Staatsverschuldung als Rechtsproblem: Ein verfassungsrechtliches Plädoyer gegen die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte – Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 2. Juli 1980 - erweiterte Fassung 9783110891966, 9783110085198


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German Pages 26 [28] Year 1980

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Table of contents :
Vorbemerkung
1. Die Situation und ihre Bewertung durch die Wissenschaft
2. Die verfassungsrechtliche Grundfrage: Ist die Kreditfinanzierung der Haushalte zulässig oder ein verbotener Vorgriff auf künftige Einnahmen?
3. Welche Gründe rechtfertigen ausnahmsweise die staatliche Kreditaufnahme?
4. Das geltende Recht
5. Überlegungen zur Verbesserung des geltenden Rechts
6. Wie kann die bestehende Verschuldung und das sie hervorrufende strukturelle Haushaltsdefizit abgebaut werden?
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Staatsverschuldung als Rechtsproblem: Ein verfassungsrechtliches Plädoyer gegen die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte – Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 2. Juli 1980 - erweiterte Fassung
 9783110891966, 9783110085198

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Günter Püttner Staatsverschuldung als Rechtsproblem

Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin

Heft 66

W G DE

1980

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Staatsverschuldung als Rechtsproblem Ein verfassungsrechtliches Plädoyer gegen die Kreditfinanzierung der öffentlichen Haushalte

Von Günter Püttner

Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 2. Juli 1980 - erweiterte Fassung —

w DE

G

1980

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Dr. jur. Günter Püttner ο. Professor für öffentliches Recht an der Universität Tübingen

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Püttner, Günter: Staatsverschuldung als Rechtsproblem : e. verfassungsrechtl. Plädoyer gegen d. Kreditfinanzierung d. öffentl. Haushalte ; Vortrag gehalten vor d. Berliner Jurist. Ges. am 2. Juli 1980, erw. Fassung / von Günter Püttner. Berlin, New York : de Gruyter, 1981. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin ; H . 66) ISBN 3-11-008519-4 © Copyright 1980 by Walter de Gruyter & C o . , vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Ubersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner F o r m (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Bindearbeiten: Berliner Buchbinderei Wübben & C o . , Berlin 42

Vorbemerkung* Im Laufe des Jahres 1980 ist es Mode geworden, die wachsende Staats Verschuldung in der Bundesrepublik Deutschland zu beklagen. Politiker aller Richtungen (und Bischöfe) geben entsprechende Erklärungen ab, die Presse trägt Leitartikel1 und Schlagzeilen2 bei, Wissenschaftler aller einschlägigen Disziplinen erläutern die Bedenken gegen die nunmehr unübersehbare Schuldenlawine im staatlichen Bereich 3 . Diese Tendenz ist durchaus neu. Vor Jahren ging die allgemeine Auffassung in eine ganz andere Richtung, und es war ausgesprochen schwierig, die jetzt herrschende und auch hier vertretene Auffassung von der Bedenklichkeit der Kreditfinanzierung staatlicher Haushalte selbst einer kritischen und zur Vorsicht neigenden H ö rerschaft nahezubringen4. Die Bewertung der Staatsverschuldung war in der Volkswirtschaftslehre seit jeher umstritten 5 , und es ist deshalb denkbar, daß die öffentliche Meinung bei passender Gele-

* Die Form des Plädoyers wurde bewußt beibehalten. 1 Als Beispiel sei der Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. 7. 1980 aus der Feder von Hugo Müller-Vogg mit dem Titel „Die Geißel der Staatsverschuldung" genannt. 2 In der Bild(-Zeitung) gab es beispielsweise im Juni 1980 eine Schlagzeile, wonach Kanzler Schmidt in seiner bisherigen Amtszeit bereits mehr Schulden gemacht habe als Adolf Hitler im Krieg. 3 Als Beispiele seien die Speyerer Rektoratsrede von Dieter Duwendag vom 3. 12. 1979 zum Thema „ökonomische Grenzen der Staatsverschuldung" (es liegt davon lediglich eine vervielfältigte Zusammenfassung vor) und ein Vortrag von Hans Besters, Staatliche Schuldenpolitik aus ordnungspolitischer Sicht, gehalten am 10. 7. 1980 vor der Hanns-Seidel-Stiftung in Berlin. 4 Der Verfasser bezieht sich insoweit auf mehrere Vorträge, die im Rahmen der Speyerer Führungsfortbildung vor einigen Jahren vor Beamten des höheren Dienstes (A 14-A 16) in Speyer gehalten hat. 5 Eine sehr anschauliche und lesenswerte Gegenüberstellung positiver und negativer Bewertungen der Staatsverschuldung bietet die von Rudolf Hickel ausführlich eingeleitete Zusammenstellung ausgewählter Lesestücke durch KarlDiehl und Paul Mombert unter dem Titel „Das Staatsschuldenproblem" (Ullstein Materialien Nr. 35016, Frankfurt/M. - Berlin - Wien 1980).

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genheit wieder umschlägt. Die augenblickliche Stimmungslage macht deshalb eine nähere verfassungsrechtliche Untersuchung des Problems nicht überflüssig; im Gegenteil: Die Tatsache, daß die öffentlichen Finanzen von der Staatsrechtslehre der letzten Jahrzehnte allzu sehr vernachlässigt wurden, gebietet nachdrücklich, die Gunst der Stunde zu nutzen und die sich aufdrängenden Bedenken der Juristen stärker zum Bewußtsein zu bringen. Dem dienen die nachfolgenden Bemerkungen. 1. Die Situation und ihre Bewertung durch die Wissenschaft Es empfiehlt sich, vor der Beurteilung zunächst einen Blick auf die Fakten zu werfen, die sich keineswegs so simpel darstellen, wie es der Öffentlichkeit manchmal suggeriert wurde. Innerhalb des „Staates" sind zunächst die drei Ebenen Bund, Länder und Gemeinden zu berücksichtigen, weil sich nur aus der Addition der drei Ebenen ein brauchbares und zu Vergleichen mit anderen Staaten geeignetes Bild ergibt. Einzubeziehen sind insbesondere die Gemeinden, weil über deren Haushalte nach wie vor etwa 2 / 3 der öffentlichen Investitionen finanziert werden und bei diesen eine beachtliche Kreditfinanzierungsquote immer vorhanden war. An sich wäre auch eine Einbeziehung der Sozialversicherungsträger (parafisci) und der großen öffentlichen Unternehmen (Bahn, Post, Versorgungsbetriebe) wünschenswert; aber deren korrekte Erfassung bereitet Schwierigkeiten, und die Tatsache, daß diese Einheiten in ihrer eigenen Bilanz Vermögen und Schulden gegenüberstellen, begrenzt die durch das Weglassen verursachte Verfälschung der Gesamtverschuldung einigermaßen. Bemerkt werden muß immerhin, daß die deutschen öffentlichen Unternehmen durchweg unterkapitalisiert sind, also mit viel Fremdkapital (= Schulden) arbeiten und deshalb kein entlastendes Gegengewicht gegen die Verschuldung des Staates selbst bilden können. Der Schuldenstand betrug nach den amtlichen Statistiken (in Mrd. DM) bei Bund Ländern Gemeinden (GV)

1965 15,2 8,1 25,6

1973 40,6 32,2 62,7

1979 206 115 91

Die Ubersicht zeigt einmal, daß die Verschuldung des Staates (des

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Bundes und der Länder) in den letzten Jahren außerordentlich (und erheblich stärker als das Bruttosozialprodukt) gestiegen ist. Die Verschuldung der Gemeinden hat auch zugenommen, aber wesentlich weniger, vor allem in allerjüngster Zeit. Die Gemeinden, die noch 1965 mit mehr als der Hälfte an der öffentlichen Verschuldung beteiligt waren, bringen es jetzt nicht einmal mehr auf ein Viertel der Schulden, während umgekehrt der Bund die „Führung" übernommen hat. Beim Bund ist auch noch kein Ende der Entwicklung abzusehen. Für das Jahr 1980 sah der Haushaltsplanentwurf eine Netto-Neuverschuldung von 28,2 Mrd. D M vor, die der Bundestag erfreulicherweise auf 24,2 Mrd. D M senkte; aber auch das ist viel zu viel und übersteigt die Erhöhung des Haushaltsvolumens und den Anstieg des Bruttosozialprodukts (prozentual gerechnet) bei weitem. Für die kommenden Jahre sieht der Finanzplan des Bundes (1979-1983) einen Fortgang dieser Entwicklung vor, nämlich Netto-Neuverschuldungen von 1981: 27,2 Mrd. DM 1982: 23,- Mrd. D M 1983: 21,1 Mrd. DM. Die Talfahrt soll also weitergehen. Was dies bedeutet, läßt sich am besten aus der ebenfalls wachsenden Zinsbelastung des Bundeshaushaltes ablesen. Der Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben belief bzw. beläuft sich nach den amtlichen Zahlen und dem erwähnten Finanzplan des Bundes auf folgende Werte: 1973

1976

1980

1981

1982

1983

2,7%

4,3%

6,3%

7,5%

8,3%

8,7%

Schon in wenigen Jahren wird die Neuverschuldung gerade ausreichen, um die Zinslasten zu decken 6 . Außerdem handelt es sich bei den Vorausschätzungen um sehr vorsichtige, am bisherigen Ausgaben- und Einnahmen-Rahmen orientierte Prognosen. Die geplanten Steuerentlastungen und die möglicherweise steigenden Haushaltsbelastungen durch vermehrte Rüstungs- und Entwicklungshilfeausgaben können das Bild durchaus noch verschlechtern. 6 In diesem Sinne die in Anm. 3 zitierten Vorträge; insbesondere Besters hält eine energische Umkehr für notwendig.

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In Bewertung der Situation stimmen heute wohl alle, Juristen und Volkswirte, darin überein, daß es auf Dauer so nicht weitergehen darf und zumindest eine „Konsolidierung", wenn nicht eine Umkehr erfolgen muß 6 . Diese Beurteilung ist aber, wie einleitend bemerkt, aus der Sicht der Volkswirtschaftslehre keineswegs selbstverständlich. Noch vor wenigen Jahren konnte man ganz andere Töne vernehmen. Weitgehend herrschte die Vorstellung, daß eine expansive Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben in einer dynamisch wachsenden Volkswirtschaft nichts Ungewöhnliches und nichts Bedenkliches sei. Im Gegenteil: Man begrüßte es, daß das am Kreditmarkt vorhandene Geld nutzbringenden öffentlichen Investitionen zugeführt und die Wirtschaft durch öffentliche Aufträge angekurbelt wurde. Wer damals zu räsonnieren wagte, wurde mit Hinweisen auf das gute Funktionieren des Kapitalmarkts, auf den in Deutschland vergleichsweise geringen Umfang der Staatsschulden, auf die so segensreiche Verwirklichung dringender staatlicher Investitionsvorhaben und - last not least - auf die Erfordernisse der Konjunkturpolitik zum Schweigen gebracht. Den markigsten Spruch aus diesem Argumente-Arsenal will ich dem Leser nicht vorenthalten; der aus Polen stammende Volkswirt Kaletzki hat ihn - nach Duwendag7 - so formuliert: Ein Staatsdefizit finanziert sich selbst! Der Jurist fragt sich freilich, wie das wohl gehen soll, und er fragt sich überhaupt, wie man zu einer solchen Beurteilung der Staatsverschuldung kommen kann. Der Schlüssel zum Verständnis liefern Diehl/Mombert im Vorwort zu der zitierten Aufsatzsammlung 8 zum Staatsschuldenproblem: Den Volkswirt interessieren nicht die Auswirkungen der Staatsverschuldung auf die „Bilanz" des Staates als institutionalisierten Wirtschaftssubjekt und auf die künftigen Haushaltsrelationen, sondern die Frag^, „ o b die öffentlichen Ausgaben (seil, aus gesamtwirtschaftlicher Sicht) zweckmäßiger mittels Anleihen oder mittels Steuern gedeckt werden sollen, und wie vor allem die Staatsschulden auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse eines Landes wirken". In ähnlichem Sinne stehen bis heute in der Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der staatlichen

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In der in A n m . 3 zitierten Rede. Vgl. vorn Anm. 5.

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Schuldenpolitik im Vordergrund des Interesses, nämlich (nach einem beliebig gegriffenen Kurzlehrbuch9 „die Probleme der zeitlichen Lastenverteilung, der personellen Einkommensverteilung und der Beeinflussung der Gesamtnachfrage bzw. des Konjunkturverlaufs". Auch bei der Erörterung der Schuldengrenze10 nehmen Überlegungen des Wirtschaftskreislaufs, der Gesamtwirtschaft, der Verteilungswirkungen usw. eine dominierende Stellung ein. Demgegenüber tritt die Frage der Vertretbarkeit der staatlichen Verschuldung aus der Sicht der Stabilität und künftigen Solidität der staatlichen Haushaltswirtschaft über Gebühr zurück, ebenso die Frage nach den Bedingungen, die im demokratisch organisierten Rechtsstaat für die Verschuldenspolitik maßgebend sein müssen. Erst in neuerer Zeit macht sich ein Umdenkungsprozeß bemerkbar. Nachdem in den USA James Buchanan und Richard Wagner unter dem Titel „Demokratie im Defizit 11 " auf die Zusammenhänge von Staatsschulden und Lebensbedingungen der Demokratie hingewiesen und das mangelnde Verständnis von Keynes hinsichtlich politischer Prozesse (dazu unten) aufgedeckt haben, besteht nun die Chance, daß auch die deutsche Wirtschaftswissenschaft dieser Seite des Problems mehr Aufmerksamkeit widmet als bisher 12 . Es muß freilich darauf hingewiesen werden, daß die deutsche Staatsrechtslehre ebenfalls ein Defizit aufzuholen hat, weil sie sich hierin Laband und Haenel untreu - in den letzten Jahren zu wenig mit den Einzelproblemen der öffentlichen Finanzwirtschaft beschäftigt hat. Verschiedene im folgenden aufgeführte verfassungsrechtliche Überlegungen haben im bisherigen staatsrechtlichen Schrifttum keinen Vorläufer; lediglich die Konjunkturpolitik (fiscal policy) hat, vermittelt durch Art. 109 GGunddasStabilitättsgesetz von 1967, eine breitere Erörterung ausgelöst.

9 Walter Wittmann, ro), S. 162ff.

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öffentliche Finanzen, Reinbeck bei Hamburg 1978 (roro-

A . a . O . , S. 165ff. D e m o c r a c y in deficit - the political legacy of L o r d Keynes, 1977.

1 2 Die Thesen von Buchanan und Wagner wurden beispielsweise aufgegriffen von Duwendag in der zitierten Rektoratsrede ( A n m . 3) und von Brenner/Haury/Lipp, Staatsverschuldung und Verfassung, Saarbrücken 1979. - Der NichtÖkonom sollte in Rechnung stellen, daß die deutsche Volkswirtschaftslehre sich stark an der amerikanischen Literatur orientiert und daß in der Wirtschaftswissenschaft apriorische Annahmen neben empirisch nachweisbaren Zusammenhängen beachtliches Gewicht besitzen.

10 2. Die verfassungsrechtliche Grundfrage: Ist die Kreditfinanzierung der Haushalte zulässig oder ein verbotener Vorgriff auf künftige Einnahmen? Bisher ist im Verfassungsrecht so nicht gefragt worden. Der für die staatliche Schuldenpolitik in erster Linie einschlägige Art. 115 GG statuiert einen Gesetzesvorbehalt für die Kreditaufnahme und eine (vage) Schuldengrenze, bietet aber für die hier gestellte Frage nicht einmal einen Ansatzpunkt. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt der hier gestellten Frage ist nicht Art. 115 GG, sondern die in Art. 110 GG verankerte Verpflichtung, den Haushalt in jeder Rechnungsperiode in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Denn letztlich kann jeder, auch der Staat, nur ausgeben, was er eingenommen hat. Zwar faßt die herrschende Meinung Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG als einen formellen Grundsatz auf und läßt auch einen Ausgleich der Ausgaben durch Einnahmen aus Krediten zu 13 ; aber dem eigentlichen Sinn des Haushaltsausgleichs wird diese Interpretation nicht gerecht. Ein wirklicher Ausgleich wird nur erzielt, wenn alle endgültigen Ausgaben auch durch endgültige Einnahmen gedeckt sind. Die Einnahmen aus Krediten sind aber keine endgültigen Einnahmen, sondern vorläufige Einnahmen, die in den folgenden Jahren aus dann anfallenden Einnahmen zurückgezahlt und verzinst werden müssen. Die Kreditfinanzierung des Haushalts ist also nichts anderes als ein Vorgriff auf künftige Einnahmen; es soll schon jetzt ausgegeben werden, was erst künftig an Einnahmen entsteht, mit der Folge natürlich, daß in den folgenden Jahren ein Teil der Einnahmen nicht für die dann anfallenden Ausgaben zur Verfügung steht, sondern für die Abzahlung der Vorgriffe herhalten muß. Mit anderen Worten: Der Spielraum des künftigen Haushaltsgesetzgebers wird durch den Vorgriff via Kreditfinanzierung eingeschränkt. Man muß bedenken, daß durch den vorhandenen Apparat und bindende Gesetze über 90 % der Haushaltsausgaben festliegen (also kurzfristig nicht disponibel sind) und bei der jährlichen Verabschiedung des Haushalts nur über die freie Spitze von 5-10 % wirklich entschieden 1 3 Vgl. Erwin A. Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Stand 1980, Anm. 24 zu Art. 110 G G ; im Ergebnis ebenso Maunz/Düng/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Rdnr. 25, 35ff. zu Art. 110 G G .

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werden kann. Die z.Zt. vorhandene Zinsbelastung von über 7 % zehrt die freie Spitze im wesentlichen auf; der Bund darf eigentlich nicht mehr investieren und nichts mehr neu in Angriff nehmen, er hat vielmehr Zinsen zu zahlen und seine Schulden abzutragen. In der Praxis geschieht das natürlich nicht, sondern der Bund verschafft sich durch die Aufnahme immer neuer Kredite wieder neuen Spielraum zum Handeln. Das bedeutet, daß immer höhere und weiterreichende Vorgriffe genommen werden. Es ist klar, daß dies so nicht ad infinitum weitergehen kann; irgendwann würden alle Einnahmen für den Schuldendienst gebraucht und der Staat würde Bankrott machen. Staatsbankrott heißt bekanntlich nicht Konkurs (der Staat würde überleben), sondern Zwangsvergleich mit äußerst niedriger Quote in der Form der Schuldenaufhebung oder des Währungsschnitts wie 1923 und 1948. Heute sind wir von diesem Punkt freilich - zum Glück - noch weit entfernt, aber ich bin der Ansicht, daß schon das jetzige Ausmaß des Haushaltsvorgriffs via Verschuldung unserem demokratischen Verfassungssystem nicht entspricht. Es mag sein, daß im Einzelfall ein weitsichtiger Monarch sich einige Zeit Vorgriffe leistet und dies durch spätere Zurückhaltung ausgleicht (die Geschichte belegt dergleichen übrigens nicht), der demokratische Staat ist jedenfalls für eine solche Handlungsweise nicht geschaffen und nicht gerüstet. Demokratie heißt (um mit Theodor Heuss zu sprechen), Macht auf Zeit. Das souveräne Volk verleiht, wie Art. 20 GG es vorsieht, Parlament und Regierung Amt und Amtsgewalt jeweils für eine begrenzte Amtsperiode, insbesondere wählt es den Bundestag auf jeweils 4 Jahre. Aus_diesem Grundprinzip „Macht auf Zeit" folgt, daß der gewählte Gesetzgeber nur über die endgültigen Einnahmen seiner Amtspenode befinden und nicht auf die Einnahmen künftiger Amtsträger vorgreifen darf. Der heutige Gesetzgeber darf nicht dem künftigen Gesetzgeber durch Vorwegdisposition über dessen Einnahmen den Handlungsspielraum entziehen oder wesentlich einengen. Mir ist verschiedentlich entgegengehalten worden, diese Betrachtungsweise sei zu eng und zu starr. Der Gesetzgeber erlasse auch die Gesetze nicht nur für seine Amtsperiode, sondern auf Dauer, und er lege durch Planung und Investitionen die künftig Regierenden fest. Zwar ist das bis zu einem gewissen Grade richtig, aber die öffentliche Finanzwirtschaft ist nun einmal im Unterschied zur normalen Gesetzgebung periodenbezogen ausgestaltet (wie übrigens das Rechnungswesen privater Unternehmen

12 auch); das Gebot des jährlichen Haushaltsausgleichs ist nicht nur eine Nebensächlichkeit. Im übrigen kann der künftige Gesetzgeber die früher erlassenen Gesetze durchaus wieder ändern (jedenfalls weitgehend), während er vorhandene Schulden nicht einfach beseitigen kann. Eines freilich muß konzediert werden: Das soeben entwickelte Verbot des Vorgriffs auf künftige Einnahmen entspricht zwar dem System der Verfassung, und der Vorgriff ist ein Systembruch, aber es läßt sich nicht behaupten, daß die jetzige Praxis des Vorgreifens explizit verfassungswidrig sei. Denn Art. 115 G G hat die nötigen Konsequenzen nicht gezogen, sondern läßt unter gewissen Bedingungen die Staatsverschuldung zu. Es wäre höchst problematisch, entgegen der erkennbaren Aussage des Art. 115 G G , also der speziellen einschlägigen Vorschrift, aus allgemeinen Verfassungsprinzipien de constitutione lata ein gegenseitiges Ergebnis herzuleiten. Frühere Vorschriften wurden meinem Postulat übrigens besser gerecht als Art. 115 G G in der jetzigen Fassung. Art. 73 RV von 1871 ließ Anleihen nur ,,in Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses" (also nicht als dauernde, normale Erscheinung) zu, ebenso Art. 87 WV und Art. 115 G G i . d . F . von 1949, nämlich nur bei „außerordentlichem Bedarf". Darauf kann heute unmittelbar nicht mehr zurückgegriffen werden; die Rechtslage hat sich durch die Haushaltsrechtsreform insoweit also verschlechtert.

3. Welche Gründe rechtfertigen ausnahmsweise die staatliche Kreditaufnahme ? Die Formel „außerordentlicher Bedarf" leitet über zu der Frage, ob nicht Ausnahmen von der Regel des Verbotsvorgriffs in besonderen Fällen zulässig sein müssen. Es kommen mehrere Ausnahmegründe in Betracht: a) Erfordernisse der Konjunkturpolitik: Wie aus dem Text des Art. 115 G G zu ersehen ist, darf aus konjunkturpolitischen Gründen von den normalen Regeln abgewichen und verstärkt zur Kreditfinanzierung gegriffen werden, um Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu begegnen. Aber diese Ausnahme ist, wenn man Art. 109 G G , das Stabilitätsgesetz und die zugrundelie-

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genden Lehren von Keynes genauer betrachtet 14 , nur eine scheinbare. Zwar soll in Zeiten der Depression der Staat zur Ankurbelung der Wirtschaft mehr ausgeben, als er einnimmt, und er soll dies aus Rücklagen oder Kreditaufnahmen finanzieren (§ 6 StabG); aber der Staat soll zum Ausgleich in der Boom-Phase seine Ausgaben unter die Einnahme drosseln und Geld stillegen, entweder durch Bildung neuer Rücklagen oder durch Tilgung der Schulden (§ 5 Abs. 2 StabG). Es bleibt also im Prinzip beim materiellen Haushaltsausgleich, der Deckung endgültiger Ausgaben durch endgültige Einnahmen, nur findet der Ausgleich nicht mehr jährlich statt, sondern innerhalb eines jeden Konjunkturzyklus von etwa 4-5 Jahren. Nach der Theorie darf folglich aus dieser sog. antizyklischen Fiskalpolitik keine wachsende Staatsverschuldung entstehen. In der Praxis ist aber natürlich sehr die Frage, ob der Haushaltsgesetzgeber im Boom, wenn die Einnahmen fließen, auch wirklich die Kraft zur Schuldentilgung unter Drosselung der öffentlichen Ausgaben findet. Die faktische Entwicklung in den letzten Jahren gibt in diesem Punkt zu erheblichen Zweifeln Anlaß. In der Rezession sind zwar auf staatlicher Ebene zusätzliche Ausgaben geleistet und Konjunkturprogramme ins Werk gesetzt worden, im Boom, zumindest im letzten Boom, ist jedoch weder ein Abbau der Staatsschulden noch eine nennenswerte Dotierung der Konjunkturausgleichsrücklage erfolgt. Ungeachtet gesetzlicher Vorschriften ( § 1 6 StabG und Gemeindeordnung) ist es in der Praxis ferner nicht gelungen, die Gemeinden zu einem antizyklischen Fiskalverhalten hinzuführen; zahlreiche Sachzwänge und auch die kreditaufnahmebegrenzenden Vorschriften der Gemeindeordnungen (dazu unten) haben vielmehr den Gemeinden meistens zu einem prozyklischen Verhalten Anlaß gegeben. Die Idee der antizyklischen Fiskalpolitik ist deshalb heute allgemein ins Zwielicht geraten, und die Theoretiker neigen wieder mehr der Geldtheorie zu oder befürworten eine konjunkturneutrale Haushaltsgestaltung. Für das hier aufgeworfene Problem der Staatsverschuldung ist zusammenfassend zu bemerken, daß die antizyklische Fiskalpolitik zwar in der Theorie keine Abkehr vom Haushaltsausgleich zum

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Vgl. Stern/Münch!Hausmeyer, S. 35 ff.

Stabilitätsgesetz, 2. Aufl. Stuttgart 1972, bes.

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Ziel hatte, daß sie aber in der Praxis auf einen Abbau der Hemmnisse gegenüber einer expansiven Staatsverschuldung hinauslief. Die Konjunkturklausel in Art. 115 GG sollte an sich nicht zu einer dauerhaften Erhöhung der Staatsschulden führen, sie hat aber die eingetretene Entwicklung erleichtert. Eigentlich bietet die antizyklische Fiskalpolitik keinen Anlaß zu einem Abgehen vom Verbot des Haushaltsvorgriffs. b) Außergewöhnliche und dringliche Projekte: Derartige Projekte, insbesondere unaufschiebbare Projekte, so hört man oft, sollten durch Kredite vorfinanziert und im Laufe der Zeit abbezahlt werden. Ich bin in diesem Punkt sehr skeptisch. Zunächst ist schon zweifelhaft, ob auch der künftige Gesetzgeber und die künftigen Wähler die frühere Großinvestition noch für so wertvoll halten, daß sie dankbaren Herzens abzahlen und im Umfang der Abzahlung auf neue Vorhaben verzichten. Mir scheint, daß wir es in unserer schnellebigen Zeit mit rasch wechselnden Investitionswünschen zu tun haben und daß in jeder Legislaturperiode wieder neue Projekte auftauchen, auf die man nicht verzichten will. Mit der Qualifikation eines Projektes als „außerordentlich" und „einmalig" sollte man deshalb sehr vorsichtig sein. Die Staatspraxis der letzten Jahrzehnte (und Jahrhunderte) zeigt eher das Bild kontinuierlicher Investitionen und das Auftreten immer neuer dringlicher Projekte, wenn die alten verwirklicht sind. Es müßte sich also schon um völlig außerhalb des Normalen liegende Aktionen handeln, wenn sie eine Ausnahme vom Vorgriffsverbot rechtfertigen sollen. So hat man etwa im Ersten Weltkrieg die Kriegsanleihen mit der Einmaligkeit des Krieges und der erleichterten Abzahlbarkeit der Schulden nach dem sicheren Sieg einigermaßen verständlich begründen können. In Friedenszeiten kann ich mir kaum staatliche Projekte vorstellen, die einen derartigen Ausnahmecharakter aufweisen. Der Ausbau des Bildungswesens oder Bewältigung der Energiekrise jedenfalls nicht, denn derartige Aufgaben treten, wie die Erfahrung lehrt, immer wieder neu auf. c) Kompensation durch nachfolgende Staatseinnahmen: Viele öffentliche Ausgaben haben stimulierende Wirkungen. Es wird, namentlich von Volkswirten, gern hervorgehoben, durch die öffentlichen Ausgaben und vor allem durch öffentliche Investitionen würden Infrastrukturen und andere Grundlagen geschaffen, die

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Bevölkerung und Wirtschaft zugute kämen und sich alsbald auch in entsprechend höheren Steuereinnahmen niederschlügen. Sicherlich handelt es sich um ein beachtliches Argument, daß auch schon früher von den Befürwortern einer staatlichen Schuldenpolitik ins Feld geführt wurde. Allerdings scheint das Argument nicht sonderlich stichhaltig zu sein. Für die letzten Jahrzehnte gibt es weder auf staatlicher noch auf kommunaler Ebene irgendeinen exakten Nachweis dafür, daß mit der Vermehrung der Staatsschulden eine bessere Ausrüstung der Volkswirtschaft und daraus folgend ein vermehrtes Steueraufkommen eingetreten sei. Günstigstenfalls haben die vermehrten Staatsschulden ein stärkeres Stagnieren der Wirtschaft und damit ein heftigeres Absinken der Staatseinnahmen verhindert; aber auch dafür gibt es keinen gesicherten Nachweis. Andererseits reichen die vorhandenen staatlichen Mehreinnahmen, die weitgehend inflations- und steuerprogressionsbedingt sind, nicht einmal zur Deckung des Schuldendienstes für die erhöhten Staatsschulden aus. Es handelt sich bei dem Argument also wohl mehr um Wunschdenken. d) Die Schaffung bleibender Werte: Gegenüber dieser Argumentation ist mit dem Einwand zu rechnen, daß dabei ein Punkt über Gebühr vernachlässigt werde, nämlich der Schaffung „bleibender Werte". Diesen Ausnahmegrund hebt Art. 75 Berl. Verf. deutlich hervor, und Art. 115 G G deutet mit der Begrenzung des Kreditvolumens auf die Summe der Investitionen in die gleiche Richtung. Ist aber die Schaffung bleibender Werte wirklich ein überzeugender Grund für die Kreditfinanzierung? Im allgemeinen wohl nicht. Bleibende Werte mögen zwar das Volksvermögen bereichern, aber das von mir postulierte Verbot des Vorgriffs auf künftige Einnahmen hat nichts mit dem Gegenwert zu tun, der geschaffen wird, sondern will auch dem künftigen Gesetzgeber seinen Anspruch auf Entscheidungsspielraum, auf Disposition über die Einnahmen seiner Periode sichern. Unter diesen Rücksichten ist es gleichgültig, ob eine frühere Regierung per Kreditfinanzierung Konsumausgaben getätigt oder in Form des Baus von Straßen, Kanälen oder Gesamthochschulen „bleibende Werte 1 5 " geschaffen hat. Entscheidend ist,

15 In Berlin, wo dieser Vortrag gehalten wurde, gab gerade der Einsturz der Kongreßhalle Anlaß zu Zweifeln über den Begriff „bleibende Werte".

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daß die spätere Regierung und der spätere Gesetzgeber gebunden sind; das Geld ist unwiederbringlich ausgegeben und steht nicht mehr zur Verfügung. Allerdings umfaßt die „Schaffung bleibender Werte" einen Fall, den man als Ausnahmegrund zugunsten einer Kreditfinanzierung gelten lassen muß, nämlich die Schaffung solcher bleibender Werte, die jederzeit ohne Gefährdung öffentlicher Belange zum Marktwert veräußerlich sind. In einem solchen Fall behält nämlich die künftige Regierung den ihr zustehenden Spielraum. Sie kann entscheiden, ob sie den „bleibenden Wert" erhalten und die dafür gemachten Schulden abzahlen oder ob sie den Gegenstand veräußern und den Erlös zur Tilgung der Schulden sowie den Überschuß für andere Zwecke verwenden will. Ein Blick auf die öffentlichen Investitionen der letzten Jahrzehnte zeigt allerdings, daß nur in wenigen Fällen derartige veräußerliche Werte geschaffen wurden. Straßen, Brücken, Grünanlagen, Sportstätten und Kunstgegenstände sind entweder überhaupt nicht oder nur mit großen Einbußen unter Funktionsänderung und damit unter Gefährdung öffentlicher Belange veräußerlich. Das Gleiche gilt von militärischen und polizeilichen Anlagen und Einrichtungen. Die meisten öffentlichen Hochbauten sind zwar theoretisch veräußerlich, sie dienen aber öffentlichen Zwecken, deren Erfüllung bei der Veräußerung gefährdet würde. Lediglich das sogenannte Finanzvermögen, z . B . Wohnhäuser, insbesondere gewinnversprechende oder wenigstens kostendeckende öffentliche Unternehmen können leicht veräußert (sprich: privatisiert) werden, öffentlche Unternehmen mit starker Prägung durch öffentliche Aufgaben wie etwa Bundesbahn und Bundespost müssen aber aus allgemeinpolitischen Gründen unter der Aufsicht des Bundes bleiben. Beim Bund ständen zur Veräußerung im wesentlichen nur die industriellen Bundesunternehmen zur Verfügung, deren Erlös aber, wenn sich überhaupt geeignete Käufer fänden, verglichen mit den Schulden des Bundes ein Tropfen auf den heißen Stein wäre 1 6 . Im Gegensatz zum Staat verfügen die Gemeinden in wesentlich größerem Umfang über veräußerliches Vermögen, was bei der Beurteilung der gemeindlichen Schuldensituation durchaus zu Buche 16 Übrigens dienten die Kreditaufnahmen des Bundes in den letzten Jahren so gut wie nie dem Ausbau dieser öffentlichen Unternehmen.

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schlägt. Vor allem sind die äußerst kapitalintensiven Versorgungsbetriebe zumindest einer Teilprivatisierung zugänglich 17 . Es ist also zwar nicht die Schaffung bleibender Werte allgemein, wohl aber die Schaffung von jederzeit ohne Gefährdung öffentlicher Aufgaben veräußerlichen Werten ein Rechtfertigungsgrund für die Kreditfinanzierung. Freilich muß dann die Schuldentilgung dem Rhythmus der Abnutzung des Gegenstandes (entsprechend dem Grundgedanken der Abschreibung) entsprechen. e) Die Schaffung rentierlicher Werte (insbesondere Unternehmen): Die soeben behandelten Beispiele zeigen, daß es in der Regel die rentierlich nutzbaren, die gewinnträchtigen Vermögensgegenstände sind, die jederzeit veräußert werden können und deren Schaffung deshalb ausnahmsweise den Einsatz öffentlicher Kredite rechtfertigt. In diesem Sinne bestimmte Art. 87 WV und Art. 115 G G a.F., daß Kredite in der Regel nur für Ausgaben „zu werbenden Zwecken" aufgenommen werden dürften; unter „werbenden Zwecken" sollten wohl rentierliche Zwecke oder Vorhaben verstanden werden. Die Kreditfinanzierung derartiger Projekte scheint mir nicht nur wegen der im Bedarfsfall möglichen Veräußerung der geschaffenen Einrichtung zulässig zu sein, sondern auch deshalb, weil in diesem Fall ein die regulären künftigen Einnahmen vorwegdisponierender Vorgriff nicht gegeben ist. Die Schaffung der rentierlichen Einrichtung (des Elektrizitätswerkes, der Müllverbrennungsanlage usw.) ist nämlich die Grundlage für die Entstehung der entsprechenden Einnahmen. Würde die rentierliche Einrichtung nicht geschaffen, so entstünden auch die zugehörigen Einnahmen nicht. Die Schaffung rentierlicher Einrichtungen, die den Schuldendienst aus ihren Einnahmen (den Gebühren oder privatrechtlichen Entgelten) tatsächlich abdecken, ist deshalb ein haushaltsrechtlich neutraler Vorgang und kein systemwidriger Vorgriff auf den Dispositionsspielraum künftiger Gesetzgeber und Regierungen. Die Kommunalverschuldung, die zu einem beträchtlichen Teil gewinnbringende oder kostendeckende bzw. wenigstens fast kostendeckende Einrichtungen zum Gegenwert hat, ist deshalb weit

17 Beispielsweise konnte die Stadt Berlin im Jahre 1931 die infolge der Weltwirtschaftskrise zur Unzeit fällig gewordenen Auslandskredite durch Teil-Veräußerung der Berliner Elektrizitätswerke (Bewag) rückzahlbar machen.

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weniger bedenklich als die Verschuldung des Bundes oder gar der Länder. Lobenswert ist in diesem Zusammenhang das Bemühen der Kommunalabgabengesetze, durch vollständige Erfassung der entstehenden Kosten (einschließlich Schuldendienst und Abschreibungen nach dem Wiederbeschaffungswert) zu wirklich kostendeckenden Gebühren zu kommen und damit die Rentierlichkeit der Einrichtungen zu sichern. 4. Das geltende

Recht

Das geltende Recht trägt den hier entwickelten Grundsätzen leider nicht Rechnung. a) Art. 115 GG: Wie man aus dem Text des Art. 115 GG heutiger Fassung ersehen kann, ist der Vorbehalt der „werbenden Zwecke" nunmehr in der Verfassung nicht mehr enthalten. Man hat die Klausel bei der Finanzreform 1969 gestrichen, weil sich auf Bundesebene eine Begrenzung der Kreditfinanzierung auf rentierliche Projekte nicht hat praktizieren lassen (es gibt deren nur wenige), so daß man bei Aufrechterhaltung der Klausel entweder ständige Verfassungsverletzungen oder den Ausschluß der Kreditfinanzierung hätte in Kauf nehmen müssen. Das Letztere schien den damals sehr optimistischen und verschuldensfreudigen Wirtschaftspolitikern und Wirtschaftswissenschaftlern nicht angebracht, und das Erstere konnte aus rechtsstaatlichen Erwägungen nicht in Frage kommen. Also ließ man die Klausel fallen und dachte über einen Ersatz nach. Viele Fachleute rieten damals von einer kreditbegrenzenden Vorschrift überhaupt ab, weil es eine wissenschaftlich überzeugende Staatsschuldengrenze nicht gebe18. Aus Vorsichtsgründen entschloß man sich dann aber doch, in Art. 115 GG (und in entsprechenden Vorschriften der Gemeindeordnungen) eine bremsende wie man hoffte, bremsende - Klausel einzubauen: Die jährliche Neuverschuldung soll nicht höher sein als die Summe der gleichzeitig veranschlagten Investitionen. Man hat also auf den Gedanken zurückgegriffen, der in der Berliner Verfassung mit den „bleibenden Werten" angesprochen ist; denn „Investition" bedeutet die Schaffung einer längerfristig nutzbaren Einrichtung oder Sachanlage· 18 Vgl. Piduch a. a. O., Anm. 6 zu Art. 115 GG; ferner: Gutachten zum Begriff der öffentlichen Investitionen, erstattet vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Mai 1980, unter 2.2.1.

19 Es wurde bereits dargelegt, daß diese Schuldenbegrenzung nicht geeignet ist, die verfassungsrechtlichen Bedenken wegen unerlaubten Vorgriffs auszuräumen. Art. 115 G G n. F. läßt die Kreditfinanzierung auch unveräußerlicher und unrentierlicher Investitionen zu und ermöglicht damit die Verschuldungspolitik, deren Wirkungen jetzt sichtbar werden. Im übrigen ist der Begriff der Investition nicht gerade ein klarer und eindeutiger. Gemeint ist die Erstellung längerfristig nutzbarer Anlagen; „bleibende" Werte müssen es nicht unbedingt sein. Bedenklich wäre es aber, auch Gegenstände als Investition zu betrachten, die nur wenige Jahre nutzbar sind und dann erneuert werden müssen. Ebenso bedenklich wäre die Einbeziehung kleiner Anschaffungen, ζ. B. von Büroausrüstungen, Büchern oder Kraftfahrzeugen. Die amtliche Begründung zu Art. 115 G G 1 9 stützt diese einschränkende Interpretation und zählt als Investitionen beispielhaft auf: Baumaßnahmen, Erwerb von unbeweglichen und wertmäßig erheblichen Sachen, Erwerb von Beteiligungen, Darlehen und Investitionshilfen. Die Praxis des Bundes und der Länder hat dem bislang Rechnung getragen. Zwar fehlt ein Ausführungsgesetz gemäß Art. 115 Abs. 1 S. 3 G G bisher, aber der Bund rechnet nur die Ausgaben der Hauptgruppen 7 und 8 des gemäß § 13 Abs. 3 B H O ergangenen Gruppierungsplanes, also Baumaßnahmen und größeren Anlagenerwerb, nicht jedoch die militärischen Ausgaben zu den Investitionen. Bund und Länder arbeiten mit (unterschiedlichen) Wertgrenzen und scheiden damit Kleininvestitionen aus. Von einer bedenklichen Interpretation des Investitionsbegriffs kann demnach zur Zeit nicht gesprochen werden, aber es gibt keine Garantie dafür, daß Bund und Länder ihre Praxis nicht ändern. Ein soeben veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen 2 0 bemüht sich um die Klärung des bisher offenen Begriffs der Investitionen, wobei Hinweise auf die denkbare Einbeziehung von Steuervergünstigungen zum Zwecke privater Investitionen und auf Ausgaben für das „Humankapital" die Bandbreite des Interpretationsspielraumes eindrucksvoll belegen. Der Beirat unterbreitet deshalb Vorschläge für eine restriktive Interpretation des Investitionsbegriffs. Auch

19 20

BT-Drucks. V/3040, Tz. 134. Vgl. Anm. 18; hier insbesondere 2.2 und 3.3/3.4.3.

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wenn diese Vorschläge akzeptiert wurden, kann aber Art. 115 GG wie oben dargelegt - den eigentlichen Systemverstoß des unerlaubten Vorgriffs nur zum kleinen Teil verhindern. b) Andere Vorschriften: Auf Bundesebene gibt es außer Art. 115 GG keine weitere Vorschrift 21 , die gegenüber der Verschuldungspolitik hemmend eingreifen kann. Da die Etathoheit beim Gesetzgeber liegt (vgl. Art. 110 Abs. 2 GG), kommen nur Verfassungsvorschriften in Frage 22 . Zu denken wäre einzig an den Grundsatz des Haushaltsausgleichs (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG), der aber, wie oben erwähnt, nur als formaler Grundsatz interpretiert wird, dem also nach h. L. durch Veranschlagung von Krediteinnahmen Rechnung getragen werden kann 23 . Auf der Ebene der Länder ist die Rechtslage ganz ähnlich; die Länder haben in ihren Verfassungen durchweg Vorschriften, die im Ergebnis den Art. 110 und 115 GG entsprechen. Einzig auf der kommunalen Ebene ist es anders. Das Bemühen des Staates um Aufsicht über die seit jeher bedeutsame Kreditwirtschaft der Gemeinden hat bereits vor dem Krieg zu Genehmigungsvorschriften geführt, die heute verfeinert fortgelten und die Erteilung der Genehmigung ausschließen, wenn die entstehenden „Kreditverpflichtungen" (Verzinsung und Tilgung) mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde nicht im Einklang stehen24. Die Aufsichtsbehörden haben mit Hilfe von Richtzahlen praktikable Maßstäbe zur Ermittlung der so umrissenen kommunalen Schuldengrenze im Einzelfall entwickelt und verhindern damit eine Kreditaufnahme, die in späteren Jahren zur Gefährdung der gehörigen Aufgabenerfülllung wegen der Kreditverpflichtungen führen würde 25 . Dem oben entwickelten Verbot des Vorgriffs auf künftige 2 1 Die nur in besonderen Situationen greifende Kreditplafondierung nach §§ 19, 20 StabG wird hier außer Betracht gelassen. 2 2 Auch ein Gesetz gemäß Art. 115 Abs. 1 S. 3 G G würde den späteren Haushaltsgesetzgeber rechtlich nicht binden; allerdings würde die Interpretation des Art. 115 G G dadurch sicher beeinflußt. 2 3 Vgl. Piducb a.a.O. (Anm. 13). 2 4 So wörtlich § 72 Abs. 2 S. 3 G O N W und gleichlautend (im Vollzug eines Musterentwurfs) die übrigen Gemeindeordnungen. 25 Verfassungsrechtlich ist diese Aufsichtsführung zwar nicht unbedenklich, weil die Gemeinden im Selbstverwaltungsbereich allein und selbständig über Art und Umfang ihrer Aufgabenerfüllung entscheiden; dem Verbot des Vorgriffs auf künftige Einnahmen wird jedoch in geeigneter Weise Rechnung getragen.

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Einnahmen wird damit zum Durchbruch verholfen und auch (leidlich) sichergestellt, daß die später tätigen Gemeindevertreter Spielraum für ihre Entscheidungen behalten. Das vorn näher belegte langsamere Steigen der kommunalen gegenüber der staatlichen Verschuldung geht mit Sicherheit auf diese Form der Aufsicht und das dadurch bewirkte Verhalten der Gemeinden zurück. Die behandelten Vorschriften des Gemeinderechts können folglich als Vorbild für Überlegungen dienen, wie auch auf der staatlichen Ebene das Problem wachsender Verschuldung in den Griff zu bekommen wäre. Bevor dazu Stellung genommen wird, soll aber noch auf mögliche Umgehungen von kreditbegrenzenden Vorschriften eingegangen werden. c) Ausweicbmöglichkeiten: Um Fehleinschätzungen insbesondere hinsichtlich der Wirkung von kreditbegrenzenden Vorschriften vorzubeugen, ist in gedrängter Kürze auf die zahlreichen Ausweich- oder Umgehungsmöglichkeiten hinzuweisen, die Staat und Gemeinden in dieser oder jener Form zur Erweiterung ihrer Kreditaufnahmemöglichkeiten zur Verfügung stehen. In erster Linie ist die Kreditaufnahme durch rechtlich selbständige öffentliche Unternehmen zu nennen. Wegen bestehenden Aufgabenverschränkungen kann eine solche Kreditaufnahme häufig eine unzulässige Kreditaufnahme des Muttergemeinwesens wirkungsvoll substituieren. Bemerkenswerterweise läßt Art. 115 Abs. 2 GG diese Ausweichmöglichkeit auch für nicht voll verselbständigte Sondervermögen (Bundesbahn, Bundespost, ERP-Vermögen) zu. In ähnlicher Weise kann die Kreditaufnahme selbständiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts, insbesondere der durch ein gewaltiges Finanzvolumen gekennzeichneten Sozialversicherungsträger (parafisci) eine unmittelbare staatliche Kreditaufnahme ersetzen. Demgegenüber kommt eine Verschleierung der Staatsverschuldung durch Manipulationen mit der Notenbank nach heutigem Recht nicht in Betracht, weil die Bundesbank für die Kreditgewährung an Bund und Länder nicht zuständig ist26 und die Kredite am allgemeinen Kreditmarkt aufgenommen werden.

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Vgl. SS 19, 20 BBankG (§ 20 Nr. 1 BBankG: Nur Kassenkredite).

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Besonders gefährlich ist dagegen eine vielfach als Seitenfinanzierung bezeichnete Finanzierungsmethode, bei der ein Dritter, sei es ein Privater, sei es ein selbständiges öffentliches Unternehmen, die Vorfinanzierung übernimmt und die öffentliche Hand später eintreten muß. Derartige Verpflichtungen schlagen nicht sogleich als Verschuldung des Staates zu Buche, sind aber häufig über erforderlich werdenden Verpflichtungsermächtigungen oder Bürgschaften27 dem Fachmann bereits im voraus erkennbar. Auch LeasingVerträge können eine derartige Funktion ausüben. Eine nach allen Seiten abgesicherte Vorschrift zur Begrenzung staatlicher Kreditaufnahme müßte auch diese Ausweichmöglichkeiten regelnd einbeziehen, was nicht sehr einfach wäre. Das geltende Recht genügt jedenfalls nicht, auch nicht das Kommunalrecht, das immerhin einige eingrenzende Vorschriften enthält. 5. Überlegungen zur Verbesserung des geltenden

Rechts

Was in der Sache selbst zu tun wäre, ergibt sich aus dem, was soeben zum Verbot des Vorgriffs auf künftige Einnahmen dargelegt wurde. Es müßte in Anlehnung an das Kommunalrecht eine Bestimmung geschaffen werden, welche die Kreditaufnahme in der Regel nur im Falle eines außerordentlichen Bedarfs oder zur Schaffung jederzeit veräußerlicher, insbesondere rentierlicher Anlagen zuläßt. Im übrigen dürfte die Verschuldung nur in einem sehr engen Rahmen zugelassen werden. Die Schwierigkeit bestünde darin, diesen Rahmen abzustecken. Operiert man wie im Kommunalrecht mit unbestimmten Rechtsbegriffen wie Wahrung der Leistungsfähigkeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, so wäre die Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschrift nicht ohne eine inhaltliche Kontrolle der Politik des Staates vollziehbar. Eine gerichtliche Instanz (insbesondere das Bundesverfassungsgericht28 und die Landesverfassungsgerichte) wäre 2 7 Bürgschaften bedürfen nach Art. 115 Abs. 1 S. 1 G G einer gesetzlichen E r mächtigung, die in der Regel im Haushaltsgesetz erteilt wird. 2 8 Seit dem Parteifinanzierungsurteil ( B V e r f G E 20, S. 134) ist anerkannt, daß auch das Haushaltsgesetz der Normenkontrolle unterliegt. Wenn bisher auf Bundesebene die klageberechtigten Instanzen (Art. 93 N r . 2 G G ) , insbesondere die O p position und die Landesregierungen, kein Verfahren zur Kontrolle, ob Art. 115 G G eingehalten wurde, in Betracht gezogen haben, dann wohl deshalb, weil alle Länder ebenso wie der Bund die neue Schuldenpolitik praktizieren. Man brauchte also einen politik-unabhängigen Kläger.

23 deshalb als Kontrollinstanz ungeeignet, aber auch die mit der nötigen Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshöfe oder die (ebenfalls unabhängige) Bundesschuldenverwaltung wären mit einer solchen Kontrollaufgabe wohl überfordert; man stelle sich vor, diese Instanzen sollten Parlament und Regierung in angespannter wirtschaftlicher Lage das Auflegen einer Anleihe verbieten. Aus den gleichen Gründen dürfte die Bundesbank für dieses Wächteramt ungeeignet sein, zumal sie zwar im Rahmen ihrer Befugnisse unabhängig, aber zur Gefolgschaft hinsichtlich der allgemeinen Wirtschaftspolitik verpflichtet ist (§ 12 B B a n k G ) . Es wäre sehr fraglich, ob eine geeignete Instanz (Ombudsman?) gefunden werden könnte, die wirkungsvoll und zugleich ohne Gefährdung der politischen Verantwortlichkeiten die nötige Überwachung vornehmen könnte. Die distanzierte Aufsichtsrolle, die der Staat gegenüber den Gemeinden mit einigem Erfolg wahrnimmt, ist im Staat selbst nicht leicht zu installieren. Freilich lassen sich diese Schwierigkeiten vermeiden, wenn statt unbestimmter Rechtsbegriffe präzise Grenzen der Staatsverschuldung vorgegeben werden, etwa in der Weise, daß die enstehenden Kreditverpflichtungen (Zinsen und Tilgung) einen bestimmten Prozentsatz der im Finanzplan veranschlagten Ausgaben in keinem künftigen Jahr übersteigen dürfen. Dann kommen Rechnungshöfe und Verfassungsgerichte als geeignete Kontrollinstanzen in Frage. Man muß dann aber eine Starrheit des Verfassungsrechts in Kauf nehmen, die den Staat in Notsituationen handlungsunfähig machen könnte. Fügt man deshalb eine Notstandsklausel hinzu, so hängt wieder alles davon ab, wer „über den Notstand gebietet", also den Weg für die Ausnahmeverschuldung freigeben kann. Vielleicht wäre eine derartige Regelung aber dennoch der oben skizzierten vorzuziehen.

6. Wie kann die bestehende Verschuldung und das sie hervorrufende strukturelle Haushaltsdefizit abgebaut werden? Diese Frage ist keine Rechtsfrage. Aber alle wohlgemeinten Rechtsvorschriften verfehlen letztlich ihr Ziel, wenn die Schulden und der „Ausgabeüberhang" nicht abgebaut werden können. Die Frage nach dem Ausweg muß deshalb auch hier gestellt werden. Auch diejenigen, welche die oben entwickelten verfassungsrecht-

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liehen Bedenken nicht teilen, stimmen doch heute darin überein, daß es nicht ad infinitum so weiter gehen kann wie bisher. Spätestens dann, wenn die gesamten regulären Einnahmen für den Schuldendienst gebraucht würden, wäre ein Punkt gekommen, wo nur noch ein gewaltsamer Schnitt in Form einer Schuldenaufhebung oder einer (1:10) Abwertung den Staat sanieren könnte. Wir wissen, was das bedeutet. Will man das vermeiden, so muß jedenfalls der Neuverschuldung Einhalt geboten werden und möglichst ein Abbau der bestehenden Schulden erfolgen. Aber wie? a) In erster Linie wird man an eine Senkung oder Einfrierung der öffentlichen Ausgaben denken müssen. Davon wird zwar heute viel geredet, aber es gibt nicht nur politische Schwierigkeiten (besonders vor Wahlen, und bei uns sind ständig Wahlen). Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht werden Bedenken erhoben: Die Senkung öffentlicher Ausgaben vermindere entweder das verfügbare private Einkommen oder die Aufträge für die Wirtschaft, was sich beides in einer Rezession mit entsprechender Verminderung des Steueraufkommens niederschlagen müßte. Am Ende würde, so wird prophezeit, der Staat mehr verlieren als gewinnen. Sicher ist daran etwas Richtiges; der Staat könnte seine Ausgaben sicherlich nicht jäh und plötzlich verringern (zumal gerade neue Anforderungen an ihn gestellt werden), aber im Laufe der nächsten Jahre müßten doch die Ausgaben wieder den Möglichkeiten angepaßt werden, wenn sich kein anderer Ausweg auftut 29 . b) Als einen solchen anderen Ausweg könnte man die Erhöhung der regulären Staatseinnahmen ins Auge fassen. Aber es ist bekannt, welche gewaltige Höhe unsere Steuerlast dank der Steuerprogression erreicht hat und wie diese Last drückt. Es wird daher viel öfter von Steuersenkung als von Steuererhöhung gesprochen. Immerhin rechnen uns die Wirtschaftswissenschaftler vor, daß sich die volkswirtschaftliche Steuerquote in den letzten Jahrzehnten und Jahren nicht oder nur unwesentlich erhöht habe. Die Tatsache, daß die Staatsverschuldung bisher in Deutschland am Kapitalmarkt ohne nennenswerte Auslandsverschuldung gedeckt werden konnte, zeigt im übrigen, daß es offenbar immer noch genügend Bürger gibt, die ihr Geld nicht für eigenen Konsum und eigene Investitionen brauchen und es deshalb dem Kapitalmarkt 29

In diesem Sinne mit Recht Besters

a. a. O.

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zur Verfügung stellen. Die Staatsverschuldung hat auch in Deutschland bisher nicht etwa private Investoren verdrängt; im Gegenteil, die Banken hätten in den letzten Jahren manches Geld gar nicht zu angemessenem Zins im Inland unterbringen können, wäre nicht der Staat als Kreditnehmer aufgetreten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht lassen sich deshalb durchaus vertretbare Gründe für Steuererhöhungen anführen, aber ebenso gewiß ist, daß man aus politischen Gründen kaum auf die Inhaber des überschüssigen Geldes zugreifen könnte 3 0 . Eine Erhöhung der direkten Steuern würde sicher die Falschen treffen, nämlich die etwas besser Verdienenden, die schon jetzt am stärksten belastet sind. Bei den Spitzenverdienern würde der Leistungswille gebrochen und die Tendenz zum Ausweichen noch verstärkt. c) Viele glauben, mit dem Schlagwort von der Privatisierung einen praktikablen Beitrag zu unserem Problem leisten zu können. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen oder Einrichtungen mag auch manche Vorteile haben und gesellschaftspolitisch erwünscht sein; dem Defizit im Staatshaushalt kann man damit jedoch nicht beikommen. Natürlich entsteht, wie bei der erwähnten Bewag-Transaktion, durch Privatisierung öffentlicher Unternehmen ein zur Schuldentilgung verwendbarer Erlös. Aber Haushaltsdefizite lassen sich durch Privatisierung nicht bekämpfen. Denn veräußerlich (= privatisierbar) sind nur rentable Unternehmen oder andere rentierlich nutzbare Werte, welche die Staatskasse nicht belasten, sondern meistens sogar einen Ertrag für den Haushalt abwerfen; deren Privatisierung nützt nichts. Werden defizitäre Unternehmen privatisiert, so findet sich nur ein Käufer, wenn die öffentliche Hand etwa in H ö h e des bisherigen Defizits Subventionen gewährt, womit für den Haushalt wiederum nichts gewonnen ist. N u r in den seltenen Fällen, wo eine bisher vom Staat defizitär geführte Einrichtung von einem privaten Unternehmer rentabel geführt werden kann, folgt der Privatisierung eine Entlastung. Diese Fälle sind aber, wie gesagt, recht selten und im Volumen sehr gering 31 , so daß eine fühlbare Verbesserung beim Haushalt nicht erreicht werden kann. Das haben der Bund und viele Länder inzwischen einsehen müssen. 30

Auf diesen Zusammenhang weist zutreffend Besters a . a . O . hin. Billiger als der Staat können, wie sich gezeigt hat, in der Regel nur mittelständische Unternehmen arbeiten. 31

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d) Ich nenne als letztes „Heilmittel" die Inflation. Da bei jeder Inflation die Schuldner die Gewinner und die Gläubiger die Verlierer sind, könnte der Staat zumindest auf kurze oder mittlere Sicht zum Inflationsgewinner werden. Es gäbe allerdings auch zahlreiche andere Gewinner, mit denen der Staat die Beute teilen müßte, und außerdem würde der Staat voraussichtlich durch überproportionales Ansteigen seiner spezifischen Kosten auch zum Inflationsverlierer. Im übrigen wären die negativen sozialen Folgen unvertretbar. Eine nachhaltige Besserung träte außerdem für den Staat nicht ein, denn es könnten bestenfalls vorhandene Schulden verringert werden; aber das Haushaltsdefizit und damit die Notwendigkeit neuer Verschuldung würde nicht entfallen. Und bei der Neuverschuldung würden die Gläubiger auf Konditionen drängen, die einen Inflationsverlust ausschließen. e) Mit anderen Worten: Auf den Pfad der Tugend findet der Staat nur zurück, wenn er die Ausgaben senkt oder die Einnahmen erhöht oder beides kombiniert. Privatisierungen und Inflation können allenfalls flankierende Hilfe leisten. In rechtlicher Hinsicht wäre, wie gesagt, eine schärfer greifende Verfassungsbestimmung zur Begrenzung der Kreditaufnahmen angebracht; allerdings müßte auch eine unabhängige und wirksame Kontrollinstanz geschaffen werden, wenn der gewünschte Erfolg sicher sein soll. Anstrengungen verschiedener Art sind also nötig, und noch ist keineswegs sicher, ob die Konsolidierung in Angriff genommen wird und gelingt.