Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit [1 ed.] 9783428459643, 9783428059645


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German Pages 525 Year 1986

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Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit [1 ed.]
 9783428459643, 9783428059645

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Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit

Historische Forschungen

Band 28

Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit

in Zusammenarbeit mit Barbara Stollberg-Rilinger herausgegeben von Johannes Kunisch

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der friihen Neuzeit I in Zusammenarbeit mit Barbara Stollberg-Rilinger hrsg. von Johannes Kunisch.- Berlin: Duncker und Humblot, 1981). (Historische Forschungen; Bd. 28) ISBN 3-428-05964-6 NE: Kunisch, Johannes [Hrsg.]; GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Obersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3-428-05964-6

Vorwort Der hier vorzulegende Band dokumentiert die Ergebnisse einer Tagung, die im September 1984 an der Universität zu Köln stattgefunden hat. Sie war dem Zusammenhang von Staatsverfassung und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit gewidmeteinem Thema, das seit den übergreifenden Systematisierungsversuchen Otto Hintzes in der deutschen Geschichtswissenschaft nicht mehr behandelt worden ist. Zusätzlich zu den Referaten, die in Köln gehalten und diskutiert worden sind, gelangt hier eine Abhandlung von Michael Behnen zur Veröffentlichung, die das Problem von Staat und Heer aus der Perspektive der staatstheoretischen Debatte des 16. und 17. Jahrhunderts beleuchtet. Nicht alle für die Straffung und Differenzierung der frühneuzeitlichen Heeresverfassung entscheidenden Länder konnten während des Kolloquiums behandelt werden. Eine empfindliche Einbuße für ein Vorhaben, das wenigstens die wichtigsten Exempel für diese Entwicklung vorzustellen beabsichtigte, bedeutet es allerdings, daß der Beitrag über Heerkönigtum und Adelsnation in der schwedischen Großmachtzeit nicht in den vorliegenden Tagungsband hat aufgenommen werden können. Ein konzeptionelles Problem des Kolloquiums hat sich daraus ergeben, daß der als systematische Vorgabe gedachte Einführungsvortrag von Ernst-Otto Czempiel den Akzent weniger auf die wertneutralen Fragen der Heeresverfassung als vielmehr auf die weiterreichende, letztlich normative Problematik der Friedenswahrung gelegt und damit eine Diskussion entfacht hat, die sich gelegentlich vom eigentlichen Thema der Tagung entfernte. Das Referat ist dennoch in den vorliegenden Band aufgenommen worden, weil es - auch im Hinblick auf die Schlußdebatte - vorrangig erschien, den Verlauf des Kolloquiums authentisch zu dokumentieren. Festzuhalten ist gleichwohl, daß nicht die viel diskutierte Frage der Friedenswahrung im Vordergrund stand, sondern die in der jüngeren Forschung beinahe unbeachtete Frage nach der wechselseitigen Beziehung von Staat und Heer in der frühen Neuzeit. Zu danken ist in erster Linie den Mitautoren, die als Referenten und Verfasser der hier im Druck erscheinenden Beiträge den wesentlichsten Anteil am Gelingen der Tagung gehabt haben. Dank zu sagen ist dar-

Vorwort

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über hinaus der Fritz Thyssen Stiftung für die großzügige Finanzierung des Kolloquiums. Sie hat in vertrauensvoller Zusammenarbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich im Senatssitzungssaal der Kölner Universität ein Kreis von zwanzig in- und ausländischen Fachkollegen zu einer dreitägigen Aussprache treffen konnte. Die Veröffentlichung der Tagungsergebnisse hat in bewährterWeise der Verlag Duncker & Humblot übernommen. Besonders Herrn Ernst Thamm, dem Geschäftsführer des Verlages, und Frau Gertraude Michitsch gebührt der Dank des Herausgebers. Bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums hat mir Herr Privat-Dozent Dr. Helmut Neuhaus mit seinem Rat und seinem organisatorischen Geschick zur Seite gestanden. Die redaktionelle Betreuung der Manuskripte und die Anfertigung des Registers lag in Händen meiner Assistentin, Frau Dr. Barbara StollbergRilinger. Frau Erika Benn hat die Abschrift der Diskussionsbeiträge besorgt und die Korrekturen mitgelesen. Ihnen allen sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Köln, im November 1985 Johannes Kunisch

Inhaltsverzeichnis J ohannes Kunisch, Köln

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ernst-Otto Czempiel, Frankfurt

Herrschaftssystem und Friedenswahrung. Systematische, theoretische und theoriegeschichtliche Aspekte ihres Zusammenhangs . . . . . . . . . . . . 17 Michael Behnen, Göttingen

Der gerechte und der notwendige Krieg. "Necessitas" und "Utilitas reipublicae" in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts 43 Rainer Wohlfeil, Harnburg

Das Heerwesen im Übergang vom Ritter- zum Söldnerheer . . . . . . . . 107 Winfried Schulze, Bochum

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jahrhundert . . .. .. . . 129 Horst Pietschmann, Harnburg

Der Wandel der Heeresverfassung in Spanien vom 16. bis 18. Jahrhundert . ............... . . .... ............ . . . ....................... 151 Wolfgang Reinhard, Augsburg

Staat und Heer in England im Zeitalter der Revolutionen . . . . . . . . . . 173 Hans Schmidt, München

Staat und Armee im Zeitalter des "miles perpetuus" . . . . . . . . . . . . . . . . 213 UZTich Muhlack, Frankfurt

Absoluter Fürstenstaat und Heeresorganisation in Frankreich im Zeitalter Ludwigs XIV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Michael G. Müller, Berlin

Staat und Heer in der Adelsrepublik Polen im 18. Jahrhundert . . . . 279 Helmut Neuhaus, Köln

Das Problem der militärischen Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Henning Eichberg, Kopenhagen

Ordnen, Messen, Disziplinieren. Moderner Herrschaftsstaat und Fortifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

Inhaltsverzeichnis

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Werner Gembruch, Frankfurt Zum Verhältnis von Staat und Heer im Zeitalter der Großen Französischen Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Hellmut Seier, Marburg

Zur Frage der militärischen Exekutive in der Konzeption des Deutschen Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Ernst Vollrath, Köln

Das Verhältnis von Staat und Militär bei Clausewitz

447

Schlußdiskussion

463

Personenregister

487

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Teilnehmerverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523

Einleitung* Von Johannes Kunisch, Köln Lassen Sie mich ausgehen von Montesquieu's "Esprit des Lais" von 1748 und Bezug nehmen auf eine Passage des 9. Buches, das die Überschrift trägt: "Von den Gesetzen in ihrer Beziehung zur Verteidigungsmacht". Dort steht der bemerkenswerte Satz: "Der Geist der Monarchie ist auf Krieg und Eroberung gerichtet, der Geist der Republik auf Friede und Maßhalten" 1 • Was Montesquieu mit Monarchie bezeichnet, versteht sich im Kontext des 18. Jahrhunderts von selbst. Es ist jene Staatsform, die durch Macht und innere Sicherheit charakterisiert ist, aber zugleich auch dazu neigt, im "Zustand der Spanung aller gegen alle" die Truppen so sehr zu vermehren, bis selbst die großen Fürsten "mit den Schätzen und dem Handel der ganzen Welt" in Armut geraten. "Um Soldaten zu haben, werden wir bald nichts mehr haben als Soldaten." "Denn wenn ein Staat das, was er seine Truppen nennt, vermehrt, vermehren die anderen sofort die ihren, so daß niemand etwas anderes erreicht als das allgemeine Elend2 ." • Ursprünglich hat der Plan bestanden, diese das Tagungsproblem nur skizzenhaft umreißende Einführung zu einer umfassenden Erörterung des Spannungsverhältnisses von Staatsverfassung und Heeresverfassung in der frühen Neuzeit auszubauen. Da im Verlauf der Tagung und besonders während der Schlußdiskussion aber gerade das Verkürzende dieses Entwurfs zur Debatte gestanden hat, habe ich mich um der Authentizität der vorliegenden Dokumentation willen entschlossen, die ursprüngliche Fassung dieser Einführung im wesentlichen unverändert zu veröffentlichen. Es soll deshalb einer späteren Publikation vorbehalten bleiben, die Quintessenz der hier erstmals im europäischen Vergleich angestellten Überlegungen zu ziehen. Als einführende Literatur seien vermerkt: Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung (1906), in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, 3., erweit. Aufl., h rsg. von Gerhard Oestreich, Göttingen 1970, 52 - 83; Fritz Hartung, Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, 28- 40; Samuel E. Finer, State- and Nation-BuHding in Europe: The Role of the Military, in: Charles Tilly (Ed.), The Formation of National States in Western Europe, Princeton N. J. 1975, 84- 163; Andre Corvisier, Armees et soch~tes en Europe de 1494 a 1789, Paris 1976; Michael Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Ritterheer zur Atomstreitmacht, München 1981; Michael Roberts, The Military Revolution, 1560- 1660, Belfast 1956. t Montesquieu, Oeuvres completes, T. II, Paris (Encyclopedie de Ia Pleiade) 1951, 371; die deutsche Übersetzung nach Ernst Forsthoff, Montesquieu. Vom Geist der Gesetze, Bd. 1, Tübingen 1951, 182 f.

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Unter den auf Friede und Maßhalten gerichteten Republiken verstand Montesquieu Holland, das Heilige Römische Reich und die Schweizer Eidgenossenschaft, also ständestaatlich geprägte Staatswesen: den anderen der beiden großen frühneuzeitlichen Verfassungstypen. Wie immer nun die Kennzeichnung von Geist und Wesen der beiden Regierungsfermen hinsichtlich ihrer Einstellung zu Krieg und Frieden zu bewerten sein mag: wichtig ist zunächst die hier auf völlige Gegensätzlichkeit zugespitzte Unterscheidung zweier Herrschaftstypen, deren verschiedenartige Verfassungsstruktur gerade in der Organisation des Heerwesens und seiner Handhabung zum Ausdruck kommt. Auch der deutsche Staatslehrer Jakob Friedrich Freiherr von Bielfeld berührte unter der Fragestellung: .,Welche Regierung ist die beste?" diesen entscheidenden Punkt in der Einschätzung der Staatsformen. Wenn in der Monarchie, schrieb er im ersten Band seiner .,lnstitutions politiques", .,aller Wille in einer einzigen Person vereinigt ist, so ist es gewiß und durch die Erfahrung bestätiget, daß alle Entschließungen schleuniger gefaßt und nachdrücklicher vollstreckt werden. Ein monarchischer Staat ist sowohl in Unternehmungen zu Friedenszeiten als in den stürmischen Kriegsläuften weit geschickter, ins Große zu gehen und sich Ehrfurcht zu erwerben, als eine Republik. Die Truppen sind besser gezogen und wirken unter einem kriegerischen König mit mehr Ehrliebe und Tapferkeit als unter einem Feldherrn, der ein Untertan ist wie der geringste Soldat"3 . So habe man sich in schwierigen und gefährlichen Zeiten immer wieder genötigt gesehen, .,einen König oder wenigstens ein Oberhaupt mit königlichem Ansehen zu wählen" . Die Republik Holland etwa habe die Statthalterwürde wieder eingeführt, um sich gegen die siegreichen französischen Truppen zu schützen. Dies also, schreibt er, .,ist die gute Seite der Monarchie" 4 • Betrachte man dagegen, daß sie .,einen großen Teil der natürlichen Freiheit der Menschen" an sich reiße und kein Reich durch eine Reihe gleich weiser und guter Fürsten regiert worden sei, so müsse man zu2 Ebd., 470 bzw. 305. Diese Argumente haben in der politischen Publizistik des 18. Jahrhunderts ihre Wirkung nicht verfehlt. Vgl. zu ihrer Rezeption in Deutschland etwa Johann Heinrich Gottlob von Justi, Vergleichungen der europäischen mit den asiatischen und andern vermeintlich barbarischen Regierungen. In drei Büchern verfaßt, Berlin, Stettin und Leipzig 1762 (ND Meisenheim 1978), 224 f. Vgl. auch Rudolf Vierhaus, Montesquieu in Deutschland. Zur Geschichte seiner Wirkung als politischer Schriftsteller im 18. Jahrhundert, in: Collegium philosophicum. Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel 1965, 403-437, und ders., Politisches Bewußtsein in Deutschland vor 1789, in: Der Staat 6 (1967), 175 - 196. a [Jakob Friedrich von Bielfeld], Des Freyherrn von Bielfeld Lehrbegriff der Staatskunst, 3 Teile, 3., nach der neuesten französischen durchgesehene, vermehrte und verbesserte Ausgabe, Breslau - Leipzig 1777, hier Bd. 1, 49 f. 4 Ebd., 50.

Einleitung

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gestehen, daß ihr auch "schreckliche Beschwerlichkeiten" anhaften. Da in aristokratischen Regierungen die Macht geteilt sei, halte sich die Ausübung der Gewalt gegenseitig die Waage. Die Freiheit sei demzufolge größer und biete "Vortheile von unschätzbarem Werthe" 5 • Die Schnelligkeit der Entscheidungen und der höhere Grad an Effizienz werden hier also mit der Einbuße an Freizügigkeit und Mitgestaltung verrechnet. Nicht nur beschreibend und abwägend ist demgegenüber die Haltung Kants in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" von 1795. So wird im "Ersten Definitivartikel zum Ewigen Frieden" das Postulat aufgestellt: "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein" 6 • Denn neben der Lauterkeit ihres Ursprungs biete sie als einzige Konstitution die Aussicht auf die Herstellung des ewigen Friedens. Wenn, heißt es wörtlich, "die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ob Krieg sein solle oder nicht, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müßten (als da sind: selbst zu fechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, die er hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine den Frieden selbst verbitternde, nie (...) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen) sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen: dahingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weil das Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u. dgl. durch den Krieg nicht das Mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomaten Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann" 7 • Unter der Fragestellung, wie der ewige Friede gestiftet werden könne, gelangte Kant also zu der Überzeugung, daß die republikanische Verfassung die einzige sei, die auf dieses Ziel hinführt. In der Monarchie dagegen, wo eine Partizipation an der Entscheidung über Krieg und Frieden nicht gewährleistet ist, sondern der Fürst als Eigentümer des Staates über "ein so schlimmes Spiel" allein beschließen kann, bleibe der Krieg "die unbedenklichste Sache von der Welt" und "eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen". 5

Ebd.

Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795), wiederabgedruckt bei Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Re6

naissance, Freiburg-München 1953, 419-460, hier 425. 7 Ebd., 426.

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Johannes Kunisch

Hegel schließlich hat hinsichtlich der Bewertung der Staatsformen unter dem Aspekt ihrer unterschiedlichen militärischen Entfaltungsmöglichkeit eine andere Auffassung vertreten. Bekanntlich kreist seine Reichsverfassungsschrift von 1802 um die Frage nach den Ursachen für die völlige Wehrlosigkeit Deutschlands vor dem Zugriff der französischen Revolutionsheere. Im Kriege, schreibt er, zeige sich die Kraft des Zusammenhangs aller mit dem Staate, "wieviel von ihnen fordern zu können er sich eingerichtet hat,' und wieviel das taugt, was aus eigenem Triebe und Gemüte für ihn sie tun mögen" 8 • Das deutsche Staatsgebäude erweise sich jedoch als "nichts anderes als die Summe der Rechte, welche die einzelnen Teile dem Ganzen entzogen haben, und diese Gerechtigkeit, die sorgsam darüber wacht, daß dem Staat keine Gewalt übrig bleibt, ist das Wesen der Verfassung. Mögen nun die unglücklichen Provinzen, die in der Hilflosigkeit des Staates, dem sie angehören, zugrunde gehen, den politischen Zustand desselben anklagen, mag das Reichsoberhaupt und die zunächst bedrängten patriotischen Stände die übrigen vergebens zu gemeinschaftlicher Mitwirkung aufrufen, mag Deutschland ausgeplündert und beschimpft werden, - der Staatsrechtsgelehrte wird zu zeigen wissen, daß dies alles den Rechten und der Praxis ganz gemäß und alle Unglücksfälle Kleinigkeiten gegen die Handhabung dieser Gerechtigkeit sind. Wenn die unglückliche Art, mit welcher der Krieg geführt worden ist, in dem Betragen einzelner Stände liegt, von denen der eine kein Kontingent, sehr viele statt der Soldaten itzt erst ausgehobene Rekruten stellten, der andere keine Römermonate bezahlte, ein dritter zur Zeit der höchsten Not sein Kontingent wegzog, viele Friedenschlüsse und Neutralitätsverträge eingingen, die allermeisten, jeder auf seine Art, die Verteidigung Deutschlands vernichteten, so beweist das Staatsrecht, daß die Stände das Recht zu einem solchen Betragen hatten, das Recht, das Ganze in die größte Gefahr, Schaden und Unglück zu bringen, und weil es Rechte sind, müssen die Einzelnen und die Gesamtheit solche Rechte, zugrunde gerichtet zu werden, aufs strengste bewahren und beschützen. Für das Rechtsgebäude des deutschen Staats gibt es deswegen vielleicht keine s Georg Wilhelm Friedrich Regel, Die Verfassung Deutschlands (1802), in: Politische Schriften- Nachwort von Jürgen Habermas (=Theorie 1), Frankfurt/Main 1966, 23 - 139, hier 24. In einigen Aspekten berührt sich der Standpunkt Hegels mit Äußerungen, die Machiavelli zur schwankenden und zögernden Haltung republikanischer Staaten gemacht hat. "Unentschlossene Republiken", heißt es etwa im 38. Kapitel des ersten Buches der Discorsi, "fassen nur unter dem Zwang der Not richtige Entschlüsse; denn ihre Schwäche läßt sie einer Entscheidung ausweichen, solange noch der geringste Zweifel möglich ist; und wird dieser Zweifel nicht durch äußere Gewalt, die sie vorwärtsstößt, beseitigt, so schwanken sie fortwährend hin und her". Niecola Machiavelli, Discorsi. Politische Betrachtungen über die alte und die italienische Geschichte. Dt. Übersetzung von F. von Oppeln-Bronikowski (= Klassiker der Politik 2), Berlin 1922, 83; vgl. ferner 157 ff. und öfter.

Einleitung

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passendere Inschrift als die: Fiat justitia, pereat Germania!" 9 - "Eine Menge", heißt es an anderer Stelle, "die durch diese Auflösung der Kriegsmacht und Mangel an Finanzen keine Staatsgewalt zu bilden gewußt hat, ist unvermögend, seine Unabhängigkeit gegen auswärtige Feinde zu verteidigen. Sie muß dieselbe notwendig, wenn nicht auf einmal, so doch nach und nach, zugrunde gehen sehen, im Kriege allen Plünderungen und Verwüstungen ausgesetzt sein, muß notwendig die Hauptkosten desselben für Freund und Feind tragen, muß Provinzen an auswärtige Mächte verlieren und bei vernichteter Staatsgewalt über die einzelnen Glieder und verlorener Oberherrlichkeit über die Vasallen nichts als souveräne Staaten in sich schließen, die als solche nach der Macht und List sich gegeneinander verhalten, deren stärkere sich ausbreiten, und deren schwächere verschlungen werden, und die bedeutendem gegen eine große Macht doch wieder unmächtig sind" 10• Frankreich, aber auch England, Spanien und anderen europäischen Ländern, sei es dagegen gelungen, "die in ihrem Innern gärenden und den Staat zu zertrümmern drohenden Elemente zur Ruhe und zur Verbindung zu bringen und durch die Freiheit der Lehnsverfassung (. ..) zu einem nach Gesetzen durch Freiheit bestimmten, alle Kräfte sammelnden Mittelpunkt (...) zu gelangen, und von dieser Epoche der Ausbildung der Länder zu einem Staate datiert sich die Periode der Macht, des Reichtums des Staates und des freien, gesetzlichen Wohlstandes der einzelnen" 11 • Hier - unter anderer Perspektive - also eine kritische Beurteilung ständestaatlicher Verfassungsformen und eine Höherbewertung der Monarchie als einer zur Zusammenfassung aller Kräfte befähigten Staatsform. Aber wichtiger als die Frage nach der Gewichtung erscheint auch hier noch einmal die Unterscheidung von Verfassungstypen, die sich gerade in der andersartigen Handhabung staatlicher Gewalt voneinander abheben. In welchen verschiedenartigen Formen ist der Anspruch auf territoriale Integrität, auf Sicherheit, Wohlfahrt und Souveränität in tatsächliche, d. h. militärische Staatsmacht im Rahmen der europäischen Geschichte der frühen Neuzeit umgesetzt worden? Das ist das Problem, das uns hier beschäftigen soll. Soweit diese einführenden Texte. Sie gehören zu den wichtigsten Äußerungen der staatstheoretischen Debatte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, überblicken also mehr oder weniger die gesamte Entwicklungsgeschichte frühmoderner Staatsbildung, von der in diesem s G. W. F. Hegel, Die Verfassung Deutschlands (Anm. 8), 29 f. to Ebd., 54 f . II Ebd., 110.

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Kolloquium die Rede sein soll. Sie folgen sicherlich einer jeweils anderen, an sich nicht vergleichbaren Argumentationsrichtung. Aber sie unterstreichen- und das ist hier das Wesentliche - unabhängig von ihrer jeweiligen Intention mit aller Deutlichkeit, daß jedem der großen Staatsverfassungstypen der frühen Neuzeit: dem eher republikanisch strukturierten Ständestaat in seinen auch im 18. Jahrhundert noch präsenten Erscheinungsformen und dem absolutistischen Fürstenregiment, ein spezifisches, strukturbedingtes Verfahren eigen ist, sich in innenoder außenpolitischen Krisen militärischer Macht zu bedienen. Beide standen - wie jede staatliche Vereinigung - vor der Notwendigkeit, ihre politische Handlungsfähigkeit auch für den Ernstfall sicherzustellen und Vorsorge zu treffen, die innere Sicherheit und territoriale Integrität des Landes zu gewährleisten und ihre Ziele notfalls auch mit Gewalt durchsetzen zu können. Montesquieu betont im 10. Buche seines "Esprit" , das "Von den Gesetzen in ihrer Beziehung zur Angriffsstärke" handelt, ausdrücklich, daß das Leben der Staaten dem der Menschen gleiche. "Wie diese" , heißt es dann wörtlich, "im Fall der Notwehr das Recht zu töten haben, so haben jene das Recht, für ihre Selbsterhaltung Krieg zu führen" 12 • Und Johann Heinrich Gottlob von Justi stellt fest: "Ein jeder Staat muß im Verteidigungsstande stehen und daher eine gewisse Art und Weise festsetzen, wie er sich gegen andere Völker vertheidigen oder das ihm zugefügte Unrecht rächen will; das ist es, was man die Kriegsverfassung eines Staates nennt" 13 • So sehr es sich hier also um eine Grundvoraussetzung jeder Form von staatlicher Veranstaltung handelt: der Ständestaat und die absolute Monarchie haben sich dieser zentralen Obliegenheit staatlichen Handeins in sehr unterschiedlicher Weise entledigt. Entsprechend ihrer letztlich eben doch nur als komplementäre Erscheinungsform zu verstehenden Herrschaftsstruktur haben sie Heeresverfassungstypen hervorgebracht, die wie kaum ein anderer Gestaltungsbereich des Staates ein Spiegelbild ihres Wesens und Selbstverständnisses darstellen. Nun liegt es auf der Hand, daß das Problem der Zuordnung von Staatsverfassung und Heeresverfassung einen gewissen Grad organisatorischer Durchdringung voraussetzt. Die älteren Söldnerheere waren noch keine staatlichen Einrichtungen. Sie wurden nur unter besonderen Umständen für bestimmte Zwecke angeworben oder als von Kriegsunternehmern aufgestellter Gesamtverband in Dienst genommen. Sie standen in keinem dauernden und organisatorisch fest umrissenen Zusammenhang mit Staat und Territorium. Träger machtpolitischer Prätentionen waren allein die Dynastien, im 16. und 17. Jahrhundert an 12 Montesquieu (Anm. 1), 377 bzw. 190. ts J. H. G . Justi, Vergleichung der europäischen mit den asiatischen und andern vermeintlich barbarischen Regierungen (Anm. 2), 212.

Einleitung

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erster Stelle die Häuser Habsburg und Valois/Bourbon. Aus der Rivalität dieser Mächte und dem Chaos der Religions- und Bürgerkriege, der "Krise des 17. Jahrhunderts", erwuchs die Notwendigkeit, das Heer als festen Bestandteil des nach innen wie außen auf Souveränität pochenden Fürstenstaates in das Verfassungs- und Organisationsgefüge zu inkorporieren. Das Ziel planmäßiger Herrschaftssicherung trat nun immer deutlicher in Erscheinung und brachte in der Folge institutionell entwickelter Staatlichkeit eine Heeresorganisation hervor, die mit ihrem immer schneller wachsenden Apparat der alleinigen Verfügungsgewalt des Monarchen unterstellt war. Ein zentrales Anliegen dieses Symposions ist es demzufolge, die stufenweise sich vollziehende Annäherung von Staat und Heer zu untersuchen. Das Militär wurde allmählich in das Herrschaftsgefüge integriert und trat nach dem dramatischen Zwischenspiel der Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts schließlich als signifikantes Merkmal neuzeitlicher Machtstaatlichkeit in Erscheinung. Dabei offenbaren sich in der gesamteuropäischen Entwicklung zahlreiche strukturelle Verwerfungen und deutlich sichtbare Phasenverschiebungen. Auch dies gilt es trotz des Bemühens um die Herausarbeitung des für die Epoche Typischen angemessen zu berücksichtigen. Denn anders als durch die Betonung der J eweiligkeit, des Besonderen und Einzigartigen, verliert die Historie ihren Sinn. So sind neben den gewissermaßen klassischen Typen frühneuzeitlicher Heeresverfassung, dem Söldnerheer der Ständestaatsepoche und dem stehenden Heer des Absolutismus, auch die Übergangsund Mischformen in den Blick zu nehmen, die für den Wandel im Verhältnis von Staat und Heer Entscheidendes beigetragen haben. Hinzu treten in vergleichender Perspektive auch der vorangehende und der nachfolgende Heeresverfasssungstyp, die Lehnskriegsverfassung des Mittelalters einerseits und das aus der "Volonte generale" hervorgehende Heerwesen der Französischen Revolution andererseits. Auch diese flankierenden Aspekte werden dazu beitragen, den Blick zu schärfen für die Grundmuster frühneuzeitlicher Heeresverfassung. Schließlich muß - das ist schon an den oben zitierten Texten deutlich geworden - auch die grundsätzliche Frage aufgeworfen werden, ob und in welcher Weise die verschiedenartige Ausübung militärischer Gewalt und damit das jeweils unterschiedlich ausgeprägte Verhältnis zur Macht bewertet werden kann. Sie soll vor allem in der Schlußdebatte nachdrücklich gestellt und diskutiert werden. Denn sie führt mitten hinein in das in der Frühneuzeitforschung nach wie vor umstrittene Problem von Ständeturn und Staatsbildung und die nicht minder kontroverse Beurteilung des absoluten Fürstenstaates. Aber darüber hinaus eröffnet sie auch eine Fülle von Perspektiven, die mit

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der heutigen Diskussion über die konkreten Möglichkeiten globaler Friedenssicherung verknüpft sind. Denn wenn nicht alles täuscht, ist in der staatstheoretischen Debatte des 18. Jahrhunderts über die Einschätzung von Republik und Monarchie erstmals das Instrumentarium erprobt worden, mit dem man die zu Friedensstiftung befähigten Systeme von solchen zu unterscheiden versucht hat, die ihrer Konstitution nach zu Aggressivität und Expansion neigen. Vielleicht stellt sich am Ende überhaupt heraus, daß die frühe Neuzeit aktueller ist, als landläufig angenommen wird. Wir sollten dies hier unter Beweis zu stellen versuchen.

Herrschaftssystem und Friedenswahrung Systematische, theoretische und theoriegeschichtliche Aspekte ihres Zusammenhangs Von Ernst-Otto Czempiel, Frankfurt/Main

I. Das interdisziplinäre Gespräch wird in der modernen Sozialwissenschaft häufig beschworen, aber selten geführt. Um so mehr möchte ich mich für die Einladung bedanken, als Politologe in einem Kreis von Historikern das Thema des Zusammenhangs zwischen Herrschaftssystem und Friedenswahrung zu erörtern. Auf keinem anderen Gebiet ist die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen so wichtig wie auf dem des Friedens. Er stellt ein höchst komplexes Muster inter- und intragesellschaftlicher Beziehungen dar, für dessen Analyse die Fragestellungen und Methoden einer wissenschaftlichen Disziplin nicht ausreichen. Im Grunde müßten neben Geschichtswissenschaft und Politologie die Rechtswissenschaft, die Soziologie und die Sozialpsychologie, für neuzeitliche Untersuchungen sicherlich auch die Ingenieurwissenschaft kooperieren, wenn dieses komplizierte Prozellmuster des internationalen Systems erfolgreich untersucht werden soll. Da andererseits der Kern dieses Prozeßmusters politisch ist, fällt der Politikwissenschaft und der Geschichtswissenschaft zweifellos eine führende Rolle zu. Ihre Kooperation ist daher besonders wichtig; sie sollte andererseits auch ohne besondere Schwierigkeiten zu verwirklichen sein, da beide Disziplinen den gleichen Gegenstand und die gleichen Fragestellungen bearbeiten, wenngleich mit unterschiedlichen, aber eben doch komplementären Erkenntnisinteressen. Geht die Geschichtswissenschaft eher individualisierend, die Politikwissenschaft eher generalisierend vor; wahrt die eine den deutlichen Abstand von der Gegenwart, während die andere sich gerade ihrer Untersuchung verpflichtet weiß, so verfolgen beide doch stets das Gleiche: das Politische in der Innen-, der Außenpolitik und der internationalen Politik. Ich bin daher mit großem Interesse der Einladung gefolgt, vor einem Kreis von Historikern politologische Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und Friedenswahrung vorzutragen. 2 Staats- und Heeresverfassung

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Ernst-Otto Czempiel

Der Zusammenhang ist für den Politologen nicht nur von analytischgeschichtlichem, sondern auch von normativ-aktuellem Interesse. Er spielt notwendigerweise eine bedeutende Rolle bei den Überlegungen zu einer neuen europäischen Friedensordnung. Wie müssen, beispielsweise, die europäischen Gesellschaften herrschaftlich organisiert sein, damit eine solche Ordnung entstehen kann? Ist es möglich, Gesellschaften mit unterschiedlichen Herrschaftssystemen in ein Friedenssystem zu integrieren? Gibt es Verfassungen, wie die totalitär-kommunistische, die eine solche Integration ausschließen? Sind demokratische Herrschaftssysteme per se friedensfördernd, oder lassen die Erfahrungen mit dem europäischen Imperialismus darauf schließen, daß dieser Zusammenhang nicht in jeder Weise, gegebenenfalls überhaupt nicht existiert? Fragen dieser Art zielen auf das Zentrum des Ost-West-Konfliktes, auf die Ursachen seiner Entstehung sowohl wie auf die Figuren seines Verlaufs. Wenn beides auf die Divergenz der Herrschaftssysteme zurückzu:führen ist', dann enthält der Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und Friedenswahrung auch den Schlüssel zur erfolgreichen Bearbeitung dieses Konfliktes. Sie muß dann auf diesem Gebiet und nicht auf dem der Streitkräfte und der Rüstungsdynamik gesucht werden, die das Denken der Gegenwart beherrschen2 • Damit weist sich allerdings der Ost-West-Konflikt als eine ausgesprochen neuzeitliche Figur aus, die in dieser Form erst nach 1789 überhaupt auftreten konnte. Erst seitdem konkurrieren unterschiedliche Herrschaftssysteme miteinander, und erst durch die zunehmende Demokratisierung im Laufe des 19. Jahrhunderts hat diese Konkurrenz immer größere, für die Legitimität einer Herrschaftsordnung entscheidende Bedeutung gewonnen. Reduziert man diese moderne Frage aber auf den Zusammenhang von Herrschaftssystem und Frieden, so zeigt sich, daß sie in dieser Form eine geradezu klassische Figur der Politik und des Denkens darüber darstellt. Sie tritt nicht erst mit der Französischen Revolution, sondern schon bei Machiavelli auf und ist, löst man ihre Einbindung in die Begrifflichkeit des europäischen Territorialstaats auf, sogar bei den alten Kulturen des Orients bereits zu finden. Schon damals wurde, wenn auch ausschließlich normativ, die Friedensleistung von Herrschaft verbunden mit der Schaffung von Gerechtigkeit und Wohlstand im Innern3 • Spätestens seit Machiavelli aber gehört die Untersuchung des Zusammenhangs von Herrschaftssystem und Friede zum klassischen Repertoire der politit Werner Link, Der Ost-West-Konflikt. Die Organisation der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1980. 2 Dazu Ernst-Otto Czempiel, Nachrüstung und SystemwandeL Ein Beitrag zur Diskussion um den Doppelbeschluß der NATO, in: aus politik und Zeitgeschichte B 5/82, 6. 2. 1982, 22 ff. 3 Dazu Hans Heinrich Schmid, Sal6m. ,Frieden' im Alten Orient und im Alten Testament, Stuttgart 1971.

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sehen Theorie, ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob Friedenspolitik vom Herrschaftssystem abhängt und in welcher Weise. Diese Erörterungen möchte ich hier referieren in der Absicht, damit einen Beitrag zu leisten, der für das Thema des Zusammenhangs zwischen Staatsverfassung und Heeresverfassung in der frühen europäischen Neuzeit von einem gewissen Interesse sein kann. Natürlich wäre es wichtig, diese Abhängigkeiten nicht nur theoretisch zu erörtern, sondern auch empirisch zu überprüfen. Dazu fehlt es von politologischer Seite an den notwendigen diachron-komparatistischen Untersuchungen'. Es fehlt aber auch an der präzisen Fragestellung. Solange nicht geklärt ist, was unter Frieden zu verstehen ist und in welcher Weise, wenn überhaupt, die Staatsverfassung auf friedensrelevante Aktionen einwirkt, läßt sich der Zusammenhang empiris~ gar nicht analysieren. Im ersten Teil meiner Darlegungen werde ich daher versuchen, die notwendigen Definitionen zu liefern und den Zusammenhang von Herrschaftssystem und Frieden einzuordnen in andere relevante Zusammenhänge, die als Verursachungen auf den Frieden einwirken. Dies ist der systematische Aspekt. Aus ihm leite ich den zweiten, den theoretischen Aspekt mit der Frage ab, wie die Staatsverfassung von dem Ort, den sie im Syndrom aller friedensverursachenden Faktoren einnimmt, überhaupt wirksam werden kann, welche Verfassungen gegebenenfalls die Friedenswahrung begünstigen können und aus welchen Gründen. Hier wird, wenn auch ganz rudimentär, eine Hypothese entworfen, die dann an der Empirie getestet werden könnte. Da mir dies, wie erwähnt, nicht möglich ist, vergleiche ich diese Hypothese mit den Aussagen der wichtigsten Theoretiker der Politik. Darin liegt selbstverständlich kein Test. Aber es eröffnet sich doch ein theoriegeschichtlicher Aspekt des Themas, der für seine Erörterungen wichtig und für die Plausibilisierung der theoretischen Annahmen nützlich sein kann. Um die Verständigung zu erleichtern, werde ich, wenn auch nur en passant, Definitionen von Politik und internationaler Politik sowie von Herrschaft vortragen, die aus der struktur-funktionalen Theorie David Eastons abgeleitet sind. Ich werde eine Definition von Frieden entwikkeln, und ich werde kurz das Verhältnis von Außenpolitik und Innenpolitik besprechen, das als die Erweiterung des Verhältnisses von Verfassung und Friedenspolitik zu gelten hat5 • • Siehe den Stand der Diskussion bei Steve Chan, Mirror, Mirror on the Wall . . . Are the Freer Countries More Pacific?, in: Journal of Conflict Resolution 28, 4, Dezember 1984, 617 ff., und Erich Weede, Democracy and War Involvement, ebenda, 649 ff. 5 Ausführlich habe ich mich dazu sowie zum Problem des Zusammenhangs von Frieden und Herrschaft allgemein geäußert in meinem Buch: Friedens-

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II.

Die Bedeutung der Verfassung, des Herrschaftssystems, für die Friedenswahrung kann erst diskutiert werden, nachdem eine wenigstens rudimentäre Klärung des Inhalts des Friedens erfolgt ist. Sie ist ihrerseits abhängig vom verwendeten Modell der Welt. Der sogenannte "negative" Friedensbegriff versteht unter Frieden lediglich den Zustand des Nicht-Krieges. Er verwendet, zumindest implizit, ein Modell der Welt als Staatenwelt, in der allein die Staaten als politische Akteure auftreten und die Beziehungen untereinander sich in Staatenbeziehungen erschöpfen. Metaphorisch wird auch vom "Billardball-Modell" gesprochen8. Die Staaten gelten als in sich geschlossene Gebilde, die sich lediglich an ihren Außenseiten berühren. Der Binnenbereich bleibt ausgeklammert, über den Begriff der Staatsräson wird er praktisch neutralisiert. Der "positive" Begriff des Friedens postuliert einen Zustand vollständiger Gerechtigkeit und vollständiger Absenz jeglicher Gewalt7, ohne daß diese Zustände bisher operativ näher bestimmt worden wären. Ihre empirischen Folgen bleiben daher weitgehend im Dunkel. Erkennbar ist, daß diesem Friedensbegriff ein Modell der Welt als Weltgesellschaft zugrunde liegt, in der die Staaten als politische Einheiten nicht mehr auftreten. In präziserer Form, allerdings ohne den Bezug zum positiven Frieden, hat John Burton dieses Modell der Welt entwickelt8 • Beide Extreme vermeidet der von mir entwickelte Friedensbegriff, der sich vielleicht als "realistisch-flexibel" bezeichnen ließe. Er versteht unter dem Frieden ebenfalls die Absenz des Krieges als der organisierten militärischen Gewaltanwendung, verlangt aber, daß sie nicht nur temporär, sondern auf Dauer gestellt, also dadurch gesichert ist, daß einerseits die militärischen Gewaltinstrumente nicht mehr existieren, andererseits nicht-gewaltsame Modi der Konfliktregelung bereitstehen und verwendet werden. Der Friede ist also weniger durch die Absenz des Krieges als vielmehr durch die permanente Verwendung gewaltfreier Konfliktregelungsmodi gekennzeichnet. Dieser Begriff ist einem offenen Weltmodell zuzurechnen, in dem die Staaten eine dominierende, strategien. Systematische und strukturelle Aspekte des Friedens als Prozeßmuster des internationalen Systems. Es erscheint im Frühjahr 1986 in der Reihe UTB im Verlag Schöningh, Paderborn. Dort finden sich auch weitere Belege. 8 Zu den Weltmodellen und ihren Implikationen vgl. Ernst-Otto Czempiel, Internationale Politik, Paderborn 1981, 53 ff. 7 Es wurde im wesentlichen von Johan Galtung entwickelt. Vgl. Mir A. Ferdowsi, Der positive Frieden. Johan Galtungs Ansätze und Theorien des Friedens, München 1981. s John W. Burton et al., The Study of World Society: A London Perspective, International Studies Association, Occasional Paper No. 1, 1974.

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aber nicht mehr die exklusive Rolle spielen, in dem in den Staaten zwischen den politischen Systemen und ihren gesellschaftlichen Umfeldern unterschieden und die internationale Politik als ein Syndrom von Handlungszusammenhängen angesehen wird, die teils von den politischen Systemen und teils von den gesellschaftlichen Akteuren unterhalten werden. Als entscheidender politischer Vorgang gilt hier die Wertzuweisung, die zwischen dem politischen System und seinem gesellschaftlichen Umfeld sowie zwischen beiden und der internationalen Umwelt vorgenommen wird. Die internationale Politik, als deren wichtigstes Prozellmuster der Friede zu gelten hat, erscheint in diesem Modell als abgrenzbarer, gleichzeitig präzis in die Innenpolitik der beteiligten Staaten rückgebundener Bereich- ich komme weiter unten darauf noch einmal zurück. Hier genüge der Hinweis, daß in diesem Modell die Bedeutung der Staatsverfassung für den Frieden unmittelbar sichtbar wird, insofern die Verfassung den Verteilungsprozell von Werten innerhalb der Staaten organisiert. Anhand dieses Modells, das den Frieden als gewaltlose Konfliktregelung in allen verlaufenden Interaktionen ausweist und das die Verfassung als Organisation des internen Wertverteilungsprozesses versteht, läßt sich der Zusammenhang zwischen Staatsverfassung und Frieden sehr genau formulieren. Wie müssen Beziehungen zwischen den politischen Systemen und ihren gesellschaftlichen Umfeldern organisiert sein (also: wie müssen die Herrschaftssysteme der Staaten verfaßt sein), damit die Akteure des politischen Systems sowohl wie die des gesellschaftlichen Umfeldes in ihren Interaktionen mit der internationalen Umwelt den Krieg als organisierte Gewaltanwendung auf Dauer vermeiden, indem sie ihn durch nicht-gewaltsame Konfliktregelungsmodi ersetzen?9 Dieses Modell der Welt als eines asymmetrischen gebrochenen Gitters von Handlungszusammenhängen zeigt, daß die Staatsverfassung als ein wichtiger Faktor der Friedenswahrung zu gelten hat. Es zeigt gleichzeitig, daß dieser Faktor nur einer unter einer ganzen Reihe von Faktoren ist, die auf Krieg und Frieden einwirken. Das Modell zeigt auch, daß dieser Faktor in unterschiedlichen sozioökonomisch-geschichtlichen Epochen wirkt, im Zeitalter des Absolutismus also ganz anders als in dem der Interdependenz, in der Ersten Welt der Gegenwart anders als in den sozialistischen Staaten und in der Dritten Welt von heute. Wie unterschiedlich seine Größenordnung und sein Wirkungsbereich auch sind - das Herrschaftssystem hat stets als eine Bedingung des Handeins der Akteure zu gelten, stets also als eine Bedingung des Friedens. e Erläuterungen zum Modell der Welt als einem asymmetrischen gebrochenen Gitter von Handlungszusammenhängen bei Czempiel (Anm. 6), 101 ff.

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Seine Relevanz reduziert sich weiter, wenn man bedenkt, daß der Friede kein Aktions-, sondern ein Interaktionsbegriff ist, daß Friede ein Prozeßmuster des internationalen Systems darstellt, das durch das Zusammentreffen zahlloser Aktionen, die durch zahlreiche Akteure unterhalten werden, gebildet wird. Haben die Herrschaftssysteme als eine Bedingung des Handelns, also von ,Außenpolitik' zu gelten, so wirken sie nur über sie und nicht direkt auf die Interaktion, auf den Frieden ein. Ihr Erfolg hängt davon ab, daß bei allen Mitgliedsstaaten des jeweiligen internationalen Systems gleiche Verfassungen in gleicher Weise auf die Aktion der Akteure einwirken. Ist dies nur teilweise der Fall, reduziert sich die Wirkung, so daß leicht der Eindruck entstehen kann, die Verfassungen hätten keinen Einfluß auf den Frieden. Aber auch wenn man die Verfassung, was unabdingbar ist, als eine Bedingung des Handeins der Akteure, also als eine Bedingung von Außenpolitik versteht, muß sie relativiert werden angesichts der Vielzahl anderer Faktoren, die auf diese Außenpolitik einwirken. Hier ist zunächst die Struktur des internationalen Systems zu nennen, dessen "situation Hobbesienne" (Aron) das "Sicherheitsdilemma" (Herz) kreiert und damit den wohl wichtigsten Ursachenkomplex von Gewalt im internationalen System schafft. Auf die Aktionen wirken ferner Zustand und Figur des internationalen Systems ein. Die Akteure werden sich anders verhalten, je nachdem, ob eine Tradition der Gewalt im internationalen System anzutreffen ist und ob das System imperial oder egal geordnet ist. Hinzu tritt die politische Kultur, vor allem die Konfliktkultur, die die Epoche kennzeichnet; hinzu treten die geographischen Beschaffenheiten des Systems und die davon ausgehenden Zwänge; ferner die technologischen Möglichkeiten, die die Instrumente der Konfliktregulierung bestimmen, insbesondere die Kommunikationsmittel. Als ein weiterer wichtiger Satz von Einflüssen, die die "Außenpolitik" der Staaten bestimmen, hat das Verhalten der anderen Mitgliedsstaaten des Systems zu gelten. Ein Staat muß sich verteidigen, wenn er von außen angegriffen wird; er kann kooperieren, wenn ihm Zusammenarbeit angeboten wird. Schließlich wird Außenpolitik als Aktion beeinflußt durch den Verlauf der Interaktion selbst. Schon Richardson hat nachgewiesen, daß Rüstungsdynamik und Rüstungswettläufe aus der Interaktion selbst entstehen, keiner eigenen, autonomen Ursache bedürfen10. Auf die Prozeßmuster des internationalen Systems, zu denen der Friede zählt, kann die Außenpolitik eines Staates also nur in einem geringen Maße einwirken; sie wird andererseits in einem bedeutenden Ausmaß von den Strukturen und den Prozessen innerhalb dieses Systems beeinflußt. Ist der Beitrag einer "Außenpolitik" zum Prozeßto Lewis F . Richardson,

Arms and Insecurity, Pittsburgh 1960.

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muster des Friedens also begrenzt, so wirkt die Verfassung auf diesen Beitrag nur insofern ein, als sie eine seiner Bedingungen darstellt. Sie ist nicht die einzige, unter Umständen nicht einmal die wichtigste. Andererseits ist sie eben als eine Bedingung des Handeins stets präsent und wirksam. Es ist wichtig, beides: die Begrenzung und die Permanenz des Einflusses, der von der Staatsverfassung auf die Außenpolitik ausgeht, festzuhalten. Wir sind jetzt in der Lage, den Zusammenhang zwischen Staatsverfassung und Frieden sehr genau zu verorten. Er ist existent und wirksam, vor allem im mittel- und langfristigen Bereich. Wenn sich der Einfluß der aus dem Systemzustand und der Interaktion stammenden Faktoren auf die Außenpolitik verringert haben wird, wird der Einfluß der Staatsverfassung, des Herrschaftssystems, einen größeren Platz einnehmen. Unter den gegenwärtigen Bedingungen des 20. Jahrhunderts wird man ihn eher an der Peripherie der auf das Prozeßmuster des internationalen Systems einwirkenden Faktoren zu lokalisieren haben: als eine Bedingung des Handeins der politischen und gesellschaftlichen Akteure in das internationale System hinein. Diese Ortsbestimmung ist wichtig. Als eines der größten Hindernisse einer Lösung des Friedensproblems in Geschichte und Gegenwart hat zu gelten, daß die Komplexität des Friedens unterschätzt und seine multivariate Verursachung verkannt worden sind. Friede wurde - und wird - in stark reduktionistischer Form als kurzfristig lösbare politische Aufgabe dargestellt. Jeder Blick in die Rhetorik des Ost-West-Konfliktes beweist es. Demgegenüber hat zu gelten, daß die Prozeßmuster des internationalen Systems vielfältig verursacht werden, daß zahlreiche Faktoren ganz unterschiedlicher Qualität zu diesem Muster beitragen und daß es, da es ein Systemmuster darstellt, nur auf dem Wege des Systemwandels geändert werden kann. Die Bemühungen um Differenzierung und Präzisierung sind also nicht übertrieben, sondern angemessen. Der analytische Fortschritt ist darauf ebenso angewiesen wie der der praktischen Politik. Zwar verringert sich die Anzahl der Faktoren, die auf die internationalen Prozeßmuster einwirken, je weiter man in die geschichtliche Vergangenheit zurückgeht. Doch darf getrost gelten, daß für kein internationales System der europäischen Neuzeit die Verwendung eines schlichten Schemas von Aktion und Reaktion handelnder Personen ausreicht. Nach der Verständigung über Ort und Bedeutung, die der Staatsverfassung, dem Herrschaftssystem zukommen, wenn es um die Herstellung des Prozeßmusters Frieden im internationalen System geht, muß jetzt im Detail gefragt werden, in welcher Weise das Herrschaftssystem als Bedingung von Handeln auf die Außenpolitik so einwirkt, daß sie in der Interaktion mit anderen Außenpolitiken das Prozeßmuster Frieden er-

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zeugt. Ich verzichte dabei darauf, die hier angedeuteten strategischen Probleme des Systemwandels zu diskutieren. Sie sind analytisch wie strategisch außerordentlich wichtig, weil sie gegebenenfalls die Intention einer Aktion neutralisieren, unter Umständen sogar in ihr Gegenteil verkehren können. Ich beschränke mich auf die Untersuchung der Frage, in welcher Weise das Herrschaftssystem als Bedingung dazu beiträgt, daß das Handeln sich auf den Frieden, verstanden als permanente Absenz des Krieges und sein Ersatz durch nicht-gewaltsame Konfliktregelungsmodi richtet. Verfassung wird hier verstanden als der geschriebene oder ungeschriebene Satz von Regeln, nach denen Herrschaft ausgeübt wird. Verfassung und Herrschaftssystem können daher in gewisser Weise als synonyme Begriffe gelten. Sie bezeichnen die herrschaftliche Organisation einer Gesellschaft; sie regeln den politischen Prozeß. Als Inhalt von Politik wird hier im Rahmen der struktur-funktionalen Theorie der Politik von David Easton die autoritative Allokation von Werten durch das politische System im gesellschaftlichen Umfeld verstanden11. Diese Definition muß erweitert werden, und zwar mehrfach. Sie reicht nur aus hinsichtlich des legitimen Gewaltmonopols des Staates, das sie funktional als Kompetenz zur autoritativen Wertallokation bezeichnet. Hier liegt in der Tat die differentia specifica, die den Verteilungsprozeß innerhalb einer Gesellschaft von dem zwischen den Gesellschaften unterscheidet. Eine autoritative, notfalls mit legitimem Zwang durchgesetzte Verteilung von Werten findet nur zwischen dem politischen System und seinem gesellschaftlichen Umfeld innerhalb einer politischen Einheit statt. Hatte Easton damit die innergesellschaftliche Werteverteilung, also die Innenpolitik, funktional richtig bezeichnet, so ist ihm dabei eine doppelte Einschränkung unterlaufen und eine wichtige Qualifikation entgangen. Das politische System kann ja nicht alle Werte innerhalb einer Gesellschaft verteilen, sondern nur Werte, die für die Existenz der politischen Einheit funktional sind. Dies sind die Werte der Sicherheit nach außen (und nach innen), der Existenzerhaltung, des Wohlstands als der Möglichkeit der Existenzentfaltung und der Wert der Partizipation an der Herrschaft. Es gibt Gesellschaften, die dem politischen System weitere Wertbereiche zur Allokation überweisen, z. B. die Theokratien die Religion. Im einzelnen entscheidet hierüber die jeweilige politische Kultur. Konstitutiv aber für die Existenz einer politischen Einheit sind die Werte der Sicherheit, des Wohlstands und der Herrschaft, deren Verteilung damit Grundbestand jeglicher Politik ist. 11 David Easton, A Framewerk for Political Analysis, Englewood Cliffs 1965.

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Die beiden Einschränkungen, die Easton unterlaufen sind, beziehen sich auf die Vernachlässigung der internationalen Umwelt sowohl wie auf die derjenigen innergesellschaftlichen Akteure, die ihrerseits politisch relevante Werte verteilen. Die innergesellschaftliche Verteilungskompetenz war nur bis zum Ende der Monarchie und ist heute noch in den sozialistischen Diktaturen ausschließliches Monopol des politischen Systems. In den parlamentarischen Demokratien des Westens nehmen seit langem gesellschaftliche Akteure an dem Verteilungsprozell teil. Dies gilt zumindest für das Gebiet des Wohlstands, auf dem wirtschaftliche Akteure beträchtliche Wertzuweisungen vornehmen, vor allem über den Preis. Sie verteilen freilich nicht autoritativ wie das politische System; dazu fehlen ihnen die Legitimität und das Mittel der Gewalt. Sie verteilen mit Hilfe der- in diesem Fall: wirtschaftlichen- Macht, also der Fähigkeit (um Weber zu zitieren), seinen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen. Dieser Verteilungsmodus ist qualitativ deutlich unterschieden von dem legitimer Herrschaft; er ist aber deswegen nicht notwendig weniger erfolgreich. Er besitzt keine autoritative Qualität, er kann aber in gleichem Maße zwingend sein. Der Politikbegriff muß also um die durch Macht erfolgende Wertverteilung gesellschaftlicher Akteure erweitert werden. Er muß es um so mehr, als die politischen Systeme autoritative Wertverteilungen nur im eigenen gesellschaftlichen Umfeld vornehmen können, nicht aber in der internationalen Umwelt. Auch dies ist Easton entgangen, insofern er sich nur auf die gesellschaftsinternen Verteilungsprozesse zwischen dem politischen System und seinem Umfeld beschränkt hat. Es ist aber evident, daß, erstens, die zur autoritativen Verteilung gelangenden Werte im Innern einer Gesellschaft durch die politischen Systeme auch in der internationalen Umwelt generiert werden. Sie reichen von Handelsverträgen und Zollvereinbarungen bis hin zu territorialer Expansion. Evident ist zweitens, daß die politischen Systeme in der internationalen Umwelt selbst Werte verteilen. Die Eroberung wurde schon genannt, Imperien, Kolonien können als weitere Anschauungsbeispiele dienen. In der internationalen Umwelt verfügen aber die politischen Systeme keineswegs über das Monopol legitimer Gewaltausübung, sie können hier nicht autoritativ, sondern ebenfalls nur durch Macht Werte verteilen. Die Macht der politischen Systeme in der internationalen Umwelt unterscheidet sich der Wirkung nach nicht von der Macht, die gesellschaftliche Akteure in einem gesellschaftlichen Umfeld ausüben. Die Definition der Politik muß also um den Verteilungsmodus der Macht erweitert werden. Sie muß auch - aber das betrifft nur die entwickelten Industriestaaten des Westens vor allem seit den sechziger

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Jahren - erweitert werden um die Kompetenz gesellschaftlicher Akteure, auch in der internationalen Umwelt über den Modus der Macht Werte zu generieren und zu verteilen. Die transnationalen Korporationen stehen an einschlägiger Macht den politischen Systemen kaum nach, den kleineren sind sie sogar eindeutig überlegen. Eine vollständige funktionale Definition von Politik würde dann lauten: Politik ist die autoritativ (herrschaftlich) oder über den Modus der Macht erfolgende Verteilung (und Generierung) von Werten auf den Sachbereichen Sicherheit, Wohlfahrt, Herrschaft, die vom politischen System oder von gesellschaftlichen Akteuren innerhalb des gesellschaftlichen Umfeldes einer Einheit oder innerhalb der internationalen Umwelt vorgenommen wird. Miteingeschlossen in diesen Prozeß der Politik sind alle auf den Verteilungsvorgang gerichteten Umwandlungs-Anforderungsprozesse, die zwischen dem politischen System und seinem gesellschaftlichen Umfeld verlaufen. Die Verfassung, das Herrschaftssystem, stellt dann die Organisation dieses Anforderungs-Verteilungsprozesses dar. Die Verfassung bestimmt nicht über die konkrete Verteilung der Werte, aber sie legt fest, wer Anforderungen stellen darf, wer bei deren Umwandlungen in Wertzuweisungen mitwirkt und wer in welchem Maße empfangsberechtigt ist. In einer Theokratie kulminiert dieser Prozeß in einer Person; in der feudalen Monarchie verteilt sich dieser Prozeß auf Adel und Monarch; im aufgeklärten Absolutismus tritt die Verwaltung als Teilnehmer am Verteilungsprozeß hinzu. In den kommunistischen Volksrepubliken der Gegenwart dominiert die Partei diesen Prozeß; in den pluralistischen Demokratien des ausgehenden 20. Jahrhunderts spielt die Gesellschaft in Gestalt der Verbände, der Parteien, der einzelnen Bürger eine große Rolle. Diese Beispiele sollen veranschaulichen, wie die Verfassung den Verteilungsprozeß organisiert und seine Ergebnisse präformiert. Der nach Harold Lassweil zentrale Vorgang aller Politik: "Who gets what, when and how", wird durch die Verfassung determiniert. Am Ende dieser systematischen Überlegungen kann jetzt die Problemstellung einigermaßen genau formuliert werden. Zunächst analytisch: Wie wirkt die Staatsverfassung als Ausdruck des Herrschaftssystems und als herrschaftliche Organisation des politischen Verteilungsprozesses auf die Gewaltanwendung in der internationalen Umwelt ein? Unter normativem Gesichtspunkt ist zu fragen: Welche Verfassung als herrschaftliche Organisation des Verteilungsprozesses beeinflußt das Verhalten der Akteure in der internationalen Umwelt so, daß es auf die permanente Vermeidung organisierter militärischer Gewaltanwendung in der internationalen Umwelt gerichtet ist?

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m. Im Hinblick auf die Innenpolitik läßt sich der Einfluß der Verfassung auf die Gewalt theoretisch relativ einfach definieren: Je mehr Verteilungsgerechtigkeit in dem Herrschaftssystem enthalten ist, desto geringer sind die Grade der Gewalt, die zur Durchsetzung der Verteilung benötigt werden. Weil das Verteilungssystem bei Diktaturen extrem ungerecht ist, sind hohe Grade direkter und indirekter Gewalt zu seiner Aufrechterhaltung erforderlich und umgekehrt: Da repräsentative Demokratien eine relativ hohe Verteilungsgerechtigkeit durch ihr Herrschaftssystem organisieren, sind nur niedrige Grade direkter und indirekter Gewalt erforderlich, damit dieser Prozeß ablaufen kann. Diese beiden Aussagen gelten nicht für die drei Verteilungsbereiche der Sicherheit, der Wohlfahrt und der Herrschaft gleichermaßen, und sie gelten selbstverständlich auch nicht schematisch. Sie gelten aber durchweg für den Verteilungsbereich der Wohlfahrt, weil extreme Ungleichverteilungen, oder auch nur grobe Ungleichverteilungen, nur mit Gewalt durchgesetzt werden können. Der Zusammenhang gilt epochenund entwicklungsbedingt für den Bereich der Herrschaft und der Partizipation daran, wo extreme Ungleichverteilungen, beispielsweise die Herrschaftsmonopole der Tyrannei und der Diktatur, ebenfalls nur gewaltsam durchgesetzt und aufrechterhalten werden können. Es sind Kompensationen und Modifikationen denkbar, wie sie beispielsweise im Sozialimperialismus verwirklicht wurden; solche sind nicht häufig, und sie sind nicht von Dauer. Für den Bereich der Sicherheit gilt der Zusammenhang nur stark modifiziert. Extreme Ungleichverteilungen sind hier in der Geschichte selten anzutreffen, weil eine Sicherheitsgefährdung potentiell alle Mitglieder der Gesellschaft betrifft. Allerdings war diese Betroffenheit in der Geschichte stark abgestuft, sie hat sich erst durch die Entwicklung der Vernichtungskraft der Nuklearwaffen egalisiert. Dennoch sind auch hier Ungleichverteilungen festzustellen, die Conscription und die Wehrpflicht bei stehenden Heeren fordern ebenfalls ein beträchtliches Maß an Gewalt zu ihrer Durchsetzung, wohingegen Milizsysteme mit sehr viel geringeren Gewaltgraden auskommen. Generell kann damit für den Bereich der Innenpolitik gelten, daß um so weniger Gewalt zur Aufrechterhaltung des Verteilungsprozesses erforderlich ist, je weniger selektiv er ausfällt, je gerechter seine Wirkungen empfunden werden. Zu fragen ist nun, ob aus dieser Beziehung zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Gewalt in der Innenpolitik Folgen entstehen für das Außenverhalten der Akteure in die internationale Umwelt hinein. Läßt sich die weitere These aufstellen: Je höher die interne Verteilungsgerechtigkeit und je geringer dementsprechend die

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Herrschaftsgrade, die eine Verfassung aufweist, desto geringer fällt die Gewaltanwendung der Akteure in die internationale Umwelt aus? Der Versuch einer Antwort muß zunächst noch einmal daran erinnern, daß hier nur der Einfluß des Herrschaftssystems auf das friedliche Verhalten untersucht wird, nicht der anderer Faktoren. Naturkatastrophen oder Zwänge, die aus dem internationalen System stammen, können selbstverständlich auch verteilungsgerechte Gesellschaften zur Gewaltanwendung nach außen bewegen, wie die Beispiele der Verteidigung gegen Angriffe oder die Völkerwanderung zeigen. Nur wenn diese Unterschiede unberücksichtigt bleiben, kann man, wie Max Weber, zu der generalisierenden Schlußfolgerung gelangen: "Keinerlei Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß, wo Gewalt am leichtesten zu günstigen Tauschbedingungen führen würde, sie nicht angewendet werden würde12." Konzentriert man vielmehr die Problemstellung auf die Verfassung als unabhängige Variable, so ergeben sich vier theoretische Annahmen, die gegen die Thesen von Weber sprechen: 1. Wenn die Bedürfnisbefriedigung innerhalb des Staatsgebietes mög-

lich ist und wenn die Verfassung niedrige Herrschaftsgrade aufweist, dann entstehen keinerlei materielle Anreize zur Gewaltanwendung in das internationale System hinein. Es gibt für sie keine Notwendigkeit, weil eben die Bedürfnisbefriedigung innerhalb der Gesellschaft geschieht, und es gibt auch keine Möglichkeit für diese Gewaltanwendung, weil kein Grund erkennbar ist, der die Gesellschaft zu dieser Gewaltanwendung mobilisieren könnte. Wenn zahlreiche Demokratien des 19. und des 20. Jahrhunderts dennoch Gewalt angewendet haben, so ist das, wie schon James Mill schrieb, darauf zurückzuführen, daß "das Interesse der wenigen dem Interesse der vielen übergeordnet ist und zu ihren Lasten gefördert wird" 13 .

2. Wenn das Herrschaftssystem geringe Gewaltgrade aufweist, weil es

eine hohe Verteilungsgerechtigkeit produziert, entstehen für die Herrschenden keine Anreize, zugunsten ihres Machtinteresses Gewalt in der internationalen Umwelt einzusetzen. Ist die Verteilungsgerechtigkeit nicht gegeben, können die Machtinteressen der Herrschenden eine bedeutende Rolle für die Gewaltanwendung spielen. Die Seele Preußens, formulierte Otto Hintze, ist "der Wille zur Macht . .. , sein Rückgrat .. . das große stehende Heer" 14 . Max Weber

12 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 19803 , 526. 13 James MilZ, Essays, hier zit. nach dem Abruck bei Klaus E. Knarr, British Colonial Theories 1570 - 1850, Toronto 1944, 254. 14 Otto Hintze, Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. von Gerhard Oestreich, Göttingen 1962, 429.

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fügte diesen Gründen noch das Prestige, die "Ehre der Macht" hinzu, die die Militär- und Amtsbürokratien zur Gewaltanwendung motivieren und die einen "sehr fühlbaren Einschlag in die Entstehung von Kriegen gegeben" haben15 . Thomas Paine hat schon 1791 das Problem auf den schlagwortartigen Begriff gebracht: "Kriege werden durch Regierungen verursacht. Die Demokratie wird sie beenden18 ." Diese Vereinfachung wird dem Problem zweifellos nicht gerecht, aber sie beleuchtet es. Wenn die Partizipationsrechte auf dem Sachgebiet der Herrschaft zureichend gleich verteilt sind, entfallen Möglichkeit und Anreiz für die Herrschenden, ihre Macht zur Anwendung von Gewalt in die internationale Umwelt hinein einzusetzen. Denkbar ist allerdings, daß eine vorhandene große Machtfülle eine Gesellschaft konsensual dazu verleitet, diese Macht nach außen anzuwenden. In diesem Fall reicht Partizipation allein nicht aus, die Gewaltanwendung zu verhindern; sie muß durch ein weiteres Verfassungsprinzip ergänzt werden, durch Dezentralisierung, Föderalisierung und Devolution. Darauf haben, wie später zu zeigen sein wird, alle Theoretiker seit Machiavelli aufmerksam gemacht. In der Kombination mit Föderalisierung aber beseitigt die Partizipation, also eine hohe Verteilungsgerechtigkeit auf dem Sachgebiet der Herrschaft, die Tendenz zur Machtanwendung nach außen. 3. Beide beseitigen auch den dritten Anlaß zur Gewaltanwendung, der mit der Verfassung, dem Herrschaftssystem zu tun hat: die Notwendigkeit, das Herrschaftssystem zu stabilisieren. Diese Notwendigkeit besteht nur, wenn die Verteilungsleistung der Verfassung den Dissens der Betroffenen hervorruft. Das Verteilungsdefizit entsteht in der Regel auf den Sachgebieten Wohlfahrt und Herrschaft, besonders auf dem letzteren. Um eine Korrektur zu vermeiden, wird der Primat der auswärtigen Politik instrumentell bemüht. Äußere Bedrohungen werden genannt, ausgenutzt, gegebenenfalls sogar heraufbeschworen, um mit ihrer Hilfe den fehlenden internen Konsens herzustellen. Anschauungsbeispiele liefert die Sammlungspolitik der Konservativen im Wilhelminischen Reich17 • Rudolf Goldscheid, Soziologe und liberaler Pazifist, hat diesen Zusammenhang anschaulich verallgemeinert: "Gewalt nach innen zieht aber Gewaltanwendung nach außen zwangsweise nach sich, da aller Druck nach innen nur gerechtfertigt zu werden vermag, wenn er als Druck von außen hingestellt wird18 ." Diese Formulierung ist besonders interessant, weil 1s Weber (Anm. 12), 20. 18 Thomas Paine, The

Rights of Man, 1791, zit. nach A. J. Paul Taylor, The Troublemakers, London 1957, 32. 11 Eckart Kehr, Der Primat der Innenpolitik, hrsg. von Hans-Ulricb Wehler, Berlin 1965.

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sie auf Staaten mit einem bereits hohen, aber noch nicht voll ausgebildeten Grad von Demokratisierung angewendet werden kann. In ihnen kann Herrschaft noch ausgeübt werden, muß aber schon gerechtfertigt werden. 4. Wenn die Verteilungsgerechtigkeit im Innern herrschaftliche Gewalt entbehrlich macht, zumindest stark abschwächt, beseitigt sie auch die Kultur und die Tradition der Gewalt. Die Gewaltlosigkeit der Wertverteilung im Innern bietet sich als Modell der Konfliktlösung auch im internationalen System an. Als Anschauungsbeispiel kann hier die Internationale Organisation des Völkerbunds und der Vereinten Nationen gelten, die nicht umsonst von den angelsächsischen Demokratien konzipiert und realisiert worden sind. Sie stellen den Versuch dar, die im Innern dieser Demokratien praktizierten Verteilungsmodalitäten über Mehrheits- und Konsensbildung auch im internationalen System einzuführen. Die theoretische Annahme wird verstärkt durch den sich im Rahmen der struktur-funktionalen Theorie ergebenden analytischen Befund, daß "Innenpolitik" und "Außenpolitik" nur verschiedene Kontexte der Generierung und Verteilung von Werten darstellen. Die Analogie trägt zu der Annahme bei, daß auch die Verteilungsmodi, die in dem einen Kontext präferiert werden, sich im anderen wenigstens tendenziell durchsetzen. Freilich gilt dies auch umgekehrt: Gerät eine Gesellschaft mit hoher Verteilungsgerechtigkeit unter starken Druck aus dem internationalen System, wird sich im Innern der Gesellschaft die Verteilungsgerechtigkeit zumindest auf dem Gebiet der Partizipation reduzieren. Da hier aber nicht die Einwirkung des internationalen Systems auf die Verfassung, sondern die der Verfassung auf die Friedenswahrung diskutiert wird, muß gelten: Eine Kultur der gewaltfreien Konfliktlösung im Innern, die durch hohe Verteilungsgerechtigkeit ermöglicht und durchgesetzt wird, wird sich auch in das Außenverhalten hinein fortsetzen. Aus diesen vier Gründen kann die These als theoretisch plausibel gelten, daß eine Verfassung, die im Innern einer Gesellschaft einen hohen Grad von Verteilungsgerechtigkeit praktiziert und deswegen einen niedrigen Grad von Herrschaft ermöglicht, als eine Bedingung anzusehen ist, die auf das Außenverhalten der Akteure in Richtung abnehmender Gewaltanwendung einwirkt. Oder etwas plakativer ausgedrückt: Eine verteilungsgerechte Verfassung leistet einen wichtigen Beitrag zur Friedenswahrung. ts Rudolf Goldscheid, Das Verhältnis der äußern Politik zur innern Politik. Ein Beitrag zur Soziologie des Weltkrieges und Weltfriedens, Wien

1915 (2), 38.

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Ich möchte den theoretischen Teil abschließen mit einer philosophischen Überlegung Salvador de Madariagas und einem seine ausgedehnten komparatistisch empirischen Studien zusammenfassenden Befund Quincy Wrights. Madariaga führte 1935 in seiner Rede über den "Preis des Friedens" aus: "Ebenso wie es innerhalb einer Nation zum Vorteil aller ist, daß alle reich sind, weil sie dann nicht nur den inneren Frieden ... , sondern auch die Räder der Produktion in Schwung halten werden, so ist es auch in den internationalen Beziehungen zum Vorteil aller Staaten, daß sie alle reich und befriedigt sein werden. Denn dann wird der Friede unter ihnen herrschen ... 19." Quincy Wright, der in den Dreißiger Jahren zusammen mit zahlreichen Mitarbeitern eines der Standardwerke vergleichender Analysen über das Außenverhalten der Staaten erarbeitet hat, zog folgende Schlußfolgerung: "Zusammengefaßt ergibt sich, daß absolutistische Staaten mit geographisch und funktional zentralisierten Regierungen unter einer autokratischen Führung wahrscheinlich am kriegerischsten sind, während konstitutionelle Staaten mit geographisch und funktional föderalisierten Regierungen unter einer demokratischen Führung wahrscheinlich am friedlichsten sind. Die Regierungstypen, die zur Kriegsneigung tendieren, sind also diejenigen, die zu einer effizienten Handhabung des Systems des Machtgleichgewichts neigen, während die auf den Frieden ausgerichteten Regierungstypen langfristig zu einem auf Recht und Organisation basierenden internationalen System tendieren. Regierungen des friedlichen Typs neigen dazu, sich innerhalb eines stabilen Machtgleichgewichts zu entwickeln, aber diese Regierungen waren weder in der Organisation der Welt für den Frieden noch in der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der Macht erfolgreich. Friedliche Regierungen haben günstige Bedingungen für das Entstehen von kriegerischen Regierungen geschaffen. Deswegen sind in der Geschichte Perioden, die von friedlichen Regierungen beherrscht wurden, von solchen abgelöst worden, in denen kriegerische Regierungen dominierten20 ."

IV. Die Theoretiker der Politik haben bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts - das ist der theoriegeschichtliche Aspekt des Themas - den Zusammenhang von Verfassung und Friedenswahrung lebhaft erörtert. Die Diskussion schwächt sich dann ab, weil die Nationalstaatsbildung und die sich mit ihr verschärfenden Probleme der internationalen Politik in den Vordergrund der Aufmerksamkeit traten. Sie ist nach 1945 19 2o

Salvador de Madariaga, The Price of Peace, London 1935, 23. Quincy Wright. A Study of War, Chicago- London 1969, 163.

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jedenfalls seitens der Politikwissenschaft nicht mehr in größerem Umfang aufgenommen worden. Das Interesse richtete sich vielmehr auf den Zusammenhang zwischen Innenpolitik und Außenpolitik21 , eine umfassendere, aber auch ungenauere Fragestellung. Die den Theoretikern des Friedens gewidmeten großen und bedeutenden Arbeiten von Raumers und Schlochauers - um nur einige zu nennen22 - wenden diesem speziellen Thema keine besondere Aufmerksamkeit zu, konzentrieren sich statt dessen auf die Gesamtaussagen der von ihnen behandelten Theoretiker. Sieht man jedoch genauer hin, so zeigt sich, daß der Zusammenhang von Verfassung und auswärtiger Politik, von Herrschaftssystem und Frieden bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein im Zentrum derjenigen politischen Theorien stand, die sich mit dem Frieden und mit der auswärtigen Politik befaßten und sich dabei nicht ausschließlich auf die Strategie der Internationalen Organisation konzentrierten, die zweifellos die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog23 • Wer von diesen Theoretikern überhaupt über das Phänomen der Macht und ihres Unterfalls, der Herrschaft, nachdachte; wer sich kritisch mit dem Instrumentarium beider, der Gewalt, beschäftigte, stieß auf den Zusammenhang von Verfassung und Frieden und behandelte ihn. Dabei muß es überraschen, daß- mit ganz wenigen Ausnahmen- alle Theoretiker die gleichen Ergebnisse formulierten. Der erste, der den Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und auswärtigem Verhalten einer politischen Einheit analytisch durcharbeitete, war Niecola Machiavelli. Er wird in der Regel mißverstanden, beurteilt nach der kleinen, opportunistischen Gelegenheitsschrift vom "Fürsten". Machiavelli war aber kein Machiavellist24 • Er war keinesfalls der Anwalt staatlicher Allmacht und Willkür, sondern der der Freiheit, der politischen Moral. Machiavelli war natürlich kein Pazifist. Seine Politik galt der Größe seiner Heimatstadt Florenz, aber eben als Republik; sein Medium war die Macht, aber eben begrenzt durch die virt\123 • 21 Vgl. die Literatur bis 1978 bei Wolf-Dieter Eberwein et al., Internes und externes Konfliktverhalten von Nationen, 1966- 1967, in: Zeitschrift für Soziologie 7, 1 (1978), 21 ff. 22 Kurt von Raumer, Ewiger Friede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg 1953. Hans-Jürgen Schlochauer, Die Idee des ewigen Friedens. Ein Überblick über Entwicklung und Gestaltung des Friedenssicherungsgedankens auf der Grundlage einer Quellenauswahl, Bonn 1953. 23 Jacob ter Meulen, Der Gedanke der internationalen Organisation in seiner Entwicklung, 3 Bde., Den Haag 1917 ff. 24 Herfried Münkler, War Machiavelli ein Machiavellist?, in : Politische Vierteljahresschrift 24 (1983), 329 ff. 25 Zur allgemeinen Würdigung Machiavellis vgl. Herfried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt 1982.

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Machiavellis Aussagen zur Außenpolitik und zu ihrer Abhängigkeit vom Herrschaftssystem sind in der Literatur bisher überhaupt nicht beachtet und bearbeitet worden. Dabei war Machiavelli nicht nur der erste, der diesen Zusammenhang überhaupt problematisierte; seine Analysen haben bis heute Bestand und sind daher für eine Friedensstrategie von außerordentlich hohem Wert. Sie betreffen drei Zusammenhänge. 1. Republiken sind in der Lage, auf außenpolitischen Ehrgeiz zu ver-

zichten, können diesen Verzicht in ihrer Verfassung und ihren Institutionen sogar festschreiben.

2. Republiken sind zu diesem Verzicht in der Lage, weil ein hoher interner Konsens, der auf einer hohen Gleichverteilung von Werten aufruht, sie, zusammen mit entsprechender Verteidigungsbereitschaft, unangreifbar macht. Andererseits führt die Gleichverteilung zur ausreichenden Bedürfnisbefriedigung für alle, so daß kein Anreiz zu externer Aggression besteht. 3. Sind Republiken aus Verteidigungsgründen dazu gezwungen, sich zu vergrößern, so tun sie es nicht durch Eroberung und Unterjochung, sondern durch den Zusammenschluß mehrerer Republiken zu einem Staatenbund; dessen Konstruktion potenziert noch den Gewaltverzicht, der aus den beiden genannten Gründen in den einzelnen Republiken bereits angelegt ist. Es kann hier außer acht bleiben, ob und wann Machiavellis Analysen mit seinen politischen Präferenzen übereinstimmten - er bevorzugte beispielsweise die Machterweiterung durch den Hinzugewinn nichtgleichberechtigter Bundesgenossen. Interessant sind seine analytischen Aussagen über den Zusammenhang von Verfassung und Außenpolitik. Entscheidend ist für ihn die Beziehung von republikanischer Verfassung und Expansionsverzicht. Eine Republik kann es sich leisten, sich auf die Verteidigung zu beschränken und von guten Gesetzen regiert zu werden. Niemand wird sie angreifen - weil sie gut verteidigt wird und weil sie ihrerseits keinerlei Bedrohung für ihre Nachbarn darstellt. Machiavelli hat in den ,Discorsi' mehrfach dargelegt, daß Staaten, die an einer militärischen Expansion interessiert sind, sich anders organisieren müßten als solche, denen es lediglich um die Bewahrung des Status quo geht. Expandierende Staaten kommen nicht umhin, "den Staat reich, den einzelnen arm zu erhalten und mit größter Sorgfalt auf Kriegsübungen zu halten" .26 Würden sie eine solche Politik ablehnen, dann müßten sie "dem Ehrgeiz Zügel anlegen, indem sie ihren Staat im In26 Niecola Machiavelli, Politische Betrachtungen über die alte und die italienische Geschichte, hrsg. von Erwin Faul, Köln und Opladen 1965 (2), 2. Buch, 19. Kapitel, 189.

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nern durch Gesetze und Sitten gut einrichteten, Eroberungen verböten und allein auf ihre Verteidigung und den guten Zustand ihrer Verteidigungsmittel bedacht" sein sollten27. Grundlage des Expansionsverzichts der Republiken ist für Machiavelli der hohe interne Konsens. Er beruht auf der durch die Verfassung gewährleisteten Freiheit, deren Verteidigung Machiavelli denn auch eher dem Volk als den Adligen anvertrauen möchte. Besitz drängt ständig auf Vergrößerung; auch würden die Machtmittel die Mächtigen dazu verführen, sie einzusetzen und damit interne Umwälzungen heraufzuführen28. Das Volk soll seine Freiheit selbst verteidigen, und es wird dazu um so eher bereit sein, je größer sie ist. Das Volk denkt vernünftig und rational. Es ist "klüger und beständiger" als ein Fürst, hat auch ein "richtiges Urteil". Es wird zu Recht mit der Stimme Gottes verglichen. "Die öffentliche Meinung prophezeit so wunderbar richtig, als sähe sie vermöge einer verborgenen Kraft ihr Wohl und Wehe voraus29." Die Völker sind also durchaus im Stande, ihre Freiheit richtig und hoch einzuschätzen und sie auch zu verteidigen. Der dadurch erreichte Schutz ist sehr viel wirksamer als der, der durch Festungen bewirkt werden könnte30• "Denn wenn die Menschen gut regiert werden, suchen und verlangen sie keine andere Freiheit ..." 31 Freiheit hat Machiavelli nicht nur im rechtlichen, sondern auch im materiellen Sinn verstanden. Für ihn ist die Freiheit die Grundlage für den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt, der die Entfaltung der menschlichen Existenz je nach Leistung erlaubt. Freiheit und soziale Gerechtigkeit, jedenfalls die Gleichverteilung der Entfaltungschancen, bewirken den Konsens, der die Stabilität einer politischen Einheit ausmacht und gleichzeitig ihren Gewaltverzicht nach außen festschreibt. Dieses Konstruktionsprinzip wird noch verstärkt, wenn es, aus Verteidigungsgründen, zum Zusammenschluß mehrerer solcher Republiken zu einer Föderation kommt. Sie wird sich über die geplante Größe von 12 bis 14 Gemeinwesen nicht ausdehnen, weil sie zur Verteidigung ausreichend ist und weil die einzelnen Republiken "keinen Nutzen in Eroberungen sehen". Hat sich hier die Ausrichtung der einzelnen Republiken auf die Bewahrung des Status qua in ihren Zusammenschluß hinein fortgesetzt, so wird sie durch die Institution des Zusammenschlusses und durch seine Entscheidungsprozesse noch verstärkt. Welchen Nutzen Ebd. 190. Ebd. 1. Buch, Kapitel 5, 19. ze Ebd. 1. Buch, Kapitel 58, 128. ao Ebd. 2. Buch, Kapitel 24, 207 - 208. a1 Ebd. 3. Buch, Kapitel 5, 239. 27

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brächte der Expansionismus für eine Republik, wenn sie seine Erfolge doch mit allen anderen teilen müßte? Vor allem: Wie läßt sich eine expansionistische Politik betreiben, wenn doch die Entscheidungen einer solchen Föderation von einer Vielzahl von Abgeordneten in einer Vielzahl von Versammlungen getroffen werden müßten? Die Langsamkeit des Entscheidungsprozesses verstärkt den Expansionsverzicht. Am Beginn der europäischen Neuzeit hat Machiavelli damit den Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und Friede klar bezeichnet. Zwar ging es ihm nicht um diese Fragestellung; man muß auch darauf hinweisen, daß die Übersetzung seiner Aussagen in moderne Terminologie ihm als Person nicht gerecht wird. Seinen Analysen wird dadurch freilich kein Zwang angetan. Es ist die zureichend große Föderation kleiner Republiken, oder aber der föderativ organisierte Bundesstaat, deren interne Organisation den Aggressionsverzicht und die gewaltfreie Regelung auswärtiger Konflikte institutionalisiert. Die föderativ organisierte Republik stellt dasjenige Herrschaftssystem dar, das die optimale Bedingung für eine gewaltfreie Außenpolitik enthält. Ich habe Machiavelli etwas ausführlicher behandelt, weil er am Beginn der Neuzeit als erster diese Thematik in einer Weise behandelt hat, die für die Diskussion bis weit in das 19. Jahrhundert hinein maßgebend war. Er hat den Zusammenhang von Verfassung und Frieden systematisch erörtert und seine Realisierung der föderativen Republik zugewiesen. Darin ist ihm die Diskussion bis weit in das 19. Jahrhundert hinein gefolgt. Von dieser Linie weichen eigentlich nur zwei Theoretiker ab. Für Themas Hobbes ist die Schaffung äußerer und innerer Sicherheit der oberste und einzige Staatszweck, dem sich alles unterzuordnen hat, auch die Verfassung. Konsequent wird Hobbes zum Apologeten des absoluten Staates32 • Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hat dann Hegel in seiner Staatsphilosophie das Recht des einzelnen und sein Interesse der Souveränität des Staates gegen die Außenwelt untergeordnet und nur als "verschwindendes Moment" bezeichnet. Krieg floß für Hegel notwendig aus der Souveränität des Staates und trug zu seiner internen Stabilisierung durch Konsensmobilisierung bei33 • Die meisten anderen aber, soweit sie sich überhaupt mit dem Zusammenhang von Verfassung und Frieden beschäftigten, folgten der von Machiavelli eingeschlagenen Linie. Montesquieu wiederholt praktisch s2 Dazu Donald W. Hanson, Themas Hobbes's "Highway to Peace", in: International Organization 38/2, Frühjahr 1984, 329 ff. 33 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, hrsg. von G. Lassen, Leipzig 1913, 99 ff.

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die Argumente Machiavellis. "Der Geist der Monarchie ist auf Krieg und Eroberung gerichtet, der Geist der Republik auf Friede und Maßhalten34." Republiken müssen klein sein, weil sonst zu große Vermögen entstünden, Interessen- und Machtgelüste ausgelöst würden. Trotz ihrer Kleinheit können die Republiken ihre Freiheit verteidigen, weil sie eine Verfassungsform erdacht haben, "die alle inneren Vorzüge einer republikanischen Regierung mit der äußeren Macht einer Monarchie vereinte: Ich meine den Staatenbund" 35 • Er kann einem Angriff von außen erfolgreich Widerstand leisten, ohne im Innern die Freiheit vermindern zu müssen. "Da er sich aus kleinen Republiken zusammensetzt, zieht er aus der inneren Gesundheit jeder einzelnen Vorteil, und nach außen besitzt er dank des Bündnisses alle Vorzüge großer Monarchien38 ." Der Staatenbund kleiner Republiken ist auch für Montesquieu die Verfassung des Friedens. Zum gleichen Ergebnis kommt auch J ean-J acques Rousseau, wenngleich aus ganz anderen Gründen, und vor allem mit einem eigentümlich doppelgesichtigen Begriff von Konföderation, die einmal der Konzeption Machiavellis, zum anderen der Saint-Pierres nachgebildet war. Rousseau hat den Frieden- wie später auch Johann Gottlieb Fichte in seinem "Geschlossenen Handelsstaat" - mehr dem künstlichen Kontaktverzicht bedürfnisarmer Republiken als deren Verfassung zugeordnet. Dafür hat dann Immanuel Kant am Ausgang des 18. Jahrhunderts die Abhängigkeit des Friedens vom Herrschaftssystem deutlich herausgestellt und daraus auch in seinen ersten beiden Definitivartikeln zum Ewigen Frieden die strategischen Konsequenzen gezogen. "Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein", und "das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein37". Hier kehrt der Zusammenhang so wieder, wie ihn schon Machiavelli beschrieben hatte. Kant formuliert ihn jetzt in jenen beiden klassischen Definitivartikeln, deren Inhalt die Friedensstrategien des Liberalismus, vor allem des Republikanismus, bis zur Gegenwart bestimmt haben. Wie muß eine Gesellschaft herrschaftlich organisiert sein, damit sie auf die Gewaltanwendung nach außen verzichtet? Darauf gibt Kant eine klare und klassische Antwort: Sie muß ein republikanisches Herrschaftssystem haben, das die Werte der politischen Partizipation in der bürgerlichen Gesellschaft gleich verteilt. Wenn über die Außenpolitik 34 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, hrsg. von Ernst Forsthoff, Tübingen 1951, Bd. I, Buch IX, Kapitel 2, 182. 3.'1 Ebd. Kapitel 1, 181. 38 Ebd. 182. 37 Immanuel Kant, Werke, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. VI, Darmstadt 1964, 204.

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nicht nur durch Fürsten und Könige, sondern durch diejenigen entschieden wird, die die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieser Außenpolitik zu tragen haben, so wird es keinen Krieg mehr geben, da "sie sich sehr bedanken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen" 38 • Für Kant, den "ersten Realisten des Friedensgedankens in der europäischen Geistesgeschichte" 38 , stand die Gleichverteilung der Mitbestimmung, die Freiheit, obenan. Die "vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung" war diejenige, in der "Freiheit unter äußeren Gesetzen in größtmöglichem Grade mit unwiderstehlicher Gewalt verbunden angetroffen wird" 40 • Die soziale Komponente, die Gleichverteilung von Wohlfahrtswerten, blieb unberücksichtigt. Innerhalb dieser Einschränkung aber bezeichneten Kant und alle Theoretiker des frühen Liberalismus, die sich mit dem Problem überhaupt beschäftigten, die Republik als dasjenige Herrschaftssystem, das ein den Frieden erzeugendes Verhalten hervorbringt: der "universelle und vollkommene Republikanismus und der Ewige Friede sind unzertrennliche Wechselbegriffe", schrieb Friedrich Schlegel'1• Tocqueville gab dafür die gleiche Begründung wie Kant, nur sehr viel ausführlicher. Zwar habe in einer Demokratie, in der die gesellschaftliche Gleichheit herrsche, der einzelne Bürger nur geringen Anteil an der politischen Macht. Andererseits aber seien diese Bürger alle unabhängig und hätten Besitztümer zu verlieren, so daß sie weniger die Eroberung und weit mehr den Krieg fürchteten42 • Tocqueville hat für diese Friedensorientierung der Republiken also den gleichen Grund angeführt wie Kant, hat den Besitz nur pejorativer eingeschätzt, indem er ihm "die Milde der Sitten, die seelische Verweichlichung" zuordnet43 • Wie Machiavelli verortet Tocqueville einen weiteren Grund für die Friedensneigung der Demokratie in der Organisation ihrer Entscheidungsprozesse: Sie sind der - erfolgreichen - Führung der Außenpolitik nicht zuträglich44 • In den Augen Tocquevilles war dies kein besonderer Vorzug, aber eben ein politisches Faktum, das seine Analyse ergab. as Ebd. 206. au Raumer, Ewiger Friede (Anm. 22), 174. 4o Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürger-

licher Absicht, in: Werke (Anm. 37), Bd. VI, 39. 41 Friedrich Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus. Veranlaßt durch die Kantische Schrift Zum Ewigen Frieden, 1796, hier zit. nach: Zwi Batscha und Richard Saage (Hrsg.), Friedensutopien. Kant, Fichte, Schlegel, Görres, Frankfurt 1979, 106. 42 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 1959, Teil II, Kapitel 26, 305. 43 Ebd. 284. u Ebd. Teil I, Kapitel 5, 263 f.

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Bei der Diskussion des Zusammenhangs zwischen Herrschaftssystem und Frieden sprachen die Theoretiker entweder von Demokratie, Republik oder dem Repräsentativsystem. Gemeint war jeweils die repräsentative Republik, in der die Gewalten geteilt sind und das Volk nicht direkt, sondern über ein Repräsentativsystem seinen Willen geltend macht. Auf ihn, der durch die verfassungsmäßigen Vorkehrungen möglichst rein zur Geltung gebracht werden soll, kommt es entscheidend an. Wenn die Interessen des einzelnen unverändert in Entscheidungen der Exekutive übersetzt werden, gibt es keinen Krieg. Das Interesse des Bürgers an seiner Existenz und deren Entfaltung, an Leben und Besitz, wird zur Grundlage des Friedens - vorausgesetzt, das Herrschaftssystem ermöglicht die unverfälschte Umwandlung dieser Anforderungen. Natürlich blieb die Verteidigung, blieb generell die Frage nach den Bestandsaussichten einer dermaßen friedlichen Republik in einer Umwelt nichtfriedlicher Staaten. Seit Kant war man sich dieser Problematik bewußt, wie noch zu zeigen sein wird: aber auch deren Auflösung schafft nicht die Frage aus der Welt, wie es um die Verteidigungsfähigkeit eines solchen "friedlichen" Staates im Notfall bestellt war. Auch darauf hatte Machiavelli schon eine Antwort gegeben, indem er auf den in solchen Staaten herrschenden hohen Konsens als Abschreckungsfaktor sowohl wie als Garant allgemeiner Verteidigungsbereitschaft hinwies. Zur Aggression unfähig, waren die Republiken zur Verteidigung im höchsten Maße bereit, denn jeder Bürger weiß, daß er sich selbst, seine Rechte und seinen Wohlstand verteidigt, nicht nur seine Ketten. Dieses Herrschaftssystem, schrieb der französische Ökonom J eanBaptiste Say, ist es, das die Republiken unangreifbar, in jedem Falle aber unbesiegbar macht. Sollte die feindliche Übermacht aus geopolitischen Gründen zu stark sein, so empfiehlt Say, was schon Machiavelli empfohlen hatte: den Zusammenschluß mit anderen gleichgesinnten Republiken zur Föderation45 • Wenn auch zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Themen des Republikanismus und seiner Einwirkung auf den Frieden etwas in den Hintergrund traten, so blieb die Aufmerksamkeit dafür im Liberalismus durchaus erhalten. Sie begleitete nicht nur die Diskussion um die europäische Föderation, sie bestimmte auch die Friedenstheorien dieser Periode weiterhin. Die 1867 in Genf gegründete "Ligue Internationale de Ia Paix et de la Liberh~" trug dem Zusammenhang schon in ihrem Namen Rechnung. Sie brachte die Erkenntnisse des Liberalismus auf den Begriff ihres Mottos: "Si vis pacem, para libertatem46 ." Nicht um" Jean-Baptiste Say, Ausführliches Lehrbuch der praktischen politischen Ökonomie, deutsch mit Anmerkungen von Max Stirner, Bd. II, Leipzig 1845, 367-368.

46 Zit. bei Alvin Hanschmidt, Republikanisch-demokratischer Internationalismus im 19. Jahrhundert (Historische Studien 430), Husum 1977, 88.

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sonst bezog sich die Liga dabei ausdrücklich auf Kant. Konnte man aber am Ausgang des 19. Jahrhunderts die Qualität eines Herrschaftssystems nur nach den von ihm gewährten Freiheitsrechten bemessen? Schloß die "vollkommen gerechte bürgerliche Verfassung" (Kant) nicht auch die Verteilungsgerechtigkeit mit ein? 1885 erweiterte die Friedens- und Freiheitsliga ihr Motto um diese soziale Gerechtigkeit: "Si vis pacem, para libertatem et iustitiam47 ." Damit war der Zusammenhang zwischen Herrschaftssystem und Frieden zwar plakativ, aber vollständig beschrieben. Wenn ein Herrschaftssystem durch die Freiheit und Mitbestimmung seiner Bürger einerseits, durch soziale Gerechtigkeit andererseits gekennzeichnet war, dann produzierte es gleichzeitig den Frieden. Er hatte in diesem Herrschaftssystem seine Grundlage. Über diese moderne Formulierung des Zusammenhangs zwischen Herrschaftssystem und Frieden ist der Liberalismus nicht hinausgekommen. Er war sich darin einig, daß die entscheidende Rahmenbedingung für eine friedliche Außenpolitik vom Herrschaftssystem beigesteuert wird: "Liberte au dedans. Paix au dehors. Voila taut le programme48." Natürlich sah auch der Liberalismus, daß die Praxis nicht seinem Ideal entsprach. Aber er suchte die Ursache nicht, wie es der Marxismus tat, in den Interessen, nicht im Wirtschaftssystem, sondern im Herrschaftssystem. Je schlechter und unrepräsentativer, also je undemokratischer die Regierung, desto größer war der Einfluß der kleinen herrschenden Klassen. Gerade deswegen konnten sie ihre Interessen gegen die der Masse durchsetzen, konnten Kolonien erwerben, weil es dort Pfründe zu holen gab, und Krieg führen, weil sich dadurch die Finanzbasis des Staates vergrößern ließ, über die sie schließlich verfügten48 • Das Herrschaftssystem gab diesen Minderheiten die Möglichkeit, ihre Interessen zu denen des Staates werden zu lassen. Schon J ames Mill sah sehr genau, daß die Kriegsneigung der Demokratien, daß Kolonialismus und (später) Imperialismus nicht die Folgen des kapitalistischen Wirtschaftssystems, sondern des nicht-demokratischen Herrschaftssystems waren, das immer noch sehr stark oligarchisch und eben nicht demokratisch-republikanisch organisiert war. Wenn die Demokratien des 19. und des 20. Jahrhunderts nicht so friedliebend waren, wie sie es dem Typ des Herrschaftssystems nach eigentlich ge47 Jacob ter Meulen, Der Gedanke der internationalen Organisation in seiner Entwicklung, Bd. II, Haag 1940, 347. 48 Frederic Bastiat, Paix et liberte, ou le budget republicain. Oeuvres completes, t. V, Paris 1854- 1864, 419. .cu James MilZ, Colony, in: Supplement to the Encyclopedia Britannica 111 (1824), 263 ff.

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wesen sein müßten, so hatte dies seinen Grund darin, daß das demokratisch-republikanische System noch keinesfalls voll ausgebildet, daß die Machtverteilung höchst ungleich war. Die Machtinhaber konnten noch immer mit allen "Suggestionen von Patriotismus, nationaler Ehre, Heldentum usw." 50 arbeiten, um die Massen für die Durchsetzung ihrer Partikularinteressen einzuspannen. "Die Vaterlandsliebe, das Gefühl der nationalen Ehre und das Pflichtgefühl werden angesprochen. Dazu werden die Massen über die wahren Verhältnisse getäuscht, werden falsche Tatsachen aufgebauscht oder andere verschleiert, werden Gefahren vergrößert, um die richtige Alarmstimmung zu erzeugen, die die Masse fortreißtst." Solange solche Herrschaftstechniken angewendet werden, deuten sie darauf hin, daß das demokratisch-republikanische Herrschaftssystem eben noch nicht voll ausgebildet, die Machtverteilung noch immer ungleich ist. Sie kann wirtschaftliche Partikularinteressen begünstigen, aber auch machtpolitische. Das Herrschaftssystem, das über die Machtverteilung entscheidet, legt damit auch die Rahmenbedingung für das Außenverhalten fest. "Eine wirkliche Demokratie wird keine Expansionsbestrebungen kennen, keinen Krieg um ihretwillen entfesseln52 ." In dieser Analyse war sich die politische Theorie, soweit sie nicht durch eine geschichtsphilosophische Prämisse einseitig festgelegt worden war, einig. Das Herrschaftssystem, das von sich aus keinen Anlaß zum Krieg und in sich keinen Anreiz zur Expansion und zur Aggression entwickelt, ist die republikanische Demokratie mit gleicher Machtverteilung. Sie findet den notwendigen Schutz, gegen die Aggression von außen in dem Zusammenschluß mit anderen, gleichermaßen konstruierten Einheiten. Seit Machiavelli diesen Zusammenhang festgestellt und zu einer - annäherungsweisen - Herrschaftstheorie des Friedens zusammengefaßt hatte, wurde sie zwar im Laufe der Jahrhunderte der geschichtlichen Entwicklung angepaßt, modernisiert und differenziert, aber nicht mehr prinzipiell verändert. In der zeitgenössischen Wissenschaft von den internationalen Beziehungen ist die Fragestellung nicht mehr mit dem gleichen Engagement angegangen worden. Zunächst hatte Hans Morgenthau mit seinem Buch: "Macht und Frieden", das nicht nur die ,Realistische Schule', sondern auch lange Zeit hindurch die Disziplin Internationale Beziehungen geprägt hat, den Anschluß an eine ganz andere europäische Theorie herso Altred H. Fried, Die Grundlagen des revolutionären Pazifismus, Tübingen 1908, 47 - 48. 51 Ebd. 48. 52 KarZ Kautsky, Sozialisten und Krieg. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Sozialismus von den Hussiten bis zum Völkerbund, Prag 1937, 664.

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gestellt, die der "Realpolitik". Hinter der für sie zentralen Kategorie der Macht, ihres Erwerbs und ihres Verlustes, hinter dieser Politikorientierung trat das Interess€ am Frieden weit zurück. Nach seiner Renaissance in den sechziger und siebziger Jahren wandte es sich einem verwandten, aber eben doch anders formulierten Problem zu: dem des Verhältnisses von Innen- und Außenpolitik. In den Vereinigten Staaten mehr quantitativ53 , in der Bundesrepublik mehr historisch-systematisch untersucht54, öffnete es den Blick für die Vernetzung von Innen- und Außenpolitik, für die Möglichkeit einer Entsprechung zwischen dem Grad des innenpolitischen Dissenses und der Gewaltanwendung nach außen. Die Fragestellung ging in historische Analysen ein55 , sie beherrschte auch die einschlägigen Analysen der Politikwissenschaft in der ersten Hälfte der achtziger Jahre56 • In diesen Analysen wird das Herrschaftssystem zwar mitberücksichtigt57 , aber nicht zu der wichtigen unabhängigen Variable gemacht, deren Rang es zweifellos verdient. Das gilt auch für die großen und umfangreichen, in der Tradition von Wright sich bewegenden Untersuchungen von J. David Singerund Melvin Small58 und die Anschlußarbeiten59 • Sie alle behandeln den Zusammenhang von Innen- und Außenpolitik, ohne ihn jedoch in einer theoretisch geklärten Weise anzugehen. Ohne eine solche Anleitung aber lassen sich die zu prüfenden Zusammenhänge nicht exakt formulieren, bleiben die gegebenenfalls relevanten Zusammenhänge außer Sicht. So sa Einen Überblick Gantzel, System und

über die internationale Literatur bietet Klaus Jürgen Akteur. Beiträge zur vergleichenden Kriegsursachenforschung, Düsseldorf 1972. 54 Vgl. die Literatur bis 1978 bei Erhard Forndran, Zur Theorie der internationalen Beziehungen. Das Verhältnis von Innen-, Außen- und internationaler Politik und die historischen Beispiele der 30er Jahre, in: ders. et al. (Hrsg.), Innen- und Außenpolitik unter nationalsozialistischer Bedrohung, Opladen 1977, 315 ff. 55 Vgl. z. B. Klaus Hildebrand, Innenpolitische Antriebskräfte der nationalsozialistischen Außenpolitik, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, hrsg. von H.-U. Wehler, Göttingen 1974, 636 ff. ss Vgl. die Übersicht über die einschlägigen Studien am Wissenschaftszentrum Berlin in: Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, Papiere für die Praxis, Nr. 36, November 1981, 21. 57 James N. Rosenau und George H. Ramsey Jr., External and Internal Typologies of Foreign Policy Behavior: Testing the Stability of an Intriguing Set of Findings, in: Patrick McGowan (ed.), Sage International Yearbook of Foreign Policies Studies, vol. III, Beverly Hills 1975, 245 ff. Ferner Barbara und Stephen Salmore, Political Regimes and Foreign Policy, in: Maurice A. East et al. (ed.), Why Nations Act, Beverly Hills 1978, 103 ff. 58 J. David Singer und Melvin Small, The Wages of War 1816- 1965. A Statistical Handbook, New York 1972. 59 J. David Singer (ed.), The Correlates of War, 2 vols., New York 1979.

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nimmt es nicht Wunder, daß die Ergebnisse dieser Forschungen für die Bearbeitung des friedenspolitischen Problems keine eindeutigen, sondern diffuse Ergebnisse erbracht haben. Es wäre daher wünschenswert, wenn künftige Arbeiten sich im Rahmen eines transparenten Modells der internationalen Politik exakt mit der zu diesem Zweck künstlich zu isolierenden Frage befaßten, ob das demokratisch-republikanische Herrschaftssystem in der von den Theoretikern bezeichneten Weise zugunsten des Friedens wirkt. Diese Frage kann hier nicht beantwortet, sondern eben nur als Forschungshypothese aufgeworfen werden. Sie kann aber jetzt, als Ergebnis dieser Überlegungen, als plausibel gelten. In dem Maße, in dem die Verfassung auf die Friedenswahrung einwirkt, in ihrer Funktion also als eine Bedingung des Handelns, kann sie - und wird sie - eine auf den Frieden gerichtete Außenpolitik dann befördern, wenn sie im Innern der gesellschaftlichen Einheit eine hohe Verteilungsgerechtigkeit organisiert und dafür nur auf geringe Grade von Herrschaft und Gewalt angewiesen ist. Im Umkehrschluß ergibt sich daraus, daß die Analyse von Kriegen, ihren Anlässen und Ursachen nicht umhin kann, das Herrschaftssystem, die Verfassung, als relevante Faktoren miteinzubeziehen. Sie spielen eine schwache, aber keinesfalls unbedeutende, in manchen Fällen wichtige Rolle als Bedingung auswärtiger Politik.

Der gerechte und der notwendige Krieg "NeceBSitas" und .,Utilitas reipublicae" in der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts Von Michael Behnen, Göttingen Es mangelt nicht an Darstellungen der Lehre vom gerechten Krieg. Seltener dagegen sind Untersuchungen über das Ende ihrer Geltung und über ihr Verhältnis zu anderen Kriegstheorien, zumal solchen, die sich auf ein weltliches Natur- und Völkerrecht berufen. Was beide Konzeptionen voneinander trennt, ist in der Forschung unstrittig: die moraltheologische Fundierung. Das Verbindende zwischen dem "gerechten" Krieg des Mittelalters und dem "notwendigen" Krieg der Frühen Neuzeit bleibt indes vielfach in der Schwebe oder außer Betracht1 • Im Mittelalter wurde der Krieg zunächst von seinem Zweck her definiert. Er nahm in der Universalistischen christlichen Weltordnung einen festen Platz ein, insofern als er der Wahrung der Gerechtigkeit in all ihren schillernden Ausprägungen dienen sollte. Als sein Ziel wurde der Friede ausgegeben, ohne daß hiermit in der Regel weitere und vor allem konkrete Aussagen über die Art und die Gewährleistung des idealen Verhältnisses zwischen den Völkern verbunden waren. Die Herausbildung einer Reihe von selbständigen Staaten neben dem Reich und die Aufspaltung Europas in Konfessionen führten zur Infragestellung und schließlich zur Auflösung des "Orbis christianus". Damit und mit der Entdeckung der Neuen Welt stellte sich die Frage nach der Rechtfertigung von Kriegen immer wieder neu. Konfessionelle Konflikte und Bürgerkriege aus religiösen, sozialen oder nationalen Gründen sprengten das tradierte Schema von "justitia" und "ordo". Es wurden Rechtst Aus der Fülle der Literatur seien nur genannt: Joan D. Tooke, The Just War in Aquinas and Grotius, London 1965. Frederick H. Russell, The Just War in the Middle Ages, Cambridge 1975. James Turner Johnson, ldeology, Reason and the Limitation of War. Religious and Secular Concepts 12001740, Princeton 1975. Wilhelm Janssen, Die Anfänge des modernen Völkerrechts und der neuzeitlichen Diplomatie. Ein Forschungsbericht, Stuttgart 1965, 20 ff. Ders., Artikel "Krieg", in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. von W. Conze u. a., Stuttgart 1982, Bd. 3, 567 ff. Nützlich die ältere überblicksartige Darstellung von Robert H. W. Regout, La doctrine de Ia guerre juste de Saint Augustin a nos jours d "apres les theologiens et les canonistes catholiques, Paris 1934.

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titel zur Abstützung neuer Herrschaftsverhältnisse deklariert und bestritten. Abhängige Territorien erhoben selbstbewußt Anspruch auf Gleichstellung mit etablierten Staaten. Das christliche Naturrecht und die darauf gegründeten Regeln des christlichen und gerechten Krieges gerieten zunehmend in den Sog weltanschaulicher Zweifel und machtpolitisch motivierter Interessen. Auch in der Alten Kirche konnte der gerechte Krieg nicht mehr mit einer generellen Zustimmung rechnen2 • Trotz aller Unterschiede hinsichtlich der Struktur, des Geltungsumfangs und der Verbindlichkeit gab es zwischen dem bellum justurn des Mittelalters und den verschiedenen kriegstheoretischen Ansätzen und ausformulierten Positionen des 16. und 17. Jahrhunderts eine Reihe von inhaltlichen Parallelen, terminologischen Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten in der Lösung des Problems. Auf der begrifflichen Ebene fallen neben der Beibehaltung des Begriffs "bellum justum" besonders die Topoi "necessitas" und "utilitas reipublicae" ins Gewicht. Wie die klassischen Bestandteile der Bellum-justurn-Lehre des Mittelalters seit Thomas von Aquin (justa causa/auctoritas principis/intentio recta) begleiten und stützen sie den großen Paradigmawandel und -wechsel, der sich im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts in der theoretischen Auseinandersetzung mit der Kriegsmaterie vollzogen hat: vom moraltheologischen Fundament des Krieges zu seiner Legitimierung auf der Basis eines weltlichen Natur- und Völkerrechts. Dadurch konnte der Krieg ein wichtiges Merkmal des souveränen Staats und ein effektives Instrument seines Herrschers werden. Die Bellum-justurn-Lehre des Mittelalters sah die Hauptaufgabe des Krieges in der "conservatio reipublicae". Der Einsatz der bewaffneten Macht galt in der Regel der Gewährleistung der "stabilitas" in der geistlichen und weltlichen Ordnung. Die Abwehr von Unrecht, der Schutz der Bevölkerung und die Integrität des Herrschaftsgebiets waren Gebote der "utilitas reipublicae" und gegebenenfalls ein zwingendes Erfordernis der "necessitas". Aus dem Römischen Recht war die "necessitas" bekannt. Wenn auch eine unmittelbare Übernahme nicht vorliegt, 2 Neben der genannten Literatur zu Einzelfragen: Fritz Dickmann, Krieg und Fehde im Mittelalter bzw. Krieg und Frieden im Völkerrecht der frühen Neuzeit, in: ders., Friedensrecht und Friedenssicherung, Göttingen 1971, 98 ff., 116 ff. - In der Auseinandersetzung um die spanische Kolonialpolitik in Amerika prallten die Standpunkte heftig aufeinander (Sepulveda: Gerechter Krieg gegen die ungläubigen Indianer zwecks Bekehrung; Vitoria: Verschiedenheit der Religion sei kein gerechter Kriegsgrund, außer wenn die Spanier an der Verbreitung des Evangeliums gehindert würden. Hierdurch entstünde ein Unrecht und damit eine .,justa causa" zur Kriegführung. De lndis ... III,ll). Vgl. Josej Soder, Die Idee der Völkergemeinschaft. F. de Vitorias und die philosophischen Grundlagen des Völkerrechts, Frankfurt 1955. - Zu Smirez s. u. S. 63 Anm. 53.

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so erfüllte "necessitas" zu Beginn der Neuzeit durchaus eine der im Römischen Recht geläufigen Funktionen: Dem Eintreten für das vorgebliche oder das tatsächliche Gemeinwohl wurde ein besonderes Gewicht zugemessen3. - Im Kontext der Cicero-Renaissance des 15. Jahrhunderts gewann der Topos "utilitas reipublicae" eine neue Bedeutung4 • Der "status regni" als der Inbegriff der "publica utilitas" erforderte vom Herrscher und von seinen Untertanen die Abwehr innerer und äußerer Feinde. "Patria" wurde heimisch in den Staaten außerhalb des Reiches. So wertete Philipp von Leyden die Verteidigung der "patria" und die "salus publica" als Aufgaben, die einen höheren Rang innehaben als jedes private lnteresse5 • Auch in der Bellum-justurn-Lehre des spanischen Völkerrechtlers Francisco Smirez und in den Kriegskonzepten calvinistischer Politiktheoretiker fanden die tradierten Topoi "necessitas" und "utilitas reipublicae" Verwendung, und zwar zur Festigung und Vertiefung des diskriminierenden Feindbegriffs und darüber hinaus generell zur Legitimierung des Krieges. Im 17. Jahrhundert wurde unter "bellum justum" bzw. "licitum" auch das neue "bellum necessarium" verstanden. Es galt als ein unabdingbares Attribut des Souveräns, ohne daß der alte Terminus aufgegeben worden wäre. Ebenso unterlag "conservatio reipublicae" einem inhaltlichen Bedeutungswandel. "Erhaltung" ging unmerk-

s Theo Mayer-Maly, Topik der Necessitas, in: Etudes offertes a Jean Macqueren, Aix-en-Provence 1970, 477- 86, hier die Aspekte Exkusation, Notstand und Willenswidrigkeit. Ders., über die Konstituantenfunktion: Necessitas constituit Jus, in: Studi in onore di Giuseppe Grosso, Turin 1968, Bd. 1, 179 ff.; hier (190) der unzutreffende Hinweis auf die Koordination von necessitas und utilitas bei Livius (22, 57, 11 f. und 24, 14, 3). Zur Verwendung im Römischen Rechts. s. ders., Gemeinwohl und Necessitas, in: Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für Adalbert Erler, Aalen 1976, 135 ff. Auf die Verwendung von "necessitas" in der neueren Rechtsgeschichte, auch in der Dissertationsliteratur der Juristen des 17. Jahrhunderts, geht ein: Johannes W . Pichler, Necessitas non habet Iegern?, in: Aus Osterreichs Rechtsleben in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Ernst C. Hellbling, Berlin 1981, 659- 82, 662 u. ö. Ein (wenn auch nicht sehr ergiebiger) locus classicus für die Kriegsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts waren die Memorabilia des Valerius Maximus, so VII,6 "De necessitate" (etwa Nr. 4 und Externa Nr. 2). 4 Siehe die Nachweise bei Michael Behnen, "Arcana haec sunt Ratio Status". Ragion di Stato und Staatsräson. Probleme und Perspektiven (1589 1651), in: ZHF 13 (1986), im Druck. s Gaines Post, Studies in Medieval Legal Thought, Princeton 1964, "Pugna pro patria", 435 - 53. Ernst H. Kantorowicz, The King's Two Bodies, Princeton 1957, 232 ff. - Philipp von Leyden: Post, 451. - Zur Verwendung von defensio, casus necessitatis u. a. im Frankreich Philipps des Schönen s. schon Helene Wieruszowski, Vom Imperium zum nationalen Königtum. Vergleichende Studien über die publizistischen Kämpfe Kaiser Friedrichs II. und König Philipps des Schönen mit der Kurie, München/Berlin 1933, 171 ff.; ferner Philippe Contamine, Guerre, Etat et Socit~te a la fin du Moyen Age. Etudes sur les armees des rois de France 1337- 1494, Paris/Mauton/la Haye 1972, passim.

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lieh über in "Selbstbehauptung" mit der Tendenz zur Erweiterung des Territorialbestandes angesichts der konkurrierenden Staaten. Den entscheidenden Wandel im begrifflichen Gehalt des bellum justurn lösten jedoch die Souveränitätskonzeption Badins und das Macht- und Militärstaatsideal des Lipsius aus. Beide sprachen dem weltlichen Fürsten einen umfassenden Katalog von Souveränitätsrechten und Prärogativen zu. Die Steigerung der obersten Jurisdiktionsgewalt beinhaltete auch eine Vermehrung und Neubegründung seiner Kompetenzen auf dem gesamten militärischen Sektor. Bodin und Lipsius wirkten auch auf solche Theoretiker des Krieges ein, deren Konzept vornehmlich von konfessionellen Motiven und Zielsetzungen bestimmt war, z. B. den Gegenreformator Botero und die Calvinisten Danaeus und Althusius. Ebensowenig vermochten Autoren, die sich der aristotelischen Staatsformenlehre verpflichtet fühlten oder an die politische Ethik des Aristoteles anknüpften (z. B. die Conring-Schule in Helmstedt), sich der Attraktivität des souveränen Machtstaats zu entziehen. Daneben wirkten modische Zeitströmungen und langanhaltende Debatten wie der Tacitismus, die Neustoa und die Machiavelli-Diskussion auf die Kriegsthematik ein und überlagerten das Gesamtbild8 • Auch aus einem anderen Grunde ist es nicht möglich, einen bestimmten Zeitpunkt für die Preisgabe des tradierten Bellum-justum-Konzepts zu benennen. Der alte und der neue Fixpunkt für die jeweilige Zweck- und Zielbestimmung des Krieges, die "justitia" und der "souveräne Staat", standen zunächst unverbunden nebeneinander. Für die Autoren war die Zugehörigkeit beider Größen zu verschiedenen Denksystemen keineswegs ein Hinderungsgrund, um nicht ständig die Grenzen und Interpretationsebenen zu überschreiten. So stützten sie mit Hilfe der staatlichen Souveränität die in Legitimationsnöte geratene Gerechtigkeit und umgekehrt7. 8 Einen besonders eindrucksvollen Beleg für die wenig sachliche Auseinandersetzung mit Machiavelli stellt der "Anti-Machiavel" des Hugenotten Innocent Gentillet (1576) dar, der auch hinsichtlich des Themas "Krieg" dem Autor unzutreffende Aussagen unterstellt (Edition de 1576 avec commentaires et notes par C. Edward Rathe, Genf 1968). 7 Dieser Gesichtspunkt wird m. E. unberechtigterweise zurückgedrängt, wenn man wie J anssen bei der Fixierung des Übergangs vom "gerechten Krieg" zum "rechtmäßigen Feind" zu sehr das Augenmerk auf die Formalisierung legt (Janssen [Anm. 1], 583:"Das Problem war nicht mehr die Rechtfertigung, sondern die Regulierung des Krieges. Die Frage nach dem ,bellum iustum' wurde ersetzt durch die Frage nach dem ,iustus hostis"', bezogen auf Vattel). Als erster scheint der spanische Jurist und Chef der Militärgerichtsbarkeit unter König Philipp Il., Balthasar Ayala, in seinem Werk "De jure belli et officiis bellicis et disciplina militari" die Frage gestellt zu haben, ob der Krieg sich in gerechte Regeln fassen lasse ("ad justitiae normam redigere"). Hierzu s. Dickmann (Anm. 2), 127 ff.

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Für die epochemachende Ablösung des "gerechten Krieges" durch den klassischen Kriegsbegriff im Verlauf des 17. Jahrhunderts (Grotius, Vattel) waren zwei fundamentale Prozesse ausschlaggebend: 1. Der Wandel und sodann der Wechsel der normvermittelnden Leitbegriffe (Paradigmata) für die Begründung des Krieges. Die Ideologeme vermehrten und änderten sich: christliches Recht (Suarez); necessita und virtu (Machiavelli); neustoische Tugenden (Lipsius); vera religio (Botero, Calvinisten); weltliches Natur- und Völkerrecht (Grotius); felicitas civilis societatis (Conring-Schule). Die Ausprägung der einzelnen Paradigmata vollzog sich in einer intensiven, z. T. wechselseitigen Auseinandersetzung. Sie war

2. abhängig von den unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Positionen der Autoren in der Staatstheorie, der Verfassungsfrage, der politischen Ethik und im Völkerrecht. Kriegsrecht und -Verfassung und politischer Gesamtzustand waren miteinander verflochten. Im Unterschied zu den großen Praktikern des Krieges (zeitgenössisches Defensionswerk und Söldnerwesen) war für die Theoretiker des Krieges im allgemeinen die Formulierung einer eigenen Position unerläßlich, die - häufig mit Rückgriff auf antike Modelle - die Kriegsmaterie im engeren Sinne sprengte und sie in den aktuellen staats- oder politiktheoretischen Rahmen stellte. Dies vollzog sich im 16. und 17. Jahrhundert in mehreren Etappen. Am Anfang standen Forderungen, die sich auf Teilbereiche beschränkten, ohne den Anspruch auf eine Theorie zu erheben. Von Machiavelli angeregt, forderte Haimond Fourquevaux von König Franz I. die Heranziehung der Untertanen zum Kriegsdienst. Der kaiserliche Feldhauptmann Lazarus von Schwendi begehrte eine Söldnertruppe aus Untertanen. Und der Führer der Hugenotten, Fran~ois de la Naue, hielt ständige Fußtruppen zur Bewachung der Sicherheitsplätze für unabdingbar'!. Gegenüber solchen und anderen "parteipolitisch" motivierten und veranlaßten Einzelschritten wird deutlich, daß die oranische Heeresreform und die Schriften des Grafen J ohann VII. von Nassau-Siegen nicht nur nach Umfang und Gewicht s Rai mond Fourquevaux, Baron de Beccarie de Pavis (1509 - 74), Instructions sur la faict de la guerre extraictes des livres de Polybe, Frontin, Vegece, Cornazan, Machiavelle, & plusieurs autres bons autheurs, Paris 1549, zusammengebunden mit Machiavellis "L'Arte della guerra", Genf 1546. Das Werk wurde zunächst Guillaume du Bellay (1491 - 1543), unter dessen Papieren nach seinem Tod ein Exemplar gefunden wurde, zugeschrieben. 1589 erfolgte eine englische Ausgabe in London. - Lazarus von Schwendi (1522- 84), Kriegsdiseurs (1577), erstmals gedruckt 1593/94. - Frant;ois de la Naue, Discours politiques et militaires, Basel 1587 u. ö. - Überblick bei Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer (Deutsche Militärgeschichte 1648- 1939, Bd. 1), München i983, 60 ff.

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einen enormen Fortschritt darstellten. Sie bilden einen Knotenpunkt von Theorie, politischen Erfahrungswerten und militärischer Praxis9 . Der breite Strom kriegstheoretischer Literatur, der mit dem Niederländer Justus Lipsius einsetzte und im gesamten 17. Jahrhundert nicht verebbte, weist verschiedene Tönungen und vor allem einen unterschiedlichen Tiefgang auf. Generell ist die Tendenz zur Systematisierung, ja zur Verwissenschaftlichung der Kriegsmaterie unter Berücksichtigung der bestehenden Staats- und Verfassungsstrukturen und in Auseinandersetzung mit der politischen Theorie der Zeit festzustellen. In den meisten Fällen wurde der Krieg als ein notwendiges, ja ein unerläßliches Mittel zur Verwirklichung der jeweils vertretenen konfessionellen Normen und/oder der politischen Konzeptionen ausgegeben. Um seine allgemeine Verbindlichkeit und seine übereinstimmende Billigung ("licitum") zu fixieren, hätte es eines Minimalkonsensus bedurft, der jedoch wegen der z. T. widersprüchlichen Paradigmata, die zur Begründung des Krieges und zu seiner Rechtfertigung angeführt wurden, nicht erreichbar war. Wie erratische Blöcke ragten die Auffassungen Machiavellis und Hobbes' in die skizzierte uneinheitliche und unübersichtliche Landschaft der Kriegstheorie des 16. und 17. Jahrhunderts hinein und bildeten doch einen Teil von ihr. Die von einem christlichen Naturrecht getragene Konzeption des Spaniers Suarez trennte eine tiefe Kluft von der ihr völlig fremden "necessita" Machiavellis. Zwischen dem Macht- und Militärstaatsideal des Lipsius und calvinistischen Kriegstheoretikern gab es hingegen bemerkenswerte Parallelen und sogar partielle Übereinstimmungen. Die Debatten über die Berechtigung des Krieges und die Bemühungen, seine Unerläßlichkeit unter bestimmten, wenn auch keineswegs fest umrissenen Klauseln nachzuweisen und plausibel zu machen, vollzogen sich vielfach in einem diffusen Nahverhältnis zu den Interessen einzelner Staaten und damit in enger Anlehnung an religiös oder machtpolitisch motivierte Ziele. Die Begründungen für die "necessitas" und die "utilitas reipublicae" des Krieges waren daher in der Regel politisch aufgeladen. Bei aller terminologischen Unschärfe im einzelnen o Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, 11 ff. Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen, Wiesbaden 1973. Demgegenüber noch ganz traditionell und praxisbezogen das Werk des Burggrafen Hans Wilhelm Kirchhof! (in deutscher Sprache) "Militaris Disciplina" (1602). Kritische Ausgabe, hrsg. von Bodo Gotzkowsky, Stuttgart 1976 (Dreiklang von "Schützen", "Regieren" und "guter Ordnung", Vorrede und besondere Vorrede "an den christlichen Leser").

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konnten sie Bestandteile eines konkreten staatlichen oder fürstlichen Aktionsprogrammes sein, auch wenn ein solches den Traktaten nicht unmittelbar zu entnehmen ist. Die "necessitas" als Deckname für außergesetzliche politische oder juristische Akte des Fürsten in einer angeblichen Notlage wurde immer seltener. Dafür nahm man schon früh die bequemere Rechtsfigur der "necessitas perpetua" in Anspruch10 • Ein vergleichbarer Vorgang ließ-sich auch in den Kriegstheorien beobachten. Der Topos "utilitas publica/reipublicae" traf auf ein verändertes Verständnis von Gemeinwohl ("salus publica"), und zwar im Rahmen einer neuen Legitimität und als Ausdruck eines absolutistischen Herrschaftskonzepts11. Die Folgen für den Kriegsbegriff waren weitreichend, zumal beiden Topoi ihre verschleiernde und exkulpierende Funktion im Kontext heftig ausgetragener ideologischer Kämpfe zuwuchs: Die Bestimmung des Staatszwecks und die Rechtfertigung des Krieges wurden in der Tat wesentlich mitbestimmt von der Wirksamkeit der unterschiedlichen politiktheoretischen Grundauffassungen: Der Macht- und Militärstaat des Lipsius berief sich auf das Vorbild der altrömischen Heeresverfassung und auf die "virtus" in einer republikanisch-kaiserlichen Mischform. Die calvinistische Staatstheorie entledigte sich zusehends ihrer monarchomachischen Anfänge bzw. ihres demokratisch orientierten Gemeindefundaments (Genf, Pfalz, Emden u. a.). Zahlreiche Repräsentanten der Politica-Literatur stellten ihre Konzepte in den Dienst machtbewußter Territorialstaaten. Es steht außer Zweifel, daß die juristische Legitimierung des Krieges und die Begründung seiner politischen Notwendigkeit im 16. und im 17. Jahrhundert von allerhöchster Aktualität waren, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Bürgerkriegsproblematik. Im folgenden kann es lediglich um Grundzüge, gelegentlich nur um Schlaglichter gehen12 • Die Vielfalt der Standpunkte, ihre Gegensätzlichkeit und das durchschimmernde gemeinsame Erbe der vom Späthumanismus repräsentierten und aktualisierten "exempla antiquitatis" verlangen nach einer angemessenen Bündelung und Typisierung. Dabei wird auch deutlich, wie zählebig und wandlungsfähig die Lehre vom gerechten Krieg gewesen to Kantorowicz (Anm. 5), 284-291. Dieter Wyduckel, Princeps Legibus

Solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, Berlin 1979, passim. Thomas Würtenberger, Die Legitimität staatlicher Herrschaft, Berlin 1973, 60 ff. 12 Es ist nicht beabsichtigt, Kriegstheorien des Luthertums oder des Calvinismus zu postulieren bzw. darzustellen. Lediglich einige den beiden Konfessionen sich zurechnende bzw. ihnen zugerechnete Positionen werden im Rahmen der skizzierten leitenden Fragestellung analysiert. Ebenso muß der Komplex des Bürgerkrieges ausgespart bleiben, insofern er einen besonderen Kriegstyp darstellt. 1t

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ist und wie zögernd seit Grotius das theologisch ungebundene Naturund Völkerrecht als Basis der Kriegstheorien im Zeitalter des Absolutismus an Boden gewonnen hat1a.

* Jedem Versuch einer Darstellung von Machiavellis Kriegstheorie steht eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen. Zu ihnen zählt in erster Linie der Umstand, daß die Aussagen des Florentiners in mehreren Schriften verstreut sind und sich zumeist nur mühsam von politischen Reflexionen und Ratschlägen zur politischen Ethik trennen lassen. Schon die Heterogenität der antiken Exempel, der Mangel ihrer Vergleichbarkeit und die Neigung des Autors zu einer unbekümmerten Übertragung ihres lehrhaften Gehalts auf seine eigene Zeit berechtigen zu der Frage, ob überhaupt ein einheitliches Konzept vorliegt. In der bisherigen Forschung vermißt man eine eindeutige Antwort14 • Dagegen ist das Urteil über Machiavellis militärische Praxis einhellig, nämlich negativ. Die von ihm aufgebaute Bürgermiliz war ein einziges Fiasko. Seine Vorstellung von Krieg und Heerwesen entsprach in keiner Weise den Anforderungen seiner Zeit. Es ist ein leichtes, ihm elementare 1s Zu den Nachweisen: Die Fundstellen der zitierten antiken Autoren wurden gegebenenfalls ermittelt und anband moderner Editionen überprüft. 14 Besonders nachteilig hat sich auf die Erforschung der Kriegstheorie Machiavellis naturgemäß ein bis heute beklagter Umstand ausgewirkt: Es ist fast ausgeschlossen, die Stellungnahmen in den "Discorsi", im "Principe", in der "Arte della Guerra" und in den Denkschriften (so von 1506, 1514 und 1519) zum Komplex Staat, Politik und Krieg/Militärwesen auch nur in groben Zügen widerspruchsfrei zu interpretieren oder gar zur Deckung zu bringen. Vgl. hierzu (nach Meinecke) vor allem: die Beiträge von Federico Chabod (1925 - 1955), in: ders., Scritti su Machiavelli, 2. Aufl. Turin 1964; Felix Gilbert, Machiavelli: The Renaissance of the Art of War, in: Makers of Modern Strategy, hrsg. von Edward Mead Earle, Princeton 1943, 4. Aufl. 1952, 3 ff.; Leonhard von Muralt, Machiavellis Staatsgedanke, Basel 1945, bes. Kap. 8; Gerhard Ritter, Machiavelli und der Ursprung des modernen Nationalismus, in: ders., Vom sittlichen Problem der Macht, 2. Aufl Bern 1961, 27 ff. (mit überzeugender Kritik an Muralts einseitiger Beurteilung des Staates bei M. als freiheitliche Republik mit Schutzfunktionen für bürgerliche Rechte und Wohlfahrt im Sinne einer schweizerischen Idealkonzeption von Freiheit und Sicherheit). Kurt Kluxen verzichtet in seiner begriffsgeschichtlich angelegten Untersuchung (Politik und menschliche Existenz bei Machiavelli. Dargestellt am Begriff der Necessita, Stuttgart 1967) auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem für das Konzept des Krieges zentralen Terminus der Necessita. Weiterführend hingegen zum Theorie-Praxis-Bezug des Krieges, wenn auch von unterschiedlichen Ausgangspunkten: Bernard Guillemain, Machiavel. L'anthropologie politique, Genf 1977, und J. G. A. Pocock, The Machiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton 1975. Ferner Richard C. Clark, Machiavelli: Bibliographical Spectrum, in: Review of National Literatures 1/1970, 93 - 135, hier 128 - 30 und passim. - Isaiah Berlin, The Originality of Machiavelli, in: Studies on Machiavelli, hrsg. von Myron P. Gilmore, Florenz 1972, 147 ff.

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Fehler und eine gravierende Unkenntnis der zeitgenössischen Kriegführung, insbesondere der Bewaffnung und der Strategie nachzuweisen11. Um so mehr überrascht es, daß bisher relativ wenig Zweifel an Machiavellis Kompetenz geäußert wurden, wenn es darum ging, in seinen theoretischen und historiegraphischen Hauptschriften den Rang des Krieges und des Heerwesens und den Stellenwert des Militärs im "Staat" zu bestimmen18 • In seiner politischen Theorie nimmt der Krieg eine der zentralen Stellen ein. Die kämpferische virtu der Bürger und des Fürsten ermöglicht und gewährleistet den Bestand und die Stabilität der Herrschaft. Im folgenden kann es nur um einige wichtige Merkmale gehen, so vor allem die Legitimität und die Erforderlichkeit des Krieges und um seinen Rang in der politischen "Verfassung" in einem weiteren Sinnt7. "The truly subversive Machiavelli was not a counselor of tyrants but a good citizen and patriot." Das Bemerkenswerte an dieser Behauptung J. G. A. Pococks- die nicht gerade als opinio communis gelten kannliegt wohl in der Tatsache, daß er die Militarisierung des Bürgertums im Denken Machiavellis dafür verantwortlich macht, daß die "Discorsi" in dieser Hinsicht moralisch subversiver sind als der "Principe" 18• 1s Trotz Detailtreue ist Martin Hobohms ältere Arbeit überholt (Machiavellis Renaissance der Kriegskunst, 2 Bde., Berlin 1913). Inzwischen haben die Erforschung der "Vorläufer", der von Machiavelli benutzten Kompilationen der antiken Kriegskunst aus dem 15. Jahrhundert, und nicht zuletzt Untersuchungen zur Kriegführung zu Beginn des 16. Jahrhunderts in und außerhalb von Italien erwiesen: Machiavelli präsentierte zahlreiche Gemeinplätze des 15. Jahrhunderts (Söldnertum/Bürgermiliz), übernahm Teile des humanistischen Erziehungsprogramms (körperliche Ertüchtigung der Jugend; militärische Übungen), ignorierte bewußt neuere Entwicklungen und Erfahrungen der Kriegstechnik und Kriegführung (Vernachlässigung der Artillerie und der Kavallerie) und folgte weitgehend kritiklos der im 15. Jahrhundert gängigen Idealisierung der altrömischen "virtus bellica" als der Grundlage politischer Suprematie. - "In practical terms bis militia experiments were a disaster and bis tactical conceptions unworkable . . . In bis practical reflections on war bis premises were anachronistic and bis solutions unrealistic" (Michael Malett, Mercenaries and their Masters. Warfare in Renaissance Italy, London 1974, 259). - Kenntnisreich Sydney Anglo, Machiavelli: A Dissection, London 1969, Kap. "The Art of War", 129- 157, und passim. Ferner C. C. Bayley, War and Society in Renaissance Florence. The De Militia of Leonardo Bruni, Toronto 1961, bes. Kap. V "The Survival of the Militia Tradition from Bruni to Machiavelli" (219 - 315). 16 Auch Pocock und Anglo stellen diese Frage nicht explizit, ebensowenig Her/ried Münkler, Machiavelli. Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, Frankfurt/Main 1982. 11 Zum Problem Verfassung/Staat zuletzt Münkler (Anm. 16), 3. Teil. 18 Pocock (Anm. 14), 218. Pocock zielt mit seiner provozierenden Feststellung ins Zentrum der Kriegstheorie Machiavellis. Die Wehrpolitik ist ohne Zweifel das "eigentliche Kernstück seiner Lehre" (Ritter, Anm. 14, 41), aber doch in einem umfassenderen Sinn, als Ritter gemeint hat. Die gesamte Wehrverfassung, bes. die Förderung der militärischen virtu, bleibt nämlich

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Pococks zugespitzte Äußerung rührt her von einem Demokratieverständnis, das durch seine angelsächsische Tradition und infolge der vergleichenden Fragestellung des Verfassers zweifellos weiter führt als die herkömmliche zählebige Gegenüberstellung von republikanischen "Discorsi" und "Principe" 18• Der Sekretär der Florentiner Kriegsverwaltung und der Theoretiker in der erzwungenen Abstinenz von politischen Geschäften stimmten in einigen Punkten überein: Der Krieg als eine wichtige öffentliche Aufgabe im Staat erfordert gleichermaßen die politische und die militärische "virtu" seiner Bürger. Beide Qualifikationen bedingen einander und dienen demselben Ziel: der Verwirklichung des öffentlichen Wohls. Die virtu in Waffen bewirkt die politische Partizipation des Volkes und schafft damit den nötigen Bürgersinn, der ein wesentliches Erfordernis ist für die gedeihliche Entwicklung des Freistaats. Der Krieg und die Förderung der militärischen virtu der Bürger erfüllen somit eine eminent politische Funktion. Gleichzeitig werden sie den Forderungen einer übergreifenden historischen Macht gerecht, die Machiavelli "necessita" nennt und die in seiner politischen Konzeption zusammen mit der "fortuna" und der "virtu" den Rang eines gebieterischen Leitmotivs einnimmt20. Mit seiner Militärreform ist der Sekretär des "Rats der Neun" , d. h . der Kriegsverwaltung des republikanischen Florenz, gescheitert. Die militärische Niederlage von Prato (1512) kann als Zeichen gelten für die mangelnde Effektivität der von ihm inaugurierten Bürgermiliz. Hat Machiavelli nun in seinen späteren theoretischen Schriften die Fehler berücksichtigt, hat er seine Grundauffassung von der Stellung des Bürgers zur bewaffneten Macht modifiziert oder korrigiert und damit gegebenenfalls seine Meinung vom Krieg, vom Heer und vom Militär in Florenz und in seiner Zeit neugefaßt? ein politisch-militärisches Strukturproblem allerersten Ranges - auch nach und trotz einer immerhin möglichen Entscheidung über die Staats- und Verfassungsform. Daher trägt nicht nur Machiavellis "Republikanismus" einen ,.etwas theoretischen Charakter" (so Ritter, 37). 1s Oder der mühsame, aber nicht überzeugende Versuch Hans Barons, Machiavellis Entwicklung zum Republikaner nachzuweisen, (Machiavelli: the Republican Citizen and the Author of "The Prince", in: The English Historical Review 76 [1961], 217 - 253). 2o Die Grenzen von Meineckes dichotomisch angelegten und interpretatorisch wegweisenden Kategorien werden rasch deutlich: Neben der "virtu ordinata" stehe bei Machiavelli die "necessita ordinata dalle leggi" (Discorsi I, 1), und zwar als ,.Erzeugerin erstklassigen Menschenmaterials in den Staaten". Die Aufgabe des Politikers bestehe darin, immer den naturhaften Kräften des Lebens zu folgen, aber gleichzeitig auch sie durch die Vernunft zu regulieren (Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte [Werke, Bd. 1] , München 1957, 44). Ahnlieh unklar zum Naturbegriff Kluxen (Anm. 14) 38- 41; schärfer nunmehr Münkler (Anm. 16), 3. Teil, 241 und passim.

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Eingeschränkt auf die Fragen nach der Legitimität und der Notwendigkeit des Krieges, soll sich das Interesse auf die Funktion der bewaffneten Macht im Frieden und im Konfliktfall richten. Hier gibt es durchaus ergiebige und vergleichbare Sachkomplexe, zumal Machiavelli sich zumindest in zwei großen Denkschriften während seiner praktischen Tätigkeit im Zusammenhang geäußert hat21 • Freilich bleiben Vorbehalte bestehen: Der persönliche Anteil Machiavellis am Aufbau und an der Tätigkeit der Miliz ist nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Ebenso lassen sich die Rücksichten, die er auf die wechselnde innenpolitische Konstellation und den Einfluß der verschiedenen Parteien nahm (oder nehmen zu müssen glaubte), nicht eindeutig gewichten22 • Als zentrale Merkmale der von Machiavelli initiierten und geleiteten Bürgermiliz ("Ordinanza") sind zu nennen: Die Heranziehung der Bürger zum Waffendienst, aber nur außerhalb von Florenz und nach Gutdünken der Kriegsverwaltung bzw. ihrer Kommissare; die Rücksichtnahme auf die Standesunterschiede23 ; die lockere Disziplin und die geringe zeitliche Dauer des Dienstes; keine kontinuierliche Befehlsgewalt der militärischen Führer; die Übertragung der Befehlsgewalt von der Kriegsverwaltung (Rat der Neun) im Frieden auf das politische Lenkungsorgan (Rat der Zehn) bei Beginn des Krieges; die Durchbrechung des Prinzips einer allgemeinen Wehrpflicht besonders in politisch unsicheren Gegenden24 • Insgesamt wies die Miliz eine uneinheitliche, ja widersprüchliche Struktur auf. Aufgrund ihrer geringen militärischen Stärke konnte sie -und sollte sie- keine ernstzunehmende Gefahr für das herrschende Großbürgertum sein. Mißtrauen und Parteihader blieben bestehen. Auch mittels materieller Anreize für die Milizangehörigen gelang es nicht, die Kluft zu schließen und dem Militär einen selbstverständlichen 21 Zur 1. Denkschrift vom Herbst 1506 detailliert Hobohm (Anm. 15), Bd. 1, 67 - 76. Text (La cagione dell'Ordinanza, dove Ia si truovi et quel ehe bisogni fare; ferner: Provisione prima per le fanterie del 6 dicembre 1506) in: Opere di N. M., Edizione Valdonega, Verona 1979, Bd. 2, 251 ff. und 259 ff. Am An-

fang beider Stücke betont er außer den Waffen als Grundlage der staatlichen Gewalt auch die Gerechtigkeit - ein Gesichtspunkt, der sich in einem solchen Kontext in späteren Schriften nicht mehr an so profilierter Stelle findet. - Die 2. Denkschrift (wahrscheinlich von 1514) in Auszügen übersetzt bei Hobohm (Anm. 15), Bd. 1, 124 ff., der auch auf Übereinstimmung und Unterschiede zum ersten Buch der "Arte della Guerra" aufmerksam macht (Bd. 2, 49 ff.). 22 Hierzu das abgewogene Urteil Hobohms (Anm. 15), Bd. 1, 417 ff. 23 Die Bewohner der Hauptstadt Florenz wurden zur Reiterei, alle anderen konnten nur zur Infanterie herangezogen werden. 24 Gerade dieser letzte Gesichtspunkt wurde als Vorsichtsmaßnahme genau beachtet. - Münkler (Anm. 16), 381 ff., weist bei seiner insgesamt zutreffenden Charakterisierung m. E. zu Unrecht auf Parallelen zu den französischen Jakobinern und den preußischen Reformern hin.

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Platz zuzuweisen. Die militärische virtu - soweit sie in den wenigen Jahren überhaupt gesellschaftsprägend wirken konnte - vermochte nicht zu einer dauerhaften Entfaltung von mehr Bürgersinn beizutragen25, Dennoch hatMachiavelli in seinem 1521 veröffentlichten Werk "L'Arte della Guerra" an seinem Grundkonzept festgehalten. Er räumt allerdings ein, daß die Durchführung unzureichend gewesen sei. Immer wieder erhebt er die Forderung, man müsse das altrömische Kriegswesen zum Vorbild auch für die Reorganisation des Militärs in Florenz nehmen. Mit Nachdruck erteilt er dem zeitgenössischen Söldnerturn eine Absage, ergeht sich pathetisch in Lobeshymnen auf die Scipionen, auf Marius und auch auf Caesar und läßt als einzige die Wehrverfassung Spaniens und der Schweiz gelten26 . Anhand immer neuer Beispiele aus der römischen Geschichte entwirft er das idealisierte Bild eines von seinen Bürgern loyal getragenen Militärstaats und hofft auf deren Bereitschaft um des Geistes des großen Ganzen willen. Die heilsame Mischung von Zwang und Freiheit werde die Bürger zu den Fahnen führen27 . Die Bewaffnung des Volkes ist völlig gefahrlos für die politische Führung, fügt er beschwichtigend hinzu, da ja die Gesetze beachtet werden28. 25 Machiavelli gab sich der Illusion hin, ungeachtet des verschiedenen Rechtsstatus (Bürgerrechte in der Stadt; ungeschmälerter Untertanenverband in den ländlichen Regionen; Details bei Hobohm [Anm. 15], Bd. 1, 92 ff.) wäre es der militärischen virtu ein leichtes, ständeübergreifend und integrierend zu wirken. - Eine der klassischen Stellen in den Discorsi (I, 43) nimmt ohne Berücksichtigung des Scheiterns der Bürgermiliz das altrömische Vorbild wieder auf (Nutzlosigkeit der Söldner; Verläßlichkeit der eigenen Bürger als Soldaten). 26 Bes. "L'Arte della Guerra", Buch 1 (Anm. 21), Bd. 2, 13-40, und zahlreiche weitere Belege in den folgenden Büchern. Ferner Discorsi I, 12 (Schluß) und II, 19. Principe XII, XIII (Hilfstruppen). ~ Gelegentlich anerkennende Worte über die Disziplin und die Schlagkraft des spanischen Heeres. - Von der Wehrverfassung der damaligen Schweiz, der er höchstes Lob spendet, hat Machiavelli eine ganz und gar unzutreffende Vorstellung gehabt. Insbesondere übersah er die völlig unterschiedliche Gesellschaftsstruktur, deren genossenschaftlichen Charakter er außer acht ließ, wie umgekehrt Muralt (Anm. 14), begeistert von Machiavellis Hochschätzung der Schweizer ("liberissimi"; "libera liberta"), die tiefe Kluft zum Florenz der Renaissance ignorierte. Im übrigen schon zutreffend Ernst Walder, Machiavelli und die virtu der Schweizer (Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte, Bd. 2, Aarau 1944, bes. 127 f.). Dazu Muralt (Anm. 14), 221 f. 27 "Pero si debbe prendere una via di mezzo, dove non sia ne tutta forza, ne tutta volonta, ma siano tirati da uno rispetto che'egli abbiano al Principe, dove essi temano piu lo degno di quello ehe la presente pena" (L'Arte della Guerra, 1. Buch). Anglos Gegenüberstellung von fear, compulsion, duty und civic responsibility (Anm. 15, 146) vermag ich nicht zu folgen. Einleuchtend zum Verfassungsaspekt: Nicola Matteucci, N. Machiavelli Politologe, in: Studies on Machiavelli (Anm. 14), 226 ff. ("La repubblica mista romana"). 2s " ••• perehe gli uomini bene ordinati temono le leggi, armati come disarmati; ne mai possono alterare, se i capi ehe voi date loro non causano l'alterazione" (Anm. 26), 1. Buch, 38.

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Es ist unverkennbar: Aus der "Arte della Guerra" spricht noch der Stolz auf das eigene organisatorische Konzept, dessen krasse Mängel er ignoriert. Machiavelli steht kritiklos im Banne der republikanisch inspirierten Volksmiliz und will das Konzept nachträglich mit Hilfe von Reminiszenzen an die heroischen Traditionswerte einer großen nationalen Vergangenheit rechtfertigen. Charakteristisch ist für diesen Abschnitt seiner Kriegstheorie das Vertrauen in die aufrüttelnde und mitreißende Wirkung ·eines in plakativen Bildern - selektiv und geschönt- beschworenen Militärpatriotismus211 • Getragen von einem unerschütterlichen Optimismus in die Übertragbarkeit der altrömischen Symbiose von Bürgertum und Militär auf seine Zeit, bringt Machiavelli seinen Lesern, gestützt auf Polybios, Vegetius u. a., die römische militärische Technik, die Feldherrnkunst und die Strategie nahe30 • Der Autor verzichtet noch auf die Komprimierung und Sublimierung der vielgestaltigen Wirklichkeit: Die "necessita" mit ihren ehernen Regeln und starren Ansprüchen ist noch nicht Ausfluß und Ausdruck einer gebieterisch auftretenden Geschichtstheorie, die - wie später - dem Militär, dem Krieg und dem Bürger eine engumgrenzte Aufgabe bei der Realisierung der "virtu" zuweist. Wie in einem Brennspiegel faßt Machiavelli den Rang des Krieges in der Gesellschaft zusammen: "L'amore della patria e causato dalla natura: quello del capitano, dalla virtu piu ehe da niuno altro beneficio. Le necessitadi possono essere malte, ma quella e piu forte, ehe ti castringe o vivere o morire."st Der Krieg fordert den Einsatz der individuellen Existenz. Den "nervo della guerra" bilden "Männer, Eisen, Geld und Brot" 32 • Den Vorrang spricht der Autor aber dem bewaffneten Einsatz von patriotisch gesinnten Männern zu. Dies ist ein unzweideutiges Zeichen für seine Kritik an der Herrschaft der Medici, für die zu kämpfen es sich nicht lohne. Die antiaristokratische Tendenz oder - positiv gewendet - der Appell zur Verwirklichung des wehrhaften Volksstaats findet sich auch in den einschlägigen Kapiteln der "Discorsi", ja auch im "Principe". (Anm. 26), 1. Buch, 28 f. Einzelheiten, wobei größtenteils römische Vorbilder ohne Beachtung von Fortschritten und Unterschieden repetiert werden, in den folgenden fünf der sieben Bücher (u. a. Disziplin, Größe der Heere, Schlachtordnungen, Lageranlagen, Befestigungsbau u. a.). s1 (Anm. 26), 4. Buch. 121. - Patriotismus sollte man Machiavellis Soldaten nicht absprechen, auch wenn Vaterlandsliebe oder vergleichbare Termini nicht eben häufig vom Autor benutzt werden. Bei Ritter (Anm. 14, 50) ist wegen der dominierenden Perspektive des nationalen Machtstaats, den er bei Machiavelli nachweisen will, die Optik verständlicherweise verengt. s2 (Anm. 26), 7. Buch, 186. 29

so

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Zweifellos fügt sich die Gesamtheit der Darlegungen, Anspielungen, Reflexionen und Ratschläge nur mühsam in den Rahmen des idealen Freistaats einss. Läßt man sich vom Pathos der ideologisch gefärbten Leitbegriffe vor allem der "necessita" und der "virtu" bestimmen, so dürfte es schwer sein, die Eigenständigkeit und das Gewicht des Krieges zu ermitteln34 • Andererseits nehmen Topoi wie necessita, communa utilita, bene pubblico sowie virtu und corruzione einen Rang ein, der in der traditionellen Bellum-justum-Theorie (die Machiavelli souverän ignoriert) der auctoritas principis, der intentio recta und der justa causa - mutatis mutandis - zukam. Das heißt: Die pragmatisch-utilitaristische Grundposition Machiavellis bedarf offenbar zur Kennzeichnung und Bewertung des Krieges als eines zentralen politischen und gesellschaftlichen Phänomens unabhängiger bzw. inhaltlich neuer Bezugsebenen und Legitimationsmuster. Hierzu gehört in erster Linie die "virtu" - in der Staatstheorie wie der Kriegstheorie ein Terminus, der die kriegerischen Energien der Bürger auf das öffentliche Wohl lenkt und damit auch eine wichtige integrative Funktion ausübt. Der Krieg und seine Vorbereitung dienen der Ausbildung der virtu. Er ist notwendig um der Funktionsfähigkeit des Freistaats willen. Gleichzeitig erfüllt der Krieg die Forderungen der "necessita", insofern nämlich, als er der "corruzione" entgegentritt, die politische Unabhängigkeit des Staates wahrt und dem allgemeinen Niedergang wehrt35 • Als selbständig-unselbständiger politischer Faktor kommt dem Krieg im Denken Machiavellis sowohl eine historisch legitimierbare als auch eine aktuelle politische Aufgabe zu. Die historische Erfahrung - so der Autor - legt die Beachtung der "necessita" dringend nahe. Sie bildet den stärksten Impuls für die virtu in der politisch-militärischen Gesamtanstrengung des idealen Freistaats. Sieht man von ihren geschichtstheoretischen und geschichtsphilosophischen Elementen ab, so bildet die "necessita" den Inbegriff aller Erfordernisse zur Erreichung des Staatszwecks (öffentliches Wohl). Hierbei mißt Machiavelli den militärischen Anreizen eine besondere Bedeutung zu. So ist es ein Gebot der necessita, den militärisch errungenen Ruhm politisch zu nutzen. Die Menschen handeln nur aus Zwang gut. Diese militärpsychologische Erfah33 Wenn man mit Münkler mit guten Gründen als oberstes Ziel Machiavellis die Stabilität des Staates annimmt (Anm. 16), 329 - 334, so entschärft sich das alte Problem des werkimmanenten Gegensatzes von Republik und Alleinherrschaft, und zwar auch hinsichtlich der Kriegsgewalt (Münkler, 334: "Dem uomo virtuose hat Machiavelli nur den historischen Primat zugestanden; höher bewertet er auf jeden Fall die virtu eines Volkes als die Bedingung staatlicher Stabilität"). : 34 Bei Kluxen (Anm. 14) kommt bezeichnenderweise im Sachregister "Krieg" nicht und "Heeresverfassung" nur marginal vor. 35 Nachweise bei Pocock (Anm. 14), 200.

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rung gilt es zur Mobilisierung der politischen Einsatzbereitschaft unbedingt zu nutzen36• Da die "necessita" im Dienste der Gesetze und der Verfassung des Freistaats steht und der Fürst die bestehenden Gesetze achten soll, ist die Erhaltung der "virru" - in ihrer militärischen und in ihrer zivilen Ausprägung - entsprechend dem altrömischen Vorbild eine Staatsnotwendigkeit37 • Kriegerische Aktionen sind kein Selbstzweck. Sie fördern und gewährleisten den Zusammenhalt ursprünglich getrennter militärischer und ziviler Institutionen und MachtmitteL Sie erhalten und schützen die freiheitliche Verfassung mit Hilfe der durch Appell und heilsamen Zwang bewirkten Loyalität der wehrhaften Bürger. Diese neue Disponiertheit der Bürger und der Staatsleitung rührt her von der Gewöhnung an den selbstgesetzten Zwang, so daß die Fremdbestimmung durch die militärische "virtu" als solche nicht mehr bewußt ist. Der Bürger versteht nämlich - im Unterschied zum bloßen Söldner-, daß die Verteidigung des Gemeinwesens notwendig ist. Insofern ergänzen sich militärische und politische virtu. Die virtu in Waffen bewirkte die Partizipation der Untertanen - der altrömischen Plebejer; sie weckt nunmehr den nötigen Bürgersinn, ohne daß sich daraus ein wirkungsvolles Mitgestaltungsrecht an politischen Entscheidungen, also ein demokratisierender Effekt ergäbe. Durch die militärische Disziplin läßt sich am besten die bürgerliche virtu erlernen, einüben und festigen. Wenn die gesellschaftlichen Interaktionen der Bürger wesentlich von der Realisierung der militärischen virtu abhängen tind bestimmt werden, ist die Praktizierung militärischer Verhaltensmuster, nicht nur der Waffenübungen im Frieden, eine notwendige Implikation auch der politischen Prozesse, ja "naturhaft" oder "naturgegeben" 38• Insofern ist der Krieg ein wesentliches Strukturelement menschlichen Zusammenlebens im staatlichen Rahmen. Nach Machiavelli kann sich die staatliche Gemeinschaft als Ganzes nur erhalten, indem sie militärische Verhaltensmuster kultiviert. Diese Werthaltungen mit Leitbildcharakter sind nun aber aus zwei Gründen a priori antirepublikanisch und antidemokratisch: 1. Sie ersetzen den verbal deklarierten republikanischen Grundkonsens

durch die Berufung auf eine willkürliche Setzung des Autors: die geschichtsphilosophische Figur der "necessita", und

3&

Discorsi III, 12; Principe XXIII.

s1 Machiavelli beruft sich auf den von Livius überlieferten Appell eines

Volskerführers an seine Soldaten: "virtute pares, necessitate, quae ultimum ac maximum telum est, superiores estis" (Livius IV, 28; Discorsi Ill, 12). as Vgl. hierzu Pocock (Anm. 14), 201- 203, der mit Recht auf den Widerspruch aufmerksam macht "that only a part-time soldier can be trusted to possess a full-time commitment to the war and its purposes" (200).

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2. Sie extrapolieren aus der altrömischen republikanischen "libertas" das militärische Element, die virtil, und verdrängen den in der Antike intendierten und auch praktizierten Bürgerwillen. An seine Stelle tritt ein sozialethischer Imperativ: der undifferenzierte Appell an die Befolgung der militärischen virtil. Machiavelli nimmt für das Recht und die Entscheidung zum Krieg, das jus ad bellum, nicht etwa säkularisierte Teile der traditionellen Bellum-justurn-Lehre in Anspruch. Das Neue und Moderne an seinem Konzept liegt in dem Umstand, daß er den Krieg als ein politisches Mittel gar nicht auf die Wiederherstellung einer verletzten moraltheologisch oder naturrechtlich begründeten umfassenden Ordnung beziehen kann. Die Bezugsebene ist eine völlig andere: nicht jus gentium, ordo, justitia, also Rechtlichkeit und Stabilität, sondern kampfbereite Bewährung, militärisch-aktionistische Dynamik und Selbsterhaltung als bloß formale .,Systemfestigung". Die Wahrnehmung des jus ad bellum liegt bei der politischen Führung des Freistaats. Seine Anwendung hängt ab von der dynamisch verstandenen .,Selbsterhaltung". Diese wiederum kann in der Notwendigkeit zur Eroberung bestehen und gleichzeitig einen innenpolitischen Zweck verfolgen: die Aktivierung der virtu militare zur Bekämpfung des Parteienstreits und zur Wahrung der inneren Stabilität bei Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverteilung ("la voglia e la necessita dello acquistare"). Ja mehr noch: Die militärische und die bürgerliche virtil nehmen ab, wenn sie bei anderen Völkern verlorengehen, wenn also die Gelegenheit zur Mobilisierung und Bewährung der eigenen virtil nicht gegeben ist38 • Im Kriegszustand befinden sich nach Machiavelli also nicht Staaten, von denen einer den verletzten Rechtszustand wiederherstellen will (.,iniuria gravis illata", so Suarez). Vielmehr stehen Staaten gegeneinander, die gleichermaßen auf die Bewährung ihrer virtil bedacht sind. Spätestens hier wird deutlich, daß die zwischenstaatlichen Beziehungen im Ernstfall (und prinzipiell auch im Friedenszustand) nicht von einem verbindlichen Normengefüge, sondern von der willkürlich gesetzten "necessita" einzelner Staaten bestimmt sind. Das nach Machiavelli ideale as Discorsi II, 19. Discorsi I, 18, 29 und passim. - Ich teile Pococks Auffassung, wonach der Mobilisierungseffekt der virtu in Republiken höher als in Monarchien zu veranschlagen ist (212 f.). Fraglich erscheint hingegen, ob seine Schlußfolgerung berechtigt ist: " . . . success was a function of virtu and virtu was a matter of the autonomy of personalities mobilized for the public good". Pocock geht in seinem Streben nach Harmonisierung zu weit: Personal begründete Entscheidungen sind nicht deckungsgleich mit den Weisungen eines Herrschers, der zum Lehrer ein Wesen erhält, das "mezzo bestia e mezzo uomo" ist (Principe XVIII). Überdies war wohl nur in der idealisierten Darstellung Machiavellis, der Pocock unbesehen folgt, der Träger der virtu generell eine Persönlichkeit, dagegen kaum im Contado oder im republikanischen Rom.

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zwischenstaatliche Regulativ, die virtil militare, wird tatsächlich zur Quelle der Unruhe, der Unsicherheit, der Zwietracht und letztlich der Anarchie40 • Es wäre müßig, darüber nachzudenken, ob der Grund für die Abkehr Machiavellis von der "Verortung" des Krieges in einem vorgegebenen christlichen Weltbild auch in seiner Resignation vor einer Lösung der florentinischen Verfassungsfrage liegt. Der Antagonismus von Großbürgertum und Volk ließ sich mittels der propagierten Mobilisierung militärischer Tugenden recht gut verdecken und überwölben. Etwaigen Bedenken gegen eine Volksbewaffnung konnte leicht mit dem Hinweis auf die Instrumentalisierung der Kriegsmacht zu außenpolitischen Zwecken begegnet werden. Demgegenüber barg die Theorie Unsicherheiten und Defizite: Bei fehlender Einsicht der Bürger in die Forderungen der "necessita" hielt Machiavelli kein erkennbares Mittel bereit, um das anspruchsvolle, aber von zahlreichen Imponderabilien behaftete Konzept zu realisieren. Immerhin implizierte seine Legitimierung des Krieges die Aufhebung der traditionellen Differenzierung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg, was nicht ohne Folgen für die Bildung von feindlichen Koalitionen bleiben konnte. Ferner gab es kaum Garantien für die Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit der einmal mobilisierten ständeübergreifenden virtil. Ihre Verlockungen beschränkten sich in einem Krieg auf mögliche Korrekturen der launischen "fortuna", aber doch kaum zugunsten der kleinen Leute, denen man die "necessita" eines Krieges und ihre Beteiligung wohl eher mit materiellen Anreizen (wie Machiavelli es vor 1512 selbst praktiziert hatte) abkaufen, sie aber nur selten auf Dauer überzeugen konnte41 • Machiavelli begründete die Notwendigkeit des Krieges auch mit allgemeinen patriotischen, ja nationalen Argumenten42 • Hier brauchte er keinen Widerspruch zu fürchten, konnte jedoch nur begrenzt auf die zündende Wirkung der virtil-Appelle hoffen. Die "necessita" des Krieges stützte er auch auf die Abwendung der "corruzione". Dieser Topos richtete sich nach seinem Verständnis nicht nur auf den moralisch bedingten politischen Niedergang. Sein äußeres Kennzeichen war der politische Dissens und die Entstehung von Faktionen. Sie deuteten nicht so 40 So auch Luciano Pereiia Vicente, Teoria de la guerra en Francisco Suarez, Madrid 1954, Bd. 1, 132. Dagegen verzichtet Pocock auf derart klare Urteile zugunsten einer Zuordnung zu Machiavellis zyklischer Geschichtstheorie (Anm. 14, 216 f.). 41 Discorsi I, 21, 29; II, 8, 9, 12, 19; Principe XIV, XXVI. Matteucci (Anm. 27) behandelt die Fragen unter dem Gesichtspunkt "Conflitto politicosociale e stabilita istituzionale", ohne die virtu militare eigens zu unterstreichen (238 - 243). 42 s. o. Anm. 31.

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sehr auf unstatthafte materielle Interessen oder auf das Streben nach politischen Vorteilen als vielmehr auf die verwerfliche Abkehr vom allgemeinen öffentlichen, vom Staat vertretenen Wohl hin. Hierdurch entstand die bedrohlichste aller Ungleichheiten - das unterschiedliche Engagement für die öffentlichen Zwecke, was der Unterminierung der zivilen und letztlich der militärischen virtu gleichkam. Das alte Rom bot genügend abschreckende Beispiele43 • Diese fundamentale Infragestellung des öffentlichen Wohls machte außerordentliche Mittel erforderlich, da die Gefahr bestand, daß sich Einzelführer erhoben, die mächtiger waren als die Gesetze. Das Dilemma ergab sich für Machiavelli daraus, daß er vor dem Hintergrund der zeitgenössischen republikanischen Tradition nicht gut zu außerordentlichen Maßnahmen im Kampf gegen die aktuelle Unterdrückung der Freiheit aufrufen konnte. Die Rolle des Militärs und der Rang der militärischen Gewalt im Staat werden nach Machiavelli durch die Religion gestützt. Wie in der altrömischen Gesellschaft, so wie sie ihm aus Livius bekannt war, ist es in erster Linie die sozialisierende Funktion einer bürgerlichen Religion, nicht eine transzendent ausgerichtete Heilszusage, die Machiavelli im Verein mit der militärischen Disziplin für die Fundierung und Aufrechterhaltung der virtu in Anspruch nimmt44 • Dabei nutzt er die Erwartung der Menschen, durch die Beachtung ritueller Vorschriften den Gang der Geschehnisse beeinflussen zu können. Er vermeidet jedoch peinlich jede Akzentuierung der christlichen Tradition45 • 43 Discorsi I, 17, 18, 55. Pocock (Anm. 14), 208-210, unterscheidet mit guten Gründen zwischen den moralischen, soziologischen und ökonomischen Ursachen der "corruzione". - Ausschlaggebend für die Vermeidung des Niedergangs ist für Machiavelli primär die Aufrechterhaltung der Wehrverfassung. Für ihn steht die Interdependenz von "buona miliza", "buone leggi" und "buone ordini" außer Frage (Discorsi I, 4, 42; II, 2; Ill, 31. Principe XII, Anfang); gelegentlich sogar die unmittelbare Verbindung: Die Nichtbeachtung der militärischen Zucht verdirbt die virtu und lähmt die Furcht vor dem Zusammenbruch ("ultima rovina"). L'Arte della Guerra, 2. Buch (Anm. 26), Bd. 2, 78. - Einbindung in die Vorstellung vom Kreislauf der Verfassungen nach Polybias und Wirken der necessita als geschichtsmächtige Kraft (Discorsi I, 2 u. ö.; Istarie fiorentine V, 1). J. R. Hale läßt die angesprochenen Dimensionen der "corruzione" außer acht (War and Public Opinion in Renaissance Italy, in: ltalian Renaissance Studies, hrsg. von E. F. Jacob, London

1960, 119 f.).

'

Discorsi I, 11 (Vorbild Numa Pompilius), I, 13, 14; II, 2 (christliche Religion ungeeignet wegen Weltverzicht, Jenseitshoffnung und Demut); L'Arte della Guerra, 2, Buch, (Anm. 26), 78 (der Respekt vor der christlichen Religion legt nicht dieselbe necessita zur Verteidigung nahe wie die antike Religion); Ritter (Anm. 14), 53-56, mit der freilich abwegigen Einschätzung der Religion bei Machiavelli: Widerspruch = "symptomatisch für die Unsicherheit des modernen Nationalismus in der Religionsfrage überhaupt" . Knapp Pocock (Anm. 14), 214 f. 4S Principe VI (ironisch: der alttestamentliche Gott als der "erhabene Lehrmeister" des politischen und militärischen Führers Moses); XI (Militärmacht der Päpste). Das Christentum - sofern auf seinen Ursprung zurückgeführt 44

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Wie in Machiavellis politischer Ethik bildet auch in seinem Kriegskonzept neben der virtu die "necessita" als eine herausragende innerweltliche Setzung einen der beiden zentralen historisch legitimierten Leitbegriffe und eines der normgebenden Prinzipien. Der Krieg verläuft gemäß der "necessita ordinata dalle leggi" in gesetzlich geregelten Bahnen. Er ist keineswegs Ausdruck einer dumpfen Machtgier41. - Kritisch ist festzuhalten: Gerade weil der Krieg und das Militärwesen im Dienst der Erhaltung der zivil-militärischen Grundordnung stehen47 , sind sie nicht Ausfluß einer unerbittlichen Staatsnotwendigkeit. Die eherne necessita und mit ihr der Krieg sind nichts anderes als von Machiavelli geschickt präsentierte und aktualisierte Legitimationsstücke im Rahmen der von ihm vertretenen Geschiehtsauffassung und Staatstheorie. Beide sind keineswegs übergeschichtliche Größen mit einer determinierenden Handlungsverpflichtung. Der Spielraum, den die virtu gewährt, ermöglicht dem Freistaat bzw. dem Alleinherrscher durchaus eigene Entscheidungen vor dem Krieg und im Kriege. Machiavellis Kriegstheorie ist nur scheinbar doppelpolig (zivil/militärisch) konzipiert. Im Grunde projiziert er in das adaptierte altrömischlivianisch-polybianische Grundmuster von Politik und Krieg seine Idealvorstellung der Florentiner Verhältnisse. Dabei waren ihm die unterschiedliche Größenordnung sowie die Fragilität und Instabilität der aktuellen Lage sicher bewußt. Der Krieg galt ihm aber nicht nur als ein elementarer Bestandteil einer weltlich geprägten adlig-bürgerlichen Gesellschaft. Auch wichtige, ja konstitutive Elemente des politischen Zusammenlebens wie Vaterlandsliebe, Freiheitsgarantien und alle Formen individueller und kollektiver Loyalität lassen sich letztlich nur mit Hilfe des Mediums des Krieges und der auf ihn ausgerichteten Gesellschaftsverfassung realisieren und werden damit legitim. Religion, Recht und Kultur haben insofern nach Machiavelli keinen selbständigen Wert und sind funktional zu verstehen. kann von gewissem Wert für die Schaffung der kriegerischen virtu sein, aber insgesamt ist Machiavellis Zuversicht gering (Discorsi Ill, 1). Ritter (Anm. 14), 56 f. - Im Kontext seiner These von den zwei miteinander konkurrierenden Ethiken (heidnische/christliche) hierzu einleuchtend Isaiah Berlin, Wider das Geläufige, Frankfurt/Main 1982, 115 - 121. 46 Nach den obigen Darlegungen verbietet es sich, die angebliche eherne Staatsnotwendigkeit Machiavellis auch noch mit religiösen Epitheta zu versehen ("Fluch", "Segen", so Meinecke [Anm. 20], 44). Vgl. oben Anm. 18. Zutreffend Ritter (Anm. 14), 52, mit präzisen Nachweisen (Gesetze = in erster Linie Wehrgesetze).- Abgrenzung zur "brutta cupidita di regnare" des Manlius Capitolinus, die in Discorsi III, 8, scharf verurteilt wird. 47 Zum Problem der Termini "Staat", "Ordnung" oder gar "Verfassung" s. Münkler (Anm. 16), 369 ff. und passim, Guillemain (Anm. 14), 315 ff. und J. H. Hexter, "11 Principe" and "lo stato", in: Studies in the Renaissance IV/ 1956, 113- 138. Ferner J . H. Whitfield, On Machiavelli's Use of Ordini, in: Italian Studies X /1955, 19- 39, 30 ff. (ordini in "L'Arte della Guerra"). Der zentrale Bezugspunkt der "ordini" ist "il vero vivere libero e civile" .

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Der Krieg und das Heerwesen sind notwendig und unausweichlich, solange die necessita besteht, also solange infolge der ungleichen Bereitschaft der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen, für das öffentliche Wohl einzutreten, der Zwang zur virtu mitallihren Erfordernissen und Weiterungen unverzichtbar bleibt. Machiavelli zielt letztlich ab auf eine ideale Ausgewogenheit der Interessen im Staat48 , die ihrerseits das Produkt eines politisch-gesellschaftlichen Prozesses bzw. eine einseitige Entscheidung des Fürsten wären. Ein derartiger unhistarischer Schwebezustand kommt in auffälliger Weise dem starren Modellcharakter der altrömischen Militärverfassung entgegen, ja er weist deutliche Parallelen auf. Machiavelli zweifelte wohl selbst an der Haltbarkeit und Dauerhaftigkeit eines solchen Ausgleichs. Um so mehr beschwor er die absolute Priorität der zivil-militärischen Haupttugend, der virtu. Mit "la patria" gab er ihr den unbestrittenen Integrationspunkt - ein Synonym für Florenz und Italien als Ganzes. Kriege müssen um des Vaterlandes willen geführt werden, zur Errichtung und als Garanten einer stabilen Herrschaft ("guerre giuste ehe sono necessarie") 49 • Nicht im nationalen Machtstaat als einem Selbstzweck, sondern in der "patria" als dem höchsten Ausdruck der staats- und gemeinschaftsbezogenen virtu erblickt Machiavelli die Legitimität und die "Gerechtigkeit" von Kriegen60 • "11 vero vivere politico" 61 ist erst durch die Anwendung der kämpferischen virtu möglich. 48 Prägnant am Ende der Denkschrift über die Reform der Verfassung von Florenz (1519): "Und keinen anderen Weg gibt es, all diesem Unheil zu entgehen, als die Verfassung der Stadt so zu ordnen, daß sie in sich selbst Bestand hat. Das aber wird stets der Fall sein, wenn jeder für sie eintritt oder wenn jeder weiß, was er zu tun und auf wen er sich zu verlassen hat, und keine Klasse der Bürger aus Furcht oder Ehrgeiz den Wunsch nach Neuerungen haben kann" (N. M., Der Fürst und Kleinere Schriften, Übersetzung von E. Merian-Genast. Einführung von F. Meinecke [Klassiker der Politik, Bd. 8], Berlin 1923, 186). 4Y Istarie fiorentine V, 8 (fingierte Rede Rinaldos); Gesammelte Schriften, hrsg. von Hanns Floerke, München 1925, Bd. 4, 282 ("Nur die Kriege sind gerecht, welche notwendig sind, die Waffen sind fromm, wo keine Hoffnung ist außer bei ihnen. Ich weiß nicht, welche Notwendigkeit größer sein könnte als die unsrige, oder welche Frömmigkeit jene übertreffen könnte, welche das Vaterland aus der Knechtschaft zieht"). so " .•• ich glaube, daß die größte und Gott wohlgefälligste Wohltat die ist, welche man seinem Vaterland erweist" (wie Anm. 48, 185). Ferner die bekannte Stelle in Discorsi III, 41 (Pflicht zur Vaterlandsverteidigung sei es mit schimpflichen sei es mit rühmlichen Mitteln: "keine Überlegung, ob rechte oder unrechte, milde oder grausame Mittel"). Ich kann Ritter nicht folgen, der aus der zutreffenden Feststellung, nach Machiavelli sei der "Kampf der eigentliche Erzeuger aller wahren staatsbürgerlichen Tugenden", ableitet, der "neue Höchstwert" bei Machiavelli sei der "nationale Machtstaat", und hierin den "Grundgedanke(n) auch des kämpferischen Nationalismus unserer Gegenwart" erkennnen will (Anm. 14, 51 und 58). 51 Discorsi I, 6.

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Diese Überzeugung kennzeichnet die Theorie des in der Praxis gescheiterten Machiavelli - "ante" und "post res perditas". Seine Konzeption blieb ohne großes Echo. Einer Rezeption in der Kriegsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts standen außer den Bedenken, in die politisch-ethische Machiavelli-Debatte verstrickt zu werden, auch der kompilatorische Charakter und die unzureichenden Anwendungsmöglichkeiten entgegen52 • Vor allem aber: Machiavellis Bürgermiliz und sein Kriegskonzept waren von der gesellschaftlichen Konstellation Florenz' her konzipiert, primär auf sie zugeschnitten und damit auf eine- nicht gegebene - stabile öffentliche Ordnung angewiesen.

* Die Frage der Rechtmäßigkeit und der Notwendigkeit des Krieges wurde in der spanischen Spätscholastik vor dem Hintergrund der neuen Lehre vom Völkerrecht behandelt. Vor allem Vitoria und Suarez haben zu einer Modernisierung der traditionellen Konzeption des bellum justurn maßgeblich beigetragen. Am greifbarsten und deutlichsten wird die Weiterführung der Lehre vom gerechten Krieg- in gewisser Hinsicht in ihre letzte Phase - bei dem Jesuiten Francisco Swirez. Sein Traktat "De bello" geht auf eine 1583/84 in Rom gehaltene moraltheologische Vorlesung zurück, erschien allerdings erst posthum 162!58 • Suarez hat den Krieg in den Dienst des Staates gestellt. Krieg und Kriegsrecht sind Ausdruck und Funktion der staatlichen Souveränität, die durch sie eine wesentliche Aufwertung erfährt. Als Teil der verfassungsmäßigen Prärogative des Fürsten/Königs ist der Krieg jedoch kein absolut notwendiges Merkmal der staatlichen Souveränität. Das Kriegsrecht ist ein Teil des jus gentium und an die politische und moralische Einheit des Menschengeschlechts gebunden. Suarez hat die traditionellen Elemente der Lehre vom gerechten Krieg (justa causa/auctoritas principis/intentio recta) inhaltlich modifiziert. Indem er den Strafcharakter des Krieges besonders herausstellte, erweiterte er den Ermessensspielraum des Fürsten vor dem Krieg und seinen Handlungs52 Charles Oman, A History of the Art of War in the Sixteenth Century, London 1937, 93 f. - An diesem Gesamtbild vermögen regional und zeitlich begrenzte gegenteilige Einzelbeispiele (hierzu s. für Frankreich Georges Livet, Guerre et paix de Machiavel a Hobbes, Paris 1972, 39 f.) nichts zu ändern. 53 Francisco Sucirez, De bello (lat./dt.) = De triplici virtute theologica, 3. Abhandlung, 13. Disputation, in: ders., Ausgewählte Texte zum Völkerrecht, hrsg. von Josef de Vries S. J . (Klassiker des Völkerrechts, hrsg. von Walter Schätze!, Bd. IV), Tübingen 1965, 114- 305. - Überblicksartige Darstellungen der Bellum-justurn-Lehren s.o. Anm. 1. Ferner Josef Soder, Francisco Suarez und das Völkerrecht, Frankfurt/Main 1973 (mit neueren Literaturangaben). Zur Kritik an Soders Beurteilung s. u. Anm. 61.

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spielraum im Kriege und nach dem Krieg in nicht unerheblichem Maße. Sein Beitrag zur Absicherung und Legitimierung der Kompetenzen eines absoluten bzw. absolutistischen Herrscherverständnisses via Kriegsrecht ist häufig unterschätzt worden54 • Der Plan und die Durchführung der Annexion Portugals durch König Philipp II. von Spanien im Jahre 1580 haben Suarez die Veranlassung zur Abhandlung "De bello" gegeben55 • Auch die Vielzahl der zumeist verdeckten Anspielungen auf Zeitereignisse im Verlauf seiner Darlegungen beweist, daß Suarez in hohem Maße politisch motiviert war. Seine unzweideutigen Stellungnahmen zur spanischen Kolonialpolitik machen vollends deutlich, daß sein Hauptinteresse sich jenseits aller spätscholastischen begriffsdifferenzierenden Auswüchse auf den Krieg als das zentrale Phänomen in der zwischenstaatlichen Ordnung richtet56 • Aber er kann den Krieg nur diskutieren, indem er sich des überlieferten Instrumentariums bedient. Der Krieg ist ein Übel; aber er ist notwendig, um ein größeres Übel zu vermeiden oder ihm entgegenzutreten. Politisches und ökonomisch begründetes Machtstreben "ambitio" oder Ruhmsucht bedürfen zu ihrer Befriedigung ebenso des Krieges, wie andererseits jeder Angriff auf einen bestehenden Rechtszustand zwecks Wahrung der gerechten Ordnung notwendig mit bewaffneter Macht zurückgewiesen werden muß. Ein gerechter Kriegsgrund ("causa legitima et necessaria") ist jeweils dann gegeben, wenn die Abwehr eines schweren Unrechts auf andere Weise nicht möglich ist und gleichzeitig ein Verstoß gegen das Naturrecht und das allgemeine Wohl des Staates vorliegt67 • Damit meint Suarez konkret einen Angriff auf die Souveränitätsrechte eines Staates einschließlich seiner wirtschaftlichen und handelspolitischen Rechte sowie der nationalen Ehre58 • Hierbei ist im Verteidigungsfall der Krieg ohne weiteres notwendig. 54 So von Regout und Soder. Auch die letzte breit angelegte monographische Darstellung von spanischer Seite ist nicht ganz gegen ein solches Bedenken gefeit: Perefia Vicente, (Anm. 40), Bd. 2 = Textband. überwiegend referierend: Heinrich Rammen, Die Staatslehre des Franz Suarez S. J., Mönchen-Gladbach 1927, 293 - 305. Wie das Recht auf freien Handel, das Gesandtenrecht u. a. ist nach Suarez das Kriegsrecht ein Teil des Völkerrechts (jus gentium inter se), das zusammen mit dem Staatsrecht (jus gentium intra se) das jus gentium bildet (Francisco Sutirez, De legibus li, 19, 8 ff. Näheres s. Soder [Anm. 53], 213 ff.). ss Perefia Vicente (Anm. 40), Bd. 1, 76 ff., ferner 2. und 3. Teil passim. Vgl. De bello IV, 9. 5& Wegen der begrenzten Themenstellung gehe ich im folgenden auf Suarez' Konzept des Kolonial- und Interventionskrieges nicht ein. Hierzu Soder (Anm. 53), 310 - 343. 57 De bello IV, 1: .,nullum potest esse bellum justum, nisi subsit causa legitima et necessaria ... Rursus, causa haec justa et sufficiens est gravis iniuria illata, quae alia ratione vindicari aut reparari nequit."

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Sollte aber die Wiederherstellung der öffentlichen Rechte nur durch einen Angriffskrieg möglich sein, so ist für seine Erlaubtheit das Kriterium der Verhältnismäßigkeit ausschlaggebend: Die Lasten und Folgen eines Angriffskrieges müssen in einem angemessenen Verhältnis zur Größe und Bedeutung des erlittenen Unrechts für den Staat als Ganzes stehen59 • Smirez relativiert an dieser Stelle die bislang geltende übergreifende Norm der Gerechtigkeit, indem er ihr "caritas" und "prudentia" als gleichberechtigte Entscheidungsmaßstäbe zur Seite stellt. Dies ist nur scheinbar ein Rückfall in eine Debatte, in der ausschließlich moraltheologische Werte dominieren. Denn wenn Suärez für die Entscheidung zum Kriege im skizzierten Fall eine deutliche Präferenz der "Liebe" zuerkennt, dann erweitert er hiermit den Ermessensspielraum des Fürsten bzw. der Führung einer Republik60 • Somit wird der Angriffskrieg eben doch zu einer Sache der freien Entscheidung ("voluntas") eines Staates, dessen Nutzen und Wohl im Zweifelsfall der Solidarität der Völker, die sich im jus gentium manifestiert, übergeordnet sind61 • Wenn also aus Gründen der "Liebe", d. h . des moralisch kaschierten Eigeninteresses des Staates der Angriffskrieg erlaubt ist ("licitum", nicht "justum"), dann ist er auch notwendig. Die völkerrechtliche Erlaubtheit und die politische Notwendigkeit machen den Krieg rechtmäßig62. Mit diesem Schritt vom bellum justurn zum bellum licitum hat Suärez die traditionelle Lehre noch nicht entscheidend modifiziert. Das geschah erst dadurch, daß er zwei weitere Aspekte des herkömmlichen jus ad bellum aufnahm, zuspitzte und sie der Staatsführung als Entscheidungshilfe bzw. zur Bekräftigung ihres Rechts zum Kriege zuwies: 1. die Kompetenz, im Zweifelsfall zum Kriege zu schreiten, und 2. die Sühne- und Strafkompetenz, die mit dem Krieg verbunden war, extensiv zu nutzen. Die Gewißheit über die "justa causa" stellt schon im Mittelalter ein endlos diskutiertes, aber nie gelöstes Problem dar. Auch Suarez widmet 58 De bello, IV, 3. Am wenigsten strittig: die unrechtmäßige Besetzung eines Gebietes und die Verweigerung der Rückgabe; äußerst interpretationsfähig dagegen ,.gravis laesio in fama, vel honore". Gemeint ist die ,.Ehre" des Souveräns, und zwar als Inhaber sämtlicher Souveränitätsrechte. 59 IV, 2. Vgl. schon Vitoria, De jure belli XIV. Zum fließenden Übergang von Verteidigungs- zu Angriffskrieg s. Tooke (Anm. 1), 184 u. ö., Regout (Anm. 1), 197 - 199, Pereiia Vicente (Anm. 40), Bd. 1, 163 ff. . 60 IV, 8; VII, 21. S. auch die Plazierung der Disputation über den Krieg innerhalb des Traktats ,.De charitate". 6t IV, 10. Soder (Anm. 53), 261 f., arbeitet diesen Gegensatz nicht mit letzter Konsequenz heraus. Er beschränkt sich auf den Unterschied zu Vitorias Orbis-Idee. 62 ,. ••• una obligacion de caridad, no de justicia" (Pereiia Vicente [Anm. 40], 183); zum Unterschied von "justum" und "licitum" s. 184.

5 Staats- und Heeresverfassung

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sich mit höchster Sorgfalt dieser Thematik über die causa probabilis oder probabilior. Er muß einräumen, daß es ohne eine von beiden Parteien anerkannte unabhängige dritte Instanz (was selten oder gar nicht vorkommt} in strittigen Fällen, in denen eine eindeutige Rechtslage nicht gegeben ist, keine Gewißheit über die justa causaund damit über die Berechtigung zum Krieg geben kann. Daher begnügt er sich mit der "certitudo practica", d. h. der Krieg ist erlaubt, nachdem der Herrscher sich dies von Experten aus seinem eigenen Land hat bestätigen lassen. Die Unterwerfung unter den Schiedsspruch auswärtiger Gutachter oder einer fremden Macht weist Suarez zurück83 • Das Verfahren wird nicht seriöser, wenn er dem Herrscher nahelegt, in solchen Zweifelsfällen wie ein gerechter Richter in Privatstreitigkeiten zu handeln84• Unter den genannten Umständen ist der Angriffskrieg notwendig und ein Akt der strafenden Gerechtigkeit ("justitia vindicativa"}. Der Souverän führt diesen Krieg wie einen Strafprozeß durch, in dem er gleichzeitig Kläger und Richter ist. Er wendet sich gegen ein "crimen", ja gegen eine "culpa" des Feindes. Das Recht zum und in einem solchen 83 Suarez unterscheidet in Anknüpfung an die Tradition folgende Hauptfälle: 1. Berechtigung zur Kriegführung, wenn die größere Wahrscheinlichkeit für die Gerechtigkeit der eigenen Sache spricht. 2. Bei gleich großer Wahrscheinlichkeit Berechtigung zum Kriege für diejenige Seite, die sich im Besitz des strittigen Objekts befindet, weil mit dem Besitztitel das .,maius jus" verbunden ist. 3. Sind beiderseits die Rechtstitel gleich und ist keine Seite im Besitz des Objekts: Teilung oder andere nichtkriegerische Lösung. Schreitet jedoch in diesem Fall eine Partei zum Krieg, so hat die andere die eindeutige justa causa (VI, 1 ff.). Bis auf Gabriel Vasquez hat die gesamte Bellum-justurn-Lehre (von Abweichungen und anderen Akzentuierungen abgesehen) zur Lösung akuter und latenter internationaler Streitigkeiten die Anwendung dieser Probabilitäts-Theorie mit Fallisten empfohlen, ja die Fallisten jeweils mit Blick auf nationale Vorteile fortgeschrieben. Smirez hat im Zusammenhang mit der Eroberung Portugals der spanischen Politik die größere Wahrscheinlichkeit zugesprochen und die Rolle König Philipps II. als des einzigen gerechten Richters betont. Überzeugender als die Darstellung Regouts (1. Phase: Klärung der größeren Wahrscheinlichkeit; 2. Phase: Feststellung der Berechtigung und Führen des gerechten Krieges) ist Pereii.a Vicentes umfassende Einbeziehung sämtlicher politischer und verfassungsrechtlicher Kriterien, die Suarez ja unbedingt beachtet wissen wollte: Beratung durch die Verfassungsorgane und juristische Gutachter; Unverantwortlichkeit der genannten Behörden und Einzelberater; Ablehnung einer auswärtigen Entscheidungsinstanz; Begründung des bellum licitum unter Rekurs auf die letztlich entscheidenden Souveränitätsrechte des spanischen Königs (Regout [Anm. 1], 206- 230; Perena Vicente [Anm. 40], 214- 270). 84 .,ut judex sententiam ferat in privato negotio" (De bello VI,1). Die größte· Schwäche der Probabilitäts-Theorie liegt neben der generellen Verrechtlichung internationaler Streitfragen zweifellos in dem Umstand, daß diplomatischen Ausgleichsbemühungen schon deswegen ein geringeres Gewicht zukommen mußte, weil leicht die strukturelle Automatik in Gang gesetzt werden konnte: Die als .,gerecht" erkannte eigene Position machte den .,gerechten" ersten Schuß notwendig.

Der gerechte und der notwendige Krieg

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Kriege rührt her von der im Innern und nach außen gleichermaßen geltenden qnteilbaren Kompetenz des Souveräns in Strafsachen, die ihrerseits Ausfluß der "suprema potestas in temporalibus" ist85• Smirez hat verschiedentlich und mit Nachdruck die Legitimität und den Umfang des Kriegsrechts an die Souveränität unabhängiger Staaten geknüpftae. Bei der Strafkompetenz des Souveräns unterscheidet er zwei Elemente: 1. die Rückgabe des geraubten Besitzes (Territorium, Rechte), die Erstattung der Kriegskosten (" ... reparentur") und die Beseitigung der Schäden und 2. die erlaubte Verhängung einer Strafe gegen den Kriegsgegner ("postulari potest aliquid in poenam pro iniuria illata"). Schließlich billigt Suarez dem verletzten Staat das Recht zu, Sicherungsmaßnahmen zur Erhaltung des Friedens vom Feind zu fordern67 • Suarez be~ründet die Wiedergutmachungspflicht des Feindes mit c}essen Versäumnis vor Beginn der bewaffneten AuseinandersetZl,lng, näm)ich l;lie Gerechtigkeit- die letztlich einseitig vom verletzten Staat festgestellt wurde - zu beachten. Aus dieser parteiischen Gerechtigkeitsnorm leitet er auch die äußerst extensivgefaßten Rechte während des Krieges ab: Es können alle Schäc1en zugefUgt werdep., die zur Genugtuung bis zum Sieg nötig sind, denn: "Ratio est, quia si finis licet, et media necessaria licent". Die Genugtuung und die Wiedergutmachung ("satisfactio", "restitutio") erstrecken sich wie die gerechte Bestrafung ("justa vindicta") auf sämtliche Zivilschäden. Ausdrücklich werden Verluste an Menschenleben und Schäden durch Bombardierungen genannt18• Der Sieger hat das Recht, einige schuldige Feinde hinzurichten, um das Maß der Strafe vollzumachen. Ferner hat er das Verfügungsrecht über die bewegliche und die unbewegliche Habe der besiegten Schuldigen und kann sie 85 II, 1; IV, 5 und 7. Der Krieg als Mittel der justitia vindicativa (im Unterschied zur "commutativa" im reinen Verteidigungskrieg) war im Späten Mittelalter und im 16. Jahrhundert, hier nicht nur bei Vitoria, bereits unstrittig (u. a. s. Regout [Anm. 1], 140 ff., 159 ff.). Allerdings hat Suarez mit seiner Betonung der obersten Jurisdiktionsgewalt des Souveräns zugleich den Straf- und Sühnecharakter des Krieges intensiviert - in bemerkenswertem Unterschied zu Thomas von Aquin und auch zu Vitoria. Wenn man dies beachtet, so ist gegen Regouts griffige Formulierung nichts einzuwenden: "Ce droit d'application penale transforme completement la guerre en une guerre de sanction" (203). " Zur Abgrenzung der einzelstaatlichen Souveränität (als Ausgangsbasis auch für das "nationale" Kriegsrecht) s. Swirez, Defensio fidei catholicae III, 5, hier bes. 1, 6 - 8 (Kaiser, Papst). er VII, 5; 20 (Besetzung von Provinzen und Städten, offenbar auch auf Dauer). 88 " • .• et hinc habetur fere in hoc toto discursu, seu tempore belli nihil fieri contra hostes, quod iniustitiam contineat, praeter innocentum mortes; nam reliqua omnia damna iudicantur ordinarie necessaria ad finem belli" (VII, 6).- VII, 7.

5*

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gefangennehmen89• Notfalls, d. h. zur Herstellung der vollen Wiedergutmachung, gilt dieses Recht auch im Hinblick auf schuldlose Gegner, gemeint sind Nicht-Waffenfähige. Schuldig sind nach Suarez alle Waffenfähigen, d. h. auch solche Personen, die nicht an den Kriegshandlungen teilgenommen haben, abgesehen von den Geistlichen. Christen einschließlich der Häretiker dürfen nicht versklavt, wohl aber zur Erpressung von Lösegeld als Geiseln genommen werden70 • Schuldlose dürfen dann getötet werden, wenn es zur Erringung des Sieges unvermeidlich ist, nach dem Grundsatz "Nam qui habet jus ad finem belli ... habet jus ad haec media" 71 • Eine Kollektivschuld des besiegten Volkes verneint Suarez, wohl aber vertritt er das Prinzip der Kollektivhaftung, da die Staatsangehörigkeit ausreiche, um die kollektive Mitverantwortung und damit die Bestrafung zu begründen72 • Eine besondere Empfehlung zur Demütigung der besiegten Feinde schien Suarez wohl überflüssig. Er begnügt sich damit, das Strafgericht des Vergeltungskrieges mit der notwendigen Absicht zu motivieren, der Gegner müsse bei seiner Pflicht gehalten werden, d. h . das verletzte Recht müsse wiederhergestellt werden73 • Nach Suarez ist die Verpflichtung eines souveränen Staates zur Aufrechterhaltung des zwischenstaatlichen Rechtszustandes unbegrenzt. Daher sind - so darf man folgern - die Mittel und Maßnahmen während und nach einem solchen "bellum licitum" nach Qualität und Umfang weder im materiellen noch im immateriellen Bereich (von oben genannten minimalen Einschränkungen abgesehen) eingrenzbar. Als einem "medio" bzw. "factor coactivo extraordinario" wird dem Krieg in der Verfügungsgewalt des staatlichen Souveräns das "ultimum subsidium" bzw. die "ultima ratio" zuerkannt: "Es la necessitad cruel que impone el imperio del derecho" [Recht] 74 • 69 Zur Begründung seiner Auffassung führt Suarez entsprechende Stellen aus dem AT (Deuteronomium), aus dem Corpus Juris Civilis, ferner aus Augustinus, dem Decretum Gratiani und Thomas von Aquin an sowie den Spanier Covarruvias. - Als Richtlinie beruft er sich auf den Grundsatz der "aequalitas" (nicht aequitas), wie er im Strafprozeß gelte ("Nam in bello servanda est aequalitas, quae in justo judicio."). 1o VII, 13, 14. 11 Näheres s. VII, 15 - 17. 12 "Ratio est, quia illi sunt partes unius reipublicae iniquae; propter delictum autem totius potest pars puniri, quae per se non concurrit ad delictum" (VII, 12). 73 " •• • si fiat potestate legitima et publica, atque animo continendi hostes in officio, et reducendi, quod inordinatum erat, ad debitum ordinem, non solum non est prohibitum, sed necessarium" (VI, 6, folgt Hinweis auf Römer 13, 4). 74 So Perena Vicente (Anm. 40), 187 f.

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Nur ist die Anerkennung des jus gentium für den souveränen Einzelstaat keineswegs zwingend. Man sollte sich durch die immer wiederkehrenden Verschleierungs-Topoi Suarez' nicht täuschen lassen75• Das Kriegsrecht und alle Ausdrucksformen der verfassungsrechtlich bestimmten Souveränität bedingen und stützen sich wechselseitig. Suarez faßt sogar die Souveränität als die "necessaria ... legitima potestas ad puniendum delicta" - gleichermaßen nach innen und nach außen76 • Nicht das allgegenwärtige, aber letztlich instanzenlose jus gentium, sondern die konkrete oberste Jurisdiktionsgewalt des Einzelstaats begründet die Rechte des Staates und die Rechte des obersten Kriegsherrn. Daher kann Suarez auch darauf verzichten, eine absolute Notwendigkeit des Krieges zu postulieren (sie käme nur der obersten Rechtsprechung zu). Um so mehr betont er die moralische Notwendigkeit des Krieges und des Kriegsrechts und erreicht damit eine beträchtliche Verstärkung der legitimen Staatsgewalt77 • Die Starrheit des gesamten Kriegskonzepts rührt mit Sicherheit von der bedenklichen Übertragung strafrechtlicher Normen und Verfahrensweisen auf internationale Konfliktfälle her. Trotz mancher Parallelen zum Völker- und Kriegsrecht Vitorias lassen sich wichtige Abweichungen nicht übersehen. Eine der bedeutendsten scheint zu sein, daß es Suarez nicht gelungen ist, plausibel zu machen, wie die Geltung und Anwendung zwischenstaatlicher Rechtsnormen gegenüber dem staatsegoistischen Interesse bei einem drohenden Konflikt und während eines Krieges zu sichern wären. Im Gegenteil: Der spanische Jesuit gab das Kernstück der traditionellen Bellum-justurn-Lehre preis, indem er die moraltheologischen Kategorien des Mittelalters und das völkerrechtliche Allgemeingut des 16. Jahrhunderts zurückdrängte zugunsten eines Kriegsrechts, dessen Legitimität und Notwendigkeit in praxi vorrangig von den Interessen und Bedürfnissen des monarchischen Einzelstaats bestimmt werden konnte.

* 75 Es ist freilich einzuräumen, daß im Vergleich zur moraltheologischen Tradition und zur Rechtsphilosophie seiner Zeit der Autor sich mit der Verwendung der gängigen Zweckbestimmungen des Krieges (allgemeines Wohl, öffentlicher Nutzen) zurückhält. Das liegt vermutlich an seiner Absicht, ein möglichst leicht verständliches Manuale (nicht nur für Priesteramtskandidaten in Rom!) bereitzuhalten. 76 Nach der Anführung von Gründen aus dem AT folgt: "ex ratione: Ratio est, quia, sicut intra eamdem rempublicam, ut pax servetur, necessaria est legitima potestas ad puniendum delicta, ita in orbe, ut diversae respublicae pacate vivant, necessaria est potestas puniendi iniurias unius contra aliam"

(IV, 5). 77

Dieser Gesichtspunkt ist Soder (Anm. 53) völlig entgangen.

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Während bei Jean Bodin, dem prominentesten Anwalt der Souveränität des Staates im 16. Jahrhundert, die Kriegstheorie und das Kriegsrecht keine zentrale Rolle spielen78 , ist bei dem ersten Vertreter der neuen Ragion-di-Stato-Lehre, Giovanni Botero, das Phänomen des Krieges ein nicht wegzudenkender Bestandteil der politischen Konzeption. Im Mittelpunkt seines Denkens steht - ähnlich wie bei Machiavelli das Postulat der Selbsterhaltung des Staates ("conservazione"). Dieser Selbsterhaltung dienen in erster Linie die Wahrung der Macht und der Reputation des Fürsten sowie die Ruhe und Sicherheit des Gemeinwesens, nicht aber die Freiheit der Bürger. Die Stabilität kann in dreifacher Weise in Gefahr geraten: 1. durch innere Unruhen und Bürgef... krieg, 2. durch Häretiker, die den inneren Frieden in Frage stellen urt~ 3. durch äußere Feinde. ·

'

Boteros Kriegsbegriff ist undifferenziert. Kriege aus inneren odJr äußeren Gründen haben dieselbe destabilisierende Qualität. Es stellt sich die Frage, ob sein Werk in besonders eindringlicher Weise eine verbreitete zeitgenössische Erfahrung widerspiegelt, nämlich die aUgemeine Verunsicherung infolge der Bürgerkriege in Frankreich und in den Niederlanden, oder ob eine simple Übertragung des SÜ~bilitäts~ Topos aus der Antike vorliegt79 • Zunächst ist bemerkenswert, daß der Kleriker und Prinzenerzieher die Bellum-justurn-Lehre nicht beachtet. Der Krieg ist nach Botero rtotwendig um der Unabhängigkeit und Festigkeit des Staates willen. Ferner ist er ein unerläßliches gesellschaftliches Integrationsinstrument. Boteros Interesse gilt nicht der Erhaltung einer bestimmten Staatsform, obwohl seine Sympathien für die monarchische Ordnung außer Zweifel stehen. Wichtiger ist ihm ein streng absolutistischer RegierungsstiL tin Fürst, der aufgrund seiner politischen und militärischen Tüchtigkeit die "admiratio" seiner Untertanen auf sich zieht, ist ein Garant der Homogenität im Staat. Dadurch können gesellschaftliche Konflikte vermieden und es kann der Entstehung von Parteiungen und möglichen Unruhen vorgebeugt werdenB0 • 78 Jean Bodin, Les six livres de la Republique, Paris 1583 (Aalen 1961), im wesentlichen Buch IV, 1 und V, 5. ~Ferner am Rande in II, 2 (.,monarchie seigneuriale" und .,banne et iuste guerre", 274; geringere Anfälligkeit dieser Regierungsform für Aufstände im Innern, 279; VI, 2 (Sicherung der Staatsfinanzen durch Kriegsanleihen, dafür Entlastung der Bürger im Frieden,

877 f.).

79 Giovanni Botero, Della Ragion di Stato, Venedig 1589, im folgenden zitiert nach der Ausgabe von 1598. - Das Verhältnis der Kriegstheorie zur Ragion di Stato-Lehre des Autors wird nicht eigens behandelt. zur letzteren s. Behnen (Anm. 4). 8o Botero (Anm. 79), I, 8.

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Der Krieg erfüllt generell eine wichtige und offensichtlich unersetzliche gesellschaftliche Aufgabe. Militärische Unternehmungen sind nach Botero das wirkungsvollste Mittel, um ein Volk beschäftigt zu halten, dessen Interesse durch nichts so sehr wachgehalten wird wie durch einen wichtigen Krieg. Das Kriegsziel ist dabei gleichgültig: Die Sicherung der Grenzen, der Erwerb neuer Gebiete, das Streben nach Ruhm und Reichtum, der Schutz und Beistand für verbündete bzw. befreundete Mächte oder die Verteidigung der Religion - all dies lenkt die Unzufriedenheit auf den gemeinsamen Feind und verhindert die Entstehung von Gedanken an Aufruhr. Jedermann ist vor allem mit dem Krieg beschäftigt, und sei es indirekt durch zivile Hilfsdienste oder durch Gebete um den Sieg. Die Römer, so Botero, haben in innenpolitisch bedrohlichen Situationen den Krieg auf diese Weise als eine Art Rettungsanker benutzt81 • Der Adel konnte unbesorgt sein, denn es ist leichter, wie schon Tacitus klar war, unter den "Bösen" einen Konsensus zur Führung des Krieges zu erwirken, als im Frieden die Eintracht herzustellen82 • Die derzeitige innere Ruhe in Spanien erklärte Botero damit, daß dieses Land in West-Indien und in den Niederlanden Kriege führe, auch gegen Häretiker, Türken und Mauren83 . Kein Staat kann ohne Krieg wirklich Ruhe finden. Ist kein äußerer Feind vorhanden, entsteht ein Feind im Innern84 • Kurz: Für das Volk muß eine angenehme oder nützliche Beschäftigung gefunden werden, im Innern oder auswärts, die es unterhält und von Unbotmäßigkeit und von gefährlichen Ideen ablenkt85 • Schon Bodin hatte eine solche These vertreten und sie sogar noch krasser formuliert, indem er die Erhaltung der Ordnung in demokratischen Staaten an die Notwendigkeit, Kriege zu führen, band und dazu aufforderte, sich notfalls selbst Feinde zu schaffen86 • Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den großen Anteil kriegerischer Aktivitäten bei der Gründung von Staaten bekommt Boteros Maxime den ihr angemessenen Stellenwert: Die Staaten werden durch dieselben Kräfte erIII, 3. Ebd.; Tacitus, Historien I, 54 ("faciliore inter malos consensu ad bellum, quam in pace ad concordiam"). 83 Ebd.- Dagegen sei das mit seinen Nachbarn in Frieden lebende Frankreich auf die Auseinandersetzung mit den Calvinisten verfallen - mangels eines anderen Streitgegenstandes (!). Den langanhaltenden Friedenszustand in der Schweiz macht Botero mit dem Hinweis auf die Betätigung der kriegerischsten Schweizer als Söldner im Ausland plausibel. 84 Als Beleg dient Hannibals Diktum: "Nulla magna civitas quiescere potest; si foris hostem non habet, domi invenit, ut praevalida corpora ab externis causis tuta videntur, sed suis ipsa viribus onerantur" (Livius 30, 8t

82

44, 8). 85

III, 3 ("... dalle impertinenze, da' cattivi pensieri"). Republique, IV, 5 und V, 5.

so Bodin,

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halten, durch die sie gegründet worden sind. Expansionskriege lehnt er grundsätzlich ab, stellt doch schon die Erhaltung eines Staates eine übermenschliche Aufgabe dar-87 • Ähnlich pauschal und den Autoritäten verpflichtet verfährt Botero bei seiner Beurteilung der zweiten Gefahrenquelle für die Stabilität des Staates: Häretiker und Ungläubige, d. h. primär Calvinisten und Moslems, hetzen unter dem Vorwand der Gewissensfreiheit, der Redeund Handlungsfreiheit leicht das Volk gegen den Adel und die Untertanen gegen den Herrscher auf. Sie werden eine ernstzunehmende Gefahr für den inneren Frieden, ja jagen den Frieden aus der Welt. Der Herrscher muß daher für ihre Bekehrung sorgen. Die friedensgefährdenden Aktionen müssen vermieden werden, indem man den Geist der inneren Feinde demütigt, ihre Machtmittel vermindert und sie daran hindert, sich zu vereinigen. Botero fürchtet die Gewalt der Masse. Eine Ablenkung auf einen äußeren Feind ist nötig88. Die dritte Gefahrenquelle für den Zusammenhalt eines Staates bilden äußere Feinde, denen man in Form der Abwehr oder des Angriffs entgegentreten muß. Boteros Behandlung dieses Themas und seine Ratschläge sind wenig originell. Er ist weitgehend ein Sprachrohr der auf antike Militärschriftsteller und Historiker gestützten, seit dem 15. Jahrhundert besonders in Italien verbreiteten opinio communis, der ein veraltetes Kriegsbild zugrundeliegt. Wie Machiavelli macht Botero aus seiner Aversion gegen Söldnerheere und fremde Hilfstruppen kein Hehl und setzt sich für ein Bürgerheer ein - allerdings ohne einen national eingefärbten Patriotismus89 . Zur Stärkung und Festigung des Staates nach innen und außen soll der Fürst dessen gesamte politische und ökonomische Struktur auf die Vorbereitung und die Führung eines Krieges ausrichten. Der Herrscher muß seine Politik diesem Ziel unterordnen: Die Vergrößerung des Reichtums ist erforderlich ("Nerves imperii pecuniam esse") 90 . Ohne 87

Botero (Anm. 79), I, 8; I, 5.

88 V, 2, 3, 4 und 9. Näheres s. Behnen (Anm. 4). Um das Volk, die "belua

multorum capitum" (Horaz), in Schach zu halten und es auf den äußeren Feind abzulenken, bedarf es neben der Anwendung bewährter antiker Herrschaftstechniken (Wechsel von Furcht/Unterhaltung/Verdacht/Hoffnung) einer Reihe von Männern, die als Demagogen selbst über die Affektion von Rebellen verfügen (V, 9). se VI, 1- 17; IX, 2- 6. Vgl. oben S. 55 Anm. 31. Zu den zentrifugalen Tendenzen in der italienischen Staatenwelt um 1500 s. Alfredo Bonadeo, Guerra, Conquista e Rinascimento nella storiografia, in: 11 Pensiero Politico 16 (1983), 157- 88. uo VII, 3. Vespasian zugeschrieben, nach Dio Cassius. - Zur Herkunft und Verbreitung der Sätze "pecunia nervus rerum" und "pecunia nervus belli" s. Michael Stolleis, Pecunia Nervus Rerum. Zur Staatsfinanzierung in der frühen Neuzeit, Frankfurt/Main 1983, 63 ff.

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einen Staatsschatz verpaßt der Fürst den rechten Augenblick, um mit dem Krieg zu beginnen. Ordentliche und außerordentliche Steuern müssen kontinuierlich eingezogen werden. Ferner: Zollabgaben auf Exund Importe; Anleihen für militärische Zwecke; Heranziehung von kirchlichen Einkünften. Die Förderung der Landwirtschaft und der Manufakturen ist in Staaten ohne eigene Silber- und Goldvorkommen wie Italien und Frankreich unerläßlich91 • Die eigentliche Quelle der wahren Stärke des Herrschers bildet das Volk selbst: Die nötige zahlenmäßige Überlegenheit ist nur durch eine gezielte Bevölkerungspolitik möglich, einschließlich der Förderung der Heiraten und der Jugenderziehung nach römischem Vorbild92 • Auch die gängigen Praktiken zur Vermehrung der staatlichen Macht wie dynastische Heiratspolitik, Adoptionen und die Anknüpfung von Bündnissen einschließlich des Ankaufs von Territorien müssen zur Bereitstellung der Kriegsmacht genutzt werden113 • Alles soll die Steigerung der Loyalität der Bürger, der "virtus", bewirken. Nur so sind militärische Disziplin und Gehorsam möglich und haben Belohnungen und Strafen ihren Sinn. Die Disziplin ist der Nerv der Armee94 • Das Diktum des spartanischen Flottenkommandanten Clearchos wird beschworen: Der Soldat solle den Feldherrn mehr fürchten als den Feind95 • Das Vorbild der Janitscharen im Heer der Ungläubigen, die Kriegskünste und -listen eines Lysander und eines Hannibal, ja sogar die Verlockungen der Isabella von Kastilien müssen herhalten, um die soldatische Kampfkraft zu motivieren: Sieg oder Tod96 • Am stärksten, so Botero, wirkt bei den Soldaten die 91· VII, 1 ff.; VIII, 1 - 3. Ob es berechtigt ist, Botero in die Reihe der italienischen Merkantilisten aufzunehmen, darf bezweifelt werden. Silberner übersieht den Mangel eines theoretischen Ansatzes bei Botero und verallgemeinert unzulässig (".. . il [Botero] propose, pour developper l'industrie nationale, des mesures protectionnistes connues"). Edmond Silberner, La guerre dans Ia pensee economique du XVI• au XVIII• siecle, Paris 1939, 81). - Botero repetiert römische Praktiken, die er vor allem Tacitus und anderen Quellen entnimmt, ohne ihre Übertragbarkeit zu prüfen. 92 Bezüge auf Strabo und Livius, nicht aber auf Bodin, dessen Klimatheorie und dessen ökonomische Vorstellungen Botero mit Sicherheit gekannt hat. Hierzu s. M . E. Kamp, Die Staatswirtschaftslehre Jean Bodins, Bonn 1949. Botero las die "Republique" Bodins während eines Aufenthalts in Frankreich im Jahre 1585. 93 VIII, 6 - 13. Ferner Botero, Delle Cause della Grandezza e Magnificenza delle Citta (1588), Buch II und III. 94 VII, 12; IX, 1 ff. (für Bürgerheer, mit der bezeichnenden Begründung: Livius lehrt uns ...); IX, 10- 12, mit Verhaltenskatalog betr. Gehorsam, Ablehnung von Luxus, Verweichlichung, Wein, Frauen und alle anderen Arten der Gefährdung der militärischen Zucht. ss Offenbar von Valerius Maximus, Memorabilia II, 7 (London 1823, 299) entlehnt; auch von Lipsius zitiert, s. u. S. 78 Anm. 114. 96 IX, 13, 17, 22, 23.

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Überzeugung, daß sie im Kampf des göttlichen Beistands sicher sein können. Der Anwalt der Gegenreformation und erbitterte Feind aller Häretiker und Ungläubigen scheut auch nicht vor dem Rat zurück, den Kampfesmut eines kleinen heidnischen germanischen Teilstammes zum Vorbild im Krieg zu nehmen: das blinde Kämpferturn und die unbedingte Todesbereitschaft der Harier87 - in der Tat ein bemerkenswertes, wenn auch unfreiwilliges Zeugnis für den Legitimationsengpaß von Boteros christlichem Kriegsethos. Botero hat keinerlei Interesse an der Debatte über das bellum justum, von dem einzelne Elemente bei ihm ansatzweise erkennbar sind. So läßt er für einen Angriffskrieg als gerechte Kriegsgründe nur gelten: die Verteidigung der Religion, die Erhaltung des Staates und dessen, d. h. des Fürsten Ehre. Eine "justa causa" ist wichtig, denn sie beflügelt die Tapferkeit der Kämpfenden. In dem Gefühl, auf seiten der Gerechtigkeit zu stehen, setzt sich der Soldat mit größerer Zuversicht Gefahren aus und gibt sein Eigentum her. Wer einer ungerechten Sache dient, weiß, daß Gott gegen ihn ist, und schon dies dämpft seinen Kampfesmut. Es klingt nach Machiavelli, wenn Botero rät: Ein Herrscher oder ein militärischer Befehlshaber sollte immer sichergehen, daß seine Untertanen/Untergebenen an die Gerechtigkeit der Sache, für die sie kämpfen, glauben9s. Auf ein formalisiertes, wenngleich insgesamt zweifelhaftes Verfahren zur Klärung der "justa causa", wie es etwa Suarez fordert, verzichtet Botero von vornherein''· Neben den bereits genannten Gründen ist für die Berechtigung eines Angriffskrieges die Wahrung des ominösen "öffentlichen Wohls" von größter Wichtigkeit. Sein weltlicher Aspekt (bürgerlicher und politischer Friede) steht hinter dem geistlichen (Religion und Einheit der Kirche) zurück. Gleichwohl empfiehlt Botero kriegerische Maßnahmen gegen die Häretiker nur als das letzte Mittel. Aufstände und Revolten 97 Über die Harier (zum Lugierstamm gehörig, zwischen Oder und Warthe ansässig) wußte Tacitus zu berichten: Sie steigern ihre angeborene Wildheit, indem sie die Schilde und ihre Körper schwarz bemalen und in finsteren Nächten kämpfen. "Schon durch die grauenvolle Schattenerscheinung ihres Totenheeres jagen sie Schrecken ein; und kein Feind vermag solch unheimlichen und geradezu der Hölle entstiegenen Kämpfern standzuhalten. Denn was in allen Schlachten zuerst erliegt, das sind die Augen" (Germania 43; Botero IX, 23). us IX, 7 und 8 (Vertrauen auf die Hilfe Gottes mit heterogenen Exempeln: Plato, Konstantin d. Gr., NT Röm. 8, 31, Siege über die Hugenotten in Frankreich, Lepanto 1571). Für Überzeugung und Glauben an die Sache steht auch Properz: "Frangit et attollit vires in milite causa quae nisi iusta subest, excutit arma pudor" (Elegien IV, 6, 51). uu Die Verwendung von Gesandten oder religiösen Sendboten in Analogie zu den römischen Fetiales (IX, 7) läßt sich nicht ernsthaft in dieser Richtung interpretieren.

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führt er grob simplifizierend auf den Umstand zurück, daß zu viele Fürsten Abweichungen vom Grundsatz der "Una religio" in ihren Staaten duldeten und dulden. Ohne die elementaren Unterschiede und Konsequenzen zu bedenken, ruft er zum Krieg gegen die Türken auf: Gibt es, so fragt er, ein gerechteres oder ehrenvolleres Argument für den Krieg? 100 Mit der Chiffre "Öffentliches Wohl" als Sammelbezeichnung für die berechtigten Kriegsgründe umschreibt Botero das wichtigste Erfordernis seines wehrhaften Gemeinwesens, das zur Wahrung der äußeren Unabhängigkeit und der inneren Stabilität auf die Präsenz einer starken bewaffneten Macht angewiesen ist. Boteros Idealbild ist somit eine Art qualifizierter Souveränität: ein Staat, der mehr als nur die herkömmlichen Kriterien der Souveränität (oberste Jurisdiktionsgewalt) aufweist. Es ist ein Gemeinwesen, das darüber hinaus keiner auswärtigen Hilfe bedarf und seinen Rivalen oder Feinden weit überlegen oder zumindest gleichwertig ist. Keih Rechtsstaat im ständischen Sinne also, sondern ein vom Militär zusammengehaltener Machtstaat -vermutlich von mittlerer Größe in der Art von Savoyen. Zu dessen Attributen zählt sein geistlicher Autor mit großer Selbstverständlichkeit den Krieg als das wichtigste gesellschaftliche Integrationsinstrument Demgegenüber drängt er die "justitia" als die oberste Norm innen- und außenpolitischen Handels bewußt zurück. Nach der Preisgabe der Bellum-justum-Theorie hat Botero als neuen Legitimationspunkt für die von ihm intendierte "conservazione" des Staates das antike Modell der wehrhaften Gemeinschaft gefunden und es in den Dienst der "Ecclesia militans" gestellt. Im Unterschied zu Machiavelli, mit dem ihn das Idealbild des antiken starken Staates verbindet, erschöpft sich bei Botero die Funktion des Krieges nicht in der Sicherung der weltlichen Macht. Sein stärkster Impuls rührt her von der Interessenlage der Kirche, die er - gewarnt durch das Beispiel des zeitgenössischen Frankreichs und der Niederlande - in Übereinstimmung bringen will mit einer weltli~en Ordnung, die nach altrömischem Muster mit Hilfe von straffen Disziplinierungs- und Herrschaftstechniken erhalten wird.

* 1oo X, 9 (dieses Kapitel ist in der Ausgabe von 1589 noch nicht enthalten).

Botero: Jeder Fürst muß mit aller Macht (also auch der militärischen, M. B.) die "Pestilenz" der Häretiker und der Ungläubigen von seinem Lande fernhalten. Dies ist, wenn auch nicht direkt an dieser Stelle vorh christlichen Fürsten gefordert, ein Gebot der Ragion di Stato. "Ma perehe la guerra e !'ultimo remedio, ehe si deve usare contra l'Heretico, non e cosi universalmente a tutti lecito il guerreggiare contra i heretici come contra infedeli. Deve perb ogni Prencipe, con ogni suo potere, tener lontana questa peste".

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In demselben Jahr wie Boteros Hauptwerk - 1589 - erschien die "civilis doctrina" des Niederländers Justus Lipsius. Damit trat die Debatte über den Krieg in eine neue Phase. Bereits sieben Jahre später wurde in dem ersten Werk der neuen Literatur-Gattung der "Politica", nämlich in der "Politice christiana" des französischen Calvinisten Lambert Daneau I Lambertus Danaeus, die Kriegstheorie des Lipsius rezipiert. Fast alle in der Folgezeit publizierten politi.ktheoretischen Opera enthielten nach dem Vorbild des Danaeus einen Abschnitt über Krieg, Militärwesen und Staatsverfassung. Insofern ist für das Verständnis und die Beurteilung der Kriegskapitel dieser neuen Spezies politischer Theorie die Kenntnis der Grundzüge des Krieges bei Lipsius unabdingbar101. Die Konzentration auf die Leitfrage der Untersuchung- die Rechtmäßigkeit und die Notwendigkeit des Krieges - wird verdeutlichen, in welch starkem Maße die Souveränitätskonzeption Bodins, die politische Ethik Machiavellis und das Machtstaatsideal des Lipsius auch in dieser Hinsicht die vorwiegend im calvinistischen und lutherischen Umfeld entstandenen "Politicae" geprägt haben102. Der "gerechte" Krieg wird vom "notwendigen" Krieg überlagert und schließlich verdrängt. Nach Lipsius ist jede politische und menschliche Ordnung auf das "imperium" angewiesen. Es ist notwendig t~nc! nützlich, weil es den Zusammenhalt des Staats gewährleistet. Als "spiritus vitalis" verwirklicht sich diese notwendige Herrschaft am besten in einer starken Monarchie, geleitet von der "virtus" und der "prudentia" des Fürsten, mit dem Ziel, dem Machtverfall und der Instabilität im Innern zu •.vehren103. Um seine 101 Allgemein hierzu Gerhard Oestreich, Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates (1956), jetzt auch in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969, 35- 79; dort weitere Beiträge zur Bedeutung des Neustoizismus für das politische Denken Lipsius'; ferner Karl Siedschlag, Der Einfluß der niederländischen Ethik in der politischen Theorie zur Zeit Sullys und Richelieus, Berlin 1978, 34- 88 (Lipsius). 1o-2 Als einziger nennenswerter Beitrag von katholischer Seite können die .,Politicorum libri decem" des Jesuiten und späteren Beichtvaters des bayerischen Kurfürsten Maximilian I., Adam Contzen, von 1620 (2. Aufl. 1629) gelten. Hierzu s. Ernst-Albert Seils, Die Staatslehre des Jesuiten Adam Cantzen ...• Harnburg 1968, 154 ff. (Heeresverfassung). Vgl. ders., Die Staatslehre A. Contzens, in: Der Staat 10 (1971), 191- 213. - Die einzige im Reich in deutscher Sprache abgefaßte "Politik" mit Berücksichtigung des Krieges ist allem Anschein nach: Michael Kreps von Alnfeldt, Teutsche Palitick oder von der Weise zu regieren in Frieden- und Kriegszeiten, Frankfurt 1620. Friedrich Goedeking (Die Politik des Lambertus Danaeus, Johannes Althusius und Bartholomäus· Keckermann, Diss. theol. Heidelberg 1977, MS, 12 ff.) bietet einen knappen Überblick zum Themenkreis "Politica". 1oa Justus Lipsius, Politicorum sive civilis doctrinae libri sex, 1589, zitiert nach der Ausgabe Antwerpen 1599.- li, 1: Definition des "imperium": "certurn ordinem in jubendo et parendo. Cuius tanta vis sive necessitas potius, ut hoc unum fulcrum sit rerum humanarum". Nützlichkeitsaspekt des impe-

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oberste Aufgabe, die "conservatio reipublicae", zu erfüllen, ist der Fürst gehalten, seine unumschränkte Prärogative zum Aufbau eines Heeres, zur Verwirklichung der Wehrverfassung und zur Vorbereitung auf den Einsatz der bewaffneten Machtmittel zu nutzen104• Beide- der äußere Krieg und der Bürgerkrieg- stellen die wichtigste Bewährungsprobe des Staates dar. Die "prudentia militaris" vermittelt dem Souverän alles, was notwendig ist für den Schutz und das Heil des Staats105 • "In armis jus ferre & omnia fortium virorum esse ferociter dicerent" -mit dieser Weisung des römischen Historikers Livius versucht Lipsius seine Position in der ihm bekannten Debatte über das bellum justurn abzustecken108 • Er nimmt zwar einen Teil der Terminologie auf, doch verschiebt er die Inhalte und die Proportionen. Erstes Kriterium ist der militärische Oberbefehl des Souveräns. Lautet dessen Urteil auf "Notwendigkeit" des Krieges, dann ist der Krieg gerecht1°7 • Lipsius gibt allerdings zu bedenken, daß der Souverän im Hinblick auf die großen Opfer, die ein Krieg mit sich bringen könne, auf die Führung eines als "gerecht" erkannten Waffengangs verzichten müsse108 • Ein formalisiertes Verfahren zur Prüfung der "justa causa" kennt er nicht. Der Krieg ist als Verteidigungs- oder als Angriffskrieg die notwendige und legitime Maßnahme des Fürsten und des Staates gegen die Gewaltanrium nach Aristoteles, Politik I, 3; nach Seneca (De clementia I, 4): ". .. est vinculum per quod respublica cohaeret, ille spiritus vitalis, quem haec tot millia trahunt ..."; Einteilung des imperium in "Principatus, Optimatum, Populi status" und Feststellung, so würden alle "nationes et urbes" regiert, unter Berufung auf Tacitus, Annalen 111 (Lipsius II, 2). - Zur Umdeutung des "Spiritus vitalis" von "lex" in "imperium" s. Michael Behnen, Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der "Politica" des Johannes Althusius, in: ZHF 11 (1984), 417-472, hier 433 m. Anm. 54. 104 Das gesamte Buch V ist dieser Thematik gewidmet. 10s Den Zweck der "prudentia militaris" gibt Lipsius mit Cicero häufig als Schutz für "patria" und "libertas" an. In Wirklichkeit dient sie aber bei ihm der Machtstellung des Fürsten. Zum Zweck des Krieges: "... nec dirigenda alio arma sunt (si pura ea esse vis) quam ad Tranquillitatem & Tutelam. ,lta bellum suscipiatur, ut nihil aliud quam Pax quaesita videatur' (Cicero, De officiis I)" (Lipsius V, 4). - "Prudentiae haec pars commendata Principi quae necessaria ad tutelam salutemque regni" (V, 2). 106 Livius, 5. Buch, 36, 5; Lipsius V, 3. 101 V, 4. Drei Elemente des "bellum justum": auctor, causa, finis; das "jus armorum" liegt allein beim Souverän. - Zur "causa justa" die wichtige Bekräftigung: die "defensio" ist nicht nur gerecht, sondern auch notwendig. Mit den Worten des Samnitenführers C. Pontius Herennus: "Justum est bellum, quibus necessarium, et pia arma, quibus nulla nisi armis relinquitur spes" (Livius IX, 1, 10). Auch eine Invasion ist "justa" und "licita", sofern mit ihr ein Unrecht gestraft werden soll und das jus gentium respektiert wird (Beleg: Cicero, De officiis I). 1os Dies ist der aus der Bellum-justurn-Lehre bekannte Topos der Verhältnismäßigkeit; zu seiner Verwendung bei Suarez s.o. S. 65. Lipsius benutzt ihn bei seiner Ablehnung des Bürgerkriegs (VI, 1 und 5).

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wendung eines anderen Staates. Er dient nicht der Eroberung oder der Befriedigung von Ehrgeiz, Rachsucht oder Machtstreben1". Lipsius billigt den Interventionskrieg mit dem Ziel, Unterdrückte von einem unerträglichen tyrannischen Regime zu befreien und Verbündeten zu helfen110. Wie im gesamten Bereich der zivilen Politik die letzte Entscheidungsbefugnis- einschließlich der Gesetzesverletzung im sogenannten Notfall - beim Souverän liegt, so fällt ihm auch in der Wehrverfassung und im Kriegsrecht diese Kompetenz zu111 • Lipsius könnte sich mit der Forderung Machiavellis identifizieren, der die Kriegskunst zur einzigen Kunst erklärte, die sich für einen Herrscher ziemtm. Dementsprechend muß der Souverän alle verfügbaren und mobilisierbaren politischen und ökonomischen Ressourcen in den Dienst der Kriegsvorbereitung stellen. Er muß für den Heeresaufbau (Berufsheer und Reserve), die Qualität der Truppen, die Finanzierung des Heeres ("pecunia" = "spiritus vitalis belli") und seine Einsatzbereitschaft sowie für die Disziplin und die Befähigung der militärischen Führer sorgenus. Militärischer Drill, moralische Disziplin, Lob, Tadel und Strafen114 bewirken, daß der nach römi101 V, 5 und 3 ("iniqua bella . . . quibus ambitio aut avaritia causa"). 110 V, 4. - Rechtfertigung von ~riegen gegen barbarische Völker und gegen Feinde der christlichen Religion, hauptsächlich dann, wenn sie mächtig sind oder sich selbst der Invasion schuldig machen oder gemacht haben. Zu Parallelen bei Grotius s. u. S. 96 ff. 111 Lipsius billigt ausdrücklich die auf Seneca zurückgeführte Maxime "Necessitas magnum imbecillitatis humanae patrocinium omnem legem frangit". Ebenso stimmt er dem vielzitierten Tacitus-Diktum über die Priorität der "utilitas publica" (Annalen XIV, 44, 4) zu. Mit dem höheren Recht des Fürsten ist im Bedarfsfall auch die Besetzung einer günstig gelegenen Stadt gerechtfertigt, ebenso der politische Mord oder der Entzug von Privilegien (V, 4). Der Gipfel des politischen Opportunismus wird mit Plutarch begründet: "nec iuxta leges solum, sed legibus ipsis imperare, usu sie suadente". 112 Principe XIV ("Ein Herrscher soll also kein anderes Ziel, keinen anderen Gedanken haben und sich keiner anderen Kunst widmen als der Kriegskunst, ihren Regeln sowie der militärischen Disziplin; denn dies ist die einzige Kunst, deren Beherrschung man von dem erwartet, der die Befehlsgewalt hat", Übers. R. Zorn). 113 V, 6 - 15. Der Katalog der Kriegsmittel (apparatus pecuniae, commeatum et armorum: viri; consilia) wurde mehr oder weniger von den auf Lipsius folgenden Autoren rezipiert und nur in Teilen abgewandelt. 114 Häufige Quelle ist der römische Militärschriftsteller Flavius Vegetius (Epitoma rei militaris, ca. 400 n. Chr.), den auch Graf Johann von Nassau in seinem Kriegsbuch - Lipsius folgend - vielfach benutzt hat. Siehe im einzelnen Werner Hahlweg, Hrsg., Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen, Wiesbaden 1973, 4, 31 ff. und passim; ferner S. 12• ff., hier auch Hahlweg zu Lipsius' "Militia romana libri quinque commentarius ad Polybium", erstmals 1595. Lipsius (Politicorum V, 13) führt das später auch von Friedrich dem Großen benutzte Diktum des spartanischen Flottenkommandanten Clearchos (überliefert von Valerius Maximus, Memorabilia II, 7) an, wonach der Soldat seinen Feldherrn mehr fürchten solle als den Feind.

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schem Vorbild stilisierte und idealisierte Heerführer dem Souverän ein Instrument zur Verfügung stellt, das bei richtiger Verwendung in einem Krieg den Sieg sicher macht116• Die Festigkeit der Herrschaft (.,adstricta" bzw. .,constans forma imperii") hängt von der Zuverlässigkeit der Wehrverfassung ab (.,praecipuum decus et stabilimentum imperii")1 11• Zur Förderung der militärischen Tugenden im Volk und im Heer greift Lipsius (im Unterschied zu den an ihn anknüpfenden calvinistischen und lutherischen PolitikTheoretikern) nicht auf konfessionell bestimmte Mittel, sondern auf gängige Gemeinplätze des Späthumanismus (Volkspsychologie nach antiken Versatzstücken) und besonders auf die sozialdisziplinierenden Techniken der Neustoa zurück, die er teilweise selbst aufbereitet hatm. Allgemein bleibt zwar der fundamentale Wert des Friedens unbestritten, und ein gerechter Friedensschluß ist die unabdingbare Voraussetzung für die Vermeidung eines neuen Krieges. Es wirkt jedoch keineswegs überzeugend, wenn der Autor feststellt, Politiker würden wenig Gefallen an seiner Kriegslehre finden, da sie mehr zum Frieden als zur Kriegführung aufforderell8. Einen eindrucksvollen Beweis für die strukturelle Beziehung zwischen Staatsaufbau, Regierungsform und Wehrverfassung bilden dagegen Lipsius' Darstellung der Bedingungen des Bürgerkriegs und die Empfehlungen zu seiner Verhinderung bzw. Überwindung. Vom Standpunkt des machtbewußten Souveräns spürt er den verschiedenen Ursachen des Bürgerkrieges nach, gewichtet und wertet sie vor dem Hintergrund antiker, besonders römischer Erfahrungen in der Optik des Tacitus und Ciceros119 • Etwas schematisch, aber durchaus konsequent rät Lipsius dem Souverän zur Anwendung der politisch-moralischen Gegenmittel, um den Ursachen und Ausdrucksformen des blutigen innerstaatlichen Konflikts (fatum/luxus/factio/seditio/tyrannis) zu beus V,17,18. m IV, 9, S. 97 (adstrictam imperii formam). ll7 Oestreich (Anm. 101) hat die politische Instrumentalisierung der neustoischen und späthumanistischen Leitwerte weit unterschätzt und zu stark ihren ethischen Eigenwert betont. Vgl. Günter Abel, Stoizismus und Friihe Neuzeit, Berlin 1978, 72 - 92 (Ethik und Politik). us V, 18- 20, ferner 5; VI, 6, mit Cicero, Ad Atticum und Pro Marcello. 119 Das gesamte Buch VI behandelt den Bürgerkrieg. Er zerstört wegen seines schändlichen Charakters die Eintracht auch in den Familien ("flagitia, nulla disciplina aut oboedientia"). Das politische Wertsystem wird durch Furcht und verderbliche Notwendigkeit umgestürzt. Auch wenn die moralisch Besseren siegen, werden sie notwendig unzivilisierter und ohnmächtiger (unter Berufung auf Cicero, Epistolae ad familiares IV, 9). Ferner die Zitate aus Tacitus Historien I und 11.- Lipsius: "Plura sunt in detestationem huius pestis quae nimis nota nobis omitto" (VI, 1).

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gegnen120 • Mit Livius schätzt er das Volk als geneigter zur Rebellion als zur Kriegführung ein121 • Daher muß der Fürst im Kampf gegen Aufstände und Rebellionen, gegen Zwietracht und Verrat alle Mittel der "prudentia mixta" einschließlich Täuschung, Korruption, List und geheimen Versprechungen benutzen122 • Bei der Tyrannis und generell im Bürgerkrieg steht die Gewalt gegen Sitten und Gesetze: "Ius est in armis; opprimit leges timor" 123• Zur Wiederherstellung des Rechts und der Macht bedarf es nach Lipsius - pauschal, undifferenziert und den antiken Autoritäten verhaftet - der Eindämmung der Widerspenstigkeit, der Begrenzung der Freiheit und der 120 Zwei entfernte Ursachen: "fatum" (= Gottes Wille) und "Iuxus" (Gegenmittel: "censura"); drei unmittelbare Ursachen: "factio" (Ursprung: Ehrgeiz; privater oder öffentlicher Haß. Die Bildung von Parteiungen bedeutet ein "summum periculum"). - "Seditio": Aufruhr/Rebellion; Ursprung: Bedrückung oder Furcht (nach Aristoteles, Politik V, 3). Rebellion als Unrecht ("fecere iniuriam metuentes poenam"). Auch Ehrgeiz als Ursache von Aufruhr: Mit Berufung auf Tacitus, Annalen XI, beschränkt sich Lipsius auch in diesem Fall auf eine personalisierende psychologisierende Erklärung: Ehrgeizig seien jene Menschen, die "privatim degeneres, in publicum exitiosi, nihil spei nisi per discordiss habent". Es steht außer Frage, daß Lipsius ohne Hinweis auf den erzählenden Kontext bei Tacitus ein verzerrtes Bild vermittelt (vermitteln will): Auf dem Höhepunkt der religiös-politischen Bürgerkriege in Frankreich und nach dem Niederländischen Aufstand reduziert und verfälscht er die komplizierten ständischen. ökonomischen und regional bedingten Gegensätze. Übrig bleibt als Extrakt im Fürstenspiegel die polarisierend konzipierte moralische Perspektive mit der Verdammung derjenigen Bürgerkriegspartei, die dem Souverän die Stirn bietet: "Quibus quies in seditionibus, in pace turbae sunt" - dieser "Trost" des Sallust (Oratio Philip.) relativiert die vorherrschende Methode Lipsius' nicht: Er betont nur noch einmal die politische Dimension (VI, 4). - Dritte Ursache: s. u. Anm. 123. 121 " •.• ferocior ad rebellandum quam ad bellandum gens" (Livius VII, 27, 7; Lipsius VI, 4). 122 Ebd., mit Livius und Tacitus. Lipsius rät : "Falle, falle potius quam caede". Clementia und lenitas sind zu empfehlen, da "omnium culpa fuit, paucorum sit poena". Richtig: "Paucorum culpa fuit, duorum poena erit" (Historien I, 84, 12). Man wird an einer wirklichen Beendigung des Bürgerkrieges zweifeln müssen, wenn man Lipsius' Rat liest: "Bona fide securi omnes sint", denn es sollen keine Mitwisser der Rebellion ermittelt werden. Vielmehr gilt das Verhalten des taciteischen Tiberius als Richtschnur (Tacitus, Annalen II, 40, 22): "Et quamquam multi e domo principis equitesque ac senatores sustentasse opibus, iuvisse consiliis dicerentur, haud quaesitum"); bei Lipsius abweichende Lesart. 12a Die dritte (unmittelbare) Ursache des Bürgerkrieges ist die Tyrannis ("praeter mores aut leges"). Da er bei allen verhaßt ist, muß der Tyrann notwendig zur Gewalt greifen (VI, 5). - Zitat im Text: Seneca, Hercules Furens, 253. Unter dem Tyrannen herrscht ein falscher Friede (Gesetzlosigkeit, Haß, Furcht in der Bevölkerung). Demgegenüber kennzeichnet den wahren Frieden (nach dem Bürgerkrieg) der wiederaufgerichtete Machtstaat: "obsequio mitigantur imperia" = Devise Alexanders d. Gr. nach Curtius, VIII. Als Präventivmittel, das Bürgerkriege verhindert, empfiehlt Lipsius eine milde Handhabung der Herrschaft, um die Widerspenstigkeit der Untertanen zu vermindern ("contumacia inferiorum lenitatem imperitantis deminui" = Tacitus, Annalen XVI, 28).

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Sicherung des Gehorsams der Untertanen. Zwar ist der Souverän kein Gewaltherrscher, aber: "utilia honestis miscere". Und: "Assidue cogita: ,quanto libertate discordi servientibus sit utilius, unum esse cui serviant' " 124 • Ebenso wie die notwendige Selbstbehauptung des Staates nach außen führt auch die Sicherung seiner Existenz gegen innere Bedrohung den Autor zu weitgehenden verfassungspolitischen und -rechtlichen Forderungen: Stärkung der Rechte des Souveräns, Einschränkung der Freiheitsrechte der Untertanen bis hin zur Verweigerung des Widerstandsrechts. Die Kongruenz zwischen politischer und militärischer Verfassungsstruktur ist perfekt. Jenseits der konfessionellen Zwistigkeiten und deren widerstreitende Sozialisierungseffekte verdrängend, stützen und sichern die neustoischen Sozialtugenden das Macht- und Geltungsbedürfnis des souveränen Einzelstaats. Die Attraktivität des lipsianischen Militärstaats rührt her von seinem Doppelcharakter: Die konservierend-konservative Komponente (altrömische Wehrverfassung) wird in einer idealisierten Form mit den Ansprüchen des neuen souveränen Fürstenstaats verschmolzen. Eine solche Konstruktion mußte ohne Zweifel faszinierend wirken auf die Führer noc:h instabiler Territorialstaaten im Deutschen Reich und auf die Niederlande und ihre bestellten, sich andienenden oder unabhängigen schreibenden Protagonisten am Vorabend und während des Dreißigjährigen Krieges. Demgegenüber konnte Lipsius in der aristotelischen Welt etwa des italienischen Späthumanismus nur in begrenztem Umfang anregend wirken. In den politischen Theorien der Palazzo, Zuccolo, Canonherio und anderer ist das Militärstaatsideal des Lipsius auf eindeutige Ablehnung gestoßen. Die Autoren nahmen bei der Diskussion des bellum justurn gewissermaßen zur empirischen Absicherung die von Lipsius propagierten wichtigsten Kriegsmittel (arma/pecunia/commeatus) auf und unterstrichen deren Unerläßlichkeit125• Gleichzeitig hielten sie an 124 Tacitus, Agricola VIII, 4. "Assidue ..." (Plinius d. J., Panegyrikus). - VI, 7 (De finiendo civili bello) mit einem offenherzigen Seneca-Diktum: Es gereicht dem Souverän zur Zierde, den Bürgerkrieg zu beenden, und Lipsius stimmt zu: "ob cives servatos". - Die Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverteilung und die Ablehnung des Widerstandsrechts gibt Lipsius als eine historisch-politische Erfahrung aus, zu der man durch die Betrachtung der Bürgerkriege kommen müsse ("concludo igitur: ,Ferenda regum ingenia, neque usui crebas mutationes"', Tacitus, Annalen XII, 11, 10), Lipsius VI, 5. 125 Petro Andrea Canonherio, Dissertationes politicae ac Discursus varii in C. Cornelii Taciti Annalium libri, Frankfurt 1610 (erstmals mit leicht abweichendem Titel Rom 1609). - Giovanni Antonio Palazzo, Discorso del governo e della Ragion vera di Stato, erstmals Neapel 1604, Venedig 1606. -

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der Einheit der Staatsgewalt fest: Ein besonderes "jus belli" neben oder außer dem "jus status" lehnten sie ab. Im Gegenteil, das Recht zum Kriege und im Kriege ist im Recht des Staates enthalten. Nur das "bellum justum" ist gerechtfertigt. Zwar wird die "legitima autoritas" betont, aber nur als die Spitze einer aristotelisch-thomistisch verstandenen "Respublica perfecta" im Rahmen der bekannten Staatsformenlehre128 • Gegen den Krieg zur Steigerung der Macht und des Ansehens des Herrschers nach Maßgabe der lipsianischen Neustoa setzt Canonherio die Absage an den Ruhm des Fürsten und läßt die "patria" und ihre Verteidigung als Kriterium für das bellum justurn gelten1ll7 • Palazzo hebt ab auf die "justitia" als die zentrale ethische Norm. Er lehnt nicht nur die Eroberung ab, sondern wendet sich auch unmißverständlich gegen den Stabilitäts-Topos Boteros: Die Gesetze des bürgerlichen Staates müssen herrschen, eine eigene Kriegspolitik kann in eine nicht zu verantwortende "ragion di moto" umschlagen1ll8 • Die Befürchtung, mit der Übernahme des Krieges als eines fraglos einsetzbaren politischen Machtmittels unkontrollierbare Bewegungen, letztlich Unruhen und einen Bürgerkrieg auszulösen, durchzieht die Positionsbestimmungen der Italiener wie ein roter Faden. Allenfalls lassen sich nichtssagende Maximen nach Tacitus ("nervi belli pecunia") akzeptieren. Sogleich folgt allerdings die Warnung: "Bellum seipsum alit" 128• Lodovico Zuccolo, Considerationi politiche e morali sopra cento oracoli d'Illustri Personaggi antichi, Venedig 1621. - Hier Canonherio, 55; Zuccolo, 363- 367; Palazzo, passim.

12e Palazzo und Canonherio verneinen ausdrücklich die Frage "An jus status a jure belli differat?" Canonherio (Anm. 125), 52 ff.; Palazzo (Anm. 125), 19 ff. - Girolama Frachetta (Il Prencipe, Venedig 1599) hat wohl als einziger das gesamte Fragenspektrum des Lipsius aufgenommen (Buch Il, 27. Kapitel, 140- 349). Er handelt schulmäßig die Frage des gerechten Krieges ab und vertieft mit Hilfe des Lipsius die herkömmliche Darstellungsweise (Kriegsarten, Waffen, Schlachten), ohne in eine Auseinandersetzung mit der Macht- und Militärstaatsthese des Lipsius einzutreten. Er spart auch - was auffällig ist - den Bereich Gesellschaft/Militär aus, obwohl er gerade hier leicht eine allgemein genehme Gegenposition hätte entwickeln können. Die "guerra diversiva" als Mittelding zwischen Offensiv- und Defensivkrieg erscheint auf den ersten Blick originell, wird aber nicht im einzelnen begründet. Im übrigen gelten Livius, Polybias und Thukydides als konkurrierende Autoritäten neben Lipsius. 121 Canonherio (Anm. 125), 53 f. 12s Palazzo (Anm. 125), 23 - 25. Die Militärgesetzgebung und die zivilen Gesetze stellen nur zwei unterschiedliche "generi" dar "dell' unica ragione di governare". Ferner ebd. 72. Die Unteilbarkeit der Macht ("il potere") setzt den Fürsten und seinen Staatsrat in den Stand, wirkungsvoll Aufständen im lnnern und bewaffneten Bedrohungen von außen zu begegnen. Die Gesetzesbindung aller staatlichen Tätigkeit begründet die Integration des militärischen Sektors (" ... pero le ragioni militari sono sempre ordinarie di quel genere"). Palazzo gelangt zu dieser eindeutigen Stellungnahme im Kontext seiner Ablehnung von Boteros Ragion di Stato. 12e Zuccolo (Anm. 125), 365 f.

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Auch die Mehrzahl der übrigen politischen Schriftsteller in Italien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts haben weder die Kriegstheorie Machiavellis noch Lipsius' rezipiert (Venturi, Topius, Chiaramonti, Settala)130. Albeneo Gentilis (1552 - 1608), ein nach England geflüchteter protestantischer Italiener, der auf Grotius großen Einfluß nehmen sollte, hat den Schritt getan, den seine soeben erwähnten Landsleute nicht zu tun vermochten: die Preisgabe der theologischen Fundierung des bellum justurn wie die Anerkennung des "justus hostis"tat. Gentilis geht von der notwendigen Verteidigung des Staates als einer Pflicht des Souveräns aus ("Bellum est publicorum armorum justa contentio")132 • Demgegenüber mißt er der gesetzesfreien "necessitas" eine zweitrangige Bedeutung zu133• Die "defensio justa" , bezogen auf den alten, aber nicht kirchlich verstandenen Gerechtigkeitsbegriff ("integra justitia"), stellt das entscheidende Regulativ für den Herrscher dar, wenn er das Kriegsrecht anwenden will134. Mit Hilfe zahlreicher antiker Exempla (Livius, Cicero), aber auch Bodin, plädiert Gentilis für die Wahrung der staatlichen Integrität. Die alten Chiffren "utilis" bzw. "honesta defensio" können dem auf eigenen Nutzen bedachten Fürsten eine Entscheidungshilfe sein. Das Maß des Siegers muß der Herrscher selbst verantwortlich bestimmen und dabei die Völkergemeinschaft respektieren1ss.

* An zwei Beispielen soll der Beitrag calvinistisch geprägter Theoretiker zur Debatte über die Notwendigkeit und die Legitimität des Krieges dargestellt werden. Der Theologe Danaeus und der Jurist Althusius entwickelten ihre Auffassung innerhalb der neuen Literaturgattung der "Politicae" 138• 130 Zu Scioppio s. Mario d'Addio, 11 politico di Gaspar Scioppio e il Machiavellismo del Seicento, Mailand 1962. 1a1 Alberico Gentilis, De Iure belli libri tres (1588), hrsg. von Thomas Erskine Holland, Oxford 1877. - Gesina H. J. van der Molen, Alberico GentHis and the Development of International Law, Leyden 1968, 133 ff.; K. R. Simmonds, Hugo Grotius and Alberico Gentilis, in: Jahrbuch für internationales Recht 8 (1959), 85 - 100. 132 I, 2, 10. 133 I, 13. 134 Ebd. 63; III, 12, 338. 135 I, 14 und 15; III, 1, 2 und 12; ferner III, 3 (De sumptibus et damnis belli). 138 Das einflußreiche Werk des Altdorfer Calvinisten Arnoldus Clapmarius (De arcanis rerumpublicarum, Bremen 1605 u. ö.) enthält auffälligerweise keine Kriegstheorie. Lediglich am Rande handelt der Autor über Kriegsgeheimnisse ("arcana" und "simulacra militaria"), mit denen er dem Feldherrn den Weg zum Erfolg im Kriege weisen will (Liebe der Soldaten, Wahrung der Manneszucht und Disziplin), Buch VI, Kap. 16.

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In der "Politice christiana" des französischen Calvinisten Lambertus Danaeus, die ein Jahr nach dessen Tod im Jahre 1596 erschien, nehmen die Themen Krieg und Militärwesen einen wichtigen Platz ein1s7 • Für Danaeus bildet die Bibel, besonders das Alte Testament in seiner calvinistischen Auslegung die Grundlage der "pia respublica". Gleichzeitig leitet der Autor aus ihr Normen für alle Bereiche der Politik ab, so für die Stellung des legitimen Herrschers ("summus magistratus") und seine Rechte, für das Widerstandsrecht der niederen Obrigkeiten ("inferiores magistratus"), für die Stellung der "vera religio" in der Öffentlichkeit und auch für das Kriegsrecht. Mit der Religion, der Gesetzgebung und dem Handel zählt das Militärwesen zu den wichtigsten Elementen des Staatszwecks, der "conservatio reipublicae" 138• Trotz der dominierenden Rolle der Religion ist die Kriegslehre des Danaeus maßgeblich von Lipsius beeinflußt. Parallelen zu Machiavelli -wenngleich nur vereinzelt- sind nicht zu übersehen138• Danaeus geht von wesentlichen Teilen der Bellum-justurn-Lehre Uustitia, pax als 137 Lambertus Danaeus (1530 - 1595), Rechtsanwalt seit 1559, Studium der Theologie in Genf, Pfarrer bis 1572, ab 1574 in Genf neben Beza Inhaber des 2. theologischen Lehrstuhls; 1581/82 Professor in Leiden, wo er vergeblich versuchte, die Genfer Kirchenzucht einzuführen und auf Betreiben des Rates (der seine Methoden mit denen der spanischen Inquisition verglich) die Stadt verlassen mußte; von 1593 bis zu seinem Tod Professor der Theologie an der Akademie in Castres. Nach einer "Ethices christiana" (1577) Veröffentlichung der "Politice christiana" posthum 1596 in Genf, 2. Auflage 1606; mit Anhang: Aphorismen über den bonus princeps aus dem Panegyrikus des jüngeren Plinius. - Die Schreibweise "Politice" ist eine Latinisierung des zugrundeliegenden griechischen Wortes. 138 Günter Stricker hat das Werk das Danaeus allzu stark den protestantischen Monarchomaehen zugeordnet ("ein Kompendium der antimonarchischen Theorien der Hugenotten"). Er hat die Retheologisierung des Naturrechts in calvinistischem Geist nicht beachtet und das Kriegsrecht ganz ausgeklammert (Das politische Denken der Monarchomachen, Diss. phil. Heidelberg, MS, 1967, 184- 200). Goedeking (Anm. 102) hat bisher als einziger versucht, Theologie, staatstheoretische Position und Kriegstheorie miteinander zu verknüpfen. Bedauerlicherweise stellt er eine Untersuchung der Quellen (vor allem der Bibel und der Tradition) zugunsten eines Vergleichs mit Lipsius und Machiavelli zurück. Zum "conservatio reipublicae"-Topos s. Goedeking (Anm. 102), 56 ff., 89 ff., 161 f. Ahnlieh wie Machiavelli (Discorsi II, Vorwort) kennzeichnet Danaeus als die wichtigsten Elemente des Staates: "Instrumenta, quibus republica domi utatur: Arma quibus eadem resp. sese adversus extraneos foris tueatur: Cura divini Numinis: denique iudicia publica . . . " (Pol. ehr., 281). 139 So zutreffend Goedekings Hinweis ( [Anm. 102], 162) auf Ähnlichkeiten ist (Discorsi III, 12, hier Wort des samnitischen Heerführers: "Iustum autem esse bellum, ubi necessarium, et pia arma, quibus nisi in armis spes est", nach Livius IX, 1), so bedeutsam ist gerade für die Kriegstheorie des Danaeus die Darstellung und Rechtfertigung des Krieges im AT, besonders das sog. deuteronomistische Kriegsrecht, Deut. Kap. 20. In Leiden lernte Danaeus Lipsius kennnen ("vir mihi amicissimus"); zu dessen Einfluß s. Goedeking (Anm. 102), passim.

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Ziel) aus, ohne indes systematisch zu verfahren. Der Krieg als das äußerste Heilmittel zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit soll in praxi vier Regeln unterworfen sein, die zum Teil bereits Abweichungen von den herkömmlichen Anschauungen erkennen lassen: Danaeus kennt kein Verfahren zur Klärung der justa causa. Die Kompetenz zur Entscheidung über den gerechten Krieg liegt eindeutig beim summus magistratus. Die "conservatio reipublicae" im Sinne der calvinistischen Lehre ist das wichtigste KriegszieL Eroberungskriege sind nur gegen den "hostis iniquus" erlaubt, um sich dessen Angriffe zu erwehren140• Diese gleichsam ältere Schicht der Theorie wird im 7. Buch der "Politice christiana", das ganz dem Kriegswesen gewidmet ist, völlig überlagert, ja zurückgedrängt. Wehrverfassung, Heeresorganisation, Entpolitisierung der Bürger und die Militarisierung der Gesellschaft sind der generellen politischen Leitkonzeption, der Selbstbehauptung des christlichen Staates, zugeordnet. Krieg und Militärwesen erhalten mit der Religion den höchsten Rang im Staate, und zwar in ethischer und in institutioneller Hinsicht. Für Danaeus hat der Friede zwischen den Staaten keinen eigenständigen positiven Wert. Im Gegenteil, der Autor disqualifiziert ihn als Ausdruck der Trägheit und des Müßigganges ("otium"). Er stellt sich damit gegen die aristotelische Tradition, die zu Ende des 16. J ahrhunderts durchaus noch Anerkennung fand und nach der ein tugendhaftes Leben nur durch den Friedenszustand ermöglicht werden konnte. Mit Blick auf jüngste Ereignisse in Flandern und in Brabant verurteilt Danaeus den Frieden sogar als eine "libido" 141 • Der Autor ergänzt diese moralisierende und selbstgerechte Verschiebung einer der Grundkonstanten der politischen Beziehungen, indem er das Militärwesen an die Spitze der staatlichen Institutionen setzt, vor die Justiz, die Gesetzgebung und den Verwaltungsapparat. Dies hat Konsequenzen für den politischen Aufbau des Staates: Die niederen Obrigkeiten ("inferiores magistratus"), auf die sich das Interesse der Hugenotten in Frankreich in erster Linie richtete, werden nach Danaeus auf ihre bloß militärischen Funktionen reduziert. Das verfassungsrechtliche Novum zeigt sich darin, daß diese "praeses provinciae" als ausführende Organe des obersten Souveräns ihre politische Selbständigkeit einbüßen und zu bloßen Instrumenten degenerieren- nach dem Vorbild der türkischen Militärorganisation142. 140 Pol. ehr. VII, 525, 565, 493, 502, 528, 505 - 507; Goedeking (Anm. 102), 138- 143 (bes. Schonung der Zivilbevölkerung, Absage an barbarische Metho-

den der Römer im Kriege, Üben christlicher Tugenden, keine willkürliche Besatzungspraxis). 141 Aristoteles, Politik VII, 14, 1333 a, 30- 1334 a, 39. Pol. Chr. VII, 476. 142 Pol. Chr. VI, 381 f. (magistratus togati/armati), 440; VII, 477 ff., 481 ff., 487 ff., zur Ablehnung von Söldnerheeren auch 517 u. ö.

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Überdies wird aus dem theoretisch selbstverantwortlichen Bürger (.,civis") ein Glied des Volksheeres. Seine Aufgabe erschöpft sich darin, an der Verteidigung mitzuwirken und als wehrfähiger Untertan eine "natürliche Liebe zum Vaterland" zu entwickeln. Die politischen Mitgestaltungsrechte der Bürger schrumpfen: Der fromme Bürger nimmt am Krieg der Obrigkeit teil. Er beteiligt sich nicht an der Verantwortung. Einen qualitativen Unterschied zwischen zivilem und militärischem Status gibt es nicht: "Alii enim in bello imperant, alii parent" 143. Als alleiniger Inhaber der "summa potestas" entscheidet der Souverän in allen Fragen der militärischen Sicherheit, auch über die Gerechtigkeit und die Notwendigkeit eines Krieges, der nur von ihm begonnen werden darf1 44 • Wie Machiavelli und Lipsius gibt der Calvinist ohne Umschweife den Grundsatz und das internationale Regulativ der .,justitia" zugunsten der gestärkten Stellung des Herrschers des souveränen Einzelstaats preis. Als Kriterium für die Gerechtigkeit des Krieges genügt die "necessitas": "Illud bell um omne esse justum, quod est necessarium"145. Die Umdeutung des politisch opportunen in einen "gerechten" Krieg durch Danaeus läßt nicht nur die Grenzen der "vera religio" im politischen Raum zweifelsfrei zutage treten. Sie hat auch erhebliche Folgen für die Kriegführung selbst. Im Namen der "salus publica" erklärt Danaeus nunmehr - im Widerspruch zu früheren Äußerungen - eine grausame Kriegführung für erlaubt und für gerecht: Verwüstung und Vernichtung von Saat und Ernte in Feindesland, so daß dessen Bevölkerung von Lebensmitteln abgeschnitten ist. Die Kriegführung muß so beschaffen sein, daß dem niedergerungenen Feind sämtliche wirtschaftus Pol. ehr. VII, 478, 510. - Die unzureichende Abstimmung zwischen jus ad bellum (ausschließlich beim summus magistratus) und inhaltlicher Umschreibung des Krieges ist unübersehbar. Sie wird deutlich beim Blick auf die relativ nichtssagende Definition des Krieges: .,Est autem bellum . . . discordia et contentio duorum populorum, qui nulli magistratui communi parent, sed publica summi magistratus cuiusque partis bellantis authoritate suspecta, quae vi et armis non autem forensi disceptatione, tractatur et dirimitur" (492). - Die in der Herrschaftstheorie angelegte Beschränkung der Macht des Souveräns (nicht "translatio", sondern nur "concessio potestatis", Buch VI, 405) wird auf das Kriegsrecht nicht angewandt. Die Kompetenzen der Ständeversammlung ("concilium totius Reipublicae et publicum summumque", VI, 415, 423 f.) tangieren den Krieg ebenfalls nicht. 144 Demgegenüber hat die empfohlene Befragung der Pastoren, der Gelehrten und des Willens Gottes gemäß Deut. 20, 1 f. und 2. Samuel 5, 19 oder der Fetiales nur rein formalen Charakter. Letztlich braucht der Souverän seine (irdische) Prärogative nicht zu bemühen: "Iustorum bellorum, quae ex divini verbi regulis suscepta sunt, Deus est & dux, & autor: & ea sunt non hominum, sed Dei ipsius bella censenda. los. 5, 13. 1. Sam. 25, 28. 2. Chron. 20, 15" (Pol. ehr. VII, Aphorismi ex sacris scriptoribus, 532). 145 Pol. ehr. VII, 487. Vgl. oben Anm. 139.

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liehen Mittel zum Wiederaufbau und alle militärische Macht fehlen 146• Der Bürger soll den Feind hassen ("quantum christianae reipublicae salus postulat") 147 • Ausdrücklich bekennt sich Danaeus zur Trennung von öffentlicher und privater Moral. Das christliche Liebesgebot gilt nicht für den Gegner im Krieg. Die Bergpredigt wird insofern außer Kraft gesetzt148• Bibel und Theologie können nach Danaeus das Recht und die Notwendigkeit des Krieges nicht tangieren. Ja, die Frage, ob ein christlicher Staat überhaupt zur Führung von Kriegen berechtigt sei, ist nicht relevant. Dennoch kann Danaeus auf den Beitrag der calvinistischen Lehre zur Herstellung der Wehrbereitschaft im Frieden und zur Unterstützung der Kriegführung selbst nicht verzichten148 : Die Pastoren müssen in den Dienst des Kriegsherrn treten. Jede Kritik ist ihnen untersagt. Sie begleiten das Heer im Kampf, üben die Aufsicht über die Sitten der Soldaten aus, ermutigen sie und spornen sie an. Die Pastoren kämpfen sogar selbst mit, nicht in Wahrnehmung ihres geistlichen Amtes, sondern als Bürger. Die Früchte des militärischen Erfolgs kommen auch der Kirche zugute, daher müssen alle Christen sich beteiligen 150• - Um einen möglichen Bürgerkrieg zu vermeiden, ist Danaeus bereit, auf das Prinzip der Una religio notfalls zu verzichten. Die staatliche "necessitas" macht Ausnahmen erforderlich, ebenso dann, wenn ein andersgläubiger Herrscher im Wahl- oder Erbwege auf den Thron gelangt151 • Die "con146 Pol. ehr. VII, 503, 556 ("maxima hostem debellandi ratio"). In den Aphorismi, 538, heißt es: "Quanquam hostiles agros vastare fas est, & eos depraedari, hostique incommodare, qua maxima ratione possumus .. . ". Es folgen Bedenken (u. a. wegen der "communis societatis hominum lex & ipsa humanitatis ratio"), die aber nicht zwingend sind. Richtschnur bleibt Deut. 20, 19. Vgl. oben Anm. 139. Der Sache nach dominiert beim jus ad bellum und beim jus in bello eine Art von alttestamentlich unerbittlicher "necessitas". Danaeus hat ganz offensichtlich seine früheren "Befürchtungen" zurückgestellt: Noch in Pol. ehr. III, 192, zweifelte er im Hinblick auf den Nützlichkeitsgesichtspunkt. Würden nicht durch seine Anwendung das Recht, das Wort Gottes und das Gewissen außer Kraft gesetzt: "ld et fas et ius esse, quod eidem reipublicae utile est" [?]. So auch Goedeking (Anm. 102), 153. 147 Pol. ehr. II, 115. 148 Die Aphorismen "Hostes, qui praecipue nobis sunt conciliandi" (539 ff.) beziehen sich auf die Zeit nach der Beendigung der Kampfhandlungen. 149 Pol. ehr. VII, 494. Die Unterscheidung zwischen "bellum spirituale" und "carnale" (490 f.) kann irreführend sein; denn der geistliche Kampf mit den Waffen des Evangeliums bildet nach Danaeus' Überzeugung die ideelle Grundlage jedes Krieges, wenn auch nicht sein direktes Motiv. t5o Pol. ehr. VII, 518- 520, 532; Goedeking (Anm. 102), 155- 157. 151 Pol. ehr. 111, 169 f.; VI, 416; Goedeking (Anm. 102), 132 f. Ähnlich wie Lipsius meidet Danaeus eine konkrete Untersuchung der Ursachen eines Bürgerkrieges. So kann er sich mit Allgemeinplätzen begnügen, z. B.: "In Civilibus bellis ea pars semper iniusta est, & iniuste pugnat, quae contra leges Dei, vel patrias, vel denique contra promissionem a se ipsa factam, bellum gerit, aut pugnat. 2. Sam. 2, 17" (Aphorismi, 535).

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servatio reipublicae" verbietet es, Kriege aus religiösen Gründen zu führen. Andererseits kann es mit Rücksicht auf die "utilitas publica" geboten sein, Zweckbündnisse mit nichtchristliehen Staaten zu schließen152. Das Kriegskonzept des engagierten und intoleranten Kontroverstheologen wies eine Reihe ebenso doktrinärer wie inhumaner Züge auf, die für den politischen Calvinismus am Ende des 16. Jahrhunderts insgesamt nicht gelten können. Es ist jedoch unverkennbar, in welch starkem Maße ein rein funktionalistisches Bibelverständnis sich nutzen ließ zur Begründung eines im wesentlichen achristliehen Kriegsrechts in einer vornehmlich auf Machtsicherung ausgerichteten staatlichen Pseudoordnung.

*

Den nächsten wichtigen Schritt zur Ausformung einer calvinistisch geprägten Kriegstheorie tat der Herborner Jurist und spätere Stadtsyndikus von Emden, Johannes Althusius (ca. 1557 -1638). Im Unterschied zu Danaeus war er ein erfahrener Praktiker. Er nahm die Kriegslehre des Lipsius auf und fügte sie in sein Konzept eines von einem starken Herrscher geführten Macht- und Ordnungsstaates auf calvinistischer Grundlage ein153 • Althusius ist es gelungen, ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen der politischen Verfassung, der Gesellschaftsordnung und dem Kriegsrecht herzustellen. Im Rahmen der breitgefächerten Aussagen zu fast sämtlichen Bereichen der politischen und sozialen Kommunikation (consociatio/communio symbiotica) hat er erstmals einen Kriegsbegriff konzipiert, dem man einen integralen Charakter zusprechen muß. Politik und Krieg stehen beide im Dienst an der Erhaltung und Verteidigung des "ordo necessarius", d. h. einer Welt- und Lebensordnung, die in ihren politischen und kirchlichen Strukturen hierarchisch gegliedert ist. Der Krieg ist in der Hand des Fürsten das wichtigste und das notwendige Mittel, der Anarchie im Innern zu wehren und den Bestand der Herrschaft gegen äußere Feinde zu verteidigen154. Im zivilen und m Pol. ehr. IV, 247. Zuletzt Behnen, Herrscherbild und Herrschaftstechnik in der "Politica" des Johannes Althusius (Anm. 103), auch zur praktischen Tätigkeit in Emden; hierzu bereits Heinz Antholz, Die politische Wirksamkeit des Johannes Althusius in Emden, Aurich 1955. - Für die Kriegslehre des Althusius läßt sich (ähnlich wie für andere Teile seiner politischen Theorie) ein Unterschied zwischen der 1. Auflage der "Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata" (Herborn 1603) und d~r 3. Auflage (1614) feststellen. Hierzu im einzelnen Behnen, 419. - Im folgenden wird die 3. Auflage zugrundegelegt t54 Pol. 18/22; 19/23; 25/1 ff.; 28/1 ff. Behnen (Anm. 103), 453 ff. "Necessitas" stellt keinen absoluten Wert dar. Sie korrespondiert beispielsweise im Steuerrecht mit der "facultas subditi" (11/37). 153

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im militärischen Bereich werden die Kompetenzen des Souveräns durch eine Reihe von Ausnahmerechten ergänzt, damit gegebenenfalls die "necessitas dominationis" gewährleistet wird165 • Mit Hilfe eines ganzen Katalogs calvinistisch geprägter Sozialtugenden - zumeist neustoischer Provenienz - hat Althusius gewissermaßen den Boden vorbereitet, um in seinem politischen System die gesellschaftlichen Bedingungen für den militärischen Teil der Staatsverwaltung und für die "Figur" des Krieges zu schaffen.168 Die Aufrechterhaltung des Militärwesens und die bewaffnete Machtanwendung nach innen und nach außen ("cura armorum") gehören wie die Gesetzgebung und die Förderung der Religion zu den zentralen Staatstätigkeiten. Ohne sie können das "bonum commune", die "utilitas publica" und die "securitas publica" nicht verwirklicht werdenHI7. Althusius begnügt sich bei der Umschreibung der "Verteidigung" als öffentlicher Aufgabe bewußt mit zivil-militärischen Mischbegriffen: Sicherheit, Schutz einzelner Menschen und des Handels, Abwehr jeder Art von Gewalt und Unrecht und schließlich das Mittel des Krieges158• Den Zweck des Krieges faßt er als " ... ad salutaria, utilia & necessaria Ecclesiae & Reipublicae" 1511. Das Militärwesen, die Wehrbereitschaft und die sie tragenden Verhaltensmuster der Bürger nehmen im gesamten politischen und gesellschaftlichen Normenkodex die hervorstechendste Rolle ein: "Cura, judicia, leges, religio omniumque rerum publicarum opes & potentia sub militaris disciplinae clypeo continentur. Patria, libertas, cives atque adeo ipsi reges latent in tutela ac praesideo bellicae virtutis"180.

Neben der sozialdisziplinierenden Wirkung spricht Althusius der militärischen Ausbildung auch eine versittlichende Funktion zu. Er summiert und bündelt die Gemeinplätze der Kriegsliteratur seiner Zeit, 165 Pol. 37/47, 49, 50. Goedeking (Anm. 102), 283, der sich in seiner Darstellung der politischen Theorie des Althusius auch knapp mit dessen Kriegstheorie auseinandersetzt (271 - 275). - Aufhebung von Immunitäten und Privilegien mit Rücksicht auf eine "salus publica" oder "extrema & summa reipublicae necessitas" (15/13 f.; 32/83). 1se Pol. 37/ 10, 32, 39, 40. 157 Pol. 16/ 12, 13; 32/86; 16/ 16 ("publica tranquillitas, pax et disciplina conservari"). us Pol. 16/4, 13 f. ("defensio", "tutela", "protectio", "contra omnem vim, injuriam, laesionem"). 159 Pol. 35/ 10; "Cura armerum . . . vel repentina necessitas, vel improvisa vis hostium ingruat, Rempublicam & regnum suum [d. h. des summus magistratus] a ruina & exitio defendere possit" (34/1). 160 Pol. 34/3, mit dem schon von Danaeus angeführten Zitat aus Xenophons Agesilaos: "Ubi Deum colunt homines, arma tractant, disciplinam meditantur & exercent, quomodo prohabile non est, illis omnia plena esse bonae spei?"

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die für ein Bürgerheer und gegen das Söldnerwesen sprechen, und füllt gleichsam das Traditionsgut mit calvinistischen Versatzstücken auf: Gott selbst befiehlt die Beseitigung der Unordnung. Wer den Frieden wolle, müsse den Krieg vorbereiten. Exempel aus dem Alten Testament, Argumente des Bodin, des Lipsius, des französischen katholischen Juristen Gregorius Telosanus und des spanischen Naturrechtiers Covarruvias sollen den für die innere und äußere Sicherheit gleichermaßen unerläßlichen Rang des Krieges in Staat und Gesellschaft unterstreichen: Der Souverän und die Gesamtheit der Bürger haben die Pflicht, die Herrschaft gegen Rebellen "vi et armis" zu schützen181 • Faule und müßige Bürger müssen unbedingt zur Verteidigung herangezogen werden ("ad bellum emittere"). Das Potential der militärisch Unwilligen, quasi der Nicht-Sozialen, ist auf diesem Wege auszumerzen ("sentina hominum malerum expurgatur")1'2. Die unverkennbare Tendenz zur Militarisierung der Gesellschaft und das dominierende Interesse des Autors an der Niederhaltung innerer Unruhen und der Vermeidung von Aufständen183 werfen die Frage auf, ob die Kriegs- und Wehrbereitschaft eine unverzichtbare Existenzbedingung des auf Zwang aufgebauten Macht- und Ordnungsstaates ist. Es ist nämlich auffällig, daß die wirklich eigenständigen, ja originellen kriegstheoretischen Darlegungen kompositorisch und stilistisch das strenge Korsett der ramistischen Gliederungsprinzipien des Werkes zu sprengen drohen. Demgegenüber erscheinen die von Lipsius und Danaeus übernommenen Partien (materielle Grundlage des Krieges, Heeresaufbau, Schlachtordnungen, Waffengattungen u. ä.) mehr als unvermeidliche, wenn auch wichtige Pflichtübungen1114• Pol. 34/4, 6, 9. Pol. 34/10. Der Vorbehalt "quidam dixerunt" ist - wie der Kontext zeigt- rein verbaler Natur. t63 Die Anwendung der militärischen Disziplin bewirkt die Umwandlung des Bürgers: " ... ut ex ignavo cive fortem, ex intemperante moderatum, e desidioso strenuum, e luxurioso frugalem, e libidinoso continentem efficiamus" (34/35). - 37/65, 94 u. ö. t84 Besonders 34/11-49 und Cap. 35: "De cura & administratione armorum tempore belli, & primum de belli susceptione", hier vor allem zum "Apparatus belli necessarius", zur Rolle des Befehlshabers, zum Beuterecht, zu Kriegslisten und zum Präventivkrieg; zu allem Exempla auch aus Scipione Ammirato, Machiavelli (Discorsi), Bodin und sogar Thomas von Aquin (kein Kriegsdienst für Kleriker und Frauen). - Der Entschluß zum Kriege wird letztlich abhängig gemacht vom Ausgang einer reiflichen Beratung mit klugen Männern (ähnlich wie Danaeus) - offenbar ein Verfahren, in dem es nicht vorrangig um eine Prüfung der Rechtsgründe als vielmehr um Fragen der politischen und militärischen Opportunität geht: " ... utrum Reipublicae utilius pati injuriam, an vindicare" (35i 11). Die Reichweite des Entschlusses ist Althusius klar. Der Krieg bedeutet "rerum omnium mutatio", die Beseitigung jeder Sicherheit, eine mögliche Quelle des Hasses der Untertanen gegen den Herrscher, "omnis laetitia tollitur in eo" (35/12). tet

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Ein anhaltendes Interesse des Autors ist offensichtlich immer dann gegeben, wenn er die Übereinstimmung und die Interdependenz der rein militärischen mit der verfassungsrechtlichen, der politischen und der gesellschaftlichen Dimension erklärt und nachweist. Dies ist insbesondere der Fall bei der Behandlung der Kriegsgründe, der Kriegführung sowie bei den Ursachen und Erscheinungsformen des Bürgerkrieges. All diese Fragen werfen die Legitimitätsproblematik des Krieges auf und beleuchten den bewaffneten Konflikt als ein Strukturmerkmal der calvinistischen Gesellschaft. Sie belegen gleichzeitig aber auch die Abhängigkeit dieser Kriegstheorie vom Kategoriensystem, das Althusius rezipierte und modifizierte. Der Kriegsbegriff selbst ist vergleichsweise traditionell: "actio hostilis, ad injuriam depellendam vel vindicandam a magistratu vi armisque contra hostes, pacis retinendae, vel consequendae causa legitime suscepta & administrata" 166. Die verbalen Anleihen bei der Bellum-justurn-Lehre sind unverkennbar. Der "magistratus" als der Inhaber des jus ad bellum vereinigt in sich aber alle Souveränitätsrechte und die Ausnahmerechte160. Die "causae belli justae" (nicht "belli justi"!) zeigen eine Auffächerung gegenüber Lipsius und Danaeus, die bemerkenswert ist. Außer der Verteidigung, der Abwehr von Unrecht, der Verweigerung der Gerechtigkeit betont Althusius als gerechte Kriegsgründe die Verteidigung der wahren Religion, die Konspiration mit dem Feind und die Rebellion im Innern167. Die Rückführung dieser Gründe auf lediglich zwei ("defensoria/ vindicatoria") wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn sie den Autor nicht veranlaßt hätte, den Straf- und Sühnezweck des Krieges zu präzisieren: " ... vindicat injuriam illatam Deo, vel Reipublicae, vel subdito, vel ecclesiae" 168, Damit bleibt der materiale Umfang des jus ad bellum ungeklärt, wenn auch der Kriegseintritt an die Zustimmung der Stände gebunden ist1 69 . Das monarchomachische Erbe des Althusius wird sichtbar, wenn er im Notfall- bei einer drohenden Invasion und wenn der Herrscher zum Tyrannen geworden ist - den unteren Magistraten das jus ad bellum zuerkennt1 70 . 165 Pol. 35/ 1, nach Obrecht (Advokat in Straßburg), Tractatus de necessaria defensione (1604), ergänzt mit Covarruvias und Henricus Bocerus, De jure belli, Cap. 1, nach De jure pugnae, hoc est belli et duelli tractatus, Tübingen 1591.

168 Gleichwohl gibt er den Krieg als "actico duorum dissidentium papularum" aus (35/2). 1&7 Pol. 35/5. Verteidigung der "Freiheit" heißt es öffentlichkeitswirksam, nicht der Souveränitätsrechte des Herrschers. Neu gegenüber Danaeus sind als gerechte Kriegsgründe die Verteidigung der Religion und Konspiration sowie Rebellion. 168

Ebd.

169 Pol. 3517.

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Die Kriegführung wird erleichtert durch die Einhaltung der strengen Disziplin der Soldaten. Die Beachtung der "virtutes militum" wird gestützt von einem System alttestamentlich-lipsianischer Strafen171 . Nicht die Schonung der Bevölkerung ist im Krieg das oberste Gebot, sondern die Wahrung der "summa utilitas, vel necessitas" 172. Mit dieser außerund überrechtlichen Globalanweisung stößt man auf das düsterste und unverantwortlichste Kapitel der Kriegslehre des Althusius, der die Greuel des Krieges genau kannte. Dennoch rät er unter dem Deckmantel der "utilitas" und der vom Kriegsherrn zu bestimmenden "necessitas", Städte und Dörfer in Feindesland gegebenenfalls in Schutt und Asche zu legen und mit der Verwüstung der Felder und Ernten die Lebensgrundlage zu zerstören173. Das Beutemachen, Brandstiftungen, Zerstörungen, Vertreibung von Bevölkerungsteilen, Morde und ähnliche Greuel sowie die Ausübung des schrankenlosen Besatzungsrechts werden von Althusius als selbstverständlich geltendes Kriegsrecht gebilligt174. Offenbar mangels einschlägiger Ratschläge seitens der Neustoa beruft sich der Calvinist auf das Deuteronomium, andere klassische Stellen des AT sowie als einzige zeitgenössische Autoren auf Gregorius Tolosanus, Bocerus und Gentilis. Wenn der Autor Exzesse seiner Gegenwart und nicht allgemein als rechtens anerkannte Übergriffe in den militärischen Auseinandersetzungen seiner Zeit als normale Bestandteile des "jus in bello" empfiehlt, dann hat er eine Verschärfung, ja Barbarisierung der Kriegführung beabsichtigt, die einige Jahrzehnte später ohne sein Zutun in MitteJeuropa grauenvolle Wirklichkeit werden sollte. Die Anwendung alttestamentlicher Praktiken sollte der unbedingten Sicherung aus der Sicht des Siegers dienen175• Gleichwohl begründete Althusius die auf diesen Voraussetzungen beruhende Friedenspolitik ohne weitere Umschweife mit Meinungen des Bodin und Lipsius, die als unverfänglich no Pol. 35/9; Cap. 18 und 38. Pol. 36/24- 25, gestützt auf AT Josua und Deut. sowie Botero, Ammirato, Bocerus u. a. - Das geläufige Diktum aus Valerius Maximus (s.o. Anm. 95), der Soldat solle seinen Feldherrn mehr fürchten als den Feind, macht Althusius nicht als solches kenntlich. 172 Pol. 36/40, unter Berufung auf Deut. 20, weitere AT-Belege sowie Gentilis, De jure belli II, 23. Korrekt wäre der Bezug auf den Rat des Polybios (Erlaubnis zur Brandschatzung und zur Verwüstung der Felder und Früchte, V, 11) gewesen, mit dessen "iura belli" sich Gentilis auseinandersetzte. Althusius verschob die Belegbasis auf den AT-Sektor und verkürzte damit auch die ausführliche Diskussion des Gentilis; ähnlich Pol. 36/42 (Tötungsrecht im Kriege), dazu Gentilis II, 16 ff. 173 Ebd., ferner 36/55 (" ... vel urbem solo aequat"). 174 Pol. 36/26, 27; 37/97. - Umsiedlung von Bevölkerungsteilen außerhalb des Krieges als Souveränitätsrecht in der Bevölkerungspolitik. m Pol. 36/49 ff. 171

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angesehen werden konnten176• Die Verwaltung annektierten Gebiets sollte in den Händen des Volkes liegen, da der Erwerb auf gemeinsame Leistungen zurückgehe. Damit gewann die Loyalitätsbindung der Untertanen eine neue Qualität: Sie wurden Nutznießer - unverantwortlich an den unerfreulichen Begleitumständen, aber dafür um so mehr ihrem obersten Kriegsherrn und politischen Souverän zugetan, der sie moralisch entlastete177 • Der ,.feste" Friede - süß und heilsam, ehrenvoll und einfach- bedarf weiter der Wehrbereitschaft. Er soll gefürchtet machen {,.arma erunt tenenda & metus faciendus")l 78• Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß Bürgerkrieg und Tyrannis das genaue Gegenteil des Regelzustandes, der ,.justa et recta administratio" sind179• Das Widerstandsrecht der Stände wird im äußersten Fall zum jus ad bellum: Wenn nämlich der Tyrann nur mit Waffengewalt daran gehindert werden kann, die Fundamente des Staates zu pervertieren, und hierzu militärische Mittel anwendet, dann sind die Stände berechtigt und sogar verpflichtet, sich Verbündete und Freunde auch außerhalb der Grenzen zu suchen180• Bei der Verurteilung der Herrschaft des Tyrannen {in exercitio) erweitert Althusius den traditionellen Lasterkatalog, indem er dessen Amtsversäumnisse (Gefährdung der Eintracht/Schüren von Zwist, Unruhen und Aufständen) mit Hilfe von Kategorien beschreibt, die dem Kriegsrecht nabestehen bzw. ihm direkt entnommen sind, wie etwa der Begriff des ,.hostis". Der Unterschied der Tyrannis zu den gemeinschaftszerstörenden und staatsschädigenden Aktionen von Bürgerkriegsparteien verschwimmt. Erst durch den militärisch geführten Widerstand schöpfen die Stände in ihrer Gesamtheit die verfassungsrechtlich verbrieften, aber in praxi bis dato reduzierten Kompetenzen voll aus181 • In weitaus stärkerem Maße als andere vereinigt Althusius verschiedene Traditionen, wenn er zum Kampf gegen jede tyrannische Herrschaft und um die Erhaltung des Staates ,.adversus hostem patriae & regni" aufruft: die Monarchomaehen (besonders die ,.Vindiciae in tyranPol. 36/ 59 - 61. Pol. 37/ 117; 36/69, unter Berufung auf die "Vindiciae", Quaestio 3, auf Lipsius V, 4, und auf den reformierten Heidelberger Theologen Bartholomäus Keckermann ("Systema disciplinae politicae", 1607, I, 4). Begründung: gemeinsame Leistungen und finanzielle Aufwendungen des Volkes, das mit dem regnum identisch sei. - Selbstverständlich sind die angeführten politischmoralischen Implikationen und Folgen im Text der "Politica" des Althusius nicht ausgesprochen. 178 Pol. 36/60. 110 Pol. 38/ 1. 1so Pol. 38/62. 1s1 Pol. 38/ 17; 38/29 ff. (Gründe für Widerstand). 11s 177

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nos") und den Machiavelli der "Discorsi", ferner Lipsius und sogar Valerius Maximus182• Althusius begründet die Notwendigkeit und den Nutzen des Krieges nach außen und im Innern mit heterogenen Argumenten. Ohne leichtsinnig den Einsatz der bewaffneten Macht zu fordern, bleibt deren Existenz für den Zusammenhalt der auf Zwang, Unterordnung und gesellschaftliche Ungleichheit gegründeten Staatsordnung unerläßlich.

* Mit seiner Kriegslehre hat der Calvinist Lutheraner und Katholiken dazu herausgefordert, im Rahmen der von Danaeus und ihm derzeit präsentierten literarischen Gattung der "Politica" - oder außerhalb derselben - eigene Positionen zu entwickeln. Dies ist in der Folgezeit auf lutherischer Seite nur begrenzt und vonseitenkatholischer Autoren fast gar nicht geschehen. Zu sehr nahmen nach 1610 die aktuellen politischen Konflikte und sodann die kriegerischen Auseinandersetzungen die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch, als daß abgerundete Kriegstheorien hätten initiiert werden können. Daneben galt das Interesse der politischen Theoretiker im Reich bis etwa 1640 der Rezeption der italienischen Ragion di Stato-Literatur und der Konzeption einer eigenen Ratio Status1&3 • Die politische Publizistik war bis etwa 1670/80 damit beschäftigt, die Ratio Status zu mystifizieren oder zu verteufeln. Parallel dazu waren in Deutschland weiterhin die italienischen Juristen (Konsiliensammlungen) en vogue184 • Die im lutherischen Deutschland nach 1600 in rascher Folge publizierten "Politicae" mühten sich generell weniger um die zeitgemäße Fortführung der Aristoteles-Tradition 18~. Vielfach versuchten sie, den Souveränitätsbegriff Badins für die Interpretation der deutschen Reichsverfassung Discorsi li, 20; Valerius Maximus, Memorabilia VI, 3. Pol. 38/62 u. ö. Behnen (Anm. 4); Michael Stolleis, Arcana imperii und Ratio status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jahrhunderts, Göttingen 1980, auch für die 2. Jahrhunderthälfte. 184 Vgl. Thomas Klein, Recht und Staat im Urteil mitteldeutscher Juristen des späten 16. Jahrhunderts, in: Festschrift für Walter Schlesinger, hrsg. von Helmut Beumann, Köln/Wien 1973, Bd. 1, 427 - 512. 185 Von bedeutenden Ausnahmen abgesehen. Siehe Horst Dreitzel, Prot82

183

testantischer Aristotelismus und absoluter Staat. Die .,Politica" des Henning Arnisäus (ca. 1576 - 1636), Wiesbaden 1970, 53 ff., 285 ff. Zur begrenzten Wirkung des auf Melanchthon zurückgeführten aristotelischen Gedankenguts in den Politicae lutherischer Autoren und zur Dominanz macht- und ordnungsstaatlicher Ideen (Lipsius, Bodin), s. Goedeking (Anm. 102), 16 ff., mit berechtigter Kritik an H. Maier (1962) und P. Petersen (1921). Eine systematische Auswertung der ..Politicae" im deutschsprachigen Raum liegt bisher nicht vor.

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fruchtbar zu machen. In der Reichspublizistik spielten Fragen der Verfassungstheorie, der Staatsformenlehre und vor allem die Befreiung des Reichsstaatsrechts von der Tradition des Römischen Rechts die dominierende Rolle, so daß auch hier eine spezielle Gattung "Kriegstheorie" in der Mehrzahl der Fälle keinen angemessenen Platz gefunden hatl 88.

* Schon aus diesen Gründen ist es nicht überraschend, daß das im Jahre 1625 von einem calvinistischen politischen Flüchtling unter dem Schutz des allerchristlichsten Königs in Paris veröffentlichte Opus magnum im Deutschen Reich zunächst kaum beachtet und rezipiert worden ist. Hugo Grotius' Absage an jeden Macht- und Militärstaat hätte jedoch während des großen Krieges nicht nur in Deutschland auf eine breite Resonanz stoßen können187. Die drei Bücher "De jure belli ac pacis" nahmen sich wegen ihres weiteren Horizonts, ihrer nüchternen Gedankenführung und der kühlen Distanz ihres Autors inmitten der von ihm präsentierten, zahlreiche vergangene Jahrhunderte erfassenden Meinungsvielfalt wie ein erratischer Block aus. Grotius stellte das Problem der Gerechtigkeit und der Notwendigkeit von Kriegen auf eine völlig neue Grundlage188. Nicht die "conservatio reipublicae", der bisherige ZentralTopos der Kriegstheorie, sondern die als unabdingbar erkannte und behauptete Einbindung des Krieges in die Herrschaft des Rechts war das Hauptziel des Traktats ("finis universalis"): Alles wird unsicher, wenn vom Recht abgewichen wird189. Im Gegensatz zu großen Teilen des positiven Rechts dürfen die dauernd gültigen, ja ewigen Gesetze während des Krieges nicht schweigen. Unter Feinden gilt nicht das in188 Friedrich Hermann Schubert, Die deutschen Reichstage in der Staatslehre der frühen Neuzeit, Göttingen 1966, 299 ff. Dasselbe gilt auch für die bedeutenden lutherischen Reichsjuristen und "Politiker" des 17. Jahrhunderts (Arumäus, Limnäus, Reinkingk, Seckendorff). Vgl. über sie (außer Arumäus) die in dem von Michael StolZeis herausgegebenen Band: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert. Reichspublizistik, Politik, Naturrecht, Frankfurt/Main 1977, erschienenen Beiträge von R. Hake, Chr. Link, M. Stolleis. Bezeichnenderweise enthält das Sachregister kein Stichwort "Krieg" oder "Militär". 187 Zu Editionen und Verbreitung s. den Überblick bei Hasso Hofmann, Hugo Grotius, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert (Anm. 186), 51 ff., hier 58 ff. Von einer wirklichen Rezeption läßt sich mit Recht erst seit Pufendorfs Vorlesungen in Heidelberg über Grotius' Kriegs- und Friedensrecht (ab 1662) sprechen. 188 Außer Hofmann (Anm. 187) s. Erik Wolf, Hugo Grotius, in: ders., Große Rechtsdenker, 4. Aufl., Tübingen 1963, 253 ff.; Ernst Reibstein, Volkssouveränität und Freiheitsrechte, Freiburg/München 1972, Bd. 1, 207 ff.; Christoph Link, Hugo Grotius als Staatsdenker, Tübingen 1983; Tooke (Anm. 1). Im folgenden geht es ausschließlich um diesen Teilaspekt 189 Prolegommena 22 (deutsche Fassung: W. Schätze!, Tübingen 1950).

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nerstaatliche Recht, wohl aber das ungeschriebene, das die Natur gebietet oder der Consensus der Völker190. Das Naturrecht nämlich- verwurzelt in einem außer- und überkonfessionellen Gottesbegriff - lenkt die "recta ratio" des einzelnen und die Gemeinschaften. Damit unterscheidet sich auch und besonders in Kriegszeiten der Mensch vom Tier. Das jus gentium, d. h. die in allen Völkern vorfindbaren und daher gemeinsamen Auffassungen über Krieg, Recht und Frieden, sind der Ausdruck der gegebenen zwischenstaatlichen Rechtsordnung. Sie hängt nicht von der Existenz von Souveränen und ihren jeweiligen jura majestatis ab. Grotius entwickelte ein "System gesetzlicher Legitimierung und Limitierung von Gewalt - und zwar (den Fall purer Gottlosigkeit ausgenommen) unter Ausschluß religiöser und theologischer Gründe aus dem Kreis der normativen Bedingungen von Zwangsanwendung" 191. Dieser Konzeption liegt die Vorstellung von der einheitlichen, vorstaatlichen und gemeinsamen Rechtsüberzeugung der Völker zugrunde, welche die natürliche Verwandtschaft der Menschen untereinander über Zeiten und Räume bezeugt192. Dementsprechend ist das maßgebliche Kriterium für das Kriegsrecht nicht der Nutzen (utilitas), so wichtig er sein mag, sondern die Gerechtigkeit. Sie ist verbindlich für den einzelnen Bürger wie für das Volk und gilt auch in den Außenbeziehungen der Staaten. Ein Volk, das um eines bloßen Vorteils willen gegen das jus gentium verstößt, beraubt sich selbst seiner Sicherheit und Ruhe in der Zukunft1ea. Grotius hat an die Fragestellungen der traditionellen Bellum-justurnLehre angeknüpft und auch wichtige ihrer Termini beibehalten. Ebenso ist im Gang der Untersuchung auf weite Strecken ihr bekanntes Schema erkennbar: Definition des Krieges, Ursachen und Formen des Krieges, gerechter/ungerechter Krieg, Kriegführung (Besatzungsrecht/Gefangene/Geiseln/ Annexionen). Ohne Suarez zu nennen, fügt Grotius das System der Schiedsgerichtsbarkeit an194 • Doch im Kern handelt es sich bei Grotius - trotz aller terminologischen Parallelen - um den bedeutsamsten Paradigmawechsel seit langem: Grotius hat den diskriminierenden Kriegsbegriff überwunden. Der Krieg zwischen souveränen Staaten ist beiderseits gerecht, wenn er überhaupt gerecht istm. Zwi190 Prolegomrnena 26, mit Dio von Prosa. 101 So Hofmann (Anm. 187), 75. 102 Nachweise bei Hofmann (Anm. 187), 71 u. ö. Vgl. von anderen Voraussetzungen her die Orbis-Idee Vitorias; Soder (Anm. 2). 193 Prolegommena 21 und passim. 194 II, 23, 8 und 111, 20, 46 ff. - Ich verzichte auf die Darstellung der Einzelaspekte, da diese allgemein geläufig sind.

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sehen der außerstaatlichen Orbis-Idee Vitorias und Badins Souveränitätskonzeption stehend, läßt Grotius der staatlichen Eigenständigkeit soviel Raum, wie es mit dem Naturrecht verträglich ist. Auch das Recht zum Kriege und die Kriegführung selbst unterliegen dieser obersten N otwendigkeit198 • Unter den Augen des allerchristlichsten Königs konnte die Kritik am ",willkürlichen' göttlichen Recht, welches nicht das gebietet oder verbietet, was von selbst und durch seine eigene Natur nötig oder unerlaubt ist ... , sondern nach dem Ausdruck der Schulen nur ,reductiv' dazugehört, insoweit das natürliche Recht ihm nicht entgegensteht" 197 , nicht deutlicher ausfallen. Für den, der verstehen wollte, stand außer Zweifel: In einer konfessionell und politisch gespaltenen Welt kann sich die umfassende und einigende Norm der "justitia" als das Regulativ der zwischenstaatlichen Beziehungen mit dem Ziel der Vermeidung von Kriegen nur auf wenige unabdingbare Kriterien stützen. Sie müssen gleichermaßen im Krieg und im Frieden gelten, wiewohl es ein spezielles Kriegsrecht gibt. Doch Grotius begnügt sich nicht, wie Lipsius es forderte, damit, "jus in armis ferre", womit der Machtpolitik leicht ein exkulpierender moralischer Anstrich gegeben werden konnte. Grotius dringt auf die Selbstbeschränkung der Souveränitätsrechte - ob gefestigt oder ständigen Bedrohungen ausgesetzt - um der Rechte des anderen Staates willen. Nur auf diese Weise kann der Staatszweck ("tranquillitas publica", "utilitas humana") erreicht werden. Der Preis ist indes hoch. Er liegt in der prinzipiellen Absage an eine verfassungspolitische Weiterentwicklung mit dem Ziel der Machtkontrolle und ständischen Mitregierung. Grotius verneint strikt ein Widerstandsrecht der unteren Obrigkeiten und wendet sich damit unmißverständlich gegen die gegenteilige Forderung der französischen calvinistischen Monarchomachen. Nach seiner Meinung haben die "magistratus inferiores" lediglich den Rechtsstatus von Privatpersonen inne, und zwar gegenüber der obersten Gewalt im Staat - was offensichtlich dem allgemeinen Verfassungsverständnis widersprach. Jede Quelle von Bürgerkrieg oder Anarchie soll verschüttet werden 188 • Aber noch in anderer Hinsicht haften dem Kriegsrecht des Grotius Mängel an. Sie sind weniger auf die Befreiung des Kriegsrechts von II, 23, 13, 1, 2 und 5. "Das natürliche Recht ist ein Gebot der Vernunft, welches anzeigt, daß einer Handlung wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der vernünftigen Natur selbst eine moralische Häßlichkeit oder eine moralische Notwendigkeit innewohnt, weshalb Gott als der Schöpfer der Natur eine solche Handlung entweder geboten oder verboten hat" (I, 1, Hl, 1). 197 Kompiliert aus ebd. 2 und 3. 198 I, 3, 8; I, 4, 4 ff. Link (Anm. 188), 29 f. 195

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theologischen Legitimationszwängen zurückzuführen als auf die Fülle der angeführten Meinungen, die ja für Grotius nicht den Charakter von Autoritäten, sondern von lebendigen Zeugnissen tragen. Gerade in den dem .,jus in bello" gewidmeten Partien tritt neben der positivistisch anmutenden Darstellungsweise nicht selten eine Auffassung zutage, die man schwerlich als den Ausdruck eines ethisch fundierten Natur- und Vernunftsrechts werten kann. So etwa gelten als Kriegsfeinde nicht nur die aktiv Kämpfenden und die Untertanen des Feindes, sondern auch alle Personen, die sich im Gebiet des Feindes aufhalten. Auch Frauen und Kinder können ungestraft getötet werden. Andererseits rät er, sie zu schonen, desgleichen unbeteiligte Kleriker und Gelehrte, ferner Handwerker, Kaufleute und Künstler199 • Ihr gesamter Besitz verfällt dem Sieger, für den es im Grunde keine Rechtsschranken gibt. Auch die Nachkommen der Gefangenen bleiben Sklaven200. Der Sieger braucht auf die Bereitschaft von Kämpfenden, sich zu ergeben, nicht einzugehen201 . Nur Geiseln, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, sollen getötet werden. Es darf keine unnötigen Toten geben202 . Grotius tritt für ein umfassendes Beuterecht ein, das trotz gelegentlicher Einschränkungen einen großen Ermessensspielraum bietet203 . Ähnliches gilt hinsichtlich der erlaubten Verwüstungen und Zerstörungen im Land des Feindes. Ausgenommen hiervon ist die Landwirtschaft. Für alles andere sind Opportunitätsrücksichten maßgebend204 • Grotius ist sich klar darüber, daß das Kriegsrecht vieles gestattet, nur weil keine Strafe darauf steht. Gleichwohl muß er eingestehen, werde die Gerechtigkeit verletzt2o5. Der Grundtenor seines Werkes zeugt von einem anthropologischen Optimismus: Im Vertrauen auf die Vernunft und den Sinn für Gerechtigkeit werde es mit Hilfe der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit gelingen, allmählich ein System fester Regeln zur Vermeidung von Kriegen herauszubilden, das die Ungereimtheiten des Kriegs- und Völkerrechts-Kompendiums überwindet und es von den nicht zu leugnenden Schlacken aus der Zeit archaischer Kriegführung befreit. Grotius hat die aus dem Mittelalter stammenden traditionellen Legitimationsmuster des Krieges, die .,necessitas" und die .,utilitas reipublicae", die beide im Dienst der .,conservatio reipublicae" gestanden hatten, 1oo III, 4, 6, 9; III, 11, 8- 11. 200 III, 4, 10; 111, 7, 1 ff.; Empfehlung, die Gefangenen zu schonen, 111, 11, 13 und III, 11, 18 f. 201 111, 4, 11, 12; dagegen 111, 11, 14- 17. 202 111, 11, 18 - 19. 2o3 111, 6, 1 ff., dazu 111, 16, 1 ff. 204 111, 12, 1 ff. 205 111, 10, 1.

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von ihrer dominierenden Stellung verdrängt, und zwar zugunsten der politischen und sozialen Figur des Rechts. Damit relativierte er zugleich den Machtstaat, ohne der Illusion eines kriegsfreien Zustandes in den internationalen Beziehungen zu verfallen.

* In seiner letzten Erscheinungsform- im Verlauf des 17. Jahrhunderts - wurde das bellum justurn wieder mit der alten Zweckbestimmung, der "conservatio reipublicae", begründet. Dies vollzog sich im Rahmen des politischen Neu-Aristotelismus, genauer gesagt in der Schule des Helmstedter Polyhistors und Universalgelehrten Hermann Gonring zwischen 1635 und 1680. Im Vorwort zu der von ihm herausgegebenen "Paedia Politices" des Deutsch-Italieners Kaspar Schoppe I Gaspar Scioppius nahm Conring (im Kontext von "pietas/justitia/Paedia/utilitas") zur Frage der "conservatio" wie folgt Stellung: "Nec enim finis unicus Politici est status conservatio, sed felicitas civilis societatis, qui revera absolvitur exercitacione virtutis, cum rerum sufficientia conjuncta"2oe. Der herkömmliche Topos der "conservatio" wird also ergänzt durch die aristotelisch verstandene "felicitas civilis societatis". Sie bedarf nicht der wirtschaftlichen oder machtpolitischen Autarkie des Staates, etwa nach Lipsius. Die Erhaltung des Staates gelingt am besten in einem Mittelstaat mit ständischer Verfassungsstruktur. Sein Hauptkennzeichen ist die Beachtung der gemeinschaftsbezogenen "utilitas publica" in einem aristotelischen Sinne: Dem "bene vivere" und der "felicitas civilis", der selbstgenügsamen "tranquillitas" und "pax" stehen jedes Machtstaatsdenken und jeder Militärstaat entgegen. Die reine Selbstbehauptung indes genügt nicht. Religiöse Intoleranz und Bürgerkriege können zur verabscheuenswerten Instabilität führen207 . Es ist daher die Aufgabe der "prudentia civilis" des Fürsten, um die innere Zustimmung der Bürger für die "monarchia mixta" zu werben, so daß die Staaten nicht genötigt sind, mit erheblichem Finanzaufwand 200 Hermann Conring, Opera, hrsg. von J . W. Goebel, Braunschweig 1730, Nachdruck Aalen 1973, Bd. 3, 52. - Wichtig ist die biblische und die aristotelische Fundierung, etwa: "Pietas ad omnia utilis est", 1. Tim. 4. "Paedia" unter Berufung auf den Anfang der Nikomachischen Ethik (53). Zu "utilitas" und "justitia" in Conrings politischem Denken s. Horst Dreitzel, Hermann Conring und die Politische Wissenschaft seiner Zeit, in: Hermann Conring (1606- 1681), hrsg. von Michael Stolleis, Berlin 1983, 165 f. 2o1 Dreitzel (Anm. 206), passim. Conring lehnte des Lipsius Behandlung der Militaria in der "Politik" ab. Die Existenz von Söldnerheeren galt ihm als Vorbedingung für Eroberungskriege und Despotien, die er ablehnte.

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stehende Heere zu unterhalten und ihre Untertanen mit drückenden Steuerlasten zu behelligen208 • Wenn auch nicht in Form einer geschlossenen Abhandlung, so hat sich Conring doch immer wieder mit dem Phänomen des Krieges auseinandergesetzt. Zumeist tat er dies unter rein pragmatischen Gesichtspunkten, etwa in der Frage der Opportunität von militärischen Bündnissen. In seinem Kommentar zum "Principe" Machiavellis nahm er eine ausgesprochen skeptische Haltung ein: In den meisten Fällen werde der Wert eines Bündnisses nur durch den Nutzen bestimmt. Um der "salus reipublicae" willen dürfe man sich nicht von auswärtigen Bündnissen abhängig machen. Ein Verteidigungsbündnis mit den Türken zum eigenen Schutz gegen christliche Fürsten sei allenfalls zu billigen, doch stände die Religion in Gefahr. Vielmehr erfordere es die "necessitas reipublicae", nicht in jedem Fall in einem Kriege Partei zu ergreifen. Ausschlaggebend sei die Aussicht auf einen mutmaßlichen Sieg2o&. Man sieht: Das Thema "Krieg" bleibt- wenn auch nicht mit großer Begeisterung - auf der Tagesordnung akademischer Schuldisputationen. Und, was wichtiger war: In der Jahrhundert-Auseinandersetzung mit dem Machiavelli-Thema prüft Conring sorgfältig und nicht von Grund auf mißtrauisch die Ratschläge des Florentiners zur politischen Ethik und zur Kriegführung. In seinem umfangreichen und langatmigen Traktat "De bello contra Turcas prudenter gerendo libri varii" von 1664 orientiert er sich fast kontinuierlich an den "Discorsi" Machiavellis, den er zumeist "Secretarius" nennt. Unter Berufung auf dessen Meinung zum Thema Offensiv-/Devensivkrieg, zur Opportunität einer Offensivstrategie und zur Verwendung von Betrug und Gewalt bei den Römern klärt Conring seine eigene Position und wirkt nachhaltig auf seine Schüler210 • 2os Grundlage in seiner Schrift ,.De civili prudentia liber unus", Helmstedt 1662. 200 Engelbert Corbmacher hat sich in seiner Dissertatio ,.De foederibus", Helmstedt 1659 ( = Opera [Anm. 206], Bd. 4, 966- 972), eng an Conrings Kommentar angelehnt. Er zitiert die ausgeführten Meinungsäußerungen seines Lehrers aus dessen Kommentar (970 - 972), bes. zu Principe, Kap. 13. Recht ungelenk diskutiert Corbmacher sodann die Frage der Neutralität, die er aus Nützlichkeitserwägungen verwirft. - Das Bündnisproblem erörtert er in den Kategorien von ,.necessitas" und ,.utilitas" ebenfalls unter Berufung auf Conring und engt damit Machiavellis Perspektive erheblich ein. 210 Opera (Anm. 206), Bd. 5, 913- 1052. So beispielsweise 980: Gewalt und Betrug I Discorsi II, 13. - 991: Discorsi III, 1. - 994: Stabilität des Reiches gefährdet, wenn nach Tod eines schwachen Herrschers ein weiterer schwacher Fürst folgt I Discorsi I, 19. - 996 ff.: Befürwortung eines Offensivkrieges, Bedingungen I Discorsi Il, 12. - 1011: Angriff des Feindes abwarten oder nicht I Discorsi III, 45. - Zumeist Übereinstimmung mit Machiavelli, gelegentlich (996 ff., 1008) Benutzung von Guicciardinis T. Livius Buch 10, 18, 28.

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An drei "Dissertationes" aus der Conring-Schule läßt sich verdeutlichen, wie sehr die akademische Debatte in Helmstedt zum Thema "Krieg" ihre Impulse von den bisher behandelten Autoren (vor allem Machiavelli, Lipsius und Grotius) empfangen hat und wie schwer es gewesen ist, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts an einer protestantischen Universität das "bellum justum" zu behandeln211 • Der aus Stralsund stammende Joachim Koch argumentiert vom Standpunkt der aristotelischen Schultradition protestantischer Observanz und bemüht sich angestrengt, in der Politik des Stagiriten ein "robur bellicum" zu entdecken, das für den rechten Staat notwendig sei212 • Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Autor in den Aristoteles eine diesem fremde "virtus bellica" hineinprojiziert, ohne die der Staat nicht leben könne213 • In einem durch Gesetze geordneten Gemeinwesen haben die bürgerlichen und die militärischen Tugenden ihre notwendige Funktion (gegen Verweichlichung der Sitten und für körperliche Ertüchtigung)2.14 • Der Bürger und der Soldat sind beide gleichermaßen unerläßlich. Der Verteidigungs- und der Angriffskrieg sind vonnöten. Nicht nur Aristoteles, auch Grotius wird bemüht, um sich gegen den Vorwurf eines unredlichen Eroberungskrieges zu wappnen2 u 1• Die gesamte - katholische - Bellum-justum-Literatur wird übersprungen und Cicero zitiert, um die Binsenwahrheit zu belegen, Kriege würden geführt, "ut sine injuria in pace vivatur" 218 • Nachdem der Schüler den Lehrer bestätigt hat ("conservatiCl reipublicae" zum Nutzen aller), kann er mit Lipsius (und Polybias und Vegetius) das Volksheer zur "conservatio libertatis" propagieren217 • Es ist unverkennbar: Conring selbst war auf der Suche nach dem rechten Kriegsbegriff218 • Dies zeigt auch die in demselben Jahr 1663 in Helmstedt verteidigte Dissertation des Livländers Johannes Dreiling 211 Die "Dissertationes politicae" zum Thema "Krieg" fügen sich in das Ensemble der zahlreichen Erstlingsarbeiten aus Conrings äußerst produktiven Helmstedter Jahren ein. Sie sind wie die meisten übrigen Dissertationen bisher nicht systematisch ausgewertet. 212 Discursus politicus de militia lecta, mercenaria et socia, in: Opera (Anm. 206), Bd. 5, 1053 - 1060. 21a Koch (Anm. 212), 1053 (III und IV) mit Bezug auf zwei nicht näher gekennzeichnete Stellen in Aristoteles, Politik II, 5 und 111, 8 (nicht ermittelt). 214 1054, unter Berufung auf Aristoteles, Buch VII. 21s 1054 (V, VI); Aristoteles II, 8; VII, 9; Grotius II, 2 ("vim vi repellere"). 216 De officiis I. 217 Koch (Anm. 212); Aristoteles IV, 9 (die Politie muß sich von innen erhalten). 21s Auch hier gilt mit Sicherheit sein Bekenntnis über die bei ihm angefertigten Dissertationes: "meum et non meum".

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"De bello et pace" 218• Sie richtet sich gegen die Anabaptisten, die polnischen Socinianer und "andere Träumer": Das "jus belli", so behauptet Dreiling, ist unerläßlich für den Staat, und zwar aus Gründen des Naturrechts. Dies ciceronianisehe Naturrecht ("non docti ... imbuti sumus"; "non scripta ... nata est") fordert den Schutz des gefährdeten Lebens220 • Die Definition des gerechten Krieges übernimmt der Autor von dem ansonsten perhorreszierten Calvinisten Althusius221 und von Cellarius. Die Gerechtigkeit als das einzige Kriegsziel findet sich in einer ciceronianisch-aristotelischen Umschreibung. Ohne die katholischen Bellumjustum-Autoren (vor allem Vitoria, Suarez und Thomas von Aquin) zu nennen, resümiert er deren Gliederungs- und Bewertungsgrundsätze (Kriegsarten; justa causa, ergänzt durch die "diversitas religionis"; "gravis & atrox injuria"). Er führt allerdings auch Grotius an, wenn er als ungerechten Kriegsgrund die Herrschsucht anprangert und für den Kriegsbeginn eine feierliche Kriegserklärung fordert 222 • Den Glaubenskrieg als Interventionskrieg zur Verteidigung unterdrückter Glaubensbrüder ("turn enim tua res agitur") begründet er allerdings wieder mit dem Gemeinplatz Ciceros: Abwehr von Unrecht223• Sehr verlockend war für einen lutherischen Neuaristoteliker die Warnung des Lipsius vor einem zu langen Frieden, der nur verweichliche. Andererseits las der Landesherr wohl auch nicht ungern, "ut cives semper bellicosi permaneant, apprime et utile est" 224 • Der Krieg stand im Dienst der landesherrlichen Politik - eines Mittelstaats nach dem Dreißigjährigen Krieg - dem das Lob der "justitia" wohl anstand: "ut justitia virtutum omnium domina & regina debito modo administretur: solique justitiae nervi, judicia, quam optime sese habeant: cuique jus suum promtissime tribuatur" 225. Es wäre verfehlt, in einer akademischen Erstlingsarbeit schlüssige Antworten auf das bellum justurn zu erwarten. Die Dissertationen Opera (Anm. 206), Bd. 4, 973 - 980. 973; "ad quem [Iegern] non docti, sed facti, non instituti, sed imbuti sumus" (Cicero, Oratio pro Milane X), ferner De officiis I. Dreiling verweist auch auf Georg von Schönborner, Politicorum libri VII . . . administrandi pace bellove rempublicam ... , Leipzig 1610, hier VI, 1. 221 Althusius: " ... actionem hostilem ad injuriam propulsandam [richtig: depellendam] vel vindicandam, a magistratu vi armisque contra hostes, pacis retinendae vel consequendae causa, legitime susceptam & administratam" (Politica 29 = 1603, entspricht der 3. Auflage von 1614, hier 35/1); nach Conring, De civili prudentia, letztes Kapitel zitiert, auf den auch das Urteil über die politische Lehre des Althusius zurückgeht ("perniciosissima, & toti terrarum orbi evertendo ... "). 222 Ebd. 975 (XII, XVI). 22a Ebd. XVI; De officiis I, wohl 23 und 65 gemeint. 224 Ebd. 980 (XLIII). 225 Ebd. 979 (XLI). 219

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Kochs und Dreilings lassen aber immerhin erkennen, in welcher Richtung der Lehrer Conring selbst eine Klärung suchte. Die ConringSchule verharrte - wie die Theoretiker des Jahrhunderts, auf die sie sich bezog - in einer gewissen Distanz zu aktuellen Fragen des Heerwesens. Sie bezog auch im Rückblick nicht Stellung, wenn es um die Teilnahme an diesem oder jenem Krieg ging. Auf der anderen Seite rezipierte sie bewußt die wesentlichen Elemente der Kriegslehren bzw. der theoretischen Beiträge des Machiavelli ("Discorsi"), des Lipsius und des Grotius. Dies geschah mit der Absicht, ein Mitspracherecht des politischen Neuaristotelismus in der Frage des Krieges anzumelden und zu begründen. Verständlicherweise ging dies nicht ohne Widersprüche, die das gewohnte Maß gelegentlich sprengten228 • Auffällig ist die fast durchgängige Beibehaltung der späthumanistischen Exempel-Methode, wobei insbesondere kein Anstoß genommen wurde an dem Mangel an Differenzierung in dem Werk des Lipsius und in den "Discorsi" des Florentiners. Die praktisch-politische Intention des Lehrers Conring obsiegte: Wie in den Dissertationen zur politischen Ethik so begnügte er sich in Sachen "Krieg" damit, seinem Landesherrn als wissenschaftlich ausgegebene griffige Kurzformeln zur Verfügung zu stellen. Mit ihnen konnte die landesherrliche Politik ebenso Sondersteuern und die Notwendigkeit neuer Waffen motivieren wie in das Lob des Friedens einstimmen oder den auswärtigen Söldnerdienst der Landeskinder in Friedenszeiten nach Schweizer Vorbild fordern227 • Doch gab es in Helmstedt auch abweichende Meinungen. So vertrat Christian Friedrich Stillen aus Salzwedel im Jahre 1669 eine äußerst restriktive Position, sogar hinsichtlich des Verteidigungskrieges, den er unter Hinweis auf das Römische Recht nicht in jedem Fall zulassen wollte228 . Ein Offensivkrieg ist nur zur Abwehr eines schweren Unrechts statthaft, nicht aber um die Religion zu schützen - dies sei zumeist ein Vorwand. Ebenso sind Straf- und Sühnekriege verwerflichm. Hand in Hand mit diesen Forderungen geht interessanterweise die Verurteilung des römischen Imperialismus ("raptores orbis") und Machiavellis 226 So etwa wiederholt unvereinbare Meinung Grotius' und Ciceros nebeneinander. 227 Dreiling (Anm. 219), XLII und XLIII mit Berufung auf eine Conringsche Dissertatio "De Republica Helvetiorum". - Lob und Nutzen des Friedensschlusses nach Grotius 111, 20. 228 Dissertatio politica de jure belli, in: Opera (Anm. 206), Bd. 4, 980- 989, hier 982, mit Hinweis auf die Naturrechtsauffassung des Juristen Ziegler: Auch im Verteidigungskrieg sind die jura naturaHa "permissivi, non praeceptivi". 229 Ebd. 985, 988.

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("atheos M."). Stillen ist bemerkenswert nüchtern und realistisch: Die Bündnisse der Römer mit kleineren Völkern gründeten auf Habsucht und Eigennutz. Der naive Biblizismus der Wiedertäufer in Holland und Sozinianer in Polen in der Frage der Verteidigung ist nicht diskussionswürdig230. Auch Stillen billigt insgesamt - mit den genannten Einschränkungen - den gerechten Krieg. Er muß sich gründen auf das Naturrecht Cicerosund muß in erster Linie der aristotelischen "felicitas civilis" dienen2u. Als Ergebnis läßt sich festhalten: Der "protestantische Aristotelismus" (H. Dreitzel) vertrat eine Bellum-justum-Lehre, die für kurze Zeit die Rezeption der Kriegstheorie des Grotius im Reich aufhalten, sie aber nicht verhindern konnte. Die Helmstedter Lehre war in doppelter Hinsicht kritisch: 1. Sie mißtraute dem Machtstaatsdenken und dem Militärkult des Lipsius und verwies zu ihrer Rechtfertigung auf allgemein akzeptable Cicero- und Aristoteles-Auffassungen unter Aussparung der spanischen Naturrechtler. 2. Sie war modern im Vergleich zu ihren unmittelbaren Vorgängern im 17. Jahrhundert, insofern als sie die tradierten Topoi "necessitas" und "utilitas reipublicae" ihrer verschleiernden Funktion entkleidete, sie aber mangels Ersatzes beibehielt. Nach Anlage und Intention sowie Methode unterschied sich die Bellum-justurn-Lehre der Helmstedter von dem diskriminierenden Kriegsbegriff eines Suarez und der Verwendung des gerechten Krieges zur Durchsetzung der Gegenreformation (Botero). Wie der erste Helmstedter Neuaristoteliker, Henning Arnisäus (1575- 1636), im Anschluß an die "Politik" des Stagiriten die Schutzaufgabe des Staates zunächst in der Friedenserhaltung im Innern und in der Rechtsdurchsetzung und erst dann in der äußeren Selbstbehauptung sah, so drängte auch in der Conring-Schule die Sorge um die Vermeidung eines Bürgerkrieges und die Wahrung des absolutistischen Systems jeden Gedanken an einen Eroberungskrieg zurück232 . Zur Domestizierung des ideologisch im Grunde aggressiven Bellumjustum-Modells trug in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Sicherheit auch die Generationserfahrung des Dreißigjährigen Krieges bei.

* 230 Ebd. 985 f. Gemeint ist die Berufung vor allem auf Matthäus 5, 39 und Röm. 12, 19 (984). 231 Stillen anerkennt als Kriegsgrund ("ratio", nicht "causa justa") ein den ganzen Staat betreffendes schweres Unrecht, das er nicht sehr überzeugend in einen personalen (den Fürsten betreffenden) und einen realen (das allgemeine Wohl bedrohenden) Aspekt aufgliedert. Eine "Causa-justa"Debatte kennt er nicht. Ausschlaggebend ist für die Kriegsentscheidung der Fürsten auch die Wahrscheinlichkeit eines bevorstehenden Unrechts (989). 232 Arnisäus führte seinen Plan einer Enzyklopädie des Kriegswesens nicht aus. Über seine Auffassung vom Krieg s. Dreitzel (Anm. 185), 248 f., 402.

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"Necessitas" und "utilitas reipublicae" stützten und begleiteten den großen Paradigmawandel und -wechsel, der sich im Verlauf des 16. und des 17. Jahrhunderts in der Kriegstheorie vollzog. Erstaunlicherweise prägten und überdauerten die beiden Topoi - wie im einzelnen dargelegt- die normvermittelnden Leitbegriffe wie christliches Naturund Völkerrecht, vera religio und die neustoische Machtethik. Die Ursache dieser Zählebigkeit liegt auf der Hand: Mit Hilfe beider Topoi glaubten die Autoren offenbar, die staats- und gesellschaftsbezogene Funktion des Krieges am überzeugendsten auszudrücken. In einer Zeit, in der "Staat" und "Verfassung" fast überall in Europa außerordentlich starken Eingriffen und Gefährdungen unterworfen waren, bedurfte das stets präsente Phänomen des Krieges nicht nur der terminologischen Absicherung und der konzeptionellen Fixierung in der antik-mittelalterlichen Bellum-justum-Tradition. Auch da, wo diese Verklammerung bewußt gesprengt (Machiavelli) bzw. durch eine pragmatische Inanspruchnahme antiker Machtethik ersetzt wurde (Lipsius), setzte sich die Rezeption und inhaltliche Modifikation der Topoi "necessitas" und "utilitas reipublicae" partiell fort. Ihr Rang und ihre Funktion verminderten sich generell in dem Maße, wie es der frühneuzeitlichen Staats- und Verfassungstheorie gelingen sollte, mit Hilfe eigener Kategorien und gestützt auf die Institutionen des sich vielfältig gliedernden Verwaltungs- und Beamtenstaats die grobmaschigen und daher sehr interpretationsfähigen Leitbegriffe zur Bestimmung des Staatszwecks (bonum commune, salus publica) mit neuen Inhalten zu füllen. Damit mußten auch "necessitas" und "utilitas reipublicae" eine erhebliche Bedeutungseinbuße hinnehmen- hatte man doch in der Vergangenheit ihre Rigidität und ihren umfassenden Geltungsanspruch gerade von der Legitimität des verfassungsrechtlich unbestimmten und unklaren Gemeinwohlpostulats abgeleitet. Die Tendenz zur Verrechtlichung und zur verwaltungsmäßigen Kontinuität auf den meist zivilen Ebenen (Steuerwesen/Behördenorganisation/Wirtschaftsförderung) in den frühneuzeitlichen Staaten brachte es mit sich, daß auch im militärischen Sektor politische Verläßlichkeit und institutionelle Konstanz zur Forderung des Tages wurden. Dies geschah in einer für die Staaten günstigen Situation: Im Gegensatz zum mehr uniformen Spätmittelalter zogen die Fürsten des 16. und 17. Jahrhunderts die von den zerstritteneo Kirchen und den widerspruchsvollen philosophischen Hauptströmungen bereitgestellten Ideologeme zur Rechtfertigung des Krieges an sich. Die Fürsten waren es, die das "ius in armis ferre" des Lipsius und die "prudentia militaris" durchsetzten bzw. sich aneigneten. Sie erweiterten mit den Attributen der staatlichen Souveränität zugleich die Kompetenzen ihres Herrscheramts.

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Im Zeitalter der stehenden Heere, vor allem im 18. Jahrhundert, konnten die "necessitas" und die "utilitas reipublicae" allmählich in die Requisitenkammern akademischer Gelehrsamkeit abwandern, um neuen Topoi und Theoremen Platz zu machen233 • Der "gerechte" Krieg jedoch erlebte 1919 in Paris eine kurze Renaissance - verändert in der politischen Motivierung und theoretischen Fundierung, aber vergleichbar in der Zielsetzung (ex post) mit dem Straf- und Sühnecharakter des Krieges eines Smirez. Der klassische Kriegsbegriff der europäischen Neuzeit, wie er seit dem 17. Jahrhundert verbreitet war, ist offensichtlich "notwendig" an die Existenz seiner wichtigsten Voraussetzung, die staatliche Souveränität, geknüpft. Mit der Verminderung ihrer Bedeutung erlischt in einer waffenstarrenden Weltzivilisation auch jegliche Eigenständigkeit und Berechtigung des Krieges. Es scheint somit mutatis mutandis - für den Krieg derselbe weltgeschichtliche Erfahrungssatz wie für die Staaten zu gelten, von denen bereits Sallust zu sagen wußte: Sie erhalten sich durch dieselben Prinzipien, denen sie ihre Entstehung und ihr Wachsturn verdanken.

233 Die überreiche (hier nicht ausgewertete) Dissertationsliteratur erstreckte sich im Deutschen Reich bis ins 18. Jahrhundert hinein. Sie entsprang einem verbreiteten Bedürfnis der Universitäten und der Landesherren. Dies zeigt die erste Sichtung von 43 Dissertationen "De bello" u. ä. aus den Jahren 1626 bis 1719.

Das Heerwesen im Obergang vom Ritter- zum Söldnerheer Von Rainer Wohlfeil, Harnburg Sich einer Frage zu widmen, der man sich vor zwei Jahrzehnten bereits einmal gestellt hatte1 , die seither aber aus dem unmittelbaren Blickfeld geschwunden war, ist eine reizvolle Aufgabe. Ihr besonderer Reiz liegt einerseits darin zu prüfen, ob generell und wieweit speziell sich eigene Aussagen in der Diskussion behauptet haben, und andererseits darüber zu reflektieren, ob sich der seinerzeit gewählte Ansatz zur Problemlösung2 mit der Betrachtungsweise deckt, die einem heute angemessen erscheint3 , einen historischen Sachverhalt geschichtswissenschaftlieh aufzuarbeiten. Auszugehen ist von einer knappen Reflexion des gegenwärtigen Literaturstandes. Unter den neuen Veröffentlichungen aus übergreifender Sicht bietet interessante Überlegungen Michael Howard4 ; besonders 1 Rainer Wohlfeil, Adel und neues Heerwesen, in: Hellmuth Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1430- 1555. Büdinger Vorträge 1963 (Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 1), Darmstadt 1965, 203- 233; ders., Adel und Heerwesen, in: Hellmuth Rössler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555- 1740. Büdinger Vorträge 1964 (Schriften zur Problematik der deutschen Führungsschichten in der Neuzeit 2), Darmstadt 1965, 315- 343; ders., Ritter - Söldnerführer - Offizier. Versuch eines Vergleiches, in: Festschrift Johannes Bärmann, Teil 1 (Geschichtliche Landeskunde 3/1), Wiesbaden 1966, 45 - 70, wiederabgedruckt in: Arno Borst (Hrsg.), Das Rittertum im Mittelalter (Wege der Forschung 349), Darmstadt 1976, 315- 348. 2 Rainer Wohlfeil, Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte?, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen, Bd. 1/67, Freiburg i. Br. 1967, 21- 29, wiederabgedruckt in: Ursula von Gersdorff (Hrsg.), Geschichte und Militärgeschichte. Wege der Forschung, Frankfurt am Main 1974, 165- 175. a Rainer Wohlfeil, Einleitung: Der Bauernkrieg als geschichtswissenschaftliebes Problem, in: ders. (Hrsg.), Der Bauernkrieg 1524- 26. Bauernkrieg und Reformation, München 1975, 7- 50, hier bes. 25- 35. Vgl. auch ders., Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation (Beck'sche Elementarbücher), München 1982, 71 f. 4 Michael Howard, Der Krieg in der europäischen Geschichte. Vom Ritterheer zur Atomstreitmacht (Beck'sche Schwarze Reihe 233), München 1981. Infolge Abschluß des Manuskripts vor Tagungsbeginn konnten nicht mehr berücksichtigt werden: William H. McNeill, Krieg und Macht. Militär, Wirtschaft und Gesellschaft vom Altertum bis heute, München 1984, und: Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance (Hrsg.), Das Ritterbild in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 1), Düsseldorf 1985.

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hervor sticht jedoch die 1980 erschienene Monographie ,La guerre au Moyen Age' von Philippe Contamine5 , als Fachmann ausgewiesen durch zahlreiche einschlägige Untersuchungen, besonders zur französischen Militärgeschichte6 • Sie wurde von Leopold Auer als "bisher beste Gesamtdarstellung zum Phänomen des Krieges im Mittelalter" qualifiziert und als "ein Meilenstein in der Erforschung mittelalterlicher Kriegsgeschichte" bezeichneF. Diese Monographie eröffnet mit ihrer Bibliographie von 1018 Titeln8 , zu ergänzen durch Hinweise bei Auer auf weitere deutschsprachige Veröffentlichungen, den Zugang zur älteren Literatur. Auch Auer vermittelt einen sich aus profunder Kenntnis des mittelalterlichen Kriegswesens ergebenden Einstieg in zentrale Forschungsfragen. Aus ebenfalls europäischer Sicht wurde dem Rittertum ein Sammelband gewidmet, dessen Herausgeber Arno Borst zutreffend feststellt, daß für dieses gemeineuropäische Phänomen bisher keine geschichtswissenschaftlich befriedigende Gesamtdarstellung vorliegt9 • Seine Zusammenstellung enthält zugleich eine umfangreiche, 1975 abgeschlossene Bibliographie10• Den Übergang vom Ritter- zum Söldnerwesen hat zuletzt mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwick:lung Wilhelm Rautenberg problematisiert11 • In Deutschland fand das freie Söldnerturn seine spezifische Ausprägung im Landsknecht, 5 Philippe Contamine, La guerre au Moyen Age (Nouvelle Clio 24), Paris 1980. e Philippe Contamine, Guerre, Etat et Societe a la fin du Moyen Age. Etudes sur les armees des rois de France 1337- 1494 CE:cole Pratique des Hautes Etudes-Sorbonne, VIe Section, 24), Paris 1972. Vgl. dazu Werner Paravicini, in: FRANCIA 3 (1975), 818- 822, sowie ders., in: FRANCIA 5 (1977), 757; und Wolfgang Mager, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 17 (1975/1), 225 ff. 7 Leopold Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte als Forschungsproblem, in: FRANCIA 10 (1982), 449 - 463, hier 463. Auer weist darauf hin, daß Centamine allerdings Südost-, Ost- und Nordeuropa ausgeklammert hat und auch nicht auf das Problem des byzantinischen Einflusses sowie ebenfalls nicht auf Fragen des Seekrieges eingegangen ist. s Contamine, Guerre (Anm. 5), 11- 68. Neueste bibliographische Hinweise vermittelt die Beilage ,War and Society Newsletter. A bibliographical Survey', die seit Nr. 3 (1975) als jährliches Supplement zu den Militärgeschichtlichen Mitteilungen vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegeben wird, zuletzt zu Bd. 37 (1985). 9 Arno Borst (Hrsg.), Das Rittertum im Mittelalter (Wege der Forschung 349), Darmstadt 1976. to Ebd. 437-482. Vgl. außerdem den Artikel ,Miles, militia' von Josef Fleckenstein, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 3, Lfg. 19, Berlin 1980, Sp. 542- 547, und Hermann Jakobs, Kirchenreform und Hochmittelalter 1046- 1215 (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 7), München- Wien 1984, 115 f. u . 191 f . u Wilhelm Rautenberg, Ritter und Rotten. Zur begrifflichen und funktionalen Unterscheidung des geworbenen Kriegsvolks im Hochmittelalter, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 76 (1978), 87- 121.

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dessen sich vor allem Hans-Michael Moeller12 und Reinhard Baumann13 sowie unter der Fragestellung, ob und auf welchem methodischen Wege der Historiker bildliehe Quellen in seine Forschung einbeziehen kann, Rainerund Trudl Wohlfeil 14 angenommen haben. Wenn im Heiligen Römischen Reich auch vornehmlich Lehnskriegs- und Söldnerwesen das Verhältnis von Staats- und Heeresverfassung prägten, so bestanden daneben weiterhin die Institutionen der Land- und Gerichtsfolge und deren Aufgebot, einmündend später in die Landesdefensionswerke zuletzt übergreifend beschrieben von Helmut Schnitter15 . Sie werden von Winfried Schulze behandelt und können daher nachfolgend ausgeblendet werden18. Für das deutsche Militärwesen insgesamt ist außerdem auf die Spätmittelalter und Frühe Neuzeit zusammenfassend behandelnden Handbuchabschnitte von Gerhard Papke und - aus marxistischer Sicht der DDR-Geschichtsschreibung - auf die einschlägigen Teile im ,Kurzen Abriß der Militärgeschichte' zu verweisen17. Literatur, die in meinen älteren Arbeiten herangezogen wurde, wird im folgenden nur in besonders notwendigem Zusammenhang angeführt werden. Das Verhältnis von ,Staats'- und Heeresverfassung darzustellen, erfordert vor allem, zu fragen nach den Wechselwirkungen, Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen der Entwicklung von Wehrformen und der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, besonders ihren gesellschaftlich bedingten Veränderungen, nach dem Verhältnis zwischen wirtschaftlich tätiger Bevölkerung und berufsmäßig ausgeübtem Kriegertum. Verzichtet wird dagegen darauf, den durch das Kollo12 Hans-Michael Möller, Das Regiment der Landsknechte. Untersuchungen zu Verfassung, Recht und Selbstverständnis in deutschen Söldnerheeren des 16. Jahrhunderts (Frankfurter Historische Abhandlungen 12), Wiesbaden 1976. 1a Reinhard Baumann, Das Söldnerwesen im 16. Jahrhundert im bayerischen und süddeutschen Beispiel. Eine gesellschaftsgeschichtliche Untersuchung (Miscellanea Bavarica Monacensia 79), München 1978. 14 Rainer und Trudl Wohlfeil, Das Landsknechts-Bild als geschichtliche Quelle. Überlegungen zur Historischen Bildkunde, in: Militärgeschichte. Probleme-Thesen-Wege (Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 25), Stuttgart 1982, 81 - 99; zuvor in älterer Fassung dies., Landsknechte im Bild. Überlegungen zur ,Historischen Bildkunde', in: Peter Blickle (Hrsg.), Bauer, Reich und Reformation. Festschrift für Günther Franz, Stuttgart 1982, 104- 119. 15 Helmut Schnitter, Volk und Landesdef!msion. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deutschen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Militärhistorische Studien 18 Neue Folge), Berlin/DDR 1977. 18 s. u. s. 129 - 144. 11 Gerhard Papke, Von der Miliz zum Stehenden Heer. Wehrwesen im

Absolutismus, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648 - 1939, Bd. 1, München 1979, auch Taschenbuchausgabe, Bd. 1, München 1983. - Kurzer Abriß der Militärgeschichte von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes bis 1945 (Schriften des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR), Berlin/DDR 1974.

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quiumsthema vorgegebenen Begriff ,Staat' für die mittelalterliche Geschichte zu problematisieren. Die angeschnittenen Fragen zu diskutieren setzt voraus, daß im Anschluß an eine knappe Beschreibung der verfassungsrechtlichen Begründung von Kriegsdienstleistungen in einem ersten Teil mit gebotener Kürze deren wichtigste Träger- Lehnsritter, Soldritter, ungebundene Söldner und Söldnerbanden, Schweizer, Landsknechte - auf ihrem kriegsgeschichtlichen Hintergrund vorgestellt und in ihren militärischen Wesensmerkmalen gekennzeichnet werden. Als zentraler Befragungsraum wird das Heilige Römische Reich im westeuropäischen Kontext dienen. Anschließend wird in einem zweiten und zugleich Haupt-Teil der Frage nachgespürt werden, wie und warum die Heeresaufbringung über das Lehnskriegswesen abgelöst wurde durch das Soldsystem und welche Bedeutung dieser Prozeß gewann für das Verhältnis von Staatsund Heeresverfassung. Der abschließende dritte Teil soll kurz der einleitend aufgeworfenen Reflexion gewidmet werden.

I. Alle aufgeführten Träger von Kriegsdienstleistungen - mit zeitweiser Ausnahme der Schweizer - erfüllten ihre Aufgaben nicht auf der Basis einer - wie auch immer gearteten - Verpflichtung aller Freien zur Heerfolge, sondern im Rahmen einer besonderen Vereinbarung, entweder eines Aufgebots infolge einer besonderen rechtlichen Verpflichtung oder auf der Grundlage eines freiwillig befristet eingegangenen Vertragsverhältnisses. Bei sehr unterschiedlichen Dienstformen waren sie alle berufsmäßige Krieger; von ihnen wurden qualifiziertere kämpferische Fähigkeiten und kampfbezogene Ausbildung sowie weitergefaßte Einsatzbereitschaft erwartet und verlangt als zuvor im Zeichen der Heerfolgepflicht oder innerhalb der gleichzeitigen, nach Dauer und Raum, in Personenkreis und Verwendungszweck begrenzten Wehr- als eingeschränkter Verteidigungspflicht auf der Verfassungsgrundlage des Aufgebots der Landfolge18• Als Ausgangspunkt und Grundlage der Behandlung des Verhältnisses von Staats- und Heeresverfassung in der europäischen Geschichte bietet sich das fränkische Reich der Karolinger an. Seine Geschichte wie die nachfolgenden Jahrhunderte deutscher Geschichte waren gekennzeichnet durch eine fast ständige Abfolge von Kämpfen oder zumindest kriegerischer Anspannung. Unter diesen Voraussetzungen entwickelte sich das mittelalterliche Kriegswesen. Es wird landläufig idents Wolfgang von Groote, Der Gestaltwandel der Wehrpflicht in der deutschen Geschichte, in: GWU 35 (1984), 273 - 293, hier bes. 275 f.

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tifiziert mit dem Ritterheer - eine Identität, die sich ableitet aus der Verbindung von Heeres- und mittelalterlicher Staatsverfassung über die Begriffe Lehnswesen und Lehnsrecht. Durch die Verbindung von fränkischer Vasallität als personenrechtlicher und der Landleihe als sachenrechtlicher Beziehung, d. h. von Dienst und Lehen, entwickelte sich das im Ritter personifizierte und militärisch spezialisierte Lehnskriegswesen, das nach einer These von Heinrich Brunner11 unter Kar! Martell aus dem Zwang hervorging, zur Abwehr auswärtiger Gegner, besonders der Araber, einen schnell beweglichen, zweckentsprechend ausgerüsteten und durch Ausbildung geübten Verband gepanzerter Reiterkrieger aufzustellen. Auf der Grundlage dieser zeitlich fixierbaren militärischen Reform habe sich der Ritter entwickelt, der spätestens seit dem 10. Jahrhundert Heeresverfassung und Kampfesweise eindeutig prägte. Zu den militärgeschichtlichen Problemen, die mit dem Phänomen Ritterheer verbunden und bisher nicht befriedigend gelöst sind, gehört dennoch die Frage, wie weit Karl Martell tatsächlich in der Reiterkriegstruppe etwas völlig Neues geschaffen hat. Panzerreiter hatte es auch im spätrömischen Heer gegeben, und im fränkischen Heer kämpften offenkundig bereits in der Mitte des 7. Jahrhunderts berittene Krieger, so daß die angenommene "plötzlich umstürzende Neuerung ... in Wirklichkeit Teil einer langen Entwicklung gewesen ist" 20 • In diesen Zusammenhang ordnet sich ebenfalls die Frage ein, wann der Steigbügel von den Franken eingeführt wurde21 , denn erst durch seine Verwendung wurde das Pferd vom Transport- zum KampfmitteL Unbeschadet derartiger Diskussionen ist festzuhalten, daß sich mit dem schwerbewaffneten Krieger zu Pferd im Dienste eines Höherstehenden eine soziale Gruppe formierte, deren ursprüngliches Kennzeichen und Integrationskern kriegerische Leistung war, d. h., die im Zeichen aufkommender Arbeitsteilung voll die militärischen Funktionen innerhalb der Gesellschaft übernahm: die Lehnsritter. Als Panzerreiter bestimmten sie spätestens seit dem 10. Jahrhundert eindeutig das Kriegswesen, Kriegführung wurde mit Reiterkrieg gleichgesetzt. Voraussetzungen für u Heinrich Brunner, Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnwesens, in: ZRG GA 8 (1887), 1 - 38, wiederabgedruckt in: ders., Forschungen zur Geschichte des deutschen und französischen Rechts. Gesammelte Aufsätze, Stuttgart 1894, 39 - 74. 2o Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7), 451 ff. mit Verweisen auf ältere Literatur, bes. in Anm. 27, sowie auf das Diskussionsresümee bei Contamine, Guerre (Anm. 5), 315- 320; Zitat 453. 2t Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7), 452 mit Anm. 28 unter Verweis auf Lynn White jr., Die mittelalterliche Technik und der Wandel der Gesellschaft, München 1968, sowie ältere Literatur. Dazu zuletzt Reinhard Schneider, Das Frankenreich (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 5), München - Wien 1982, 113.

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den kriegerischen Erfolg eines Ritterheeres waren vor allem die kriegstechnische Leistung der Waffenbeherrschung und eine spezifische Kampfmoral des einzelnen, resultierend aus dem sich nicht zuletzt auch aus seiner wirtschaftlichen Sicherstellung ergebenden sozialen Bewußtsein von gesellschaftlicher Bedeutung und Höherwertigkeit im Vergleich mit der wirtschaftlich tätigen Bevölkerung. Auf dem Höhepunkt der Lehnskriegsverfassung gab es neben dem über die Heerschildordnung aufgebotenen Lehnsritter bereits den Soldritter. Im vorgegebenen Zusammenhang unberücksichtigt bleiben kann dagegen der Ordensritter. Zwar konnte auch der Lehnsritter den Lebensunterhalt für sich und sein Gefolge - die ,Gleve' oder den ,Spieß' als geläufige Grundeinheit eines schwerbewaffneten Panzerreiters22 - auf Heerfahrt nicht mehr aus seinem Lehnsgut bestreiten, erhielt vielmehr spätestens im 12. Jahrhundert neben Verpflegung und Kleidung teilweise schon Besoldung23 , aber in den lehnsritterlichen Heeresverband eingeordnet war auch jener Ritter, der nur aus dem Sold seine ökonomische Existenz bestritt24. Während der Lehnsritter verpflichtet war, dem Lehnsherren für einen festgelegten Zeitraum innerhalb eines Jahres Kriegsdienst zu leisten, übernahm der Soldritter eine derartige Aufgabe aus freiem Entschluß, wenn meist auch infolge wirtschaftlich gebotenen Zwanges. Entstehung und Entwicklung des Soldritterwesens sind noch keineswegs deutlich geklärt. Seine Spannweite reichte vom schwerbewaffneten Panzerreiter mit großem Gefolge bis zum sogenannten Einspänner als einem leichter ausgerüsteten Kämpfer zu Pferd, über den während des späteren Mittelalters auch Nichtritterbürtige im Ritterheer eingesetzt wurden. Mit dem Soldritter wird eine Form des Söldnerwesens erfaßt. Dessen Ausprägungen waren jedoch auch im mittelalterlichen Kriegswesen sehr mannigfaltig, so daß es jeweils einer genauen inhaltlichen Be22 Werner Schulze, Die Gleve. Der Ritter und sein Gefolge im späteren Mittelalter (Münchener Historische Abhandlungen Reihe 2, 13), München 1940. Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 102 f. mit kritischen Ergänzungen. 2a Joachim Bumke, Studien zum Ritterbegriff im 12. und 13. Jahrhundert (Beihefte zum Euphorion 1), Heidelberg 1964, 65 ff.; Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 91. 24 Ihn kennt schon die mittelalterliche Literatur. Vgl. Peter-Udo Rosenau, Wehrverfassung und Kriegsrecht in der mittelhochdeutschen Epik. Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg, Der Nibelungen Not, Kudrunepos, Wolfdietrichbruchstück A, König Rother, Salman und Morolf, Jur. Diss. (Masch.-Vervielfältigung) Bonn 1959, 99- 112. Vgl. auch Paul Schmitthenner, Lehnskriegswesen und Söldnerturn im abendländischen Imperium des Mittelalters, in: HZ 150 (1934), 229- 267.

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schreibung bedarf, wenn der Begriff angewandt wird25 • Generell wird ihm das Fußvolk zugeordnet. Männer ohne ritterliche Kampfaufgaben, zu Pferde und zu Fuß, befanden sich in allen mittelalterlichen Heeren, und sei es nur als unumgängliche Begleitung der Panzerreiter28 • Leichtbewaffnet konnten sie im Gefolge der Schwerbewaffneten Kampfhilfe leisten. Sie erwiesen sich um so notwendiger, je schwerer Panzerung und Bewaffnung der Ritter wurden. Diese wiederum waren vor allem eine Folge der Fernkampfwaffen, die - zunächst der weitreichende Langbogen, später die Armbrust - vom Kriegsvolk zu Fuß in das Kampfgeschehen eingebracht wurden und, wenn auch als unritterlich verurteilt, sogar schlachtentscheidend mitwirken konnten27. Dieses Fußvolk war mannigfaltig strukturiert und rechtlich sehr unterschiedlich in das Heerwesen eingebunden. Die Begleiter der Ritter konnten teilweise noch über die Möglichkeiten von Lehnsrecht und Dienstverband aufgebracht werden, teilweise wurden sie schon gegen Besoldung geworben. In ihren rechtlichen Grundlagen sehr differenziert waren auch jene Aufgebote, die von Städten erbracht wurden, hier aber nicht weiter behandelt werden können. Reine Soldverhältnisse oder Beteiligung in der Hoffnung auf Beute prägten dagegen jene Haufen sog. niederen Fußvolkes, die sich als Begleitung vieler Ritterheere nachweisen lassen. Außer taktisch geschickt eingesetzten Fernkampfwaffenträgem gewannen Söldner zu Fuß kriegerischen Eigenwert allerdings erst, als sie in dauerhaften Verbänden auftraten zuerst in den ,Rotten'. Die ,Rotten' 28 , die spätestens seit den 60er Jahren des 12. Jahrhunderts nachweisbar sind und sofort kriegerische Bedeutung erlangten, sind hinsichtlich ihrer Zusammenhänge mit den vorangegangenen Formen von Fußvolk wenig geklärt, Vorläufer ihrer Art lassen sich vermuten28 ; unbekannt ist außerdem, wie sie entstanden sind. Diese ,Rotten', denen auch Reiterkrieger angehörten, deren Angehörige 25 Vgl. dazu Hinweise und Überlegungen bei Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11); Meier-Welcker, Militärwesen Friedrichs Il. (Anm. 30) und Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13). 21 Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 103 f. 21 Contamine, Guerre (Anm. 5), 110 u. 124 f. ; und Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7), 456 ff. zu den nichtfeudalen Elementen im Heer unter Bezugnahme auf lohn Beeler, Warfare in Feudal Europe 730- 1200, Ithaca- London 1971. Zur Rolle der Fernkampfwaffen Auer, a.a.O., 457 f. mit Literaturnachweisen. 2s Herbert Grundmann, Rotten und Brabanzonen. Söldner-Heere im 12. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters 5 (1942),

419- 492. 29 Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 109. 8 Staats- und Heeresverfassung

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männlichen und weiblichen Geschlechts aber in weitaus überwiegender Mehrzahl zu Fuß kämpften, waren Söldnerkörper, die sich unter ihrerseits anerkannten Führern auf reiner Soldbasis geschlossen verdingten, ansonsten aber in keinerlei Bindungen zu ihrem Soldherren und damit dem Staat standen. Nach Auslaufen eines Soldverhältnisses lösten sie sich keineswegs auf, sondern blieben über längere Zeiträume hinweg zusammen. Berüchtigt wurden sie wegen ihrer sog. unritterlichen Kampfesweise. Ihre Existenz endete offenbar mehrheitlich in kriegerischen Niederlagen mit physischer Vernichtung. Daß Söldner jedoch auch in ein Staatswesen fester einbezogen und sogar als eine Vorform stehender Truppen konstituiert werden konnten, läßt sich am sizilischen Militärwesen Kaiser Friedrichs 11. nachweisen30• Soldvertragsüberdauernde Zusammenschlüsse von Söldnern hat es während des gesamten späteren Mittelalters gegeben- Verbände, die kriegsbezogen zeitweise stark beachtet, umworben und gefürchtet waren, zu jeder Zeit aber gehaßt sowie verachtet wurden. In ihrer Spannweite von den ,Almogavaren' 31 über die ,Söldnerkompanien' 32 bis zu den ,Garden' 33 gewannen sie allerdings ebenso wenig wie die ,Hussiten'34 militärgeschichtlich eine so entscheidende Bedeutung wie die ,Schweizer' und die ,Landsknechte'. Unbeschadet dessen bleibt festzuhalten, daß mit Soldritter und Söldnerbanden bereits auf dem Höhepunkt des Lehnskriegssystems das Söldnerwesen unübersehbar vorhanden war. Beide Formen freiwillig eingegangener Dienstleistungen wurden von den Zeitgenossen ursprünglich klar unterschieden35 , der Alltag des Krieges ließ sie sich jedoch im Laufe der Jahrhunderte annähern. Als eine Schaltstelle und eigentlicher Kristallisationspunkt in dieser Entwicklung erwiesen sich die Söldnerführer mit ihren beiden bekanntesten Erscheinungsformen im italienischen Condottiere38 und im ,militärischen Unternehmer' 37 nördlich der Alpen. 30 Hans Meier-Welcker, Das Militärwesen Kaiser Friedrichs II. Landesverteidigung, Heer und Flotte im sizilischen ,Modellstaat', in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 17 (1975/1), 9 - 48. 31 Roger Sablonier, Krieg und Kriegerturn in der Cronica des Rarnon Muntaner. Eine Studie zum spätmittelalterlichen Kriegswesen aufgrund katalanischer Quellen, Bern- Frankfurt am Main 1971. Contamine, Guerre (Anm. 5), 403 f., und Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 115 f. 32 Contamine, Guerre (Anm. 5), 402 ff. mit Bezugnahme auf dens., Les compagnies d'aventure en France pendant la guerre de Cent ans, in: McHanges de l'Ecole fran~aise de Rome, Moyen Age, Temps modernes 87 (1975), 365- 396. 33 Walther Rose, Die deutschen und italienischen schwarzen (großen) Garden im 15. und 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für historische Waffenkunde 6 (1912- 1914), 73- 97. ~' Jan Durdik, Hussitisches Heerwesen, Berlin/DDR 1961. 35 Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 115.

Das Heerwesen im Obergang vom Ritter- zum Söldnerheer

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Über die ,Schweizer'38 und über die ,Landsknechte'3 U verwandelte sich das wenig organisierte und vor allem militärisch undisziplinierte ,niedere Fußvolk' in die neuzeitliche Fußtruppe mit einer durchgegliederten Führungshierarchie. Ihr besonderes Kennzeichen war die Zusammenfassung qualifizierter Fußkämpfer in Geviert- oder Gewalthaufen, die nach innen geschlossen waren, nach außen festgefügt auftraten und während des Kampfes Disziplin zu wahren verstanden. Die Schweizer erwiesen sich schon mit der Hellebarde, vor allem aber mit der später entwickelten Langspießhecke dem Ritterheer überlegen, wodurch sich in der Kampfführung das Schwergewicht vom Berittenen auf den Krieger zu Fuß verlagerte. Die nunmehr schlachtentscheidenden Großverbände von Pikenieren, ergänzt durch eine ständig sich vermehrende Zahl von Handfeuerwaffenträgern, schienen sich zugleich zu anzahlmäßig ins schier Unermeßliche steigerbaren gewaltigen Kampfkörpern vermehren zu lassen im Vergleich zu den Ritterheeren, weil sich die Zahl schwerbewaffneter gepanzerter Reiter zu keiner Zeit beliebig vergrößern ließ - auch nicht über eine Ergänzung des Lehnsaufgebots durch Soldritter. Entwickelt wurden die tiefgegliederten, beweglichen Gevierthaufen von den Schweizern während ihrer Freiheitskämpfe im 14. und 15. Jahrhundert. Als sich ihre taktischen Verbände geeignet erwiesen, sich. nicht nur zu verteidigen, sondern auch offensiv zu kämpfen, ließen ihre kriegerischen Erfolge die Schweizer zu umworbenen Söldnern werden. Sie veralteten jedoch militärtechnisch, indem sie den stärker aufkommenden Handfeuerwaffen und vor allem der Artillerie nur begrenzte Bedeutung zumaßen40 , und verloren ihre kriegerische Füh30

Michael Mallett, Mercenaries and their Masters. Warfare in Renaissance

Italy, London 1974.

37 Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force. A Study in European Economic and Social History, 2 Bde. (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 47), Wiesbaden 1964/65. Als Spezialstudie vgl. Heike Preuß, Söldnerführer unter Landgraf Philipp dem Großmütigen von Hessen (1518- 1567). Aufbau und Verwaltung einer personalen Friedensorganisation in ,Kriegssachen', Phil. Diss. Marburg a. d. Lahn

1975.

38 Walter Schaufelberger, Der Alte Schweizer und sein Krieg. Studien zur Kriegführung vornehmlich im 15. Jahrhundert (Zürcher Studien zur allgemeinen Geschichte 7), Zürich 1952, 21966; ders., Zum Problem der militärischen Integration in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft, in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 136 (1970), 313 - 328. Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13), 19 - 25. 39 Möller, Regiment der Landsknechte (Anm. 12) und Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13) mit Hinweisen auf ältere Literatur. Zur Geschichte der neuzeitlichen Fußtruppe vgl. zuletzt den übergreifenden Abriß von Helmut Schnitter, ,Die Königin des Schlachtfeldes'. Zur Geschichte der Infanterie vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, in: Militärgeschichte 22 (1983),

434-446.

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rungsrolle zu Anfang des 16. Jahrhunderts an die Landsknechte, nachdem diese ihre taktischen Lehrmeister in großen Feldschlachten besiegt hatten. Innerhalb der neuen Fußtruppen bildeten sich feste militärische Ämter und eine sich institutionalisierende Hierarchie heraus, bedingt u. a. durch deren Werbung und Aufstellung über anerkannte Söldnerführer als militärische Unternehmer mit eindeutig wirtschaftlichem Interesse am Kriegsgeschäft. Sie waren einerseits Vertragspartner der Kriegführenden, andererseits ihrer Landsknechte und stellten somit die jeweiligen Kristallisationskerne und zugleich einzigen Bezugspunkte jener Landsknechtsverbände dar, in denen während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im Rahmen des freien Söldnerturns das Söldnerheer eine seiner höchsten Entwicklungsstufen fand. Konkurrenten fanden sie vor der Epoche der stehenden Heere vor allem in den spanischen Tercios und später in den Truppen, die durch die oranische Heeresreform geprägt wurden41 • Sich im Kampf zu messen, hatten die Rivalen nach den großen spektakulären Schlachten der ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts allerdings nur selten Gelegenheit. Söldnerheere aufzustellen und zu unterhalten war ein so kostspieliges Unterfangen geworden - nicht zuletzt durch die Artillerie - , daß sich die militärischen Unternehmer scheuten, ihre Investitionen einem Risiko auszusetzen. Auch nördlich der Alpen setzte sich jene Form der Kampfführung durch, die lange zuvor seitens der italienischen Condottiere entwickelt worden war42 - Kriege, die vornehmlich durch geschicktes strategisches Operieren und taktisches Verhalten sowie durch Belagerung von Festungen gekennzeichnet waren43 •

Howard, Krieg in europäischer Geschichte (Anm. 4), 42 f. Bodo Gotzkowsky (Hrsg.), Hans Wilhelm Kirchhof: Militaris disciplina. Kritische Ausgabe (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 298), Stuttgart 1976. Werner Hahlweg (Hrsg.), Die Heeresform der Oranier. Das 40

41

Kriegsbuch des Grafen Johann von Nassau-Siegen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 20), Wiesbaden 1973. Zur literarischen Aufarbeitung vgl. Papke, Von der Miliz (Anm. 17), 294 f. 42 Mallett, Mercenaries (Anm. 36), bes. 181 - 206. Problematisiert wurden Fragen von Organisation und Kampfführung in Deutschland während des 16. Jahrhunderts zuletzt anband des Bauernkrieges von Siegfried Hoyer, Das Militärwesen im deutschen Bauernkrieg 1524- 1526 (Militärhistorische Studien 16 Neue Folge), Berlin/DDR 1975; und von Eckhardt Opitz, Militärgeschichtliche Aspekte des Bauernkrieges in Deutschland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 28 (1980/2), 7- 34. 43 Christopher Duffy, Siege Warfare. The Fortress in the Early Modern World 1494- 1660, London 1979. Sehr gut widergespiegelt wird diese Entwick:lung in den zeitgenössischen Flugblättern, z. B. in: Die Sammlung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Kommentierte Ausgabe. Bd. 2: Historica, hrsg. von Wolfgang Harms zusammen mit Michael Schilling und Andreas Wang (Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts 2), München 1980.

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Das Kriegswesen im Zeitalter der Söldnerheere wurde im übrigen keineswegs ausschließlich von der gemeineuropäischen Erscheinung des freien Söldnerturns getragen. Es drängte zwar andere Formen zurück, über die Heere aufgestellt werden konnten, beispielsweise Ansätze zu stehenden Truppen - wie die 1445 in Frankreich errichteten ständigen Ordonnanzkompanien". Fürsten konnten aber weiterhin auf das Lehnsaufgebot zurückgreifen45 oder sich des Aufgebots der Landfolge bzw. des Ausschusses bedienen. Mischformen fanden sich häufig, nicht zuletzt im städtischen Dienst4e.

n. Die langsame, sich über mehr als fünfhundert Jahre hinziehende Ablösung der Heeresaufbringung über das Lehnskriegswesen durch das reine Soldsystem resultierte insgesamt aus wirtschaftlichen und politischen, sozialen und bewußtseinsbezogenen sowie nicht zuletzt kriegstechnischen Voraussetzungen, Ursachen, Bedingungen und Veränderungen. Herausgearbeitet werden kann im Zusammenhang mit der übergreifenden Fragestellung nur das, was für die zentrale Thematik dieses Kolloquiums von Bedeutung ist. Die Entstehung des Lehnskriegswesens läßt sich historisch erklären als die gesellschaftliche Lösung, die im fränkischen Großreich gefunden wurde, um sowohl den kriegerischen Anforderungen gerecht werden zu können als auch die ökonomischen Grundlagen dieses Staates zu bewahren. Die ständig einsatzbereiten und über längere Zeiträume hinweg kriegerisch verwendbaren Reiterkrieger, etwa jene 2 000 direkten und vor allem die rund 30 000 Aftervasallen, mit denen Karl Ferdinand Werner für das Zeitalter Karls des Großen rechnet47 , bedurften wirtschaftlichen Unterhalts. Er konnte unter den Bedingungen einer agrar- und naturalwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft, in der nur wenig Geld zur Verfügung stand, allein durch die Verleihung von Land gesichert werden. Mit der Vergabe von Lehen aus militärischen 44 Contami ne, Guerre (Anm. 6), 277 - 530, spricht von ,Les debuts de l'armee d'ancien regime (1445- 1494)' ; vgl. dazu Paravicini, in: FRANCIA 3 (1975),

818- 822.

Vgl. Papke, Von der Miliz (Anm. 17), 64. Ebd., 64. Schnitter, Volk und Landesdefension (Anm. 15), 49 - 54. Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13), 271 - 281. Das städtische Aufgebotswesen bedarf noch weiterer Untersuchungen, auf die Anführung einzelner Studien wird hier verzichtet. 47 Karl Ferdinand Werner, Heeresorganisation und Kriegführung im deutschen Königreich des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Ordinamenti militari in occidente nell'alto medioevo. 30 marzo- 5 aprile 1967, 2 Bde. (Settimane di studio del centro italiano di studi sull'alto medioevo 15), Spoleto 1968, Bd. 2, 791 - 843, hier 813 - 832, bes. 820. 45 48

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Erwägungen, die in größerem Umfang unter Karl Martell begonnen hatte48 , änderte sich das soziale Gefüge. Da es im Wesen der lehnsrechtlichen Staatsverfassung begründet war, daß lehnsrechtlicher Besitz von Grund und Boden herrschaftsbegründend wirken konnte, führte lebenslänglicher kriegerischer Reiterdienst nicht nur zur arbeitsteiligen, sondern auch zur gesellschaftlichen Trennung des Kriegers vom Bauern, bildete sich jene tiefgreifende sozialhierarchische Gesellschaftsstruktur heraus, die .den feudalen Staat kennzeichnete und überdauerte. Kriegsdienst zu Pferde wertete den sozialen Status auf und vermittelte über das Lehen Anteil an der Herrschaft. Damit sonderten ökonomische Grundbedingungen, ,berufliche' Wahrnahme kriegerischer Tätigkeit und militärtechnischer Leistung, gesellschaftliches Selbstverständnis und am Adel orientierte Lebensführung auch Reiterkrieger ursprünglich niederer sozialer Herkunft von der agrarwirtschaftlich arbeitenden Bevölkerung ab und ließen sie sich mit Adligen im ritterlichen Dienst und durch die Herrschaft über abhängige Bauern als sozial abgehobene Schicht der Vasallen zusammenfinden. Über ihre kriegsbezogenen Funktionen erlangten im deutschen Bereich außerdem die ursprünglich unfreien Ministerialen im 12. Jahrhundert eine höhere soziale Qualität. Diese Entwicklung schloß über die Kategorie ,Ritterbürtigkeit' ab mit der Verwandlung einer berufsbezogenen Qualität in einen sozialen Stand. Seine Angehörigen übten - zumindest über die Grundherrschaft - noch herrschaftliche Gewalt aus zu einer Zeit, in der dieser Stand seine ursprüngliche militärische Funktion im Rahmen gesellschaftlicher Arbeitsteilung verloren hatte, und beanspruchten bis tief in die Neuzeit hinein eine soziale Vorrangstellung. Nachhaltiger konnte sich die mittelalterliche Heeresverfassung auf die Sozial- und Staatsverfassung kaum noch auswirken. Die naturalwirtschaftlich-agrarische Grundlage der Lehnskriegsverfassung wurde mit dem Wiederaufleben stärkerer geldwirtschaftlicher Beziehungen aufgeweicht. Beginnende ,Kommerzialisierung' und ,Kapitalisierung' des Kriegswesens lassen sich seit dem 11. Jahrhundert analysieren49 • In mannigfacher Form schlugen sie sich nieder. Barmittel bedurfte der Lehnsritter, um die steigenden Kosten seiner Bewaffnung aufzubringen, zumal von der Ausführung seiner Ausrüstung auch sein sozialer Status in der gesellschaftlichen Großgruppe ,Ritter' abhängig wurde; eigener und seiner Beg\eiter Lebensunterhalt ließen sich während eines Feldzuges nicht meht aus den Einnahmen der Grundherrschaft decken, so daß ihn der Lehnsherr schon während der Wochen lehnsrechtlich gebotener Folge im Sinne moderner Aufwandsentschädi48

49

Vgl. zuletzt Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7), 453. Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 101 f.

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gung besolden mußte, erst recht nach Überschreiten dieser Frist. Ausdruck derartiger geldwirtschaftlicher Einflüsse und Auswirkungen auf das Kriegswesen, die auf die deutsche Heeresverfassung besonders von den italienischen Städten ausgingen, waren vor allem alle Formen des Söldnertums. Allerdings stellten die Besoldung der Lehnsritter und das sich entfaltende Soldrittertum das Lehnskriegswesen solange nicht grundsätzlich in Frage, wie generell die militärischen Dienstverpflichtungen seitens der Lehnsträger unbestritten blieben und kriegerische Leistungen auf reiner Soldbasis im Sinne eindeutig beruflicher Tätigkeit zum Bestreiten des Lebensunterhalts vornehmlich von jenen Ritterbürtigen erbracht wurden bzw. gesucht werden mußten, die nicht in ein Lehen eintraten oder für die kein neues Lehnsverhältnis wegen Landmangels begründet werden konnte. Die funktionale Verbindung von Staats- und Heeresverfassung begann sich zu lockern, als infolge von Erblichkeit der Lehen und geburtsständischer Abschließung die kriegerische Leistungspflicht als überkommene Dienstaufgabe zurückgedrängt wurde und Teilnahme an politischer Herrschaft im weitgefaßten Sinne des Begriffs in den Vordergrund trat. Zum Auseinanderklaffen von Staats- und Heeresverfassung trug ferner bei, daß es dem Lehnsmann möglich wurde, seine persönliche kriegerische Leistung abzulösen durch Geldzahlungen, zugleich jedoch über reine Soldverhältnisse im Dienst anderer Herren ein geldwirtschaftlich begründetes Berufskriegerdasein zu führen. Gleichzeitig ging aus der ursprünglich leistungsbezogenen sozialen Gruppe beruflich zusammengebundener Reiterkrieger unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft- nachdem sich über kampfbezogene und sozialökonomische Gemeinsamkeiten der Berufs- zum Geburtsstand gewandelt hatte- der Ritter mit vasallitischer oder ministerialer Qualität seit dem 13. Jahrhundert in den niederen Adel über; seine weiteren gesellschaftlichen und politischen Rollen können im vorgegebenen Zusammenhang nicht verfolgt werden. An seiner militärischen Funktion wurde in Deutschland - im Vergleich zu anderen Ländern, beispielsweise England50 noch sehr lange festgehalten, aber die Heeresverfassung des Lehnskriegswesens entsprach zunehmend weniger den anfallenden Aufgaben. Ein Ausdruck dieser Entwicklung war, daß im 17. Jahrhundert nicht mehr die ,Ritter', sondern ,Lehnspferde' aufgeboten wurden. Im Rahmen der Friedenswahrung nach innen entwickelte sich im Heiligen Römischen Reich das ritterliche Waffen- und Fehderecht zu so Vgl. H . J. Hewitt, The Organization of War under Edward 111, 1338- 62, Manchester 1966. M. Prestwich, War, Politics and Finance under Edward I, London 1972, sowie auch Howard, Krieg in europäischer Geschichte (Anm. 4), 20 ff. u. 30.

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einer schweren Belastung, wie zuletzt Werner Rösener unter Problematisierung des Begriffs ,Raubrittertum' herausgearbeitet und dabei auf die Rolle ,ritterlicher Räuberbanden' und ,gefürchteter Soldrittervereinigungen' ebenso hingewiesen hat51 wie auf die sozialen und ökonomischen Bedingungen dieses Unwesens ursprünglich verfassungsrelevanter Funktionsträger52 • Adliger Kriegsdienst im Verständnis von standesgemäßer Tätigkeit wurde korrumpiert, der Weg vom Ritter mit jener Lebensauffassung und sozialem Verhaltenskodex, der im Begriff ,Rittertum' verdichtet, wenn auch vielfach idealisiert erfaßt wird, zum ,Raubritter', vom Verteidiger zum Störer des Landfriedens führte nicht zuletzt über den arbeitslosen Soldritter53 • Dennoch verstand sogar der ,Raubritter' sein Tun und Treiben als standesgemäßes Handeln und Verhalten, begriff sich also nicht als zeitungemäßer Berufskrieger, dessen Form von ,Gewerbe'-Ausführung nicht mehr gefragt war. Der Soldritter war in jenen Jahrhunderten, in denen Ritterheere das kriegerische Geschehen bestimmten, unter den Bedingungen einer aufweichenden Lehnskriegsverfassung ein gesuchter, teilweise sogar bevorzugter Krieger gewesen. Seinem Wesen nach war das Soldrittertum dadurch gekennzeichnet, daß sich ursprünglich seine Vertreter außerhalb der Lehnsverfassung befanden und daher frei für Kriegsdienst zur Verfügung stellen konnten, sich also nicht durch ein lehnsrechtliches Treueverhältnis oder gar andere ethische Kategorien dem Fürsten verbunden fühlten, in dessen zeitlich befristeten Dienst sie auf Vertragsbasis traten, sondern ihm eine kriegerische Leistung gegen Geldzahlung, aber auch auf der Basis naturalwirtschaftlich begründeter Verträge erbrachten. Aufwand und Leistung bestimmten beim Soldritter - wie beim Lehnsritter - eine unterschiedliche Besoldung, dagegen scheint generell Sold weder ehrenrührig gewesen noch eine strukturelle Differenzierung zwischen Lehns- und Soldritter in einem Heeresverband herbeigeführt zu haben54 • Sie besaßen ihre gemeinsame Wurzel darin, daß sich der berittene Krieger nur über die qualifizierte Form des lebenslänglichen Kriegsdienstes als Träger militärischer Verfassungsfunktionen hatte verwirklichen lassen und weil keine andere Ausprägung erfolgreicher Kampfführung vorstellbar erschien als ihr ,reiterlicher' Stil. Er wurde vom Soldritter nicht in Frage gestellt. Lehnsritter und 51 Werner Rösener, Zur Problematik des spätmittelalterlichen Raubritterturns, in: Festschrift für Berent Schwineköper, Sigmaringen 1982, 469 - 488, hier bes. 480 f. 52 Ebd. 482 ff. 53 Ebd. 486 ff. 54 Rautenberg, Ritter und Rotten (Anm. 11), 99.

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Soldritter schlossen sich also keineswegs gegenseitig aus, jedoch durchbrach der Soldritter als gemeineuropäische Erscheinung bereits die enge Aufeinanderbezogenheit von feudaler Staats- und Heeresverfassung. Vorausgesetzt, ein Fürst besaß ausreichende finanzielle Mittel und hielt als Soldherr die Bedingungen und Verpflichtungen des Vertragsverhältnisses ein, stand ihm im Soldritter ein qualifizierter Kriegsmann und in einer Soldrittereinheit ein Kampfinstrument zur Verfügung, die einerseits die Dienstvereinbarung zu Disziplin und auftragsbezogenem Gehorsam verpflichtete und die andererseits kaum politische Forderungen erheben konnten. Alles in allem war der Soldritter stärker abhängig vom Dienstherrn als der Lehnsritter. Daß allerdings auch Soldritter derartige Abhängigkeit abzustreifen verstanden und zu eigenständigen politischen Faktoren werden konnten, demonstrierten italienische Condottiere. Die instrumentale Bedeutung von Lehns- und Soldritter als kampfentscheidender schwerbewaffneter Panzerreiter schwand, nachdem Ritterheere mehrfach von Fußvolkverbänden besiegt worden waren - zeitlich fixierbar im 14./15. Jahrhundert. Erleichtert wurde den Fürsten der Entschluß, sich vom Ritter als zentralem Kampfmittel zu trennen, dadurch, daß die Ausgaben für einen derartigen Verband aus ,Gleven' und ,Einspännern' wirtschaftlich kaum noch aufzubringen waren. Für den sich entwickelnden niederen Adel mit seinem ritterlichen Selbstverständnis eröffneten sich noch im 15. Jahrhundert in den Heereskörpern auf der Basis freien Söldnerturns mit Schwergewicht bei den Fußkämpfern neue Möglichkeiten kriegerischer Verwendung etwa die eines Doppelsöldners, eines Söldnerführers oder gar eines militärischen Unternehmers in größerem Stil; eine adlige Domäne stellte außerdem die neu strukturierte Reiterei dar55 • In der entstehenden Kavallerie galt auch einfacher Reiterdienst als standesgemäße Beschäftigung. Abgelehnt wurde vom Nachfahren ritterlicher Geschlechter eine Gleichsetzung von Kriegsdienst mit einem Handwerk. Sich als Kriegshandwerker zu verstehen, blieb dem Söldner überlassen, der anderen sozialen Schichten entstammte. Das Söldnertum, das sich nicht aus Ritterschaft bzw. Adel rekrutierte, war in seinen mannigfaltigen, sich über Jahrhunderte entwickelnden und erstreckenden Ausformungen Ergebnis und Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen. Zu ihnen zählten die Auswirkungen demographischer Ursachen und anderer Krisen auf wirtschaftliche Existenzmöglichkeit, deren Sicherstellung ebenso wie zunehmende Eingrenzung 55 Wohlfeil, Adel und Heerwesen (Anm. 1), 321 f.; Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13), bes. 69 f. u. 129 - 133.

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sozialer Mobilität zum Entschluß führen konnten, sich als Söldner zu verdingen, um seinen Lebensunterhalt nicht nur. durch den Sold, sondern vor allem auch durch Beute zu erlangen. Soziale Entwurzelung als Voraussetzung für Abkehr von jenem Stand, in den man hineingeboren worden war, ergab sich nicht zuletzt aus der zunehmenden Störung des Landfriedens durch das adlige Fehdeunwesen mit seinen katastrophalen Folgen für bäuerliche oder städtische Lebensführung. Gefördert wurde das Söldnerwesen durch fürstliches Bestreben, sich politisch und militärisch lehnsrechtlicher Beschränkungen zu entziehen und der wachsenden Unbotmäßigkeit von Vasallen begegnen zu können. Seine Grundlage und wesentliche Antriebskraft besaß das Söldnerwesen vor allem aber in der voranschreitenden geldwirtschaftlichen Entwicklung. Sie ließ Ablösungszahlungen für lehnsrechtliche Kriegsdienstverpflichtungen möglich werden, gestattete in zunehmendem Maße Zölle, Steuern und Abgaben zu erheben, eröffnete den Weg, über Anleihen und Kredite Söldner zu finanzieren. Besonders der wachsende Handelsverkehr erschloß über Kaufmann und Stadt Quellen der Geldbeschaffung, bahnte jene Verbindung von Kriegswesen und Kapital an, ohne die sich schon im späten Mittelalter kaum noch größere kämpferische Auseinandersetzungen beginnen oder gar durchhalten ließen. Selbst in jenen Jahrhunderten, in denen sich feudale Staats- und Heeresverfassung deckten, lehnsrechtlich organisierte Staaten also über ein strukturadäquates und zugleich funktionsfähiges Instrument zur Gewaltanwendung verfügten, ließ sich kaum ein Heer aufbringen, das im Gesamtverband auf nichtfeudale Söldnerische Elemente verzichtet hätte. Solange jedoch Ritter und Fußkämpfer vornehmlich in der Weise zusammenwirkten, daß dem Fußvolk nur unterstützende Aufgaben zufielen, verlor das Lehnskriegswesen nicht an zentraler Funktion. Die frühen Formen mittelalterlichen Söldnerturns paßten sich über den einzelnen in die Heeresverfassung ein. Eine Veränderung bahnte sich seit dem 12. Jahrhundert mit den ,Rotten' an. Als völlig ungebundene, frei verfügbare Söldnerverbände standen sie ebenso außerhalb der überlieferten Heeresaufbringung wie außerhalb der Staatsverfassung. Dennoch, durch die hoch- und spätmittelalterlichen Ausformungen des Söldnerwesens wurden weder Staatsverfassung noch Lehnskriegswesen entscheidend geschwächt. Dazu bedurfte es der Konfrontation mit Heeresverbänden, deren Verfassung Ausdruck eines anderen staatlichen und sozialen Gemeinschaftsverständnisses war als des überlieferten feudalen. Heere auf der Grundlage lehnsrechtlich zentrierten Aufgebots scheiterten an den Volksaufgebotsheeren der Schweizer und Hussiten. In

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diesen Kämpfen erwiesen sich moralische Kräfte, die infolge der vollen Übereinstimmung von Staats- und Heeresverfassung entbunden werden konnten, also Ausfluß der die Fußkrieger prägenden Gesellschaft waren, zunächst wichtiger als kriegstechnische Neuerungen. Die Schweizer besiegten habsburgische Ritterheere nicht mit ihrer erst später entwickelten, ihre Kampfesweise bestimmenden Langspießhecke, sondern mit der Hellebarde. Aus derartiger Deckung von Staats- und Heeresverfassung in den Schweizer Kantonen ging jene Fußvolktaktik hervor, die sich hergebrachter Kampfesweise auch dann überlegen erwies, als die Schweizer nicht mehr im Volksaufgebot unmittelbar um ihre Freiheit kämpften, sondern - vornehmlich als geschlossene und in sich genossenschaftlich aufgebaute Verbände - in den Dienst kapitalkräftiger Soldherren traten. Die Bereitschaft hierzu wurde nicht nur durch Sold und Aussicht auf Beute erweckt, sondern war wirtschaftlich begründet in der Übervölkerung der Kantone. Söldnerturn war gesellschaftlich legitimiert, stellte eine soziale Einrichtung dar, durch die der einzelne Schweizer grundsätzlich in verfassungsbezogener, von den Entscheidungen des Gemeinwesens abhängiger Einbindung und rechtlicher Abhängigkeit zu seinem heimatlichen Kanton verblieb, der über das ,Pensionen'-Wesen der Führungsgruppen wesentlich die Vertragsabschlüsse bestimmte. Zu ihren jeweiligen Vertragspartnern bestand seitens der Söldner weder ein politisch noch gar ethisch begründetes Verhältnis. Das Schweizer Söldnerturn erstreckte sich über Jahrhunderte, obgleich es seine besondere militärische Überlegenheit zu Anfang des 16. Jahrhunderts nach kriegerischen Niederlagen an die Landsknechte verlor und auch andere Qualitäten nachließen, die seinen Ruf und Ruhm begründet hatten. Vor allem für Frankreich stellten die Schweizer noch unter Napoleon I. Regimenter, aber ebenso für die Krone Spanien; ein Schweizer Regiment bildete im spanischen Dienst den Kern jenes Heeres, das den sieggewohnten Truppen des Kaisers der Franzosen 1808 bei BailE~n die erste schwere Niederlage zufügte58• Im 16. Jahrhundert wurde Söldnerturn nicht mehr mit den Schweizern, sondern vornehmlich mit den Landsknechten identifiziert. Sie entzogen sich im Unterschied zu den Schweizern und im Widerspruch zu entsprechenden Bemühungen Kaiser Maximilians I. einer dauerhaften, ,öffentlich-rechtlich' strukturierten politischen Bindung an Kaiser und Reich, an Obrigkeit und Volk. Nur in ihrer unmittelbaren Heimat sahen manche Landsknechte einen Bezugspunkt, den sie sich erhielten57 • Angeworben für deutsche ebenso wie für ausländische Soldse Rainer Wohlfeil, Spanien und die deutsche Erhebung 1808- 1814, Wiesbaden 1965, 18. 57 Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13), 209- 214.

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herren gingen diese Söldner ein zeitlich befristetes Dienstverhältnis ein, abgeschlossen durch einen - nach modernen Kategorien ,privatrechtlichen'- Vertrag, dessen Partner nicht der Kriegs- oder Soldherr, sondern Söldnerführer als sich formierende ,übernationale' soziale Gruppe militärischer Unternehmer mit betont geschäftlich-wirtschaftlichen Intentionen waren. Von vornherein waren beide Vertragsteile stark daran interessiert, Pflichten und Rechte in den ,Artikelbriefen' zu ihren Gunsten zu fixieren, besonders auch hinsichtlich der finanziellen Bedingungen: Die Landsknechte forderten, ausbleibende Soldzahlung als legitimen Grund anzuerkennen, sich ihren eingegangenen Verpflichtungen entziehen zu können. Derartiges Verhalten interpretierten die Soldherren als Meuterei, und im Laufe der Zeit erwiesen sie bzw. die militärischen Unternehmer sich insgesamt als stärker bei der jeweiligen Interessenvertretung. Die Bereitschaft von Männern und Frauen, sich unter die Landsknechte zu begeben, besaß mannigfaltige Ursachen. Objektive, wie der Bevölkerungsanstieg und die sich verstärkende Geldwirtschaft mit ihren sozialen Folgen, verbanden sich mit subjektiven, wie Freude am Kampf und Sehnsucht nach ungebundenem Leben, Abenteuerlust und Hoffnung auf lebensunterhaltssichernden Gewinn über Kriegsbeute. Auf ihre, im Vergleich zum früheren Söldnertum, abgehobenen Erscheinungsformen bis hin zur historiegraphischen Folgerung, sie seien der Prototyp des positiven deutschen Söldnerturns gewesen58, kann hier nur insofern eingegangen werden, wie sie im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Staats- und Heeresverfassung stehen. Wichtig erscheint, daß sich die Landsknechte aus allen Bevölkerungsschichten rekrutierten, also keineswegs nur aus Freien, die ihre Waffen mitbrachten59 • lnfolge dieser heterogenen sozialen Herkunft durchbrach das Söldnerwesen die ständische Gesellschaftsgliederung, stand es neben der überlieferten Sozialordnung und formierte außerständisch erscheinende Sozialkörper. Nach außen verstanden sie sich als ein ,Orden der frommen Landsknechte', nach innen war jedoch ein Söldnerheer ebenfalls differenziert strukturiert, umschloß neben den eigentlichen Landsknechten mit ihrem landläufig bekannten männlichem und weiblichem Gefolge in Marketenderei und Troß so unterschiedliche Funktionsträger wie die Büchsenmeister mit ihren Gehilfen60 oder die Schanzgräber61 • Landsknechte waren keine Gemeinschaft gesellschaftlich Gleichgestellss Vgl. z. B. die einschlägigen Ausführungen in der Deutschen Heeresgeschichte, hg. von Karl Linnebach, Berlin 1935. su Baumann, Söldnerwesen (Anm. 13), 84- 89, bes. 85 u. 283. eo Ebd. 155 - 164. u Ebd. 164- 167.

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ter, sondern gekennzeichnet durch soziale Abstufungen und hierarchische Gliederung mit allen sich hieraus ergebenden Spannungen und Konflikten°2 • Für den Söldner bestanden zwar grundsätzlich Chancen, im Rahmen horizontaler und vertikaler Mobilität seine Einstiegslage zu verändern, seinen Status zu verbessern, eine höherwertige Position zu erringen, aber sie zu verwirklichen war nur begrenzt möglich. Sie umzusetzen blieb weitgehend abhängig von den Voraussetzungen, die der einzelne einbrachte- mit anderen Worten: auch bei den Landsknechten wirkten sich überlieferte ständische Sozialstruktur und gesellschaftliche Privilegien aus. Außerdem - mochte sich der einzelne Landsknecht noch so befreit fühlen von den Zwängen des hergebrachten bäuerlichen oder städtischen Lebens, als Söldner war er nur eine ,militärische Arbeitskraft' (Fritz Redlich). Als militärische Arbeitskraft ,ausgebeutet', besaß der Söldner nach dem Auslaufen seines Vertrags keinerlei Ansprüche gegenüber dem bisherigen Soldherrn, wurde er arbeitslos als ,gartender' Landsknecht zur eigentlichen und unmittelbaren Belastung seiner Zeitgenossen. Ihnen offenbarte das Garten drastisch die Auflösung jenes gesonderten Seins-Verhältnisses, das ein Söldnerverband zuvor als soziale Gruppe am Rande oder außerhalb der staatlichen Ordnung einer kriegführenden Obrigkeit eingenommen hatte. Derartige Sonderstellung wurde im Schrifttum des 16. Jahrhunderts mit der Bezeichnung ,Staat der Landsknechte' erfaßt, nicht zu interpretieren als ,Staat im Staat', sondern verstanden vornehmlich als begrifflicher Ausdruck der spezifischen, gewissermaßen außerstaatlichen Rechtsordnung im Regiment als Zusammenfassung von legislativer, exekutiver und richterlicher Gewalt sowie militärischer Verwaltung und natürlich Führung in der Hand eines hohen Söldnerführers63 • Ergänzt wurde diese rechtliche Selbständigkeit dadurch, daß ein Landsknecht-Regiment zugleich einen eigenständigen Wirtschaftsverband darstellte. Die Eigenständigkeit von Landsknechtsverbänden vermittelte einerseits der Obrigkeit im Kriegsfall ein schlagkräftiges militärisches Instrument. Sie offenbarte andererseits, daß sie ihre instrumentale Rolle weitgehend außerhalb einer Staatsverfassung als Fremdkörper spielten, dem Kriegführenden durch einen Vertrag verbunden über militärische Unternehmer, deren vertragsgerechtes Verhalten allenfalls über Musterungs- oder Kriegskommissare kontrolliert werden konnte. Staats- und Heeresverfassung deckten sich nicht, ihr Verhältnis war Ausdruck einer Übergangszeit, in der seitens des sich entfaltenden frühmodernen Ebd. 133 - 150. Vgl. die einschlägigen Passagen bei Möller, Regiment der Landsknechte (Anm. 12). 62

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Staates noch keine spezifischen Mittel gefunden waren, das Söldnerturn als nunmehr zentral das Kriegswesen bestimmendes Element in die öffentlich-rechtliche Ordnung einzufügen. Doch gerade diese Eigenständigkeit des jeweiligen kriegerischen Instruments beeinflußte nachhaltig die Staatsverfassung, weil es nur solange uneingeschränkt zur Verfügung stand, wie sein Kriegsherr vertragsgemäß den Sold zahlte. Söldnerwesen und Geldwirtschaft bedingten sich gegenseitig, standen in einer Wechselwirkung. Die Kriegführung mit Söldnern war einer der Faktoren, die den Finanzbedarf des frühneuzeitlichen Staates erheblich steigerten, seine militärische Handlungsfähigkeit zunehmend abhängig werden ließen von Steuern, Krediten und Kapitalmarkt. Anleihen zu erhalten, setzte Kreditwürdigkeit voraus. Sie wurde erheblich geprägt von der Fähigkeit, den Zinsen- und Schuldentilgungsdienst zu gewährleisten. Dies bedurfte der Mitwirkung sowohl jener sozialen Gruppen, die durch die Lehnsverfassung Recht und Verpflichtung zu ,Rat und Hilfe' besaßen, als auch jener, die über finanzielle Mittel größeren Ausmaßes verfügten, der Städte. Über das Steuerbewilligungsrecht entfalteten sich Ständewesen und dualistischer Ständestaat, seine Entwicklung vollzog sich zugleich in Wechselwirkung zum Aufkommen des Söldnerwesens. Obgleich der freie Söldner dem Staat nicht dauerhaft verbunden war, förderte diese Heeresverfassung den Ausbau der frühneuzeitlichen Staatsverfassung. lU. Um abschließend die einleitend gestellte Frage aufzugreifen, ist auszugehen vom Ergebnis der Forschungs- und Literaturanalysen", daß die geschichtswissenschaftliehe Arbeit der zurückliegenden zwanzig Jahre zwar einzelne neue Erkenntnisse und Korrekturen zum seinerzeitigen Forschungsstand erbracht hat, aber keine grundlegend neuen Aussagen. Bei manchen Beiträgen fällt auf, daß aufgenommene Abbildungen nicht als Quellen begriffen und entsprechend methodisch genutzt, sondern mehr im Sinne schlichter Bebilderung eingebracht wurden. Hier wäre zumindest ein sachbezogener Kommentar zu fordern. Darüber hinaus erweist es sich als dringend geboten, die traditionellen Quellengrundlagen durch systematische Auswertung bildlieber Materialien zu erweitern85 • Vor allem Auer, Mittelalterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7). Außer Wohlfeil, Landsknechts-Bild (Anm. 14), vgl. auch Auer, Mittel'a lterliche Kriegsgeschichte (Anm. 7), 452 f. Hierzu methodische Uberlegungen bei Rainer Wohlfeil, Das Bild als Geschichtsquelle (=Referat 57. Deutscher Archivtag, Hannover 1985), demnächst in HZ. 84 &5

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In den eigenen seinerzeitigen militärgeschichtlichen Ansatz waren schon jene Aspekte einbezogen worden, die dem später formulierten Verständnis von sozialgesellichtlicher Betrachtungsweise zugrundeliegen, jedoch läßt sich nicht übersehen, daß sich in ihrer historischen Gewichtung Verschiebungen ergeben haben. Stärker als damals erscheint zu betonen notwendig, daß die Entwicklung der Heeresverfassungen von den sozialen Gegebenheiten abhängig war, bedingt vor allem in gesellschaftlichen Veränderungen. Sie standen in einer Wechselwirkung mit dem Wiederaufkommen und der zunehmenden Entfaltung geldwirtschaftlicher Beziehungen. Ihr Einfluß auf das Kriegswesen erweist sich als ein wesentlicher Faktor, den herauszuarbeiten es weiterer quellenbezogener Analysen bedarf. Sie sind als eine zentrale Aufgabe zukünftiger militärgeschichtlicher Forschung anzusehen, obwohl in ihrem Mittelpunkt weiterhin der Mensch in allen seinen kriegsbezogenen Lebensbereichen zu stehen hat.

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jahrhundert Von Winfried Schulze, Bochum Die klassische Frage nach dem Zusammenhang von "Staatsverfassung und Heeresverfassung" - um die Formulierung Otto Hintzes aufzugreifen, die auch dieser Tagung als Leitfrage dient1 - ist gerade für den Zeitraum des 16. und 17. Jahrhunderts von besonderem Interesse. Scheint sich doch hier in einem eindeutigen Prozeß der frühmoderne Staat nach einer Zwischenphase der Söldnerheere im stehenden Heer die ihm adäquate Form der Mobilisierung von bewaffnetem Potential zu schaffen. Damit erhält der Landesfürst ein seiner Stellung angemessenes, ihm allein verfügbares Machtmittel, das Befriedung innerer Konflikte und eine aktive Politik nach außen ermöglicht. Eine solche naheliegende Betrachtungsweise kollidiert freilich mit der historischen Wirklichkeit, die erheblich vielfältiger ist als der angedeutete Übergang zum stehenden Heer. So wie die Durchsetzung eines absoluten Landesfürstentums in den deutschen Territorien nur teilweise gelingt und beachtliche Reservate ständischer Kompetenz bestehen bleiben läßt, so zeigt sich auch im Bereich der Heeresorganisation ein kompliziertes Mischungsverhältnis feudaler Relikte, kapitalistischer Ansätze und modern-staatlicher Organisationsversuche, immer wieder geprägt durch den sich tendenziell abschwächenden landesfürstlich-ständischen Dualismus. Dem so umrißhaft charakterisierten Kriegswesen des 16. und 17. Jahrhunderts und seiner speziellen Variante der Defensionswerke gelten die folgenden Beobachtungen. Unter "Defensionswerken"/ "Landesdefensionen" verstehe ich dabei eine umfassende Organisation der bewaffneten Untertanen und der adeligen Reiterei in einem Territorium, wobei als besonderes Charakteristikum die militärische Ausbildung und Einübung eines qualifizierten Teils der Untertanen angesehen wird2 • Sich mit diesen Landesdefensionssystemen des 16. und 17. J ahrhunderts zu beschäftigen, heißt, einem Gegenstand näherzutreten, der in der militärhistorischen und historischen Forschung eine durchaus kontro1 Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1 (Staat und Verfassung), 2. Aufl. Göttingen 1962, 52- 83. 2 Vgl. die Charakterisierung des Defensionswesens von Gerhard Papke, in: Handbuch der deutschen Militärgeschichte Bd. 1, Abschn. 1, München 1979, 66.

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verse Bewertung erfahren hat. Erschienen sie aus der Perspektive absolutistischer Machtpolitik als hemmende und militärisch unwirksame Einrichtungen, als bedeutungsloser Verlegenheitsschritt auf dem Weg zum stehenden Heer des Absolutismus, so bedeuteten sie für Historiker auf der Suche nach den Wurzeln der allgemeinen Wehrpflicht einen wesentlichen Entwicklungsschritt. Während Georg von Below 1915 im Bewußtsein des Streits um Landwehr und Linienheer allen jenen Verteidigern der Landwehr empfohlen hatte, doch einmal die Akten der Landesdefensionen des 16./17. Jahrhunderts zu lesen, um zu sehen, daß "der friedliche Bürger nicht zum Kriegsdienst tauge" 3 , wurde 1939 ein Lazarus von Schwendi zum "ersten deutschen Verkünder der allgemeinen Wehrpflicht", wie es Eugen von Frauenholz formulierte, der gerade aus diesem Interesse heraus in seiner "Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens" die Institution der Landesdefensionen zum erstenmal breit dokumentierte4 • Es ist nun für die neuere Forschung in der Bundesrepublik bestimmend geworden, daß die Verbindung zwischen frühneuzeitlichem Defensionssystem und allgemeiner Wehrpflicht keine wesentliche Rolle mehr gespielt hat. Vielmehr ist durch die Einordnung des Defensionswesens in die Geschichte des werdenden Territorialstaates einerseits und in die militärwissenschaftliche und allgemeine Geistesgeschichte andererseits eine Forschungsorientierung gewonnen worden5 , die uns eher• in die Lage versetzt, zu einer angemessenen historischen Würdigung des Landesdefensionswesens zu gelangen. Denn - und dies soll festgehalten werden- es herrscht keineswegs Klarheit über die Gründe für die Ausbildung dieser Systeme in einer ganzen Reihe deutscher Territorialstaaten, über ihre sozialgeschichtlichen Auswirkungen und über ihren Erfolgswert im Rahmen der Militärgeschichte. Die Frage soll gestellt werden, ob es sich bei den Defensionswerken dieser Zeit nur um ein vorübergehendes Phänomen oder um das Antizipieren einer neuen Idee handelte, die sich zwar unter den Bedingungen des 16./17. Jahrhunderts . ·noch nicht entfalten konnte, die gleichwohl aber in ihrer grundsätzlichen, engen Verbindung von Staatsbürgern und Defensionssystem ein modernes Element darstellte. Angesichts des beachtlichen Forschungsstandes s Georg von Below, Das deutsche Heereswesen in alter und neuer Zeit, in: ders., Vom Mittelalter zur Neuzeit. Bilder aus der deutschen Verfassungsund Wirtschaftsgeschichte, Leipzig 1924, 98. 4 Vgl. Eugen von Frauenholz, Lazarus von Schwendi. Der erste deutsche Verkünder der allgemeinen Wehrpflicht, Harnburg 1939 und ders., Das Heerwesen in der Zeit des 30jährigen Krieges, 2. Teil: Die Landesdefensionen (Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens 3, 2), München 1939. 6 Dazu vor allem die einschlägigen Arbeiten von Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969 und die Ausführungen von Rainer Wohlfeil, Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1 (1967), 21 - 29.

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jh.

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auf diesem Gebiet - charakterisiert sowohl durch neuere Spezialstudien wie Zusammenfassungen- soll es bei dieser, durch das Tagungsthema vorgegebenen Behandlung des Themas vor allem um eine Einordnung der Defensionswerke in den Gesamtverlauf der frühneuzeitlichen Militärgeschichte gehen. Wir wissen heute, daß militärische Institutionen nicht mehr allein Gegenstand organisationsgeschichtlicher Untersuchungen sein können, wenn sie als historische Phänomene gewürdigt werden sollen. Es bedarf in unserem Fall einer ständigen Einordnung in die Geschichte des frühmodernen Staates, seiner Institutionen, Interessen und Konflikte, der allgemeinen Sozialgeschichte der Epoche und schließlich vor allem der Finanz- und Steuergeschichte dieser Zeit, um die Vorbedingungen der jeweiligen Entwicklungsschritte im System des bewaffneten Potentials eines Staates zu ermitteln. Erst vor diesem Hintergrund scheint es möglich, eine Würdigung der Defensionswerke vornehmen zu können, die in ihrer schon angesprochenen eigentümlichen Verbindung von Elementen der Feudalordnung, des modernen Staates und des bürgerlichen Zeitalters gewissermaßen ein klassisches Exempel der Epoche der frühen Neuzeit, dieser Epoche des Übergangspar excellence, abgeben. Im folgenden will ich zunächst nach den reichsrechtlichen und territorialen Voraussetzungen der Defensionswerke fragen (1), will dann auf die historische Situation im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert zu sprechen kommen, die den Nährboden für die Landesdefension bildete (2). Danach sollen ihre reale Verbreitung in den Territorien des Reiches, ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund und ihre sozialgeschichtlichen Wirkungen geschildert werden (3). Abschließend soll die Frage nach Erfolg und Mißerfolg der Defensionswerke und nach ihrer historischen Bedeutung gestellt werden (4).

I. Wir befinden uns in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts, die auf territorialer Ebene durch den Aufbau zentraler Institutionen, ein intensiviertes Steuersystem und den mehr oder weniger stark spürbaren Gegensatz von Landesfürst und Landständen geprägt ist. Auf der Ebene der Reichspolitik ist diese Zeit durch den langfristigen Aufbau konfessioneller Spannungen und den Kampf gegen die türkische Bedrohung charakterisiert6 • Im engeren Sinne unseres Themas ist bedeutsam, a Für den territorialgeschichtlichen Rahmen verweise ich auf Gerhard Oestreich, Ständeturn und Staatsbildung, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Anm. 5), 277 - 289. Für den reichsgeschichtlichen Hintergrund besonders des späteren 16. Jahrhunderts verweise ich auf Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den

politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978.

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Winfried Schulze

daß mit der Reichsexekutionsordnung von 1555 definitiv die Landfriedenswahrung auf die Territorien übergegangen ist, wenn auch unter der organisatorischen Hilfe der Reichskreise. Entscheidend wird dabei die Bestimmung der Exekutionsordnung (§54), daß "ein jeder Churfürst, Fürst und Stand in guter Bereitschafft sitze, auch in seinen Fürstenthumen ... , solche embsige Versehung thue, daß er und die Seinen dannoch dermassen gefast, damit sie sich unversehens Uberfalls selbst etwas zu entschütten, und sich ein jeder dermassen mit den seinen anzustellen und in die Sache zu richten, auf daß er und die seinen in solchen Nothfällen zusammen laufen und gegen die Versammlungen eines jeden Kriegs-Volcks seinen Genachbarten fürderliehe und fürträgliehe Rettung leisten und hinwieder von anderen tröstlichen Beystand und Entsatzung erwarten möge" 7 • Diese Bestimmung war als defensive Anordnung gegen machtpolitisch eingesetzte Söldnerheere und die damit verbundenen Belästigungen formuliert und zielte damit genau in das Zentrum der Problematik, die zum Aufbau der Landesdefensionen führte. Die Reichsstände wollen sich gegen die von Soldtruppen ausgehenden Gefahren sichern und greifen dafür auf die älteste Möglichkeit zurück, die Landfolge. Damit werden die beiden prinzipiellen Möglichkeiten der Heeresaufbringung angesprochen, die damals überhaupt zur Verfügung standen. Einmal das Söldnerheer, dessen breite Verwendung im 16. und 17. Jahrhundert noch Otto Hintze zu der Formulierung bewog, daß "die Anfänge der neuzeitlichen Heeresverfassung sich außerhalb der Staatsverfassung gebildet" hätten, also gewissermaßen auf privatwirtschaftlicher Basis8 • Zum andern war dies die alte Landfolge aller Untertanen in den ländlichen Gebieten und die Pflicht zur Verteidigung der Stadt durch ihre Bürger. Gerade diese Landfolge, die Otto Brunner für die Österreichischen Länder treffend herausgearbeitet hat9 , ist ein wesentlicher Bestandteil der neuen Defensionssysteme, die im späten 16. Jahrhundert entwickelt werden. Dies gilt einmal für die Tatsache, daß es praktisch immer wenn auch in rudimentärer Form - die Landfolge und die auf dieser Grundlage erstellten Aufgebote gegeben hatl 0 • Insofern erfolgt hier in der Landesdefension - wie zuweilen zu lesen - kein Rückgriff auf 7 Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede, Frankfurt/Main 1747 (ND Osnabrück 1967), Th. III, 25 (§ 54). s Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung (Anm. 1), 68. 9 Otto Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Osterreichs im Mittelalter, Wien 1965, 273 ff. to Vgl. dazu etwa Schnitter, Volk und Landesdefension (Anm. 23), 39 ff. und das Beispiel Steiermark bei Winjried Schulze, Landesdefension und Staatsbildung. Studien zum Kriegswesen des innerösterreichischen Territorialstaates (1564- 1619), Graz-Wien-Köln 1973, 47 ff. Die einschlägigen bayerischen Mandate bei Frauenholz, Entwicklungsgeschichte (Anm. 20), Beilage I - IV, 151 - 155.

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jh.

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germanische Verhältnisse des allgemeinen W affendienstes, sondern auf die traditionelle Landfolge. Die Besonderheit der neuen Entwicklung des späten 16. Jahrhunderts scheint mir - neben der neuen Stufe staatlicher Organisation - darin zu liegen, daß das neue Defensionssystem - im Prinzip jedenfalls und von noch zu behandelnden Sonderfällen abgesehen - die ältere feudale Landfolge territorialisiert, d. h. alle Untertanen werden als Untertanen des Landes aufgeboten, ohne Rücksicht darauf, ob sie Untertanen des Kammerguts und des Klerus oder ob sie adelige Untertanen sind. Dieser Vorgang ist dort unproblematisch, wo entweder der Landesherr zugleich allein Grundherr oder doch der bedeutendste Grundherr ist (Nassau-Dillenburg z. B. als Kleinterritorium11) oder wo das Landesfürstentum unangefochten seine Machtstellung gegenüber dem Adel ausbauen kann (z. B. Bayern12) oder wo die äußeren Umstände die Verschmelzung landesfürstlicher und adeliger Untertanenverbände erleichtern (z. B. Steiermark13). Er ist mit offensichtlichen Schwierigkeiten dort verbunden, wo der Adel sich seiner Mediatisierung in militärischer Hinsicht widersetzt und auf der Reispflicht seiner Untertanen beharrt, so wie er auf seinem Steuerbewilligungsrecht besteht. Als Beispiele dafür können die Kurpfalz, Kursachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel angeführt werden, wo es dem Herzog bei der Einführung des Exercitium militare 1605 zunächst nicht gelang, alle Untertanen des Adels in diese neue Organisation einzubeziehen, weil der Adel auf seine autonomen Rechte pochte. In Kursachsen stellten 93 000 kurfürstliche Untertanen (Städte und Ämter) ca. 9 000 Mann Fußvolk, während aus 47 000 adeligen Untertanen nur 1 500 Schanzgräber ins Defensionswerk einbezogen werden konnten14• Diese Unterschiede zeigen, daß es sich bei den Landesdefensionseinrichtungen des späten 16. Jahrhunderts um ein Einschmelzen ehemals lehnsrechtlicher Pflichten in eine neue territorialstaatliche Fassung handelte, die zudem durch die Reichsgesetzgebung nicht nur ermöglicht, sondern in gewisser Weise verlangt wurde. Diese Interpretation wird auch nahegelegt durch ein Rechtsgutachten aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts, das bislang unbekannt geblieben 11 Vgl. Karl Wolf, Aufbau eines Volksheeres in den Gebieten der Wetterauer Grafenkorrespondenz zur Zeit der Grafen Johann des Alteren und Johann des Mittleren von Nassau-Dillenburg, Wiesbaden 1937. 12 Vgl. Eugen von Frauenholz, Die Eingliederung von Heer und Volk in den Staat in Bayern 1597- 1815, München 1940. 13 Vgl. Schulze, Landesdefension (Anm. 10), 191 ff. und 206 ff. 14 Vgl. hier die einschlägigen Bemerkungen bei Rolf Naumann, Das kursächsische Defensionswerk (1613- 1709), Leipzig 1917; Karl Wolf, Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Kurpfalz um 1600, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins NF 50 (1937), 638 - 704 und Georg H. M ü ller, Das Lehns- und Landesaufgebot unter Heinrich Julius von BraunschweigWolfenbüttel, Hannover und Leipzig 1905.

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ist und so für die Diskussion um die Rechtsgrundlage der "neuen" Landesdefensionen nicht genutzt werden konnte. Es handelt sich dabei um ein Gutachten des Juristen Gerhard Buxtorf über die von zwei Grafen gestellte Frage, ob die Durchführung von Musterungen der Untertanen, die Einrichtung und Einübung eines "Ausschusses" erlaubt sei, und ganz allgemein, wie weit sich die Verpflichtung der Untertanen zur Verteidigung des Vaterlandes erstrecke. Aus den Abkürzungen des gräflichen Geschlechts und der Stadt ihres Territoriums läßt sich kein Anhaltspunkt auf das wirkliche Territorium gewinnen, während der Zeitpunkt der Abfassung im Jahre 1614 liegen muß. Das Gutachten kreist um das von der Stadt kontestierte Recht der Grafen zur Durchführung aller Maßnahmen der Landesdefension. Das Gutachten erbringt nicht nur die Rechtmäßigkeit aller einschlägigen Maßnahmen als "der Hohen Landes Ober Regalien und Herligkeit anhängig" und da "einem jeden Fürsten und Graffen und Herrn in seinem territorio eben der Gewalt und Macht, so dem Kaiser im Reich gebüret, heutiges Tags zu geniessen". Diese Rechtslage wird nicht nur auf die schon erwähnte Reichsexekutionsordnung zurückgeführt, sondern auch auf eine Reihe von Bestimmungen der Reichsgesetzgebung etwa zum Landfrieden - vor allem des frühen 16. Jahrhunderts. Im Verlauf dieses Gutachtens, dessen vielschichtige Problematik hier nur ausschnitthaftwiedergegeben werden kann, wird auch deutlich gemacht, daß die Neueinrichtung des Ausschusses und der Musterungen von der Rechtslehre nicht als Neuerung, sondern als Wahrnehmung der Generalverpflichtung des Landesfürsten zum Schutz seiner Untertanen betrachtet wird. Auch wird die Verpflichtung der Untertanen zur Verteidigung des Landes herausgestellt und keineswegs nur den adeligen Lehensträgern zugewiesen. Darüber hinaus zeigen die Nachweise des Gutachtens, daß an der breiten Diskussion und Befürwortung der deutschen Defensionssysteme kein Zweifel bestehen kann, da "manniglich unverporgen, daß es ein gemeinnütziges und hochnothwendiges Werck sey, daß Fürsten, Graffen und Herrn, zu Schutz und Schirm ihrer von Gott anbefohlener Land und Leut, von etlichen zum Streit tauglichen und qualifizierten personen einen ausschuß anzustellen und diselbe in Drillen, scharmützeln und anderen militaribus exercitiis üben und anführen lassen .. . inmassen darzu nicht allein die Politici und Juristen rathen" 15 • u Das Gutachten findet sich in: Fasciculus sive decas consultationum insigniorum ad materiam contributionem principaliter pertinentium, Frankfurt/ Main 1676, 12 - 42, hier vor allem 12 - 24. Es behandelt einen Rechtsstreit zwischen den Grafen zu W. und der Stadt C., in dem bereits ein Gutachten der Juristenfakultät Giessen vorlag. Buxtorf stützt sich in seinen Ausführungen sowohl auf antike Autoren (Vegetius) als auch auf die zeitgenös-

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jh.

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ß. Während diese rechtliche Betrachtungsweise relativ stark die Kontinuität zu früheren Einrichtungen betont, muß jetzt auf die Besonderheiten der neuen Defensionswerke hingewiesen werden, auf ihren historischen Ort im Lauf des 16. Jahrhunderts. Militärgeschichtlich ist die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts in Deutschland eine Epoche der Soldtruppen. Obwohl gerade in den Österreichischen Erblanden eine ungebrochene Kontinuität in der Verwendung der Landesaufgebote bestand (erinnert sei nur an das Innsbrucker Libell von 1518), werden die europäischen wie die innerdeutschen Konflikte in der Zeit Maximilians I. und Karls V. mit geworbenen Truppen ausgefochten. Deutschland wird zu einem der Hauptlieferanten europäischer Söldnerheere, schlaglichtartig mag das sichtbar werden, wenn wir hören, daß deutsche Söldner 1549 den Aufstand englischer Untertanen bei Norfolk, die sog. Kett's Rebellion, niederschlagen. Trotz aller möglichen Versuche, dieses Söldn~rwesen zu ordnen und für die Bevölkerung ertragbar zu machen, zeigen uns die stereotyp wiederholten Mandate gegen gartende Knechte, welche sozialen Folgelasten die abgedankten Heere den Territorien auferlegten16. Hinzu kommt, daß die Soldtruppen außerordentlich teuer waren. Wir wissen, wie sehr gerade Maximilian I. und Karl V. mehrfach die Mißlichkeit gespürt haben, ohne Geld ihren Soldtruppen ausgeliefert zu sein. Für die deutschen Landesfürsten verbot sich die Anwerbung von Söldnern außer in Fällen wirklicher Landesnot aus finanziellen Gründen. So finden wir in den deutschen Territorien des 16. Jahrhunderts- von der Besatzung einiger Festungen und Wachtsoldaten einmal abgesehen keine ständigen Truppenkörper. Als Alternativen für den Defensionsfall standen teure Werbungen auf der einen und das alte Lehnsaufgebot auf der anderen Seite zur Verfügung. Letzteres war jedoch militärisch kaum brauchbar, da der Adel die Stellung der Ritterpferde oder Gültpferde zwar als adeliges Vorrecht bewahrte, in der Realität aber wenig Neigung für den militärischen Einsatz empfand, ja sich oft auch als ungeeignet bezeichnete. Man braucht nur die Briefe zu lesen, die die Lehnssischen Konsiliensammlungen und die einschlägigen Werke der Politik (Justus Lipsius, Giovanni Botero, Henning Arnisaeus). In diesem Zusammenhang soll noch darauf hingewiesen werden, daß für die Politikwissenschaft des späten 16. und 17. Jahrhunderts kein Zweifel daran bestand, daß der einheimische Soldat dem Söldner vorzuziehen sei (z. B. Adam Contzen, Dietrich Reinkingk). 16 Als Beispiel vgl. Eugen von Frauenholz, Entwicklungsgeschichte des deutschen Heereswesens, Bd. 3/1 (Das Söldnertum), München 1938, 260 - 262 (Brandenburgisches Edikt von 1620 ,.wider das Herumlauffen und Plackereyen der neugeworbenen Soldaten und was denen gardenden Knechten gegeben werden soll").

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leute des Bischofs von Augsburg 1605 schrieben, als dieser den Versuch machte, seine Lehnträger gegen die aufständischen Bauern im Allgäu zu mobilisieren, um zu erkennen, wie obsolet diese Organisationsform geworden war17 • In dieser militärisch-finanziellen Zwangslage deutscher Territorialfürsten tauchte im späten 16. Jahrhundert der Gedanke auf, ein neues Defensionssystem zu entwickeln, das auf den eigenen Untertanen basierte, freilich nicht als bloßes Wiederaufgreifen des alten Aufgebots, sondern als Mobilisierung eines ausgewählten Teils der Untertanen, der durch besondere Bewaffnung und Übung für den Kriegsfall qualifiziert werden sollte. Es läßt sich m. E. zeigen, daß die Überlegungen zum Rückgriff auf die Untertanen, die in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts von verschiedenen Schriftstellern entwickelt wurden, ihren Ausgangspunkt in der älteren Aufgebotspraxis nahmen. Unter dem Druck der türkischen Bedrohung werden die habsburgischen Erbländer zu den ersten Stationen des neuen Defensionssystems. Lazarus von Schwendi, der sich als kaiserlicher Feldhauptmann im Kampf gegen die Türken einen Namen gemacht hatte, äußerte sich in den 60er und 70er Jahren mehrfach zur Frage: "Wie man gegen den Türken kriegen solle". Schon 1547 hatte er sich publizistisch gegen den Betrug bei der Musterung gewandt, 1566 findet sich dann die erste Forderung zum Einsatz der Untertanen bei der Verteidigung des Reiches gegen die Türken, mehrfach wiederholt in den Denkschriften von 1566, 1570 und systematisiert im großen "Kriegsdiskurs" von 157718• Dies stellte eine klare Abkehr von der bislang gültigen Theorie dar. Bis dahin galt, was Reinhard von Solms noch 1559 in seiner "Kriegsregierung" geschrieben hatte, wo er vor dem militärischen Einsatz eigener Untertanen gewarnt hatte19• Schwendi schrieb in voller Kenntnis der Österreichischen Aufgebote und zum Teil sogar direkt für entsprechende Beratungen der drei innerösterreichischen Länder Steiermark, Kärnten und Krain. Er vermittelte vermutlich auch die habsburgischen Erfahrungen - wie Gestreich annahm - in den elsässischen Raum, wo sich im Landrettungsvertrag von 1572 die Staatsarchiv Neuburg/Donau, Lehen und Adel, Akten Nr. 1980. Vgl. Frauenholz, Lazarus von Schwendi (Anm. 4), wo die Denkschriften Schwendis abgedruckt sind. Der Titel der hier wichtigsten Schrift ist: "Herr L. v. Sch. Rathschlag, wie sowol der Adl alß der gemaine man zue der Reittery und Kriegswesen abgericht und unterhalten werden soll (ebd. 70 - 90). Ergänzend dazu Schulze, Landesdefension (Anm. 10), 198 ff. Die Literatur über Schwendi ist beachtlich umfangreich, ohne daß bislang eine adäquate Würdigung dieses Mannes verfügbar wäre, die literarische, politische und militärische Aspekte seiner Tätigkeit gleichmäßig beachten würde. 19 Gerhard Oestreich, Zur Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 - 1800. Ein Versuch vergleichender Betrachtung, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Anm. 5), 290- 310, hier 296. Für die ältere Literatur sei auf diesen grundlegenden Aufsatz verwiesen. 11

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Stände zur Ausbildung und Bewaffnung ihrer Untertanen verpflichteten. Vergleichbare Überlegungen mit starkem Bezug auf italienische Beispiele entwickelte auch der Freiherr Hans Albrecht von Sprinzenstein in einer Denkschrift für Herzog Wilhelm V. von Bayern20 •

111. Wenn i. f. eine kurze Einordnung der sog. nassauisch-oranischen Heeresreform gegeben werden soll, so kann hier nicht auf alle Aspekte dieser Bewegung eingegangen werden, die von einigen Autoren als Kernstück einer europäischen "militärischen Revolution" (so J. M. Roberts, auch W. Hahlweg, kritischer zuletzt dazu G. Parker) gesehen worden ist21 • Für unseren Einblick in die historische Situation ist von Bedeutung, daß vor allen Dingen seit der Herausbildung einer Gruppe calvinistisch orientierter Reichsstände nach der endgültigen Ablehnung der Freistellungsforderung auf dem Reichstag von 1576 in verstärktem Maße das Problem einer militärischen Absicherung dieser bedrohten Gruppierung notwendig wurde. Hinzu kam, daß die kleinen Grafschaften im hessischen Raum durch die dynastischen Verbindungen zu den Niederlanden, ihre Verwicklung in den Kölner Krieg und durch ihr programmatisches Eintreten für die Freistellungsbewegung besonders gefährdet waren. Unter diesen Bedingungen und unter dem Eindruck der Hugenottenkriege in Frankreich kam es im Gebiet der Wetterauer Grafen seit dem Beginn der BOer Jahre zur Bildung eines gemeinsamen Landrettungsvereins22 , der auch auf der Verwendung der Untertanen beruhte. Die Vorgänge in den Grafschaften - besonders in NassauSiegen, wo Johann VI. und sein Sohn Johann VII. sich besonders intensiv um die Realisierung dieser Defensionspläne bemühten - sind bekannt und seit Max Jähns inzwischen mehrfach geschildert worden23 • 20 Vgl. Eugen von Frauenholz, Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens, Bd. 3, 2: Die Landesdefension, München 1939, 37-46. Bei diesem Werk handelt es sich um die insgesamt ausführlichste Sammlung von Quellen zur Geschichte der deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jahrhundert. 21 Vgl. Michael Roberts, The Military Revolution, Belfast 1956; Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier. Das Kriegsbuch des Johann von Nassau-Siegen, Wiesbaden 1973 und zuletzt Geoffrey Parker, The "Military Revolution" - 1560- 1660 - a Myth?, in: Journal of Modern History 48

(1976), 195 - 214.

22 Dazu die Dissertationen von Lothar Paul, Nassauische Unionspläne. Untersuchungen zum politischen Programm des deutschen Calvinismus im Zeitalter der Gegenreformation, Phi!. Diss. Münster 1966 und Ralf Glawischnig, Niederlande, Calvinismus und Reichsgrafenstand 1559- 1584. Nassau-Dillenburg unter Graf Johann VI., Marburg 1973. 23 Vor allem die Arbeiten von Wolf, Oestreich und Glawischnig sind hier zu nennen. Vgl. Papke, Handbuch der deutschen Militärgeschichte (Anm. 2), Bd. 1, 83 ff. und Helmut Schnitter, Volk und Landesdefension. Volksaufgebote, Defensionswerke, Landmilizen in den deutschen Territorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 1977, 114 ff.

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Es entsteht das Bild eines militärischen Musterstaats bis hin zu jenem Manöver im Herbst 1592, in dem der nassauische und solmsische Ausschuß nahe bei Dillenburg ihre Fähigkeiten zu beweisen versuchten, wobei die Manöverlage davon ausging, daß das durch den Türkenkrieg gebundene Reich von Truppen entblößt sei und dann von spanischen Truppen angegriffen werde. Alle diese militärischen Reformmaßnahmen · - und hier scheint ein erster wesentlicher Unterschied zu Schwendi zu liegen - wurden Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und intensiver Diskussion mit befreundeten Fürsten, so daß der kriegswissenschaftliche Nachlaß des Grafen Johann einen beachtlichen Umfang aufweist, von dem die Hahlweg'sche Edition bewußt nur einen Teil bietet24 . Neben den österreichischen, bayerischen, elsässischen und Wetterauer Defensionswerken, von deren Existenz wir nun zumindest kurz gehört haben, können wir an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bzw. im Jahrzehnt danach eine ganze Reihe weiterer Defensionssysteme feststellen. Es besteht durchaus Anlaß zu der Vermutung, daß der Reichspfennigmeister Zacharias Geizkofler 1604 in einem Gutachten eine richtige Beobachtung niederschrieb, wenn er davon sprach, daß "auch beyeinem Jar oder 5 her fast die maisten fürsten im Reich schöne Defensionsordnungen angestelt und ir landtvolk also armiren und abrichten lassen, das man sich auf alle notfäll irer nit weniger als besoldter leuth zu gebrauchen" 25 . Er empfahl diese allgemeinen Muster und insbesondere die hessische Ordnung zur Nachahmung in den Österreichischen Erblanden, deren frühe Ordnungen offensichtlich inzwischen hinter die nassauische Entwicklungsstufe zurückgefallen waren, denn bei der hessischen Ordnung des Landgrafen Moritz handelt es sich ja um eine durch den Nassauer beeinflußte Ordnung, deren Grundüberlegungen allerdings von Landgraf Moritz in einer umfangreichen Denkschrift von 1601/2 niedergelegt wurden28 . Neben den bislang erwähnten Defensionswerken sind entsprechende Einrichtungen aus dem Kurfürstentum Mainz, den fränkischen Bistümern Würzburg und Bamberg, der Kurpfalz, Württemberg, Braunschweig-Wolfenbüttel, BrandenburgPreußen, Baden-Durlach, Ansbach, Kursachsen, Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Rudelstadt und-Sonderhausen und den schlesischen Fürstentümern bekannt27. 24 Vgl. dazu meine Rezension des "Kriegsbuches" in: Zeitschrift für historische Forschung 1 (1974), 233 - 239. 25 Das Gutachten im Staatsarchiv Ludwigsburg, B 90, Büschel 391 ("Diseurs wie das ungarische Kriegswesen dieser Zeit ... anzustellen"). 28 Dieses Gutachten wird ausführlich kommentiert bei Gunter Thies, Territorialstaat und Landesverteidigung. Das Landesdefensionswerk in HessenKassel unter Landgraf Moritz (1592- 1627), Darmstadt und Marburg 1973, 29 ff.

Die deutschen Landesdefensionen im 16. und 17. Jh.

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Von besonderem Interesse bei diesem Überblick über die deutschen Defensionswerke ist auch die Existenz paralleler Institutionen in anderen europäischen Staaten. Dabei denke ich weniger an die englische .,militia" als vielmehr an die .,milizia paesana" in Piemont, ähnliche Einrichtungen in Venedig und schließlich die Reform des schweizerischen Heerwesens im frühen 17. Jahrhundert, die ganz offensichtlich unter dem Einfluß der niederländischen Erfahrungen erfolgte. Dieses europäische Ausmaß des Defensionswesens weist darauf hin, daß die Gründe für diese Form der Heeresorganisation nicht alleine in deutschen Voraussetzungen gesucht werden dürfen28• Überblickt man die Fülle von Territorien, die in durchaus unterschiedlicher Weise versuchten, einen Ausschuß der eigenen Untertanen militärisch auszubilden, so lassen sich auch unterschiedliche Motivationen erkennen. Im Kreis der korrespondierenden Reichsstände - allen voran Nassau, Hessen-Kassel und die Kurpfalz - sind die häufigen Hinweise auf die vermeintliche Bedrohung durch die katholisch-spanische Partei nicht zu übersehen. In einzelnen Fällen führt auch die Gründung und Konsolidierung der Union zur Einrichtung von Defensionswerken. Dies geschieht z. B. in Braunschweig-Wolfenbüttel 1605, wo schon 1600 kurpfälzische Mahnungen eintrafen und auch Graf Johann von Nassau als Besucher erschien und darum warb, ein exercitium militare einzurichten, .,weil unsere widrige Geistliche und andere mit allerhand Praktiken umgingen" 29 • Auch für Kursachsen und Kurbrandenburg, die 1613 ihre Defensionswerke einrichten bzw. vorbereiten, dürfte die allgemeine Unsicherheit der Lage im Reich nach der Gründung von Union und Liga der Auslöser gewesen sein, zumal in allen Fällen schon mehrjährige Vorbereitungen vorausgingen3°. 27 Vgl. dazu den Überblick bei Schnitter, Volk und Landesdefension (Anm. 23), 114 - 132. 28 Ich verweise auf einen Beitrag von Walter Barberis, La formazione della "milizia paesana" in Piemonte: potere centrale et relationi locali fra Cinque e Seicento, der in dem von A. Maczak herausgegebenen Band seines Kolloquiums über Patronage- und Klientelwesen in der Frühen Neuzeit 1986 erscheinen wird. Für Venedig vgl. jetzt J. R. Haie I M. E. Mallett, The Military Organization of a Renaissance State: Venice c. 1400- 1617, Cambridge 1984. Für die Reform des Berner und Zürcher Kriegswesens vgl. Frieder Walter, Niederländische Einflüsse auf das eidgenössische Staatsdenken im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Neue Aspekte der Zürcher und Berner Geschichte im Zeitalter des werdenden Absolutismus, Zürich 1979, 18 ff. und Jürg Stüssi, Militärwissenschaftliche Wechselwirkungen zwischen Deutschland und der Schweiz in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580 - 1650, Fribourg 1986 (im Druck). 29 Müller, Lehns- und Landesaufgebot (Anm. 14), 69. ao Für Kursachsen vgl. Naumann, Das kursächsische Defensionswerk (Anm. 14), und Christian Krollmann, Das Defensionswerk im Herzogtum Preußen, 2 Teile, Berlin 1904/1909.

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Bei genauer Durchsicht der Darstellungen und Akten über die Landesdefensionswerke werden sich für alle Territorien Anlässe der Art finden lassen wie die eben genannten. Sie reichen von den Durchzügen fremder Truppen über die Bedrohung der Türken bis zum Schutz gegen die jeweils andere konfessionelle Partei. Doch muß man daneben versuchen, die Gründe zu ermitteln, die alle diese Territorialstaaten auf das Ausschußsystem zurückgreifen ließen. Im Unterschied zu den älteren Aufgebotsregelungen oder den Ritterpferden des Adels bedeutete das Ausschußwesen ja, daß nur ein relativ geringer Prozentsatz der Bevölkerung (in Sachsen weniger als 10 '~/o der Untertanen, allgemein der 30. Mann) zum Einsatz im Ausschuß herangezogen wurde. Schon von diesen Zahlen her zeigt sich, daß der Versuch, hier den Anfang der allgemeinen Wehrpflicht zu erkennen, historisch wenig korrekt ist. Da die Praxis des Ausschußverfahrens von Exemtionen ökonomisch wichtiger Untertanen - Handelsleute, Beamte, reiche Bauern - geprägt war, konnte es sich um keine allgemeine Wehrpflicht handeln. Diese wäre auch wirtschaftlich kaum durchzusetzen gewesen, selbst im Verteidigungsfall. Die agrarisch-gewerblichen Produktionsbedingungen erlaubten weder vom Arbeitsprozeß noch von der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Wirtschaft her eine allgemeine Dienstpflicht. Die arbeitsintensive Landwirtschaft verbot den Ausfall größerer Mengen von Landarbeitern ebenso wie die Landesfinanzen keine durchgehende Bewaffnung hätten tragen können. Insofern ist der Ausschuß eine wirtschaftlich angemessene Defensionsform, die der Wirtschaft nicht die wichtigen Arbeitskräfte entzieht. Ganz im Gegenteil, indem der Ausschuß ganz allgemein auf die mittleren und unteren Schichten der Bauernschaft zurückgreift, entzieht er der Wirtschaft nur entbehrliche bzw. ökonomisch schwache Kräfte. Die reicheren Untertanen konnten sich z. B. in Welfenbüttel durch Bestechung oder andere Beziehungen zu den Amtleuten freistellen lassen, zumal Stellvertretung nicht grundsätzlich ausgeschlossen war. Während etwa im sächsischen Defensionswerk durch Los entschieden wurde, galt in Hessen-Kassel das Prinzip der "electio". Das bedeutete, daß "hantierung und narung" nicht gestört werden sollten, auch sollten mehr Stadtbewohner als Landbewohner ausgewählt werden. Überhaupt wurde hier das Auswahlverfahren sehr verfeinert, indem nicht nur ökonomische Hinderungsgründe und körperliche und geistige Eignung bedacht wurden, sondern zudem der Versuch gemacht wurde, den Ausschuß möglichst mit Defensionären zu besetzen, die freiwillig oder zumindest ohne Widerspruch den Dienst verrichten wollten. Die vorgeschriebenen Musterungsfragen "Willst du ein Soldat werden?" oder "Hast du lusten dazu?" weisen in diese Richtung der Freiwilligkeit31 • Die daneben bestehenden Vorschriften über die Schonung von Kaufleuten, Geistlichen, Schul- und Ratspersonen,

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der Bauern (nicht aber deren Söhne) und Handwerker, die für das Kriegswesen wichtig waren, von Hirten, Müllern und Metzgern, aber auch Hausarmen und Tagelöhnern, beweist, daß in Hessen vorzugsweise jene ausgewählt wurden, die "Lust, Liebe und Hertz zum handel haben", wie es in der Instruktion hieß. Konkret bedeuteten diese Auswahlkriterien, daß in den unteren Rängen des hessischen Aufgebots sich folgende Berufsstruktur nachweisen läßt (die Berechnung beruht auf der Analyse von ca. 22 °/o der Defensionäre): Von 1016 Defensionären sind 229 185 142 86 81 80 77 64 41 31

Bauern Tagelöhner Schmiede und Schlosser Schneider Leinenweber Bäcker Schuster Einleufftige Metzger Wagner.

Das heißt, daß der hessische Ausschuß sich vor allem aus der bäuerlichen und handwerklichen Mittelschicht rekrutierte, wenn auch ein relativ starker Anteil von Tagelöhnern festzustellen ist, die eigentlich nicht herangezogen werden sollten32 • War der Ausschuß auf der einen Seite ein den wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen der deutschen Territorialstaaten angepaßtes und damit begrenztes Unternehmen33 , so versuchte er auf der anderen Seite, der Weiterentwicklung des Kriegswesens Rechnung zu tragen. Das alte Aufgebot hatte seine Wirksamkeit u. a. auch deshalb eingebüßt, weil seine unregelmäßige Bewaffnung mit verschiedenen 31 Ich verweise hier auf die einschlägigen Verordnungen in Hessen-Kassel, wo es in der "Instruction, wie sich die . .. Kriegs-Räthe und Diener zu verhalten haben" vom 1. Okt. 1600 folgende Standardfragen bei der Musterung des Ausschusses vorgeschrieben waren: "Wie heistu, wo bistu her, Wes alters, Wes Handwercks, Bistu jemals ein Kriegsmann gewesen, wiltu ein Soldat werden, Hast du lusten darzu, Item: Hast du deine Paßport." Vgl. Sammlung Fürstlich-Hessischer Landes-Ordnungen und Ausschreiben . . . Erster Teil (1337- 1627), Kassel 1767, 476. 32 Die Zahlen nach Thies, Territorialstaat und Landesverteidigung (Anm. 26), 131. Unter "Einleufftigen" sind nach Thies (ebd. 129) meist landlose, in jedem Fall arme Dorfbewohner zu verstehen. 33 Dies zeigt sich auch im Verbot militärischer Übungen des Ausschusses zur Saat- oder Erntezeit, Instruction (Anm. 31), 478.

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Hieb- und Stichwaffen unterschiedlicher Qualität angesichts der sich durchsetzenden Bewaffnung mit Feuerwaffen hoffnungslos unterlegen war. Insofern bedeutete der neue Ausschuß auch systematische Bewaffnung mit Seitengewehr und einheitlichen Langfeuerwaffen. Landgraf Moritz von Hessen-Kassel behielt auch noch den Lanzenträger bei, doch scheint insgesamt der Ausschuß der Fußsoldaten als Träger von Feuerwaffen verstanden zu werden. Erst diese Bewaffnung machte den Ausschuß zu einem waffentechnisch gleichwertigen Gegner gegen angreifende Söldnerheere, bedingte allerdings auch eine neue Form des Trainings an der Waffe und im Verband. Es scheint so, als sei das systematische Waffentraining in Nassau bereits seit 1572 eingeführt worden und von dort in die oranische Heeresreform der Niederlande vermittelt worden. G. Gestreich führte dies vor allem auf die Anregungen des französischen Militärschriftstellers und Heerführers Francais de la Naue zurück und zeigte, daß Johann für eine Übernahme dieser Übungen plädierte, durchaus im Gegensatz zur bisherigen Praxis deutscher Truppenführer34. Der Drill- eine Begriffsschöpfung des Grafen Johann35 - muß besonders beachtet werden. Er ist die logische Konsequenz des gezielten und planmäßigen Einsatzes der Handfeuerwaffen durch größere Truppeneinheiten. Dieser Einsatz war unter den technischen Bedingungen der Luntenrohre des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts nur dann effektiv möglich, wenn die Vorgänge des Ladens, Zielens und Zündens vereinheitlicht und mechanisch eingeübt wurden. Selbst wenn es dem Grafen Johann gelang, das Laden und Abschießen einer Büchse auf 20 Handgriffe zu begrenzen38 , so blieb das eine technisch komplizierte Prozedur, deren Übung um so wichtiger war, je ungewohnter die Technik für die Defensionäre war, zumal wenn die "Exercitien" in der Bewegung und auf bewegliche Ziele durchgeführt wurden37 • Daher rührt auch die selbst im Defensionssystem immer wieder zu beobachtende Bevorzugung von städtischen Handwerkern gegenüber Bauern her. Ohne allzuweit vom Thema abzuschweifen, wird man sagen können, daß sich hier auf dem Gebiet des Kriegswesens eine neue Arbeits- und Bewegungsdisziplin durchsetzte, die auf gewerblichem Gebiet erst in der Manufaktur wiederzufinden war. Sie unterschied sich erheblich von der Art militärischer Übung, wie sie etwa Schwendi gefordert hatte, der für das Aufgebot schon die Übungen auf Schießständen und von u Gerhard Oestreich, Graf Johannes VII. Verteidigungsbuch für NassauDillenburg 1595, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Anm. 5), 311- 355, hier 339. ss Vgl. Hahlweg, Heeresreform (Anm. 21), 29 f. 36 Ebd. 254 f. (Nr. 24), die hessische Instruktion kennt 28 Kommandos. 37 Dies sah die hessische Instruktion vor.

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Truppenbewegungen empfohlen hatte, ohne jedoch etwa Laden und Schußabgabe im "Scharmutzieren", also in der Bewegung im Gelände, zu üben. Die Verbindung von Ausschuß der Untertanen und systematischer Waffenübung, der "Trillerey", schon im Frieden scheint der Kern dessen zu sein, was wir als militärisches Spezifikum der nassauischen Heeresreform ausmachen können; "dises ist also das mitell, dadurch aus bauren soldaten gemacht werden" 38• Doch diese im Prinzip alle Defensionswerke beeinflussende Reformbewegung läßt sich nicht auf die militärischen Spezifika beschränken. Die Defensionswerke waren auch reformerische Maßnahmen von politischer Brisanz. Da ist zum einen die schon erwähnte Problematik der ständischen Bewilligung zu beobachten, der die Landesdefensionen dort unterlagen, wo Landstände bei der politischen Willensbildung beteiligt waren. Die autonomen Bereiche der Grundherrschaften des Adels und der Prälaten ließen sich nur dort durch die neue Militärorganisation erobern, wenn - wie in den habsburgischen Erblanden - eine direkte Bedrohung die notwendige Vereinheitlichung des Territoriums erzwang und die Stände zudem organisatorisch an der Landesdefension beteiligt wurden oder wenn der landesfürstliche Wille durchgesetzt werden konnte. Dabei ist zu bedenken, daß natürlich auch den Ständen an einem wirksamen, gleichwohl billigen und sozial verträglichen Defensionsmittel gelegen war. Insgesamt kann man urteilen- und hierin ist dem "Handbuch der deutschen Militärgeschichte" zuzustimmen - 38 , daß die Haltung der Stände gegenüber den Defensionswerken durchaus unterschiedlich war und wir keine einheitliche Front gegen die Defensiopssysteme erkennen können, wie dies in anderen zentralen Fragen der Territorialpolitik der Fall war. Die Haltung des landständischen Adels gegenüber neuen Formen der Landesdefension war weiterhin beeinflußt durch das allgemeine Verhältnis des Adels zu den Untertanen. Man muß im Auge behalten, daß die ersten Überlegungen eines L. v. Schwendi zur Bewaffnung der Untertanen in einem erheblich weiteren Kontext standen. Schwendis wiederholt berührter Ausgangspunkt war die Frage, "wie sowol der Adl als auch der gemaine Mann zue der Reitterey und Kriegswesen abgerichtet und unterhalten werden soll". Diese Schrift beklagt vehement die Abwendung des Adels vom Kriegswesen, ja sie kritisiert die Adeligen, die in "gestikten köstlichen Kleidern und weibische Pracht meer 38 Das Zitat bei Thies, Territorialstaat und Landesverteidigung (Anm. 26). J . H. von Wallhausen betonte 1616 (Anm. 41), "daß bestandene Männer, ja viel grobe Bawren und Pflugsbengel in solchem ihrem Alter das Trilien oder die Kriegsubungen gelernet haben und noch täglich lernen" und verwies auf die Beispiele der Kurpfalz, Hessens und der Wetterau. se Papke, Handbuch der deutschen Militärgeschichte (Anm. 2), Bd. 1, 81 f.

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dann in manlieber Kriegsrüstung ihr hoffarth suechen und gesehen wollen sein". Wenn Schwendi für die Zukunft kriegerische Qualifikation für "Amt, befelch und stand" fordert, dann ist dies auch eine Kritik am tatsächlichen Erscheinungsbild eines Adels, der seiner alten, gesellschaftlich qualifizierenden Funktion des Schutzes nicht mehr nachkam. Er forderte den Verlust des Adels für "alle vom Adel so ungerüst weren", so daß in Schwendis Denkschrift ein deutlicher Vorstoß zur Legitimation des Adels durch Verdienst - und zwar im militärischen Bereich- zu sehen ist4o. Wenn Schwendi nach dieser Kritik nun auch den Einsatz des gemeinen Mannes forderte, dann war dies eine Maßnahme, die - trotz der geforderten Adelsrestauration - unübersehbar die Konsequenzen aus der neuen Entwicklung des Kriegswesens zog. Sie verstärkte die sozialen Effekte, die der Wandel des Kriegswesens ohnehin schon für den Adel bedeutete. Bei Schwendi werden auch die Konsequenzen sehr deutlich, wenn er fordert, daß den in der Defension eingesetzten Untertanen "etwas fortheil beschehe, also das sy etwas freier oder eine jeden in iren steuern und schazung des J ars etwas nachgelassen werde ... und inen also ir orden und stadt und das sie von der Kriegszunft weren zu einer sonder ehr geachtet und sy der wegen andern iren Mitbürgern etwas fürgezogen wurden". Schwendi erkennt also die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Würdigung des Kriegsdienstes, und wir können dies als einen Beweis dafür verstehen, daß der Kriegsdienst der Untertanen in den Landesdefensionen tendenziell neue Ansprüche der Untertanen nach sich ziehen mußte. Um so verständlicher werden demgegenüber auch die Bemühungen der Landstände, ihren Angehörigen in den neuen Defensionswerken die Befehlshaberstellen zu sichern. Auch der Versuch des Grafen Johann von Nassau-Dillenburg, in Siegen 1617 eine adelige Kriegsschule zu gründen, muß in diesem Zusammenhang einer notwendig gewordenen Adelsqualifikation gesehen werdenu. 40 Frauenholz, Lazarus von Schwendi (Anm. 4), vor allem 77. Schwendi steht hier in der Tradition der Adelskritik des 16. Jahrhunderts, die vielfach die Abwendung des Adels von seinen eigentlichen Aufgaben beklagte und damit ein deutlicher Beleg für den sich hier vollziehenden Wandel ist. Als Beispiel sei verwiesen auf August Jegel, Ein früher Vorläufer des Lazarus von Schwendi, in: Archiv für Reformationsgeschichte 40 (1943), 89 - 171. 41 Vgl. Karl Wolf, Der "Clausewitz" des Grafen Johann des Mittleren, in: Heimatland. Beilage zur Siegener Zeitung 13 (1938), 97- 101, womit Johann Jacobi von Wallhausen, der erste Direktor der academia militaris, gemeint ist. Der Gesichtspunkt der notwendigen Qualifikation wird betont in der ausführlichen Ankündigung der Kriegsschule, die 1616 in Frankfurt/Main unter dem Titel "Programma Scholae Militaris ex veteri veterum Rarnanorum institutio laudatissimo noviter institutae ac restitutae. Das ist Offentliches Außschreiben Von wegen Einer newen Kriegsschulen ... welche ... Durch Johann Jacobi von Wallhausen ... zu Siegen In der Graffschafft Nassaw

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Dieser Gesichtspunkt der Wirkungen auf die ständische Gesellschaft ist - soweit ich die Quellen überblicke - nicht expressis verbis formuliert worden. Unübersehbar wurde dagegen das Problem angesprochen, inwieweit die Bewaffnung der Untertanen nicht zu gefährlich sei, ob man damit nicht einem Aufruhr der bäuerlichen Untertanen Vorschub leiste. Da alle Gutachten diese Fragen ausführlich diskutierten'2 , dürfen wir vermuten, daß hier der Adel ein zentrales Problem der neuen Defensionssysteme sah. Dies gilt nicht nur für die Gutachten, sondern auch für die praktische Defensionspolitik. Immer wieder tauchen Zweckmäßigkeitsüberlegungen in den Akten auf, wenn Ausschußbewaffnungen in Zeiten drohender sozialer Konflikte vorgenommen werden sollten. Schon Schwendi griff diese Frage 1566 auf, glaubte freilich eine wirkliche Gefahr verneinen zu dürfen, falls man die Defensionäre sozial belohne und nur die begüterten Untertanen mit Waffen versehe. Die bemerkenswerteste Behandlung dieser Frage findet sich ganz zweifellos in den "Motiven wie die Untertanen zue dem Defensionswerk willig zu machen und zu underweisen" des Grafen Johann. Die ganze Abhandlung hat in der Antwort auf die Frage der Gefährlichkeit des Ausschusses ihren eigentlichen Höhepup.kt. Gestreich bezeichnet diese Passage als den Punkt, an dem Defensions- oder Ausschußverfassung, Staatsanschauung und religiöse Überzeugung sich berühren, und es besteht damit die Möglichkeit, die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von frühmodernem Territorialstaat und Untertanen aufzuwerfen, die notwendigerweise für die Landesdefensionen eine entscheidende Frage sein mußte'3 • Graf Johann wendet sich dieser Frage mit jener typischen Ambivalenz zu, die wir immer bei der Beurteilung der Untertanen und ihrer politischen Rolle feststellen". Auf der einen Seite stehen pragmatische Überlegungen in der Nachfolge Schwendis, den Ausschuß sozial herauszuheben und damit von der übrigen Bevölkerung abzuheben, ihn aber hienechts wirdt auff- und angerichtet werden" erschienen ist. Vgl. auch Gerhard Oestreich, Eine Kritik des deutschen Wehrwesens am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in: Nassauische Annalen 70 (1959), 227 ff., und die einschlägigen Quellen bei Hahlweg, Heeresreform (Anm. 21), 568- 590.EineEinordnung der Siegener Schule in die Ritterakademien des 16. und 17. Jahrhunderts jetzt bei Norbert Conrads, Ritterakademien der Frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982, 131- 136. 42 Dies gilt sowohl für Schwendi, für Graf Johann, für Landgraf Moritz von Hessen und für Abraham von Dohna. Daneben finden sich viele knappe Hinweise im einschlägigen Aktenmaterial Vgl. auch Schnitter, Volk und Landesdefension (Anm. 23), 87 u. 128 f. 43 Oestreich, Graf Johanns VII. Verteidigungsbuch (Anm. 34), 332. 44 Vgl. allgemein dazu Winfried Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft in der frühen Neuzeit, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, 115 ff. 10 Staats- und Heeresverfassung

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auch genau zu beobachten. Er soll nur von Adeligen geführt werden, so daß er im Revoltenfall führerlos ist. Auch das negative Exempel des Bauernkrieges stehe ihm vor Augen, und schließlich sei man den Untertanen auch weiterhin mit Waffen, Geschütz und Festungen überlegen. Mit der Hoffnung, daß das ganze Defensionswerk schließlich ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Untertanen und Obrigkeiten schaffe, geht Johann dann zum 2. Argument über, seiner Kritik an der normalen Herrschaftspraxis in den Territorien. Was wirklich zu einem neuen Bauernkrieg Anlaß gebe, sei die Belastung der Untertanen mit allen möglichen Abgaben und Diensten und ihre Vernachlässigung im Falle der Not. Diese Obrigkeiten bedachten nicht die mutua obligatio zwischen Herrn und Untertanen. Ohne jetzt diesen Begriff der mutua obligatio in die Staatstheorie des europäischen Calvinismus einordnen zu können, scheint die Argumentationsweise des nassauischen Grafen an dieser Stelle von besonderer Bedeutung. Auch wenn zu bedenken ist, daß in den meisten der eingerichteten Defensionswerke seine Anweisungen wenig Nachahmung fanden und daß seine Anleitungen zur Herstellung eines dauerhaften Vertrauensverhältnisses zwischen Herrschaft und Untertanen den theoretischen Höhepunkt seines Landesdefensionssystems darstellt, muß die verbreitete Praxis der Defensionswerke mit ihrer grundlegenden Einbeziehung der Untertanen ein beachtenswerter Hinweis auf die Herrschaftspraxis und ihre Hinnahme seitens der Untertanen sein. Wenn es gewiß auch verfehlt wäre, die Vorstellungen des Grafen und anderer Militärhistoriker von der Beziehung zwischen Vaterland und Untertan schon für die Realität anzusehen, so muß man doch als beachtlich festhalten, daß schon zwei Generationen nach dem Bauernkrieg die Untertanen auf relativ breiter Front in die Landesverteidigung integriert wurden, ihnen in vielen Fällen die Waffen mit nach Hause gegeben wurden. Doch auch hier findet sich jene schon oben erwähnte Ambivalenz wieder. Die Einbeziehung der Untertanen in die Landesdefension hatte zwar positive Auswirkungen auf die Stellung der Untertanen im Territorialstaat, aber diese Einbeziehung sollte auch den Untertanen erziehen, ja umformen. Das ausführliche "Sendschreiben" des hessischen Landgrafen Moritz macht dies ebenso deutlich wie die "Motive" des Grafen Johann. Für Moritz ist die disciplina militaris ein wichtiger Ansatzpunkt für eine Disziplinierung aller Untertanen, für die Hebung der allgemeinen Moral, für den Kampf gegen otium und voluptas, zur letztliehen Herstellung des "ordo", d. h. eines konfliktfreien Verhältnisses von Herrschaft und Untertanen45 • Ohne jetzt auf die Frage einer

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spezifisch calvinistischen Herleitung solcher Vorstellungen einzugehen, soll auf die allgemeine Entwicklung der deutschen Territorialstaaten im späten 16. Jahrhundert hingewiesen werden, die durch die zunehmende Tendenz zum Eingriff in die Privatsphäre gekennzeichnet ist. Sie war - darauf hat zuletzt Wolfgang Reinhard hingewiesen - keineswegs konfessionsspezifisch, sondern erfaßte alle Territorialstaaten, und deshalb scheint mir auch der Hinweis darauf notwendig zu sein. Der Versuch militärischer Disziplinierung ist nur ein Teilaspekt einer allgemeinen Bewegung48 • IV.

Doch kehren wir nach dieser Beleuchtung e1mger geistesgeschichtlicher und dazu auch sehr gut erforschter Fragen zurück zu den Landesdefensionen und zur abschließenden Frage nach Erfolg oder Mißerfolg und der daraus folgenden historischen Bewertung. Diese Frage ist oft genug gestellt worden, und eine zunächstmilitärische Erfolge abwägende Antwort muß betonen, daß bedeutende Siege von Defensionstruppen nicht zu verzeichnen sind. Wir wissen in einigen Fällen von der erfolgreichen Abwehr eines Truppendurchzugs, manchmal bewähren sich Ausschußtruppen auch in größeren Truppenkörpern wie etwa bei der bayerischen Exekution gegen Donauwörth. Bemerkenswert ist auch, daß Graf Johann von Nassau seinen Ausschuß gegen die Stadt Siegen einsetzte, die gegen die Einführung des calvinistischen Bekenntnisses Widerstand leistete. Doch sowohl der Türkenkrieg wie auch der 30jährige Krieg sind nicht von Ausschußtruppen gekämpft worden, vielmehr erleben eingesetzte Aufgebote blutige Niederlagen wie die badensischen in der Schlacht von Wimpfen 1622 (gegen Tilly) oder die württembergischen in der Schlacht von Nördlingen 1634. Doch wie so oft trifft eine so nachgefragte Erfolgsbilanz nicht den entscheidenden Punkt. Wesent~ licher erscheint die Tatsache, daß auch nach dem 30jährigen Krieg das Landesdefensionssystem eine praktische Reorganisation und auch eine theoretische Renaissance erlebte, wenn wir an die Äußerungen von Veit Ludwig von Seckendorff, Kaspar Klock, Leibniz, Spinoza, Flemming und Friedrich dem Großen denken. Flemmings Plädoyer - das auch den Begriff Land-Milice und National-Truppen verwendet- für die parallele Existenz von stehendem Söldnerheer und Landesdefension 45 Vgl. Thies, Territorialstaat und Landesdefension (Anm. 26), 56. Das Zitat Oestreichs in: Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in:

ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates (Anm. 5), 26. 46 Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), 257- 271, der natürlich (ebd. 276) auch auf Oestreichs Begriff der "Sozialdisziplinierung" verweist. 10°

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entsprach auch die Praxis der Territorien47 . Ob dies in organisatorischer Trennung geschah (wie in Sachsen und Münster) oder durch Verschmelzung beider Elemente (wie in Bayern seit 1704) ist dabei zweitrangig. Wenn wir einmal von den kleineren Territorien absehen (z. B. Schwarzburg, Sachsen-Gotha und Mainz), so bleiben die Defensionswerke Ergänzungseinheiten für das stehende Heer. D. h., in der Praxis vollzieht sich eine Kombination von stehenden Kadertruppen und ergänzend herangezogenen Milizen, vor allem in den großen Kriegen zum Beginn des 18. Jahrhunderts (Nordischer Krieg und Spanischer Erbfolgekrieg). Insgesamt kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß das stehende Heer - nicht zuletzt durch seine reichsrechtliche Absicherung - der politisch attraktivere und militärisch wirksamere Weg in das moderne Heerwesen wurde. Gleichwohl blieb das Landesdefensions- bzw. Milizsystem ein praktikables Verfahren der relativ kostengünstigen Sicherung eines Territoriums48 • Die Organisation der Miliz in SchaumburgLippe im späten 18. Jahrhundert unter dem Grafen Wilhelm ist dafür ein herausragendes und schon im 18. Jahrhundert weithin bekanntes Beispiel. Sie unterscheidet sich in ihrer Organisation nicht wesentlich von den Vorläufern im späten 16. Jahrhundert, doch fallen einige Elemente besonders auf, wie z. B. Abschaffung adeliger Privilegien, Betonung der Bildung (Militärschule) und des Gedankens der Subordination48. Das Verteidigungswerk des Grafen Wilhelm verbindet gewisserweise die ältere Landesdefension des späten 16. Jahrhunderts mit den Milizen des 18. Jahrhunderts. Damit war für den preußischen Reformer Scharnhorst, der hier 1773 - 1778 als Offiziersschüler ausgebildet wurde, auch der Erfahrungshintergrund gegeben, der für die preußische Reform im Militärwesen wesentlich wurde. Damit läßt sich eine knappe Bilanz ziehen. Die Defensionswerke mit ihrer Verwendung speziell ausgebildeter Untertanen sind der Versuch einer Organisation der Landesverteidigung, die den finanziellen Möglichkeiten der Territorialstaaten, der veränderten Kampf- und Waffentechnik und der noch nicht entschiedenen Machtfrage zwischen Fürst und Ständen entspricht. Angesichts ihrer Verbreitung und ihrer relativ langen Existenz scheint mir die Frage angebracht, ob das oben zitierte Diktum Otto Hintzes von der Entstehung des modernen Heerwesens n Ein Auszug aus Flemmings Werk "Der Vollkommene Teutsche Soldat" (Leipzig 1726) über die Landmiliz ist abgedruckt bei Schnitter, Volk und Landesdefension (Anm. 23), 201 - 209. es Dies wird auch aus der Sammlung einschlägiger Dokumente bei Frauenholz, Entwicklungsgeschichte (Anm. 20), Bd. 4: Das Heerwesen in der Zeit des Absolutismus, Teil 2, München 1940, deutlich. 48 Vgl. dazu Erich Hübinger, Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe und seine Wehr. Die Wurzeln der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland, BornaLeipzig 1937.

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außerhalb der Staatsverfassung in dieser Form bestehen bleiben kann. Wie viele Phänomene der frühen Neuzeit sind die Landesdefensionen noch nicht eindeutig moderne Institutionen. Gleichwohl sind sie ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Volksheer des 19. Jahrhunderts, dessen Schöpfer argumentativ ohne Schwierigkeiten an das Vorbild der National-Milizen anknüpfen konnte.

Der Wandel der Heeresverfassung in Spanien vom 16. bis 18. Jahrhundert Von Horst Pietschmann, Harnburg Die Wechselbeziehung zwischen Heeresverfassung und Staatsverfassung hat seit Machiavelli immer wieder neuzeitliche politische Denker und moderne Historiker beschäftigt. Parallel dazu findet sich eine von Rabelais bis Braudei reichende Schule, die getreu der RenaissanceMaxime "Pecunia nervus belli" das Problem auf eine rein finanzielle Frage reduziert und lediglich nach den Möglichkeiten und Methoden staatlicher Geldschöpfung zur Finanzierung militärischer Aufwendungen fragt!. Im Falle Spaniens, der ersten frühneuzeitlichen politisch-militärischen Vormacht in Europa, hat sich die Historiographie überwiegend mit dem zuletzt genannten Ansatz beschäftigt. So haben sich im Gefolge Braudels zahlreiche in der Tradition der "Annales" geschulte Historiker mit den wirtschaftlichen und sozialen Strukturen auf der Iberischen Halbinsel befaßt, um eine Erklärung für Spaniens Hegemonialstellung zu finden. Andere, allen voran Ram6n Carande, verfolgten direkt das Finanzwesen der spanischen Monarchie, um die Mechanismen der Finanzierung habsburgisch-spanischer Politik zu klären2 • Faßt man, zugegebenermaßen sehr stark vereinfachend, die Ergebnisse dieser Forschungsbemühungen zusammen, so reduzieren sie sich weitgehend doch auf die Erkenntnis, daß Spanien ungeachtet seiner reichen amerikanischen Finanzquellen eigentlich ökonomisch und demographisch zu schwach war, um die Rolle zu spielen, die es tatsächlich gespielt hat. Über dem hier kurz skizzierten Forschungsansatz ist die Untersuchung der politisch-militärisch-organisatorischen Aspekte des spanischen Militärwesens lange Zeit nahezu unterblieben, so daß die Historiographie 1 Vgl. dazu z. B. Luis Diez del Corral, La monarqufa hispanica en el pensamiento politico europeo. De Maquiavelo a Humboldt, Madrid 1976, vor allem 177 ff.; einen guten Überblick über die Problematik vermittelt auch Jose Antonio Maravall, Estado moderno y mentalidad social. 2 Bde. Madrid 1972, Bd. 2. 518 ff. -Auch bei modernen Autoren wie etwa Fernand Braudel, La Mediterranee et le Monde Mediterraneen a I' Epoque de Philipp II., seconde edition revue et augmentee, 2 Bde. Paris 1966, vor allem Bd. 2, 164 ff., stehen im Mittelpunkt der Betrachtung neben Fragen des Raumes, der Technik und der Formen der Kriegsführung wirtschafts-, konjunktur- und vor allem finanzgeschichtliche Probleme. 2 Ram6n Carande, Carlos V y sus banqueros, 3 Bde., Madrid 1947- 1967.

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sich weitgehend auf die vielbändigen alten Darstellungen Almirantes und Clonards, die freilich einen stark traditionspflegerischen Charakter aufweisen und modernen Anforderungen nicht gerecht werden, stützen mußte, um Aussagen zu diesem Themenbereich machen zu können8 • An dieser Situation hat sich erst in den letzten anderthalb Jahrzehnten einiges geändert. Zunächst erschienen in der 2. Hälfte der 60er Jahre mehrere Studien zum Militärwesen im Zeitalter der Katholischen Könige, nachdem schon zuvor die spanischen Mediaevisten sich der Thematik verstärkt zugewandt hatten'. 1969 schließlich veröffentlichte J. Hellwege seine bahnbrechende Untersuchung über das spanische Provinzialmilizsystemdes 18. Jahrhunderts, der derselbe Vf. 1972 eine Studie über die spanischen Reitermilizen des ausgehenden 16. Jahrhunderts folgen ließ5 • Ergänzt wurde dieses deutsche Forschungsinteresse durch die 1975 publizierte Kölner Dissertation von R. Mühlmann über die Reorganisation der spanischen Kriegsmarine im 18. Jahrhundert, die zusammen mit der jüngst veröffentlichten Arbeit von Merino Navarra über die spanische Kriegsmarine im 18. Jahrhundert grundlegend für die Thematik bleibt6 • Entscheidende Fortschritte brachten schließlich in den 70er Jahs Conde de Clonard, Historia organica de las armas de infanteria y caballeria espaiiolas desde Ia creaci6n del ejercito permanente hasta el dia, 16 Bde., Madrid 18'51- 1859. - Jose Almirante, Diccionario Militar. Etimol6gico, hist6rico, tecnol6gico, Madrid 1869; ders., Bibliografia militar de Espaiia, Madrid 1876; ders., Bosquejo de Ia Historia Militar de Espaiia hasta fin del siglo XVIII, 4 Bde., Madrid 1923; Cescireo Ferneindez Duro, Armada espaiiola desde Ia uni6n de los reinos de Castilla y Arag6n, 9 Bde., Madrid 1895 - 1903. Wichtig auch das Quellenwerk von Felix Colon y Larricitegui, Juzgados militares de Espaiia y sus Indias, 4 Bde., Madrid 1788- 1789. Vgl. dazu auch die in Anm. 36 genannte Sammlung der Militärordonnanzen von Portugues; nur am Rande sei vermerkt, daß auch die neueren Werke Carlos Martinez de Campos y Serrano, Espaiia Belica. EI siglo XVI, 2 Bde., Madrid 1965- 1966; ders., Espafia Belica. EI siglo XVII, Madrid 1968, eher in diese Schule der traditionspflegerischen Verklärung gehören, auch wenn diese Werke alle natürlich auch interessante Detailinformationen und bibliographische Informationen liefern. ' Vgl. etwa Maria del Carmen Pescador del Hoyo, La caballeria popular en Le6n y Castilla, in: Cuadernos de Historia de Espaiia 33 - 40 (1961 - 1964) (erstreckt sich über mehrere Jahrgänge); Florentino Perez-Embid, EI Almirantazgo de Castilla hasta las capitulaciones de Santa Fe, Sevilla 1944. Die den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit behandelnden Untersuchungen über das Zeitalter der Katholischen Könige Fußnoten 11 - 13. 5 Johann Hellwege, Die spanischen Provinzialmilizen im 18. Jahrhundert (Militärgeschichtliche Studien, hrsg, vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, 9), Boppard am Rhein 1969; ders., Zur Geschichte der spanischen Reitermilizen. Die Caballeria de Cuantia unter Philipp II. und Philipp III. (1562- 1619) (VSWG, Beiheft 59), Wiesbaden 1972. e Rolf Mühlmann, Die Reorganisation der spanischen Kriegsmarine im 18. Jahrhundert, Köln- Wien 1975; Jose P. Merino Navarra, La armada espaiiola en el siglo XVIII, Madrid 1981. - Zu erwähnen in diesem Zusammenhang ist auch das große Werk von Pierre Chaunu, Seville et l'Atlantique, 11 Bde., Paris 1955 - 1959, wiewohl nicht primär eine flottengeschichtliche

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ren einige englische Untersuchungen über das spanische Militärwesen des 16. und 17. Jahrhunderts, vor allem die Arbeiten von Geoffrey Parker über Organisation und Logistik der spanischen Truppen in den Niederlanden und- als die vielleicht bislang wichtigste Untersuchungdas 1976 erschienenen Buch von I. A. A. Thompson mit dem Titel .,War and Government in Habsburg Spain, 1560- 1620" 7 • Daneben ist die freilich zeitlich eng auf ein Jahrzehnt begrenzte Untersuchung des Franzosen Rene Quatrefages über die spanischen Tercios zwischen 1567 und 1577 zu erwähnen, die 1979 in spanischer Sprache erschiens. Abgerundet wurde dieses neu erwachte Interesse an militärgeschichtlichen Themen im Hinblick auf Spanien durch eine ganze Serie von überwiegend nordamerikanischen und spanischen Forschungen über die Heeresorganisation im spanischen Kolonialreich des späten 18. Jahrhunderts. Nicht berücksichtigt werden können in diesem knappen Überblick eine Reihe von ziemlich eng umrissenen Teilstudien in Form von Aufsätzen oder im Rahmen allgemeinerer Darstellungen. Besondere Erwähnung verdienen in diesem spezielleren Zusammenhang einzelne Untersuchungen zum Fortifikationswesen in Spanien und zur Waffenfabrikation, beides Bereiche, die bislang insgesamt nur sehr unzureichend erforscht sind•. Arbeit, enthält es sehr viel Material zur Organisation der spanischen Kriegsflotte im Atlantik, ebenso wie die beiden handelsgeschichtlichen Werke von Antonio Garcia-Baquero Gonzeilez, Cadiz y el Atläntico (1717 - 1778), 2 Bde., Sevilla 1976, und Lutgardo Garcia Fuentes, EI comercio espaiiol con America, 1650 - 1700, Sevilla 1980. Als Hilfsmittel zur Geschichte der spanischen Marine immer noch wichtig ist: Instituto Nacional del Libro Espafiol, Hrsg., Ensayo de Bibliografia Maritima Espaiiola, Barcelona 1943. 7 Geoffrey Parker, The Army of Flanders and the Spanish Road, 1567 1659, Cambridge 1972; I. A. A. Thompson, War and Government in Habsburg Spain 1560 - 1620, London 1976. - Auf die neuere Aufsatzliteratur zu diesen Themen, u. a. auch Studien der beiden genannten Verfasser, soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie nicht nur allgemein zugänglich ist, sondern sich auch mehr mit Detailproblemen befaßt, ganz abgesehen davon, daß eine vollständige Erfassung der neueren militärgeschichtlichen Forschung den Rahmen der vorliegenden übersieht sprengen würde. Es sei lediglich darauf verwiesen, daß die spanische Zeitschrift "Revista de Historia Militar" (inzwischen Jahrgang 28, 1984) zahlreiche Einzelstudien zu Detailaspekten der frühneuzeitlichen spanischen Militärgeschichte enthält. s Rene Quatrefages, Los Tercios Espaiioles (1567 - 77), Madrid 1979. • So etwa Victor Ferneindez Cano, Las defensas de Cadiz en la Edad Moderna, Sevilla 1973; Jose Antonio Calder6n Quijano, Victor Ferneindez Cano, Maria Justina Sarabia Viejo, Jose JesiLs Herneindez Palomo, Cartografia militar y maritima de Cadiz, 1513- 1878, 2 Bde., Sevilla 1978; Jose Antonio Calder6n Quijano, Las fortificaciones de Gibraltar en 1667, Sevilla 1968; ders., Historia de las fortificaciones en Nueva Espaiia, Sevilla 1953 (erweiterte Neuauflage Madrid 1984), sowie zahlreiche weitere Arbeiten desselben Verfassers zum Festungsbau und Militäringenieurwesen, insbesondere im kolonialen Hispanoamerika; Enrique de Ocerin, Conde de Abasolo, Apuntes para la historia de la fabrica de artilleria de Sevilla, 2. Aufl. Sevilla 1972 (freilich stark kunstgeschichtlich und biographisch ausgerichtet); Jose Manuel Martinez Bande, Historia de la Artilleria, Madrid u. a. o. J . (1947?); Jorge Vig6n, Historiade la artilleria espaiiola, 3 Bde., Madrid 1947.

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Wie nicht anders zu erwarten, haben die neueren Forschungen zur spanischen Militärgeschichte nicht nur den Kenntnisstand vertieft, sondern auch zahlreiche neue Fragen aufgeworfen und Forschungslücken offenkundig werden lassen, wie etwa die bereits erwähnten Bereiche Fortifikation und Waffenfabrikation oder auch das Intendantur- bzw. Heeresverwaltungswesen oder Sonderformen der Rekrutierung, wie z. B. die "Quinta" und "Leva" als Methoden der Zwangsaushebung, die Frage nach der Rolle ausgedienter Militärs in der Zivilverwaltung des Landes, die demographischen Folgen der militärischen Anstrengungen Spaniens oder, als wichtigster Punkt in dem hier zu behandelnden Themenbereich, die Formen und Mechanismen des Übergangs von spätmittelalterlichem ständisch-feudalen Heerwesen zu den modernen Massenheeren der Epoche Philipps II., um von dem nur umrißhaft aufschimmernden Problemkomplex der Bedeutung des älteren Milizwesens mittelalterlichen Ursprungs im 16. und 17. Jahrhundert ganz zu schweigen. In Anknüpfung an Jonathan Israels Buch "The Dutch Republic and the Hispanic World, 1606- 1661"10 ließe sich aus dem gegenwärtigen Forschungsstand in allgemeinerer Form folgern, daß die beiden einleitend kurz skizzierten verschiedenartigen methodischen Ansätze bisher weitgehend unverbunden nebeneinander stehen und dringend einer Verknüpfung bedürfen, und daß weiterhin die Frage der Wechselbeziehung zwischen Heeres- und Staatsverfassung für die spanische Monarchie nicht nur unter Beschränkung auf die Iberische Halbinsel bzw. auf Kastilien oder gar nur in bezugauf Flandern, wie etwa bei Parker, beantwortet werden kann, sondern auf der Basis einer Zusammenschau der Verhältnisse an den verschiedenen Fronten analysiert werden muß, an denen Spanien militärisch engagiert war. Ansatzweise zeigt sich doch schon jetzt, daß die Organisation des Militärwesens in Spanien selbst anders war als in Flandern oder Italien und dort wiederum anders war als in Amerika bzw. im maritimen Bereich im Mittelmeerraum anders war als im Atlantik oder im Pazifik. Israels Buch läßt deutlich werden, daß eine Berücksichtigung der beiden genannten methodischen Schlußfolgerungen im politisch-ökonomischen Bereich, der im Zentrum des Interesses des Vf.s steht, zu interessanten neuartigen Einsichten führen kann und auch für den vorliegenden Themenkomplex ergiebig sein dürfte. Im Rahmen einer kurzen Studie kann es sich freilich nur darum handeln, eine sehr grobe Übersicht, verbunden mit Ausblicken auf die Problemzusammenhänge, zu vermitteln zu suchen. Aufgrund der Erfordernisse der Reconquista hatte sich in Spanien und speziell in Kastilien während des Mittelalters das auf vasallitisch10

Jonathan I. Israel,

1661, Oxford 1982.

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lehnsrechtliche Bindungen zurückgehende Ritterheer nie so ganz zur dominierenden bzw. das Kriegswesen beherrschenden Institution entwickeln können, wie dies in anderen Bereichen Europas der Fall war. Der schwer bewaffnete Reiter, überwiegend von den großen Feudalherren aufgrund vasallHiseher Verpflichtungen gegenüber der Krone aufgeboten, bildete in den spanischen Heeren des Spätmittelalters immer nur eine Minderheit. Daneben spielte eine leichte Reiterei eine große Rolle, deren Angehörige meist kleinadeliger Herkunft oder gar nicht adelig, milizmäßig organisiert und dem König gegen Bezahlung jederzeit zum Waffendienst verpflichtet waren. Die Krone sicherte sich die Dienste dieser Reitermilizen durch regelmäßige Soldzahlungen auch in Friedenszeiten, die die Begünstigten verpflichteten, ständig Pferd und Waffen zu unterhalten. Die dritte wichtige Komponente des Heerwesens im spanischen Spätmittelalter bildeten die Fußsoldaten, die überwiegend von den städtischen Milizen gestellt wurden und vom König gleichfalls jederzeit mobilisiert werden konnten. In den fest besoldeten königlichen Garden, die z. T . dezentral zu Wachdiensten in befestigten Plätzen eingesetzt wurden, lassen sich darüber hinaus bereits im 15. Jahrhundert in Kastilien die Anfänge eines stehenden Heeres beobachten, belief sich die Zahl dieser schwer bewaffneten Garden doch immerhin schon auf rund 1 000 Mann. Ausführliche Militärordonnanzen regelten bereits in jener Zeit Ausrüstung, Bereitstellung und Organisation der diversen Reiter- und Fußsoldatenmilizen, die mindestens in jährlichen Abständen Alarm- und Musterungsübungen abhalten mußten11. Ein kompliziertes Privilegienwesen sicherte den verschiedenen Milizen gewisse Sonderrechte, die bis hin zur pauschalen Zuerkennung des Hidalgostatus reichen konnten, und garantierte im Einsatz befindlichen Truppen die Exemtion von der ordentlichen Gerichtsbarkeit und die Unterstellung unter die Militärgerichtsbarkeit. In ganz Kastilien existierten Militärverwaltungsbezirke, die zumeist einem "Adelantado" unterstanden. Diese Ämter waren jedoch zum Ausgang des Mittelalters ebenso erblich geworden wie die zentralen Befehlshaberpositionen des Condestable für das Landheer, des Almirante für die Seekriegsführung und des Aleaide de los Donceles, eine Art Generalquartiermeister. Nicht erblich waren dagegen die königlichen Festungskommandanturen. Eine eigene Flotte unterhielten die Könige nicht. Im Bedarfsfall wurden Schiffe von privaten Eignern gechartert, ausgerüstet und bemannt. Trotz beständiger Klagen war dieses System für die Erfordernisse der Kriegführung vor allem gegenüber den Mauren relativ effizient. Die Loyalität des hohen Adels und des Klerus, der Städte und selbst der u Jorge Vig6n, EI Ejercito de los Reyes Cat6licos, Madrid 1968, insbesondere 99 ff.; vgl. auch Francisco Lanuza Cano, EI Ejercito en tiempos de los Reyes Cat6licos, Madrid 1953, 235 ff.

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ländlichen Milizen gegenüber der Krone war so groß, daß im Falle des Krieges gegen einen äußeren Feind der kastilische König mit ziemlicher Sicherheit darauf zählen konnte, daß seine Gefolgsleute und die Milizen zu den Waffen eilen würden, immer und so lange der König persönlich an dem Feldzug teilnahm. Das Charisma des Königs als oberster Richter und Heerführer war in Kastilien auch ausgangs des Mittelalters sehr stark ausgeprägt, wie etwa daraus ersichtlich wird, daß in Kastilien die königliche Standarte mit dem Wappen des Königs die einzige Herrscherinsignie darstellte, die wirklich bedeutsam war, zusammen mit dem Richterstab, der Vara de Justicia. Beide Insignien, die königliche Standarte und der Richterstab, spielten auch im frühneuzeitlichen Spanien eine herausragende symbolische Rolle, die freilich bislang nicht untersucht ist12 • Wichtige Reformen im Heerwesen führten schließlich die Katholischen Könige Ferdinand und Isabella ein. Zunächst einmal begründeten sie die Artillerie als eine neue und gesonderte Waffengattung und errichteten erste Produktionsstätten für Kanonen und Munition im Land. Seit dem Krieg gegen Granada unterhielt die spanische Krone fortan ständig in Spanien selbst einen eigenen Artilleriepark und eine kleine Gruppe von Artilleristen. Das dazu erforderliche Gerät wurde von der Krone bei privaten Produzenten angekauft1 3 • Eine weitere Neuerung im spanischen Militärwesen bedeutete die Einführung des Intendanturwesens, d. h. einer speziellen Militär12 Zahlreiche spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Quellen belegen die herausragende Bedeutung des "Pend6n Real", der königlichen Standarte, die in allen Städten Kastiliens bei öffentlichen Akten von einem eigenen, dem jeweiligen Stadtrat angehörenden Amtsträger, dem "Alferez Real", getragen wurde. Ahnliebes gilt auch von der "Vara de Justicia", dem Richterstab, der von allen Inhabern der erstinstanzliehen Gerichtsbarkeit bei Amtshandlungen mitgeführt wurde und dem Inhaber persönliche Immunität verlieh. Attacken oder Mißachtungen dieses sichtbaren Zeichens der Amtsgewalt wurden vom Königtum meist mit aller Strenge geahndet. Die große Bedeutung dieser beiden Symbole im frühneuzeitlichen Alltagsleben Kastiliens ließe eine Untersuchung in der von Percy Ernst Schramm so beispielhaft für das Mittelalter begründeten Forschungsrichtung wünschenswert erscheinen; eine Untersuchung dieser Art könnte sicherlich vertiefte Erkenntnisse über die Stellung des frühneuzeitlichen kastilischen Königtums ergeben, die auch für den hier zu erörternden thematischen Zusammenhang von Interesse wäre. 13 Über die Bedeutung der Artillerie im Krieg gegen Granada vgl. Miguel Angel Ladero Quesada, Castilla y la Conquista del Reine de Granada, Valladelid 1967, 123 ff. -Während der Erhebung der "Communidades" zu Beginn der Regierungszeit Karls V. drohte die Eroberung dieses Artillerieparks durch die Aufständischen das Kriegsglück zugunsten der Aufständischen zu wenden, vgl. dazu Henry Latimer Seaver, The Great Revolt in Castile. A Study of the Comunero Movement of 1520- 1521, New York 1966, 126 ff.; Joseph Perez, La Revolution des "Communidades" de Castille (1520- 1521), Bordeaux 1970, 180 ff.

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bürokratie. An der Spitze dieser an die Armee gebundenen und nur während ihrer Mobilisierung bestehenden Militärverwaltung stand ein Veedor General, ein ,.Generalinspekteur", der das gesamte Finanz- und Versorgungswesen kontrollierte und dem Rechnungsführer, Zahlmeister, Quartiermeister und spezielle Versorgungsbeamte unterstanden. Anlaß für diese Neuerung war der Krieg gegen Granada, der in vielerlei Hinsicht den ersten modernen Krieg auf der Iberischen Halbinsel darstellte14• Zwar erfolgte die Mobilisierung der Truppen weitgehend noch nach dem o. a. Schema, doch die Zahl der eingesetzten Truppen, ihre Bewaffnung und Kampfesweise und die gesamte Logistik wies moderne Züge auf. In dem 10 Jahre andauernden Krieg mobilisierten die Könige jährlich zwischen 30 und 60 000 Mann, überwiegend Fußtruppen, die vom späteren Frühjahr bis zum Herbst im Einsatz blieben. Neue Belagerungstechniken und der Einsatz von Artillerie und Minen prägten den Kampf. Ein großer Teil der Fußtruppen wurde gezielt dazu eingesetzt, das gegnerische Gebiet zu verwüsten, indem man Wälder abholzte und landwirtschaftliche Kulturen vernichtete. Die Armee konnte daher nicht aus dem besetzten Land leben und mußte durch ein weitgespanntes logistisches System versorgt werden, das von der neuen Militärbürokratie organisiert wurde. Aus ganz Kastilien und Le6n wurden Versorgungsgüter besorgt und nach Granada transportiert, wobei Tausende von Karren und Tragetieren mobilisiert und bezahlt werden mußten. Erstmals auf der Iberischen Halbinsel fanden sich während dieses Krieges auch ausländische Söldner ein, darunter sogar kleine Gruppen von Schweizer Fußsoldaten. Ältere Autoren haben daraus gefolgert, daß diese Schweizer ihre Organisationsform und Kampfestaktik in Spanien einführten und damit die Begründer der späteren spanischen Tercios wurden. Die neuere Forschung weist dies zurück, da die Zahl der Schweizer viel zu klein gewesen sei und ihre Kampfestaktik im Krieg gegen die Mauren unbrauchbar war. Dazu muß berücksichtigt werden, daß wenige Jahre später den spanischen Truppen des Gran Capitan in Neapel die schweizerische Kampfestaktik zunächst überhaupt nicht vertraut war 15 • Neben den genannten Reformen unternahmen die Katholischen Könige auch Anstrengungen zum Auf- bzw. Ausbau des stehenden Heeres. In diesem Zusammenhang erlangte die Wiederbelebung der Santa Hermandad durch die Könige Bedeutung16 • Diese 1476 von den Königen den Städten aufgezwungenen Landfriedensorganisationen unterhielten stänu Dazu etwa Ladero Quesada (Anm. 13), und ders., Milica y economia en la guerra de Granada: EI Cerco de Baza, Valladelid 1964. u Ladero Quesada (Anm. 13), 144 f. 16 Dazu Marvin Lunenfeld, The Council of the Santa Hermandad, Miami 1970; Vig6n (Anm. 11), 113 ff.

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dig eine Reitertruppe, die, von den Städten bezahlt, aber königlichem Befehl unterstehend, durch Patrouillendienst die öffentliche Sicherheit auf dem flachen Land, vor allem entlang der Wege, gewährleistete, zugleich aber auch eine militärische Reserve bildete, auf die der König jederzeit zurückgreifen konnte, wie dies z. B. im Krieg gegen Granada geschah. Als ausgangs des Jahrhunderts auf Drängen der Städte die Hermandad wieder aufgelöst wurde, begründeten die Herrscher die als "Guardias Viejas de Castilla" bezeichnete erste größere stehende Einheit, eine schwer bewaffnete Reitertruppe, die etwa 1200 Mann umfaßte. Daneben bestanden die alten königlichen Garden weiter, die sich nun zumeist aus Adeligen zusammensetzten, die jedoch nicht nur Waffendienst leisteten, sondern vom König auch für administrative und diplomatische Aufgaben verwandt wurden. Weiterhin bemühten sich die Könige durch gesetzgeberische Aktivitäten, die bestehende Heeresorganisation effektiv zu gestalten. Ein Versuch des Kardinals Cisneros während seiner Regentschaft, das stehende Heer im Dienste der Krone durch Mobilisierung städtischer Ressourcen zu vergrößern, scheiterte am öffentlichen Widerstand, wobei bislang weder die Pläne des Kardinals noch ihr Scheitern untersucht worden sind17 • Dies gilt auch für Neuerungen im Festungsbau, für den die Könige offenbar die Angehörigen der neu geschaffenen Artillerietruppen einsetzten. Darüber hinaus scheinen Ferdinand und Isabella sich auch um die medizinische Versorgung ihrer Truppen gekümmert zu haben. So wurden im Krieg gegen Granada Ärzte und ein Feldlazarett eingesetzt und gesetzliche Maßnahmen zur Förderung medizinischer Studien, insbesondere der Anatomie, getroffen. Beispielsweise wurden 1488 alle diejenigen mit schweren Strafen bedroht, die Sezierungen und Autopsien zu verhindern suchten1s. Das kastilische Heerwesen des Spätmittelalters bis hin zu den Katholischen Königen erfüllte offenbar die Bedürfnisse einer Kriegführung, die auf Abwehr äußerer Feinde an der Pyrenäengrenze und auf den Kampf gegen die Mauren Granadas ausgerichtet war. Für die Erfordernisse der Kriegführung außerhalb der Landesgrenze erwies sich die überkommene Militärverfassung als wenig tauglich, wie an zwei anderen Fronten, an denen Spanien sich zu Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts zu engagieren begann, deutlich wurde. Diese Erfahn Vgl. Carl Joseph Hefele, Der Cardinal Ximenes und die kirchlichen Zustände Spaniens am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. Insbesondere ein Beitrag zur Geschichte und Würdigung der Inquisition, zweite, verbesserte Aufl. Tübingen 1851, 453 ff. - Auch neuere Gesamtdarstellungen der Geschichte der Regentschaft des Kardinals gehen kaum über die bei Hefele gemachten Aussagen zu diesem Problemkomplex hinaus. 18 Vgl. dazu und zum Lazarettwesen jener Zeit Lanuza Cano, (Anm. 11), 257 ff.

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rung mußte erstmals der Gran Capitan in Italien machen. Zunächst erwies es sich als nicht möglich, die Milizorganisationen und den Adel zur Gestellung von Truppen für den Italienfeldzug in größerem Umfang zu mobilisieren. Die Krone mußte also auf Söldner zurückgreifen. Hier entwickelt sich nun ausgangs des 15. Jahrhunderts das Rekrutierungssystem, mit dessen Hilfe bis ins 17. Jahrhundert hinein der größte Teil der spanischen Truppen ausgehoben wurde, die außerhalb des Landes kämpften. Dieses System funktionierte folgendermaßen: Der König oder der Oberbefehlshaber des Heeres ernannte einen Capitan, den Befehlshaber der kleinsten operativen Einheit, nämlich einer Kompanie, die zwischen 200 und 500 Mann umfassen konnte. Der König wies dem Capibin einen Stadtbezirk als Rekrutierungsgebiet an. Dieser ernannte nun seinen Stellvertreter, den Alferez oder Bannerträger, besorgte sich einen Trommler und pflanzte nach Rücksprache mit den örtlichen Behörden das königliche Banner auf und ließ durch den Trommler und einen Ausrufer die waffenfähige männliche Bevölkerung zum Eintritt in den Militärdienst auffordern. Nachdem der Capitan die benötigte Mannschaftszahl beisammen hatte, begab er sich zu seinem Bestimmungsort, wo ein Kronbeamter eine Musterung vornahm und die Bezahlung und die Ausrüstung erfolgte. Erst von diesem Moment an unterstand die neue Kompanie derp militärischen Oberbefehl der Krone und genossen ihre Angehörigen das Privileg der Militärgerichtsbarkeit. Alles, was zwischen der Ernennung des Capitan und der Musterung der rekrutierten Kompanie lag, stand in privater Verantwortung des Kompaniechefs. Die Erstausrüstung stellte die Krone, danach waren die Soldaten verpflichtet, selbst für ihre Ausrüstung zu sorgen. Die Bezahlung der Mannschaften erfolgte meist über den Capitan, ebenso auch die Versorgung der Kompanie über das System der sog. Kompaniewirtschaft111. Die ersten Erfahrungen, die Spanien mit solcherart rekrutierten Truppen in Neapel machte, waren bekanntermaßen verheerend, da sie sich gegenüber dem schwer gepanzerten französischen Ritterheer und den Schweizer Söldnern als unterlegen erwiesen. Es war dem militärischen Talent des Gonzalo Fernandez de C6rdoba zu verdanken, daß aus diesen Fußsoldaten die berühmte spanische Infanterie der Folgezeit entstand, die dann die flandrischen und italienischen Tercios bildeten. Die Schlagkraft dieser Infanterie beruhte auf der auf Fernandez de C6rdoba zurückgehenden Weiterentwicklung der schweizerischen CarreFormation. Diese Weiterentwicklung bestand einmal in der Mischung 111 Zu den Heeresreformen des Gran Capitan vgl. Lanuza Cano (Anm. 11), 243 ff.; Pietro Pieri, Consalvo di Cordova e le origini del moderno esercito spagnolo, in: V Congreso de Historia de la Corona de Arag6, Bd. 3, Zaragoza 1954; ders., 11 Rinascimento e la crisi militare italiana, Turin 1952.

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von Pikenträgern, Arkebusenschützen und Musketieren und mit Degen und Schild ausgerüsteten Soldaten und einem komplexen Formationssystem, das es ermöglichte, aus gelockerter Marschformation rasch mehrere Arten von Kampfformationen einzunehmen20 • Die Kampfeseinheit blieb bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts die Kompanie, während das Tercio, das aus 10 - 12 Kompanien bestehen konnte, bis dahin vorwiegend eine administrative und keine militärisch-taktische Einheit bildete. Nur am Rande sei vermerkt, daß erstens solcherart rekrutierte, ausgerüstete und taktisch organisierte spanische Kompanien bis ins 17. Jahrhundert hinein nur außerhalb Spaniens zum Einsatz kamen, also immer das offensive spanische Militärpotential bildeten, das aufgrund seines Angriffschwungs und seines gnadenlosen Einsatzes besonders gefürchtet war; zweitens ist festzuhalten, daß diese spanische Infanterie immer im Verband mit Truppenteilen anderer Nationalität zum Einsatz kam, also Deutschen, Wallonen, Italienern usw.; drittens ist daran zu erinnern, daß die übergeordnete Organisationseinheit "Tercio" nur in Italien und den Niederlanden existierte, nicht dagegen auf der Iberischen Halbinsel, und daß außerdem die Bezeichnung "spanische Tercios" im Grunde falsch ist, da zu einem Tercio immer auch Kompanien anderer Nationalität gehörten. Neben der militärischen Kommandostruktur war diesen Tercios eine Militärverwaltungshierarchie zugeordnet, die der im Zusammenhang mit den Katholischen Königen erwähnten ähnelte und einem Veedor General unterstand 21 • So wie sich ausgehend von den Italienkriegen eine offensive spanische Militärorganisation auf der Grundlage von im Ausland stationierten, staatlich verwalteten und aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzten stehenden Truppen entwickelte, nahm das Kriegswesen in Übersee und zu einem großen Teil auch im Mutterland selbst eine ganz andere Entwicklung. Die Katholischen Könige hatten das Kolumbusunternehmen zunächst nach portugiesischem Vorbild als Handelskolonisation geplant. Von befestigten Handelsfaktoreien aus sollte mit den Eingeborenen Tauschhandel getrieben werden. Die Faktoreien sollten mit staatlich angestelltem und besoldetem Personal betrieben werden, das u. a. auch militärische Aufgaben erfüllen sollte, wenn dies erforderlich war. Wie bekannt scheiterte dieses Unternehmen aufgrund seines extrem defizitären Charakters. Von nun an schloß die Krone mit privaten Unternehmern sogenannte Kapitulationen, in denen der König die Erlaubnis zu einer Entdeckungsfahrt oder einem Eroberungsunternehmen in eine festgelegte Gegend erteilte, dem Anführer militärische, zivile und rich20 21

Lanuza Cano (Anm. 11), 243 ff. Quatrefages (Anm. 8), 23 ff. und

passim.

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terliche Amtsbefugnis meist auf Lebenszeit oder gar erblich verlieh und ihm bestimmte Auflagen über durchzuführende Maßnahmen, einzuhaltende Verfahrensweisen gegenüber den Eingeborenen und ähnliche Dinge machte. Der solchermaßen Begünstigte verpflichtete sich zur Einhaltung der Abmachung und zur Finanzierung des Unternehmens. Weitere Bestimmungen regelten schließlich die Aufteilung des Gewinns oder der Beute zwischen dem König und dem Unternehmer. Dieser rekrutierte nun die erforderlichen Mannschaften, aber nicht in der Form wie ein vom König ernannter Capitan, sondern als Privatmann. Die Teilnehmer einer solchen Unternehmung erhielten auch keinen festen Sold, sondern lediglich die Anwartschaft auf einen bestimmten Anteil am Gewinn, der sich nach der Höhe des Einsatzes richtete: also etwa in der Form, daß derjenige, der nur seine Person zur Verfügung stellte, den niedrigsten Anteil bekam, Personen, die volle Bewaffnung oder spezielle Fertigkeiten einbrachten, dagegen in gestaffelter Form höhere Gewinnanteile garantiert erhielten. Darüber hinaus bekamen die Teilnehmer auch die Möglichkeit, sich finanziell an der Unternehmung zu beteiligen. Entscheidend aber war nun, daß die solchermaßen rekrutierten Mannschaften in finanzieller Hinsicht nur eine privatrechtliche Abmachung mit dem Anführer trafen und der König überhaupt keine Verpflichtung einging; ansonsten unterstanden sie jedoch in jeder Hinsicht der Befehlsgewalt des Anführers und militärischem Recht, über dessen Einhaltung die Krone wachte. Darüber hinaus erkannte die Krone gegenüber den Teilnehmern solcher Züge im Verlauf des 16. Jahrhunderts zunehmend eine gewisse Fürsorgepflicht und ein gewisses Anrecht auf Belohnung an. Das hier skizzierte Rekrutierungssystem, das mit geringen Abwandlungen während des ganzen überseeischen Expansionsprozesses erhalten blieb, war den mittelalterlichen Kriegstraditionen der Reconquista entlehnt, als das Königtum ähnlich organisierte Feldzüge privater Unternehmer in maurisches Gebiet autorisierte, Feldzüge, die nicht so sehr auf die Eroberung von Gebieten, sondern auf wirtschaftlichen Gewinn aus Raub und Plünderung abzielten22 • Nach erfolgreichem Abschluß solcher überseeischer Eroberungszüge wurde die militärische Sicherung des neu erworbenen Gebietes ebenfalls ganz im Stile mittelalterlicher Traditionen organisiert. Die spanischen Bürger der neu gegründeten Städte waren ausnahmslos zu persönlichem Militärdienst im Bedarfsfall verpflichtet. Die prominenteren Teilnehmer 22 Mario G6ngora, Los grupos de conquistadores en Tierra Firme (1509 1530). Fisionomia hist6rico-social de un tipo de conquista, Santiaga 1962; ders., Studies in the Colonial History of Spanish America (Cambridge Latin American Studies 20), Cambridge u. a. 1975, 1 ff.; Alfonso Garcfa-Gallo, El servicio militar en Indias, in : Anuario de Historia del Derecho Espafiol 26 (1956), 447 ff.; Günter Kahle, Die Encomienda als militärische Institution im kolonialen Hispanoamerika, in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas 2 (1965), 8 ff.

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solcher Unternehmen, die Indianer in Encomienda zugeteilt bekommen hatten, mußten sich darüber hinaus zur Bereithaltung eines Pferdes und reiterlicher Bewaffnung verpflichten. Regelmäßige Appelle sollten die Einhaltung dieser Vorschriften garantieren. Daraus entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein städtisches Milizsystem auf genossenschaftlich korporativer Grundlage, indem etwa Zünfte oder andere Korporationen eine Milizeinheit formierten oder zumindest finanzierten. Lediglich in den Gebieten ständiger Indianerkriege, wie etwa im Süden Chiles oder im Norden Mexikos, kamen seit Mitte des 16. Jahrhunderts staatliche besoldete Truppen zum Einsatz. Solche Einheiten wurden zunehmend auch in den seit den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts errichteten Küsten- und Hafenbefestigungen Hispanoamerikas eingesetzt. Von diesen Ausnahmen abgesehen basierte die gesamte militärische Organisation Hispanoamerikas bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem alten Milizsystem mittelalterlichen Ursprungs23. Im spanischen Mutterland änderte sich in der Heeresverfassung im Verlauf des 16. Jahrhunderts zunächst nur wenig. Zwar sind im Zeitalter Karls V. die Anfänge der spanischen Kriegsmarine als permanent bereitstehende, reguläre Waffengattung zu suchen, doch wissen wir darüber relativ wenig. Es hat den Anschein, daß die Marine unter Karl V. teils unter direkter staatlicher Administration stand, teils auf Kontraktbasis operierte. Vor allem die Mittelmeerflotte in Spaniens Diensten war das ganze 16. Jahrhundert über ein sehr heterogenes Gebilde, das die politischen Verhältnisse widerspiegelte. Ein Teil der Galeeren und Galeassen, die Spanien im Mittelmeerraum unterhielt, waren spanischer Provenienz, spanisch bemannt und administriert, die Mehrheit jedoch stellten die italienischen Besitzungen der Krone und andere Bündnispartner wie Genua, Monaco, der Malteserorden usw. Aber auch die Schiffe spanischer Herkunft standen nicht ständig unter staatlicher Administration. Verwaltung und Kontraktsystem begegnen in mannigfacher Kombination. Sicher ist lediglich, daß seit Karl V. eine besondere Bürokratie zur Verwaltung der Angelegenheiten der Mittelmeerflotte bestand. Auch die Anfänge der ständigen Atlantikflotte finden sich unter Karl V., als seit den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts das Flottensystem mit militärischem Begleitschutz für den Verkehr mit den Überseegebieten eingerichtet wurde. Obwohl Mittelmeer- und Atlantikflotte administrativ in der Folgezeit voneinander getrennt }Jlie23 Vgl. Garcfa-Gallo (Anm. 22); Santiaga Gerardo Sucirez, El ordenamiento militar de Indias (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia 107), Caracas 1971; ders., Las fuerzas armadas venezolanas en la colonia (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia 137), Caracas 1979; ders., Las Milicias. Instituciones militares hispanoamericanas (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia 171), Caracas 1984.

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ben, wurden jedoch permanent Schiffe und Mannschaften zwischen beiden ausgetauscht. Zwar läßt sich auch in der Atlantikflotte in der Folgezeit eine Mischform aus staatlicher Verwaltung und Kontraktsystem beobachten, doch überwog tendenziell bei der Atlantikflotte die staatliche Bürokratie. Außerdem war dieser Flottenteil ganz überwiegend spanisch in bezug auf Herkunft der Schiffe, der Mannschaften und des Offizierskorps. Obwohl in der spanischen Atlantikflotte, wie allgemein bekannt, auch Galeeren und Galeassen zum Einsatz kamen, überwog hier zunehmend das Segelschiff in seinen verschiedenen Typen, da die für militärische Zwecke an sich weitaus besser geeigneten Ruderschiffe Schwierigkeiten mit den Wind- und Seegangsverhältnissen des Atlantiks hatten24 • Eine weitere wichtige Neuerung im Bereich der spanischen Militärorganisation unter Karl V. war die Einrichtung eines ständigen Kriegsrates, des Consejo de Guerra, der ebenso wie die Vielzahl der übrigen zentralen Ratsbehörden der spanischen Monarchie durch Zellteilung des königlichen Rates der Katholischen Könige entstanden war25 • Dieser oberste Kriegsrat bildete fortan die zentrale Instanz für alle administrativen und gerichtlichen Angelegenheiten des Militärbereichs, zuständig auch für Organisationsfragen und dergleichen militärische Angelegenheiten mehr. In dem Maße jedoch, wie die Erfordernisse des Kriegswesens an allen möglichen Fronten wuchsen, sollte sich freilich die Ineffektivität, ja die Inkompetenz dieser Behörde erweisen, die sich in permanente Auseinandersetzungen mit anderen Ratsbehörden verstrickt sah und schließlich durch das unter Philipp II. um sich greifende Junta-Unwesen nahezu lahmgelegt wurde, begründete Philipp II. doch etwa ein halbes Dutzend verschiedener Juntas, die sich mit militärischen Teil- oder Sonderaspekten befaßten. Zwar waren Angehörige des Kriegsrates in diesen Gremien vertreten, doch bedeutete diese Vielfalt von Zuständigkeiten eine Zersplitterung der Kräfte und machte eine zentrale Planung schier unmöglich, um von der enormen Verzögerung des Geschäftsgangs in den sich nicht durch besondere Schnelligkeit auszeichnenden Kollegialbehörden ganz zu schweigen28 • Folgt man Thompson, so muß die zentrale Militärverwaltung Spaniens im Zeitalter 24 Thompson (Anm. 7), 163 ff.; Francisco-Felipe Olesa Muiiido, La organizaci6n naval de los estados mediterraneos y en especial de Espaiia durante los siglos XVI y XVII, 2 Bde., Madrid 1968, passim. 25 Dazu immer noch Fritz Walser, Die spanischen Zentralbehörden und der Staatsrat Karls V. Bearbeitet, ergänzt und herausgegeben von Rainer Wohlfeil, Göttingen 1959; für die spätere Zeit Thompson (Anm. 7), 38 ff. 2& Da die verschiedenen Untersuchungen über die zentralen Ratsbehörden in diesem Zusammenhang weniger von Interesse sind, sei lediglich verwiesen auf I. A. A. Thompson, The Armada and Administrative Reform: The Spanish Council of War in the Reign of Philip II, in: English Historical Review 82 (1967), 698 ff. und die Beispiele in Thompson (Anm. 7), passim.

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Philipps II. ein nahezu vollkommenes Chaos dargestellt haben und den Bedürfnissen schier weltweiter militärischer Aktivitäten in keiner Weise entsprochen haben. Dazu kam offenbar schon seit den Zeiten Karls V. ein hohes Maß an Korruption, Günstlings- und Cliquenwirtschaft auf nahezu allen Ebenen staatlicher Verwaltung, welches die Bemühungen der Krone um eine straffe bürokratische Organisation gerade auch des Militärwesens immer wieder unterminierte. Vor allem in den ersten Jahrzehnten seiner Regierungszeit unternahm Philipp II. große Anstrengungen, um eine effektive staatliche Militärverwaltung bis hin zur staatlich administrierten Produktion militärisch wichtiger Güter zu organisieren, doch erwies sich dies immer wieder als wenig effektiv und zu kostspielig. Seit den 80er Jahren mußte die spanische Krone immer mehr zu indirekten Methoden der Heeresorganisation greifen und auf private Heereslieferanten, Kontrakte und die Mitwirkung ständischer Institutionen rekurrieren. Thompson folgerte daher, daß die traditionelle Sicht, die in der Regierungszeit Philipps II. ein Zeitalter wachsenden bürokratischen Zentralismus und königlichen Autoritarismus zu erkennen glaubt, radikal modifiziert werden muß. Die Zentralisierungspolitik sei schon in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts zusammengebrochen und mit dem Regierungsantritt Philipps IV. praktisch in ihr Gegenteil verkehrt worden, wofür der Druck der Kriegsereignisse und der Kriegsfinanzierung ausschlaggebend gewesen sei. Thompson sieht folgende Beziehung: Krieg ging immer mit Dezentralisierung und Rekurs auf das Kontraktsystem bzw. auf ständische Institutionen einher, während in Friedenszeiten immer wieder Versuche zu staatlicher Administrierung zu beobachten sind, die freilich in Bankrotterklärungen mündeten. Thompsons Beobachtung, daß die Krone angesichts der wachsenden Kriegslasten und einer unfähigen, korrupten und kostspieligen Bürokratie in verstärktem Maße auf die Unterstützung von Adel, Klerus, Städten und privatem Unternehmertum angewiesen war, um ihre Kriegsmaschinerie in Bewegung zu halten, ist sicher richtig, doch erscheint es problematisch, daraus auf ein Abweichen von den Prinzipien absolutistischer Herrschaft -und sei es auch auf den Druck der Umstände hin - folgern zu wollen. Zunächst einmal muß man diesbezüglich berücksichtigen, daß jedes absolutistische Regiment, wie mit gutem Grund anhand neuerer Forschungen im gesamteuropäischen Bereich geschlossen werden muß, aus der Perspektive der administrativen Alltagspraxis entstammenden Quellen ein der Theorie nur wenig entsprechendes Gesicht annimmt, noch dazu, wenn das Quellenmaterial von einer so perfektionistischen Bürokratie wie der spanischen stammt. Zum anderen, und das scheint mir wichtiger zu sein, war das spanische Königtum spätestens unter Philipp II. ein Gefangener seiner Bürokra-

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tie, die sich aufgrund besonderer Rekrutierungsmechanismen, eines umfangreichen Privilegienwesens und durch Ausnutzung traditioneller spanischer Clan- und Klientelmechanismen zu einer Art "noblesse de robe" mit eigenem Standesbewußtsein entwickelt hatte, die mit ihrem ausgeklügelten Verfahrensrecht, subtiler Gesetzesauslegung und der Multiplizierung der Geschäftsgänge den Herrscher lahmgelegt bzw. unter Kontrolle gebracht hatte27 • Wie neuere französische Studien zur spanischen Bürokratiegeschichte jener Epoche vermuten lassen, war der Rückgriff auf allmächtige Minister oder Günstlinge seit Philipp III. und die Wiederbelebung anderer Institutionen sowie die Heranziehung sozialer Gruppen, die von den Geschäften bis dahin ferngehalten worden waren, auch ein Versuch des Königtums, seinen politischen Spielraum zu vergrößern und ein Stück Entscheidungsfreiheit zurückzubekommen. Wie dies auch immer zu bewerten ist, so ist doch sicher, daß in der Phase tatsächlichen oder scheinbaren Machtverfalls des spanischen Königtums im 17. Jahrhundert der monarchische Absolutismus in Spanien als allgemeines Postulat sich gegenüber dem 16. Jahrhundert erheblich verstärkt und im Zentrum der spanischen Monarchie, in Kastilien, nie ernsthaft in Frage gestellt wurde28 • Wenn wir uns nun von der politisch-verfassungsmäßigen Ebene wieder dem militärischen Bereich zuwenden, so bleibt vor allem die Entwicklung in Spanien selbst zu verfolgen. Wir haben gesehen, daß sich in Italien und den Niederlanden ein stehendes Heer gemischter Nationalität entwickelte, das - zumindest theoretisch - staatlich finanziert und mehr oder weniger direkt auch bürokratisch administriert wurde. Bei der entstehenden Mittelmeerflotte überwog dezentrale Verwaltung und Finanzierung, im Gegensatz zur rasch expandierenden Atlantikflotte mit sehr viel stärker akzentuierter staatlicher Intervention. In Amerika schließlich hatte sich weitestgehend ein dezentrales, wenig effektives und mittelalterlichen Vorbildern entstammendes Milizsystem durchgesetzt, wenn man von wenigen besonders exponierten Gebieten absieht, in denen stehende Truppen zum Einsatz kamen. In Spanien 27 Vgl. dazu etwa Jean Mare Pelorson, Les Letrados. Juristes castillans sous Philippe III. Recherehes sur leur place dans la sociE~te, la culture et l'etat, Poitiers 1980; ferner Janine Fayard, Les membres du Conseil de Castille a l'epoque moderne (1621- 1746), Genf 1979; J . Garcia Marin, La burocracia castellana bajo los Austrias, Sevilla 1976. 28 Dies wird etwa daraus ersichtlich, daß im 17. Jahrhundert die Thronfolgefragen unter Philipp IV. und selbst Karl II. völlig ohne Mitwirkung der Stände durch souveränen Herrscherentscheid geregelt werden konnten, vgl. dazu etwa Horst Pietschmann, Reichseinheit und Erbfolge in den spanischen Königreichen, in: Johannes Kunisch in Zusammenarbeit mit Helmut Neubaus, Hrsg., Der dynastische Fürstenstaat. Zur Bedeutung von Sukzessionsordnungen für die Entstehung des frühmodernen Staates, Berlin 1982, 239 ff.

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selbst gab es beim Herrschaftsantritt Philipps II. kaum mehr stehende Truppen als zum Ende der Regierungszeit Ferdinands des Katholischen. Die Landesverteidigung basierte nach wie vor auf dem althergebrachten Milizsystem, das sich jedoch schon in den Anfangsjahren der Regierungszeit Philipps II. als nahezu völlig unbrauchbar erwies. Nordafrikanische Barbaresken und türkische Flotteneinheiten plünderten die spanischen Mittelmeerküsten, ohne auf Widerstand zu stoßen, die Erhebung der Morisken in Granada konnte nur mit größten Anstrengungen nach 2 Jahren niedergeworfen werden, bis Lepanto lebte der Hof in Panik aus Angst vor einer türkischen Invasion, schließlich tummelten sich englische Korsaren nicht nur ungehindert in spanischen Gewässern, sondern plünderten auch fast nach Belieben die wichtigsten Häfen Spaniens an der Atlantikküste. All diesen Bedrohungen suchte die Krone durch die Wiederbelebung des traditionellen Milizsystems zu begegnen. Philipp II. unternahm mehrere Anläufe, um die alten Reiter-, Adels- und Stadtmilizen zu mobilisieren und zu reorganisieren, doch was den Katholischen Königen noch gelungen war, scheiterte nun an Desinteresse und Passivität, an administrativer Torpedierung oder gar an der Weigerung der mit der Durchführung betrauten Instanzen28 • Ein ähnliches Schicksal erlitten die durchaus mit Nachdruck betriebenen Bemühungen der Krone zum Aufbau von Küstenbefestigungen. Sofern der Staat den Festungsbau nicht in eigener Regie organisierte und finanzierte, geschah wenig, da selbst die unmittelbar von den äußeren Bedrohungen betroffenen Städte und Regionen jegliche Eigeninitiative vermissen ließen. Zahlreiche Gutachten der Bürokratie jener Epoche kamen zu dem Schluß, daß Spanien einer ausländischen Invasion nichts entgegenzusetzen hätte. Dennoch unternahm die Krone keine entscheidenden Schritte zur Änderung der Lage. Die verfügbaren Mittel wurden mehr oder weniger nach gewissen vagen Prioritäten und nach dem Gießkannenprinzip verteilt, so daß allenthalben die Planungen nicht eingehalten und den Bedürfnissen nicht Rechnung getragen werden konnte30• Ein durchorganisiertes stehendes Heer auf spanischem Boden entstand jedenfalls weder unter Philipp II. noch unter seinen habsburgischen Nachfolgern im 17. Jahrhundert. Das Artilleriekorps blieb zahlenmäßig etwa auf dem Stand des Zeitalters von Ferdinand und Isabella, desgleichen die Guardias de Castilla. Kleinere stehende Einhei2u Dazu Hellwege, Reitermilizen (Anm. 5), passim; neuerdings auch Reinhard Liehr, Sozialgeschichte spanischer Adelskorporationen. Die Maestranzas

de Caballeria 1670- 1808, Wiesbaden 1981, der, ausgehend von den entsprechenden Bestrebungen unter Philipp II., nachweist, daß es auch im späten 17. und im 18. Jahrhundert nicht gelang, den neu entstandenen ständischen Korporationen des mittleren Adels in Andalusien den Charakter einer militärischen Reserve, etwa zur Rekrutierung von Offizieren für das stehende Heer, zu geben. ao Dazu eindringlich Thompson (Anm. 7), passim.

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ten, in der Stärke von 600 -1500 Mann, waren darüber hinaus in Grenzprovinzen und -befestigungen sowie in einigen Häfen stationiert, etwa entlang der Pyrenäengrenze, in Galicien, in Cadiz, Malaga und natürlich in Portugal. Die von der spanischen Bürokratie direkt besoldeten stehenden Truppen erreichten Ende des 16. Jahrhunderts mit etwa 50 000 Mann ihre höchste Zahl, doch entfiel davon der größte Anteil auf die Angehörigen der Atlantikflotte und die in den nordafrikanischen Forts sowie auf den Balearen, den Kauarischen Inseln und den Azoren stationierten Festungsbesatzungen. Außer den Guardias de Castilla gab es an stehenden Truppen auf der Iberischen Halbinsel nur sehr weit verstreute Festungsbesatzungen, eine Situation, die sich erst im 18. Jahrhundert unter den Bourbonen ändern sollte. Die einzige einigermaßen effektiv ausgebaute spanische Militäreinheit war die spanische Atlantikflotte, die unter Philipp II. ihre größte Stärke erreichte, im 17. Jahrhundert jedoch soweit verfiel, daß beim Tode Karls II. kein einziges einsatzfähiges Schiff vorhanden war. Auch in anderer Hinsicht bildet das Zeitalter Philipps II. einen Wendepunkt. Bis in die späten 70er Jahre des 16. Jahrhunderts hatte Spanien keine Rekrutierungsschwierigkeiten. Die von der Krone ernannten Kapitäne brachten relativ problemlos die erforderliche Mannschaftsstärke ihrer Kompanie zusammen. Danach änderte sich das Bild drastisch. Die Rekrutierungszahlen gingen immer mehr zurück, die Klagen der Zivilbevölkerung und der zivilen Behörden über die Rekrutierungsmethoden, über die Übergriffe und Disziplinlosigkeiten der Soldaten nahmen ständig zu. Zugleich häuften sich die Klagen der militärischen Befehlshaber über die mangelnde militärische Qualität der Mannschaften, aber auch der Capitanes. Die Zahl der Deserteure nahm beängstigende Formen an, Soldaten in den nordafrikanischen Presidios flohen zu den Mauren oder begingen Selbstmord oder verhungerten buchstäblich, weil sie jahrelang keine Soldzahlungen oder ausreichende Versorgung erhalten hatten. Das soziale Prestige des Soldaten in der spanischen Gesellschaft erreichte einen nie zuvor gekannten Tiefpunkt. Der Staat mußte nun zunehmend zu Zwangsaushebungen greifen und Vagabunden und Kriminelle zum Militärdienst verurteilen. Die eingangs erwähnten sozioökonomischen Strukturprobleme der spanischen Monarchie begannen nun in der Militärorganisation allenthalben faßbar zu werden, und es zeichnete sich der in Rocroi schließlich besiegelte militärische Niedergang Spaniens immer deutlicher ab31 • Die spanische Krone hat freilich immer wieder Anstrengungen unternommen, um durch Reformmaßnahmen verschiedenster Art die Leistungsfähigkeit ihres Militärapparats zu erhalten oder zu verbessern, at Quatrefages

(Anm. 8), 319 f.

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doch hatten die getroffenen Maßnahmen immer nur kurzfristige Erfolge zu verzeichnen, wenn überhaupt, und vermochten den Niedergang nicht aufzuhalten. Auch wenn bislang keine zusammenhängende Darstellung der spanischen Militärpolitik aus der Perspektive der Zentralverwaltung vorliegt, so sind viele dieser Bemühungen, etwa der großangelegte Reformversuch des Conde-Duque de Olivares32 , hinreichend bekannt, um zu dokumentieren, daß sich die politisch Verantwortlichen der politischen, organisatorischen und ökonomisch-sozialen Ursachen der zunehmenden Schwierigkeiten im Bereich von Heeres- und Staatsverfassung vor allem im 17. Jahrhundert deutlich bewußt waren. Gerade Olivares war sich mit vielen seiner Zeitgenossen darüber im klaren, daß die Ursachen der Krisenerscheinungen in der Struktur der Monarchie zu suchen waren. Spanien war schließlich nur in seinem äußeren Erscheinungsbild ein Einheitsstaat, seiner Verfassungsstruktur nach jedoch eine Monarchie zusammengesetzt aus zahlreichen Einzelreichen, die eifersüchtig über ihre überkommenen Verfassungsordnungen, Privilegien und Vorrechte wachten und nicht bereit waren, sich widerspruchslos mit den zentralen, von der Krone formulierten allgemeinen politischen, militärischen, ökonomischen usw. Zielsetzungen abzufinden, bzw. sich den aus ihnen resultierenden Erfordernissen unterzuordnen. Lediglich Kastilien hatte sich aus verschiedenen Gründen weitestgehend mit der Zentralstaatsidee identifiziert und die staatliche Politik unterstützt. Dies hatte zur Folge, daß Kastilien nicht nur im finanziellen Bereich die Hauptlast der imperialen Politik der spanischen Habsburger zu tragen hatte, sondern dieser Politik alle seine Ressourcen, einschließlich seiner Menschen, zur Verfügung zu stellen hatte, während die übrigen Reiche immer wieder Mittel und Wege fanden, sich staatlichen Finanzierungswünschen oder den Forderungen nach stärkerer Unterstützung der königlichen Politik zu entziehen. Die von Thompson konstatierte allgemeine Entwicklung von zentralistischer zur zentrifugalen Regierung und von staatlicher zu privater Verwaltung im Militärwesen von Philipp II. bis Philipp IV. 33 ist nichts anderes als der Ausdruck des Scheiterns der Bemühungen zur Bildung eines einheitlichen, zentralistisch organisierten und absolutistisch regierten spanischen Einheitsstaates. Im Falle der spanischen Monarchie des 16. und 17. Jahrhunderts ist sicherlich das Scheitern der Bemühungen um eine zeitgemäße Staatsverfassung mit ausschlaggebend gewesen für die wachsende Dezentrali32

Die das Reformprogramm enthaltende Denkschrift von Olivares bei

Gregorio Marafi6n, El conde-duque de Olivares: La pasi6n de mandar, Madrid 1952, 43 f. - Neuerdings auch John H. Elliat und J. Francisca de la Pena, Memoriales y cartas del Conde-Duque de Olivares, 2 Bde., Madrid 1981; ferner auch John H. Elliott, El Conde-Duque de Olivares y la herencia de

Felipe II, Valladelid 1977. 33 Thampson (Anm. 7), 274 ff.

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sierung und Desorganisation im Heerwesen, da der die Hauptlast tragende Reichsteil, Kastilien, den militärischen Anforderungen der imperialen Politik nicht gewachsen war. Freilich wäre es einseitig, nur Verfassungsprobleme dafür verantwortlich zu machen, da eine Vielzahl von ökonomischen Faktoren - genannt seien hier nur die Stichworte "Preisrevolution" und die "Krise des 17. Jahrhunderts" 34 - ebenfalls zu dieser Entwicklung beitrugen. Aber gerade die ökonomische Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel läßt erkennen, welch gegensätzliche Begleiterscheinungen mit der unterschiedlichen Haltung zur imperialen Politik der Krone in den einzelnen Reichsteilen verbunden waren: Kastilien, das diese Politik trug, trieb in eine katastrophale Wirtschaftskrise, während sich die peripheren Reichsteile, etwa Arag6n, Katalonien, Valencia und selbst die baskischen Provinzen, die sich der Politik der Krone immer wieder versagten, im 17. Jahrhundert wirtschaftlich in einer Aufwärtsentwicklung sahen. Hat auch der Niedergang des spanischen Militärwesens im 17. Jahrhundert mannigfache Gründe, so hat das Ausbleiben der Entwicklung einer Staatsverfassung, die der imperialen Politik Spaniens angemessen gewesen wäre, im militärischen Bereich dazu geführt, daß sich in Spanien während der Herrschaft der Habsburger keine einheitliche und flächendeckende territoriale Militär- und Fiskalverwaltung ausbilden konnte. Die entsprechende Bürokratie blieb vielmehr mit den im Feld stehenden Truppen verbunden und verfügte in aller Regel nicht zugleich auch über Territorialverwaltungskompetenzen, so daß Reibereien zwischen Territorial- und Militärverwaltung an der Tagesordnung waren, sicherlich ebenfalls ein wesentlicher Grund für die von Thompson konstatierte, aber anders begründete Entwicklung. Zwar tauchte im späteren 16. und verstärkt im 17. Jahrhundert mit der Institution des Generalkapitäns, der zugleich Gouverneur einer Provinz oder eines Fortifikationskomplexes war, eine territorial bezogene Verknüpfung von Zivil- und Militärverwaltung auch in Spanien auf, doch blieb diese Institution weitgehend auf strategisch-militärisch wichtige Regionen beschränkt. Entscheidender war freilich, daß die neuen Generalkapitäne nicht auch die Leitung der Finanzverwaltung ihrer Provinz unterstellt bekamen, so daß sie mangels Ressourcen meist zur Wirkungslosigkeit 34 Zur Krisendebatte vgl. Trevor Aston, Hrsg., Crisis in Europe 1560- 1660. Essays from "Past and Present", London 1965 u. mehrere spätere Auflagen, darin besonders: John H. Elliott, The Decline of Spain, 167 ff.; ferner Geoffrey Parker, Europein Crisis, 1592- 1659, London 1980; zur "Preisrevolution" sei lediglich auf die klassische Untersuchung von Earl J. Hamilton, American Treasure and the Price Revolution in Spain, 1501 - 1650, Cambridge, Massachusetts 1934, verwiesen, die seither immer wieder lebhafte Diskussionen auslöste, in ihren zentralen Schlußfolgerungen aber doch wohl weitgehend akzeptiert wird.

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verurteilt waren bzw. langwierige bürokratische Instanzenwege einschlagen mußten, um Finanzmittel für benötigte Maßnahmen bewilligt zu erhalten. Aus dieser Perspektive der regionalen Militärbefehlshaber35 würde sich wahrscheinlich mit ziemlicher Deutlichkeit zeigen, daß ungeachtet von Thompsons Thesen bezüglich der Dezentralisierung und der Privatisierung der Militärverwaltung das Verfügungsmonopol der Krone über materielle Ressourcen ungebrochen war. Auch wenn aus der Sicht der Zentralverwaltung der Monarchie solche zentrifugalen Tendenzen offenkundig sind, so zeigt sich andererseits aus der Sicht des lokalen oder regionalen Militärbefehlshabers wiederum, daß ihm letztlich nur die zentralen Kronbehörden Geld, Waffen und Mannschaften verschaffen können. Die enge Korrelation von Militärwesen und Staatsverfassung läßt sich vor dem Hintergrund der Entwicklung im 16. und 17. Jahrhundert im Spanien des 18. Jahrhunderts besonders deutlich herausarbeiten. Erstmals in der neueren Geschichte Spaniens operierten im Spanischen Erbfolgekrieg ausländische Heere auf der Iberischen Halbinsel, nachdem sich die Reiche der Krone Arag6ns gegen den zunächst anerkannten Bourbonenprinzen Philipp wandten und dem habsburgischen Thronprötendenten huldigten. Der Sieg des Bourbonen führte dazu, daß, gestützt auf das Kriegsrecht, Philipp V. die verfassungsrechtlichen Besonderheiten Arag6ns, Kataloniens und Valencias beseitigen und die drei Teilreiche kastilischem Recht unterwerfen konnte. Verbunden damit kam es auch zu einer Angleichung des Steuersystems und zu einer verstärkten Heranziehung dieser Gebiete zur Finanzierung des Staatshaushaltes. Darüber hinaus zeichnete sich schon im Krieg eine wichtige administrative Neuordnung ab, als mit der schrittweise erfolgenden Einführung von Heeres- und Provinzintendanten in Spanien eine Zuas Dies gilt vor allem für außergewöhnliche Umstände, die es den Militärbefehlshabern ermöglichten, etwa im Falle unmittelbarer feindlicher Bedrohung, die Bevölkerung ihrer Distrikte zu mobilisieren .bzw. materielle oder auch finanzielle Beiträge innerhalb ihres Jurisdiktionsbereichs zu mobilisieren, ohne den Dienstweg über die Zentralverwaltung einschlagen zu müssen. Zur Finanzierung regulärer oder zukunftsorientierter militärischer Aufwendungen, die keinen Bezug zur Landesverteidigung besaßen, mußten die Militärbefehlshaber freilich aufgrund der starken Zentralisierung der Finanzverwaltung immer auf die Zentralverwaltung in Madrid rekurrieren, wo die geplanten Maßnahmen dann freilich immer im bürokratischen Dickicht stekken blieben bzw. den finanziellen Engpässen geopfert wurden, zumal die Versuche der Krone, solche materiellen Aufwendungen auf die betroffene Provinz abzuwälzen, in Ermangelung unmittelbarer kriegerischer Anlässe meist fehlschlugen, wie auch Thompson feststellt. Dies ist somit letztlich eher ein Beweis dafür, daß der Widerstand, wenn auch in überwiegend passiver Form, sich nicht gegen den Machtanspruch der Krone und ihrer Bürokratie richtete, sondern gegen die imperiale, auf ferne Schauplätze zielende Politik der Krone, die mitzutragen die kastilischen Provinzen immer weniger Bereitschaft zeigten.

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sammenfassung von Zivil-, Finanz- und Heeresverwaltung begann. Im Unterschied zu dem habsburgischen System der Generalkapitäne, bei denen militärischer Oberbefehl, Militär- und Zivilverwaltung zusammengefaßt waren und die Finanzverwaltung unabhängig blieb, wurden nun alle administrativen Bereiche zusammengefaßt und der militärische Oberbefehl unabhängig belassen. In einseitiger Verkürzung der Problematik, bedingt wohl durch die Namensgleichheit, hat man das neue Verwaltungssystem lange Zeit als bloße Übernahme des französischen Vorbildes angesehen, doch bildeten die spanischen Intendanten tatsächlich bloß eine neuartige Verknüpfung unterschiedlicher Ämter und Zuständigkeiten38. Neu an dieser sich im übrigen nur langsam durchsetzenden und eigentlich erst 1749 definitiv eingeführten Verwaltungsorganisation war vor allem die Tatsache, daß das Intendantensystem flächendeckend eingeführt werden konnte und somit jede Provinz von einigen Ausnahmen im Baskenland und in Navarra abgesehen nunmehr über eine eigene an die Territorialverwaltung gebundene Militäradministration verfügte. Im Zusammenhang damit erfolgte schrittweise auch die Stationierung von stehenden Truppen in den wichtigsten Landesteilen, die Anhindung der Marineadministration an das neue System der Territorialverwaltung in den betroffenen Küstenprovinzen und schließlich der Aufbau eines disziplinierten Provinzialmilizsystems, das - aus politscher Rücksichtnahme - freilich auf Kastilien beschränkt blieb37 • Auch diese neueren Entwicklungen ae Vgl. dazu Horst Pietschmann, Antecedentes espaiioles e hispanoamericanos de las intendencias, in: Anuario de Estudios Americanos 40 (1983), 359 ff.; über die Einführung des Systems unter Philipp V. vgl. Henry Kamen, EI establecimiento de los intendentes en la administraci6n espaiiola, in: Hispania 95 (1964), 368 ff.; zu den Anfängen des Intendanturwesens im spanischen Heerwesen finden sich Hinweise bei Lanuza Cano (Anm. 11), 253 ff.; desgleichen in dem leider ohne jeden kritischen Apparat veröffentlichten, jedoch einige Quellenbelege aus dem 16. Jahrhundert enthaltenden Buch von Fernando de Lambarri y Yanguas, Galerfa militar de intendencia. Armas y Letras, Barcelona 1973; die Quellenbelege ausführlich in dem leider schwer zugänglicllen Quellenwerk von Jose Antonio Portugues, Colecci6n general de las ordenanzas militares, 10 Bde., Madrid 1764- 1765. 37 Bezeichnend ist, daß man selbst im 18. Jahrhundert noch politische Bedenken hatte, die ehemaligen Reiche der Krone von Aragon der gleichen Behandlung auszusetzen wie Kastilien, vgl. dazu Hellwege (Anm. 5), 404 ff. Hier wäre auch noch darauf hinzuweisen, daß mit dem Regierungsantritt Karls 111. auch intensive Bemühungen zur Reform des Militärwesens in Übersee einsetzten und in Hispanoamerika sowohl stehende Einheiten stationiert, als auch den spanischen vergleichbare Provinzialmilizen begründet wurden, womit das traditionelle Militärwesen in Übersee von Grund auf reformiert wurde. Für diesen Bereich ist im Gegensatz zum spanischen Mutterland eine intensive neuere Forschung zu konstatieren, vgl. etwa J. L. Sariego del Castillo, De Sevilla a Veracruz. Historia de la Marina Espaiiola en la America Septentrianal y Pacifico, Sevilla 1975; Bibiano Torres Ramirez, La Armada de Barlovento, Sevilla 1981; Pablo Emilio Perez-Mallaina Bueno, Politica Naval Espaiiola en el Atlantico, 1700- 1715, Sevilla 1982, in bezug auf die spanische Kriegsmarine in Übersee. Zu den Heeresreformen in Über-

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vollzogen sich nicht reibungslos und ließen sich nur allmählich durchsetzen, wie man an der Chronologie des Prozesses leicht ablesen könnte. Den entscheidenden Anstoß zu diesen ziemlich parallel laufenden Umstrukturierungen von Staats- und Heeresverfassung, von Territorial-, Fiskal- und Militärverwaltung hatten sicherlich das nachhaltige Erlebnis der politischen Ohnmacht und des bürokratischen Chaos in der Endphase der habsburgischen Herrschaft und schließlich die Erfahrungen des Erbfolgekrieges gegeben. Die Voraussetzung dafür war freilich, daß trotz aller Dezentralisierung und Privatisierung im militärisch-administrativen Bereich während des 17. Jahrhunderts das Machtmonopol der Krone dem Anspruch nach völlig unangetastet geblieben war. Ungeachtet aller reformerischen Erfolge des 18. Jahrhunderts lassen sich jedoch auch wichtige Kontinuitäten von der habsburgischen zur bourbonischen Epoche beobachten. Dies gilt etwa für den Perfektionismus der Heeres- und Marineinstruktionen, die seit der Zeit Philipps Il. kontinuierlich das Bild einer straff organisierten und perfekt verwalteten Armee vorgaukeln, ein Bild, das auch zur Zeit der Bourbonen nie der Realität entsprach. Das chronische Haushaltsdefizit der habsburgischeii Zeit, das großenteils durch die militärischen Anstrengungen hervorgerufen worden war, war auch im 18. Jahrhundert, von kurzen Zeitabständen abgesehen, ein ständiges Problem, das sich schließlich gegen Ende des Jahrhunderts dramatisch verschärfte. Auch die seit der Zeit Philipps II. zu beobachtende geringe Bereitschaft zum Militärdienst, sowohl in der breiten Bevölkerung als auch im Adel, blieb eine Grundkonstante im Zeitalter der Bourbonen, trotz mannigfacher Versuche, das Sozialprestige des Militärs zu heben. Die Verankerung des modernen, absolutistischen Heerwesens im Bewußtsein der Bevölkerung ist den spanischen Bourbonen ebensowenig gelungen wie ihren habsburgischen Vorgängern, wie eindringlich der spontane Volksaufstand gegen die napoleonischen Truppen im Jahre 1808 verdeutlicht.

see selbst Christon I. Archer, The Army in Bourbon Mexico, 1760 - 1810, Albuquerque 1977; Leon G. Campbell, The Military and Society in Colonial Peru, 1750 - 1810, Philadelphia 1976; Allan J. Kuethe, Military Reform and Society in New Granada, 1773- 1608, Gainesville 1978; Juan Marchena Ferncindez, Oficiales y soldados en el ejercito de America, Sevilla 1963, um aus der Vielzahl der Titel nur die wichtigsten neueren Monographien zu erwähnen.

Staat und Heer in England im Zeitalter der Revolutionen Von Wolfgang Reinhard, Augsburg Otto Hintzes heute wiederbelebte Überlegungen aus dem Jahre 1906 zum Verhältnis von .,Staatsverfassung und Heeresverfassung" 1 beruhen auf zwei selbstverständlichen Prämissen, die von ihm selbst nicht in Frage gestellt wurden, zum einen, daß in England alles anders sei als auf dem Kontinent und besonders in Preußen, zum anderen, daß eine bestimmte Heeresverfassung eine bestimmte Staatsverfassung hervorbringe. Beides erscheint uns heute sehr preußisch gedacht, obwohl sich zeigen läßt, daß derartige Vorstellungen den Engländern schon im 17. Jahrhundert keineswegs fremd waren2 • Aber im Lichte neuerer empirischer wie theoretischer Erkenntnisse erweisen sich beide Prämissen doch als sehr korrekturbedürftig. Vor allem lassen sie sich nicht ohne weiteres auf das 17. Jahrhundert anwenden. Ausgangspunkt ist bei Hintze wie seinen englischen Gewährsleuten die Tatsache der .,insularity"3 , durch die eine ständige unmittelbare Bedrohung durch benachbarte machtpolitische Rivalen entfalle. Infolgedessen könnten sich die Engländer den Verzicht auf ein stehendes Heer leisten, mit einem Milizsystem auskommen und daher ihr ständisch-parlamentarisches System am Leben erhalten und weiter ausbauen. Das ihnen angemessene machtpolitische Instrument sei statt dessen die Flotte4 , die im übrigen ihrer Struktur nach einem protu-bürgerlichen .,industriellen" System sehr viel besser entspreche. Dazu käme dann seit Cromwell die später von Wilhelm III. für Dauer etablierte Strategie, die Insel und ihren .,Graben" durch militärische Intervention bereits auf dem Kontinent zu verteidigen5 • l In: Otto Hintze, Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., Göttingen 1970, 52- 83. 2 Vgl. John Trenchard, An Argument, Shewing, That a Standing Army is Inconsistent with a Free Government, and Absolutely Destructive to the Constitution of the British Monarchy, London 1697. s George Clark, Three Aspects of Stuart England, London 1960, 1 - 23. ' Vgl. die Äußerung von Lord Coventry über die .,wooden walls" 1635 bei H. Richmond, The Navy as an Instrument of Policy, 1588- 1727, London 1953, 60. 5 Vgl. Clark (Anm. 3); J . R. Jones, Britain and Europe in the Seventeenth Century, in: W. R. Owens (ed.), Seventeenth-century England. A Changing Culture, Vol. 2: Modern Studies, Totowa 1981, 45 - 60.

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Doch damit ist das Miliz-System als Folge der "insularity" bereits in Frage gestellt. Zwischen 1688 und 1713 hat England nämlich zum Zwecke dieser "Vorwärtsverteidigung" ein gewaltiges stehendes Heer auf dem Kontinent unterhalten, eine Streitmacht, die nach den Regeln des damaligen Kriegshandwerks längst nicht mehr ad hoc angeworben werden konnte, sondern im Hinblick auf Ausbildung und Versorgung eine ständige Infrastruktur benötigte. Es ist kein Zufall, daß Einrichtungen wie das Arsenal damals ihre endgültige Ausbildung erfuhren8 • Aber nicht nur aus diesem Grund muß die "insularity" für das 17. Jahrhundert eher als Wunsch denn als Realität bezeichnet werden. Die Bürgerkriege zeigten nämlich, daß die feindlichen Schotten, seit dem Mittelalter stets die natürlichen Verbündeten des französischen Erbfeindes, durch die Personalunion von 1603 keineswegs für immer zu friedlichen Partnern geworden waren7 • Die Realunion unter dem Protektorat hatte demgemäß bis zu einem gewissen Grad den Charakter eines Besatzungsregimes8. Für Irland gilt dasselbe. Die Irische See war keineswegs breit genug, um den Engländern die Furcht vor den papistischen Iren zu nehmen, vor allem wenn sie Invasoren vom Kontinent die Hand reichen würden. Und an solchen hat es ja nicht gefehlt. Man sollte nicht übersehen, daß die letzte Schlacht gegen eine Invasion auf englischem Boden erst 1685 bei Sedgemoor gegen den Herzog von Monmouth stattfand' und daß die "Glorious Revolution" auf einer regelrechten militärischen Invasion beruht, nur dieses Mal auf einer erfolgreichen. Krieg galt im 17. Jahrhundert auch auf den Britischen Inseln immer noch als normaler Aggregatzustand der menschlichen Gesellschaft1°. Im Hinblick auf die englischen Kolonien in Nordamerika konnte daher kürzlich sogar der Versuch unternommen werden, das militaristische Moment der englischen Geschichte zu betonen und seine Kontinuität von den elisabethanischen Besatzungstruppen an der Nordgrenze, in Irland und auf dem Kontinent bis ins 18. Jahrhundert nachzuweisen11 • Schließich hat es ja auch in England nicht an absolutistischen Tendenzen der Monarchie 8 Vgl. 0. F. G. Hogg, The Royal Arsenal, lts Background, Origin, and Subsequent History, 2 Vol. London 1963, Vol. 1, 32 - 42. 7 Vgl. W. Fergu.son, Scotland's Relations with England. A Survey to 1707, Edinburgh 1977. 8 Vgl. C. H. Firth, Scotland and the Commonwealth. Letters and Papers Relating to the Military Government of Scotland, from August 1651 to December 1653, Edinburgh 1895; ders., Scotland and the Protectorate. Letters and Papers .. . January 1654 to June 1659, Edinburgh 1899; J. Buchan, Montrose, London 1928. e Vgl. Alfred H. Burne, The Battiefleids of England, London 1950, 271. to Vgl. George Clark, War and Society in the Seventeenth Century, Cambridge 1958, 7. u Stephen Saunders Webb, The Governors-General. The English Army and the Definition of the Empire, 1569- 1681, Chapel Hili 1979.

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gefehlt11a, und ein stehendes Heer sollte sogar für einige Jahre die Macht im Lande übernehmen, ein Extremfall, wie er uns nirgends bei den Berufsarmeen auf dem absolutistischen Kontinent begegnet. Man wird also gut daran tun, das Schema "insularity - militia - parliament" zumindest für das 17. Jahrhundert zu verabschieden und statt dessen davon auszugehen, daß auch die englische Geschichte damals weitgehend dem "europäischen Normalverlauf" folgt, bei dem allerorten das Ringen um die Machtstellung der Krone mit den Ständen und in diesem Zusammenhang die Einrichtung eines "miles perpetuus" auf dem Programm stehen. Selbst die Eskalation dieser Konflikte bis zum Bürgerkrieg kommt auch anderswo vor. Freilich, im Rahmen dieser allgemeinen Tendenzen werden dann doch die beiden englischen Sonderbedingungen wirksam, die keineswegs geleugnet werden sollen: die traditionell starke Stellung der dortigen "Stände" in Sachen Steuerbewilligung und die vielberufene "insularity". Letztere hat aber damals weniger mit Geographie zu tun als damit, daß die übrigen europäischen Mächte im kritischen Jahrhundert der englischen Geschichte vorwiegend mit sich selbst beschäftigt waren12 • Die englischen Landstreitkräfte13 der frühen Tudorzeit konnten unterschiedlicher Herkunft sein. Es gab durchaus so etwas wie einen harten Kern von Berufssoldaten, nämlich die königlichen Garden und die Festungsbesatzungen14 , die freilich aus finanziellen und politischen Gründen15 die Zahl von 4 000 Mann nie überschritten. Wegen Zweckund Ortsbindung bildeten sie aber kein disponibles stehendes Heer. Für die Rekrutierung größerer Armeen konnte der Monarch entweder auf das seit den Angelsachsen vorhandene allgemeine Landesaufgebot, die "militia", zurückgreifen, oder auf das Feudalaufgebot seiner Vasallen mit ihren Aftervasallen. Theoretisch war jeder Engländer zwischen 16 und 60 Lebensjahren zum Dienst mit der Waffe verpflichtet, allerdings außerhalb seiner County nur für den Fall einer Invasion des Landes! u a Zusammenfassend Eike Wolgast, Absolutismus in England, in: Aspekte des europäischen Absolutismus, hrsg. v. Hans Patze, Hitdesheim 1979, 1 - 23. 12 Vgl. Clark (Anm. 3). 1a Zur Militärgeschichte grundlegend R. Higham (ed.), A Guide to the Sources of British Military History, London 1972, 65- 83 für das 16./17. Jh., 84- 119 für die Marine; Militärgeschichte. Probleme- Thesen- Wege, hrsg. v. M. Messerschmidt, Stuttgart 1982, bes. 17 -78; Thomas M. Barker, Army, Aristocracy, Monarchy: Essays on War, Society, and Government in Austria 1618- 1780, New York 1982, 147- 168 allgem. Reflexionen; J. W. Fortescue,· A History of the British Army, Bd. 1, 2. Aufl. London 1910. 14 H. M. Colvin, Castles and Government in Tudor England, in: English Historical Review 83 (1968), 225- 234. 15 Zu letzteren Gilbert John Millar, Tudor Mercenaries and Auxiliaries 1485 - 1547, Charlottesville 1980, 9.

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Lokale "commissioners of array" hatten die Waffenfähigen zu mustern, für ihre Ausrüstung zu sorgen und im Bedarfsfall eine bestimmte Zahl geeigneter Leute "auszuheben", aber möglichst ohne Wirtschaft und Gesells.chaft zu beeinträchtigen. Im allgemeinen wurden die nördlichen Grafschaften gegen die Schotten, die westlichen gegen die Iren und die südlichen gegen die Franzosen aufgeboten. Doch die Ausbildung der Miliz ließ nicht selten zu wünschen übrig; außerdem war sie eben nicht beliebig einsetzbar18 • Dem Feudalaufgebot standen die Monarchen nach den Rosenkriegen aber mit begreiflichen Vorbehalten gegenüber, auch und gerade in seiner gewandelten Gestalt als "bastard feudalism" der "indentured retainers" großer Herren17 • Dennoch hat Heinrich VIII. die Armeen seiner Frankreichzüge zu einem großen Teil aus "Privatkontingenten" seiner Lords zusammengebracht18, daneben aber auch in einem bisher nicht bekannten Ausmaß auf die zeitübliche Anwerbung ausländischer Söldner zurückgegriffen19 • Letztgenannte Möglichkeit tritt jedoch bald völlig in den Hintergrund, während ein halb-informelles Feudalaufgebot noch im Bürgerkrieg eine gewisse Rolle spielen sollte20• Im wesentlichen beruhen englische Armeen aber von nun an auf der "militia", deren Reorganisation bereits unter Heinrich VIII.21 und Maria22 in Angriff genommen worden war. Im Zeichen der außenpolitischen Bedrohung im Zeitalter Elisabeths wird diese Reform dann Wirklichkeit. Maßgebend war dabei der Lord Lieutenant, ein Amt, das sich seit den Zeiten Heinrichs VIII. allmählich einbürgerte, bis unter Jakob I. jede Grafschaft regelmäßig ihren Lord Lieutenant erhielt, einen königlichen Beauftragten, meist aus den Reihen der lokalen Peers, der besonders für die "militia" verantwortlich war23 • Seit den siebziger Jahren ging man zum neuen System der "trained bands" 24 über. Das heißt, aus der Ge1& Zur lokalen Bindung in der englischen Gesellschaft des 17. Jhdts. generell vgl. K. Wrightson, English Society, 1580- 1680, London 1981, 222-228. 17 Vgl. K. B. MacFarlane, Bastard Feudalism, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 20 (1945), 161 - 180; W . H. Dunham, Lord Hasting's lndentured Retainers, New Haven 1955; B. D. Lyon, From Fief to Indenture, Cambridge/ Mass. 1957. 18 C. G. Cruickshank, Army Royal. Henry VIII's Invasion of France, 1513, London 1969. 19 Millar (Anm. 15). 2o Vgl. Ronald Hutton, The Royalist War Effort, 1642- 1646, London 1982. 21 Vgl. Geoffrey R. Elton, Policy and Police. The Enforcement of the Reformation in the Age of Themas Cromwell, Cambridge 1972, 381. 22 Fortescue (Anm. 13), 125 f. 23 Gladys Scott Thomson, Lords Lieutenants in the Sixteenth Century. A Study in Tudor Local Administration, London 1923; J. C. Sainty, Lieutenants of Counties, 1585 - 1642, London 1970. 24 "Band" entspricht etwa einem Regiment, vgl. C. H. Firth, Cromwell's Army. A History of the English Soldier During the Civil Wars, the Commonwealth and the Protectorate, London 1902, 7.

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samtzahl der 200 000 - 250 000 gemusterten waffenfähigen Männer wurde eine begrenzte Zahl ausgewählt, die pro Jahr zehn Tage Übungen mit modernen Waffen absolvieren mußten. 1575 waren es 12 000 von den 183 000 in 37 Counties gemusterten Leuten25 • Da sie pro Mann und Tag von ihrer County 8 d zu bekommen hatten, kostete ein Mann die Grafschaft im Jahr fast 1 Pfund, was die Begeisterung der Grafschaftsvertreter für das neue System in Grenzen hielt26 • Bei den Leuten selbst hingegen war es deshalb beliebt, weil der Dienst in den für die Territorialverteidigung bestimmten .,trained bands" von der Teilnahme an auswärtigen Feldzügen in Irland oder auf dem Kontinent befreite. Bis Ende des Jahrhunderts konnte der Privy Council die Feuerwaffen als Standardausrüstung durchsetzen, obwohl der Langbogen lebhafte Befürworter im Parlament hatte, nicht nur wegen der ruhmreichen Tradition, sondern auch wegen der zusätzlichen Kosten für die Gewehre27 • Damit änderte sich aber nichtsamgeringen Niveau der Ausbildung, die sich günstigstenfalls auf Umgang mit der Waffe, Marschieren und Verstehen von noch keineswegs einheitlich standardisierten Befehlen beschränkte28. Die County Militia scheint sich schließlich weitgehend aus wenig qualifizierten Drückebergern zusammengesetzt zu haben29 , während die in Irland und auf dem Kontinent eingesetzten Truppen zum geringeren Teil aus ungeübten Freiwilligen, zum größeren aus Gepreßten und marginalen Existenzen bestanden. Wenn die County-Instanzen Weisung erhielten, eine bestimmte Anzahl von Leuten für eine bestimmte Unternehmung zu stellen, ließen sie zunächst die Werbetrommel rühren. Zusätzlich wurden aber .,press gangs" eingesetzt und die Tore der Gefängnisse und vergleichbare Einrichtungen geöffnet30 • Der militärische Wert englischer Truppen war in jedem Fall gering31 • Um so größer war die politische Bedeutung des Systems, weil es der Krone die ausschließliche Kontrolle über die bewaffnete Macht des Landes sicherte32 • 25 C. G. Cruickshank, Elizabeth's Army, 2. Aufl. Oxford 1966, 25; vgl. L. Boynton, The Elizabethan Militia 1558- 1638, London 1967, 298. 26 D. M. Loades, Politics and the Nation 1450- 1660, London 1974, 293- 296. 21 Cruickshank (Anm. 25), 103- 111. 28 Ebd. 189 - 198. 29 Ebd. 25. 30 Neben Cruickshank, Boynton, Loades, Sainty, Thomson vor allem J. Wake (ed.), A Copy of Papers Relating to Musters, Beacons, Subsidies, etc. in the Country of Northampton, Peterberough 1926 und State Papers Domestic Vol. 14 und Vol. 16 mit instruktiven Detailbeispielen, ferner Cyril Falls, Elizabeth's Irish Wars, London 1970 und zur Leicester-Expedition in den Niederlanden zuletzt Wallace T . MacCaffrey, Queen Elizabeth and the Making of Policy, 1572- 1588, Princeton 1981, 360- 362. s1 Vgl. Geottrey Parker, If the Armada Had Landed, in: History 61 (1976), 358- 368. 32 Loades (Anm. 26), 296; vgl. Boynton (Anm. 25).

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Auch die königliche Marine hatte einen ähnlich halb-professionellen Charakter. Es gab zwar seit Heinrich VIII. 20- 30 königliche Kriegsschiffe und eine Art Marineverwaltung33, aber die königlichen Schiffe wurden abgetakelt, wenn man sie nicht benötigte114 oder für Handelsfahrten vermietet85 • Und die große Flotte, die man der Spanischen Armada entgegenstellen konnte, bestand zum größeren Teil aus angernieteten bewaffneten Kauffahrern36, von den Besatzungen ganz zu schweigen. Schließlich wiederholt sich das Schema ein drittes Mal beim Befestigungswesen37. Die Krone sucht sich die politische und militärische Kontrolle zu sichern, dabei aber den Einsatz von Mitteln aus ihren zentralen Kassen möglichst gering zu halten und die örtlichen Untertanen selbst unmittelbar zur Mitfinanzierung der jeweiligen Anstrengungen heranzuziehen38• So konnte sogar die Eroberung Irlands 1565- 1573 zu einem knappen Fünftel aus irischen Einkünften finanziert werden30• Diese Praxis hat Elisabeth den Vorwurf eingetragen, sie habe als militärisch uninteressierte Frau und aus Geiz Heer und Flotte verkommen lassen40 - ein geradezu klassischer Fall kurzschlüssiger Personalisierung struktureller Zusammenhänge, der die historische Erkenntnis in die Irre führen mußte! In Wirklichkeit handelt es sich nämlich darum, daß der englischen Krone keine ausreichenden eigenen Mittel zum Unterhalt eines größeren ständigen Militärapparats zur Verfügung standen und es ihr im Gegensatz zu kontinentalen Mächten weder im 16. noch im 17. Jahrhundert gelungen ist, sich von der ständischen Bewilligung von Mitteln für Militärausgaben unabhängig zu machen. Trotz der spanischen Bedrohung fehlt es an einem großen Krieg, der der englischen Krone nach dem auf dem Kontinent bewährten Muster Gelegenheit geboten hätte, die Kriegssteuern zur ständigen, von Bewilligung unabhängigen Einrichtung zu 33 Vgl. M. Oppenheim, A History of the Administration of the Royal Navy and of Merchant Shipping in Relation to the Navy from 1509 to 1660, London 1896; C. S. L. Davies, The Administration of the Royal Navy under Henry VIII: the Origins of the Navy Board, in: English Historical Review 80 (1965), 268-288. 34 Davies (Anm. 33), 277. ss Oppenheim (Anm. 33), 139. ss Hans-Christoph Junge, Flottenpolitik und Revolution. Die Entstehung der englischen Seemacht während der Herrschaft Cromwells, Stuttgart 1980, 31; vgl. J. K. Laughton (ed.), The Defeat of the Spanish Armada 1588, 1894, Ndr. New York i971, Bd. 1, Einleitung. 37 Colvin (Anm. 14); ders., History of the King's Works, Bd. 4, London 1982, 402-414. ss Vgl. Henry Williams, The Tudor Regime, Oxford 1979, 77. 38 Vgl. Nicholas Canny, The Elizabethan Conquest of Ireland. A Pattern Established, 1565 - 1576, London 1976, 155. 40 Für das Heer Fortescue (Anm. 13), 127- 133; für die Flotte Junge (Anm. 36), 31.

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machen. Und als der Dauerkonflikt mit Frankreich Ende des Jahrhunderts schließlich ausbricht, ist es für die absolutistische Lösung zu spät, weil die englische Führungsschicht nach den Erfahrungen des 17. Jahrhunderts zu anderen institutionellen Lösungen solcher Probleme gefunden hat. Dabei hatte die Tudorzeit durchaus Grundlagen für eine absolutistische Staatsfinanz gelegt. Die traditionelle Vorstellung, daß der Eingriff in die "property" der Untertanen durch Besteuerung nur mit deren Zustimmung und in außerordentlichen Notfällen möglich sei, die Krone aber ihre ordentlichen Ausgaben aus ihren eigenen ordentlichen Einnahmen, nämlich Krongut, Feudalrechten und allenfalls noch Zöllen, zu finanzieren habe, diese Vorstellung mochte in der Theorie weiterbestehen. In der Praxis wurden aber längst die ordentlichen Staatsausgaben aus Steuermitteln bestritten. Doch als die Krone der Kontrolle des Parlaments zu entgleiten begann, ohne daß außenpolitischer Druck regelmäßige Steuerforderungen in den Augen der Untertanen legitimiert hätte, da konnten die alten theoretischen Vorstellungen bis hin zur Steuerverweigerung reaktiviert werden. Die Krone versuchte daraufhin jene finanziellen Möglichkeiten auszubauen, die sich aus ihren traditionellen Kompetenzen ergaben. Bereits unter Elisabeth wurden Feudalabgaben, Monopole und dergleichen in dieser Weise ausgeweitet. Karll. war schließlich nahe daran, auf diesem Umweg mit dem "ship money" eine ständige königliche Steuer einzuführen41 • Elisabeths ordentliche Einkünfte mögen sich zu Beginn ihrer Regierung auf 200 000 Pfund im Jahr, gegen Ende auf 300 000 Pfund belaufen haben, davon kamen zum Schluß trotz Verkäufen immer noch 100 000 Pfund vom Kronland, dann 91 000 Pfund aus den Zöllen, 12-14 000 Pfund aus dem Court of Wards, der wichtigsten feudalen Einnahmequelle, die unter Karll. 1638/39 nicht weniger als 83 000 Pfund erbringen sollte! Doch die Kriegskosten führten dazu, daß Elisabeths zentrale Kasse, der Echequer, 1588 insgesamt 420 000 Pfund ausgeben mußtedie Armadaschlacht allein hatte 161 000 gekostet - und 1599 sogar 570 688 Pfund 17 Shilling 7 Pence, womit sie nicht nur leer, sondern mit 177 000 Pfund verschuldet war42 • Für Elisabeths letzte zwölf Regierungsjahre ist mit 3,5 Mio. Pfund Kriegskosten zu rechnen; davon wurden 520 000 durch Kronlandverkauf, 200 000 durch Beteiligung am Seeraub hereingebracht, den I .öwenanteil stellten aber 1,8 Mio. Pfund von den Parlamenten bewilligte Steuern. Ohne diese wäre es nicht mehr 41 J. D. Alsop, The Theory and Practice of Tudor Taxation, in: English Historical Review 97 (1982), 1 - 30, nach den Forschungen von Schofield, Lernberg und Elton, gegen Frederick C. Dietz, English Government Finance. 1485- 1558, London 1921, Ndr. 1964. 42 R. B. Wernham, The Making of Elizabethan Foreign Policy, 1558- 1603, Berkeley 1980, 58 f.

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gegangen, obwohl die jährlichen Einnahmen aus direkten Steuern, aus entsprechenden Abgaben des Klerus und aus Zwangsanleihen sich mit 144 000 Pfund gegen Ende des Jahrhunderts vergleichsweise bescheiden ausnehmen. Die seit dem frühen 16. Jahrhundert übliche Bewilligung nannte sich "subsidy" und bestand aus 4 Shilling vom Pfund Einkommen aus Landbesitz, 2 Shilling 8 Pence vom Einkommen aus fahrender Habe43• Doch ging der Betrag des "subsidy" von 140 000 Pfund in der Jahrhundertmitte auf 85 000 Pfund gegen Ende zurück, weil die Angehörigen der besitzenden Schichten, die kraft ihres Amtes die Einschätzung durchzuführen hatten, ihre Standesgenossen nachweislich äußerst behutsam behandelten44 • Infolgedessen mußten bis zu vier Subsidies auf einmal bewilligt werden! Es ist klar, daß der Versuch, den Wohlstand Englands unter Einsatz verschiedener Machtvollkommenheiten der Krone auf andere Weise anzuzapfen, erbitterten Widerstand der einflußreichen Nutznießer des bisherigen Systems provozieren mußte. Die fiskalische Situation sieht noch bedenklicher aus, wenn man die wirtschaftliche Entwicklung mitberücksichtigt. Die Preise stiegen in England zwischen 1500 und 1600 auf das Vierfache, die Reallöhne fielen um 40 00/o46 • Das bedeutet aber, daß die steigenden Kroneinkünfte deflationiert werden müssen, woraufhin nicht mehr viel Zugewinn übrig bleibt. Das bedeutet obendrein ein beträchtliches Potential an sozialem Sprengstoff. Der steilste Preisanstieg liegt zwischen 1540 und 1600; er erreicht im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts eine katastrophale Spitze. Aber der Preisanstieg läuft in abgemilderter Form im 17. Jahrhundert weiter, um zwischen 1645 und 1650 erneut katastrophales Ausmaß anzunehmen - nicht ohne Zusammenhang mit der revolutionären Entwicklung. Erst nach der Jahrhundertmitte haben sich die Preise beruhigt46. Für die Politik sind aber kurz- oder mittelfristige Wechsellagen bedeutsamer als langfristige Trends. Dabei ist der Sektor Außenhandel besonders wichtig, sind doch die Zölle eine der wichtigsten nicht ständig neu zu bewilligenden königlichen Einnahmequellen. So bringt eine Prosperitätsphase 1604- 1614 zusammen mit der 1604 endlich erfolgten Anhebung der Zollsätze an das höhere Preisniveau reichere Einkünfte; 43 Die ältere Steuer des "Fifteenth and Tenth" spielte daneben keine große Rolle mehr, da sie zu einer Repartitionssteuer mit fixem Ertrag geworden war. 44 Vgl. Williams (Anm. 38), 70 - 80; dazu J . E. Neale, Elizabeth and Her Parliaments, 2 Bde., London 1953 - 1957 und Frederick C. Dietz, English rPublic Finance, 1558- 1641, London 1932, Ndr. 1964, passim. 45 Vgl. W. G. Hoskins, The Age of Plunder. The England of Henry VIII, '1500- 1547, 246; Donald Cuthbert Coleman, The Economy of England 14501750, London 1977, 22 f.; B . Baack, The Economy of Sixteenth Century England - A Test of Rival Interpretations, in: Economy and History (Lund) 21

(1978), 29 - 39. ce R. B. Outhwaite, Inflation in Tudor and Early Stuart England. Studies in Economic and Social History, 2. Aufl., Basingstoke 1983, 12, 14.

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doch die Kontraktion des Handels zwischen den beiden Krisen von 1621 - 1624 und 1640 - 1642 hat die finanzielle Lage der Krone weiter verschlechtert47 • Gleichzeitig ging der Ertrag eines Subsidy wie schon unter Elisabeth noch weiter zurück, von 72 500 Pfund im Jahre 1621 auf 67 000 Pfund 1624 und 55 000 Pfund 162848 • Zur Vervielfachung von Subsidies hatte sich das Parlament auch zu Elisabeths Zeiten nur widerstrebend bereit gefunden49 • Dazu kam ebenfalls schon damals der Verlust der Kreditgeber von Antwerpen; die Krone war seither auf den unterentwickelten englischen Geldmarkt angewiesen, der sich im wesentlichen auf die City von London beschränkte. Neben einzelnen Firmen wurden auch die Dienste der "Corporation of London" als Vermittler in Anspruch genommen50, aber die Tilgung wurde von den Stuarts so unzulänglich durchgeführt, daß Karl I. seit den dreißiger Jahren Kredit nur noch gegen massive Sicherheiten oder aber von Leuten erhalten konnte, auf die er in irgendeiner Weise Druck auszuüben in der Lage war. Dazu gehörten die Zollpächter, die schließlich zu einer Art von unfreiwilligen Kronbankiers wurden51 • Die kritische Entwicklung der Kronfinanzen hat aber keineswegs nur exogene Ursachen; die endogenen waren es sogar, die von den Zeitgenossen in erster Linie wahrgenommen wurden und daher erheblich zur sinkenden Popularität der neuen Dynastie beigetragen haben mögen. Die "steigenden Kosten der Souveränität" kamen jetzt nämlich weniger durch die Unkosten "großer Politik" als durch eine höchst aufwendige Hofhaltung zustande. Ein zeitgenössischer Vergleich der Ausgaben Elisabeths 1598- 1603 mit denjenigen Jakobs I. 1603- 1608 stellt für die verschiedenen Hofhaltungstitel einen Anstieg von 320 186 auf 758 700 fest, wobei der Sprung von 13 800 auf 44 000 bei den Juwelen odet von 4 7 000 auf 117 000 bei den Geschenken besonderes Ärgernis erregen mochte. Dem steht ein Rückgang der Marineausgaben von 417 000 auf 193 000 und der verschiedenen Militärausgaben von 1 436 390 auf 431469 gegenüber- aber ohne daß sich unter dem Strich eine Verminderung der Gesamtausgaben ergeben hätte, im Gegenteil52 • Jakobs Hof lebte notorisch über seine Verhältnisse. Elisabeths ordentliche Einnahmen und Ausgaben waren mit ca. 300 000 Pfund im Jahr ausgeglichen, 47 Dietz (Anm. 44), 118 f.; Barry E. Supple, Commercial Crisis and Change in England 1600- 1642. A Study in the Instability of a Mercantile Economy, Cambridge 1959. 48 J. P. Kenyon, Stuart England, London 1978, 39. 49 Seit 1589, nach Neale (Anm. 44), Bd. 2, passim. so Vgl. die finanzpolitische Rolle der Städte im Falle der "Rentes sur l'hötel de ville" der französischen Krone. 51 Robert Ashton, The Crown and the Money Market, 1603 - 1640, Oxford 1960; ders., The City and the Court 1603- 1643, Cambridge 1979. 52 Dietz (Anm. 44), 111 f .

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ihre Verschuldung von ca. 300 000 Pfund bei ihrem Tod ist von ihren Kriegen herzuleiten. Jakob hingegen gab pro Jahr eine halbe Million aus und akkumulierte bis 1608 eine Schuld von 1 Mio. - und dies im Frieden und bei damals noch steigenden Einnahmen. Der Minister Salisbury wußte die Schuld auf 300 000 zu vermindern, aber nach seinem Tod 1612 begann alles von neuem. Der hochkarätige Finanztechniker Lionel Cranfield brachte als Treasurer 1621 - 1623 mitten in einer Wirtschaftskrise das Budget durch methodische Säuberung nahe an den Ausgleich - da wurde er durch Zusammenwirken von Parlamentariern, die in ihm den Handlanger des Despotismus sahen, mit Höflingen, die sich um ihre Beute betrogen fühlten, durch Impeachment gestürzt53 . Wäre Jakob I. der Absolutist gewesen, als der er sich literarisch und gelegentlich auch oratorisch zu gebärden beliebte54 , müßte man feststellen, daß er mit der Friedenspolitik seiner ersten anderthalb Jahrzehnte55 die denkbar ungeeignetste Strategie zur Erreichung des Zieles einer unumschränkten, parlamentslosen Monarchie gewählt hätte. Selbst wenn es nach Elisabeth für die Einführung des "miles perpetuus" in England tatsächlich zu spät gewesen sein sollte56 , so hat Jakob sogar auf entsprechende Versuche verzichtet, vor allem auf das einzige Mittel, Untertanen zu bereitwilligen Steuerzahlern zu machen, das Ausspielen einer außenpolitischen Bedrohung. Bemühungen, der Krone ohne diese nie versagende Legitimationsgrundlage weitere Einnahmen zu verschaffen, mußten aber zu einer Wiederbelebung der traditionellen Vorstellung von der Trennung der "ordinary" und der "extraordinary finance" führen 57 , rasch gekoppelt mit der brisanten Grundsatzfrage nach der Grenze zwischen der Machtvollkommenheit von "government" und der Unverletzlichkeit von "property". Wie weit reichte eigentlich die bisher nie genau definierte außerparlamentarische Machtvollkommenheit der Krone, die "prerogative"?58 Gegenüber dieser im Parlament artikulier53 Ebd. 191 - 213; Charles Wilson, England's Apprenticeship, 1603 - 1763, London 1963; Menna Prestwich, Cranfield: Politics and Profits under the Early Stuarts, London 1976. 54 Vgl. seine Rede vor dem Parlament 1610 nach E. R. Foster, Proceedings in Parliament, 1610, Bd. 2: The Hause of Commons, London 1966, 105. 55 Vgl. Jones (Anm. 5); Barry Coward, The Stuart Age. A History of England 1603-1714, London 1980, 106- 109; M. Lee, James I and Henry IV. An Essay in English Foreign Policy, 1603- 1610, London 1970; Cyril Falls, The Birth of Ulster, London 1936, Ndr. 1973. 56 So Kenyon (Anm. 48), 43. 57 G. L. Harriss, Medieval Doctrines in the Debates on Supply, 1610 - 1629, in: Kevin Sharpe (ed.), Faction and Parliament. Essays on Early Stuart History, Oxford 1978, 73 - 104. ss Vgl. Samuel R. Gardiner (ed.), Parliamentary Debat es in 1610, London 1862, 15; William S. Holdsworth, A History of English Law, 16 Bde., London 1903- 1966, Bd. 9, 4- 45; F. D. Wormut h , The Royal Prerogative, 1603- 1649. A Study in English Political and Constitutional Ideas, Ithaca-London 1939;

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ten Herausforderung erwies sich Jakob weit mehr als Pragmatiker und weniger als Doktrinär als man annehmen sollte69 ; die Kontinuität zu Elisabeth ist in vielen Dingen nicht zu übersehen40 • Auch wenn er 1610 bis 1621 faktisch ohne Parlament regierte - Elisabeth wäre glücklich gewesen, wenn sie die Möglichkeit dazu gehabt hätte61 • Zwischen 1621 und 1629 wurden insgesamt fünf Parlamente einberufen, zwei von Jakob und drei von Karl 1., der 1625 die Nachfolge angetreten hatte62 • Angesichts der verschiedenen dramatischen Konflikte, die in der "Petition of Right" von 1628 gipfeln, hat man bis vor kurzem in diesen ~arlamenten die wichtigste Etappe auf dem Weg zu Bürgerkrieg und Revblution gesehen. Jüngere Forschungen haben aber seit den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts diesen teleologischen Ex-post-Determinismus der historischen Einbahnstraße erfolgreich in Frage gestellt63 • Es gab in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts sehr viel weniger klare Parteizugehörigkeiten und politische Programme, als man aus der Sicht des Bürgerkriegs unterstellt hatte. Die Common Lawyers standen fast nach Belieben auf der Seite der Krone oder ihrer Gegner64• Aus unterschiedlichsten Gründen wurden die Seiten gewechselt; ein prominentes Beispiel ist der spätere Earl of Strafford85 • Cokes Heldenrolle ist die Frucht einer frustrierten Karriere86• Das berühmte historische ArguGerhard A. Ritter, Divine Right und Prärogative der englischen Könige 1603- 1640, in: HZ 196 (1963), 584- 625; Clayton Roberts, The Growth of Responsible Government in Stuart England, London 1966. se Gegen Walgast (Anm. 11 a), vgl. Foster (Anm. 54), bes. Bd. 1, XVII- XXI, Bd. 2, 297-323 zum am gegenseitigen Mißtrauen gescheiterten "Great Contract"; T. L. Moir, The Addled Parliament of 1614, London 1958. so Vgl. auch Lee (Anm. 55), 17. 61 Neale (Anm. 44), Bd. 1, 177. 82 1621122: Samuel R. Gardiner, History of England from the Accession of James I to the Outbreak of the Civil War, 10 Bde., London 1883- 1884, Ndr. New York 1965, Bd. 4, 1 - 130, 229 - 269; W. Notestein, W. Relf und H. Simpson (eds.), Commons Debates, 1621, 7 Bde., New Haven 1935. - 1624/25: Gardiner, History of England, Bd. 5, 183 - 234. - 1625: ebd. Bd. 5, 337- 373, 395- 435; ders. (ed.), Debates in the Hause of Commons in 1625, London 1873. - 1626: ders., History of England, Bd. 6, 59- 121; W. A. J. Archbold, A Diary of the Parliament of 1626, in: English Historical Review 17 (1902), 730 - 737. 1628/29: Gardiner, History of England, Bd. 6, 230- 328, Bd. 7, 1- 77; W . Notestein und F. Relf (eds.), The Commons' Debates for 1629, Minnespolis 1921. 63 Vgl. Sharpe (Anm. 57); Gonrad Russell, Parliaments and English Politics 1621 - 1629, Oxford 1979; ders., The Nature of Parliament in Early Stuart England, in: Howard Tomiinsan (ed.), Before the English Civil War 1603 1642, Basingstoke 1983, 123 - 150. 64 Vgl. W. R. Prest, The Inns of Court under Elizabeth I and the Early Stuarts 1590- 1640, London 1972; J. A. Guy, The Origins of the Petition of Right Reconsidered, in: Historical Journal 25 (1982), 289- 312. 65 Vgl. John K. Gruenfelder, The Electoral Patronage of Sir Themas Wentworth, Eearl of Strafford, 1614- 1640, in: Journal of Modem History 49 (1977), 557- 574. 68 Coward (Anm. 55), 133.

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ment87 wird in den Debatten von beiden Seiten im Bedarfsfall gleich unseriös eingesetzt88• Noch waren Parlamente Ereignisse und nicht Institutionen; die "Parlamentarier" hatten noch keinen Montesquieu gelesen und konnten daher nicht wissen, daß sie Mitglieder einer nach dem Prinzip der Gewaltenteilung abgegrenzten "Legislative" waren, zumal sie bei sich zu Hause häufig als Friedensrichter oder kommunale Amtsträger der "Exekutive" angehören mochten69 • Die Macht der "Parlamentarier" war ohnehin begrenzt; sie konnten die Regierung noch nicht zwingen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Es gab auch noch keine Opposition, es konnte sie noch gar nicht geben, weil der Konflikt als Prinzip noch nicht erfunden war, sondern gemäß traditionellen Vorstellungen immer noch politischer Konsens das Ziel blieb. Die vorhandenen Parteiungen waren keine Parteien im modernen Sinn oder auch nur große Interessengruppen wie die "Country Gentry", sondern Faktionen, die durch nicht selten lokal bestimmte Partikularinteressen und die Loyalitäten der zeitüblichen Klientelverbände strukturiert waren. Daher spielten die Lords und die Privy Councillors eine sehr viel wichtigere Rolle, als die an der heutigen Bedeutung des Hause of Commons orientierte Perspektive zu sehen gestattet. Erst das Wiederauftauchen der Religionsfrage gab Konfrontationen einen prinzipiellen Charakter, diente als Katalysator für die Ausbildung von "Parteien". Aber manche parlamentarischen Konflikte waren nichts anderes als Abrechnungen von Faktionen des königlichen Rates miteinander. Freilich konnten Außenstehende dabei lernen, welche Techniken in diesem System zum Erfolg führten - und sie haben es gelernt7°. Die generellen Tendenzen der Entwicklung, die wir im nachhinein mehr oder weniger korrekt zu identifizieren vermögen, erklären den Weg zur Revolution also keineswegs vollständig71 , kontingente Konstellationen tragen in ihrem Rahmen entscheidend dazu bei. &7 Vgl. J. G. A. Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century, Cambridge 1957. es Coward (Anm. 55), 134; W. W. Wittwer, Das alte Recht und die alte Verfassung in England im 17. Jahrhundert, in: Staat und Gesellschaft in Mittelalter und früher Neuzeit, Gedenkschrift J. Leuschner, Göttingen 1983, 212225. ee Russel, Parliaments (Anm. 63), 3. 10 Roberts (Anm. 58), 432 f.; Christopher Hill, God's Englishman. Oliver Cromwell and the English Revolution, London 1970, 29. 11 Vgl. Kritik am Revisionismus von J. H. Hexter, Power Struggle, Parliament, and Liberty in Early Stuart England, in: Journal of Modern History 50 (1978), 1- 50; Derek Hirst, Parliament, Law and War in the 1620s, in: Historical Journal 23 (1980), 455- 461; ders., Revisionism Revised: The Place of Principle, in: Past and Present 90 (1981), 79- 99; T. K. Rabb, Revisionism Revised. Two Perspectives on Early Stuart Parliamentary History, in: Past and Present 93 (1981), 55- 78; Christopher Hill, Parliament and People in Seventeenth-century England, in: Past and Present 90 (1981), 100- 124.

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Konkret handelt es sich darum, daß die Krone mit einer unzureichenden militärischen Infrastruktur und mit ihren unzureichenden Geldmitteln in einer Wirtschaftskrise Krieg führen möchte, zunächst durch Intervention im Dreißigjährigen Krieg zugunsten der pfälzischen und dänischen Verwandtschaft des Hauses Stuart72 , später geht es dann um die spanischen und französischen Expeditionen des Günstling-Ministers Buckingham79 . Daß diese Unternehmungen erfolglos endeten und daher in den Geschichtsbüchern keine große Rolle spielen, ändert nichts daran, daß sie ernst gemeint waren und daher eine Last für das Land darstellten74. Die militärische Infrastruktur blieb unzulänglich, obwohl die Militia seit 1624 nicht mehr auf Statute, sondern auf der königlichen Prärogative beruhte75 . Doch trotz erfolgreicher Anstrengungen in den letzten Jahren Jakobs und unter Karl, besonders was die Ausrüstung mit Musketen angeht, erreichte sie nicht einmal das Niveau der elisabethanischen78. Das System war dasselbe geblieben. 1624 erhielten die Lord Lieutenants Befehl, Hilfstruppen für Mansfeld auszuheben, dabei aber die für die Landesverteidigung benötigten "trained bands" zu schonen, mit dem Ergebnis, daß diese englischen Truppen nur aus Gesindel bestanden77. Ähnliches wird von den Rüstungen 1625-1627 berichtet78. Die unbefriedigende Militärstruktur und die leere Kasse der Zentrale sind nur verschiedene Ansichten des Grundproblems, des Autonomiewillens zahlreicher lokaler Selbstverwaltungen, deren Bändigung der Zentrale nicht gelungen war und inzwischen sogar mit dem bewährten Instrument der Kriegsdrohung nicht mehr gelingen wollte. Die Krise von 1626 bis 1628 war wie diejenige von 1640 das Ergebnis von Englands "administrative inability to fight a war" 79 . Zur Aushebung von Truppen für die Zentralregierung waren die Lord Lieutenants und Justices of the Peace auf den guten Willen der lokalen Machthaber angewiesen, eine Zwangsgewalt- eine königliche Berufsarmee- stand ihnen nicht zur Verfügung. Bereitschaft zur Mitwirkung unter Opfern war aber nur 12 Vgl. Gardiner, Debates 1625 (Anm. 62); E. A. Beller, The Military Expedition of Sir Charles Morgan to Germany, 1627 - 1629, in: English Historical Review 43 (1928), 528- 539; vermutlich gehört auch H. Bullock (ed.), Articles of War, 1627 ,in: Journal of the Society of Army History Research 5 (1926), 111- 115, hierher. 73 Vgl. Jones (Anm. 5), 51 f.; Roger Lockyer, Buckingham. The Life and Political Career of George Villiers, First Duke of Buckingham, London 1981. 74 Russel (Anm. 63), 64. 75 Sharpe (Anm. 57), 24. 78 Derek Hirst, Court, Country, and Politics before 1629, in: Sharpe (Anm. 57), 127, vgl. 129 f . 11 Lock yer (Anm. 73}, 207 f. 78 Fortescue (Anm. 13), 191 - 194. 79 Russell (Anm. 63), 64.

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durch Angst zu erlangen. Doch die Angst vor den spanischen Papisten um 1624 und die Angst vor den Schotten 1640 war nicht groß genug dazu. Groß genug war die Angst vor den papistischen Iren 1641 - das erklärt die Mißerfolge des Königs und die Erfolge des Parlaments bei der militärischen Mobilisierung8°. Der unter solchen Umständen vom neuen König Karll. eingeschlagene härtere Kurs gegenüber den Parlamenten81 UD:d seine anschließende "personal rule" 1629 - 164082 könnten bereits als der Beginn einer Revolution von oben betrachtet werden83 , obwohl eine formelle und definitive Ausschaltung des Parlaments trotz einschlägiger Drohungen84 anscheinend nicht beabsichtigt war85 . Dieser Monarch war nicht der Mann langfristiger Pläne und tiefgreifender Innovationen88 . Aber es wurde doch nicht ohne Erfolg eine finanzielle Sanierung und eine administrative Straffung in Angriff genommen. Da die vergleichsweise spärlichen parlamentarischen Bewilligungen ohnehin nicht ausreichten, machte man sich an die Erschließung neuer Geldquellen. Eine Zwangsanleihe erbrachte 240 000 Pfund in zehn Monaten, führte aber auch zur Petition of Right und wurde daraufhin fallen gelassen87. Doch insgesamt konnten von 1625 - 1635 allein an Sondereinnahmen 2 402 153 Pfund erzielt werden88 • Karl gab zwar den von Buckingham nach Jakobs Vorbild betriebenen Ämter- und Adelsverkauf weitgehend auf89 , verlegte sich aber statt dessen auf das in der frühen Neuzeit beliebte Aushilfsmittel der Kompositionen: wer Landbesitz mit mehr als 40 Pfund Jahresertrag besaß, ohne Ritter zu sein, mußte zwischen 10 und 70 Pfund bezahlen, was 1631/32 173 537 Pfund 9 Shilling 6 Pence eingebracht haben soll90 • Der Ertrag der traditionellen Feudalabgaben wurde vervielso Nach ebd. 431 f.

81 Vgl. Petition of Right und dramatische Schließung des Parlaments 1629 nach Notestein I Relf (Anm. 62), 105 f. 82 Nachdem auch der Günstling-Minister Buckingham durch Ermordung 1628 ausgefallen war. 83 So Robert E. Kann, Restauration als Phänomen in der Geschichte, Graz 1974, 279.

84 Vgl. J . P. Kenyon, The Stuart Constitution. Documents and Commentary, Cambridge 1966, 50 (1626). 85 Kevin Sharpe, The Personal Rule of Charles I, in: Tomlinsen (Anm. 63),

53- 78.

8& Vgl. Pauline Gregg, King Charles I, London 1981. 87 Coward (Anm. 55), 139. 88 Dietz (Anm. 44), 271. 89 Vgl. Peter Roebuck, Yorkshire Baronets, 1640- 1760. Families, Estates, and Fortunes, Oxford 1980, bes. 16 f.: als Karl die zahlenmäßige Begrenzung beim Verkauf dieses Titels fallen läßt, sinken die Preise - aber was ist Ursache, was Wirkung? Vgl. Sharpe (Anm. 85), 61. uo Vgl. J. P. Cooper, The Social Distribution of Land and Man in England, 1436- 1700, in: Economic History Review 20 (1967), 419- 440, hier 429 f.

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facht. Und da das Monopolgesetz nur die Verleihung an Individuen verbot, wurden Gesellschaften damit ausgestattet; den Ertrag für die Krone schätzt man auf 100 000, die zusätzlichen Kosten für das Publikum aber auf 750 000 Pfund91 • Im Grunde handelte es sich um eine verschleierte und mit äußerst verschwenderischem "Verwaltungsaufwand" erhobene Akzise - aber der Krone fehlte eben der Erhebungs- und ZwangsapparatD2. Doch "the King's Great Business"93 war die Ausdehnung des "ship money", das in Küstengebieten zur Ablösung der Pflicht, Schiffe für die Landesverteidigung zu stellen, erhoben wurde, auf die binnenländischen Grafschaften seit dem Jahr 163594• Obwohl der Verteidigungsfall nicht gegeben war, hatten Gerichte der Krone diese Befugnis im Rahmen ihrer Prärogative zugestanden. 1635 - 1638 wurden 673 109 Pfund eingenommen, das sind 95 fl(o der Forderung. Insgesamt hat die Krone 742 000 Pfund "ship money" erhalten96 • Es begann sich zu einer regelrechten nicht-parlamentarischen Steuer zu entwickeln. Doch dieser erfolgversprechende Weg konnte nicht weiter verfolgt werden. 1639- 1641 ging der Steuereingang rapid zurück; schließlich wurde diese Abgabe vom Parlament für ungesetzlich erklärt96 • Insgesamt waren die Einnahmen der Krone in den dreißiger Jahren von 550 000 auf 900 000 Pfund im Jahr gestiegen, reichten aber immer noch nicht aus97 , besonders als sich Karl I. mit den Schotten angelegt hatte98. Auch seine administrativen und militärischen Reformversuche sollten diese Krise nicht überstehen. Seine "Books of Orders" hatten den Versuch gemacht, die Lokalverwaltung einer strafferen Leitung durch die Zentrale, den Privy Council, zu unterwerfen. Ihr Erfolg ist in der Forschung umstritten; zumindest war er uneinheitlich. Dasselbe gilt für den Versuch, eine "exact militia" zustande zu bringen. In niederländischen und schwedischen Diensten bewährte englische Offiziere sollten die dort durchgeführten epochemachenden Reformen in Waffengebrauch, Drill und Taktik99 als "muster masters" den "trained bands" der Counties ut David Thomas, Financial and Administrative Developments, in: Tomlinsen (Anm. 63), 120. 92 Dietz (Anm. 44), 264 f. 93 Gregg (Anm. 86). 94 Gardiner, History (Anm. 62), Bd. 7, 342- 391. us Vgl. F. R. Raines und C. W. Sutton, Life of Humphrey Chetham, 2 Bde., 1903, Bd. 1, 82- 90. 96 Dietz (Anm. 44), 265- 267; Coward (Anm. 55), 144 f.; Thomas (Anm. 91),

121.

Thomas (Anm. 91), 121. os Ferguson (Anm. 7), 110 - 112; Dietz (Anm. 44), 284- 286. 9D Vgl. Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier und die Antike, Berlin 1941; Barry H. Nickle, The Military Reforms of Prince Maurice of Orange Ph. D. Univ. of Delaware 1975; Michael Roberts, Gustavus Adolphus, 2 Bde., London 1958, Bd. 2, 169 - 271; ders., The Military Revolution, 1560 - 1660, 97

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vermitteln. Die Ergebnisse waren unterschiedlich und insgesamt bescheiden; Widerstand wegen fehlender gesetzlicher Grundlage ist belegttoo. Die Aktivität der "Revisionisten" unter den Historikern in den letzten zehn Jahren hat eine Einigung über die "Ursachen" der Entwicklungen zwischen 1640 und 1650- bereits die Verwendung der Begriffe "Revolution" oder "Interregnum" dafür ist umstritten101 - ferner gerückt denn je. Wie ist das Verhältnis der langfristigen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft, von Verfassung, von Religion und Kirche zueinander und zu den mittelfristigen und kurzfristigen Konstellationen der sogenannten "Ereignisgeschichte" einzuschätzen? Wie ist das Verhältnis der zahlreichen feststellbaren "Faktoren" zueinander und welches Gewicht kommt ihnen in den so beunruhigend rasch wechselnden Konstellationen jeweils zu, den halbautonomen einzelnen Counties und ihren auf nationaler Ebene informell vernetzten Eliten, dem Hof und seinen Gruppierungen, der Stadt London (genauer: ihren Amtsträgern, ihren wirtschaftlichen Interessengruppen und ihren Volksmassen), dem Parlament (und zwar auch dem häufig übersehenen Oberhaus) mit seinen Komitees, Fraktionen und "Parteien", der offiziellen Kirche und den Sekten, der Flotte und - last but not least der Armee? 102 Last but not least deswegen, weil die Armee zunächst Belfast 1956; dazu kritisch Geoffrey Parker, The "Military Revolution" 1560 1660, a Myth? in: Journal of Modern History 48 (1976), 195- 214. too Boynton (Anm. 25), 244- 297; Coward (Anm. 55), 145- 147; Sharpe (Anm. 85), 67 - 69. tot Vgl. Peter Wende, Probleme der englischen Revolution, Darmstadt 1980, 3; Angus Macinnes, When was the English Revolution? in: History 67 (1982), 377-392. 102 Konsultiert wurden Christopher Hill, The Century of Revolution 16.03 1714, London 1961, 2. Aufl. 1980; die schon vor der "Revisionismus"-Debatte erschienenen Studien zum politischen Prozeß im Parlament von Latte Glow, Pym and Parliament: The Methods of Moderation, in: Journal of Modern History 36 (1964), 373- 397; dies., The Committee of Safety, in: English Historical Review 80 (1965), 289- 313; dies., Political Affiliations in the House of Commons after Pym's Death, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 38 (1965), 48- 70; L. Mulligan, Peace Negotiations, Politics and. the Committee of Both Kingdoms, 1644- 1646, in: Historical Journal 12 (1969), 3- 22; Ivan Roots, The Great Rebellion 1642- 1660, London 1966, 3. Aufl. 1972; Perez Zagotin, The Court and the Country. The Beginning of the English Revolution, London 1969; Lawrence Stone, The Causes of the English Revolution 1529- 1642, London 1972; V . Pearl, London's Counter Revolution, in: G. E. Aylmer (ed.), The Interregnum. The Quest for Settlement 1646- 1660, London 1972, 29- 56; James E. Farnell, The Social and Intellectual Basis of London's Role in the English Civil Wars, in: Journal of Modern History 49 (1977), 641 - 660; Paul Christianson, The Causes of the English Revolution: A Reappraisal, in: Journal of British Studies 15 (1976), 40- 75; ders., 1'he Peers, the People, and Parliamentary Management in the First Six Months of the Long Parliament, in: Journal of Modern History 49 (1977), 575- 599; R. C. Richardson, The Debate on the English Revolution, London 1977, beS~ 76- 153; Clayton Robetts, The Earl of Bedford and the Coming of the English

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überhaupt nicht existiert, im Laufe der Zeit aber schließlich zum ausschlaggebenden politischen Faktor wird. Die Entwicklung kulminiert in der ersten "modernen" Militärdiktatur der Geschichte, und dies ausgerechnet in jenem Land, das Hintze als Paradebeispiel für ein unmilitaristisches Regime gedient hat! Aber durch die Eskalation der Konflikte zur bewaffneten Auseinandersetzung mußte das Militär ausschlaggebende Bedeutung bekommen, zumal es schon durch sein bloßes Vorhandensein erheblich zu dieser Eskalation beizutragen vermochte. Denn dadurch erhielten die Finanz- und Verfassungsprobleme eine ganz neue Schärfe. Obwohl die schottische Militärorganisation keineswe'gs moderner war als die englische103 , scheiterte der König mit seinen Zügen gegen die Schotten an der Unmöglichkeit, die erforderlichen Mittel zur Bezahlung der ausgehobenen Truppen aufzubringen, und an der mangelnden Disziplin der weitgehend unzureichend qualifizierten Militia104 • Der gewählte Ausweg war die Einberufung des Parlaments, das unter der Führung einer pragmatisch-gemäßigten Fraktion Bedford-Pym, die beide Häuser kontrollierte, alsbald daran ging, die Innovationen des parlamentslosen Jahrzehnts abzuschaffen und die ständige Mitwirkung des Parlaments gesetzlich zu sichern - erstmals wird das Parlament dadurch vom Ereignis zur Institution. Obwohl Karl diesen Maßnahmen zustimmen mußte - sie bleiben daher zum großen Teil auch nach der Restauration weiter in Geltung -, bestand Grund zu der Annahme, daß er nicht bei dieser erzwungenen Nachgiebigkeit bleiben werde. Es war die Angst vor der erwarteten Reaktion des Königs und dessen Macht, die die Parlamentarier zu radikaleren Schritten getrieben hat. Dabei spielen nun religiöse und militärische Momente in bezeichnender Revolution, in: Journal of Modern History 49 (1977), 600- 616; Robert Ashton, The English Civil War. Conservatism and Revolution 1603 - 1649, London 1978; Derek Hirst, Unanimity in the Commons, Aristocratic Intrigues, and the Origins of the English Civil War, in: Journal of Modern History 50 (1978), 51- 71; Wende (Anm. 101); Lawrence Stone, The Results of the English Revolutions of the 17th Century, Christopher Hill, A Bourgeois Revolution?, G. E. Aylmer, Crisis and Regrouping in the Political Elites: England from the 1630s to the 1660s, Robert Ashton, Tradition and Innovation and the Great Rebellion, alle in: J. G. A. Pocock (ed.), Three British Revolutions: 1641, 1688, 1776, Princeton 1980, 23- 164, 208- 223; Anthony Fletcher, The Outbreak of the English Civil War, London 1981; Mary Fulbrook, The English Revolution and the Revisionist Revolt, in: Social History 7 (1982), 249 264; John Morrill (ed.), Reactions to the English Civil War, 1642- 1649, Basingstoke 1983. 1oa Vgl. C. S. Terry (ed.), Papers Relating to the Army of the Solemn League and Covenant, 1643- 1647, 2 Bde., Edinburgh 1917; T . J. Rae, The Administration of the Scottish Frontier, 1513- 1603, Edinburgh 1966; Buchan (Anm. 8). 104 Gardiner, History (Anm. 62), Bd. 8, 304 - 392, Bd. 9, 1 - 217; Fortescue (Anm. 13), 194 - 197; Dietz (Anm. 44), 286 f.; Coward (Anm. 55), 152 - 154.

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Weise zusammen. Von Anfang an hatte die Bedrohung des "reinen" Protestantismus durch die Krone eine Rolle gespielt. In der wichtigen Stadt Norwich war das "ship money" anstandslos bezahlt worden, und als der Mayor 1640 dazu aufrief, Beschwerden an das Parlament einzureichen, äußerte sich niemand gegen königliche Willkürherrschaft und neue Steuern. Hauptbeschwerdepunkt war vielmehr die anti-puritanische Tyrannei des Bischofs105 • Die moderne Tendenz, die religiösen Momente nicht ernst zu nehmen, sie als bloße Epiphänomene politischer oder sozio-ökonomischer Kräfte zu bewerten und ihre parlamentarischen Verfechter als zynische Manipulatoren modernen Zuschnitts zu betrachten, dürfte an der historischen Realität des 17. Jahrhunderts vorbeigehen. Von den anti-königlichen Parolen "tyranny" und "popery" war die letztere die bei weitem wirkungsvollere, weil sie allen Engländern tief unter die protestantische Haut ging108 • Der aktive Katholikenzirkel um die Königin107 und die Katholiken in der 9 000 Mann starken Irland-Armee Straffords108 mußten daher den Anlaß dazu geben, daß sich die schon damals weitverbreitete Furcht vor politischer Verschwörung zu hysterischer Angst vor einem königlichen Papistenkomplott steigerte. Würde Straffords irische Armee gegen die englischen Untertanen eingesetzt werden? 109 War der König bei seinem Schottlandaufenthalt 1641 an royalistisch-episkopalistischen Machenschaften zum Nachteil der strengen Protestanten beteiligt? 110 Der Ausbruch des keineswegs nur von Katholiken getragenen irischen Aufstands im Oktober 1641 löste daher eine kollektive Hysterie aus: "Die irischen Teufel kommen ..." 111 Unter diesen Umständen brauchte man eine Armee, aber nicht unter dem Oberbefehl eines Königs, der eben noch im Verdacht gestanden hatte, mit den papistischen Iren gegen seine englischen Untertanen gemeinsame Sache zu machen. So brachte Sir Arthur Hazelrig am 7. Dezember eine "Militia Bill" ein, die den Oberbefehl über die 1os J. T. Evans, Seventeenth-Century Norwich: Politics, Religion, and Government, 1620- 1690, Oxford 1979; vgl. auch Raines-Sutton (Anm. 95), für Lancashire. 1oa Caroline M. Hibbard, Charles I and the Popish Plot, Chapel Hill 1983, 238. 101 Dazu jetzt Hibbard (Anm. 106). 1os Vgl. W . Notestein (ed.), The Journal of Sir Simonds D'Ewes, New Haven 1923, 183 f.; Richard Bagwell, Ireland under the Stuarts and during the Interregnum, 3 Bde., London 1909- 1916, Ndr. 1963, Bd. 1, 288- 297. 1oe Bagwell (Anm. 108); Hibbard (Anm. 106), 189. no Gardiner, History (Anm. 62), Bd. 9, 417 f. 111 Coward (Anm. 55), 170; zum irischen Aufstand vgl. Gardiner, History (Anm. 62), Bd. 10, 43- 88; Bagwell (Anm. 108), Bd. 1, 315- 358; John Davies, Discovery of the True Causes why Ireland was never Entirely Subdued, London 1612, Ndr. 1969; H. Hazlett, The Financing of the British Armies in Ireland 1641- 1649, in: Irish Historical Studies 1 (1938), 21- 41; Nicholas Canny, The Elizabethan Conquest of Ireland. A Pattern Established, 1565 - 1576, London 1976.

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"trained bands" dem König entzog und einem vom Parlament zu bestellenden General übertrug. Nach längeren Debatten und in Reaktion auf verschiedene Aktionen des Monarchen gegen die Parlamentarier wurde sie am 5. März 1642 Gesetz112• Für Karl I. wurde dies der "point of no return", denn die Verfügung über die Streitkräfte war nicht nur aus der Perspektive absolutistischer Absichten integrierender Bestandteil der Souveränität113 , sondern auch nach englischer Verfassungstradition unbestrittene königliche Kompetenz114• Im Juni 1642 fangen daher beide Seiten an zu rüsten, im Juli erklärt sich die Flotte für das Parlament115, zugleich richtet das Parlament ein "committee of safety" für seine geplante Armee einue und bestellt den Earl of Essex zum Oberbefehlshaber117, im August pflanzt Karll. seine Standarte in Nottingham auf; die Feindseligkeiten hatten aber bereits begonnen118• Die eindrucksvollen Streitkräfte beider Seiten standen aber 1642 zunächst nur auf dem Papier110 ; der Sieg würde dem gehören, der als erster auch in Wirklichkeit die stärkere Armee zusammenbringen würde120• In den ersten Jahren freilich bieten die organisatorischen Anstrengungen, ungeachtet nicht unbeachtlicher Erfolge, dennoch hier wie dort das für das englische Militärwesen seit langem kennzeichnende diffuse, um nicht zu sagen chaotische Bild. Es verhielt sich keineswegs so, daß die Masse der Bevölkerung in großen Teilen des Landes sich aus eigenem Antrieb auf die Seite des Parlaments geschlagen hat, wie es die parlamentarische Propaganda späteren Geschichtsschreibern weisgemacht hat. Neuere lokalgeschichtliche Forschungen haben ein ganz anderes Bild ergeben. Danach hat zwar punktuell massive Anhängerschaft existiert, in der Regel haben sich aber County für County nur 112 J. Forster (ed.), The Debates on the Great Remonstrance, London 1860, 385- 393; Willsan H. Coates, Anne Steele Young und Vernon F. Snow (eds.), The Private Journals of the Long Parliament, 3 January to 5 March 1642, New Haven 1982; Gardiner, History (Anm. 62), Bd. 10, 152- 182; Fleteher (Anm. 102), 244 f. 113 Thomas Hobbes, Leviathan, Buch 1, Kapitel 18. 114 Vgl. vor allem die Argumentation bei James F. Larkin (ed.), Stuart Royal Proclamations, Vol. 2: Royal Prodarnations of King Charles I, 16251646, Oxford 1983, Nr. 337 u. Nr. 339. m Das den Earl of Warwiek zu seinem Admiral bestellte, vgl. J . R. Powell, The Navy in the English Civil War, Hamden!Conn. 1962. 116 Vgl. Glow (Anm. 102). 111 Vgl. W. B. Devereux, Lives and Letters of the Devereux, Earls of Essex, in the Reigns of Elizabeth, James I, and Charles I, 1540- 1646, 2 Bde., London 1853, Bd. 2, 323 - 476; G. Davies, The Parliamentary Army under the Earl of Essex, 1642 - 1645, in: English Historical Review 49 (1934), 32 - 54. 118 Vgl. Fleteher (Anm. 102), 324 f. 119 Fortescue (Anm. 13), 199. 120 Auch die Siege der Parlamentsarmeen unter Cromwell beruhten in der Regel auf zahlenmäßiger Überlegenheit, vgl. u.

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Teile der politischen Elite mehr oder weniger freiwillig oder mit Nachhilfe aus York oder London für eine der beiden Parteien engagiert, während unterschiedlich große Teile der Eliten und die Masse der Bevölkerung am liebsten neutral geblieben wären und häufig genug auch geblieben sind. Der Bürgerkrieg ist der Mehrheit der Engländer von den streitenden Parteien ziemlich gewaltsam aufgezwungen worden. Dabei zeichnete sich die königliche Seite durch geschickte Improvisation aus, während das Parlament die schwerfälligen, aber längerfristig wirkungsvolleren traditionellen Institutionen auf seiner Seite hatte. Vor allem mußte sich der König für die Kriegsfinanzierung auf ad hoc erhobene Abgaben und die Versorgung der Truppen aus dem Land verlassen, während das Parlament den Steuerapparat für seine Zwecke mobilisieren konnte. Schon im März 1642, endgültig im Februar 1643 wurde ein regelmäßig zu entrichtendes "assessment" eingeführt, eine pikanterweise nach dem Vorbild des "ship money" gestaltete Steuer auf die Einkommen, die breitere Bevölkerungskreise heranzog als die üblichen parlamentarischen "subsidies" 121 • Dazu kamen im März 1643 Konfiskationen bei den Royalisten, im Mai Zwangsanleihen (!) und schließlich im Juli die Akzise für diverse Verbrauchsgüter, deren Einführung die Monarchie nie gewagt hatte122 • Je länger desto mehr sollte es zum Erfolg des Parlaments beitragen, daß es seine Leute besser und vor allem regelmäßiger bezahlen konnte als der Feind123 • Und prompt geriet auch seine Sache in eine Krise, als diese Politik nicht mehr durchgehalten wurde. Beide Seiten versuchten auf die "Militia" zurückzugreifen. Aber diese litt seit eh und je an zwei Schwächen, am geringen Niveau von Ausbildung und Disziplin - mit der begrenzten Ausnahme der Londoner "trained bands", etwa 18 000 Mann, die auf der Seite des Parlaments standen124 , dürften die Grafschaftstruppen die Bezeichnung "trained" kaum verdient haben - und am Dominieren des Lokalpatriotismus. Dienst außerhalb der eigenen County oder der auf parlamentarischer Seite so wichtigen County-Verbände kam nicht in Frage. So herrschte selbst in der berühmten Armee der Eastern Association noch 1643 die "erronious opinion ... of our unexperienced country soldiers that they ought not to be drawn or ledd ... beyond the bounds of the five coun121

Zur bemerkenswerten Kontinuität im Steuerwesen vgl. auch Raines I

Sutton (Anm. 95), Bd. 1, 137- 157. 122 Vgl. J. L. Malcolm, A King in Search of Soldiers: Charles I in 1642, in: Historical Journal 21 (1978), 251- 273; die Kritik daran von M. D. G . Wanklyn, P. Young, A Rejoinder, in: ebd. 24 (1981), 147- 154; J. S. Morrill, The

Revolt of the Provinces. Conservatives and Radicals in the English Civil War, 1630- 1650, London 1980; Fleteher (Anm. 102); Hutton (Anm. 20); ders., The Royalist War Effort, in: Morrill (Anm. 102), 51- 66. 12s Vgl. Wanklyn I Young (Anm. 122). 124 Firth (Anm. 24), 10, 17.

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ties" 125 • Aber im weiteren Verlauf des Bürgerkriegs126 wurden infolge des in England anscheinend zum erstenmal verspürten Sachzwangs des militärischen Konkurrenzdrucks die ortsgebundenen Bürgerwehren durch längerdienende, durch Sold und Eid nur an ihre Truppe gebundene Berufssoldaten ersetzt. Der König hatte 1643 Berufssoldaten aus Irland geholt1 27 , das Parlament begann im selben Jahr, die wichtige Armee der Eastern Association unter dem Earl of Manchester in diesem Sinn zu reorganisierenu8 • Diese Armee konnte zusammen mit den ebenfalls seit 1643 verbündeten Schotten129 und Yorkshire-Truppen unter Fairfax130 1644 den Sieg von Marston Moor über die Royalisten erringen, freilich noch keine kriegsentscheidende Schlacht angesichts von Essex' Niederlage im Westen, von Konflikten mit den Schotten und innerhalb der Eastern Association, in denen der erfolgreiche Reiterführer und Parlamentarier Oliver Cromwell eine Rolle spielte131 • Da neue Verhandlungen der Gemäßigten mit dem König, auch über die Frage des Oberbefehls132 , wieder zu nichts führten, blieb dem Parlament in 125 Coward (Anm. 55), 182, nach dem mir nicht zugänglichen Buch von C. Holmes, The Eastern Association in the English Civil War, London 1975. 120 Dazu Samuel R. Gardiner, History of the Great Civil War, 1642- 1649, 3 Bde., London 1886- 1891, 2. Aufl. in 4 Bdn. 1893; Fortescue (Anm. 13); J. Lindsay, Civil War in England, London 1954; heute besser P . Young, R. Holmes, The English Civil War. A Military History of the Three Civil Wars, 1642- 1651, London 1974; dazu von den älteren und jüngeren Lokalstudien konsultiert J . W. Willis-Bund, The Civil War in Worcestershire (1642- 1646) and the Scottish Invasion of 1651, Birmingham 1905; E. Broxap, The Great Civil War in Lancashire (1642- 1651), Manchester 1910; A. C. Wood, Nottinghamshire in the Civil War, Oxford 1937, Ndr. Wakefield 1971; Anthony J. Fletcher, A County Community in Peace and War. Sussex 1600 - 1660, London 1975; dazu die Aufzeichnungen von und über militärische Führer, Thomas Lord Fairfax, Short Memorials of the Northern Actions in which I was Engaged, in: Selected Tracts Relating to the Civil Wars in England, 2 Bde., London 1815, Bd. 2, 409- 453; J. and T. W. Webb (eds.), Military Memoirs of Colonel John Birch, London 1873; vor allem im Hinblick auf die Behauptung des parlamentarischen Nottingham in einer royalistischen County psychologisch sehr aufschlußreich James Sutherland (ed.), Memoirs of the Life of Colonel Hutchinson, London 1973 (kritische Neuausgabe dieser berühmten Aufzeichnungen der Ehefrau des Colonel). 121 Hutton, in: Morrill (Anm. 122), 57. 12s Coward (Anm. 13), 182. 129 Vgl. Lawrence Kaplan, Politics and Religion During the English Revolution. The Scots and the Long Parliament, 1643- 1645, New York 1976. 130 Fairfax (Anm. 126). 131 John Bruce, The Quarre! between the Earl of Manchester and Oliver Cromwell, London 1875; Kaplan (Anm. 129); zu Cromwell grundlegend W. C. Abbott, The Writings and Speeches of Oliver Cromwell, 4 Bde., Cambridge 1937- 1947, Ndr. New York 1970; Charles H. Firth, Oliver Cromwell and the Rule of the Puritans in England, London 1900, zuletzt 1953; Hill (Anm. 70); Roger Howell, Oliver Cromwell (1977), deutsch: München 1981; ders., Cromwell's Personality. The Problems and Promises of Psychohistorical Approach, in: Biography 1 (1978), 41- 60. 132 John R. MacCormack, Revolutionary Polit ics in the Long Parliament, Cambridge/Mass. 1973, 63.

13 Staats- und Heeresverfassung

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der militärischen Patt-Situation gar nichts anderes übrig, als kriegsentscheidende Anstrengungen unter der Führung der im "Committee of Both Kingdoms" konzentrierten radikaleren Kräfte zu unternehmen1aa. Das Ergebnis waren die "New Model Army Ordinance" am 17. Februar 1645134 und die "Self-Denying Ordinance" vom 3. April, in der die bisherigen Befehlshaber, soweit sie dem Parlament angehörten, ihrer Ämter enthoben wurden- bis auf Cromwell, den man brauchte185 • Die legendäre "New Model Army" unter dem neuenOberbefehlshaber Sir Thomas Fairfax sollte zunächst aus 10 Regimentern (12 000 Mann) Fußvolk unter Major-General Philip Skippon138 , aus 11 Regimentern Reiterei (6 600 Mann) unter Lieutenant-General Cromwell und aus einem Dragonerregiment sowie Artillerie und Train bestehen, alles in allem 22 000 Mann137 • Sie kam zwar durch Vereinigung wichtiger Heere zusammen, war aber damals weder die einzige parlamentarische Armee noch etwa ihrer Struktur nach etwas vollkommen Neues. Es handelt sich schlicht um den Abschluß der Entwicklung zum Berufssoldatentum, den wir bereits beobachten konnten. Sie rekrutierte sich auch keineswegs nur aus religiösen Fanatikern, obwohl der Einfluß der Independenten durch Cromwells Patronage im Zunehmen begriffen war138• Aber Fairfax und Skippon waren gemäßigte Protestanten, und bei den Offizieren und Mannschaften gab es ungeachtet des puritanischen Zuschnitts von Disziplin und Kult doch zahlreiche Nur-Soldaten, die ursprünglich vielleicht zum Kriegsdienst gepreßt worden waren138 oder sogar bisher dem König gedient hatten140• Die Offiziersstellen wurden vom Oberkommandierenden überwiegend nach Qualifikation und Seniorität besetzt141 , eine bemerkenswerte Chance zum sozialen Aufstieg, die den Zusammenhalt der Truppe gestärkt haben könnte. Wie in allen Armeen der Zeit setzte sich das Fußvolk aus Pikenieren mit gut 5 m langen Spießen und aus Musketieren zusammen; die Reiterei war mit schweren Pistolen und Ebd., bes. 43. An Ordinance of Parliament for the Raising and Maintaining of Forces for the Defence of the Kingdom under Sir Thomas Fairfax, British Museum, Thomason Collection E. 269 (26.); C. H. Firth IR. S. Rait (eds.), Acts and Ordinances of the Interregnum 1642 - 1660, 3 Bde., 1911, Ndr. Abingdon 1982, Bd. 1, 614- 626. 135 Gardiner, Civil War (Anm. 126), Bd. 2, 177 - 196; Mark A. Kishlansky, The Rise of the New Model Army, Cambridge 1979, 3- 51. 138 C. E. Phillips, Cromwell's Captains, 1938, Ndr. New York 1972, 84- 159. 187 Übersicht bei Fortescue (Anm. 13), 220 - 222; vgl. C. H. Firth, The Regimental History of Cromwell's Army, 2 Bde., Oxford 1940. 188 Vgl. Firth (Anm. 24), 51, 316 f. 139 Vgl. Firth I Rait (Anm. 134), Bd. 1, 241 f., 696 f. 140 Vgl. Firth (Anm. 24), 37. 141 Ebd. 48. 133

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Säbeln bewaffnet. In Ausrüstung, Drill und Taktik war überall die damals modernste Truppe, das Heer Gustav Adolfs von Schweden, das Vorbild 141 - aber das galt auch für die royalistische Seite143. Im Gegensatz zu traditionellen Legenden unterschieden sich die beiden Parteien nicht durch ihre Haartracht144 und auch nicht eigentlich durch Uniformen. Es gab zwar seit Elisabeths Zeiten einheitliche Kleidung bestimmter Einheiten je nach Befehlshaber, nicht aber eine Regelung für ganze Armeen. So mußten in den Schlachten des Bürgerkriegs zusätzliche Erkennungszeichen eingeführt werden. 1645 wurde zwar die "New Model Army" einheitlich in rote Röcke gekleidet - seit damals ist "redcoat" die Bezeichnung des englischen Soldaten geworden - , aber das war noch keine Uniform und kam auch auf royalistischer Seite vor145• Der Infanterist erhielt 8 Pence pro Tag, der Kavallerist 2 Shilling, wovon sie ihren Unterhalt bestreiten mußten. Je nach der wechselnden Stärke der Armee - ab 1649 waren alle Heere in der "New Model Army" integriert146- wechselten die Gesamtkosten 147 : 1645 1647 1649 1651 1654 1657 1659

585 000 705 000 1 560 000 2 041 000 1 508 000 1 100 000 1 244 000

Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund Pfund

Regelmäßige Bezahlung war ein Geheimnis ihrer Erfolge, das andere, daß ihre Siege in der Regel mit Übermacht erfochten wurden, so in der kriegsentscheidenden Schlacht von Naseby 1645 mit 14 000 gegen 7 500 Mann148 • Mit dieser Schlacht war der erste Bürgerkrieg zu Ende149 ; am 30. Januar 1647 "verkauften" die Schotten den gefangenen König ans Parlament. Nachdem der äußere Konflikt so erst einmal seine Brisanz verloren hatte, kamen die latenten inneren Konflikte der siegreichen Bewegung, die ja eine Koalition war, zum offenen Ausbruch, Konflikte im Parlament und Konflikte zwischen Armee und Parlament, die weitreichende u 2 143

Ebd. 68- 184, bes. 94, 281, 383- 391 ; vgl. Roberts (Anm. 99).

Firth (Anm. 24), 133, 283.

Ebd. 230. Ebd. 231; Cruickshank (Anm. 25), 91- 101; W. Y. Carman, British Military Uniforms from Contemporary Pictures, London 1957, 24 - 26. ue Firth (Anm. 24), 66. 147 Ebd. 182 - 184. 148 Coward (Anm. 55), 190. m Vgl. Abbott (Anm. 131), Bd. 1, 321-401. H4

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13•

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Folgen haben sollten. Solange es gegen das alte Regime zu kämpfen galt, war ein Negativkonsens leicht herzustellen gewesen. Als es aber jetzt um die Entscheidung für eine neue Ordnung in Staat und Kirche gehen sollte, verschärften sich die Gegensätze zwischen "Presbyterianern" und "Independenten" 150. Da die Stimmung im Lande eine Befreiung von den Kriegslasten durch eine Einigung mit dem König wünschte, betrieben die Presbyterianer im Unterhaus im Winter 1646/47 ein konservatives, geradezu "gegenrevolutionäres" Programm, dessen wichtigste Punkte der Kompromiß mit dem König und die Auflösung der Armee waren151 . Die regelmäßige Besoldung der Truppen ließ inzwischen schon zu wünschen übrig, was bei den Provinzheeren bereits zu Unruhen geführt hatte152• Aber auch die "New Model Army" war betroffen. Insgesamt dürfte das Parlament 1647 gegenüber allen Heeren mit 2,8 Mio., gegenüber der "New Model Army" allein mit 1,2 Mio. Pfund im Rückstand gewesen sein. Im Februar und März 1647 wurde aber beschlossen, die Armee auf 6 400 Reiter zu reduzieren, einen Teil nach Irland abzuschieben und den Rest fast ohne Nachzahlung zu entlassen152a. Im April wählten die Soldaten "agitators", und die Kriegsräte der Offiziere verwandelten sich aus Gremien für militärische Entscheidungen in Interessenvertretungen der Armee. Die wichtigsten Forderungen waren die Nachzahlung der Soldrückstände und Indemnität für unter Kriegsrecht begangene Taten - die allgemeine Abneigung der Bevölkerung gegen die Armee und den Krieg153 begann sich nämlich auch in Klagen auf Strafverfolgung Luft zu machen. Unzureichende Reaktionen des Parlaments steigerten die Unzufriedenheit der Armee154 und ließen die ebenfalls von der parlamentarischen "Gegenrevolution" bedrohten Londoner Radikalen hier einen geeigneten Bündnispartner wittern. Im Mai beginnt die Agitation der "Leveller" in der Armee. Doch ganz davon abgesehen, daß man das Leveller-Programm155 heute 150 David Underdown, Pride's Purge. Politics in the Puritan Revolution, Oxford 1971, bes. 7. 151 Coward (Anm. 55), 194 f. 152 J. S. Morrill, Mutiny and Discontent in English Provincial Armies 1645- 1647, in: Past and Present 56 (1972), 49- 74. 152a A Declaration of the Lords and Commons, Concerning the Disbanding of the Army, British Museum, Thomason Collection E. 390 (6.); Severall Votes of the Lords and Commons Declaring what Forces Shall Be Continued in England and Wales as also what Regiments Shall Be Disbanded, ebd. (12). 153 Vgl. The Petition of Right of the Free-Holders and Freemen of the Kingdom of England, ebd. E. 422. (9.), gegen die Armee gerichtete Flugschrift, allerdings erst auf 8. Januar 1648 datiert. 154 Dokumentiert in zahlreichen Flugschriften ebd. E. 390., E. 391., E. 392., E. 407., E. 412.

155 Vgl. D. M. Wolfe (ed.), Leveller Manifestces of the Puritan Revolution, London 1944, Ndr. New York 1967; H. N. Brailsford, The Levellers and the English Revolution, Stanford 1961.

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nicht mehr unbedingt revolutionär nennen würde - man hat es sogar als eine populistische Variante des traditionellen "Country-ReformProgramms" der bisherigen politischen Elite bezeichnet - , ist der Umfang seines Einflusses auf die Armee schwer abzuschätzen. Von Haus aus war die Armee jedenfalls weder im religiösen, noch im politischen, noch im sozialen Sinn radikal oder gar revolutionär1s6. Sie erhebt sich, weil die Lebensinteressen des Militärapparates bedroht sind, nicht um ein politisches Grundsatzprogramm durchzusetzen - ein Sachverhalt, der auch von heutigen Militärputschen hinreichend bekannt ist1 57 . Doch als das Parlament im Sommer zu begütigen versucht, ist es zu spät. Jetzt fordert die Armee die Verwirklichung der politischen Ziele, für die sie vom Parlament aufgestellt worden sei, ja sogar eine Säuberung des Parlaments, sie bemächtigt sich des gefangenen Königs als Faustpfand und beantwortet die von den Parlamentariern gesteuerten gegenrevolutionären Aktionen in London im August mit der Besetzung der Hauptstadt. Doch abermals sind sich die Sieger nicht einig. Der vermittelnde Kurs der Armeeführung, in der statt des Oberkommandierenden Fairfax158 die Gruppe um Cromwell 1511 an Gewicht gewonnen hat, muß sich gegen radikalere Wünsche durchsetzen, dramatisch zugespitzt in den PutneyDebates1~0 und den wirklichen oder vorgeblichen Meutereien des No156 Hans-Christoph Schröder, Countryopposition und Levellerprogramm. Zur Kontinuität politischen Denkens im frühneuzeitlichen Europa, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Rudolf Vierhaus zum Geburtstag, Göttingen 1982, 121 - 142. 157 Vgl. Friedemann Büttner u. a., Reform in Uniform? Militärherrschaft und Entwicklung in der Dritten Welt, Bann 1976. - Historische Revision des Bildes von der Armee aus radikalen "Heiligen" vor allem bei J. Gentles, Arrears of Pay and Ideology in the Army Revolt of 1647, in: B . Bond u. a., War and Society, Bd. 1, 1976, 44- 66; J . S. Morrill, The Army Revolt of 1647, in: A. C. Duke u. a., Britain and the Netherlands, Bd. 6, Den Haag 1977, 54 -78; Mark A. Kishlansky, The Case of the Army Truly Stated: The Creation of the New Model Army, in: Past and Present 81 (1978), 51 - 74; ders., The Army and the Levellers: the Roads to Putney, in: Historical Journal 22 (1979), 795- 824; ders., The Rise of the New Model Army, Cambridge 1979; ders., Consensus Politics and the Structure of Debate at Putney, in: Journal of British Studies 20 (1981), 50- 69; ders., Ideology and Politics in the Parliamentary Armies, 1645 - 1649, in: Morrill (Anm. 102), 163 - 184. 1sa Fairfax (Anm. 126). uu Von dem diskutiert wurde, ob er damals im Rechtssinn überhaupt Angehöriger der Armee war, vgl. C. Hoover, Cromwell's Status and Pay in 1646- 47, in: Historical Journal 23 (1980), 703- 715; G. E. Aylmer, Was Oliver Cromwell a Member of the Army in 1646-47 or not?, in: History 56 (1971), 183- 188. 160 A. S. P. Woodhouse (ed.), Puritanism and Liberty, being the Army Debates (1647 - 1649) from the Clarke Manuscripts with Supplementary Documents, Chicago 1938, 2. Aufl. London 1951, Ndr. 1965; neuerdings Kishlansky, Consensus Politics (Anm. 157).

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vember181 . Die Flucht des Königs rettet die Situation; für den zweiten Bürgerkrieg und die Auseinandersetzung mit den Schotten braucht man die Armee wiedert82, Nach dem Sieg ist die Armeeführung aber im Gegensatz zum Parlament zu keinem Kompromiß mit Karl I. mehr bereit. Unter maßgebender Mitwirkung von Cromwells Schwiegersohn Henry Ireton183 wird nun im Bund mit den Levellers eine Revolution arrangiert. Unter Oberst Themas Pride "säubert" die Armee am 6. Dezember 1648 das Unterhaus von 231 seiner 471 Abgeordneten184 • Prozeß und Hinrichtung des Königs•es sowie die Errichtung einer Republik 166 , aber auch die Unterdrückung der Leveller durch Parlament und Armee167 folgen 1649. Das Rumpfparlament, "the Rump", war nun alleiniger Inhaber der politischen Gewalt. Nach Wiederzulassung eines Teils der ausgeschlossenen Mitglieder entpuppte es sich rasch als eine zwar politisch höchst effiziente, aber auch äußerst konservative Oligarchie mit der Erhaltung ihrer eigenen Macht als maßgebendem Prinzip. Ex post könnte man zwar mit gutem Grund behaupten, daß es nur im Schatten des wahren Machthabers, von Gnaden der Armee existierte, dank der gemäßigt konservativen Haltung von deren Führung- seit 1650 war Cromwell auch nominell Oberkommandierender. Aber das Haus verstand es zunächst, mit den Problemen der Streitkräfte fertig zu werden. Nach Bewilligung der angesichts der Preissteigerung überfälligen Solderhöhung 168 wurde die Tilgung der Soldrückstände in Angriff genommen, insbesondere durch Veräußerung von konfisziertem Landbesitz der Krone, der Kirche, der Royalisten und Rebellen 188. Rebellen, damit sind vor allem die 161 Mark A. Kishlansky, What Happened at Ware?, in: Historical Journal 25 (1982), 827- 839; vgl. Abbott (Anm. 131), Bd. 1, 474- 550. 162 Gardiner, Civil War (Anm. 126), Bd. 4, 1- 208; Abbott (Anm. 131), Bd. 1, 602-704. 163 Cromwell selbst ist noch im Norden. Ireton ist sein Schwiegersohn seit 1646, vgl. Abbott (Anm. 131), Bd. 1, 402. Maurice Ashley. Cromwell's Generals, London 1954, 65- 82, hält ihn sogar für Cromwells politischen Mentor. 184 Underdown (Anm. 150), passim, bes. 220. t85 Abbott (Anm. 131), Bd. 1, 705- 759. 168 Ebd. Bd. 2, 1-49. Als Vorbild dienten die Niederlande, vgl. Hans-Christoph Schröder, Die neuere englische Geschichte im Lichte einiger Modernisierungstheoreme, in: Studien zum Beginn der modernen Welt, hrsg. v. Reinhart Koselleck, Stuttgart 1977, 30- 65. t67 Vgl. Samuel R. Gardiner. History of the Commonwealth and Protectorate 1649 - 1660, 4 Bde., London 1894 - 1903 (faktisch nur bis 1656 reichend), Bd. 1, 178- 202. 188 1 d in Garnisonen, 2 d im Feld fürs Fußvolk, 3 d für die Reiterei, Firth (Anm. 24), 184 f. 169 Vgl. H. J. Habakkuk, The Parliamentary Army and the Crown Lands, in: Welsh Historical Review 3 (1967), 403- 426; I. Gentles, The Sales of Crown Lands during the English Revolution, in: Economic History Review 26 (1973), 622 f.; ders., The Purchasers of Northamptonshire Crown Lands, 1649 -

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Iren gemeint, denen nun in einem blutigen Feldzug der Garaus gemacht wurde110• Soldaten und Spekulanten, deren Anleihen den Feldzug finanziert hatten, teilten sich den größeren Teil des irischen Landbesitzes171 • Doch als Cromwell und die Armee nicht mehr ausschließlich mit den Feldzügen in Irland 1649/50 und Schottland 1650/51 beschäftigt waren172 , auch wenn die Kämpfe noch weitergingen, da stellte sich heraus, daß das Parlament weder in der Lage war, die finanziellen Forderungen der Armee vollständig zu befriedigen, noch dazu bereit, die erstrebte Reform des Rechtswesens und der Kirche durchzuführen. Dazu kam schließlich der Verdacht, daß das Haus durch bloße Ersatzwahlen seine Herrschaft perpetuieren oder zumindest jeden Einfluß der Armee auf ein neuzuwählendes Parlament ausschließen wollte118 • Eine Entpolitisierung der Armee war aber nicht mehr möglich. Am 20. April 1653 schickte Cromwell mit seinen Musketieren den Rump nach Hause174 • Erstmals war eine Armee stärker als ihr "Staat" geworden175; die erste Militärdiktatur der neueren Geschichte war die Folge. Die Führung einer Armee von Berufssoldaten hatte die Macht ergriffen und die Institutionen der alten Verfassung beseitigt, nicht nur im korporativen Eigeninteresse der Streitkräfte, sondern auch mit dem Anspruch, endlich die langersehnten Reformen herbeizuführen. Es geht dabei nicht um eine nachträgliche Legitimation des Staatsstreiches; der Druck der "Heiligen" in der Armee war tatsächlich stark und auch Cromwell unterlag seinem Einfluß 176 • In Begriffen der Gegenwart handelt es sich also nicht um ein bloßes "Aufrechterhalter-Regime" zugunsten der bestehenden Ordnung, freilich auch nicht um "Sozial revolutionäre", die die ge1660, in: Midland History 3 (1976), 206- 232; ders., The Sales of Bishops' Lands in the English Revolution, 1646- 1660, in: English Historical Review 95 (1980), 573 - 596. no Abbott (Anm. 131), Bd. 2, 50 - 259; Gardiner (Anm. 167), Bd. 2, 36 - 63; J. G. Simms, Cromwell at Drogheda, 1649, in: Irish Sword 11 (1974), 212- 221. m John P . Prendergast, The Cromwellian Settlement of Ireland, Kildare 1922, 187- 238. 112 Abbott (Anm. 131), Bd. 2, 260- 510; Gardiner (Anm. 167), Bd. 2, 64- 74. 11s Die erstere, lange akzeptierte Deutung wird von Blair Worden, The Rump Parliament 1648- 1653, London 1974, als Produkt der Armeepropa-

ganda denunziert, der Rump habe tatsächlich "echte" Neuwahlen, aber unter seiner eigenen Kontrolle beabsichtigt; das wäre aber auf die Ausschaltung des politischen Einflusses der Armee hinausgelaufen. Nach Austin Woolrych, Commonwealth to Protectorate, Oxford 1982, ist aber nicht auszuschließen, daß Cromwell selbst mit bloßen Ergänzungswahlen rechnete. Die schlechte Quellenlage - wurde sie bewußt hergestellt? - gestattet aber keine endgültige Auskunft darüber, warum er wirklich zugeschlagen hat. 174 Abbott (Anm. 131), Bd. 2, 511 - 657; Gardiner (Anm. 167), Bd. 2, 213- 326. 175 Vgl. Alain RouquiiJ, L'Etat militaire en Amerique latine, Paris 1981. 176 Vgl. Woolrych (Anm. 173); S. G. Cook, The Congregational lndependents and the Cromwellian Constitution, in: Church History 46 (1977), 335- 357

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samte Gesellschaft erneuern wollen 177 • Solche sind damals ohnehin schwer zu finden. Die Frage ist vielmehr, ob sich ein Regime "politischer Reformer" entwickeln wird, das eine neue Verfassungsordnung einführen will, weil die alte, wie wir gesehen haben, zur Bewältigung kritischer Situationen des Gemeinwesens nicht mehr taugte, oder ob die Armeeführer sich als "Sozialreformer" verstehen werden, die zwar die gesellschaftliche Ordnung als Ganzes nicht in Frage stellen, wohl aber in strategischen Bereichen, wie es Kirche und Recht in England damals waren, Neuerungen in Gang setzen möchten178. Das Problem bestand darin, daß die Armee und ihre Herrschaft ebenso wie der Diktator Cromwell selber von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurden, daß aber dauerhafte politische und soziale Reformen auf einen Konsens in der Führungsschicht angewiesen waren, was nach englischer Auffassung irgendeine Art parlamentarischer Legitimation erforderlich machte. Eine ernannte Versammlung aus reformbegeisterten Puritanern erwies sich infolge ihres Anspruchs und ihrer Radikalität als ungeeignet179 . Mit den Parlamenten, die anschließend nach der neuen, vom Militär oktroyierten Verfassung gewählt wurden, hatte der nunmehrige Protector180 ganz ähnliche Schwierigkeiten wie die Stuart-Könige eben noch mit den ihrigen1111 • Anläßlich einer royalistischen Erhebung wurde daher im August 1655 die offene Militärherrschaft eingeführt182 - in Irland und Schottland, die erstmals mit England in Realunion vereinigt waren, herrschte ohnehin ein Besatzungsregime183. Jetzt wurde auch England in zehn, dann in elf Bezirke eingeteilt, die jeweils einem Major-General aus dem engsten Kreis von Cromwells Vertrauten unterstanden184 , der mit 1 000- 1 500 Mann nicht nur Polizeifunktionen im Sinn von Unterdrückung regimefeindlicher Akti111 Vgl. L. F . Solt, Saints in Arms. Puritanism and Democracy in Cromwell's Army, Stanford 1959; Barbara Silberdick Feinberg, The Political Thought of Oliver Cromwell: Revolutionary or Conservative?, in: Social Research 35 (1968), 445 - 465. 178 Vgl. Büttner (Anm. 157). 179 Abbott (Anm. 131), Bd. 3, 3- 134; Woolrych, (Anm. 173). Zu der eigentümlichen Atmosphäre im damaligen englischen Protestantismus vgl. David S. Katz, Philo-Semitism and the Readmission of the Jews to England 16031655, Oxford 1982; W. M. Lamont. Richard Baxter and the Millenium. Protestant Imperialism and the English Revolution, London 1979. t8o Abbott (Anm. 131), Bd. 3, 135 - 181. 181 Ebd. 431- 593, Bd. 4, 180- 738 passim; Gardiner (Anm. 167), Bd. 3, 1- 99; Hugh R. Trevor-Roper, Oliver Cromwell and His Parliaments, in: R. Pares und A. J. P. Taylor (eds.), Essays Presented to Sir Lewis Namier, 1956. 182 Abbott (Anm. 131), Bd. 3, 594 - 705. 183 Vgl. Firth (Anm. 8); Bagwell (Anm. 111); Prendergast (Anm. 171). 184 Abbott (Anm. 131), Bd. 3, 793- 851, Bd. 4, 64- 123 passim; Gardiner (Anm.167), Bd. 3, 168- 204; Ashley (Anm.163), 151-164; Cook (Anm.176); Phillips (Anm. 136); Howell, Oliver Cromwell (Anm. 131), 308.

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vitäten und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, sondern auch zur Durchsetzung puritanischer Disziplin in der Bevölkerung auszuüben hatte185 • In vergleichender Perspektive entspricht seine Funktion am ehesten derjenigen des französischen Intendanten. Auch er ist ja ein landfremder und jederzeit austauschbarer Vertrauensmann der Zentralregierung, der die lokale Oligarchie und die in diese integrierten bisherigen königlichen Funktionäre überwachen und leiten soll188 • Aber die Finanzierung der Major-Generals und der von ihnen aufzubauenden neuen "Militia" für Polizeiaufgaben mittels einer ständigen Besteuerung der Royalisten scheiterte 1657 im Parlament; sie hatten es nicht verstanden, den "richtigen" Ausgang der Wahlen zu diesem Parlament zu sichern187 • Cromwell gab den Versuch auf und stützte sich seiner eher konservativen Mentalität gemäß 188 noch mehr als schon bisher auf zivile Juristenkreise. Das Ergebnis war eine modifizierte Wiederherstellung der alten Verfassung; nur die Annahme des Königstitels durch Cromwell, der ja längst die Rolle des Monarchen spielte188 , wurde von den Führern der Armee verhindert 190• Einen Bruch mit ihr als seiner eigentlichen Machtgrundlage konnte auch Cromwell nicht wagen191 , aber die Armee brauchte ihren charismatischen Führer ebenso wie er sie. Cromwell hatte die Gesamtzahl der Landstreitkräfte von ca. 70 000 im Jahre 1652 auf ca. 43 000 im Jahre 1658 reduziert1 92 • Dem standen aber bemerkenswerte Ausgabenschübe für die Flotte gegenüber193 , im Dienste einer aggressiven Außenpolitik184 , die sich nicht nur mit Cromwells eigenen Worten als Präventivverteidigung195 , sondern durchaus auch als sozialimperialistische Vorwärtsstrategie deuten läßt. Durch ihre ökonomische Nützlichkeit und den Appell an das nationale und das proGardiner (Anm. 167), Bd. 3, 234 - 260. Die Major-Generals sind ein noch wenig erforschter Gegenstand vielleicht weil sie, auch im Sinne Hintzes, so "unenglisch" anmuten? Die letzte Studie Ivan Roots, Swordsmen and Decimators- Cromwell's MajorGenerals, in: P. H. Parry (ed.), The English Civil War and After, London 1970, 111 ff. 187 Gardiner (Anm. 167), Bd. (4), 249- 272; C. H. Firth, The Last Years of the Protectorate, 1656 - 1658, 2 Bde., London 1909 (als Fortsetzung Gardiners konzipiert), Bd. 1, 107 f., 125. 188 Feinberg (Anm. 177). 189 Vgl. R. Sherwood, The Court of Oliver Cromwell, London 1978. 190 Firth, Last Years (Anm. 187), Bd. 1, 190, 198. 191 Vgl. David Underdown, Cromwell and the Officers, February 1658, in: English Historical Review 83 (1968), 101- 107. 192 Firth, Cromwell's Army (Anm. 24), 34 f. 193 Vgl. William Laird Clowes, The Royal Navy. A History from the Earliest Times to the Present, 7 Bde., London 1897 - 1903, Bd. 2, 106; Junge (Anm. 36), 328. 194 Vgl. Abbott (Anm. 131), Bd. 3- 4, passim. 195 Vgl. Anm. 5. 185

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testantisehe Selbstbewußtsein sollte sie dem Regime den dringend benötigten Konsens breiterer Kreise verschaffen11111 • Das Ergebnis war statt dessen eine finanzielle Katastrophe, obwohl dem Protektor aus dem "monthly assessment", der "excise", den "customs" und anderen Einnahmen trotz Verlust der Feudalabgaben theoretisch das Doppelte der Einkünfte Karls I. zur Verfügung stand187•

1654 1655 1656 1657 1658

Einnahmen

Augaben

1586172 1579 605 1 815 548 1334 414 1165 534

2 877 079 2 327 512 2 067 357 2878174 2 197 985

VerwalI' davon Armyl' davon Navy I! davontungtts 1 566 705 1508 000 1 057 819 1 900 489 1346 706

1059 382 569 512 768 538 742 034 599 108

250 992 250 000? 250 000? 235 652 252179

Doch während bei der Flotte gegebenenfalls einschneidende Kürzungen möglich waren, hätte die Armee dergleichen mit Sicherheit als Gefährdung ihrer Herrschaft angesehen und wohl kaum hingenommen198 • 1ve Vgl. R. C. Thompson, Officers, Merchants and Foreign Policy in the Protectorate of Oliver Cromwell, in: Historical Studies, Australia and New Zealand 12 (1965/66), 149 - 165; Bernd Martin, Außenhandel und Außenpolitik Englands unter Cromwell, in: HZ 218 (1974), 571 - 592; Junge (Anm. 36); Hinweis auf bewußte Artikulation des sozialimperialistischen Arguments bereits im 17. Jh. bei Heiner Haan, Prosperität und Dreißigjähriger Krieg, in: Geschichte und Gesellschaft 7 (1981), 91 - 118; zur niederländischen Politik, die streng genommen nur im Interesse Londons, der Horne Counties und East Anglias lag und sich nur gegen Holland und Seeland richtete, vgl. Jones (Anm. 5), und zu ihrer Kontinuität vgl. H . T . Colenbrander, Bescheiden uit vreemde arehieven omtrent de groote Nederlandsche Zeeorlogen, 1652 - 1676, 2 Bde., Den Haag 1919; Charles Wilson, Profit and Power. A Study of England and the Dutch Wars, Den Haag 1978; Quellen zum westindischen Unternehmen G. Penn, Memorials of the Professional Life and Times of Sir William Penn, Admiral and General of the Fleet, 2 Bde., London 1833; zur Frankreich- und Spanienpolitik Charles P. Korr, Cromwell and the New Model Foreign Policy. England's Policy Toward France, 1649 - 1658, Berkeley 1975; Firth, Last Years (Anm. 187), Bd. 2, 177 - 223; ders., Royalist and Cromwellian Armies in Flanders, 1657 - 1662, in: Transactions of the Royal Historical Society 17 (1903), 67 - 113; zur Flotte Clowes (Anm. 193), Bd. 2, 94- 218; Oppenheim (Anm. 33), 302- 371; Richmond (Anm. 4), 95- 139; G . F. James und J. F. S. Shaw, Admiralty Administration and Personnel, 1619- 1714, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 14 (1936), 10- 24, 166- 183; E. Peacock, Notes on the Life of Themas Rainborowe, in: Archaeologia 46 (1880), 9- 64; J. R. Powell (ed.), The Letters of Robert Blake, 1937. 1111 Firth, Last Years (Anm. 187), Bd. 1, 144, 184; die Zahlen nach Maurice P. Ashley, Financial and Commercial Policy under the Cromwellian Protectorate, London 1934, 2. Aufl. 1962, Ndr. New York 1966, 48, 96; Firth, Cromwell's Army (Anm. 24), 22, gibt für 1657 eine erheblich geringere Zahl an. 198 Einschließlich Ordinance.

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203

Borgen war also wieder der Ausweg, borgen bei der City of London, die Cromwell nicht besonders schätzte und ihre Anleihen an das Lange Parlament noch nicht zurückerhalten hatte, und mehr oder weniger gewaltsam borgen bei Bürgern, die etwas hatten, was das politische Klima weiter verschlechtern mußte. Das englische Kreditwesen war unterentwickelt und der Kredit der Regierung schlecht. Cromwell brachte es nicht fertig, ohne Parlamente Steuern zu erheben, war also noch mehr als seine Vorgänger auf Parlamente angewiesen, mit denen er nicht recht fertig wurde - fürwahr eine bemerkenswerte historische Kontinuität! Die Einnahmensteigerung durch Einführung des "assessment" nach dem Vorbild des "ship money" und der "excise" war nicht die Leistung der Militärdiktatur, sondern die des Langen Parlaments200 • Aus finanzgeschichtlicher Sicht hatte die Militärdiktatur keine Zukunft mehr! Oliver Cromwell hinterließ seinem nicht besonders fähigen Sohn Richard ca. 2 Mio. Pfund Schulden, davon 801 055 bei der Armee und 541465 bei der Flotte201 • Und Olivers Erfolgsrezept, zwischen den im Parlament vertretenen Oligarchien und der Armee zu lavieren, ließ sich nicht weiter gebrauchen, weil Richard im Gegensatz zu seinem Vater nicht der unentbehrliche charismatische Führer der Armee war. Diese zerfiel alsbald in verschiedene um die Macht rivalisierende Faktionen der Generalität mit oder ohne ideologisches Programm. Außerdem scheinen die Soldaten inzwischen ihre Offiziere nicht mehr ohne weiteres als die geeigneten Sachwalter ihrer Interessen betrachtet zu haben; allzu geschäftstüchtig hatten sich viele Offiziere beim Abgelten von Soldansprüchen durch Landzuweisungen durch günstiges Aufkaufen der Ansprüche von Soldaten bereichert202 • Unter solchen Umständen sind die Tage eines Militärregimes gezählt. Das Problem bestand jetzt darin, daß jede mögliche Politik nur Poli~ tik einer Minderheit sein konnte203 • Nachdem im Hin und Her zwischen dem konservativen Parlament des Protektors und den drei Armeefaktionen eine breite republikanische Strömung die Oberhand gewonnen hatte, wurde Richard gezwungen, sein Parlament aufzulösen. Die Offiziere riefen den Rumpf zurück - zum Teil waren es dieselben Offiziere, die ihn 1653 verjagt hatten. Richard mußte zurücktreten, die Republik wurde erneuert. Aber nun begannen die alten Konflikte zwischen dem 199 200 2o1

202 2o3

Vgl. Junge (Anm. 36), 327. Ashley (Anm. 197), 97 - 110. Ebd. 106. Firth, Cromwell's Army (Anm. 24), 205 f. Michael Weinzierl. Das Commonwealth vom Aufstand der Presbyteria-

ner bis zum zweiten Staatsstreich der Armee 1659, in: Mitteilungen des Osterreichischen Staatsarchivs 30 (1977), 6.

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Superioritätsanspruch des Parlaments und dem Machtwillen der Offiziere aufs neue, nur mit dem Unterschied, daß sich die Generalität nicht einig war. So konnte der Rump die einzige intakte Truppe, die Schottland-Armee unter George Monck, zu Hilfe rufen. Monck ist der Typ des "unpolitischen" Berufssoldaten, der aus Loyalität zum System und aus Eigennutz zum "Treuhänder" der Ordnung wird204 . Dennoch waren weder der Rump noch die Armee in der Lage, einen breiten Konsens zu erzielen: beide waren gleich verhaßt und gleich uneinig205 • Damit zeichnete sich die Restauration der Monarchie als einzige konsensfähige Lösung ab. Der Rump wurde um die 1648 vertriebenen konservativen Mitglieder erweitert; das wiederhergestellte Lange Parlament löste sich umgehend auf. Neuwahlen zu einem "Convention-Parliament" standen im Zeichen der konservativen Wende; im Mai 1660 konnte Karl II. zurückkehren206. Die Verpflichtung des Königs, die Soldrückstände der Armee zu bezahlen, gehörte zum Preis der Restauration; mehr war nicht festgelegt. Einmal in England, entschloß sich Karl aber zur Auflösung der New Model Army, zunächst natürlich wegen der politischen Gefährlichkeit dieses potentiellen Gegners, dann aber auch wegen der Kosten, denn seine Einkünfte waren eher knapp bemessen. Seine ersten Parlamente hatten ihm 1,2 Mio. aus der Excise und anderen Einkünften zugebilligt, die aber nicht ohne weiteres eingingen, Doch zur Auflösung der Armee zeigte sich das Parlament großzügig. Insgesamt wurden 835 819 Pfund 8 Shilling 10 Pence für diesen Zweck aufgebracht207 . Außerdem erleichterte man den entlassenen Soldaten die Rückkehr ins bürgerliche Leben durch vorübergehende Aufhebung der Einschränkung, daß normalerweise kein Gewerbe ohne eine Lehrzeit betrieben werden durfte208 . Dank der allgemeinen Resignation in der Truppe und den Führungsqualitäten von George Monck ging die Demobilisierung widerstandslos vonstatten. 204 Vgl. Firth, Cromwell's Army {Anm. 24), 380. 2os Vgl. A Letter from General Monck and the Officers Here to the Respective Regiments and Other Forces in England, Scotland and Ireland, British Museum, Thomason Collection 669 f. 23. (54.). 206 G. Davies, The Army and the Downfall of Richard Cromwell, in: Huntington Library Bulletin 7 (1935), 131 - 167; Austi n Woolrych, Last Quest for Settlement, in: Aylmer {Anm. 102), 183- 204; Weinzierl {Anm. 203) ; Ivan Roots, The Tactics of the Commonwealthmen in Richard Cromwell's Parliament, in: D. Pennington und K. Thomas {eds.), Puritans and Revolutionaries, Oxford 1978, 283 - 309. 2o1 An Act for the Speedy Disbanding of the Army and Garrisons of this Kingdome, British Museum, Thomason Collection E. 1075. (13.) ; An Act for Raising Sevenscore Thousand Pounds, for the Compleat Disbanding of the Whole Army, and Paying off Some Part of the Navy, ebd. {18.); John Childs, The Army of Charles Il., London - Toronto 1976, 10. 2os British Museum, Thomason Collection E. 1075. (13.).

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205

Drei Gesetze von 1661, 1662 und 1663 bestätigten für die Zukunft dem König wie einst den Oberbefehl über die gesamte bewaffnete Macht des Landes. Diese sollte zu Land aus der Militia bestehen, die nach traditionellen Mustern reorganisiert und dem Lord Lieutenant der jeweiligen County unterstellt wurde. Die lokalen Oligarchen haben sie zunächst als Polizeitruppe benutzt, um ihre eigene kleine "Restauration" an Ort und Stelle durchzusetzen209 • Damit zeichnete sich aber bereits ab, daß die Militia ungeachtet des formellen königlichen Oberbefehls keineswegs ohne weiteres zur Verfügung des Monarchen stehen würde. Sie durfte auch nur für eine begrenzte Zeit einberufen werden; von einer anderen Truppe war aber nicht die Rede. Als jedoch ein Aufstand der "linksradikalen" "Fifth Monarchy Men" im Januar 1661 nur mit Hilfe von Moncks Truppen niedergeschlagen werden konnte, nutzte Karl II. die Panikstimmung, um aus alten royalistischen undMonk'schen Verbänden die ersten Regimenter eines neuen stehenden Heeres zu bilden - nach der New Model Army das erste stehende Heer auf englischem Boden210 • Garnisonen und Garden bildeten den Kern. Insgesamt handelte es sich um wenige Regimenter, etwa 6 000 Mann im Regelfall, die nach französischem Muster gekleidet waren und geführt wurden. Da sich die Kosten auf ca. 190 000 Pfund beliefen211 , konnte sich der König angesichts seiner begrenzten Einkünfte und erneut rasch ansteigenden Verschuldung trotz gelegentlicher Sondereinnahmen212 mehr einfach nicht leisten. Bei auswärtigen Verwicklungen, etwa in den Kolonien oder im Kriegsfall, war er auf Bewilligungendes Parlaments angewiesen. Denn wenn er je versuchte, in absolutistischer Manier Anwerbungen ohne solche Bewilligungen durchzuführen, sah er sich hinterher gezwungen, die Leute aus Geldmangel wieder zu entlassen. Das war die automatisch wirkende Sicherung des Parlaments gegen eine Armee, die seit den Krisen der siebziger Jahre durchaus als Instrument eines potentiellen absolutistischen Regimes verabscheut und gefürchtet wurde213 • Bezeichnenderweise taucht die Frage der bewaffneten Macht im politischen Denken der Engländer bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts kaum als Problem auf. Es war James Rarringtons "Commonwealth of Oceana" 1656, wo zum ersten Mal auf Grund der Erfahrung mit der New Model Army im allgemeinen und mit den Major-Generals im besonderen der 200

I. M . Green,

The Re-Establishment of the Church of England, 1660 -

1663, Oxford 1977, 181 - 184. 210 Chilets (Anm. 207), 1.

Ebd. 17. Portugiesische Mitgift, Verkauf von Dünkirchen, Zuwendungen Ludwigs XIV. 21s Childs (Anm. 207), 218 f . 211

212

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verderbliche Charakter einer stehenden Söldnerarmee und ihre Unvereinbarkeit mit einer freiheitlich-republikanischen Verfassung dargelegt wurde. Zu Rarringtons Grundbesitzerrepublik gehörte eine Bürgermiliz214. Die Parole "no standing army" wird seit 1667, erneut seit 1673 dann auch zum Bestandteil des Programms der antiabsolutistischen "county party", der späteren Whigs215• 1679 wurde ein stehendes Heer in England sogar für ungesetzlich erklärt218 • Jakob II. war ein besserer Soldat und ein besserer Administrator als sein Bruder217 • Außerdem kam er durch eine Reorganisation des Finanzwesens in dessen letzten Jahren und durch den mit einer Vermehrung der Zölle verbundenen Wirtschaftsaufschwung in den Genuß steigender Einnahmen218, die es ihm gestatteten, seine Armee auszubauen und dennoch zugleich Schulden abzutragen. Keineswegs etwa nur wegen der Großzügigkeit der ersten parlamentarischen Bewilligung stiegen Jakobs Einkünfte von 1 370 000 Pfund im Jahre 1685 auf 1 600 000 gegen Ende seiner Regierung218• Die automatische parlamentarische Bremse griff jetzt nicht mehr - stand der Absolutismus vor der Tür? Jakob hatte 1685 in England 8 865 Mann angetreten, 7 472 in mobilen Regimentern, 1 393 in Garnisonen, dazu 7 500 Mann in Irland und 2 199 Mann in Schottland. 1688 verfügte er in England über eine Feldarmee von fast 30 000 Mann, neben 5 000 Mann in Garnisonen und weiteren 5 000, die gerade bereitgestellt wurden. Dazu kamen 3 000 Mann in Schottland und gegen 9 000 in Irland220• Im europäischen Vergleich war das nicht viel, für englische Verhältnisse aber ungewöhnlich. Jakob hatte die Invasion des Herzogs von Monmouth als Anlaß zur ersten Heeresvermehrung genommen. Anschließend erklärte er dem Parlament seine Absicht, die Militia durch ein stehendes Heer zu ersetzen und dabei Katholiken als Offiziere zu verwenden. Ungeachtet der patriotischen Begeisterung, die eben noch geherrscht hatte, stieß beides auf Widerstand, und 214 The Political Works of James Harrington, ed. G. A. Pocock, Cambridge 1977; Lois G. Schwoerer, "No Standing Armies". The Antiarmy Ideology in Seventeenth-Century England, Baltimore 1974, 64 - 66. m Schwoerer (Anm. 214), 91 - 136. 21s Fortescue (Anm. 13), 289- 298; Chileis (Anm. 207), 232; J. R. Jones, Country and Court. England 1658 - 1714, London 1978; ders.. (ed.), The Restored Monarchy, 1660 - 1688, London 1979, 13, 17 f., 77 f. 217 Maurice Ashley, James II., London 1977; J . R. Western, Monarchy and Revolution. The English State in the 1680s, London 1972. 21s C. D. Chandaman. The English Public Revenue, 1660 - 1688, Oxford 1975, 20, 35, 75, 248- 261. m Ebd. 261; Jones. Country and Court (Anm. 216), 63 f.; Howard Tomlinson, Financial and Administrative Developments in England, 1660 - 1688, in: Jones, Restored Monarchy (Anm. 216), 100. 220 John Childs, The Army. James II. and the Glorious Revolution. Manchester 1980, 1 - 5.

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zwar das zweite fast mehr als das erste. Daraufhin wurde das Parlament vertagt und nicht mehr einberufen. Jakob brauchte es nicht, weil ihm genug Mittel zur Verfügung standen. Jeden Sommer wurde die Armee auf Hounslow Heath zum Exerzieren zusammengezogen; nebenbei sollte mit diesen Manövern wohl die Hauptstadt London beeindruckt werden. Auf dem Land setzte Jakob die Truppen für Polizei- und sogar für Verwaltungsaufgaben ein221 • Doch dieses so ganz und gar absolutistisch anmutende Vorgehen ist eher ein Symptom der Schwäche als der Stärke dieses letzten englischen Versuchs in Absolutismus, denn es sollte als Teilersatz für die zweite, ebenso wichtige Stütze derartiger Systeme dienen, die zentralistisch orientierte Beamtenschaft, die in England nach wie vor vollständig fehlte222 • Es sind ja gerade Jakobs Versuche gewesen, den lokalen Selbstverwaltungsapparat unter Mißachtung der jeweils maßgebenden Oligarchie auf die Zentrale umzupolen, die im Verein mit seiner rücksichtslosen Religionspolitik223 zu seinem Sturz geführt haben. Doch obwohl die Loyalität von Jakobs Streitmacht aus religiösen Gründen teilweise in Frage gestellt war!!', zog es sein ins Land gerufener Nachfolger, sein Schwiegersohn Wilhelm III. von Oranien, dennoch vor, an der Spitze einer stattlichen Armee zu erscheinen- die letzte erfolgreiche Invasion Englands! Die militaristisch-absolutistische Drohung, die von Jakobs Politik ausging, war für die Zeitgenossen sehr viel realer und wurde sehr viel ernster genommen, als wir uns heute nach Hintze vorstellen können. Die Zeitgenossen konnten ja noch nicht wissen, daß dies der letzte Anlauf zum Absolutismus sein würde. Die Flotte hingegen war innenpolitisch problemlos und außenpolitisch nützlich. Infolgedessen konnte die Restauration die Ausbaupolitik des Commonwealth und Protectorate ziemlich geradlinig fortsetzen. Jakob selbst war als Duke of York ein erfolgreicher Admiral und an Marinewie Kolonialfragen stets sehr interessiert gewesen. 156 Schiffen mit zusammen 62 654 t, 19 361 Mann und 4 642 Kanonen im Jahre 1660 standen 1688 173 Schiffe mit 101 032 t, 41 940 Mann und 6 954 Kanonen gegenüber. Wie die Zahlen erkennen lassen, erfolgte der Zuwachs vor allem bei den größeren Einheiten225 • Nach wetterbedingter Inaktivität Ebd., bes. 106 - 112. Vgl. Jones, Restored Monarchy (Anm. 216), 18. 22s Vgl. Ludwig Hammermayer, Restauration und "Revolution von oben" in Großbritannien (1685- 1688). Zur Kirchen- und Innenpolitik Jakobs II. und zur Rolle der deutschen Schottenklöster, in: Historisches Jahrbuch 87 (1967), 26- 90, bes. 56 - 61. 224 Childs (Anm. 220), 135- 167, 195, 205. t2s J. R. Tanner, The Administration of the Nayy from the Restauration to the Revolution, in: English Historical Review 12 (1897), 17- 66; 13 (1898), 221

222

26 - 54; 14 (1899), 47 - 70, 261 - 289.

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208

wurde die Flotte 1688 der öffentlichen Meinung folgend unberührt den neuen Herren übergeben228 • Obwohl die Frage des stehenden Heeres bei der "Glorious Revolution" weit weniger im Mittelpunkt des Interesses stand, als man erwarten möchte - es gab offenbar wichtigere Probleme2263 - , wurde doch in der "Declaration of Rights" 1689 ein für alle Mal eine "parlamentarische Lösung" festgeschrieben2 26b: "Whereas the late King J ames the second . . . did endeavour to Subvert and extirpate the Protestant Religion, and the Lawes; and Liberties of this Kingdome ... By levying Money for and to the use of the Crown by pretence of Prerogative for other Time and in other manner than the same was granted by Parliament. By raising and keeping a standing army within this Kingdome in time of Peace without Consent of Parliament and quartering of Souldiers contrary to Law ... , the . . . Lords Spirituall and TemporaU and Commons . .. Declare, . .. That levying of money for or to the use of the Crowne by pretence of Prerogative without Grant of Parliament for Ionger time or in other manner, than the same is or shall be granted is illegal, ... That the raising or keeping a Standing Army within the Kingdome in time of Peace anlesse it be with consent of Parliament is against Law ..." Daß diese Lösung die endgültige wurde, ist dadurch zu erklären, daß es lange keinen Frieden mehr geben sollte. 1688- 1713 befand sich England mit einer kurzen Pause 1697- 1701 ununterbrochen im Krieg, zunächst in Irland, dann auf dem Kontinent gegen Frankreich227. Das wirkte sich anfangs zugunsten eines stehenden Heeres aus, denn das Parlament mußte sich für lange Zeit mit dessen Vorhandensein abfinden und immer wieder Geld bewilligen. Durch die Mutiny Act von 1689 wurde eine eigene Militärgerichtsbarkeit- also das, was Jakob II. aus eigener Machtvollkommenheit praktiziert hatte - für Meuterei und Desertion legalisiert. Der königliche Oberbefehl war ohnehin nicht in Frage gestellt. Die Tonnage der Flotte stieg 1689- 1714 von 101 892 auf 167 219, die Zahl der Berufssoldaten 1689- 1711 von 10 000 auf 70 000228 • Der Krieg brachte der Krone also einen gewaltigen Zugewinn an Macht, der es dem herrischen und machtbewußten Wilhelm 111. gestattet hätte, den Kurs seiner Vorgänger, abzüglich der verwegenen Religionspolitik, 22e E. B. Powley, The English Navy in the Revolution of 1688, Cambridge

1928.

22ea Schwoerer, (Anm. 214), 147- 154; vgl. Debates of the House of Commons from the Year 1667 to the Year 1694, ed. Anchitel Grey, 10 Bde., London 1763, Bd. 9 passim. 226b Nach Lais G. Schwoerer, The Declaration of Rights 1689, Baltimore 1981, 295- 297, vgl. dazu ebd. 71 - 81. 221 Vgl. Jones (Anm. 5), 58 f. 22s Coward (Anm. 55), 413.

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fortzusetzen und auf dem europäischen Normalweg zum Absolutismus zu bleiben. Krieg ist ja das Geheimnis des Wachstums absoluter Macht! Daß solche Überlegungen den Zeitgenossen nicht fremd waren, zeigt das heftige Aufflammen der "No-standing-army"-Kontroverse, als das Parlament 1697 von dem widerstrebenden König Abrüstung verlangte229. Die alten Argumente Rarringtons verbinden sich mit der politischen Empirie in der berühmtesten der damals erschienenen Streitschriften "An Argument, Shewing, that a Standing Army is Inconsistent with a Free Government, and Absolutely Destructive to the Constitution of the English Monarchy" von John Trenchard, die im Oktober 1697 erschien. 1698 schob er "A Short History of Standing Armies in England" nach230 . Not und Leichtsinn haben andere Völker veranlaßt, ein stehendes Heer in ihrer Mitte zu dulden, was, so meint Trenchard, zum Verlust ihrer Freiheit führen mußte. Das Gleichgewicht der Verfassung beruht nämlich darauf, daß dieselben Personen die Streitmacht, die Militia, bilden, die das Eigentum (an Grund und Boden) innehaben, sonst wäre die Regierung wider die Natur und die Armee müßte entweder die Verfassung oder aber die Verfassung die Armee brechen231 . Dem gegenwärtigen König kann man zwar vertrauen, aber wie stünde es unter einem schlechteren Nachfolger?232 Schließlich hat auch Cromwell mit Hilfe seiner Armee das Parlament beseitigt, dem er diente233 • Die Finanzhoheit genügt eben nicht als Gegenmittel, "For 'tis certain that an Army will raise Money, as that Money will raise an Army" 234. Bezeichnenderweise kann es sich die wichtige Gegenschrift "A Letter Balancing the Necessity of Keeping a LandforceinTimes of Peace" von J ohn Somers auch nicht leisten, geradewegs für ein ständiges stehendes Heer zu plädieren; sie verlangt nur eine jährlich vom Parlament neu zu bewilligende Landmacht235 • Dieser Weg wurde dann auch eingeschlagen und die Truppe wenigstens für die kurzen Friedensjahre zu Wilhelms Ärger so knapp bemessen, daß damals das an sich vielversprechende System der Kaderarmee eingeführt werden mußte238 • Die Verfassungsregelung von 1689 war sehr viel unpräziser und offener, als man aus der Sicht der Ergebnisse zu unterstellen pflegt. Bereits ihr Kompromißcharakter mußte bisweilen mehrdeutige Formulierunus Schwoerer (Anm. 214), 155 - 187. 230 Ebd. 163, 167. 23t An Argument, 4. 2s2 Ebd. 6. 233 Ebd. 10. 234 Ebd. 17. 235 A Letter, 3. 236 Fortescue (Anm. 13), 386 - 389. 14 Staats- und Heeresverfassung

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genzur Folge haben237 • Tatsächlich ist das Verbot, in Friedenszeiten ein stehendes Heer zu unterhalten, so ziemlich die einzige Bestimmung der "Declaration of Rights", die nicht längst proklamierten verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht238• Aber eben diese Bestimmung kombiniert mit der Budgethoheit des Parlaments, auch und gerade unter den neuen und an sich der staatlichen Machtentfaltung sehr viel günstigeren Bedingungen nach der "Financial Revolution"l!S9 , mußte unter den hohen Ansprüchen eines Krieges dazu führen, daß der geschilderte Machtzuwachs der Krone nur von Parlamentes Gnaden stattfinden konnte, nicht zuletzt weil diesem König sein Krieg sehr viel wichtiger war als seine verfassungspolitische Stellung. Man hat Wilhelm III. deshalb trotz oder gerade wegen seiner Stärke geradezu als den eigentlichen "betrayer of English absolutism" bezeichnet240 • Schwächere Monarchen hatten unter weniger exponierten Bedingungen mehr für die unbeschränkte Krongewalt tun können als er. So hat denn seine Nachfolgerin Anne aus demselben Grund im großen Herzog von Marihorough keinen Wallenstein oder Richelieu gefunden. Auch wenn er zeitweise der englische Nationalheld war, so war er es von Parlamentes Gnaden241 • Auf der anderen Seite war es der enorme Geldbedarf dieser Kriege, der das Parlament erst endgültig zur Institution werden ließ. Die späteren Stuarts haben zeitweise durchaus erfolgreich versucht, ohne Parlamente auszukommen. Unter ihnen wurde das Parlament wieder auf ein Ereignis reduziert, wie früher. Jetzt aber tritt es seit 1689 jedes Jahr zusammen, um eine neue Mutiny Act, die ja stets auf ein Jahr befristet ist, und die nötigen Gelder· für den Krieg zu beschließen242 • Die Krise der Jahrhundertmitte war sicher mehr als ein folgenloser Betriebsunfall der englischen Geschichte243 • Aber die von ihr bewirkten Veränderungen haben die Monarchie nicht gehindert, erfolgreich zum europäischen Normalprogramm einer Durchsetzung des Absolutismus 237 John Miller, The Glorious Revolution. "Contract" and "Abdication" Reconsidered, in: Historical Journal 25 (1982), 541- 555. 238 John Miller, The Glorious Revolution, London 1983, 37. 239 P. G. M. Dickson, The Financial Revolution in England. A Study in the Development of Public Credit 1688- 1756, 1967. 240 Maclnnes (Anm. 101), 393. 24t Vgl. R. E. Scouller, The Armies of Queen Anne, Oxford 1966; William Coxe, Herzog Johann von Marlborough. Leben und Denkwürdigkeiten, 6 Bde., Wien 1820 - 1822, engl. 1818 - 1819; H. L. Snyder (ed.), The MarlboroughGodolphin Correspondence, 3 Bde., Oxford 1975. Der Marlborough geschenkte Blenheim-Palace wurde vom Parlament bezahlt! 242 Das hat bereits Holdsworth (Anm. 58), Bd. 6, 241, beobachtet. 2~3 Wie es manche Revisionisten anscheinend haben wollen, bei Maclnnes (Anm. 101), ist eine solche Tendenz nicht zu übersehen.

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zurückzukehren244 • Wir dürfen sogar vermuten, daß selbst 1689, das unter diesen Umständen wie schon für die Zeitgenossen zur eigentlichen englischen "Revolution" wird245 , ein weiteres Verfolgen dieses Weges, ein mehr oder weniger pragmatisches Weiterbasteln am Ausbau der königlichen Befugnisse, nicht wirklich verhindert hätte246 • Wenn nicht der Große Krieg gewesen wäre! Anderswo die Sternstunde des Absolutismus, hat gerade der Krieg in England dessen endgültige Überwindung und die Etablierung einer parlamentarischen Monarchie bewirkt. Zwar hat dieser Krieg eine gewaltige Expansion der "Bürokratie" hervorgebracht, wie sie für absolutistische Monarchien des Kontinents typisch ist247 , ferner ein ziemlich "normales" Steuersystem mit Landsteuer, Zöllen und Akzisen, bei dem 1740 noch 52,1 '0/o der Einnahmen für Militär und Marine ausgegeben werden müssen248 , aber beides eben im Zeichen einer parlamentarischen Kontrolle der Finanzen. Doch auch nachdem nun der englische politische "Sonderweg" der parlamentarischen Monarchie feststeht, kann von der angeblichen Korrespondenz von Parlamentarismus und Milizsystem im Sinne Hintzes nicht die Rede sein. Die Streitmacht dieses Gemeinwesens war nie die Militia, die ein Schattendasein führte, sondern stets ein stehendes Heer, von dem 17 000 - 20 000 Mann im Mutterland stationiert zu sein pflegten, nicht zuletzt zwecks Unterdrückung innerer Unruhen24•. In England ist also keineswegs alles anders als auf dem Kontinent. Natürlich wäre es Torheit, einen englischen "Sonderweg" völlig leugnen zu wollen. Aber die Fakten erlauben es nicht, aus ihm mehr als eine Variante der europäischen "Normalentwicklung" des 17. Jahrhunderts zu machen. Einen Antityp zum preußischen Regelfall im Sinne Hintzes kann man daraus nicht konstruieren. Die englische Besonderheit be244 Wenn dies bei Elisabeth I., Jakob I. und Karl I. noch wenig artikuliert oder verschleiert erfolgt, dann sollte man nicht übersehen, daß es sich noch um das Zeitalter Philipps li., Gustav Adolfs und allenfalls Richelieus handelt. Erst die späteren Stuarts sind Zeitgenossen eines Ludwigs XIV. oder Großen Kurfürsten, als so etwas explizites Programm wird ... 245 Maclnnes (Anm. 101); John Childs, Armies and Warfare in Europe, 1648- 1789, Manchester 1982, 37. 246 Coward (Anm. 55), 411 - 418. 247 Ebd. 413; G. Holmes, Augustan England: Professions, State and Society 1680 - 1730, London 1982. 248 Rudolf Braun, Steuern und Staatsfinanzierung als Modernisierungsfaktoren. Ein deutsch-englischer Vergleich, in: Studien (Anm. 166), 241- 263, bes. 251; A. Ishizaka, Die niederländische und englische Akzise im 17. Jahrhundert: Ein Beitrag zur vergleichenden Steuergeschichte der merkantilistischen Periode, in: Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege, Festschrift Hermann Kellenbenz, Bd. 2, Stuttgart 1978, 509 - 527. 249 Vgl. Tony Hayter, The Army and the Crowd in Mid-Georgian England, London 1978.

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steht zunächst nur darin, daß die "Stände" dort im europäischen Vergleich eine besonders starke Stellung gegenüber der Krone innehaben, so daß es ihnen in einer bestimmten Konfliktsituation gelingt, sich eine eigene Berufsarmee zu schaffen und die Krone damit auszuschalten. Da aber zuwenig Erfahrungen mit ständischer Kontrolle von Berufsarmeen vorliegen, vermag sich diese politisch zu verselbständigen, bis hin zur ersten Militärdiktatur der europäischen Geschichte. Doch auch traumatische Erfahrung ist außerstande zu verhindern, daß die Krone ihre alten Versuche wieder aufnehmen kann, die absolute Finanzhoheit durch Umgehung, nicht etwa Beseitigung der Stände zu erlangen und ein stehendes Heer aufzubauen. Sie scheitert ein zweites Mal daran, daß es ihr unmöglich ist, auf diese Weise einen größeren Krieg durchzustehen, dieses Mal endgültig. Die Stärke der Stände beruht letztinstanzlieh auf ihrer Lokalherrschaft einerseits, auf dem Vorhandensein einer nationalen Clearing-Stelle für den Interessenausgleich der lokalen Oligarchien andererseits; gemeint sind das Parlament und die Gesellschaft der Hauptstadt. Beides hat aber durch die Politik der Krone schon im 16. Jahrhundert eine entscheidende Stärkung erfahren250 • Daß diese Deutung der Vorgänge richtig ist, läßt sich unter anderem damit belegen, daß ein politisch kritischer Punkt immer dann erreicht wird, wenn die Zentrale Anstalten macht, die unumschränkte Lokalherrschaft der Oligarchien zu gefährden: als Karl I. ihre Kirchenherrschaft durch seine Bischöfe in Frage stellt251 , als Cromwell und die Armee die verhaßten Major-Generals in die Counties schicken, als Jakob II. in die Reihen der Justices of the Peace und die Borough Charters eingreift. Aber Englands Nationwerdung ist bereits soweit fortgeschritten, daß die Siege der Lokaloligarchien über die Zentrale in diesen Fällen keine nationale Desintegration mehr bewirken. Das englische politische System vermag die lokalen Oligarchien bereits zu einer nationalen Oligarchie zu integrieren.

250 Sehröder (Anm. 166); vgl. J. H. Plumb, The Growth of the Electorate in England from 1600 to 1715, in: Past and Present 45 (1969), 90 - 116. 251 Vgl. Hill (Anm. 70), 24 f.

Staat und Armee im Zeitalter des "miles perpetuus" Von Hans Schmidt, München Eberhard Weis zum 31. 10. 1985 herzlich gewidmet

Ernst Rudolf Huber beginnt sein 1938 erschienenes Buch "Heer und Staat in der deutschen Geschichte" mit der lakonischen Feststellung, "daß die Wehrordnung unmittelbar der politischen Grundordnung eines Volkes, das heißt seiner Verfassung, zugehört ...", und fährt dann etwas später fort: "Das Wehrrecht ist nicht nur eine technische Regelung der Wehrorganisation und der Wehrverwaltung, sondern es ist vor allem ein unmittelbarer Ausdruck der politischen Ordnung, in der ein Volk zum Staat wird 1 ." Und an anderer Stelle hebt er dann noch einmal mit Nachdruck hervor: "In der Mehrzahl der großen politischen Umbrüche unserer Volks- und Staatsverfassung haben die militärischen Wandlungen primären, nicht sekundären Rang; sie sind gestaltende Kraft, nicht erst gestaltete Ordnung2 ." Und Geoffrey Best in seinem jüngst erschienenen Buch "War and Society in Revolutionary Europe 1770 - 1870" stößt in dasselbe Horn, wenn er mit schneidendem Realismus feststellt: "Human society, politically organized, becomes a state; and states distinguish themselves from other states, to put it bluntly, by their abilities to fight or protect themselves from one another3 ." 1 Ernst Rudolf Huber. Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Harnburg 1938, 7. 2 Huber (Anm. 1), 8. 3 Geoffrey Best, War and Society in Revolutionary Europe, 1770 to 1870, Leicester 1982, 8. Ähnlich ja auch schon Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, 3. Aufl. hrsg. von Gerhard Gestreich, Göttingen 1970, 53: "Alle Staatsverfassung ist ursprünglich Kriegsverfassung, Heeresverfassung; .. . " . Ähnlich vor ihm bereits Max J ähns, Heeresverfassung und Völkerleben, Berlin 1885, worauf Fritz Hartung in seinem Aufsatz von 1936: Staatsverfassung und Heeresverfassung hinweist. Hier zit. nach Fritz Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, 28. Dort auch die folgende Passage: "Die Verfassung bedeutet für die Staatslehre das Gleiche wie der Begriff Konstitution für die Medizin; sie ist die Gesamtheit der den Bau des Staatskörpers ausmachenden und sein Leben ermöglichenden Kräfte, ist die Ordnung ihres gegenseitigen Verhältnisses. Zu diesem Begriff der Staatsverfassung steht die Heeresverfassung nicht etwa im Gegensatz, sie ist vielmehr ein wesentlicher und untrennbarer Bestandteil".

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Daß Heer und Staat in engster Verbindung stehen, daß ein Staat ohne Wehrkraft ein Unding ist und daß speziell der frühmoderne Staat, wie er sich im Zeitalter des Absolutismus herausbildete, in hohem Maße wenn auch keineswegs ausschließlich - durch die Heeresverfassung mitbedingt wurde, ist im Grunde eine Binsenweisheit, über die sich von Max Jähns im Jahre 1885 über Otto Hintze, Fritz Hartung, Ernst Rudolf Huber, Gerhard Gestreich bis jüngsthin zu Andre Corvisier, Roland Mousnier und Geoffrey Best, um nur die wichtigsten Namen hier zu nennen, die Historiker, die sich mit dieser Frage beschäftigen, absolut einig waren und noch sind4 • Heer und Beamtenschaft bildeten die Stützen des aufgeklärten Monarchen, mit deren Hilfe er seinen Herrschaftsanspruch gegenüber Ständen und Untertanen durchsetzte, wobei das Vorhandensein des stehenden Heeres natürlich von entscheidender Bedeutung war. Die 4 Max Jähns, Heeresverfassung und Völkerleben (Anm. 3); Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung (Anm. 3); Fritz Hartung, Staatsverfassung und Heeresverfassung (Anm. 3); Ernst Rudolf Huber, Heer und Staat in der deutschen Geschichte (Anm. 1); Gerhard Oestreich, Die Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 bis 1800. Ein Versuch vergleichender Betrachtung, in: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe für Fritz Hartung, Berlin 1958, 419 - 439 (auch in: Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, 290- 310); Roland Mousnier, Conclusion generale, in: Histoire comparee de l'administration (IXe - XVIIe siecles). Actes du XIVe colloque historique franco-allemand, Tours, 27 mars- 1•r avril, hrsg. v. Werner Paravicini und Karl Ferdinand Werner, München 1980, 616 ff.: "Le plus important des concomitants, dans la longue periode que nous avons consideree, c'est la guerre. Elle a beaucoup plus influe sur l'administration, sur l'equilibre et sur le changement de toutes les societes, que la vie economique, le commerce ou l'industrie.. . . Puis, c'est la lente reconstitution a partir du xie siecle, au milieu des guerres perpetuelles, mais de plus en plus guerres d'Etats, qui favorisent la reconstituition des Etats.... Quelle que soit l'institution que l'on etudie, il faut toujours la replacer par rapport a la guerre." Ahnlieh ders., Les institutions de la France sous la monarchie absolue. Tome II, Paris 1980, 7- 8: "Ces nouvautes semblent avoir ete provoquees avant tout par les necessites de la guerre, civile Oll etrangere, par le besoin imperieux d'armees et de flottes toujours plus nombreuses, toujours mieux equipees d'un materiel de plus en plus abondant et couteux ... Les difficultes de la levee des taxes, contributions, emprunts forcees divers, les oppositions, frequemment les revoltes a main armee, ont oblige le gouvernement royal, le plus souvent contre son gre, a imposer sa volonte a l'aide d'institutions nouvelles ... Le gouvernement de guerre a pris souvent des habitudes qui ont dure dans les periodes de paix et a revetu un aspect despotique et tyrannique qui a provoque la critique de la monarchie et de la societe et de l'Etat. Ainsi la guerre, soit directement, soit par ses consequences, s'est revelee ici aussi, une fois encore, un puissant facteur de changement peut-etre le facteur preponderant". Ähnlich auch Andre Corvisier, Armies and societies in Europe 1494 to 1789, trans. by Abigail T. Siddall, Bloomington and London 1979, passim (Die französische Originalausgabe Armees et societes en Europe de 1494 a 1789, Paris 1976, war mir bei Niederschrift dieses Aufsatzes nicht greifbar). B est (Anm. 3), passim. Anders dagegen Gerhard Papke, in: Deutsche Militärgeschichte in 6 Bänden, 1648 bis 1939, Bd. 1, Herrsching 1983, 60, dessen relativierende Bemerkung aber offenbar ideologische Gründe hat.

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Dragonaden in Frankreich wie das Vorgehen des Großen Kurfürsten gegenüber den Ständen in Cleve und Mark sowie in Ostpreußen- um es bei diesen beiden Beispielen zu belassen -'- unterstreichen diese innenpolitische Funktion des miles perpetuus mit der gebührenden Deutlichkeit. Vor und über dieser innenpolitischen Aufgabe des stehenden Heeres stand natürlich als Hauptzweck die machtpolitische Funktion nach außen. Denn nur wer sich bei Angriffen von außerhalb zu schützen vermochte und wer darüber hinaus in der Lage war, in die internationalen - im Reich häufig auch die innerreichischen - Verwicklungen mit bewaffneter Hand einzugreifen, galt etwas im Kalkül der Machtpolitik. Schutz und gelegentlich auch Angriffskraft gegen außen, Herrschaftsstabilisierung des absoluten Fürsten nach innen, das waren also die Aufgaben eines stehenden Heeres in Europa zwischen 1648 und 1789, dem meine Ausführungen hier gelten sollen. Um diesen Ansprüchen zu genügen, war es allerdings notwendig, daß das Heer sich fest in der Hand des Herrschers befand, daß es voll und ganz in den Rahmen seines Staates eingegliedert war, mit einem Wort, daß es einen nicht mehr wegzudenkenden Teil dieses Staates eben darstellte. Tatsächlich trifft dies für die meisten Heere des damaligen Europa auch zu, mit charakteristischen Unterschieden in der Intensität der Amalgamierung und mit den Ausnahmen einmal des Inselstaates England, in dem die Armee spätestens nach der "glorious revolution" zahlenmäßig so klein war, daß sie keine große Rolle mehr spielte, dann der polnischen Adelsanarchie, die, eigenen Gesetzen folgend, ihrem Untergang entgegentaumelte, nicht zuletzt eben doch auch deshalb, weil die Nachbarn von ihrer Unfähigkeit zu wirksamer Gegenwehr überzeugt waren5 • Im Verlauf einer Entwicklung, die Michael Roberts 1956 erstmals als "Military Revolution" bezeichnet hat, ein Begriff, der nicht unwidersprochen blieb6 , die er zwischen 1560 und 1660 sich vollziehen sieht, die ich aber schon im frühen 16. Jahrhundert, im Grunde sogar schon mit dem Beginn des Dominierens der Fußtruppe über die Ritteraufgebote des Spätmittelalters einsetzen sehe und die in Deutschland sicherlich 5 Dazu Corvisier, Armies and societies in Europe 1494- 1789 (Anm. 4), llO ff., zu England 123 - 124, der die Isolierung der in Friedenszeiten stets

zahlenmäßig sehr schwachen englischen Armee betont. Zu Polen ebd. 88. Vergleiche ferner Christopher Duffy, The Military Revolution and the State 1500- 1800, in: ders. (Hrsg.), The Military Revolution and the State (Exeter Studies in History 1), Exeter 1980, 6 ff.: "The fact was that governments which did not participate in the military revolution were likely to be plundered and have their economy destroyed by more powerful states. Britain and France were amongst the principal despoilers. Portugal and Poland, which failed to participate in the full extent of the military revolution in time, and Spain and Holland which were unable to sustain it were amongst the principal despoiled." 6 Gute Diskussionen der Debatte bei Duffy (Anm. 5), 1- 9 mit weiterführenden Literaturhinweisen.

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bis etwa zum Jahre 1700 gedauert hat, wenn nicht gar noch länger, ist diese Verstaatlichung des Militärs, die dann im Falle Preußen eindeutig in eine Militarisierung des Staates umschlug, erfolgt. Voraussetzung dafür war einmal die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung des Kriegswesens, wie sie sich speziell- und das erklärt Roberts Periodisierung :- seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beobachten läßt7, getragen vor allem von jener Geisteshaltung, die Gerhard Gestreich als "Neustoizismus und niederländische Bewegung" bezeichnet hat. Zum anderen war es die Überwindung des Systems der großen militärischen Unternehmer, das im Dreißigjährigen Krieg mit Wallenstein noch einmal einen kurzfristigen Triumph gefeiert hatte und das vor allem in Deutschland sehr wichtig geworden war8 • Die Entwicklung der Taktik, die im 16. Jahrhundert beim Fußvolk begann, das damals sich aus den Landsknechtshaufen der FrundsbergZeit nun immer mehr in straff disziplinierte taktische Körper wandelte, die sich fest in der Hand ihrer Führer befanden und zu kunstvollen Manövern auf dem Schlachtfeld fähig wurden, die langes Training und strenge Disziplin neben persönlichem Mut erforderten, kurzum den Drill - den die Oranier wohl erfunden haben - zur Voraussetzung hatte und die mit den Stichworten "Spanisches Tercio", "Niederländische Ordinanz" bzw. "Status Belgicus" und "Schwedische Brigaden" gekennzeichnet sei, das Ganze gipfelte dann in der Lineartaktik des 18. Jahrhunderts, der "ordre mince", die Entwicklung der Taktik also sowohl beim Fußvolk, als auch bei der Kavallerie, bei der sich über der Karakole die Reiter in den Hugenottenkriegen zu manövrierfähigen und disziplinierten Truppenkörpern entwickelt hatten, beschleunigten diese Tendenz zur Berufsarmee ganz außerordentlich8 • Die im gleichen 1 Grundlegend immer noch Hans Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, Bd. IV, ND Berlin 1962. Besonders wichtig natürlich die Studie von Werner Hahlweg, Die Heeresreform der Oranier und die Antike, Berlin 1940, sowie Gerhard Oestreich, Der römische Stoizismus und die oranische Heeresreform, in: HZ 176 (1953), 17 - 43, sowie ders., Justus Lipsius als Theoretiker des neuzeitlichen Machtstaates, in: HZ 181 (1956), 31 - 78; beide jetzt leicht zugänglich in: ders., (Anm. 4), 11 - 79. Wichtig ist auch ders., Politischer Neostoizismus und niederländische Bewegung in Europa und besonders in Brandenburg-Preußen, ebd., 101- 156, zuerst in: Bijdragen en Mededelingen van het Historisch Genootschap 79 (1956), 11- 36. Sehr instruktiv auch die Darstellung bei Michael Howard, War in European History, Oxford 1976, 20 - 74. s Dazu Fritz Redlich, The German Military Enterpriser and his Work Force, 2 Bde., Wiesbaden 1954, sowie Corvisier (Anm. 4), passim. e Dazu knapp charakterisierend Hans Schmidt, Wallenstein als Feldherr, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 14 (Festschrift für Hans Sturmberger), Linz 1984, 241- 260, hier besonders 244- 248. Delbrück (Anm. 7) IV, 178 ff., zur Karakole , ebd. 150. Zur Entwicklung der Infanterietaktik ist auf das Standardwerk des Arztes und Amateurhistorikers Herbert Schwarz, Gefechtsformen der Infanterie in Europa durch 800 Jahre, 2 Bde ..

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Zeitraum immer stärker hervortretende Bedeutung des Festungskrieges, der ebenfalls zuerst in den Niederlanden zu hoher Entwicklung gebracht wurde, nachdem im Italien des 16. Jahrhunderts die Bastion erfunden worden war, um dann im Zeitalter Ludwigs XIV. durch Vauban seine höchste Vollendung zu erfahren, die immer stärker werdende Bedeutung des Festungskriegs also im späten 16., im 17. und 18. Jahrhundert, mit seinen komplizierten, arbeitsaufwendigen und langwierigen Belagerungen erforderten nun ebenfalls einen Krieger, der nicht nur dreinzuschlagen und zu sterben verstand, sondern auch bereit war, mit dem Spaten zu arbeiten, bestimmte Techniken zu erlernen und einzuüben, lange auszuharren und dabei doch in der Hand der Führung zu bleiben, kurzum, den disziplinierten und geschulten Soldaten, der lange diente und sein Handwerk nicht als Amateur betrieb10. Mit einem Landesaufgebot, das ad hoc zusammenkam, war das nicht mehr zu leisten, und ein derartiges Landesaufgebot war überdies in offener Feldschlacht einer gut trainierten Berufstruppe nicht gewachsen. Überall dort, wo im Dreißigjährigen Krieg es zur Begegnung von Landesaufgeboten mit regulären Truppen kam, haben die ersteren den kürzeren gezogenn. Milizen gab es zwar noch überall, wie beispielsweise in Spanien, wo man im 18. Jahrhundert sogar eine Wiederbelebung versuchte, mit dem Erfolg, daß sie den regulären Truppen "nahezu gleichwertig" waren und sich in der napoleonischen Zeit durchaus bewähren sollten. Man erblickt in ihnen sogar Vorläufer der Wehrpflicht. Aber sie kam im 18. Jahrhundert praktisch nie als Miliz zum Einsatz. In Preußen hatte es unter dem Großen Kurfürsten noch eine Landesdefension gegeben. Friedrich Wilhelm I. verbot dann aber sogar das Wort "Miliz" nach 1733. In Frankreich schließlich hielten sich die Milizen ebenfalls, vor allem als Stadtmilizen und Provinzialmilizen noch lange, ohne aber selbständige Bedeutung zu erhalten. Sie dienten vielmehr im Zeitalter Ludwigs XIV. der regulären Armee als Rekrutenreservoir. München 1977, mit Nachdruck zu verweisen. Zur oranischen Bewegung Hahlund Gestreich (Anm. 7). 10 Howard (Anm. 7), 37. Zum Festungskrieg grundlegend Christopher Duffy, Siege Warfare. The Fortress in the Early Modern World 1494- 1660, London 1979. Bd. li: The Fortress in the Age of Vauban and Frederick the Great 1660- 1789, 1985. Zu Vauban zuletzt Werner Gembruch, Persönlichkeit und Werk Vaubans als ,.Ingenieur de France", in: Hans-Walter Hermann und Franz Irsigler (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt Referate und Ergebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in Saarlouis vom 24. bis 27. 6. 1980, Saarbrücken 1983, 48- 63. l l Papke (Anm. 3), 78 und 83 ff.; Corvisier (Anm. 4), 29- 36; ferner Johann es Hellwege, Die spanischen Provinzialmilizen im 18. Jahrhundert, Boppard weg

1968.

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Mit einem Wort gesagt, die Staaten bedurften einer Armee von Berufssoldaten, um in den Kriegen der Zeit bestehen zu können. Sie brauchten Leute, die das Waffenhandwerk zu ihrer Lebensaufgabe gewählt hatten, die in Friedenszeiten nur wenig Zeit mehr für eine andere Tätigkeit ließ, in Kriegszeiten aber gar keine. Zunächst, und hier ist natürlich die Entwicklung nicht gleichzeitig verlaufen, hatte man freilich noch geglaubt, mit Truppen wirken zu können, die nur auf Zeit geworben waren. Aber bald schon erkannte man die Notwendigkeit, auch im Frieden Truppen auf den Beinen zu halten. Frankreich und Spanien, die beiden kontinentalen Großmächte des 16. und 17. Jahrhunderts, machten den Anfang damit und auch mit der Monopolisierung des Rechts der Truppenaushebung durch den Herrscher12 • Im Reich, das sich ja immerhin mit der Kreisverfassung von 1500 und der Wormser Matrikel von 1521 bereits eine Wehrordnung zu geben versucht hatte, die aber an den politischen Verhältnissen gescheitert war, war man lange bei dem System des militärischen Unternehmertums geblieben, dessen politische Gefahren der Fall Wallenstein aber nur zu deutlich gemacht hatte. Auch hier zogen daher spätestens im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges die Herrscher das Monopol zur Aufstellung und zum Unterhalt von Truppen an sich und wie die Dinge lagen auch die Territorialfürsten, gestützt auf Artikel VIII, 2 des Osnabrücker Friedens und § 180 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654. Dabei gelang hier natürlich nur in den größeren Territorien der Aufbau eines stehenden Heeres13• Die von den großen Söldnerführern erarbeiteten Grundstrukturen aber behielt man beP 4 • 12 Dazu vgl. Corvisier (Anm. 4), 41 ff.; ferner ders., Armees, etat et administration dans les temps modernes, in: Werner Paravicini et Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Histoire comparee . . . (Anm. 4), 555 - 569, hier besonders 556. Aloys Schulte, Der deutsche Staat. Verfassung, Macht und Grenzen 9191914, Stuttgart, Berlin 1933, läßt mit der Errichtung des kaiserlichen Infanterieregiments Stauder im Jahre 1613 die stehenden Heere in Deutschland beginnen, ebd. 196. 13 Zur ganzen Problematik vgl. auch Hans Schmidt, Militärverwaltung in Deutschland vom Westfälischen Frieden bis zum 18. Jahrhundert, in: Werner Paravicini et Karl Ferdinand Werner (Hrsg.), Histoire comparee . .. (Anm. 4), 570 - 580. Treffend sagt Papke (Anm. 3), 138: "Bis 1684 gab es eigentlich gar kein Militärwesen, sondern nur ein Kriegswesen." Ebd. 175 h eißt es dann: "Soll die Errichtung stehender Truppen mit einem bestimmten Rechtsvorgang identifiziert werden, dann wäre die ,Entmachtung der Obersten' ein Terminus der modernen Militärgeschichte - der geeignetste. Regimenter, die aufgrund von Kapitulationen errichtet wurden, die den Oberst nicht mehr als Inhaber und Chef auswiesen, sondern nur noch als Kommandeur, und die dem Landesherrn alle Rechte des Eigentümers vorbehielten, können als ,stehend' bezeichnet werden. Diese Umänderung des Verhältnisses zwischen Truppe und Kriegsherrn zog sich in einer erheblichen Variationsbreite, verbunden mit Korrekturen und Rückschlägen über Jahrzehnte hin und ist als Ergebnis wenn überhaupt, dann nur landesgeschichtlich einzuordnen."

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Der Unterhalt eines stehenden Heeres war kostspielig. Nicht zum Kriegführen allein gehörte nach dem Montecuccoli zugeschriebenen, von ihm aber nur zitierten Satz .,Geld, Geld und nochmals Geld", sondern ebensosehr auch war es zum Unterhalt eines stehenden Heeres in Friedenszeiten erforderlich16 • So machte denn die Existenz eines stehenden Heeres den Eingang regelmäßig gezahlter Steuern zwingend notwendig, und § 180 des Reichsabschieds verpflichtete denn ja auch .,jedes Churfürsten und Standes Landsassen, Unterthanen und Bürger zu Besetz- und Erhaltung der einem oder anderem Reichs-Stand zugehörigen nöthigen Vestungen, Plätzen und Guarnisonen ihren Lands-Fürsten, Herrschaften und Obern mit hülflichem Beytrag gehorsamlieh an Hand zu gehen ..." 18• .,L'armee permanente fut donc une des causes essentielles de l'institution de l'impöt permanent, par consequent d'une partie essentielle des etats" 17 , meint denn auch Corvisier. Tatsächlich hatten dann auch in Frankreich und Spanien schon im 16. Jahrhundert Könige Kriegssteuern wie die .,taille" oder die .,subsidios" und andere direkte Steuern zur Finanzierung ihrer Armeen erhoben, die dann allerdings schon bald den Charakter von allgemeinen Steuern annahmen18 • Im Reich gab es zur Reichsverteidigung seit Maximilian I. die Römermonate, deren Eingang aber sehr fraglich war, nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde in den deutschen Territorien, die ein stehendes Heer unterhielten, die Ausgaben für dieses in der Regel aus der Kontribution bestritten, die es in Brandenburg etwa seit 1653 gab, in den Ländern der Habsburger aber schon früher 19 •

14 Ebd. 153: .,Mit einem Wort, für die zu errichtenden stehenden Kontingente und Heere des frühen Absolutismus waren die Söldnerregimenter in ihrer Grundstuktur nicht nur eine brauchbare, sondern die ideale Wehrform. Es mußte nur noch die geeignete Form gefunden werden, sie in das vorhandene Staatswesen zu integrieren - das heißt sie in die alleinige Gewalt des Landes- und Kriegsherrn und aus dem Kriegszustand in den möglichen permanenten Friedenszustand zu überführen." u Oswald Redlich, Geld, Geld und nochmals Geld, in: MIÖG 37 (1917), 287 289 und 540 (in einer Nachtragsnotiz) nennt als ältere Quellen sowohl Karl V. als auch Ludovico Guicciardini, der den Satz dem Condottiere Giangiacopo Trivulzio in den Mund legt, sowie schließlich noch den Marchese Peseara als möglichen Urheber. 16 Zitiert nach Kar! Zeumer, Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. vermehrte Aufl., Tübingen 1913, 460. 11 Andre Corvisier, Armees (Anm. 12), 557. 18 Ebd. 556. 19 Papke (Anm. 3), 214 ff. Für Österreich: Jürgen Zimmermann, Militärverwaltung und Heeresaufbringung in Österreich bis 1806, in: Deutsche Militärgeschichte . . . (Anm. 3), Bd. 1, Tl. lll, 57- 60.

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Dabei wurden die Kriegssteuern-hier ging Frankreich als Vorbild voran - durch außerordentliche Beamte, die Kommissare, in der Regel erhoben, wie die Intendanten in Frankreich20 • Bis zum Jahre 1789 kümmerten sich denn auch die Intendanten um das Werbungswesen dessen französische Besonderheit wir noch mit einem Blick streifen müssen-, die Organisation der Miliz, regelten das Verhältnis zwischen Truppen und Zivilbevölkerung - das heißt also auch das leidige Quartier- und Verpflegungsproblem - , hatten die Montierung und Magazinierung ebenso zu überwachen, wie über die Versorgungsmöglichkeiten der Armee mit Pferden, die Remontierung, zu berichten21 • Seit 1670 gab es überdies die "lntendants aux armees", die ebenfalls der Krone direkt unterstellt waren, die ganz besonders für die Versorgung, Ausrüstung und Finanzierung der Armee, der sie zugeteilt waren, verantwortlich gewesen sind. Michel Le Tellier und sein Sohn Louvois haben ihre Karriere als derartige Armeeintendanten begonnen22 , die übrigens auch durchaus eine Funktion als Aufpasser der Regierung gegenüber dem jeweiligen Heerführer besaßen. Sie hatten schließlich dann über die von ihnen geschaffene Armeeverwaltung, die praktisch in der Schaffung eines Kriegsministeriums - auch wenn es nicht so hieß, heute würde man es ohnedies schamhaft Verteidigungsministerium nennen - gipfelte, die Armee unter die völlige Kontrolle des Staates gebracht. In Deutschland ist das Kommissariatswesen konsequent als Mittel des absoluten Fürsten zur Durchsetzung des "miles perpetuus" im Brandenburg des Großen Kurfürsten gebraucht worden23 • Hier stellte sich 2o Roland Mousnier, Les institutions de la France sous la monarchie absolue, Tome II (Anm. 4), 484- 496. Vgl. v. a. 489: "Aucun edit n'a cree les intendants des provinces . . . Seulement Ia guerre, le grand agent des transformations sociales et politiques, durait et s'amplifiait depuis Je ,grand choix' du roi en 1631". Und ebd. 491: "Le roi voulait des personnages Je representant directement dans les bureaux des finances et obligeant les tresoriers de France a de bons Services" . Zuletzt dazu Colin Jones. The Military Revolution and the Professionalisation of the French Army under the Ancien Regime, in: Duffy, The Military Revolution (Anm. 5), 28 - 48, hier besonders 37-38, wobei Jones mit Nachdruck die seit 1630 immer stärker werdende Rolle der "Intendants aux armees" hervorhebt. Zu diesen vergleiche die Monographie von Douglas Clark Baxter, Servants of the Sword. French Intendants of the Army 1630- 1670, Urbana-Chicago-London 1976. 21 Die Tätigkeit der Intendanten für die Armee wird plastisch greifbar bei Andre Corvisier. Les Fran(,:ais et l'armee sous Louis XIV. D'apres les memoires des lntendants 1697 - 1698, Chateau de Vincennes 1975. 22 Zu Le Tellier (1643 - 1666) Louis Andre, Le Tellier et L'organisation de l'armee monarchique, Paris 1906 und ders., Le Teliier et Louvois, Paris 1943. Zu Louvois nunmehr in erster Linie Andre Corvisier, Louvois, Paris 1983, dort die ältere Literatur. Vgl. auch ders .. La France de Louis XIV. 16431715. Ordreinterieur et place en Europe, Paris 1979, bes. 175- 198. 23 Grundlegend immer noch Otto Hintze, Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte, in: ders., Staat und Ver-

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die Institution der Kriegskommissare zunächst "in mannigfaltiger Gestalt" dar. An allen wichtigen Punkten des Staatsgebietes hatten sie "die Interessen des neuen monarchischen Militärstaats wahrzunehmen"24, so seit der Einführung der indirekten Steuer, der Akzise, die der Kurfürst nur in den Städten hatte durchsetzen können, als "Kriegsund Steuerkommissare (commissarii locorum)", dort, als "Kreiskommissarien" , "Marschkommissarien" und "Ämterkommissarien" auf dem Lande, als "Ober-Kriegskommissarien" in den Provinzen und kollegialisch organisiert als "Kriegskammer" oder "Kriegskommissariat" schon auf dem Sprung, den Ständen das Steuerwesen abzunehmen und in Verbindung mit den Steuerorganen stehend in Ostpreußen und Kleve-Mark, bis schließlich im "General-Kriegskommissarius" eine Zentralinstanz für sämtliche Länder des Kurfürsten geschaffen wurde. Seit 1674 hatte dieser Mann, der in sich die Funktionen eines Militärintendanten mit denen eines Aufsichtsbeamten über die noch immer ständische Steuerverwaltung vereinigte, der zwar dem General oder Feldmarschall unterstellt, aber Mitglied des Geheimen Rates war und also, modern ausgedrückt, Ministerrang besaß, eine General-Kriegskasse unter sich, die die Überschüsse der provinziellen Obersteuerkassen aufnahm. "Diese Kommissariatsbehörden, die den vorwärtsstrebenden Geist des Militärstaates recht eigentlich darstellen, haben sich früh von den Provinzialregierungen abgesondert und zu einem über das ganze Staatsgebiet hin verbreiteten Organismus zusammengeschlossen, durch den die Zentralinstanz, der General-Kriegskommissarius als Mitglied des Geheimen Rates, durchgreifender als auf anderen Verwaltungsgebieten im Sinne einer zentralisierenden Verwaltung wirken konnte25 ." Dem hier zitierten Satze Otto Hintzes bleibt nichts hinzuzufügen. Unter Friedrich Wilhelm 1., dem Enkel des Großen Kurfürsten, wurden schließlich die Kommissariate mit der Domänenverwaltung zu den "Kriegs- und Domänenkammern", kollegialischen Behörden, zusammengefaßt. Als Unterinstanzen hatten sie in den Städten wie bisher den "commissarius loci", auf dem Lande den Steuerrat. Damit war hier ein klarer Instanzenzug geschaffen: Generalkriegskommissariat, Oberverwaltungskommissariat, Kreiskommissare und in den Städten Steuerfassung (Anm. 3), 242 - 274, der sehr auf die zeitlich früherliegende französische Parallele hinweist, wobei er offenläßt, ob man auch bewußt an dieses Vorbild anknüpfte. Den Entwicklungsgang beschreibt er plastisch und eindrucksvoll in: Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 1915 (u. öfter), 218 ff. Weniger detailliert Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm. Der große Kurfürst, Göttingen 1971. Etwas diffus auch Papke, Deutsche Militärgeschichte (Anm. 3), Bd. 1, 218 ff. Ferner Hans Helfritz, Geschichte der preußischen Heeresverwaltung, Berlin 1938. 24 Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk (Anm. 23), 218; Helfritz, Geschichte der preußischen Heeresverwaltung (Anm. 23), 112 ff. 2s Ebd. 219.

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kommissare. Musterung, Verpflegung und Ordnung der Truppen wurden durch diese geregelt. Die Kompaniewirtschaft, die es auch in Frankreich gab26, blieb schließlich, nachdem es allmählich dem Kurfürsten gelungen war, die Oberstinhaber abzuschaffen, daß heißt als Funktion, als Ehrentitel gab es sie nämlich noch lange, die Kompaniewirtschaft also blieb als Relikt der alten Heeresstruktur bis zum Untergang des altpreußischen Heeres bei Jena und Auerstedt bestehen27 , d. h. die Ausstattung und Versorgung der Soldaten durch den Kompanieinhaber, der dafür eine Pauschalvergütung vom Staate erhielt und aus dieser natürlich möglichst viel für sich herauszuschlagen suchte. Sie wuchs sich schließlich zu einem Krebsübel der altpreußischen Armee aus, das den Krieg "zur untragbaren Ausnahme" machte und sich als ein "nicht allein jede Aktivität, sondern den Geist der Truppe niederdrückendes Hemmnis"28 erwies. Abgesehen von dieser untersten Instanz, bei der die staatliche Militärverwaltung aufhörte - um es in Anknüpfung an ein bekanntes Diktum aus anderem Verwaltungsbereich pointiert auszudrücken- perfektionierte aber Preußen sein Militärsystem immer mehr, mit dem Ziel, den Unterhalt starker Truppenkräfte - ohne Reduzierung der Feldarmee im Frieden, wie das allgemein üblich war - von ausländischen Subsidien, auf die der Kurfürst noch angewiesen war, unabhängig zu ermöglichen. Der Umstand, daß dem nicht gleich so war, hat Otto Hintze zu der Feststellung veranlaßt: "Der Gedanke der Macht war also eher da, als das Vermögen, die Machtmittel herzubringen; es ist das eigentliche Lebensprinzip des preußischen Staates geworden28". Das führte über die Einführung einer vierteljährlichen Rechnungsbegrenzung, von Kassen- und Rechnungsprüfungen, der Erstellung von Kostenvoranschlägen- alles unerhörte Neuerungen in den Augen der Zeitgenossen - durch den Kurfürsten bis zu den entscheidenden Reformmaßnahmen Friedrich Wilhelm 1., die Friedrich der Große dann nur noch ergänzteso. Die entscheidenden Jahre sind 1723, in dem Friedrich Wilhelm I. das Generaldirektorium als zentrale Oberbehörde schuf, und 1733, als das immer noch ungelöste Rekrutierungsproblem den König veranlaßte, das Corvisier, La France de Louis XIV. (Anm. 22), 182- 183. Papke, Deutsche Militärgeschichte (Anm. 3), 274 ff. Grundlegend aber Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen, Berlin 1963, 20

21

113 ff.

2s

29

so

Papke (Anm. 3), 276. Hintze, Hohenzollern (Anm. 23), 221. Schmidt, Militärverwaltung (Anm. 13), 578 ff. Dort weiterführende Lite-

raturangaben. Die Schilderung der Verwaltungsentwicklung in Preußen, Osterreich und dem Reich folgt meinen damaligen Ausführungen.

Staat und Armee im Zeitalter des ,.miles perpetuus"

223

Kantonsystem, das die Militarisierung des preußischen Staates dann erst ermöglichte, einzuführen. Das Generaldirektorium, aus fünf Departements, für jede der Provinzen eine, bestehend, regelte Zivil- und Militärsachen. Doch war das zweite Departement im Hinblick auf die Gesamtmonarchie zuständig für Marsch-, Verpflegungs- und Einquartierungsleistungen. Es gab zwei "Generalkassen": die Kriegsgefälle (Akzise und Kontribution) und die Domanialgefälle, die in den "Kriegs- und Domänenkammern" zusammengestellt waren, und zwar für jede Provinz einzeln. Ostpreußen besaß deren zwei. Bei jeder Kammer gab es ein Militärdepartement, das für die lokale Regelung von Durchmärschen, Quartieren, Spanndiensten, Verpflegungs- und Fouragierfragen zuständig war und auch die Entschädigungsansätze abzuschätzen hatte sowie die Magazine beaufsichtigte. Doch standen die Kammern in Konkurrenz zu den neben ihnen noch immer bestehenden älteren Regierungen. Ganz durchrationalisiert war eben selbst das damalige Preußen noch nicht. Eine Ressortscheidung fehlte ja - im Gegensatz zu Frankreich immer noch. Weder Kriegsminister noch Generalstab waren vorhanden. Zivile Kabinettssekretäre fertigten königliche Ordres für die Militärverwaltung aus. Die Geheime Kriegskanzlei kam unter Friedrich dem Großen mit ganzen acht Beamten aus, die im wesentlichen die monatlichen Ranglisten der Armee aufstellten und unter Aufsicht des Generalauditors standen. Seit 1758 gab es nur einen Generaladjudanten, der eine Art interimistischer Chef des Generalstabes war, dann den Generalquartiermeister, der Märsche und Lager der Armee festsetzte. 1746 wurde das VI. Departement gegründet, dem 1749 das von Friedrich Wilhelm I. gegründete Militär-Waisenhaus und das Lagerhaus in Potsdam; eine Wollmanufaktur, in der nur Armeeangehörige beschäftigt sein durften, eingegliedert wurde. Ein Zivilbeamter hatte nunmehr die Leitung. Ein Konflikt zwischen Kommando und Verwaltung bildete sich heraus, ähnlich wie in Österreich. Immerhin, pünktliche Soldzahlung und gute - der Begriff ist natürlich zu relativieren -, regelmäßige Verpflegung, durch das Magazinwesen garantiert, schufen einen guten Zusammenhalt der Armee. Seit 1746 gab es das Generalprokuratoramt zur Versorgung dieser Magazine. Feldkriegskommissariate regelten die Beschaffung, Proviantämter verteilten den Verpflegungsbedarf an die Truppen, den Feldbäckereien wurde das Mehl direkt zugeführt. Der Proviantfuhrpark mit den Brükkenkolonnen folgte im Kriege der Armee dichtauf. Bei den Bataillonen gab es zusätzlich für den Notfall Handmühlen.

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Der Bedarf an Uniformen, die, auch hier wieder französischen Beispielen folgend, im 18. Jahrhundert überall eingeführt wurden, sowie an sonstiger Ausrüstung an Waffen, Munition und Pferden wurde vom Armeeintendanten geregelt. Die Uniform, um dies hier gleich zu bemerken, hatte sich in der französischen Armee bei der Infanterie ab 1682, bei der Kavallerie ab 1683 langsam durchzusetzen begonnen, es dauerte aber lange, bis sich das völlig eingespielt hatte31 . Gewehrfabriken gab es in Spandau und Potsdam. Seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts benutzten sämtliche europäischen Armeen das Steinschloßgewehr, das zuverlässiger war und rascher feuerte als das Luntengewehr, in Preußen vor allem seit der Erfindung des eisernen Ladestocks. Als Nahkampfwaffe gebrauchte man das Düllenbajonett, durch dessen Erfindung - ebenfalls ausgangs des 17. Jahrhunderts - die alte Pike völlig verdrängt worden war. Daneben gab es im Festungskampf die Handgranate. Die Kavallerie unterteilte man in schwere Reiter: Kürassiere und Dragoner, die den geraden, zu Hieb und Stich geeigneten Degen führten, sowie leichte Reiter, hier vor allem die Husaren, die den krummen Säbel benutzten. Daneben waren Kavalleristen auch mit Pistolen oder, wie die Dragoner und Husaren, mit einem kurzen Karabiner bewaffnet. Seit 1722- und hier sehen wir nun wieder, wie die Verstaatlichung der Heere dem Staat zusätzliche Aufgaben erwachsen läßt - gab es zur Versorgung von Militärangehörigen das .,Militär-Waisenhaus", dem 1730 die Invalidenanstalt in Potsdam folgte, die Friedrich der Große 1748 durch ein großes, vor dem Oranienburger Tor gelegenes neues Haus für 600 Einwohner ergänzte8z. Wiederum war Frankreich hier als Vorbild vorangegangen, als Louvois, eine Anregung Richelieus aus dem Jahre 1631 aufgreifend, in den Jahren 1670 - 1674 das .,Höpital des Invalides" in Paris hatte errichten lassen83 • Das Beispiel hatte Schule gemacht, zuerst in England, wo 1692 Chelsea Hospital gebaut wurde, dem schon 1684 Kilmeinham in Irland vorausgegangen war34 , es folgten die Habsburger mit Invalidenhäusern in Pest (1724), Wien (1727) und Prag (1728), während Rußland erst 1760, Portugal 1792 und Schweden gar erst 1827 in Ulriksdal ähnliche Institutionen schufen. st Corvisier, La France (Anm. 22), 189. 32 Walther Hubatsch, Friedrich der Große und die preußische Verwaltung, Köln und Berlin 1973, 131. ss Corvisier, Armies (Anm. 4), 85 ff. 34 R. E. Scouller, The Armies of Queen Anne, Oxford 1966, 320 - 336. Wenig ergiebig zu dieser Frage Hugh C. B. Rodgers, The British Army of the Eighteenth Century, London 197?.

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In Spanien hatte man seit 1717 die Invaliden in brauchbare und ganz unbrauchbare eingeteilt, die ersteren zu Tätigkeiten, denen sie noch gewachsen waren, verwendet, die letzteren dagegen ebenfalls in einem Invalidenheim in Toro in der Provinz Zamora untergebracht. In Rußland dagegen blieben Invaliden der Gnade der Klöster überantwortet35 • In Preußen, um zu diesem zurückzukehren, verfuhr man mit den Invaliden so, daß man sie, soweit noch verwendbar, als Garnisonsbesatzungauch hierin folgte man französischem Vorbild-, als Boten, Postmeister, Feldwächter, Torwächter, Dorfschullehrer etc. versorgte. Invalide Offiziere wurden zu Beamten oder erhielten Gnadengehalt mit Zulagen nach Verdienst, nicht nach Dienstzeit. Wer Land-, Kriegs-, Steuer- oder Domänenrat werden wollte, mußte ein Examen ablegen36 • Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden zentrale Werbung und auch zentrale Versorgung mit Kriegsausrüstung, Montur und Fourage in Preußen eingeführt. Die preußische Militärverwaltung hatte das französische Vorbild den heimischen Verhältnissen angepaßt und arbeitete so effizient, daß sie im 18. Jahrhundert ihr Vorbild übertraf. In Österreich, um die Entwicklung in den drei großen zentraleuropäischen Militärstaaten in unserem Zeitalter weiterzuverfolgen, lassen sich charakteristische Unterschiede feststellen, während im vierten europäischen Militärstaat, Rußland, die Entwicklung völlig anders verlief, da hier zwar auch die Zivilbehörden militärische Belange mitbearbeiteten und hier auch, wie in Preußen und Österreich, schließlich eine Trennung der Verwaltung unter einem Kriegsminister von der Armeeführung erfolgte37 , die Armee aber viel stärker einen streng nationalen Charakter besaß, da seit 1699 eine Zwangsdienstverpflichtung auf Lebenszeit bestandss. Aber auch in Österreich, um zu diesem vielschichtigen Gebilde zurückzukehren, wie in Preußen wurde immer mehr die Armee zum wichtigsten Träger des Staatsgedankens39 • Hier gab es, auch nach der Entmachtung Wallensteins, noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Regimentsinhaber, die ihre Truppen selbst warben und "ex propriis" ausstatteten. Der Kaiser konnte nur das erledigte Regiment nach dem Tode des Inhabers neu vergeben. Bestallung, Kapitulation und kaiserliches Wahlpatent für die Obersten regelten die Rechtsverhältnisse. Erst allmählich setzte sich ein Ernennungsrecht des Kaisers durch, und zwar über dessen Zustimmungsrecht zur Ernennung des Oberstleutnants, der

37

Corvisier, Armies (Anm. 4), 86. Schmidt, Militärverfassung (Anm. 13), 579. Corvisier, Armies (Anm. 4), 77.

39

Schmidt,

35 36

ss Ebd. 57.

Militärverwaltung (Anm. 13), 576 ff., mit Literaturangaben.

15 Staats- und Heeresverfassung

226

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ja in der Regel der eigentliche Kommandeur des Regiments im Felde war. "Oberste Militärverwaltungsbehörde, Stab und Kanzlei des kaiserlichen Oberbefehlshabers und militärisches Kabinett des Herrschers"40 war der Hofkriegsrat. Er hatte für Aufbringung, Ausrüstung und Verpflegung der Truppen sowie für den Unterhalt des Kriegsmaterials zu sorgen. Offiziell war er für alle habsburgischen Länder zuständig, doch in Ungarn, Tirol und Graz gab es Widerstände gegen seine Kompetenz. Nicht geklärt war auch die Kompetenzabgrenzung des Hofkriegsrats zur Hofkammer. Kriegsräte konnten nur Anweisungen bis zu 150 fl. an das Kriegszahlamt erlassen, ging es um höhere Beträge, mußte die Genehmigung des Kaisers eingeholt werden. Ein Hofkammerrat hatte automatisch Sitz und Stimme im Hofkriegsrat. Die Kriegskommissare, die es auch in Österreich gab, waren die Ausführungsorgane des Hofkriegsrats. Aus ihnen entwickelte sich das Generalkriegskommissariat und die Deputation, deren Zuständigkeit Einquartierungen, Verpflegungsbeschaffung, Werbung, Kontrolle der Musterung, Rekrutierung und Kontrolle der Bestände umfaßten. Doch wurden diese Behörden, anders als in Preußen, keine fiskalischen Behörden. Vielmehr verblieb bis zur theresianischen Staatsreform durch Haugwitz die Verwaltung der Steuergelder und auch deren Erhebung bei den Ständen. Kammerkommissare und Kriegskommissare treten so noch 1683 in Ungarn getrennt auf. Das Hofkriegskommissariat, das es ab 1650 gab, war oberste Militärintendanturbehörde ohne Befugnis gegenüber den Steuerträgern. Es stand zwischen Hofkriegsrat und Hofkammer und war zunächst dem Hofkriegsrat untergeordnet, seit der Hofkammerordnung von 1681 jedoch "ratione oeconomiae" der Hofkammer, "ratione militaris" dem Hofkriegsrat. Die Deputation, die es seit 1697 gab, sollte den Haushalt der Truppen führen und koordinieren. Sie setzte sich zusammen aus den Vorständen des Hofkriegsrats, der Hofkammer, des Generalkriegskommissariats und der beiden Hofkanzleien, der Österreichischen und der böhmischen. Doch begrenzte der chronische Geldmangel ihre Tätigkeit. So sieht man, wie der Staat auch hier eine Militäradministration aufbaut, doch in wirrer und wenig wirksamer Weise. 1745 versuchte Maria Theresia die Organisation übersichtlicher und effektiver zu machen, nach den schlechten Erfahrungen der zwei verlorenen Schlesischen Kriege. Die Stände wurden in ihrem Einfluß zurückgedrängt, der Hofkriegsrat gestärkt, die Militärverwaltung diesem ganz inkorporiert. Schließlich vereinfachte Marschall Lacy in den Jahren 1766 - 1774 den Geschäftsgang. Nun wurden dem Hofkriegsrat die Gene40 Zimmermann, Militärverwaltung (Anm. 19), 53. Zum Hofkriegsrat auch

Oskar Regele, Der Österreichische Hofkriegsrat 1557 - 1848, Wien 1949.

Staat und Armee im Zeitalter des "miles perpetuus"

227

ralkommandos nachgeordnet. In diesen gab es drei Zweige: die Feldkriegskanzlei für militärische und politische Geschäfte, das Kriegskommissariat für Geldangelegenheiten und Gebührensachen und das "judicium militare" unter einem Stabsauditor. Ein großer staatlicher Apparat war so hier, ähnlich wie in Preußen, geschaffen worden, der die enge Verbindung von Staat und Heer demonstrierte41 • Ein Sonderfall, nur in der Habsburger Monarchie so existierend, der Staat und Wehrorganisation, wenn auch nur eine bestimmte Form derselben, in engster Verbindung schon seit dem 16. Jahrhundert zeigt, war die Militärgrenze42 • Sie war ein Kind der Not, gab es doch an der Grenze zu den Türken nie völligen Frieden, da man diesen durch lokale Raubzüge nicht als gebrochen ansah. Die Grenzer, Wehrbauern, die ihr Land vom Kaiser verliehen bekamen und in aus mehreren Familien bestehenden "Großfamilien" unter einem auf Lebenszeiten gewählten Vorstand in ihren Dörfern lebten, mußten Truppen für Grenzsicherung und Abwehr türkischer Übergriffe stellen. Sie unterstanden bis zum Jahre 1744 dem Hofkriegsrat in Graz, der vom Wiener Hofkriegsrat unabhängig war. Ausrüstung, Bewaffnung und die sonstigen Angelegenheiten der Militärökonomie besorgte das Generalkriegskommissariat. Verwaltungseinheit war das Regiment, dessen Kommandeur gleichzeitig Gerichtsherr war. Güteraufsplitterung durch Erbteilung war nicht erlaubt, da die Einkünfte aus dem Landbesitz als Sold galten. Die Reform des Prinzen Josias Friedrich von Sachsen-Hildburghausen in den Jahren 1744- 1749 machte durch die Regulierung von 1747 die Grenzregimenter zu Einheiten, die den Linienregimentern gleichgestellt waren. Die Grenzer sind deshalb interessant, weil sie eigentlich aus der Typologie des miles perpetuus, wie ich sie hier zu schildern bemüht bin, herausfallen. Denn sie waren keine Söldner, stellten vielmehr eine Mischung aus Miliz und Wehrpflichttruppen dar. Sie waren eine Sondererscheinung - auch im Rahmen der kaiserlichen Armee -, die von den Regulären mit Mißtrauen betrachtet wurde und deren Offiziere und Mannschaften man als nicht ebenbürtig empfand, was beispielsweise die Karriere hochbegabter Grenzeroffiziere sehr behindern konnte. Das Beispiel des späteren Feldmarschalls Laudon stehe hier für viele43 • Dau Schmidt, Militärverwaltung (Anm. 13), 576- 577 mit Literaturhinweisen. Ebd. 577. Das Standardwerk über die Österreichische Militärgrenze ist Gunther E. Rothenberg, Die Österreichische Militärgrenze in Kroatien 1522 bis 1881, Wien 1970. Ferner J. Amstadt, Die K. K. Militärgrenze 1522 - 1881, 2 Bde. Nürnberg 1969, sowie das von mehreren Verfassern stammende und ohne Verfasser- und Herausgeberangabe erschienene Werk: Die k. k. Militärgrenze. Beiträge zu ihrer Geschichte (Schriftenreihe des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien 6), Wien 1973. 43 Johannes Kunisch, Feldzeugmeister Loudon. Jugend und erste Kriegsdienste, in: Archiv f. Österreichische Geschichte 128/3 (1972). 42

15•

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bei waren diese Grenzer eine leichte Truppe, die für den kleinen Krieg, der im 18. Jahrhundert ja große, wenn auch wohl nicht kriegsentscheidende Bedeutung erhalten sollte44 , ganz unvergleichlich geeignet war und bald allerorts nachgeahmt wurde. Einen Blick werfen sollte man auch auf die Heeresadministration des Reiches, da diese den besonderen Status dieses Gebildes, dessen Staatlichkeit man aber doch wohl nicht mehr bezweifeln darf45 , unterstreicht. Zwar war die Reichsarmee kein miles perpetuus des Reichs, aber sie setzte sich aus Kontingenten vornehmlich derjenigen Reichsstände zusammen, die einen miles perpetuus besaßen. Nach der Wormser Matrikel von 1521 sollte das Reichsheer aus 24 000 Mann bestehen, die die Reichskreise aufbringen sollten. Die Reichsdefensionalordnung von 1681 sah dann ein Heer von 40 000 Soldaten vor, das im Bedarfsfall verdreifacht werden konnte. Eine Reichsoperationskasse wurde im selben Jahr geschaffen, von den Ständen aber immer schlecht bedient. Der Generalfeldmarschall oder die Marschälle - bis zu vier, in strengem Religionsproporz zwei evangelische und zwei katholische, waren vorgesehen - der Generalstab, die Artillerie, Kuriere und Stafetten sollten aus ihr bezahlt werden. Die Weisung für die Generalität erteilte, da ein Reichskriegsrat fehlte, der kaiserliche Hofkriegsrat in Wien. Die Truppen dagegen waren von den Reichskreisen zu stellen, in diesen wiederum von den einzelnen Kreisständen. In der Regel stellten nur die armierten Stände Truppen, die kleineren zahlten lediglich. Der Kreisobrist hatte dabei nur militärische Kommandogewalt, die Verwaltung ging ihn nichts an. In Friedenszeiten waren diese Reichstruppen in die Haustruppen ihrer Fürsten eingegliedert, somit gab es keine gemeinsamen Übungen. Zur Versorgung schuf der Reichskreis verschiedene Organe, die aber im Frieden meist unbesetzt waren, wie das Kreiskommissariat, ein Kriegskommissariat, Proviantkommissariat und Zahlungsamt. Die größte geschlossene Einheit der Kreisarmee im Fränkischen und Schwäbischen Reichskreis, aus dessen Kontingenten in der Regel die gesamte Reichsarmee bestand, war die Kompagnie. Die Regimenter setzten sich meist aus Kompagnien verschiedener Fürsten zusammen. Kam es zum Krieg, überließ man die Versorgung einem Heereslieferanten in der Form der "Generaladmodiation". Im Beförderungswesen herrschte strikte Anciennität. Bürgerliche Offiziere waren möglich. Auch dieses Heer, das naturgemäß sehr schwach und zu Offen44 Johannes Kunisch, Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973 und ders .• Das Mirakel des Hauses Brandenburg. Studien zum Verhältnis von Kabinettspolitik und Kriegführung im Zeitalter des Siebenjährigen Krieges, München-Wien 1978. 45 Dazu nunmehr Bernd Roeck, Reichsherkommen und Reichssystem. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts, Wiesbaden 1984.

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sivoperationen ganz unfähig war46 und auch in der Defensive nur unter einem überragenden Führer wie z. B. dem Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden zu großen Leistungen sich aufzuschwingen vermochte47 , spiegelt den defensiven, bewahrenden Charakter des Reiches in der Frühneuzeit48 in trefflichem Maße wider. Schwaches Heer hieß schwacher Staat. Oder auch: keine wirkungsvolle Administration, keine schlagkräftige Armee! Eine wirkungsvolle Administration war eben nur in einem funktionierenden Staatswesen möglich. Eine Hauptaufgabe der staatlichen Militärverwaltung, deren Entstehung und Ausbau hier zu skizzieren versucht wurde, war nicht zuletzt die Regelung des Rekrutierungssystems und die Kontrolle der Truppenstärken, wobei die Bewältigung dieser beiden Probleme in Preußen, wie zu zeigen sein wird, von höchst prägender Kraft für die gesamte Staatsverfassung wurde. In ganz Europa aber ist, wie Andre Corvisier hervorgehoben hat, eine Tendenz zur Wehrpflicht im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer unverkennbarer geworden49 . Doch kann man erst mit der Konskription, wie sie in Österreich unter Joseph II. seit 1770 eingeführt wurde, von einer Art Hinwendung zur Wehrpflicht reden. Und selbst dabei ist noch Vorsicht am Platze50 • 46 Bemhard Sicken, Das Wehrwesen des Fränkischen Reichskreises. Aufbau und Struktur. 1681- 1714,2 Bde., Würzburg 1967. Hier Bd. I, 102. 47 Immer noch grundlegend dazu Aloys Schulte, Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und der Reichskrieg gegen Frankreich 1693- 1697, 2 Bde., Heidelberg 1901. 48 Ihn betont eindrucksvoll Jean-Francois Noel, Le Saint-Empire (Collection Que sais-je?), Paris 1976. 49 Corvisier, Armies (Anm. 4), 51 ff. Doch vergleiche man die einschränkenden Bemerkungen zumindest im Hinblick auf Deutschland bei Papke (Anm. 3), 212- 213: "Trotz mancher Ähnlichkeiten mit den Aushebungsformen zur Miliz - es gab zum Beispiel auch Auslosung und Stellvertretung - hatte die Gestellung der Rekruten zur stehenden Truppe rechtlich nichts mit einer Dienstpflicht zu tun, wie sie etwa in den Landwehren der einzelnen Jahrhunderte, oder in der späteren Konskription und der allgemeinen Wehrpflicht verwirklicht wurde. Die Übergänge von der Zwangswerbung zur Zwangsaushebung waren fließend. Auch den Ausgehobenen wurde der Status des Söldners zudiktiert, um sie für den Monarchen frei verfügbar zu machen ... In der neueren Literatur wird die Aushebung zur regulären Truppe nicht mehr als Folge einer Dienstpflicht, sondern als eine Art Steuer angesehen ... Das Aufbringen der Mannschaften war kein staatsrechtlicher, sondern ein ökonomischer Vorgang ... Auch das preußische Kantonsystem bildete keine Ausnahme, obwohl es oberflächlich betrachtet eine Art Dienstpflicht zu beinhalten scheint ... Wirtschaftlich wichtige Berufe, ganze Städte und Landschaften waren vom Militärdienst eximiert." Ähnlich schon Hartung (Anm. 3), 34: "Es ist ein Verfahren, das äußerlich an die spätere Gliederung von stehendem Heer und übungspflichtigen Reservisten erinnert. Aber es beruht auf ganz anderer Grundlage ..." so Zimmermann (Anm. 19), 106 ff .. vgl. bes. 112: "Zwischen dem preußischen Kanton- und dem Österreichischen Militärkonskriptionssystem bestehen - wenn man von der Rolle des landsässigen Adels absieht - mannigfache Übereinstimmungen."

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Denn auch beim Konskriptionssystem eines Joseph II. fehlte die Idee des Staatsbürgers, der zur Verteidigung seines Staatswesens ohne Unterschied von Rang, Stand und Vermögen verpflichtet ist und der dieser Pflicht, zumindest in der Theorie, als Patriot freudig nachkommt, wie dies ja die Ideologie der modernen Wehrpflichtarmeen seit der Französischen Revolution geworden ist. Immer noch war die Armee, bei aller Verzahnung mit dem Fürstenstaat, der wir hier ja nachspüren, ein Organismus sui generis, wie dies Fritz Hartung schon mit der ihm charakteristischen Klarheit und Schärfe definiert hat: "Der Soldatenstand war nun als besonderer Stand, als ein Staat im Staate, von der Masse der übrigen Bevölkerung völlig geschieden51 ." Da der Bedarf in Europa ständig wuchs, wurde die Rekrutierung der Söldner immer schwieriger und aufwendiger. Vor allem galt dies für die Auslandswerbung, die aber auch die Ausnahme darstellte. Lediglich Frankreich, das in Friedenszeiten ungefähr ein Viertel und im Krieg ein Drittel seiner Armee aus Ausländern rekrutierte, Schweizern, Iren, Deutschen und Schotten in der Regel - ich verweise auf die Ausländerregimenter der französischen Armee wie z. B. das bekannte Regiment Royal Deux-Ponts, das aber z. T. auch aus Elsässern und Lothringern bestand - , nur Frankreich also betrieb eine Ausländerwerbung größeren Stiles". Das angeblich von dem Kriegsminister Choiseul stammende Wort, der im Ausland geworbene Soldat habe den Wert von drei Menschen: desjenigen, der der eigenen Wirtschaft erhalten bleibe, desjenigen, der dem Gegner entzogen werde und drittens seines eigenen als Soldat53 charakterisierte die Bedeutung und Wirkung der Auslandswerbung durchaus zutreffend. Im Reich forcierte lediglich Preußen die Ausländerwerbung. Man strebte einen Stand von zwei Drittel Ausländern zu einem Drittel Inländern an, erreichte ihn aber nie. Im Gegenteil bestand die Preußische Armee im Frieden zu 60 11/o aus Inländern54 • Und Ausländer, um dies klar zu stellen, war natürlich auch jeder Deutsche, der nicht Untertan des Königs von Preußen war. 51

52

Hartung (Anm. 3), 32. Andre Coruisier, L'Armee fran!;aise de la fin du XVIIe siecle au mini-

stere de Choiseul. Le Soldat, 2 Bde., Paris 1964. Hier wichtig Bd. II, 961 ff. Auf Seite 962 findet sich die Angabe, daß zwischen 1700 und 1763 die Zahl der Ausländer in der französischen Armee ca. 300 000 Mann betrug. Vgl. auch J ones (Anm. 20), 40. 53 Papke (Anm. 4), 210. Jones (Anm. 20) zitiert den Satz, als von Moritz von Sachsen stammend, wie folgt: ,.A German in the army serves us as three soldiers: he spares France one, he deprives our enemies of one and he serves us as one". 54 Schmidt (Anm. 13), 579 mit Literaturangaben. Hubatsch (Anm. 32), 130, der auch den Begriff ,.Ausland" relativiert, das für ein Regiment schon jenseits seines Kantons begonnen habe.

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In der Regel also überwog die Inlandswerbung, wobei man durchaus auch Zwang und Gewalt anwendete. Der Übergang zur Dienstpflicht konnte dabei fließend sein. Man denke dabei nur an das schwedische Indelningsverket von 168256, das dem schwedischen Heerwesen bis 1901, wenn auch zuletzt in stark veränderter und der neuen Zeit angeglichener Form, sein Gepräge gegeben hat. Hier sollte man doch noch einmal kurz dem Milizgedanken einige Sätze widmen, der ja im 18. Jahrhundert, wie gezeigt wurde, keinesweg tot war, eher das Gegenteil68 • Milizen gab es in der Tat überall, vor allem in den kleinen Staaten wie Dänemark, wo man 1701 die alte Miliz wieder belebt hatte. In erster Linie die Bauern wurden ihr für 6 Jahre zugeordnet, man hat sie aber 1719 dann doch in die regulären Regimenter gesteckt. 1738 wurde allen Bauern zwischen 14 und 36 Jahren verboten, ihren Distrikt zu verlassen, damit sie im Regelfall für die Miliz erfaßt werden konnten. Auch in England gab es noch eine Miliz, die man 1757 wieder belebte. Auslosung wurde bei der Rekrutierung für sie üblich, aber die "New Militia" war unpopulär. Seit 1767 war sie eine beständige Institution, die vor allem als Basis zur Ergänzung der regulären Truppen in Kriegszeiten diente. Denn - man muß es noch einmal wiederholen - Milizen hatten keine Chance gegen reguläre Truppen. Wo man sie daher beibehielt wie in England, in Frankreich und Piemont, dienten sie schon bald als billige Ergänzungsmöglichkeit für die reguläre Söldnerarmee im Kriege. Piemont hat 1690 das erste Beispiel für diese Verwendungsmöglichkeit gegeben57 , auch in Spanien waren sie "Hilfstruppen und Reserve des Stehenden Heeres" 68, in Frankreich gab man 1704 den Regimentern, die nur aus einem Bataillon bestanden, ein Milizbataillon als 2. Bataillon bei. Man bezeichnete dies als "incorporation". In der Not des Spanischen Erbfolgekriegs begann man ab 1706 sogar damit, zur Miliz gemusterte Leute direkt in die Formationen zu stellen. Corvisier hebt hervor, daß 35 000 Mann so zwischen 1700 und 1766 der Armee aus den Milizen zugeführt wurden, bei allerdings hoher Desertionsrate61 • Dabei desertierten Städter häufiger als LandbewohCorvisier, Armies (Anm. 4), 52 - 53. Ebd. 55: "Someone has written that in the eighteenth century ,Europe buried itself under militias"'. Hellwege (Anm. 11): "Mit einer gewissen Berechtigung könnte man die Epoche des Absolutismus also auch als ein Zeitalter der Miliz bezeichnen". Dazu aber Papke (Anm. 4), 212: "Behielten auf der einen Seite kleinere Territorien die Milizverfassung als die billigste Form der Truppenhaltung bei, so wurde sie von den ,armierten Ständen' geradezu als störend empfunden. Bekannt ist, daß Friedrich Wilhelm I. in Preußen die Miliz verbot, sogar die Nennung des Begriffs Miliz unter Strafe stellte, weil sie in Konkurrenz zur stehenden Truppe stand; die Bauernburschen meldeten sich zur Miliz, um gegen die Zwangsaushebung geschützt zu sein." 57 Die ganze Schilderung folgt hier Corvisier, Armies (Anm. 4), 52 - 60. 58 Hellwege (Anm. 11), 377. 55 56

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ner60 . Das französische Rekrutierungssystem sah folgendermaßen aus: 1. Rekrutierung durch den seigneur in den zahlreichen Fällen, in denen Söhne von Adelsfamilien als Hauptleute in der Armee dienten. Diese griffen dann auf ihre gleichaltrigen Gutsuntertanen zurück. In Kriegszeiten reichte jedoch diese Art der Rekrutierung nicht aus. 2. Rekrutierung durch .,racolage", d. h. Werbung im Lande. Die Regimenter sandten überall dort, wo sie sich gerade aufhielten, Werber aus, wobei die üblichen Gewalttaten und Täuschungen nicht ausblieben. 3. Ergänzung aus der Miliz6t. Eine Sonderstellung nahmen Rußland und Preußen ein. Seit der Abschaffung der Strelitzen regelten die Edikte, die 1699 erlassen wurden, die Rekrutierung der russischen Armee. Dabei wurde der Kriegsdienst als Verpflichtung betrachtet. Mehrere Haushalte, seit 1721 dann mehrere Personengruppen, hatten je einen Rekruten zu stellen. Die Provinzen hatten die entsprechenden Maßnahmen durchzuführen, wobei jedem Regiment ein Distrikt zu seiner Ergänzung zugewiesen wurde. Die Auswahl der Rekruten erfolgte durch die adeligen Gutsbesitzer, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts durch die Gouverneure. Der Dienst war lebenslang, das Mindestalter zur Verpflichtung 15 Jahre. Ab 1766 war es möglich, Freikäufe - etwa durch die Grundherren, die sich ihre besten Handwerker nicht wegnehmen lassen wollten- vorzunehmen62 . In Preußen gab das Kantonssystem von 1733 dem Staat die Möglichkeit, eine ansehnliche Armee auf die Beine zu stellen, und verlieh überdies dem Staat schon bald ein militärisches Gepräge, das ihm eine einzigartige Stellung in ganz Europa verlieh und das für das Sozialgefüge von einschneidender Bedeutung wurde63.

59

960.

Corvisier, Armies (Anm. 4), 54; ders., L'Armee

fran~;aise

(Anm. 52), II,

Corvisier, L'Armee fran~;aise (Anm. 52), II, 980. Ders., La France (Anm. 22), 189. &2 Ders., Armies (Anm. 4), 57 - 58. 63 Immer noch grundlegend Curt Jany, Die Kantonverfassung Friedrich Wilhelms 1., in: Forschungen z. Brandenburgischen- und Preußischen Ge6o

61

schichte 38 (1926), 252- 272. Jetzt leicht greifbar unter dem Titel: Die Kantonverfassung des alt-preußischen Heeres, in: Otto Büsch und Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Moderne preußische Geschichte 1648- 1947, Bd. li, 767- 809. Immer noch wichtig Max Lehmann, Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelms 1., in: ders., Historische Aufsätze und Reden, Leipzig 1911, 135 - 152. Sehr kritisch, aber nur das ländliche Sozialleben betrachtend und gelegentlich im Urteil doch wohl überscharf Bilsch, Militärsystem (Anm. 27). Ausgewogen wieder Papke (Anm. 4), 213 und vor allem Gerhard Oestreich, Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus, Göttingen 1977, 71 ff. Corvisier, Armies (Anm. 4), 58 - 59, folgt weitgehend Büsch.

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Ausgelöst wurde die Entwicklung durch die starke Vermehrung der Armee um 10 000 Mann, die Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1713, dem Jahr seines Regierungsantritts, sofort vornahm. Er stockte damit das preußische Heer um ein Viertel seines damaligen Bestandes auf. In dem bevölkerungsschwachen Land, das nur rund 2% Millionen Einwohner besaß, führten die einsetzenden Massenwerbungen zu unaushaltbaren Zuständen. Menschenraub, auch nach damaligen Begriffen, war an der Tagesordnung, eine allgemeine Unsicherheit entstand, junge Leute flohen über die Grenze, um sich dem Zugriff der Werber zu entziehen, in Halle revoltierten die Studenten, in den westlichen Provinzen die Bauern64 • Das hemmungslose Pressen von Handwerksgesellen, einzigen Bauernsöhnen etc. zu lebenslangem Dienst drohte die Wirtschaft des Landes schwer zu schädigen. Da ging man nun dazu über, den einzelnen Regimentern Bezirke, die sogenannten Kantone, die 5 000- 8 000 Feuerstellen umfaßten, zuzuweisen. Bei den Kavallerieregimentern umfaßten die Kantone nur etwa 1 800 Feuerstellen. In einem Kanton hatte nur das Regiment, dem dieser zugewiesen war, das Werberecht. Jeder Kapitän sollte möglichst im Bereich seiner eigenen Güter werben, oder besser, seine Leute ausmustern. Denn jeder männliche Bewohner eines Kantons - die Kantone gab es nur auf dem Land, d. h. also jeder Bauernbursche - hatte sich ab dem 10. Lebensjahr zu .,enrollieren", d. h. in eine Stammrolle eintragen zu lassen. Somit gab es nun eine Zwangsrekrutierung für Bauernsöhne, Gutsuntertanen und überhaupt für die niederen Schichten. Ganze Städte, ja ganze Bezirke oder auch ganze Berufsgruppen und Besitzgruppen sowie die Studenten wurden von der Enrollierung ausgeschlossen. Die Offiziere deckten nunmehr den Rekrutenbedarf ihrer Einheit aus den Enrollierten. Das ergab aber wiederum eine Schwierigkeit, denn wie sollten die Gutsherrn ihre Felder bestellen lassen, wenn ein Großteil der dafür gebrauchten jungen Leute lebenslang bei der Armee diente? Man fand folgenden Ausweg. Die infolge des Kantonssystems Eingezogenen hatten eine Grundausbildung, die etwa 1% - 2 Jahre dauerte, zu durchlaufen. Danach wurden sie, obwohl sie im Dienst blieben, für die Dauer von etwa 9- 10 Monaten im Jahr beurlaubt, um die Feldarbeit auf dem heimischen Gut ausführen zu können. Der Gutsherr- häufig er selbst oder einer seiner Söhne mit dem Offizier des Kantonisten identisch - erhielt so disziplinierte, an Unterordnung gewöhnte Feldarbeiter, andererseits .,wurde der bäuerliche Kantonist zu einem maßgebenden Element in der Mannschaft des preußischen Heeres, und das Verhältnis zwischen Soldat und 64

Gestreich

(Anm. 63), 72. Ähnlich Papke (Anm. 4), 213.

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Offizier zog wertvolle Nahrung aus dem altherkömmlichen Untertanenverband zwischen Junker und Bauern" 65 • Dem Kompanieführer, der den Sold der Beurlaubten erhielt, da dieser stets nach der vollen Etatstärke ausgezahlt wurde, konnte durch die Beurlaubung so bedeutende Überschüsse bei der Kompagniewirtschaft erzielen, die sein schmales Gehalt aufbesserten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde diese Regelung immer mehr zu einem großen Geschäft für die Hauptleute88• Zusätzlich, um das hier gleich zu erwähnen, beurlaubte man auch noch die geworbenen Ausländer, wenn sie lange genug gedient hatten, als "Freiwächter" in ihrer Garnisonsstadt, damit sie über große Strecken des Jahres hinweg dort einem Gewerbe nachgehen konnten - das ging bis zum Hausierhandel87 - , wobei dann auch deren Sold in dieser Zeit dem Kompagnieinhaber zugute kam. Die Enrollierten aber profitierten insofern von dieser Regelung, als zwar die althergebrachte Abhängigkeit des Bauern vom Junker nun sogar der militärischen Disziplin - die überdies mit grausamen Strafen aufrechterhalten wurde - zugute kam, andrerseits wirkte aber doch, worauf wiederum Otto Hintze hingewiesen hat, "der öffentliche und monarchische Zug im Heerwesen auflockernd auf jenes private Band der bäuerlichen Untertänigkeit zurück" 68 • Denn auch beurlaubt blieb der Kantonist Soldat, d. h . er unterstand der Jurisdiktion seines Regiments, besaß doch die Armee, als Staat im Staate, ihre eigene Gerichtsbarkeit. So war er gegen Willkürakte seines patrimonialen Gutsherrn besser geschützt als der Nichtsoldat, dies galt auch für den Enrollierten, der zum Zeichen dieses Status ein rotes Büschel am Hut trug, später dann eine rote Halsbinde. Die Enrollierten fühlten sich daher nicht mehr nur ausschließlich als Erbuntertänige ihres Gutsherrn, für die Kantonisten galt dies natürlich in noch höherem Maße, sondern mehr schon als Untertanen des Königs, dessen Autorität derjenigen ihres Junkers Schranken setzte. Friedrich Wilhelm I. konnte mit Hilfe dieses Systems schließlich 80 000 Mann aufstellen, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung das mit Abstand stärkste Heer im damaligen Europa. Die Armee wurde durch ihre Größe nun auch zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor in Preußen, da ja nur Waffen und Uniformen vom Staat geliefert wurden, alles andere aber über die Kompagniewirtschaft von den Handwerkern und Kaufleuten der Garnisonstädte und deren Umgebung beschaffen wurde. Auch gab es noch keine Kasernen - diese 85 66

Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 285. Büsch, Militärsystem (Anm. 27), 118 ff., gibt hier eindrucksvolle Zahlen-

beispiele. 87 Ebd. 119. Die Institution wird charakterisiert ebd. 117. es Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 285 - 286.

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kamen gerade erst in Frankreich auf81 - , die Soldaten lagen also bei Bürgern im Quartier, waren oft verheiratet und ernährten und verpflegten sich selbst. Nicht zuletzt der starke Anteil an Ausländern vermehrte die Zahl der Konsumenten im Land. So hatten gerade die kleinen Geschäftsleute in den Städten und nicht nur diese durchaus ein Interesse daran, daß Militär im Orte lag. In vielem hing die preußische Wirtschaft tatsächlich von der Armee ab, und auch die Staatseinnahmen profitierten davon. "Wenn die Armee marschiert, verliert die Akzise ein Drittel" hat Friedrich Wilhelm I. gemeint70 • Völlig anders als in Preußen war die Heeresaufbringung in Osterreich. Hier behielt man das Werbungssystem bei, wobei man zwischen der "Regimentswerbung", die im Auftrag des Obersten erfolgte, und der "ständischen Werbung" oder "Herstellung", die von den Ständen vorgenommen wurde, unterschied. Die Regimentswerbung erfolgte teils in den Erbländern, teils im Reich als sogenannte "Reichswerbung", die aber nur in Reichsstädten immer erfolgen durfte, sonst von der Zustimmung des Landesherrn, in dessen Territorium geworben werden sollte, abhing. Die Theresianische Staatsreform brachte keine wesentliche Änderung, diese führte erst J oseph II. 1777 durch die Konskriptionsgesetzgebung, die aber eine längere Vorgeschichte schon hatte, herbeF1 • Im Grunde ähnelte die Konskriptionsgesetzgebung stark dem preußischen Kantonssystem und sah eine Dienstpflicht nur für die untersten Schichten vor. Aber die Obrigkeit mußte nun "Populationsbücher", d. h. also Personenstandsregister anlegen, die Häuser erhielten Nummern, damit man die Konskribierten besser finden konnte. Eine Mischung von Werbung, Stellung von Truppen durch die Stände und Kantonssystem charakterisierte daher die Heeresaufbringung der Österreichischen Armee am Ende des Ancien Regime. In Ungarn sah es wieder anders aus. Dort stellten die Stände die Truppen durch Werbung in den Komitaten auf, wobei diese aber zur Stellung einer bestimmten Anzahl von Rekruten verpflichtet waren. Daneben gab es noch das Landesaufgebot, die "lnsurrection", die eine Art Wehrpflicht des Adels darstellte, der sich aber vertreten lassen konnte. Auf ihr beruhte die Steuerfreiheit des ungarischen Adels, sehr effektiv war sie nichF2 • Die Heeresaufbringung in den deutschen Territorien geschah in der Regel durch Werbung. Das Geld dazu verschafften sich die Territorialfürsten, da sie ja nicht die administrativen Möglich69 10 71

J ones (Anm. 20), 42.

Zitiert nach Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 286. Zimmermann (Anm. 19), 106 ff. Vgl. auch Christopher Duffy,

of Maria Theresa, Vancouver-London 1977, 52. 12 Zimmermann (Anm. 19), 98 ff., bes. 99 - 100.

The Army

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keiten von Preußen oder den Habsburgern besaßen, durch Subsidien oder durch jüdische Hoffaktoren, die aber auch in den Großstaaten nicht ohne Bedeutung waren73 • Da die Hoffaktoren, die sich auch als Heereslieferanten betätigten, eine nicht unbedeutende Rolle bei der Vorgeschichte der Judenemanzipation spielten, soll doch wenigstens mit einem Satz auch auf dieses Einwirken des absolutistischen Heerwesens auf Staat und Gesellschaft verwiesen werden. Die Truppen, die durch die eben beschriebene Heeresbeschaffung zusammenkamen, setzten sich, zumindest soweit sie durch Werbung aufgebracht wurden, nicht nur aus den besten Elementen des Volkes zusammen. Im Gegenteil, es war durchaus üblich, straffällig Gewordene, fahrendes Volk, Bettler, Nichtstuer usw. zum Militär abzuschieben7'. Gewiß war dies auch ein Akt der Sozialhygiene, denn wer fiel, konnte kein Unheil mehr anrichten. Aber es wertete dies den Stand des einfachen Soldaten ab und machte eine eiserne, ja grausame Disziplin erforderlich. Eine Disziplin, die mit Hilfe einer eigenen Militärgerichtsbarkeit, die dem Heer eine Sonderstellung im Staate verlieh und die vor allem dem Offizierskorps in vielerlei Hinsicht zugute kam, aufrechterhalten wurde75 • Seinen Ursprung hatte das Militärrecht, vor allem das Militärstrafrecht, in den alten Artikelbriefen des 16. Jahrhunderts. Eine eigene Militärpolizei mit dem Prevot, der dort Oberstenrang hatte, hatte sich z. B. in Frankreich herausgebildet. In Deutschland besaß jedes Regiment seinen Profos, der nicht ganz so hoch einzustufen war, der im Lager für Ordnung zu sorgen hatte. 1.1 Zu den Hoffaktoren grundlegend Heinrich Schnee, Die Hochfinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren, 6 Bde., Berlin 1953- 1967, bes. Bd. 4: Hoffaktoren an süddeutschen Fürstenhöfen nebst Studien zur Geschichte des Hoffaktorenturns in Deutschland, Berlin 1963. Zu den Subsidien, am Beispiel der Wittelsbacher dargestellt, vgl. Peter Claus Hartmann, Geld als Instrument europäischer Machtpolitik im Zeitalter des Merkantilismus, München 1978. Dort die ältere Literatur. 74 Jones (Anm. 20), 40; Papke (Anm. 4), 212. Ein instruktives Beispiel gibt Sicken (Anm. 46), I, 137, der eine Weisung an den Deutschordensstatthalter in Mergentheim zitiert: ., ... als auch haben dieselbe, falls es noch nicht geschehen, ohne weiteres anstandt die in der stat Mergentheim und auffern Landt annectierte und dem faullenzen nachgehende pursch, ohne unterschied fortzunehmen ... ". Noch drastischer Karl Staudinger, Geschichte des bayerischen Heeres, 3. Bde., München 1908, 239 ff. , der auf S. 247 einen Befehl vom 16. 2. 1739 zitiert, wonach .,zur Verstärkung der gesamten kurfürstlichen Truppe alle ,Malefikanten, wann sie sich nur noch nicht in den Händen des Scharfrichters befunden hätten, dann die Müßiggänger und andere dem ,bono publico' unnütze Leute zusammenzufangen und an die nächstgelegenen Regimenter oder Werbeplätze auszuliefern, wo man sie, sofern sie sich körperlich tauglich erwiesen, gegen das gewöhnliche Handgeld auf drei Jahre in Pflicht nehme." 75 Corvisier, Armies (Anm. 4), 73; Papke (Anm. 4), 276 ff.; Staudinger (Anm. 74), 461 - 470; Corvisier, La France (Anm. 22), 191.

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Die Militärgerichtsbarkeit hatte drei Träger, den Gerichtsherrn, das war der Landesherr, der sie in der Regel an die Truppenführer bis zum Obersten und Regimentskommandeur delegierte - dann das Auditorium und das Richterkollegium. Rechtsprechungsinstanz waren die Kriegsgerichte, in Frankreich Conseils de Guerre. Diese setzten sich in Frankreich aus Offizieren und einem "magistrat de robe" 76 zusammen und sprachen Recht nur in Militärsachen. Verstöße gegen das allgemeine Recht wurden in Frankreich vor Zivilgerichten verhandelt, wobei ein Militärrichter zugezogen wurde. Der "intendant de la generalitt~" vermittelte bei Konflikten zwischen der Militär- und der Ziviljustiz. In Deutschland stand dem Obersten ein Auditeur zur Seite, der Jurist sein mußte, in Österreich sogar ein Doctor utriusque juris77 • Das Allgemeine Kriegsgericht, das auch Zivilsachen behandelte, bestand aus Regimentsangehörigen und dem Auditeur. Es tagte als Kammergericht auch bei Streitigkeiten unter Soldaten und Zivilpersonen. Über ihm stand das Ober- oder Generalkriegsgericht, das ein Feldmarschall als Gerichtsherr einberufen mußte. So war das Militär hier privilegiert, bei allerdings fließenden Grenzen nach außen. Denn bei Streitigkeiten zwischen Militärpersonen und Zivilisten versuchte die "Ziviljustiz" doch, oft nicht ohne Erfolg, sich gegen das Militärgericht zu behaupten. In Preußen allerdings konnten Soldaten nur vor einem Militärgericht stehen, obwohl die Exekutionsordnung von 1673, also das Reichsrecht, bei nichtmilitärischen Verbrechen die Zivilgerichte für zuständig erklärte. Auch in den anderen Territorien waren die Grenzen fließend. In Sachsen etwa galt, daß die Zivilgerichte in derartigen Fällen zuständig sein sollten, aber auch ein Kriegsgericht in Aktion treten konnte, wenn dabei ein ordentlicher Richter zugezogen wurde. Der hier programmierte Kompetenzstreit fiel sehr oft zum Nachteil der zivilen Seite aus. In Bayern legte bei einem "Judicium Mixtum" der Hofkriegsrat fest, ob ein ordentliches oder ein Militärgericht zuständig war. Den Militärgerichten unterstanden neben den Soldaten auch deren Angehörige, das Dienstpersonal, die Troßknechte mit ihren Familien, in Bayern und Preußen sogar ehemalige Soldaten, deren Familien und Witwen. Unverkennbar war dabei eine Tendenz der Militärgerichte, zwar Verstöße gegen die militärische Disziplin strengstens zu bestrafen, den Rest der Delikte aber zu bagatellisieren - schon weil man keine Soldaten verlieren wollte. Wenn man allerdings strafte, dann gnadenlos und grausam, zumindest für unsere heutigen Begriffe. 76 77

Ebd. 191. Papke (Anm. 4), 278-281, ihm folgt meine Darstellung.

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Ein Hauptdelikt war die Desertion, das Krebsübel der damaligen Heere. Denn besonders die mit Gewalt gepreßten Soldaten versuchten dem Militärdienst bei jeder nur möglichen Gelegenheit zu entkommen. Die Tendenz, Truppenkörper immer zusammenzuhalten und niemals aufzulösen, die ja auch die Taktik der Zeit mit charakterisiert, hatte hierin einen nicht unwesentlichen Grund. Die Strafe für eingefangene Deserteure war sehr hart, das ging bis zur Todesstrafe in Kriegszeiten18• Unter Friedrich Wilhelm I. sollen 30 000 Soldaten desertiert sein, in Sachsen rechnet man zwischen 1701 und 1728 mit 8500 Deserteuren von 20 000 Infanteristen und 750 von 5400 Kavalleristen. In Frankreich verließ während des Spanischen Erbfolgekriegs jeder 4. Soldat sein Regiment111. Mit allen Mitteln suchte man sich gegen die Desertion zu schützen. In Frankreich nicht zuletzt durch eine genaue Personenbeschreibung eines jeden Soldaten, die den Deserteur besser kenntlich machen und seine Wiedereinfangung erleichtern sollte, die "contröles de troupes", die 1716 eingeführt wurden80• Tatsächlich konnte man in Frankreich durch diese Maßnahme bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Desertionsrate auf 2 °/o drücken. In Deutschland suchte man des Problems durch scharfe Überwachungsmaßnahmen Herr zu werden, wobei man allerdings, da die traditionellen Musterrollen so genau nicht waren, kein so effektives Kontrollsystem hatte wie in Frankreich. Auch stellte die Vielzahl der Territorien ein Hindernis dar für eine effektvolle Überwachung, zumal man sehr gerne Deserteure einer fremden Armee in die eigene aufnahm, trotz anderslautender Kontrakte und Absprachen mit den Nachbarn. Man muß sich überhaupt klar machen, daß es europaweit das Phänomen der sogenannten "rouleurs" 81 gab, die jeweils bei einer Armee Handgeld nahmen, desertierten und sich bei der nächsten wiederum neu anwerben ließen. In Deutschland half man sich mit der Besetzung der Stadttore in Garnisonsstädten durch "Hasenwachen", die Flüchtlinge sofort verfolgen mußten, wie z. B. in München82 • Zur Alarmierung gab man in Festungen einen Kanonenschuß von den Wällen ab. Am schärfsten war die Überwachung in Preußen. In Hinterpommern mußten von je78 Corvisier, Armies (Anm. 4), 71, bemerkt, daß zwischen 1716 und 1775 jeder dritte Deserteur hingerichtet wurde. 79 Ebd. 70. Corvisier, L'Armee fran(;aise (Anm. 52) II, 980; Staudinger (Anm. 74), 375 ff., hier 377 die Angabe, daß in den Jahren 1747- 1748 bei den drei Münchner Regimentern 116 Mann entwichen. so Andre Corvisier, Les contröles de troupes de l'Ancien Regime, Tome 1, Chateau de Vincennes 1968, 9 ff. 81 Corvisier, Armies (Anm. 4), 71. 11"2 Staudinger (Anm. 74), 376.

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dem Ort Nachtwächter gehalten werden, um das Desertieren von Soldaten oder Bauern zu verhindern83• Die Bauern mußten jeden Deser·· teur, dessen sie habhaft werden konnten, einfangen. Jedem Soldaten oder Urlauber durfte jedermann den Paß abverlangen. Fehlte dieser oder war er nicht in Ordnung, so mußte man den Soldaten arretieren lassen. Als Deserteur wurde schließlich in Preußen auch jeder Zivilist angesehen, der ohne amtliche Erlaubnis ins Ausland ging. Floh ein Soldat aus einer Garnison, dann läuteten auf den umliegenden Dörfern die Sturmglocken, und die große Jagd, an der sich die Einwohner dieser Dörfer beteiligen mußten, begann. Gerade das Beispiel der Desertionsbekämpfung in Preußen zeigt in ganzer Schärfe, wie recht Otto Hintze hatte, als er feststellte: "Die Armee wurde seit Friedrich Wilhelm I. vollends zum Rückgrat der ganzen Staatsverwaltung, die auf das militärische Bedürfnis zugeschnitten und von militärischem Geiste erfüllt warM." Der sozialdisziplinierende Effekt der Armee, um Gerhard Oestreichs Terminus zu verwenden, kam besonders greifbar zum Ausdruck bei der im Laufe der Entwicklung sich nun vollziehenden Herausbildung des Offizierskorps als eines Standes mit eigenen Rechten, Pflichten und vor allem einem eigenen Ethos86 • Es ist dies wohl die positivste und größte Leistung des absolutistischen Staates gewesen, daß er es verstand, aus den ziemlich undisziplinierten, eigenwilligen und selbstherrlichen- um es modern auszudrücken - "Selbstverwirklichung" ohne Rücksicht auf die Umwelt erstrebenden - Adeligen, die die Söldnerführer des 16. und 17. Jahrhunderts dargestellt hatten, disziplinierte, sich in die Ordnung, die allein ein Staatswesen am Leben hält, einfügende und mit Freude und freiwillig dienende Offiziere zu machen. Nicht überall gelang dies in gleichem Maße. Corvisier unterscheidet drei Prototypen von Staaten. 1. solche wie Polen, in dem der Staat die waffenfähigen Adeligen nicht sich einordnen konnte - bezeichnenderweise ging dieses Staatsgebilde denn auch unter - und Schweden, wo der Adel zunächst dem Staat diente, um dann diesen sich zu unterstellen. 2. Preußen, in 8S

8t

Büsch, Militärsystem (Anm. 27), 27 - 28. Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 287. Er stellte so, mit im wesent-

lichen positiver Beleuchtung, das fest, was Otto Büsch, nun modisch negativ wertend, im Jahre 1962 als Ertrag seiner Forschungen vorlegte. 85 Für Deutschland grundlegend immer noch Karl Dementer, Das deutsche Offizierskorps in Gesellschaft und Staat 1650- 1945, 2. neu bearbeitete u. wesentl. erweiterte Aufl. Frankfurt 1962, der aber die Zeit des Absolutismus nur knapp behandelt. Sehr instruktiv auch Staudinger (Anm. 74), 429 - 454, der zeigt, wie gerade in einer kleinen Armee noch manche alten Mißbräuche weiterlebten. Vgl. auch Papke (Anm. 4), 102 ff., und Carl Hans Hermann, Deutsche Militärgeschichte. Eine Einführung, Frankfurt 1966, 117 - 118. Ferner: Hans Meier-Welcker (Hrsg.), Untersuchungen zur Geschichte des Offizierskorps. Anciennität und Beförderung nach Leistung, Stuttgart 1962.

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dem der Triumph des Staates, oder besser des Monarchen, zu völliger Militarisierung des Adels und dessen fast kompletter Verwendung im Offizierskorps führte; 3. Staaten wie Frankreich, in denen der Adel nicht unbedingt und nicht ausschließlich im Kriegsdienst stand88 . Insgesamt wird man feststellen dürfen, wie dies schon Otto Hintze getan hat, daß die hinter diesen Vorgängen auch stehende Auseinandersetzung zwischen Adel und Königtum mit einem Kompromiß endete, der "überall im 18. Jahrhundert den Adel zur Stütze der absoluten Monarchie werden (ließ), dieser Bund des absoluten Königtums mit dem Adel ist charakteristisch für das ganze Ancien Regime. Er beruhte einerseits darauf, daß die Krone die sozialen Privilegien des Adels und die alte ständische Gesellschaftsordnung unangetastet ließ und andererseits darauf, daß der Adel allmählich begann, das Offizierkorps der Stehenden Armee zu bilden. Beides steht in einem Zusammenhange. Die feudalen Reminiszenzen werden geflissentlich wieder belebt und dazu benutzt, dem Offizierkorps einen politisch-moralischen Halt zu geben87 ." In diesen Sätzen schimmert allerdings zu stark das preußische Vorbild, das Hintze eben besonders vertraut war, durch. Auch muß man natürlich zwischen Groß- und Kleinstaaten unterscheiden. Cervisier hat überdies ein West-Ost-Gefälle konstatiert88 in der Intensität der Militarisierung sowohl des Staates insgesamt als auch des Adels, der im Westen noch andere Tätigkeitsfelder fand, so in Verwaltung, Seefahrt, Handel und im Geistesleben. Die italienischen Staaten gehörten zu dieser Gruppe, dann Spanien zumindest im 18. J ahrhundert und England, dessen Armee so klein war, daß die - käuflichen Offiziersstellen mühelos von Adeligen besetzt werden konnten, ohne daß deshalb der englische Adel in seiner Gesamtheit sich hätte dem Kriegsdienst verschreiben müssen. Wobei ja noch dazu hier beachtet werden muß, daß die Grenze zwischen Adel und Bürgertum in England fließend war. In Frankreich, der Habsburgischen Monarchie, in der der hohe Adel das Privileg der höchsten Befehlsstellen besaß, während das mittlere und niedere Offizierkorps oft aus dem Reich oder aus fremden Landen stammte - besonders viele Iren und Italiener fanden sich hier - und auch bürgerliche Elemente durchaus Aufstiegsmöglichkeiten besaßen und in Piemont herrschte ein größerer Offiziersbedarf89 • Auch in Österreich gab es noch bis ins 18. Jahrhundert hinein den Stellenkauf - wie in Frankreich -, Nobilitierungen bürgerlicher Offi88 Corvisier, Armies (Anm. 4), 87 - 88. 87

88 89

Hintze, Staatsverfassung (Anm. 3), 71 - 72. Corvisier, Armies (Anm. 4), 123 ff.

Für Österreich vgl. Zimmermann (Anm. 19), 128 ff.

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ziere waren recht häufig. Am Österreichischen Fall kann man dabei beobachten, daß die nationale Mischung des Offizierskorps keinerlei Nachteile mit sich brachte, da der Eid auf den Kaiser mehr galt als konfessionelle oder nationale Bindung. Noch gehörte der Soldat und vor allem der Offizier einem internationalen Stand an und empfand sich aber häufig dann auch auf Dauer als Angehöriger des von ihm gewählten Staates. Die Namen Prinz Eugen von Savoyen, Gideon Ernst von Loudon, Franz Moritz Lacy und Ulysses S. Browne seien hier als prominente Beispiele genannt'o. In Frankreich blieb der Offiziersstand durchaus eine adelige Domäne, besonders eine Domäne des alten Schwertadels. Ludwig XIV. suchte bewußt durch die Offizierslaufbahn den Adel dem absoluten Machtstaat dienstbar zu machen. Er schränkte die Käuflichkeit von Offiziersstellen ein - mit nicht allzu großem Erfolg - und schuf die nichtkäufliche Stelle eines Kapitäns der Grenadiere und den Rang des "Reformierten Kapitäns", des aide-major und Major. Der Rang des Brigadier konnte nun an Obersten und Oberstleutnants verliehen werden, der es ermöglichte, den Grad des "marechal-de-champ" und damit Generalsrang zu erreichen. Auch ein verarmter Adeliger konnte so, wie Corvisier gezeigt hat, zumindest in der Theorie zu höchsten militärischen Rängen durch eigene Tüchtigkeit aufsteigen". Die "Ordre du tableau", 1675 erlassen, regelte die Beförderung nach dem Prinzip der Anciennität. Nur außergewöhnliche Verdienste oder spektakuläre Taten sollten davon ausnehmen. "11 devenait donc possible en principe d'avancer dans l'armee sans etre fortune ou sans appartenir a une illustre famille92 ." Für diejenigen, die zu höheren Stellen nicht 90 Ebd. 183; Max Braubach, Prinz Eugen von Savoyen, 5 Bde., München 1963- 65, v. a. Bd. V, 354 ff.; Kunisch, Feldmarschall Laudon (Anm. 43); ders., Der kleine Krieg (Anm. 44), 50 ff., bes. 54; Edith Kotasek, Feldmarschall Lacy, ein Leben für Österreichs Heer, Horn 1956; Christopher Duffy, Feldmarschall

Browne. Irischer Emigrant. Kaiserlicher Heerführer. Gegenspieler Friedrichs II. von Preußen, Wien, München 1966, 11 ff. Duffy gibt im Anhang seines Buches eine Liste aller Iren, die damals in Österreichischen Diensten standen, ebd. 364 ff. Grundlegend sind hier die Arbeiten von Nikolaus von Preradovich, Die politisch-militärische Elite in .,Österreich" 1526 - 1918, in: Saeculum 15 (1964), 393 - 420, sowie ders., Die Österreichischen Feldmarschälle des 18. Jahrhunderts, in: Die Aula. Monatszeitschrift österreichischer Akademikerverbände 4 (1954), Folge 9, 17- 18. Sehr wichtig mit vergleichender Betrachtung vor allem des preußischen und Österreichischen Offizierskorps ist Rainer Wohlfeil, Adel und Heerwesen, in: Hellmuth Roessler (Hrsg.), Deutscher Adel 1555 - 1740, Büdinger Vorträge 1964, Darmstadt 1965, 315 - 343, hier bes. 328 ff. Zu diesen Problemen nunmehr auch Thomas Mack Barker, Army, Aristocracy, Monarchy. Essays on War, Society and Government in Austria, 1618- 1780, New York 1982. Für unser Thema ist besonders wichtig Kapitel 6: Military Nobility: the Daun Family and the Evolution of the Austrian Officer Corps, 128 ff., bes. 137 - 146. 91 Corvisier, Armies (Anm. 4), 100 ff. Ihm folgt meine weitere Darstellung. 16 Staats- und Heeresverfassung

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befähigt, aber tüchtige mittlere Offiziere waren, schuf der König Pensionen wie den "Ordre de Saint Lazare" und den "Ordre du Mont Carmel" im Jahre 1671, solche Offiziere konnten zu den "Invalides" aufgenommen werden, und 1693 gründete Ludwig XIV. schließlich den "Ordre de Saint-Louis", der verdiente Offiziere belohnen sollte. Mit seiner Verleihung war eine ansehnliche Pension verbunden. Doch fand der durch die Kriege Ludwigs XIV. finanziell erschöpfte Adel im 18. Jahrhundert schon bald einen Weg, die nicht käuflichen Stellen dennoch käuflich zu machen durch das "concordat"VI. Zunächst meinte man damit eine Summe, die derjenige Offizier erhielt, der den Dienst quittierte, und zwar aus Beiträgen, die die Offiziere der Truppe, sei es beim Eintritt in den Dienst oder durch regelmäßige Beiträge, zusammengebracht hatten. Schließlich führte das zu der Verpflichtung für einen beförderten Offizier innerhalb eines Regiments, seinem Vorgänger diese Summe zu zahlen, wobei eine Kettenreaktion entstand. Ging beispielsweise ein "lieutenant - colonel", dann erhielten die Leute, die nachrückten, natürlich von den in ihre Stellung Nachrückenden immer weniger an Geld, als sie selbst ihrem Vorgänger, der ja eine höher dotierte Position besessen hatte, zahlen mußten. Der hohe Offiziersbedarf der französischen Armee im 18. Jahrhundert und die immer geringer werdende Neigung der Adeligen, Offiziersstellen zu suchen, führte zu einer Verstärkung des bürgerlichen Elements im Ofqzierskorps. Bezeichnenderweise wurde 1750 ein Edikt erlassen, das allen Offizieren im Generalsrang automatisch den Adel verlieh. Unter dem Kriegsminister Saint-Germain, am Ende des Ancien Regime, erfolgte aber mit Hilfe einer Reduktion der Offiziersstellen in der Armee eine Renobilitierung des Offizierskorps84• Die stärkste Verschmelzung von Staat und Adel über den Kriegsdienst aber erfolgte in Preußen. Sie war das Werk Friedrich Wilhelms I. Der König hat dies bewußt herbeigeführt, er wollte "aus den frondierenden märkischen, pommerseben und ostpreußischen Junkern allmählich loyale, königstreue Untertanen (zu) machen, die ihren Stolz darein setzten, unter den Fahnen des Königs zu dienen95". 12 Corvisier, La France (Anm. 22), 185. Durch das Anciennitätsprinzip wollte man zunächst vor allem die Subordination innerhalb der Generalität durchsetzen. Vgl. dazu Rainer Wohlfeil, Die Beförderungsgrundsätze, in: Meier-Welcker (Anm. 85), 26. ea Corvisier, Armies (Anm. 4), 101 ff. gibt ebd. 102 an, daß der Preis für eine Kapitänsstelle um 1714 ca. 6 000 Livres betrug, für eine Grenadierkompagnie gar 12 bis 14 000 Livres einschließlich des Concordat, eine Oberstleutnantsstelle war 20 bis 24 000 Livres wert. "Access to these ,non purchasable' position was very expensive." 94 Ebd. 103 - 104.

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Mehrere Maßnahmen waren zur Erreichung dieses Ziels erforderlich gewesen. So hat er zunächst das Offizierkorps, in dem unter seinem Vater noch ziemlich viele zweifelhafte Existenzen fragwürdiger Herkunft sich befunden hatten, was sich in einer nicht immer mustergültigen Disziplin geäußert hatte, systematisch von derartigen Elementen befreit, indem er von nun an nur noch, zum Teil unter Zwangsanwendung, Söhne des einheimischen Adels zu Offizieren ernannte. Zwar hatte er 1717 durch die Allodifikation der Lehen das früher bestehende dingliche Lehensband zu seinen Adeligen gelöst und die Rittergüter zu freiem Eigentum gemacht. Aber er wollte durch diese Maßnahme keineswegs die persönliche Lehens- und Treuepflicht gelöst sehen. Das genaue Gegenteil war der Fall. Er verbot dem Adel nunmehr ausdrücklich, auswärtigen Kriegsdienst zu nehmen, und ließ dies durch jährliche "Vasallentabellen" überwachen98 , die alle jungen Adeligen zwischen 12 und 18 Jahren erfaßten. Es galt schon bald als Standespflicht, als "Junker" in der königlichen Armee zu dienen. Um den zum großen Teil nicht sehr bemittelten Adeligen der östlichen Provinzen die Pille zu versüßen und die Söhne für seinen Kriegsdienst zu präparieren, ließ er im Jahr 1716 Kadettenschulen-zunächst die in Berlin- errichten. Er folgte hier in seiner Weise dem Vorbild Frankreichs, wo es 1682 bis 1696 9 Kompanien von "cadets- gentilshommes" gegeben hatte, die allerdings beim französischen Adel nur auf geringe Gegenliebe gestoßen waren17 • Die jungen Leute wurden in diesen Kadettenschulen auf den Offiziersberuf systematisch vorbereitet und erhielten auch ein "bescheidenes Maß an Bildung" 88• Wie Carl Hans Hermann ausgeführt hat, setzte Friedrich Wilhelm so durch die Vorbereitung dieser jungen Menschen auf die Rechte und Pflichten des Offiziers seinen königlichen Willen nach unten durch und sprach zur seihen Zeit den Adel als Primus inter pares an. "Die Ehrauffassung war seine kostbare Tradition. Verknüpft mit dinglichen Elementen wurde sie zu jenem festen Kitt, der eine einst rivalisierende Opposition von nun an an die Person des Königs band- und in ihr an den Staat"." Das Offizierkorps wurde in einer Weise zum königlichen, die ihresgleichen im damaligen Europa suchte. Es war der erste Stand im Staate, und seit 1725 trug auch der ~~ Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 283. ea Ebd. 283. Vgl. ferner Carl Hinrichs, Friedrich Wilhelm 1., in: ders., Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, Berlin 1964, 65. Corvisier, Armies (Anm. 4), 89 ff. Ferner Gordon A. Craig, The Politics of the Prussian Army 1640 - 1945, London, Oxford, New York 1955, repr. 1975, 10- 11. 17 Corvisier, La France (Anm. 22), 186. 18 Hermann (Anm. 85), 117. II Ebd.

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König selbst, um dies zu dokumentieren, beständig die Uniform - was dann bald bei den europäischen Monarchen Schule machte100 • Bezeichnend für den Gesinnungswandel im preußischen Offizierkorps, das sehr bald schon ein ausgeprägtes Standesgefühl entwickelte - das im weiteren Verlauf der Geschichte dann in Standesdünkel umschlug - war, daß es nun "nur noch Männer ohne Tadel" unter sich duldete, wie Friedrich der Große gesagt hat101 • Abgesehen von den Generalen gab es keine Rangabzeichen. Die Beförderung erfolgte strikt nach der Anciennität - nur im Krieg gab es seltene Ausnahmen -, da man durch eine Beförderung nach Leistung eine Gefährdung des Esprit de Corps befürchtete102 • Das preußische Offizierkorps war über dieser Entwicklung zu einer fast reinen Adelsdomäne geworden. Bürgerliche Offiziere, wenn sie sich nicht vermeiden ließen, wurden entweder rasch geadelt oder baldmöglichst entlassen, ungeachtet ihrer Verdienste. Friedrich der Große hat dies nach dem Siebenjährigen Krieg praktiziert1°3. Die hier erreichte enge Verbindung von Adel und Monarchen aber bildete die Grundlage des preußischen Staates des 18. Jahrhunderts und verlieh diesem sein eigentümliches Flair. In Rußland, um dies nur anzudeuten, war das Offizierkorps ebenfalls ausschließlich adelig. Auch hier versuchte der Staat den Adel durch Privilegien, die ihm wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile brachten, für seine Leistungen in der Armee zu belohnen, aber ohne daß dies die politischen Konsequenzen wie in Preußen mit sich gebracht hätte104• too Hintze, Die Hohenzollern (Anm. 23), 283. Craig (Anm. 96), 10 ff.: "By 1724 there was scarcely a noble family in the Hohenzollern domains that did not have a son in the officer corps, and by 1740 the King's private battle bad been won. This was probably the result, less of his willingness to use force, than of the solid advantages which he held out to his nobility. To the sons of families, which often possessed more pride than economic means, he affered an education, a standard of living higher than they could otherwise expect, an opportunity to rise to positions of great military and political authority, and a social position second to none in the state.... It is not surprising that the nobility should find this atmosphere congenial and should come to regard the service, which it entered with initial reluctance, as its natural profession." tot Die Werke Friedrichs des Großen, hrsg. v. Gustav Berthold Volz, dtsch. v. Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Willy Rath und Carl Werner von Jordans. Bd. 1: Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg, Berlin 1913, 185: "In allen Regimentern wurde das Offizierskorps von Elementen gesäubert, deren Herkunft oder Führung sie zu einem Handwerk von Ehrenmännern ungeeignet machte. Seitdem duldete das Ehrgefühl der Offiziere nur noch Männer ohne Tadel unter ihresgleichen." 102 Rainer Wohlfeil, Die Beförderungsgrundsätze, in: Meier-Welcker, (Anm. 85), 28. toa Corvisier, Armies (Anm. 4), 91 - 93. 104 Ebd. 95.

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In Zusammenhang mit dem preußischen Offizierkorps und den Kadettenschulen, die Friedrich Wilhelm I. zur Ausbildung seiner künftigen Offiziere gründete, wies ich auf das französische Vorbild der Kadettenkompanien hin. Sie waren nicht ohne Grund ins Leben gerufen worden, denn die Verwissenschaftlichung der Kriegsführung, die eingangs angesprochen wurde, erforderte natürlich eine entsprechende Ausbildung der Offiziere. Das Problem als solches war schon sehr früh erkannt worden, und zwar bereits im 16. Jahrhundert bei den Hugenotten und Oraniern. Fran~ois de la Naue hatte im fünften Diskurs des ersten Buches seiner .,Discours politiques et militaires" die Errichtung von Schulen für junge Edelleute angeregt, die dort in ritterlichen Künsten, Leibesübungen, Wissenschaften und vor allem den Militärwissenschaften ausgebildet werden sollten105 • Er hatte dabei vier Academies Royales vorgeschlagen, doch kam es dazu nicht. Wohl aber gründete der Schwager des Prinzen Moritz von Oranien, der Herzog von Bouillon, im Jahre 1606108 in Sedan die .,Academie des exercises", die wohl die erste europäische Kriegsschule gewesen ist. Johann VII. von Nassau-Siegen folgte ihm dann im Jahre 1616, als er unter großen persönlichen Opfern seine .,Kriegs- und Ritterschule" ins Leben rief. Im selben Jahr schuf kein Geringerer als Philippe Duplessis-Mornay in Saumur die .,Academie d'equitation" oder .,Academie des exercises", ebenfalls eine militärischpolitische Bildungsanstalt und Ritterschule, der 1627 eine .,Academie d'equitation" in Angers folgte 107 • Moritz von Hessen-Kassel hat 1618 in Kassel ebenfalls eine Militärschule gegründet, und Wallenstein ließ 1628 in Gitschin die "Friedländische Akademie" 108 für elf Zöglinge, die aber sechs Jahre später mit ihrem Gründer unterging, ins Leben treten.

Dies waren Anfänge, aber erst das Zeitalter der stehenden Heere sah dann Militärbildungsanstalten in großer Zahl zustande kommen. Ein Versuch des Kardinals Richelieu - denn Frankreich übernahm nun, der Tradition Bouillons folgend, die Führung bei der Gründung derartiger Anstalten- scheiterte zwar noch einmal, und auch die Kadettentos Ebd. 106 ff. Zu Fran~ois de la Noue (1531- 1591) vgl. Max Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, München und Leipzig 1889, 563 - 64. toe Corvisier, Armies (Anm. 4), 106. Gerhard Oestreich, Eine Kritik des deutschen Wehrwesens am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in: Nassauische Annalen 70 (1959), 227 - 236, gibt ebd. 236 "vermutlich zwischen 1607 und 1613" als Entstehungsdatum an. Er zitiert P. Mellow, L'academie de Sedan. Centre d'influence fran~aise, Paris 1913. 101 Oestreich, Kritik (Anm. 106), 236 u. Anm. 15. 1os Jähns, Kriegswissenschaften (Anm. 105), 1030; Corvisier, Armies (Anm. 4), 106 macht daraus irrtümlich je eine Militärschule in Friedland und "Gilschin" (sie!).

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kompanien, die Louvois 1682 gründete, mußten 1696 wieder aufgegeben werden. Auch ein Wiederbelebungsversuch in den Jahren 1726 bis 1733 blieb ohne Erfolg. Bestimmte Truppenteile, wie das Regiment des Königs 1663, die königlichen Musketiere und nach 1664 die königliche Leibgarde, seit 1716 die "Garde Fran~aise", dienten als Offizierspflanzschulen, sowie in Rußland seit Peter dem Großen, der von den Adelsfamilien forderte, ihre Söhne in diesen Regimentern dienen zu lassen, das Preobraschenskische und Semonowskische Leibregiment diese Funktion besaßen1". In Moskau ließ der Zar im Jahre 1701 eine Artillerieschule errichten, 1709 eine Ingenieurschule und 1707 eine Ausbildungsanstalt für Militärmedizin. In Frankreich hatte man 1679 eine erste Artillerieschule gegründet, 1719 und 1756 folgten weitere in La Fere und Bapaume, doch wurde die schulmäßige Artillerieausbildung bei den Bataillonen bevorzugt. 1749 wurde eine Militäringenieurschule in Mezieres, die "Ecole Royale du Genie" gegründet. In England hatte man schon 1741 in Woolwich eine derartige Institution ins Leben gerufen110• Von den preußischen Kadettenanstalten, die den 1705 von Friedrich I. gegründeten Fürsten- und Ritterschulen111 , die man 1713 auflöste, folgten, wurde bereits gesprochen. Die Reihe der modernen Militärschulen, die allen Waffengattungen gewidmet waren, eröffnete die 1751 in Paris auf Veranlassung der Madame de Pompadour durch Ludwig XV. gegründete "Ecole Royale Militaire de Paris" 112 , der 1752 in Wiener Neustadt pie Militärakademie folgte113 • Auch hier waren eine lngenieurschule, das nach seinem Stifter Johann Conrad Richthausen, Freiherr und Edler von Chaos sogenannte Chaos-Stift in Wien, das 1670 als Armenschule gegründet worden war, sowie Ritterakademien vorangegangen. Die Wiener Neustädter Akademie, seit 1769 "Theresianische Akademie" genannt, war aber die erste große militärische Pflanzschule in Österreich. Andere Anstalten folgten dieser in den weiteren europäischen Ländern nach. Zu erwähnen ist hier vor allem noch die "Artillerie- und Genieschule" des Grafen Wilhelm von Schaumburg-Lippe, die dieser 1767 in seiner Festung Wilhelmstein im Steinhuder Meer errichtete, aus der Schamhorst hervorging114. 101 Corvisier, Annies (Anm. 4), 107. Zu Rußland: Reinhardt Wittram, Peter I. Czar und Kaiser, 2 Bde. Göttingen 1964, hier bes. Bd. II, 9 ff., dann auch 195. uo Corvisier, Armees, etat (Anm. 12), 563. 111 Jähns, Kriegswissenschaften (Anm. 105), 1641 ff. 112 Corvisier, Armees, etat (Anm. 12), 563 und ders., Armies (Anm. 4), 108. 113 Ebd., ferner Zimmermann (Anm. 19), 138 ff. tu Dazu: Wilhelm Graf zu Schaumburg-Lippe, Schriften und Briefe, hrsg. von C. Ochwadt, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1977. Hans G. Klein , Wilhelm zu Schaumburg-Lippe. Klassiker der Abschreckungstheorie und Lehrer Schamhorsts, Osnabrück 1982.

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So dürfen wir feststellen, daß in der Tat, in stärkerem oder schwächerem Maße, Staat und stehendes Heer im Zeitalter des Absolutismus eine enge Verbindung eingegangen waren, ja, daß man im Falle von Preußen Staat und Heer nahezu identifizieren kann, da hier sich das Leben aller Staatsbewohner den Interessen der Armee beugen mußte. Doch war dies eine Ausnahme. Aber daß auch in den übrigen kontinentalen Staaten die Fortentwicklung moderner Staatlichkeit durch die Bedürfnisse der Armee beschleunigt wurde, ist unleugbar. Ein weiteres kommt hinzu. Die Berufsheere der absolutistischen Staaten, wie ich sie hier zu charakterisieren versuchte, entsprachen voll und ganz dem Charakter, den diese Staaten hatten, und der rationalen, den Gesetzen der Staatsraison folgenden Politik, die ideologischer Verbohrtheit entbehrte und die der Kriegsführung auch das Element des absoluten Vernichtungswillens nahm. Die nicht zuletzt auch durch die innere Struktur der Heere bedingte starre und wenig bewegliche Lineartaktik, die Abhängigkeit der Truppenkörper, die man ja wegen der Desertionsgefahr nicht aus der Hand der Führung geben konnte, von der Magazinverpflegung, die den Operationen auch deutliche räumliche Grenzen setzte, die Scheu vor Verlusten- im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Rekrutierung -, die zu einer Scheu vor Schlachten wurde, eine Tendenz, die sich im 18. Jahrhundert dann sehr verstärkt hat115 , dies alles entsprach dem Staatsverständnis des Zeitalters. Daß man mit Heeren, die sich in Bewaffnung und Ausrüstung um keinen Deut von den Armeen des Absolutismus unterschieden, auch ganz andere Kriege führen konnte auf Grund einer neuartigen Staats- und Heeresstruktur und einer dadurch ermöglichten neuen Taktik und Strategie, das haben die Revolutionskriege dann bewiesen. Und es entsprach die eben charakterisierte eingegrenzte Kriegsführung, die sich bemühte, den Schrecken des Krieges von der Zivilbevölkerung weitgehend fernzuhalten, überdies der humanitären Philosophie der Aufklärungszeit. Doch soll man sich hier vor einer ldyllisierung hüten. Michael Howard hat mit Recht gemeint: "We must not be deceived by the superficial elegance of the armies of the rococo age: they were brutal and squalid institutions, and war was still, for those involved in it, a brutal and terrifying affairu&." Die Armeen haben überdies, wie die lange Folge der Kriege in diesem Zeitalter beweist, mit so blutigen Schlachten wie Malplaquet und Kunersdorf, sich im Kriege bewährt und damit dem entscheidenden 115 Kunisch, Mirakel (Anm. 44), 75; Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. I, München 1954, 50 ff., bes. 57- 59; Howard (Anm. 7), 70-74. 116 Ebd. 66.

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Kriterium zu ihrer Beurteilung Genüge getan, das ein so unverdächtiger Zeuge wie der deutsche Emigrant Alfred Vagts wie folgt charakterisiert: "The acid test of an army is war- not the good opinion it entertains of itself or wins by ,indoctrinations' or other ,promotional activities' before the war or even sometimes after a defeat. War is the criterion and war only117 ." Sie waren das Instrument, das einem Ludwig XIV. seine ganz Europa verstörende Hegemonialpolitik ebenso ermöglichte, wie England die Eroberung Nordamerikas und Indiens, Österreich die Türkenabwehr und die Begründung seiner Großmacht und Friedrich dem Großen den Ausbau der preußischen Großmachtstellung. Dem Staate des Absolutismus, den sie so stark beeinflußten, waren sie also adäquat, auch wenn sich am Ende des Ancien Regime dann Krisensymptome mehren. Einer neuen Zeit, mit neuen politischen Vorstellungen - ich vermeide bewußt das Wort Ideale- konnten sie dann nicht mehr genügen. Doch schuf sich diese Zeit ja nicht nur eine neue Armee, sondern schon vor dieser einen neuen Staat, den nationalen Verfassungsstaat, der dann der Geschichte von 1789 ab jene Tendenz gab, die Franz Grillparzer hellsichtig durch das Epigramm charakterisierte: "Der Weg der neueren Bildung geht, von Humanität- durch Nationalität- zur Bestialität."

117 Altred Vagts, A History of Militarism. Civilian and Military, revised edition, New York 1973, 16.

Absoluter Fürstenstaat und Heeresorganisation in Frankreich im Zeitalter Ludwigs XIV. Von Ulrich Muhlack, Frankfurt am Main Solange man sich von dem absolutistischen Frankreich Ludwigs XIV. das Musterbild eines alles beherrschenden monarchischen Zentralstaates machte, hat man, zur Begründung dieser Ansicht, immer vorrangig auch die Einrichtung des Heerwesens angeführt. Die nach 1661 geschaffene Organisation der französischen Armee galt als eine der konstitutiven Institutionen einer nunmehr unumschränkt gewordenen Königsmacht: aus den politischen Notwendigkeiten des absoluten Fürstenstaates entstanden und zugleich auf dessen weitere Ausgestaltung zurückwirkend. Le Tellier und Louvois erschienen neben Colbert als die wichtigsten Diener des Königs beim Aufbau der neuen Ordnung. Diese Auffassung begegnet schon bei Voltaire, der mit seinem Werk "Le siecle de Louis XIV" die erste und zugleich für alle künftige Historiographie grundlegende Gesamtdarstellung des ludovizianischen Absolutismus geliefert hat. Geleitet von der Idee, daß das Jahrhundert Ludwigs XIV. durch eine neue Blüte der Künste und Wissenschaften den endgültigen Siegeszug der Aufklärung eröffnet habe, betont er andererseits zunächst die dazu in seiner Sicht unumgängliche politische Voraussetzung: die Errichtung eines starken Staates durch die Erhebung der königlichen Autorität über alle ihr widerstrebenden Gewalten1 • Was der König für die Erneuerung des Heerwesens geleistet hat, kommt dabei gleich nach den von ihm veranlaßten Reformen in Verwaltung, Justiz, Handel, Polizei, Gesetzgebung: "Legislateur de ses peuples, il le fut de ses armees". Voltaire beginnt mit der Uniformierung der Regimenter, handelt sodann von der obersten Kommandogewalt des Königs, fährt mit der technischen Modernisierung der Armee fort, erwähnt die Einsetzung von "inspecteurs generaux" zur Aufrechterhaltung der militärischen Disziplin, nennt die Heeresstärken, auf die es der König durch alle diese Bemühungen gebracht habe, und rühmt am Schluß die t Voltaire, Le siecle de Louis XIV, in: Voltaire, Oeuvres historiques, hrsg. v. Rene Pomeau, Paris 1957, 603 ff. , hier 618: "Il faut, pour qu'un Etat soit puissant, ou que le peuple ait une liberte fondee sur les lois, ou que l'autorite souveraine soit affermie sans contradiction"; der erste Verfassungstyp scheint Voltaire in England, der zweite in Frankreich paradigmatisch verwirklicht.

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"attention, qu'il eut a former des armees de terre nombreuses et bien disciplinees, meme avant d'etre en guerre" 2 • Hundert Jahre später bietet Rankes "Französische Geschichte" ein ähnliches Urteil. Der Historiker des frühneuzeitlichen europäischen Staatensystems geht von anderen Prämissen aus als Voltaire, aber er hat den gleichen Begriff von der Machtfülle des Königtums Ludwigs XIV. und von der in ihr eingeschlossenen militärischen Macht. Auch Ranke stellt die "militärische Einrichtung" neben die Reformen der Finanzen, des Handels, der Justiz. Er sieht sie auf dem Prinzip beruhend, "daß das Recht der Waffen ausschließend der höchsten Gewalt angehöre", beschreibt die Beugung der Befehlshaber unter die unbedingte Autorität des Königs, erkennt im Offizierskorps der Garde ein "Seminar für die Führung der Truppen", würdigt die Zunahme der Friedensstärke der Armee, verweist durchgängig darauf, daß "die wiederhergestellten Finanzen die Mittel dazu darboten" 3 • Es ist endlich Otto Hintze, der, im Rahmen seiner Studien zur vergleichenden Verfassungsgeschichte, diese Anschauung in terminologisch scharfen Definitionen fixiert. Der von ihm konstatierte Zusammenhang von "Absolutismus und Militarismus" in den Staaten des Kontinents seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, durch den ihm "die Armee geradezu zum Rückgrat des neuen zentralisierten Großstaats" wird, tritt ihm vorab in Frankreich in Erscheinung. Hier wird der absolutistische Einheitsstaat aufgerichtet, "den man vorher nicht gekannt hatte", und hier sind daher zuerst die Züge des neuen Militärwesens zu beobachten: stark vergrößertes stehendes Heer; die Übernahme der obersten Kommandogewalt durch den Monarchen; die Durchführung einer hierarchischen Ordnung von Dienstgraden; die Tätigkeit der Kriegskommissare; die Hinordnung des Steuerwesens und der Wirtschaft auf die Bedürfnisse der Armee; durch dies alles Verstaatlichung der Armee bei gleichzeitiger Militarisierung des Staates4 • Es bedarf keiner umständlichen Belege, um deutlich zu machen, daß alle diese Vorstellungen bis in jüngste Handbücher hinein geläufig geblieben sind5 • t Ebd. 973 ff. a Leopold von Ranke, Französische Geschichte vornehmlich im XVI. und XVII. Jahrhundert, hrsg. v. Otto Vossler, Bd. 2, Zwölftes Buch, 336 ff. 4 Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. v. Gerhard Oestreich, 3. Aufl. Göttingen 1970, 52 ff., hier 69 ff. 6 Zwei neuere Beispiele: Eberhard Weis, Frankreich von 1661 bis 1789, in: Handbuch der europäischen Geschichte, hrsg. v. Theodor Schieder, Bd. 4: Europa im Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung, hrsg. v . Fritz Wagner, Stuttgart 1968, 164 ff., hier 179 f. u. 200 f.; Robert Mandrou, Louis XIV en son temps 1661- 1715 (Peuples et civilisations, hrsg. v. Maurice Crouzet, 10), Paris 1973, 227 ff.

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Wer sich heute erneut mit dem Verhältnis von Staatsverfassung und Heeresverfassung im Frankreich Ludwigs XIV. beschäftigt, kommt freilich nicht umhin, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Grundlagen der traditionellen Deutung inzwischen von vielen Seiten her erschüttert worden sind. Unter allen Revisionismen, die in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft im Schwange sind, ist eine verbreitete Neigung zur fast vollständigen Demontage des früheren Absolutismus-Bildes vielleicht am denkwürdigsten. Statt des alles beherrschenden monarchischen Zentralstaates ersteht vor unseren Augen ein ziemlich fragiles oder prekäres Staatswesen, in dem alles auf den Kamprarniß zwischen dem Fürstentum und den immer noch fest verwurzelten ständischfeudalen Interessen ankommt: eine absolute Monarchie, die diesen Namen allenfalls insoweit verdient, als es dem Fürsten zeitweilig gelingt, die ihm widerstreitenden Bestrebungen auszubalancieren und damit einen gewissen, aber stets eng begrenzten Spielraum zur Ausweitung und Konsolidierung seiner eigenen Macht zu gewinnen8 • Daß diese Betrachtungsweise auch vor dem Frankreich Ludwigs XIV. nicht haltmacht, zeigen letzthin die Arbeiten von J ames Russen Major und David Parker. In Majors großem Werk über die Geschichte der ständischen Institutionen in Frankreich vom 15. bis zum 17. Jahrhundert präsentiert sich der ludovizianische Staat als ein höchst unvollkommenes Gebilde, dessen Gedeihen mehr und mehr von den persönlichen Beziehungen des Fürsten zu den Repräsentanten ständisch-korporativer Gruppierungen abhängt: ein absolutistisches Regime auf ständestaatlicher Basis, das am Ende unvermeidlich in eine Dauerkrise geraten muß 7 • Parker geht in seinem Buch "The Making of French Absolutism" noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur Entstehung, Aufstieg und Niedergang des französischen Absolutismus aus den immanenten Konflikten der feudalständischen Ordnung erklärt, sondern auch der Krone selbst dabei Ziele zuschreibt, die sich ganz im Rahmen des alten Systems halten. Das Königtum scheint ihm nicht den Bruch mit der Vergangenheit zu intendieren, sondern eine Wiederherstellung der monarchischen Autorität, die immer auch den notwendigen Ausgleich mit den ihr entgegenstehenden Interessen einschließt8 • Es ist hier nicht der Ort, den Gründen dieser "Tendenzwende" nachzuforschen. Wie in solchen Fällen üblich, kommen dabei Wissenschaftss Von den neuesten Gesamtdarstellungen zum Absolutismus-Problem steht dieser Auffassung am nächsten: Günter Barudio, Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung 1648 - 1779 (Fischer Weltgeschichte 25), Frankfurt ä. M. 1981. 1 James Russell Major, Representative Government in Early Modern France, New Haven, London 1980, 630 ff., bes. 672; vgl. dazu die Rezension des Verfassers in: Der Staat 21 (1982), 464 ff. s Dauid Parker, The Making of French Absolutism, London 1983, bes. 118 ff.

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externe wie wissenschaftsinterne Momente zusammen, abgesehen von der leicht schulbildenden Routine, wie sie von neuen sogenannten Forschungsständen häufig auszugehen pflegt. Jedenfalls ist bemerkenswert, daß das neue Bild des Absolutismus im allgemeinen und des französischen Absolutismus im besonderen nicht eigentlich der Entdeckung neuer Daten oder neuer Kategorien von Daten zu danken ist, sondern einer neuen Bewertung von an sich längst bekannten Tatsachen. Der Hinweis mag genügen, daß Ranke die ständisch-feudalen Züge der absoluten Monarchie in Frankreich selbstverständlich auch kennt. Seine "Schlußbemerkung" über die Regierungszeit Ludwigs XIV. gibt darüber zusammenfassende Auskunft: "Und niemand könnte die Elemente des feudalistischen Staates verkennen, die unter ihm noch in großem Umfang bestanden. Wenn man von denselben mit einemmal eine Anschauung haben will, so braucht man sich nur zu erinnern, wie viel die Revolution davon zu zerstören notwendig fand: die Besonderheiten der Provinzen, festgehalten durch ständische und gerichtliche Institutionen, oder selbst durch Verträge gewährleistet; die Prärogative der großen Städte; die Vorrechte des Adels in seinen verschiedenen Klassen: alle die Herrenrechte, gegen welche später politische Theorie und der Haß der Population vereint oder abwechselnd ankämpften. Noch in seinem Testament spricht Ludwig XIV. die Überzeugung aus, daß die vornehmste Kraft seines Reiches in dem Adel bestehe". Allerdings ergibt ihm die Abwägung aller Argumente, daß das "Gewicht der monarchischen Gewalt" überwiegt - also unter genauer Berücksichtigung derselben Phänomene, die heute einer entgegengesetzten Interpretation zugrunde liegen9 • In dieser Situation vermag eine neuerliche Betrachtung des Heerwesens im Staat Ludwigs XIV. zum Testfall zu werden und damit zur Klärung des zwischen beiden Deutungsmustern herrschenden Widerspruchs beizutragen, ohne daß der fragwürdige Ausweg einer dezisionistischen Parteinahme für die eine oder andere Seite beschritten werden muß. Sie lehrt einmal, welche Stellung die Heeresverfassung in dem Koordinatensystem von monarchischem Zentralstaat und ständisch-feudalem Staat einnimmt. Wenn ferner die Prämisse des Kolloquiums stimmt, daß zwischen Staatsverfassung und militärischer Exekutive ein struktureller Zusammenhang besteht, sind zum andern Rückschlüsse von der Heeresorganisation auf die Staatsorganisation möglich. Die "revisionistische" Forschung über den französischen Absolutismus ist bisher an diesen Fragestellungen eher vorbeigegangen. Andererseits liegt vor allem durch die in den beiden letzten Jahrzehnten sehr intensivierte französische Spezialforschung zur französischen Militärgeschichu Ranke, Französische Geschichte, Bd. 2, Sechzehntes Buch, 91.

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te im Zeitalter des Absolutismus eine ungeheure Fülle aufgearbeiteten Materials vor, an das ein Interpretationsversuch anknüpfen kann 10• Wie es die Themenstellung des Kolloquiums gebietet, konzentriert sich dieses Referat auf die Einrichtung des Heerwesens im engeren Sinne. Die Verhältnisse in der französischen Kriegsmarine müssen dagegen außer Betracht bleiben. Mag diese Ausklammerung auch unbefriedigend anmuten, so läßt sie sich doch bis zu einem gewissen Grad durch die Rangordnung beider Teilstreitkräfte rechtfertigen. Obwohl die Regierung Ludwigs XIV. im Zuge ihrer Handels- und Kolonialpolitik gerade im Bereich der maritimen Rüstung große Anstrengungen unternommen und ihm zeitweise fast sogar Priorität eingeräumt hat, to Von der älteren französischen Literatur sind vor allem immer noch die beiden Bücher von Louis Andre unentbehrlich: Michel Le Tellier et l'organisation de l'armee monarchique, Paris 1906 (Nachdruck Genf 1980); Michel Le Tellier et Louvois, Paris 1942 (Nachdruck Genf 1974). Die heutige französische Forschung läßt sich ganz auf die Schriften von Andre Corvisier zentrieren. Die im Zusammenhang unseres Themas wichtigsten Titel dieses Autors: L'armee francaise de la fin du XVIIe siecle au ministere de Choiseul. Le soldat, 2 Bde., Paris 1964 (vgl. dazu die Rezension von Robert Mandrou in: Revue Historique 236 [1966], 487 ff.); Les contröles de troupes de l'ancien regime, Bd. 1, Paris 1968; Les Francais et l'armee sous Louis XIV. D'apres les memoires des intendants, Chateau de Vincennes 1975; La France de Louis XIV 1643- 1715. Ordre interieur et place en Europe (Regards sur l'histoire 33), 2. Aufl. Paris 1979, 175 ff.; Armees, etat et administration dans Ies temps modernes, in: Histoire comparee de l'administration (IV•- XVIII• siecles). Actes du XIV• colloque historique franco-allemand de !'Institut Historique Allemand de Paris, hrsg. v. Werner Paravicini u. Karl Ferdinand Werner (Beihefte der Francia 9), München 1980, 555 ff.; Clienteles et fidelites dans l'armee francaise aux XVII• et XVIII• siecles, in: Hommage a Roland Mousnier: Clienteles et fidelites en Europe a l'epoque moderne, hrsg. v. Yves Durant, Paris 1981, 213 ff.; Louvois, Paris 1983. Gute Zwischenbilanz der neueren französischen Forschung: Pierre Goubert, L'Ancien regime, Bd. 2: Les pouvoirs, Paris 1973, 112 ff. Von der älteren deutschen Literatur ist weiterhin heranzuziehen: Robert Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte von der Mitte des neunten Jahrhunderts bis zur Revolution, München, Berlin 1910 (Nachdruck Darmstadt 1965), 425 ff. Neuere deutsche Arbeiten, die jeweils durch exemplarische Behandlung konkreter Einzelthemen zum Verständnis der Militärverfassung im absolutistischen Frankreich insgesamt beitragen: Werner Gembruch, Zur Kritik an der Heeresreform und Wehrpolitik von Le Tellier und Louvois in der Spätzeit der Herrschaft Ludwigs XIV., in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2 (1972), 7 ff.; ders., Persönlichkeit und Werk Vaubans als "Ingenieur de France", in: Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt, hrsg. v. H.-W. Herrmann u. F. Irsigler (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 13), 48 ff.; Bernhard Kroener, Les Routes et les ~tapes. Die Versorgung der französischen Armeen in Nordostfrankreich (1635- 1661). Ein Beitrag zur Verwaltungsgeschichte des Ancien Regime (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte 11), Münster 1980; ders., La planification des operations militaires et le commandement superieur. La crise de l'alliance franco-bavaroise a la veille de Ia bataille de Höchstädt, in: Forces armees et systemes d'alliances. Colloque international d'histoire militaire et d'etudes de defense nationale Montpellier 2 - 6 Septembre 1981 (Histoire Militaire Comparee 1), 165 ff.

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ist unstrittig, daß das ludovizianische Frankreich nach Interesse und Selbstverständnis primär Landmacht gewesen ist und daher die Armee letztlich immer vor der Marine dominiert hat: ein Phänomen, das ebenso mit der außenpolitisch-geapolitischen Lage der Monarchie zu tun hat wie mit der nur zögernden Hinneigung der führenden Schichten der französischen Gesellschaft zu kommerziellen Aktivitäten in Übersee. Dazu kommt, daß die Verfassung der Marine unter den hier interessierenden Aspekten, jedenfalls mutatis mutandis, Strukturen aufweist, wie sie auch der Heeresverfassung eigentümlich sind, ihre Einbeziehung also kein grundsätzlich neues Bild ergäbe11 • Wenn man, noch ganz im Banne der .,revisionistischen" Deutung des französischen Absolutismus, auf die Organisation der französischen Armee nach 1661 schaut, wird zunächst einmal eine kaum leugbare Diskrepanz offenbar, die eine Revision der Revision unabweisbar macht. Selbst bei Aufbietung des allergrößten Scharfsinns ließe sich nur schwerlich behaupten, daß das Heer Ludwigs XIV. die ihm von der älteren Literatur zugerechneten Attribute nicht besessen hätte. Vielmehr sind die Ergebnisse der neueren Forschung ganz dazu geeignet, die traditionelle Auffassung nicht nur zu bestätigen, sondern noch weiter zu fundieren. Sie zeigen vorab, daß die Krone über die Armee als ein jederzeit schlagkräftiges Instrument ihrer Politik unbedingt verfügt hat, und sie müssen daher vorab alle Vorstellungen eines eher eingeschränkten Königtums schlechterdings erledigen. Ludwig XIV. sagt in seinen Memoiren, er habe bei seinem Regierungsantritt 1661 in Frankreich einen Zustand der Unordnung vorgefunden: .,Le desordre regnait partout" 12 • Er meint damit das Übergangsstadium zwischen einem alten und einem neuen politischen System, in dem sich die Monarchie seit 1659 befindet. Einerseits sind nunmehr schwerste innere und äußere Kämpfe siegreich abgeschlossen und damit die Voraussetzungen für die Errichtung eines neuen Regimes geschaffen. Andererseits ist dieser Neubau keineswegs schon aufgeführt, sind die organisatorischen Konsequenzen aus dem Sieg keineswegs schon gezogen; die Lage in Frankreich ist vielmehr durchaus noch offen, schwankend, ungeklärt, ungeformt, ungestaltet. Die Unordnung, um die es sich nach 1659 im Heerwesen handelt, resultiert aus bestimmten negativen Erscheinungen der gerade zu Ende gegangenen langwierigen Kriegszeit, in denen wiederum der ständestaatliche Typ der u Zur französischen Kriegsmarine in der Zeit Ludwigs XIV. zuletzt Geoffry Symcox, The Crisis of French Sea Power 1688- 1697. From the guerre

d'escadre to the guerre de course, Den Haag 1974. 12 Louis XIV, Memoires et divers ecrits, hrsg. v. Bernhard Champigneulles, Paris 1960, 4; vgl. dazu Mandrou, Louis XIV, 13.

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Armee paradigmatisch zutage tritt. Die Neuordnung des Heerwesens, wie sie in diesen Jahren in Angriff genommen wird, verfolgt kein anderes Ziel, als diesen Typ zu überwinden und die Armee fortan völlig in den Dienst der Königsmacht zu stellen. Daß es um eine wirkliche Strukturreform geht und um den Willen, sie mit allen Konsequenzen durchzusetzen, bezeugt die dichte Reihe von Ordonnanzen, die der "secretaire d'etat de la guerre" nach dem Pyrenäenfrieden herausgeben läßt. Diese Gesetzgebung ermangelt freilich aller abstrakten Systematik, sondern geht immer von konkreten Problemen aus. Sie gelangt daher auch nicht zur Kodifizierung, sondern zerfällt in einzelne Gruppen von Ordonnanzen über bestimmte Teilgebiete, wobei jeweils ein gleiches Verfahren der Problemlösung befolgt wird: Beginn mit einem "reglement particulier", Fortgang mit dessen wiederheiter Einschärfung, dabei, wenn nötig, Modifikationen, Zusätze, Interpretationen, schließlich Erlaß eines "reglement general" 13 • Gleichwohl erhält die neue Legislation nicht nur durch diese Gleichheit der Methode inneren Zusammenhang. Die Hauptsache ist, daß hinter ihren sämtlichen Akten, klar erkennbar, das einheitliche Konzept einer königlichen Armee steht. Wenn man versucht, die wesentlichen Bestimmungen dieses Konzeptes zu fassen, kommt man auf zwei komplementäre Prinzipien: stehendes Heer und absolute Verfügungsgewalt der Krone. Beide sind der Heeresverfassung in der Epoche des Ständestaates direkt entgegengesetzt, in der das im Kriegsfall angeworbene Heer und eine relative Autonomie des Heeres gegenüber der Krone vorwalten. Die Wende vom bisherigen Soldheer zum stehenden Heer wäre nur unzureichend verstanden, wollte man sich mit der Feststellung begnügen, daß die Krone künftig dauernd ein Soldheer unter Waffen hat: eine Armee, die im Frieden den Krieg vorbereitet sowie der äußeren und inneren Politik des Königs Nachdruck verleiht und die im Krieg, abgesehen davon, daß sie sofort einsatzfähig ist, einen Kader für etwa notwendige zusätzliche Truppenaushebungen bildet: 1664 45 000 Mann, am Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. über 100 000 Mann, im Spanischen Erbfolgekrieg bis auf 400 000 Mann angewachsen14• Die Schöpfung dieses dauernden Soldheeres bedeutet zugleich auch, daß das Soldheer eine dauernde Organisation bekommt. Rekrutierung, Formierung, Disziplinierung, Exerzierung, Ausrüstung, Unterhaltung der Armee: das alles ist auch im ständestaatliehen Soldheer geregelt, aber unterliegt hier naturgemäß immer wieder einem systemimmanenten Andre, Michel Le Tellier et Louvois, 309 ff. Diese Zahlen nach Weis, Frankreich, 200; Goubert, L'Ancien regime, Bd. 2, 116. Über die Schwierigkeit, die damalige Stärke französischer Armeeeinheiten zu bestimmen, Corvisier, L'armee francaise, Bd. 1, 152 ff.; Kroener, Les Routes. 3 ff. 13 14

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Zwang zur Improvisation, der sich über jegliche Reglementierung hinwegsetzt und damit die Ausbildung fester organisatorischer Strukturen erschwert. Erst im Zeichen des stehenden Heeres kann von einer eigentlichen Institutionalisierung dieser Erfordernisse die Rede sein, die zugleich mit einem Höchstmaß an technischer Zweckmäßigkeit, Effizienz, Rationalität, Modernität einhergeht. Die Regierung legt Regeln der Rekrutierung fest: der Rekrut muß sich freiwillig verpflichten, darf kein anderes Engagement haben, muß diensttauglich sein; die Modalitäten der Anwerbung und Einstellung werden fixiert, dabei Unterschiede zwischen der inländischen und der ausländischen Rekrutierung bezeichnet; hinzu treten Vorschriften über die Bedingungen für die Einstellung von Strafgefangenen15 • Die Differenzierung der Waffengattungen schreitet fort: neben der Kavallerie und der Infanterie etabliert sich die Artillerie und beginnen sich die Ingenieure als selbständiges Korps zu etablieren18. Die Gardetruppen erhalten ihre endgültige Gestalt17. Die Heeresformationenstehen nunmehr fest: Kompanie, Bataillon, Regiment, Armee, ebenso die Prinzipien ihrer jeweiligen Rangordnung: Anciennität, Vorrang der Garde vor den allgemeinen Verbänden, Vorrang der französischen vor den ausländischen Einheiten18. Gleichlaufend damit kommt die Entwicklung des Offizierskorps zum Abschluß: es wird Klarheit über die jeweiligen Grade und über die auf jeder Stufe bestehende Hierarchie herbeigeführt!'. Die Regierung erkennt die Notwendigkeit einer systematischen Offiziersschulung und beginnt zu diesem Zweck Kadettenanstalten zu gründen20 • Es ergehen genaue Regelungen für den militärischen Dienst und die militärische Gerichtsbarkeit21 . Die Ausrüstung und die Unterhaltung des Heeres, früher den zahlreichsten Mißständen ausgesetzt, werden zum Gegenstand methodischer Planungen. Am Ende steht ein ganzes System von Einrichtungen, um die Besoldung, Uniformierung, Bewaffnung, Unterbringung, Ernährung, Versorgung der Soldaten zu gewährleisten: Corvisier, L'armee francaise, Bd. 1, 149 ff., 159 ff., 259 ff., 281 ff. 1e Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 497 ff.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 383 ff.; Anne Blanchard, Les ingenieurs du .,roy" de Louis XIV a Louis XVI, Montpellier 1979, 60 ff., 71 ff., 115 ff.; Gembruch, Persönlichkeit und Werk Vaubans, 52. 11 Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte, 427. 18 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 188 ff.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 325 ff. 19 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 115 ff.; ders., Michel Le Tellier et Louvois 317 ff.; Carvisier, Louvois, 97 ff., 183 ff.; Kraener, La planification, ~t73 ff. 2o Andre, Michel Le Tellier et Louvois, 324 f.; Weis, Frankreich, 200; Corvisier, Louvois, 182 f. 21 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 537 ff., 573 ff.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 384 ff., 403 ff. 16

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vornehmlich eine für alle diese Aufgaben zuständige Armeeverwaltung, die Anlage von Kasernen, die Erweiterung der Magazine, Waffenarsenale, Munitionslager, der Bau von Hospitälern und eines "hötel des invalides" 22 • Es versteht sich von selbst, daß in diesem Zusammenhang auf weiteres Detail verzichtet werden muß und kann. Was hier allein interessiert und daher allein festzuhalten ist, ist das durchgängige Prinzip: daß die Aufstellung eines stehenden Heeres zur Verwirklichung einer dauernden Heeresorganisation führt. Die absolute Verfügungsgewalt der Krone über dieses Heer hat ihre Basis in dem Gesetz, daß allein der König das Recht habe, Truppen auszuheben. Im erklärten Gegensatz gegen die Praxis der Fronde-Zeit wie der Epoche der konfessionellen Bürgerkriege beharrt die Krone auf ihrem militärischen Monopol. Der König verbietet allen Untertanen, gleich, welchen Standes, welcher Würde, welchen Amtes sie seien, unter irgendeinem Vorwand Truppen aufzustellen, außer auf seinen ausdrücklichen Befehl hin; widrigenfalls soll gegen die Verantwortlichen als gegen Rebellen und Verletzer der königlichen Majestät vorgegangen werden23 • Der einzige Werbeherr beansprucht zugleich, sein eigener Kriegsunternehmer zu sein. Der Zustand, daß die "colonels" der Regimenter und die "capitaines" der Kompanien auf eigene Rechnung oder im Auftrag eines höheren Offiziers, wenn auch niemals eines einzigen "chef de guerre" im Stile Wallensteins, rekrutieren, hört auf; sie haben vielmehr hinfort allein auf Rechnung des Königs Soldaten einzustellen24. Wenn bis dahin die Formen privaten Kriegsunternehmertums eine Privatisierung des Heerwesens bewirkt haben, so bewirkt die königliche Herrschaft über das Rekrutierungsverfahren, daß das Heerwesen zu einer Veranstaltung des monarchischen Staates wird. Die andere Seite dieses königlichen Kriegsunternehmertums ist die Bereitschaft der Krone, dauerhaft für die Finanzierung des Heeres aufzukommen. Das Verschwinden des privaten Kriegsunternehmertums setzt die grundsätzliche Unabhängigkeit der Krone von privater Finanzaushilfe, die Verstaatlichung des Heerwesens, die Verstaatlichung des Heeresunterhalts voraus, aus der dem Staat wiederum, ohne ihn der Eigenherrlichkeit der Gläubiger auszuliefern, fast unbegrenzter Kredit erwächst. 22 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 271 ff., 329 ff., 359 ff., 415 ff., 469 ff., 609 ff.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 343 ff., 349 ff., 358 ff., 368 ff., 379 ff., 409 ff.; Goubert, L'Ancien regime, Bd. 2, 121 ff.; Corvisier, Les Francais, 177 ff., 194 ff., 205 ff.; ders., Louvois, 108 ff., 190 ff.; Les invalides. Trois siecles d'histoire, hrsg. v. d. Musee de l'armee, Paris 1975, bes. 139 ff., 199 ff. 23 Corvisier, L'armee francaise, Bd. 1, 147. 24 Ebd. 147 f.; vgl. auch Corvisier, Louvois, 80 ff. über das bisherige Kriegsunternehmertum in der französischen Armee.

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Mit dieser Entwicklung geht zusammen, daß die Krone das oberste militärische Kommando übernimmt. Gehört dessen Besitz auch zu den ältesten Titeln des Königtums, so trifft Ludwig XIV. bei seinem Regierungsantritt gleichwohl bestimmte Barrieren an, durch die die monarchische Ausübung der obersten Kommandogewalt entscheidend beeinträchtigt, wenn nicht tatsächlich blockiert oder suspendiert wird. Im Zeichen des privaten Kriegsunternehmertums ist den Truppenführern ein Maß an selbständiger Autorität zugewachsen, das mit dem neuen Autoritätsanspruch der Krone unverträglich ist. Entsprechend zieht die Abkehr von dem bisherigen Rekrutierungssystem eine Änderung der bisherigen Kommandostruktur nach sich. Grundlegend ist, daß der König sich, wie zu seinem eigenen Kriegsunternehmer, so zu seinem eigenen Chef der Armee erklärt. Der Weg dahin führt über die Beseitigung oder Entmachtung gewisser "officiers generaux", die die Krone bis dahin mit dem Kommando über die Armee betraut hat und die damit eine intermediäre Stellung zwischen der Krone und dem Heer erlangt haben. Zunächst gilt, daß das Amt des "connetable" als Oberbefehlshabers des Heeres, das bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts bestanden hat, nicht erneuert wird; genauso verfährt man übrigens mit dem zur gleichen Zeit erloschenen Amt des "grand amiral de France" als Oberbefehlshabers der Marine, bis es 1669 als reine Sinekure wiederhergestellt wird. Die Unterbeamten des "connetable", die "marechaux de France", und ihre Vertreter, die "lieutenants generaux", bleiben unmittelbar der Krone untergeordnef~5 • Freilich behält Turenne das ihm 1660 übertragene Amt eines "marechal general des camps et armees du roi", das ihn aus den übrigen Marschällen von Frankreich heraushebt und überhaupt an die Spitze aller Offiziere setzt; aber das ist ein, als Anerkennung für unschätzbare Leistungen im Dienste der Krone verliehenes, persönliches Ehrenamt, das die Position des Königs als Oberbefehlshabers der Armee nicht tangiert26• Ein besonderes Problem stellen die Chefs der Waffengattungen und der ausländischen Verbände mit ihren überkommenen Privilegien dar27 • Der König beseitigt das Amt des "colonel general de nnfanterie", das seinen Besitzer "rendait plus maitre que le Roi meme des principales forces de l'Etat" 28, nach dem Tod von dessen letztem Inhaber, reduziert die Funktionen des "colonel general de cavalerie" wie des "grand maitre de l'artillerie" bis 25 Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte, 430, 433; Gembruch, Zur Kritik, 12; Corvisier, Louvois, 97 f. 2e Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 119 f.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 317 f.; Corvisier, Louvois, 97. 27 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 148 ff.; ders., Michel Le TelHer et Louvois, 319 ff.; Corvisier, Louvois, 98. 2s Louis XIV, Memoires, 28.

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zur Bedeutungslosigkeit und macht die "colonels generaux" der Schotten, Korsen, Engländer, Polen, Schweizer ganz von sich abhängig. Eine gleiche Behandlung wie diese "officiers generaux" erfahren andere Amtsträger, soweit sie durch ihre Befugnisse dem königlichen Oberkommando Eintrag tun. Die "gouverneurs" der Provinzen, die, von der Krone ernannt, bis dahin erhebliche militärische und zivile Eigenmacht kumuliert haben, erleben ihre schrittweise Zurückdrängung aus den im Laufe der Zeit erworbenen Vorrechten. Nachdem sie faktisch alle zivilen Kompetenzen an die "intendants provinciaux" verloren haben, verbleibt ihnen allenfalls, wie es der Provenienz ihres Amtes entspricht, eine durch strikte königliche Anweisungen genau fixierte militärische Zuständigkeit, die kaum über das nominelle Kommando in den Provinzen hinausgeht21 • Ludwig XIV., der die Unbotmäßigkeit mancher "gouverneurs" während der Fronde erfahren hat, widmet in seinen Memoiren diesem Vorgang besondere Aufmerksamkeit. Wenn die "gouverneurs des provinces" bisher ihre, der königlichen Autorität schädliche, Selbständigkeit am meisten auf das Recht, Kontributionen zu erheben, und die Freiheit, ihre Garnisonen mit nur von ihnen abhängigen Truppen zu belegen, gegründet hätten, habe er beschlossen, ihnen beides "peu a peu" wegzunehmen30• Er macht sich die "gouverneurs" also dadurch gefügig, daß er sie der ökonomischen Basis ihrer bisherigen Macht beraubt, und exemplifiziert damit eindrücklich, gegen welchen Gegner die königliche Kommandogewalt hauptsächlich aufgerichtet werden muß: gegen das private Kriegsunternehmertum. Als das wichtigste Attribut des obersten Befehlshabers steht dem König das Recht zur Ernennung der Offiziere zu. Er erlangt, zumal von den "colonels generaux" der Infanterie und der Kavallerie und dem "grand maitre" der Artillerie, vornehmlich das Recht, die "officiers des regiments" zu ernennen: notwendige Bedingung der Möglichkeit, daß diese Truppenoffiziere, anders als bisher, in ein Verhältnis unmittelbarer Loyalität zum König treten. Allerdings steht einer uneingeschränkten Disposition der Krone über die Offiziersstellen zunächst noch die Praxis der Ämterkäuflichkeit entgegen, die, in allen Bereichen 211 Dazu Corvisier, Les Fran~ais, 89 ff.; Robert R. Harding, Anatomy of a Power Elite. The Provincial Governors of Early Modern France, New Haven, London 1978; regionale Fallstudie, die die Besonderheit einer neueroberten Grenzprovinz herausarbeitet: Georges Livet, L'autorite a Strasbourg sous l'ancien Regime: Gouverneurs et commandants en chef de la province et de la ville, in: Revue historique des armees 3 (1981), 35 ff. ao Louis XIV, Memoires, 28 f.; dazu auch 92: ,.continuant dans le dessein de diminuer l'autorite des gouverneurs des places et des provinces". Vgl. Wolfgang Mager, Frankreich vom Ancien Regime zur Moderne. Wirtschafts-, Gesellschafts- und politische Institutionengeschichte 1630 - 1830, StuttgartBerlin-Köln-Mainz 1980, 152.

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des königlichen Dienstes üblich, im Bereich der Armee ebenfalls in untrennbarem Zusammenhang mit dem privaten Kriegsunternehmertum emporgekommen ist31 • Selbst ein ausschließliches Recht des Königs zur Ernennung der Offiziere droht entwertet zu werden, wenn die Offiziere durch den Kauf ihrer Chargen quasi ein Eigentum an ihren Stellen gewinnen und obendrein die eingerissene Gepflogenheit des direkten Weiterverkaufs jeden königlichen Einfluß auf die Wiederbesetzung zunichte macht. Gestützt auf Ordonnanzen, die den Verkauf aller Offiziersstellen untersagen, nicht ohne die Gefahr mangelnder militärischer Eignung der durch bloßen "commerce des charges" berufenen Offiziere auszumalen, gehen erste Maßnahmen der Regierung Ludwigs XIV. erfolgreich dahin, die Käuflichkeit der Chargen der "officiers generaux" und im Bereich der "gardes du corps" zu unterdrücken32 • Sofern die Krone in die Lage versetzt wird, frei über die Offiziersstellen zu disponieren, hält sie sich an die Prinzipien der Befähigung und der Anciennität, mit denen immer auch das Prinzip der Ergebenheit gegen den König korreliert33 • Eingedenk der in der Vergangenheit erfahrenen frondierenden Haltung adeliger Offiziere, sucht sie den Anteil bürgerlicher Offiziere über das Subalternoffizierskorps hinaus zu erweitern34 • In den vom Adel eher geringgeschätzten modernen Waffengattungen der Artillerie und der Ingenieure findet sie dafür die günstigsten Ansätze vor35• Als ein Hauptreservoir königlicher Personalpolitik erweisen sich bald die Offiziere der Garde. Nachdem der König ihm geeignet erscheinende Offiziere der nach 1659 aufgelösten Regimenter in die "maison militaire du roi" aufgenommen hat, schickt er sie später wieder, als Kommandeure neuaufgestellter Verbände, zur allgemeinen Truppe zurück36 • Schließlich obliegt es den neubegründeten Kadettenanstalten, ein gleichermaßen fachlich qualifiziertes wie königstreues Offizierskorps hervorzubringen. Der königliche Oberbefehlshaber der Armee sieht sich gleichzeitig als deren obersten Administrator. Die Armeeverwaltung, ausgebaut zu dem Zweck, die Ausrüstung und die Unterhaltung des Heeres zu sichern, wandelt sich in demselben Maße von einer der wichtigsten Domänen des privaten Kriegsunternehmertums zu einem Instrument 31

Holtzmann, Französische Verfassungsgeschichte, 429; Corvisier, Louvois,

102 f.

32 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 201 f.; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 315 ff.; Corvisier, Louvois, 103 f. 33 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 201; ders., Michel Le Tellier et Louvois, 316. 34 Weis, Frankreich, 200; Gembruch, Zur Kritik, 12. 35 Gembruch, Persönlichkeit und Werk Vaubans, 51 f. 36 Ranke, Französische Geschichte, Bd. 2. Zwölftes Buch, 339.

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der königlichen Regierung. Die darin tätigen "controlleurs", "intendants", "commissaires", durchweg vom König ernannte Zivilbeamte, reichen in abgestufter Folge von der zentralen über die regionale bis zur lokalen Verwaltungsebene und kooperieren aufs engste nicht nur mit den jeweiligen Heeresoffizieren, sondern insbesondere auch mit den jeweiligen Beamten der allgemeinen Verwaltung: "im ganzen eine zivile Hierarchie innerhalb der Streitkräfte neben der militärischen ••• " 37 • Die wichtigste Aufgabe haben dabei die "intendants d'armee", die jeweils für die Verwaltung der in einer Provinz stationierten Truppen oder einer im Felde stehenden Armee zuständig sind38 • Gewöhnlich der "noblesse de rohe" entstammend, besitzen sie kein käufliches Amt, sondern eine Kommission, die dem König jegliche Freiheit der Verfügung über ihre Stelle beläßt: im Unterschied zu den ihnen nachgeordneten "commissaires des guerres", deren Name mit ihrem Status schon geraume Zeit nicht mehr übereinstimmt39 • Die "intendants d'armee" sind damit als zuverlässige Vollstrecker des königlichen Willens ausgewiesen. Sie haben mit den "gouverneurs" der Provinzen und zumal mit den "intendants provinciaux" zusammenzuwirken, die sich wie sie aus dem Amtsadel rekrutieren und wie sie die primäre Funktion haben, die königlichen Interessen durchzusetzen. Gelegentliche Personalunion zwischen den beiden Intendanturen führt eindringlich vor, wie eng die jeweiligen Aufgabenbereiche aufeinander bezogen sind. Der König erhebt sich endlich auch zum obersten Kontrolleur der Armee. Von den "inspecteurs generaux" der Infanterie und Kavallerie abgesehen, die Militärs sind, zieht er eine zivile Beaufsichtigung des Heeres vor, für die zuvörderst, ebenfalls auf allen Ebenen, die Organe der Armeeverwaltung zum Einsatz kommen. Sie haben nicht nur dafür zu sorgen, daß die von ihnen getroffenen Maßregeln zur Ausrüstung und Unterhaltung des Heeres tatsächlich befolgt werden, sondern überwachen außerdem Rekrutierungen, Disziplin, militärische Übungen, Manöver, Kriegführung, beaufsichtigen bei alledem Offiziere wie Mannschaften, haben der Regierung über ihre Erkenntnisse regelmäßig 37 Gembruch, Zur Kritik, 9; dazu das Schema der Befehlsstruktur der Heeresversorgung, wie sie beim Regierungsantritt Ludwigs XIV. besteht und seitdem verfestigt wird, bei Kroener, Les Routes, 182, sowie allgemein Corvisier, Louvois, 87 ff., 180 ff. 38 Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 628 ff.; ders., Michel Le TelHer et Louvois, 415 ff.; Douglas Clark Baxter, Servants of the Sword. French Intendants of the Army 1630- 1670, Urbana-Chicago-London 1976, 139 ff. st Andre, Michel Le Tellier et l'organisation, 611 ff. ; ders., Michel Le TelHer et Louvois, 410 ff. ; Claude C. Sturgill, L'armee faisait partie integrante de Ia soci:

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über die Reichs-Armee mehr hinderlich" sei; man sprach den ernannten Reichsgeneralen "Erfahrung und Fähigkeit" ab, verschleierte deren Unbrauchbarkeit kaum und erkannte deutlich, daß - von Ausnahmen abgesehen - "die dermahligen Reichs-Generalen entweder wegen ihrer notorischen Unerfahrenheit und sonstiger Dienst-Unfähigkeit oder weil die besten Subjecta darvon bereits bey Ihrer Mayt. der Kayßerin Königin Armeen zum würcklichen Dienst angestellet worden [ ...] mit Nuzen nicht gebraucht werden können" 117 • Damit konnte "also die bestellung und Anordnung der Generalität nach allerhöchstem kay[ser]1[ichen] Gutbefünden ohne weiteren Anstand geschehen" , wie der kaiserliche Konkommissar August Friedrich von Seydewitz am 17. Mai 1757 aus Regensburg dem Reichsvizekanzler Cellorede meldete118, und der Wiener Hofkriegsrat übernahm de facto die Führung der Reichsarmee neben der der k. k. Armee, was die Unfähigkeit des Reiches in einer Zentralfrage staatlichen Handelns, in der Situation der Wahrung seiner Integrität, unterstrich. "Teutschland [war] ein Staat" - so formulierte 1767 J ohann J acob Maser - , "der sich zu nichts weniger, als zum Krieg-führen schicket" 119 • Allerdings betraf das negative Urteil über die Qualität der Reichsgenerale zugleich einen Teil der k. k. Generalität, denn alle zu Beginn des Siebenjährigen Krieges bestellten 13 Reichsgenerale standen zugleich in habsburgischen Diensten120• Wenn Kaiser Leopold I. 1672 beklagt hatte, daß die Habsburger "bey dem ganzen [Reichskriegs-] verfassungswerck nicht einen einzigen Generalen" hätten12I, dann hatte sich das Bild im 18. Jahrhundert entscheidend gewandelt. Standen im Türkenkrieg des Jahres 1664 zwei von sieben und im Krieg gegen Frankreich in den 1670er Jahren aufs Ganze gesehen schließlich sechs von zwölf Reichsgeneralen zugleich in Österreichischen Militärdiensten, so hatten bereits im Spanischen Erbfolgekrieg zehn von zwölf eine k. k. 111 So formulierten die Berichte des kaiserlichen Konkommissars August Friedrich von Seydewitz vom 31. Januar, 4. und 21. Februar und 29. März 1757 nach Wien: HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 100 (unfol.). us HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 101 (unfol.). 119 Jahann Jacab Maser, Von dem Römischen Kayser, Römischen König und denen Reichs-Vicarien. Nach denen Reichs-Gesezen und dem ReichsHerkommen [. .. ] (= Jahann Jacab Maser, Neues teutsches Staatsrecht, Bd. 2), Frankfurt/Main 1767, 376. 120 Auf Einzelnachweise durch die Bestallungsdaten aufgrund des Bestandes "Hofkriegsrat, Bestallungen" des Kriegsarchivs Wien muß hier - wie bei den folgenden Zahlenangaben- verzichtet werden. 121 Vgl. seine Weisung vom 22. April 1672 an den Prinzipalkommissar: HHStA Wien: Reichskanzlei, Weisungen an die Principal Commission 3 a (unfol.).

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Generalscharge inne, im Polnischen Thronfolgekrieg alle bis auf den Reichsgeneralfeldmarschall Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676-1747)lllll. Insgesamt standen von den 68 Reichsgeneralen des 18. Jahrhunderts nur 18 nicht in habsburgischen Diensten, wobei insbesondere ab 1770 ein Rückgang von Bewerbern aus der k. k. Generalität zu beobachten ist, während die Identität in den beiden Jahrzehnten von 1750 bis 1770 hundertprozentig war. So verwundert es nicht, daß die Reichs- und Staats-Handbücher des 18. Jahrhunderts die Mitglieder der Reichsgeneralität stets in dem Abschnitt "Kayserlich-Römisches Haus" ganz am Ende nach der "K. K. Generalität" aufführten123 • Diese Entwicklung war ein Erfolg konsequenter - hier nicht genauer zu verfolgender - Wiener Personalpolitik im Reich, die sich noch zu Zeiten Leopolds I. abzeichnete und die nach dem sich im kurzzeitigen wittelsbachischen Kaisertum Karls VII. von 1742 - 1745124 ausdrückenden Einflußverlust eingebettet war in eine verstärkte Pflege seiner reichsständischen Klientel durch das Haus Habsburg. Die dem Kaiser bei der Reichskriegführung ab 1757 von den Reichsständen überlassene freie Hand erlaubte es ihm, auf den von den 1720er Jahren an mittels Bewerbungen bei ihm und dem Reichstag geführten Wettstreit vor allem der reichsfürstlichen Häuser um durch Tod, Resignation oder Beförderung frei gewordene oder um neu geschaffene Stellen bei der Reichsgeneralität positiv zu reagieren. Dieser gipfelte in mehrfach wiederholten - weil früher erfolglosen - Gesuchen, in prophylaktischen Bewerbungen im Hinblick auf eine erwartete Vakanz und in solchen Ansuchen, die sich eine Exspektanz auf eine übernächst frei werdende Stelle zu sichern trachteten, wie eine Fülle von Bewerbungsschreiben dokumentiert. Aber diese Bewerbungen zielten - zumal in Reichsfriedenszeiten nur in seltenen Fällen auf reichsmilitärische Funktionsausübung. Indem Kaiser Franz I. selbst im Siebenjährigen Krieg bereit war, an "Promotionen von Reichs Feld Marschallen oder anderen Reichs-KriegsGeneral-Stellen" im herkömmlichen Sinne mitzuwirken, wenn sie "von 122 Vgl. dazu: Die Briefe König Friedrich Wilhelms I. an den Fürsten Leopold zu Anhalt-Dessau 1704-1740, bearb. von 0. Krauske (= Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, Ergänzungsband), Berlin 1905, bes. 524 ff., Nr. 638 ff.; 610 f., Nr. 753 f. 123 Dazu siehe oben Anm. 67. 124 Dazu zuletzt: Volker Press, Das wittelsbachische Kaisertum Karls VII. Voraussetzungen von Entstehung und Scheitern, in: Land und Reich, Stamm und Nation. Probleme und Perspektiven bayerischer Geschichte. Festgabe für Max Spindler zum 90. Geburtstag, hrsg. von Andreas Kraus, Bd. 2: Frühe Neuzeit ( = Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 79), München 1984, 201 - 234; Peter Claus Hartmann, Karl Abirecht - Karl VII. Glücklicher Kurfürst. Unglücklicher Kaiser, Regensburg 1985, insbes. 215 ff.

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Seiten des Reichs [ ... ] zu grösserem Ansehen und Lustre" gewünscht würden125, begünstigte er die Entwicklung der Reichsgeneralsränge zu reinen Ehrentiteln. Daß "bey dergleichen Reichs-Militar-Stellen fast allein das honorficum in Betrachtung kommet, und es gar selten oder nie um das würkl [iche] Com [m] ando zu thun ist", stellte der kaiserliche Konkommissar Freiherr von Palm schon in seinem Bericht vom 8. November 1747 an den Kaiser fest 128. Und am 4. Februar 1757 urteilte Seydewitz gegenüber Reichsvizekanzler Colloredo, daß die Bewerber um Reichsgeneralsstellen "die Promotion mehr honoris gratia als in Absicht würcklicher Dienst-Leistung" anstrebten, womit aber "dem kay [ser] I [ichen] und Reichsdienst in nichts gedienet, sondern in Effectu darmit ein ganz vergebliches Werk gethan" werde127. Von einer "EhrenGeneralität" sprach 1794 der kaiserliche Konkommissar Johann Alois Joseph von HügeJ12B. Dieses Kompetenz-Defizit in der nominellen militärischen Führungselite des Reiches führte dazu, daß die Reichsstände zu Beginn des Ersten Koalitionskrieges auf ihre de jure stets behaupteten Mitwirkungsrechte bei der Leitung eines Reichskrieges verzichteten. Aus der Einsicht, daß von den an der Jahreswende 1792/93 reichsrechtlich bestellten 13 Reichsgeneralen mit Ausnahme des protestantischen Reichsgeneralfeldmarschalleutnants Friedrich August von Nassau-Usingen (1738- 1816) ,.dermahlen kein brauchbarer vorhanden" war1211 und das Reich damit über 125 So in seiner Weisung vom 22. Februar 1757 an die Prinzipalkommission: HHStA Wien: Reichskanzlei, Weisungen an die Principal Commission 8 b (unfol.). 12e HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 79 c (unfol.). 121 HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 100 (unfol.). 12s Vgl. seinen Bericht vom 10. März 1794 nach Wien: HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 159 b (unfol.). Siehe dazu auch Maser, Von denen Teutschen Reichs-Tags-Geschäfften (Anm. 11), 7. Buch, 4. Cap., § 53, 656: .,Mancher ist Reichs-Feld-Marschall, oder anderer Reichs-General, und kommt dennoch auch in Kriegs-Zeiten offt in langer Zeit, oder gar sein Lebtag, nie zur Reichs-Armee; bald mit gutem Willen, weil es ihme nur um den Namen und die Ehre zu thun ware, bald wider seinen Willen, wann ihme vom Kayserlichen Hof zu erkennen gegeben wird, er könne wohl zu Hause bleiben". Moser übersieht hier die mangelnde Kompetenz der meisten Reichsgenerale und bewertet die Konfessionszugehörigkeit zu hoch, wenn er meint, in Wien würde man insbesondere auf Protestanten verzichten, .,um denen Catholischen das Commando in die Hände zu spielen" (ebd., 656!.). Vorher (ebd., § 42, 653) hat er freilich richtig festgestellt, daß .,bey Fürstlichen Personen [... ] nicht allemal so genau darauf gesehen" wird, daß sie als Reichsgenerale .,auch die erforderliche Kriegs-Wissenschafft und Erfahrung habe[n]"; .,sondern" - so fuhr er fort - .,man kan auch so gar ReichsGeneral-Feld-Marschall werden, ohne eine Campagne gethan zu haben". 128 So hieß es im Bericht des Prinzipalkommissars vom 12. Januar 1793: an den Reichsvizekanzler: HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 156 a, fol. 62v.

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

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keine reichsmilitärische Funktionselite verfügte, beschloß der Reichstag in seinem Reichsgutachten vom 23. November 1792 - und noch einmal am 18. Februar 1793- zwar die seit dem Spanischen Erbfolgekrieg herkömmliche Aufstellung einer Reichsarmee von 120 000 Mann, überließ es aber Kaiser Franz II., "das hiernächst anzuordnende ReichsGeneral-Commando [ ... ] für dermalen" zu bestimmen und es auf sich und das Reich zu verpflichten130 • Weitergehender als im Siebenjährigen Krieg überließen die Reichsstände dem Kaiser nicht nur die Benennung des Oberbefehlshabers und der Generalität für das Reichsheer, sondern verzichteten auch auf ihre Mitwirkung bei der reichsrechtlichen Bestellung der Reichsgeneralität. Franz II. benannte daraufhin in seinem Reskript vom 3. April 1793 sieben "wirklich im Felde stehende k. k. Generäle" und den königlich-preußischen Generalleutnant Friedrich Ludwig von Hohenlohe-lngelfingen (1746 -1818) unter Beachtung der Konfessionsparität zu "kaiserlichen" Reichsgeneralen, nachdem er Friedrich Josias von Sachsen-Coburg schon früher zum Reichsgeneralfeldmarschall und Oberkommandierenden der Reichsarmee bestellt hatte 131 , und vermehrte damit die Zahl der nicht verwendungsfähigen "Reichsfriedensgenerale" um fast die gleiche Anzahl an Reichskriegsgeneralen132. Da ,.die vornehmere und mächtigere Reichsstände, welche beträchtliche Kontingente bey der Reichs Armee im Feld stehen haben", von seinem Angebot keinen Gebrauch gemacht hätten, "einige ihrer Generäle zu der Reichsgeneralität in Vorschlag" zu bringen- so erläuterte der Kaiser seiner Regensburger Prinzipalkommission - habe er sich "entschlossen, größtentheils [seine] eigene Generäle zu der Reichsgeneralität zu ernennen" 133. 130 So zitiert im kaiserlichen Kommissionsdekret vom 22. Dezember 1792: HHStA Wien: Reichskanzlei, Berichte der Principal Commission 1'55 b,. fol. 514v; vgl. auch: Krieg gegen die Französische Revolution 1792- 1797, Bd. 1: Einleitung. Nach den Feldakten und anderen authentischen Quellen bearb. in der kriegsgeschichtlichen Abteilung des k . und k . Kriegsarchivs ( = [Geschichte der Kämpfe Österreichs.] Kriege unter der Regierung des Kaisers Franz), Wien 1905, 121. 131 Vgl. oben Anm. 112. 132 Das kaiserliche Reskript vom 3. April 1793 als Beilage zur Weisung Franz' II. vom folgenden Tag an die Prinzipalkommission: HHStA Wien: Reichskanzlei, Weisungen an die Principal Commission 13 c (unfol.). - Die sieben k.k. Generale, die Reichsgenerale wurden, waren: Karl J oseph von Clerfayt (1733- 1798) und Friedrich Wilhelm von Hohenlohe-Kirchberg (1732- 1796) wurden Reichsgeneralfeldzeugmeister, Wenzel Joseph Colloredo (1738- 1822) wurde Reichsgeneral der Cavallerie - neben Friedrich Ludwig von Hohenlohe-lngelfingen - , Joseph Staader von Adelsheim (1738 -1808), Karl I. von Erbach (1732- 1816), Ferdinand von Württemberg (1763- 1834) und Erzherzog Karl von Osterreich (1771 - 1847) wurden Reichsgeneralfeldmarschalleutnante. 133 Vgl. die Weisung Franz' II. vom 4. April 1793: HHStA Wien: Reichskanzlei, Weisungen an die Principal Commission 13 c (unfol.).

336

Helmut Neuhaus

Nach dem Verzicht auf einen Reichskriegsrat als Instrument reichsständischer Kontrolle und Partizipation an reichischer Exekutive schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts- der durch die Aktivitäten der Reichskreise nur bedingt zu kompensieren war - überließen die Reichsstände im letzten Jahrzehnt des Bestehens des Alten Reiches dem Kaiser die gesamte Reichskriegführung alleine. Das war das Eingeständnis der Unfähigkeit des Reiches zur Verteidigung seiner Existenz angesichts der vom bewaffneten Volk als Staatsbürger- nicht als Untertanengebildeten, von nationalem Enthusiasmus und demokratischen Freiheitsideen erfüllten vorwärtsstürmenden französischen Revolutionsheere, dem die Stehenden Heere der absoluten Fürstenstaaten kaum und noch viel weniger die bereits hinter diesen in allen Belangen zurückgebliebenen Reichstruppen gewachsen waren. Der Zustand der Reichsarmee und ihrer Generalität zu Beginn der 1790er Jahre, aber auch seine in den Anachronismus entwickelte Verspätung werden kaum treffender beschrieben und veranschaulicht als in dem Begehren einer Gruppe von neun Reichsgeneralen, die Kaiser Leopold II. Anfang 1791 ersuchten, die von ihnen seit mehreren Jahren getragene Uniform "weis mit helblauen Aufschlägen, Futter und Unterkleider mit goldenen Dreßen" - zwecks "Einführung und Erhaltung einer Einstimmigkeit der Reichs Generals Uniformen, blas in Bezug auf diese Stelle [n]" zu genehmigen134 • Damit wollte man das "Ansehen des Reichsmilitärs" durch "Gleichförmigkeit der Uniform" erhöhen und legte Wert auf die Ähnlichkeit mit den Uniformen der Österreichischen Generalität, betonte aber auch die Unterschiede in der Farbe der Aufschläge des Futters und der Unterkleidung135 • "Daß die Reichsgeneralität gar keine uniform habe", hatte der Reichsvizekanzler dem Landgrafen Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt (1722- 1782) am 20. November 1772 mitgeteilt und ihn als Reichsgeneral der Cavallerie und seinen Sohn Ludwig (1749 - 1823) als neu bestellten Reichsgeneralfeldmarschalleutnant darauf hingewiesen, daß von Reichsgeneralen, die zugleich Offiziere der k. k. Armee seien, nur deren Uniform zu tragen sei: "mithin mag besonders zur friedenszeit, wan die Armeen nicht zu feld stehen, von der Regel nicht abgegangen werden"tse.

134 HHStA Wien: Kriegsakten 444, 1 Mappe .. Kriegsakten in genere 1786- 1791", fol. 226'- 227r, hier fol. 226", 227r. 135 Vgl. dazu das Schreiben des Reichsgeneralfeldmarschalleutnants Friedrich V. von Hessen-Hornburg (1748 - 1820) an Reichsvizekanzler Colloredo vom 6. Januar 1791: ebd., fol. 225'•", 231r, hier fol. 225v. 1se HHStA Wien: Kriegsakten 442, fol. 197r, v.

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

337

V. Wie - so hatten wir gefragt - hat sich das in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Rückstand geratene Reichsmilitärwesen angesichts der von den Stehenden Heeren bestimmten Entwicklung noch eineinhalb Jahrhunderte halten können, ohne seine Probleme zu lösen? Wie war das bei einer "hoffnungslosen strukturellen Unterlegenheit" der Reichsarmee - wie zuletzt Theodor Schieder formuliert hat137 möglich?- Es scheinen insbesondere folgende Gründe ausschlaggebend gewesen zu sein, die sich aus der staatsrechtlichen Beschaffenheit des Reiches ergeben und sich auf das nur lückenhaft institutionalisierte Provisorium der notrechtlich begründeten Reichskriegsverfassung zurückführen lassen: 1. Das in der reichsgrundgesetzliehen Friedfertigkeit des Reiches verankerte Fehlen außenpolitischer Ambitionen. Militärische Aktivität bestand für das Reich allenfalls und stets nur aus Verteidigung seiner Integrität in Koalition mit anderen. Zu mehr- und folglich auch nicht zu einer Stehenden Reichsarmee - reichte der kaiserlich-reichsständische Konsens nie. Bedingt durch seine Großräumigkeit war das Reich insgesamt kaum gefährdet und konnte seine "Monstrosität" pflegen. Aufs Ganze gesehen war es zwecks Wahrung seiner Integrität zu keiner Modernisierung seiner Kriegsverfassung gezwungen, womit wiederum seine außenpolitische Handlungsunfähigkeit festgeschrieben wurde.

2. Die Dezentralisierung mit Hilfe der Reichskreise. Die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten förderte die Verteidigungsbereitschaft vor allem der Kreise, über die das Reich von außen gefährdet wurde, und führte zu einer partiellen militärischen Intensivierung in circularen Teilräumen des Reiches. Dabei konnten allerdings die einer Geschlossenheit und Unterordnung widersprechenden reichsständischen Rechte nicht außer Kraft gesetzt und die sich aus Mangel an Einheitlichkeit bei Werbung, Ausbildung, Ausrüstung, Logistik und praktischer Zusammenarbeit ergebenden Probleme nur bedingt gelöst werden. Diese Defizite und die Verschiedenartigkeit der zehn Reichskreise ließen kein durch in sich homogene Kreiskorps gebildetes Reichsheer als intercirculare Kontingentsarmee entstehen. 3. Die Entwicklung der Reichsarmee zu einem krypto-habsburgischen Kriegsinstrument. Sie war begünstigt durch die Lückenhaftigkeit der Reichskriegsverfassung und ihre im Reichssystem begründete unvollständige Realisierung. Beides wußte der Wiener Hof durch flexible und differenzierende Reaktionen und Einwirkungen auf Reichsstände und politische Situationen mit dem Ziel der Stärkung der kaiserlichen Position im Reich auszunutzen. Der Kaiser übernahm die durch Geld abgeta7 Schieder,

Friedrich der Große (Anm. 7), 269.

22 Staats- und Heeresverfassung

338

Helmut Neuhaus

goltenen Truppengestellungspflichten vor allem kleinerer Reichsstände und glich Defizite in allen Bereichen der Reichskriegführung durch eigene Leistungen aus. Indem im 18. Jahrhundert eine ständig ernannte, vom übrigen Reichsmilitärwesen abgehobene "Stehende Reichsgeneralität" etabliert wurde, bei deren Berufung geburtsständische Privilegierung und Konfessionszugehörigkeit den Vorrang vor professioneller Kompetenz behaupteten, gewann der Kaiser ein zusätzliches personalpolitisches Instrument zur Stabilisierung des Einflusses des Hauses Habsburg im Reich. Zur Revitalisierung gleichsam archaischer kaiserlicher Rechte gehörte neben denen, die sich aus seiner Stellung als Reichslehensherr und als höchster Richter im Reich ergaben, auch jene, die in seiner - wenn auch nur formalen - Eigenschaft als Reichskriegsherr begründet lagen. "Die Gesundheit eines Staats" - so hat Hegel gleich zu Beginn seiner Schrift über die Reichsverfassung formuliert - "offenbart sich im allgemeinen nicht sowohl in der Ruhe des Friedens als in der Bewegung des Kriegs [ ... ] ; im Kriege aber zeigt sich die Kraft des Zusammenhangs aller mit dem Ganzen, wieviel von ihnen [den Beherrschten] fordern zu können er sich eingerichtet hat, und wieviel das taugt, was aus eigenem Triebe und Gemüte für ihn sie tun mögen"138. Diese Kraft war im Reich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts soweit geschwunden, daß "nur dadurch" - so fuhr er fort -, "daß im letzten [Reichs-] Kriege rechts- und konstitutionswidrig manches in Ansehen derselben [Organisation der Reichsarmee], z. B. die Verpflegung, gehalten worden ist, [ ...] diese Truppen von einigem Nutzen [haben] sein können" 1311 . Die Probleme der militärischen Exekutive des Alten Reiches waren auf diese Weise nicht zu lösen, denn- so stellte 1795 Johann Georg Müller rhetorisch fragend fest-: "Wie fremde ist die ganze Maschiene in unserm Zeitalter?" 140 Der aus einem "Haufen runder Steine" gebildeten "Pyramide" - wie Hegels Bild für das Reich aussah141 - war der Zusammenhang verloren gegangen. Die Reichskriegsverfassung spiegelt das in besonderer Weise, wie schon Johann Jacob Maser zu Beginn seines Buches über "Reichs-Kriegs- und Fridens-Sachen" feststellte: "Will [s] t du das [Heilige] Römische Reich kennen lernen; so lise dises Buch. Präsentiret Es Sich darinn von keiner vorteilharrten Seite her, was kan ich davor!"142 1ss Hegel, Die Verfassung Deutschlands (Anm. 8), 23 f. 1ae Ebd. 46. uo So Johann Georg Müller (1759- 1818) in einem Brief vom 20. Juni 1795 aus Schaffhausen an seinen Bruder Johannes von Müller (1752- 1809), damals Wirklicher Hofrat der Wiener Geheimen Hof- und Staatskanzlei: Der Briefwechsel der Brüder J. Georg Müller und Job. v. Müller 1789- 1809, hrsg. von Eduard Haug, Frauenfeld 1893, 56 f., Nr. 43, hier 57. 1u Hegel, Die Verfassung Deutschlands (Anm. 8), 61 f. 142 Moser, Von denen Teutschen Reichs-Tags-Geschäfften (Anm. 11), 8. Buch, 1. Cap., § 1·, 738.

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

339

VI.

Anlage: Die Reichsgeneralität des 18. Jahrhunderts143

Zeit der Ernennung

Verzehnnis der Reldls-Generalität seit dem

Anmerkung

Anfang dieses Jahrhunderts General-Feldmarsdlälle Katholische

1704 [11. März]

1., Ludwig reg[ierender] Margg[raf] zu Baaden[-]Baaden

t 1707

1707 [21. Februar]

2., Eugen Prinz v[on] Savoyen

t 1736

1734 [21. Mai]

3., Karl Alex[ander] reg[ierender] Herz[og] zu Wür[t]temberg

t 1737

1737

4., Franz Stephan Herz[og] zu Lothringen

Er bestieg 1745 den Kaiserthron

1746

5., Karl Herz[og] v[on] Lothringen

t 1780

1760 [17. März]

6., Fried[rich] Herz[og] v[on] Pf[alz-] Zweibrü[c]ken

t 1767

1767 18. Dez[ember]

7., Albrecht K[öniglicher] Prinz v[on] Pohlen, Herzog v[on] S[achsen-] Teschen

[t 1822]

1785

8., Jos[eph] Fried[rich] Prinz v[on] S[achsen-] Hildburgshausen

t 1787

1787

9., Jos[eph] Wilh[elm] Fürst v[on] Hohenzollern[-]Hechingen

[t 1798]

8. Jul[i]

14. Mai[a]

8. Jul[i] 13. Jul[i]

1796

5. April

10., Karl, k[öniglicher] Prinz v[on] Rungarn und Böheim, Erz-Herzog zu Oesterreich

[t 1847]

Protestantische 1704 [11. März]

1., Christ[ian] Ernst reg[ierender] Margg [raf] zu Brand[enburg-] Bayreuth

t 1712

1712 [9. September]

2., Eberhard Ludw[ig] reg[ierender] Herz[og] zu Würt[t]emberg

t 1733

Fußnote 143 siehe Seite 345 f. 22•

Helmut Neuhaus

340

Zeit der Ernennung

Verzeichnis der Reichs-Generalität seit dem Anfang dieses Jahrhunderts

Anmerkung

1734 [21. Mai]

3., Ferd[inand] Albrecht Herz[og] zu Braunschw[eig-Wolfenbüttel-]Bevern

1734 [21. Mai]

4., Leop[old] reg[ierender] Fürst zu Anhalt [-] Dessau

t 1747

1750 [13. April]

5., Max[imilian] Prinz v[on] H[essen-] Kassel

t 1753

1753 [6. August]

6., Ludw[ig] Prinz v[on] Braunschweig [-Wolfenbüttel]

t 1788

1760 [17. März]

7., Karl Aug[ust] Margg[raf] v[on] Baaden[-] Durlach

t 1786

1787 [13. Juli]

8., Christoph Margg[raf] v[on] Baaden[-] Durlach

t 1789

1793 8. AprillbJ

9., Fried[rich] Josias Pr[inz] v[on] S[achsen-] Coburg

[t 1815]

1794

18. März[c)

10., Heinrich August F[ürst] v[on] Hohenloh[e-] Ingelfingen

t 1735 als reg[ierender] H[erzog] zu Braunschw[eig-] Welfenbüttel

t 1796

Generals der Cavallerie Katholische 1704 [11. März]

1., Fried[rich] Wilh[elm] F[ürst] zu

1735 [11. März]

2., Fried[rich] Ludw[ig] F[ürst] zu Hohenzollern[-] Hechingen

t 1750

1751 [6. August]

3., Gr[af] v[on] Hohenems(eJ

t 1756

1757 [9.Mai]

4., Aug[ust] Georg le[t]zter reg[ierender] Margg[raf] zu Baaden[-]Baaden

t 1771

1772 [17. Januar]

5., Jos[eph] Wilh[elm] F[ürst] zu Hohenzollern[-]Hechingen

gegenwärtig Feldmarschall

1787 [13. Juli]

6., Fried[rich] Landg[raf] v[on] Fürstenberg

1793[f) [8. April]

7., Gr[af] Wenzel Colloredo[gJ

Hohenzollern [-] Hechingen

resig[niert] 1735[d)

[t 1814] [t 1822]

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

Zeit der Ernennung

Verzeichnis der Reichs-Generalität seit dem Anfang dieses Jahrhunderb

341

Anmerkung

Protestantische 1704 [11. März)

1., Eberh[ard] Ludw[ig) Herz[og] zu Würt[t)emberg

1712 [24. Oktober]

2., Georg Wilh[elm) reg[ierender) Margg[raf] zu Brand[enburg-) Bayreuth

1727 [1. August)

3., Fürst zu Oettingen(hJ

1731 [20. Juli)

4., Gr[af) v[on] Se[c]kendorf[f) [i]

1758 [13. Januar]

5., Georg Wilh[elm] Landg[raf] v[on] H[essen-) Darmstadt

t 178llil

1787[k] [8. Juli]

6., Hein[rich) Aug[ust] F[ürst] v[on] Hohenlohe[-) lngelfingen

ward 1794 [ !] Feldmarschall

1793[f] [8. April]

7., Fried[rich) Ludw[ig) Erbp[rinz] v[on] Hohenlohe[-) Ingelfingen

[t 1818)

1794[1] [26. August]

8., Fried[rich] Aug[ust] F[ürst] zu N assau [-) U singen

[t 1816)

ward 1712 Feldmarschall

t 1726 t 1731 resig[niert] 1757, t 1763

General-Feldzeugmeister Katholische 1704 [11. März]

1., F[rei]h[err) v[on) Thüngen[mJ

t 1709

1712 [24. Oktober)

2., F[rei]h[err] v[on] der Leyen[n]

t 1724[0]

1734 [21. Mai]

3., Gr[af] v[on] der Mark[PJ

t 1753

1734 [20. Dezember]

4., Ferd[inand) Maria Herz[og] v[on] Bayern

t 1738

1739 [20. April)

5., Jos[eph] Fried[rich] Prinz v[on] S[achsen-) Hildburgshausen

ward 17[8]5 Feldmarschall

1754 [8. Juli]

6., Ludw[ig] Landg[raf] zu Fürstenberg

t 1760['1]

1761 [8. Mai]

7., F[rei]h[err] v[on] Brettlach[r]

t 1767

1768 [20. Mai]

8., Herz[og] v[on] Aremberg[sJ

t 1779[t]

342

Zeit der Ernennung

1785 [8. Juli]

Helmut Neuhaus

Verzeldlnls der Reldls·Generall&i& sei& dem Anfang dieses .Jahrhunderts

9., Karl Aug[ust] H[erzog] v[on] Pf[alz-] Zweibrü[c]ken

Anmerkung

t 1795

1785 [8. Juli]

10., Karl Fried(rich] F(ürst] zu Hohenzoll[ern-] Sigmaringen

t 1786[11]

1787 [13. Juli]

11., Alex[ander] Gr[af] v[on) Königsegg

[t 1807)

1793[f] [8. April]

12., Karl Gr[af) v[on) Clerfayt

[t 1798)

Protestantische 1712 [24. Oktober]

1., H[erzog] v[on) Sachsen[-]Meinungen[vJ t 1725[w]

1725[x] [1. August]

2., Ferd[inand] Albrecht H[erzog] zu Braunschw[eig-Wolfenbüttel-]Bevern

ward 1734 Feldmarschall

1734 [20. Dezember]

3., Max[imilian) Prinz v[on) H[essen-] Kassel

ward 1750 Feldmarschall

1734 [20. Dezember]

4., Joh[ann] Adolph Herz[og] zu S[achsen-] Weißenfels

t 1746

1750 [13. April]

5., Ludw[ig] Prinz v[on] Braunschweig [-Wolfenbüttel]

ward 1753 F[eld-] M[arschall]

1750 [13. April]

6., Wilh[elm) Prinz v[on] S[achsen-] Gotha

resig[niert] 1760

1754 [7. Januar]

7., Karl Aug[ust] Margg[raf] zu Baaden[-J Durlach

ward 1760 F[eld- ] M[arschall]

1761 [8. Mai]

8., Christoph Margg[raf) zu B[aden- ] Durlach

ward 1787 F[eld-] M[arschall]

1761 [8. Mai)

9., Karl Prinz v[on] Stollberg

t 1764

1768 [20. Mai]

10., Gr[af] v[on] WiediYl

t 1779

1785 [8. Juli]

11., Fried[rich) Aug[ust] reg[ierender] F[ürst] zu Anhalt[-]Zerbst

t 1793

1787 [13. Juli]

12., Ludw[ig] Georg P[rinz) v[on] H[essen-) Darmstadt

[t 1823]

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

Zeit der Ernennung

Verzeidmis der Reidls-GeneraiUät seit dem Anfang dieses Jahrhunderts

1793[f] [8. April]

13., Fried[rich] Wilh[elm] F[ürst] zu

1794[1] [26. August]

14., Fried[rich] Landgraf zu Hessen[-]

Hohenlohe[-]Kirchberg Hornburg

Anmerkung

[t 1796] [t 1820]

General Feldmarsdlall Lieutenants Katholische 1704

1., F[rei]h[err] v[on] Bibra[z]

t 1706[a' ]

1706 [30. März]

2., F[rei]h[err] v[on] d[er] Leyen[n]

avanci[e]rte

1712 [24. Oktober]

3., F[rei]h[err] v[on] HaxthausenWl

t 1736[c']

1736 [8. Oktober]

4., Lud[wig] Landg[raf] v[on] Fürsten-

avanci[e]rte

1750 [13. April]

5., Aug[ust] Georg Margg[raf] zu

avanci[e]rte

1750 [13. April]

6., Gr[af] v[on] Ostein[d'J

t 1759[e']

1755 [12. Mai]

7., Herz[og] v[on] Aremberg(s]

avanci[e]rte

1756[1'] [26. Mai]

8., Jos[eph] Wilh[elm] F[ürst] v[on]

avanci [e] rte

1768 [20. Mai]

9., Karl P[rinz,] nachmals Herz[og]

avanci [e] rte

[ll. März]

berg

B[aden-] Baaden

Hohenzollem[-]Hechingen

v[on] Pf[alz-] Zweibrü[c]ken

1712

1754 1757

1768

1771[g' ] 1785

1768 [20. Mai]

10., Gr[af] v[on] Hollenstein[h']

t 1780

1772 [26. Juni]

11., F[rei]h[err] v[on] Ried[i'J

t 1779

1785 [8. Juli]

12., Fried[rich] Landg[raf] zu Fürstenberg

avanci[e]rte

1785 [8. Juli]

13., Kar! Alex[ander] Gr[af] v[on]

avanci[e]rte

1785 [8. Juli]

14., Fidel Gr[af] zu Truchses[s-] Wurzach Ii' ]

[t 1805]

1787 [13. Juli]

15., Hermann Gr[af] v[on] Hohen-

Königsegg[ -] Aulendorf

zoll[ern-] Hechingen

343

1787 1787

[t 1810]

344

Zeit der Ernennung

Helmut Neuhaus

Verzeidlnis der Reldls-Generali&ät seit dem Anfang dieses Jahrhunderts

Anmerkung

1787 [13. Juli]

16., Joh[ann] Alois[ius] F[ürst] zu Oettingen-Oettingen[k'J

[t 1797]

1793[1] [8. April]

17., F[rei]h[err] v[on] Staaderll'J

[t 1808]

1793[1] [8. April]

18., Kar! Erzh[erzog] zu Oesterreich

ward 1796 F[eld]M[arschall]

Protestantische 1704 [11. März]

1., Prinz v[on] S[achsen-] Meinungen[vJ

avanci[e]rte 1712

1712 [24. Oktober]

2., Karl Alex[ander] Prinz, nachmals H[erzog] v[on] Wür[t]temberg

ward 1734 F[eld]M[arschall]

1735 [14. Februar]

3., F[rei]h[err] v[on] Wutgenau[m'J

t 1736

1738 [28. November]

4., Wilh[elm] Pr[inz] v[on] S[achsen-] Gotha

avanci[e]rte 1750

1750 [13. April]

5., Karl Aug[ust] Margg[raf] zu B[aden-] Durlach

avanci[e]rte 1754

1750

6., Freih[err] v[on] Brettbach[rJ

trat zur Cathol[ischen] Religion über und avanci[e]rte 1762[n'J auf dieser Seite

1750 [13. April]

7., Moriz Gr[af] v[on] Isenburg

t 1772

1754

8., Georg Wilh[elm] Landg[raf] zu H[essen-] Darmstadt

avanci[e]rte 1758

17[5]8 [26. Mai]

9., Karl Prinz v[on] Stallberg

avanci[e]rte 1761

[13. April]

[7.Januar]

1768 [20. Mai)

10., Fried[rich] Aug(ust] F[ürst] zu Anhalt[-)Zerbst

avanci[e]rte 1785

1768 [20. Mai)

11., Heinr[ich) Aug[ust) F[ürst] v[on] Hohenlohe [-] Ingelfingen

avanci[e]rte 1785 [!]

1772 [26. Juni)

12., Ludw(ig Georg] P[rinz] v[on] Hessen[ -]Darmstadt

avanci[e]rte 1787

1785 [8. Juli]

13., Fried[rich-August] Pr[inz] v[on) Nassau-Usingen

avanci[e)rte 1794 [!]

Militärische Exekutive in der Spätphase des Alten Reiches

Zeit der Ernennung

Verzeichnis der Reichs-Generalität seit dem Anfang dieses .Jahrhunderts

1785 [8. Juli]

14., Fried[rich] Landg[raf] zu H[essen-]

1787 [13. Juli]

15., Fried[rich] F[ürst] v[on] Solms[-]

1793[f] [8. April]

16., Gr[af] Karl v[on] Erbach

1793[f] [8. April]

17., Ferd[inand] P[rinz] v[on] Wür[t]tem-

1794[1] [26. August]

18., Fried[rich] Ludw[ig] F[ürst] zu

1794[1] [26. August]

19., Christian Lud[wig] Pr[inz] v[on]

Hornburg

Braunfels

berg

Anhalt[-] Bernburg

H[essen-] Darmstadt

345

Anmerkung

avanci[e]rte 1794 [!]

[t 1812] [t 1816]

[t 1834] [t 1812] [t 1830]

143 Das folgende Verzeichnis der Reichsgenerale des 18. Jahrhunderts ist als Beilage zum Bericht des Österreichischen Direktorialgesandten beim Regensburger Reichstag, Egid Joseph Karl von Fahnenberg, an Staatskanzler Johann Amadeus Franz de Paula von Thugut in Wien vom 22. April 1796 erhalten (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien: Staatskanzlei, Diplomatische Korrespondenz, Regensburg, Österreichische Gesandtschaft, Berichte 211, 1 Mappe "Berichte der oesterr. Reichstags-Gesandtschaft an die Staatskanzlei, April- Juni 1796", fol. 386r- 388r; der Bericht selbst ebd., fol. 385r, v, 392r). Ein Abdruck mit Lesefehlern (z. B. Ostrin statt Ostein) und orthographischen Veränderungen findet sich als Beilage zu: Heinrich Ritter von Zeissberg, Der letzte Reichsgeneralfeldmarschall Erzherzog Carl (1796) (= Sitzungsberichte der Philosophisch-Historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 138, IV. Abhandlung), Wien 1898, 69 - 74; Zeissberg gibt sechs zusätzliche Daten einer am 12. Februar 1796 von Ludwig Konrad von Lehrbach an Thugut eingesandten Liste, die die letzte Bestellung eines Reichsgenerals überhaupt, die Beförderung Erzherzogs Karl zum katholischen Reichsgeneralfeldmarschall im April 1796, noch nicht enthalten konnte. Der folgende Abdruck ist eine buchstabengetreue Wiedergabe des Verzeichnisses vom 22. April 1796, bei der zur Erreichung einer besseren Lesbarkeit alle Abkürzungen aufgelöst wurden. Da, wo der Verfasser das genaue Datum der Ernennung zum Reichsgeneral nennt, hat er sich mehrheitlich für das Datum des Reichsgutachtens entschieden. Ich komplettiere die fehlenden Daten in gleicher Weise, wenn auch der reichsrechtliche Bestellungsvorgang eines Reichsgenerals erst mit der kaiserlichen Ratifikation des Reichsgutachtens als abgeschlossen zu gelten hat. In der Spalte "Anmerkung" ergänze ich die fehlenden Todesjahre. Im übrigen darf ich für genauere Daten, Quellenbelege etc. auf den "Katalog der Reichsgeneralität 1664 1806" innerhalb meiner oben zitierten Kölner Habilitationsschrift verweisen. [a] Das Reichsgutachten datiert vom 13. Mai 1746. [b] Hier ist das kaiserliche Ratifikationsdekret genannt; das Reichsgutachten datiert vom 18. Februar 1793.

346 [c]

Helmut Neuhaus

Hier ist das kaiserliche Ratifikationsdekret genannt; das Reichsgutachten datiert vom 26. August 1793. [d] Die Resignation datiert vom 18. November 1734. [e] Reichsgraf Franz Rudolf von Hohenems (1686 - 1756). Datum des kaiserlichen Kommissionsdekrets; die Ernennung war Kai[f] ser Franz II. allein anheimgestellt, so daß kein Reichsgutachten verfaßt wurde. [g] Reichsgraf Wenzel Joseph von Mels-Colloredo-Waldsee (1738- 1822). [h] Reichsfürst Albrecht Ernst II. von Oettingen-Oettingen {1669- 1731). Reichsgraf Friedrich Heinrich von Seckendorff (1673 - 1763). [i] [j] Todestag ist der 21. Juni 1782. [k) Das Reichsgutachten datiert vom 8. Juli 1785. Das Reichsgutachten datiert vom 26. August 1793, das kaiserliche Rati[I] fikationsdekret vom 18. März 1794. [m] Reichsfreiherr Johann Karll. von Thüngen (1648- 1709). [n] Reichsfreiherr Hans Eberhard von Leyen (1645 - 1732). Todestag ist der 29. September 1732. [o] Reichsgraf Julius August von der Marck-Schleiden (1680- 1753). [p] [q] Todestag ist der 10. November 1759. [r] Freiherr Johann Franz von Pretlack (1708- 1767). [s] Herzog Karl Leopold von Arenberg {1721-1778). [t] Todestag ist der 17. August 1778. [u] Todestag ist der 20. Dezember 1785. [v] Herzog Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen (1672- 1724). [w] Todestag ist der 24. November 1724. [x] Das Reichsgutachten datiert vom 1. August 1727. [y] Reichsgraf Friedrich Georg Heinrich von Wied-Runkel (1712- 1779). Reichsfreiherr Johann Ernst von Bibra-Schwebheim (1662 -1705). [z] [a'] Todestag ist der 19. August 1705. [b'] Reichsfreiherr Johann Raab von Haxthausen ([1665] - 1733). [c'] Todestag ist der 21. November 1733. [d'] Reichsgraf Ludwig Wilhelm von Ostein (1705- 1757). [e'] Todestag ist der 28. August 1757. [f'] Das Reichsgutachten datiert vom 26. Mai 1758, die kaiserliche Ratifikation vom 9. Juni 1758. [g'] Die Beförderung zum Reichsgeneral der Cavallerie erfolgte 1772. [h'] Reichsgraf Franz Ludwig von Holnstein (1723 - 1780). [i'] Reichsfreiherr J oseph Heinrich von Ried (1720 - 1779). [j ' ] Reichsgraf Franz Fidelis von Waldburg-Zell-Wurzach (1733- 1805). [k'] Reichsfürst Johann Aloys II. von Oettingen-Spielberg (1758 -1797). [I'] Freiherr Joseph Staader von Adelsheim (1738- 1808). [m'] Reichsfreiherr Gottfried Ernst von Wutginau (1674 - 1736). [n'] Die Beförderung zum Reichsgeneralfeldzeugmeister erfolgte 1761.

Ordnen, Messen, Disziplinieren Moderner Herrschaftsstaat und Fortifikation Von Henning Eichberg, Kopenhagen "Die meisten, so vom Kriege geschrieben, haben mehr auf die Fortifikation Absicht gehabt als auf das, so ein Kriegsmann wissen mußt."

Was der sächsische Obristleutnant Hans Friedrich von Flemming dieserart 1726 in seiner Enzyklopädie des gebildeten Offiziers feststellte, gibt auf den ersten Blick Anlaß zur Irritation. Wie konnte man im 17./18. Jahrhundert über den Krieg und über Befestigung schreiben, ohne den Kriegsmann im Auge zu haben? Hatte nicht Flemming selbst ausführlich für "den Kriegsmann" über Fortifikation geschrieben? Was war die Substanz der Befestigungsliteratur, die da am Kriegsmann vorbeiging, und an wen wandte sie sich statt dessen? Die These, die im folgenden entfaltet werden soll, besagt, daß die Fortifikationsliteratur, die Flemming meinte (aber auch seine eigene), neben dem militärischen Diskurs zugleich und überwiegend einen anderen Diskurs formulierte, einen gesellschaftlichen Diskurs. Es ist der Diskurs über die Verfassung. Was heißt "Verfassung"? Man mag zunächst vom herkömmlichen Verständnis ausgehen: Verfassung ist die formelle, legale Verfassung des Staates, eine organisierte und zu Teilen geschriebene Verfassung. Dahinter jedoch taucht ein zweiter, stärker an der sozialen Realität orientierter Begriff von Verfaßtheit auf, der aber nicht formalisiert und rechtlich fest umschrieben ist: die Form der Öffentlichkeit. Und hinter dieser wiederum wird ein dritter Verfassungsrahmen erscheinen, mächtiger vielleicht als die beiden anderen, weil der distanzierenden MetaReflexion weitgehend entzogen: die Verfaßtheit durch Konfigurationen des Denkens und Verhaltens. Alle drei Ebenen lassen sich im 17./18. Jahrhundert vom Fortifikationswesen her charakterisieren. Mit dieser Problemstellung ist sogleich für das folgende das Thema der Fortifikation inhaltlich begrenzt. Es ist nicht daran gedacht, einen t Johann Friedrich von Flemming, Der vollkommene teutsche Soldat. Leipzig 1726, Nachdr. Graz 1967, 80.

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Henning Eichberg

vollständigen Überblick über die Zusammenhänge von fortifikatorischem und staatlichem Wirken zu geben. Es wird nicht die Rede sein von den ökonomischen Dimensionen staatlicher Investition in den Festungsbau; denn es geht weniger um das Ausmaß als um die gesellschaftliche Struktur des Fortifizierens. Auch die technischen "Sachzwänge" der Rüstungsspirale aus Angriff und Verteidigung, Artillerie und Verschanzung werden hier nicht als solche behandelt; denn das Augenmerk soll gerade auf dasjenige gerichtet werden, was die Grundlage bildet für die epochenprägende technische Zuspitzung von Bastionen und Approchen. Es geht also bei der thematischen Spezifizierung um die Festung als sozialkulturelles Muster. Inwiefern war die Bastionärfestung signifikant für gesellschaftliche Konfigurationen? A. Von der befestigten Stadt zur besiedelten Festung In die offizielle Verfassung eines Staates im 17./18. Jahrhundert konnte die Festung auf zentrale Weise eingehen. Das Testament des "Großen Kurfürsten" von Brandenburg-Preußen, Friedrich Wilhelm, eigenhändig verfaßt im Jahre 1667 für seinen Nachfolger, nannte die Festungen schon im ersten Satz gleich dreimal. Es fährt dann fort: "Was nun die Vestungen in Eweren Landen betrifft, daran beruhet nicht allein die Wohlfahrt Ewerer Lande, sondern auch Eweres ganzen Staats, befehle Euch derhalben dieselbige zum hochsten, verwahret, verbessert und bauet selbige, versehet sie auch mit aller Notdurft aufs beste Ihr konnet, es mag auch kosten, was es wolle( .. .)2 ." Nach ausführlichen Anweisungen zur Proviantausstattung und zum weiteren Ausbau der Festungen in Brandenburg und in Preußen fügt der Kurfürst hinzu: "In diese und anderen Eweren Vestungen und Orter leget solche zu Commandanten hinein, die einig und allein von Euch dependiren, und lasset Euch auch keine darzu recommendiren oder furschlagen (.. .). Und habt Ihr dahin zu sehen, daß Ihr der Oberrate Autorität so viel muglich zu beschneiden suchet, ihnen auch keine Autorität mehr inräumet als anderen Eweren Räten, dabei werdet Ihr wohl fahren, und wann Ihr viel Vestungen in Preußen angeleget und darin solche zu Gouverneurs leget, die allein von Euch dependiren und denen Ihr versichert seid, welche auch an polnischer Seiten nicht gedienet oder in Bestallung gewesen sein, so werdet Ihr den Nutzen davon ziehen, daß Ihr des Landes mit Vestungen desto besser versichert und Ihr mehren Respekt und Furcht haben werdet, so wird auch Ewere Souveränität hiedurch in mehrer Sicherheit gesetzet werden3 ." 2 Georg Küntzel I Martin Hass (Hrsg.), Die politischen Testamente der Hohenzollern, Bd. 1, Leipzig/Berlin 1911, 57 - 58. s Ebd. 63 - 64.

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Zwischen einer Aufstellung der Friedens- und Kriegsgarnisonen und Anweisungen zur Bestückung der Zeughäuser unterstreicht das Testament abermals: "Fur allen Dingen aber so muß denen Statthalteren, daferne Ihr solche sehr notwendig halten oder bedurfen mochtet, kein Commando uber die Vestungen gegeben werden, wie auch Eweren Regirungs- und anderen Räten solches nicht verstatten noch zugegeben, daß sie Verordnungen an die Gouverneurs in den Vestungen ergehen lassen, sondern das behaltet allein fur Euch4 ." In diesem Testament wurde also der Stellenwert der Fortifikation in der Landesverfassung eindeutig bestimmt. Die Festung sollte ein Instrument des Fürsten und als solche allein von ihm abhängig sein. Sie war Aufbauelement des absolutistischen Staates, Ausweis der Souveränität nach innen mindestens so sehr wie nach außen. Als solche hatte die Fortifikation hohen oder höchsten Rang. Die Bedeutung der Festung sah ganz anders aus aus der Sicht einer Stadt. Als solche war sie zum Beispiel fixiert in der "Verfassung, den sonderbaren Rechten, Privilegien, Freiheiten und Beschwerden" der Stadt Stade, der Hauptstadt der Herzogtümer Bremen und Verden. Deren Verfassung wurde nach knapp siebzig Jahren schwedischer Herrschaft (1645 - 1712) im Jahre 1716 gegenüber der neuen hannoverschen Landesherrschaft formuliert. Was wurde hier über die Fortifikation ausgesagt?- Die Stadt, so hieß es, habe von allen vier Stadttoren nur das Kehdinger Tor zu unterhalten (weil die anderen drei Tore inzwischen von der königlich-schwedischen Fortifikation verlegt worden waren), des weiteren die Brustwehren auf dem Wall, nicht aber in der Faussebraie (Niederwall) und den Bastionen, ferner einen Wasserdamm mit Schleuse, die Wachthäuser, das Stockhaus und die "gemeinen Cloaquen" im Inneren der Stadt; ferner gehörte das Aufeisen des Stadtgrabens im Winter zu den Pflichten5 • Im übrigen "bleiben in Belagerungsfällen die Bürger auf ihren Wällen und sind nicht schuldig, aus der Stadt sich commandiren zu lassen" 6 • Für die Stadt also war die Festung zu dieser Zeit keineswegs mehr ein Gut, das man aus eigener Anstrengung heraus verteidigen wollte, sondern eher eine Auflage, gegen die man sich per Verfassung zu verteidigen suchte. Was die Stadt an der Fortifikation zu unterhalten oder zu besorgen hatte, war für sie weniger wichtig, als was sie nicht zu leisten hatte. 4

Ebd. 66.

Gründlicher Entwurf der Stadischen Verfassung, sonderbaren Rechte, Privilegien, Freyheiten und Beschwerden welche der Königl. Regierung zu Stade vom Stadtmagistrat daselbst 1716 am 8ten Januar übergeben worden, in: Hermann Schlichthorst (Hrsg.), Beyträge zur Erläuterung der älteren und neueren Geschichte der Herzogtümer Bremen und Verden, Bd. 3, Hannover 1798, 1- 138, hier 26. e Ebd. 32. 5

Hinrich Heisling,

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Henning Eichberg

Vergleicht man diese Situation mit dem stadtbürgerlichen Befestigungswesen des Mittelalters und der frühen Neuzeit bis ins 17. Jahrhundert hinein, als bürgerliche Magistrate Mauern und Türme, Wälle und Basteien anlegten und die wehrfähige Bürgerschaft sich in Quartieren zur Verteidigung organisierte und selbst bewaffnete, so erkennt man den tiefgehenden Bruch. Die Stadt als der Träger der Fortifikationstätigkeit war verschwunden. An ihre Stelle war ein anderer verfassungsmäßiger Fortifikateur getreten: der Staat, die Landesherrschaft mit ihren Ämtern und militärischen Hierarchien. Und für diese war die Fortifikation weit mehr als die Umringung vorhandener Siedlungen mit schützenden Wällen. Festungswesen wurde nach außen hin ein Element der staatlichen Territorialisierung: gebaute Strategie, -und nach innen ein Werkzeug fürstlicher Strukturpolitik und staatlicher Zentralität: gebaute Disziplinierung. Beides floß zusammen in einem neuen Modell verfassungsmäßiger Ordnung: die Festung als gebaute Souveränität. Wie dokumentierte sich dieser Prozeß im einzelnen? - Er läßt sich verfolgen 1. an der Entstehung zentraler Kontore und militärischer Hierarchien von Experten, 2. am Erlaß von Arbeitsreglements als QuaaiVerfassungsdokumenten und 3.- als Kehrseite- an der Enteignung der Stadt von ihren Funktionen und von ihrem zur Fortifikation verwandten Grund und Boden. Diese Aspekte sollen im folgenden anband der Lage in den Herzogtümern Bremen und Verden unter der schwedischen Krone (1645- 1712) kurz erläutert werden7 •

Zentrale Kontore und Hierarchien Manifest geworden war die organisatorische Zentralisierung des militärisch-technologischen Bereichs in Schweden bereits in den 1630er Jahren. Seit dieser Zeit stand an der Spitze der schwedischen Artillerie ein Generalfeldzeugmeister, beginnend mit Lennart Torstensson (1634 bis 1641). Im Zusammenhang damit wurde aus der auf viele Festungen verteilten, handwerklich geprägten Schar derConstabler ein militärischhierarchisch organisiertes Regiment unter einem Oberst der Artillerie8 • Später, in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, wurde diese Truppe auch uniform eingekleidet, bis hin zu den- spätestens in den 1690er Jahren uniformierten - Artilleriekutschern. Diese Zentralisierung schlug jedoch nicht sofort und vollständig auf die Provinzebene Bremen-Verdens 7 Das folgende beruht auf Aktenbeständen des Niedersächsischen Staatsarchivs Stade, des Riksarkivet Stockholm und des Krigsarkivet Stockholm. Siehe Henning Eichberg, Militär und Technik. Schwedenfestungen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden, Düsseldorf 1976. e Ludvig Hammarskiöld, Gustav II. Adolfs artilleri, in: Artilleri-Tidskrift (1937). - Ders., Om svenskt artillert i äldre tider, in: Historisk Tidskrift II 4/61 (1941), 38 - 54. - Vers., Artilleriledare under 1600-talet, in: Artilleri-Tidskrift (1945), 233 - 263.

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durch. Aufgrund der geographischen Randlage und der Kommunikationsdistanz gegenüber der Stockholmer Zentrale bildete sich dort zunächst ein eigener Apparat heraus, eine Zentralisierung innerhalb der Zentralisierung, an deren Spitze als militärischer, administrativer und politischer Repräsentant des Königs ein Generalgouverneur stand. Dieser konnte bei der Einrichtung der Territorialherrschaft schon an Tendenzen des bremisch-erzbischöflichen Staates anknüpfen, der sich vor 1645 in Bremen-Verden entwickelt hatte. Damals hatte, spätestens in den 1630er Jahren, ein Zeugmeister im Capitainsrang im Sold gestanden, der die verstreuten Constabler und Büchsenmeister in den bremisch-verdischen Festungen unter sich hatte. Mit der Inbesitznahme des Landes 1645 bildete die schwedische Regierung sofort ein festes Artilleriekorps mit einem Capitain, später einem Major oder Oberstleutnant, zeitweilig sogar einem Oberst an der Spitze. Diese kommandierten eine komplette Hierarchie aus Oberoffizieren (vom Fähnrich bis zum Capitain), Unteroffizieren (Sergeant, Fourier, Stückjunker) und Gemeinen (Constablern und Handlangern). Hinzu kamen Handwerker (Radmacher, Lafettmacher, Zimmerleute, Büchsenschäfter, Groß- und Kleinschmiede), Verwaltungspersonal (Zeugwarter, Zeugschreiber, Buchhalter), Feuerwerker, Mineure und ein Wagenmeister. In verschiedenen Etataufstellungen und insbesondere bei der Einrichtung von Feldartillerietruppen wurde der .,Artilleriestaat" in weitere differenzierte .,Staaten" aufgegliedert, die jeweils eine eigene Hierarchie aufwiesen: einen Stallstaat (aus Kutschern, Hufschmieden, Schaffern, Fuhrherren, einem Stallschreiber und einem Stallmeister), einen Feuerwerkerstaat (vom Unterfeuerwerker bis zum Feuerwerkercapitain), einen Pontonstaat (vom Bootsmann bis zum Pontonmeister), einen Mineurstaat (vom Miniergesell bis zum Minierleutnant) und einen Fortifikationsstaat. Solche Ordnung in Fachhierarchien in Bremen-Verden entsprach der artilleristischen Organisation in Schweden. Die Artillerie blieb aber zunächst mehr dem Generalgouverneur in Stade als der Stockholmer Zentrale direkt unterstellt. Erst in den 1680er Jahren setzte eine regelmäßige Korrespondenz zwischen dem Generalfeldzeugmeister in Schweden und dem Generalgouverneur ein, vollzog sich also der dichtere Anschluß an die zuständige Reichsbehörde. Eine entsprechende Entwicklung nahm die Fortifikation, die zunächst nur eine Unterabteilung der Artillerie dargestellt hatte11 • Im Rahmen von Artilleriestäben tauchten schon in erzbischöflicher Zeit immer häufiger Offiziere mit den Rangbezeichnungen Generalquartiermeister oder ' Ludwig W. son Munthe,

Stockholm 1900 - 1934.

Kungl. fortifikationens historia, Bd. 1 - 4, 6,

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Henning Eichberg

Ingenieur auf, die auf Befestigungsaufgaben spezialisiert waren. Unter den schwedischen Generalquartiermeistern erhielt der Generalquartiermeister in Stockholm, zuerst Olof Hanssan Swart, geadelt Örnehufvud (1634- 1644) eine Spitzenstellung. 1641 wurde unter seiner Führung die schwedische Fortifikation zu einem eigenständigen Korps mit eigenem Etat, - ein im Vergleich zu anderen europäischen Armeen sehr früher Zeitpunkt. Allerdings blieb dieser Truppenteil zunächst formal dem Generalfeldzeugmeister unterstellt. Er erfaßte auch noch nicht die Ingenieure der Randprovinzen Bremen-Verden, Pommern und der baltischen Provinzen, wo selbständige Generalquartiermeister kommandierten. In Stade war der zuständige Generalquartiermeister dem Generalgouverneur unterstellt, während sonst im ganzen schwedischen Reich den Landshövdingen bereits im Jahre 1634 die Verfügung über die Festungen und Schanzen entzogen worden war. Aber die Zentralisierung schritt auch in dieser Provinz fort. Der schwedische Generalquartiermeister erlangte immer höhere Ränge, die Berufung ins Kriegskollegium (1656) und Stellung eines Reichsrats (1668), bis Erik Dahlberg als Reichsquartiermeister und Directeur über alle schwedischen Festungen die unmittelbare Unterstellung unter den König erhielt (1676 -1681). Er zog jetzt die Inspektion über das bremisch-verdische Festungswesen (1681), das pommersehe und das der baltischen Provinzen an sich. Außerdem baute er in Stockholm das Fortifikationskontor als Zentrale des Reichsbefestigungswesens auf. Dort waren Ingenieure mit der Ausbildung junger Volanteure und Lehrconducteure befaßt, mit der Verwaltung der Karten und Modelle, mit der Finanz- und Materialabrechnung. Hier wurden auch die Entscheidungen vorbereitet, mit denen der König selbst die Festungsbaupläne und die Ernennung der Fortifikationsofftziere anordnete. Die Fortifikation wurde damit zu einem direkt dem König unterstellten Militärkorps, bestehend nach dem Etat von 1686 aus 285 Personen, darunter 78 Offiziere, 50 Zivilbediente, 11 Wallmeister, 128 Handwerker, 11 Seeleute und einzelne andere Funktionen. Versuche von 1697, die Fortifikation nach dem Vorbild der Artillerie weiter zu militarisieren und um der "guten Ordnung und Disciplin" willen in Brigaden unter drei Obristleutnants aufzugliedern, wurden allerdings ebenso wenig verwirklicht wie die Einführung von Unteroffiziersgraden. Im Jahr 1700 wurde jedoch erstmals eine kleine Feldtruppe der Fortifikation aufgestellt, ausgestattet mit Uniform, Hirschfänger und LangbeiL - In Bremen-Verden legte die Regierung die Fortifikation zuerst in den 1660er Jahren in einem "ordentlichen Etat" fest, neben dem bald ein "außerordentlicher Etat" geführt wurde. Das Personal bestand aus vier Gruppen: aus den Offizieren (Lehrconducteur, Conducteur, Ingenieur, Gene-

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ralquartiermeisterleutnant, Generalquartiermeister), den Verwaltungsbedienten (Schreiber, Kasseur), den Wallbedienten (Sodensetzer, Bauknecht, Wallsetzer, Werkbase, Schanzmeister, Wallmeister, Werkmeister) und den Handwerkern (Karrenbauer, Zimmermann, Maurer und Schmied). Der Aufbau militärisch-technischer Fachhierarchien verlief also in mehrerer Beziehung parallel der Entwicklung absolutistischer Staatsverfassung. Die zentralen Kontore und hierarchischen Korps stellten Kommunikations- und Befehlsstränge her, mit denen die Stockholmer Zentrale bis hin in die äußersten Randprovinzen ihren Willen aufprägen konnte. Die technischen Truppen präformierten zugleich auch die Genese des stehenden Heeres, die für Bremen-Verden auf 1658-1660 anzusetzen ist: Die Fachkompetenz und die komplizierte Ordnung des Artillerie- und des Fortifikationsstaates sollten nicht länger nur je nach Kriegsgefahr ad hoc mobilisiert und rekrutiert werden, sondern sie wurden ein permanenter Bestandteil staatlichen Wirkens. Reglements und Enteignung

Mit der organisatorischen Gleichrichtung der Fortifikation ging deren inhaltliche Reglementierung einher. Dies geschah zunächst in verschiedenen königlichen Spezialinstruktionen an den Generalquartiermeister in Stockholm ab 1647, die 1653 in einer von Königin Christine unterzeichneten .,Verordnung und Instruction" zusammengefaßt wurden. Deren 17 Punkte wurden 1666 von der Vormundschaftsregierung zu 26 Punkten erweitert. Da diese Fortifikationsordnungen jedoch weder gedruckt noch ins Deutsche übersetzt wurden, dürften sie in BremenVerden zunächst nicht angewandt oder beachtet worden sein. Erst in den 1680er Jahren tauchten einzelne Artikel in deutscher Übersetzung auch in bremischen Akten auf. Der Ausbau des Fortifikationswesens unter Dahlberg führte dann dazu, daß 1695 eine erheblich erweiterte Fortifikationsordnung im Druck erschien. Sie befaßte sich mit allen Fragen des Militäringenieurdienstes, ausgenommen den Dienst im Feld. Insbesondere wurden behandelt: die Geheimhaltung der Pläne, die genaue Durchführung der Baupläne, die Musterung und Arbeitsverteilung, der Arbeitslohn und die Bezahlung der Schanzsoldaten, die Kassenführung und das Rechnungswesen, Aufgaben der Kommandanten, Eidesformulare sowie Ränge und Löhne der Fortifikationsoffiziere10 • Ein Pendant dazu für die Artillerie - nur weniger systematisch und detailliert- bildete die Artillerieordnung Carls XI. von 1683, neben der zahlreiche Spezialverordnungen existierten. to Kongl. May.tz Renaverade och öfwersedde Fortifications Ordning ..., Stockholm 1695. 23 Staats- und Heeresverfassung

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Die Kehrseite dieses dynamischen staatlichen Reglementierungs- und Institutionalisierungsprozesses war der Rückzug der ständischen und städtischen Instanzen aus der Verantwortlichkeit für das Befestigungswesen bzw. deren direkte Enteignung von Zuständigkeit und Grund und Boden. Dieser Prozeß lief nicht erst in der Schwedenzeit an. Schon die Erzbischöfe von Bremen waren mit ihren Ständen 1615 und mit der Stadt Stade 1635 aneinandergeraten, als sie versucht hatten, im Namen "landesfürstlicher Hoheit" Verschanzungen anzulegen oder zu erhalten. Die schwedische Regierung setzte diese landesfürstliche Zuständigkeit noch entschiedener durch. Sie entschärfte das Problem jedoch ökonomisch, indem sie durch das Kontributionssystem die aus dem Festungsbau erwachsenen Belastungen auf Geldbasis umlegte und so weniger spürbar werden ließ. Aufgrund dieses finanziellen Geschicks spielte für Bremen-Verden wohl auch der Reichstagsabschied von 1654 keine besondere Rolle. Demzufolge sollten "jedes Churfürsten und Stands Landsassen, Untertanen und Bürger zu Besetz- und Erhaltung der einem oder andern Reichsstand zugehörigen nötigen Festungen, Plätzen und Guarnisonen ihren Landesfürsten, Herrschaften und Obern mit hülflichem Beitrag gehorsamlieh an Hand zu gehen schuldig sein"11 • Für Bremen-Verden bestätigte dieser Reichstagsabschied also nur den seit 1645 ohnehin eingetretenen Zustand. Eine besondere Belastung - über die Kontributionen hinaus wurde das Festungswesen jedoch für die befestigte Stadt. In BremenVerdeo war es vor allem die Hauptstadt und Hauptfestung Stade, die unter von staatswegen verfügten Einquartierungen und Enteignungen litt. Die Enteignungen der Stadt an Grund und Boden - und zwar sowohl an städtischem als auch an privatem- waren erheblich12 • Die zur Fortifikation enteignete Fläche betrug bis 1696 bereits 55 Altländer Morgen, das war mehr als die Fläche der Stadt innerhalb des Walles. In den juristischen Diskussionen zwischen der Stadt, die sich zur Wehr setzte bzw. EntsChädigung forderte, und der Regierung wurde zugleich die verfassungspolitische Problematik der Festung beleuchtet. Die Regierung bemühte sich darzutun, daß die Befestigung von Städten "zu deren Verteidigung und Sicherheit fürgenommen wird" und die Enteigneten daher von der Stadt entschädigt werden müßten13 • Demgegenüber unterstrich die Stadt, es gehe bei der Fortifikation "nicht nur umb u Neue und vollständigere Sammlung der Reichs-Abschiede ... 1747, Nachdr. Osnabrück 1967, T. 3, 674; siehe auch T. 4, 83-84 (1671). 12 Wilhelm Gossel, Die für den Ausbau der Stader Festungsanlagen erfolgten Grundenteignungen in der Schwedenzeit 1646/1694, in: Stader Jahrbuch NF 4 (1951), 43 - 80. 13 Königliche Resolution vom Mai 1663, Heisling (Anm. 5), 85 - 86. So auch noch in einer Antwort der Regierung von 1709.

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dieser Stadt und unser wenigen Bürgerschaft, sondern vielmehr Ihrer Königl. Maytt. hiesigen Estats und ganzen Landes Sicherheit und Conservation"14. Das wurde letztlich auch von der Regierung anerkannt. 1696 stellte sie eine wenigstens teilweise Entschädigung in Aussicht. Tatsächlich war die Befestigung längst von einer Maßnahme bürgerschaftlicher Selbsthilfe zu einem Stück staatlicher Strategie geworden. Wie sich in der Belagerung Stades von 1712 dl:lrch die dänische Armee zeigte, zog die Festung feindliche Truppen und ein Bombarqement eher an und gefährdete damit die Einwohnerschaft mehr, als daß sie sie schützte. Der Verfassungswandel, baulich manifestiert im Befestigungswandel, reichte also bis in den Alltag der Bürger hinein: Sie wurden Objekt fortifizierter Souveränität von oben.

B. Vom Handwerksgeheimnis zur militärtechnologischen Uffeutlichkeit So eindeutig sich aber der Zusammenhang von Herrschaftsstaat und Fortifikation als solcher dokumentieren läßt, so schwierig wird es, den Fragen nach den Ursachen solchen Zusammenhangs und nach den Wirkungsrichtungen nachzugehen: Schuf sich der Landesherr die Festungen - oder schufen vielleicht auch umgekehrt die neuen Festungstypen (zusammen mit anderen militärischen und technologischen Entwicklungen) den neuen Typ von Territorialherrschaft? Solche Fragen verweisen von der verfassungspolitischen Phänomenologie zurück auf sozialgeschichtliche Grundlagen. Sie la$sen sich sehr unterschiedlich beantworten. So kann man zum Beispiel auf das Interesse ständischer Gruppen bzw. auf klassenspe:z;ifische Interessen am Festungsbau zurückfragen. Irritieren mag dabei, daß die Fortifikationsentwicklung in Schweden relativ unabhängig davon erscheint, ob der fürstliche Absolutismus oder - unter Vormundschaftsregierungen der Hochadel das Sagen hatte; und zugleich unterschied sich die bastionäre Befestigungsart im Prinzip wenig von derjenigen der mehr bürgerlich geprägten Niederlande: Sollte das heißen, daß sich ständisChe bzw. soziale Interessen hier allenfalls sekundär auswirkten? Die Fragen sind offen. Auf ein anderes, aber benachbartes sozialgeschichtliches Feld bewegt man sich, fragt man nach dem Zusammenhang von Fortifikation und Öffentlichkeitsformen15 • Denn die neue Befest~gsart, in der die ge14 Städtisches Schreiben von 1671 im Niedersächsischen Staatsarchiv Stade, Repos. 5 a, Fach 329, Nr. 81. 15 Zu diesem Begriff Ernst Manheim, Aufklärung und öffentliche Meinung. Studien zur Soziologie der Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert (1933), Stuttgart

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baute Souveränität sich ausdrückte, folgte einem neuartigen Typ von Theorie, und diese erschien in Gestalt eines neuartigen bzw. auf neue Weise breitenwirksamen Mediums, der veröffentlichten, gedruckten Literatur16 • Ingenieure, Offiziere, Architekten und Mathematiker, aber auch Mediziner und Geistliche verfaßten fortifikatorische Schriften und publizierten ihre "Inventionen" für ein neuartiges Publikum. Die davon angesprochenen Schichten setzten ihr Fortifikationsinteresse außerdem auch in spielerische Formen um. Stadt- und Festungspläne waren beliebte Sammelobjekte17 • Es gab sogar Kartenspiele, die die konstruktiven Teilelemente der Festungsgeometrie abbildeten18 • Solche Rezeptionsgeschichte im einzelnen ist noch zu schreiben; welche Sozialgruppen waren hier im Spiel? Die Öffentlichkeit der Fortifikation wie auch der Artillerie bedeutete eine einschneidende Neuerung gegenüber älteren Vermittlungsformen, die bis ins 17. Jahrhundert hinein prägend waren. Durch die Zünftigkeit der Organisation militärtechnischen Handeins und das Monopol der Meister-Lehrlings-Ausbildung waren die militärischen Techniken zunächst als handwerklich charakterisiert. Die entsprechenden Bezeichnungen Lehrling, Gesell und Meister fanden sich noch im 17. Jahrhundert bei Artillerie (Büchsenmeister), Feuerwerkerei (Lehrfeuerwerker), Mineurwesen (Miniermeister, Miniergesell), Petardierwesen (Petardiermeister, Petardiergesell), Pontonwesen (Brückenmeister), Transportwesen (Wagenmeister, Stallmeister) und Fortifikation (Wallmeister, Werkmeister, Lehrconducteur). In der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden 1979. - Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied, Berlin 1962, 9. Aufl. 1978. - Oskar Negt I Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit, Frankfurt/Main 1972. - Lucian Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit, Stuttgart 1979. 16 Horst de la Croix, The Iiterature on fortification in Renaissance Italy, in: Technology and Culture 4 (1963), 30 - 50. - Im weiteren Rahmen militärtechnischer und militärischer Literatur: Max Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, Bd. 1 - 3, München 1889 - 1891, Nachdr. New York, Hildesheim 1966. - Otto Basler, Wehrwissenschaftliches Schrifttum im 18. Jahrhundert, Berlin 1933. - Maurice J. D. Cockle, A bibliography of military books up to 1642, London 2. Aufl. 1957. - Henry Webb, Elizabethan military science. The books and the practice, Madison/ Wis. 1965. 11 Nicolas de Fer, Les forces de l'Europe ou description des principales villes avec leur fortifications, T. 1 - 8, Paris 1693 ff. - Gabriel Bodenehr, Force d'Europe, oder die merckwürdigst und fürnehmste, meistentheils auch ihrer Fortification wegen berühmteste Stätte, Vestungen, Seehäfen ... T. 1- 2, Augsburg o. J . (nach 1714), Nachdr. Unterschneidheim 1972. 1s Iuo Schneider, Die mathematischen Praktiken im See-, Vermessungsund Wehrwesen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, in: Technikgeschichte 37 (1970), 210 - 242, hier 225.

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sie jedoch vielfach oder überwiegend durch hierarchisch-militärische Bezeichnungen ersetzt, wie Untermineur, Oberfeuerwerker oder Ingenieurleutnant. Entsprechend ging man zunehmend davon ab, die militärischen Regeln als Geheimwissen zu behandeln, wie sie zuvor nur mündlich vom Meister an den Lehrling weitergegeben und eifersüchtig gehütet worden waren. Nunmehr erschienen zunehmend Bücher, die solche Regeln einem breiten Publikum bekanntmachten. Typisch war der Rat Erik Dahlbergs an einen Conducteur: "Exercieren Sie sich, seien Sie fleißig und kaufen Sie einige gute Authores. Ich werde Ihnen dann weiter forthelfen 19 ." Die neue Öffentlichkeit der Fortifikation und der Artillerie war also verbunden mit dem Übergang vom Handwerk zur Wissenschaft. Aber was war dabei unter Wissenschaft zu verstehen? Und worin lag deren Faszination für das lesende Publikum? Die Faszination der neuen Wissenschaft

Blicken wir wieder auf das schwedische Bremen-Verden: Hier legte man zunächst die altniederländische Befestigungsmanier zugrunde, die von Adam Freitag in einem Standardwerk zusammengefallt worden war20 • Dieser, Doktor der Philosophie und Medizin, charakterisierte sich im Buchtitel selbst als "der Mathematum Liebhaber" . Das schlug sich in den Zahlen und Formeln der Konstruktionsanweisungen nieder, darüber hinaus aber in der ganzen Perspektive, die von der Erörterung des geometrischen Grundrisses und dem Konstruktionsprinzip der Flankierung ausging. Eine der ersten schwedischen Fortifikationsschriften war diejenige des Professors Petrus Fontelius, der an der Universität Uppsala Mathematik und Fortifikation lehrte: "Disputatio mathematica exhibens axiomata fortificatoria" (1660)21 • Unter solchen mathematischen Aspekten war es logisch, daß an der Spitze von Fontelius' Axiomen der Satz stand: Die reguläre Festung ist besser als die irreguläre. Und was folgte, konzentrierte sich überwiegend auf Punkte, Linien und Winkel des Grundrisses. Sowohl der Inhalt - die geometrische Proportion - als auch die Denkform - das Axiom - waren bezeichnend für die Art, wie man nun über wenigstens ein Jahrhundert hin die Fortifikation bearbeitete. Offenbar entsprach das auch den Erwartungen einer Öffentlichkeit, die derartige Schriften kaufte. Munthe (Anm. 9), Bd. 3, T. 1, 125- 126. Adam Freitag, Architectura militaris nova et aucta, Leiden 1635 (zuerst 1630). 21 Wilhelm Sjöstrand, Grunddragen av den militära undervisningens uppkomst och utvecklingshistoria i Sverige till är 1792, Uppsala 1941, 219-220. 19 20

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Unter solchen Aspekten war es dann zum Beispiel von großer Bedeutung, ob eine Festung aus dem Kreis oder aus dem Quadrat konstruiert werden sollte. Georg Rimpler, der berühmteste deutsche Militäringenieur des 17. Jahrhunderts, entwickelte diese Fragestellung in seiner Schrift "Befestigte Festung" (1674), und sechzig Jahre später gab das (erste deutsche) Ingenieurslexikon dies so wieder: "Wird die Fortification auch getheilet (...) 1. in die Circular- und 2. in die Quarre- oder besser Carre-FortificatioQ. 1. Circular-Fortification wird diejenige genennet, so nach dem Circul fortificiret ist, und dahin gehören alle vorhergehendert Manieren. Sie ist bis dato die gebräuchlichste und zum Dociren die bequemste u'nd leichteste gewesen, absonderlich nach der Rojal-Fortification. Denn da braucht man nicht viel Kopfbrechens, weil alle Winkel und Linien bi$ auf den lOOOsten Teil eines Haares Breite ausgerechnet sind. 2. Die Carre-Fortification oder Reservirte Festung, deren UnterScheid gegen den vorhergehenden darin besteht, daß anstatt jener die Bastions an dle Ecken der Figur, in dieser aber dieselben mitten auf die Polygonen, zwischen welchen die Courtine (oder Courtin Ravelins, wie sie Rinipler nennet) zu liegen kommen ...22." Die heutige militärische Sicht hätte SChwierigkeiten, das Problem solcher Konstruktion übethaupt zu erkennen oder anzuerkennen. Für die geometrische Fortifikationslehre hingegen war diese Fragestellung nicht irrelevant. So war es rucht ungew6hnlich, daß Gottfried Wilhelm Leibniz die Fortifikation als einen Eckpfeiler derMathematica militaris hinstellte23 , und Christian Wolff sie als ei:Äe Form angewandter Mathematik beschrieb24• Hier, in g~rnetriSchen totmim und Erörterungen, lag offenbar die Faszination ihrer Wissenschaftlichkeit. - Solche Vermutung wird bestärkt, lenkt man den Blick 8\lf die gleichzeitige Artillerieliteratur. Sie hatte ältere Vox:läufer in den BÜchsenmeisterschriften, die in handwerklicher Tradition :tt~eln des SchieBens aufstellten. Auch hier, wie in der Fortifikation, ~tfaltete sich a'te neue Verwissenschaftlichung im 16. Jahrhundert. Sch$ der Naclft\lf auf den Büchsenmeister Martin Mercz in Nürnberg ini Jahre 1501 bAnnte dessen Geschäft die "Kunst Mathematica Buchsehschießen$"25 • Diese Kunst umfaßte in der Praxis das Rieb22 Johanrt Rudolph Fäsch, kriegs- Ingenieur- Artillerie- und See-Lexicon, Dresden, Leipzig 1735, 324. ·

u J ähns (1\mn. 16), Bd. 2,, 1180. 24 Christiltn \Nolff, : bn. •Anfangs-Gründe aller mathematischen Wissenschaften anderet Theil, W~ey die Artillerie, Fortification, Mechanick, Hy-

drostatick, AE!r'otnetrle uhd .Hydraulick in sich enthält ... , Frankfurt 2. Aufl. 1725. . 1 ts Volker SChtttilltchen, Bombarden, Befestigungen, Büchsenmeister. Von den ersten· MtiuE!rbrecheth .lles Spätmittelalters zur Belagerungsartillerie der Renaissance, DUsseldorf 19'11, 183.

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ten der Geschütze mittels des Quadranten, des Riebtstabs und der aus der Empirie abgeleiteten Schußtabellen, wie sie alle bereits im 15. Jahrhundert entwickelt worden waren. In der Theorie aber ging es vor allem um die geometrische Form der Schußbahn, um die äußere Ballistik28 • Der Ausgangspunkt war dabei die scholastische Impetus-Theorie, die die Wurfbahn im Extremfall aus zwei Geraden zusammengesetzt sah oder sonst aus drei Abschnitten, aus dem geradlinigen "motus violentus", dem gekrümmten "motus mixtus" und dem geradlinig vertikalen "motus naturalis". Es war der italienische Mathematiker Nicolo Fontana, genannt Tartaglia, der 1538 als erster feststellte, die Flugbahn sei nirgends gerade, sondern an allen Stellen gekrümmt. Den nächsten Schritt tat Galileo Galilei, der die Schußbahn als Parabel beschrieb. Und seit dem späteren 17. Jahrhundert ging es darum, die Wirkung des Luftwiderstands auf die Geschoßbahn zu erfassen, eine Aufgabe, der sich unter anderem Isaac Newton und Christiaan Huygens unterzogen. Umstritten ist es in der Wissenschaftshistoriographie, wie weit ein militärisches Interesse diesen Prozeß vorangetrieben habe, oder ob er aus primär wissenschaftsimmanenten Bedingungen heraus zur parabolischen Theorie geführt habe. Beide Deutungen stoßen auf Probleme. Die Hypothese vom militärischen Antrieb ist konfrontiert mit der Tatsache, daß die ballistische Wissenschaft bis ins 18. Jahrhundert hinein für die artilleristische Praxis recht irrelevant war und erst später mit zunehmender Präzision des Geschützmaterials bedeutsam wurde. Die Hypothese vom wissenschaftsimmanenten Antrieb hingegen muß über die zahlreichen Belege hinwegsehen, die das Artillerieinteresse und das Ballistikinteresse verbanden. Die Diskussion verstellt leicht den Blick für ein Drittes, das sowohl die wissenschaftliche Öffentlichkeit der Dynamiker als auch die militärische Öffentlichkeit der Artilleristen prägte: das Interesse an .der Geometrie des Schießens, das Selbstverständnis der Artillerie - wie 2s Prosper Charbonnier, Essais sur l'histoire de la balistique, Paris 1928. Hjalmar Tallqvist, Oversikt av ballistikens historia, Helsinki 1931. - Emil J. Walter, Warum gab es im Altertum keine Dynamik?, in: Archives Internationales d 'Histoire des Seiences 1 (1947), 365 - 382. - Alfred Rupert Hall, Ballistics in the 17th century, Cambridge 1952. - Henry Webb, The science of gunnery in Elizabethan England, in: Isis 45 (1954), 10 - 21. - Ladislao Reti,

Il moto dei proietti e del pendolo secondo Leonardo e Galileo, in: Le machine 1 (1967/68), 63- 89.- Istvan Szab6, Die Anfänge der äußeren Ballistik, in: Humanismus und Technik 14 (1971), H. 3, 1-28.- Henning Eichberg, Das Interesse an der Ballistik. Zum Verhältnis von militärischem Nutzen und wissenschaftlichem Fortschritt in der frühneuzeitlichen Dynamik, in: Sudhaffs Archiv 58 (1974), 341 - 355. - Andreas Kleinert, Zur Ballistik des Daniel Santbech, in: Janus 63 (1976), 47- 5·9. - Herbert Wunderlich, Kursächsische Feldmeßkunst, artilleristische Riebtverfahren und Ballistik im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin 1977.

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der Fortifikation - als angewandter Geometrie. So nannte der an Tartaglia anknüpfende Walter Reiff seine Schrift "Geometrische Büchsenmeisterey" (Nürnberg 1547) und verknüpfte sie mit zwei weiteren Büchern, der "newen Perspectiva" und der "Geometrischen Messung nebst Maß, Wag und Gewicht" zu einer Art mathematischer Enzyklopädie.Solche Verbindungen von Geometrie und Ballistik bzw. Schießkunst wurden wieder und wieder dokumentiert, unter anderem in Daniel Santbecks "Problematum astronomicum et geometricorum sectiones septem" (Basel 1561), in Leonhardt Fronsbergers "Kriegsbuch" (Frankfurt/M. 1573), wo es u. a. um "mathematisch-geometrische Arckeley" ging, und in Christian Wolffs "Anfangsgründen aller mathematischen Wissenschaften" (2. Aufl. 1725), unter denen sich die Artillerie wiederfand. Flemming kritisierte 1726 die Mehrzahl der Artillerieschriftsteller, sie hätten ihre Kunst "so speculativisch vorgetragen, ihre Bücher sind mit so vielen mathematischen Regeln, Ziefern und Zahlen angefüllet, daß junge Leute, welche nicht studiret und darunter viele nicht geschickt sind, solchen abstracten Materien nachzuhängen, und welche die Geometrie, deren sie nicht fähig, zum Grunde setzen, nicht das geringste davon verstehen und begreifen" 27 • Diese Bemerkung wie auch die eingangs zitierte über die Fortifikationsliteratur, die nicht für den Kriegsmann geeignet sei, verweist darauf, daß wir für die militärtechnischen Schriften tatsächlich mit einem anderen Publikum rechnen müssen als nur mit Soldaten bzw. Offizieren. Die fortifikatorische Schriftstellerei von Architekten, Mathematikern, Ärzten, Geistlichen und Professoren mag ein Licht werfen auf das Lesepublikum solcher Bücher, das aber sozialgeschichtlich im einzelnen noch zu erforschen bleibt. Sozialgeometrische Öffentlichkeit

Mit der Beobachtung einer spezifischen Öffentlichkeit, die die Fortifikationsschriften und Artilleriebücher kaufte, die Kupferstiche mit Festungsabbildungen sammelte usw., stellt sich jedoch ein Problem soziologisch-kategorialer Zuordnung. Denn die Veränderungen der Öffentlichkeit im 17. Jahrhundert sind bislang vor allem in den Begriffen der "repräsentativen" und der "bürgerlichen" Öffentlichkeit beschrieben worden (Jürgen Habermas). Demzufolge dominierte zunächst eine in der höfisch-ritterlichen Kommunikation des mittelalterlichen Adels wurzelnde repräsentative Öffentlichkeit, geprägt durch ständische Exklusivität und adlige Repräsentation von Herrschaft. Sie endete in der Zeit um 1800, da ihr in der frühen Neuzeit zunehmend Konkurrenz in der bürgerlichen Öffentlichkeit entstanden war. Diese erwuchs aus dem 27

Flemming (Anm. 1), 79.

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frühen Handelskapitalismus, seinen Märkten und Messen, seinem Waren- und Nachrichtenverkehr. Die "Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute" institutionalisierte sich in englischen Kaffeehäusern und französischen Salons, in deutschen Sprachgesellschaften, Logen und Orden. Sie brachte die Zeitschrift hervor und die moderne Kritik. Als "herrschaftsfreie Diskussion autonomer Privatleute" hatte sie ihr Gegenüber einerseits im (absolutistischen, adlig bestimmten) Staat und andererseits in der Sphäre von Privatheit und Intimität der Familie. Die bürgerliche Öffentlichkeit war also eine (oder die) soziale Grundlage für die bürgerliche Verfassung, in der die herrschaftsfreie Diskussion im Parlament Gestalt annahm (oder annehmen sollte). Sie löst damit den Hof ab als Zentrum absolutistischer Verfassung und repräsentativer Öffentlichkeit zugleich. Richtet man von diesem dualen Modell her die Frage an die fortifikatorische und artilleristische Publizistik des 17. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Zuordnung, so ergibt sich zunächst ein verwirrendes Bild. Diese Literatur schien einerseits der "modernen" und "bürgerlichen" Seite zuzugehören, dokumentierte sie doch die Anwendung kritischer Vernunft bis hin zur Polemik zwischen Verfechtern unterschiedlicher Manieren; sie betonte Wissenschaft, Invention, Innovation, Technologie und Rationalität. Und doch: handelte es sich tatsächlich um liberales oder gar herrschaftsfreies Räsonnement? Doch offenbar nicht. Die neue Literatur war keineswegs ein Gegenüber oder gar ein tendenziell oppositionelles Korrektiv des absoluten Staates, sondern- im Gegenteil- eng mit diesem verbunden. Sie war personell verflochten durch die schriftstellernden und bücherkaufenden Offiziere; und zugleich konnte man sich über diesen Weg, als freier Schriftsteller der Fortifikationslehre, auch zum staatlichen Dienst empfehlen. Sie war verflochten durch die neu entstehenden staatlichen, militärischen Ausbildungsgänge, die sich des Buchs als Medium bemächtigten. Sie entsprach in ihrem militärischtechnischen Gegenstand dem unmittelbaren Interesse des Staates und seiner sich spezialisierenden Ämter. Und nicht zuletzt kam sie in ihrer Denk- und Argumentationsstruktur, durch Geometrie, Axiome, Deduktionen und hierarchische Ordnungen, den sozialen Ordnungsmustern des absolutistischen Staates entgegen. War die artilleristische und fortifikatorische Literatur also vielleicht ein später Ausläufer der älteren adlig-feudalen, repräsentativen Öffentlichkeit? Dagegen spricht die tiefe Zäsur, die die neue Öffentlichkeit der militärtechnischen Wissenschaften trennte von der Arkanpraxis und Hermetik der älteren handwerklichen Wissensvermittlung, von deren zünftischen Begrenzungen und ihrer ständischen Exklusivität. Statt-

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dessen war sie prinzipiell offen zur Teilnahme von allen Qualifizierten (oder auch ehrgeizigen Unqualifizierten) aus Adel und Bildungsbürgertum, aus Militär und Klerus. Oder handelte es sich vielleicht bei der militärtechnischen Literatur nur um einen isolierten Sonderbereich im großen Strom des Wandels von "repräsentativer" zu ,.bürgerlicher" Öffentlichkeit? Ein Vergleich mit anderen zeitgenössischen Literaturgruppen spricht dagegen. Drillund Exerzierbücher skizzierten die Unterwerfung des Menschen unter geometrisierte Haltungen und kollektive Bewegungen (,.Evolutionen"). Exerzitienbücher - Tanzmeisterschriften, Reitbücher, Fechtbücher, Voltigierbücher u. a. - propagierten entsprechende Körperdisziplinierung in außermilitärischen Zusammenhängen. Hofmeisterschriften und Komplimentierbüchlein weiteten das aus auf Verhalten und Anstand ganz allgemein. Statistische Literatur bemühte sich um eine Art Mathematik des Staates, und die Utopien entwarfen phantastische Sozialgeametrien für Nirgendwo-Länder. Maschinenbücher lieferten über das technologische Material hinaus zugleich Modelle für das zeitgenössische Menschen- und Gesellschaftsbild: das Weltall als (von der Geometrie geleitete) Uhr, der Staat als Maschine, das Militär als Automat, l'homme machine. Die Muster der fortifikatorischen Wissenschaft kehrten in diesen Literaturen vielfältig wieder: geometrische Ordnung, Rationalität des Maßes und Messens, Herrschaftswissen. Sie waren weder feudalaltständisch noch bürgerlich-modern. Es zeigt sich hier also eine frühneuzeitliche Öffentlichkeitsform ganz eigener Art, die der dualen Fixierung auf "bürgerlich" und "repräsentativ" sich entzieht. Wie in der bisherigen historiegraphischen Diskussion bereits weitere Öffentlichkeitsformen entdeckt wurden - mittelalterliche, plebejische, proletarische, faschistische Öffentlichkeit - so ist der Begriff offenbar auch für die Gesellschaft des Absolutismus zu spezifizieren. Wegen der auffälligen Affinität der einschlägigen Literaturen zur Geometrie mag man von einer sozialgeometrischen Öffentlichkeit des 17./18. Jahrhunderts sprechen. Der fortifikatorische Diskurs spielte in ihr eine wichtige Rolle. Wenn die jeweilige Öffentlichkeitsform als sozialgeschichtliche Basis für die darüber errichtete staatliche Verfassung gelten kann, so hat die Abgrenzung der sozialgeometrischen Öffentlichkeit sozialhistorische Konsequenzen. Sie bestätigt dann nämlich, daß auch die Verfassung von Staat und Gesellschaft im Zeitalter des Absolutismus nicht sinnvoll in den dualen Mustern von "feudal" und "bürgerlich", von "archaisch" und ,.modern" erfaßt werden kann. Sie unterstreicht, daß die "Soziogenese des Staates" (Norbert Elias)28 in der frühen Neuzeit einem eige28 Norbert Elias, über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychegenetische Untersuchungen, Bd. 1 - 2, Frankfurt/Main 1977.

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nen Muster zwischen Feudalismus und Industriegesellschaft folgte und mehr war als nur ein krisenhafter Ausläufer des älteren oder ein unvollkommenes Vorspiel des neueren. Dasselbe gilt für die Militärverfassung oder das Militär überhaupt, das man militärsoziologisch gern ins Gefängnis der Kategorien von "traditional" (auch "vortechnisch" oder "vorindustriell") und "modern" gesperrt hat21 • Auch hier ist mit wenigstens einer dritten, eigenständigen Struktur für das 17./18. Jahrhundert zu rechnen. In ihr spielt die Fortifikation eine wichtige Rolle nicht nur als unmittelbarer Kriegsfaktor (Belagerung statt Schlacht), sondern auch als ein Eckpfeiler der militärischen Geometrie. C. Verhaltensmuster- die heimliche Verfassung Zwischen den beiden behandelten Ebenen von Verfassung, der gebauten Souveränität mit ihren zentralen Kontoren und Hierarchien einerseits und der neuen Öffentlichkeit mit ihrer geometrischen Faszination andrerseits, haben sich in der Beschreibung bereits einige Entsprechungen abgezeichnet. Lassen sie sich in einem gemeinsamen Muster zusammenfassen, das dann so etwas wäre wie eine heimliche Verfassung des 17./18. Jahrhunderts? Eine Ordnung der Verhältnisse, die sowohl die geschriebenen und institutionalisierten Verfassungen als auch die Öffentlichkeitsformen bestimmte? Der Versuch, zu solchen Mustern vorzustoßen, kann an Versuche von Konfigurationsanalysen anknüpfen, wie sie sich zuerst bei Michel Foucault, Norbert Elias und August Nitschke finden. Unter dem Begriff der Konfiguration wäre die prozeßhafte Ordnung von Raum, Zeit und Körpern zu verstehen, nach denen sich das Denken oder/und das Verhalten der Menschen und der sozialen Gruppen strukturiert. Was in anscheinend so weit auseinanderliegenden Feldern wie wissenschaftlichen Denkfiguren30, Tischsitten111 und Gemälden32 beobachtet wurde, ist in der neueren Forschung gerade auch auf das Bauen33 und die Technik34 be2& Wido Mosen, Eine Militärsoziologie, Neuwied, Berlin 1967. Auch in Schriften von Wolf Graf von Baudissin. so Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt/Main 1971 (zuerst 1966). s1 Elias (Anm. 28), zuerst 1939. a2 August Nitschke, Kunst und Verhalten. Analoge Konfigurationen, Stuttgart, Bad Cannstatt 1975. 33 Nach seinen Studien über die Klinik und das Irrenasyl dann Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/ Main 1977. - Über bauliche Strukturen des Wohnens Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Neuwied, Berlin 1969, 68 - 101. - Dann aus einer neuen Generation Erik Grawert-May, Zur Entstehung von Polizei und Liebeskunst. Versuch einer anderen Geschichte des Auges, Tübingen 1980. Herbert Treber I Heinz Steinert, Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen.

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zogen worden, auf jene Bereiche also, die sich in der Fortifikation überschneiden. Dabei konnte man auch an die älteren Überlegungen von Lewis Mumford über die Megamaschine und über die Machtstruktur der Stadt anknüpfen35 • Und von da aus wiederum ergaben sich Brückenschläge einerseits zur Staatsverfassung als Sozialdisziplinierung36 und andererseits zur Disziplinierung des Körpers37 • Der Blick auf die Konfiguration sollte es also zugleich auch ermöglichen, eine Verbindung herzustellen zwischen der politischen Rolle der Festung und ihrer baulichen Form. Denn die Festung neuen Typs im 17. Jahrhundert fungierte nicht nur neu - im System von Strategie, Territorialität und Bürokratie - , sondern sie sah auch ganz anders aus als ihre Vorläuferinnen. Zentralität und Uniformierung

(1) Wie aus dem Ingenieurlexikon von Fäsch (1735) bereits zitiert, wurde die ideale Festung in der Regel aus dem Zirkel konstruiert. Zum Zirkelschlag aber gehört der Mittelpunkt, der ideelle Zentralpunkt. Zentralität konnte auch direkt gebaut sein: als Zitadelle, als Festung in der Festung. Solche Zitadellen, besonders in Planungen des 17. Jahrhunderts beliebt, waren in der Regel das Schloß des Königs, von dem aus nicht nur der Festungscharakter der Stadt gegen einen äußeren Feind verstärkt, sondern auch die Stadt nach innen hin in Schach gehalten werden konnte. Im Idealfall liefen die Straßen in der Stadt strahlenförmig von der Zitadelle nach außen: So konnten sie von den Kanonen auf dem Wall der Zitadelle bestrichen werden. Die Zitadelle als gebaute Zentralität verwies damit auf jenes Verfassungsprinzip, das der Große Kurfürst formuliert hatte: nur vom König selbst sollten die Festungen abhängig sein.

Über die "Wahlverwandtschaft" von Kloster- und Fabrikdisziplin, München 1980. - Günter Bayerl, Historische Wasserversorgung, in: Ulrich Troitzsch I Gabriele Wohlauf (Hrsg.), Technik-Geschichte, Frankfurt/Main 1980, 180-211. - Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983. - Klaus Lesemann, Sanieren und Herrschen, Gießen 1982, 35 - 76. 34 Otto Ullrich, Weltniveau. In der Sackgasse des Industriesystems, Berlin 1979. - Henning Eichberg, Die historische Relativität der Sachen. Auf dem Weg zu einer kritischen Technikgeschichte, Münster 1984. 35 Lewis Mumford, Mythos der Maschine. Kultur, Technik und Macht. Frankfurt/Main 1977 (zuerst 1966/64), 367 - 482. - Lewis Mumford, Die Stadt. Geschichte und Ausblick, München 1979 (zuerst 1961), 401 - 476. ss Mit möglicher Anknüpfung an Gerhard Oestreich, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates, Berlin 1969. 37 Rudolf zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen, Bd. 1- 2, Frankfurt/Main 1974. - Henning Eichberg, Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exerzitien, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4 (1977), 17 - 50. - Ders., Leistung, Spannung, Geschwindigkeit, Stuttgart 1978.

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Aber die Stellung des Königs sollte nicht zu eng nur als persönliche Zentralstellung gesehen werden. Über alle individuellen Herrschaftsprofile des Absolutismus hinweg wurde die Zentralität im verfassungsmäßigen Sinne ein struktureller Punkt. Der Zentralisierungsprozeß der Fortifikation in Schweden wurde ja nicht unterbrochen, wenn man zeitweilig wieder zu stärkerer adelsständischer Politik unter hochadligen Vormundschaftsregierungen zurückkehrte. Ebenso war der punto della distanza der renaissancezeitlichen Zentralperspektive, der Betrachtungspunkt, von dem aus die Linien in die Tiefe des imaginären Raumes führten, zwar das Auge des Königs, der Sitz des Souveräns im Theater. Aber der Sitz konnte leer sein, der punto della distanza blieb doch Konstruktionsprinzip. Ebenso konnte in der Festung die Zitadelle fehlen, zumal aus ökonomischen Gründen (ohne Sparsamkeitszwänge wäre die Zitadelle wohl zur Regel geworden). Aber erhalten blieb das Konstruktionsprinzip des Bastionsringes von jenem imaginären Mittelpunkt her. Er war es, an dem sich die Zentralmachtorientierung des Staates, die ideale Form der Fortifikation und das Welt-Bild der Zentralperspektive begegneten. (2) Vom Zentralpunkt her konstruiert und gesehen, wurde die bestmögliche Übersicht geschaffen, wenn dem Auge nur einheitliche, gleiche, uniforme Einzelheiten begegneten. Darum war die ideale Fortifikation diejenige mit der entschieden durchgeführten Uniformität der Teile, insbesondere der Bastionen außen und der Baublocks und Straßenmuster innen. Das entsprach keineswegs der militärischen Logik, wie wir sie heute verstehen. Die Uniformität der Teile nutzte ja besonders dem Feind: Hatte man nur eine einzige Bastion ausgekundschaftet, so kannte man alle und das ganze System. Aber die Fortifikation war eben mehr als nur ein militärisches Instrument. Sie veranschaulichte ein Bauprinzip des Staates. Und dieses wiederholte sich im Einheitslineal des Landmessers, das im zentralen Kontor in Stockholm gutgeheißen werden mußte, und im Einheitsspaten der Fortifikation, in der Uniform der Soldaten, wie sie seit dem 17. Jahrhundert zum Normalfall wurde, und im Gleichschritt der marschierenden Körper. Klassifikation und Regularität

(3) Die Uniformierung der fortifikatorischen Teile vollzog sich über die Klassifikation der Elemente. Was normiert werden sollte, mußte zugleich in Klassen aufgeteilt und systematisiert werden: Bastion, Ravelin, Contregarde, Demilune, Retirade, Flesche, Tenaille . .. Was für die Einzelteile der Festung galt, galt auch für die ,.Manieren" des Festungsbaus im großen, die unterschiedlichen Konstruktionsmuster der verschiedenen Kriegsingenieure, die Manieren von Pagan, Blonde!, Coehorn, Rimpler, die erste, zweite und dritte Manier Vaubans und an-

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dere. Solche Klassifikation war nur dann überschaubar, wenn sie hierarchisch geordnet war. Das gelang nie ganz, konnte aber versucht werden über die didaktische Hierarchisierung des Fortifikationswissens (was ein Conducteur, Leutnant, Ingenieur, Generalquartiermeister ... wissen muß) oder über mathematisch-methodische Klassifikation von Axiomen und Deduktionen, von Erklärung, Zusatz, Anmerkung, Lehrsatz, Beweis und Erfahrung. Auch solche Logik war weit mehr als nur fortifikatorisch, auch mehr als nur wissenschaftlich (im 18. Jahrhundert tauchte sie als hierarchische Klassifizierung der classes, ordines, genera und species in der Naturgeschichte Linnes wieder auf). Sondern sie gab wieder, was zur gleichen Zeit gesellschaftlich vor sich ging: die Herausbildung militärischer Klassen und Hierarchien (Gemeiner, Unteroffizier, Oberoffizier bzw. Leutnant, Captain, Major ...), die Festlegung von Rängen des Zivilstaats in publizierten Rangordnungen, die ersten Überwachungshierarchien in den Manufakturen usw. (4) Der Zusammenhang der uniformen Teile, der Bauelemente der Festung, war ferner bestimmt durch die Regel, das Prinzip der Regularität. Regulär war die Festung, wenn von ihrer "natürlichen Lage" abgesehen werden konnte, wenn sie rein der geometrischen Konstruktion folgte. Auch Flemming, der hier verschiedentlich als Kritiker der kriegsunnützen Literatur zitiert worden ist, postulierte, man müsse sich bei der Einrichtung einer Festung nach der Natur "der Regularität befleißigen, als welche am vollkommensten ist" 38• Einhundert Jahre früher hatte Moritz von Oranien Ähnliches ausgedrückt: "Ich fühle in mir die Neigung, die Bastionen und Wälle auf der einen Seite der Stadt so zu ordnen, wie auf der anderen, und wenn ich durch Ungelegenheit des Ortes anders handeln muß, geht mir das gegen's Herzse." Der Unterschied zu Flemming lag nur dort, wo sich das Bekenntnis des Oraniers -"ich fühle", "Neigung", "Herz"- ein Jahrhundert später zu wissenschaftlicher Objektivität - "Regularität", "vollkommen" - gewandelt hatte. Beide Formulierungen aber, die subjektive des Oraniers wie die objektive des sächsischen Offiziers, täuschten. Tatsächlich war auch dieses Konfigurationsmerkmal etwas Drittes: gesellschaftlich.

Das Gesellschaftliche der Regelmäßigkeit trat auch zutage, wo Staat und Gesellschaft sich mit "Reglements" zur Ordnung zu bringen suchten. Das reichte vom königlichen Fortifikationsreglement bis zu den städtischen Kleiderordnungen mit der Regelung von Länge, Schnitt und 38 Flemming (Anm. 1), 407. su Zitiert nach Gerhard Eimer, Die Stadtplanung im schwedischen Ostseereich 1600 bis 1715, Stockholm 1961, 124.

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Material der ständisch differenzierten Regeltrachten. Unter diesem Aspekt war es nicht verwunderlich, daß der .,irreguläre Krieg" im offiziellen Kriegswesen dieser Zeit keinen oder nur einen marginalen Platz hatte. Daß bewegliche Partisanen und Freikorps- Panduren, Kroatendurchaus militärische Erfolge aufzuweisen hatten, änderte daran nichtsna. Sie waren eben nicht reglementierbar. Eine Rückseite der Reglements war die Notwendigkeit von Kontrolle. Die Stader Fortifikation und Artillerie verdichtete auf ihren Werkhöfen in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts laufend die Kontrollen der Arbeit. Journale wiesen die tägliche Materialausgabe aus. Wochenberichte hielten die Arbeit jedes einzelnen Artilleriehandwerkers schriftlich fest. Die Arbeitszeit wurde geregelt einschließlich der Länge der Essenspausen. Die Kaserne, die sich seit der Mitte des 17. Jahrhunderts von den Niederlanden aus verbreitete, diente gerade auch diesem Zweck, die Regelmäßigkeit der dort räumlich Konzentrierten besser zu kontrollieren als in der Unüberschaubarkeit der Einquartierung.

Quantifikation und ein neues Verhältnis zum Raum (5) Die Kontrolle bediente sich, wo möglich, der Methode des Messens. Quantifikation prägte das Befestigungswesen wie auch die Artillerie, von den Abmessungen der Flankierungs- und Böschungswinkel, den Proportionen von Courtinen und Facen, bis hin zu den ballistischen Schießweitentabellen. ..Mathematica (...) ist eine Wissenschaft, alles auszumessen, was sich ausmessen läßt. (...) Da nun alle endlichen Dinge sich ausmessen lassen (...). so ist nichts in der Welt, dabei die Mathematik nicht könnte angebracht werden. (. .. Es) bringet uns die Mathematik zu der vollkommensten Erkenntnis aller möglichen Dinge in der Welt. Da nun ferner diese Erkenntnis uns geschickt machet, die Kräfte der Natur nach unserem Gefallen zu unserem Nutzen in dem Grade anzuwenden, den wir verlangen, so erlangen wir durch die Mathematik die Herrschaft über die Natur-4°."

In diesen Worten von Christian Wolff war zusammengefaßt, worum es in der Fortifikation wie in anderen Bereichen der Naturbemächtigung ging: ordnen, messen, die Natur beherrschen. Die Wissenschaft folgte auch damit einem gesellschaftlich relevanten Muster, das sich im 17./18. Jahrhundert umsetzte in die zumeist von Fortifikationsoffizieren vorgenommene allgemeine Landesvermessung und in die zunehmend quantitative Statistik als Staatsbeschreibung. Nicht zuletzt schlug sich sea Johannes Kunisch, Der kleine Krieg. Studien zum Heerwesen des Absolutismus, Wiesbaden 1973. 40 Christian Wolf!. Mathematisches Lexicon, Leipzig 1716, Nachdr. (=Gesammelte Werke I, 11) Hildesheim 1965, Sp. 863 - 864.

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in dem neuen Messen eine Geldökonomie nieder, die zunehmend weitere Kreise mit ihren Quantifikationstendenzen erfaßte. (6) Was sich in der Quantifizierung abstrakt äußerte, hatte jedoch auch eine sinnlichere Komponente. Die neue Fortifikation dokumentierte ein neues Verhältnis zum Raum. Wie sah der neue Raum der Festungen aus? Zum einen wurde die Fortifikation strategisch, das heißt territorial. Anstelle des Befestigungsschutzes eines gegebenen Ortes ging es nunmehr um die Anlage von territorialen Festungssystemen, um die Verschanzung von Grenzen, um die Anlage von "Barrieren" und Linienbefestigungen. Aber auch die einzelne Festung machte das Neue anschaulich. Durch immer neue Außenwerke vor dem Wall bis weit ins Glacis hinaus schob sich die Festung immer weiter dem (imaginären) Feind entgegen. Im Inneren entstand ein neuer Raum durch die Bildung zahlreicher funktionaler Parzellen, der Bau- und Werkhöfe, Zeughäuser und Provianthäuser, Materiallager und Laboratorien, Kasernen und Baracken.

Expansion und Parzellierung, zwischen diesen beiden Polen bewegte sich also die Fortifikation und spiegelt damit die Territorialisierung des Staates. Auch in dessen Innerem zeichneten sich mit Armen-, Spinn-, Waisen-, Arbeits-, Zucht- und Werkhäusern, mit Hospitälern, Schulen und Manufakturen neuartige Fragmentierungen des gesellschaftlichen Lebens ab, der Beginn der "großen Einsperrung" (Foucault). Gleichzeitig formierte der Staat sich selbst als "Bau" und "Cörper" aus Territorium, Grenzen und zentralen Ämtern: Er wurde ein Stück Sozialgeometrie. Diese Territorialisierung des Staates und der Festung dokumentierte sich perspektivisch in den Darstellungsweisen der Fortifikation. Mittelalterliche Bilder zeigen Befestigungen - Burgen wie Stadtbefestigungen - fast ausschließlich in der Ansicht, nämlich als ein Gegenübertreten von Turm, Tor und Mauer. In der frühen Neuzeit, entschieden dann im 17. Jahrhundert, verschob sich der Blick. Die typische Perspektive wurde nun der Draufblick, der Festungsplan im Grundriß oder die Vogelschau. Erst aus dieser Sicht entfaltet sich die territorial-geometrische Struktur der neuen Fortifikation41 • Zwischen diesen beiden Perspektiven lag auch das, was man die "kopernikanische Wende" der Festungslehre genannt hat. Von Francesco di Giorgio-Martini (1480/90) ab folgte man der neuen Prämisse: "Die Stärke einer Festung hängt nicht von der Dicke der Mauern, sondern von der Qualität des Grundrisses ab42 ." Und doch wäre es einseitig, in der Veränderung des Blickes 41 Ein anschauliches Beispiel: Jürgen Bohmbach I Bernhard Wirtgen, Blick auf Stade. Ansichten und Pläne aus 7 Jahrhunderten, Stade 1974. 42 Stanislaus von Moos, Turm und Bollwerk. Beiträge zu einer politischen Ikonographie der italienischen Renaissancearchitektur, Zürich, Freiburg i. Br. 1974, 184, 192 - 204.

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nur eine Auswirkung konstrUktiver und technologischer Neuerungen zu sehen. Das zeigt sich in der Parallelität, mit der sich im gleichen Zeitraum auch das Bild vom Garten, von der kultivierten Natur, verschob. Was im Mittelalter auch hier eine Ansicht mit Betonung von Mauer (Zaun) und Tor war, wurde im 17. Jahrhundert zur Vogelschau hinab auf die geometrischen Muster des französischen Gartenstils43 • Offenbar war also mehr im Spiel als nur ein neuer technischer "Sachzwang", mehr aber auch als nur eine neue politische Verfassung, neue Institutionen und neue Gesetze. Geändert hatte sich der Blick auf die Festung, auf das Land, eine sinnliche, körperliche Befindlichkeit. Daß zwischen Festungsbild und Weltbild ein Zusammenhang bestand, dokumentierte ein Lied von Moscherasch 1650. Er wandte die neue Festungsterminologie, oder mehr noch: die neue Zentralperspektive, den Blick von oben, auf das religiöse Verhältnis an: "Gott ist der Christen Hülff und Macht Ein veste Citadelle. Er wacht und schillert Tag und Nacht, Thut Rond und Sentinelle. Jesus ist das Wort, Brust-Wehr, Weg und Port, Der rechte Corpoural, Haupt-Mann und General, Quartier und Corps de garde.""

Zeitgeist? - Körperverfassung Man griffe zu kurz, sähe man in dem hier ausgedrückten Muster nur einen Ausfluß von "Zeitgeist", gewissermaßen das Gewand an Worten und Ideen, an Philosophien und literarischen Bildern, das eine Gesellschaft sich überzieht und je nach den Moden auswechselt. Die Zeitgeistforschung kann zwar durchaus zu Deutungen der oben beschriebenen Phänomene beitragen, indem sie sie auf bestimmte Denk- und Stilrichtungen zurückführt. Die militärische Disziplinierung läßt sich so mit der "disciplina" der neustoischen Philosophie (Justus Lipsius) im Umkreis der Oranier verbinden. Die Geometrisierung der Künste, so auch der Baukunst, mag man im Akademieprogramm des Neuplatonismus wiederfinden. Uniform und Drill kann man jedoch auch als Ausdruck kalvinistischer Askese deuten. Und die Mathematisierung des Krieges verweist auf das mechanistische Weltbild der cartesianischen Philosophie. In Frankreich war es eine gallikanische Staatsideologie, die den 43 Dieter Hennebo I Alfred Hoffmann, Geschichte der deutschen Gartenkunst, Bd. 1 - 2, Harnburg 1962 - 1965. 44 Hans Michael Moscherosch, Gesichte Philanders von Sittewald, (zuerst Straßburg 1650), Berlin (1883), 316.

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politischen (und zugleich militärischen) Zentralismus rechtfertigte. Aber bereits dieser Überblick macht die Zufälligkeit der philosophischen Begründungen und Ideenbezüge deutlich. Vielmehr stellt sich die Frage nach dem sie Verbindenden: Warum waren gerade diese Denkrichtungen und nicht andere für den "Zeitgeist" charakteristisch? Über die Ideen des Zeitgeists hinaus verweisen die Konfigurationen der geometrischen Fortifikation auf etwas ganz anderes: auf die Ordnungen der Körper. Der exerzierte Körper, der kasernierte Körper, der uniformierte Körper im Rahmen bastionärer Wallringe und Sternschanzen, - das sagt etwas aus über eine Körperverfassung. Sie wurde zugleich auch in den Choreographien und Haltungsreglementierungen des höfischen Tanzes, des Fechtens und des Figurenreitens anschaulich: Naturbeherrschung am Menschen und Sozialdisziplinierung der Gesellschaft. An dieser Stelle ergibt sich auch eine Brücke von der Fortifikation zur "heimlichen Verfassung" der neuen Produktionsweisen. Denn die Bastionsfestungen entwickelten sich nicht zufällig parallel zur Protofabrik oder Manufaktur als einer charakteristischen Innovation des 17./18. Jahrhunderts. Auch bei der manufaktureilen Produktion war, wie im Festungsbau, die Technik des Arbeitens zunächst unverändert, nämlich handwerklich und wenig maschinell. Was neu war, war die soziale Organisation der Arbeit. Sie war zentralisiert anstelle der dezentralen Verteilung des Handwerks und der Verlagsprodukion. Sie lief auf die Uniformität und Standardisierung der Arbeitsvorgänge wie auch der Produkte hinaus. Sie führte zur Klassifikation und Hierarchisierung der Arbeitsfunktionen, von den Arbeitenden über die kontrollierenden Werkmeister bis zu den Leitenden. Sie gründet sich auf Regelmäßigkeit im täglichen Ablauf, Unterwerfung unter die Regularität der Uhr und laufende disziplinierende Arbeitskontrolle. Die Quantifikation von Arbeitskräften, Material und Finanzen förderte das Betriebsrechnungswesen. Und schließlich verkörperte sie das neue Verhältnis zum Raum: Abgrenzung und Parzellierung, Trennung von Arbeiten und Wohnen, räumliche Trennung und serielle Reihung der Funktionen, eine neuartige Territorialisierung der Arbeitswelt als Arbeitswelt (und nur als diese)45 • Das war genau die Konfiguration, die auch der Festung im 17./18.Jahrhundert zugrundelag. Die Manufaktur enthüllt gerade in diesem Vergleich ihren Charakter als eine sozialgeometrische Produktions/arm. 45 Hermann Freudenberger, Die Struktur der frühindustriellen Fabrik im Umriß, in: Wolfram Fischer (Hrsg.), Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Probleme der frühen Industrialisierung, Berlin 1968, 413 - 433.

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Die Verfassungsgeschichte mündet damit über die Körperverfassung ein in eine neuartige Kulturgeschichte. Gerade die Strukturen militärischen Handeins und militärischer Technik bedürfen, so zeigt sich, einer kulturgeschichtlichen Analyse, - einer Kulturgeschichte, die nicht in philosophischen Ideen und ästhetischen Stilen ihren Mittelpunkt hat, sondern ihren Ausgang nimmt vom Alltag der Körper und von da aus die Produktionsformen einschließt.

Zusammenfassung

Ein diskontinuierlicher Weg zur Bunkerlandschaft (1) Die Frage nach der Verfassung und ihren Grundlagen, wie sie im Phänomen der Fortifikation sichtbar werden, hat also in ganz andere und z. T. unerwartete Gefilde und über verschiedene Stufen geführt. Auf der ersten Stufe begegnete uns die geschriebene und institutionalisierte Verfassung; in ihr erschien die Festung als Instrument fürstlicher Zentralisierung und der in Fortifikations- und Artilleriekorps organisierte Sachverstand als Vorentwurf auf den Zentralstaat hin. Auf einer zweiten Stufe wurde die Öffentlichkeit sichtbar, die diese Verfassung sozial abstützte oder trug und die ihr Fortifikationsinteresse als ein Interesse an der militärischen Geometrie dokumentierte. Ein weiterer Schritt führte von dort zu den konfiguralen Mustern solcher Festungsgeometrie, durch die hindurch Sozialgeometrie und Sozialdisziplinierung sichtbar wurden. Man gerät damit an eine heimliche Verfassung, die in den Dimensionen des Sinnlichen und Körperlichen sich festschreibt. Könnte es sein, daß hier, in der Körperverfassung, die Grundlagen gesellschaftlicher Organisationsstruktur erfaßbar werden? Die Schritte vom exerzierenden Körper über die geometrische Bastionärfestung zum sozialgeometrischen Staat lassen das als denkmöglich erscheinen. (2) Die Verfassung der frühen Neuzeit, die Öffentlichkeitsform und die Konfiguration, die damit sichtbar werden, erweisen sich als Strukturen eigener Art. Weder sind sie sinnvoll erfaßt nur als Verfall einer älteren mittelalterlichen Struktur, als Krise des Feudalismus etwa, wie sie die marxistische Forschung beschreibt. Noch werden ihre Konturen deutlich, nimmt man sie nur als Vorläufer des Neuen, also des industriellen Kapitalismus, wie es tendenziell Werner Sombart tat. Auch in der spezielleren Analyse der Militärstruktur entzieht sich der Befund des 17./18. Jahrhunderts einer dualen Festlegung auf entweder archaisch ("traditional", "vortechnische Armee") oder modern. Die Militärstruktur, deren wichtigen Eckpfeiler die Fortifikation darstellte, war zugleich von technologischer Rationalität geprägt und vorindustriell-adelsstän-

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disch. Vor allem aber war sie ein drittes: sozialgeometrisch in ganz spezifischem Zusammenhang der Soziogenese des Territorial- und Ämterstaates. (3) Im späten 18. Jahrhundert kam es zu einem strukturellen Bruch, der die ältere Fortifikation und Konfiguration des Ancien Regime von der Industriegesellschaft trennte. Zieht man über ihn hinweg dennoch die Linie weiter ins 20. Jahrhundert, so ergeben sich neue Fragen. Einerseits gingen die alten Muster in diesem sozialen Wandel unter und unterlagen den neuen Mustern von Produktivität, Evolution und Zeitdynamik. Die bastionären Festungsringe verschwanden im 19. J ahrhundert ebenso wie der adelsbürokratische Hof und Militärstaat des Ancien Regime. Andererseits jedoch bedeutete der Wandel auch eine Verschärfung und Justierung der zuvor angelegten sozialgeometrischen Muster. Es blieb und expandierte nicht nur der Staat als Verfassung, sondern auch die Architektur der Sicherheit und der Blick der Macht. Aus der Bastionsfestung wurde über die konservativ-restaurative Zwischenform der sogenannten neupreußischen Befestigungsart schließlich die Bunkerlandschaft des 20. Jahrhunderts: Maginotlinie und Atlantikwall, Flugzeughangar und Raketensilo, die Beton-Environments der Fußgängertunnel und Tiefgaragen (für den Luftschutz geeignet) ...48 Aus der Zentralität der Zitadelle wurde das Panopticon, das "Gefängnisarchipel" , strukturiert durch den panoptischen Blick der Pädagogik und des Überwachungsstaates47 •

Störzonen und Unüberschaubarkeit Und doch griffe man zu kurz in der Annahme, die Sozialgeometrie und die damit verbundene soziale Kontrolle seien so wirksam gewesen, wie das Bild des Zirkelschlags es suggeriert. Gerade das Festungswesen macht die Grenzen des Entwurfs deutlich, und dies an drei Stellen. (1) Zum einen blieb die sozialgeometrische Disziplinierung stets ein Versuch. Sie war gewissermaßen eine Folge von Zirkelschlägen, an deren Rändern es bröckelte und durch deren Lücken eine andere Geschichte hindurchlugte. Aus den zunächst dynamisch-innovativen Kon46 Christoph Hackelsberger, Das k . k . Österreichische Festungsviereck in Lombardo-Venetien, München 1980. - Paul V i rilio, Bunker Archeologie, Paris 1975. 47 Außer Foucault (Anm. 33), Ullrich (Anm. 34) und Lesemann (Anm. 33) auch Philippe Meyer, Das Kind und die Staatsräson oder Die Verstaatlichung der Familie, Reinbek 1981. - Peter Gstettner, Die Eroberung des Kindes durch die Wissenschaft. Aus der Geschichte der Disziplinierung, Reinbek 1981. - Hor st Rumpf, Die übergangene Sinnlichkeit. Drei Kapitel über die Schule, München 1981. - Wolfgang Dreßen, Die pädagogische Maschine. Zur Geschichte des industrialisierten Bewußtseins in Preußen/Deutschland, Frankfurt/Main u. a. 1982.

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toren, die sich als Organe der Zentralmacht etablierten, wurden zum Teil immobile Bürokratien. Trotz der entfalteten Reglements blühten Unterschleif und Korruption, gerade auch bei Artillerie und Fortifikation mit ihren unübersichtlichen Material- und Finanzein- und -ausgängen. Die Fortifikationsordnung der schwedischen Krone vervielfachte zwar- nicht zuletzt um die Unterschlagungen einzuschränken- ihre Punkte und Details, ebenso wie die militärischen Fachhierarchien ihre Ränge und Expertenfunktionen vermehrten. Aber das ging zugleich auf Kosten des Überblicks und schuf neue Reibungs- und Konfliktpunkte zwischen benachbarten Funktionen. Ohnehin störten regionale Besonderheiten das Bild der reichsweiten Uniformität, wie etwa in BremenVerdeo am Rande des schwedischen Ostseereichs. Der Adel wurde reglementiert und in gedruckten Rangordnungen klassifiziert, aber er duellierte unter sich wider alle Befehle; auch Fortifikationsofftziere waren daran beteiligt. Die Soldaten und Fuhrknechte der Artillerie wurden uniformiert, aber sie desertierten dennoch und nahmen die teure Uniform mit. (2) Zum anderen brachte die "gute Ordnung und Disziplin" auch als solche nicht nur Gewinn, sondern zugleich Verlust. Die Rückseite der Zentralmachtbildung war Enteignung. Enteignet wurden die Städte und Stände von ihren partikularen Rechten und Selbstverwaltungsbefugnissen und die Gartenbesitzer von ihren Landstücken vor dem Stadtwall, die zur Fortifikation eingezogen wurden. Enteignet wurde der Bürger in seinem Alltagsleben bis ins Wohnzimmer hinein, das den einquartierten Soldaten ausgeliefert wurde. Enteignet wurde der Handwerker von der Ganzheit seines Arbeitens und Wohnens, die durch die räumliche Zentralisation im Werkhof aufgehoben wurde. Die Sozialgeometrie des Staates, seines stehenden Heeres und seiner technischen Truppen etablierte sich auf dem Rücken insbesondere der kleinen Leute: der kleinen Bürger, der unterbürgerlichen Einwohner in den Städten, der Soldaten und der Bauern, die die Mehrheit der Bevölkerung bildeten. Die sozialgeometrische Gesellschaftsformation war also nicht etwa nur ein Teil eines Harmonisierungsprozesses, wie er unter den Stichworten der Zivilisierung und Pazifizierung, der Funktionsgerechtigkeit und Modernisierung beschrieben werden könnte. Sondern sie war ein Stück Konfliktgeschichte. (3) Lohnten sich die Lasten wenigstens in dem Sinne, in dem und für den sie durchgesetzt wurden, im Sinne der militärischen Effizienz? Welche Rationalität bewies die Festung im Rahmen der kriegerischen ultima ratio?

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So zutreffend es war, daß die Festungen die Vorstöße von Angreifern behinderten, seine Kräfte bei Belagerungen aufsplitterten und zugleich einen Rückhalt für eigene Angriffe darstellten, so deutlich zeigte sich auch eine Rückseite. Die Festungen saugten ebenso auch die militärischen Kräfte des Verteidigers auf, so daß diesem kaum verfügbare Truppen für eine einsatzfähige Feldarmee blieben. Das Zeitalter der Festungen war daher geprägt durch eine eigentümliche Immobilität der Kriegsführung, durch eine Tendenz zur prinzipiellen Schlachtvermeidung. Hinzu kam, daß die Festung, einmal erobert, sich leicht gegen das eigene Land wenden ließ. Und sogar als "Mausefalle" gegen das eigene Heer konnte sie dienen, etwa wenn eine siegreiche Armee - wie diejenige der Schweden 1712 unter Stenbock in Tönning - sich hinter die sicheren Bastionswälle zurückzog und dort eingeschlossen und ausgehungert wurde. Belastend wirkten sich ferner die ökonomischen und sozialen Kosten aus, die letztlich auch als militärische Faktoren zu Buche schlugen. Die Festung schützte weniger die Bevölkerung, als daß sie feindliche Truppen anzog und die Siedlung durch Bombardements ruinierte. Das umliegende Bauernland wurde ausgeplündert, und die Wälder und Forste wurden für die Verschanzung der Verteidiger und der Belagerer abgeholzt. Die Bevölkerung weigerte sich vielfach, die Wälle zu besetzen und mußte - im Gegenteil - von den Truppen in Schach gehalten werden, da Revolten drohten. Aber auch die Soldaten selbst waren anfällig für Aufruhr und Desertion, und die Festungstore wurden nicht selten von innen gestürmt, wenn Truppen zum Feind überliefen. Die Festungsarchitektur war nicht zufällig sowohl nach außen gerichtet als auch ein Disziplinierungsversuch nach innen. Nicht zuletzt: die bastionäre Festung entfaltete sich gerade in einer Zeit, da von der militärisch-technischen Effizienz her gesehen der Angriff im Vorteil war. Ab 1600/1620 gewann der Angriff durch technischgeometrische und sozial-geometrische Reformen das Übergewicht: Systematisierung des Approchierens in Parallelen, Aufteilung der Generalbatterie in kleinere spezialisierte Belagerungsbatterien, MörserSteilfeuer sowie die oranische Heeresreform, die den Landsknecht zum Schanzsoldaten disziplinierte. Obwohl einzelne Festungen in der Folgezeit in besonderen Situationen auch standhalten konnten, waren sie von nun ab bis zum Ende der Stadtfestungen (im 19. Jahrhundert) dem Angriff generell unterlegen. Solche Rückseiten waren den Zeitgenossen nicht verborgen. Zehn Festungen weniger bedeuten für den König 30 000 Mann mehr, erkannte

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schon Vauban, der Marschall von Frankreich•8 • Und dennoch war er mit mehr als 300 Festungsbauten, darunter 33 Neubauten, einer der aktivsten Fortifikateure der Geschichte. - Flemming, der sich gegen die für den Kriegsmann unnütze Hypertrophie der Fortifikation wandte, schrieb selbst über Fortifikation. Er kritisierte die Mathematisierung des Kriegswesens und empfahl selbst die reguläre Festung. Die heimliche Verfassung der Sozialgeometrie erwies sich- nochals stärker.

48 Gaston Zeller, L'organisation defensive des frontieres du Nord et de l'Est au 17e siecle, Paris 1928, 125.

Zum Verhältnis von Staat und Heer im Zeitalter der Großen Französischen Revolution Von Werner Gembruch, Frankfurt am Main Herbert Spencer glaubte in einem reziproken Verhältnis von äußerem Druck und innerer Freiheit ein generelle Geltung beanspruchendes Gesetz politischer Mechanik erkennen zu können. Demgemäß unterschied er zwei Grundtypen der Staats- und Gesellschaftsverfassung: einen vornehmlich auf Maximierung des militärischen Potentials bedachten "kriegerischen Typus" sowie einen der Förderung individueller Freiheit und Wohlfahrt verpflichteten "industriellen Typus" 1 • Letzterer werde sich, meinte er in dem seiner Zeit eigenen ungebrochenen Optimismus, dank der durch die stürmische Entwicklung von Industrie und Welthandel bewirkten Fortschritte internationaler Friedenssicherung schließlich in allen Staaten durchsetzen. Bislang freilich gelte noch, daß ein permanent äußerer Bedrohung ausgesetzter Staat notwendig zum Militärstaat werden müsse. Gewiß haben Staaten zur Abwehr äußerer Bedrohung der Maximierung der Effizienz ihrer militärischen Apparatur Priorität eingeräumt vor einer zeitgemäßen Modernisierung der Verfassungs-, Rechts- und Sozialordnung, zumal der Ausweitung und Absicherung individueller Freiheitsrechte, so auch Brandenburg-Preußen im 17. und 18. J ahrhundert. Doch hat dieser Staat nach Jena in dieser Frage eine eindeutig konträre Position bezogen, und zwar mit der in politisch interessierten und informierten Kreisen zunächst überwiegend akzeptierten Feststellung, gleichsam der regulativen Idee der Reform insgesamt, daß eine Mobilisierung aller Kräfte für einen künftigen Befreiungskampf und eine dauerhafte Steigerung der Wehrkraft ohne eine großzügige Gewährung bürgerlicher Freiheitsrechte nicht erreichbar seien, ausgehend dabei von der durch Vorbild wie Erfolg des Siegers vermittelten Überzeugung, daß die Stärke eines Staates nicht allein von der Quantität der Streitkräfte und der Qualität von Waffen und Ausrüstung abhängig sei, sondern mehr noch von dem Widerstandswillen der Nation, dessen Aktivierung allein von einer dem Freiheitsgedanken verpflichteten Ver1 Hierzu Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung, in: ders., Staat und Verfassung. Ges. Abh. zur allg. Verfassungsgeschichte, hrsg. v. F. Hartung, Bd. 1, Leipzig 1941, 43.

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fassungsreform erwartet werden könne. So meinte Gneisenau 1808, man müsse den Bürgern erst einmal ein Vaterland, d. h. das Recht politischer Mit- und Selbstbestimmung geben, "wenn sie ein Vaterland kräftig verteidigen sollen" 2 • In innerstaatlicher Freiheit sah er also eine conditio sine qua non der Bereitschaft zum Einsatz für die äußere Sicherheit. Diese für die Staats- und Heeresreform in Preußen fundamentale Einsicht spricht auch aus der für die Kriegslehre von Clausewitz zentralen Formel, daß die "Widerstandskraft eines Staates ein Produkt aus den vorhandenen Mitteln und der Stärke der Willenskraft" sei3 , letztere ein politischer Faktor, die volonte generale der Großen Revolution, deren Transformation in kriegerischer Energie - für die Elite des preußischen Offizierkorps ein zumeist freilich erst mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung voll verarbeitetes Schlüsselerlebnis hinsichtlich ihres Verständnisses von Krieg und Politik - nach dem Urteil von Clausewitz einen für die militärische Potenz zuvor unvorstellbaren multiplikatorischen Effekt bewirkt, so "den Krieg seiner absoluten Gestalt näher gebracht" und zunächst bei Valmy, unübersehbar dann im ersten italienischen Feldzug Napoleons eine "neue Epoche der Kriegskunst" eingeleitet habe, mithin nicht, anders als meist in der Vergangenheit, durch Innovationen im Bereich der Kriegstechnik, sondern durch ein neues politisches Bewußtsein, eine entsprechende Modernisierung der Verfassung sowie eine "ganz veränderte Staats- und Verwaltungskunst"'· Demgemäß hat man in Preußen nach Tilsit eine die Separation von Staat, Armee und Nation aufhebende, selbst einen "Griff ins Zeughaus der Revolution" nicht scheuende Reform von Staats- und Heeresverfassung betrieben, die eine solche militärisch nutzbare Willenskraft, von den Reformern teils aus Scheu vor einer zu engen Anlehnung an die revolutionäre Terminologie von 1789 und 1793, teils in Übereinstimmung mit dem nostalgisch gestimmten und romantisierenden Einflüssen offenen Nationalgefühl der Zeit meist "nationaler Enthusiasmus" genannt, wecken und wachsen lassen konnte- nach damals vorherrschender Auffassung eine unabdingbare Voraussetzung für die bei den veränderten Gegebenheiten der Kriegführung notwendige Liquidation des alten Übels der Desertion sowie für die Formation von Massenheeren zu erträglichen Kosten und den zügigen Ersatz selbst schwerster personeller Verluste in einem Feldzug. 2 Aus einer Denkschrift von Gneisenau vom August 1808, in: R. Vaupel, Das preußische Heer vom Tilsiter Frieden bis zur Befreiung (1807- 1814}, Bd. 1 (Publ. Pr. St. A. 94), Leipzig 1938, 549; vgl. Georg Eckert, Von Valmy nach Leipzig, Hannover/Frankfurt am Mafn 1955, 131, und Carl Hans Hermann, Deutsche Militärgeschichte, Frankfurt/Main 1966, 144. 3 Carl von Clausewitz, Vom Kriege, 16. Aufl., hrsg. v. W. Hahlweg, Bonn

1952,93.

' Ebd. 310 f.

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Zur Beantwortung der Frage, wie es zur Abkehr von der Staats- und Heeresverfassung des Ancien Regime gekommen ist, kann, wie im folgenden demonstriert werden soll, eine entsprechend dem Grundsatz "multum, non multa" auf Frankreich und Preußen eingegrenzte komparatistische Betrachtung wertvolle Anhaltspunkte und Ergebnisse erbringen, und zwar nicht nur wegen der dabei zu konstatierenden gewiß gewichtigen Gemeinsamkeiten, sondern mehr noch wegen der zahlreichen bedeutsamen unterschiedlichen Motivationen, Regelungen und Resultate. Verschieden war schon die Ausgangslage in beiden Staaten, und zwar neben der geostrategischen Lage auch die Sozialstruktur sowie ökonomische Gegebenheiten und Möglichkeiten, Bildungsstand und politisches Bewußtsein des Bürgertums und schließlich Platz und Rang der Streitkräfte, zumal des Offizierkorps in Staat und Gesellschaft. Wenige Zahlen können das verdeutlichen. So hatte Frankreich 1789 bei einer Bevölkerung von mehr als 25 Millionen eine Armee von 173 000 Mann, für die, nach dem "Campte rendu" Neckers, etwa 10 °/o der Staatseinnahmen aufgewandt werden mußten, wogegen Preußen bei knapp 6 Millionen Einwohnern ein 70 - 80 °/o der Staatseinnahmen beanspruchendes stehendes Heer von etwa 230 000 Mann unterhielt, mithin 4 °/o der Bevölkerung5 • Verständlich, daß hier Ausstattung und laufende Versorgung der Streitkräfte für das wirtschaftliche Leben weitaus bedeutsamer waren, als das in Frankreich damals der Fall gewesen ist. Mit einigem Recht konnte man von Preußen als einem Heerlager im Frieden, von seiner Ökonomie als einer Kriegswirtschaft in Permanenz sprechen. Verständlich ist danach ferner, daß in Preußen das Verhältnis des nach Friedrich dem Großen allein durch "esprit de nation" ausgezeichneten Offizierkorps zu dem sich als ein "roi-connetable" verstehenden Monarchen enger, die Reputation dieser privilegierten militärischen Führungselite in der Öffentlichkeit weitaus höher und der ihr als "premier etat du royaume" gegenüber der Beamtenschaft eingeräumte Vorrang sowie die Verpflichtung der Verwaltungsbehörden auf die Interessen der Armee unbestritten waren, ganz entsprechend dem Faktum, 5 Hierzu Max Jährn;, Das französische Heer von der großen Revolution bis zur Gegenwart, Leipzig 1873, 15 f., 24 f.; Albert Soboul, Die Große Französische Revolution, 2. Aufl. der deutschen Ausgabe (Titel der Originalausgabe: Precis de l'histoire de la revolution fran~;aise", Paris 1962), Frankfurt am Main 1973, 75; Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648 - 1939, Bd. 2: Rainer Wohlfeil, Vom stehenden Heer des Absolutismus zur Allgemeinen Wehrpflicht (1789 -1814), Frankfurt am Main 1964, 88; Raum und Bevölkerung in der Weltgeschichte, Bd. 4, 3. Aufl., hrsg. v. W. Köllmann, Würzburg 1965, 11 f., 19; und Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen, Berlin 1962, S. VI, 1. Nach Büsch belief sich die diensttaugliche Mannschaft auf etwa 17 ~/o der Bevölkerung. Stadt und Land waren von der Belastung durch das Militär gleichermaßen betroffen. So zählte etwa Berlin um die Jahrhundertwende bei einer Bevölkerung von rd. 170 000 Einwohnern mehr als 33 000 Soldaten in seinen Mauern.

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daß hier nicht wie in Frankreich der Staat, d. h. Verwaltungsbeamte wie Le Tellier und Louvois, die Armee organisiert, sondern die Heeresverwaltung sich in einer 1722/23 mit der Begründung des Generaldirektoriums sowie von Kriegs- und Domänenkammern abgeschlossenen Entwicklung zu einer das gesamte Staatsgebiet abdeckenden Verwaltungsorganisation ausgeweitet hatte. Das Militär war in Preußen, wie es im Politischen Testament Friedrichs von 1752 heißt, "la base de cet Etat" 8 , nach einer knappen wie treffenden Wendung von Büsch "Anlaß, Mittel, Basis zugleich für die Errichtung, Ausbildung und Aufrechterhaltung dieses sozialen Systems", d. h. nicht nur von Verfassung und Verwaltung, sondern auch der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, zumal auf dem Lande7. Eine für die Stellung der Armee im Staat besonders wichtige Differenz in der Verfassungsordnung beider Staaten ist schließlich darin zu sehen, daß in Frankreich die Kommandogewalt im Frieden de facto bei dem im Conseil d'Etat als dem unter dem Vorsitz des Königs kollegialisch beratenden und beschließenden höchsten Regierungs- und Verwaltungsorgan eingebundenen Kriegsminister lag, zumeist ein aus dem Dritten Stand kommender ziviler Staatsbediensteter ohne Ausbildung und Erfahrung im "Kriegshandwerk", wogegen es in Preußen eine solche militärische und politische Interessen auf höchster Ebene koordinierende Institution überhaupt nicht gab. Der Staat war geteilt in einen zivilen und einen militärischen Sektor, beide verbunden allein durch die Person des Monarchen. Nach Roßbach setzte in Frankreich eine zunächst ausschließlich militärtechnisch motivierte Diskussion um eine Erneuerung des Heerwesens ein, in der, so Jähns, auf militärischem Gebiet jenes starke Drängen und Treiben bereits erkennbar war, das auch in anderen Bereichen der Revolution vorausging'~. Ausgangspunkt war die Frage, was zu tun sei, um den Kampfgeist der Armee zu beleben und ihre Marschgeschwindigkeit, ihre Beweglichkeit im Gelände sowie ihren Zusammenhalt und ihre Stoßkraft im Gefecht zu steigern und so die Möglichkeiten operativer Führung insgesamt zu erweitern. Bald schon waren im Rahmen dieser bei ungewöhnlich reger Anteilnahme einer breiteren Öffentlichkeit geführten Diskussion alle Ideen und Forderungen zu hören, die Jahrzehnte später im Zuge der Neuordnung des Heerwesens während der Revolutionskriege und der Herrschaft Napoleons realisiert wurden, u. a. Bee Die politischen Testamente von Friedrich dem Großen, hrsg. v. G. B. Volz, Berlin 1920, 104. 7 Büsch (Anm. 5), 1. s Max Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, Bd. 3 (Nachdruck der 1. Aufl. von 1891), Hildesheim 1966, 2029.

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sinnung auf den Nationalgeist, Aufhebung der Käuflichkeit von Offizierstellen, freier Zugang für qualifizierte Bürger aller Stände zur Offizierlaufbahn, Beförderung nach dem Leistungsprinzip und nicht ausschließlich nach Anciennität, eine Quantität wie Qualität des Wehrersatzes steigernde Reform des Rekrutierungssystems, ferner Gliederung der Armee in gemischte Verbände, d. h. in aus Einheiten aller Waffengattungen zusammengesetzte und somit zu selbständigem Einsatz befähigte Divisionen und Korps, Aufgabe des Magazinalsystems und Nutzung aller Möglichkeiten der Requisition, Erhöhung der Mobilität, Zahl und Feuergeschwindigkeit der Geschütze sowie Einsatz der Artillerie als Offensivwaffe bei Konzentration des Feuers auf den schlachtentscheidenden Punkt, und schließlich Ausbildung aller Soldaten in den Regeln und Praktiken des "Kleinen Krieges", Einführung der BataillonsKolonne als Bewegungs- und Angriffsformation sowie des "zerstreuten Gefechts" als Alternative zur Lineartaktik - insgesamt ein Programm zur Erneuerung von Heeresorganisation, Ausbildung, Taktik und Strategie, geeignet die Dominanz der Defensive zu brechen und der Entscheidungsschlacht wieder eine Chance zu geben, zugleich von politischer Brisanz, da es Soldaten forderte, die es im Rahmen der Staats- und Heeresverfassung des Ancien Regime gar nicht geben konnte•. Manche Heeresreformer, am entschiedensten Guibert, drangen daher bald schon, den engeren Bereich des "Kriegshandwerks" transzendierend, auf eine Erneuerung der Staatsverfassung, um die im Interesse effizienter Kriegführung als notwendig erkannte Reform des Heerwesens überhaupt einleiten zu können10• Es kam zu einer Politisierung dieser ursprünglich als Kontroverse über militärische Fachfragen gedachten Diskussion, angeregt und zunehmend verschärft noch dadurch, daß zur gleichen Zeit, gleichsam von der anderen Seite kommend und mit ganz anderer Motivation, namhafte Staatstheoretiker, so Montesquieu, Mably und Rousseau, eine ihrem jeweiligen Verfassungsideal angepaßte Neuerung des Heerwesens forderten, und zwar um auszuschließen, daß die Armee als ein Fremdkörper die von ihnen intendierte Reform der verfassungsrechtlichen und sozialen Ordnung behinderte oder überhaupt unmöglich sein ließ. 9 Zu dieser in den Jahrzehnten vor 1789 in Frankreich ausgetragenen Kontroverse über eine Erneuerung von Heerwesen und Kriegführung s. Werner Gembruch, Zur Diskussion um Heeresverfassung und Kriegführung in der Zeit vor der Französischen Revolution, in: Napoleon I. und das Militärwesen seiner Zeit, hrsg. v. W. v. Groote u. K.-J. Müller, Freiburg 1968, 21 ff. 10 Einen überblick über die wichtigsten einschlägigen Quelleneditionen und die Literatur zu Guibert bringt Rudolf Vierhaus, Lloyd und Guibert, in: Klassiker der Kriegskunst, hrsg. v. W. Hahlweg, Darmstadt 1960, 210. Zu den politischen Forderungen und Ideen Guiberts s. Jähns, Kriegswissenschaften (Anm. 8), Bd. 3, 2060 und Eberhard Kessel, Die Wandlung der Kriegskunst im Zeitalter der französischen Revolution, in: HZ 148 (HI33), 249.

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So brachte Montesquieu im "Esprit des lois" die folgende für sein Programm einer Inkorporation der Armee in den Staat zentrale, von Guibert später rezipierte, weil nach seiner Oberzeugung auch aus rein militärtechnischen Erwägungen als praktikabel und hilfreich zu beurteilende Forderung: "Pour que celui qui execute ne puisse pas opprimer, il faut que les armees qu'on lui confie, soient peuple et aient le meme esprit que le peuple, comme cela fut a Rome jusqu'au temps de Marius". Um das zu garantieren, hielt er es für erforderlich, "que les soldats habitent avec les citoyens, et qu'il n'y ait ni camp separe, ni casernes, ni place de guerre"11 • Er verwarf also die Konzeption einer "Kasernenarmee", wie sie nach 1815 in Frankreich realisiert werden sollte, und bestand auf einer "Nationalisierung" der Streitkräfte, wobei sein primäres Motiv offensichtlich nicht das Interesse an einer Erhöhung ihrer Schlagkraft gewesen ist, sondern der Wille auszuschließen, daß sie zur Unterdrückung der Freiheiten der Bürger mißbraucht werden konnte. An eine allgemeine Wehrpflicht dachte er nicht, so wenig wie zunächst Mably in seiner 1758 veröffentlichten Schrift "Des droits et des devoirs du citoyen", wo er sich für ein von den Ständen formiertes, besoldetes und beständig unter Kontrolle gehaltenes Freiwilligenheer mit geheimer Wahl der Offiziere aussprach, im ganzen eine weitgehend noch altständischen Vorstellungen konforme Konzeption des Heerwesens11 • Erst in seiner Denkschrift "Du gouvernement et des lois de Pologne" vom Jahre 1770 forderte er die Einführung einer allgemeinen Verteidigungspflicht. Die Polen, meinte er hier, müßten eine "nation militaire" werden, wenn sie ihre Freiheit behaupten wollten. Warnend erklärte er, und zwar keineswegs nur im Hinblick auf Polen, sondern gemeint von ihm als eine von keiner Nation straflos zu mißachtende Mahnung: "Un peuple finira toujours par etre, si chaque citoyen ne se croit pas destine a etre soldat" 13• Ähnlich Rousseau in seiner Polen-Denkschrift von 1772: "Tout citoyen doit etre soldat par devoir, nul ne doit l'etre par metier"H. So unveräußerlich wie das Recht auf politische Selbstbestimmung, so unabdingbar war für ihn die Verteidigungspflicht aller Bürger und so unannehmbar deren Delegation auf eine Berufsarmee gekaufter Soldknechte. Für die Kampfkraft einer in seinem Sinne "nationalen" Armee vertraute Rousseau, damit die von Clausewitz aus dem Erleben der Revolutionskriege gewonnene Einsicht in die schlacht- wie kriegsentscheidende Bedeutung moralischer Faktoren antizipierend, weit mehr auf 11 Montesquieu, De l'esprit des lois, in: Oeuvres completes de Montesquieu, Bd. 2, hrsg. v. R. Caillois, Paris 1951, 406 (XI. 6). 12 Abbe de Mably, Oeuvres completes, Bd. 11, Paris 1794, 490 ff. ts Ebd. Bd. 8, 194. u Jean-Jacques Rousseau, Considerations sur le gouvernement de Pologne et sur sa reformation projetee, in: Oeuvres completes de J.-J. Rousseau, Bd. 3, hrsg. v. B. Gagnebin u. M. Raymond, Paris 1964, 1014.

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"l'amour de la patrie et de la liberb~" -bewährt als Impuls für Einsatzund Opferbereitschaft nach seiner Überzeugung vielfach in den Kriegen der römischen Republik und seiner Schweizer Heimat- als auf Meisterschaft in der Beherrschung militärischer Technik16• Trotz solcher und zahlreicher anderer Anregungen aus der politisch interessierten Öffentlichkeit, trotz sachkundiger Hinweise und Mahnungen militärischer Experten und trotz der Bemühungen qualifizierter Kriegsminister wie Choiseul und Saint-Germain konnte vor der Revolution auf dem Wege zu einer Reform des Heerwesens ein Durchbruch nicht erzielt werden. Einige Vorhaben wurden zwar realisiert, dann aber unter dem Druck einflußreicher sozialer Gruppen wieder rückgängig gemacht, so auch die Aufhebung der Käuflichkeit von Offizierstellen sowie die Öffnung der Offizierlaufbahn für Bürger aller Stände, letzteres mit einer schon im Geist der "prerevolution des privilegies" gehaltenen Verordnung von 1781, nach der eine Beförderung zum Offizier nur beim Nachweis von vier adligen Ahnen väterlicherseits möglich sein sollte18 • Es zeigte sich, daß die Heeresverfassung den veränderten Erfordernissen der Kriegführung dann erst angepaßt werden konnte, wenn die Staatsverfassung als das die Heeresverfassung einschließende und ihre Entwicklungsmöglichkeiten eingrenzende Ganze durch Reform oder Revolution nachhaltig modifiziert oder gänzlich beseitigt war. Dazu kam es dann 1789. In dem mit der Berufung der Generalstände einsetzenden und in der Folgezeit permanent akzelerierten revolutionären Prozeß entsprach dem durch oft ganz abrupte Richtungsänderungen forcierten Umsturz der politischen Verfassung eine durch vielfältige wie unerwartete Neuerungen gekennzeichnete Entwicklung der Heeresverfassung, Abläufe wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit, wobei, je nach den innen- und außenpolitischen Gegebenheiten, einmal der Wille zur Steigerung der militärischen Potenz, ein anderes Mal das Interesse an der Modernisierung oder auch einer Stabilisierung der staatlichen und sozialen Ordnung dominierte. Dieser Prozeß läßt sich in folgende Phasen gliedern: 1. Die 1792 endende Phase einer von außen zunächst kaum gestörten Auseinandersetzung um die Erneuerung von Verfassung und Sozialordnung, in der Fragen der Heeresverfassung nahezu ausschließlich unter dem innenpolitischen Aspekt diskutiert und entschieden wurden, daß auf jeden Fall die Gefahr von Störungen des revolutionären Prou Ebd. 1019. Jähns (Anm. 5), 16; General Weygand, Die Geschichte der französischen Armee, dt. Übersetzung, Berlin 1939, 177, 189 ff. 18

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zesses durch Interventionen der Armee ausgeschlossen werden müsse. Ihre militärische Effizienz interessierte kaum. Um ihre politische Neutralisierung zu erreichen und dauerhaft zu garantieren, verfügte man den Verfassungseid, die Formation einer "garde nationale" als ein Gegengewicht, die Säuberung des Offizierkorps von allen irgendwie als "suspects" eingestuften Persönlichkeiten sowie eine effektive Überwachung und Reglementierung von Vorgesetzten durch mit großen Vollmachten ausgestattete Soldaten-Räte. Darüber hinaus bemühte man sich bald auch schon, die Armee für die Ideen der Revolution zu gewinnen, u. a. durch eine Menschenwürde und Menschenrechte aller Soldaten respektierende Humanisierung des Dienstbetriebs und des MilitärStrafrechts, durch ein die "Nationalisierung" der Streitkräfte intendierendes Verbot der Anwerbung von Ausländern, den uneingeschränkten Verzicht auf die mit dem Freiheitsgedanken unvereinbare Zwangsrekrutierung, die Auflösung der als "Blutsteuer der Armen" verhaßten Miliz, ferner durch politische Indoktrination in den Kasernen, die Einladung von Soldaten aller Rangstufen zur Teilnahme an Diskussionen in den örtlichen Jakobiner-Clubs sowie durch geschickt inszenierte Feiern zur Verbrüderung von Armee und Volksmassen im Rahmen der großen "journees revolutionnaires" 17 • 2. Eine zweite Phase umfaßt die Jahre vom Beginn der Koalitionskriege und den "Septembermorden" bis zum Ende des "terreur" und dem gleichzeitigen, die Gefahr einer feindlichen Invasion beseitigenden Triumph von Fleurus - die Zeit der Massenhinrichtungen und Massenaushebungen. Neu war, daß jetzt infolge der Notwendigkeit einer Aktivierung aller Kräfte für den Kampf gegen den Landesfeind sowie gegen die Gironde und die Aufständischen in der Vendee Fragen der Heeresverfassung erstmals wieder unter dem Aspekt gesehen und entschieden wurden, alles Notwendige zu tun, um die Schlagkraft der Armee zu stärken, und zwar zunächst durch Wiederherstellung der weithin zerrütteten Disziplin. Auf Plünderung und Desertion stand von nun an die Todesstrafe. Ungehorsam und Mißachtung von Vorgesetzten wurden mit harten Strafen geahndet. Ferner bemühte man sich, alles nur Mögliche für die Formation von Massenheeren zu tun, und zwar zunächst mit dem in pathetischen Wendungen Einsatz- und Opferbereitschaft der Bürger beschwörenden Mobilisierungsgesetz vom 24. Februar 1793, einem Appell an den Patriotismus von Freiwilligen, der aber nicht den erhofften Erfolg brachte, nämlich nur 150 000 statt der erwarteten 11 Vgl. hierzu die hinsichtlich der angeführten Fakten weitgehend übereinstimmende, doch in der Wertung recht unterschiedliche Darstellung bei Soboul (Anm. 5), 144 ff. ; Pierre Gaxotte, Die französische Revolution, dt. Übersetzung, München 1949, 124 ff. ; Weygand (Anm. 16), 206 ff. und Jähns (Anm. 5), 23 ff.

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300 000 Mann18, weshalb sich der Konvent entschließen mußte, auf die seit 1789 entsprechend dem Wehrgedanken Montesquieus perharreszierte Zwangsrekrutierung zurückzugreifen und die "Requisition" ausnahmslos aller Bürger - ohne eine Begrenzung der Zahl der Auszuhebenden und unter Ausschluß jeder Form von "Stellvertretung" - für die Landesverteidigung zu verfügen, eine zur Behauptung der revolutionären Errungenschaften wie der Freiheit des Vaterlandes gegen Invasion und Konterrevolution militärisch damals unabweisbare Maßnahme, zudem für die Hausseau-Schüler Robespierre und Carnot politisch legitimiert mit dem Argument, daß allein die allgemeine und gleiche Verteidigungspflicht mit dem der Konventsverfassung inhärenten demokratischen Prinzip vereinbar sei. Erstmals hatte Frankreich jetzt, nämlich seit August 1793 und in Perfektion schließlich seit April 1794, als die zuvor vielfach schon verfügte, doch bisher an technischorganisatorischen Schwierigkeiten und häufig auch an wechselseitiger Aversion gescheiterte "Verschmelzung" der alten Regimenter mit den Freiwilligenbataillonen, d. h. die "Verschmelzung" des "elan patriotique" mit dem professionell-militärischen Geist realisiert worden war1' , eine "nationale Armee", "indivisible" wie die Nation selbst, eine Armee, wie sie erst wieder mit dem dem "preußischen Modell" angenäherten Wehrgesetz vom 27. Juli 1872 geschaffen werden sollte20• Der Stärkung der Kampfkraft der Armee diente auch die Entsendung von Konventskommissaren, vergleichbar nach Aufgaben und Befugnissen den von Louvois Generalen aus der hohen Aristokratie attachierten Intendanten meist bürgerlicher Provenienz. Die Kommissare sollten den "republikanischen Geist" in der Armee beleben, den Kampfeswillen stärken und politische Zuverlässigkeit garantieren, zumal unfähige oder der Konspiration mit dem Landesfeind und Konterrevolutionären verdächtige Generale absetzen, anklagen, aburteilen oder dem Revolutionsgericht in Paris überstellen, ein Auftrag, dem sie als Exekutoren des "terreur" in der Armee mit solchem Eifer nachkamen, daß Kleber glaubte sagen zu können: "Die Ernennung zum General ist ein Patent für das Schafott." So sehr man Fanatismus und Härte der Kommissare verabscheuen, so sehr man Verständnis für die Klage des Siegers von Menin, General Mouchard, haben mag, daß es sinnlos sei, sich für diese Schurken zu schlagen, da man von ihnen doch guillotiniert werde, so ist andererseits nicht zu bestreiten, daß sie sich große Verdienste um die Rettung Frankreichs im "heroischen Jahr der Revolution" erworben tB Hierzu Soboul (Anm. 5), 262 f., 293 ff.; Jähns (Anm. 5), 43 ff., 51 ff.; Weygand (Anm. 16), 221 ff. 18 Weygand (Anm. 16), 228 f .; vgl. Soboul (Anm. 5), 365- 369; Jähns (Anm. 5), 57. 20 Weygand (Anm. 16), 311.

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haben. Neben dem "elan patriotique" der für die Ideen von 1789 engagierten Freiwilligen und der bindenden Kraft des "militärischen Korpsgeistes" als Erbe der alten Armee war die Furcht vor diesen Kommissaren eine die Armee und zumal ihre Führung zu Einsatzbereitschaft und zu ganz erstaunlichen Leistungen und Erfolgen motivierender Faktor. Lieber wollte man, meinte einer der 43 allein im Jahre 1793 amtsenthobenen und hingerichteten Generale, auf dem Schlachtfeld ehrenvoll sterben als unter dem Fallbeil enden21 • 3. Kennzeichnend für die dritte, mit dem Tode Robespierres einsetzende und dem Staatsstreich Napoleons endende Phase in der Geschichte der Beziehungen von Staat und Armee in Frankreich seit 1789 ist an erster Stelle das Faktum, daß die Idee allgemeiner Wehrpflicht mehr und mehr zu verblassen begann, nachdem mit der dem Triumph von Fleurus folgenden Okkupation der Österreichischen Niederlande die äußere Sicherheit des Staates nicht mehr als unmittelbar gefährdet gelten konnte. Mit dem 1799 durch eine Verordnung über "Stellvertretung" komplettierten Konskriptionsgesetz von 1798 wurde die 1793 mit der "levee en masse" dekretierte Verteidigungspflicht aller Bürger faktisch aufgehoben, da nur dann überhaupt konskribiert werden sollte, wenn der Bedarf durch Freiwillige nicht gedeckt werden konnte, ganz offensichtlich ein Rückgriff auf Regeln und Praktiken der im Zeichen eines liberalen Staatsgedankens stehenden ersten Jahre der Revolution und als solcher paradigmatisch für den- in voller Übereinstimmung mit der damaligen politischen Generallinie- die Wehrpolitik des Direktoriums allgemein kennzeichnenden retrograden Trend22 • Fragen der Heeresverfassung wurden von nun an wieder überwiegend unter dem Gesichtspunkt innenpolitischer Opportunität beurteilt und entschieden, für einen im Krieg befindlichen Staat eine an sich ungewöhnliche, fast unverständliche Einseitigkeit, die sich aber infolge der tiefgreifenden Differenzen im Lager der Alliierten über Kriegsziele und Kriegführung sowie dank des in den vergangenen Jahren bereits erreichten hohen Leistungsstandards von Führung und Truppe der Revolutionsarmeen, zumal ihres ungebrochenen nationalen Enthusiasmus, in der Endphase des 1. Koalitionskrieges nicht nachteilig ausgewirkt hat. In der damaligen innenpolitischen Situation war diese offenkundig recht niedrige Einstufung militärtechnischer Erfordernisse auf der Prioritätenliste der Politik durchaus verständlich, eher zumindest als für die Jahre vor 1792, als die Armee politisch zersetzt, indiszipliniert, in der 21 Ausführlich hierzu Octave Aubry, Die französische Revolution, Bd. 2, dt. Übersetzung, Erlenbach-Zürich 1948, 164 f.; s. auch Weygand (Anm. 16), 221 f. und Jähns (Anm. 5), 50. 22 Weygand (Anm. 16), 238; Jähns (Anm. 5), 92; Soboul (Anm. 5), 553 f.

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Öffentlichkeit als Instrument des Despotismus verhaßt gewesen war und daher kaum mit Aussicht auf einen dauerhaften Erfolg zu konterrevolutionären Aktionen hätte eingesetzt werden können. Jetzt aber war die politische Führung mit einer disziplinierten, selbstbewußten, in der Öffentlichkeit gefeierten, weil in zahlreichen siegreichen Schlachten bewährten Armee konfrontiert, unter dem Kommando meist junger, ehrgeiziger, politisch engagierter Generale, von denen es manche zudem verstanden, ihre Soldaten durch ein persönliches Treueverhältnis fest an sich zu binden, das bald schon stärker verpflichtete als Verfassungseid und Ideen der Revolution23 • Es kam so zu einer "Entideologisierung" und "Entpolitisierung der Armee", zugleich zur Ausbildung eines hypertrophen militärischen Korpsgeistes und damit zur Absonderung der Armee von der Nation, wozu nicht wenig auch ihre fortschreitende "Entnationalisierung" beitrug, eingeleitet durch die 1794 verfügte formelle Aufhebung des bereits 1789 als eine der ersten Maßnahmen zur Begründung einer freiheitlichen Wehrverfassung von der Nationalversammlung beschlossenen Verbots der Rekrutierung von Ausländern24 • Begünstigt durch Revolutionsmüdigkeit, politisches Desinteresse und das wachsende Verlangen der Nation nach einer die Sicherheit von Leben und Eigentum garantierenden starken Staatsgewalt wurde die Armee schließlich, zunächst noch als eine Hydra mit mehreren Köpfen, zu einem Staat im Staate und damit zum Schiedsrichter im Machtkampf zwischen den Royalisten, dem sich vornehmlich auf die Bourgeoisie und die seit 1789 politisch wie sozial emanzipierten und ökonomisch weitgehend saturierten mittleren und großen Bauern stützenden Direktorium und der den Interessen des Kleinbürgertums verpflichteten, bisweilen auch sozialistischen Vorstellungen offenen, ungeachtet dessen die proletarisierten Haufen der "faubourgs" von Paris aber meist nur als eine bloße politische Manövriermasse nutzenden radikalen Linken. Alle diese politischen Gruppierungen brauchten ein Schwert, das freilich nicht nur von ihnen genutzt werden, sondern sich auch gegen sie kehren konnte. 4. Die mit dem Staatsstreich Napoleons einsetzende und erst mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches endende Phase der Verfassungsgeschichte Frankreichs nennt Jähns eine "Epoche des Militarismus", in der die Armee "zum Hebel wurde, der den Staat in Bewegung setzte" 25 , Jahre einer auf militärischer Macht basierenden, von der Nation zunächst durchaus akzeptierten diktatorischen Herrschaft eines Ursurpators, der Verfassungsfragen primär unter dem Gesichtspunkt sehen und 23

24

25

25°

Soboul (Anm. 5), 462. Jähns (Anm. 5), 89.

Ebd. 81.

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entscheiden mußte, die Verfügungsgewalt über die Streitkräfte als Fundament seiner Macht zu behaupten und zumal dem Offizierkorps einen Rang in Staat und Gesellschaft einzuräumen, der es fest auf seine Person verpflichten konnte, auch mit der großzügigen Vergabe von Orden, Ehrengeschenken und Nobilitierungen sowie der Perfektion eines Selbstbewußtsein und Korpsgeist von Soldaten wie Offizieren stärkenden sowie die Öffentlichkeit durch sichtbare Demonstration von Staatsmacht beeindruckenden und zugleich faszinierenden glanzvollen militärischen Zeremoniells. Die Revolutionsarmee wurde so zur Armee des Kaisers - mit einem permanent wachsenden Anteil von Ausländern, bei Wagram ein Drittel, bei Leipzig annähernd zwei Drittel der Gesamtstärke%8. Statt der Parole von 1789 "l'amour de la patrie et de la liberb~" hörte man jetzt den martialischen Schlachtruf "vive l'empereur". Militaristisch war diese Herrschaft ferner insofern, als sie nicht, wie Frankreich in den vorhergehenden Jahren, eine durch das Bekenntnis zu den das nationale Interesse transzendierenden Ideen von 1789 legitimierte, sondern, ob gewollt oder genötigt, eine ausschließlich auf Machtbehauptung und Machtausweitung gerichtete Außen- und Kriegspolitik verfolgte, eine Dominanz machtpolitischer Ambitionen, die den Patriotismus der Revolutionsarmeen zu einem Nationalismus mit aggressiven Zügen, die Armee zur ersten Institution im Staate, das Kommando über die Streitkräfte zur vornehmsten Herrscherfunktion und den Staat selbst zu einer der Förderung der freien Entfaltung aller Kräfte seiner Bürger bei der Verfolgung individueller Interessen als seinem nach liberalem Verständnis an sich vornehmsten positiven Zweck weitgehend entfremdeten Wehr- und Kampforganisation werden ließ. Die Priorität militärischer Interessen ging schließlich so weit, daß bei allen politischen Entscheidungen einschließlich der Revision der Verfassungsordnung zuerst nach den für die Widerstandskraft des Staates zu erwartenden Konsequenzen gefragt wurde. Es kam zu einer durchgehenden Militarisierung des öffentlichen Lebens, einer rigorosen Requisition von Leben und Eigentum der Bürger für militärische Zwecke, zunächst von der Majorität noch akzeptiert, da legitimiert durch den Glanz großer Erfolge, schließlich aber so sehr verhaßt, zumal seit den Massenaushebungen für die Feldzüge in Spanien und Osteuropa, daß der Kaiser jeden Rückhalt in der Öffentlichkeit verlor und mit seinem Herrschaftsapparat, Armee und Verwaltung, schließlich durch eine so breite Kluft von der Nation getrennt war wie selbst nicht die Bourbonen am Ende des Ancien Regime. Bereits 1811 zählte man 66 000 Deserteure und Dienstpflichtverweigerer. Der Preis für Ersatzmänner, ein vorzüglicher Indikator für die Einstellung zum Wehrdienst und damit zum Staat, stieg von 1 800 auf 4 000 FF 1809 und schließlich 1813 auf nicht weniger als 20

Hierzu Weygand (Anm. 16), 263 und Jähns (Anm. 5), 205.

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12 000 FF. Von den 900 000 damals Konskribierten konnten kaum mehr als 300 000 den Kampftruppen zugeführt werden27 • Alle diese Fakten und Zahlen lassen nicht daran zweifeln, daß die 1789 intendierte, 1793/94 annähernd erreichte, von Napoleon als Erbe übernommene und viele Jahre mit Gewinn noch genutzte Einheit von Nation, Staat und Armee schon vor der Katastrophe in Rußland zerbrochen war. Nach dem Ende Napoleons war die Abscheu gegen jede Form der Zwangsaushebung stärker als jemals zuvor. Selbst für das Zugeständnis eines allgemeinen Wahlrechts wäre die Nation damals, so Taine, nicht bereit gewesen, den "Tornister auf den Rücken zu nehmen" und so das Wahlrecht mit mehreren Jahren Kasernen- und Kriegsdienst zu bezahlen, überzeugt, daß ein "so wesenloses Recht von einem so handgreiflichen Frondienst keineswegs aufgewogen wird" 28 • Die mit der "Charte" von 1814 verfügte und im Wehrgesetz von 1818 im einzelnen definierte Regelung, nach der die Nation als Kompensation für den ihr zugemuteten Verzicht auf das Recht uneingeschränkter politischer Selbstbestimmung von dem Zwang und der Last des Wehrdienstes befreit wurde, entsprach nach Taine somit genau der damaligen Stimmungslage und den zwar unausgesprochenen, doch an dem verbreiteten politischen Desinteresse wie der entschiedenen Aversion gegen das Militär deutlich erkennbaren Wünschen der Nation29 • Mit Artikel 12 der neuen Verfassung, der im Rückgriff auf die vorrevolutionäre Ordnung des Wehrersatzwesens jede andere Form der Rekrutierung als "engagements volontaires" ausschloß, war bereits die gesetzliche Grundlage für die Aufstellung einer sog. "Kasernenarmee" als eines von der Nation separierten Berufsheeres geschaffen, rekrutiert aus dem "Abhub der Großstädte" (Taine), Abenteurern und dem ländlichen "Proletariat", Menschenmaterial ohne legitime Ansprüche und Rechte, das ohne Nachteile für die Volkswirtschaft und das kulturelle Leben des Landes für militärische Zwecke gebraucht und allenfalls verbraucht werden konnte30 • Erst mit dem dem preußischen Vorbild angenäherten Wehrgesetz von 1872 wurde in Frankreich die im "heroischen Jahr der Revolution" 1793 erreichte, von Napoleon genutzte und zugleich pervertierte, nach 1815 schließlich gänzlich liquidierte Einheit von Nation, Staat und Armee wiederhergestellt. Allgemeine Wehrpflicht und allgemeines Wahlrecht -von Taine treffend "Zwillingsbrüder" genannt, aus deren Verbindung notwendig die ihm verhaßte "nation militaire" bzw. eine "Armee von Bürgersoldaten" hervorgehen mußte, von deren Präsenz und AktivitäDiese Zahlen bringt Weygand (Anm. 16), 262, vgl. 206. Hippolyte Taine, Die Entstehung des modernen Frankreich. Revolution und Kaiserreich, dt. Übersetzung, Berlin/Frankfurt am Main 1954, 449 ff. 29 Jähns (Anm. 5), 257 ff. 27

2s

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ten er für das 20. Jahrhundert "eine Fülle von Blutbädern und Staatsbankrotten" befürchtete - bewährten sich dann nach dem Urteil von Weygand als die beiden tragenden Säulen der Dritten Republik, zumal in den Jahren des Ersten Weltkrieges mit der Abwehrschlacht von Verdun als ruhmreichem Höhepunkt. 1 Der hier abgeschlossene, in den Jahrzehnten vor der Revolution einsJtzende Überblick über das Verhältnis von Heer und Staat in Frankr~ich läßt erkennen, daß nichts die Bereitschaft und den Willen zu durchgreifenden Reformen besser wecken kann als schmähliche Niederlagen, in Frankreich Roßbach und Sedan, in Preußen, wie wir im folgenden sehen werden, Jena. Beide, Frankreich wie Preußen, waren dann gleichermaßen bemüht, vom siegreichen Gegner zu lernen. Beide waren ferner bemüht, auch die Verfassungsordnung so zu reformieren, wie es im Hinblick auf militärische Notwendigkeiten und die neue Wehrverfassung erforderlich schien.

* Da in Preußen die Heeresverfassung als vorbildlich, die Armee als unbesiegbar galt, so Stein noch wenige Wochen vor Jena31 , konnte der erste Impuls zu einer durchgreifenden Heeresreform nicht aus dem Führungskorps der Armee kommen. Vielmehr waren es Literaten, zumeist verabschiedete Offiziere, die, angeregt durch französische Publikationen und beeindruckt von den Erfolgen der Revolutionsarmeen, eine Modernisierung der Streitkräfte forderten und so eine öffentlich ausgetragene, doch von der Generalität selbst nach Napoleons triumphalem italienischen Feldzug von 1796 nur beiläufig registrierte Diskussion provozierten, die freilich, entgegen in der deutschen militärgeschichtlichen Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verbreiteten Auffassungen, wenig nur brachte, was nicht schon in der bereits vor der Revolution in Frankreich geführten regen wie sachkundigen Auseinandersetzung über Heerwesen und Kriegführung gebracht worden wäre32 • Trotzdem verdient sie Beachtung, da ohne die hier geleistete gedankliche Vorarbeit die Reformen nach 1806 nicht mit einer solch erstaunlichen Entschiedenheit und Zielstrebigkeit hätten begonnen und durchgeführt werden können. 31 Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, hrsg. v. W. Hubatsch, Bd. II/1, Stuttgart 1959, 261, 153. Vgl. vom Vf., Krieg und Heerwesen im politischen Denken des Freiherrn vom Stein, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2 (1971), 33 f. 32 Hierzu Reinhard Höhn, Revolution Heer - Kriegsbild, Da rmstadt 1944, sowie ders., Schamhorsts Vermächtnis, 2. Anfl., Frankfurt am Main 1972, 19 ff.

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Bemerkenswert ist nun, daß man im Rahmen dieser literarischen Kontroverse, selbst um die J ahrhundertwende, kaum etwas von den bei einer Modernisierung der Heeresverfassung doch unabweisbaren Veränderungen der politischen Verfassung hörte, zumindest weitaus weniger als in Frankreich vor der Eröffnung der Generalstände. Zu dieser Abstinenz fand man sich weniger deshalb bereit, weil man glaubte, die Zensur fürchten zu müssen, sondern weil in Preußen militärische Experten, befangen im Ressortdenken, es weniger noch als ihre französischen Kollegen für vertretbar hielten, die Grenzen fachlicher Kompetenz zu überschreiten. Das gilt bis 1806 selbst für Scharnhorst. Nur wenige verwiesen ausdrücklich auf die Interdependenz von Heeresverfassung und Staatsverfassung, so Behrenhorst, Cölln und Buchholz33 • Hinderlich für die Bereitschaft zur Modernisierung der Streitkräfte war einerseits, daß man befürchtete, verständlicherweise bei der großen Bedeutung der Armee für das wirtschaftliche Leben und die Stabilität des Sozialsystems, Reformen im militärischen Bereich würden unberechenbare wie unkontrollierbare Konsequenzen für das öffentliche Leben insgesamt haben, und andererseits, daß man einschneidende Veränderungen im politisch-sozialen Bereich für inopportun hielt, da sie die Leistungsfähigkeit der militärischen Apparatur mindern könnten gleichsam eine wechselseitige Blockade34 • In Preußen sah man eben, entsprechend einem dem Zeitgeist konformen mechanistischen Verständnis von Politik und Krieg sowie in Übereinstimmung mit dem konservativen Grundsatz "quieta non movere", in Reformen Eingriffe in Apparaturen, nämlich Verwaltung und Armee, die dort, wo beide ohne Friktionen arbeiteten, nur nachteilige Wirkungen haben konnten- eine den Reformwillen in allen Bereichen staatlicher Kompetenz für Jahrzehnte annähernd lähmende und so das Scheitern der manche Neuerungen zwar dekretierenden, doch gemessen an den faktischen Notwendigkeiten unzureichenden "Reformen vor der Reform" bewirkende Einstellung in der Beurteilung politischer Fragen35 • Allein durch eine Schwächen der 33 Vgl. Johannes Ziekursch, Friedrich v. Cölln und der Tugendbund, in: H.Vjsch. 12 (1909), 38- 76; Otto Tschirch, Friedrich Buchholz, Friedrich v. Cölln und Julius Voß, drei preußische Publizisten in der Zeit der Fremdherrschaft, in: FBPG 48 (1936), 163- 181; ders., Geschichte der öffentlichen Meinung in Preußen im Friedensjahrzehnt vom Basler Frieden bis zum Zusammenbruch des Staates, Bd. 2, Weimar 1934, 149 ff., 235 ff.; Werner Gembruch, Friedrich v. Cölln als Publizist vor dem Zusammenbruch Preußens im Jahre 1806, in: Festschrift für K . Köster (Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek 5), Frankfurt/Main 1977, 457-483. Vgl. ders., Bürgerliche Publizistik und Heeresreform in Preußen (1805- 1808), in: Militärgeschichte. Probleme - Thesen - Wege, hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Stuttgart 1982, 124- 149. 34 Dazu ausführlich Büsch (Anm. 5), 72 f. as Zu Reformansätzen in Preußen vor 1806 s. Otto Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806, in: HZ 76 (1896), 413- 443; sowie Reinhold Koser,

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Staats- und Heeresverfassung dekuvrierende Katastrophe konnte dieser Innovationen inhibierende Immobilismus überwunden werden. Dazu kam es 1806. In Preußen öffnete eine militärische Niederlage den Weg zur Reform. Ihr Hauptziel war demgemäß, auch in Übereinstimmung mit der traditionellen Verpflichtung dieses Staates auf den Primat außenpolitischer Interessen, die Rückkehr auf den mit Jena verlorenen Platz im System der Pentarchie. Der Modernisierung der Heeresverfassung mußte daher, so die vorherrschende Auffassung, Priorität eingeräumt, die Reform im politisch-sozialen Bereich ihr akkommodiert werden. Nach dem Triumph über Napoleon, der Bewährung der neuen Wehrverfassung in den Befreiungskriegen und ihrer Kodifikation in den Wehrgesetzen von 1814/15 begann der Reformwille mehr und mehr zu erlahmen. Restaurative Kräfte vermochten sich durchzusetzen, eindeutig mit dem Provinzialständegesetz von 1823, das nicht einmal als eine Abschlagszahlung auf das Verfassungsversprechen vom Mai 1815 bezeichnet werden kann. Dagegen öffnete in Frankreich eine revolutionäre Aktion der Nation den Weg zur Modernisierung von Staat und Armee. Die Priorität politischer Interessen war demgemäß von Anfang an unbestritten. Militärische Fragen wurden zunächst meist so entschieden, wie es zur Akzeleration oder zur Mäßigung und Kanalisierung der Revolution erforderlich schien. Das gilt selbst für die Politik der Gironde während der Monate vor Beginn des Krieges gegen die feindliche Koalition. Erst die 1793 drohende Gefahr einer totalen Niederlage eröffnete militärischen Experten wie Carnot und Prieur die Chance, eine auf Maximierung der Schlagkraft der Armee abgestellte Reform zu realisieren. Unterschiedlich war in Preußen und Frankreich ferner, und zwar vor wie nach der in beiden Ländern um die Jahrhundertwende intendierten und teilweise auch erreichten Modernisierung von Staats- und Heeresverfassung, das Verhältnis der höchsten politischen und militärischen Führungsorgane. Während in Frankreich die Entscheidung über militärische Reformen bei politischen Institutionen lag, der Constituante, der Assemblee legislative und dem Konvent oder dem Wohlfahrtsausschuß und dessen von Carnot geleiteter Dritter Sektion, der wiederum der Kriegsminister, der Kommissar für Heeresorganisation sowie das Topographische Büro als ein für die Planung von Feldzügen verantwortlicher Generalstab unterstellt waren, während schon im Ancien Regime die politische Kontrolle der Armee immer gesichert gewesen war36 , dachte man in Preußen selbst nach 1806 nicht daran, die traditionelle Die preußische Politik 1786 - 1806, in: ders., Zur preußischen und deutschen Geschichte, Stuttgart/Berlin 1921, 202-268. ae Soboul (Anm. 5), 367; Weygand (Anm. 16), 225.

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Teilung des Staates in einen zivilen und einen militärischen Bereich aufzuheben. Demgemäß wurden nach Tilsit zwei getrennt agierende, allein durch den König verbundene Immediat-Kommissionen gebildet, eine für die Reform von Verfassung und Verwaltung sowie der Sozial- und Wirtschaftsordnung und eine zweite für die Reform des Heerwesens, die Militär-Reorganisations-Kommission, besetzt ausschließlich mit Offizieren, deren Gesetzentwürfe meist ohne Rücksprache mit zivilen Instanzen dem König zur Unterschrift vorgelegt wurden- eine für Preußen als Militärstaat signifikante Eigenständigkeit des militärischen Sektors, beibehalten über die Epoche der Reformen hinaus und abgesichert durch die herausgehobene Stellung des Generaladjutanten und des Militärkabinetts beim König sowie des Kriegsministers innerhalb des Ministeriums37. Obwohl es also nach 1807 keine Institution oder verbindliche Regelung zur Koordination der Reformen im zivilen und militärischen Bereich gegeben hat, waren sie doch aufeinander abgestimmt, eine gleichsam "prästabilierte Harmonie", zu der es deshalb gekommen ist, weil die Heeresreformer, ausgehend von der Überzeugung, daß aus militärtechnischen Gründen, vornehmlich der Notwendigkeit der Mobilisierung von Massenheeren, eine Nationalisierung der Armee, mithin die Formation durch nationalen Enthusiasmus verbundener und zum Kampf motivierter Streitkräfte erforderlich sei, zur politischen Idee der Einheit von Staat, Nation und Armee einschließlich einer danach unerläßlichen, mit den neuen Vorstellungen von Menschen- und Bürgerrechten zu vereinbarenden Reform des militärischen Disziplinar- und Strafrechts sowie der Liquidation aller ständischen Privilegien und der Anerkennung des Leistungsprinzips für Auswahl und Beförderung von Offizieren fanden. Andererseits erkannten Stein und Hardenberg, bestimmt zunächst von ganz anderen Zielvorstellungen politisch-sozialer Reform, daß die vou ihnen intendierte, zumal auf die Beseitigung aller die freie Entfaltung der Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft inhibierenden ständischen Schranken und die Förderung eines Bewußtseins nationaler Gemeinschaft, nach Steins Terminologie von "Gemeinsinn", gerichtete Reform von Staat und Gesellschaft ohne die Integration der Armee scheitern müsse. Das militärische Interesse forderte, daß jeder Bürger Soldat werde, das politische Interesse, daß jeder Soldat zugleich Bürger sei. Von verschiedenen Seiten kommend und bestimmt von einer im Ansatz zunächst unterschiedlichen Motivation traf man sich in demselben ZieJ38 • 37 lj:ierzu Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 1, München 1954, 222 - 237. 38 Vgl. Gembruch, Bürgerliche Publizistik (Anm. 33), 124 f.

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In Preußen wurde mit der Heeresreform erreicht, was damals aus rein militärischer Perspektive erforderlich schien, nämlich eine Wehrverfassung, die es ermöglichte, bei erträglichem finanziellen Aufwand im Frieden ein stehendes Heer als ein gegen potentielle innere und äußere Feinde abschreckend wirkendes Machtinstrument sowie als Schule der Nation zu Staatsgesinnung und Kriegstüchtigkeit zu unterhalten und im Kriege mit der Einberufung von Reservisten sowie der Mobilisierung von Landwehr und Landsturm Massenheere aufzustellen und selbst bei hohen Verlusten beständig wieder aufzufüllen, insgesamt eine Wehrverfassung, die diesen Staat trotz ungünstiger geostrategischer Lage sowie relativ geringer Bevölkerungszahl und ökonomischer Stärke eine respektierte, zur Behauptung seiner Position im System der Pentarchie befähigte Militärmacht sein ließ. Gelungen war die Heeresreform ferner deshalb, weil sie von Anfang an, mehr jedenfalls als jede andere der nach 1806 verfügten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Erneuerung von Staat und Gesellschaft, als durch Akzeptanz in der Öffentlichkeit ausgezeichnet gelten konnte, nach dem Urteil von Stein als das einzige wirklich "volkstümliche", weil vom "Gemeingeist" als dem Lebenselixier politischer Gemeinschaften beseelte Werk der Reform38 • Dagegen war die politische Ordnung mit dem die Niederlage der Progressiven im ersten preußischen Verfassungskampf besiegelnden Provinzialständegesetz von 1823 weit hinter einem solchen Anspruch zurückgeblieben, mithin die in den ersten Jahren nach Jena gegebene "prästabilierte Harmonie" zwischen Verfassungs- und Heeresreform zerbrochen. Die Nation verblieb im Stand politischer Unmündigkeit mit der die in den Jahren vor und nach 1813 als annähernd schon erreicht angesehene Einheit von Staat und Nation ausschließenden Konsequenz einer unüberbrückbaren Diskrepanz von Wehrverfassung und Staatsverfassung. Nach den halkyonischen Jahren der Restauration zeigte sich 1848 und noch einmal im Heeres- und Verfassungskonflikt der sechziger Jahre, daß die allgemeine Wehrpflicht als "legitimes Kind der Demokratie" allein bei Gewährung des Rechts politischer Selbstbestimmung einschließlich eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts als gerechtfertigt gelten und breite Zustimmung finden kann. Andernfalls ist sie, was ohne Einschränkung auch- entgegen in Preußen-Deutschland vor 1918 weithin verbreiteten Auffassungen - für die auf dem Kantonreglement basierende Wehrordnung Preußens im 18. Jahrhundert gilt, nichts anderes als eine Unterwerfung fordernde, mit dem Freiheitsgedanken unvereinbare, weil Menschenrecht und Menschenwürde mißachtende Zwangsmaßnahme, von den Betroffenen nur widerstrebend hingenommen aus Notwendigkeit oder Gewöhnung. ae Stein (Anm. 31), VI, 560, 524.

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Vor 1918 war man in Preußen-Deutschland bemüht, diesen Widerspruch zu verdecken, und beantwortete daher die Frage, ob Wehrpflicht und Wahlrecht als wechselseitig unabdingbar zu gelten hätten, nicht, wie zumeist in Frankreich, mit einem eindeutigen Ja, sondern mit einem Ja-aber, so auch Hintze, der zwar einen inneren Zusammenhang zwischen allgemeiner Wehrpflicht und der Idee einer repräsentativen Verfassung konstatierte, da im Prinzip der Wehrpflicht "etwas Demokratisches" liege, aber einschränkend meinte, "Demokratisches" nur im Sinne von Hardenbergs Parole aus der Rigaer Denkschrift "demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung" 40 • Danach konnten Wehrverfassung und Staatsverfassung des Kaiserreiches sicherlich als ausgeglichen und spannungsfrei gelten.

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Hintze, Statsverfassung (Anm. 1), 69 .

Zur Frage der militärischen Exekutive in der Konzeption des Deutschen Bundes Von Hellmut Seier, Marburg Das Bild des Deutschen Bundes, so wie die Forschung ihn heute sieht, ist widerspruchsvoll und doppeldeutig. Er war ein Faktor des europäischen Gleichgewichts, half den Frieden zu sichern, stützte den Status quo, deckte das geltende Recht, aber er bezweckte und erwirkte dies, indem er zugleich Wandel verzögerte und Modernisierung hemmte, indem er die transformative Komponente der Restauration in Grenzen hielt. Dabei war er als föderativer Bindungsversuch, zumal in seinen Anfängen, keineswegs so wirklichkeitsfremd und unbeweglich, so wenig entwicklungsfähig, so sehr nur Hindernis, Mißgriff und Irrtum, wie er den borussophilen Generationen im Rückblick erschien, wenn sie von der vermuteten Höhe der kleindeutschen Reichsgründung auf ihn hinuntersahen. Erst seit das Bismarckreich seinerseits als bloße Durchgangsstufe erkennbar wurde und damit als Urteilsmaßstab an Autorität verlor, wird der bündischen Alternative allmählich - bemerkenswert langsam - mehr differenzierende Aufmerksamkeit und eine gerechtere Einschätzung zuteil. Der Gesamteindruck ist nichtsdestoweniger zwiespältig geblieben1 • t Eine moderne und umfassende Gesamtdarstellung der Struktur und der Geschichte des Deutschen Bundes fehlt noch immer. Jüngster Ansatz dazu in Taschenbuchform: Peter Burg, Der Wiener Kongreß. Der Deutsche Bund im europäischen Staatensystem (Dt. G. d. neuesten Zeit), München 1984.- Altere Gesamtdarstellungen: Leopold Friedrich Ilse, Geschichte der deutschen Bundesversammlung, insbesondere ihres Verhaltens zu den deutschen NationalInteressen, 3 Bde., Marburg 1861/62; Carl v. Kaltenborn, Geschichte der Deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 bis 1856, 2 Bde., Berlin 1857; Karl Fischer, Die Nation und der Bundestag, Leipzig 1880. Typisch für die borossisehe Abwertung des Bundes Heinrich v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. I, Leipzig 51894, 710 ("kläglicher als das Gebäude des alten Reiches"); Heinrich v. Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., Bd. I, München 41901, 41 ("organisierte Anarchie"). - Die Neudeutung setzte ein mit Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. II, Freiburg 1933, 68 ff. Sie wurde besonders im angelsächsischen Ausland gefördert, vgl. Robert Spencer, Thoughts on the German Confederation 1815 - 1866, in: The Canadian Historical Association Report 1962, 68 - 81. - Neuere Beispiele für eine zunehmend ausgewogene Deutung des Bundes unter Betonung seiner Friedensorientierung und Entwicklungsfähigkeit neben Burg (a.a.O. 57, 96) bes. KarlGeorg Faber, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Re-

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Eine ähnliche Ambivalenz kennzeichnet die Armee des Deutschen Bundes, besser gesagt das, was als seine militärische Exekutive vorgesehen, ansatzweise bereitgestellt und bundesrechtlich verankert war2 • Gemessen am nationalen Machtstaat war sie unentwickelt und mangelhaft, schien sie demzufolge in hohem Grade disfunktional und schwach. Allzu sichtbar zeigte dieses nie vom Ernstfall überprüfte Heer Merkmale militärischer Unzulänglichkeit: von der ungleichen Organisation seiner gliedstaatliehen Kontingente, dieser buntuniformierten Vielfalt großer und kleiner Truppenteile, verschieden bewaffnet, auf verschiedene Weise rekrutiert und diszipliniert, bis zu der zweideutigen Rolle Österreichs und Preußens, die nur mit Teilen ihrer Staatsgebiete zum Bunde gehörten, ihm auch nur Teile ihrer Armeen unterstellten, und bis zur fehlenden Führung im Frieden. Dennoch war diese W ehrkonstruktion nicht bloß fiktiv, nicht gänzlich tatsachenfern und auch nicht ohne Sinn. Trug sie nicht trotz aller Schwächen, abschirmend nach außen, zur jahrzehntelangen Friedenswahrung bei? Wirkte sie nicht, mindestens zeitweilig, integrativ auch im lnnern, indem sie die beiden deutschen Großmächte in ein gemeinsam garantiertes Ordnungsgefüge einband? War sie nicht fester gegründet, enger verflochten, besser gevolution. Von 1815 bis 1851 (Hdb. d. Dt. G., Bd. 3/1, 2), Wiesbaden 1979, 14, 21; auch Erich Röper, Die Verfassung des Deutschen Bundes, in: GWU 28 (1977), 648- 668; zuletzt Wolf D. Gruner, Die deutsche Frage, München 1985, 73 f. Skeptischer dagegen Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800- 1866, München 21984, 355 f. Auch Heinrich Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815- 1866 (D. Dt. u. ihre Nat. 2), Berlin 1985, hebt zumindest für die Frühzeit mehr den Machtwillen Osterreichs gegenüber dem Bund hervor (S. 42). 2 Auch über das Heer und die Kriegsverfassung des Bundes gibt es noch keine befriedigende Monographie. Bester Ersatz: Wolfgang Fetter, Deutscher Bund und deutsche Mittelstaaten, in: Hdb. d. dt. Militärgeschichte. Hrsg. v. F. Forstmeier u. H. Meier-Welcker, Bd. IV/2, München 1976, 226 - 300. - Zusammenfassungen: Hermann Gackenholz, Das Heerwesen des Deutschen Bundes (1815 - 1866), in: K. Linnebach (Hrsg.), Deutsche Heeresgeschichte, Harnburg 1935, 278- 295 (einseitig militärisch und aus preußischer Sicht); Carl Hans Hermann, Deutsche Militärgeschichte, Frankfurt 1966, 185 - 196 (unergiebig). - Zeitgenössische Darstellungen mit positivem Akzent: Wilhelm Fr. Ph. Frhr. v. Leonhardy, Versuch einer Entwickelung der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes, Frankfurt 1835; August Frhr. v. Loen, Die Kriegsverfassung des deutschen Reiches und des deutschen Bundes (1668 - 1860), Dessau 1860. - Überwiegend ablehnende Deutungen aus Wilhelminischer bzw. nationalsozialistischer Sicht: Justin Kühn, Die Regelung des Militärwesens in der Verfassung des Deutschen Bundes, in der Frankfurter Verfassung und in der Verfassung des Deutschen Reiches, jur. Diss. Erlangen 1906; Reinhard Scholz, Der Deutsche Bund und seine Wehrverfassung, jur. Diss. Freiburg 1935. - Positivere Einschätzungen unter Herausarbeitung zukunftswirksamer Züge: Walter Schnabl, Die Kriegs- und Finanzverfassung des Deutschen Bundes, jur. Diss. Marburg 1966; Elmar Wienhöfer, Das Militärwesen des Deutschen Bundes und das Ringen zwischen Osterreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland 1815 - 1866 (Stud. z. Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung 1), Osnabrück 1973. - Neuere Arbeiten zu einzelnen Aspekten und Phasen s. u. Anm. 4, 28, 105, 125.

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plant zumindest als ehedem die Reichsarmee, gleichwohl erträglich für Europa, und nimmt sie sich aus weiter historischer Distanz nicht aus wie eine Vorform jener kollektiven und staatenverbindenden Defensive, die im Jahrhundert danach das wehrpolitische Credo wurde? Wenn Otto Hintze recht hatte mit seiner Ansicht, daß Staats- und Wehrverfassungen einander bedingen und daß die Armee des 19. Jahrhunderts ihrer Natur nach für den monarchischen Einheitsstaat geschaffen war3 - mußte dann nicht das fragile System eines überwiegend staatenbündischen, aber doch auch mit Zügen von Staatlichkeit ausgestatteten deutschen Mitteleuropa eine andere, eine spezifische Art von Machtformation und Wehrtauglichkeit suchen? Die Forschung zögert noch immer spürbar, dies einzuräumen und die Folgerungen in Rechnung zu stellen'. Solange die Sichtweise Treitschkes dominierte, fanden sich naturgemäß kaum Ansätze dazu, und als sein Echo verklungen war, traten die heeresgeschichtliche Fragestellung und der machtakzentuierende Zugriff generell zurück. Schon der Deutsche Bund selbst ist immer ein Stiefkind der Geschichte geblieben, wieviel mehr vollends seine Armee5 - und dies, obgleich ihr Schicksal fast bis zuletzt der Kern des seinen war, seine Sorgen zu guten Teilen auf den ihrigen beruhten und die meisten Kämpfe und Streitigkeiten, die ihm und seinem Ausbau galten, sich ebenso auf sie, meist vornehmlich auf sie bezogen. Merkwürdigerweise hat aber auch der historiegraphische Paradigmenwechsel der jüngsten Zeit auf die Probleme der überstaatlichen Willensbildung, Ordnungsstruktur und Machtrelativierung in der Epoche des Bundes bisher kaum nachhaltig neues Licht gelenkt. Seine rüstungspolitisch dämpfende, Entspannung fördernde, Mögs Otto Hintze, Staatsverfassung und Heeresverfassung [1906], in: ders., Staat und Verfassung, hrsg. v. G. Oestreich, Bd. I, Göttingen 3 1962, 52-83, hier 52, 80. ' Belege bei Wolfgang Keul, Die Bundesmilitärkommission (1819- 1866) als politisches Gremium (Europ. Hochschulschr., III, 96), Frankfurt 1977, 14 ff. Doch betont auch diese sonst förderliche Arbeit einseitig die militärische Untauglichkeit der Bundeskriegsverfassung (243), weit weniger ihren politischen Auftrag und staatenverbindenden Sinn. Bei Wienhöfer (Anm. 2) reduziert sich ihre .,Geschichtswirksamkeit" gar noch auf den funktionalen Effekt, Preußen den Aufstieg zur Hegemonie ermöglicht zu haben (110). Dagegen ist Petter (Anm. 2) bemüht, dem Zweckrationalismus der begrenzend kalkulierten militärischen Effizienz und der sinngebenden Friedenspflicht gerechter zu werden (vgl. 230, 235, 237 ff., 241, 254). Auch er geht gleichwohl vom zeitgenössischen Machtmaßstab des Einheits- oder Bundesstaates aus (vgl. 226). Das Staatstypspezifische und Antizipierende der kollektiven Wehrformation, Defensivbindung und faktischen Rüstungsbegrenzung kommt auch hier kaum zur Geltung. 5 Zum diesbezüglichen Forschungsrückstand zuletzt Wolf Dieter Gruner, Die deutschen Einzelstaaten und der Deutsche Bund, in: Land und Reich, Stamm und Nation. Festgabe für Max Spindler, hrsg. v. A. Kraus, Bd. III, München 1984, 19 - 36, hier 33.

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lichkeiten und Anreize zur Kriegführung zügelnde Funktion kommt im geschichtlichen Urteil über ihn noch immer nicht gegen die gesellschaftlich konservativen, politisch stagnativen Formelemente auf, die die Kehrseite seiner Status-quo-Zementierung bildeten. Zugespitzt ausgedrückt: die Ahnensuche des Gesinnungspazifismus verdrängt ihn, weil es ihr aus guten Gründen widersteht, einen Metternich in die Friedenskette einzureihen8 • Unter den Fragen, denen nachzugehen dieser Sachverhalt nahelegt, rücken im Lichte des Tagungsthemas diejenigen in den Mittelpunkt, die auf den bundesspezifischen Zusammenhang und Balancierungsversuch von Politischem und Militärischem zielen: auf seine Grundlegung in den Zukunftsplanungen der nachnapoleonischen Ära, seine verfassungspolitische, führungsinstitutionelle, organisatorische Ausformung, auf den Grad und die Spur seiner Bewußtwerdung in der politisch-militärischen Kalkulation und seine effektiven geschichtlichen Folgen. Was bezweckte, so ist zu fragen, politisch und militärisch die Bundeskriegsverfassung? Inwieweit entsprach das militärische Instrument qualitativ und strukturell seinem politischen Auftrag und Sinn? Inwieweit war es praktikabel, situationsgerecht, belastbar und ausbaufähig? Welcher Platz kommt ihm zu in der Motiv- und Organisationsgeschichte der staatsübergreifenden Wehrformation und Koalitionskriegsplanung? Wir gehen aus von den wehrpolitischen Grundsatzentscheidungen der Gründungszeit zwischen 1815 und 1822 (I). Wir verweilen besonders bei den für die Fragestellung zentralen Detailregelungen der Kriegsverfassung und bei dem in ihren Formelkompromissen versteckten Spannungspotential (II). Wir behandeln dagegen nur knapp die Folgezeit bis 1866, in der sich das institutionelle Gerüst der militärischen Exekutive trotz aller Reformbemühungen nicht mehr entscheidend veränderte (111).

I. Jeder der 1813/15 erwogenen Lösungen der deutschen Frage entsprach ein analoges WehrmodelL Das galt für die Reichserneuerung und den Bundesstaat wie für Doppelbund und Staatenbund, und das Denkschriftenkonzert, das dem Wiener Kongreß voranging und ihn begleie Typisch dafür, ganz abgesehen von jüngsten populären Publikationen, bereits Jacob ter Meulen, Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung, Bd. II/1, Haag 1929 [Neudruck 1968], 166.- Zum Aspekt der europäischen Friedenssicherung im Ordnungs- und Gleichgewichtssystem Metternichs dabei bereits Heinrich Ritter v. Srbik, Metternich. Der Staatsmann und Mensch, Bd. I, München 1925, 225 ff., 358 ff., 429 f.; vgl. Michael D erndarsky, Österreich und der Deutsche Bund 1815 - 1866, in: Österreich und die deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. H. Lutz u. H. Rumpler, Wien 1982, 92 - 116, hier 98.

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tete, erwog ein halbes Dutzend Möglichkeiten: das einheitliche, das zwei- oder dreigeteilte, das mehrfach unterteilte und von Kreisobersten geführte Heer, aber auch den Verzicht auf eine durchorganisierte Bundesmacht und die Duldung von Regionalbedürfnissen7 • Doch so breit das Spektrum des Denkbaren, so eng war im Grunde von Anfang an der Bereich, in dessen Grenzen eine wirklichkeitsnahe, konsensfähige und kurzfristig durchsetzbare Konstruktion angesiedelt werden konnte. So stellten sich als nahezu chancenlos recht bald die beiden Flügelpositionen heraus: die zentralistisch-unitarische und ihr ultraföderatives Gegenteil. Wohl tauchte, zumal zu Beginn der Debatte, das patriotische Wunschbild einer "permanenten Reichsarmee" auf, eines in Reichsfestungen und Reichsstädten stationierten stehenden Heeres, womöglich befehligt von einem Reichsfeldmarschall und unter der Oberhoheit eines Kaisers, der gegenüber den Kleinstaaten zu unmittelbarem Durchgriff befugt sein sollte und dem die alleinige Leitung der "allgemeinen Militäranstalten", also der Festungen, der Artillerie und des Genie- und Fuhrwesens, im gesamten Reichsgebiet zugedacht war8• Und wohl strebten umgekehrt einige der größeren Mittelstaaten, insbesondere Württemberg und Bayern, anfänglich einen Status nahezu unbedingter, auch außenpolitisch kaum oder ungeschmälerter Souveränität und Unabhängigkeit an, bis hin zur Auffassung des entstehenden Bundes als faktisch bloß lockerer Zweckallianz und Wehrkoalition, charakterisiert durch den in Stuttgart und München gehegten Rechtsvorbehalt, sich bei Kriegen zwischen den Großmächten oder außerhalb des Bundesgebiets ganz unabhängig vom Bund, allein nach Maßgabe des 7 Die wichtigsten Quellen bei Johann Ludwig Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, bes. Bd. II, Erlangen 1815; Wilhelm Adolf Schmidt, Geschichte der Deutschen Verfassungsfrage während der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses 1812 bis 1815, Leipzig 1890.- Auswahl: Manfred Botzenhart (Hrsg.), Die deutsche Verfassungsfrage 1812- 1815 (Hist. Texte Neuzeit 3), Göttingen 1968; Hans-Dieter Dyroff (Hrsg.), Der Wiener Kongreß, München 1966. - Darstellungen: Charles Webster, The Congress of Vienna 1814- 1815, London 1919 [Reprint 1963]; Karl Griewank, Der Wiener Kongreß und die Neuordnung Europas 1814- 1815, Leipzig 1942; zuletzt Enno E. Kraehe, Metternich's German Policy, Bd. II: The Congress of Vienna, 1814- 1815, Princeton 1983. - Eine moderne Spezialuntersuchung zur Rolle von Wehrproblem und Heeresfrage im Rahmen der Verfassungsmodelle fehlt. Zur Gesamtproblematik zusammenfassend: Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, Stuttgart 21967, 475 ff. s Schmidt (Anm. 7), 47 (Münster an Stein, 5. 1. 1813); 63 f. (Prager Denkschrift Steins, Ende August 1813); 91 f. (Münster an Stein, 8. 10. 1813); 215 (Verfassungsplan des sachsen-hildburghausenschen Geh. Rats Karl Ernst Schmid, Oktober 1814); ähnlich Erbgroßherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin, der im Herbst 1813 sogar die uneingeschränkte Reichskompetenz über das Heerwesen, bis hin zum Wegfahl aller einzelstaatlichen Truppen, befürwortete, vgl. Willy Real, Die deutsche Verfassungsfrage am Ausgang der napoleonischen Herrschaft bis zum Beginn des Wiener Kongresses, phil. Diss. Münster 1935, 60 f.

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eigenen Vorteils, engagieren zu dürfen'. In die europäische und deutsche Nachkriegslandschaft paßte das eine wie das andere nicht. Die Sieger der Befreiungskriege, voran das England Castlereagh's, wollten im Herzen des Kontinents weder eine Machtballung noch ein Machtvakuum haben. Sie begünstigten in ihrer Mehrzahl eine nicht machtlose, staatsähnliche, faktisch aber weitgehend neutralisierte "Societät", die durch Verteidigungskraft nach außen, Stabilität im Innern und vorsichtig kanalisierte Zukunftsdynamik ein Mitträger der Friedenssicherung im Dienste des gesamteuropäischen Status quo sein konnte. Dazu taugte eine starke, stehende Reichsarmee so wenig wie ein vom Bunde losgelöstes Kriegs- und Bündnisrecht, sobald es von den beiden Vormächten mit ihrem nichtbündischen Machtfundament auf die "bloß teutschen" Bundesglieder übergriff10• Mit dieser Sicht der Dinge stimmte im Grunde überein, was an den meisten deutschen Höfen und mindestens in Teilen der öffentlichen Meinung11 jenseits aller Blütenträume als realistisch erschien. Auch Wien und Berlin favorisierten weder das reichspatriotisch-nationale noch das partikularistische Wehrmodell, so sehr ihre Zielvorstellungen untereinander und teils in sich selbst differierten. Als desto aussichtsreicher erwies sich dagegen eine Art Mittelweg: eine gewisse, aber nicht zu weit getriebene Koordination und Konzentration der militärischen Bundesmacht, staatenübergreifend und als Dauerordnung mit souveränitätsrelativierenden Eingriffsrechten angelegt, aber nicht primär auf gesamtbündischer Basis und mindestens im Frieden auch nicht mit monokratischer Spitze. Als denkbare Form dafür empfahl sich eine dezentralisierte Regionalorganisation, die gleichwohl im Auftrag des Bundes handeln, an seiner Willensbildung beteiligt sein und im Ernstfall mit vereinten Kräften schlagen sollte. Das war der militärische Kern des Gedankens, wenn nicht ans Reich, so doch an die Reichskreise wiederanzuknüpfen und, ihrem Muster in zeitgemäßer Abwandlung folgend, innerhalb des Bundes und oberhalb der Einzelstaaten eine raumgerecht modernisierte Wehrformation zu • Klüber {Anm. 7), Bd. II, 97, 101, 103, 114 f., 116 f. {Erklärungen Württembergs bzw. Bayerns am 20., 22. und 24. 10. 1814). 10 Ebd. 86 (Erklärung Österreichs, Preußens und Hannovers am 20. 10. 1814). - Zur Haltung Englands vgl. Wolf-Dieter Gruner, Der Deutsche Bund als ,Centralstaat von Europa' und die Sicherung des Friedens, in: Studien zur Geschichte Englands und der deutsch-britischen Beziehungen. Festschrift für Paul Kluke, hrsg. v. L. Kettenacker, M. Schlenke u. H. Seier, München 1981, 79 - 102, hier 81 f. u Nach Rolf Darmstadt, Der Deutsche Bund in der zeitgenössischen Publizistik (Europ. Hochschulschr. 111, 7), Bern 1971, trat 1814/15 nur eine Minderheit für eine lockere Föderation ein. Auch die Verfechter eines Staatenbunds dachten jedoch an ein "starkes, nach außen gesichertes Deutschland" (36, 45, 51).

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schaffen. Zahl und Zusammensetzung dieser Kreise, Art und Ausmaß ihrer Kompetenzen, Rechtsstellung und Rang der jeweils in ihnen führenden Macht - das alles schwankte von Plan zu Plan, und als die Begriffe "Kreis" und "Kreisoberst" auf Widerwillen stießen, wurden sie durch schwächere, weniger vorbelastete ersetzt12 • Weitgehende Einhelligkeit, jedenfalls bei den Großmächten und einem erheblichen Teil der kleineren Staaten, bestand seit dem Spätherbst von 1814 jedoch darin, daß größere militärische Einheiten, etwa in Armeekorpsstärke, bereits im Frieden in diesem Rahmen vorzubereiten und daß die Truppen der meisten Mittel- und Kleinstaaten in sie einzuordnen seien13• Doch damit war noch nicht viel gewonnen. Denn alles Heikle, alles letztlich Entscheidende blieb vorerst ausgeklammert. Keine Klarheit ergab sich insbesondere hinsichtlich folgender sechs Fragenkomplexe: 1. Wie sollten die regionalen Wehrexekutiven im Hinblick auf Größe, Zugehörigkeit, Flächenbildung und Führungsmacht beschaffen sein? Wie sollten sie im Innern geordnet sein? Bis zu welchem Grenzwert sollten ihre Truppen vereinheitlicht, integriert, überstaatlich inspiziert und der angestammten Fürstengewalt damit entzogen sein? 2. Sollten sie im Kriegsfall ein gesamtbündisches Heer unter einheitlichem Oberbefehl bilden? Wann, wie und auf wessen Beschluß hin sollten sie gegebenenfalls darauf vorbereitet, im Ernstfall mobilisiert, im Feldzug eingesetzt werden? Wie war die Spitzengliederung oberhalb der Regionalexekutiven zu denken? Sollte die Heeresführung Anteil an Bundesentscheidungen, strategischen und operativen Ermessensspielraum und eine spezifische Verantwortlichkeit haben? 3. Wie sollten die beiden deutschen Großmächte bezüglich ihrer zum Bunde gehörenden Gebiete zu Oberbefehl, Heereseinheit und regionaler Machtbildung stehen? Sollten sie der Bundesstreitmacht 12 Schmidt (Anm. 7), 230 f., 245, 247. Humboldt sprach schließlich von "Militärbezirken" und "Bezirksabteilungen", ebd. 307, 311. 13 Entsprechende Zielvorstellungen am deutlichsten in Humboldts Denkschrift an Stein vom Dezember 1813 und in Hardenbergs .,41 Punkte-Plan" vom Juli 1814. Metternich legte sich nicht fest, doch sah der österreichischpreußische Zwölf-Artikel-Entwurf vom Oktober 1814 immerhin vor, daß der Kreisoberst .,die höchste Aufsicht über das Kriegswesen des Kreises auszuüben" habe (Art. 8). Bayern und Württemberg näherten sich dem Plan unter der Voraussetzung völliger Gleichberechtigung aller Könige als Kreisdirektoren. Die kleineren Mittelstaaten, z. B. Hessen-Darmstadt, bevorzugten eine Regionalisierung auf Divisionsbasis, vgl. sämtlich Schmidt (Anm. 7), 114, 182 ff., 211 f., 230, 246 f. - Daß eine .,engere Lokalverbindung einzelner Teile [... ] notwendig" sei (so Metternich, 7. 11. 1814, ebd. 247), blieb auch nach dem Scheitern der Kreisordnungspläne unbestritten. Der Gedanke mündete wenig später in die Armeekorpsgliederung der Bundeskriegsverfassung (s. u. 419 ff.) ein.

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übergeordnet und gleichsam vorgesetzt oder regional raumbeherrschend und mit Führungsvollmacht in sie eingefügt oder als halbdeutsch-europäische Mächte ganz losgelöst und außerhalb von ihr sein? 4. Wer sollte die Entscheidung über Krieg und Frieden treffen? Die beiden Großmächte allein? Oder gemeinsam mit den regionalen Vormächten (Kreisobersten)? Oder der Bund in seiner Gesamtheit, d. h. ein Bundesgremium, an dessen Willensbildung alle Gliedstaaten zu partizipieren hätten? 5. Wie hoch sollte die Gesamtstärke der Bundesstreitmacht sein? Wie groß der Anteil von Reserven, Landwehr, Landsturm? Wer sollte die wichtigen Spezialeinheiten, insbesondere Kavallerie und Artillerie, stellen? 6. Wieviele und welche Festungen sollte der Bund besitzen? Wer sollte sie faktisch besetzen, befehligen, unterhalten und kontrollieren? Wie weit sollte die Verteidigungslinie vorgeschoben werden? In welcher Weise ließ sich der westliche Randbereich (Holland, Schweiz) einbeziehen? Diese Problemkomplexe sind vom Wiener Kongreß erörtert worden, teils schon vom Fünfercomite (Deutscher Ausschuß) im Spätherbst 1814, teils auf den Deutschen Konferenzen im Mai und Juni des folgenden Jahres, teils durch Denkschriftenaustausch und NotenwechseP 4 • Für die spezielleren Probleme bildete bereits das Fünfercomite einen Unterausschuß (Militärcomite)15 , der seinen Beratungen eine Ausarbeitung des bayerischen Vertreters, Feldmarschall Fürst v. Wrede, zugrundelegte. Dessen Expose bot freilich nicht mehr als eine Art Fragenkatalog. Immerhin wurde darin, teilweise implizit, bereits vorausgesetzt, daß es eine "Bundesarmee" geben und daß sie einem "obersten Befehlshaber" unterstellt sein werde. Ferner wurden Erörterungen darin angeregt, wie sie im Kriegsfall "auf dem Sammelplatz" erscheinen und welche "natürliche Linie", vornehmlich im Westen, sie verteidigen solle18 • Schon diese indirekten Vorgaben überforderten indes den faktisch erzielbaren Konsens. Alles Nähere stand vollends zur Disposition. Die Mächte vermieden es, sich festzulegen. Kein Verfassungsaspekt blieb in Wien so nebulös wie das WehrmodelL u Das wichtigste bei Klüber (Anm. 7), Bd. I und II, insbesondere in Protokollen und Beilagen des Deutschen Ausschusses (II, 64- 198) und Deutschen Konferenzen (li, 324- 570). Am strittigsten blieben die Art Anschlusses kleinerer an größere Kontingente, das Kriegserklärungsrecht die Teilnahmepflicht an Bundeskriegen. 15 Ebd. Bd. II, 89. 18 Ebd. Bd. II, 110 ff., hier 111 f.

den der des und

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Letzten Endes rührten die Undeutlichkeiten der Wiener Visionen davon her, daß hinsichtlich der Zweckbestimmung des Bundes und speziell seines militärischen Auftrags auch unter den konsensorientierteren Gipfelplanern kein Einvernehmen herrschte. Das betraf zumal die beiden deutschen Großmächte. Österreich hatte vor allem die Verteidigungs-, Neutralisierungs- und Friedensfunktion des nachnapoleonischen Deutschlands im Sinn. Preußen wollte in mancher Beziehung gewiß dasselbe, zugleich aber mehr. Strebte Metternich einem Bunde zu, .,welcher die Erhaltung einer Jahre langen Ruhe zum Zwecke habe, die nur in so fern möglich sey, als im Centrum von Europa eine große Defensiv-Vereinigung statt finde" 17 , so verbanden Hardenberg und Humboldt mit der Sicherungsfunktion überdies die Hoffnung, daß sich längerfristig die Tendenz zur nationalen Einheit, inclusive Verfassungsreform, daraus entwickele . .,Deutschland", so drückte Humboldt es aus, .,muß frei und stark seyn, nicht bloß damit es sich gegen diesen und jenen Nachbar oder überhaupt gegen jeden Feind vertheidigen könne, sondern deswegen, weil nur eine auch nach außen hin starke Nation den Geist in sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Innern strömen" 18• Das war bei manchem Gleichklang entschieden zweierlei, ganz abgesehen davon, daß Preußens expansive Energie im Klartext noch sehr viel weiter griff und zur Förderung ihrer Absichten auch unkonventionelle Mittel, bis hin zur Verschwörerischen Geheimbundbildung19, nicht scheute. Als Nahziel strebte die jüngste europäische Großmacht zumindest die faktische militärische Hegemonie nördlich der Mainlinie an, eine Machtbefestigung, von der weder die Hofburg noch das Dritte Deutschland noch der größte Teil des sonstigen Europa etwas wissen wollten. Hinter dem Druck aus dem Norden stand indessen nicht bloß die offensive Dynamik einer ehrgeizigen Generalität, mochten diese oder Teile von ihr auch führend daran Anteil haben. Der preußische Expansionswille war bei realistischer Musterung vielmehr als gegebenes Resultat der Geschichte und als mögliches Medium einer gesamtdeutschen Modernisierungstendenz, die in ihm eine Hoffnung zu erblicken begann, ins Kalkül einzubeziehen20 , und dem war am ehesten Genüge zu tun, 17

Ebd. Bd. II, 184 (Erklärung im Deutschen Ausschuß, Prot. v. 12. 11. 1814).

Wilhelm v. Humboldt, Werke, hrsg. v. A. Flitner u. K. Giel, Bd. IV, Berlin 1964, 303 (Denkschrift an Stein, Dezember 1813); vgl. Schmidt (Anm. 7), 1s

104. 19 Zur norddeutschen Hegemonialaspiranz, meist verbunden mit dem Anspruch auf militärischen Oberbefehl, vgl. Friedrich Meinecke, Das Leben des Generalfeldmarschalls Hermann von Boyen, Bd. II, Stuttgart 1899, 271 ff., bes. 274; zur Geheimbundbildung ders., Die Deutschen Gesellschaften und der Hoffmannsehe Bund, Stuttgart 1891, 46 ff. 20 Deutungen aus der Sicht des "Dritten Deutschlands" pflegen dies zu unterschätzen, vgl. etwa Helmut Rumpler, Föderalismus als Problem der deut-

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wenn es glückte, den Militärstaat mit ausbalancierter Dominanzteilhabe in ein bremsend kollektives, vom Dritten Deutschland mitgetragenes, machtvolles Defensivsystem einzubauen. Darum bemühte man sich, Metternich nicht ausgenommen, in Wien. Es schien bei aller Schwierigkeit in dem Maße chancenreich, in welchem das seit der sächsisch-polnischen Krise vom Winter 1814/15 isolierte, selbst von Rußland kaum noch gedeckte Preußen sich der verschlechterten Lage anzupassen begann. Dazu kam noch, daß der Wiederbeginn des Krieges zu vermehrten Anstrengungen aufrief. Traf sich doch 1815, nach der unverhofften Rückkehr des von Elba entwichenen Korsen, ziemlich der ganze Kongreß in dem Vorsatz, eine wirkliche und wirksame, zur Abschreckung taugliche, stets hinreichend präsente, gemeinsame Wehrexekutive zu schaffen. Dies ist dem Wiener Kongreß und den Folgeverhandlungen bis 1820 im Grundsätzlichen dann doch nur teilweise geglückt - nur insofern, als der Bund überhaupt zustande kam, als er alle deutschen Staaten einschloß, sie auf eine zweckgebundene Machtzusammenfassung festlegte und europäische Rückendeckung dafür fand. Denn was in Wien 1815 und 1820 definitiv vereinbart wurde- in der Bundesakte bestenfalls angedeutet, in der Schlußakte bekräftigt und ausgedehnt - und was auf zwei österreichisch-preußischen Militärkonferenzen 1817/IR konkretere Gestalt annahm21 , das war im Prinzipiellen nicht mehr als eine Festsetzung steuernder Eckwerte, eine geschmeidig-pragmatische Rahmengebung auf jener kompromißhaften und mittleren Linie, die zwischen Partikularismus und Hegemonie die Waage hielt. Es war ein vieldeutig schillerndes Konstrukt, politisch wie militärisch. Politisch ein zur Friedenswahrung geschaffener Staatenbund, der sich jedoch, um nochmals mit Humboldt zu sprechen, "zur Erreichung seines innern und äußern Zwecks in gewissen [... ] Beziehungen eine Einheit und einen Zusammenhang gegeben hat, welche ihn in diesen Beziehungen zu einem Bundesstaat machen" 22 • Militärisch eine auf Gefahrenabwehr sehen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts (1815- 1871), in: Der Staat 16 (1977), 215 - 228, hier 220 f. :21 Deutsche Bundesakte (Art. 2, 10- 11) und Wiener Schlußakte (Art. 35- 51) bei Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I, Stuttgart 31978, 87 f., 96 ff.; zu den Militärkonferenzen von Karlsbad 1817 und Aachen 1818 vgl. Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. II, 282 ff., und Elmar Wienhöfer, Die Aachener Militärkonferenz über die deutsche Bundesarmee im Jahre 1818, in: WwR 19 (1969), 552- 555; zu den militärischen Aspekten der Wiener Verhandlungen 1819/20 (Entscheidung über Krieg und Frieden, Größe und Zusammensetzung kleinstaatlicher Kontingente, Anlage und Unterhaltung von Bundesfestungen) vgl. Leopold Friedrich Ilse (Hrsg.), Protokolle der deutschen Ministerial-Conferenzen, gehalten zu Wien in den Jahren 1819 und 1820, Frankfurt 1860, 23, 33, 79 ff., 88 ff., 169 ff., 298 ff., 307 ff., 314 ff., 397 ff.

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und Ordnungssicherung, und zwar nach außen wie im Bunde selbst, zugeschnittene Minimalvorsorge, die diesem Bund zwar kein stehendes, kein unmittelbar eigenes, kein unbeschränkt verfügbares Heer überließ, wohl aber die Wehrkompetenz, die Kollektivbefugnis zur Erklärung von Krieg und Frieden und zur Ausformung einer Exekutive. Eine zur Kriegsvermeidung28 aufgerufene Gemeinschaft bedingt souveräner, formell annähernd gleichberechtigter Staaten war gegründet: mit Defensivpflicht nach außen, Friedenspflicht im Innern, gemeinsamem bewaffnetem Verfassungsschutz und im Verteidigungs- und Exekutionsfall mit einem einheitlichen Heer unter einheitlichem Oberbefehl, wenn auch in der Form einer Kontingentsarmee, in die die beiden Großmächte nicht mehr als etwa ein Drittel ihrer Streitkräfte einzubringen gehalten waren. Ein Friedenssicherungsbund gegen Aggression von außen, Expansion im Inneren, Revolution von unten. Verglichen mit dem Diskussionsstand von 1814, klärte diese endgültige Grundlagen-Normierung immerhin in mehrfacher Hinsicht die Situation. Zunächst verzichteten die Gründungsverträge auf abschließende Detailregelungen. Alles Präzisere wiesen sie den Beschlußgremien des neugeschaffenen Bundes zu24 • Damit entfiel zunächst auch die grundgesetzliche Feststellung und nähere Ausformung der regionalistischen Gliederung, die 1814/15 im Prinzip favorisiert worden war. Sie war damit nicht abgetan, nur aufgeschoben, so wie die Ausbalancierung von Außenabwehr und Binnenschutz generell. Die detailliertere Planung verblieb als Auftrag im Verhandlungsgepäck, freilich mit neuer Nuance insofern, als durch die Beschlußlage nach vollendeter Bundesgründung die Komponente der Einheit herausgehoben und festgeschrieben schien. Denn das besagte der Grundsatzbeschluß zur Herstellung einer gesamtbündischen Verteidigungsmacht, mochte diese im Endeffekt wie immer auch beschaffen sein. Ein Heer, ein Oberbefehl: mit dieser Richtlinieu befand sich eine nicht leicht wieder preiszugebende Selbst22 Humboldt (Anm. 18), Bd. IV, 375 ("Über die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen", September 1816). 2a Dem stand das Recht zu vorbeugenden "Verteidigungs-Maßregeln" bei drohendem Angriff sowie zur präventiven Kriegserklärung (Art. 38 u. 40 WSchlA) nicht entgegen, vgl. Burg (Anm. 1), 57 f.; Huber (Anm. 7), Bd. I, 607 f. 24 Vgl. Art. 10 BA und Art. 51 WSchlA sowie Klüber (Anm. 7), Bd. II, 457. 25 Vom Wiener Kongreß 1814 ins Auge gefaßt (s. o. Anm. 16), auf der Karlsbader Militärkonferenz 1817 vereinbart (s. u. Anm. 33), in der J anuar-Proposition von 1818 enthalten (s. u. Anm. 36) und im April 1818 von der Bundesversammlung als "Direktivregel" beschlossen (s. u. Anm. 42). Der mittelstaatliche Autor des anonym erschienenen ältesten Kommentars der entstehenden Bundeskriegsverfassung sah in dieser Richtlinie "gewissermaßen schon eine Bürgschaft des Siegs und der vollen Selbständigkeit unseres Vaterlandes" (Die rechte Wehrverfassung. Ein Versuch, der auf die neueste, für Deutschland entworfene Kriegsverfassung Rücksicht nimmt, Stuttgart 1819, 129).

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verpflichtung im Spiel, von deren Einlösung die Zukunft des Bundes zu nicht geringen Teilen abhing. Alle Möglichkeiten, alle Fährnisse seiner machtgeschichtlichen Weiterentwicklung waren, wie sich bald zeigen sollte, bereits keimhaft darin angelegt. Keiner der deutschen Gründerstaaten konnte in der so gefundenen Lösung ein Optimum sehen. Preußen nicht, weil damit die Mainlinie außer Griffweite kam: sie setzte entweder die rechtsförmliche Doppelherrschaft mit Machtzonenteilung oder den Verzicht auf Heereseinheit und einheitlichen Oberbefehl voraus. Österreich nicht - wegen der ausgebliebenen institutionellen Gewähr einer ruhesichernden Wehrorganisation und wegen der unzulänglichen Einbindung des norddeutschen Rivalen. Und auch das "Dritte Deutschland" nicht: aus Unmut darüber, daß in bezugauf das Ausmaß seiner Mitsprache, die Höhe seiner Lasten, den antihegemonialen Schutz seiner Existenz eine wirkliche Gewißheit noch nicht bestand. Nichtsdestoweniger willigten alle in die Fundamentalfestlegungen ein, augenscheinlich alle in der Absicht, die durch die Ausbaukompetenzen des Bundes gesicherte Flexibilität zur NachbesserUJlg auszunutzen28 • Eingeordnet in den Erfahrungsstand und die Denkmaßstäbe der beginnenden Restaurationsära lief der vereinbarte Rahmen weder auf eine Wiederbelebung des 1806 Zerbrochenen noch auf vorwiegende Anlehnung an das napoleonische Muster hinaus. Das projektierte Wehrmodell von 1815/20, soweit es sich aus Bundesakte, Schlußakte und den Grundlagenbeschlüssen der ersten Nachkriegszeit ablesen oder besser folgern ließ, disponierte vielmehr zu einer gedämpft dualistischen, nicht förmlich deklarierten, nicht als innerdeutsche Friedensgefährdung auffaßbaren und dennoch effektiven Doppelhegemonie: ohne bundesrechtliche Verankerung, ohne abgegrenzte Einflußzonen, ohne institutionelle Darstellung im Oberbefehl, desto wirksamer dafür instrumentalisiert durch tatsächliche militärische Kooperation und informelle Vorabsprachen- all dies in den Grenzen, die das unabdingbare Erfordernis gesamtbündischer Akzeptanz, einschließlich der der Mittelstaaten, einzuhalten nötigte. Trotz, vielleicht sogar wegen der achtsam vermiedenen Rechtsförmlichkeit zeichnete sich eine militärische Exekutive und Wehrform ab, die jedenfalls einheitlicher und straffer bandhabbar zu sein, mehr auf die funktionale Bindung und indirekte Beschränkung gliedstaatlicher Unabhängigkeit hinwirken zu wollen schien als die des Alten Reiches, andererseits ohne die Zwangsgewalt und unitarisierende Führung eines kaiserlichen Bundesprotektors, deretwegen der Rheinbund außer bei seinen Herzensfreunden nicht zum Vorbild 21

Dies gilt letztlich für die Bundesgründung generell, vgl.

(Anm. 6), 97.

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taugte27 • Stand bei der Konzipierung ein Orientierungsmuster, mehr oder minder ausgesprochen, positiv oder negativ im Raum, so entstammte es wohl eher dem Erfahrungsschatz des eben gewonnenen Krieges. Seine Schlachten waren in der entscheidenden Phase von 1813 zwar mit getrennt operierenden Armeen, auf weiträumigem Kriegstheater und mit beträchtlicher Spitzenreibung geschlagen worden, aber doch immerhin auch mit gemeinsamem Oberfeldherrn, Hauptquartier, Feldzugsplan und Besatzungsdepartement und mit teilweise national und staatlich gemischten Truppen und Stäben. Das stand so kurz nach Leipzig und Waterloo noch jedermann lebendig vor Augen. Es empfahl sich zur Nachahmung oder als Lehrbeispiel, je nachdem, wie unter Effizienzgesichtspunkten und im Vergleich zu Altem Reich und napoleonischer Führungseinheit die Vorzüge und die Schwächen des Musters gewichtet wurden28 • Alle nähere Ausgestaltung blieb ohnehin dem Bunde, seinen Gremien und ihren Helfern, überlassen. Diese Ausgestaltung setzte nicht lange nach Arbeitsbeginn des Bundestages ein und beanspruchte einen Zeitraum von ungefähr sechs Jahren: mit deutlichem Schwerpunkt 1818, mit Stockung 1819/20 und mit der dreistufigen Verabschiedung der Kriegsverfassung 1821/22. Zuständig dafür war der siebzehnköpfige Engere Rat der Bundesversammlung in Frankfurt, doch die eigentliche Arbeit fiel zwei Ausschüssen zu: ihrem Militärausschuß, der aus sieben Bundestagsgesandten, darunter den einflußreichsten, bestand und seine Vorschläge mit Mehrheit beschloß, und dem erneut so genannten Militärcomite, ab 1819 der Militärkommission, nunmehr einem reinen Offiziersgremium, das den Ausschuß beraten sollte, ihn aber auch beeinflußte und seinerseits durch flankierende bilaterale Militärkontakte der beiden Großmächte mitge21 Zum Fortschritt im Vergleich zum Alten Reich (klarere Zuständigkeitsregelungen in bezug auf Gesamtheit und Gliedstaaten, Ausschluß innerbündischer Kriege und antibündischer Außenpolitik, kollektiver Bundesschutz im Defensivfall) systematisch bereits Hans Erich Feine, Das Werden des deutschen Staates, Stuttgart 1936, 86. - Den Abstand zwischen Rheinbund und Deutschem Bund betont Enno E. Kraehe, From Rheinbund to Deutscher Bund, in: Proceedings of the Fourth Annual Consortium for Revolutionary Europe, Tallahassee/Florida 1977, 163 - 175, bes. 163 f. 2s Eine Arbeit über das bei den politischen und militärischen Urhebern der Bundeskriegsverfassung nachzuweisende Zukunftskriegsbild und seine Verankerung im Erfahrungshorizont wäre erwünscht. Verstreute Hinweise darauf auch im ungedruckten Material: Bundesarchiv, Abt. Frankfurt/M., Protokolle des Bundestags-Ausschusses zur Ausarbeitung des Militär-Verfassungs-Plans, Bd. I- V, 1818- 1822 (zit. BA-BMA), etwa Bd. I, fol. 233, 249, 282, 298 f., 314, 378, 475 ff., 492 f., 509 ff., 577 ff., 588, 612 f . - Für einen Teilaspekt vgl. Hellmut Seier, Der Oberbefehl im Bundesheer. Zur Entstehung der deutschen Bundeskriegsverfassung 1817 - 22, in: MGM 21 (1977), 7 - 33, hier 10; zur Koalitionskriegführung von 1813 vgl. Gordon A. Craig, Problems of Coalition Warfare: The Military Alliance against Napoleon, 1813- 14, in: ders., War, Politics, and Diplomacy, New York 1966, 22- 45.

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steuert war28 • Schon dieses Procedere disponierte zu Rivalität und Kompromiß: zwischen Diplomaten und Militärs, zwischen nord- und süddeutschen, großen und kleinen Staaten, zwischen durchweg beträchtlich divergierenden Zielen. Niemand in diesen Gremien hatte ein freies Mandat, jeder fungierte als instruierter Wortführer seines Hofes. Dennoch blieb Spielraum: einerseits durch weitgefaßte Instruktionen, Gegensätze an den Höfen selbst, schlechte Nachrichtenverbindungen, hohes Gesandtenprestige, andererseits durch den Frankfurter Entscheidungsmodus, der Mehrheitsbeschlüsse, offene und mehr noch verdeckte, mit Einschränkungen und unter faktischem Vorbehalt des Großmächte-Einspruchs zumindest in dieser Frühzeit zuließ 30• Das Ergebnis war eine föderative Entschärfung und zugleich präsidiale Zentrierung der ungeschriebenen, leicht antagonistischen, gesamtdeutsch letztlich halbwegs akzeptierten Vorherrschaft Wiens und Berlins, die als solche jedoch praktiziert und dadurch bestätigt wurde und in reduzierter Form bestehen blieb. Gelang es den Mittel- und Kleinstaaten kraft ihres nominellen Übergewichts mehrfach, Vorabsprachen der Großmächte zu durchlöchern und die Hofburg zur (freilich nicht ungern geübten) Vermittlung zu zwingen, so war der Endertrag dennoch nicht derart, daß er aus Berliner Sicht als vollkommen unannehmbar gegolten hätte31 • Und das förmlich bestehende und mehrfach erprobte Vetorecht selbst der kleinsten Staaten erwies sich in der Wirklichkeit nicht als so effektiv, daß unüberwindliche Hindernisse dadurch entstanden wären32 • Es lag letztlich an der wechselseitigen Beschränkung militärisch-hegemonialer und politisch-partikularer Tendenzen im Rahmen des gesamteuropäischen Ordnungskonzepts, wenn der Ausgleich, und sei es als Formelkompromiß, immer wieder zustande kam. 21 Zum Anteil der verschiedenen Gremien an der Entstehung der Bundeskriegsverfassung vgl. Keul (Anm. 4), 69 ff., der die Akten der Militärkommission verwertet hat, und Seier, Oberbefehl (Anm. 28), 12. ao Zur Rechtslage und zum Problem der Mehrheits- und Gruppenbildung vgl. Huber (Anm. 7), Bd. I, 593 f.; Burg (Anm. 1), 80 ff.; Ilse (Anm. 1), Bd. I, 146; Hans Körner, Die ,Oppositionspartei' der Mittelstaaten bei der Deutschen Bundesversammlung in Frankfurt am Main aus der Sicht der sächsischen Höfe und Diplomaten (1816- 1823), in: Stadtverfassung-VerfassungsstaatPressepolitik. Festschrift für Eberhard Naujoks, hrsg. v. F. Quarthai u. W. Setzler, Sigmaringen 1980, 318-338, bes. 328 f.; Hellmut Seier, Kurhessen und die Anfänge des Deutschen Bundes 1816- 1823, in: HessJbLG 29 (1979), 98- 161, hier 114 f., dort weitere Belege. at Obgleich Boyen dies skeptischer beurteilte als Hardenberg, fügte sich auch die Generalität, vgl. Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. II, 290 ff., ferner unten Anm. 42. 32 Das zeigte sich besonders drastisch, als der Bundestag im März 1819 über die Einsprüche von Kurhessen und Hessen-Darmstadt gegen den Mehrheitsbeschluß zur Armeekorpsgliederung hinwegging; vgl. Protokolle der deutschen Bundesversammlung (zit. Prot-BV), Frankfurt 1819, 131 ff. (Prot. v. 29. 3. 1819).- Zu Hintergrund und Verfahren vgl. Seier, Kurhessen (Anm. 30),

139 f .

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Als Höhepunkt der Annäherung an eine indirekte militärische Kodirektion mittels geheimer Kontakte und Vorabsprachen ragte die erste der erwähnten Militärkonferenzen, das Treffen von Karlsbad Ende Juli und Anfang August 1817, aus dieser frühbündischen Verhandlungsflut heraus. Bei der mehrtägigen Zusammenkunft, zu der die bundespolitisch einflußreichsten Generale der beiden Vormächte-der preußische Kriegsminister v. Boyen, der preußische Vertreter im Frankfurter Militärcomite, Generalmajor v. Wolzogen, und die beiden maßgeblichen Militärberater Metternichs, die Österreichischen Generalmajore Frhr. v. Steigentesch und Frhr. v. Langenau - sich trafen, wurde nochmals der Versuch einer globalen Lösung nahezu aller vom Wiener Kongreß erörterten und dann doch ungelöst aufgeschobenen Wehrprobleme gemacht. Das Interessante daran war, daß gerade die Militärs sich hierbei bemühten, eine mittlere Linie gemeinsamer strategischer Interessen zu finden, sie unter Zurückstellung von Traumzielen festzuschreiben und den Politikern gegenüber durchzusetzen. So kamen die Preußen nicht mehr sehr nachdrücklich auf den keineswegs preisgegebenen Herzenswunsch einer flächendeckenden Wehrdominanz in Norddeutschland, nebst legalisierter Mainlinie und förmlicher Kodirektion, zurück. Sie akzeptierten vielmehr, wenn auch zähneknirschend, das einheitUche Bundesheer, sogar mit dem Oberfeldherrn und einer Kontrollbehörde, und setzten nur alles daran, eine höhere Heeresstärke, eine im Kriegsfall flexiblere Truppengliederung und eine bindende zweiseitige Vereinbarung wenigstens über einige Eckpfeiler gemeinsamer Heerespolitik, so über die Bundesfestungen und die Spitzengliederung, dafür einzutauschen. Und die Österreicher fanden sich zu Zugeständnissen hinsichtlich der Stärke und Zusammensetzung des Heeres sowie des gemeinsam auszuübenden Drucks auf den Bund bereit, sofern nur Aussicht bestand, dadurch zu einer gesamtbündischen und praktikablen militärischen Exekutive zu kommen und Preußen auf der Basis deutlich abgebremster Führungsteilhabe, gewissermaßen juniorpartnerschaftlich, in sie einzubinden33 • Das Ergebnis entsprach, mindestens teilweise, diesem beiderseitigen Geben und Nehmen. Blieb es auf weiten Strecken informell, so wurde ihm in der machtgeographisch wichtigen Teilfrage der Bundesfestungen der strengere Charakter eines förmlichen Vertrags (Konvention vom 10. 8. 1817) verliehen, obendrein mit einem geheimen Zusatz, der in der Vereinbarung gipfelte, das bilateral Geregelte dem Bund gegenüber gemeinsam anzustreben und bei ausbleibender Zustimmung die gesamte Kriegsverfassung "weder für geschlossen anzusehen, noch für bindend zu erachten" 34 • Eine Frucht von sa Vgl. Altred Stern, Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum Frankfurter Frieden von 1871, Bd. I, Berlin 1894, 327 f.; Keul (Anm. 4), 75; Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. II, 282 ff.

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Kriegskameradschaft und heerestechnischem Sachinteresse, der bundesfreundlicheren Diplomatie gleichsam abgerungen, bezeichnet dieses "Karlsbader Programm" (Meinecke) 35 von 1817 den äußersten Punkt, bis zu welchem die beiden Großmächte in der Heeresfrage aufeinander zuzugehen vermochten. Die Einigung lehrt, wieviel ihnen - allen beiden, auch den Preußen - an einer effizienten Exekutive lag und wie sie auf dem Weg dazu hegemonialen Doppeldruck gegen geltendes Bundesrecht ausspielen zu können glaubten. Indes so einfach ging das nicht. Die Einigung der Generale ließ sich im Bundestag nur mit Abstrichen zur Geltung bringen. Als der Präsidialgesandte, Graf von Buol-Schauenstein, den Ertrag der Karlsbader Vorabsprachen im Januar 1818 dem Engeren Rat in Form einer Proposition präsentierte, erhob sich Unmut38 • Wortführer der Opposition wurde vor allem der Vertreter Württembergs, Frhr. von Wangenheim, ein eigenwilliger Mann mit großem Einfluß und aufgeklärt humanen, liberal-konservativen Ansichten, der gegenüber den beiden Großmächten die besonderen Interessen des "Dritten Deutschlands" wahrzunehmen suchte37 • Seine Einwände, in den folgenden Monaten immer neu formuliert, zielten in doppelte Richtung. Einmal dahin, daß im Einklang mit den politischen Prinzipien der Bundesgründung für die Einbettung aller militärischen Defensivvorkehrung in gesamteuropäische Machtrelationen Sorge zu tragen sei. Wangenheim verwies in diesem Zusammenhang auf "den Umstand, daß es in diesem Augenblicke, wo die Tendenz der Nationen offenbar auf Beschränkung der stehenden Heere (d. h. auf Beschränkung der Angriffsmittel) gerichtet ist, nicht rätblich sey, die Nachbarstaaten durch auffallend hohen Militärstand zu gleichen Massregeln gleichsam herauszufordern" 38• Als Konsequenz regte er, seiner Zeit damit weit voraus, Schritte zur Rüstungsbegrenzung auf völkerrechtlicher Grundlage an: "Es sollte unter den Ebd. 286, 599. Ebd. 296; zur Freundschaft bes. zwischen Walzogen und Steigentesch ebd. 282, ferner A. v. Walzogen (Hrsg.), Memoiren des königlich preußischen Generals der Infanterie Ludwig Freiherrn von Wolzogen, Leipzig 1851, 4, 275, 292, 306. 31 Prot-BV 1818, 11 (Prot. v . 15. 1. 1818); vgl. Ilse (Anm. 1), Bd. I , 598; zum Unmut im Engeren Rat vgl. den sehr plastischen Bericht des kurhessischen Gesandten v. Lepel im Staatsarchiv Marburg (zit. StAM), Bestand 9 a, Nr. 759, fol. 131 f. (Bericht vom 20. 1. 1818). 37 Zur Charakterisierung Wangenheims vgl. Gurt Albrecht, Die Triaspolitik des Frhr. K. Aug. von Wangenheim (Darst. aus d . Württ. G., 14), Stuttgart 1914, 5 f., passim; zuletzt Burg (Anm. 1), bes. 97; einseitig Heinrich v. Treitschke,' Karl August von Wangenheim, in: ders., Historische und Politische Aufsätze, Bd. I, Leipzig 81918, 197 - 268, bes. 216 ff. 38 BA-BMA I, fol. 36 (Prot. v. 24. 4. 1818, Anlage). Hervorhebung im Original, ebenso in der folgenden Anm. 34

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gegenwärtigen Umständen nicht für unmöglich gehalten werden, den Militärstand in allen Europäischen Staaten auf eine bestimmte und niedrigere Verhältnißzahl durch Verträge herabzubringen" 3'. Der andere Einwand richtete sich gegen das Bemühen der beiden deutschen Großmächte, die Wehrkraft des Bundes hegemonial zu dirigieren. Dem Frieden in Europa sei weit besser gedient, wenn ein relativer Rüstungsgleichstand auch innerhalb des Bundes bestehe und wenn das Dritte Deutschland für sich selbst organisiert genug und hinreichend unabhängig sei, um gegebenenfalls vermitteln zu können. "Wir dürfen es in keinem Augenblick vergessen, daß unser Vaterland im Herzen Europa's liegt, daß das System des europäischen Gleichgewichts, welchem wir die vorherrschende Cultur unseres Welttheils verdanken, seine Basis in Deutschland findet [ ...] . Wenn wir aber dieses bedenken, so müssen wir auch die völlige Überzeugung gewinnen, daß Deutschland auch dem Auslande nie und nimmer wieder als ein bloses Accidens von der Kraft einzelner europäischer Staaten erscheinen dürfe. Das wird aber nur dann der Fall nicht und nie sein, wenn die militärische Organisation des deutschen Staatenbundes ein unverkennbares Gepräge seiner Selbständigkeit trägt" 40 • Stand dahinter die Absicht, das regionalistische Motiv, den "Bund im Bund", die Binnenkoordination der im engsten Sinne deutschen Staaten vermehrt ins Spiel zu bringen, so lief dies doch nicht auf eine Absage an die gesamtbündische Wehrpolitik, nicht auf eine gänzliche Abkoppelung von den deutschen Großmächten hinaus. Überhaupt würde Wangenheim mißverstanden, entnähme man seinem Appell, er habe eine einseitige Schwächung der Bundesexekutive im Auge gehabt. Wie sehr es ihm und seinen Mitgängern vielmehr um eine ausgewogene Balance von Rüstungsbegrenzung und Defensivvermögen im Lichte der Gründungsnormen ging, zeigen die drei "allgemeinen Gesichtspunkte", die - offenkundig auf sein Betreiben - der Bundesmilitärausschuß gleich bei Beginn seiner Arbeit als eine Art Grundsatzkatalog beschloß: "1. Die Rüstung für den Frieden soll nicht die Kraft für den Krieg lähmen; 2. Es soll vermieden werden, durch einen auffallend hohen Militär-Stand die Nachbarstaaten zu gleichen Maasregeln zu veranlassen; 3. Es muß berücksichtigt werden, daß außerordentlichen Anstrengungen bei dem Angriff auch nur durch außerordentliche Vertheidigungsmittel zu begegnen sey" 41 • Für eine wohlEbd. Ebd. I, fol. 329 f. (Prot. v. 8. 7. 1818, Anlage "Notamine" Wangenheims). 41 Ebd. I, fol. 103 (Prot. v. 8. 5. 1818). Gegen die verbreitete Annahme, Wangenheim habe den Bund militärisch einseitig schwächen wollen, überzeugend Burg (Anm. 1), 92. - Vor aktualisierender Überschätzung von Abrüstungstendenzen mit Bezug auf Bayern auch Andreas Kraus, Probleme der Abrüstung in Bayern von 1816 bis 1866, in: Einzelprobleme politischer und militärischer Führung (Vortr. z. Militärgesch. 1), Herford 1981, 32- 52, hier 32. at

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kalkulierte Verhältnismäßigkeit zwischen Vorsorge und Ernstfall und zwischen erwartbarer Gefahr und wirksamer Abwehr war damit eine ebenso knappe wie prinzipielle und dem politischen System adäquate Normativformel gefunden. Es darf als eine Weichenstellung von erheblicher geschichtlicher Tragweite gelten, daß der Widerspruch Wangenheims und der Bundestagsmehrheit gegen das Karlsbader Militärprogramm der beiden Großmächte nicht zur Zerreißprobe führte. Als die beiden führenden Höfe sahen, daß die Januar-Proposition nicht durchzubringen war und daß es erheblicher Abschwächungen bedurfte, um die Neuvorlage (Direktivregeln vom April 1818) zum Beschluß zu bringen42 , änderten sie ihre Taktik - die Hofburg zuerst und nicht unwillig, dann sehr verdrossen und stärker widerstrebend auch Preußen. Beide kamen der Mehrheit nun schrittweise entgegen, freilich nicht ohne den Versuch, diese gerade dadurch zu spalten. Auch hielten sie an ihren bilateralen Militärkontakten fest, wobei sich allerdings zeigte, daß der Akkord von Karlsbad so reinlich nicht zu wiederholen war43 • Maßgeblich für diese neue Militärpolitik der Jahre 1818 bis 1822 wurde die Beobachtung, daß bei Berücksichtigung des in den letzten Kriegen erreichten strategischen und kriegstechnischen Standards und bei entsprechender Bemessung der von den Gliedstaaten aufzubringenden Last die Interessenharmonie des "Dritten Deutschlands" zerfiel. Dies geschah in dem Grade, wie sich begrenzte Interessenparallelitäten einerseits zwischen den Großmächten und den kleinsten Staaten, andererseits zwischen den Trias-Konstrukteuren und ihren Widersachern in Berlin und teils auch Wien ergaben. Verschloß sich doch unter den Zeitgenossen Napoleons kaum jemand mehr der Einsicht, daß ohne beträchtliche strategische und operative Flexibilität ein moderner Krieg, auch ein Verteidigungskrieg, nicht zu führen sei. Daraus folgte insbesondere die Notwendigkeit, starke Kavallerie- und Artillerie-Einheiten bereitzustellen: im Frieden als Teil des stehenden Heeres, im Krieg als eine nach Bedarf zu bildende, aus den Kontingenten teilweise herauszulösende, ad hoc zu gruppierende Angriffsreserve, von deren operativer Mobilität, relativem technischem Gleichstand und tendenzieller Integrierbarkeit der Feldzugserfolg abhängen konnte. Bedeutete dies für die kleineren Staaten die betrübende Aussicht auf höhere Kosten, damit zugleich die Versuchung, sich dem Aufwand möglichst zu entziehen, so öffnete sich für die größeren da42 Wortlaut bei Leonhardy (Anm. 2), 67 f. Die Abschwächungen betrafen vor allem die Armeekorpsgliederung und den Modus der Feldherrnwahl (dazu s. u. Anm. 72). Sie berücksichtigten die Wünsche der Mittelstaaten, vgl. Albrecht (Anm. 37), 12 ff.; Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. li, 289; Keul (Anm. 4), 77. 4S Vgl. Wienhöfer, Militärkonferenz (Anm. 21), 554 f.

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durch erneut die Chance, durch Übernahme von Zusatzlast den grenzüberschreitenden Einfluß auszudehnen44 • Aus der Sicht der Mittelstaaten aber wurde es angesichts dessen desto wichtiger, daß ein einheitliches Heer bestand und daß der Bundestag als Beschluß- und Kontrollorgan imstande war, sowohl dem Machtgewinn der großen als auch dem Vetorecht der kleinen Paroli zu bieten. Aus dieser komplizierten Verschränkung divergierender militärischer und politischer Gesichtspunkte im Rahmen eines Bundesrechts, das von Hegemonie nichts wissen wollte, aber auch keine volle Souveränität, nicht einmal nominelle Gleichheit in der gliedstaatliehen Entscheidungsteilhabe vorsah, erwuchs zunächst die Ratlosigkeit und Verhandlungshemmung von 1819, dann aber auch - nach den Wiener Ministerialkonferenzen von 1819/20, dem Ausbau des Bundesrechts in der Wiener Schlußakte und dem darauf gestützten zweiten Anlauf der Militärberatung - jener verfahrenstechnische Neueinsatz, der zur Rettung des schlingernden Wehrprojekts und zum Planungsabschluß einer gesamtbündischen Exekutive führte. Denn der durch Art. 14 der Wiener Schlußakte gewiesene Weg, mittels Trennung zwischen dem Einhelligkeit erfordernden Grundsatzentscheid und dem mit Mehrheit zu fassenden Ausführungsbeschluß das Verfahren nach Ermessen zu gliedern und alles Strittige zunächst auszuklammern, wurde alsbald beschritten und auf die Militärfrage angewandt. So kam es zur Teilung der Bundeskriegsverfassung in "Grundzüge" und "Nähere Bestimmungen" und zu einer kunstreich gestuften Beschlußfassung in Form jener drei Teilschritte, wovon zumindest die beiden letzteren als faktische, mehr oder minder verdeckte Mehrheitsbeschlüsse aufzufassen waren'~~. Dieser Ausgang wäre kaum möglich gewesen ohne eine verbreitete Bereitschaft zum pragmatischen oder wenigstens dilatorischen, gleichsam experimentel" Diese Befürchtung hegte beispielsweise Wangenheim, vgl. Albrecht (Anm. 37), 52 f. •s Das gilt besonders für die Schlußabstimmung am 11. 7. 1822 (Prot-BV 1822, 693 ff.), bei der es nach dem Bericht des kurhessischen Gesandten v. Lepel .,ziemlich tumultuarisch" zuging und nur geschickte Geschäftsordnungsregie eine formelle Einhelligkeit zuwege brachte (StAM 9 a, Nr. 665, fol. 432, Bericht v. 21. 7. 1822). Selbst bei der Verabschiedung der .,Grundzüge" im April 1821 kam die Einhelligkeit nur dadurch zustande, daß Nassau seinen anfänglichen Einspruch nach massivem Druck zurückzog (vgl. BA-BMA IV, fol. 62 ff., 94 ff.). - Zur Bedeutung von Art. 14 WSchlA für die Konsenstindung in den Gremien vgl. die geheime Denkschrift des preußischen Hauptmanns Sontheim vom 21. 2. 1844 (Bundesarchiv, Abt. Frankfurt/M., CC 22/l, Abschrift, zit. BA-Denkschrift Sontheim, s. u. Anm. 109). Danach ging das angewandte Verfahren auf preußisches Betreiben zurück, dem sich nach kleinstaatlichem Widerstand erst die größeren Mittelstaaten und dann auch Osterreich anschlossen (ebd. fol. 36 ff.). Im Militärausschuß des Bundestags wurde das Verfahren vor allem von Wangenheim und den Gesandten Bayerns und Helstein-Dänemarks befürwortet (BA-BMA IV, fol. 1 ff., 15 ff., 29 ff., Prot. v. 7. u. 14. 2. 1821), während die Großmächte sich zurückhielten.

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len Kompromiß, eine von Bundeszweck legitimierte Art von Ausgleich, in pie sich am Ende selbst die Generale schickten -mit wieviel Vorbehalt und Skepsis auch immer". Allgemeiner gewendet, spiegelt sich im Entstehungsprozeß der Bundeskriegsverfassung der gesamtdeutsch akzeptierte und erfolgreich praktizierte Vorsatz, für das neuartige Gebilde einer staatenbündischhalbstaatlichen Friedensordnung in Mitteleuropa eine spezifische Sicherungsform und eine ihr adäquate militärische Exekutive zu schaffen. In diesen Anfangsjahren geriet dabei nie aus dem Blick, wie sehr eine planvoll organisierte Herrschaftssicherung von tatsachennaher Berücksichtigung der gegebenen politisch-militärischen Machtfaktoren und Spielräume auszugehen habe, nicht bloß in außenpolitischer, auch in bundesintern-zwischenstaatlicher und sozial-dynamischer47 Hinsicht. Konkret bedeutete dies, daß nach allseits anerkannter Prämisse keine wirksame Defensivvorsorge denkbar war, der bei der Ausgestaltung der Exekutive nicht ein gewisser Ausgleich zwischen institutioneller Machtentfaltung und gliedstaatlichem Bestands- und Systemschutz glückte, wenn auch mit den Stufungen in der Wirklichkeit, die der Stand der Kriegstechnik und das Machtgefälle im Bund erzwangen. Es charakterisierte diese Frühzeit, daß keine der immerhin möglichen Alternativen zum Zuge kam: nicht die kleindeutsche Mainlinie oder die unmodifizierte Doppelhegemonie, aber auch nicht der "Bund im Bund", nicht der Bund ohne Preußen, nicht der Zerfall des Bundes in eine bloße Militärallianz48 • Und dadurch, daß ein bedingter, politisch praktikabler Mehrheitsmodus, der die Stimmen im Engeren Rat und seinen Ausschüssen weniger zählte als wog und den Abstand zur aufgenötigten Einhelligkeit verwischte, in der Praxis an Boden gewann und, halbwegs getarnt, auch bundesrechtliche Sanktion erhielt, bestand sogar Aussicht auf einen flexiblen Ausbau und weiteren Wandel, eine Aussicht, die - selbst bei den Militärs - gedämpfte Zukunftshoffung am Leben erhielt48a. Wie weit solche Hoffnung sich auf das Institutionengeflecht der beschlossenen Exekutive stützen konnte, das freilich hing nun in hohem Grad von der Auslegung und von der praktischen Ausprägung der in die Kriegsverfassung eingebauten Detailregelungen ab. " Vgl. Seier, Oberbefehl (Anm. 28), 27. n Die Forschung berücksichtigte bisher zu wenig, daß sich der Zweck einer bündisch-straffen Exekutive nicht in der Außenabwehr erschöpfte und daß der Verabschiedung der Kriegsverfassung die durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 ermöglichte Konzentration der Bundesgewalt auch gegen Opposition im Innern und von unten voranging; vgl. Kraehe, From Rheinbund (Anm. 27), 173. 48 Zu den Alternativen etwa ebd. 166, 169; Albrecht (Anm. 37), 13, 29 ff. 48a Sogar noch 1844, vgl. BA-Denkschrift Sontheim, fol. 38.

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n. Die Detailprobleme, die sich bei der Ausformung der Kriegsverfassung49 stellten, glichen noch immer weitgehend denen, um deren Lösung der Wiener Kongreß bemüht gewesen war. Drei Problemkreise aber traten dabei nunmehr, schon 1818/19 und vollends 1821/22, deutlich in den Mittelpunkt: erstens die Heeresstärke und Heeresgliederung, zweitens der Oberbefehl, die Feldzugsplanung und die operative Führung, drittens die politisch-militärische Kontrolle im Krieg und die Verwaltung der schon im Frieden bereitzustellenden Einrichtungen, besonders der Festungen. Die hierzu gefundenen Lösungen bargen das eigentlich Wichtige und Strittige, auch die Mehrzahl der Sachkompromisse. In ihnen konkretisierten sich die genaueren Umrisse einer Exekutive, die machttechnisch nicht optimal und nur in Grenzen funktionstüchtig war, militärisch aber als konsensgestützt und gerade noch ausreichend, politisch als sinnbezogen, als Ausdruck gegebener Zielprioritäten und Machtrelationen gelten konnte und die auch Ausbaumöglichkeiten aufwies. In bezug auf Heeresstärke und Heeresgliederung wurde beschlossen, ein bei Kriegsbeginn verfügbares Heer von 300 000 Mann, mit Reserve mindestens 450 000 Mann, auszurüsten, zusammengesetzt vorwiegend aus Infanterie, zu 23 °/o aus Spezialtruppen, vor allem Kavallerie und Artillerie, das Ganze gegliedert in zehn Armeekorps, wovon je drei von Österreich und Preußen, das siebente von Bayern, drei weitere als gemischte Korps von den übrigen Gliedstaaten gestellt werden sollten50• Die Einteilung dieser gemischten Korps verknüpfte das Regionalismuskonzept mit dem antihegemonialen Grundsatz: sie schuf ein südwestdeutsches (VIII.), ein vorwiegend mitteldeutsches (IX.) und ein norddeutsches (X.) Korps und sorgte dafür, daß sämtliche kleinstaatliehen Kontingente darin unterkamen . .,Kein Bundesstaat", so bestimmten bereits die .,Grundzüge", .,dessen Contingent ein oder mehrere Armeecorps für sich allein bildet, darf Contingente anderer Bundesstaaten mit dem seinigen in eine Abtheilung vereinigen". Es solle .,selbst der Schein von Suprematie eines Bundesstaates über den andern vermieden werden". Desto nachdrücklicher wurde dieser gleichgewichtsorientierten Exekutive die dauernde Kriegsbereitschaft zur Pflicht gemacht. Jeder Staat habe ein Kontingent im Umfang von einem Prozent seiner Bevöl49 Vollständiger Text der Bundeskriegsverfassung, sowohl der .,Grundzüge" als auch der .,Näheren Bestimmungen" (zit. NäB), bei Leonhardy (Anm. 2), 102 ff., auch bei Eugen v. Frauenholz (Hrsg.), Entwicklungsgeschichte des deutschen Heerwesens, Bd. V, München 1941, 556 ff.; Druck mit Auslassungen, der jedoch das wichtigste enthält, bei Huber, Dokumente (Anm. 21), Bd. I, 119 ff. (Zitate im folgenden zumeist hiernach). 50 Beste Analyse und weitere Details bei Petter (Anm. 2), 237 ff.

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kerungszahl stets derart "marsch- und schlagfertig" bereit zu halten, daß es spätestens vier Wochen nach einer Bundesmobilmachung wohlausgerüstet zur Verfügung stehen und auf dem vorgeschriebenen Sammelplatz erscheinen könneli1• Was damit präzisere Gestalt annahm, war- selbst auf dem Papiergewiß kein überstarkes Heer. Keine Millionenarmee wie 1794 in Frankreich, keine Aushebungsquote von 5 Prozent wie in Preußen, kein Grund für die Nachbarn, sich bedroht zu fühlen. Die projektierte Heeresstärke hielt sich leicht unterhalb dessen, was den meisten Experten erwünscht erschien52 • Aber die Planung sah auch keine unverhältnismäßig schwache Wehrexekutive vor, ganz abgesehen davon, daß die Sollstärke nicht als Maximum gedacht war. Es wurde vielmehr erwartet, daß die größeren Staaten, schon aus Gründen der inneren Sicherheit, mehr Truppen unterhalten würden, als die Bundesnorm ihnen abverlangteli3 . Auch mit der Stützung des Bundes durch die nichtbündischen Truppen Österreichs und Preußens wurde gerechnet. So gesehen, entsprach die Kalkulation in etwa dem Wangenbeirn-Motto "Erreichung des Zwecks mit kleinsten Mitteln" 54 , das die Staatenmehrheit sich zu eigen machte und dem nolens volens die Preußen sich beugten. Dabei konnte sie trösten, daß das Hauptproblem nicht eigentlich die nominelle Stärke war. Die Schwierigkeit bestand vielmehr darin, die effektive Dauerpräsenz der Bundesarmee zu erwirken und Vorsorge dafür zu treffen, daß im Ernstfall das gesamte Heer lückenlos und so schnell wie möglich, hinreichend gerüstet und mit genügend Reserven wirklich zur Stelle sei. Mehr als über die Kopfzahl der Kontingente wurde denn auch über ihre optimale Ausstattung und über Mittel zur Sicherstellung ihrer Präsenz verhandelt: über Art und Güte ihrer "streitbaren Mannschaft" und der "Cadres" , über die Relation der Waffengattungen, über die Schnelligkeit der Reserve-Mobilisierung und das Landwehrproblem. Alle wußten, wie sehr der föderative Entscheidungsprozeß im Hinblick auf Tempo und Wirksamkeit mit Hemmnissen zu rechnen hatte und wie sehr der Bund im Vergleich zu einheitsstaat51 Huber, Dokumente (Anm. 21), Bd. I, 119 f. (Art. V und VIII der Grundzüge und § 28 NäB). s2 Nach Einschätzung Wangenheims vom April 1818 befürworteten zehn der siebzehn Stimmen des Engeren Rats eine Kriegsstärke (mit Reserven) von mehr als 450 000 Mann. Ernstlich erwogen wurde eine Größenordnung zwischen 450 000 und 600 000 Mann. Als Friedensstärke empfahl Wangenheim 300 000 Mann (1 %). Das entspreche dem Maßstab der "meisten europäischen Mächte" (BA-BMA I, fol. 37._ff., 165, Prot. v . 24. 4. u . 5. 6. 1818). sa Ebd. II, fol. 63, und III, fol. 24; Petter (Anm. 2), 239; Huber (Anm. 7), Bd. I, 612. 54 BA-BMA I, fol. 39 (Prot. v. 24. 4. 1818).

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lieh organisierten Gegnern dadurch benachteiligt war55 • Dieser Sachverhalt war politisch gegeben und im Prinzip nicht zu ändern. Aber wenn nicht diese Grundgegebenheit, so ließ doch die Summe ihrer Folgen sich verringern. Die Planung zeigte sich darum bemüht, indem sie alles voraussehbar Heikle und Kontroverse nach Möglichkeit bereits im Frieden bindend zu regeln und den Improvisationsspielraum der Kriegssituation dadurch einzuengen trachtete. Auf vielen Gebieten gelang dies durchaus, ja hier und da erbrachte es Klärungen, die den Perfektionismus auf die Spitze trieben58 • Am Ende hätte trotz aller Streitigkeiten auch in bezug auf die Definition der Kriegsbereitschaft Grund sein können, in den Grenzen des bei überstaatlicher Willensbildung Möglichen Zutrauen zur bewaffneten Gesamtmacht des Bundes zu haben - wäre nicht als dauernder Zankapfel und heftigster Interessendissens der Streit um die Heeresgliederung gewesen. Dieser Streit entstand dadurch, daß alle Staaten die Hoffnung hegten, im Wege der Korpsformierung etwas von der Raumdominanz, indirekten Machtexpansion, faktischen dynastischen Rangerhöhung oder umgekehrt von der Existenzsicherung und Mediatisierungsabwehr erwirken zu können, deren Gewährleistung bei der Erörterung der Kreisordnungs- und Regionalisierungspläne auf dem Wiener Kongreß mißlungen war und von deren nachträglicher Durchsetzung entscheidende Zukunftssteuerungen ausgehen konnten. Während das preußische Verhandlungsziel zunächst der Beyensehe Drei-Armeen-Plan ohne Heereseinheit war (mit preußisch geführter, auch Kurhessen, Nassau und die norddeutschen Kleinstaaten umfassender Mittelrheinarmee)57 , strebte Österreich das gesamtbündische Heer (neben den außerbündischen Teilen der Großmachttruppen) an, sei es mit der zeitweilig begünstigten Divisionslösung und mit Offenlassung der Art des Zusammentritts bei Kriegsbeginn58, sei es mit Korpsbildung bereits im Frieden, wobei dann ein sächsisch-hessisches Korps nördlich der Mainlinie, gänzlich losgelöst von Preußen, die Abkehr vom Teilungsgedanken demonstrieren sollte5'. Das Dritte Deutschland wiederum bestand auf großmachtunabhängigen Trias-Truppen, ohne hinsichtlich ihrer Organisation und Führung einig zu sein. Wangenheims Plan zweier reindeutscher gemischter Korps unter hannoveraniseher und württembergischer Führung, das letztere mit beiden Hessen und allen süddeutschen Staaten außer Bayern, hätte ss Vgl. etwa ebd. I, fol. 176 (Prot. v. 5. 6. 1818, Wangenheim). ss Das gilt etwa für die Bestimmungen über die Zusammensetzung des Hauptquartiers und über die Heeresgerichtsbarkeit (Abschnitte VIII und X der NäB), vgl. Frauenholz (Anm. 49), Bd. V, 571 ff. 57 Vgl. Meinecke, Beyen (Anm. 19), Bd. II, 280 f. 68 Ebd. 283 ff.; Albrecht (Anm. 37), 18. 5t Meinecke, Beyen (Anm. 19), Bd. 11, 282. 27°

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Stuttgart zur südwestdeutschen Metropole gemacht und fand selbst in München daher wenig Anklang60 • Alle diese Ausgangspositionen hatten miteinander gemein, daß sie politisch eine zugespitzte und lageverändernde Machtregionalisierung anvisierten und dies mit dem militärischen Vorteil einer entweder betont flexiblen oder hochgradig integrativen 'Großverbandsbildung verknüpften. Demgegenüber war das schließlich gefundene Endresultat ein abermals dilatorischer, keinen Wunsch voll erfüllender, schwer zu praktizierender, aber nicht sinnloser Kompromiß. Er gewährte niemandem den erhofften politischen Macht- und Raumgewinn. Dem Bundesheer als ganzem stellte er eine kompliziertere, ungleich nützliche, die Föderationsproblematik spiegelnde Binnenstruktur in Aussicht. Dafür blieb der Status quo der geopolitischen Interessen auf dem Stand von 1815 gleichsam eingefroren und damit gesamteuropäisch ohne provokativen Einschlag. Und militärisch gesehen war die Gliederung sachgerecht wenigstens insofern, als sie gleichmäßig zur Sicherung der gesamten Westgrenze taugte und zugleich für einen lückenlosen innerdeutschen Grenz-, Ordnungs- und Gleichgewichtsschutz sorgte, beides ohne überlange oder sich kreuzende Aufmarschstraßen und interessenferne Aufstellungsräume11 • Gewiß hätte eine militärisch sachgerechtere Gliederung sich denken lassen. Sowohl das Wunschkonzept Preußens als auch der zeitweilig verfolgte doppelhegemoniale Plan der Generale Steigenteschund Wolzogen, wonach das Wehrpotential vor allem der hessischen Staaten verschiedenen Divisionen zugeteilt, in der Korpszuordnung aber weder mit Sachsen noch Württemberg verknüpft und einer vorweggenommenen Triasbindung damit vorgebeugt worden wäre8!, hätte zweifellos mehr Effizienz, zumal für den Fall eines Frankreichfeldzugs, erwarten lassen. Hauptmangel des Endresultats war offensichtlich der Umstand, daß es einigen der für die Korps- und Divisionsführung ausersehenen Vormächten an Kollektivdenken, dynastischer Uneigennützigkeit und der nötigen Regionalautorität gebrach83• Kalkuliert der dabei angelegte eo Viel Material dazu BA-BMA I, fol. 175, 325 ff., 392 ff., 428 ff.; Albrecht (Anm. 37), 11, 20. - Daß es auch außerhalb Bayerns Bestrebungen gab, die Trias-Armee unter bayerischen Oberbefehl zu stellen, zeigt Karl Otmar Frhr. v. Aretin, Die deutsche Politik Bayerns in der Zeit der staatlichen Entwicklung des deutschen Bundes 1814- 1820, phil. Diss. (Ms.) München 1954, 126. 01 Zum Gliederungsbeschluß vom März 1819, der in den Grundlinien bis 1866 mit geringer Veränderung bestehen blieb, vgl. Petter (Anm. 2), 240 f. t12 Der sogenannte Steigenteschplan (BA-BMA I, fol. 179 ff., Denkschrift Steigenteschs v. 6. 6. 1818) war eine mit Preußen vereinbarte Variante der von Osterreich erwogenen Divisionslösung (s. o. Anm. 59), stand im Sommer 1818 im Mittelpunkt aller Erörterungen und scheiterte am Widerstand der Mittelstaaten. es Dazu am Beispiel der Auseinandersetzungen in und um Kurhessen: Seier, Kurhessen (Anm. 30), 132 ff.

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Maßstab indes das politisch Gewollte und militärisch Machbare nüchtern mit ein, so wird der Verhandlungsertrag doch nicht in allen Teilen als verfehlt zu erachten sein. Eine versöhnende Synthese aus Kontingentssystem und teilintegrierender Verbandsbildung war immerhin vorgesehen, und zwar so, daß die im Machtgefälle angelegte hegemoniale Disposition wenig in Erscheinung trat, das Prinzip der Lastengleichheit aufgestellt und angewandt wurde und dank des VIII. und des X. Korps, des süd-und des norddeutschen, eine lockere Unterstützung der Großmächtetruppen nicht illusorisch war. Auch für eine bedingte Laslösbarkeit starker Kavallerie- und Artillerieeinheiten aus ihren Kontingentsverbänden war Sorge getragen, eine der wichtigsten Vorbedingungen operativer Beweglichkeit in die Planung mithin eingebaut", und wenn die Binnenstandardisierung von Bewaffnung und Disziplinierung viele Wünsche offenließ, so war doch auch hier das Problem erkannt, bei dessen Gewichtung zudem vor unhistarischer Rückblendung zu warnen ist'5. Eindeutig mißglückt allerdings war die Konstruktion des IX. Korps. Im Endresultat band es Sachsen mit Kurhessen, Nassau und Luxemburg zusammen, was viel Reiberei und wenig Nutzen verhieß - ausgenommen den, daß damit der Ausgriff Preußens in Richtung Mainlinie signalsetzend unterbunden war. Daß die Leitung des Hohenzollernstaates dies, wenn auch murrend, zugestand, daß sie prinzipiell bereit war, gleichwohl ein Drittel ihrer Gesamtarmee dem Bund zu unterstellen, daß die Situationseinschätzung vor allem Hardenbergs den Vorteil darin sah, den Einklang mit Wien gewahrt und die Trias-Armee verhindert zu haben, das war unter dem Blickwinkel der politischen Substanz des Bundes der eigentliche Gewinn''· Im übrigen hat das Modell begrenzte Verbesserungen zugelassen. Als sich in den zwanziger Jahren zeigte, daß die Kleinstaaten zur Stellung von Kavallerie und Artillerie nicht fähig waren, wurden ihnen diese teuren und technischen Truppen erlassen. 1831 wurden die meisten kleinstaatliehen Kontingente überhaupt aus den Korps herausgezogen und zum Zwecke des Festungskriegs in einer Reservedivision zusammengefaßt87 • Auch diese Regelungen hatten militärische Schwächen, waren aber politisch ohne Alter&4 Hierzu s. u. Anm. 81. Daß die Korpsgliederung damit erheblich an Bedeutung verlor, erkannte etwa der mecklenburgische Gesandte v. Piessen (BA-BMA I, fol. 402 f., Prot. v. 7. 8. 1818). es Vgl. Petter (Anm. 2), 243. ee Zu den Motiven Preußens und zum diesbezüglichen Gegensatz zwischen Boyen und Hardenberg vgl. Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. II, 274 f., 290 f ., 295 ff.; Albrecht (Anm. 37), 39; Derndarsky (Anm. 6), 102; mit etwas anderem Akzent auch BA-Denkschrift Sontheim, fol. 10 ff. 87 Details bei Keul (Anm. 4), 95 ff.; Petter (Anm. 2), 243; Gackenholz (Anm. 2), 288.

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native, wirkten entkrampfend und liefen auf weitere Mehrung des Großmächte-Übergewichts, weiteren Abbau vormoderner Anachronismen hinaus. Bedenklicher lagen die Dinge in puncto Oberbefehl und Feldzugsplanung. Die Kriegsverfassung sah vor, daß bei Aufstellung des Kriegsheeres durch den Engeren Rat der Bundesversammlung ein Oberfeldherr zu wählen sei, daß dieser sich zum Bunde verhalte "wie jeder commandirende General zu seinem Souverain", daß er vom Bunde, dem "durchlauchtigsten Bund", wie es gelegentlich in den Akten heißt, in Eid und Pflicht genommen werden, von ihm Befehle und Instruktionen empfangen, ihm berichtspflichtig und verantwortlich sein solle, im schlimmsten Fall sogar vor dem Kriegsgericht, und daß das Amt bei der Wiederauflösung des Heeres sogleich entfalle. Der Oberfeldherr sollte dem Bundestag "die Umrisse seines Operationsplanes vorzulegen'' haben, sollte diesen "auf das Umständlichste schriftlich aufsetzen" müssen, sollte bei allen strategischen und operativen Entschlüssen zur "Beobachtung der festgesetzten Heereseintheilung" verbunden sein, und wenn sich Abstriche davon mit Blick auf die Feldzugsrealitäten nicht völlig vermeiden ließen, so waren sie doch genau bemessen und sollten nicht so weit gehen, daß dem Grundgefüge die Auflösung drohte. Denn die "innere Einrichtung der Contingente" sollte "auch im Kriege den einzelnen Bundesstaaten überlassen" bleiben. Bemerke der Feldherr "Mängel, welche auf die Schlagfertigkeit Einfluß nehmen können", so habe er "sich an die betreffende Regierung zu wenden". Äußerstenfalls stehe es ihm, "wenn er es für nöthig hält", frei, bei der Bundesversammlung einen Antrag zu stellen68 • Alles Vorschriften, bei deren Anblick den Militärs die Haare zu Berge standen. Schon den Verzicht auf ein Oberkommando im Frieden und selbst im Spannungsfall fand mancher befremdlich. Selbst mittelstaatliche Generale trugen Einwände dagegen vor. "Soll eine Armee", hieß es beispielsweise 1817 ;n einem kurhessischen Gutachten, "zumalen wenn solche von mancherley Truppen zusammengesetzt ist, nicht blos Kosten machen, sondern im Fall der Noth wirklichen Schutz gewähren und dem Feind furchtbar seyn, so muß solche stets schlagfertig und deshalb in Friedenszeiten an Disciplin und an ein Ober-Commando gewöhnt seyn" 88 • In den Frankfurter Gremien wurde der Oberbefehl im Frieden gleichwohl kaum in Betracht gezogen. Den Generalissimus in es Huber, Dokumente (Anm. 21), Bd. I, 123 ff. (§§ 45 - 58, 66 NäB). Dazu und zum folgenden ausführlicher Seier, Oberbefehl (Anm. 28), passim. 81 StAM 9 a, Nr. 759, fol. 75 ff. (Gutachten der Generale Engelhard, v. Urff, v. Thümmel und des Geh. Kriegsrats v. Starckloff, 16. 10. 1817). Mit der Wahl des Oberfeldherrn erst nach Kriegsbeginn werde "eine Art von Republik eingeführt".

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Permanenz, den Heerführer als Daueramt duldete die Regeneration des Absolutismus nicht; dazu war auch die Erinnerung an Bonaparte zu frisch70 • Desto hartnäckiger wehrten sich die Militärs, jedenfalls die der Großmächte, teilweise auch die der Mittelstaaten, gegen eine Reihe anderer direkter und indirekter Minderungen der Feldherrnautorität: so gegen den Modus der Feldherrnwahl, gegen ein unbegrenztes Instruktionsrecht des Bundes und gegen Beschränkungen der strategischen und mehr noch operativen Führung. Was die Feldherrnwahl anging, schwebte den preußischen und Österreichischen Generalen anfangs vor, diese wichtigste Personalentscheidung im Einvernehmen mit den beiden Monarchen gewissermaßen unter sich zu treffen. Hinter dem Träger der Kommandogewalt sollte die koordinierte Autorität der beiden europäischen Mächte stehen. Er sollte, gleichsam Symbol und Organ der Doppelhegemonie, die mitteleuropäische Anhindung der deutschen Bundesexekutive sinnfällig darstellen und zupackend vollziehen. Dementsprechend wurde auf der Karlsbader Militärkonferenz 1817 vereinbart, der Bundestag möge denjenigen Bundesstaat bestimmen, "dem die Ernennung des Oberfeldherrn anheim gegeben werden soll" 71 • Der Bund sollte die Ernennung lediglich hinterher bestätigen oder verwerfen können. Doch dieses Vorschlagsrecht, dessen stillschweigende Voraussetzung die Bineinnahme der Feldherrnnominierung in den Gesamtkomplex zweiseitiger politisch-strategischer Vorabsprachen war, scheiterte schon Anfang 1818 am Mitbestimmungsanspruch der Mittelstaaten. Bereits die April-Richtlinien sahen nur noch die Ernennung durch Mehrheitsentscheidung des Bundestages vor und ließen das Verfahren der Vorauswahl ganz offen72. Es nutzte den Preußen nichts, daß sie den Wahlmodus auf der Aachener Militärkonferenz im November 1818 nochmals zur Sprache brachten73 . Die politische Rückanpassung an das Bundesrecht war unaufhaltsam und militärisch nicht mehr abzufangen, so daß den Preußen nichts weiter blieb als die Zuversicht, daß ohne ihre Einwilligung kein Krieg zu führen, ihnen ein unerwünschter Feldherr mithin nicht aufzuzwingen sei. Noch mehr Sorgfalt verwandten die Militärs vor allem der Großmächte darauf, das Instruktionsrecht des Bundes in Grenzen zu halten und den Führungsspielraum dagegen abzuschirmen. Zwar ließ sich am Vorrang des Bundes vor dem Feldherrn nicht rütteln. Aber das MilitärVgl. Seier, Oberbefehl (Anm. 28), 12. 71 Guido v . Meyer, Repertorium zu den Verhandlungen der deutschen Bundesversammlung in einer systematischen übersieht, Bd. 1/4, Frankfurt 70

1822, 487. 12 Leonhardy (Anm. 2), 68. 73 Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. II, 293.

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comite, von dem der erste Formulierungsvorschlag stammte, wollte die Subordination wenigstens verbal entschärfen und im entscheidenden Punkt auch der Sache nach mildern. Daß der Feldherr "Befehle" vom Bund empfange, kam im Erstentwurf nicht vor, und das Instruktionsrecht war darin noch auf die "politische Instruction" reduziert74 • Als sich beides nicht als durchsetzbar erwies, richtete sich die Aufmerksamkeit der Generale darauf, den Einfluß politischer Gremien auf die Feldzugsplanung wenigstens einzuschränken. Nicht strittig war, daß die Abfassung des Operationsplans zur Hauptkompetenz des gewählten Oberfeldherrn zähle, daß niemand Anspruch habe, daran mitzuwirken, und daß der Plan vor der Durchführung einer besonderen Genehmigung nicht bedürfe. Nur zu seiner schriftlichen Ausarbeitung und Einreichung sollte der Heeres-Chef verpflichtet sein75 • Doch auch diese Bestimmung wollten die Vertreter der Großmächte in der Militärkommission noch unterlaufen, nämlich durch den Vorschlag, die Planvorlage solle zwecks Geheimniswahrung derart erfolgen, daß ein Nachteil für die militärischen Operationen daraus nicht entstehen könne - also post festum, nicht zu konkret und so spät wie möglich. Kein geringerer als Langenau, Miturheber der Trachenberger Feldzugsplanung von 1813, machte sich für eine so unpräzise und aufschiebende Terminierung stark, daß das Einwirkungsrecht des Bundestags in Gefahr war, bis zur Nullpunktnähe zu schrumpfen. Seine Absicht, sagte der Österreicher, "gehe hauptsächlich dahin, als Soldat nichts Unmilitärisches festzusetzen". Gewiß sei der Operationsplan, sobald "nach getroffener Einleitung zur wirklichen Ausführung geschritten seyn wird", "im Umriß" vorzulegen. Da er am Bundestag aber kein Geheimnis bleiben könne, sei es für die Übermittlung "nie zu spät". "Die Stellung des Oberfeldherrn müsse in einem Bundesheer noch mehr als in einem selbständigen frei und unabhängig gemacht werden, weil sein Amt nicht nur schwieriger sey, sondern auch weil auf ihm eine größere Verantwortlichkeit laste." Wer soviel Verantwortung trage, müsse "auch unumschränkte Macht und ein unbegränztes Vertrauen besitzen" 78 • Zwar erzielte Langenau, obwohl Walzogen und das IX. Korps ihn stützten, in der Militärkommission hierfür keine Mehrheit. So weit wollten die Militärs der größeren Mittelstaaten die Bundeskompetenz denn doch nicht schmälern lassen77 • Gleichwohl terminierte die Endfassung den Zeitpunkt der Planeinreichung nur ungenau, und sie überließ es dem Ermessen des BA-BMA I, fol. 246 ff. (Gutachten v. 30. 6. 1818). Ebd. I, fol. 547 (Entwurf des Militärausschusses v. 21. 8. 1818). 78 Protokolle der Militärcommission der teutschen Bundesversammlung (zit. Prot-MC), Frankfurt 1820, 412 (Prot. v. 12. 10. 1820). - Langenau war im Sommer 1813 Chef der Operationskanzlei im Hauptquartier bei Feldmarschall Fürst von Schwarzenberg gewesen, vgl. Craig (Anm. 28), 28. 77 Prot-MC 1820, 413 f. (Prot. v . 12. 10. 1820). 74

75

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Oberfeldherrn allein, ob und wem er den Plan vor der Verwirklichung mitteilen und inwieweit er ihn während der Durchführung auf Grund der Umstände ändern wolle7s. Das lockerte die Frankfurter Anhindung des höchsten Führungsamts jedenfalls beträchtlich. Es gab in den "Näheren Bestimmungen" weitere und wohl noch bedeutsamere Einbruchstellen, auf die gestützt der Handlungsspielraum des Feldherrn sich dehnen ließ. Tatsächlich konnte das präsumptive militärische Oberhaupt, sofern es gefunden und sobald es gewählt war, mit einem ganzen Bündel zumindest operativer, teils auch strategischer Befugnisse rechnen. So wie ihm oblag, das Konzept des Krieges festzulegen und letztlich alleinentscheidend durchzuführen, so hatte der oberste Befehlshaber auch das Kommando in der Schlacht und über sämtliche Bundestruppen. Die vorbereiteten Aufmarschpläne konnte er je nach Feindlage korrigieren, und unter bestimmten Umständen stand ihm sogar der Entschluß zum provisorischen Waffenstillstand zu. Er durfte die gliedstaatliehen Kontingente inspizieren, übte das Standrecht aus, war gegebenenfalls berechtigt, "alle Befehlshaber des Heeres zu suspendieren, jeden Untergebenen verhaften zu lassen" 79 • Seine Sache war es, die Militärstraßen zu bestimmen, Hospitäler und Magazine anzulegen, überhaupt die nötige Vorsorge im Bereich der Logistik zu treffen, und um den Felddienst zu koordinieren, konnte er Armeebefehle erlassen, die für das ganze Heer Gültigkeit hatten. Damit nicht genug, kam es ihm des weiteren zu, seine wichtigsten Mitarbeiter im Hauptquartier, voran den Generalquartiermeister und den Generaladjutanten, selbst auszuwählen und namens des Bundes in Eid und Pflicht zu nehmen, eine heftig umstrittene Freiheit, gegen die die Mittelstaaten sich lange und doch vergeblich sträubten80 • Die wichtigste Kompetenz schließlich betraf den bedingt gestatteten Eingriff in die Zusammensetzung des Heeres, besonders durch Detachierungen zur Bildung jener "Kavallerie- und Artillerie-Massen", die nach dem Stande der Kriegskunst als möglicherweise schlachtentscheidend galten. Das bezog sich sowohl auf die strategische Reserve als auch auf die operative Verwendung am Tage der Schlacht. Gewiß: die Reservebildung sollte zeitlich befristet sein und durfte im Grundsatz keinem Korps mehr als höchstens ein Fünftel seiner Reiterei entziehen. Sie konnte jedoch am Tag der Schlacht verstärkt werden, ausdrücklich ohne "BeEndfassung: Huber, Dokumente (Anm. 21), Bd. I, 124 (§ 49 NäB). Ebd. 128 (§ 92 NäB). Alle übrigen Bestimmungen ebd. 123 f. (Abschnitt VI NäB). 80 Ebd. 127 (§§ 79 - 82 NäB). Zu den Auseinandersetzungen über die Struktur des Hauptquartiers, zur stufenweisen Entstehung von Ressortkompetenzen und Stellenplänen und zu dem aus der Spitzengliederung ablesbaren doppelhegemonialen Führungsmodell vgl. Seier, Oberbefehl (Anm. 28), 16 f. 78

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stimmungeines Maximums" 81 • Auch schloß sie die Verfügung sogar über Österreichische und preußische Truppenteile ein, und es lag im Ermessen des Feldherrn allein, wem er die Führung dieser geballten und mobilen Sondereinheiten anvertrauen wollte82 • Das alles deutete auf das Zielbild einer relativ starken, weitgehend selbständigen Heeresführung hin. Der projektierte Oberfeldherr, wenn er denn überhaupt ins Amt gelangte, sollte in der Entscheidungssituation jedenfalls nicht bloß willenloses Werkzeug des Bundes oder einer seiner Führungsmächte sein. Lag hier Zündstoff für Meinungsstreit verborgen, so war es ebenso der Punkt, wo, wie wir sehen werden, viele der späteren Reform- und Ausbaupläne, besonders die letzten nach 1859, anzusetzen suchten. Zugleich war damit das Problem der politisch-militärischen Kontrolle und der permanenten Verwaltung berührt. Denn je größer die Macht der projektierten Exekutive, je dehnbarer der Ermessensspielraum ihrer Führung, desto dringlicher wurde die institutionelle Abschirmung gegen Mißbrauch, desto weniger entbehrlich eine Aufsichtsbehörde, die für die Koordinierung und Inspektion aller Dauereinrichtungen Sorge trug. Zu alledem äußerte sich die Bundeskriegsverfassung nur andeutend und unbestimmt. Immerhin war aus ihr herauszuhören, daß im Kriege mindestens zwei Kontroll- und Lenkungsinstitutionen bestehen sollten: eine politische, gedacht als Vermittlungsinstanz zwischen der Bundesversammlung und dem Oberfeldherrn83 , und eine militärische in dessen Hauptquartier, die als eine Art Bindeglied zu den Korps fungieren und deren Interessen vertreten sollte84 • Dazu kam die seit 1819 bestehende Militärkommission. In der Kriegsverfassung unerwähnt, daher ohne den Existenzschutz, den das Bundesrecht für seine "organischen Einrichtungen" vorsah, arbeitete sie tatsächlich in Permanenz und hatte sie bis 1866 Bestand. Ihr und ihren lokalen Unterkommissionen oblag vor allem die Dienstaufsicht über die Bundesfestungen. Zu ihren Aufgaben gehörten darüber hinaus die Leitung des Festungsbaus und die Vorsorge für die Kriegsbereitschaft der Bundesstreitmacht, die sogenannte "Evidenthaltung". Auch auf mittelbare Rüstungsfragen, später etwa den Eisenbahnbau, hat sie eingewirkt85 • Insgesamt ein Aufsichts- und Institutionengeflecht, das mindestens im Keim als administratives Dauergerüst einer militärischen Bundesexekutive anzusehen war. Wie sehr bei seiner Begründung Politisches und Militärisches erDokumente (Anm. 21), Bd. I, 125 (§§ 55 und 56 NäB). 57 NäB). 83 47 NäB). 84 Frauenholz (Anm. 49), Bd. V, 568 (§§ 62 - 64 NäB). Bei Huber (Anm. 21) weggelassen. 85 Vgl. Keul (Anm. 4), passim; Petter (Anm. 2), 246 ff.; Wienhöjer, Militärwesen (Anm. 2), 55 f . 81

Huber,

82

(§ (§

Ebd. Ebd.

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wogen wurden und spannungsreich aufeinander bezogen blieben, wie deutlich die politischen Bedürfnisse und Möglichkeiten des Bundes dabei Primatcharakter hatten, ohne daß das militärisch Nötige und Tunliehe gänzlich übersehen oder bis zur Entwertung verkürzt worden wäre, darüber geben wiederum die Verhandlungen Aufschluß, die vor und nach 1820 im Militärausschuß und seinem militärischen Beratergremium darüber stattgefunden haben. Das Resultat der Debatten ließ eine gewisse Tendenz zur Annahme des Bundesheeres als Realität, aber auch eine deutliche Anpassung der Kontroll- und Verwaltungsmechanismen an die militärischen Effizienzerwartungen zumal der Großmächte erkennen. Wäre es nach den Bayern gegangen, so wäre im Hauptquartier eine "beratende Behörde" errichtet worden, ein "verständiges Conseil", zusammengesetzt aus abgeordneten Offizieren der einzelnen Korps, teilweise auch der Divisionen, und damit beauftragt, die "einzige Cantrolle der übrigens nothwendigen großen Gewalt des Oberfeldherrn" zu sein. Die Sprecher der Truppenführungen hätten nicht nur für die Belange ihrer Einheiten, nicht bloß für Gleichbehandlung zu sorgen gehabt, sondern ihre "vorzüglichste Bestimmung" wäre gewesen, "den hohen Rath des Feldherrn zu bilden". Dieser wäre zwar nicht verpflichtet worden, sich bei Dissens zu beugen, "aber seine Verantwortlichkeit, wenn er die Rathschläge nicht befolgt", würde sich "verdoppelt" haben. Der bayerische Bundestagsgesandte von Aretin, der dies im Militärausschuß anregte, dachte dabei von fern an die Aufsichtspraxis des Alten Reiches, besonders des einstigen Hofkriegsrats, nur wollte er die proponierte Kontrollbehörde "nicht gern Kriegsrath" nennen, "da unselige Reminiszenzen diesem- sonst gewiß dem angemeßensten- Namen den Werth benommen haben" 88• Doch der Militärausschuß folgte dem nicht. Er nahm nicht nur an den Reminiszenzen Anstoß, seiner Mehrheit ging das ganze Konzept zu weit. Schließlich blieb nichts davon übrig als die Abordnung von Verbindungsoffizieren, zwar mit "freiem Zutritt" beim Feldherrn, aber mit begrenztem, auf die Angelegenheiten ihrer Korps beschränktem Auftrag. Die Kontrollfunktion wurde immer weiter minimiert. Gleichwohl stimmten in der Militärkommission nach einigem Zögern auch die Vertreter der gemischten Armeekorps zu als Soldaten, wie einer von ihnen sagte, und weil hier "die rein-militärischen Erfordernisse mit den bundesgemäßen [... ] in einer Art von Widerspruch" stünden87 • BA-BMA I, fol. 288, 290 (Prot. v. 8. 7. 1818, Anlage). Prot-MC 1820, 417 (Prot. v. 12. 10. 1820, Oberst v. Haffner, X. Korps). Das im Hauptquartier präsente Offiziers-Conseil widerstand auch anderen mittelstaatlichen Offizieren. So befürworteten kurhessische Generale 1818 statt 86 87

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Ähnlich erging es den meisten anderen Versuchen, über die Konstruktion des Hauptquartiers die militärische Entschlußbildung mitzusteuern. So kam auch der Gedanke nicht durch, den Stellvertreter des Oberfeldherrn, den sogenannten Generallieutenant des Bundes, dort einzubauen: als eine Art Aufpasser im Wartestand, ohne eigenen Geschäftsbereich, bloß dazu da, bei Ausfall des Feldherrn die Führung zu übernehmen. Das hieße, wetterte Langenau, Kenner der Führungsszenerie von 1813, "den Geist der Partheien zu erwecken, der in jedem Hauptquartier so viel als möglich vermieden werden müsse und welchen ein Bundesheer seiner Natur nach mehr als jedes andere zu fürchten habe". Denn der im Hauptquartier präsente Stellvertreter werde unweigerlich die "Spitze der Opposition" sein und "fast unvermeidlich eine nachtheilige Controlle" ausüben88 • Im Endergebnis wurde das Amt des Generallieutenants mit dem eines Korpskommandanten verknüpft und vom Entscheidungszentrum damit ferngehalten89 • Und vollends der vom Bundestag zu wählende Ausschuß, der dessen Richtlinienkompetenz wahrzunehmen haben sollte und zeitweilig wohl gleichfalls als Lenkungsinstanz im Hauptquartier gedacht war, blieb stets schemenhaft. Erst im letzten Verhandlungsdurchgang in die "Näheren Bestimmungen" hineingelangt und dort ohne konkrete Funktionsbeschreibung nur kurz erwähnt, konnte alles und nichts aus ihm werden. Den Militärs war er ein Dorn im Auge, und sie trugen dazu bei, daß er keine Konturen gewann90 • So ist zu wirklichem Leben am Ende nur die Militärkommission gelangt. Ihr Vorteil war, daß sie einen fest umrissenen, auch im Frieden nicht entbehrlichen Auftrag hatte. Das ergab sich vor allem aus ihrer Zuständigkeit für die Bundesfestungen: jene fünf festen Plätze (Mainz, Luxemburg, Landau, nach 1840 auch Ulm und Rastatt), die zugleich Defensivzentren, Waffenlager und Sammelpunkte waren und mit einer projektierten Kriegsbesatzung von 15 °/o des Gesamtheeres und einem Jahresetat von schließlich 5,8 Millionen Gulden (1860) einen der stärksten Faktoren im Wehrkonzept des Bundes bildeten91 • Wenn überhaupt irgendwo, so ist seine militärische Exekutive hier auch in den Friedensjahrzehnten beständig präsent und wirksam gewesen. Damit mußte dessen die Schaffung einer besonderen Bundesbehörde ("Section des Krieges") oder sogar eines förmlichen Bundeskriegsministeriums (StAM 9 a, Nr. 806, fol. 146 f., 197, 213 ff., 266 ff.). ss Prot-MC 1820, 414 (Prot. v . 12. 10. 1820). se Huber, Dokumente (Anm. 21), Bd. I, 124 (§§ 51 und 52 NäB). eo BA-BMA IV, fol. 310 (Prot. v. 29. 7. 1821); Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. li, 285; Endfassung s.o. Anm. 83. 9t Petter (Anm. 2), 250, 252; allgemein: Herbert Glier, Geschichte der deutschen Bundesfestungen des Deutschen Bundes von 1815 bis 1848, phil. Diss. (Ms.) Wien 1938.

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das Festungswesen freilich auch in besonderem Maße zum Prüffeld und Experimentierbereich all jener Bestrebungen werden, die auf die Erprobung kollektiver und überstaatlicher Verteidigungsformen zielten und dabei den föderativen Zweck und die militärische Schlagkraft zu harmonisieren suchten. Aus der Sicht des Bundes bestand die Schwierigkeit dabei in der Kombination von vier Aufgaben. Denn die Festungspolitik und Festungsverwaltung hatten gleichermaßen 1. die Bundeskompetenz zu sichern, obgleich diese durch gliedstaatliche Kontingente wahrgenommen wurde; 2. die relative Gleichheit der Lasten und der Vorteile herzustellen, obwohl das gliedstaatliche Interesse infolge unterschiedlicher Grenznähe differierte; 3. die politischen Nebenzwecke einzudämmen, die der territoriale Brückenkopf- oder Stützpunktcharakter der meisten Anlagen weckte; und 4. die Probleme der Truppenverflechtung, waffentechnischen Integration und kollektiven Führung zu lösen, zu denen bei österreichisch-preußischer Gemeinschaftsbesatzung noch die Spannung zwischen Doppelhegemonie und Großmächtedualismus kam. Um all dies hat die Militärkommission sich nicht ohne Erfolg bemüht, so sehr ihre Willensbildung durch politische Gegensätze der Staaten und Höfe behindert war82 • Im Brennpunkt der Aufmerksamkeit stand dabei meist die Festung Mainz, die älteste, größte, wichtigste und teuerste der fünf, zugleich die, in der sich der Abwehrwille gegenüber Frankreich, damit die Kontinuität der Wehrproblematik seit dem Alten Reich, andererseits der preußische Griff nach der Mainlinie am sichtbarsten verkörperten. Der für die Sicherheit im Rhein-Main-Gebiet, einschließlich der heimlichen Bundeshauptstadt, schlüsselhafte Brückenkopf war im Vollzug der Pariser Verträge von 1815 den beiden Großmächten zugefallen, wurde seit 1816 von ihnen und Hessen-Darmstadt in militärischer Hinsicht gemeinsam beherrscht und unterstand seit 1818/20 dem Bund, der die zur Unterhaltung der Festungswerke (Magazine, Kasernen, Kasematten) erforderlichen Summen durch Matrikularbeiträge aufbrachte. Die 8 000 Mann starke Garnison bestand im Frieden aus zwei gleichgroßen Kontingenten der Osterreicher und der Preußen sowie einem hessischdarmstädtischen Bataillon und sollte im Krieg durch sächsischen und kleinstaatliehen Zuzug auf 21 000 Mann anwachsen. In die vier wichtigsten Führungspositionen (Gouverneur, Kommandant, Artilleriedirektor, Geniedirektor) teilten sich die beiden Großmächte, und zwar derart, daß jede stets nur zwei davon innehatte und alle vier im Fünfjahresrhythmus alterniertenu3 • Diese Doppelherrschaft ohne Amtskontinuität Dies betont Keul (Anm. 4), 239, 249, passim. ua Petter (Anm. 2), 250 f.; Personallisten bei Al/red Börckel, Mainz als Festung von der Römerzeit bis zur Gegenwart, Mainz 1913, 188 ff. 82

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nötigte Führung wie Stäbe zu enger Kooperation, und wenn die Integration nach unten hin weitgehend vermieden wurde, es zudem an Zwistigkeiten nicht fehlte, zumal das Mainzer Herz einseitig für die Österreicher schlug8', so war ein Modell für eine gemeinschaftliche, staatenübergreifende Wehroption hier jedenfalls geschaffen. Auch die Bundeskompetenz wurde immer bewahrt und mit Eifer wahrgenommen, wie groß auch die Versuchung namentlich Preußens war, sie abzustreifen und den wichtigen Stützpfeiler innerdeutscher Machterweiterung für sich allein zu gewinnen - wenn möglich im Wege eines Kompensationsgeschäfts mit Österreich, nötigenfalls durch Konfrontation15. Bei den anderen Festungen trat die Spannung zwischen Politischem und Militärischem nicht mit gleicher Schärfe auf. Luxemburg war ganz überwiegend preußisch, Landau stets nur bayerisch besetzt und Rastatt, wo Österreich, Preußen und Baden Besatzungsrechte hatten, wurde erst spät gebaut. Hier freilich trug der preußische Einfluß, obgleich er vergleichsweise schwach verankert war, während des letzten badischen Aufstands von 1849 dazu bei, der antirevolutionären Intervention bundes-und wehrpolitische Legitimationsakzente zu geben88 • Auch die Befestigung Ulms, zwei Jahrzehnte lang ein heißes Eisen, diente nicht nur streng militärischen Zwecken. Denn mit diesem Projekt setzte sich die Donaumonarchie inmitten des Trias-Raumes fest, ein Schritt, zu dem sie von Berlin aus ebenso lebhaft und nicht ohne Hintergedanken ermutigt wurde, wie man ihn in München und Stuttgart mit Unbehagen sah87 • Aber das überstaatliche, bündisch überwölbte und im Kommandobereich teilintegrierte Besatzungssystem, das den Österreichischen Anteil optisch geschickt hinter dem von Württemberg und Bayern zurücktreten ließ, funktionierte doch ebenfalls. Und kaum anders als zukunftsoptimistisch ließ sich deuten, daß eine anfangs viel erörterte und aus Bundessicht gefährliche Bestrebung nicht zum Zuge kam: der besonders im grenzfernen Sachsen gehegte Wunsch, die Kostenbeteiligung " Rudolf Dambron, Mainz - Festung des ,Deutschen Bundes' 1816- 1866, in: Mainzer Almanach 1967, 119- 126, hier 124. es Vgl. BA-Denkschrift Sontheim, fol. 18. ee Petter (Anm. 2), 251 f.- Rastatt befand sich 1848/49 in der Verfügungsgewalt Badens. Der badische Militäraufstand im Sommer 1849 gab Anlaß zur Reichs- und preußischen Intervention, vgl. Albert Neininger, Rastatt als Residenz, Garnison und Festung, Rastatt 1961, 85 ff. - In Luxemburg erwuchsen Spannungen vor allem aus örtlichen Gegensätzen zwischen Festungsgouvernement und ziviler Verwaltung, wobei die Militärkommission zu vermitteln suchte, was Preußen beanstandete; vgl. Paul Bisdortf, Die preußische Besatzung in der Festung Luxemburg, in: Hemecht 16 (1964), 225 - 250, hier 230. 17 BA-BMA I , fol. 673 ff. (Gutachten des bayerischen Generalmajors v. Maillot de la Treille, 19. 9. 1818); Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. li, 286; BADenkschrift Sontheim, fol. 14, 17, 24.

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an Unterhaltung und Bau der Festungen von ihrer gliedstaatsbezogenen Nützlichkeit abhängig zu machen98 • Gegenüber diesem Kalkül, bei dessen mehrheitlicher Favorisierung das militärische Kollektivinteresse und damit die Identität des Bundes aufs Äußerste bedroht gewesen wären, konnten sich die Prinzipien relativer Lastengleichheit und projektneutraler Matrikularumlage schließlich doch unverkürzt behaupten. Inwieweit die militärische Exekutive des Bundes nach dem Planungsstand von 1821/22 eine Realität war, wenigstens in dem Sinne, daß sie institutionelle Sicherungen dafür aufwies, es im Falle der Not zu werden und zu sein, ist nach alledem wohl eine Frage des Maßstabs: des mehr politischen oder mehr militärischen Blickwinkels und der zeitgerechten oder rückgeblendeten Normen. Zu rechnen war auf wirksame Defensivbeteiligung Preußens bei Aggression von außen und bei inneren Unruhen - fraglich nur, mit welchen Nebenzwecken und ob unter Einordnung (oder Teileinordnung) in den dafür bereitgestellten Rahmen. Als schützend aufgeiaßt und unterstützt, wenn auch kaum als hinreichend angesehen und nicht als reibungsfrei handhabbar eingeschätzt, wurde die bündische Wehrform dagegen, ähnlich wie im Alten Reich, im südlichen und südwestlichen Deutschland, im Bereich des VII. und VIII. Korps. Das föderative militärische Band hatte Aussicht auf Wirksamkeit sodann in bezug auf die vom Bund kontrollierten Festungen, hinsichtlich der dort praktizierten Ansätze zu kollektivem und teilintegriertem Handeln sowie in den permanent tätigen Planungsund Aufsichtsinstitutionen, namentlich in der Militärkommission und ihren örtlichen Organen und im Militärausschuß der Bundesversammlung. Am wenigsten praktikabel nahm sich demgegenüber das Regionalisierungskonzept im mittelrheinischen und mitteldeutschen Raum, also beim IX. Armeekorps aus. Mißtrauen war gleichfalls geboten in bezug auf .,Evidenthaltung", Rüstungsstand und strukturelle Standardisierung. Und Anlaß zu größter Skepsis gab von Anfang an die Regelung des Oberbefehls, die mit der Doppelhegemonie stand und fiel. Was die Kriegsverfassung hierzu vorsah, wirkte gequält und künstlich. Es war vorauszusehen, daß seine Umsetzung in die Wirklichkeit Modifikationen erzwingen und dabei der Beihilfe eines äußersten Notfalls bedürfen werde. Gleichwohl wäre das Modell von 1821/22 überfordert, stände es im Kreuzverhör allein unter den beiden Gesichtspunkten der dadurch in Aussicht gestellten machttechnischen Optimierung und ihrer langzeitperspektivischen Wirksamkeit. Erfüllte es doch einen seiner Zwecke allein schon dadurch, daß es Rechtskraft erlangte, daß es in der schwiees BA-BMA I, fol. 55 (Prot. v. 24. 4. 1818, .,Notamine" Wangenheims); BADenkschrift Sontheim, fol. 21.

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rigen Anfangslage als Ferment des Bündischen, als Erfolgsbeweis gesamtdeutscher Handlungsfähigkeit wirkte. Es war ein in jahrelanger Feinabtastung ausbalanciertes Mittel, den Preußen entgegenzukommen, ohne auf die Eindämmung ihrer expansiven Aspirationen zu verzichten. Hielt sich in Berlin die Hoffnung auf Machtmehrung via Doppelhegemonie, so blieb diese in Ausmaß und Form auf Stützung in Wien und Akzeptanz in Trias-Deutschland abgestimmt. Es war überdies eine Kompromißebene, auf der Politiker und Militärs sich trafen, bisweilen sogar so, daß die Generale gesamtdeutsche und kriegstechnische Effizienzanforderungen einbrachten, obwohl deren Auswirkung auf die gliedstaatliehen Interessen nicht immer berechenbar war98 • Bei alledem schimmerte überdies beständig der aktuelle Bezug auf die Zeitsituation nach 1815 durch: auf das Europa der Heiligen Allianz und der Kongresse, auf eine äußerlich beruhigte, untergründig von Wandel erfaßte Nachkriegswelt mit antirevolutionärer Blockbildung und einem geschwächten, wenn auch nicht entmachteten Frankreich98"'. Auf diese Zeitgegebenheit außenpolitischen Gleichgewichts bei innenpolitischer Dynamik war die Wehrform von 1821122 zugeschnitten. Ihre geschichtliche Einschätzung darf nicht nur danach fragen, wie das föderative Defensivsystem in einer veränderten Zukunft dastand - so wenig die Langzeitbewährung als Kriterium der Urteilsbildung auch wieder gänzlich außer acht zu lassen wäre.

111. Als Indikatoren der Zukunftstauglichkeit bieten drei Momente sich an: die Funktionsfähigkeit in Krisensituationen, die Reformierbarkeit gemäß dem sich wandelnden Erfahrungsstand und umgekehrt die Entbehrlichkeit im Falle überwiegender, nicht behebbarer Mängel, wobei 88 Hinweise auf Gegensätze zwischen Politikern und Militärs in dieser Frühzeit ebd. fol. 14 f., 36 ff., 46 ff.; Meinecke, Boyen (Anm. 19), Bd. li, 289 ff.; Seier, Oberbefehl (Anm. 28), 12 ff., 17 ff., 27; anderes Bild bei Keul (Anm. 4), passim, der sich jedoch vorwiegend auf die späteren Phasen bezieht. 89& Alle Erörterungen während der Gründungszeit bis 1822 gingen von einer Defensivsituation mit Hauptfront gegen Frankreich aus. Andere Fronten wurden kaum erwogen. Strittig war nur, ob ein Angriff eher am Oberrhein, am Mittelrhein oder über die Niederlande zu erwarten sei (BA-BMA I, fol. 395, 478 ff., 508 ff.) Ein Offensivkrieg des Bundes kam nicht in Frage, lediglich ein "aktiver Defensivkrieg" (Wolzogen), bei welchem an Flankenangriffe zu denken sei oder "vielleicht selbst von der Saar und Mosel kräftige Offensiv-Operationen in den Rücken des Feindes" geführt werden könnten (ebd. 511, Prot. v. 19. 8. 1818). Auch "starke Detachierungen nach den Niederlanden" wurden in Betracht gezogen (fol. 516). Im übrigen schloß selbst Wangenheim nicht aus, "daß, wenn gleich [ . .. ] der Bund nicht die Absicht haben kann und nicht haben soll, auf Eroberungen auszugehen, doch der Fall eintreten könne, in welchem er (in Folge eines blosen Vertheidigungskrieges, dennoch) wirklich Eroberungen machen könnte und zu seiner eigenen Sicherheit machen müßte" (ebd. fol. 32, Prot. v. 24. 4. 1818).

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auch der politische Nutzen der Kalkulation bedarf. Was das erste betrifft, so war der Eindruck von Anfang an ungünstig. In sämtlichen Krisenlagen akuter europäischer Kriegsgefahr oder größerer außenpolitischer Spannungen traten ernste Defekte auf, so schon 1830 und 1840, dann wieder in der Revolution von 1848/50, schließlich wenig verändert in der Zeit des Krimkriegs und mit Beginn der Nationalkonflikte ab 1859. Jedesmal dasselbe Bild: weder die Einheit des Bundesheeres, die Präsenz eines Oberbefehls und eine der Planung entsprechende Korpsgliederung erwiesen sich als effektiv herstellbar, noch die bundeseinheitliche Truppenmobilisierung oder eine wenigstens in allen größeren Staaten überzeugende Bereitstellung, die in bezug auf Schnelligkeit, faktische Stärke und Rüstungsqualität der Bundesnorm hätte genügen können. Etwas besser funktionierten gelegentlich Teilmobilisierungen oder Drohmaßnahmen, besonders zu begrenzten Exekutions- und Interventionszwecken und namentlich dann, wenn dabei, ganz oder teilweise, auf preußische oder süddeutsche Truppen zurückzugreifen war- wie 1848 im Bundeskrieg gegen Dänemark oder im kurhessischen Verfassungskonflikt von 1850100 • Auch eine gewisse Bereitschaft zu Reformen hielt sich über die Jahrzehnte hinweg: hier waren es die Militärs, nicht zuletzt die Frankfurter Militärkommission, die trotz all ihrer Uneinigkeit nach eklatanten Fehlleistungen die Behebung von Mißständen anmahnten und entsprechende Beschlüsse erwirkten. In begrenztem Umfang wurde somit durchaus modernisiert und experimentiert, ja es wurde sogar, was am wichtigsten war, das Kontrollinstrumentarium verbessert101. Andererseits war nichts in Sicht, was mit Aussicht auf gesamtdeutsche Übereinstimmung das Modell von 1821122 hätte ersetzen können. Bis in die 60er Jahre hinein überwog vielmehr der Eindruck, daß eine realistische Alternative, ein gangbarer Weg zu prinzipiellem Neubeginn, weder in der militärtheoretischen (nicht bloß situationsbezogenen101a) Zu den Exekutions- und Interventionsfällen (1829/30, 1833/34, 1850 - 52, gegen Dänemark 1848 zusammenfassend II, 671 f., 917 ff., 926 f.; 111, 467 ff., 531 ff.; 80 ff.; Keul (Anm. 4), 183 ff. Eklatant war der Teilmobilisierung 1848 standen annähernd drei Viertel des neben den Preußen aufgebotenen X. Bundeskorps zur Verfügung (ebd. 193). 101 Zu den Musterungen der Reservedivision (1831 , 1836) und des gesamten Bundesheeres (1841, 1846, 1853, 1858, 1863) jetzt ausführlich ebd. 139 ff. Die Ergebnisse waren nur begrenzt objektiv und deuteten auf Mängel vor allem kleinstaatlicher Kontingente hin, ließen aber auch erkennen, daß die Wehrkraft des Gesamtheeres sich "schrittweise den Anforderungen der Bundeskriegsverfassung näherte, um sie schließlich fast zu erreichen" (ebd. 182). 1o1a Als situationsbezogen ist auch der preußische Verteidigungsplan von 1840 (s. u. Anm. 105) anzusehen, obwohl er 1859 mit Abwandlungen wiederaufgegriffen wurde und in ein größeres Reformkonzept mündete (s. u. Anm. 1oo

1864, 1866) und zum Bundeskrieg Huber (Anm. 7), Bd. I, 633 f., 639; Wienhöfer, Militärwesen (Anm. 2), das Versagen 1830 und 1866. Bei

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Planung vorbereitet, noch in absehbarer Zeit politisch durchzusetzen sei. Auch war die Wirkungsbilanz des gesamtdeutschen Wehrsystems ja nicht nur negativ. Es befriedigte die nach nationaler Macht und Einheit Strebenden nicht, und wenn es mit Glück und Bangen zur Wahrung des Status quo genügte, so vor allem wegen des Abschreckungspotentials und der überproportionalen Schlagkraft Preußens. Diese blieb aber auch, mehr oder minder ausgesprochen, militärisch stets mitbedacht, zahlte sich zugunsten Berlins durch fortwährenden informellen Einflußzuwachs aus und sprengte gleichwohl - aus innenpolitischen Gründen10Z und dank der bündischen Einbettung - zunächst den defensivorientierten Rahmen nicht, der mindestens bis zum Krimkrieg europäischer Konsensus war. Das System bewahrte bei allseinen Mängeln somit doch auch einen stabilisierenden, im Spannungsfall eskalationshemmenden Effekt. Mit anderen Worten: verbreitete Rüstungsunlust, Zutrauen zur Friedenswahrung, langsam wachsende kleindeutsche Disposition, zugleich gelegentlich immer noch faktische Vorverständigung und Dämpfung des Dualismus, alles dies außerhalb des Regelwerks der Kriegsverfassung, aber in Anlehnung an sie und ohne sie unwiderruflich preiszugeben - das blieb bundesmilitärisch weiterhin die Signatur der Zeit. Besteht hinsichtlich der Fakten insoweit wohl Einigkeit1o3 und können wir uns hierzu entsprechend kürzer fassen, so ist doch noch zu prüfen, was angesichts der Gegebenheiten vom Mechanismus der kollektiven Defensive und von der Idee der föderativ organisierten Wehrkraft übrig blieb. Auch beim Blick auf diese letzten gesamtdeutschen Jahrzehnte bis 1866 ist zu fragen, inwieweit das Bemühen um eine staatstypspezifische, dem politischen Auftrag adäquate Formierung der Wehrexekutive Zugkraft behielt und wie sich der Wandel in Struktur, Konsistenz, Fortüne und nationaler Akzeptanz des Bundes auf der 118). Gerade Radowitz, der an der Planung von 1840 beteiligt war, schwebte eher der Ausbau als die Ersetzung des Bundes vor; vgl. Paul Rassel, Joseph Maria v. Radowitz, Bd. I, Berlin 1905, 118, 136, 330 ff., 384 ff. Ähnliches gilt, wenn auch mit Abstrichen, für den vorbismarckischen Ansatz von 1859. 102 Wallher Hubatsch, Abrüstung und Heeresreform in Preußen von 1807 bis 1861, in: Preußen, Deutschland und der Westen. Festschrift für Oswald Hauser, hrsg. v . H. Bodensieck, Göttingen 1980, 39- 61, spricht sogar von .,schleichendem Wehrverfall" (55). 10a Nicht dagegen in der Wertung, bei der tendenziell .,preußische" (z. B. Wienhöfer, Keul) und .,antipreußische" Sicht (z. B. Rumpler, Derndarsky) sich auch in der neueren Spezialliteratur noch unvereinbar gegenüberstehen. Ein ausgewogenes Urteil müßte die .,preußische" Effizienzkritik mit der Erwägung verknüpfen, daß gerade von Funktionsschwächen deeskalierende Effekte ausgehen konnten und daß die Schwerfälligkeit des Entscheidungsprozesses zum Primat der politischen Lösung disponierte; vgl. anband der Oberbefehlsfrage dazu Petter (Anm. 2), 254.

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Ebene der Wehrpolitik verändernd niederschlug. Drei Stufen heben sich da voneinander ab: Die Phase bis 1848 war dadurch gekennzeichnet, daß - analog zum immer deutlicher werdenden Kompetenzdefizit, zu Schwerfälligkeit und sinkendem Prestige der Frankfurter Institutionen - die militärische Schwäche des Bundes zunahm, die Unzulänglichkeit seiner Kriegsverfassung ans Licht trat und in Gefahrenlagen die Neigung wuchs, sich über sie hinwegzusetzen- jedoch ohne ernsthaften Ansatz, sie förmlich zu beseitigen oder wesensverändernd umzugestalten. Belastungsproben, denen sie nicht oder nicht überzeugend standhielt, gingen einerseits von der Rüstungsträgheit der Kleinstaaten, andererseits von zweimaliger französisch-deutscher Kriegsgefahr und mehrfachen inneren Unruhen aus. Kam der Bund den Kleinstaaten noch modellrettend entgegen, indem er ihnen - schon unter Beugung seiner egalisierenden Lastenzuteilung - die unbeliebten Spezialtruppen erließ und schonende Etappenverwendung zusagte104 , so reagierte er konfus und kopflos bei der drohenden Konfrontation im Westen - ersichtlich mehr eine lockere Allianz einander mißtrauender, zwischen Eigennutz und Zukunftsängsten schwankender Fürsten als eine willensintegrierte Wacht am Rhein. Die 1830 und 1840 gegen Frankreich erwogenen Strategien griffen, sofern überhaupt multistaatlich konzipiert, sämtlich entweder auf die alten preußischen Drei- oder Zwei-Armeen-Pläne mit preußischer Mehrleistung, indirekter Unterordnung der gemischten Korps und Preisgabe des gesamtbündischen Oberbefehls zurück, oder sie setzten - bei vollem oder teilweisem Einbezug nichtbündischer Großmächtekorps und direkter Unterstellung klein- und mittelstaatlicher Einheiten - den preußischen, allenfalls doppelhegemonialen Oberbefehl voraus105. Kein Wunder, daß für solche aus der Not geborenen Gedankenspiele, die dem Paragraphenideal von 1821/22 nur noch von Ferne glichen, selbst in Momenten drängender Gefahr bestenfalls die Süddeutschen, kaum aber Metternich und seine militärischen Helfer besondere Erwärmung zeigten1ou. 104 Durch die Bildung der Reserveinfanteriedivision (s. o. Anm. 67) wurden die Streitigkeiten freilich nicht beendet (ebd. 244). 1o5 Zur Entwicklung der militärisch-strategischen Konzeption des Bundes und seiner Vormächte in dieser Phase und bis 1866 zusammenfassend Ulrich Hencke, Die Heeresverfassung des Deutschen Bundes und die Reformpläne in den sechziger Jahren, jur. Diss. (Ms.) Tübingen 1955, hier 50 ff., 71 ff. Zu 1830: Treitschke, Deutsche Geschichte (Anm. 1), Bd. IV, 211 ff., 740 ff.; Franz Richter, Das europäische Problem der preußischen Staatspolitik und die revolutionäre Krisis von 1830 - 1832, phil. Diss. Berlin 1933, 167 ff. ; Wolf Dieter Gruner, Die belgisch-luxemburgische Frage im Spannungsfeld europäischer Politik 1830 - 1839, in: Francia 5 (1977), 299 - 398. - Zu 1840: Treitschke (a.a.O.) Bd. V, 90 ff. ; Hassel (Anm. 101 a), Bd. I, 318 ff.; Wilhelm Deutsch, Die Mission von Heß und Radewitz 1840, in: Gesamtdeutsche Vergangenheit. Festgabe für Heinrich Ritter v. Srbik, München 1938, 255 - 265. 28•

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Indessen sah man auch in der Hofburg ein, daß bei anhaltender Instabilität an der Westgrenze sowie zeitweilig innenpolitisch in der Rhein-Main-Region an einer militärischen Umgruppierung unter starkem preußischem Führungsanteil zumindest im Ernstfall schwerlich vorbeizukommen sei. Kaum noch geleugnet wurde insbesondere die Schwäche des IX. Korps, dessen bloß fiktiver Charakter bei den Iuxemburgischen und mitteldeutschen Unruhen vom Herbst 1830 überdeutlich geworden war107 und das in den Westaufmarschplänen nur noch Statistenrollen spielte. Dennoch hat sich die zwischenstaatliche Planung selbst in der Siedehitze zwingender Krisenbewältigung immer nur punktuell von der Kriegsverfassung losgesagt. Bis auf Heeresgliederung und Oberbefehl wurde das überkommene Regelwerk weiterhin vorausgesetzt, und vollends bei abklingender Gefahr ließ man stets bald wieder alles beim alten. Von sämtlichen Modernisierungswünschen, die um und nach 1840 dem damaligen preußischen Vertreter in der Militärkommission, dem energischen und um aktive Deutschlandpolitik bemühten Oberst von Radowitz, am Herzen lagen und die mit Anhebung der Truppenstärken, Betonung der Dauerpräsenz, Verkürzung der Mobilisierungsfrist und regelmäßiger Inspektion in der Tat auf Kardinalmängel zielten, kam nach anfänglich günstigem Echo nur wenig zum Zuge. Wichtigster Gewinn war der Bundesbeschluß vom Juni 1841, der eine regelmäßige Inspektion aller Bundestruppen durch Generale verschiedener Bundesstaaten vorsah108• Das war mindestens im Prinzip ein beachtlicher Schritt nach vorn, mochte seine politische Bedeutung zunächst auch größer als seine miltärische und praktische sein. Denn in der Praxis haperte es an der Aufsicht weiter. Das gliedstaatliche Souveränitätsbedürfnis und das Beharrungsvermögen des Faktischen erwiesen sich als ungebrochen. Den Preußen mißfiel das alles sehr. Bei ihnen begann man darüber nachzudenken, wie es zur Kriegsverfassung eigentlich gekommen und ob sie noch von Nutzen sei. Ein Mitarbeiter von Radowitz, der zur Mili1oe Vgl. Hencke (Anm. 105), 56 ff., 60, 73 ff.; Srbik (Anm. 6), Bd. II, 107 ff.; Viktor Bibl, Metternich in neuer Beleuchtung, Wien 1928, 111; Aus den Tagebüchern des Grafen Prokesch von Osten 1830 - 1834, Wien 1909, bes. 106. Zu Süddeutschland, das nach 1830 zwischen engerem Zusammengehen mit

Preußen und einem frankreichfreundlichen Neutralitätsbund schwankte, jetzt Peter Burg, Die französische Politik gegenüber Föderationen und Föderationsplänen deutscher Klein- und Mittelstaaten 1830 - 1833, in: R. Poidevin, H.-0. Sieburg (Hrsg.), Aspects des relations franco-allemandes 1830 - 1848. Actes du Colloque d'Otzenhausen, Metz 1978, 17 - 45, hier 20 ff. 107 Vgl. BA-Denkschrift Sontheim, fol. 8; Huber (Anm. 7), Bd. li, 120, 152. -Die "sehr fühlbare Schwäche des 9. Armeecorps" (Prot-MC 1842, 6185) blieb auch später unbehoben. tos Dazu Keul (Anm. 4), 101 ff.; Hencke (Anm. 105), 84; Hassel (Anm. 101 a), Bd. I, 347 f.; Prot-MC 1841, 6108 ff., 6131 ff.

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tärkommission kommandierte Hauptmann Sontheim, ein historisch bewanderter, Wien gegenüber kritischer, aber kühl kalkulierender Kopf, fertigte im Februar 1844 darüber eine Denkschrift an. Die auf gündliches Aktenstudium gestützte Untersuchung kam zu dem Schluß, die Militärinstitutionen des Bundes seien zu schwach, arbeiteten zu langsam und zu schwerfällig, hätten zuviel Widerstände gegen sich, und die Lasten im Bund seien zu ungleich verteilt, als daß Preußen sich im Ernstfall an die Regeln halten könne. "Preußen ist imstande, binnen 4 Wochen mit 180 000 Mann in Frankreich einzubrechen: sollte es die Verhandlungen in Frankfurt abwarten, während es durch sein Handeln imstande ist, diese nach seiner Überzeugung zu beherrschen? Preußen kann es in diesem Augenblick allein mit Österreich zu tun haben; der Wille beider muß dem Deutschen Bund Gesetz sein; Verhandlungen auf dem Grunde gleicher Rechte und Pflichten können nicht mehr gepflogen werden, sobald der Augenblick der Tat auf der einen Seite so entschieden größere Rechte gibt und so ungleiche Pflichten auferlegt" 109 • Nicht, daß bei längerem Krieg auf gesamtbündisches Handeln zu verzichten wäre. Die Denkschrift rechnete vor, daß Preußen einschließlich der Landwehr ersten Aufgebots binnen drei Monaten nur 300 000 Mann Feldtruppen aufbringen könne, es also der 300 000 in Deutschland einzusetzenden Österreicher und der 140 000 Mann mutmaßlich verfügbarer deutscher Bundestruppen durchaus bedürfe, wenn in einem Verteidigungsfall mit Volleinsatz der Großmächte eine "Gesamtmacht" von 740 000 Mann zusammenkommen solle. Eine solche herzustellen, sei möglich, wenn aber "einerseits hierin für die Macht und Sicherheit Deutschlands eine große Beruhigung" liege, so sei doch andererseits das "Mißverhältnis in den Leistungen" derart "auffallend", daß auf das Resultat der Kriegsverfassung und aller ihrer Fortbildung "kein großer Wert" zu legen sei. "Ohne verbindliche Kriegsverfassung, ohne jene zahllosen, mühsamen Verhandlungen und hartnäckigen Kämpfe wäre dennoch von selbst auf jenes Resultat zu rechnen gewesen" 110 • Eine niederschmetternde Bilanz - und doch nicht Anlaß zum Entwurf eines Gegenkonzepts oder einer neuen Strategie, die über die Hoffnung auf wachsende Begünstigung durch die deutsche öffentliche Meinung und auf ad hoc-Verständigung mit Wien im Kriegsfall hinausgegangen 1oo BA-Denkschrift Sontheim, fol. 30. - Die Denkschrift (.,Historische Entwick:lung der Bundeskriegsverfassung", s.o. Anm. 45) war zur Information des preußischen Vertreters in der Militärkommission gedacht (Vermerk Radewitz, 4. 9. 1844, ebd. fol. 2). Radewitz beschäftigte sich seit Mai 1843 mit Problemen der Bundesreform. Kurz zuvor hatte er einen umfangreichen Bericht über die Ergebnisse der ersten Musterung des gesamten Bundesheeres vorgelegt, vgl. Hassel (Anm. 101 a), Bd. I, 384 ff.; Keul (Anm. 4), 159. Beides könnte die Auftragsarbeit Sontheims veranlaßt haben, sie nahm indirekt darauf Bezug (fol. 67). uo BA-Denkschrift Sontheim, fol. 62.

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wäre111 • Die Richtung in Preußen, die schon vor 1848 geneigt war, auf der Linie eines Bernstorff oder Eichhorn die Verständigung mit Süddeutschland auf der Basis preußischer Vorherrschaft und letztlich des engeren Bundes vorzuziehen, war noch entschieden die schwächere, und die Träger der Krone gehörten nicht dazu 112 • Das änderte sich auch in der zweiten Phase - während und nach der 48er Revolution - noch nicht grundsätzlich: insofern nicht, als die Wehrkonzeption, mehr noch als die Reichsverfassung von 1849, trotz bundesstaatlicher Theorie in Wirklichkeit großdeutsch-dualistisch blieb und auf eine unitarisierende Neugestaltung weitgehend verzichtete. Wohl unterstrich schon die heraufziehende außen- und innenpolitische Spannungslage seit 1847 erneut den Reformbedarf. In Preußen unternahm Radowitz, nunmehr General und noch kurz vorRevolutionsbeginn mit entsprechendem Auftrag zwischen Berlin und Wien unterwegs, abermals Anstrengungen in Richtung auf eine intensivierte Wehrbereitschaft durch vermehrte Inspektion und Vereinheitlichung und durch Stärkung der preußischen Einflußkomponente113 • Doch im Verlauf der Revolution neigte dann nur die Linke einem fundamentalen Neubau zu, diese nun freilich im Zeichen der Milizidee und einer von Wunschdenken gespeisten, der Schweiz und dem Landwehrsystem entlehnten Antimilitanz, die in der Paulskirche nicht mehrheitsfähig war114 . Was statt dessen beschlossen wurde, lief auf eine weitere Kompromißvariante, auf einen neuen unitarisch-föderalistischen Syntheseversuch zu: mit einem Reichskriegsministerium zur Straffung von Dauerkontrolle und Führung und dem Reichsverweser als Inhaber der Oberleitung über die gesamte militärische Bundesmacht, andererseits aber zumindest faktisch- ohne Antastung der einzelstaatlichen Wehrhoheit im Frieden 115 • Vollends nach Wiederherstellung des Status qua ante Ebd. fol. 69. Mit Bezug auf die 30er Jahre Hencke (Anm. 105), 64 f. Noch 1847 erstrebte Radowitz die "Wiedergeburt des Bundes" . Einen Alleingang Preußens "außerhalb des formalen Bundeswegs" erwog er nur als letzten Ausweg; vgl. Josef M. Radowitz, Denkschrift über die vom deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln [Nov. 1847], in: W. Corvinus (Hrsg.), Radowitz' ausgewählte Schriften, Bd. II, Regensburg 41852, 46- 67, hier 65; Rassel (Anm. 101 a), Bd. I, 136. ua Ebd. 457 ff., 485 ff.; Radowitz (Anm. 112), Bd. II, bes. 62; ders., Nachgelassene Briefe und Aufzeichnungen zur Geschichte der Jahre 1848- 1853, hrsg. v. W. Möring (Dt. Geschichtsquellen d. 19. Jh. 11), Stuttgart 1922, 7 ff.; Hencke (Anm. 105), 85 ff. 114 Zum Problem der gesamtdeutschen militärischen Exekutive während der Revolution von 1848/49 vgl. Petter (Anm. 2), 256 ff.; Wienhöfer, Militärwesen (Anm. 2), 45 ff.; Huber (Anm. 7), Bd. II, 647 ff. (dort Literatur). 115 Nur gegenüber den Kleinstaaten gewann die Zentralgewalt an realem Gewicht. Die größeren Staaten verweigerten die Unterordnung. Preußen dehnte seinen norddeutschen Hegemonialbereich durch Militärkonventionen aus. Details Wienhöfer, Militärwesen (Anm. 2), 46 f . 111

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spiegelte die Wehrpolitik erneut den alten grauen Bundesalltag. Die 1855 verabschiedete Revision von Teilen der Kriegsverfassung mußte mit Schönheitsreparaturen (geringe Stärkeanhebung, Modernisierungsanpassungen im Verhältnis der Waffengattungen, Präsenzverbesserung) vorlieb nehmen118 , während die Hauptdefekte weiterschwelten. Der tröstende Schritt war erneut Ausdruck einer politischen Verständigung auf kleinstem gemeinsamem Nenner - notgedrungen, aber auch im Vertrauen auf die Fortdauer einer faktisch bestehenden Minimalsicherung. Nochmals korrespondierten also die Aporien der verfassungspolitischen Konstruktion und der wehrpolitische Kompromiß. Erst in der dramatisch bewegten dritten Phase - vom nationalen Enttäuschungsjahr 1859 bis zum preußisch-deutschen Krieg von 1866, angeheizt von Nationalverein, Heereskonflikt und Schleswig-HolsteinKrise - kam eine Reformdebatte in Gang, bei der mit Heereseinheit und Oberbefehl nun endlich der Kerndissens in den Mittelpunkt trat und die Lösungssucher sich nicht mehr scheuten, auch den durch die Einstimmigkeitsnorm geschützten Grundsatzteil der Kriegsverfassung einzubeziehen. Eine einschneidend neue Lage ergab sich bereits im Juli 1859, als Österreich, das sich durch seinen Krieg gegen Sardinien und Frankreich in Bedrängnis befand, die Mobilisierung des gesamten Bundesheeres unter preußischem Oberbefehl erstmals ernsthaft in Erwägung zog und als diese alles verändernde Aufwertung des norddeutschen Konkurrenten am Ende daran scheiterte, daß der als Oberfeldherr in Aussicht genommene preußische Prinzregent das Angebot ablehnte. Der militärisch engagierte spätere preußische König konnte sich nicht dazu entschließen, die ihm angetragene Heeresführung in den Schranken des Bundesrechts auszuüben - nicht weil sich dies mit seinem Rang nicht vertrug (alles damit Unvereinbare hätte sich suspendieren lassen), sondern weil ihm die in der Bundesunterstellung angelegte Umdeutung seiner Befehlsgewalt auch über die preußischen Bundestruppen letztlich nicht akzeptabel schien117 • Damit war die Nichtpraktizierbarkeit - oder die nach vier Jahrzehnten bloßer Theorie nicht mehr mögliche Anwendung - der in der Kriegsverfassung vorgesehenen Oberbefehlsregelung endgültig erwiesen: sie hatte, sollte das Oberhaupt des militantesten Verfassungsstaats zugleich oberster Bundesfeldherr sein, unterdessen nicht nur den Großmächtedualismus, sonue Details bei Petter (Anm. 2), 244 ff.; Keul (Anm. 4), 111; Hencke (Anm. 105), 90 ff. m Zum preußischen Standpunkt Juli 1859: Die auswärtige PolitikPreußens 1859- 1871 . Hrsg. v. d. Hist. Reichskommission (zit. APP), Bd. I, Oldenburg 1933, 735 ff. (Zirkulardepesche Schleinitz', 6. 7. 1859); Heinrich Ritter v. Srbik, Deutsche Einheit, Bd. II, München 1935, 394 ff.; Hans Kentmann, Preußen und die Bundeshilfe an Österreich im Jahre 1859, in: MIÖG Erg. Bd. 12 (1933), 297 - 415, hier 388 ff.

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dern nun auch die nachrevolutionär gesteigerte Sensibilität für die innerstaatliche Machtfunktion der Kommandogewalt gegen sich. Damit zeichnete sich das Dilemma ab, aus dem die Überbrückungsbemühungen der frühen 60er Jahre einen Ausweg nicht mehr fanden. Preußen schlug Ende November 1859 eine Neuformulierung der Kriegsverfassung vor, die dem faktischen Dualismus in Deutschland ins Gesicht sehen und die dualistische Hegemonie sowie die Zweiteilung des Bundesheeres legalisieren sollte. Der Vorschlag wurde zwischen Berlin und Wien zunächst bilateral erörtert, im Januar 1860 aber auch offiziell in die Frankfurter Militärkommission eingebracht. Danach sollte der Bund künftig im Kriege zwar wie bisher eine "Gesamtkriegsmacht" haben, diese jedoch für die Dauer des Krieges unter doppelter österreichisch-preußischer Leitung stehen. Die beiden Mächte sollten sich im Mobilmachungsfall unter Zuziehung von Vertretern der gemischten Korps über einen Operationsplan einigen und dann zwei Heere bilden, ein österreichisch-süddeutsches (einschließlich des VII. und VIII. Bundeskorps) und ein preußisch-norddeutsches (einschließlich des IX. und X. Korps und der kleinstaatliehen Reservetruppen). Am Prinzip des bestenfalls teilintegrierten Kontingentsheers, dessen Gliederung nur durch befristete Detachierungen verändert werden durfte, hielt der Plan also fest. Preußen strebte allerdings auf der Basis der Zweiteilung und im Wege bilateraler Konventionen darüber hinaus eine Umgliederung der gemischten Korps und eine Direktintegration kleinstaatlicher Einheiten an. Auch zu einer allgemeinen Anhebung der Kontingentsstärken, zur "Gleichförmigkeit des Organisations-, Ausrüstungs- und Bewaffnungssystems" (wenigstens innerhalb jedes der beiden "Heereskörper") sowie zu ständlgen Inspektionen sollte es nun wirklich kommen118. Begründet wurde der Vorschlag mit der Unmöglichkeit, die nichtbündischen und die zum Bundesheer abzustellenden Teile der Großmächtetruppen auseinanderzureißen. Sei es doch, wie der damalige preußische Vertreter in der Militärkommission, General Dannhauer, erklärte, "nicht denkbar, daß jemals einer der Souveräne der deutschen Großstaaten sich der Kriegsherrlichkeit über sein Heer begeben oder sich als Oberfeldherr in irgendein Abhängigkeitsverhältnis zur Bundesversammlung oder zur Gesamtheit der Bundesfürsten setzen würde" 119. Was damit auf dem Tisch lag, steuerte zweifellos auf eine den bisherigen Grundkonsens opfernde oder dehnende, die Gestalt des Bundes 118 Entstehung und Grundzüge des Reformplans: Paul Bailleu, Der Prinzregent und die Reform der deutschen Kriegsverfassung, in: HZ 78 (1897), 385- 402, bes. 389; APP Bd. Il/ 1, 23 ff. (Zirkulardepesche Schleinitz', 12. 1. 1860); Hencke (Anm. 105), 117ff. 119 Am 4. 1. 1860 in der Militärkommis~ion (zit. n. ebd. 118).

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denaturierende Änderung zu und wurde nicht ohne Ursache vielfach als Vorspiel zum Bundesbruch aufgenommen. "Noch niemals", schrieb der bayerische Gesandte von der Pfordten nach München, "sind die preußischen Bestrebungen, den Bund aufzulösen und einen Dualismus an dessen Stelle zu setzen, innerhalb der Bundesorgane so bestimmt hervorgetreten" 120 • Und der sächsische Gesandte Frhr. von Nostitz sagte voraus, Preußen werde, wenn es sein Heer für sich behalten wolle, den Anschluß aller deutschen Staaten an Österreich, womöglich den engeren Bund mit Wien, bewirken121 • In der Tat blieb Preußen bei allen Abstimmungen in Bundesgremien mit seinem Plan allein. Allerdings überschätzte auch das "Dritte Deutschland" , das dreimal in Würzburg konferierte, einen Gegenplan entwarf und sich wie zu Wangenheims Zeiten als eigenständige Kraft begriff, seine Möglichkeiten: wie ehedem uneins, konnte es sich auch jetzt nicht überzeugend als das bessere Deutschland und als wehrtauglicher, wehrwilliger Partner präsentieren, schon gar nicht in einer Zeit der Rückbesinnung auf Machtrealitäten und aus der Sicht der außenpolitisch bedrängten Donaumonarchie, die gegen Italien und Frankreich kanonenstarken Flankenschutz brauchte und überdies soeben die großdeutsch-liberale Karte spielte 122 . Auch hielten sich die preußischen Ketzereien der Form nach und fürs erste noch immer in den Grenzen des Bundesrechts, dessen Revisionsbedarf im übrigen von niemandem bestritten wurde und dessen Elastizität in der Anpassung an großmachtpolitische Abmachungen eine in Jahrzehnten erhärtete Erfahrung war. So erklärt es sich, daß Österreich die erneute Verständigung auf dualistischer Basis nicht schlechtweg ablehnte, sondern sie aufzugreifen und umzubiegen suchte - zuerst bei der Teplitzer Monarchenzusammenkunft vom Juli 1860, dann bei den nachfolgenden Berliner Militärkonferenzen ab Januar 1861 und nach abermaligem Schwanken und weiterem trialistischen Zwischenspiel nochmals zu Beginn der Ministerzeit Bismarcks, im Zuge der gemeinsamen Schleswig-Holstein-Politik. Eine denkbare Kompromißebene tat sich dabei stets von neuem etwa an der Am 17. I. 1860 an v. Schrenk (zit. n . ebd. 119). Laut württembergischem Gesandtschaftsbericht vom 9. 1. 1860 (ebd.). 122 Zur mittelstaatlichen Reformpolitik und zur Österreichischen Bundespolitik Graf Rechbergs vgl. Srbik, Einheit (Anm. 117), Bd. III, 277 ff.; Walther Peter Fuchs, Die deutschen Mittelstaaten und die Bundesreform 1853 - 1860 (Hist. Stud. 256), Berlin 1934, bes. 161 ff.; Wolf Dieter Gruner, Die Würzburger Konferenzen der Mittelstaaten in den Jahren 1859- 1861 und die Bestrebungen zur Reform des Deutschen Bundes, in: ZBay LG 36 (1973), 181 - 253, bes. 209 ff., 220 ff.; Enno E. Kraehe, Austria and the Problem of Reform in the German Confederation, 1851- 1863, in: AHR 56 (1950), 276- 294; Roy A. Austensen, Austria and the ,Struggle for Supremacy in Germany', 1848 - 1864, in: JModH 52 (1980), 195 - 225, hier 223. 120

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Stelle auf, wo schon die Lösungsmodelle von 1830 und 1840 sie aufgesucht hatten: bei der auf eine konkrete Kriegssituation bezogenen Hinnahme einer Heeresteilung mit begrenztem preußischem Südausgriff und gemeinsamem, formell durch die Monarchen gehandhabtem, faktisch gespaltenem Oberbefehl, nur nicht in Permanenz und als abschließende Neuordnung, sondern als temporäre Nothilfe, rechtlich gedeckt durch Teilsuspendierung der Kriegsverfassung und überwölbt durch ein Defensivbündnis und die zugesagte preußische Hilfe im drohenden neuen Italienkrieg123• Zu einer Einigung in diesem Sinne kam es nie, aber es gab auf beiden Seiten hofnahe, meist militärische Stimmen, die dem gesamtdeutschen antifranzösischen Rheinaufmarsch Priorität zuerkannten und ein einstweiliges Entgegenkommen deshalb nicht ausschließen wollten. Noch bei den Berliner Militärkonferenzen schien ein Ausgleich zeitweilig nicht fern , besonders Moltke strebte ihn an124• Und wehte in der Ära Bismarck bald ein schärferer Wind, so ist die Idee der überstaatlichen kollektiven Wehrexekutive - dualistisch oder trialistisch dirigiert und föderativ organisiert - eine Galgenfrist hindurch wenigstens im Gespräch geblieben. Auf dem Frankfurter Fürstentag (1863) noch einmal bündisch-direktorial gewendet und für Momente einer Sternstunde nah, im Schönbrunner Konventionsentwurf (1864) wieder durch den Machtpragmatismus harter Zweimächteführung verdrängt, tauchte die unkriegerisch-dualistisch-neubündische Alternative selbst im Vorfeld des schon beschlossenen bundesbrüchigen Waffengangs (Hepke-Promemoria, April 1866) nochmals auf1 25 , bevor der eklatante Fehlschlag der gegen Preußen gerichteten Bundesexekution (Juni 1866) die Untauglichkeit der altgewordenen, nun schon biedermeierlich-lächerlich anmutenden, bündischen Friedenssicherungen erwies. Sie erlagen indessen nicht jener Art von äußerer Aggression, der zu widerstehen ihr Hauptzweck war, und es war auch nicht eigentlich das ungelöste Wehrproblem, woran sie scheiterten. 123 Vgl. Hencke (Anm. 105), 77 ff., 186, 194 f., 206, 215 f.; Srbik, Einheit (Anm. 117), Bd. III, 329 ff.; Huber (Anm. 7), 404 ff.; differenziert, aber überwiegend preußenkritisch Derndarsky (Anm. 6), 110; ders., Osterreich und die Deutsche Frage zwischen 1848 und 1866171, in: Die Deutsche Frage im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. J. Becker u. A . Hillgruber, München 1983, 63- 90, hier 86 f. 124 Am deutlichsten APP Bd. II/2, 11 ff., 200 f., 297 ff. (Denkschrift Moltkes, 17. 9. 1860; PunktaUonsentwurf Moltkes, 15. 2. 1861; Schleinitz an Usedom, 16. 4. 1861). 125 Vgl. Otto Becker, Der Sinn der dualistischen Verständigungsversuche Bismarcks vor dem Kriege 1866, in: HZ 169 (1949), 264- 298, bes. 278 ff., 294; ders., Bismarcks Ringen um Deutschlands Gestaltung, hrsg. v. A. Scharff, Heidelberg 1958, 126 ff. - Zur schrittweisen österreichisch-preußischen Entfremdung im Militärbereich materialreich Heinz Helmert, Militärsystem und Streitkräfte im Deutschen Bund am Vorabend des preußisch-österreichischen Krieges von 1866 (Militärhist. Stud. 7), Berlin-0. 1964, 195 ff.

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Denn so sehr die Wehrorganisation eine Kernfrage der Bundesverfassung war und so unbestritten die Einheit des Bundes sich über die Jahrzehnte hinweg am deutlichsten in der bundesrechtlich deklarierten, faktisch wenigstens potentiellen Kriegseinheit der Wehrexekutive ausgesprochen hatte, so wenig entsprang der sich anbahnende Bruch zum Schluß allein oder vorwiegend ihrem Problembereich. Den alles verändernden Einschnitt bewirkten, abgesehen vom gesellschaftlichen Wandel als ganzem, am Ende weit mehr das systempolitische Krisenmanagement und die gesamteuropäische Zukunftsprognose Bismarcks. Es war die Kooperation des "weißen Revolutionärs" mit der Nationalbewegung, sein Hantieren mit dem überstaatlichen Parlamentsprojekt und dem allgemeinen Wahlrecht, sein mediatisierendes, partiell modernisierendes Großpreußentum, es war der - wie immer motivierte - abermalige Halbübertritt des Hohenzollernstaats ins Lager des ideologisch Kommenden und geschichtlich Progressiven 128 , was die Verständigung mit der Donaumonarchie endgültig ausschloß. In dem veränderten wehrpolitischen Klima spiegelte sich bloß aufs neue, wie sehr der epochenbestimmende Wandlungstrend, der die überkommenen politischen Formen sprengte, nach staatstypspezifischem Ausdruck auch im Armeebereich drängte. Gewiß hielten sich, wie in der politischen Verfassung, Elemente des Föderativen auch im Heer des Norddeutschen Bundes und nach 1871 noch. Eine machtrelativierende, eskalationshemmende, friedenstiftende Disposition ging jedoch kaum noch von ihnen aus. Während der gesamten Existenzdauer des Bundes hielt sich, so ist zusammenfassend festzustellen, ein anfangs dominanter, allmählich abnehmender, aber nie ganz abgestorbener Impuls, dem bündisch organisierten und von zwei Großmächten indirekt dirigierten Deutschland eine seiner besonderen politischen Form entsprechende militärische Exekutive zu geben: hinreichend zur Sicherung seiner eng bemessenen Handlungsfähigkeit im Innern und nach außen, wirksam als defensiver Schutz seiner territorialen Integrität und seiner politisch-gesellschaftlichen Grundordnung, zugleich sinnkonform durch Eignung für die ihm zugedachte Rolle als Stützpfeiler des europäischen Gleichgewichts und des internationalen Status quo. Immer behauptete sich dabei der Primat des Politischen, immer eine wenn auch begrenzte Befähigung zu Reform und Ausbau, immer ein systembedingtes, militärisch teilweise disfunktionales, politisch jedoch schwer behebbares und letztlich einkalkuliertes Maß an Belastungsschwäche, Schwerfälligkeit und Handlungshemmung, ein gleichsam eingebürgerter Dauerdefekt, der die Zeitkritik 126

Vgl. Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt 31980,

344 ff.

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provozierte, seiner geschichtlichen Wirkung nach aber eher widersprüchlich und doppeldeutig war: er minderte die Defensivkraft, jedoch nicht so, daß ihre Beschränkung sich, europäisch gesehen, destabilisierend oder gar als Aggressionsverlockung ausgewirkt hätte. Gefährlicher blieb das Macht- und Interessengefälle im Bunde selbst, blieb die Indifferenz seiner Beziehung zu den beiden Führungsmächten, die sowohl in ihm als auch über ihm und neben ihm standen. Als sich dies mit der Jahrhunderttendenz zum Nationalstaat verband, erwuchs daraus sein Scheitern - freilich erst, nachdem das System jahrzehntelang eine bemerkenswerte Elastizität entwickelt hatte, tüchtig genug, um Machtverschiebungen aufzufangen und Konflikte, sogar den revolutionären, verrechtlichend zu überstehen. Daran hatten alle Grundfaktoren und Bauelemente des Bundes Anteil, alle auf ihre Art und mit ambivalenten Folgen. Jedes der lnteressenzentren, das preußische, das Österreichische und das triasdeutsche, wollten und bewirkten im Militärbereich Systemkonformes und Eigennütziges zugleich, weshalb es nichts fruchtet, in den Denkbahnen des 19. Jahrhunderts auf Sündenbocksuche zu gehen. Nicht nur die in Wien betriebene Ordnungszementierung, nicht nur die trialistische Mediatisierungsabwehr, auch das von Preußen artikulierte Raumteilungs- und Machtstärkungsstreben, das das Bundesmilitär zu mehr Effizienz und Modernisierung antrieb, dabei aber nicht nur an optimalen Schutz nach außen dachte - sie alle dienten dem Bund und schwächten den Bund, erhielten ihn und unterhöhlten ihn in einem. Schwer einzuschätzen ist die Einsicht der Handelnden in den geschichtlichen Zusammenhang, in welchen das Bundesheer einzuordnen ihre Gegenwartsreflexion sie anhielt. Wieviel um- und eingeschmolzenes Erbe, aufklärerisches und reichstraditionales, in dieser Friedensordnung weiterlebte, erschloß sich ihnen zumeist nicht leicht, schwerer wohl als der Vorsatz, die Schwächen sowohl des Alten Reiches als auch des Rheinbunds zu meiden. Seltener noch, am ehesten bei Wangenheim, begegnet uns eine Denkweise, die sich, da auf völkerrechtlich abzustützende kollektive Rüstungsbegrenzung und Friedenssicherung bedacht, in der Rückschau als Zukunftsvorgriff darstellt. Wie Rückgriff und Vorgriff wirken in mancher Hinsicht aber auch die gemischten Korps, die überstaatlich konstruierten Festungsbesatzungen und Stäbe. Das alles hob sich vom nationalen Machtstaat des 19. Jahrhunderts ab. Und doch suchte es auch wieder den Brückenschlag zu ihm. Im 18. wurzelnd, Aspekten des 20. verwandt, nimmt sich die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes wie ein Syntheseversuch zwischen den Zeiten aus. Ihr ist nur gerecht zu werden, wenn sie aufgefallt wird als militärische Form der politischen Ordnung, in die sie eingebettet war und der

Die militärische Konzeption des Deutschen Bundes

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sie diente. Dies war nach 1815 eine restaurative Ordnung mit begrenzt transformativer Funktion. Zum Transformativen zählte auch der Versuch, Hegemoniales und Föderatives zu versöhnen, es in eine stabile Balance zu bringen - was bedeutete, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, unterhalb von Ideallösungen und in flexiblem Umgang mit dem geschriebenen Bundesrecht, den Bund als Willenseinheit darzustellen und zur Gleichgewichtswahrung einzusetzen. Im Militärbereich gelang dies eine Zeitlang in zweierlei Hinsicht: praktisch, soweit das Unitarische sich einfügte in das gegebene europäische und deutsche Kräftespiel, theoretisch, indem ein dazu passendes überstaatliches Entscheidungsund Führungsmodell entwickelt wurde, das den Vorrang des Politischen mit dem Ansporn zu operativer Beweglichkeit verband und dessen stillschweigende Voraussetzung die ständige Vorabsprache zwischen den Großmächten war. Als diese entfiel, als ihr Machtantagonismus beherrschend wurde, als das Heer des Bundes aufhörte, bewaffneter Arm der bündisch entschärften Doppelhegemonie zu sein, da verlor das System seinen Sinn. Dieser Situation war es nicht mehr gewachsen. Für sie war es aber auch nicht erdacht.

Das Verhältnis von Staat und Militär bei Clausewitz Von Ernst Vollrath, Köln Bei der Darstellung des Verhältnisses von Staat und Militär bei Clausewitz geht man am besten von der Clausewitzschen Formel aus, daß der Krieg nichts anderes sei als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln1 • Diese Formel hat bekanntlich Zitatcharakter; sie ist "büchmannfähig". Beim Zitieren der Formel wird gewöhnlich vergessen, daß Clausewitz sie relativ spät gefunden oder geprägt hat, vermutlich erst 18272 • Daß die Politik und der Krieg, also auch das Militär, in einem engen Verhältnis zueinander stehen, gehört zu den Ansichten, die Clausewitz von früh auf gehabt hat. Aber die entschiedene und eindeutige Unterordnung des einen unter den Primat der anderen findet sich erst in so später Zeit. Was beim Zitieren der Formel ebenfalls gewöhnlich vergessen wird, ist die Frage danach, was Clausewitz eigentlich unter ,Politik' versteht. Nun hat Clausewitz keine Theorie der Politik ausgeführt, wenn auch sein Denken weiter reicht als bis zu einer bloß instrumentellen Kriegstheorie. Eine erste Annäherung ergibt sich aus einer anderen Fassung der Formel. Sie lautet: "der Krieg (ist) nichts als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln" 3 • Clausewitz versteht also die Politik vom Staat her. Aber damit ist die Problematik nur verschoben, denn jetzt geht es um das Staatsverständnis von Clausewitz. Dieses wiederum kann nicht isoliert betrachtet werden, denn für dieses t ,Vom Kriege' wird zitiert nach: Vom Kriege, Hinterlassenes Werk des Generals Carl von Clausewitz, Neunzehnte Auflage - Jubiläumsausgabe, mit erneut erweiterter historisch-kritischer Würdigung von Dr. phil. Werner Hahlweg, Bonn 1980, und zwar so, daß zusätzlich zu den Seiten das Buch (römisch) und das Kapitel (arabisch) angegeben werden. Das genaue Zitat lautet: "Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel" {Vom Kriege VIII 6 B, 990); siehe die ähnliche Formulier ung: "Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" (Vom Kriege I 1, 210). 2 Über die Entstehungsgeschichte des Buches ,Vom Kriege' und damit zusammenhängend der Formel unterrichten: Herbert Rosinski, Die Entwicklung von Clausewitz' Werk ,Vom Kriege' im Lichte seiner ,Vorreden' und ,Nachrichten', in: HZ 151 (1935), 278- 293; Eberhard Kessel, Zur Genesis der moder nen Kriegslehre. Die Entstehungsgeschichte von Clausewitz' Buch ,Vom Kriege', in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 3 (1953), 405 ff. s Vom Kriege, 179 (aus der sogenannten ,Nachricht'); es handelt sich vermutlich um die früheste Fassung.

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Staatsverständnis ist das Verhältnis, in welchem das Militär zum Staat steht, von erheblicher, in der Perspektive von Clausewitz von entscheidender Bedeutung. Die Schwierigkeiten der Darstellung des Staatsverständnisses von Clausewitz mit Einschluß des Verhältnisses des Militärs zum Staat sind erheblich4 • Einerseits ist so gut wie das gesamte politische Denken im deutschen Kulturkreis - im Unterschied zum anglo-amerikanischen etwa - um Begriff und Phänomen des Staates zentriert. Clausewitz' Staatsverständnis unterscheidet sich jedoch von dem dominanten Typ. Sicher teilt er mit vielen Zeitgenossen ein organologisches5 und nationales Staatsverständnis. Aber dies führt nicht dazu, daß er daraus eine autonome Staatspersönlichkeit konstruiert. Eine weitere Schwierigkeit bei der Analyse besteht darin, daß Clausewitz Probleme mit dem realen Staat hatte: Der König - Friedrich Wilhelm II. - verzieh ihm nie vollkommen den Übertritt in russische Dienste 1812, und Clausewitz hegte große Skepsis gegenüber dem König. Das und seine nicht vollkommen gesicherte soziale Lage, zudem die politisch relativ unbedeutende Position, die er innehatte, legten Clausewitz Zurückhaltung bei seinen politischen Äußerungen auf. Peter Paret kennzeichnet das Politik- und Staatsverständnis von Clausewitz so: "Clausewitz held differing views of the state at different times in his life, but usually it was the power of the central agencies and the effectivness of the state's institutions that mattered most to him6 ." In einer der frühesten Äußerungen, die von Clausewitz erhalten sind, heißt es: "Niemand kann einer Nation das Recht versagen, mit allen Kräften für ihre Vorteile zu kämpfen, sich von Sklavenketten loszureißen- ja nicht Frankreich kann man tadeln, wenn es seinen Fuß 4 Aus der umfangreichen Literatur sind für das Politik- und Staatsverständnis von Clausewitz von Bedeutung: Hans Rothfels, Carl von Clausewitz. Politik und Krieg. Eine ideengeschichtliche Studie, Berlin 1920, reprint Bann 1980; E. Weil, Guerre et politique selon Clausewitz, in: Revue francaise de science politique V/2 (1955), 291 ff.; Carl Schmitt, Clausewitz als politischer Denker. Bemerkungen und Hinweise, in: Der Staat 6 (1967), 479 ff.; Raymond Aron, Penser la guerre. Clausewitz, I: L'äge europeen, II: L'äge interplanetaire, Paris 1976, dt. Übers.: Clausewitz. Den Krieg denken, aus dem Französischen von I. Arnsperger, Berlin 1980; Peter Paret, Clausewitz and the State, Oxford 1976; ders., Die politischen Ansichten von Clausewitz, in: Freiheit ohne Krieg. Beiträge zur Strategie-Diskussion der Gegenwart im Spiegel der Theorie von Carl Clausewitz, Clausewitz-Gesellschaft e. V. (Hrsg.), Bann 1980, 333 ff. s Im Sinne der Bestimmung Kants eines organisierten Wesens: bei diesem wird "ein jeder Teil, so wie er nur durch alle übrigen da ist, auch als um der anderen und des Ganzen willen existierend, d. h. als Werkzeug (Organ) gedacht", Kritik der Urteilskraft, § 65, Akademie-Ausgabe Bd. V, 373 (ohne Unterstellung der Entlehnung!). o Paret, Clausewitz and the State (Anm. 4), 6.

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auf unseren Nacken setzt und sein Reich furchtsamer Nachbarn bis ans Eismeer reichen läßt7.'' Clausewitz begreift den Staat als Machtstaat, aber man muß sehr genau bestimmen, was darunter zu verstehen ist. Es gehört jedenfalls zu diesem Machtstaat seine auch vorbereitende Verteidigungsfähigkeit gegen andere Staaten hinzu, so daß das Mittel dieser Verteidigung, das Militär, den Staat selbst existentiell bestimmt. Das Recht des Staates auf Existenzsicherung ist ohne viel Reflexion für Clausewitz unbestreitbar. Sowenig Clausewitz es unternimmt, eine philosophische Rechtfertigung des Krieges zu liefern - er nimmt ihn in seiner historischen Faktizität hin, um ihn verstehen und - vielleicht8 - beherrschen zu lernen -, sowenig bemüht er sich um eine Rechtfertigung der Existenz des Staates oder der Staaten. Clausewitz akzeptiert fraglos das Pluriversum der existierenden individuellen Staaten Europas als die geschichtlich gewordene Gestaltung gesellschaftlicher Verbände in der Neuzeit. Bei keinem dieser Staaten ist diese Existenz ein für allemal garantiert - das trifft vor allem für Preußen in seiner gefährdeten Mittellage zu. Clausewitz ist überhaupt von der Vergänglichkeit aller politisch-staatlichen Zustände zutiefst überzeugt. "Die erhabensten Werke des bürgerlichen Zustandes, in wieviel Jahrhunderten sie auch fortleben und wirken mögen, tragen das Prinzip ihrer eigenen Zerstörung in sich'", schreibt er in bezug auf den spartanischen Staat, das klassische Modell für Beständigkeit und Unwandelbarkeit. (Der Gedanke der prinzipiellen Veränderlichkeit aller menschlichen Einrichtungen stammt aus Clausewitz' Machiavelli-Lektüre.) Gegen die Tendenz zur ,naturhaften' Destruktion hilft, wenn überhaupt, nur das entschiedene Gegenhandeln und die Bereitschaft zu ihm, also auch die Vorbereitung der Verteidigungsfähigkeit des Staates durch seine militärische Macht. Die auf Selbstbestimmung beruhende 7 Carl von Clausewitz, Politische Schriften und Briefe, hrsg. von H. Rothfels, München 1922, 2. Die Aufzeichnung stammt nach Rothfels aus dem Jahre 1802. s Aron, Clausewitz (Anm. 4): "Der militärische Sieg ist nicht der letzte Zweck [des Krieges, E. V.], er ist selbst nur ein Mittel in Hinblick auf den wahren Zweck, den Frieden, in dem sich die gegnerischen Willen vereinigen" (232); "Das Wort Sieg gehört zum Vokabular der Taktik, nicht der St rategie. Der Sieg ist ein streng militärischer Begriff, er taucht nur als ein Mittel für den wahren Zweck, das heißt den Frieden auf" (159). Clausewitz hält aber daran fest, daß dieser Zweck des Krieges - wie aller Politik - nicht durch bloßen guten Willen erreicht werden kann, "denn in so gefährlichen Dingen, wie der Krieg eines ist, sind die Irrtümer, welche aus Gutmütigkeit entstehen, gerade die schlimmsten" (Vom Kriege I 1, 192). 9 Karl und Marie von Clausewitz, Ein Lebensbild in Briefen und Tagebuchblättern, hrsg. von K. Linnebach, Berlin 1916, 142, Brief vom 5. Oktober 1807.

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und zu ihr befähigende Unabhängigkeit, die ohne die militärische Macht nicht verwirklicht werden kann, bildet den existentiellen Kern des Staates. Am stärksten ist dieser Gedanke ausgedrückt in der ,Bekenntnisdenkschriftj vom Februar 1812: "der Entschluß [zur Erringung der Unabhängigkeit] soll aus der Nothwendigkeit der Rettung hervorgehen, nicht aus der Leichtigkeit derselben"l 0 • So lassen die allgemeinen Züge des Verständnisses, welches Clausewitz vom Verhältnis von Staat und Militär hat, sich summieren: Der Staat - zumal dieser Staat Preußen in seiner prekären Lage - ist die geschichtlich gewordene individuelle Organisation eines gesellschaftlichen Verbandes, die genötigt und befugt ist, zur Wahrung ihrer selbstbestimmenden Existenz die Mittel der militärischen Macht, auch vorbereitend, zu entwickeln und einzusetzen. Das ist allerdings nur der allgemeine Rahmen der Ansichten von Clausewitz. Die besondere Bestimmung, die Clausewitz dem Verhältnis von Staat und Militär gibt, ist geprägt von dem Schock der Niederlage Preußens 1806. Preußen, das als eine Miltärmacht erster Ordnung galt, erlitt eine katastrophale Niederlage gerade auf dem Felde, auf dem es sich selbst für stark gehalten hatte, auf dem militärischen. Clausewitz beschreibt die Ereignisse so: "Die Franzosen hatten mit ihren revolutionairen Mitteln das alte Instrum.e nt der Kriegsführung wie mit Scheidewasl?er angegriffen; sie hatten das furchtbare Element des Krieges aus seinen alten diplomatischen und finanziellen Banden losgelassen: er schritt nun mit seiner rohen Gewalt einher, wälzte eine ungeheure Masse von Kräften mit sich fort, und man sah nichts als Trümmer der alten Kriegskunst auf der einen Seite und unerhörte Erfolge auf der anderen, ohne daß man dabei ein neues System der Kriegsführung, d. h. neue Wege der Klugheit, neue positive Formen im Gebrauch der Kräfte, deutlich unterschieden hätte11 ." Man muß sich über die Gefahren klar sein, die in einer solchen Wahrnehmung der Situation lagen. Nicht nur hatte Preußen eine Niederlage gerade auf dem Gebiet bezogen, auf dem es seine Stärke hatte oder gehabt hatte: es galt als der klassische Militärstaat. Der Graf Mirabeau soll 10 Carl von Clausewitz, Schriften Aufsätze - Studien - Briefe. Dokumente aus dem Clausewitz-, Scharnhorst- und Gneisenau-NachlaB sowie aus öffentlichen und privaten Sammlungen, hrsg. von W. Hahlweg (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 45), Bd. I, Göttingen 1966, 707 (zitiert: Schriften 1). 11 Carl von Clausewitz, Uber das Leben und den Charakter von Schamhorst, in: Verstreute kleine Schriften, zusammengestellt, bearbeitet und eingeleitet von W. Hahlweg (Bibliotheca Rerum Militarium XLV), Osnabrück 1979, 228; s. meinen Aufsatz: ,Neue Wege der Klugheit'. Zum methodischen Prinzip der Theorie des Handeins bei Clausewitz, in: Zeitschrift für Politik 31/1 (1984), 53 ff.

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gesagt haben, Preußen sei kein Staat, der eine Armee, sondern eine Armee, die einen Staat habe 12 • Es hätte also nahegelegen, diese Niederlage ausschließlich in militärischen, sozusagen rein instrumentellen Kategorien zu interpretieren und auch zu versuchen, ihr rein instrumentell zu begegnen. Alle Reformer und gerade die Militärreformer und unter ihnen Clausewitz wußten, daß dies vollkommen unmöglich war und das Desaster noch verstärkt und perpetuiert hätte. Die Kerneinsicht lautet: "Man kann also sagen: die zwanzigjährigen Siege der Revolution sind hauptsächlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenüberstehenden Regierungen13 ." Ausgeführt lautet die Einsicht: "Die ungeheuren Wirkungen der französischen Revolution nach außen sind aber offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten ihrer Kriegsführung als in der ganz veränderten Staats- und Verwaltungskunst, in dem Charakter der Regierung, in dem Zustande des Volkes usw. zu suchen. Daß die anderen Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, daß sie mit gewöhnlichen Mitteln Kräften die Waage halten wollten, die neu und überwältigend waren: das alles sind Fehler der Politik. Hätte man diese Fehler von dem Standpunkte einer rein militärischen Auffassung des Krieges einsehen und verbessern können? Unmöglich14." Der Umkehrschluß zu dieser Einsicht ist klar: wenn es sich so verhält, dann darf die Reform nicht bei den militärischen Mitteln stehen bleiben, sondern muß den Kernbereich des Staates, das Verhältnis von Regierung und Volk, betreffen. Das Problem der Militärreformer bestand gerade darin, daß sie die Reform des Staates von dem her in Gang setzen mußten, was sie als ein wie essentielles Mittel auch immer erkannt hatten: vom Militärischen her. Das bloße Nebeneinander von Politik- Staat auf der einen Seite und Militär- Krieg auf der anderen Seite ist jetzt als ein wechselseitiges erkannt, welches von einem zentralen Punkt her bestimmt ist, welcher ,Politik' genannt wird. In dem längsten historischen Exkurs, den ,Vom Kriege' enthält, führt Clausewitz die verschiedenen Gestalten des Krieges und des Militärischen auf, welche die unterschiedlichen politischen Formationen geschichtlich aufweisen. Das Resurne wird gleich zu Anfang gezogen: "Halbgebildete Tartaren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fürsten und Völker des neunzehnten Jahrhunderts: alle führen den Krieg auf ihre 12 Das Bonmot ist unbestätigt: Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Berlin o. J. (1983), 59. 1a Vom Kriege VIII 6 B, 997. 14 Ibid.

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Weise, führen ihn anders, mit anderen Mitteln und nach einem anderen Ziel''lJI. Der erweiterte Politikbegriff, der eine Umwandlung des Staatsverständnisses enthält, sieht so aus: .,Daß die Politik alle Interessen der inneren Verwaltung, auch die der Menschlichkeit, und was sonst der philosophische Verstand [sie!] zur Sprache bringen könnte, in sich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgesetzt: denn die Politik ist ja nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwalter aller dieser Interessen gegen andere Staaten . . . und wir können hier die Politik nur als Repräsentanten aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten18." Das ist ein normativer Begriff von Politik, nicht ein faktischer, und Clausewitz ist sich darüber vollständig im klaren. Die faktische Politik muß sich an diesem normativen Begriff messen lassen. Das konkrete Problem der notwendigen Veränderungen des Verhältnisses von Staat und Militär stellt sich so dar: Der wahre Grund der Niederlage liegt nicht auf der instrumentellen Seite, er liegt auf der Seite der ,Politik' und des ,Staates'. Die Verkehrung, die hier eingetreten ist, läßt sich in den Worten von Clausewitz so formulieren, daß .,sich die Regierung vom Volke trennte und sich als den Staat ansah"17 • Um der revolutionären Kriegsführung der Franzosen begegnen zu können, die, wie Clausewitz klar erkannt hatte, auf die veränderte Konstellation von ,Regierung' und ,Volk' zurückzuführen war, mußte also die Verkehrung aufgehoben werden, und das Ziel aller Reformer war genau dies. Die besondere Situation der Militärreformer bestand darin, daß sie die ,Politik' und den ,Staat' von der Seite her umwandeln mußten, die von Clausewitz doch nur als ein Mittel angesehen wurde, von der militärischen. Die Vorstellungen von Clausewitz über die notwendigen Veränderungen im Staat selbst und im Verhältnis von Staat und Militär sind einerseits komplex, andererseits höchst vage. Das hängt mit einer ganzen Reihe von Gründen zusammen, von denen hier einige erwähnt werden 15

Vom Kriege VIII 3 B, 962.

ta Vom Kriege VIII 6 B, 993 (meine Sperrung).

17 Vom Kriege VIII 3 B, 967. An dieser Stelle ist diese Kennzeichnung rein deskriptiv gemeint. Siehe die ,Nachrichten über Preußen in seiner großen Katastrophe', in: Politische Schriften (Anm. 7): "Aber wenn eine große Gesellschaft nicht bloß in sich ruhig fortleben, sondern als Staatsindividuum handeln soll, so sind zwei Dinge als Hauptursachen anzusehen . .. Das eine ist die Wirksamkeit der Regierungsmaschine, wodurch die Menge zur Einheit wird, und das andere der Geist des Volkes, welcher diesem Ganzen Leben und Nervenkraft gibt. Die Regierungsmaschine war ... ein zusammengetrocknetes, verfallenes, den Bedürfnissen der Zeit und des Augenblicks gar nicht entsprechendes Ding; der Geist des Volkes aber konnte nicht anders als großen Ereignissen entfremdet und großen Anstrengungen entwöhnt sein" (215 f., geschrieben 1824/25, bezogen auf die Ereignisse von 1806 an).

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sollen. Von den Militärreformern war er der mit dem geringsten Einfluß und auch den schmalsten Einflußmöglichkeiten: weder hat er je ein höheres Truppenkommando innegehabt noch saß er an maßgeblicher Stelle im Ministerium. Er war der Gehilfe und Freund so bedeutender Männer wie Scharnhorst und Gneisenau. Aber seine eigene Bedeutung wurde nur von diesen, nicht von den herrschenden Mächten anerkannt. Hinzu kommt die Vorsicht, die er bei seiner prekären sozialen Lage aufbringen mußte. Er war in allem von einem König abhängig, dem er persönlich, um das Mindeste zu sagen, skeptisch gegenüberstand, und Mitglied eines Standes und einer Kaste, deren Lebensformen er akzeptieren mußte, obwohl er die vielfachen Schwächen ihrer Mitglieder kannte. Bei aller außerordentlichen Intelligenz war seine politische Bildung- im Vergleich zu der von Angehörigen einer politischen Kultur, die auf Partizipation an der Macht angelegt war - schwach und sein politischer Erfahrungshorizont doch beschränkt. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: um so erstaunlicher ist das intellektuelle Format seiner Erwägungen, und das betrifft nicht nur den Zentralbereich seines Denkens, seine Theorie des kriegerischen Handelns, in welchem Gebiet er schließlich ein Fachmann war, sondern alle seine Äußerungen zu politischen Fragen. Sie sind durch das ausgezeichnet, was wohl das Seltenste ist, das man auf diesem Gebiet antreffen kann: gesunde Urteilskraft. Nur: es gibt keinen systematischen Entwurf, der alles zusammenhängend und detailliert abgehandelt hätte, und ein solcher Entwurf ist selbstverständlich und billigerweise auch gar nicht zu erwarten. Am ehesten kann die Seite dargestellt werden, für die Clausewitz sich kompetent wußte, die militärische. Hier geht es um die Aufstellung der Preußischen Landwehr und den Sinn dieser Aufstellung. Im Instrument der Landwehr sahen die Reformer und unter ihnen Clausewitz nicht nur ein Mittel militärischer Natur, sondern eine Möglichkeit, die Kluft zwischen Regierung und Volk zu verringern. Eine Reihe von Reformen wurde denn auch nach 1808 durchgeführt: Abschaffung körperlicher Züchtigung, Abschaffung des adligen Offiziermonopols, Beseitigung des hohen Anteils von nichtpreußischen Ausländern im Heer usf. Der Kerngedanke ist der eines Volkes in Waffen. Die Reformer hatten dabei mit dem erbitterten Widerstand der Restauration zu rechnen, die dem bewaffneten Volk nicht traute, so sehr sie an einer Vergrößerung des Militärapparates interessiert war. Clausewitz hat sich zum Problem der Landwehr mehrfach geäußert, vor allem in der Krise von 1819, die zum Rücktritt von Boyen und Gralmann führte, weil sie die Abschaffung der Landwehr, zumindest die Verwässerung des ursprünglichen Sinnes ihrer Aufstellung, befürchte-

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ten18• Die militärtechnische (und finanzielle) Seite kann und braucht nicht erörtert zu werden. Worum es Clausewitz stets ging, war die Abgrenzung von Volk und Regierung zu überwinden oder doch zu verkleinern, auf daß der Staat tatsächlich nichts anderes mehr sei als der ,Repräsentant aller Interessen der ganzen Gesellschaft', um so gegenüber jeglicher Bedrohung in der Lage zu sein, seine Unabhängigkeit zu behaupten, von der her er sein Geschick und seine Zukunft selbst bestimmen kann. Clausewitz setzt sich dabei mit den Argumenten der Gegenseite - ihrer Revolutionsfurcht - ausführlich und kritisch auseinander. Die Überwindung des rein militärtechnischen Standpunktes hat zur Folge, daß alle anderen Aspekte vor den Blick gelangen: die psychologischen (Clausewitz nennt sie im Sprachgebrauch Montesquieus, den er gut gekannt und verehrt hat, die ,moralischen'), die pädagogisch-bildungstheoretischen und bildungspraktischen, die sozialen, die nationalen und die verfassungsmäßigen. Alle diese Aspekte sind untereinander verbunden, und Clausewitz äußert sich auch dazu, wenn auch unsystematisch und nicht widerspruchsfrei. Über die ,moralischen Größen', also die psychologisch-anthropologischen Momente, spricht sich Clausewitz mehrfach aus, so in ,Vom Kriege' 11 , hier bezogen auf die Erfordernisse des Kampfes und das ,Genie' des Feldherrn. Man kann seine Ansichten mit denen von Kant vergleichen, ohne gleich annehmen zu müssen, daß er sie von dort bezogen haben muß, denn es handelt sich um Gemeinplätze der Psychologie, Anthropologie (und Ästhetik) des 18. Jahrhunderts20 • Jedenfalls erfordern die neuen Waffen oder ihre neue Rolle - die gesteigerte Bedeutung der Artillerie - und die neuen Taktiken - die Auflösung der Kolonnen- und Lineartaktik - einen neuen Offizier- und Kämpfer1s Unsere Kriegsverfassung, in: Verstreute Schriften (Anm. 11), 275 ff.; Über die politischen Vortheile und Nachtheile der preußischen Landwehr, in: K. Schwartz, Leben des Generals Carl von Clausewitz und der Frau Marie von Clausewitz geb. Gräfin Brühl, 2 Bde., Berlin 1878, Bd. 2, 288 ff.; in der Rothfels-Ausgabe (Anm. 7) sind Bruchstücke eines Memorandums an den Prinzen August von Preußen abgedruckt (242). 1813 hatte sich Clansewitz schon einmal geäußert: Das Wesentliche in der Organisation eines Landsturms und einer Miliz, in: Verstreute Schriften (Anm. 11), 199 ff. Das ganze Material wird zusammen mit den Briefen, die Clausewitz in dieser Angelegenheit mit Gneisenau ausgetauscht hatte (sie sind im 5., von H. Delbrück verfaßten Band der Gneisenau-Biographie enthalten: Georg Heinrich Pertz, Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Neithardt von Gneisenau, Berlin 1880), von Paret, Clausewitz and the State (Anm. 4), 286 ff., diskutiert. 19 Vom Kriege III 3, 356 ff. und I 3, 231 f. 2o Aron, Clausewitz (Anm. 4), 669 (Die Temperamente nach Kants Anthropologie).

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typ. Ihn heranzubilden ist Sache der Erziehung, und Clausewitz' Interesse an pädagogischen Fragen ist gut bezeugt21 • Damit verbunden ist das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Umwandlung der sozialen Verhältnisse, die Clausewitz schon in einem Veränderungsprozen befindlich erblickte. Unter diesem Aspekt sind zwei Blickrichtungen von Bedeutung, einmal seine Kritik an den überholten ständisch-feudalen Strukturen. Eine Stelle aus dem Essay ,Umtriebe' wird von Hans Delbrück sogar in den Rang der Aussagen von Alexis de Tocqueville erhoben!l!. Sie lautet, eine längere Argumentation zusammenfassend: "Die französische Revolution ist also nach unserer Meinung aus zwei Hauptursachen entstanden. Die erste ist das gespannte Verhältnis der Stände, die große Bevorrechtung des Adels, die große Abhängigkeit und, man kann wohl sagen, teilweise große Unterdrückung des Bauernstandes; die zweite, die unordentliche, parteiische und verschwenderische Administratiön der Regierung23." Es ist klar, daß Clausewitz das geändert sehen wünschte. Die andere Blickrichtung ist eine geradezu sozialpolitische, vor allem auf die elende Lage der Bauernbevölkerung, die ja noch die Masse der Bewohnerschaft Preußens und damit auch seiner Soldaten stellte. Kennzeichnend hierfür ist ein Bericht, den Clausewitz in einem Brief an Gneisenau vom 28. April 1817 gibt24 • Clausewitz erkennt gleichfalls sehr klar die rapide sich verändernde Rolle des Mittelstandes, des Bürgertums. Mit anderen Worten: die gesellschaftliche Vetfassung ändert sich, und sie soll sich ändern, weil die alte Klassengesellschaft und ihre gerade in Preußen weiter bestehenden Formen der neuen Lage einfach nicht 21 Clausewitz beschrieb einen Besuch bei Pestalozzi während seines l3e ... suchs in Coppet 1807, in: Schwartz, Leben des Generals Carl von Clausewitz (Anm. 18), Bd. 1, 110 ff. Dazu: H. Stübig, Clausewitz in Yverdon. All"nerkungen zu seinem Pestalozzi-Aufsatz, in: Paedagogica Historica, XVII/2 (1977), und Paret, Clausewitz and the State (Anm. 4), 37 ff., 131 und 184 ff. 22 Hans Delbrück, General von Clausewitz, in: ders., Historische und politische Aufsätze, Berlin 1887, 214. Die Beziehung zwischen Clausewitz und Tocqueville ist erörtert bei Aron, Clausewitz (Anm. 4), 42, 65, 67, und Pa:ret, Clausewitz and the State (Anm. 4), 21, 331, 351, 353. Erstaunlicherweise ist nicht bemerkt, worin sie sich, die sich gar nicht kennen konrtten, am meisten ähneln: im methodischen Ansatz. 23 Umtriebe, in: Politische Schriften (Anm. 7), 164. Zu Beginn dieser Schrift wird eine soziologisch-historische Analyse der drei Stände vorgetragen, in der unverhohlene Kritik am Adel geübt wird: in der Gegenwart "erscheinen nun die Rechte des Adels als ungehörige Begünstigungen und seine Stelle im Staate als eine wahre Usurpation" (ibid., 158). Lapidar heißt es in ,Unsere Kriegsverfassung' (in: Verstreute Schriften, Anm. 11, 295): "Das Feudal-System hat sich . .. ausgelebt". 24 In Pertz I Delbrück (Anm. 18), 213 f. Clausewitz kommt auf diese Sttua• tion in dem Essay ,Umtriebe' zurück (Anm. 23), 190 f.

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angemessen sind und sie im Grunde am Desaster der Niederlage die Schuld tragen. Mit der nicht mehr rückgängig zu machenden Veränderung der gesellschaftlichen Verfassung muß und soll eine Änderung der politischen Verfassung einhergehen, um auf jene vernünftig antworten zu können, und so spricht Clausewitz einmal von der "Constitutionsnoth, in der wir uns befinden" 25 • Sicher sind die gesellschaftlichpolitischen Vorstellungen von Clausewitz stets auf sein unmittelbares Thema, den Krieg und das Militär, bezogen, aber diese werden ihrerseits immer auf den gesellschaftlich-politischen Gesamtzusammenhang hin angesehen. Was den nationalen Aspekt angeht, der selbst wiederum psychologisch-moralische und gesellschaftlich-politische Momente enthält, steht Clausewitz wie vie\e seiner Kampfgefährten vor' einem Dilemma, von dem er nicht weiß, wie es gelöst werden kann: er ist preußischer Patriot und nationalgesinnter Deutscher. Äußerst skeptisch gegenüber der Forderung nach unmittelbarer nationalstaatlicher Einheit ("es ist vollkommen lächerlich, im Jahre 1815 urplötzlich an eine wirkliche Einheit Deutschlands zu denken" 28), läßt er das Dilemma stehen und überläßt seine Lösung der Geschichte. "Deutschland kann nur auf einem Wege zur politischen Einheit gelangen; dieser ist das Schwert, wenn einer seiner Staaten alle anderen unterjocht. Für eine solche Unterwerfung ist die Zeit nicht gekommen, und wenn es je dazu kommen sollte, so läßt sich jetzt noch nicht einmal vorhersehen, welcher der deutschen Staaten der Herr der übrigen werden wird27 ." Alle die genannten Aspekte hängen wechselseitig miteinander zusammen. Die neue Lage fordert einen neuen Soldatentyp mit allen seinen Konsequenzen, und der neue Soldatentyp fordert eine neue gesellschaftliche und politische Verfassung Preußens. Wie das alles aussehen soll, wird nicht zu deutlich klargemacht. Aber offensichtlich ist: der alte Untertan, den man zum Gehorsam zwingen konnte, ist untauglich, um den neuen Herausforderungen und Bedürfnissen begegnen zu können. Gefordert wird ein freieres Verhältnis des Bürgers zum Staat und der Regierung zum Bürger. Alle Aspekte versammeln sich in der Verfassungsfrage. Hier ist Clausewitz besonders vorsichtig. Er, der anscheinend unbedeutende Offizier, hat gegen sich das ganze System und sein Personal mit allen ihren Interessen und ihren restaurativen Tendenzen, ein System, das er 2s Brief vom 12. Oktober 1816 an Gneisenau, in: Pertz I Delbrück (Anm. 18), 152. 28 Umtriebe (Anm. 23), 170. 27 Ibid. 171.

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zudem bejahen, zumindest akzeptieren muß. Er akzeptiert Preußen als Machtstaat, den er freilich anders versteht als die herrschenden Mächte. Er muß auch in gewissem Maße das gesellschaftlich-politische System akzeptieren, dessen Teil er als Adliger und Offizier ist. Er wünscht zweifellos keinen anderen Staat, aber er wünscht den Staat anders. Peter Paret faßt die verfassungspolitischen Ansichten von Clausewitz nach 1815 so zusammen: "like Gneisenau he favored some form of limited franchise, dependent on residence, property, and professional qualifications, leading to a bicameral parliament, which at least for the moment should possess little initiative but bad the right to discuss and advice. This was not very different from the French constitutional charter of 1814 or, indeed, from the position generally adopted by early German liberals" 28 • Clausewitz hegte die Hoffnung, daß dem König von den Pairs des Landes, Leuten wie Stein oder Gneisenau, eine solche Verfassung nahegelegt werden könnte und sie dann von oben ,gewährt' würde28 , eine Hoffnung, die sich selbstverständlich als trügerisch erwies. Gneisenau stand regelrecht im Verdacht des Jakobinertums. Seine verfassungsmäßigen Ideen spricht Gneisenau in einem Brief an Clausewitz vorsichtig aus: "Repräsentation in zwei Kammern, öffentliches peinliches Verfahren, Freiheit der Presse mit Schutz gegen persönliche Angriffe ohne Beweis und gegen Sittenlosigkeit, Verantwortlichkeit der Machtgeber, Abschaffung der Geheimen Polizei, der Brief Eröffnungen und des Gebrauchs der Verhaftung ohne Verhör, dies müßten die Pfeiler der neuen Verfassung sein30 ." Man geht wohl nicht fehl, wenn man darin auch die Grundgedanken von Clausewitz über eine Verfassung erblickt. In einem anderen Brief kennzeichnet Gneisenau die politische Landschaft so: "Man kann vor der Hand hauptsächlich erst nur drei Partheien unterscheiden. Erstens die der heftigeren Liberalen, welchen auch die eigentlichen Jakobiner und Revolutionairs beizuzählen sind .. . Dann kommen die heftigen Verfolger, denen die Furchtsamen sich anschließen . . . Eine dritte Partei, und zwar die zahlreichste bilden treue Anhänger des Königthums, die sich zur konstitutionellen Gestaltung des Staates neigen und die besorgen, daß man auf dem Congreß zu Carlsbad und am Deutschen Bundestag mehr beschlossen habe, als es bedurft hätte .. . Noch könnte ich Ew. Königlichen Hoheit eine vierte Partei nennen, sie ist aber gar schwach, denn sie besteht nur aus dem Gen. von Clausewitz und mir. Wir meinen

Paret, Clausewitz and the State (Anm. 4), 263. Siehe den in Anm. 25 zitierten Brief vom 12. Oktober 1816 von Clausewitz an Gneisenau. ao Brief vom 20. August 1818 in: Pertz I Delbrück (Anm. 18), 332 f. , hier 334. Das Projekt war auf die Rheinlande beschränkt. 28 29

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nemlich, daß alle drei Parteien in vielen Dingen Unrecht haben; daß die Ungezogenheit der Ersteren gezüchtigt zu werden verdiente; daß die Verfolgungssucht der Anderen verabscheuenswerth sei, und daß die Besorgnisse der dritten übertrieben ... sind31 ." Auch das kann man als eine gute Zusammenfassung der Anschauungen von Clausewitz nehmen; es zeigt zugleich, wie isoliert er und Gneisenau waren und sich wahrnahmen. Clausewitz' Verfassungsverständnis ist vom republikanischen Demokratismus eines Joseph Görres, mit dem er persönlich bekannt und befreundet war, weit entfernt. Er hielt dergleichen in der sozialen und politischen Situation Preußens für irrealen und gefährlichen Unsinn. Die von einer Reihe von rheinischen Notabeln unterschriebene Adresse von Görres an den König lehnte er ab und schrieb an Gneisenau: "Niemals aber darf nach meiner Überzeugung das Volk unmittelbar vor den Thron hintreten, sondern seine Stimme soll ihn el"reichen durch das Mittel der Presse oder durch Repräsentanten. Eine untnittelbare Berührung zwischen Volk und Thron ist demokratischer, gefährlicher Natur und in diesem Sinne ist der Haufe der am 10. August [ 1792] sich versammelte, nicht unterschieden von den Unterzeichnern einer Volksadresse. Die Berechtigung ist dieselbe32 ." Er vergaß dabei, daß die Petition ja die Einführung irgendeines Repräsentationssystems anmahnen wollte. Offenbar erwartete er dessen Einführung, wenn überhaupt, von einer Gewährung von ,oben'. Daran war überhaupt nicht zu denkefi. 1'homas Nipperdey kennzeichnet die verfahrene Situation wie folgt: "Die Verfassung setzte eine bürgerliche und gesamtstaatliche Gesellschaft voraus, nicht mehr ständisch und nicht mehr partikular, aber diese Gesellschaft mußte erst geschaffen werden; sie war eine antizipierte Gesellschaft, eine Gesellschaft der Zukunft ... Mit den Repräsentanten der alten Gesellschaft konnte man die Politik der Modernisierung nicht vorantreiben, ja sie erwiesen sich als Hindernis. Aber ohne sie konnte man aus finanz- wie national-politischen Gründen nicht auskommen. Das war das Dilemma. Man war auf sie angewiesen und zugleich sollten ihnen doch ihre Privilegien genorilmen werden33 ." Dieses Urteil trifft auf die politische Verfaßtheit noch stärker zu als auf die gesellschaftliche im engeren Sinn!

An die Prinzessin Louise, Fürstin Radziwill, vom 22. Oktober 1819, in: (Anm. 18), 379 f. Von Parteien im modernen Sinn kann natürlich keine Rede sein. s2 Brief vom 12. November 1817, in: Pertz I Delbrück (Anm. 18), 266, s. a. Umtriebe (Anm. 23), bes. 176 ff. ss Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 - 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, 68. 31

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Alle Aspekte der moralischen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Reformen sind mit dem militärischen verflochten, und zusammen bilden sie eine Einheit. Wie eng dieser Zusammenhang ist, zeigt eine Stelle aus einem Memorandum, welches Clausewitz für Gneisenau verfaßte, als gegen Ende 1819 die Landwehr selbst in ihrer gegenüber der Reformzeit verkürzten Gestalt in die Krise geriet (die Boyen-Grolmann-Krise). Clausewitz setzt sich energisch mit dem Einwand der Reaktion auseinander, die Landwehr als ein Teil des Volkes in Waffen stelle ein revolutionäres Potential dar. Das Argument von Clausewitz lautet: "Welches ist d(er) Quell aller dieser Besorgnis? Das Gefühl der Regierung, allein zu stehen . . . Die Regierung versammle um sich die Stellvertreter des Volkes, aus Leuten gewählt, welche die wahren Interessen der Regierung theilen und dem Volke nicht fremd sind. Dies sei ihre erste Stütze, ihr Freund und Beistand, wie es seit hundert Jahren das Parlament dem Könige von England gewesen ist34 . " Wenn auch das englische Parlament zu dieser Zeit nichts weniger gewesen ist als der demokratische Ausdruck des Volkswillens, ist es doch erstaunlich, wie weit Clausewitz in diesem Memorandum ging, welches Gneisenau an den Kanzler Hardenberg weiterreichte35 , bei dem es ohne Wirkung blieb. Die zitierte Stelle kontrastiert seltsam mit der gewöhnlich bezeugten Abneigung gegen den Parlamentarismus. "Dieses Leben und Weben, dieses Treiben und Reiben, dieses Ringen und Erschwingen, diese Furcht und Hoffnung, dieses Zusammenhalten der Freunde und Verfolgen der Feinde, diese Begeisterung seiner selbst, dieses Fortreißen der Anderen, endlich dieses geschickte Eingreifen durch die eine oder andere Gewaltsamkeit - das ist ein reiches, blühendes Staatsleben, das erinnert an das Forum des alten Roms und an Athens öffentliche Plätze. Gegen eine solche Vorstellung des Bürgerlebens mußte das stille Besorgen seiner Privatgeschäfte als eine wahre Stagnation erscheinen38.'' Das ist durchaus kritisch gemeint. Clausewitz war sich aus Mangel an Erfahrung wohl nicht darüber im klaren, daß man das eine (,Parlament') nicht ohne das andere (,Reiben und Treiben') haben konnte. Ob die Einführung eines Parlaments nach englischem Muster in Preußen nicht nur je eine Chance gehabt haben konnte, sondern wegen der sozialen und politischen Situation überhaupt möglich gewesen wäre, ist höchst fraglich87 • Daß Clausewitz es als Modell erwähnen konnte, hängt damit zusammen, daß er damit die Elemente von 84 über die politischen Vortheile und Nachtheile der Preußischen Landwehr, in: Schwartz, Leben des Generals von Clausewitz (Anrn. 18), 291. ss Brief Gneisenaus an Hardenberg vom Dezember 1819, in Pertz I Delbrück (Anm. 18), 401. 86 Umtriebe (Anm. 23), 175. 87 Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution, Stuttgart 1967, 186.

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Regierung und Volk in ein ausgeglicheneres Verhältnis gesetzt sah, das er zur Erfüllung des höchsten Staatszwecks, der Repräsentation aller Interessen der Gesellschaft, für erforderlich hielt. Es gibt eine Epoche im Denken Clausewitz', in welchem das Verhältnis von Staat und Militär sich auf eine extreme Möglichkeit zusammenziehen konnte. Das ist die Epoche nach der Niederlage von 1806 und während der Vorbereitung der Befreiung vorn Napoleonischen Joch. Nach der Niederlage Napoleons weicht sein enthusiastisches Verhältnis zu einem höchst ideal gesehenen Staat einer kühleren und beruhigteren Betrachtung38 • Zwischen November 1807 und März 1808 verfaßte er eine Denkschrift: Über die künftigen Kriegs-Operationen Preußens gegen Frankreich39 • In ihr äußert sich Clausewitz, abgesehen von allen Erwägungen politischer und taktischer Art, in einer extremen Weise: "Meine Idee ist einen Staat, den man nicht verteidigen kann, opfere man ganz auf, um die Armee zu retten" 40 • Wie die weiteren Ausführungen zeigen, ist das Territorium und die zivile Infrastruktur gemeint. Der Staat existiert nur noch in seiner aufs Ganze gestellten Verteidigungsbereitschaft, der Armee, in deren Dienst er jetzt alles und auch sich selbst stellt: Er setzt sich gänzlich aufs Spiel. Ob und wie diese extreme Möglichkeit je hätte Wirklichkeit werden können, bleibt unklar. Carl Schrnitt hat in einigen der Ideen von Clausewitz dieser Art - und in dem Preußischen Edikt über den Landsturm vorn 21. April 1813- den Keim einer Theorie des Partisanenturns sehen wollen41 • Die preußischen Offiziere haben auch aufmerksam den spanischen Partisanenkrieg beobachtet, und Clausewitz selbst hat sich mit ihm beschäftigt42. Seine ,Vorlesungen über den kleinen Krieg' von 1810 und 1811 43 können schwerlich als eine Theorie des Partisanenkrieges gelten. Seine Definition des kleinen Krieges ist ganz mechanisch: "Man versteht unter kleinem Krieg den Gebrauch kleiner Truppenabteilungen. Gefechte von 20, 50, 100 oder 300, 400 Mann gehören, wenn sie nicht Theil eines größeren Gefechts sind, in den kleinen Krieg44 ." Er rechnet ihn zur Sphäre der Taktik, nicht der Strategie (die Unterscheidung von Strategie und Taktik, die selbst nicht mechanisch ist, wird hier zum 38

Paret (Anm. 4), 128 f.

In: Schriften I (Anm. 10), 66 - 90. Ibid. 81. 41 Theorie des Partisanen. Zwischenbemerkung zum Begriff des Politischen, Berlin 1963, bes. 45 ff. Diese These ist ablehnend bei Aron (Anm. 4) diskutiert: Carl Schmitt und die Gestalt des Partisanen, 519 ff. 42 Precis de la guerre en Espagne et en Portugal, in: Schriften I (Anm. 10), 599 ff. 43 In: Schriften I (Anm. 10), 208 ff. 44 Ibid. 231. 39 40

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erstenmal so gemacht, wie Clausewitz sie in ,Vom Kriege' wiederholt44). Hätte Clausewitz wirklich so etwas wie eine Theorie des Partisanenturns vor Augen gehabt, hätte er den kleinen Krieg zum Bereich der Strategie - und der Politik - rechnen müssen. Es ist stark zu bezweifeln, daß Clausewitz' Gedanken jemals aus ,der Sphäre des rechtlichen Staates' hinausgefallen sind48 • Er hatte nur diesem rechtlichen Staat in der Situation der existentiellen Gefährdung die Anwendung außerordentlicher Mittel zugebilligt - ganz im Sinne des traditionellen Widerstandsrechts, das hier auf das Verhältnis unter Staaten angewandt wird. Es hat sicherlich vor Clausewitz Reflexionen über das Verhältnis von Staat und Militär gegeben; man braucht nur an die Instruktionen Friedrichs des Großen zu denken47 • Zumindest was die Rolle des Militärischen in diesem Verhältnis anbelangt, sind die Äußerungen von Clausewitz mehr: Sie sind der Ansatz zu einer Theorie, denn die Rolle des Militärischen wird ganz von einem im Umriß sichtbar werdenden Staats- und Politikverständnis her bestimmt. Man kann so sagen, daß das Verhältnis von Staat und Militär selbst reflexiv geworden ist. Ein reflexiv gewordenes Verhältnis ist grundsätzlich ein verändertes Verhältnis; es ist jedenfalls nicht mehr so, wie es einmal war. Ist das geschehen, dann tritt an diesem Verhältnis seine Veränderbarkeit hervor, und auch die, die das Verhältnis in seinen alten Zuständen halten wollen, sind zum verändernden Handeln, und sei es ein restauratives, gezwungen.

Ibid. 235, Vom Kriege II 1, 271. Preußische Reformzeit und revolutionärer Krieg (Beiheft 18 der Wehrwissenschaftlichen Rundschau), 1962, 56. 47 Schieder, Friedrich der Große (Anm. 12), 341 ff. 45

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Werner Hahlweg,

Schlußdiskussion Kunisch: Lassen Sie mich noch einmal zurückkommen auf das Anliegen dieser Tagung. Ich war immer fasziniert, vielleicht darf ich das ganz persönlich einmal sagen, von der Möglichkeit, im Rahmen der europäischen frühen Neuzeit von zwei sehr eindeutig ausgeprägten Heeresverfassungstypen auszugehen, die zugleich jeweils ziemlich eindeutig konstruierten Staatsverfassungstypen, dem Ständestaat und der absoluten Monarchie, zuzuordnen sind. Die Zäsur liegt für die meisten europäischen Länder mehr oder weniger in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Wenn man das Beispiel Frankreich anführt, vollzieht sich der Übergang langsam. Man kann Böhmen hinzunehmen, man kann auf Dänemark verweisen. Dort ist die Zäsur deutlich sichtbar. In Dänemark ist sie am eindeutigsten, am schärfsten, auch am theoretisch ausgeprägtesten durch die Lex regia. Also ein Vorgang, der etwas Parabelhaftes hat.

Von diesem Ansatz bin ich ausgegangen: Staatsverfassung- Heeresverfassung in der frühen Neuzeit, unter Hinzuziehung von Kategorien, wie sie Otto Hintze - allerdings für einen sehr viel breiteren Zeitraum - entwickelt hat. Und dann habe ich zu klären versucht, wer unter den Staatstheoretikern der frühen Neuzeit auf diese Interdependenz, auf diese Reflexivität beider Sphären politischer Organisation, schon hingewiesen hat. So ist der Blick vor allem auf Montesquieu und Kant gefallen, die - wie eingangs erwähnt - mit ihrer Untersuchung der Staatsform eine an Eindeutigkeit kaum zu überbietende Bewertung im Hinblick auf die jeweils andersartige Handhabung von Krieg und Frieden verbunden haben. Nun sind solche Urteile sicherlich von höchstem Interesse auch für unsere Fragestellung; Herr Czempiel hat darauf im einzelnen hingewiesen. Doch sollte nicht aus dem Auge verloren werden, daß im Mittelpunkt des Tagungsprogramms das eigentliche Verfassungsproblem, also das Aufeinanderbezogensein von Staat und Heer gestanden hat. Wir haben hier an einigen herausragenden Beispielen sowohl den einen wie den anderen Verfassungstyp kennengelernt Ich kann hier nicht alle Beiträge erwähnen, sondern möchte wiederum nur die typischen Formen herausheben: Auf der einen Seite also Frankreich und Spanien als Musterbeispiele für die monarchische Regelung des Problems Staatsverfassung und Heeresverfassung, auf der anderen die ständestaatlich republikanischen Formen, also das späte Heilige Römische Reich und die Adelsrepublik Polen. Die beiden letzte-

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ren geraten in die Krise, als die großen Mächte in die Phase der stehenden Heere eintreten. Mir hat sehr eingeleuchtet, was Herr Böhme in Entgegnung auf Herrn Müller gesagt hat, daß das polnische Verfassungsproblem erst offenkundig wird, als die Nachbarstaaten, die machtstaatlich orientierten Hegemonialmächte Schweden und Rußland, hervortreten. Das gleiche gilt für das Reich, das ja bis zum Westfälischen Frieden etwas völlig Normales darstellt, etwas der Zeit absolut Entsprechendes. Seine "Monstrosität" tritt erst zutage, als die Fürstenstaaten inner- und außerhalb des Reiches ein stehendes Heer und eine professionelle Führungselite aufbauen. Erst jetzt wird der Ständestaat zu einem Problem für die gesamteuropäische Verfassungsgeschichte, weil er konfrontiert wird mit anders organisierten Staaten, die den monarchischen, den Weg des stehenden Heeres beschreiten. Daneben haben wir eine Fülle von Mischformen kennengelernt, vor allem England, aber auch Schweden, wo eine eindeutig monarchisch strukturierte Regierung mit den Ständen kooperiert und mit diesen zusammen ihre imperialen Ziele verfolgt. England bildet eine auf verfassungsmäßiger Partizipation beruhende Regierungsform aus, bedient sich aber im übrigen eines militärischen Instrumentariums, das dem der absoluten Fürstenstaaten ähnlich und zugleich ebenbürtig ist. Als flankierende Aspekte standen schließlich der vorausgehende und der nachfolgende Heeresverfassungstypus zur Debatte. Sie machten Übergänge und Kontraste deutlich, die wiederum die Besonderheit der frühneuzeitlichen Staats- und Heeresverfassung hervortreten ließen. Das war also in großen Zügen noch einmal das Programm, das wir hier diskutiert und besprochen haben. Vielleicht wäre nun auch zu dem zurückzukehren, was Herr Czempiel hier mit etwas anderer Akzentuierung vorgetragen hat, also zur Frage der Bewertung der einen wie der anderen Verfassungsform. Der Ständestaat etwa hat ja in Bezug auf die Umsetzung von staatlichem Hoheitsanspruch in z. B. militärische Gewalt seine speziellen Probleme gehabt. Er hatte keine außenpolitischen Ambitionen und brauchte insofern auch kein ständig verfügbares Kriegsinstrument. Aber er geriet in einer auf Expansion gerichteten Staatenwelt zwangsläufig in größte Schwierigkeiten. Sie sind hier für Polen und das Reich schon diskutiert worden. Aber dahinter verbirgt sich ein grundsätzliches Bewertungsproblem. Es sollte vielleicht noch einmal aufgegriffen werden. Schulze: Ich würde gern die Anregung aufgreifen und versuchen, ein paar Überlegungen dazu zu entwickeln. Zunächst zu dem letzten Gesichtspunkt, den Sie angesprochen haben. Ich glaube, daß wir von dieser einfachen dualistischen Interpretation von zwei Modellen, denen zwei

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verschiedene Verhaltensweisen zugeordnet sind, nicht ausgehen können. Wir müssen vielmehr beachten, daß staatliche Organisationen ein Bündel von Aufgaben zu erfüllen haben. Ich glaube zunächst einmal, daß die Hauptkräfte in der europäischen Staatswerdung sich der inneren Konsolidierung verdanken. In Frankreich läßt sich dieser Vorgang der territorialen Konsolidierung im Spätmittelalter besonders gut erkennen, er gilt im Prinzip aber auch für andere Territorialstaaten, jedenfalls zunächst einmal. Danach setzt dann eine Phase ein, die die Staaten in einen äußeren Gewaltzusammenhang zueinander setzt und sie dazu zwingt, ihr militärisches Potential zu aktivieren. Diese notwendige Aktivierung des militärischen Potentials wird in verschiedenen Formen verwirklicht: Einmal die ständestaatliche Form - die die schwächste ist - , zum anderen die rein monarchische Staatsform und schließlich die Mischformen. Wir sehen am Beispiel England, daß es ("king in parliament") sehr wohl in der Lage ist, in militärischer Hinsicht zu reagieren, dann nämlich, wenn Konsensus besteht zwischen der im Parlament vertretenen sozialen Elite und dem Königtum über die Ziele der englischen Politik nach außen. Insofern glaube ich, daß wir verschiedene Zeitschichten einführen müssen und dann verschiedene Staatsfunktionen erkennen können. Ich wollte noch zwei andere Punkte anschneiden, die mir wichtig zu sein scheinen und die wir vielleicht noch einmal zu systematisieren versuchen sollten, auch angeregt durch die heutigen Bemerkungen über Clausewitz. Wir hatten schon am Anfang der Konferenz darüber spekuliert, ob wir nicht davon ausgehen müssen, ein anderes Verhältnis von Staatsverfassung und Heeresverfassung für die frühe Neuzeit und dann seit der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert anzunehmen. Im 15. bis 17. Jahrhundert ist Krieg eine zentrale Aufgabe von frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Der Schutz des Landes ist sozusagen die Nagelprobe für den Anspruch auf Herrschaft. Kann Obrigkeit diesen Schutz nicht realisieren, dann fällt der Anspruch auf Gehorsam weg, und ein Relikt dieser feudalen Verpflichtung sehen wir in Österreich im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, wenn die Bauern sagen, wenn der Landesherr im Kampf gegen die Türken keinen Schutz gewähren kann, dann bezahlen wir keine Steuern mehr, dann kündigen wir sozusagen den Staat auf. Hier liegt ein erheblicher Unterschied zu einer modernen Phase der Heeresverfassung, die durch konsolidierte Staaten gekennzeichnet ist. Von daher rührt auch die uns heute befremdende Tatsache, daß die Vorbereitung zum Kriege oder die Führung des Krieges als Wahrnehmung einer vorrangigen gesellschaftlichen Aufgabe gesehen wurde mit allen sozialen und ideologischen Konsequenzen. Insofern können wir in unserer Epoche einen Übergang von einer Wirkung der Heeresverfassung auf die Staatsverfassung zu einer Einordnung der 30 Staats- und Heeresverfassung

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Heeresverfassung in die Staatsverfassung beobachten. Bis Clausewitz, so meine ich jedenfalls beobachten zu können, gibt es einen wirksamen Impuls, der von der Heeresverfassung auf die Staatsverfassung ausgeht, die gewissermaßen militärisch geprägt ist. Mit Clausewitz ändert sich das schlagartig in der theoretischen Analyse, wie uns heute gezeigt wurde. Real haben wir jedoch einen sehr viellängeren Prozeß, der, um es an zwei Namen festzumachen, von Machiavelli zu Clausewitz reicht. Machiavelli ist der Mann, der die Probleme einer realistischen, modernen Politik vorausdenkt. Er nimmt auch die Einbeziehung der Untertanen in das Heer vorweg, und damit sind wir bei dem Punkt, der, so glaube ich, noch etwas stärker gewichtet werden sollte, als wir es getan haben. Über den technologischen Wandel hinaus, der sich in dieser Zeit im Kriegswesen vollzieht, bedeutet die Einbeziehung der Untertanen in das Heeresaufgebot eine wichtige Etappe für unsere Problemstellung. Es ist ein wichtiger Faktor, daß die Teilnahme an dieser Gesamtaufgabe des Schutzes der staatlichen Ordnung, die ja immer eine sozial qualifizierende Aufgabe gewesen ist und auch die Privilegierung eines geborenen Wehrstandes, des Adels, hervorgebracht hat, sich nun ändert. Das Heerwesen wird durch seine grundlegende Veränderung an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert ein Bewegungsfaktor der gesellschaftlichen Ordnung. Die in verschiedener Form und aus verschiedenen Gründen notwendige Einbeziehung der Untertanen in die Heeresorganisation ist unabhängig von der aktuellen Organisation ein bedeutender Vorgang mit emanzipatorischer Wirkung, der zwar zeitweise zurücktreten kann, der aber insgesamt nicht aufzuhalten war. Für diese Entwicklung, die hier nur ganz kurz angedeutet werden kann, sind wiederum die oranische Heeresreform und ihre deutschen Varianten von besonderem Interesse, weil hier die Integration der Untertanen nicht nur in das Heeresaufgebot, sondern auch in den Staat vorausgedacht wurde. Diese beiden Gesichtspunkte schienen mir bei der Betrachtung dieses gesamten Komplexes wichtig zu sein, und darum habe ich noch einmal auf diese Prozesse hingewiesen: die Einordnung der Heeresverfassung in die Staatsverfassung im Unterschied zu der vorhergehenden Dominanz der Heeresverfassung und dann die Einbeziehung der Untertanen und die daraus resultierenden Probleme. Muhlack: Ich möchte ganz kurz zu drei Punkten Stellung nehmen. Der erste betrifft das allgemeine Problem der Bewertung, und zwar zunächst ganz losgelöst von der konkreten Thematik, die wir hier behandeln. Über dieses Problem ist im Zusammenhang der laufenden geschichtstheoretischen Debatte ausgiebig diskutiert worden, so daß sich an dieser Stelle weitläufige Ausführungen erübrigen. Ich möchte aber doch darauf insistieren, daß Bewertung in der Geschichtswissen-

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schaft nicht bedeuten kann, daß wir die Ergebnisse historischer Analysen unmittelbar auf bestimmte normative Kategorien unserer Gegenwartspraxis beziehen. Es scheint mir vielmehr gerade die spezifische Leistung der modernen Geschichtswissenschaft zu sein, daß sie diesen undifferenzierten Einklang von Gegenwart und Geschichte beseitigt hat. Der Gegenwartsbezug und insoweit der Wertbezug von Geschichte besteht allein darin, daß die Geschichte uns Informationen zum Verständnis unserer gegenwärtigen Situation liefert. Das ist ihre Bedeutung für die Gegenwart, das ist ihr Gegenwartswert Davon abgesehen, kann es Bewertung in der Geschichtswissenschaft nur in einem logisch-analytischen Sinne geben. Ein Historiker urteilt fortlaufend: über den Ständestaat, über die absolute Monarchie, über alle seine Gegenstände. Aber er fällt solche Urteile nicht im Hinblick auf normative Vorstellungen für gegenwärtiges Handeln, sondern nach logischen Kategorien der Einordnung, Erklärung, Herleitung usw. Aus alledem scheint sich mir zu ergeben, daß die politikwissenschaftliche Methode der Bewertung, wie sie uns, sehr in sich geschlossen, Herr Czempiel vorgetragen hat, nicht ganz unseren Vorstellungen entspricht. Wir haben es hier mit einer grundsätzlichen Differenz zu tun, die wir ehrlich konstatieren müssen und die wir nicht einfach dadurch verwischen können, daß wir jetzt ganz unreflektiert nach der Bewertung dessen fragen, was uns hier beschäftigt hat. Das heißt natürlich nicht, um das noch hinzuzufügen, daß wir nicht die inhaltlichen Probleme von Krieg und Frieden, die Herr Czempiel aufgeworfen hat, in Ansatz bringen. Ich will das selbst nachher versuchen. Entscheidend ist allein, daß wir diese Probleme nicht unter ethischpraktischer, sondern unter logisch-analytischer Perspektive betrachten. Der zweite Punkt betrifft die politischen Denker, die Herr Kunisch in seiner Zusammenfassung noch einmal genannt hat. Sie haben, Herr Kunisch, noch einmal auf Montesquieu, auf Kant, auf Regel hingewiesen und finden also dort die Differenzierung von Monarchie und Ständestaat gleichsam widergespiegelt in der Differenzierung von monarchischem Staat und republikanischem Staat. Ich möchte etwas davor warnen, den Republikbegriff, wie ihn diese Theoretiker verwenden, umstandslos mit dem zu identifizieren, was wir in der historischen Realität als Ständestaat oder dualistischen Ständestaat vorfinden. Montesquieu hält sich, wenn er von Republiken spricht, vorab an die klassischen antiken Exempel und in der Gegenwart an Staatsgebilde wie Venedig oder Genua: entsprechend seiner Definition dieser Regierungsform. Die Ständestaaten rechnet er nicht darunter. Sie lassen sich vielmehr eindeutig seinem Begriff der Monarchie subsumieren. Man kann geradezu sagen: was Montesquieu unter Monarchie versteht, ist der Idealtypus eines Ständestaates, wie ihm auf der anderen Seite Despotie und Absolutismus eng zusammengehören. Kant antizipiert oder reflektiert bereits 30•

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sichtlich das Republikverständnis der Französischen Revolution. Für Hegel gilt prinzipiell das Gleiche. Wenn man an Machiavelli zurückdenkt, der erstmals systematisch zwischen Fürstentümern und Republiken unterschieden hat, bietet sich ein ähnliches Bild wie bei Montesquieu. Republiken sind ihm wirkliche Freistaaten wie Athen, Rom, Florenz, Venedig, Genua; der Typ der ständisch-feudal beschränkten Monarchie, wie er ihm im zeitgenössischen Frankreich begegnet, gehört zu den Fürstentümern. Übrigens kann von einer strukturellen Disposition der Republik zum Frieden weder bei Machiavelli noch bei Montesquieu oder Hegel die Rede sein: Machiavellis "Geschichte von Florenz" ist sozusagen eine einzige Kriegsgeschichte, in der sich die Florentiner keineswegs nur gegen äußere Angriffe zur Wehr setzen müssen; Montesquieus "Considerations" beschreiben im ersten Teil die Eroberung eines Weltreichs durch eine Republik; Hegel hat den revolutionären Militärstaat vor Augen. Allenfalls Kant hat sich da in Illusionen bewegt, obwohl er zunehmend mit einer ganz anderen Realität konfrontiert war. Man muß allerdings zur Präzisierung hinzusetzen, daß Kants Idee eines republikanischen Friedens nicht empirisch, sondern transzendental gemeint ist: keine Beschreibung der Wirklichkeit, sondern Entwurf eines Endzustandes der Menschheit als Regulativ gegenwärtiger Praxis. Der dritte Punkt betrifft die Typologie, mit der wir uns hier auseinandergesetzt haben. Wir haben jeweils Heeresverfassung und Staatsverfassung zugeordnet: mit vielfältigen Brechungen und Mischformen. Ich meine, daß uns gerade das letzte, sehr instruktive Referat über Clausewitz nochmals eines bestätigt hat: daß wir beides, Heeresverfassung und Staatsverfassung, auf ein Drittes beziehen müssen, nämlich auf die konkrete Politik, die angesichts dieser Lage jeweils konzipiert und durchgeführt wird. Wir haben z. B. die Relation von Heeresverfassung und Staatsverfassung immer wieder dadurch konkretisiert, daß wir auf die mannigfachen Wechselwirkungen zwischen staatlicher Finanzwirtschaft auf der einen Seite und Heeresverfassung auf der anderen Seite verwiesen haben. Diese Wechselwirkungen sind ja evident. Aber das Problem der Beziehung zwischen beiden Bereichen geht darin nicht auf. Man muß vielmehr sehen, daß der staatlichen Finanzwirtschaft wie der Heeresverfassung bestimmte politische Notwendigkeiten vorausliegen, die darüber entscheiden, welche Entwicklungen in diesen beiden Bereichen stattfinden und welche etwa schon vorher eingeleiteten oder vollzogenen Entwicklungen historisch zum Zuge kommen. Natürlich sind auch hier im weitesten Sinne Wechselwirkungen anzunehmen, aber doch so, daß der eindeutige Primat der jeweiligen politischen Ausgangslage gewahrt bleibt. Frankreich liefert dafür die vielleicht handgreifliebsten Beispiele. Das erste stehende Heer, das noch halb mittelalterliche Kontingent der Ordonnanzkompanien, und die erste ständige Steuer, durch

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die seine Finanzierung gewährleistet werden soll, die taille, werden in der Endphase des Hundertjährigen Krieges geschaffen: als Folgen einer gegen äußere und innere Gegner gerichteten Politik zur Steigerung der Königsmacht, ja, zu einem Zeitpunkt, als diese Gegner einstweilen geschlagen sind, die Politik der Krone sich bereits durchgesetzt hat, das neue Staatswesen eigentlich schon da ist. In der Mitte des 17. Jahrhunderts wiederholt sich der gleiche Vorgang: da etabliert die Regierung Ludwigs XIV. ein stehendes Heer, ein neues finanzwirtschaftliches System, weitere Instrumente der absoluten Monarchie, nachdem die entscheidenden Siege im Innern und nach außen errungen sind und damit als Ergebnis bestimmter politischer Herausforderungen eine neue politische Situation entstanden ist. Ein gleiches Verhältnis scheint mir schließlich auch für das Problem von Krieg und Frieden zu gelten. Man darf nicht abstrakt fragen, welcher der von uns untersuchten Verfassungstypen eine Disposition zum Krieg oder zum Frieden hat. Das entspräche wieder nur der normativen Betrachtungsweise des Politikwissenschaftlers. Ich kann für das absolutistische Frankreich nur sagen, daß dieser Staat mitsamt seiner Militärverfassung zeitweise eine Politik des Friedens und zeitweise eine Politik des Krieges verfolgt hat, je nach den politischen Erfordernissen. Die Momente des Krieges und des Friedens sind in der konkreten französichen Politik derart dialektisch miteinander verbunden, daß man diesen Komplex durch eine isolierende Analyse nicht auflösen könnte. Heinrich IV., der den Absolutismus heraufführt, kämpft gegen den konfessionellen Bürgerkrieg und gegen die spanische Übermacht und damit für den inneren und äußeren Frieden. Nachdem er den Absolutismus begründet hat, nach der Beendigung dieser Kämpfe, nach der Konsolidierung des neuen Regimes, da geht er zur Expansion über, beginnt er auszugreifen, leitet er damit eine kriegerische Politik ein, aber nicht ohne dabei, wenn es die Lage erfordert, gelegentlich zu einer Politik des Abwartens, der Abwiegelung, der Diplomatie zurückzukehren. Eine solche dialektische Betrachtungsweise scheint mir der Schlüssel zum Verständnis des ganzen Problems zu sein.

Pietschmann: In dem Zusammenhang "Aufkommen stehender Heere - Absolutismus" ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen, nämlich der des Expansivdranges. Es scheint doch, als seien alle Staaten, die absolutistisch regiert waren und über stehende Heere verfügten, auch bemüht gewesen, ihren Herrschaftsbereich auszuweiten, und zwar entweder innerhalb Europas oder in Übersee oder in beiden Bereichen. Dies gilt für Spanien im 16. Jahrhundert ebenso wie für das Frankreich des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts, die Habsburger Monarchie im 18. Jahrhundert und selbst für kleinere Mächte wie Schweden, Däne-

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mark, Preußen, die sich bekanntermaßen zumindest vorübergehend ja auch in Übersee engagierten. Im Falle Englands fällt zumindest der Beginn der Expansion nach Übersee in das eher absolutistisch geprägte Zeitalter der Tudor- und Stuartkönige. Es wäre sicherlich nicht unergiebig, auch diesen Aspekt im vorliegenden Rahmen stärker zu beleuchten. Reinhard: Ich würde gerne grundsätzlich dagegenhalten, denn ich finde, die Tagung hat erwiesen, daß Typologie gerade nicht das heuristische Instrument ist, das wir brauchen, weil im Grunde alles Mischformen waren. Ich wenigstens habe bei dem, was vorgetragen wurde, nirgends einen reinen Typ entdecken können. Vermutlich kommt unser verfehlter Ansatz daher, daß wir von Theoretikern ausgegangen sind. Unsere Theoretiker stehen nämlich in der antiken Tradition nach Aristoteles und fühlen sich daher verpflichtet, Typen zu finden. Und wenn Montesquieu von der klassischen Typenliste abweicht, so bleibt er doch aus Gründen seines soziologischen Weltbildes bei der Kategorie des Typs. Auch Machiavelli ist selbstverständlich Typologe, aber er hat eine Typologie, die in einen Zyklus mündTt, wo Typen nicht nebeneinanderstehen, sondern in der Zeit ineinand~r übergehen. Das ist ein Wink zur möglichen Korrektur unseres Fehlers: es käme darauf an, statt eines typologischen Modells ein Verlaufsmodell zu entwerfen, das die Zeitdimension stärker berücksichtigt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch etwas zu dem politologischen Referat sagen. Ich meine nämlich, daß das Friedensproblem überhaupt nicht unser Problem ist, oder höchstens ein Teilproblem, wie Herr Muhlack sehr richtig betont hat. Unser Problem ist der Krieg, nicht der Friede. Nicht um Kriegsvermeidung, sondern um optimale Kriegführung geht es in der frühen Neuzeit. Daher habe ich mich gewundert, daß von politologischer Seite die Friedensfrage thematisiert wurde, statt wie ich erwartet hätte, an die Ergebnisse politologischer Forschung anzuknüpfen, die Charles Tilly 1975 mit dem von ihm herausgegebenen Band "The Formation of National States in Western Europe" vorgelegt hat. Dort wird uns nämlich genau das angeboten, was wir brauchen, ein Verlaufsmodell im Rahmen des sogenannten extraction-coercion-cycle. Lassen Sie mich darlegen, wie dieses Modell funktioniert . Angenommen, es besteht ein Bedarf an Machtpolitik - ich komme gleich darauf zurück, warum -, dann versteht sich von selbst, daß dieser Bedarf an Machtpolitik bei der zentralen Aufgabe zum Ausdruck kommt, wie Herr Schulze gesagt hat, und sich des zentralen Mittels damaliger Politik bedient, eben der bewaffneten Macht. Um aber eine bewaffnete Macht aufzustellen und zu unterhalten, bedarf es der Res-

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sourcenmobilisierung, d. h. vor allem einer neuen Finanzverfassung. Das ist das Dreieck, von dem ich eingangs in meinem Referat sprach: Staatsverfassung-Heeresverfassung- Finanzverfassung. Um die Untertanen zu dieser neuen Mobilisierung zu bewegen, bedarf es eines verstärkten Verwaltungs- und Militärapparats, der wiederum neue Ressourcen zu seinem Unterhalt benötigt. So kommt ein rückgekoppelter Prozeß des Wachstums der Staatsgewalt in Gang, eine Eskalation wachsender Ressourcenmobilisierung und wachsender Militärmacht. In diesem Zusammenhang könnte man etwa fragen, ob die Französische Revolution statt eine Niederlage der Staatsgewalt eine "List" zu deren weiterer Stärkung gewesen ist. Nachdem die Ressourcenmobilisierung nach dem Schema des Ancien Regime bis zum Ende ihrer Möglichkeiten durchgespielt war und sich totgelaufen hatte, verstand es die Staatsgewalt, mittels ihrer Metamorphose zur "Nation" die Untertanen dazu zu bewegen, sich selbst zu mobilisieren - ein qualitativer Sprung im Geschäft der Ressourcenmobilisierung. Freilich steht der geschilderte Zyklus wie im leeren Raum, er erscheint als Mechanismus, der völlig ohne intentionale Momente abläuft. D. h. man kommt nicht um die Frage herum, was ihn überhaupt in Gang setzt und was die Bedingungen seines Ablaufes sind. Dazu habe ich einen Beitrag zu leisten versucht, den ich bisher nur im Ausland vortragen konnte. Sie erleben jetzt die deutsche Uraufführung. Es geht einfach darum, dieses auf der begrifflich mittlerenEbene des politischen Systems angesiedelte Verlaufsmodell mit der Mikrodimension der Gruppentheorie einerseits, der Makrodimension der Gesamtgesellschaft andererseits in Zusammenhang zu bringen. Einerseits heißt das, konkrete Eliten zu identifizieren, die ein Interesse daran haben, diesen Prozeß in Gang zu setzen. Elementarer menschlicher Machtwille, dessen Vorhandensein ich unterstelle, veranlaßt eine Dynastie, eine Oligarchie, in der Regel im frühneuzeitlichen Europa wohl eine Kombination aus beidem, in einer konkreten Situation von Rivalität nach mehr Macht zu streben. Damit kommt auf der Mesoebene der geschilderte Mechanismus des extraction-coercion-cycle in Gang. Das ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen kann der Mechanismus nämlich nur funktionieren, wenn günstige Umweltbedingungen für das politische System, wenn die Beschaffenheit des gesellschaftlichen Gesamtsystems auf der höchsten Abstraktionsebene den strebsamen Eliten die günstige Gelegenheit liefert. D. h . es kann erst im späten Mittelalter beginnen, als ein gewisses wirtschaftliches Niveau und eine entsprechende Bevölkerungsstärke erreicht ist. In meinem Referat zu England konnte ich zeigen, wie die Möglichkeiten, diesen Zyklus (wieder) in Gang zu setzen, von günstigen Konjunkturbedingungen abhän-

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gen. Neben den dynamischen konjunkturellen Umweltfaktoren des politischen Systems gibt es aber auch mehr oder weniger konstante strukturelle, als da sind spezifische ideologische Ressourcen, die im Abendland mobilisiert werden können wie die Hinterlassenschaft des Imperium Romanum, der päpstliche Absolutismus als Vorbild für den monarchischen und anderes mehr. Oder die geographische Situation, das Abendland als relativ kleingekammertes Gebilde, wo zumindest im Westen und Süden politische Rivalität mittlerer Einheiten geradezu geographisch determiniert ist. D. h. nach diesem Verlaufsmodell spielt sich das Wachstum der Staatsgewalt auf drei verschiedenen Ebenen ab, die miteinander verschränkt sind. Da auf diese Weise eine Fülle von Faktoren in die Erklärungsversuche integriert werden können und dennoch der Prozellcharakter gewahrt bleibt, hoffe ich mit diesem Entwurf weiter zu kommen als mit simplen monokausalen Erklärungen oder auch einfachen Rückkopplungen. Ich hoffe, mit dem Referat über England gezeigt zu haben, daß es funktioniert. Und zwar habe ich es nicht gewaltsam der englischen Geschichte übergestülpt, sondern beinahe zu meinem Erstaunen gesehen, daß die "revisionistische" historische Forschung in Großbritannien von anderen Voraussetzungen her zu genau demselben Ergebnis gekommen ist, das ich theoretisch erwartet hätte. Wenn wir aber dieses Verlaufsmodell akzeptieren, dann können wir die Aufgabe der Bewertung, von der die Rede war, verabschieden. Herr Muhlack hat die Aufgabe zu bewerten aus theoretischen Gründen abgewiesen. Ich würde sie aus empirischen abweisen. Es fragt uns ja keiner, ob uns das Wachstum der Staatsgewalt mit seinen Begleiterscheinungen paßt oder nicht, ob es gut oder schlecht ist. Wir können natürlich aus diesem Wachstumsprozell der Staatsgewalt, der bis heute weitergeht und gerade die letzten Autonomien überwältigt, wenigstens mental aussteigen und uns zu einer Art von mildem und friedlichem Anarchismus bekehren, der vorstaatliche Organisationsformen der Gesellschaft für das normativ Wünschenswerte hält. Kammler: Nach dem bisherigen Verlauf der Diskussion sehe ich mich insbesondere als Vertreter der Politischen Wissenschaft angesprochen, und deshalb möchte ich erstens kurz charakterisieren, wie nach meiner Auffassung das Verhältnis von Geschichts- und Politikwissenschaft zu sehen ist, und zweitens auf eine Alternative zu dem theoretischen Ansatz hinweisen, den Herr Czempiel zu Beginn hier vorgetragen hat.

Zum ersten: Geschichts- und Politikwissenschaft sehe ich als Wissenschaften, die in ihren charakteristischen Fragestellungen komplementär sind. Aufgabe und Arbeitsweise machen die Geschichtswissenschaft,

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wie Wilhelm Windelband es ausdrückt, zu einer idiographischen, die Politische Wissenschaft zu einer nornethetischen Wissenschaft. Aber ihre Objektbereiche decken sich sehr weitgehend. An einem konkreten Beispiel: die für Historiker charakteristische Fragestellung "Wie kam es zur nationalsozialistischen Machtergreifung?" entspricht der politikwissenschaftlichen Fragestellung "Unter welchen Bedingungen transformieren sich Demokratien in Diktaturen?". Zum zweiten: zur Interpretation der europäischen Geschichte der Neuzeit scheint mir der "neorealistische" Ansatz der Theorie der internationalen Politik besonders brauchbar. Er ist in den letzten Jahren vor allem von Kenneth Waltz entwickelt worden. Dieser Ansatz betrachtet ein Staatensystem wie das europäische in der Neuzeit als eine Gruppe von Akteuren, die in einem ungeregelten, oft mit den Waffen ausgetragenen Wettbewerb stehen. Ihre geographische Lage, Territorien, Bevölkerung und sonstigen Ressourcen sind ungleich verteilt, ,und im Verlauf des Wettbewerbs erfolgt immer wieder Umverteilung. Die Aussichten, dabei gut abzuschneiden oder sich wenigstens zu behaupten, hängen auch davon ab, wie wirksam ein Akteur schon vorhandene Ressourcen für diese Konkurrenz mobilisiert, und andererseits findet langfristig eine Selektion statt, indem die am wenigsten erfolgreichen Akteure herausgesiebt, z. B. von anderen aufgeteilt oder absorbiert werden. Diese Selektion bewirkt eben damit, daß die verbleibenden Akteure in den Merkmalen, die den Wettbewerbserfolg begünstigen, sich einander angleichen. Die politische Struktur, die reale Verfassung, gehört zu diesen Merkmalen. Der Absolutismus unterscheidet sich vom frühneuzeitlichen Ständestaat durch ein überlegenes Potential der Ressourcenmobilisierung, das illustriert die Geschichte des alten deutschen Reiches, das spätestens seit 1648 die zur Selbstbehauptung nötigen Ressourcen auch wegen seiner Verfassung nicht mehr mobilisieren kann. Seine Geschichte ist seitdem nach außen durch Substanzverluste gekennzeichnet, vor allem an der Westgrenze. Substanzgewinne hat nicht mehr das Reich, sondern allenfalls die sich aus ihm herausbildenden beiden Großmächte, zuerst Österreich und dann Brandenburg-Preußen. Beide aber, vor allem Preußen, passen sich strukturell an, weg vom Typ der ständischen "Republik", hin zur Militärmonarchie, während andere, wie eben das alte Reich selbst und Polen, sich nicht anpassen, handlungsunfähig werden und verschwinden. Ich konzediere von vornherein, daß alle konkreten politischen Gebilde Mischtypen sind; aber die Verwendung von extremtypischen Begriffen wie "ständische Republik" und "Militärmonarchie" scheint mir notwendig, auch wenn sie von vielen Details abstrahiert. Auch die theoretische Physik und die theoretische Ökonomik arbeiten mit solchen abstrahierenden Begriffen, und sie arbeiten erfolgreich. Reibungsfreie Bewegung oder kräftefreie Fel-

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der gibt es genausowenig wie den homo oeconomicus oder die vollkommene Konkurrenz, aber solche Extremtypen sind Bauelemente bewährter physikalischer und ökonomischer Theorien. Die Machiavellisten, die ich als Akteure des Staatensystems unterstellt habe, können als Bauelemente einer Theorie des Staatensystems ebenso brauchbar sein wie die nutzenmaximierenden Unternehmer und Verbraucher in der Markt- und Preistheorie. Und darüber hinaus kann in beiden Bereichen eine fortwährende Formung der Akteure durch den Selektionsmechanismus demonstriert werden, eben in Richtung auf "Staatsräson" hier, Nutzenmaximierung dort.

Böhme: Als "grober" Empiriker neige ich zunächst dem zu, was Herr Muhlack theoretisch über den Zusammenhang von Bewertung von Geschichte und historischer Analyse gesagt hat. Aber wenn ich dann interpretiere, liege ich näher bei Herrn Pietschmann. Herr Pietschmann sagt, beim Absolutismus trete immer eine aggressive, eine expansive Phase ein, was ja im allgemeinen auch durchaus richtig ist. Dagegen ist wenig zu sagen, wenn man einmal davon absieht, daß z. B. in Schweden der Absolutismus in dem Augenblick eingeführt worden ist, als man gerade den Frieden bewahren wollte. Das war dem früheren System eben nicht gelungen. Das heißt selbstverständlich nicht, daß der Absolutismus etwa generell den Frieden angestrebt hat. Ich bin auch ein bißeben skeptisch hinsichtlich einer Überbetonung der Staatsform, wie es ja auch schon angedeutet wurde. Es gibt die Reichsform nicht. Aber lassen Sie mich auf Personen zurückkommen und auf das, was Herr Schulze heute früh angedeutet hat und was dann hier ein paarmal angeklungen ist: auf die sozialen Konsequenzen dieser Veränderung. Ich will bloß zwei Punkte herausgreifen: der erste hängt insofern mit der Staatsverfassung zusammen, als sich der Absolutismus oder Formen des Absolutismus dann durchsetzen können, wenn es gelingt, die Interessengruppen einzubinden. Offenbar ist das ja in Frankreich, in Preußen, in Spanien und auch in Schweden mit dem Adel gelungen, aber in Polen gelingt es eben nicht. Dahinter stehen ja zum Teil - soweit ich das aus dem begrenzten Gebiet Schwedens übersehen kann - auch ganz handfeste wirtschaftliche Faktoren. Die Leute waren allmählich tatsächlich an Gehältern interessiert, die der Staat ihnen zahlte. Und wenn er sie nicht zahlen konnte, war das ein soziales Problem. Dann sahen die schon zu, daß da irgendetwas unternommen wurde. In Schweden ist die Reduktion - im Gegensatz zu dem, was man früher immer gesagt hat - nicht nur von den unteren Schichten, sondern auch vom Adel getragen worden, damit die Gehälter wieder gezahlt werden konnten.

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Der andere Punkt bezieht sich darauf, daß durch diesen neuen Staat neue soziale Gruppen entstehen, insbesondere in der Verwaltung, aber vor allem auch im militärischen Bereich. Dieser Vorgang bringt soziale Mobilität mit sich, indem aus den Unterschichten bis in Offiziersdienstgrade aufgestiegen werden kann. Ich kenne die Verhältnisse in anderen Staaten zwar weniger, aber für Schweden kann man das ganz eindeutig feststellen. Denn die eingezogenen Bauern sind ja im allgemeinen keine besitzenden Bauern, sondern sie stehen ganz unten und werden von den besitzenden Bauern verachtet. Diese Leute werden eingezogen und sofern sie nicht vorher sterben - im Laufe der Jahre befördert. Sie bringen es im allgemeinen - wie ich an einigen Beispielen untersucht habe - bis zum Sergeanten oder auch bis zum Leutnant, was gar nicht so schwer war, solange Krieg geführt wurde; in einzelnen Fällen erlangen sie sogar die Charge des Hauptmanns, aber das sind Ausnahmen. Wenn diese Leute vom Militär zurückkommen, müssen sie in die Gesellschaft eingeordnet werden; sie bekommen ein staatliches Gehalt und erhalten eine Pension. Sie müssen in dieser immer noch ständisch orientierten Gesellschaft einen neuen Platz finden. Dabei ist wichtig, daß sie mit einem neuen Selbstbewußtsein auftreten, denn sie sind ja aufgestiegen, sie haben Kriege gewonnen, sie sind in der Welt herumgekommen und beherrschen im allgemeinen eine Fremdsprache; denn sie haben alle Deutsch oder Plattdeutsch gelernt. Wie sich das auf die Mentalität auswirkt, was das für die Lebensauffassung dieser Menschen, aber auch der Bevölkerung, in die sie wieder zurückkehren, bedeutet hat, das würde mich insgesamt in Europa interessieren; denn das hat ja doch wohl überall Konsequenzen gehabt. In Schweden, wo die Krone sehr früh versucht hat, diese Leute gesellschaftlich einzugliedern, zeigen sich die Konsequenzen ganz konkret, indem man den sog. Militärstand als einen besonderen Stand eingerichtet hat. Er wurde allmählich eine Art Wurmfortsatz des Adels, weil die meisten seiner Mitglieder ja nobilitiert wurden. Aber ihn hat es tatsächlich bis zum Ende des Ständestaates gegeben. Ich wollte doch auf diese Probleme hingewiesen haben.

Zernack: Ich fände es ganz in Ordnung und würde es nicht als eine Kritik an dem Tagungskonzept auffassen, wenn wir hier konstatieren müßten, nichts weiter geleistet zu haben, als die Typologie historisch in Frage zu stellen. Das ist ja unsere Aufgabe. Es ist besonders in der theoretischen Erörterung von Herrn Kammler deutlich geworden, daß die Politologie oder die Theorie der Politik und die eigentliche Historie für ihre Forschungsgegenstände aufeinander angewiesen sind. Das ist gar nicht aufzulösen.

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Ich möchte den Versuch einer Kritik an dem Tagungskonzept anders aufziehen und bitte um Verständnis dafür, daß ich einen solchen Gedanken jetzt noch vortrage; es könnte uns ja möglicherweise nützlich sein bei weiteren Diskussionen über dieses Thema. Ich meine, daß wir das Nachbarschaftsproblem, wie es Herr Böhme genannt hat, etwas vernachlässigt haben und zu wenig auf das Mächtesystem, die Hierarchie der Mächte und die außenpolitische Dynamik, in der wir mit diesem Thema stehen, eingegangen sind. Mit anderen Worten, mir schien das Konzept der Tagung etwas zu theorie- und institutionengeschichtlich zum Nachteil politikgeschichtlicher Kategorien angelegt. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts, so ist in der Diskussion gesagt worden, wird das Mächtesystem überhaupt erst zu einem Problem der internationalen Politik. Da konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die Republiken. Man kann sagen, das Korrelat dazu ist die Entstehung der "großen Mächte" im Sinne der Rankeschen Interpretation. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts entsteht eine neue moderne Formation von Großmachtpolitik, eine neue Kategorie von großen Mächten, die die alten, sozusagen vormodernen Großmächte des Systems von 1648 in den Hintergrund drängt. Das ist nicht zuletzt mit dem Aufstieg Rußlands verbunden. Für eine Fragestellung, wie sie hier auf dieser Tagung mit dem zeitlichen Schwerpunkt um die Mitte des 17. Jahrhunderts verfolgt wurde, ist daher die Ausklammerung des Rußlandthemas problematisch. Herr Böhme hat vorhin richtig darauf hingewiesen, daß der Absolutismus als Verfassung in Schweden eigentlich die Calmierung von Absolutismuspotenzen, die früher gelegen haben, bewirkt hat. Wir haben gestern darüber gesprochen und die Möglichkeiten und Grenzen eines absolutistischen Weges in Gustav Adolfs Politik ein wenig ausgeleuchtet. Wenn also der Absolutismus Karls XI. in Schweden gerade diese Ansätze zähmt, so tut sich in dieser Frage ein historisch bedeutsamer Kontrast zu Rußland auf. Das hat auch mit der ereignisgeschichtlichen Verzahnung beider Mächte, also dem Nachbarschaftsproblem, zu tun. Denn das, was in Rußland dann mit der Heeresverfassung Peters des Großen ins Leben tritt, ist im Grunde die Übernahme des Modells Gustav Adolfs, nicht das des gezähmten Absolutismus Karls XI. Gustav Adolfs Modell enthielt offenbar starke Entfaltungsmöglichkeiten, die in Schweden sich immer wieder in das libertäre Regulationssystem der "kumulativen Verfassung", wie Barudio sagt, zurückführen ließen, in Rußland aber von der großen Dynamik der absolutistischen Modernisierung potenziert wurden. Claes Peterson hat in seiner Studie über die Verwaltungs- und Justizreform Peters des Großen die Bedeutung des schwedischen Modells für Rußland nochmals herausgestellt. Was jetzt ganz deutlich wird: Man kann an den Kommentaren des petrinischen Reformansatzes textalogisch genau zeigen, daß sich die Rezep-

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tion gar nicht auf Karl XI. beziehen kann. Das Hauptproblem für Peter war die Kopfsteuer. Insoweit ist die rationale Bevorzugung der Möglichkeit der Besteuerung pro Kopf der Bevölkerung bei Gustav Adolf ein ganz wichtiger Untergrund der Entwicklung in Rußland. Kunisch: Das leuchtet mir sehr ein, Herr Zernack. Aber wenn man von einer Typologie, die Sie hier vielleicht etwas überzeichnet wiedergegeben haben, ausgeht, ist Rußland natürlich kein typisches Beispiel; denn dort hat es ja den Ständestaat gar nicht gegeben. Wenn Sie allerdings das Staatensystem als den Schauplatz dessen, was sich hier als unser Problem darstellt, betrachten, dann gehört Rußland sicherlich dazu; das sehe ich auch so. Gembruch: Ich bezweifle, daß die ständisch-oligarchisch organisierte Republik in der frühen Neuzeit generell als die für Wahrung des äußeren Friedens geeignetere Verfassungsordnung bezeichnet werden kann. Ich bezweifle ferner, daß solche "republikanischen" Staaten für die Aufgabe der Förderung der Wohlfahrt ihrer Untertanen durchweg mehr zu leisten vermochten als absolute Monarchien. Kofler und andere vertreten in dieser Frage eine eindeutig konträre Auffassung, wofür, wie sie meinen, überzeugende Beispiele und Argumente angeführt werden können. Meines Erachtens sind beide Positionen, d. h. solche generalisierenden Aussagen und Wertungen über die Eignung von Verfassungssystemen zur Beförderung von Friedensbereitschaft und Verteilungsgerechtigkeit kaum haltbar. Pietschmann: In bezug auf das polnische System geht es freilich nicht um die Frage, inwieweit Repräsentativsysteme der uns beschäftigenden Zeit als Vorläufer moderner demokratischer Entwicklungen anzusehen sind- diese Diskussion ist ja bei uns wohl ausgestanden-, sondern es geht um die Frage der Zustimmungsfähigkeit und Konfliktlösungskapazität, die selbst in so extremen Fällen wie Polen sicherlich größer war als bei den absolutistischen Systemen. Die Tendenz zur Erstarrung in schwerfälligen bürokratischen Mechanismen mit dem parallel festzustellenden Phänomen geringer Fähigkeit zur Selbsterneuerung absolutistischer Systeme ist vielleicht gerade ein Faktor, der die Bedeutung von Zustimmungsfähigkeit und Konfliktlösungspotential unterstreicht. Gembruch: In vielen Fällen hat der absolute Staat mehr dafür getan, die Wege für den Übergang zu einer demokratischen Ordnung zu öffnen, als das ständisch-oligarchisch organisierten Staaten möglich war.

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Muhlack: Erlauben Sie eine einzige Anmerkung, Herr Pietschmann. Die Möglichkeit zur Errichtung des Absolutismus in Frankreich nach 1661 hat zur notwendigen Bedingung einen faktischen Konsens, der durch alle Stände geht. Die Krone kann ihre Politik nur durchsetzen, weil sie nach einer Epoche dauernder Kämpfe und damit dauernder Unordnung mit ihrem Streben nach Sicherheit und Ordnung allgemeiner Zustimmung sicher ist. Es ließe sich überhaupt sagen, daß die Kategorie des Konsenses zur Erklärung aller stabilen historischen Formationen herangezogen werden muß. Eichberg: Ich möchte noch einmal auf unser Unbehagen gegenüber den dualistischen Typologien der Politikwissenschaften (Absolutismus/ Ständestaat usw.) zurückkommen. In welche Richtung können wir uns eigentlich bewegen, um über die Kritik hinauszukommen? Es kann doch wohl nicht genügen, nur die historisch-empirischen Einwände zu sammeln. Das würde sich als theoretisch sehr wenig relevant erweisen. Ich meine, daß sich von der politischen Wissenschaft her noch andere als die bereits genannten Bezüge herstellen lassen, die uns als Historiker näher liegen mögen. Und zwar auch in einer anderen Weise, als sie eben Herr Kammler angedeutet hat, also weniger in die Richtung eines Neorealismus der internationalen Beziehungen, sondern in die Richtung dessen, was unter der Überschrift "politische Kultur" läuft. Seit längerem gibt es im Rahmen der Politikwissenschaft die Versuche, für verschiedene Nationen deren politische Kultur zu beschreiben - was immer das sei. Es mag ein recht diffuser Begriff sein, aber gerade darum liegt hier eine Aufgabe und Herausforderung für den Historiker gegenüber der Politikwissenschaft. Politische Kultur wäre dabei als ein Feld zu verstehen, in das auf sehr komplexe Weise Öffentlichkeitsformen, herrschende Eliten und subkultureile Gruppen sowie Konfliktformen eingehen, Raumordnungen und Zeitmuster, Körperkultur und Kommunikationsweisen, Medien und Technologien. Hier wäre ein Drittes jenseits der hier behandelten Komplexe von Staat und Militär, das diese beiden jedoch zugleich umfaßt und zutiefst prägt. Wenn heute die Mentalitätengeschichte aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft auftaucht oder auch Begriffe wie Habitus, Konfiguration, Lebenswelt und Alltagskultur, so sind wir eigentlich auf einem entsprechenden Weg. Wie kann uns dergleichen an unserem Thema von militärischer und gesellschaftlicher Verfassung weiterhelfen? Ein Beispiel: Es ist in verschiedenen Referaten das Stichwort des Exerzierens aufgetaucht. Hier baute sich eine neue Körpererfahrung auf, die grundlegend wurde für die neuen Heere des 17./18. Jahrhunderts, für die Repräsentation und

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Sozialdisziplinierung der Staaten, für die politische Kultur im Zeitalter des Absolutismus. Das Exerzieren verweist auf eine Zäsur irgendwann zu Beginn oder in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Dies und Entsprechendes ist auf der Ebene der Alltagskultur, der Militärgeschichte als Kulturgeschichte aufzusuchen. Unterschiedlichen Normierungs- und Exerzierungsverordnungen sowie die Uniformierung tauchten im 17. Jahrhundert auf und bildeten dann über wenigstens eineinhalb Jahrhunderte hin einen festen Kanon. Andere Aspekte wären die Geschichte des Sterbens und die Geschichte des Desertierens. Besonderes Interesse verdient auch die Geschichte der Kasernierung als einerneuen Raumkonfiguration des Militärs. Wir haben ja seit der Mitte des 17. Jahrhunderts jene Verbreitung von Kasernements, die sich beschreiben läßt im Zusammenhang der "großen Einsperrung", wie sie Foucault genannt hat. Sie ist damit ein Teil der Militärgeschichte (wo sie bisher kaum behandelt wurde) ebenso wie der politischen Kultur und der gesellschaftlichen Verfassung. Unsere Gespräche können also aufmerksam machen auf ein Defizit von militärischer Kulturgeschichte als Alltagskulturgeschichte. Hier bleibt ein möglicher Unterbau zu schaffen für den Zusammenhang zwischen Militärverfassung und Gesellschaftsverfassung. Hier liegt auch eine besondere Chance, die Eigenständigkeit der Epoche präziser zu beschreiben.

Kroener: Ich möchte anknüpfen an das, was Herr Eichberg gerade ausgeführt hat. In der Tat erscheint mir das starre Festhalten an einer Typologie, aufgehängt an staatstheoretischen Definitionen, dualistischer Ständestaat hier - absolute Monarchie dort, insgesamt nicht sehr hilfreich. Die Mischformen und zeitlichen Überschneidungen, die wir allenthalben konstatiert haben, sind darauf zurückzuführen, daß eine Fülle zusätzlicher Bedingungsfaktoren in die Diskussion eingebracht worden sind oder werden müssen. Sie verwischen zwangsläufig die scharf gezogenen Grenzen, die jede Typologisierung, jede Modellbildung auszeichnen. Die Neigung zu friedlichem Interessenausgleich oder zur Gewaltanwendung war häufig unabhängig von der jeweiligen Staatsverfassung. Sie beruhte in erster Linie auf der Selbsteinschätzung der eigenen MachtmitteL Die Fähigkeit zu kriegswirtschaftlicher Ressourcenmobilisierung gehörte ebenso dazu wie eine von wechselnden Voraussetzungen abhängige geopolitische Lageanalyse. Das bedeutet, daß in verschieden strukturierten Gemeinwesen die Machteliten aufgrund der ihnen eigenen subjektiven Bedrohungsvorstellungen ihr militärisches Potential vergleichbar effizient zu mobilisieren und einzusetzen verstanden.

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Diese Überlegungen bilden gewissermaßen den Überbau der hier diskutierten Thematik und stehen in unmittelbarer Beziehung zu den von Herrn Czempiel geäußerten normativen Überlegungen zur Friedensfähigkeit einzelner frühmoderner Verfassungstypen. Die sozialpsychologisch zu deutende Einstellung zur Gewaltanwendung wandelte sich in der europäischen Gesellschaft von der Schwelle zur Neuzeit bis zum Vorabend der Französischen Revolution. Das jedem Freien selbstverständliche Recht der Waffenanwendung zur Lösung privater Auseinandersetzungen wurde durch die Landfriedensordnungen, wenn auch zunächst nur theoretisch, in den Händen der Territorialherren monopolisiert und somit verstaatlicht. Die zeitgenössische Allegorie der drei apokalyptischen Reiter verdeutlicht, daß für die Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts nicht der Frieden, sondern die Gewaltanwendung zentraler Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit war. Yves-Marie Berce hat diese Grundstimmung im Titel seines Buches "Fetes et Revoltes" sehr zutreffend eingefangen. Auch das Herrschaftsbild der Zeit zeichnete sich in seiner ikonographischen Umsetzung vorwiegend durch kriegerische Attribute aus. Dieser Befund trifft auf alle europäischen Gemeinwesen zu, ob es sich um Holland während des Freiheitskampfes, England unter Cromwell, Spanien bis zur Vernichtung der Tercios vor Rocroi oder Frankreich zu Beginn der Alleinregierung Ludwigs XIV. handelt. Mit dem Gedankengut der Aufklärung begann in Europa von West nach Ost fortschreitend, wobei die Frage nach der unmittelbaren Bedrohung des Herrschaftszentrums und den ökonomischen Bedingungen politischen Handeins eine große Rolle spielte, ein gesellschaftlicher Veränderungsprozeß einzusetzen. In den italienischen Stadtstaaten zunächst, dann in Holland und Spanien, in England nach der Glorious Revolution und mit zeitlichem Verzug in Frankreich nach dem Utrechter und Rastätter Frieden wie auch bei der Mehrzahl der kleineren Reichsstände verlor das Militär seine präponderierende Rolle im gesellschaftlichen Wertgefüge. Die Überzeugung, daß der Fortschritt des Menschengeschlechts nur unter den Bedingungen des Friedens realisiert werden könne, begegnet uns nicht nur im Traktat über den Ewigen Frieden aus der Feder des Abbe de Saint Pierre. Prinz Eugen, dessen Verhandlungen mit Villars den Grundstein zum habsburgisch-bourbonischen Ausgleich gelegt haben, empfing den Verfasser zum persönlichen Gespräch, während Friedrich II. für ihn nur Hohn und Spott übrig hatte. Österreich markiert im 18. Jahrhundert den Grenzraum zwischen der westeuropäischen Konzeption einer innergesellschaftlichen Zurückdrängung militärischer Wertvorstellungen und einem an militärischen Verhaltensnormen orientierten Staats- und Gesellschaftsverständnis. In

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der Organisation der Militärgrenze und später unter dem Eindruck der preußischen Bedrohung kam es in Österreich zu mehreren Militarisierungsschüben, die jedoch immer wieder neutralisiert oder regional begrenzt werden konnten. Anders in Schweden bis zur Freiheitszeit, in Preußen und Rußland, wo die Militarisierung der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt einsetzte, als in Westeuropa bereits eine gegenläufige Bewegung an Boden gewonnen hatte. In Polen und im osmanischen Reich ist eine dem westeuropäischen Vorbild vergleichbare Entwicklung zu konstatieren, die jedoch unterschiedliche Auswirkungen auf die jeweilige Heeresverfassung nach sich zog. Die Interdependenz von Staats- und Heeresverfassung läßt sich also, ausgehend von einer sozialpsychologisch orientierten Analyse der vorhandenen Disposition zur Gewaltanwendung, auch gänzlich anders kategorisieren. Abhängig von der Intensität der jeweiligen subjektiven Bedrohungsvorstellung auf das politische Handeln erwies sich die Position des Militärs auf der gesellschaftlichen Wertskala der europäischen Staaten vom 16. bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zunächst weitgehend statisch. Danach begann, von Westeuropa ausgehend, eine Phase der Neubewertung in Richtung auf eine partielle geistige Entmilitarisierung, der in Osteuropa eine gegenläufige Entwicklung hin zu einer stärkeren sozialen Militarisierung und Disziplinierung gegenüberstand. Beim Vergleich frühneuzeitlicher Staats- und Heeresverfassungen sollte dieser Aspekt, so meine ich, nicht außer acht gelassen werden.

Kunisch: Ich glaube, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo do