
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ten. 47 Bei Gustav Mayer waren es sogar 82 Prozent. 48 Auch die Auslieferung konnte aufgrund des gestiegenen Warenumlaufs in immer kürzeren Abständen organisiert werden. Erfolgte sie 1833 noch zwei- bis dreimal die Woche, so wurde sie 1846 unter Einbeziehung der Eisenbahn fast täglich vorgenommen. 49 Neben den Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten wurde der Termin der Leipziger Ostermesse wiederholt moniert. Die Wiener Buchhändler beantragten am 28. März 1845 eine Verlegung der Abrechnung. Sie begründeten, daß Kost und Logis außerhalb der Messe billiger und besser wären, auch hätte man eine größere Auswahl an Markthelfern. 50 Dieser Vorschlag wurde von verschiedener Seite befürwortet. Es wurde hervorgehoben, daß „dann eine Reise nach Leipzig mit weit weniger Gefahren und Kosten verknüpft wäre, indem unsre Gewässer alle vom Eise befreit sind." 51 Zudem hätten es dann die ausländischen, insbesondere die russischen Buchhändler leichter, mit dem Dampfschiff anzureisen. Zur Hauptversammlung des Börsenvereins am 20. April 1845 trug Eduard Vieweg dieses Anliegen vor. 52 Er plädierte nachdrücklich für die Verschiebung der Ostermesse auf einen späteren und vielleicht festen, d. h. vom alljährlichen Osterzyklus unabhängigen, Termin. Es wurde nach langer Diskussion eine siebenköpfige Kommission ins Leben gerufen, die über eine Verlegung der Messe zu beraten hatte. Die Leitung übernahm Heinrich Brockhaus. 53 Ein Jahr später legte die Expertenkommission ihr Untersuchungsergebnis vor: Eine Trennung der Buchhändler- von der allgemeinen Messe würde ihrer Einschätzung nach die Interessen des Buchhandels gefährden. Als Begründung führte sie an, daß sich die Anreisebedingungen im Sommer kaum verbesserten. Wechselgeschäfte außerhalb der allgemeinen Messe wären entweder nicht oder nur mit Einbußen möglich, da ein Agioverlust eintrete. Ferner gäbe es optimale Wohnungs-, Einkaufs- und Kontaktmöglichkeiten gerade während der Messe, da zu dieser Zeit beispielsweise die Studenten ihre städtischen Unterkünfte kurzzeitig verlassen hätten. Viel gravierender noch sei die Tatsache, daß der Termin der Leipziger Messe unverrückbar in ein großartiges System mitteleuropäischer Handelsmessen und Jahrmärkte eingebettet sei und es bei einer willkürlichen Herauslösung unweigerlich zu einer unangenehmen Überschneidung und Konkurrenz mit anderen Messen kommen müsse.54 47 Vgl. BB1 Nr. 49, 23. 5. 1845, S. 528. 48 Vgl. BB1 Nr. 69, 1. 8. 1845, S. 793. 49
Vgl. Volckmar, Mittheilungen, S. 4; ders., Memorandum, S. 8. so Vgl. BB1 Nr. 28, 8. 4. 1845, S. 337.
51 BB1 Nr. 44, 6. 5. 1845, S. 472. 52 Bei der gerade stattfindenden Messe herrschten winterliche Temperaturen, so daß viele Remittenden nicht rechtzeitig eintrafen. 53 Vgl. BB1 Nr. 38, 23. 4. 1845, S. 428. Der Kommission gehörten neben Brockhaus an: Carl Gerold (Wien), J. P Himmer (Augsburg), Friedrich Mauke (Jena), Eduard Vieweg (Braunschweig), Otto Wigand (Leipzig) und Anton Winter (Heidelberg).
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Bevor man über die Meßverlegung abstimmte, wurde 1847 ein zweites, allein von Alois Borrosch verfaßtes Gutachten an alle mit Leipzig in Verbindung stehenden Buchhandlungen versandt, das alle bis dahin geäußerten Standpunkte nochmals gegenüberstellte.55 Auf 88 Seiten nannte der Verfasser die Vor- und Nachteile einer Meßverlegung. Die linke Seite subsumierte unter dem Buchstaben F (für eine Meßverlegung) die Proargumente, während auf der gegenüberliegenden Seite unter G die Kontrapunkte aufgelistet wurden. Ihr Verhältnis lag mit 84 zu 42 Punkten genau bei 2 zu 1, wobei die 84 für eine Verlegung sprechenden Gründe mitunter von sehr geringfügiger Natur waren. Da laut Satzung des Börsenvereins nur diejenigen Buchhändler über eine Meßverlegung befinden konnten, die an der Leipziger Hauptversammlung des Börsenvereins teilnahmen, wurde dem Vorläufigen Bericht auch ein „vorläufiger Stimmzettel" beigegeben, der den Abwesenden eine Stimmrecht ermöglichte. Ausgefüllt mußte der Zettel an Borrosch in Prag zugeschickt werden. 56 Die auf der Generalversammlung 1847 vorgenommene Abstimmung ergab folgendes: Von insgesamt 1.502 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen stimmten 522 ab. Gegen die Michaelis-Meß-Abrechnung waren 326, für dieselbe 149. 47 Stimmen favorisierten feste Abrechnungstage zwischen dem 1. und 15. Mai. Von den 326 Handlungen, die sich gegen eine Abrechnungsverlegung aussprachen, gehörten 158 dem Verlags- und 168 dem Sortimentsbuchhandel an. Damit war die Idee einer Messeverlegung abgewiesen.57 Das Jahr 1848 brachte für den Leipziger Kommissionsbuchhandel einige Probleme mit sich. Infolge der politischen Ereignisse trat eine allgemeine Zahlungsunfähigkeit im Buchhandel ein, die die Abrechnungsgeschäfte zum Erliegen brachte. „Trostlos, fürwahr sehr trostlos, sieht es gegenwärtig in unserm lieben Buchhandel aus, überall, wohin man nur blickt," klagten die Buchhändler. 58 „Der allgemeine Absatz war 1848 bei weitem geringer als 1847, und die politischen Erschütterungen begannen erst im März dieses Jahres." 59 „Der Sortimentshändler hat Mangel an Absatz, der Verleger hat Mangel an Geld; Ueberfluß haben wir im Buchhandel jetzt nur in einem Artikel - schade, daß er Makulatur heißt. - Täuschen wir uns nicht, im Augenblick bildet Makulatur bei sehr Vielen einen Hauptbestandteil des Lagers." 60 54 Das sächsische Ministerium wollte der Messeverschiebung auf Mitte Mai oder 1. Juni schon deshalb nicht zustimmen, da in diesen Wochen die Wollmärkte von Dresden nach Leipzig ziehen und einen großen Teil des Bargeldes absorbierten. Aufgrund der Geldknappheit während dieser Wollmärkte wären fremde Devisen nur mit großem Verlust anzubringen, und die Leipziger Kommissionäre hätten Probleme bei den Barauszahlungen. Vgl. BB1 Nr. 49, 22. 5. 1846, S. 557-559; Verlegung des bisherigen Abrechnungstermins 1846. 55
56 57 58 59 60
Vgl. Borrosch, Abrechnungsverlegung. Vgl. Ebd., S. 10-11,82. Vgl. BB1 Nr. 46, 11. 5. 1847, S. 588. BB1 Nr. 47, 24. 5. 1848, S. 555. BB1 Nr. 105, 5. 12. 1848, S. 1281. SBZ Nr. 44, 30. 10. 1848, S. 266.
II. Innovationen
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Otto Wigand verfaßte ein Zirkular, worin er den zahlungssäumigen Sortimentern trotz der derzeitigen Krisensituation den Kampf ansagte. „Die Existenz eines jeden Geschäfts", so schrieb er, „ist darauf gegründet, daß Gerechtigkeit geübt und Wort gehalten werde. Im deutschen Buchhandel war es Sitte und Gebrauch, jede Ostermesse die Rechnung abzuschließen und zu saldiren. Unsere Väter erschienen, treu ihrer eingegangenen Verpflichtung, persönlich in Leipzig, rechneten und saldirten, und nur äußerst selten sah sich der Verleger in seinen Erwartungen betrogen. Ich selbst habe viele Jahre als Sortimenter die Leipziger Ostermesse mitgemacht und rede aus eigener Erfahrung. Es ist mir nie der Fall vorgekommen, wie es jetzt so oft geschieht, daß eine Sortimentsbuchhandlung, welche zur Ostermesse weder rechnete, noch saldirte, die schamlose Forderung gewagt hätte, auch ferner offenen Credit behalten zu wollen! - Mögen die Zeitverhältnisse auch noch so außerordentlicher Natur gewesen sein, dennoch behauptete ich mit voller Ueberzeugung, daß das Verfahren vieler Handlungen im Jahre 1848, ein nie zu rechtfertigendes war." 61 Wigand erklärte, die Rechnung mit diesen Sortimentern nicht mehr fortzuführen und wollte ihre Namen sogar im Börsenblatt veröffentlichen. Ein großer Verlag mit 900 Sortimenter-Konten gab bekannt, daß trotz einer Mehrheit von 522 vollständig zahlenden Firmen (58 Prozent) nur ein Drittel der Guthaben auf der Messe eingenommen wurden. Ursache dafür war, daß zumeist nur kleinere Posten bezahlt wurden. 62 Die Generalversammlung des Börsenvereins von 1849 war sehr schlecht besucht. Nicht einmal alle Leipziger Kommissionäre waren anwesend. Angesichts der revolutionären Ereignisse diskutierte man darüber, ob die in Leipzig lagernden Remittendenpakete sicher genug vor Übergriffen wären. 63 In dieser Krisensituation wurde über die Errichtung einer neuen Paketbestellanstalt nachgedacht, sicherlich ein ungünstiger Zeitpunkt für die Umsetzung einer kostenaufwendigen Innovation.
II. Innovationen Die dreißiger und vierziger Jahre waren durch eine intensive Reformdiskussion gekennzeichnet. Im folgenden soll an den Beispielen grundlegender Modernisierungsgedanken die Produktivität des Meinungsstreits verdeutlicht werden. Einige der hier aufgezeigten Forderungen konnten kurzfristig umgesetzt werden. Andere wurden verworfen, um erst mittel- oder langfristig, zum Teil an anderen Wirtschaftsstandorten zuerst, eine adäquate Verwirklichung zu erfahren. Neben der inhaltlich-funktionalen Besprechung soll die eigentliche Innovationsleistung der zumeist überbetrieblichen Verbesserungen thematisiert werden.
61 BBlNr. 107, 12. 12. 1848, S. 1319. 62 Vgl. BB1 Nr. 59, 27. 6. 1848, S. 679. 63 Vgl. BB1 Nr. 47, 6. 5. 1849, S. 534.
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1. Der Vorschlag einer Zentral-Kommissionsanstalt 1828 Der Gedanke, daß der Leipziger Kommissionsbuchhandel durch radikale Rationalisierungen verbessert werden könnte, wurde zum ersten Mal 1828 in der anonymen Schrift Einladung an alle deutsche Buchhandlungen formuliert. 64 Nach Druck und Herausgabe durch Johann Friedrich Freiherr von Cotta zirkulierte sie 1831 und 1832 in Buchhändlerkreisen. 65 Die Schrift griff die Kommissionäre scharf an und bezeichnete ihre Gebühren als entschieden zu hoch. Nur in der Gründung einer einzigen Kommissionsanstalt auf Kosten der Kommittenten sah sie ein geeignetes Mittel, um den Verkehr beschleunigen und die Ausgaben für Verpackung, Transport, Spesen und Personal senken zu können. Durch Rechenbeispiele versuchte der Autor zu belegen, daß die Kommissionäre, die für einen Zentner Bücher rund einen Taler Emballagegebühren verlangten, einen ungeheuren, ihnen nicht zustehenden Gewinn machten. In seiner Leipziger Gehilfenzeit will er seinen Prinzipal bei einem Gespräch belauscht haben, worin dieser zum Besten gab, daß sein Kommissionsgeschäft trotz des schlechten Absatzes einen Reingewinn von 5.000 Tlr. erziele. Das und noch viel mehr würden die überhöhten Kommissionsgebühren abwerfen, während ein Verlag und Sortimentsgeschäft von größerem Umfange nicht mehr als 1.000 Tlr. Plus machten.66 Seiner Meinung nach betrugen die Emballagekosten weniger als ein Drittel dieser Summe, nämlich zehn Groschen. Denn die meisten Kommissionäre verwendeten die Verpackungen der ankommenden Kommittentenpakete heimlich wieder und zahlten für jeden Ballen dem Fuhrmann eine sogenannte Einschlaggebühr, die sie vom Kommittenten doppelt zurückverlangten. Ferner entrichteten sie ein völlig unsinniges Diskretionsgeld an den Fuhrmann 67 sowie ein Trägergeld für die Post, selbst wenn die Pakete ein buchhändlerischer Markthelfer zur Post brachte.
64 In der besagten Schrift sind mehrere Indizien enthalten, die auf den Autor verweisen. Er war von 1810 bis 1815 Gehilfe in der größten Leipziger Kommissionsbuchhandlung, später betrieb er eine Sortimentsbuchhandlung in Preußen. Trotz dieser Angaben, ließ sich die Identität dieser Person nicht feststellen. Vgl. Einladung 1831, S. 1 - 2 , 18, in: DBSM, Kummersches Archiv, II 148/1 [19]. 65
J. G. Herold jun. in Hamburg schrieb am 16. März 1832, daß ihm die Einladung an alle deutschen Buchhandlungen mit dem gestrigen gewöhnlichen Postpaket vom Kommissionär zugestellt wurde. Er hielt es für ausgeschlossen, daß den Leipzigern eine solche Schrift unbekannt bliebe und warnte vor einer allgemeinen Kommissionsanstalt eindringlich. Nur die in der Schrift ausgeführte gründliche Mängelbesprechung des Leipziger Kommissionsbuchhandels erhielt sein Lob. Vgl. DBSM, Archivalien, Kasten 21 /77b. 66 Vgl. Einladung 1831, S. 18. 67 Ein Diskretionsgeld in Höhe von zwei Groschen pro Zentner gab es nach Meinung des Verfassers zwar auch auf anderen Kommissionsplätzen. Dort aber wurde es der Ware aufgeschlagen. Im Buchhandel blieb der Verkaufspreis jedoch bestehen, so daß die Gebühr letztlich zu Lasten der Kommittenten ging. Vgl. Ebd., S. 3, 19.
II. Innovationen
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Anhand seiner Berechnungen wollte der Verfasser belegen, daß der Kommissionär seinen Kommittenten eine bis zu 70 Prozent überteuerte Emballage-Rechnung präsentierte, was im Jahr ca. 150 Tlr. an Mehrbelastung ausmachte. Binnen zehn Jahren brächte der deutsche Buchhandel auf diese Weise eine Million Tlr. allein für Leipzig auf. Eine unangenehme Abgabe, die durch eine neue Kommissionsanstalt zu vermeiden wäre. Letztere sollte nicht etwa durch Leipziger Kommissionäre, sondern auf gemeinschaftliche Kosten der Kommittenten geschaffen werden. Jede Buchhandlung hatte einen Beitrag beizusteuern, der sich am Umfang ihrer Geschäfte berechnete. In der genossenschaftlichen Kommissionsanstalt sollten ein Chef, 5 - 6 Gehilfen und 8 - 1 0 Markthelfer bei einem jährlichen Aufwand von etwa 4.800-5.500 Tlr. den deutschen Bücherumschlag besorgen.68 Die gesamte Tätigkeit der Anstalt wäre durch Gremien der Betreiber zu überwachen. Ebenso sei das Personal finanziell so gut zu stellen, daß es nicht klage und sich energisch für das Unternehmen einsetze.69 Selbstverständlich hätte das Lokal gewisse Kriterien zu erfüllen und „es dürfte wohl einige Schwierigkeiten haben, sofort ein ganz passendes zu finden." 70 Die Geschäftsräume müßten derart geräumig sein, daß sie ganzjährig dem Personal und zur Messezeit auch noch den abrechnenden Kommittenten genug Platz zum Arbeiten boten. Es wurden benötigt: eine Schreibstube, ein Raum für den Anstaltsleiter, mehrere beheizbare Packzimmer und große Sortiments-Handlager. Die Miete würde im günstigsten Fall 1.000 Tlr. betragen, sollte aber nicht 2.400 Tlr. überschreiten, damit die Kommissionsanstalt zusammen mit dem oben erwähnten Aufwand nicht mehr als 10.000 Tlr. an jährlichen Spesen verursachen würde. Insofern kein Haus zu mieten sei, sollte es über die Ausgabe von Aktien für 100.000 bis 120.000 Tlr. gekauft werden. 71 Der Effekt einer solchen genossenschaftlichen Zentralstelle wäre nun der, daß sich die Auslieferungsgebühren nahezu halbierten und die Emballagegebühren zehntelten, was insgesamt einer Senkung der Kommissionsgebühren auf rund 20 Prozent der bisherigen Höhe entspräche.72 Hinzu käme eine weit größere Schnelligkeit und Pünktlichkeit bei der Auslieferung. Sie würde auf einen Tag verkürzt werden, wenn nur die Verleger dafür sorgten, daß stets Exemplare auf ihren dortigen Lagern vorrätig sind. 73 Der vorliegende Plan - so der Verfasser - dürfte mit der Ablehnung der Leipziger Buchhändler rechnen. „Diese werden Himmel und Hölle bewegen, um die Ver68 Vgl. Ebd., S. 5 - 6 . 69 Der Chef sollte 1-1.200 Tlr., die Gehilfen 800-400 Tlr. jährlich erhalten. Zudem dürfte das Personal kein Nebengeschäft mit Sortiment oder Verlag auf eigene Rechnung betreiben. Vgl. Ebd., S. 19-20. 70 Ebd., S. 20. 71 Vgl. Ebd., S. 6, 20-22. 72 Vgl. Ebd., S. 9. 73 Vgl. Ebd., S. 10-12.
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Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
wirklichung eines solchen Vorhabens zu vereiteln, sie scheinen in dem Wahne zu stehen, als hätten sie das ausschließliche Recht, einen beträchtlichen Theil des Erwerbs ihrer auswärtigen Collegen an sich zu ziehen, welches ihnen unter keinem Vorwand entzogen werden dürfe." 74 Für den Fall, daß die Leipziger Obrigkeit einer solchen Einrichtung nicht zustimme, „so würde sie in jeder andern Stadt eben so gut seyn können, als in Leipzig; ja es wäre sehr in Frage, ob es nicht vortheilhafter für den Buchhandel wäre, wenn sie nach einer Stadt innerhalb des preußischen Zollverbandes verlegt würde. Denn blos dadurch, daß der Mittelpunkt des deutschen Buchhandels ausserhalb diese Verbandes liegt, ist der Buchhandel genöthigt, jährlich eine nicht unbeträchtliche Abgabe zu entrichten." 75 Die Verlegung des Kommissionsplatzes nach Preußen wurde vom Autor schon deswegen begrüßt, da der größte Teil des deutschen Bücherabsatzes auch in Preußen erfolgte. Der Abzug der Lager und Kommissionen aus Leipzig hätte noch den Vorteil, daß die vielen Leipziger Buchhandlungen auswärtige Kommittenten würden, die sich an den Unterhaltungskosten der Anstalt beteiligten. Die Frage, welchen neuen Ort man wählen solle, wurde vom Autor nur indirekt beantwortet. Die in der Schrift beschriebene Stadt lag innerhalb Preußens, maximal 10 Meilen (ca. 100 km 7 6 ) von Leipzig entfernt, in östlicher oder nördlicher Richtung und besaß nicht weniger als 10.000 Einwohner. Wenn der Wohnort des anonymen Verfassers gewählt würde, so läge dieser genauso weit von Berlin wie von Leipzig entfernt; Hamburg sei näher als Leipzig und von Breslau kommend würde eine sehr frequente Straße durch denselben führen. Dieser Ort hätte 1.150 Häuser und 12.000 Einwohner. Wilhelm Dietze schrieb 1846, daß es sich beim erstbeschriebenen Ort eigentlich nur um Cottbus handeln könne. 77 Der Ort des Verfassers ist hingegen in der Gegend um Braunschweig / Hannover zu suchen. Abschließend unterbreitete der Autor noch einen mehrseitigen Vorschlag zur Verlegung der Abrechnungszeit in die Sommermonate, speziell in den Zeitraum Ende August bis Anfang September. Er bestand darauf, daß nur die Buchhändler außerhalb Leipzigs über den Vorschlag beraten sollten. Nicht die Leipziger selbst, denn diese würden niemals zustimmen. Er schlug vor, daß jeder Buchhändler ein der Schrift beigelegtes Formular ausfüllen und an die älteste Buchhandlung seines Ortes schicken sollte. So versammelt, würden die Umschläge über die Cottasche Buchhandlung in Stuttgart an den Autor weitergeleitet, der sich zu einem späteren Zeitpunkt namentlich bekanntgeben würde. Stimmten ein Drittel aller deutschen Buchhandlungen für den Plan, so wäre dessen Realisierung kein Problem. Sowohl der Verfasser als auch der Herausgeber hatten Bedenken, sich zu nennen, „da doch die 74 Ebd., S. 12. 75 Ebd. 76 Die sächsische Postmeile betrug vor dem 6. Dezember 1840 9.602 m und danach 7.300 m. Vgl. Borchert, Eisenbahn, S. 199. 77 Vgl. BB1 Nr. 87, 2. 10. 1846, S. 1123.
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Möglichkeit vorhanden ist, daß die Leipziger Handlungen von dem Project Kunde erlangten, und auf jede Weise es beide entgelten lassen würden, daß sie ihnen in die Karten gekukt hätten." 78 Der Plan wurde von der Branche sehr zurückhaltend aufgenommen und nur zweimal im Kriegerschen Wochenblatt besprochen.79 1833 nahm der Leipziger Kommissionär Friedrich Volckmar in seiner handschriftlichen Mittheilung für die Herren Committenden Bezug auf die Einladung an alle deutsche Buchhandlungen. Im Anhang erklärte er, daß dieses Pamphlet zu sehr den Stempel der Unkenntnis trüge, so daß es ohne alle Erwiderung geblieben sei. Sein Autor hätte mit wenigen Leuten einen gewaltigen „Welthandel" durchführen wollen. 80 Abwegig sei der Gedanke, einen einzigen Direktor für eine derartige Aufgabe einzusetzen, wo doch zehn nicht genug wären. Riskant sei es überdies, einen solchen Direktor nicht selbständig agieren zu lassen, wie es die zwischenbuchhändlerischen Arbeiten - z. B. die Diskontierung fremder Wechsel oder die Lieferung von Sortiment - häufig erforderten. 81 Auch wüßte der damalige Autor keine günstigere Stadt in Mitteldeutschland als Leipzig und wollte sie erst schaffen - eine Aufgabe, an der Regierungen scheiterten. „Ich meinerseits glaube", so Volckmar, „dass ausser einigen Seilermeistern, Pappfabrikanten und Pakleinwebern sich keine Künstler zum Commissionsbureau einfinden würden. In gleicher Art widerlegt sich der übrige Theil jenes Aufsatzes, für dessen möglichste Verbreitung damals alles geschah, Punkt für Punkt; er hinterlässt nichts, als den Gedanken, dass Jemand, dem alle Sachkenntniss abgeht, und der in einem so verzweigten Geschäfte kaum den äussern Mechanismus und gar nicht den Geist, der darin lebt, erkennt, erst gründlich sich unterrichten sollte, ehe er als Reformator auftritt!" 82 Volckmar hatte recht, als er den Vorschlag von 1828 als unrealisierbar verwarf. Bei genauer Analyse der dortigen Argumente ergab sich nämlich, daß die Einladung von einigen falschen Grundannahmen und konstruierten Rechenexempeln ausging. Fünf Einwände sind hier aufzuführen: Erstens übersah der anonyme Schreiber, daß derart hohe Renditen im Leipziger Kommissionsbuchhandel, wie er sie in der Einladung glaubhaft machen wollte, angesichts der mühseligen Kleinarbeit und starken Konkurrenz nicht erwirtschaftet 78 Einladung 1831, S. 15. 79 Was die Verbilligung der Leipziger Gebühren anbelangte, gab es Zustimmung. Nichts wissen wollte man von einer zentralen Kommissionsanstalt. Vgl. Wbl Nr. 21/22, 9. 4. 1832, S. 162-63; Wbl Nr. 13/14, 11.3. 1833, S. 96-97. so Vgl. Volckmar, Mittheilung, S. 18. 81 J. G. Herold schrieb hierzu: „Der ungenannte Verf[asser] träumt sich in dem Vorsteher einen unfehlbaren, vorzüglich thätigen, kenntnissvollen und den bravesten Mann der Welt; hat dieser Familie, so soll er der redlichste Mann der Welt bleiben. Denn gleichviel, ob er 6 Kinder hat, er soll mit 1.200 Thlr. auskommen und alle Missgriffe decken? [ . . . ] Der Ungenannte vergisst, dass dieser künftige Dictator über den Buchhändler und Buchhandel auch allein zu bestimmen haben würde! - Nicht Alle werden, wie ich, einen Teufel in diesem Manne erblicken (und wenn 20 Controlleurs existieren)." DBSM, Archivalien, Kasten 21 /77b. 82 Volckmar, Mittheilung, S. 19.
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werden konnten. Zum Gegenbeweis führte Volckmar seine eigenen Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsjahres 1831/32 an, die trotz gewisser Frisierungen Einblicke in die zeitgenössischen Berechnungen des Kommissionärs gewähren. 83 Volckmar war der Meinung, daß aufgrund der außerordentlich großen Konkurrenz in Leipzig die Emballage- und Honorarberechnungen an der untersten Grenze angelangt waren und daß kein zweiter deutscher Standort vergleichbar günstige Spesen berechnete.84 Zweitens berücksichtigte der anonyme Autor nicht, daß der seinerzeitige Kommissionsbetrieb viel größere Aufwendungen an Personal und Material benötigte. Während dieser von 16 Arbeitern ausging, meinte Volckmar, daß die 150 Beschäftigten in Leipzig kaum ausreichten, um das ansteigende Auftragsvolumen zu bewältigen. Folgt man diesem Gedanken, so ergibt sich, daß bei einer nur angenommenen Verdreifachung des Personals auf 48 Personen, was gewiß immer noch nicht reichen würde, sich die jährlichen Unterhaltungskosten der Kommissionsanstalt mindestens verdoppelten, womit ein großer Teil der Kosteneinsparung, der in der Einladung errechnet wurde, eingebüßt wäre. Drittens konnte man im politisch zersplitterten Deutschland nicht damit rechnen, daß die Buchhändler einen wesentlichen Teil ihres Kapitals in ein preußisches Unternehmen steckten, wo es sich ihrer Kontrolle größtenteils entzog und Gefahren, etwa durch persönliche Veruntreuung oder staatliche Beschlagnahmung, ausgesetzt war. Denn im Gegensatz zu Sachsen wurde in Preußen die Zensur viel strenger gehandhabt. Viertens war es völlig illusorisch, die mit der Errichtung eines neuen Kommissionsplatzes verbundenen Kostenaufwendungen (neue Infrastruktur, Verlegung der Leipziger Lager, Neuordnung der Geschäfte und Bau eines entsprechenden Gebäudekomplexes) aus dem Stand heraus zu finanzieren. Das hätte die Handelsbilanzen jahrzehntelang negativ belastet. Fünftens ließ der Anonymus völlig außer Betracht, daß es im Buchhandel eine „Usancentradition" und „Usancenmentalität" gab. Der Handel über Leipzig verfügte über ausgezeichnete, jahrzehntelang erprobte Vertrauensbeziehungen zwischen Kommissionär und Kommittent. Insofern war an einen kollektiven Vertrauensbruch der auswärtigen Kommittenten ebensowenig zu denken, wie an die Möglichkeit, daß die Kommittenten in der Lage wären, den Kommissionsbuchhandel ohne die Leipziger Kommissionäre zu modernisieren. 83
Volckmar suchte zu suggerieren, daß sein Kommissionsgeschäft gerade das Nötigste zum Leben abwarf, davon konnte nun wiederum auch keine Rede sein! „So oft auch bemerkt wurde, dass das hiesige Commissionsgeschäft bereichere, so weiss ich doch kein Beispiel anzuführen was jene Behauptung bekräftigt; diejenigen hiesigen Handlungen, welche man zu den begüterten zählt, haben ihr Geld am Verlage gewonnen. Solche, welche blos als Commissionaire wirkten, haben zum Lohne der unaussprechlichen Sorge und Arbeit eine anständige Existenz, doch auch weiter nichts, errungen." Ebd., S. 25. 84 Vgl. Ebd.
II. Innovationen
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Warum ist diese von Volckmar als dilettantisch bezeichnete Reformschrift zum Kommissionsbuchhandel Gegenstand einer intensiven und wiederholt geführten Besprechung im deutschen Buchhandel geworden? Anhand dieses Dokuments wird deutlich, daß viele der späteren Innovationen des Leipziger Kommissionsbuchhandels bereits in den ausgehenden zwanziger Jahren im Buchhandel konzeptionell vorlagen und daß sie später, z. T. von Leipziger Akteuren, wieder aufgegriffen, erneut diskutiert und verwirklicht wurden. Diese in der Einladung angesprochenen Ideen - im Sinne der Untersuchung handelt es sich um unvollständige Innovationen85 - waren folgende: a) Rationalisierung des Geschäftsbetriebes durch Zusammenlegung, d. h. Konzentration 86 gleichartiger zwischenbuchhändlerischer Tätigkeiten, b) Verbilligung der Kommissionsgebühren durch Material- und Personaleinsparungen, c) Errichtung eines Unternehmens, das auffällige Gemeinsamkeiten zu den späteren Paket- und Zettelbestellanstalten aufwies, d) Kontrolle der Kommissionsanstalt durch Gremien der Betreiber, e) Errichtung eines gemeinsamen Abrechnungshauses auf Aktienbasis und f) Verlegung der Meßabrechnung in die Sommermonate.87 Die Tatsache, daß der Autor von 1828 sich nicht namentlich zu erkennen gab, läßt einerseits auf seine wirtschaftliche Vorsicht schließen, andererseits war auch er nicht der Vater der Idee, sondern nur das Sprachrohr von Reformgedanken zum Leipziger Kommissionsbuchhandel, die in Buchhändlerkreisen seit langem kolportiert wurden und somit um weitere Jahre zurückzudatieren waren.
2. Ein Zirkular Friedrich Volckmars an seine Kommittenten 1833 1833 überreichte Friedrich Volckmar seinen 35 Kommittenten und einem weiteren Kollegenkreis die 27seitige Druckschrift Als handschriftliche Mittheilung für die Herren Committenden zu betrachten. Der eigentliche Beweggrund seiner Mitteilungen war der Wunsch, die Verbindung mit seinen „werthen Herren Committenden auf möglichst angenehme und einfache Principien zurückzuführen, und Ihnen über einige der hiesigen Commissionsverhältnisse eine kurze und klare Uebersicht zu geben, damit eine zeitraubende cyclisch wiederkehrende Correspondenz über manche Gegenstände vermieden wird." 8 8 85 Siehe S. 29-32. 86 Jordan hatte die Einladung an alle deutschen Buchhandlungen sehr lobend herausgehoben und eingehend besprochen, insbesondere aufgrund der frühen Formulierung des Konzentrationsgedankens. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 171 ff. 87 Dieser Plan existierte schon seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Siehe Plan zur Verlegung der Buchhändlermesse von 1789, in: StadtAL, II. Sektion, B 1244 (Feud.).
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Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
Bei diesem ersten „Memorandum" eines Leipziger Kommissionärs handelte es sich um eine gelungene Momentaufnahme des hiesigen Kommissionsbuchhandels. Die auswärtigen Kommittenten sollten ein besseres Verständnis für die Tätigkeiten am Kommissionsort und eine gewisse Anleitung erhalten. Die Schrift wollte ausdrücklich Mißverständnisse ausräumen. Das Schreiben gliederte sich in drei Abschnitte: Auslieferung, Kassenführung und Hinweise für neugegründete Firmen. Im Anhang wurde auf den Seiten 17 bis 27 - wie im vorhergehenden Abschnitt erwähnt - der Reformplan Einladung an alle deutsche Buchhandlungen von 1828 besprochen. Zu Beginn widmete sich Volckmar der Auslieferung, die seiner Meinung nach wöchentlich zweimal, in Ausnahmefällen dreimal, besorgt wurde. Die meisten Kommissionsgeschäfte lieferten montags und donnerstags aus.89 Zum Heraussuchen der bestellten Bücher veranschlagte Volckmar zwei volle Tage, die umgehenden Bestellungen einmal ausgeklammert. Ein großes Problem bereiteten diejenigen Verlage, die nicht über Leipzig auslieferten. Wenn das Buch eines solchen Verlages von einem Sortimenter gewünscht wurde, sollte er angeben, ob der Kommissionär das Buch in Leipzig „auf Memorial" suchen oder die Bestellung an den Verlagsort weiterzuleiten habe.90 Zeitraubend waren die vielen Nachforschungen über Bücher, deren Autoren und Titel auf den Bestellzetteln falsch geschrieben waren oder die gar nicht gedruckt im Buchhandel vorlagen, weil es sich um Dissertationen, einzelne Zeitungsaufsätze und dgl. handelte. Insgesamt wurde die Leipziger Lagerhaltung von den Auswärtigen laut Volckmar stark überschätzt, so daß viele Bestellzettel mit dem Vermerk „nicht zu finden" wieder den Rückweg antreten mußten. Die Kommittenten sollten sich vergegenwärtigen, daß bestimmte Sachen in Leipzig nicht ausgeliefert werden, wie z. B. wiederholte Bestellungen91, Defekte 92 und Journale. Umgehende Bestellungen sollten auf besonderen Zetteln erfolgen und getrennt zugeschickt werden, damit sie sofort erkannt und an den entsprechenden Austräger übergeben werden konnten, ohne daß man ihm zugleich den ganzen Brief aushändigte.93
88
Volckmar, Mittheilung, S. 3. 9 Womit Volckmar recht hatte, siehe Tabelle 9 auf S. 104. 90 Vgl. Volckmar, Mittheilung, S. 4. 8
91 Wiederholungszettel waren doppelt verschickte Bestellzettel, die von einigen Sortimentern in dem Glauben ausgefüllt wurden, daß sie die Bücher schneller erhielten. In der Praxis konnten diese aber genau das Gegenteil bewirken. Erkannte ein aufmerksamer Angestellter im Kommissionsgeschäft einen Wiederholungszettel, wurde die Auslieferung gestoppt. Vgl. Volckmar, Memorandum, S. 11-12. 92 Defekte Bücher wurden stets auf Transportkosten des Verlegers ergänzt oder umgetauscht. Wenn der Verleger dazu nicht in der Lage war, konnte der Sortimenter sämtliche Exemplare zurückschicken. Vgl. Wengler, Usancen-Codex, S. 23. 93
„Ihnen kann dies gleich sein, mir ist es in der Menge jedoch eine Zeiteinsparung." Volckmar, Mittheilung, S. 7. Siehe S. 102.
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Für unterschiedliche Ankunftszeiten von gleichen Artikeln in denselben Städten machte Volckmar die Nova-Versendung nach dem Alphabet verantwortlich sowie die Unmöglichkeit, alle Bestellungen in Leipzig zeitgleich besorgen zu können. So konnte in Druckzeiten wie freitags, wo nur gepackt wurde, durchaus ein Buch die abgehende Post oder Fuhre verpassen und mußte bis zu einer Woche in den Packräumen liegenbleiben. Beim Versand kam nur ein Spediteur in Frage. „Mehrere zu nehmen erlaubt oft die Geringfügigkeit des Fuhrgewichts und der Neid unter den Spediteuren nicht." 94 Die Ware sollte im Frachtbrief genau bezeichnet werden, ob es sich um Bücher, Kupferstiche oder Landkarten handelte und wieviel Pfund die einzelnen Posten betrugen. Bei jeder unklaren Angabe öffnete das Zollamt die Ballen und berechnete bei einem Verstoß den höchsten Mautwert zu Lasten der Kommittenten. Um ein Durchwühlen der Kolli zu verhindern, war es am besten, jeden abweichenden Artikel getrennt zu verpacken. Speziell den preußischen Kommittenten gab Volckmar Instruktionen zum ordnungsgemäßen Plombieren der Pakete, wie sie nach den aktuellen Bestimmungen erfolgen sollte. Avise 95 sollten nicht vergessen oder später als die eigentliche Fracht nach Leipzig gesandt werden, Barpakete gesondert bezeichnet und durch äußere Aufschriften gut zu erkennen sein. Im weiteren ging er auf die Kassenführung ein. Das sogenannte Kassa-Konto gab eine genaue Übersicht über Bareinnahmen und Barausgaben, die der Kommissionär für seine Auftraggeber ausführte. Volckmar forderte die Kommittenten auf, für eventuelle Bargeschäfte rechtzeitig Gelder bereitzustellen. Und er fügte noch hinzu, daß „die Functionen eines Commissionairs mit denen eines Banquiers nicht vereinigt sind." 96 Allen neugegründeten Geschäften empfahl er, Zahlungen im voraus zu leisten, da sonst viele Verleger kein Konto eröffnen und auch nicht auf Kredit ausliefern würden. Barbestellungen waren unter diesen Umständen oft die einzige Bezugsform. Zudem konnten neue Firmen von ihrem Kommissionär nur einen begrenzten Kredit erwarten. „Sind aber die à Contozahlungen fürs erste Jahr geleistet und die Reellität des neuen Etablissements bewährt sich in der darauf folgenden Oster Messe, so bleiben wohl nur wenige Ausnahmen wo auch fürs zweite Jahr eine solche Vorausbezahlung verlangt wird." 9 7 Die Innovation des „ersten Memorandums" Volckmars bestand darin, daß er seinem stetig anwachsenden Kundenkreis eine gedruckte und entsprechend vervielfältigte Einweisung darüber ausgab, worin seine Dienstleistungen im einzelnen bestanden und wie der Kommittent zum Gelingen der Kommissionsbeziehung
94 Ebd., S. 9. 95
(Vor-)Ankündigungen über zu Lieferndes. Vgl. Wengler, Usancen-Codex, S. 7. Volckmar, Mittheilung, S. 12. Diese Auffassung sollte sich aber schon bald ändern und die Bankierfunktion eine immanente Eigenschaft des Kommissionärs werden. 9 ? Ebd., S. 15-16. 96
10 Keiderling
Abbildung 11: Volckmars Hof, Grimmaischer Steinweg
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beitragen konnte. Somit ersparte er sich Zeit bei der Einführung neuer Auftraggeber sowie Ärger bei wiederholt auftretenden Mißverständnissen, die dann zu Geldeinbußen führen konnten, wenn es zu einem umfangreichen und bösen Briefwechsel, Gerichtsverhandlungen oder zum Verlust der Kommissionsverbindung kam. Im Berufsverband erntete der junge Unternehmer aufgrund seiner sachlich richtigen und anschaulichen Darstellung große Anerkennung. 1833 nahm mit der Veröffentlichung der ersten Aufklärungsschrift eine Gepflogenheit ihren Anfang, die bis in die heutige Zeit fortbesteht und als ein anerkanntes Werbungs- und Rationalisierungsmittel gilt. 9 8 In diesem Sinne ist die Schrift Volckmars auch als ein Zeichen einer fortgeschrittenen Professionalisierung und Berufsgesinnung zu werten. 3. Die Leipziger Zettelbestellanstalt 1842 War der Gedanke, daß der Leipziger Kommissionsbuchhandel durch das überbetriebliche Zusammenlegen gleichartiger Tätigkeiten rationalisiert werden könnte, noch 1833 von Friedrich Volckmar verneint worden, so kam es kaum zehn Jahre später, diesmal aus Leipziger Reihen, zu einem vergleichbaren Vorschlag. In einer sogenannten Zettelbestellanstalt sollten künftig die Bestellungen aller hiesigen Kommissionäre zentral bearbeitet und weitergeleitet werden. Wie war es zu dem Sinneswandel gekommen? Um diese Frage beantworten zu können, ist ein Blick auf die Bestellzettelübermittlung zwischen den Leipziger Kommissionären notwendig, wie sie noch bis zu Beginn des Jahres 1842 bestand. Ein Großteil der Leipziger Kommissionäre hatte ihr Geschäft in den Straßen der sogenannten Buchhändlerlage: Ritter-, Nikolai-, Grimmaische-, Universitätsstraße und Neumarkt. Die täglich von den Sortimentern eintreffenden Bestellzettel wurden von den Lehrlingen, Markthelfern und Burschen des Sortimenterkommissionärs bei den hiesigen Verlegern oder Kommissionären der auswärtigen Verleger von außen in einen an der jeweiligen Ladentür befestigten Kasten gesteckt." Mitunter erforderte das Austragen weite Fußmärsche, wenn der Verleger in entfernteren Straßen oder in den Vorstädten wohnte. Da die Zettelflut von Jahr zu Jahr rasch anstieg, mußten weitere Markthelfer eingestellt werden. Zugleich wuchsen die Ansprüche an die Austräger. Von ihnen wurde gefordert, daß sie die Firmennamen von 1.000 bis 1.200 Buchhandlungen sowie deren Kommissionäre auswendig kannten. 100 98
Jedes Kommissionsgeschäft händigt heute seinen potentiellen Kunden einen Prospekt aus, in denen die Leistungen, Vorzüge und geschäftlichen Besonderheiten des Kommissionsbuchhandels eingehend erläutert werden. Vgl. aktuelles Informationsmaterial zu den Firmen LKG (Leipzig), Brockhaus Kommissionsgeschäft sowie Koch, Neff & Oetinger - Koehler & Volckmar (beide in Stuttgart). 99 Vgl. Heue, Bestellanstalt, S. 4. 100 Vgl. BBl Nr. 11, 8. 2. 1842, Sp. 268. 10*
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Im Grunde waren es die in den Kommissionsgeschäften angestellten Markthelfer gewesen, die die Idee der späteren Zettelbestellanstalt entwarfen. Bruno Heue, der spätere erste Sortierer und Aufseher dieser Einrichtung, berichtete: „Waren auch die Markthelfer und Burschen noch so brav, so gestatteten sie sich doch mit ehrender Ausnahme Pflichtwidrigkeiten, durch welche die richtige Besorgung der Verlangzettel fraglich wurde, z. B. durch Austauschen der Zettel oft auf der Straße, von ältern Markthelfern wurde dieses Geschäft in einem kleinen, in der Nikolaistraße C. F. Fleischers Buchhandlung gegenüber liegenden Bierhaus, von den dort verkehrenden, kleine Börse genannt, vorgenommen, und die dadurch gewordene freie Zeit der Ruhe und Unterhaltung geweiht." 101 Diese „Pflichtwidrigkeiten" wurden von den Prinzipalen bei Entdeckung natürlich geahndet. Zugleich erkannte ein Unternehmer in dem eigentlichen Verstoß der Markthelfer eine Innovation, mit deren Hilfe man die Bestellung grundlegend revolutionieren konnte.
Graphik 6 Die Bestellübermittlung vor der Leipziger Zettelbestellanstalt (vor 1842) U 1 - U 8 = Gesamtheit der Leipziger Kommissions- und Verlagsgeschäfte
Friedrich Fleischer unterbreitete auf der Generalversammlung der Leipziger Buchhändler am 31. Januar 1842 folgenden Vorschlag: Die hiesigen Deputierten sollten in Leipzig eine Anstalt errichten, durch welche Zettel, Zirkulare, Kuverts loi Heue, Bestellansta.lt, S. 5 — 6.
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und sonstige Papiere von und an Leipziger Buchhandlungen und deren Kommittenten schnell, sicher und kostengünstig befördert werden. Pakete und Journale mit Ausnahme der Buchhändlerzeitungen sollten von der Vermittlung ausgeschlossen bleiben. Das Personal veranschlagte er auf zwei Sortierer (davon war einer Aufseher) sowie zwei Austräger. Die ausgewählten Personen sollten verläßlich sein, um das volle Vertrauen des Buchhandels zu erhalten. Unredliche Handlungen sowie grobe Dienstverletzungen würden zu sofortiger Entlassung führen. Wie bei der Post üblich, sollten sämtliche Angestellte auf strengste Verschwiegenheit verpflichtet werden. Ferner hätten die Leipziger Deputierten aus ihrem Kreis 12 Mitglieder zu wählen, von denen jeder einen Monat lang die Aufsicht über die Anstalt führe. Jeder aufsichtshabende Deputierte sei in diesem einen Monat als Vorgesetzter zu betrachten. Bei ihm sei jegliche Beschwerde gegen die Anstalt vorzubringen. Die Kosten der Anstalt sollten teils durch die Vereinskasse, teils durch Beiträge der Teilnehmer selbst aufgebracht werden, wobei sich die Höhe nach dem Volumen der Dienstleistungen richte. Die Anstalt sei eine öffentliche des Buchhandels und ihre Auflösung könne nur von einer Generalversammlung beschlossen werden. Eine Zwangsverbindlichkeit, die Anstalt zu benutzen, sollte nicht ausgesprochen werden, zur Sicherheit sei jedoch eine einjährige Kündigungsfrist zu veranschlagen. Nachdem Friedrich Fleischer seinen Plan vorgestellt hatte, richtete er an die Versammelten die Frage, ob die Anstalt ins Leben treten solle, „welche Frage gegen 5 Stimmen allgemein bejaht ward." 1 0 2 Am Dienstag, den 1. März 1842, nahm die Zettelbestellanstalt offiziell ihren Betrieb auf. 103 Alle der Einrichtung übergebenen Papiere von und an Leipziger Buchhandlungen sowie deren Kommittenten sollten mit Ausnahme von Paketen und Journalen viermal täglich um 9, 11, 15 und 17 Uhr an die Leipziger Adressen weiterbefördert werden. Die Zettelbestellanstalt war eine Einrichtung, die ausschließlich für den Leipziger Buchhandel arbeitete. Zur Messezeit wurde den in Leipzig weilenden fremden Buchhändlern aber auch angeboten, die Besorgung ihrer dringenden Briefe und Zettel über die Anstalt zu tätigen. 104 Zunächst traten der Bestellanstalt 73 von 118 Leipziger Buchhandlungen bei. 1 0 5 Noch im gleichen Jahr erhöhte sich die Zahl auf 78, was einer Beteiligung von 66 Prozent entsprach. 106 Dennoch fehlten 1843 noch 42 Leipziger Buchhandlungen, darunter fünf größere Kommissionsgeschäfte. 107 102 BBl Nr. 11, 8. 2. 1842, Sp. 270. 103 Nach der Angabe von Bruno Heue geschah dies erst am 2. März. Vgl. Heue, Bestellanstalt, S. 6. 104 Vgl. BBl Nr. 36, 5. 5. 1843, Sp. 1201. i° 5 Die Namen der ersten Mitglieder sind im Börsenblatt abgedruckt. Vgl. BBl Nr. 17, 1. 3. 1842, Sp. 425-428. Zur Anzahl der Leipziger Buchhandlungen siehe DBSM, Archivalien, BöH 84, Bd. 4, 25. 106 Vgl. BBl Nr. 34, 21. 4. 1842, Sp. 913. 107 Vgl. Hohlfeld, Buchhändlerverein, S. 43.
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Die Nichtleipziger Buchhändler reagierten trotz einiger Skepsis sehr positiv auf diese Innovation. In der Süddeutschen Buchhändler-Zeitung wurde die neue „Zettelmaschine" stürmisch begrüßt, wobei man ihr noch weitere Aufgaben übergeben wollte. 108 Der Redakteur des Berliner Organ des Deutschen Buchhandels , Leopold Wilhelm Krause, konnte sich nicht vorstellen, daß nun vier Personen eine Arbeit verrichten, die vorher von 76 geleistet worden war. 109 Er wollte „die vier Riesen sehen, welche diese Arbeit erledigen können." 110 Im Berliner Organ war nachzulesen, die Hoffnung sei eine sanguinische, daß drei bis vier Leute den Zettelverkehr besorgen könnten; zehn bis zwölf Personen wären realistischer gewesen.111 Erst durch einen Besuch während der nächsten Leipziger Ostermesse konnten sich Krause und andere Skeptiker von der guten Arbeit der Bestellanstalt überzeugen.
Graphik 7 Die Bestellübermittlung durch die Leipziger Zettelbestellanstalt (seit 1842) U 1 - U 8 = Gesamtheit der Leipziger Kommissions- und Verlagsgeschäfte
108 Die dort vorgetragene Idee, die Zettel gleich an die Adresse der Kommittenten zu richten, war wohl deshalb nicht durchführbar, weil die Mitarbeiter der Bestellanstalt nicht wissen konnten, welches Buch in Leipzig auf Lager war und welches man erst beim auswärtigen Verleger bestellen mußte. Vgl. SBZ Nr. 13, 28. 3. 1842, S. 97. 109 Hennig war nicht der Ansicht, daß die 72, durch die Bestellanstalt freigesetzten Personen entlassen wurden. Wahrscheinlich erhielten sie andere Aufgaben. Vgl. Hennig , Kommissionsgeschäft, S. 89. ho Heue, Bestellanstalt, S. 9. in Vgl. ODB Nr. 11, 12. 3. 1842, S. 81.
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„Freilich", so kommentierte Heue später, „die erste Woche hätte er nicht kommen dürfen, denn da sah es fast aus, als sollte es ein missglückter Versuch werden." Da sich zum Zeitpunkt der Eröffnung die Bestellungen mehrerer Tage angestaut hatten, lagen diese „bunt durcheinander in Körben und Schürzen [ . . . ] so das[s] bis zum Abend des ersten Tages der ganze Raum des Locals dicht gefüllt war:" 1 1 2 Die großen Leipziger Kommissionsgeschäfte schickten am nächsten Tag Unterstützung. Aus den Firmen Steinacker, Koehler und Volckmar erschienen fünfzehn geübte Sortierer, die an mehreren Arbeitstagen in beiden Sälen der Börse aufräumen halfen. So konnten die ersten Anlaufschwierigkeiten überwunden und Berührungsängste abgebaut werden. 113 Wie sah nun diese großartige Innovation im Innern aus? Die Bestellanstalt war in einem beengten Zimmer im Erdgeschoß der Buchhändlerbörse untergebracht. In der Mitte des Raumes stand ein Doppeltisch, an der Wand zwei Schränke mit jeweils sechzig Fächern. Der große Tisch diente zum Sortieren der Zettelbestellungen, der eine Wandschrank war für Zirkulare und dgl. an die Kommissionäre gedacht. Wenn noch Platz auf dem Tisch war, wurden auch hier die Zirkulare sortiert. Im anderen Schrank wurden die Zettel für Verleger und kleinere Kommissionäre abgelegt, die auf der Tafel und dem ersten Schrank keinen Platz fanden. Um ein sicheres Sortieren und eine gute Raumausnutzung zu erreichen, fertigte Bruno Heue zwei 4 Zoll (ca. 15 cm 1 1 4 ) tiefe Kästen von starker Pappe an. Jeder dieser Kästen bildete 40 Fächer. Hier wurden die Zettel für die größeren Kommissionäre einsortiert. Für die Verleger und kleineren Kommissionäre wurde Raum gewonnen, indem Heue für 30 Fächer des rechten Kastens zugeschnittene Streifen zur Halbierung einlegte, wodurch kurzfristig Platz für insgesamt 110 Firmen geschaffen wurde. Für die übrigen fertigte er ein zusätzliches, aufrecht stehendes Regal mit 50 Fächern an. Diese „ärmlich aussehende und wenig beachtete Vorrichtung" diente mehrere Jahre ihrem Zweck. Als sich eines Tages Heinrich Brockhaus bei einer Begehung der Bestellanstalt sehr lobend über diese Fächerkästen aussprach, holte Heue wenig später die Genehmigung zum Bau eines noch größeren Sortierschranks ein. Dieser hatte 100 Fächer, an den Türen wurden, ähnlich dem vorherigen Regal, Fächerkästen befestigt, welche für Verleger und kleinere Firmen bestimmt waren. Im Laufe der Zeit wurden diese Sortiereinrichtungen den beständig steigenden Firmenzahlen angeglichen.115 Das Sortieren der Bestellzettel wurde in den ersten Jahren noch nicht zufriedenstellend besorgt. Vor allem fehlte eine genaue Sortierreihenfolge. Nachdem die ankommenden Mappen auf dem Tisch ausgeworfen waren, fingen die Angestellten ii2 Heue, Bestellanstalt, S. 9-10. U3 Die Dyksche Buchhandlung und A. Wienbrack fanden es zunächst bedenklich, ihre Papiere der Bestellanstalt anzuvertrauen, doch sie überzeugten sich bald von den Vorteilen der neuen Einrichtung und wurden deren Förderer. Vgl. Ebd., S. 10-12. 114 Zugrunde gelegt wurde das preußische Zollmaß des vorigen Jahrhunderts von ca. 37 mm. Vgl. Lutz, Messen, S. 228-229. Iis Vgl. Heue, Bestellanstalt, S. 23-30.
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damit an, die ins Auge springenden Zettel zu sortieren, bevor sie sich den vielen unscheinbaren zuwendeten. Kein Wunder also, daß einige Papiere und Verlangzettel von Montag bis Sonnabend lagen, wo sie in der routinemäßigen, wöchentlichen General-Aufräumaktion, die teilweise bis zum Sonntag andauerte, vollständig zugeordnet wurden. Der Personalbestand erweiterte sich gemessen an der Zunahme des Zettelumschlags nur geringfügig, da die rountinemäßigen Arbeiten durch ein spezialisiertes Personal sehr effektiv erledigt werden konnten. In den siebziger Jahren arbeiteten hier drei Sortierer und vier Austräger. Kein Angestellter war unter zwanzig, da man bei ihnen Veruntreuungen befürchtete. 1872 stellte man erstmals drei Burschen gleich nach der Konfirmation als Austräger ein. Diese bewährten sich und waren nach Ansicht Heues viel flexibler und schneller im Einprägen der vielen Kommittentennamen als ihre älteren Kollegen. 116 Heue ließ die in der Bestellanstalt sortierten Verlangzettel und Geschäftspapiere wiegen, um ihre ungefähre Zahl zu ermitteln. Er nahm an, daß eine Korrespondenzkarte ebenso wie 6 Verlangzettel ein Gewicht von 3 Gramm hatte. 117 Daraus leitete er ab, daß 112 kg etwa 1.200-1.300 Zettel entsprachen. In den Jahren 1881 bis 1886 lag der jährliche Zettelumschlag zwischen 19 und 24 Millionen Stück. 118 Diese enormen Sortierarbeiten wurden durch die fortwährenden Veränderungen in den Firmenbezeichnungen, den Vertretungen usw. erschwert, die ein ständiges Nachschlagen im Adreßbuch Schulz , teilweise sogar ein Auswendiglernen erforderlich machten. Etwas scherzhaft nannte man daher die Sortierer der Bestellanstalt „wandelnde Adreßbücher". 119 Bis 1877 war die Zettelbestellanstalt in der alten Buchhändlerbörse untergebracht, wurde dann auf einige Jahre in die Lindenstraße verlegt, bevor sie 1888 in das neue Buchhändlerhaus umzog. 120 Die Rationalisierung bestand zum einen in der beschleunigten Bestellübermittlung, zum anderen in einer umfangreichen Personal- und somit Kosteneinsparung. 4. Das Memorandum der Leipziger Kommissionäre 1846 Eines der wichtigsten Dokumente des Leipziger Kommissionsbuchhandels des 19. Jahrhunderts ist das Memorandum für die Herren Committenten mit Bezug auf 116 Vgl. Ebd., S. 35-39. 117 Vor dem Wiegen wurden Postkarten, Postbestellanfragen und außergewöhnlich große Verlangzettel entfernt. Vgl. Ebd., S. 41 -42. Iis 1881: 19.655.675 (Zettel), 1882: 20.486.191, 1883: 21.458.069, 1884: 21.507.034, 1885: 22.910.368, 1886: 23.990.812. Für 1881 splittete sich die genannte Zahl auf in: ca. 5.720.000 Verlangzettel, ca. 11.412.000 Zirkulare, ca. 764.000 Remittenden, ca. 2.516.000 Rechnungsauszüge. Vgl. Ebd., beiliegender Rechenzettel. 119 Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 50. 120 Vgl. Schulz, Adreßbuch.
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das Commissions-Geschäft in Leipzig. Neununddreißig, zumeist führende Kommissionäre legten darin für ihre Kommittenten die Usancen am wichtigsten deutschen Kommissionsplatz dar und gaben unerläßliche Hinweise für eine rasche und reibungslose Geschäftsabwicklung. 121 Wiederholt wurde die Schrift als ein Usancenkodex des Kommissionsbuchhandels bezeichnet.122 Zur unmittelbaren Entstehungsgeschichte der Denkschrift gibt es nur wenige Aussagen. Auffällig ist, daß kein eigentlicher Verfasser genannt wird. Der Historiker Johann Goldfriedrich bezeichnete im vierten Band seiner Geschichte des Deutschen Buchhandels Friedrich Volckmar als solchen, ohne dies weiter zu belegen.123 Für eine intensive Beteiligung Volckmars bei der Niederschrift des Memorandums spricht die Tatsache, daß er bereits 1833, damals ausschließlich für seine Kommittenten, ein erstes 16seitiges „Memorandum" verfaßte mit dem Titel Als handschriftliche Mittheilung für die Herren Committenden zu betrachten. Auch wenn einige wenige Passagen der Handschriftlichen Mittheilung und des Memorandums sinngemäß übereinstimmen, ist die letztgenannte, viel umfangreichere Schrift wohl eher nach den Vorlagen Volckmars von einer größeren „Redaktion" erarbeitet worden, zu der neben diesem sicherlich solch einflußreiche Unternehmerpersönlichkeiten wie Friedrich Fleischer, Franz Koehler, Friedrich Steinacker sowie Heinrich Brockhaus gehörten. Die Leipziger Kommissionäre verschickten die Denkschrift an alle ihre Kommittenten. Einer Besprechung von Julius Springer ist zu entnehmen, daß der Versand nicht erst „im Juni 1846" erfolgte, wie es auf der Schlußseite des Memorandums heißt, sondern daß die ersten Exemplare bereits auf der Leipziger Ostermesse Anfang Mai ausgehändigt wurden. 124 Gemäß des Titels wurde die Schrift allen Kommittenten der unterzeichneten Kommissionäre zugeschickt. Das Adreßbuch Schulz wies 1.371 Kommittenten aus, was eine Auflagenhöhe von mindestens 1.500 Exemplaren vermuten läßt. Trotz der hohen Auflage war die Schrift bald vergriffen und wurde erst 1892 in aktualisierter Form wieder aufgelegt. 125 Unter Zugrundelegung des Memorandums erschien die Schrift Der buchhändlerische Verkehr über Leipzig und der Geschäfts121 Die unterzeichneten Kommissionäre gehörten zu den Firmen: Arnoldsche Buchhandlung, J. A. Barth, F. Beyer, G. Brauns, F. A. Brockhaus, C. Cnobloch, W. Engelmann, F. Fleischer, R. Friese, A. Frohberger, Gebhardt & Reisland, J. Grosse, R. Hartmann, L. Herbig, B. Hermann, F. Hofmeister, J. Jackowitz, E. Keil & Co., H. Kirchner, K. F. Koehler, C. E. Kollmann, E. Kummer, A. G. Liebeskind, L. Michelsen, J. G. Mittler, C. H. Reclam sen., Rein'sche Buchhandlung, C. F. Schmidt, L. Schreck, O. A. Schulz, J. C. Stadler, E. F. Steinacker, Th. Thomas, Voigt & Fernau, F. Volckmar, R. Weigel, T. O. Weigel, A. Wienbrack, G. Wigand. 122
Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 51; Kohlhammer, Kommissionär, S. 8 - 9 . ™ Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte Bd. 4, S. 346. ™ Vgl. BBl Nr. 59, 26. 7. 1846, S. 691. 125 Kurze Besprechungen des Memorandums siehe (Springer:) BBl Nr. 59, 26. 6. 1846, S. 691-693; Menz, Buchhändler, S. 173-175; Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 346-348.
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gang des Leipziger Kommissionsgeschäfts 126, die den neuesten Stand des Geschäftsverkehrs dokumentierte. Bis 1939 folgten weitere Auflagen sowie erneute Publikationen mit den Titeln Der Verkehr über Leipzig , Wer liefert über Leipzig aus?, Wer verkehrt über Leipzig ?, Weshalb verkehrt man über Leipzig ?, Wie verdes Verkehrs über Leipzig . Die kehrt man über Leipzig oder Die Wirtschaftlichkeit genannten Publikationen wurden ganz bewußt in die Tradition des Memorandums von 1846 gestellt. Nachdem das im Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig noch erhaltene Belegexemplar im Zweiten Weltkrieg verbrannte, war das Memorandum bis zum heutigen Tag nicht öffentlich zugänglich und galt bisweilen sogar als verschollen. Ein Exemplar konnte von mir in der Bibliothek des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels in Wien aufgespürt und in Zusammenarbeit mit der Brockhaus Kommissionsgeschäft GmbH in einer Dokumentation herausgegeben werden. 127 Weitere Exemplare mögen sich noch in privater Hand befinden; sie sind jedoch bislang für die Forschung nicht zugänglich gewesen. Es wäre wünschenswert aus diesem Fundus eine vollständige Ausgabe zu erhalten. Denn leider fehlt dem Wiener Exemplar die ursprünglich lose beigelegte Tabelle derjenigen Handlungen, „welche in Leipzig nicht ausliefern lassen." Nach Konsultation des Adreßbuches für den Deutschen Buchhandel könnte es sich allerdings nur um wenige Firmen handeln. Vor allem zwei Momente geben Anlaß, das Memorandum in aller Ausführlichkeit zu besprechen. Zum einen handelt es sich um eine sehr detailgetreue und sachkundige Darstellung des Leipziger Kommissionsbuchhandels, die aus einer selbstreflektierenden, unternehmerischen Sicht verfaßt wurde. Die darin erläuterten geschäftlichen Handlungsabläufe konnten in dieser Exaktheit keiner zweiten zeitgenössischen Quelle entnommen werden. Zum anderen beschreibt das Memorandum den Leipziger Kommissionsbuchhandel während eines Jahrzehnts, das die vorliegende Untersuchung als außerordentlich wichtig für die Umgestaltung kennzeichnete. Der Branchenzweig befand sich in der Endphase ihrer grundlegenden Modernisierung und zog eine erste Bilanz. Übersichtlich und klar formuliert, präsentierte sich die Denkschrift ihrem Zielpublikum, den auswärtigen Kommittenten. Sie sollte eine Erleichterung für den gegenseitigen Verkehr zwischen Kommittent und Kommissionär sein. Insbesondere wurde sie verfaßt, weil „ein großer Theil der immer wiederkehrenden kleinen Plagen, Störungen und Mißverständnisse nur daher rührt, daß viele der auswärtigen H[er]rn Collegen von dem innern Mechanismus des Geschäftsganges, wie er in Leipzig aus nach allen Seiten hin wirkt, keine deutliche Vorstellung haben." 128 Außerdem schien es den Kommissionären zweckmäßig, bei den großen Veränderungen im Buchhandel, die auch im Leipziger Kommissionsgeschäft Einzug hielten, 126
Vgl. Der buchhändlerische Verkehr Vgl. Keiderling, Memorandum. 12 8 Volckmar, Memorandum, S. 3. 127
1892, in: StAL, Börsenverein Leipzig, 532.
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„auf einige Puñete aufmerksam zu machen, wo alte Verhältnisse, schwankend zwischen neueren, einer Regulierung nach den Ansprüchen der Gegenwart zu bedürfen scheinen." 129 Mit Hilfe eines Inhaltsverzeichnisses konnte sich der Leser rasch orientieren, was dafür spricht, daß das Memorandum als eine Art Nachschlagewerk für den öfteren Gebrauch gedacht war. Nach einer kurzen Einführung zum früheren und jetzigen Geschäftsgang wurden die einzelnen Themenbereiche abgehandelt, die das Leipziger Kommissionsgeschäft ausmachten: Auslieferung, Bestellung, Barpakete, Wechsel, Meß- und Abrechnungsangelegenheiten sowie Gebühren der Kommissionäre. Dem Kommittenten wurden Anweisungen gegeben, welche Dinge er zu beachten habe, um eine rasche Erledigung seiner Aufträge zu bewirken. Betrachten wir nun die Festlegungen im einzelnen: Der erste Abschnitt beschäftigte sich mit der jüngsten Geschichte des Geschäftszweiges. Folgt man den dort getroffenen Äußerungen, so ergibt sich ein Befund, der die Entwicklung des Leipziger Kommissionsbuchhandels zu einem modernen kapitalistischen Auslieferungs- und Abrechnungsbetrieb scharf auf die dreißiger bis vierziger Jahre eingrenzte. „Noch vor 20 Jahren", so ist dort zu lesen, „knüpfte sich an die Funktion des Commissionairs zugleich diejenige eines regelmäßigen Lieferanten von Sortiment, ohne Auftrag auf Letzteres ging fast kein Brief nach Leipzig." 130 Zu diesem Zeitpunkt waren die Kommissionäre zugleich Großsortimenter und versorgten die auswärtigen Sortimenterkollegen mit Literatur. Es ist zu beachten, daß nur wenige der Nichtleipziger Verleger Lager in Leipzig unterhielten. Barauslieferung war unüblich und das Auslieferungsgeschäft generell noch ungeordnet. Wer sonst, wenn nicht der Kommissionär, mußte also dafür sorgen, daß genügend Literatur am Standort vorrätig war. Diese Lagerhaltung wurde auf eigene Rechnung unterhalten, zu Neujahr der Bestand durch die Kommissionäre inventiert und auf feste Rechnung neu bestellt. Zwei Gründe setzten die damaligen Kommissionäre in die Lage, eine eigene, begrenzte Lagerhaltung zu pflegen. Die unzureichenden Verkehrsverhältnisse machten einerseits eine rasche Auslieferung vom Verlagsort unmöglich, andererseits war der Wettbewerb durch Nachdrucke und Konkurrenzauflagen bei weitem nicht so hoch wie zwanzig Jahre später. Man konnte es sich damals gewissermaßen noch leisten, die Bücher in Ruhe zu verkaufen. Seit diesen Tagen hatte sich der lokale Kommissionsbuchhandel und seine Rahmenbedingungen revolutionär verändert. Sowohl die Firmenzahl als auch der Warenumschlag wuchsen um ein Beträchtliches. Um die steigende Nachfrage schnell befriedigen zu können, legte ein Großteil der auswärtigen Verleger ein Leipziger Lager an und übertrug die Auslieferung dem Kommissionär. Letzterer übernahm neben der Auslieferung und Abrechnung noch die Vermittlung der aufkommenden 129 Ebd., S. 4. 130 Ebd.
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Barpakete. Nach dem Memorandum wurde der Kommissionsbuchhandel zwischen 1826 und 1846 eine Hauptbeschäftigung und der Kommissionär ein „echter" Vermittler zwischen Verleger und Sortimenter. 131 Hinsichtlich der Auslieferung hatten die Kommittenten in den Augen der Kommissionäre oft nur wenig Vorstellung davon, welche Aufgaben zu bewältigen waren. Da die Kommittenten beständig über zu hohe Spesenbelastungen und häufige Verzögerungen klagten, erstellten die Unterzeichner richtigstellend folgenden Zeitplan: Angenommen, die Bestellung eines Sortimenters ging am ersten Tag in Leipzig ein, so brauchte man diesen Tag, um die Bestellzettel an die Verlegerkommissionäre weiterzuleiten und um die Bücher aus den unterschiedlichen Lagern herauszusuchen. Nachdem das geschehen war, konnten die entsprechenden Pakete frühestens am zweiten Tag gepackt und am dritten beim Sortimenterkommissionär abgeworfen werden. Drei Tage vergingen also, bis die Bücher speditionsbereit vorlagen, was so begründet wurde: 1. Das große Einzugsgebiet des Kommissionsbuchhandels sorgte für einen enormen Warenumschlag, der nur sukzessive zu bewältigen war. 2. Durch Extrabesorgungen, den empfohlenen Bestellungen beispielsweise, war es zwar möglich, einzelne Bücher schneller herauszusuchen, dafür mußten aber andere Bestellungen liegen bleiben, so daß sich die Bearbeitung der normalen Auslieferung verzögerte. 3. Da gegen Ende der Woche die Spedition zunahm, konnten Verlangzettel, die Freitag Mittag bis Sonntag eingingen, erst in der folgenden Woche berücksichtigt werden. Die Kommittenten sollten daher ihre Bestellungen so einrichten, daß sie an einem für sie günstigen Wochentag in Leipzig eintrafen. 4. Die Tatsache, daß durchschnittlich nur jedes fünfte bestellte Buch in Leipzig auf Lager war, führte zu unangenehmen Wartezeiten. Die auswärtigen Verleger waren im eigenen Interesse dazu verpfichtet, die Fehlbestände rechtzeitig aufzufüllen. Zu Beginn des Monats erhielten die Verleger eine Kopie der Auslieferungsliste anhand derer sie sich ein genaues Bild des Lagerbestandes und Absatzes verschaffen konnten. 5. Große Verzögerungen ergaben sich, wenn ein Buch nicht in Leipzig ausgeliefert wurde. Wie groß die Verlegergruppe ohne Anbindung an Leipzig war, ergab sich aus einer Liste im Anhang des Memorandums , die sich aber im vorliegenden Exemplar nicht erhalten hat. Die Kommissionäre versicherten, daß sich große Firmen nicht darunter befanden. 6. Ferner wurden Defekte, Journale, Karten, Kunstsachen, Wiederholungszettel sowie einzelne Bände aus Gesamtwerken in der Regel nicht ausgeliefert.
i3i Vgl. Ebd., S. 6.
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7. Es wurden keine Bestellungen ausgeführt, die inkorrekt verlangt wurden und die die Kompetenz des Kommissionärs überschritten. Letzteres war der Fall, wenn z. B. Bücher mit Freiexemplaren, höherem Rabatt oder ä condition verlangt wurden, die nur fest zu beziehen waren. Solche Zettel wurden vom Kommissionär umgehend an den Verlagsort geschickt, was in jedem Fall eine verspätetete Auslieferung bedeutete. Für Buchbestellungen wurden weitere Hinweise gegeben. So befand sich ein Buch, das nicht im verlegerischen Handlager des Kommissionärs vorrätig war, nur in den seltensten Fällen in einer Leipziger Sortimentsbuchhandlung. Durch die Konzentration der einzelnen Verlagsdepots und einer guten Kommunikation konnte Leipzig „als ein colossales Sortiments-Magazin" betrachtet werden. 132 Ferner war der Kommissionär, der ja bekanntlich kein eigenes Lager hielt, nicht in der Lage, Nova selbst zu verschicken. Er leitete die vom Verleger kommenden Novasendungen weiter. In beiden Fällen hatten sich die Sortimenter über die betreffenden Kommissionäre an die Verleger zu wenden. 133 Es wurden im weiteren Gründe aufgezählt, wann sich eine Verzögerung der Auslieferung einstellen konnte. Zunächst waren diejenigen Verlangzettel zu nennen, auf denen der Verleger oder der Buchtitel nicht, unvollständig oder falsch ausgewiesen waren. Wenn dieser Fall eintraf, zogen die Leipziger Markthelfer mit den Zetteln solange durch die örtlichen 130 Buchhandlungen, bis sie die fehlenden Informationen hatten. Da die Kommissionäre davon ausgingen, daß alle bibliographischen Hilfsmittel vergeblich benutzt wurden, konsultierten sie auch nicht die Verzeichnisse Heinsius oder Hinrichs. Auf diese Weise wurde oft nach Büchern gesucht, die gar nicht existierten. 134 Eine weitere Variante der Verzögerung war die Bestellung eines Buches, das in Leipzig nicht ausgeliefert wurde. Nach einer im Memorandum aufgemachten Rechnung konnte ein Buch, das von Halle über Leipzig von einem Berliner Verleger (ohne Leipziger Lager) bestellt wurde, frühestens nach 14 Tagen geliefert werden. 135 Schließlich konnten Klagen über verspätete Eingänge von Nova entstehen, wenn die Posten und Fuhren in eine bestimmte Stadt um wenige Minuten verpaßt wur132 Vgl. Ebd., S. 14. 133 „Durch Versendung der Nova leitet der Verleger zuvörderst selbst die Verbindung mit allen Sortiments-Handlungen ein und schickt in der Regel gleichzeitig eine Anzahl Exemplare der versandten Nova an seinen Commissionair für den Fall der Nachbestellung. Der Commissionär expedirt [ . . . ] die an seinen Committenten adressirten, ihm zukommenden Verlangzettel ä Condition oder auf feste Rechnung, so weit es seine Ordre erlaubt. Dies Geschäft ist also nur die Fortsetzung eines bereits eingeleiteten Verkehrs zwischen Sortimenter und Verleger." Ebd., S. 16. 134 Meist handelte es sich um Aufsätze in Zeitschriften, unveröffentlichte Dissertationen, Bücher mit falschen Titeln oder Autorennamen. Manche Bücher wurden sogar nur nach ihrem ungefähren Inhalt bezeichnet. Vgl. ebd., S. 18. 135 Volckmar, Memorandum, S. 18-19.
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den. Dann blieben die Pakete mitunter ein, zwei Wochen in Leipzig liegen, bis der nächste Transport erfolgte. Hervorgerufen wurden derartige Verzögerungen entweder durch die Versendungsweise der Verleger, die die Nova nach dem Alphabet der Sortimenter verschickten, oder einfach durch die Unmöglichkeit, alle Pakete gleichzeitig an alle Leipziger Sortimenterkommissionäre weiterzuleiten. 136 Bei Journalen, die zumeist freitags und sonnabends ausgeliefert wurden, ergaben sich gegebenenfalls auch Verzögerungen durch verspätetes Anliefern. In einem nächsten Abschnitt widmeten sich die Kommissionäre den Barpaketen, über deren umfangreiche Bearbeitung sie sich bereits im Februarzirkular geäußert hatten. Bei der Übergabe in Leipzig, und das sei ihr zentraler Kritikpunkt, verursachten diese eine achtfache Buchung. Beim Einkassieren würden sie bei der Übergabe vom Verleger- zum Sortimenterkommissionär von beiden Angestellten notiert werden, eine dritte Buchung erfolgte im Kassabuch des Sortimenterkommissionärs, eine vierte auf dem Kassa-Konto des Sortimenters, eine fünfte auf dem Kassa-Auszug, der dem Sortimenter zugeschickt wurde und bei der Auslieferung über Leipzig mußten sie noch dreimal notiert erscheinen: auf der Faktur, dem Auslieferungsbuch und der Auslieferungsliste. 137 Gar nicht erwähnt wurde bei dieser Auflistung, daß oftmals die Übergabe an den Sortimenterkommissionär (Inkasso) erst beim dritten oder vierten Anlauf klappte, weil dort eine Annahme infolge von Arbeitsstaus, Unstimmigkeiten usw. verweigert wurde. Angesichts dieser Mehrarbeiten fragten die Kommissionäre, wohin es denn führe, wenn sich dieser Posten weiter ausdehne? Ein achtmal notiertes, kleines Groschenheft stand im krassen Gegensatz zu den sonstigen Bemühungen, den Geschäftsbetrieb zu vereinfachen. Letztendlich mußte diese Praxis zu einer Verkehrsstockung und Spesenmehrbelastung für die Kommittenten führen. Jordan erkannte aus den Spesensätzen der Leipziger Kommissionäre von 1846, daß sie immer noch nicht professionell als Bankiere fungierten. 138 Sie erhoben zwar eine Gebühr, die sich aus dem wiederholten Buchen der Barpakete ergab. Im Grunde aber wollten sie sich dieser Arbeit entledigen.139 Da die jährliche Barpaket-Auslage nach Schätzungen der Kommissionäre im Jahre 1846 etwa eine halbe Millionen Tlr. betrug, verursachten sie gleichzeitig bei den Kommittenten eine Mehrbelastung durch Zinsen, Provision und Agioverlust von rund 36.000 Tlr. 1 4 0 136
„Nehmen wir nun an, ein hiesiger Commissionair habe 20 Centner Nova erhalten, was weiter nicht viel bedeuten will, so gebrauchen zum Austragen derselben zwei ganz routinirte Markthelfer fast einen vollen Tag. Sie beginnen diese Arbeit nach der Straßenlage, die nächsten Nachbarn kommen zuerst an die Reihe." Ebd., S. 20. 137 Vgl. Ebd., S. 21-22. 1 38 Vgl. Jordan , Zentralisationsprozeß, S. 56-57. 1 39 „Welchen Zeiten gehen wir entgegen, wenn das System der baaren Nachnahme für alle oder manche Artikel an alle Handlungen weiter um sich greift?" Volckmar, Memorandum, S. 22. 1 40 Luckhardt behauptete noch in den siebziger Jahren, daß Provisionen und Zinsen für die Kreditleistungen des Kommissionärs ungebräuchlich waren. Vgl. Luckhardt, Verbesserung,
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Diese Summe entfalle - so die Kommissionäre wenn die Pakete auf herkömmliche Weise ä condition bezogen und zur Jahresabrechnung beglichen würden; unabhängig von dem Ärger, den man damit hätte. Nach Besprechung der Barpaketfrage erfolgte eine Auflistung von „Wünschen", durch deren Befolgen die Kommittenten das Kommissionsgeschäft erleichterten. Auch wenn die Kommittenten die vorgeschlagenen Verhaltensweisen als unbedeutend erachteten, machte sich deren Einhaltung in der „komplizierten Geschäftsmaschine" 141 ausgesprochen positiv bemerkbar: 1. Verschiedene Aufträge durften nicht vermischt werden. Empfohlene Bestellungen hatten z. B. auf einem Extra-Bestellzettel zu erfolgen, weil diese oft von anderen Personen bearbeitet wurden. 2. Zur Erleichterung der Sortierarbeiten sollte auf korrekte Angaben der Verleger und Buchtitel geachtet werden. 3. Verschiedene Vorgänge wie Avise, Zahlungs- und Auslieferungsaufträge waren jeweils voneinander getrennt zu schicken. 4. Die Avise sollten weder vergessen werden noch später als die Ware in Leipzig eintreffen. Es mußte aus ihnen eindeutig hervorgehen, in welchem Fuhrballen sich die Bücher befanden. Insbesondere dann, wenn drei, vier oder fünf Ballen gleichzeitig ankamen. 5. Diejenigen Umschläge, die wichtiger waren als andere und die eine rasche Behandlung erforderten, hatte man mit einem roten Stift zu kennzeichnen. 6. Barpakete sollten stets getrennt aufgeführt und auffällig als solche beschriftet werden. 7. Da ohnehin alle in den Paketen befindlichen Briefe und Kuverts vom Kommissionär zu öffnen waren, sollten sie erst gar nicht verschlossen werden. 8. Eine eindeutige Begrifflichkeit ersparte viel Zeit. So wußten die Kommissionäre bei der Bemerkung „senden Sie mir mit umgehenden Postpaket" nicht, ob es sich um ein Extra-Postpaket oder um das nächste reguläre handelte. 142 In diesem Falle sollte der Beisatz „apartes" oder „Extra-Postpaket" bzw. „im nächsten Postpaket" Klarheit schaffen.
S. 12. Jordan verwies darauf, daß man diese Berechnungen aufgrund der fehlenden Quellen nur schwer einschätzen könne. Sicherlich belegten die Kommissionäre auch Vorschußzahlungen mit einer Gebühr. Vielleicht tauchten diese aber auch an anderer Stelle der Spesenbelastung auf. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 58. 141 Vgl. Volckmar, Memorandum, S. 25. 142 Nach einer gängigen Interpretation wurde vom Kommissionär meist das letztere angenommen, was sich oft als falsch herausstellte. „Umgehend" bestellte Bücher konnten nur fest verschickt werden und nicht ä condition, wie manche Kommittenten auf Bestellzetteln irrtümlich ankreuzten. Vgl. Ebd., S. 28.
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9. Wechsel und Anweisungen sollten richtig gehandhabt werden, da insbesondere Wechsel auf andere durch die Kommissionäre nicht besorgt, sondern nur freundlicherweise weitergeleitet wurden. 10. Mit Bezug auf das Februarzirkular wurden die Modalitäten zur Ostermeßabrechnung nochmals genannt. 143 Im nächsten Abschnitt des Memorandums äußerten sich die Kommissionäre zur Problematik der verlorenen Pakete. Ein Quittieren kam beim besten Willen nicht in Frage, da „eine solche zeitraubende, kostspielige Manipulation gar nicht durchzuführen ist. [ . . . ] Unsere Sorge, unsere Angst, möchten wir sagen, kann nur darauf gerichtet sein, uns mit braven Leuten zu umgeben." 144 In mehreren Punkten versuchte das Memorandum, mögliche Ursachen für den Paketverlust festzumachen. Diese fänden statt, wenn Adressen falsch oder unleserlich seien, Fakturen bei den verschiedensten Gelegenheiten vertauscht würden oder verloren gingen, Markthelfer sich beim Austragen irrten oder Verpackungsfehler stattfänden. Viel mehr als diese bekannte und in den buchhändlerischen Zeitungen bereits umgehend besprochene Fehleranalyse vermochten sie nicht zustandezubringen. Einer Lösung konnte dieses Problem vorerst nicht zugeführt werden. 145 Der steigende Barverkehr ließ das alte System der Spesenberechnung als zu ungenau erscheinen. Künftig sollte gemessen an der tatsächlichen Leistung des Kommissionärs eine exaktere Berechnung stattfinden. Die Emballage wurde dem Kommittenten mit einen Taler pro Zentner vergütet. Bei kleineren Kolli erfolgte eine geringe Erhöhung des Satzes, die nach einer Angabe von 1858 rund vier Pfennig aufs Pfund bei kleineren Paketen oder besonderer Verpackung fürs Ausland betrug. 1 4 6 Ebenso mußten Geschäftsspesen, wie Lokalmiete, Löhne, Abgaben, Holz, Licht und andere Unkosten, gedeckt werden, deren Höhe aber nicht weiter angegeben wurde. Bei den Auslieferungsgebühren, die teilweise in die Kommissionsgebühren mit einbezogen waren, fehlte noch eine einheitliche Norm. In anderen Fällen war eine genaue Abrechnung nach einzelnen Paketen üblich, je nach Umfang der Kommissionsbeziehung. Das Barpaketgeschäft wurde als ein eigener Posten ausgewiesen, der zukünftig extra vergütet werden mußte. Die Summe sollte sich nach dem Umfang der vermittelten Pakete leicht errechnen lassen. Für die Meßar143
Die Remittenden sollten spätestens 14 Tage nach Ostern eintreffen und die Zahlungslisten maximal drei Wochen nach Ostersonntag bei den Kommissionären sein. Da die Meßabrechnung oft nur sehr lückenhaft erfolgte, sollten die Kommittenten bereits zu Hause all diejenigen Rechnungen zum Ausgleich vorbereiten, die auf jeden Fall abgerechnet werden konnten. Alle noch offenen und nicht in der Messe zu klärenden Angelegenheiten sollten im Verlaufe des Sommers vereint und nicht in einzelnen Listen über den Kommissionär abgerechnet werden. Vgl. Ebd., S. 32-33. 144 Vgl. Ebd., S. 35. 14 5 „Wir schließen diesen Abschnitt, wohl fühlend, daß wir nicht vermögend sind, demselben eine gleich scharfe geschäftliche Erledigung zu geben, als wir, Ihnen gegenüber, uns in anderen Fällen gedrungen fühlen." Ebd., S. 37. 146 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 346.
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beiten zählte die Denkschrift noch sämtliche Handgriffe auf, die in bezug auf das Remittendengeschäft und die Abrechnung anfallen würden und somit Gegenstand der Kommissionsgebühren waren. 147 Speziell für die Lagermieten, die sich in den letzten sechs Jahren bedeutend erhöht hatten, sprach sich das Memorandum für eine verbindliche und normierte Spesenbelastung aus. 148 Schließlich war das Zentnergeld ein wichtiger Brauch, der insbesondere die Markthelfer absicherte. In alter Zeit leistete der Spediteur dieses kleine Aufgeld. Da sich die Eisenbahn, die immer mehr Routen übernahm, weigerte, solche „Trinkgelder" zu geben, wurde an die Kommittenten appelliert, diese doch offenherzig zu leisten. Die Markthelfer würden auch nicht immer auf die Uhr sehen: „Oft sind einige Ballen gepackt, 6 andere warten darauf, eben kommen Nova, gern werden die ersteren wieder geöffnet, gern die Mittagszeit verpaßt, um nur die Neuigkeitspaquete beizufügen; oft wird bei eilig begehrten Auslieferungen erst beim dritten oder vierten Gange die Erfüllung Ihres Wunsches ermöglicht." 149 Am Schluß ihrer Denkschrift angelangt, verwahrten sich die Verfasser noch gegen jede falsche Auslegung. Das Memorandum sei weder der Auftakt zu bedeutenden Teuerungen im Kommissionsgeschäft, noch wollten die Kommissionäre dem deutschen Buchhandel neue Vorschriften machen. „Nicht nach unserer Willkür, sondern nach vorgeschriebenen Regeln, leisten wir also Ihren Verkehr!" 150 Bleibt zu fragen, wie das Memorandum von der Geschäftswelt aufgenommen wurde. Es gab entgegen den Befürchtungen der Verfasser, die sich immerhin auf zwei Schlußseiten gegen eine Falschauslegung verwahrten, nur positive Reaktionen. Der Berliner Buchhändler Julius Springer war in seiner Börsenblatt-Besprechung voll des Lobes über die Initiative der Leipziger Kollegen. Bei der enormen Vergrößerung der Kommissionsgeschäfte seien eben die Aufgaben an diesen Umschlagplätzen größer und schwieriger geworden. „Den Leipziger Commissionairen gebührt das Lob, daß sie von Anfang an ihre Stellung fest und richtig in's Auge gefaßt haben und das vorliegende Memorandum kann uns als neuer Beweis gelten, wie sie bemüht sind, den Geschäftsgang, welchen der gesammte Buchhandel durch Leipzig nimmt, diesem klar vorzulegen und in gegenseitigem 147 Goldfriedrich schrieb, daß das Memorandum Auskunft über den üblichen Satz für das Messegeschäft (Konferieren, Öffnen und Ordnen der Remittenden) geben würde, der 15 Tlr. und mehr betrüge. Die Besorgung der Meßkasse (Durchrechnen und Quittieren der Posten, Differenzen) würde mit 1 Prozent berechnet. Diese Zahlen sind der Denkschrift aber nicht zu entnehmen. Vgl. Ebd., S. 347-348. 148 „Wer z. B. ein Lager von 150 Ballen hier hat, bedarf dazu, wenn er das jetzige billigste Verhältniß aussucht, eine Niederlage im Preise von 25 - 30 Thlr. Angenommen, daß ein solcher Verlag aus 80-100 Artikeln besteht, so ist dazu die Hälfte eines mittleren Zimmers zum Handlager erforderlich, exclusive der bedeutenden Auslagen für Regale ist ein solches nicht unter 30 Thlr. zu miethen. Dazu kommen noch die städtischen Abgaben, welche auf jedem Locale lasten." Volckmar, Memorandum, S. 43. i 4 * Vgl. Ebd., S. 41. 150 Ebd., S. 45.
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Interesse die nicht zu leugnenden vielfachen Schwierigkeiten zu heben und auszugleichen. [ . . . ] Nach dieser Darlegung der Leipziger Commissionsverhältnisse vermag auch der Committent die Besorgung seines Commissionairs auf das Genaueste zu controlliren: das Memorandum in der Hand ist ein Mangel in der Besorgung oder irgend welche Vernachlässigung sofort nachzuweisen. Der Committent weiß darnach, was er zu verlangen und der Commissionair, was er zu leisten hat." 1 5 1 In der Barpaketfrage schien es Springer, als wollten sich die Kommissionäre der Plagen dieses Geschäfts entledigen, was sicherlich von Nachteil für den gesamten Buchhandel wäre. Einen Ausweg sah er darin, daß sich die Kommissionäre „unter einander und mit den betreffenden Verlegern in Leipzig [...] so [...] einigen, daß sie die Beträge der Baar-Packete eines Monats jedesmal zusammen mit einander verrechneten. Sie haben dann jedenfalls viel weniger Zahl-Posten und das müßte die Arbeit schon vereinfachen." Ob es rechtmäßig sei, daß die Kommissionäre für diese Barzahlungen ein Honorar erhielten, wollte Springer eher bezweifeln. Nach Zitierung der zwei Schlußseiten des Memorandums fügte er abschließend hinzu: „Ganz besonders empfehlen wir noch das Memorandum den Commissionairen an den anderen Vermittelungs-Plätzen des deutschen Buchhandels: es ist für sie daraus Vieles, sehr Vieles zu lernen. [ . . . ] denn man mag sagen, was man will [ . . . ] die Börse haben sich die Leipziger vom Buchhandel bauen lassen: aber die Bestell-Anstalt haben sie sich aus sich selber eingerichtet! Daraus läßt sich Vieles folgern!" 1 5 2 Das war ein Aufruf Springers zum Technologietransfer, der in erster Linie an die eigene Berliner Adresse gerichtet war.
5. Die Diskussion um eine Leipziger Paketbestellanstalt 1849 -1850 Klagen über verlorene, fehlgeleitete, gestohlene oder durch äußere, zum Teil durch staatliche Gewalt geöffnete und beschädigte Pakete gab es zu jeder Zeit im deutschen Buchhandel. Während sie in den dreißiger Jahren nur marginalen Eingang in die buchhändlerischen Zeitungen fanden, häuften sie sich dort in den vierziger Jahren. Fragt man nach den Ursachen des heftig geführten Meinungsstreits zu diesem Thema, ist folgendes anzuführen: Infolge einer langanhaltenden Expansion des Buch- und Zeitschriftenmarktes erhöhte sich nach 1815 beständig der Warenfluß zwischen den Verlegern und Sortimentern. Je mehr Bücher über den Konditionshandel branchenintern zirkulierten, um so deutlicher wurden die Mängel dieser Bezugsart. Da die Sortimenter die Bücher nicht kauften, übernahmen sie nur beschränkte Verpflichtungen gegenüber den Verlegern.
151 BB1 Nr. 59, 26. 6. 1846, S. 691 -693. 152 Ebd., S. 692-693.
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Die risikolose Literaturbereitstellung und langen Kredite der Verleger trugen nicht gerade dazu bei, daß die Sortimenter mit der ihnen anvertrauten Ware sorgfältig umgingen. Insofern Schäden durch unsachgemäßen Publikumsgebrauch, bei der Lagerung oder beim Retournieren auftraten, zeigten die Sortimenter nur eine sehr geringe Bereitschaft, den entstandenen Schaden wieder gutzumachen. Die Schadensverursacher konnten nie eindeutig ermittelt werden, da die Bücher auf dem Weg vom Verleger zum Sortimenter oftmals durch die Hände mehrerer Spediteure gingen. Außerdem steckte das Versicherungswesen noch in den Anfängen, so daß viele Unternehmer vor hohen Transport-Versicherungen zurückschreckten. Sie sahen nicht ein, warum sie die Bücher versichern sollten, während andere dies nicht taten. Eine Möglichkeit, den Büchertransport sicherer zu gestalten, war das Quittieren durch die Leipziger Kommissionäre. Während man noch 1840 durch Quittungen nur erfahren wollte, auf welcher Wegstrecke das Paket verloren ging 1 5 3 , wurde schon bald darüber nachgedacht, die Kommissionäre selbst haftbar zu machen. Ob und wie das aber praktisch zu geschehen hätte, darüber gingen die Meinungen weit auseinander. Die Leipziger Kommissionäre wiesen das Quittieren von Anfang an als völlig absurd zurück. „Wer einen solchen Vorschlag machen kann", so schrieb ein Leipziger Kollege, „beweist eine gänzliche Unkenntniß des Geschäftsganges und hat keinen Begriff von dem Umfange des Geschäftsverkehrs." 154 Denn der Kommissionsbuchhandel konnte seine rasche Auslieferung nur durch den formlosen Verkehr vermitteln. Fahrlässigkeiten oder Veruntreuungen waren beim Personal des Absenders, des Kommissionärs sowie des Empfängers möglich. „In Leipzig aber, wo so viele Mittelspersonen gerade bei Abgabe der Packete beschäftigt sind, wird es äußerst schwierig, ja in der Regel unmöglich sein, den Schuldigen herauszufinden. Aus diesem Grunde aber wird sich auch schwerlich ein Commissionär finden, der eine Responsabilität übernimmt, und es würde in dem einen wie in dem andern Falle auch unbillig sein, ihm eine solche, selbst gegen eine erhöhte Commissionsgebühr aufbürden zu wollen." 155 Aber nicht nur die ä condition verschickten Pakete waren Streitobjekt. Mit zunehmendem Barpaketverkehr verschwanden auch solche Pakete, die von den Sortimentern bereits bezahlt wurden. Sie seien „eine wahrhaft drückende Last für den Empfänger [Sortimenter, Th. K.], wie für den Vermittler [Kommissionär, Th. K.]." Ein Leipziger Kommissionär klagte 1842: „Die fürchterlichste Plage des Commissionairs aber sind die Baar-Packete! sowohl die aus - als eingehenden. Hat der Committent seine Bestellung ,gegen baar' gemacht und die betreffenden Bestellzettel werden mit vorgelegt, so geht es noch an. Oft aber fehlt der Beisatz »gegen baar' - löst man solche Packete ein, so ist's sehr oft dem Committenten nicht recht, 153 Vgl. ODB Nr. 47, 21. 11. 1840, S. 369-370. 154 BB1 Nr. 112, 29. 12. 1840, Sp. 2993. 155 Ebd., S. 2994.
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löst man sie nicht ein, so ist's oft aber wieder nicht recht, und ein unangenehmer Briefwechsel ist der Dank. - Ob uns unsre Committenten mit Casse dazu versehen oder nicht, soll noch nicht einmal erwähnt werden!" 156 Die Zahl der Barpakete nahm deshalb zu, weil die Verleger für gutgehende Buchtitel größeren Rabatt einräumten. 157 Ein Remittieren der Sendungen war bis auf die Rücknahme der Defekte gänzlich ausgeschlossen. Die Barzahlung wurde in Leipzig getätigt und zwar bei der Übergabe vom Verleger- an den Sortimenterkommissionär. Die Leipziger Kommissionsgeschäfte erhielten dadurch eine bedeutende Mehrarbeit aber auch eine gewisse Aufwertung. 158 In den vierziger Jahren wurde wiederholt diskutiert, inwiefern der Kommissionär für ein verlorenes Paket haften könne. Insbesondere wurde eingeräumt, daß sich das angespannte Hilfspersonal des Kommissionärs zwangsläufig schon mal irren könne. Das sollte dann aber nicht zu Lasten der Kommittenten abgewälzt werden. Diesen Auffassungen standen andere gegenüber, wonach die Schäden gar nicht so hoch wären, wie immer behauptet wurde. 159 Der Börsenverein berief 1844 zur Beantwortung von Haftungsfragen einen außerordentlichen Ausschuß unter Leitung des Stuttgarter Verlegers Jacob Friedrich Liesching, der ein Jahr später die Schrift Auf wessen Gefahr lagern Disponenden, Novitäten und andere ä condition-Sendungen des laufenden Jahres in den Sortimentsbuchhandlungen? vorlegte. 160 In diesem kostenlos verteilten Zirkulationsschreiben wurde die Haftung von den verschiedensten Seiten beleuchtet und eine gesetzgeberische Festlegung gefordert, die sowohl die Lagerung als auch den Transport der Bücher sicherer gestalten sollte. Auf der Kantateversammlung 1846 wurde daraufhin eine „Übereinkunft über die Haftpflicht für Neuigkeiten, Disponenden und andere ä Condition gesandte Artikel" beschlossen, die eine einheitliche Regelung in zehn Paragraphen formulierte. Die Kernaussage dieser Übereinkunft lautete: Der Empfänger aller Sendungsarten übernimmt erst die Haftung, 156 BBl Nr. 23, 22. 3. 1842, Sp. 637. 157 1851 wurde der Rabatt bei Barzahlung mit mindestens sechs Prozent bezeichnet. Vgl. BBl Nr. 19,7. 3. 1851, S. 255. 158 Vgl. BBl Nr. 69, 1. 8. 1845, S. 792-793. 159 „Wie Mancher sendet 10.000 Paquete nach Leipzig, und erhält eben so viel von dort, wie oft höre ich selbst von Handlungen, die einen solchen lebhaften Verkehr haben, erwähnen, sie fänden keine Differenzen der gedachten Art, oder die vorkommenden wären nicht der Mühe werth! [ . . . ] Jeder Geschäftsmann irrt sich mal - soll denn der Leipziger Markthelfer allein die Menschennatur verleugnen, und soll nie ein Versehen der Art von ihm ausgehen? Ohne allen Verlust der Art ist bis jetzt noch kein Verleger in oder außer Leipzig durchgekommen. [ . . . ] Aber sobald ich die Entdeckung machte, daß Unregelmäßigkeiten der Art sich bei meinem Commissionair besonders häuften, daß ein ausgemachtes Mißverständniß gegen andre Statt fände, so würde ich einen andern Commissionär wählen." BBl Nr. 93, 22. 10. 1844, Sp. 3140-3141. 160 Der Kommission gehörten fünf Buchhändler an: Liesching aus Stuttgart, Vieweg aus Braunschweig, Heinrich Brockhaus aus Leipzig, Enslin aus Berlin und Frommann aus Jena. Vgl. BBl Nr. 45, 10. 5. 1844, Sp. 1361.
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wenn die Pakete bei ihm oder seinem Kommissionär eingegangen sind. Er war dieser Haftpflicht enthoben, wenn er sich gegen den Verlust oder die Beschädigung nicht versichern konnte (wie bei Naturgewalten oder Kriegsereignissen). Der Verleger sollte in diesem Falle eine Entschädigung von 2/3 des Nettopreises leisten. Eventuelle Streitigkeiten sollte eine Vergleichsdeputation des Börsenvereins schlichten.161 Dem Übereinkommen traten bis zum Mai 1849 517 Buchhandlungen bei. 1 6 2 Da sich die Klagen über abhandengekommene Pakete in den vierziger Jahren häuften und sich besonders auf die zwischenbuchhändlerische Paketvermittlung in Leipzig bezogen, begann eine Diskussion um eine neuzuerrichtende Paketbestellanstalt. Der erste Vorschlag aus dem Jahre 1844 lautete wie folgt: Den Leipziger Kommissionären war es bei aller Strenge nicht möglich, ihre Leute vollständig zu überwachen. Da das vorgeschlagene Quittungssystem, zumal während der hektischen Messen, nicht praktikabel war, sollte die hiesige Deputation der Buchhändler nach dem Muster der Zettelbestellanstalt eine ähnliche Einrichtung für Pakete ins Leben rufen. Wenn das nicht möglich sein sollte, so wollte der nichtgenannte Verfasser eine Paketanstalt auf eigene Rechnung und Gefahr gründen und dabei folgende Verpflichtungen übernehmen: Alle Pakete sollten in einem geeigneten, gut gelegenen und geräumigen Lokal gegen Quittung der Kommissionäre in Empfang genommen und innerhalb weniger Stunden an die Adressaten weiterbefördert werden. Die Kommissionäre hätten für jeden Paketverlust und sonstige Schäden einzustehen und eigens zu diesem Zweck eine höhere Geldsumme in bar als Garantie zu hinterlegen. 163 1846 wurde dieser Vorschlag in der Süddeutschen Buchhändler-Zeitung wieder aufgegriffen. Dort war zu lesen, daß angesichts der Klagen über Paketverluste, die fast alle Buchhandlungen Deutschlands beträfen, eine Bestellanstalt für Pakete das Zweckmäßigste sei. „Man wende nicht ein, daß eine Bestellanstalt für Pakete, bei der furchtbaren Ausdehnung, welche der Buchhandel in den letzten zehn Jahren genommen habe, nicht zu errichten sei; kein Raum in Leipzig existire, der groß und bedeutend genug wäre, die täglich und wöchentlich eingehenden Ballen aufzunehmen, daß die Bestellanstalt ein Personal haben müßte, dessen Erhaltung dem Leipziger Buchhandel zu hoch kommen würde, - dies Alles sind Einwendungen, die nur deshalb erhoben werden, weil man sich mit der Idee der möglichen Ausführbarkeit noch nicht befreundet hat! - Hier wäre eine Association der Leipziger Kommissionäre am rechten Orte." 1 6 4 Im selben Jahr sprach sich Wilhelm Dietze (Anklam) für die Zusammenlegung der Auslieferung aus, die nach seiner Lektüre des Memorandums der Leipziger Kommissionäre nur eine logische Fortsetzung 161 Vgl. BB1 Nr. 49, 22. 5. 1846, S. 564. 162 Vgl. BB1 Nr. 39, 4. 5. 1849, S. 477. 163 Der Aufsatz war mit C. P. unterzeichnet. Vgl. BB1 Nr. 72, 9. 8. 1844, Sp. 2323-2325. 164 SBZ Nr. 24, 15. 6. 1846, S. 173.
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der im Kommissionsbuchhandel bereits um sich greifenden Rationalisierungsidee sei. 165 Wiederum zwei Jahre später, 1848, gab es einen anonymen Entwurf zur Anbahnung einer Paket-Beförderungs-Anstalt für den Leipziger Buchhandel. Darin verlautete: „Es ist hinreichend bekannt, daß die Passage von dem einen Ende des Buchhändler-Viertel bis zu dem andern in Hinsicht der Beförderung der Beischlüsse ziemlich unsicher ist; es schwebt der uralte Streit über die geschehene richtige Abgabe des Packets einerseits und den Nichtempfang desselben andrerseits, noch immer; es hat auch die Frage, wer für Fehlendes den Schaden zu tragen, ihre Erledigung noch nicht gefunden und wird sie wahrscheinlich nie finden. [ . . . ] Gehörte noch vor 8 Jahren die jetzt bestehende Bestell-Anstalt in das Reich der Unmöglichkeit, so wird man auch jetzt geneigt sein, die Einrichtung der in Rede stehenden Anstalt für unmöglich, für unausführbar zu halten." Der Zweck der Anstalt könne nur der sein, „unbeschwerte, unempfohlene Beischlüsse und größere Couverts, welche der Bestell-Anstalt nicht zugehören, sicher zu befördern; es sind mithin ausgeschlossen: Baarpackete, Packete an Privatleute, besonders empfohlne oder wegen ihres Inhalts nicht leicht transportable Packete." 166 Da diese Paketanstalt nicht alle Pakete befördern sollte, schlug der Verfasser eine unpragmatische Trennung der Güter vor. Die Entscheidung, was dem Kommissionär und was der Paket-Beförderungsanstalt zukommen soll, fiele dann so aus: Ist der größere Teil vom Kommissionär zu bearbeiten, ist der Ballen an ihn zu adressieren. Hat hingegen die Bestellanstalt den größten Teil zu befördern, so ist der Ballen per Frachtbrief an diese direkt zu richten. Die Anstalt sollte aus einem feuerfesten, geräumigen Lokal zu ebener Erde und einer angeschlossenen beheizbaren Schreibstube bestehen. Ferner sei ein Pferdestall, ein Schuppen bzw. ein Hof erforderlich. Das Lokal sollte nach dem Vorbild der hiesigen Kommissionsgeschäfte in unterschiedliche, der Größe der einzelnen Kommissionäre angepaßte Holzkammern (Paketfächer) eingeteilt sein. Das Personal bestünde aus einem Leiter und mehreren Markthelfern, deren Zahl die Praxis ermittle. Ferner benötige die Anstalt zwei Pferde, einen verdeckten und ein verschließbaren Wagen, eine einfache Holzwaage, Körbe, Lederriemen und gute Lampen zur Beleuchtung der Räume. Das Kapital sollten die Betreiber bereitstellen. 167 Dieser halbherzige Vorschlag konnte nicht allzuviel Beachtung finden, da wiederum ein Teil der Pakete ausgeschlossen blieb. Ebenso wurde nichts über die Haftung der Pakete und die Beschleunigung des Verkehrs ausgesagt, aber nur darum ging es. Diese Mängel erkennend, unterbreitete Friedrich Fleischer im August des folgenden Jahres einen Plan zur Errichtung einer Paketbestellanstalt in Leipzig. Er schrieb: 165 Vgl. BBl Nr. 87, 2. 10. 1846, S. 1123. 166 BBl Nr. 73, 15. 8. 1848, S. 841. 167 Vgl. Ebd.
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„Der Unterzeichnete, welcher vor mehreren Jahren die Begründung der Bestellanstalt für Buchhändlerpapiere anregte und zur Ausführung brachte, [ . . . ] hatte sich schon längere Zeit mit dem Gedanken getragen, auch auf die Begründung eines ähnlichen Instituts für die Besorgung der Pakete hinzuwirken, einen Plan dazu bereits 1846 ausgearbeitet und ihn sowohl der Deputation des Leipziger Buchhandels, als auch später einem dazu bestimmten Comité vorgelegt, wo man die Ausführung desselben zwar als sehr wünschenswert erkannte, aber in den beträchtlichen Kosten und dem Modus der Aufbringung derselben, bedenkliche Schwierigkeiten sah." 168 Gern gab der Autor zu, daß sein damaliger Entwurf sehr mangelhaft war. Doch die Angelegenheit sei zu wichtig, um sie aufzuschieben. Fleischer bat um Mithilfe des Börsenvereins, da es sich nicht nur um eine Leipziger Einrichtung handle. 169 In 13 Punkten definierte er, wie die Paketbestellanstalt auszusehen habe. Ihr sollten die Leipziger Buchhändler freiwillig beitreten, und zwar so viele, daß mindestens eine Beitragssumme von 3.000 Tlr. jährlich herauskomme. Der Leipziger Buchhändlerverein könnte die Lokalmiete, der Börsenverein 500 Tlr. jährlich zuschießen. Entgegen allen bisherigen Entwürfen hatte die Paketanstalt viel mehr Aufgaben zu übernehmen. Sie sollte alle an die Leipziger Mitglieder eingehenden Bücherballen, sowie alle von denselben an die Anstalt abgehenden Pakete annehmen, konferieren, sortieren und viermal täglich befördern. Danach folgte eine genaue Aufschlüsselung der benötigten Räumlichkeiten, der Arbeiter, Transportmittel und sonstigen Utensilien. Fleischer veranschlagte ein geräumiges Packhaus, in welchem die Ballen abgeliefert und ausgepackt würden, einen Saal zum Vergleichen der Balleninhalte mit den Fakturen und einen zum Sortieren, wo jede hiesige Handlung ein, nach dem Bedürfnis größeres oder kleineres Paketfach hätte. Ferner gäbe es einen Büroraum für den Geschäftsleiter mit genug Platz zur Unterbringung der Papiere und Bücher, einen Schuppen für zwei Transportwagen und einen Stall für vier Pferde. Das Personal würde aus 15-16 Personen bestehen - aus einem Chef, zwei Packarbeitern, jeweils vier Hilfskräften zum Vergleichen und Sortieren, zwei Kutschern und zwei Kutscherbegleitern. Alle diese Personen müßten eine Kaution hinterlegen und verpflichtet werden. Zur Zeit der Ostermesse erhielten sie eine Anzahl von Assistenten zur Seite gestellt. Die Anstalt würde wie die Zettelbestellanstalt jeden Monat unter Aufsicht eines anderen Leipziger Kommissionärs stehen. An diesen wären alle Beschwerden zu richten. Zum Schluß entwarf Fleischer auch noch eine Geschäftsordnung für alle von der Anstalt durchzuführenden Arbeiten. Eine Kontrolle der eingehenden Pakete wäre 168 BB1 Nr. 73, 10. 8. 1849, S. 839. Von diesen frühen Plänen Fleischers ist aus anderen Quellen nichts zu erfahren. 169 „Allein ich glaube, als ein blos locales Institut darf man es doch nicht betrachten, da sich ja die wichtigsten Interessen des gesammten Buchhandels lebhaft dabei berührt fühlen; die Aufbringung der beträchtlichen Kosten dürfte aber den hiesigen Buchhändlern und namentlich den Commissionären allein eine zu schwere Last werden." Ebd.
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unbedingt zu gewährleisten. Die Pakete sollten durch den Geschäftsleiter unter Angabe des Eingangsdatums und Gewichts auf das Konto des betreffenden Kommissionärs gebucht werden. Dem Kommissionär würde der Eingang anzeigt und eine gestempelte (quittierte) Faktur ausgehändigt. Kein Unbefugter dürfe die Anstalt betreten. Die jährlichen Kosten bezifferte er auf ca. 5.000 Tlr. Ein Großteil der Deckungsmittel sollte neben den Beiträgen des Börsenvereins und der Leipziger Deputierten aus Beiträgen von 100 Mitgliedern zu 40 Tlr. stammen.170 Am 10. Dezember 1849 wurde der Plan Fleischers auf einer Versammlung des Leipziger Buchhändlervereins gründlich besprochen. Der Unternehmer eines kleinen Leipziger Kommissionsgeschäfts kehrte von diesem Treffen mit gemischten Gefühlen heim. Sehr unangenehm berührt war er einerseits von dem Gedanken, künftig ein verschwundenes Paket bezahlen zu dürfen. Andererseits dankte er Friedrich Fleischer für die Mühe, die er sich mit diesem Plan gemacht hatte und versicherte, „daß binnen Kurzem alle Leipziger Commissionaire moralisch verpflichtet sein werden, sei es durch Errichtung einer Paket-Bestellanstalt, sei es durch eine andere Einrichtung, dem fremden Eigenthum eine größere Sicherheit darzubieten." 171 Wie ein Württemberger Buchhändler später schrieb, stieß der Plan gerade da auf Widerstand, wo man seiner Ansicht nach am ehesten auf Unterstützung und Mitwirkung hätte hoffen können. Denn „so lange sich nicht die größeren Herren Commissionäre mit als die Grundpfeiler einer solchen Anstalt, deren Tragweite weniger für Leipzig als den Gesammtbuchhandel berechnet ist, vereinigen, dürfte es unmöglich sein, der Grundidee derselben - Vereinfachung und möglichste Centralisation des Verkehrs, sowie Sicherheit - Geltung zu verschaffen." 172 Wie reagierten nun die Leipziger Kommissionäre auf den Plan Fleischers? Otto Wigand erklärte, daß eine Paketbestellanstalt das Verschwinden der Pakete auch in Zukunft nicht verhindern könne. Namentlich den Leipziger Kommissionären würden Opfer abgefordert werden, die in gar keinem Verhältnis zu den problematischen Vorteilen stünden. Mangel an Gemeinsinn habe die Idee nicht scheitern lassen, und Fleischer „möge es sich gesagt sein lassen, daß Geschäftsmänner dann, wenn es sich darum handelt, das Interesse ihrer auswärtigen Geschäftsfreunde und ihr eigenes zu wahren, sich nicht von Gefühlen, sondern vom Verstände leiten lassen." 173 Franz Gebhardt ergänzte, daß ein Vergleich der Paket- mit der Zettelbestellanstalt nicht zulässig sei. Denn bei der Paketanstalt würde der Kommissionär einen wichtigen Teil seiner Geschäfte aus den Händen geben, eine Zumutung, die nicht automatisch eine größere Kontrolle darstellte. Desweiteren nannte Gebhardt Gründe, warum die von Fleischer aufgestellte Geschäftsordnung nicht in der vorliegen170 Vgl. Ebd., S. 839-840. 171 BBlNr. 109, 14. 12. 1849, S. 1383. 172 BBlNr. 111,21. 12. 1849, S. 1414. 173 BBlNr. 110, 18. 12. 1849, S. 1401.
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den Form durchführbar sei. Schließlich stellte er in Abrede, daß die neue Anstalt eine größere Sicherheit biete. So seien auch die in letzter Zeit vorgekommenen Diebstähle nicht von dem Personal der Kommissionäre, „sondern von gemeinen Dieben, durch Entwenden aus den Geschäftslocalen, wohin sie bereits geliefert waren, verübt worden, wie man durchs hiesige Criminal-Amt erfahren kann." 1 7 4 Fleischer konstatierte, daß keinesfalls die gesamte Kollegenschaft gegen die Bestellanstalt sei. „Allerdings haben nicht allein Herr Wigand, sondern mehrere Besitzer der größeren Commissionsgeschäfte sich sehr lebendig gegen das Project u[nd] dessen Ausführbarkeit ausgesprochen [ . . . ] ohne deren Beitritt aber schon aus finanziellen Gründen, dasselbe nicht wohl ins Leben treten konnte. [ . . . ] Abgestimmt sei gar nicht worden." 175 Ungeachtet dessen, was in der Versammlung gegen eine Paketbestellanstalt ins Feld geführt wurde, war Fleischer der festen Überzeugung, daß eine solche Anstalt ausführbar sei, daß sie eine größere Erleichterung, Beschleunigung und Sicherheit für den Geschäftsbetrieb bringen würde. Ihm schien es, als mäße man den Anfangsschwierigkeiten zu großes Gewicht bei. Diese würden eben so gut zu überwinden sein, wie dies bei der Buchhändlerbörse, dem Börsenblatt und der Zettelbestellanstalt der Fall gewesen war. Zur baulichen Ausführung kam es jedoch nicht. Im Januar 1850 erklärten dreißig, darunter wichtige Leipziger Kommissionäre wie Koehler und Völckmar, daß eine solche Einrichtung keinen praktischen Nutzen hätte. Die Situation im Leipziger Kommissionsbuchhandel sei in bezug auf die angesprochenen Paketfehlleitungen und -diebstähle keineswegs so dramatisch. „Es giebt mehrere Handlungen hier, die jährliche 2 - 5 Tausend Centner verschicken und 2 - 4 Tausend Centner an Ballen erhalten, somit, den Centner nur zu 100 Beischlüsse und Journale aller Art gerechnet, 1/4 bis 1 Million Beischlüsse durch die Hände ihrer Leute gehen lassen, und doch hat sich in der Regel im ganzen Jahre, selbst in den größten Geschäften herausgestellt, daß nur äußerst selten einige Pakete fehlten, von denen unerwiesen ist, ob sie falsch verpackt oder die Fatturen verloren gingen." 176 In ihrem Erklärungsschreiben fühlten sie aus: 1. Die Zusammenlegung der Paketgeschäfte sei für die Leipziger Kommissionshäuser nicht durchführbar, da hier der Kommissionär die ihm anvertraute Ware aus der Hand gebe. In diesem Punkt sei die neue Anstalt etwas grundlegend anderes als die bereits bestehende Bestellanstalt, wo ja nur Zettel ausgetauscht würden. 2. Die hohen Anschub- und Unterhaltungskosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen, denn eine Beschleunigung des Paketverkehr wäre in der Regel wohl nicht zu erwarten. Die großen Kommissionäre unterstrichen zudem, daß sie ein besonders geschultes Personal besäßen und die mangelhafte und verzögerte Auslieferung ohnehin nur die kleinen Auslieferer betreffe. Eine Einsparung des derzeitig 174 BBl Nr. 113, 28. 12. 1849, S. 1438. 175 BBl Nr. 111, 21. 12. 1849, S. 1414. 176 BBl Nr. 3, 8. 1. 1850, S. 30.
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beschäftigten Personals käme im Interesse einer schnellen Auslieferung nicht in Frage. 3. Die Paketbestellanstalt könnte keine Quittungen für die Pakete ausstellen und für verlorene Pakete auch nicht haften, da sie diese große Verantwortung nicht einseitig übernehmen sollte und das Ausschreiben der Quittungen sowie die damit verbundenen Kontrollen den Verkehr behinderten. 177 Somit sei das eigentliche Hauptanliegen - die sichere Gestaltung des Warenverkehrs - nicht zu erreichen. Hinsichtlich der Paketverluste innerhalb Leipzigs sprachen sie von größtenteils nicht bewiesenen Gerüchten. 178 4. Aus der Zentralisation der Paketauslieferung konnten sie keine Beschleunigung des Verkehrs ableiten, sondern eher eine Komplikation, Verschleppung und Verunsicherung desselben. Die neue Paketanstalt sei eine Station mehr zwischen den auswärtigen Verleger- und Sortimenterkommittenten und den hiesigen Kommissionären. Um die Sicherheit der Paketzustellung in Leipzig aber dennoch zu erhöhen, stellten sie folgende drei Richtlinien auf. Zunächst sollten in den Kommissionsgeschäften nur tüchtige und ordentliche Leute angestellt werden, die einen entsprechenden Lohn und gute Behandlung erhielten. Ferner müßten die Packräume derart angelegt sein, daß eine Beaufsichtigung der Pakete durch das Personal zu jeder Zeit gewährleistet sei. Die Abgabeschalter sollten so konstruiert sein, daß man Pakete hineinwerfen, jedoch niemals herausnehmen könne. Schließlich habe das Austragen der Pakete in der Stadt durch zwei Personen zu erfolgen. Ein einzelner, der mitunter noch Barpakete mit sich führe, müßte bei seiner Anwesenheit in den Lokalen den Handwagen für mehrere Minuten unbeaufsichtigt auf der Straße zurücklassen, was unverantwortlich sei. Ebenso sollten die Handwagen der Markthelfer mit langen, durch Deckel verschließbare Körben ausgerüstet werden, wie sie beim Kommissionär Friedrich Fleischer schon länger in Betrieb sind. 179 Das Echo auf die Erklärung der 30 Leipziger Kommissionäre 180 war geteilt. Ein Wiener Buchhändler wollte wissen: In Leipzig gibt es 140 buchhändlerische Fir177 Im übrigen stellte, wie an anderer Stelle hervorging, nicht einmal die Post ohne besondere Vergütung eine Quittung aus. Vgl. BB1 Nr. 64, 15. 7. 1851, S. 822. 178 Die Argumentation war zumeist folgende: Neun von zehn als verschollen gemeldete Pakete fänden sich später wieder ein, da sie fehlgeleitet, falsch beschriftet oder gepackt, vertauscht oder verlegt, liederlich ausgepackt oder gebucht wurden. Hinsichtlich des Verschwindens von Begleitzetteln schrieben sie: „Letzteres tritt am leichtesten bei Fatturen von Remittendenpaketen ein, und kann nicht wol anders seyn, wenn man bedenkt, in welchen beengten oder dunkeln Localen und Niederlagen das Auspacken zum Theil geschieht, wie häufig dergleichen Fatturen entweder zerrissen hier eingehen oder wegen im Pakete vorgefundener Differenzen, momentan bei Seite gelegt werden, um die nöthigen Notizen und Reparaturen zu gelegener Zeit zu machen und dann nicht selten einige Zeit verschwinden." BB1 Nr. 3, 8. 1. 1850, S. 30.
i™ Vgl. BB1 Nr. 106, 4. 12. 1849, S. 1334. 180 Eigentlich waren es 32, da sich E. Kummer und R. Weigel später noch anschlossen.
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men, davon betreiben 84 den Kommissionsbuchhandel. Von diesen 84 haben 30 die oben erwähnte Darstellung unterschrieben. Welcher Meinung sind nun die 54 anderen Kommissionäre, zu denen auch bedeutende zählen, wie Brauns, Brockhaus, Dyk, Fernau, Fleischer und Hofmeister? Gefordert sei ein Memorandum dieser Kommissionäre, „die weniger eine mögliche dereinstige Centralisation des Commissionsgeschäfts fürchten, die weniger für ihre Committenten besorgt, ihnen mit weniger Zärtlichkeit zugethan sind." 181 In der Süddeutschen Buchhändler-Zeitung hagelte es Kritik an der Erklärung der 30 Kommissionäre. Es sei „doch Einiges faul [ . . . ] im Staate Dänemark, will sagen im Leipziger Commissionswesen". Befremdlich wäre es, „daß auch nicht Ein Vorschlag von Seiten der dreißig dort unterzeichneten Commissionäre auftaucht, um den zugestandenen oder wenigstens nicht wegdisputirten und widerlegten Mißständen abzuhelfen. [ . . . ] Sollte denn das Leipziger Commissionswesen - allerdings etwas sehr Interessantes und ein Wunderding menschlicher Betriebsamkeit trotz der zugestandenen Fehler so sehr vollkommen seyn, daß es keine weitere Verbesserung zuließe?" 182 Wahrscheinlich hatte dieser Anonymus nicht aufmerksam das Memorandum der 30 gelesen, denn dort wurden auch einzelne, wenig spektakuläre Richtlinien zur Abhilfe von Paketverlusten aufgestellt. Das geforderte Memorandum der 54 für eine Paketanstalt eintretenden Kommissionäre sollte nie verfaßt werden. So hörte man aus Bayern, daß es leider auch in Zukunft kein Quittieren der Pakete in Leipzig geben wird, obwohl dies auf den süddeutschen Kommissionsplätzen in Frankfurt, Nürnberg und Stuttgart bereits geschehe. Es bliebe den auswärtigen Buchhandlungen also nichts übrig, als zu akzeptieren, „daß alle Jahre eine Anzahl Beischlüsse in Leipzig verschwinden, von denen sich die Auswärtigen vorstellen, daß dieselbe sehr bedeutend sey, die aber in erwähnter Erklärung nicht als erheblich dargestellt wird. [ . . . ] Die Leipziger Herren Commissionäre gestehen selbst zu, daß [ . . . ] es eine Pflicht und Ehrensache für den Commissionshandel Leipzigs sey, den in Rede stehenden Uebelstand zu beseitigen. [ . . . ] Ueberlasse man es dann in Gottes Namen den Leipziger Herren, unter einander selbst fertig zu werden. Möge dies durch Quittungen, oder eine unter sich zu errichtende Assecuranz, oder durch geregelte Vergleiche, oder wie sonst das Ding heißen dürfte, geschehen."183 Trotz der nicht zustande gekommenen Paketbestellanstalt gelang es den Leipziger Kommissionären in den fünfziger Jahren, ihre Auslieferung zu verbessern. Neben unzähligen kleinen Einzelverbesserungen im Kommissionsbetrieb, die z. T. im Memorandum der 30 angesprochen wurden, gab es im Börsenblatt in den folgenden Jahren eine Reihe von Vorschlägen. Es sollte sogar für denjenigen ein Preis von 100 Louisdor ausgesetzt werden, „dem es gelänge, einen Weg ausfindig zu machen, um für künftige Zeiten da einen sichern Nachweis zu erzielen, wo sich 181 BBlNr.6, 18. 1. 1850, S. 66. 182 SBZNr.3,21. 1. 1850, S. 20. 183 BBlNr.9,29. 1. 1850, S. 112.
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Kapitel 3: Auftakt und grundlegende Modernisierung
Pakete als verloren oder nicht angekommen, oder auch nur als verpackt herausstellen." 1 8 4 Die Diskussion um diesen Gegenstand zeigte sehr deutlich, daß bei allen Problemen, die bezüglich der Paketbeförderung auftauchten, eine Lösung nicht außerhalb, sondern stets innerhalb der Branche gesucht wurde. Der Buchhandel wollte seine unmittelbare Kontrolle auf die Auslieferung nicht verlieren.
III. Zusammenfassung Die dreißiger und vierziger Jahre brachten für den Leipziger Kommissionsbuchhandel den größten Modernisierungsschub im 19. Jahrhundert. Neben einer Vielzahl von kleineren Verbesserungen konnten grundlegende Innovationen eingeführt werden, die für einen technologischen Vorsprung der lokalen Branche sorgten. Auffällig für diese Phase war eine breitangelegte Konzeptionierung und brancheninterne Diskussion notwendiger Reformen. Offene Fragen wurden angesprochen, Pläne und Lösungsvarianten vorgestellt. Diese reichhaltige „Ideenbörse" sorgte für ein außerordentlich produktives Umfeld, um einzelne richtungsweisende Innovationen einzuführen. Zwei grundlegende Reformen betrafen die zwischenbuchhändlerische Abrechnung (1836-1839: Errichtung des Leipziger Börsenlokals, Neuordnung der Abrechnungmodalitäten) sowie die Bestellung (1842: Errichtung der Leipziger Zettelbestellanstalt). Beiden war gemeinsam, daß sie einen Modernisierungsschub bewirkten, der die gesamte Branche betraf. Sie unterschieden sich insofern voneinander, als es zur ersten Reform des Anstoßes durch den auswärtigen Buchhandel (Börsenverein) bedurfte, während bei der zweiten Reform von 1842 die Leipziger Kommissionäre selbst die Initiative ergriffen. Für den Professionalisierungsprozeß im Kommissionsbuchhandel war die routinemäßige Übernahme der Abrechnungsfunktion bedeutsam. Der Kommissionär erhielt einen Prestigegewinn und wurde neben dem Verleger und Sortimenter gleichberechtigter Partner. Indem der Kommissionär die Abrechnung schrittweise einfacher und übersichtlicher gestaltete, zuweilen auch Druckmittel für deren ordnungsgemäßen Ablauf anwendete, konnte er ein Kardinalproblem des deutschen Buchhandels, die lange Kreditierung sowie schlechte Zahlungsmoral, prospektiv beseitigen. Die Zettelbestellanstalt war die größte buchhändlerische Innovation der vierziger Jahre, die durch ihre Schlichtheit und Funktionalität überzeugte. Sie bewies: herausragende Innovationen müssen nicht kompliziert sein, es kommt hauptsächlich darauf an, daß sie sich in die gegebenen Rahmenbedingungen wirksam einfügen. Insofern komplettierte die Bestellanstalt das Leipziger Bestellsystem auf idealtypische Weise. Sie war als genossenschaftliche Einrichtung das fehlende Verbin184 BBl Nr. 48, 23. 5. 1851, S. 602-603.
III. Zusammenfassung
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dungsglied im Leipziger Kommissionsbuchhandel. Bei der Einführung der Zettelbestellanstalt konnte nachgewiesen werden, daß der Initiator Friedrich Fleischer seine Idee aus dem Angestelltenbereich bezog. Diese Möglichkeit der Ideengewinnung scheint auch für einige andere Innovationen wahrscheinlich gewesen zu sein, obwohl sie sich an den Quellen nicht in jedem Fall nachvollziehen läßt. Schließlich wurden Reformpläne zur Umgestaltung des Leipziger Kommissionsbuchhandels vorgestellt. Gerade die Pläne zu einer zentralen Kommissionsanstalt (1828) sowie zu einer Paketbestellanstalt (1844-1849) haben die Branchenteilnehmer bei der weiteren Umgestaltung nachhaltig inspiriert und bestätigen, daß das Know-how für einige Innovationen bereits seit Jahren abrufbereit im Buchhandel vorlag. Die von Volckmar verfaßten bzw. mitverfaßten Memoranden (1833, 1846) dienten der Aufklärung und sollten die Kommittenten dahingehend einweisen, wie sie die Arbeiten des Kommissionärs unterstützen können. Somit waren beide Schriften ein wichtiges Rationalisierungsmittel. Im Gegensatz zum ersten Memorandum war das zweite von mehreren Firmeninhabern unterzeichnet worden. Dadurch wurde es zu einer ersten kollektiven Erinnerungsschrift, in der sich die wichtigsten Leipziger Kommissionäre, immerhin auf 48 Seiten, zu ihren geschäftlichen Gepflogenheiten einheitlich und verbindlich aussprachen.
Kapitel 4
Konsolidierung und Vervollkommnung 1850-1888/1892
Waren die dreißiger und vierziger Jahre durch eine ausgesprochen intensive Reformdiskussion und die Einführung grundlegender Modernisierungen im Leipziger Kommissionsbuchhandel charakterisiert, so kam es in den Jahrzehnten danach zu einer Konsolidierungsphase, d. h. zu einer Periode der Bewährung und Festigung von bereits durchgefühlten Radikalreformen. Kleinere Neuerungen sorgten nun für moderate Veränderungen. In diesem Kapitel sollen grundlegende Entwicklungen aufgezeigt werden, die für die Jahrzehnte nach dem größten Modernisierungsschub des Leipziger Kommissionsbuchhandels typisch waren. Die makrotheoretische Zweiteilung des Untersuchungszeitraums mit der Zäsur 1850 muß selbstverständlich in einigen Sachfragen nach vorn oder nach hinten korrigiert werden.
I. Allgemeine Entwicklungen Typisch für die Zeit nach 1850 waren weitere zwischenbuchhändlerische Spezialisierungs- und Professionalisierungsprozesse. Das Abrechnungsgeschäft wurde mit zunehmendem Barverkehr weiter verbessert, die Tarife vereinheitlicht, die Auslieferung den modernen Ansprüchen angepaßt und gemeinsame Interessen durch einen Berufsverband der Kommissionäre formuliert. Es entstanden neue Formen des Zwischenbuchhandels, die sich aus dem Kommissionsbuchhandel heraus entwickelten, wie das Barsortiment. Schließlich setzte ein Verdrängungswettbewerb am Leipziger Wirtschaftsstandort ein. In den achtziger Jahren konzentrierte sich der Kommissionsbuchhandel zunehmend in einigen Großbetrieben, denen eine immer größer werdende Anzahl kleinerer und wenig entwickelter Firmen gegenüberstand.
1. Der Geschäftsbetrieb in den fünfziger und sechziger Jahren Nachdem die Einführung einer Leipziger Paketbestellanstalt fehlgeschlagen war, wurde es etwas ruhig um die lokale Branche. Diese Stille beobachteten auswärtige Buchhändler nach all den hitzigen Debatten und Veränderungen der Vor-
I. Allgemeine Entwicklungen
175
jähre mit Skepsis. Ein Nichtleipziger Händler schrieb 1853 neidvoll: „Ueberhaupt führt derselbe [der Leipziger Kommissionär, Th. K.] ein ruhiges Geschäftsleben, wenn er es accurat betreibt, und er die Feder gut führen kann; er hat seine Geschäftskunden von 7 bis 12 Uhr und von 2 bis 7 Uhr in der Woche. An den Sonnund Feiertagen betritt kein Markthelfer das Gewölbe und da häufig Festtage eintreten, so drängen sich die Arbeiten am folgenden Tage etwas, fällt der Festtag auf einen Posttag, so wird am Tage vorher gepackt."1 Seinen Tagesablauf schilderte derselbe Autor als überaus hektisch und zeitaufwendig. Bei ihm mußte außer an Sonn- und Festtagen jederzeit jemand im Geschäfte sein, um jeden Groschen in Empfang zu nehmen. Trotz der weitgehenden Diskussionspause während der fünfziger Jahre wäre es aber falsch, von einem reibungslosen Geschäftsbetrieb im Kommissionsbuchhandel zu sprechen. Vor allem das Barpaketgeschäft sowie die Haftungsfrage bereiteten nach wie vor Probleme, deren Lösung nicht allgemein verbindlich, sondern auf bilateraler Ebene, zwischen den einzelnen Kommissionären und Kommittenten, angestrebt wurde. Eine wichtige Neuerung stellte 1853 die Eröffnung der Buchhändler-Lehranstalt dar, die in der Buchhändlerbörse in der Ritterstraße untergebracht wurde. Leipzig wurde zu einem Heimatort professioneller buchhändlerischer Ausbildung, von der auch der lokale Kommissionsbuchhandel profitierte. Neben der praktischen Ausbildung in den Buchhandlungen erhielten die Lehrlinge in den Morgenstunden ( 6 - 8 Uhr) theoretischen Unterricht. Auf dem Stundenplan standen Deutsch, Französisch, Literaturgeschichte, Handelswissenschaft und Buchhandels-Geschäftslehre. 2 Häufigen Klagen über eine mangelhafte oder schlechte buchhändlerische Ausbildung, die gerade für die Kommissionsgeschäfte typisch gewesen sein soll, wurde der Boden entzogen. Hinweise zur Beherzigung an die Gehilfen, die vor 1853 keine Seltenheit waren, gehörten fortan der Vergangenheit an.3 Daß die verbesserte Berufsausbildung zur Professionalisierung beitrug und dem Wirtschaftsstandort Leipzig einen hohen Prestigegewinn einbrachte, läßt sich an den unterschiedlichsten Quellen nachvollziehen. Sprachlich bürgerte sich der Begriff der „Leipziger Schule" ein, die für kommende Führungskräfte des Zwischenbuchhandels zu einem wichtigen Bestandteil der Ausbildung wurde. 4 Biographisch läßt sich beobachten, daß es für viele Kommissionäre anderer Standorte üblich wurde, ihre Söhne, Neffen und Enkel nach Leipzig zu schicken, um sie mit dem dortigen Know-how bekannt zu machen. 1
Aus einer umfangreichen Besprechung, „Ein Blick auf das jetzige Commissions-Geschäft in Leipzig", in: BB1 Nr. 115, 12. 9. 1853, S. 1421. 2 Vgl. Hohlfeld, Buchhändlerverein, S. 48. 3 Es wurde geschrieben, daß Leipzig die hohe Schule des Buchhandels sei und jeder Lehrling hier einmal die Organisation zu studieren habe, namentlich im Kommissionsbuchhandel. Nur wurde davor gewarnt, in den Kommissionsgeschäften nur stupide Arbeiten auszuführen, die kaum Einblicke in den Gesamtverkehr erlaubten. Vgl. BB1 Nr. 68, 29. 7. 1851, S. 884. 4 Vgl. Pfeiffer, Organisation, S. 57-78; Pfau, Kommissionär.
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Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Mit der Optimierung der Ausbildung wurde auch auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gedrängt. In einigen Kommissionsgeschäften entstanden auf Initiative der Unternehmer Unterstützungskassen für Angestellte. Friedrich Fleischer hatte sehr frühzeitig eine „Stiftung zum Besten hilfsbedürftiger Leipziger Buchhändler, Prinzipale, Gehilfen und Markthelfer sowie ihrer Witwen" ins Leben gerufen. Am 18. August 1881 erhielt die Bestellanstalt durch den Nachlaß des Großkommissionärs Gustav Eduard Schulze 3.000 Mark zur Gründung einer Pensionskasse für invalid gewordene Angestellte.5 Ein weiterer Spender, der aber auf eigenen Wunsch anonym bleiben wollte, zahlte am 15. Februar 1883 10.000 Mark in die Fleischersche Stiftung ein. 6 Die soziale Absicherung der Angestellten im Kommissionsbuchhandel war ebenso wichtig wie in anderen Bereichen des Buchgewerbes, z. B. der Buchherstellung7, da bei den körperlich schweren Arbeiten Unfälle auf der Tagesordnung standen. In den sechziger Jahren konzentrierte sich die Umgestaltung des Kommissionsbuchhandels fast vollständig auf die Meßabrechnung durch den Kommissionär. Mehr als zwei Jahrzehnte war es nun schon her, daß die ersten auswärtigen Buchhändler, namentlich die Sortimentsbuchhändler, der Ostermesse fern blieben. 1852 gab es nur noch 30 messebesuchende Sortimenter, die selbst zahlten.8 Mit dem Ausbleiben vieler Geschäftspartner wurde der eigentliche Zweck der persönlichen Abrechnung immer weniger erreicht. Wenn die Bücher große Differenzen aufwiesen, konnte der Kommissionär nicht aus eigenem Ermessen heraus eine Klärung herbeiführen. Es bedurfte einer brieflichen Kontaktaufnahme zu den nicht anwesenden Buchhändlern nach der Messe. Die partielle Beibehaltung der direkten Zahlungsweise oder anders ausgedrückt: die unvollständige Übernahme der Abrechnung durch den Kommissionär, führte zu Störungen im Geschäftsverkehr. In den folgenden Jahren wuchs die Einsicht, dem Kommissionsbuchhandel die gesamte Zahlungsfunktion zu übergeben. Daß sich die Buchhändlermesse bei Durchsetzung dieser Forderung radikal ändern würde, war allen Beteiligten klar. Bereits 1840 wurde die gesellige Funktion der Buchhändlermesse als die zukünftige bezeichnet.9 Nach erfolglosen Diskussionen um die Verlegung der Ostermesse
5 Vgl. BB1 Nr. 38, 15. 2. 1882, S. 702. 6 Vgl. BB1 Nr. 31, 7. 2. 1883, S. 575. 7
Bei F. A. Brockhaus gab es seit dem 1. Januar 1838 eine Betriebskrankenkasse, die ausschließlich die unfallgefährdeten Angestellten der Schrift- und Stereotypengießerei absicherte. Die Initiatoren dieser Kasse waren Friedrich und Heinrich Brockhaus, die eine Anschubzahlung von 100 Tlr. leisteten. 1885 wurden die Unternehmer Brockhaus - wie andere Buchhändler Leipzigs auch - vom Rat der Stadt aufgefordert, diese Versicherung auf den gesamten typographischen Bereich auszudehnen, so daß in der Firma nun 445 Angestellte versichert waren. Vgl. StAL, F. A. Brockhaus Leipzig, 100, 424-426/1. Albert Brockhaus machte sich um die Organisierung der Ortskrankenkasse für das Buchgewerbe verdient, die 1883 eingerichtet wurde. Vgl. Hartmann, A. Brockhaus, S. 8. s Vgl. BB1 Nr. 48, 18. 5. 1852, S. 679. 9 Vgl. BB1 Nr. 64, 14. 7. 1840, Sp. 1557.
I. Allgemeine Entwicklungen
177
in den Jahren 1861 bis 1863 wurde 1866 ein diesbezüglicher Antrag vom Berliner Buchhändler Alexander Duncker zur Reformgrundlage. Einer Beschlußfassung des Börsenvereins zufolge trat der Gestaltwandel zur Ostermesse 1867 in Kraft. Der Kantatesonntag, ursprünglich der Tag, an dem die zu Jubilate eingeläutete Messe wieder beendet wurde, war nun der Beginn der Buchhändlermesse. Die Abrechnungszeit verkürzte sich weiter. Umfaßte sie in der ersten Hälfte der sechziger Jahr noch ca. eine Woche, so hatten sich fortan die Kommissionäre nur noch Montag bis Mittwoch nach Kantate in der Zeit von 8 bis 13 Uhr in der Börse einzufinden. Die dadurch frei gewordene Zeit sollte dem Erfahrungsaustausch der Kollegen dienen. Neu war auch ein geselliger Höhepunkt: das Kantatefestmahl, das sich in der Folgezeit zu einem Prunkstück buchhändlerischer Festkultur entwickeln sollte. Auf Vorschlag des Leipziger Kommissionärs Franz Wagner wurden 1868 die nachträglichen Börsentage aufgehoben und Mittwoch vor Himmelfahrt als letzter Termin festgesetzt, zu dem man das Meßagio erhielt. Durch den Kommissionsbuchhandel verlagerte sich der Charakter der Börse von einer Abrechnungsmesse hin zu einer Kommunikationsmesse. Goldfriedrich hatte nicht recht, wenn er schrieb, daß die Buchhändlermesse von 1866 formell die letzte gewesen sei, „bei der das althergebrachte persönliche Meßabrechnungsgeschäft in Anwendung kam." 10 Der Personenkreis der persönlich Abrechnenden war freilich sehr klein geworden und schrumpfte mit den Jahren weiter zusammen. Aber noch zehn Jahre später sah die Messe persönlich zahlende Buchhändler: Einer Angabe von 1877 zufolge hatten sich von 262 Messebesuchern 86 mit Abrechnungsarbeiten beschäftigt. 11 Diese Abrechnung war jedoch eine stark vereinfachte. Die Teilnehmer zahlten bei den wenigen anwesenden Buchhändlern direkt. Mehrheitlich quittierten und beglichen sie aber bei den Kommissionären die vorbereiteten Zahlungslisten.12 Mit der Gewerbefreiheit in Sachsen (1862) wurde ein neuer Gründungsboom im Kommissionsbuchhandel eingeleitet, der die lokale Wettbewerbssituation verschärfte. Von 1862 bis 1867 stieg die Anzahl der Leipziger Kommissionäre von 85 auf 102. Einige Turbulenzen überschatteten die Umgestaltung der Messe. Der Durchzug preußischer Truppen sorgte 1866 für geschäftliche Störungen. In der Zeit vom 16. bis 30. Juni war ein Großteil der Verkehrsverbindungen unterbrochen. 13 Neben einigen Unregelmäßigkeiten während der Revolutionstage 1848/49 war das die größte „Auszeit" für den Kommissionsbuchhandel im Untersuchungszeitraum gewesen.
10 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 470. 11 Vgl. BB1 Nr. 274, 26. 11. 1877, S. 4654. 12 Vgl. Pfau, Kommissionär, S. 37-38. 13 Vgl. BB1 Nr. 80, 4. 7. 1866, S. 1411. 12 Keiderling
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Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Abbildung 12: Abrechnungsszene im Saal der Alten Buchhändlerbörse, Ritterstraße
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vollzog sich in Leipzig eine Neubildung der alten Großsortimenter-Funktion des Kommissionärs. Volckmar reagierte bereits in den ausgehenden vierziger Jahren auf Kundenwünsche und entwickelte eine Geschäftsart, die von Louis Zander bald vervollkommnet wurde: das Barsortiment. Das Barsortiment folgte modernen Entwicklungstrends im deutschen Buchhandel. Die Bücher wurden zunehmend bar und gebunden verkauft. Im Untersuchungszeitraum nahm der Barverkehr kontinuierlich zu, ohne die Konditionssendungen zu überflügeln. 1865 umfaßte der Barhandel durchschnittlich 35 Prozent und 1870 40 Prozent aller Bestellungen.14 Die technischen Voraussetzungen zum Binden großer Büchermengen wurden in den Leipziger Bindereien der vierziger und fünfziger Jahre geschaffen. Überhaupt entwickelte sich die Buchbinderei zu einem modernen Großbetrieb, der es dem 14 Vgl. Statistiken, in: BB1 Nr. 202, 1. 9. 1869, S. 2786; BB1 Nr. 218, 18. 9. 1872, S. 3430. Jordan führte Kapitalarmut der Verleger als Hauptgrund an, die Bücher nicht nach dem Konditionssystem zirkulieren zu lassen, sondern auf Barverkauf und hohe Rabatte einzugehen. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 72-73.
I. Allgemeine Entwicklungen
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Buchhandel erlaubte, die Bücher kostengünstig einbinden zu lassen. Die ausgedehnte Lagerhaltung gebundener Bücher am Kommissionsplatz ermöglichte in Verbindung mit der Eisenbahn eine rasche Auslieferung und verbesserte die Verfügbarkeit von gefragten Titeln. 15 Nachdem sich das Barsortiment in den vierziger Jahren zuerst in Leipzig herausgebildet hatte, wurde es von anderen Kommissionsplätzen übernommen. Es eröffneten C. Conradi, später A. Koch & Co, in Stuttgart (1860), J. Bachmann in Berlin (1858) und Friese & Lang in Wien (1875) vergleichbare Firmen. Wie beim Kommissionsbuchhandel erfolgte auch beim Barsortiment eine Konzentration durch Firmenübernahmen. Im Leipziger Zentrum war zunächst Volckmar führend, der 1861 Zander aufkaufte. Als Konkurrenten agierten neben Volckmar noch Staackmann seit 186816 und Koehler seit 1888, wobei letzterer ein Barsortiment „größeren Stils" errichtete und für kurze Zeit die bisherigen Pionierfirmen überflügelte. 17 Nach der Jahrhundertwende wurden von Koehler und Volckmar alle Konkurrenzunternehmen in Stuttgart und Berlin aufgekauft, bevor sich die beiden großen Unternehmen 1918 selbst vereinigten. Das Barsortiment hatte sich nach einer längeren Herausbildungsphase als selbständige zwischenbuchhändlerische Spezialisierung neben den Kommissionsbuchhandel gestellt. Die weitere Verbindung zwischen beiden bestand nicht nur inhaltlich, sondern auch personell, waren doch die großen Unternehmen wie Koehler und Volckmar zugleich Kommissionäre und Barsortimenter. Für Jordan stellte die enge Verbindung zwischen beiden Spezialisierungen eine wohl berechnete Überlegung dar. Sie resultierte daraus, daß der Kommissionär über das ganze 19. Jahrhundert hinweg mehr als ein Vertreter des Kommittenten war und in der Vergangenheit wiederholt als selbständiger Unternehmer vermittelte, etwa in Geldangelegenheiten (Kreditfunktion) oder bei der Sortimentsbeschaffung (Lagerhaltung auf eigene Kosten).18 Wie beide zwischenbuchhändlerische Spezialisierungen entwicklungsgeschichtlich zueinander stehen, beschrieb Jordan sehr treffend: „Hielt man ehedem die Reinkommissionäre für die Kommissionäre der Zukunft, so muß man jetzt die Barsortimenterkommissionäre an ihre Stelle setzen."19 15 Vgl. Kapp-Goldfriedrich,
Geschichte, Bd. 4, S. 363-365.
16 Vgl. Staackmann 1919, S. 59. 17 Das Barsortiment von Koehler hatte sich nach 1888 so rasch vergrößert, daß es große Bereiche des neuen Geschäftsbaus bezog. Vgl. Koehler 1894, S. 27-28. 18 „In der Schar seiner Kommittenten mußte er sicher die ersten Geschäftsfreunde für seinen Zwischenhandel finden; dort hatte er die Möglichkeit des Bezugs und Absatzes zugleich. Dann saß er an der Zentrale, in der alle buchhändlerischen Interessen zusammentrafen; er bot die Ergänzungen für den Bezug solcher Verleger, die nicht ausliefern ließen. Die Beziehungen aus dem Kommissionsgeschäft bilden so tatsächlich auch jetzt noch [1911, Th. K.] die Grundlage für das Barsortiment. Andererseits gewinnt aber auch das Kommissionsgeschäft neue Kunden aus den Geschäftsverbindungen des Barsortiments mit bisherigen Nichtkommittenten. Eins zieht das andere groß." Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 76. 19 Ebd., S. 77. 12*
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Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
2. Der Geschäftsbetrieb in den siebziger und achtziger Jahren Die siebziger und achtziger Jahre waren, was den Geschäftsablauf des Kommissionärs betraf, vor allem durch quantitative Veränderungen geprägt. Die weitere Marktexpansion, die sich durch eine rasche Zunahme des Leipziger Auslieferungsverkehrs bemerkbar machte, konnte vom vorhandenen Geschäftsbetrieb problemlos und ohne grundlegende Reformen aufgenommen werden. Einen Beleg für die Zunahme des Auftragsvolumens im Kommissionsbuchhandel lieferte neben Einzelstatistiken20 die Leipziger Zettelbestellanstalt. Nachdem sie 1867 durch Umbauarbeiten in der Buchhändlerbörse bereits um mehrere Räume vergrößert wurde, war sie in den siebziger Jahren endgültig zu klein geworden. Das schwerpunktmäßig in den Osten der Stadt verlagerte Kommissionsgeschäft kritisierte zudem die „Abseitslage" der Bestellanstalt in der Ritterstraße. Die Generalversammlung des Vereins der Buchhändler zu Leipzig prüfte 1877 einen Umzug. Noch im selben Jahr entschied man sich für die Parterreräume des neuen Geschäftshauses vom Kommissionär Hermann Haessel in der Lindenstraße. Im Oktober 1877 bezog die Bestellanstalt ihr neues Quartier. 21 Hier befand sie sich bis 1888. Danach bezog sie das Tiefparterre des neuen Buchhändlerhauses in der Hospitalstraße. Ein weiteres Indiz für den ansteigenden Verkehr über Leipzig lieferte die zunehmende Lagerhaltung. Trotz hoher Mietkosten gingen viele Verleger in Reaktion auf die gestiegene Nachfrage dazu über, ihre Titel bereits am Kommissionsplatz verfügbar zu halten.
Tabelle 11
Verlegerische Auslieferungslager in Leipzig 1865-1890 Jahr
1865
1875
1880
1885
1890
Lager
1.248
1.414
1.427
1.555
1.707
Quelle: Hennig, Kommissionsgeschäft, S. 104.
Im modernen Auslieferungsverkehr nutzen die Leipziger Kommissionäre jede neue Entwicklung. Tarifabsprachen mit Eisenbahn, Post und privaten Auslieferern sparten Transportgebühren im Sammelsendungsbereich. Es wurden sogenannte 20
Diese Statistiken waren allerdings nicht alle kompatibel. Bis 1872 konnten Angaben der ausgelieferten Büchermengen in Zentner aufgefunden werden: 1865 124.000 Zentner, 1870 134.000 und 1871 148.000. Vgl. BB1 Nr. 218, 18. 9. 1872, S. 3429. Weitere Statistiken nannten die Anzahl der Pakete oder die der Postsendungen. Mitunter wurden nur Briefe oder Zeitschriften gezählt. 21 Vgl. BB1 Nr. 31, 6. 2. 1878, S. 482.
I. Allgemeine Entwicklungen
181
•{
:
Abbildung 13: Das Buchhändlerhaus, Hospitalstraße
Ausnahmetarife für Büchersendungen im Eisenbahntransport erzielt, Bücherwagen und Expreßbeförderungen nach anderen Hauptplätzen eingerichtet. 22 Die harte Konkurrenz mit weiteren Spediteuren, insbesondere der Post, hatte seit den fünfziger Jahren zu einem Preisnachlaß in den Frachtsätzen geführt. In den achtziger Jahren benötigten viele Kommissionsgeschäfte drei anstatt der bisher üblichen zwei Hauptauslieferungstage, um die Mengen der abgehenden Waren zu bearbeiten. Auch stieg der Barpaketverkehr. Die auszuzahlenden Beträge wurden seit 1885 wöchentlich einmal (sonnabends) und zwar mittels Anweisung oder Scheck unter den Leipziger Kommissionären abgerechnet.23 22
Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 82. 3 Vgl. Geschäftsrundschreiben des VLK vom 19. 9. 1885, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/177a. 2
182
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Die preiswerte Auslieferung der Bücher und Zeitschriften durch einen rationalisierten Kommissionsbuchhandel war im 19. Jahrhundert in keinem anderen Wirtschaftsraum so weit fortgeschritten wie im deutschen Buchhandel. Da der buchhändlerische Warenstrom seinen Weg durch Leipzig nahm, wurde bei der Diskussion um die Einführung des festen Ladenpreises darüber nachgedacht, den Kommissionsbuchhandel als ein Boykottmittel gegen den Schleuderhandel einzu24
setzen. 1879/80 verpflichtete sich die Mehrheit der deutschen Verleger, zu Sortimentern, die ihren Verlag unter dem Ladenpreis anbieten würden, jeglichen geschäftlichen Kontakt abzubrechen. Am 3. Februar 1880 schlossen sich 64 Leipziger Kommissionäre dieser Erklärung an und machten damit deutlich, daß die großen Firmen des Kommissionsbuchhandels den festen Ladenpreis unterstützten. 25 Auch nach dieser Erklärung gab es Schleuderei in Leipzig, die über Schleichwege durch einzelne, nicht an der Erklärung von 1880 beteiligte Kommissionäre unterstützt wurde. 26 Der 1884 gegründete Verein Leipziger Kommissionäre widmete sich ganz der Bekämpfung der Schleuderei. Ein Jahr später wurde innerhalb des Leipziger Buchhändlervereins beschlossen, daß ein- und ausgehende Geschäftspapiere solcher Handlungen, die der Börsenverein als prinzipielle Schleuderer öffentlich bekanntgab, von der Beförderung ausgeschlossen wurden. 27 Diese Bestimmung kam einem Berufsverbot für jeden gleich, der sich nicht an die Rabattbestimmungen hielt. Sie war wirksamer als jede Boykottmaßnahme eines Verlegervereins, da die Leipziger Bestellvermittlung Grundvoraussetzung für die Teilnahme am organisierten Buchhandel in Deutschland war. Während sich der Börsenverein an die Spitze der Reformbewegung gestellt hatte, war es der Kommissionsbuchhandel gewesen, der den festen Ladenpreis durchsetzen half. Mit der Einführung der buchhändlerischen Verkehrsordnung (Krönersche Reform) wurde 1888 ein wesentlicher Schritt zur Verrechtlichung im Buchhandel vollzogen. Wichtige Bestimmungen zum Kommissionsbuchhandel, wie der Verkehr über den Kommissionär, die Bestellung, Haftfragen, Abrechnung sowie Barverkehr, wurden erstmals schriftlich und verbindlich fixiert. 28 Mit der weitgehenden Übernahme der Abrechnungsgeschäfte und dem zunehmenden Barzahlungs-Auslieferungsverkehr kam der Kommissionär zwangsläufig mit viel Geld in Berührung. Er entwickelte sich zu einem Kreditgeber des Buch24
Siehe dazu Borgh, Einfluß. 25 Vgl. BB1 Nr. 31, 7. 2. 1880, S. 521. 26 Vgl. BB1 Nr. 116, 22. 5. 1882, S. 2217. 27 Vgl. BB1 Nr. 69, 25. 3. 1885, S. 1445. 28 Obwohl die Durchsetzung der Bestimmungen zunächst auch auf einigen Widerstand stieß, kann doch im allgemeinen eine Verbindlichkeit der Verkehrsordnung seit 1888 angenommen werden. Vgl. StAL, Verein Leipziger Kommissionäre, 532; Buchhändlerische Verkehrsordnung 1888; Reformbewegung 1908.
I. Allgemeine Entwicklungen
183
handels. Wann exakt diese Entwicklung einsetzte, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen. Einzelbeispiele aus dem 18. Jahrhundert belegen, daß der Kommissionär als Vertrauensperson seinem Auftraggeber schon mal die Abrechnung organisierte oder sogar Gelder vorgeschossen hatte.29 Handelte es sich damals noch um Gelegenheits- oder Freundschaftsdienste, so wurde das Kreditieren spätestens nach 1850 zu einem festen Bestandteil der Profession. Der Kommissionär, besonders derjenige mit einem wirklich großen Betrieb (Typ C), wurde zu einer finanzkräftigen und sehr einflußreichen Person im deutschen Buchhandel.30 Goldfriedrich berichtete, daß Volckmar 1858 seinen Kommittenten 48.000 Tlr. bares Geld vorstreckte, um die Meßgeschäfte „einigermaßen anständig abwickeln" zu können.31 Das Barguthaben von Volckmar betrug 1887 174.162 RM., wobei die Firma zusätzlich einen Aktienbesitz im Wert von 1.080.401 RM. ihr eigen nannte.32 Nach einer Wertbestimmung des Kommissionsgeschäfts von Koehler schuldeten ihm seine Kommittenten 1872 insgesamt 32.000 Tlr., wobei davon 1.443 Tlr. wegen geringer Bonität abgeschrieben wurden. 33 Um 1900 wurden nach Schätzungen Kredite bis zu 100.000 RM. gegeben.34 An solchen Beispielen wird deutlich, in welchen Dimensionen der Zwischenbuchhändler in die Geschäfte eingriff. Diese Tatsache wird in heutigen buchhandelsgeschichtlichen Darstellungen, die ohnehin dem Kommissionsbuchhandel nur eine untergeordnete Rolle neben dem Verlag zuweisen, kaum berücksichtigt. Wie hatte man sich die Bankierfunktion des Kommissionärs vorzustellen? Zunächst räumte der Kommissionär dem Sortimenter Kredit ein. Besonders in der Weihnachts- und Schulbücherzeit wurde er von den Buchhandlungen in der Hoffnung auf gute Geschäfte in Anspruch genommen. Wenn sich der gewünschte Absatz nicht einstellte, führte das unweigerlich zu einer Überschuldung beim Kommissionär. Ohne die Kreditfunktion des Kommissionärs hätte in Krisenzeiten sicherlich ein Teil der Sortimentsbuchhandlungen schließen müssen.35 Aber auch die Verleger nahmen Kredit in Anspruch, insbesondere bei größeren Kapitalinvestitionen. 29 Siehe dazu S. 63-64. 30 Jordan betonte, daß nur beim Buchkommissionär der Wachstums- und Konzentrationsprozeß weit fortgeschritten war. Andere Spezialisierungen wie Buchbinder-, Kolportage-, Kunst- und Musikalienkommissionäre konnten zwar quantitativ viele Kommittenten besitzen, ihre Auftraggeber waren aber zumeist kleine Firmen, so daß hier eine Vergleichbarkeit über die Kommittentenzahl nicht hergestellt werden konnte. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 113. 31 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 466. 32 Vgl. StAL, Koehler & Volckmar Leipzig, 4, 5. 33 Vgl. StAL, Koehler & Volckmar Leipzig, 2. 34 Vgl. Jordan , Konzentrationsprozeß, S. 142. 35 Um 1898 vermutete eine anonyme Schrift, daß ohne die Kredite der Leipziger Kommissionäre 70-80 Prozent der Kommittenten im Verlauf ihrer Entwicklung Konkurs gemacht hätten. Vgl. Seriosus, Kommissionäre, S. 8.
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Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Da der Kommissionär einen gewissen Prozentsatz der verlegerischen Produktion treuhänderisch am Kommissionsplatz verwaltete, verfügte er über einige Sicherheiten. Nicht selten geschah es, daß Kommissionäre nach dem Bankrott eines Verlegerkommittenten die Bücher einfach einbehielten, um durch Lagerräumungsund Ramschverkäufe wenigstens einen Teil der erlittenen Verluste wieder wettzumachen. Woher der Kommissionär bei den geringen Honorarberechnungen sein Bargeld bezog, kann aufgrund der nicht überlieferten Buchhaltung nur vermutet werden. Ein „alter Buchhändler" begründete, „daß die Kommissionäre ja auch die für die Verlage eingenommenen Gelder erst später abrechneten und deshalb selbst Kredite einräumen könnten." 36 Wenn diese Aussage zutrifft, so nutzte der Kommissionär die relativ lange Geldzirkulation im deutschen Buchhandel geschickt aus. Offen bleibt dann aber, warum er für seine Vermittlung lange Zeit keine Zinsen verlangte, wie es die Bank tat. Historisch gesehen überbrückte der Kommissionär als Bankier nur eine Periode, in der professionelle Banken kaum Risikobereitschaft zeigten, Investitionen des Buchhandels vorzufinanzieren. Ein wirklicher Bankier war der Kommissionär im 19. Jahrhundert nicht, er erfüllte lediglich vergleichbare Funktionen.37 Seit den achtziger Jahren nahmen reguläre Bankverbindungen im Buchhandel zu, ohne den Kommissionär als Finanzierungsquelle vollständig zu verdrängen. Um 1908 hob Albert Voerster auf dem VI. Internationalen Verleger-Kongreß in Madrid hervor, daß der deutsche Kommissionär auch Kreditaufgaben erfüllte. 38 Nichtbuchhändler, also Nichtfachleute des Buchhandels, die im Sprachgebrauch der damaligen Zeit manchmal auch unter der etwas unpräzisen Bezeichnung „Buchbinder" zusammengefaßt wurden, bedienten sich einer weiteren Spezialisierung innerhalb des Zwischenbuchhandels, nämlich des Grossosortiments oder auch des Buchbinderkommissionärs. Für den sich nach 1850 verselbständigenden Kolportagebuchhandel gab es innerhalb der Grossosortimente das Kolportage-Grossosortiment. Es vertrieb hauptsächlich Schulbücher, populäre Billigromane, volkstümliche Schriften, Kalender, billige Zeitschriften und Lieferungswerke. 39 Der Vorteil des Buchbinderkommissionärs bestand darin, daß er den Bedarf von Kleinstbetrieben, meist preiswerte Literatur, sehr günstig und in großen Partien 36 Carlsohn, Lebensbilder, S. 125. 37
Der Kommissionär forderte für seine Vorschüsse keine Provision. Eine Offenlegung der Bilanzen, wie dies bei Banken üblich war, erfolgte auch nicht. Vgl. Luckhardt, Verbesserung, S. 12; Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 142. Hennig berichtete, daß zu Beginn des 20. Jahrhunderts diese Unterschiede dahingehend aufgehoben wurden, daß der Kommissionär Zinsen und Provision (Courtage) wie bei jedem Bankgeschäft verlangte. Vgl. Hennig, Kommissionsgeschäft, S. 172. 38 Vgl. Voerster, Verbesserung, S. 32. 39 Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 77-78.
I. Allgemeine Entwicklungen
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vom Verleger bezog. Die Gebühren für seine Kommissionstätigkeit lagen weit unter denen eines „richtigen Kommissionärs", wobei auf eine differenzierte Spesenberechnung gänzlich verzichtet wurde. 40 Eine Vielzahl der Kommittenten von Buchbinderkommissionären betrieb den Buchhandel als kleines Nebengeschäft. Sie nahmen mitunter nur einige Postpakete mit Büchern im Jahr an. Kennzeichnend war für die genannten Spezialisierungen, daß vor allem kleinere Unternehmen auf der Suche nach neuen Absatzstrategien und Marktlücken die bereits vorhandene Konkurrenz enorm steigerten. Für den Provinzialbuchhandel wurde der Konkurrenzdruck, der von den Kommissionsplätzen ausging, immer größer. Die modernen Barsortimente gewährten bis zu 50 Prozent Rabatt, ohne daß der Käufer größere Stückzahlen abnehmen mußte.41 Da sich der Leipziger Zwischenbuchhandel bis in die frühen achtziger Jahre nicht zur Frage der Schleuderei positioniert hatte, sahen die Provinzialsortimenter in ihm einen Verursacher von Preisunterbietungen. Seit den dreißiger Jahren wurde über genossenschaftliche Vereinssortimente diskutiert. Sie sollten der Schleuderei Einhalt gebieten. Die grundlegende Idee der Vereinssortimente war der lokale bzw. regionale Zusammenschluß von Sortimentsbuchhandlungen zwecks gemeinsamer und preiswerter Warenbezüge (meist Partien) direkt oder über Leipzig bei Umgehung des hiesigen Zwischenbuchhandels. Das Vereinssortiment stellte eine weitere zwischenbuchhändlerische Spezialisierung dar. Es war insofern gegen die existierenden Formen des Zwischenbuchhandels gerichtet, als es diese zu umgehen suchte. Der Gründungsgedanke von Vereinssortimenten nährte sich aus einem Stimmungsumschwung bei einigen Sortimentern, die nicht mehr so wie früher im Verleger, sondern im „schmarotzenden" Kommissionär ihren Hauptgegner erkannten. 42 Konzepte zur Gründung von Vereinssortimenten wurden seit 1852 intensiv in der buchhändlerischen Öffentlichkeit besprochen.43 1863 plante der neugegründete Verein der deutschen Sortimentsbuchhändler durch die Bildung von Vereinsgeschäften die Kommissions- sowie Speditionskosten der Kommissionäre einzusparen. Am 1. Oktober 1864 trat unter Leitung von W. Einhorn (Firma E. F. Steinakker) ein „Vereinsgeschäft" ins Leben, das dem Barsortiment von Volckmar das Wasser abgraben wollte, was aber nicht gelang.44 Ende der siebziger Jahre entstanden die ersten genossenschaftlichen Vereinssortimente. Sie waren in der Regel 40 Vgl. Ebd., S. 78-81. 41
Das Barsortiment wurde als eine Schlange am Busen des Verlagsbuchhandels bezeichnet. Vgl. Ruprecht, Barsortiment, S. 6. 42 Es ließe sich eine ganze Reihe von Artikeln des Börsenblatts aus den sechziger und siebziger Jahren zitieren, die mit Blick auf das Barpaketgeschäft und die Spesenberechnung von einem Wucher der Leipziger Kommissionäre sprachen. 4 3 Vgl. [u. a.] BB1 Nr. 80, 16. 8. 1852, S. 1182; BB1 Nr. 30, 6. 2. 1871, S. 329-330, 686688, 857-859, 950-951. 44
Vgl. Staackmann 1919, S. 57.
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nicht in den großen Zentren, sondern an den kleineren Mittelpunkten des Provinzialbuchhandels zu finden. 45
II. Innovationen Die Zeit nach 1850 war dadurch gekennzeichnet, daß bereits entworfene oder angedachte Innovationen des Leipziger Kommissionsbuchhandels erneut aufgegriffen und in die Tat umgesetzt wurden. Hinsichtlich des Kommissionsbuchhandels gab es eigentlich keine grundsätzlich neuen Ideen, sondern nur Verfeinerungen und Verbesserungen, die sich aus der veränderten Marktsituation oder dem Geschäftsalltag ergaben. Das größte Innovationspotential boten neue Spezialisierungen des Zwischenbuchhandels.
1. Das Aufkommen von Barsortimenten 1847-1861 Die Herausbildung des Barsortiments wird in der jüngsten Forschungsliteratur wiederholt als eine geniale, neuartige Sache dargestellt, die ausgehend von der Idee eines einzigen Sortimenters - Louis Zander - auf den Zwischenbuchhandel überging und in den folgenden Jahrzehnten eine bis in die Gegenwart andauernde große Bedeutung gewann.46 Dieser Befund verkürzt die Innovationsleistung des Barsortiments zu sehr auf eine Person und läßt sich auch an den Quellen so nicht bestätigen. Nicht um die historische Leistung Zanders zu schmälern, sondern um sie in einen größeren Kontext richtig einordnen und verstehen zu können, soll auf folgenden Sachverhalt verwiesen werden: Im Zentrum der Neuerung Zanders stand die Idee, ein Großsortiment 47 gebundener gangbarer Bücher am Kommissionsplatz einzurichten, die an Sortimentsbuchhandlungen bar weiterverkauft werden. Dieser 45
1878 wurde ein Vereinslager in Kiel*gegründet. Weitere Vereinssortimente waren das Schlesische Vereinssortiment in Breslau (1879), das Mitteldeutsche Vereinssortiment in Frankfurt am Main (1880) und das Schweizerische Vereinssortiment in Ölten (1882), das Berliner Vereinssortiment (1884) sowie das Verbandslager Hannover-Braunschweig (1886). Vgl. Dohle-Schäfer, Barsortiment, S. 402-404. 46 Stellvertretend sei verwiesen auf: Schulz, Buchhandels-Ploetz, S. 46; Wittmann, Geschichte, S. 241. Dohle-Schäfer positionierte sich nicht eindeutig zu dieser Problematik und lieferte widersprüchliche Einschätzungen. Sie schrieb einerseits, daß das Barsortiment von Zander deutliche Vorteile wegen seines gebundenen Lagers besaß. Andererseits betonte sie, daß Volckmar bereits seit 1847 im Besitz eines derartig gebundenen Lagers war. Vgl. DohleSchäfer, Barsortiment, S. 398-399. 47 Der Begriff Großsortiment bezieht sich nicht auf ein großes oder umfangreiches Sortiment, sondern auf ein zwischenbuchhändlerisches. Die Bücher wurden nicht an das Publikum verkauft, sondern an Sortimentsbuchhandlungen.
II. Innovationen
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Gedanke war eine Neukombination bekannter Innovationen und fand, allgemeinen Tendenzen in den Leipziger Kommissionsgeschäften der vierziger Jahre folgend, bereits fünf Jahre zuvor im Sortiment gebundener Bücher von Volckmar einen Vorläufer. 48 Zerlegt man die Innovation Barsortiment, so erhält man drei Grundbestandteile, die aus langen Entwicklungstendenzen des deutschen Buchhandels resultieren: 1. das Großsortiment gangbarer Bücher am Zentralplatz, 2. die Barzahlung bei Rabattgewährung, 3. der Verkauf gebundener Bücher. Das Barsortiment in seiner Eigenschaft als Großsortiment gangbarer Bücher (Punkt 1) markierte eindeutig den Rückgriff auf eine „vergessene Praxis", die noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Bestandteil des Zwischenbuchhandels in Leipzig war: die Großsortimenterfunktion des Kommissionärs. In dieser Beziehung sprachen Goldfriedrich und Jordan beim Barsortiment von einer „Rückbildung" des Kommissionsbuchhandels.49 Bis ca. 1830 war es in Leipzig üblich, daß der Kommissionär dieses Sortimentslager auf eigene Rechnung führte. Im Memorandum der Leipziger Kommissionäre von 1846 wurde dieses Verfahren noch damit begründet, daß die langsamen Transportmittel eine gewisse Lagerhaltung diktierten, um den Bestellerwünschen der Sortimenter-Kommittenten rechtzeitig entsprechen zu können. Nach 1830 ging die Lagerhaltung am Leipziger Kommissionsplatz zunehmend in die Verantwortung der auswärtigen Verleger über. Sie hielten von ihren Verlagsartikeln einen gewissen Vorrat am Zentralplatz und beauftragten die Kommissionäre mit den entsprechenden Arbeiten der Auslieferung. Es war bei der alten Großsortimentshaltung des Kommissionärs vor allem die rechtliche Stellung zu beachten, die sie in die Nähe des späteren Barsortiments brachte. Der Kommissionär war Besitzer des Lagers und verkaufte die Bücher wie beim Barsortiment im eigenen Namen auf eigene Rechnung. Im Vergleich zum modernen Barsortiment waren aber die alten Großsortimente nicht sehr umfangreich. Man hat sich eher ein Handlager kleinerer bis mittlerer Größe vorzustellen.50 Zudem gibt es keine Aussagen darüber, in welchem Zustand die Bücher verkauft wurden. Ein kleiner Teil war gewiß broschiert und das meiste ungebunden. Auch zu den Verkaufsmodalitäten schweigen die Quellen weitgehend. In den zwanziger und dreißiger Jahren dürfte mehrheitlich ä condition und fest geliefert worden sein. Eine anfängliche Barauslieferung war aber nicht auszuschließen.51 48 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 366. 49 Vgl. Ebd., S. 363; Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 70. so Ein Großsortiment des ausgehenden 18. Jahrhunderts umfaßte so drei Räume, in denen kostbare Literatur „neu erschienener guter Bücher" lagerte, welche „im Jahre ihres Erscheinens zwei- oder dreimal [ . . . ] abgesetzt waren." Perthes, Perthes, Bd. 1, S. 18. 51 Goldfriedrich schrieb, daß der Kommissionär bereits in den 30er Jahren ein kleines Lager derjenigen Werke hielt, die stark verlangt wurden (z. B. ungebundene Wörterbücher Leipziger Verlags). Es verringerte die Geschäfte des Einholens und brachte Freiexemplare ein.
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Das Barsortiment bediente sich auch bei der Barzahlung (Punkt 2) eines allgemeinen Trends im Buchhandel. Die Barzahlung nahm in den dreißiger Jahren schnell zu, lag im Jahrzehnt danach bei 20 Prozent und in den fünfziger Jahren bei 30 Prozent aller Zahlungen vor. Ihre Tendenz war weiterhin steigend. Durch hohe Rabatte und Gewährung von Freiexemplaren wurde die Barzahlung für den Sortimenter dann attraktiv, wenn er sich des Absatzes sicher sein konnte. Da der Sortimenter guten Kunden halbjährliche Kredite einräumte, war anzunehmen, daß er bei baren Bestellungen zur sofortigen Bezahlung drängte. Betrachtet man also allein die Tatsache, daß das Barsortiment seine Bücher bar weiterverkaufte, so stellte auch dieser Umstand im eigentlichen Sinne keine Neuerung dar. Bereits die Barpakete der dreißiger Jahre konnten nur bei augenblicklicher Bezahlung am Kommissionsort übergeben werden und genossen auch vergleichbare Rabattvorteile. In den vierziger Jahren nahm die Zahl der sogenannten Barverleger zu, die ihren Verlag mehrheitlich bei sofortiger Bezahlung abgaben. Einer von ihnen, Otto Spamer, bezeichnete 1848 das Konditionssystem öffentlich als eine Abnormität. 52 Die dritte Neuerung schließlich, das Binden der Bücher, war eine Entwicklung im Buchhandel, deren sich das Barsortiment bediente. Belegt für das 16. Jahrhundert 53 , war das zwischenbuchhändlerische Binden in der Folgezeit etwas in Vergessenheit geraten. Seit den frühen dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es wieder Indizien für eine gebundene Lagerhaltung. 54 Bislang war es üblich, daß der Verleger die Bücher ungebunden, zumeist jedoch broschiert (d. h. zum Schutz vor Transport- und Lagerschäden provisorisch mit einem Schutzumschlag versehen) dem Sortimenter übergab. Nun war den Buchhändlern das Binden verboten, und sie mußten sich dazu einer anderen zünftlerischen Berufsgruppe, der Buchbinder, bedienen. Aufgrund der teuren Bindungstechniken wollten die Verleger, die ohnehin stets Absatzschwierigkeiten, lange Kredite und dadurch bedingt leere Kassen hatten, bis in die vierziger Jahre hinein die Bücher nicht spekulativ einbinden lasAngesichts der starken Vermehrung der Barpakete übte der Kommissionär noch einen anderen, dem späteren Großsortiment zutreibenden Geschäftsgebrauch aus, „indem er Bestellungen der Kommittenten, die der Verleger diesen nicht in Rechnung ausführen wollte, für sich selber in Rechnung bestellte und den ihm selbst berechneten Nettopreis des Verlegers den Kommittenten auf dem Kassa-Konto belastete. Der Gewinn bestand im Meßagio." KappGoldfriedrich , Geschichte, Bd. 4, S. 364. 52 Vgl. Ebd., S. 387. 53 Kirchhoff hat bereits für das 16. Jahrhundert „Barsortimente gebundener Bücher" nachgewiesen. Es stellt sich heraus, daß Buchbinder diesen Zwischenbuchhandel betrieben, indem sie Gebetsbücher von den Verlegern aufkauften, diese binden ließen und an Buchhändler weiterverkauften. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte diese Form als „Buchbinderkommissionäre" eine Renaissance. Vgl. Kirchhoff, Birck, S. 12; Staackmann 1919, S. 51 -53. 54 Als kleine Anfänge des Barsortiments wurden die Lager gebundener Taschenbücher von Friedrich August Helm in Halberstadt und J. A. List in Berlin bezeichnet. Vgl. Wbl Nr. 49 und 50, 25. 12. 1830, S. 398-399; Wbl Nr. 3 und 4, 23. 1. 1832, S. 26; Staackmann 1919, S. 53.
II. Innovationen
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sen. Eine durchaus verständliche Verhaltensweise, wenn man bedenkt, daß im schlimmsten Falle bis zu 100 Prozent einer à condition verschickten Auflage nach einem Jahr unverkauft zum Verlag zurückkehren konnte.55 Die Verleger zogen es also vor, dem Publikum das Binden auf eigene Kosten zu überlassen, wovon die Kunden eigentlich nur profitierten. Denn nur so kamen zahlungsschwächere Leserkreise preiswerter an die Bücher heran. Zahlungskräftige Bücherliebhaber und Sammler konnten sich beim Aufbau ihrer eigenen Bibliothek einen einheitlichen Bücherrücken leisten, was nicht nur deren optische Attraktivität, sondern auch deren Wert erhöhte. In den vierziger Jahren änderte sich zum einen der Geschmack des Publikums, indem es zunehmend gebundene Bücher verlangte, zum anderen wurden die Voraussetzungen geschaffen, um das Binden in großtechnischen Verfahren schneller und kostengünstiger durchführen zu können. 1846 trat Karl Heinrich Sperling in die Leipziger Buchbinder-Innung ein. An seinen Namen sollte sich die Umgestaltung der Leipziger Branche „von der Stufe des Handwerks" hin zum „arbeitenden Großbetrieb" knüpfen. 56 Eine vierte Entwicklung bereitete die Herausbildung des Barsortiments vor. Es handelte sich um die Abnahme der Leipziger Auslieferungslager infolge des Eisenbahnausbaus. Die Eisenbahn hatte als Führungssektor der deutschen Industrialisierung die Modernisierung vieler Wirtschaftszweige begünstigt.57 Das traf auch für den Buchhandel zu. Von ihm wurde das neue Transportmittel von Beginn an genutzt, um eine Beschleunigung, Sicherheitserhöhung und Kostensenkung in der Auslieferung zu erzielen. 58 In Verkennung der Sachlage bestand aber die erste Reaktion einiger Verleger darin, daß sie ihre Auslieferungslager aus Leipzig zurückzogen, um Lagermieten zu sparen. Das Ergebnis klingt paradox: die Einführung der Eisenbahn hatte eine wochenlange Verzögerung der Auslieferung zur Folge. Viele Bücher lagerten nicht mehr in Leipzig und konnten nur unter Zeitverlust von den Verlegern eingefordert werden. Dieser Negativ-Effekt war aber nicht auf das Transportmittel, sondern auf die Buchhändler zurückzuführen. Sie hatten die Leistungen der Bahn weit überschätzt.59
55 Vgl. BB1 Nr. 60, 28. 7. 1837, Sp. 1338-1339. Ein buchhändlerischer Witz aus dem 19. Jahrhundert hatte zum Inhalt, daß ein Verleger [gemeint war wohl C. H. F. Hartmann in Leipzig, Th. K.], der 600 Bücher ä condition verschickt hatte, ein Jahr später 601 Exemplare als Remittenden zurückbekam. Vgl. Menz, Buchhändler, S. 165. 56 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 365; Herrmann, Sperling, S. 8-14. 57 Vgl. Fremdling, Eisenbahn, S. 1 - 1 3 ; Kiesewetter, Revolution, S. 248-261. 58 Infolge des Eisenbahnausbaus verlangten im Jahre 1842 einige Kommittenten von ihren Leipziger Kommissionären eine Halbierung der Emballagekosten, weil sie ihre Sendungen nicht wie bisher in Leinwand, sondern in Pappe verpackt wünschten. Dieser Forderung kamen die Kommissionäre nicht nach. Vgl. BB1 Nr. 23, 22. 3. 1842, Sp. 635. 59 Vgl. BB1 Nr. 6, 20. 1. 1846, S. 64.
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Der notwendige Erkenntnisprozeß über die Beibehaltung der Lagerhaltung benötigte indes mehrere Jahre. 1846 wurde im Börsenblatt dargelegt, daß die Eisenbahnen Leipziger Auslieferungslager auf keinen Fall überflüssig machten. Im Gegenteil, unter den neuen Bedingungen sollte die Lagerhaltung am Kommissionsplatz sogar noch ausgebaut werden, um der wachsenden Nachfrage schnell entsprechen zu können.60 1847 zirkulierte ein Plan von J. M. C. Armbruster „zur Gründung eines grösseren Bücherlagers in Leipzig." Aus dem gleichen Jahr stammte die Idee des Berliner Sortimenters Otto Janke zur Gründung eines Sortimentervereins. Nach seiner Vorstellung sollte der Leipziger Kommissionär T. O. Weigel verlegerische Partiebezüge vermitteln, doch die Vereinsgründungspläne zerschlugen sich. Auch einem zweiten Versuch des Berliner Buchhändlers C. H. Jonas war kein Erfolg beschieden, da der Widerstand der Verleger zu groß war. 61 Auf die wiederholte Klage gegen das Zurückgehen umfangreicher Lagerhaltungen am Kommissionsplatz reagierte der Buchhandel umgehend. Bevor die Verleger ihre Lager wieder in Leipzig aufbauten, begannen Leipziger Kommissionäre, besonders aber die Firma Völckmar, in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre, diesem Mangel durch eine eigene Lagerhaltung gebundener Bücher zu begegnen. Aus Volckmars Kassenbüchern ging hervor, daß er seit Ausgang der dreißiger Jahre Partiebezüge ungebundener Wörterbücher Leipziger Verlags machte und ihren Verkauf an das Sortiment zum Originalnettopreis organisierte, wobei er auch auf Kredit (fest, ä condition) lieferte. 62 Seit 1847 entwickelte die Firma ein Barsortiment unter dem Namen „Separat-Sortiment", ohne viel Aufhebens darum zu machen.63 Im Vergleich zum späteren Barsortiment von Zander stellte das Volckmarsche Bücherlager insofern eine Besonderheit dar, als es ausschließlich für die eigenen Kommittenten gedacht war. Ein erstes Verzeichnis seines Barsortiments soll für 1850 90 Titel ausgewiesen haben.64 Mit der Geschäftseröffnung Zanders legte nicht, wie in allen bekannten Fällen zuvor, ein Kommissionär oder Verleger, sondern ein Sortimenter ein spezialisiertes
60 Vgl. Ebd. 61 Vgl. Staackmann 1919, S. 55. 62 Vgl. Ebd., S. 56. Die Kassenbücher selbst haben sich nicht erhalten. 63 Ein heute leider nicht mehr erhaltener handschriftlicher Nachtrag zur „Geschichte der Firma F. Völckmar" berichtete folgendes: „Die starke Vermehrung der Barpakete und die damit verbundene Mehrarbeit brachten Völckmar auf den Ausweg, die Bestellungen seiner Kommittenten, die der Verleger diesen nicht in Rechnung ausführen wollte, selbst zu übernehmen [ . . . ] Er ersparte so die umständliche Verbuchung vieler kleiner Barpaketposten und gewann bei der Ostermeßabrechnung das etwas über 1 Prozent betragende Meßagio. [ . . . ] Es findet sich dieser Geschäftsbetrieb in den Büchern als ,Separat-Sortiment' bezeichnet, und er unterscheidet sich von den sonstigen Sortimentsbesorgungen der Firma dadurch, daß keine Provision auf den Nettopreis geschlagen wurde, also ganz wie beim späteren Barsortiment." Zit. aus: Ebd., S. 54. 64 Vgl. Völckmar 1910, S. 6; Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 365-366.
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Bücherlager als Großsortiment an. Man kann davon ausgehen, daß Zander von den ganz ähnlichen Bestrebungen Volckmars gewußt hat. 65 Er bezog gutgehende Bücher in Partien fest bzw. bar vom Verleger, ließ sie in Vertragsbindereien sehr preiswert einbinden und bot diese wiederum dem Sortimentsbuchhandel - die oben genannten Entwicklungen aufgreifend - gebunden, bar und verbilligt an. Schon bald gab es vergleichbare Geschäftseröffnungen von anderen Buchhändlern. 66 Viel Energie verwandte Zander darauf, mit seinem Geschäft zu expandieren. Inwieweit ihm das gelang, kann mit Bestimmtheit nicht gesagt werden, da es keine firmengeschichtliche Überlieferung hierzu gibt. Da er seine Dienstleistung dem gesamten Buchhandel anbot, konnten sich gewisse Vorteile gegenüber Volckmar ergeben, der den eingeschränkten Kollegenkreis seiner immerhin 80 bis 100 Kommittenten bediente.67 Zu wievielen Sortimentsgeschäften Zander aber tatsächlich Geschäftsbeziehungen anbahnen konnte, ist ebenfalls nicht überliefert. Ein Problem ergab sich für Zander aus der Tatsache, daß er kein eingeführter Zwischenbuchhändler war, der bereits über weitreichende Kontakte im Buchhandel verfügte. Während Volckmar exklusive Einblicke in die Absatzstatistiken einer ganzen Anzahl deutscher Verleger erhielt, fehlte Zander dieses Wissen. Woher nahm Zander seine verläßlichen Informationen, welche momentan auf dem Markt befindlichen Bücher wirklich gangbar waren? Selbst seine langjährige Tätigkeit im Leipziger Buchhandel konnte ihn nicht in die Lage versetzen, den Absatz eines Titel „vorherzusehen". Insofern war sein frühes Barsortiment ein durch und durch spekulatives Geschäft; gegenüber den Zwischenbuchhändlern besaß er jedenfalls die schlechteren Karten. Insgesamt läßt sich für das Zirkular vom 1. Juli 1852 festhalten, daß die Geschäftseröffnung von Zander ein geschickter Schachzug war. Er präsentierte sich der Öffentlichkeit als der Erfinder einer Sache, die er selbst in dieser Ausschließlichkeit gar nicht konzipiert hatte. Durch die innovative Neubündelung verstreut praktizierter Praktiken gelang es ihm, eine Geschäftsidee zu propagieren, die im Trend der Zeit lag. Die Eröffnung von Großsortimenten am Kommissionsplatz, der Verkauf von gebundenen Büchern und der Barverkehr waren Tagesforderungen des deutschen Buchhandels, die seit den ausgehenden vierziger Jahren öffentlich artikuliert und von einigen Trendsettern bereits praktiziert wurden. Dieser Befund wird auch dadurch gestützt, daß das Gründungszirkular Zanders aus dem Jahr 1852 bis 1854 keine Reaktion im Buchhandel auslöste. Diese Teilnahmslosigkeit 65 Vgl. Staackmann 1919, S. 56. Louis Zander (1808-1887) war zur Geschäftseröffnung bereits seit 26 Jahren im Buchhandel tätig gewesen. Er hatte für die Buchhandlungen Zimmermann (Wittenberg), Schnuphase (Altenburg) und Gebr. Reichenbach (Leipzig) gearbeitet. Vgl. Geschäftsrundschreiben L. Zander vom 1. 7. 1852, in: DBSM, Sammlung Geschäftsrundschreiben. 66 Vgl. Geschäftsrundschreiben zur „Errichtung eines Commissionslagers des gangbarsten Verlages in Leipzig" von Robert Hoffmann am 26. 7. 1852, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/99. 67 Vgl. Dohle-Schäfer, Barsortiment, S. 399.
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wäre ungewöhnlich gewesen, wenn es sich beim Barsortiment von Zander um eine verblüffende, völlig neuartige Idee gehandelt hätte.68 Da Zander nicht genügend Kapital besaß, um seiner Idee Dauer zu verleihen, wurde sein Unternehmen 1861 von Volckmar aufgekauft. Die genaueren Gründe des Verkaufs wurden im Kaufvertrag von 1861 nicht erwähnt. 69 Es wird in anderen Quellen angedeutet, daß sich Zander durch die Übernahme des „Steinackerschen Lagers" (gemeint ist dessen Barsortiment) im Jahre 1860 physisch und finanziell verausgabt hätte. 70 Zander selbst schützte Altersgründe für den Verkauf vor, wobei er sich nicht etwa zur Ruhe setzte, sondern eine neue Buchhandlung gründete. Sein Barsortiment wurde für den geringen Kaufpreis von 7.500 Tlr. Volckmar überlassen. Es verfügte weder über bedeutende Bücherbestände noch über Immobilien. Goldfriedrich bemerkte zur Geschäftsübergabe: „Rief Zander sein Unternehmen ins Leben als eben erst etablierter Buchhändler, so rankte sich das Volckmarsche dagegen empor an dem Gitterwerk der Kommittentenbeziehungen und wurde damit ein organisatorischer Bestandteil der buchhändlerischen Organisation in ganz anderer Weise als das Unternehmen Zanders." 71 Daß die Unternehmer von Volckmar den Namen Zander für zwei Jahre weiter behalten wollten, folgte allgemeinen Richtlinien beim Aufkauf zwischenbuchhändlerischer Unternehmen und legt die Vermutung nahe, daß sich Zander in ihren Augen einen Namen gemacht hatte, den es lohnte, aufrecht zu erhalten. 72 Neben Volckmar und Zander hatten die Firmen Steinacker und Koehler in den fünfziger Jahren ihre eigene Lagerhaltung weiter ausgebaut und zwischen 1857 und 1862 den Bezug sogar gemeinschaftlich durch Volckmar organisieren lassen. Eigentlicher Wegbereiter des frühen Barsortiments der Kommissionäre war Carl Vöerster (im Unternehmen Volckmar). Ein von ihm geschriebenes Lagerverzeichnis für 1858/59 listete 167 Titel auf. 73 Von Vöerster stammte auch der Begriff „Barsortiment". Er verwendete ihn erstmals in einem Brief von 1858. Mit der Bezeichnung ging es ihm nicht darum, daß das Barsortiment die Bücher bar vom Verleger bezog (wie später oftmals vermutet wurde), sondern vielmehr darum, daß die Bücher „zu den Barpreisen der Verleger" erhältlich waren. 74 Insofern meinte „Bar68 Zuvor wurde jede Veränderung größeren Umfangs in den buchhändlerischen Zeitschriften umfassend und kontrovers diskutiert. Siehe S. 75 - 86 zur Usancendebatte. 69 Vgl. Kaufvertrag vom 4. März 1861 zwischen Louis Zander, Otto Volckmar und Carl Vöerster, in: DBSM Sammlung Geschäftsrundschreiben. Vgl. auch Dokumentation von Dohle-Schäfer, Barsortiment, S. 408-413. 70 Vgl. Staackmann 1919, S. 56.
71 Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 365. 72 Vgl. Dohle-Schäfer, Barsortiment, S. 399. Zur Aufkaufpolitik Leipziger Kommissionsgeschäfte siehe S. 200-210. 73
Koehler und Steinacker verfolgten diese Entwicklung aber nicht weiter und zogen ihre diesbezüglichen Dienstleistungen wieder zurück. Vgl. Staackmann 1919, S. 56. 74 Vgl. Ebd., S. 57.
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Sortiment" nicht die Zahlungsweise, sondern die Rabattgebung. Es wurde in seiner Eigenschaft als Nettosortiment charakterisiert, wobei interessant wäre, ob sich die letztere Bezeichnung allgemein durchgesetzt hätte.
2. Debatten über die Umgestaltung der Abrechnung und der Buchhändlermesse 1861-63,1867 Diskussionen über die Umgestaltung der Abrechnung hatte es seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gegeben.75 Suchte man damals noch ein gemeinsames Abrechnungslokal oder wollte man die Zeit der Abrechnung und somit den Aufenthalt auf der Leipziger Ostermesse verkürzen, so trat, mit der allmählichen Übernahme der Abrechnung durch die Leipziger Kommissionäre, die Buchhändlermesse generell in eine strukturelle Krise ein. Immer weniger Kommittenten besuchten die Messe. Nach 1850 blieb trotz der stark zunehmenden Buchhändlerzahlen die Anzahl der Messebesucher über Jahre hinweg relativ konstant.76 Bevor es zu einer Radikalreform der Leipziger Ostermesse kommen konnte, wurde der in den vierziger Jahren eingeleitete Prozeß - die Übernahme des Abrechnungsgeschäfts durch die Kommissionäre und damit verbunden die Verkürzung der Messezeit - weiter vorangetrieben. Auf Drängen einiger Leipziger Kommissionäre erklärte im Frühjahr 1858 der Verein der Buchhändler zu Leipzig, daß der Freitag vor Pfingsten als letzter Abrechnungstag aufgehoben sei und stellte in Aussicht, daß in Zukunft bereits am Mittwoch alle Zahlungsgeschäfte abgeschlossen sein könnten. Die Abrechnung steuerte ihrer weiteren Verkürzung entgegen. Um die Geschäftsabschlüsse effektiver gestalten zu können, wurde das seit 1852 jährlich herausgegebene Meßhilfsbuch inhaltlich verbessert. 77 In dieser Zeit nahm das Abrechnungsgeschäft zwei Wochen in Anspruch, wobei die Auswärtigen nur sieben Tage anwesend sein mußten. Während der Kantatewoche rechneten die Kommissionäre mit den Fremden und in der darauffolgenden Woche unter sich ab. 78 Üblich waren auch Festessen, die die Leipziger Kommissionäre für ihre 75 Vgl. StadtAL, IL Sektion, B 1244 (Feud). 76 Von 1849 bis 1877 besuchten jährlich etwa 250 bis 350 fremde Buchhändler die Leipziger Ostermesse. Folgende Zahlen haben sich durch Besprechungen im Börsenblatt erhalten: 1849 225, 1850 307, 1851 278, 1852 272, 1853 303, 1877 262. Die Publizierung weiterer Angaben wurde unterlassen, da seit 1852 ein Mess-Hilfsbuch vom Börsenverein herausgegeben wurde, von dem sich leider nur noch im Exemplar von 1852 die Liste der messebesuchenden Buchhändler erhalten hat. Vgl. Schulz, Mess-Hilfsbuch, in: S M L I K 49a. 77
1871 enthielt es Personallisten der Vorstände mehrerer Buchhändlervereine, das Programm zur Leipziger Ostermesse, Verzeichnisse der Leipziger Buchhändler, der Leipziger Kommissionäre und ihrer auswärtigen Kommittenten sowie der messebesuchenden Buchhändler, Umrechnungstabellen, Fahrpläne und einen Stadtplan von Leipzig. Vgl. BB1 Nr. 87, 19. 4. 1871, S. 1093. 7 « Vgl. BB1 Nr. 39, 31. 3. 1858, S. 574. 13 Keiderling
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©fUrmeßitbredjnnng 1854.
Abbildung 14: Ostermeßabrechnung 1854
Kommittenten veranstalteten. Sie festigten damit das Geschäftsverhältnis zu ihren Auftraggebern und konnten auf diesem Weg einige Mißverständnisse beseitigen. Im Jahre 1859 beschwerten sich mehrere Messebesucher, daß die Leipziger Kommissionäre die Börse unregelmäßig besuchten.79 Die Frage der Neuordnung der Meßabrechnung erhielt einen neuen Auftrieb. Im Kern drehte sie sich um folgende Punkte: 1. Verlegung von Abrechnung und Buchhändlermesse in den Sommer, 2. Abrechnung ausschließlich durch die Kommissionäre, 3. Trennung von Abrechnung und Buchhändlermesse, wobei der letzteren eine völlig neue inhaltliche Gestaltung zukam. 79 Vgl. BB1 Nr. 68, 28. 5. 1859, S. 1093.
II. Innovationen
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Ein heftiger Befürworter der buchhändlerischen Messeverlegung wurde Heinrich Brockhaus, der bereits der Prüfungskommission von 1846/47 angehört hatte. In einem Programm vom 1. März 1861 stellte er wichtige Forderungen zusammen. An erster Stelle stand eine vollständige Abrechnung im August. Bei Beibehaltung des bestehenden Kalender-Abrechnungsjahres sollten die Remittenden nicht mehr zu Ostern, sondern in der Zeit von Juni bis August erledigt werden. Die Leipziger Abrechnung hätte in den letzten beiden Augustwochen zu erfolgen. Das Meßagio sollte abgeschafft, Disponenden und Saldoüberträge vermieden werden. Einen wichtigen Beweggrund für seinen Vorschlag sah Brockhaus darin, daß die Sortimenter in der besten Verkaufszeit des Jahres, dem Weihnachtsgeschäft, nicht nur die Rechnungen mit den Kunden zu schließen hatten, sondern sich auch auf die Abrechnung mit dem Buchhandel vorbereiten mußten. Als Verleger befürchtete er, die Sortimenter wären dadurch nicht in der Lage, sich um den Bücherabsatz „in energischer Weise zu bemühen". Dieses Argument erschien ihm so überzeugend, daß er es gegenüber der bisherigen Meinung stark machte, die vor einer Herauslösung der Leipziger Buchhändlermesse aus einem mitteleuropäischen Messeverbund warnte. Brockhaus meinte, der Zusammenhang beider Messen sei mit der Zeit lockerer geworden. Außerdem hätten sich die Zahlungspraktiken und Transportverhältnisse radikal verbessert, so daß man den Abrechnungstermin problemlos ändern könne. 80 1861 und 1862 gab es dazu eine intensive Diskussion im Börsenblatt. Insgesamt widmeten sich 66 Artikel der Abrechnungs- und Meß Verlegung. Diese Meinungsäußerungen erlauben wesentliche Einblicke in die unternehmerische Selbstreflektion. Es wurden Unzulänglichkeiten und Nachteile der eigenen Handelsbräuche offen dargelegt. Die Sortimenter begrüßten die geschäftserleichternde Abrechnungsverlegung. Sie ließen aber offen, ob sie sich an die Hauptforderung der Verleger, das pünktliche Zahlen aller offenen Rechnungsposten, halten würden. Das Disponieren war in ihren Augen keine durchweg abzulehnende Einrichtung, da sie ein aufwendiges Hin- und Hersenden mancher Bücher erspare und somit auch Transport- und Emballagekosten. „Das würde nur die Taschen der Commissionäre, deren Spesenberechnungen ohnehin enorm sind, und [die, Th. K.] der Eisenbahnen füllen." 81 Was zu remittieren und disponieren sei, darüber sollten sich die einzelnen Verleger und Sortimenter persönlich einigen. Die Verleger hielten eine Verlängerung des Kredits auf 12 bis 15 Monate mehrheitlich für unakzeptabel. Der deutsche Buchhandel sei der einzige in der Welt, der lange Kredite und somit einen langsamen Kapitalumsatz aufweise. Mit der geplanten Abrechnungsverlegung würde man gegen den Trend der Zeit verstoßen, der in Richtung des kaufmännischen Bargeschäfts verlaufe.
so Vgl. BB1 Nr. 28, 6. 3. 1861, S. 445 - 446. 8i Ein Ausspruch von H. Dominicus in Prag, in: BB1 Nr. 34, 20. 3. 1861, S. 562. 13*
196
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Auf Anregung von C. Ed. Müller in Bremen wurde über die Meßverlegung abgestimmt. Bis April 1861 erklärten sich 532 Firmen für eine Realisierung des Brockhausschen Reformplans. 82 Einige von ihnen feierten Heinrich Brockhaus bereits als großartigen Reformer, der „sich ein großes Verdienst um den deutschen Buchhandel erwerben [wird, Th. K.], wenn er das Vorhaben ausführt." 83 Gegen Brockhaus sprachen sich allerdings der gesamte Berliner Verlegerverein, 64 Leipziger, 42 Stuttgarter, 21 Hamburger, 6 Hallenser, 5 Altonaer Buchhändler sowie weitere Unternehmer aus, die sich in Erklärungen einzeln oder in kleinen Gruppen zu erkennen gaben. Sie befürworteten meist nur einen um wenige Wochen verlegten Meßtermin, etwa im Mai oder Juni. Am 17. April meldete sich auch ein „neutraler", seit mehr als dreißig Jahren in Leipzig etablierter Kommissionär zur geplanten Abrechnungsverlegung. Er meinte, daß es dem Kommissionsbuchhandel gleich sein könne, wann die Abrechnung stattfinde. Aber im Interesse seiner Verleger- und Sortimenterkommittenten warnte er vor halbherzigen Änderungen des buchhändlerischen Zahlungsverkehrs, der ja zum großen Teil durch den Kommissionsbuchhandel bewerkstelligt werde. Eine Verlängerung des Kredits würde in erster Linie für Verwirrung und neue Probleme sorgen. Mit einer heftigen Schlußbemerkung griff der „neutrale Leipziger Kommissionär" die Firma F. A. Brockhaus an. Die neue Abrechnung würde voraussichtlich viele kleine und mittlere Verleger ruinieren. Somit hätte dann das große Haus um so freiere Hand. 84 Heinrich Brockhaus wies diese Beschuldigung empört zurück. Seine Geschäftsphilosophie sei die seines Vaters: „Leben und leben lassen!"85 Auf der Hauptversammlung des Börsenvereins von 1861 stellte Heinrich Brockhaus den Antrag, daß eine Kommission aus neun Experten gebildet werde, die sich mit den Änderungsanträgen befassen sollte. Es wurde beschlossen, daß diese Kommission spätestens drei Monate vor der Hauptversammlung 1862 ihren Bericht zur Frage veröffentlichen sollte. 86 Das Ergebnis der zweiten Kommission zur Meßverlegung zerfiel in zwei entgegengesetzte Gutachten. Das erste Gutachten, verfaßt von einer knappen Mehrheit 87 , war deckungsgleich mit den Ergebnissen von 1846/47. Es wurde festgestellt, „daß es sich empfindlich rächen würde, wenn der Buchhandel allein den Versuch machen wollte, sich von den alle Lebenseinrichtungen bestimmenden 82
Von etwa 2.500 Firmen im deutschsprachigen Bereich. 83 So Karl Röttger aus St. Petersburg, in: BB1 Nr. 39. 3. 4. 1861, S. 651. 84 Vgl. BB1 Nr. 45, 17. 4. 1861, S. 779-781. 85 BB1 Nr. 47, 22. 4. 1861, S. 812. Vgl. ferner Keiderling, Brockhaus, S. B30-B31. 86 Der Kommission gehörten an: A. W. Volkmann (Vorsitzender), S. Hirzel, M. Gerold, J. P. Himmer, C. Fr. Fleischer, E. Baedeker, Fr. Fleischer, Dr. E. Brockhaus, A. Baedeker. Vgl. BB1 Nr. 60, 8.5. 1861, S. 951. 87 Die Verfasser waren Fr. Frommann, J. P. Himmer, S. Hirzel, C. F. Fleischer, G. E. Nolte (Berichterstatter), R. Oldenbourg, A. Perthes.
II. Innovationen
197
Zeiten des Kirchenjahres loszusagen, um sich künftig allein an ein feststehendes Datum zu halten." 88 Sodann wurden viele Argumente widerlegt, die für eine Verlegung des Meßtermins sprachen. Die Teilkommission hielt es nicht für stichhaltig, daß sich der Absatz bei einem späteren Abrechnungstermin steigern würde. Den österreichischen Kollegen, die darüber klagten, sie müßten vor der Leipziger Abrechnung erst die lokale und dann die landesweite Abrechnung ausführen, wurde entgegengehalten, daß die letzten beiden Termine Veränderungen der jüngsten Zeit wären und somit die ältere Leipziger Messe nicht in Frage stellen könnten. Außerdem würde eine Verlegung der Leipziger Messe die süddeutsche Abrechnungsweise durchkreuzen. Das Fazit des ersten Gutachtens bestand in einem Plädoyer für eine bessere Ordnung ohne eine Verlegung der Messe. Die Remittenden sollten gründlich gepackt und rechtzeitig abgeschickt, die Rechnungen vollständig bezahlt werden, die Buchhändler die Ostermesse zu einem persönlichen Besuch nutzen. Der fast doppelt so umfangreiche Minoritätsbericht 89 faßte die Vorteile einer Meßverlegung auf den vierten Sonntag im Mai 9 0 wie folgt zusammen: Es würde (1) eine gleichmäßige Rechnungsperiode erzielt, (2) der Absatz der Novitäten gesteigert, indem sich der Spielraum für den Vertrieb erweitere, (3) der Pünktlichkeit und Ordnung Vorschub geleistet, indem die Geschäfte eine genaue Terminsetzung erhielten, (4) den Sortimentern der persönliche Besuch auf der Messe erleichtert, (5) dem Remittendengeschäft durch einen späteren Termin mehr Raum gegeben.91 Letztlich aber sei nach ihrer Meinung eine Verschiebung der Leipziger Ostermesse schon deshalb möglich, weil das Kommissionsgeschäft wesentliche Inhalte der Messe wie die Abrechnung übernommen habe. Die Minoritätskommission nähme so Rücksicht auf das moderne Kommissionsgeschäft als „eine Frucht der Umsicht und Intelligenz" Leipziger Kommissionäre, dessen Entwicklung große Vorteile für den Gesamtbuchhandel gewährte. 92 Auf der Hauptversammlung des Börsenvereins wurde 1862 eine Meßverlegung endgültig abgelehnt. Nachdem diese Angelegenheit vom Tisch war, wurden seit 1863 nur noch inhaltliche Fragen der Meßabrechnung besprochen, die unter der Rubrik „Bestimmungen über einige den buchhändlerischen Verkehr betreffende Punkte" lang und breit im Börsenblatt erörtert wurden. Man warnte wiederholt vor einem Bedeutungsverlust der Messe. Da die Dauer der Abrechnung von Jahr zu Jahr abnahm, drohte das wichtige Geschäftsgespräch zwischen Verleger und Sortimenter verloren zu gehen.93 88 BB1 Nr. 24, 24. 2. 1862, S. 413. 89 Die Verfasser waren H. Mercy (Berichterstatter), Fr. Gerold, K. Aue, A. Marcus, C. Ed. Müller, H. Brockhaus. 90 Wenn dieser auf Pfingsten fallen sollte, wäre am dritten Sonntag Messe. 91 Vgl. BB1 Nr. 24, 24. 2. 1862, S. 418. 92 Ebd., S. 419. 93 Vgl. BB1 Nr. 44, 15. 4. 1863, S. 795.
198
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Heimgekehrt von der Leipziger Ostermesse 1865, schrieb der Berliner Buchhändler Alexander Duncker von einer tiefen Krise derselben. Ihm drängte sich die Frage auf, ob sie ihre große Bedeutung für den Buchhandel weiter wahren könnte. Es wäre zweckmäßiger, wenn die Kommissionäre den Abrechnungsverkehr gänzlich übernehmen würden und die Messe einen geselligen Charakter erhielte. 94 Da die Börsenabrechnung nur die Vormittagsstunden umfaßte, hatten die Kommissionäre - laut Duncker - „ein passendes Local (großen Saal mit anstoßendem Garten) ausfindig zu machen, in welchem sich während der Messe jeden Nachmittag zwischen 3 - 5 Uhr die sämmtlichen in Leipzig anwesenden und soweit wie irgend möglich auch die Leipziger Herren Collegen [ . . . ] einfinden. Jeder hier Erscheinende ist bei Strafe von 15 Ngr. zu Gunsten des Unterstützungs-Vereins gehalten, seinen Namen an Hut und Rock für Jedermann lesbar zu tragen. Bei Kaffee, Bier, Cigarre wird diese Vereinigung die gemüthliche Börse repräsentiren im Gegensatz zu der streng geschäftlichen Rechen-Börse des Vormittags." 95 Dem Vorschlag schlossen sich namhafte Buchhändler wie Frommann an. Im Jahre 1867 wurde die Reform der buchhändlerischen Ostermesse Wirklichkeit. Die Abrechnung nahmen trotz einiger selbstabrechnender Nachzügler die Kommissionäre in die Hand. 96 Das gemeinsame Kantate-Festessen im Leipziger Schützenhaus rückte in das Zentrum der Zusammenkunft. Hier entstand eine qualitativ neuartige Branchen-Festkultur, mit der sich die deutschen Buchhändler präsentieren und feiern konnten. Bereits im ersten Jahr nahmen über 450 Personen am Festessen teil. Zu den Ehrengästen gehörten die Spitzen der königlich-sächsischen und städtischen Behörden, der preußische Stadtkommandant sowie der Rektor der Universität Leipzig. Überhaupt war den Berichten zufolge die hiesige Universität zahlreich unter den Gästen vertreten. Der Rektor der Leipziger Universität, der Geheime Justizrat von Gerber, beschrieb den Leipziger Buchhandel als ein Herz, das die Landesteile mit frischem Blut versorge. „Seine humoristische Wendung: er wünschte, daß gegen die Regel möglichst wenig von dem ausgesandten Blute zum Herzen zurückkehren möge, wurde unter allgemeiner Heiterkeit sehr beistimmend aufgenommen." 97
94 „Die Ostermesse soll aber für den Buchhändler vor allem das wichtige Moment des persönlichen Nähertretens, des gegenseitigen Aussprechens über die bestehenden geschäftlichen Beziehungen oder über neu anzuknüpfende Verbindungen in sich schließen." BB1 Nr. 67, 26.5. 1865, S. 1167. 95 Ebd. 96 Ein Nebeneffekt der Abrechnung durch die Kommissionäre bestand darin, daß die wenigen Messebesucher, die noch persönlich abrechneten, damit auch zuerst fertig waren. Die Kommissionäre hingegen fingen mit der Abrechnung untereinander erst in der Woche nach Rogate an und sandten frühestens 14 Tage nach der Ostermesse die Abrechnungsbelege an ihre Kommittenten. Da der Kredit im deutschen Buchhandel ohnehin viel zu lang war, fiel aber diese Verzögerung nicht ins Gewicht. Vgl. BB1 Nr. 103, 6. 5. 1868, S. 1179. 9 7 BB1 Nr. 121, 27. 5. 1867, S. 1334.
II. Innovationen
199
200
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Die Minderheit der selbst noch abrechnenden Buchhändler nutzte dazu die drei folgenden Tage nach Kantate in der Zeit von 8 bis 13 Uhr. Diese Abrechnung war jedoch stark vereinfacht. Da viele Geschäftspartner der selbst abrechnenden Buchhändler nicht mehr erschienen, gab es nur wenige Dinge zu erledigen. Bei den Kommissionären wurden die vorbereiteten und summierten Zahlungslisten durchgesehen, quittiert bzw. beanstandet. Kurt Hennig beschrieb diesen Vorgang, der sich bis ins frühe 20. Jahrhundert nicht mehr ändern sollte, folgendermaßen: „Die Verleger treten an die Tische der Kommissionäre der betreffenden Sortimenter, von denen sie Zahlungen zu erhalten haben. Sie erhalten den sie betreffenden Zahlungszettel und vergleichen die Summen mit ihrer Aufstellung. Als Quittung geben sie dem Kommissionär das mit ihrer Unterschrift versehene Dublikat des Zahlungszettels zurück und erhalten die nach Abzug des Agio ihnen zustehende Summe in bar. Die ausgezahlten Summen werden von den Kommissionären in ihr Börsenbuch eingetragen." 98 Die Prozedur verlief durch die Vorbereitungen der Zwischenbuchhändler zügig, so daß am Mittwoch nur noch wenige Geschäftsleute auf der Börse anzutreffen waren. Jeweils am Nachmittag versammelten sich die Buchhändler erneut in kleineren Gruppen, um im „Hotel de Prusse" geschäftliche Dinge zu besprechen. Der Kommissionär Franz Wagner lud privatim einen auserwählten Kreis angesehener auswärtiger Kollegen zu einem reichlichen Festmahl ein." Daß sich die buchhändlerische Abrechnungsmesse vor dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mehrheitlich zu einer brancheninternen Kommunikationsmesse umgestalten konnte, war vorwiegend das Verdienst des Kommissionsbuchhandels, der die Abrechnung fast vollständig übernahm. Die Sortimenter und Verleger, die sich nicht mehr persönlich begegneten, mußten neue Formen der Geschäftskommunikation entwickeln. Durch die Modernisierung der Messe konnten sie den interpersonellen geschäftlichen Austausch auf einer nie zuvor erreichten Qualitätsstufe praktizieren. Der terminbereinigte Leipziger Meßaufenthalt bot nun unzählige Gelegenheiten, um in zwangloser Atmosphäre Geschäfte zu vereinbaren.
3. Rationalisierung durch Wachstum und Konzentrierung: Die dynamische Entwicklung einiger Großkommissionäre in den achtziger Jahren Wie bereits im Kapitel I festgestellt, kennzeichneten Konjunktur und Wachstum die Entwicklung des deutschen Buchhandels im 19. Jahrhundert. 100 Allein im Untersuchungszeitraum verachtfachte sich die Anzahl der deutschen Buchhandlungen. 101 Ein derartiger Aufwärtstrend mußte sich zwangsläufig im Leipziger Kom98
Hennig , Kommissionsgeschäft, S. 165. 99 Vgl. BB1 Nr. 121, 27. 5. 1867, S. 1335. !00 Zu beiden Begriffen siehe Spree, Wachstum und Konjunktur, S. 137-173. loi 1830 gab es 860 Buchhandlungen, 1888 bereits 7.026.
201
II. Innovationen
missionsbuchhandel widerspiegeln. Es stieg die Anzahl der Kommissionsgeschäfte und die der über Leipzig vertretenen Kommittenten.
Tabelle 12 Die durchschnittliche betriebliche Kommittentenkonzentration in Leipzig 1830-1888 Jahr
Kommissionsgeschäfte
Kommittenten
Kommittenten pro Betrieb
1830
49
839
1840
78
1.253
16,1
1850
82
1.762
21,5
1860
81
2.258
27,5
1870
101
3.442
34,1
1880
130
4.984
37,8
1888
140
6.305
45,0
17,1
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Gemäß seines Charakters als Dienstleistungsbereich, galt für den Kommissionsbuchhandel die Maxime, daß Stillstand Rückgang bedeutete.102 Jedes Kommissionsgeschäft war an einer Erweiterung seiner augenblicklichen Auftragslage interessiert, denn Kommittentenwechsel und -bankrotte dezimierten zu jeder Zeit den Bestand der Auftraggeber. Insofern gehörte die Expansion zur Geschäftspolitik eines Kommissionsgeschäfts. Prinzipiell gab es fünf Möglichkeiten, das Geschäft zu vergrößern: 1. Werbung von neugegründeten Kommittentenfirmen Eine gewisse jährliche Zuwachsrate ergab sich durch die Kommissionsübernahme einer neugegründeten Firma. Die ersten Aufträge dieser Unternehmen waren meist nur gering. Man kann sogar behaupten, daß der Kommissionär „die Katze im Sack" kaufte, da er die Zahlungswürdigkeit oder Entwicklung eines Kunden nicht einschätzen konnte. 103 Er sicherte sich anfangs dadurch ab, daß er keinen Kredit einräumte. In Zweifelsfällen holte sich der Kommissionär über Berufskollegen, Auskunfteien und andere Quellen Informationen über seine Auftraggeber ein, um deren Liquidität einschätzen zu können. 104 102
Vgl .Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 135. Jordan unterstrich die hohe Risikobereitschaft der Kommissionäre: „Ein Kommissionsgeschäft aber, das gegen die Kommittentenwelt mißtrauisch zu werden beginnt, trägt schon den Keim des Untergangs in sich." Ebd., S. 130. 104 Vgl. Keiderling-Titel, Wien, S. B162. 103
202
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Durch die Aufnahme von neugegründeten Firmen konnten einzelne Kommissionsfirmen kontinuierliche jährliche Zuwachsraten verzeichnen. 105 Am Ende des 19. Jahrhunderts reduzierte sich die Zahl der Neugründungen, so daß andere Möglichkeiten des Firmenwachstums stärker genutzt werden mußten. Für Neueinsteiger im Kommissionsbuchhandel war ein größeres Firmenwachstum nur noch durch eine aktive Abwerbungs- und Aufkaufpolitik möglich. 106 2. Gezielte Übernahme von freigesetzten
Kommittenten
Während des Untersuchungszeitraums kam es wiederholt vor, daß mittlere und kleinere Familienunternehmen im Leipziger Kommissionsbuchhandel durch Bankrott, Firmenwegzug oder Tod des Inhabers schließen mußten. 107 Durch ihr Erlöschen setzten diese Unternehmen Kommittenten frei, um deren Übernahme sich andere Kommissionsgeschäfte bemühten. Erhielt ein anderer Kommissionär Kunde von einer Firmenaufgabe, konnte er durch günstige Vertragsangebote und dgl. einen größeren Kommittentenzuwachs erzielen. Derartige Verhandlungen wurden stets mit größter Diskretion durchgeführt und konnten durch Primärquellen nicht belegt werden. Anhand des Adreßbuches Schulz läßt sich aber erkennen, daß die freigesetzten Kommittenten nicht irgendwelche neuen Kommissionäre suchten, sondern daß sie häufig „gruppenweise" von anderen Kommissionsgeschäften übernommen wurden. 108 3. Aktive Kommittentenabwerbung
konkurrierender
Kommissionsgeschäfte
Das Abwerben anderer Kommittenten war ein heikles Unterfangen, das von der Branche nicht gern gesehen wurde. Es entsprach dem Ehrenkodex, zumindest der größeren Kommissionäre, daß sie von diesem unfairen Verfahren offiziell keinen Gebrauch machten. Eine Schwierigkeit ergab sich freilich aus der großen Anhänglichkeit der Kommittenten an ihren Kommissionär, die nicht selten auf eine finanzielle Abhängigkeit begründet war. 109
105 Fleischer errechnete für 1887, daß seine Firma und Koehler je sieben und Volckmar acht neugegründete Firmen übernahmen. In einigen Jahren wurden auch zweistellige Kommittentenzuwächse erzielt. Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 12. 2. 1888, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/120. 106 Der Zuwachs an Buchbinderkommittenten bleibt hierbei unberücksichtigt. Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 131.
107 Beispiele für Konkurs: Fritzsche, C. L. 1865, Hunger, H. 1873; für Wegzug: Dege, H. 1876, Übersiedlung nach Jena; für Tod des Inhabers: Rocca, L. 1887, Schmidt, G. A. 1885. los Vgi # di e Kommittentenbewegungen folgender erloschener Kommissionshäuser anhand des Adreßbuches Schulz: H. Dege (1876/77), C. L. Fritzsche (1865/66), Haasenstein & Vogler (1877/78), H. J. Haefele jun. 1884/85), Schmidt & Günther (1881/82). Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 133.
II. Innovationen
203
Stichprobenartige Untersuchungen in den Kommissionslisten haben ergeben, daß es nach 1860 eine nicht zu unterschätzende Kommittenten-Fluktuation hin zu den großen Firmen gab. Volckmar bot seinen Kunden durch ein günstigeres Angebot-Spesen-Verhältnis Vorteile. Durch seine Vermittlung wurden auch eilige Sendungen schneller vermittelt, als dies in mittelständischen Betrieben der Fall war. Darüber hinaus gab es mehrere Abwerbungen größeren Umfangs. 1883 gelang es Liebeskind und Streller, zahlreiche Kommittenten von Werner abzuwerben, der insgesamt 55 Auftraggeber verlor. 1884 initiierte Fernau eine Abwanderung von Matthes. Giegler gab 1889 42 Kommittenten ab, die sich auf mehrere Kommissionäre verteilten. Inwieweit es Absprachen zwischen diesen Firmen gegeben hat, kann nicht mehr rekonstruiert werden; sowohl Werner als auch Matthes blieben Kommissionäre. Vielleicht war auf deren Wunsch eine Spezialisierung oder Verkleinerung des Geschäfts erfolgt. 110 4. Aufkauf eines anderen Kommissionsgeschäfts Aufkaufabsichten eines Kommissionsgeschäfts wurden in der Öffentlichkeit nicht thematisiert. Das hatte folgende Ursache: Der Wert eines Kommissionsgeschäfts bestand neben den Mobilien und Immobilien in seinem momentanen Auftragsvolumen. Die Übernahme eines anderen Betriebes gab jedoch keine Garantie, daß die Kommittenten weiterhin Auftraggeber blieben. Wie aus Punkt 3 deutlich wurde, war die Kommissionsverbindung eine an die Person des Kommissionärs gebundene Vertrauensbeziehung. Aus diesem Grund wurden Aufkäufe sehr behutsam eingeleitet und mitunter über einen längeren Zeitraum verschleiert. 111 Jordan gab Beispiele dafür an, wie die Kommittenten langsam an den Gedanken gewöhnt wurden, daß ein Wechsel ihres Kommissionärs erfolgte. Es wurde ein Zirkular verteilt, nach dem sich der bisherige Kommissionär aus gesundheitlichen Gründen, durch die Hinzunahme einer anderen, namentlich genannten Person, entlasten wollte. 112 Es wurden aber auch Spezialisierungs- oder Verkleinerungsgründe vorgeschoben. 113 Daß man den Geschäftsablauf durch das Verschmelzen zweier Betriebe rationalisieren wollte, wurde nur behutsam angedeutet, da es in den Reihen der Kommittenten auch ein Unbehagen gegenüber der wachsenden Konzentra110 Vgl. Schulz, Adreßbuch. Die Beispiele wurden den im Text genannten Jahrgängen entnommen. 111 Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 137-141. 112 Auf diese Weise fanden eine ganze Reihe von Kommissionärwechseln statt, die in der Anhangliste nicht gesondert erfaßt wurden, da die Firmen ihren Namen beibehielten. Das Kommissionsgeschäft C. Cnobloch expandierte beispielsweise unter Max Cyriacus (18391901), der 1866 in den Mitbesitz des Hauses gelangte. Auf eine Umbenennung des Geschäfts wurde verzichtet, da die Tradition im Kommissionsbuchhandel eine außerordentlich hohe Bedeutung besitzt. Vgl. Koehler & Volckmar 1931, S. 16-17, 77. 113
Siehe die Übernahme Barth durch Staackmann (1869), in: DBSM Sammlung Geschäftsrundschreiben.
204
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
tion im Kommissionsbuchhandel gab. Das kleinere, aufgekaufte Geschäft behielt noch einige Zeit seinen Namen und Adresse bei. 1 1 4 Erst wenn sich der neue Geschäftsinhaber durch Erklärungen und persönliche Gespräche genügend eingeführt hatte, wurde es offiziell liquidiert. Ein größerer Kommittentenschwund fand dann nicht statt. 5. Fusion mit einem anderen Kommissionsgeschäft Die Übernahme eines größeren Kommissionsgeschäfts erforderte viel Kapital. Auch wenn der Aufkäufer über genügend Bargeld verfügte, so brauchte er dieses zur Wahrung seiner Kredit- oder Bankierfunktion. Wenn das Risiko zu groß wurde, gab es nur noch die Möglichkeit, durch eine Fusion beider Unternehmen eine Vereinigung zu erreichen. Zunächst änderte sich an der räumlichen Unterbringung und der Geschäftsstruktur wenig. Erst durch sukzessive interne Umbesetzungen (Zusammenlegung gleichartiger Abteilungen) oder Entlassungen von Angestellten wurde eine Kosteneinsparung erzielt. Zwischen 1830 und 1888 gab es keine Fusion. Diese Variante wurde erst im Endstadium der Verschmelzung zum Großkonzern Koehler & Volckmar genutzt, die nach der Jahrhundertwende einsetzte und um 1918 ihren ersten Höhepunkt erreichte. Die hier aufgezeigten Möglichkeiten zur Vergrößerung eines Unternehmens konnten nur in einem sehr unterschiedlichen Maße von den einzelnen Firmen ausgeschöpft werden. Wie bereits in den Charakterisierungen der Leipziger Kommissionäre und ihrer Kommissionsgeschäfte angedeutet (Kapitel 1), nahm das mittlere wirtschaftliche Wachstum mit wachsender Unternehmensgröße zu. Nach 1860 setzte bei einigen wenigen Firmen ein Wachstumsprozeß ein, den Jordan in seiner Arbeit von 1911 unter den Stich Worten Zentralisation und Konzentration umfassend beschrieben hat. Den Begriff der Konzentration 115 unterschied Jordan bei seiner Untersuchung des Kommissionsbuchhandels auf dreierlei Art. Erstens eine räumliche Konzentration der Kommissionsfirmen in der Stadt (gemeint war das Leipziger „Kommissionsbuchhändlervierter 116), zweitens die Konzentration von vielen Kommittenten in wenigen Betrieben (dieser Aspekt kann auch als Firmenwachstum bezeichnet werden) und drittens die Konzentration durch den Zusammenschluß einzelner Fir114 1923 wurden die sieben Kommissionsgeschäfte Volckmar, Koehler, Cnobloch, R. Hoffmann, Steinacker, Staackmann, H. Schultze zu einem Geschäftsbetrieb vereinigt, „der jedoch aus traditionellen Gründen sämtliche bisherigen Firmen beibehielt, um ihre vielfach bis auf den Gründungstag zurückreichenden Bande zu ihren Kommittenten nicht zu lockern und nach außen diese Geschäftsverbindungen überhaupt nicht zu berühren." Koehler & Volckmar 1931, S. 82. 115 Konzentration bedeutet grundsätzlich die Ballung ökonomischer Größen und kennzeichnet einen Zustand. Konzentrierung meint dagegen den dynamischen Prozeß der Konzentration. Vgl. Arndt , Konzentration, Bd. 1, S. 7 ff.; Pohl, Konzentration, S. 5. 116 Siehe dazu auch Haarhaus, Buchhändlerviertel.
II. Innovationen
205
men (gemeint ist die Verringerung der Zahl der konkurrierenden Einheiten). 117 Diese drei Konzentrationsaspekte schöpfen die Thematik bei weitem nicht aus. Bei einer entsprechenden Quellenlage können auch die Konzentrationen der Gewinne, Einkommen, Vermögen, Investitionen, Arbeitnehmer, Technik und Techniker untersucht werden. Die Liste ließe sich fortsetzen. 118 Hier soll vorrangig die Konzentration durch den Zusammenschluß mehrerer Betriebe betrachtet werden. Drei Ursachen kamen für eine solche Konzentration in Frage: Erstens konnte sich ein Kommissionsgeschäft ohne Zuwachsraten langfristig nicht gegen die Konkurrenz behaupten. Zweitens war der Aufkauf eine bewährte und nach 1880 die favorisierte Methode, um das Auftragsvolumen zu steigern. Und drittens konnte auf diesem Weg über die Zusammenfassung gleichartiger Arbeiten eine Rationalisierung erreicht werden. Bei diesen Aufkäufen muß man unbedingt den zunehmenden Spezialisierungsund Professionalisierungsprozeß im Kommissionsbuchhandel beachten. Jordan unterschied vier Spezialisierungen, die sich untereinander durch Aufkäufe nicht vermischten: den Buch-, Buchbinder-, Musikalien- sowie Gelegenheitskommissionär. 119 Aufgrund des großen Handelsvolumens war der Typ des Buchkommissionärs derjenige, bei dem die Konzentration eine besonders hohe Qualität erreichte. Die zunehmende Konzentration im Kommissionsbuchhandel führte dazu, daß sich innerhalb Leipzigs - auf dem Gesamtbuchhandel berechnet - immer weniger Firmen diesem Branchenzweig widmeten. Während um 1830 noch 82 von 144 Leipziger Firmen - also 62,8 Prozent - Kommissionsbuchhandel betrieben, waren es 1890 mit 164 von 625 Firmen nur noch 24,6 Prozent. 120 Die immer umfangreicheren Arbeiten, die sich aufgrund stark vermehrter Verlags- und Sortimentsfirmen ergaben, wurden von einer absolut ansteigenden Zahl von Kommissionsgeschäften erledigt 121 , deren Anteil an der lokalen Branche insgesamt sank. Wendet man sich dem Konzentrationsprozeß auf der Firmenebene zu, so läßt sich feststellen, daß in Leipzig die Kommittentenzahlen der jeweils zwei größten Betriebe erst nach 1870 diejenige anderer Kommissionsplätze überflügelte. Die Konzentrierung der Kommittenten auf wenige Betriebe setzte in Leipzig erst in den siebziger Jahren ein und entwickelte nach 1880 eine starke Dynamik (siehe Tabelle 13).
ii7 Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 102- 105; Brandt, Konzentration, S. 273-280. Iis Vgl. Brandt, Konzentration, S. 253. 119 Vgl .Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 122. 12° Der Trend ist auch auf anderen Kommissionsplätzen festzustellen. Vgl. Ebd., S. 69. i2i Die absolute Anzahl der Leipziger Kommissionsfirmen stagnierte erst nach 1900 bzw. war zeitweilig sogaF rückläufig.
206
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung Tabelle 13 Kommittentenkonzentrationen in den beiden größten Firmen mehrerer Standorte 1830-1888
Jahr
Berlin
Frankfurt/M.
Leipzig
Nürnberg
1830
10
9
76
53
74
70
57
32
1840
15
12
98
77
67
66
82
70
Wien
Stuttgart 181
79
17
10
19
15
1850
33
25
136
69
112
107
100
50
217
72
29
25
1860
41
36
81
42
142
134
34
24
212
79
44
42
1870
63
52
234
188
32
19
238
159
52
47
1880
54
44
397
234
206
140
108
78
1888
85
61
511
487
176
151
145
84
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 109; Schulz, Adreßbuch. Hinweis: Die fettgedruckten Zahlen geben die Führungspositionen im Standortvergleich an.
Ein zweiter, in der Tabelle 14 vorgenommener Standortvergleich ergibt, daß es den Nichtleipziger Kommissionsplätzen, die meist ein oder zwei Führungsunternehmen aufwiesen, an mittelständischen Firmen fehlte. Die durchschnittliche Konzentration der Kommittenten war in Leipzig stets höher als an anderen Standorten.122 Tabelle 14 Die absolute betriebliche Kommittentenkonzentration im Standortvergleich 1850 und 1880 Für das Jahr 1850 Kommittenten
Berlin
Leipzig
Stuttgart
Wien
15
32
10
20
6-100
6
38
5
8
101-200
-
2
-
-
201-500
-
-
1
-
1-5
Für das Jahr 1880 Kommittenten
Berlin
Leipzig
Stuttgart
Wien
22
58
6
16
6-100
8
60
5
12
101-200
-
10
1
1
201-500
-
4
1
-
1-5
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 111; Schulz, Adreßbuch. Hinweis: Die fettgedruckten Zahlen geben die Führungspositionen im Standortvergleich an. 122
S. 6 - 7 .
Zur Konzentration in einigen Leipziger Kommissionsgeschäften siehe: Koehler 1914,
207
II. Innovationen
Da die Firmen, die aufgekauft werden konnten, mit den Jahrzehnten immer größer wurden, setzte in den achtziger Jahren eine Entwicklung ein, in der sich einzelne Unternehmen der Führungsgruppe durch Aufkäufe von derselben abzusetzen begannen. Sie stiegen zu Magnaten auf. Volckmar war der erste, der 1880 durch den Aufkauf von Mittler an die 400 Kommittenten vertrat. Eine neue Qualität des Konzentrationsprozesses leitete Koehler 1881 ein. Er kaufte mit Fries ein Unternehmen der Führungsgruppe. Quantitativ konnte er damit die Führungsposition besetzen, doch Volckmar lag in der Zahl der Auftraggeber dicht hinter ihm. In der Graphik 8 wird die quantitative Entwicklung der sechs größten Leipziger Kommissionsgeschäfte dargestellt. An den steilen Anstiegskurven der beiden Führungsunternehmen Koehler und Volckmar wird ihr dynamisches Wachstum nach 1875 deutlich. Zu beachten ist die Entwicklung eines dritten Kommissionshauses. Unter Leitung des Teilhabers Gottfried Otto Nauhardt (geb. 1852) konnte das Kommissionsgeschäft Fleischer in den achtziger Jahren bedeutend erweitert werden 123 und nahm 1888 mit 223 Kommittenten den fünften Platz in der lokalen Kommittenten-Statistik ein. Während andere Großkommissionäre wie Hermann, Steinacker oder Wagner bald in ihrer Entwicklung stagnierten, konnten die drei Firmen Fleischer, Koehler und Volckmar ihr Auftragsvolumen stetig steigern. 124
Graphik 8 Die quantitative Entwicklung der sechs auftragsstärksten Leipziger Kommissionsgeschäfte 1850-1888 600
0
J
1850
L 1880
J l_
1170
Jahr Quelle: Schulz, Adreßbuch; vgl. Liste 3 im Anhang.
123 Vgl. Pfau, Biographien, S. 125-126. 124 Vgl. Schulz, Adreßbuch, 1888.
I I I 18»
208
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Die Tabelle 15 zeigt die Aufkäufe der Großunternehmen im Leipziger Kommissionsbuchhandel. Das Kriterium für die Aufnahme eines Großunternehmens ist die Vermittlung von mindestens 100 Kommittenten im Untersuchungszeitraum (siehe auch Liste 3 im Anhang). Die dynamische Entwicklung der Kommittentenzahlen wird aus den Klammervermerken deutlich. Die aufgekauften Firmen wurden nur erfaßt, wenn sie mindestens zehn Kommittenten vertraten. Firmen unterhalb dieser Grenze erloschen zumeist, ohne aufgekauft zu werden. Es lohnte sich nicht, diese wenig rationalisierten Kleinunternehmen durch Verhandlungen zu übernehmen. Die Kommittentenzahlen zeigen, daß mit einem Aufkauf nicht automatisch alle Kommittenten übernommen wurden.
Tabelle 15 Aufkäufe der Großunternehmen im Leipziger Kommissionsbuchhandel 1870-1888 Jahr
kaufendes Kommissionsgeschäft (alte / neue Kommittentenzahl)
1870
Brockhaus, F. A. (97/105)
1870
Forberg (42/57)
übernommenes Kommissionsgeschäft (Kommittentenzahl) Fritsch, A. (12) Whistling, A. (16)
1870
Staackmann, L. ( - / 64)
Barth, H. (61)
1874
Fries, H. (108/184)
Engelmann, W. (73)
1875
Kittler, L. A. (114/135)
Fleischer, E. (19)
1878
Cnobloch, C. (55/68)
Serbe, C. H.(16) 125 Mittler, J. G. (89)
1880
Volckmar, Fr. (303/387)
1881
Cnobloch, C. (68/95)
Schmidt & Günther (40)
1881
Koehler, K. F. (234/419)
Fries, H. (208)
1882
Cnobloch, C. (95/156)
Refelshoefer & Co (64)
1882
Haessel, H. A. (79/109)
Kirchner, H. (31)
1885
Fleischer, C. Fr. (103/114)
Schmidt, G. A. (10)
1885
Fleischer, C. Fr. (114/175)
Wartig, Ed. (43)
1887
Volckmar, Fr. (432/487)
Weigel, T. O. (34) 1 2 6
Quelle: Schulz, Adeßbuch.127 Hinweis: Die fettgedruckte Firma ist das erste aufgekaufte Großunternehmen im Zeitraum.
Die Bedeutung der Konzentrierung in wenigen Betrieben lag auf der Hand. Sie ermöglichte eine umfangreiche Rationalisierung durch spezialisierte Arbeitskräfte und zweckmäßigere Geschäftsräume. Außerdem erlaubte sie eine Kostensenkung in der Spedition durch einen eigenen Fuhrpark und günstigere Verträge im Sam125 Die in der ersten Spalte genannten Jahre ergeben sich aus den Eintragsveränderungen in den Adreßbüchern. Das tatsächliche Aufkaufsdatum kann um ein Jahr zurückliegen. 126 Es handelte sich offensichtlich nur um einen Teilaufkauf, da das Kommissionsgeschäft Serbe mit wenigen Kommittenten weiterbestand. 127 Das Kommissionsgeschäft Weigel wurde mit zwei Kommittenten weitergeführt.
II. Innovationen
14 Keiderling
209
210
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
melsendungsbereich. Die Auslieferung, besonders der empfohlenen Bestellungen, konnte weiter beschleunigt werden. In den Großbetrieben setzte sich der moderne Kapitalismus mit all seinen Vörund Nachteilen durch. Es verschärften sich die sozialen Gegensätze. Nach 1900 waren vor allem die großen Unternehmen im Kommissionsbuchhandel Zentren der Streik- und Lohnkampfbewegung gewesen.128 Der Markthelferstreik von 1905 war die erste überbetriebliche Arbeitsniederlegung im Buchhandel gewesen. Zuvor gab es großangelegte Arbeitskämpfe nur im Buchdruck. 129
4. Die Gründung des Vereins Leipziger Kommissionäre 1884 Die Gründung des Vereins Leipziger Kommissionäre (VLK) erfolgte am 23. Januar 1884 innerhalb einer breiten Reformdiskussion um den festen Ladenpreis und damit verbunden um die Rabattgebung sowie dauerhafte brancheninterne Verrechtlichung. Bereits 1878 hatte der Börsenverein in Reaktion auf das Reformprogramm des Eisenacher Sortimentertags die Bildung von Lokal- und Provinzialvereinen gefordert, um diese geschäftlichen Hauptprobleme bekämpfen zu können. Auf der Leipziger Ostermesse 1879 schlossen sich die Sondervereine zu einem Verband der Spezial- und Lokalvereine zusammen, um die besonderen geschäftlichen Probleme der verschiedenen Geschäftszweige des deutschen Buchhandels gesamtheitlich oder auf regionaler bzw. lokaler Ebene in den Griff zu bekommen. 130 Innerhalb dieses Verbandes der Lokal- und Provinzialvereine waren aus Leipzig zunächst der Verein der Leipziger Buchhändler und der Leipziger Verlegerverein vertreten. Durch weitere Gründungen der Jahre 1884 und 1885 besaßen auch die Leipziger Kommissionäre, Sortimenter und Musikalienhändler ein eigenes Mandat. 131 Bereits am Datum des Separatzusammenschlusses läßt sich erkennen, daß er für viele Reformen des Leipziger Kommissionsbuchhandels zu spät kam. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß der Modernisierungsprozeß der Branche ohne die Unterstützung eines unternehmerischen Interessenverbandes vollzogen wurde. Denn seit 1833 kam dem Verein der Buchhändler zu Leipzig als lokalem Unternehmerverband eine vergleichbare Funktion wie dem späteren VLK zu, obgleich die Kommissionäre in ihm nur eine Plattform bildeten. 128
Es beteiligten sich nie alle Firmen an diesen Ausständen. Der Firmenleitung von F. A. Brockhaus gelang es zum Beispiel durch Besserstellung des Personals, seine Markthelfer von einigen Lohnkämpfen abzuhalten. Vgl. diverse Geschäftsrundschreiben zu den Markthelferstreiks 1905-1922, in: DBSM, Archivalien, Kasten 19. 129 Hervorzuheben sind die Lohnkämpfe der Buchdruckergehilfen, die sich zwischen 1866 und 1873 zugespitzt hatten. Sie endeten mit einem Erfolg der Arbeiter. Vgl. Keiderling, Brockhaus, S. B28-B29. 130 Vgl. Köhler, Entwicklungsgeschichte, S. 99. 131 Der Verein der Leipziger Sortiments-Buchhändler wurde am 29. Februar 1884 und der Verein Leipziger Musikalienhändler am 21. Mai 1885 gegründet.
II. Innovationen
211
Der Verein der Buchhändler zu Leipzig erfüllte drei Funktionen: Zunächst war er der Träger gemeinschaftlicher Einrichtungen, die auf eine Verbesserung des lokalen Kommissionsbuchhandels abzielten (Zettelbestellanstalt). Desweiteren fungierte er als Interessenvertreter der lokalen Branche gegenüber städtischen und staatlichen Behörden. 132 Schließlich vertrat er die Interessen des Leipziger gegenüber dem Nichtleipziger Buchhandel.133 Neben dem Verein der Buchhändler zu Leipzig war in bestimmten Sachfragen auch der Börsenverein für die Belange des hiesigen Kommissionsbuchhandels zuständig. Er vermittelte beispielsweise in Zensurfragen oder übernahm als Hausherr des Börsengebäudes, worin sich der Abrechnungssaal und die Bestellanstalt befanden, Verantwortlichkeiten. An der Konstituierung des VLK beteiligten sich 40, zumeist führende Kommissionshäuser. In ihrem Bericht hielten sie fest, daß die Verhältnisse im deutschen Buchhandel es als wünschenswert erscheinen ließen, einen derartigen Separatzusammenschluß zu bewirken, der durch „gegenseitige Verständigung der Berufsgenossen und gemeinsame Maßregeln zum Nutzen sowohl des eigenen internen Verkehrs als auch des deutschen Buchhandels im Allgemeinen zu wirken im Stande wäre." 134 Seinem Charakter nach war der Verband äußerst spezialisiert, da er als Unternehmer-, Lokal- und Spezialverein 135 drei Auswahlkriterien besaß. Die Mitgliedschaft war, wie allgemein üblich, eine persönliche, so daß einige große Kommissionshäuser wie Brauns, Brockhaus, Haessel, Koehler und Völckmar durch zwei bis drei Personen vertreten waren. 136 Die Statuten des Vereins bestanden aus zehn Paragraphen. Neben der Formulierung allgemeiner Ziele (§ 1 - Der Verein „hat den Zweck, die Interessen des Leipziger Commissionsbuchhandels sowie die Verkehrsinteressen des deutschen Buchhandels zu fördern.") oder reiner Organisationsfragen (§§ 2, 4 - 1 0 - Mitgliedschaft, Vorstand, Versammlungen, Beschlüsse, Kostenbeiträge, Statutenänderungen) gab es den Paragraphen 3, der die Mitglieder zur strikten Einhaltung der 132
Er verfaßte Petitionen, schlichtete Streitfälle, milderte die Zensur (Beisitz von zwei Buchhändlern in die Leipziger Bücherkommission), besprach Detailfragen mit dem Zollamt, erwirkte Sonderkonditionen für die lokale Branche (Kompetenzerweiterungen der Bestellanstalt, Erhalt verlängerter Öffnungszeiten während der Weihnachtsgeschäfte, Terminabsprachen mit der staatlichen Post und Eisenbahn). Siehe dazu auch Hohlfeld, Buchhändlerverein, S. 28-40. 133
Diverse Bekanntmachungen der Kommissionäre wurden durch die Leipziger Deputierten autorisiert wie z. B. die Abrechnungsmodalitäten oder Auslieferungszeiten. Der Leipziger Verein war gleichfalls für die Bearbeitung von auswärtigen Beschwerden verantwortlich, die den Kommissionsbuchhandel betrafen. 134 BBlNr. 35, 11.2. 1884, S. 656. 135 Spezialvereine waren separate Zusammenschlüsse von Unternehmern einzelner Branchenspezialisierungen wie Verlag, Kommissionsbuchhandel oder Sortiment. 136 Mitgliedsberechtigt waren die Inhaber und Teilhaber von Kommissionsgeschäften sowie deren rechtliche Vertreter, d. i. verantwortliche Leiter. Vgl. Mitgliederliste, in: BB1 Nr. 35, 11.2. 1884, S. 657.
14*
212
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
Erklärung der Leipziger Kommissionäre gegen die Schleuderei vom 3. Februar 1880 verpflichtete. 137 Die ersten Aktivitäten des Vereins waren demonstrativ gegen die Schleuderei gerichtet. Im April 1884 erklärte der VLK gegenüber dem Vorstand der deutschen Provinzial- und Lokalvereine, daß sich in einer Sitzung vom 22. April alle Mitglieder folgender Erklärung angeschlossen hatten: Die Kommissionäre verpflichten sich, Sortiment ausschließlich an die eigenen Kommittenten, jedoch nicht an auswärtige Kommissionäre, Sortimenter sowie sonstige Mittelspersonen zu schicken. Auf Ersuchen der Verlegervereine oder des Börsenvereins werden sie auch diejenigen ihrer Kommittenten nicht mehr beliefern, die sich der Schleuderei schuldig gemacht haben. 138 Trotz dieser Erklärung gab es weiterhin Firmen des Zwischenbuchhandels, die der Schleuderei direkt oder indirekt Vorschub leisteten. In neun bekannten Fällen, so argumentierte der Vorstand des Kommissionärsvereins, handelte es sich um Firmen, die dem VLK nicht angehörten oder „deren Mehrzahl sich wohl selbst nicht zu den Commissionären zu rechnen pflegt." 139 Nach Gründung des Vereins Leipziger Kommissionäre verwahrte sich der Vorstand desselben gegen eine pauschale Verurteilung des Leipziger Kommissionsbuchhandels. Im Herbst 1884 schlug der Verein vor, die empfohlenen Bestellungen durch die Bestellanstalt zu vermitteln. Ebenso sollte die Abrechnung der Barpakete nicht mehr bei der Übergabe durch Markthelfer, sondern einmal wöchentlich durch die Kommissionäre erfolgen. Am 15. September 1884 trat diese Veränderung durch den Leipziger Buchhändlerverein versuchsweise ins Leben. 140 Auch am Beschluß des Vereins der Buchhändler zu Leipzig von 1885, daß alle Schleuderer von der Bestellanstalt ausgeschlossen werden, waren die Leipziger Kommissionäre nicht unwesentlich beteiligt. Sie stellten somit die Weichen für die Durchsetzung des festen Ladenpreises durch eine sehr wirksame Boykottmaßnahme des Kommissionsbuchhandels. 1887 waren im VLK 92 der insgesamt 140 Leipziger Kommissionshäuser organisiert. 141 Somit war der Kommissionsbuchhandel eine treibende Kraft in der Bekämpfung der Schleuderei geworden. Im Ergebnis der Krönerschen Reform wurde 1888 der Verein Leipziger Kommissionäre, wie andere Kreis-, Ortsund Spezialvereine auch, unter den Vorstand des Börsenvereins gestellt. Die Satzung von 1890 wies eine neue Richtlinie auf, die für eine weitere zwischenbetriebliche Absprache und Vereinheitlichung im Leipziger Kommissionsbuchhandel sorgte. Nach § 5 erklärte sich jedes Mitglied bereit, zur Erhaltung eines 137
Vgl. handschriftliches Statut in: StAL, Börsenverein Leipzig, 532; ferner Statuten des Vereins Leipziger Commissionäre 1886. 138 Vgl. BBl Nr. 100, 30. 4. 1884, S. 1986. 139 Ebd., S. 1987. 140 Vgl. BBl Nr. 34, 11. 2. 1885, S. 645-647. 1 41 Vgl. Mitgliederliste 1887 mit handschriftlichen Ergänzungen, in: StAL, Börsenverein Leipzig, 532.
II. Innovationen
213
„soliden und leistungsfähigen Leipziger Commissionsbuchhandels" die vom Verein aufgestellten Minimalsätze für die Berechnungen sämtlicher Kommissionsgebühren einzuhalten.142 In der Öffentlichkeit trat der Verein in der Folge durch regelmäßige Memoranden und Erklärungen auf. 143
5. Das zweite Memorandum der Leipziger Kommissionäre von 1892. Ein historischer Vergleich zum ersten Memorandum von 1846 Als der Verein Leipziger Kommissionäre das Memorandum von 1846 gemäß den neuen Verkehrsverhältnissen neu herausgab, nahm er eine Tradition wieder auf. Nicht den erfahrenen Buchhändlern sollte diese Schrift zur Aufklärung dienen, sondern „ganz besonders dem jüngern Personal [ . . . ] , damit gerade diesem eine Richtschnur für den Verkehr mit dem Leizpiger Kommissionär geboten wird." 1 4 4 Überschrieben war das zweite Memorandum mit Der buchhändlerische Verkehr über Leipzig und der Geschäftsgang des Leipziger Kommissionsgeschäfts. 145 Es war von den bedeutendsten Firmen, d. h. 43 von insgesamt 166 Leipziger Kommissionshäusern, unterzeichnet. Auch die neue Aufklärungsschrift sollte den stets wiederkehrenden, gleichen Anfragen der Kommittenten Einhalt gebieten und die Arbeiten auf dem Leipziger Kommissionsplatz verstehen und erleichtern helfen. Übereinstimmend läßt sich feststellen, daß mehr als 70 Prozent der 1892 angesprochenen Problempunkte bereits 1846 eine Rolle spielten und daß 15 Leipziger Kommissionäre beide Dokumente unterzeichneten. 146 Insofern wiesen die Anleitungen zum Kommissionsbuchhandel trotz einiger Veränderungen im Geschäftsbetrieb viele Kontinuitäten auf. Die folgende, zu besseren Übersichtlichkeit prägnant formulierte Auflistung soll das Themenspektrum beider Schriften verdeutlichen: 1. Übereinstimmende Gegenstände beider Memoranden a) Aufgaben des Kommissionärs und dessen Vergütung (Kommissions- und Emballagegebühren, Provision für Barpakete, Zentnergeld, Meßgeschenke, Mieten, Gehälter, sonstige Nebenkosten); 142 Vgl. Satzungen S. 4, in: StAL, Börsenverein Leipzig, 532. Der Minimalsatz war 1887 eingeführt worden. Vgl. Verein Leipziger Kommissionäre 1934, S. 2. 143 Vgl. StadtAL, Kapitelakten, Kap. 35, Nr. 1337. 144 Der buchhändlerische Verkehr 1892, S. 4.
1 45 Nach 1922 gab der VLK die Schriften Weshalb verkehrt man über Leipzig?, Wie verdes Verkehrs über Leipzig usw. heraus. kehrt man über Leipzig sowie Die Wirtschaftlichkeit Vgl. auchS. 152-162. 1 46 Es handelt sich um die Firmen Gustav Brauns, F. A. Brockhaus, Carl Cnobloch, (Carl) Fr. Fleischer, Robert Friese, Rudolf Hartmann, Friedrich Ludwig Herbig, Bernhard Hermann, Friedrich Hofmeister, Karl Franz Koehler, Eduard Kummer, August Gottlob Liebeskind, Reinsche Buchhandlung, Theodor Thomas, Friedrich Volckmar.
214
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
b) Aufgaben, die der Kommissionär nicht erfüllen kann (Behandlung von Defekten, Journalen, Karten, Kunstsachen, einzelnen Bänden aus Gesamtwerken, wiederholten Bestellungen etc.); c) Anweisungen an den Kommittenten, wie er alle Bestellzettel, Briefe und Pakete an den Kommissionär einzurichten und zu kennzeichnen hat (Verwendung eines genormten und eindeutigen Vokabulars bei Anweisungen, Trennung unterschiedlicher Vorgänge, gute Beschriftung, Angabe gewünschter Bedingungen etc.); d) Besonderheiten bei empfohlenen Bestellungen (Beschränkung auf wirklich eilige Pakete werden nicht an allen Tagen bearbeitet), bei Büchern, die nicht in Leipzig auf Lager sind oder nicht in Leipzig ausgeliefert werden, zum Novabezug (Neuigkeitsverkehr) 147, Barpakete, Paketeverlust und über die Tatsache, daß die Leipziger Kommissionäre keine Pakete quittieren; e) Kredite und (Meß-)Zahlungen durch den Leipziger Kommissionär (Ankunft der Remittenden, Meßagio, Beschaffenheit von Zahlungszetteln, Wechseln, weitere Termine und Fristen etc.). 2. Neuaussagen des Memorandums 1892 a) Regelung von Haftungsfragen (Transport und Lagerung gehen auf Gefahr der Kommittenten, diese müssen notwendige Versicherungen abschließen); b) Anfertigung einer vollständigen Auslieferungsliste bzw. eines Verlagskatalogs durch den Verleger mit Angaben von Ordinär-, Netto- und Barpreisen, Freiexemplaren sowie sonstigen Bezugsbedingungen; c) Reklamationspflicht des Kommittenten für erteilte Aufträge, wenn sich diese erübrigen; d) Bekanntmachung besonderer sächsischer Feiertage, an denen die Abfertigung nicht erfolgt; e) Abdruck von Schemata für empfohlene und normale Bestellungen; f) Zahlungsmodalitäten (wöchentliche Börsenzahlungen, Zinsenberechnungen bei Vorausszahlungen des Kommissionärs, Postanweisungen); g) Disponenden sind unstatthaft. 3. Aussagen, die im Memorandum 1892 nicht mehr enthalten sind a) eine Darstellung über die Entwicklung des Leipziger Kommissionsbuchhandels in den letzten Jahrzehnten;
147
Entgegen der umfangreichen Besprechung 1846 wurde dieses Kapitel 1892 in nur zwei Sätzen erklärt.
III. Zusammenfassung
215
b) die Mitteilung, daß der Kommissionär keinen Kredit gibt und keine Bankierfunktion übernimmt; c) die Bitte, daß dieses Memorandum von den Kommittenten nicht falsch verstanden werden solle. An der punktuellen Gegenüberstellung beider Memoranden wird deutlich, daß sich die Eigendefinition und der grundlegende Aufgabenbereich des Leipziger Kommissionsbuchhandels während der Konsolidierungsphase kaum geändert hatte. Mit ihrem zweiten Memorandum stellten sich die Leipziger Kommissionäre ganz bewußt in die eigene Tradition.
I I I . Zusammenfassung Nachdem in den dreißiger und vierziger Jahren die wichtigsten qualitativen Veränderungen vorgenommen wurden, war die zweite Phase von 1850 bis 1888 durch längerfristige quantitative Veränderungen geprägt, so daß man sie als Konsolidierungsphase kennzeichnen kann. Durch die vorhandene Technologie war es den Leipziger Unternehmern grundsätzlich möglich, der beständig expandierenden Auftragslage gerecht zu werden. Wenn Veränderungen vorgenommen wurden, so handelte es sich um Verfeinerungen der vorhandenen Einrichtungen und Verfahren. Den Leipziger Kommissionären gelang es, ihren technologischen Vorsprung weiter auszubauen. Der lokale Branchenzweig erlebte aufgrund der langanhaltenen Konjunktur eine Zunahme des Auftragsvolumens, die durch Firmenneugründungen, Unternehmensvergrößerungen sowie eine schrittweise Verbesserung der vorhandenen zentralen Geschäftseinrichtungen problemlos aufgenommen werden konnten. Ein Merkmal der Konsolidierungsphase bestand somit darin, daß es nach 1850 im Prinzip keine neuen Ideen zur Modernisierung mehr gab. Alle Bemühungen bewegten sich im Kern darum, vorhandene Pläne zu operationalisieren und sukzessive zu realisieren. Qualitative Neuerungen erfolgten vorrangig in solch neuen Spezialisierungen des Zwischenbuchhandels wie Bar-, Vereins- und weiteren Grossosortimenten, die den bestehenden Kommissionsbuchhandel nicht in Frage stellten. Der mit den Jahrzehnten zunehmende Wettkampf am Leipziger Standort wurde in den achtziger Jahren dadurch verschärft, daß das branchenbedingte Wachstum ins Stocken geriet. Die Kommissionsgeschäfte konnten ein kontinuierliches Wachstum nicht mehr durch die Übernahme neugegründeter Kommittenten, sondern nur noch durch eine offensive Kommittentenabwerbung bzw. Aufkaufpolitik anderer Kommissionsgeschäfte erreichen. Innerhalb der Führungsgruppe des Leipziger Kommissionsbuchhandels entwickelten sich einige Firmen wie Koehler oder Völckmar durch Aufkäufe zu Wirtschaftsmagnaten. In ihren Betrieben wurde ein immer größer werdendes Auftragsvolumen konzentriert. Der in den dreißiger Jahren eingeleitete Prozeß der Abrechnung durch den Kommissionär erhielt nach langen Diskussionen in den frühen sechziger Jahren 1867
216
Kapitel 4: Konsolidierung und Vervollkommnung
einen ersten Abschluß. In diesem Jahr übernahm der Kommissionsbuchhandel weitgehend das Zahlungsgeschäft. Im Mittelpunkt der Messe, die zeitlich enorm verkürzt werden konnte, stand nun die Kommunikation. Neue zwischenbuchhändlerische Spezialisierungen entwickelten sich entweder langsam aus dem Kommissionsbuchhandel heraus (Barsortiment) oder entstanden in Reaktion auf dessen Monopolstellung neu (Vereinssortiment, weitere Grossisten). Sie gingen allesamt auf aktuelle Marktentwicklungen ein, standen mit dem Kommissionsbuchhandel in enger Verbindung und stellten seine weitere Existenz nicht in Frage. Der über das gesamte 19. Jahrhundert fortschreitende Verrechtlichungsprozeß erlangte vor dem Hintergrund der Entwicklung vom Deutschen Zollverein zum Deutschen Reich Fortschritte. Eine besondere Form der Verrechtlichung stellte die buchhändlerische Vereinsbildung dar. Nach 1833 entstanden diverse Regional- und Lokalvereine, zu deren Aufgabenbereich auch die Interessenvertretung von Kommissionären gehörte. Auf Anregung des deutschen Sortimentertages von 1878 setzte sich der Börsenverein an die Spitze einer breiten Reformbewegung, die zunächst gegen die Schleuderei gerichtet war, bald aber auch eine buchhändlerische Verkehrsordnung forderte. Der 1884 gegründete Verein Leipziger Kommissionäre war ein lokaler Spezialverein, der auf diese Reformbestrebungen unmittelbar einging und der Führungsrolle Leipzigs gerecht wurde. Er stellte sich die Aufgabe, neben wirtschaftlichen Maßnahmen zur Verbesserung des lokalen Zwischenbuchhandels, die Schleuderei im Buchhandel zu bekämpfen. Seit 1885 wurden Schleuderfirmen von der Leipziger Zettelbestellanstalt ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Mit dem Ausschluß von preisunterbietenden Firmen aus der Leipziger Zettelbestellvermittlung wurde der hiesige Kommissionsbuchhandel ein wichtiges Druckmittel bei der Durchsetzung des festen Ladenpreises für Bücher, der mit der buchhändlerischen Verkehrsordnung von 1888 schriftlich fixiert und seitdem durchgesetzt wurde.
Kapitel 5
Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen Aus einem Technologievorsprung des Leipziger Zentrums, aus der Zweiteilung der Handelsbräuche in Nord und Süd sowie der Uneinheitlichkeit des Geschäftsbetriebes an anderen Handelsplätzen resultierte ein enormes Konfliktpotential, das nur dann verringert werden konnte, wenn es den einzelnen Handelszentren gelang, ihren technischen Standard in einer Art nachholender Modernisierung auf den Höchststand der Zeit zu bringen. Die anderen Hauptstandorte des deutschen Kommissionsbuchhandels, die im folgenden einzeln vorgestellt werden, versuchten, einige Modernisierungen des erfolgreichen Leipziger Modells durch einen Technologietransfer auf ihren Platz zu übertragen. Dieser Sachverhalt soll an drei Beispielen vergleichend untersucht werden.
I . Die Struktur des Kommissionsbuchhandels Aufgabe des Kommissionsbuchhandels war es, die für den Handel hinderliche Dezentralisation des deutschen Verlags durch eine zusammengefaßte Lagerhaltung, Auslieferung und Abrechnung zu kompensieren. Ein entsprechender Herausbildungsprozeß hatte dazu geführt, daß es innerhalb des deutschen Buchhandels einige wenige Hauptstandorte gab, in denen sich der Geschäftsverkehr für ein bestimmtes Einzugsgebiet zentralisierte. In der Tabelle 16 sind diese Hauptkommissionsplätze in ihrer Entwicklung gegenübergestellt. Der weitere Ausbau Leipzigs als Führungszentrum des deutschen Buchhandels und die Tatsache, daß sich hier am Ende des 19. Jahrhunderts über 95 Prozent der deutschen Buchhändler vertreten ließen, bedeuteten nicht, daß andere Kommissionsplätze ihre Daseinsberechtigung verloren. Mit Erweiterung des geographischen Einflußgebiets wurde es erforderlich, daß weitere Kommissionsplätze durch eine eigene Lagerhaltung und Spedition die buchhändlerische Logistik in die Regionen hinein unterstützen und verbessern halfen. Trotz einer gewissen Konkurrenz kooperierten sie im allgemeinen mit dem großen Zentrum und blieben ihm gegenüber zu jeder Zeit Nebenkommissionsplätze.1 Um 1838 entwarf dazu ein süddeutscher 1
Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 86.
218
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen Tabelle 16
Kommissionäre /Kommittenten im Standortvergleich führender deutscher Kommissionsplätze 1830-1888 Jahr
Berlin
Leipzig
Stuttgart
Wien
A
B
A
B
A
B
A
1830
15
52
49
839
-
-
15
77
1840
22
85
78
1.253
15
397
26
127
1850
21
120
82
1.762
16
461
28
174
B
1860
25
186
81
2.258
14
493
28
256
1870
48
350
101
3.442
17
554
31
403
1880
30
265
130
4.984
13
437
29
508
1888
34
357
140
6.305
14
443
34
621
Quellen: Schulz, Adreßbuch; Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35. A = Kommissionäre; B = Kommittenten Graphik 9
Der Standortvergleich führender Kommissionsplätze anhand der Kommittentenzahlen 1888 7000- y 6000-
/
5000-
•
s
40003000- • 2000-
/
1000-
/
n.
/
Berlin
Leipzig
f=D Stuttgart
n
s
Wien
Quelle: Schulz, Adreßbuch.
Buchhändler folgendes Bild: „Wir sehen also, daß sich der [buchhändlerische, Th. K.] Verkehr ganz naturgemäß gestaltet, indem sich, wie im Sonnensystem, die kleineren um größere Zentralkörper gruppiren, je nachdem diese eine größere oder geringere Anziehungskraft ausüben. So war Leipzigs Zentralkraft, nachdem die Buchhändlermesse dorthin verlegt worden, nicht mächtig genug, um den Reichsbuchhandel2 ganz in seinen Bereich zu ziehen. Dieser fuhr vielmehr fort, sich selb2
Reichsbuchhandel meinte den Buchhandel nach süddeutscher Art, der sich deutlich vom Leipziger unterschied. Vgl. Krause , Buchhandel, S. 17.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
219
ständig, obwohl etwas kometenartig, zu bewegen, bis er, unserer Meinung nach, jetzt dahin gelangt ist, geordnetere Bahnen zu schreiben."3 Es war die hierarchische Struktur des deutschen Kommissionsbuchhandels, seine polyzentrische Anlage, die ihn so leistungsfähig gegenüber dem sogenannten kaufmännischen monozentristischen Buchhandel westeuropäischer Staaten machte. Leipzig war das Zentrum des gesamten deutschen Buchhandels. Es verband den Norden mit dem Süden und den nationalen mit dem internationalen Buchhandel. Aufgrund der Tatsache, daß nicht alle Geschäfte beispielsweise innerhalb Süddeutschlands über Leipzig laufen konnten, bedienten die Nebenkommissionsplätze regionale Submärkte. Ihre Bedeutung lag ausschließlich in der internen Geschäftsvermittlung ihres Einzugsfeldes; sie verkürzten interne Wege. Über ihre regional begrenzten Geschäftskontakte hinaus besaßen die Nebenplätze kaum Bedeutung. Häufig kam es zu einer gegenseitigen Überlappung und Durchdringung von buchhändlerischen Submärkten. Die Nebenplätze erfüllten aber auch eine weitere Funktion. Da sich der Verkehr über Leipzig nur bei einem entsprechenden Geschäftsumfang lohnte, ließen sich Kaufleute, die nur nebenbei mit Büchern handelten, sowie kleine Provinzialbuchhändler über einen Nebenkommissionsplatz mit Leipzig verbinden. Sie beauftragten beispielsweise eine große Buchhandlung in Stuttgart, ihre eigenen Bestellungen weiterzuleiten und schlossen mit ihr einen sogenannten „Kommissionsvertrag" ab.4 Auch für das Ausland ist belegt, daß auf diese indirekte Weise Kontakte zum deutschen Buchhandel gepflegt wurden. 5 Die Rangfolge der Nebenkommissionsplätze war in stetiger Veränderung begriffen. Neue Standorte wuchsen heran, andere stagnierten, retardierten oder erloschen. Der geographische Einflußbereich eines einzelnen Platzes ließ sich im allgemeinen aus seinen Kommissionsbeziehungen ableiten. In unterschiedlichem Maße waren diese Kommissionszentren auf die Zusammenarbeit untereinander angewiesen, die sich im frankaturzentralisierten Norden anders darstellte als im Süden mit seinem Rotstift. Es gab dabei evidente und latente Feindseligkeiten zwischen den Wirtschaftsstandorten. In dieser Auseinandersetzung befanden sich die Kommissionäre eines Ortes in ein und derselben Fraktion. Sie setzten jedes Mittel ein, um den Einfluß ihres Platzes zu vergrößern.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte Das Aufnahmekriterium der nachfolgenden Städteliste ist die Erwähnung im Adreßbuch für den Deutschen Buchhandel von Otto August Schulz (1839-1888) 3 SBZNr. 3, 19. 1. 1838, S. 18. 4 5
Vgl. Schürmann, Usancen, S. 166; Sarkowski, Springer, S. 14. Vgl. Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 234.
220
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
und mit quellenkritischer Einschränkung das Verzeichniss der Buch-, Kunst- und Musikalien-Handlungen von Immanuel Müller, das allerdings nur für die Jahre 1834 bis 1836 im Untersuchungszeitraum erhalten ist. 6 Natürlich können in den folgenden Kurzbeschreibungen nur die grundlegenden zwischenbuchhändlerischen Entwicklungslinien aufgezeigt werden. Für jeden dieser Standorte lohnt es sich, eine eigenständige Monographie zu erarbeiten, in der der Kommissionsbuchhandel im Verbund mit Verlag, Sortiment und Buchdruck umfassend besprochen wird. 7 Innerhalb des Untersuchungszeitraums veränderten die Herausgeber der Adreßbücher ihre Liste der führenden Kommissionsplätze. Die Kriterien der Ersterwähnung einiger Städte sind dabei etwas unklar und wohl auf das subjektive Empfinden der Redakteure zurückzuführen. Augsburg wurde 1836 erstmalig mit 6 Kommissionären und 77 Kommittenten erwähnt. 8 Das Adreßbuch Schulz führte seit 1844 eine Kommissionsliste für Nichtleipziger Standorte. Hierin fanden zunächst nur Augsburg, Berlin, Frankfurt am Main, Nürnberg, Stuttgart und Wien Eingang. In späteren Jahren kamen hinzu: Köln 1846 mit einem Kommissionär und 122 Kommittenten, Zürich 1853 mit 4 und 45, Prag 1862 mit 9 und 48, München 1865 mit 9 und 40 sowie Pest 1869 mit 10 und 88. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich mit dem Jahr der Ersterwähnung ein Kommissionsplatz als solcher konstituiert hatte. Generell läßt sich feststellen, daß es sich bei der Adreßbuchliste um eine Auswahlliste der bedeutendsten Nebenkommissionsplätze handelte. Aus archivalischen Quellen geht hervor, daß auch Buchhandlungen in Breslau, Hamburg und Mainz Kommissionsvertretungen für auswärtige Buchhändler übernommen hatten.9 In einer computergestützten Auswertung des Adreßbuches Schulz hat Völker Titel für das Jahr 1840 analysiert, daß neben dem Leipziger Kommissionär auch Kommissionäre an anderen Standorten genannt wurden. Dazu gehörten Hamburg mit 5, Regensburg mit 4, Basel mit 3 und Karlsruhe mit 2 Erwähnungen. Breslau, Kopenhagen, Erlangen, Frauenfeld, Grätz, Landshut, Linz, Mainz, Mannheim, 6 Zur Quellenkritik und Erstellungspraxis der Adreßbücher vgl. Titel, Adreßbuch, S. 377 380; Keiderling, Kommissionsbuchhandel, S. 213-215. 7 Ähnlich haben es Ernst Vollert für Berlin, Alfred Druckenmüller für Stuttgart, Reinhard Wittmann für München oder jüngst Helmut Gier und Johannes Janota für Augsburg unternommen, um nur eine Auswahl zu nennen. 8 Vgl. Müller, Verzeichniss, 1836. 9 Für Breslau siehe Kommissionsvertrag zwischen dem Leipziger Verlagsbuchhändler Johann Andreas Romberg und dem Breslauer Kommissionäre Eduard Trewendt vom 6. 12. 1848, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/91-94. Für Hamburg, das für die nähere Umgebung und für den deutsch-englischen Kommissionsbuchhandel eine gewisse Rolle spielte, war signifikant, daß Perthes die Kommission für Friedrich Fleischer übernahm, der sich 1817-18 in London befand, bevor er sich in Leipzig dem Buchhandel widmete. Vgl. StAHH, Firmen und Familien, 622-1 Perthes IIa, 10d 49. Für Mainz siehe Geschäftsrundschreiben der Mainzer Kommissionäre Kunze, Kupferberg, Schotts Söhne und Stenz vom 1. 2. 1834 nebst einer unverbindlichen Frachtenliste, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/79. Vgl. ferner SBZ Nr. 3, 16. 1. 1854, S. 13-14.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
221
Mühlhausen und Warschau waren jeweils mit einer Kommissionsverbindung verzeichnet.10 Die Städteliste des deutschen Kommissionsbuchhandels war insgesamt also viel länger, die Bedeutung weiterer, hier nicht besprochener Plätze jedoch nur marginal.
1. Augsburg Der Standort Augsburg wurde im Adreßbuch Müller erstmalig 1836 erwähnt und erlosch bei Schulz 1873. Die buchhändlerische Entwicklung der Stadt kann für das 19. Jahrhundert durch einen langsamen, von Zwischenkonjunkturen unterbrochenen Abstieg gekennzeichnet werden. Für den lokalen Kommissionsbuchhandel war bedeutsam, daß die Stadt eine noch vom 18. Jahrhundert herrührende große Bedeutung als Stapelplatz für lateinisch-katholische Bücher besaß, deren Absatz nicht nur regional, sondern auch nach Italien und Frankreich sowie an deutsche Klöster erfolgte. 11 Nach 1800 verringerte sich der Markt dieser Bücher beträchtlich, so daß die Verlagsproduktion zunehmend auf Landkarten, Musikalien, Kunst- und Kinderbücher verlagert wurde. 12 Statistisch gesehen konnte der Verlagsstandort Augsburg bis 1850 sogar eine Verdopplung seiner Titelproduktion verzeichnen. Seine Stellung unter den wichtigsten deutschen Verlagsstädten verbesserte sich vom elften auf den achten Platz. 13 Ebenso nahm seine Bedeutung als Kommissionsplatz zeitweilig zu, wie aus der Tabelle 17 hervorgeht.
Tabelle 17 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Augsburg 1836-1872 Jahr
1836
1840
1850
1860
1870
1872
Kommissionäre
6
5
9
9
8
7
Kommittenten
77
122
146
119
64
42
Quellen: Müller, Verzeichniss; Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Die bedeutendsten Kommissionäre waren anfänglich Nicolaus Doli mit 31 Geschäftspartnern im Jahre 1836, schon bald aber die Riegersche Buchhandlung mit 95 Kommittenten im Jahre 1850, gefolgt von den Firmen B. Schmid, Lampart & Co. und Karl Kollmann. Die Kommittenten kamen mehrheitlich aus einem engeren süddeutschen Umkreis. Bis in die fünfziger Jahre wurden sogar vereinzelte Kommissionsbeziehungen in die Schweiz, nach Österreich und Norditalien unterhalten.
io Vgl. Titel, Adreßbuch, S. 382-383. u Vgl. Gier, Augsburg, S. 991. 12 Vgl. Ebd., S. 1001. 13
Vgl. Rarisch, Industrialisierung, S. 27. Das bedeutete eine Verdopplung der Titelproduktion von 1801 mit 71 auf 147 im Jahre 1846.
222
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
Trotz dieses zeitweiligen Bedeutungsaufschwungs im Kommissionsbuchhandel sank die Gesamtzahl der Buchhandlungen von 44 im Jahr 1830 auf 19 um 1870. Wiederholt tauchen in den Quellen Aussagen darüber auf, daß Augsburg ein Umschlagplatz für österreichische Literatur war. In einem Zirkular von 1834 bezogen sich die Kommissionäre Kollmann und Rieger auf Bücher-Ballen, die aus Österreich kamen. 14 Das Adreßbuch Müller wies für 1836 mehr als 20 österreichische Kommittenten aus. Johann Christian Wirth schrieb 1846, daß die „süddeutschen Buchhandlungen ihre Artikel aus Österreich nicht mehr über Leipzig, sondern direkt über Augsburg" bezogen.15 Während des Kampfes um den süddeutschen Zentralkommissionsplatz ging 1847 eine Initiative sogar von Augsburg aus. Man wollte im Interesse des Augsburger „Hinterlandes", besonders der bayrischen und österreichischen Firmen, daß die zentrale süddeutsche Abrechnung wenigstens alle vier Jahre hier stattfände. 16 Es ist zu bezweifeln, daß die Stadt noch in den ausgehenden vierziger Jahren als süddeutscher Stapelplatz Österreichs fungierte. Die jährlich abnehmende Kommittentenliste verzeichnete für 1850 lediglich zwei Firmen in Wien. Wahrscheinlich ist die diesbezügliche Bedeutung von den lokalen Buchhändlern übertrieben worden. In den siebziger Jahren verlor Augsburg seine Bedeutung als Kommissionsplatz vollständig. 2. Berlin
Die Frühgeschichte des Kommissionsplatzes Berlin ist noch weitgehend unerforscht. Georgi hatte für die Zeit 1801 bis 1825 vier Gründungen „reiner" Kommissionsgeschäfte ausgewiesen.17 Die Nähe zu Leipzig ließ der Stadt bis 1840 lediglich eine regionale Bedeutung für den preußischen, insbesondere ostpreußischen Buchhandel zukommen. Für die Jahre 1834 - 36 bestätigt sich dieser Befund, läßt man einmal die ausländische Buchhandlung von Abraham Asher außer acht, die auch Kommissionen nach London besorgte. 18 Trotz des territorial beschränkten Einflußgebietes wurde der Kommissionsbuchhandel als einträgliches Nebengeschäft betrieben. In den drei genannten Jahren arbeiteten 19 Kommissionäre für ca. 70 Kommittenten. In den vierziger Jahren erlebte der lokale Branchenzweig eine rasche Modernisierungsphase, die dadurch gekennzeichnet war, daß es zur Eröffnung vergleichba14
Vgl. Geschäftsrundschreiben vom Januar 1834, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/78. Wirth, Johann Christian, Augsburg wie es ist! Beschreibungen aller Merkwürdigkeiten dieser altberiihmten Stadt, Augsburg 1846, S. 144, zit. in: Gier, Augsburg, S. 1011. 16 Vgl. Jordan, Zentralisationsprozeß, S. 41. 17 Vgl. Georgi, Berlin, S. 125. Kritische Anmerkungen zum Begriff des „reinen" Kommissionsgeschäfts siehe S. 39-40. 18 Vgl. Müller, Verzeichniss, 1834-36; Keiderling, Asher. 15
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
223
rer zwischenbuchhändlerischer Einrichtungen wie in Leipzig kam. 1845 wurde ein Berliner „Abrechnungsverein" eingerichtet, der die zweimal jährlich stattfindende persönliche Abrechnung der Berliner Buchhändler untereinander organisieren sollte. 19 Eine Bestellanstalt wurde am 15. Oktober 1846 eröffnet. 1847 entstand ein Verein für gemeinsame Postsendungen nach Leipzig, dem 1848 die Anstalt Berliner Verlags- und Sortiments-Buchhändler zur gemeinschaftlichen Büchersendung nach Leipzig folgte. 20 Die genannten Einrichtungen wurden seit 1848 durch die neugegründete Korporation der Berliner Buchhändler verwaltet. Für eine zunehmende Bedeutung Berlins als Verlagsstadt sprach auch die Gründung des Berliner Verlegervereins im selben Jahr. 21 Mit der Zusammenlegung der bisherigen Zettelbestellanstalt und dem Lieferdienst nach Leipzig zu einer kombinierten Zettelund Paketanstalt wurde 1879 eine moderne Auslieferungseinrichtung geschaffen. Aus den Berliner Kommissionslisten, die Julius Springer im Organ des Deutschen Buchhandels zwischen 1846-1849 abdrucken ließ, geht für das Jahr 1846 hervor, daß ca. 120 Kommittenten in Berlin vertreten waren. 22 Das Einzugsgebiet erweiterte sich leicht gegenüber den dreißiger Jahren. Vereinzelt gab es nun Kommittenten in Paris, Kiew und Warschau, die später aber ihre Geschäftsverbindungen wieder einstellten. Auslieferungslager waren für Berlin bis in die zweite Hälfte der vierziger Jahre unüblich. 1847 forderte der Berliner Kommissionär Kleman & Lassar die auswärtigen Verleger auf, bei ihm ein Lager zu eröffnen 2 3 Das erste Berliner Barsortiment J. Bachmann wurde 1858 gegründet. Wie aus der Tabelle 16 hervorgeht, erlebte der Berliner Kommissionsbuchhandel nach 1850 einen bedeutenden quantitativen Zuwachs. Schwankungen in der Statistik wurden ausschließlich durch kleine Kommissionäre verursacht. 1870 vertraten beispielsweise 22 der 48 aufgelisteten Kommissionäre nur einen einzigen Kommittenten. Bald gaben sie ihr Nebengeschäft wieder auf und sorgten so 1877 für ein Zwischentief von 27 Kommissionären. Die Leistungsfähigkeit des Kommissionsplatzes wurde dadurch nicht geschmälert. Hinsichtlich der Kommittenten läßt sich gleichfalls nach 1850 ein sprunghafter Anstieg feststellen. Die führenden Kommissionäre waren in den dreißiger Jahren Theodor Enslin und Carl Stuhr (ca. 15 Kommittenten), in den vierziger und fünfziger Jahren Enslin und Julius Springer (ca. 30 Kommittenten), in den sechziger und siebziger Jahren die Amelangsche Sortimentsbuchhandlung, Ferdinand Geel19 Die halbjährlichen Rechnungen schlossen Ende Juni und Dezember. Die Abrechnung wurde an den fixen Terminen 15. und 16. August bzw. 15. und 16. Februar vorgenommen. Vgl. BB1 Nr. 20, 9. 3. 1847, S. 248. 20 Vgl. Kapp-Goldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 355. 21 Bereits 1839 gab es einen Zusammenschluß von 28 Berliner Verlegern. Sie ersannen gemeinsame Maßregeln gegen säumige Zahler. 1840 wurde zudem ein kurzlebiger Berliner Buchhändler-Verein mit gleichen Zielen gegründet. Vgl. Vollen, Korporation, S. 51. 22 Vgl. ODB Nr. 1,3. 1. 1846, S. 1. 23 Vgl. Geschäftsrundschreiben vom April 1847, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/89.
224
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
haar und Julius Springer (mit 40-60 Kommittenten) sowie in der Zeit nach 1880 Amelang, Mittlers Sortimentsbuchhandlung und Georg Winckelmann (mit 50-80 Kommittenten).
3. Budapest (Pest) Für den Kommissionsplatz Pest gibt es für die Zeit vor 1850 nur wenig Anhaltspunkte. Ein erhaltener Sammel-Kommissionsvertrag von 1824 beinhaltete die Erklärung von zehn Wiener Buchhändlern, ihren Verlag ausschließlich dem Pester Buchhändler Carl Lichtl, und niemand anderem in Pest oder Ofen, in Kommission zu geben. Lichtl durfte die Bücher von einem ständigen Kommissionslager weiter vertreiben. 24 Ein anderes Indiz enthält das Adreßbuch Schulz von 1840. Der Pester Kommissionär Joseph Wagner vertrat einen Wiener Kommittenten, Heinrich Friedrich Müller, der zugleich sein dortiger Kommissionär war. Es handelte sich um eine „Kommissionsbeziehung in beide Richtungen".25 Die genannten Quellen weisen Pester Kommissionäre im Sinne des süddeutschen Kommissionsbuchhandels nach. Generelle Aussagen zum Stand der lokalen Branche lassen sich anhand dieser spärlichen Hinweise kaum ableiten. Budapest wurde erst 1869 in den Adreßbüchern als Kommissionsplatz verzeichnet. Zu Beginn der siebziger Jahre besaßen die größten Kommissionäre Bickel, Grill und Hartleben 20-30 Kommittenten. Nach 1880 führten die beiden Firmen Grill und Rêvai mit jeweils 30-40 Kommittenten in der lokalen Statistik. Wie den Listen ebenfalls zu entnehmen ist, beschränkte sich die Bedeutung Budapests ausschließlich auf die ungarische Provinz.
Tabelle 18 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Budapest 1869-1888 Jahr
1869
1870
1880
1888
Kommissionäre
10
9
10
15
Kommittenten
88
88
92
160
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Der Transfer moderner zwischenbuchhändlerischer Einrichtungen konnte von den lokalen Buchhändlern nicht so erfolgreich durchgefühlt werden wie anderenorts. 1878 wurde während der Vorbereitungen zur Gründung des ungarischen 24 In fünf Paragraphen wurde genau festgelegt, wer was zu leisten hatte. Es handelte sich um eine sonderbare Handelsabsprache, da sich Lichtl verpflichtete, von allen Nova gleich 6 Exemplare auf Rechnung abzunehmen. Ausgeschlossen blieben Gelegenheitssachen, Ballettmusik, deutsche Lieder sowie Romanzen, wovon er je nur 2 Stück zu kaufen hatte. Vgl. HVÖ, VA, Korporation, 1824/1. 25
Vgl. Keiderling,
Kommissionsbuchhandel, S. 247-250.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
225
Buchhändlervereins eine Bestell- und Packanstalt für Budapest vorgeschlagen, die analog zu den Einrichtungen in Leipzig, Berlin und Wien arbeiten sollte. 26 Der Kostenplan erinnert stark an denjenigen von Friedrich Fleischer für eine Leipziger Paketanstalt aus dem Jahre 1849. Die Realisierung scheiterte jedoch aufgrund ungenannter Schwierigkeiten. 27 Durch eine gemeinsame Initiative gelang es den Budapester Kommissionären um 1860, die Frankatur für die ungarischen Provinzialbuchhändler einzuführen. Zu diesem Zeitpunkt organisierten die dortigen Kommissionsgeschäfte bereits das Sammeln und Versenden der Beischlüsse sowie die Vermittlung des Zettel Verkehrs. Die Sortimenter genossen beim Kommissionär einen beschränkten Kredit, der zur Entgegennahme von Barpaketen diente. Die Abrechnung wurde jedoch nur teilweise durch die Kommissionäre geleistet. Wie an anderen großen Buchhandelszentren bestanden die Kommissionsgebühren aus einer, je nach dem Umsatz variierenden, jährlich zu zahlenden Summe, die sich aus der Verpackung und aus einer einprozentigen Provision für eingelöste Barpakete zusammensetzte. Spezialisierte Grossobuchhandlungen oder Barsortimente hatte der ungarische Buchhandel bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufzuweisen. 28
4. Frankfurt am M a i n
Der Bedeutungsverlust der Frankfurter gegenüber der Leipziger Messe brachte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Rezession für die lokale Branche. In einem Aufsatz von 1822 wurde festgestellt, daß 19 von 20 Frankfurter Buchhandlungen neben Büchern auch andere Artikel wie Landkarten, Kurz- und Schreibwaren, Kölnisch Wasser oder sogar Würstchen verkaufen mußten, um sich am Leben zu halten.29 Derartige Einschätzungen wie auch der Hinweis, daß die Stadt sich vom „gefährlichen Waren- und Exportgeschäft zum reinen Bank- und Börsenhandel" 3 0 entwickelte, berücksichtigen nicht, daß der Frankfurter Kommissionsbuchhandel zwischenzeitlich einen enormen Bedeutungsaufschwung erfahren hatte. Bis etwa 1850 hatte die Stadt rein zahlenmäßig die Führungsposition im süddeutschen Raum inne. Stuttgart war ihr erst in der Mitte des Jahrhunderts ebenbürtig. Politische Ereignisse und Fehlentscheidungen spielten eine nicht unwesentliche Rolle beim wirtschaftlichen Rückgang der Buchhandelsstadt Frankfurt. So gingen durch die französische Besetzung 1795-1814 die linksrheinischen Gebiete verloren, die sich in der Folgezeit stärker am preußischen Kommissionsplatz Berlin, an 26
Vgl. ÖBC Nr. 23, 8. 6. 1878, S. 219.
27
Vgl. Voerster, Verbesserung, S. 84. 28 Vgl. Ebd. 29 Ausgenommen war die Guilhaumansche Buchhandlung, der es relativ gut ging. Vgl. Lübbecke, Frankfurt, S. 161. 30 Ebd., S. 160. 15 Keiderling
226
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
Leipzig oder sogar an Stuttgart orientierten. Im Jahre 1838 brachte die Ablehnung der Frankfurter Buchhändler-Korporation 31 durch den dortigen Senat einen entscheidenden Nachteil in der Auseinandersetzung gegen das wohlorganisierte Stuttgart, das seit 1842 über einen eigenen Buchhändlerverein verfügte. Nur mit Mühe schafften es einflußreiche Frankfurter Handelskreise 1834, den Anschluß der Freien Stadt an den norddeutschen Zollverein durchzusetzen.32 Ein Fernbleiben hätte den Kommissionsbuchhandel innerhalb weniger Jahre ruiniert. Sofort traten Buchhandlungen der Nachbarstädte Offenbach und Mainz mit gezielten Zirkularen auf, um die Nachfolge von Frankfurt anzutreten. Etwa seit 1835 machte Stuttgart der Stadt Frankfurt die süddeutsche Führungsposition streitig und brach eine Auseinandersetzung vom Zaun, die sie 1852 für sich entscheiden konnte. Der Niedergang des Frankfurter Kommissionsbuchhandels geht aus der Tabelle 19 hervor. Noch um 1830 lag der Schwerpunkt des zwischenbuchhändlerischen Einflußkreises auf dem Rhein-Main-Gebiet. Die damalige Konzentration in einigen Kommissionsgeschäften wie Gebhard & Körber, Andreä sowie Streng war mit derjenigen Leipzigs vergleichbar. 33 In den vierziger und beginnenden fünfziger Jahren erfreute sich der Kommissionsplatz seines größten Zuspruchs in Süddeutschland. 1850 besorgten Gebhardt & Körber beispielsweise 136 Kommissionen, gefolgt von Sauerländer und Streng mit 69 und 61.
Tabelle 19 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Frankfurt am Main 1830-1868 Jahr
1830
1840
1850
1860
Kommissionäre
15
18
16
15
8
252
374
448
217
44
Kommittenten
1868
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Nach den Ereignissen des „Sturm-Jahres" 1852, in welchem die Stuttgarter ihre Kommissionen aus Frankfurt zurückzogen, setzte ein schnelles Sterben des Kommissionsplatzes ein. 1860 bedienten Gebhard & Körber nur noch 81, Sauerländer und Streng ganze 42 und 19 auswärtige Geschäftspartner. Obwohl es mit dem lokalen Verlags- und Sortimentsbuchhandel etwas aufwärts ging und auch von Jahr zu Jahr mehr Buchhandlungen zu registrieren waren, entschied sich die Adreßbuch-Redaktion 1869, Frankfurt aus der offiziellen Liste der Kommissionsplätze zu entfernen. 31
Seit 1839 waren die Frankfurter Buchhandlungen lose in einem Buchhändlergremium verbunden. 32 Vgl. Lübbecke , Frankfurt, S. 162. 33 Siehe Tabellen 13 und 14 auf S. 206.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
227
5. Köln
Die Tatsache, daß Köln für kurze Zeit Kommissionsplatz war, wurde in einschlägigen Darstellungen zum Kommissionsbuchhandel meist verschwiegen. 34 Bereits die Denkschrift des Börsenvereins über die Organisation des deutschen Buchhandels von 184535 wies die Stadt als niederrheinisch-westfälischen Kommissionsort aus. Im Adreßbuch fiir den Deutschen Buchhandel konnte man in den Jahren 1846-1854 nachlesen, daß über einen sogenannten Kölner Verlagsverein, einem Kommissions- und Speditionsgeschäft für den deutschen und internationalen Buch- und Kunsthandel und verwandte Geschäfte, eine erstaunlich große Anzahl auswärtiger Kollegen vertreten wurden. Der Leiter des Unternehmens, F. C. Eisen, vermittelte 1846 immerhin 122 Kommittenten. Ihre Zahl sank bis 1850 auf 101, um dann bis 1852 auf 154 anzusteigen. Seine Bedeutung erhielt das Unternehmen aus der Vermittlung eines engeren regionalen Umkreises. Aus einer Erklärung des Kölner Verlags Vereins ging hervor, daß internationale Handelsverbindungen angestrebt wurden - ein Privileg, das eigentlich Leipzig vorbehalten war. Bestellungen für Brüssel, Paris und London wurden nach der Erklärung des Kommissionärs „prompt expedirt". 36 Es erfolgten sogar wöchentliche Postpakete und Ballen nach Frankfurt am Main und Leipzig. Die Spedition durchlaufender Ballen zwischen dem deutschen Buchhandel und dem Ausland (Belgien, England und Frankreich) wurden angeblich preisgünstig besorgt, Postpakete nach England sogar innerhalb von 24 Stunden. Mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Kommissionshauses war auch vom Kommissionsplatz Köln in der Folgezeit nicht mehr die Rede.
6. München
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war München alles andere als eine Buchhandels- und Verlagsstadt. Reinhard Wittmann konstatierte, daß „die fundamentale Modernisierung des deutschen Buchhandelsnetzes, der Übergang zu modernen Verkehrsformen, die Vervielfachung der Firmenzahl" fast spurlos an der Stadt vorbeigegangen zu sein schien.37 Um 1800 gab es in München ganze drei Buchhändler, die Schulbücher, Regionalia, Stadt- und Reiseführer sowie Jugendund Kochbücher verlegten. Auch wenn die Zahl der Buchhandlungen in den folgenden Jahrzehnten anstieg und sich Druckereien ansiedelten, änderte sich an diesem Befund bis 1825 nur wenig. 38 1835 beherbergte die Stadt 10 Buchhandlungen und 4 Antiquariate. 34
Vgl. Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Kapp-Goldfriedrich, S. 351. 35 Vgl. Frommann, Denkschrift. 3 6 Schulz, Adreßbuch, 1856-1852, Abteilung IV. 37
15*
Wittmann, München, S. 31.
Geschichte, Bd. 4,
228
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
Bis in die sechziger Jahre war die Entwicklung des Münchner Buchhandels durch ein langsames Anwachsen, nach der Gewerbefreiheit im Jahre 1868 durch beachtliche jährliche Zuwachsraten gekennzeichnet. 1878 zählte München 33, am Ende des 19. Jahrhunderts 143 Buchhandlungen.39 Trotz dieser faszinierenden Steigerung hatte München nur einen kurzen Auftritt in der Liste der führenden Kommissionsplätze, wie aus der Tabelle 20 ersichtlich. 40
Tabelle 20 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes München 1865-1873 Jahr
1865
1870
1873
Kommissionäre
9
7
9
Kommittenten
40
36
40
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Auffällig ist die Tatsache, daß es sich nur um Kleinstkommissionäre handelte, die den Zwischenbuchhandel als Nebengeschäft oder gar als Gelegenheitsdienst betrieben. Die Kommittenten kamen aus Nürnberg und Augsburg, weniger aus Salzburg und Innsbruck. Keinerlei Verbindung gab es zum Stuttgarter Zentrum, ein Ausdruck der Marginalität Münchens für den Kommissionsbuchhandel. Der Bedeutungsrückgang des Kommissionsplatzes war auf den dynamischen Aufstieg Stuttgarts zurückzuführen.
7. Nürnberg Nach 1788 wurde Nürnberg als der aussichtsreichste Bewerber für die Nachfolge Frankfurts gehandelt. Die Stadt verfügte nicht nur über eine bedeutende Messe, hier wurde auch - eine Besonderheit für den Süden - norddeutsche Literatur umgeschlagen. Vom Selbstbewußtsein der dortigen Kommissionäre zeugen mehrere Aufrufe, die 1822 zunächst von 4, ein Jahr später von 15 Nürnberger Buchhandlungen ausgingen.41 Darin forderten sie die Erhebung der Stadt zum süddeutschen Hauptkom38 Vgl. Ebd., S. 34. Zäsursetzung bei Wittmann. 39 Vgl. Fuchs , München, S. 55. 40 Frühe Erwähnungen des Kommissionsplatzes München gab es in den vierziger Jahren: Einerseits im Zusammenhang mit Beschreibungen des süddeutschen Rotstifts, der seinen Weg auch über München fand, und andererseits in Verbindung mit dem Adreßbuch Schulz, wo bereits 1840 sieben Kommissionsverbindungen in die Isarstadt aufgezeigt wurden. Vgl. Titel, Adreßbuch, S. 383. Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 22. 1. 1823, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/3. Das Gerücht, die Süddeutschen wollten die Leipziger Messe künftig meiden und eine eigene
229
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
missionsort. Es sollten wie in Leipzig Lager eingerichtet werden. Als Anreiz boten sie an, die ersten vier Jahre keine Lagermiete zu berechnen und in diesem Zeitraum auch die Auslieferung unentgeldlich zu besorgen.42 Einen geschäftlichen Aufschwung bewirkten diese Angebote nicht. Der Einfluß Nürnbergs konzentrierte sich in den dreißiger Jahren vor allem auf ein engeres, regionales Umfeld. Vereinzelt waren auch österreichische, schweizerische, norddeutsche (Berlin, Gotha) sowie eine deutsche Buchhandlung in Amerika (Philadelphia) vertreten.
Tabelle 21 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Nürnberg 1830-1873 Jahr
1830
1840
1850
1860
1870
1873
Kommissionäre
10
10
8
8
7
5
Kommittenten
122
227
259
120
63
46
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Aus der Tabelle 21 ist erkennbar, daß Nürnberg rein quantitativ bis zur Mitte des Jahrhunderts zulegte. Danach begann eine rasante Talfahrt. 1874 schied Nürnberg endgültig aus der Liste der Kommissionsplätze aus. Die führenden Kommissionshäuser waren in den dreißiger Jahren Bauer & Raspe (mit ca. 50 Auftraggebern) sowie Riegel & Wiessner (mit fast 90). Die letztgenannte Firma erreichte um 1850 die Höchstzahl von 100 Kommittenten. Korn und Zeh konnten sich zum selben Zeitpunkt mit 40 und 50 noch recht gut behaupten. Nach 1860 besaß kein Kommissionär mehr als 35 Kommittenten.
8. Offenbach Offenbach besaß als Kommissionsplatz ähnliche Eigenschaften wie Köln. Auch dieser Stadt war nur eine kurze Erwähnung in den offiziellen Listen vergönnt. Der Kommissionsbuchhandel ging auf die Initiative einer einzigen Firma zurück. Hier war es die Bredesche Buchhandlung, die in den Jahren 1833 bis 1836 bis zu 12 Kommittenten aus der näheren Umgebung vertrat. 43 Etwas befremdend mutet unter diesen Umständen der vermutlich aus dem Jahre 1832 stammende Vorschlag dieser Buchhandlung an, Offenbach anstelle Frankfurts zum süddeutschen Hauptin Nürnberg gründen, machte 1821 auf der Leipziger Ostermesse die Runde. Vgl. KappGoldfriedrich, Geschichte, Bd. 4, S. 161. 42
Vgl. Geschäftsrundschreiben vom 22. 1. 1823, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/3. Die Kommittenten verteilten sich so: Mainz (5), Darmstadt (4), Aachen, Gießen und Rorschach (je eine). Vgl. Müller, Verzeichniss, 1835. 43
230
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
Stapelplatz zu ernennen. 44 Aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Voraussetzungen blieb diese Forderung von der Branche unbeachtet.
9. Prag Da Prag zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur österreichischen Monarchie gehörte, war auch sein Buchhandel mit dem Wiener eng verknüpft. Als 1807 auf kaiserlichen Beschluß die Wiener Buchhändler und Antiquare in einem neugegründeten Gremium zusammengefaßt wurden, geschah gleiches mit den Prager Buchhändlern 4 5 Die Zwangsvereinigung sollte die staatliche Gewerbeaufsicht unterstützen, ein Verbindungsglied zwischen Staat und Branche sein sowie Streitfälle intern schlichten. Trotz dieser angedachten Aufgabenfülle blieb das Gremium in den ersten Jahrzehnten weitgehend inaktiv. Eine erstmalige Erwähnung des Kommissionsplatzes ist durch zwei frühe Adreßbucheinträge bei Schulz gegeben. Die beiden böhmischen Kommittenten Benedict Pfeiffner (Reichenberg) und Seidel & Co. (Brünn) ließen sich von den Prager Kommissionären Jacob Dirnböck (1839) und Anna Tempsky von der Buchhandlung Calve (1840) vertreten. 46 Stephan Niedermeier nimmt an, daß für die Zeit vor 1850 vieles gegen eine größere Bedeutung Prags als regionaler Kommissionsplatz spricht, weil „das Angebot an regionalspezifischen Verlagsartikeln aus der Provinz, von Literatur, die überwiegend innerhalb Böhmens und Mährens gehandelt wird, noch relativ gering" war 4 7 Seit wann die regionalen Buchhandlungen ihre Sendungen franko Prag lieferten, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Der angesehene Prager Buchhändler Friedrich Tempsky behauptete, daß nach der Wiener Versammlung der österreichischen Buchhändler von 1845 auch in Prag die Frankatur eingeführt wurde. Doch geht aus keiner weiteren Quelle - nicht mal aus dem Protokoll von 1845 - ein derartiger Beschluß hervor. 48 Fühlten in den sechziger Jahren zunächst die Kommissionsgeschäfte Karl André und J. G. Calve (beide mit ca. 15 Auftraggebern), so übernahm in den siebziger Jahren eindeutig Heinrich Mercy die Führungsposition (um 1890 knapp 60 Kommittenten), gefolgt von den Firmen E. Petrik, Al. Hynek und Alois Srdce im Mittelfeld (jeweils unter 30 Kommittenten). 44 Vgl. Geschäftsrundschreiben der Mainzer Buchhandlungen vom 1. 2. 1834, in: DBSM, Archivalien, Kasten 21/79. 45 Vgl. HVÖ, VA Korporation 1806/1. Die Prager realisierten diesen Erlaß am 30. Juli 1806; ihre Wiener Kollegen folgen erst Ende Mai 1807. Vgl. Junker, Korporation, S. 11, 33, 52-57. 46 Beide hatten zugleich einen Kommissionär in Leipzig und in Wien. 47 Niedermeier, Böhmen, S. 42. 4 « V g l ÖBC Nr. 17, 29. 4. 1882, S. 165.
231
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte Tabelle 22 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Prag 1862-1888 Jahr Kommissionäre Kommittenten
1888
1862
1870
1880
9
12
17
10
48
77
100
112
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
Das Jahr 1862, als Prag erstmals im Adreßbuch Schulz erwähnt wurde, markierte im Zusammenhang mit der „Konvention der Prager Buch- und Kunsthändler" ein wichtiges Datum für den Beginn eines eigenständigen böhmischen Buchhandels, der zunehmend tschechische Literatur vermittelte. 49 Es wurde ein Prozeß eingeleitet, der Prag aus dem System des deutschen Buchhandels herauslösen sollte. 1866 wurde der lokale Buchhandel modernisiert. Die Buchhändler richteten eine gemeinsame Abrechnung ein. Zugleich wurde der Direktverkehr mit Stuttgart unter Umgehung von Leipzig aufgenommen. Die wöchentlichen Sammelsendungen organisierten die Kommissionäre Paul Neff in Stuttgart und Heinrich Mercy in Prag. 50 Trotz der direkten Lieferungen rechneten die Prager und süddeutschen Buchhändler weiterhin in Leipzig ab. 51 Im Jahre 1866 wurde sogar eine Kommission damit betraut, ein Gutachten über die Notwendigkeit einer Prager Zettelbestellanstalt zu erstellen. Bekanntlich wurde diese Einrichtung nicht beschlossen.52
10. Stuttgart War der Stuttgarter Kommissionsbuchhandel noch Mitte der zwanziger Jahre nahezu bedeutungslos, so verzeichnete er in den dreißiger Jahren einen sprunghaften wirtschaftlichen Aufstieg (siehe Tabelle 16). Verfolgt man die 1837 erstmals im Müllersehen Verzeichnis genannten 14 Kommissionshäuser biographisch und firmengeschichtlich zurück, so ergibt sich, daß die großen Kommissionsgeschäfte unter ihnen - Neff sowie Beck & Fränckel - von jungen Unternehmern aufgebaut wurden, die erst in der Zeit zwischen 1829 und 1835 leitende Tätigkeiten übernommen hatten.53 49 Vgl. Niedermeier,
Böhmen, S. 41 -48.
50
Geschäftsrundschreiben des Prager Gremiums vom 9. 9. 1866. Vgl. Niedermeier, Böhmen, S. 43. 51 Niedermeier errechnete, daß 1882 durch Barpaketsendungen wöchentlich bis zu 300 Bücher für 730 Mark netto direkt aus Stuttgart bezogen wurden. Vgl. Ebd., S. 96. 52 Vgl. ÖBC Nr. 36, 20. 12. 1866, S. 263. 53 In der zweiten Reihe standen die Metzlersche Buchhandlung (Heinrich Erhard), Koehler, Schweizerbart und Steinkopf. Die Kommissionäre Cotta, Erhard, Hallberger, die Witwe Sonnewald, Belser, Brodhag, Hoffmann, Rieger & Co. hatten nur wenige Kommittenten.
232
Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
Betrachtet man die Konzentration in einigen Kommissionsgeschäften, so stellt man fest, daß der Kommissionär Paul Neff mit 217 Kommittenten um 1850 rein quantitativ das größte Kommissionsgeschäft seiner Zeit besaß. Die Leipziger Kollegen Steinacker, Koehler und Volckmar hatten mit 112, 107 und 97 nur halb soviel Auftraggeber. Kritisch muß man diesen quantitativen Vergleichszahlen hinzufügen, daß süddeutsche Kommittenten nicht so viele Dienstleistungen in Anspruch nahmen wie Leipziger, da sie ihre Kommissionäre größtenteils nur zum Weiterleiten ihrer für die Region bestimmten Sendungen benötigten. Druckenmüller meinte, daß sich unter den 412 Kommittenten, die 1847 über Stuttgart vertreten waren, 49 Firmen befanden (12 Prozent), die in der Praxis so gut wie nichts oder doch sehr wenig auslieferten. 54 Eine Abrechnungsliste von 1854 bestätigt, daß Beck & Frankel mit einem Drittel der Kommittenten von Neff zwei Drittel an Geldern einnahm, insofern müssen sich bei Neff besonders viele kleine Unternehmen befunden haben. 55 Paul Neff stand über den ganzen Untersuchungszeitraum hinweg souverän an der Spitze des lokalen Kommissionsbuchhandels. Weitere bedeutende Kommissionshäuser waren in den fünfziger Jahren Beck & Fränkel und Julius Weise (ca. 70 Kommittenten); in den sechziger Jahren Karl Aue, Adolph Oetinger (Nachfolger Beck & Fränkel) und August Schaber (etwa 80 Kommittenten) sowie nach 1870 Adolph Oetinger (ca. 150 Kommittenten). Aus dem harten Konkurrenzkampf gegen Frankfurt um die süddeutsche Führungsposition ging Stuttgart 1852 als Sieger hervor. Sehr hilfreich war der Umstand, daß hier seit 1838 die einflußreiche Süddeutsche Buchhändler-Zeitung erschien und es seit 1842 einen lokalen Buchhändlerverein gab. Obwohl zunächst einige Radikalreformen der Stuttgarter scheiterten - etwa die Einführung der Frankatur sowie des Meßrabatts (Meßagio) im Jahre 1852 - konnte die Stadt ihre Stellung als zweitwichtigster Kommissionsort bis 1875 und als drittwichtigster (hinter Leipzig und Wien) bis 1888 festigen. Die Stuttgarter Buchhandlungen kündigten 1852 ihren süddeutschen Kommissionären in Frankfurt, Augsburg und Nürnberg. Die marktführende Cottasche Buchhandlung setzte für ihre Kunden sogar die Frankatur durch. Nach weiteren zähen Bemühungen der Stuttgarter Kommissionäre wurden die Frankatur und der Meßrabatt mit dem 1. Januar 1867 eingeführt. 56 Ein Indiz für die wachsende Bedeutung Stuttgarts war in den sechziger Jahren die Zunahme der lokalen Lagerhaltung. 1861 eröffnete Carl Conradi ein Barsortiment, das er 1872 an die Brüder Albert und Heinrich Koch verkaufte. Stuttgart ver1844 waren sie entweder immer noch Kleinstkommissionäre oder zwischenbuchhändlerisch nicht mehr tätig. 54 Vgl. Druckenmüller, Stuttgart, S. 107. Spätestens in den achtziger Jahren kehrt sich dieses Zahlenverhältnis aufgrund von Aufkäufen in Leipzig wieder um. 55 Neff hatte von 206 Kommittenten 76.813 fl. einkassiert, Beck & Fränkel von 68 Kommittenten 47.014 fl. Vgl. Ebd., S. 119. 56 Vgl. SBZNr. 50, 13. 12. 1852, S. 253-255.
II. Zur Charakteristik bedeutender Standorte
233
besserte beständig seine Infrastruktur zu anderen Kommissionsplätzen. Seit den vierziger Jahren wurden direkte Verbindungen nach Leipzig, seit 1863 nach Wien und seit 1866 nach Prag eingerichtet. Ging der Kommittentenzuspruch in den achtziger Jahren aufgrund „postalischer Erleichterungen" etwas zurück, so hatte die Stadt doch spätestens seit 1895 wieder den Stand der siebziger Jahre erreicht und konnte ihre Stellung als zweitwichtigster deutscher Kommissionsplatz hinter Leipzig manifestieren. 57 11. Wien
Mit der 1806 staatlich angeordneten Zusammenfassung der Wiener Buchhändler und Antiquare zu einem Gremium erhielt die lokale Branche seit 1807 ihre erste organisatorische Klammer. 58 Inwieweit Wien zu dieser Zeit auch als Kommissionsplatz genutzt wurde, läßt sich heute nur vermuten. Einzelne lokale Buchhändler waren eng mit Leipzig verbunden und wurden sicherlich in der einen oder anderen Weise auch für auswärtige, insbesondere österreichische Provinzialbuchhändler als Kommissionäre tätig. 59 Vor den Reformmaßnahmen von 1846 wurde der österreichische Kommissionsbuchhandel weitgehend wie in Süddeutschland betrieben. 60 Wie dort, so gab es auch in Wien keine zentralen Auslieferungslager, dafür aber den Rotstift und ungeordnete Verhältnisse in der Abrechnung. Wirklich auf den Zwischenbuchhandel spezialisieren konnte sich wohl noch keine Buchhandlung. Nach eigenen Angaben unternahm Christian Georg Jasper im Jahre 1843 einen ersten Schritt in diese Richtung. 61 Jaspers Vorschlag, Wien nach Leipziger Vorbild in einen modernen Kommissionsplatz zu verwandeln, mündete drei Jahre später in entsprechende Umgestaltungen. Beginnend mit dem Jahr 1846 erklärten sich die Provinzialbuchhändler bereit, Wiener Auslieferungslager anzulegen, ihren Verlag, die Remittenden sowie den Saldo franko Wien zu senden und jedes Jahr Ende März zu zahlen.62 1 855 wurde eine gemeinsame Abrechnung der Wiener Kommissionäre organisiert, 1860 eine Bestellanstalt und 1875 das erste Barsortiment errichtet. Die Entwicklung des Wiener Kommissionsplatzes war durch eine Zuwachsrate gekennzeichnet, die im Untersuchungszeitraum nur durch Leipzig übertroffen wur57 Vgl. Druckenmüller, Stuttgart, S. 120- 122. 58 Vgl. HVÖ, VA, Korporation, 1806/1. 59 Noch 1838 wurde in Stuttgart zugegeben, daß man nicht genau wisse, wie der Kommissionsbuchhandel in Österreich und speziell in Wien organisiert sei. Man erbat sich genauere Informationen von einem Wiener Kollegen. Vgl. SBZ Nr. 3, 19. 1. 1838, S. 18. 60 Vgl. HVÖ, VA, Koporation, 1846/2, Bl. 4 - 5 . 61 Vgl. SBZ Nr. 37, 11. 9. 1839, S. 299-301. 62 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen am 10. September 1845, in: HVÖ, VA, Korporation, 1845/22.
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Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
de (siehe Tabelle 16). Somit war Wien seit 1875 der größte Kommissionsplatz Österreich-Ungarns und der zweitgrößte im deutschsprachigen Gebiet.63 Sein Haupteinzugsgebiet umfaßte neben der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie Süddeutschland und Norditalien. Keine direkte Verbindung gab es zur Schweiz. Dieser Geschäftsverkehr wurde mehrheitlich über Leipzig dirigiert. Prinzipiell konnte seit 1863 dazu auch der Direktverkehr zwischen Stuttgart und Wien genutzt werden. Der Kleinkommissionär war lange Zeit typisch für Wien gewesen. Bis 1860 gab es kein Kommissionsgeschäft mit mehr als 50 Kommittenten - ein sehr ungewöhnliches Indiz angesichts der bereits vorhandenen Kommittenten-Konzentration einzelner Firmen an anderen Kommissionsplätzen (siehe Tabelle 13). In den dreißiger Jahren führten die Buchhändler Bauer & Dirnböck, Carl Gerold, Mörschner & Jasper sowie Tendier mit gerade einmal 10-20 Kommittenten die Listen an. 1850 waren es Dirnböck, Gerold sowie Hügel & Manz mit ca. 25-30 Kommittenten und 1870 Beck, Gerold, Hartleben, Lechner, Manz, Prandel und Sallmayer bei einer immer noch mäßigen Konzentration zwischen 40 und 50 Kommittenten. 1888 führte Perles mit 145 auswärtigen Geschäftspartnern vor Reger und Hartleben mit 84 und 82.
12. Zürich
Zürich hatte als verhältnismäßig kleiner Kommissionsplatz die Aufgabe, die schweizerischen Buchhändler unter sich und mit dem Ausland zu verbinden. Letzteres konnte nicht ausschließen, daß schweizerische Kommittenten auch Beziehungen nach Leipzig, Süddeutschland (erst Nürnberg, dann vor allem Stuttgart) oder nach Wien unterhielten. Interessant für den Wirtschaftsstandort Zürich ist die Tatsache, daß es im 19. Jahrhundert eigentlich nur einen einzigen Kommissionär von größerer Bedeutung gab, dem sich drei bis vier Kollegen dauerhaft zur Seite stellten, ohne ein vergleichbares Engagement zu entwickeln. Gemeint ist die Buchhandlung Salomon Höhr. 1840 gab sie 5 Kommittenten in der Schweiz sowie einen in Stuttgart an, während eine zweite Buchhandlung, Orell, Füssli & Co., nur einen Kommittenten besaß.64
63
Das Verhältnis zwischen Stuttgart und Wien kehrte sich nach 1903 nochmals um, als Stuttgart kräftig zulegte und Wien innerhalb weniger Jahre über 200 Kommittenten verlor. Die Ursache dafür geht aus den Quellen nicht hervor. Vgl. Jordan , Konzentrationsprozeß, S. 35. 64 Salomon Höhr vertrat J. J. Grubenmann (Chur), Carl Hoffmann'sche Verlagsbuchhandlung (Stuttgart), Huber & Co. (St. Gallen), Carl Peter Scheitlin (St. Gallen), Scheitlin, Carl Peter & Zollikofer, Christoph (St. Gallen) und der Kommissionär Orell, Füssli & Co.: Xaver Meyer (Luzern). Vgl. Titel, Adreßbuch, S. 383.
III. Der Leipziger und der süddeutsche Kommissionsbuchhandel
235
1853 wurde Zürich in die Liste der „großen" Kommissionsplätze aufgenommen. Der Kommissionär Höhr vertrat 1860 beispielsweise 30 und 1888 52 Kommittenten. Neben ihm bediente nur noch die Firma Meyer & Zeller mehr als 15 Auftraggeber im Untersuchungszeitraum. Tabelle 23 Die quantitative Entwicklung des Kommissionsplatzes Zürich 1853-1888 Jahr
1853
1860
1870
1880
1888
Kommissionäre
4
4
5
5
4
Kommittenten
45
51
76
97
95
Quellen: Jordan, Konzentrationsprozeß, S. 34-35; Schulz, Adreßbuch.
1859 hatte der Schweizerische Buchhändlerverein (gegründet 1849) beschlossen, Zürich als bleibenden Versammlungs- und Abrechnungsplatz festzulegen. Am 16. April 1860 fand die erste gemeinschaftliche Abrechnung in Zürich statt. 1874 wurde zur Abrechnungserleichterung wie in Leipzig eine gedruckte Zahlungsliste, welche zugleich als Einnahmeliste fungierte, erstellt und jedem Vereinsmitglied in zwei Exemplaren zugesandt. 1884 erfolgte eine Verlegung der Abrechnung und Generalversammlung auf den ersten Montag im Juni. 65
I I I . Der Leipziger und der süddeutsche Kommissionsbuchhandel In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich der süddeutsche Kommissionsbuchhandel im Vergleich zum Leipziger durch besondere Usancen und eine Rückständigkeit aus, wie die Gegenüberstellung auf der folgenden Seite veranschaulicht. Der Verkehr zwischen dem nord- und süddeutschen Kommissionsbuchhandel wurde fast ausschließlich nach Leipziger Gepflogenheiten vermittelt. In diesem Sinne zog Leipzig aus seiner wirtschaftlichen Machtstellung Profit, was für Spannungen zwischen Nord und Süd sorgte. Man rechnete in Talern ab, sandte alles franko Leipzig und ließ dort ausliefern. Der Vorteil der Frankatur lag darin, daß sich Verleger und Sortimenter die Transportkosten teilten und somit keine Benachteiligung einer Branchenspezialisierung entstand.66 Zugleich konnte der Verkehr 65 Vgl. Protokolle der Generalversammlungen des Schweizerischen Buchhändlervereins, in: VVDS, Va; Der Schweizerische Buchhändlerverein 1899, S. 18-19; Statuten und wichtigere Aktenstücke 1879. 66 Es „gilt der Grundsatz, daß der Verleger alle Sendungen frachtfrei Leipzig zu stellen hat. Von Leipzig ab hat der Sortimenter die Transportkosten allein zu tragen." Schürmann, Usancen, S. 34.
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Kapitel 5: Strukturen und Modernisierungen an anderen Kommissionsplätzen
über eine Stadt zentralisiert und durch Sammelsendungen bedeutend verbilligt werden, so daß die Transportkosten insgesamt sanken.
Tabelle 24 Der Leipziger und süddeutsche Kommissionsbuchhandel im Vergleich Leipziger Kommissionsbuchhandel
Süddeutscher Kommissionsbuchhandel
Art der Modernisierung
erstmalig
nachholend
Konzentration
hohe Konzentration in einem Zentrum 67
geringe bis mittlere Konzentration in mehreren Zentren
Einheitlichkeit der Handelsbräuche
weitgehend vereinheitliche Usancen auf einem Kommissionsplatz
uneinheitliche Usancen auf mehreren Kommissionsplätzen
Lieferbedingung
Frankatur Leipzig
Rotstift, seit 1867 Frankatur Stuttgart
Lagerhaltung
ausgedehnt, Stapelplatz des deutschen Buchhandels
zunächst fehlend, in den sechziger Jahren in Stuttgart eingeführt (regionaler Stapelplatz)68
Abrechnungsmodalitäten
Abrechnung mehrheitlich in Verantwortung der Kommissionäre
lange Zeit noch persönliche Abrechnung ohne Kommissionäre
stets fester Abrechnungstermin (Leipziger 0. M.)
fester Abrechnungstermin erst 1843 in Stuttgart und 1844 in Frankfurt eingerichtet 69
Meßagio
1867 Meßagio in Stuttgart
Seine Leipziger Abrechnung schilderte Ludwig Christian Kehr aus Kreuznach folgendermaßen: „ I n der O. M . bezahle ich den norddeutschen Handlungen Alles [ . . . ] ohne irgend einen Uebertrag zur M . M . Den süddeutschen Handlungen lasse ich, wie seit längerer Zeit üblich, zur gehörigen Zeit in Frankfurt auszahlen, oder ich honorire ihre Wechsel mit derselben Pünktlichkeit. [ . . . ] Vier bis sechs Wochen nach der O. M., je nachdem die Zeit es gestattet, gehe ich meine Bücher 67
Der Berliner Kommissionsplatz stellte nur eine geringfügige Einschränkung des Leipziger Zentrums dar und wird aus diesem Grund in der vorliegenden Gegenüberstellung ausgeklammert. 68 Es gab auch vor 1860 eine je nach Vereinbarung getroffene, geringfügige Lagerhaltung an den einzelnen süddeutschen Plätzen. Da diese den Anforderungen einer schnellen Auslieferung nicht gerecht wurde, gab es seit den dreißiger Jahren Forderungen, die dortigen Plätze nach dem Leipziger Vorbild zu Stapelplätzen auszubauen. 69 Die Frankfurter Abrechnung kam mit dem Bedeutungsverlust des lokalen Buchhandels nach 1852 rasch zum Erliegen.
III. Der Leipziger und der süddeutsche Kommissionsbuchhandel
237
nochmals durch, mahne Diejenigen, welche ihre Verpflichtung gegen mich nicht erfüllten, und frage bei den süddeutschen Handlungen - (denn die Norddeutschen wurden sämmtlich in der O. M. befriedigt), welche etwa noch Forderungen an mich haben, an: ,an welche Frankfurter Handlung ich ihr Guthaben bezahlen lassen könne/" 7 0
Kartenskizze des Süddeutschen Buchhandeis-Kreises
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