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German Pages 330 Year 2004
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 67
PAUL LABAND
Staatsrechtliche Vorlesungen Bearbeitet und herausgegeben von Bernd Schlüter
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Paul Laband (Bild aus: Das akademische Deutschland [3 Bde.], Bd. 1 „Die Deutschen Hochschulen in ihrer Geschichte“, hrsg. von Michael Doeberl u. a., C. A. Weller-Verlag, Berlin 1930, S. 377).
Paul Laband · Staatsrechtliche Vorlesungen
Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 67
PAUL LABAND
Staatsrechtliche Vorlesungen Vorlesungen zur Geschichte des Staatsdenkens, zur Staatstheorie und Verfassungsgeschichte und zum deutschen Staatsrecht des 19. Jahrhunderts, gehalten an der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg 1872 – 1918
Bearbeitet und herausgegeben von Bernd Schlüter
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-11219-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Geleitwort In den Jahren 2001–2003 hat die Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung ein Forschungsprojekt zu Paul Laband gefördert, das zum einen der theoretischen Beschäftigung mit seinem Werk, zum anderen der Herausgabe unveröffentlichter Manuskripte und Drucksachen galt. Bei den Drucksachen handelt es sich um die Gutachten, die Laband als Mitglied des Staatsrats des Reichslands Elsaß-Lothringen zu anstehenden Gesetzes- und Verordnungsvorhaben verfaßt hat; sie werden demnächst von Frau Sophie Charlotte Preibusch in Begleitung ihrer Dissertation (Verfassungsentwicklungen im Reichsland Elsaß-Lothringen, 2004) veröffentlicht werden. Bei den Manuskripten handelt es sich um handschriftliche Vorlesungsunterlagen Labands, die Herr Dr. Bernd Schlüter in diesem Band vorlegt. Der Anlaß für das Forschungsprojekt liegt bereits länger zurück. Auf der Suche nach dem Nachlaß Labands stieß ich im Regional- und Departementalarchiv in Straßburg auf die oben erwähnten Drucksachen und begegnete in ihnen einem anderen Laband als dem allen historischen, politischen, moralischen und philosophischen Betrachtungen abholden Positivisten, den das gängige Bild zeichnet (Laband als Politiker, Der Staat 1992, S. 553–569). Der zu Gesetzes- und Verordnungsvorhaben gutachtende Laband zeigte politisches Gespür und praktischen Sinn, stellte Verhältnismäßigkeits- und Billigkeitserwägungen an, fragte nach der Gleichheit und Freiheit der Bürger und forderte, wo Eingriffe erfolgen, deren Rechtfertigung. Er argumentierte kaum anders, als ein Staatsrechtswissenschaftler heute argumentieren würde. Er markierte lediglich die Grenze des Juristischen anders und verstand eine Argumentation, die heute als verfasssungs- und grundrechtsdogmatische verstanden wird, als politische und philosophische. Je länger ich nach Labands Nachlaß suchte, desto geringer wurde meine Hoffnung, persönliche Unterlagen zu finden. Die Witwe des Großneffen von Laband meinte, der persönliche Nachlaß sei bei der Verwüstung der Wohnung ihres Schwiegervaters, des Neffen und Erben von Laband, in der Pogromnacht des 9. November 1938 vernichtet worden. Um so größer wurde das Interesse an Labands wissenschaftlichem Nachlaß, der sich in Berlin befindet. Herr Dr. Schlüter hat ihn für seine Doktorarbeit (Reichswissenschaft, 2003) umfassend erhoben und gesichtet und ist dabei auf Vorlesungsunterlagen gestoßen, die das Bild von Laband noch einmal entscheidend erweitern und vertiefen.
6
Geleitwort
Die Staatsrechtswissenschaft jenseits eines positivistischen Verhältnisses zu Gesetz und Recht, die in den Drucksachen punktuell aufscheint, ist in den Vorlesungsunterlagen systematisch entfaltet und ausgewiesen. Laband begegnet hier als historisch und philosophisch umfassend gebildeter, politisch sensibler, aufgeklärter konservativer Staatstheoretiker. Die Staatstheorie des Kaiserreichs muß nicht mehr aus einer vermeintlichen staatstheoretischen Sprach- und Gedankenlosigkeit des Positivismus erschlossen werden. Hier liegt sie vor. Ich danke der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung für die Förderung des Forschungsprojekts. Und ich freue mich über die Entdeckung von Herrn Dr. Schlüter und die Sorgfalt, mit der er die Manuskripte Labands gelesen, übertragen und herausgegeben hat. Bernhard Schlink
Vorwort Im Zuge der Forschungen zur Staatsrechtslehre an der einstigen Straßburger Kaiser-Wilhelms-Universität stieß ich im Bundesarchiv Berlin auf einen bisher völlig unbekannten Nachlaßteil des großen deutschen Staatsrechtlers Paul Laband: seine handschriftlichen Vorlesungsvorbereitungen. Nachdem bisher Labands Lehrbuch zum Reichsstaatsrecht die schmale Basis ganzer Epochentheorien bildete, steht der Forschung mit vorliegender Edition eine reichhaltige neue Quelle zum Zeitalter des sog. staatsrechtlichen Positivismus zur Verfügung. Gerade die Verschränkung von staatstheoretischen, historischen, methodischen und positivrechtlichen Erwägungen bietet Stoff genug für ein differenzierteres Bild des Begründers des modernen deutschen Staatsrechts. Mein Dank gilt vor allem Herrn Professor Dr. Bernhard Schlink, dessen langjähriges Interesse an Paul Laband den Weg für die Edition geebnet hat. Ebenso danke ich der Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung, ohne deren großzügige Unterstützung die mühsame Übertragung der deutschen Handschrift nicht denkbar gewesen wäre und der Erwin-von-Steinbach-Stiftung für die Förderung der Drucklegung. Hervorheben möchte ich auch die zuvorkommende Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesarchivs, die den Laband-Nachlaß zusammengeführt und einer Edition zugänglich gemacht haben. Bernd Schlüter
Inhaltsverzeichnis Die folgende Gliederung entspricht der vorgefundenen Ordnung innerhalb der verschiedenen Vorlesungsteile. Die Überschriften der nach Paragraphen gegliederten Abschnitte gleichen den Überschriften in Labands Text. Die klein gedruckten Inhaltsstichworte zum ersten Teil wurden zum Zwecke einer besseren inhaltlichen Übersicht vom Bearbeiter der folgenden Gliederung hinzugefügt und entsprechen, soweit möglich, den Labandschen Formulierungen und Abschnittsbezeichnungen.1 Kursiv gedruckte Gliederungspunkte weisen auf nicht oder nicht vollständig abgedruckte Texte hin.
Einleitung
17
1. Person und Werk Paul Labands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Zum Gegenstand, zur Entstehung und zur Bedeutung der Vorlesungsmanuskripte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Zum Inhalt des Manuskriptes „Der Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Zum Inhalt des Manuskriptes „Staatsrecht“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. Zum Manuskriptteil „Deutsche Staats- und Verfassungsgeschichte“. . . . . . . . . 50 6. Zur Technik der Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Erster Teil
Vorlesungsmanuskript „Der Staat“ §1
53
Der Begriff des Staates (Bl. 308) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Volk – Territorium – Gemeinwesen – Staat als rechtliche Ordnung
§2
Die Staatsgewalt (Bl. 311) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Staatsgewalt und Staatsperson – Rechte und Pflichten der Staatsgewalt – Staat im Mittelalter – Souveränitätslehre Bodins – Absolutismus
1
Labands Zwischenüberschriften sind uneinheitlich und nicht konsequent durchgeführt. Alle Überschriften und Gliederungspunkte sind aber in der unten folgenden Textwidergabe unverändert übernommen worden. Nur für die Inhaltsübersicht bot sich eine Ergänzung an. Folglich finden sich die hier aufgeführten inhaltlichen Stichworte teilweise als Begriffe und Gliederungspunkte im Text wieder.
10 §3
Inhaltsverzeichnis Der Rechtsgrund der Staatsgewalt (Bl. 315 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Staatsideen Griechenlands – Roms – des Christentums – der Germanen – Lehnswesen
§4
Die naturrechtliche Lehre (Bl. 320) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Grotius – Hobbes – Kant – Kritik
§5
Die Lehre der Revolution (Bl. 325 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Rousseau – Kritik
§6
Die historische Rechtsschule (Bl. 330 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Recht und Kulturleben des Volkes – Geschichte – Recht und Gesetz
§7
Die moderne pietistische Richtung (Bl. 333 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Julius Stahl – Kritik
§8
Die richtige Theorie über den Rechtsgrund der Staatsgewalt (Bl. 336) . . 99 Staat als Produkt der Kultur – Grund der abstrakten und konkreten Staatsgewalt
§9
Der Zweck des Staates (Bl. 337 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Verwirklichung des Sittengesetzes und Kritik – Die Wohlfahrtstheorie und Kritik – Die Theorie des Rechtsstaats: Kant und Kritik – Spekulative Philosophie – Staat als Selbstzweck – Die richtige Ansicht
§ 10 Die Grenzen der Staatsgewalt (Bl. 343 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Die äußeren und inneren Grenzen
§ 11 Die Staatsformen (Bl. 345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Demokratie – Aristokratie – Monarchie – Scheinstaatsformen
§ 12 Die Theilung der Gewalten (Bl. 348). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Aristoteles – Montesquieu und konstitutionelle Doktrin – Kritik – Einheit der Staatsgewalt
§ 13 Die verschiedenen Functionen der Staatsgewalt (Bl. 351) . . . . . . . . . . . . . 124 Staat als gegliederter Organismus – Gesetzgebung – Rechtsprechung – Verwaltung
§ 14 Die Volksrepräsentation (Bl. 358). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Beteiligung des Volkes am Staate – Altertum – Germanen – Mittelalter – Ständeversammlung und moderne Volksrepräsentation – Irrtum der „constitutionellen Doctrin“ vor 1849 – Kritik der Gewaltenteilungslehre – Parlamentarismus (England) und monarchisches Prinzip (Deutschland) als Alternativen
Inhaltsverzeichnis
11
Zweiter Teil
Vorlesungsmanuskript „Staatsrecht“
147
Einleitung (1. Variante)
149
§1
Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (Bl. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
§2
Quellen des Staatsrechts (Bl. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152
§3
Geschichte der Bearbeitung (Bl. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Einleitung (2. Variante) §1
Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (Bl. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
§2
Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts (Bl. 11). . . . . . . . . . . . . . . . . 162
I. Kapitel: Der Staat
170
§3
Begriff und juristische Natur des Staates (Bl. 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
§4
Die Souveränetät (Bl. 25 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
§5
Die Staatsformen (Bl. 31). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
§6
Die Staatensysteme (Bl. 32). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
§7
Die Funktionen der Staatsgewalt (Bl. 35 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
§8
Die subjectiven öffentlichen Rechte (Bl. 38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
§9
Die Legitimität des Trägers der Staatsgewalt (Bl. 40) . . . . . . . . . . . . . . . . 191
§ 10 Das Staatsgebiet (Bl. 42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 § 11 Die Staatsangehörigen (Bl. 44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 § 12 Der Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit (Bl. 47) . . . . . . . . . . . . . 200
II. Kapitel: Die Staatsverfassung/ Die Verfassung des monarchischen Staates
200
I. Abschnitt: Das Staats-Oberhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 § 13 Begriff und staatsrechtliche Stellung des Monarchen (Bl. 58) . . . . . . . . . 200 § 14 Die Regierungsrechte des Monarchen (Bl. 60 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 § 15 Die persönlichen Rechte des Monarchen (Bl. 62) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 § 16 Die rechtliche Stellung des landesherrlichen Hauses (Bl. 66 R.) . . . . . . . 211 § 17 Der juristische Charakter der Thronfolge (Bl. 68). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
12 § § § § §
Inhaltsverzeichnis 18 19 20 21 22
Das Thronfolgerecht (Bl. 69). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thronfolge-Ordnung (Bl. 71 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die außerordentliche Thronfolge (Bl. 73 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erwerbung der Krone (Bl. 74) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regentschaft und Stellvertretung (Bl. 75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
214 218 218 218 218
II. Abschnitt: Die Volksvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 § § § §
23 24 25 26
Begriff und staatsrechtliche Stellung (Bl. 78). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Zusammensetzung des Landtages (Bl. 82 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die formelle Ordnung der Thätigkeit des Landtages (Bl. 86) . . . . . . . . . Rechtssätze zum Schutz der parlamentarischen Thätigkeit (Bl. 88). . . .
. . . .
219 223 223 223
III. Abschnitt: Die Behörden und Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 A. Die Staatsämter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 27 Begriff des Staatsamtes (Bl. 89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 § 28 Das Behörden-System (Bl. 90 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 B. Die Staats-Beamten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 § § § § § § §
29 30 31 32 33 34 35
Begriff und juristische Natur des Beamten-Verhältnisses (Bl. 92 R.) . . Die Begründung des Beamten-Verhältnisses (Bl. 94) . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pflichten und Beschränkungen der Staatsbeamten (Bl. 95) . . . . . . . Die Rechte der Staatsbeamten (Bl. 97) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versetzung, Stellung zur Disposition und Suspension (Bl. 97) . . . . . . . . Die Beendigung des Dienstverhältnisses (Bl. 98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Ehrenamt (Bl. 98 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
229 231 232 235 235 236 237
IV. Abschnitt: Die Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 § § § §
36 36 a 37 38
§ 39 § 40 § 41
Begriff und Wesen der Selbstverwaltung (Bl. 101) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff und Wesen der Selbstverwaltung (2. Fassung) (Bl. 113) . . 244 Die Gliederung des Selbstverwaltungs-Apparates (Bl. 103) . . . . . . . . . . Die süddeutsche, insbesondere die bayerische Gemeindeordnung (Bl. 115 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinde-Ordnung für Elsaß-Lothringen v. 6. Juni 1895 (Bl. 117) . . . . Die Kreisverfassung (Bl. 118 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Provinzialverbände (Bl. 121 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
239 242 248 250 252 256
Inhaltsverzeichnis
13
III. Kapitel: Die Verfassung des Deutschen Reichs
257
§ 42 Die Gründung des Norddeutschen Bundes (Bl. 122). . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 § 43 Die Gründung des Deutschen Reichs (Bl. 124) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 § 44 Die juristische Natur des Reichs (Bl. 125) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 § 45 Der Kaiser (Bl. 125 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 § 46 Der Bundesrath (Bl. 127) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 § 47 Der Reichstag (Bl. 128 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 § 48 Die Reichsbehörden und Reichsbeamten (Bl. 129) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 49 Das Verhältniß der Einzelstaaten zum Reich (Bl. 131). . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 50 Die staatsrechtliche Stellung Elsaß-Lothringens (Bl. 134 R.) . . . . . . . . . . 265 § 51 Die deutschen Schutzgebiete (Bl. 136). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
IV. Kapitel: Die Formen der Staatsthätigkeit
266
I. Abschnitt: Die Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 52 Der Begriff des Gesetzes (Bl. 140). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 § 53 Der Weg des Gesetzes in den Einzelstaaten (Bl. 141 R.). . . . . . . . . . . . . . 268 § 54 Der Weg der Reichs-Gesetzgebung (Bl. 143) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 II. Abschnitt: Die Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 § 55 Begriff und juristische Natur (Bl. 146) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 § 56 Der Abschluß von Staatsverträgen (Bl. 147) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 57 Die staatsrechtliche Inkraftsetzung der völkerrechtlichen Verträge (Bl. 148) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 III. Abschnitt: Die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 58 Begriff (2 Versionen) (Bl. 149–150) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 59 Die Formen der Verwaltung (Bl. 150 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 59 Die Formen der Verwaltung [ältere Fassung] (Bl. 151) . . . . . . . . . . . . . . . 272 § 60 Reichsverwaltung und Staatsverwaltung (Bl. 153 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 IV. Abschnitt: Die Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 § 61 Begriff und staatsrechtliche Bedeutung (Bl. 155) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
14
Inhaltsverzeichnis
(Variante:) IV. Abschnitt: Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 § 66 Die Gerichtsgewalt oder Gerichtsherrlichkeit (Bl. 168) . . . . . . . . . . 278 § 67 Die Gerichtsverfassung (Bl. 168 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 § 68 Der Gerichtsdienst (Bl. 170) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 273
V. Kapitel: Die materiellen Gebiete der Staatsthätigkeit § § § § § § § §
62 63 64 65 69 70 71 72
Übersicht (Bl. 158) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Polizei (Wohlfahrtspflege) (Bl. 159) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die auswärtigen Angelegenheiten (Bl. 163) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Post und Telegraphie (Bl. 165) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Eisenbahnwesen (Bl. 173) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Maß- und Gewichtswesen (Bl. 175) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Geldwesen (Bl. 176) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bankwesen (Bl. 177) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
273 273 278 278 279 279 280 280
Staatsrecht. Die bewaffnete Macht (Bl. 180) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 280
VI. Kapitel: Die bewaffnete Macht § § § § § §
73 74 75 76 77 78
Rechte des Kaisers (Bl. 181) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte der Einzelstaaten (Bl. 181 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organisation und Gliederung im Frieden (Bl. 181 R.). . . . . . . . . . . . . . . Der Militärdienst (Bl. 182) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Militärlasten (Bl. 185). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kriegsmarine (Bl. 186) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
281
VII. Kapitel: Das Finanzrecht § 79 Das Staatsvermögen (Bl. 188) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 80 Die Staatseinnahmen (Bl. 189 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 81 Finanzwirthschaft des Reichs (Bl. 189 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 82 Die Zölle und Verbrauchsabgaben (Bl. 190). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 83 Die Reichsstempelsteuern (Bl. 192) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 84 Erbschafts- und Besitzsteuer (Bl. 192 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 85 Die Matrikularbeiträge (Bl. 193 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kapitel Das Finanzrecht (Variante) (Bl. 194) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kapitel Das Finanzrecht (weitere Variante) (Bl. 202). . . . . . . . . . . . . . . . . .
280 280 280 280 280 281
. . . . . . . . .
281 281 281 281 281 281 282 282 282
„Kompetenzverteilung Reich-Bundesstaaten“ (Bl. 209–246). . . . . . . . . . . 282
Inhaltsverzeichnis
15
Dritter Teil
Deutsche Verfassungsgeschichte2 §1
283
Einleitung. Geschichte der Wissenschaft. I. Buch: Periode bis zur Gründung des Merowinger-Reiches
I. Abschnitt: Der altdeutsche Staat § § § § § § § § §
2 3 4 5 6 7 8 9 10
Sociale Zustände Ansiedlung Familien-Verfassung Die Stände Die Völkerschaft und Landgemeinde Fürsten, Herzöge und Könige3 Die Heerverfassung (Bl. 247) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Die Gerichtsverfassung und das Prozessverfahren (Bl. 248 R.) . . . . . . . . 287 Fehde und Strafrecht (Bl. 250 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
II. Abschnitt: Die germanischen Reichsgründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 § § § § § §
11 12 13 14 15 16
Die Römer in Deutschland (Bl. 253) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die germanischen Einwanderungen in das R.R. (Bl. 253 R.) . . . . . . . . . Das westgotische Reich und Recht (Bl. 254 R.). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das ostgothische Reich und Recht (Bl. 259). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das burgundische Reich und Recht (Bl. 260). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das langobardische Reich und Recht (Bl. 262) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Buch: Die Periode der fränkischen Monarchie
. . . . . .
289 289 289 290 290 290 290
I. Abschnitt: Allgemeine Rechts- und Verfassungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 17 Die Reichsgründung (Bl. 265) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 18 Das merowingische Reich (Bl. 267 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 § 19 Königthum und Kaiserthum (Bl. 269) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2
Der überlieferte Textteil hat keinen Titel. Bis hierher ist kein entsprechender Textteil überliefert. Die Gliederung fand sich in Form einer eigenhändigen Inhaltsübersicht Labands (Bl. 300) und wurde hier der Vollständigkeit halber der aus dem Text gewonnenen Gliederung vorangestellt. 3
16 § § § § § § § § § § §
Inhaltsverzeichnis 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
Die Hofbeamten und die Reichsregierung (Bl. 272 R.) . . . . . . . . . . . . . . Die Eintheilung des Reiches und die Landes-Ämter (Bl. 274) . . . . . . . . Die königlichen Missi. Landeskommissare (Bl. 275 R.) . . . . . . . . . . . . . . Die Volksversammlungen und Reichstage (Bl. 276 R.) . . . . . . . . . . . . . . Die Vassalität und der Seniorat (Bl. 277 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Heerverfassung und Wehrpflicht (Bl. 279 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Finanzwesen (Bl. 282) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gerichtsverfassung und Dingpflicht (Bl. 284). . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Immunitäten (Bl. 286) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Strafrecht4 (Bl. 288) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäfte (Bl. 288 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . .
295 296 298 299 299 299 299 299 299 299 299 300
III. Buch: Das Deutsche Reich bis zum Ende des Mittelalters
I. Abschnitt: Geschichtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 § 31 Die Nationalherzoge (Bl. 289). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 § 32 Das Römisch-deutsche Kaiserthum (Bl. 291) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 § 33 Soziale Zustände (Bl. 292 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 II. Abschnitt: Die Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 § § § § §
34 35 36 37 38
Die Art der Rechtsbildung (Bl. 294) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Reichsgesetzgebung (Bl. 295 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Reichsgesetze (Bl. 296 R.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rechtsbücher (Bl. 298) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sachsenspiegel (Bl. 298). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . .
300 300 300 300 300
Anhang: Originalmanuskriptseiten5 und Auswahl einiger Seiten aus den Vorlesungsverzeichnissen von 1872, 1874 sowie 19006 . . . . . . . . . . . . . 301 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
4 Ab hier Bruch in der originalen Paragraphenzählung und andere, wohl spätere Schriftart. 5 Aus dem Bundesarchiv Berlin. 6 Von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.
Einleitung 1. Person und Werk Paul Labands 1838 in Breslau geboren, wurde Laband 1872 nach dem rechtswissenschaftlichen Studium und der Dissertation 1872 in Königsberg zum ordentlicher Professor berufen. Bis 1866 hatte er sich vorwiegend mit dem deutschen Recht des Mittelalters, mit Römischem Recht und Handelrecht beschäftigt. Die Übernahme der öffentlichrechtlichen Vorlesung, sowie sein juristisches Interesse für die politisch hoch brisante Budgetrechtsfrage des preußischen Verfassungskonflikts eröffneten seine Karriere als Staatsrechtler. Ausgehend von seiner Theorie der einheitlichen monarchischen Staatsgewalt war er der richtige Mann zur richtigen Zeit, als die neuen Verfassungen des Norddeutschen Bundes und schließlich des neugegründeten Deutschen Reiches staatsrechtlicher Interpretation und Ergänzung bedurften. In seinem mehrbändigen, vielfach aufgelegten „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ bereitete er das disparate Gebilde der politisch kompromißhaften Verfassung mustergültig und umfassend auf und fügte das deutsche Staatsrecht so erst zu einem begrifflich strukturierten Gesamtsystem. Unter den Zeitgenossen galt er als die staatsrechtliche Instanz schlechthin und verkörperte zugleich den Höhepunkt einer methodengeschichtlich als „Positivismus“ apostrophierten Epoche. Von 1872 bis zu seinem Tode 1918 lehrte er an der vom Deutschen Reich neu errichteten „Kaiser-Wilhelms-Universität“ in Straßburg. Nachdem sie zunächst als Leuchtturm der deutschen Wissenschaft in den wiedergewonnenen Grenzlanden großzügig gefördert, später vernachlässigt wurde und im steten Konflikt mit den frankophilen Strömungen Elsaß-Lothringens stand, wünschte sich Laband bald einen Ruf an die Berliner Universität, welcher ihm jedoch zeitlebens verwehrt wurde. Hoch dekoriert, Mitherausgeber mehrer Zeitschriften, Autor unzähliger Rechtsgutachten und Mitglied des elsaß-lothringischen Staatsrats starb Laband 1918 kurz vor dem Einmarsch der französischen Truppen in Straßburg. Seine logisch-sachliche Denk- und Arbeitsweise fand in den folgenden Jahren vor allem während der Hitler-Dikatur wenige Verteidiger. Als Wissenschaftler jüdischer Herkunft und den germanischen Volksgeisttheorien wenig gewogen, wurde er bestenfalls totgeschwiegen, bis man sich in der Nachkriegszeit wieder seiner erinnerte und die historische Rolle des Positivismus neuen Deutungen zugänglich wurde.1
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Einleitung
2. Zum Gegenstand, zur Entstehung und zur Bedeutung der Vorlesungsmanuskripte Vorliegende Edition macht erstmals Vorlesungsmanuskripte Paul Labands einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich. Die an der Straßburger Kaiser-Wilhelms-Universität gehaltenen Vorlesungen beschäftigen sich ebenso mit der Verfassung des Deutschen Reiches und der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte wie mit der Staats- und Rechtstheorie. Hier finden sich höchst aufschlußreiche Verbindungslinien zwischen seiner, für jeden modernen Juristen gültigen Methodik und den materiellen, teilweise überpositiven Grundlagen seines Staatsdenkens. Man begegnet sowohl originären Fundamenten unseres heutigen Staatsrechts wie inzwischen verlassenen Pfaden. Dennoch war Labands Theorie des modernen konstitutionellen Staates, der die Würde und Privatsphäre des Bürgers anerkennt und den Staat an die Zwecke des Gemeinwohls bindet, in Zeiten einer starken monarchischen Exekutiv- und Legislativgewalt, einer dominanten bürgerlich-adelig-militärischen Staatselite, des Kulturkampfes und der Sozialistengesetze stets der Gefahr einer idealisierenden, staatsergebenen Legitimationskultur ausgesetzt. Durch seinen Verzicht auf nationalmythische Kryptoideologien, bei anderen gern als fortschrittlich-nationale Rechts- und Staatsphilosophie ausgegeben, gelang ihm eine logisch und systematisch nachvollziehbare Staatskonstruktion. Bestrebt, aus der Verfassung, aus dem Sinn und Zweck der Gesetze Nachweise zu liefern, reduzierte er den zeitüblichen und wissenschaftlich zweifelhafte Rekurs auf den Volksgeist, auf das historisch tradierte und vom Rechtsgefühl approbierte überpositive Recht auf ein Mindestmaß. So klar und transparent die einzelnen methodischen Schritte sind, so kommt freilich auch Laband nicht ohne unausgesprochene Grundüberzeugungen aus, welche nur bedingt zwingende Folgerungen aus der positiven Gesetzesrealität waren. Sich diesen zu nähern und gleichzeitig die Achtung vor einer wegweisenden Methodik zu behalten, erlauben vorliegende Staatsrechtsvorlesungen. Sie sind ein eindringliches Plädoyer für den Staat als Rechtsordnung, gegen Staatswillkür und gegen die Übermacht einseitiger gesellschaftlicher oder politischer Interessen. Die Wortgewandtheit, die umfassende Bildung, die tiefe Erkenntnis des Staatslebens, die politische Erfassung der historischen Staatsmodelle, die argumentative Treffsicherheit, die beispielgebende systematisch-logische Durchdringung des Stoffes, die Laband in seinen Vorlesungen an den Tag legt, läßt uns von einer staatsrechtlichen und staatstheoretischen Quelle ersten Ranges und dem konzentrierten Signet einer ganzen Epoche sprechen. 1 Zum Wirken Labands an der Kaiser-Wilhelms-Universität, zu seinem Werk und der Rezeptionsgeschichte siehe Schlüter, Reichswissenschaft, Frankfurt a. M. 2004, S. I ff. mit weiteren Quellenangaben.
Einleitung
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Die Edition gliedert sich in die drei Teile „Der Staat“, „Staatsrecht“ und „Deutsche Staats- und Verfassungsgeschichte“. Mit seinem historisch-geistesgeschichtlichen Abriß des Staatsdenkens leitet der erste Teil in die zeitgenössische Staatstheorie des Konstitutionalismus über, bevor im „Staatsrechts“-Teil dogmatische Einzelfragen auf Grundlage (aber nicht entlang) der deutschen Einzelstaatskonstitutionen und später auch der neuen Reichsverfassung dargestellt werden. Die Edition präsentiert anschließend Fragmente desjenigen Vorlesungsteils, welcher dem Labandschen Lehrbuch vom Reichsstaatsrecht inhaltlich entspricht und schließt mit staatstheoretisch relevanten Passagen seiner verfassungshistorischen Vorlesung. Die hier gewählte Abfolge der drei Teile – staatstheoretische Einführung und konstitutionelles deutsches Staatsrecht (vollständiger Abdruck), schließlich Reichsstaatsrecht und Verfassungsgeschichte (fragmentarischer Abdruck) – entspricht nicht der Reihenfolge im überlieferten Handschriften-Konvolut. Letztere wird angesichts der abenteuerlichen Überlieferungsgeschichte ohnehin als eher zufällig gelten dürfen und sie bleibt durch den Mitabdruck der vom Archivar gewählten Blatt-Zählung auch in der Edition weiterhin sichtbar. Die hier gewählte Lösung verspricht dem Leser eine Wanderung vom antiken Staatsdenken bis hin zu Fragen des preußischen Beamtenrechts und im fragmentarischen Dritten Teil wieder hinab zu den verfassungshistorischen Ursprüngen des deutschen Staates – und dies auf den Pfaden Labands und des 19. Jahrhunderts. Die Manuskripte werden heute nach jahrzehntelanger Irrfahrt im Bundesarchiv Berlin verwahrt. Nachdem Laband 1918 einige Monate vor dem Einmarsch der französischen Truppen ins Elsaß gestorben war, gelangte sein Nachlaß höchstwahrscheinlich an seine Erben, den Kieler Landgerichtsrat Bruck bzw. Dr. Esbach in Berlin, beides Neffen des kinderlos Verstorbenen. Zunächst verliert sich dann die Spur. Ein ebenfalls im Bundesarchiv verwahrtes Schreiben einer Verwandten aus der Nachkriegszeit berichtet über eine Teilvernichtung des Nachlasses unter dem Eindruck der Judenverfolgung vor 1945. Anschließend befand sich der die Vorlesungen enthaltende Nachlaßteil jedenfalls im Einmarschgebiet der Roten Armee, wurde in die Sowjetunion verbracht, 1958 der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden übergeben und gelangte über das sächsische und das brandenburgische Landeshauptarchiv in das Deutsche Zentralarchiv Potsdam. Im Bundesarchiv Berlin wurde dieser Nachlaßteil schließlich 1998 mit dem im Bundesarchiv Koblenz befindlichen Teil zusammengeführt.2 Alle hier edierten Manuskripte waren mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Vorlesungsgebrauch bestimmt. Auch diejenigen Teile, welche nicht ausdrücklich den Titel „Vorlesungen“ tragen, haben – bis auf die geringen 2
Ritter, Findbuch Nachlaß Laband, Bundesarchiv Berlin.
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Überschneidungen zum Lehrbuch „Das Staatsrecht des Deutschen Reiches“ – keine Entsprechungen in den publizierten Schriften, weder was den Inhalt, noch was die konkrete Formulierung betrifft. An mehreren Stellen3 verfällt Laband zudem in eine, die Vorlesungsfunktion implizierende, stichwortähnliche Darstellung. Die sehr kleine, zierliche Schrift läßt es allerdings als schwer möglich erscheinen, daß Laband von seinen Aufzeichnungen unmittelbar ablas. Sie werden vielmehr als Vorbereitungskonzept zu verstehen sein. Der Text enthält keine eigentliche Datierung und keinen unmittelbaren Hinweis auf den Entstehungszeitpunkt. Wann Laband einzelne Teile erstmals verfaßte, neu faßte, Passagen strich oder ganze Blätter ersetzte, ließe sich allenfalls mit einer Schrift- und Papieranalyse näher aufhellen, was den Rahmen dieses Editionsprojekts gesprengt hätte. Hinsichtlich des Gebrauchszeitraums geben nachträglich eingefügte Literatur- und Gesetzesanmerkungen sowie wegen des Jahrhundertwechsels nötig gewordene Zeitangaben wertvolle Hinweise.4 Als Deckblatt und Umschlag des gesamten Teils „Der Staat“ diente Laband ein Schreiben des Straßburger Universitätskurators vom 22. 2. 1877. An einer Stelle spricht Laband von der Verfassung des „Deutschen Reiches in den letzten Jahren seines Bestehens“ und bezieht sich hier offensichtlich auf das Alte Reich.5 Diese Begriffsverwendung spricht wiederum für einen Entstehungszeitpunkt noch vor der Reichsgründung 1871/72. Auf Bl. 353 erwähnt Laband im laufenden Text den Erlaß des Handelsgesetzbuchs vom 15. Mai 1897. Zumindest diese Passage muß folglich weit nach 1870, also in jedem Fall in der Straßburger Zeit entstanden sein. Die zahlreichen und vielfach wiederholten Änderungen der Gliederung und Kapitelzählung sprechen zudem für einen lang andauernden Gebrauch. Dieser Befund wird im übrigen von Labands Lebenserinnerungen, den Zeugnissen über seine Heidelberger, Königsberger und Straßburger Zeit und vom Straßburger Vorlesungsprogramm gestützt. Da Laband etwa auf Blatt 4 die Auflösung des alten Reichs „diesem Jahrhundert“ zuordnet, ist der Entstehungszeitpunkt dieses ersten Manuskriptteils keinesfalls nach der Jahrhundertwende anzusiedeln. Da er auch hier hinsichtlich der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches das Wort 3
So etwa Bl. 2 R. Während Laband auf Blatt 340 zunächst vom „vorigen Jahrhundert“ sprach und damit offenbar das 18. Jahrh. meinte, ergänzte er hier später zu „im 19. und im vorigen Jahrhundert“, meinte nun das 19. Jahrh. und das diesem vorausgehende. Die Motivation hierfür wäre nur dann nicht der Jahrhundertwechsel, wenn Laband im Nachhinein die Erkenntnis gewonnen hätte, daß auch noch im 19. Jahrhundert Todesurteile mit der auf Bl. 340 genannten Begründung versehen und vollstreckt wurden. 5 Siehe Bl. 341. 4
Einleitung
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„alten“ erst später hinzufügt, ist eine Entstehungszeit dieses Textteils vor 1872 nicht ausgeschlossen. Andererseits ist immer wieder auch im Einleitungsteil zumindest mittelbar vom neuen Reich und der Reichsgründung die Rede, so daß größere Teile der Vorlesung offenbar von Anfang an dem neuen Staatsrecht des Deutschen Reiches galten und als solche erstmals vom Sommersemester 1872 bis zum Ersten Weltkrieg gehalten wurden. In dieser Zeit wurden diverse Passagen neu gefaßt, Literaturangaben und Hinweise auf neue Gesetze hinzugefügt. Da der Hinweis auf das Gierke-Buch von 1881 sowie auf Hermann Rehms Geschichte der Staatsrechtswissenschaft von 1896 offenbar nicht nachträglich in eine bereits bestehende Textseite eingefügt worden ist, so ist eine Datierung dieses Textteils für das Ende der neunziger Jahre vertretbar. Auf Bl. 65 im Kapitel über die Monarchenrechte und die pekuniäre Ausstattung des Monarchen hatte Laband die Trennung von Staatsgut und fürstlichem Hausgut in Hannover und Kurhessen zunächst in der Gegenwartsform erwähnt, bevor er später beide inzwischen untergegangenen Staaten einklammerte. Demnach ist dieser Teil womöglich schon vor 1866 entstanden und wurde bis zum 1. Weltkrieg gebraucht und aktualisiert, was u. a. der Hinweis auf die Preußische Dotationsregelung von 1910 nahelegt. Laband hatte die Vorlesungsmanuskripte bzw. jeweils eine der zum Teil vorhandenen Varianten offenbar bis zum Ende des regulären Vorlesungsbetriebs in Straßburg, also mindestens bis Sommer 1914 in Gebrauch. Darauf weist u. a. die Einarbeitung der elsaß-lothringischen Verfassungsreform von 1911 in das Bundesratskapitel hin. Die hier veröffentlichten Manuskripte sind keine Entwürfe für Labands Lehrbuch „Das Staatsrecht des Deutschen Reiches“, auch wenn sich Vorlesung und Lehrbuch inhaltlich überschneiden. Sie enthalten primär „allgemeines“ Staatsrecht im Sinne einer staatsphilosophischen Spiegelung und grundsätzlichen Darstellung des deutschen Konstitutionalismus, bzw. des staatsrechtlichen Systems, welches die juristische Professorenschaft aus den Konstitutionen destillierte. Diese Edition gibt demnach lange vermißte Antworten hinsichtlich des Labandschen Staatsverständnisses jenseits des „unmittelbar geltenden“ „positiven“ Gesetzesrechts. Sie deutet gleichzeitig eine methodische und staatstheoretische Entwicklung vom allgemein verbreiteten national-philosophischen Monarchismus zu der rational-konstruktiven Denkweise Labands an, welche für eine ganze juristische Schule steht. Der in den Vorlesungen sichtbar werdende Laband definiert gleichwohl staatsrechtliche Grundbegriffe auch losgelöst von einer konkreten Verfassung und insbesondere von der erst während Labands Lehrtätigkeit entstandenen Verfassung des Deutschen Reiches. Selbst diejenigen Passagen, welche inhaltlich dem Lehrbuch zum Reichsstaatsrecht entsprechen, weisen die vorlesungstypische Form auf und lassen sich inhaltlich sehr gut als Teil der von Laband
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von 1872 bis in den 1. Weltkrieg hinein gehaltenen Straßburger Vorlesung zum „Reichs- und Landesstaatsrecht“ denken. Letztere basierte offenbar ursprünglich auf den Vorlesungsvorbereitungen in Labands Königsberger Kollegienheft von 1868.6 Schließlich sind auch die Passagen zum Reichsstaatsrecht im selben Konvolut und innerhalb des desselben Umschlags überliefert, wie das von Laband eindeutig als „Vorlesungen“ bezeichnete Manuskript „Der Staat“. Laband scheint sein ursprüngliches, vor 1876 entstandenes Lehrgebäude teilweise anhand von Erkenntnissen korrigiert zu haben, welche er bei der Abfassung seines „Staatsrechts des Deutschen Reiches“ gewann. So ersetzte er auf Bl. 131 den ursprünglichen, am Text der Reichsverfassung orientierten Grundgedanken der generellen Einzelstaatszuständigkeit für die Staatsverwaltung zugunsten eines dreiteiligen Kompetenzmodells, das er auch von Anfang an im Lehrbuch vertrat und welches der wachsenden Ausdehnung der tatsächlichen Reichskompetenzen schon in diesem Stadium besser entsprach. Bearbeiter von Einzelproblemen aus dem Lehrbuch zur Reichsverfassung, denen es auf Formulierungsvarianten und dogmengeschichtliche Entwicklungslinien ankommt, seien ausdrücklich auf Kapitel III des Originalmanuskripts verwiesen. Letzteres konnte hier nur fragmentarisch berücksichtigt werden, da die Publikation einer Lehrbuch-Variante nicht Zweck dieser Edition war.7 Weniger eindeutig als hinsichtlich des Kapitels III fällt der Vergleich zwischen dem Lehrbuch und den übrigen Kapiteln des Vorlesungsmanuskripts „Staatsrecht“ aus. Zwar spricht Laband hier in der Vorlesung abstrakt vom „Staat“ und meint sowohl den staatstheoretischen „Staat“ an sich als auch den konstitutionellen deutschen Einzelstaat des 19. Jahrhunderts, jedoch bilden diese Kapitel in vieler Hinsicht die Folie seines Lehrbuchs. Der „Begriff des Gesetzes“8 hatte eine so weitgehende Behandlung vornehmlich im Lehrbuch und darüberhinaus im vollständig abgedruckten Vorlesungsteil „Der Staat“ erfahren, daß auf den Abdruck dieses und vergleichbarer Teile der „Staatsrechts-“Vorlesung verzichtet wurde. Gleichwohl finden sich sämtliche, den „Staat“ und das „Staatsrecht“ betreffenden Gliederungspunkte der Vorlesungen im vom Herausgeber erstellten Inhaltsverzeichnis wieder. In welchem zeitlichen und inhaltlich-genetischem Verhältnis die beiden Manuskriptteile „Der Staat“ und „Staatsrecht“ zueinander stehen, war nicht eindeutig zu klären. Auch die Vorlesung zum „Staatsrecht“ enthält ein allgemeineres Kapitel zum „Staat“9 und eine Geschichte des Staatsdenkens. 6 7 8
Laband, Lebenserinnerungen, Leipzig 1980, S. 62. III. Kapitel Die Verfassung des Deutschen Reichs Bl. 122–138. Bl. 140.
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Auch was Labands inhaltliche Quellen betrifft, bleibt vieles im Dunkeln. Die „Staatsrechts“-Vorlesung enthält deutlich mehr Literaturhinweise als die wohl früher entstandene Abhandlung über den „Staat“. Für heutige Verhältnisse bleibt der Verweis auf fremde Quellen in sehr bescheidenem Rahmen. Auf Bl. 3 R vermerkt Laband am Ende des Abschnitts zum Gewohnheitsrecht auf „Meyer § 16“. Auf Bl. 4 erscheint zur Geschichte der Staatsrechtswissenschaft neben „Pütter, Literatur des Deutschen Staatsrechts 1776– 1783“; „v. Mohl, Geschichte u. Literatur der Staatswissenschaften, 1855– 56“; „Bluntschli, Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik seit dem 16. Jahrhundert, 1864“; und schließlich „Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. III 1881“; in der zweiten Einleitungsvariante erscheint zudem der Straßburger Kollege „Hermann Rehm 1896“ und „Ernst Landsberg 1898“. Außerhalb der Einleitung sind namentliche Verweise oder formgültige Zitate kaum zu finden. Eine Ausnahme bildet etwa auf Bl. 42 der Verweis auf Frickers Abhandlungen zum Staatsgebiet. Am Ende der 2. Variante der Einleitung findet sich schließlich auf Bl. 15 R/16 die Literaturübersicht des „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ und auf Bl. 17 die bis in die 90er Jahre gebrauchte Version der Literaturübersicht. 3. Zum Inhalt des Manuskriptes „Der Staat“ In der Vorlesung „Der Staat“ präsentiert sich ein bisher kaum bekannter Laband. Unser methodengeschichtliches Bild einer ganzen Epoche konstruktiv-logischer Wissenschaft erhält hier sein notwendiges Pendant zurück – die Staats- und Rechtstheorie. In der Vorlesung „Der Staat“ skizziert Laband eine Geschichte des Staatsdenkens seit der Antike, zunächst chronologisch die wichtigsten Epochen darstellend, um anschließend in Kategorien wie „Der Zweck des Staates“ und „Die Rechtsstaatstheorie“ bestimmte inhaltliche Schwerpunkte herauszuarbeiten, wobei er auf die vorherige chronologische Darstellung der Theoriegeschichte zurückgreift. Dabei läßt er seine eigene Staatskonzeption und die seiner Epoche sichtbar werden. Er verteidigt seinen entschiedenen, politisch-theoretischen Standpunkt sowohl mit logischen, historischen, wie ethischen Prämissen, die er nach seiner Vorstellung dem Kulturbegriff des Zeitalters entnimmt. Den Volksgeisttheorien, wie sie aus den Wurzeln der historischen Schule und der Nationalbewegung inzwischen auch das Staatsrecht erobert hatten, steht er offenbar sehr zurückhaltend gegenüber. Seine abgewogene, rationale Art, sein realitätsbezogener Verstand dulden weder demokratische Visionen noch die epochentypischen national-chauvinistische Schwärmereien, welche Staat und Staatsform ethnisch determiniert dachten. Die Parameter der staatlichen Bindung schwanken dabei von einer kulturellen Begründung der Staatsexi9
Bl. 19 ff.
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stenz über die Herleitung der konkreten Staatsform aus den Zufälligkeiten von Macht und Geschichte bis hin zur Bindung der tatsächlichen Staatsgewalt an gewisse Staatszwecke und an die Schranke unsittlichen Staatshandelns. Dabei erscheint Laband als tiefgründiger Staatsphilosoph, als Vertreter eines wertgebundenen Staates, der dem Einzelnen zwar Freiräume läßt, ihn aber weder als Träger der Staatsgewalt noch als Quelle des Staatswillens begreift. Der angebliche Positivist Laband gründet den Staat nicht primär auf das Gesetz oder die Konstitution und noch weniger auf den Parlamentswillen. Er erkennt zwar die Zwangsgewalt des tatsächlich bestehenden Staates an, stützt seine Staatskonzeption aber auf historische und kulturelle Argumente sowie rational begründete Zweckerwägungen, die in die gesetzlich gestaltete Staatsrealität eine aus heutiger Sicht prekäre Staatsidealität hineinlegen. Der Ruf des 18. Jahrhunderts nach Errichtung eines aus der Vernunft abgeleiteten Idealstaates wird durch die Wissenschaft des Kaiserreichs mit der sittlichen Neufundierung des inzwischen modifizierten Fürstenstaates beantwortet. Mangels durchgehender Nachweise bleibt der Ursprung der konkreten Quellen der von Laband dargestellten Staatstheorien weitgehend im Dunkeln. Zu vermuten ist, daß Laband sich u. a. auch auf Bluntschlis Geschichte des Staatsdenkens stützte.10 Zudem hegte er eine große Bewunderung für Julius Stahl und dessen geschichtliche Darstellung der Staatslehre innerhalb der „Philosophie des Rechts“ von 1830/56.11 Der Duktus der Darstellung orientiert sich an einigen großen Namen der europäischen Geistesgeschichte, während andere ganz unter den Tisch fallen. Laband erläutert sehr anschaulich und zunächst weitgehend kommentarlos die epochenprägenden Konzeptionen, bevor er sie den historischen Gegenpositionen gegenüberstellt. Eine eigene Bewertung findet sich meist im Anschluß an die jeweilige Epochendarstellung. Der fast durchgehende Indikativ erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, Labandsche Gedanken von nur reproduzierten Erwägungen zu trennen. Laband sondert für jede Epoche diejenigen Ansätze aus, die er für im wissenschaftlichen Sinne fortschrittlich und fruchtbar hält. So birgt auch dieser geistesgeschichtliche Exkurs Antworten auf die Frage nach dem Labandschen Staatsideal. Das Weltbild des späten 19. Jahrhunderts spiegelt sich in der historischen Rückschau. Dabei unterscheidet Laband unbefangen zwischen guten und richtigen und andererseits falschen, unwürdigen oder unzeitgemäßen Staatskonzeptionen. Ebenso wie der spätestens seit Hegel in der Deutschen Wissenschaft etablierte Etatismus bei Laband in neuen juristisch faßbaren Formeln erscheint, behandelt auch Laband das Volk tendenziell als ein selbständig 10 11
Er verweist darauf: Bl. 315. Siehe Bl. 333 R.
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lebendes Individuum; der Einzelne dagegen, obschon durch eine rechtlich fundierte Privatsphäre gesichert, geht im Volk auf. Im Unterschied etwa zu Gierke sind allerdings die Organismusmetaphern für den Staat weit weniger naturmetaphorisch und schwärmerisch. Freilich ist der starke Staat gleichzeitig der gute, der „sittliche“ Staat. Insofern hängt die Staatsqualität nicht vom subjektiven Empfinden des Einzelnen, sondern von den „objektiven Überzeugungen des Volkes als Gesammtheit“ ab. Die von Savigny und teils auch Hegel verfochtene Verbindung von Volksgeist und Recht, von Rechtsbewußtsein und objektiver Rechtsordnung, welche letztlich zwischen Fiktion und Postulat schwankt, ist in all ihrer problematischen Umgehung des eigentlichen Willensmoments spätestens seit Gerber und Laband in der Staatsrechtswissenschaft etabliert, wenn auch mit deutlich unterschiedlichen Tendenzen. Laband fällt dabei zweifellos mit einer besonderen Gedankenschärfe und Rationalität, mit einer Verrechtlichung des staatstheoretischen Diskurses auf. Daß er jedoch wesentliche Prämissen seiner Staatstheorie nicht aus dem geltenden Verfassungsrecht, sondern aus logisch-konstruktiven und historischen Erwägungen zu destillieren versucht, daß er erst die Natur des Staates bestimmt, bevor er sich der Staatsverfassung zuwendet, wirft ein neues Licht auf das Haupt des deutschen staatsrechtlichen „Positivismus“. Deutlicher als etwa Gierke definiert Laband das Staatsrecht als Regelwerk des Staatsinternums, der Staatsperson, an welcher das Volk keinen unmittelbaren, und sei es nur einen philosophisch-fiktiven Anteil hat. Eine der Schlüsselpassagen ist insofern die Bewertung der naturrechtlichen Vertragslehren.12 Die schroffe Ablehnung des Naturrechts und des – auch von Laband damit verbundenen – demokratischen Staatsideals zugunsten der bestehenden Ordnung des monarchischen Konstitutionalismus entsprach nahezu ausnahmslos der staatstheoretischen, überpositiven Überzeugung der offiziellen Wissenschaft im Deutschen Kaiserreich. Ähnliches gilt für den hohen Stellenwert des Tatsächlichen, Bestehenden gegenüber einem gedachten Idealstaat, der wissenschaftlichen Jurisprudenz gegenüber politischer, insbesondere demokratischer „Spekulation“, der Idealisierung des Tatsächlichen gegenüber einer Feststellung der realen gesellschaftlichen Verhältnisse, der wissenschaftlich ermittelten Volksbedürfnisse gegenüber dem Volkswillen. Andererseits tritt die Idee des „guten“, gerechten, rechtsstaatlich gebundenen Staates hervor, den man im Kaiserreich verwirklicht sah. Trotz der epochalen Fortschritte zugunsten des Rechtsstaats eignet sich dieser aus unserem heutigen Verständnis genährte Begriff kaum zu einer unmißverständlichen Charakterisierung der Labandschen Staatssicht. In einer akademischen Atmosphäre des politischen, mit liberalen Relikten versetzten Reichskonservativismus lag der Akzent gerade nicht auf den vom 12
Bl. 324 R.
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Naturrecht hervorgehobenen Rechtspositionen der Einzelnen, sondern auf der Regelhaftigkeit der staatlichen Funktionen und der Bindung des Staates an einen allgemeinen Begriff der Gerechtigkeit. Unser heutiger Rechtsstaatsbegriff, der sich wieder stärker an die naturrechtliche Tradition anlehnt, inkorporiert nicht nur die Rechtsgebundenheit staatlichen Handelns, wie sie auch Laband anerkannte, sondern auch die Anerkennung unveräußerlicher Individualrechte. Als Vertreter der so verstandenen und von Laband ausdrücklich abgelehnten „Rechtsstaatstheorie“ nannte er ausdrücklich Immanuel Kant.13 Das alte Reich in seiner Hilflosigkeit und Passivität war ihm die Verkörperung eines solchen, bloß auf die Rechtswahrung konzentrierten Staatsgebildes.14 Die Rückführung des „Rechtsstaats“-Begriffes auf die Wissenschaft des Kaiserreichs ist demnach erläuterungsbedürftig. Die Normierung anderer, zum Teil von der Französischen Revolution und Napoleon vorweggenommener, zumindest theoretischer Prinzipien im Sinne einer rechtlich gebundenen Staatstätigkeit und garantierter Verfahrens- und Formvorschriften fällt zwar in Deutschland sehr wohl in die Zeit nach 1870, aber diese Neuerungen wurden von den Zeitgenossen nicht zwingend mit dem als naturrechtlich gebrandmarkten „Rechtsstaats“-Begriff in Verbindung gebracht. Laband versucht – und hier gewinnt er wieder eine gewisse Aktualität –, Rousseau nachzuweisen, daß individuelle Freiheit und Staat letztlich unvereinbar seien. Er hielt ihm sogar die „Majoritätsdespotie“ und die Schutzlosigkeit des Einzelnen im „Kopfzahlregiment“ entgegen, warf ihm aber andererseits vor, er verkenne über dem staatsbildenden Stellenwert der Individuen die natürliche und lebendige Persönlichkeit des Volkes, deren Wille von Majoritätsbeschlüssen verschieden sei. Laband läßt der Naturrechtslehre das Verdienst, der Menschenwürde gegenüber dem Terror des Mittelalters eine irreversible Stellung zuerkannt zu haben. Rousseau’s Theorie fuße gleichwohl auf falschen tatsächlichen Voraussetzungen. Ihre Umsetzung bedürfe eine unerreichbaren totalen Gleichheit aller Menschen und führe zum Kommunismus und zur Anarchie, gefährde die tradierte Gesellschaftsstruktur und mit ihr die gesamte menschliche Kultur.15 Der Konflikt mit den Weltdeutungen Kants und Rousseaus zeigt (evtl. den frühen ?) Laband keineswegs als Priester des Gesetzes und des gerade aktuellen positiven Rechts.16 Vielmehr sind es die dem Staat und dem Volk „innewohnende Bestimmung der Lebensverhältnisse“, aus deren überpositiv vorhandenen ethischen Vorgaben er die positiven Rechtssätze begründen 13 14 15 16
Bl. Bl. Bl. Bl.
340 ff. 341. 327 R. – 330. 325.
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will. Wie die tiefere rechtliche Begründung der Ehe seien auch Begriff u. Aufgabe des Staates „nicht aus logischer Abstraction zu finden, sondern aus seiner ethischen Bestimmung, daß sich durch ihn das Gesamtleben der Nation realisieren soll“.17 „Gesittung“ und „Kultur“ sind die Quellen des Staates und des Staatsrechts, nicht das Naturgesetz und nicht die Willkür Einzelner.18 Der idealistische Determinismus und die Volksgeistkonzeptionen der Vorgängergeneration schwingen hier deutlich mit, werden aber abgeschwächt und oszillieren zwischen Fiktion und Postulat. Der Staat ist verpflichtet zur kulturell adäquaten Förderung und Ordnung des Gesamtlebens der Nation. Nur so weit wie ihre – bei Laband aus dem Staatszweck abgeleitete – Aufgabe, reicht auch die Kompetenz und Eingriffsbefugnis der Staatsgewalt. Den von ultranationalistischen Kräften insbesondere nach 1918 zum Feindbild stilisierten, angeblich rein formalistischen, inhaltsleeren und unpatriotischen Laband hat es nie gegeben. Die Problematik der Auffindung dieser überpositiven, nationalen Staats- und Rechtsprinzipien ist auch bei Laband kaum entschärft. Die sehr weitgefaßte und deutbare Definition des Staatsziels als „Förderung und Ordnung des gesammten socialen Lebens“19 sowie der oft bemühte zeitgebundene und nationenbezogene Sittlichkeitsund Kulturbegriff gibt ebenso Raum für eine restriktive, wie grob mißbräuchliche Handhabung der Staatsgewalt. Die im Naturrecht angelegte Rechtskollision zwischen Staatsapparat und Individuum wurde nun zur inneren, juristisch-staatstheoretisch, jedenfalls überpositiv begründeten Beschränkung der Staatsgewalt umgedeutet, die quasi einem rechtlichen Nichts gegenübertritt. Die subjektiv-individuelle Schranke war nun zur objektivkollektiven geworden. Der Einzelne konnte sich auf die Staatstheorie und Rechtswissenschaft stützen, wenn er zwar keine Verletzung seines Rechts, wohl aber diejenige der überkonstitutionellen objektiven Kompetenzordnung des Staates beklagte, auch wenn es für eine solche Klage keine Entscheidungsinstanz gab. Die Stellung der Staatswissenschaft im Staat und die Überzeugungen ihrer Trägerschicht forderten einerseits eine Verknüpfung von Volks- und Staatsbegriff, schlossen aber andererseits den Rekurs auf den Demokratie- oder einen ausufernden Menschenrechtsgedanken aus. Was mochten die nach der Jahrhundertwende zahlreicher an die Straßburger Universität strömenden elsaß-lothringischen Studenten, die sich oft der französischen Republik verbunden fühlten, empfunden haben, als Laband ausführlich die „Theorie der Revolution“ und die Rousseauschen Gedanken der Volkssouveränität darlegte, um schließlich den Rousseauschen Staats17 18 19
Bl. 325. Siehe die „richtige“ Theorie Bl. 335 R. Bl. 343 R.
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absolutismus und die Lächerlichkeit der Vertragstheorien zu konstatieren?20 Wenn Laband die „Schrecken der französischen Revolution“ als die notwendigen Konsequenzen einer verfehlten Theorie kennzeichnete,21 trat er in unmittelbare Konfrontation zu zeitgenössischen Zielen der Sozialdemokratie und zu den in Straßburg traditionell geschätzten, aber auch in Frankreich kaum verwirklichten Werten der Revolution. Diesen frankophilen Kräften waren nicht die logischen Widersprüche in Rousseaus System, sondern der Gedanke der unveräußerlichen Menschenrechte und der staatsbildenden Qualität der Nation als der Gesamtheit der Staatsbürger wichtig. Der vom Volkswillen losgelöste, personifizierte, kaiserlich-väterlich geführte Staatsapparat und die schwer faßbare „Volksgeist“-Theorie vieler deutscher Politiker und Wissenschaftler mußten den Enkeln der Revolutionsgeneration suspekt erscheinen. Der scharfe politische Konflikt zwischen dem deutschem Kaiserstaat und der Anhänglichkeit großer Bevölkerungsteile des „Reichslandes“ an Frankreich spiegelt sich hier auf wissenschaftlicher Ebene als staatstheoretisches Problem. Labands politische Position ist von einer tiefen Abscheu gegenüber den schroffen, von ihm als destruktiv empfundenen Klassen- und Standesgegensätzen innerhalb der deutschen Gesellschaft geprägt. Während er das „Junkerthum“ mit historischen Ansprüchen den Staat okkupieren sah, warnte er gleichzeitig vor den Gleichheitsphantasien des liberalen Bürgertums, vor der alleinigen Macht des Kapitals wie auch vor den revolutionären, die Besitzordnung gefährdenden Bestrebungen der Demokraten und Sozialisten. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Parlamentarismus sah er in England, nicht aber in Deutschland als gegeben an, eine geschlossene, nicht auf Standesfeindschaft beruhende Parteienbildung sei hier nicht vorhanden.22 Nur ein „starkes Königthum“ könne die adäquate Lösung sein.23 Weder Liberaler noch Demokrat, noch reaktionärer Monarchist trat Laband die Flucht an in das Ideal eines einheitlichen Staatsgebildes, organisch, also nicht durchweg rechtlich gleich, gegliedert und durch einen gut ausgebildeten, an der Sache und den Staatszwecken orientierten Beamtenapparat geführt. Wohltuend hob er sich hier von den mythisch-idealistischen Theorien von der monarchisch-organischen deutschen Staats- und Rechtsidee ab, vermied jede Verklärung, jeden schwärmerischen Legitimationsversuch und analysierte nüchtern die gegebenen Realitäten. Andererseits verstand sich Laband nicht als neutraler Rezipient des positiven Staatsrechts, sondern posi20
Bl. 325 R. ff. Bl. 330 R. 22 Bl. 362. 23 Bl. 362 R.: „Bei solchen Verhältnissen ist ein starkes Königthum ein dringendes Bedürfnis, welches über den Ständen steht, sie gegeneinander schützt und die gegenseitige Bekämpfung und Vernichtung derselben verhütet.“ 21
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tionierte sich mit einer zugleich politischen wie wissenschaftlichen Theoriebildung. Die in Deutschland bestehende konstitutionelle Monarchie, die von der historischen Schule mitgeprägte Achtung vor dem „historisch erwachsenen Verfassungszustande“24 sind die Leitbilder seiner Staatsrechtslehre; nicht nur weil die Staatsordnung positiv durch Gesetz und Konstitution Geltungskraft beansprucht, sondern weil sie Laband politisch als Idealverfassung für die deutschen Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschien. Im Abschnitt über die „Staatsformen“25 stellt Laband die Reinformen der Theorie ebenso gedankenscharf dar, wie die Realität der gemischten Staatsformen. Er zeigt eine gewisse Bewunderung für die repräsentative Demokratie der Vereinigten Staaten von Amerika, unterstreicht aber im nächsten Satz die Berechtigung der aristokratischen Staatsform. Hier spricht er nicht mehr von den Zufällen der Macht und der Geschichte, sondern von der realen oder vom Volk angenommenen Qualifikation einer gewissen Gruppe zur Herrschaft, aus welcher Laband auch das Herrschaftsrecht ableitet.26 In einer für die Epoche des nationalen und monarchischen Historismus sehr unbefangenen Weise identifizierte Laband die altgermanischen Stämme mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie.27 Insgesamt war der Bezug gerade auch zur antiken Theorie stark ausgeprägt, der Hinweis auf den aktuellen Kampf zwischen liberaler Demokratie und Monarchie im Bismarckstaat kam hier nicht ausdrücklich zum Tragen. Die aufklärerische Trennung von Staat und Monarch führte auch Laband fort, sah in letzterem ein Organ im Staat und bezog die Formel „von Gottes Gnaden“ auf die Herrschaft Kraft eigenen, nicht abgeleiteten Rechtes.28 Auf den deutschen Konstitutionalismus bezogen bedeutete die Anwendung dieser Theorie den Ausschluß der Parlamente aus dem Kernbereich der Staatsgewalt, den Nichtvollzug des Dualismus von Monarch und Parlament in der Staatstheo24 Diese von Laband geschätzte Achtung findet er bei den englischen, nicht bei den deutschen Parteien wieder. Siehe Bl. 362 R. 25 Bl. 345 ff. 26 Bl. 346 R.: „Aristocratie ist also nicht Herrschaft der Minderheit, wie man im Anschluß an Aristoteles oft definirt. Denn nicht als Minderheit gegenüber der Mehrheit kömmt der herrschenden Klasse das Herrschaftsrecht zu, sondern weil sie Vorzüge hat, welche nach den Anschauungen des Volkes, nach den concreten historischen oder wirthschaftlichen Zuständen alleine zur Herrschaft berechtigen.“ 27 Bl. 346 R. 28 Bl. 347: „Der Monarch steht im Staate, er ist nur ein Organ des Staates; aber allerdings das wichtigste, das entscheidende, er ist das Haupt des Staatskörpers. In ihm verkörpert sich die Souveränität. Die reinste und zweckmäßigste Form der Monarchie ist die Erbmonarchie; bei ihr tritt es am deutlichsten hervor, daß der Monarch sein Recht von niemandem ableitet, daß er ihm von niemandem übertragen ist, daß er es durch sich selbst hat, kraft seiner Geburt, oder wie man sich auch auszudrücken pflegt, von Gottes Gnaden.“
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rie. Der zentrale Anwendungsfall der Theorie staatlicher Mischformen blieb hier außen vor. Stattdessen wies Laband daraufhin, daß die „consequente Durchführung“ des Parlamentarismus, wie er auch in der Paulskirche vorgesehen gewesen sei, unweigerlich zu einer „Scheinmonarchie“ und einer Volksherrschaft führe.29 Obwohl Laband in der Gewaltenteilungslehre Montesquieus ausdrücklich den Kern der modernen „constitutionellen“ Doktrin erkannte, lehnte er sie als falsch verstandenen Konstitutionalismus strikt ab. Der Ausgangspunkt der zeitgenössischen deutschen Staatstheorie, die Personifizierung des Staates unter Verwendung organologischer Metaphern erlaubte ihm eine bestechende Ablehnung30 der Gewaltenteilungsmaxime.31 Neben der logischbegrifflichen Argumentation legte er anhand der Staatspraxis die Unmöglichkeit einer Durchführung dieser Lehre in der Realität dar. Wenn er die heute sog. Allgemeinverfügungen der Verwaltung als Akt der Gesetzgebung der Exekutive zuordnete zeigt sich gleichzeitig, daß er die heutige Prämisse der Ableitung dieser Verfügungsbefugnis aus dem ermächtigenden Gesetz gerade nicht zugrundelegte.32 Die Verwaltung ist nicht Vollzieherin der Gesetze, noch weniger Vollstreckerin des Parlaments- oder Volkswillens, sondern übt unmittelbar die Staatsgewalt aus unter Beachtung, nicht kraft der Gesetze. Wo unser heutiger Rechtsstaatsbegriff eben wegen des Demokratieprinzips für Grundrechtseingriffe die Gesetzesform und zumindest eine möglichst konkrete gesetzliche Ermächtigung verlangt, verweist Laband auf das Herkommen, den Takt der Regierung und die Zweckmäßig29 Bl. 347 R.: „Der Fürst ist in manchen Staaten genöthigt, ohne seinen eigenen Willen zur Geltung bringen zu können, den Befehlen des Volkes resp. der Volksrepräsentation Gehorsam zu sein. Eine solche Verfassung war in der französischen Constitutante gegeben, ebenso die von der deutschen Nationalversammlung 1848 entworfene Verfassung. Dazu führt ferner der consequent durchgeführte Parlamentarismus.“ 30 Siehe Bl. 348 ff. 31 Bl. 348 R.: „Diese Theorie ist die Grundlage der constitutionellen Doctrin geworden und hat dadurch eine große practische Bedeutung erlangt. Sie ist aber mit dem Begriff des Staates nicht zu vereinigen, logisch unhaltbar, practisch unausführbar und politisch verderblich. Ihr liegt eine Verkennung des wahren Wesens der constitutionellen Monarchie zu Grunde. Mit dem Begriff des Staates ist sie unvereinbar, weil der Staat eine Persönlichkeit ist und eine Einheit. Jede Person muß einen einheitlichen Willen haben; sie kann nicht aufgelöst werden in verschiedene von einander selbständige Subjecte, ohne zu Grunde zu gehen.“ 32 Bl. 349: „Ja auch eine gesetzgebende Thätigkeit müssen die Verwaltungsbehörden vornehmen; wenn an einer bestimmten Stelle das Tabakrauchen, das schnelle Fahren oder Reiten über eine Brücke, die Verunreinigung eines Platzes u. dgl. bei Strafe verboten wird, wenn sanitätspolizeiliche Maßregeln getroffen werden und dgl., so sind das sicherlich Aufstellungen allgemeiner Normen, gemein verbindlicher Regeln und doch hat man nicht bezweifelt, daß die Befugniß zur Aufstellung solcher Regeln der Executivgewalt zusteht.“
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keit.33 Zwar gab es Zeitgenossen, die bei Grundrechtseingriffen oder Belastungen des Bürgers die Gesetzesform forderten bzw. zumindest solche Eingriffe an die Parlamentsentscheidung binden wollten, aber Laband wischte diese Sichtweise mit dem Verweis auf die bestehende Staatspraxis vom Tisch. Das Argument, es existierten wichtige Gesetze, die nicht die Sphäre des Bürgers berührten, ebenso wie Verwaltungsentscheidungen, die diese berührten,34 scheint zumindest aus der heutigen Sicht einer praktikablen Lösung dieses Problems als etwas blaß. Andere, inoffizielle Theoretiker und politische Strömungen billigten dem Parlament ein größeres staatsrechtliches Gewicht zu und forderten für grundrechtsrelevante Regelungen eine entsprechend qualifizierte Form ein. Labands Doktrin der einheitlichen Staatsgewalt und ihrer ebenso einheitlichen Gesetzgebungsgewalt ist auch hier mit bestechender Konsequenz durchgeführt. Statt von Gewalten spricht er von getrennten Staatsfunktionen, von der funktionellen Unabhängigkeit der Gerichte. Die Unterwerfung der Exekutive unter die Gesetze erscheint bei ihm keinesfalls in ebenso fortschrittlichem Licht wie innerhalb der demokratisch-parlamentarischen Gesetzgebungstheorie, keinesfalls auch als ein Triumph einer etwaigen neuen „Rechtsstaatlichkeit“, sondern vielmehr als Überwindung eines im Absolutismus gehegten „Irrtums“ und als Durchführung von letztlich aristotelischen Gedanken. So nimmt er einem wichtigen Teil des deutschen staatstheoretischen Sonderwegs scheinbar die Brisanz und fundamentiert ihn in einer schwer anfechtbaren Weise. Theoriegeschichtlich hatte diese Sicht freilich einen ebenso fruchtbaren Einfluß auf die deutsche Rechtsstaatstheorie, wie die Gewaltenteilungslehre. Allein für parlamentarische und demokratische Bestrebungen bedeutete die Einheitstheorie die Herabsetzung des Parlaments, der schwer erkämpften konstitutionellen Rechte der Stände und des Volkes zu bloßen Funktionen der monarchischen Staatsgewalt. Laband identifizierte die Zeit vor 1849 (und eben nur diese) mit der Lehre einer zwischen Parlament, Monarch und Jurisdiktion geteilten Staatsgewalt. Er nannte sie die „constitutionelle“ Doktrin und verhöhnt somit gleichsam eine auf Huber, Wieacker und andere zurückgehende, bis heute verbreitete Übung, die gesamte Epoche von 1820 bis 1918 als Periode des „Konstitutionalismus“ des liberalen Übergangszustandes zwischen Monarchie und Republik, zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie anzusehen. Die von der deutschen Verfassungsbewegung bis hin zur Paulskirche erkämpfte neue, den neuen politischen Verhältnissen gemäße konstitutionelle 33 Bl. 353 R.: „Eine Gränze zwischen dem Gebiet der Gesetzgebung und dem Gebiet der anderen staatlichen Functionen ist auch in der That a priori gar nicht zu bestimmen; die Innehaltung dieser Gränze ist mehr Sache des Herkommens, der Zweckmäßigkeit und des politischen Tactes.“ 34 Bl. 353 R.
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Staatstheorie bzw. ihre nachherige Überwindung ordnete Laband aber weder dem reformerischen Staats- und Gesellschaftskonzept, noch einer Geltendmachung der Interessen bestimmter sozialer Schichten, noch den nachfolgenden militärischen und auch akademischen Gewaltmaßnahmen u. a. der preußischen Regierung gegen die demokratisch-konstitutionelle Bewegung zu, sondern einem „Irrthum“ in der wissenschaftlichen Entwicklung des Staatsbegriffs, einem logischen Fehler.35 Der noch das ganze Kaiserreich dominierende Organismusbegriff erscheint hier in selten klarer Referenz zur Reaktion nach 1849 als Gegenmodell zu Gewaltenteilung und Parlamentssouveränität.36 Der Theorie der geteilten Staatsgewalt wirft Laband vor, den Staat zu schwächen, keinen Zwang zur Einigung zwischen Parlament und Regierung zu beinhalten, und für große und kraftvolle Staaten nicht geeignet zu sein. Seine Entscheidung für die einheitliche Staatsgewalt ist gleichzeitig ein Votum für das monarchische Prinzip, für das Primat der Regierung auf dem Feld der Regierungsausübung, mithin auch des Budgets, des Militärs etc. und für ihr Mitwirkungsrecht in der Gesetzgebung.37 Mit wiederum bestechender analytischer Schärfe meißelt Laband im folgenden den Qualitätsunterschied zwischen mittelalterlich-vorrevolutionärer Ständeversammlung und modernem repräsentativen Parlamentsverständnis heraus38 und entwirft eine in weiten Teilen bis heute mustergültige Beschreibung des freien Mandats des Parlamentsabgeordneten. Freilich wird auch hier – dem Staat, nicht dem Wähler verpflichtet – das Parlament als obrigkeitliches Staatsorgan gänzlich vom Volkswillen gelöst.39 Die meist französischen Negativbeispiele für eine schleichende Aushöhlung der theoretisch geforderten Gewaltenteilung durch die Exekutive, hier durch Napoleon I und III,40 ist gegenüber dem Straßburger Publikum zwar von besonderer Schlagkraft, jedoch erscheint es nicht als zwingend, die Qualität einer Theorie durch historische Fälle ihrer Nichtbefolgung in Zweifel zu ziehen. Labands Befürchtung, die Gewaltenteilungslehre führe unweigerlich in die Repräsentativ-Republik, weil sich das Parlament immer weitere Gebiete der Exekutive erobere und durch Gesetzgebung immer speziel35
Bl. 359 R.: „Über die Bedeutung der Volksvertretung herrschte bis 1848 eine durchaus irrige, vorzugsweise auf Montesquieu zurückgehende Anschauung, die man als die constitutionelle Doctrin bezeichnen kann. Nach dieser Theorie gebührt der Volksvertretung ein Theil der Staatsgewalt; und zwar ist es die gesetzgebende Gewalt, welche der Volksvertretung entweder allein oder in Gemeinschaft mit dem Fürsten zusteht, die vollziehende Gewalt dagegen gebührt dem Fürsten allein, die richterliche endlich ist beiden entzogen.“ 36 Bl. 359 R. ff. 37 Bl. 360 R. 38 Bl. 359. 39 Bl. 359 R. 40 Bl. 350.
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ler regele,41 ist freilich durch die heutigen Realitäten widerlegt, nachdem Verfassung und Verfassungsgericht die klare Einhaltung der Kompetenzen überwachen und eine Übernahme der Regierungsentscheidungen und der Verwaltungstätigkeit durch das Parlament schon aus der Natur der Sache als kaum möglich erscheint. Bemerkenswert ist dennoch, daß Laband gerade die Gewaltenteilungslehre als Gefährdung seiner Konzeption der konstitutionellen Monarchie ansieht und sich hier en passant wieder einem in der Budgetfrage aufgeworfenen Schlüsselthema seines wissenschaftlichen Lebens und seiner politischen Überzeugung zuwendet: der Abgrenzung von Parlaments- und Regierungsmacht.42 Die Zuordnung auch der gesetzgebenden Gewalt zum monarchischen Staatskern in Form der königlichen Gesetzessanktion bleibt ein unumstößliches Grundelement seiner Doktrin sowohl hinsichtlich des Reichsstaatsrechts als auch der Verfassung Elsaß-Lothringens. Gerade hier zeigt sich wieder der zeittypische Zusammenhang von Organismus-Lehre, konstitutioneller Zurückhaltung, Erhaltung der Monarchie und Vermeidung eines staatslähmenden Antagonismus von Parlament und Regierung.43 Während die demokratische, die sozialistische oder die heutige sozialwissenschaftlich-politische Forschung ihr Augenmerk auf die hinter den Staatsorganen stehenden sozialen Gruppen, Klassen, Weltanschauungen, Eigentumsverhältnissen, Machtinteressen, militärischen Machtmittel richten würde, zog Laband wie andere Staatsdenker seiner Zeit den direkten Vergleich zum menschlichen Organismus, sah denjenigen Staat am besten funktionieren, in welchem ein harmonisches Zusammenwirken der Staatsorgane gelingt,44 und kanonisierte so eine einheitliche Staatsgewalt als neutralen Überbau über der Zerrissenheit der Gesellschaft. Neben der hier aufscheinenden Naturphilosophie, dem idealistischen Universaldeterminismus und Gesetzlichkeitsdrang kann er sich für den sehr anschaulich gestalteten Vergleich mit dem lebendigen Organismus45 auf die Lebenserfahrung und Staatsgeschichte stützen. Die Labandsche Theorie der Staats41
Bl. 349 R. Bl. 350: „Zwischen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt entsteht naturgemäß Eifersucht und Mißtrauen, Verfassungsconflikte können nicht ausbleiben; die Kraft des Staates wird gelähmt, seine gesunde Fortentwicklung gehindert. Die verschiedenen Gewalten im Staate kommen bald in die Lage ihre gegenseitigen Kräfte aneinander zu messen und das Resultat dieser Kämpfe ist, daß die eine oder andere unterliegt, daß statt der Theilung der Gewalten der Parlamentarismus oder der Cäsarismus eintritt.“ 43 Bl. 350: „. . .; soll das Volk einen Antheil an der Regierung erlangen und durch diesen Antheil einen Mißbrauch der Regierungsgewalt seitens des Souverains verhüten, so muß seine Betheiligung am Staat in einem organischen Zusammenhang mit demselben gebracht werden. Eine Theilnahme des Volkes in der einheitlichen ungetheilten Staatsgewalt ist etwas ganz anderes als eine Spaltung der Staatsgewalt in mehrere selbständige Gewalten.“ 44 Siehe Bl. 351. 42
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gewalt ist auch Ausgangspunkt für die zumindest anfänglich kritische Haltung gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit.46 Laband sah weder die Staatsgewalt noch die Sorge für die Volksbedürfnisse originär beim Parlament. Er stellte sich vielmehr den gesamten Staat als an die Volksbedürfnisse und an das allgemeine Rechtsbewußtsein gebunden vor. Das Parlament kann zwar Korrektiv der Regierung sein, aber die Idee der Volksvertretung auch durch den Monarchen entspringt den entsprechenden historischen Einsichten und wird auch hier von Hegelschem Idealisieren nicht ganz frei sein.47 Laband verneinte folglich die Rousseausche Theorie von der Ableitung jeder Staatsgewalt aus dem Willen des Volkes. Die Demokratie sei nur eine der möglichen Staatsformen. Auch sie inkorporiere den Unterschied zwischen der herrschenden Staatsgewalt und den beherrschten Untertanen, gleichviel ob letztere als Träger der Staatsgewalt angesehen würden oder nicht.48 Volkswille ist danach nicht die Summe der Einzelwillen, sondern der des als Persönlichkeit gedachten Volkes. 45
Bl. 351: „Es ist das eine weise Öconomie der Natur; daß der Magen nicht zu athmen, die Lunge nicht zu verdauen, das Herz nicht zu sehen hat, daß jedes Organ für eine gewisse Thätigkeit besonders eingerichtet, ihr angemessen beschaffen ist, das hat die folge, daß jede dieser Functionen auf das Beste und Vollkommenste erfüllt wird, daß eine die anderen nicht stört, daß alle friedlich zusammenwirken und sich ergänzen. Diese verschiedenen Organe heben aber die Einheit nicht auf; das Leben des Menschen ist eine einheitliche organische Thätigkeit, wenn auch dazu so viele verschiedene und gegeneinander selbständige Organe mitwirken. Man kann das Leben nicht theilen, in Verdauung, Blutbereitung, Darmthätigkeit u. s. w. Jeder dieser Theile wäre nichts; Herz und Lunge allein können nicht schlagen und atmen, der Magen nicht verdauen, das Auge nicht sehen, das Ohr nicht hören. Alle zusammen müssen von der einheitlichen Lebenskraft durchströmt und in organischen Zusammenhang gebracht werden, dann arbeitet jedes an seinem Platze.“ 46 Bl. 355 R.: „Hinsichtlich des öffentlichen Rechtes aber, der eigentlichen Staatsverwaltung können nicht die Gerichte für die Beobachtung der Gesetze Sorge tragen, denn anderenfalls würde die gesammte Verwaltung unter die Controlle der Gerichte gestellt werden. Der Vortheil, den man dadurch erreichen will, daß man für die verschiedenen Staatsfunctionen verschiedenartige Organe schafft, würde eingebüßt, indem das eine Organ der Rechtspflege die anderen absorbirte und von sich abhängig machte. Der Souverain selbst, der gerade auf die Gerichte den wenigsten persönlichen Einfluß geltend machen kann, würde diesem Organ in allen Regierungshandlungen unterworfen sein und die Gerichte würden aus einem Organ der Staatsgewalt sich sich in souveraine Inhaber der Staatsgewalt verwandeln.“ 47 Laband sieht für das Mittelalter den Fürsten als den eigentlichen Wahrer der Volksinteressen gegenüber den privatrechtlichen Partikularinteressen der Stände. Bl. 359: „. . ., im Fürsten culminirte der Gedanke des Staates, die Sorge für die gemeine Wohlfahrt, der Schutz des Rechtes für alle Unterthanen. Daher ist die Symphatie des Volkes überall lebhaft für den Fürsten gegen die Stände.“ 48 Bl. 345 R.: „Volkssouveränität ist demnach nicht ein Staatsprinzip, oder der Rechtsgrund der Staatsgewalt in abstracto, wie Rousseau lehrte, sondern lediglich
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Laband bevorzugte gegenüber dem demokratischen Begriff des Volkswillens den von der historischen Schule bereitgestellten Begriff der objektivierten Rechtsüberzeugung des Volkes, dessen Inhalt letztlich wieder zur interpretatorischen Verfügung der Wissenschaft und des Staates stand. Laband meinte, „daß die Ordnung des Gemeinwesens den Rechtsbegriffen der in ihm thatsächlich stehenden Individuen entspricht; und auch hier kömmt es nicht auf das subjective Ermessen des Einzelnen an, sondern auf die objectiven Überzeugungen des Volkes als Gesamtheit.“49 An kaum einer anderen Stelle der rechtstheoretischen Literatur wird man eine so treffende Beschreibung des Rechts- und Staatsbegriffes finden, den die historische Schule dem gesamten 19. Jahrhundert mit auf den Weg gab.50 Nirgends wird man ein mit so viel Überzeugungskraft, sprachlichem Geschick und rationaler Präzision vorgetragenes Plädoyer für das gewachsene Recht, gegen das unrechte Gesetz und die neuen „in der Luft hängenden“ Staatseinrichtungen,51 gegen konstitutionelle Umwälzung und Revolution finden.52 Gleichzeitig erscheint hier die Unterscheidung zwischen formellem Gesetz und Recht als ein Kind der historischen Schule, als juristisch-begriffliches Bollwerk gegen die mögliche Willkür des parlamentarischen Gesetzgebers. Dieser Abwehrreflex gegen die demokratische Bewegung wird so in das Denken des Kaiserreichs hineingetragen und von der Staatsrechtlehre in Rechtsinstitute gegossen. In einer Klarheit, die uns bis heute zuweilen fehlt, bringt Laband die historische Schule in den unmittelbaren Kontext der Reaktion und der Restauration.53 Allerdings beschreibt er auch diese geistesgeschichtliche Wendung als eher theoretische Angelegenheit, während er das Verbot der Naturrechtslehre an den preußischen Universitäten und die Wendung der politischen Verhältnisse, mithin der Lebenswelten der professoralen Staatstheoretiker zeittypisch außer Acht läßt. Labands Verhältnis zur historischen Schule, der man sich auch im Kaiserreich verpflichtet fühlte, war ambivalent. Einerseits sah er sie weiterhin als herrschend an, zeigte deutliche Sympathien für den Begriff des historisch tradierten, materiell richtigen, kontinuierlichen Rech-
eine Staatsform. Auch in der Democratie aber besteht der Unterschied zwischen Herrscher und Unterthan, zwischen Staatsgewalt und Staatsbürger, wenngleich die Staatsbürger zugleich Inhaber der Staatsgewalt sind. Das Volk als organische Einheit gedacht, die einzelnen zu einer Gesammtpersönlichkeit zusammengefaßt, das ist der Souverain; jeder Bürger als Individuum betrachtet ist Unterthan.“ 49 Bl. 310 R. 50 Insbesondere Bl. 332 ff. 51 Bl. 332 R. 52 Auch die bloß wiedergebenden Passagen bestätigen die klare Präferenz Labands für die historische Schule und gegen das Naturrecht. 53 Bl. 330 R.
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tes, verwarf aber andererseits den antiquarischen Charakter ihres rechtswissenschaftlich-methodischen Ansatzes.54 In folgender Schlüsselpassage finden sich diejenigen Kernelemente des Labandschen Denkens konzentriert, die sich sonst nur mühsam erahnen und anhand seiner methodischen Bekenntnisse gar nicht erkennen lassen: Das Gespür für die Nähe von Staatstheorie und Politik, die zeittypische und staatlich gewünschte Verdammung des Naturrechts und des liberalen Individualismus, die Propagierung einer aufgeklärten, aber gut konservativen Staatskonzeption, die Wirkungsmacht der historischen Schule auch für die zeitgenössische Staatsrechtstheorie und das Ziel, letztere auf Grundlage der historischen Schule, nicht gegen sie, fortzuentwickeln. Gleichzeitig benennt er die historische Schule als Gegenpol zum liberalen Konstitutionalismus: „Die historische Rechtsansicht giebt keine prinzipielle Lösung der Frage, nach dem Rechtsgrunde der Staatsgewalt und dem Wesen des Staates, aber die von ihr vertretene Auffassung über die Entstehung des Rechts ließ nicht nur eine Anwendung zu auch auf das Staatsrecht, sondern sie schuf ein ganz neues politisches Prinzip. Der Gedanke, daß sich das Volk nach man Verfassungen machen könne, daß constituierende Versammlungen, den ganzen bisherigen Rechtszustand ignorierend, dem Staat eine ganz neue Organisation geben können, daß der Bestand des Verfassungsrechtes davon abhängig ist, daß die momentane Ansicht der Majorität ihn für vernünftig oder zweckmäßig erachtet, konnte keinen Platz finden. Auch das öffentliche Recht hat wie das Privatrecht seine Wurzeln im Nationalcharacter u. in den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens seines Volkes und erhält seine Ausbildung in einer fortlaufenden geschichtlichen Entwicklung. Das bestehende Recht hat daher seine Macht über den Einzelnen, nicht weil der Einzelene ihr zustimmt, sondern eben, weil es besteht; es hat seine verbindliche Geltung durch sich selbst. ,die Rechtsordnung und den Staat Damit war wieder eine gesunde, conservative Grundlage gewonnen, gegenüber den destructiven Tendenzen des Naturrechts und der revolutionären Parteien, und es waren auch die beiden Irrthümer des M.A., die von Einzelnen allerdings in unserer Zeit wieder mit großer Energie reproduziert worden sind, vermieden, den Staat theils auf das theoretischen Prinzip unmittelbarer göttlicher Anordnung u. Führung theils auf das patrimoniale Prinzip, d.h. daß alle obrigkeitliche Gewalt ein unentziehbares, wohlerworbenes Privatrecht sei, zu stützen. Der Staat hat seine Wurzel auf der Erde, nicht im Himmel, aber es wird dieser Wurzel ein festerer Boden angewiesen, als dies das Naturrecht vermochte.“55 54 Laband notiert als Fehler der histor. Schule: „Antiquarische Rechtsbehandlung, weniger Verständnis für die Bedürfnisse der Gegenwart, als für die Eigenheiten der Vergangenheit, Opposition gegen den Fortschritt.“
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Daß Laband gleichwohl auch das Kaiserreich noch der Epoche der historischen Schule zuordnet, läßt fragen, warum der nach 1918 zum ideologischen Kampfmittel avancierte Begriff des Positivismus bis heute als Epochenkennzeichen überleben konnte. Labands Rechtsquellenlehre ordnete das Parlamentsgesetz eindeutig der Naturrechtslehre zu. Es war quasi Instrument der Staatsumgestalter, im schlimmsten Fall der Umstürzler und Revolutionäre.56 Da die Staatsgewalt keine Macht neben sich dulden kann, ist die Gewalt des Staates nicht durch Rechtspositionen weiterer Rechtssubjekte, sondern in Form einer inneren Selbstbegrenzung beschränkt. Bei Laband manifestiert sich, wie die aufklärerische und später liberale Forderung nach einer generellen Beschränkung der Staatsgewalt inzwischen wissenschaftlich kanonisiert war, ohne daß sich in der Reichsverfassung entsprechende Bestimmungen fanden. Der Liberalismus hat demnach in Form der staatlichen Selbstbeschränkung ebenso unumstößlich Eingang in das Rechtsverständnis auch des Kaiserreichs gefunden, wie der liberale Gedanke der Konstruktion des Staates vom Bürger und seinen auch politisch gleichen Rechten her der Verdammung verfiel. Labands Grundrechtskatalog hat seinen Schwerpunkt in den klassischen liberalen Prinzipien des Lebens- und Eigentumsschutzes, aber auch der Gewissens-, Religions- und Wissenschaftsfreiheit. Das gesetzmäßige Verfahren und der Ausschluß von willkürlicher Gewalt sind hier Kernanliegen Labands.57 Die grundsätzliche Be55
Bl. 333. Bl. 332. 57 Bl. 344 R. f.: „1.) Die Sicherheit des Lebens, der persönlichen Freiheit und des Vermögens des Individuums darf nicht von der Staatsgewalt angetastet werden; d.h. es darf niemand mit dem Tode, Gefängniß oder Vermögensfiscation bestraft werden, außer auf Grund eines Gesetzes und nachdem die Strafe in einem gesetzmäßigen Processverfahren gegen ihn ausgesprochen worden ist. 2.) Die Staatsverwaltung muß die allgemeinen Gesetze beachten und sich in den Gränzen derselben bewegen, soweit nicht ein dringender Nothstand ausnahmsweise eine vorrübergehende Übertretung nothwendig macht. 3.) Wohlerworbene Rechte muß die Staatsgewalt respectiren; nicht nur in ihrer verwaltenden Thätigkeit, sondern auch in der gesetzgebenden. Zwar formell steht es der Staatsgewalt frei, im Wege der Gesetzgebung wohlerworbene Rechte ohne Entschädigung zu beseitigen; aber sie begeht dadurch materiell ein Unrecht, sie untergräbt dadurch das Fundament auf dem sie selbst ruht, sie schadet sich in dem sittlichen Bewußtsein des Volkes und hat früher oder später die schlimmen Folgen solcher Schritte zu tragen. 4.) Die religiöse und wissenschaftliche Überzeugung der Individuen soll der Staat nicht beherrschen wollen. Gewissens- und Wissens-Freiheit, Freiheit des Glaubens u. der wissenschaftlichen Forschung soll er nicht beeinträchtigen; jedoch kann andererseits die Berufung auf ein gewisses Bekenntniß oder auf eine wissenschaftliche Überzeugung nicht von der Verpflichtung zur Beobachtung der Staatsgesetze und zur Erfüllung der staatsbürgerlichen Lasten befreien. 5.) Der Staat kann keinen Bürger hindern, einen erlaubten Beruf zu wählen, und ebenso wenig ihn an der Auswanderung hindern, soweit er sich dadurch nicht begründeten staatsbürgerlichen Pflichten entzieht. 6.) Der Staat muß die richterliche Thätigkeit völlig unabhängig stellen, und so daß die 56
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schränkung des Staates auf das für die Gemeinaufgaben58 unbedingt Notwendige fällt zwar mit Hinweis auf die Abhängigkeit vom Volkscharakter flexibel aus, präsentiert aber einen Laband, der sich unterscheidet von jenem Priester der Staatsgewalt, der aus anderen Quellen oft zu uns spricht. Vielleicht mag die erste Niederschrift noch Gedankengut enthalten, das später verloren ging. Der Rekurs auf den weisen Staatsmann, der die Grenze der Staatsgewalt richtig zu bestimmen weiß, macht ebenso Schwächen dieser Theorie offenbar, wie sie eine überzeugte Verneigung vor der Bismarckschen Staatskunst darstellt.59 Laband unterscheidet die äußeren Schranken60, die sich jenseits des positiven Rechts aus der Kultur und Gesittung, insbesondere aus der Aufgabe des Staates für die Förderung des Gemeinwesens ergeben und andererseits die inneren Schranken. Diese ergeben sich aus einer Gesamtschau der Gesetze und der Verfassung.61 Beide Arten von Schranken sind tendenziell nationaltypisches Staatsrecht, nicht universales Menschenrecht. Auch der an anderer Stelle stark akzentuierte, den Gesetzgebungsbegriff enthaltende „Staatswille“ ist bei Laband als gebundener gedacht, nicht an Menschenrechte, aber an die Errungenschaften des Rechtsbewußtseins und der nationalen Kultur. Da die Quelle des materiellen Rechts demnach gar nicht als „gesetztes“ Recht zu fassen ist und auch die Rechtswissenschaft dem im Volk lebendigen Recht dienend gedacht wird, haben die Labandschen Rechtsbegriffe auch einen überpositiven Gehalt.62 Wer den rein logischen Konstruktivismus der Labandschen methodischen Selbstbeschreibungen erfassen will, sollte ihn als solchen benennen und den Begriff des „Positivismus“ außen vor lassen. Das Bestreben, Recht in eine rational handhabbare praktisch verwertbare Form zu gießen, ist hier strikt zu unterscheiden von der Rechtsquellenlehre der Epoche. Die deutsche rechtshistoHandhabung der Gerechtigkeit nicht einer willkürlichen Einrichtung der Staatsgewalt unterworfen ist. 7.) Im übrigen sind in den Verfassungsurkunden mancherlei Schranken festgestellt, durch welche der Bürger vor Eingriffen der Staatsgewalt gesichert werden soll, dahin gehört z. B. die sogenannte Preßfreiheit, das Vereinsrecht, das Petitionsrecht, die Freizügigkeit u. s. w. 58 Bl. 343 R.: „Das Privatleben der Bürger soll von den Eingriffen der Staatsgewalt frei sein, sofern es sich der öffentlichen Ordnung nicht widersetzt. Nur das Gemeinleben der Nation ist Sache des Staates; die Lebensaufgabe der Individuen ist von diesen selbst zu lösen.“ 59 Siehe Bl. 344. 60 Bl. 343 R.: „Die äußeren Grenzen der Staatsgewalt ergeben sich aus der Aufgabe derselben; da die Ordnung und Förderung des Gemeinlebens der Nation der Zweck des Staates ist, so reicht auch die Staatsgewalt nur so weit, als es dieser Zweck erheischt. Daraus ergeben sich folgende Beschränkungen.“ 61 Bl. 343 R. ff. 62 Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat, 1997, S. 89, verwirft zurecht die Bezeichnung „Gesetzespositivismus“.
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rische Forschung auch nach 1945 wird sich fragen lassen müssen, warum sie zunächst kaum von der methodisch-technischen Oberfläche in die staatstheoretischen und ideologischen Tiefen der Zeit geblickt hat, warum sie den Jüngern des völkisch-deutschen Staatsgedankens nicht früher ihr Positivismus-Feindbild entwand.63 Unbeschadet aus dem liberalen Gedankengut übernommen hat Laband den Begriff des Staates als „Rechtsordnung“, als Rechtsstaat im Gegensatz zum willkürlich herrschenden Machtstaat.64 Der Unterschied zwischen gutem Staat und Despotie ist dabei kein objektiv-absoluter, sondern er bestimmt sich nach der von Laband geforderten Identität von Rechtsgefühl und Rechtsordnung.65 Eben dies kennzeichnet den Abgrund zwischen der naturrechtlich-objektiven, unabänderlich menschenrechtlichen Konzeption und dem aus dem später mißbrauchten völkischen Staatsbegriff abgeleiteten Rechtsstaatsbegriff. Der Rechtsstaat erscheint im Gesamtwerk Labands daneben als formal-struktureller, der Epoche und dem Rechtsbewußtsein des Kaiserreichs insofern adäquater Maßstab staatlichen Handelns. Die Gebundenheit des Staates ergibt sich für Laband nicht nur aus der Volkskultur, sondern aus dem Staatszweck.66 Die Rechte und die Reichweite der Staatsgewalt entsprechen danach deren Pflichten. Der gute Staat wird hier beschworen, der nicht durch äußere Kontrolle oder strukturelle Mechanismen wie Verfassung oder Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern aus seiner Natur als Staat heraus diese Grenzen von sich aus einhält. Diese optimistische Staatsbeschreibung hätte Laband nach 1933 gewiß nicht mehr vertreten oder dem Terrorstaat konsequenterweise die Staatsqualität aberkannt. Er hätte demnach den Unrechtsstaat als solchen benannt und ihm der Instrumentalisierung der Staatszwecklehre gegen die Grundregeln der Menschen63
Vgl. Schlüter, Reichswissenschaft, 2004, Frankfurt a. M., Einführung, S. I ff. Bl. 310 R.: „Die Definition „als einer Vereinigung von Menschen unter einer höchsten Gewalt“ paßt auch auf eine Räuberbande. Es ist durchaus erforderlich, daß die Menschen, welche in einem Staate vereinigt sind, das Bewußtsein haben, daß die Ordnung ihres Gemeinwesens eine Rechtsordnung sei.“ 65 Bl. 310 R.: „Keineswegs ist daher einem Gemeinwesen, welches unseren jetzigen Rechtsbegriffen widerspricht, der Character des Staats abzusprechen, z. B. den asiatischen Despotien; es ist nur erforderlich, daß die Ordnung des Gemeinwesens den Rechtsbegriffen der in ihm thatsächlich stehenden Individuen enstpricht; und auch hier kömmt es nicht auf das subjective Ermessen des Einzelnen an, sondern auf die objectiven Überzeugungen des Volkes als Gesamtheit.“ 66 Bl. 312, 312 R.: „Jedes öffentliche Recht ist ein obrigkeitliches. Es verleiht die Befugniß zu befehlen u. zu verbieten und Anforderungen auf Leistungen zu stellen, aber nicht zum persönlichen Vortheile, und in eigenem Interesse des Berechtigten, sondern nur im Interesse des Staatszweckes u. zur Lösung der dem Staat gestellten Aufgabe. Daher geht das Recht der Staatsgewalt genau so weit wie die Pflicht des Staates; jedem Recht der Staatsgewalt entspricht eine Pflicht, die an Umfang und Intensität dem Recht völlig congruent ist.“ 64
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würde widersprochen, denn seine Konzeption war die eines wahren, wenn auch elitär und etatistisch denkenden Humanisten. Die Zuordnung der Staatsgewalt zum Staatsapparat trat in einen gewissen Kontrast zum Vorwurf an das Naturrecht und an den Rousseau’schen „Kopfzahl-Souverain“, die Rechte des Einzelnen im Ergebnis zu vernachlässigen.67 Labands Anerkennung fand hingegen der Gedanke der Humanität und der Menschenwürde. Obwohl Laband den Einzelnen im Grunde aus dem System des Staats und der Staatsgewalt herausfallen läßt, die Grundrechte zu bloßen Rechtsreflexen einer objektiven Rechtsordnung erklärt, begrüßt er den naturrechtlichen Gedanken der politischen Rechte im Sinne einer „thätigen Mithilfe am Gedeihen und Blühen des Staates“. Der Mensch soll selbst „Zweck“ sein, nicht bloß „Objekt“, andererseits aber auch nicht Ausgangspunkt der Staatsgewalt. Die staatliche Sorge für sein Wohlergehen ist Teil der Bindung des Staates an gewisse Zwecke, wie sie nicht primär die Verfassung oder das Gesetz, sondern die Kulturordnung verlangt.68 Für Laband wie für das gesamte 19. Jahrhundert wird das Mittelalter, die Zwangsherrschaft der Kirche, die Schwäche des Staates und die Machtlosigkeit der Zentralgewalt zum Gegenbild des nationalen Staatsideals. Die strikte Trennung von Recht und Sittlichkeit, von Staat und Kirche konnte in den siebziger und achtziger Jahren sowohl als Stellungnahme für die Lehrfreiheit auch der katholischen Kirche, wie andererseits als Unterstützung der Bismarckschen Linie gedeutet werden. In jedem Fall erscheint Laband hier als Verfechter einer unbedingten Glaubens- und Gewissensfreiheit, als später Aufklärer und Humanist. Der Staat ist nicht Vollstrecker einer bestimmten, parteipolitisch fixierten sittlichen Idee. Trotzdem ist er selbst zu sittlichem Handeln verpflichtet. Der Staat ist danach mehr als eine „Brandcasse“, mehr als ein Hüter des Rechtsbestands der Individuen, er hat vielfältige positive Aufgaben.69 Auch hier bleibt allerdings offen, wer nach welchen Kriterien und mit welchen Instrumenten bestimmt, wann der Staat unsittlich oder ungerecht handelt und welche konkreten Aufgaben er zu erfüllen hat. Nur halb vom Idealismus gelöst, bewegt sich Laband auf dem schmalen Grad zwischen dem Postulat der Realisierung des Idealen und der Idealisierung des Realen, nämlich des Kaiserreichs und des preußischen Beamtenstaates.70 67
Bl. 327, 327 R. Bl. 330. Zum Zweckbegriff im Staatsdenken der Epoche: Schlüter, Reichswissenschaft, 2004, S. 394 ff. 69 Bl. 340 R., 341. 70 Bl. 339: „Die Sphäre der sittlichen Handlung beginnt erst da, wo der äußere Zwang aufhört; wenn daher der Staat das gesammte Gebiet des Sittengestzes für sich occupiren würde und die Verwirklichung des Sittengesetzes mit Gewalt durchzuführen im Stande wäre, so würde aber für die wahre Sittlichkeit gar kein Gebiet übrig bleiben; die Sittlichkeit wäre verbannt und der Gehorsam vor der Polizei an 68
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Epochentypisch bezeichnete Laband den inhaltlichen Grundkanon einer eigenen nationaltypischen Weltanschauung mit dem Begriff der „Deutschen Wissenschaft“. Die Unterdrückung der naturrechtlichen Lehren insbesondere durch den preußischen Staat und seine Staatsrechtslehrer stand hinter Labands arglosem Hinweis auf die in Deutschland herrschende Achtung vor dem Bestehenden.71 Dabei hebt er sich vorsichtig von der Vergangenheitsschau und Verknöcherung der historistischen Richtung ab. Der Zug zum lebendigen, dynamischen Recht und seiner Entwicklung offenbart sich vor allem in seiner Kritik am preußischen Staatsrechtler der Reaktion, Julius Stahl. Letzterer war bekanntlich das staatstheoretische Gewissen seines romantisch-verklärten Königs und Dienstherrn Friedrich Wilhelm IV. Den Grundlehren der historischen Schule und des deutschen Idealismus fügte er nun wieder Gott als Ursprung und Lenker der Weltgeschichte hinzu. Nicht mehr nur der Welt- oder Volksgeist der nationalen Romantik, nein, der göttliche Wille trug die bestehende Dynastie in die Ewigkeit, wie auch Laband scharfzüngig vermerkt.72 Ohne sich völlig von den vorgefundenen idealisierenden Paradigmen zu trennen, sieht Laband den Staat als die rechtliche Seite des lebendigen Volkslebens und seiner sich fortentwickelnden Kultur. Dem Antirevolutionsreflex Stahls stellt er eine realitätstauglichere, der dynamischen Zeit des technischen und wirtschaftlichen Aufbruchs angemessenere Sicht entgegen, ohne dabei Umsturz und Volksregierung das Wort zu reden. Er liefert die Staatsbildung nicht den politischen Verhältnissen aus, will sie, von der Reichsgründung belehrt, andererseits auch nicht zementiert sehen. Die Frage freilich, wie ein zunächst auf militärischer Gewalt ruhender Staatsapparat Spiegel der Volkskultur sein soll, stellt sich der bürgerlich-offiziellen Wissenschaft, ja dem ganzen Zeitalter nicht. War einmal der Gedanke des (Privat-)Rechts als Ausdruck des „Volksgeistes“ geboren, so war dies der konservativen Strömung als theoretisches Fundament auch des öffentlichen und des Staatsrechts hoch willkommen. Laband verläßt förmlich diese Legitimationsgrundlage, indem er die Legitimität einer konkreten Staatlichkeit von der Kulturstufe abhängig macht, auf welcher sich die Menschheit befindet.73 Der konkrete Staat, ja hier sogar ausdrücklich Preuihre Stelle getreten. In der bekämpften Theorie liegt aber allerdings eine Wahrheit; nur muß sie nicht als positive Aufgabe des Staates, sondern als negative Schranke desselben hingestellt werden. Der Staat hat nicht die Aufgabe, das Sittengesetz vollkommen zu verwirklichen, aber: nichts Unsittliches darf der Staat sich zur Aufgabe stellen, das Gemeinwesen der Menschen muß sittlichen Ideen dienen und von ihnen erfüllt sein.“ 71 „Die Macht des Bestehenden und die Achtung vor demselben hinderten die deutsche Wissenschaft die Vertragslehre bis zu ihren letzten Consequenzen zu verfolgen.“ Bl. 325 R. 72 Bl. 335. 73 Bl. 337: „Rechtsgrund dieser Staatsgewalt über die unterworfenen Völker und Länder beruht auf positiven und somit zufälligen Gründen, aber daß diese Völker
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ßen, beruht danach auf „Zufällen“ und historischen Gegebenheiten, und, so Labands selten so eindeutiger Realismus, mehr auf der „Macht“ als auf dem „Recht“.74 Laband seziert die auf religiöser Überzeugung, mithin gewissermaßen auf irrationalem Grunde fußende Theorie Stahls ausdrücklich mit den Mitteln der Logik. Neben den so aufgewiesenen Widerprüchen kritisiert er dessen Menschenbild. Nach dem Kraftakt Bismarcks stand nicht nur bei ihm die „freie menschliche That“ wieder höher im Kurs; Laband offenbart hier ein moderneres Geschichtsverständnis, als es die Deterministen und Theocraten angesichts ebenfalls zur „Tat“ schreitender Revolutionsbewegungen zugelassen hatten.75 Laband verknüpft zuweilen Verfassungsgeschichte und Geistesgeschichte, ohne die genaueren Verhältnisse zwischen beiden Strängen darzustellen. Hinzu kommt die Verwendung neuzeitlicher dogmatischer Begriffe wie der „Staatsgewalt“ zur Charakterisierung historischer Phänomene und Konzeptionen. Sozialgeschichtliche, wirtschaftliche, machtpolitische oder sonstige uns heute vertraute Erklärungsmuster für die Verfassungs- und Dogmenentwicklung sind freilich selten zu finden. Vielmehr erscheint das Staatsdenken wie ein geschichtlicher Reifungsprozeß, bei dem in jeder Epoche ein aus der Sicht Labands wahrer und richtiger Grundgedanke neben vielen falschen der Geistesgeschichte hinzugefügt wird. Dabei überzeugt die Gedankenschärfe, mit welcher Laband die Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeitet und sie dem neuzeitlichen Zuhörer sogar noch durch moderne Begriffe erklärlich zu machen sucht. Nicht nur das Wort von Papst und Kaiser als „Prokuristen Gottes“76 zeugt von einem Witz, der gedankliche Präzision mit einem gewissen Sarkasmus gegenüber ungeliebten Theorien verbindet. Daß Laband als Protestant jüdischer Herkunft die jüdische Tradition fast vollkommen ausblendet, dürfte den national-protestantisch beherrschten Zeitumständen geschuldet sein. Das Kastendenken gerade der preußischen Professoren und Staatsbeamten erschwerte bekanntlich selbst konvertierten Juden die akademische Laufbahn. Der für Labands Methodik und gesamte Staatsrechtskonzeption entscheidende Kern ist die Rechtsableitung nicht ausschließlich aus dem Gesetzesund Länder irgendeiner Staatsgewalt überhaupt unterthan sein müssen, das ist eine logisch nothwendige Consequenz ihres Culturzustandes.“ 74 Bl. 337. 75 Bl. 335 R.: „Die freie menschliche That in der Beherrschung und Gestaltung der menschlichen Verhältnisse, in der Erfüllung der irdischen Aufgabe des menschlichen Geschlechts muß der Ausgangspunkt für die Aufstellung eines politischen Systems sein.“ 76 Bl. 318 R.
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material, sondern aus dem Rechtsgefühl und der Nationalkultur, aus dem gewissermaßen apriorischen, logisch begründeten Begriff des Staates als obrigkeitlicher Rechtspersönlichkeit, als Träger der ungeteilten Staatsgewalt über dem Volk und dem Einzelnen.77 Diese Verselbständigung des Staates gegenüber Monarch, Volk und Individuum ist das Hauptkennzeichen der Laband-Epoche und Fortschritt und Rückschritt in einem. Es ist nicht die Quintessenz aus den gerade bestehenden Gesetzen, sondern eine materiellstaatstheoretische Vorentscheidung, welche auf die gesamte Begriffsbildung und staatsrechtliche Konstruktion Labands ausstrahlt. Die Defensivlage der demokratischen und liberalen Bewegung nach 1849 und insbesondere nach 1866 muß hier nicht näher beschrieben werden.78 4. Zum Inhalt des Manuskriptes „Staatsrecht“ Was die beiden Varianten der „Staatsrechts“-Einleitung betrifft, so ist die – nach der Blatt-Zählung – zweite, ausführlicher, als die erste und offenbar später entstanden. Der gesamte Textteil „Staatsrecht“ wurde von Laband bis zu Publikationen des Jahres 1915 hin aktualisiert.79 Neben prägnanten Definitionen von Staat, Staatsrechtswissenschaft und juristischer Methodik bildet hier im Gegensatz zum Text „Der Staat“ nicht nur die Geschichte der Staatsideen, sondern die Geschichte der Staatsrechtswissenschaft den inhaltlichen Schwerpunkt der Einleitung. So kommt es hier zwar zu weitläufigen Überschneidungen und Wiederholungen aber die nun hervortretenden methodischen und wissenschaftstheoretischen Akzente sind ebenso wie die Technik der Textüberarbeitung von unbestreitbarem Interesse. Wer allerdings nur den Inhalt als solchen studieren will, kann sich getrost mit einer Variante der Einleitung und dann mit der besser lesbaren zweiten begnügen. Auffällig ist die Verringerung der biographischen Einzelheiten sowie eine neue Schwerpunktsetzung. Nahm insbesondere im Text „Der Staat“ Immanuel Kant breiten Raum ein, geriet nun die zweite Einleitungsversion des Staatsrechts zu einer begeisterten Hommage an Christian Thomasius und die Aufklärung.80 Das Zentralproblem der Labandschen Staatstheorie ist zugleich charakteristischer Ausdruck der spätkonstitutionellen Staatsidee. Es handelt sich dabei um das komplexe theoretische Verhältnis von Staat, Volk, Gesellschaft und Individuum, das wiederum einerseits aus rechtlicher und aus tatsächlicher Sicht betrachtet wird und zudem mit den Begriffen der Staatsgewalt, 77 78 79 80
Bl. 311, 311 R. Schlüter, Reichswissenschaft, 2004, S. 33 ff. Siehe insbes. Bl. 15 R. Bl. 14 R.
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des Organismus und der Staatsperson interferiert. Labands Staatslehre, beeinflußt vom politischen und geistesgeschichtlichen Verlauf der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert, ist zugleich unitarisch und antagonistisch. Es ist unitarisch in dem Sinne, daß weder Volk und Gesellschaft noch Individuen dem Staat als Rechtssubjekte gegenübertreten, sondern überhaupt keine vorstaatlichen Rechtspositionen besitzen. Diese erhalten sie erst im Staate. Die den Einzelnen auch von Laband zugestandenen Freiräume sind insofern keine Rechtssphären im heutigen Sinne, sondern staatsfreie und somit gewissermaßen staatsrechtlich freie Sphären. Damit ist der politische Antagonismus des Vormärz und der staatstheoretische Antagonismus der sog. konstitutionellen Doktrin, der Lehre von der Teilung der Staatsgewalt zwischen Volk und Kammer einerseits und Staat und Monarch andererseits aufgebrochen und theoretisch entschärft. Andererseits inkorporiert Labands Begriff der Staatsperson und des Staatsorganismus nicht Volk und Gesellschaft, sondern nur das Parlament, bezeichnet nur das rechtliche Phänomen „Staat“, um dem Volk und dem Einzelnen eine Organ81- oder Subjektstellung82 abzusprechen. Der Staat als das „rechtlich organisierte“, das „zum Rechtssubjekt gestaltete“ Volk wird insofern als Ganzes zur Volksvertretung.83 Dabei vertritt er nicht den Mehrheitswillen, sondern die objektiven Volks- und Staatsbedürfnisse. Die Subjektsqualität des Volkes wird somit vom Staat absorbiert und vereinnahmt. Die fast dialektisch anmutende Prämisse der rechtlichen Verwirklichung des Volkes im Staate kann seine idealistischen Wurzeln, die Nähe zur Volksgeist-Theorie Hegels und Savignys kaum verleugnen. Dieser Kurzschluß zwischen Staatsapparat und Volk ist freilich zweischneidig. Er birgt einerseits ein unübersehbares Legitimationspotential für den bestehenden Staat und die bestehende Regierung, führt aber andererseits zu einer gewissen Volksgebundenheit der Staatsgewalt. Angesichts heutiger längst offenbarer Defitzite der parlamentarischen Parteiendemokratie liegt in dieser Staatskonzeption auch die vorweggenommene Kritik an der Fragilität und Manipulierbarkeit des Mehrheitswillens. Bei Laband trägt die Bindung der Regierung an die Volksinteressen fraglos rational-nachvollziehbare Züge, auch wenn sie von einem sehr optimistischen, ja idealistischen Staats- und Beamtenbild ausgeht. Hier unterscheidet er sich grundlegend von schwärmerisch-nationalistischen Gleichsetzungen von Volk, Staat, Heer und Kaisertum, in welchem der „deutsche Volksgeist“
81
Siehe Bl. 23. Bl. 19: „Begriff und juristische Natur des Staates“: „Volk“ ist aber kein Rechtsbegriff; es bildet die thatsächliche Voraussetzung des Staates. Das Volk steht nicht als ein besonderes Rechtssubjekt „dem Staat“ gegenüber, sondern es ist in dem Staat zu einer rechtlichen Einheit zusammengefaßt. Es erhält durch diese Zusammenfassung und Organisation eine rechtliche Existenz.“ 83 Bl. 19. 82
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für die Ideologie und Interessenpolitik einer gewissen bürgerlichen Oberschicht herzuhalten hatte. So ist auch der Antagonimus zwischen dem Staat und möglichen weiteren Rechtssubjekten vermieden, obschon sich gleichzeitig ein Gegensatz zwischen obrigkeitlichem Staatsapparat und den Bürgern als unter dieser Gewalt stehenden Untertanen auftut. Dieser wiederum wird allenfalls politisch nicht aber staatskonstruktiv dadurch gemildert, daß die Volksvertretung freilich auch bei Laband die Orientierung der Regierung an den objektiven Volksbedürfnissen unterstützen soll. Das Parlament ist Organ des Staates und nicht des Volkes. Der Antagonismus von rechtlich gleichrangigem Staat und Volk wird durch den Antagonismus zwischen Subjekt und und Nichtsubjekt, zwischen angeblichem Volksstaat und Untertanensphäre ersetzt. Auf diese Weise ist es Laband gelungen, die restaurative Entwicklung nach 1849 in ein staatsrechtliches Gesamtsystem zu fassen, gleichzeitig aber die staatstheoretische Macht des Reichstages und der Landesparlamente dadurch zu beschränken, daß ihre Befugnisse als vom Staat und nicht vom Volk verliehen gedacht waren. Das Parlament konnte so auch seine verfassungsmäßigen Kompetenzen verweisen, nicht aber auf eine außerhalb des Staatsapparates verankerte Rechtsstellung. Mit der Zuordnung der Staatsgewalt zum Staat als solchen und nicht zum Volk war der Parlamentarisierungs- und Demokratisierungsdruck aus der staatsrechtlichen Diskussion herausgenommen. Nach langen Passagen einer wenig kommentierten und nachweislosen Darstellung des allgemeinen deutschen Staatsrechts gerät Laband bei der Frage der juristischen Natur der Selbstverwaltung wieder zum Verfechter einer strikt etatistischen Theorie: „Der Staat ist die organisierte Gesellschaft“. Einen Gegensatz zwischen beiden Elementen, der einen „Zwischenbau“ Selbstverwaltung notwendig macht, sieht er nicht.84 Andererseits läßt sich Laband in der wohl späteren Fassung seines Selbstverwaltungs-Abschnitts zu einem politischen Angriff auf den „Ministerdespotismus“ hinreißen, indem er das Gegenzeichnungsrecht als Hindernis freier und zweckmäßiger Entscheidung sowohl des Monarchen als auch des Fachbeamten ansieht.85 Auf Labands Gesamtsystem vom „guten“ Staat bezogen ist dies eine der Einbruchstellen für das von Laband ungeliebte „politische“ Element im Staat, für die Willkür der Interessen und ideologischen Forderungen. Freilich war auch Labands Anschauung vom Staat Wandlungen unterworfen, wie sie nicht nur die veränderte positive Rechtslage erzwangen. Es ist bemerkenswert, wie der rein juristische gedachte Begriff der Staatsperson 84 85
Bl. 113. Bl. 113.
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in der „Staatsrechts“-Vorlesung absticht vom Vergleich mit einem natürlichen, lebendigen Organismus, den Laband noch im Manuskript zum „Staat“ anstellte. Inzwischen hatten sich klare Fronten aufgetan zwischen Labands streng rationaler Verrechtlichung der Staatskonzeption, der Trennung von juristischem und biologischem Begriff und etwa Gierkes Versuch, das ebenfalls personifizierte Deutsche Volk organisch an den Staat zu binden und dabei Volk und Staat zur Manifestation einer nationalen Staatsidee zu überhöhen.86 Die nun folgenden Passagen zum Staatsrecht des Deutschen Reiches erbringen inhaltlich nichts grundlegend Neues gegenüber Labands gedrucktem gleichnamigen Hauptwerk. Schwierig gestaltete sich daher die Frage, inwieweit die Kapitel II bis V des Manuskriptteils „Staatsrecht“ bei der Edition berücksichtigt werden sollten. Kapitel II gibt in Kurzform ausschließlich Stoff des Lehrbuchs wieder, Kapitel III bis V bestehen aus eben solchen Parallelpassagen und entsprechenden Ausführungen hinsichtlich etwa der Gesetzgebung und der Verwaltung in den Einzelstaaten. Gegen den Abdruck sprach der geringe Erkenntnisgewinn, den eine bloße Kurzfassung bereits vielbändig publizierter Werke verspricht und zudem die ausführliche Behandlung auch des einzelstaatlichen Staatsrechts in anderen Teilen dieser Edition. Dafür sprach die Tatsache, daß eine genauere Analyse dieser Textteile durchaus neue begriffliche Wendungen, ja eine Handreichung zur Entstehungsgeschichte bestimmter Passagen des Reichsstaatsrecht ergeben könnten. Angesichts der begrenzten Platzkapazitäten einerseits und der tatsächlich kaum noch gegebenen Existenz des Labandschen Staatsrechtslehrbuchs im frei zugänglichen Bibliotheksbestand, hat sich der Herausgeber entschieden, einige auch für das heutige Staatsrecht neuralgische Punkte in die Edition zu übernehmen, wie etwa die Gesetzessanktion und den Bundesstaatsbegriff. Eine Analyse der Entstehungsgeschichte des Labandschen Staatsrechtslehrbuchs, welche nachfolgenden Forschungen ein interessanter Gegenstand sein mag, bildete nicht das erste Erkenntnisinteresse dieser Edition und Interessierte müssen hier vorerst auf das eigene Quellenstudium verwiesen werden. Dem eigentlichen Bestreben, die staatstheoretischen, philosophischen, methodischen und auch die einzelstaatsrechtlichen Textteile erstmals der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird hingegen mit der gewählten Lösung voll und ganz Rechnung getragen. Die Vorlesungstexte sind einerseits als allgemeinstaatsrechtliche Folie zu den speziellen Problemen des Reichsstaatsrechts, andererseits als Dokument des Wandels der Labandschen Staatstheorie und staatsrechtlichen 86
Siehe Bl. 23 R.
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Technik zu begreifen. Sie liefern ein Panorama des partikularrechtlichen deutschen Staatsrechts und insbesondere ein theoretisches Gesamtbild der preußischen Monarchie, die zum Verständnis auch gerade der dogmatischen Meta-Ebene Reichsstaatsrecht von fundamentaler Bedeutung ist.87 Obgleich die Entstehungszeiten einzelner Passagen nicht exakt feststellbar sind, so deutet sich doch an einigen, umgeschriebenen und ergänzten Stellen der Reifungsprozess an, der auch die Labandsche Wissenschaft unterlag. Übernahm er etwa auf Bl. 58 zunächst die herkömmliche patrimoniale Theorie mit seinem Begriffspaar „Landesherr“ und „Untertan“, so ging es später nur noch um die juristische Feststellung der Begriffe „Staatsoberhaupt“ und „Monarch“. Auf der Grundlage seiner intensiven ideengeschichtlichen Studien wandte Laband sich einer juristisch brauchbaren Begriffsbildung zu. Die Reichsverfassung im weiteren Sinne ist zwar das unmittelbare Material dieser Methodik, doch Labands Grundauffassungen zur Natur des Staates und des konstitutionellen, monarchischen Systems standen dabei nicht zur Disposition. Auf Bl. 28 findet sich zum Beispiel jene ausführliche Behandlung der Frage des Staats- und Souveränitätsbegriffs, auf deren Grundlage Laband dann im Lehrbuch die so entscheidende Theorie zur Staatlichkeit von Reich und Einzelstaaten entwickelt.88 Äußert sich Laband zu „Begriff und Gegenstand des Staatsrechts“ (Bl. 1 ff.) im Lehrbuch nur in einigen Passagen der Vorworte, so ist auch der „Begriff und die juristische Natur des Staates“ (Bl. 19 ff.) nur mittelbar in die Reflexionen des Lehrbuchs zum Verhältnis Reich/Einzelstaaten und zur staatsrechtliche Natur des Reiches eingegangen. Labands Souveränitätsüberlegungen (hier Bl. 25 R.) werden im Kapitel „Die rechtliche Natur des Reiches“ und „Das Reich als Rechtssubjekt“ (Staatsrecht des Deutschen Reichs Bd. I 1. A. §§ 7 f.) für die Frage der Staatlichkeit von Reich und Einzelstaaten fruchtbar gemacht. Die Erörterung der Staatsformen Bl. 31 ff. findet eine Parallele u. a. mit der Darlegung der „staatsrechtlichen Natur des Kaiserthums“, § 24. Die „subjectiven öffentlichen Rechte“ (Bl. 38) werden reflektiert im Rahmen des „Inhalts des Reichsbürgerrechts“ § 15, wobei Freiheits- und Grundrechten die Qualität als subjektives Recht nicht zuerkannt wird. Die „Legitimität des Trägers der Staatsgewalt“ (Bl. 40 ff.) bildet einen Teilhintergrund zum Kaiserkapitel 87 Ein dogmatischer Grundgehalt jenseits der Reichsgesetzgebung und der Reichsverfassung wird sichtbar. In einer Art Engführung steht etwa der Abschnitt zum „Begriff des Gesetzes“ Bl. 140 ff. im Schnittpunkt der aus dem positiven Landesstaatsrecht gefolgerten Staats-Doktrin, der juristisch-konstruktiven Begriffstechnik, der unterschwelligen staatstheoretischen Grundentscheidungen der staatsnahen Wissenschaftselite und der Lehre des Reichsstaatsrechts, in welches alle diese Faktoren mehr oder weniger hineinfließen. 88 Vgl. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches Bd. 1, 1. A. 1876 S. 85– 124.
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§§ 24–26. „Das Staatsgebiet“ (Bl. 42) entspricht dem „Bundesgebiet“ §§ 20–23. Der Dogmatik zur Unterscheidung der Gebietshoheit des Reiches und der Einzelstaaten liegen Sätze zugrunde, wie sie sich in verschiedenen Formulierungen sowohl im Staatsrecht S. 184 als auch in der Vorlesung Bl. 42 wiederfinden. Die „doppelte Gebietshoheit“ wird allgemeinstaatsrechtlich auf Bl. 43 R. und im Lehrbuch reichsbezogen in 1. Bd., 1. A. S. 186 dargelegt. Die Staatsangehörigkeit mit ihren Kernelementen Gehorsamspflicht und Treuverpflichtung wird im Lehrbuch durchweg hinsichtlich des Verhältnisses von Einzelstaats- und Reichsangehörigkeit erörtert, während die Vorlesung ab Bl. 44 zunächst Grundsätzliches klärt, bevor sie ab Bl. 46 auch hierzu Stellung nimmt. Die Vorlesungsteile zur „Volksvertretung“ haben ihre reichsrechtliche Parallele im Kapitel „Der Reichstag“, §§ 47 ff. des „Staatsrechts des Deutschen Reiches“ Bd. I 1. A. 1876. Das Kapitel „Das Staatsoberhaupt“ Bl. 58 ff. bildet die Folie zu den Abschnitten „Der Kaiser“ und „Der Bundesrath“, §§ 24–31. Die Parallelstelle zum Kapitel „Die Staatsämter“89 findet sich im Abschnitt über die „Organisation der Reichsgewalt“ im fünften Kapitel desselben Bandes, §§ 24–26 und §§ 32– 53. Der Abschnitt zu den „Staatsbeamten“ ab Bl. 92 R. findet seine dogmatisch gereifte und stark an den neuen Reichsgesetzen orientierte Entsprechung im Kapitel zu den „Reichsbeamten“, §§ 37–46. Obwohl es keine identischen Textpassagen und selten ähnliche Formulierungen gibt, lassen gerade die Kapitel Staatsgebiet und Staatsangehörigkeit vermuten, daß ein Text den anderen unmittelbar beeinflußt hat, bzw. als direkte Arbeitsvorlage diente. Auf Bl. 96, 97 finden sich zwei der seltenen Verweisungen Labands auf das Lehrbuch. Das Kausalverhältnis der gegenseitigen Beeinflussung beider Textmassen zu ergründen, war hier nicht der Platz. Jedoch kann soviel gesagt werden, daß neben dem hart am Reichsgesetz argumentierenden Laband auch ein zweiter, allgemein staatsrechtlich und geistesgeschichtlich positionierter Laband existiert. Die Vorlesungen sind ein Schlüssel zur Textanalyse des Reichsstaatsrechts. Letzteres wiederum stellt gewiss eine Fortentwicklung der Labandschen Methodik und Dogmatik dar, wie sie der Staatsrechtsneuling der sechziger Jahre noch nicht erahnen lassen konnte. Insgesamt bilden die Vorlesungen eine Art Grundlegung der positiven Reichsstaatsrechtsdogmatik, erhellen dort schon gefestigte Begriffe, legen Gedankengänge und inhaltliche Dispositionen und Entwicklungslinien offen, fundieren die juristische Behandlung des „Staates“ und gerade auch des „Einzelstaates“ bevor sie für die Meta-Ebene Deutsches Reich fortentwickelt wird.
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Bl. 89 ff.
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Labands den Vorlesungsteil „Staatsrecht“ einleitende90 grundsätzlich fachtheoretisch-methodische Erwägungen finden im Lehrbuch bekanntlich nur in den Vorworten eine bescheidene Entsprechung und so sind sie für das Selbstverständnis der Labandschen Wissenschaft von großem, bisher unbefriedigtem Interesse. Lange Passagen etwa über die Trennung von fürstlichem Hausgut und Staatsgut91 erscheinen nicht nur mehrfach, sondern drängen sich dem heutigen Leser nicht gerade als staatsrechtlich relevant und aktuell auf. Dennoch lohnt sich die Lektüre auch dieser Texte, da es gerade bei einem Begriffskünstler und Logiker wie Laband auf Formulierungsnuancen ankommt, weil hier Entwicklungslinien sichtbar werden im Denken Labands und im Denken der Zeit. Für das gesamte Werk Labands sind neben der bekannten Durchführung einer rigoros logisch-konstruktiven Argumentation, der Brillanz der Begriffsbildung und Begriffsunterscheidung zwei Momente charakteristisch, die in den verschiedenen Formulierungsvarianten der Vorlesungsmanuskripte besser hervortreten, als in Labands Veröffentlichungen. Dies ist zum einen die Bruchstelle zwischen patrimonialem Recht, verstanden als ein eher privatrechtlicher Herrschaftsanspruch über Land und Leute und dem modernen Staatsrecht, welches den Monarchen als Organ der verselbständigten Staatsperson etabliert. Ein hervorragendes Beispiel hierfür sind Labands Ausführungen zur juristischen Natur der Thronfolge.92 Zum anderen wird Labands Ausbruch aus der oft fiktionalen Welt des Hegelschen Staatsidealismus überdeutlich. So hat er auf Bl. 78 eine gesamte Textpassage ersatzlos gestrichen. Hierzu gehörte ein eher politisches Plädoyer zugunsten des Monarchenkorrektivs Parlament und auch folgender Satz: „In dem Staat als der rechtlichen Organisation des Volks, soll das politische Gesammtbewußtsein des Volks sich geltend machen“. Ein bis weit in unser Jahrhundert mit dieser Rethorik verbundener Versuch, den Obrigkeitsstaat zum Volksstaat umzudefinieren, Volkswille durch Volksbewußtsein zu ersetzen, um den Staat nicht tatsächlich zum Volksstaat machen zu müssen, verfällt dem juristischen Verdikt Labands. Er schreibt an den Rand: „Fiktionen!“. Das von der juristischen Behandlung kaum zu trennende politische Argument ist auch Laband nicht fremd. Bewegt er sich während der Darlegung der Staatstheorien ohnehin auf deren natürlicher Grenzlinie, so ist auch sonst gelegentlich ein scharfer Kommentar unter die juristischen Erörterungen gemischt. Hinsichtlich der preußischen Kreisordnung äußert er: „Die von den liberalen Parteien oft bewiesene Abneigung gegen das LandrathsInstitut beruht auf einer Verkennung seines Wesens und auf gesellschaft90 91 92
Bl. 1 ff. Vgl. etwa Bl. 64 ff. Bl. 68 ff.
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lichen Antipathien.“93. Verwunderlich ist demgegenüber, mit welcher Knappheit Laband die positive Kommunalordnung Elsaß-Lothringens referiert,94 ohne auf die politischen Kontroversen oder auch nur die rechtsvergleichenden Aspekte einzugehen, welche die Ablösung bzw. Modifikation des französischen Systems und die Einrichtung der kaiserlichen Kommunalaufsicht haben mußte. Wer seine staatsrechtlichen, auch rechtspolitisch klar positionierten Beiträge zur Paralleldiskussion um die elsaß-lothringische Verfassung gelesen hat,95 wird hier enttäuscht sein. 5. Zum Manuskriptteil „Deutsche Staats- und Verfassungsgeschichte“ Labands verfassungsgeschichtliche Vorlesung96 wird hier nur insoweit abgedruckt, als sie über rein historische Schilderungen hinausgeht und staatsrechtliche Wertungen enthält. Abgesehen von den bekannten frühen Forschungsarbeiten zum Schwabenspiegel gibt es keine Veröffentlichung einer deutschen Verfassungsgeschichte aus Labands Feder. Auch weil ihm innerhalb der Methodendiskussion zuweilen ein historisch unreflektiertes Vorgehen vorgeworfen wurde und er in seinem ausdrücklichen Methodenprogramm auf einer sehr positivistisch-konstruktiven Position beharrte, ist es von großem Interesse, welcher Stand der verfassungsgeschichtlichen Erkenntnis seine staatrechtlichen Prinzipienbildungen begleitete. Hinsichtlich der Begriffsbildung ist eine bemerkenswerte Kongruenz von Bezeichnungen der Rechtsphänomene des frühen Mittelalters bis hin ins 20. Jahrhundert feststellbar. Sowohl die Auswahl der Autoren von den römischen Klassikern bis zu Labands Straßburger Kollegen Heinrich Brunner als auch die Art der Verarbeitung des historischen Stoffes aus staatsrechtlich-juristischer Perspektive gibt Aufschlüsse über die Labandsche Geisteswelt und den enormen Radius seiner wissenschaftlichen Beschäftigung in Forschung und Lehre. 6. Zur Technik der Edition Glücklicherweise hat uns Laband ein weitgehend97 ausformuliertes Manuskript hinterlassen, so daß keine weiteren Ergänzungen oder Erklärungen von Satzfragmenten notwendig wurden. Kapitelüberschriften wurden durchweg durch eine größere Schrift kenntlich gemacht, was im Original naturgemäß 93
Bl. 119 R. Bl. 117 ff. 95 Zur Verfassungsdiskussion Schlüter, Reichswissenschaft, S. 264 ff. 96 Bl. 247–305. 97 Im Manuskript „Der Staat“ erscheint erstmals auf Bl. 340 eine stichwortartige Themenaufzählung, der jedoch sofort wieder ausformulierter Text folgt. 94
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keine Entsprechung findet. Fanden sich im Manuskript keine Kapitelüberschriften, so ist im Inhaltsverzeichnis eine Überschrift gewählt worden, die eine eindeutige Identifizierung und inhaltliche Zuordnung des Manuskriptteiles ermöglicht. Diese vom Bearbeiter hinzugefügten Teile des Inhaltsverzeichnisses sind im Text durchweg durch Parenthesen gekennzeichnet. Dem eigentlichen Text wurden hingegen keine Überschriften hinzugefügt. Die vom Bearbeiter im Bundesarchiv vorgefundene Nummerierung der Manuskriptseiten erscheint in kleinen arabischen Ziffern jeweils an der Stelle des Beginns einer neuen Manuskriptseite am Seitenrand und entsprechend im Inhaltsverzeichnis. Die Nummerierung der einzelnen Paragraphen und Abschnitte war wegen zahlreicher Streichungen und Änderungen kaum mehr rekonstruierbar. Folglich wurde eine der überlieferten Reihenfolge gemäße neue Nummerierung verwandt. Kommentierungen des Bearbeiters erscheinen ausnahmslos in den Fußnoten. An deren Urheberschaft können keine Zweifel aufkommen, da Labands Manuskript keinerlei Fußnoten aufweist. Unterstreichungen sind ausnahmslos, Durchstreichungen sind dann mit übernommen worden, wenn das gestrichene Wort lesbar und nach dem Urteil der Herausgeber von inhaltlichem Interesse war oder wenn sie geeignet waren, Gedankengänge oder Arbeitsschritte Labands deutlich zu machen. Unlesbare Textteile sind pro Wort mit der Zeichenkombination [x] versehen worden. Naturgemäß sah sich der Herausgeber mit dem Konflikt zwischen Authenzität und praktischer Verwertbarkeit konfrontiert. Dieser spiegelt auch die verschiedenen Funktionen einer gewissermaßen persönlichen Vorlesungsvorbereitung und einer allgemein zugänglichen Edition. Da die zeitgenössische Rechtschreibung und Syntax im allgemeinen weder den Lesefluß noch das Verständnis beeinträchtigt, wurde sie beibehalten:98 Allein die zum Teil uneinheitliche Groß- und Kleinschreibung wurde möglichst den heutigen Regeln angepasst. Die Zeichensetzung und Satzeinteilung entspricht bei Laband oft nicht den Regeln, die man schon seinerzeit auf einen zur Veröffentlichung bestimmten Text angewandt hätte. Da die meist sehr zahlreichen, durch Kommata oder Semikola getrennten Satzteile bei einer nachträglichen Interpunktion ihre inhaltlichen Bezüge verlieren könnten und zudem das Lesen durch die Labandsche Satzgliederung nicht gestört wird, wurde in diesen Fällen die originale Zeichensetzung dann beibehalten, wenn sie das Verständnis nicht stört, sondern fördert. Im übrigen wurden Kommata dann hinzugefügt, wenn sie Laband, wie insbesondere bei relativischen Wendungen, entgegen den heutigen Regeln nicht verwandte. Die Abkürzungen erscheinen als vollständige Worte. Die offensichtlich später eingefügten Textpassagen und sonstigen Ergänzungen, die Laband 98 Besonders sei auf die akkusativische Verwendundung des Verbs „bedürfen“ bei Laband hingewiesen.
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gewöhnlich auf dem ca. 4 cm breiten Seitenrand oder aber direkt zwischen den Zeilen plazierte, erscheinen in kursiver Schrift. Dies betrifft auch andere auf dem Seitenrand notierte Anmerkungen, wie etwa die einzelnen Überschriften zur Einteilung der Vorlesungsstücke. Absatzeinteilungen Labands sind durchweg nachvollzogen worden. Jeder Absatz hat sein Pendant im Original. Im ganzen erscheint der laufende Text demnach weitgehend so, wie er sich in den Manuskripten darstellt, und ist nur zugunsten des Leseflusses und der Textverständlichkeit modifiziert worden.
Erster Teil
Der Staat
1. Teil: Der Staat
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Bl. 306 Der Staat. Vorlesungen.1 Bl. 307 [Leicht abweichende Gliederung von Labands Hand]2 §1
Begriff des Staates.
§2
die Staatsgewalt
§3
der Rechtsgrund der Staatsgewalt. Älteres System.
§4
”
die naturrechtl. Lehre
§5
”
die revolutionäre Lehre
§6
”
die historische Rechtsschule
§7 §8 §9
” die moderne reaction. conterrevolut. Theorien (Haller u. Stahl) ”
die richtige Theorie.
Der Zweck und die Grenzen der Staatsgewalt des Staates. Polizeistaat-Rechtsstaat.3
§ 10 Die Grenzen der Staatsgewalt. Staatsabsolutismus. § 11 Die Staatsformen. § 12 Sie Theilung der Gewalten. § 13 Das monarchische Prinzip und der Parlamentarismus. Souverain u. Volksrepräsentation. § 14 Die Funktionen der Staatsgewalt u. ihre Organe. § 15 Die Verbindung mehrer Staaten 1
Labands eigenhändige Beschriftung des Deckblatts. Als Deckblatt und Umschlag um die folgenden Seiten dient ein Brief des Straßburger Universitäts-Kurators an Laband vom 22.2.1877 als Begleitschreiben zur Verleihung des Roten-AdlerOrdens IV. Klasse. 2 Die Gliederung auf dem kleinen handgeschnittenen Zettel bezieht sich offensichtlich auf den vorliegenden Manuskriptteil „Staat. Vorlesungen“, entspricht aber nicht mehr exakt der schließlich überlieferten Fassung des Manuskripts. 3 § 9, durchgestrichen: Der Zweck und die Grenzen der Staatsgewalt. Interessanterweise lautete die Überschrift vor dem Kapitel selbst zunächst „die moderne theocratische Richtung“ und nach Streichung: „die moderne pietistische Richtung“.
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1. Teil: Der Staat
Bl. 308 § 1 Der Begriff des Staates4
[Erste Vorlesung]
Der Staat ist die rechtliche Ordnung für das Gemeinwesen eines ansässigen Volkes. Obwohl jeder im Staate lebt und der Begriff des Staates jedem vernünftigen Menschen wohlbekannt ist, so giebt doch die Definition dieses Begriffes und die wissenschaftliche Feststellung desselben zu den größten Zweifeln und Schwierigkeiten Anlaß. Insbesondere hat man häufig die Bezugnahme auf eine bestimmte Staatsform oder auf eine gewisse Wirksamkeit der Staatsgewalt in die Defintion mit aufgenommen, und dadurch die Definition so eng gefaßt, daß sie nur auf gewisse Staatengruppen paßte und andererseits hat man aus rein philosophischer Abstraction den Begriff zu einer so weiten Kategorie ausgedehnt, daß er die specifischen Merkmale des Staates nicht mehr enthielt. Wir gelangen zu dem Begriffe des Staates aber nicht allein auf dem Wege logischer Construction, sondern zunächst auf empirische Weise durch Entwicklung der Geschichte, denn der Staat ist die weltgeschichtliche Form für das Leben der Völker. Wir müssen daher von diesen empirischen Gesichtspunkten ausgehen und aus den hier gewonnenen Resultaten die Richtigkeit des philosophischen Begriffs erproben. Auf diesem Wege gelangen wir zu denjenigen begrifflichen Voraussetzungen, welche wir in der an die Spitze gestellten Definition zusammengefaßt haben. Zu einem Staate gehört demnach: Bl. 308 R.: 1.) ein Volk. d.i. eine Mehrheit von Menschen. Das Volk steht über der Familie. In der Familie liegt bereits der Staat im Keime; die Familie umfaßt eine Mehrheit von Individuen, es giebt in ihr eine rechtliche Ordnung, gemeinsame Interessen, eine oberste Gewalt – allein die Familie ist nicht der Staat. So lange sich die einzelnen Familien selbständig und unvermittelt gegenüber stehen, ist noch ein vorstaatlicher Zustand. Aus der Familie kann aber bei Vermehrung und Verzweigung der Staat erwachsen und der Staat hat alsdann in seiner Gestaltung gewöhnlich den Typus dieses Ursprungs, 4
Schriftgröße, Rand, Einteilung der hier beginnenden Manuskriptteils wie bei den übrigen Vorlesungs-Handschriften, selten Randbemerkungen, einmal Hinweis auf ein Werk Bluntschlis (Geschichte des allg. Staatsrechts, Bl. 315). Anders, als in anderen Manuskriptteilen finden sich hier alle 6–10 Seiten Vermerke zur Gliederung der Vorlesungseinheiten: Bl. 311: Zweite Vorlesung, Bl. 315 R.: Dritte V., Bl. 319: Vierte V., Bl. 323: Fünfte V., Bl. 326: Sechste V., Bl. 330 R.: 7. V., Bl. 334: 8. V., Bl. 336: 9. V., Bl. 339 R.: 10. V., Bl. 342 R.: 11. V., Bl. 345: 12. V., Bl. 348: 13. V., Bl. 351: 14. V., dann bis zum Schluß, Bl. 365, keine derartigen Bezeichnungen mehr.
§ 1 Der Begriff des Staates
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er ist Patriachalstaat. Das Volk steht auch im Gegensatze zur Gemeinde. Die Gemeinde ist die Genossenschaft der Nachbarn, die aus der Nachbarschaft hervorgehende Gemeinschaft findet in ihr die rechtliche Gestaltung und die localen Bedürfnisse ihre Befriedigung, aber lauter selbständig neben einander stehende Gemeinden sind weder lauter Einzelstaaten noch zusammen ein Staat. Die Gemeinde bildet den Übergang von der Familie zum wahren Staat, zunächst mediatisiert sich die Gemeinde die Einzelfamilien, dann überwölbt der Staat die Einzelgemeinden mit der fortschreitenden Entwicklung gemeinsamer Interessen, die Gränzen sind, nur bei allen factischen Verhältnissen, schwankend und a priori noch zu bestimmen. Wann aus einer großen, weitverzweigten, in einem ausgedehnten Gebiet angesiedelten Familie eine Gemeinde wird, ist eben so unmöglich zu sagen, als wo die Gemeinde aufhört und das Volk anfängt. Eine wie große Masse von Menschen zu einem Staat gehören, ist daher nicht zu sagen. Nur ist eine zu kleine Zahl unnatürlich; solche Staaten führen eine verkümmerte Existenz und haben einen anormalen Character.
Bl. 309 Unter einem Volk versteht man nun aber nicht eine große Anzahl beliebig zusammengewürfelter Menschen, so bilden z. B. ein Regiment oder 20 Regimenter Soldaten kein Volk. Vielmehr gehört zum Begriffe des Volkes die natürliche Zusammengehörigkeit der Individuen. Ein Volk ist keine künstliche Abtheilung von Menschen, ist keine bestimmte Anzahl von Individuen, sondern ein Volk ist in seiner Totalität, ein Produkt der Natur sogut wie jeder einzelne Mensch. Die Natur schafft Völker von verschiedener Beschaffenheit und Größe, wie sie unter den Thieren und Pflanzen Gattungen u. Arten von verschiedener Ausbreitung schafft. Daher hat jedes Volk seine Individualität u. da diese Individualität, wenngleich nicht allein, so doch vorzugsweise auf der Abstammung beruht, so bezeichnet man diese eigenthümliche Volksindividualität als Nationalität, das Volk als Nation. Insofern daher jede Nation gemeinsame Interessen und gemeinsame Anschauungen hat, wäre es allerdings natürlich, daß jede Nation einen Staat für sich bilde und auch in dieser Rücksicht ist daher das sogen. Nationalitätsprinzip aus der Natur der Sache wohl begründet; u. entspricht dem Nationalgefühl; es ist daher auch ein sittliches Prinzip, weil es auf dem Selbstbewußtsein des Volksgeistes beruht und das Gefühl der Volksgenossenschaft ethisch begründet ist. Allein die Staaten bilden sich nicht nach der Schablone, vielfache (historische) Verhältnisse wirken auf Bildung und Geschichte der Staaten ein; ja die Nationalitäten selbst unterliegen historischen Veränderungen. Wenngleich daher zum Begriff des Staates nothwendig ein Volk gehört, so braucht doch nicht nothwendig dieses Volk eine einheitliche und eine ganze
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1. Teil: Der Staat
Nation zu sein; sondern es kann eine Nation in mehrere Staaten sich gliedern, wie Deutschland, und es kann andererseits ein Staat verschiedene Nationen vereinigen, wie Österreich oder Rußland. Eine consequente und rücksichtslose Durchführung des Nationalistätengrundsatzes, selbst wenn sie tathsächlich möglich wäre, wäre daher eine Negation der Geschichte, überdies aber eine Aufhebung des Völkerrechtes nicht nur für die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch für die Zukunft; (denn wenn sich das siegreiche Volk auf Kosten des Besiegten nicht erweitern dürfte, würde es leicht zu dessen Ausrottung schreiten, wie in alter Zeit.) Bl. 309 R. 2.) Damit ein Volk aber einen Staat bilden kann, muß es ansässig sein; daher ist die zweite wesentliche Voraussetzung eines Staates: Grund u. Boden oder ein Territorium. Zwar kann auch ein herumziehendes Volk eine rechtlich geordnete Gemeinschaft haben, nicht nur ein eigentliches Wandervolk, sondern auch ein von seinem Wohnsitze aufgescheuchtes Volk, wie die germanischen Völker nach der Völkerwanderung. Allein in ersterem Falle ist das Volk noch auf einer so unentwickelten Kulturstufe, daß das Gemeinwesen noch nicht zu fester Organisation gelangt ist und für eine staatliche Thätigkeit noch kein Raum ist, in letzterem Falle (Völkerwanderungen) befindet sich das Volk in einem Übergangsstadium, in einer Zeit der Gärung und Unruhe. Das Wort status, Staat, état bedeutet aber das Feststehende und Bestehende. Erst durch die Einnahme eines festen Wohnsitzes, durch die Bebauung des Bodens erzeugt sich eine dauernde Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Erst dadurch entstehen fief eingreifende und unentbehrliche Bedürfnisse der Gesammtheit, erst dadurch erwächst diejenige Kultur, welche die innerste Seele des staatlichen Verbundes ist. Denn am Boden haften die aufgespeicherten Ersparnisse und die Arbeit der vorangegangenen Generationen. Der Boden ist die erste und wichtigste und nachhaltigste Quelle für die Ernährung und für den Wohlstand der Bevölkerung. Der Boden, sein Klima und seine Beschaffenheit hat ferner einen unermeßlichen Einfluß auf seine Bewohner, er ist ein weit bestimmender Factor auch ihrer Individualität und ihrer Beschäftigung und ihrer Gesammtinteressen. Land und Leute gehören daher zueinander; es kann kein civilisiertes, d.h. staatlich geordnetes Volk geben ohne festes Gebäude und daher keinen Staat ohne Territorium. Wir nennen eine Horde nicht einen Staat. Mit Recht nimmt daher auch der Grundbesitz in der staatlichen Verfassung eine hervorragende Stelle ein.
§ 1 Der Begriff des Staates
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Bl. 310 3.) Das Substrat des Der Staat ist das Gemeinwesen eines ansässigen Staates Volkes, d.h. Aufgabe und Zweck des Staates ist nicht die Privatsphäre des Individuums, und ebensowenig der rechtliche Schutz oder die wirthschaftliche Ausnutzung des einzelnen Grundstücks, sondern das Leben der Gesammtheit: das Volk hat als Ganzes gedacht eine individuelle Existenz, eine Gesammtseele u. einen Gesammtleib, eine Entwicklung, ein Leben, u. Absterben; es hat in dieser Gesammtheit seine eigentliche Organisation wie der einzelne Mensch, seine Sphäre des Wollens u. Handelns, das Volk als Ganzes hat daher seine wirthschaftliche Existenz und Thätigkeit, wie der einzelne; es hat sein Kulturleben und seine geistige Individualität, wie der einzelne Mensch; und es hat nicht minder eine rechtliche Ordnung für seine Lebenssphäre, wie sie das Indiviuum hat; und diese rechtliche Ordnung, in der das Gesammtleben des Volkes sich vollzieht, ist eben der Staat. Daher ist das Substrat des Staates nicht die Summe der einzelnen Volksgenossen, sondern die Einheit des Volks; sein Gebiet setzt sich nicht zusammen aus aus der Addition aller zu ihm gehörenden Grundstücke, sondern das Territorium ist ein einheitliches Ganzes, welches begrifflich etwas ganz anderes ist, als die Summe der darin enthaltenen Privatbesitzungen. So wie der Krystall etwas anderes ist, als eine bloße Mehrheit von Atomen, so ist der Staat etwas anderes als die bloße Masse von einzelnen Menschen. Darin liegt auch der Unterschied zwischen dem Staat und den Gesellschaften und Vereinen, weil bei den letzteren aus dem Willen der Einzelnen der Gesammtwille sich zusammensetzt, im Staat der Wille der Gesammtheit dem Willen der Einzelnen begrifflich gegenüber steht. 4.) Der Staat umfaßt aber nicht das Gemeinwesen eines Volkes nach allen seinen Seiten und Erscheinungsformen, sondern ist nur eine Seite desselben, nämlich die rechtliche Ordnung desselben. Es giebt außerdem noch viele ebenso wichtige Seiten des Volkslebens, sowie es außer dem Privatrecht noch viele Gebiete in der Lebenssphäre des Individuums giebt. Insbesondere ist die Erwerbsthätigkeit des Volkes, die Volkswirthschaft nicht die Aufgabe des Staates, wenngleich er ihr durch die Rechtsordnung, die er einführt u. aufrecht erhält, wesentliche Dienste leistet. Bl. 310 R. Ebensowenig hat der Staat die Aufgabe, die religiösen Bedürfnisse des Volkes zu versorgen, obgleich auch hier der Staat nicht theilnahmslos bleiben kann. Auch das Kulturleben des Volkes in Kunst, Wissenschaft und Literatur kann zwar vom Staat geschützt u. gefördert werden, aber nicht durch ihn seine Verwirklichung finden. Die Aufgabe des Staates ist vielmehr letzt-
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1. Teil: Der Staat
lich die Rechtsordnung oder vielmehr die Rechtsordnung des Gemeinwesens das ist der Staat selbst. Dieser Moment ist nicht nur wesentlich, um den Begriff des Staates aus vager Allgemeinheit zu erheben, und ihn in Gegensatz zu bringen gegen die anderen Gebiete des öffentlichen Lebens einer Nation, sondern es ist auch wesentlich, um den Staat zu unterscheiden von Vereinigungen von Menschen, die seine grade Negation sind. Die Definition „als einer Vereinigung von Menschen unter einer höchsten Gewalt“ paßt auch auf eine Räuberbande. Es ist durchaus erforderlich, daß die Menschen, welche in einem Staate vereinigt sind, das Bewußtsein haben, daß die Ordnung ihres Gemeinwesens eine Rechtsordnung sei. Die allgemeinen characteristischen Begriffe Momente des Rechtsbegriffs5 müssen daher vorhanden sein; das Gefühl sittlicher Nothwendigkeit und äußerer Erzwingbarkeit. Keineswegs ist daher einem Gemeinwesen, welches unseren jetzigen Rechtsbegriffen widerspricht, der Character des Staats abzusprechen, z. B. den asiatischen Despotien; es ist nur erforderlich, daß die Ordnung des Gemeinwesens den Rechtsbegriffen der in ihm thatsächlich stehenden Individuen entspricht; und auch hier kömmt es nicht auf das subjective Ermessen des Einzelnen an, sondern auf die objectiven Überzeugungen des Volkes als Gesammtheit.
Bl. 311 § 2 Die Staatsgewalt
Zweite Vorlesung
Jeder Staat ist ein einheitlicher selbständiger Organismus, der über dem einzelnen Staatsangehörigen steht und eine höhere Ordnung über ihnen bildet. Dadurch ergiebt sich der Gegensatz von Obrigkeit und Unterthanen. Dieser Gegensatz ist ganz unabhängig von der Staatsform, auch in der Republik, und gerade auch in der ganz democratischen Republik giebt es mit Nothwendigkeit eine Obrigkeit über dem einzelnen Staatsbürger. Diese obrigkeitliche Gewalt in abstracto, in ihrer begrifflichen Einheit u. Concentration ist die Staatsgewalt. Jede Staatsgewalt ist ihrem Wesen nach eine oberste, höchste Gewalt, d.h. eine Gewalt, die keiner anderen irdischen Gewalt untergeordnet ist, nicht eine Gewalt, die zu beliebigen Handlungen rechtlich befugt wäre. Auch die Staatsgewalt hat ihre Gränzen, Gesetze und Normen, allein diejenige Gewalt ist keine wahre Staatsgewalt, die von einer anderen Gewalt abgeleitet ist oder die einer anderen Gewalt verantwortlich ist. Die Staatsgewalt ist daher die Staatspersönlichkeit selbst; die Staatsgewalt ist der Staat selbst, wenn man ihn nicht als blos objective Ordnung auffaßt, sondern in ihm die ihm zukommende selbstständige Existenz erblickt. Der 5
Vorherige Fassung: „Begriffe des Rechts“.
§ 2 Die Staatsgewalt
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Unterschied zwischen dem Staat und der Staatsgewalt ist ein rein begrifflicher, kein reeller; es ist dasselbe Object, das man sieht, nur der Standpunkt des Betrachters ist verschieden; von dem objectiven Gesichtspunkte aus erscheint der Staat als rechtliche Ordnung, als bloße Institution; von dem subjectiven aus als Wesen, als Persönlichkeit; als Träger dieser rechtlichen Ordnung. Die rechtliche Ordnung selbst wird personificiert. Der Staat ist demnach die höchste Persönlichkeit in der Bl. 311 R. gesammten Sphäre des Rechtes; denn hier trägt die Persönlichkeit in sich selbst die rechtlichen Regeln und Gesetze ihrer Existenz, ihres Wollens u. Handelns, oder mit anderen Worten diesen Regeln und Gesetzen kömmt die Personen-Qualität von selbst zu, ist ihnen immanent. Es ist die Durchdringung von subjectiver, persönlicher Existenz mit der objectiven Regel für diese Existenz; es besteht insofern eine Gottähnlichkeit des Staates. Wir kommen darauf zu dem Resultat: der Staat ist eine Person. Aus diesem Grundsatz entwickelt sich das gesammte Staatsrecht. Die Regeln nach denen diese Person wollen u. handeln kann und muß und die Organe, mittels derer sie handelt, das ist das Staatsrecht. Das Staatsrecht ist gleichsam die Physiologie der Staatspersönlichkeit; denn die Organisation dieser Persönlichkeit ist eben selbst ein Theil des objectiven Rechtes. Da der Staat eine Person ist, so kann die Staatsgewalt nicht in sich getheilt sein, sie muß eine einheitliche sein, es muß ein einheitlicher und selbstbewußter Wille den ganzen Organismus durchdringen u. beherrschen. Diese höchste, untheilbare, oberste, unverantwortliche Staatsgewalt nennt man Souverainität; den Träger derselben Souverain. Ein Souverain existiert daher in jedem wirklichen Staat, gleichviel, ob ein Einzelner, oder ein Parlament, oder eine Anzahl Vornehmer, oder die Volksversammlung die Souverainität hat. Die Staatspersönlichkeit hat zwar die natürlichen Merkmale mit den Personen des Bl. 312 Privatrechts gemein, allein es ist ein vergeblicher Versuch, die Persönlichkeit des Staates unter eine Kategorie der privatrechtlichen Personen oder Gesellschaftsformen zu zwingen. Allerdings bedarf der Staat zu einer völligen Erfüllung seiner Aufgabe, zu einer gedeihlichen Existenz ganz nothwendiger Weise auch der privatrechtlichen Persönlichkeit, der Staat kann nicht existieren ohne in vermögensrechtliche Beziehungen zu treten. Diese privatrechtl. Persönlichkeit des Staates ist der Fiscus. Der Fiscus ist daher nichts vom Staate Getrenntes oder auch nur Trennbares, Fiscus u. Staat sind allerdings identisch, allein Fiscus bedeutet nur die eine Seite des Staa-
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1. Teil: Der Staat
tes, der Staat als Subject von Vermögensrechten. Der Staat ist in dieser Bedeutung den Regeln des Privatrechts völlig unterworfen, wäre der Staat nicht als Fiscus, das Staatsrechts nichts anderes als die Lehre vom Fiscus u. den fiscalischen Vorschriften, so wäre es lediglich ein Kapitel des Privatrechtes aus der Lehre von den juristischen Personen. Der Staat steht in seiner Eigenschaft als Fiscus nicht über dem Privatrecht, sondern unter dem Privatrecht u. seinen Regeln; u. er steht als Individuum den anderen EinzelIndividuen, den natürlichen u. jurist. Personen gegenüber, er hat ihnen gegenüber vermögensrechtliche Rechte u. Pflichten. Der Staat in dem publicistischen Sinn dagegen ist eine Persönlichkeit, deren Wesen durch ihren Zweck bestimmt wird, rechtliche Ordnung für das Gemeinwesen zu sein. Der Staat kann sein Leben nicht anders zur Erscheinung bringen, als in der Erfüllung dieser Aufgabe, in der Sorge u. Thätigkeit für das Volk als Gesammtheit. Daraus ergiebt sich der Kardinalunterschied zwischen Privatrechten und öffentlichen Rechten. Jedes öffentliche Recht ist ein obrigkeitliches;
Bl. 312 R. es verleiht die Befugniß zu befehlen u. zu verbieten und Anforderungen auf Leistungen zu stellen, aber nicht zum persönlichen Vortheile, und in eigenem Interesse des Berechtigten, sondern nur im Interesse des Staatszweckes u. zur Lösung der dem Staat gestellten Aufgabe. Daher geht das Recht der Staatsgewalt genau so weit wie die Pflicht des Staates; jedem Recht der Staatsgewalt entspricht eine Pflicht, die an Umfang und Intensität dem Recht völlig congruent ist. Der Staat hat z. B. das Recht auf militär. Dienste genau so weit, als er verpflichtet ist, für die Machtentfaltung des Gemeinwesens zu sorgen; er hat das Recht auf Gehorsam gegen die Gerichte als Correlat für die Pflicht zur Handhabe der Justiz, er hat das Recht, Steuern, Zölle u. dgl. zu erheben verbunden mit der Pflicht, für die Aufgaben des Staates für Gegenwart und Zukunft die erforderlichen Mittel zu beschaffen. Im ganzen Gebiete des Privatrechts giebt es keine solche Durchdringung von Recht u. Pflicht, hier dienen alle Recht egoistischen Zwecken, hier ist die Befriedigung und Bereicherung des Berechtigten höchstes Ziel des Rechtes; im Gegensatz dazu dient jedes öffentliche Recht der Staatsgewalt dem Staat selbst wieder d.h. dem Organismus des Gemeinwesens. Ja die Pflichten sind das primäre, die Rechte sind erst das sekundäre; die Staatsgewalt schafft sich nicht Pflichten behufs Ausübung ihrer Rechte, sondern sie schafft sich Rechte behufs Erfüllung der aus der Natur der Verhältnisse u. den thatsächl. Bedürfnissen resultierenden Pflichten. Es giebt keine Militärgewalt in einem Staate, bei dem nach Lage der Verhältnisse eine Entfaltung der physischen Macht ganz zwecklos wäre.
§ 2 Die Staatsgewalt
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Bl. 313 Der Inhaber der Souveränität hat daher zugleich mit dem Recht der höchsten Autorität die Pflicht des höchsten Berufes im Staate und diese Pflicht ist nicht eine blos moralische oder oder eine blos accessorisch mit dem Amte verbundene, sondern sie ist mit dem Rechte selbst innerlich eins. Wesen und Art eines öffentlichen Rechtes ändert sich daher mit der Entwicklung des Staates selbst, mit entstehenden oder verschwindenden Bedürfnissen des Gemeinwesens, mit historischen Veränderungen des staatl. Zustandes, während einmal erworbene Privatrechte unverändert u. stabil diesselben bleiben, bis sich durch Rechtsgeschäfte oder andere concrete, im Privatrecht verankerte Mittel aufgegeben werden. Diese Anschauung der öffentlichen Rechte, welche bei den Griechen und Römern ausgebildet und im modernen Staat zur Anerkennung gelangt ist, war im Mittelalter nur in sehr unvollkommener Art u. Weise durchgedrungen. Zwar war das Bewußtsein, das alle öffentliche Gewalt eine Amtsgewalt ist, nicht völlig erloschen, es ist zu den verschiedensten Zeiten von den Pflichten des Königs u. Kaisers die Rede, u. auch in den niederen Regionen, welche ihre Befugnisse von der königlichen Machtvollkommenheit ableiten, war das Gefühl abgeleiteter Stellung und der damit verbundenen Berufspflichten nicht erloschen, aber es ging die Richtung und Zeit dahin, alle Rechte und alle Gewalt nach privatrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Entschieden ausgeprägt war diese Tendenz, deren Anfänge in die älteste germanische Zeit hinaufreichen, in der seit Auflösung der karolingischen Monarchie sich entwickelnden Verfassung und die wichtigste juristische Form, in der sich diese politische Grundauffassung practisch verwirklichte, war das Lehnswesen.
Bl. 313 R. Diese Staatsform hing wesentlich zusammen mit den wirtschaftlichen Zuständen des Mittelalters, der überwiegenden, ja fast ausschließlichen Bedeutung des Grundbesitzes. Der Grundherr hatte Hoheitsrechte, Gerichtsgewalt, Polizei u. dergl. über seine Hintersassen, Hörigen und Unfreien und diese öffentliche Gewalt war eine Pertinenz seines Grundbesitzes, wurde auf privatrechtlichen Titeln erworben, ausgeübt, ererbt, verloren. Diese in der Grundherrlichkeit enthaltenen oder durch sie begründeteten Rechte sah man gar nicht als öffentliche Rechte an, man war sich ihres publicistischen Sinnes gar nicht bewußt. Aber auch die Rechte, deren publicistischer Character selbst im Mittelalter anerkannt war, standen unter der Herrschaft privatrechtlicher Regeln. Die Rechte des Kaisers wurden als Finanzquellen angesehen; die Rechte der Landesherrn beruhten auf Verleihungen u. Privilegien, auf Verträgen u. anderen Rechtsgeschäften. Die Landeshoheit war ein
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1. Teil: Der Staat
zusammengewürfeltes Conglomerat lauter einzelner Befugnisse, verschiedenen Landesherren stand sie daher in verschiedenem Umfange zu. Sie war nicht prinzipiell nach den öffentlichen Bedürfnissen geregelt und bemessen. Der Landesherr übte seine öffentliche Gewalt nicht aus als Beamter des Kaisers, der von ihm abhängig u. ihm verantwortlich war, und seine ganze Gewalt nur von der höchsten Staatsgewalt, dem Souverain, anvertraut erhalten hat, sondern er übte sie Kraft eigenen Rechtes und in eigenem Interesse. Die Staatsgewalt war in dieser Art aufgelöst in unzählige Trümmer, es fehlte an einer Centralisation, es fehlte an einem einheitlichen und lebensfrischen Organismus, der das gesammte Reich zusammenhält; die Souveränität des Kaisers war eine bloße Scheinsouverainität u. die einzelnen Territorien im Reich hatten keine staatliche Selbständigkeit. Der Feudalstaat oder sogen. Patrimonialstaat
Bl. 314 ist daher gar eine Desorganisation des Staates, eine Auflösung der zum Begriff des Staates wesentlichen Einheit u. Concentration; er kann zuletzt nur zu einer Vielheit sehr kleiner, staatenähnlicher Organismen führen, die nicht im Stande sind, dem politischen Bedürfniß einer großen Nation zu genügen. Am Ende des M.A. gelang es in England, Frankreich u. Spanien den Monarchen eine wirkliche Staatsgewalt wieder herzustellen, in Deutschland consolidierten sich die einzelnen Territorien zu Staaten u. die Landeshoheit nahm die wesentlichen Bestandtheile der wirklichen Staatsgewalt in sich auf. Theoretisch war zwar auch Kaiser und Reich souverain, aber das Reich war nur eine schwache Schale, welche die Vielheit von einzelnen Staaten umschloß u. zusammenhielt, aber nicht zu einem wirklichen Staate verschmolz. In der Theorie wurde der Begriff der Souverainität vorzugsweise aus dem Studium des Alterthums wiedererkannt; der erste, welcher ihn mit Entschiedenheit aufstellte, war der Franzose Jean Bodin geb. 1530 { 1596, dessen berühmtes Werk De la République zuerst 1576 erschien. Bodin betont die Souverainität als das wesentliche Merkmal des Staates, er sah in ihr die Einheit der Staatsgewalt und ihre höchste, dauernde, niemandem als Gott unterthänige Machtfülle. Er bezeichnet die Souverainität als absolute Gewalt, die durch keine andere Staatsgewalt u. durch kein Gesetz bedrückt wird, die Souverainität sei die Quelle der Staatsgesetze und stehe folglich über den Gesetzen. Wer Gesetzgeber sei, könne auch Gesetze aufheben, ihre Wirkung suspendieren. Diese Auffassung von Bodinus ist der wesentliche Fortschritt, den die Wissenschaft vom Staat machen konnte, sie wurde die Grundlage u. der Eckstein für die Geschichte u. Literatur des Staatsrechts u. der Politik. Sie beherrscht daher die folgende Theorie u. drang mächtig ein in die Wirklichkeit.
§ 2 Die Staatsgewalt
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Bl. 314 R. Der absolute Staat ist die Signatur der folgenden Periode. Seine erste Ausbildung erhielt er in der habsburgischen Monarchie in Spanien, vollständiger führten ihn durch die Bourbonen in Frankreich, namentlich Ludwig XIV. In den deutschen Territorien wurde er das Staatsprinzip und diente dazu, die Selbständigkeit der Grundherren, Gemeinden, u. Honoratioren zu brechen. Friedrich Wilhelm I. erklärte den preußischen Ständen gegenüber, „er stabiliere seine Souverainité wie eine Rocher von Bronce“. Die crasseste und abschreckendste Verwirklichung erhielt die Souverainität im Sinne absoluter Gewalt in den deutschen Rheinbundstaaten. Die Jahre der absoluten Staatsgewalt war die nothwendige Reaction gegen die Zusammenhanglosigkeit und Zerfahrenheit der mittelalterlichen Zustände, und ist, wie dies immer zu geschehen pflegt, ebenso einseitig nach der entgegengesetzten Richtung hin. Sie leidet, wie wir sehen werden, an einem logischen und politischen Grundfehler u. ist daher heut zu Tage in der Wissenschaft aufgegeben; sie unterdrückt die Freiheit und zerstört die Staatsordnungen in ihren letzten Consequenzen nicht minder wie der Feudalismus. Allein sie war das nothwendige Radicalmittel zur Überwindung der mittelalterlichen Übelstände, sie ermöglichte die Wiederaufrichtung eines geordneten Staatswesens. Ihr verdankt die Welt die unveräußerliche, ewige Wahrheit von der Selbständigkeit der Staatspersönlichkeit und von der Nothwendigkeit eines höchsten Willens, einer höchsten Macht im Staate u. von der begrifflichen Verschiedenheit der öffentlichen Rechte und Privatrechte. Diesen Gewinn hat in unserer Zeit eine Schule wieder aufgeben wollen, welche die Rückkehr zu der mittelalterlichen Auffassung des Staats lehrte. Der
Bl. 315 bedeutendste Vertreter derselben ist Ludwig von Haller geb zu Bonn 1768, { 1854, dessen wichtigstes Werk „Die Restauration der Staatswissenschaft“ Winterthur 1816 ff. in 6 Bdn. erschien. Die wesentlichste Wendung seines Werkes ist auf die Widerlegung der Roussau’schen Theorie oder der Revolutionstheorie gerichtet und in dieser negativen Bedeutung ist sein Buch eine glänzende Erscheinung; in positiver Beziehung dagegen erwies er sich ganz unfähig, den Staat begrifflich zu construieren. Er ging auf die mittelalterliche Auffassung zurück, behandelte die geistige Arbeit von Jahrhunderten als Irrthümer, und kam zu dem Resultat, daß der Staat „die höchste Gradation natürlicher Dienst- Societäts oder sogenannter Privatrechtsverhältnisse sei, die sich von anderen Privatrechtsverhältnissen nur durch die Unabhängigkeit oder höhere Macht und Freiheit ihres Oberschutzes unterscheiden“.
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1. Teil: Der Staat
Vgl. über ihn Bluntschli Gesch. des Allg. Staatsr. Diese von 6 u. a. in Deutschland recipirte Theorie, die man passend als die conterrvolutionäre Theorie bezeichnet, hat auf die staatliche Entwicklung keinen Ausfluß ausgeübt. Wenn die Persönlichkeit des Staates, die Einheit des Volkes einmal erkannt ist, so ist der Rückschritt vom Volksstaat zum Patrimonialstaat nicht mehr möglich. Land und Volk als Domäne des Fürsten, die Souveränität desselben als bloße Freiheit von einer Unterordnung unter einen höheren Machthaber, die Beamten als persönliche Diener des Fürsten und die Gesetze als bloße Instruktion des Fürsten für diese Diener zu betrachten; das steht in so schroffem Gegensatz zu den allgemein herrschenden Auffassungen und den factischen Verhältnissen der Gegenwart, daß die Zeit über diese Theorie, die ein halbes Jahrhundert zu spät ihre wissenschaftliche und systematische Durchbildung erfahren hat, einfach hinweg schritt.
Bl. 315 R. § 3 Der Rechtsgrund der Staatsgewalt.
Dritte Vorlesung.
Die Anschauungen über das innerste Wesen des Staates, über den letzten Ursprung der Staatsgewalt, des Staatlichen, hängen auf das Innigste mit den allgemeinen philosophischen Ideen zusammen, und sie sind ein Theil jedes philosophischen Systems und daher nur im Zusammenhang mit diesem vollständig zu beleuchten. Allein für unsere Zwecke wird es genügen, diejenigen Kardinalsätze herauszuheben, welche unmittelbar den Staat betreffen, ohne daß wir die Begründung und Harmonie dieser Sätze mit den allgemeinen philosophischen Maximen näher untersuchen. Es gibt ferner fast ebenso viele Theorien über den Staat, als es philosophische Systeme giebt, so daß eine vollständige Erörterung aller dieser Systeme einer Geschichte der Philosophie gleich käme; da aber nur gewisse philosophische Systeme zugleich Signaturen von Zeitaltern sind, resp. bestimmend auf die Kulturgeschichte des menschlichen Geschlechtes eingewirkt haben, so wird es genügen diese Systeme von weltgeschichtliche Bedeutung ins Auge zu fassen. I. Die griechische Staatsidee hat ihren wissenschaftlichen Ausdruck gefunden in Plato’s Republik und in der Politik des Aristoteles. Trotz der Verschiedenheit beider Philosophen, in der Plato von der Idee, von dem subjectiven Moment, von der anzustrebenden Harmonie und Schönheit, Aristoteles von der Anschauung, dem realistischen Moment, der Wirklichkeit und 6
Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 3 Der Rechtsgrund der Staatsgewalt
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Natur der Dinge ausgeht, stimmt ihre Grundidee vom Staate doch in den characteristischen Zügen überein und paßt zu dem Staatsbegriff, wie er bei den Hellenen thatsächlich verwirklicht war. Sie gründen den Staat unmittelbar auf die menschliche Natur, es ist eine von der Natur selbst den Menschen verliehene Eigenschaft, in Staaten zu leben. Aristoteles nennt daher den Menschen bekanntlich ein zum Staat bestimmtes Geschöpf. Ohne Staat zu leben ist nur Geschöpfen höherer oder niederer Art Bl. 316 möglich, Menschen dagegen bedürfen den Staat ebenso kraft eines Naturbedürfnisses wie sie z. B. die Vereinigung der beiden Geschlechter, die Ehe bedürfen. Der Staat ist daher nicht das Produkt der Menschen, er ist nicht das spätere, abgeleitete, sondern er ist das Frühere, so wie das Ganze früher ist als der Theil, die Gattung früher als das Individuum. Der Staat ist den Griechen identisch mit der sittlichen Weltordnung. Dem Einzelnen steht daher kein Recht zu gegenüber dem Staate; nur im Staate erhält jeder einzelne Recht, Freiheit, Sicherheit. Der Staat umfaßt das gesammte Kulturleben, nicht blos den Rechtsschutz, sondern auch Religion, Kunst, Wissenschaft, Sitte. Die erste Aufgabe des Staates ist es dem Einzelnen die Möglichkeit der Existenz zu gewähren (z÷n), die folgende die Wohlfahrt zu befördern (eoÉz÷n). Der Staat wird daher nicht auf die ihm gebührenden Gränzen gewiesen, er findet keine Schranke in dem Recht der Individuen. Der Einzelne muß zunächst im Staate untergehen, aller Selbständigkeit und Rechte ihm gegenüber sich entäußern, sich mit allen Kräften und aller Hingebung dem Staate opfern, und erst durch den Staat wieder ein freieres und edleres Leben zurückempfangen. Der Staat verfügt über das Vermögen und die Kräfte seiner Bürger, er überträgt ihnen Ämter, die nicht zurückgewiesen werden dürfen, er disponiert über ihr Eigenthum, er versieht den Kultus der Götter; die freieste Verfassung in Athen ließ es zu, daß Socrates wegen seiner wissenschaftlichen Lehren den Giftbecher erhielt und die Helden u. Befreier des Volkes in die Verbannung geschickt wurden. Der Staat ist allmächtig, es giebt kein Gebiet, das sich seiner unmittelbaren Einwirkung entzogen, kein Mittel, das für ihn unerlaubt wäre. Eine solch übermäßige Anspannung der Staatsgewalt war natürlich nur möglich bei kleinen Gemeinden, nur hier konnte der Einzelne vollständig in der Gesammtheit aufgehen. Bei den Griechen fiel daher der Begriff des Bl. 316 R. Staates mit dem der Macht zusammen und der griechische Staat war wegen seiner Intensität7 außer Stande die ganze griechische Nation zu umfassen u.
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1. Teil: Der Staat
das politische Leben der gesammten Nation zu verwirklichen. Der griechische Staat bot ferner die Handhabe zum schrecklichsten Despotismus; gleichviel ob derselbe von einem einzelnen, einem sogen. Tyrannen, oder von der Volksversammlung resp. der die Volksversammlung leitenden Demagogen ausgeübt wurde. Der griechische Staat ist characterisiert durch den Staatsabsolutismus, er war kein absoluter Staat in dem formellen d.h. auf die Verfassungsform bezogenen Sinn, in dem wir diesen Ausdruck zu gebrauchen pflegen, aber die Staatsgewalt war absolut. Trotz dieser großen Mängel der griechischen Staatsidee, die hinsichtlich der politischen Freiheit von den verhängnißvollsten Folgen sein kann, verdanken wir doch den Griechen die ewige Grundwahrheit, daß der Staat eine unmittelbar in der menschlichen Natur begründete u. über dem Individuum stehende Ordnung ist. II. Die Römer haben keine selbständige Philosophie u. keine Neigung zur Ausbildung philosophischer Systeme; sie lehnen sich hierin durchaus an die griechischen Meister an. Daher sind auch die philosophischen Betrachtungen Cicero’s und Seneca’s über den Staat im Wesentlichen den griechischen Anschauungen entsprechend. Allein die Römer sind in practischer Hinsicht unendlich begabter als die Griechen und daher in der Ausbildung der Rechts- und Staatsordnung bedeutend weiter als diese. Die Römer sonderten zunächst das Gebiet der Moral und Sitte aus dem Beruf des Staates aus, für die Römer ist der Staat die Rechtsordnung der Gesammtheit. Dadurch war ein wesentlicher Fortschritt zu der näheren Erkenntniß des Staates gemacht; der Staatsbegriff erhielt eine Bl. 317 präcisere Begründung u. gewann dadurch an innerer Klarheit u. Durchbildung. Außerdem aber erkennen die Römer auch eine größere Selbständigkeit des Individuums, der Familie dem Staate gegenüber an. Wenn ihnen auch das wohl des Staates über alles geht, salus publica suprema lex esto, wenn sie auch keinen Widerstand des Einzelnen gegen den ausgesprochenen Staatswillen anerkennen, so beschränken sie doch thatsächlich die Thätigkeit u. den Machtbereich des Staates auf die Rechtsordnung der Gesammtheit. Res publica ist res populi, die Angelegenheit der Gesammtheit im Gegensatz zur res privata, das sind die der unmittelbaren Einwirkung des des Volkes entzogenen Sachen. Das Vermögen des Einzelnen, u. das Privatrecht überhaupt, genießt einen vollkommenen Schutz der Staatsgewalt gegenüber, suum cuique tribuere. Die Sphäre des individuellen Willens und die Sphäre des allgemeinen oder Staats-Willens sind gegeneinander abgegränzt; der Staat basiert nicht mehr 7
Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 3 Der Rechtsgrund der Staatsgewalt
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auf der Summe aller Einzelnen, die im Staate aufgehen, sondern sein Substrat ist das Volk als Einheit. III. Auch das Christenthum hat seine Staatslehre. Diesselbe ist für ein Jahrtausend wirksam geworden für die Geschichte und Staatsbildung Europas. Die Begründung der christlich-spekulativen Philosophie im Gegensatze zur antiken Philosophie und namentlich die Aufstellung prinzipieller Grundlehren über Rechtsgrund und Zweck des Staates ist das besondere Verdienst des Kirchenvaters Augustinus, dessen Hauptwerk in dieser Richtung De Civitate Dei betitelt ist. Die Lehre des Augustinus hat ihr letztes Fundament in der schroffen Gegenübersetzung von Gott u. Welt, und dem entsprechend von Kirche und Staat. Er unterscheidet einen Gottesstaat oder himmlischen Staat, das ist das Reich der Tugend und Frömmigkeit, es umfaßt die Kirche Gottes, es hat seine Geschichte in den Patriarchen, den jüdischen Richtern, Königen und Propheten, der Erscheinung Christi u. s. w. Dem gegenüber umfaßt das irdische Reich alles weltlichen und darum sündigen Bestrebungen und Bedürfnisse. Der Gegensatz der beiden Reiche beginnt mit Kain, dem Städtegründer, und Abel, der ein Fremdling auf Erden war. In diesem Sinne ist Bl. 317 R. daher die civitas terrena des heiligen Augustinus nicht der Staat im bürgerlichen Sinne, sondern es ist ein speculativ-ethischer Begriff. Allein der Begriff des eigentlichen Staates wird in nächsten Zusammenhang mit diesem Reich weltlicher gottentfremdeter Gesinnung gebracht und auf ihr gegründet. Der weltliche Staat ist nämlich vorzüglich dazu da, Frieden unter den Menschen zu erhalten und sie gegeneinander zu schützen und mit Gewalt die Befolgung der Gebote Gottes zu erzwingen. Der Staat ist daher nur ein Nothbehelf, so lange die irdische Verkommenheit in der Sünde dauert, er hört auf, sobald das Gottesreich allgemein verwirklicht sein wird. Giebt es keine Sünde, keinen Friedensbruch, keinen Haß mehr auf der Erde, hält jeder die heiligen Gebote, so hat der Staat keinen Wirkungskreis mehr. Für die Gemeinde der Frommen ist daher der Staat überhaupt etwas untergeordnetes; ihre Gedanken und Sympathien sollen nur dem Reiche Gottes zugewandt sein; den bürgerlichen Staat bedürfen sie kaum. Ist die Existenz des weltlichen Staates zwar an sich keine Sünde, so ist doch die Sünde die Voraussetzung für seine Existenz; während also das Alterthum im Staate die sittliche Weltordnung erblickt, sieht Augustinus im Staate ein durch weltliche Unsittlichkeit nothwendig gewordenes Correctiv. Die politische Aufgabe des Staates ist es dieser Theorie entsprechend, die Kirche nach Innen und außen zu schützen, für die Verbreitung des Christenthums zu sorgen, Zweifler und Ketzer zu verfolgen, die Verwirklichung
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1. Teil: Der Staat
des Gottesreiches anzubahnen. Der Staat kann das Kainszeichen seines Ursprungs nur dadurch tilgen, daß er sich in die Dienste der Kirche, d.h. des Gottesreiches begiebt. Diese unwürdige und unsittliche Auffassung des Staates beherrscht das Mittelalter und hat in ihren Consequenzen zur Unterjochung des Staates durch die Kirche geführt. Allein auch in dieser Theorie liegt ein gesunder Kern; Bl. 318 Es ist die sittliche Weltordnung, das ewige Gesetz Gottes als etwas Höheres und Allgemeineres als der Staat erkannt, von dem auch der Staat seine Regeln und Gesetze empfängt, von dem er sich nicht losreißen soll und kann. Während nach griechisch-antiker Auffassung der Staat selbst die sittliche Weltordnung ist, oder mit anderen Worten die gesammte sittliche Weltordnung in die Formen des Staates gezwängt werden soll, ist das Verhältniß nach christlich-ethischer Auffassung das umgekehrte. Der Staat steht in der sittlichen Weltordnung wie eine Provinz in einem Reiche. Die sittliche Weltordnung ist daher das Frühere, das Umfassendere, das Ganze, der Staat das Substrat, das Letztere, Engere, der Theil. Die Religion, die Heiligkeit der Ehe und des Familienbundes, das Geistesleben der Nation, das wirtschaftliche Leben vom Staate emancipiert, sie alle sind einer höheren Einheit untergeordnet, sie wirken bestimmend aufeinander, aber sie sind dem Staate nicht unterworfen. Der Fehler der Theorie ist nur der, daß der Kirche die allgebietende und Alles umfassende Stellung angewiesen wird, die Kirche wird nicht blos vom Staate frei, sondern sie wird seine Herrin. In der früheren mittelalterlichen Literatur werden die Prinzipien des Augustinus weiter unterrichtet und mit der Lehre des Aristoteles in äußerlicher Art verknüpft, des tieferen Gegensatzes der griechischen und der christlichspeculativen Auffassung vom Staate war man sich nicht bewußt, man nahm die realen Sätze der Philosophen an und kombinierte8 sie mit den Prinzipien der christlichen Staatslehre. Eine consequente Durchbildung der Lehre des Augustinus hätte dazu führen müssen, daß der Staat durch die Kirche absorbiert worden wäre. Wenn der Staat nur die Aufgabe hat, die Kirche zu schützen, die Sünden zu strafen, den Frieden zu garantieren, die Ketzer zu verfolgen, so müßte die Kirche selbst bei voller Entwicklung ihrer Kraft diese Aufgaben erfüllen; der Staat wäre hierarchisch geworden; und in der That hat die Kirche dies mit Energie angestrebt.
8 Später als zweites Verb darüber hinzugefügt und teilweise unlesbar: „und . . .fizierte“.
§ 3 Der Rechtsgrund der Staatsgewalt
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Bl. 318 R. Allein da thatsächlich der Staat noch neben der Kirche bestand, so gründete man auch ihn unmittelbar auf Gottes Gebot u. Anordnung, und zwar nicht der Staat an sich, sondern der bestimmte Staat des Mittelalters, das heilige Römische Reich, war das unmittelbare Werk Gottes. Es geht durch das ganze Mittelalter hindurch die Theorie von den 2 Schwertern, das eine bedeutet die geistliche Gewalt, das andere die weltliche. Gott habe diese Schwerter unmittelbar bestimmten Personen verliehen, das geistliche Petrus und seinen Nachfolgern, das weltliche den Beherrschern der römischen Nation wegen ihrer Würdigkeit, später der deutschen Nation wegen desselben Vorzuges. Das weltliche Kaiserreich entsprach der allgemeinen Herrschaft des Papstes; das Moment der Katholicität durchdrang Kirche und Staat; wer sich der höchsten Gewalt des Kaisers entzog, sündigte in ähnlicher Weise gegen Gottes Anordnung, wie derjenige, der den Supremat des Papstes nicht anerkannte. Kirche und Staat stehen als zwei völlig analoge Schöpfungen dar; die Kirche freilich sei die höhere, sie versorge die geistigen Bedürfnisse, der Staat die leiblichen; Die Kirche vergleicht man daher dem Geiste, der Staat dem Körper, die Kirche sei die Sonne, der Staat der Mond, der von jener noch das Licht empfängt. Der Staat habe daher der Kirche zu dienen. Während daher der Staat gegen die Kirche eine untergeordnete und dienende Stellung einnimmt, wird die bestimmte Staatsform durch Zurückführung auf unmittelbare göttliche Institution geheiligt und verklärt. Der Rechtsgrund für die Staatsgewalt an sich sowohl, als für das Recht des einzelnen Herrschers auf die Staatsgewalt, ist Gottes unmittelbarer Wille. Diese Theorie ist daher theocratisch. Daß der Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden das Weltkaiserthum auf Karl den Großen übertragen hat, darauf beruht der Titel seiner Rechtmäßigkeit; Papst und Kaiser verwalten die Welt wie Procuristen Gottes.
Bl. 319 Vierte Vorlesung IV. Neben dieser theoretischen Lehre vom Staate hat sich in der germanischen Welt thatsächlich ein Staatsbegriff verwirklicht, der in dem schneidensten Kontraste gegen die antike Staatslehre steht und ein neues, fruchtbares Element in die weltgeschichtliche Entwicklung des Staats hineinbrachte. Für die Germanen ist das Recht des Individuums das Wesentliche, die Freiheit erblickt der Germane, nicht wie der Grieche und Römer in der Mitbetheiligung am Staate, sondern in der Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Einzelnen, jede Staatsgewalt ist demnach eine Beschränkung der
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1. Teil: Der Staat
individuellen Freiheit, und die Germanen sind deshalb einer intensiven Ausbildung der Staatsgewalt nicht günstig. Die erworbenen Vermögensrechte, die Rechte der Familie, der genossenschaftlichen Vereinigungen liegen dem Individuum näher, als der Staat, sie sind vor dem Staat. Bei den Griechen ist der Staat die Voraussetzung für alle diese Rechte, bei den Germanen bestehen sie auch ohne Staat; es sind die angeborenen Menschenrechte, die nicht nur nicht den Staat voraussetzen, sondern an denen die Staatsgewalt ihre Gränze hat. Sein Recht versieht der Germane gegen Jedermann, auch gegen die Staatsgewalt selbst. Ein Eingriff der Staatsgewalt in diese individuelle Rechtssphäre ist ein Unrecht; eine Aufopferung einzelner Rechte zum Besten der Gesammtheit kann nur mit Einwilligung des Berechtigten geschehen. Es ist die tief sittliche Erkenntnis, daß auch der Einzelne Selbstzweck, daß nicht das Ethos der Weltordnung nur in der Gesammtheit, in Staaten, zur Verwirklichung komme (Plato), sondern auch in dem Individuum. Nur war die Gränze zwischen Rechtssätzen des Individuums und der Rechtssphäre9 der Volksgesammtheit nicht bestimmt und der prinzipielle Gegensatz nicht erkannt, sondern wie bei den Griechen der Staat die Selbständigkeit des Individuums absorbierte, so verhinderte die Selbständigkeit der Privatrechte bei den Germanen die Ausbildung einer Staatsgewalt. Bl. 319 R. In den alten Volksversammlungen steht einer dem anderen, eine Sippe der anderen fast selbständig gegenüber, die Beschlüsse und Gesetze sind Vereinbarungen, sie werden wie völkerrechtliche Verträge gehalten, sie heißen pacta. Auch nach Ausbildung der Monarchie giebt es kein Imperium, wie es der römische Kaiser hatte. Der König unterhandelt mit den Großen des Reiches wie mit fremden politischen Mächten, nicht wie mit Organen desselben Staates. Noch immer werden allgemeine Gesetze vereinbart, wie Rechtssätze selbständiger Staaten und die Autonomie der kleineren Kreise10 im weitesten Maße gewährt. Steuern werden erhoben kraft privatrechtlicher Titel oder auf Grund ausdrücklicher Zustimmung des Verpflichteten. Zu Kriegsdiensten ist nur der Vasall verpflichtet und nur nach Maßregeln des (privatrechtlichen) Lehnscontracts. Die ganze Staatsordnung ist nur eine Abstufung von verschiedenen Freiheitsgraden. Der Kaiser hat die Freiheit am unverkümmertsten, am vollständigsten, weil er niemandem zu Gehorsam und Dienste verpflichtet ist, während die Fürsten bereits in ihrer Freiheit beschränkt sind als Vasallen des Kaisers, dem sie Treue, Gehorsam, Kriegsdienste, Hofdienste u. dgl. schuldig sind. In dieser Weise geht die Beschränkung der Freiheit (hinab) immer weiter hinab bis zu den Gutsun9 10
„Rechtssphäre der“ später darüber hinzugefügt. Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre
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terthänigen und Leibeigenen. Es existiert daher nicht der Begriff des Volkes als nationale Einheit, sondern nur der Begriff der Stände; jeder Stand für sich bildet eine Genossenschaft, erlangt eine Organisation, aber das Volk ist nicht organisiert. Jeder Einzelne ist einer höheren Gewalt untergeordnet, nicht weil die Staatsgewalt über den Individuen steht, sondern weil aus practischen, zufälligen historischen Gründen der Einzelne Niedrigere eine Einbuße seiner Freiheit zu Gunsten eines Höheren, Mächtigeren erlitten hat. Die Staatsgewalt des Königs hat daher keinen positiven Inhalt, sondern nur den negativen unbeschränkter persönlicher Freiheit.
Bl. 320 § 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre. I. Die theocratisch-speculative Auffassung ist die Signatur des Mittelalters, man erblickte in jedem geschichtlichen Ereigniß, in jeder staatlichen Institution eine unmittelbare Willensäußerung Gottes, jede Obrigkeit erscheint als der Vogt, den Gott über den betreffenden Menschen eingesetzt hat. Diese Auffassung ignoriert den lebendigen Antheil, welche der einzelne Mensch, sowie die Völker im Ganzen an der geschichtlichen Entwicklung zu nehmen berufen ist. Danach erscheint die Menschheit lediglich als Object der Thaten Gottes; Jurisprudenz und Ethik haben keine andere Aufgabe, als die Übereinstimmung der staatlichen und sittlichen Gesetze mit dem offenbarten Willen Gottes aufzuweisen, sei es, daß sich dieser Wille in dem Wort Gottes oder in der Geschichte offenbart hat, dagegen haben sie nicht die Aufgabe, die rechtliche Ordnung und die moralischen Anforderungen aus sich selbst zu erklären und auf Prinzipien, die in ihrer eigenen Natur liegen, zurückzuführen, sie haben nicht die tiefere Begründung aus menschlicher Einsicht zu entnehmen, denn der Wille Gottes und die Wege seiner Realisierung sind unerforschlich. Seit dem 15. Jahrhundert verbreitet sich die entgegengestzte Strömung und beherrscht die Welt bis auf den heutigen Tag. Die unerträglichen Mißstände in Staat und Kirche, welche zur gänzlichen politischen Umgestaltung und zur Reformation führten, die Entdekkungen neuer Erdtheile, die Beschäftigung mit dem Alterthum beförderten diese Richtung. Baio von Vanlam11 und besonders Spinoza und Cartesius sind die Herren des Geistes, welche auf allgemeinem philosophischem Gebiete der neuen Richtung Bahn brachen; für das Rechtsgebiet und namentlich für das allgemeine Staatsrecht ist der Begründer des neuen, Jahrhunderte hindurch ausschließlich herrschenden Systems, das man mit dem Namen Naturrecht bezeichnet, Hugo Grotius geboren den 10. April 1583 zu 11
Nicht zweifelsfrei lesbar.
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1. Teil: Der Staat
Delfft in Holland; gestorben auf der Reise zu Rostock am 22. August 1645. Sein Hauptwerk De jure belli ac pacis erschien 1625. Bl. 320 R. Er hatte sich die Aufgabe gestellt, ein Völkerrecht zu schreiben, nachzuweisen, daß selbst noch im Kriege Rechtssätze das Verhältniß feindlicher Völker regeln. Für eine solche Wissenschaft mußte erst der Boden gewonnen werden, auf dem sie erwachsen konnte. Im Mittelalter hatte die Kirche eine höhere Macht über alle christlichen Völker, durch sie waren sie zu dem Reich Gottes, also zu einer höheren Einheit verbunden; diese höhere Einheit war jetzt weggefallen; es war unter den Völkern Streit über die Satzungen der Kirche, der geoffenbarte Wille Gottes konnte nicht mehr die alleinige Quelle für das Recht unter den Völkern sein, denn die Autorität der Kirche wurde von vielen nicht mehr anerkannt und die Offenbarung in verschiedenem Sinn und Inhalt angenommen. Es mußten auch diejenigen Völker berücksichtigt werden, die das Christenthum und die christliche Offenbarung, ja die Gott selbst leugneten. Ein gleichmäßig alle Völker verpflichtendes Völkerrecht mußte daher eine andere Grundlage haben als die 10 Gebote und die Vorschriften des Neuen Testaments. Hugo Grotius findet diese Grundlage in der menschlichen Natur selbst. Das Recht sei nur insofern zuletzt göttlichen Ursprungs als die menschliche Natur von Gott sei, aber die unmittelbare Quelle des Rechts sei nicht göttliche Satzung, sondern die Natur des Menschen. Das Recht bestehe daher auch, wenn sich Gott gar nicht um die menschlichen Dinge kümmern würde; es sei auch für den Atheisten verbindlich, denn wer Gott läugnet, müsse doch immerhin die menschliche Natur als existent anerkennen. Das Recht wäre ebenso wie es ist, auch wenn gar kein Gott wäre. Aus der Natur des Menschen sei daher das Grundprinzip des Rechtes zu abstrahiren, von aller göttlichen Offenbarung abgesehen. Mit dieser Lehre hat Grotius das theoretische Prinzip und die Speculation umgestoßen und an die Stelle desselben den Rationalismus und die Abstraction gesetzt. Nicht aus der positiven Gesetzgebung Gottes und aus der Betrachtung der gegebenen Weltordnung, sondern aus der Vernunft und mittelß logischer Schlußfolgerung soll das Recht gefunden werden. Neben diesem natürlichen Recht erkennt Grotius noch ein gewillkürtes Recht, jus volunta an, welches theils auf dem Willen Gottes, theils auf dem positiven Willen des einzelnen Volkes beruht.
§ 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre
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Bl. 321 Grotius findet nun, daß der Mensch von Natur einen Trieb zur Geselligkeit habe, die Menschen bedürfen einander. Es sei nicht der bloße Vortheil des Einzelnen, der ihn veranlaßt gesellig mit anderen Menschen zu leben, sondern die menschliche Natur verlangt um ihrer selbst willen die Gesellschaft der Menschen. Was zur Erhaltung der Gesellschaft gehört, sei daher durch die Natur des Menschen geboten; die Enthaltsamkeit vor fremden Gut, die Zurückgabe fremden Eigenthums, die Unverbrüchlichkeit der Verträge, der Schadensersatz und die Bestrafung der Verletzung des anderen – seien daher natürliches Recht. Zunächst leitet Groot12 sonach das Privatrecht aus seinem Prinzip ab; erst mittelbar den Staat. Zur Erhaltung und Bethätigung der menschlichen Gesellschaft gründen die Menschen den Staat; das staatliche Zusammenleben ist daher ebenfalls in der Natur des Menschen begründet. Es ist dies nicht identisch mit dem Satz des Aristoteles, der Mensch sei ein (zoon politikon); Aristoteles fand aus der Betrachtung der Natur, daß die Menschen in Staaten leben; er schloß aus der Thatsache, daß überall Staaten bestehen, daß die Natur des Einzelmenschen zum Leben im Staat geeignet oder bestimmt sei; Grotius geht dagegen von der Natur des Einzelnen aus, er findet, daß sie den Staat verlange und er findet sonach den Staat als das Product dieser natürlichen Beschaffenheit der einzelnen Menschen. Groot sagt: homini proprium sociale (Der Mensch ist ein geselliges Wesen). Der Schwerpunkt des Systems des Grotius ist die Verbindlichkeit der Verträge, zur friedlichen Gemeinschaft sei es unerläßlich, sich gegenseitig zu verpflichten; und die Form dafür sei der Vertrag. Auf den Vertrag gründet daher Grotius zuletzt alle positiven Rechtsinstitute. durch ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrag seien die Menschen übereingekommen, einen Staat zu gründen, der Mehrheit oder einem Einzelnen, dem sie die Gewalt übertragen haben, zu gehorchen. Demgemäß unterscheidet Grotius den Staat von der Person des Fürsten; der Staat ist ihm die Vereinigung der Volksgenossen, ist ein ethisches und ewiges Wesen. Die Rechte und Verbindlichkeiten des Staates dauern fort auch bei einem Wechsel der Herrschenden, die Staatsacte des Regenten sind bindend für den Nachfolger, auch wenn er nicht der Erbe ist, im Gegensatz zu den persönlichen Handlungen des Fürsten. Die Souveränität
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Grotius.
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1. Teil: Der Staat
Bl. 321 R. ist daher von Anfang an bei dem Volke u. das Volk bleibt Inhaber der obersten Gewalt. Allein das Volk kann diese oberste Gewalt einem Einzelnen, einer Familie, einer Körperschaft übertragen und durch diesen Act erlangt der eingesetzte Herrscher ein festes Recht auf die Herrschaft. Grotius erkennt daher jede bestehende Verfassungsform als berechtigt an, indem er ihr einen entsprechenden Vertrag unterlegt. Auch die Despotie, auch der Patrimonialstaat ist nach Grotius gerechtfertigt, denn sowie sich der Einzelne durch Vertrag zum Diener, ja zum Sclaven des anderen machen kann, und dieser Andere dadurch ein unverbrüchliches Recht an seiner Person erlangt, so kann auch eine Masse von Einzelnen eine unbeschränkte politische Gewalt über sich auf ein Individuum übertragen. Grotius eifert daher gegen die damals herrschenden revolutionären Ideen und gegen die Auffassung, als hätte das Volk ein Recht, die Obrigkeit zu bestrafen und die Könige zu entsetzen. Die Souverainität des Volkes sei nur in Freistaaten actuell bestehend, in anderen Staaten trete sie nur ein, wenn die regierende Familie ausgestorben oder das zur Herrschaft berechtigte Subject sonst weggefallen sei. II. Die von Hugo Groot eingeschlagene Richtung wurde von den Philosophen und Staatslehrern fast ausnahmslos verfolgt; selbst die kirchlichen Schriftsteller förderten die Auffassungsweise, sowohl die evangelischen und reformatorischen durch ihre Bestreitung der Autorität des Papstthums und ihre Opposition gegen die theocratischen Prinzipien, als auch besonders die Jesuiten, deren bedeutendste Schriftsteller Mariana13, Bellarmin u. a. , ein besonders practisches Interesse aber gewann diese Theorie in England, wo durch die Revolutionen und Kämpfe das Volk in 2 Parteien gespalten und die Tendenzen der Revolution sowohl als der Legitimität resp. der Restauration wissenschaftliche Vertreter fanden. Von hervorragender
Bl. 322 Bedeutung ist namentlich Thomas Hobbes (geb. 1588 gest. 1679), der einer der freihesten und bedeutendsten Repräsentanten der abstracten Philosophie und des Naturrechts ist, obwohl er zu Resultaten kömmt, die weit von denen des Grotius abweichen und mit den Ansichten der späteren Vertreter dieser Schule im ärgsten Contrast stehen. De cive. 1646. Leviathan oder von dem Wesen, der Form und der Macht des geistlichen und bürgerlichen Staates. 1651. 13
Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre
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Hobbes wurde daher vielfach nicht als Anhänger, sondern als Gegner der naturrechtlichen Schule angesehen und die Bezeichnung ius Hobbesianum wurde üblich für angemaßte Rechte, die der natürlichen Freiheit der Unterthanen zu wider sind. Allein die Methode des Hobbes ist diesselbe abstracte-rationalistische, die von Grotius bis Kant und Fichte ausschließlich herrschte; nur ist der Weg, den er bei seiner Deduction einschlug, ein eigenthümlicher. Groot griff aus der menschlichen Natur den Trieb zur Geselligkeit, zur Nächstenliebe heraus und gründete auf ihn die Ordnung der menschlichen Gesellschaft; Hobbes dagegen findet, daß die Selbstsucht tiefer in der Natur des Menschen begründet ist, als die Nächstenliebe und die Geselligkeit. Jeder denke zunächst an sich und wolle für sich sorgen, jeder wolle von den Gütern, die die Natur darbietet, möglichst viel für sich gewinnen und jeder sei auch gleich berechtigt, zu nehmen, was er erhalten kann. Nun sei aber der eine stark, der hochmüthig, der andere schwach und bescheiden, der eine offenherzig, der andere listig u. s. w. Der Starke schlage den Schwachen; niemand ist im Besitze sicher, ein Stärkerer oder eine Vereinigung von vielen könne ihm jederzeit Güter, Gesundheit, Leben nehmen. Der Naturzustand sei ein bellum omnium contra omnes. Dieser Zustand sei unerträglich, man bedürfe des Friedens. Zu diesem Zweck vereinigen sich die Menschen zum Staate, sie verzichten auf ihre natürliche Freiheit, um den Frieden zu genießen und um Hülfe zu finden gegen Verletzungen des Friedens. Das Motiv der Staatengründung sei daher nicht der menschliche Zug zur Geselligkeit, sondern die Furcht.
Bl. 322 R. Daß Verträge gehalten werden müssen, sei ein Naturgesetz, denn wer Verträge schließt, will, daß sie vollzogen werden; würden sie unverbindlich sein, so würden die Contrahenten Nichtiges thun, sie würden zugleich wollen und nicht wollen, was ein Unsinn ist. Aber gerade damit die Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit der Verträge gewahrt werde, sei es nöthig, daß eine gemeinsame Macht geschaffen werde, welche den Frieden schütze. Diese gemeinsame Macht entstehe dadurch, daß jeder Einzelne seinen persönlichen Willen auf eine bestimmte Person oder Versammlung überträgt, so daß der Wille dieser Person der Gesammtwille sei. Diese Übertragung geschieht durch den Vertrag aller mit allen und der so geschaffene Gesammtwille sei der Staatswille. Der Mann oder die Behörde, auf welche der Gesammtwille übertragen sei, vereinige dann in sich allen Willen und alles Recht aller Einzelnen; die Einzelnen haben kein Recht und keinen Willen mehr dem Staatswillen gegenüber. Der Staat ist unterschieden von allen einzelnen Personen, die ihn bilden. Ist der Staat einmal constituiert, so kömmt durchaus nicht mehr auf den Willen der einzelnen Staatsangehöri-
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1. Teil: Der Staat
gen an, sondern alles lediglich nur auf den Willen dessen, der die Staatsgewalt hat. Die Staatsgewalt ist daher unentziehbar, sie kann demjenigen, dem sie übertragen ist, nicht wieder genommen werden; denn der Vertrag, durch den der Einzelne sich unterworfen hat, ist verbindlich für ihn und kann daher nicht einseitig aufgehoben werden. Die Staatsgewalt ist aber ferner ihrem Begriffe nach eine unbeschränkte, absolute. Es kann keine höhere Gewalt geben und keine Schranke, denn jede Beschränkung würde eine höhere Gewalt voraussetzen; die Staatsgewalt ist daher nicht an Gesetze gebunden, ihr gegenüber hat der Unterthan kein Recht, kein Eigenthum. Selbst die religiöse Überzeugung und das Urtheil über Gut und Böse ist von dem Willen des Souverains abhängig, die Kirchenlehre müsse vom Staat festgestellt und und die Kirchengewalt von ihm ausgeübt werden. Hobbes kam daher zu dem vollständigsten Absolutismus von seinem Prinzip aus. Er wurde in der Theorie viel angefeindet, in der Wirklichkeit dagegen fanden gerade seine Lehren bei den europäischen Staaten practische Verwirklichung. Bl. 323 Fünfte Vorlesung III. Die Fortentwicklung der naturrechtlichen Doctrin durch alle Phasen zu verfolgen, würde zu weit führen; die bedeutendsten Staatslehren, welchen es wird genügen die letzte und vollendetste Form dieser Theorie darzustellen, wie sie theils durch Kant, theils auf Grund der Kant’schen Philosophie sich ergab. theils mit Hereinziehung Fichte’scher Auffassung. Die bedeutendsten Schriftsteller in der Zeit zwischen Hobbes und Kant, die in Deutschland die Naturrechtslehre ausbildeten, waren Puffendorf, Thomasius und Christian Wolf.14 Ihre Werke aber hatten keine Wirkung außerhalb der Schule und es ist daher für unseren Zweck genügend, über sie hinweg zu dem Meister zu schreiten, der die abstracte Rechtsphilosophie zu ihrem wissenschaftlichen Abschluß führte. Lösen wir die naturrechtliche Lehre aus ihrem allgemeinem philosophischen Zusammenhange, so beruht sie auf folgenden Sätzen: Die Erkenntniß der letzten Gründe von Recht und Staat muß ausgehen von dem Naturzustande im Gegensatze des bürgerlichen Zustandes, d.h. von einem Zustande ohne Staat und Recht. Einen solchen Zustand habe es gegeben in den ersten Zeiten des menschlichen Geschlechtes, auch wenn er that14
Rechtschreibung wie bei Laband.
§ 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre
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sächlich nicht bestanden habe, müsse er zum Ausgangspunkt gemacht werden für die philosophische Betrachtung. Aus der Kultur des Menschen wurde nun auf rein abstract-philosophischem Wege gefunden, daß er als sinnlich-vernünftiges Wesen Freiheit haben müsse, d.h. die Möglichkeit lediglich nach der Vernunft, dem logischen Gesetz zu leben und zu wirken. Diese Freiheit ist sowohl eine innere, d.h. in seinem Wollen und Sollen nur nach Vernunftgesetzen bestimmt zu werden, und diese Freiheit bildet das Gebiet der Moral als eine äußere, d.i. die Möglichkeit nach jenen Vernunftgesetzen in der Sinneswelt existieren und wirken zu können. Die Gesetze der inneren Freiheit bilden die Moral, die der äußeren das Recht.
Bl. 323 R. Das höchste Prinzip für die Feststellung der inneren und äußeren Freiheit muß den Erfordernissen der Nothwendigkeit und Allgemeinheit genügen. Daraus ergiebt sich für das Gebiet der Moral der Kategorische Imperativ, für das Gebiet des Rechtes die Maxime der Koexistenz. Die unbegränzte Freiheit aller Einzelnen würde die Freiheit Jedes aufheben; daraus folgt, jeder muß seine Freiheit so weit einschränken, daß die anderen neben ihm bestehen können; die Freiheit ist für alle die gleiche und darum für niemanden unbeschränkt. Diese Freiheit, die unendlich ist, so weit ihr nicht die gleiche Freiheit der anderen Schranken setzt, ist das Urrecht des Menschen; es gebührt dem Menschen vor allem politischem Recht, vor Entstehung des Staates und ist unveräußerlich, jede Einrichtung, die mit ihm in Widerspruch steht, ist eine Verletzung des natürlichen Rechtes. Aus diesem Urrecht und dieser Koexistenz der Freiheit folgt die Unverletzlichkeit der Person, das Eigenthum und die Verbindlichkeit der Verträge. Die Möglichkeit sich zu verpflichten, hat jeder, weil im Wesen der Freiheit auch die gewollte, freiwillige Selbstbeschränkung derselben liegt. Eine Art der Verträge ist der Gesellschaftsvertrag d.i. die freiwillige Vereinigung Mehrerer zu einem gemeinsamen Zwecke, für welcher Rechte und Verbindlichkeiten der Theilnehmer festgesetzt werden. Unter den Gesellschaften selbst wieder ist der Staat die hervorragendste Art. Er ist vor allen dadurch unterschieden, daß das Rechtsprinzip selbst die Eingehung dieses Vertrages fordert, während der Abschluß aller übrigen Gesellschaftsverträge freiwillig und für die Rechtsordnung gleichgültig ist. Denn die wechselseitige Anerkennung der Freiheit, die Unverletzlichkeit der Person, des Eigenthums, der Verträge, also die Existenz der Freiheit Sämmtlicher kann nur dadurch gesichert werden, daß die Menschen durch Vereinigung ihrer Kräfte eine Macht darstellen, die jedem Einzelnen, wenn er sich weigert, zur Erfüllung zwingt. Der Staat hat daher auch nur die Aufgabe, die Koexistenz zu ermöglichen und zu verwirklichen.
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1. Teil: Der Staat
Ist der Staat auch ein Postulat des Rechtsprinzips und sonach eine nothwendige Institution, so kömmt er auch nur durch Einwilligung der Einzelnen zu Stande u. der Rechtsgrund für die Staatsgewalt ist immer nur der ausdrückliche oder stillschweigende Wille der Unterthanen. Bl. 324 IV. Die abstracte Philosophie und mit ihr das Naturrecht beruht auf dem falschen Prinzip, durch bloß logische Deduction die Gestaltungen des Lebens begründen zu wollen. Durch die Logik läßt sich nur erkennen, daß das nicht sein kann, was im Widerspruch mit sich selbst wäre und indem man von allen zufälligen und concreten Erscheinungen abstrahiert, gelangt man zuletzt zu Sätzen, die zwar in sich ganz unumstößlich richtig sein können, die aber inhaltslos sind. So ist das Resultat der abstracten Philosophie von Spinoza bis Hegel Kant nur das bloße Sein an sich, die Existenz der Substanz, die Negation des Nichtseins, aber nicht die Nothwendigkeit, daß das Bestehende so und nicht anders ist. Dasselbe gilt von den Resultaten des Naturrechtes. Das höchste Loos und Ziel der Menschheit ist nach den Naturrechtslehren des Kant der Friede, d.h. daß nicht Krieg, nicht Zerstörung sei; aber es läßt sich keine positive Aufgabe einer Nation, keine positive Organisation der menschlichen Gemeinschaft begründen. Die begriffliche Freiheit, die jedem Menschen zukommt zugeschrieben wird, ist eine ganz inhaltslose, sie enthält keine bestimmten Befugnisse; sie ist eine nur ganz abstract gedachte, sie kann in jedem einzelnen Falle beschränkt sein: sie wird gewahrt, wenn nur die Möglichkeit bleibt, daß jene Beschränkungen auch weggedacht werden können, u. daß auch die Freiheit jedes anderen in derselben Weise beschränkt werden könnte. Auch die Gleichheit, die das Naturrecht allen Menschen beilegt, ist die bloße Gleichheit der Möglichkeit; die bloße gleichmäßige Fähigkeit, Rechte zu erlangen, nicht der wirkliche Genuß gleicher Rechte. Dasselbe gilt von der Gültigkeit der Verträge. Die Naturrechtslehrer deduciren dieselbe aus der Freiheit, die auch darin besteht, daß man sich beschränken kann. Daraus folgt, daß jeder beliebige Inhalt zulässig u. jeder Vertrag gültig ist. Dessenungeachtet folgern die Juristen daraus doch nur die Gültigkeit der im Civilrecht vorkommenden Verträge, während Verträge, durch die jemand die sogen. angeborenen Rechte aufgibt, für ungültig erklärt werden. Bl. 324 R. Der größte Irrthum ist die Zurückführung des Staates auf einen Vertrag. Dadurch wird der Staat in diesselbe Kategorie mit der Handelsgesellschaft und den Kasino-Vereinen gestellt, der Staat wird seines Characters als einer an-
§ 4 Fortsetzung. Die naturrechtliche Lehre
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staltlichen, über dem Willen des Einzelnen stehenden Institution beraubt. Der Wille aller Einzelnen ist danach die Quelle für den Staat, der Rechtsgrund für die Staatsgewalt, er muß also consequent auch über der Staatsgewalt stehen; einer Consequenz die durch die französische Revolution auch wirklich gezogen wurde und zum Umsturz der Ordnung führte. Man kömmt mit der Annahme eines Staatsvertrages in Conflict mit den thatsächlichen Verhältnissen. Abgesehen davon, daß in Wirklichkeit nur wenige Staaten die durch Vertrag entstanden sind, sich historisch nachweisen lassen, und daß jedenfalls, wenn auch durch Vertrag unter ganz abnormen Voraussetzungen ein Staat entstehen kann; der Vertrag doch keineswegs die einzige und nothwendige Weise der Entstehung eines Staates ist, so ist auch nicht abzusehen, wie ein Vertrag, den vor Tausenden von Jahren die Menschen miteinander abschlossen, die jetzigen Menschen verbinden kann. Der Einzelne wird nicht nach seinem Willen gefragt, ob er einem Staat u. welchem er angehören will, sondern er befindet sich, noch ehe er zum Bewußtsein erwacht, bereits im Staate, hat an zahlreichen Einrichtungen desselben bereits Theil genommen, sieht sich in unzähligen Beziehungen durch ihn bestimmt. Es steht nicht einer beliebigen Masse von Menschen frei, aus dem Staat, dem sie bisher angehörten, auszuscheiden und unter sich einen neuen Staat zu gründen, wie dies den Mitgliedern einer Privatgesellschaft zusteht; es ist ferner nicht denkbar, daß ein Staat aus einer Masse von Menschen besteht, die ganz zerstreut u. getrennt von einander leben, etwa wie die Angehörigen eines geistlichen Ordens; sondern der Staat erfordert ein Volk und ein Land; würde er aber durch bloßen Gesellschaftsvertrag entstehen, so müßten willkührliche Vereinigungen zu Staaten jederzeit möglich sein. Bl. 325 Es ist ferner nicht genügend, einen Vertrag anzunehmen, durch welchen ein Staat gegründet wird, sondern man muß noch einen Vertrag annehmen, durch welchen die Staatsgewalt dem oder jenem übertragen, dem Staat die oder jene Verfassung gegeben wird. Für jede thatsächlich bestehende Einrichtung muß man einen stillschweigenden Vertrag subintelligieren und auf diese Weise kann man alles, selbst den ärgsten Mißbrauch der Staatsgewalt, die schreiendste Despotie rechtfertigen, wie Hobbes that; oder man nimmt nur den einen Vertrag an, durch welchen der Staat zum Zweck der Coexistenz15 gegründet wurde, weil nur der Abschluß dieses Vertrages eine sittliche Nothwendigkeit sei; alsdann giebt es für den Staat keine andere Auf15
„zum Zweck der Coexistenz“ später hinzugefügt.
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1. Teil: Der Staat
gabe, als den Frieden zu handhaben; jede Staatsthätigkeit zur Hebung der geistigen u. materiellen Wohlfahrt wäre widerrechtlich und unbegründet, wäre eine Beschränkung der individuellen Freiheit. Alsdann wäre der Staatsbegriff leer, ohne Inhalt und Leben; der Staat wäre sozusagen nichts als der allgemeine Nachtwächter. Das Naturrecht läßt die innewohnende Bestimmung der Lebensverhältnisse völlig unbeachtet. Wer in der Ehe nichts erblickt, als einen Vertrag zum gegenseitigen Geschlechtsgenuß, der übersieht die ethische Bedeutung der Ehe u. Familie, die Verpflichtung zur Treue, die Gemeinschaft aller Lebensverhältnisse, aller Schicksale, aller Freuden u. Leiden; der kann daher die idealen Anforderungen eines Eherechts nicht begreifen u. die positiven Rechtssätze, wie das Verbot der Polygamie, der willkürlichen Scheidung u. s. w., nicht rechtfertigen. Die Verpflichtung der Eltern zur Erziehung der Kinder erklärt Kant aus dem Grunde, daß wer eine Person „ohne dessen Einwilligung“ in die Welt gesetzt hat, verbunden ist, sie auch mit ihrem Zustande zufrieden zu machen; während aus der ethischen Bestimmung des elterlichen Verhältnisses sowohl die väterliche Gewalt als die Pflicht zur Ernährung und Erziehung der Kinder hervorgeht. In ähnlicher Weise ist auch der Begriff u. die Aufgabe des Staates nicht aus logischer Abstraction zu finden, sondern aus seiner ethischen Bestimmung, daß sich durch ihn das Gesamtleben der Nation realisieren soll. Bl. 325 R. § 5 Fortsetzung. Die Lehre der Revolution. Die Macht des Bestehenden und die Achtung vor demselben hinderten die deutsche Wissenschaft die Vertragslehre bis zu ihren letzten Consequenzen zu verfolgen. Die französische Revolution dagegen, hervorgerufen durch den unerträglichen Druck der privilegierten Stände auf die Masse des Volkes und durch die andauernde Nichtwürdigkeit der Regierung verhalf diesen äußersten Consequenzen sogar zur practischen Verwirklichung. Die Revolution war nicht blos eine gewaltsame und regellose Umstürzung der historischen Verfassung, sondern sie war die Realisierung eines zusammenhängenden, logisch begründeten Systems. Der Lehrer dieses Systems, gleichsam der Apostel der Revolution, war Rousseau. Freilich war er nicht der erste und einzige, der die Grundgedanken der Revolution in einer Lehre entwickelte; so wie die englische Revolution der französischen vorausging, so zogen auch schon lange vor Rousseau englische Schriftsteller diejenigen Consequenzen aus der naturrechtlichen Doctrin, die zum System der Revolution führten; so namentlich Milton, Sidney, Locke. Allein Rousseau gab der Lehre ihren wissenschaftlichen Abschluß; er vereinigte alle bis dahin nach einander vorgebrachten Gedanken, er verband sie zu einem geschlos-
§ 5 Fortsetzung. Die Lehre der Revolution
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senen System, und er ist daher von besonderer Wichtigkeit, daß seiner Theorie sofort das Experiment practischer Verwirklichung folgte. Die naturrechtliche Lehre von Grotius und seinen Nachfolgern genügte daselbst nicht, weil sie die gleiche Freiheit zwar als den ursprünglich allen Menschen gemeinsamen, angeborenen erklärte, durch die Annahme stillschweigender Verträge aber alle thatsächlich bestehenden Beschränkungen der Freiheit rechtfertigte. Den schwachen Punkt in dieser Deduction hob schon Sidney hervor, welcher sagt: „Man muß die trügerischen Einbildungen aufgeben, daß ein Fürst, der zur Krone durch Succession, Eroberung oder Usurpation Bl. 326 gekommen, durch das Volk gewählt sei. Es wäre wahrhaft lächerlich zu sagen, daß die Bewohner Griechenlands, Neapel’s oder Toskana’s stillschweigend einwilligen in die Regierung des Großherrrn, des Königs von Spanien, oder des Großherzogs, während es gewiß ist, daß diese unglücklichen Völker die Tyrannei verwünschen, unter der sie seufzen. Diese Völker, wenn sie auch in einem tiefen Stillschweigen verharren, consentieren so wenig in die Tyrannei ihrer Souverains, als ein Mensch consentiert, beraubt zu werden, wenn er ohne ein Wort zu reden seine Börse einem Räuber giebt; der stärker ist, als er.“ Der Schluß, den die englischen Schriftsteller aus dieser Deduction zogen, war nicht der, daß alle Gewalt der Fürsten eine unrechte oder nach Willkür durch das Volk entziehbare sei, sondern nur die, daß das Volk eine Recht zur Empörung habe, wenn der Fürst es bedrückt und seinerseits Gesetz und Recht mißachtet. Darin liegt aber im Grunde genommen der Gedanke, daß der Souverain seine Gewalt nicht bloß jener ersten Einwilligung aller einzelnen verdanckt, die den staatsgründenden Vertrag abschlossen, sondern der fortdauernden Einwilligung, denn wenn er durch Mißregierung die Einwilligung der überwiegenden Mehrheit des Volkes zu seiner Herrschaft verliert, so können ihn die Unterthanen seiner Gewalt entsetzen. Die Consequenz davon ist dann die, daß fortwährend die Gesammtheit aller Einzelnen die souveraine Gewalt hat und der Fürst sie nur kraft Einwilligung derselben ausübt. Sechste Vorlesung Diese Consequenz in voller Schärfe gezogen und wissenschaftlich begründet zu haben, das ist das Werk Rousseau’s; vorzüglich vollbrachte er es in seinem berühmten Buche Du contrat social v. 1762. Nach der ursprünglichen naturrechtlichen Lehre waren die Menschen ganz von Anfang an, d.h. von Natur frei und gleich; aber sie konnten die Frei-
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1. Teil: Der Staat
heit und Gleichheit durch ihre Einwilligung aufgeben. Rousseau dagegen lehrte: die Freiheit ist unveräußerlich. Das ist der Kernpunkt seiner Lehre, das ist das neue Moment, welches er zu der Theorie von Grotius und Sidney hinzubrachte. Durch die Theorie der früheren Zeit war die Freiheit nicht gewahrt; was nützt es, daß ich durch meinen eigenen Willen mit einen Herrn gesetzt habe, wenn mir dieser Herr befehlen kann, was ich nicht will. Meine Freiheit habe ich verloren. Ist aber die Freiheit ein Postulat der sittlichen Natur des Menschen, so kann er nicht auf diese Freiheit verzichten. So wenig jemand Bl. 326 R. vertragsmäßig sich in Sclaverei begeben oder sein Leben veräußern kann, so wenig kann ein Volk sein politisches Recht16 einem Einzelnen übertragen. Das Volk sei vielmehr souverain und könne seine Souverainität mit Recht niemals einbüßen. Der Vertrag, durch welchen der Staat geschlossen wird, bestehe daher darin, daß jedes Gesellschaftsmitglied seine gesammten Rechte an die ganze Gemeinschaft veräußert. Die Entäußerung muß an Alle geschehen, darf also nicht an ein von den allen verschiedenes Subject, einen Fürsten, einen Senat oder dergleichen, sondern sondern an alle Mittheilnehmer des Staates und die Entäußerung muß eine totale und vorgehaltslose sein, so daß jeder alle seine Rechte aufgiebt. Dadurch tritt absolute Reciprocität ein und es verliert keiner etwas an seiner vollen Freiheit, weil er ebenso viel zurückerhält, als er aufgegeben hat. Mit dieser vollen Freiheit ist sonach von selbst die absolute Gleichheit aller Staatsbürger gegeben; es kann keiner mehr politische Rechte haben, als jeder andere. Zur Herstellung des Staatswillens müssen daher alle gleichmäßig concurrieren; die Alienation aller an alle erzeugt einen Willen der ganzen Vereinigung. Er ist die Summe das Ergebniß aller Einzelwillen. oder der allgemeine Wille, volonté générale. Dieser allgemeine Wille ist souverain und die Souverainität ist sonach unveräußerlich bei der Gesammtmasse des Volks. Die Volkssouverainität ist daher die bezeichnende Signatur der Rousseau’schen Lehre. Zu dem Begriffe desselben gehört zunächst die Unübertragbarkeit derselben. So wenig der einzelne Mensch einem anderen, so wenig kann ein Volk die Souverainität seines allgemeinen Willens einem Subject außer ihm, einem König, Senat, Parlament etc. übertragen. Das Volk ist nicht blos die Quelle der Obrigkeit, sondern es hat selbst die höchste
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Nicht zweifelsfrei lesbar, aber dem Zusammenhang nach wahrscheinlich.
§ 5 Fortsetzung. Die Lehre der Revolution
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Bl. 327 Obrigkeit; über dem Volk als Gesammtheit giebt es keine Autorität. Der Fürst hat nicht nur keine eigene, d.h. von der Übertragung durch das Volk unabhängige Gewalt, sondern er hat gar keine obrigkeitliche Gewalt; er ist nur mit der Vornahme gewisser Geschäfte betraut und diesen Auftrag kann das Volk jederzeit zurücknehmen. Erhat nicht dem Volk zu befehlen, sondern umgekehrt nach den Befehlen des Volkes die Verwaltung zu führen. Nach Buchanan, Milton, Sidney hat das Volk nur Recht zur Empörung bei Mißbrauch der königlichen Gewalt; nach Rousseau fällt der Begriff der Empörung ganz fort, das Volk macht nur von seinem Recht Gebrauch wenn es seinem Fürsten sein Amt entzieht, so wie der König, wenn er seinen Minister entläßt. Aus dem Begriff der Volkssouverainität ergiebt sich ferner die Unumschränktheit derselben. Die Staatsgewalt ist absolut. Dies hat nach 2 verschiedenen Richtungen bedeutende Wirkungen. Einmal ist keine Theilung der Gewalt möglich; es kann nicht die Executive als besondere Gewalt, als eigenes Recht einem Organ des Staates zustehen, sondern es kann nur das souveraine Volk irgend einer Behörde die Vollziehung eines Beschlusses, die Ausführung bestimmter Geschäfte übertragen. Die Regierung ist daher nur eine Pflicht, kein Recht; und ein stets widerruflicher Auftrag, keine Schranke gegen den allgemeinen Volkswillen. Mit dieser Lehre kämpfte Rousseau gegen die constitutionelle Doctrin an, welche Locke und Montesquieu aus der engl. Verfassung abstrahiert hatten. Sodann aber ergiebt sich aus Rousseaus Prinzip der Staatsabsolutismus. Da jeder sein gesammtes Recht an alle veräußert, nichts zurückbehalten hat, so findet auch der allgemeine Wille keine Schranke in einem individuellen Recht. Dem Staat gegenüber hat niemand irgend ein Recht. „Erworbene Rechte“ müssen nicht nur im Nothfalle dem Interesse des Staates geopfert werden, sondern es giebt dem Staate gegenüber kein erworbenes Recht. Ebenso wenig kann das Volk an irgend eine bestimmte Verfassung gebunden sein, weder an die historisch überkommene, noch an die welche sie sich selbst soeben gegeben hat; denn der Volkswille ist frei und kann jeden Augenblick sich ändern. Was ich jetzt will, werde ich vielleicht in der nächsten Woche nicht mehr wollen.
Bl. 327 R. Die dritte Consequenz aus Rousseau’s Prinzip ist die absolute Gleichheit aller Volksgenossen. Es kann wegen der Unveräußerlichkeit der Freiheit niemand dem anderen Vorrechte einräumen, es kann niemand größere politische Rechte haben, als der andere; jedes Zugeständniß eines Vorrechtes
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1. Teil: Der Staat
enthalte eine theilweise Veräußerung der Freiheit. Daher kann es keine bevorzugten Stände geben, keinen vorwiegenden Einfluß des Adels, Grundbesitzes oder der Beamten, keinen Census. Es kann keinen besonderen Gerichtsstand, keine städtischen oder communalen Corporationen, keine geschlossenen Zünfte und dgl. geben. Ein Individuum muß dem anderen völlig gleich stehen und jedes Individuum gleiches Stimmrecht in der Volksversammlung (haben). Daher wird der souveraine Wille des Volkes nach Rousseau hergestellt durch die Majorität der Volksversammlung nach Kopfzahl. Ja gerade darin findet Rousseau die Rechtfertigung seines Systems. Denn die Veräußerung der gesammten Freiheit und Rechtsfähigkeit an alle sei nur deshalb zulässig, weil jeder ebensoviel von allen anderen zurück empfängt; durch die absolute Reciprocität wird das dargebrachte Opfer vollständig ersetzt; man gesteht seinen Mitbürgern kein Recht über sich zu was von diesen nicht wieder über sie zugestanden wird. Der Einzelne ist sonach an jedem Act der Staatsgewalt betheiligt und was die Volksgewalt dem Einzelnen thut, das thut er sich selbst. In dieser Argumentation, auf die Rousseau sein System besonders stützt, liegt auch sein Irrthum. Die Unterwerfung unter das souveraine Volk ist nicht minder ein Aufgeben der Freiheit, wie die Unterwerfung unter einen König. Die Freiheit ist eingebüßt, sobald ich nicht thun kann, was ich will, oder thun muß, was ich nicht will; gleichviel, ob mir dies ein Fürst oder die Majorität einer Volksversammlung befiehlt. Daß ich in der Volksversammlung mitstimme, ist keine Bürgschaft dafür, daß mein Wille auch durchgeht; sobald ich meine Stimme abgegeben habe, bin ich unfrei, bin an den Willen der Majorität gebunden.
Bl. 328
(Parteien in Staat und Kirche S. 33, 34.)
Stahl sagt treffend: „Die Möglichkeit, daß ich als Theil der Majorität die anderen unterdrücken kann, ist kein Ersatz für die Möglichkeit und Wirklichkeit, daß ich als Theil der Minorität von den anderen unterdrückt werde.“ „Wenn die Unveräußerlichkeit der Freiheit folgerichtig durchgeführt, wenn sie wirklich gerettet werden soll, so ist nicht blos die Veräußerung des Volkes an den König, sondern auch die Veräußerung des Einzelnen an die Gesammtheit unstatthaft und nichtig. Dann muß man nicht die absolute Gewalt des Volkes, sondern die absolute Independenz des Individuums proklamieren. Meine Freiheit unveräußert zu behalten, giebt es schlechterdings kein anderes Mittel, als das: keinem Staate anzugehören.“ Rousseau’s Idee von der unveräußerten vollen Freiheit des Individuums paßt nur auf den aller Cultur vorhergehenden Naturzustand und auch auf
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ihn nicht völlig. Soweit in der Familie bereits schon vor der Entstehung des Staates eine ethische Ordnung und in dem Familienhaupt eine obrigkeitliche (patriachalische) Gewalt vorhanden war. Das Wesen des Staates und der Obrigkeit besteht aber darin, daß der Einzelne einen höheren Willen, eine Autorität über sich anerkenne und Gehorsam leiste und es ist daher ein unlösbares Problem, daß dieser höhere Wille nur der Wille des Einzelnen selbst sei. Die von Rousseau aufgestellte Theorie vernichtet vielmehr alle Freiheit des Einzelnen, weil sie jedes individuelle Recht vernichtet. Nach Rousseau giebt es wie oben gezeigt, weder irgend eine individuelle Rechtssphäre oder ein erworbenes Recht, an welchem die Macht des Staates seine Schranke finde, noch giebt es ein Staatsrecht, an dem die Staatsgewalt selbst eine Norm findet. Auch jeder Beschluß des souverainen Volkes gilt nur, bis er wieder aufgehoben wird. Es herrscht daher die Laune und Willkür der wechselnden Majorität, Bl. 328 R. die keine Gränze und Schranke findet und der der einzelne Staatsbürger schutzlos preisgegeben ist. Die Verfassung Rousseaus’s hat Ähnlichkeit mit den asiatischen Despotien, nur mit dem Unterschied, daß in der Despotie der bewußte und consequente Wille des einen Herrschers absolut entscheidet, nach der Lehre der Revolution dagegen der stetem Wechsel und zufälligen Entschlüssen ausgesetzte Wille der Mehrzahl; und daß der Despot aus der zwingenden Macht der religiösen Vorurtheile eine strenge Richtschnur und Schranke seiner Willkür hat, die er nicht überschreiten darf, ohne die furchtbare Macht, auf die er seine Herrschaft stützt, auf sich heraufzubeschwören, der Kopfzahl-Souverain dagegen gar keine Autorität über sich hat. Die Rousseau’sche Lehre würde nur dann practisch brauchbar sein und die Schranken einer Majoritäts-Despotie nicht herbeiführen, wenn alle Menschen gleiche Bestrebungen, Wünsche, Interessen und Ansichten hätten. Rousseau glaubt durch die rechtliche Gleichheit aller Staatsbürger dies zu erreichen; er meint, weil er kein Sonderrecht im Staate duldet, werde es auch kein Sonderinteresse geben. Allein die rechtliche Gleichheit ist blos eine abstracte Gleichheit der Möglichkeit, keine Gleichheit der Wirklichkeit. Daß jeder Eigenthum und Besitz erlangen kann, gewährt noch nicht jedem Eigenthum und Besitz. Vor allem müßte der Unterschied des Vermögens weggeschafft werden, denn die Armen und Reichen werden stets verschiedene Interessen haben und nur wer von beiden Theilen in der Volksversammlung die Majorität hat, wird sein Interesse
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1. Teil: Der Staat
Bl. 329 auf Kosten des anderen Theils wahrnehmen und ausbeuten. Rousseau’s System führt daher consequent zum Kommunismus; und wäre selbst der Kommunismus practisch durchführbar, was er nicht ist, so blieben immer noch die thatsächlichen Ungleichheiten des Geschlechts, der körperlichen Kräfte, der geistigen Begabung, der Character-Eigenschaften, der Überzeugungen. Nur wenn alle Menschen schablonenmäßig gleich wären, gleich handelten und dächten, gleich situiert wären und gleiche Interessen hätten, nur dann wäre Rousseau’s Lehre durchführbar. Da aber die Menschen zu ihrem Glück ungleich sind und jedes Individuum seine eigenen Vorzüge hat; da sonach die Menschen auf einander angewiesen sind und durch ihr Zusammenwirken fortschreiten, so muß die organische Gliederung der menschlichen Gesellschaft und nicht die blos abstracte, ideale Gleichheit aller menschlichen Individuen den Maßstab für die Verfassung liefern. Rousseau’s Lehre führt aber nicht bloß im practischen Erfolge statt zu der vollkommenen Freiheit des Einzelnen zum Absolutismus der Majorität, also zur schrankenlosen Unterdrückung des Einzelnen, sondern sie beruht auch theoretisch auf einem offenkundigem Irrthum. Rousseau geht von einem falschen Begriffe des Volkes aus; für ihn ist das Volk nur ein Aggregat von Individuen, nur eine Vielheit von einzelnen Menschen, während das Volk eine Persönlichkeit für sich hat, eine Einheit für sich ist. Ein Haufen Sandkörner ist kein Fels, eine Menge von Atomen kein Krystall. Das Volk ist die durch die Natur, durch die durch die Weltordnung gegebene Einheit, der die Einzelnen ohne ihren Willen und ohne ihr Zuthun angehören. Es treten nicht Leute zusammen u. bilden ein Volk, sondern die Völker entstehen, wachsen, breiten sich aus u. gehen unter wie Naturprodukte, wie einzelne Menschen.
Bl. 329 R. Jedes Volk hat seine Structur, seine Organisation, die sich aus seiner Entwicklungsgeschichte ergiebt; z. B. seine ständischen Abstufungen, seine socialen Klassen, seine corporativen Verbindungen, wie der menschliche Organismus Körper seine Glieder u. Organe hat. Diese Gliederung des Volkes ist unabhängig von dem Willen des Einzelnen; der Einzelne kann über dieselbe nachdenken, er kann sie klar darstellen u. über ihre Gründe forschen, aber er kann sie nicht machen. Der Geist des Volkes steht über dem des Einzelnen, die organische Verfassung des Volkes ist maßgebend für de Stellung des Einzelnen in diesem Organismus. Der Wille des Volkes steht über dem Willen des Einzelnen; der Einzelne ist diesem Willen Gehorsam schuldig. Der Wille des Volkes in diesem Sinne aber ist ganz verschieden von
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dem Willen der Majorität des Einzelnen. Wenn man auf die Individuen zurückgeht verliert man den Begriff des Volkes, so wie man den Krystall zerstört, wenn man ihn in seine Atome auflöst. Die Anordnung der Atome kann man nur aus dem Gesetz der Krystallisation, nicht aus der Natur der Atome bestimmen; so kann man auch die rechtliche Ordnung des Volkes real auf den Willen des Volkes als Gesammtheit, aber nicht auf den Willen der einzelnen Menschen zurückführen. Die naturrechtliche Lehre von Grotius bis Kant und ihre revolutionäre Nutzanwendung von von Milton bis Rousseau wäre zutreffend, wenn die Menschen isoliert von einander lebten, sie ist aber unanwendbar auf die lebendige Gemeinschaft der Menschen und auf die organische Verbindung derselben in Familien, Ständen und Völkern; sie führt, practisch durchgeführt, zu einer Zerstörung dieser natürlichen Ordnung, zur Anarchie, zum Zustande der Wildheit.
Bl. 330 Trotz dieser Mängel verdankt die Welt der naturrechtlichen Schule und den Lehrmeistern der Revolution ein unschätzbares Gut und einen wesentlichen Fortschritt. Es ist in diesen Doctrinen ein Kern von Wahrheit enthalten, der der Welt nicht mehr verlorengehen kann. Diese wenige Wahrheit besteht in der Geltendmachung der Menschenwürde; der Mensch ist nicht bloßes Object der staatlichen Gewalt, nicht bloßes Mittel für den Staat, sondern er ist selbst Kraft seiner persönlichen Würde Zweck. Seine Freiheit und sein Wohlbefinden sollen erreicht werden. Das Ziele und die Folge der naturrechtliche Lehre ist daher die Humanität. Die Hexenprocesse u. die Tortur, die Leibeigenschaft u. der Glaubenszwang wurden von dem Naturrecht beseitigt; die Toleranz, die Freiheit der Rede u. die Freizügigkeit von ihr angestrebt und zum Theil erwirkt. Der Mensch wurde wieder eingesetzt in die persönliche Majestät, die dem Ebenbild Gottes zukömmt. Die revolutionäre Lehre insbesondere dehnte dies aus von dem Gebiet der rein persönlichen Rechte auf die politischen. Auch die politischen Rechte gebühren jedem Einzelnen und jeder Bürger des Staates ist berufen zu selbstthätiger Mithülfe an dem Gedeihen u. Blühen des Staates; er soll nicht theilnahmslos und dumpf das Walten des Staates über sich hinweggehen lassen, sondern er soll als thätiges Mitglied an der Erreichung des Staatszweckes mitarbeiten. Der Revolutionslehre verdanken wir die richtige Erkenntniß, daß nicht bloß die Obrigkeit, sondern auch das Volk politische Rechte hat; ihr Irrtum ist nur, daß sie die alleinige Quelle aller politischen Rechte in der unbeschränkten Freiheit des Individuums sucht und daß sie statt des einheitlichen Organismus der Nation nur eine Kollection von einzelnen Menschen sieht.
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1. Teil: Der Staat
Bl. 330 R. § 6 Die historische Rechtsschule.
Siebente Vorlesung
Die Schrecken der französischen Revolution, die Unhaltbarkeit der auf Grund der naturrechtlichen Doktrin ausgedachten Verfassungen und der traurige, der Freiheit gerade verderbliche Ausgang der Weltbewegung17 eröffneten den Blick für die Schwächen der naturrechtlichen und revolutionären Lehren. Es machte sich überall eine Reaction geltend. Die Philosophie kehrte um von einer der Abstraction und wurde speculativ; die Restauration suchte die Einrichtungen der Revolution wieder zu beseitigen und das Prinzip der Legitimität, so gut es anging, wieder wieder zur Geltung zu bringen, und in der Jurisprudenz schaffte sich eine Richtung Anerkennung und und sehr bald die ausschließliche Herrschaft, welche der naturrechtlichen entgegengesetzt war. Diese Richtung, die characteristisch für den wissenschaftlichen Standpunkt unseres Jahrhunderts ist, ist die historische; die Würdigung der vergangenen Zeitalter, die Erkenntniß ihrer Gegensätze und Abgränzungen, aber auch das Verständniß für die continuierliche Fortbildung der Zustände u. Begriffe, für den Zusammenhang der Weltgeschichte. Diese Tendenz, die in allen Wissenschaften, mit Ausnahme der Naturwissenschaften, dominiert, erhielt in der Jurisprudenz eine besondere Wichtigkeit u. Wirksamkeit und führte zur Beseitigung des Naturrechts. Sie wurde wesentlich begründet durch Savigny, Niebuhr u. Eichhorn; ihr Vorläufer war Hugo. Das characteristische Moment derselben ist die Theorie von der Entstehung des Rechtes. Nach der naturrechtlichen Lehre wird das gesammte Bl. 331 Das Recht wird aufgefaßt als eine wesentliche Seite im Kulturleben eines Volkes, als ein Zug im nationalen Character desselben, es ist ein Erzeugniß des Volksgeistes wie die Sprache, Sitte, Kunst, u. s. w., darnach ist das Recht nichts Gemachtes, sondern etwas Gewordenes; nicht von dem Betreiben des Einzelnen Abhängiges, sondern ihn Verpflichtendes. Das Recht befindet sich in fortlaufender Entwicklung, es nimmt Theil an den historischen Wandlungen des Volkscharacters, des sozialen Lebens und der politischen Aufgaben; es ist in keinem Zeitpunkt abgeschlossen, sondern der Fortbildung stets fähig und bedürftig; aber in jedem Augenblicke ist das bestehende Recht nur die Summe, das Resultat, der Abschluß der gesammten vergangenen Rechtsentwicklung. Bei der Fortbildung des Rechts kann 17
Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 6 Die historische Rechtsschule
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daher die Vergangenheit nie unberücksichtigt bleiben, sondern es muß stets an das bestehende angeknüpft werden. Man kann ein Recht nicht einem Volke aufpfropfen, sondern es muß aus dem Leben des Volkes herauswachsen. Diese Ansicht steht im graden Gegensatz zum naturrechtlichen Prinzip. Nach dem letzteren ist das natürliche Recht ewig und unabänderlich. Sowie die Natur des Menschen unabänderlich gegeben ist und die Regeln der Logik feststehen und mit absoluter Nothwendigkeit gelten, so muß auch das darauf gegründete Recht zu allen Zeiten und bei allen Völkern das Gleiche sein; nur innerhalb der vom Naturrecht gezogenen Schranken hat die Willkür der Gesetzgeber einen berechtigten Spielraum, dagegen eine Abänderung der naturrechtlichen Sätze ist jederzeit ein Unrecht, eine Verdrängung des Rechtes. Nach der historischen Ansicht dagegen hat jedes Volk und jedes Zeitalter sein ihm eigenthümliches, aus seinen Zuständen entspringendes Recht. Nach der naturrechtlichen Lehre ist die wichtigste, ja einzigste Erkenntnißquelle des Rechts, nach der historischen Schule die die historische Forschung. Nicht minder scharf opponierte die historische Ansicht gegen die neben der Naturrechtslehre herlaufende pragmatische Auffassung, als deren geistesvollster Vertreter auf dem Gebiete des Staatsrechts Montesquieu zu nennen ist. Danach hat jedes Rechtsinstitut seinen bestimmten, speciellen Zweck und wird von dem Gesetzgeber mit Rücksicht auf
Bl. 331 R. diesen Zweck eingeführt und normirt; das Erbrecht z. B. besteht nicht Kraft der sittlichen Überzeugung der Nation von der Nothwendigkeit desselben, nicht weil es dem socialen und Kultur-Zustand entspricht, sondern lediglich deshalb, weil man es für zweckmäßig hält, weil es einen Antrieb zu Fleiß und Wohlstand fördern hilft. Es könnte daher sofort das gesammte Erbrecht abgeschafft werden, wenn man diese Zwecke anderweitig besser erreichen zu können glaubt, z. B. durch Einführung des Kommunismus. Ebenso hat jede Staatsform einen bestimmten Zweck, z. B. kriegerische Ausbildung und Abhärtung, wie in Sparta; die staatsbürgerliche Freiheit, wie in England, oder in anderen Staaten die Entwicklung des Handels oder der Gewerbethätigkeit, oder den Cultus der Religion u. dgl. Die naturrechtliche Lehre und diese pragmatische Rechtsauffassung haben das gemeinsam, daß das bestehende Recht willkürlich gesetzt und verändert werden kann, ja muß, wenn man es als unvernünftig oder als unzweckmäßig mit Bezug auf das angenommene Grundprinzip hält. Es kann dann sofort mit dem überkommenen, histor. gewordenen Recht tabula rasa gemacht und ein ganz neues, das man für vernunftmäßig oder zweckmäßig halt, eingesetzt werden. So wurden in der Revolution die historischen Standesunterschiede
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1. Teil: Der Staat
aufgehoben und zum gleichmäßigen Staatsbürgerthum nivelliert, die historischen Provinzen und die ihnen eigenthümlichen Verfassungen und Einrichtungen wurden aufgelöst, und statt ihrer das Land nach Zweckmäßigkeitsrücksichten in Departements getheilt, das historisch überkommene Königthum wurde aufgehoben und die Republik eingeführt, vom System des gebundenen Grundbesitzes und der geschlossenen Güter wurde übergesprungen zu dem entgegengesetzten System der freien Theilbarkeit und Unveräußerlichkeit u. s. w. Überall wurde das bisherige Recht abolirt, ausgetilgt und eine neue Rechtsordnung eingeführt, welche ganz von Grund auf neu geschaffen werden mußte. Bl. 332 Nach der Anschauung der historischen Schule dagegen ist die Entwicklung des Rechts eine continuirliche, die keine Sprünge machen kann. Man kann des bestehende Recht fortbilden und in Einklang mit dem sich im Laufe der Zeiten umgestaltenden Lebensverhältnissen fortführen, aber man kann nicht den bestehenden Rechtszustand wegdecretieren und einen neuen an seine Stelle setzen; man kann nicht die bisherige Rechtsentwicklung abbrechen, sondern man muß sie weiterführen. Im Zusammenhang mit diesen Anschauungen über die Entstehung des Rechts steht die Würdigung der Rechtsquellen. Nach der naturrechtlichen Doctrin ist weitaus die wichtigste und angesehenste Rechtsquelle das Gesetz. Denn der Wille des Volkes ist die Quelle des Rechtes, jedes Gewohnheitsrecht besteht auf einem stillschweigenden Willen des Volks, das Gesetz dagegen ist der ausgesprochene Wille; im Gewohnheitsrecht kömmt der Wille des Volks nur thatsächlich zur Anwendung, durch das Gesetz wird er zum Bewußtsein gebracht und erhält mit Bewußtsein Geltung; das Gewohnheitsrecht ist nur ein stillschweigend geduldetes, das Gesetzesrecht ein ausdrücklich sanctionirtes. Nach der historischen Daher erklärt sich die Neigung der liberalen und revolutionären Parteien für die Kodification des Rechts, sowohl des Privatrechts als auch des Staatsrechts in sogen. Constitutionen oder Verfassungs-Urkunden. Nach der historischen Rechtsansicht dagegen entsteht das Recht nicht in der Folge eines bewußten Willensactes, sondern durch einem dem Volke innenwohnenden Triebe, es ist eine Gestaltung, die das Leben des Volkes von selbst vornimmt; es ist in seiner frühesten Zeit mit Symbolen geziert und gleichsam umhüllt. Bei verwickelteren und reicher gegliederten Zuständen sind es zwar technisch gebildete Juristen, die die Fortbildung des Rechts leiten, aber nur als natürliche Repräsentanten des Volkes, nur weil sie eine tiefere Einsicht in die rechtlichen Bedürfnisse haben. Das Gesetz soll daher nicht eigentlich Recht schaffen,
§ 6 Die historische Rechtsschule
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Bl. 332 R. sondern vielmehr nur das vorhandene Recht aussprechen, klarstellen, Zweifel beseitigen, hier u. da entstandene Mißbräuche ausmerzen, momentanen Bedürfnissen abhelfen, und höchstens den Anstoß zur Fortenwicklung geben oder ihr entgegenstehende Hindernisse mit Vorsicht und Schonung wegräumen. Das Gesetz schafft aber nur formell Recht, in Wahrheit, d.h. materiell18 kann das Gesetz die härteste Rechtsverletzung enthalten, es kann die heiligsten Überzeugungen der Nation verletzen, die individuelle Freiheit, die Sicherheit der erworbenen Rechte antasten. Gesetze können althergebrachte, im Volksbewußtsein und in dem socialen Leben tief wurzelnde Rechtsinstitute abschaffen und statt ihrer mit neuen, in der Luft hängenden Einrichtungen experimentieren. Solche Gesetze sind formell bindend, aber materiell nicht Recht19. Ein Recht ist vielmehr um so ehrwürdiger und heiliger, je weniger man sich seines Ursprungs erinnert, je weniger man sich bewußt ist, daß es nur deshalb gilt, weil es so und nicht anders geschrieben ist, je mehr man von der inneren Nothwendigkeit, von der sittlichen Wahrheit überzeugt ist. Der ideale, bei der Unvollkommenheit irdischer Zustände freilich nie zu erreichende Zustand, wäre daher der, daß es gar keines Gesetzes bedarf, sondern jeder in jedem Falle das sichere und zweifellose Gefühl hat, was Recht sei, nicht der, daß ein Gesetzbuch besteht, welches für jeden denkbaren Fall eine unbestrittene Entscheidung enthält. Und die Heiligkeit einer Rechtsvorschrift beruht nicht darauf, daß sie in besonderen Formen erlassen ist, z. B. in Form der Verfassungs-Urkunde oder eines Grundgesetzes, sondern daß sie historisch so befestigt ist und auf so alten Grundlagen ruht, daß niemandem der Gedanke einkömmt, es könnte auch anders sein. Bl. 333 Die historische Rechtsansicht giebt keine prinzipielle Lösung der Frage nach dem Rechtsgrunde der Staatsgewalt und dem Wesen des Staates, aber die von ihr vertretene Auffassung über die Entstehung des Rechts ließ nicht nur eine Anwendung zu auch auf das Staatsrecht, sondern sie schuf ein ganz neues politisches Prinzip. Der Gedanke, daß sich das Volk nach man Verfassungen machen könne, daß constituierende Versammlungen, den ganzen bisherigen Rechtszustand ignorierend, dem Staat eine ganz neue Organisation geben können, daß der Bestand des Verfassungsrechtes davon ab18
Nicht zweifelsfrei lesbar. Laband schreibt hier „recht“ ausdrücklich klein und will es wohl im Sinne von „gerecht“ verstanden wissen. 19
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1. Teil: Der Staat
hängig ist, daß die momentane Ansicht der Majorität ihn für vernünftig oder zweckmäßig erachtet, konnte keinen Platz finden. Auch das öffentliche Recht hat wie das Privatrecht seine Wurzeln im Nationalcharacter u. in den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens seines Volkes und erhält seine Ausbildung in einer fortlaufenden geschichtlichen Entwicklung. Das bestehende Recht hat daher seine Macht über den Einzelnen, nicht weil der Einzelne ihr zustimmt, sondern eben, weil es besteht; es hat seine verbindliche Geltung durch sich selbst. ,die Rechtsordnung und den Staat Damit war wieder eine gesunde, conservative Grundlage gewonnen, gegenüber den destructiven Tendenzen des Naturrechts und der revolutionären Parteien, und es waren auch die beiden Irrthümer des Mittelalters, die von Einzelnen allerdings in unserer Zeit wieder mit großer Energie reproduziert worden sind, vermieden, den Staat theils auf das theoretischen Prinzip unmittelbarer göttlicher Anordnung u. Führung theils auf das patrimoniale Prinzip, d.h. daß alle obrigkeitliche Gewalt ein unentziehbares, wohlerworbenes Privatrecht sei, zu stützen. Der Staat hat seine Wurzel auf der Erde, nicht im Himmel, aber es wird dieser Wurzel ein festerer Boden angewiesen, als dies das Naturrecht vermochte. Fehler der historischen Schule: Antiquarische Rechtsbehandlung, Weniger Verständnis für die Bedürfnisse der Gegenwart, als für die Eigenheiten der Vergangenheit, Opposition gegen den Fortschritt.20
Bl. 333 R. § 7 Die moderne theocratische pietistische Richtung. Hier kann die Kritik der Haller’schen Theorie, siehe oben § 2 u. f., folgen und unter I Haller, unter II Stahl besprochen werden.21 In neuerer Zeit hat man die durch die historische Schule gewonnene conservative Anschauung von Recht und Staat auch philosophisch zu begründen versucht. Diese Richtung hat einen hochbegabten, ebenso gelehrten als geistreichen Vertreter gefunden an Julius Stahl geb. 1802 zu München, gest. 1861 zu Berlin. Sein Hauptwerk, „Die Philosophie des Rechts“ erschien in erster Auflage 1830–33, in dritter Auflage 1856. In diesem Werke giebt Stahl zunächst eine meisterhaft geschriebene Geschichte und Kritik der bisherigen Staatslehre; er zeigt die Schwächen sowohl der abstracten als der Hegel’schen speculativen Philosophie; er erbringt den Nachweis, wie alle 20 Von Laband in kleinerer Schrift offenbar später und nur in Stichworten hinzugefügt. 21 Randbemerkung zur Modifikation der Vorlesungsgliederung.
§ 7 Die moderne pietistische Richtung
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Versuche, den Urgrund der Dinge blos mit den Hilfsmitteln menschlicher Logik zu erkennen, mißlingen müssen und er stellte als die höchste Erkenntniß, zu der jeder wahre Fortschritt der Philosophie immer mehr hinführte, den Satz auf, daß ein persönlicher Gott, der sich der Menschheit offenbart habe, und in dessen freier Willenshoheit22 die gesammte erschaffene Welt ihren Grund habe, die Geschichte der Welt, der Völker und der Einzelnen leite. Die Persönlichkeit Gottes ist nach Stahl das Prinzip der Welt, die menschliche Persönlichkeit und Freiheit ist nur der Ausfluß der göttlichen Persönlichkeit und Freiheit. Der einzelne Mensch sowohl als die Menschengemeinschaft haben die Aufgabe, sich gottähnlich und nach Gottes Geboten zu gestalten. Die Gottähnlichkeit des einzelnen Menschen und die innere persönliche Einigung mit Gott, das sei das Gebiet der Moral, der Grund und Zweck der Tugend; die Ordnung der menschlichen Gemeinschaft nach Gottes Willen, die Erhaltung der göttlichen Weltordnung im Leben des Menschengeschlechts, das sei Grund und Zweck des Staates und des Rechtes. Die Existenz des Staates wird daher gegründet auf den Willen und die Anordnung Gottes. Insoweit steht Stahl durchaus auf dem theocratischen Standpunkt des Mittelalters und befindet sich in Einklang mit der Lehre des Thomas von Aquino. Allein er unterscheidet
Bl. 334 sich von ihr durch folgenden Grundsatz; die Heiligung des einzelnen Menschen, d.h. die Erhaltung der Erstrebung der Gottähnlichkeit, das sei lediglich Sache Gottes durch seine Gebote und seine innere Macht im Gewissen und der freien Erfüllung dieser Gebote seitens des Menschen, insofern sei die Tugend, die Moral individuelle Sache des Einzelnen und nicht Gegenstand eines äußeren Zwanges. Dagegen die Erhaltung der göttlichen Weltordnung in der menschlichen Gemeinschaft, das sei die Sache dieser Gemeinschaft, nicht die des Einzelnen; die Gemeinschaft habe daher die Befugniß, den einzelnen dieser gemeinschaftlichen Ordnung mit Zwang zu unterwerfen. Die Lebensordnung eines Volkes sei daher eine menschliche Ordnung, die Einrichtung und Fortbildung derselben eine menschliche That auf Grund göttlicher Ermächtigung. Die Autorität an sich, die über den einzelnen Menschen stehende Gewalt, der Staat sei von Gott; aber der jeweilige konkrete Träger dieser Gewalt sei nicht unmittelbar von Gott mit dieser Gewalt betraut. Wer Obrigkeit ist, der ist sie von Gott; Gott hat nicht eine bestimmte Verfassung anbefohlen, nicht einen individuellen Machthaber auf Erden eingesetzt, wie dies der Kern der mittelalterlichen theocratischen Theorie von den 2 Schwertern ist, sondern jede Verfassung, die die 22
„hoheit“ nicht zweifelsfrei lesbar.
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1. Teil: Der Staat
Verwirklichung des göttlichen Rechts auf Erden anstrebt, ist eine göttliche Institution. Die bestimmte Verfassung und die bestimmten Personen der Obrigkeit sind historisch gegeben, aber sie sind deshalb nicht minder von Gott verordnet23, sie können nicht willkürlich gegründet werden, sie sind nicht dem Belieben des Volks preisgegeben, sondern sie beruhen auf Gottes Fügung, weil die ganze Weltgeschichte Gottes Fügung sei. Stahl lehrt daher auch weder die absolute Gewalt des Fürsten noch die Unumschränktheit der Staatsgewalt. Denn daß die Obrigkeit von Gott sei, schließt nicht ein, daß diese Obrigkeit keine Grenzen ihrer Wirksamkeit habe, daß ihr Umfang ohne Schranke sei. „Dadurch daß der König seine Vollmacht von Gott hat, ist noch nicht gesagt, daß er diese Vollmacht über alles hat.“ Es folgt daraus nur, daß diese Vollmacht dem König unabhängig vom Willen des Volkes zustehe, daß sie ihm nicht vom Volke übertragen sei und nicht willkürlich ihm vom Volke genommen werden könne und daß er sie nach Gottes Gebot, nicht nicht nach dem Willen des Volkes auszuüben habe. „Würde gesagt“ sagt Stahl (3te Aufl. II, 2 S. 255) „der König sei Stellvertreter Gottes in theocratischer Weise, es gebühre ihm also derselbe Gehorsam wie Gott, Bl. 334 R. dann allerdings wäre seine Gewalt ohne Schranke. Aber es wäre nur gesagt, sein Besitz der königlichen Gewalt sowie die Rechte, die sie verfassungsmäßig in sich schließt, gründen sich auf göttliche Füghung und göttliche Ordnung, nicht auf den Willen des Volkes, und daraus folgt nur, daß diese Gewalt ihn nicht vom Volke genommen werden kann, noch nach dem Willen des Volkes gebraucht werden muß, nicht aber, daß sie keine Schranken habe oder auch jenseits ihrer Schranke Unterwerfung heischte.“ Die Theorie Stahls führt daher zum Prinzip der Legitimität Stahl unterscheidet sich daher von der theorcratischen Auffassung des Mittelalters, daß er nicht die einzelnen historischen facta und concreten Einrichtungen auf unmittelbare, die Natur durchbrechende Thaten Gottes, sondern den Gang der Weltgeschichte im Ganzen als Gottes Fügung ansieht. Der einzelne Staat, so wie er thatsächlich geworden ist, die Dynastie, welche thatsächlich herrscht, ist ein Theil von Gottes Ordnung, weil sie ohne seinen Willen nicht sein könnte. Jede Auflehnung dagegen sei daher ein Eingriff in Gottes durch die Weltgeschichte offenbarten Willen. Zwar können auch Usurpationen, Revolutionen und andere gewaltsame Zerstörungen der hergebrachten Rechtsordnung nicht ohne Gottes Willen geschehen, aber aber sie seien deshalb doch Unrecht, weil sie aus einer Auflehnung gegen die von Gott eingesetzte Autorität entspringen, Gott benutzte sie aber zur Strafe pflichtvergessener Fürsten und Völker, weil er nach seinem Rathschluß das Unrecht durch das 23
„verordnet“ nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 7 Die moderne pietistische Richtung
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Unrecht führt. Eine durch Gewalt, Revolution und Usurpation eingerichtete Staatsform oder Dynastie könne jedoch durch Gottes Billigung rechtsbeständig werden, wenn sich diese Billigung durch das thatsächliche Fortbestehen jener Staatsform oder Dynastie kundgebe. Im Grunde genommen ist diese Theorie von Stahl nichts als eine Verbindung der theocratischen Auffassung des Mittelalters mit der Theorie der historischen Schule Stahl findet eine Offenbarung Gottes nicht blos in den dem jüdischen Volk gegebenen Geboten, sondern auch in der Weltgeschichte, er erkennt das Bestehende als berechtigt an, weil er ihm die Billigung Gottes unterschiebt und darnach wird jede rationelle Begründung des Staats oder der bestimmten Staatsform überflüssig, wenn man nur sich bewußt ist, daß sie gottgefällig ist.
Bl. 335 Stahl spricht viel von der menschlichen Freiheit und ihrem Widerhall; aber er findet die Freiheit in dem freiwilligen Gehorsam, während man gewöhnlich den Gehorsam vor dem Gesetz nur als die Bedingung der Freiheit ansieht. Stahl nimmt keine Rücksicht darauf, daß bestimmte Staatsformen bestimmten Kulturstufen entsprechen und daher ihre innere Berechtigung verlieren, wenn die Kultur zu einer höheren Stufe fortschreitet. War bei einem bestimmten Volke die absolute Monarchie, oder die Priesterdespotie einmal factisch ausgebildet und sonach ein Theil von Gottes Ordnung geworden, so müßte diese Verfassungsform für alle Ewigkeit bestehen, wenngleich sie durchaus nicht mehr den Bedürfnissen der Nation entspricht, da niemand daran zu rühren wagen darf. Würden daher alle Menschen dieser Theorie huldigen, so würde diese Verfassungsform bestehen bleiben, bis Gott sich zu einer unmittelbaren That, zu einer ausdrücklichen Offenbarung seines Willlens entschließt, da von nun an eine andere Verfassung eingeführt werden soll. Damit wäre eine starre eisige Fortexistenz des einmal Gewordenen eine völlige Versteinerung der lebendigen Entwicklung gegeben. Andererseits würde der Satz, daß in der Geschichte sich Gottes Willen unmittelbar kundgiebt zu einer Heiligung des fait-accompli führen. So gut Stahl sagt: „Gott benutze das Verbrechen der Revolution um das Verbrechen der Fürsten zu züchtigen, und zu sühnen“, könnte man mit weit größerer Consequenz sagen: Da Gott nichts zu dulden braucht,was ihm nicht wohlgefällig ist, so war die Mißregierung der Bourbonen so gut sein Wille, wie die Schreckensherrschaft der Revolution. Die Vertreibung der Stuarts war nicht unrecht, sondern Gott wohlgefällig; denn sie war seine Fügung. Der politische Erfolg würde daher allein darüber entscheiden, ob eine That von Anfang recht oder unrecht gewesen sei. In der Behauptung, daß die bestehende Einrichtung, die Autorität des Staats, die hergebrachte Verfassung
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1. Teil: Der Staat
u. s. w. durch Gottes Wille geheiligt sei, könnte man jeder Zeit die Behauptung entgegenstellen, daß Gottes Wille jetzt die Abschaffung dieser Einrichtung verlange und den Beweis dafür durch die thatsächliche Abschaffung erbringen. Das würde zu völliger Anarchie führen: Um zugleich jene vorn erwähnte Unveränderlichkeit des einmal Gegebenen und diese heillose Anarchie zu vermeiden, würde der theocratische Standpunkt Stahls in letzter Consequenz zu der Einrichtung der Bl. 335 R. echt theocratischen Staaten führen, daß eine Behörde eingesetzt wird, ein Priester- oder Auguren-Collegium, welches in allen Fragen den wirklichen Willen Gottes feststellt und verkündet, wie dies bei den asiatischen Völkern noch heut der Fall ist. Die Theocratie ist unter Umständen, bei einem Volke, welches eine ausschließlich religiöse Richtung hat und ein einseitig religiöses Leben führt, durchaus gerechtfertigt. Allein sie paßt nicht für alle Völker und alle Zeiten. Die Überzeugung von der relativen Freiheit des menschlichen Geschlechtes ist gerade den Kulturvölkern unserer Epoche eigen. Die freie menschliche That in der Beherrschung und Gestaltung der menschlichen Verhältnisse, in der Erfüllung der irdischen Aufgabe des menschlichen Geschlechts muß der Ausgangspunkt für die Aufstellung eines politischen Systems sein. Derselbe ist nicht gegen Gott, denn Gott hat ja gerade durch diese Fähigkeit zu freiem und selbstbewußtem Handeln den Menschen ausgezeichnet und daher muß der Gebrauch dieser Fähigkeit seinem Willen gemäß sein. Stahl’s Lehre beruht, wenn man sie logisch auf ihre Fundamente prüft, zuletzt auf einer petitio principii. Er sagt: die Obrigkeit an sich sowohl, als die bestimmte Obrigkeit eines Staates muß allgemein anerkannt und ihr Gehorsam geleistet werden, denn sie ist von Gott und er beweist daß sie von Gott ist, damit, daß sich Gottes Wille darin offenbare, daß sie factisch bestehe, d.h. daß sie allgemein anerkannt und ihr Gehorsam geleistet werde. Wäre ein Zustand völliger Anarchie bei civilisierten Völkern denkbar, so könnte man eben so gut deduciren, die Anarchie ist von Gott geheiligt, Gott will, daß der Mensch in ganz unbeschränkter Freiheit oder besser Willkühr lebe, er will nicht, daß er irgend eine andere Gewalt über sich habe. Beweis: es giebt keine solche Gewalt, folglich will sie Gott nicht; denn wollte er sie, so würde er sie auch herstellen.
§ 8 Die richtige Theorie über den Rechtsgrund der Staatsgewalt
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Bl. 336 § 8 Die richtige Theorie über den Rechtsgrund der Staatsgewalt. Aus den vorhergehenden Erörterungen ergiebt sich, daß man den letzten Grund des Staates weder auf einen abstracten Satz der reinen Vernunft, noch auf eine unmittelbare Anordnung Gottes stützen kann. Der Staat ist vielmehr das Resultat Produkt der menschlichen Kultur, der Gesittung. Es ist unrichtig, den Staat auf ein zwingendes und unwandelbares ethisches oder Vernunftgesetz zu gründen. Denn alsdann müßte der Staat von Anbeginn an da sein und seine ganze Organistaion müßte sich auf einem abstracten, logischen Wege construiren lassen und für alle Völker und Zeiten die gleiche sein. Es giebt Zustände niedriger Kultur, in denen der Mensch des Staats noch gar nicht fähig ist, in denen die Errichtung des Staates nur mit künstlichen und unnatürlichen Mitteln möglich ist. So lange der Mensch vereinzelt oder und in einzelnen Sippen und Horden lebte, im Naturzustande lebt, so lange sich noch nicht Lebensbedürfnisse und Lebenszwecke höherer Art geltend machen, so lange lebt er in Familien und Horden, aber nicht in staatlichen Verbänden. In solchen niederen Zuständen hat der Mensch nur individuelle Bedürfnisse, nur individuelle Interessen; es giebt noch keine Gemeinschaft unter den Menschen, als höchstens die auf den nächsten Banden des Blutes beruhende. Sowie die Kultur des Menschen steigt, so wie er beginnt feste Wohnsitze einzunehmen, den Grund u. Boden zu bebauen, entsteht eine feste Gemeinsamkeit, eine Menge gemeinsamer Interessen, die nur gemeinsam erfüllt werden können. Es entstehen jetzt Beziehungen, die über die Sphäre des Individuums hinausgehen. Die Gemeinschaft als solche hat Zwecke zu erreichen, Aufgaben zu erfüllen, sie bedarf dazu geeigneter Mittel u. einer Organisation. So entsteht, in der Regel langsam u. allmählig, der Staat als das unmittelbare Product steigender Kultur. Je größer die Interessen der Gemeinschaft werden, desto mehr prägt sich der Begriff u. Character des Staates aus. Neunte Vorlesung24 Daher haben die Staaten gewöhnlich vielfache Vorstufen. Die giechischen altitalienischen Gemeinden runden sich in vorhistorischer Zeit zu staatlichen Verbänden ab, sie treten dann in Gemeinschaft mit einander, haben gemeinsame Einrichtungen, bis sie endlich zu einem Reich verschmelzen. Ähnlich in Alt-Griechenland. Bei den Germanen fällt ebenfalls die Staaten24 Ihr Beginn ist nicht zweifelsfrei zu verorten. Laband schreibt diese Bezeichnung an den Rand einer Passage, die sich schlecht für ein Neuansetzen eignet. Falls er seine vorherige Vorlesung ohnehin stets kurz zusammenfasste, scheint es auf die inhaltliche Eignung der Gliederungspunkte auch nicht anzukommen.
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1. Teil: Der Staat
bildung in historische Zeit; Wir sehen aus den nomadisierenden Horden Ansiedlungen, aus ihnen Gemeinden, Bl. 336 R. Völkerschaften, Stammesverbindungen, Staaten werden. Ein ähnlicher Vorgang in viel späterer Zeit ist die Bildung der nordamerikanischen Union. Ja die durch die Kultur gegründete Gemeinschaft führt noch über die Bildung von Staaten hinaus, indem die in verschiedenen Staaten gegliederten Kulturvölker untereinander in die engsten Beziehungen treten, eine Rechtsordnung zwischen ihnen entsteht, gemeinsame Interessen von ihnen gemeinsam verfolgt werden und sie durch alles dies zu einer höheren, die einzelnen Staaten überwölbenden Einheit verbunden werden, wie dies thatsächlich schon jetzt bei den christl. Staaten Europa’s der Fall ist. Andererseits ist es real denkbar, daß die Menschheit einmal einen so hohen Zustand der Kultur erreichen, zu so sittlicher Vollkommenheit u. zu so sicherer Beherrschung der Naturkräfte gelangen könnte, daß sie des Staates nicht mehr bedarf. Wenigstens wenn man sich Engel u. ihr Zusammenleben vorstellt, so pflegt man nicht an Polizeibeamte, und andere Staatsanwälte, Consistorialräthe u. dgl. sich 25 ihrer zu denken, man empfindet, daß sie eine staatliche Organisation nicht bedürfen. Der Staat ist also nicht in der physischen oder sittlichen Natur des Menschen mit Nothwendigkeit geboren, er ist Der Staat ist daher eine durchaus menschliche Institution; er ist nur von Gott, insofern die menschliche Natur, die Kulturfähigkeit des Menschen u. die Verbindung der Menschen zu Völkern von Gott ist. Aber der Staat ist andererseits auch nicht eine Schöpfung eines freien u. bewußten Willensactes der einzelnen Menschen u. es ist daher verfehlt, den Rechtsgrund für die Unterwerfung der Einzelnen unter den Staat in einem Vertrage zu finden, oder aus der Freiheit des Einzelnen herzuleiten. Denn der Mensch kann sich dem Staate so wenig entziehen, wie er auf den Kulturzustand seines Volkes u. seiner Zeit verzichten kann, der ihn umgiebt, der Mensch nimmt Antheil an demselben, er mag wollen oder nicht. Die Gemeinschaft des Volkes erfaßt ihn mit; er kann nicht eine isolierte Existenz als Urmensch führen, denn er wird gleich in einen bestimmten Kulturzustand und damit in eine Volksgemeinschaft, in einen Staatsverband sozusagen hineingeboren. Sowie er einer bestimmten Race angehört u. ihre Merkmale an sich trägt, so gehört er auch einer bestimmten Kulturstufe des menschlichen Geschlechtes an, bei der das staatliche Zusammenleben eine Kulturnothwendigkeit ist. Dies ist der richtige 25
Der Satz wird ohne diesen Zusatz kaum verständlich.
§ 9 Der Zweck des Staates
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Bl. 337 Sinn des aristotelischen Satzes, der Mensch sei ein (zw ~ on politikÎn) zoon politikon. Die Existenz des Staates bedarf daher so wenig einer Rechtfertigung, als die Cultur der Menschen einer logischen oder ethischen Rechtfertigung bedarf. Die Kultur ist da, weil die Menschen als kulturfähige Wesen geschaffen sind, die Kultur erzeugt unter ihnen enge und weitere Verbände u. die Organisation dieser Menschengemeinschaften ist der Staat. Der Staat ist daher berechtigt zu existieren, weil es eine unmittelbare Consequenz der Civilisation ist. Mit dem Grunde des Staates ist aber auch der Rechtsgrund der Staatsgewalt gegeben. Denn die Staatsgewalt ist unentbehrlich für die Erfüllung der Zwecke des Staates. Hat der Staat Aufgaben zu erfüllen, so müssen ihm auch die dazu erforderlichen Mittel zu Gebote stehen. Die Existenz des Staates ist der einzige, aber auch völlig ausreichende Rechtsgrund für die Existenz der Staatsgewalt; ist daher die Nothwendigkeit oder der Grund des Staates dargethan, so ist auch die Berechtigung der Staatsgewalt erwiesen. Es ist selbstverständlich, daß hier immer nur von der Staatsgewalt als abstracten Begriff die Rede ist. Die concrete Staatsgewalt entsteht durch historische Ereignisse; der Staat Preußen, seine Existenz u. seine Ausdehnung, ist durch historischen Facten begründet und der Rechtsgrund dieser Staatsgewalt über die unterworfenen Völker und Länder beruht auf positiven und somit zufälligen Gründen, aber daß diese Völker und Länder irgendeiner Staatsgewalt überhaupt unterthan sein müssen, das ist eine logisch nothwendige Consequenz ihres Culturzustandes. Die älteren Theorien beruhten hauptsächlich auf dem Fehler, daß sie Rechtsgründe, auf denen die concrete positive Staatsgewalt der einzelnen Staaten beruhen kann, wie Vertrag, Eroberung u. s. w. als der Rechtsgrund der Staatsgewalt in abstracto darzustellen suchen. Für die Staatsgewalt in abstracto bedarf es nur des Erweises ihrer Vernünftigkeit, nicht ihrer Begründung auf einen Rechtstitel, der für alle gleichmäßig gilt; die Errichtung einer concreten Staatsgewalt ist ein historisches Phänomen und viel öfter ein erfolg der Macht, als ein Ergebniß des Rechts.
Bl. 337 R. § 9 Der Zweck des Staates Aus der Anschauung, die man über den letzten Grund des Staates und der Staatsgewalt hat, ergiebt sich zugleich die Ansicht über den Zweck des Staates. Es ist gleichsam nur die entgegengesetzte Richtung, nach der man den Blick wendet. Bisher beantworteten wir das Woher jetzt fragen wir uns wofür ? Die Antwort, die wir auf die erste Frage gefunden haben, wird,
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1. Teil: Der Staat
wenn wir nur die Richtung consequent verfolgen, auch für die zweite maßgebend sein. Und in der That finden wir in der Geschichte und der Literatur hinsichtlich des Zweckes des Rechts eine ebenso große Verschiedenheit der Ansichten, wie wir hinsichtlich seines philosophischen und rechtlichen kennen gelernt haben. Auch hier werden wir daher nicht alle möglichen Definitionen durchmustern, welche irgend ein Schriftsteller aufgestellt hat und ihre Stichhaltigkeit und schwachen Stellen in scholastischer Weise aufspüren, sondern wir werden uns auf diejenigen Hauptansichten beschränken, welche zugleich maßgebend für die Hauptrichtungen des öffentlichen Lebens der Völker sind u. selbst bei diesen werden wir uns meistens kurz fassen können, mit Rücksicht auf die in den vorhergehenden §§ dargelegten Haupttheorien über den Staat u. deren Kritik. Sittengesetz I. Weitverbreitet ist die Theorie, der Staatszweck bestehe in der Verwirklichung des Sittengesetzes. Die sittliche Vollkommenheit des Menschen, die Verwirklichung seiner Gottähnlichkeit sei die höchste Aufgabe des Menschen und also auch der menschlichen Gemeinschaft; Der Staat aber als die höchste und vollkommenste Darstellung und Organisation dieser Gemeinschaft habe auch im höchsten Grade diesem Zweck zu dienen. Die Realisation der höchsten sittlichen Ideen sei daher die adequate Lebensaufgabe des Staates und das höchste Prinzip für seine Thätigkeit. Diese Theorie hat etwas Erhabenes, sie scheint der sittlichen Natur des
Bl. 338 Menschen zu entsprechen. und ebenso der ethischen Natur des Staates; alles Hohe und Edle wird dadurch als das Ziele des Staates und seiner Thätigkeit hingestellt, alles Niedrige und Schlechte, alles das Menschenunwürdige aus der Lebenssphäre des Staates verwiesen. Allein diese Theorie ist dennoch unhaltbar, sie verkennt offenbar die Aufgabe des Staates, denn sie stellt ihm eine unmögliche Aufgabe, sie vernichtet die Freiheit des Individuums und zwar am meisten auf einem Gebiete, wo sie besonders heilig und unantastbar ist, und sie ist in ihrer Einseitigkeit durchgeführt geradezu unsittlich. Sie stellt dem Staat eine unmögliche Aufgabe, denn die Heiligung des Menschen ist Sache seines inneren Lebens; die sittliche Vervollkommnung kann durch staatliche Macht nicht erzwungen und darum auch von ihr nicht gefördert hergestellt werden. Sowie das Recht nicht im Stande ist, die Moral der Einzelnen zu erzwingen und zu erhöhen, so kann auch das sittliche Leben der Nation nicht durch den Staat zur Verwirklichung gelangen. Diese Aufgaben fallen wesentlich der Religion und der Kirche zu, die Kirche hat
§ 9 Der Zweck des Staates
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das Sittengesetz jedem eindringlich zu machen und den sittlichen Wandel des Volkes anzustreben. Der Staat kann sich nur auf dem Gebiete thätig zeigen, auf dem die äußere Erzwingbarkeit seiner Gebote möglich ist. Jene Theorie führt zu einer Vermengung von Staat und Kirche, die für keinen von beiden Theilen heilsam ist. Dem Staat wird eine Aufgabe gegeben, die die Kirche erfüllen muß und der Kirche wird in der Staatsgewalt eine Macht zur Erreichung ihrer Ideale zu Gebote gestellt, welche die Kirche veranlaßt, das ihr eigene Gebiet innerer Einwirkung und Heiligung zu verlassen und das Gebiet äußeren Zwanges zu betreten. Es wird durch diese Verschmelzung von Staat und Kirche nicht die Kraft jeder dieser beiden Anstalten erhöht, wenn das auch vorrübergehend und scheinbar der Fall ist, sondern es wird dadurch mit Nothwendigkeit ein Kampf zwischen beiden heraufbeschworen, der für beide verderblich ist. Je nach dem dieser Kampf entschieden wird, giebt entweder der Staat seine Selbständigkeit auf und wird zum Schergen der Priester, oder die Kirche verliert ihre Freiheit und wird zu einer polizeilichen Anstalt degradiert. Ist aber
Bl. 338 R. der Kampf unentschieden, so vernichten Staat und Kirche gegenseitig ihre Autorität, ihre Macht und ihren Einfluß und keine von beiden Anstalten kann gedeihen. Das Mittelalter beweist die Wahrheit dieser Sätze. Die Theorie vernichtet ferner die Freiheit des Individuums. Es giebt kein absolutes Erkennungszeichen für den wahren Inhalt des Sittengesetzes; nach verschiedenen philosophischen und religiösen Standpunkten, nach verschiedenen Kulturstufen wird das Sittengesetz anders aufgefaßt. Die Weltgeschichte giebt Beispiele genug dafür, wie weit auseinander die sittlichen Grundanschauungen der verschiedenen Nationen gehen. Dasselbe wiederholt sich bei unzähligen einzelnen Fragen unter den Angehörigen derselben Nation. Diesen verschiedenen Auffassungen kann nicht gleichzeitig Rechnung getragen werden; nur einer derselben kann die Staatsgewalt zur Verwirklichung helfen wollen. Und daraus ergiebt sich die Unterdrückung aller derjenigen Staatsangehörigen, welche eine abweichende sittliche Überzeugung haben. Diese Unterdrückung ist um so schrecklicher, als sie nicht blos die äußeren Handlungen der Menschen betrifft, sondern sondern vorzüglich ihr inneres Leben berührt und dasselbe unter Staatscontrolle stellt. Die Verbrennung der Hexen, die Verfolgung der Ketzer, die Rechtloserklärung oder Ausrottung Andersgläubiger; das sind Consequenzen diser Theorie. Freiheit des Glaubens und der Wissenschaft, sowie Übung der sind mit ihr unvereinbar, der Staat wird eine sittliche Beaufsichtigungs- und Bevormundungsanstalt. Die Theocratie stellt sich die Verwirklichung dieser Theorie zur Aufgabe und es ist sattsam durch die Geschichte bewiesen, daß individuelle
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1. Teil: Der Staat
Freiheit in theocratischen Staaten keine Stätte hat. Diese Theorie ist endlich in ihrer Einseitigkeit geradezu unsittlich. Denn sie vermischt die sittliche Freiheit des Menschen, welche selbst ein Gebot der Sittlichkeit ist. Es giebt keine Sittlichkeit ohne innere Freiheit. Wenn der Staat eine Normal-Sittlichkeit aufstellt und deren Beilegung mit Gewalt erzwingt, so vernichtet er die Sittlichkeit. Denn wer ein Bl. 339 gewisses Glaubensbekenntnis ablegt, deshalb, weil er sonst gefoltert und verbrannt würde, dessen Glaube hat keinen sittlichen Werth; wer den Sabbath heiligt, weil er sonst eingesperrt wird, dessen Sabbathsheiligung ist kein sittliches Werk; wer die Armen unterstützt, mit dem Betrage, den der Staat ihm dafür abpreßt, der verübt keine Wohlthätigkeit im ethischen Sinn. Die Sphäre der sittlichen Handlung beginnt erst da, wo der äußere Zwang aufhört; wenn daher der Staat das gesammte Gebiet des Sittengesetzes für sich occupiren würde und die Verwirklichung des Sittengesetzes mit Gewalt durchzuführen im Stande wäre, so würde aber für die wahre Sittlichkeit gar kein Gebiet übrig bleiben; die Sittlichkeit wäre verbannt und der Gehorsam vor der Polizei an ihre Stelle getreten. In der bekämpften Theorie liegt aber allerdings eine Wahrheit; nur muß sie nicht als positive Aufgabe des Staates, sondern als negative Schranke desselben hingestellt werden. Der Staat hat nicht die Aufgabe, das Sittengesetz vollkommen zu verwirklichen, aber: nichts Unsittliches darf der Staat sich zur Aufgabe stellen, das Gemeinwesen der Menschen muß sittlichen Ideen dienen und von ihnen erfüllt sein. Eine Räuberbande oder eine CorsarenColonie wird niemals das Muster eines Staates sein, mag sie nach so wohl organisiert sein, mag noch so straffe Ordnung in ihr herrschen, mag das Recht ihrer Angehörigen gegen einander noch so fest geschützt sein, mag ihr Wohlstand und ihre Macht noch so wachsen und blühen. Die ethische Natur des einzelnen kann nicht in der Gesammtheit der Einzelnen gänzlich verschwinden, sie wird und muß sich auch hier geltend machen; aber die vollkommene Erreichung ethischer Ziele kann nur das Werk des innerlichen Lebens des einzelnen sein und daher nicht in äußerlicher Art von der der Gesammtheit zukommenden Gewalt erzwungen werden. Bl. 339 R. II. Die Wohlfahrtstheorie Salus publica suprema lex esto. Die Hebung des Nationalwohlstandes, die allgemeine Glückseligkeit, die Förderung der Bevölkerung u. dgl. Formeln
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werden von den Vertretern dieser Theorie gebraucht. Dieselbe ist aus ähnlichen Gründen verwerflich, wie die vorher besprochene. Das öffentliche Wohl ist ein vager Begriff, eine leere Phrase, ohne bestimmten Inhalt. Wenn man an das Wohl jedes einzelnen Staatsgenossen denkt, wenn man wie Heinrich IV. von Frankreich die Aufgabe der Staatsgewalt darin findet, daß jeder Bauer sein Huhn im Topfe habe, so stellt man dem Staat eine Aufgabe, die er durchaus nicht erfüllen kann. Zehnte Vorlesung. Die Glückseligkeit und das Wohlbefinden des Einzelnen hängt von individuellen Wünschen und. Neigungen des Einzelnen ab, die nicht die Gesammtheit für jeden befriedigen kann, sondern die nur jeder Einzelne mit einiger Kraft erringen kann. Es giebt keine allgemeine Durchschnitts-Glückseligkeit. Ein Staat, welcher seine Bürger mit Zwang glücklich machen will, wird immer einen großen Theil derselben unglücklich machen und es nur denen nach Wunsch thun, deren Bedürfnisse und Neigungen mit der jeweiligen Regierung übereinstimmen. Kant sagt treffend: der Souverain will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen und wird Despot, das Volk will sich den allgemeinen Anspruch auf eigene Glückseligkeit nicht nehmen lassen und wird Rebell. Versteht man aber unter dem öffentlichen Wohl nicht das Wohl aller Einzelner sondern das Wohl des gesellschaftlichen Organismus, so bedeutet es nicht anderes, als das Gedeihen der Zwecke dieses Organismus und es giebt uns daher keinen Aufschluß darüber, worin diese Zwecke bestehen. Erst wenn wir diese Zwecke kennen, wissen wir, worin das Gemeinwohl besteht. Diese Theorie ist aber überdies gefährlich; sie führt zu einer unerträglichen Bevormundung. Im vorigen Jahrhundert erreichte sie ihre vollkommenste Ausbildung; der aufgeklärte Absolutismus, der Polizeistaat, der ist die Durchführung derselben. Wenn man den Unterthanen verbietet, Kaffee zu trinken, eine bestimmte Art der Landwirtschaft befiehlt, die Kleider für die verschiedenen Stände vorschreibt, und die Anzahl der Schüsseln und Gäste bei Hochzeiten normirt und dgl., so rechtfertigt sich das aus dieser Theorie. Jede eigene Thätigkeit des Volkes wird gelähmt, sein wirthschaftlicher Aufschwung wird auf den Weg büreaucratischer Verfügungen gewiesen. Bl. 340 Insbesondere aber ist diese Theorie deshalb durchaus verwerflich, weil sie den Einzelnen der Staatsgewalt gegenüber schutzlos u. rechtlos macht. Wenn die regierende Partei oder der Monarch eine Maßregel für geboten erachtet im öffentlichen Interesse so kann er sich dieser Theorie zu Folge
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dadurch nicht abhalten lassen durch entgegenstehende Rechte. Im 19. und im vorigen Jahrhundert26 wurden Menschen hingerichtet und das Todesurtheil motiviert: „weil sie besser todt als lebendig“. Es könnten Güter der Unterthanen confiscirt werden, weil der Staat sie bedarf. Dem absoluten Monarchen gegenüber, der von jenem Prinzip ausgeht, ist jeder Unterthan gänzlich seiner Willkühr preisgegeben; der Vorwand, daß es zum Besten der Gemeinschaft nöthig sei, rechtfertigt jede That. Auch auf der demokratischen Seite ist dieses Prinzip weit verbreitet. – Französischer Wohlfahrtsausschuss – Säcularisation des Kirchengutes – Aufhebung der Adelsrechte, des Jagdrechts, des Obereigenthums u. dgl. – Herrschaft dieses Systems in den romanischen Ländern, namentlich in Frankreich; Herüberdringen deselben nach Deutschland. – Institution der Staatsanwaltschaft. – Richtiger Kern dieser Theorie. III. Die Theorie des Rechtsstaates. Das ist die ausgebildete Theorie des Naturrechts; ihr Hauptvertreter ist Kant, durch ihn wurde sie lange Zeit die allgemein herrschende in Deutschland. Das kantische Naturrecht stützt den Staat auf die Freiheit des Individuums u. auf die durch diese Freiheit gegebene Maxime der Coexistenz. Der Zweck des Staates besteht demgemäß darin, diese Existenz der gleichen Freiheit aller zu schützen und zu ermöglichen u. dies geschieht dadurch, daß der Staat jeden in seinem Rechte schützt. Der Staat ist sonach eine Zwangsanstalt zur Verwirklichung des Rechts; er gewährt jedem eine Garantie für den Genuß seines Lebens die Unverletzlichkeit seiner Person und seines Vermögens; er schließt alle Gewalt aus, er ermöglicht dadurch die friedliche Coexistenz aller Menschen. Diese Theorie steht im directen Gegensatz zu der vorher besprochenen des öffentlichen Wohls; und alle Schattenseiten der Wohlfahrtstheorie sind daher Lichtseiten der Rechtsstaatstheorie. Bl. 340 R. Sie schließt alle polizeiliche Bevormundung der Unterthanen, alle despotische Regierung und Willkühr, alle Verletzung wohlerworbener Rechte, alle Beugung der Gerechtigkeit zu Gunsten der sogenannten öffentlichen Wohlfahrt aus; sie sichert dem Einzelnen seine Rechte und seine Freiheit, sie gestattet ihm selbständig seine geistigen und materiellen Interessen zu verfolgen. Es ist daher kein Wunder, daß der Rechtsstaat zu einem Schlagworte der politischen Parteien geworden ist, daß man den Übergriffen der Büreaucratie und den polizeilichen Maßregelungen und Quälereien gegenüber die Theorie des Rechtsstaates in das politische Partei-Programm auf26 Noch im 19. Jahrhundert niedergeschrieben lautete die Passage zuerst: „im vorigen Jahrhundert“, die kursiv erscheinenden, später hinzugefügten Worte verwiesen dann auf das 18. und das 19. Jahrhundert.
§ 9 Der Zweck des Staates
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nahm. Allein diese Verherrlichung des Rechtsstaates ist auch weiter nicht als in der politischen Agitation verwendete Phrasen; die wirkliche Realisierung des Rechtsstaates würde gerade am allerwenigsten derjenigen Partei zusagen, die sich zu seinem Ruhm heiser schreit. Denn die Rechtsstaatstheorie würde consequent durchgeführt jeden Fortschritt, ja sogar jede eigentlich staatliche Thätigkeit ausschließen. Hat der Staat keine andere Aufgabe, als wohlerworbene Rechte zu schützen, so hört alle staatliche Fortentwicklung auf. Die Rechtsstaats-Theorie führt zu dem starrsten Conservativismus, zu chinesischen Zuständen. Die Rechtsstaats-Theorie beruht aber auch vom Standpunkt philosophischer Betrachtung aus auf einem Fehler; auf demselben, den wir in der naturrechtlichen Lehre nachgewiesen haben. Sowie die abstracte Philosophie den positiven Gehalt des Lebens nicht erfassen, sondern nur die inhaltslosen Schablonen des logisch-nothwendigen finden kann, so verkennt auch die Rechtsstaats-Theorie den reichen Inhalt des staatlichen Lebens, die vielseitige Geltendmachung der staatlichen Kräfte und sieht nur die einzige, mehr formale Seite der Staatsthätigkeit, die Handhabung der Gerechtigkeit. Es ist freilich wahr, daß die Gerechtigkeit dem staatlichen Leben nicht fehlen darf und kann und daß sich alle Handlungen und Äußerungen des Staates durchdringen soll, aber es liegt hierin nur ein negatives Moment, die Abwehr der Ungerechtigkeit, die Nichtverletzung des Rechtszustandes seitens der Staatsgewalt u. die Nichtduldung einer Bl. 341 Rechtsverletzung seitens des Einzelnen; eine positive Aufgabe wird dem Staat durch jene Theorie nicht gestellt. Der Staat wird zu einer AssecuranzGesellschaft zur Erhaltung des Rechts degradiert; Schlözer stellt ihn mit vollem Ernste den Brandcassen an die Seite; noch in neuester Zeit hat ein Schriftsteller (Bähr. Der Rechtsstaat. 1864) den Staat den privatrechtlichen Genossenschaften eingereiht. Ein Bild von dem Zustande eines Rechtsstaates entrollt uns die Weltgeschichte in annäherndem Maße in der Verfassung des deutschen Reiches in den letzten Zeiten seines Bestehens. Hier hatte die Reichsgewalt fast keine andere Aufgabe, als den Landfrieden zu schützen, als die Rechte aller einzelnen Stände gegeneinander aufrecht zu erhalten. Zu einer eigentlichen Handlung, einer lebensfrischen That konnte es nur kommen, wenn die Reichsstände alle einwilligten. Aus diesem Staatsorganismus war daher alle Lebenskraft verschwunden; es wird niemand behaupten, daß das Deutsche Reich auch nur entfernt die Aufgaben eines Staats erfüllt habe; geschweige denn, daß es das Ideal eines Staates repräsentire. Das Reich siechte langsam dahin, kraftlos und thatenlos, sein Leben bestand in der Beobachtung
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1. Teil: Der Staat
werthloser Formen und sein Hinsterben empfand niemand als einen Verlust. Denn selbst die Aufgabe, welche die Rechtsstaats-Theorie dem Staate stellt, kann derselbe nicht erfüllen, wenn wenn er sie einseitig zu seinem Princip macht; denn es fehlt ihm zuletzt an der Kraft, sie durchzuführen. Wenn alle andere Thätigkeit des Staates unterbunden wird, so fehlt ihm allmählig die Fähigkeit, das Recht mit Gewalt zu erzwingen verwirklichen; er kann dies Recht dann nicht mehr schützen, sondern nur noch Urtheile über das, was Recht ist, abgeben, die keinen Werth haben, wenn ihre Befolgung nicht gewaltsam durchgeführt werden kann. Der Rechtsstaats-Theorie liegt eine Verwechslung zu Grunde, zwischen dem positiven Inhalt des Staatszweckes und den Gränzen der Staatsgewalt bei Befolgung derselben. Die wohlerworbenen Rechte der Individuen sollen eine feste Gränze für die Staatsgewalt bilden, die sich nur im äußersten Nothfalle durchbrechen darf; die Gerechtigkeit soll nicht unter dem wahren oder Bl. 341 R. eingebildeten öffentlichen Wohle leiden, denn die Wahrung der Gerechtigkeit selbst ist das höchste u. heiligste Postulat des öffentlichen Rechtes; aber die Rechtsstaats-Theorie übersieht ganz die wichtigen Aufgaben des Staates, die derselbe innerhalb des von der Gerechtigkeit umgränzten Gebietes hat, nämlich die Sorge für die materielle Wohlfahrth und für die geistige Erhebung des Volkes. IV. Die Selbstzweckstheorie IV. Der speculativen Philosophie entsprechend wird den einzelnen Staaten ein verschiedener Zweck beigelegt. Der Göttercultus sei der Zweck des ägyptischen oder jüdischen Volkes gewesen. Die körperliche Ausbildung und die persönliche Tapferkeit der des Spartanischen, die Rechtsbildung der des Römischen. Einzelne Völker Staaten, wie der französische, schreiben sich wohl die Mission zu, die Civilisation zu verbreiten u. s. w. In dieser Beantwortung liegt eine Verkennung der Frage. Es handelt sich nicht um die historische Bedeutung eines concreten Staates, nicht um die Idee, welche eine speculative Betrachtung der Weltgeschichte, in diesem oder jenem Volke realisiert findet, sondern um die Aufgabe der Staatsgewalt als abstracto. Sehr wahr ist es, daß diese Aufgabe bei verschiedenen Völkern in verschiedener Weise gelöst werden muß u. daß sehr verschiedenartige Probleme an die Staaten herantreten können; der Staat der Juden hatte allerdings in concreto die Aufgabe, den Cultus des einigen persönlichen unsichtbaren Gottes zu verwirklichen, während die griechischen Staaten oder der Römische andere concrete Zwecke hatten. Allein für uns handelt es sich um den Zweck der Staatsgewalt in abstracto, d.h. um die allgemeine For-
§ 9 Der Zweck des Staates
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mel, die auf jeden Staat zutreffen muß, die sich nur nach den historisch gegeben, zufälligen Momenten bei den einzelnen Staaten näher bestimmt, und die doch andererseits einen festen und die gesammte Staatsleistung umfassenden Inhalt hat. Bl. 342 V. In neuerer Zeit begegnet man häufig der Formel, der Staat sei Selbstzweck, d.h. Zweck des Staates sei die möglichst vollkommene Verwirklichung seiner eigenen Idee und die zweckmäßigste Durchführung seiner eigenen Organisation. Es ist dies dieselbe Formel, die auch auf andern Gebieten wiederkehrt; die Kunst sei sich selbst Zweck; die Wissenschaft sei sich selbst Zweck, die Tugend sei sich selbst Zweck. Wenn damit nichts weiter gesagt werden soll, als daß Staat, Kunst, Wissenschaft, Tugend keinen rein äußerlichen, außerhalb ihres eigenen Begriffes liegenden Zweck haben, so ist dieser Gedanke zwar sehr richtig, aber zugleich sehr trivial. Wenn aber durch diese Theorie eine wirkliche Erklärung der wahren Aufgabe des Staates gegeben werden soll, so reducirt sich ihr Werth auf eine lehre Phrase und ist eigentlich nichts als ein Bekenntniß, daß man diese Aufgabe nicht zu definiren weiß. Denn erst muß man wissen, welche Aufgabe der Staat hat, welche Zwecke er zu verwirklichen bestimmt ist, ehe man beurtheilen kann, worin das Ideal des Staates resp. der Staatsform besteht. Der Staat sei Selbstzweck löst sich daher in den Satz auf: Zweck des Staates ist, diejenigen Zwecke Gestalt zu erreichen, durch welche er am besten geeignet wird, seine Zwecke zu erfüllen. Diese Regel setzt daher voraus, daß man die Zwecke des Staates schon kennt. Der Zweck, das Ziel, das sind Begriffe die auf einen entfernten Punkt hinweisen, eine Richtung, folglich eine Bewegung, ein Fortschreiten voraussetzen. Wird aber dieses zu erstrebende Ziel in den Staat selbst verlegt, so fällt der zu erreichende Punkt in den Ausgangspunkt selbst und es ist somit der Begriff der Bewegung aufgehoben. So richtig dies von räumlichen Bezeichnungen ist, so richtig ist es auch von logischen Argumentationen. Mit der Theorie vom Selbstzweck gelangt man höchstens dazu, sich ewig im Kreise herumzudrehen. Bl. 342 R. Elfte Vorlesung VI. Die richtige Ansicht über den Zweck des Staates ergiebt sich aus dem wahren Grunde desselben. Beruht der Staat auf der Kultur und auf der daraus hervorgehenden Gemeinschaft des Volkes, so kann auch seine Aufgabe nur die sein, die Interessen dieser Kultur und dieser Gemeinschaft in ihrer
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1. Teil: Der Staat
Totalität zu fördern; das Organ zu sein, in dem dieses Gemein-Leben eines Volkes zur Existenz kömmt. Nur diese Theorie erschöpft die Aufgabe des Staates und giebt andererseits ihr eine feste Begründung. Alles was das Gemeinleben eines Volkes erfordert, das muß der Staat erstreben, alle Interessen, die über die Sphäre des Individuums hinausgehen, die Gesammt-Interessen der Gesammtheit sind, alle diese muß der Staat fördern. Daher hat der Staat nicht für den Wohlstand des Einzelnen zu sorgen und ihn in seiner Erwerbsthätigkeit polizeilich zu bevormunden; aber die Sorge für den Nationalwohlstand, für den Aufschwung der Landwirthschaft, des Handels, der Gewerbethätigkeit, das ist wol eine Sorge des Staates. Der Staat hat nicht den Glauben und die Religiosität des Einzelnen zu untersuchen oder ihn zu äußerlichen Gottesdienst anzuhalten, aber der Schutz der Religion, das Gedeihen der Kirche, welche dem concreten Kulturstande der gegebenen Nation eigen ist, die ungehinderte Ausübung des Cultus, das ist wol ein Interesse der Gesammtheit und darum eine Sorge des Staates. Es geht zu weit den Staat für Kunst und Wissenschaft verantwortlich zu machen; eine officielle Kunst- und Wissenschafts- Production wird selten Werth haben, aber die Hebung der Geistescultur des Volkes liegt dem Staate ob, u. sowie die gesammte Nation ein Interesse an der Blüthe der Kunst und Wissenschaft hat, wird auch der Staat die Pflicht haben, Kunst u. Wissenschaft zu fördern. Der Staat fixirt kann aber seine Gränz bei seiner Thätigkeit, wenn sie die Hebung und Förderung der Kultur bezweckt, nicht die Grundlagen, auf denen diese Kultur vorzüglich beruht, verletzen; d.h. er kann nicht Maßregeln Mittel anwenden, die den Anschauungen der Nation über Sittlichkeit und Gerechtigkeit verletzen widersprechen27; insofern kommen die Sittengesetz- u. Rechtsstaats-Theorie zur Anwendung Geltung, d.h. in dieser negativen Bl. 343 Weise als Schranken der Staatsgewalt; ja auch in positiver Hinsicht als die Handhabung des Rechts, die Pflege der Gerechtigkeit mit zu der vom Staate zu erfüllenden Aufgabe gehört. Endlich findet auch der Kern von Wahrheit, der in der Selbstzwecks-Theorie steckt, seine Anerkennung. Denn der Staat hat allerdings auch die Aufgabe, sich selbst so zu organisieren, daß er seiner allgemeinen Aufgabe, dem Schutz und der Förderung der allgemeinen Kultur-Interessen am vollständigsten entsprechen kann; und diese Vollendung der staatlichen Organisation ist in sofern ein selbständiger Zweck, als bei jeder einzelnen Maßregel nicht ein unmittelbar practischer Erfolg erwartet zu werden braucht, sondern sie ihre genügende Rechtfertigung in dem Ausbau der Staatsverfassung selbst findet. So ist es 27
Nicht zweifelsfrei lesbar.
§ 10 Die Grenzen der Staatsgewalt
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die Aufgabe des Staates, für seine Wahrhaftigkeit und Selbstständigkeit zu sorgen, auch wenn kein Feind droht; seinen Credit durch eine gute Finanzcontrolle zu befestigen, auch wenn er keine Anleihe bedarf; seine Verwaltungsbehörden möglichst zweckmäßig zu organisieren, auch wenn dadurch kein unmittelbarer Gewinn für die materielle Volks-Wohlfahrth zu erwarten ist. Diese Theorie ist weit entfernt, ein Recept den Staatsmännern zu liefern, das sie überall und alle Zeit einfach befolgen könnten. So verschieden die Kultur der verschiedenen Zeiten und Völker ist, so abweichend die Interessen sein können, welche die verschiedenen Nationen, als Gesammtexistenzen, haben, so vielfach modifizirt sich auch die Aufgabe des Staates. Bei einem durchaus religiös gestimmten Volke, wie es die Juden waren, dessen Kultur fast ausschließlich auf dem religiösen Glauben beruhte und dessen Interessen sich alle um diesen Glauben gruppirten, war die theocratische Vorstellung das natürliche Resultat und die wesentliche Aufgabe des Staates bestand in der möglichst vollkommenen Durchführung des religiösen Glaubens. Bei einem Volk von großen Reichthum und hoher Intelligenz; das auf der Höhe der Industrie und Technik steht, bei dem der Einzelne die Hülfe und Unterstützung der Gesammtheit in seiner Erwerbsthätigkeit kaum bedarf, und wenn da, wo die Kräfte des Einzelnen nicht ausreichen, freie Vereinigungen von selbst zu Stande kommen, wie in England und Nordamerica, da wird der Staat seine Thätigkeit hauptsächlich auf den Schutz gegen äußere Feinde und auf die Handhabung der Justiz
Bl. 343 R. beschränken können. Daß der Staat Karls’s des Großen im einzelnen eine ganz andere Aufgabe zu lösen hatte, als der Staat Friedrich’s des Großen, das ergiebt sich aber aus der Verschiedenheit der Kulturzustände und der Verschiedenheit der daraus resultirenden Interessen. Trotzdem liegt allen diesen verschiedenen Erscheinungen ein allgemein gültiges, höchstes Gesetz zu Grunde, eine Einheit, auf die alle Aufgaben, die die einzelnen Staaten zu erfüllen haben, sich zurückführen lassen, und diese höchste allgemeine Aufgabe des Staates ist: die äußere Ordnung und Förderung des gesammten socialen Lebens. § 10 Die Grenzen der Staatsgewalt. Daß auch die Staatsgewalt ihre Gränzen hat, ist eine Wahrheit, die man oft verkannt hat. Bis in unser Jahrhundert hinein war der Irrthum herrschend, daß weil die Staatsgewalt keine höhere Gewalt über sich hat, der Staat Ge-
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1. Teil: Der Staat
walt über alles hat. Man verstand unter Souveränität die Omnipotenz, die Losgebundenheit von allen Schranken. Wahr ist es, daß die Staatsgewalt innerhalb des Gebietes ihrer Thätigkeit die höchste Gewalt ist; aber dieses Gebiet selbst ist beschränkt. Und auch innerhalb ihres Gebietes findet die Staatsgewalt gewisse Begränzungen, die sie zu respectiren hat. Wir werden daher zweierlei Grenzen der der Staatsgewalt aufzustellen haben, die man als äußere und innere von einander unterscheiden kann, ganz abgesehen von der territorialen Begrenzung der Staatsgewalt auf das ihr unterworfene Land. I. die äußeren Grenzen der Staatsgewalt ergeben sich aus der Aufgabe derselben; da die Ordnung und Förderung des Gemeinlebens der Nation der Zweck des Staates ist, so so reicht auch die Staatsgewalt nur so weit, als es dieser Zweck erheischt. Daraus ergeben sich folgende Beschränkungen: 1.) Das Privatleben der Bürger soll von den Eingriffen der Staatsgewalt frei sein, sofern es sich der öffentlichen Ordnung nicht widersetzt. Nur das Gemeinleben der Nation ist Sache des Staates; die Lebensaufgabe der Individuen ist von diesen selbst zu lösen.
Bl. 344 2.) Der Staat soll, auch wo ein Interesse der Gesammtheit mit betheiligt ist, erst da eingreifen, wo Privatthätigkeit nicht ausreicht. Eine feste Gränze läßt sich hier durch abstracte Regeln nicht ziehen. Es hängt viel von der Anlage eines Volkes ab, in wie weit es geeignet ist, aus sich heraus, und durch freie Thätigkeit der Einzelnen oder durch freie Associationen gewisse öffentliche Interessen zu befriedigen, oder in wie weit es einer Unterstützung seitens der Staatsgewalt, einer bevormundenden Bureaucratie bedarf. Für den practischen Staatsmann ist es Sache politischen Tactes und gerechter Würdigung der thatsächlichen Verhältnisse die richtige Linie bei der Entfaltung der Staatsthätigkeit inne zu halten. 3.) Der Staat kann seiner Natur nach die Interessen der Gesammtheit immer nur fördern, niemals sie ganz absorbieren; er kann immer nur die äußere Ordnung für das Leben der Nation sein, niemals das Leben der Nation selbst repräsentiren. Er kann daher nur die rechtliche Gestaltung diesem Gesammtleben geben und erhalten und durch äußere Anstalten und erzwingbare Gebote den Aufschwung des geistigen und materiellen Wohls fördern. Dieser Aufschwung selbst ist noch durch manche andere Momente bedingt als durch die staatliche Thätigkeit allein; durch Fleiß, Sparsamkeit, sittliche Tüchtigkeit, geistige Begabung, Gunst der climatischen Verhältnisse, Freiheit der Entwicklung nationale Selbständigkeit u. dgl.
§ 10 Die Grenzen der Staatsgewalt
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II. Die inneren Gränzen der Staatsgewalt sind zugleich ein Theil des Verfassungsrechts jedes Staates. Nicht des Verfassungsrechts im engeren Sinne d.h. der Verfassungsform; der Absolutismus der Staatsgewalt ist in der Republik sowohl möglich als in der Monarchie. Bei den Atheniensern, dem Staate der reinen Democratie, war die Staatsgewalt so absolut, daß sie nach Willkühr den einzelnen Bürger Vermögen, Heimath, Leben rauben konnte. In Frankreich war zu keiner Zeit der Absolutismus der Staatsgewalt so sehr auf die Spitze getrieben, als in der Schreckenszeit der Republik. Andererseits
Bl. 344 R. können in der Monarchie, ja selbst in der Monarchie ohne Volksvertretung die Grenzen der Staatsgewalt sehr eng gezogen und fest markirt sein. Staatsabsolutismus ist nicht identisch mit absoluter Monarchie. Aber die Grenzen der Staatsgewalt sind insofern ein Theil des Verfassungsrechtes als nicht eine außerhalb der Staatsgewalt, neben oder über ihr stehende, selbständige Gewalt ihr diese Schranken auferlegt, sondern als sich diese Begränzung aus dem Gesammtresultat der Gesetzgebung eines Volkes ergiebt. Diese Gränzen sind daher bei jedem einzelnen Volke Staate aus seinem positiven Rechte festzustellen und diese Gränzen sind es vorzüglich, die die sogenannten politische Freiheit der Staatsbürger ausmachen. Nach dem Rechte der heutigen Kulturstaaten sind es vorzüglich folgende Sätze, welche die Staatsgewalt abgränzen: 1.) Die Sicherheit des Lebens, der persönlichen Freiheit und des Vermögens des Individuums darf nicht von der Staatsgewalt angetastet werden; d.h. es darf niemand mit dem Tode, Gefängniß oder Vermögensfiscation bestraft werden, außer auf Grund eines Gesetzes und nachdem die Strafe in einem gesetzmäßigen Processverfahren gegen ihn ausgesprochen worden ist. 2.) Die Staatsverwaltung muß die allgemeinen Gesetze beachten und sich in den Gränzen derselben bewegen, soweit nicht ein dringender Nothstand ausnahmsweise eine vorrübergehende Übertretung nothwendig macht. 3.) Wohlerworbene Rechte muß die Staatsgewalt respectiren; nicht nur in ihrer verwaltenden Thätigkeit, sondern auch in der gesetzgebenden. Zwar formell steht es der Staatsgewalt frei, im Wege der Gesetzgebung wohlerworbene Rechte ohne Entschädigung zu beseitigen; aber sie begeht dadurch materiell ein Unrecht, sie untergräbt dadurch das Fundament auf dem sie selbst ruht, sie schadet dem sittlichen Bewußtsein des Volkes und hat früher oder später die schlimmen Folgen solcher Schritte zu tragen.
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1. Teil: Der Staat
Bl. 345 4.) Die religiöse und wissenschaftliche Überzeugung der Individuen soll der Staat nicht beherrschen wollen. Gewissens- und Wissens-Freiheit, Freiheit des Glaubens u. der wissenschaftlichen Forschung soll er nicht beeinträchtigen; jedoch kann andererseits die Berufung auf ein gewisses Bekenntniß oder auf eine wissenschaftliche Überzeugung nicht von der Verpflichtung zur Beobachtung der Staatsgesetze und zur Erfüllung der staatsbürgerlichen Lasten befreien. 5.) Der Staat kann keinen Bürger hindern, einen erlaubten Beruf zu wählen, und ebenso wenig ihn an der Auswanderung hindern, soweit er sich dadurch nicht begründeten staatsbürgerlichen Pflichten entzieht. 6.) Der Staat muß die richterliche Thätigkeit völlig unabhängig stellen, und so daß die Handhabung der Gerechtigkeit nicht einer willkürlichen Einrichtung der Staatsgewalt unterworfen ist. 7.) Im übrigen sind in den Verfassungsurkunden mancherlei Schranken festgestellt, durch welche der Bürger vor Eingriffen der Staatsgewalt gesichert werden soll, dahin gehört z. B. die sogenannte Preßfreiheit, das Vereinsrecht, das Petitionsrecht, die Freizügigkeit u. s. w.
§ 11 Die Staatsformen.
Zwölfte Vorlesung
Die Gränzen der Staatsgewalt sind die quantitative Bestimmung derselben, ihre intensive Macht und ihr Umfang; die Staatsform betrifft die qualitativen Character derselben. Die Staatsform richtet sich nach dem Subjecte der Staatsgewalt, so verschieden dieses Subjekt sein kann, so viele verschiedene Staatsformen giebt es; die höchste Obrigkeit des Staates ist denn die Organisation dieses Subjectes, der höchstem Obrigkeit im Staate, ist maßgebend für die Gestaltung des ganzen Staatsbaues. Schon Aristoteles führte nun die verschiedenen Formen, in denen die Staaten historisch zur Erscheinung kommen, auf die Hauptformen zurück, die Monarchie, die Aristocratie und die Democratie. Es ist nicht die Zahl allein, ob Einer, einige oder die Mehrheit im Besitz der Staatsgewalt sind, die den Unterscheidungsgrund dieser Eintheilung liefert, sondern es prägen sich in diesen Formen zugleich tiefere politische Grundgedanken aus.
§ 11 Die Staatsformen
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Bl. 345 R. In neuerer Zeit hat man öfters eine Zweitheilung an die Stelle dieser aristotelischen Dreitheilung gesetzt, indem Aristocratie und Democratie das gemeinsame Merkmal haben, daß nicht eine einzelne physische Person, sondern eine Personenmehrheit Subject der Souveränität ist; und man hat demgemäß Monarchie und Republik einander gegenüber gesetzt. In formeller Hinsicht ist diese Eintheilung auch correct, und folglich der aristotelischen vorzuziehen; denn die Aristocratie und die Democratie haben in der äußeren Erscheinung in der That so vieles gemein, daß sie im gemeinsamen Gegensatze zur Monarchie stehen und andererseits können die aristocratischen und democratischen Momente sowohl in der Monarchie als in der Republik in sehr verschiedenem Grade zur Geltung kommen; so daß man die reine (oder absolute) Monarchie, die aristocratische Monarchie, die democratische Monarchie und ebenso die aristocratische und democratische Republik unterscheiden kann. Allein faßt man die tieferen dynamischen Gründe der Verschiedenheit der Staatsverfassungen und die reinsten und einfachsten Formen, in denen sie sich verwirklichen, ins Auge, so empfiehlt sich die Beibehaltung der aristotelischen Einteilung. I. Die Democratie besteht darin, daß das Volk selbst Subject der Souveränität ist; es ist mit diesem Begriff aber wol vereinbar, daß gewisse Klassen der Bevölkerung von der Theilnahme am öffentlichen Recht ausgeschlossen sind, wie die Heloten in Sparta, die Sclaven in Rom, die Knechte bei den Germanischen Völkern. Bei den gebildeten Völkern unserer Zeit gehört jeder Staatsbürger zum Volke und die Gesammtheit der Staatsbürger ist daher in democratischen Staaten Inhaber der Staatsgewalt. Die Volkssouveränität ist identisch mit der Democratie; Volkssouveränität ist demnach nicht ein Staatsprinzip, oder der Rechtsgrund der Staatsgewalt in abstracto, wie Rousseau lehrte, sondern lediglich eine Staatsform. Auch in der Democratie aber besteht der Unterschied zwischen Herrscher und Unterthan, zwischen Staatsgewalt und Staatsbürger, wenngleich die Staatsbürger zugleich Inhaber der Staatsgewalt sind. Das Volk als organische Einheit gedacht, die einzelnen zu einer Gesammtpersönlichkeit zusammengefaßt, das ist der Souverain; jeder Bürger als Individuum betrachtet ist Unterthan. Bl. 346 Die Democratie zerfällt wieder in zwei Hauptformen: 1.) die unmittelbare Democratie; dieselbe besteht darin, daß das Volk nicht oder nur dem Rechte nach die souveraine Gewalt hat, sondern sie auch selbst ausübt. Die vollständigste Verwirklichung fand diese Verfassungsform in Athen seit Kleisthenes (510 v. Chr.) Die Volksversammlung
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1. Teil: Der Staat
selbst entschied die wichtigsten Regierungsgeschäfte, ernannte und instruirte Gesandte und hörte Gesandte fremder Staaten an, entschied über Frieden und Krieg und ordnete die Art der Kriegsführung an; ernannte Feldherrn und rief sie ab, ertheilte Bürgerrechte und Privilegien, übte die Controlle der Finanzen, ordnete religiöse Feste, übte die Strafgerichtsbarkeit, verbannte Bürger, bestimmte durch das Loos die Beamten, welche die Beschlüsse der Volksversammlung durchführen sollten, verfügte über öffentliche Bauten, über die Ausrüstung der Flotte u. dgl. Auch bei vielen germanischen Völkern war die Democratie in alter Zeit eine unmittelbare, so daß fast alle Staatsgeschäfte durch die Volksversammlung selbst vollzogen waren, namentlich war dies bei den scandinavischen Völkern der Fall. Allein ganz und gar kann die unmittelbare Democratie selbst bei einfachen Verhältnissen der Beamten oder eines Ausschusses der Namens der souverainen Volksversammlung und in ihrem Auftrage handelt, nicht entbehren. Muster einer unmittelbaren Democratie mit einem reichen Apparat von Beamten, denen ein bestimmter Geschäftskreis überwiesen ist, liefert Rom in seiner republikanischen Glanzperiode. 2.) Die repräsentative oder moderne Democratie. Bei dieser Verfassung ist zwar auch die Gesammtheit des Volkes dem Rechte nach souverain; aber die Staatsgewalt wird ausgeübt durch gewählte Vertreter des Volkes. Es können dies Einzelne sein, ein Präsident, der mit unumschränkter Vollmacht für seine Amtsdauer regiert, oder eine Körperschaft oder auch mehrere Körperschaften. Das Volk nimmt alsdann entweder niemals unmittelbar Regierungshandlungen vor, sondern beschränkt sich auf die Wahl seiner Vertreter; oder es handelt nur bei ganz besonders wichtigen Anläßen unmittelbar. Bl. 346 R. Die repräsentative Demokratie scheint dem germanischen Stamme eigen zu sein; es finden sich aus sehr alter Zeit Spuren derselben bei den Sachsen und später auf Island. In neuerer Zeit ist die repräsentative Democratie die einzige Form democratischer Verfassung, abgesehen von wenigen ZwergCantonen der Schweiz, in denen sich die unmittelbare Democratie erhalten hat. Die Versuche, in Frankreich die Republik einzuführen, hatten die Herstellung der repräsentativen Democratie zum Ziel, ebenso alle anderen republicanischen Versuche. Die glänzendste und großartigste Durchführung dieser Verfassungsform ist in der Nordamericanischen Union erfolgt; andere Beispiele sind die Schweiz, und die südamericanischen Republiken. II. Die Aristocratie besteht darin, daß eine bestimmte Klasse von Staatsangehörigen ausschließlich zur Herrschaft bestimmt ist. Aristocratie ist also nicht Herrschaft der Minderheit, wie man im Anschluß an Aristoteles oft
§ 11 Die Staatsformen
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definirt. Denn nicht als Minderheit gegenüber der Mehrheit kömmt der herrschenden Klasse das Herrschaftsrecht zu, sondern weil sie Vorzüge hat, welche nach den Anschauungen des Volkes, nach den concreten historischen oder wirthschaftlichen Zuständen alleine zur Herrschaft berechtigen. Mit der Democratie hat die Aristocratie das gemein, das der Einzelne, welcher zur herrschenden Bürgerschaft gehört zugleich Theilhaber der Gewalt ist und doch auch Unterthan der Staatsgewalth; sie unterscheidet sich aber von der Democratie, daß die große Masse des Volkes dem herrschenden Stande unterworfen ist; die Aristocraten herrschen nicht namens des Volkes oder Kraft einer ihnen vom Volke übertragenen Gewalt, sondern Kraft eigenen Rechtes, das ihnen unabhängig vom Willen der Volksgesammtheit zusteht. Welche Eigenschaften es sind, welche das Fundament der Aristocratie bilden, das ist bei den verschiedenen Völkern sehr verschieden; theils ist es eine Priesterkaste, welche wegen der theocratischen Richtung des Volkes, die ausschließliche Herrschaft hat, theils ist es ein siegreicher Stamm, der
Bl. 347 sich die Masse des Volkes unterworfen hat. und die Herrschaft ausübt, theils ist es ein Geburtsadel, theils beruht die aristocratische Gewalt auf großem, ausgedehnten Grundbesitz, oder auf Reichthum. Aristocratien waren Sparta, Rom, die mittelalterlichen freien Städte Deutschlands und Italiens, namentlich Venedig. In der Gegenwart giebt es keine Aristocratien mehr, sie sind entweder der Macht der Monarchen oder dem democratischen Zuge der Zeit erlegen. III. Die Monarchie. In derselben steht die souveraine Staatsgewalt einem Einzelnen Kraft eigenem Recht zu. Man darf den Staat und den Monarchen nicht miteinander identificiren, der Monarch ist nicht der Staat selbst, wie Louis XIV. von sich wähnte. Der Monarch steht im Staate, er ist nur ein Organ des Staates; aber allerdings das wichtigste, das entscheidende, er ist das Haupt des Staatskörpers. In ihm verkörpert sich die Souveränität. Die reinste und zweckmäßigste Form der Monarchie ist die Erbmonarchie; bei ihr tritt es am deutlichsten hervor, daß der Monarch sein Recht von niemandem ableitet, daß er ihm von niemandem übertragen ist, daß er es durch sich selbst hat, kraft seiner Geburt, oder wie man sich auch auszudrücken pflegt, von Gottes Gnaden. Allein es kann auch das Recht auf den Thron auf anderem Titel beruhen, als auf dem Erbrecht; so kann insbesondere eine Wahlmonarchie eine wahre Monarchie sein, wenn der erwählte Monarch nicht von den Wählern sein Recht ableitet, nicht Namens derselben regiert, sondern nur durch den Wahlact er zum Monarchenrecht berufen wird. Ein Bei-
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1. Teil: Der Staat
spiel dafür liefert die weltliche Gewalt des Papstes, und das deutsche Königthum vor seinem Verfall. Übt dagegen der gewählte Staatslenker seine Gewalt nur im Namen, im Auftrage seiner Wähler aus, so ist er nicht souverain, sondern nur Beamter des Souverains; ein Präsident einer Republik, mag er noch so weitreichende Befugnisse haben, ist nicht Monarch. Bl. 347 R. IV. Es kann auch vorkommen, daß der Form nach dem äußeren Schein nach, eine andere Verfassungsform besteht, als dem wirklichen Wesen und den thatsächlichen Verhältnissen nach und zwar sind hier folgende Fälle möglich 1.) Scheinmonarchie, während in Wahrheit Aristocratie besteht. Dies ist sehr häufig der Fall bei Wahlmonarchien. Im deutschen Reich herrschte thatsächlich und de jure seit dem Ende des Mittelalters die Aristocratie der Fürsten, die monarchische Form der Kaiserwürde war bloßer Schein; ähnlich in Polen. Auch in manchen Feudalstaaten war der Monarch in Wahrheit abhängig von von seinen großen Vasallen. 2.) Monarchie als Verschleierung der Democratie. Der Fürst ist in manchen Staaten genöthigt, ohne seinen eigenen Willen zur Geltung bringen zu können, den Befehlen des Volkes resp. der Volksrepräsentation Gehorsam zu sein. Eine solche Verfassung war in der französischen Constitutante gegeben, ebenso die von der deutschen Nationalversammlung 1848 entworfene Verfassung. Dazu führt ferner der consequent durchgeführte Parlamentarismus. 3.) Aristocratie als Verschleierung der Democratie; wenn zwar eine bevorzugte Klasse oder Körperschaft in eigenem Namen und Kraft eigenem Rechtes regiert, in Wahrheit aber die Beschlüsse der Volksversammlungen von ihr nur ausgeführt werden. 4.) Aristocratie als Verschleierung der Monarchie. Die Regierung wird zwar namens einer Körperschaft und von ihr geführt; in Wahrheit aber herrscht ein Monarch. Dies war beispielsweise der Fall in der ersten Zeit des römischen Kaiserthums; Augustus bezeichnete sich nur als princeps senatus, ließ die Gesetze vom Senat berathen und beschließen und die Hauptverwaltungsgeschäfte von den aristocratischen Körperschaften vornehmen, in Wirklichkeit aber herrschte er ganz allein. 5.) Democratie dem Namen und der Form nach, in Wirklichkeit Aristocratie. Die Regierung wird Namens des souverainen Volkes geführt, es werden auch Volksversammlungen und dgl. abgehalten, während in Wahrheit eine bestimmte Zahl mächstiger Familien die Staatsgewalt ausschließlich inne hat.
§ 12 Die Theilung der Gewalten
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6.) Democratie dem Schein nach; in Wahrheit herrscht ein Dictator als Monarch, wie Napoleon als Consul, u. a. Bl. 348 § 12 Die Theilung der Gewalten
Dreizehnte Vorlesung
Da die Thätigkeit des Staates eine sehr vielschichtige ist und in sehr verschiedenen Formen zur Erscheinung kommt, empfand man frühzeitig practisch und theoretisch das Bedürfniß nach einer Classificirung der in der Staatsgewalt enthaltenen Befugniße. Maßgeben für alle Folgezeit sind in dieser Beziehung die Untersuchungen von Aristoteles (Polit. IV. c. 14 ff.) geworden. Derselbe unterscheidet die Staatsthätigkeit in die gesetzgebende (tÎ bouliuüminon), die vollziehende (tÎ piß tJò zxÜò), und die richterliche (tÎ dikÜzon); die vollziehende Gewalt und die richterliche Thätigkeit sind der gesetzgebenden unterworfen, die vollziehende Gewalt hat die Gesetze auszuführen, die richterliche hat die Gesetze auf concrete Fälle anzuwenden. Von maßgebender politischer Wichtigkeit ist aber diese Eintheilung dadurch geworden, daß Locke und nach ihm Montesquieu aus diesen verschiedenen Äußerungen der Staatsgewalt verschiedene selbständige Gewalten machten und gerade in dieser Theilung der Gewalten die einzige Sicherheit für die Freiheit der Unterthanen und den Bestand einer rechtlichen Staatsordnung erblickten. Diese Theilung der Gewalten wurde von der englischen Verfassung abstrahirt; in England fand man die politische Freiheit der Staatsbürger im Gegensatz zu der willkührlichen absoluten Herrschaft in den Continental-Staaten, man erklärte sich diese Erscheinung indem man die englische Verfassung mißverstand und in man glaubte in England zugleich die Theilung der Gewalten verwirklicht zu haben und man führte jene politische Freiheit auf diese Einrichtung der Verfassung zurück. Montesquieu namentlich hat jene Theorie von der Theilung der Gewalten auf dem Continent zur Herrschaft gebracht; er meinte (Lib. XI c.f.) alle Freiheit wäre gefährdet, wenn derselbe Fürst, derselbe Senat, diesselbe Volksversammlung die Gesetze mache, sie ausführte und sich als Gerichtsbehörde zur Anwendung brächte; dann müßte notwendig Willkühr an die Stelle der Rechtsnorm treten, Despotismus die Freiheit vernichten. Die verschiedenen Staatsgewalten dürfen nicht vereinigt sein bei einem Subject, sondern müssen verschiedenen Subjecten zustehen, damit sie sich das Gleichgewicht halten, damit jede innerhalb ihrer Gränzen bliebe und der Staatsbürger vor Übergriffen der Staatsgewalt eine Garantie fände.
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1. Teil: Der Staat
Bl. 348 R. In England fand man diese Theorie verwirklicht, indem dem Parlament die gesetzgebende Gewalt, dem König die executive Gewalt zustehe, die Criminal- und Civilrechtspflege aber von Gerichtshöfen (Geschworenen) ausgeübt werde, die vopn beiden völlig unabhängig sei. Diese Theorie ist die Grundlage der constitutionellen Doctrin geworden und hat dadurch eine große practische Bedeutung erlangt. Sie ist aber mit dem Begriff des Staates nicht zu vereinigen, logisch unhaltbar, practisch unausführbar und politisch verderblich. Ihr liegt eine Verkennung des wahren Wesens der constitutionellen Monarchie zu Grunde. Mit dem Begriff des Staates ist sie unvereinbar, weil der Staat eine Persönlichkeit ist und eine Einheit. Jede Person muß einen einheitlichen Willen haben; sie kann nicht aufgelöst werden in verschiedene von einander selbständige Subjecte, ohne zu Grunde zu gehen. Man kann auch in einzelnen Menschen die Willenskraft, den Verstand, die Phantasie, u. s. w. begrifflich von einander trennen, aber diese Geisteskräfte sich niemals als selbständig für sich existieren denken es sind eben nur Äußerungen eines und desselben Geistes; Rubriken, nach denen man die einzelnen Thätigkeiten des Geistes classificirt. So ist auch die Staatsgewalt immer diesselbe, mag sie gesetzgebend, vollziehend, richtend handeln; es sind dies nur verschiedene Formen, in denen sich die Staatsgewalt äußert, aber nicht von einander getrennte Gewalten. Bei der Theorie von der Trennung der Gewalten geht der Begriff der Souverainität verloren; der Souverain ist nur das Organ der executiven Gewalt. Logisch unhaltbar ist diese Theorie, weil sie von einer rein formalen Richtung nicht von den verschiedenen Gebieten der Staatsthätigkeit, sondern der blos äußeren Form der Thätigkeit ausgeht. Es liegt dieser Theorie die Parallele mit einem logischen Parallelismus Syllogismus, worauf Kant sie auch ausdrücklich stützt, zu Grunde. Die gesetzgebende Gewalt giebt Regeln (Obersatz), die richterliche subsumirt das Factum, den concreten Fall unter die betreffende Regel, die vollziehende Gewalt bringt den Schluß zur Ausführung. Allein die vollziehende Gewalt hat keineswegs blos Gesetze auszuführen; es giebt eine unendliche Masse von Aufgaben, die an die Staatsgewalt herantreten, welche eine schöpferische Thätigkeit, ein Ergreifen von selbst gefundenen Maßregeln erfordern; es handelt sich keineswegs immer um die Vollstreckung
§ 12 Die Theilung der Gewalten
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Bl. 349 abstracter Normen, sondern um Anordnungen, Entscheidungen, kurz Grundlagen individueller Natur, die zwar nicht gegen das Recht sind, aber auch nicht im voraus durch das Recht bestimmt sind, z. B. Anlage von Eisenbahnen und Telegraphen, Abschließung von Handelsverträgen, Unterstützung wissenschaftlicher oder artistische Unterweisungen und industrielle Ausstellungen u. dgl. Andererseits hat die vollziehende Gewalt grade, weil sie an die bestehenden Gesetze gebunden ist, in einer großen Masse von Fällen überaus häufig den concreten Fall unter die Gesetze zu subsummiren, also eine Thätigkeit vorzunehmen, die der richterlichen Gewalt gebühren müßte. Denn wenn die Polizei eine Erlaubniß zum Bau eines Hauses, zur Abhaltung eines Marktes ertheilt, wenn sie ein Gewerbe Concession verleiht, wenn die Regierung prüft, ob die Communalwahlen ordnungsmäßig vorgenommen sind, ob jemand einen Auswanderungspaß erhalten kann und dgl., so hat sie durchaus nur bestehende Gesetze, abstracte Normen auf concrete Fälle anzuwenden oder diese unter jene zu subsummiren. Ja auch eine gesetzgebende Thätigkeit müssen die Verwaltungsbehörden vornehmen; wenn an einer bestimmten Stelle das Tabakrauchen, das schnelle Fahren oder Reiten über eine Brücke, die Verunreinigung eines Platzes u. dgl. bei Strafe verboten wird wenn sanitätspolizeiliche Maßregeln getroffen werden und dgl., so sind das sicherlich Aufstellungen allgemeiner Normen, gemein verbindlicher Regeln und doch hat man nicht bezweifelt, daß die Befugniß zur Aufstellung solcher Regeln der Executivgewalt zusteht. Ebenso haben die Gerichte keineswegs blos Urtheile über die Anwendbarkeit der allgemeinen Rechtsnormen abzugeben; sondern wenn sie diese Erkenntnisse vollstrekken, so fällt ihm auch ein Theil der vollziehenden Gewalt zu; und daselbe gilt von der verwaltenden Thätigkeit der Gerichte als Verwaltungsbehörden u. dgl. Endlich kömmt ja auch ein großer theil der Gestze ohne die Mitwirkung der Executive und der richterlichen Gewalt zur thatsächlichen Geltung; z. B. das Thronfolgerecht, das Privatrecht in allen den unzähligen Fällen, die nicht zu einer privatrechtlichen Entscheidung führen. ist die Gesetzgebung nicht auf die Aufstellung allgemeiner Normen beschränkt, sondern das Gesetz regelt oft die allerspeciellsten Verhältnisse, man denke nur an das Etatgesetz, an die Ertheilung eines Privilegiums. Schon aus der logischen Unhaltbarkeit ergiebt sich die practische Undurchführbarkeit jener Theorie von der Theilung der Gewalten; allein es läßt sich sogar beweisen, daß wenn man nur eine consequente Durchführung versuchte, man gerade zu den entgegengesetzten Resultaten käme.
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Bl. 349 R. Nach der von der englischen Verfassung abgezogenen Theorie Montesquieu’s steht dem Könige als dem Inhaber der Staatsgewalt noch ein Antheil an der gesetzgebenden Gewalt zu, nämlich eine negative Betheiligung, indem er ein absolutes Veto hat. Hier ist die Theilung der Gewalten also nicht vollständig und consequent durchgeführt. Spätere Politiker und democratische Verfassungen, wie die französische von 1795, die spanische von 1812, die deutsche Reichsverfassung von 1848 haben dies verbessert, indem sie den Inhaber der vollziehenden Gewalt entweder ganz von der Gesetzgebung ausschlossen oder ihm nur ein suspensives Veto einräumten, was zu demselben Resultate führt. Dadurch hat die Regierung lediglich die Beschlüsse der legislativen Versammlung auszuführen, die gesetzgebende Gewalt wird immer specieller das ganze Gebiet der Staatsthätigkeit durch Normen regeln, den Spielraum freier Regierungsthätigkeit immer enger begränzen und dadurch immer fester bindende Vorschriften und Verhaltungsmaßregeln der vollziehenden Gewalt ertheilen. Die vollziehende und richterliche Gewalt, welche an diese Normen gebunden sind, haben daher in Wahrheit gar keine eigene selbständige Gewalt, sondern sie sind der gesetzgebenden Gewalt völlig unterworfen. Dadurch wird aber das Prinzip der Theilung der Gewalten beseitigt;der practische Erfolg jener Theorie ist nur der, daß die Staatsgewalt, ganz und getheilt, vom König auf die DeputirtenVersammlung übertragen, die Monarchie in eine Repräsentativ-Republik mit einem Scheinkönige verwandelt, die Fürstensouverainetät durch die Volkssouverainität ersetzt wird. Rousseau, der mit offener Klarheit die Volkssouverainität selbst vertheidigte, verwarf daher auch mit großer Entschiedenheit die Lehre von der Theilung der Gewalten. In unserem Jahrhundert hat diese Theorie eine noch weitergehende Auch politisch ist die Theorie von der Theilung der Gewalten verwerflich; was was man mit ihr erreichen will, das leistet sie nicht; und sie hat andere Nachtheile zur Folge. Eine gegenseitige Balancirung der verschiedenen Gewalten im Staate Bl. 350 und ein Damm gegen Mißbrauch der Gewalt wird durch sie nicht gewonnen. Die materielle Macht, welche dem Chef der Executive zu Gebote steht, indem er über die Armee, die Finanzen und die Behörden verfügt, wird ihm immer Gelegenheit geben, seinen Willen zur Geltung zu bringen und er wird entweder den Beschlüssen des gesetzgebenden Körpers mit Erfolg Widerstand entgegensetzen oder den gesetzgebenden Körper sich unterwerfen resp. aus seinen eigenen Creaturen ihn zusammensetzen, wie dies
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Napoleon I. und Napoleon III. thaten. Ist aber die Executive machtlos, gegenüber der Legislative, so wird mit derselben Schrankenlosigkeit die grade dominirende Partei herrschen. Die Theilung der Gewalten fügt aber den großen Schaden dem Staate zu, daß sie ihn in Elemente auflöst, die anstatt harmonisch miteinander zu wirken, ihrer Natur nach sich widerstreben. Zwischen der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt entsteht naturgemäß Eifersucht und Mißtrauen, Verfassungsconflikte können nicht ausbleiben; die Kraft des Staates wird gelähmt, seine gesunde Fortentwicklung gehindert. Die verschiedenen Gewalten im Staate kommen bald in die Lage ihre gegenseitigen Kräfte aneinander zu messen und das Resultat dieser Kämpfe ist, daß die eine oder andere unterliegt, daß statt der Theilung der Gewalten der Parlamentarismus oder der Cäsarismus eintritt. Der Zweck, den jene Theorie verfolgt, ist ein sehr edler und lobenswerther; es ist in der That eines der wichtigsten Probleme der Politik, die Staatsverfassung so einzurichten, daß ein Mißbrauch der Gewalt verhütet werde; allein der Fehler der Theorie besteht darin, daß sie diesen Zweck auf mechanischen Wege und mit mechanischen Mitteln, statt in organischer Weise erreichen will. Durch eine schablonenmäßige Abtheilung der Staatsgewalt nach formellen Kriterien ihrer Wirksamkeit wird nichts erreicht; soll das Volk einen Antheil an der Regierung erlangen und durch diesen Antheil einen Mißbrauch der Regierungsgewalt seitens des Souverains verhüten, so muß seine Betheiligung am Staat in einem organischen Zusammenhang mit demselben gebracht werden. Eine Theilnahme des Volkes in der einheitlichen ungetheilten Staatsgewalt ist etwas ganz anderes als eine Spaltung der Staatsgewalt in mehrere selbständige Gewalten.
Bl. 350 R. Wegen dieses Grundfehlers der Theorie von der Theilung der Gewalten haben auch die späteren Versuche, die Theorie zu verbessern, zu keinem brauchbaren Resultate geführt. In Frankreich blieb nach der Revolution die Theorie von der Theilung der Gewalten herrschend, man sah aber wol ein, daß sich die Stellung des Königthums damit nicht verträgt. Denn giebt man dem König einen maßgebenden Antheil an der Gesetzgebung, so verletzt man jene Theorie, würde man sie ihm dieselbe entziehen, so würde man ihn dem gesetzgebenden Körper unterwerfen. Man nahm daher eine 4te Gewalt, ein pouvoir modérateur oder royal an. Dieser Gedanke ist namentlich von Benjamin Constant ausgeführt worden. Die königliche Gewalt sei verschieden von den drei anderen Gewalten, sie stelle die Ausgleichung zwischen ihnen her, sie sei gewissermaßen die höhere Einheit derselben. Allein wenn wirklich die 3 anderen Gewalten von der königlichen Gewalt wesentlich verschieden, also ihr gegenüber selbständig sind, so ist die königliche
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Gewalt eine inhaltslose, eine bloß formelle. Es drückt sich dies in dem Satz aus, le roi régle mais il ne gouverne pas. Der König ist formell das Subject der ganzen Staatsthätigkeit, aber er kann keine Vorschriften geben, deren Inhalt nicht die gesetzgebende Gewalt dictirt, er kann keine Maßregeln treffen, deren Inhalt nicht die Executiv-Beamten, die verantwortlichen Minister angeben, er kann keine Urtheile erlassen, die nicht die Gerichte gesprochen haben. Eine solche Gewalt ist ebenso ein Phantom, wie ein Wille, der nichts bestimmtes, Besonderes wollen darf, sondern dem andere vorschreiben, was er wollen muß. Soll aber die königliche Gewalt eine höhere Gewalt sein, die über den anderen steht und sie alle umfaßt und mit bestimmt, so ist das zwar ein ganz gesunder politischer Gedanke, aber gerade die Aufhebung der Theilung der Gewalten, gerade ihre Vereinigung in einem einheitlichen Subject. Der Theorie der Theilung der Gewalten liegen aber zwei der wichtigsten politischen Grundwahrheiten zu Grunde, welche wir in den beiden folgenden §§ noch zu erörtern haben, nämlich, daß der Staat für verschiedene Functionen auch verschiedener Organe bedarf und daß eine Betheiligung des Volkes, der Masse der Regierten an der Regierung, d.h. der Ausübung der Staatsgewalt nothwendig ist. Bl. 351 § 13 Die verschiedenen Functionen der Staatsgewalt.
Vierzehnte Vorlesung
Wir begegnen in der gesammten organischen Natur der Erscheinung, daß je höher die Lebensfunktionen eines Geschöpfs sind, desto reicher auch die Gliederung der Organe ist. Die niedrigsten Geschöpfe, die nichts als Zellen sind, welche wenn sie ausgewachsen sind auseinanderfallen und sich dadurch fortpflanzen, haben gar keine besonders ausgebildeten Organe; andere haben nur eines oder einige, die vollkommensten Thiere haben eine sehr große Zahl von von organischen Apparaten, die zusammen wirken. Es ist das eine weise Öconomie der Natur; daß der Magen nicht zu athmen, die Lunge nicht zu verdauen, das Herz nicht zu sehen hat, daß jedes Organ für eine gewisse Thätigkeit besonders eingerichtet, ihr angemessen beschaffen ist, das hat die Folge, daß jede dieser Functionen auf das Beste und Vollkommenste erfüllt wird, daß eine die anderen nicht stört, daß alle friedlich zusammenwirken und sich ergänzen. Diese verschiedenen Organe heben aber die Einheit nicht auf; das Leben des Menschen ist eine einheitliche organische Thätigkeit, wenn auch dazu so viele verschiedene und gegeneinander selbständige Organe mitwirken. Man kann das Leben nicht theilen, in Verdauung, Blutbereitung, Darmthätigkeit u. s. w. Jeder dieser
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Theile wäre nichts; Herz und Lunge allein können nicht schlagen und atmen, der Magen nicht verdauen, das Auge nicht sehen, das Ohr nicht hören. Alle zusammen müssen von der einheitlichen Lebenskraft durchströmt und in organischen Zusammenhang gebracht werden, dann arbeitet jedes an seinem Platze. So ist es auch im Staate. Sehr einfache Staaten, d.h. Staaten bei sehr primitiven Kulturzuständen bedürfen sehr weniger Organe. In einem Patriarchalstaate, so zu sagen der Zelle unter den Staatenbildungen, ist der Familienvater alles in allem, Gesetzgeber, Richter, Verwalter des Gesammtvermögens, Lenker der ganzen staatlichen Thätigkeit. Bei entwickelteren Kulturverhältnissen, bei größeren Anforderungen an die Leistungen des Staates wird eine Arbeitstheilung eintreten müssen, da werden die Functionen des Staates durch verschiedene Organe sich vollziehen.
Bl. 351 R. Es würde nun ein großer Fehler sein, diese Organe alle gleichmäßig zu machen. So gut das Auge anders als das Ohr, die Lunge anders als die Leber ist, wie sie verschiedene Functionen zu erreichen haben, sie ihrer Bestimmung gemäß organisirt sind, so wird auch im Staat nicht jede Art von Thätigkeit durch dieselbe Manier, durch gleichartige Organe geschehen dürfen. Das ist die große Weisheit des Aristoteles, die der geistreiche Montesquieu aufs Neue gefunden, aber nicht richtig erfaßt hat; Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung, das sind die 3 Hauptformen oder Richtungen der Staatsthätigkeiten, das sind ihre verschiedenen Functionen; und dafür bedarf der Staat verschiedener Organe. Es ist ein Zeichen von großer Unvollkommenheit, von großer Mangelhaftigkeit der Staatsverfassung, wenn diese verschiedenartigen Functionen von denselben Organen geleistet werden sollen; der Staat kann nur gedeihen, jeder dieser Hauptbestandteile der staatlichen Thätigkeit kann nur dann in völlig befriedigender Weise verwirklicht werden, wenn dafür eine besondere, zweckentsprechende staatliche Einrichtung besteht. Allgemeine Normen, also Gesetze sollen nach reiflicher Erwägung, nicht in der Laune des Augenblicks gemacht werden; sie bedürfen einer gründlichen und allseitigen Vorberathung. Bei ihnen ist in der Regel mehr an der sorgsamen Prüfung als an der Schnelligkeit der Anfertigung gelegen; darum muß die Gesetzgebung einem Organ anvertraut werden, welches diesen Anforderungen genügen kann. Die Rechtsprechung erfordert gänzlich unpartheiische, unabhängige, gewissenhafte Männer, die auch von der augenblicklichen oder individuellen Ansicht oder Neigung des Souverains unbeeinflußt bleiben. Darum muß sich der Staat für die Rechtsprechung ein so geartetes Organ schaffen. Die Verwaltung oder Regierung im engeren Sinn bedarf der Energie und Einheit des Handelns, der Fähigkeit schnell
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und wirksam einzugreifen und der Staat wird daher auch dafür ein geeignetes Organ bedürfen. Bl. 352 Würde der Fürst selbst in unmittelbarer Person alle Thätigkeit des Staates versehen oder durch Beamte, die von seinem Willen unmittelbar abhängig sind, versehen lassen, so könnte zwar bei außergewöhnlicher Begabung und sehr glücklichen Verhältnissen der Staat sich vorrübergehend sehr wohl befinden, aber es wäre durchaus keine Garantie dafür geboten. Der Rechtsschutz wäre auf den subjectiven Willen eines Einzelnen basirt und die Gesetzgebung, die Rechtsordnung von seiner Laune abhängig. Ein Staat mit dieser Verfassung wäre eine Despotie. Nicht minder unglücklich wäre die Verfassung eines Staates, wo ein lediglich für die Gesetzgebung passendes Organ zugleich die anderen Functionen der Staatsthätigkeit übernehmen müßte. Also nicht Theilung der Staatsgewalt, sondern organische Gliederung derselben, ist das Erfordernis eines wohl geordneten Staates und das Fundament politischer Freiheit. Die Staatsgewalt ist eine einheitliche, aber der Souverain muß sich bei Ausübung der verschiedenen Functionen derselben bestimmter verfassungsmäßiger Organe bedienen. Es sind nun diese verschiedenen Functionen und die dafür geeigneten Organe zu erörtern. I. Die Gesetzgebung. Die Gesetzgebung hat die Aufgabe, allgemeine Normen, in denen sich die Rechtsordnung des Volkes u. Staates abspiegelt, festzusetzen. Sie ist die höchste und oberste Function des Staates und das Recht zur Gesetzgebung steht, wie die Staatsgewalt überhaupt, dem Souverän zu. Es kann nicht neben dem Souverän noch einen besonderen Gesetzgeber im Staate geben. Allein die Gesetzgebung soll allgemeine Wahrheiten, Grundsätze von dauernder und weitreichender Verbindlichkeit aussprechen, in ihr soll die Gesammt-Intelligenz, die Gesammt-Rechtsüberzeugung des Volkes zur Erscheinung kommen; daher soll nicht die augenblickliche Laune und Willkür des Souverains, ebensowenig die Rücksicht auf einen speciellen, vorübergehenden Zweck den Inhalt der Gesetze bestimmen. Bl. 352 R. Aus diesem Grunde ist der Souverain staatsrechtlich verpflichtet, seine gesetzgebende Gewalt vermittels eines Organs auszuüben, in welchem die Intelligenz des Volkes, die Erfahrung der Behörden, die Interessen der ver-
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schiedenen Stände u. Berufsklassen zur Wirksamkeit kommen. Ein solches Organ wird in der Republik durch Vorbereithung im Senat und durch einmalige oder mehrfache Beschlußfassung in der Volksversammlung gegeben; man denke an die complicirte Verbindung der Thätigkeit der Beamten, des Staats, des Tribunats und der Comitien in Rom, um ein Gesetz zu Stande zu bringen. In der absoluten Monarchie werden Gesetze im Staatsrath oder in anderen Collegien sorgfältig vorbereitet, erwogen und festgestellt, den Behörden zur Begutachtung zugewiesen und dgl., ehe der Souverain sie sanctionirt. In der repräsentativen Monarchie ist zum Erlaß eines Gesetzes die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich und es ist dadurch das Volk unmittelbar an der Ausübung der gesetzgebenden Gewalth betheiligt. Von sehr großer Wichtigkeit ist demgemäß die Frage, welche Handlungen der Staatsgewalt müssen in den formen der Gesetzgebung geschehen oder mit anderen Worten, was ist der Inhalt und Umfang der sogen. gesetzgebenden Gewalt. Eine Lösung dieser Frage ist bisher der Wissenschaft noch nicht geglückt. Man hat früher die Gesetzgebung allgemein aufgefaßt, als die Aufstellung von allgemeinen Normen und ihr die Executive als Ausführung dieser Normen, die richterliche Thätigkeit als Subsumtion von concreten Fällen unter diese Normen gegenüber gestellt. Daß dies irrig ist, haben wir schon bei der Kritik der Theorie von der Theilung der Gewalten dargethan. Die Gesetzgebung regelt oft ganz specielle Fälle; z. B. die Vereinigung eines neuerworbenen Landes Bl. 353 mit der Monarchie, die Feststellung eines Etats u. dgl., so daß in manchen Acten der Gesetzgebung gar nicht der Character einer allgemeinen Regel zu erblicken ist. Andererseits giebt es zahlreiche Normen, welche die häufigste und allgemeinste Anwendung finden, und die doch noch niemand der Gesetzgebung zugezählt hat. So findet z. B. ein Exercier-Reglement, ein Droschken-Reglement auf mehr Personen und in mehr einzelnen Fällen Anwendung als die Mehrzahl der Gesetze. Würde alles, was norm ist im concreten Falle, nur im Wege der Gesetzgebung festgestellt werden müssen, so würde fast die ganze Staatsthätigkeit an diese Form gebunden sein. Im Gegensatz dazu hat man in neuerer Zeit behauptet, Gegenstand der Gesetzgebung ist die Rechtsordnung; nur das, was einen Theil der Rechtsordnung bildet, ist im Wege der Gesetzgebung zu normiren. Allein das Gebiet der Rechtsordnung ist selbst kein bestimmtes; nicht einmal die Gränzen des Privatrechts lassen sich bestimmen, noch viel weniger die des öffentlichen Rechtes mit Sicherheit ziehen. Würden nur solche Anordnungen Gegenstand der Gesetzgebung sein, die auf der unmittelbaren Rechtsüberzeugung des Volks wurzeln, so gelangte man zu einer ganz unhaltbaren Einschrän-
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kung des Gebietes der Gesetzgebung. Denn unzählige Gesetze beruhen lediglich auf Zweckmäßigkeitsgründen, auf Anerkennung thatsächlicher Verhältnisse, auf der Nothwendigkeit, thatsächliche Bedürfnisse zu befriedigen. Schon bei der Ordnung des gerichtlichen Proceßverfahrens ist die Unterscheidung derjenigen Sätze, die wirklich zum Recht im ethischen Sinne gehören und die mehr zur Administration der Justiz gehören, nicht durchzuführen. Noch viel weniger ist dies der Fall bei bei der Organisation der übrigen Behörden, bei der Regelung ihrer amtlichen Thätigkeit und dgl. Finanz- und Steuergesetze, gesetzliche Anordnungen über das Militärwesen und dgl. werden regelmäßig nicht auf die Rechtsüberzeugung des Volks zurückgeführt werden können. Ja selbst im Criminalrecht ist die Grenze zwischen rechtlichen und blos polizeilichen Verboten nicht begrifflich zu fixiren.
Bl. 353 R. Noch viel weniger ist die Definition zu billigen, daß zur Gesetzgebung nur solche Bestimmungen gehören, die die Privatrechts-Sphäre der Unterthanen berühren oder ihnen Lasten auferlegen. Sehr viele der wichtigsten Gesetze, die entschieden jeder Normirung durch die Verwaltung entzogen sind, thun weder das Eine noch das Andere und andererseits treffen oft genug Verfügungen der Verwaltungsbehörden die privatrechtliche Sphäre der Staatsbürger oder legen ihnen Lasten oder Beschränkungen auf. Eine Gränze zwischen dem Gebiet der Gesetzgebung und dem Gebiet der anderen staatlichen Functionen ist auch in der That a priori gar nicht zu bestimmen; die Innehaltung dieser Gränze ist mehr Sache des Herkommens, der Zweckmäßigkeit und des politischen Tactes. Zunächst war dies von jeher zweifellos hinsichtlich der Grenze zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung; der Richter hat keineswegs immer so ohne weiteres den concreten Fall unter eine parate Norm zu subsummiren, sondern er muß oft diese Norm selbst erst finden. Das Gesetz enhält oft nur die Grundprinzipien, aus denen der Richter die Folgerungen herleiten muß, oder er muß durch die Analogie die Entscheidungsnorm construiren. Manchmal wird der Richter durch Schuld des Gesetzgebers dazu genöthigt. Die Gesetzgebung vernachlässigt oft wichtige Gebiete des Rechtslebens, so daß die Richter die eigentlich dem Gesetzgeber obliegende Thätigkeit in gewissen Gränzen mit übernehmen müssen; man denke zum Beispiel an das deutsche Handelsrecht vor Erlaß des H. G. B. Aber auch wo die Gesetzgebung ihre Aufgabe erfüllt, läßt sich eine Gränze, wie weit sie in der Regelung einer Materie zu gehen habe, a priori nicht geben. Eine große Weitläufigkeit und Breite, eine casuistische Entscheidung der Details ist ein ebenso großer Fehler, als eine zu knappe Beschränkung auf die allgemeinen Grundsätze
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und Prinzipien. Ein gutes Gesetz muß beide Fehler zu vermeiden suchen und die Kunst des Gesetzgebers besteht eben darin, die Fassung des Gesetzes in dieser Beziehung richtig zu treffen. Die Praxis wird daher Bl. 354 aus dem Gesetz selbst eine Fülle von Bestimmungen ableiten, die ihrer Natur nach ebenso gut auch vom Gesetzgeber selbst ausgesprochen werden könnten. Ebenso ist auch die Gränze zwischen Gesetzgebung und Verwaltung nicht fest zu ziehen. Nur das steht fest, daß sowenig der Richter contra legem entscheiden darf, so wenig auch die Regierung contra legem verwalten darf. Allein wie ein Gesetz im Einzelnen auszuführen ist, wie die unzähligen unüberschaubaren Bedürfnisse des öffentlichen Lebens in concreto zu befriedigen sind, das kann nicht im Gesetz selbst vorgeschrieben werden. Die Gesetze können auch für die Regierung nur die Maximen ergeben, aber nicht detaillirte und bis in die kleinsten Kleinigkeiten eingehende Regelements enthalten. Warum ein Gegenstand nicht durch Gesetz, sondern durch Verfügungen der Verwaltungsbehörden geregelt wird, kann sehr verschiedene Gründe haben. Es sind nicht immer die unwichtigen Sachen, die der Gesetzgeber ignorirt, sondern manchmal sind es wechselnde Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen, wechselnde politische, kirchliche, wissenschaftliche Ansichten, denen man Rechnung tragen muß, Fortschritte in der Technik oder in der Wissenschaft, die man sofort verwerthen will. Daher sind z. B. Schulregulative, obwohl doch in der That von der höchsten Wichtigkeit, nicht geeignet zur Feststellung durch die Gesetzgebung, oder Betriebsregelements für die Einsenbahnen und Posten und dgl. Oder es handelt sich lediglich um die Ausführung von Anordnungen der Gesetzgebung. Oder es sind ganz specielle, vereinzelte Maßregeln zur Erreichung eines concreten Zweckes nöthig; oder es sind Normen von geringfügiger oder localer Natur, die ihrer materiellen Bedeutung nach den weitläufigen und gravitätischen Gang der Gesetzgebung nicht erfordern. u. s. w. Alle Vorschriften, die nicht auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung, sondern auf dem Wege der Verwaltung getroffen werden, nennt man im Gegensatz zu den Gesetzen Verordnungen und man muß unter ihren Hauptarten unterscheiden 1) Verordnungen auf dem von der Gesetzgebung freigelassenen Gebiete, zur Ausführung und Ergänzung der Gesetze, zur Regelung der Details u. 2) Verordnungen auf demjenigen Gebiete, welches eigentlich der Gesetzgebung zugewiesen ist, die aber deshalb nöthig sind, weil ein plötzlicher Nothstand, ein dringendes, unaufschiebbares Bedürfniß den weitläufigen
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Weg der Gesetzgebung unmöglich machen und ein sofortiges Einschreiten der Verwaltung erfordern. Bl. 354 R. Die Verordnungen sind in der Regel vom Souverain in der für Regierungshandlungen vorgeschriebenen Form zu erlassen; indeß sind auch Beamte innerhalb des ihnen zugewiesenen Geschäftskreises mit der Befugniß, Verordnungen zu erlassen, betraut; Ministerialrescripte, Regierungsverordnungen, Polizei-Statute und dgl. In dem concreten Staatsrechts des einzelnen Staats sind vielfach die Gränzen bestimmt, die Voraussetzungen angegeben, an die das Verordnungsrecht gebunden ist. ... II. Die Rechtsprechung. Die Aufgabe der Justiz ist das verletzte Recht wiederherzustellen; das einzig maßgebende Prinzip dafür ist die Gerechtigkeit. Die Justiz kann keine andere Rücksicht walten lassen, als die Anwendung des Gesetzes. Deshalb muß die Justiz von Behörden ausgeübt werden, welche Rechtsverständig sind, und welche zugleich persönlich so unabhängig sind, daß sie sich durch andere Rücksichten nicht bestimmen lassen. Die gesetzmäßig konstituirten Gerichte sind daher das Organ, deren sich der Souverain bei Ausübung der Gerichtsgewalt bedienen muß. Wenn der Souverain unmittelbar die Gerechtigkeit handhabt, so bietet eine solche Einrichtung keine Gewähr für eine unparteiische und wirklich gerechte Justiz und sie führt zur Despotie; in civilisirten Staaten ist daher die Kabinettsjustiz verboten und auch in Republiken ist die Freiheit des Bürgers vernichtet, wenn die souveraine Volksversammlung zugleich Gericht ist. Dessen ungeachtet ist auch die Jurisdiction ein Theil der einheitlichen Staatsgewalt, sie steht dem Souverain zu, keiner ihm gegenüber selbständigen Gewalt und es ist lediglich der Souverain kraft der bestehenden öffentlichen Rechtsordnung verpflichtet, bei Ausübung dieser Gewalt sich der Gerichte als Organe zu bedienen. Auch das Wesen und Grenzen der gerichtlichen Gewalt hat man vielfach mißverstanden. Die frühere naturrechtliche Schule lehrte, daß das Urtheilen und subsummiren eines concreten Falles unter eine allgemeine Regel das Wesen der Rechtsprechung bilde. Dies ist, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde,
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Bl. 355 falsch. Theils ist das nichts characteristisches für die Rechtspflege, denn auch die Verwaltung und selbst die Gesetzgebung hat diesselbe logische Thätigkeit vorzunehmen; theils ist es nicht erschöpfend, denn die Richter haben, wie oben erwähnt, oft genug selbst erst die Entscheidungsnormen zu finden und namentlich die Erkenntnisse durchzuführen, den verletzten Rechtszustand herzustellen, also handelnd einzugreifen. Grade das Urtheilfinden ist häufig Privatpersonen übertragen, gar nicht Sache des mit der obrigkeitlichen Gewalt betrauten Beamten, so sind bei den Römern die judices, im Mittelalter die Schöffen, bei uns in manchen Fällen die Geschworenen Urtheiler. Allein der Zwang, den die Gerichte gegen die Individuen auszuüben befugt sind, durch Vorladung, durch Prozeßleitung, durch Vollstreckung der Sentenzen, das ist der Kern der staatlichen Gewalt, welche durch die Gerichte ausgeübt wird. Die Gerichte handeln regelmäßig nicht aus eigenem Antriebe, sondern nur auf Anrufen des Verletzten, auf erhobene Anklage, oder auf erfolgte Anzeige einer Rechtsverletzung. Die Bestimmung der Grenzen der gerichtlichen Thätigkeit ist daher identisch mit der Frage, worüber sind die Gerichte competent, worüber ist der Rechtsweg zulässig. Auch diese Frage ist a priori nicht zu entscheiden; in jedem Staate ist dies nach Maßgabe des politischen Rechtes zu beurtheilen. Es muß nur der weit verbreitete Irrthum widerlegt werden, als wenn die Gerichte über alle streitigen Rechtsfragen competent wären. Im Gebiete des eigentlichen Privatrechts allerdings kömmt lediglich der Gesichtspunkt der Gerechtigkeit in Betracht und in dieser Hinsicht ist daher die Competenz der Gerichte nur ausnahmsweise beschränkt. Allein schon im Gebiete des Strafrechts giebt es Fälle, in denen die Verwaltungsbehörden die Gerichtsgewalt haben können und zwar gehören hierzu theils Polizeisachen, theils die Disziplinar-Strafgewalt. Hinsichtlich des öffentlichen Rechtes aber, der eigentlichen Staatsverwaltung können nicht die Gerichte für die Beobachtung der Gesetze Sorge tragen, denn anderenfalls würde die gesammte Verwaltung unter die Controlle der Gerichte gestellt werden. Der Vortheil, den man dadurch erreichen will, daß man für die verschiedenen Staatsfunctionen verschiedenartige Organe schafft, würde eingebüßt, indem das eine Organ der Rechtspflege die anderen absorbirte und von sich abhängig machte. Der Souverain selbst, der gerade auf die Gerichte den wenigsten persönlichen Einfluß geltend machen kann, würde diesem Organ in allen Regierungshandlungen unterworfen sein und die Gerichte würden aus einem Organ der Staatsgewalt sich in souveraine Inhaber der Staatsgewalt verwandeln.
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Bl. 355 R. Andererseits ist es der Freiheit der Bürger und dem Bestande des Verfassungsrechts gefährlich, wenn die Competenz der Gerichte zu sehr beschränkt und der freien Entschließung und Willkühr der Verwaltung ein zu großer Spielraum gelassen ist. Insoweit durch Regierungshandlungen die Vermögenssphäre der Bürger betroffen wird, ist heut zu Tage der Rechtsweg regelmäßig gestattet; handelt es sich aber um die Frage, ob Regierungsmaßregeln mit dem öffentlichem Recht und mit den der Verwaltung gegebenen gesetzlichen Vorschriften übereinstimmen, da ist der Rechtsweg regelmäßig ausgeschlossen. Indeß giebt es in manchen Ländern besondere Gerichtshöfe zur Entscheidung von Rechtsfragen aus dem Gebiete des Verfassungs- und Verwaltungsrechtes; sogen. Staatsgerichtshöfe, Verwaltungsgerichtshöfe. Da es für jeden einzelnen Staat eine Frage des positiven Rechts ist, in welchen Sachen der Rechtsweg zulässig ist oder nicht und die Beantwortung dieser Frage im einzelnen Falle oft sehr schwierig ist, so giebt es in manchen Staaten besondere Competenz-Gerichtshöfe, die aus richterlichen und Verwaltungsbeamten zusammengesetzt sind, und denen die Entscheidung von Competenz-Conflicten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden obliegt. III. Die Verwaltung. Die Staatsverwaltung ist die unmittelbar auf Versorgung der realen Zustände gerichtete Thätigkeit; man nennt diesselbe auch Regierung, allein Gesetzgebung und Rechtspflege gehören mit zur Regierung, bilden dagegen den Gegensatz zur Verwaltung. Falsch ist es dagegen, die Verwaltung als Executive oder vollziehende Gewalt zu bezeichnen; denn dies erschöpft keineswegs ihren Begriff. Zwar gehört die Ausführung der Gesetze mit zu ihren Aufgaben und sie muß bei Verfolgung ihrer Zwecke die Gesetze beobachten; aber das Wesen der verwaltenden Thätigkeit der Staatsgewalt wird damit keineswegs erschöpft. Der Vorteil des Staates, seine Machterweiterung, und Sicherheit, die Beförderung des Nationalswohlstandes, die Sorge für Bildung, für Erhaltung der Gesundheit, u. s. w., kurz die Förderung des Gemeinwohls ist der positive Ausgangspunkt für die Verwaltungsthätigkeit, nicht ein Gesetz, welches ausgeführt werden soll. Bl. 356 Auch wenn die Gesetzgebung in einem Staate ganz sich passiv verhielte oder sehr unvollständig wäre, müßte doch die Staatsgewalt mit anderen Staaten unterhandeln und die Beziehungen mit ihnen pflegen. Für die Si-
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cherheit eines Staates durch die Organisation eines Heeres, für Straßen, Kanäle, Eisenbahnen, Telegraphen, Posten, für Elementarschulen und höhere Bildungsanstalten, für die Verwaltung des Staatsvermögens, Erhebung der Zölle u. s. w. Sorge tragen. Wäre diese ganze Thätigkeit nur die Vollziehung von Gesetzen, so würde sie zu einem mechanischen Automatenthum herabsinken, welches die wechselnden Verhältnisse der Zeit nicht begreifen und die wechselnden Mittel, die je nach den Umständen ergriffen werden müssen, nicht auswählen könnte. Bei der regierenden Thätigkeit ist persönliches Handeln nach einsichtsvoller Erwägung der Zweckmäßigkeitsrücksichten der wesentliche Kernpunkt. Scharfsichtige Intelligenz und schnell zugreifende Thatkraft sind die Erfordernisse einer guten Verwaltung. Die gesammte Verwaltung bedarf daher eines Mittelpunktes, von dem sie nach allen Richtungen hin abhängt und der die Einheit der Verwaltung in allen ihren Zweigen aufrechterhält Dieser Mittelpunkt aber kann keine vielköpfige Versammlung sein, sondern nur eine einheitliche, lebendige Persönlichkeit. Daher ist in Monarchien der Souverain selbst das persönliche Centrum der Verwaltung; in Republiken ist es der Präsident, Consul, oder Dictator, überhaupt die oberste Magistratur. Allein auch hier ist es mit der Ordnung eines entwickelten Staatslebens, mit dem Wohl der bürger und der gedeihlichen Erledigung der Geschäfte nicht vereinbar, daß der Monarch persönlich oder durch willkührlich beauftragte Diener die Regierungshandlungen vornehme. Der Staat bedarf eines wohl organisirten Beamtenthums; die verschiedenen Geschäfte müssen an verschiedene qualificirte Behörden vertheilt sein und der Souverain ist staatsrechtlich genöthigt, die Regierungshandlungen durch diese Beamten und zwar durch die in concreto eingesetzten Beamten vornehmen zu lassen. Es müssen, wie man zu sagen pflegt, alle Geschäfte in ihrem ressortmäßigem Gange erledigt werden; denn nur die betreffenden Beamten haben die nothwendigen technischen und Gesetzeskenntnisse und den Überblick über den Zusammenhang der einzelnen Geschäfte. Allein der Unterschied Bl. 356 R. zwischen der staatsrechtlichen Stellung der Verwaltungsbeamten und der richterlichen Beamten ist der, daß die letzteren lediglich nach ihrer eigenen gewissenhaften Überzeugung und nur im Dienste der Gerechtigkeit handeln sollen und deshalb unabhängig von persönlichen Einwirkungen sind, daß dagegen die ersteren nach Zweckmäßigkeitsrücksichten, nach einheitlichen Instructionen handeln und daher den Anweisungen der höheren Beamten untergeben sind. An der Spitze jedes Verwaltungszweiges steht daher ein Beamter, ein Minister, dessen Weisungen sämmtliche Behörden seines Ge-
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schäftskreises Gehorsam schuldig sind, und der die Richtung bestimmt, in der sie thätig sein sollen, der die Grundsätze vorzeichnet, nach denen sie ihr Urtheil bemessen sollen. Der Souverain aber ist wieder für diese höchsten Verwaltungs-Chefs das Oberhaupt und der Mittelpunkt, theils indem er die ihm geeignet scheinenden Personen nach freiem Ermessen zu diesen Stellen berufen und auch nach Belieben wieder entlassen kann, theils indem er ihnen unmittelbar seine Aufträge und Befehle ertheilt. Nur in diesem Sinne ist der Souverain selbst das Organ für die Verwaltung des Staates; die Mitwirkung der ressortmäßigen Beamten ist bei Ausübung dieser Befugnisse so wesentlich, daß nach modernem Staatsrecht jeder sogar unmittelbar vom Monarchen ausgehender Regierungsact zu seiner Gültigkeit der Mitunterschrift eines Ministers bedarf. Übrigens ist die Abhängigkeit eines unteren Verwaltungsbeamten von seinem Chef und sonach also in letzter Instanz vom Könige keineswegs in allen Fällen die gleiche, sondern nach der Art und Weise der betreffenden Geschäfte sehr verschieden normirt. Je mehr einheitliches Handeln, straffe Ordnung, energische Concentration erforderlich ist, desto mehr muß die Unterordnung unter die höheren Stellen ausgebildet sein; am größten ist daher die Abhängigkeit von den Vorgesetzten beim Militair-Wesen, bei den diplomatischen Vertretern, den Polizeibeamten; während z. B. die Mitglieder der Oberrechnungkammer, welche lediglich eine Controlle über die Einnahmen und ausgaben des Staates auszuüben hat, fast die Stellung von Richtern haben; in ähnlicher Unabhängigkeit befinden sich Gelehrte; welche zum Zweck wissenschaftlicher Ermittlungen angestellt sind oder denen ein Lehramt übertragen ist.
Bl. 358 § 14 Die Volksrepräsentation Eine Betheiligung des Volkes an dem Leben des Staates ist unerläßlich; kein Staat kann dasselbe auf die Dauer entbehren; selbst in absoluten Staaten nimmt das Volk einen erheblichen Antheil durch den geistigen Einfluß, durch die Macht der öffentlichen Meinung, durch die zwingende Gewalt der die Zeit beherrschenden Ideen, denen sich auch der Herrscher nicht entziehen kann. Allein eine viel höhere Stufe der Entwicklung bedeutet es, wenn diese Theilnahme des Volkes eine unmittelbar thätige, eine bewußte, eine verfassungsmäßig organische ist. – Dem Alterthum ist diese Stufe unbekannt; in den antiken Staaten, sowohl in den Monarchien als in den Democratien, gab es lediglich Herrscher und Beherrschte, Souverain und Unterthanen, aber nicht eine Betheiligung der Regierten an der Thätigkeit des Regierens. Dies ist eine Eigenthümlichkeit der germanischen Völker und
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darin besteht der große Fortschritt in politischer Beziehung, den die germanischen Staaten im Vergleich zu den antiken gethan haben. Das Institut der Volksrepräsentation ist keineswegs auf Monarchien beschränkt, auch in Republiken kann es neben den Regierungsorganen eine Volksrepräsentation geben; allein wo das Volk selbst souverain ist, hat die Volksrepräsentation eine naturgemäß andere Stellung, als in Staaten, in denen das Volk nicht souverain ist. Die Betrachtung der monarchischen Verfassung aber hat für die europäischen Verhältnisse der Gegenwart ein überwiegendes Interesse und wir werden uns daher auf dieselbe beschränken. Auch das Mittelalter kennt eine Betheiligung des Volkes an der Staatsgewalt, auch das Mittelalter hat Stände, allein sie entsprechen nicht dem Begriffe des modernen Staates und der modernen Volksrepräsentation. Die mittelalterlichen Stände haben einen privatrechtlich-feudalen Character. Der Kaiser versammelt die Fürsten und Städte, die Landesherren versammeln die Ritterschaft, die Geistlichkeit und die Vertreter der Landstände um sich, um von ihnen Rath und Hülfe zu haben; namentlich aus dem Grunde, weil ihnen das Recht Steuern zu erheben fehlt und die Steuern ihnen daher von den Ständen vorerst bewilligt werden müssen. Die Landstände vertreten
Bl. 358 R. nicht das Land oder Volk, sondern jedes Mitglied des Landtags vertritt sein eigenes Recht, sein persönliches privates Interesse. Die Ständemitglieder werden daher nicht gewählt, sondern die großen Grundbesitzer, die Bürgermeister der Städte, die geistlichen Würdenträger sind kraft eigenen Rechts Mitglieder des Landtags; sie vertreten ihre Gutsunterthanen, Hintersassen etc. in ähnlicher Weise, wie der Kaiser das Reich, der Fürst das Land. Es versammeln sich um die höchste Obrigkeit des Landes die niederen Obrigkeiten, um sich mit einander zu verständigen. Daher haben die eigenen Hintersassen des Fürsten selbst gar keine besondere Vertretung. Der Landtag ist nach den verschiedenen Ständen in Kurien getheilt, die ganz unabhängig von einander sind, die zu verschiedenen Zeiten sich versammeln können, von denen jede für sich Geld bewilligen kann, auch ohne daß die anderen Kurien beistimmen. Ja sogar mit einzelnen Mitgliedern der Stände kann der Fürst direct unterhandeln und sich mit ihnen privatim einigen. Die Stände bilden eine Korporation für sich, die privatrechtlich selbständig ist, ihr eigenes Vermögen hat: Der Fürst ist selbständig in der Verwaltung der Domänen und Kämmereigüter, er kann darüber nach Belieben verfügen; die Stände haben oft gar keinen Antheil an diesem Vermögen; andererseits führen die Stände ihrerseits die Verwaltung der durch die Steuern eingehenden Gelder und können Steuern nach Willkühr verweigern. So geht eine doppelte Finanzwirtschaft durch den ganzen Staatshaushalt. Die Stände haben
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dem Fürsten gegenüber die Befugniß, ihre Privilegien und Rechte durch Anrufung der Gerichte, ja sogar durch gewaltsame Selbsthülfe zur Anerkennung zu bringen. Die einzelnen Mitglieder der Stände können aber sehr verschiedene Rechte haben, je nach dem Laute ihrer Privilegien; denn das Maß dieser Rechte wird nicht nach den allgemeinen Anschauungen von der politischen Betheiligung an dem Staatsleben entnommen, sondern sondern in rein privatrechtlicher Weise aus dem historischen Erwerbsgrund derselben abgeleitet. In dieser Art waren fast in allen europäischen Ländern die Stände bis zur Französischen Revolution organisirt; in ihnen kam nicht der Volksgeist, der
Bl. 359 Ausdruck der allgemeinen nationalen Überzeugungen und Interessen zur Geltung, sondern lediglich der Geist und das Interesse der privilegierten Stände. Ihnen gegenüber mußte vielmehr gerade der Fürst die allgemeinen staatlichen Interessen wahrnehmen und die Anschauungen und Wünsche der Gesammtheit zur Geltung zu bringen suchen. Daher waren nicht die Stände eine Vertretung des Volkes dem Fürsten gegenüber, sondern der Fürst war der Vertreter des Volkes den privilegierten Ständen gegenüber; im Fürsten culminirte der Gedanke des Staates, die Sorge für die gemeine Wohlfahrt, der Schutz des Rechtes für alle Unterthanen. Daher ist die Symphatie des Volkes überall lebhaft für den Fürsten gegen die Stände. Im Gegensatz dazu stehen die volksstaatlichen Stände, welche bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts allein in England existierten, seitdem aber fast in allen Staaten Europa’s eingeführt worden sind. Der ihnen zugrunde liegende Gedanke ist eine Vertretung des Volkes als Einheit; das Volk gewinnt in ihnen eine concentrirte persönliche Gestalt; und wird dadurch zu bewußtem, persönlichen Handeln befähigt. Diese Stände haben nicht ihr persönliches Interesse wahrzunehmen, sondern das des Volkes. Auch ist dieses Interesse kein dem Interesse des Monarchen entgegengesetztes, sondern Fürst und Stände haben nur das gemeinsame Interesse des Staates. Es sind nicht collidirende privatrechtliche oder staatsrechtliche Ansprüche und Gegenansprüche, die durch die Verhandlungen zwischen Fürst und Ständen ausgeglichen werden sollen, sondern Fürst und Stände stehen beide gleichmäßig im Staatsorganismus, sie sind zwei Organe, die zusammen wirken. Es giebt kein Recht des Staates, kein Interesse der Nation, kein Vermögen des Fiscus, das blos dem Fürsten oder blos den Ständen zustünde, sondern der Staat ist ein einheitliches Wesen. Aus diesem Begriffe der Stände als Volksrepräsentanten folgt, daß die Stände nur als einheitliche Körperschaft handeln können; das einzelne Mitglied für sich allein kann nicht mit dem Fürsten oder der Regierung verhandeln, ebensowenig, ein Theil der Stände,
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sondern nur die gesammten Stände als Ganzes sind die Vertreter des Volkes und befähigt, Namens desselben zu handeln. Dieses Prinzip wird auch dadurch nicht geändert, daß die Stände in 2 oder mehr getrennten Abtheilungen, Kurien, Häusern, Kammern berathen und beschließen; denn nur übereinstimmende Beschlüsse aller dieser Abtheilungen sind staatsrechtlich als Acte der Landesvertretung anzusehen.
Bl. 359 R. Die Ständemitglieder sind auch nicht Mandanten ihrer Wähler, die nach Instruction zu handeln und zu stimmen haben, die lediglich die Wünsche oder Interessen der Wähler zu vertreten haben und die zurückberufen werden können, sondern sie haben nach ihrer eigenen freien Überzeugung zum Wohle des Staates zu stimmen; sie werden zwar vom Volke durch die Wahl ernannt, aber sie empfangen keinen Auftrag; sondern sie leiten ihre Befugniß, ihre Pflichten und Rechte unmittelbar aus ihrer staatsrechtlichen Stellung ab. Sowie sie gewählt sind, stehen sie über der Masse des Volkes. Zweck und Aufgabe der Volksvertretung ist es, die Regierung im Zusammenhang zu erhalten mit dem Geiste des Volkes; der Gehorsam des Volkes wird dabei von einem passiven zu einem selbstbewußten, persönlich mitthätigen gesteigert und veredelt. Die Regierung soll durch die Betheiligung der Volksrepräsentation geschützt werden vor Mißgriffen, welche den Unwillen des Volkes erregen, vor Mißgriffen, vor Maßregeln, welche die wahren Interessen der Nation verletzen, und ebenso vor träger Stagnation, vor bloßem Schematismus büreaucratischer Amtsverrichtung, die Regierung soll in Fluß bleiben, Schritt halten mit den fortschritten der Zeit. Über die Bedeutung der Volksvertretung herrschte bis 1848 eine durchaus irrige, vorzugsweise auf Montesquieu zurückgehende Anschauung, die man als die constitutionelle Doctrin bezeichnen kann. Nach dieser Theorie gebührt der Volksvertretung ein Theil der Staatsgewalt; und zwar ist es die gesetzgebende Gewalt, welche der Volksvertretung entweder allein oder in Gemeinschaft mit dem Fürsten zusteht, die vollziehende Gewalt dagegen gebührt dem Fürsten allein, die richterliche endlich ist beiden entzogen. Allein die Lehre von der Theilung der Gewalten ist durchaus bereits widerlegt. Ein Antheil der Volksv Allein in dieser Theorie steckt ein doppelter Irrthum; sie gewährt der Volksvertretung theils zu wenig, theils zu viel; es liegt dieser Lehre die Idee zu Grunde, daß die Staatsgewalt objectiv oder subjectiv getheilt sein könne; beides ist unhaltbar. Daß die objective Theilung der Staatsgewalt irrig ist, haben wir in vorigen §§ gesehen; daher ist es unzulässig, der Volksvertretung einen Antheil an der gesetzgebenden Gewalt und nur an ihr zuzuschreiben. Vielmehr ist die
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Volksvertretung zur lebendigen Mitwirkung an allen Äußerungen staatlicher Thätigkeit berufen. Bl. 360 Auf die Gerichte freilich soll die Staatsgewalt überhaupt keinen unmittelbaren persönlichen Einfluß ausüben, sie sollen nach freier Überzeugung die Gesetze anwenden; die Volksvertretung wird daher ebensowenig wie der Souverain die Einwirkung auf die Rechtssprechung haben dürfen. Allein die Sorge dafür, daß überhaupt die Rechtspflege in gesetzmäßiger Weise ausgeübt und die Erkenntnisse der Gerichte durchgeführt werden, ist der Volksvertretung nicht entzogen. – Bei der Verwaltung ist die Theilnahme der Volksvertretung schon eine größere; Staatsverträge mit anderen Staaten bedürfen ihrer Zustimmung, die Volksvertretung hat darauf zu achten, daß die Verwaltung den Gesetzen gemäß geführt werde, sie hat die Controlle der Finanzen, durch die Feststellung des Budgets bestheiligt sich der Landtag sogar an allen Details der staatsverwaltenden Thätigkeit, endlich ist durch die Ministerverantwortlichkeit und das Recht der Minister-Anklage bei der Abhängigkeit aller Unterbeamten vom Minister ihr ein – wenigstens negativer Einfluß auf den ganzen Beamten-Apparat des Staates gesichert, indem Rechtsverletzungen von ihr geahndet werden können. Dagegen darf die Betheiligung der Volksvertretung an der Verwaltung nicht einen so großen Einfluß haben, daß dadurch die Energie und Schnelligkeit des Handelns, die kluge Benützung zufälliger Umstände, die einheitliche Durchführung zweckmäßiger Maßregeln, überhaupt der persönliche Character der Regierung verhindert werde. Am umfangreichsten und deutlichsten tritt der Antheil der Volksvertretung in den Gesetzen hervor, weil bei ihnen in der Regel an der Schleunigkeit des Zustandekommens weniger gelegen ist, als daran, daß sie wirklich in Übereinstimmung sind mit der Überzeugung des Volkes, daß sie den wahren Interessen des Staates entsprechen, daß sie im Volksbewußtsein wurzeln oder Wurzel zu schlagen geeignet sind, daß sie den realen Verhältnissen angemessen sind. Gesetze können daher regelmäßig nur mit Zustimmung der Landesvertretung zustandekommen. Dieser verschiedene Umfang der Betheiligung der Stände an den verschiedenen Functionen der Staatsgewalt ist daher wol zu unterscheiden von einer Theilung der Gewalten und einem mechanischen Gleichgewicht derselben. Die Volksvertretung ist von keinem Theil der Staatsgewalt ganz ausgeschlossen und keiner steht ihr ausschließlich zu. Ebenso muß man sich aber gegen die andere Ansicht erklären, daß die Staatsgewalt zwar objectiv ungetheilt sei, daß die – materiell untheilbare – Staatsgewalt aber pars partibus indivisio theils dem Fürsten, theils der
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Volksvertretung zustehe oder mit anderen Worten, daß die Stände einen Antheil an der Souverainetät haben. Bl. 360 R. Ein solches condominium an der Souverainetät kann vorkommen; im deutschen Reich war zwar der Theorie nach der Kaiser allein souverain, allein thatsächlich stand allerdings die Reichsgewalt dem Kaiser und Reichstag zusammen zu; in dem hamburg. (Recht) von 1712 Art. 1 wird bestimmt, daß (tÎ kurßon) oder das höchste Recht bei h. ehrb. Rath und der erbgesessenen ius quarabili u. s. w., conjunctim und zusammen bestehen soll. Allein Staaten von Bedeutung, in denen das Leben stark pulsirt, die nach außen und innen eine erhebliche Thätigkeit entfalten müssen, bedürfen eines einheitlichen Willens, einer einheitlichen höchsten Richtung. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Monarchen und der Landesvertretung muß der eine oder andere Wille entscheiden und der Factor, dessen Ansicht die Entscheidende ist, der wird thatsächlich die Souveränität besitzen. In privatrechtlichen Verhältnissen ist ein condominium pro indiviso möglich, weil für die Ausübung das Condominium eine Zeit lang ruhen kann, weil die Miteigenthümer sich auseinandersetzen können und weil es eine richterliche Gewalt über ihnen giebt, die ihre gegenseitigen Rechte abwägt und feststellt. Das ist beim Staat anders; die Ausübung der Staatsgewalt kann nicht unterbrochen werden, sie muß fortwährend in Tätigkeit sein, die Inhaber derselben können sich nicht von einander trennen und die Staatsgewalt zerreißen und es kann keinen Richter geben über die Berechtigung der Antheilnehmer an der Staatsgewalt, da die Staatsgewalt als die höchste keine Gewalt über sich haben kann. Es ist ein unzulängliches Prinzip, daß Fürst und Parlament sich vereinigen müssen über die Art, in der die Staatsgewalt ausgeübt werde, dennn es fehlt an einem Zwange, diese Vereinigung zu bewirken. Wenn sich Fürst und Parlament nicht einigen, wer soll entscheiden, an wem die Schuld liegt. Ein einheitlicher Organismus ist der Staat; so wenig der Körper des Menschen auf einem freiwilligen Zusammenwirken der verschiedenen Organe beruht, sondern einheitliches organisches Lebensprinzip alle gleichmäßig durchdringt, so kann auch nur ein einheitlicher souverainer Wille die Lebensfunctionen des Staates durchströmen und beherrschen. Bl. 361 Wir kommen daher zu dem Resultat, daß die Souverainetät in Wahrheit entweder nur dem Monarchen oder nur der Volksvertretung zusteht und wir gelangen mit dieser Alternative zu dem Gegensatz des monarchischen Prinzips mit dem Parlamentarismus.
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I. Der Parlamentarismus läßt formell-rechtlich den Monarchen im Besitz der Souverainetät, scheinbar ist er im Besitze der obersten Staatsgewalt; thatsächlich aber übt die Volksvertretung, das Parlament dieselbe aus. Da diese Verfassungsform historisch in England sich entwickelt hat, und dort ihre Ausbildung gewonnen hat, so werden die Züge zu einer Schilderung des Parlamentarismus am besten dem englischen Verfassungsrecht entnommen werden. In England hat das Parlament zunächst die Initiative bei der Gesetzgebung. Die Krone als solche legt keine Gesetzentwürfe vor. Die Minister nur, wenn sie zugleich Mitglieder des betreffenden Hauses sind. Das Parlament ist nicht beschränkt auf das Recht, den Gesetzentwürfen der Regierung seine Zustimmung zu versagen und sie zu amendiren oder die Regierung um Einbringung eines gewissen Gesetzentwurfes zu bitten, sondern das Parlament arbeitet positiv gestaltend die Gesetze aus, giebt ihnen selbst Form und Inhalt; der König hat nur das Recht des Veto. Nun kann der König zwar nicht rechtlich gezwungen werden, das Gesetz zu sanczioniren, allein der moralische Druck, den die Beschlüsse des Parlaments ausüben, die öffentliche Meinung, die die durch die Berathungen des Parlaments auf die auf den Gegenstand des Gesetzentwurf gelenkt worden ist, machen thatsächlich dem Könige es unmöglich, sein Veto consequent auszuüben. Dieses Verhältniß ist aber deshalb von ganz besonderer Wichtigkeit, weil der König der Gesetzgebung in England in ganz außergewöhnlicher Weise ausgesetzt ist. Die Gesetze werden bis in die kleinsten Details ausgearbeitet und Gegenstände, die ihrer Natur nach administrativer Art sind, Regelungen ganz specieller Verhältnisse, sind in England nach festem Herkommen Sache der Gesetzgebung. Sodann hat das Parlament das Recht unbedingter Steuerverweigerung und die Befugniß, das Budget bis in die kleinsten Einzelheiten festzustellen; würde sich der König in wichtigen Angelegenheiten dem Parlament entgegensetzen, so könnte er durch das Parlament aller Mittel beraubt werden, um zu regieren. Bl. 361 R. Es giebt in England nur gewisse Steuern, welche unabhängig von der Bewilligung des Parlaments sind, aus Rücksicht für die Staatsgläubiger, damit dieselben gesichert sind; im übrigen aber werden die Steuern nicht auf Grund von Gesetzen erhoben, die das Parlament einseitig nicht wieder abschaffen kann, sondern jedesmal auf Grund specieller Ermächtigung Seitens des Parlaments. Auf demselben Prinzip beruht es, das das stehende Heer vom Parlament nur auf bestimmte Zeit bewilligt wird; nach Ablauf derselben hört die Verpflichtung zum militärischen Gehorsam auf. Das Heer beruht daher auf der
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Autorität des Parlaments, wenngleich der König die Befehlshaber desselben ernennt; und es fehlt daher dem König die materielle Macht, auf der seine Stellung in den anderen Staaten vorzugsweise beruht. In ähnlicher Weise sind die obersten Richter in ihren Stellen durch Acte des Parlaments gesichert; auf Antrag des Parlaments aber kann sie der König entlassen. Das wichtigste Recht des Parlaments aber besteht darin, daß es die Minister wegen Hochverraths in Anklagezustand versetzen und verurtheilen kann. Das Unterhaus hat das Recht zur Erhebung der Anklage, das Oberhaus hat zu entscheiden. Die weite Fassung der strafbaren Handlungen macht die Minister vom Parlamente mit ihrer Person abhängig, während der König ihnen nur die Stellen entziehen kann. Der König aber kann durchaus keinen Regierungsact vornehmen, ohne die Contrasignatur eines Ministers. Er hat zwar völlige Unverantwortlichkeit; es gilt die Fiction, daß er Unrecht nicht thun könne; allein er kann selbständig, d.h. ohne Minister überhaupt nichts thun und die Minister sind dem Parlament verantwortlich, so daß die ganze Regierungsthätigkeit des Königs im Ganzen und Großen doch der fortwährenden Billigung des Parlaments unterworfen ist. Durch das Zusammenwirken aller dieser Verhältnisse ist das Parlament der eigentliche Lenker des Staates, der factische Inhaber der Souverainetät; der König hat nur einen, allerdings nicht unwichtigen, ermäßigenden Einfluß; er hat die Möglichkeit Extravaganzen, Ausschreitungen zügelloser Parteiwillkühr zu Bl. 362 verhüten. Das Recht des Königs zur Auflösung des Parlaments ändert an dieser Sachlage nichts; es ist dies nur eine Probe, die der König machen kann, ob die im gegenwärtige versammelten Parlament dominirende Partei auch wirklich die im Lande herrschende ist. Ist das letztere der Fall, so wird das neu gewählte Parlament dem aufgelösten entsprechen und die Forderungen desselben aufrecht erhalten. Dieses System des Parlamentarismus ist unter Umständen ein sehr glückliches; aber es setzt eben diese besonderen Umstände voraus. Seine Ergänzung findet dieses System in England durch eine Reihe anderer Einrichtungen des englischen öffentlichen Lebens und der Rechtsverfassung. Dahin gehört namentlich: eine geschlossene Parteibildung, die aber nicht auf ständischen Gegensätzen beruht. In Deutschland beruhen die Parteigegensätze vorzugsweise auf der Feindschaft der Stände. Der grundbesitzende Adel, die Ritterschaft sucht ihre auf mittelalterlichen Institutionen begründete und historisch hergebrachte Stellung über den anderen Ständen, so weit es angeht zu behaup-
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ten, die Stellen im Heer und Civildienst möglichst für sich auszubeuten, die Gesetzgebung in ihrem Interesse auszubeuten oder wenigstens zu formen. Dem Junkerthum gegenüber steht die Bougeoisie, die Trägerin des Liberalismus, welche die mechanische oder formale Gleichberechtigung aller aller Staatsbürger anstrebt und alle historisch begründeten Vorzüge und organische Gliederung nivelliren will; das letzte Resultat dieser Bestrebungen wäre, daß die Macht unserer Zeit, das Capital, das alleinige Fundament politischer Machtstellung würde. Beiden gegenüber steht der Stand der Arbeiter, der Vertreter der Democratie im Sinne der Massenherrschaft, mit socialistischen oder communistischen Tendenzen; nicht nur die formale Rechtssicherheit, sondern auch die reale Gleichheit des Besitzes, Genusses etc. ist das letzte Ziel derselben. Wo die socialen Zustände von der Art sind, daß solche Parteigruppen daraus hervorgehen, da ist kein Boden für den Parlamentarismus; da vernichtet ja die herrschende Partei den angefeindeten Stand. Da muß sich das Schauspiel der französischen Revolution wiederholen, daß erst die Girondisten, die liberalen, die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit, die historisch begründeten Rechte aufheben, und dann von den Jacobinern zur Guillotine geschleppt werden.
Bl. 362 R. Bei solchen Verhältnissen ist ein starkes Königthum ein dringendes Bedürfnis, welches über den Ständen steht, sie gegeneinander schützt und die gegenseitige Bekämpfung und Vernichtung derselben verhütet. Der Parlamentarismus, der die Parteiregierung im Gefolge hat, wäre bei solchen Zuständen fast einem Bürgerkriege gleich, nur daß statt der Schlachten die Gewaltstreiche in Form von Gesetzen und Beschlüssen verübt werden. Selbst wenn durch eine Revolution das Königthum beseitigt ist, so wächst doch aus der an seine Stelle tretenden Anarchie wieder der Imperialismus, also das monarchische Haupt, hervor, wie dies die Geschichte Frankreichs dargethan. In England dagegen beruhen die Parteien nicht auf ständischen Gegensätzen; Whigs und Torry’s, beide sind die vornehmsten Lords, die ersten Aristocraten des Landes. Es sind zwei Familien-Coterien, die im Laufe der Geschichte sich gebildet haben und die ihren politischen Tendenzen, die traditionell sich fortpflanzen, treu bleiben; aber aber an edlem vornehmen Adel, an Ausdehnung des Grundbesitzes, an Sicherheit der socialen Stellung stehen sie sich völlig gleich. Beide Familien-Verbindungen haben ihre sogenannten Konnexionen, d.h. den auf ihrer socialen Stellung beruhenden Einfluß auf die Personen niederen Standes und Einkommens. Jede dieser Parteien umfaßt daher außer den vornehmen Führern Theile des sogen. Volkes, d.h. der mittleren und niederen Klassen, so daß aristocratische und demo-
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cratische Elemente gleichmäßig in jeder dieser Parteien enthalten sind. Die Achtung vor den erworbenen Rechten, vor dem historisch erwachsenen Verfassungszustande, vor dem Besitz und vor dem Gesetze ist beiden Theilen gleich eigen; sie wollen sich nicht gegenseitig ihre Rechte schmälern oder entreißen; sondern sie stehen auf demselben Boden socialer Anschauungen; nur heben die Torry’s mehr das conservative Moment, die Sicherung des Bestehenden, die Whig’s mehr das Bedürfniß des Fortschritts,
Bl. 363 das Anpassen des historisch überkommenen Rechtszustandes mit den veränderten reellen Verhältnissen der Gegenwart hervor. Solche Parteien können sich in der Regierung des Landes ablösen, ohne sich zu vernichten und den Staat zu zerrütten. Sodann ist erforderlich ein weit durchgeführtes Selfgouvernement, wie es in England besteht. Müssen alle Verrichtungen der staatlichen Thätigkeit durch öffentliche Beamte ausgeübt werden, hat die gesammte Verwaltung einen büreaucratischen Zuschnitt, so ist der Parlamentarismus und die damit zusammenhängende Parteiregierung ein schweres Unglück. Zunächst führt sie eine Corruption der Beamten herbei; die den Mantel nach dem Winde drehen, dem jedesmaligen Minister in der von ihm angegebenen Richtung mit Verleugnung ihrer eigenen Überzeugung dienen müssen. Oder es finden bei jedem Ministerwechsel, bei jedem Umschlag der Parteiherrschaft massenhafte Beamten-Entlassungen statt; jede Partei benutzt ihr Regiment um die Stellen mit ihren Angehörigen zu besetzen. Das Schlimmste aber ist, daß die Verwaltung nicht unparteiisch, sondern im Interesse der herrschenden Partei geführt wird und daß die Angehörigen der unterlegenen Partei unter dem schweren Druck dieser Herrschaft zu leiden haben. In England empfindet man dagegen einen Wechsel der Herrschaft weniger, denn wenn auch die obersten Verwaltungsstellen von Angehörigen der herrschenden Partei besetzt werden; so erstreckt sich dies doch nicht bis auf die Localinteressen. Weitaus der wichtigste und größte Theil derjenigen Geschäfte, die zur Verwaltung gehören und bei uns durch Staatsbeamte versehen werden, liegt dort völlig unabhängigen Privatpersonen ob. Das Selfgouvernement läßt sich aber nicht mit einem Schlage einführen; es gehört dazu eine besondere Anlage der Nation, ein großer Gemeinsinn, ein so wohlbegründeter Nationalwohlstand, daß viele Personen ihre Zeit und Kräfte dem öffentlichen Dienst unentgeltlich widmen können. Bei vielen Völkern würde durch die plötzliche Verringerung der bürocratischen Beamtenthätigkeit dem Staate ein unheilbares Übel zugefügt werden, die Verwaltung würde stocken, die Aufgabe des Staates würde in vieler Beziehung unerfüllt bleiben, die Geschichte würde statt mit Rücksicht auf die bestehenden
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Bl. 363 R. Gesetze und auf das Staatsinteresse nach Privatwillkühr, mit Berücksichtigung der Gevatterschaft und Nachbarschaft und Kundschaft u. s. w. erledigt werden. Das Selfgovernment ist keineswegs überall und immer eine glückliche und heilsame Institution. Jedenfalls aber dürfte nicht der Parlamentarismus von oben herunter durchgeführt werden, sondern es müßte erst durch allmählige Durchführung des Selfgovernments der nothwendige Grundbau gelegt werden. Drittens ist nach englischem Recht jeder Beamte civilrechtlich verantwortlich für jede Überschreitung seiner Amtsbefugnisse, für jede Verletzung des Gesetzes. Man kann jeden Nachtwächter, jeden Sheriff, jeden Polizei-Finanz-Zoll Beamten u. s. w. civilrechtlich belangen wegen irgend welchen Amtsmißbrauchs. In den Continental-Staaten ist ein Beamter dagegen nur dann gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen, wenn er ein wirkliches Verbrechen begangen hat oder wenn er einen Mißbrauch seiner Amtsgewalt, eine Verletzung eines Gesetzes nicht nur nach dem objectiven Thatbestand verübt, sondern die That auch zugleich im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit begangen hat; dieser subjective dolus aber ist fast niemals nachweisbar. In allen anderen Fällen steht nur die Beschwerde an die höhere Instanz frei; die ist aber erst recht mit Männern der herrschenden Partei besetzt und die oberste Instanz, der Minister, ist gerade ein Führer der herrschenden Partei. Für Rechtsverletzungen, die der Beamte im Interesse seiner Partei bei seiner Amtsführung verübt, giebt es daher keine Abhülfe, man appelirt vom Pontius an den Pilatus; man beschwert sich gerade bei der Person, welche die Handlungen, über die man sich beschwert, selbst angeordnet oder gebilligt hat. Dagegen hat andererseits die herrschende Partei im Disziplinargesetz ein Mittel, alle Unterbeamten zum eifrigen Dienste in dem herrschenden System zu zwingen. Auch in dieser Hinsicht hat daher die Parteiherrschaft die Rechtlosmachung der unterliegenden Partei zur Folge und ist dadurch eine große Gefahr für Recht und Freiheit. Endlich der Schlußstein der englischen Verfassung ist die eigenthümliche Gerichtsverfassung. Die Urtheile in Civil- und Criminalsachen, politischen und nicht politischen, werden von Geschworenen gefällt. Die Regierung hat daher keinen Einfluß auf die Rechtsprechung, nicht einmal einen mittelbaren. Wenn Bl. 364 dagegen Beamte und Regierung das Recht finden, wenn die Regierung die urtheilenden Richter ernennt, so kann sie auch die Rechtspflege dem ParteiInteresse dienstbar machen, indem sie die höheren Instanzen oder wenigstens das oberste Gericht mit ergebenen Individuen besetzt oder indem sie
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zur Aburtheilung politischer und Preßvergehen Leute ihrer Partei designirt. Die Durchführung der englischen Gerichtsverfassung läßt sich aber nicht aus bloß politischen Rücksichten in anderen Ländern copiren; Geschworene in Civilsachen namentlich sind bei einem gelehrten technisch schwer zu handhabenden Rechte, bei einem formellen Beweisverfahren u. s. w. gänzlich untauglich; es giebt auch nicht überall zuverlässige und unabhängige Männer in genügender Zahl, welche sich dem zeitraubenden und unangenehmen Gerichtsdienste unterziehen können. In vielen Ländern würde die Einführung der Jury in dem Umfange, wie sie in England besteht, fast der Aufhebung einer würdigen und zuverlässigen Justiz gleichkommen. Das Resultat dieser Erwägungen ist, daß der Parlamentarismus eine an sich vortreffliche Regierungsform ist, daß er aber nur unter gewissen Verhältnissen brauchbar ist; er ist nicht absolut, sondern nur relativ eine wünschenswerthe Einrichtung und er kann daher nicht von einem Landes, wo die für ihn nothwendigen Voraussetzungen vorhanden sind, übertragen werden auf andere Länder, in denen diese Voraussetzungen fehlen. II. Das monarchische Princip im Gegensatz zum Parlamentarismus besteht darin, daß der Fürst nicht nur rechtlich der Souverain ist, sondern daß er auch thatsächlich der Träger der Staatsgewalt, der persönliche Mittelpunkt der Regierung ist. Der am meisten in die Augen fallende Unterschied zwischen dem Parlamentarismus und dem monarchischen Prinzip besteht darin, daß dort der Fürst die jedesmaligen Führer der Kammermajorität oder deren Parteigenossen zu Ministern ernennen muß, während er hier in der Wahl der Minister frei ist. Ein Mißtrauensvotum, das die Kammer dem Ministerium ertheilt, die Verwerfung eines Antrages der Regierung und dgl. ist daher kein Grund für die Minister, ihre Stelle aufzugeben. Bl. 364 R. Indeß ist dieser Unterschied, so wichtig er ist und so sehr er in die Augen springt, nur ein äußerlicher, oder vielmehr das Resultat vieler anderer tiefer liegender Unterschiede. Es muß nämlich der Minister thatsächlich im Stande sein, auch gegen den Willen des Parlaments zu regieren, wenn er nur die Zustimmung des Fürsten hat. Dazu gehört vor allem ein anderes Ministerverantwortlichkeitsrecht, wie das englische. In England kann der Minister wegen seiner Amtsführung im allgemeinen angeklagt und verurtheilt werden, d.h. wenn seine Amtführung als dem Lande schädlich und gefählich erachtet wird; das Parlament in seinen zwei Abtheilungen ist zugleich Ankläger und Richter. Das Parlament ist daher im Stande, sich selbst Abhülfe für Verletzungen seiner Rechte zu verschaffen, der Minister ist daher mehr vom Parlament, als vom König abhängig. In Deutschland dagegen ist die Minister-Anklage nur zulässig, wegen wirklicher Verfas-
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sungsverletzung und das Urtheil fällt in der Regel der oberste Gerichtshof. Hier hat daher der Minister das Urtheil des Parlaments weniger zu fürchten. Die Billigung oder Mißbilligung seiner Regierungsmaxime seitens der Kammer ist unerheblich; er hat sich nur vor offenbaren directen Verletzungen der Verfassungsbestimmungen zu hüten. Es bleibt ihm aber immer noch der freie Spielraum, für den der Wille des Fürsten, nicht der des Parlaments maßgebend ist. Sodann müssen die Steuern gesichert sein durch Steuergesetze, die fortdauernd gültig bleiben, die die Stände nicht jedesmal neu bewilligen brauchen und die von den Ständen nicht einseitig aufgehoben werden können. Der Fürst ist daher im Besitz der Mittel um die Regierung weiter führen zu können, auch wenn die Stände den von ihm eingeschlagenen Weg entschieden mißbilligen. In England dagegen muß er nachgeben oder verliert die für die Existenz der Regierung unentbehrlichen Gelder. Drittens muß die Organisation aller Behörden, ja selbst der Gerichte, und die des Heeres der Art sein, daß der Fürst und die von ihm ernannten Minister sie zu ihren Zwecken verwenden können. Dadurch sind sie im Besitz der ungeheuren materiellen Macht des Staates, während die Volksvertreter nichts als die Gewalt der öffentlichen Meinung für sich haben, die nur ausnahmsweise im Stande ist, den Sieg über die materielle Macht davon zu tragen. Bl. 365 Dessenungeachtet ist aber der Fürst in der repräsentativen Monarchie nicht im Wesentlichen in der gleichen Lage, wie der absolute Monarch; die Volksvertretung ist nicht auf einen bloßen Beirath beschränkt, den der Fürst nach Belieben beachten oder ignoriren kann, sondern der Fürst ist rechtlich bei der Ausübung seiner souverainen Gewalt an die Mitwirkung der Stände gebunden. Er kann den Rechtszustand nicht einseitig ändern, ohne daß die Stände seinen Gesetzentwürfen die Genehmigung ertheilen; er ist hinsichtlich der Verwaltung beschränkt theils durch den Organismus der Behörden und die Verantwortlichkeit der Minister, theils durch die Verpflichtung, alljährlich das Budget mit den Ständen zu vereinbaren; er kann keine neuen Steuern erheben, ohne daß die Volksvertretung sie bewilligt; er kann dem Staate durch Verträge mit anderen Staaten keine Lasten aufbürden, er kann keine Staatsanleihen contrahiren, ohne daß die Kammern zustimmen. So ist der Fürst zwar der persönliche Mittelpunkt des ganzen Staats, aber er ist durch feste staatsrechtliche Schranken genöthigt, sich innerhalb der gesetzlichen Ordnung zu halten. Beamtenthum, Gerichte, Volksrepräsentation und in derselben wieder die aristocratischen und democratischen Elemente des Staates sind zu geordnetem organischen Zusammenwirken in dem Leben des Staates berufen, allein das oberste und höchste Organ, das Haupt in dem Körper des Staates, ist der Monarch.
Zweiter Teil
Staatsrecht
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (1. Variante)
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Bl. 1 Staatsrecht28 Einleitung
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts. I. Das Staatsrecht ist die Lehre von der Verfassung des Staates, von den Befugnissen seiner Organe und von den Grundsätzen, welche die Thätigkeit des Staates regeln. Das Staatsrecht unterscheidet sich von der Politik, indem es nicht de lege ferenda sondern de lege lata seine Sätze entwickelt. Es hat daher mit einem concreten, individuell bestimmten Staat und einem historisch gegebenen Zeitpunkt seiner Entwicklung zu thun. Die Politik dagegen beschäftigt sich mit dem Staat an sich und stellt Lehren auf, die für viele Staaten und verschiedene Zeiten zutreffen können, die aber niemals formell verbindlich und unmittelbar anwendbar sind. Dem politischen Staatsrecht sehr vieler Staaten und mithin auch der Politik sind aber eine große Zahl von Rechtsbegriffen gemeinsam, die aus einer Vergleichung der verschiedenen Verfassungen abstrahiert oder aus dem Staatsbegriff selbst logisch deduciert werden. Sie bilden den Gegenstand des sogen. allgemeinen Staatsrechts; sie haben den Charakter rechtsphilosophischer Begriffe u. beruhen auf philosophischen Entwicklungen; man nennt diese Lehre daher auch bisweilen das „philosophische Staatsrecht“. So unentbehrlich diese Begriffe für das politische Staatsrecht sind und so sehr das letztere von ihnen beherrscht und beeinflußt wird, so fehlt ihnen doch die wesentliche Eigenschaft des positiven Rechts, die unmittelbare Verpflichtungskraft, die Geltung kraft eigener Verbindlichkeit. Bl. 1 R. II. Das Staatsrecht ist öffentliches Recht im Gegensatz zum Privatrecht. Die begriffliche Bestimmung dieses Gegensatzes ist schwierig u. bestritten. Der Gegensatz ist kein tiefgreifender. Auch das Privatrecht enthält einen großen Bestand öffentlich rechtlicher Sätze und ruht im letzten Fundament auf dem öffentlichen Recht. In allen privatrechtlichen Instituten findet sich 28
Blauer Aktendeckel, handschriftl. Aufschrift wohl von Labands Hand.
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2. Teil: Staatsrecht
eine Beimengung öffentlichen Rechts. Andererseits normiert auch das Staatsrecht Ansprüche und Verpflichtungen, welche inhaltlich von privatrechtlichen sich nicht unterscheiden und daß auch die eigentlichen Hoheitsrechte eine rein privatrechtliche Auffassung zulassen, beweist der feudale Staat, dessen Kriterium gerade hierin besteht. Im Gegensatz dazu behandelt der socialistische Staat auch die Privatinteressen nach Gesichtspunkten des öffentlichen Rechts.29 Nach der Begriffsbestimmung der römischen Juristen ist öffentliches Recht alles jus quod pactis privatorum mutari non potest. Hier wird aber noch eine Eigenschaft des öffentlichen Rechts ausgesagt, nicht das Wesen desselben bestimmt. Auch trifft der Satz insofern nicht zu, als auch bei vielen Regeln Sätzen des Privatrechts die Dispositionsfreiheit der Parteien ausgeschlossen ist und andererseits auch im Gebiet des öffentlichen Rechts eine solche in großem Umfange anerkannt ist. Das wesentliche Kriterium des öffentl. Rechts im Gegensatz zum Privatrecht liegt darin, daß die Menschen im Privatrecht als gleichberechtigte, einer Rechtsordnung unterworfene Individuen in ihren Beziehungen zueinander oder zu Sachgütern in Betracht kommen, während das öffentliche Recht menschliche Vereinigungen zu Gemeinwesen, Verbände von Menschen zur gemeinsamen Lösung von Kulturaufgaben Bl. 2 zur Voraussetzung hat und den Menschen als Mitglied der Gemeinschaft, nicht als isoliertes Individuum betrachtet. – Gegensatz zur naturrechtlichen Auffassung des Staates –. Der Organismus des Verbandes und die ihm zustehenden Functionen bilden das Object des öffentlichen Rechts. Daraus ergibt sich, daß die Dispositionsfreiheit auch auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in weit engere Schranken eingeengt ist, als auf dem Gebiet des Privatrechts. Es folgt ferner, daß das Privatrecht es vorzugsweise mit Vermögensrechten, das öffentliche Recht vorwiegend mit mit Hoheitsrechten zu thun hat. Aber dieser Unterschied ist nicht durchgreifend. Es ergiebt sich rechtlich der wichtige Gegensatz, daß den privatrechtlichen Befugnissen regelmäßig keine Pflichten entsprechen, daß sie im egoistischen Interesse des Berechtigten bestehen, während die öffentlich-rechtlichen Befugnisse regelmäßig Correlate öffentlicher Pflichten sind; ja die Pflichten sind meistens das prius, die Befugnisse ihre Reflexwirkungen. 29
Bleistiftnotiz am Rande.
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (1. Variante)
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III. Das öffentliche Recht umfaßt noch andere Materien als das Staatsrecht, denen gegenüber die Abgränzung des Staatsrechts zum Theil eine willkürliche oder unsichere ist. 1. Das Kirchenrecht. Die Kirche ist wie der Staat eine Vereinigung von Menschen mit eigener rechtlicher Organisation. Ihre Aufgaben sind aber durchaus andere. Der Staat hat die Ordnung des friedlichen Zusammenlebens und die Förderung der Volkswohlfahrt zur Aufgabe, also es lediglich mit irdischen Interessen zu thun. Die Kirche dagegen mit der inneren Heiligung, der Vorbereitung auf das Jenseits, der Ordnung des religiösen Lebens. Verhältniß von Kirche und Staat. Bl. 2 R. 2. Das Völkerrecht. Das Staatsrecht betrifft die rechtliche Ordnung eines politischen Gesammtverbandes, das Völkerrecht die Beziehungen mehrerer von einander unabhängiger Staaten zu einander im Verhältniß gleichberechtigter Rechtssubjecte wie die Individuen im Privatrecht. 3. Das Strafrecht. Zusammenhang mit dem Staatsrecht. – Gerechtigkeitsprinzip. 4. Das Verfahren der Gerichte, Prozeßrecht. 5. Das sogenannte Verwaltungsrecht. Es handelt sich bei diesen Materien allerdings um Functionen des Staates, um Bethätigungen seiner Herrschaft und die Verfassung des Staates ist daher für die rechtliche Ordnung dieser Lehren von großer und eingreifender Bedeutung. Allein in weit höherem Maße kommen technisch-juristische Zweckmäßigkeitsregeln und die besonderen Zwecke dieser Staatsthätigkeiten zur Geltung. Bei sehr verschiedenen Verfassungs-Einrichtungen können daher diese Thätigkeiten wesentlich gleichartig geregelt sein. Die Ausscheidung dieser Lehren aus dem Staatsrecht ist daher sachlich gerechtfertigt und allgemein hergebracht. IV. Das Staatsrecht setzt einen positiven concreten Staat voraus und jeder Staat hat sein besonderes Staatsrecht. In Deutschland gab es schon seit Jahrhunderten eine zweifache Staatsgewalt und demgemäß ein doppeltes Staatsrecht, ein Staatsrecht des Reichs und ein Staatsrecht jedes einzelnen Territoriums. Auch gegenwärtig besteht 1. das Reichsstaatsrecht, einheitlich, formell gemeinrechtlich. 2. das Landesstaatsrecht, mehrheitlich, formell partikularrechtlich. Begriff des „gemeinen“ Landesstaatsrechts.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 3 § 2 Quellen des Staatsrechts Es gibt für das Staatsrecht keine anderen Quellen, wie für das Recht überhaupt, nämlich Gesetze und Gewohnheitsrecht und die allgemeine Quellentheorie gilt für das Staatsrecht ebenso wie für die übrigen Rechtsmaterien. Im Einzelnen sind jedoch folgende Punkte hervorzuheben. I. Gesetze. Dies ist die wichtigste und bedeutendste Quelle. Zu den Gesetzen gehören auch folgende Arten derselben, welche bisweilen ihnen gegenübergestellt werden. 1. Die Verfassungsurkunden. Sie sind weder Verträge zwischen Landesherrn und Volk, noch sind sie Ausflüsse eines höheren, über der Gesetzgebung stehenden Gewalt, der sogen. constitutionellen Staats Gewalt. Die Staatsgewalt ist eine einheitliche.30 I. Gesetze 1. Verfassungsurkunden Bei der Einführung der constitutionellen Staatsform hat in den meisten deutschen Staaten eine Codifikation der wichtigsten staatsrechtlichen Normen stattgefunden in sogenannten Verfassungsurkunden oder Konstitutionen oder Staatsgrundgesetzen. Gewöhnlich Bisweilen hat die Volksvertretung an der Abfassung und Aufstellung derselben Theil genommen, so daß der Wortlaut durch Einverständnis oder Vereinbarung zwischen Regierung und Landtag zustande gekommen ist. Dadurch darf man sich aber nicht verleiten lassen, die Verfassungen als Verträge zu behandeln; sie sind nicht Rechtsgeschäfte, welche unter zwei staatsrechtlichen Subjekten abgeschlossen worden sind, sondern Willensacte eines einheitlichen Rechtssubjects, des Staates. Vor anderen Gesetzen sind sie öfters nur dadurch ausgezeichnet, daß ihre Abänderung erschwert, an besondere Formen gebunden ist. Die Verfassungsurkunden sind aber keineswegs die einzigen Gesetze staatsrechtlichen Inhaltes. 2. Staatsverträge. Diesselben regeln zwar zunächst nur das internationale Verhältniß der contrahirenden Staaten und begründen unter diesen Rechte und Pflichten; sie können sich aber auch auf die inneren Verhältnisse und staatlichen Einrichtungen und Thätigkeiten der vertragsschließenden Staaten beziehen. Verbindliche Kraft innerhalb des Staates erlangen Verträge aber erst durch einen Akt der staatlichen Gesetzgebung, der jedoch häufig blos in der Form der amtlichen Publikation des Vertrages besteht. 30
Kursiver Text nachträglich am Rand hinzugefügt.
§ 3 Geschichte der Bearbeitung (1. Variante)
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Bl. 3 R. II. Das Gewohnheitsrecht. Auch in der Form gewohnheitsrechtlicher Bildung können staatsrechtliche Sätze entstehen; sowohl des ehemalige Deutsche Reich als namentlich England liefern dafür anschauliche Beispiele. Auch in der constitutionellen Monarchie hat das Gewohnheitsrecht theoretisch auf dem Gebiet auf des öffentlichen Rechts diesselbe Kraft und Bedeutung wie auf dem Gebiete des Privatrechts. Sobald aber die Gesetzgebung durch regelmäßig thätig werdende Organe ausgeübt wird und wo Regierung und Volksvertretung gegenseitig mit Ängstlichkeit die strenge Aufrechterhaltung des bestehenden gesetzlich fixirten Rechts bewachen, verliert die gewohnheitsrechtliche Bildung ihre Produktivität und stirbt ab. In der Gegenwart ist das Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete des Staatsrechts von untergeordneter Bedeutung. Änderungen der Verfassungsform, der Dynastie und dergleichen können überhaupt nicht gewohnheitsrechtlich erfolgen, weil zu ihrer Durchführung ein bewußter Act, eine bestimmte That erforderlich ist, die also nicht durch eine allmählig entstehende und durch lange Übung sich äußernde Rechtsüberzeugung eingeführt werden können. (Meyer § 16). Bl. 4 § 3 Geschichte der Bearbeitung Pütter. Literatur des Deutschen Staatsrechts 3 Theile 1776–1783 Fortgesetzt von Klüber 1791. von Mohl. Geschichte und Literatur der Staatsrechtswissenschaften. 3 Bde. 1855–56. (Bluntschli, Geschichte des allgemeinen Staatsrechts und der Politik seit dem 16. Jahrhundert. 1864) Gierke. Das Deutsche Genossenschaftsrecht Bd. III 1881. Die Auffassung des deutschen Staatsrechts und die Methode seiner Bearbeitung ist beherrscht und beeinflußt von der des allgemeinen Staatsrechts und von den Hauptphasen der politischen Gestaltung Deutschlands. Hierauf ergeben sich von selbst Hauptperioden; die erste reicht bis zum Ende des Mittelalters: zum Anfang des 16. Jahrhunderts; die andere von da bis zur Auflösung des alten deutschen Reiches, also bis zum Anfang dieses Jahrhunderts; die dritte bis zur Wiederaufrichtung des deutschen Reiches in seiner jetzigen Gestalt und mit diesem historischen Ereigniß gewinnt das deutsche Staatsrecht ein neues Object und auch zum großen Theil eine andere Art der Behandlung.
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2. Teil: Staatsrecht
I. Die Mittelalterliche Literatur. Spekulative Rechtsauffassung. Thomas von Aquino. Theorie von den zwei Schwertern. Lucas cap. 22 V. 38: „Sie sprachen aber: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug“. Die ersten Darstellungen des positiven Rechts im Sachsenspiegel und im Schwabenspiegel (13. Jahrh.). Die erste specielle Arbeit von Engelbert von Volkersdorff (geb. 1250 gest. 1331). Abt zu Admont in der Steiermark. De regimine principum libri VII. und De orte et fine Romani Imperii. Argumentiert aus dem Römischen Recht und den klassischen Schriftstellen. Leitet die Weltmonarchie aus philosophischer Spekulation ab. Kein posit. Recht. Seit dem 14. Jahrhundert gaben die Streitigkeiten zwischen Kaiser Ludwig IV. und Papst Johannes XXII und Benedict XII zu Erörterungen über das Verhältniß der kaiserlichen und päpstlichen Gewalt, sowie schon vorher Bl. 4 R. in Frankreich in Folge des Streites zwischen Philipp dem Schönen und Bonifacius VIII. . . . Du Bois 1303. Disputatio inter militem et et clericam . . . potestate praelatis ecclesiae et principibus terrarum commissa. Johann v. Ruis. circa 1303 Tractatus re potestate regia et populi. In dieser Zeit fällt auch das berühmte Werk von Dante, De Monarchia 1311–1313. Dieser Streit erhielt eine außergewöhnliche literarische Bedeutung durch die Combination mit den Streitigkeiten, welche zwischen dem Papst Johann XXII. und den Minoriten ausgebrochen waren. Der wissenschaftlich hervorrangendste Vertreter der kaiserlichen Rechte war Marsiglio von Padua; sein berühmtestes Werk der Defensor Pacis zwischen 1324 und 1326. (Idee der Volkssouveränität, verwirft die weltliche Macht der Kirche, Glaubensfreiheit, Trennung von Staat und Kirche.) (Gegen ihn Augustinus Triumphatus u. andere). Unter den Minoriten ragt besonders hervor Wilh. von Occam (1347). Seine Schriften sind zum größten Theile zusammengefaßt in dem großen Sammelwerk Dialogus inter magistram et discipulum. Libri Septem. etwa 1343 vollendet. auch die Schriften von Michael von Cesena (1331 unds . . .) und von Conrad von Megenberg sind zu erwähnen. (zwischen 1337 u. 1362) Für das positive Recht Deutschlands aber war der wichtigste und einflußreichste Schriftsteller Lupold von Bebenburg ({1363), aus dem Reichsministerialengeschlecht der Küchenmeister von Rothenburg und Nortenberg, aus Bebenburg am Main, Domherr zu Würzburg, später Bischof von Bamberg. De jure regni et imperii. (1338–1340). Kurverein von Rhense 1339. Die Schrift ist dem Erzbischof Balduin von Trier gewidmet.
§ 3 Geschichte der Bearbeitung (1. Variante)
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1356 Goldene Bulle Karl’S IV. Aus dem 15. Jahrhundert (1460) besitzen wir eine sehr werthlose Darstellung des deutschen Staatsrechts von . . . Petrus de Andlo. De imperio Romano-Germanico libri duo. Libellus de caesarea monarchia, herausgegeben von Hürbin, Zeitschr. f. Rechtsgeschichte XII Germ. Abth. S. 34 ff. das I. Buch philosoph. und histor., das II. Buch positivrechtlich.
Bl. 5 Von Bedeutung für die Verarbeitung römisch-rechtlicher und italienischer Anschauung waren auch Nicolaus von Cues (Cusanus) und Aeneas Sylvius v. Piccolomini, (Pabst Pius II) II. Periode. Naturrecht Bodin. – Hugo Grotius. Im 16. Jahrhundert vollzieht sich die Rezeption des römischen Rechts. die Behandlung des deutschen Rechts, auch der Partikularrechte, hört auf. Erst im 17. Jahrh. beginnt eine mit römisch-rechtlichen Begriffen vertraute und mit ihnen allein operierende staatsrechtliche Literatur. Aus derselben sind hervorzuheben Paurmeister von Kochstädt. De jurisdictione imperii Romani. libri duo. Hannov. 1608. Reinkingk, Tractatus de regimine seculari 1606. Dominic. Aramäus (1579–1636) discursus academici de jure publ. Jus 1616 ff. 5 Bde. Er war der erste, welcher Vorlesungen über Staatsrecht in Deutschland hielt. (Er war Professor in Jura) Das Hauptwerk dieser Zeit und die erste systematische Darstellung ist das Werk von Joh. Limnäus. Ius public. imp. Romano-germ. 3 Bde. 1629–1633 und 2 Bde. Zusätze 1650–1660 (Sein eigentlicher Familienname war Wirn. Er wurde 1639 in Brandenburg Geh. R. und Kanzler). II. Periode Naturrechtliche Doctrin31 1) Machiavelli geb. 3. Mai 1469 zu Florenz, gest. 1527. Diskurse des Livius 1532. Il Principe. 1515. Jean Bodin geb. 1530 { 1596. De la République zuerst 1576; lateinisch 1584. 31
Zwischenüberschrift später eingefügt.
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2. Teil: Staatsrecht
Hugo Grotius geb. zu Delfft 1583 gest. zu Rostock (auf der Reise) 1645 Sein Hauptwerk de jure belli et pacis Paris 1625. Althusius Politik.Herborn 1603. Conring geb. 1606 zu Norden (Monarchomachen) De originine jur. Germ. Gdansk 1649. Christian Wolff geb. 1679 zu Breslau, Prof. in Halle, gest. 1754 2. Politische Schriften über die deutsche Staatsverfassung Hippol. a Lapide Magis. Phil. v. Chemnitz, geb. zu Stettin (1605) De ratione status in imperio nost. Rom. German. 1640. Antikaiserlich; Fürstenaristokrat. Einfl. auf den westph. Frieden. v. Seckendorf. Deutscher Fürstenstaat 1655. Wunderl. Anschauung der Volkswirthsch. Severinus de Monzambano (Samuel Pufendorf, geb. 1632 zu (Flöha bei) Chemnitz, Prof. in Heidelberg, gest. in Berlin 1694) Pfalzgraf Carl Ludwig De statu imperii German. 1667. (res publ. irregularis oder monstr.) Caesarius Fürstenerius (Leibniz) de jure suprematus et legislationis principum Germaniae. 1677. Christ. Thomasius (geb. 1655 zu Leipz., geb 1728 zu Halle) Bl. 5 R. 3.) Schriften über das positive deutsche Staatsrecht Pfeffinger (gest. 1730) Vikiarius illustratus 1691. Joh. Jac. Moser (geb. zu Stuttgart 1701, gest. 1785) das deutsche Staatsrecht 50 Bde. und zwei Bde. Zusätze. Nürnb. 1737–1753. Das sogen. Neue Staatsrecht. 1766–1783 (33 Bde.); sind 21 besondere Schriften. J. St. Pütter (geboren 1725 zu Iserlohn, gest. 1807) Elemente (oder später Institutiones) jus publ. German. 1754 u. v. a. Häberlin. Handbuch des Staatsrechts 3 Bde. Berlin 1794. III. Periode. Constitutionelle Doctrin. 1. Politische Schriften Montesquieu geb. 1689 auf dem Schlosse la Brède bei Bordeaux, gest. 1755. Hauptwerk: De l’esprit de lois. erschien zuerst 1748. In 1 1/2 Jahren erschienen 22 Ausgaben; er wurde in alle Sprachen über-
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (2. Variante)
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setzt; in Österreich wurde er verboten und vom Pabst auf den Index gesetzt, was seiner Verbreitung aber nicht schadete. – Theilg. der Gewalten. Über die Engl. Verfassung Blackstone, Commentar über das Engl.R. zuerst 1765 De Solme Constitut. de l’Angleterre 1775. Jean Jaques Rousseau geb. 1712 zu Genf, gest. 1778. Contrat social ou principes de droit publique Par. 1762. In Deutschland: Stahl, Rechtsphilosoph. Dahlmann Polit. Waitz Polit. Seidel-Zachariä 40 Bücher vom Staat, 1820–32. 1839. Schmittkenner, Grundlinien des allgemeinen oder idealen Staatsrechts. Gießen 1845. 2. Deutsches Staatsrecht Klüber 1817, 4. Aufl. 1840. Zöpfl 2 Bde. 1841 5. Aufl. 1863. Maurenbrecher 18, v. Mohl, Württ. Staatsr. 2 Bde, 2. Aufl. 1840, Heinr. Alb. Zachariae 2 Bd. 1841 3. Aufl. 1865, Jos. Held 2 Bd. 1856–1857., v. Gerber. Grundzüge 1865. 3. Aufl. 1880. Zeitschrift für die gesammte Staa Bl. 6 Staatsrecht32 Einleitung
Bl. 7 Einleitung § 1 Begriff u. Gegenstand des Staatsrechts. I. Das Staatsrecht ist die Lehre von den Rechtssätzen, welche die Verfassung des Staats und die Befugnisse und Thätigkeit seiner Organe regeln. Das Staatsrecht steht in Folge dieses Inhalts in einem sehr engen Zusammenhange mit der Politik und diese hat zu allen Zeiten die Methode des 32
Neues Heft mit Bl. 6 als Titelblatt.
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2. Teil: Staatsrecht
Staatsrechts, die geistige Auffassung und Vorstellung desselben beherrscht. Doch in der Regel nicht zum Vorteil beider Wissenschaften; vielmehr ist die Erkenntniß des Gegensatzes, welcher zwischen ihnen besteht und ihre sorgfältige Auseinanderhaltung eine wichtige Voraussetzung zur richtigen Behandlung jeder derselben. Politische und soziologische Methode, angeblich die realistische, die Wirklichkeit widergebende. Jede wissenschaftliche Methode muß durch den besonderen Zweck der Betrachtung bestimmt werden. Der Wald anders betrachtet vom Botaniker, vom Förster, vom Holzhändler, vom Maler, vom Spaziergänger. Vom Juristen, vom Nationalökonomen aber die Stadt u. s. w.33 Das Staatsrecht entnimmt seine Sätze de lege lata, dem positiven Recht, es hat daher stets mit einem concreten, individuell bestimmten Staat und mit einem bestimmten Zeitpunkt seiner Entwicklung zu thun; die Politik dagegen beschäftigt sich mit dem Staat an sich, mit der Nützlichkeit u. Schädlichkeit gewisser Institutionen, sie schöpft ihre Erkenntniß aus der Vergleichung der Einrichtungen verschiedener Staaten und verschiedener Perioden, sie stellt Lehren de lege ferenda auf, welche vielleicht für den Gesetzgeber von entscheidendem Einfluß sind, an sich aber Bl. 7 R. niemals formell verbindlich und unmittelbar anwendbar sind. Das Staatsrecht beschäftigt sich damit, wie ein bestimmtes öffentliches Recht ist, mag es gut oder schlecht, den Bedürfnissen des Volkes entsprechend oder unangemessen sein; die Politik dagegen sucht darzutun, welche staatsrechtlichen Einrichtungen sei es überhaupt, sei es für gewisse thatsächliche Verhältnisse eines bestimmten Volkes concreten Gemeinwesens die besten sind. Die Politik gelangt zu einer Art von Idealrecht, d.h. der Aufstellung eines Rechts, welches einer bestimmten Vorstellung von den Zwecken des Staates und den besten Mitteln, diese Zwecke zu verwirklichen, entspricht. Durch die Verbindung der Politik mit dem positiven Staatsrecht entsteht daher die Gefahr, die politischen Werthurteile über Staatseinrichtungen in die Darstellung der wirklich bestehenden Verfassung hineinzutragen und das positiv geltende Recht dem politische Idealrecht möglichst zu nähern; insbesondere die allgemeinen Prinzipien und die wissenschaftliche theoretische Construction und Entwicklung der staatsrechtlichen Institute nicht aus den juristischen Erkenntnismitteln, sondern aus der politischen Doctrin zu entnehmen. 33
Späterer Zusatz in der Mitte des rechten Seitenrandes.
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (2. Variante)
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Bl. 8 Die politischen Gesichtspunkte sind dienlich zu einer Kritik des bestehenden Rechts; aber nicht zu einer Ermittlung dessen, was bestehendes Recht ist. Es ist eine Täuschung, wenn man glaubt, durch die Herbeiziehung politischer Grundsätze vom wahren Inhalt des Rechts und seinen Zusammenhang mit den wahren Lebensverhältnissen besser aufklären zu können. Das Staatsrecht kann nicht mit anderen Mitteln erforscht werden, wie die übrigen Theile der Rechtsordnung, namentlich das Privatrecht; es gibt dafür keine andere Methode als die juristische, d.h. die Abstraction der zu Grunde liegenden Prinzipien aus den positiv geltenden Rechtssätzen und die Deduction der Folgerungen, welche sich aus aus den so gefundenen Prinzipien ableiten lassen. Diese geistige Thätigkeit vollzieht sich nach den Grundsätzen der Logik. Die juristische Methode ist gleichbedeutend mit der logischen. Allerdings kann sich die Logik den Stoff, mit dem sie operiert nicht selbst schaffen, sondern er muß ihr gegeben werden. Die Gesetze, das Gewohnheitsrecht und die Praxis der Behörden und anderer Staatsorgane sind die Fundquellen dafür. Aber die geistige Ordnung und wissenschaftliche Beherrschung diese Materials kann nur mittels logischer Denkoperationen erfolgen. Dadurch wird die Bedeutung der historischen Erforschung der Rechtsentwicklung und des Bl. 8 R. Zusammenhangs des Rechts mit den socialen und politischen Verhältnissen für das tiefere Verständnis des Rechtszustandes keineswegs bestritten. II. Das Staatsrecht ist im Gegensatz zum Privatrecht öffentliches Recht. Die begriffliche Bestimmung dieses Gegensatzes ist schwierig und Gegenstand einer großen Meinungsverschiedenheit in der juristischen Litteratur. Die Definition der römischen Juristen, daß jus publio. das Recht sei, quod pactis privatorum mutari non potest, giebt nur eine, noch dazu negative, Eigenschaft des öffentlichen Rechts an, sagt aber nichts über das Wesen desselben. Überhaupt ist es nicht zutreffend, daß die Dispositionsfreiheit das entscheidende Kriterium bilde. Die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung beruht darauf, daß der Gegensatz zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht kein durchgreifender und contradiktorischer ist. Auch das Privatrecht enthält einen großen Bestand öffentlich-rechtlicher Sätze und beruht im letzten Grunde überhaupt auf dem öffentlichen Recht. Die Anerkennung des Eigenthums, der Schutz des Besitzes, die Verpflichtungskraft der Verträge, die Ehe, väterliche Gewalt und Verwandschaft sowie das Erbrecht sind ihrem Ursprunge nach Einrichtungen und Grundlagen der öffentlichen Rechtsordnung und der Verfassung.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 9 Öffentliches Recht und Privatrecht sind in ihrem Ursprunge nicht geschieden von einander; in der Familie und der Stammgenossenschaft umfassen gleichzeitig der alten Zeiten sind öffentliches Recht und Privatrecht noch undifferenziert. Im Feudalstaat wurden auch die Hoheitsrechte, welche wir heut unzweifelhaft dem öffentlichen Recht zuzählen, wie Privatrechte erworben, ausgeübt, veräußert, vererbt. Es ist dies gerade das es ist dies gerade das characteristische Merkmal des feudalen Staates. Im Gegensatz dazu behandelt der socialistische Staat auch die dem Privatinteresse dienenden Rechte nach Gesichtspunkten des öffentlichen Rechts und ist auch eine Ausdehnung des öffentlichen Rechts bis zur Vernichtung des Privatrechts und der persönlichen Freiheit Selbstbestimmung des Individuums gerichtet. Hierauf ist es begreiflich, daß die Grenzen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung verschieben und verändern und daß je nach den Aufgaben, welcher ein bestimmter Staat in einem gegebenen Zeitpunkt zu verwirklichen sich stellt, gewisse Gebiete vom öffentlichen Recht occupirt oder freigegeben werden, sowie daß in vielen Materien öffentliches Recht und Privatrecht in einem untrennbaren Gemenge vermischt und verbunden sind. Manche Viele Die Ansicht, daß alle Rechte Privatrechte seien, welche durch Klagen und Urtheile geschützt werden, dagegen diejenigen Rechte öffentliche, über welche der Rechtsweg ausgeschlossen ist, ist völlig unhaltbar; denn es giebt einerseits klagelose Privatrechte andererseits sehr zahlreiche öffentlich-rechtliche, über welche im Wege des Prozesses verhandelt und entschieden werden kann. Thatsächlich sind allerdings der Regel nach die Privatrechte klagbar, während über Hoheitsrechte die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse nicht.
Bl. 9 R. Der Unterschied zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht besteht darin, daß das erstere die Menschen als einzelne Individuen in ihren Beziehungen zu einander (oder zu Sachgütern) betrifft, das öffentliche Recht dagegen die menschlichen Vereinigungen zu Gemeinwesen, zur gemeinsamen Lösung von menschlichen Kulturaufgaben, zur Voraussetzung hat und den Menschen die Verfassung die Rechte und Pflichten, welche welche aus der Zugehörigkeit zu diesem Gemeinwesen sich ergeben, behandelt. Das Privatrecht hat es mit den Menschen als Individuum, das öffentliche Recht mit den die Individuen betreffenden Gesammtheiten zu thun.
§ 1 Begriff und Gegenstand des Staatsrechts (2. Variante)
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II. Gegensatz zur naturrechtlichen Auffassung des Staats als einer auf dem Willen der Einzelnen (contractus socialis) beruhenden Gesellschaft. Es erhebt sich nun die Frage, welche praktische Bedeutung der Gegensatz zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht hat. Sie besteht vorzüglich darin, daß den privatrechtlichen Befugnissen in der Regel keine Pflichten sie auszuüben entsprechen, daß sie im egoistischen Interesse des berechtigten Individuums bestehen und nach seinem Belieben ausgeübt werden können; während die öffentlich-rechtlichen Befugnisse regelmäßig die Correlate öffentlicher Pflichten sind. qui jure suo utiter neminem laedit, dagegen BGB 226 Schikaneverbot. Da die öffentlichen Rechte zu dem Zweck bestehen, daß die menschlichen Gemeinschaften die ihnen gesetzten Kulturaufgaben durchführen können, so sind die Pflichten das Prius, die Befugnisse ihre Correlate oder Reflexwirkungen. Bl. 10 III. Das öffentliche Recht umfasst noch andere Materien als das Staatsrecht, denen gegenüber die Abgränzung des Staatsrechts z. Th. eine willkürliche oder oder unsichere ist und zwar in noch viel höhrem Grade als gegenüber dem Privatrecht. Dahin gehören das Kirchenrecht, das Völkerrecht, das Strafrecht, das Prozeßrecht und das Verwaltungsrecht. Das Staatsrecht beschränkt sich auf die Darstellung der Verfassung und der Functionen und Befugnisse der Organe eines Staats. Da es einen bestimmten Staat in einem best zum Gegenstande hat, so hat jeder Staat sein besonderes Staatsrecht. In Deutschland giebt es aber eine zweifache Staatsgewalt und demgemäß ein doppeltes Staatsrecht, das sich gegenseitig ergänzt, nämlich 1. das Reichsstaatsrecht, ein einheitliches formell gemeines Recht 2. das Landesstaatsrecht, partikulares Recht; aber sachlich vielfach übereinstimmend. Begriff des sogen. „gemeinen“ Landesstaatsrechts. Sogen. Allgemeines Staatsrecht. IV. Nationaler Charakter, jedoch Einwirkung fremder Rechte. Historische Entwicklung in Deutschlands als germanischer Volksstaat, Feudalstaat – kirchliche Einflüsse, Ständestaat, Einfluß des Römischen Rechts – absoluter Staat – Büreaucratie, Einfluß des (pseudo-) englischen und französischen Rechts- konstitutioneller Staat.34 34
den.
Der gesamte Gliederungsabschnitt IV. ist als Randbemerkung hinzugefügt wor-
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 11 § 2 Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts. J. S. Pütter Litteratur des deutschen Staatsrechts 3 Theile 1776–1783 Nachträge von Klüber 1791. R. v. Mohl, Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften 3 Bd. 1855– 58. Gierke. Das deutsche Genossenschaftsrecht Bd. 3 1881. Herm. Rehm. Geschichte der Staatsrechtswissenschaft 1896. Ernst Landsberg. Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft. 1898–1910. 3te Abtheilung . 1889. 17tes und 18tes Jahrh. I. Die mittelalterliche Literatur. Spekulative Rechtsauffassung. Annahme eines in der göttlichen Weltordnung begründeten Weltreichs, welches die ganze Christenheit umfaßt und als Kirche und Staat (Merckes) in die Erscheinung tritt. Theorie von den zwei Schwertern. . . . Lukas cap. 22 V. 38: „Sie sprachen aber: Herr siehe, hier sind 2 Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.“ Streitfrage über das Verhältniß des geistlichen und weltlichen Schwertes. Construction der weltlichen Gewalt betrifft das Kaiserthum, das Dominium mundi nicht das nationale oder stammes- Königthum. Es wird hergeleitet theils unmittelbar aus dem willen Gottes, theils mittelbar, indem der Wille Gottes in dem Volkswillen und der Geschichte sich verwirkliche. Annahme von 2 Verträgen; einem sogen. contractus socialis, durch welchen die Menschen sich zu einem Begründung des Staates an sich, nicht eines bestimmten, historisch gegebenen Staates. Bl. 11 R. Staate zu vereinigen, und einem contractus subjectionis, einem Herrschaftsvertrage, durch welchen sie sich einem Oberhaupt unterwerfen. Die Gewalt des Herrschers wird also hergeleitet aus der Machtvollkommenheit des Volkes und von den Einen als bloßer concessio, von den anderen als translatio imperii d.h. Übertragung zu vollem Recht bezeichnet. Nach der einen ist populus major imperatore, nach der anderen, (z. B. Bartolus und Baldus u. s. w. vertretenen Ansicht) ist imperator major popolo. (Schon der Mönch Manegold von Lauterbach hat in einer um 1085 verfaßten Schrift die Lehre von der Volkssouveränität entwickelt und die Stellung
§ 2 Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts (2. Variante)
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des Königs auf ein pactum zurückgeführt, kraft dessen er dem Volk Treue und Schutz vor unrechter Gewalt und das Volk ihm Treue und Gehorsam verspricht. Wenn der König ungerecht regiere, könne ihn das Volk entsetzen, weil den Vertrag gebrochen habe. ,sowie man einen pflichtwidrig handelnden Schweinehirten entlasse, und zwar mit um so größerem Recht. )35 Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts erlangen außer den römisch-canonischen Rechtsquellen die politischen Werke des Aristoteles einen maßgebenden Einfluß auf die politischen und staatswissenschaftlichen Doctrinen und die Begründungen der Staatslehre werden aus der aristotelischen Ethik entnommen. Die wichtigste, einflußreichste Schrift auf diesem Gebiet war Thomas von Aquino (gest. 1274) De regimine principum. Das Werk ist um 1266 geschrieben, in 4 Bücher (82 Kapitel) getheilt, jedoch reicht die ursprüngliche Arbeit wol nur bis II, 5 ; das übrige wol von Ptolomäus de Lucca. An dasselbe lehnt sich Bl. 12 an die Schrift des Jordanus von Osnabrück; Tractatus de prerogativa Romani imperii (kurz nach 1280) und des Engelbert von Volkersdorf (Abt von Admont in der Steiermark) De regimine principum libri VII (um 1290 verfaßt). Die ersten Darstellungen des positiven deutschen Staatsrechts sind im Sachsenspiegel und Schwabenspiegel enthalten, jedoch zusammenhangslos, in zufälliger anknüpfung an sätze des Privatrechts, Prozeßrechts und Lehnsrechts. Seit dem 14. Jahrhundert gaben die Streitigkeiten zwischen dem Papst Bonifacius VIII und Philipp dem Schönen von Frankreich Anlaß zu neuen Erörterungen. Über das Verhältniß des geistlichen und weltlichen Papstes zu den weltlichen Herrschern und zu rechtsphilosophischen Begründungen der Unabhängigkeit der weltlichen Staatsgewalt (in Frankreich) von der Kirche. (Pierre Du Bois 1303 Disputatio inter militem et clericum. Joh. von Paris circa 1303 Trctatus de potestate regia et populi. Dahin gehört auch die berühmte Monographie von Dante Alighieri Okt. 1303. De Monarchia 1300. Noch heftiger entbrannte der Steit zwischen Kaiser Ludwig IV und dem Papst Johann XXII, indem der letztere bei der zwiespältigen Wahl von 1314 sich das Recht anmaßte, die Entscheidung (gegen den Herzog Friedrich von Österreich) und als Ludwig IV. dieses Recht nicht anerkannte, das 35 Der hier eingeklammerte Abschnitt ist bei Laband mit einer großen Klammer am linken Seitenrand versehen.
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2. Teil: Staatsrecht
Reich für erledigt und sich selbst zum Reichsverweser erklärte. Dieser Streit erhielt eine außergewöhnliche literarische Bedeutung durch die Verbindung mit den Streitigkeiten, welche, welche zwischen dem Papst Johann XXII. und den Minoriten ausgebrochen Bl. 12 R. waren. Um vor den Verfolgungen des Papstes sich zu retten flüchteten die Wortführer der Minoriten nach München zu Ludwig IV. Der hervorragendste Vertreter der Kaiserlichen Rechte war Marsiglio von Padua, dessen berühmtes Werk Defensor Pacis zwischen 1324–1326 verfaßt wurde. Ferner Wilhelm von Occam (+1347). Dialogus inter magistrum de Doscipulum. (ein umfangreiches Sammelwerk, etwa 1343 vollendet). In diese Zeit fällt das erste systematische Werk über das positive deutsche Staatsrecht von Lupold von Bebenburg, Domherr zu Würzburg, später Bischof von Bamberg, De jure regni et imperii (1338–1340). Er unterscheidet den deutschen Staat und das deutsche Königthum vom Weltstaat und dem Kaiserstaat. Die praktische Spitze dieser Unterscheidung ist die, daß der Pabst zwar die kaiserliche Würde ertheile und dem Kaiser gegenüber Rechte habe, daß dagegen die Einsetzung des Königs ausschließlich die Sache der Kurfürsten sei, welche dabei als Vertreter des deutschen Volkes handeln. Kurverein zu Rhense 1339. Beschluß der Curfürsten, daß der von der Majorität gewählte unanfechtbar König sei, auch ohne Anerkennung des Papstes. Die Schrift hat unverkennbar Einfluß gehabt auf die Codification des deutschen Reichsstaatsrechts in der Goldenen Bulle von 1356. Aus dem 15. Jahrhundert (1460) besitzen wir eine Darstellung36 des deutschen Staatsrechts von Hermann Petrus aus Andlau. Libellus de caesarea monarchia, das I. Buch staatsphilosophisch, das II Buch positivrechtlich. Neue Ausgabe von Hürbin in der Zeitschrift für Rechtsgeschichte german. Abtheilung Bd. XII, über ihn Hürbin – Peter v. A. 1897. Bl. 13 II. Die Periode des Naturrechts In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts beginnt die humanistische Richtung und gewinnt bald einen beherrschenden Einfluß auf die Auffassung von Staat und Recht. Auf dem staatswissenschaftlichen Gebiete sind die 36
In der ersten Variante hieß es noch „sehr werthlose Darstellung“.
§ 2 Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts (2. Variante)
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weitaus bedeutendsten Leistungen dieser Zeit das Werk von Nikolaus Cusanus de concordia catholica 1433 und das Werk des Aeneas Sylvius v. Piccolomini, (später Papst Pius II) Libellus de orta et Autoritate imperii 1446. Er leitet aus der, von Gott geschaffenen Vernunft des Menschen den contractus socialis und die Einheit der Herrschaft her und entwickelt zuerst den Gedanken, daß zum Wesen der höchsten weltlichen Gewalt die Unabhängigkeit und Unbeschränktheit gehöre. Er gelangt damit zu dem Begriff der Souveränität, der bald der Mittelpunkt der ganzen Staatsrechtswissenschaft wurde. (Vgl. Rehm S. 196 ff.) Eine völlig realistische, von theologischen und philosophischen Spekulationen unabhängige Auffassung des Staates, welche auschließlich das Wohl des Staates und die Zweckmäßige Aus Durchführung seiner Aufgaben zum Gegenstand hat, wurde in den Schriften Machiavelli’s (1469–1527) in vollem Gegensatz zu den mittelalterlichen Schriften gegeben. Il Principe. 1515, Diskurse über Livius (1518 verfaßt, . . . 1532 erschienen).
Bl. 13 R. Für die Behandlung des Staatsrechts wurde aber von besonderem Einfluß Jean Bodin (1530–1596) De la Republique, zuerst 1576, lateinisch 1584. Ferner Hugo Grotius (geb. zu Delfft 1583, gest. zu Rostock auf der Reise 1645) De jure belli et pacis 1625. Althusius Politik. Herborn 1603. Das positive Deutsche Staatsrecht kommt im 17. Jahrhundert zu großer Entwicklung theils in Folge der vielen practischen Streitfragen, welche in der Regel ein Zurückgehen auf die höheren Verfassungs- und Rechtsverhältnisse erforderten, theils durch die Anwendung der im Civilrecht und canon. Recht ausgebildeten Methode und die Verwendung der Gegensätze der römischen Rechtsquellen. Ehe der Mittelpunkt aller Hoheitsrechte die Gerichtsbarkeit und die Verwaltung von der Rechtssetzung nicht getrennt war, so widmete sich die Theorie zunächst dieser Materie oder vielmehr sie behandelt das Staatsrecht unter dem Gesichtspunkt der Gerichtsgewalt. Paurmeister von Kochstädt, De jurisdictione imperii Romano, 1608. und besonders Reinkingk, Tractatus de regimine saecularo 1616.
Bl. 14 In Jena hielt Dominic. Aramäus (1579–1636) Vorlesungen über Staatsrecht und eine Sammlung von Abhandlungen und Vorlesungen erschien unter dem Titel Discursus Academici de jure publ. Jena 1616 ff. 5 Bd.
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2. Teil: Staatsrecht
Das wichtigste und umfassendste Werk in systematischer Anordnung, das durch große Gelehrsamkeit und Reichhaltigkeit ausgezeichnete ist, ist das Werk von Joh. Limnäus (Wirn) Ius. public. imperii Romano-Germ. 5 Bd. 1629 ff. Das erste kurze Kompendium des Reichsstaatsrechts ist von David Otto De jure publ. Romani Imp. 1616. Eine sehr eigenthümliche Erscheinung in der Literatur des 17. Jahrh. sind kritisch-politische Erörterungen über die Reichsverfassung, welche pseudonym erschienen sind. Unter diesen sind die berühmtesten: Hippol. a Lapide (Phil. v. Chemnitz, geb. zu Stettin 1605) De ratione status in imperio nostro Rom. German. 1640. Antikaiserlich; Fürstenaristokratie, Einfl. auf den westph. Frieden. Severinus des Mozambano (Samuel Pufendorf, geb. 1632 zu Flöha bei Chemnitz, Prof. in Heidelberg, Geh. Rath. + 1694.) De statu imperii German. 1667. (res publ. monstrosa) Caesarius Fürstenerius (Leibnitz) De jure suprematus et legislationis principum Germaniae. 1677.
Bl. 14 R. III. Die Literatur des 18. Jahrhunderts. 1. Im 18. Jahrhundert gewinnt sowohl die naturrechtliche, rechtsphilosophische Lehre vom Staat wie die Darstellung des positiven deutschen Staatsrechts einen fast unübersehbaren Umfang. Es ist die Periode der sogen. Aufklärung, deren Vorkämpfer auf dem politischen und juristischen Gebiet Christ. Thomasius war ein Mann, dem Deutschland unendlich viel zu danken hat. Er ist geb. 1655 zu Leipz., war Prof. in Halle un der Begründer des Rhumes und Einflusses, den die Halle’sche Juristenfakultät in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts genoß. Er war gleich bedeutend als Lehrer wie als Schriftsteller. Er vor allem befreite das Recht von den Fesseln der Kirchenfrömmigkeit und Rechtgläubigkeit. Er bekämpfte die Hexenprozesse, die Folter, die öffentliche Kirchenbuße und Schauschändung von Mädchen, denen ein stuprum zur Last fiel und andere Grausamkeiten, welche der kathol. und protestantische Clerus für unerläßlich und von Gott geboten ausgaben. Christ. Wolff. Ius naturae (1679–1754) Im. Kant.
§ 2 Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts (2. Variante)
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Bl. 15 2. Unter den überaus zahlreichen Bearbeitungen des deutschen Reichs- und Landesstaatsrechts sind die hervorragendsten folgende: Pfeffinger geb. zu Straßburg 1667 gest. 1730. Vitriarius illustratus 1691. 3te Aufl. in 4 Bdn 1712 ff. Joh. Jac. Moser, geb. 1701 gest. 1785, Das deutsche Staatsrecht, 50 Bde. und zwei Bde. Zusätze. Nürnb. 1737–1753. Das sogen. Neue Staatsrecht. 1766–1783, eine Sammlung von 21 besonderen Werken in 33 Bdn. Außerdem noch eine nach Hunderten zählende Masse von Schriften, deren Verzeichnis einen Band füllt. Joh. Steph. Pütter geb. 1725 gest. 1807, Professor in Göttingen. Elemente (Institutiones) jur. publ. German. 1754. Häberlin. Handbuch des Staatsrechts 3 Bde. Berlin 1794. 3. Die constitutionelle und demokratische Doctrin Locke (1632–1704) two treatises of government, London 1690. Montesquieu geb. 1689 auf dem Schlosse la Brède bei Bordeaux, gest. 1755. Hauptwerk: De l’esprit des loix. 1748. In 1 1/2 Jahren erschienen 22 Ausgaben; Blackstone, Commentar über das Engl.Recht. zuerst 1765. De Solme Constitution de l’Angleterre 1775. Jean Jaques Rousseau geb. 1712 zu Genf, gest. 1778. Discours sur l’inégalité 1754 (Genfer Preisschrift), Contrat social ou principes du droit politique 1762. IV. Die Zeit des deutschen Bundes. K. Salom. Zachariae 40 Bücher v. Staat 1820–32, Schmittkenner, allg. Staatsr. 1845, v. Mohl, Württemb. Staatsr. 2 Bde, 2. A. 1840 Klüber Öffentl. Recht des d. B. 1817. 4te Aufl. 1840. Zöpfl d. Staatsrecht 2 Bde. 1841 5. Aufl. 1863. Heinr. Alb. Zachariä d. S. R. 2 Bd. 1841 3. Aufl. 1865, v. Gerber. Grundzüge 1865. 3. Aufl. 1880. Constitutionelle Theorie, Bundesrecht und Staatsrecht; Residua des alten Reichsrechts, Statißt. Zusammenstellung der Verfassungsbestimmungen, auch der Kleinstaaten.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 15 R. V. Seit der Gründung des Reichs Werke über Reichs- und Landesstaatsrecht. G. Meyer, Lehrb. 1878. 4. Aufl. 1895. G. Schulze. Deutsch. Staatsr. 2 Bde. 1881.86 Hänel, Deutsches Staatsr. I. Bd. 1892 Darstellungen des Reichsstaatsrechts. Laband 1. Aufl. 1876, 4. Aufl. 1895 1901, 5. 1911–15, Kl. Ausgabe 5te Aufl. 1894 1907 1912 G. Meyer. Lehrbuch d.dt. Staatsr. 1878. 6te Aufl. von Anschütz bearb. 1905, 7te Aufl. I. Teil 1914. Zorn Staatsrecht des dt. Reichs 2 Bde. 1880/83, 2. Aufl. 1895. H. Schulze, Deutsches Staatsrecht, I. Bd. Landesst. 1881, II. Bd. Reichsstaatsr. 86. Hänel, Deutsches Staatsr. I. Bd. 1892. M. Seydel, Kommentar zur RV 1873 2. Aufl. 1897 A. Arndt (Verf. des d. R. Berlin 1895 3. Aufl. 1907) Deutsches Staatsrecht 1901., Dambitsch Komm. z. RV 1910. Bl. 16 Gedruckter Literaturauszug wohl aus dem Staatsrecht des Dt. Reiches Bl. 17 IV. Periode. Seit Gründung des Reichs.37 1. Reichsstaatsrecht Geibel, Arndt 95, Dambitsch Komment. 1910. Seydel Commentar z. Verf. U. des d. R. 1873, 2. Aufl. 1897 v. Mohl, Reichsstaatsr. 1873. politisch. v. Rönne, Staatsrecht des d. R. 3 Bde 1876 ff. Materialsammlung 37 Eine jüngere Version der Literaturübersicht zum Reichstaatsrecht, offenbar aus den 90er Jahren.
§ 2 Geschichte der Bearbeitung des Staatsrechts (2. Variante)
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Laband, Das Staatsrecht des d. R. 3 Bde. 1876 ff. 4. A. 1890 u. in Marquardsens Handb. des Öffentl. R. 1883 3te Aufl. 1902. Zorn, Staatsrecht des D. R. 2 Bde. 1880.1883 I. Bd. 2. Aufl. 95. Werke über Reichs und Landesstaatsrecht Allg. Staatsr. von Gareis in Marqwuardsens Handb. 4. Aufl. 1895. G. Meyer. Lehrb. des D. Staatsrechts 1878. H. Schulze. Deutsch. Staatsrecht. I. Bd. Landesstaatsr. 1881. II. Bd. 86. Hänel. Deutsches Staatsrecht. I. Bd. 1892. Anschütz in der Encyclopädie der Rwissenschaft Bd. II S. 451 ff. 2. Staatsrecht der einzelnen Staaten. a. Preußen.
Marquardsens Handbuch
v. Rönne. Das Staatsrecht der Preuß. Monarchie. II Bde. 3. Aufl. 1870, 4. Aufl. 1881 Schulze Preuß. Staatsr. 2 Bd. 1870 ff. 2. Aufl. 1889 Bornhak 3 Bde. 1889 ff., Schwarz. Komment. zur Preuß. Verf. U. 1896.
b. Bayern
v. Pötzl. Bayr. Verfassungsr. 5. Aufl. 1877 (Seydel, Grundr. München 1883) Bayr. Staatsr. 2. Aufl. 4 Bde. 1895.
c. Württemberg
v. Mohl. 2 Bd. 2. Aufl. 1840 Sarwey. 2 Bde. 1883 Gaupp bei Marquardsen
d. Sachsen.
Chr. Ernst Weisse 2 Bde. 1824. 1827 ganz veraltet. Leuthold, Das Kgl. Sächs. Verwaltungsr. Leipz. 1878.
e. Hessen-Darmst. Karl Eduard Weiss 1 Bd 1837. Funk 1878 Hamburg Melle 1890. Elsaß-Lothringen Leoni I th. 1892. II Th. v. Leoni u. Mandel öffentl. Recht Tübinger Zeitschrift f. die ges. Staatswissensch. Hirth’s Annalen Grünhut’s Zeitschr. für das Privat- und öffentliche R.
Archiv f.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 18 I. Kapitel. Der Staat.38 Die Staatsgewalt
Bl. 19 I. Kapitel. Der Staat. § 3 Begriff und juristische Natur des Staates. I. Der Staat ist die rechtliche Organisation eines auf einem bestimmten Gebiete ansässigen Volkes zu einem Gemeinwesen unter einer Gewalt oder Herrschaft. Der Begriff des Staates erfordert daher drei Elemente: ein Volk, ein Gebiet, eine Gewalt. 1. Das Volk. Es gibt keinen Staat ohne Volk; ein unbewohntes Stück der Erdoberfläche kann nicht das Substrat eines Staates sein. Der Staat ist ein Gemeinwesen zur Erfüllung menschlicher Kulturbedürfnisse, daher ohne Menschen undenkbar. „Volk“ ist aber kein Rechtsbegriff; es bildet eine thatsächliche Voraussetzung des Staates. Es ist ebensowenig ein Rechtsbegriff, wie ein Stück Land oder ein Rudel Thiere. Das „Volk“ steht nicht als ein besonderes Rechstssubjekt „dem Staat“ gegenüber, sondern es ist in dem Staat zu einer rechtlichen Einheit zusammengefasst; es erhält durch diese Zusammensetzung oder Organisation erst eine rechtliche Existenz; der Staat ist das rechtlich organisierte Volk, das zum Rechtssubjekt gestaltete Volk. Denkt man sich das Volk im Gegensatz zum Staat, ohne Staat, so bleibt eine bloße Masse von Menschen als Naturprodukt. Volk und Staat sind keine verschiedenen Wesen; könnte man sich ein Volk ohne Staat denken, so wäre das eine Menschenmasse ohne Bedeutung für die Rechtsordnung, ein Begriff ohne juristische Bedeutung. Bl. 19 R. Das Volk ist die Gesammtheit aller unter einer Staatsgewalt vereinigten Personen, das „Staatsvolk“. Es ist nicht gleichbedeutend mit Nation; eine Nation kann in verschiedene Staaten verteilt sein und ein Staatsvolk kann verschiedene Nationen umfassen. Daß die Staaten sogen. Nationalstaaten seien, 38
Deckblatt.
§ 3 Begriff und juristische Natur des Staates (2. Variante)
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mag vom Standpunkt der Politik aus wünschenswerth erscheinen, ein Postulat des Rechtsbegriffes ist es nicht. Mit Rücksicht auf die in der Bevölkerung bestehenden Verschiedenheiten nach Beruf, Vermögen, Bildung, Glauben u. s. w. bezeichnet man das Volk auch als „Gesellschaft“, und spricht von sozialen Classen und socialer Gliederung. Auch diese Verhältnisse sind nur thatsächliche. Die „Gesellschaft“ in diesem Sinne ist kein Rechtsbegriff, sondern ein politischer oder sozialer; die Gesellschaft ist kein dem Staat gegenüberstehendes Rechtssubjekt; nichts vom Staat verschiedenes. Die Gesellschaft als Rechtssubjekt gedacht, ist der Staat. Das Volk ist vom wirthschaftlichen und politischen Standpunkt gesehen die Gesellschaft; vom juristischen aus betrachtet der Staat. Es gibt keine Rechtsverhältnisse zwischen Staat und Gesellschaft oder zwischen Staat und Volk oder zwischen Volk und Gesellschaft. Bl. 20 2. Das Gebiet. Da nur ein seßhaftes Volk einen Staat bildet, so gehört ein bestimmtes Stück der Erdoberfläche zum Begriff des Staates. Ein nomadisierender Stamm ein wanderndes Volk, die in der Welt zerstreut lebenden Angehörigen eines kirchlichen Ordens bilden keinen Staat, obgleich sie einer gemeinsamen Gewalt unterworfen sind und durch gemeinsame Interessen und Bestrebungen verbunden sind. Das Wort Staat deutet auf das Bestehende, Beständige hin. Das Gebiet ist der Machtbereich des Staates; alles was innerhalb des Gebietes sich befindet, ist der Gewalt des Staates unterworfen, auch der Fremde, der sich darin aufhält. Das das Gebiet ein zusammenhängendes Stück der Erdoberfläche ist, ist aus politischen, thatsächlichen Gründen wünschenswerth und die geschichtliche Entwicklung führt darauf hin; aber es ist rechtlich nicht nothwendig, kein begriffliches Erfordernis des Staates. (Preußen vor 1866; Inselreiche; überseeische Besitzungen). Auf einem und demselben Gebiet kann es aber nicht mehrere, von einander unabhängige Staatsgewalten geben. Bl. 20 R. 3. Die Staatsgewalt. Der Begriff des Staates erfordert eine Herrschaft über Land und Leute. In ihr kommt die rechtliche Einheit, die organische Zusammenfassung des Volkes zur Verwirklichung. Die Aufgaben, welche der Staat zu erfüllen hat, erfordern seine Ausstattung mit dem Recht zu befehlen und zu zwingen. Der Staat ist der Träger von Hoheitsrechten; es giebt einen staatlichen Willen, welcher durch die Staatsgewalt zur Verwirk-
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lichung und Ausführung gebracht wird. Alle derselben Staatsgewalt unterworfenen Personen und gebiete bilden einen Staat für sich; die concrete, individuelle Staatgewalt macht den besonderen Staat aus. Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt sind zu einer Einheit verbunden. Daher sind Provinzen, Kreise und Gemeinden keine Staaten, obgleich in ihnen eine Bevölkerung, ein Gebiet und eine öffentliche Gewalt vorhanden sind; aber die letztere ist keine besondere, diesem Bezirk eigene Staatsgewalt, sondern es ist die Gewalt eines höheren Verbandes, dem sie eingegliedert und unterworfen sind. Bl. 21 II. Die juristische Natur des Staates 1. Alle Vereinigungen von Menschen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zerfallen in zwei große Gruppen; entweder ist die Vereinigung ein Rechtsverhältniß unter den Teilnehmern nach Art der Sozietät oder die Vereinigung ist der selbständige Träger, das Subjekt, aller für die Erreichung des gemeinsamen Zwecks begründeten Rechte und Pflichten. Der Gegensatz ist ein kontradiktorischer; ein Rechtsverhältnis unter Rechtssubjekten kann nicht selbst ein Rechtssubjekt sein; ein Rechtssubjekt andererseits ist eine begriffliche Einheit und kann daher kein Rechtsverhältniß sein, da dieses eine Mehrheit von Subjekten voraussetzt. Die naturrechtliche Lehre ging von den Individuen aus; sie dachte sich den Staat als eine von den einzelnen Menschen begründete Gesellschaft oder Vereinigung zur Erhaltung des Friedens, der Sicherheit, des Rechtsschutzes u. der Wohlfahrtspflege. Sie fingierte zu diesem Zwecke den Abschluß eines contractus socialis, durch welchen sich die Menschen zu einem Staate vereinigt haben, und ferner eines contractus subjectionis, durch welchen sie in diesem Staate einen Herrscher, einen Träger der Staatsgewalt bestellt und mit gewissen Rechten ausgestattet haben. Bl. 21 R. Die Unhaltbarkeit dieser Theorie bedarf heut keiner Ausführung mehr. Es handelt sich um Fiktionen; denn daß die Staaten durch einen contractus socialis begründet worden sind, ist historisch nicht nachzuweisen. Wenn einzelne Fälle dafür angeführt werden, insbesondere die Vereinbarung der ersten nach Amerika ausgewanderten 102 englischen Independenten Puritaner auf dem Schiffchen Mayflower 11. Dez. 1620 vor ihrer Landung, so wird hierdurch die ganze Frage verkannt. Denn diese betrifft nicht die Entstehung eines einzelnen konkreten Staates, sondern die Entstehung des Staates an sich, den Übergang vom staatlosen Zustand zum staatlichen. Die nach
§ 3 Begriff und juristische Natur des Staates (2. Variante)
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Amerika ausgewanderten Europäer, die nach Grönland und Island übersiedelnden Dänen lebten bereits in einem Staat und nahmen ihre Vorstellungen vom Staat in die neue Heimat mit. Die Idee, daß die Menschen jemals als einzelne isoliert gelebt u. durch einen bewußten Willensakt sich zu einem Staat zusammengeschlossen hätten, ist ganz unhaltbar. Der einzelne lebende Mensch hätte weder Sprache, noch Gedanken, noch Rechtsvorstellungen gehabt. Der Mensch ist durch seine physische Natur und durch seine Vernunftbegabung zum Zusammensein mit anderen genöthigt und aus Bl. 22 diesem Zusammenleben, dieser Gemeinschaft, ergibt sich eine Ordnung, eine primitive einfache Rechtsbildung, welche allmählich mit wachsender Kultur und höheren Aufgaben zu einem staatlichen Zusammenschluß führt. Der Staat und das Recht sind nicht etwas willkürlich Gemachtes, sondern etwas Gewordenes. Der contractus socialis wurde aus den vorhandenen Staatseinrichtungen durch Spekulation abgeleitet und mit einem Inhalt ausgestattet. Übrigens fehllt es an einem Grunde, aus welchem dieser in der Urzeit angeblich geschlossene Vertrag für die nachfolgenden Generationen verbindlich sei und warum er jeden schon mit dem Zeitpunkt seiner Geburt zum Mitglied des vertragsmäßigen Verhältnisses macht und dem staatlichen Zwang unterwirft. Man ist zu immer neuen Fiktionen genöthigt. Der Staat kann daher nicht gedacht werden als ein Rechtsverhältnis unter seinen jeweiligen Angehörigen; denn bei dieser Auffassung hätte jeder Angehörige gewisse Rechte und Verbindlichkeiten gegen alle anderen, jeweiligen Angehörigen, aber nicht der Staat als solcher Herrschaftsrechte über alle. Auch die theokratische Vorstellung, welche den Staat an sich, sowie die Existenz des einzelnen concreten Staates auf den unmittelbaren Willen Gottes zurückführt, ist eine Fiktion, welche sich mit den geschichtlichen Ereignissen nicht leicht in Einklang bringen läßt. Da sie auf einem Glaubenssatz und der Annahme einer überirdischen Einwirkung beruht, ist sie zu einer wissenschaftlichen Erforschung nicht geeignet. Bl. 22 R. 2. Nicht die einzelnen Bürger vereinigen sich zum Staate, um ihre persönlichen, wenngleich übereinstimmenden Zwecke zu verwirklichen, sondern das Volk als Gesammtheit bildet das Substrat oder Grundelement des Staates und findet in demselben seine rechtliche Organisation und Zusammen-
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fassung. Der Einzelne nimmt als Angehöriger des Volkes, als Volksgenosse am Staat theil. Der Staat verwirklicht die aus dem Gesamtleben des Volkes sich ergebenden Bedürfnisse und Aufgaben, nicht die Interessen bestimmter einzelner Individuen. Darauf beruht die Identität des Staates trotz des unablässigen Wechsels der Staatsangehörigen, de Continuität des Staates durch Jahrhunderte. Damit ist aber die Nothwendigkeit gegeben, den Staat als eine von der Persönlichkeit der einzelnen Staatsangehörigen unabhängige, von ihnen verschiedene Person aufzufassen, als ein Rechtssubjekt mit eigenen selbständigen Aufgaben, Zwecken, Rechten u. Pflichten. Der Staat ist seinem rechtlichen Wesen nach daher eine juristische Person. Die juristische Person ist keine Fiktion, wie manche behaupten, sondern sie hat wie alle anderen Rechtsbegriffe eine reale Existenz in der Rechtsordnung Welt des Rechts, ist also allerdings sinnlich nicht wahrnehmbar, sondern nur geistig zu erfassen. Bl. 23 Die Erfassung dieses Begriffes setzt eine gewisse Höhe der geistigen Bildung, der Kultur voraus. Der feudale oder patrimoniale Staat war zur Personifikation des Staates noch nicht vorgedrungen; er bestand aus einem Netz von Befugnissen und Pflichten, von persönlichen Ansprüchen und Verpflichtungen, von privatrechtlicher Herrschaft über Güther, Länder Unterthanen nach Art des Grundeigentums. Der Monarch war der Herr, der Eigentümer oder Lehnsbesitzer seines Gebiets. In der neuesten Literatur zeigen sich einzelne Rückfälle in diese autokratische Auffassung, namentlich bei Seydel, auch bei Bornhak. 3. Der Staat ist eine juristische Person d.h. er hat nicht wie der Mensch von Natur eine Willens Handlungsfähigkeit, sondern er kann nur wollen und handeln durch Menschen, deren Wille und Handlung kraft Rechtssatzes und unter bestimmten geregelten, vom Recht geregelten Voraussetzungen als Willen und Handlung des Staates rechtlich gelten. Man nennt dies Organe. Jede juristische Person bedarf einer durch das Recht bestimmten Organisation, einer Verfassung, Bl. 23 R. d.h. einer Summe von Rechtsregeln, welche bestimmen, durch welche Personen sie wollen und handeln kann, welche Funktionen dieser obliegen und in welchen Formen sie thätig werden. Man bezeichnet diese Personen als die Organe der juristischen Person, indem man diesen Ausdruck Ohne sol-
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che Organe wäre die juristische Person ein toter Begriff und unfähig, Rechte und Pflichten auszuüben und Aufgaben irgend welcher Art zu erfüllen. Die Vorstellung der juristischen Person enthält immer zugleich und mit Nothwendigkeit die Vorstellung einer Organisation. Man hat aber diese Gedanken übertrieben und dadurch entstellt. Die sogen. organische Staatslehre, deren Hauptvertreter in der deutschen Litteratur Gierke und Preuß sind, gehen über den Begriff der juristischen, abstrakten Personifikation hinaus und verstehen die Organisation im biologischen Sinne. Sowie der Mensch ein Organismus ist, Bl. 24 so seien es auch die menschlichen Verbände. Der Organisationsprozeß gehe über das Inidividuum hinaus; das Volk sei eine wirkliche natürliche, organische Einheit. Die Persönlichkeit des Staates sei nicht nur ein Rechtsbegriff, sondern das staatlich geeinigte Volk sei eine in Wirklichkeit existierende Gesammtperson. Die Organe dieser Gesammtperson und die Art der Organisation sei aber allerdings eine wesentlich andere wie die der natürlichen Lebewesen. Hierbei wird aber der Begriff des Organ’s nur scheinbar übernommen, in Wahrheit gänzlich verändert. Der Ausdruck ist der Biologie entnommen, er hat aber in der Welt des Rechts einen ganz anderen Sinn als in der Naturwissenschaft. Wenn man im Rechtssinn von einem Organismus oder von Organen der juristischen Person spricht, so ist dies immer auch ein biologisches Bild; ein kurzer gemeinverständlicher Ausdruck zur Bezeichnung einer juristischen Vorstellung, aber es besteht keine Gleichartigkeit zwischen dieser Rechtsvorstellung u. den natürlichen Organismen. Bl. 24 R. 4. Der Staat ist jurist. Person, d.h. Subjekt von Rechten u. Pflichten. Er ist aber von allen anderen Personen dadurch ausgezeichnet, daß diese Rechte Hoheitsrechte sind, d.h. daß er die Gewalt hat, freien Menschen zu befehlen und sie zur Befolgung seiner Befehle zu zwingen. Die Personen des Privatrechts können Herrschaftsrechte nur haben über Sachen u. unfreie Menschen (Sclaven); gegen freie Menschen haben sie auch Forderungen, Ansprüche, zur Verwirklichung derselben bedürfen sie der Hülfe des Staates. Der Staat dagegen hat eine Gewalt, eine Herrschaft, ein imperium. Das „Herrschen“ ist das charakteristische Merkmal des Staats. Herrschaft ist nicht bloß die Befugniß rechtsnotwendige Befehle zu erteilen, sondern freie Menschen zu Handlungen und Unterlassungen zu zwingen und
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2. Teil: Staatsrecht
zur Durchführung des Zwanges das Vermögen, die Freiheit, die körperliche Integrität, und selbst das Leben des Unterthanen anzugreifen. Diese Zwangsgewalt steht nur dem Staate zu. Die Kirche hat nur Gemeinden haben, soweit sie eine solche Gewalt haben, sie nur durch Übertragung des Staates, durch Verleihung. Die Kirche wendet sich nur an das Gewissen und übt einen Zwang nur aus, soweit der Einzelne durch seinen religiösen Glauben sich zum Gehorsam verpflichtet fühlt.
Bl. 25 5. Der Staat allein hat die Zwangsgewalt, aber er hat nicht bloß öffentliche Rechte. Er kann die ihm obliegenden Aufgaben ohne zahlreiche Geschäfte des privatrechtlichen Vertrages, ohne Eigenthum, dingliche Rechte, Schuldverhältnisse, nicht durchführen. Jede Verwaltung, welcher Art sie auch sei, ist immer mit einer Vermögensverwaltung verbunden. Der Staat ist daher immer und mit Nothwendigkeit auch Subject von Vermögensrechten und privatrechtlichen Verpflichtungen. In dieser Eigenschaft heißt der Staat Fiskus. Der Staat zerfällt nicht in zwei juristische Personen, eine öffentlich-rechtliche und eine privatrechtliche; vielmehr ist der Staat eine juristische Person, die das Subjekt sowohl der Hoheitsrechte als auch der Privatrechte ist; aber hinsichtlich aller vermögensrechtlichen Verhältnisse ist der Staat den Regeln des Privatrechts und Civilprozesses unterworfen, steht auf gleicher Stufe mit den Privatpersonen und ist im Falle eines Rechtsstreits der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterworfen, kann also vor seinen eigenen Gerichten verklagt und von ihnen verurteilt werden. Dies erweckt den Anschein, als sei der Fiskus eine vom Staat verschiedene Person des Privatrechts. Des Nähere unten im Finanzrecht.
Bl. 25 R. § 4 Die Souveränetät I. Es muß in dem Gemeinleben eines Volkes eine Gewalt geben, welche die oberste und höchste, also keiner anderen Gewalt unterworfen ist. In dem einfachen und isolierten Staate ist dies die Staatsgewalt; von ihr geht aller rechtlicher Zwang und die rechtliche Ordnung aller Lebensverhältnisse aus; sie ist die suprema potestas; sie hat die Eigenschaft der Souverainetät.
§ 4 Die Souveränetät
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Im feudalen Staate war diese Konzentration nicht erreicht; erst die Entwicklung der neueren Staatsidee hat sie mit sich gebracht. Die Kenntniß des römischen Rechts hat sie gefördert und zum wissenschaftlichen Bewußtsein gebracht. Ihre theoretische Formulierung ist das Verdienst von Jean Bodinus (six livres de la République 1576), von dem auch der Ausdruck „Souveränetät“ herrührt. Dock, Der Souveränetätsbegriff von Bodin bis zu Friedrich dem Gr. (Straßb. 1897) Seine Theorie hat sehr lange Zeit alle späteren Schriftsteller beherrscht. Bodinus hat seine Lehre von dem französischen Staat seiner Zeit entnommen. und seinerseits wieder die Entwicklung des Absolutismus gefördert. Nach der Lehre von Bodinus ist jedem Staat wesentlich eine höchste, unabhängige, unbeschränkte und unbeschränkbare Gewalt. Bodinus zog aus seinem Begriff eine dreifache Konsequenz oder machte ihn nach drei Richtungen geltend: 1. Die völlige Freiheit des Staates von jeder anderen übergeordneten Macht, Bl. 26 also insbesondere vom Pabst und vom Kaiser. Das war der national-politische Hintergrund der Bodin’schen Lehre; die vollkommene Unabhängigkeit des französischen Staates. Aus diesem Begriff ergiebt sich eine wichtige völkerrechtliche Consequenz. Da der Staat als die gänzliche freie und unabhängige Macht charakterisiert wird, so kann kein Staat dem anderen übergeordnet oder untergeordnet sein; sondern sie stehen als gleichberechtigt neben einander und sind die alleinigen Subjekte des internationalen (völkerrechtlichen) Verkehrs. Souveränetät in diesem Sinne ist eine Eigenschaft des Staats und zwar eine negative, nämlich das Nichtvorhandensein einer höheren Gewalt und einer Unterordnung unter diese. Daher ist die Souveränetät keiner Steigerung oder Minderung fähig, es giebt keine Grade der Souveränetät; keine Theilung oder Beschränkung derselben. Diese Folgerungen aus dem Begriff der höchsten Gewalt sind von unanfechtbarer logischer Folgerichtigkeit; sie bilden zu allen Zeiten und in allen Fällen das Wesen der Souveränetät; eine andere Frage aber ist, ob die Eigenschaft der Souveränetät eine für den Staatsbegriff wesentliche ist oder ob es auch nicht souveräne Staaten giebt.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 26 R. 2. Bodinus leitet ferner aus dem Begriff der Souveränetät den Satz her, daß es in jedem Staat einen unbeschränkten und unbeschränkbaren Herrscher oder Träger der Staatsgewalt gebe. Der Souveränetät des Staates entspricht die souveräne Stellung im Staat. Dies ist die Lehre des Absolutismus, des autokratischen Monarchen, welche Bodinus ebenfalls der Stellung des damaligen Königs von Frankreich entnommen hat. Der Träger der Staatsgewalt ist souverän, bedeutet nach Bodinus, daß er keiner anderen Gewalt , auch dem Gesetz nicht unterworfen und durch keinen anderen Willensträger im Staat beschränkt ist; auch das Gesetz bindet ihn nicht; princeps legibus solutus est und quod principio placuit legis habet vigorem. Er kann daher nicht bloß nach eigenem Gutdünken Gesetze geben, sondern auch sie nach Willkür in der Verwaltung und Rechtsprechung verletzen. Auch hier wird etwas für eine wesentliche Eigenschaft des Staates erklärt, was nur einer bestimmten Staatsverfassung, nur dem absoluten Staat eigenthümlich ist. Nur wenn der Monarch der Herr des Staates ist und seine Macht identisch ist mit der Staatsgewalt selbst, wenn der Grundsatz
Bl. 27 gilt, welchen (angeblich) Ludwig XIV in die klassische Formel brachte l’état c’est moi, ist ist er in dem Sinn Bodin’s souverain. Eine solche Verfassungsform ist aber keinesfalls für den Staatsbegriff wesentlich; ja sie hat eigentlich nirgends bestanden. Bodinus selbst macht gewisse Einschränkungen, indem er lehrt, daß auch der Monarch den Geboten Gottes und der Vernunft unterworfen sei. In Deutschland gab es solche absolute Herrscher nirgends und zu keiner Zeit, weder im Reich noch in den Territorien. Die Lehre Bodin’s wurde auch in der Theorie heftig bestritten und es gibt eine zahlreiche Gruppe von Schriftstellern, welche man als die „Monarchomachen“ bezeichnet und welche eine revolutionäre Staatslehre und die Volkssouveränetät verfochten. Treumann 1895 Die politische Entwicklung hat in allen civilisierten Staaten zu Verfassungsformen geführt, welche die absolute Gewalt des Monarchen beseitigten und nur bei halbcivilisierten Staaten Völkern (Rußland, Türkei, China u. s. w.) besteht sie noch. Der Begriff des Monarchen ist heut ein ganz anderer als ihn Bodinus zu seiner Zeit in Frankreich und in anderen Staaten verwirklicht sah. Aber
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man pflegt noch heut die Monarchen als Souverän zu bezeichnen und im völkerrechtlichen und diplomatischen Ceremoniell wie die Herren ihrer Völker und Länder zu behandeln. Bl. 27 R. 3.) Bodinus hat endlich aus dem Wesen der Souveränetät hergeleitet, daß die Staatsgewalt gewisse materielle Befugnisse oder Hoheitsrecht, sogen. Souveränetätsrechte habe z. B. die Gesetzgebungshoheit, das Besteuerungsrecht, die Gebietshoheit u. s. w. Auch hierin hat er verallgemeinert, was er im französischen Staat seiner Zeit verwirklicht sah. Diese Hoheitsrechte sind aber nur das Spiegelbild der Aufgaben, Zwecke und Thätigkeiten des Staates und als solche einem fortwährenden Wechsel unterworfen. Mit veränderten Kulturzuständen und dem Wechsel der wirthschaftlichen und politischen Verhältnisse wechseln auch die staatlichen Aufgaben: Es entstehen fortwährend neue Aufgaben und damit neue Hoheitsrechte (z. B. Eisenbahnhoheit, Telegraphenhoheit u. s. w.), während andere verschwinden (z. B. Lehnshoheit, Salzhoheit u. dgl.) Der Staat kann – unbeschadet seiner Souveränetät – gewisse Aufgaben anderen Gemeinwesen (Provinzen, Kreißen, Gemeinden) übertragen. Die Auflösung der Staatsgewalt in eine Reihe einzelner Hoheitsrechte unmöglich sowie die Aufstellung eines Katalogs der Freiheitsrechte oder der Befugnisse des Eigenthümers. Jeder Katalog dieser Art ist willkürlich; die Differenzierung kann in das Unendliche fortgesetzt werden. Bl. 28 Dessenungeachtet hat die Theorie von den Souveränetätsrechten bis in die neueste Zeit eine große Rolle gespielt, ja sogar die Systematik des Staatsrechts beherrscht. In der Souveränetätslehre des Bodinus sie sonach drei ganz verschiedene Dinge miteinander vermengt: Die Unabhängigkeit der Staatsgewalt von jeder anderen Gewalt; die absolute Gewalt des Staatsoberhauptes im Innern und die materiellen Bethätigungen der Staatsgewalt in den verschiedenen Thatigkeiten des Staates. Es ist nicht zu verwundern, daß eine solche Lehre eine große Verwirrung in der staatrechtlichen Theorie verschuldet hat und daß die Souveränetätslehre voll von Kontroversen und Mißverständnissen ist. Das unvergängliche Verdienst Bodin’s besteht aber darin, daß er den Begriff der einheitlichen, obersten, konzentrierten Staatsgewalt zum Mittelpunkt des Staatsrechts gemacht und dadurch den Grund gelegt hat zur Auffassung des Staates als einer selbständigen Persönlichkeit, ohne welche ein theoretisches Verständnis des Staatsrechts nicht möglich ist.
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2. Teil: Staatsrecht
II. Es ist zweifellos, daß es eine oberste, also souveräne Gewalt Es entsteht nun die Frage, ob die Souveränetät eine wesentliche Eigenschaft des Staates ist; ob dieses Kriterium ein begriffliches Element des Staates ist, so es fehlt, die Annahme eines Staates daher ausgeschlossen ist. Diese Frage ist sehr bestritten; ihre richtige Beantwortung ist gerade für das deutsche Reichsstaatsrecht von grundlegender Bedeutung. Was zunächst den Sprachgebrauch betrifft, so bezeichnet man gewisse politische Bildungen als „halbsouveräne“ Staaten, als Staaten, welche einem sogen. Suzerain untergeordnet sind. Damit wird die Eigenschaft der Souveränetät ihnen abgesprochen; halbe Souveränetät ist die Negation der Souveränetät. Die Unterordnung unter einen Souzerän ist ist die Negation der höchsten, unabhängigen Gewalt. Man verwechselt auch hier den diesen Staaten zustehenden Besitz gewisser staatlicher Befugnisse, die man als Souveränetätsrechte zu bezeichnen pflegt, mit der vollkommenen Unabhängigkeit. Auch im völkerrechtlichen Verkehr haben diese Staaten nur eine beschränkte Rechts- und Handlungsfähigkeit; Bl. 29 aber sie sind doch als staatliche Persönlichkeiten, als Subjekte des völkerrechtlichen Verkehrs anerkannt. Auch die Geschichte lehrt die Existenz von Staaten, welche einer anderen Gewalt untergeordnet sind. Nach Beispielen braucht man nicht in entlegenen Zeiten oder Ländern zu suchen. Die Glieder des alten deutschen Reichs hießen nicht nur status imperii, sondern sie waren wirkliche Staaten. Denn es wäre doch ein die Tatsachen verkennender Doktrinarismus zu behaupten, daß Preußen, Bayern, Sachsen u. s. w. im 18. Jahrhundert keine Staaten gewesen seien, weil Kaiser und Reich ihnen übergeordnet waren. Zum Begriff eines Staates gehört eine Staatsgewalt, aber dieselbe braucht nicht nothwendiger Weise die höchste zu sein. Es giebt vielmehr zwei Arten von Staaten, souveräne und nicht souveräne. Die Souveränetät ist nur die Eigenschaft der isolierten, für sich bestehenden Staaten, aber nicht eine wesentliche Eigenschaft aller Staaten. Es erhebt sich nun aber sofort eine neue Schwierigkeit, nämlich die Frage: Wodurch unterscheidet sich der Staat von dem Communalverband (Bezirk, Gemeinde), wenn die Souveränetät nicht das entscheidene Kriterium des Staates ist?
§ 4 Die Souveränetät
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Bl. 29 R. Warum sind z. B. Lübeck und Schaumburg-Lippe Staaten, dagegen Berlin und die Rheinprovinz nicht? Der Umfang des Gebiets und die Größe der Bevölkerung sind nicht maßgebend; ebensowenig der nationale Charakter, denn es giebt keine Lübecker, Lippe’sche oder Sachsen-Meiningen’sche Nation; endlich besteht auch kein durchgreifender Gegensatz in Betreff der Zwecke und Aufgaben zur Mitthätigkeit herangezogen oder mit ihrer Durchführung betreut zu werden. Der charakteristische Unterschied besteht darin, daß der Staat eigene Herrschaftsrechte hat, die Gemeinde nicht. Eigene Rechte sind solche, welche nicht von einem anderen Recht abgelöst oder hergeleitet sind, welche nicht in der Herleitung von einem anderen ihr rechtliches Fundament haben, welche auf sich selbst ruhen. Herrschaftsrecht ist die Zwangsgewalt, die vis cogendi. Solche iegenen Herrschaftsrechte haben die Gemeinden und Kommunalverbände nicht. Sie existieren nur durch den Bl. 30 Willen des Staates.; der Staat kann sie errichten und aufheben; er giebt ihnen durch die Gemeindeordnung ihre Verfassung, ihre Organe, ihre Zuständigkeit. Wenn sie eine Zwangsgewalt haben, so haben sie sie kraft einer Verleihung des Staates oder sie handeln als Organe des Staates. Der Staat kann ihnen diese Gewalt geben und nehmen, sie einschränken und ausdehnen, die Voraussetzungen und Formen ihrer Ausübung vorschreiben. Im Gegensatz dazu hat der Staat, auch der Kleinste, sein Herrschaftsrecht kraft der bloßen Thatsache seiner Existenz; er hat die Zwangsgewalt durch sich selbst. niemand hat sie ihm verliehen und niemand kann sie ihm nehmen, ohne ihn zu vernichten. III. Da der souveräne Staat keiner Gewalt untergeordnet ist, so bestimmt er selbst die Gränzen seiner Kompetenz; er hat die sogen. Kompetenz-Kompetenz; er kann nach eigenem Willen seine Zuständigkeit einschränken oder ausdehnen. Er bestimmt auch die Mittel und Formen, Bl. 30 R. in denen er seine Thätigkeit ausübt und er regelt frei und nach eigenem Willen seine Verfassung. Dem nicht souveränen Staat dagegen können in allen diesen Beziehungen von der übergeordneten Macht Schranken gezogen werden. Er hat nur die-
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2. Teil: Staatsrecht
jenige Kompetenz, welche die übergeordnete Staatsgewalt ihm zugesteht; er kann sie nicht eigenmächtig erweitern. Er kann durch die Gesetze der höheren Staatsgewalt bei Ausübung seiner Funktionen an gewisse Schranken und Formen gebunden sein. Es können endlich gewisse Verfassungseinrichtungen, z. B. die monarchische oder republikanische Staatsform, Bestehen einer Volksvertretung, eines Referendum, Rechtsgleichheit aller Angehörigen u. s. w. ihm vorgeschrieben werden. Bl. 31 § 5 Die Staatsformen Die Staatsform bestimmt sich nach dem Träger der Staatsgewalt. Unter dem Träger ist dasjenige Organ des Staates zu verstehen, welches in oberster Stelle die Staatsgewalt auszuüben berufen ist, welches das höchste, unmittelbare Willensorgan des Staates ist, und die Einheit der staatlichen Willensbethätigungen verwirklicht. Im Anschluß an Aristoteles theilte man herkömmlicher Weise die Staaten ein in monarchische, aristokratische und demokratische. Diese Dreitheilung ist aber eine wesentlich politische und hebt die gesellschaftliche Ordnung, die thatsächliche Vertheilung von Macht und Einfluß, welche in der Staatsverfassung zum Ausdruck kommt, hervor hervor und macht sie zum Eintheilungsgrund. Sie ist für das Staatsrecht schon wegen der der zahlreichen und rechtlich nicht von einander abzugränzenden Übergänge von einer dieser Staatsformen zur anderen nicht zu verwerthen. Rechtlich entscheidend ist vielmehr, ob eine bestimmte einzelne, physische Person Träger der Staatsgewalt ist oder eine Mehrheit von Personen. Da dieselben in der Regel durch Wahlen zu ihrer Organstellung berufen werden, so spricht man dann von dem Volk als Träger der Staatsgewalt und unterscheidet Fürsten- u. Volkssouveränetät. Bl. 31 R. Hiernach giebt es zwei Hauptarten von Staaten nach der Staatsform, nämlich Monarchien und Republiken. Älterer, dem Röm. R. entsprechender Sprachgebrauch: respublica Staat I. Die Monarchie. Der Unterschied zwischen dem Monarchen und dem Präsidenten einer Republik besteht nicht in der größeren Machtfülle und den größeren Befugnissen; ein Präsident kann im Gegentheil einen viel mächti-
§ 6 Die Staatensysteme
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geren Einfluß und ein viel größeres Maß politischer Rechte haben, als ein Monarch, wie z. B. der Präsident der Nordamerikanischen Union im Vergleich mit dem König von England oder von Belgien. Der Unterschied besteht vielmehr darin, daß der Monarch ein eigenes, subjektives Recht auf die Stellung als Staatsoberhaupt hat, der Präsident dagegen sein Recht von einem anderen Träger ableitet, ernannt wird und zwar in der Regel durch Wahl und auf bestimmte Zeit. Der reine Begriff der Monarchie kommt nur in der Erbmonarchie zur Verwirklichung und nur diese bietet die politischen Vortheile der monarchischen Staatsform, nämlich die Unabhängigkeit des Staatsoberhauptes von Parteien Loterien, gesellschaftlichen Klassen, Wahlkämpfen und Parteiumtrieben. Die Wahlmonarchie, welche eine verhüllte Fürstenaristokratie oder Demokratie ist, besteht bei den Kulturvölkern nirgends mehr. Bl. 32 Die monarchische Staatsform ist wieder von dreifacher Art, die absolute, die konstitutionelle und die parlamentarische. Die letztere ist eine Scheinmonarchie. In den deutschen Staaten besteht gegenwärtig nur die konstitutionelle Monarchie. II. Die Republik. Sie umfaßt alle nicht-monarchischen Staatsformen. Die Verfassungen sind sehr verschiedenartig, je nachdem die aristokratischen oder demokratischen Elemente überwiegen; oder je nachdem die Volksgemeinde selbst oder gewählte Vertreter das mit der Ausübung der Staatsgewalt betraute Organ bilden. Repräsentative und unmittelbare Demokratie. (Landsgemeinde). Referendum. § 6 Die Staatensysteme. I. Die Staaten der civilisierten Welt können ebensowenig wie die Individuen isoliert existieren und sich von einander abschließen. Es entwickelt sich unter den Angehörigen der verschiedenen Staaten ein reger und vielgestaltiger Verkehr; die Staaten selbst treten miteinander in sehr zahlreiche Rechtsverhältnisse; es entstehen gemeinsame und gelegentlich auch widerstreitende Interessen, übereinstimmende Kulturaufgaben und es entwickeln sich gewisse Regeln für das gegenseitige Verhalten der Staaten.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 32 R. Es entsteht hierdurch eine Gemeinschaft aller civilisierter Staaten und da jede Gemeinschaft eine Rechtsordnung erfordert und fortbildet ein diese Beziehungen regelndes Recht, das Völkerrecht. Die völkerrechtliche Gemeinschaft ist nicht organisiert; sie ist keine Gesammtperson, zu welcher alle Staaten rechtlich verbunden sind, es giebt kein Weltreich. Die verbindliche Kraft des Völkerrechts beruht nicht auf einem Befehl einer über den einzelnen Staaten stehenden Rechtsmacht, sondern auf dem alle Mitglieder der civilisierten Staatengemeinschaft beherrschenden ethischen Gefühl; auf dem Bewußtsein, daß der einzelne Staat die Vorteile dieser Gemeinschaft nicht genießen kann, wenn er sich der Völkerrechtsordnung nicht unterwirft. Eine Art contractus socialis im Sinn des späteren Naturrechts. Das Völkerrecht ist daher wirkliches Recht (?)39 mit verbindlicher Kraft, nicht – wie manche Juristen meinen – übereinstimmendes (auswärtiges) Staatsrecht der einzelnen Staaten oder bloß eine aus Klugheit und Anstand befolgte Übung. Aber es fehlt die Zwangsgewalt, die Rechtsprechung, die Vollstreckung. Schiedsgerichtsverträge. Es beruht zum größten Theil auf den unter den Staaten abgeschlossenen Verträgen und der völkerrechtlichen Übung. Es beschränkt die Souveränetät der einzelnen Staaten nicht, weil sie keiner höheren Gewalt und Herrschaft untergeordnet sind, sowenig wie die Freiheit des einzelnen Menschen beschränkt wird durch die von ihm abgeschlossenen Verträge und durch die Gebote der Ethik, des Rechts und der Sitte. Bl. 33 II. Innerhalb dieser allgemeinen Völkerrechtsgemeinschaft der Kulturstaaten giebt es unter ihnen besondere oder engere Verbindungen. Sie zerfallen ebenso wie die Vereinigungen der Menschen in zwei Kategorien, gesellschaftliche und korporative. Die ersteren sind Rechtsverhältnisse, die letzteren Rechtssubjekte. Bei den gesellschaftlichen Verbänden bleiben die Mitglieder souverain; ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten sind vertragsmäßige, völkerrechtliche. Bei den korporativen Verbänden sind die Mitgliedsstaaten zu einem einheitlichen Rechtssubjekt verbunden, sie sind einer über ihnen stehenden Gewalt rechtlich untergeordnet, also nicht souverain. Unter den gesellschaftlichen Verbänden unterscheidet man wieder folgende Arten: 1.) Verbindungen für einen konkreten Fall, namentlich zur Erreichung eines bestimmten politischen Zwecks, der societas unius rei entsprechend, dahin 39
Laband setzte auf Höhe dieser Passage später ein Fragezeichen an den Rand.
§ 6 Die Staatensysteme
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gehören Allianzen, Kriegsbündnisse oder auch Vereinigungen zu friedlichen Dingen, wissenschaftlichen, künstlerischen Unternehmungen und dgl. Bl. 33 R. 2. Vereinen zu dauernden, aber fest bestimmten Zwecken. Die bekanntesten Beispiele sind der Weltpostverein, der Telegraphenverein u. s. w. Sie haben in der Regel eine Organisation, d.h. ein Büreau für die laufenden Geschäfte und regelmäßige periodische Zusammenkünfte von Vertretern der betheiligten Staaten zur Erörterung gemeinsamer Angelegenheiten. Beschlüsse können in der Regel nur einstimmig gefaßt werden und handelnd treten nur die einzelnen Staaten nicht der Verein auf. 3. Der Staatenbund ist eine besonders innige Art der völkerrechtlichen Verbände; er ist für dauernde und wesentliche Staatszwecke bestimmt und seine Zuständigkeit ist daher eine umfassendere. Sie beruht in der Regel auf der geschichtlichen und nationalen Zusammengehörigkeit seiner Mitglieder; er ist daher eine politische Zwangsgenossenschaft seiner Mitglieder, d.h. Beitritt und Austritt steht nicht im Belieben der Einzelnen; er ist unkündbar und nicht auf bestimmte Zeit geschlossen. Er hat eine festere Organisation, insbesondere eine ständige Bundesversammlung. Bl. 34 Da die Mitglieder gleiche politische Interessen haben, oder haben sollen, kann der Bund nach Außen als Einheit, unter einem einheitlichen Namen auftreten. Man hat daher die Ansicht aufgestellt, der Bund sei nach Innen, d.h. im Verhältniß der Mitglieder zu einander ein gesellschaftliches, völkerrechtliches Verhältniß; nach außen, d.h. fremden Staaten gegenüber ein Rechtssubjekt. Dies ist logisch unmöglich. Der Staatenbund kann nicht nach außen Einheit, nach Innen Vielheit sein. Daß die Staaten unter einem gemeinsamen Namen handeln, macht sie nicht zu einem einheitlichen Subjekt; der Name entspricht nur der Firma der Gesellschaften des Privatrechts. Der Staatenbund ist gleichsam eine offene Staatengesellschaft. Der Staatenbund hat daher keine Hoheitsrechte; weder über die Staaten noch über deren Angehörige. Er hat kein Gebiet, keine Unterthanen, keine Gewalt. Es giebt keine Bundesgesetze. Wenn man auch die Bundesbeschlüsse bisweilen so nennt, so sind sie doch ihrer rechtlichen Natur nach nur völkerrechtliche Vereinbarungen und sie erhalten Gesetzeskraft erst durch die Sanktion der einzelnen Staaten für deren Gebiete. Ihre Nichtbefolgung seitens eines Mitglieds ist Vertragsbruch, nicht Verfassungsbruch; ihre Nichtbefolgung Seitens der Unterthanen ist Ungehorsam gegen die
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Staatsgewalt ihres Staats. Die Mitglieder des Bundesstaats40 sind souverän und nur vertragsmäßig gebunden und verpflichtet. Beispiele: Die Schweizer Eidgenossenschaft bis 1848; die nordamerikanische Union bis zur Verfassung von 1787; der Deutsche Bund von 1815– 1866 u.v. a.
Bl. 34 R. III. Die korporativen Staatenverbände Der zusammengesetzte Staat oder Staatenstaat. res publica composita. Mehrere Staaten sind einer über ihnen stehenden Staatsgewalt unterworfen, so daß also zwei Staatsgewalten bestehen, die obere oder Centralstaatsgewalt und die untere oder Partikular (= Einzelstaats=) Gewalt. Die erstere ist souverän, die letztere nicht, aber sie muß eine wahre Staatsgewalt, d.h. das Subjekt eigener Hoheitsrechte sein. Die letzteren können von sehr verschiedenem Umfang sein. Die Einzelstaaten sind von einer höheren, sie zusammenfassenden Staatsgewalt überwölbt. Ein solcher Staat kann entstehen entweder durch Zerbröckelung eines ehemaligen Einheitsstaats oder durch das Zusammenschließen früher unabhängiger, aber benachbarter und von gleichen Bedürfnissen erfüllter Staaten. Wenn dies auf Grund eines Vertrages erfolgt, so ist doch das Verhältniß kein vertragsmäßiges, völkerrechtliches, sondern ein verfassungsmäßiges, staatsrechtliches. Der Vertrag ist durch die Existenz des Gesammtstaates erfüllt und als solcher erloschen.
Bl. 35 Die Verfassung des Gesammtstaats kann verschieden sein. Es giebt namentlich zwei Arten: 1. Die hegemonischen Gesammtstaaten. Bei ihnen ist einer der Mitgliedstaaten der Träger der Gesammtstaatsgewalt oder der Oberherr über die anderen; so z. B. England in dem großbritannischen Gesammtreich. (Auch die Türkei) Verschiedener Umfang der hegemonischen Rechte. 2. Der Bundesstaat. Dies ist ein Gesammtstaat, bei welchem alle Gliedstaaten an an der souveränen Centralgewalt betheiligt sind. Sie bilden in ihrer Gesammtheit den Träger dem Staatsgewalt; sie haben Mitgliedschaftsrechte und nehmen an den Willensakten des Gesammtstaates Theil. Beispiele: die Vereinigten Staaten von Nordamerika, ferner von Südamerika, Brasilien, die 40
Dem inhaltlichen Zusammenhang nach müßte es hier „Staatenbund“ heißen.
§ 7 Die Funktionen der Staatsgewalt
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Schweiz, das Deutsche Reich und neuerdings Australien. Weite und wachsende Verbreitung dieser Staatsform. IV. Realunion. d.h. Vereinigung zweier Staaten unter einem Oberhaupt kraft einer beide Staaten verpflichtenden Rechtsvorschrift. Gegensatz zur Personalunion. Bl. 35 R. § 7 Die Funktionen der Staatsgewalt. I. Die Aufgaben und Zwecke des Staates lassen sich nicht durch Rechtsprinzipien bestimmen; philosophische oder politische Bestrebungen darüber haben für das Staatsrecht keine Bedeutung. Die Aufgaben des Staates wechseln nach den Kulturbedürfnissen und den politischen Verhältnissen. Es ist daher nicht möglich, einen Katalog von Geschäftskreisen oder Thätigkeitsgebieten aufzustellen, welche dem Staat obliegen. Doch kann man 5 große und allgemeine Kategorien aufstellen, die so weit sind, daß sie für die Staaten der Bedürfnisse aller Kulturvölker passen, der Staat hat nämlich zu sorgen: 1.) für den Rechtsschutz und den Frieden im Innern. (Rechtspflege) 2.) für die Förderung der Volkswohlfahrt. (innere Verwaltung) 3.) für die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten. (auswärtige Angelegenheiten) 4.) für die Vertheidigung von Volk und Land gegen Feinde und der Staatsordnung gegen Aufruhr (Militär- u. Marine). 5.) Für die Bereitstellung der Geldmittel, welche erforderlich sind, um diese Aufgaben lösen zu können. (Finanzen). Hieraus ergeben sich die verschiedenen Verwaltungszweige oder Ressorts. Bl. 36 II. Verschieden von dieser Abgrenzung der materiellen Thätigkeitsgebiete des Staates ist die Unterscheidung der Formen, in welcher der Staat seine Thätigkeit vollzieht. In dieser Beziehung hat schon Aristoteles drei Funktionen unterschieden; die Aufstellung der Regeln, Regierungsakte und Rechtsprechung. Diese Dreitheilung wird auch bei mittelalterlichen Schriftstellern erwähnt, in der feudalen Verfassung und den kirchlichen Einrichtungen hatte sie aber keine praktische Bedeutung. Erst Locke (two treatises of government 1689) hat wieder auf sie hingewiesen und ihre Bedeutung klar gestellt und Montesquieu (1748) hat seine politische Theorie darauf
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2. Teil: Staatsrecht
gestützt. Wir unterscheiden heut die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Die Unterscheidung ist eigentlich von den psychischen Thätigkeiten des Menschen hergenommen: Willensakte, welche Normen für das Handeln, abstrakte Regeln aufstellen; Handlungen zur Ausführung und Befolgung dieser Regeln; und Urtheile, ob die Handlungen den Normen entsprechen oder nicht. Diese Unterscheidung ist ohne praktische Bedeutung, wenn alle drei Funktionen von demselben Organ Bl. 36 R. in ungetheilter Zuständigkeit ausgeübt werden, wie im absoluten Staat. Es ist das Verdienst Montesquieu’s, die Nothwendigkeit einer Trennung dargethan zu haben. Montesquieu machte aus den 3 Funktionen drei verschiedene Gewalten, pouvoirs oder puissances und theilte die Staatsgewalt in drei voneinander selbständige Gewalten. Dies ist unmöglich. Dadurch würde die einheitliche Persönlichkeit des Staates zerrissen, seine Souveränität zerstört; seine Thätigkeit gelähmt. Die Staatsgewalt muß ebenso einheitlich sein, wie der Staat selbst. Die Theilung der Gewalten ist auch praktisch undurchführbar; denn es muß eine Macht im Staate geben, welche Konflikte und Gegensätze der drei Gewalten ausgleicht und Übergriffe derselben über ihre Zuständigkeitsgrenzen verhindert. Spätere Publicisten (B. Constant) haben deshalb eine 4 te Gewalt, die puissance régulatrice, hinzugefügt. damit ist aber die Theilung der Gewalten negiert; der pouvoir régulateur ist aber die eine, einheitliche, ungetheilte Staatsgewalt. Bl. 37 Richtig ist aber, daß die verschiedenen Funktionen des Staates durch verschiedene Organe ausgeübt werden müssen und daß für die Thätigkeit derselben verschiedene Formen und Voraussetzungen bestehen. Namentlich ist die Veränderung und Fortbildung der Rechtsordnung unter der Mitwirkung des Volkes oder eines vom Staatsoberhaupt unabhängigen Organes zu erfolgen und diese Thätigkeit durch besondere Vorschriften zu normieren. Ebenso ist die Rechtsprechung unabhängig zu machen von der Willkür und den Tendenzen des Staatsoberhauptes und des Verwaltungschefs und die Thätigkeit der Gerichte durch eine Prozeßordnung zu regeln. Endlich ist die Thätigkeit des Staates als handelnde Persönlichkeit, als Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten, als Regierung oder Geschäftsführung des Staates dem Staatsoberhaupt zustehend und von ihm vermittelst verantwortlicher Beamten zu führen.
§ 8 Die subjectiven öffentlichen Rechte
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Diese Unterscheidung ist der Kern des sogenannten konstitutionellen Systems, des Verfassungsstaates. Seine praktische Tendenz bestand in der Vernichtung der absoluten Fürstensouveränetät; seine Konsequenz führt zur absoluten Parlamentssouveränetät. Bl. 3841 § 842 Die subjectiven öffentlichen Rechte Jellinek, System der subjectiven öffentliche Rechte. Freib. 1892. I. Der Staat absorbiert die Rechtsfähigkeit seiner Angehörigen nicht; er läßt den Individuen sowie den Gemeinden, Korporationen, Verbänden eine Sphäre frei, in welcher sie nach eigener Selbstbestimmung schalten und walten können. Es besteht daher eine Abgrenzung der Staatsgewalt gegenüber den Rechtssphären der Individuen und Korporationen; ein Gebiet, in welches der Staat nicht eingreift, in welches seine Rechtsmacht nicht hineinreicht. Innerhalb dieses Gebietes bethätigt sich die Handlungsfreiheit der Einzelnen in unzähligen und mannigfachen Anwendungen. Dies sind aber nicht subjective Rechte der Einzelnen, sondern nur die Reflexwirkungen der objektiven Abgränzung der Staatsgewalt. Dies wird auch dadurch nicht geändert, daß das Verfassungsrecht – aus historisch-politischen – Gründen gewisse Grenzen der Staatsgewalt fixiert, gewisse Bethätigungen derselben fixiert ausschließt. Dies geschieht öfters in der Form der Gewährung von Grundrechten, Freiheitsrechten. Dieselben sind aber keine subjectiven Rechte, sondern nur Rückwirkungen objectiver Rechtssätze, Negationen von Freiheitsbeschränkungen. Negativer Status Sie sind nur Anwendungen der allgemeinen Handlungsfreiheit, deren Bethätigungen rechtlich unerheblich sind. Jeder rechtswidrige, gesetzlich nicht gestattete Eingriff der Verwaltungsbehörden widerspricht dem Wesen des Rechtsstaates. II. Eine zweite Gruppe von Befugnissen erweckt mit mehr Grund den Anschein von subjektiven öffentlichen Rechten. Die Organisation des Staates setzt die Antheilnahme der Unterthanen, Gemeinden und anderer Korporationen am staatlichen Leben voraus oder weist ihnen besondere Funktionen zu. Dahin gehören z. B. das Wahlrecht, die Theilnahme an parlamentari41 42
Helleres Papier als die vorigen Blätter. Letzte Fassung der hier mehrmals veränderten Paragraphenzählung.
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2. Teil: Staatsrecht
schen und anderen Körperschaften, die öffentlichen Rechte der Grundbesitzer oder bestimmter anderer Klassen , die Befugnisse der Selbstv u. s. w.
Bl. 38 R. Hier erscheinen äußerlich die Befugnisse, welche der Einzelne auszuüben berufen ist, als seine (subject.) Rechte. Indeß auch hier handelt es sich nur um Reflexe der staatlichen Ordnung. Diese Rechte sind nicht im Interesse der Einzelnen, sondern im Interesse des Staates begründet; sie wechseln mit der Veränderung der Staatsverfassung und folgen ihr wie dem Licht der Schatten; sie können ohne Zustimmung und ohne Entschädigung aufgehoben, verändert oder erweitert werden. Sie entstehen ohne Erwerbsact und gehen unter ohne Verzicht oder Entäußerung, wie die öffentlichen Pflichten. Activer Status. Das Wahlrecht ist gerade so der Reflex des Wahlgesetzes, wie das „Recht“ einer Gerichtsverhandlung zuzuhören der Reflex der Prozessordnung. III. Es scheint ist daher die Ansicht begründet zu sein aufgestellt worden, daß es öffentliche subjektive Rechte überhaupt nicht gebe, daß alle Befugnisse dieser Art nur thatsächliche Wirkungen der staatlichen Ordnung und deshalb vom Staat willkürlich und einseitig zu verändern seien. Dafür spricht scheinbar die formelle Omnipotenz des Staates, die ihm allerdings die Möglichkeit gewährt, unter Beobachtung gewisser Formen die gesammte Rechtsordnung umzugestalten und alle subjektiven Recht zu unterdrücken. Dessen ungeachtet ist dies unrichtig. Es giebt Rechte, deren einseitige Aufhebung, wenn auch formell möglich, als Rechtsbruch, als widerrechtliche Gewalt und Beschädigung, als revolutionäre oder despotische Maßregel erscheint; die, auch wenn sie gesetzlich ist, doch der Gerechtigkeit widerspricht. Solche Rechte können nur mit Zustimmung, event. Entschädigung der Berechtigten aufgehoben werden; sie stehen nicht zur Dispositon des Staates; sie sind folglich Rechte des Berechtigten, wenn er auch thatsächlich gegen eine widerrechtliche Entziehung nichts ausrichten könnte.
Bl. 39 Es fragt sich nun, wodurch unterscheiden sich diese Rechte von den bloßen Reflexbefugnissen (I. u. II.)? Es ist vergeblich, diesen Unterschied im Inhalt des Rechtes zu suchen; ebensowenig darin, ob sie gerichtlichen oder behördlichen Schutz finden, ob sie im Prozesswege geltend gemacht werden können oder dgl.
§ 9 Die Legitimität des Trägers der Staatsgewalt
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Der Unterschied besteht vielmehr auf der Art ihrer Begründung. Es kann eine bestimmte abgegrenzte individuelle Rechtssphäre der staatlichen Macht in der Art gegenübergestellt sein, daß der Berechtigte dem Staat gegenüber ein eigenes, selbständiges, der staatlichen Macht entrücktes Recht hat haben soll. Was regelmäßig nur Reflexbefugniß ist, kann zu einem, auf eigener Basis ruhendem Recht potenziert werden, so daß es nicht durch eine bloße einseitige Abänderung der staatlichen Ordnung ipso jure verschwindet, sondern daß es der Freiheit der staatlichen Willenaction eine auf sich selbst ruhende Schranke setzt. Diese besondere Qualifikation kann theils auf historischen Gründen, theils auf dem eigenen Willen des Staates beruhen, auf der Tendenz, es als subjectives Recht zu constituieren. Beispiele solcher öffentlicher Rechte sind: 1. das Monarchenrecht, der Anspruch auf den Thron. Dieses Recht beruht auf der historischen Entwicklung des Dynastenrechts; es ist älter als die moderne Staatsordnung, von ihr aufgenommen und als subjectives Recht der landesherrlichen Dynastien anerkannt worden. Vgl. auch Rehm. Modernes Fürstenrecht. München 1904. 2. die Rechte der Mediatisierten. Sie sind in der Bundesacte in der Tendenz constituirt worden, die Mediatisierten gegen die absolute Gewalt der Staaten zu schützen; es sollten selbständige Rechte gegen die Staaten sein. Auch hier ist der Grund ein geschichtlicher. Neuere Reichs- und Landesgesetze haben sie anerkannt und im Einzelnen mit den gegenwärtigen Rechtszuständen in Einklang gebracht. 3. Theilnahmerecht an ständischen Körperschaften (z. B. I. Kammer), die auf besonderen Titeln, erblicher Verleihung u. dgl. beruhen. (im Gegens. zu Abgeordneten). 4. Steuerprivilegien, z. B. von Eisenbahn-Unternehmern, gemeinnützigen Unternehmungen etc, im Gegensatz zu Steuerfreiheiten, die bloß der Reflex einer concreten Steuergesetzgebung sind. Im Bundesstaat sind die Reservatrechte subjective Rechte, die Mitgliedschaftsrechte Reflexrechte.
Bl. 40 § 9 Die Legitimität des Trägers der Staatsgewalt. Legitim ist der Herrscher eines Staates, welcher die Herrschaft nach Maßgabe des bestehenden Rechts erlangt hat. Der Begriff der Legitimität hängt mit dem des subjektiven öffentlichen Rechts zusammen. An u. für sich kann der Begriff zwar auch auf republi-
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2. Teil: Staatsrecht
kan. Staaten angewandt werden; da in diesen aber ein subjektives Recht auf die Oberhauptsstellung einzelnen Peronen nicht zukommt, so wird der Ausdruck nur von Monarchen gebraucht. Derjenige Monarch ist legitim, der ein subjektives Recht darauf hat, Träger der Staatsgewalt zu sein; illegitim ist der Inhaber der Staatsgewalt, welcher das subjektive Recht eines anderen durch Usurpation der Staatsgewalt verletzt. Auch möglicherweise ein Prinz des landesherrlichen Hauses. Vom republikanischen Gesichtspunkt versteht sich das sogen. Legitimitätsprinzip von selbst; als politischer Grundsatz kann es nicht rücksichtslos durchgeführt werden. I. Die Illegitimität kann in dreifacher Beziehung in Betracht kommen 1.) in privatfürstenrechtlicher, d.h. im Verhältnis des Usurpators zu dem Berechtigten. Die Usurpation ist nicht nur ein Bruch der objektiven staatlichen Rechtsordnung, sondern zugleich eine Verletzung des subjektiven Rechts des legitimen Thronanwärters. Dem letzteren und der berechtigten Dynastie gegenüber wird der Mangel der Legitimität erst geheilt, wenn diese den Usurpator entweder ausdrücklich oder in konkludenter Weise durch ihr Verhalten anerkannt und auf ihr Recht verzichtet haben.
Bl. 40 R. 2.) In völkerrechtlicher, d.h. im Verhältniß zu auswärtigen Mächten. Dieselben haben ein politisches Interesse einerseits an der Aufrechterhaltung der legitimen Staatsgewalt, andererseits an der Fortdauer des freundschaftlichen internationalen Verkehrs. Der Mangel der Legitimität wird gehoben durch die völkerrechtliche Anerkennung, Annahme und Entsendung von Gesandten u. s. w. Durch die Anerkennung wird der Usurpator als der berechtigte Vertreter des Staates im völkerrechtlichen Verkehr anerkannt; er hat Anspruch auf die üblichen Ehrenrechte und auf Unterlassung feindseliger Handlungen; namentlich dürfen Vorbereitungen zu seiner Bekämpfung und Verjagung nicht geduldet werden. 3.) In staatsrechtlicher Beziehung d.h. im Verhältniß zu den Behörden und Unterthanen. Dieselben sind dem legitimen Herrscher Gehorsam schuldig; die Unterstützung des Usurpators ist Hochverrath. Wenn aber der legitime Herrscher thatsächlich im ganzen Staatsgebiet oder einem Theile desselben der Staatsgewalt beraubt ist und diese vom Usurpator thatsächlich ausgeübt wird, so muß der Unterthan dem letztern gegenüber den staatlichen Gehorsam leisten.
§ 9 Die Legitimität des Trägers der Staatsgewalt
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Bl. 41 Denn der legitime Herrscher ist nicht der Eigenthümer des Staates, sondern ein Organ desselben; der Staat als solcher bleibt bestehen, wenn auch seine Verfassung verletzt wird. Der Monarch hat zwar ein Recht auf den Thron, aber er hat keinen Anspruch, daß wenn ihm die Ausübung der Staatsgewalt unmöglich gemacht ist, gar keine Staatsgewalt bestehe; denn die Existenz des Staates ist eine Nothwendigkeit. Kann der legitime Herrscher die ihm obliegenden Pflichten nicht ausfüllen, insbesondere die Unterthanen gegen den Usurpator nicht schützen, so kann er auch die obrigkeitlichen Rechte nicht ausüben. In staatsrechtlicher Hinsicht ist daher nicht der positive Rechtsanspruch, sondern der faktische Besitz der Staatsgewalt maßgebend. Gewöhnlich sucht aber der Usurpator eine staatsrechtliche Anerkennung Seitens der Unterthanen sich zu verschaffen, namentlich durch Volksabstimmung, Vereidigung, Huldigung, Beschluß einer Volksvertretung und dgl. In den deutschen Einzelstaaten würde eine Usurpation ohne Duldung der Reichsgewalt unmöglich sein. II. Wenn die illegitime Herrschaft beseitigt wird und der berechtigte Monarch die Staatsgewalt wieder erlangt, so entsteht die Frage, in wieweit die in der Zwischenzeit erfolgten staatlichen Handlungen rechtswirksam bleiben.
Bl. 41 R. In dieser Beziehung sind zwei Fälle zu unterscheiden, die ganz verschieden behandelt werden. 1. Die provisorische Regierung; sie trägt den Charakter der Unbeständigkeit, des Übergangs zu anderen dauernden Einrichtungen und legt sich selbst diesen Charakter bei. Wird sie wieder beseitigt, so erscheint sie lediglich als Besitzstörung, als unrechtmäßige Gewalt. Alle ihre staatlichen Akte sind daher nichtig und verlieren mit der Restauration des legitimen Herrschers ihre Wirksamkeit, insbesondere alle Gesetze, Ernennungen von Beamten, Veräußerungen von Staatsgut. Ausgenommen sind diejenigen staatlichen Akte, welche in Ausübung der vorgefundenen staatlichen Gesetze vorgenommen worden sind; insbesondere die Erhebung der Steuern, und gerichtlichen Urteile und Verfügungen. 2. Die Zwischenherrschaft hat den Charakter eines dauernden und geordneten Zustandes. Durch dieselbe wird die legitime Herrschaft zeitweilig beseitigt, nicht nur im Besitz gestört. Der Usurpator hat alle staatlichen Aufgaben zu erfüllen und demgemäß auch alle dazu erforderlichen staatlichen
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2. Teil: Staatsrecht
Machtmittel zu verwenden. Daher bleiben alle staatlichen Rechtsakte des Zwischenherrschers, Gesetze, Verordnungen, Staatsverträge, Ernennungen von Beamten, Staatsschulden, Veräußerungen von Staatsgütern u. s. w. in Kraft und Rechtswirksamkeit. Der wieder eingesetzte legitime Herrscher übernimmt den Staat in demjenigen Rechtszustande, in welchem er ihn vorfindet. Das bekannteste und wichtigste Beispiel einer Zwischenherrschaft ist die französische Revolution und die Regierung Napoleon’s I. in Frankreich und den eroberten Ländern, auch den deutschen. Lippe! Bl. 42 § 10 Das Staatsgebiet. I. Die früher herrschende Ansicht, daß die sogenannte Gebietshoheit einen besonderen, abgegränzten Bestandtheil der Staatsgewalt ausmache und bestimmte einzelne Befugnisse enthalte, kann man als beseitigt ansehen. Noch mehr veraltet ist die patrimoniale Anschauung, daß das Staatsgebiet dem Fürsten als dem „Landesherrn“ gehöre und ihm darum das sogen. Dominium eminens zustehe. Das Staatsgebiet bildet den räumlichen Machtbereich, innerhalb dessen der Staat seine Herrschaft entfaltet; die Gebietshoheit ist sonach die Staatsgewalt selbst; ihre räumliche Beschränkung ist eine Eigenschaft derselben, nicht ein Theil ihres Inhalts. Man hat demnach bestritten, daß das Gebiet als ein Objekt der Staatsgewalt angesehen werden könne; wenn das Gebiet die räumliche Schranke bilde, innerhalb dessen die Staatsgewalt ausgeübt werde, so könne es nicht als Objekt derselben angesehen werden. Das Gebiet habe für den Staat die „Raumfunktion“, dagegen habe das Objekt des Eigenthums die „Sachfunktion“ (Fricker). Vom Staatsgebiet, 1867. Gebietshoheit 1901. Allein dieser Gegensatz ist nur ein dialektischer, kein wirklicher. Beide Funktionen sind identisch oder bedingen sich gegenseitig. Auch das privatrechtliche Grundeigenthum kann eben sowohl als Raumfunktion wie als Sachfunktion gedacht werden. Daß im Bl. 42 R. positiven Recht die Sachfunktion anerkannt ist, beruht darauf, daß der Eigenthumsbegriff der gleiche für unbewegliche und bewegliche Sachen ist und bei den letzteren, welche den Raum wechseln, die die Auffassung des Eigenthums als Raumfunktion zu unnatürlich und zu gekünstelt wäre. Zwi-
§ 10 Das Staatsgebiet
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schen dem Grundeigenthum und der Gebietshoheit besteht dagegen in dieser Beziehung kein Unterschied; beide sind analog. Das sachliche Herrschaftsrecht am Gebiet bildet die historische Grundlage der Entwicklung des Staats; das Gebiet ist das dauernde, sich gleichbleibende, die staatliche Individualität bestimmende Moment. Die Möglichkeit einer staatlichen Herrschaft über Gebiete, deren Bewohner nicht staatsangehörig sind, z. B. über eroberte Länder, Schutzgebiete u. s. w. beweist, daß die Gebietshoheit ein selbständiges, von der korporativen Vereinigung der Staatsangehörigen begrifflich verschiedenes Recht des Staates, ein staatsrechtliches Sachenrecht ist. II. Die Gebietshoheit ist wie das Eigenthum eine ausschließliche und totale Herrschaft und macht sich daher in doppelter Richtung geltend, die man gewöhnlich als negative und positive bezeichnet, die aber innerlich eins, untrennbar mit einander verbunden sind. 1. Die erstere besteht in der Ausschließung jeder anderen koordinierten Staatsgewalt von demselben Territorium. Da sie sich gegen die anderen Staaten kehrt, so kann man sie als die völkerrechtliche Seite der Gebietshoheit bezeichnen. Bl. 43 Nach dem Völkerrecht wird in der That das Territorium eines Staats im Verhältniß zu anderen Staaten in völlig gleichartiger Weise wie das Eigenthum in privatrechtlicher Beziehung behandelt. Es giebt im völkerrechtlichen Verkehr am Gebiet einen Besitz und Besitzrechte, und es ist Gegenstand der Okkupation, Abtretung, des Tausches, des Kaufs, der Pacht, der Verpfändung, der Theilung. 2. Die positive Seite der Gebietshoheit besteht in der Befugniß des Staates, das Gebiet für die staatlichen Zwecke zu verwenden, darüber zu schalten und zu walten. Die Gebeitshoheit unterscheidet sich dadurch vom Eigenthum, daß sie eine staatliche Herrschaft ist, nur öffentlichrechtlichen Zwecken dient und obrigkeitliche Befugnisse enthält. Aus diesem Grunde können beide Herrschaften an demselben Objekt gleichzeitig nebeneinander bestehen. 3. Sowie das Eigenthum, so kann auch die Gebietshoheit beschränkt sein und zwar in doppelter Art: a) durch die Rechtsordnung des Völkerrechts, die comites nationum, durch die Rücksicht auf den wechselseitigen Verkehr der Völker und ihrer Angehörigen. Analogie der gesetzlichen Eigenthumsbeschränkungen. b) durch besondere völkerrechtliche Rechtsgeschäfte, durch welche sogen. Staatsservituten bestellt werden.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 43 R. III. Da im Deutschen Reich eine zweifache Staatsgewalt besteht, so giebt es auch eine doppelte Gebietshoheit. Die Staaten sind dem Reich mit Land und Leuten eingeordnet, Gebietshoheit haben sie insoweit behalten, als ihre Herrschaftsrechte geblieben sind; sie ist auf das Reich übergegangen, soweit das Reich die Hoheitsrechte der Staaten auf sich vereinigt hat. Die Kompetenzgrenze zwischen Reich und Einzelstaat grenzt zugleich die Gebietshoheit des Reichs am Reichsgebiet von der Gebietshoheit der Staaten am Staatsgebiet ab. Nach Art. 1 der R:V: giebt es kein Bundesgebiet, welches nicht einem Staate angehört, und kein Gebiet der zum Bunde gehörigen Staaten, welches nicht Bundesgebiet ist. Durch die Erwerbung von Elsaß-Lothringen ist aber dieses Prinzip modifiziert worden; das Reichsland ist ein Theil des Bundesgebiets geworden, ohne einer anderen Staatsgewalt als der des Reiches unterworfen zu sein. Eine weitere Abweichung von dem Grundsatz des Art. 1 RV. ist durch den Erwerb der Schutzgebiete erfolgt. Aus dem Art. 1 der RV ergiebt sich: 1. Die deutschen Staaten dürfen ohne Genehmigung des Reiches keine Gebietstheile an einen außerdeutschen Staat abtreten und außerdeutsches Land ihrem Gebiet nicht einverleiben. Dagegen steht eine Veränderung der Binnengrenzen ihnen frei. 2. Das Reich ist nicht befugt, ohne Zustimmung des betr. Staates Gebietstheile an eine auswärtige Macht freiwillig abzutreten oder die Binnengränzen zu verändern.
Bl. 44 § 11 Die Staatsangehörigen (Man kann zwar das „Volk“ als Gesammtheit nicht als ein Objekt der Staatsgewalt ansehen, da der Staat die rechtliche Organisation, die Personifikation des Volkes selbst ist;)?43 Das Volk ist kein Objekt wie das Gebiet, dagegen ist der Einzelne der Willensmacht dieser Staatspersönlichkeit unterworfen, er wird von ihr beherrscht und ist das Objekt dieser Herrschafts43
Der Satz wurde nachträglich eingeklammert und mit einem Fragezeichen versehen. Daneben erschien statt dessen der nachfolgend kursiv gedruckte Satz. Zu Labands Aversion gegen die etwa von Gierke vertretene allzu naturalistische Persönlichkeitsmetapher und die damit verbundene Volksstaatsfiktion und Volksgeistdoktrin vgl. Schlüter, Reichswissenschaft, Teil 5.
§ 11 Die Staatsangehörigen
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rechte. Sowie die Gebietshoheit ihr Analogon in dem Sachenrecht hat, so die Hoheit über die Menschen in dem familienrechtlichen Gewaltverhältniß. Die Unterwerfung des Einzelnen unter die Staatsgewalt erzeugt zunächst Pflichten; diesen Pflichten entsprechen aber, wie dies in dem Wesen des öffentlichen Rechts begründet ist, Rechte. Da auch Fremde, welche sich im Staatsgebiet aufhalten, der Staatsgewalt unterworfen sind, so haben auch sie, wenngleich in verschiedenem Grade, die Pflichten und Rechte der Unterthanen. II. Die Unterthanenpflichten. Sie lassen sich nicht in Verpflichtungen zu einzelnen Leistungen zerlegen und als solche aufzählen; sie sind aber auf zwei Grundformen zurückzuführen: Gehorsam und Treue. Bl. 44 R. 1. Die Gehorsamspflicht. Der Unterthan ist den Befehlen der Staatsgewalt Gehorsam schuldig. Dieser Gehorsam hat keine anderen Grenzen als wie sie der Staatsgewalt gezogen sind, d.h. wie sie der Staat selbst mit Rücksicht auf seine möglichen und vernünftigen Zwecke sich zieht. In abstracto oder ideell ist daher die Gehorsamspflicht eine vollständige, die Leistungsfähigkeit des Unterthanen absorbierende und seine Freiheit vernichtende; in Wirklichkeit aber verlangt der Staat nur ein bestimmt abgemessenes Quantum von Leistungen und legt der Handlungsfreiheit nur bestimmte Beschränkungen auf. Die Feststellung dieses Maßes ist nicht dem Belieben der Behörden überlassen und erfolgt nicht für den einzelnen Fall, sondern die Leistungspflichten und Freiheitsbeschränkungen sind durch Gesetze allgemein, abstrakt bestimmt. Die Behörden können den Unterthanen nur anhalten zu Leistungen und Unterlassungen, soweit sie durch Gesetze ermächtigt sind, und unter Beobachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Formen. Die Gehorsamspflicht ist eine gesetzmäßige. Hierin besteht das Wesen des Rechtsstaates. Die Behörden sind nicht nur darauf beschränkt, die Befehle zu erlassen, sondern sie können die Befolgung derselben erzwingen und das Vermögen, die Freiheit, ja Leib und Leben des Unterthanen antasten oder vernichten. Diese Unterwerfung unter die Gewalt des Staats wird aber nicht als Minderung des Rechts und der Freiheit, sondern als sittliche und rechtliche Bl. 45 Nothwendigkeit empfunden, weil sie nur zu dem Zwecke besteht, um dem Einzelnen Rechtsschutz im Inneren und im Auslande und eine den Kulturund Wirthschaftsverhältnissen entsprechende Existenz zu verschaffen. Maxime der Coexistenz.
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2. Die Treuverpflichtung. Sie ist die Rechtspflicht zur Unterlassung von Handlungen, welche auf die Beschädigung des Staates abzielen. Handlungen dieser Art sind Unrecht. Juristische Folgen hat nur der Treubruch. Der Staat bestraft zwar auch feindliche Handlungen, welche Ausländer gegen ihn verüben, aber nur wegen des politischen Interesses, sich durch Strafdrohungen gegen sie zu schützen; Verrath im eigentlichen Sinne setzt eine Treupflicht voraus. Daß die Pflicht zur Treue eine selbständige, von der Gehorsamspflicht verschiedene Pflicht ist, zeigt sich deutlich, wenn der Staatsangehörige im Auslande wohnt; in diesem Falle besteht die Pflicht zur Treue gegen den Heimatstaat fort, während der Gehorsam dem Staat des Aufenthaltes geschuldet wird. III. Die Unterthanenrechte. Den staatsbürgerlichen Pflichten entspricht der Anspruch des Unterthan auf die Erfüllung der Aufgaben, welche der Staat seinen Angehörigen gegenüber übernommen hat und zwar sowohl nach Außen als im Innern. ,sowie der Anspruch auf die verfassungsmäßige Theilnahme an dem staatlichen Leben selbst. Ist aber kein subjektives Recht, siehe unten. Diese Rechte lassen sich daher auf zwei Begriffe zurückführen. 1. Schutz im Auslande. RV. Art. 3 Abs. 6 bestimmt: „Dem Auslande gegenüber haben alle Deutschen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reiches.“, also nicht bloß die Einzelstaaten, sondern auch der einzelne Deutsche. Der Schutz wird gewährt durch Gesandtschaften und Konsulate und nötigenfalls durch die militärischen Machtmittel. Der Einzelne hat allerdings kein Rechtsmittel zur Erzwingen dieses Schutzes; die Gewährung desselben hängt von politischen Erwägungen und Rücksichten ab; die Gewährung – namentlich durch Gesandte und Konsule – ist aber keine Gnade, sondern Erfüllung einer staatlichen Rechtspflicht. 2. Das sogen. Wohnrecht. Der Angehörige des Staates hat das Recht, sich im Staatsgebiet aufzuhalten und an den Wohlthaten des staatlichen Gemeinwesens Theil zu nehmen, seine Lebensinteressen unter dem Schutz der Gesetze und Behörden zu fördern. Fremde genießen zwar auch diesen Schutz und werden im Staatsgebiet geduldet, aber sie haben kein Recht darauf. Der Staatsangehörige darf aus dem Staatsgebiet nicht ausgewiesen und in keinem Falle einem ausländischen Staat ausgeliefert werden. Im deutschen Reich gelten diese
Bl. 46 Grundsätze für die Angehörigen aller Bundesstaaten im ganzen Bundesgebiet. Es besteht nach Art. 3 der RV. ein sogen. Bundesindigenat, d.i. der
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Grundsatz, daß die Angehörigen eines Bundesstaates in allen anderen Bundesstaaten den eigenen Staatsangehörigen gleich behandelt werden müssen. Freizügigkeit. Niederlassungsrecht. Gewerbebetrieb. Handelsvertrag. Durch einen sogen. Niederlassungsvertrag können auch Angehörigen anderer Staaten gleiche Rechte in gewissem Umfange eingeräumt werden. 3. Antheilnahme an dem Verfassungsleben des Staates u. resp. Reiches, insbesondere Wahlrecht, Wählbarkeit, Fähigkeit zu gewissen Ämtern, Übernahme staatlicher Funktionen (Geschworene, Schöffen, u. s. w.) IV. Da im Deutschen Reich die Staaten der Reichsgewalt untergeordnet sind, so haben die Staatsangehörigen Rechte und Pflichten nicht nur gegen ihre Staaten, sondern auch gegen das Reich. Die Kompetenzgränze zwischen Reich und Einzelstaat bildet auch hier die Abgränzung. Aus dem Grundsatz, daß das Reich eine staatliche Einigung der deutschen Staaten ist, ergiebt sich, daß das Staatsbürgerrecht das primäre Verhältniß ist und ohne weiteres das Reichsbürgerrecht nach sich zieht. Wer Bl. 46 R. einem deutschen Staate angehört, ist zugleich reichsangehörig; es bedarf keines besonderen Erwerbsaktes der Reichsangehörigkeit. Andererseits ist die Staatsangehörigkeit die wesentliche Voraussetzung der Reichsangehörigkeit; man kann nicht reichsangehörig sein, ohne einem deutschen Einzelstaat anzugehören. Nur für die Schutzgebiete besteht eine Ausnahme; (RG. v. 15. März 1888 § 6); die Schutzgebietsangehörigkeit vertritt die Staatsangehörigkeit. Über Elsaß-Lothr. siehe unten. Unmittelbare Reichsangehörigkeit nach dem Ges. v. 22. Juli 1913 (namentlich für Personen, die sich nicht im Inlande niederlassen.)44 Derjenige, welcher aufgehört hat, einem Deutschen Staate anzugehören, bleibt auch nicht reichsangehörig; man kann sich nicht eine, durch keine Staatsangehörigkeit vermittelte Reichsangehörigkeit vorbehalten. Dagegen kann man innerhalb des Reichs die Staatsangehörigkeit wechseln, ohne daß dadurch die Reichsangehörigkeit berührt wird. Man kann gleichzeitig mehreren deutschen Staaten angehören. Da die wesentlichen politischen Interessen für alle deutschen Staaten dieselben 44 Das neue Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz v. 22. Juli 1913 veranlaßte Laband zu dieser Anmerkung und darüberhinaus zu einer Totalstreichung ab Bl. 47. Als Ersatz legte er seinen gedruckten Nachtrag zum „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ bei, der über die neue Rechtslage Auskunft gab.
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2. Teil: Staatsrecht
sind, namentlich dem Auslande gegenüber das Reich die Interessen aller wahrt, so kann die gleichzeitige Zugehörigkeit zu mehreren Staaten keine erhebliche Kollision der Gehorsams- und Treuverpflichtung begründen. Hiermit im Zusammenhang steht der Rechtssatz, daß jeder Angehörige eines deutschen Staates in jedem anderen deutschen Staate, in welchem er seine Niederlassung bewirkt, die Aufnahme als Staatsbürger verlangen kann. RG v. 1. Juni 1870 § 7. Bl. 47 § 12 Der Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit45
Bl. 57 II. Kapitel Die Staatsverfassung Bl. 58 30. Mai III. II. Kapitel. Die Organisation Verfassung des monarchischen Staates. I. Abschnitt. Das Staats-Oberhaupt. § 13 Begriff und staatsrechtliche Stellung des Monarchen. I. Der Monarch ist der Träger der Staatsgewalt; in ihm wird nach Gerber’s Ausdruck die abstrakte Persönlichkeit der Staatsgewalt verkörpert; „das Herrschaftsrecht des Staates gestaltet sich in seiner Hand zum persönlichen Herrschaftsrecht.“ V. Gerber § 25. Er wird daher als Subject der Gebietshoheit betrachtet und nach der älteren patrimonialen Staatsauffassung als „Landesherr“ bezeichnet und ihm sind die Staatsangehörigen unterthan und zu Treue und Gehorsam verpflichtet; er persönlich wird als ihr Herr be45
Bl. 47 (fälschlicherweise als Bl. 49 archiviert) bis 49 R. ist vollständig durchgestrichen und stattdessen ein für des „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ gedruckter Nachtrag zum neuen Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 beigelegt. Da Laband ab Bl. 47 die Regeln des Erwerbs und Verlustes der Staatsangehörigkeit nach dem Reichsgesetz v. 1. Juni 1870 darstellt, welche in sehr ähnlicher Weise auch im „Staatsrecht des Deutschen Reiches“, 1. A. Bd. 1 §§ 17, 18, S. 162 ff. dargelegt werden, wurde auf den Abdruck dieser Passage verzichtet.
§ 13 Begriff und staatsrechtliche Stellung des Monarchen
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zeichnet. Gegensatz der älteren patrimonialen Auffassung als „Landesherr“ und der neueren als „Staatsoberhaupt“. Zur näheren juristischen Feststellung dieses Begriffes gehören folgende Rechtssätze: 1. Der Monarch ist nicht Herr des Staates in dem Sinne, daß der Staat seiner Willensmacht als Object unterworfen ist; der Monarch steht nicht über dem Staat d.h. außerhalb desselben, sondern er steht in dem Staate als oberstes und höchstes Organ desselben; er wird daher ganz treffend als Oberhaupt des Staates bezeichnet. Nach dem älteren deutschen Staatsrecht hatte allerdings der Landesherr eine patrimoniale Herrschaft über Land und Leute; diese Auffassung ist aber allmählig in den größeren Staaten, später auch in den mittleren durch die organische Staatsauffassung verdrängt worden und seit dem Anfang dieses Jahrhunderts völlig verschwunden. In der neuesten Litteratur wieder aufgefrischt worden (Seydel, Bornhak u. a.). Bl. 58 R. Die praktisch wichtige Consequenz dieser Veränderten Auffassung besteht darin, daß die allgemeine rechtliche Ordnung des Staates auch die Stellung des Monarchen mit umfasst, und die Art ihrer Ausübung und die Gränzen ihrer Befugnisse normirt. Das Recht des Monarchen steht nicht außerhalb des Staatsrechts sondern bildet einen Theil desselben. 2.46 Obwohl nun der Monarch innerhalb der Rechtsordnung, nicht über derselben steht, so ist doch sein Recht kein abgeleitetes, sondern ein eigenes. In Deutschland beruht das Recht durchweg auf der historischen Entwicklung des Fürstenthums. Die patrimoniale, grundherrliche und Unterthanengewalt der Fürsten hat sich zwar in die obrigkeitliche Stellung des Staatsoberhaupts umgewandelt, aber sie bildet noch gegenwärtig den historischen Rechtstitel der Fürstensouveränetät. Die landesherrliche Gewalt des alten Rechts ist nicht cassirt worden und gleichsam von Neuem den Häuptern der fürstlichen Familien erblich übertragen worden, sondern sie ist ihrem Rechtsgrunde nach unverändert und ununterbrochen bei Bestand geblieben und hat nur ihren staatsrechtlichen und politischen Charakter modifizirt. Die Ursprünglichkeit und Unabhängigkeit des Monarchenrechts bildet die wesentliche Unterscheidung desselben von der rechtlichen Natur aller Beamtenrechte, auch von dem Präsidenten einer Republik. Die letzteren, mögen ihre Machtbefugnisse auch noch so ausgedehnt sein, leiten dieselben von einem anderen Berechtigten ab; 46 Die Zählung und Gliederung der Abschnitte ab 2. wurde mindestens einmal geändert. Wiedergegeben ist die erkennbar letzte und schlüssige Fassung.
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2. Teil: Staatsrecht
der Monarch herrscht propio jure. Es ist der juristische Sinn der Formel „von Gottes Gnaden“. Der Landesherr ist nicht Unterthan des Staates, sondern Oberhaupt desselben. Er hat ein subjectives Recht auf den Thron (In . . . Staaten kann dies sich anders verhalten). Bl. 59 3. Der Monarch ist das höchste Organ im Staate in dem Sinne, daß der Staatswille nicht anders zur Erscheinung und rechtlichen Existenz kommen kann als in der Gestalt des Willens des Monarchen. V. Gerber § 25 sagt: „Sein Wille soll als allgemeiner Wille, als Wille des Staates gelten.“ Dies ist unrichtig; der Wille des Staates wird als Wille des Monarchen zur äußeren Erscheinung gebracht, in die Form des persönlichen Willens des Monarchen gekleidet. Pufendorf sagt: In Monarchia Civitas velle intelligito quodcumque principi placuit. Es ist nun zwar denkbar, daß in einem Staate mehrere von einander unabhängige Organe bestehen, welche zusammengenommen den staatlichen Willen produziren und verwirklichen; eine solche Verfassung ist aber keine wirklich monarchische, denn es ist nicht eine physische Person das souveräne Organ. Eine Theilung der Gewalten im Montesquieu’schen Sinne, d.h. daß die Staatsgewalt nach verschiedenen formellen oder materiellen Richtungen zerlegt und an mehrere von einander unabhängige Organe vertheilt wird, ist logisch und praktisch unmöglich. Nach dem deutschen Recht erstreckt sich die Befugniß des Monarchen auf den gesamten Umfang der Staatsgewalt; die ungetheilte und untheilbare Staatspersönlichkeit und die ebenso untheilbare Staatsgewalt findet in dem Monarchen ihren Repräsentanten. Sogen. Monarchisches Prinzip. 4. Das Recht des Monarchen ist ein öffentlichrechtliches, d.h. ein obrigkeitliches; es ist untrennbar verbunden mit der Regentenpflicht; es entspricht in dieser Art dem Begriff des Amtes und ist in Wahrheit das höchste und vornehmste Amt. Nach Friedrich des Großen Ausdruck ist der Fürst le premier magistrat. Das Recht Bl. 59 R. des Monarchen besteht demnach nicht in seinem persönlichen Interesse sondern in dem des Staates und sowohl der Inhalt des Rechtes wie die Art der Ausübung wird durch diese Rücksicht bestimmt. Man muß daher unterscheiden zwischen dem Recht des Monarchen als objective Institution des öffentlichen Rechts, d.h. als Inbegriff der Monarchenbefugnisse und Pflichten und dem subjectiven Recht auf Innehabung der Monarchen-Berechti-
§ 13 Begriff und staatsrechtliche Stellung des Monarchen
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gung; die letztere hat keinen amtlichen, institutionellen Charakter, ihr entspricht staatsrechtlich keine Pflicht; sie geht der Rechtsstellung des Monarchen lediglich als vorbereitende Rechtsbeziehung voraus und es kommt in jedem einzelnen Falle erst noch darauf an, ob dieser, an der individuellen Person haftende Anspruch durch wirkliche Thronbesteigung realisirt wird. 5. Mit dieser Concentration der ungetheilten Staatsgewalt in dem Monarchenrecht ist aber nicht dem letzteren der Charakter der absoluten Unumschränktheit gegeben. Zunächst sind alle aus der Natur des Staates und aus der positiven Gesetzgebung des Staates sich ergebenden [x] Beschränkungen der Staatsgewalt an sich auch rechtliche Beschränkungen; der Monarch darf nichts thun und kann rechtlich nichts wollen, was der Staat nicht selbst thun und wollen darf. Sodann aber kann der Monarch bei der Erzeugung des staatlichen Willens selbst und bei der Durchführung der Willensacte an beschränkende Voraussetzungen und Formen gebunden sein; insbesondere an die Zustimmung der Volksvertretung und an die materiell und formell gesetzmäßige Thätigkeit der Behörden innerhalb ihrer Kompetenz, ja es ist in der Regel das persönliche Eingreifen des Monarchen in die gewöhnliche Thätigkeit des Staates ganz untersagt.
Bl. 60 II. Der Monarch erschöpft seine menschliche Qualität nicht durch seine staatsrechtliche Function; er steht auch in dieser Hinsicht dem Beamten gleich, dessen Rechts- und Handlungsfähigkeit durch die Amtsthätigkeit nicht erschöpft wird. In dem Monarchen sind daher 2 Personen, d.h. Rechtssphären zu unterscheiden, die öffentliche und private, oder die staatliche und menschliche. Jede hat ihren gesonderten Rechtskreis, ihre eigenthümliche Machtsphäre. Nur was der Monarch als Organ des Staates will, hat staatsrechtliche Bedeutung und nur die Befugnisse, welche ihm als Repräsentanten des Staates zustehen, sind öffentlich-rechtlicher Natur. Der Privatwille des Monarchen kann mit seinem staatlichen Willen in Widerspruch stehen oder mit ihm zusammenfallen, er ist immer staatsrechtlich irrelevant. Besonders deutlich tritt der Widerspruch der beiden Sphären zu Tage, wenn man den Monarchen als Träger der staatlichen Finanzgewalt und Repräsentanten des Fiskus dem Monarchen als Herrn seines Privatvermögens gegenüberstellt oder die Thronfolge mit der Vererbung des Privatvermögens vergleicht. Aber nicht nur in vermögensrechtlicher Hinsicht, sondern in Beziehung auf den vollen Umkreis der persönlichen Handlungsfähigkeit, tritt dieser Dualismus hervor. Für das Staatsrecht kömmt selbstverständlich der Monarch als Organ des Staates oder in seiner amtlichen und obrigkeitlichen Function in Betracht; indessen ist diese letztere nicht einflußlos auf die persönliche (menschliche) Rechtsstellung des Monarchen; sie bewirkt vielmehr
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2. Teil: Staatsrecht
gewisse sehr erhebliche Modifikationen des sonst geltenden allgemeinen Rechtes. Bl. 60 R. § 14 Die Regierungsrechte des Monarchen. I. Der Staat ist eine juristische Person und der Monarch ihr oberstes Organ; daraus ergiebt sich, daß die rechtliche Stellung des Monarchen auf dieselben allgemeinen Begriffskategorien zurückzuführen ist, die für die Organe juristischer Personen überhaupt maßgebend sind. Hierfür ist nun die Unterscheidung zwischen der Rechtsbeziehung nach Innen, d.h. zur jurist. Person selbst, und die Rechtsbeziehung nach außen, d.h. gegen dritte Personen von Bedeutung; die ersten bezeichnet man als die Geschäftsführung, die letzteren als die Vertretung. Diese beiden Begriffe finden auch auf den Staat, wie auf alle Personen des öffentlichen Rechts vollkommen Anwendung; nur ist der factische Thatbestand, auf den sie angewendet werden und der gleichsam die lebendige Ausfüllung der abstracten Begriffskategorie liefert, ein wesentlich anderer. 1 Die Geschäftsführung: dieselbe wird vorzugsweise mit dem Namen Regieren bezeichnet. Die Geschäfte sind selbstverständlich keine nicht blos solche des Vermögensverkehrs, sondern vorzugsweise solche des staatlichen Lebens. Die Regierung umfaßt die gesammte Thätigkeit, welche auf die Realisierung der Staatsaufgaben und auf die Förderung des Staatswohls gerichtet ist; die Gesammtsumme aller geistigen und körperlichen Arbeit, welche zur Erreichung dieser Zwecke verwendet wird. Dem Monarchen liegt der Idee nach diese ganze Aufwendung ob. Wenn man sich einen kleinen Staat von primitiven Verhältnissen denkt, so kann er auch in der That Bl. 61 diese Anforderungen erfüllen. In Wirklichkeit stehen ihm aber die Behörden und Beamten als Gehülfen zur Verfügung; der Wirkungskreis derselben ist planmäßig geregelt und abgegränzt, und dem Monarchen ist es nicht nur gestattet, sich dieser Gehülfen bei der staatlichen Geschäftsführung (Regierung) zu bedienen, sondern er ist nach der gesetzlichen Ordnung des Staates hierzu verpflichtet; der Monarch muß mittelst des gesetzlichen Behörden-Apparats regieren. Daß aber den obersten Rechtsgedanken nach als der eigentliche Führer der Regierungsgeschäfte immerhin der Monarch anzusehen ist, kommt in dem Recht des Monarchen, die Beamten zu ernennen, sie zur Disposition zu stellen und zu versetzen, so wie in dem Recht, ihnen Dienstinstructionen (Verwaltungs-Verordnungen) zur ertheilen, vollkommen
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zur Realisierung. Gegensatz gegen die Volksvertretung, die nie etwas befehlen kann. 2. Die Vertretung. Der Monarch vertritt den Staat activ und passiv gegen alle dritte Personen,; und das wird wieder in doppelter dreifacher Richtung verwirklicht: a.) gegen andere Staaten, also in völkerrechtlichem Verkehr. Der Monarch empfängt und entsendet Gesandtschaften, hat das Recht der Kriegserklärung, schließt mit anderen Staaten als Repräsentant des eigenen Verträge ab, durch welche nicht er für seine Person und seine Habe, sondern der Staat als juristische Person verpflichtet und berechtigt wird. b.) gegen die Unterthanen des eigenen Staates; also in staatsrechtlicher Beziehung, in allen Fällen, in denen der Unterthan als Einzel-Person dem Staat als solchem gegenübergestellt, als Object der staatlichen Hoheitsrechte betroffen wird. Alle Gesetze, richterliche Urtheile und staatliche Befehle ergehen daher im Namen des Bl. 61 R. Monarchen und erscheinen als Befehle, die er persönlich oder der von ihm ernannte und delegirte Beamte an seiner Stelle erläßt. Das Staatsgesetz ist formell ein Gesetz des Königs, das gerichtliche Urtheil ein im Namen des Königs gesprochenes u. s. w. 3. Diesen Befugnissen und Pflichten entsprechend hat der Monarch die Verfügung über die physischen Machtmittel des Staates, insbesondere über die Armee und Flotte. Die juristische Form hierfür ist der militärische Oberbefehl und die Pflicht der Militairpersonen zum Gehorsam und zur Treue gegen die individuelle Person des Monarchen. Ebenso hat der Monarch aber auch die rechtliche Verfügung über andere Machtmittel des Staates, z. B. Polizeimannschaften, Gendarmerie u. dgl. und dasselbe gilt auch von den finanziellen Hilfsmitteln des Staates, obwohl sich dies äußerlich von dem allgemeinen Regierungsrecht (Finanzverwaltung) nicht trennen läßt. II. Im Deutschen Reich ist die Stellung des Monarchen in den einzelnen Staaten zwar prinzipiell die im Vorhergeheneden geschilderte; sie ist aber dadurch modifizirt, daß die Staaten selbst nicht mehr souverain, sondern einer höheren staatlichzen Gewalt unterworfen sind. Die Landesherrn sind daher nicht Organe einer souverainen Staatspersönlichkeit, sondern einer blos autonomen, rechtlich begränzten. Nur soweit die Reichsverfassung die Kompetenz der Einzelstaaten hat bestehen lassen, reicht auch die Regierungsgewalt der Landesherrn; der Begriff des Monarchenrechts kömmt aber auch hier insofern zur vollen Anerkennung, als es sich mit dem Umfang und Inhalt der Landes-Staatsgewalt in abstracto vollkommen deckt.
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Bl. 62 § 15 Die persönlichen Rechte des Monarchen I. Der Monarch steht zwar innerhalb der staatlichen Rechtsordnung und ist ihr unterworfen, er ist nicht legibus solutus; aber da er selbst der Träger der Staatsgewalt und das höchste Organ des Staates ist, so kann es kein Organ geben, welches gegen die Person des Monarchen die Staatsgewalt zur Geltung bringen und ausüben könnte. Es sind aber hier 3 Rechtsgebiete zu unterscheiden, das privatrechtl., das strafrechtl. u. das Staatsrechts l.) In privatrechtlicher Beziehung. Dieser Satz findet keine Anwendung auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse des Monarchen, indem man sein Vermögen durchweg als von seiner öffentlich-rechtlichen Persönlichkeit getrennt auffaßt und das fürstliche Vermögen dem Fürsten in ähnlicher Art gegenüberstellt wie der Fiskus dem Staat. Das Vermögen des Fürsten wird von seinem Herrn losgelöst gedacht und äußerlich äußerlich wie eine juristische Person des Privatrechts behandelt, obwohl in Wahrheit eine juristische Person hier nicht anzunehmen ist. In allen privatrechtlichen Angelegenheiten steht der Monarch daher nicht nur unter den allgemeinen Landesgesetzen, sondern auch unter der Jurisdiction der Landesgerichte und dieselben können ihre Urtheile gegen die landesherrliche Privatkasse auch im Zwangsverfahren vollstrecken. Anderer Ansicht v. Gerber § 26. Nur gegen die Person des Monarchen ist freilich keinerlei gerichtlicher Zwang, weder zur Gestaltung noch zur Zahlung zulässig. Dagegen kömmt die souveraine Stellung des Monarchen zur Anerkennung: 2. in strafrechtlicher Beziehung. Wenn der Monarch eine Handlung verübt, welche den Thatbestand eines Delictes erfüllt, so kann gegen ihn keine Untersuchung eingeleitet oder Strafe vollstreckt werden. Ebensowenig können die Polizei- oder Verwaltungsbehörden gegen ihn einschreiten und wegen Nichtbefolgung von Gesetzen oder Verordnungen einen Administrativzwang gegen ihn ausüben.
Bl. 62 R. 3. In politischer staatsrechtlicher Hinsicht kann der Monarch nicht wegen Verletzung der Verfassung oder wegen Mißregierung zur Verantwortung gezogen werden; er ist wie die deutschen Verfassungen sagen „unverantwortlich“. „Der König kann nicht Unrecht thun.“ In Wahrheit bedeutet dies: es giebt kein Organ im Staat, das ihn zur Verantwortung ziehen und aburtheilen könnte.
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Gerade aus diesem Grunde aber ist die staatliche Handlungsfähigkeit des Monarchen beschränkt; es bedarf für alle Regierungshandlungen der Contrasignatur eines Ministers; welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. Diese Contrasignatur ist der auctoritatis interpositio des Vormundes zu vergleichen; sie bildet die Ergänzung der unvollkommenen staatsrechtlichen Handlungsfähigkeit des Monarchen. II. Die erhabene Stellung des Monarchen im Staate kömmt zur Geltung und Anerkennung durch einen besonderen Rechtsschutz seiner Person und durch gewisse Ehrenrechte. 1. Der Souverain ist unverletzlich oder wie einige Verfassungen (die sächs.m württemb., badische u. a.) sagen: heilig d.h. jedes Unternehmen, welches darauf abzielt den König zu tödten, gefangen zu nehmen, in Feindes Gewalt zu liefern oder zur Regierung unfähig zu machen, ist Hochverrath und mit schweren Strafen bedroht. St.G.B. § 80, 81. Bayerische Verfassung Tit. II § 1, des Königs Person ist heilig und unverletzlich. Ebenso sächs. Verf. § 4, Württemb. Verf. § 4, badische Verf. § 5, Oldenb. § 3. Ebenso ist jede Ehrfurchtsverletzung gegen den Monarchen als Majestätsbeleidigung zu strafen; sie hat einen anderen strafrechtlichen Thatbestand als die Injurie. R.G.B. § 94 ff. Nur dann strafbar, wenn die Beleidigung in der Absicht der Ehrverletzung, böswillig und mit Überlegung begangen wird. Mildernde Umstände zulässig; geringes Strafminimum (bis 1 Woche). Verfolgung verjährt in 6 Wochen. Ist die qualifizierte Beleidigung ausgeschlossen, so finden die gewöhnlichen Regelungen über Beleidigung Anwendung. Notwehr.
Bl. 63 Ehrenrechte (insbesondere in Preußen) 1. Die Titulatur. (Königr.: Majestät; Großherzoge kgl. Hoheit; Hoheit der regierende Herzog; Durchlaucht die Fürsten.) Große, mittlere, kleine Titel. 2. Wappen. Großes, mittleres, kleines Wappen (preuß. Adler). 3. Insignien bei feierlichen Gelegenheiten. Krone, Zepter, Reichsapfel, Reichsschwert. 4. Landestrauer beim Ableben des Königs oder der Königin. (Pr. Ges. v. 14. April 1903). 14 Tage lang Läuten mit den Kirchenglocken von 12–1. Verbot öffentlicher Lustbarkeiten, Musikaufführungen, Schauspielvorstellungen 4 Tage lang vom Sterbetage an und vom Tage der Beisetzung. 5. Kirchengebet, Glockenläuten.
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6. Hofstaat. Privatrechtliche Dienstverhältnisse. Titel und Ehrenstellungen. Behördencharakter. 7. Militärische Ehrenrechte. Keine Ehrenrechte: Verleihung von Orden und Titeln. (Hoflieferanten). Pekuniäre Rechte. Krondotation (17.719296 M.) 2. Hausfideikommiß. Krontresor. 3. Steuerfreiheit Bl. 64 2.) Die eigentlichen persönlichen Ehrenrechte oder sogen. Majestätsrechte sind eine entsprechende Titulatur (Majestät, Kgl. Hoheit der Großherzoge, Hoheit der regierenden Herzoge, Durchlaucht der Fürsten), Wappen und Insignien – Erwähnung im Kirchengebet und Landestrauer – Hofstaat (Ertheilung von Adelsprädikaten, Titeln und Orden) Hoflieferanten, Milit. Ehrenrechte. III. Pekuniäre Ausstattung Der Monarch erhält aus den Mitteln des Staates eine Summe zur Bestreitung der Kosten, welche die Hofhaltung erfordert. Dieser Hofhalt ist nicht nur ein persönliches Bedürfnis des Souverains, sondern ein staatliches Erforderniß; die völkerrechtliche und staatrechtliche Stellung des Monarchen legt ihm Repräsentationspflichten auf. Die pekuniäre Ausstattung des Monarchen hat daher einen öffentlich-rechtlichen Zweck und einen publicistischen Rechtscharakter; aber sie erfolgt in einer festbestimmten Quersionalsumme, deren Verwendung dem völlig freien Belieben des Landesherrn überlassen ist. Zu den wesentlichen Einrichtungen des modernen Staates gehört die völlige Trennung der staatlichen Finanzwirtschaft und der Hausund Hofwirtschaft des Monarchen, der einzige Berührungspunkt beider besteht ausschließlich darin, daß der Staat eine bestimmte Summe zur Krondotation verwendet, die als Ausgabe im Staatsbudget aufgeführt ist. Für diese Krondotation ist nach dem Beispiel Englands (im Jahre 1688) und der französischen Constitution von 1814 Art. 23 der Name „Civilliste“ üblich und auch in deutsche Verfassungsgesetze übergegangen. Allein der juristische Charakter der Krondotation in den deutschen Staaten ist von dem der engl.-französischen Civilliste wesentlich verschieden, und zwar beruht dieser Unterschied auf der verschiedenen historischen Ent-
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wicklung. In England (u. in Frankreich) ist der Einführung der Civilliste eine große Revolution vorangegangen, die das königliche Haus seines gesammten Grundbesitzes und Bl. 64 R. aller pekuniärer Regalien beraubt hatte; bei Wiedereinführung der Monarchie handelte es sich daher um Ausstattung des Monarchen mit einer Dotation; d.h. die landesherrliche Familie war nicht in der Lage eine pekuniäre Gegenleistung zu machen, der Monarch erhält die Zivilliste in derselben Art wie ein hoher Beamter Gehalt und Repräsentationsgelder empfängt. In den deutschen Staaten dagegen waren die landesherrlichen Familien auf Grund des aus dem Mittelalter überkommenen Rechtes die Grundherrn und Eigenthümer aller Domainen, Kammergüter und Gefälle, und sie hatten von diesen Revenüen zugleich die Regierungsausgaben zu bestreiten. Als bei der Ausbildung des modernen Staats die Finanzwirthschaft des Staates von der des Landesherrn getrennt wurde, handelte es sich daher um eine Auseinandersetzung zwischen der landesherrlichen Familie und dem Staatsfiskus. Da alle Regierungsausgaben auf den Fiskus übergingen, auch die, welche bisher von den Revenuen der Kammergüter bestritten wurden, so konnten diese Revenüen nicht ungeschmälert dem Landesherrn verbleiben; andererseits empfingen die Landesherrn nicht eine Krondotation titulo morativo, sondern sie hatten einen historisch begründeten privatrechtlichen Anspruch darauf, da ihnen das Eigenthum der Domainen von Alters her zustand. Zachariä, Das Eigenthumsrecht am deutschen Kammergute. 1864. Diese Auseinandersetzung ist nun aber in den einzelnen deutschen Staaten in abweichender verschiedener Weise erfolgt und es sind in dieser Beziehung folgende Gruppen zu unterscheiden: a.) In Preußen sind bereits 1713 alle Kammergüter und Domainen ohne Ausnahme für Staatseigenthum erklärt worden; das Allg. LR. II § 11 fg. Und das Ges. V. 30. Okt. 1810 erkannten dies an und die Verfassungsurkunde bestätigte dies. Dafür ist dem König zur Bl. 65 Bestreitung sämmtlicher Kosten des Haushaltes, Hofstaates und der königlichen Familie eine, aus den Erträgen der Domainen zu zahlende und auf den Domainen als Reallast haftende Rente constituirt, welche durch die V. v. 17. Januar 1820 auf 2 1/2 Mill. Thaler festgesetzt worden ist. Durch die Ges. v. 30. April 1859 u. 27. Januar 1868 wurde die Krondotation bis auf 4 Mill. Thaler erhöht. Ges. v. 20. Februar 1889 Erhöhung auf 15 1/2 Mill. Mark und durch Gesetz vom 17. Juni 1910 um weitere 2 Mill. Mark.
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Der Anspruch des Königs darauf ist ein gesetzlich feststehender und von der Bewilligung des Etatgesetzes unabhängiger. Dasselbe Prinzip ist in Bayern und Württemberg anerkannt; im praktischen Resultat auch in Sachsen, obwohl nach § 22 der Verf.-Urkunde das Eigenthum an den Domainen dem Könige zusteht und nur die gesammten Erträge derselben in die Staatskasse fließen; und dies gilt im wesentlichen auch Baden, Hessen, u. Sachsen-Weimar. Nach engl. Vorbilde wird in manchen dieser Staaten die Höhe der Civilliste für die Regierungszeit des Landesherrn bei der Thronbesteigung festgesetzt, so in Sachsen und Hessen, vor 1834 auch in Bayern. Die bayerische Civilliste ist durch Ges. v. 24. Juli 1876 auf 4.231.000 Mark erhöht worden. Bayerisches Ges. v. 1. Juli 1834. Art. II dauernde Civilliste von 2 350 580 Gulden, auf die gesammten Staatsdomänen radicirt. Außerdem wurden nach Art. VII alle Appanagen der Prinzen und Prinzessinnen aus der Staatskasse bestritten. Sächsische Verfassung v. 1831 § 16 erklärt alle Krongüter zu Staatsgut; § 20 normirt das kgl. Fideikommiß, das als „Eigenthum des königlichen Hauses“ bezeichnet wird; § 21 definirt, was als Privateigenthum des Königs anzusehen ist. Soweit der König über dieses Vermögen nicht disponirt, wächst dasselbe bei seinem Ableben dem Hausfideikommisse zu. Nach § 22 bezieht der König jährlich eine mit den Ständen auf die Dauer seiner Regierung verabschiedete Summe aus den Staatskassen als Civilliste. Dieselbe wird bezeichnet als Äquivalent für die den Staatskassen auf die jedesmalige Dauer der Regierungszeit des Königs überwiesenen Nutzungen des kgl. Domänengutes. § 23. Außerdem Apanagen aus den Staatskassen. Württembergische Verf. § 102 ff. Das kgl. Kammergut ist Staatsgut. § 104 Civilliste wird für die Regierungszeit bestimmt und besteht theils in Geld theils in Naturalien. Der Geldbetrag ist durch Ges. v. 1. Aug. 1864., 7. Febr.(?) 1874 auf jährlich 1.600 000 Mark fixirt worden. § 108 Das HausdomainenKammergut ist Familien. . . und Fideikommiß. – Die Appanagen, . . . und Heirathsgüter u. s. w. trägt die Staatskasse § 165.47 Badische Verf. § 59. Die Domainen sind Patrimonialgut des Monarchen und seiner Familie; der Ertrag derselben aber fließt in die Staatskasse, ausgenommen die dadurch radicirte – dauernd festgesetzte – Civilliste. Ähnl. In Hessen. Verf. Art. 7. Im practischen Resulthate auch in Braunschweig Verf. §§ 161 ff. b.) In anderen Staaten hat eine Theilung des Kämmereigutes zwischen Staat und Landesherrn stattgefunden, so daß das Staatsgut und das fürst47 Die zusammenhängende, später hinzugefügte Randbemerkung erstreckt sich auf die Bl. 65 und 65 R.
§ 16 Die rechtliche Stellung des landesherrlichen Hauses
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liche Hausgut ganz getrennte Vermögensmassen sind, so z. B. [in Hannover, Kurhessen]48, Oldenburg. Verordnung v. 5. Febr. 1849 u. Verf. Art. M179 ff. c.) In mehreren kleinen Staaten ist das ganze Kämmereivermögen zum Eigenthum des fürstlichen Hauses erklärt worden und nur die Verwaltung desselben mit der Staatsverwaltung in Zusammenhang gesetzt worden. d.) In Mecklenburg sind die alten patrimonialen Verhältnisse noch ganz unverändert beibehalten worden. Bl. 6649 Bl. 66 R. § 16 Die rechtliche Stellung des landesherrlichen Hauses 1. Die landesherrliche Familie bildet, wie jede Familie des hohen Adels, eine corporative Genossenschaft, welche die Quelle besonderer rechtlicher Vorzüge wie rechtlicher Beschränkungen bildet. Das Haupt dieser Familienkorporation ist jedesmal der regierende Herr; wenn er die Krone niederlegt, hört er auch auf die Rechte des Familienhauptes zu haben. Mitglieder sind die ebenbürtige Frau des Landesherrn, die ebenbürtigen Agnaten und deren ebenbürtige Frauen und Wittwen und die ebenbürtigen Töchter, agnat. Enkelinnen u. s. w. bis zu ihrer Verheirathung. Die landesherrlichen Familien stehen über den anderen hochadeligen Familien und genießen staatsrechtlich besondere Vorzüge theils wegen ihrer nahen Stellung zur Person des Monarchen, theils wegen ihrer Anwarthschaft auf die Thronfolge und Regentschaft. 2. Die Mitglieder der landesherrlichen Familie sind Unterthanen des Monarchen und folglich des Staates; allein sie nehmen Theil an der Ehrenstellung des Monarchen, wenngleich im abgeschwächtem Grade. Im einzelnen gilt darüber Folgendes. a.) Das Einf. Ges. zum Gerichtsverfassungsgesetz § 5 eximirt sie von der Geltung der Gerichtsverfassung, soweit Hausgestze oder Landesgesetze etwas abweichendes bestimmen. Gewöhnlich sind sie von der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Straf- und Polizeisachen eximirt. Gerichtsst. In Civils. Angelegenh. der freien Gerichtsb. 48 Klammer offenbar nachträglich von Laband eingefügt. Der Textteil könnte somit bereits vor 1866 entstanden und später weiterhin als Vorlesungsgrundlage verwandt worden sein. 49 Enthält im wesentlichen eine Stichwortsammlung und Zusammenfassung der vorangegangenen und folgenden Abschnitte, auf deren Abdruck hier verzichtet wird. Kein Text auf Bl. 65 R.
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b.) Verletzungen und Beleidigungen derselben unterliegen härteren Strafen nach Analogie der Majestätsbeleidigung. StGB § 96, 97. Über Ehestreitigkeiten, insbesondere Ehescheidungssachen besteht eine Controverse, namentlich über das Recht mangels Standesgenossen sich selbst zu scheiden. Ausdr. Anordnungen darüber sind enthalten in den Hausgesetzen von Württemberg (§ 65) u. vom Kgr. Sachsen (Hausgesetz v. 1837 § 77), wonach die Angelegenheit vor den König zu bringen ist, der zur Entscheidung nöthigenfalls ein besonderes Gericht einzusetzen hat. Bl. 67 c.) Ihnen gebühren Titulaturen, Wappen, Hofstaat, Erwähnung im Kirchengebet u. ähnliche Ehrenrechte. 3. Die landesherrlichen Familien haben über alle Familienangelegenheiten Autonomie; die Rechtsverhältnisse derselben bestimmen sich nach den Hausgesetzen, deren Rechtsgültigkeit in den meisten Verfassungen ausdrücklich anerkannt ist. Sammlung der Hausgesetze von H. Schulze, 3 Bde. 4. Die Familien des hohen Adels und ebenso die landesherrlichen Familien haben Stamm- oder Fideikommißgüter, die von den Domainen des Staates vollkommen getrennt und einen rein privatrechtlichen Charakter haben. In den meisten dieser Familien ist hausgesetzlich bestimmt, daß alles, was der Besitzer dieses Hausgutes an Grundstücken erwirbt, diesem Stammgut zuwächst und sich mit demselben ungetheilt vererbt. Den Besitz, die Verwaltung und Nutznießung des Fideikommisses hat jederzeit das regierende Familien-Haupt; die übrigen Mitglieder haben nur außer der eventuellen Anwartschaft auf die Erbfolge einen Anspruch auf einen hausgesetzlich bestimmten Antheil der Nutzungen behufs ihres standesgemäßen Unterhaltes, die sogen. Apanage oder Paragium. Die Apanage ist kein Pflichttheil, aber auch keine gewöhnliche Alimentation, sondern zugleich eine Abfindung; daher hat der der Krone Näherstehende eine größere Summe, das Bedürfnis ist nicht entscheidend. Anspruch auf Vergütung. Bei der Umwandlung der älteren Kämmereigüter ist öfters eine Apanage der Prinzen auf die Staatskasse übernommen worden; bisweilen aber ist dieselbe aus der Civilliste – die auch diese Ausgabe mit umfaßt – zu bestreiten. 5. Zur Verheirathung aller Familienmitglieder ist die Genehmigung des Familienhauptes erforderlich. 6. Obervormundschaft des Oberhauptes. 7. Staatliche Functionen haben die Agnaten nicht auszuüben; eine Ausnahme macht allein der Fall, wenn für einen Monarchen eine Regentschaft
§ 17 Der juristische Charakter der Thronfolge
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einzusetzen ist. Vgl. unter § 43. In einigen Staaten sind sie Mitglieder der ersten Kammer. Sekundogenituren.
Bl. 68 § 17 Der juristische Charakter der Thronfolge Da in der Erbmonarchie, solange noch thronfolgefähige Mitglieder der Regentenfamilie vorhanden sind, also in den weitaus häufigsten Fällen, die Berufung zum Throne nach den Regeln des Erbrechtes geschieht, das Erbrecht aber ein Institut des Privatrechts ist, so hat man die Thronfolge selbst unter privatrechtlichen Gesichtspunkten betrachtet. Diese Auffassung, die dem mittelalterlichen Lehensstaate vollkommen entspricht, ist unvereinbar mit dem Begriff des organischen Staates. Dessen ungeachtet ist sie auch heut noch weit verbreitet in den gangbarsten Lehrbüchern des Staatsrechts wird die Frage erörtert, als ob die Staats-Succession eine Universal- oder Singular-Succession sei und die privatrechtlichen Begriffe und Rechtssätze werden auf die Thronfolge angewendet. Indeß ist diese Vermengung von privatrechtlichen und publicistischen Rechtsbegriffen durchaus zu verwerfen; die Staatssuccession ist weder Universal- noch Singular-Succession im Sinne des Privatrechts, sondern ein eigenthümliches Institut des öffentlichen Rechtes. Über den Begriff derselben gilt Folgendes: die Staatspersönlichkeit ist fortdauernd und ewig. Jeder Regent ist nur der jeweilige Träger desselben. der Nachfolger übernimmt die Krone in ähnlicher Weise, wie ein Beamter des Amt seines Vorgängers übernimmt. Er unterzieht nicht den Staat, wie ein herrenloses Gut, seiner Herrschaft, sondern er tritt in den Staat als neues Oberhaupt ein. Daraus ergiebt sich, daß der Nachfolger nicht nur Rechte, sondern auch einen entsprechenden Kreis von Pflichten übernimmt. Er unterzieht sich der mit der Krone verbundenen Regierungspflichten. Das Thronfolgerecht dient nicht den Zwecken des Thronfolgers, sondern denen des Staates, wenngleich der Titel, aufgrund dessen eine bestimmte Person zur Thronfolge berufen wird, regelmäßig die Verwandtschaft mit dem letzten Regenten Throninhaber ist, so liegt darin doch keine civilrechtliche Erbfolge, sondern nur die Befolgung Anwendung der staatsrechtlichen Vorschriften über die Berufung zur Regierung. Daher ist das Verfassungsrecht der eigentliche Grund für die Thronfolge und die erbrechtlichen Regeln können nur insoweit Anwendung finden, als nicht Verfassungsgrundsätze entgegenstehen. Insbesondere ist der verfassungsmäßig anerkannte und aus dem Begriff des heutigen Staates sich ergebende Grundsatz von der Untheilbarkeit des Staates zu beobachten. Ferner sind die Regeln über die Thronfolge abänderlich, wenn die für Verfassungsänderungen vorgeschrie-
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benen Formen beobachtet werden, dagegen unabänderlich durch Testament oder andere Privat-Willkühr. Nicht aus civilrechtlichen Prinzipien, sondern nur aus der publicistischen Natur der Staatssuccession läßt sich die Frage beantworten, inwieweit der Nachfolger an die Handlungen seines Vorgängers gebunden ist. Alle Rechtshandlungen, welche der Vorgänger in Ausübung seines königlichen Amtes vorgenommen hat, alle rechtsgültig erlassenen Gesetze und Verwaltungsmaßregeln sind für die Nachfolger verbindlich. Dagegen sind bloße Verheißungen und Zusicherungen für die Zukunft für den Nachfolger nicht bindend. Bl. 68 R. 5.) Von der Staatssuccession zu unterscheiden ist die Erbfolge in die Familiengüter und in das Privatvermögen des abgeschiedenen Regenten. So lange man die Staatssucession nach privatrechtlichen Prinzipien beurtheilte, machte diese Unterscheidung große Schwierigkeiten. Man wendete die Lehre von der Separation des Lehensvermögens vom allodialen Vermögen analog an und noch heut unterscheiden viele Publicisten, z. B. Zachariä, Rönne, u. a. die „Staatsverlassenschaft“ von dem „Privatnachlaß“. Der Begriff einer Staatsverlassenschaft ist gänzlich aufzugeben; der Staat stirbt nicht, seine Persönlichkeit leidet bei einem Thronwechsel keine Veränderung; es giebt daher auch keinen Nachlaß und keine Beerbung des Staates. Der neue Regent unterwirft nicht die Staaten seiner Rechtsphäre, sondern er rückt in dem ihm zukommenden Beruf im Staat ein; das Staatsvermögen ändert daher überhaupt nicht seinen Herrn; während in das Vermögen des königlichen Hauses und in das persönliche Privatvermögen des Königs eine Erbfolge stattfindet, die privatrechtlicher Natur und nach PrivatrechtsGrundsätzen zu beurtheilen ist. Bl. 69 § 18 Das Thronfolgerecht Obwohl im modernen Staat die Thronfolge keine Erbfolge im Sinne des Privatrechts ist, sondern ein Eintritt in die Stellung, welches das Verfassungsrecht dem Staatsoberhaupt anweist, so bestimmen sich doch die Regelen, wonach sich dieser Eintritt vollzieht, nach privatfürstenrechtlichen Prinzipien. Die deutschen Dynastien haben ihr Successionsrecht nicht durch die Verfassungsurkunden neu erhalten, sondern es beruht auf alten Rechtstiteln; der constitutionelle Staat hat diese Rechtstitel vorgefunden und anerkannt, nicht neu geschaffen. Die Verfassung als solche bestimmt nur, daß in einem
§ 18 Das Thronfolgerecht
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gewissen Staate eine gewisse Dynastie zum Thron berechtigt sei und daß derjenige zum Throne berufen werde, welcher nach der hausgesetzlichen Ordnung dieser Dynastie das Recht dazu habe. Deshalb wirken in dieser Beziehung die Grundsätze des älteren Rechts nach und können noch jetzt anwendbar sein. Im Mittelalter waren die größten und wichtigsten Territorien Reichslehen und vererbten sich nach den lehensrechtlichen Regeln; es waren danach nur die lehensfähigen Descendenten des ersten Erwerbers des Lehns zur Lehnsfolge berechtigt. Neben den Reichslehen hatten die Fürstenhäuser meistens auch allodiale Besitzungen oder Territorien, hinsichtlich derer die deutschrechtliche Stammgutsfolge galt. Weder die eine noch die andere schloß Theilungen Bl. 69 R. aus und beide stimmten miteinander nicht ganz überein. Daher sind im Mittelalter Theilungen und Zersplitterungen auch sehr häufig. Allmählig wurde durch Hausgesetze und Familienverträge die Untheilbarkeit der Territorien und eine dieselbe sichernde Successionsordnung festgesetzt und hier durch ein gemeinsames Erbfolge recht für die Lehen und für die allodialen Besitzungen herbeigeführt. Für dasselbe mußten die lehnrechtlichen Grundsätze maßgebend sein, theils weil der überwiegend größte Theil der Territorien Reichslehen waren, theils weil die belehnte Familie an der Lehnssuccession eigenmächtig d.h. ohne Genehmigung des Lehnsherrn keine Abänderung beschließen konnte. 3 Stufen der Entwicklung Ausschluß der Weiber Sodann Unveräußerlichkeit Endlich Untheilbarkeit; Primogenitur Die lehnrechtlichen Grundsätze sind auch in Geltung geblieben, als durch die Auflösung des alten Reiches der Lehnsherr weggefallen und der Lehnsverband erloschen ist. Denn dadurch ist nur Investitur, Lehnseid, Lehnspflicht und Heimfallsrecht in Wegfall gekommen, dagegen nicht die bloße Succession in die Lehen. Die über dieselben geltenden Regeln sind daher in das heutige Verfassungsrecht der monarchischen Staaten übergegangen.
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Bl. 70 Hiernach ergeben sich folgende Voraussetzungen für das Thronfolgerecht 1. Agnatische Abstammung vom ersten Erwerber Ascendenten und Seitenverwandte des primus acquircus sind ausgeschlossen; ebensowenig kann nach deutschem Staatsrecht durch Adoption ein Successionsrecht begründet werden. Daher hat z. B. das fürstliche Haus Hohenzollern kein Successionsrecht in Preußen, da es nicht vom ersten Erwerber der Kurwürde oder der Königskrone abstammt. Nach deutschem Lehnrecht sind nur Agnaten successionsfähig d.h. Männer, deren Abstammung vom primus acquircus durch lauter Männer vermittelt wird. Beim Aussterben des Mannesstammes fiel das Lehn an den Lehnsherrn heim, soweit nicht durch Eventualbelehnung eine neue Vasallenfamilie einrückte. Es konnte aber durch die Lehnsinvestitur ein eventuelles Successionsrecht der Töchter und Kognaten eingeräumt werden. Dies ist bei deutschen Fürstenthümern geschehen hinsichtlich Österreichs durch das privilegium v. 1156 und hinsichtlich Braunschweig Lüneburgs durch die Verleihung von 1235. Für die übrigen Staaten nicht. Es ist nun die Behauptung aufgestellt worden, daß durch die Auflösung des Reiches überall ein event. Successionsrecht der Weiber und Kognaten eingetreten sei. Der Wegfall des Reichs hat nur das Heimfallsrecht beseitigt, aber kein positives Thronfolgerecht geschaffen. Es bildet aber nunmehr dieses – früher bestandene – Heimfallsrecht kein Hinderniß mehr, um ein eventuelles um ein eventuelles Erbrecht der Kognaten hausgesetzlich oder verfassungsmäßig zu begründen, soweit dadurch nicht andere Titel zur Thronfolge (Eventualbelehnungen, Erbverbrüderungen) beeinträchtigt werden. Dies ist in vielen Bl. 70 R. deutschen Staaten verfassungsmäßig geschehen, nämlich in Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Braunschweig, Schwarzburg-Sondershausen und Waldeck. Wo eine solche Anordnung nicht getroffen ist, besteht beim Aussterben des Mannesstammes kein Successionsrecht der Töchter und Kognaten. Dies gilt insbesondere in Preußen, Mecklenburg und ist ausdrücklich ausgesprochen in Oldenburg. (Verf. Art. 17) 2. Abstammung aus gültiger Ehe. Hierzu gehört: a.) Rechtsgültiger Abschluß. Nach dem Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 ist hierzu erforderlich ein standesamtlicher Civilact; der Landesherr
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ist aber befugt, das Standesamt für das regierende Haus zu bestimmen. Im übrigen gelten für die Eheschließungen die hausgesetzlichen Bestimmungen (§ 72 des cit. Gesetzes)) (Sogen. Gewissensehen sind ungültig). b.) Consens des Familienhauptes. Derselbe ist wol in allen Hausgesetzen vorgeschrieben. Kinder aus nicht consentirten Ehen gelten nicht als Glieder des landesherrlichen Hauses und haben keine Ansprüche auf Thronfolge, Apanage u. s. w. c.) Ebenbürtigkeit. Unzweifelhaft ebenbürtig sind alle deutschen und die außerdeutschen europäischen christl. regierenden Häuser; außerdem nach Art. 14 der B.A. die ehemals reichsständischen Familien, sowie die Depossidierten (Hannover, Kurhessen, Nassau, Hohenzollern, Bonaparte u. s. w.) Inwiefern auch andere Familien als ebenbürtig anzuerkennen sind, bestimmt sich in erster Reihe nach den Hausgesetzen. Auch kann eine an sich nicht ebenbürtige Ehe durch den Konsens aller sucessionsberechtigten Agnaten als eine ebenbürtige anerkannt werden. (Fürst Leopold v. Dessau mit Anne Fösen 1698. Reichsfreiin von Geyersberg mit Karl Friedrich v. Baden 1787.) Bl. 71 3. Regierungsfähigkeit. Von der Lehnsfolge ausgeschlossen waren alle Personen, welche zur Zeit des Lehnsanfalls wegen körperlicher oder geistiger Defecte unfähig zur Leistung der Lehnsdienste waren. In wie weit diese Grundsätze anwendbar auf die Regierungsfolge seien, war zweifelhaft. Indeß bestimmte die goldene Bulle c. 25 § 3 hinsichtlich der Kurfürstenstimmen, daß der erstgeborene Sohn bei der Thronfolge übergangen werden soll, wenn er mente captus, fatuus sive alterius famosi et ratabilis defectus sei. Dieser Grundsatz wurde auch bei anderen Reichsfürstenthümern angewendet. Allmählig trat aber eine andere Rechtsentwicklung ein wegen der großen practischen Nachtheile dieses Systems. Die neueren Verfassungen stellen vielmehr übereinstimmend den Grundsatz auf, daß weder körperliche, noch geistige Krankheit ein Ausschließungsgrund sei, sondern daß in diesem Falle der Thron dem regierungsfähigen Nächstberechtigten zufällt, aber zur Ausübung der Regierungsrechte ein Regent bestellt wird. 4. Viele Verfassungen treffen Bestimmungen für den Fall, daß die Krone an den Herrscher eines anderen Staates fälllt. Die Preuß. Verf. Art. 55 sagt: „Ohne Einwilligung beider Kammern kann der König nicht zugleich Herrscher fremder Reiche sein“. Die bayerische Verfassung II § 6 ordnet für den Fall, daß die bayerische Krone nach Erlöschung des Mannesstammes an den Regenten einer größeren Monarchie gelangt, welcher seine Residenz
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nicht in Bayern nehmen könnte, die Succession des zweitgeborenen Prinzen dieses Hauses an. Die Sachsen-Coburg Verf. § 7 ff. schließt ausdrücklich den regierenden König von England aus. Die Verfassung des Königreichs Sachsen § 5 bestimmte dagegen „der König kann ohne Zustimmung der Stände nicht zugleich Oberhaupt eines anderen Staates werden, Erbanfälle ausgenommen.“ Bl. 71 R.50 § 19 Thronfolge-Ordnung
Bl. 73 R. § 20 Die außerordentliche Thronfolge
Bl. 74 § 21 Die Erwerbung der Krone
Bl. 75 § 2251 Regentschaft und Stellvertretung
50 Auf den Abdruck der folgenden, teilweise von Laband selbst gestrichenen und teilweise vorheriges wiederholenden Abschnitte zur Thronfolgefrage wurde zugunsten einer Konzentration auf die staatsrechtlichen Hauptfragen verzichtet, welche als juristischer Ausdruck des Konstitutionalismus und der charakteristischen Staatsrechtswissenschaft Labands gelten können. Letzteres gilt insbesondere für den oben ab Bl. 68 abgedruckten Abschnitt zur juristischen Natur der Thronfolge, in welchem Laband die dogmatische Trennung der staatsrechtlichen Thronfolge von der privatrechtlichen Erbfolge erläutert. Das lehns- und hausrechtlich geprägte, im folgenden von Laband größtenteils nur zusammengefasste Thronfolgerecht der deutschen Fürstenhäuser, sowie die entsprechenden Passagen der Staatsverfassungen sind dem Leser bereits anderweitig verfügbar. 51 Die letztgültige Paragraphenzählung ist angesichts vieler Streichungen und Neu-Nummerierungen spätestens ab hier nicht mehr zu ermitteln. Daher folgt die weitere Paragraphenzählung der gewöhnlichen numerischen Reihenfolge.
§ 23 Begriff und staatsrechtliche Stellung
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Bl. 78 II. Abschnitt Der Landtag Die Volksvertretung52 § 23 Begriff und staatsrechtliche Stellung I. Der Wille des Monarchen ist zwar formell-juristisch der Wille des Staates, aber er kann materiell im Widerspruch stehen mit den politischen Überzeugungen, den Bedürfnissen und dem rechtlichen und sittlichen Bewußtsein des Volkes. Einen solchen Conflict zu vermeiden, liegt ebenso wohl im Interesse des Monarchen, dessen erhabene Stellung im Staat auf die Dauer nicht durch formale Rechtssätze sondern nur durch die Hingebung und die vertrauensvolle Anhänglichkeit des Volkes gesichert werden kann, als auch im Interesse des Volkes, um dasselbe vor Mißregierung und den verderblichen Folgen einer falschen subjectiven Auffassung des Monarchen und seiner Räthe zu schützen. In dem Staat als der rechtlichen Organisation des Volks, soll das politische Gesammtbewußtsein des Volks sich geltend machen; das Volk soll nicht theilnahmslos die Staatsgewallt über sich hinweggehen lassen, und ein willenloses Object der staatlichen Herrschaft sein, sondern es soll mit seinem Geist die Regierung durchdringen und eine lebenkräftige Theilnahme am Staate bethätigen. Diese Antheilnahme aber muß rechtlich geregelt sein, sie muß von juristischen Formen und Schranken gebunden werden. Der Staat bedarf daher neben dem Monarchen eines zweiten Organes, welches diesem Zwecke dient und welches eine Vermittlung zwischen den Herrschaftsrechten des Monarchen und dem politischen Bedürfniß des Volkes, zwischen dem formalen Staatswillen und dem materiellen Volkswillen, herstellt. Bl. 78 R. Dem älteren deutschen Staatsrecht fehlte ein solches Organ ebenso wie ihm die Stellung des Monarchen als Organ der Staatspersönlichkeit unbekannt war. Zwar ist das öffentliche Recht Deutschlands von jeher dadurch ausgezeichnet, daß es keine absolute Gewalt des Fürsten will; aber den patrimonialen Rechten der Landesherren standen die ebenfalls patrimonialen Rechte der sogen. Stände gegenüber; sie hatten als einzelne gewisse, auf positiven Titeln beruhende Rechte, durch welche die fürstlichen Machtbefugnisse beschränkt waren. Mit der Entwicklung des organischen Staates vollzog sich zwar allmählig und in stetigem Fortschreiten eine Umwandlung der ständischen Institutionen, die gleichen Schritt hielt mit der inneren Umgestaltung 52 Vgl. hierzu Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd. 1. A. 1876 „Der Reichstag“ S. 498–575.
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des Monarchenrechts; die Stände handelten nicht mehr isolirt, sondern gaben sich eine corporative Verfassung und betrachteten sich selbst nicht bloß als Vertreter ihrer individuellen Interessen, sondern als Vertreter des Landes; aber das Resultat war nur, daß innerhalb des Staates zwei; einander selbständig gegenüber stehende Subjecte von öffentlichen Rechten, mit völlig abgegränzten Befugnissen subjectiven Rechtssphären existierten, die sich gegenseitig beschränkten; die Grundlage aller ständischen Rechte war immer das patrimoniale Recht des Einzelnen. Erst in unserem Jahrhundert ist mit Einführung des constitutionellen Systems der eben bezeichnete Charakter des Landtages zur rechtlichen Durchführung gelangt; historisch ist die Ausbildung des heutigen Rechts der Landtage mit jenem älteren Recht eng verknüpft und daraus herzuleiten, wie auch das gegenwärtige recht des Landesherrn geschichtlich auf dem älteren Rechtszustande ruht; begrifflich aber und der inneren juristischen Natur nach ist die Stellung des Landtages im Staate eine durchaus veränderte; der Begriff des Staates als juristische Person des öffentlichen Rechts beherrscht auch sie.
Bl. 79 II. Der Landtag ist ein Organ des Staates, er steht innerhalb der Staatsordnung; er beschränkt daher nicht die Staatsgewalt, während die alten Stände, indem sie die Fürstengewalt beschränkten, zugleich in ihr und mit ihr die Staatsgewalt beschränkten. Dagegen beschränkt der Landtag allerdings die Monarchengewalt; nicht in dem Sinne der Theorie von der Theilung der Gewalten; die Staatsgewalt wird nicht zerlegt und ein Theil dem Fürsten, ein anderer Theil dem Landtag zugewiesen; die gesammte Staatsgewalt kömmt ungetheilt in dem Willen des Monarchen zur Erscheinung; aber der Willensinhalt wird unter Mitwirkung des Landtages festgestellt. Der Monarch kann nicht wollen, d.h. als Willen des Staates erklären, was ihm beliebt – sondern was die Zustimmung des Landtages gefunden hat. Formell ist der Wille des Monarchen der Staatswille, materiell soll dieser Wille identisch sein mit dem Willen des Landtages; es muß daher der letztere constatirt sein, bevor der Monarch einen staatlichen Willensact vollzieht. Dieser Grundsatz ist aber nicht für alle einzelnen Regierungsgeschäfte durchgeführt, sondern auf die wichtigeren beschränkt; er kömmt namentlich zur Anwendung Gesetzgebung Rechtssatzung und man hat daher oft die Behauptung aufgestellt, daß die Aufgabe des Landtages gerade in der Theilnahme an der Gesetzgebung besteht. Nach altdeutscher Auffassung gehört die Aufstellung von Rechtssätzen nicht zu den Machtbefugnissen des Königs. Dies53 ist aber unrichtig; 53
Bezieht sich auf den Satz vor der kursiven Randbemerkung.
§ 23 Begriff und staatsrechtliche Stellung
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der Landtag übt an der gesammten Staatsthätigkeit eine Kontrolle und positive Theilnahme aus; die Feststellung des Budgets, die Kontrole der Staatsrechnungen, die auswärtigen Angelegenheiten, die gesammte Verwaltung stehen unter sei die Interpellationen und Adressen u. s. w. geben ihm die Mittel, um die gesammte Regierungsthätigkeit
Bl. 79 R. zu beeinflussen, selbst mit Einschluß der auswärtigen Politik. Er ist nicht bloß Wächter des Gesetzes und er hat nicht nur die negative Aufgabe, einen Mißbrauch der Staatsgewalt zu verhüten, sondern er erfüllt positiv die Staatsleitung mit dem politischen Geist und dem ethischen Empfinden des Volkes. In Deutschland besteht aber kein Recht des Landtages, daß die Minister aus den Führern der Landtagsmajorität genommen werden, wie dies in England – zwar nicht formelles Recht – aber thatsächlich seit langer Zeit Übung ist. II. So wichtig danach die Function des Landtags in dem Leben des Staates ist, so besteht doch seine Befugniß nicht in einem Antheil an der Staatsgewalt. Der Landtag hat keine Herrschaftsrechte über Volk und Land; er hat kein imperium; er kann nicht befehlen und nichts verbieten. Er ist ebensowenig befugt oder befähigt, den Staat zu vertreten, weder im völkerrechtlichen Verkehr, noch im vermögensrechtlichen Verkehr des Fiskus. Der Wille des Landtages kann in Rechtshandlungen nur durch Vermittelung der Regierung umgesetzt werden; Beschlüsse des Landtages können die staatsrechtlich unerlässliche Vorbedingung für die Rechtsgültigkeit von Regierungsacten sein; an und für sich haben sie keinen staatsrechtlichen Effect außerhalb des eigenen Organismus, d.h. gegen Unterthanen, gegen andere Staaten u. s. w. Vereinzelte Ausnahmen? Minister-Anklage(Der Staatsgerichtshof urtheilt im Namen des Königs)? Enquêten (Vorladungen, Vernehmungen)? Wahlprüfungen?? Die Thätigkeit des Landtages ist nur zu vergleichen mit den inneren Vorgängen im Individuum, nicht mit seinen Handlungen und Rechtsgeschäften. Der Landtag ist daher auch nicht als eine juristische Person des öffentlichen Rechts mit eigenen Hoheitsrechten ausgestattet, sondern nur als ein Organ innerhalb des einheitlichen Staatsorganismus, dessen Wirkungskreis aber, wie dies aus dem Begriff der juristischen Person sich ergiebt, durch Rechtsregeln bestimmt und begränzt ist.
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Bl. 80 IV. Juristische Natur 1. Der Landtag ist keine Vertretung des Volkes im juristischen Sinne, sondern ein Organ des Staates. Begriff der „Vertretung“. Das Volk ist keine vom Staat verschiedene Person; auch der Landtag ist keine Person, keine Behörde, keine Korporation. Der Ausdruck Volksvertretung bezieht sich nur auf die Art, wie dieses Organ gebildet wird; Wahl ist aber nicht wesentl. 2. Jede Manifestation des Volkswillens, außer durch den Landtag, ist staatsrechtlich unerheblich, unter Umständen revolutionär. Andererseits ist es staatsrechtlich unerheblich, ob Beschlüsse des Landtags wirklich dem Volkswillen entsprechen. Es wird die von der konstitutionellen Theorie fingiert. 3. Der Landtag kommt nur als Einheit staatsrechtlich in Betracht. Nur ein formell ordnungsmäßig zu Stande gekommener Beschluss hat rechtliche Bedeutung. Bedeutungslosigkeit der Reden; der Ansichten einzelner, selbst aller Abgeordneter. 4. Die einzelnen Abgeordneten sind nicht wie die alten Stände Vertreter ihrer persönlichen Interessen, sondern sie werden als Vertreter des ganzen Volkes bezeichnet, was sowohl juristisch unrichtig, als auch politisch eine haltlose Fiktion ist. 5. Sie sind kein Mandatar. Weder des Volkes, noch ihres Wahlkreises, noch ihrer Wähler, noch einer Partei. Kein imperatives Mandat. Sie haben ein Amt, ihre rechte und Pflichten beruhen auf der Verfassung, nicht auf der Wahl, die nur ein Ernennungsmodus ist. Bl. 80 R.54 Bl. 8155 Bl. 8256
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Stichwortartige Wiederholung des Vorangegangenen. Rein wiedergebende Notizen zum Preußischen Wahlgesetz v. 29. Juni 1893 und zum Gesetz v. 28. Juni 1906. 56 Bereits erörterte Fragen zum Landtag, von Laband durchgestrichen. 55
§ 26 Rechtssätze zum Schutz der parlamentarischen Thätigkeit
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Bl. 82 R. § 24 Die Zusammensetzung des Landtages57 Bl. 8458
Bl. 85 Bei den preußischen Landtagswahlen im Jahre 1903 waren in der I. Klasse (rund) 239 000 II. Klasse (rund) 857 000 III. Klasse etwas über 6 Millionen wahlberechtigt.59 Bl. 86 § 25 Die formelle Ordnung der Thätigkeit des Landtages60
Bl. 88 § 26 Die persönlichen Rechte der Landtagsmitglieder Rechtssätze zum Schutz der parlamentarischen Thätigkeit die Mitglieder des Landtages sollen nach ihrer besten Überzeugung und nach ihrer freien Ansicht über das, was dem Staat zum Heil gereicht, ihre ständische Thätigkeit ausüben. Aus diesem Grunde müssen sie nach verschiedenen Seiten gegen jeden unrechtmäßigen Druck gesichert sein, der diese Freiheit beeinträchtigen könnte. In dieser Beziehung gelten folgende Regeln: 57 Bis Bl. 83 R. eine weitgehend juristisch unkommentierte Darstellung des positiven Rechts über die verfassungsmäßige Zusammensetzung der Landtage in Deutschland, auf deren Abdruck verzichtet wurde. 58 Bl. 84–84 R. Beigelegter Zeitungsausschnitt (offenbar aus dem „Deutschen Wochenblatt“) zur Wahlrechtsreform in Preußen. 59 Notiz ohne weiteren Kommentar. 60 Bl. 86–87 R. Zusammenfassende Wiedergabe der positivrechtlichen Bestimmungen der deutschen Verfassungen hins. der Berufung, Konstituierung, Geschäftordnung etc. des Landtages.
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1. Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer eines zum deutschen Reich gehörigen Staates darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Äußerung zur Verantwortung gezogen werden. RVerf. § 11. Ausgeschlossen ist danach unbedingt jede strafrechtliche Verfolgung, ebenso jedes Disziplinarverfahren gegen einen Beamten, wegen seines Verhaltens im Landtag. Um den Mißbrauch der Tribüne auszuschließen, gibt es keine anderen Mittel, als die der geschäftsordnungsmäßigen Kammerdisciplin.(Ordnungsruf u. dgl.) 2. Mitglieder des Landtags dürfen während der Sitzungsperiode ohne Genehmigung der betreffenden Kammer nicht in Untersuchungshaft oder in Haft zum Zweck der Exekution in Civilsachen genommen werden; und es müssen Untersuchungen, welche gegen sie schweben während der Dauer der Sitzungsperiode unterbrochen werden. Gestattet ist in der Regel aber die Verhaftung eines Landtagsmitglieds, wenn er bei Verübung eines Delicts auf frischer That ergriffen wird, sowie die Vollstreckung einer rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe. Die Vorschriften der Landesgesetze sind durch § 6 der Einf.-Gesetzes zur Reichs-Strafprozessordnung in Kraft erhalten worden.61 Bl. 89 III. Abschnitt. Die Behörden und Beamten A. Die Staatsämter62 § 27 Begriff des Staatsamtes I. Die Führung der Regierung und aller dazu gehörenden Geschäfte ist das Recht und die Pflicht des Landesherrn; da von ihm aber die unmittelbare und persönliche Erledigung dieser Geschäfte nicht erfolgen kann, so stehen ihm für die Erfüllung dieser Aufgabe Diener zur Verfügung, denen ein bestimmter, rechtlich abgegränzter Kreis aus von Staatsgeschäften, ein Staatsamt übertragen wird. Alle Inhaber von Staatsämtern sind demnach Gehülfen des Landesherrn; sie leiten nicht unmittelbar von der Verfassung, sondern von dem Monarchen ihre Befugnisse und Aufgaben ab; sie sind also nicht ein selbständiges Organ des Staates, sondern sie dienen nur dazu, daß 61 Auf den Abdruck der konkreten Gesetzesverweisungen und der Abhandlung der weiteren positiven Schutzgesetze auf Bl. 88 R. ist verzichtet worden. 62 Vgl. zur Verarbeitung dieser Grundlegungen in der Dogmatik zum Reichsstaatsrecht: Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches 1. Bd. 1. A. 1876 fünftes Kapitel: „Die Organisation der Reichsgewalt“ S. 206–220 und S. 291 ff.
§ 27 Begriff des Staatsamtes
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durch sie das souveraine Organ, der Monarch, seine Functionen ausübt und entfaltet. Alle den Staatsbehörden zustehenden Rechte und Pflichten sind enthalten und umschlossen in dem einheitlichen Rechte des Landesherrn und sie werden aus diesem Grunde mit Recht als landesherrliche (königliche, großherzogliche, fürstliche u. s. w.) bezeichnet. Dies ist aber nicht in dem Sinne zu verstehen, als ob es in das willkührliche Belieben des Landesherrn gestellt wäre, die Geschäfte unter die Behörden zu vertheilen oder nach Lust und Laune Geschäfte untergeordneter Art bald selbst zu erledigen, bald sie einer beliebigen Behörde zu überlassen. Die Behörden sind vielmehr dem Landesherrn von Rechts wegen zugeordnet, damit er sich ihrer Bl. 89 R. bei der Führung der Regierungsgeschäfte bediene, so daß er die letzteren anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden und zwar der gerade für das betreffende Geschäft competenten – gar nicht führen darf und kann. Der Landesherr kann danach weder mit Umgehung der Behörden die Staatsgeschäfte persönlich erledigen, noch den festgestellten Wirkungskreis der verschiedenen Behörden im einzelnen Fall außer Acht setzen. II. I. Amt Ambacht, Ambasein ist ursprünglich Auftrag. Ertheilung und Inhalt sind im patrimonialen Staat abhängig vom subjectiven Willen des Herrn. Der moderne Staat schafft eine gesetzliche Regelung und Grundlage. Jedes Amt beruht auf einem Auftrag zur Erledigung von Staatsgeschäften. Falls die letzteren die Ausübung des staatlichen imperium erfordert, ist mit dem Auftrage zugleich die Delegation der Staatsgewalt verbunden. Die Ämter sind daher entweder obrigkeitliche oder technische. Ein Amt ist ein durch die Rechtsordnung abgegränzter Kreis von staatlichen Geschäften; zur Führung derselben gehören die den Aufgaben des Amtes entsprechenden Hoheitsrechte, deren Ausübung gleichzeitig mit der Übertragung des Amtes delegirt wird. Man kann daher das Amt objectiv und subjectiv ansehen; objectiv als staatliche Institution, als Bestandtheil der staatlichen Geschäftsvertheilung, subjectiv als Inhaber von Hoheitsrechten und Träger von staatlichen Pflichten. In diesem letzteren (subjectiven) Sinne nennt man das Amt eine Behörde und legt der letzteren eine Kompetenz, d.h. einen Inbegriff von Rechten und Pflichten bei. Aber die Behörde ist niemals eine Person des öffentlichen Rechts; denn ihr stehen die Hoheitsrechte niemals zu eigenem Rechte und selbständig zu; sie hat unter
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2. Teil: Staatsrecht
keinen Verhältnissen einen individuellen Anspruch auf einen bestimmten Wirkungskreis; wenn sie ihre Kompetenz gegen Eingriffe anderer Behörden mehrt, so macht sie nicht ihr subjectives Recht, sondern die zu Recht bestehende Ordnung des Staates, d.h. objectives Recht geltend; der Staat kann aber jederzeit die Kompetenz seiner Behörden nach Belieben ändern, und wenn sie gegen die Unterthanen Hoheitsrechte zur Anwendung bringt, so übt sie nicht ihre Gewalt, sondern die Staatsgewalt aus. Das Amt als Subject von staatlichen Befugnissen heißt Behörde. Das Subject ist aber der Staat selbst; die einzelne Behörde ist nur sein Werkzeug, Theil seines Apparates, nicht ein ihm selbständiig gegenüberstehendes Subject. Behörden sind keine juristischen Personen. Jeder Widerspruch
Bl. 90 gegen die amtliche, gesetzmäßige Thätigkeit einer Behörde ist Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Amtsgeschäfte bestehen aber nicht lediglich in der Ausübung von Hoheitsrechten, sondern ganz vorzugsweise auch in factischen, technischen, wirthschaftlichen Verrichtungen. Für den Begriff des Amtes macht es keinen Unterschied, in welchem Umfange bei der Erledigung der betreffenden Geschäfte Hoheitsrechte zur Verwendung kommen. II. Die Befugniß, Ämter zu Errichten und den Wirkungskreis der einzelnen Behörden gegeneinander abzugränzen, ist prinzipiell ein Recht des Landesherrn, da alle Ämter zur Erledigung der – nach der Idee – dem Landesherrn obliegenden Geschäfte bestimmt sind. Diese Befugniß ist jedoch in zweifacher Richtung beschränkt. 1.) Aus finanziellen Gründen. Da alle Ausgaben des Staates durch den Etat im Wege der Gesetzgebung voraus veranschlagt werden und die Regierung verpflichtet ist, an diesen Voranschlag sich zu halten, so kann sie neue Ämter nicht errichten oder die vorhandenen nicht verändern, insofern dadurch Mehrausgaben verursacht oder die Ausgaben zu anderen als den etatsmäßig anerkannten Zwecken verwendet werden. 2.) Der größte Theil der Behörden-Organistaion und der Kompetenz-Abgränzung ist durch Gesetz festgestellt und kann deshalb auch nur auf dem formalen Wege der Gesetzgebung verändert werden. Denn diejenigen Gesetze, welche die einzelnen Thätigkeiten des Staates regeln, enthalten in der Regel auch sehr detaillirte Vorschriften über die Behörden, denen diese Thätigkeiten obliegen, ihre Verfassung, Zahl, Amtsbezirk, Kompetenz u. s. w. Das Recht des Landesherrn, die Ämterorganisation zu bestimmen,
§ 28 Das Behörden-System
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kann aber nur intra legem ausgeführt werden, ist also durch Gesetz beschränkt. Es gilt dies namentlich von den Gerichten. Gegensatz zwischen der gesetzlichen Anordnung und der thatsächlichen Errichtung. Bl. 90 R. § 28 Das Behörden-System. I. Die Behörden können und müssen, ja nach der Art der ihnen obliegenden Pflichten, sehr verschiedenartig organisirt sein; diese Organisation beruht nicht auf einem staatsrechtlichen Prinzip, sondern auf factischen Bedürfnissen und technischen Rücksichten. Von Bedeutung ist namentlich die Eintheilung der Behörden in die collegialisch und die büreaucratisch organisirten, und rücksichtlich des Behördensystems die centralisirten und die decentralisirten Verwaltungen. Das Behörden-System I. Die Vertheilung der staatlichen Geschäfte an die Behörden muß eine planmäßige sein und ein geregeltes, harmonisches Zusammenwirken der Behörden verbürgen. In welcher Art diese Vertheilung erfolgt, ist aber im wesentlichen nicht von Rechtsgrundsätzen, sondern von Zweckmäßigkeitsrücksichten abhängig. Weder aus dem Begriff des Staates noch aus dem allgemeinen Rechtsbegriff des Amtes kann man ein concretes Behörden-System ableiten. Dasselbe ist auch ein sehr veränderliches, überall historisch gewordenes und durch die wechselnden Bedürfnisse gebotenes. Die Geschichte der Staatsverfassungen lehrt, daß fast jedes Jahrhundert an der überkommenen Ämterverfassung die eingreifendsten Veränderungen vornimmt und ebenso zeigt die vergleichende Staatswissenschaft bei den verschiedenen Staaten zur gleichen Periode sehr abweichende Behörden-Organisationen. Die wissenschaftlichen Grundsätze für die beste Art derselben kann nicht das Staatsrecht liefern, sondern die Politik und die technische Erfahrung der einzelnen Verwaltungen. Bl. 91 Als oberste Regeln, die gegenwärtig bei den Kulturstaaten in dieser Beziehung befolgt werden, kann man nur 3 aufstellen – die aber nicht von juristischem Inhalt sind: . . .63 63 Es folgen bis Bl. 91 R. die drei „nichtjuristischen“, allenfalls staatswissenschaftlichen Regeln für die Verwaltungsordnung, die weder für das Staats- und Ver-
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 91 R. II. Eine staatsrechtlich erhebliche Zielsetzung der Behörden und eine juristische Grundlage des Behördensystems ergiebt sich aber aus dem, dem modernen Staatsrecht, insbesondere dem constitutionellen eigenthümlichen Grundsatz der politischen Verantwortlichkeit. Die Chefs der Verwaltungszweige sind nicht nur dem Landesherrn für die treue und gewissenhafte Führung der ihnen anvertrauten Ämter Rechenschaft schuldig, sondern auch dem Landtage insoweit verantwortlich, als demselben eine Controlle darüber zusteht, daß die Regierungsgeschäfte dem Recht und den Interessen des Staates gemäß geführt werden. Diese Verantwortlichkeit reicht viel weiter, als das Institut der Minister-Anklage. Vgl. hierüber unten. Eine nothwendige Folge dieser Verantwortlichkeit ist das Recht der Ressortchefs, die ihnen untergebenen Behörden über die Art und Weise, wie sie ihre Geschäft zu erledigen haben, zu instruiren und ihnen darüber bindende Vorschriften zu ertheilen, also die Gehorsamspflicht und Gebundenheit der untergebenen Behörden. Ausgenommen hiervon sind aber alle diejenigen Behörden, welche die Aufgabe haben, ausschließlich nach dem geltenden Recht zu entscheiden und die Rechtssätze auf den einzelnen Fall anzuwenden. Hierfür kann nicht der Willle des Ministers maßgebend sein, sondern hier handelt es sich um eine logische Operation und demgemäß kann sich auch die Verantwortlichkeit des Ministers nur darauf erstrecken, daß diese Behörden in der Lage sind, diese Operation ungestört und unbeeinflußt vorzunehmen, nicht aber positiv für den Inhalt ihrer Entscheidungen. solche Behörden heißen richterliche im Gegensatz zu den Verwaltungs-Behörden. Für gewisse staatliche Geschäfte Aufgaben, insbesondere auf dem Gebiete des Finanzrechts, giebt es aber Behörden, die theilweise, d.h. für bestimmte Geschäfte, nach der Art von richterlichen Behörden unabhängig zu entscheiden, im übrigen dagegen die Anordnungen des Ressortchefs zu befolgen haben. Hieraus ergiebt sich folgende Eintheilung der Behörden in vier Katergorien: 1. Verantwortliche Ressortchefs 2. Verwaltungsbehörden. 3. Richterliche Behörden. 4. Behörden mit beschränkter richterlicher Unabhängigkeit.
waltungsrecht, noch für Labands juristische Methode von Bedeutung sind und auf deren Abdruck verzichtet wird. Charakteristisch hingegen für die Entwicklung von Labands Denken und juristisch-fachlichem Bewußtsein ist die Tatsache, daß er in späteren Jahren weitschweifige historische, praktische und staatswissenschaftliche Betrachtungen aus seinem Manuskript tilgt, um die rein staatsrechtlichen Sätze der jeweiligen Materie herauszuarbeiten. Beredtes Beispiel ist die bis hierher abgedruckte, später von Laband gestrichene Textpassage.
§ 29 Begriff und juristische Natur des Beamten-Verhältnisses
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Bl. 92 R. B. Die Staats-Beamten.64 § 29 Begriff und juristische Natur des Beamten-Verhältnisses. I. Der Ausdruck Beamter wird in verschiedenem Sinne gebraucht; abgesehen von der Verwendung dieses Wortes für Privatdienstverhältnisse (Wirthschaftsbeamte u. dgl.), ist auch die staatsrechtliche Bedeutung keine ganz feststehende. Im Allgemeinen kann der Ausdruck jeden bezeichnen, „der ein Amt verwaltet“; gleichviel aus welchem Grunde, so daß auch der Schöffe oder Geschworene unter diesen Begriff fällt; allein im technischen Sinne stellt man nun diejenigen Personen, welche aufgrund einer allgemeinen staatsbürgerlichen Pflicht zur Wahrnehmung einzelner obrigkeitlichen Functionen berufen werden, gerade den Beamten gegenüber, und andererseits kann Jemand Beamter sein, ohne daß er wirklich ein Amt verwaltet. Der Unterschied liegt in dem Rechtsgrund der Verpflichtung. Das essentielle Merkmal des Beamtenbegriffs besteht nicht in der actuellen Führung eines Amtes, sondern in der Verpflichtung, ein Amt zu führen, und zwar muß diese Verpflichtung freiwillig übernommen sein, nicht ex lege resultiren, wie die Unterthanenpflichten. Aber auch dieser Begriff umfaßt noch zwei verschiedene Kategorien, die man als Ehrenbeamte und Berufsbeamte einander gegenüber stellen kann. Die Staatsbeamten im engeren und eigentlichen Sinne sind Berufsbeamte; sie machen den Staatsdienst zur Lebensaufgabe, bereiten sich auf denselben vor und verdanken ihm Lebensunterhalt und sociale Stellung. Nebenämter. Bl. 93 II. Das Beamtenverhältniß ist ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältniß. Dadurch wird die juristische Natur desselben charakterisisirt. 1. Es ist ein Dienstverhältniß. Der Beamte steht im Dienst des Landesherrn, aber nicht für seine persönlichen Bedürfnisse und Zwecke, sondern für diejenigen des Staates. Der Landesherr und seiner Eigenschaft als Organ des Staates ist der Dienstherr; deshalb führen die Staatsbeamten zwar die landesherrlichen Prädikate, aber sie sind scharf getrennt von den fürstlichen Privatdienern, Hofbeamten u. s. w. Die Dienstherrlichkeit aber steht dem Landesherrn zu, nicht dem unpersönlichen Staate als solches, und demge64 Vgl. Laband, den Abschnitt „Die Reichsbeamten“ in: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches 1. Bd. 1. A. 1876 S. 382 ff.
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mäß ist der Beamte dem Landesherrn persönlich Treue und Gehorsam schuldig, er wird von ihm eingestellt und eventuell entlassen, er leistet ihm dem Diensteid u. s. w. 2. Das Dienstverhältniß ist ein öffentlich-rechtliches in Bezug auf den Inhalt. Der Beamte ist verpflichtet, Staatsgeschäfte zu führen und dies kann er nicht anders als nach Maßgabe der Staatsgesetze und anderer zu Recht bestehenden staatlichen Vorschriften. Die Rechtssätze über die Kompetenz des ihm übertragenen Amtes bestimmen zugleich den Umfang seiner Dienstpflicht und das Verwaltungsrecht der concreten Dienstzweiges normirt die Art, wie er die Dienstpflicht zu erfüllen hat. Der Beamte steht daher zwar im Dienst des Monarchen, aber nicht unter seiner Willkühr und sein Dienst fördert nicht die persönlichen Zwecke irgendeines Individuums, sondern die staatlichen Interessen. Hierin ist die Erhabenheit dieses Dienstverhältnisses vor anderen begründet. 3. Das Dienstverhältniß ist ein öffentlichrechtliches seinem juristischen Charakter nach. Die Parteien stehen sich nicht wie bei privatrechtlichen Contracten als gleichberechtigt gegenüber, die gegen einander
Bl. 93 R. Forderungen haben, sondern der Beamte begiebt sich unter die Gewalt des Dienstherrn, er unterwirft sich einer Herrschaft. Das Beamten-Dienstverhältniß ist demnach dem Unterthanen-Verhältniß homogen; es ist eine Potenzirung, eine Verstärkung desselben, welche das objective Recht nicht jedem auferlegt, sondern welche freiwillig übernommen werden muß. Deshalb ist auch die Gränze zwischen denjenigen Diensten, die der Staat als Unterthanenpflichten fordert, und denjenigen, welche er von Beamten leisten läßt, eine historisch veränderliche und praktisch nicht ganz festgezogene (Berufs- und Reserveoffiziere, Sicherheitsdienste u. s. w.). Im allgemeinen aber sind die Beamtenpflichten zurückzuführen auf dieselben Kategorien, wie die Unterthanenpflichten, nämlich Treue und Gehorsam, und ihnen steht gegenüber das Recht des Beamten auf Gewährung von Schutz und von Lebensunterhalt. Der Staat erzwingt die Erfüllung dieser Beamtenrechte nicht auf dem Wege gerichtlicher Klage und Exekution, sondern kraft seiner Herrschergewalt vermittlest des Straf- und Disziplinarrechts und er seinerseits erfüllt die genügt den Ansprüchen der Beamten nicht als Erfüllung obligatorischer Verpflichtungen, sondern als Erledigung staatlicher Aufgaben, als Durchführung der öffentlichen Rechtsordnung. Dieser Gegensatz wird deutlich durch eine Vergleichung des Verhältnisses zwischen dem Landesherrn und dem Staatsbeamten mit dem Verhältniß zwischen Fiskus und Lieferanten oder Arbeiter; im letzteren Fall kann zwar
§ 30 Die Begründung des Beamten-Verhältnisses
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der Fiskus Conventionalstrafen vereinbaren, die im Falle der Pflichtverletzung zu entrichten sind, aber rechtlich stehen sich beide Contrahenten gleichwerthig gegenüber.
Bl. 94 § 30 Die Begründung des Beamten-Verhältnisses I. Das Beamten-Verhältniß wird durch die Anstellung begründet. Die rechtliche Natur derselben ist streitig. Die meisten erachten sie für einen einseitigen Akt des Staates; dies ist aber nur scheinbar; sie setzt einen Consens voraus; nur die Erklärung desselben ist eine verschiedene; auf Seiten des Landesherrn erfolgt die Erklärung ausdrücklich durch Ertheilung einer Urkunde, auf Seiten des Beamten durch concludente Thatsachen, durch die Entgegennahme der Urkunde und tathsächlichen Antritt des Amtes. Gewöhnlich wird aber schon vorher die Bereitwilligkeit des Beamten ausdrücklich erklärt und eine Art Vorvertrag nach Analogie der pacta de contrahendo abgeschlossen. Die Auffassung der Anstellung als eines einseitigen Aktes müßte ein Zwangsrecht des Staates zur Voraussetzung nehmen. Dieser Vertrag ist aber kein den privatrechtlichen Contracten ähnliches Geschäft; er hat sein historisches Vorbild in der Commendation. Er hat Ähnlichkeit mit dem Naturalisationsvertrag. Der Inhalt des Anstellungsvertrages ist von dem Belieben der der Contrahenten gewöhnlich nicht abhängig, sondern steht durch Gesetz fest. Die Regierung kann in der Regel den Beamten weder andere Rechte noch andere Pflichten auferlegen, als die dem Gesetz entsprechenden und der Beamte kann sich meistens besondere Vortheile nicht ausbedingen. Inhalt ist Begründung der Dienstverpflichtung, nicht Amtsverleihung, aber Dienst in einer bestimmten Dienstzweig. Dadurch wird aber der Begriff des freiwilligen und zweiseitigen Rechtsgeschäfts, also des Vertrages, nicht ausgeschlossen; denn nur darauf kömmt es an, daß der Consens zum Abschluß erforderlich ist; der Inhalt kann stereotyp feststehen. Es gilt dies von zahlreichen Geschäften der Staatsverwaltung.
Bl. 94 R. II. Die Contrahenten den Vertrages sind folgende: 1. Der Landesherr; es ist aber nicht erforderlich, daß er den Vertrag selbst schließt, d.h. die Anstellungsurkunde eigenhändig zeichnet; die Anstellung kann wie alle Verwaltungsgeschäfte den Ministern oder anderen Behörden übertragen sein, die dann im Namen des Souverains handeln. Gewöhnlich
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2. Teil: Staatsrecht
erhalten die höheren Beamten ein landesherrliches Patent. Ernennung kann auch von einem Präsentationsrecht abhängig gemacht sein. 2. Der Beamte. In seiner Person ist abgesehen von der allgemeinen Handlungsfähigkeit erforderlich, der Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte, ferner die für das betreffende Amt erforderlichen Qualifikationen, insbesondere die Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen; nach einigen Partikularrechten auch Staatsangehörigkeit. Die Ablegung der Prüfung an sich begründet die Beamteneigenschaft nicht. Vertretung unzulässig. Militärdienstanwärter. III. Der Anstellungsvertrag ist perfect mit der Aushändigung des Patentes; von diesem Zeitpunkt an beginnen daher in der Regel die Pflichten und Rechte der Beamten. Probedienst, Vorbereitungsdienst. Hingegen ist wol zu unterscheiden die Übertragung eines Amtes; dieselbe kann später, unter Umständen auch früher, erfolgen. Die Anstellung des Beamten soll aber nur zu dem Zwecke geschehen, daß ihm ein Amt übertragen werde, also nur nach Maßgabe des Behördensystems und Etats. Die Übertragung des Amtes hat zur folge: 1. Die Ableistung des Amtseides; hiervon sind aber weder die Amtspflichten noch die aus dem Anstellungsvertrage resultirenden Rechte und Pflichten abhängig. 2. Bisweilen die Leistung einer Kaution, wenn mit dem Amte eine Kassen- oder Materialien-Verwaltung verbunden ist. Dies ist ein FaustpfandVertrag. Die Kaution kann auch ein Dritter für den Beamten leisten.
Bl. 95 § 31 Die Pflichten und Beschränkungen der Staatsbeamten I. Die Pflicht zur Amtsführung. Jeder Beamte muß die ihm obliegenden Dienste thun, die zur Amtsführung erforderlichen Arbeiten leisten. Das Maß dieser Dienste ist gewöhnlich nicht fixirt, sondern bestimmt sich nach dem Geschäftsumfang des Amtes und qualitativ nach den Anforderungen der Treue. Residenzpflicht. Von einzelnen Geschäften kann der Beamte durch den Dienstvorgesetzten dispensiert werden; von der Amtsführung überhaupt kann er zeitweilig befreit werden durch Ertheilung von Urlaub. Ein solcher ist nicht erforderlich zum Eintritt in den Landtag oder Reichstag. Bei Verhinderung des Beamten zur Amtsführung durch Krankheit oder durch Einziehung zum Militair- oder Gerichtsdienst ist zwar kein Urlaub erforderlich, aber dem unmittelbaren Vorgesetzten ist Anzeige zu erstatten. Die Pflicht zur Amtsführung wird näher bestimmt durch die Pflicht zur Treue und zum Gehorsam.
§ 31 Die Pflichten und Beschränkungen der Staatsbeamten
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Hierin ist auch enthalten die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Die Gehorsamspflicht bezieht sich nur auf dienstliche Befehle, nicht auf anderweitige Anordnungen der Vorgesetzten. Die Gehorsamspflicht ist aber auch hinsichtlich der dienstlichen Befehle beschränkt, in dem der Beamte gesetzwidrige Anordnungen des Vorgesetzten nicht ausführen darf. Ein durch den Staat verbotener Befehl kann niemals ein amtlicher d.h. staatlicher sein. Der Beamte muß daher auf eigene Gefahr und Verantwortlichkeit prüfen, ob der ihm ertheilte Befehl gesetzwidrig ist oder nicht. Diese Prüfung kann sich aber nicht erstrecken auf die materielle Richtigkeit (Gesetzesmäßigkeit), sondern nur darauf, ob der Vorgesetzte formell competent ist, den in frage stehenden Befehl zu ertheilen, und ob der beauftragte Beamte formell competent ist, die ihm befohlene Amtshandlung vorzunehmen.
Bl. 95 R. II. Pflicht eines achtungswürdigen Verhaltens auch im außeramtlichen Lebenswandel. III. Eine Consequenz der durch das Beamtenverhältniß gegebenen Lebensstellung sind gewisse Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit des Beamten; dahin gehören: 1. Das Verbot, Handelsgewerbe oder andere bürgerlichen Gewerbe zu betreiben, u. Nebenämter oder Nebenbeschäftigungen zu übernehmen, welche mit Remunerationen verbunden sind. Bisweilen ist auch die Übernahme von Communalämtern und Vormundschaften, sowie der Eintritt in den Vorstand oder Verwaltungsrath eines Actien-Vereins von der Genehmigung der vorgesetzten Behörde abhängig gemacht. 2. Das Verbot, Orden, Titel und Geschenke von anderen Staaten ohne Genehmigung des Landesherrn anzunehmen. Zur Annahme von Geschenken durch Privatpersonen, die mit Bezug auf das Amt gegeben werden, ist öfters die Erlaubniß der vorgesetzten Behörde erforderlich. 3. Manche Gesetze schreiben vor, daß Beamte oder einzelne Klassen derselben zur Eingehung der Ehe des Dispenses der vorgesetzten Behörde oder des Landesherrn bedürfen. Wenn ein Beamter ohne Consens heirathet, so zeiht dies nicht die Ungültigkeit der Ehe nach sich, sondern ist eine Pflichtverletzung.
Bl. 96 IV. Die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung Seitens des Beamten können von dreifacher Art sein, strafrechtliche, privatrechtliche und dienststraf-
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rechtliche, disciplinarische, die letzteren sind die eigentlich staatsrechtlichen, der spezifischen Natur des Beamtenverhältnisses entsprechenden. 1. Nicht alle pflichtwidrigen Handlungen der Beamten ziehen kriminelle Ahndungen nach sich, sondern nur diejenigen, welche zum Thatbestande eines strafrechtlichen Delicts durch die Strafgesetzgebung erklärt sind. Welche dies sind, ist nicht a priori zu bestimmen oder aus staatsrechtlichen Prinzipien herzuleiten; es entscheiden darüber allein Gründe der Gesetzgebungspolitik. Die schwereren Fälle der Pflichtverletzung, die strafrechtlich geahndet werden, bilden den Thatbestand der sog. Amtsverbrechen. Dieselben lassen sich in 2 Klassen theilen: a) Handlungen und Unterlassungen, welche an sich strafbar sind, auch dann, wenn sie ein Nichtbeamter begeht, die aber mit erheblich höheren Strafen bestraft werden, wenn sie von einem Beamten verübt worden sind. Sogen. uneigentliche Amtsdelicte. Beispiel: Unterschlagung amtlich anvertrauter Gelder. Mißbrauch amtlicher Gewalt zur Verübung gemeiner Verbrechen. b) Handlungen, welche nur von Beamten verübt werden können und ihnen daher auch nur untersagt sind. Eigentliche Amtsdelicte. Vgl. Reichsstaatsr. I. S. 437 fg.65 2. Auch privatrechtliche Folgen sind nicht nothwendig nit den Pflichtverletzungen der Beamten verbunden; solche treten nur dann ein, wenn der Beamte einen pekuniären Schaden angerichtet hat. Beschädigt kann entweder der Fiskus sein, oder ein Dritter; aber auch in ersterem Falle ist die Schadensersatzpflicht des Beamten ein(e) außercontractliche(r); denn der Anstellungsvertrag ist eben kein vermögensrechtlicher Contract. BGB § 839. – Spezialvorschriften bestehen in der Regel für den Ersatz von sogen. Defecten. 3. Die Disciplinar-Folgen bilden die eigentliche Reaction des Dienstherrn gegen die Pflichtwidrigkeit des Beamten; sie bestehen in einer Bestrafung des letzteren, aber sie bilden nicht einer Ergänzung des Strafrechts, sie treten vielmehr auch neben einer cirminellen Strafe ein, sondern sie bilden ein Surrogat der privatrechtlichen Klage auf Erfüllung der Dienstpflichten resp. auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Der Staat bedarf nicht der Klage, er bedient sich seiner Gewalt, seiner Zwangsbefugniß. Das Mittel zur Ausübung derselben ist das disciplinarische Einschreiten. Jede Verletzung der Dienstpflicht ist ein Dienstvergehen; den drei Dienstpflichten entsprechend 65
Laband verweist hier auf das fünfte Kapitel des 1. Bandes seines „Staatsrechts des Deutschen Reiches“: „Die Organisation der Reichsgewalt“, III. Abschnitt „Die Reichsbehörden und Reichsbeamten“ § 41 „Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung“. Einer der wenigen weiteren Verweise auf das Reichsstaatsrecht im gesamten Vorlesungsmanuskript befindet sich unten auf Bl. 97.
§ 33 Versetzung, Stellung zur Disposition und Suspension
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kann man daher drei Arten von Disciplinarvergehen unterscheiden, Nichterfüllung der Amtsleistungen, Ungehorsam und Treuebruch, ein nicht achtungswürdiges Verhalten; hierzu kömmt noch die Nichtbeachtung der den Beamten auferlegten Beschränkungen. Die Disciplinarstrafen sind Verweis, Geldstrafen, Strafversetzung und Dienstentlassung. Abweichend der Disciplinarordnung für das Heer und die Uni., welche ein wirkliches Strafgesetzbuch und Strafprozeßordnung für die leichteren Fälle ist.
Bl. 97 § 32 Die Rechte der Staatsbeamten.
Reichsstaatsr. § 42, 43.
I. Anspruch auf Schutz bei Ausübung der Amtsgeschäfte. Dieser Schutz wird gewährt durch Strafdrohungen gegen gewaltsamen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gegen gewaltsame Nöthigung von Beamten zur Vornahme oder Unterlassung einer Amtshandlung. RStGB § 113, 114. Amtsbeleidigung. Nöthigenfalls militär. Schutz. II. Anspruch auf dienstliche Auslagen und Verwendungen, Diäten und Reisekosten, Umzugskosten u. s. w., sowie auf standesmäßigen Unterhalt (Gehalt). Derselbe hat nicht den Charakter der Lohnzahlung, sondern der Alimentierung (Dotierung) mittelst einer Rente. Die Pflicht des Staates dauert auch fort, wenn der Beamte nicht mehr dienstfähig ist (Pension). Diese vermögensrechtlichen Ansprüche können in den meisten Staaten im gewöhnlichen Wege des Civilprozesses geltend gemacht werden. Ein Accessorium sind die Ansprüche der Hinterbliebenen auf das Gnadenquartal, Unterstützungen und bisweilen Witwenpension. III. Persönliche Ehrenrechte, nämlich Titel und Rang-Uniform.
§ 33 Versetzung, Stellung zur Disposition und Suspension. Die Eigenschaft eines Beamten und die damit verbundenen Rechte und Pflichten sind wohl zu unter scheiden von der Führung eines bestimmten Amtes; sie können daher fortdauern, wenn das Amt, mit dessen Verwaltung der Beamte betraut war, ihm entzogen wird, sei es, daß ihm ein anderes übertragen wird oder er zunächst ohne Amt bleibt. Indessen ist das Recht der Regierung, Beamte von der Verwaltung des ihm übertragenen Amtes zu dispensieren, beschränkt; denn da Beamte nur zum Zweck der Amtsführung angestellt werden dürfen, so dürfen sie in der Regel auch nicht ohne Amt belassen werden. Im einzelnen sind folgende Fälle zu unterscheiden:
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 97 R. 1. Versetzung. Diesselbe muß sich im Allgemeinen jeder Beamte gefallen lassen, wenn sie im Interesse des Dienstes ohne Verminderung seines Gehaltes und Ranges erfolgt; es sind ihm aber die Umzugskosten zu ersetzen. Nur richterliche Beamte bilden eine Ausnahme, sie können nur mit ihrer Zustimmung in ein anderes Amt versetzt werden. 2. Stellung zur Disposition. Die Regierung kann gewisse Beamte, bei denen eine fortdauernde Übereinstimmung in prinzipiellen Ansichten mit der leitenden Autorität nothwendig ist, von der Führung des Amtes entheben. Diese Beamte behalten Rang und Titel und den Anspruch auf eine gewisse Quote des Gehaltes, das sogen. Wartegeld. Sie sind verpflichtet, ein ihnen von Neuem übertragenes Amt wieder zu übernehmen, sie haben die Pflichten der Treue und des Gehorsams, der Amtsverschwiegenheit, des achtungswürdigen Verhaltens. Sie unterliegen der Beamtendisziplin; die Zeit der Dispositionsstellung kömmt bei der Berechnung der Dienstzeit in Ansatz. 3. Suspension. Dieselbe tritt ein, wenn ein Beamter wegen eines Vergehens verhaftet wird oder zum Verlust des Amtes verurteilt Dieselbe tritt ein, wenn Beamte wegen Vergehen oder Verbrechen angeklagt, oder (nicht rechtskräftig) verurtheilt werden oder wenn die Fortführung des Amtes durch den Beamten mit Gefahren verbunden erscheint. Der Anspruch auf Gehalt wird durch die Suspension zwar nicht berührt; es kann aber gewöhnlich ein Theil des Gehalts mit Beschlag belegt werden. Die Suspension hört auf entweder mit der Entfernung des Beamten aus dem Amt Dienst oder mit dem Wiedereintritt desselben in das Amt. Bl. 98 § 34 Die Beendigung des Dienstverhältnisses Die Beendigung des Beamtenverhältnisses kann in doppelter Art erfolgen, entweder in vollständiger, das Verhältniß gänzlich beseitigender Weise, oder so, daß ein Rest des Beamtenverhältnisses noch bestehen bleibt. In dem ersteren Falle hat der Beamte gar keine Rechte gegen den Staat und demgemäß auch gar keine Pflichten; in letzterem Falle behält der Beamte Rang, Titel und Pension und hat demgemäß auch noch gewisse, wenngleich sehr abgeschwächte Pflichten, insbesondere die des achtungswürdigen Verhaltens. Man kann diese beiden Fälle als Entlassung und Pensionierung einander gegenüberstellen.
§ 35 Das Ehrenamt
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I. Entlassung 1. Der Beamte hat jeder Zeit das Recht, ohne Angabe von Gründen seine Entlassung zu fordern; es ergiebt sich dies aus der Natur seiner Verpflichtung und es ist das Correlat der staatlichen Disciplinargewalt. 2. Dagegen hat der Staat das Recht, den Beamten nach Belieben zu entlassen in der Regel nicht; der Beamtenberuf ist ein Lebensberuf; die Stellung des Staates ist auch eine völlig andere, wie die des Beamten. In der Regel erfolgt die Anstellung der Beamten auf Lebenszeit; das Gegentheil muß besonders bedungen werden. Eine Entlassung des Beamten kann daher nur erfolgen, wenn er dieselbe verschuldet hat entweder durch die Erkenntniß der Disziplinarbehörde oder als Nebenstrafe aufgrund eines gerichtlichen Urtheils. II. Pensionierung. 1. Auf Antrag des Beamten. Erforderlich ist der Nachweis der Dienstunfähigkeit; in manchen Gesetzen ist aber derselbe für entbehrlich erklärt, wenn der Beamte eine gewisse Zahl von Dienstjahren oder Lebensjahren hat. Gewisse politische Beamte können ihre Entlassung mit Pension jederzeit verlangen. 2. Auf Verlangen der Regierung. In diesem Falle kann der Beamte Widerspruch erheben und es findet alsdann ein contradictorisches Verfahren statt.
Bl. 98 R. § 35 Das Ehrenamt I. In gewissen Fällen verlangt der Staat die Übernahme eines Kreises staatlicher Geschäfte unentgeldlich66, als ein sogen. Ehrenamt. Sehr oft erfolgt die Berufung hierzu durch eine Wahl, durch welche sich das Vertrauen der Wahlberechtigten zu dem Gewählten ausspricht. Das Ehrenamt kann entweder auf gesetzlicher Pflicht beruhen oder auf freiwilliger Übernahme. Nur im letzteren Fall ist der Führer des Amtes ein Beamter im juristischen Sinn und steht unter den allgemeinen für Beamte geltenden Rechtsregeln. Das Verhältniß des Ehrenbeamten zum Staat ist juristisch von dem des Berufsbeamten in folgenden Punkten verschieden: 66
Labands gewöhnliche Schreibweise dieses Wortes.
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1. Die Übernahme des Amtes erfolgt nicht freiwillig, insbesondere nicht in Erfüllung einer durch Rechtsgeschäft begründeten Verpflichtung. . . 67 Bl. 99 Alle unbesoldeten Ämter nennt man Ehrenämter. Die Pflicht, solche Ämter zu übernehmen, kann eine gesetzlich begründete Pflicht aller Staatsangehörigen oder gewisser Klassen derselben sein, so daß derjenige, dem das Amt übertragen wird, es übernehmen muß, falls ihm nicht besondere Entschuldigungsgründe zur Seite stehen – oder die Pflicht kann durch freiwillige Übernahme begründet sein, indem man sich dem Staat durch eigenen Willen zur Führung gewisser Geschäfte zur Verfügung stellt. Nur im letzteren Fall liegt das für die Beamtenstellung wesentliche Dienstverhältniß vor, z. B. bei den Wahlconsuln, den Handelsrichtern u. s. w., dagegen nicht bei den Geschworenen, Schöffen, den Organen der Berufsgenossenschaften, Einschätzungskommissionen, Vormund. Nicht zu den Ehrenbeamten zählen die im Vorbereitungsdienst beschäftigten Personen, z. B. Referendare. Der wesentlich juristische Unterschied zwischen den Ehrenbeamten und im eigentl. Sinne und denjenigen Personen, welche Kraft einer gesetzlichen Unterthanenpflicht ein Amt verwalten, besteht darin, daß die gesetzlichen Vorschriften über das Dienstverhältniß auf die ersteren Anwendung finden, somit nicht besondere Ausnahmen anerkannt sind, auf die letzteren nicht. Bl. 99 R. Dagegen finden die aus der Amtsführung entspringenden Regeln auf beide Kategorien gleichmäßig Anwendung. Die Rechtsfolgen des Dienstvertrages sind jedoch abgeschwächt, so daß thatsächlich das Rechtsverhältniß der Ehrenbeamten und der Kraft Gesetzes zur Führung von unbesoldeten Ämtern Berufenen einander sehr nah kommen. Die wichtigsten Unterschiede gegen die Rechte und Pflichten der Berufsbeamten sind folgende: 1. Der Anspruch auf Gehalt, Wartegeld, Pension und Relictenversorgung ist nicht begründet; dagegen besteht der Anspruch auf Ersatz der Auslagen. Es kann auch eine Vergütung für Zeitversäumniß, die Gewährung von Diäten und selbst eine Renumeration für die Dienstleistung (Reserve- und Landwehr-Offiziere im activen Dienst) zugesichert sein. 67 Die gesamte Seite Bl. 98 R. ist von Laband zunächst in einzelnen Passagen, dann als Ganzes mit allen Ergänzungen durchgestrichen worden. Zum Vergleich mit der nun folgenden gültigen Fassung soll der Abdruck bis hierher genügen.
§ 36 Begriff und Wesen der Selbstverwaltung
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2. Dementsprechend besteht das Verbot des Gewerbebetriebs nicht; ebensowenig eine Beschränkung in der Wahl resp. Verlegung des Wohnsitzes. 3. Die Disciplinarvorschriften gelten auch für Ehrenbeamte; jedoch fällt die Strafe der Versetzung in ein anderes Amt fort und die Strafe der Dienstentlassung hat den Charakter der Ehrenstrafe, die Geldstrafe hat den Charakter der Ordnungsstrafe, wie sie auch zur Erzwingung gesetzlicher Unterthanenpflichten verschiedenster Art statt findet. 4. Es giebt keine Versetzung in ein anderes Amt im Interesse des Dienstes und keine Stellung zur Disposition, wohl aber Stellvertretungsämter Entlassung.
Bl. 10168 IV. Abschnitt Die Selbstverwaltung
22. Juni 23. Okt.
§ 36 Begriff und Wesen der Selbstverwaltung I. Der Staat kann seine Aufgaben unmittelbar durch seinen Behörden-Apparat durchführen; auch die untersten und geringfügigsten, lokalen und auf einen kleinen Raum beschränkten Geschäfte kann er durch die in seinem Dienst stehenden und von ihm direct abhängigen Beamten vollziehen lassen, wie dies in der That in vielen Verwaltungszweigen geschieht. Es giebt aber noch einen anderen Weg zur Erreichung desselben Ziels, indem der Staat nicht direct über die gestaltlose, unorganisirte Volksmasse herrscht, sondern sich eines Systems von politisch Gebilden bedient, die ihm unterworfen sind, denen er aber die Handhabung der obrigkeitlichen Befugnisse überträgt, so daß sie einen Zwischenbau zwischen der souverainen Staatsgewalt und den einzelnen Unterthanen bilden. Diese Zwischenglieder können in sehr verschiedenartiger Weise organisirt sein; die aristotel. Eintheilung der Staatsformen in monarchische, aristokratische und demokratische paßt auch auf sie, ist aber mehr eine politisch-sociale als formell-juristische. In letzterer Rücksicht ist vielmehr auch hier – wie beim Staat – die Unterscheidung in monarchische und republikanische oder korporative die wissenschaftlich maßgebliche. Der mittelalterlichen feudalen Verfassung entsprach die monarchische Form der Selbstverwaltungskörper; die Grundherrn und in höherer Ordnung die Immunitätsherrn und Fürsten waren die Subjecte der Hoheitsrechte und die Träger der Selbstverwaltung. Dem heutigen Rechte ist ausschließlich die korporative Form 68
Bl. 100, 100 R. unbeschrieben.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 101 R. entsprechend; es wurden nämlich abgegränzte Bezirke mit der ihnen angehörigen Bevölkerung zu korporativen Verbänden organisirt und ihnen wird die Erfüllung gewisser staatlicher Aufgaben unter Einräumung der hierzu erforderlichen Hoheitsrechte übertragen. Die Selbstverwaltungskörper sind demnach dem Staate völlig analog. Sie sind juristische Personen des öffentlichen Rechts, d.h. Subjekte von obrigkeitlichen Rechten, von Hoheits- oder Herrschaftsrechten; aber nicht als eigene; sie haben dasselbe Substrat wie der Staat, nämlich Volk und Gebiet; sie haben Angehörige, denen gegenüber sie gewisse Befugnisse auch dann haben, wenn sich dieselben außerhalb des Gebietes befinden, und sie üben andererseits Hoheitsrechte des Staats in ihrem Gebiete auch gegen Personen aus, die sich dort aufhalten, ohne ihnen anzugehören; sie erfüllen ihre Aufgabe in derselben Form wie der Staat, Gesetzgebung (Autonomie, Statuten), Verwaltung und Rechtsprechung, und mit denselben Machtmitteln; sie haben endlich neben den Hoheitsrechten auch Vermögensrechte, sie bilden zugleich das Substrat einer juristischen Person des Privatrechts, die analog dem Fiskus mit ihrer öffentlich rechtlichen Persönlichkeit verbunden ist. Aber sie sind vom Staate unterschieden durch den Mangel der Souveränetät, der Selbstgenügsamkeit und Selbstbestimmung. Sie bestimmen ihre Kompetenz nicht selbst, sondern erhalten sie vom Staate vorgeschrieben; sie empfangen in der Regel auch ihre Verfassung vom Staate. Sie haben ferner keine eigenen Hoheitsrechte, kein imperium, keine Herrschaft, sondern nur die ihnen vom Staat zur Ausübung übertragenen; sie haben keine „Unterthanen“. Sie haben keine Machtmittel, als diejenigen, welche ihnen der Staat zuweist. Bl. 102 Sie stehen innerhalb der vom Staate gegebenen und aufrecht erhaltenen Rechtsordnung; sie existieren nur kraft der Duldung oder der Schöpfung des Staates und sie können nicht isolirt gedacht werden, sondern nur als Bestandtheile der im Staate verwirklichten politischen Organisation. Andererseits sind sie von den Unterbehörden resp. Verwaltungsbezirken des Staates dadurch verschieden, daß sie die ihnen zustehenden Hoheitsrechte selbständig als eigene Rechte ausüben; in den Staatsbehörden wird die juristische Persönlichkeit des Staates selbst wirksam, in den Behörden der Selbstverwaltungskörper eine dem Staat zwar unterworfene und von ihm beherrschte, begrifflich aber von ihm verschiedene Persönlichkeit. Dar-
§ 36 Begriff und Wesen der Selbstverwaltung
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aus folgt das Bestehen von Rechtsverhältnissen zwischen dem Staat und den Selbstverwaltungskörpern, gegenseitige Rechte und Pflichten, während ein Rechtsverhältniß zwischen dem Staat und seinen Behörden (nicht Beamten) nicht besteht. Es giebt daher eine Gränzlinie zwischen den Befugnissen des Staates und denen der Selbstverwaltungskörper; die letzteren haben nach Maßregeln der concreten Gesetzgebung ein subjectives Recht auf die Ausübung der ihnen übertragenen Hoheitsrechte, das gegenüber dem Staate geltend gemacht werden kann; während es ein subjectives Recht der Behörden gegen den Staat nicht giebt. II. Aus diesem Verhältniß der Selbstverwaltungskörper zum Staate ergiebt sich: 1. Der Staat hat das Recht, das System der Selbstverwaltungskörper einzurichten und zu regeln, ihnen den Kreis ihrer Wirksamkeit vorzuschreiben und die Normen aufzustellen, nach welchen sie thätig werden. Die Selbstverwaltungskörper verwalten nach Maßgabe der Gesetze. 2. Der Staat beaufsichtigt die Organe der Selbstverwaltung und sorgt dafür, daß sie ihre Aufgaben erfüllen, ihre Kompetenz innehalten und die Staatsgesetze befolgen. Bl. 102 R. 3. Die Handhabung der vom Staat aufgestellten Normen, die eigentliche Durchführung der öffentlichen Regierungsaufgaben ist Sache der Selbstverwaltungsorgane; der Staat verzichtet auf diese Thätigkeit und überläßt resp. überträgt sie jenen Zwischengliedern. III. Abweichende Ansichten vom Wesen der Selbstverwaltung. 1. Die ältere Ansicht, welche darunter Lokalparlamente verstand. 2. Die Theorie von Gneist, welche einen Gegensatz von Staat und bürgerlicher Gesellschaft construirt, die Selbstverwaltung einen Zwischenbau zwischen Staat und Gesellschaft nennt und ihr Wesen in der Verwaltung mittelst Ehrenämtern erblickt. Nach Gneist ist Selbstverwaltung eine Art der Staatsverwaltung, nicht der Gegensatz derselben; den Gegensatz bildet vielmehr die Ministerverwaltung, d.h. die Verwaltung durch besoldete und abhängige Beamte. Allein einerseits hat die Selbstverwaltung besoldete Beamte, die Staatsverwaltung unbesoldete (Ehren-) Beamte und überdies giebt es Zwischenstufen (Repräsentationsgelder, Pauschsummen u. dgl.). 1. Die vulgaire Theorie, als deren Vertreter Lorenz v. Stein genannt werden kann, ferner Rößler/Verwaltungsrecht und viele andere. Sie definiren
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2. Teil: Staatsrecht
Selbstverwaltung als „Selbstthätigkeit“ der Bürger und bringen sie mit dem Vereinswesen u. s. w. in Beziehung. Hier fehlt überhaupt jeder Rechtsbegriff. Lokalparlamente sind nur Organe der Selbstverwaltungskörper Ehrenbeamte sind ebenfalls nur Organe, die in den Selbstverwaltungskörpern verwendet werden. G. Meyer nennt Selbstverwaltung die Verwaltung durch Beamte, die keine Berufsbeamten sind (Minister!, Wahlkonsuln, Handelsrichter, Nebenamt!) E. Meier sieht die Wahl! des Amtsinhabers als entscheidend an. Von Stein corporative Grundbesitzerverbände. Gemeinden. Neukamp in Arch. f. öff. R. IV. Selbstverwaltung ist jede von Weisungen einer vorgesetzten Behörde unabhängige Verwaltung! Verwaltungsgerichte. Decentralis. Bl. 103 § 37 Die Gliederung des Selbstverwaltungs-Apparates I. Die Gemeinden 1. Die Gemeinden beruhen auf der durch die Nachbarschaft gegebenen Gemeinschaft der Lebensinteressen; sie sind nächst der Familie die ursprünglichen socialen Verbände und älter als der Staat; sie haben lange Zeit diejenigen Aufgaben selbständig gelöst, die mit den Fortschritten der Kulturentwicklung der Staat übernommen hat. Während im Mittelalter ihre Unabhängigkeit übermäßig entwickelt ist, hat der büreaukratische Staat sie übermäßig herabgedrückt. 2. Die Gemeinden haben immer auch wirthschaftliche Interessen, gemeinnützige Anlagen, Vermögen. Zwischen dieser wirthschaftlichen Verwaltung und der obrigkeitlichen (polizeilichen) besteht ein enger, untrennbarer Zusammenhang. Das Verhältniß der Gemeinden zum Staat kann nur in 3facher Art geordnet sein; entweder sie werden gänzlich zu Verwaltungsdistrikten des Staates herabgedrückt und von dem letzteren absorbirt; oder sie sind wirthschaftlich ganz selbständig und unabhängig, wie Personen des Privatrechts, während ihnen alle obrigkeitlichen Befugnisse entzogen sind, oder endlich sie werden mit selbständiger wirthschaftlicher und obrigkeitlichen Rechten ausgestattet, in beiden Beziehungen aber der staatlichen Gesetzgebung und Controlle unterworfen. Dieses letzte System ist zuerst von Frh. vom Stein in der Preußischen Städte-Ordnung von 1808 durchgeführt worden und liegt allen Gemeinde-Ordnungen, die seit dieser Zeit in Deutsch-
§ 37 Die Gliederung des Selbstverwaltungs-Apparates
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land erlassen worden sind, zugrunde. Preuß. Landgemeinde-O. v. 3. Juli 1891, in Kraft seit 1. April 1892. 3. Die Gemeinden zerfallen in Städte, Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke, die eine von einander sehr abweichende Verfassung haben. – Gründe und Andeutung dieser Eintheilung. Bl. 103 R. 4. Die Voraussetzungen für den Erwerb des Gemeindebürgerrechts sind in den Partikularrechten sehr verschieden bestimmt; es kömmt auch in dieser Hinsicht vor allem darauf an, ob die Gemeinde wesentlich wirthschaftliche Aufgaben hat und als Vermögenssubject in Betracht kommt oder ob sie obrigkeitliche Function und politische Aufgaben hat. Im ersteren Falle kann man den Erwerb des sogen. Gemeindebürgerrechts von einer förmlichen Aufnahme, Einzugs- oder Bürgergeld u. s. w. abhängig machen. Im letzteren Falle muß man allen Einwohnern einen Antheil an dem öffentlichen Leben der Gemeinde, insbesondere an den Wahlen zum Gemeinderath, lassen. Diese letztere Richtung ist in Deutschland zur Herrschaft gelangt; sie wird unterstützt durch die Freizügigkeit, Gewerbefreiheit, Armenpflegepflicht u. s. w. Regelmäßig sind die Gemeinden: Orts-Einwohner-Gemeinden und activ wahlberechtigt sind gewöhnlich: a) alle selbständigen, unbescholtenen großjährigen Orteinwohner – nach vielen Partikularrechten aber nur, wenn sie eine Gemeindesteuer zahlen. b) alle Besitzer von Grundstücken im Gemeindebezirk, auch wenn sie nicht am Orte wohnen; sogen. Forensen. c) Juristische Personen, welche im Gemeindebezirk Grundbesitz oder einen Gewerbebetrieb haben. II. Amtsbezirke69
Bl. 104 – Bl. 112 R. 70
69 Die folgende Passage wurde von Laband gestrichen und ist zudem unvollständig. Auf ihren Abdruck wurde verzichtet. 70 Druckexemplar ohne handschriftliche Anmerkungen.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 113 § 36 a 71 I. Die Selbstverwaltung ist das Correctiv gegen die Nachtheile des constitutionellen Systems, insbesondere gegen den Ministerdespotismus. Die Verantwortlichkeit der Minister lähmt nach oben den Monarchen; denn er kann nichts anordnen, was nicht der Minister gegenzeichnet; sie vernichtet nach unten die Selbständigkeit und freie Entscheidung aller zum Ressort des Ministers gehörenden Behörden und Beamten. Die Gegenmittel gegen den sich hieraus ergebenden Übelstand sind folgende: 1. Die Verwendung des Ehrenamts. Gneist’s Theorie. Gegensatz von Staat und Gesellschaft. Selbstverwaltung ein Zwischenbau. Kritik dieser Theorie. Staat und Gesellschaft sind keine Gegensätze; der Staat ist die organisirte Gesellschaft. Selbstverwaltung kein „Zwischenbau“. Das Ehrenamt ist der Selbstverwaltung nicht wesentlich und der Staatsverwaltung nicht fremd. 2. Vorschlag der Wahl der Beamten; dadurch wird der Minister in der Besetzung der Ämter beschränkt. Begriffl. nicht wesentl. 3. Theilnahme von Laien an den Behörden. Die Art der Besetzung der Staatsbehörden macht nicht aus ihnen Selbstverwaltungsbehörden. 4. Verwaltungsgerichtsb. Ist zwar sehr wichtig und das beste Mittel gegen büreaucratische Willkühr, aber keine Selbstverwaltung. In Frankreich, welches keine Selbstverw. hat, ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgebildet; in England ist es umgekehrt. 5. Decentralisation, Beschränkung des Instanzenzugs. 1. Der wahre Begriff der Selbstverwaltung ergiebt sich aus dem Gegensatz zur Staatsverwaltung. Die Handhabung der Verwaltung wird Gemeinde, Korporationen, weiteren Kommunalverbänden, oder auch Anstalten oder Einzelpersonen übertragen. 71 Laband läßt den folgenden Abschnitt ohne Überschrift. Aus dem Inhalt und der Paragraphenzählung ergiebt sich jedoch, daß es sich um eine zweite Fassung des Abschnitts zur Selbstverwaltung handelt, der angesichts des für spätere Anmerkungen typischen Schriftbildes, den Wechsel zu stichpunktartiger Behandlung und der politisch ambitioniertere Ansatz die spätere Fassung sein dürfte. Der Abschnitt trägt mit „§ 35“ die gleiche Paragraphen-Bezeichnung wie oben der IV. Abschnitt Bl. 101: „Begriff und Wesen der Selbstverwaltung“. Mit Rücksicht auf den überlieferten Bestand weicht die vom Herausgeber gewählte Paragraphenzählung leicht von der erkennbar letztgültigen Labandschen Zählung ab, um eine vollständige inhaltliche Gliederung und durchgehende Zählung zu ermöglichen.
§ 36a Begriff und Wesen der Selbstverwaltung (2. Fassung)
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Bl. 113 R. II. Voraussetzungen und Begriff der SV.72 1.73 Eigene staatsrechtliche Persönlichkeit. Gegens. Gegen die Behörden. Sind keine Behörden. Rechtsverhältnisse mit dem Staat. 2.74 Schaffung durch den Staat. Zuständigkeit Verfassung. 3. Staatscontrolle. Gegensatz zur Oberleitung. 4. Verfassung. Grundherrschaften und Gebietskörperschaften. Land und Leute. Ähnlichkeit und Verschiedenheit mit dem Staat. 5. Vermögensfähigkeit Bl. 114 II. Die Verfassung der Stadtgemeinden in Preußen beruht auf der Stein’schen Städteordnung v. 19. November 1808. Sie ist mehrfach verändert, nicht immer verbessert worden. Die jetzt in Kraft stehende Städteordnung ist vom 30. Mai 1853; sie gilt in den östlichen Provinzen der Monarchie; für Westfalen und Rheinland sind 1856 etwas abweichende Städteord. erlassen worden; in den 1866 erworbenen Provinzen gelten Gesetze, welche sich an die früher dort eingeführten Städteordnungen anlehnen. Alle diese Städteordnungen sind durch spätere Spezialgesetze in einzelnen, z. th. sehr wichtigen Punkten abgeändert worden. Die Hauptgrundsätze des Preuß. Städterechts sind folgende: 1. Der Stadtbezirk ist das Gebiet, in welchem die Stadtgemeinde ihre Verwaltungsbefugnisse und Autonomie ausübt. Die Abgrenzung, insbesondere die Eingemeindung anderer Ortschaften und Grundstücke erfolgt nach Anhörung der Betheiligten Gemeinden oder des Gutsbesitzers durch königliche Verordnung. 2. Gemeindemitglieder sind alle Einwohner, welche in dem Stadtbezirk ihr Domizil haben, ausgenommen Militärpersonen des aktiven Dienststandes. (StO. § 2) Als „Bürger“ werden aber nur diejenigen Mitglieder der Gemeinde bezeichnet, welche das Recht zur Theilnahme an den städtischen Wahlen haben und befähigt und verpflichtet sind, unbesoldete städtische Ämter zu übernehmen. Das Bürgerrecht kann nur ein preußischer Staatsangehöriger haben, der seit einem Jahr Einwohner des Stadtbezirks ist, keine Armenunter72 73 74
Ursprünglicher Text und Ergänzung ist hier kaum auseinander zu halten. Reihenfolge nachträglich verändert. Ursprünglich 3. Ursprünglich 1.
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2. Teil: Staatsrecht
stützung seit einem Jahr erhalten hat und einen gewissen Steuerbetrag entrichtet oder in der Stadt ein stehendes Gewerbe betreibt oder städtischen Grundbesitz hat Forensen. Der Erwerb tritt ipso jure ein; doch kann statutar. angeordnet werden, daß vom Magistrat ein Bürgerbrief zu ertheilen ist. (Ehrenbürger § 6) Bl. 114 R. 3. Die Verfassung der Stadt ist nach der Preußischen Städteordnung der konstitutionellen Staatsverfassung nachgebildet; der Magistrat mit dem Bürgermeister an der Spitze als verwaltendes Organ, welchem die Vertretung der Bürgerschaft als berathendes und beschließendes Organ zur Seite steht. a.) Der Magistrat ist eine kollegialische Selbstverwaltungsbehörde, welche aus dem Bürgermeister, einem Beigeordneten (zweiten Bürgermeister als dessen Stellvertreter) und einer Anzahl von Schöffen besteht. Die letzteren heißen in größeren Städten Stadträthe, Rathsherren, Rathsmänner. Ihre Zahl ist nach der Einwohnerzahl der Städte abgestuft. Außerdem können nach Bedürfniß besoldete Mitglieder gewählt werden. (Syndikus, Kämmerer, Schulrath, Baurath u. s. w.) (§ 29). Inkompatibilitäten § 30 cod. Der Bürgermeister und die anderen besoldeten Mitglieder werden auf 12 Jahre oder auf Lebenszeit (Ges. v. 25. Feb. 1856), der Beigeordnete und die unbesoldeten Mitglieder auf 6 Jahre von den Stadtverordneten gewählt. Alle drei Jahre scheidet die Hälfte der Schöffen aus. Wiederwahl ist zulässig. Die Mitglieder bedürfen der Bestätigung, welche hinsichtlich der Bürgermeister und Beigeordneten in Städten von mehr als 10.000 Einwohnern dem Könige, sonst dem Regierungspräsidenten zusteht. (§ 33) Sie werden vereidigt. Der Magistrat hat die Gesetze und Verordnungen, sowie die Verfügungen der ihm vorgesetzten Behörden auszuführen. Er hat die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung vorzubereiten und, soweit er sich mit denselben einverstanden erklärt, zur Ausführung zu bringen; beanstandet er dieselben, so entscheidet auf Antrag eines Theils der Bezirksausschuß. Bl. 115 Der Magistrat hat ferner die Gemeindeanstalten und das Gemeindevermögen zu verwalten, die Einnahmen und Ausgaben auszuweisen und das Kassen- und Rechnungswesen zu überwachen. Er hat die Stadtgemeinde zu vertreten und die Gemeindebeamten anzustellen und zu beaufsichtigen, u. a.
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Die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten ist besonders geregelt durch das Ges. v. 30. Juli 1899. Der Magistrat beschließt nach Stimmenmehrheit. (Über die Beschlußfähigkeit siehe St.O. § 57). b.) Der Bürgermeister leitet und beaufsichtigt den ganzen Geschäftsgang der städtischen Verwaltung und hat eine Disciplinargewalt über über die städtischen Beamten (Geldstrafen bis 9 M. und hinsichtlich der Unterbeamten Arreststrafen bis zu 3 Tagen). Er hat ferner, sofern nicht eine königliche Polizeibehörde eingesetzt ist, die Handhabung der Ortspolizei, die Verrichtungen eines Hülfsbeamten der Staatsanwaltschaft und die Funktionen des Amtsanwaltes. Endlich hat er alle örtlichen Geschäfte der Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und allgemeinen Staatsverwaltung und die Führung der Personenstandsregister wahrzunehmen, sofern nicht andere Behörden dazu bestimmt sind. (§ 62 Ziff. II). c.) Die Stadtverordneten-Versammlung besteht aus gewählten Mitgliedern; die Zahl beträgt in Gemeinden von weniger als 2500 Einw. zwölf und steigt nach Maßgabe der Bevölkerung (§ 12). Die Wahl erfolgt nach dem Drei-Klassen-Wahl-System nach den Steuerbeträgen. § 13 Fiktion von 3 M. Staatssteuer für die zu einer direkten Staatssteuer nicht veranlagten Personen. (Ges. v. 30. Juni 1900). Die Hälfte der von jeder der drei Abtheilungen zu wählenden Stadtverordneten muß aus Hausbesitzern bestehen. (§ 16). Inkompabilitäten § 17 Die Wahl erfolgt auf sechs Jahre; alle zwei Jahre scheidet ein Drittel aus (§ 18). Die Wahl ist öffentlich, mündlich. Erkl. zu Protokoll (§ 25). (Über die Wahlprüfung rsp. Anfechtung § 27)
Bl. 115 R. Die Stadtver.Vers. beschließt über alle Gemeinde-Angelegenheiten, welche nicht ausschließlich dem Magistrat oder Bürgermeister zugewiesen sind. Die Beschlüsse, selche dem Magistrat zur Ausführung überwiesen sind, bedürfen der Zustimmung des letzteren; die Stadtv. Vers. darf ihre Beschlüsse in keinem Falle selbst zur Ausführung bringen (§ 36). Die St.V. kontrolliert die städt. Verwaltung (§ 37); sie beschließt über die Benutzung des Gemeindevermögens (§ 49) und über den Gemeindehaushalt und die Aufnahme von Anleihen. § 66 ff. (Erforderniß der Genehmigung des Bezirksaussch. oder des Regier.-Präsidenten, § 50)
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2. Teil: Staatsrecht
d.) Deputationen aus Mitgliedern des Magistrats oder aus Mitgliedern des Magistr. und der Stadtv. für einzelne Geschäftszweige oder einzelne Angelegenheiten (§ 59). e.) Die Kommunalaufsicht wird von den Regierungspräsidenten und in zweiter und letzter Instanz von den Oberpräsidenten geübt. (Zuständigk.Ges. § 7). Jedoch ist in einer sehr großen Zahl von Angelegenheiten die verwaltungsgerichtliche Entscheidung des Bezirksausschusses resp. des Oberverwaltungsgerichts vorgesehen. § 38 Die süddeutsche, insbesondere die bayer. Gemeindeordnung Unter dem Einfluß des französischen Rechts besteht in süddeutschen Staaten und der Preußischen Rheinprovinz ein anderes Verfassungsprinzip für die Gemeinde. Es stehen sich nicht zwei Kollegien gegenüber, sondern die gesammte Verwaltung ist in büreaukratischer Weise in der Hand des Bürgermeisters konzentriert. Auch wenn in den größeren Gemeinden ihm für einzelne Angelegenheiten Beigeordnete zur Seite stehen, bilden sie mit ihm kein Kollegium, sondern der Bürgermeister allein hat die Entscheidung und Verwaltung. Bei dieser Verfassung ist der Bürgermeister zugleich der Vorsitzende der Statdverordn. Vers., die in der Regel Gemeinderath heißt, so daß Bürgermeister und Gemeinderath gemeinsam berathen und beschließen. In der Rheinprovinz ist es den Gemeinden gestattet, statt dieses Systems das Magistrats-System anzunehmen. Bl. 116 III. Die Landgemeinde. Nach dem jetzigen preußischen Recht der östlichen Provinzen ist auch die Landgemeinde Einwohnergemeinde; das früher geltende Prinzip der Grundbesitzergemeinde ist beseitigt; doch haben Forensen mit größerem Grundbesitz gewisse Befugnisse. Von den Gemeindeangehörigen werden aber unterschieden die Gemeindeglieder, welche den Bürgern der Städteordnung entsprechen (Wahlrecht und Befähigung und Pflicht zur Führung von Gemeinde-Ämtern). Preuß. Landgemeinde Ordn. v. 3. Juli 1891. An die Stelle der Stadtverordn.Vers. (oder des Gemeinderaths) tritt die Gemeindeversammlung, d.h. die Versammlung aller stimmfähigen Gemeindegenossen. Wenn aber die Zahl der letzteren mehr als 40 beträgt, hat an stelle der Gem.-Vers. eine Gemeindevertretung, welche von der Gem.-Vers. gewählt wird, zu treten. In der Gemeinde-Versamml. haben die mit Grundbesitz angesessenen Mitglieder mindestens 2/3 der Stimmen und die größeren Besitzer haben jeder 2 bis 4 Stimmen. Das Stimmrecht ist im Allgemeinen persönlich aus-
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zuüben. Frauen, Minderjährige und juristische Personen müssen sich vertreten lassen; Forensen ist dies gestattet. Die Gemeinde-Vertretung entspricht der Stadtv.Vers.; sie besteht in den östlichen Provinzen aus mindestens 9 Mitgliedern; mindestens 2/3 müssen Grundbesitz haben. Die Wahlen erfolgen nach dem Dreiklassen-System; alle zwei Jahre wird ein Drittel erneuert. Den Vorsitz führt der Gemeindevorsteher; die Beschlüsse werden nach Majorität gefasst. Der Gemeindevorstand besteht regelmäßig nur aus dem Gemeindevorsteher, welchem im Falle des Bedürfnisses Beigeordnete zur Seite gestellt werden; es besteht aber das Büreausystem. Nur in den großen Gemeinden kann durch Ortsstatut aus dem Vorsteher und dem Beigeordneten ein kollegialer Gemeindevorstand gebildet werden. Der Vorsteher und die Beigeordneten Bl. 116 R. werden auf 6 Jahre gewählt und bedürfen der Bestätigung des Landraths. Zur Versagung der Bestätigung ist die Zustimmung des Kreisausschusses erforderlich. Die Aufsicht über die Landgemeinde führt der Landrath, in zweiter und letzter Instanz der Regierungspräsident. IV. Die Gutsbezirke sind Gebiete, welche von dem Gemeindeverband ausgenommen sind; ihre Entstehung führt zurück auf die Gutsherrschaften u. sogen. Rittergüter. In denselben besteht kein korporativer Verband und keine Gemeindeversammlung, sondern der Gutsherr ersetzt einen solchen, er hat diejenigen Rechte und Pflichten, welche der Gemeinde für den Gemeindebezirk gesetzlich obliegen, für den Gutsbezirk und er trägt die damit verbundenen Lasten. Diese Funktionen kann der Gutsbesitzer durch einen dazu befähigten Stellvertreter als Gutsvorsteher ausüben lassen. V. Die Landgemeinden, Gutsbezirke und kleinen Ackerbürger-Städte können sich zu Kommunalverbänden für gewisse bestimmte Zwecke vereinigen, zu deren Erreichung sie vereinzelt und allein nicht leistungsfähig sind. Dahin gehören Verbände zum Zweck der Armenpflege, des Wegebaus, der Anlage von Deichen, der Krankenpflege, der Unterhaltung von Schulen, von Feuerspritzen u. s. w. Die Bildung solcher Verbände erfolgt entweder freiwillig bei Zustimmung sämmtlicher Betheiligter durch Beschluss des Kreisausschusses, oder zwangsweise im öffentlichen Interesse durch Verfügung des Oberpräsidenten. Solchen Verbänden können die Rechte öffentlicher Korporationen beigelegt werden; ihre Zwecke und Einrichtungen sind durch ein Statut festzusetzen. Groß-Berlin ein solcher Kommunalverband.
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Bl. 117 § 39 Gemeinde-Ordnung für Elsaß-Lothringen v. 6. Juni 1895. 1. Keine Unterscheidung von Stadt- und Landgemeinden, aber gewisse besondere Vorschriften für Gemeinden mit mehr als 25 000 Einwohnern und die ihnen gleichgestellten (namentlich Kreishauptorte, falls der Gemeinderath die Annahme dieser Bestimmungen beschließt; bei anderen Gemeinden ist kaiserliche Anordnung erforderlich.) 2. Der Bürgermeister führt die Verwaltung. Er wird durch einen – oder mehrere – Beigeordnete unterstützt und in Behinderungsfällen vertreten. Büreaukrat. System; kein Magistratskollegium. Sie werden in den Großgemeinden auf Grund eines Vorschlags des Gemeinderaths vom Kaiser ernannt, sie brauchen also nicht Mitglieder des Gemeinderaths zu sein; die Ausübung dieser Befugnis ist dem Statthalter übertragen. In den übrigen Gemeinden werden die Bürgermeister und Beigeordnete aus der Zahl der Mitglieder des Gemeinderaths durch den Bezirkspräsidenten ernannt. Bürgermeister und Beigeordnete verwalten in der Regel ihr Amt unentgeldlich; sie haben Anspruch auf Ersatz der Auslagen und die stellen können vom Gemeinderath mit einer angemessenen Besoldung ausgestattet werden. Sie werden, wenn nicht der Gemeinderath eine längere Dauer des Amts beschließt, auf längstens 6 Jahre ernannt. Bl. 117 R. 3. Die Functionen des Bürgermeisters sind von zweierlei Art; sie sind Geschäfte theils der Kommunalverwaltung, theils der Staatsverwaltung. a.) Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten führt der Bürgermeister selbständig, soweit nicht der Gemeinderath dabei mitzuwirken hat. Er hat die Vorbereithung und Ausführung der Beschlüsse des Gemeinderaths; er kann unzulässige Beschlüsse beanstanden und die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einholen. Er hat die Aufsicht und Disziplinargewalt über die Gemeindebeamten. Finanzverwaltung. Der Bürgermeister erläßt die Zahlungsverfügungen. Keine Leitung, sondern nur Aufsicht der Staatsbehörden. b.) Der Bürgermeister ist verpflichtet, die durch Gesetz und Verordnungen, sowie durch Verfügungen der Aufsichtsbehörden ihm überwiesenen Geschäfte der Landes-, Bezirks- und Kreisverwaltung zu besorgen. Überdies führt er die örtliche Polizeiverwaltung, soweit sie nicht einem Polizeidirektor übertragen ist (Dies ist der Fall in Metz, Straßburg und Mühlhausen).
§ 39 Gemeinde-Ordnung für Elsaß-Lothringen v. 6. Juni 1895
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Als Organ der Landes-, Bezirks- und Kreisverwaltung ist der Bürgermeister der vorgesetzten Behörde verantwortlich. Der Gemeinderath hat keine Kompetenz zur Mitwirkung. Bl. 118 4. Der Gemeinderath wird auf 6 Jahre von den Wahlberechtigten der Gemeinde durch directe und geheime Wahl (Stimmzettel) gewählt. Wahlberechtigt sind die männlichen Gemeinde-Einwohner, welche reichsangehörig, über 25 Jahre alt und seit mindestens drei Jahren in der Gemeinde ansässig sind. Totalerneuerung. Der einjährige Wohnsitz genügt für diejenigen, welche in der Gemeinde ein Wohnhaus besitzen oder in ihr ein stehendes Gewerbe oder eine Landwirthschaft selbständig betreiben oder ein öffentliches Amt ausüben. Die Berechtigung ruht für die Militärpersonen des aktiven Heeres. Ausschließungsgründe der Wahlberechtigten. Entmündigte, im Konkurs befindliche, welche Armenunterstützung beziehen, welche die Gemeindeabgaben in den letzten beiden Jahren nicht vollständig bezahlt haben und welche wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens, das die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben kann, rechtskräftig verurtheilt worden sind, für fünf Jahre (G.O. § 30). Die Zahl der Gemeinderathsmitglieder beträgt 10 (unter 500 Einwohner) bis 36 (über 50.000). In den Kleingemeinden treten außerdem bei gewissen Angelegenheiten von finanzieller Tragweite zu den gewählthen Mitgliedern des Gemeinderaths noch ebenso viele „Höchstbesteuerte“ hinzu (§ 44). Die Sitzungen des Gemeinderaths sind nicht öffentlich; öffentliche Berichte aber sind nicht (wie nach dem französischen Recht) verboten. (§ 48) 5. Der Gemeinderath beschließt über die Art der Verwaltung des Gemeindevermögens, soweit es nicht durch gesetzliche Vorschriften geregelt ist (Forstgesetze, Anlegung von Geldern in Werthpapieren) Jagdverpachtung. Er beschließt über die Benutzung der Gemeindegüter und Gemeinde-Anstalten (§ 54) und über die Bl. 118 R. Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde, soweit sie nicht gesetzlich festgestellt sind. Außerdem ist der Bürgermeister bei einer erheblichen Anzahl von Verwaltungsgeschäften an die Zustimmung des Gemeinderaths gebunden; insbesondere bei solchen; welche die Finanzen der Gemeinde berüh-
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ren. (§ 56 fg.). In allen diesen Fällen ist der Bürgermeister nicht getrennt vom Gemeinderath, keine besondere Behörde. 6. Eine besonders eingehende gesetzliche Regelung hat das Gemeindebudget und das Gemeinderechnungswesen im Tit. IV erhalten (§§ 64 ff.). 7. In gewissen im Gesetz näher bestimmten Gemeindeangelegenheiten ist das Verwaltungsstreitverfahren zuzulassen. Die Entscheidung ist vom Bezirksrath zu fällen. (§ 70, 71) 8. Die Genehmigung durch kaiserliche V. ist erforderlich für Beschlüsse, für Erhöhung bestehender oder Einführung neuer Verbrauchsabgaben und für die Aufnahme von Anleihen (§ 74); die Genehmigung des Bezirkspräsidenten ist erforderlich für die im § 75 aufgeführten Beschlüsse; in den Kleingemeinden bedürfen die im § 76 aufgeführten Beschlüsse der Genehmigung des Kreisdirektors. 9. Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten unterliegt der staatlichen Aufsicht; sie wird über die Großgemeinden vom Bezirkspräsidenten, über die anderen Gemeinden vom Kreisdirector geführt. Gegen die Entscheidungen dieser Behörden ist die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde zulässig. Die Aufsichtsbehörde hat darüber zu wachen, daß die Verwaltung der Gemeinden den Gesetzen gemäß geführt und stets in geordnetem Gange gehalten wird. Die näheren Anordnungen darüber giebt das Gesetz in den §§ 72 ff. 10. Die Kreise sind in E.L. Staatsverwaltungsbezirke; sie sind nicht zu Selbstverwaltungskörpern organisirt und keine juristischen Personen, wol aber die Bezirke. § 40 Die Kreisverfassung75 Die Kreise sind in der Regel staatliche Verwaltungsbezirke, sie werden durch Staatsbeamte verwaltet, welche den Bezirks- und Zentralbehörden untergeordnet sind. Die Verwaltung der Kreise ist daher in der Regel keine Selbstverwaltung, sondern dezentralisierte Staatsverwaltung. So z. B. auch in Elsaß-Lothringen. Man hat aber in einigen Staaten den Kreisen juristische Persönlichkeit beigelegt, so daß sie vermögensfähig sind und Schulden machen können und eine Vertretung der Eingesessenen des Kreises eingerichtet. In Preußen hat sich eine Kreisverfassung im Sinne der Selbstverwal75
Dieser im überlieferten Konvolut erst im Anschluß an das Kapitel zur Preußischen Kreisverfassung erscheinende Abschnitt war sichtbar als einleitendes Kapitel gedacht. Laband Paragraphenzählung gibt hierüber aber insofern keinen Aufschluß, als der Abschnitt zur preußischen Kreisverfassung nicht ohne weiteres einem eigenen Paragraphenabschnitt zuzuordnen ist.
§ 40 Die Kreisverfassung
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tung erhalten und ist in neuerer Zeit fortgebildet und der gegenwärtig bestehenden politischen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet worden. Bl. 119 III. Die Preußische Kreisverfassung76 Die Kreiseintheilungrichtung ist ist spezifisch brandenburgischen Ursprungs. Die Kreise waren corporative Verbände der Ritterschaft, welche ihre gemeinschaftlichen Angelegenheiten und Interessen auf ritterschaftlichen Kreistagen beriethen und die Ausführung der Beschlüsse und die Verwaltung ihrer Angelegenheiten einem ihrer Mitglieder als Ehrenamt übertrugen, dem sogen. Landrath. Die preußischen Könige bedienten sich aber des Landraths zugleich zur Wahrnehmung von obrigkeitlichen Funktionen und zur Ausführung von Staatsgeschäften. Dadurch wurde die Verbindung von staatlicher Verwaltung und communaler wirthschaftlicher Verwaltung hergestelllt und eine Antheilnahme der gebildeten, besitzenden Klassen an der Staatsverwaltung gesichert. Der Landrath gehörte nicht den büreaukratischen Kreisen der Berufsbeamten an, sondern war ein Edelmann und Gutsbesitzer, dessen eigene wirthschaftliche Interessen mit dem des Kreises eng verknüpft waren, der selbst mit dem Kreise, den er verwaltete verwachsen und ihm dauernd angehörig war; er wurde von den Kreisständen gewählt, aber vom Könige bestätigt, und er erhielt eine Remuneration für die Wahrnehmung der staatlichen Geschäfte, die aber im Vergleich zu der Wichtigkeit seines Amtes und zu seiner socialen Stellung so unbedeutend war, daß sie den Charakter des Amtes als eines Ehrenamtes nicht aufhob. Bl. 119 R. Die Kreiseinrichtung und Landrathsverwaltung hat sich so vortrefflich bewährt, daß man sie auf alle Preuß. Provinzen ausdehnte und es ist ihr vorzugsweise zu danken, daß die innere Verwaltung Preußens so mustergültig für ganz Deutschland wurde. Auch auf die im Jahre 1866 erworbenen Provinzen wurde die Einrichtung ausgedehnt, mit Ausnahme von Hannover, wo man die bestehende Eintheilung in Amtsbezirke und Landvogteien conservirte. Die von den liberalen Parteien oft bewiesene Abneigung gegen das Landraths-Institut beruht auf einer Verkennung seines Wesens und auf gesellschaftlichen Antipathien. 76
Diezugehörigen Abschnitte I und II konnten nicht identifiziert werden.
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2. Teil: Staatsrecht
Allein sowohl das Landrathsamt als der Kreistag traten allmählig in Widerspruch mit den realen Verhältnissen. Der Landrath wurde immer mehr und mehr reiner Berufsbeamter, der nach unten rein büreaukratisch verwaltete, nach oben den Regierungscollegien gegenüber alle Selbständigkeit einbüßte. Landräthe wurden hin und her versetzt und oft wurden junge Beamte, die dem Kreise ganz fremd waren und sich durch den Scheinkauf eines Gütchens qualificirten, zu Landräthen ernannt. Der Kreistag war nach alter Art die Versammlung der Rittergutsbesitzer. Man hatte allerdings die Vertreter der Städte und Landgemeinden auch zugelassen, da man nach alter deutscher Rechtsanschauung sie nur unter ihrer Zustimmung mit Kreissteuern belasten konnte; aber von ungeführ 12.000 Mitgliedern der sämmtlichen Kreistage der östlichen Provinzen waren über 10.000 Rittergutsbsitzer, den Städten standen 970, den Landgemeinden im Ganzen 975 Stimmen zu. Dabei waren die Rittergüter durch Parcellirungen oft überaus reduzirt worden. Bl. 120 Außerdem hatte jeder Kreis das Recht der itio in partes; dadurch war der gesellschaftliche Klassengegensatz an Stelle des gemeinsamen staatlichen Zusammenwirkens sanctionirt. Eine eigentliche obrigkeitliche Funktion hatten übrigens die Kreistage nicht; die gesammte Verwaltung stand dem Landrathe zu; die Kreistage hatten nur die Pflege der wirthschaftlichen Interessen. Die Die neue Preußische Kreisordnung v. 13. Dezemb. 1872, (Novelle zur Kreisordnung v. 19. März 1881, Kreisordnungen für die neuen Provinzen 1884–1888.) hat die altbewährte Kreisverfassung und das Landrathsamt beibehalten, dieselben aber nach folgenden Prinzipien reformirt: 1.) Alle persönlichen Rechte auf Mitgliedschaft am Kreistage sind aufgehoben; sämmtliche Mitglieder werden gewählt und zwar in drei Verbänden, vom Wahlverbande der größeren, ländlichen Grundbesitzer (mind. 75 Thaler Grund-Gebäudesteuer), vom Wahlverbande der Landgemeinden und dem der Städte. Davon erhalten die Städte diejenige Anzahl von Abgeordneten, die dem Verhältniß der städtischen zur ländlichen Kreisbevölkerung entspricht, aber niemals mehr als die Hälfte, wo nur eine Stadt ist als ein . . .77 die auf die ländliche Bevölkerung entfallende Zahl wird zu gleichen Theilen auf die Großgrundbesitzer und Landgemeinden repartirt. 77
Unlesbar, Papierschaden.
§ 40 Die Kreisverfassung
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2.) Der Kreistag hat eine Reihe von autonomischen Befugnissen hins. der Kreisverfassung, das Recht die Kreisausgaben zu bewilligen und den Kreishaushalts-Etat festzustellen, sowie die Kreis-Abgaben nach Maßgabe bestimmter gesetzlicher Normen zu vertheilen, die Grundsätze für die Verwaltung des Kreisvermögens festzusetzen und die Mitglieder des Kreisausschusses zu wählen. (Kreis-Ordn. § 115, 116). 3.) Die gesammte Verwaltung der Kreisangelegenheiten und der wichtigsten Zweige der Staatsverwaltung im Gebiete des Kreises hat nicht mehr der königliche Landrath allein, sondern der Landrath in Verbindung mit dem Kreisausschuß. Es gilt darüber im Einzelnen: Bl. 120 R. a) Der Landrath ist ein vom König ernannter, staatlicher Berufsbeamter, das Organ der Staatsregierung und der Vorsitzende des Kreistages und Kreisausschusses. (§ 76) Jedoch kann der Kreistag Personen aus der Zahl der Grundbesitzer und Amtsvorsteher des Kreises für die Besetzung eines erledigten Landrathsamtes in Vorschlag bringen. Zur Vertretung des Landraths werden vom Kreistage 2 Kreisdeputirte auf je sechs Jahre gewählt. b.) Die Mitglieder des Kreisausschusses versehen ihr Amt als unentgeldliches Ehrenamt. Es sind sechs vom Kreistage aus der Zahl der Kreisangehörigen gewählte Personen, außerdem kann ein Syndikus mit berathender Stimme vom Kreistage angestellt werden (der die Befähigung zum höheren Richteramt besitzt.) Die Wahl erfolgt auf 6 Jahre; alle zwei Jahre scheidet ein Drittel der Mitglieder aus; die Ausgeschiedenen können wiedergewählt werden. Die Mitglieder werden vereidigt. c.) Der Landrath kann zwar in gewissen Sachen selbständig verfügen, jede Verfügung hat aber nur eine provisorische Geltung, wenn sich der davon Betroffene nicht beruhigt, muß die Angelegenheit vom Kreisausschuß erledigt werden, der collegialisch nach Verhandlung der Sache entscheidet. 4.) Die Kompetenz des Kreisausschusses erstreckt sich auf die Verwaltung des Kreisvermögens und die Ernennung und Beaufsichtigung der Kreisbeamten und hinsichtlich der allgemeinen Landesverwaltung auf Armenpolizei, Wegepolizei, Vorfluths-, Ent-, und Bewässerungssachen, feldpolizeiliche Angelegenheiten, Gewerbe-Polizei (Konzessions-Ertheil. zu gewerblichen Anlagen), Bau-, Feuer-Polizei; auf Ansiedlungssachen, Dismembrationen, Kommunal-Aufsicht über Amtsbezirke, Landgemeinden und selbständige Gutsbezirke, Schulangelegenheiten, Gesundheitspflege, Aufstellung der Geschworenen-Listen. Kr.Ord. §§ 134, 135. 5.) Die höhere Instanz über dem Kreisausschuß ist regelmäßig der Verwaltungsgerichtshof Bezirksausschuß, nur in wenigen Punkten ausnahms-
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2. Teil: Staatsrecht
weise die Bezirksregierung. Soweit die Sache zum Rechtsweg geeignet ist, treten die gewöhnlichen Gerichte ein, mit Ausschluß des Verwaltungsgerichtes. 6.) Die größeren Städte (über 25.000 E.) können besondere Kreise bilden, sog. Stadtkreise. Provinzial-Ord. V. 29. Juni 75. Novelle dazu v. 22. März 81. Provinziallandtage bestehen aus Abgeordneten der Kreise – Kreistage. . . . Einberufung durch den könig. Provinzialausschuss – Landesdirector – .
Bl. 121 R. § 41 VII. Die Provinzialverbände 78 Provinzialordn. v. 29. Juni 1875. Nach mehrfachen Abänderungen neu redigirt und publizirt am 22. März 1881. Es giebt in Preußen 13 Provinzialverbände; die 12 Provinzen und Hohenzollern. Die Stadt Berlin ist aus der Provinz Brandenburg ausgeschieden und hat dieselben Rechte und Pflichten, wie die Provinzialverbände, sie hat aber keine besondere Provinzialverfassung, sondern wird als Stadtkreis nach der Städteordnung verwaltet. Jede Provinz bildet einen mit den Rechten einer Korporation ausgestatteten Kommunalverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten. Ihre Organe sind 1. Der Provinzial-Landtag, welcher aus Abgeordneten der Kreise besteht. Sie werden in den Stadtkreisen durch den Magistr. und die Stadtverordneten in gemeinschaftlicher Sitzung, in den Landkreisen durch die Kreistage gewählt. Der Prov. Landtag wird alle sechs Jahre gänzlich neu gewählt und vom König mindestens alle zwei Jahre zu einer Versammlung einberufen. Er hat in der Provinz dieselbe Stellung, wie der Kreistag im Kreise. 2. Der Provinzial-Ausschuß besteht aus einem Vorsitzenden und mindestens 7, höchstens 13 Mitgliedern, welche vom Provinziallandtag gewählt werden. Er versammelt sich auf Berufung des Vorsitzenden so oft die Geschäfte es erfordern. Er hat die Beschlüsse des Provinziallandtags vorzubereiten und auszuführen, die Provinzialangelegenheiten zu Verwalten und die Provinzialbeamten zu ernennen, soweit dies nicht dem Provinzial-Landtag vorbehalten ist. 3. Der Landesdirektor oder Landeshauptmann ist der verwaltende Beamte. Er wird vom Prov.-Landtag auf 6 bis 12 Jahre gewählt und bedarf 78 Zuordnung zur von Laband beabsichtigten Gesamtgliederung war auch hier nicht eindeutig, Abschnitte I–VI nicht auffindbar.
§ 43 Die Gründung des Deutschen Reichs
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der kgl. Bestätigung; er erhält eine vom Landtag festzusetzende Besoldung. Er verwaltet die laufenden Geschäfte unter Aufsicht des Prov.-Ausschusses und hat dessen Beschlüsse vorzubereiten und auszuführen. 4. Zur Zuständigkeit der Provinzialverbände gehört das Chausseewesen und die Sorge für den Wegebau; die Beförderung von Landesmeliorationen; Erhaltung von Anstalten für Geisteskranke, Taubstumme und Blinde; in Förderung von Kunst und Wissenschaft (Museen, Landesbibliotheken); Denkmäler, Landarmenverbände u. s. w. Die Provinzialverbände haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben Dotationen aus Staatsmitteln erhalten. Sog. Dotationsges. v. 8. Juli 1875. Bl. 122 III. Kapitel Die Verfassung des Deutschen Reichs Die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches § 42 Die Gründung des Norddeutschen Bundes I. Die Geschichte der deutschen Einheitsbestrebungen liegt weit zurück; rechtsgeschichtliche Bedeutung haben diese Versuche aber nicht, soweit sie zu Rechtsbildungen nicht geführt haben. Von diesem Gesichtspunkte aus beginnt die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reichs erst mit der Katastrophe vom Jahre 1866. . . .79 Bl. 124 § 43 Die Gründung des Deutschen Reichs80
79 Laband fährt fort mit einer knappen Erörterung des preußischen Versuchs zu einer Bundesreform 1866, dem Bündnis zwischen Preußen und den kleinen norddeutschen Staaten, der nur beratenden Funktion des norddeutschen Reichstages und der Bedeutung der einzelstaatlichen Publikationsgesetze etc. Insgesamt findet sich hier die stichwortartige Kurzfassung von § 2 „Staatsrecht des Deutschen Reiches“ 1. Bd. 1876 (im folgenden „StR 1876“), der dort die gleiche Kapitelüberschrift trägt. 80 Stichwortartige Kurzfassung von § 4 StR 1876.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 125 V. Abschnitt Die Organisation des Deutschen Reichs § 44 Allgemeine Charakteristik § 44 Die juristische Natur des Reichs81 I. Das Reich ein Staat, kein Bund. 1. Selbständige Gesetzgebung. 2. Kompetenz-Kompetenz, 3. Selbständige Organe, 4. Völkerrechtl. Persönl.82 1. Das Deutsche Reich ist eine staatliche Verbindung der deutschen Einzelstaaten, also selbst ein Staat, eine Person des öffentlichen Rechts. Das Subject der Reichsgewalt ist daher das Reich selbst als ideale Persönlichkeit, die von der Gesammtheit der deutschen Einzelstaaten gebildet wird. Die Hoheitsrechte des Reichs stehen demnach nicht den einzelnen Staaten nach Art des Condominium pars indiviso resp. der Sozietät zu, sondern einem von den Einzelstaaten begrifflich verschiedenen Rechtssubject. 2. Die Reichsgewalt bedarf nun wie jede Staatsgewalt eines Trägers; das Reich muß ein souveränes Organ haben und einer der beiden Hauptformen der Staatsverfassung sich einreihen, d.h. Träger der Reichsgewalt kann entweder ein einzelner, ein Monarch sein, oder eine Mehrheit, resp. die Gesammtheit der Mitglieder. Im deutschen Reich ist das letztere Prinzip adaptirt, es ist kein monarchisch organisirter Gesammtstaat, sondern ein Bundesstaat und die Souveränetät steht nicht dem Kaiser, sondern sämmtlichen Mitgliedern des Reiches als Gesammtheit zu. Mitglieder des Reiches sind die Staaten; dieselben werden abgesehen von den drei Städten repräsentirt durch die Landesherrn. Man kann daher sagen Träger des Reichs sind die deutschen regierenden Fürsten als Oberhäupter ihrer Staaten und die Senate der freien Städte, 3. Die Einzelstaaten haben danach in der Reichsverfassung eine doppelte Function; sie sind theils Unterthanen des Reichs als einer über ihnen stehenden Potenz theils Mitglieder deselben als jurist. Person.83 81 Wegen der fundamenatalen Bedeutung seines Inhalts und der prägnanten Zuspitzung der Labandschen Thesen und Ergebnisse wird diese Kurzfassung des Kapitels „Die rechtliche Natur des Reichs“ StR 1876 2. Kap. §§ 56, 70 abgedruckt, um dem Leser beispielhaft den Vergleich zwischen Vorlesungsfassung und Publikation zu ermöglichen. Letzterer wird noch ergiebiger durch Hinzunahme der von Laband später durchgestrichenen Vorlesungs-Passagen. 82 Vgl. die Aufzählung der Kriterien der Staatlichkeit StR 1876 I S. 64 ff. 83 Vgl. StR 1876 I S. 72.
§ 45 Der Kaiser
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Bl. 125 R. Träger der Reichsgewalt ist demnach weder der Kaiser noch das deutsche Volk und das Reich ist daher weder eine Monarchie noch eine Republik in dem Sinne, in dem man gewöhnlich das Wort versteht; sondern das Reich ist ein corporativer öffentlich rechtlicher Verband, für welchen die höheren Bildungen der Selbstverwaltungskörper eine Analogie bilden; auch bei ihnen ist weder der Vorstand noch die Bevölkerung das Subject der dem Verband übertragenen öffentlichen Gewalt. 4. Das Reich hat nicht, wie der monarchische Einzelstaat 2 Organe, sondern drei; denn die der Gesammtheit der Fürsten und freien Städte zustehenden Souveränetätsrechte werden theils ausgeübt vom Kaiser als Präsidium theils vom Bundesrath und hinzu tritt noch der Reichstag als Vertretung des Volkes. § 45 Der Kaiser84
Staatr. d.d. R. § 24 ff.
Die norddeutsche Bundesverfassung kannte die Bezeichnung Kaiser nicht; ebensowenig kann dieselbe in den durch die Versailler Verträge vereinbarten Verfassungen vor. Die Verfassungen schreiben diejenigen Befugnisse, welche die jetzige Reichsverfassung dem Kaiser beilegt, theils dem Präsidium des Bundes, theils dem Bundesfeldherrn theils geradezu dem König von Preußen zu. Diese Dreitheilung ist beseitigt in der jetzt geltenden Reichsverfassung v. 16. April 1871; sie nennt das Bundespräsidium – das in dem Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes als Bundesoberhaupt bezeichnet worden war – durchweg Kaiser. Durch diese Bezeichnung ist aber die staatsrechtliche Stellung nicht verändert worden. Der Vorschlag des Königs von Bayern v. Dezemb. 1870, der von sämmtlichen Bundesstaaten akzeptiert worden war und die Veranlassung zur Einführung des Kaisertitels gab, ging dahin, „daß die Ausübung der Präsidialrechte des Bundes mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde“. Der Begriff des Bundespräsidiums ist durch die Verknüpfung desselben mit dem Kaisertitel nicht verändert worden; Kaiserthum ist identisch mit Bundespräsidium. Zur Charakteristik des Kaiserthums dienen zunächst zwei negative Sätze: 1.) Der Kaiser ist nicht der Souverain des Reiches; er übt die Reichsgewalt nicht aus jure proprio, sondern aufgrund verfassungsmäßiger Ermächtigung; „im Namen des Reiches“ oder „im Namen der verbündeten Regierungen“. 84 Kurzfassung der teilweise identisch formulierten §§ 24 ff. StR 1876. Labands ausdrücklicher Verweis auf das StR unterstreicht dies.
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2. Teil: Staatsrecht
2.) Der Kaiser ist nicht Beamter des Reiches wie der Präsident einer Republik; er wird nicht ernannt, er ist nicht verantwortlich, er ist Niemandes Unterthan; er hat sein eigenes selbständiges Recht auf die Präsidialrechte. II. In dem Kaiserthum sind zwei voneinander verschiedene Rechtsstellungen verbunden, die man juristisch auseinanderhalten muß, obgleich sie untrennbar vereinigt sind und die politische Bedeutung des Kaiserthums auf dieser Vereinigung beruht. 1. Der König von Preußen als solcher ist Mitglied des Bundes und hat alle Mitgliedschaftsrechte, wie die anderen Landesfürsten. Er hat aber außer diesen regelmäßigen Mitgliedschaftsrechten noch ein besonders wichtiges Sonderrecht, nämlich das Recht auf das Bundespräsidium. Dieses Recht ist untrennbar mit der Krone Preußen verbunden, so daß Jeder, der diese Krone trägt oder als Regent die Kronrechte ausübt, ipso jure und ausnahmslos auch Kaiser ist und sein muß.
Bl. 126 R. 2. Der König von Preußen ist aber nicht blos Mitglied wie die übrigen Landesfürsten, sondern er ist zugleich als Kaiser Organ des Reiches und zwar ist er der einzige Bundesfürst, der eine solche Funktion auszuüben berufen ist. Hieraus folgt aber, daß zwar das Recht auf die Kaiserwürde ein Sonderrecht Preußens ist, daß aber die einzelnen im Bundespräsidium enthaltenen Machtbefugnisse nicht Rechte Preußens, sondern Rechte des Reiches sind resp. einen Theil der staatsrechtlichen Organisation des Reiches darstellen. III. Die Rechte und Pflichten, welche die Verfassung dem Kaiser als Organ des Reiches beilegt, sind im Wesentlichen denen entsprechend, welche dem Monarchen im Einheitsstaat zukommen, nur daß sie als abgeleitete Rechte ausgeübt werden und daß ihre Ausübung nicht bloß durch den Reichstag, sondern auch durch den Bundesrath beschränkt ist. Diese Rechte sind im Einzelnen: 1.) Der Kaiser allein hat das imperium, d.h. die Befehlsgewalt im Reich. 2.) 1. Der Kaiser allein ist der Vertreter des Reichs im völkerrechtlichen Verkehr und ebenso in allen Rechtsbeziehungen zu anderen Rechtssubjecten, insbesondere gegenüber den Einzelstaaten, den Unterthanen und den privatrechtlichen Verhältnissen des Fiskus. 3.) 2. Der Kaiser ist der Führer der Regierungsgeschäfte, er ernennt die Beamten und leitet die Thätigkeit derselben, sowie der übrigen Organe des Reiches. 4.) Aufsicht über die Einzelst.85
§ 46 Der Bundesrath
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5.) Landeshoheit über Elsaß-Lothringen und Schutzgewalt über die Schutzgebiete. 6.) 4. Der Kaiser ist der Verwalter der Machtmittel des Reiches; er hat den Oberbefehl über Heer und Marine und (die oberste Verfügung über die Finanzkräfte.) 7.) 6. Der Kaiser hat die Ehrenrechte, Titel, Wappen, Insignien u. s. w., der Titel „Deutscher Kaiser“ ist streng genommen ein Amtstitel, kein Besitztitel. – Pekuniäre Rechte hat der Kaiser als solcher nicht. Bl. 127 § 46 Der Bundesrath
RStR. § 27 ff.
I. In dem Bundesrath wiederholt sich die Doppelstellung, welche für das Kaiserthum charakteristisch ist; er ist theils eine Einrichtung, mittelst deren die Einzelstaaten ihre Mitgliedschaftsrechte am Reich und ihren Antheil an der Reichsgewalt ausüben, theils ein Organ mittelst dessen das Reich seine Functionen vollzieht. Der Bundesrath ist verschieden von einem Oberhause, weil seine Mitglieder nicht nach ihrer persönlichen Überzeugung, sondern nach ihrer Instruction müssen, und er ist andererseits verschieden von einem Ministerium, denn er wird nicht vom Kaiser ernannt und soll nicht ihm in der Führung der Regierungsgeschäfte helfen, sondern er steht ihm als ein völlig unabhängiges Organ gegenüber. Thatsächlich aber sind dem Bundesrath Geschäfte zugewiesen, welche in anderen Staaten theils von einem Oberhause, theils von dem Ministerium besorgt werden. II. Im Bundesrath findet der Antheil der Einzelstaaten an der Reichsgewalt ihren Ausdruck. Der Kaiser als solcher ist im Bundesrath nicht vertreten, wol aber als König von Preußen. Elsaß-Lothringen hat hatte bis 1911 keine Stimme im Bundesrath, weil es nicht als Staat constituirt ist; 1911 wurden ihm Stimmen mit gewissen Beschränkungen gewährt86; ebensowenig haben einzelne Bevölkerungsklassen oder Individuen ein Recht der Betheiligung. Nur die Staaten führen Stimmen und zwar nach demselben Verhältniß, wie im Plenum des ehemaligen Bundestages, jedoch mit Erhöhung der bayerischen Stimmen auf 6. Alle Stimmen, die einem Staate zustehen, müssen einheitlich abgegeben werden. Das Stimmrecht wird ausgeübt durch Bevollmächtigte, welche nach Maßgabe der ihnen ertheilten Instruktionen stimmen. Die Instruktionsertheilung ist ein Rechtsgeschäft des Einzelstaates, richtet sich demnach nach den Vorschriften des Landesstaatsrechts; die Regierung des Staates ist dem Landtage dafür verantwortlich, 85 86
Einzelstaaten. Randbemerkung nicht vollständig lesbar, dem Inhalt nach jedoch eindeutig.
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2. Teil: Staatsrecht
daß und wie sie den Gesandten instruirt. Der Gesandte hat sich Bundesrath nur über seine Vollmacht (Legitimation), nicht über seinen Auftrag (Instruktion) auszuweisen. Bl. 127 R. III. Der Bundesrath als Ganzes betrachtet, ist ein Organ des Reichs; das Mitgliedschaftsrecht des Einzelstaats ist durch die Abstimmung im Bundesrath consumirt; sowie der Bundesrath als Gesammtheit handelt, also namentlich einen Beschluß faßt, übt er die souveraine, über den Einzelstaaten stehende Reichsgewalt aus. Die Functionen welche ihm hierbei zuzuweisen sind, sind folgende: 1.) Er ist das wichtigste Organ der Gesetzgebung und von ihm sind die allgemeinen, zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen Verwaltungsvorschriften zu erlassen. 2.) Er hat an der Verwaltung einen bedeutsamen Antheil; insbesondere auf dem gesammten Gebiet des Finanzwesens, ferner bei der Beschlußfassung über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsgesetze sich bemerkbar machen u. s. w. 3.) Er hat in einer Anzahl von gesetzlich bestimmten Fällen nach Art eines Verwaltungs- oder Staatsgerichtshofes eine richterliche Entscheidung zu treffen. IV. Die formelle Erledigung der Bundesrathsbeschlüsse ist geregelt theils durch die Verfassung selbst, theils durch die Geschäftsordnung v. 27. Februar 1871, revidirt 1880. Die Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung steht dem Kaiser zu; die Berufung muß erfolgen, wenn der Reichstag einberufen wird. Der Vorsitz im Bundesrath und die Leitung der Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist. Der Reichskanzler kann sich von einem anderen Bevollmächtigten vertreten lassen; wenn Preußen verhindert ist, den Vorsitz zu führen, so steht Bayern der Vorsitz zu (Schlußprot. V. 23. Nov. 1870 Ziff. IX). Die Sitzungen des Bundesraths sind nicht öffentlich; die Protokolle werden nur auszugsweise veröffentlicht. Bl. 128 Die Abstimmung Beschlußfassung erfolgt nach Majorität der wirklich abgegebenen Stimmen; hiervon giebt es aber Ausnahmen: 1. Veränderungen der Verfassung sind abgelehnt, wenn sie 14 Stimmen gegen sich haben.
§ 47 Der Reichstag
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2. In gewissen Fällen genügt die Mehrheit der Stimmen nur dann zur Fassung eines Beschlusses, wenn in dieser Mehrheit die Stimme Preußens (Präsidialstimme) enthalten ist, nämlich bei Gesetzesvorschlägen über Militärwesen und Marine, über Zollwesen und indirecte Steuern, 3. über die Auflösung des Reichstages. 4. Außerdem ist zu erwähnen, daß bei der Beschlußfassung über Angelegenheiten, die nicht allen Mitgliedern des Reichs gemeinsam sind, nur die Stimmen der betheiligten Staaten gezählt werden; und 5. daß zur Aufhebung verfassungsmäßiger Sonderrechte die Zustimmung des berechtigten Staates erforderlich ist. V. Zur Vorbereitung der Bundesrathsbeschlüsse bestehen Bundesraths-Ausschüsse. Dies sind Kommissionen, die aus der Mitte des Bundesrathes gebildet werden. Sie werden entweder dauernd, oder für einzelne Angelegenheiten gebildet. In jedem dauernden Ausschusse müssen mindestens 5 Staaten vertreten sein, darunter Preußen. Innerhalb der Ausschüsse führt jeder Staat nur eine Stimme. Die Zusammensetzung der Ausschüsse erfolgt durch Wahl des Bundesraths; nur diejenigen für das Landheer und die Festungen und für das Seewesen werden vom Kaiser zusammengesetzt; den Vorsitz in allen Ausschüssen führt Preußen. Die Verfassung schreibt 8 dauernde Ausschüsse vor, darunter den normalen für die auswärtigen Angelegenheiten, in welchem Preußen nicht vertreten ist. Bl. 128 R. § 47 Der Reichstag87 Die Institution des Reichstages bietet staatsrechtlich nichts Eigenthümliches; es gelten von ihm im wesentlichen dieselben Rechtsregeln wie von den Landtagen der Einzelstaaten und die auf den Reichstag bezüglichen Anordnungen der RV. Sind durchweg Artikeln der Preuß. Verfassungs-Urkunde wörtlich entnommen oder ihnen nachgebildet. RG. V. 19. März 1888. Legislaturp. Dauert 5 Jahre. Der Reichstag ist eine Vertretung des gesammten deutschen Volkes, nicht der Bevölkerungen der einzelnen Staaten; Mitgliedschaftsrechte oder Sonderrechte des einzelnen Bundesglieder kommen bei dem Reichstage in keiner Beziehung zur Ausübung. Wählbar für den Deutschen Reichstag ist jeder Deutsche in dem Bundesstaate, wo er seinen Wohnsitz hat. Die Rechte des Reichstags sind prinzipiell dieselben, wie sie auch anderen sogen. Volksvertretungen zustehen. Der Reichstag geht aus allgemeinen 87
Kurzfassung von StR 1876 §§ 47 ff.
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2. Teil: Staatsrecht
und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor. Gegensatz gegen die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhause. Die näheren Anordnungen sind durch das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 enthalten. Wahlregelement v. 28. Mai 1870. Wahlberechtigt ist jeder Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat; Weiber sind ausgeschlossen. (einigen Kategorien ist das Wahlrecht zur Strafe genommen.) Wählbar ist jeder Wahlberechtigte, welcher einem zum Bundes gehörigen Staate seit mindestens einem Jahre angehört hat. Die Gesammtzahl der Reichstags-Mitglieder beträgt 397. Die Mitglieder erhalten als solche keine Besoldung oder Entschädigung. Bl. 129 § 48 Die Reichsbehörden und Reichsbeamten Reichsbehörden sind diejenigen Ämter, denen im Dienst des Reichs die Führung der Reichsgeschäfte obliegt; dies unterscheidet sie von den Landesbehörden. Geschäftsführer des Reiches aber ist der Kaiser; daraus folgt, daß alle Inhaber von Reichsämtern Gehülfen des Kaisers sind, da sie Geschäfte besorgen, welche ideell dem Kaiser obliegen. Daher sind alle den Reichsbehörden zustehenden Befugnisse enthalten und umschlossen von dem einheitlichen Recht des Kaisers auf die Reichsregierung und das letztere kömmt in der amtlichen Thätigkeit der Reichsbehörden zur Erscheinung. Diesem Grundsatz entspricht es, daß der Regel nach alle Reichsbeamten vom Kaiser ernannt und entlassen werden; die leitenden Chefs auch von ihm in den Ruhestand versetzt werden können. Die Reichsbehörden werden daher auch Kaiserliche Behörden genannt und sie sind dem Kaiser zum Gehorsam verpflichtet; ihr Wirkungskreis wird aber theilweise auch durch die vom Bundesrat innerhalb seiner Kompetenz erlassenen Verordnungen geregelt. . . .88 Bl. 131 § 49 Die Einzelstaaten als Glieder des Reichsorganismus Das Verhältniß der Einzelstaaten zum Reich89 I. Die eigene Verwaltungs- und Regierungsthätigkeit des Reichs ist bei weitem nicht so ausgedehnt, als der Kreis der durch die Verfassung dem Rei88 Vgl. StR 1876 §§ 32 ff., hinsichtlich des allg. Staatsrechts den Abschnitt „Behörden und Beamten“ Vorlesungen Bl. 89 ff. 89 StR II 1878 § 69.
§ 51 Die deutschen Schutzgebiete
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che zugewiesenen Aufgaben und die dadurch bedingte Kompetenz des Reiches. Es giebt allerdings gewisse Gebiete, z. B. Marine, Konsulate, Münzwesen (?), Diplomatie u. s. w., hinsichtlich deren das Reich sich von den Einzelstaaten völlig emanzipirt hat und durch seine eigenen Behörden die gesammte staatliche Thätigkeit effectuirt. Die Regel ist dies aber nicht. Nach dem Art. 4 der RV., welcher die Kompetenz des Reiches normirt, unterliegen die in diesem Kapitel aufgeführten Angelegenheiten der Beaufsichtiung des Reichs und der Gesetzgebung. Das Reich ist demnach dem Prinzip nach auf diejenigen Befugnisse beschränkt, welche der Selbstverwaltung gegenüber bestehen und die das Complement der Selbstverwaltung bilden, nämlich auf die Aufstellung der Normen und der Controle ihrer Befolgung. Die Durchführung und Handhabung der Gesetze aber, die Verwaltung und Rechtsprechung ist Sache der Einzelstaaten. . . .90 I. Das Verhältniß der Einzelstaaten zum Reich ist 3fach verschieden. 1. Der Normalfall. Dem Reich liegt die Gesetzgebung und Beaufsichtigung ob, dem Einzelstaat die Verwaltung, Art. 4 RV. 2. Das Reich ist ganz an die Stelle des Einzelstaates getreten und hat auch die Verwaltung übernommen. 3. Die Einzelstaaten haben gewisse Gebiete der Staatsthätigkeit in vollem Umfange, also auch die gesetzliche Regelung (Autonomie, Landesgesetzgebung) und sie unterliegen daher auch nicht der Controle Leitung des Reichs. Sie sind aber auch auf diesen Gebieten zur Befolgung der Reichsgesetze verbunden, denn Reichsgesetz geht dem Landesgesetz vor, RV. Art. 2.91 Bl. 134 R. § 50 Die staatsrechtliche Stellung Elsaß-Lothringens92
RG v. 31. Mai 1911
Bl. 136 § 51 Die deutschen Schutzgebiete93
90 Der Abdruck dieser und der nachfolgenden, sie ersetzenden Passage ist hinsichtlich der Veränderung der doktrinären Gewichtung von Reichs- und EinzelstaatsVerwaltungskompetenz von einigem Interesse. Vgl. hierzu die Einleitung S. 22. 91 Die Dreiteilung entspricht den Ausführungen in § 69 StR II 1878. 92 Parallelstelle: „Die Sonderstellung Elsaß-Lothringens im Reiche“, StR I 1876 §§ 54, 55. Vgl. zur staatsrechtlichen Diskussion Schlüter, Reichswissenschaft; Wehler, Elsaß-Lothringen 1872 bis 1918.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 139 IV. Kapitel Die Formen der Staatsthätigkeit Bl. 140 IV. Kapitel.94 Die Formen der Staatsthätigkeit95 I. Abschnitt Die Gesetzgebung § 52 Der Begriff des Gesetzes96 I. Gesetz bedeutet die rechtsverbindliche Anordnung eines Rechtssatzes, d.h. einer Regel von Rechtsinhalt. Es steht im Gegensatz einerseits zum Gewohnheitsrecht d.h. dem Recht, dessen Geltung nicht auf einer Anordnung beruht und andererseits zum Rechtsgeschäft, das keine Rechtsregel zum Inhalt hat. Die Gesetzgebung besteht in der Ausstattung einer Rechtsregel mit verbindlicher Kraft. Der Begriff des Gesetzes setzt demnach zwei Momente voraus: eine Regel als Inhalt und einen Befehl, der diese Regel für verbindlich erklärt, ihre Beobachtung anordnet. Das Hoheitsrecht des 93 Parallelstelle: § 70 StR II 1911: „Die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete“. 94 Original: IV. V. Kapitel. Da im überlieferten Konvolut der vorhergehende Teil jedoch als III. Kapitel bezeichnet und ein neues IV. Kapitel nicht erkennbar ist, bleibt es im hier unternommenen Abdruck zugunsten der Übersichtlichkeit bei Labands ursprünglicher Kapiteleinteilung. 95 Im Gegensatz zum vorhergehenden Kapitel befasst sich Laband hier mit der Staatsthätigkeit sowohl des Reiches als auch der Einzelstaaten. In manchen Begriffsdefinitionen spiegeln sich zudem allgemein staatsrechtliche Erwägungen, wie sie auch an anderen Stellen der Vorlesungsmanuskripte weiter ausgeführt werden. Insofern enthält dieses Kapitel sowohl den Stoff des II. Bandes StR als auch des Vorlesungsmanuskript „Der Staat“ § 13 „Die verschiedenen Funktionen der Staatsgewalt“, Bl. 351 ff. Um nicht zu edieren, was bereits an anderer Stelle veröffentlicht ist, werden aus diesem Kapitel nur diejenigen Passagen vollständig abgedruckt, die nach einer notwendig kursorischen Übersicht des Bearbeiters von eigenständigem Erkenntniswert sind. 96 Die vieldiskutierte und wirkungsmächtige Lehre Labands vom formellen und materiellen Gesetz ist Gegenstand diverser Veröffentlichung Labands und seiner Zeitgenossen gewesen und ist auch in der neueren Literatur und Dogmatik immer wieder Gegenstand des wissenschaftlichen Diskurses. Obwohl sich der vorliegende Abschnitt teilweise sehr eng an StR II 1878 § 56 „Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes“ anlehnt, entschieden sich die Herausgeber für den Abdruck, da hier einer der Schlüsselbegriffe der Labandschen Wissenschaft in prägnant kurzer und bisher unbekannter Formulierung dargeboten wird.
§ 52 Der Begriff des Gesetzes
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Staates kömmt lediglich in diesem Befehl, der sog. Sanction des Gesetzes, zur Geltung; die Sanction allein ist Gesetzgebung im staatsrechtlichen Sinne. Die Ausübung dieses Hoheitsrechts ist in der Monarchie das Vorrecht des Landesherrn; eine Theilung der Gewalt findet nicht statt, der Souverain allein ist das Organ des Staates, welches das Gesetz giebt, d.h. sanctionirt. Eine bestimmte Form gehört nicht zum Begriff des Gesetzes; das positive Recht des einzelnen Staates kann verschiedenartige Requisite aufstellen und mehrere Formen nebeneinander zulassen. Alle in rechtsgültiger Weise erlassenen Rechtsnomen eines Rechtsgebietes bilden zusammen die „Gesetzgebung“ dieses Gebietes, mit Einschluß selbst der Anordnungen untergeordneter Behörden. Bl. 140 R. Freiheit und Eigenthum97 II. Im konstitutionellen Staate ist für den Erlaß eines Gesetzes eine bestimmte Form vorgeschrieben, welche der Volksvertretung einen Antheil und ein Mitbestimmungsrecht an allen Veränderungen der Rechtsordnung einräumt und die zugleich die Authenticität der Gesetze verbürgt. Die Volksvertretung hat zwar keinen Antheil an der Gesetzgebungshoheit, d.h. an der Sanction, wol aber ein Mitbestimmungsrecht an dem Inhalt der Sätze, welche durch die Sanction zu Gesetzen erhoben werden sollen. Der Monarch ist staatsrechtlich verbunden, nur solche Rechtsregeln zu sanctioniren, welche die Genehmigung des Landtages erhalten haben; diese Genehmigung ist eine Voraussetzung, ohne deren Vorhandensein der Monarch seine Gesetzgebungsbefugniß nicht ausüben darf. Es ist – wie sich von selbst versteht – diese Mitwirkung und die Art, in der sie erfolgt, gesetzlich geregelt. Es ist ferner Anordnung getroffen, daß das Gesetz in authentischer Weise beurkundet und veröffentlicht wird, damit kein Zweifel darüber bestehen kann, was zum Bestandtheil der öffentlichen Rechtsordnung eines Staates erhoben ist. Hieraus ergiebt sich, daß das Zustandekommen eines Gesetzes an ein bestimmtes, durch das positive Verfassungsrecht des Staates geregeltes Verfahren gebunden ist, daß es einen gesetzlich vorgezeichneten „Weg der Gesetzgebung“ giebt. III. Es ist nun aber möglich, daß diese Form auch für andere staatliche Willensakte angewendet wird, welche nicht die Sanction einer Rechtsregel, sondern ein 97 Eine der wenigen Randbemerkungen Labands, deren Zusammenhang mit dem laufenden Text sich nicht unmittelbar erschließt.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 141 Rechtsgeschäft zum Inhalt haben, irgend einen Verwaltungsakt oder irgend eine Entscheidung oder Erklärung. Es giebt also Willensakte des Staates ohne Gesetzes-Inhalt, aber in der Gesetzesform. Andererseits ist es möglich, daß die Gesetzesform nicht unbedingt und ausschließlich für den Erlaß von Rechtsvorschriften angeordnet ist, sondern daß für Rechtsvorschriften von geringerer oder lokaler Bedeutung oder von Regeln, die zur Ausführung von Gesetzen erlassen werden, oder deren Erlaß in gewissen dringenden Fällen sich als nothwendig erweist, eine einfachere Form gestattet ist. Es giebt alsdann Willensacte des Staates, von Gesetzes-Inhalt aber ohne Gesetzesform. Hiernach hat das Wort Gesetz eine doppelte Bedeutung; im materiellen Sinne bedeutet es eine vom Staat sanctionirte Rechtsregel – gleichviel in welcher Form der Wille des Staates erklärt ist, im formellen Sinne bedeutet es eine staatliche Willenserklärung von bestimmter Form – gleichviel was den Inhalt derselben bildet. In dieser formellen Bedeutung ist der Gegensatz des Gesetzes die Verordnung und man kann das Wesen dieses Gegensatzes in der Art kennzeichnen: Gesetz ist eine unter Zustimmung der Volksvertretung erlassene Anordnung des Souverains, Verordnung ist eine ohne Zustimmung der Volksvertretung erlassene Anordnung des Souverains.
Bl. 141 R. § 53 Der Weg des Gesetzes in den Einzelstaaten Zum Erlaß eines Gesetzes sind im monarchischen Staate drei Acte erforderlich; die Feststellung des Gesetzes-Inhaltes oder Gesetz-Entwurfs, die Ausfertigung und die Sanction desselben und die Verkündigung. I. die Feststellung des Gesetzes-Inhaltes 1. Vorberathende Stadien (Staatsrath)98, Landesherrl. Ermächtigung, Vorlegung der Entwürfe, Initiative des Landtags 2. Zu derselben gehört die Übereinstimmung der Krone Regierung und des Landtages. Gewöhnlich geht der Entwurf von der Regierung aus; (es ist aber der Regel nach dem Landtage unbenommen, auch seinerseits Gesetzesvorschläge zu machen; er hat das sogen. Recht der Initiative. Auch wenn die Verfassung übrigens dieses Recht dem Landtage abspricht, so kann der 98
Schwer lesbar; evtl. auch: „vorbereitende Studien (Staatsrecht)“.
§ 53 Der Weg des Gesetzes in den Einzelstaaten
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Landtag in Form der Petition den Erlaß eines bestimmten Gesetzes in Anregung bringen.) Der Landtag kann den von der Regierung vorgelegten Entwurf ablehnen oder annehmen und er kann ihn auch verändern (amendiren); er darf aber nicht die Berathung des Entwurfs ganz verweigern. 3. Wo das Zweikammer-System besteht, ist erforderlich, daß jede der beiden Kammern dem Gesetzentwurf zustimmt und daß beide den Entwurf in derselben Fassung genehmigen. Wenn eine solche Übereinstimmung nicht erzielt werden kann, so kömmt das Gesetz nicht zu Stande; einige Verfassungen gestatten jedoch in gewissen Fällen zur Ausgleichung von Differenzen zwischen beiden Kammern die Vereinigung derselben zu gemeinschaftlicher Abstimmung und Beschlußfassung. Bl. 142 Für verfassungsändernde Gesetze ist meistens vorgeschrieben, daß die Annahme derselben mit einer verstärkten Majorität erfolgen müsse (2/3 oder 3/4). In Preußen ist einfache Majorität genügend, aber es sind zwei Abstimmungen in jedem Hauser erfordert, die mindestens durch einen Zeitraum von 21 Tagen von einander getrennt sind. 4. Es ist in der Regel in das freie Belieben der Regierung gestellt, welcher von beiden Kammern sie den Entwurf zuerst vorlegen will. Nur für FinanzSteuer- und Anleihegesetze und das Budget ist in den meisten Verfassungen vorgeschrieben, daß sie zuerst der zweiten Kammer vorzulegen sind und erst nach Annahme seitens derselben an das andere Haus gelangen. 5. Jeder Gesetzesentwurf muß aber in derselben Sitzungsperiode des Landtages von beiden Kammern genehmigt werden und in jeder derselben alle geschäftsordnungsmäßigen Stadien passiren. 3 Lesungen. Was sind Finanzgesetze? 6. Der Beschluß des Landesausschusses, die Zustimmung, daß die Sanktion erfolgen dürfe. II. Die Sanction 1. Ein zwischen der Regierung und der Volksvertretung vereinbarter Gesetzentwurf erlangt erst durch die Sanction oder Genehmigung des Monarchen verbindliche Kraft und staatsr. Wirksamkeit. Es ist in das freie Belieben des Monarchen gestellt, ob er den Entwurf sanctioniren will oder nicht. Man spricht daher von einem Recht des Monarchen vom Veto; diese Ausdrucksweise ist aber irreführend; es ist ein positives Placet des Landesherrn erforderlich; er hat das alleinige Recht der Gesetzgebung, kein bloßes Widerspruchsrecht gegen das Zustandekommen eines Gesetzes.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 142 R. 2. Herstellung der Gesetzesurkunde Die Sanction muß in einer bestimmten Form erklärt werden, welche einerseits den Wortlaut des Gesetzes in zweifelloser Weise feststellt und andererseits die Authenticität der landesherrlichen Genehmigung sichert. Diese Form ist im heutigen Recht in allen Fällen die Ausfertigung einer Urkunde, welche den Gesetzestext enthält, und eigenhändige Unterschrift des Landesherrn. Hinzu muß die Contrasignatur von einem oder mehreren Ministern kommen, welche dadurch zugleich die Verantwortlichkeit dafür übernehmen, daß der Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung des Landtages erhalten hat. Doppelte Bedeutung der Contrasignatur als Beglaubigung der Unterschrift und als constit. Verantwortlichkeitsübernahme. III. Die Verkündigung 1. Die Verkündigung ist keine bloß thatsächliche Kundmachung des sanctionirten Gesetzes, sondern ein formell geregelter, zum Wege der Gesetzgebung gehörender Act. Es ist eine Bekanntmachung in einer bestimmten, solemnen Weise. Diese Art der Kundmachung ist eine conditio sine qua non für die Geltung des Gesetzes; die factische Verbreitung der Kenntniß des Gesetzes dagegen ist staatsrechtlich unerheblich. 2. Die Verkündigung erfolgt in bestimmten Gesetzesblättern. Die Herausgabe derselben liegt der Regierung ob und das Ministerium ist dafür verantwortlich. a.) Daß alle vom Monarchen sanctionirten Gesetze darin veröffentlicht werden b.) daß sie nach dem richtigen und vollständigen Wortlaut publicirt werden. c.) daß kein Gesetz verkündigt wird, das die landesherrliche Sanction noch nicht erlangt hat. Öffentl. Glaubwürdigk. in Kraft
§ 55 Begriff und juristische Natur
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Bl. 143 § 54 Der Weg der Reichs-Gesetzgebung Da die Organisation des Reiches eine andere wie die der monarchischen Einzelstaaten ist, so modifizirt sich auch der staatsrechtliche Vorgang bei Erlaß eines Gesetzes. I. Die Feststellung des Gesetz-Entwurfs Hierzu ist erforderlich gemäß Art. 5 Abs. 1 der RV die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrechtes und des Reichstages. Beide Organe sind einander vollkommen gleichgestellt; jedes von ihnen hat das Recht zur Initiative, das Recht zu Amendirungen der Vorlage. Wenn der Vorschlag im Bundesrath aufgestellt und beschlossen worden ist, so wird die Vorlage durch den Reichskanzler „im Namen des Kaisers“ an den Reichstag gebracht. Wenn der Reichstag den Entwurf aufgestellt oder die Vorlage des Bundesrathes amendirt hat, so wird der Beschluß des Reichstages dem Reichskanzler übersendet und von diesem dem Bundesrath in dessen nächster Sitzung vorgelegt. Im Reichstage genügt in allen Fällen einfache Majorität zur Annahme des Gesetzentwurfs; im Bundesrathe dagegen sind II. Die Sanction des Gesetzes. 1. Der Kaiser ist nicht das souveraine Organ des Reiches; ihm steht daher die Sanction der Gesetze nicht zu; Träger der Souveränetät sind vielmehr die deutschen Landesherrn und freien Städte in ihrer Gesammtheit. Vertreten werden sie durch den Bundesrath; ihren Willen äußern sie durch Beschlußfassung des Bundesrathes; die Sanction des Gesetzes erfolgt daher durch Beschluß des Bundesraths. 2. . . . Bl. 146 II. Abschnitt Die Staatsverträge99 § 55 Begriff und juristische Natur
99
Parallelstelle „Die Staatsverträge des Reiches“ StR II 1878 §§ 63–66.
272
2. Teil: Staatsrecht
Bl. 147 § 56 Der Abschluß von Staatsverträgen
Bl. 148 § 57 Die staatsrechtliche Gültigkeit Inkraftsetzung der völkerrechtlichen Verträge
Bl. 149 III. Abschnitt Die Verwaltung100 § 58 Begriff und juristische Natur101
Bl. 150 III. Abschnitt Die Verwaltung § 58 Begriff
Bl. 150 R. § 59 Die Formen der Verwaltung
Bl. 151 § 59 Die Formen der Verwaltung [ältere Fassung]
Bl. 153 R. § 60 Reichsverwaltung und Staatsverwaltung
100 101
Parallelstelle „Die Verwaltung des Reichs“ StR II 1878 §§ 67–76. Abschnitt weitgehend durchgestrichen.
§ 63 Die Polizei (Wohlfahrtspflege)
273
Bl. 155 IV. Abschnitt Die Rechtspflege Die Rechtspflege102 § 61 Begriff und staatsrechtliche Bedeutung
Bl. 158 III. Abtheilung V. Kapitel Die materiellen Gebiete der Staatsthätigkeit103 § 62 Übersicht
Bl. 159 § 63 Die Wohlfahrtspflege Die Polizei104 (Wohlfahrtspflege) Der Staat hat neben der Pflicht, die Rechtsordnung aufrecht zu erhalten und fortzubilden, auch die Aufgabe, alle diejenigen Kulturinteressen zu fördern, welche ein Zusammenwirken der Gesammtheit erfordern. Die Grenze, die sich hieraus für die Staatsthätigkeit bestimmt, ist nicht juristisch zu fixieren, sondern es beantwortet sich die Frage nach thatsächlichen Verhältnissen und politischen Gesichtspunkten, in wiefern der Staat einzuschreiten hat oder er der Selbstthätigkeit der Individuen und ihrer Vereinigungen gewisse Kulturaufgaben anvertrauen kann. Der Staat hat zur Erreichung dieses Zweckes zwei Mittel, die Polizei und Einrichtung von staatl. Anstalten. I. Die Polizei 1. Die Erfüllung dieser oben beschriebenen Pflicht geschieht zunächst durch eine weitgehende Beschränkung der individuellen Freiheit im Interesse der Gesellschaft durch den Staat. Das ist der eigentliche Inhalt und das Wesen der Polizei im weitesten Sinne dieses Wortes. Würde jeder seine natürliche Handlungsfähigkeit rücksichtslos ausüben oder die Güter der Natur rücksichtslos ausnutzen, so müßte er dadurch die Interessen anderer Indivi102
Vgl. Bl. 167 ff. Parallelstelle „Die Verwaltung des Reichs II. Abschnitt Die einzelnen Verwaltungszweige“ StR II 1878 §§ 70–76. 104 Die Polizei im heutigen Wortsinne war als einzelstaatliche Kompetenz nicht Gegenstand von Labands StR. Hingegen ist sie Teil des hier entwickelten allgemeinstaatsrechtlichen Polizeibegriffs. 103
274
2. Teil: Staatsrecht
duen und der menschlichen Gesellschaft selbst verletzen. Der Gebrauch der Flüsse und des Wassers überhaupt, der Wege aller Art, der Bergwerke und Ackergrundstücke u. s. w. muß für den Einzelnen so eingeschränkt werden, daß auch jeder andere den unerlässlichen Gebrauch machen kann. Wo das Mittelalter in der Form der Regalien, also des Privatrechts, die Interessen der Gesellschaft mit den Rechten des Individuums ausglich, tritt heut der Staat ein durch Handhabung der Polizei und es ergiebt sich hieraus das Gebiet der Fluß-Feld-Berg-Forst-Jagd u. s. w.-Polizei. Damit die Gesundheit Vieler nicht gefährdet werde durch Sorglosigkeit oder Böswilligkeit einzelner, schreibt der Staat eine Reihe von Beschränkungen der individuellen Freiheit vor (Sanitätspolizei). Ähnlich ist die Veterinärpolizei. Bl. 159 R. Um dem Einzelnen eine Sicherung zu gewähren gegen verbrecherische Angriffe gegen Leben, Gesundheit und Vermögen muß der Staat berechtigt sein, verdächtige Personen zu verhaften resp. zu controliren und um dies erreichen zu können, muß sich Jeder gewissen Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit unterwerfen. (Criminalpolizeit, Fremdenpolizeit u. s. w.). Der Gewerbetrieb kann nicht ganz in das freie Belieben jedes Einzelnen gestellt werden, weil die mit dem Betriebe gewisser Gewerbe verbundenen Schädlichkeiten die Gesellschaft bedrohen. Es eröffnet sich daher ein weites Feld für die polizeiliche Thätigkeit, die ebenfalls wieder als individuelle Beschränkung erscheint. Die Beschränkung der individuellen Freiheit im Interesse der Gesellschaft und der Staatsordnung selbst tritt nicht nur den Einzelpersonen gegenüber, sondern ebenso gegenüber den Vereinen, Kirchengesellschaften, Gemeinden und anderen Verbänden und Korporationen. 2. Man theilt die Polizei ein theils in Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, theils Orts- und Landespolizei theils in mindere und hohe Polizei. Alle diese Eintheilungen sind staatsrechtlich werthlos und sachlich nicht haltbar. 3. Die, den Begriff der Polizei bildende Beschränkung der individuellen Freiheit zum Schutz der Gesellschaft, darf nun aber nicht nach subjektivem Ermessen und der Willkühr der Verwaltungsbehörden normirt werden, sondern vom Staate, d.h. vom Gesetzgeber. Der Staat hat die Gränze zu ziehen, wie weit er die Interessen der Gesellschaft anerkennt und die individuelle Freiheit beschränkt. Es handelt sich hier recht eigentlich um Rechtsnormen öffentlich-rechtlichen Inhalts. Daraus ergiebt sich, daß niemand von den staatlichen Behörden zu einer Leistung oder Unterlassung angehalten oder wegen Verletzung eines derarti-
§ 63 Die Polizei (Wohlfahrtspflege)
275
gen Befehls in Strafe genommen werden darf, außer aufgrund eines Gesetzes. Die gesammte Handhabung der Polizei in allen ihren Berufen und im weitesten Sinn des Wortes ist begründet auf Gesetzen, begränzt durch Gesetze und besteht in der Anwendung von Gesetzen. Es giebt keine Polizeigewalt oder polizeiliche Befugniß ohne Gesetz und es ist durchaus Bl. 160 verwerflich, die Polizei und Regierung in der Art der Rechtspflege gegenüberzustellen, daß die letztere durch Gesetze, die andere durch Zweckmäßigkeitsgründe bestimmt werde. Ein freies Ermessen der Polizeibehörden im Vergleich zu Gerichten besteht nur in der Beurtheilung des Thatbestandes, in der Beantwortung, ob eine gewisse Handhabung oder Anlage erforderlich oder schädlich, polizeiwidrig, sei, ob eine gewisse Leistung dem vom Gesetz geforderten Maaße entspricht. 4.) Es ist nun aber unmöglich, daß der Gesetzgeber selbst für ein großes Staatsgebiet alle Anordnungen speziell trifft, welche im Interesse der Sicherheit, Gesundheit, des Verkehrs, der Wohlfahrt erforderlich sind. Es entscheiden hier vielfach lokale Verhältnisse, vielfach vorübergehende Zeitumstände (Epidemien, Überschwemmungen, Unruhen). Daher ist es unerläßlich, daß hier die Gesetzgebung sehr dezentralisiert wird und daß die verwaltenden Behörden selbst, welche die Polizei handhaben, der Erlaß der erforderlichen Normen anvertraut wird, dies geschieht in doppelter Gestalt: a) Durch Blankettgesetze, d.h. der Staat droht eine Strafe an für jede Übertretung gewisser polizeilicher Anordnungen, überläßt aber die Aufstellung dieser Anordnungen selbst, z. B. die sanitätspolizeilichen Vorschriften, der Feuerlösch-Ordnung u. s. w. den Lokalbehörden (resp. Kreisen, Gemeinden). Zahlreiche Beispiele liefert das Strafgesetzbuch § 360 ff. § 366: Mit Geldstrafe bis zu 20 Thlr. oder mit Haft bis zu 14 Tagen wird bestraft, Z 1) wer den gegen die Störung der Feier der Sonn- und Festtage erlassenen Anordnungen zuwiderhandelt Ziff. 10.) wer die zur Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit, Reinlichkeit und Ruhe auf den öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen erlassenen Polizeiverordnungen übertritt.
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2. Teil: Staatsrecht
Bl. 160 R. b.) Durch Delegation des Verordnungsrechts, d.h. durch Übertragung der Befugniß, Polizeiverordnungen mit Strafandrohungen zu erlassen, an LokalBehörden. Als Beispiel dient das Preuß. Ges. v. 11. März 50, dessen Grundsätze auch in den neuerworbenen Provinzen gesetzlich eingeführt worden sind (V.v. 20. Sept. 1867), wonach die Polizeibehörden und Bezirksregierungen für ihre Verwaltungsdistrikte Polizeiverordnungen erlassen dürfen . . .
Bl. 161 5. Die Machtmittel der Polizei a) Verfügungen b) Strafmandate und deren Vollstreckung. Beschreitung des Rechtsweges. c) thatsächliche Beseitigung des polizeiwidrigen Zustandes und Herstellung des polizeimäßigen auf Kosten des Schuldigen. d) Persönl. Zwang, Verhaftung, Sistierung zur Vernehmung. Durchsuchung. II. Staatsanstalten Zur Förderung der gemeinsamen Kulturaufgaben kann der Staat Anstalten errichten zur Beförderung von Wissenschaft und Kunst, von Handel und Industrie, von Verkehr und Wohlstand. Dahin gehören Museen, Universitäten und andere Schulen aller Arten und Grade, Sammlungen, Post, Telegraphie, Eisenbahnen, Wege Kanäle, Staatsbergwerke und industrielle . . . Heilanstalten, Gefängnisse u. s. w. Es handelt sich hierbei in der Regel nicht um obrigkeitliche Funktionen, sondern um eine wirthschaftliche Verwaltung, nur daß der Zweck derselben nicht in der Erzielung eines Gewinnes, sondern in der directen oder indirecten Förderung der Kulturinteressen, der öffentlichen Wohlfahrt liegt. Unterschied zwischen öffentlichen Anstalten und fiskalischen Betriebsanstalten. Dieser Theil der Staatsverwaltung steht unter folgenden Prinzipien des Staatsrechts 1.) Der Staat hat als Person dieselbe natürliche rechtliche Fähigkeit zu handeln, wie jeder physische Mensch. Er kann daher eine wirthschaftliche
§ 63 Die Polizei (Wohlfahrtspflege)
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Thätigkeit entwickeln, Anlagen machen, Gewerbe treiben, ohne daß es dafür besonderer Gesetze bedarf. Nur Bl. 161 R. darf die Staatsverwaltung Vermögen des Staates nicht für derartige Zwecke, die nicht durch Gesetze vorgeschrieben sind, ohne Zustimmung des Landtags verwenden. Die Staatsverwaltung ist daher nach Maßgabe des Finanzrechts hinsichtlich der Existenz neuer und der Erweiterung bestehender Anstalten durch das Ausgabe-Bewilligungsrecht des Landtages beschränkt. 2.) Wenn der Staat von seiner natürlichen rechtlichen Handlungsfähigkeit Gebrauch macht durch Errichtung oder den Betrieb von Anstalten, so unterliegt er hinsichtlich derselben den allgemeinen Gesetzen des Privatrechts, Prozeßrechts und Polizeirechts. Spezialgesetze zur Förderung des Betriebs. Sie finden auf ihn Anwendung wie auf jeden Unterthan. Die Anordnungen über den Betrieb, die Einrichtung und Verwaltung solcher Anstalten sind begriffl. Kein Theil des Staatsrechts oder Verfassungsrechts, sondern nur Instructionen an die Beamten, wie sie in jedem Privat-Etablissement auch ertheilt werden können. Solche administrativen Verordnungen und Instructionen haben daher aber auch niemals die Kraft einer gesetzlichen Bestimmung zu derogieren. Die Einrichtung und die Benutzung solcher Anstalten kann aber durch Anstaltsordnungen von der Verwaltung der Anstalt geregelt werden. Diese Anordnungen dürfen nicht contra legem verstoßen. 3. Recht und Bedingungen der Anstaltsbenutzung. 4. Anstaltspolizei. Einschreiten gegen ein polizeiwidriges Verhalten. Ad 2.) Eine gesetzliche Anordnung, sei es in der Form der eigentlichen Gesetzgebung, sei es in der Form der Ausführungsverordnung (delegirten Gesetzgebung) ist dagegen erforderlich a) wenn die Anstalt zur Ausübung eines staatlichen Hoheitsrechtes dient, wie die Münzprägeanstalten, so weit nicht der wirthschaftliche Betrieb, sondern die Ausübung der Staatsgewalt in Frage steht. b) wenn dem Staate Privilegien beigelegt werden sollen, welche mit dem allgemeinen Privatrecht, Prozeßrecht oder Polizeirecht im Widerspruch stehen, z. B. besondere Verjährungsfristen, Beschränkungen der Haftbarkeit für culpa oder casus, das Recht zu exekutivischer Einziehung von Gebühren, Expropriationsbefugnisse u. dgl. 4. Insbesondere ist ein Gesetz erforderlich, wenn dem Staate ein Monopol beigelegt werden soll (z. B. Briefbeförderung gegen Entgeld), da dies
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2. Teil: Staatsrecht
die allgemeine Gewerbefreiheit der Staatsangehörigen beschränkt. Ein solches Gesetz normirt aber dann in der Regel auch die Grundsätze über Ausübung des Monopols theils im Interesse des Staates selbst, namentlich in seinem Finanzinteresse, theils im Interesse des Publikums, welches gezwungen ist, mit der Staatsanstalt Verträge abzuschließen. . . .105 5. Machtmittel der Polizei: a) Verfügungen b) Strafmandate und deren Vollstreckung. Beschreitung des Rechtsweges. c) tatsächl. Beseitigung des polizeiwidrigen Zustandes und Herstellung des polizeimäßigen auf Kosten des Schuldigen. d) Persönl. Zwang, Verfassung. Sistierung zur Vernehmung. Durchsuchung Bl. 163 § 64 Die auswärtigen Angelegenheiten106
Bl. 165 § 65 Die Post und Telegraphie107
Bl. 167 IV. Abschnitt Die Rechtspflege Gerichtsbarkeit108 Bl. 168 § 66 Die Gerichtsgewalt oder Gerichtsherrlichkeit Man versteht hierunter im allgemeinen alle Rechte des Staates, welche zur Handhabung des Rechtsschutzes dienen. Es gehören dahin vielerlei Rechte von sehr verschiedenem staatsrechtlichen Charakter: 1. Das Recht der Einrichtung und Besetzung der Gerichte, der Ernennung der richterl. Beamten, der Beaufsichtigung ihres Geschäftsganges, soweit er 105
Restlicher Text auf Bl. 162 durchgestrichen, ersetzt durch hier kursiv wiedergegebene Randbemerkung auf Bl. 161. 106 StR II 1878 § 70. 107 StR II 1878 § 71. 108 StR III 1882 § 96–106 „Das Gerichtswesen des Reiches“.
§ 70 Das Maß- und Gewichtswesen
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in der äußerlichen Erledigung der Prozesse besteht, der Inspection und Revision des Gerichts u. dgl. Diese gesammten Befugnisse bilden die sogen. Justizverwaltung. Und stehen völlig unter den von der Verwaltung überhaupt geltenden Regeln. 2. Die von den Gerichten selbst gegen die Unterthanen und die im Staatsgebiet sich aufhaltenden Fremden zum Zweck der Rechtspflege auszuübenden Hoheitsrechte: Dieselben sind a.) Der Einlassungszwang Gestellungs- und Vernehmungszwang, d.h. die Pflicht, sich dem Spruch des Gerichts zu unterwerfen . . . sich gegen die Anklage zu vertheidigen, persönlich vor Gericht zu erscheinen und Auskunft zu geben. b.) Die Befugniß zu Haussuchungen, Beschlagnahmen und Verhaftungen. c.) Der Zeugnißzwang, dem die Pflicht, sachverständige Auskunft zu ertheilen, gleich steht. d.) Der Vollstreckungszwang 3. Den Gerichten sind öfters auch rechtspolizeiliche Geschäfte übertragen ... Bl. 168 R. § 67 Die Gerichtsverfassung
Bl. 170 § 68 Die Unabhängigkeit des Richteramts Der Gerichtsdienst
Bl. 173 § 69 Das Eisenbahnwesen109
Bl. 175 § 70 Das Maß- und Gewichtswesen110 109 110
Inkl. Bl. 172, 172 R., deren Inhalt an Bl. 174 R. anschließt. StR II 1878 § 72. StR II 1878 § 75. Diese Passage ist eindeutig nach 1908 entstanden.
280
2. Teil: Staatsrecht
Bl. 176 § 71 Das Geldwesen111
Bl. 177 § 72 Das Bankwesen112
Bl. 180 Staatsrecht. Die bewaffnete Macht
Bl. 181 VI. Kapitel Die bewaffnete Macht113 § 73 Rechte des Kaisers
Bl. 181 R. § 74 Rechte der Einzelstaaten § 75 Organisation und Gliederung im Frieden
Bl. 182 § 76 Der Militärdienst
Bl. 185 § 77 Die Militärlasten
111 StR II 1878 § 74 „Die Verwaltung des Münzwesens mit Einschluß des Papiergeldes“. 112 StR II 1878 § 73. 113 StR III 1880, 1. Abt. „Die bewaffnete Macht des Reiches“ §§ 77–95.
§ 84 Erbschafts- und Besitzsteuer
281
Bl. 186 § 78 Die Kriegsmarine114
Bl. 187 VII. Kapitel Das Finanzrecht
Bl. 188 VII. Kapitel Das Finanzrecht115 § 79 Das Staatsvermögen
Bl. 189 R. § 80 Die Staatseinnahmen § 81 Finanzwirthschaft des Reichs
Bl. 190 § 82 Die Zölle und Verbrauchsabgaben
Bl. 192 § 83 Die Reichsstempelsteuern
Bl. 192 R. § 84 Erbschafts- und Vermögens- Besitzsteuer
114 Textpassage weist durch die größere, unsicherere Schrift und den integralen Verweis auf das Flottengesetz von 1912 auf eine Entstehung der späten Lebensjahre Labands. 115 StR III 2. Abt. 1882 §§ 107–116.
282
2. Teil: Staatsrecht
Bl. 193 R. § 85 Die Matrikularbeiträge
Bl. 194 VI. Kapitel Das Finanzwesen recht116
Bl. 202 VI. Kapitel Das Finanzwesen recht117 § X Das Budgetrecht118 Budgetrecht III. S. 417 ff. § 46119
Bl. 209 120
116 Der Schrift nach die ältere Variante des vorhergehenden Kapitels, beginnend mit einer stichwortartigen Inhaltsübersicht. 117 Weitere Variante, ebenfalls mit einer Inhaltsübersicht eingeleitet. 118 Die für die Editionszwecke neu gefaßte Paragraphenzählung berücksichtigt bis hierher nicht die §§ der beiden Varianten des Finanzrechts. Nach einer stichwortartigen Übersicht sind Druckseiten aus Labands „Budgetrecht“ S. 417–424 beigelegt. 119 Verweis Labands auf seine eigene Schrift zum Budgetrecht. (Randnotiz Bl. 205). 120 Bl. 209–246 Abschnitt zum Verhältnis des Reichs zu den Bundesstaaten ohne Kapitelüberschrift und ohne Unter-Überschriften. Von Art. 4 RV ausgehend zieht Laband in dieser offenbar nach der Jahrhundertwende entstandenen Passage eine Art Resümee der Reichsentwicklung. Dieses ist staatsrechtlicher, punktuell aber auch politischer Natur. Parallelstellen StR I 1878 §§ 9–12; StR I 1911 §§ 11–13.
Dritter Teil
Deutsche Verfassungsgeschichte
§ 8 Die Heerverfassung
285
Bl. 247 121 § 8 Die Heerverfassung I. Die Landesvertheidigung war eine allgemeine Pflicht aller Volksgenossen; wer an Gebiet, an Recht und Frieden des Volkes Theil hat, muß er auch mit vertheidigen. Daher sind alle zum Dienst tauglichen Freien auch wehrpflichtig, arimanni. Das Heer ist das Volk in Waffen. Die Ansicht von Waitz, daß von jedem Hofe ein Mann dient, ist unhaltbar. Liten und Unfreie sind nicht waffenfähig und gehören nicht zum Heer, obwohl es nicht ausgeschlossen ist, sie als Knechte zur Bedienung mitzunehmen. Die Aufnahme in das Heer erfolgt feierlich vor dem versammelten Heer selbst durch Wehrhafterklärung durch das Symbol der Waffenreichung. Das Volk versammelt sich zum Heer im Frühjahr zur Musterung, das sog. Märzfeld; außerdem scheint eine zweite Versammlung im Herbst vielleicht nach beendigtem Feldzug zur Vertheilung der Beute, Darbringung der Opfer u. s. w. in Übung gewesen zu sein. Die Wehrpflicht leistet jeder unentgeldlich; er hat selbst für seine Ausrüstung zu sorgen, der Dienst wird vorzugsweise zu Fuß geleistet und ohne Rüstung. Wer ein Streitroß hat, dient zu Pferde, aber ohne daß besondere berittene Truppenkörper gebildet werden. Nur bei einigen niederdeutschen Völkerschaften wird die Reiterei gerühmt. Die Feldzüge waren von den großen Wanderungen abgesehen regelmäßig auf die Zeit des Sommers beschränkt. Die Eintheilung des Heeres ist identisch mit der Eintheilung des Volkes. Die gesammte Völkerschaft bildet ein einheitliches Heer, welches in der Schlacht keilförmig geordnet wird, cureus, so daß wenn mehrere Völkerschaften miteinander Bl. 247 R. verbündet sind, jede einen besonderen cureus bildet. Eine Reserve wurde nicht gebildet, was oft den Untergang ganzer Heere verschuldete. Dagegen wurde eine Vortruppe aus Reitern und besonders geeigneten Fußstreitern gebildet, und zwar aus jedem Gau 100 Mann, also 50 Reiter, von denen jeder einen Fußkämpfer zur Seite hatte. Sie heißen die Hundertgarden, centeni, et quod primo numerus fuit, jam Nomen et honor est. (Germ. cap. 6) 121 Der Anfang des Manuskriptteils ist offenbar verloren gegangen. Die Labandsche §§-Zählung wird hier ohne Änderungen übernommen.
286
3. Teil: Deutsche Verfassungsgeschichte
Abgesehen von diesen Hundertleuten gliederte sich das Heer nach Gauen und Hundertschaften.; die Einzelnen kämpften nebeneinander wie sie zusammen wohnten; also die Verwandten standen beieinander; die Sippen und Familien sind zugleich die Rotten des Heeres. Die Obrigkeiten des Friedens sind zugleich die Befehlshaber, Honne oder Centenarius, principes und Grafen, Herzöge und Könige. Die Strafen im Heer wurden von den Priestern vollstreckt, nach Brunners Hypothese, um die Fehde auszuschließen. II. Eine eigenthümliche, für die Entwicklung der deutschen Heeres- und Staatsverfassung besonders wichtige Einrichtung war das Gefolge. Caesar de bello gall. VI 23 berichtet, daß in der Volksversammlung ein princeps öfters einen Kriegszug vorschlägt und sich als Führer denjenigen empfiehlt, die sich ihm freiwillig anschließen wollen. Consurgeat (?) ii qui et causam et hominem probant suumque auxilium pollicentur. Wer versprochen hat, mit zu ziehen und dann ausbleibt, wird als Verräter und Deserteur behandelt und wird ehrlos und rechtlos. Die Volksgemeinde muß das Unternehmen billigen; der Krieg ist aber kein Volkskrieg, sondern ein Privatunternehmen des Fürsten.
Bl. 248 Kriegszüge dieser Art waren sehr häufig, besonders auch bei den Nordgermanen (Wikingerzüge u. s. w.). Ein solches Gefolge dauerte nur für den Kriegszug; mit Beendigung desselben löste es sich auf. Polit. Bedeutung scheint es regelmäßig nicht gehabt zu haben. Anders ist das Bild, welches Tacitus, Germ. Cap. 13.14 von dem alten Gefolgswesen entwirft und welches durch das alte angels. Heldengedicht, den Beowulf, bestätigt und ergänzt wird. Der Hauptunterschied besteht darin, daß das Gefolge auch im Frieden fortdauert und daß die Volksgenossen Hausgenossen des princeps oder Königs werden. Das deutsche Wort für Gefolge, welches bei Franken, Langobarden, Angelsachsen u. s. w. sich findet, ist gasindus, gesind. Auch thega, thegan Degen, bedeutet den Diener; bei den Franken auch trustis, antrustio. Der Eintritt in das Gefolge erfolgt freiwillig; der Gefolgsmann übernimmt eine von der gesetzlichen Dienstpflicht verschiedene und sie weit überragende vertragsmäßige Dienstpflicht. Er leistet dem Herrn einen Treueeid. Die Gefolgsleute sind dem Fürsten zu unbedingter Treue und Gehorsam verpflichtet; sie kämpfen an seiner Seite und es galt für den größten Schimpf, den Gefolgsherrn zu verlassen oder wenn er im Kampfe fiel, ihn zu überleben.
§ 9 Die Gerichtsverfassung und das Prozessverfahren
287
Principes pro victoria pugnant, comites pro principe. – illum defendere, tueri . . . praecipium sacramentum est. Sie erhalten von ihm Waffen und Rosse, Antheil an der Beute und Lebensunterhalt. Im Frieden zog er mit ihnen zur Jagd; sie sind seine Bankgenossen bei den Gelagen und beim Spiel; innerhalb des Gefolges gab es eine Rangordnung; um den nächsten Platz beim Herrn war großer Wettstreit. Dem Herrn gab ein großes und tapferes Gefolge Ansehen und Ehre, in pace decus, in bello praesidium. Der Fürst nahm edle und erprobte Jünglinge in sein Gefolge auf oder solche welche durch den Adel oder die Großthaten ihres Geschlechtes sich ihm empfahlen. Es galt als eine Ehre, in das Gefolge aufgenommen zu werden, trotz der damit verbundenen Unterordnung und Dienstpflicht. nec rabor inter comites aspici sagt Tacitus. Nur Könige und Fürsten haben ein milit. Gefolge, nicht Adlige, wie man später annahm, indem man das Wort princeps mißverstand. Bl. 248 R. § 9 Die Gerichtsverfassung und das Prozessverfahren I. Dem germanischen Gerichtsverfahren eigenthümlich ist die Theilnahme der Gemeinde an der Rechtsprechung. Alle Gerichte sind Volksversammlungen; sie sind öffentlich; die Theilnehmer erscheinen bewaffnet; wer zur Volksgemeinde und zum Heer gehört, gehört auch zum Gericht, ist ein Dingemann. Die regelmäßige Gerichtsversammlung ist die Hundertschaft, obwohl auch die Gau- und Landesversammlungen in wichtigen Rechtsangelegenheiten urtheilen konnten. Wie die Zuständigkeit abgegränzt war, ist für die älteste Zeit nicht zu entscheiden; man kann vermuthen, daß Rechtsstreitigkeiten unter den Häuptlingen (principes) und unter den Angehörigen verschiedener Hundertschaften und Sachen, bei denen innerhalb einer Hundertschaft eine Einigung der Urteiler nicht zu erzielen war, vor die große Volksversammlung gebracht wurden. Tacitus c. 12 erwähnt, daß bei den Rechtsprüchen der principes i „centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas assunt.“ Dies deutet auf die Urteilssprechung der Hundertschaft und in der späteren Zeit ist durchweg die Hundertschaftsversammlung das ordentliche, regelmäßige Landgericht. Die Gerichtsversammlung findet statt an fest bestimmten, allgemein bekannten Orten, die zugleich Opferstätten waren, da in ältester Zeit alle Gerichtsversammlungen mit religiösen Zeremonien begannen. Die Gerichtsstätte heißt bei den Franken mallus, malloberg und darauf heißt auch das Gericht selbst mallus. Bei den Sachsen und Langobarden heißt sie Ding,
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3. Teil: Deutsche Verfassungsgeschichte
Thing, Dingstatt. Bei den Angelsachsen auch gemôt; (in späterer Zeit wird auch die Bezeichnung sprache, parlament üblich.) . . .122
Bl. 250 R. § 10 Fehde und Strafrecht I. Im ältesten Recht war die Staatsgewalt nicht so weit entwickelt, daß die Verletzung des Einzelnen als eine Verletzung der Gesammtheit, als ein Bruch des allgemeinen Friedens aufgefaßt und behandelt worden wäre. Diebstahl und andere Eingriffe in das Vermögen, Körperverletzungen, Tödtungen, Frauenraub u. s. w. erschienen vielmehr ausschließlich als Verletzungen des Beschädigten und seiner Sippe. Der Einzelne fand Schutz und Hülfe in seiner Familie und die Familie war für die Thaten ihrer Angehörigen mitverantwortlich. Die Missethat erzeugte daher nicht eine Reaction der Staatsgewalt, sondern sie brachte Feindschaft und Rache unter den Sippen hervor. Der Friedenszustand unter den Sippen war gebrochen und es trat an die Stelle desselben die sogen. faida, Fehde. Die Missethat erforderte Rache und der Racheact traf nicht gerade den Missetäter, sondern konnte auch gegen einen Verwandten desselben gerichtet sein. Die Fehde brachte eine Art von Familienkrieg, Sippschaftskrieg hervor. Die Fehde konnte beendet oder auch von vornherein abgewendet werden, durch einen Friedensschluß, einen Vertrag, die sogen. Sühne. (Urfehde). Um die Bedingungen des Friedens kümmerte sich der Staat nicht; sie waren der Vereinbarung der betheiligten Familien überlassen. Die Ehre stand aber solchen Vereinbarungen insofern entgegen, als man den Verdacht vermeiden mußte, aus Furcht und Feigheit die Verletzung, namentlich die Blutschuld, ungerächt zu lassen. Auch war die Höhe der zu leistenden Buße nicht willkührlich zu bestimmen.; eine Sippe konnte sich nicht mit einer geringeren Genugthuung abfinden, lassen, als es in anderen Fällen ähnlicher Art erfolgt war. Für die Buße, compositio, entwickelten sich daher bestimmte Sätze; förmliche Tarife. . . .123
122
Es folgen Einzelheiten zum Verfahren des germanischen Prozesses. Es folgen Einzelheiten des Fehderechts, insbesondere die Darlegung der Wahlmöglichkeit des Verletzten zwischen „Fehdegang und Rechtsgang“ und zur „Friedlosigkeit“. 123
§ 13 Das westgotische Reich und Recht
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Bl. 253 II. Abschnitt Die germanischen Reichsgründungen § 11 Die Römer in Deutschland Nach dem Einbruch der Cimbern und Teutonen in Italien und dem Eindringen germanischer Völkerschaften in Gallien suchten die Römer die Gränzen ihres Reiches durch einen gewaltigen Vorstoß nach Germanien selbst zu sichern und es gelang ihnen vorübergehend, ihre Macht bis an die Elbe zu entfalten und eine wenigstens nominelle Herrschaft über Germanien zu begründen. Durch die Varusschlacht im Jahre 9 vor Christus wurden diesen weitreichenden politischen Bestrebungen ein Ende gemacht und Rhein und Donau bildeten die eigentlichen Gränzen des Röm. Reiches und der Germ. Röm. Bevölkerung gegen die germanischen Völkerschaften. Ein Theil der zu Deutschland gehörenden und mit Germanen bevölkerten Länder blieb aber daher in den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung unter römischer Herrschaft und die Röm. Provinzialverfassung war an den Uferländern der beiden Ströme durchgeführt. . . . Bl. 253 R. § 12 Die germanischen Einwanderungen in das R.R. ... Bl. 254 R. § 13 Das westgotische Reich und Recht Die Verfassung der deutschen Völker wurden, da die Heerverfassung ihr treuer Ausdruck war, durch das Heer bei den Wandergängen erhalten und konnte daher, wenn wieder feste Wohnsitze erlangt wurden, vom Heere wieder leicht auf Volk und Land übertragen werden. Der deutschen Sitte gemäß sorgten die Westgothen zunächst für Landbesitz und den erhielten sie in der Art, daß jedem Römischen Grundbesitzer ein selbständiger freier Westgothe zugetheilt wurde, und daß derselbe 2/3 vom Ackerland für sich nahm, 1/3 dem früheren Besitzer überließ. . . .124
124
Es folgen u. a. Ausführungen über die bekannten westgotischen Rechtsquellen.
290
3. Teil: Deutsche Verfassungsgeschichte
Bl. 259 § 14 Das ostgothische Reich und Recht
Bl. 260 § 15 Das burgundische Reich und Recht
Bl. 262 § 16 Das langobardische Reich und Recht
Bl. 265 II. Buch Die Periode der fränkischen Monarchie I. Abschnitt Allgemeine Rechts- und Verfassungszustände § 17 Die Reichsgründung125
Bl. 267 R. § 18 Das merowingische Reich Maßgebend für die Verfassung und für die geschichtliche Entwicklung des merow. Staates war die Art seiner Gründung. Das Fränk. Reich war kein Volksstaat, sondern ein Königsstaat; es fehlte die nationale Einheit, die Volksgenossenschaft, die Untheilbarkeit. Das Grundprinzip des Staates war die gemeinsame Königsherrschaft, der Unterthanenverband. Die nächste Folge war eine unendliche Steigerung der königlichen Macht. Der König leitete sein Recht nicht von der Wahl des Volkes, sondern von der Eroberung ab. Er wurde Eigenthümer unermesslicher Strecken Landes und scheinbar unerschöpflicher Reichthümer. Er trat in dem römischen Gebiet und den romanisierten Ländern in die Rechte der römischen Cäsaren ein; er ernannte die Beamten, hatte das Aufgebot zum Heer, war der oberste Richter; der Königsfrieden trat an die Stelle des Volksfriedens. Der Königsdienst gab Macht, Ehre und Reichthum. Aber gerade dadurch 125
Vornehmlich historische, siedlungs- und stammesgeschichtliche Ausführungen.
§ 18 Das merowingische Reich
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wurde das Schicksal des Königthums zugleich das Schicksal des Staates; der schnell eintretende Verfall der königlichen Gewalt war zugleich die Auflösung des Staates. Nach der Eroberung Galliens mußte zuerst das Problem gelöst werden, wie diese Eroberung behauptet, die Herrschaft des fränkischen Königs gesichert werden könne. Weder das germanische noch das römische System war anwendbar. In den gothischen und burgundischen Staaten war das ganze Volk eingerückt und hatte sich in dem besetzten Gebiet angesiedelt. Die Masse der Franken dagegen war in ihren alten Sitzen geblieben. Die Römer hatten ein stehendes Heer; sie behaupteten ihre Herrschaft durch Legionen, die sie in Garnison legten; die fränkischen arimanni konnte man nicht in Garnisonen schicken. Bl. 268 Chlodwig und seine Nachfolger griffen zu einem anderen Ausweg. Tapferen und thatkräftigen Franken oder anderen dem Könige treu ergebenen und zuverlässigen Personen erhielten vom König große, weit ausgedehnte Besitzungen, auf denen sie mit ihren Leuten angesiedelt wurden. Diese Landschenkungen heißen Largitas, Munificentia, Donatio regis. Der Beschenkte hatte dafür die Pflicht zur Treue und zum Gehorsam gegen den König; er sollte das Land bewahren und die Bevölkerung im Zaume halten und die Herrschaft des Königs verwirklichen. Dazu mußte er mit ausreichenden Machtmitteln ausgestattet werden. Diesen Großgrundbesitzern mußten zugleich die Amtsbefugnisse der Verwaltung, Rechtsprechung und des Militairbefehls übertragen werden; sie zu Grafen ernannt und dadurch einerseits in den Dienst und die Gehorsamspflicht des Königs gestellt, andererseits zur Beherrschung und Regierung der einzelnen Bezirke befähigt. Dadurch entsteht die große und übermächtige Aristokratie, welche Anfangs die Stütze, später das Verderben der Merow. Monarchie wurde. Als die Normannen später England eroberten, hatten sie auch kein anderes Mittel zur Beherrschung und Verwaltung des Landes und man hat die Frage aufgeworfen, warum bei den Franken das Königthum der Grundaristokr. Erlegen ist. Die Antwort ist wol in dem Umstand zu suchen, daß die Besitzungen und englischen Vasallen durch alle Grafschaften vertheilt waren; die normannischen Könige duldeten nicht, daß in einer einzelnen Grafschaft irgend ein Lord oder Kronvasall mehr Land besitze als der König selbst; bei den Franken dagegen waren aus den angegebenen Gründen die großen Güterkomplexe der Aristokraten in einer Grafschaft vereinigt und boten daher eine Grundlage für die Entstehung einer Art von Landesherrschaft, die dem Könige Trotz bieten konnte.
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3. Teil: Deutsche Verfassungsgeschichte
Bl. 268 R. Außer den weltlichen Großen, die als Beamte und Offiziere des Königs functionirten, wurde auch die Kirche zur Durchführung und Erhaltung der fränkischen Königsherrschaft verwendet. Die Bischöfe waren der Natur der Verhältnisse gemäß die Führer und Häupter der römischen Bevölkerung; sie hatten bei dem Verfall der römischen Verwaltung eine Fürsorge für mancherlei Bedürfnisse der Bevölkerung übernommen, die den Franken fernlagen. Die Mitwirkung der Kirche an der Pacifizirung des Landes und der Verwaltung war nicht gut zu entbehren; auch den Kirchen und Klöstern wurden daher ausgedehnte Landschenkungen gemacht und es wurden neue Kirchen und namentlich Klöster unablässig gegründet. Der König hat das Recht die Bisthümer nach seinem uneingeschränkten Belieben zu besetzen und die von ihm gegründeten Klöster zu vergeben; Bischöfe und Äbte erscheinen daher auch als seine Beamte und in voller Abhängigkeit von ihm. System der Eigenkirchen. So lange eine übermächtige Königsgewalt die weltlichen Großen und Bischöfe beherrschte und sie zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Treue- und Gehorsamspflicht anhielt, erfüllte diese aristokratische Verwaltung ihre Aufgabe; als die Macht des Königthums erlahmte, setzt die Aristokratie sich selbst an die Stelle des Königs. Von Bedeutung war nun, daß das Königthum, dem ein eigentlich staatsrechtlicher Gedanke welchem die einheitliche nationale Grundlage fehlte, theilbar und an keine feste Erbordnung gebunden war. Dem Begriff nach ist das ganze Reich ein einheitliches regnum und das Recht zur königlichen Stellung hat die ganze curtis regia, das Merowing. Haus. Aber die Ausübung dieses Rechtes kann getheilt werden; es können mehrere Angehörige des Königshauses die königlichen Rechte in den Theilen des Reiches ausüben. Reichstheilungen sind daher bei den Merowingern üblich; es herrschen oft 2 oder 3 Könige gleichzeitig, in dem Salien, Ripuanien und auch Bayern als Hauptbestandtheile angesehen und mit den angrenzenden Gebieten zu Theilreichen verbunden wurden. Diese Diese Theilungen haben aber auch Zwistigkeiten und Kriege unter den Mitgliedern des Königshauses . ...
§ 19 Königthum und Kaiserthum
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Bl. 269 § 19 Königthum und Kaiserthum Der fränkische Staat ist kein Volksstaat; er ist das Werk der merowingischen Könige; das Resulthat ihrer Eroberungen, das Grundprinzip des Staates ist nicht mehr die Volksgenossenschaft, sondern die Unterthanenschaft. Die Herrschaft des Königs ist der Einheitspunkt des Staates; ihm sind alle Unterthanen ohne Rücksicht auf ihre Nationalität und Stammeszugehörigkeit Gehorsam und Treue schuldig; sie müssen ihm Heeresdienste leisten, sie sind seinem Gericht unterworfen; sie haben den Befehlen des Königs und seinen Beamten zu gehorchen. Das Königtum ist kein bloßes Heerkönigthum126 mehr. Schon die Unterwerfung des römischen Gebietes und der höher entwickelten romanischen Staaten übernimmt der König Rechte und Aufgaben der Staatsverwaltung. Er wird der Träger des Friedens, des Rechtsschutzes, der Wohlfahrtspflege. Er übt diese Rechte und Pflichten aus durch Beamte, die er ernennt, in Eid und Pflicht nimmt, die er versetzen und entlassen kann und denen er Dienstanweisungen ertheilt. Der Befehl des Königs heißt Bann, bannus; das imperium, das Recht zu gebieten und zu verbieten. Wer dem Befehl nicht gehorcht, zahlt eine Buße, die Bannbuße, die auch als bannus bezeichnet wird. Sie ist für die verschiedenen Fälle verschieden abgestuft; seit dem 6. Jahrhundert beträgt der Königsbann 60 Solidi. In karoling. Zeit ist diese Buße von 60 Sol allgemein, auch bei den östl. Völkern eingeführt worden. Bei scheren und besonders wichtigen Fällen wird sie verdoppelt oder verdreifacht und im 9. Jahrhundert bisweilen arbiträr festgesetzt. Der König soll die Banngewalt aber nicht willkürlich, sondern legibus d.h. nach dem Recht und Herkommen ausüben. – Eine besondere Anwendung ist der Friedensbann. Der König verleiht den Kirchen oder gewissen Personen oder Orten oder Sachen den Königsfrieden, so daß derjenige, welcher ihn bricht, die Bannbuße zahlt. Eine andere Anwendung ist der Heerbann, das Aufgebot zum Königsdienst. Gerichtsbann. Bl. 271 R. Der Bann war das Mittel, den königlichen Verordnungen Befolgung zu sichern und dadurch dem Könige die Fortbildung und Umgestaltung des Rechts zu ermöglichen. Die Bannbuße wird von den Beamten ohne förmlichen Prozeß kraft ihrer Amtsgewalt eingetrieben und dient daher bei dem Verfall der königlichen 126 Die beiden verschiedenen Schreibweisen innerhalb eines Satzes deuten zwar hier auf ein Versehen hin, indizieren aber zugleich die wenig gefestigte Position einer einheitlichen „Rechtschreibung“ im zeitgenössischen Schrifttum.
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Gewalt zur Stärkung und Ausbildung der Gewalt der Grafen und anderer Beamten. II. Der Titel des Königs ist Rex Francorum und seit der Besiegung der Langobarden Rex. Franc. et Langob. Seit der Kaiserkrönung tritt der Titel Imperator augustus an die Stelle. Auch wird die Formel gratia Dei seit 768 beigefügt. Der Antritt der Regierung wird durch Besteigung des Thrones, bei Unmündigen durch Erhebung desselben auf den Thron bezeichnet. In karolingischer Zeit findet eine Salbung des Königs durch Geistliche statt; neben der Salbung findet denn auch eine Krönung statt; das erste Mal bei der Kaiserkrönung Karls des Gr. Die Krönung wurde gewöhnlich auch von Geistlichen vorgenommen. Eine staatsrechtliche Bedeutung haben weder Salbung noch Krönung. Das Wahrzeichen der königlichen Gewalt war in merowing. Zeit der Speer oder die Lanze, in karol. das Szepter und die Krone. Die Thronfolge. Der Thron war im Hause der Merowinger, später der Karol. erblich; eine feste Thronfolge aber fehlt; unmündige Kinder werden häufig durch die Oheime ausgeschlossen. Eine Folge davon waren die Reichstheilungen. Dieselben beziehen sich aber nur auf die Ausübung der Herrschergewalt und die damit verbundenen Einnahmen, das Reich der Franken selbst bleibt als einheitliches regnum bestehen. Seit Chlothar II. gewinnen die Aristokraten und später die Hausmaier den maßgebenden Einfluß auf die Einsetzung des Königs. Das Kaiserthum war seinem Begriff nach einheitlich und untheilbar. Durch die Ereignisse unter Ludw. dem Frommen und die Niederlage Lothar’s büßte es seine eigentl. Bedeutung ein und wurde zur Titulatur. Bl. 272 III. Der König genießt einen besonderen Frieden, d.h. einen erhöhten Rechtsschutz. Verletzungen seiner Person sind Hochverrath und werden mit dem Tode bestraft. Seine Pfalz, seine Umgebung, seine Diener und sein Vermögen nehmen an dem Frieden Theil und Störungen werden mit doppelter oder dreifacher Buße bestraft. Dem besonderen Königsfrieden entspricht der besondere Königsschutz, in welchen der König Jemanden nehmen kann. Dieser Schutz heißt sermo (verbum) regis oder mundeburdium regio. In der Regel stellt der König darüber einen besonderen Schutzbrief aus, namentlich an Kirchen und Klöster. Die Folge des Königsschutzes ist eine zweifache, eine höhere Buße bei Verletzungen und der besondere Gerichtsstand im Königsgericht. Schutzverhältnisse werden durch Commendation (Huldigung) begründet. Aber auch ohne diese besonders übernommene Verpflichtung war jeder Un-
§ 20 Die Hofbeamten und die Reichsregierung
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terthan zur Treue verpflichtet. Allgemeine Unterthaneneide waren üblich; sie wurden im Laufe der Zeit, namentl. in karoling. Zeit, immer häufiger und ihr Inhalt wurde immer ausgedehnter. Hieraus wurden denn auch solche Pflichten abgeleitet, die im Volksrecht nicht begründet waren. Gerade durch die Häufung der Eide büßten sie aber auch Kraft ein. IV. Das Kaiserthum wird als eine göttliche Institution aufgefaßt; imperium a Deo commissum; als eine Stellvertretung Gottes in weltlichen Dingen zur Verwirklichung des Reichs Gottes. Das Kaiserth. ist dem Papstthum analog; es ist eine Oberhoheit über die Christenheit. Es soll die Kirche beschützen; ihren Einfluß innerlich und im Äußeren erhöhen. Der Kaiser soll die Heiden bekehren, die Ketzer vernichten; Kirchen und kirchliche Anstalten vermehren. In äußerlichen Dingen ist er der Herr auch über die Kirche, namentlich in allen Vermögensangelegenheiten und Hoheitsrechten; andererseits soll er seine Regierung nach dem Willen Gottes, d.h. nach den Lehren der Kirche führen. An diesem Gedanken der Universalmonarchie und der Verquickung mit der Kirche ging das Reich zu Grunde.
Bl. 272 R. § 20 Die Hofbeamten und die Reichsregierung Der Fränk. König hat keine feste Residenz; er hält sich abwechselnd in verschiedenen ihm gehörigen Palästen, Pfalzen auf. Die Merowinger bevorzugten Paris und Soisson, die austrasischen Könige Reims und Metz, Karl der Große Aachen, Ingelheim und Worms. Von diesen Pfalzen aus wurde die Regierung des Reichs geleitet und da alle Regierungsrechte persönliche Rechte des Königs, alle Staatseinnahmen und – Ausgaben königliche Einnahmen und Ausgaben waren, so floß die Verwaltung des Reichs mit der des königlichen Hofs zusammen und die Inhaber der Wirthschaftsämter waren zugleich mit den Regierungsgeschäften betraut. In der früheren Merowing. Zeit lehnt sich die Einrichtung des Königshofes an die übliche Einr. der Herrenhöfe an und die gewöhnlichen Hofbeamten finden wir auch am Königshof; in Karoling. Zeit werden die Verhältnisse verwickelter, die alten Namen werden durch neue Titulaturen ersetzt und es weiß sich namentlich die Geistlichkeit Einfluß zu verschaffen. Die Hofämter sind folgende: 1. Der Truchseß, in merowingischer Zeit heißt er senescalcus, in karolingischer dapifer, infertor. Er hatte die Leitung der Hofhaltung, Speisevorräthe, Küche; er heißt auch princeps coquorum. An ihn sind die Naturalverträge der Domänen für die Magazine des Hofes abzuliefern; er hat daher eine Aufsicht über die Domänenverwalter. In der späteren Merowing. Zeit war
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wol der majordomus mit ihm identisch; später wird das Majordomus-Amt ein besonders selbständiges Amt der Karoling. Hofverf. 2. Kämmerer . . . Bl. 274 § 21 Die Eintheilung des Reiches und die Landes-Ämter I. Die durchgreifende Eintheilung des Reichs ist die in Grafschaften, Gaue, Grafschaftsgaue, welche in allen eroberten Ländern, wenn sie nicht schon vorhanden war, durchweg eingeführt wurde. Die Eintheilung lehnt sich an schon vorhandene ältere Einrichtungen an; in Gallien an die dort bestehenden districte der größeren Städte (civitates), in Deutschland an die alten Völkerschaftsbezirke, die Namen der Gaue erinnern vielfach an alte Volksnamen oder Gebiete oder sind von Gebirgen oder Flüssen oder (aus römischer Zeit stammenden) Städten gebildet worden. Bei wachsender Bevölkerung wurden sehr häufig Gaue getheilt und die Theile weiter getheilt, werden andererseits auch mehrere Gaue bisweilen in einer Hand vereinigt. Die Gaue zerfallen in Hundertschaften, Centenen; in Sachsen heißen die Unterbezirke go, bei den Langob. sculdasia, im südl. Gallien aicis. An der Spitze der Gauverwaltung steht der Graf, comes oder gravio. Der Titel comes ist ein im Römischen Reich üblicher Amtstitel; Herleitung und Bedeutung des deutschen Wortes Graf sind sehr bestritten. Der Graf ist der oberste ordentliche Richter, der in der ganzen Grafschaft die Gerichte abhält; er ist der Vollstreckungsbeamte; er hat ferner die polizeil Functionen der Friedensbewahrung und er ist der Heerführer für die Mannschaften des Bezirks. Er hat das Aufgebot und den Befehl über sie; er hat auch die Heerbannbuße wie die übrigen Bannbußen einzuziehen. Der Graf kann auch aus eigener Machtvollkommenheit gebieten. (Grafenbann); seine Bannbuße ist bei den Franken 50 Solid, bei anderen germanischen Völkern in der Regel niedriger (. . .). Der Graf hat das 3fache Wehrgeld seiner Geburt und den Anspruch auf angemessene Verpflegung bei den Dienstreisen; mit dem Amt sind, wie es scheint, immer kgl. Domänen als Dotation verbunden gewesen; er erhält ferner ein Drittel der Friedensgelder und Königsbannbußen. Bl. 274 R. Der Graf wird vom Könige ernannt und erhält ein Patent, dessen Formular bei Marc. I, 8 erhalten ist. Der König kann den Grafen versetzen und abberufen und er ist in der Auswahl nicht beschränkt; schon Chlothar II muß
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aber 614 den Grundsatz anerkennen, die Grafen aus dem betreffenden Lande zu nehmen, damit ihr Grundbesitz als Caution für Ansprüche wegen Amtsmißbrauchs dienen können. Karl der Gr. ernennt die Grafen wieder ganz nach Belieben, sogar freigelassene Knechte; seit Ludwig I. dagegen entwickelt sich schnell die Erblichkeit des Grafenamtes, zunächst freilich nur thatsächlich. In den weltl. Gebieten wird seit der Karoling. Zeit den Grafen meistens ein ständiger Vertreter vom Könige beigegeben; bisweilen verwaltet derselbe die gräflichen Geschäfte in einem bestimmten Theil der Grafschaft. Er führt den Titel vice comes, Vicomte. II. Der Unterbeamte des Grafen ist der Centenarius, Hanno oder Vicarius. Derselbe wurde ursprünglich von der Hundertschaft gewählt; mit dem Verfall der Volksfreiheit und der steigenden Macht der Grafen gelingt es denselben, die Centenare in Subaltern-Beamte zu verwandeln, die von den Grafen eingesetzt werden und ihnen verantwortlich sind. Karl der Große ordnete an (cap. 809 C. II), daß der Graf das Ernennungsrecht unter Beteiligung des Volkes ausüben soll. In manchen Gebieten hat sich der gewählte Centenar (Hunne, Hun, in Sachsen gogreve) erhalten. In Deutschland wird seit dem 9. Jahrhundert der Titel „Schultheiß“ üblich, zuerst in Süddeutschland. In Westfranken ist der Vikar Hilfsbeamter des Grafen, die Grafschaften werden in eine Anzahl von Unterbezirken getheilt und für jeden Bezirk setzt der Graf einen Vikar ein. Centenare und Vikkare haben richterliche Ämter, sie treiben die Abgaben, Friedensgelder und Bußen ein und sind Unterbefehlshaber im Kriege. Bl. 275 III. Herzogthümer finden sich im fränkischen Reich vielfach und in verschiedener Bedeutung. Es sind 3 Arten zu unterscheiden: 1. Amtsherzoge. Dieselben sind die Befehlshaber der Mannschaften mehrerer Grafschaften. Das Herzogthum ist keine regelmäßige und allgemeine Einrichtung; es wird nach Bedürfniß gebildet; das Reich ist nicht in eine bestimmte Anzahl von Herzogthümern eingetheilt und die herzoglichen Gebiete umfassen nicht eine bestimmte Anzahl von Gauen. Die Herzoge sind Grafen militär. übergeordnet und damit verbindet sich auch eine Gerichtsbarkeit; jedoch ist das Verhältniß derselben zu der des Grafen nicht sicher zu erkennen; es war vielleicht auch nicht durch feste Regeln bestimmt. Die Herzoge halten auch Versammlungen des Volkes, wahrscheinlich zum
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3. Teil: Deutsche Verfassungsgeschichte
Zweck der Heerschau ab; doch werden bei diesen Gelegenheiten auch allgem. Landesangelegenheiten erledigt. Die Herzoge werden vom König ernannt und sind ihm wie andere Beamte gehorsamspflichtig. 2. Stammesherzoge sind Unterkönige, Landesherrn, welche die Oberhoheit der fränkischen Könige Anerkennen. Sie stehen an der Spitze ihrer Völker, halten Landtage ab und erlassen Gesetze; sie haben erhöhten Rechtsschutz und Banngewalt, ernennen die Grafen und andere Beamten und haben ihre Stelllung nicht durch Ernennung oder Verleihung des Königs, sondern Kraft eigenen Rechts. Solche Herzoge waren in Bayern und Alamannien, in Austrasien, Thüringen, Friesland, sowie in Aquitanien, Räthien, und anderen Theilen des Reiches. Die Karolinger, die selbst des Herzogthum in Austrasien hatten, unterdrücken überall die Stammesherzogth. 3. Titularherzoge. Karl der Große ließ weder Amtsherzoge noch Stammesherzoge zu; die Grafen waren ihm überall unmittelbar unterstellt. Jedoch wird die Bezeichnung dux als Ehrentitel den höheren Befehlshabern und einzelnen Grafen beigelegt. Bl. 275 R. IV. Markgrafen. Von dem Prinzip, keine größeren Bezirke als eine einzelne Grafschaft in einer Hand zu dulden, machte Karl der Große eine Ausnahme an den Grenzen des Reiches. Dort war es zum Zweck der Vertheidigung erforderlich, größere Heereskörper unter einen Oberbefehlshaber zu stellen und demgemäß wurden Beamte über mehrere Gaue gesetzt. Sie hießen comes marchae, marchio. Die Marken bilden eine Art Glacis oder Grenzwall des Reiches, so die britannische Mark d.i. die Bretagne, die spanische Mark zwischen Pyrenäen u. Ebro, die awarische Mark oder Ostmark, die dänische Mark an der Eider Unterelbe, die thüringische Mark gegen die Sorben mit den Kastellen bei Magdeburg und Halle, die Friaulsche Mark. Lipp. Das fränk. Grenzsystem unter Karl dem Großen. 1892 (Gierkes Untersuchungen Heft 41.) § 22 Die königlichen Missi. Landeskommmissare 1. In der Ämterverfassung des Fränk. Reichs fehlte es an einer Zwischeninstanz zwischen den Grafen und der Zentralregierung am Königshofe. Die Grafen mußten beaufsichtigt und inspiziert werden, sie mußten Aufträge und Dienstanweisungen erhalten; es mußte eine Einheit und Übereinstimmung in der Verwaltung hergestellt werden. Auch gab es manche staatl. Geschäfte, für welche die Grafen nicht die geeigneten Beamten waren; na-
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mentlich der Verkehr mit anderen Königen, Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Grafen und Bischöfen oder unter benachbarten Grafen, die Durchführung von Maßregeln, die sich über mehrere Grafschaften erstreckten, Vereidigungen des Volkes; Einschreiten gegen unbotmäßige Grafen selbst u. dgl. Hierzu bedienten sich die Könige der Merowing. Zeit und die Hausmeier besonderer Kommissare und Sendboten, welche legati oder missi dominici hießen. Regelmäßige Beamte waren sie nicht; der König bediente sich derselben nach Bedürfnis u. Gelegenheit; er verwendet Antruptionen, domestici, angesehene Grafen und Geistliche, höhere Hofbeamte dazu. Während der Amtsdauer hat der missus dreifaches Wehrgeld seines Geburtsstandes und Anspruch auf Reiseverpflegung. . . . Bl. 276 R. § 23 Die Volksversammlungen und Reichstage
Bl. 277 R. § 24 Die Heerverfassung und die Wehrpflicht Vassalität und der Seniorat
Bl. 279 R. § 25 Die Heerverfassung und Wehrpflicht
Bl. 282 § 26 Das Finanzwesen § 27 Die Gerichtsverfassung und Dingpflicht
Bl. 284
§ 28 Die Immunitäten
Bl. 286
§ 29 Das Strafrecht127
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§ 30 Rechtsgeschäfte
Bl. 288 R.
127 Ab hier Bruch in der originalen Paragraphenzählung und andere, wohl spätere Schriftart.
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Drittes Buch Das Deutsche Reich bis zum Ende des Mittelalters I. Abschnitt Geschichtliche Grundlagen § 31 Die Nationalherzoge
Bl. 289
§ 32 Das Römisch-deutsche Kaiserthum
Bl. 291
§ 33 Soziale Zustände
Bl. 292 R.
II. Abschnitt Die Rechtsquellen § 34 Die Art der Rechtsbildung
Bl. 294
§ 35 Die Reichsgesetzgebung
Bl. 295 R.
§ 36 Einzelne Reichsgesetze
Bl. 296 R.
§ 37 Die Rechtsbücher
Bl. 298
§ 38 Der Sachsenspiegel
Bl. 298
Anhang Originalmanuskriptseiten und Auswahl einiger Seiten aus den Vorlesungsverzeichnissen von 1872, 1874 sowie 1900
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Sachverzeichnis Abgeleitete Rechte 260 Abstammung 57, 216 Abstraction 56, 74, 77–78, 80, 82, 87–88, 90, 107, 112, 121, 159 Adel 86, 142, 211–212 Alterthum 69, 73, 134 Amerika 172 Amt 85, 202, 213, 222, 225–226, 229, 232–233, 235–236, 238–239, 250– 251, 255 Amtsmißbrauch 144 Anarchie 89, 98, 142 Aristocratie 114–118 Beamte 64, 118, 133, 144, 201, 209, 213, 229–230, 233, 236–237 Beamten 66, 86, 116, 124, 127, 131, 133, 138, 143–144, 188, 193–194, 203–204, 224, 229–237, 239, 241, 244, 247 Beamtenthum 133 Bedürfnisse 57–59, 69, 71, 92, 94, 99, 105, 128–129, 174, 187, 227, 229 Behörden 122, 126, 128, 130, 133, 146, 159, 192, 197–198, 203–204, 224–228, 231, 239–240, 244–247, 252, 264–265, 267, 274–276 Beschränkung der individuellen Freiheit 72, 273–274 Bund 167, 259–260, 264 Bundesfürsten 260 Bundesgebiet 196, 198 Bundesoberhaupt 259 Bundespräsidium 259–260 Bundesrath 259–264, 271 Bundesstaat 196, 263 Bürger 67, 89, 105, 112–116, 132, 173, 242, 245 Bürgermeister 135, 246–248, 250–251
Bürgerrecht 245 Buße 288, 293–294 Christenthum 69, 74 Civilrecht 165 Codifikation 152 Communismus 142 Constitutionalismus 189 Constitutionelle Doctrin 85, 120, 137 Construction – logische 56, 162 – theoretische 158 Contrasignatur 141, 207 Corruption 143 Deduction 77, 80, 83, 159 Democratie 182 democratisch 60 Deutsche Einheitsbestrebungen 257 Dictator 119, 133 Die Provinzialverbände 256–257 Dynastie 96, 153, 192, 215 Eigenthum 67, 78–79, 87, 176, 195, 209–211 Einzelstaaten 57, 186, 193, 198, 205, 258, 260–266, 268, 271, 280 Elsaß-Lothringen 169, 196, 250, 252 empirische Gesichtspunkte 56 Erbrecht 91, 117, 159, 213, 216 Etatgesetz 210 Ethos 72 Europa 100 Familie 56, 68, 72, 76, 82, 87, 160, 209–211, 215, 242 Fehde 286, 288 Feudalismus 65
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Sachverzeichnis
Finanzwesen 262 Fiscus 61, 136, 176, 203, 206, 209, 221, 230–231, 234, 240 Franken 286–287, 291–292, 294, 296 Französisches Recht 161, 248 Freiheit 65–68, 71–72, 77, 79–80, 82– 91, 93, 95, 97–98, 100, 102–103, 106, 113–114, 119, 126, 130, 132, 144, 160, 176–177, 184, 191, 197, 223 Fürst 83, 85–86, 118–119, 126, 135– 136, 139, 145–146, 202, 217, 287 Gebiet 57, 59, 67–68, 79, 89, 95, 103–104, 112, 122, 127–128, 150, 153, 163, 166, 170–172, 185, 189, 194–196, 240, 245 Gefolge 142, 286–287 Gemeinde 57, 69, 180–181, 242–245, 247–251, 287 Gemeinden 57, 65, 67, 99, 172, 176, 179, 181, 189, 242–243, 245, 247– 250, 252 Gemeinwesen 56, 58–60, 62, 104, 150, 160, 170, 179 Gemeinwohl 105 Genossenschaft 57, 73, 211 Gerechtigkeit 106–108, 110, 114, 130–131, 133, 190 Gericht 130, 144, 212, 279, 287, 293 Gerichte 62, 121, 124, 130–132, 136, 138, 146, 151, 188, 256, 278, 287, 296 Gerichtsgewalt 63, 130–131, 165 Gerichtsstand 86 Gerichtsversammlung 287 Germanen 71, 99, 115 Gesammtseele 59 Gesammtwille 59, 77 Geschichte 56–57, 64, 66, 69, 73, 94, 97, 102–103, 142–143, 153, 162, 180, 227 Gesellschaft 75, 77, 88, 107, 161, 171–172, 241, 244 Gesellschaftsvertrag 79, 81
Gesetz 60–61, 64, 66, 70, 72–73, 78– 79, 83, 89, 92–93, 97, 111, 113, 118–121, 125–132, 138, 140, 143– 144, 152, 159, 178, 182, 193–194, 197–198, 205, 209, 214, 217, 221– 222, 224, 226, 231, 233, 238, 241, 245–246, 250, 252, 266–271, 275, 277 – verfassungsänderndes 269 Gesetzentwurf 140, 269–270 Gesetzgeber 64, 91, 125–126, 128– 129, 158, 274–275 Gesetzgebung 74, 113, 121–123, 125– 129, 131–132, 140, 142, 152–153, 188, 203, 220, 226, 240–242, 258, 262, 265–267, 269–271, 275, 277 Gewalt 56, 60, 63–65, 69, 71, 73, 75– 76, 78, 82–83, 85–87, 89, 94–96, 98, 104, 106, 108, 112–113, 115, 117– 124, 126–127, 130–132, 134, 137, 139, 146, 152, 154, 159, 162–163, 165, 170–172, 175–181, 184–186, 188, 190–191, 193, 197, 201, 205, 207, 219, 226, 230, 234 Gewaltenteilung 55, 119, 121–124, 127, 137–138, 188, 202, 220 Gewerbethätigkeit 91, 110 Gewohnheitsrecht 92, 152–153, 159 Gott 64, 69, 71, 73–74, 95–98, 100, 165–166 Gottesstaat 69 Graf 296–297 Grafschaften 291, 296–297, 299 Grenzen der Staatsgewalt 72, 87, 108, 112, 128–129, 230, 274 Griechenland 83 Grundbesitz 63, 86, 92, 142, 209 Grundherr 63 Grundherrlichkeit 63 Grundrechte 189 Gutsbezirke 243, 249, 255 Hausmaier 294 Heerverfassung 285, 289, 299 Herrschaft 63, 71, 76, 83, 87, 90, 106, 116–117, 119, 143, 151, 165,
Sachverzeichnis 170–171, 174–175, 184, 191, 193– 195, 201, 213, 219, 230, 240, 243 Historische Schule 91–94, 97 Individualität 57–59, 195 Individuum 56–57, 60, 62, 67–68, 72– 73, 76, 86, 88–89, 108, 112, 114– 115, 131, 144, 150–151, 160, 172, 174, 183, 189, 221, 261, 273–274 Instruction 137, 261 Instruktion 261 Jurisdiction 130, 206 Jurisprudenz 73, 90 Juristen 80, 92, 150, 158–159, 184 Kaiser 63–64, 71–72, 135, 139, 154, 163–164, 177, 180, 250, 258–264, 271, 295 Kaiserkrönung 294 Kaiserthum 118, 162, 259–261, 293– 295, 300 Karolinger 63 Kirche 69–71, 73–74, 86, 102–103, 110, 151, 154, 162–163, 176, 292– 295 Kirchenrecht 151, 161 Kommunismus 88, 91 König 63, 73, 76, 83–86, 96, 120, 122–123, 134, 140–141, 145, 163– 164, 178, 183, 205–207, 209–210, 212, 214, 217–218, 220–221, 246, 253, 255–256, 259, 286–287, 291– 299 König von Preußen 259–261 Königsdienst 290, 293 Königsfriede 290, 293–294 Königthum 92, 118, 142, 162, 164, 291–293 Körperschaft 76, 116, 118, 136 Kreisverfassung 252–255 Krieg 80, 116, 286 Krondotation 208–209 Kultur 58, 79, 91, 97, 99–101, 109– 111, 173–174, 197 Kulturleben 59, 67, 90
325
Kulturvölker 98, 183 Kunst 59, 67, 90, 109–110, 129, 257 Landesfürsten 260 Landesherr 63, 152, 191–192, 194, 205, 208–212, 217, 220, 224–226, 228–231, 233, 258, 267, 269–271, 298 Landeshoheit 63–64 Landesvertheidigung 285 Landesvertretung 137–139 Landtag 135, 138, 152, 219–224, 232, 256–257, 267–270, 277 Leben des Volkes 91–92 Legitimität 76, 90, 96, 191–192 Literatur 59, 64, 70, 102, 153–155, 162, 166, 174 Logik 80, 91, 95, 159 Macht 62, 65, 67, 74, 76–77, 79, 82, 87, 94–95, 101–104, 114, 117, 122, 134, 141–142, 146, 154, 177–178, 181–182, 188, 191, 196 Menschenrechte 72 Menschheit 73, 80, 95, 100 Merowinger 292 Ministerium 145, 261, 270 Ministerverantwortlichkeit 145 Mißregierung 83, 97, 206, 219 Mittelalter 63, 70–71, 74, 103, 131, 135, 209, 215, 242 Monarch 64, 106, 117–119, 133–134, 136, 139–140, 146, 174, 178–179, 182, 192–193, 200–212, 219–220, 224, 230, 244 Monarchie 63, 65, 72, 97, 113–115, 117–118, 120, 122, 127, 146, 153, 169, 182–183, 209, 217, 245 Monarchisches Prinzip 145 Moral 68, 79, 95, 102 Nachbarschaft 57, 144, 242 Nächstenliebe 77 Nation 57, 60, 64, 67, 70–71, 80, 82, 89, 91, 93, 97, 102–103, 110, 112, 136–137, 143, 170, 181
326
Sachverzeichnis
Nationalcharacter 94 Nationalität 57, 293 Naturrecht 73, 76–78, 80, 82, 89–92, 94, 106, 155, 164, 184 Naturzustand 77–78, 86, 99 Nordamerikanische Union 100, 183 Norddeutscher Bund 257, 259 Oberbefehl 205 Obrigkeit 60, 73, 76, 84–85, 87, 89, 94–96, 98, 114, 135, 195, 201, 225, 243, 254 öffentliche Rechte 63, 65, 161, 189– 190 Organ 85, 110, 117, 120, 124–127, 130–131, 134, 146, 175, 182–183, 188, 193, 201–204, 206, 219–222, 224, 229, 246, 251, 255, 258–262, 267, 271 Organe 55, 61, 88, 124–126, 130– 131, 136, 139, 149, 153, 157, 161, 174–175, 181, 188, 202, 204–205, 241–242, 256 – des Staates 72, 125, 175, 238 Organische Gliederung 88, 126, 142 Organismus 60–62, 64, 88–89, 105, 139, 146, 150, 175, 221 Papst 71, 118, 154–155, 157, 163– 165, 177, 295 Parlament 61, 84, 120, 139–141, 145, 190, 223, 243 Parlamentarismus 55, 118, 123, 139– 145 Parteiherrschaft 143–144 Patriarchalstaat 57 Patrimonialstaat 64, 66, 76 Pflichten 62–63, 114, 137, 150, 152, 160–161, 172, 174–175, 184, 190, 193, 197–199, 202, 205, 213, 222, 225, 227, 231–232, 235–236, 238, 241, 249, 256 philosophischer Begriff 56 Politik 64, 66, 123, 149, 153, 156– 158, 165, 171, 221, 227
Polizei 63, 104, 121, 130, 144, 206, 255, 273–276, 278 Polizeirecht 277 Positives Recht 92, 267 Präsident 116, 118, 133, 182 Präsidialrechte 259–260 Präsidialstimme 263 Präsidium des Bundes 259 Preußen 101, 169, 171, 180, 207, 209, 216, 223, 245, 252, 256–257, 260, 262–263, 269 Privatleben 112 Privatrecht 59, 61–63, 68, 75, 92, 94, 121, 127–128, 131, 149–151, 153, 159–161, 163, 175–176, 185, 206, 213–214, 240, 242, 274, 277 Privilegien 63, 116, 136, 142 Prozessordnung 190 Rationalismus 74 Recht 58, 62–63, 67, 71, 74–79, 83– 87, 90–94, 102, 104, 108, 115, 117, 121, 126, 128, 130, 132, 135–136, 138–141, 144, 149–152, 154, 158– 167, 169, 171, 173–174, 181, 183– 184, 190–194, 198, 201–202, 204– 205, 212, 215, 219, 221, 224, 226, 228, 230, 235, 237, 241, 245, 248, 251, 254–255 rechtliche Ordnung 56, 59, 61–62, 73, 89, 151, 176, 201 Rechtsbegriff 60 Rechtsentwicklung 90, 92, 159, 217 Rechtsgeschäft 238, 261, 266, 268 Rechtsgleichheit 182 Rechtsgrund 55, 66, 69, 71, 80–81, 99–101, 115, 229 Rechtsinstitute, positive 75 Rechtsordnung 59–60, 68, 79, 92, 94, 96, 100, 126–127, 130, 150, 159, 170, 174, 184, 188, 190, 192, 195, 201, 206, 225, 230, 240, 267, 273 Rechtsprechung 125, 128, 130, 144, 178, 184, 187–188, 240, 265, 287, 291 Rechtsregel 266–268
Sachverzeichnis Rechtsschutz 67, 126, 172, 187, 197, 207, 278, 293–294, 298 Rechtssphäre, individuelle 72, 87, 191 Rechtsstaat 106–107, 189, 197 Rechtsstaats-Theorie 107–108, 110 Rechtssubject 258 Reformation 73 Regierung 82–83, 85, 105–106, 118, 121–125, 129, 132, 136–138, 140, 143–146, 152–153, 188, 193–194, 204, 207, 210, 213, 219, 221, 224, 226, 231, 235–237, 261, 268–270, 275, 291, 294–295 Reich 64, 69, 71–72, 74, 99, 107, 118, 135, 139, 151, 153, 164, 167– 169, 178, 180, 187, 191, 196, 198– 200, 205, 215–216, 219, 224, 229, 234, 257–266, 271–273, 278, 280– 282, 289, 292, 295–296, 298 Reichsbehörden 234, 264 Reichsgewalt 107, 139, 193, 199, 224, 234, 258–259, 261–262 Reichstag 139, 219, 232, 257, 259– 260, 262–264, 271 Reichsverfassung 122, 166, 205, 258– 259 Religion 67, 70, 91, 102, 110 Republik 60, 66, 92, 113, 115–116, 118, 122, 127, 182–183, 192, 201 Restauration 65, 76, 90, 193 Revolution 76, 81–82, 87, 89–91, 97, 123, 136, 142, 194, 209 Römer 68, 71, 289, 291 Römisches Recht 155, 177 Sabbath 104 Sanction 267–271 Schranken 79, 87, 91, 96, 110, 112– 114, 146, 150, 181–182, 219 Selbstverwaltung 239–242, 244, 252, 256 Sicherheit 67, 93, 113, 119, 127, 132– 133, 142, 172, 275 Sittengesetz 102–104, 110 Sociale Klassen 88
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Souverain 55, 61, 64, 78, 83, 87, 105, 115, 118, 120, 123, 125–126, 130– 131, 133–134, 138, 145, 207–208, 231, 259, 267 Souverainetät 139–141, 176 Souverainität 61, 64–65, 76, 84, 120 Souveränität 63–64, 66, 75, 112, 115, 117, 139, 165, 188 Staat 55–73, 75, 77–81, 84–87, 89, 94–96, 99–114, 117, 120, 122–126, 131–134, 136, 139, 143, 146, 149– 151, 154, 157–158, 160–162, 164, 166–167, 170–182, 184, 186–191, 193–194, 196–208, 210, 213–215, 219–223, 225–226, 229–230, 233– 234, 236–242, 244–245, 258, 261, 263–264, 266–268, 273–277, 288, 293 Staatenbund 185–186 Staats-Persönlichkeit 61–62, 66, 88, 95, 120, 133, 174–175, 179, 188, 200, 206, 214, 240, 245, 252, 258 Staatsangehörigkeit 199–200, 232 Staatsanstalten 276 Staatsbegriff 67–68, 71, 82, 149, 177– 178 Staatsbildung 69 Staatsbürger 60, 84, 87, 113, 115, 119, 128, 142, 200 Staatsform 56, 60, 63, 71, 91, 97, 109, 114–115, 152, 182–183, 187 Staatsgewalt 55–56, 60–62, 64–68, 71–73, 78, 80–81, 85–87, 93, 96, 99, 101, 103, 105, 107–108, 110, 112– 120, 122–124, 126–127, 130–132, 135, 137–140, 145, 151–152, 161, 163, 170–172, 176, 178–180, 182– 183, 186–189, 191–197, 200, 202– 203, 205–206, 220–221, 225–226, 258, 266, 277, 288 Staatspersönlichkeit 60–61, 65, 196, 202, 205, 213, 219 Staatsprinzip 65, 115 Staatsrecht 56, 61–62, 64, 73, 87, 91– 93, 130, 134, 147, 149–153, 155– 159, 161–169, 179, 182, 184, 187,
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Sachverzeichnis
199–201, 203, 206, 213, 216, 219, 224, 227–229, 234 Staatsrechtliche Methodik 56 Staatssuccession 213–214 Staatsverwaltung 113, 131–132, 211, 231, 241, 244, 247, 250, 252–253, 255, 272, 276–277, 293 Staatswille 68, 77, 219 Stand 73, 142 Stände 73, 82, 86, 105, 107, 127, 135–139, 141, 146, 218–220, 222 Steuern 62, 72, 135, 140, 146, 193 Subjective Rechte 189, 191 Territorium 58–59, 195 Thronfolge 203, 211, 213–214, 216– 218 Treue 72, 82, 163, 197–198, 200, 205, 230, 232, 236 Treueeid 286 Unsittlichkeit 69 Unterthanen 60, 77, 80, 83, 105–106, 119, 128, 134, 136, 174, 176, 185, 189, 192–193, 197, 205, 211, 221, 226, 230, 239–240, 258, 260, 279, 293 Unverletzlichkeit, der Person 79, 106 Verantwortlichkeit 146, 207, 228, 233, 244, 270 Verfassung 58, 63, 67, 81–82, 85, 87– 88, 90, 92–93, 95, 97, 107, 116, 118–119, 122, 126, 135, 144, 149, 151–152, 157–161, 174, 181, 183, 186–187, 193, 200, 202, 206–207, 210, 212, 214, 217–218, 220, 222– 224, 226, 239–240, 243, 245–246, 248, 259, 269 Verfassungsrecht 94, 113 – positives 267 Verfassungs-Urkunde 93 Vermögen 67–68, 113, 135–136, 171, 176, 197, 206, 210, 214, 242 Vermögensrechte 72, 240 Vernunftgesetz 99
Verordnungen 129 Vertrag 75–77, 80–81, 83–84, 101, 163, 173, 186, 231–232 Verträge 75, 77, 79, 152 – völkerrechtliche 72, 75, 79–80, 83, 146, 152, 159, 184, 205 Verwaltung 85, 125, 128–135, 138, 143, 146, 165, 176, 178, 187–188, 211–212, 221, 232, 235, 240–242, 244, 247–248, 250–255, 262, 265, 272–273, 276–277, 279–280, 291– 292, 295, 298 Verwaltungsbehörden 111, 121, 128– 129, 131–132, 189, 206, 228 Volk 56–59, 62, 66, 69, 73, 76, 81, 83–86, 88–89, 91, 93, 97, 105, 111, 115–116, 123, 127, 134–136, 152, 163, 170–171, 173, 175, 182, 187, 196, 219, 221–222, 240 Völkerrecht 74, 151, 161, 184, 195 Volkscharacter 90 Volksgeist 57, 90 Volksgemeinschaft 100 Volksgenossen 59, 75, 85, 285–286 Volksgenossenschaft 57 Volksrepräsentation 55, 118, 134–135, 137, 146 Volksstaat 66, 161, 290, 293 Volksversammlung 72, 118, 287, 299 Volksvertretung 113, 127, 137–140, 146, 152–153, 182, 193, 203, 205, 219, 222, 267–269 Volkswirthschaft 59 Vollmacht 96, 116, 262 Wahlmonarchie 117, 183 Wahlrecht 189–190, 199, 248 Weltordnung 67, 69–70, 72, 74, 88, 95, 162 Wissenschaft 59, 64–65, 67, 74, 82, 103, 109–110, 127, 129, 257 Wohlerworbene Rechte 113 Wohlfahrtspflege 172, 273, 293 Wohlstand 58, 91, 104, 110