Soziale Ängste und Schulangst: Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln 3621278311, 9783621278317


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German Pages 164 [169] Year 2013

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Inhaltsübersicht
Inhalt
Geleitwort
Vorwort der Herausgeber
1 Einführung
1.1 Soziale Angst und Schulangst
1.2 Risikofaktoren
2 Empirische Grundlagen
2.1 Begriffswirrwarr Soziale Angst
2.2 Soziale Phobie
2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst
2.4 Schulverweigerung
2.5 Schulangst
2.6 Prüfungsangst
2.7 Soziale Angst als Risikofaktor für weitere psychische Störungen
3 Diagnostik
3.1 Diagnostik der Sozialen Phobie
3.2 Diagnostik der Schulangst
3.3 Diagnostik der Prüfungsangst
4 Therapie bzw. Intervention
4.1 Soziale Angst
4.2 Schulangst
4.3 Prüfungsangst
5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung
5.1 Klinische Einordnung der sozialen Angststörung, der Schulangst und der Prüfungsangst ins Klassifikationssystem
5.2 Soziokulturelle Bedingungen, die Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nehmen
5.3 Unmittelbar sozial-familiäres Umfeld, das Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nimmt
5.4 Schulische Sozialisation, die Einfluss auf die Schulangst nimmt
Diagnostische Kriterien
Auswahl an Ratgebern zu sozialer Angst, Prüfungsangst und Schulangst
Glossar
Literatur
Sachwortverzeichnis
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Soziale Ängste und Schulangst: Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln
 3621278311, 9783621278317

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Melfsen • Walitza

Soziale Ängste und Schulangst Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln

Melfsen • Walitza Soziale Angst und Schulangst

Risikofaktoren der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter Herausgegeben von Michael Schulte-Markwort und Franz Resch Die Reihe »Risikofaktoren der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter« geht einen neuen Weg: Die jungen Patienten werden nicht von der Diagnose her betrachtet, sondern Ausgangspunkt sind die Symptome, mit denen die Kinder und Jugendlichen in eine Beratung oder Behandlung kommen, und die sich als Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen erwiesen haben. Um dem individuellen Erscheinungsbild und der oft nicht eindeutigen Symptomatik der jungen Klienten zu begegnen, wird zunächst störungsunabhängig gefragt: Wie ordne ich das Phänomen ein? Welche Diagnosen können in Betracht kommen? Wie können die Risikofaktoren die weitere Entwicklung beeinflussen? Welche Intervention hilft am besten? So bieten sich neue Perspektiven für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen.

Siebke Melfsen • Susanne Walitza

Soziale Angst und Schulangst Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln

Anschrift der Autorinnen: PD Dr. rer. nat. Siebke Melfsen Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Universität Zürich Neumünsterallee 9, Postfach 1482 CH-8032 Zürich E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie Universität Zürich Neumünsterallee 9, Postfach 1482 CH-8032 Zürich E-Mail: [email protected]

Anschrift der Herausgeber: Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Zentrum Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik Martinistr. 52 D-20246 Hamburg E-Mail: [email protected]

Prof. Dr. med. Franz Resch Klinikum der Universität Heidelberg Zentrum für psychosoziale Medizin Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Blumenstr. 8 D-69115 Heidelberg E-Mail: [email protected]

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich (ISBN 978-3-621-27831-7)

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Haftungshinweis: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernehmen wir keine Haftung für die Inhalte externer Links. Für den Inhalt der verlinkten Seiten sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich. 1. Auflage ! Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2013 Programm PVU Psychologie Verlags Union http://www.beltz.de Lektorat: Andrea Schrameyer Herstellung: Uta Euler Reihengestaltung: Federico Luci, Odenthal Umschlagbild: Getty Images, München Satz: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza E-Book ISBN 978-3-621-28066-2

Inhaltsübersicht

Geleitwort Vorwort der Herausgeber 1 2 3 4 5

9 11

Einführung Empirische Grundlagen Diagnostik Therapie bzw. Intervention Klinische und kulturtheoretische Einordnung

13 21 79 87 125

Anhang Diagnostische Kriterien Auswahl an Ratgebern zu sozialer Angst, Prüfungsangst und Schulangst Glossar Literatur Sachwortverzeichnis

135 137 145 149 153 163

Inhaltsübersicht

5

Inhalt Geleitwort Vorwort der Herausgeber

9 11

1

Einführung

13 13 19

2

Empirische Grundlagen

21 21 27 28 38 43 44 45 46 48 53 55 57 58 59 59 61 62 64 67 67 68 69 70 73 74 76 77

1.1 1.2

2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.7

Soziale Angst und Schulangst Risikofaktoren Begriffswirrwarr Soziale Angst Soziale Phobie Symptomatik und Symptomentwicklung Komorbidität und Differentialdiagnose Verlauf und Prognose Zusammenfassung Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst Persönlichkeitsbereich Soziale Gruppe Schulischer Bereich Familiärer Bereich Zusammenfassung Schulverweigerung Begriffswirrwarr Schuleschwänzen Trennungsangst bzw. Schulphobie Schulangst Symptomatik und Symptomentwicklung Komorbidität und Differentialdiagnose Verlauf und Prognose Zusammenfassung Prüfungsangst Symptomatik und Symptomentwicklung Komorbidität und Differentialdiagnose Verlauf und Prognose Zusammenfassung Soziale Angst als Risikofaktor für weitere psychische Störungen

Inhalt

7

3

Diagnostik

79 81 84 85

4

Therapie bzw. Intervention

87 90

3.1 3.2 3.3

4.1 4.1.1

4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4

5

Diagnostik der Sozialen Phobie Diagnostik der Schulangst Diagnostik der Prüfungsangst

Soziale Angst Möglichkeiten im Umgang mit sozialer Angst: die Kinder/Jugendlichen Möglichkeiten im Umgang mit sozial ängstlichen Kindern: die Eltern Möglichkeiten im Umgang mit sozial ängstlichen Schülern: die Lehrer Zusammenfassung Schulangst Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Schüler Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Eltern Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Lehrer Zusammenfassung Prüfungsangst Möglichkeiten im Umgang mit Prüfungsangst: die Schüler Möglichkeiten im Umgang mit prüfungsängstlichen Kindern: die Eltern Möglichkeiten im Umgang mit prüfungsängstlichen Schülern: die Lehrer Zusammenfassung

Klinische und kulturtheoretische Einordnung

5.1

5.2 5.3 5.4

Anhang

Klinische Einordnung der sozialen Angststörung, der Schulangst und der Prüfungsangst ins Klassifikationssystem Soziokulturelle Bedingungen, die Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nehmen Unmittelbar sozial-familiäres Umfeld, das Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nimmt Schulische Sozialisation, die Einfluss auf die Schulangst nimmt

Diagnostische Kriterien Auswahl an Ratgebern zu sozialer Angst, Prüfungsangst und Schulangst Glossar Literatur Sachwortverzeichnis

8

Inhalt

90 101 102 103 104 104 106 109 111 111 112 118 120 122 125 126 127 129 131 135 137 145 149 153 163

Geleitwort Dieses Buch zur sozialen Angst und Schulangst behandelt ein sehr wichtiges und aktuelles Thema. Die beiden Autorinnen, wissenschaftlich international ausgewiesen und langjährig praxiserfahren, legen eine Handreichung vor, diese Risikofaktoren zu verstehen und geeignete Interventionen zu finden. Lebendig veranschaulichen dies die Falldarstellungen, die den einzelnen Abschnitten voran stehen und zugleich für spannende Lebendigkeit bei der Lektüre sorgen. Das Vorurteil, dass soziale Ängste im Kindes- und Jugendalter so einfach und arglos von selbst verschwinden, wie sie gekommen sind und sich bis zum Erwachsenenalter auswachsen würden, ist überholt. Vielmehr gilt das Gegenteil: Allzu häufig sind sie bereits im Kindesalter eine große Belastung mit gravierenden Folgen für die schulische Laufbahn. Die rechtzeitige Erkennung sozialer Ängste und Interventionen sind präventiv wichtig, um Folgewirkungen bis in das Erwachsenenalter hinein abzuwenden. Warum nur leben Kinder und Jugendliche unter uns mit einer sozialen Angst, einer Angst, die sie nicht sinnvoll vor Gefahren schützt, sondern sie im Alltagsleben behindert und an der Angst leiden lässt? Angst zu haben ist eine menschliche Fähigkeit, eine durch die Schöpfung gegebene Begabung, genetisch veranlagt und durch Lebenserfahrung geschult, die uns körperlich anregt, hellwach werden lässt und gedankenschnell und mit Gefühl signalisiert: »Eine Gefahr droht mir, sie gilt es zu überwinden, sie gilt es zu vermeiden, ihr ist auszuweichen, ihr muss ich entfliehen.« Ein Mensch ohne solche Begabung zu Angsterleben wäre »gefahrenblind«, ohne mitmenschlichen Schutz nicht orientierungsfähig und jeglicher Lebensgefahr ausgeliefert. Das Thema des Buches ist nicht das »zu wenig der Angst«, nicht die »Gefahrenblindheit«. Thema ist das »zu viel an Angst«. Es ist das Angsterleben, das nicht hilfreich ist, sondern einer »Signalstörung« gleichend in die Irre führt, ohnmächtig werden lässt, sinnlos leidvolle Panik ist, in Isolation, Verzweiflung und Depression zwingt. Gegenstand ist die Angst, die uns nicht mehr dient, sondern gleichsam versklavt, uns dem Angsterleben ausliefert, uns lähmt, uns den »Atem nimmt«, sodass jeder Lebensalltag unglücklich ist. Angstschweiß, Kopf- und Bauchschmerz und Übelkeit sind körperliche Begleitsymptome, die selbst wiederum ängstigen. Angst kann aber auch ein »gesundes« Signal sein, dass das Kind einer Überforderung ausgesetzt ist, sei es familiär, schulisch oder in der Freizeit. So kann die Schulangst Hinweis sein, dass der Schulstoff für ein Kind grundsätzlich zu schwierig ist oder dass es im Schulbereich täglich gemobbt wird. Schulverweigerung kann seine Ursache auch in einer Trennungsangst haben, etwa wenn das Kind sich nicht von familiären Bezugspersonen wegtraut, vielleicht weil es sich um das Wohl der Mutter sorgt. Allein dieses Beispiel der Schulverweigerung lässt erkennen, dass es ganz unterschiedliche Formen und Gründe der Angststörung gibt – mit völlig unterschiedlichen Konsequenzen für Diagnostik und Behandlung. Geleitwort

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Ängste des Kindes bereiten den Eltern, der gesamten Familie und auch den Bezugspersonen in Kindergarten, Schule, Beruf und Freizeit Sorge. So ist es nur konsequent, dass in dem Buch die Belange der betroffenen Kinder, Eltern und auch der Lehrer reflektiert werden. Anlage und Umwelt vermischen sich in den Erklärungsansätzen. Die Abschnitte zu Komorbiditäten machen deutlich, wie sehr sich Angststörungen als »körperliche Symptome« (Kopf-, Bauchschmerz, Übelkeit, Erbrechen, Blässe, Zittern, Schlafstörungen) »tarnen« können. Schnell können sich zusätzliche Störungen, vor allen Dingen depressive Entwicklungen herausbilden. Es ist zu prüfen, ob die Ängste in Misserfolgserfahrungen gründen, die sich etwa aus einer unerkannten Legasthenie oder Schwäche in sozialen Fertigkeiten ergeben. Den Abschnitten der Verhaltensanalyse folgen die zur Intervention. Vielfarbig ist also das Spektrum der Symptome, vielschichtig sind die Erklärungszusammenhänge, störungsspezifisch die Interventionen. Frühzeitige Behandlung ist wirksam möglich. Das Buch zeigt dazu die Wege auf. Das Buch ist dem Professionellen eine kompakte Zusammenfassung des aktuellen Wissenstandes und Anleitung zur Intervention. Trotz solcher Fachlichkeit ist das Buch allgemeinverständlich geschrieben und gibt somit verschiedenen anderen Lesergruppen erziehungsrelevantes Wissen zur Bewältigung kindlicher Ängste. Wohltuend ist, dass es den Autorinnen gelungen ist, die Thematik von Schuldfragen zu befreien und stattdessen lösungsrelevant und ermutigend aufzuklären und Hilfe anzubieten. Eine Haltung, die den Kindern und Jugendlichen mit Ängsten und ihren Familien die Würde belässt. Die Lektüre des Buches ist reichhaltiger Gewinn. Zu dem Gelingen sind die Autorinnen, die psychologisches und medizinisches Wissen zur Thematik zusammenführen, zu beglückwünschen. Dem Buch ist von Herzen eine vielfache Auflage zu wünschen. Prof. Dr. med. Andreas Warnke, Würzburg

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Geleitwort

Vorwort der Herausgeber Schulstress ist zu einem Modewort geworden, das die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unseres Bildungssystems in ihren Herausforderungen für das Kind auf den Punkt bringt. Schule bedeutet nicht nur Wissenserwerb, Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten oder Entfaltung von Talenten – ein gelungener Schulabschluss ist heute oft die wichtigste Voraussetzung für sozialen und beruflichen Erfolg, Chancen bei der Partnersuche und notwendige gesellschaftliche Anerkennung. Das Bildungssystem selbst ist verschiedenen Optimierungsprozessen unterworfen, steht nicht selten unter Kritik und bietet den Kindern und ihren Familien oft nicht die notwendige Auseinandersetzung mit deren Sorgen und Nöten an. Demgegenüber ist Schule für Kinder jedoch ein fundamentaler Entwicklungs- und Betätigungsraum, der in den Konzepten von »Schule als Lebensraum« zum Ausdruck kommt. Die Diskussion um Ganztagsschulen, gesunde Ernährung in der Schule, um ausreichende Bewegungsmöglichkeiten und sportliche Aktivitäten zeigt auch auf, dass die Schule viel mehr ist als eine Institution der reinen Wissensvermittlung. Für Kinder sind die sozialen Kontakte im Schulbereich wichtige Schauplätze für soziale Lernprozesse, emotionale Regulation und psychisches Wohlbefinden. Die Schule kann aber auch für manche Kinder zum Albtraum werden, Stresssymptome hervorrufen und zu einem Grund für psychisches Leid und psychische Störungen werden. Das vorliegende Buch setzt sich im Rahmen der Reihe »Risikofaktoren der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter« mit den Angstphänomenen und ihren Folgen im Schulalter auseinander. In dem Begriffswirrwarr der sozialen Angst wird im ersten Schritt eine definitorische Ordnung hergestellt. Die unterschiedlichen Aspekte schulvermeidenden Verhaltens werden erläutert. Denn abhängig davon ob ein Kind eher aus sozialer Ängstlichkeit oder aus Trennungsängstlichkeit der Schule fern bleibt, schließen sich unterschiedliche Interventionsmaßnahmen an. Die angstbezogenen Schulvermeidungen müssen auch vom Schuleschwänzen abgegrenzt werden. Denn diesem liegt mehr eine Schulunlust oder Disziplinlosigkeit zugrunde. Es ist davon auszugehen, dass mindestens 5 Prozent aller Schüler die Schule nur unregelmäßig besuchen oder dem Unterricht komplett fernbleiben. Die sozialen Auswirkungen der Schulvermeidung sind nicht hoch genug zu veranschlagen und sind mittlerweile zu einem europäischen Problem geworden. So versucht ein europäisches Konsortialprogramm unter dem Titel »WE-STAY«, präventive Maßnahmen in differenzierter Form zur Reduktion schulvermeidenden Verhaltens zu erproben. Die Ergebnisse dieser multizentrischen Untersuchung werden erst in den nächsten Jahren vorliegen. Das Buch zu Sozialangst und Schulangst geht weit über die Begriffsklärung und Darstellung der Problemverhältnisse hinaus. Es bietet eine Fülle wertvoller diagnostischer Instrumente und Interviews, um die unterschiedlichen Aspekte der SchulverVorwort der Herausgeber

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weigerung auch reliabel und valide erfassen zu können. Der ausführliche Interventionsteil differenziert die möglichen Maßnahmen und bezieht neben den betroffenen Kindern und Jugendlichen auch deren Eltern und Familien sowie das schulische Umfeld und die Lehrer mit ein. Nur die Gesamtschau auf das Problem und eine kooperative Veränderungsstrategie können für das einzelne Kind die Entwicklungschancen verbessern helfen. Die therapeutischen Interventionen werden auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst in spezifischer Weise bezogen. Schließlich erfolgt eine klinische und kulturtheoretische Einordnung, die der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung des Bildungsprozesses bei Kindern für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung Rechnung trägt. Alle Formen der kindlichen Angst sind als leise und individuumsbezogene Phänomene nicht selten der Gefahr unterworfen, in ihrer Bedeutung unterschätzt zu werden und hinter den dramatischen aggressiven und expansiven Störungsphänomenen bei Kindern und Jugendlichen zurückzustehen. Diese leisen Risikofaktoren sind jedoch für die Entwicklung des Kindes von mindestens ebenso großer Bedeutung wie die lauten Störungsprozesse. Die Notwendigkeit, ein solches Buch über die Angst im Schulalter herauszubringen, muss nicht legitimierend diskutiert werden. Wir wünschen diesem Buch eine ebenso günstige Aufnahme wie den anderen dieser Reihe und möchten dadurch neue Perspektiven für die Betrachtung und Behandlung von Kindern und Jugendlichen aufzeigen. Wir danken Frau Dr. Wahl vom Beltz Verlag und den beteiligten Lektorinnen, Frau Ohms und Frau Schrameyer, für die hervorragende Zusammenarbeit in der Vorbereitung dieses Buches. Wir geben diesem Buch den Wunsch mit, dass es unsere Leserinnen und Leser auch für die leisen Risiken des Kindes- und Jugendalters sensibilisiert. Hamburg und Heidelberg, im August 2012 Michael Schulte-Markwort und Franz Resch

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Vorwort der Herausgeber

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Einführung

1.1 Soziale Angst und Schulangst In Ängsten findet manches statt, was sonst nicht stattgefunden hat. Wilhelm Busch

Beispiel »›Willst du dem Schulstress entgehen, dann am besten gar nicht erst aufstehen‹ – wenn das so einfach gewesen wäre. Mein Schultag begann immer schon am Vorabend. Wenn es Zeit wurde, zu Bett zu gehen, beschlich mich der Gedanke an den nächsten Morgen mit solcher Wucht, dass ich plötzlich von einer fast unerträglichen Langsamkeit überfallen wurde. Meine Eltern sahen es teils belustigt, meistens aber total genervt. Denn was nun kam, war ihrer Meinung nach selbst mit viel Humor kaum zu ertragen. Zähneputzen, Waschen, Umziehen fanden kein Ende. Anschließend hatte ich mir angewöhnt, zu lesen. Ohne Ende zu lesen. Immer in der Hoffnung, den Tag verlängern zu können. Der neue Schultag sollte nicht kommen. Ich wollte ihn austricksen. Wenn er schon nicht ganz zu umgehen war, wollte ich ihn jedenfalls verkürzen. Natürlich war ich am nächsten Morgen müde. Das Aufstehen kostete mich viel Überwindung, so als läge eine zentnerschwere Decke über mir. Sie ließ sich nicht so einfach von mir wegziehen. Da bedurfte es zusätzlicher Hände, die mir resolut und unbarmherzig die Decke nahmen und damit all die Hoffnung, mich vor dem Schultag verstecken zu können. Alles ging in Zeitlupentempo. Nichts lief mehr mechanisch ab, ich musste jede noch so unbedeutende Handlung bewusst durchführen. Vom Frühstück erinnere ich nur, dass es nie schmeckte, egal was es gab. Mein Magen war einfach verschlossen. Der Schulweg war oftmals schlimmer als der Schulbesuch selbst, da ich immer damit rechnete, von Mitschülern wegen meines »uncoolen« Aussehens geärgert zu werden. Ich habe sehr gelitten. Meine Angst vor der Reaktion der anderen führte dazu, dass ich immer im Stress war. Was halten die von mir? Bin ich zu dick? Trage ich die richtigen Klamotten? Habe ich das Richtige gesagt? Habe ich mich komisch benommen? Ich habe immer lieber zugehört, als selbst zu sprechen. Geredet habe ich nur nach Aufforderung. Ich habe versucht, mich zurückzuziehen, um nirgends aufzufallen. Die Lehrer beschrieben mich auch als ›ganz gewöhnliche Schülerin‹, niemandem wäre ich aufgefallen. Lediglich meine Weigerung zur mündlichen Mitarbeit sei auffallend gewesen. Das hat sich in der ganzen Schulzeit nicht geändert.« (Bericht einer ehemaligen Patientin über ihre Schulzeit)

1.1 Soziale Angst und Schulangst

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Vielen Kindern macht die Schule Angst. Dabei können es im Alter von sechs Jahren die meisten Kinder kaum erwarten, bis sie in die Schule kommen. Sie wollen lesen, schreiben und rechnen lernen. Lange haben sie darauf gewartet, nun auch »groß« zu sein. Voller Freude beginnt, was dann manchmal in Frust, Enttäuschung und Ablehnung oder eben auch Schulangst umschlägt. Im Folgenden soll die soziale Angst vor allem im Kontext der Schule beleuchtet werden. Soziale Angst ist ein Oberbegriff für Angstformen, die sich auf soziale Situationen oder Leistungen beziehen. Soziale Angst ist so verbreitet, dass kaum jemand sagen kann, er hätte noch nie unter ihr gelitten. Im Folgenden wird nicht das Konzept der Schüchternheit verwendet, bei dem noch immer, trotz vieler Jahre an Forschungsbemühungen, keine einheitliche Definition vorliegt. Ausgangspunkt ist die soziale Angst bzw. die soziale Angststörung. Kann sich Schulangst auch direkt aus einer sozialen Angst entwickeln? Verschiedene Aspekte, die bei der Schulangst bedeutsam sind, müssen dabei berücksichtigt werden: Das sind neben Merkmalen des Schulkindes und seiner Eltern die Schule selbst als der Ort, an dem die Schulangst auftritt, die Lehrer, die unmittelbar mit dem schulängstlichen Kind zu tun haben, und auch die Beziehungen zu Mitschülern. Dabei stellt sich eine Vielzahl von Fragen, die im Folgenden erläutert werden. Schüler Eine wesentliche Frage lautet, welche Schüler Schulangst entwickeln. Sind es die Schüler, die in der Schule scheitern, oder leiden auch schulisch sehr erfolgreiche Schüler unter Schulangst? Ist Schulangst wie andere Angststörungen auch geschlechtsabhängig? In welchem Alter tritt Schulangst vermehrt auf? Gibt es frühe Symptome, die vor der Entwicklung einer Schulangst warnen können? Das sind einige der Fragen, die sich stellen und im nächsten Kapitel beantwortet werden sollen. Auf Schülern lastet ein enormer Leistungsdruck. Auf dem Weg zur Leistungs- und Bildungsgesellschaft bekommt die Bildung einen immer höheren Stellenwert. Bereits im frühen Grundschulalter machen sich Kinder Gedanken über ihren Schulabschluss, sorgen sich, Erwartungen nicht erfüllen, Leistungen nicht erbringen zu können. Die Schulbildung gewinnt immer mehr an Gewicht, Schulnoten werden zu Lebenschancen und -risiken. Da ist die Warnung, dass die Kindheit nicht nur aus der schulischen Vorbereitung für das Berufsleben bestehen sollte, leichter vorgebracht als umgesetzt. Erich Kästners (1983) Mahnung hat nichts an Aktualität eingebüßt: »Das Leben besteht nicht nur aus Schularbeiten. Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln. […] Der Kopf ist nicht der einzige Körperteil. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Und wer die Lüge glaubt, wird, nachdem er alle Prüfungen mit Hochglanz bestanden hat, nicht sehr schön aussehen. Man muß nämlich auch springen, turnen, tanzen und singen können, sonst ist man, mit einem Wasserkopf voller Wissen, ein Krüppel und nichts weiter.« Den Kindern einen Raum zu geben, in dem sich nicht der Eindruck aufdrängt, dass es zwei Arten von Kindern gäbe – solche, die in der Schule erfolgreich sind und jene, die in der Schule scheitern –, sondern in dem deutlich wird, dass alle Kinder eine Vielzahl

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1 Einführung

an Fähigkeiten, Begabungen und Talenten haben, die sich nicht auf Schulfächer beziehen müssen, ist wichtig. Und dass Kinder die Chance erhalten, ihre Begabungen, Fähigkeiten und Talente zu entfalten, wäre wünschenswert. Die Schulangst bekäme so weniger Raum, um sich auszubreiten. Eltern Schulangst belastet aber nicht nur das Kind, sondern auch dessen Eltern. Bei den Eltern stellt sich allen voran die Frage, was sie ihren Kindern mitgeben können, damit diese ohne allzu große Angst erfolgreich und glücklich in der Schule lernen. Eltern, die sich der Kinderwelt öffnen, den kleinen und großen Freuden und Sorgen, können eine Basis des Vertrauens schaffen. Dazu gehören gerade auch der Umgang und die Auseinandersetzung mit Ängsten. Auch auf den Eltern lastet ein enormer Erwartungsdruck. Eltern fühlen sich oft bedrückt, wenn sie sich mit den Nöten ihrer Kinder auseinandersetzen. Die meisten Eltern haben den Wunsch, ihren Kindern ein möglichst angstfreies Leben zu ermöglichen. Dieser bleibt aber häufig unerfüllt. Auch gesunde Kinder haben Ängste und müssen lernen, damit umzugehen. Und Eltern müssen lernen, mit den Ängsten ihrer Kinder umzugehen. Wenn sie es schaffen, dem Kind hilfreich zur Seite zu stehen und der Angst des Kindes mit Mut zu begegnen, stärken sie das Kind und seine Fähigkeit zur Angstbewältigung. Ein anderer Aspekt bezieht sich darauf, ob die Eltern ihren Kindern die wichtigsten Regeln und Werte des zwischenmenschlichen Umgangs mitgeben können. Man spricht oftmals von der heute »unerzogenen Generation«. Viele Kinder werden immer aggressiver, sie haben das Leben in einer Gemeinschaft nicht erlernt. Schulangst in einer Gemeinschaft, die mobbt, ist keine irrationale, sondern eine berechtigte Angst, eine Angst, die sich auf eine reale Gefahr bezieht. Eine weitere Frage betrifft die Zeit und Zuwendung: Wie viel Zeit und Zuwendung erhalten die Kinder von ihren Eltern? Man bezeichnet die derzeitige Kindergeneration auch als eine »vernachlässigte Generation«, in der viele Eltern ihre eigenen Interessen über die ihrer Kinder stellen. Statt miteinander zu leben, lebt man nebeneinander her. Es gibt viele Kinder, die sich selbst überlassen sind, mit ihren Ängsten und Sorgen allein bleiben. Andreas Salcher (2008) schreibt: »Die immer knappere Zeit ist Schlüssel zu vielen familiären Problemen. Das immer schnellere Tempo der virtuellen und elektronischen Kommunikation macht es für viele Eltern immer schwieriger, die menschliche Kommunikation mit ihren Kindern aufrechtzuerhalten. Wenn die Kinder dann das Gefühl haben, mit ihren Sorgen und Problemen alleingelassen zu werden, dann flüchten sie umso mehr in die virtuellen Welten.« Im Gegensatz dazu stehen die überambitionierten Eltern, die ihre Kinder mit übersteigerten Erwartungen und Lebenskonzepten überfordern, die nicht mit den Fähigkeiten der Kinder im Einklang stehen. Wichtig ist es, ein Kind zu fördern und zu unterstützen, ihm zu zeigen, dass es eine einmalige Persönlichkeit mit Stärken und Schwächen ist und dass es etwas schaffen kann. Die Konzentration sollte nicht auf die Defizite gerichtet sein, auf die Schwächen 1.1 Soziale Angst und Schulangst

15

des Kindes. Auch an Geduld sollte es nicht mangeln, wenn es wieder mal weniger leistet als erhofft. Kinder so zu nehmen, wie sie sind, mit ihren Stärken und Schwächen, und sie dabei zu fördern und zu unterstützen, das ist die Kunst, die von Eltern und allen anderen Bezugspersonen abverlangt wird. Eine hohe Kunst. Schule Auch von der Schule wird diese hohe Kunst abverlangt. Bei der Schule drängt sich die Frage auf, warum sie, die so viel Lebenszeit unserer Kinder fordert, viel zu oft ein unangenehmer, angstauslösender Ort ist, der zu Fragen wie »Mama, wie lange muss ich noch in die Schule gehen?« führt. Eigentlich könnte der Schulbesuch doch eine aufregende und interessante Angelegenheit sein. Die Vielzahl an schulfeindlichen Sprüchen ist beachtlich: Wie stelle ich mir eine ideale Schule vor? – Geschlossen! " Der Mensch wird frei geboren und dann muss er in die Schule. " Wenn alles schläft und einer spricht, das nennt der Mensch dann Unterricht. " Lieber eine Stunde Schule als überhaupt keinen Schlaf. " Alle reden von der Schule, aber keiner tut was dagegen. " In der Schule lernt man nichts, aber das fürs ganze Leben. " Wer in der Schule nicht den Verstand verliert, der hatte nie welchen.

"

Stefan Zweig (1975) schrieb in Die Welt von gestern: »Schule war für uns Zwang, Öde, Langeweile, eine Stätte, in der man die ›Wissenschaft des nicht Wissenswerten‹ in genau abgeteilten Portionen sich einzuverleiben hatte«. Wie viel hat sich tatsächlich in unseren heutigen Schulen verändert? Die Schule steht aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen vor großen Herausforderungen. Schwieriger noch wird es, wenn Schule nicht nur keinen Spaß, sondern sogar Angst macht. Wie kann eine Schule aussehen, in der Kinder nicht unter Schulängsten leiden? Oder zumindest eine Schule, die aktiv die Angstbewältigung unterstützt, sodass die Kinder mit ihrer Angst fertig werden können? Kahl (2006) benennt das implizite Prinzip der »hässlichen Schulen« als: Das Leben sei anderswo. Es finde außerhalb der Schule statt. Deutsche Schulen setzten auf Belehrung, seien traditionell nicht als Lebensort konzipiert. Das Motto der »guten und schönen« Schule hingegen heiße: Hier und jetzt. Das sind keine Schulen, in denen Schüler nur als »Container für den abzufüllenden Lehrstoff« angesehen werden. Das Verhältnis von Schule zur Angst, insbesondere zur Schulangst, erscheint ambivalent, denn Schulangst ist nicht zwangsläufig unerwünscht. Mit Angst wird insbesondere in der herkömmlichen Schule auch sehr viel Erziehung, Verhaltenssteuerung und Motivation betrieben. Es herrscht Angst vor schlechten Leistungen, Verlieren, Unterliegen, Blamage. Ein angstfreier Schüler, der sich von Tadel, Strafaufgaben oder schlechten Noten wenig beeindrucken lässt, gilt schnell als schwierig. Ein großer Teil der traditionellen Erziehung beruht auf Angsterzeugung. Strafe wirkt nur, wo sie abschreckt, also Angst macht.

16

1 Einführung

Lehrer Während die Schule eine Institution ist, sind es die Lehrer, die unmittelbar mit dem schulängstlichen Kind zu tun haben. Wie müssen Lehrer sein, um »gute« Lehrer zu sein, die ihre Schüler bei der Bewältigung von Angst unterstützen können? Auch hier mangelt es nicht an wenig ermutigenden Beschreibungen, zum Beispiel: Schüler und Lehrer sind natürliche Feinde. " Der ideale Lehrer ist der, der fehlt. " Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei. " § 1 Der Lehrer hat immer recht. § 2 Hat er mal nicht recht, tritt § 1 in Kraft. "

Erich Kästner (1983, S. 54) vergleicht den Beruf des Lehrers mit dem eines Gärtners: »Der Lehrer ist kein Zauberkünstler, sondern ein Gärtner. Er kann und wird euch hegen und pflegen. Wachsen müsst ihr selber.« Im Vergleich zu früheren Generationen haben sich die Aufgaben der Lehrer erweitert: Sie sind nicht mehr nur Wissensvermittler, sondern auch Bezugsperson für die Kinder und üben damit immer mehr auch Erziehungsverantwortung aus. Das ist dann wertvoll, wenn zu ihren wichtigsten Lehrmethoden Respekt und Wertschätzung gegenüber ihren Schülern zählen, wenn ein Lehrer außer der Begeisterung für sein Fach auch die Liebe zu den Kindern mitbringt. Die Qualität eines Schulsystems hängt nämlich im Wesentlichen von den Fähigkeiten und dem Engagement seiner Lehrer ab. Aber was sollte aus dieser Erkenntnis für die Auswahl der Lehrer an unseren Schulen folgen? Ein wesentliches Selektionskriterium sollte die Motivation betreffen: Warum wird jemand Lehrer? Kegler (2009, S. 156) schreibt über eine Umfrage unter Schülern, welche Lehrer diese als gut bewerteten: »Sie müssen streng, nett und gerecht sein! Mit ›streng‹ meinen sie die Durchsetzungsstärke, letztlich die Übernahme von Verantwortung für das Geschehen. Sie wissen genau, dass ihr Wohlbefinden und ihr Lernerfolg davon abhängen, ob ihre Lehrerinnen die Gruppe leiten können. ›Nett‹ verstehen sie eher im ursprünglichen Wortsinn. […] Sie wollen ehrliche, aufrichtige, authentische Personen, die auch ›glänzen‹, d. h., die sie bewundern können. Und schließlich versteht sich von selbst, dass in einem System, das Lebenschancen verteilt, Gerechtigkeit ein vordringlicher Wunsch aller sein muss.« Viel weniger beachtet als die Selektion der Lehrer, aber von gleicher Wichtigkeit ist der Stellenwert, den die Öffentlichkeit dem Lehrerberuf einräumt. Der Lehrerberuf ist der wahrscheinlich wichtigste Zukunftsberuf in unserer Gesellschaft (vgl. Salcher, 2008). Durch Abschätzigkeit und Respektlosigkeit dem Lehrerberuf gegenüber werden wir nicht dazu beitragen können, dass die Geeignetsten für diesen wichtigen Beruf ausgewählt werden. Stattdessen sollten wir uns fragen, welche Möglichkeiten den Lehrern geboten werden, um ihre Fähigkeiten und die Unterrichtsmethodik weiterentwickeln zu können. Welche Wertschätzung erfahren sie durch die Öffentlichkeit für

1.1 Soziale Angst und Schulangst

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ihren Kampf gegen die Probleme der heutigen Kinder- und Jugendgeneration, die auf ihren Schultern lasten und den Unterricht beeinträchtigen? Mitschüler Nicht nur die Bewertung durch die Erwachsenen, insbesondere die Lehrer, kann Angst machen. Schulangst kann sich auch auf die Bewertung durch Mitschüler beziehen. Ihre Bewertung wird sogar oftmals viel mehr gefürchtet als die der Lehrer. Ein bisschen zu dick, eine uncoole Schultasche, das falsche Handy … sehr schnell kann ein Kind durch die Mitschüler abgewertet werden. Es kann nur ein Sich-unwohl-Fühlen sein. Die Angst, ausgelacht, gehänselt oder geschubst zu werden, kann dazu führen, nur ungern zur Schule zu gehen. Manchmal steckt aber auch mehr dahinter. Dann sind es nicht nur kleine Streitigkeiten im Klassenzimmer, sondern fortdauernde Übergriffe durch Mitschüler, hässliche Bemerkungen, Lästereien bis hin zu physischer Gewalt. Angst vor den Mitschülern ist ein häufiger Grund für Schulangst. Dabei zählen positive Sozialkontakte, stabile Freundschaften und positive Schulerfahrungen zu den Schutzfaktoren des sozialen Umfeldes. Gute Beziehungen zu Gleichaltrigen können über Entwicklungsrisiken hinweghelfen und Krisen bewältigen helfen, insbesondere, wenn die Bedeutung der Familie abnimmt. Das Erlernen guter Beziehungen zu Gleichaltrigen in der Schule wird aber erschwert, je weniger Gewicht die Klassengemeinschaft und das Erlernen sozialer Regeln hat und je mehr sich die Schüler als Konkurrenten um die Aufmerksamkeit vom Lehrer und um gute Noten ansehen. Zusammenfassung Schulbezogene ebenso wie soziale Ängste sind Ängste, unter denen sich viele Menschen etwas vorstellen können. Jeder hat in der Schule unschöne Erfahrungen gemacht, die manchmal zu Ängsten führten. Fast jeder kennt Ängste, in Prüfungen zu versagen, sich zu blamieren, etwas Peinliches zu erleben. Fast jeder hat Erlebnisse zu erzählen, wie er mit dieser Angst umgegangen ist. Dieses Wissen führt leider nicht immer zu Verständnis, wenn die Ängste so stark werden, dass sie das Leben der Kinder und Familien einschränken und belasten, sodass sie ein Leben führen wie Gefangene ihrer selbst, in der Schule und später im Beruf versagen und persönlich nicht die Ziele und Wünsche verwirklichen können, wie sie es möchten. Abwertung und Bagatellisierung sind wenig hilfreich, genauso wenig wie Dramatisieren und Katastrophisieren. Wir haben gesehen, dass viele Fragen zur Entwicklung von Schulangst auftauchen. Dieses Buch konzentriert sich auf einen möglichen »Vorgänger« für Schulangst, nämlich die soziale Angst. Im zweiten Kapitel werden Kennzeichen der sozialen Angst, ihre Symptome und ihr Verlauf vorgestellt. Anschließend geht es darum, einen Zusammenhang zwischen sozialer Angst und Schulangst bei Schülern zu überprüfen. Im dritten Kapitel werden diagnostische Methoden zur Erfassung sozialer Ängste und Schulängste vorgestellt. Im vierten Kapitel stehen die Therapie und der Umgang mit den Ängsten im Vordergrund. Abschließend wird im fünften Kapitel die klinische und kulturtheoretische Einordnung thematisiert.

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1 Einführung

Das Buch soll Mut machen, Kinder bei der Angstbewältigung zu unterstützen – durch die Schule, die Lehrer und die Eltern.

1.2 Risikofaktoren Im Entwicklungsprozess beeinflussen sich die biologische, psychologische und soziale Ebene wechselseitig. Zur biologischen Ebene gehören z. B. genetische Belastungen, die körperliche Entwicklung und somatische Einflüsse. Zur psychologischen Ebene gehören alle Aspekte der menschlichen Persönlichkeit wie Fähigkeiten und Fertigkeiten, der kognitive und emotionale Bereich sowie der Verhaltensbereich. Zur sozialen Ebene gehört die Interaktion und Kommunikation mit anderen Personen, die Teilhabe an sozialen Systemen wie Familie und Schule, die Teilhabe an sozialen Normen und Wertsystemen bis hin zu sozioökonomischen Faktoren (Knölker, Mattejat & SchulteMarkwort, 2000). Risikofaktoren müssen nicht zu unmittelbaren Entwicklungsbeeinträchtigungen führen, sondern können die Anfälligkeit für das Auftreten psychischer Störungen im Zusammenhang mit der Bewältigung anfallender Entwicklungsaufgaben, wie dem Schuleintritt oder der Autonomieentwicklung in der Adoleszenz, begünstigen. Allgemein erhöht eine psychische Auffälligkeit die Wahrscheinlichkeit für weitere Auffälligkeiten, was auch als »Diversifikation« (Petermann & Petermann, 1999) bezeichnet wird. Psychische Störungen tragen außerdem zum Auftreten belastender akuter Lebensereignisse bei (Schmidt & Göpel, 2003). An ein Problem lagern sich weitere Probleme an. Eine Entwicklungsnormalisierung ist zwar grundsätzlich immer möglich, allerdings umso leichter, je umgrenzter und weniger verfestigt die Auffälligkeiten sind (Mattejat, 2003). Bei gleichzeitigem Auftreten von Risikofaktoren gilt überwiegend das Modell der Risiko-Akkumulation: Die Wahrscheinlichkeit nachfolgender Störungen steigt mit der Anzahl der auf das Individuum einwirkenden Faktoren. Deren Effekte verhalten sich anscheinend nicht einfach additiv, sondern verstärken sich multiplikativ. Unterschiedliche Risikobereiche sind häufig voneinander abhängig, z. B. zeigen sich prä- und perinatale Komplikationen häufiger in Familien mit hohen psychosozialen Belastungen. Chronische Belastungen wirken intensiver als ein einmaliges Trauma. Kürzer zurückliegende Belastungen sind enger mit aktuell bestehenden psychischen Störungen assoziiert als länger zurückliegende (Esser et al., 2000). Frühere Stressoren wirken hauptsächlich über die Manifestation früher psychischer Störungen oder über kontinuierliche Belastung auf die Entwicklung späterer psychischer Störungen ein. Bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter kommt erschwerend eine besondere Vulnerabilität in Übergangsphasen hinzu, also zum Beispiel während der Einschulung, des Schulübergangs oder der Pubertät. Im Kontext von Übergangsphasen wie biologischen Veränderungen während der Pubertät und Entwicklungsaufgaben wie z. B. Schuleintritt ergeben sich oftmals Diskrepanzen zwischen Anfor1.2 Risikofaktoren

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derungen und individuellen Handlungsmöglichkeiten bzw. Bewältigungsmöglichkeiten (Brandstätter & Gräser, 1999, S. 337). Sie können zu einer Destabilisierung und infolgedessen zu psychischen Auffälligkeiten führen. Die Diskrepanzen stellen sich oft auch als subklinische psychische Auffälligkeiten dar, die etwa zehn- bis zwanzigmal so häufig wie spezifische psychische Störungen sind (Mattejat, 2003). In diesen Übergangsphasen werden häufig neue, teilweise funktionale, teilweise dysfunktionale Bewältigungsmöglichkeiten erprobt (z. B. Drogenmissbrauch). Die meisten solcher passageren Fehlanpassungen werden von Kindern und Jugendlichen und ihren Eltern informell und ohne fachliche Hilfe bewältigt. Günstig ist es in diesem Rahmen, Bewältigungskompetenz durch präventive Angebote zu stärken. Bei einer geringeren Anzahl scheitern die Bewältigungsversuche, die Fehlanpassung intensiviert bzw. verfestigt sich (Mattejat, 2003). Weitere Risikofaktoren sind außerfamiliäre Faktoren, die die Entwicklung des Kindes bedeutsam beeinflussen. Dazu zählen: " Sozioökologische Lebensbedingungen (Stadt vs. Land, Wohnbezirk, soziale Brennpunkte) " Soziale Kontakte der Eltern und die Möglichkeit zur sozialen Unterstützung der Familie " Beziehung des Kindes zu Gleichaltrigen " Einflüsse der Schule: belastende Schulerlebnisse sind z. B. hohe Lehrerfluktuation, hohe Schülerfluktuation, ungünstige Lehrer-Schüler-Quote " Einflüsse der öffentlichen Medien Schutzfaktoren. Belastende Lebensbedingungen bewirken nicht grundsätzlich eine psychische Störung (z. B. Werner-Jacobson, 2002; Werner & Smith, 1998). »Resilienz« bezeichnet die Fähigkeit, entwicklungsgefährdende Belastungen erfolgreich zu bewältigen. Einflüsse, die eine Störung verhindern, zeitlich verzögern oder sie abmildern, werden als »protektive Faktoren« (Schutzfaktoren) bezeichnet. Schutzfaktoren des familiären Umfeldes sind z. B. " ein offenes und unterstützendes Familienklima " emotionale Wärme und Harmonie " eine funktionierende Paarbeziehung zwischen den Eltern " Modelle positiven Bewältigungsverhaltens. Schutzfaktoren des sozialen Umfeldes, die eine bedeutsame Rolle spielen, sind z. B. " positive Sozialkontakte " stabile Freundschaften " positive Schulerfahrungen Weitere wichtige Schutzfaktoren sind z. B. das Erlernen einer sicheren Bindung, gute Beziehungen zu Gleichaltrigen und das Erlernen von Selbstwirksamkeit.

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1 Einführung

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Empirische Grundlagen In meinem Leben habe ich unvorstellbar viele Katastrophen erlitten. Die meisten davon sind nie eingetreten. Mark Twain

Beispiel »Während meiner Schulzeit wäre ich gerne unsichtbar gewesen. Unwohl habe ich mich eigentlich in so gut wie allen sozialen Situationen gefühlt, aber besonders in der Schule. Man kann es anderen nur schwer verständlich machen. Natürlich war fast jeder schon mal in sozialen Situationen aufgeregt. Aber das Gefühl, ab und an schüchtern zu sein, ist doch etwas ganz anderes als eine Soziale Phobie. Wenn ich zum Beispiel eine Geburtstagseinladung erhalten hatte, verfolgte mich der Gedanke daran, wie ich versagen, mich blamieren und mich lächerlich machen werde, wie ein böser Geist. Mit Vernunft und Logik konnte ich das nicht kontrollieren. Es hämmerte regelrecht in meinem Kopf: ›Ich geh nicht hin!‹, ›Versuch ’s doch wenigstens …‹, ›Ich geh nicht hin!‹, ›Wie kann ich es schaffen?‹, ›Ich geht nicht hin!‹, ›Was kann denn schon passieren?‹, ›Ich geh nicht hin!‹, ›Probier’ s doch mal …‹, bis der Einladungstermin kam und ich absagte. Manchmal quälte ich mich auch hin. Aber ganz egal wie, die Folge war immer die gleiche: Nachträglich grübelte ich darüber nach, wie ich mich verhalten hatte, wie andere mich einschätzen würden, was ich falsch gemacht habe. Um anderen gar nicht erst die Möglichkeit zu geben, mich anzusprechen, bin ich immer sehr schnell gelaufen und habe den Blick auf den Boden geheftet. Man könnte annehmen, dass ich die Schuhe besser kannte als die dazugehörigen Menschen, aber auch das stimmt nicht. Ich habe einfach wenig um mich herum wahrgenommen. Ich war auf der Flucht. Aber wovor? Waren es wirklich die Menschen, die mich in die Flucht schlugen? Ich glaube, dass ich vor meinen eigenen Gedanken über diese Menschen und mich geflohen bin. In der Schule war es besonders schlimm. Ich hatte keinen Rückzugsraum, ich musste permanent fliehen. Am schlimmsten von allem waren die Pausen. Was hätte ich damals darum gegeben, unsichtbar zu werden. Stattdessen wurde ich wie aus Stein.«

2.1 Begriffswirrwarr Soziale Angst »Soziale Angst« wird als ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Konzepten verwendet, die sich auf ein Unbehagen in sozialen Situationen beziehen. Leary (1986, S. 122) sieht soziale Angst im Zusammenhang mit dem Wunsch, einen bestimmten Eindruck bei 2.1 Begriffswirrwarr Soziale Angst

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anderen Personen hervorzurufen, aber an der eigenen Fähigkeit zu zweifeln, diesen Eindruck tatsächlich hervorrufen zu können: »Social anxiety arises whenever people are motivated to make particular impressions on others, but doubt that they will be successful in doing so.« Etwas weiter fasst Leitenberg (1990) seine Definition der sozialen Angst, nämlich als Furcht, zu versagen, sich lächerlich zu machen oder durch ungeschicktes Verhalten gedemütigt zu werden. Unter dem Oberbegriff der sozialen Angst existieren parallel viele verschiedene Konzepte, z. B. soziale Entwicklungsängste, das Fremdeln, Verhaltenshemmung (behavioral inhibition), Schüchternheit, soziale Kompetenzdefizite, Soziale Phobie u. a. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass diese Konzepte zwar eigene Forschungstraditionen und Definitionen haben, häufig aber keine echte Differenzierung zwischen ihnen möglich ist oder aber starke Überschneidungen bestehen. Theoretisch-konzeptuelle Unklarheiten erschweren eine Zusammenschau bisheriger Forschungsergebnisse. Außerdem gibt es Konzepte, die ähnliche Verhaltensmuster beschreiben, aber nicht der sozialen Angst zuzuordnen sind, wie zum Beispiel die Ungeselligkeit, Introversion oder die Temperamentseigenschaft »slow-to-warm-up«. Fremdeln Beispiel Bis zum 6. Lebensmonat freute sich Marie noch, wenn auch andere Personen mit ihr spielten, gleichwohl die Mutter die wichtigste Bezugsperson war. Dann begann sie lautstark zu protestieren, sobald weniger vertraute Personen sich ihr näherten. Unvermittelt begann sie laut zu schreien, wenn sich ihr ein Gesicht näherte, das als »fremd« eingeordnet wurde. Ihr ganzer Körper versteifte sich. Nur durch die Mutter ließ sie sich wieder beruhigen. Noch während des ganzen zweiten Lebensjahres blieb es schwierig, Marie an fremde Personen zu gewöhnen. Fremdeln ist ein Verhaltensmuster in der normalen Entwicklung von Säuglingen, bei dem das Kind in einem bestimmten Zeitraum der Entwicklung fremden Personen mit Misstrauen, Abneigung oder Angst begegnet. Vor der Phase des Fremdelns war das ängstliche, misstrauische Verhalten nicht typisch für das Kind. Grundlage für das Fremdeln ist die zunehmende Fähigkeit des Kindes, vertraute Personen von fremden zu unterscheiden, indem es Gesichter, Geruch, Stimme, Gesten, Berührungen genauer erkennen kann. Wann die Phase beginnt, ist sehr unterschiedlich. Der Höhepunkt liegt häufig im 8. Lebensmonat und klingt nach dem 15. Lebensmonat wieder ab. Soziale Entwicklungsängste Beispiel Wenn Jonas in der Schule ein Referat halten soll, wird aus dem sonst so quirligen Jungen ein sehr nachdenkliches Kind. Er macht sich viele Gedanken, ob er den

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2 Empirische Grundlagen

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Vortrag und das Beantworten der Fragen anschließend gut schaffen wird. Er fragt sich, ob die Mitschüler ihm wohl gerne zuhören, welche Kritik sie äußern werden und was der Lehrer ihm für Fragen stellen wird. In seinen Gedanken malt er sich aus, wie die Mitschüler sich über ihn lustig machen. Wenn er nach vorne geht, beginnt sein Herz zu klopfen und die Hände werden nass. Sein Kopf fühlt sich ganz leer an. Ist das Referat vorüber, ist Jonas wieder quirlig und lebendig, das Referat ist schnell vergessen. Mira denkt oft darüber nach, was passiert, wenn sie in der Schule versagt. Sie weiß, dass der Schulabschluss wichtig ist, um einen angesehenen Beruf zu bekommen. Manchmal stellt sie sich vor, dass sie obdachlos werden könnte, weil ihr Schulabschluss zu schlecht war, um überhaupt eine Berufsausbildung machen zu können. Mirko fürchtet sich vor den Kommentaren der Eltern, wenn er mit einer schlechten Schulnote nach Hause kommt. Er möchte einmal Fußballstar werden, dafür müsse er keine guten Noten haben. Aber seine Eltern haben andere Vorstellungen und zeigen ihm ihre Unzufriedenheit sehr deutlich, wenn die Noten mal wieder nicht ausreichend waren. Ab- und zunehmende Ängste während der Kindheit werden als Teil einer normalen Entwicklung angesehen (King et al., 1988). Dazu zählen auch Ängste, die sich auf soziale Situationen und Leistungssituationen beziehen. Soziale Entwicklungsängste treten insbesondere mit dem Beginn der Schule auf. Typischerweise verlaufen diese Entwicklungsängste vergleichsweise gemäßigt, altersspezifisch und vorübergehend. Zudem stehen sie in Beziehung zur kognitiven Entwicklung des Kindes. Das bedeutet, dass sich die Angstinhalte mit dem Alter und der kognitiven Entwicklung der Kinder ändern. Die meisten Kinder haben mehrere Ängste gleichzeitig. Während zum Ende des ersten Lebensjahres Ängste vor fremden Menschen, fremden Gegenständen, lauten Geräuschen und Höhen im Vordergrund stehen, erleben 2- bis 4-jährige Kinder häufig Angst vor Tieren, vor der Dunkelheit und vor dem Alleinsein. Im Alter von 4 bis 6 Jahren werden dann vielfach Ängste vor Fantasiegestalten wie Monster, Gespenster oder Geister sowie Angst vor Naturkatastrophen benannt. Im Alter von 7 bis 10 Jahren beginnt oftmals die Angst vor der Schule, vor Versagen und vor negativer Bewertung durch andere. Aber auch Gesundheitsängste, z. B. vor Verletzungen, Krankheiten, vor dem Tod und vor medizinischen Eingriffen nehmen zu. Im Umgang mit diesen Entwicklungsängsten entwickeln Kinder ihre eigenen Techniken. Manchmal helfen Kuscheltiere, an die sie sich klammern können. Eine Phantasiewelt kann Sinnzusammenhänge herstellen. Wortschöpfungen können es einfacher machen, mit der Angst umzugehen, etwa indem vom »Angstvogel« gesprochen wird. In der Phantasie lassen sich bedrohliche Ereignisse umformen, Ängste bewältigen und Phantasiereisen in die Zukunft unternehmen. Nicht selten sind 2.1 Begriffswirrwarr Soziale Angst

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Phantasiegestalten hilfreich, die eine Zeitlang Begleiter der Kinder sind. Von sehr großer Bedeutung ist das Spiel, in dem Kinder ängstigende Eindrücke verarbeiten können. Aber auch Rituale haben eine große Bedeutung: Kinder entwickeln diese, um ängstigende Situationen zu bannen. Die Unterscheidung zwischen »normalen« und klinisch relevanten Ängsten bleibt jedoch unklar. Eine Orientierungsmöglichkeit bieten die Richtlinien zur Behandlungsbedürftigkeit von Barrios und O’Dell (1989). Danach sind Ängste als klinisch relevant und damit behandlungsbedürftig einzuschätzen, wenn sie a) starke und anhaltende Beeinträchtigungen für das Kind bedeuten, b) langfristig die normale Entwicklung des Kindes verhindern oder c) Probleme in der Familie oder in anderen Lebensbereichen (z. B. in der Schule) auslösen. Die Soziale Phobie als klinische Störung ist durch eine dauerhafte, unangemessene Furcht vor sozialen oder Leistungssituationen gekennzeichnet. Nicht behandlungsbedürftig sind Ängste, die hin und wieder auftreten und für die jeweilige Entwicklungsphase normal sind. Verhaltenshemmung (behavioral inhibition) Beispiel Anton hatte schon als Kleinkind auf neue Situationen mit Schüchternheit, Rückzug und Angst reagiert. Waren andere Personen anwesend, versteckte er sich in diesem Alter oft hinter seinen Eltern. Zuhause reagierte er hingegen mit lautstarkem Protest, um seine Eltern daran zu hindern, ihn in ungewohnte Situationen zu bringen. Dabei konnte er sich gegenüber seinen Eltern sehr stark erregen und heftige Wutanfälle entwickeln. Diese Reaktionen zeigte er aber nicht nur vor und in unbekannten sozialen Situationen, sondern allgemein in neuen Situationen. »Verhaltenshemmung« ist ein früh erfassbarer Reaktionsstil, der sich nicht nur auf unbekannte Personen bezieht, sondern auch auf unbekannte Objekte und Situationen. Charakterisiert ist er durch Gehemmtheit, Vermeidung und ein Unbehagen in neuen Situationen. Entsprechend ihres Temperaments (z. B. Garcia-Coll et al., 1984) gehen bereits Säuglinge und kleine Kinder sehr unterschiedlich mit angstbesetzten Situationen um, wobei die Reaktionen von »sehr gelassen« bis »leicht erregbar« reichen. Verhaltensgehemmte Kinder zeigen eine Tendenz zu Rückzug und Vermeidung von unbekannten Situationen und reagieren gegenüber neuen Anforderungen ängstlich und zurückhaltend (»gehemmt«). Dieser gehemmte Reaktionsstil ist durch Umweltfaktoren wie Erziehungsverhalten und elterliche Eigenschaften beeinflussbar (GarciaColl et al., 1984). Das Konzept der Verhaltenshemmung wurde von verschiedenen Labors, durch interkulturelle Studien und Studien an anderen Spezies bestätigt, es scheint aber nicht so stabil zu sein wie anfänglich angenommen.

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2 Empirische Grundlagen

Zusammenhänge zwischen Verhaltenshemmung und Angststörungen wurden festgestellt. Kagan und Mitarbeiter (1987) vermuten jedoch, dass beide Konzepte nicht identisch sind: Verhaltenshemmung ist eine häufig überdauernde Temperamentseigenschaft, die nicht notwendigerweise unangepasst ist, sondern innerhalb der Norm liegt. Angststörungen hingegen sind durch die Belastung, die sie für das Kind bedeuten, definiert. 70 Prozent der Kinder mit Verhaltenshemmung entwickeln keine Angststörung (Biedermann et al., 1990). Alternativ wird die Hypothese diskutiert, dass Verhaltenshemmung eine Prädisposition für Angststörungen darstellen kann. Vermutet wird, dass verhaltensgehemmte Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit als andere Kinder auf angsterzeugende Ereignisse reagieren und somit eine höhere Vulnerabilität für Angststörungen entwickeln. »Verhaltenshemmung« ist aber weder ein notwendiger noch ein ausreichender Faktor zur Entwicklung von Angststörungen (Turner et al., 1996). Verhaltenshemmung steht auch im Zusammenhang mit einer Temperamentsdimension, die Thomas und Chess (1977) postulierten und als »slow to warm up« bezeichneten. Diese Temperamentseigenschaft zeigt über die ersten beiden Lebensjahre hinweg eine hohe Stabilität. Ein verwandtes Konstrukt bei Erwachsenen ist die Dimension »Introversion/Extraversion« (Eysenck & Eysenck, 1968), das den Zeitanteil vorhersagt, den Personen im Alltag mit ungezwungener Geselligkeit verbringen. Schüchternheit Beispiel Rike hielt sich immer lieber im Hintergrund auf. Wenn es um einen Meinungsaustausch ging, hielt sie sich zurück. Es schien, als bliebe ihr im entscheidenden Augenblick das Wort im Halse stecken. Schweigend stand sie am Rand und wirkte unglücklich. Sie hätte gerne mitgeredet, sie hätte gerne ebenso zur Gruppe dazugehört und nicht nur eine Randposition gehabt. Schüchternheit ist ein Verhaltensstil, der durch eine übermäßige Anspannung in sozialen Situationen gekennzeichnet ist, was zu ängstlichen und oftmals unangemessenen Verhaltensweisen (z. B. Schweigen) führen kann. Im Unterschied zum Konzept der Verhaltenshemmung ist die Schüchternheit nur auf soziale Situationen beschränkt. Zum schüchternen Verhalten existieren sehr viele verschiedene Definitionen. Uneinigkeit besteht vor allem darüber, welche Reaktionen wesentlich für die Charakterisierung der Schüchternheit sind. Komponenten, die genannt werden, sind zum Beispiel: Gehemmtheit auf der Verhaltensebene, Erleben von Angst, somatische Beschwerden, Angst vor Bewertung durch andere usw. Während einige Autoren das simultane Auftreten dieser Komponenten zur Bedingung erheben, erlauben andere Definitionen, dass nicht alle Komponenten gleichzeitig vorliegen müssen. Es gibt auch Definitionen, die ein ganz anderes Erscheinungsbild zulassen; nach diesen ist es wesentlich, dass die jeweilige Person sich selbst als schüchtern erlebt. 2.1 Begriffswirrwarr Soziale Angst

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Weiterhin wird ein vorübergehender Zustand der Schüchternheit (state shyness) von der Disposition zur Schüchternheit (trait shyness) unterschieden (Asendorpf, 1989; Russell et al., 1986). Zustandsschüchternheit wird in sozial schwierigen Situationen ausgelöst, wie im Kontakt mit Autoritätspersonen oder Fremden, ohne dass die Menschen sich selbst generell als schüchtern bezeichnen. Schüchternheit als Disposition tritt demgegenüber öfter sowie in einer größeren Bandbreite an Situationen auf und ist von stärkerer Intensität (Cheek & Watson, 1989). Schüchternheit, zumindest als vorübergehender Zustand, ist nichts Ungewöhnliches. Schouten (1935, S. 1) schreibt: »Shyness is a phenomenon so universally human that we can easily say: someone who has never been shy or someone who, under certain circumstances, does not run the risk of becoming so is an abnormal person.« Soziale Isolation und Ungeselligkeit Beispiel Wie Rike hielt sich auch Max vorwiegend im Hintergrund auf. Er redete kaum und zog es vor, allein zu spielen. Max hatte kaum Freunde, obwohl er nicht unbeliebt war. Er schien immer beschäftigt zu sein, hatte viele Spielideen im Kopf und wirkte sehr zufrieden, wenn er allein seinen Tätigkeiten nachging. Im Unterschied zur schüchternen Rike litt er nicht unter seiner Randposition. Er zog sie dem Zusammensein mit seinen Mitschülern vor. Max war zufrieden, wenn er allein sein und spielen konnte, was er wollte. Soziale Isolation. Sozial isolierte Kinder werden von ihren Alterskameraden entweder nicht beachtet oder aber zurückgewiesen. Sie sind nicht in eine Gruppe integriert. Soziale Isolation kommt nicht nur bei sozial ängstlichen Kindern vor, sondern ist ein Symptom im Rahmen verschiedener Verhaltensauffälligkeiten oder Störungsbilder, auch z. B. bei Kindern mit aggressiven Verhaltensweisen. Ungeselligkeit. Neben sozial isolierten Kindern, die unter ihrer Isolation leiden, gibt es aber auch Personen, die bevorzugt allein sind, ohne aber Angst vor sozialen Situationen zu haben. Diese sind ungesellig. Es handelt sich um eine überdauernde Eigenschaft, die nicht zur Einschränkung des subjektiven Wohlbefindens führt. Ungesellige Menschen leben zurückgezogen. Die Quantität an Kontakten und zwischenmenschlichen Beziehungen ist eingeschränkt, nicht jedoch die Qualität dieser Beziehungen. Es besteht auch keine Sehnsucht nach mehr zwischenmenschlichen Beziehungen. Soziale Kompetenz Beispiel Wenn Ole sich ungerecht behandelt fühlt, beginnt er zu schreien und um sich zu schlagen. Er glaubt sich im Recht und kann die Position des anderen nicht ertragen.

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2 Empirische Grundlagen

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Marleen schweigt, wenn sie sich im Unrecht fühlt. Sie zieht sich zurück und verschließt sich in ihrer Welt. Beiden Kindern fehlt die Fähigkeit des einfühlsamen Redens. Statt einfühlsam miteinander zu reden, reagieren sie – der eine lautstark, die andere leise – mit Rechthaberei. Beide steigern sich in eigene Emotionen. Einen sozial kompetenten Umgang mit Situationen, die sie als ungerecht erleben, könnten sie zum Beispiel durch das Verhalten von Bezugspersonen erlernen. Im Umgang mit Auseinandersetzungen könnten Kinder lernen, wie ihre Bezugspersonen Verständnis für sie zum Ausdruck bringen und nicht nur den eigenen Standpunkt vertreten, und wie sie das Problem auch mit den Augen des anderen zu sehen versuchen. Sie könnten lernen, dass sie gefragt werden, ob sie gemeinsam mit der Bezugsperson eine Lösung für das Problem erarbeiten möchten. Sie könnten erleben, dass ein einfühlsames Miteinander-Reden zu einer harmonischen Atmosphäre beitragen würde, statt Feindseligkeiten zu schaffen und zu verstärken. Mit sozialer Kompetenz sind Fertigkeiten gemeint, die für die soziale Interaktion nützlich sind. Sozial kompetentes Verhalten umfasst kognitive, emotionale und motorische Verhaltensweisen, die verfügbar und anwendbar sind und in sozialen Situationen zu einem langfristig günstigen Verhältnis von positiven und negativen Konsequenzen führen (Hinsch & Pfingsten, 2007). Zu den Fertigkeiten, die für sozial kompetentes Verhalten notwendig sind, zählen Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Empathie, Respekt, Toleranz usw. Zusammenfassung Unter dem Oberbegriff der sozialen Angst werden viele verschiedene Konzepte gefasst. Dazu zählen soziale Entwicklungsängste, das Fremdeln, die Verhaltenshemmung (behavioral inhibition), Schüchternheit, soziale Kompetenzdefizite und das klinische Störungsbild der Sozialen Phobie, mit dem sich der nachfolgende Abschnitt beschäftigt. Zwischen allen Konzepten bestehen starke Überschneidungen. Nicht der sozialen Angst zuzuordnen sind die Konzepte der Ungeselligkeit, der Introversion und der Temperamentseigenschaft »slow-to-warm-up«.

2.2 Soziale Phobie Beispiel Wenn Maja ein Referat halten soll, ist sie nicht nur aufgeregt, wie sehr viele schüchterne Kinder es auch sind. Maja ist vielmehr wie gelähmt. Ihr Kopf ist voll von Gedanken über mögliche Peinlichkeiten und Katastrophen, die eintreten könnten, und es ihr sehr schwer machen, sich auf das Referat vorzubereiten. Immer wieder schweifen ihre Gedanken ab. Sie stellt sich vor, dass sie auf dem Weg nach vorn an die Tafel stolpert, dass ihre Kleidung merkwürdig aussieht, sie noch Spuren ihres Frühstücks im Gesicht hat und ähnliches. Die Eltern sehen, wie Maja sich

2.2 Soziale Phobie

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stundenlang auf das Referat vorbereitet, aber sie sehen nicht, wie wenig aufnahmefähig ihr Kopf ist. Am liebsten würde sie am Referatstermin einfach krank sein, aber das Referat würde nachgeholt werden. Am Tag des Referats fühlt sie sich wie taub. Sie kann sich kaum am Unterricht beteiligen. Dann kommt die Referatsstunde. Der Lehrer kündigt ihren Vortrag an. Majas Hände zittern, ihr Kopf fühlt sich leer an, unsicher schleicht sie nach vorne und spricht kaum hörbar und so schnell sie kann. Einiges lässt sie bewusst weg, um die Zeit zu verkürzen. Sie blickt auf den Boden, um ja nicht die Gesichter ihrer Klassenkameraden sehen zu müssen. Dann hat sie es geschafft. Die Kommentare vom Lehrer und den Mitschülern nimmt sie wie durch einen Nebel wahr. Still setzt sie sich an ihren Platz. Sie ist unglücklich, nicht erleichtert. Ihr Kopf, der eben noch so leer war, beginnt nun alles immer und immer wieder nachzuerleben, alles nach Peinlichkeiten zu durchleuchten, nach Versagen und mangelnder Kompetenz abzusuchen, bis eine lange Liste entstanden ist, die immer und immer wieder in ihrem Kopf herumwirbelt. Ähnliche Ängste halten Maja auch davon ab, zu Kindergeburtstagsfeiern oder in einen Verein zu gehen.

2.2.1 Symptomatik und Symptomentwicklung Die Soziale Phobie ist von allen Konzepten dasjenige, das am klarsten definiert ist. Sie ist der stärkste Ausprägungsgrad der sozialen Angst. Die entscheidenden Merkmale der Sozialen Phobie werden in den beiden Diagnosesystemen DSM-IV (American Psychiatric Association, 1994) und ICD-10 (Remschmidt et al., 2006) weitgehend übereinstimmend festgelegt. Nach den diagnostischen Kriterien handelt es sich bei der Sozialen Phobie um eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, in denen der Betroffene mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten oder Angstsymptome zu zeigen, die demütigend oder peinlich sein könnten. Die Konfrontation mit einer gefürchteten sozialen Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsgebundenen oder -begünstigten Panikattacke annehmen kann. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist. Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst und Unwohlsein ertragen. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das starke Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche oder schulische Leistung, ihre sozialen Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden. Die Angst oder Vermeidung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch eine andere psychische Störung (z. B. Panik-

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2 Empirische Grundlagen

störung mit oder ohne Agoraphobie, Störung mit Trennungsangst, körperdysmorphe Störung, tiefgreifende Entwicklungsstörung oder schizoide Persönlichkeitsstörung) erklärt werden. Anders als Erwachsene sind Kinder nicht immer in der Lage, den Grund ihrer Ängste zu benennen. Als Indikator einer Sozialen Phobie im Kindesalter können zum Beispiel ein Abfall in den Schulleistungen, Schulverweigerung, Vermeidung von altersangemessenen sozialen Aktivitäten, Trotzreaktionen und Wutanfälle, körperliche Beschwerden (z. B. Klagen über Kopf- und Bauchschmerzen) oder fehlende Reaktionen in sozialen Situationen auftreten. Im DSM-IV werden folgende Besonderheiten für die Diagnose des Störungsbildes bei Kindern und Jugendlichen genannt: Bei einer Sozialen Phobie muss bei Kindern gewährleistet sein, dass das Kind prinzipiell über altersgemäße soziale Beziehungen mit vertrauten Personen verfügt. Die Angst darf nicht nur in Interaktionen mit Erwachsenen, sondern muss auch mit Gleichaltrigen auftreten. Der Ausdruck der sozialen Angst kann anders als bei Erwachsenen sein: Bei Kindern kann sich die Angst in Form von Schreien, Wutanfällen, Gelähmtsein oder Zurückweichen vor sozialen Situationen mit unvertrauten Personen ausdrücken. Bei Personen unter 18 Jahren muss die Phobie über mindestens sechs Monate anhalten. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist es bei Kindern kein notwendiges DSM-IV-Kriterium, dass sie ihre Ängste als übertrieben und unvernünftig einschätzen. Insbesondere jüngere Kinder haben z. T. noch nicht die dafür notwendige kognitive Einsichtsfähigkeit bzw. Irrationalitätseinschätzung entwickelt. Epidemiologie. Die Soziale Phobie ist eine der häufigsten psychischen Störungen. Im Kindesalter liegt die Punktprävalenzrate bei etwa 1 bis 3 Prozent (z. B. Kashani & Orvaschel, 1990; McGee et al., 1990; Essau et al., 2000). Im Jugend- und frühen Erwachsenenalter wird die Prävalenz auf 5 bis 10 Prozent geschätzt (z. B. Hayward et al., 1998; Wittchen et al., 1999). Neuere Studien zeigen einen Anstieg der Häufigkeit, der u. a. auf die durch das DSM-IV erniedrigte diagnostische Schwelle zurückgeführt wird (Pelissolo et al., 2000; Merikangas et al., 2010). Bereits bei Achtjährigen können Soziale Phobien festgestellt werden (Beidel & Turner, 1998), der mittlere Störungsbeginn liegt bei der generalisierten Sozialen Phobie jedoch bei etwa 11 bis 13 Jahren (Strauss & Last, 1993; Holt et al., 1992). Der Beginn der spezifischen Sozialen Phobie wird mit durchschnittlich 22 Jahren angegeben (Holt et al., 1992). Untergruppen der Sozialen Phobie. Es gibt verschiedene Vorschläge zur Unterscheidung von Untergruppen bei der Sozialen Phobie. Eine Möglichkeit besteht darin, nach der Anzahl der gefürchteten Situationen zwei Arten zu unterscheiden und die spezifische Soziale Phobie von der generalisierten Sozialen Phobie abzugrenzen. Die spezifische Soziale Phobie ist eng umschrieben, hier richtet sich die Angst im Wesentlichen auf eine Situation. Bei der generalisierten Sozialen Phobie bezieht sich die Angst hingegen auf mehrere oder einen Großteil der zwischenmenschlichen Situationen. Diese Einteilung basiert auf der Annahme, dass sich Menschen mit einer Sozialen Phobie, die die Mehrzahl an sozialen Situationen als nicht bedrohlich bewerten, von 2.2 Soziale Phobie

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denjenigen unterscheiden, die mehrere oder einen Großteil der sozialen Situationen fürchten. Es steht aber noch in Frage, ob tatsächlich ein kategorialer Unterschied vorliegt. Einige Studien weisen eher auf graduelle Unterschiede hin (Holt et al., 1992). Es wird vermutet, dass die Mehrzahl der sozial phobischen Kinder an einer generalisierten Sozialen Phobie leiden (Albano et al., 1995; Beidel & Morris, 1995). Kritisiert wird an dieser Einteilung, dass eine mittlere Untergruppe fehlt, bei der einige, aber nicht ein Großteil von sozialen Situationen gefürchtet werden. Neben dieser Einteilung, die auch in der klinischen Praxis angewendet wird, existieren eine Reihe weiterer Vorschläge. Eine dieser Varianten basiert auf der qualitativen Unterscheidung nach gefürchteten Situationstypen. So lässt sich differenzieren, ob es sich bei den gefürchteten Situationen primär um Interaktionssituationen oder um Leistungssituationen handelt (Turner et al., 1992). Holt und Kollegen (1992) wiederum unterscheiden zwischen förmlichen Interaktionen, Situationen, in denen man beobachtet wird und solchen, in denen es um die Durchsetzung eigener Rechte geht. Ein anderer Vorschlag unterscheidet zwischen Situationen mit unbekannten Personen und solchen, in denen man im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Stein und Kollegen (1994) schlagen vor, dass die Furcht vor dem öffentlichen Reden wegen ihrer weiten Verbreitung eine spezifische Untergruppe der Sozialen Phobie sein sollte. Es besteht auch die Möglichkeit, bei der Subgruppenbildung verschiedene Kriterien zu kombinieren (Heimberg et al., 1993) oder auf Basis des im Vordergrund stehenden reagierenden Systems zu unterteilen, etwa in primär physiologische Reaktionen oder primär kognitive Reaktionen. Woran erkennt man, ob ein Kind sozial phobisch ist? Anzeichen von Sozialer Phobie können interindividuell sehr unterschiedlich sein: Schweigsamkeit, schnelles Erröten, geistige Abwesenheit, Nervosität, mangelnder Augenkontakt, Kauen von Fingernägeln u. Ä. sind Beispiele für Verhaltensweisen, die mit der Sozialen Phobie in Verbindung gebracht werden. Allerdings ist das Ausdrucksverhalten sehr unterschiedlich. Die größte Übereinstimmung besteht im reduzierten Sprechverhalten (Asendorpf, 1990). Sozialphobiker beginnen seltener Gespräche, sprechen weniger, lassen längeres Schweigen entstehen und können weniger gut mit Unterbrechungen durch den Gesprächspartner umgehen. Der Zusammenhang zwischen spezifischen Körperhaltungen, Bewegungen oder dem Blickkontakt ist weniger konsistent. Sozial phobische Kinder und Jugendliche vermeiden außerdem eine große Bandbreite an sozialen Situationen. Für 8- bis 12-jährige sozial phobische Kinder sind die häufigsten angstauslösenden Situationen solche, die öffentliches Sprechen beinhalten (z. B. Vorlesen, ein Referat halten). Sie werden von 88 Prozent der Betroffenen als angstauslösend bewertet (Beidel, 1992). Befunde von Beidel und Morris (1995) zeigen auch, dass 60 Prozent der ängstigenden Situationen in der Schule auftreten. In Tagebüchern wird deutlich, dass die häufigsten angstauslösenden Situationen im Alltag unstrukturierte Interaktionen mit Gleichaltrigen sowie Prüfungssituationen sind (Beidel, 1992).

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2 Empirische Grundlagen

Gedanken Beispiel Maja erzählt von den schrecklichen Gedanken, die ihre Angst ihr einflüstert, wenn sie ein Referat halten soll: Der Gedanke »Du kannst das nicht« steht an erster Stelle. Auch wenn sie versucht, sich gegen ihn zu wehren (denn ihre Klassenkameraden können es doch schließlich auch), lähmt dieser Gedanke sie. Sie fragt sich, warum die Klassenkameraden ein Referat halten können und sie nicht. Sofort schießen ihr die Gedanken in den Kopf: »Sie sind intelligenter, begabter und geschickter als du« und »Du bist linkisch. Andauernd passieren dir Missgeschicke. Vorne vor der Klasse fällt das viel mehr auf als hinten auf deinem Platz«. Diese Gedanken verunsichern sie noch mehr. Maja versucht, sich wieder Mut zu machen, indem sie sich an ihre guten Noten in den letzten Klassenarbeiten erinnert. Aber ihre Angst erinnert sie schnell an ihre weichen Knie, wenn sie zur Tafel gehen soll, an ihre piepsige Stimme, wenn sie vor den anderen sprechen soll, und an die zitternden Hände, insbesondere, wenn sie etwas an die Tafel schreiben soll. Das muss »einfach lächerlich aussehen«. Und die guten Noten in der letzten Zeit waren vielleicht einfach nur Zufall, ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn. Mit diesen Gedanken im Kopf versucht Maja, sich auf das Referat vorzubereiten. Kognitive Studien an erwachsenen Patienten mit Sozialphobie lassen vermuten, dass der Informationsverarbeitung eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Sozialen Phobie bei Erwachsenen zukommt (Clark & Wells, 1995). Auch spätere Studien dieser Arbeitsgruppe belegen, dass die Soziale Phobie bei Erwachsenen durch verschiedene Abweichungen in der Informationsverarbeitung charakterisiert sind (Clark & McManus, 2002). Im Vergleich dazu sind Befunde zur abweichenden Informationsverarbeitung bei sozial ängstlichen Kindern weniger robust als im Erwachsenenalter. Hinzu kommt, dass der Forschungsstand zu sozial phobischen Kognitionen bei Kindern weit hinter dem der Erwachsenen zurückliegt. Bei der Frage nach der Informationsverarbeitung sozial ängstlicher Kinder muss noch vielfach auf weniger spezifische Untersuchungen zurückgegriffen werden. Einerseits gibt es Studien, die abweichende Informationsverarbeitungsprozesse etwa bei kognitiven Inhalten, der Bewertung von Informationen, der Selbstaufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung zeigen. Andererseits werden aber auch kognitive Besonderheiten bei sozial ängstlichen Kindern im Unterschied zu Erwachsenen mit sozialer Angststörung berichtet. In einer Studie von Graf et al. (2007) an einer normalgesunden Schülerpopulation zeigte sich ein positiver Zusammenhang sowohl zwischen sozialer Angst und negativer Selbstbewertung als auch zwischen sozialer Angst und Bewältigungsgedanken. Eine Interpretationsmöglichkeit liegt darin, das hohe Ausmaß an Bewältigungsgedanken (hilfreiche Gedanken) als eine Strategie zur Verminderung der Angst zu sehen. 2.2 Soziale Phobie

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Studien zur Informationsbewertung zeigen, dass bei Kindern ein hohes Angstniveau mit einer stärkeren Wahrnehmung von Bedrohung und einer Unterschätzung eigener Bewältigungsmöglichkeiten einhergeht. In einer Studie von Barrett et al. (1996) wurde der Verlauf mehrdeutiger kurzer Szenen von ängstlichen Kindern häufiger als bedrohlich bewertet. Vergleichbare Studien bestätigen diesen Befund (Chorpita et al., 1996; Bell-Dolan & Wessler, 1994; Bögels & Zigterman, 2000). Muris et al. (2000) führten eine entsprechende Studie speziell an sozial ängstlichen Kindern durch und kamen zu einem ähnlichen Befund. Diese Studien lassen somit vermuten, dass auch bei Kindern soziale Ängste im Zusammenhang mit spezifischen negativen Verzerrungen bei der Interpretation sozialer Ereignisse stehen. Die Bedeutung positiver Gedanken in Zusammenhang mit Angst erscheint hingegen weniger eindeutig. Ehrenreich et al. (2002) belegen, dass ängstliche Kinder eine erhöhte Aufmerksamkeit für bedrohliche Reize zeigen. Andere Befunde zeigen, dass Kinder mit niedrigem Angstausmaß ihre Aufmerksamkeit auf emotional neutrales Material richteten (Vasey et al., 1996). Liegt eine Verzerrung in Richtung emotional bedrohlicher Information vor, so lässt sich damit die Aufrechterhaltung von Angst erklären – das ängstliche Kind erfährt die Welt als ungewöhnlich bedrohlich (Vasey et al., 1996). Bell-Dolan (1995) zeigt mit einer Interaktionsaufgabe, dass ängstliche Kinder häufiger nicht-feindliche Situationen als feindlich missinterpretieren. Allerdings wird in dieser Studie nicht zwischen sozial ängstlichen Kindern und Kindern mit anderweitigen Angststörungen unterschieden. Melfsen und Florin (2002) untersuchten in einer Studie ausschließlich sozial ängstliche Kinder. Die Studie beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob die sozial ängstlichen Kinder Defizite bei der Erkennung von Emotionen zeigen oder einen Reaktionsbias für negative Gesichtsausdrücke aufweisen. Die Aufgabe bestand darin, dass die Kinder mittels Tastendruck so schnell wie möglich angeben sollten, ob der auf einem Monitor für kurze Zeit gezeigte Gesichtsausdruck neutral, positiv oder negativ war. Die Ergebnisse lassen erkennen, dass die sozial ängstlichen Kinder längere Reaktionszeiten benötigten. Ein weiterer Befund zeigt, dass sie außerdem häufiger nicht vorhandene Emotionen in neutralen Gesichtern deuten. Weitere Studien beschäftigen sich mit der Selbstaufmerksamkeit, also der Frage, ob sozial ängstliche Kinder in sozialen oder Bewertungssituationen ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf die eigene Person richten. Johnson und Glass (1989) weisen tatsächlich eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit nach, da sozial ängstliche Kinder ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf eigene körperliche Reaktionen richteten statt auf die anstehende Aufgabe. Es scheint aber auch Besonderheiten in den kognitiven Prozessen sozial phobischer Kinder im Unterschied zu sozial phobischen Erwachsenen zu geben (Alfano et al., 2002; Chansky & Kendall, 1997; Spence et al., 1999). Turner et al. (1994) berichten bei sozial ängstlichen Kindern von einer Gedankenleere während der Angstsituation selbst. Sie werden dieser Beobachtung nach in den Angstsituationen selbst nicht mit negativen Gedanken überflutet, wie es viele erwachsene Sozialphobiker berichten, sondern scheinen unfähig zu sein, überhaupt zu denken. Beidel und Kollegen (1994)

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2 Empirische Grundlagen

forderten Kinder nach einem Vokabeltest auf, ihre Gedanken frei zu äußern. Sie beobachten, dass Kinder allgemein weniger Gedanken äußern und dass keine signifikanten Unterschiede zwischen hoch- und niedrigängstlichen Kindern feststellbar sind. An dieser Studie wurde kritisiert, dass die Produktionsmethode (thought listing) angewandt wurde, die bei Kindern im Allgemeinen als schwierig zu interpretieren gilt (Harter, 1986; Alfano et al., 2002; Kendall & Ronan, 1990). Die Gedächtnisleistung sozial ängstlicher Kinder wurde bislang von nur wenigen Studien untersucht. Daleiden (1998) vermutet eine selektive Gedächtnisleistung, da ängstliche Kinder sich häufiger an negative Informationen erinnern. Ein Pendant findet sich bei der Antizipation zukünftiger Ereignisse: Spence et al. (1999) finden bei 7- bis 14-jährigen sozial ängstlichen Kindern, dass sie im Vergleich zu Kontrollkindern die Wahrscheinlichkeit für zukünftige positive soziale Ereignisse unterschätzen, während sie die Wahrscheinlichkeit für negative soziale Ereignisse überschätzen. Beide Befunde ließen sich nur bei Ereignissen beobachten, die soziale Interaktionen betrafen. Verhaltensweisen Beispiel Maja hat nicht nur an Schultagen Angst, an denen sie ein Referat halten soll. Schon ganz normale Schultage sind für sie sehr angsterregend. Und diese Angst erschöpft sie. Sie versucht, sie einzudämmen und sucht nach Möglichkeiten, die ihr Sicherheit geben können. Morgens steht sie sehr zeitig auf, um der Gefahr, vielleicht zu spät zu kommen, aus dem Weg zu gehen. Sie ist immer als erste in der Familie auf den Beinen, um sicherzugehen, dass auch ihre Eltern nicht verschlafen und sie auf keinen Fall ihren Schulbus verpassen wird. Sicherheit sucht Maja auch durch ihre Kleidung. Meistens zieht sie wenig körperbetonte Kleidung an, die gute Versteckmöglichkeiten bergen. Trotzdem sollte die Kleidung nicht unmodisch sein, das würde zu sehr auffallen. Auch die Farben sollten unauffällig und trotzdem modisch sein. Maja steckt immer auch ein weiteres T-Shirt zum Wechseln in die Schultasche, falls die erste Garnitur schmutzig wird. Sie fürchtet sich sehr vor dem Zuspätkommen. Dann wären alle Augen, insbesondere die des Lehrers, auf sie gerichtet. Aber ein frühes Erscheinen wäre ebenfalls sehr anstrengend. Dann muss Maja nämlich viele furchtbare Minuten überstehen, in denen die Mitschüler sich unterhalten und sie auffällt, weil sie abseits steht. Am besten ist es, auf den Punkt genau zu kommen und sich intensiv mit etwas zu beschäftigen, etwas zu lesen oder allein zu spielen. Sie hat sich in der Klasse einen Platz am Rand nahe an der Tür gesucht. Hier fühlt sie sich weitgehend sicher. Schwierig sind die Unterrichtsfächer, in denen die Sitzordnung verändert wird. Am meisten fürchtet Maja den Sitzkreis, wenn es keine Tische gibt, hinter denen man sich verstecken kann, und die Stühle sehr eng beieinander stehen. Viel beschäftigt hat sich Maja mit dem Problem, wie man sich unsichtbar macht, damit der Lehrer einen nicht aufrufen kann. Immer gelingt es ihr nicht, aber den

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Blickkontakt starr woanders hinzuwenden ist deutlich besser, als den Lehrer anzusehen. Manchmal fragt der Lehrer reihum. Maja hat dann große Angst, einen Fehler zu machen, etwa ihren Einsatz zu verpassen und dann die peinliche Stille zu erleben, wenn sie nicht mitbekommen hat, dass sie an der Reihe ist. Außerdem hat sie Angst, vor Aufregung anderen ins Wort zu fallen. Genauso, wie ihr die Angst wohlbekannt ist, dass ihr die Stimme wegbleiben könnte. Sie wiederholt in Gedanken den vorbereiteten Satz. Es ist eine kurze Antwort. Sie ist so knapp wie möglich, damit möglichst schnell der nächste an die Reihe kommt. Schlimm ist es außerdem, etwas an die Tafel schreiben zu müssen. Dafür ist ihr noch kein Schutzverhalten eingefallen, außer dem Lehrer durch intensives Wegsehen nicht aufzufallen, damit er einen anderen Schüler aufruft. Doch all diese Situationen sind noch harmlos. Denn am schlimmsten ist die Pausensituation. Maja hat sich angewöhnt, in der Pause zu lesen, um nicht allein herumzustehen zu müssen, sondern beschäftigt auszusehen. Ihr Alleinsein soll wie selbst gewählt aussehen und nicht nach Einsamkeit. Für sie ist ein Schultag ein Tag voller Anspannung und Stress. Neben den im Rahmen anderer Angststörungen auch zu beobachtenden Vermeidungs- oder Fluchttendenzen lässt sich bei der Sozialen Phobie zusätzlich ein spezielles Vermeidungsverhalten beobachten, das als »Sicherheitsverhalten« bezeichnet wird. Mit »Sicherheitsverhalten« sind Strategien gemeint, die darauf abzielen, innerhalb der gefürchteten Situation Angst zu verringern oder die soziale Bedrohung abzuwehren (Alden & Bieling, 1998). Die angstauslösende Situation wird hier aufgesucht statt aktiv vermieden – die Schutzfunktion wird vom Sicherheitsverhalten übernommen. Allerdings fördert dieses Sicherheitsverhalten gleichzeitig die negativ verzerrte Selbstaufmerksamkeit, indem es eine angemessene Bewertung der Situation und korrektive Erfahrungen verringert (Clark & McManus, 2002; Wells et al., 1997). Beispiele für Sicherheitsverhaltensweisen bei sozial phobischen Kindern und Jugendlichen sind folgende: " sich sehr stark der Mode anpassen, um nicht aufzufallen " Kleidung auswählen, unter oder mit der man sich verstecken kann (z. B. eine Schirmmütze, weite Kleidung, unauffällige Farben und Schnitte) " die Kleidung immer wieder daraufhin zu überprüfen, dass sie unauffällig ist (z. B. nicht schmutzig) " auf einer Feier Lebensmittel auswählen, die leicht zu essen sind (also nicht tropfen, kleckern, bröseln oder von der Gabel wegrutschen können) " die Hände als Schutz vor das Gesicht halten " die Haare ins Gesicht fallen lassen " sich Plätze aussuchen, auf denen man wenig Aufmerksamkeit erregt " Plätze aussuchen, die einen kurzen Fluchtweg erlauben " Vermeidung von Blickkontakt " leises Sprechen

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2 Empirische Grundlagen

kurze Sätze bilden keine Fragen stellen " sich melden, nachdem der Lehrer schon jemanden aufgerufen hat " sich selbst (die eigenen Antworten und Verhaltensweisen) kontrollieren, um minimal aufzufallen " Sätze immer wieder in Gedanken überprüfen, bevor sie laut gesagt werden " Sätze immer wieder in Gedanken wiederholen, damit sie nicht vergessen werden " aufpassen, dass die Hände nicht zittern (z. B. indem man sie festhält) " sich so wenig wie möglich bewegen " sich von anderen zurückziehen Für den Therapieerfolg stellt das Sicherheitsverhalten einen sehr wichtigen Bereich dar, weil es interindividuell sehr unterschiedlich gestaltet sein kann. Die größte Übereinstimmung besteht im reduzierten Sprechverhalten. Einige Studien beschäftigten sich mit dem Gesichtsausdruck sozial ängstlicher Menschen. Unsystematische Beobachtungen lassen vermuten, dass sozial ängstliche Menschen wenig oder schwer interpretierbare Gesichtsausdrücke zeigen. Izard und Huyson (1986) stellten die Hypothese auf, dass diese sozial ängstlichen nonverbalen Verhaltensmuster dazu dienen, die Möglichkeit für emotionalen Austausch in Interaktionen zu reduzieren. In einer experimentellen Studie (Melfsen et al., 2000) wurde die willentliche mimische Ausdrucksfähigkeit bei sozial ängstlichen Kindern untersucht. Hier zeigen die sozial ängstlichen Kinder einen weniger genauen willentlichen mimischen Gesichtsausdruck als die sozial nicht ängstlichen Kinder. Sie haben ein kleineres Repertoire und eine niedrigere Gesamtzahl an mimischen Bewegungen. Darüber hinaus zeigen sie auch häufiger andersartige mimische Bewegungen, die keinem Emotionsausdruck zugeordnet werden können, ebenso wie falsche Emotionsausdrücke. Ein solcher Mangel an Präzision und Defizite in der willentlichen mimischen Emotionsausdrucksfähigkeit könnten sich in Interaktionen problematisch auswirken. In einer weiteren Studie (Melfsen & Florin, 2003) wurde überprüft, ob sozial ängstliche Kinder auch in nicht-sozialen Situationen, in denen spontane Emotionsausdrücke hervorgerufen werden, Defizite in ihrer mimischen Ausdrucksfähigkeit zeigen oder ob diese Defizite auf soziale Situationen beschränkt sind. Die sozial ängstlichen Kinder zeigen tatsächlich in der spontanen Mimik einen verringerten Ausdruck von Freude, jedoch nicht von Ärger oder Frustration. Ein Grund könnte darin liegen, dass sozial ängstliche Kinder versuchen, ihren Gesichtsausdruck zu kontrollieren bzw. zu neutralisieren. Träfe dies zu, könnte der Befund auf Unterschiede in der Komplexität der Mimik und damit der Schwierigkeit, sie zu kontrollieren, zurückgeführt werden: Mundbewegungen lassen sich nämlich leichter kontrollieren als Bewegungen der Augen/Lider und der Augenbrauen/Stirn (Ekman & Friesen, 1984). Freude ist eine Emotion, die keine spezifischen Bewegungen in diesen Bereichen einschließt. "

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Soziale Kompetenz Beispiel Carl hat Schwierigkeiten, fremde Kinder anzusprechen. Er vermeidet den Blickkontakt, spricht mit sehr leiser Stimme und dreht seinen Oberkörper seitlich weg vom Gesprächspartner. Bei vertrauten Kindern zeigt er keine sozial ängstlichen Verhaltensweisen. Julia vermeidet es, im Unterricht zu sprechen. Sie spricht leise, schnell und undeutlich. Eine Ausnahme bildet der Kunstunterricht. Sie ist talentiert fürs Zeichnen und fühlt sich sicher. Die Mitschüler staunen über die Vielzahl ihrer Wortbeiträge und die Freude, die sie während des Kunstunterrichts ausstrahlt. Die Rolle, die soziale Kompetenzdefizite für eine Soziale Phobie spielen, wird immer wieder diskutiert und untersucht. Einige Studien zum Erwachsenenalter zeigen, dass soziale Defizite keine zentrale Rolle spielen (Beidel et al., 1985; Harvey et al., 2000; Norton & Hope, 2001; Woody, 1996) oder nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung der Sozialen Phobie darstellen (Rapee & Spence, 2004; Norton & Hope, 2001). Bei Kindern und Jugendlichen spielen soziale Kompetenzdefizite in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Störung möglicherweise eine bedeutsamere Rolle als bei erwachsenen Sozialphobikern (Rapee & Spence, 2004). Einige Befunde deuten jedoch darauf hin, dass dies nicht der Fall ist. Cartwright-Hatton et al. (2003) forderten Schulkinder im Alter von 8 bis 11 Jahren auf, vor einer Videokamera eine zweiminütige Rede zu halten. Wie bei den Erwachsenen zeigte sich bei hochängstlichen Kindern eine Diskrepanz zwischen Defiziten in sozialer Kompetenz und der Selbsteinschätzung (Stopa & Clark, 1993). Diese signifikant schlechtere Bewertung der eigenen Leistungen durch Sozialphobiker wird durch verschiedene Studien belegt (Norton & Hope, 2001), d. h., die soziale Kompetenz von Sozialphobikern wird von anderen als weitaus höher eingeschätzt als von den Sozialphobikern selbst. Physiologische Reaktionen Beispiel Lilly hat große Angst, zu erröten. In einer Vielzahl von Situationen merkt sie, wie ihr heiß wird und dass sich ihre Gesichts- und Halsregion erst rot, dann röter und noch röter verfärben. Wenn Lilly im Mittelpunkt steht; grundsätzlich, wenn sie mit einem Jungen reden muss, wobei es fast beliebig ist, um welchen Jungen es sich handelt; wenn sie fürchtet, zu versagen sowie in vielen anderen Situationen hat sie starke Angst vor diesem Erröten. Im gleichen Moment bemerkt sie, wie eben jene Reaktion des Errötens einsetzt. Sie versucht, mit aller Macht dagegen anzukämpfen, verstärkt damit aber nur das Symptom. Lilly schämt sich, dass all die anderen so offensicht-

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lich sehen können, wie sie errötet und nach naheliegenden Gründen für ihren intensiven Farbwechsel suchen. Einmal wurde sie gefragt, ob sie noch andere Farben außer Rot könne. Gerne hätte sie eine passende Antwort gegeben. Die physiologischen Reaktionen der Sozialen Phobie sind ähnlich denen, die im Rahmen anderer phobischer Störungen des Kindes- und Jugendalters auftreten. Kennzeichnend sind starkes Herzklopfen (70,8 %), Zittern (66,7 %), Kälteschauer (62,5 %) und Schwitzen (54,2 %) (Beidel et al., 1991). Auch Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Atemlosigkeit, Erstarren, ein erhöhter Puls, Muskelanspannung oder ein flaues Gefühl im Magen werden genannt. Unter jüngeren Kindern sind insbesondere Klagen über Bauchschmerzen häufig. Eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit führt zu einer häufigeren Wahrnehmung dieser Symptome. Die betroffenen Sozialphobiker nehmen an, dass ihre Symptome von anderen ebenso gut wahrgenommen werden können wie von ihnen selbst, und dass sie aufgrund dieser Symptome negativ bewertet werden. Auch überschätzen sie die Wahrnehmbarkeit ihrer Symptomatik für andere in einem stärkeren Maß als andere Personen ohne soziale Ängstlichkeit. Vielfach werden die körperlichen Furchtreaktionen im Rahmen einer Sozialen Phobie als sekundär eingeordnet, während es jedoch im B-Kriterium des ICD-10 zur Diagnosestellung einer Sozialphobie zwingend gefordert wird (Gerlach, 2005). Weitere typische Merkmale Beispiel Henrik kann stundenlang Hörspielen zuhören, während er sich zu Teamsportarten wie Fußball nicht überreden lassen will. Sybille liebt Kakteen, stundenlang beschäftigt sie sich mit ihnen, liest Bücher über Kakteenpflege und kümmert sich um sie. Heiko hat großes Interesse für Geschichtsthemen, liest viele Bücher zu diesem Thema, recherchiert im Internet und sieht sich entsprechende Fernsehsendungen an. Im Freizeitbereich flüchten viele sozial phobische Kinder und Jugendliche in Interessen, die für ihr Alter untypisch sind (Albano et al., 1995). Häufig sind es einsame Hobbys, etwa das Programmieren von Computern, das Verfolgen von Wetterberichten oder Ähnliches. Für diese Verhaltensweisen gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: Da sie weniger Zeit mit Gleichaltrigen verbringen, werden betroffene Kinder auch weniger stark mit den Interessen konfrontiert, die unter anderen Kindern oder Jugendlichen Mode sind. Ihre ungewöhnlichen Interessen können aber auch zum Mittel werden, um die Gesellschaft anderer und damit soziale Situationen zu vermeiden.

2.2 Soziale Phobie

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2.2.2 Komorbidität und Differentialdiagnose Beispiel Petra hat sich aus Angst immer mehr aus sozialen Situationen zurückgezogen. Nach der Schule bleibt sie stundenlang in ihrem Zimmer und hängt ihren Gedanken nach. Es sind trübe Gedanken. Sie fürchtet sich vor der Zukunft, fürchtet sich davor, aus dem Haus zu gehen. Petras größte Sorge ist, in ihrem Leben allein zu bleiben. Leni litt, so lang sie zurückdenken kann, unter sozialen Ängsten. Sie meldete sich kaum in der Schule, obwohl sie eine gute Schülerin war, sie vermied Feste und Feiern und traute sich in keinen Verein. Im Alter von 12 Jahren hat sie begonnen, ihr Essverhalten und damit ihr Gewicht zu kontrollieren. Sie genoss diese Kontrolle, die sie über ihren Körper hatte, ganz im Unterschied zu den für sie unüberschaubaren sozialen Situationen, und sie genoss die Anerkennung, die sie anfänglich für das Abnehmen erntete. Komorbidität Die Komorbiditätsrate der Sozialen Phobie mit anderen psychischen Störungen ist hoch. Zum einen treten sehr häufig gleichzeitig auch andere Angststörungen auf (Wittchen & Vossen, 1996). Bei der Sozialen Phobie bei Kindern lassen sich häufig zusätzlich das generalisierte Angstsyndrom und einfache Phobien diagnostizieren (Last et al., 1987b; Turner et al., 1991). Aber auch andere Störungsbilder sind weit verbreitet. So zeigen sozial phobische Kinder ein höheres Ausmaß an depressiven Symptomen (Beidel & Turner, 1988; Francis et al., 1992; Strauss & Last, 1993) und eine Tendenz zu zwanghaften Verhaltensweisen (Beidel, 1991; Beidel & Turner, 1998). Soziale Angststörungen im Kindes- und Jugendalter stellen auch einen Risikofaktor für Substanz- und Essstörungen (Wittchen et al., 2000) dar. Oftmals wird die grundlegende soziale Angststörung nicht erkannt und daher auch nicht behandelt (Lipsitz & Schneier, 2000; Wittchen et al., 2000). Im Folgenden werden die Differentialdiagnosen aufgeführt. Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter (ICD-10) Beispiel Kimberly zeigte während ihrer Kindergartenzeit eine ausgeprägte Furcht vor fremden Erwachsenen. Wenn sie im Kindergarten zum Beispiel von den Eltern anderer Kinder angesprochen wurde, hatte sie ein verschlossenes Gesicht, drehte sich vielfach weg und blieb stumm. Beim Einkaufen überließ sie ihren Eltern das Beantworten von Fragen. Sie hätte sich niemals selbst ein Eis gekauft. Es bedurfte viel Überredungskunst, um mit ihr zum Kinderarzt oder zum Zahnarzt zu gehen. Deren Fragen beantwortete sie nicht.

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2 Empirische Grundlagen

Im ICD-10 wird neben der Diagnose einer Sozialen Phobie noch die Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter (F93.2) genannt. Eine klare Abgrenzung zwischen beiden Störungsbildern ist oftmals nicht möglich, da es starke Überschneidungen gibt. Außerdem ist die Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter auch weniger gut zum Konzept der Schüchternheit abgrenzbar. Empfohlen wird in der Regel, der Diagnose der Sozialen Phobie den Vorzug zu geben. Bei der Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter handelt es sich um eine Entwicklungsangst, die übermäßig stark ausgeprägt ist. Eine Voraussetzung für die Diagnose besteht darin, dass die soziale Ängstlichkeit vor dem 6. Lebensjahr auftritt. Daraus ergibt sich ein weiteres Abgrenzungsproblem, denn z. B. Misstrauen gegenüber Fremden ist in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres ein normales Phänomen. Außerdem gehören soziale Angst oder Besorgnis in fremden oder sozial bedrohlichen Situationen zu den normalen Entwicklungsängsten, die Kinder als Teil der Entwicklung in ihrer frühen Kindheit erleben. Die Störung mit sozialer Ängstlichkeit wird nur dann diagnostiziert, wenn zum einen die Vermeidung und Furcht vor sozialen Begegnungen ein Ausmaß erreichen, das außerhalb der altersspezifischen üblichen Grenzen liegen, und wenn sie zum anderen von einer bedeutsamen sozialen Beeinträchtigung begleitet ist. Die Unterscheidung zwischen Sozialer Phobie und Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter erfolgt somit zum einen über das Alterskriterium. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass die Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter auf eine Furcht vor Fremden beschränkt ist. Das Störungsbild der Sozialen Phobie hingegen ist umfassender, denn es schließt die Angst vor Bewertung mit ein. Die Soziale Phobie muss keine Angst vor fremden Personen sein, es kann sich z. B. auch um eine Furcht vor der Beurteilung durch vertraute Personen handeln. Die Soziale Phobie kann sich auch sehr spezifisch auf einzelne soziale Situationen beschränken. Bei der Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter ist die kognitive Komponente nicht Bestandteil der Diagnosekriterien. Die Diagnose Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter sollte nur für Störungen verwendet werden, die vor dem sechsten Lebensjahr beginnen, die von ungewöhnlichen sozialen Beeinträchtigungen begleitet und nicht Teil einer generellen emotionalen Störung sind. Kinder mit dieser Störung zeigen eine durchgängige oder wiederkehrende Furcht vor Fremden oder meiden diese. Diese Furcht kann sich entweder auf Erwachsene oder auf Gleichaltrige beziehen, aber auch auf beide Personengruppen gleichzeitig. Die Furcht ist mit einer normalen, selektiven Bindung an Eltern oder andere vertraute Personen verbunden. Die Vermeidung oder Furcht vor sozialen Begegnungen erreicht ein Ausmaß, das außerhalb der altersspezifischen üblichen Grenzen liegt und von einer bedeutsamen sozialen Beeinträchtigung begleitet ist.

2.2 Soziale Phobie

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Prüfungsangst Beispiel Adele fürchtete sich so sehr vor Klassenarbeiten, dass sie am Morgen vor der Arbeit oftmals erbrach. Blass und stumm brachte sie kein Frühstück herunter. Wie benommen schlich sie zur Schule. In ihrem Kopf hämmerte die Angst vor dem Versagen. Wie durch einen Schleier sah sie ihren Mitschülern zu, die Witze machten und herumblödelten. Die Anspannung wich einer zittrigen Fahrigkeit, wenn der Lehrer die Arbeitsbögen verteilte. Hastig überflog sie alle Aufgaben und begann, sie mit zitternden Fingern zu beantworten. Nach der Klassenarbeit blieb die Angst, versagt zu haben. Sie konnte zwar wieder mit ihren Klassenkameraden spielen, aber bis zur Rückgabe der Arbeit blieb die Vermutung, gänzlich versagt zu haben. Hatte sie eine gute Note, so beruhigte sie das aber kaum, denn nun stieg die Angst vor der nächsten Arbeit, die ähnlich gut bewältigt werden sollte. Hatte sie eine schlechte Note, so fürchtete sie sich ebenfalls vor der nächsten Arbeit, da sie ja die schlechte Note ausgleichen musste. Prüfungsangst ist eine Angst, die sich auf die Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit bezieht. Prüfungsangst wird im DSM-IV (APA, 2004) als Soziale Phobie klassifiziert und tritt häufig zusammen mit anderen sozialen Ängsten auf. Sie macht sich zunehmend auch bei jüngeren Kindern bemerkbar. Das Kind erlebt vor oder während einer Prüfung Angst. Ursache für die Angst ist nicht die Prüfungssituation an sich, sondern die gedankliche Bewertung dieser Prüfung und die gedankliche Vorwegnahme eines möglichen Misserfolgs, Sorgen und Befürchtungen, zu versagen, bis hin zu Katastrophengedanken. Körperlich zeigt sich die Angst zum Beispiel durch Bauchschmerzen, Übelkeit oder Durchfall am Morgen des Prüfungstages. Andere häufige Symptome sind Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Zittern, Harndrang, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Auf der emotionalen Ebene lässt sich eine besorgte und bedrückte Stimmung bis hin zur Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erkennen. Rückzugsverhalten und Vermeidungsverhalten des Schulbesuchs können Folge einer Prüfungsangst sein. Ist diese Angst sehr ausgeprägt, so beeinträchtigt sie die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden des Kindes. Nur dann ist sie als psychisches Störungsbild zu diagnostizieren. Selektiver Mutismus Beispiel Jana ist die zweite von zwei Töchtern einer amerikanischen Mutter und eines deutschsprachigen Vaters und wurde zweisprachig erzogen. Die ersten Lebensjahre seien laut Angaben der Mutter unauffällig verlaufen bis auf einen relativ späten Beginn des Sprechens. Jana war immer schon schüchterner und sensibler als andere

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Kinder. Allem Neuen stand sie sehr ängstlich gegenüber. Auffallend sei gewesen, dass sie sich immer sehr stark an die Mutter klammerte. In fremden sozialen Situationen hatte sie von Anfang an die Neigung, sich körperlich zusammenzuziehen und eine verkrampfte Haltung einzunehmen. Aus anfänglichen Anlaufschwierigkeiten im Sozialkontakt wurde ab dem Alter von 3 Jahren ein Schweigen. Nach und nach brach sie auch zu Personen, die sie regelmäßig sah, den verbalen Kontakt ab. Sie sortierte aus, mit wem sie sprechen wollte und mit wem nicht. Besonders große Schwierigkeiten hatte sie, mit Jungen zu sprechen. Mit versteinertem Gesicht, verschlossenen Lippen, Ausdruckslosigkeit im Gesicht, Abweisung, Trotz und Sturheit verbrachte sie die Vormittage im Kindergarten. Zuhause zeigte sich Jana unbekümmert und redselig, sodass die Eltern sich nur schwer vorstellen konnten, wie es zu dieser Wesensänderung im Kindergarten kommen konnte. Die Eltern, die sich auch von den Vorwürfen der Erzieherinnen ihnen gegenüber angegriffen fühlten, entschieden sich, Jana vom Kindergarten abzumelden. Die Einschulung brachte nicht das von den Eltern erhoffte Aufbrechen des Schweigens. Jana sprach nicht nur nicht, sondern verwendete auch keine nonverbalen Kommunikationsformen. Sie reagierte nur eingeschränkt auf die Umwelt, keine Begrüßung und Verabschiedung erfolgte, Fragen oder Hinweise wurden überhört. In der Schule hätte Jana nach Auskunft der Lehrerin ebenso gut ein kleines Phantom sein können. Keiner sprach mit ihr, sah sie an oder nahm auch nur von ihrer Anwesenheit im Klassenzimmer Kenntnis. Jana selbst verfuhr genauso. Sie ging mit Konzentration ihrer jeweiligen Beschäftigung nach, aber sie tat so, als befände sich außer ihr kein Mensch im Raum. Niemand glaubte mehr ernsthaft, dass sie noch sprechen würde. Nachdem sie so lange geschwiegen hatte, konnte sie sich auch selbst überhaupt nicht mehr vorstellen, plötzlich zu sprechen anzufangen. Es gab keinen Grund, das Sprechverhalten ändern zu wollen. Es brachte keinerlei Vorteile. In der Pause war sie allein. Zunächst schien es sie nicht zu stören, bis die Phase begann, in der sie geärgert wurde. Die Noten gingen in den Keller. Sie wirkte abweisend, die Augen sahen ins Leere. Sie schien kaum etwas von ihrer Umgebung wahrzunehmen. Die Welt der anderen Kinder erschien unerreichbarer, je älter sie wurde. Später kam eine Weigerung hinzu, sich an bestimmte Regeln in der Schule zu halten. Diese Weigerung war inzwischen fast schwieriger als das Schweigen geworden. Jana tat nicht, was die Klasse tun sollte. Die Lehrerin fühlte sich von Janas Verhalten provoziert und verärgert. Die Eltern schwankten zwischen besonders behutsamem und wütend-strengem Verhalten. Zuhause zeigte Jana inzwischen neben dem ausgelassenen, redseligen ein teilweise sehr trotziges, tyrannisches Verhalten, insbesondere der Schwester gegenüber.

2.2 Soziale Phobie

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Viel später berichtete Jana ihren Eltern, dass sie sich selbst nicht erklären konnte, warum sie nicht wie die anderen unbefangen sprechen konnte. Sie erlebte sich einfach als anders. Damals fragte sie auch oft ihre Eltern, ob sie eine schöne Stimme habe (Melfsen & Warnke, 2009, S. 569). »Mutismus« bedeutet Schweigen. Mutistische Kinder besitzen grundsätzlich die Fähigkeit zu sprechen, sie setzen diese jedoch in für sie fremden Situationen, an bestimmten Orten, bei bestimmten Themen und/oder gegenüber einem bestimmten Personenkreis nicht ein. Stattdessen fallen sie in ein beharrliches Schweigen, erstarren oder verständigen sich ausschließlich mittels Gesten, Mimik oder schriftlichen Mitteilungen (Hartmann, 1992). Diese Sprachlosigkeit tritt in mindestens einer spezifischen Situation auf. Entscheidend für die Diagnose ist, dass das Kind in einigen Situationen fließend spricht, in anderen jedoch stumm oder fast stumm bleibt. Es gibt jedoch auch Kinder, die diesen »selektiven« Mutismus auf immer mehr Situationen und Personen ausdehnen und sich auf diese Weise ein »totaler Mutismus« entwickelt. Beim totalen Mutismus fehlen sämtliche phonische Leistungen, was auch für das Lachen und Husten gilt. Geschwiegen wird in Abhängigkeit vom empfundenen Belastungsgrad der kommunikativen Bedingungen: in Abhängigkeit von Personen (z. B. autoritären Erwachsenen), Räumlichkeiten bzw. Örtlichkeiten, vom Inhalt der Kommunikation, wenn die Kinder inhaltlich-thematisch überfordert sind oder ihnen das Thema peinlich oder unangenehm ist, von der Sprechleistungsanforderung, der Länge der Äußerung, dem Grad der Exponiertheit, dem sozialen Druck. Ein heftiger Gefühlsausbruch kann hingegen zumindest bei jüngeren Mutisten plötzlich zu sprachlichen Äußerungen führen (Hartmann, 1997). In der Fachliteratur hat sich in den letzten Jahren ein Übergang vom Begriff des elektiven zum selektiven Mutismus vollzogen. Der Begriff »elektiver Mutismus« suggeriert eine willentliche Kontrolle darüber, in welchen Situationen geschwiegen bzw. gesprochen wird. Beim Begriff des »selektiven Mutismus« ist eine solche Entscheidungsfreiheit nicht gegeben. Das mutistische Kind kann nicht mehr entscheiden, ob, wann und wie lange es schweigt. In der aktuellen Literatur wird der Mutismus vermehrt den Angststörungen und der Sozialen Phobie zugeordnet (Dow et al., 1999), obwohl er im DSM-IV unter »Andere Störungen im Kleinkindalter, in der Kindheit oder Adoleszenz« und im ICD-10 als »Störung sozialer Funktionen mit Beginn in der Kindheit und Jugend« und nicht als Angststörung eingeordnet wird. Ausschlussdiagnosen sind nach ICD-10 der passagere Mutismus mit Trennungsangst, Schizophrenie, tiefgreifende Entwicklungsstörungen und umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache. Das DSM-IV erwähnt demgegenüber, dass begleitende Sprechstörungen wie eine entwicklungsbezogene Artikulationsstörung, eine expressive oder rezeptive Sprachentwicklungsstörung oder eine

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körperliche Störung, die die Artikulationsfähigkeit beeinträchtigen, vorhanden sein können.

2.2.3 Verlauf und Prognose Beispiel Svenja litt unter sozialen Ängsten, seit sie in die Schule gekommen war. Dabei war sie ein beliebtes Mädchen und niemand aus ihrem Umfeld hätte ihre Sorgen und Befürchtungen verstehen können, die sie ohnehin für sich behielt. Im Kindergarten schien sie noch unbekümmert und fröhlich zu sein, freute sich über gemeinsame Spiele, drückte ihre Freude oder ihren Unmut gleichermaßen deutlich aus. Mit dem Schulbeginn wurde sie dann zurückhaltender. Gerade im Umgang mit neuen und unbekannten Situationen und Personen hatte sie Schwierigkeiten. Aber erst nach dem Schulwechsel auf das Gymnasium verstärkten sich ihre sozialen Ängste so sehr, dass sie eine klinische Störung entwickelte. Mit Anspannung ging sie in die Schule. Diese Anspannung verließ sie noch nicht einmal in den Ferien, weil sich Erwartungsangst vor der nächsten Schulzeit aufbaute. Was ihr früher so leicht und sorglos gelungen war, nämlich mit den Mitschülern Kontakt aufzunehmen, zu spielen oder zu toben, sich als zugehörig zu empfinden, erschien ihr immer schwieriger zu werden. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, dass ihre Mitschüler sie mochten. Immer öfter stand sie allein auf dem Schulhof und beobachtete aus der Distanz das Spiel der anderen. Wenn sich Mitschüler zu ihr gesellten, sprach sie nur wenig. Anschließend beschimpfte sie sich in Gedanken, weil sie sich ihrer Meinung nach im Gespräch so unfähig verhalten habe. Obwohl sie sportlich war, traute sie sich nun auch nicht mehr zu, engagiert im Sportunterricht mitzuspielen. Sie hielt sich am Rand des Spielfeldes auf und versuchte, den Kontakt mit dem Ball zu vermeiden. Im Unterricht meldete sie sich selten und flüsterte kaum hörbar ihre Antworten, wenn sie aufgerufen wurde. Je älter sie wurde, desto mehr Gedanken machte sie sich über ihr negatives Auftreten und ihr Versagen in sozialen Situationen. Svenja erlebte mit zunehmender Dauer ihrer Sozialen Phobie ihre Lebenssituation als ausweglos. Es gelang ihr auch nicht mehr, sich ein glückliches Leben nach der Schulzeit vorzustellen. Sie versank immer mehr in traurigen und hoffnungslosen Gedanken und Einsamkeit. Soziale Ängste in der Kindheit sind Teil einer normalen Entwicklung. Mit Beginn der Schule werden neue Entwicklungsaufgaben vom Kind erwartet. In der Schule sind mündliche Berichte vor der Klasse gefordert, Gruppenarbeiten finden statt, Leistungsüberprüfungen setzen ein. Vor- und Aufführungen oder Wettkämpfe werden häufig Teil der Freizeitbeschäftigung. Die Bewertung der eigenen Leistung ist somit ein immer häufiger auftretender Prozess. Das Bewusstwerden von Bewertungen durch 2.2 Soziale Phobie

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andere entwickelt sich bei Kindern um das 8. Lebensjahr (Bennett & Gillingham, 1991; Crozier & Burnham, 1990). Für eine Soziale Phobie ist die Sorge über die negative Bewertung durch andere wesentlich. Mit zunehmender Fähigkeit, die Komplexität sozialer Situationen zu verstehen und negative, auf sich selbst gerichtete Aufmerksamkeit zu entwickeln, lernt das ältere Kind, negative Bewertungen durch andere zu fürchten. Im Alter von 8 bis 10 Jahren können die Kinder aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten auch subtile Botschaften verstehen. Sie können Situationen aus anderen Perspektiven interpretieren und soziale Vergleiche anstellen (Bennett & Gillingham, 1991; Crozier & Burnham, 1990). Im Jugendalter werden die sozialen Entwicklungsaufgaben anspruchsvoller und sozial bedrohlicher: Freundschaften aufzubauen, sich mit einer Peergroup zu identifizieren und eine Identität zu entwickeln (Francis, 1990) sind wichtige Themen in dieser Entwicklungsphase. Jugendliche beginnen, ihre Unabhängigkeit und Individualität zu erproben. Autonomie vom Elternhaus muss entwickelt werden und der Jugendliche muss lernen, sich gegenüber seinen Bezugspersonen abzugrenzen. Die häufigsten Ängste bei Jugendlichen stehen im Zusammenhang mit Beziehungen zum anderen Geschlecht, mit der Zurückweisung durch Gleichaltrige, mit öffentlichem Sprechen, mit Erröten, mit der Selbstwahrnehmung und mit übermäßiger Beschäftigung mit vergangenem Verhalten (Bell-Dolan et al., 1990). Das Jugendalter bringt also neue Anforderungen und Bedürfnisse mit sich, die in der weiteren kognitiven Entwicklung Defizite stärker bewusst machen (Beidel & Morris, 1995). Eine gesteigerte Gehemmtheit und das Gefühl der Peinlichkeit sind somit für diese Entwicklungsstufe kennzeichnend. Entwickelt sich eine Soziale Phobie in diesem kritischen Zeitabschnitt, führt sie zu deutlichen Einschränkungen in der Entwicklung (Öst, 1987; Turner & Beidel, 1989). Kommt es gar zur Vermeidung sozialer Situationen, wird der Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen behindert (Rubin et al., 1990). Die Entwicklung des Kindes kann nachhaltig beeinträchtigt werden (Inderbitzen-Pisaruk et al., 1992; Vernberg et al., 1992). Davidson (1993) belegte, dass bei Beginn der Sozialen Phobie vor dem 11. Lebensjahr eine chronische Störung im Erwachsenenalter wahrscheinlicher wird. Die Einschränkung der Lebensqualität ist beträchtlich. Sie umfasst die psychische Belastung, die Erfüllung sozialer Rollenfunktionen, die schulische Ausbildung und die berufliche Laufbahn (Wittchen et al., 2000; Lipsitz & Schneier, 2000; Stein & Kean, 2000).

2.2.4 Zusammenfassung Die Soziale Phobie mit dem stärksten Ausprägungsgrad der sozialen Angst ist am klarsten definiert. Die entscheidenden Merkmale sind eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten oder Angstsymptome zu zeigen, die demütigend oder peinlich sein könnten.

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Kinder sind nicht immer in der Lage, den Grund ihrer Ängste zu benennen. Indikatoren einer Sozialen Phobie im Kindesalter können zum Beispiel fehlende Reaktionen in sozialen Situationen, Vermeidung von altersangemessenen sozialen Aktivitäten, körperliche Beschwerden, ein Abfall in den Schulleistungen, Schulverweigerung oder Trotzreaktionen und Wutanfälle sein. Kognitive Studien lassen vermuten, dass der Informationsverarbeitung eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Sozialen Phobie bei Erwachsenen zukommt. Die Befundlage bei sozial phobischen Kindern ist weniger eindeutig. Auf der Verhaltensebene kommt es zu Vermeidungs- oder Fluchttendenzen. Zum Vermeidungsverhalten zählt auch das sogenannte »Sicherheitsverhalten«, das Strategien umfasst, die mit dem Ziel eingesetzt werden, innerhalb der gefürchteten Situation Angst zu verringern oder die soziale Bedrohung abzuwehren. Typische physiologische Reaktionen, die sozial phobische Kinder berichten, sind starkes Herzklopfen, Zittern, Kälteschauer und Schwitzen. Klagen über Bauchschmerzen sind besonders unter jüngeren Kindern häufig. Nach der Anzahl der gefürchteten Situationen werden zwei Arten der Sozialen Phobie unterschieden: die spezifische und die generalisierte Soziale Phobie. Studien lassen vermuten, dass die Mehrzahl der sozial phobischen Kinder an einer generalisierten Sozialen Phobie leiden. Die Soziale Phobie im Kindesalter ist mit einer Punktprävalenzrate von etwa 1 bis 3 Prozent und im Jugend- und frühen Erwachsenenalter mit einer Prävalenz von 5 bis 10 Prozent eine der häufigsten psychischen Störungen. Der Störungsbeginn liegt bei der generalisierten Sozialen Phobie bei etwa 11 bis 13 Jahren. Die Soziale Phobie im Kindes- und Jugendalter kann zu deutlichen Einschränkungen in der sozialen und emotionalen Entwicklung führen. Sie kann eine beträchtliche Einschränkung der Lebensqualität, der schulischen und beruflichen Ausbildung sowie der Erfüllung sozialer Rollenfunktionen mit sich bringen. Sie stellt einen Risikofaktor für die Entwicklung anderer psychischer Störungen wie andere Angststörungen, depressive Störungen, Substanzstörungen und Essstörungen dar.

2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst Der schlimmste Fehler in diesem Leben ist, ständig zu befürchten, dass man einen macht. Elbert Hubbard

Soziale Angst bringt viele Einschränkungen in sozialen Situationen mit sich. Und da die Schule, die einen sehr großen Lebensbereich bei Kindern darstellt, eine Aneinanderkettung sozialer Situationen ist, treten diese Einschränkungen insbesondere in der Schule auf. Einen Platz in der sozialen Gemeinschaft zu finden, der Umgang mit Mitschülern und Autoritätspersonen wie Lehrern, die Pausensituationen u. v. m. konfrontieren das Kind fortwährend mit seinen Ängsten. Im Unterschied zu den strukturierten Abläufen des Schulalltags lässt sich der Freizeitbereich in der Regel viel leichter der sozialen Angst unterordnen. Auch Prüfungsangst als Bewertungsangst lässt 2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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sich als eine soziale Angst definieren. Prüfungsangst erleben die Kinder insbesondere in der Schule. Permanente Anstrengung und Überforderung durch die sozialen Situationen in der Schule oder den fortwährenden Leistungsbewertungen können zu Dauerstress und schließlich Schulangst führen. Weil subklinische soziale Angst weit verbreitet ist, besteht die Gefahr der Bagatellisierung und Verniedlichung einer sozialen Angststörung. Komorbide Störungen – nicht nur Schulangst, sondern zum Beispiel auch alle anderen Angststörungen oder Depressionen – offenbaren sich oftmals stärker, und nicht selten werden nur sie behandelt, während die grundlegende soziale Angststörung übersehen wird. Die soziale Angst kann auf unterschiedlichen Wegen zu einer Schulangst führen. Im Folgenden werden verschiedene Bereiche aufgezeigt, in denen sich aus einer sozialen Angststörung zusätzlich eine Schulangst entwickeln kann.

2.3.1 Persönlichkeitsbereich Beispiel »Das Schlimmste an der Schule waren, glaube ich, meine eigenen Zweifel, die geforderten Leistungen zu bringen. Diese Zweifel hatte ich, obwohl meine Leistungen in allen Jahrgangsstufen überdurchschnittlich gut waren. Aber anstatt daraus Zuversicht zu entwickeln, behielt ich die Überzeugung, unfähig zu sein. Tatsächlich war es sogar umgekehrt: Die Angst, zu versagen, wuchs nach besonders guten Leistungen, denn nun konnte ich viel tiefer fallen. Je mehr mir gut gelungen war, desto stärker nahm die Angst zu, zu versagen. Ich fürchtete, meine Unfähigkeit nicht mehr länger verbergen zu können.« Der erste Schultag ist der Beginn eines langen Weges von Prüfungen und Bewertungen. Die soziale Angststörung ist eine Bewertungsangst. Damit ist ein Schnittpunkt zur Schulangst vorgegeben. Denn die Bewertung von Lernen und Leisten können ebenfalls zentrale Aspekte bei der Schulangst sein. Über die Prüfungsangst ist eine direkte Verbindung zwischen sozialer Angst und Schulangst gegeben. Diese kann durch unrealistische Ambitionen des Kindes sowie durch überhöhte Ansprüche von Eltern oder Lehrern verstärkt oder hervorgerufen werden. Angst und Leistung. Sozial ängstliche Schüler sind durch ihre Furcht in vielen sozialen Situationen angespannt, die Anspannung führt zu Erschöpfung, und Erschöpfung führt zu Leistungsminderung (Toren et al., 2000). Das Yerkes-Dodson-Gesetz (1908) stellt einen Zusammenhang zwischen Leistungsfähigkeit und emotionaler oder physiologischer Aktivierung her. Zwischen beiden Faktoren, der Aktivierung und der Leistungsfähigkeit, besteht ein umgekehrt u-förmiger Zusammenhang. Bei niedriger Aktivierung ist die Leistung gemindert, die Möglichkeiten werden nicht ausgeschöpft. Der Schüler bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Im mittleren Bereich emotionaler Aktivierung kann die Leistung bei einfachen Aufgaben das höchste Ausmaß

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erreichen. Steigt das Erregungsniveau aber über dieses mittlere Niveau, so sinkt die Leistungsfähigkeit wieder ab. Empirisch lässt sich dieses Gesetz jedoch nur für leicht zu bewältigende Aufgaben belegen. Bei anspruchsvollen Aufgaben schränkt schon eine leichte Angst die Leistungsfähigkeit ein (Zeidner, 1998). Hoher Leistungsdruck und hohe Ambitionen können demnach Schulversagen erzeugen. Durch die Angst nehmen aufgabenbezogene Gedanken ab, die stattdessen um das eigene potentielle Versagen kreisen. So bleibt weniger Kapazität für das Lösen der Aufgabe. Insofern bewahrheitet sich das Sprichwort »Angst macht dumm«. Es entsteht ein Teufelskreis: Wenn Anstrengung in der Schule nicht belohnt wird, kann sich das wiederum negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken und zu Schulängsten führen. Angst und Motivation. Auch die unangemessene negativ verzerrte Einordnung von Misserfolgen und Fehlern kann zur Schulangst führen. Hoffnung auf Erfolg sowie Angst vor Misserfolg sind in der Regel treibende Kräfte bei der Aneignung von Wissen. Lob und Anerkennung ist der beste Lohn. Erfolgsmotivierte Menschen schätzen sich als fähiger ein als misserfolgsorientierte Menschen. Ängstliche Menschen interpretieren Misserfolge als eigene Unfähigkeit, Erfolg hingegen als zufallsbedingt. Nichtängstliche Menschen dagegen interpretieren Misserfolg als fremdbedingt und Erfolg als persönliche Leistung. Der Teufelskreis ängstlicher Menschen besteht nach jedem weiteren Misserfolg im zunehmenden Abbau des Selbstwertgefühls, was die Angst verstärkt und damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, auch bei weiteren Leistungsnachweisen zu versagen (Winkel, 1979). Wenn Misserfolg als Versagen gewertet wird, kann sich Versagensangst entwickeln. Aus Angst vor dem Versagen beschließen manche Kinder, überhaupt nichts für die Schule zu tun. Damit können sie den Misserfolg mit ihrer mangelnden Lernbereitschaft rechtfertigen und müssen ihn nicht auf mangelnde Fähigkeiten zurückführen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit den eigenen schulischen Schwächen wird so umgangen. Andere Schüler wiederum versuchen, sich sehr detailliert auf die Prüfungen vorzubereiten, da sie den eigenen Fähigkeiten misstrauen. Gerade für Eltern ist es oftmals schwierig zu verstehen, warum ihr Kind trotz der objektiv guten Schulleistungen Angst vor Prüfungen hat. Die entscheidende Frage ist, wie das Kind seine Erfolge einordnet: Werden sie als Zufall gewertet oder als Folge der übermäßigen Prüfungsvorbereitung statt als Folge der eigenen Fähigkeiten? Bei »vorbereiteten Erfolgen« wissen die Schüler nicht, was sie aus eigenen Stücken leisten können – solche Erfolge führen dann nicht zur Selbstsicherheit. Kinder sollten erkunden, was ihnen Freude macht und wo ihre Stärken liegen. Dies stärkt auch das Selbstwertgefühl. In der Folge trauen sich Kinder mehr zu, wagen, Risiken einzugehen und auch mal zu versagen. Dadurch bewältigen sie schwierige Situationen leichter. Angst und Neugierverhalten. Angst blockiert Neugierverhalten, Neugier ist aber der Motor des Lernens. Umgekehrt gilt: Je weniger Versagens- oder Leistungsangst ein Kind erlebt, desto intensiver ist sein Neugierverhalten und damit seine Bereitschaft, zu lernen (Winkel, 1979). 2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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2.3.2 Soziale Gruppe Kampf um soziale Positionen Beispiel »Das Schlimmste an der Schule war der Kampf um Zugehörigkeit. Schlimm daran war aber nicht die Ausgrenzung, sondern im Gegenteil eine klare und stabile Rollenzuweisung – die des ›Prellbocks‹. Vorzugsweise wurde diese im Sport ausgetragen, aber nicht nur dort. Von niemandem wurde dieses Verhalten sanktioniert, obwohl es deutlich erkennbar war. Virulent spätestens ab dem Moment, als ich meine erste Brille bekam – manchmal führt die Lösung eines Problems unmittelbar zu einem anderen. Das Schlimme daran? Die willkürliche und dadurch unvermeidliche Demütigung durch eine Übermacht; das Versagen der Anpassungsstrategien, die mir damals zur Verfügung standen; Hilf- und Wehrlosigkeit als permanente Alltagserfahrung; Isolation und Misstrauen. Egal, was du machst, aus irgendeiner Ecke kommt immer eine herabwürdigende Überraschung und niemand unterstützt dich. Die nächste Stufe wären vielleicht rücksichtslose Gewaltausbrüche meinerseits gewesen, mit unklarem Ausgang; oder Selbstschädigung. Dazu kam es aber wegen unseres Wegzugs aus der Stadt aufs Land nicht mehr. Und da stand ich dann plötzlich ›bis an die Zähne bewaffnet einer Horde Pazifisten gegenüber‹ und alles wurde anders. Aber das Unbehagen gegenüber Konkurrenz- und Leistungssituationen in größeren Gruppen ist geblieben.« Soziale Angst vor Mitschülern kann in eine Angst vor der Schule münden (SpechtToman, 2007). Bereits in der ersten Klasse bildet sich eine Rangordnung des sozialen Ansehens heraus. Damit steht ein Wettkampf um eine gute soziale Position an. Auf der einen Seite gibt es die »Stars«, die wie ein Magnet auf andere Kinder wirken, und auf der anderen Seite jene Kinder, die am unteren Ende der Beliebtheitsskala stehen. Viele Schulängste von Kindern haben ihren Ausgangspunkt in diesen Positionskämpfen im sozialen Miteinander der ersten Schulzeit. Studien zeigen, dass bis zu 30 Prozent der Schüler Anpassungsprobleme in der Schule zeigt (Boulton et al., 2009). Endet dieser Positionskampf mit Misserfolg, ziehen sich die Schüler oftmals von gemeinsamen sozialen Aktivitäten zurück. Mit dem Rückzug schwindet auch die Chance, einen Freund oder eine Freundin zu finden. Dabei ist in der ersten Schulzeit die Dauer von Freundschaften oft noch recht kurzfristig, ein Wechsel der Freunde dementsprechend häufig und somit bestehen immer wieder neue Möglichkeiten und Chancen für Freundschaften – vorausgesetzt, die Kinder lassen sich auf soziale Nähe ein. Passiert dies nicht, folgen Gefühle der Einsamkeit und Isolation. Diese Gefühle können leicht auf den Leistungsbereich übergreifen (Rushton & Larkin, 2001; Parker & Asher, 1987) und zu einer Angst vor der Schule führen. Nicht immer wird die Angst vor anderen Kindern, ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden, direkt geäußert. Häufig äußert sie sich in Bauch- oder Kopfschmerzen,

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Einschlafproblemen, Verhaltensänderungen u. Ä. Angst vor sozialer Missachtung kann sich auch hinter dem Herumkaspern verstecken. Viele Kinder, die als Klassenclown die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, werden von der Angst getrieben, von niemandem in der Klasse wahrgenommen zu werden und keinen Platz in der Gemeinschaft zu haben. Das auffallende Verhalten ist ein Versuch, wenigstens irgendeinen Platz in der Hierarchie der Gemeinschaft zu erhalten. Behutsames Heranführen an andere Positionen seitens der Lehrerin oder des Lehrers ist ratsam, die an die speziellen Begabungen und Fähigkeiten des Kindes anknüpfen (Specht-Toman, 2007). Der Wunsch nach Zugehörigkeit steckt auch hinter unterschiedlichen Formen, sich Freundschaften zu erkaufen. Diese Bemühungen, sich einen sozialen Platz zu erobern, also dazuzugehören, können sich auch auf schulische Erfolge auswirken, denn Bemühungen um Freundschaften beschäftigen Kinder sehr. Sie können sie so sehr beschäftigen, dass sie nicht mehr genügend Kapazitäten haben, sich auf die Lerninhalte zu konzentrieren. Deshalb sind es oftmals sozial verunsicherte und sozial nicht gut integrierte Schüler, die Schwierigkeiten mit dem Lernstoff haben (Specht-Toman, 2007). Außenseitererfahrungen und Mobbing Beispiel »Das Schlimmste an der Schule waren meine Mitschüler. Ich kann mich erinnern, dass ich mich auch mal auf die Schule gefreut hatte, dass ich stolz war, nun endlich auch in die Schule zu dürfen. Wie schnell diese Freude erlosch. Warum wurde vor allem ich veralbert, gehänselt, ausgegrenzt? Diese Frage habe ich mir nur anfangs gestellt. Ich war schüchtern, etwas übergewichtig, meine Kleidung war unmodisch, meine Leistungen waren schlecht und in Sport war ich eine Niete. Ich begriff, dass ich nichts hatte, womit ich bei den anderen und später auch bei mir selbst punkten konnte. Ich fürchtete jeden Schultag und noch mehr die Pausen. Voller Angst wartete ich während der Unterrichtsstunde auf das Klingelzeichen. Während des Unterrichts kontrollierten Lehrer die Situation. Aber in der Pause konnten meine Mitschüler ungehindert ihre Boshaftigkeit an mir auslassen. Mein Spitzname war »Stinkerin«. Zuerst lachten nur wenige, wenn über mich, meine Kleidung, mein Aussehen Witze gerissen wurden. Dann kamen immer mehr Kommentare über meinen Körpergeruch. Es wurde immer schlimmer. ›Neben der kannst du nicht sitzen, die hat Flöhe.‹ Ich habe mich so geschämt. Wenn einzelne Mitschüler mich akzeptierten, konnten sie das meistens nicht zeigen, sonst gerieten sie selbst unter Druck. Wie konnte ich mich wehren? Meine Gedanken kreisten um Fluchtmöglichkeiten, wo ich mich verstecken konnte, um dem Spott und der Niedertracht zu entgehen. Das war aber kaum möglich. So blieb meistens nur der innere Rückzug: Ich schaltete meinen Blick auf unendlich, versuchte nicht hinzuhören. Mit der Zeit wurde ich wie taub. Ich habe mich tot gestellt und wurde es ein bisschen. Mich sollte nichts mehr berühren. Nachts konnte ich kaum schlafen.

2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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Panik vor dem nächsten Tag ergriff mich. Schließlich blieb ich immer öfter unter einem Vorwand zuhause. Die Erleichterung über einen ›geretteten‹ Tag währte nur kurz, dann kam die Angst vor dem nächsten Schultag. Und gleichzeitig die Angst davor, eines Tages ohne Schulabschluss dazustehen. Meiner Schulzeit weine ich keine Träne nach. Ich habe mit niemanden darüber sprechen können. Vielleicht war das das Schlimmste, ich habe mich so allein gefühlt. Das machte die Angst immer noch größer. Vielleicht hätte es einen Ausweg gegeben, wenn ich mich jemandem anvertraut hätte.«

Mobbing ist die systematische Form der Schikane. Wiederholt und über längere Zeit wird ein Schüler den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler ausgesetzt (Olweus, 2006) und hat kaum die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft aus seiner Situation zu befreien. Während gewöhnliche Konflikte wieder vergehen, wiederholt sich bei Mobbing eine Feindseligkeit mit System und über einen langen Zeitraum. Jungen und Mädchen mobben dabei unterschiedlich: Jungen gehen direkt und aggressiv vor, Mädchen hingegen eher subtil und indirekt (Landesinstitut für Schule und Medien, 2005). Die Angriffe können zum Beispiel Folgendes umfassen: " ausgrenzen " Gerüchte verbreiten " Cybermobbing " nachäffen " Schimpfworte " Spitznamen " nicht zu Wort kommen lassen " hänseln " drohen " herabsetzen " bloßstellen " drangsalieren " Schulmaterial oder Kleidung wegnehmen " erpressen " knuffen " schlagen " sexuell belästigen Mobbing ist ein Prozess, der sich in vier Phasen aufteilen lässt (Landesinstitut für Schule und Medien, 2005). Diese werden im Folgenden erläutert. (1) In der ersten Phase werden einzelne Gemeinheiten und Unverschämtheiten platziert. Wird dieser inszenierte Konflikt von außen nicht beachtet und bearbeitet, kann er sich zu Mobbing weiterentwickeln. Möglich wird Mobbing durch andere, die wegschauen, verharmlosen und als vermeintlich Unbeteiligte schweigen. Niemand schreitet ein.

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(2) In der zweiten Phase wird die psychische Verfassung des Mobbing-Opfers immer schlechter. Es gerät in Verteidigungshaltung, wird immer auffälliger und liefert dadurch mehr Anlässe zum Ausgrenzen und Ärgern. (3) Die dritte Phase ist durch destruktives Handeln gekennzeichnet. Das Opfer gerät in Unterlegenheit, es beginnt zu glauben, was man ihm vorwirft. Aus eigener Kraft kann es sich nicht mehr aus der Situation befreien. Gesundheitliche Schäden lassen sich beobachten: Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Schlafstörungen, allgemeine Störungen des vegetativen Nervensystems. (4) In der vierten Phase wechseln die gemobbten Kinder dann oftmals die Schule. Die Täter haben ihr Ziel, den Ausschluss, erreicht. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Mobbing entsteht, wenn die Achtung dem anderen gegenüber fehlt. Viele Schüler werden drangsaliert, werden zu Opfern von verbalen oder auch körperlichen Angriffen, werden gepeinigt und schikaniert. Nach früheren Studien haben das etwa 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler erlebt (Kochenderfer & Ladd, 1996). Heute gibt es Schulen, an denen sich ein Drittel der Schüler und Schülerinnen schikaniert fühlt, und zwar unabhängig von Geschlecht und Schulart. In einer Studie in Berlin gaben 41 Prozent der Schülerinnen und Schüler an, sich selbst an Schikanen beteiligt zu haben. Diese »kleine Gewalt« ist hinsichtlich ihrer Häufigkeit ein großes Problem (Schubert, 2000). Viele der Schüler werden aber nicht dauerhaft zu Opfern ihrer Mitschüler. Frühere und aktuelle Studien (Boulton & Underwod, 1992; Kasper, 2002) gehen davon aus, dass sich etwa 10 Prozent des Mobbings zu einer dauerhaften Schikane entwickelt. Dabei wird an Gymnasien weniger gemobbt als an anderen Schulen (Kasper, 2002). Besonders häufig ist Mobbing zwischen der sechsten und zehnten Klasse (Hanewinkel & Knaack, 1997). Die Mobber stammen sehr häufig aus der Klasse des Betroffenen (50 %). Opfer von Mobbing kann prinzipiell jeder werden. Es scheint jedoch auch Eigenschaften zu geben, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, Mobbing-Opfer zu werden. Einige Studien zeigen, dass Mobbing-Opfer ängstlicher, sorgenvoller, unsicherer und mutloser sind (Olweus, 1993; Alsaker, 1993). Aus der Sicht der Täter sind MobbingOpfer oftmals Kinder oder Jugendliche, die ängstlich sind, ein geringes Selbstwertgefühl haben, ungeschickt sind, ein auffälliges oder andersartiges Aussehen haben sowie eine geringe Frustrationsgrenze zeigen. Auch auffälliges Rückzugsverhalten und soziale Absonderung können mit Ablehnung und Unbeliebtheit verbunden sein (Stöckli, 1997). Nach Olweus (2006) signalisieren die Mobbing-Opfer, dass sie sich nicht wehren, wenn sie angegriffen würden. In einer Studie an erwachsenen Mobbing-Opfern kommt Premper (2002) zu dem Schluss, dass die Neigung, sich leicht gekränkt und angegriffen zu fühlen, mangelnde soziale Kompetenzen, geringes Selbstvertrauen, ein geringes Selbstwertgefühl und starke Stimmungsschwankungen Risikofaktoren für Mobbing sein können. Weitere Persönlichkeitszüge, die diskutiert werden, sind Kreativität und Unkonventionalität. Verschiedenen Untersuchungen zufolge (z. B. Stöckli, 1999) ist die Position sozial ängstlicher Schüler jedoch im Allgemeinen nicht durch höhere Ablehnung, sondern 2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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eher durch geringere Beachtung gekennzeichnet. Kinder, die sich sozial ängstlich verhalten, werden in der Regel nicht weniger gemocht als andere Kinder. Sind sie gleichzeitig aber ungesellig, werden sie weniger akzeptiert (Stöckli, 1999). Für die Mitschüler sind insbesondere Jungen, die sich selbst als sozial ängstlich bezeichnen, nicht einfach »unauffällig«, sondern unsympathisch. Sozial Ängstliche, die sich nicht zurückziehen, haben demnach gute Chancen, eine unproblematische soziale Stellung zu erlangen. Mobbing ist nicht harmlos (Kochenderfer & Ladd, 1996), sondern kann in eine Posttraumatische Belastungsstörung münden. Gewalttaten, bei der Polizei und Arzt gerufen werden, beginnen zudem auffällig häufig mit der »kleinen Gewalt« des Mobbings. Physische Gewalt Beispiel »Das nächste Mal hau ich ihm in die Fresse« – dem neunjährigen Karl liefen bei diesem Gedanken Tränen über die Wangen. Er wurde schon mehrfach Opfer physischer Gewalt. Mal wurde er bespuckt, beim Hinauslaufen aus der Klasse wurde ihm wie versehentlich ein Bein gestellt, seine Brille zertreten, seine Sporttasche entwendet. Karl rettete sich durch die Flucht in eine Fantasiewelt und ging schließlich überhaupt nicht mehr in die Schule. Gewalt kann in ganz verschiedenen Kontexten stattfinden: in der Schule selbst, in der Sporthalle, im Bus, auf elektronischem Wege. Auch der Schulweg ist für viele Kinder mit Ängsten verbunden. Beispiel »Das Schlimmste an der Schulzeit war keine Schulangst, sondern eine SchulwegAngst. Herumstrolchende Kinderbanden verbrachten ihre Zeit damit, Schüler abzufangen für Prügeleien, Nötigungen oder kleinere Diebstähle. Obwohl ich nie ihr Opfer wurde, war die Angst davor so groß, dass ich voller Anspannung dem Hinund Heimweg entgegen sah.« Physische Gewalt gegenüber einem Schüler liegt dann vor, wenn jemand bewusst und mit Absicht körperlich verletzt wird oder absichtlich eine Sache zerstört, die einem anderen gehört. Die äußeren Folgen kann man sehen und messen. Nach einer Studie von Feltes (2004) hat jeder fünfte Hauptschüler einen anderen Jugendlichen schon mal so brutal verprügelt, dass dieser zum Arzt musste. Zu den Körperverletzungen von Raufunfällen zählen Knochenbrüche, Zahnschäden, Blutergüsse und Schürfwunden. Bei Raub oder räuberischer Erpressung von Geldbörse, Handy, Markenkleidung, Schutzgeld (auch als »Abziehen« bezeichnet) oder räuberischer Erpressung, Bedro-

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hung, Sachbeschädigung und Vandalismus geht es meistens um Macht. Diese Art von Gewalt, bei der die Polizei gerufen wird und ein Arzt einbezogen wird, ist aber deutlich seltener als Mobbing. Als Faktoren, die Aggression in der Schule fördern, werden diskutiert: " lieblose Klassenzimmer und Schulbauten " zu große Klassen " schlechtes Lehrer-Schüler-Verhältnis " Unterrichtsmethoden, Bewertungsmaßstäbe " schulisches Versagen " repressive Erziehung durch die Eltern " Konflikte in der Familie, die mit Gewalt gelöst werden, Verwahrlosung " gewaltbereite Clique " gewaltverherrlichende Filme und Videospiele " gesellschaftliches Problem: Gewalt wird alltäglich und lässt abstumpfen Opfer sind überwiegend Kinder und Jugendliche, die Drohungen ernstnehmen und sich selbst nicht wehren bzw. bei denen nicht damit gerechnet wird, dass Verwandte die Tat rächen. Opfer sind häufig Kinder und Jugendliche, die keiner Clique angehören, weil sie anders sind als andere. Gewalt in der Schule, auf dem Schulweg o. Ä. kann zu Angst führen, nicht nur bei dem Opfer selbst, sondern auch bei jenen, die sich als nächstes Opfer sehen oder die unter dem gewaltbereiten Klima in der Schule oder Schulklasse leiden. Diese Gefühle können auf den Leistungsbereich übergreifen und zu einer Angst vor der Schule (Ladd et al., 1997), insbesondere der Schulpause (Boulton et al., 2009) führen. Kinder mit sozialen Ängsten erleben Ängste vor Anmache, Mobbing, Erpressung oder Gewalt auf dem Schulweg besonders stark. Selbst wenn sie nie betroffen waren, kann die Vorstellung sie so sehr ängstigen, dass sie zu einer Schulangst und Schulvermeidung führen. Kinder und Jugendliche, die Opfer einer Straftat wurden, halten es für wahrscheinlich, erneut Opfer einer ähnlichen Tat zu werden. Diese Vorstellung löst starke Ängste aus (Mansel, 2001). Mit steigender Zahl an Opfererfahrungen nimmt auch die allgemeine Furcht vor Kriminalität zu. Kinder und Jugendliche, die selbst Gewalttaten begingen, haben hingegen ein geringeres Ausmaß an kriminalitätsbezogenen Ängsten.

2.3.3 Schulischer Bereich Beispiel »Das Schlimmste an meiner Schulzeit war mein Deutschlehrer. Ich war sehr schüchtern, meldete mich kaum, sprach, wenn es sich nicht ganz vermeiden ließ, so leise und so wenig wie möglich. Weil ich aber in den schriftlichen Arbeiten sehr gute Leistungen zeigte, wurde mein Verhalten von ihm als Arroganz gesehen. Vor der

2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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Klasse empörte er sich über mein Verhalten und forderte mich auf, mich endlich am Unterricht zu beteiligen. Ich fühlte mich nicht nur bloßgestellt und gedemütigt, sondern auch total unverstanden. Wie gerne hätte ich im Unterricht mitgearbeitet, wenn ich mich nur getraut hätte. Meine Angst vor dem Deutschunterricht wuchs und meine Kehle schnürte sich zu, wenn ich den Lehrer nur sah. Ich hatte den Eindruck, dass ich von Mal zu Mal dümmer wurde. Diese Angst griff allmählich auch auf andere Fächer über. Ich stellte mir vor, wie sich die Lehrer über mich austauschten und mein schüchternes Verhalten abwerteten. Es machte mich regelrecht krank. Mit Bauchschmerzen ging ich jeden Tag zur Schule.«

Reaktionen des Lehrers. Normalerweise wird die erste Lehrerin/der erste Lehrer sehr von den Schülern gemocht. Für die Lehrerin oder den Lehrer sind sie bereit, sich neuen Regeln unterzuordnen. Basis ist, dass dem Kind Wertschätzung entgegengebracht wird. Sozial ängstliche Kinder sind zwar »angenehme« Schüler, weil sie den Unterricht nicht stören und still mitarbeiten, ohne aufzufallen, aber das Ideal eines guten Schülers sieht anders aus. Sozial ängstliche Kinder beteiligen sich häufig nur dann, wenn es unbedingt sein muss und bieten so immer wieder Anlass zur Kritik. Wird diese Kritik mit Herabsetzung und Demütigung verbunden, so kann das zur Entwicklung von Schulangst beitragen, Versagensängste auslösen oder verstärken. Kränkendes Verhalten vor der Klasse und Herabsetzung führen zu einem Klima, das Schulangst auslösen kann, statt Schutz zu bieten. Nicht übersehen werden darf, dass die Aufgaben, die ein Lehrer zu erfüllen hat, vielfältig sind: Er sollte " seiner Vorbildfunktion gerecht werden, " Gerechtigkeit zeigen, etwa in der Leistungsmessung und den Bewertungsrichtlinien, " für eine transparente Stoffvermittlung und klare Aufgabenstellungen sorgen, " durchsetzungsfähig sein, ohne autoritär zu wirken, " bei den Sorgen und Nöten der Schüler zuhören, " die Mitarbeit im Unterricht unterstützen und " der Elternmitarbeit positiv gegenüberstehen. All das sind Faktoren, die einer Verunsicherung entgegenwirken könnten. Mit ihnen kann ein Umfeld geschaffen werden, in dem Lernen Freude machen kann. Und ein Klima, in dem sich die Kinder wohl fühlen, ist die beste Voraussetzung für Lernerfolge. Unterrichtsstil. Ein weiterer Bereich betrifft den Unterrichtsstil des Lehrers und der Schule. Specht-Toman (2007) kommt zu der Schlussfolgerung, dass gerade im ersten Schuljahr ein autoritärer, stofforientierter und stark am Wettbewerb ausgerichteter Umgang mit den Kindern eher problematisch für deren soziale Entwicklung und für das Entstehen eines Wir-Gefühls in der Gruppe ist, weil dadurch bei sensiblen und weniger durchsetzungsstarken Kindern deren Leistungsbiografie gefährdet wird. Es hängt von der Art und Weise des Unterrichts ab, ob jüngere Kinder die emotionalen,

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2 Empirische Grundlagen

sozialen und geistigen Herausforderungen, die ein Schulanfang mit sich bringt, bewältigen können. Leistungskontrollen. Ein weiterer Faktor für die Entstehung von Schulangst ist die Form der Leistungskontrollen. Eine Leistungsbeurteilung soll Rückmeldung über das Lernverhalten geben. Es bestehen ganz deutliche Zusammenhänge zwischen Note, Selbstwertgefühl und sozialer Rangordnung, was ursächlich für den empfundenen Druck auf Seiten der Schüler sein kann. Insbesondere in der westlichen Gesellschaft besteht eine hohe Wertschätzung von Leistung. Die Gründe für schlechte Leistungen können sehr unterschiedlich sein. Es muss unterschieden werden, ob eine permanente Überforderung besteht oder es sich lediglich um einen »Durchhänger« handelt, bei dem andere Dinge in der Entwicklungsphase des Schülers im Vordergrund stehen. Immer muss abgeklärt werden, ob schlechte Leistungen Folge von allgemeiner Überforderung, Teilleistungsschwäche, Einschränkungen im Sehen oder Hören, einschneidenden Erlebnissen, die zu einem Leistungsabfall führen, wie Scheidung, Tod u. v. m. sind. Permanente Überforderung wird auch durch eine dem Kind nicht angemessene Schulform erzeugt. Jeder zweite Schüler fühlt sich zu einer Schulform gedrängt, deren Niveau er als zu hoch empfindet (nach einer Befragung im Sekundarstufenalter: 49 % sind unsicher, ob sie das Schulziel erreichen werden, 35 % fürchten ein Sitzenbleiben, 24 % sehen ihre Leistungen unterhalb der elterlichen Erwartungen, Stöckli, 2007). Korrelationen zwischen Leistungsfähigkeit und sozialer Angst sind schwach, falls überhaupt vorhanden (Stöckli, 2007). Primäres Kennzeichen bei sozial ängstlichen Kindern ist nicht eine reale schlechtere Leistungsbewertung, sondern die Unterschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit. Eine besondere Bedeutung kommt bei sozial ängstlichen Kindern dem Sportunterricht zu. Schüchternheit und Freude am Sport sind schwierig zu vereinbaren – zu diesem Schluss kommt Stöckli (2007). Beobachten lässt sich, dass sozial ängstliche Schüler im Sportunterricht überwiegend abseits stehen, ihre Teilnahme an Spielen und Übungen erscheint vielfach lustlos. Dabei ist gerade der Sportunterricht ganz wesentlich, um spielerisch durch soziale Interaktionen soziale Kompetenz zu vermitteln und Anerkennung von Peers zu erlangen.

2.3.4 Familiärer Bereich Beispiel »Ich selbst habe lange Jahre unter starker sozialer Angst gelitten. Meinem Kind möchte ich diese Erfahrungen gerne ersparen. Wenn ich aber merke, wie sich alles in mir zusammenzieht, wenn meine Tochter mir von einer schlechten Note berichtet oder wenn ich sehe, mit welcher Geschwindigkeit sie sich von den Hausaufgaben davonmachen will, glaube ich, dass mein Vorsatz scheitern wird. Die Angst vor der Bewertung schwelt immer noch in mir.«

2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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Reaktionen der Eltern können die Entwicklung von Schulangst bei sozial ängstlichen Kindern verstärken. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Eltern selbst unter sozialen Ängsten leiden. Mangelnde Vorbildfunktion. Ängste der Eltern vor dem Urteil durch andere, insbesondere von Autoritätspersonen wie Lehrern, führen nicht selten dazu, dass sie auch von ihrem Kind fordern, alles perfekt zu machen, dass sie Leistungsdruck aufbauen, um schulisches Versagen zu vermeiden. Die Kinder reagieren oftmals mit dem Wunsch, es den Eltern recht zu machen, ihnen eine Freude zu machen und versuchen, die Anforderungen zu erfüllen. Zeitgleich erlernen sie ein Unbehagen gegenüber diesen sozialen Situationen. Denn die Eltern zeigen dem Kind in ihrer Funktion als Vorbild, dass Bewertungsängste das Leben bestimmen (können). Hilfreicher ist ein Vorbild, das die Angst kennt und weiß, wie man sie überwindet. Überbehütung. Wenn das Kind in die Schule kommt, werden bei den Eltern auch Erinnerungen an die eigene Schulzeit wachgerufen. Bilder und Gefühle tauchen auf, darunter vielleicht so manches, was man seinem eigenen Kind gerne ersparen möchte. Insbesondere wenn die Eltern selbst ängstlich waren oder sind, ist der Impuls, dem Kind Ängste zu ersparen, sehr stark. Dieses Bemühen kann beim Kind zu Schwierigkeiten bei der Überwindung von Ängsten führen. Denn statt Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes zu setzen, damit es seine Probleme selbst lösen kann, wird die Sorge vermittelt, dass das Kind die Situation nicht allein bewältigen kann. Auch wenn Unterstützung beim Umgang mit schwierigen sozialen Situationen erforderlich sein sollte, zum Beispiel durch ein Gespräch mit den Lehrern, ist es wichtig, dass das Kind spürt, dass die Erwachsenen den selbstständigen Umgang mit seiner Angst fordern und es ihm zutrauen. Negative Rückmeldungen oder Strafen aufgrund schlechter Leistungen. Bei Abwertung des Kindes oder gar Strafen für schlechte Leistungen kann sich eine Angst vor den Reaktionen der Eltern entwickeln. Das Kind lernt, dass die Liebe der Eltern eine bedingte Liebe ist: »Wir lieben dich, wenn deine Schulleistungen uns keine Schande machen«. Auch die Sorge, dass bei Nichterreichen des Schulziels der angestrebte Status in der Gesellschaft nicht erreichbar ist, kann dahinter stehen. Eltern sehen durch die Bewertungen der Lehrer manchmal auch sich selbst und ihr eigenes Verhalten auf dem Prüfstand. Auch Eltern, die das Feindbild »Lehrer« aufbauen, unterstützen ihr Kind damit nicht. Sie machen es dem Kind vielmehr schwerer, eine gute Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer aufzubauen, und nehmen ihm damit eine wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Lernverhalten. Ein wichtiger Schritt besteht dann darin, zu lernen, das Kind auch anderen Menschen anzuvertrauen. Manchmal müssen Kinder elterliche Vorstellungen von Leistung und Erfolg als Stellvertreter erfüllen. Die Vorstellungen der Eltern orientieren sich dabei nicht selten weniger an den tatsächlichen Verhältnissen als an eigenen Wünschen. Das Kind erhält in Folge unabhängig von schulischen Leistungen zu wenig Wertschätzung dafür, dass es ist, wie es ist, etwa für kreative Beschäftigungen oder Spiele. Das Erbringen von Leistung in der Schule muss erlernt werden und sollte von den Erwachsenen mit Geduld unterstützt werden. Die Eltern müssen lernen, das individuelle Tempo eines

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2 Empirische Grundlagen

jeden Kindes zu achten und Rückschritte oder auch einen Stillstand bei den Leistungen zu akzeptieren. Ängstliche Eltern, die mit einem »Gut« in der Grundschule die berufliche Laufbahn ihrer Kinder gefährdet sehen, müssen mehr Gelassenheit lernen.

2.3.5 Zusammenfassung Der Risikofaktor »soziale Angst« kann auf unterschiedliche Weise zu einer Schulangst führen. Zum einen sind Persönlichkeitsvariablen von Bedeutung. Sozial ängstliche Schüler sind angespannt, denn die Furcht in vielen sozialen Situationen führt zu Erschöpfung, und Erschöpfung führt zu Leistungsminderung. Auch die unangemessene, negativ verzerrte Einordnung von Misserfolgen und Fehlern kann zur Schulangst führen. Ängstliche Menschen interpretieren Misserfolge als eigene Unfähigkeit, Erfolg hingegen als Zufall, was zu einem zunehmenden Abbau des Selbstwertgefühls und damit zu einer Verstärkung der Angst führen kann. Hoher Leistungsdruck und hohe Ambitionen können Schulversagen und Schulangst erzeugen. Und Angst blockiert Neugierverhalten. Wenn aber die Neugier als Motor des Lernens fehlt, ist auch das Lernen eingeschränkt. Ein weiterer Wirkbereich des Risikofaktors »soziale Angst« bezieht sich auf die soziale Gruppe. Soziale Angst vor Mitschülern kann in eine Angst vor der Schule münden, denn bereits in der ersten Klasse steht ein Wettkampf um eine gute soziale Position an. Viele Schulängste von Kindern lassen sich auf diese ersten Positionskämpfe im sozialen Miteinander zurückführen. Schulangst aufgrund von Mobbing in der Schule betrifft ebenfalls nicht selten sozial ängstliche Schüler. Studien zeigen, dass Mobbing-Opfer ängstlicher, sorgenvoller, unsicherer und mutloser sind. Opfer physischer Gewalt sind überwiegend Kinder und Jugendliche, die Drohungen ernstnehmen und sich selbst nicht wehren bzw. bei denen nicht damit gerechnet wird, dass Verwandte die Tat rächen, die keiner Clique angehören, weil sie anders sind als andere. Ein dritter Wirkbereich ist im schulischen Umfeld zu sehen. Reaktionen der Lehrer können zu Schulangst führen. Sozial ängstliche Kinder beteiligen sich meistens kaum am Unterricht, sprechen leise, übernehmen Referate nur, wenn es unbedingt sein muss und bieten so immer wieder Anlass zu Kritik durch Lehrer. Wird diese Kritik mit Herabsetzung und Demütigung verbunden, so kann das zur Entwicklung von Schulangst beitragen. Ein weiterer Bereich betrifft den Unterrichtsstil des Lehrers und der Schule. Ein autoritärer, stofforientierter und stark am Wettbewerb ausgerichteter Umgang mit den Kindern ist eher problematisch, weil dadurch bei sensiblen und weniger durchsetzungsstarken Kindern deren Leistungsbiografie gefährdet wird. Ein weiterer Faktor für die Entstehung von Schulangst ist die Form der Leistungskontrollen. Primäres Kennzeichen bei sozial ängstlichen Kindern ist die Unterschätzung ihrer eigenen Leistungsfähigkeit.

2.3 Soziale Angst als Risikofaktor für Schulangst

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Reaktionen der Eltern können die Entwicklung von Schulangst bei sozial ängstlichen Kindern verstärken. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Eltern selbst unter sozialen Ängsten leiden.

2.4 Schulverweigerung Ob du glaubst, du kannst es, oder es nicht glaubst – du hast Recht. Henry Ford

Beispiel »Meine Angst vor der Schule hatte viele Gesichter. Angst schlummerte schon immer in mir, aber mit dem Beginn der Schule bestimmte sie mein Leben. Am Morgen begegnete sie mir meistens als schleichende Angst, der nichts entging, zumindest nichts, was Angst machen konnte. Alles stöberte sie auf. »Habe ich alle Hausaufgaben erledigt? Habe ich nichts vergessen? Komme ich rechtzeitig zur Schule? Wird der Schulweg schwierig?« Zur schleichenden Angst gesellte sich mit zunehmender Nähe zum Schulgelände eine bohrende Angst: »Wirst du heute vorlesen müssen? Du hast schon sehr lange nichts mehr vorgelesen. Werden Vokabeln abgefragt? Wird ein unangekündigter Test geschrieben?« Wenn ich eine der Fragen nicht sofort zu beantworten wusste, begann die Angst an mir zu nagen. Sie ließ mich nun lange Zeit nicht mehr los. Wenn ich in einer Schulstunde tatsächlich aufgerufen wurde, machte die nagende einer lähmenden Angst Platz. Meine Gedanken steckten fest. Ich fühlte mich hilflos, versuchte zu antworten, konnte aber auch im Nachhinein nicht einschätzen, ob meine Antwort zur Frage gepasst hat oder nicht. Bei Klassenarbeiten schoss dann eine panische Angst in mir hoch. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. »Ich kann das nicht, ich schaff das nicht, ich hab das Falsche gelernt, ich kann gar nichts.« Wie benebelt versuchte ich, die Anweisungen zu verstehen. Hektisch vor Angst versuchte ich, alle Aufgaben gleichzeitig zu lösen. Mein Schriftbild war vor Anspannung so zittrig, dass es fast unleserlich war. Nach so einer Stunde war ich total erschöpft, ich fühlte mich wie taub. Zuhause blieb von all dem eine nachklingende Angst, obwohl ich mich hier in Sicherheit fühlte. An guten Tagen schlummerte die Angst nachmittags sogar manchmal, aber ich kannte sie zu gut, und blieb auf der Hut. Angst über Jahre hinweg zu erleben, tagein, tagaus, wird zu einer fressenden Angst. Dieser Angst hielt ich nicht mehr stand und begann schließlich, die Schule zu verweigern. Ich fühlte mich krank und war viele Monate nicht in der Lage, zur Schule zu gehen, bis ich eine Therapie begann. Viel, viel später erst habe ich ein weiteres Gesicht meiner Angst entdeckt: die hilfreiche Angst, die mich stark machen kann, wenn ich sie überwinde. Es hat lange gedauert, aber heute kann ich meiner Angst in ihre Gesichter lachen.«

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2 Empirische Grundlagen

2.4.1 Begriffswirrwarr Mindestens 5 Prozent aller Schüler besuchen die Schule unregelmäßig oder verweigern sie komplett (vgl. Jans & Warnke, 2004). Kearney und Silverman (1996) definieren Schulverweigerung als die vom Kind ausgehende Weigerung, die Schule zu besuchen oder sein Unvermögen, einen Schultag durchzustehen. Das Nichterscheinen in der Schule wird auch als Schulvermeidung oder Schulabsentismus bezeichnet. Es handelt sich jedoch nicht um eine diagnostische Entität, ihr liegen vielfältige Ursachen zugrunde, die unterschieden werden müssen. " Zum einen kann eine Schulverweigerung auf ein dissoziales Schuleschwänzen zurückgeführt werden. Beim Schuleschwänzen bleiben die Kinder der Schule ohne Wissen der Eltern fern. " Außerdem kann eine Schulverweigerung Folge einer Trennungsangst sein, die – verwirrenderweise – dann auch als Schulphobie bezeichnet wird. " Der Begriff der Schulangst wird umgangssprachlich als Oberbegriff für Ängste mit Bezug auf die Schule verwendet. Darunter fallen sowohl Ängste vor sozialen Situationen in der Schule als auch vor den schulischen Leistungsanforderungen. In der Psychodiagnostik wird jedoch zwischen beiden Ängsten unterschieden, die »Schulangst« im engeren Sinne wird von der »Prüfungsangst« abgegrenzt, die sich auf schulische Leistungssituationen bezieht. Ein Nichterscheinen in der Schule kann ohne Wissen der Eltern erfolgen (dissoziales Schuleschwänzen) oder aber mit Wissen der Eltern (nicht dissoziale Schulverweigerung). Die Störungsbilder der »Schulphobie«, »Schulangst« und »Prüfungsangst« werden unter dem Begriff der »nicht dissozialen Schulverweigerung« zusammengefasst. Im angloamerikanischen Sprachraum wird der Begriff »school refusal« verwendet. Daneben gibt es noch den Begriff »school phobia«, der als Oberbegriff für Störungsbilder verwendet wird, bei denen die Kinder mit Wissen der Eltern von der Schule fern bleiben. Es wird deutlich, dass eine möglichst genaue Differenzierung der Ursachen einer Schulvermeidung von besonderer Wichtigkeit ist. Je nach Ursache ist auch das therapeutische und pädagogische Verhalten unterschiedlich (s. Kap. 5).

2.4.2 Schuleschwänzen Beispiel Als Kevin in die Schule kam, war seine Schulakte schon angefüllt mit Berichten über störendes Verhalten im Kindergarten. Sogar ein temporärer Ausschluss war durchgesetzt worden. Dabei erschien er mit seiner eher kleinen und schmächtigen Gestalt und seinem charmanten Lächeln diesen Berichten zu widersprechen. Aber

2.4 Schulverweigerung

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Kevin konnte seine Wut nur schwer kontrollieren. Es genügte eine kleine Stichelei und er begann eine gewalttätige Auseinandersetzung. Mehrfach verschwanden Wertgegenstände aus der Klasse und fanden sich bei Kevin. Um den Mitschülern zu imponieren, erzählte er blutrünstige Taten seines mehrfach vorbestraften Vaters und zunehmend von sich selbst. Hausaufgaben wurden vernachlässigt, auch wenn er im Unterricht gut mitkam. Damit handelte er sich viele Tadel ein. Immer wieder fehlte Kevin. Zunächst nur für einen, dann für mehrere Tage. Dabei wurde er über die Einkaufsstraße schlendernd gesehen. Am nächsten Schultag berichtete er von heldenhaften gewalttätigen Auseinandersetzungen, die er erlebt hätte. Seine Eltern wussten von seinem Schuleschwänzen nichts. Dem Schuleschwänzen liegt keine Angst oder andere emotionale Belastung zugrunde, sondern eine Schulunlust oder Disziplinlosigkeit. Der Schulalltag wird als lästig erlebt und zugunsten anderer Aktivitäten oder aus anderen Gründen, wie Spielsucht oder Drogenkonsum, vermieden (Jans & Warnke, 2004). Hauptkriterium des dissozialen Schuleschwänzens ist das Fernbleiben vom Schulunterricht ohne Wissen der Eltern. Schulunlust kann sich zum Beispiel durch Zuspätkommen, Fehlen zu bestimmten Unterrichtsstunden, erschwindelte Entschuldigungen oder Unterschriftenfälschung zeigen. Provokationen im Unterricht, die ein Klima der Konfrontation erzeugen, sodass der Lehrer intervenieren muss, sind ebenfalls symptomatisch. Vorübergehende Schulunlust und gelegentliches Schwänzen einzelner Unterrichtsfächer zeigt sich häufig im Entwicklungsprozess von Jugendlichen, die Grenzen austesten. Massives Schulschwänzen hingegen ist Ausdruck von sozialen oder psychischen Problemen, deren Bewältigung dem Schüler alleine nicht mehr gelingt (Wolke, 2008). Schuleschwänzen als schwerwiegender Regelverstoß kann im Rahmen einer sogenannten »Störung des Sozialverhaltens« auftreten. In der Folge können die Schulausbildung und damit der Übergang ins Erwerbsleben gefährdet werden. In kriminalpräventiver Hinsicht erhöht sich die Gefahr zum abweichenden Verhalten. Das Fernbleiben von der Schule schafft Gelegenheitsstrukturen für delinquentes Verhalten. Ungefähr ein Drittel der Schüler, die die Schulpflicht verletzten, zeigen gelegentlich kriminelles Verhalten (Wolke, 2008). Beratung der Eltern ist meist nur begrenzt erfolgversprechend. Die Schule bzw. die schulpsychologischen Dienste sollten insbesondere bei chronifizierter Symptomatik frühzeitig das Jugendamt einschalten. Eine große Bedeutung kommt der Gestaltung kooperativer zwischenmenschlicher Beziehungen zu. Gerade für diese Schüler ist eine Schule wichtig, die einen Lebensraum darstellt, in der neben dem Lernstoff auch die Bewältigung von sozialen und alltäglichen Problemen vermittelt wird und in der sich die Schüler angenommen fühlen (Schreiber-Kittl & Schröpfer, 2002).

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2 Empirische Grundlagen

2.4.3 Trennungsangst bzw. Schulphobie Beispiel Klaus ist gerade eingeschult worden. Nach seiner Einschulung hat die Mutter begonnen, ganztags zu arbeiten und ihn deswegen auch gleich im Hort angemeldet, der zur Schule gehört. Vor der Schule hat Klaus keinen Kindergarten besucht, sondern war zuhause bei seiner Mutter gewesen. Wenn er nun morgens in die Schule sollte, klagte er über Bauchschmerzen und Übelkeit, wodurch die Mutter oft gezwungen war, sich zuhause um ihn zu kümmern. Wenn sie ihn im Auto zur Schule fuhr und ihn dort absetzen wollte, klammerte er sich an ihr oder dem Auto fest und wollte nicht weg. An den Tagen, an denen Klaus in der Schule war, arbeitete er im Unterricht nicht mit, sondern weinte sehr viel. Klaus konnte keine sozialen Kontakte in der Schule knüpfen. Tanja besuchte die 6. Klasse und schlief im Schlafzimmer der Eltern. Die Eltern waren sich in ihrem Erziehungsverhalten uneinig. Während der Vater das Übernachten im elterlichen Schlafzimmer auf keinen Fall dulden wollte, war die Mutter nachgiebig. Diese unterschiedlichen Positionen führten zu vielen Streitsituationen zwischen den Eltern. Tanja entwickelte ausgeprägte Wutanfälle, bei denen sie dann um sich schlug und gelegentlich Gegenstände beschädigte. Die Mutter versuchte sie zu beruhigen. In der Nacht schlich Tanja oft in das Bett der Mutter, ohne dass der Vater es merkte. Am Morgen litt sie unter starken Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, sodass sie die Schule nicht besuchen konnte. Auch während der Schulzeit fühlte sie sich oftmals matt und elend. Untersuchungen ergaben keine Hinweise auf eine körperliche Ursache. Der Begriff der Trennungsangst steht sowohl für eine normale Entwicklungsangst eines Kleinkindes als auch für ein abweichendes Verhalten von Kindern ab dem Vorschulalter (vgl. Schneider & In-Albon, 2004). Liegt einer Schulverweigerung eine Trennungsangst zugrunde, wird unglücklicherweise häufig von »Schulphobie« gesprochen. Es handelt sich jedoch um eine Störung mit Trennungsangst. Diese Störung mit Trennungsangst lässt sich als eine starke, über einen langen Zeitraum anhaltende Angst vor einer dauerhaften Trennung von wichtigen Bezugspersonen definieren. Trennungen von diesen wichtigen Bezugspersonen werden nur unter starker Angst ertragen oder aber vermieden (Schneider & In-Albon, 2004). Kinder mit einer Trennungsangst zeigen eine übermäßig starke Angst in Erwartung oder als Reaktion auf eine Trennung von den Eltern oder anderen engen Bezugspersonen. Die Befürchtung, die dieser Angst zugrunde liegt, ist, dass den Eltern oder ihnen selbst etwas Schlimmes zustoßen könnte, das sie dauerhaft voneinander trennen würde. Sie vermeiden es häufig, abends alleine einzuschlafen, alleine zuhause zu bleiben oder bei Freunden oder Verwandten zu übernachten. Etwa zwei Drittel der 2.4 Schulverweigerung

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Kinder mit einer Trennungsangst verweigern den Schulbesuch. Kann die Trennung nicht vermieden werden, zeigen sie häufig eine gereizte, aggressive oder auch apathische Stimmung. Das Kind kann schreien, toben, um sich schlagen oder weinen, um eine Trennung zu verhindern. Somatische Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen machen häufig zunächst eine medizinische Untersuchung notwendig. Die körperlichen Symptome lassen jedoch in der Regel nach, wenn das Kind nicht in die Schule geschickt wird (Schneider & In-Albon, 2004). Die Störung mit Trennungsangst zeigt mit etwa 8 Jahren einen vergleichsweise frühen Beginn. Sie tritt vorwiegend bei Kindern vor der Pubertät auf (Compton et al., 2000). Kinder mit einer Trennungsangst entwickeln im Erwachsenenalter häufig eine Panikstörung und/oder Agoraphobie (Schneider & Nündel, 2002). Die Trennungsangst ist vor allem kurz nach der Einschulung die häufigste Ursache für Schulverweigerung. Außerdem ist die Trennungsangst zusammen mit anderen Faktoren beim Übergang zu anderen Schultypen häufig zu beobachten. Ein dritter Häufigkeitsgipfel tritt in der Adoleszenz auf (Ihle et al., 2003).

2.5 Schulangst Beispiel Ein Lehrer berichtet: »Wenn einem übergewichtigen Schüler im Sportunterricht Freude an der Bewegung vermittelt werden soll, so wird das nicht durch Übungen erreicht, bei denen jedem klar ist, dass er die nicht schaffen kann. Wenn Freude an der Bewegung vermittelt werden soll, dann dürfen nicht Scham und Frustration die Gefühle sein, die mit dem Sportunterricht verbunden werden. Wenn die Sportmannschaften noch immer dadurch gebildet werden, dass der Reihe nach zunächst die sportlichsten und dann die unsportlichsten Schüler aufgerufen werden, dann wird das Schwänzen des Sportunterrichts zum Selbstschutz.« Schulangst bezeichnet verschiedene Ängste. Das Erleben von Bedrohung wird dabei durch Faktoren ausgelöst, die direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Schule stehen (Schröder, 1980). Sie betreffen z. B. die Angst vor Schulversagen oder der Bewertung durch andere, die Angst vor Mitschülern (insbesondere gehänselt oder verprügelt zu werden) und die Angst vor einem oder mehreren Lehrern (Schmidt & Esser, 1985). Beim Phänomen der Schulangst sind viele Einflussvariablen zu berücksichtigen (Hurrelmann, 1977; Winkel, 1979): Dazu zählen soziokulturelle Bedingungen, die zum Beispiel Einfluss auf das Bildungssystem nehmen (s. Kap. 5), die Familienstruktur mit einer großen Fülle an Einfluss nehmenden Variablen wie Leistungsdruck, Wertevermittlung, Umgang mit Misserfolgen sowie die Schulstruktur mit Schülerselektion, Prüfungs- und Strafvorgehen. Diese Variablen wirken sich auf die Interaktionsprozesse in der Schule zwischen Lehrern und Schülern, den Schülern untereinander und

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den Lehrern untereinander aus. Außerdem ist die Persönlichkeitsstruktur des Schülers relevant, zum Beispiel seine Intelligenz, Motivation, Frustrationstoleranz, Kritikfähigkeit, sein Temperament und Durchsetzungsvermögen. Zwischen allen möglichen Variablen bestehen außerdem unverkennbare Wechselwirkungen. Untergruppen der Schulangst. Schulangst lässt sich je nach Ursache verschiedenen Untergruppen zuordnen. In der Regel liegt nicht nur eine einzelne Ursache vor, stattdessen trifft gleichzeitig vieles zusammen und bewirkt die Schulangst eines Kindes. Eine wesentliche Ursache ist der zunehmende Leistungsdruck. Leistungsdruck besteht heute oftmals schon in der Grundschule, insbesondere in der dritten und vierten Klasse, wenn die Noten die weitere Schullaufbahn bestimmen. Er manifestiert sich aber auch im Zusammenspiel mit den elterlichen Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen hinsichtlich des Bildungsziels für ihr Kind zu sehen. Nicht zuletzt für die Therapie ist es bedeutsam, sich anzusehen, welche Gefahren und Bedrohungen in der Schule im Einzelnen das Kind schulängstlich machen. Winkel (1979, S. 477) unterscheidet bei den akuten und chronischen Bedrohungen, die von Schülern erlebt werden: (1) Schullaufbahnangst: Angst vor schlechten Noten, vor Sitzenbleiben und dem Schulversagen (2) Lern- und Leistungsangst: Angst, etwas nicht lernen oder leisten zu können, nicht zu begreifen, überfordert zu sein (3) Stigmatisierungsangst: Angst, vor dem Lehrer oder den Mitschülern bloßgestellt zu werden, sich lächerlich zu machen, Prestige zu verlieren, als »dumm«, »faul« oder »schlecht« zu gelten (4) Strafangst: Angst vor Liebesentzug, Tadel, Strafen, Ungerechtigkeiten, Repressalien (5) Personenangst: Angst vor bestimmten Personen, z. B. vor dem Rektor, einem Lehrer, einem Mitschüler oder einer Clique, vor Nichtanerkennung (6) Konfliktangst: Angst vor bestimmten Konflikten, etwa sich auflehnen zu wollen (7) Institutionsangst: Angst vor der Schule als Institution, deren Größe und Unüberschaubarkeit Schulangst auch bei Lehrern? Für Lehrer könnte man als Pendant dazu ebenso viele Angstformen auflisten (Winkel, 1979): Angst vor den Kindern und möglichem Chaos, Angst vor den Eltern, Angst vor der Kritik der Kollegen (die mit Argusaugen den Lehrer betrachten, der einen fortschrittlichen Unterricht macht und sich dann über die Unruhe bei der Gruppenarbeit beschweren), Versagensangst, Angst mit Erziehungsschwierigkeiten nicht fertig zu werden, Angst, Fehler zu machen, den Stoff nicht zu beherrschen, unter Zeitdruck zu stehen, überfordert zu sein. Der Lehrer geht nicht mit Objekten um, sondern mit quirligen, schulunlustigen oder schwierigen Schülern, »die heute anders sind als gestern und morgen nicht dieselben wie heute« (Winkel, 1979, S. 482). Seine Leistung ist nicht quantifizierbar, ablesbar und planbar. Er geht mit Personen um, mit ihren Krisen, Rückfällen, neuen Versuchen, während von ihm Routine und Erfolg erwartet wird. Dem Ideal nach ist der erfolgreiche Lehrer tüchtig, gerecht, streng, ruhig, geschickt. Er tritt auf mit Würde, 2.5 Schulangst

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Überlegenheit, Unbestechlichkeit und Autorität. Lehrer haben keine Angst zu haben. Die meisten Lehrer möchten nicht schreien, toben und schlechte Zensuren erteilen, sondern suchen Schüler, die freiwillig lernen, sich human verhalten. Sie erleben den egoistischen, um Noten buhlenden und unruhigen Schüler, die desinteressierte Klasse, den gehetzten Schulalltag, die kriegerische Auseinandersetzung mit Lernprozessen (Winkel, 1979, S. 483).

2.5.1 Symptomatik und Symptomentwicklung Woran erkennt man, ob ein Kind unter Schulängsten leidet? Die Symptome können bei jedem schulängstlichen Kind sehr unterschiedlich aussehen. Auch bei den Schulängsten lassen sich wie bei den anderen Angststörungen typische Gedanken, Emotionen, körperliche Reaktionen und Verhaltensweisen erkennen. Die Symptome treten am Abend vor der Schule, in der Nacht, am Morgen oder während der Schulzeit auf. Typisch ist, dass sie verschwinden oder zumindest nachlassen, wenn das Kind aus der Schule kommt oder es nicht zur Schule gehen muss. Gedanken Beispiel Jasmin kam oft verzweifelt von der Schule nach Hause. Sie fragte sich immer wieder, warum anderen so leicht fiel, was ihr große Probleme bereitete. Bei jedem Zettel, den die Lehrer austeilten, fragte sie sich, ob der Lehrer eine demütigende Bemerkung fallen lassen würde, wenn er ihre Ergebnisse sah. Sie dachte daran, die Aufgaben nicht in der vorgegebenen Zeit zu schaffen und sich nicht korrekt an den Lösungsweg erinnern zu können und wurde panisch, wenn sie die Mitschüler schon eifrig schreiben sah, während sie noch nachdachte. Am schlimmsten war es, wenn der Lehrer hinter ihr stehen blieb, um über ihrer Schulter zuzusehen, wie sie arbeitete. Gedanken wie »Ich bin einfach zu langsam, warum versteh ich das nicht, das kann doch so schwer nicht sein, bin ich blöd, das wird so nie was, gleich macht er wieder eine seiner gemeinen Bemerkungen« huschten ihr durch den Kopf, während sie versuchte, die Lösung zu finden. Je nachdem, was in der Schule als Bedrohung erlebt wird, variieren bei der Schulangst die Angstgedanken. Klassische Gedanken bei der Schulangst sind Versagensängste, zu denen »Ich kann nichts, ich bin nichts, aus mir wird nie etwas« zählen. Unangemessene Schlussfolgerungen (zum Beispiel »Wenn ich heute schon wieder nichts in Mathe verstehe, dann werde ich es nie verstehen«) oder Katastrophengedanken (»Wenn ich heute schon wieder nichts in Mathe verstehe, dann werde ich sitzenbleiben und nie einen guten Ausbildungsplatz bekommen«) sind typisch für Schulangst. Die Schule wird als übermäßig wichtig eingeschätzt. Eine typische Strategie schulängstlicher Schüler besteht darin, sich gedanklich Mut zu machen: »Ich sage mir, die Schule ist

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2 Empirische Grundlagen

ja gar nicht so wichtig und mache mir klar, dass es anderen auch so geht.« Oder: »Ich versuche, die Angst klein zu denken, sage mir, Hauptsache, ich bin gesund.« – Solche Gedanken sind aber nur dann hilfreich, wenn der Schüler sie auch glauben kann, weil er sie für plausibel hält. Andernfalls bleiben sie wirkungslos. Emotionen Beispiel Bis sie zum Gymnasium wechselte, war Jasmin ein unbekümmertes und fröhliches Kind gewesen. Danach wirkte sie oft müde, abgeschlafft und bedrückt. Blass und still sahen die Eltern sie in die Schule gehen, blass und still kehrte sie zurück. Sie mochte nicht viel erzählen. Ihre Gedanken kreisten um die Schule, die strengen und ungerechten Lehrer und die Boshaftigkeit ihrer Mitschüler. Jasmin weinte nicht, sie zog sich in den hintersten Winkel ihrer Seele zurück und ließ die Tage einfach über sich ergehen. Schulängstliche Kinder machen häufig einen bekümmerten und bedrückten Eindruck. Innerlich sind sie unruhig. Die Schule nervt sie nicht, sondern belastet sie und macht ihnen Angst. Es sind starke Ängste bis hin zu panischen Reaktionen, die beschrieben werden. Depressive Stimmungen, Gereiztheit und Niedergeschlagenheit lassen sich beobachten. Verhaltensweisen Beispiel Claudia überstand den für sie belastenden Schultag durch Tagträumereien. Ihr Blick begann dann abzuschweifen, sie verließ das Hier und Jetzt und träumte sich in eine Zukunft, die sie weniger belastete, die sie ganz neue Fähigkeiten entdecken ließ. Sie sah sich als erfolgreiche Kinderbuchautorin, die begeisterten Kindern aus ihrem Buch vorlas, als Tierärztin, die eine besondere Gabe hatte, Tiere zu heilen und zu beruhigen, oder als Pianistin, die von Konzert zu Konzert reiste. Sie reiste in Gedanken in eine Zukunft, die nicht von Angst und Furcht geprägt war, sondern in der sie mutig ihren Weg ging. Schüler zeigen ihre Schulängste in unterschiedlicher Weise. Viele reagieren auf Schulangst mit Flucht und Vermeidung, indem sie den Schulbesuch verweigern. Aber auch wenn die schulängstlichen Schüler (noch) die Schule aufsuchen, lassen sich vermeidende Verhaltensweisen beobachten: Es kann sich in Tagträumen, Trödeln, Zuspätkommen oder Rückzugsverhalten zeigen, ebenso wie in wiederholten Äußerungen, nicht zur Schule gehen zu wollen, dann schließlich aber doch zu gehen. Andere schulängstliche Schüler neigen wiederum eher zu aggressiven Verhaltensweisen: sie 2.5 Schulangst

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schimpfen, meckern, motzen und sind bockig. Darüber hinaus können sie aber auch beginnen, den Unterricht zu stören. Auftretendes aggressives Verhalten muss nicht gegen andere gerichtet sein, es kann auch als autoaggressives Verhalten auftreten, zum Beispiel in Form von Nägelbeißen oder dem Ausrupfen von Haaren. Auch die Rolle des Pausenclowns kann im Zusammenhang mit einer Schulangst stehen, also die Rolle, die Klasse durch übermäßig störendes oder auffallendes Verhalten zu unterhalten und nach Aufmerksamkeit zu suchen. Eltern beobachten bei ihren schulängstlichen Kindern oftmals Appetitlosigkeit und Schlafstörungen. Auf dem Weg zur Schule, aber nicht nur dort, »bummeln« diese Kinder übermäßig. Eltern schildern, dass ihre Kinder zuhause nicht spontan von der Schule erzählen, lieber krank als gesund sind und erst in den Ferien wieder richtig aufleben würden. Lehrer beklagen bei schulängstlichen Schülern häufig, dass sie sich nicht am Unterricht beteiligen. Sie erleben sie als kontaktarm und zurückgezogen. Wenn im Unterricht ihr Name fällt, erröten sie häufiger als andere Kinder. Physiologische Reaktionen Beispiel Jasmin schlief während der Schulzeit schlecht. Es dauerte Stunden, bis sie abends endlich in den Schlaf fiel. Gerade wenn am nächsten Tag Physik auf dem Stundenplan stand, kam sie kaum zur Ruhe. Die Sorge, am nächsten Morgen nicht ausreichend leistungsfähig zu sein und die physikalischen Zusammenhänge noch weniger zu verstehen als ohnehin schon, beunruhigte sie so stark, dass sie sich noch öfter von einer auf die andere Seite wälzte. Die Angst vor den demütigenden oder ironischen Kommentaren ihres Physiklehrers machte sich breit. Wenn sie endlich einschlief, plagten sie Träume über Physikarbeiten, die sie nicht ausreichend oder gar nicht vorbereitet hatte, und Physikstunden, in denen die Klasse sich auf ihre Kosten amüsierte. Bereits früh am Morgen wurde sie wieder wach und fühlte sich wie gerädert. Schule kann krank machen. Viele Schüler mit Schulangst leiden unter plötzlich auftretenden Bauch- und Kopfschmerzen. Einige berichten Schwindel oder Übelkeit. Überwiegend sind es körperliche Beschwerden, die durch den Stress, den die Schulangst auslöst, entstehen. Auch Puls-, Herz- und Atemfrequenzerhöhung zählen dazu, sowie kalter Schweiß und Zittern bis hin zum Kontrollverlust über die Schließmuskulatur. Weitere Symptome, teilweise auch länger anhaltend, sind Müdigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Weitere typische Merkmale Weitere typische Merkmale, die im Rahmen einer Schulangst auftreten können, sind Konzentrationsstörungen oder Störungen wie das Einnässen und Tics.

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2 Empirische Grundlagen

2.5.2 Komorbidität und Differentialdiagnose Komorbidität Schulangst tritt im Allgemeinen verstärkt im Zusammenhang mit schulischen Anforderungen auf. Sie lässt sich häufig komorbid bei Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen des Sprechens und der Sprache, Lese- und Rechtschreibstörungen sowie Dyskalkulie diagnostizieren, depressive Störungen finden sich sehr häufig. Dabei gehen die Angststörungen den depressiven Störungen häufig voraus. Differentialdiagnose Auch Kinder mit einer Generalisierten Angststörung können den Schulbesuch verweigern, wenn sie sich um ihre Schulleistungen Sorgen machen. Normalerweise wollen sie jedoch unbedingt pünktlich in der Schule erscheinen, auch weil sie sehr stark befürchten, wichtige Stunden zu verpassen oder den Lehrer zu verärgern. Epidemiologie Zum Ausmaß von Schulangst werden unterschiedliche Aussagen gemacht: Von etwa 5 bis 8 Prozent berichten Bernstein et al. (2001). Bei weiter gefassten Definitionen gelangen die Studien zu höheren Zahlen. Das Ausmaß schulischer Ängste ist in den vergangenen Jahren weiter angestiegen, wie verschiedene Studien zeigen (Meringkangas et al., 2010). Verantwortlich dafür sind u. a. der zunehmende Leistungsdruck und Mobbing. Außerdem besuchen sehr viele Kinder verglichen mit ihrer Leistungsfähigkeit eine zu anspruchsvolle Schule.

2.5.3 Verlauf und Prognose Beispiel Emilie begann, den Schulbesuch zu vermeiden, nachdem sie sie zwei Wochen lang wegen einer Lungenentzündung nicht besucht hatte. Schon immer hatte sie sich in ihrer Klasse unwohl gefühlt und immer nur von Ferien zu Ferien gelebt. Während ihrer Erkrankungszeit wuchs ihre Schulangst und sie fühlte sich nicht mehr in der Lage, die Schule aufzusuchen. Die Eltern tolerierten zunächst das Fernbleiben, da sie es als Reaktion auf die Schwächung durch die körperliche Erkrankung ansahen. Doch Emilie zog sich immer mehr zurück. Die Schule wurde aufmerksam und ermutigte die Eltern, eine Psychotherapie mit ihrer Tochter zu beginnen. Auslösende Faktoren einer Schulangst sind oftmals: Schul- oder Klassenwechsel " Schulferien oder längeres Fehlen in der Schule (z. B. krankheitsbedingt) " Trennungserfahrungen " Verlusterlebnisse "

2.5 Schulangst

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schwere Erkrankungen von Angehörigen Todesfälle Eine Studie der TU Dresden, die im Auftrag der WHO durchgeführt wurde, zeigte, dass Schulangst sehr häufig durch zu hohe Erwartungen des Elternhauses an die Kinder ausgelöst wird. Der Leistungsdruck in der Schule nimmt zu: Viele unterschiedliche Fächer, Arbeiten und Noten, lange Schultage, arbeitsintensive Hausaufgaben, Druck, eine gute weiterführende Schule zu besuchen, können zur Überforderungssituation beitragen und Schulangst auslösen. Bei anderen Schülern sind es wiederum überwiegend soziale Ängste, die das Wesen ihrer Schulangst ausmachen. Einige der Beschwerden, unter denen schulängstliche Kinder und Jugendliche leiden, entstehen durch den akuten Stress, den die Schulangst auslöst. Der Vorwurf, sich das Unwohlsein nur einzubilden, verschlimmert in der Regel die Lage des Kindes. Es gewinnt den Eindruck, im Stich gelassen zu werden. Doch auch wenn die Eltern das Kind zu Hause lassen, verschärft sich die Problematik, der Schulbesuch wird noch schwieriger. Meistens lassen die Beschwerden bereits am späten Vormittag wieder nach, wenn das Kind den als Gefahr wahrgenommenen Schulgang abgewendet hat bzw. wenn das Kind aus der Schule nachhause kommt. Je jünger die Kinder bei Therapiebeginn sind, umso besser ist die Prognose (Lehmkuhl, 2003). Bei drei Viertel aller ehemaligen schulverweigernden Kinder finden sich später psychische Störungen, wie z. B. Somatisierungsstörungen. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie weiterhin eine erhöhte Selbstunsicherheit aufweisen, unter mangelnder Autonomie leiden und sozial weniger integriert sind. Zu den Folgeproblemen der Schulangst zählen Schulvermeidung und dadurch bedingte Leistungs- sowie sozial-emotionale Probleme (Kearney, 2001; SchreiberKittl, Schröpfer, 2002). Auch bestehen erhöhte Risiken, die Schule abzubrechen (Epstein & Sheldon, 2002) oder psychische Probleme in der Adoleszenz (Buitelaar et al., 1994) ebenso wie im Erwachsenenalter (McCune & Hynes, 2005) zu entwickeln. Die Eltern beginnen, an ihrer eigenen Fähigkeit zu zweifeln, die Rückkehr ihres Kindes zur Schule zu erreichen (King et al., 1995). Konflikte sind in diesen Familien vorprogrammiert (Kearney & Bensaheb, 2006).

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2.5.4 Zusammenfassung »Schulangst« bezeichnet verschiedene Ängste, die diagnostisch zu den spezifischen Phobien gezählt werden. Schulangst wird dabei durch Faktoren ausgelöst, die direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Schule stehen. Sie betreffen z. B. die Angst vor Schulversagen oder der Bewertung durch andere, die Angst vor Mitschülern (insbesondere gehänselt oder verprügelt zu werden) und die Angst vor einem oder mehreren Lehrern. Die Merkmale sind individuell sehr unterschiedlich. Je nachdem, was in der Schule als Bedrohung erlebt wird, variieren bei der Schulangst die Angstgedanken. Klassische Gedanken bei der Schulangst sind Versagensängste, unangemessene Schlussfolgerun-

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gen oder Katastrophengedanken. Die Schule wird als übermäßig wichtig eingeschätzt. Schulängste sind starke Ängste, die bis hin zu panischen Reaktionen reichen können. Depressive Stimmungen, Gereiztheit und Niedergeschlagenheit lassen sich beobachten. Schulängste äußern sich auf unterschiedliche Weise: Verweigerung des Schulbesuchs, Tagträumen, Trödeln, Zuspätkommen oder Rückzugsverhalten oder auch aggressive oder autoaggressive Verhaltensweisen. Viele Schüler mit Schulangst leiden unter plötzlich auftretenden Bauch- und Kopfschmerzen. Einige berichten Schwindel oder Übelkeit. Überwiegend entstehen solche körperlichen Beschwerden durch den Stress, den die Schulangst auslöst. Schulangst tritt komorbid bei Entwicklungsstörungen der motorischen Funktionen des Sprechens und der Sprache, Lese- und Rechtschreibstörungen sowie Dyskalkulie auf. Schulangst wird im Allgemeinen verstärkt im Zusammenhang mit schulischen Anforderungen festgestellt. Geschätzt wird, dass etwa 5 bis 8 Prozent aller Schüler an einer starken Schulangst leiden.

2.6 Prüfungsangst Beispiel »Bei einer Klassenarbeit geht dann nichts mehr: Blackout. Es ist, als breite sich ein dicker Nebel im Kopf aus. Kann sein, dass ich Bruchstücke vom Gelernten noch finde, aber die Aufgaben lösen kann ich nicht.« Beispiel einer Angsthierarchie Betroffene können den Belastungsgrad ihrer angstbesetzten Situationen normalerweise gut quantifizieren, sodass sich diese in Form einer sogenannten Angsthierarchie anordnen lassen. Ein Beispiel: 10 – schriftliche Klassenarbeiten 9 – mündliches Abfragen 8 – Referat vor der Klasse halten 6 – im Unterricht Fragen beantworten (0 würde »keine Angst« bedeuten, 10 bedeutet »sehr starke Angst«) Untergruppen Nach Zeidner (1998) lassen sich sechs Subtypen von Prüfungsangst unterscheiden. Diese Einteilung kann für die Therapie von Prüfungsängstlichen hilfreich sein, empirisch ist sie jedoch nicht begründet. Zeidner unterscheidet Prüfungsangst durch: (1) Mangel an Lernfertigkeiten, die zu geringer Wissensaufnahme oder geringem Wissensabruf führen. (2) Angstblockaden, die vorhandenes Wissen nicht oder nur begrenzt abrufen lassen. (3) Resignation, bei der geringe Lernfertigkeiten, Erfahrungen von Versagen und Antizipation von Misserfolg zu Ängsten und Sorgen führen. (4) Misserfolgsvermeidung, bei der ausgeprägte bis exzessive Prüfungsvorbereitungen zur Kompensation antizipierten Misserfolgs eingesetzt werden. 2.6 Prüfungsangst

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(5) Boykott, bei dem die Prüfungsangst als Erklärung und Selbstschutz für Versagen herangezogen wird. (6) Dysfunktionale Perfektion, bei der Unzufriedenheit mit eigenen Leistungen aufgrund sehr hoher eigener Standards entsteht.

2.6.1 Symptomatik und Symptomentwicklung Prüfungsangst ist eine weit verbreitete Angst, unter der sich fast jeder etwas vorstellen kann. Prüfungsangst ist jedoch keine definierte Störungskategorie. In der Literatur liegt keine einheitliche und verbindliche operationale Definition der Prüfungsangst vor. Für die Prüfungsangst werden in der Literatur verschiedene Begriffe verwendet, neben »Prüfungsangst« existieren die Begriffe »Leistungsangst« oder der vom englischen Sprachgebrauch abgeleitete Begriff »Testangst« (englisch »test anxiety«). In diesem Buch verwenden wir durchgängig den Begriff der Prüfungsangst. In den Klassifikationssystemen DSM-IV (Saß et al., 2003) und ICD-10 (Dilling & Freyberger, 2006) ist die Prüfungsangst nicht als eigene diagnostische Kategorie aufgeführt. Beide Klassifikationssysteme erwähnen Prüfungsängste an unterschiedlichen Stellen: Im DSM-IV werden sie bei der Sozialen Phobie erwähnt (DSM-IV: 300.23). Prüfungsangst kann jedoch auch als spezifische Phobie klassifiziert werden, so wie es vom ICD-10 nahegelegt wird (ICD-10: F40.2), oder einer Generalisierten Angststörung zugeordnet werden. In Anlehnung an Fehm und Fydrich (2011, S. 7) verstehen wir hier unter Prüfungsangst eine »anhaltende und deutlich spürbare Angst in Prüfungssituationen und/oder während der Zeit der Prüfungsvorbereitung, die den Bedingungen der Prüfungsvorbereitung und der Prüfung selbst nicht angemessen ist. Die Angst äußert sich auf den Ebenen Verhalten, Emotion, Kognition und Physiologie«. Klinisch relevante Prüfungsängste liegen vor, wenn die Ängste das alltägliche Leben und/oder das schulische Weiterkommen deutlich beeinträchtigen. Woran erkennt man, ob ein Kind prüfungsängstlich ist und Behandlungsbedarf besteht? Von der Bewältigung von Prüfungen kann viel abhängen, so ist verständlich, dass sie als sehr bedeutsam bewertet werden. Außerdem ist eine Prüfungssituation durch ein Machtgefälle zwischen Prüfer und Prüfling gekennzeichnet, eine Angstreaktion erscheint naheliegend und situationsadäquat. Wenn auf Prüfungssituationen jedoch mit einem Übermaß an selbstwertbedrohlichen Befürchtungen und Sorgen sowie starker physiologischer Erregung und mentaler Desorganisiertheit reagiert wird, handelt es sich um eine pathologische Prüfungsangst (Sarason, 1986). Prüfungsangst umfasst viele Komponenten, dazu zählen Aufgeregtheit, Besorgtheit, mangelnde Zuversicht, Ablenkung von der zu bewältigenden Aufgabe und Konzentrationsstörung (Federer, 2004). Sie äußert sich auf kognitiver, emotionaler, physiologischer und Verhaltensebene. Die Symptomatik kann sehr unterschiedlich aussehen.

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Gedanken Beispiel In Gedanken versuchte Anne sich vor einer Klassenarbeit den Lernstoff abzufragen, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich alles konnte, was für die Arbeit notwendig war. Doch je näher sie rückte, desto fahriger wurde sie. Immer hektischer ging sie in Gedanken den zu lernenden Stoff durch, immer öfter vergaß sie die Lösungen. Dann ging sie scharf mit sich ins Gericht, verurteilte ihre mangelnde Intelligenz und ihre Vorbereitung des Lernstoffs. Drei Gedanken wechselten sich in der Folge ab: »Ich konnte das noch nie«, »Ich kann es auch jetzt nicht« und »Ich werde es nie können«. Prüfungsängstliche Schüler sorgen sich häufig bereits lange vor der anstehenden Prüfung. Dabei neigen sie oftmals zu pessimistischen Annahmen, beispielsweise die Prüfung nicht zu bestehen oder sich zu blamieren. Im Mittelpunkt des Denkens steht aber weniger die Prüfungssituation an sich als die gedankliche Vorstellung von einem drohenden Misserfolg. Die Gedanken können sich zum Beispiel auf negative Aspekte oder Folgen der Situation richten, z. B. schwere Prüfungsfragen, das Scheitern als Beweis für die eigene Unfähigkeit, die Enttäuschung wichtiger Bezugspersonen, der Zweifel an der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit, Angst vor Denkblockaden und Versagenskognitionen. Neben Katastrophengedanken und Grübeln kann auch eine Gedankenleere kennzeichnend bei einer Prüfungsangst sein. Sehr häufig wird von einer Denkblockade berichtet, einem »Blackout«, bei der insbesondere kreative Problemlösungen oder Transferleistungen unmöglich sind, während auswendig Gelerntes in der Regel auch unter einer Denkblockade noch abgerufen werden kann. Emotionen Beispiel Anne beschrieb ihre Gefühle vor Klassenarbeiten als grau und trüb. Anfangs hätte sie sehr unter panikartigen Gefühlsausbrüchen gelitten, später wichen sie einem Gefühl der Taubheit. Bei den Emotionen sind starke Ängste bis hin zu panischen Reaktionen kennzeichnend. Eine innere Unruhe, Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bis hin zur Depression können auftreten. Die Stimmung ist besorgt und bedrückt, oftmals lassen sich Gereiztheit und Niedergeschlagenheit beobachten, ebenso wie Versagensund Minderwertigkeitsgefühle.

2.6 Prüfungsangst

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Verhaltensweisen Beispiel Anne versuchte vor Klassenarbeiten nicht hinzuhören, was ihre Mitschüler besprachen. Das hätte ihre Panik nur verstärkt. Wenn alle über den Lernstoff diskutierten, spekulierten, welche Fragen vom Lehrer gestellt werden könnten, hielt Anne sich abseits. Sie wirkte äußerlich ganz ruhig und konzentriert, innerlich war sie aber damit beschäftigt, ihre Panik im Zaum zu halten. Sie fühlte sich wie benommen, eine gute Klassenarbeit zu schreiben, traute sie ihrem Kopf nicht mehr zu. Stärker im Mittelpunkt der Klasse stand eine ihrer Klassenkameradinnen, die vor den Klassenarbeiten häufig in Tränen ausbrach und anfänglich viel Fürsorge erhielt, später aber vor allem Spott erntete. Auch während der Klassenarbeit hörte man entsetzte Ausrufe, Schniefen und Stöhnen von ihr. Auch die zu beobachtenden Verhaltensauffälligkeiten fallen individuell sehr unterschiedlich aus. Die Kinder sind »anders als sonst«. Sie zeigen in der Regel eine erhöhte mentale und körperliche Anspannung. Es zeigen sich klassische Stresssymptome, dazu zählen Konzentrationsmangel, motorische Unruhe, Verhaltensstörungen, psychosomatische Beschwerden, Unlust, Antriebslosigkeit und erhöhte Schreckhaftigkeit. Bei vielen prüfungsängstlichen Kindern ist das Ein- und Durchschlafen gestört, sie haben einen leichten und unruhigen Schlaf, wachen bei den kleinsten Geräuschen auf, leiden unter Albträumen, sodass sie den nächsten Morgen unausgeschlafen beginnen. Daneben treten Probleme mit der Prüfungsvorbereitung auf. Bereits im Vorfeld kann es zu Lernschwierigkeiten oder Vermeidungsverhalten bei der Prüfungsvorbereitung kommen. Das Lernen wird vor sich hergeschoben, die Schüler lassen sich leicht ablenken, beginnen zu spät mit dem Lernen. Auch ungünstige Strategien bei der Prüfungsvorbereitung und beim Lernen lassen sich erkennen. Das kann die Organisation von Wissen betreffen, kann sich aber auch als exzessives Lernen äußern, das sich im Detail verliert. In der Prüfungssituation selbst treten Probleme durch eine beeinträchtigte Leistungsfähigkeit, durch Aufmerksamkeits- und Wahrnehmungsfehler und durch Denkblockaden auf. In mündlichen Prüfungen können Stottern und Sprechhemmungen hinzukommen. Physiologische Reaktionen Beispiel Anne litt vor Klassenarbeiten regelmäßig unter Durchfällen. Sie war regelrecht krank vor Angst. Der Durchfall hielt sie davon ab, den Prüfungsstoff zum 99. Mal in Gedanken zu wiederholen. Sie fühlte sich schwach und zittrig und befürchtete jedes Mal, deswegen die Klassenarbeit nachschreiben zu müssen.

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Nicht weniger unterschiedlich sind die physiologischen Reaktionsmuster. Dabei lassen sich keine eindeutigen physiologischen Muster erkennen. Es handelt sich um sympathische und parasympathische Aktivierungsreaktionen, die sich durch körperliche Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall am Morgen des Prüfungstages, Kopfschmerzen, starkes Herzklopfen, starke Muskelanspannung, Schweißausbrüche, Zittern, Harndrang, Schlaf- und Konzentrationsstörungen bemerkbar machen. Körperliche Schwächegefühle werden durch Beschreibungen wie »weiche Knie«, »flaues Gefühl im Magen«, »Kloß im Hals« verdeutlicht. Eine Konstriktion der Blutgefäße kann zu Blutleere in Händen und Beinen und damit zu kalten Händen und Füßen führen. Lustlosigkeit, Müdigkeit und Schwindel werden ebenso wie sensorische Wahrnehmungsstörungen berichtet. So wird vielfach von prüfungsängstlichen Schülern berichtet, dass sie während der Prüfungssituation die Stimme des Lehrers nur noch ganz entfernt hören können. Je jünger die Kinder sind, umso unspezifischer sind in der Regel die physiologischen Begleitsymptome. Weitere typische Merkmale Beispiel Anne kaute vor Nervosität und Anspannung an ihren Nägeln, die kaum noch vorhanden waren. Die abgekauten Fingernägel verunsicherten sie noch mehr, da sie häufig darauf angesprochen wurde und sich schämte. Als weitere mögliche Merkmale werden selbststimulierende Reaktionen wie Nägelbeißen oder an der Lippe nagen sowie das Sprechen mit leiser Stimme genannt.

2.6.2 Komorbidität und Differentialdiagnose Komorbidität Spezifische Daten zur Komorbidität mit anderen psychischen Störungen fehlen weitgehend, da Prüfungsangst nicht als eigene diagnostische Kategorie klassifiziert wird (Fehm & Fydrich, 2011). Es lässt sich aber beobachten, dass eine hohe Komorbidität mit anderen Angststörungen sowie mit depressiven Störungen besteht. Differentialdiagnose Die Generalisierte Angststörung ist durch intensive, übermäßige und anhaltende Sorgen und furchtsame Erwartungen gekennzeichnet. Die Schule nimmt im Leben von Kindern einen wichtigen Platz ein und ist somit auch ein häufiges Thema solcher Sorgen. Um Schulnoten, Hausaufgaben, Pünktlichkeit kreisen viele Befürchtungen. Bei der Generalisierten Angststörung sind Symptome wie dauernde Anspannung, Muskel-, Kopf- und Bauchschmerzen Kennzeichen, nicht jedoch massive Angst oder ein Angstanfall wie bei der Prüfungsangst. 2.6 Prüfungsangst

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Die Soziale Phobie ist durch eine anhaltende Angst vor Leistungssituationen oder Bewertungen durch andere Personen gekennzeichnet. Prüfungsangst kann also ein Symptom einer generalisierten Sozialen Phobie sein oder aber als spezifische Soziale Phobie diagnostiziert werden. Eine Prüfungsangst muss nicht mit anderen sozialen Ängsten einhergehen, sondern kann sich sehr spezifisch nur auf die schulische Prüfungssituation beziehen. Epidemiologie Obwohl Prüfungsängste ein sehr häufiges Problem sind, liegen bislang nur wenige Studien zur Häufigkeit vor. Schwierigkeiten bestehen aufgrund der fehlenden einheitlichen Definition sowie eines geeigneten Messinstrumentes. So wird die Prüfungsangst in epidemiologischen Untersuchungen nicht als solche erfasst. In einer Studie von Suhr und Döpfner (2000) an Schülern im Alter von 8 bis 18 Jahren leiden 20 Prozent häufig unter der Angst, durch eine Prüfung zu fallen, etwa 14 Prozent berichten Angst vor schlechten Noten. Auch frühere Studien stellten starke Prüfungsängste bei 10 bis 15 Prozent der Schüler fest (Lukesch, 1981). Dabei zeigen sich schriftliche Arbeiten als stärker angstbesetzt als mündliches Abfragen. Mathematik wird als das Fach genannt, vor dem sich die meisten Schüler fürchten. Mädchen berichten stärkere Ausprägungen von Prüfungsängsten als Jungen. Der Geschlechtsunterschied ist jedoch etwas weniger stark ausgeprägt als bei anderen Ängsten (Federer et al., 2000).

2.6.3 Verlauf und Prognose Störungsverlauf Beispiel Anne litt bereits seit der dritten Klasse unter Prüfungsangst. Anfangs war sie nur nervös gewesen, wenn Lerninhalte abgefragt oder getestet wurden. Sie wollte die Tests und Abfragen gut bestehen, war sich aber ihrer eigenen Leistungsfähigkeit nicht sicher. Insbesondere im Fach Mathematik schwankte sie sehr hinsichtlich ihrer Selbsteinschätzungen. Schon oft hatte die Mathematiklehrerin bemängelt, dass sie zu langsam arbeiten würde. Anne versuchte, ihr Tempo zu steigern, das ging aber nur auf Kosten der Richtigkeit, die Fehlerzahl stieg. Sie wusste auch, wie wichtig ihren Eltern gute Zeugnisse waren und wollte sie nicht enttäuschen. Der unerwartete Wegzug ihrer besten Freundin verunsicherte Anne sehr stark. Sie vermisste ihre Freundin und zog sich zurück. So fiel es ihr schwer, Kontakt zu anderen Klassenkameradinnen zu bekommen. Die Schulleistungen bekamen noch mehr Gewicht. Zuhause klagte Anne immer häufiger über somatische Beschwerden. Ihre Eltern ließen sie besorgt zu Hause. Doch ärztliche Untersuchungen wiesen auf Angst als Ursache der körperlichen Beschwerden hin. Da die Eltern ihr die Angst nehmen wollten und es nicht aushielten, ihr Kind so stark

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dadurch belastet zu sehen, tolerierten sie es, wenn Anne die Schule nicht besuchte. Atteste der Ärzte taten ein Übriges, um die Prüfungsangst aufrecht zu erhalten. Annes Hoffnung war das Ende der Schulzeit, wenn es keine Prüfungen mehr gäbe. Systematische Studien über den unbehandelten Verlauf von Prüfungsängsten liegen nicht vor. Durch Vermeiden von Prüfungen, Schulabbrüchen u. Ä. »lösen« viele Prüfungsängstliche ihr Problem, mit all den Folgen, die das nach sich ziehen kann. Studien an Sozialphobikern zeigen, dass sie unabhängig von Intelligenz und Bildung niedriger qualifizierte berufliche Positionen einnehmen (Bruch et al., 2003). Höher qualifizierte Positionen sind in viel stärkerem Ausmaß mit sozial anspruchsvollen Situationen verbunden und so in viel stärkerem Ausmaß angstauslösend. Bei Prüfungsängstlichen kann man von ähnlichen Entwicklungen ausgehen, da sie auf Abschlüsse häufiger verzichten und somit nur geringer qualifizierte Positionen einnehmen können (Fehm & Fydrich, 2011). Eine ganz bestimmte Frage zum Verlauf drängt sich vielen Eltern von prüfungsängstlichen Schülern immer wieder auf: Warum stellt sich keine Prüfungsroutine ein, egal wie viele Prüfungen man absolviert? Warum gewöhnen sich die Kinder nicht mit der Zeit an die Prüfungen? Ursache für die Prüfungsangst ist nicht die Prüfungssituation an sich, sondern die gedankliche Vorausbewertung der Prüfung und damit die gedankliche Vorwegnahme eines möglichen Misserfolgs. Diese Bewertungen verändern sich nicht durch das wiederholte Absolvieren von Prüfungen. Leidet ein Kind unter Prüfungsängsten, können sich zwei Wirkrichtungen zeigen (Krohne & Hock, 1994): (1) Hohe Prüfungsangst verringert die Leistungsfähigkeit. (2) Geringe Leistungsfähigkeit erhöht die Prüfungsangst. Die Entstehung und der Verlauf von Prüfungsangst sind von vielen Komponenten abhängig, die wechselseitig in Beziehung stehen (Spielberger & Vagg, 1995). Zum einen sind sie von Persönlichkeitsvariablen abhängig. Besteht eine Disposition zur Ängstlichkeit, liegen Defizite bei denjenigen Lernfertigkeiten vor, die Konzentrationsfähigkeit und Arbeitsverhalten beeinträchtigen. Werden eigene Fertigkeiten als zu gering eingeschätzt, so wirkt sich das steigernd auf die Prüfungsangst aus, sodass eine Prüfungssituation von Beginn an als bedrohlich eingeschätzt wird. Teilleistungsschwächen, eine generelle Überforderung oder aber ein zu hoher eigener Leistungsstandard können zur Prüfungsangst führen. Die Prüfungssituation selbst kann auch zur Prüfungsangst beitragen. Wenn es nur wenige Tests gibt, sodass jede einzelne Arbeit ein starkes Gewicht bekommt, wenn Tests oder Prüfungen nicht rechtzeitig angekündigt werden oder aber der Unterrichtsstoff nur mangelhaft bekannt gegeben oder eingegrenzt wird, werden Prüfungsängste geschürt. Prüfungsängste werden außerdem durch Angst vor den Reaktionen von Lehrern oder Mitschülern verstärkt, wie negative oder demütigende Rückmeldungen oder aber Hänseleien. 2.6 Prüfungsangst

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Auch das familiäre Umfeld kann Prüfungsängste verstärken. Zu hohe Erwartungen der Eltern können Befürchtungen des Kindes wachrufen, dass es bei Nicht-Erfüllung dieser Erwartungen die Elternliebe verliert. Nicht ob das Kind glücklich ist, steht im Vordergrund, sondern die schulische und berufliche Ausbildung, die Angst der Eltern, dass ihr Kind durch schulisches Versagen den angestrebten Status in der Gesellschaft nicht erreicht. Sehr stark ängstliche Eltern können diese Sorgen bereits entwickeln, wenn das Kind mit einem »Gut« von der Grundschule nach Hause kommt. Frühere Prüfungsangst der Eltern kann ebenso dazu beitragen, dass sich die Prüfungsangst des Kindes verstärkt. Negative Rückmeldungen oder Strafen aufgrund schlechter Leistungen sowie starke Geschwisterrivalität (können sich durch Äußerungen wie »für deinen Bruder/Schwester ist das kein Problem« bemerkbar machen) tragen ebenfalls nicht zur Entspannung der Situation bei. Wird die Prüfungssituation als bedrohlich empfunden, kommt es umso stärker zu dysfunktionalen kognitiven und emotionalen Reaktionen, die die Leistung in der Prüfung und/oder die Prüfungsvorbereitung einschränken. Je häufiger negative Vorerfahrungen mit Prüfungen vorliegen, desto stärker werden Sorgen und Ängste.

2.6.4 Zusammenfassung »Prüfungsangst« ist keine definierte Störungskategorie, es liegt keine einheitliche und verbindliche operationale Definition der Prüfungsangst vor. Sie kann nach den Diagnosesystemen von DSM-IV oder ICD-10 im Rahmen einer Sozialen Phobie, einer spezifischen Phobie oder aber einer Generalisierten Angststörung klassifiziert werden. Sie ist eine dauerhafte, starke und unangemessene Angst in Prüfungssituationen oder der Prüfungsvorbereitung, die das alltägliche Leben und/oder das schulische Weiterkommen deutlich beeinträchtigt. Die Merkmale sind individuell sehr unterschiedlich. Typisch sind gedankliche Vorstellungen von einem drohenden Misserfolg. Neben Versagens- und Katastrophengedanken können Denkblockaden und Gedankenleere auftreten. Bei den Emotionen sind starke Ängste bis hin zu panischen Reaktionen kennzeichnend. Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Verzweiflung lassen sich häufig beobachten. Prüfungsängstliche Schüler zeigen in der Regel eine erhöhte mentale und körperliche Anspannung. Daneben treten Probleme mit der Prüfungsvorbereitung auf. Forschungsbefunde zur Psychophysiologie lassen keine eindeutigen Reaktionsmuster erkennen. Bislang liegen nur wenige Studien zur Häufigkeit von Prüfungsangst vor. Geschätzt wird, dass etwas 10 bis 15 Prozent der Schüler an einer starken Angst vor Prüfungen leiden. Dabei zeigen sich schriftliche Arbeiten als stärker angstbesetzt als mündliche Abfragen. Mathematik wird als das Fach genannt, vor dem sich am meisten Schüler fürchten. Der Geschlechtsunterschied (mehr Mädchen berichten von Prüfungsängsten) ist etwas weniger stark ausgeprägt als bei anderen Ängsten. Systematische Studien über den unbehandelten Verlauf von Prüfungsängsten liegen nicht vor.

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2 Empirische Grundlagen

2.7 Soziale Angst als Risikofaktor für weitere psychische Störungen Die soziale Angst ist nicht nur ein Risikofaktor für die Entwicklung von Schulangst. Sie ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend als schwerwiegendes Problem erkannt worden, weil sie einen Risikofaktor für die Entwicklung verschiedener anderer psychischer Störungen darstellen kann. Die soziale Angst kann zu einer deutlichen Funktionsbeeinträchtigung und Lebenseinschränkung führen, da soziale Situationen gemieden oder nur unter starker Anspannung bewältigt werden. Die Symptome und das Vermeidungsverhalten können eine starke emotionale Belastung bewirken. Auf die möglichen schulischen Beeinträchtigungen wurde bereits eingegangen. Folgen können eine beeinträchtigte Lebensführung und eine eingeschränkte Bewältigung sozialer Entwicklungsaufgaben sein. Diese Beeinträchtigungen bilden häufig die Basis für die Entwicklung von komorbiden Störungen oder Folgestörungen. Andere Angststörungen Eine soziale Angststörung im Jugendalter stellt ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für eine weitere Angststörung im Erwachsenenalter dar (Pine et al., 1998). Allerdings unterliegen Angststörungen auch den gleichen Risikofaktoren, sodass noch andere sich überschneidende Einflüsse außer der Belastung durch die soziale Angst berücksichtigt werden müssen. Studien sprechen zum einen für eine familiäre Häufung von Angststörungen (z. B. Last et al., 1987; 1991; Turner et al., 1987; Lieb et al., 2000). Biologische Risikofaktoren spielen eine Rolle, etwa eine erniedrigte Erregungsschwelle des limbischen Systems mit einer möglichen Beteiligung von Amygdala und Hypothalamus (Kagan, 1994) oder eine potenzierte Schreckreaktion (Grillon et al., 1997, 1998), die Kinder von Eltern mit Angststörungen zeigen. Ebenso gilt das Geschlecht als Risikofaktor für die Ausbildung einer Angststörung, da Mädchen zwei- bis viermal höhere Raten an Angststörungen aufweisen als Jungen (Schneider, 2001). Auch eine über mehrere Zeitpunkte hinweg stabile sogenannte »Verhaltenshemmung« geht mit mehr Angststörungen bei Kindern einher (Kagan, 1994), insbesondere in Kombination mit einer unsicheren Bindung (Manassis, 2001). Unter »Verhaltenshemmung« wird dabei ein Reaktionsstil verstanden, der ein zurückgezogenes, vorsichtiges, vermeidendes und schüchternes Verhalten in fremden Situationen beschreibt. Auch Kognitionen können bei der Entstehung von Angststörungen eine Rolle spielen. So zeigen Kinder mit Angststörungen eine höhere Aufmerksamkeitszuwendung auf bedrohliche Reize und weisen die Tendenz auf, mehrdeutige Reize als bedrohlich zu bewerten (Daleiden & Vasey, 1997). Weiterhin kommt ein elterlicher Erziehungsstil, der durch ein hohes Ausmaß an überbehütendem bzw. kontrollierendem Verhalten sowie wenig emotionaler Wärme bzw. Feinfühligkeit gegenüber dem Kind gekennzeichnet ist, als Risikofaktor für die Entwicklung von Angststörungen in Frage (Rapee, 1997).

2.7 Soziale Angst als Risikofaktor für weitere psychische Störungen

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Depression Das Risiko von Sozialphobikern, an einer Depression zu erkranken, beträgt 35 bis 80 Prozent (Stein et al., 1990; Van Ameringen et al., 1991). Soziale Phobie wird demnach als ein primärer Risikofaktor für eine Depression angesehen. Umgekehrt ist sozialer Rückzug auch ein Symptom depressiver Patienten, was deutlich macht, dass depressive und sozial ängstliche Symptome interagieren. Die Symptome bei depressiven Kindern unterscheiden sich teilweise von den Symptomen im Jugend- und Erwachsenenalter: " Kleinkinder können vermehrtes Weinen, Ausdrucksarmut, erhöhte Irritabilität, gestörtes Essverhalten, (Ein-)Schlafstörungen oder Spielunlust zeigen. " Im Vorschulalter ist häufig ein trauriger Ausdruck, psychomotorische Hemmung, Ängstlichkeit, phobisches Verhalten, Appetitlosigkeit, (Ein-)Schlafstörungen sowie introvertiertes, aber auch aggressives Verhalten zu beobachten. " Bei Schulkindern im Alter von 7 bis 12 Jahren sind verbale Berichte über Traurigkeit, psychomotorische Hemmung, Zukunftsangst, Ängstlichkeit, Appetitlosigkeit, (Ein-)Schlafstörungen oder suizidale Gedanken typisch. " Im Jugendalter ist der Suizid nach dem Unfalltod die zweithäufigste Todesursache – bei einem Teil der Suizide spielen depressive Störungen eine Rolle. Schlafstörungen Viele sozial phobische Kinder entwickeln Schlafstörungen. Bei den Schlafstörungen werden die Dyssomnien von den Parasomnien unterschieden. Zu den Dyssomnien gehören Insomnien (Ein- und Durchschlafstörungen), Hypersomnien (abnorm verlängerte Schlafdauer) und Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen (mangelnde Synchronität des Schlafes). Zu den Parasomnien zählen Pavor nocturnus (nächtliche Episoden mit Furcht und Panik), Alpträume und Schlafwandeln. Der Pavor nocturnus tritt gehäuft im ersten Schlafdrittel auf. Kennzeichnend sind eine erschwerte Erweckbarkeit und eine Amnesie in Bezug auf Trauminhalte. Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Der Alptraum tritt hingegen eher im zweiten Schlafdrittel auf, mit einer leichten Erweckbarkeit und detaillierten Berichten über Trauminhalte. Alpträume sind in einzelnen Entwicklungsphasen des Kindesalters normal. Jungen und Mädchen sind gleich häufig betroffen. Gerade bei kleinen Kindern spielen im Kontext des gestörten Schlafes auch die Bewältigung des Alleinseins (bis hin zur Trennungsangst) oder der Versuch der Teilnahme an interessanten Aktivitäten (z. B. Fernsehen) eine wichtige Rolle. Bei Jugendlichen können Schlafstörungen außerdem auch in Verbindung mit Depression und Alkohol- oder Drogenkonsum auftreten. Suchtstörungen Sozialphobiker zeigen eine sehr hohe Rate an Alkoholismus (Schneier et al., 1989). Insbesondere für sozial phobische Männer scheint der Alkohol ein sozial akzeptiertes Mittel zu sein, um mit ihrer sozialen Angst umzugehen. Umso wichtiger ist die Entdeckung der sozialen Angst für die Behandlung der Störung.

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2 Empirische Grundlagen

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Diagnostik Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage: Wovor. Frank Thieß

In der Kinderpsychodiagnostik muss man nicht nur das Kind selbst berücksichtigen. Auch dessen familiäres und schulisches Umfeld muss mit einbezogen werden, um abzuklären, ob eine intellektuelle (richtiger Schultyp, richtige Klassenstufe), familiäre (akute Lebensereignisse oder chronische Belastungen) oder soziale Überforderung (Angst vor Mitschülern oder Lehrer) vorliegt. Sehr wichtig ist dabei, dass nicht nur Defizite thematisiert werden, sondern auch Ressourcen (Federer, 2004). Die Frage, wer am Erstgespräch teilnehmen soll, hängt von der Problematik ab und davon, von wem die Anmeldung ausgeht (Federer, 2004). Bei einem Gespräch mit Kind, Eltern und Lehrperson ist abzuwägen, über welche Themen in der gemeinsamen Runde gesprochen wird und welche Themen zurückgestellt werden, um sie in einem anderen Rahmen zu besprechen. Ausgangspunkt für eine Diagnostik ist eine Atmosphäre, in der sich die Kinder sicher fühlen, um über ihre Ängste zu sprechen. In diesem Zusammenhang sind Eisbrecher wie Zaubertricks oder Handpuppen bei jüngeren Kindern sowie Erklärungen des Diagnostikers über den Ablauf der Sitzung wichtig. Bei Kindern ist die Motivierung von besonderer Bedeutung, denn sie gehen in der Regel nicht freiwillig zur Diagnostik. Kindgerechte Fragebögen können zu dieser Motivierung beitragen. Kindern fällt es oft schwer, über ihre Ängste zu sprechen. Viele schämen sich, vor alltäglichen Situationen Angst zu haben. Wichtig ist deshalb, dass diesen Kindern Verständnis für ihre Angst signalisiert wird. Ängste gehören zur normalen Entwicklung eines jeden Kindes. Eine wesentliche Beurteilung, die in der Angstdiagnostik erfolgen muss, betrifft deshalb die Frage, ob sich die Angst von normalen Entwicklungsängsten abgrenzen lässt, also jenen Ängsten, die in der Entwicklung bei fast allen Kindern zu beobachten sind. Nach der Frage, wovor das Kind oder der Jugendliche Angst hat, stellt sich somit eine zweite wesentliche Frage: Ist diese Angst dem Alter angemessen oder ist sie übermäßig stark ausgeprägt? Angst ist kein eindimensionales Konstrukt. Angstdiagnostik erfordert Wissen über die verschiedenen Ausprägungen und Symptome, über motorische, kognitive und physiologische Reaktionen. Das Alter des Kindes, seine Angstsymptomatik, die verfügbaren Informanten (Personen, die Informationen über das Kind und seine Probleme liefern können) und die Situation, in der die Erhebung stattfinden soll, müssen berücksichtigt werden. In der Diagnostik von Angststörungen wird empfohlen, unterschiedliche Informationsquellen und diagnostische Methoden zu kombinieren, die verschiedene Aspekte 3 Diagnostik

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einer Angststörung erfassen. Empfehlungen für die Diagnostik von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter (Schneider & Döpfner, 2004) enthalten (1) ein gemeinsames Erstgespräch mit Eltern und Kind [und ggf. einer Lehrperson], um einen ersten Eindruck zu gewinnen und einen Überblick über das weitere Vorgehen zu vermitteln, (2) medizinische Differentialdiagnostik, um organische Ursachen auszuschließen, (3) Diagnostik mithilfe reliabler und valider standardisierter Verfahren, wobei insbesondere strukturierten Interviews (z. B. Kinder-DIPS, Schneider et al., 2009), die jeweils separat mit Eltern und Kind durchgeführt werden, eine wichtige Bedeutung zukommt, (4) reliable und valide Rating- und Fragebogenverfahren und evtl. Tagebücher, und (5) Detailanalyse der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen, Dauer, Schweregrad, psychosoziale Probleme. Die Übereinstimmung zwischen verschiedenen Informanten erweist sich allerdings statistisch als nur mäßig bis gering (Achenbach et al., 1987), allein schon deshalb, weil das Angstverhalten von den unterschiedlichen Informanten in verschiedenen Situationen erfasst wird. Es zeigt sich, dass die Kinder selbst oftmals am besten Auskunft über ihre Angststörung geben können, weil sie ihre Gedanken, Gefühle und physiologische Erregung aktiv durchleben (Fonseca & Perrin, 2001). Je stärker die Angststörung ist, desto genauer können die Informationen von Eltern und Lehrern ausfallen. Durch bloßes Beobachten kann nicht immer eine Diagnose gestellt werden. Einen differenzierteren Aufschluss über die Situation des Kindes können standardisierte Testverfahren geben. In den letzten Jahrzehnten wurden so viele Instrumente zur Erfassung von Ängsten bei Kindern und Jugendlichen entwickelt, dass es inzwischen eine Herausforderung darstellt, ein passendes Instrument auszuwählen, um dem zu untersuchenden Kind mit seinen individuellen Ängsten gerecht zu werden. In der Diagnostik muss sich auch die hohe Komorbidität zwischen Angststörungen und anderen psychischen Störungen wie depressiven Störungen, somatoformen und externalisierenden Störungen widerspiegeln. Somit sollten nicht nur störungsspezifische, sondern auch übergreifende diagnostische Instrumente zur Anwendung kommen, etwa das Diagnostische Interview bei psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter, (DIPS-K, Schneider et al., 2009) oder der Elternfragebogen über das Verhalten von Kindern und Jugendlichen (CBCL, Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998). Leitfragen Die Diagnostik wird von folgenden Fragen geleitet: " Allgemeine Situation: Was ist der Grund des Kommens? Welche Schwierigkeiten hat das Kind? Welche Situationen lösen Ängste aus? Wie kann ihm geholfen werden? " Symptome der Störung: Welches Verhalten, insbesondere Vermeidungsverhalten, zeigt das Kind in Angstsituationen? Welche negativen Gedanken lassen sich

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3 Diagnostik

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erfassen? Welche körperlichen und physiologischen Angstreaktionen beeinträchtigen es? Komorbide Störungen: Liegen weitere Störungen vor, die das Kind in seiner Entwicklung einschränken, die Familie belasten oder in anderen sozialen Situationen Beeinträchtigungen verursachen?

3.1 Diagnostik der Sozialen Phobie Zu beachten: In der Diagnostik ist es wichtig, die Soziale Phobie von normalem sozialem Unbehagen und von Ungeselligkeit abzugrenzen. " Der Vermeidung sozialer Situationen können andere Ursachen zugrunde liegen, so etwa Trennungsangst, eine Agoraphobie oder depressives Verhalten. " Wegen ihres ausgeprägten Vermeidungsverhaltens ist vielen Sozialphobikern nicht bewusst, welche sozialen Situationen sie fürchten, da sie zu viele Situationen nicht mehr aufsuchen. Sorgfältiges Nachfragen ist erforderlich. "

Zur Erfassung der Sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen liegen verschiedene Selbst- und Fremdbeschreibungsverfahren vor, die im Folgenden beschrieben werden. Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK, Beidel et al., 1998; deutsch: Melfsen et al., 2001). Beim Sozialphobie- und Angstinventar für Kinder (SPAIK) handelt es sich um ein störungsspezifisches Selbstbeschreibungsverfahren zur Erfassung der Sozialphobie bei Kindern und Jugendlichen. Der deutschen Übersetzung liegt eine für den amerikanischen Sprachraum entwickelte Version von Beidel et al. (1995) zugrunde. Sie erfasst somatische, kognitive und Verhaltensaspekte der Sozialphobie. Die deutsche Version wurde an einer in den Jahren 1997 bis 2000 erhobenen Stichprobe von 1.197 Schülerinnen und Schülern im Altersbereich von 8 bis 16 Jahren evaluiert und normiert. Ergänzend wurden Untersuchungen an einer klinischen Stichprobe von 145 psychiatrisch behandelten Kindern und Jugendlichen im Alter von 7 bis 18 Jahren durchgeführt. Das Inventar kann für den Altersbereich von 8 bis 16 Jahren verwendet werden. Es umfasst insgesamt 26 Items, deren Beantwortung auf einer dreistufigen Likertskala erfolgt. Manche Items erfordern multiple Antworten, andere differenzieren je nach Grad der Vertrautheit zwischen bekannten und unbekannten Jungen und Mädchen und Erwachsenen. Bei einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation ergaben sich drei Eigenwerte, die größer als Eins waren. Der Scree-Test legt jedoch eine Einfaktorenlösung nahe. Dementsprechend wird bei dem Inventar eine Gesamtsumme berechnet, wobei eine zusätzliche Differenzierung durch die Berücksichtigung der Inhaltsbereiche »Interaktionssituationen«, »öffentliche Leistungssituationen« und »kognitive und somatische Symptome« möglich ist. Die interne Konsistenz (Cronbachs a) ist mit a = .92 hoch. Die ermittelte Retestreliabilität beträgt nach vier Wochen rtt = .84. Zur Erfassung der Kriteriumsvalidität wurden der 3.1 Diagnostik der Sozialen Phobie

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Normalstichprobe außer dem SPAIK verschiedene andere Angstfragebogen vorgelegt. Dabei zeigen sich signifikante Zusammenhänge (r = .60). Insgesamt zeigt sich, dass der Fragebogen zuverlässig zwischen sozial phobischen Kindern, Kindern mit sozialen Ängsten im subklinischen Bereich und sozial nicht ängstlichen Kindern unterscheidet. Deutsche Fassung der Social Anxiety Scale for Children – Revised (SASC-R-D; Melfsen, 1998). Die Deutsche Fassung der Social Anxiety Scale for Children – Revised (SASC-R-D) ist ebenfalls ein störungsspezifisches Selbstbeurteilungsverfahren zur Erfassung sozialer Ängste im Kindesalter. Die ursprüngliche Version wurde von LaGreca et al. (1988) für den amerikanischen Sprachraum entwickelt. Die deutsche Übersetzung wurde an einer Stichprobe von 627 Schülern und Schülerinnen evaluiert und normiert. Sie kann für den Altersbereich von 8 bis 16 Jahren eingesetzt werden und umfasst insgesamt 18 Items, die für den gegenwärtigen Zeitraum hinsichtlich ihrer Häufigkeit auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit 1 (»nie«), 2 (»selten«), 3 (»manchmal«), 4 (»meistens«) oder 5 (»immer«) eingeschätzt werden. Die Items verteilen sich auf zwei Unterskalen mit je neun Items. Die Unterskala »Fear of Negative Evaluation (FNE)« beinhaltet Gedanken zur Anerkennung bzw. Ablehnung durch andere Personen, die Skala »Social Avoidance and Distress (SAD)« benennt Situationen, die vermieden werden oder Angst auslösen. Die interne Konsistenz der Normalstichprobe (Cronbachs a) liegt für die Unterskala FNE bei a = .83, für die Unterskala SAD bei a = .71. Die beiden Unterskalen korrelieren zu r = .52 miteinander. Die ermittelte Retestreliabilität beträgt nach zwei Wochen für die FNE rtt = .84, für die SAD rtt = .74, nach vier Wochen für die FNE rtt = .82 und für die SAD rtt = .85. Zur Erfassung der externen Konstruktvalidität wurden in der Normalstichprobe verschiedene Angstfragebögen vorgelegt. Dabei zeigen sich signifikante Zusammenhänge mit dem Sozialphobie und -angstinventar für Kinder (SPAIK) (FNE: r = .59; SAD: r = .66). Es zeigte sich, dass auch dieser Fragebogen zuverlässig zwischen sozial phobischen Kindern, Kindern mit starken sozialen Ängsten im subklinischen Bereich und sozial nicht ängstlichen Kindern differenziert. Elternversion der deutschen Fassung der Social Anxiety Scale for Children Revised (Schreier & Heinrichs, 2008). Zur SASC-R-D wurde außerdem eine Elternversion entwickelt, die Elternversion der deutschen Fassung der Social Anxiety Scale for Children Revised. Bei dieser Elternversion wurden die 18 Items der Kinderversion beibehalten und entsprechend umformuliert. Auch die Antwortskala mit den Alternativen »nie – selten – manchmal – meistens – immer« wurde beibehalten. Die Gütekriterien wurden an einer Stichprobe von 636 Kindern, 368 Müttern und 274 Vätern geprüft. Normen wurden für Mütter und Väter jeweils getrennt für Mädchen und Jungen erstellt. Die Elternversion kann für Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 16 Jahren eingesetzt werden. Eine Faktorenanalyse spiegelte die Zweifaktorenstruktur wider. Zusammenhänge zeigten sich mit der mittels der Liebowitz Social Anxiety Scale for Children and Adolescents erfassten sozialen Angst (FNE: r = .40–.45; SAD: r = .70–.75) sowie mit kindlichen Verhaltensauffälligkeiten, die mit dem Strengths and Difficulties Questionnaire gemessen wurden (FNE: r = .28–.40; SAD: r = .30–.39).

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3 Diagnostik

Elternfragebogen zu sozialen Ängsten im Kindes- und Jugendalter (ESAK; Weinbrenner, 2005). Ebenfalls zur Erfassung der elterlichen Sichtweise wurde der Elternfragebogen zu sozialen Ängsten im Kindes- und Jugendalter (ESAK) entwickelt. Die Items bestehen aus Aussagen über Verhalten und Befürchtungen des Kindes. Evaluiert und normiert wurde der Fragebogen an einer Stichprobe von 2.101 Schülerinnen und Schülern sowie an 92 Patientinnen und Patienten. Er kann für den Altersbereich von 10 bis 17 Jahren verwendet werden und umfasst insgesamt 18 Items. Die Items werden auf einer vierstufigen Skala von 0 = »gar nicht«, 1 = »etwas«, 2 = »eher« und 3 = »sehr« eingeschätzt. Sie verteilen sich auf drei Subskalen »Negative Kognitionen«, »Vermeidungsverhalten« und »Körperliche Erregung«. Die interne Konsistenz lag in beiden Stichproben bei a = .91. Im Sinne konvergenter Validität zeigten sich hohe Korrelationen des ESAK-Gesamtwerts zu den Subskalen der CBCL »Ängstlich/Depressiv« (r = .62) und »Sozialer Rückzug« (r = .57). Mithilfe des ESAK kann zwischen klinischen und nichtklinischen Gruppen mit sozialen Ängsten und darüber hinaus innerhalb klinischer Stichproben anhand des Vermeidungsverhaltens zwischen Kindern mit und ohne Angststörungen differenziert werden. Fragebogen zur Erfassung sozial ängstlicher Kognitionen bei Kindern und Jugendlichen (Graf et al., 2007). Der Fragebogen zur Erfassung sozial ängstlicher Kognitionen bei Kindern und Jugendlichen (SÄKK) im Selbsturteil wurde auf der Grundlage des Children’s Cognitive Assessment Questionnaire (CCAQ) (Zatz & Chassin, 1983) entwickelt. Er ist zur Erfassung von Kognitionen innerhalb des Störungsbilds der Sozialphobie (ICD-10: F 40.1; DSM-IV: 300.29) entwickelt worden. Die Kinder werden aufgefordert, sich eine für sie sozial ängstigende Situation zu überlegen und anschließend anzugeben, wie oft ihnen in dieser Situation die aufgelisteten Gedanken durch den Kopf gehen. Die Gütekriterien und Normen wurden an einer Stichprobe von 600 Schülerinnen und Schülern gewonnen. Der Fragebogen wurde für den Altersbereich von 8 bis 13 Jahren konstruiert und umfasst 27 Items, die hinsichtlich ihrer Häufigkeit auf einer fünfstufigen Likert-Skala mit »nie – selten – manchmal – meistens – immer« eingestuft werden sollen. Die faktorielle Struktur wurde mithilfe einer Hauptkomponentenanalyse ermittelt. Es ergeben sich drei gut interpretierbare Faktoren, nämlich »Negative Selbstbewertung«, »Positive Selbstbewertung« und »Bewältigungs-Faktor«. Die internen Konsistenzkoeffizienten (Cronbachs a) der drei Subskalen »Negative Selbstbewertung« (a = .91), »Positive Selbstbewertung« (a = .86) und »Bewältigungsgedanken« (a = .84) fallen hoch aus. Zur Erfassung der Konstruktvalidität wurde außer dem SÄKK das Sozialphobie und -angstinventar für Kinder (SPAIK) vorgelegt.

3.1 Diagnostik der Sozialen Phobie

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3.2 Diagnostik der Schulangst Zu beachten: In der Diagnostik der Schulangst ist es wichtig zu erfassen, welche Situationen als bedrohlich erlebt werden und welche individuellen Hinweisreize angstauslösend wirken. Weitere zu klärende Aspekte sind, " mit welchen Erwartungen der Schüler in eine solche Situation geht, " welche Erfahrungen er in der Vergangenheit gemacht hat, " wie sich die Angst äußert, " wie sein Verhalten von Seiten des Lehrers/der Mitschüler eingeschätzt wird, " welche Erwartungen die Eltern/der Schüler selbst haben.

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Häufig eingesetzte Selbstbeschreibungsverfahren zur Erfassung der Schulangst sind im Folgenden aufgeführt. Angstfragebogen für Schüler (AFS; Wieczerkowski et al., 1981). Bei dem Angstfragebogen für Schüler (AFS) handelt es sich um ein Verfahren für Kinder und Jugendliche zur Erfassung des Ausmaßes der Angstatmosphäre in Schulklassen. Evaluiert und normiert wurde der AFS an einer Stichprobe von 2.374 Schülern. Der AFS kann für den Altersbereich von 9 bis 16/17 Jahren bzw. der 3. bis 10. Schulklasse eingesetzt werden. Er umfasst insgesamt 50 Items, die auf einer zweistufigen Skala mit den Antwortalternativen »stimmt« und »stimmt nicht« eingeschätzt werden. Es handelt sich um einen mehrfaktoriellen Fragebogen, der Prüfungsangst (PA), allgemeine (manifeste) Angst (MA) und Schulunlust (SU) erfasst. Außerdem enthält der AFS eine Skala zur Erfassung der Tendenz von Schülern, sich angepasst und sozial erwünscht darzustellen (Soziale Erwünschtheit, SE). Dem AFS ist darüber hinaus ein Heft mit entsprechenden Einschätzskalen zur Fremdbeurteilung durch den Lehrer beigefügt, anhand derer sich überprüfen lässt, inwieweit die Selbstdarstellung der Schüler im AFS mit der Einschätzung der Lehrer übereinstimmt. Die interne Konsistenz der Skalen liegt zwischen a = .67 und a = .85, die Retest-Zuverlässigkeit (nach einem Monat) zwischen rtt = .67 und rtt = .77. Untersuchungen zur Kriteriumsvalidität sowie Gruppenvergleiche liegen vor. Es existieren T- und Prozentrangwerte (N = 2.374) sowie Vergleichswerte für die Lehrereinschätzungen im Vergleich zu den Selbsteinschätzungen der Schüler. Bildtafeln des Schulangsttest (SAT). Beim SAT von Hußlein (1978) handelt es sich um ein projektives Verfahren, bei dem mithilfe von zehn Bildtafeln zu Szenen aus dem Schüleralltag Ängste exploriert werden können. Die Bildtafeln können zur Exploration eingesetzt werden, nicht jedoch als objektiver Test. School Refusal Assessment Scale Revised – Child (SRAS-R C; Kearney, 2002, 2007). Die School Refusal Assessment Scale Revised – Child (SRAS-R C) ist ein Selbstbeschreibungsinstrument zur Erfassung von vier funktionalen Bedingungen. Dieses Modell geht davon aus, dass die Kinder und Jugendlichen die Schule aufgrund einer oder mehrerer

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3 Diagnostik

der folgenden Gründe vermeiden: (1) um schulbezogene Reize zu vermeiden, die eine allgemein negative Stimmung hervorrufen; (2) um aversive soziale oder bewertende Schulsituationen zu vermeiden; (3) um Aufmerksamkeit zu erhalten; (4) um gegenständliche Verstärkung außerhalb des Schulsettings zu bekommen. Die revidierte Version umfasst 24 Items, die sich gleichmäßig auf die vier funktionalen Bedingungen verteilen und hinsichtlich ihrer Ausprägung auf einer sechsstufigen Skala von 0 bis 6 eingeschätzt werden sollen. Die Test-Retest-Reliabilität beträgt rtt = .68. Negativ verstärktes Schulvermeidungsverhalten (Funktionen 1 und 2) ist stark assoziiert mit internalen Symptomen und Diagnosen. Positiv verstärktes Schulvermeidungsverhalten (Funktionen 3 und 4) ist stark assoziiert mit externalisierenden Symptomen. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse bestätigte das Vier-Faktoren-Modell der revidierten SRAS-C. School Refusal Assessment Scale Revised – Parents (SRASR-P; Kearney, 2002, 2007). Die School Refusal Assessment Scale Revised – Parents (SRASR-P) ist ein elternbasiertes Maß für die relative Ausprägung von vier verschiedenen Funktionen der Schulvermeidung (s. o.). Die Test-Retest-Reliabilität beträgt .67, die Interraterreliabilität (Mutter und Vater) beträgt .54. Negativ verstärktes Schulvermeidungsverhalten (Funktionen 1 und 2) war stark assoziiert mit internalisierenden Symptomen und Diagnosen. Positiv verstärktes Schulvermeidungsverhalten (Funktionen 3 und 4) war stark assoziiert mit externalisierenden Symptomen und Diagnosen. Eine konfirmatorische Faktorenanalyse bestätigte das Vier-Faktoren-Modell der School Refusal Assessment Scale Revised – Parents.

3.3 Diagnostik der Prüfungsangst Zu beachten: In der Diagnostik der Prüfungsangst ist es wichtig, die schulische Leistungsfähigkeit und Intelligenz des Kindes einzuschätzen: Wie verlief die Leistungskurve in den letzten Jahren? Bestehen Unterschiede zwischen Schulfächern und Lehrpersonen? Liegen Teilleistungsstörungen vor (Lese-, Rechtschreib- oder Rechenschwäche)? Wie sind die Lerntechniken des Schülers? " Der Ablauf der Prüfungssituationen sollte genau erfragt werden: Wie läuft die Prüfung ab? In welcher Form erfolgt eine Rückmeldung? " Reaktionen auf die Prüfungsergebnisse sollten erfasst werden: Wie reagieren die Eltern, Geschwister, Klassenkameraden und Lehrer? Wie reagiert das Kind auf Erfolg und Misserfolg? " Eine Bedingungsanalyse des Problemverhaltens ist erforderlich: Auslösende Reize, Wahrnehmung von Angstgefühlen, Kognitionen, Wahrnehmung des Verhaltens von Lehrperson, Mitschülern, Familie, Konsequenzen sollten erfragt werden. " Das Schulklima, die Kooperation von Elternhaus und Schule sowie Erwartungen und Erziehungsverhalten von Eltern und Lehrern sollten berücksichtigt werden. "

3.3 Diagnostik der Prüfungsangst

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Häufig eingesetzte Selbstbeschreibungsverfahren zur Erfassung der Prüfungsangst sind im Folgenden beschrieben. Prüfungsängstlichkeitsinventar (TAI-G; Hodapp, 1991). Das Prüfungsängstlichkeitsinventar (TAI-G) erhebt Misserfolgserfahrungen in schulischen und akademischen Bewertungssituationen. Die Schüler sollen angeben, wie sie sich im Allgemeinen in Prüfungssituationen fühlen und was sie dabei denken. Die Aussagen sollen hinsichtlich ihrer Häufigkeit auf einer vierstufigen Likert-Skala mit den Kategorien »fast nie«, »manchmal«, »oft« und »fast immer« eingeschätzt werden. Der Fragebogen wurde an einer Stichprobe von 713 Schülern unterschiedlicher Schultypen und Jahrgangsstufen überprüft. Es liegen Vergleichswerte für Schüler und Studierende vor, jedoch keine Normwerte. Der Fragebogen umfasst 30 Items, die für Schüler ab 12 Jahren konstruiert wurden. Die interne Konsistenz beträgt für die Gesamtskala a = .93. Die internen Konsistenzen für die Subskalen bewegen sich zwischen a = .84 und a = .90. Daten zur Retestreliabilität liegen nicht vor. Zur divergenten und konvergenten Validität liegen mehrere Ergebnisse vor. So beträgt die Korrelation zwischen dem Gesamtscore des TAI-G und der Subskala »Prüfungsangst« des Angstfragebogens für Schüler r = .74. Eine Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation) erbrachte nach Eigenwerteverlauf vier Faktoren, die beschrieben wurden als »Zuversicht«, »Aufgeregtheit«, »Besorgtheit« und »Interferenz«. Prüfungsangstfragebogen (PAF; Hodapp et al., 2011). Der Prüfungsangstfragebogen (PAF) stellt eine Überarbeitung des German Test Anxiety Inventory (TAI-G, Hodapp, 1991) dar, bei der wenig trennscharfe Items entfernt und die Anzahl der Items pro Subskala ausgeglichen wurden. Das Instrument umfasst nunmehr 20 Items. Anzahl und Inhalte der Subskalen blieben erhalten. Der PAF weist gute interne Konsistenzen auf (Gesamtskala: a = .88, Subskalen zwischen a = .79 und a = .86). Zur divergenten und konvergenten Validität wurden verschiedene Studien durchgeführt, die für die Validität des Verfahrens sprechen. Es liegen Grobnormen (Quartile) für Schüler ab 14 Jahren vor. Differentielles Leistungsangst-Inventar (DAI; Rost & Schermer, 1997). Mit dem Differentiellen Leistungsangst-Inventar (DAI) wird nach erlebten und erinnerten Erfahrungen und Umgehensweisen mit Leistungsangst bei Schülern gefragt. Evaluiert und normiert wurde das Verfahren an 3.223 Schülern im Alter zwischen 13 und 19 Jahren (8. bis 13. gymnasiale Jahrgangsstufe), dies entspricht auch dem Anwendungsbereich des DAI. Beim DAI sind zwei Testformen verfügbar: eine Langform mit 146 Items und eine Kurzform als Screeningverfahren mit 96 Items, die auf einer fünfstufigen Skala hinsichtlich ihrer Häufigkeit von 1 (»trifft fast nie zu«) bis 5 (»trifft fast immer zu«) eingeschätzt werden sollen. Dabei werden »Angstauslösung«, »Angsterscheinungsweisen«, »Angstverarbeitung« und »Angststabilisierung« getrennt erfasst. Die interne Konsistenz (Cronbachs a) liegt zwischen a = .70 und a = .92. Stabilitätskoeffizienten (Retest-Reliabilität) liegen für die einzelnen Skalen zwischen r = .75 und r = .88. Die interne Struktur der Skalen wurde mit Faktoren- und Korrelationsanalysen überprüft. Konvergente und diskriminante Beziehungen zu Stress-, Emotions-, Bewältigungsund Persönlichkeitsvariablen sprechen für die Validität des Verfahrens.

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3 Diagnostik

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Therapie bzw. Intervention Tue das, was du fürchtest, und das Ende der Furcht ist gewiss. Ralph Waldo Emerson

Beispiel Aus dem Brief einer Lehrerin »Warum liegt es mir so sehr am Herzen, angsterfüllten Kindern zu helfen? Ich weiß, wovon ich spreche. Die Ängste, die mich durch meine gesamte Schulzeit bis zum Studium begleitet haben, waren so massiv, dass ich zum Beispiel nicht vor Mitschülern vorlesen konnte. Alles verschwamm vor meinen Augen, meine Stimme versagte, ich musste mich sehr oft räuspern. Dann nahm ich nebenbei wahr, wenn Mitschülerinnen (nach meinem Empfinden) unwillig seufzten. Ich konnte mich nicht auf die Textvorlage konzentrieren, mein Herz raste, ich zitterte und schwitzte vor Angst. Ich fand für mich eine einigermaßen funktionierende Lösung: Wenn die Vorleserunde begonnen hatte, rechnete ich mir aus, wann und mit welchem Absatz ich in etwa mit dem Lesen an der Reihe sein würde. Dann vergrößerte ich diesen Absatz nach vorn und hinten, um nicht etwa mit einem falschen Abschnitt überrascht zu werden, und übte diesen Abschnitt vor, während die Schülerinnen lasen, die vor mir an der Reihe waren. Die unaussprechliche Angst war trotzdem da. Dabei musste ich natürlich gleichzeitig mitbekommen, was die anderen vor mir inhaltlich lasen. Eigentlich war meine Leistung ein Meisterstück. So ging es schließlich über die vielen Jahre Schulzeit und ich war relativ unauffällig. Interessant ist, dass ich in dem Moment und von da an flüssig, gut betont und ohne Angst vorlesen konnte – auch ohne vorher zu üben –, als ich als Studentin der Pädagogik ein Praktikum machte und vor einer Klasse stand. Eine für mich sehr verblüffende Erfahrung. Heute könnte ich theoretisch dem Kaiser von China ohne Angst vorlesen, dem Text angemessen und kurzweilig. Ähnliche Schwierigkeiten wie beim Lesen hatte ich mit der Rechtschreibung. Ich versuchte alles, was ich schrieb, ab- und herzuleiten, selbst der Unterschied der Schreibweisen von ›ihr‹ und ›wir‹ gab mir zu denken. Meine weitgestreute Phantasie war da nicht gerade unterstützend. Wenn ich im Aufsatz einen treffenden Ausdruck nicht sicher schreiben konnte, suchte ich ›Ersatzwörter‹, das klappte recht gut. Über meine gesamte Schulzeit habe ich auch auf diesem Gebiet ›improvisiert‹. Nun würde heute jeder Pädagoge gleich darauf tippen, er habe es mit einem Legastheniker zu tun. Das war ich aber nicht, denke ich. Ich habe keine Buchstaben und Wortteile verdreht, habe Regeln und Hilfen anwenden können, so man sie mir gab. Eher noch brachte mich meine eigene Aufregung durcheinander. Wäre ich ermuntert und

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darin unterstützt worden, meine Arbeiten in Ruhe und mit Selbstbewusstsein anzugehen, hätte ich sicher die Probleme nicht in diesem Maße gehabt. Angefangen haben meine Ängste, als ich als Fünfjährige einmal bei einer öffentlichen Veranstaltung vor vielen Menschen etwas in ein Mikrophon singen sollte (ich konnte wohl ganz niedlich singen) und plötzlich weder die Melodie noch den Text erinnerte. Da hatte ich zum ersten Mal ein heftiges Lampenfieber. Dieser Zustand war sehr verwirrend (selbst heute noch, wenn ich mich daran erinnere), zumal die Lehrerin, die dieses Lied von irgendwelchen ›Hutzelmännlein tralala‹, die hinter einer ›Mauer auf Lauer lagen‹, komponiert hatte, doch ein wenig harsch reagierte. Alles war verworren, auch die Rettung aus dieser Situation. Ich durfte noch einmal ansetzen, es gelang mehr schlecht als recht und mit gesanglicher Unterstützung irgendeiner erwachsenen Person. Man könnte nun sagen, so hat ein ›Hutzelmännlein‹ bei mir Schulängste ausgelöst, das ist ein wunderbares Bild. Als jüngstes von vier Kindern wurde ich bereits mit fünf Jahren eingeschult. (Heute sage ich mir: Dann muss ich ja eigentlich ganz schön leistungsfähig gewesen sein.) Ich wollte gern in die Schule, an die Tafel schreiben, anderen Kindern begegnen. Die Schulklassen waren damals nach dem Krieg allerdings überfüllt, ich sehe heute noch eine Menge Kinderköpfe zusammengedrängt in langen Reihen vor mir. Die ersten Texte unserer Fibel lernte ich eifrig auswendig, die Bilder liebte ich (Ich bin auch heute noch ein ›Mensch der Bilder‹). Keiner bemerkte, dass ich nicht ›synthetisch‹ erlas, obwohl diese Methode mir sicher entgegengekommen wäre. Die damaligen Fibeln kamen schnell zu längeren Texten mit kleineren Buchstaben, da war es bald vorbei mit dem Auswendiglernen. Ich habe es niemandem verraten, dass es da ein Problem für mich gab, sondern habe selbst noch mal angefangen mit der Synthese (selbst ist das Kind, und tapfer). Von nun an hinkte ich immer hinterher, fühlte mich dumm und klein. Ich habe viel zu viel nachgedacht über meine ›Pflichterfüllung‹, wollte mit meinen Schwierigkeiten nicht auffallen, war überfordert. Nach einem Lehrerinnenwechsel im zweiten Schuljahr verschlechterte sich mein Schriftbild dramatisch (Ich hatte doch vorher eine so schöne Schrift gehabt, nun war sie nur noch verkrampft und krickelig – auch ein Zeichen?). Wir waren jetzt über 60 Kinder in dem Raum, und ich konnte keinen Bezug zu der neuen Lehrerin aufbauen. Sie war mir auch nicht sonderlich ›angenehm‹. Merkwürdig war, dass ich trotzdem fröhlich in die Schule ging. Aber dort wurde ja auch gesungen, gemalt, im Kreis gespielt und gelacht. Meine Schrift war bis zu meinem 12. Lebensjahr weiterhin sehr verkrampft. Bis dahin war das dann auch die Zeit, in der meine Ängste recht diffus für mich waren. Heute würde ich die schlechte Schrift als ein Angstbarometer bezeichnen. Später habe ich die Schultage gemocht, an denen wir Sport, Kunst oder Musik hatten. Die ›Sorgenfächer‹ jener Tage habe ich dann einfach ausgeblendet, durchgestanden. Im Mündlichen war ich auch recht leistungsfähig, konnte recht wendig denken. Meine Sorgen waren immer nur in den Momenten oder Zeitabschnitten

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präsent, in denen sich meine Schwächen offenbarten. Nachmittags beim Spielen, Malen, Musizieren oder an Sonntagen ging es mir gut. Merkwürdig war früher wie heute immer die Mischung aus Angst und Mut. So habe ich zum Beispiel als Kind sehr gern bei Theaterstücken mitgespielt oder Gedichte aufgesagt. Bis heute stelle ich mich erfolgreich schwierigen Aufgaben. Dabei beschleicht mich oft der Verdacht, dass ich mich damit immer noch beweisen muss. Andererseits passiert es bis heute, dass ich in einer Vorstellungsrunde innerlich fast in Panik gerate mit Herzrasen und Zittern, wenn ich nicht möglichst früh an der Reihe bin. Nun bin ich aber in der Lage, mich bewusst zu entspannen. Heute, nach all meinen Erfahrungen als Lehrerin, möchte ich behaupten, dass mir sehr viele Sorgen erspart worden wären, wenn sich Lehrer nicht nur über mich und meine Merkwürdigkeiten gewundert, sondern mal nachgefragt oder mich positiv angesprochen hätten. Vielleicht habe ich meine massiven Ängste aber auch zu gut überspielt, sodass Lehrer vieles gar nicht merken konnten. Und da liegt auch heute noch das Problem vieler angstbesetzten Kinder: Oft sind sie brav und angepasst, nach außen freundlich und fröhlich. Sie wissen ja selbst meistens gar nicht, dass sie auf bestimmten Gebieten und in mancher Hinsicht keinen Mangel haben, sondern einfach nur eine unaussprechliche Angst. Meine eigenen Schulängste waren mir ein ›Lehrmeister‹ für meine Zeit als Lehrerin. Wenn man gut ist, muss man keine Angst haben. Man fühlt sich gut, wenn man auch für kleine Schritte gelobt oder beachtet/geachtet wird (Achtung, ›achten‹ im doppelten Wortsinn). Man kann besser werden, wenn einem Mut gemacht wird. Wenn die Tätigkeit Spaß macht, fällt es spielend leichter, gut zu sein. Andererseits kann jeder notfalls auch mitgetragen, mitgerissen werden. Eine faire Gruppe trägt mit, tuschelt nicht, lacht nicht aus. Jeder hat sein Recht, der Langsame, der Schnelle, der Empfindsame, der Träumer, auch der Kluge. Das sind ungeschriebene (bei älteren Schülern auch geschriebene) Regeln. Eine faire Gruppe macht allen Spaß, spornt alle an. Unterschiede in der Lernfähigkeit gibt es, ebenso auch im Tempo, und sie werden toleriert. Jeder hat seine Stärken, die auch die anderen erfreuen. Aber auch Schwächen darf man zeigen, ohne sich zu schämen. Konflikte werden fair von der Gemeinschaft gelöst. So kann es gehen! Deshalb muss Schule anschaulich, interessant für jedermann, bunt und vielseitig, aber auch überschaubar und zielgerichtet für alle sein. Der Pädagoge sollte Augen, Ohren und Herz offen halten. Er sollte klar, deutlich, ehrlich, gerecht und konsequent seinen Weg vorleben und damit Vertrauen schaffen. Vertrauen können ist die Grundlage dafür, sich zu trauen. Und noch eines liegt mir am Herzen: Lasst die Kinder beim Lernen miteinander singen, tanzen, spielen, malen, turnen, planen, bauen, erfassen-anfassen, entspannen, zeigen, helfen, vorschlagen, Ideen aufschreiben und vortragen, zuhören, fühlen, mitfühlen, mitfühlen, erfinden, erfinden, erfinden, finden …

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Sie werden gern und angstfrei in die Schule gehen. So gern, dass sie selbst bei Krankheiten unbedingt in die Schule möchten und traurig sind, dass sie nicht dürfen. Wäre das nicht wünschenswert?« Wie im zweiten Kapitel dargelegt worden ist, lassen sich Ängste vor der Schule in soziale Angst, Prüfungsangst und der Schulangst im engeren Sinne einteilen. Im Folgenden werden diese drei Gebiete und die dazugehörigen Interventions- und Therapiemöglichkeiten separat dargestellt. Der Therapeut, Berater oder Schulpsychologe findet in den folgenden Abschnitten Hinweise darauf, wie er mit dem Kind bzw. Jugendlichen selbst umgehen kann. Außerdem wird ausgeführt, worauf Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer achten sollten, damit sich die Ängste auf Seiten des Kindes bzw. Jugendlichen nicht verstärken oder verfestigen. Es ist für den Therapeuten und Berater ratsam, regelmäßig das Gespräch mit den Eltern, aber auch mit den Lehrern zu suchen. In der Behandlung von Angststörungen bei Kindern haben sich Konfrontationsverfahren bewährt. Da sich die Vorgehensweise dieser Verfahren bei vielen Angststörungen ähnelt, werden die Verfahren im Folgenden exemplarisch für die soziale Angststörung erläutert. Für die Behandlung von Prüfungsängsten und der Schulangst werden nur noch Unterschiede und Besonderheiten hervorgehoben. Für die Behandlung sozialer Ängste werden vorranging ebenfalls Konfrontationsverfahren eingesetzt. Die Bedeutung sozialer Kompetenztrainings und kognitiver Interventionen werden hingegen kontrovers diskutiert.

4.1 Soziale Angst 4.1.1 Möglichkeiten im Umgang mit sozialer Angst: die Kinder/Jugendlichen Externalisierung Den Kindern fällt die Bewältigung ihrer Angst vielfach leichter, wenn die Angst als externes Phänomen dargestellt wird (White, 1986; White & Epston, 1990). Ein bildlicher Vergleich veranschaulicht dieses Prinzip: Dass ein Feind, der sich außerhalb der Stadtmauer befindet, sich leichter bekämpfen lässt als einer, der eingedrungen ist und sich unter die eigenen Ressourcen mischt (Caby & Caby, 2009). Dementsprechend liegt der Sinn der Externalisierung darin, das Angstverhalten konkreter zu machen. Wenn die Angst von der Persönlichkeit des Kindes getrennt wird, erleben viele Kinder sie als weniger bedrohlich. Kinder suchen sich vielfach selbst Bilder, die die Angstphänomene externalisieren, z. B. sprechen sie vom »Angstvogel«, »Angstmonster« oder »Angsttier«, gegen den/das sie kämpfen müssen. Um sich nicht selbst die feste Rolle des ängstlichen Kindes zuzuschreiben oder sie von anderen zugeschrieben zu bekommen, kann die Technik der Externalisierung

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hilfreich sein. Man fragt das Kind zum Beispiel, ob sich das Angstmonster wieder breit gemacht habe und das Kind daran gehindert habe, etwas zu tun, was es eigentlich gerne machen wollte. Das Kind wird somit nicht mit der Angst gleichgesetzt und erlebt den Therapeuten als Unterstützer im gemeinsamen Kampf gegen die Angst. Anschließend kann zum konstruktiven Umgang mit der Angst übergeleitet werden, zum Beispiel mit der Frage, wann es das Kind zum letzten Mal geschafft habe, sein Angstmonster zu besiegen, und wie es das geschafft habe. Identifikationsfigur Vielen Kindern erleichtert eine Identifikationsfigur den Kampf gegen die Angst. Mit dieser Identifikationsfigur lassen sich Wege im Umgang mit schwierigen, angstauslösenden Situationen leichter finden. Das Kind sollte sich eine Figur aussuchen, von der es weiß, dass sie seiner Angst entgegentreten und es beschützen würde. Die Identifikationsfigur kann Möglichkeiten aufweisen, sich Mut zu machen, um gegen seine Angst anzugehen und relativiert damit die Ängste. Sie muss nicht Stärke und Dominanz symbolisieren, was vom Selbstempfinden sozial ängstlicher Kinder viel zu weit entfernt ist. Oftmals fällt es ihnen leichter, sich mit ruhigeren, schwächeren Tieren oder Menschen zu identifizieren, die trotzdem Mut entwickeln und stärker als ihre Angst werden. Eine Identifikationsfigur, in der sich das Kind wiedererkennen kann, wird vom Kind selbst ausgewählt. Es kann sich dabei um ein Familienmitglied, einen Freund, einen Bekannten oder eine Person des öffentlichen Lebens handeln, um einen Schauspieler, Sänger oder Künstler, es kann eine Comicfigur sein oder ein Tier. Es kann auch eine Figur sein, die sich das Kind selbst ausdenkt. Wichtig ist, dass diese Figur das Ideal im Umgang mit Angst verkörpert. Das ängstliche Kind kann durch seine Auseinandersetzung mit der Identifikationsfigur und das Hineinschlüpfen in diese Figur diese Eigenschaften zu einem hilfreichen Umgang mit Angst übernehmen. Die Identifikationsfigur kann somit helfen, sich von der übermäßigen Angstreaktion zu trennen, sie kann Orientierung und Stabilisierung bieten, und dem Kind ermöglichen, leichter seinen Ängsten zu trotzen und ein neues Lebensgefühl zu entwickeln: Nicht mehr ängstlich, sondern mutig und mit mehr Gelassenheit die angstauslösenden Situationen zu bewältigen. Alternative: Gegenstand zur Vertrauensbildung. Eine andere Alternative besteht darin, dem Kind einen Gegenstand zur Vertrauensbildung zu geben, z. B. einen Zauberstein gegen die Angst, falls dem Patienten keine Figur zur Unterstützung einfällt. Geschichten Das Erzählen, Vorlesen oder Selbstlesen von Geschichten zum Thema Angstüberwindung kann eine sehr effektive Form verdeckten Modelllernens sein (Friedberg & McClure, 2002). Die Informationen, die in Geschichten zur sozialen Angst enthalten sind, können die kindliche Wahrnehmung verschiedener Möglichkeiten zur Problemlösung reflektieren. In Geschichten können Entwicklungspotentiale deutlich werden 4.1 Soziale Angst

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und es können Qualitäten von »ängstlichen Helden« erkennbar werden. Auf diese Weise können Geschichten Rückhalt für die Überwindung eigener Ängste geben. Beispiel Die nachfolgende Geschichte ist Teil mehrerer Therapiegeschichten. Der erste Teil der Geschichte sollte zu Beginn einer Therapiesitzung, der zweite Teil am Ende der Therapiesitzung erzählt werden. Teil 1: Vielleicht erinnerst du dich noch: [Name] war auf dem Nachhauseweg. Sie war froh, den Schultag hinter sich zu haben, und machte Pläne für den Nachmittag. [Jungenname] riss [Name] aus ihren Träumen. Laut klingelnd bremste er sein Fahrrad neben ihr: »Sag mal, bist du taub, [Name]? Ich glaub, du drehst dich noch nicht mal um, wenn ich mit meiner Vuvuzela in dein Ohr tröte.« [Jungenname] tat, als wische er sich den Schweiß von der Stirn. »Hast du Lust, mit uns heute ins Eiscafé zu kommen? Anna und Ronni kommen auch.« [Name] konnte es nicht verhindern, dass ihr das Herz vor Freude hüpfte. Wer hätte gedacht, dass [Jungenname] ausgerechnet sie fragen würde? Aber dann wurde ihr plötzlich ganz heiß: Das Angstmonster meldete sich. Es ließ sie den Kopf senken und ganz leise murmeln: »Ach, ja, gerne.« Das war gelogen, denn nun freute sie sich schon nicht mehr. »Na prima, dann treffen wir uns um vier.« Und schon schwang [Jungenname] sich wieder auf sein Rad und sauste davon. Kannst du dir vorstellen, wie [Name] sich jetzt fühlte? Die anfängliche Freude war wie weggeblasen. [Name] stellte sich vor, was sie erwarten würde. Sie sah sich schon im Eiscafé, ihre Hände zitterten, das Eis weigerte sich, auf ihrem Löffel zu bleiben, ihr fielen keine Antworten ein, geschweige denn etwas, worüber sie selbst etwas erzählen konnte. Sie würde sich blamieren. Das stand fest. Die Probleme wuchsen, je länger [Name] über den bevorstehenden Nachmittag nachdachte. Was sollte sie sagen, wie sollte sie verhindern, dass … So schoss ihr ein Gedanke nach dem anderen durch den Kopf, und sie begann, sich an Situationen zu erinnern, in denen sie sich blamiert hatte. Bestimmt hast du längst gemerkt, dass ihr Angstmonster in ihren Gedanken wütete. Dort fühlte es sich richtig wohl. Eigentlich müsste ich dir jetzt erklären, wie man seine Gedanken auch als Waffe gegen Angstmonster einsetzen kann. Aber das muss noch etwas warten. Denn sonst könnten wir nicht erfahren, was [Name] in ihrer Angst gemacht hat. »Bin krank geworden, tut mir total leid. LG [Name]«. Diese SMS sendete [Name] an [Jungenname]. Jetzt hatte sie schon wieder gelogen. Würde [Jungenname] ihr die Schwindelei glauben? Oder würde er jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen? Bei diesem Gedanken musste [Name] schlucken. Sie starrte auf ihr Heft. Hausaufgaben zu machen, war nicht wirklich ein guter Ersatz. Teil 2: [Name] hat noch lange in ihrem Zimmer gesessen und nachgedacht. Die Hausaufgaben schafften es natürlich nicht, sie auf andere Gedanken zu bringen. Sie dachte an [Jungenname] und war auch ein wenig erleichtert, dass sie nun nicht

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zusammen mit ihren Angstmonstern und [Jungenname] im Eiscafé saß. Aber viel stärker war ihre Traurigkeit, Wut und Enttäuschung: Sie hatte es wieder einmal nicht geschafft, wieder war sie davongelaufen. Morgen Nachmittag sollte sie erneut zur Therapie. Was sie da wohl machen müsste? Sie dachte, wie so oft schon, über die Therapie nach. Wie schade, dass es nicht ein Zaubermittel gibt, das einem alle Angst nimmt. Das wäre ja so bequem. Ob sie es trotzdem schaffen kann, ihr Angstmonster zu besiegen? Wie sich [Name] entscheidet, ob sie sich wirklich zutraut, ihre Angstmonster zu bekämpfen, erzähle ich dir beim nächsten Mal (Melfsen & Walitza, 2012, S. 82). Formelhafte Sprüche Für manche Kinder ist es hilfreich, sich einen Satz zu überlegen, der im Umgang mit der Angst hilfreich ist. Diesen Satz wiederholen sie in Gedanken, wenn sie in die angstauslösende Situation gehen. Beispiel Formelhafte Sprüche Angst und Schreck Soll’n nicht ganz weg Aber wenn Angstmonster erscheinen Lass’ ich mich lang noch nicht vertreiben! Mutgedanken setz ich schnelle An der Angstgedanken Stelle Ich schau den Leuten ins Gesicht Denn so verunsichern sie mich nicht Man braucht viel Mut, um Neues zu wagen Ich belohn’ mich dafür, anstatt zu verzagen

(Melfsen & Walitza, 2012, S. 48)

Motivation Die meisten Kinder gehen nicht aus eigenem Entschluss zur Therapie, sondern auf Wunsch ihrer Eltern. Die Motivation zur Mitarbeit muss erst noch geweckt werden. Eine Therapie für Kinder sollte deshalb auch viele Elemente enthalten, die Freude machen und spielerisch zum Umgang mit der Angst hinführen. Beispiel Spielerische Gestaltung einer Therapiesitzung Zaubertricks, die zum Thema führen " Lieder " Bilder, Basteleien

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Geschichten Spiele Kurze Filme

Therapiezielvereinbarung Die Therapiezielvereinbarung dient dazu, gemeinsam festzulegen, was in der Therapie erreicht werden soll. Dem Kind wird seine Kontrolle in der Therapie verdeutlicht. Es bestimmt selbst, was erreicht werden kann. Falsche Erwartungen an die Therapie sollen reduziert werden, um mögliche Enttäuschungen zu ersparen. Die Therapiezielvereinbarung dient auch der Motivierung. Vermittlung des Therapierationals Bei der Vermittlung des Therapierationals soll gemeinsam erarbeitet werden, dass Vermeidungsverhalten zentral für die Aufrechterhaltung und Verstärkung von Ängsten ist. Mit jeder Vermeidung und jedem Abbruch gefürchteter sozialer Situationen fühlt sich das Kind bestätigt, die Situation nicht ertragen oder meistern zu können. In der Therapie werden vermiedene und gefürchtete Situationen aufgesucht und geübt. Der Therapeut wird kein Flucht- oder Vermeidungsverhalten unterstützen. Dazu zählt auch, sich als Patient nicht einfach über die Zeit hinweg zu retten, indem man versucht, während der angstauslösenden Situationen von seiner Angst abzulenken. Ziel ist nicht Angstfreiheit, sondern Angst ertragen zu lernen. Diesem Vorgehen müssen Eltern und Kind explizit zustimmen, sonst ist es nicht sinnvoll, die Expositionen durchzuführen. Definition Bei der Exposition handelt es sich um ein Therapieverfahren, bei dem das Kind mit Situationen, die die Ängste auslösen, nach bestimmten Regeln konfrontiert wird. Es wird dabei hinreichend lange und häufig dem angstauslösenden Reiz ausgesetzt. Die Prozesse des Angstabbaus werden durch das Konzept der Habituation erklärt: Sich wiederholt einem (ungefährlichen und für die meisten Menschen unbedeutenden) Angstreiz auszusetzen, schwächt die Reaktion auf diesen Reiz ab. Exploration des Vermeidungs- und Sicherheitsverhaltens Es sollte immer wieder darauf geachtet werden, dass das Kind auf Vermeidungsstrategien verzichtet. Dazu ist es notwendig, sehr genau zu beobachten, wie sich das Kind in der gefürchteten Situation verhält. Trägt es eine Schirmmütze, lange Haare etc., um sein Gesicht zu verstecken? Antwortet es in kurzen Sätzen, um nicht ins Stocken zu geraten? Flüstert es seine Antworten, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen? Vermeidet es Augenkontakt, um eine Ansprache zu verhindern, oder hält es beim Sprechen die Hand vor dem Mund? Wiederholt es in Gedanken vorbereitete Sätze?

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Vorbereitung der Konfrontationsübungen Bei Kindern ist eine sehr intensive Vorbereitung auf die Konfrontationsübungen wichtig, zum Beispiel mittels Rollenspielen oder stellvertretenden Rollenspielen. Auch der Abbau von Sicherheitsverhalten und einer erhöhten Selbstaufmerksamkeit gehören zu den Vorbereitungen auf die Konfrontationsübungen. Rollenspiele. Rollenspiele sind gespielte Situationen, die eine Annäherung an die Realität darstellen. Die Hemmung, ein Rollenspiel durchzuführen, steigt mit zunehmender Zeitdauer, bevor das Rollenspiel begonnen wird. Deshalb ist es bei Kindern oftmals günstiger, sofort mit dem Rollenspiel anzufangen. Vieles lässt sich während eines Rollenspiels noch klären. Beim stellvertretenden Rollenspiel werden die relevanten Situationen mit Puppen oder Gegenständen nachgespielt. Der Therapeut gibt entsprechend der Angaben durch das Kind eine möglichst präzise Beschreibung der sozialen Situation. In der Regel spielt der Therapeut zunächst selbst die Rolle des unsicher-ängstlich auftretenden Kindes. Im Rollenspiel kommt es dann zur Wendung und Bewältigung der sozialen Situation, trotz Erleben von Angst. Nach Rollentausch übernimmt dann der Therapeut die Rolle des Gegenparts. Er gibt dem Kind unterstützende Hilfe, damit es adäquat reagieren kann. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Unterbindung von Sicherheitsverhaltensweisen. Ein zweites Ziel ist die Externalisierung der Aufmerksamkeit. Die Kinder sollen lernen, die Aufmerksamkeit auf die soziale Aufgabe zu lenken. Wichtig ist die Erarbeitung von Lösungen zum Umgang mit Hindernissen. Was ist, wenn die befürchtete Reaktion eintritt? Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es? Das Kind soll lernen, dass es die Situation trotz seiner Angst bewältigen kann. Kinder können oftmals nicht verbalisieren, wovor sie Angst haben, weil ihnen die Worte dazu fehlen oder sie sich ihrer Probleme nicht bewusst sind. Sie drücken sich zum Beispiel durch das Spiel oder durch Zeichnungen aus. Mithilfe einer Handpuppe (oder einem vergleichbaren Gegenstand, der diese Funktion übernimmt) kann das Kind aber Dinge sagen, die es sich sonst nicht zu sagen trauen würde. Die Puppe kann Widerworte geben und Wut ausdrücken, kann Stärke und Mut in nachgespielten Situationen zeigen, die das Kind selbst nur mit starker Angst erleben kann. Die Puppe darf alles, was das Kind sich noch nicht zutraut und noch viel mehr, was ein gut erzogenes Kind nicht tun sollte. Sie wird zum Helfer und vermittelt neue Einsichten. Beispiel Marie:

(mit furchtloser Ritterpuppe) … soll ein Referat halten, errötet dabei aber sehr stark, was sie verunsichert. Therapeut: (mit Puppen, die Schulkinder darstellen) He, du siehst ja aus wie eine Tomate! Ha, ha, ha! Marie: Ich kann auch noch andere Farben!

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Therapeut: Hä? Lass mal sehen! Marie: Erst einmal erzähle ich euch etwas über die Stockente. Sie hält das Referat.

Beim Rollenspiel mit Videofeedback wird das Rollenspiel mit einer Kamera aufgenommen. Anschließend wird das Video in Sequenzen angeschaut. Dabei soll das Kind sagen, was es gut gemacht hat. Bei einem zweiten Rollenspiel soll es gemeinsam mit dem Therapeuten ausmachen, was es verändern möchte (maximal zwei Dinge). Ein wichtiges Ziel ist die Erfassung von Erwartungen des Kindes, die im Rollenspiel überprüft werden sollen. »Was könnte passieren, wenn du dich in die Situation X begibst?« und »Was ist auf dem Video tatsächlich zu beobachten?« Durchführung der Konfrontation In der Konfrontationsbehandlung wird das Kind mit angstauslösenden Situationen konfrontiert. Ziel aus behavioraler Perspektive ist eine Habituation, die den Rückgang von Angstreaktionen bewirken soll. Eine Variante in der Kognitiven Verhaltenstherapie stellen die Verhaltensexperimente dar. Wie bei Expositionen verlangen sie vom Patienten, sich mit angstauslösenden Situationen zu konfrontieren. Anders als bei Expositionen ist das Ziel von Verhaltensexperimenten aber nicht die Habituation, sondern die Überprüfung von Überzeugungen. Sie zielen darauf ab, Gedanken als Hypothesen zu behandeln und zu überprüfen, ob sie realistische Bewertungen darstellen. Die Bearbeitung von kognitiven Verzerrungen erfolgt dabei implizit. In einer lerntheoretisch orientierten Sichtweise werden die Kinder somit angeregt, die Übungen so lange durchzuführen bzw. sie zu wiederholen, bis ein merklicher Rückgang der Angstsymptomatik erreicht wurde. Nach kognitiver Sichtweise ist der Abgleich der Befürchtungen vor der Situation mit dem tatsächlichen Verlauf entscheidend. Wesentlich für den Erfolg eines sogenannten Verhaltensexperimentes ist also, die Befürchtungen des Kindes genau zu erfassen und einzuschätzen, welches Ergebnis für das Kind wünschenswert erscheint. Die Aufgabe des Therapeuten während der Übung besteht darin, die Aufmerksamkeit des Kindes auf die aktuelle Situation zu lenken und darauf zu achten, dass es Sicherheitsverhaltensweisen unterlässt. Bei Kindern ist es sinnvoll, zunächst mit leicht angstauslösenden Situationen zu beginnen. Bei der Auslösung von sehr starken Angstreaktionen kann es sein, dass es dieses Erlebnis nicht im Sinn des Habituationsmodells bzw. einer kognitiven Umbewertung verarbeitet. Das Kind kann sich möglicherweise nachträglich nicht daran erinnern, dass die Angst über die Zeit abnahm, sondern nur, dass die Situation »schrecklich« war und es nie wieder in eine ähnliche Situation geraten will (Schneider, 2004). Es sollten zu Beginn Übungen durchgeführt werden, die sowohl vom Therapeuten als auch vom Kind gut kontrollierbar sind. Ziel ist es, dem Kind die Wirkungsweise der Übungen überzeugend zu verdeutlichen.

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Nach jeder Konfrontation wird das Kind gelobt. Es ist wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen und nicht sofort mit der nächsten, schwierigeren Aufgabe weiterzumachen. Nur so lernt das Kind, auch sich selbst zu loben. Bei Situationen, die im Alltag nur selten auftreten, oder bei denen Zwischenschritte für Übungen notwendig sind, sind Konfrontationen in sensu (Vorstellungsübungen) hilfreich. Eine Schwierigkeit besteht hierbei jedoch in der Antizipation des Ablaufs einer sozialen Situation. Das Gruppensetting wurde früher als Methode der Wahl zur Behandlung sozialer Phobien beschrieben (z. B. Hope & Heimberg, 1993). Als Vorteil wird angeführt, dass die Gruppensituation selbst als Konfrontationsübung dienen kann und die Rückmeldung der Gruppenteilnehmer hilft, dysfunktionale kognitive Annahmen zu korrigieren. Auch die Erfahrung, andere Kinder und Jugendliche mit ähnlichen Problemen kennenzulernen, kann positive Effekte haben. Ein Vorteil des Einzelsettings ist hingegen die stärkere Anpassung an die individuellen Besonderheiten des Patienten. Außerdem beteiligen sich Kinder mit sehr starken sozialen Ängsten am wenigsten in der Gruppe bzw. vermeiden die Teilnahme. Studien weisen darauf hin, dass auch im Einzelsetting vergleichbare (Scholing & Emmelkamp, 1993) oder sogar bessere (Stangier et al., 2003) Resultate erzielt werden können als im Gruppensetting. Mittelpunktsübungen. Eine besondere Form von Konfrontationsübungen sind Mittelpunktsübungen. Bei Mittelpunktsübungen (Wlazlo, 1995) besteht das Ziel darin zu lernen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und zu erfahren, dass man es nicht nur überstehen, sondern auch aktiv damit umgehen kann. Beispiele für Mittelpunktsübungen sind: jemandem etwas laut zuzurufen, für andere hörbar ein Gespräch zu führen u. Ä. Das Ausbleiben von (negativen) Reaktionen führt dabei zur Angstreduktion. Eine Steigerung dieser Mittelpunktsübungen sind Übungen, die eindeutige Reaktionen bei anderen provozieren: lachen, umschauen, hindeuten, abschätzig schauen etc. Die Angstreduktion erfolgt durch die Habituation auf physiologischer und emotionaler Ebene und die kognitive Umbewertung, dass negative Reaktionen keine katastrophalen Folgen haben müssen. Beispiel Eine Mittelpunktsübung, die Umschauen und Lachen provoziert, ist die Übung, mit einem roten Punkt auf der Nase eine Straße entlang zu laufen. Dabei ist es wichtig, nicht mit schnellem Schritt an jedem vorbei zu huschen, sondern langsam und aufrecht vorbeizugehen und den Leuten dabei ins Gesicht zu sehen und ihre Reaktionen zu beschreiben. Shame Attacks. Eine weitere Variante in der konfrontativen Behandlung sozialer Ängste stellen Shame Attacks dar. Ein bekanntes Beispiel für eine Shame Attack ist es, ein lautes Gespräch mit einer an einer Leine befestigten Banane als vermeintlichen Hund Fifi in einer Fußgängerzone zu führen. Eine weitere Shame-Attack-Übung 4.1 Soziale Angst

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besteht darin, in einem Geschäft mit einer Puppe oder einem Stofftier zum Beispiel darüber ein Gespräch zu führen, welche Waren gekauft werden sollen. Die Übungen zielen darauf ab, ein Höchstmaß an Peinlichkeit zu erzeugen. Der Patient soll die antizipierten Reaktionen auf das auffällige Verhalten überprüfen. Ziel ist es also nicht, den Patienten bloßzustellen oder sich an Peinlichkeit zu »gewöhnen«. Wichtig ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Thema Peinlichkeit, etwa der Frage, ob man überhaupt ein Leben führen kann, ohne sich je einer peinlichen Situation auszusetzen (Fehm & Margraf, 2005). Bislang gibt es allerdings keine empirischen Befunde zum praktischen Nutzen von Shame Attacks, weder bei Erwachsenen noch bei Kindern. Es besteht die Gefahr, dass Kinder, ähnlich wie bei sehr starken Angstreaktionen während Konfrontationsübungen, Shame-Attack-Übungen nicht im Sinne der Auseinandersetzung mit Peinlichkeit verarbeiten, sondern empfindlicher statt unempfindlicher gegenüber peinlichen Situationen werden könnten. Die Gefahr einer Traumatisierung durch nachträgliche Umbewertung könnte bei Kindern also größer sein. Der Kritikpunkt, dass Shame Attacks sehr weit von der Realität entfernt sind, was die Übertragung auf den Alltag schwierig macht, trifft hingegen zwar für die Übungssituation zu, nicht aber für das Gefühl der Peinlichkeit (Fehm & Margraf, 2005). Einbeziehen der Eltern bzw. anderer Bezugspersonen Bei Kindern im Alter von 7 bis 10 Jahren ist es empfehlenswert, die Eltern nach Möglichkeit in die Therapie einzubeziehen. Studien zeigen für diese Altersgruppe die Tendenz, dass sich mit Beteiligung der Eltern bessere Ergebnisse erzielen lassen. Hinweise für das Einbeziehen der Eltern Zunächst sollte das Einverständnis des Kindes eingeholt werden, bevor den Eltern etwas aus der Therapie des Kindes mitgeteilt wird, um die Vertrauensbeziehung zum Kind nicht zu gefährden. " Informationen, warum Ängste für Kinder wichtig sind, sind ein wichtiger Bestandteil der Elternarbeit. " Gemeinsam mit den Eltern sollte ein Modell zur Entstehung sozialer Ängste entwickelt werden. " Zur Diagnostik der Eltern-Kind-Beziehung kann eine videogestützte Diagnostik hilfreich sein, da sie eine feinere Analyse der Interaktionen ermöglicht. Sie kann wesentliche Hinweise liefern, ob und wie ängstliche Verhaltensweisen des Kindes von Seiten der Eltern verstärkt werden. " Informationen zum hilfreichen Umgang mit Kinderängsten (s. u.) und Informationen zur Konfrontationsbehandlung sind wesentliche Bestandteile der Elternarbeit. "

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Kognitionen »Angstgedanken« sind zum Beispiel Gedanken, etwas nicht zu können, etwas Peinliches zu machen, zu versagen oder schwächer als die Angst zu sein. Studien an erwachsenen Sozialphobikern weisen auf die zentrale Bedeutung von Informationsverarbeitungsprozessen hin. Sie zeigen zum Beispiel, dass diese ihre Performanz unterschätzen, während sie eigene Fehler im Sozialverhalten verstärkt wahrnehmen (z. B. Dodge et al., 1987; Hope et al., 1990; Maddux et al., 1988; Rapee & Lim, 1992; Stopa & Clark, 1993). Ob sich diese Besonderheiten in den kognitiven Prozessen bei sozial phobischen Erwachsenen auch auf Kinder übertragen lassen, wird noch diskutiert. Einige Studien zeigen, dass auch bei ängstlichen Kindern ein negativer Interpretationsbias vorliegt, wenn mehrdeutige Stimuli oder Situationsbeschreibungen vorgegeben werden (s. o.). Dies legt die Vermutung nahe, dass auch bei Kindern eine stärkere Einbeziehung kognitiver Prozesse zu einer verbesserten Wirksamkeit der Expositionsbehandlung führen kann. Dazu ist es neben einem Aufmerksamkeitstraining wichtig, Angst machende in Mut machende Gedanken zu verändern. Wichtig bei den Mut machenden Gedanken ist es, dass die Kinder sich die Angst nicht ausreden, sondern sich Mutgedanken überlegen, die sie wirklich überzeugen. Bisher vorherrschende Gedanken werden hinterfragt und an der Wirklichkeit überprüft. So stellt man sich bei der Annahme »Diese Person mag mich nicht« erst einmal die Frage: Was sind die Anhaltspunkte dafür, dass es so ist? Wenn die Annahme stimmt, was ist das Schlimme daran? Ist es möglich, von allen gemocht zu werden? Was bedeutet es, von jemanden nicht gemocht zu werden? Gibt es Beispiele für prominente Personen, die von anderen nicht gemocht werden? Aufmerksamkeitsumlenkung Bei Bedarf kann ein Aufmerksamkeitstraining durchgeführt werden, das darauf abzielt, die Aufmerksamkeit auf die Aufgaben oder soziale Anforderungen, also »nach außen«, zu lenken. Ein Aufmerksamkeitstraining kann zu einer Reduktion der sozialen Ängste führen (Clark & Wells, 1995). Ziel des Aufmerksamkeitstrainings ist, die soziale Aufgabe besser zu bewältigen. Es werden Übungen durchgeführt, bei denen die Aufmerksamkeit zunächst selektiv auf sich selbst gerichtet wird. Anschließend erfolgt die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Aufgabe, also in der Regel auf die soziale Situation. Eine Aufgabe kann darin bestehen, ohne Blickkontakt einem Gespräch zu folgen und sich währenddessen auf die körperlichen Symptome der sozialen Angst zu konzentrieren. Später soll die Aufmerksamkeit auf die soziale Situation verlagert werden. Wichtig ist der Vergleich der Ergebnisse: Welche Unterschiede hat das Kind bemerkt? Hausaufgaben Hausaufgaben kommt in der Therapie eine wichtige Rolle zu, denn sie intensivieren und unterstützen die Therapie, sie fördern den Transfer zwischen Therapie und Alltag und stärken Eigeninitiative und Selbstwirksamkeit. Hausaufgaben dürfen nicht zu 4.1 Soziale Angst

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leicht sein, damit sie nicht belanglos erscheinen. Gleichzeitig müssen sie aber zu bewältigen, also nicht zu schwer sein. Beispiele für Hausaufgaben, die die Kinder zwischen den Sitzungen bewältigen können, sind: " Symptomprotokolle, Erfahrungsberichte, Tagebücher führen " Dysfunktionale Gedanken erkennen " Entscheidungen vorbereiten " Vermiedene Situationen aufsuchen, neue Verhaltensweisen ausprobieren Soziale Kompetenztrainings Die Behandlung der Sozialen Phobie baute viele Jahre auf der Vermittlung sozialer Kompetenzen auf. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit sozialer Kompetenztrainings stellt sich aber die Frage, ob weniger die Vermittlung sozialer Kompetenzen als vielmehr die Ermutigung zur Konfrontation mit angstauslösenden Situationen sowie die Vermittlung positiver Selbstwirksamkeitserwartungen bedeutsam sind. Es lassen sich sogar einschränkende Wirkungen sozialer Kompetenztrainings vermuten. Ein Problem, das durch soziale Kompetenztrainings ausgelöst werden kann, ist eine mögliche Verstärkung von Selbstaufmerksamkeit: Die Aufmerksamkeit des Patienten liegt darauf, sich »richtig« zu verhalten, er beobachtet sich selbst und sein Verhalten dahingehend kritisch, die Aufmerksamkeit für die soziale Situation nimmt ab. Kritisch zu sehen ist insbesondere, dass bei Versagen kompetenter Verhaltensweisen vom Patienten erwartet wird, eine Ablehnung zu erhalten. Diese Erwartungshaltung wiederum kann Angst auslösen. Bei Kindern und Jugendlichen wird diskutiert, ob soziale Kompetenzdefizite für die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Probleme eine bedeutsamere Rolle spielen als bei erwachsenen Sozialphobikern (Rapee & Spence, 2004). Es liegen aber auch Befunde vor, die darauf hindeuten, dass soziale Kompetenzdefizite keine zentrale Rolle spielen (Kap. 2). Es erscheint deshalb sinnvoll, nur die tatsächlich fehlenden Kompetenzen zu vermitteln. Soziale Kompetenzübungen Nach der Uhrzeit fragen. " Nach dem Weg fragen. " Fragen, ob das der Bus XY ist. Das Kind bekommt keine Antwort. " Einen Verkäufer nach einem bestimmten Artikel fragen. Der Verkäufer reagiert genervt.

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4.1.2 Möglichkeiten im Umgang mit sozial ängstlichen Kindern: die Eltern Kinderängste ertragen lernen Viele Eltern wünschen sich, ihren Kindern ein möglichst angstfreies Leben zu ermöglichen. Doch jede gesunde Entwicklung von Kindern durchläuft verschiedene Phasen, zu denen auch die konfliktbelasteten Seiten des Lebens gehören. Ein Kind zu einem gesunden und selbstsicheren Erwachsenen zu erziehen, ist eine große Herausforderung. Die Kindheit ist geprägt durch Wachsen, Verändern, Aufbrechen in neue Phasen. Das geht nicht immer ohne Probleme und Ängste vor sich. Es fordert von den Eltern immer wieder, mitzugehen, neu zu gestalten, umzulernen. In der Konfrontation mit Kinderängsten kommt es oft vor, dass Eltern sich hilflos fühlen, sie kommen an die Grenzen ihrer Geduld und ihres Verstehens oder Ertragens. Um mit den Ängsten ihrer Kinder umgehen zu lernen, müssen Eltern verstehen, dass Ängste bei jedem Kind vorkommen (Specht-Toman, 2007). Liebe und Geborgenheit Liebe und Geborgenheit sind jene Elemente, die dazu beitragen, dass das Kind eine tragfähige Basis erhält, auf die es in Krisenzeiten, also in Zeiten der Angst, zurückgreifen kann. Eine Atmosphäre der Geborgenheit erlaubt es Kindern, Fragen zu stellen. Der Respekt vor seiner Weltsicht ermöglicht, dass es sich anvertrauen kann, ohne Sorge davor, ausgelacht zu werden oder dass seine Welt nicht ernst genommen wird (Specht-Toman, 2007). Eigene Ängste überwinden Eine wichtige Grundvoraussetzung für Eltern, um das Kind in Phasen der Angst, Not und Verunsicherung effektiv zu unterstützen, ist zu lernen, mit ihren eigenen Ängsten umzugehen. Das können etwa Ängste vor Krankheit, Trauer oder Tod sein. Eltern sind ein wichtiges Vorbild für Kinder. Kinder lernen an deren Umgang mit Angst, aber auch mit Ratlosigkeit, Verletztheit oder Bedrohung, mit eigenen Krisen umzugehen. Sie lernen, dass ihre Eltern nicht allwissend sind. Und sie lernen, dass sich Fähigkeiten zur Angstbewältigung, ebenso wie zur Bewältigung von Enttäuschungen oder Krisen, entwickeln können. Durch das Vorbild ihrer Eltern gewinnen sie das Vertrauen in sich selbst, um sich Ängsten zu stellen. Zuversicht und Vertrauen Um Angstgefühle bewältigen zu können, sollten Eltern das Kind ermuntern, ihm Vertrauen und die Zuversicht entgegenbringen, dass es seine Ängste überwinden lernt. Manchmal werden Eltern von Gedanken gequält wie »Mein Kind ist noch nicht in der Lage, diese Situation zu meistern«, »Ich bin eine schlechte Mutter, weil ich meinem Kind die Angst nicht nehmen kann«, »Es ist mein Fehler, dass mein Kind ängstlich ist«. Falls Eltern unter solchen Gedanken leiden, können sie ihrem Kind nicht das notwendige Vertrauen entgegenbringen, um es in seinem Kampf gegen die Angst zu 4.1 Soziale Angst

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unterstützen. Dem Kind zuzutrauen, dass es seine Ängste bewältigen kann, schafft Selbstvertrauen. Die Eltern sollten deshalb Möglichkeiten für das Kind schaffen, ängstigende Situationen aufzusuchen, damit es lernen kann, damit umzugehen. Bei sozial ängstlichen Kindern sind das soziale Situationen, die die Eltern dem Kind nicht ersparen können, sondern ihm zeigen sollten, damit es an seinen Ängsten lernen und wachsen kann. Kindern hilfreich zur Seite stehen Wenn Eltern ihrem Kind in seinem Kampf gegen die Angst hilfreich zur Seite stehen wollen, sind Anteilnahme, Verständnis und Vertrauen wichtig. Nicht jede Angst ist behandlungsbedürftig. Aber die Ängste des Kindes sollten nicht einfach ignoriert, sondern ernst genommen werden. Der Satz »Du brauchst doch keine Angst zu haben« und seine vielfältigen Varianten helfen dem Kind nicht. Auch Aussagen, die die Angst abwerten, sind häufig kontraproduktiv. Die Eltern werten damit auch das Kind ab. Die Eltern können sich aber mit dem Kind gegen die Angst verbünden, wenn sie ihr Kind spüren lassen, dass sie verstehen, wie schwer die Angst manchmal zu ertragen ist. Umgekehrt sind eine Dramatisierung von Ängsten und eine übertriebene Beruhigung nicht unterstützend. Ängste gehören zur normalen Entwicklung eines jeden Kindes, sie können dem Kind nicht gänzlich erspart werden. Eltern sollten ihr Kind selbst fragen, was es zur Bewältigung des Problems beitragen kann und seine Lösung respektieren, auch wenn sie ihnen vielleicht »zu kindlich« vorkommt. Wenn Eltern dem Kind mehr Eigenverantwortung geben, schenken sie ihm Vertrauen. Und: Geduld ist wichtig. Eine Angstbewältigung ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Eltern sollten außerdem dem ängstlichen Verhalten so wenig Aufmerksamkeit wie möglich schenken, Vermeidungsverhalten wann immer möglich verhindern, aber nicht an Lob für das Aushalten von Angst sparen. Damit wird die Aufmerksamkeit nicht mehr auf das ängstliche Verhalten, sondern auf die Angstbewältigung gelenkt.

4.1.3 Möglichkeiten im Umgang mit sozial ängstlichen Schülern: die Lehrer Viele der Aspekte, die für die Eltern von sozial ängstlichen Kindern genannt wurden, lassen sich auch auf den Bereich der Schule übertragen. Von großer Bedeutung für die Schulsituation sind die im Folgenden aufgeführten Bereiche. Vertrauen, Achtung, Wertschätzung Kinder, die unter starken sozialen Ängsten leiden, benötigen Hilfe. Lehrer müssen die Angst auch da bekämpfen, wo sie auftritt: in der Schule. Eine Basis, um es sozial ängstlichen Kindern zu erleichtern, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen, ist ein

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4 Therapie bzw. Intervention

wertschätzender Umgang miteinander und eine faire Gruppensituation, in der keiner ausgelacht wird, in der sich Schüler und Lehrer gegenseitig respektieren und tolerieren, in der Grundlagen für konstruktive Konfliktlösungen und Zivilcourage vermittelt werden, in der Verantwortung übernommen wird. Eine Schule, in der es klare Regeln für den Umgang miteinander auf der Grundlage von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung gibt, erleichtert die Überwindung von Ängsten und die Entwicklung von Vertrauen in eine soziale Gemeinschaft. Rückmeldungen Der Art der Rückmeldung kommt eine wichtige Rolle zu: Wichtig für Rückmeldungen ist, in der Gruppe zu loben und nur im Einzelgespräch zu kritisieren. Das Lob sollten Lehrer auch dann aussprechen, wenn die Antwort des Schülers leise vorgebracht wurde. Kritik sollte nicht verurteilen und verallgemeinern, es sollte das Kind nicht vor den anderen blamieren oder es bezüglich seiner Schüchternheit in den Mittelpunkt stellen.

4.1.4 Zusammenfassung In der Behandlung sozialer Ängste werden – wie allgemein bei Angststörungen – vorrangig Konfrontationsverfahren mit dem Ziel einer Habituation angewendet. Nach kognitiver Sichtweise ist hingegen der Abgleich der Befürchtungen vor der Situation mit dem tatsächlichen Verlauf entscheidend. Zur Vorbereitung der Konfrontationsverfahren können Rollenspiele, auch stellvertretende Rollenspiele und Rollenspiele mit Videofeedback dienen. Wesentlich ist, dass das Kind auf Vermeidungsstrategien verzichtet, die teilweise sehr subtil sein können, und die Aufmerksamkeit auf die soziale Situation lenkt. Unterstützend kann auch ein Aufmerksamkeitstraining durchgeführt werden. Eine besondere Form von Konfrontationsübungen sind sogenannte Mittelpunktsübungen, bei denen die Kinder lernen sollen, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Eine kritisch diskutierte Variante stellen Shame Attacks dar, Übungen, die ein Höchstmaß an Peinlichkeit erzeugen sollen. Die Motivierung durch kindgerechte Gestaltung spielt bei Kindern eine sehr große Rolle. Um ihnen die Angstbewältigung zu erleichtern, kann die Technik der Externalisierung hilfreich sein, bei der die Angst als external, also nicht zur Persönlichkeit des Kindes gehörig, angesprochen wird. Mit einer Identifikationsfigur, wie bekannten Personen, die kompetent mit Angst umgehen, lassen sich leichter neue Wege im Umgang mit schwierigen angstauslösenden Situationen finden. Alternativ kann auch ein Gegenstand zur Vertrauensbildung gesucht werden, ein »Glücksbringer«. Das Erzählen von Geschichten zur Angstbewältigung kann eine effektive Form von verdecktem Modelllernen sein. Manche Kinder profitieren von einem formelhaften Spruch, der ihnen im Umgang mit der Angst hilft, indem sie ihn aufsagen. Insbesondere bei jüngeren Kindern ist der Einbezug der Eltern notwendig. Nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ob ein stärkerer Einbezug kognitiver Prozesse die Wirk4.1 Soziale Angst

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samkeit der Expositionsbehandlung verbessert. Auch die Frage, ob die Vermittlung sozialer Kompetenzen als wirksam einzustufen ist, bleibt umstritten. Für Eltern sozial ängstlicher Kinder ist es wichtig, Kinderängste ertragen zu lernen, Liebe und Geborgenheit zu geben, eigene Ängste zu überwinden und dem Kind mit Zuversicht und Vertrauen hilfreich zur Seite zu stehen. Um Kindern in der Schule eine Basis zu schaffen, soziale Ängste zu überwinden, sollten Lehrer auf einen respektvollen Umgang miteinander achten.

4.2 Schulangst Bei der Schulangst ist der Ausschluss schulischer Überforderung mithilfe psychologischer Leistungs- und Intelligenzdiagnostik von immenser Bedeutung. Liegt eine Leistungsüberforderung vor, sollten gezielte Fördermaßnahmen, ggf. ein sonderpädagogischer Förderbedarf oder Schulwechsel folgen. Denn die Leistungsanforderungen müssen dem Leistungsniveau des Schülers entsprechen. Dazu trägt auch eine schülerangemessene Unterrichtsmethodik bei. Damit Schüler gerne in die Schule gehen, müssen Erfolgserlebnisse möglich und Aufgaben zu bewältigen sein. Nur so kann das Selbstbewusstsein gestärkt werden. Der zweite wichtige Bereich betrifft die Entwicklung eines sozialen Klassenmilieus. Um Mobbing oder Gewalt in der Schule oder auf dem Schulweg zu verhindern, reicht es nicht aus, nur die individuellen Bewältigungskompetenzen der Schüler zu stärken. Zur Lösung solcher Probleme sind Erwachsene gefordert.

4.2.1 Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Schüler Punktepläne Punktepläne dienen dazu, neue Verhaltensweisen für die Kinder und Jugendlichen attraktiv zu machen (Krowatschek & Domsch, 2006). Kind und Erwachsener treffen eine Vereinbarung für ein Ziel, das in kleine Schritte unterteilt wird. Das Kind verdient Punkte, wenn es sich Schritt für Schritt dem Ziel nähert. Hat es genügend Punkte gesammelt, kann es sie gegen einen Preis eintauschen, der die Attraktivität der Punkte ausmacht. Punktepläne lassen sich sehr vielseitig einsetzen. Wichtig ist eine genaue Definition eines Zielverhaltens. Zu viele angestrebte Verhaltensweisen können Kinder überfordern. Mit dem Kind muss genau besprochen werden, welche Verhaltensweise zu Punkten führt. Die Anzahl der zu erreichenden Punkte muss ebenso festgelegt sein wie die nötige Punktanzahl, um sie gegen einen Preis einzutauschen. Der erste Preis sollte relativ schnell erreicht werden, um dem Kind zu zeigen, dass es sich lohnt, sein Verhalten zu verändern. Hat sich die Situation deutlich verändert, wird der Punkteplan allmählich ausgeschlichen.

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4 Therapie bzw. Intervention

Beispiel "

"

Ein Kind, das Angst hat, sich zu melden, kann einen Punkt erhalten, wenn es sich anfangs mindestens einmal von alleine in einem festgelegten Unterrichtsfach meldet. Später, wenn es dem Kind leichter fällt, kann es den Punkt erhalten, wenn es sich häufiger von alleine gemeldet hat. Ein Kind, das Angst hat, in die Schule zu gehen, kann Punkte sammeln, wenn es in die Schule geht.

Angstmachende Gedanken verändern Bei der Änderung Angst machender in Mut machende Gedanken ist es nicht immer leicht, die Angst machenden Gedanken des Kindes herauszufinden. Je geringer der zeitliche Abstand zur auslösenden Situation ist, desto leichter sind sie zu erkennen. Manche Kinder können keine Gedanken beschreiben, die ihnen durch den Kopf gehen. Dann erreicht man mit dieser Methode des Gedankenveränderns wenig. Positive Selbstinstruktionen können Affirmationen wie »Ich schaffe das!«, realistische Gedanken wie »Ich muss nicht perfekt sein!« oder beruhigende Gedanken wie »Ich bleibe ganz ruhig« sein. Mit Fragen wie »Was befürchte ich?«, »Wie wahrscheinlich ist meine Befürchtung?«, »Wie oft ist meine Befürchtung eingetreten?«, »Was könnte stattdessen eintreten?« kann das Kind lernen, seine eigenen Befürchtungen zu hinterfragen (Krowatschek & Domsch, 2006). Sorgenzeit eingrenzen Wenn Kinder sich häufig Sorgen machen, kann es sinnvoll sein, die Sorgenzeit einzugrenzen (Krowatschek & Domsch, 2006). Die Sorgenzeit wird zum Beispiel auf zehn Minuten pro Tag begrenzt. In dieser Zeit wird das Kind bewusst aufgefordert, sich Sorgen zu machen. Anschließend ist sorgenfreie Zeit. Das Kind lernt, die Sorgen zu kontrollieren: Es schaltet sie zu einer festgelegten Zeit ein, schaltet sie aber auch wieder ab. Es lernt, dass es nicht mehr von seinen Sorgen überwältigt wird. Individuelle Bewältigungskompetenzen im Umgang mit Mobbing oder Gewalt stärken Im Umgang mit Mobbing oder Gewalt in der Schule oder auf dem Schulweg ist es wichtig, die individuellen Bewältigungskompetenzen der Schüler zu stärken, auch wenn das allein die Probleme in der Regel nicht lösen kann. Der erste Schritt besteht darin, dass das Kind durchschaut, wie Mobbing funktioniert. Zuversicht, gegen das Mobbing ankommen zu können, kann mit Unterstützung durch Erwachsene erzeugt werden. Noch hilfreicher ist es, weitere Verbündete auch unter anderen Eltern und Mitschülern zu suchen. In Rollenspielen können Kinder und Jugendliche lernen, sich zu wehren oder zu schützen. Eine wichtige Regel besteht darin, ruhig zu bleiben und seine Angst nicht zu zeigen. Hastige Bewegungen reizen die Angreifer in der Regel noch mehr. Bei körperlicher Gewalt sollte das Kind oder der Jugendliche so schnell wie möglich weglaufen, notfalls um Hilfe rufen, dabei direkt auf Leute zugehen und sichere 4.2 Schulangst

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Orte wie Geschäfte aufsuchen oder an Haustüren klingeln. Sich nicht wie ein Opfer zu verhalten, kann die Täter ebenfalls verunsichern. Dazu gehören Verhaltensweisen wie: ihnen in die Augen schauen, sie energisch ansprechen, laut und deutlich sagen, was die Tätern tun wollen, damit Umstehende es mitbekommen. Drohungen und Beleidigungen helfen nicht (Heiderich & Rohr, 2007). Körperübungen Sport kann ein guter Ausgleich sein. Sport im Verein ermöglicht, dass die Kinder und Jugendlichen Freundschaften aufbauen können und Erfolgserlebnisse haben. Sport kann Ängste reduzieren, indem es den Erregungslevel senkt. Auch Atemübungen können in angstauslösenden Situationen helfen, Nervosität zu mindern. In Stresssituationen wird dem Körper durch verkürztes und verkrampftes Einatmen oftmals zu wenig Sauerstoff zugeführt. Durch richtiges Atmen nimmt der Mensch mehr Sauerstoff auf. Richtiges Atmen erfolgt nicht nur mit dem Brustkorb, sondern auch mit dem Bauch, dem Zwerchfell. Die Hände sollen so auf den Bauch gelegt werden, dass sich die Finger gerade noch berühren. Wenn tief in den Bauch eingeatmet wird, hebt sich die Bauchdecke und die Mittelfinger berühren sich nicht mehr. Dann sollte der Atem ein wenig angehalten werden, bevor langsam wieder ausgeatmet wird, bis sich die Mittelfinger wieder berühren. Bei jüngeren Kindern kann die Atemübung in eine Vorstellungsübung eingebunden sein: Das Kind soll sich vorstellen, dass es ein kräftiger Sturm sei, der die Äste der Bäume schüttelt, an den Häusern rüttelt und die Regenschirme der Menschen wegpustet. Dann soll es so stark pusten, dass es sogar den Therapeuten umpustet. (Der Therapeut legt sich langsam auf den Rücken, währenddessen fordert er das Kind auf, ihn nun wieder aufzurichten). Das Kind soll nun einen saugenden Ton machen und die Luft in sich hineinholen, um den Therapeuten wieder hochzusaugen.

4.2.2 Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Eltern Über Ängste sprechen Eine wichtige Hilfe ist es, wenn schulängstliche Kinder über ihre Ängste sprechen können. Eltern können ihren Kindern das Erzählen erleichtern, indem sie generell Interesse am Schulleben ihres Kindes zeigen und sich regelmäßig Zeit nehmen, über den Schulalltag zu sprechen. So bemerken sie auch eher, ob ihr Kind plötzlich Klassenkameraden meidet oder die Freude an bestimmten Schulfächern verliert und können vermehrt auf Schwierigkeiten im Schulalltag achten. Lob Zuhause sollte das Kind ausreichend Lob und Zuspruch bekommen. Es muss dem Kind deutlich werden, dass die Eltern ihre Liebe unabhängig von Schulängsten und Schulschwierigkeiten zeigen. Es ist eine Beruhigung für das Kind, wenn Eltern Vertrauen in seine Fähigkeiten zeigen. So fällt es ihm leichter, Ängste zu überwinden. Lob und Zuspruch sind wichtig, aber es sollte nicht zu viel Hilfe gezeigt werden. Es

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4 Therapie bzw. Intervention

sollte außerdem darauf geachtet werden, dass ausreichend Berührungspunkte zwischen Eltern und Kind bestehen, die mit der Schule nichts zu tun haben. Ausreichend Schlaf Zu wenig Schlaf macht anfällig für Sorgen und Befürchtungen. Deshalb sollten Eltern dafür Sorge tragen, dass ihr Kind ausreichend Schlaf bekommt. Abendrituale wie Gute-Nacht-Geschichten können helfen, sorgenfreier einzuschlafen. Feste Zubettgehzeiten haben sich bewährt. Bereits eine Stunde vorher sollte eine ruhige Abendstimmung eingeläutet werden, die zum Beispiel Toben oder aufregende Filme bzw. Computerspiele ausschließt. Das Kind muss lernen, dass im Bett nur geschlafen, nicht gespielt oder getobt wird. Morgendlicher Stress Eine feste morgendliche Struktur und Morgenrituale helfen im Umgang mit morgendlichen Stress. Um Stress durch Zeitmangel zu vermeiden, ist ein rechtzeitiges Wecken wichtig. Wird bei der Auswahl der Kleider getrödelt, so ist es sinnvoll, dass die Kleidung bereits am Abend vorher zurechtgelegt wird. Lob hilft, das Augenmerk auf Situationen zu lenken, in denen diese Ziele erreicht wurden. Beispiel Levi kommt morgens nur schwer aus dem Bett. Erschöpft und lustlos sieht er dem Tag entgegen. Beim Anziehen und Waschen schleppt er sich mühsam voran, sodass es immer zu Zeitproblemen kommt. Die Eltern, die beide berufstätig sind und ebenfalls pünktlich bei ihrer Arbeitsstelle erscheinen müssen, sind verärgert. Zunächst wird an Levis Trödelei gemeckert, dann an dem Ton seiner patzigen Antworten, schließlich eskaliert die Situation. Die Eltern beschließen gemeinsam mit ihrem Sohn, morgens zeitiger aufzustehen. Wenn er zu einer festgesetzten Zeit am Frühstückstisch erscheint, darf er Kakao trinken, sonst bleibt es bei einem Glas Milch. Bald schon verschwand der morgendliche Stress. Möglichkeiten bieten, Ängste zu überwinden Gerade ängstlichen Kindern können kleine Abenteuer helfen, Strategien gegen Ängstlichkeit zu trainieren. Sport oder Wochenendausflüge können dafür geeignet sein. Wenn dem Kind dadurch das Vertrauen vermittelt wird, dass es die Situation in der Schule genauso gut schaffen kann, stärkt es sein Selbstvertrauen. Außerschulischer Ausgleich Damit die Schule nicht überwichtig wird, sollten genügend außerschulische Aktivitäten geschaffen werden. So kann das Kind Selbstwertgefühle bei Sport, Musik, Kunst, Freunden und anderen Freizeitaktivitäten entwickeln.

4.2 Schulangst

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Vorbild der Angstbewältigung Wenn Eltern ihre eigenen Ängste unter Kontrolle halten oder aber eigene Ängste anerkennen, können sie dem Kind ein Vorbild in der Bewältigung von Ängsten geben. Sie vermitteln dem Kind, Bedrohungen mit Vernunft und Bedacht anzugehen. Keine Toleranz bei der Schulvermeidung Der Schulbesuch ist ein bedeutsamer Einschnitt. Die Kinder müssen sich von ihren Eltern trennen, die Eltern von ihren Kindern. Warum der Schulbesuch wichtig ist, sollte außer Frage stehen. Auch wenn einmal wegen einer Erkrankung kein Schulbesuch möglich ist, sollte das Kind nicht zu sehr verwöhnt werden, um ihm den Übergang in die Schule nicht schwerer zu machen als notwendig. Das Kind sollte sich nach den Hausaufgaben erkundigen, damit keine zu großen Lücken im Schulstoff entstehen. Kommt das Kind mit Ängsten nach Hause, ist es wichtig, es einfühlsam zu trösten, der Schulbesuch selbst darf aber nicht in Frage gestellt werden. Auch dramatische Abschiedsszenen erschweren dem Kind den Schulbesuch. Medikation In den allermeisten Fällen ist eine medikamentöse Behandlung bei Schulangst nicht nötig. Ungünstig wäre es, wenn das Kind lernt, mithilfe von Tabletten seine Probleme lösen zu wollen. Gespräche mit den Lehrkräften Manche Probleme lassen sich nur durch Gespräche mit den jeweiligen Lehrern lösen. Um Fronten nicht zu verhärten und die Kinder darin zu unterstützen, eine positive Einstellung gegenüber der Schule aufzubauen, sind Gespräche mit Lehrern wichtig. Darin können Eltern und Lehrer gemeinsam herausfinden, woher die Angst stammt, um Ziele festzulegen und Mut zuzusprechen und notfalls eine sonderpädagogische Förderung oder einen Schulwechsel vorzubereiten. Liegen Probleme mit einem Lehrer vor, müssen beide Seiten, Eltern wie Lehrer, eine Chance haben, hinderliches Verhalten, das ihnen vielleicht nicht bewusst ist, zu verändern oder sich zu entschuldigen. Viele Eltern meiden es, die Schule ihrer Kinder aufzusuchen. Oftmals sind es eigene persönliche Erfahrungen der Eltern während ihrer Schulzeit, die zur Abneigung gegenüber der Schule führte, für andere ist die Hemmschwelle zu hoch, z. B. aufgrund von Autoritätsängsten gegenüber den Lehrern oder mangels Interesse am Schulalltag. Vorbereitung auf den Schuleintritt Um dem Kind den Schuleintritt zu erleichtern, ist es wichtig, die Schule zum Beispiel im Rahmen eines »Tags der offenen Tür« von innen kennen zu lernen. Mit Bilderbüchern, Geschichten, Liedern und anderen für das Kind angenehmen Dingen kann das Kind positiv auf die Schule eingestimmt werden. Aussagen wie »Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!« oder »Jetzt habe ich die Vormittage endlich wieder für mich!« sollten vermieden werden. Es ist wichtig, gemeinsam den Schulweg zu »üben«, dabei kann gemeinsam Neues und Schönes entdeckt werden. Der erste Schultag ist ein besonderer

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4 Therapie bzw. Intervention

Tag, den die Eltern mit dem Kind gemeinsam zu einem positiven Erlebnis gestalten sollten. Am Morgen können dem Kind beim Weggehen kleine Abschiedsrituale angeboten werden. Auch »kleine Helfer« wie Mutsteine oder Hosentaschenkuscheltiere können je nach Bedarf mit zur Schule genommen werden. Um dem Kind Mut zu machen, von seinen Erlebnissen in der Schule zu erzählen, müssen sich die Eltern für die Schule und die Erfahrungen des Kindes in der Schule interessieren (Specht-Toman, 2007, S. 125).

4.2.3 Möglichkeiten im Umgang mit Schulangst: die Lehrer Beispiel Bericht einer Grundschullehrerin »Ob mir etwas an Svenja in letzter Zeit aufgefallen ist, haben mich ihre Eltern gefragt. Mitten im Gewimmel auf dem Flur. Die Weihnachtsfeier ist zu Ende. Die Kinder suchen mit ihren Eltern ihre Sachen zusammen. Eben noch haben wir unser Weihnachtsstück vorgeführt und gemeinsam gesungen. Die Kaffeestunde war harmonisch. Einige Eltern nicken mir zu und verlassen die Schule. Andere wiederum warten noch auf ein persönliches Gespräch mit mir. Auch der Elternvorsitzende wartet und beobachtet mich. Auf unserem ersten Elternabend begrüßte er mich mit den Worten »Seit es Lehrer gibt, sind die Schüler nicht mehr die Dümmsten«. Er lachte herzhaft. Damit schienen die Fronten für ihn geklärt zu sein, während meine Arbeit, ihn für die Teamarbeit zu gewinnen, erst begann: Nicht Eltern gegen Lehrer, sondern Eltern und Lehrer gemeinsam zum Wohle ihrer Kinder. Svenjas Eltern stehen vor mir. Meine Beziehung zu Svenja habe ich immer positiv eingeschätzt. Sie ist eine freundliche Schülerin, die dem Unterricht aufmerksam und ruhig folgt. In letzter Zeit hat sie häufiger gefehlt. Svenja habe Angst vor der Schule, berichten mir die Eltern, sie mag sich nicht melden und wolle morgens kaum in die Schule gehen. In meiner Ausbildung gab es das Thema Schulangst nicht. Fortbildungen dazu sind mir nicht bekannt. Wenn ich meine Kollegen oder die Schulleitung dazu befrage, ob sie auch ein Kind mit Schulangst unterrichten, kann ich mir die Antwort denken. An unserer Schule gibt es dieses Problem nicht – auch wenn die Statistik etwas anderes sagt. Implizit bedeutet die Antwort: Wenn du ein schulängstliches Kind in der Klasse hast, dann muss dein Unterricht schlecht sein. Wie gehe ich jetzt weiter vor? Unser Schulpsychologe kümmert sich um ein anderes Kind meiner Klasse. Ich weiß, dass Svenja eine Katze hat. Ich werde das Thema im Sachunterricht vorziehen. Vielleicht ist es ein Anreiz für sie, ein Anfang?«

4.2 Schulangst

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Kinder annehmen Eine Klassenatmosphäre, in der die Anliegen der Schüler ernst genommen werden, in der wechselseitiger Respekt herrscht, der Lehrer sich als verlässlich und hilfsbereit zeigt, bietet dem Kind ein gutes Umfeld, um seine Schulangst zu überwinden. Kinder und Jugendliche machen nur mit, wenn sie sich in der Schule wohl fühlen, wenn man ihnen nicht mit negativen Folgen im späteren Leben »droht«. Wenn die Kinder die Zeit zum Nachdenken bekommen, die sie benötigen, ihnen Erfolgsergebnisse und Lob ermöglicht werden, während auf Drohbotschaften und Bloßstellungen verzichtet wird, lässt sich eine gute Klassenatmosphäre herstellen. Wenn man Kindern das Gefühl geben kann, dass sie angenommen sind, dass sie wichtig sind, dass jeder etwas Besonderes gut kann, ohne dass es ein Ausnahmetalent sein muss, herrscht eine respektvolle Atmosphäre in der Klasse. Schule kann zu einem Ort werden, zu dem Kinder gerne hingehen, Schule kann neugierig auf das Leben machen und Interessen weiterentwickeln, wenn die erste Frage lautet, was ein Kind kann und nicht, was es nicht kann. Der Wettbewerb und die Leistung dürfen nicht im Vordergrund stehen. Keine Bloßstellung Lehrer haben gegenüber Schülern sehr viel Macht. Wenn sie ihre Schüler kränken und entmutigen oder sie beschämen, verstärken sie Unsicherheiten des Kindes. Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit lassen Schüler resignieren. Eine respektvolle Lernumgebung schafft eine wichtige Grundlage zum Lernen. Schüler, die das Gefühl haben, sie können jederzeit ausgelacht werden, lernen ungern. Angst ist nicht gut für das Lernen und Problemlösen. Eine Schule, in der man Fehler machen kann, in der Raum und Zeit ist, etwas über die Welt herauszufinden, ist eine Schule, die die Angst von Schülern mindern hilft. Entwicklung eines sozialen Klassenmilieus Um ein soziales Klassenmilieu zu ermöglichen, sind das Vorbild der Erwachsenen und klare Vorgaben durch Klassen- und Schulregeln notwendig. Regeln, dass niemand ausgegrenzt wird, sondern alle Schüler der Klasse zur Gemeinschaft gehören. Zu diesen Regeln zählen ein freundlicher Umgangston miteinander, Respekt gegenüber der Meinung anderer, keine Duldung von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, keine Duldung von Gewalt. Soziale Probleme in der Klassengemeinschaft können z. B. mithilfe eines »Kummerkastens« oder Klassenratsbuchs besprochen werden. Projektthemen, in denen es um Schulangst, Mobbing oder soziales Verhalten geht, machen auf Probleme aufmerksam. Außerschulische Nachmittage der Klasse, um nicht nur gemeinsam zu lernen und zu arbeiten, sondern auch zu spielen, Schönes gemeinsam zu erleben, sind Beispiele für Maßnahmen, um ein soziales Klassenmilieu zu fördern (vgl. Drew, 2000). Durch Kinder gewählte Sitzordnungen führen leicht zu Ausgrenzungen und Verfestigung im sozialen Gefüge der Lerngruppe. Sie beschränken die Einzelnen auf eine feste Rolle. Wenn sie mit wechselnden Arbeitspartnern arbeiten, können sie die Perspektive wechseln, neue Eindrücke von anderen aufnehmen. Von öffentlicher Ablehnung wird das Klassenklima vergiftet (Kegler, 2009).

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4 Therapie bzw. Intervention

Klassenräume. Wenn die Klassenräume offen und einladend sind, können sie einen guten Raum bieten, um die Schüler willkommen zu heißen. Der Raum beeinflusst das Geschehen. Kegler (2009) beschreibt, wie Orte und Räume ihre Wirkung entfalten. Es ist eine enorme Anstrengung, einen großen Teil des Tages mit vielen Menschen zu verbringen. Die Räume in der Schule müssen auf diese Tatsache abgestimmt sein. Raumgröße, Einrichtung, Temperatur, Licht, Geräusche und Gerüche sollten der Arbeitsatmosphäre zuträglich sein. Die Schulräume sollten mit Arbeiten der Kinder, Kunstwerken oder anderen Kulturgütern ausgestattet sein, Gegenstände sollten einen Bezug zu den Themen der Gruppe haben. Regale, Leseecken, Experimentierzonen, verschiedene Sitzmöglichkeiten, Unterrichtsmaterialien zu den Fächern und Büchern können den Schulraum angenehm gestalten. Die Gestaltung des Schulhofs ist von mindestens ebensolcher Bedeutung wie die der Klassenräume. Der Pausenhof kann beängstigend oder befreiend sein. Er ist mehr als nur ein Ort zum »Frische-Luft-Holen«. Gerade bei dem gesteigerten Bedürfnis von Jungen nach Bewegung und körperlichem Einsatz kann ein liebevoll gestaltetes Außengelände ein wichtiger Ausgleich für den Bewegungsmangel im Innenraum sein.

4.2.4 Zusammenfassung Im Umgang mit Schulangst haben sich Punktepläne mit Belohnungen bewährt. Außerdem spielen kognitive Techniken eine große Rolle, so etwa die Veränderung Angst machender Gedanken und das Eingrenzen von sogenannter Sorgenzeit. Auch Körper- und Atemübungen haben positive Effekte. Sind Mobbing und Gewalt Auslöser der Schulangst, so ist es zunächst wichtig, Bewältigungskompetenzen zu stärken. Die Eltern sollten ihren Kindern das Erzählen erleichtern, damit sie über ihre Ängste sprechen können. Durch ihr Lob sollten Eltern verdeutlichen, dass sie ihr Kind unabhängig von Schulleistungen lieben. Dafür ist zum Beispiel die Unterstützung außerschulischer Hobbies von Bedeutung. Ausreichend Schlaf ist ebenso wichtig wie die Minimierung von morgendlichem Stress. Bei allem muss von den Eltern sehr deutlich gemacht werden, dass es keine Toleranz für Schuleschwänzen gibt. Gespräche mit Lehrkräften und die Vorbereitung auf den Schuleintritt sind zwei weitere wesentliche Maßnahmen, um das Kind zu unterstützen. Die Lehrer wiederum können dem Schulkind helfen, indem sie eine angenehme Klassenatmosphäre schaffen, die Schüler nicht bloßstellen und dabei unterstützen, dass sich ein positives soziales Klassenklima entwickelt.

4.3 Prüfungsangst In der Behandlung der Prüfungsangst haben sich je nach Erscheinungsbild, das sehr unterschiedlich sein kann, Methoden zur Verbesserung von Lern- und Arbeitstechniken in Kombination mit Techniken der Kognitiven Verhaltenstherapie wie Rollenspiele, Entspannungstechniken und die Veränderung dysfunktionaler Kognitionen 4.3 Prüfungsangst

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bewährt. Die für Angststörungen üblicherweise eingesetzten Konfrontationsverfahren lassen sich hingegen kaum einsetzen, da sich echte Prüfungssituationen schlecht herstellen lassen (Fehm & Fydrich, 2011).

4.3.1 Möglichkeiten im Umgang mit Prüfungsangst: die Schüler Vor der Therapie muss abgeklärt werden, ob andere psychische oder körperliche Probleme vorliegen. Wichtig ist außerdem die Abklärung, ob Lern- und Prüfungsfertigkeiten ausreichend sind, wie das Arbeitsverhalten ist und welche individuellen Ängste vorliegen. Wenn eine Leistungsüberforderung vorliegt oder die Probleme mit den Fächern oder in einzelnen Bereichen zu stark sind, lassen sich Prüfungsängste nur schwer überwinden. Es muss deshalb abgeklärt werden, ob es sich um die richtige Schulform, den richtigen Schultyp für das Kind/den Jugendlichen handelt oder ob eine Umschulung sinnvoll ist. Arbeitsverhalten Viele Kinder und Jugendliche mit Prüfungsängsten zeigen Defizite in ihrem Arbeitsverhalten. Dementsprechend können sie sich nicht optimal auf die Prüfung vorbereiten. Das nährt Prüfungsangst. Um ein gutes Arbeitsverhalten zu erreichen, müssen im Vorfeld verschiedene Fragen geklärt werden: " Lernt das Kind oder der Jugendliche kontinuierlich und macht seine Hausaufgaben? " Zu welchen Zeiten kann das Kind oder der Jugendliche besonders gut lernen? Entsprechend sollte der Tagesablauf strukturiert werden. " Was lenkt vom Lernen ab? Die Kinder und Jugendlichen müssen Ablenkungen, Hindernisse oder andere Probleme vorhersehen, um die Vorbereitungszeit für Prüfungen gut strukturieren zu können. " Was genau muss gelernt werden? Wie viel Zeit sollte für welches Prüfungsthema aufgewendet werden? Abwechslung beim Lernstoff hilft, die Motivation aufrecht zu erhalten, also sollten sich interessantere und weniger interessantere Lernbereiche abwechseln. " Ist ausreichend Zeit für das Wiederholen in kleineren und größeren Abständen eingeplant worden? " Sind ausreichend Erholungszeiten zum Ausgleich der kognitiven Arbeit von Lernphasen eingeplant? Wie kann sich das Kind oder der Jugendliche gut von den Lernphasen erholen? Aktivitäten, die dem Ausgleich dienen, sollten keine Tätigkeiten sein, wie sie beim Lernen gefordert werden. Individuell muss erarbeitet werden, welcher Pausenrhythmus hilfreich ist, um die Konzentration zu erhalten. Wenn das anschließende Umschalten in den Arbeitsmodus schwer fällt, kann es zum Beispiel durch Rituale erleichtert werden.

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4 Therapie bzw. Intervention

Arbeitsplatz Das Arbeitsverhalten kann durch einen angemessenen Arbeitsplatz gefördert werden. Dabei ist folgendes zu beachten: " Günstig ist es, einen festen Arbeitsplatz einzurichten, der eine gesunde Körperhaltung ermöglicht, gute Lichtverhältnisse aufweist und bei dem frische Luft und eine günstige Raumtemperatur vorhanden sind. Manchmal kann zwar ein Wechsel von Lernorten hilfreich sein; nichtsdestotrotz sollte es einen festen Arbeitsplatz geben, an dem überwiegend gelernt werden kann. " Eine individuelle Gestaltung des Arbeitsplatzes, die zum Arbeiten einlädt, erspart viele Diskussionen zur Motivierung des Kindes. " Allerdings sollte der Arbeitsplatz von Gegenständen befreit werden, die vom Lernen ablenken. " Der Arbeitsplatz sollte ruhig sein: Dazu zählt, dass keine Musik läuft und dass Unterbrechungen durch andere Personen verhindert werden (z. B. durch ein entsprechendes Schild an der Tür). " Die notwendigen Arbeitsmittel und Arbeitsmaterialien sollten bereitliegen. Lernstrategien Bei der Behandlung von Prüfungsängsten ist oftmals eine Vermittlung von Lerntechniken notwendig. Dabei sollten zunächst bisher eingesetzte Strategien hinsichtlich ihrer Effektivität überprüft werden, bevor weitere Lernstrategien vermittelt werden. " Wie kann ein Text erarbeitet werden? Nach Robinson (1970) ist folgendes Vorgehen effektiv: (a) Zunächst sollte man sich einen Überblick über den Text und seine zentralen Inhalte verschaffen, bevor man sich (b) bezogen auf den Text Fragen zum jeweiligen Lernziel stellt. (c) Der Text sollte dann gelesen werden und dabei sollten wichtige Inhalte markiert werden. (d) Anschließend sollten die vorher formulierten Fragen beantwortet und Kernaussagen zusammengefasst werden. (e) Abschließend kommt die Wiederholung, bei der versucht wird, noch offene Fragen oder Unverstandenes zu klären. " Eigene schriftliche Zusammenfassungen können das Lernen unterstützen. Dabei ist es wichtig, dass die Notizen nicht zum Selbstzweck werden oder vom eigentlichen Lernen ablenken, sondern tatsächlich als Gedächtnisstütze dienen, z. B. indem wesentliche Begriffe stichwortartig notiert werden. " Durch graphische Darstellungen (z. B. die Methode der »Mind-Maps«) können komplexe Wissensgebiete veranschaulicht werden. Mit verschiedenen Farben und Formen können Zusammenhänge kenntlich gemacht werden. " Zum Auswendiglernen und Verfestigen von Inhalten wie Vokabeln oder Formeln ist die Wiederholung wesentlich. Dabei kann die »Karteikartenmethode« hilfreich sein. Die Lerninhalte werden dazu wie Vokabeln auf Kärtchen notiert und dann, je nachdem, wie erfolgreich der Lerninhalt abgerufen werden konnte, das Kärtchen einsortiert, um im nächsten Lerndurchgang erneut wiederholt zu werden. " Wichtig für eine erfolgreiche Prüfung ist es, die Wiedergabe des Wissens zu üben. Für eine schriftliche Prüfung sollte die schriftliche Wiedergabe geübt werden, bei 4.3 Prüfungsangst

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einer mündlichen Prüfung die mündliche Wiedergabe. Auch Rollenspiele, in denen die Prüfungssituation simuliert wird, können hilfreich sein, insbesondere für mündliche Prüfungen. Entspannungsverfahren Entspannungsverfahren können das Anspannungsniveau senken und somit dazu beitragen, Ängste und Nervosität zu verringern und Panik zu einer angemessenen Erregung abzubauen. Wenn die Kinder kein Entspannungsverfahren (z. B. Yoga, Autogenes Training) beherrschen, ist die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson ein relativ leicht zu erlernendes Verfahren. Geübt werden muss die Umsetzung und Übertragung auf den Alltag. Ausgangspunkt der Progressiven Muskelrelaxation ist die An- und Entspannung der willkürlichen Muskulatur. Durch die gezielte willkürliche Anspannung und anschließende Lockerung kommt es zu Entspannungsempfindungen wie Wärme, Schwere und Schläfrigkeit. Nicht nur die Muskeln entspannen sich, sondern auch die Blutgefäße und Nerven. Das Wechselspiel von Anspannung und Entspannung verschiedener Muskelgruppen führt zur Beseitigung von Muskelkontraktionen und kann als Mittel gegen die Angstanspannung eingesetzt werden. Bei Kindern hat sich eine Kombination aus An- und Entspannungsübungen mit Vorstellungsbildern bewährt, zum Beispiel das Bild, eine Zitrone auspressen zu wollen, wenn die Handmuskeln angespannt werden sollen, den Mund zu spitzen, als würde man an einem Strohhalm saugen und den Arm so starr wie einen Ast vom Körper weg zu halten. Schlafregulierung und Schlafhygiene Müdigkeit am Prüfungstag kann die Prüfungsangst ebenfalls verstärken. Es sollte vermieden werden, am Tag vor der Prüfung bis in die späten Abendstunden Prüfungsstoff zu lernen oder zu wiederholen. Das lange Lernen und das Entdecken von etwaigen eigenen Lücken verzögern oder erschweren das Einschlafen. Die Gedanken können um die Prüfung kreisen und das Kind wacht am nächsten Tag völlig erschöpft auf. Belohnung Zur Motivierung für die Prüfungsvorbereitungen und zur Erhöhung des Wohlbefindens haben sich Belohnungen oder Punktepläne bewährt. Sie können als Ausgleich für die anstrengende Prüfungsvorbereitung wirken. Zeitaufwand und Kosten sollten dabei jedoch in Relation zur Aufgabe stehen. Außerdem muss die Belohnung zeitnah zum vereinbarten Zeitpunkt umgesetzt werden können. Wichtig ist, immer das vorhandene Bemühen zu loben. Zum Ausgleich sollten außerdem die guten Bereiche betont werden: Wenn das Kind in einem Fach schlecht ist, ist es vielleicht in einem anderen Fach oder einem anderen Bereich gut. Die Eltern sollten Sorge tragen, dass auch diese guten Bereiche beachtet und gefördert werden.

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4 Therapie bzw. Intervention

Hinderliche Kognitionen Hinderliche Kognitionen oder Bilder, die die Kinder oder Jugendlichen bezüglich der Prüfung vor Augen haben, müssen erkannt und hinterfragt werden, um hilfreiche Gedanken zu formulieren und hilfreiche Bilder zu schaffen. Der eigene Erwartungsdruck sowie der der Eltern oder Lehrer sind dabei zu berücksichtigen und ggf. zu hinterfragen. Auch Überreaktionen bei Frustration können durch Umbewertung verändert werden. Positive Bewältigungsstrategien können zum Beispiel mehr Gelassenheit und Stärkung des Selbstvertrauens durch positive Selbstinstruktionen sein: »Ich habe das gut gelernt«, »Ich muss eines nach dem anderen machen, dann schaffe ich es schon«. Systematische Desensibilisierung Bei der Methode der systematischen Desensibilisierung werden angstauslösende Vorstellungsbilder im Wechsel mit Entspannung zur Reduktion der Angstreaktion durchgeführt. Die bildhaften Vorstellungen der angstauslösenden Situationen werden so anschaulich wie möglich unter Verwendung verschiedener Sinnesmodalitäten vorgegeben. Sobald das Kind oder der Jugendliche erste Anzeichen von Anspannung signalisiert, wird das Vorstellungsbild zurückgenommen und eine Entspannungsübung durchgeführt. Die Situation wird mehrere Male hintereinander erneut dargeboten, bis das Kind oder der Jugendliche auch bei der Vorstellung der zuvor angstauslösenden Situation keine Anspannung mehr erlebt. Dann wird die nächstschwierigere Stufe der angstauslösenden Vorstellungsbilder vorgegeben. Bei diesem Verfahren wirken verschiedene Mechanismen angstreduzierend, dazu zählen Habituationserfahrungen und die graduierte Darbietung von angstauslösenden Reizen (Maercker & Weike, 2009). Voraussetzungen der systematischen Desensibilisierung sind ein Entspannungsverfahren, das die Kinder und Jugendlichen beherrschen, um relativ schnell in einen entspannten Zustand zu kommen, sowie eine Hierarchie von sechs bis sieben Vorstellungsbildern, die in steigender Intensität Prüfungsangst auslösen. Beispiele für Vorstellungsbilder sind: " sich für eine Klassenarbeit vorbereiten, " am Abend vor der Klassenarbeit im Bett liegen, " am Morgen vor einer Klassenarbeit frühstücken, " auf dem Weg zur Schule sein an einem Tag, an dem eine Klassenarbeit geschrieben wird, " im Klassenzimmer sitzen und eine Mathematikarbeit schreiben. Imagination der Bewältigung von Prüfungssituationen Nach einer Methode von Christmann (1996), dem mentalen Training, wird die Bewältigung von Prüfungssituationen durch Imagination geübt. In einer Imagination kann zum Beispiel der Ablauf des Prüfungstags vom morgendlichen Erwachen bis zum Nachhauseweg simuliert werden. Alle bekannten Angstreize und die Reaktionen des Kindes oder Jugendlichen werden vom Therapeuten für die Imagination vorgegeben; 4.3 Prüfungsangst

115

das Kind wird angeleitet, sich auf aufgabenbezogene Inhalte zu konzentrieren und in der Therapie neu erworbene Verhaltensweisen zu praktizieren. Beispiel »Stell dir vor, wie du am Tag der Prüfung aufstehst. Stell dir vor, dass deine Gedanken gleich zur Prüfung gehen. Stell dir vor, dass du dir dann selbst sagen kannst: Ich darf aufgeregt sein, aber jetzt versuche ich erst einmal, im Hier und Jetzt zu bleiben, also konzentriere ich mich auf das Frühstück. Und immer wenn Gedanken an die Prüfung kommen, unterbrichst du diese und verschiebst sie auf später. Und dann stellst du dir vor, wie du zur Schule gehst. Du gehst nochmals alles durch, wie es ablaufen wird. Stell dir vor, wie du, immer, wenn die Aufregung kommt, diese kontrollierst, indem du negative Gedanken stoppst, den Körper entspannst, mit dir selbst redest, die notwendige Erregung akzeptierst, dir selbst Mut machst und dich dann auf die Aufgabe konzentrierst. Beim Klassenraum angekommen, lässt du dich nicht in Gespräche verwickeln, was du vielleicht versäumt hast, für die Prüfung zu lernen. Du gehst ins Klassenzimmer, liest die Aufgaben durch, machst eine Stoffsammlung etc.« Konfrontation in sensu Im Unterschied zur systematischen Desensibilisierung werden bei der Konfrontation in sensu angstauslösende Vorstellungsbilder vorgegeben, ohne dass sie mit Entspannungsphasen abgewechselt werden. Auch hier geht man in der Regel hierarchisch vor, wobei die Intensität der Vorstellungsbilder ansteigt. Für Kinder und Jugendliche, die mit Entspannungsverfahren Mühe haben, bietet sich dieses Vorgehen an. Die Effekte beider Verfahren, systematische Desensibilisierung und Konfrontation in sensu, sind vergleichbar gut. Bei der Konfrontation in sensu wird nicht in der Realität, sondern in der Vorstellung mit der Situation konfrontiert, die dem Kind Angst macht. Beispielsweise kann sich das Kind eine Prüfungssituation vorstellen. Der Therapeut oder später das Kind selbst malen die Situation lebendig mit den schlimmsten zu befürchtenden Konsequenzen aus. Alle Sinnesbereiche sollten angesprochen werden: Das Kind sieht seine Mitschüler und den Lehrer mit den Arbeitsheften, hört das Gemurmel und Gestöhne, als der Arbeitszettel umgedreht werden darf, riecht die nicht mehr ganz so gute Luft im Klassenraum, spürt sein eigenes Herzklopfen und die feuchten Hände etc. Wichtig ist es auch, dass die Katastrophengedanken zu Ende gedacht werden, statt sie abzubrechen. Prüfungssituationen simulieren Bereits bei der Prüfungsvorbereitung sollte das Wissen so reproduziert werden, wie es in der eigentlichen Prüfung abgefragt wird. Je genauer Inhalte und Abläufe der Prüfung bekannt sind, desto mehr Kapazität bleibt für die Leistungsanforderung. Dazu zählen Angaben, in welchem Raum eine Prüfung stattfindet, wer anwesend ist,

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4 Therapie bzw. Intervention

wie die Sitzordnung ist, welche Zeit die Prüfung umfasst etc. Bei mündlichen Prüfungen können dazu Rollenspiele durchgeführt werden. Bei einem Rollenspiel zur Bewältigung von Prüfungsangst wird die Prüfungssituation so weit wie möglich nachgestellt: Die Sitzordnung, die Anzahl der Prüfer und deren Charaktere, die Art und Weise, in der das Wissen reproduziert werden soll, wurden genau erfragt und dann nachgestellt. Dabei kann man auf Fragen und Aufgabenstellungen vergangener Jahre zurückgreifen oder selbst ausgedachte Fragen verwenden. Die Gefühle der Prüfungsangst, vielleicht Unsicherheit, Hilflosigkeit oder Scham, sollen hervorgerufen werden, damit das Kind mit diesen Gefühlen konfrontiert wird. Es lernt über die Sitzungen hinweg, sich selbst zuzutrauen, mit der Angst zurechtzukommen, auch wenn sie noch so stark ist. Es verlernt seine Angst vor der Angst. Für die Rückmeldung gilt, dass erst positive, dann negative Verhaltensweisen benannt werden und dass die Anzahl der Rückmeldungen nicht zu groß ist. Auch Videorückmeldungen können hilfreich sein. Bei schriftlichen Prüfungen können sich die Kinder und Jugendlichen selbst Fragen ausdenken. Bei Abschlussprüfungen liegen häufig Fragen früherer Prüfungen vor, die genutzt werden können. Der Umgang mit abwertenden Äußerungen von Lehrern während einer Prüfung kann ebenso eingeübt werden, zum Beispiel indem die Aufmerksamkeit wieder auf das Prüfungsthema gelenkt wird. Medikation Die Verabreichung harmloser Mittel in Form von Globuli, Baldriantropfen o. Ä., damit das Kind gut schläft oder damit es ihm bei der Prüfung gut geht, empfehlen wir in der Regel nicht. Es ist deshalb nicht sinnvoll, weil das Kind dadurch lernt, Probleme durch die Einnahme von Tabletten lösen zu wollen. »Angst-verschwinde-Objekte« Sogenannte »Angst-verschwinde-Objekte« wie Steine, Figuren, u. Ä. haben sich insbesondere bei jüngeren Kindern bewährt. Sie können für eine wichtige Prüfung mitgegeben werden, um Mut zu machen. Prüfungen bewältigen Das prüfungsängstliche Kind wird angeleitet, sich selbst und seinen Fähigkeiten zu vertrauen, sich nicht klein zu reden, sondern sich zuzutrauen, die Prüfung erfolgreich meistern zu können. Statt selbstabwertender Gedanken soll es lernen, sich selbst aufzubauen. Am Tag vor der Prüfung empfiehlt es sich, nicht mehr Neues zu lernen, sondern etwas Entspannendes zu tun oder bereits Gelerntes zu wiederholen. Es sollte zurechtgelegt werden, was in der Prüfung gebraucht wird. Vielfach hilft es, etwas früher aufzustehen, um den Tag in Ruhe anzugehen. Bei schriftlichen Prüfungen empfiehlt es sich, zunächst alles zwei- oder dreimal durchzusehen, um sich einen Überblick verschaffen und einen groben Zeitplan festlegen zu können. Hilfreich ist es, mit den einfachsten Aufgaben zu beginnen, das 4.3 Prüfungsangst

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anscheinend Schwerste zunächst zurückzustellen. Auch die Zwischenlösungen sollten überprüft und mit der Fragestellung verglichen werden. Schließlich sollten die schwierigen Aufgaben gelöst werden, ohne sich an ihnen »festzubeißen«. Am Ende einer Prüfung sollte alles noch einmal durchgesehen und überprüft werden, um Fehler zu korrigieren. Bei mündlichen Prüfungen hilft es, zunächst einmal tief Luft zu holen, langsam zu sprechen, Fragen mit eigenen Worten zu wiederholen. Während der Prüfung ist es wichtig, den Prüfer anzuschauen und auf seine Reaktionen zu achten. Wenn die Frage unverständlich war, sollte nachgefragt werden. Eventuell ist es möglich, kleine Standardsätze einzubauen (z. B. »Das sehe ich so«, »Dazu gebe ich ein Beispiel«). Lässt sich eine Frage nicht auf Anhieb beantworten, hilft es manchmal, laut zu denken, mehrere Anläufe durchzuprobieren, aber nicht zu schweigen. Umgang mit Hindernissen Blackout. Im Rahmen von Prüfungsangst wird eine vorübergehende Denkblockade während einer Prüfung als »Blackout« bezeichnet. Auswendig Gelerntes bleibt in der Regel weiterhin abrufbar, betroffen sind kreative Problemlösungen und Transferleistungen. Zunächst sollte immer ehrlich überprüft werden, ob der Schüler tatsächlich so gut vorbereitet war, wie er meint. Auch wird ein »Blackout« nicht selten als Schutzbehauptung für zu geringes oder strategisch falsches Lernen benutzt. Liegt tatsächlich eine Denkblockade vor, besteht ein erster Schritt darin, sich zunächst durch Bauchatmung so weit wie möglich zu beruhigen. Dabei sollte mehrfach mit der Hand auf dem Bauch komplett ausgeatmet werden und anschließend wieder tief eingeatmet werden. Dann sollte der Lehrer informiert werden, denn nur wenn der Lehrer auch weiß, dass ein Schüler einen Blackout hat, kann er reagieren. Der Schüler sollte den Lehrer bitten, die Frage zu erläutern oder eine Hilfestellung zu geben. Um zukünftig Blackouts zu vermeiden, müssen hinderliche Gedanken wie »Ich bin zu blöd«, »Jetzt ist die Arbeit versiebt«, »Alle schaffen das, nur ich nicht« während der Prüfungssituation verändert werden. Nicht verstandene Fragen, Wissenslücken. Bei nicht verstandenen Fragen sollte beim Lehrer nachgefragt werden. Wissenslücken bei mündlichen Prüfungen sollten entweder offen zugegeben werden, indem der Schüler sagt, dass er sich mit dem Bereich nicht beschäftigt hat, oder aber es sollte eine Möglichkeit angeboten werden, wie die Frage beantwortet werden könnte.

4.3.2 Möglichkeiten im Umgang mit prüfungsängstlichen Kindern: die Eltern Beispiel Mareike ging anfangs noch gern in die Schule. Sie freute sich, lesen, schreiben und rechnen zu lernen. Die vielen Kommentare, manchmal hinter vorgehaltener Hand

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4 Therapie bzw. Intervention

"

gesprochen, was sie ja noch interessanter macht, wie »Nun fängt der Ernst des Lebens an«, verstand sie nicht. Sie verunsicherten sie aber. Auch dass die Erwachsenen über ihre Vorfreude auf die Schule lächelten und manchmal spotteten »Na wart’ nur ab, das vergeht schon noch«. Sie zwinkerten sich dann zu und grinsten. Mareike mochte anfangs auch ihre Lehrerin. Es fiel ihr aber schwer, die negativen Kommentare der Eltern in Einklang zu bringen mit ihren eigenen Empfindungen. »Hausaufgaben am Freitag, wo gibt es denn so etwas?!«, »Haben die schon wieder frei, ja, Lehrer müsste man sein, da wird man fürs Nichtstun bezahlt«, »Soll eure Lehrerin, statt nur herumzusitzen, es dir besser erklären, wenn du das nicht verstanden hast«. Mareike verlor ziemlich schnell die Freude an der Schule, ihre Leistungen waren nicht gut. Ihre Familie nickte wissend mit dem Kopf: »Haben wir es nicht gewusst?« Schulauswahl Die Auswahl der passenden Schule ist für das Kind von sehr großer Bedeutung. Das Schulprofil muss passend zum Begabungsprofil des Kindes sein, damit nicht eine Leistungsüberforderung zur Ursache für Prüfungsangst wird. Leistungserwartungen Die Einstellungen der Eltern gegenüber den Leistungen des Kindes sind von ebensolcher Bedeutung. Lernen und Leisten sind zentrale Aspekte bei der Prüfungsangst. Die Erwartungen der Eltern sollten an die Möglichkeiten des Kindes angeglichen werden, damit sie dem Kind das Gefühl vermitteln können, dass es etwas kann und seinen Weg gehen wird, auch in der Schule. So können die Eltern mithelfen, dass das Kind Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickelt statt Angst vor der Schule oder dem Lernstoff zu haben oder sich zu wenig zuzutrauen. Es muss dabei nicht alles beim ersten Versuch klappen. Demgegenüber steigert die ständige Vermittlung, »nicht gut genug zu sein«, beim Kind die Angst vor Misserfolgen. Es kann zu einer totalen Verweigerungshaltung führen, wenn immer höhere Erwartungen an das Kind gestellt werden, als es in der Lage ist zu leisten. Reaktionen vor der Prüfung Wenn die Eltern vor der Prüfung ängstlicher als die Kinder sind, können sie ihrem Kind keinen ruhigen Umgang mit Prüfungssituationen vermitteln. Wenn schon beim Frühstück die Nervosität der Eltern unübersehbar ist, das Kind wiederholt gefragt wird, ob es ihm gutgehe, darauf hingewiesen wird, dass die Eltern den ganzen Vormittag an es denken werden, wie soll das Kind sich mit Ruhe und Bedacht der Prüfung widmen können? Und wenn nach dem Schultag nur noch über die Klassenarbeit am Vormittag gesprochen wird, so ist das Kind doppelt belastet: Mit der Prüfungsangst seiner Eltern und dem Prüfungsstress in der Schule.

4.3 Prüfungsangst

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Reaktionen auf schlechte Noten Hat ein Kind sich gut vorbereitet und bringt trotzdem schlechte Noten heim, braucht es Trost und keine Beschimpfung. Allein das enttäuschte Gesicht der Eltern ist ausreichend, um zu vermitteln, dass es wieder nicht genug war. Auch die fortwährende Betonung der Wichtigkeit der Schule für das weitere Leben hilft prüfungsängstlichen Kindern nicht. Hilfreich sind Liebe und Zuwendung unabhängig von Noten und Leistung, denn sie schaffen ein gesundes Selbstwertgefühl. Lernverhalten fördern Eine wichtige Möglichkeit der Eltern, ihrem Kind gegen die Prüfungsangst zu helfen, ist die Förderung eines guten allgemeinen Lernverhaltens. Das Lernen sollte im Alltag eingebaut sein. Es sollte nicht nur kurzfristig für Klassenarbeiten geübt werden. Auch können Eltern Möglichkeiten geben, das Wissen der Kinder über Inhalte, die sie in der Schule gelernt haben, in den häuslichen Bereich einzubringen. Ziel der Förderung des Kindes sollte seine Selbstständigkeit bei der Bearbeitung der Aufgaben sein. Wenn das Kind Hilfe braucht, sollte es gezeigt bekommen, wie es mithilfe von Nachschlagewerken, Eselsbrücken und Regeln selbst Lösungswege finden kann. Die Eltern sollten es unterstützen, rechtzeitig mit der Planung und Vorbereitung einer Prüfung zu beginnen. Wichtiger als der Tadel ist die Anerkennung der Leistung, das Lob. Die Eltern sollten für möglichst optimale Lernbedingungen sorgen (s. o.). Dazu gehört auch, dass eine ausgleichende Freizeitgestaltung gewährleistet ist. Eltern als Vorbild Die Eltern sind ein wichtiges Vorbild. Leiden sie selbst unter Prüfungsangst, so helfen sie ihrem Kind am besten, indem sie etwas gegen ihre eigene Prüfungsangst unternehmen. Wie gestalten sie selbst ihren Arbeitsplatz? Erlebt das Kind seine Eltern lesend? Dann wird es selbst viel lieber lesen. Wichtig ist es auch, möglichst positiv über die Schule, Lehrer und Unterrichtsfächer zu reden. Eltern helfen dem Kind wenig, eine gute Einstellung zur Schule und dem Lernen zu entwickeln, wenn es mit der dauernden Abwertung von Schule und Lehrern konfrontiert wird.

4.3.3 Möglichkeiten im Umgang mit prüfungsängstlichen Schülern: die Lehrer Unterrichtsablauf Wann ist ein Unterricht ein guter Unterricht? Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Freude an der Schule insgesamt und den Schulleistungen. Also lautet die Frage nach einem guten Unterricht, wie das Lernen einem Kind Freude machen kann. In einem Punkt scheint Einigkeit zu bestehen: Schulstunden, wie sie üblicherweise ablaufen, vermitteln für Kinder unserer Zeit, deren Kindheit durch Medien und Konsum geprägt ist, wenig Freude. Vielleicht ist dieses Urteil aber auch zu pauschal,

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4 Therapie bzw. Intervention

denn die Prinzipien, die hinter einem gelungenen Unterricht stehen, waren und sind von überdauernder Gültigkeit: Zu diesen Prinzipien zählt, von Erfolgen oder aus Beispielen zu lernen. Wenn Schüler sich fragen, wie etwas geht und funktioniert, wirkt sich das positiv auf das Verständnis und Erinnern aus. Wenig hilfreich ist das Lernen von nebensächlichen Details oder Wissen, das träge und unflexibel ist. Und auch das Üben ist nach wie vor wichtig. Nur durch Üben bleibt die Struktur haften. Zum nachhaltigen Lernen muss man Zeit haben, damit viel Wiederholung möglich ist. Menschen unterscheiden sich und profitieren beim Lernen von unterschiedlichen Dingen. Denn wir lernen nicht nur mit unserem Verstand (Salcher, 2008), es gibt mehr als das logisch-mathematische Denken. Howard Gardner (1991) beschreibt, dass wir die Welt mithilfe " der Sprache, " des logisch-mathematischen Denkens, " des räumlichen Vorstellungsvermögens, " des musikalischen Denkens, " der Verwendung unseres Körpers, " des sozialen Verständnisses anderer Menschen oder " dem Verständnis für uns selbst verstehen und begreifen können. Für einen gelungenen Unterricht müssen wir Kinder in ihrer Individualität wahrnehmen und fördern. Auch Geschlechtsunterschiede müssen berücksichtigt werden. Viele Jungen entwickeln zuerst ihre grobmotorischen Fähigkeiten, da sie mehr Muskelmasse zu trainieren haben und deshalb mehr Bewegung zeigen. Bei einer Großzahl der Mädchen bildet sich erst die Feinmotorik aus, also Bewegungsaspekte wie Balance und Flüssigkeit von Bewegungsabläufen, deshalb fällt es Mädchen in der Grundschule leichter, still zu sitzen. Auch hier gilt wieder, dass Kinder in ihrer Individualität wahrgenommen und gefördert werden müssen. Die Begabungen eines jungen Menschen müssen analysiert werden. Nicht nur Hochbegabungen müssen entdeckt, sondern auch die Talente von normal begabten Kindern erkannt werden: Ist vielleicht ein Talent für soziales Engagement vorhanden? Die Fähigkeiten, unsere Emotionen zu verstehen und Einfühlungsvermögen in andere Menschen sind jedenfalls für den Erfolg im Leben von großem Wert (Goleman, 1996). Eine formale Ausbildung und ein entsprechender Intelligenzquotient sind in der Regel notwendig, um später im Leben die gewünschte Arbeit zu bekommen, dann aber ist die emotionale Intelligenz die wichtigste Voraussetzung dafür, diese Arbeit auch erfolgreich erfüllen zu können (Salcher, 2008). Das Wunschbild eines idealen Lehrers ist eine hilfsbereite, verlässliche und gerechte Person, die auf Angst oder disziplinierende Maßnahmen als Motivierungsmittel verzichten kann. Angst kann auch gemindert werden durch Klarheit und Deutlichkeit der Forderungen und Arbeitsanweisungen im Unterricht. Dazu zählen zum Beispiel auch ein verständliches Tafelbild oder die Formulierung klarer Unterrichtsziele. Unnötigen Zeitdruck zu vermeiden und die Vorbereitungszeit richtig einzuschätzen, mindern ebenfalls Unsicherheiten auf Seiten der Schüler.

4.3 Prüfungsangst

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Prüfungsablauf Die Planung von Prüfungen sollte zur Angstminderung eine gezielte Vorbereitung beinhalten, um den Kindern Strategien zu vermitteln, wie man sich auf Prüfungen gut vorbereiten kann. Prüfungen sollten kalkulierbar sein. Dazu zählt, dass sie rechtzeitig bekannt gegeben werden. Spontane Leistungskontrollen wirken auch auf nicht-ängstliche Kinder belastend. Vielmehr sollte der Stoff transparent gemacht werden und klar abgegrenzt sein. Beispielaufgaben helfen zu verstehen, welchen Schwerpunkt die Prüfung hat. Wichtig ist auch, dass die Beurteilungskriterien von vornherein öffentlich gemacht werden. In einer Prüfung sollten ängstliche Schüler neben nicht-ängstlichen Kindern sitzen. Vor einer Prüfung können auch Entspannungsübungen durchgeführt werden. Hierfür können bekannte Entspannungsübungen verkürzt werden, damit sie rasch und effektiv einzusetzen sind. In einer Prüfungssituation kann ein ermunterndes Wort des Lehrers beruhigen und ermutigen. Leistungsrückmeldungen Viel zu oft wird sich bei der Leistungsrückmeldung darauf konzentriert, was jemand nicht kann. Statt dem Schüler das positive Gefühl zu vermitteln, dass er etwas schaffen kann, liegt die Konzentration auf seinem Versagen. Statt das Begabungspotenzial zu fördern, werden seine Defizite vorgeführt. Es ist aber wichtig, Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Erfolge machen sicher. Der Schüler muss merken, dass sich der Lehrer mit ihm über einen Erfolg freut, auch wenn es vielleicht nur ein kleiner Fortschritt ist. Gerade dafür ist die kontinuierliche Rückmeldung an die Schüler über ihre Leistungen wichtig. »Ich sehe, wie fleißig du bist« oder »Ich freue mich mit dir über deine Note« sind individuelle Bewertungen, die ermutigen können und motivieren, weiterzumachen. Bei der Leistungsrückmeldung sind Einzelgespräche wichtig. Insbesondere leistungsschwächere Schüler sollten nicht vor der Klasse bloßgestellt werden.

4.3.4 Zusammenfassung In der Behandlung der Prüfungsangst haben sich verschiedene Methoden zur Verbesserung von Lern- und Arbeitstechniken als hilfreich erwiesen. Das Arbeitsverhalten ist wichtig, damit die Schülerin bzw. der Schüler sich optimal auf die Prüfung vorbereiten kann. Die Gestaltung des Arbeitsplatzes soll zum Arbeiten einladen und kaum Ablenkungsmöglichkeiten bieten. Manchmal ist es notwendig, Lerntechniken zu vermitteln. Zur Motivierung für die Prüfungsvorbereitungen haben sich Punktepläne mit Belohnungen bewährt. Entspannungsverfahren können das Anspannungsniveau senken und Erregung abbauen. Es kann auch notwendig sein, die Schlafregulierung zum Thema zu machen. Kombiniert werden diese Techniken mit Verfahren der Kognitiven Verhaltenstherapie, bei der hinderliche Kognitionen erkannt und verändert werden sollen. Übliche Konfrontationsverfahren lassen sich hingegen kaum einsetzen, da sich echte Prüfungsängste schlecht herstellen lassen. Eine Alternative bietet die systematische Desensibilisierung, bei der angstauslösende Vorstellungsbilder

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4 Therapie bzw. Intervention

mit Entspannung im Wechsel durchgeführt werden. Bei der Konfrontation in sensu werden nur angstauslösende Vorstellungsbilder vorgegeben. Im mentalen Training wird die Bewältigung von Prüfungssituationen durch Imagination geübt. Außerdem wird versucht, in Rollenspielen Prüfungssituationen zu simulieren. Bei jüngeren Kindern haben sich »Angst-verschwinde-Objekte« bewährt. Bei der Prüfungsbewältigung sind auch der Umgang mit Hindernissen sowie mit nicht verstandenen Fragen und Wissenslücken wichtig. Den Eltern kommt die Aufgabe zu, eine passende Schule für das Kind auszuwählen. Ganz wesentlich sind die Einstellungen der Eltern gegenüber den Leistungen des Kindes und ihre Reaktion auf schlechte Noten ebenso wie das Modell, das sie den Kindern im Umgang mit Prüfungsangst geben. Auch bei der Vermittlung eines guten Lernverhaltens sollten Eltern unterstützen. Die Lehrer sind für einen »guten« Unterricht, einen Angst mindernden Prüfungsablauf und motivierende Leistungsrückmeldungen zuständig.

4.3 Prüfungsangst

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5

Klinische und kulturtheoretische Einordnung Nicht nur die Angst ist ansteckend, sondern auch die Ruhe und die Freude, mit der wir dem jeweils Auferlegten begegnen. Dietrich Bonhoeffer

In den letzten Jahren entwickelte sich eine zunehmende wissenschaftliche Beschäftigung mit Ängsten im Kindes- und Jugendalter. Diese Entwicklung wird der Bedeutsamkeit des Problems gerecht: Denn Kinderängste gehören zwar zur normalen Entwicklung dazu, wenn sie aber klinisch bedeutsam werden, können sie gravierende Einschränkungen der Entwicklung nach sich ziehen und bedürfen einer therapeutischen Behandlung. Gerade soziale Ängste wurden lange Jahre hinsichtlich ihrer Auswirkungen und Einschränkungen unterschätzt. Im Kindes- und Jugendalter sind es vor allem Auswirkungen in schulischen Situationen, denn die Schule nimmt im Leben von Kindern und Jugendlichen einen sehr wichtigen Platz ein. Die meisten sozial ängstigenden Situationen sind schulische Situationen. Eine soziale Angst kann in eine Schulangst münden. Wenn Schule Angst macht, reagieren manche Schüler mit innerem Rückzug, sie träumen sich in eine andere Welt, und manche fliehen ganz konkret vor der Schule. Einige schimpfen, meckern und zeigen aggressive Verhaltensweisen. Wenn Schule Angst macht, ist nicht nur die Schulleistung gefährdet, sondern auch ein wichtiger Sozialisationsraum. Das kann viele schwerwiegende Implikationen mit sich bringen. Ein wichtiger Beitrag zur Angstbehandlung ist die Prävention von Angststörungen. In den letzten Jahren ist der Bereich der Prävention vermehrt in den Blickpunkt gerückt. Dies geschah auch deshalb, weil neben der subjektiven Belastung durch eine Angststörung auch hohe Kosten für das Gesundheitswesen durch Angststörungen verursacht werden. Störungsspezifisch ansetzende Präventionsprogramme sind jedoch noch rar und verdienen stärkeres Forschungsinteresse. Auch dafür ist es notwendig, mehr Kenntnisse über die Bedeutsamkeit und das Zusammenspiel von Risikofaktoren in der Entwicklung von sozialer Angst und Schulangst zu gewinnen. Risikofaktoren. Für Angststörungen allgemein sind verschiedene Risikofaktoren bekannt: Studien sprechen zum einen für eine familiäre Häufung von Angststörungen (z. B. Last et al., 1987a, 1991; Turner et al., 1987; Lieb et al., 2000). Auch biologische Risikofaktoren scheinen eine Rolle zu spielen, etwa eine erniedrigte Erregungsschwelle des limbischen Systems mit einer möglichen Beteiligung von Amygdala und Hypothalamus (Kagan, 1994) oder eine potenzierte Schreckreaktion (Grillon et al., 1997, 1998), die Kinder mit Angststörungen zeigen. Ebenso gilt das Geschlecht als Risiko5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

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faktor für die Ausbildung einer Angststörung, da Mädchen zwei- bis viermal höhere Raten an Angststörungen aufweisen als Jungen (Schneider, 2001). Auch eine über mehrere Zeitpunkte hinweg stabile sogenannte »Verhaltenshemmung« geht mit einer höheren Rate an Angststörungen bei Kindern einher (Kagan, 1994), insbesondere in Kombination mit einer unsicheren Bindung (Manassis, 2001). Kognitionen können bei der Entstehung von Angststörungen eine Rolle spielen. So zeigen Kinder mit Angststörungen eine höhere Aufmerksamkeitszuwendung auf bedrohliche Reize und weisen die Tendenz auf, mehrdeutige Reize als bedrohlich zu bewerten (Daleiden & Vasey, 1997). Weiterhin kommt ein elterlicher Erziehungsstil als Risikofaktor für die Entwicklung von Angststörungen in Frage, der durch ein hohes Ausmaß an überbehütendem bzw. kontrollierendem Verhalten sowie wenig emotionale Wärme bzw. Feinfühligkeit gegenüber dem Kind gekennzeichnet ist (Rapee, 1997).

5.1 Klinische Einordnung der sozialen Angststörung, der Schulangst und der Prüfungsangst ins Klassifikationssystem Trotz des inzwischen gesteigerten Forschungsinteresses an der sozialen Angst im Kindes- und Jugendalter sind viele Fragen noch offen. Diese Fragen betreffen auch die klinische Einordnung ins Klassifikationssystem. Nach wie vor ist empirisch nicht abgesichert, welche Besonderheiten z. B. im Erscheinungsbild der Sozialen Phobie bei Kindern und Jugendlichen in Abgrenzung zu Erwachsenen zu berücksichtigen sind. Zu diesen Fragen zählen, welche Bedeutung den sozial ängstlichen Kognitionen bei Kindern zukommt und ob sozialen Kompetenzdefiziten bei Kindern und Jugendlichen mit Sozialer Phobie eine stärkere therapeutische Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Auch weitere Kenntnisse, zum Beispiel über körperliche Angstsymptome und Sicherheitsverhaltensweisen, sind erforderlich. Um diese noch benötigten Erkenntnisse gewinnen zu können, sind zunächst einmal weitere reliable und valide Diagnostikinstrumente für das Kindesalter notwendig. Erst dann wird es möglich sein, weitere Fragen zum Erscheinungsbild der Sozialen Phobie und ihrem Verlauf beantworten zu können. Soziale Phobie, Störung mit sozialer Ängstlichkeit. Auch die Frage, inwieweit es hilfreich ist, von einer Abgrenzung des Störungsbildes der Sozialen Phobie und einer Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter, wie sie im ICD-10 vorgenommen wird (ICD 10: F93.2), zu sprechen, muss aufgegriffen werden. Bei dieser Störung handelt es sich um eine übermäßig stark ausgeprägte Entwicklungsangst, die nur dann diagnostiziert wird, wenn sie vor dem 6. Lebensjahr auftritt (s. Abschn. 2.2.4). Wenn Vermeidung und Furcht vor sozialen Begegnungen ein Ausmaß erreichen, das außerhalb der altersspezifischen üblichen Grenzen liegt und von einer bedeutsamen sozialen Beeinträchtigung begleitet ist, wird diese Störung diagnostiziert. Ein wesentlicher Unterschied zur Sozialen Phobie besteht neben dem Alterskriterium darin, dass die Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter auf eine Furcht vor Fremden beschränkt ist. Das Störungsbild der Sozialen Phobie ist umfassender, da es auch

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5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

Angst vor Bewertung einschließt. Sie kann also auch vor nicht fremden, sondern vertrauten Personen auftreten, wenn etwa deren Beurteilung gefürchtet wird. Die Soziale Phobie kann sich auch sehr spezifisch auf einzelne soziale Situationen beziehen. Es gibt jedoch sehr starke Überschneidungen zwischen beiden Störungsbildern, die eine diagnostische Abgrenzung schwierig machen. Schulangst und Prüfungsangst. Schulängste und Prüfungsängste gehören nach den derzeitigen Kriterien der Klassifikationssysteme für psychische Störungen, ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation, Dilling & Freyberger, 2006) und DSM-IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association; deutsche Version von Saß et al., 2003), nicht explizit zu den »Störungen mit Krankheitswert«. Damit fehlt eine allgemein verbindliche Definition in der wissenschaftlichen Literatur. Die Begriffe werden nicht einheitlich verwendet (vgl. Fehm & Fydrich, 2011). Vor dem Hintergrund der Häufigkeit von Schulangst und Prüfungsangst wäre eine Änderung in den Klassifikationssystemen allerdings wünschenswert. Diese Störungsbilder bekommen auch in Anbetracht der Wichtigkeit, die Bildung in unserer Gesellschaft einnimmt, ein größeres Gewicht. Denn die Folgen einer Schulangst sind in einer Gesellschaft, deren Säulen auf Leistung und Wissen ruhen, gravierend. Demzufolge wäre es sinnvoll, (1) Schulangst und Prüfungsangst in den Klassifikationssystemen stärker zu betonen und (2) ihre diagnostische Einordnung klar darzustellen.

5.2 Soziokulturelle Bedingungen, die Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nehmen Die Entwicklung einer sozialen Angst, einer Schulangst oder einer Prüfungsangst wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst und aus vielen Quellen gespeist. Von großer Bedeutung sind soziokulturelle Bedingungen. Sozialisation meint einen Prozess, in dem man sich den sozialen Erfordernissen allmählich anpasst, sich die Normen der sozialen Umwelt zu eigen zu macht und diesen Normen entsprechend handelt (Drever & Fröhlich, 1972). Geschlechtsspezifische Sozialisation Die geschlechtsspezifische Sozialisation beschreibt den Entwicklungsprozess von Jungen bzw. Mädchen. Angststörungen treten bei Mädchen etwas häufiger auf als bei Jungen (Wittchen et al., 1999; Schneier et al., 1992). Außer genetischen Faktoren trägt auch die soziokulturelle Sozialisation zu diesem Unterschied bei. Auch wenn eine feste Zuschreibung traditioneller Rollenbilder nicht mehr gegeben ist, werden »typisch männliche« und »typisch weibliche« Verhaltensmuster übernommen. Dabei handelt es 5.2 Soziokulturelle Bedingungen, die Einfluss nehmen

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sich oftmals um einen eher subtilen Prozess. Bereits vom ersten Tag an wird ein Kind mit geschlechtsspezifischen Erwartungen und Vorstellungen konfrontiert. Gleichzeitig nimmt das Kind seine Umwelt wahr und interpretiert geschlechtsspezifische Aspekte. Es müssen nicht explizit geäußerte Rollenklischees sein, die für die geschlechtsabhängige Sozialisation bedeutsam sind. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel aus verschiedenen soziokulturellen Einflüssen, Vorbildern, Spielen, die mit Kindern gespielt werden, medialen Einflüssen, Verstärkungen, Unterstützungen, die gegeben werden etc. Der Toleranzbereich für Angstsymptome ist bei Jungen sehr viel geringer als bei Mädchen. Das führt dazu, dass Angstsymptome bei Jungen stärker wahrgenommen und als negativ bewertet werden. Kulturelle Normen Auch kulturelle Normen können ein Grund für die Ausprägung von Angststörungen sein. Sie nehmen zum Beispiel Einfluss darauf, welcher Wert der Anpassung oder dem Wunsch, nicht aufzufallen, zukommt. Die Art, in der Gefühle ausgedrückt und gesteuert werden, wird auch von kulturellen Normen geprägt. Die Bedeutung von Angst wird ebenso durch kulturelle und historische Faktoren mitbestimmt. Zum Beispiel ist die Angst vor einer Hungersnot in unserer Gesellschaft geringer als die Angst davor, dick zu werden. Die Vielfalt der Ängste hat in der heutigen Gesellschaft zugenommen, zum Beispiel die Angst vor Terror, vor Umweltverschmutzung oder vor Gesundheitsrisiken. Auch Kinder und Jugendliche leiden schon unter diesen Ängsten. Daraus wird oftmals gefolgert, Angst sei die prägende Stimmung unserer Zeit. Anders als zu anderen Zeiten wird Angst dabei vermehrt als Sorge vor Risiken und Verletzlichkeit interpretiert (Furedi, 2007). Furedi schlussfolgert, das Einzige, vor dem wir uns fürchten sollten, sei die Kultur der Angst selbst. Leistungsdruck Die Bedingungen, die von einer Leistungs- und Bildungsgesellschaft gesetzt werden, führen dazu, dass Kinder früher und mehr lernen müssen. Eine immer bessere Ausbildung ist notwendig, um am Arbeitsmarkt eine Chance zu haben. Der Bedarf an Arbeitskräften ohne berufliche Ausbildung geht zurück. Dieser Druck kann Angst machen, auf Seiten der Eltern wie auf Seiten der Schüler. Er wird durch Eltern, Lehrer, Verwandte, Bekannte an die Schüler weitergeleitet. Die Stichworte lauten »Arbeitslosenzahl«, »Numerus clausus«, »Zugangsverengung«, »Qualifikationsauflagen« etc. Der Erfolg in der Schule erhält einen sehr hohen Stellenwert für den beruflichen Werdegang. Eine Betonung dieses Sachverhalts ist allerdings nicht hilfreich für eine erfolgreiche Schullaufbahn, sondern schürt Ängste, die Leistungen mindern. Der Leistungsdruck macht sich auch in der Tendenz zum Multitasking bemerkbar. »Das schaffe ich auch noch« bestimmt das Denken mehr, als innezuhalten, sich immer mal wieder von der Welt abzugrenzen, um sich einen Moment des Nachdenkens zu ermöglichen (Winterhoff, 2011).

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5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

Mediennutzung Eine andere gesellschaftliche Entwicklung, die diesem Druck entgegenzuwirken scheint, sind die Ablenkungsmöglichkeiten unserer heutigen Zeit. Wie nie zuvor haben Kinder durch Fernsehen und Internet Ablenkungsmöglichkeiten. 15-jährige Jugendliche beispielsweise verbringen mehr Zeit vor dem Fernseher als in der Schule (Hurrelmannn, 2002). Mord, Totschlag und Brutalität sind Themen, die den Fernsehalltag auch von Kindern und vor allem Jugendlichen bestimmen. Die Berichterstattung und tägliche Nachrichtensendungen lassen uns an einer Unmenge von Katastrophenmeldungen, Tragödien und Unglücksfällen teilhaben. Das sind keine Themen, die für Entspannung und Erholung sorgen oder ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Bei Angstanfälligen kann Angst geschürt werden. Nach Winterhoff (2011) befinde sich durch die Kombination von Überforderungsgefühlen und dem Übermaß an Negativnachrichten die Psyche im dauernden, nicht rational begründbaren Katastrophenmodus, der ein ruhiges Handeln nicht unterstützen könne. Durch diese Überforderung könne nach Winterhoff die Psyche heute nicht mehr in ausreichendem Maß ihrer Steuerungsfunktion für den menschlichen Alltag gerecht werden. Es fehlten Phasen, in denen sich der Mensch nicht durch seine Außenwelt definiere und auf diese reagiere, sondern sich selbst genüge (Winterhoff, 2011). Winterhoff zitiert als Vorschlag für ein Gegenprogramm den Liedtext von Annett Louisan: »Heute dreht die Welt mal eine Runde ohne mich«. Leben Kinder heute im »Zeitalter der Angst?«, fragt sich Twenge (2000) in einer Studie zur Veränderung des Angstausmaßes in den letzten Jahrzehnten. Twenge sammelte Studien aus den Jahren 1954 bis 1988, in welchen das Ausmaß allgemeiner Ängstlichkeit an 12.056 amerikanischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 9 bis 17 Jahren erhoben wurde. Die Autorin zeigte, dass die allgemeine Ängstlichkeit über eine Zeitspanne von etwa 30 Jahren um eine Standardabweichung anstieg und der Zeitfaktor eine Varianzaufklärung des Angstniveaus von 20 Prozent erlaubt. Auf ihrer Suche nach möglichen Ursachen fand sie eine geringe soziale Verbundenheit in der Gesellschaft (gemessen durch Scheidungsrate, Rate allein lebender Personen, Alter bei erster Heirat, Höhe der Geburtenrate) und ein hohes Ausmaß an allgemeiner Bedrohung (gemessen durch Kriminalitätsrate, Suizidrate u. Ä.). Die erhöhte Angst bei Kindern und Jugendlichen ist nach Twenge als eine Antwort auf die gesellschaftlichen Bedingungen zu verstehen (Twenge, 2000).

5.3 Unmittelbar sozial-familiäres Umfeld, das Einfluss auf die soziale Angst, die Schulangst und die Prüfungsangst nimmt Das unmittelbare sozial-familiäre Umfeld umfasst eine große Fülle an auf die Angst Einfluss nehmenden Variablen, die nicht getrennt von den soziokulturellen Bedingungen betrachtet werden können. Leistungsdruck, Wertevermittlung, Umgang mit Misserfolgen innerhalb der Familie sind Bereiche, die mit der Angst in der Schule in Verbindung stehen. 5.3 Unmittelbar sozial-familiäres Umfeld, das Einfluss nimmt

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Ein Familienalltag ist heute oftmals durch Eile bestimmt: die Fahrt zur Schule, das Mittagessen, Druck bei den Hausaufgaben, Terminhetze bei der Freizeitgestaltung. Für nicht wenige Kinder gleicht der tägliche Stundenplan einem Managerterminkalender. Eltern stehen unter Druck. Sie wollen das Beste für ihre Kinder. Sie sollen bestehen können in der heutigen Gesellschaft, eine gute Ausbildung erhalten, Freunde finden und vieles mehr. Dieser Druck wird weitergegeben an die Kinder. Die Ruhe, die für eine stabile Entwicklung ebenso wichtig ist wie Struktur und gleiche Abläufe, wird in den Hintergrund gedrängt. Die Möglichkeit, mit Bewusstheit teilhaben zu können an der Entwicklung ihrer Kinder, sie mit Freude zu genießen, sie mitzuerleben und zu erfahren, wird durch Hetze, Eile und Druck genommen. Was macht den Wert einer Kindheit aus? Kindheit ist nicht nur die Zeit des Erwachsenwerdens und Lernens für die Zukunft. Kinder sind nicht nur zukünftige Erwachsene, Kindheit hat einen ganz eigenen Wert. Kindheit, das ist auch viel freie Zeit, ungestörte Zeit, nicht nur knapp bemessene »Zeitinseln« zwischen zwei Terminen, sondern Zeit zum Spielen, zum Träumen, Zeit, sich in etwas zu vertiefen, Interessen und Vorlieben zu entwickeln, Kreativität und Phantasie zu entfalten, die Gegenwart zu genießen, damit eine ungestörte Entwicklung möglich ist. Kennzeichen der bürgerlichen Kindheit war lange Zeit eine Familienkindheit und Schulkindheit mit je spezifischen Aufgaben. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen haben Eltern weniger Zeit für ihre Kinder. Die heutige Familienstruktur ist vielfach gekennzeichnet durch eine Leere: Nach Winkel (1979) ist sie eine Schlaf- und Fernsehgemeinschaft, Probleme werden kaum noch gemeinsam angegangen, die Familie erhält keinen übergreifenden Sinn, es werden keine tief verwurzelten Werte vermittelt. Primäre Sozialisation findet immer weniger statt. Stattdessen erfolgt ein Anwachsen der sekundären Sozialisation, die entscheidenden Fertigkeiten zur Lebensbewältigung werden außerhalb der Familie erworben. Dieser Funktionsverlust der Familie macht deutlich, dass Ängste von Kindern kaum noch in den Familien verarbeitet werden können. Der Einzelne wird mit seiner Angst allein gelassen oder an andere Subsysteme verwiesen. Ein hohes Aspirationsniveau, Isolation der Familien, elterlicher Leistungsdruck und emotionale Verarmung führen zu wenig Gelegenheit, z. B. schulische Misserfolge zu verarbeiten. Einen großen Teil des Erziehungsauftrags geben Eltern an die Schule ab. Die Funktionalität lässt sich nicht mehr klar trennen in Erziehung von Familie und Bildung durch die Schule. Beide werden beanstandet, manchmal missbilligt oder angefeindet: In unserer Zeit gibt es nicht nur eine Schulkrise, sondern auch eine Familienkrise. Ein neues Zusammenspiel von privater und öffentlicher Erziehung und Bildung muss geschaffen werden. Derzeit gleicht das Zusammenspiel noch einem »Schwarzen-Peter-Spiel« (Dräger, 2011). Es ist durch unerfüllte gegenseitige Erwartungen geprägt: Eltern, die mit der Umsetzung des Bildungsauftrags der Schule unzufrieden sind, bessern durch Nachhilfe nach. Lehrer, die mit der Umsetzung der Erziehung unzufrieden sind, erfüllen Aufgaben, für die sie nicht ausgebildet wurden. Sind also wieder einmal die Eltern schuld? Sicherlich ist es verständlich, dass sie ehrgeizig sind (vgl. Tölle & Windgassen, 2011), denn sie unterliegen ebenfalls den

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5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

gesellschaftlichen Veränderungen (s. o.). In Zeiten der Globalisierung stehen exzellent ausgebildete junge Menschen hoch im Kurs. Jobs für gering Qualifizierte werden rar. Die Hauptschule ist in den Verruf geraten, wertlos zu sein. Schwächere Schüler verlieren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Ausweg wird daher im Lernen gesucht. Während die Kinder Angst vor der Schule entwickeln, sorgen ihre Eltern sich um ihre Zukunft.

5.4 Schulische Sozialisation, die Einfluss auf die Schulangst nimmt Der Name macht es deutlich: Bei der Schulangst kommt der Schule eine wesentliche Bedeutung zu. Darüber, wie gut unsere Schulen sind, wird insbesondere seit den Pisa-Studien viel gestritten, diskutiert und geschrieben. Die Länge der Schulausbildung erscheint dabei weniger wichtig zu sein (Dräger, 2011) als die Praxisnähe der Ausbildung und die Auswahl der Studierenden. Der Schule kommt die Aufgabe zu, unterschiedliche Begabungen, Leistungsstände, Lernformen und Lerngeschwindigkeiten zu fördern und die nötigen Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Die Lehrer müssen mit einer wachsenden Unterschiedlichkeit an Fähigkeiten und an kulturellen Hintergründen der Schüler umgehen (ein Viertel der Schüler stammt aus Migrantenfamilien, während nur 5 % der Lehrer einen Migrationshintergrund haben; Dräger, 2011). Die Bedeutung der Betreuung und Erziehung im schulischen Rahmen wächst. Die derzeitigen Rahmenbedingungen sind hingegen durch wenig Personal, zu viele und zu undisziplinierte Schüler, zu gleichgültige oder zu fordernde Eltern, vielfältige Reformen und mangelnde Anerkennung gekennzeichnet. Der Lehrerberuf ist anstrengend. Viele Lehrer sind gesundheitlich belastet, ausgebrannt, erschöpft und resigniert. Dennoch: Auf die Lehrer kommt es an. Sie sind richtungsweisend für die Zukunft der Kinder. Ziel sollte es deshalb sein, Lehrer so aus- und fortzubilden, " dass sie mit den Problemen der heutigen Zeit umgehen können (z. B. mit Fehlverhaltensweisen wie Schuleschwänzen, Trennungs- und Schulangst); " dass sie ausreichende Anerkennung für ihre Leistungen erhalten; " dass qualifizierte Menschen an ihre Seite gestellt werden, z. B. Muttersprachler, Sozialarbeiter, Bildungsberater, Psychologen. Bei der Vermittlung von Wissen erscheint es notwendig, dass die Schüler lernen, Wissen anzuwenden, statt es zu pauken. Die spätere Beschäftigungsfähigkeit sollte im Blick bleiben. Die Aufgabe der Lehrer besteht nicht nur darin, Wissen zu vermitteln, sondern auch, das Lernen zu begleiten. Lerntechniken selbst müssen zunächst einmal gelehrt werden. Wichtige Aufgabe der Schule ist es, eigenverantwortliches Lernen zu vermitteln, damit ein effektiver Unterricht möglich wird. Immer wieder werden Schulthemen wie Selektionsmechanismen, Prüfungsrituale, Strafrituale, hierarchische Schulorganisation, Zeugnisse, Sitzenbleiben diskutiert, überdacht und verändert. Ein von Eltern viel diskutierter Bereich betrifft die Zensuren. Wie sinnvoll sind Zensuren? Schulnoten sind weder objektiv noch valide oder reliabel (Winkel, 1979). Sie scheinen Lernfreude oftmals zu zerstören. Alternative Vorgehens5.4 Schulische Sozialisation, die Einfluss auf die Schulangst nimmt

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weisen versuchen, Rückmeldung über den Leistungsstand ohne Noten zu geben, Lernfortschritte und -schwierigkeiten anders zu kommunizieren und zensurenfreie Jahre zu nutzen. Ziel bei diesem Ansatz ist es, das Lernen aus Neugier und nicht für Noten zu unterstützen. Inzwischen wird auch eine größere Vielfalt an Unterrichtsmethoden eingesetzt: Der in den vergangenen Jahrzehnten vorherrschende Frontalunterricht wird ergänzt oder abgelöst durch Gruppenarbeit und individuelles Üben. Um noch mehr auch auf unterschiedliche Lerntypen eingehen zu können, ist sicherlich eine größere Vielfalt an Unterrichtsmethoden hilfreich. Auf diese Weise wird berücksichtigt, dass manche Schüler eher durch Zuhören lernen, andere durch Diskutieren oder durch das Lesen. Im Bereich der Schule als Institution gibt es unzählige Reformmöglichkeiten. Die Interaktionsprozesse in der Schule zwischen Lehrern und Schülern, Schülern untereinander und Lehrern untereinander müssen verbessert werden, ebenso wie die Zusammenarbeit von Eltern und Pädagogen: Sie sollten sich unterstützen und dadurch eine echte Eltern-Lehrer-Koalition bilden, statt sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. Winkel (1979; S. 494) legt als Ziele für eine humane Schule die Vermittlung von zeitgemäßen Grundwerten fest: " Fröhlichkeit anstelle von Angst, um die Neugier und Motivation der Kinder zu erhalten. " Arbeitsfreude anstelle von Leistungsdruck, denn Arbeit kann Freude machen, wenn die Schüler nicht überfordert werden, sie Hilfen erwarten können und Fehler nicht als Makel gelten, wenn die Schüler den Sinn der Arbeit einsehen und keinen Druck verspüren. Auch wenn der gesellschaftliche Leistungsdruck bleibt, so kann den Schülern eine relativ schöne Schulzeit mit gleichzeitiger Relativierung des Leistungsdrucks ermöglicht werden. " Zeit zur Verfügung stellen, sich Zeit nehmen. " Verständnis anstelle von Verurteilung: Weniger Gewicht auf eine Etikettierung und Stigmatisierung von Schülern in gute und schlechte, faule und fleißige, wohlerzogene und freche Kinder. Stattdessen sollte die Zielsetzung sein, sich um das Verständnis des Schülers zu bemühen. " Liebe anstelle von Gleichgültigkeit: Liebe in der Schule geben, meint zunächst einmal etwas viel Bescheideneres – sich nicht hinter einem Panzer von Gleichgültigkeit zu verstecken, nicht stets cool bleiben zu müssen oder Gefühle beherrschen zu wollen. Es ist wichtig, Emotionen zu zeigen, Betroffenheit zu signalisieren, Sympathie zu äußern und Zärtlichkeit zu schenken. Kinder wollen angenommen, nicht ignoriert oder verwaltet werden; sie brauchen Geborgenheit und Wärme. Kinder wollen den geduldigen Erwachsenen, der auch dann zu ihnen hält, wenn sie sich nicht nach deren Vorstellungen verhalten haben. Fazit Soziale Angst wird von den betroffenen Kindern als sehr quälend beschrieben. Sie fürchten, im Mittelpunkt zu stehen oder die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu

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5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

lenken und ziehen sich zurück. Sozial ängstliche Kinder zeigen eine übermäßige Furcht vor der Bewertung durch andere, dazu können auch die Leistungsbewertungen in der Schule zählen. Sie erleben sich vielfach als minderwertig und ihren Mitschülern unterlegen und fühlen sich im Klassenverband als weniger integriert. Auch von den Lehrern werden sozial ängstliche Kinder oftmals übersehen und unangemessen beurteilt (Stöckli, 2007). Soziale Angst kann somit gerade im schulischen Bereich gravierende Folgewirkungen zeigen. Die Frage, wie viel Angst allgemein in der Schule eigentlich nötig ist, wird nicht übereinstimmend bewertet. Oelsner und Lehmkuhl (2002) vertreten die Ansicht, dass Schule nicht zum Vergnügungspark verkommen sollte. Ziel sei keine angstfreie Zone, vielmehr sollte der Umgang mit Angst gelehrt und Leistungsbereitschaft vermittelt werden. Angst und Leistungsbereitschaft seien notwendige Aspekte unseres Lebens. Ist Angst in der Schule also unvermeidlich? Müssen Schüler mit Angst in der Schule leben lernen und Lehrer Angst pädagogisch an der richtigen Stelle einsetzen? Würde eine Schule mit geringerem Ausmaß an Schulangst mit schlechteren Schulnoten ihrer Schüler einhergehen? Oder macht Angst dumm, wie das Sprichwort sagt? Wir sahen: Je komplexer die Leistung ist, die erbracht werden soll, desto schädlicher wirkt sich Angst auf die Leistung aus. Angst in der Schule ist unserer Ansicht nach verzichtbar. Es werden viele Erwartungen und Forderungen an die Schule und Schulreform gestellt. Ein Nein zur Überforderung von Schülern ist eine der Forderungen, die ganz wesentlich für den Abbau von Schulangst ist. Aber auch die Schule selbst kann überfordert werden mit der Vielzahl ihrer Aufgaben und Pflichten, die sie erfüllen soll. Eine Lösung des Dilemmas ist noch nicht in Sicht. Daher bleibt zunächst, die Kinder auf den Schulalltag, so wie er ist, vorzubereiten, damit sie nicht durch zu viele Misserfolgserfahrungen in Verunsicherung und Selbstzweifel gestürzt werden. Außerdem ist die Entwicklung kindgerechter Präventions- und Interventionsprogramme zur Behandlung von Ängsten in der Schule von immenser Bedeutung. Gerade in Anbetracht der Einschränkungen und Auswirkungen, die Angststörungen wie eine Soziale Phobie, Schulangst oder Prüfungsangst im Kindes- und Jugendalter mit sich bringen können, sind weitere Untersuchungen von großer Bedeutung. Angststörungen können zu einer deutlichen Funktionsbeeinträchtigung und Lebenseinschränkung führen. Sie können zu einer starken emotionalen Belastung durch die Symptome und durch das Vermeidungsverhalten führen und zu einer beeinträchtigten Lebensführung beitragen. Beeinträchtigt werden können der schulische oder der familiäre Bereich. Auch eine eingeschränkte Bewältigung sozialer Entwicklungsaufgaben kann eine Folge sein. Häufig entwickeln sich komorbide Störungen oder Folgestörungen. Eine Angststörung im Jugendalter stellt ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für eine Angststörung im Erwachsenenalter dar (Pine et al., 1998). Obwohl in der Wissenschaft die soziale Angst in den letzten Jahren stärker in den Fokus gerückt ist, bleiben sozial ängstliche Kinder in der Schule weiterhin eine 5.4 Schulische Sozialisation, die Einfluss auf die Schulangst nimmt

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vernachlässigte Gruppe. Hilfsprogramme oder Interventionen für sozial ängstliche Kinder sind in der Schule selten. Sie werden dort nicht als Risikogruppe gesehen (Stöckli, 2007). Die Auswirkungen, die soziale Ängste im schulischen Bereich nach sich ziehen können, zeigen jedoch sehr eindrücklich, dass ein starker Handlungsbedarf besteht.

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5 Klinische und kulturtheoretische Einordnung

Anhang

Diagnostische Kriterien

Soziale Phobie (DSM-IV 300.23; Saß et al., 2003) A. Eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen oder Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. Beachte: Bei Kindern muss gewährleistet sein, dass sie im Umgang mit bekannten Personen über die altersentsprechende soziale Kompetenz verfügen, und die Angst muss gegenüber Gleichaltrigen und nicht nur in der Interaktion mit Erwachsenen auftreten. B. Die Konfrontation mit der gefürchteten sozialen Situation ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsgebundenen oder einer situationsbegünstigten Panikattacke annehmen kann. Beachte: Bei Kindern kann sich die Angst durch Weinen, Wutanfälle, Erstarren oder Zurückweichen von sozialen Situationen mit unvertrauten Personen ausdrücken. C. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist. Beachte: Bei Kindern darf dieses Kriterium fehlen. D. Die gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst und Unwohlsein ertragen. E. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das starke Unbehagen in den gefürchteten sozialen oder Leistungssituationen beeinträchtigen deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder soziale Aktivitäten oder Beziehungen, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden. F. Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens sechs Monate an. G. Die Angst oder Vermeidung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück und kann nicht besser durch eine andere psychische Störung (z. B. Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, Störung mit Trennungsangst, Körperdysmorphe Störung, Tiefgreifende Entwicklungsstörung oder Schizoide Persönlichkeitsstörung) erklärt werden. H. Falls ein medizinischer Krankheitsfaktor oder eine andere psychische Störung vorliegen, so stehen diese nicht in Zusammenhang mit der unter Kriterium A beschriebenen Angst, z. B. nicht Angst vor Stottern, Zittern bei Parkinsonscher Erkrankung oder, bei Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa, ein abnormes Essverhalten zu zeigen.

Diagnostische Kriterien

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Generalisiert: Wenn die Angst fast alle sozialen Situationen betrifft (ziehe auch die zusätzliche Diagnose einer vermeidend-selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung in Betracht). Soziale Phobie (ICD-10 F40.1; Dilling et al., 2006): A. Entweder (1) oder (2): (1) deutliche Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder beschämend zu verhalten, (2) deutliche Vermeidung, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Angst besteht, sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Diese Ängste treten in sozialen Situationen auf, wie Essen oder Sprechen in der Öffentlichkeit, Begegnung von Bekannten in der Öffentlichkeit, Hinzukommen oder Teilnahme an kleinen Gruppen, wie z. B. Partys, Treffen oder in Klassenräumen. B. Mindestens 2 Angstsymptome in den gefürchteten Situationen, mindestens einmal seit Auftreten der Störung, wie in F 40.0, Kriterium B, definiert, sowie zusätzlich mindestens eines der folgenden Symptome: (1) Erröten oder Zittern (2) Angst zu Erbrechen (3) Miktions- und Defäkationsdrang C. Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten; Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben oder unvernünftig sind. D. Die Symptome beschränken sich vornehmlich auf die gefürchtete Situation oder auf die Gedanken an diese. E. Die Symptome des Kriteriums A sind nicht bedingt durch Wahn, Halluzinationen oder andere Symptome der Störungsgruppen organische psychische Störungen, Schizophrenie und verwandte Störungen, affektive Störungen oder eine Zwangsstörung und sind keine Folge einer kulturell akzeptierten Anschauung. Störung mit Trennungsangst (DSM-IV 309.21; Saß et al., 2003) A. Eine entwicklungsmäßig unangemessene und übermäßige Angst vor der Trennung von zu Hause oder von den Bezugspersonen, wobei mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sein müssen: (1) Wiederholter übermäßiger Kummer bei einer möglichen oder tatsächlichen Trennung von zu Hause oder von Bezugspersonen. (2) Andauernde oder übermäßige Besorgnis, dass er/sie wichtige Bezugspersonen verlieren könnten oder dass diesen etwas zustoßen könnte. (3) Andauernde oder übermäßige Besorgnis, dass ein Unglück ihn/sie von einer wichtigen Bezugsperson trennen könnte (z. B. verloren zu gehen oder entführt zu werden).

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Diagnostische Kriterien

(4) Andauernder Widerwille oder Weigerung, aus Angst vor der Trennung zur Schule oder einen anderen Ort zu gehen. (5) Ständige und übermäßige Furcht oder Abneigung, allein oder ohne wichtige Bezugspersonen zu Hause oder ohne wichtige Erwachsene in einem anderen Umfeld zu bleiben. (6) Andauernder Widerwille oder Weigerung, ohne die Nähe einer wichtigen Bezugsperson schlafen zu gehen oder auswärts zu übernachten. (7) Wiederholt auftretende Albträume von Trennungen. (8) Wiederholte Klagen über körperliche Beschwerden (wie z. B. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen), wenn die Trennung von einer wichtigen Bezugsperson bevorsteht oder stattfindet. B. Die Dauer der Störung beträgt mindestens vier Wochen. C. Der Störungsbeginn liegt vor dem 18. Lebensjahr. D. Die Störung verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder anderen Funktionsbereichen. E. Die Störung tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und kann bei Jugendlichen und Erwachsenen nicht besser durch eine Panikstörung oder Agoraphobie erklärt werden. Früher Beginn: Die Störung beginnt vor dem sechsten Lebensjahr. Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (ICD-10 F93.0; Dilling, 2006) A. Mindestens drei der folgenden Kriterien: (1) Unrealistische und anhaltende Besorgnis über mögliches Unheil, das der Hauptbezugsperson zustoßen könnte oder über den möglichen Verlust solcher Personen (z. B. Furcht, dass sie weggehen und nicht wiederkommen könnten oder dass das Kind sie niemals wieder sehen wird) oder anhaltende Sorge um den Tod von Bezugspersonen. (2) Unrealistische und anhaltende Besorgnis, dass ein unglückliches Ereignis das Kind von einer Hauptbezugsperson trennen werde (z. B. dass das Kind verloren gehen, gekidnappt, ins Krankenhaus gebracht oder getötet werden könnte). (3) Aus Angst vor Trennung von einer Hauptbezugsperson oder um zu Hause zu bleiben (weniger aus anderen Gründen, z. B. Angst vor bestimmten Ereignissen in der Schule) andauernde Abneigung oder Verweigerung, die Schule zu besuchen. (4) Trennungsschwierigkeiten am Abend, erkennbar an einem der folgenden Merkmale: a) anhaltende Abneigung oder Weigerung, Schlafen zu gehen, ohne dass eine Hauptbezugsperson dabei oder in der Nähe ist; b) häufiges Aufstehen in der Nacht, um die Anwesenheit der Bezugsperson zu überprüfen oder bei ihr zu schlafen; c) anhaltende Abneigung oder Weigerung, auswärts zu schlafen.

Diagnostische Kriterien

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(5) Anhaltende unangemessene Angst davor, allein oder tagsüber ohne eine Hauptbezugsperson zu Hause zu sein. (6) Wiederholte Albträume zu Trennungsthemen. (7) Wiederholtes Auftreten somatische Symptome (Übelkeit, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Erbrechen) bei Gelegenheiten, die mit einer Trennung von einer Hauptbezugsperson verbunden sind, wie beim Verlassen des Hauses, um zur Schule zu gehen oder bei anderen Gelegenheiten, die mit einer Trennung verbunden sind (Urlaub, Ferienlager). (8) Extremes und wiederholtes Leiden in Erwartung, während oder unmittelbar nach der Trennung von einer Hauptbezugsperson (es zeigt sich in Angst, Schreien, Wutausbrüchen, in der anhaltenden Weigerung, von zu Hause wegzugehen, in dem intensiven Bedürfnis, mit den Eltern zu reden oder in dem Wunsch nach Hause zurückzukehren, in Unglücklichsein, Apathie oder sozialem Rückzug). B. Fehlen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters (F93.80). C. Beginn vor dem sechsten Lebensjahr. D. Die Störung tritt nicht im Rahmen einer umfassenderen Störung der Emotionen, des Sozialverhaltens oder der Persönlichkeit auf oder bei einer Tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung oder einer psychotischen Störung oder einer substanzbedingten Störung. E. Dauer mindestens vier Wochen. Spezifische Phobie (DSM-IV 300.29; Saß et al., 2003) A. Ausgeprägte und anhaltende Angst, die übertrieben oder unbegründet ist und die durch das Vorhandensein oder die Erwartung eines spezifischen Objekts oder einer spezifischen Situation ausgelöst wird (z. B. Fliegen, Höhen, Tiere, eine Spritze bekommen, Blut sehen). B. Die Konfrontation mit dem phobischen Reiz ruft fast immer eine unmittelbare Angstreaktion hervor, die das Erscheinungsbild einer situationsgebundenen oder einer situationsbegünstigten Panikattacke annehmen kann. Beachte: Bei Kindern kann sich die Angst in Form von Weinen, Wutanfällen, Erstarren oder Anklammern ausdrücken. C. Die Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unbegründet ist. Beachte: Bei Kindern darf dieses Merkmal fehlen. D. Die phobischen Situationen werden gemieden bzw. nur unter starker Angst oder starken Unbehagen ertragen. E. Das Vermeidungsverhalten, die ängstliche Erwartungshaltung oder das Unbehagen in den gefürchteten Situationen schränkt deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder sozialen Aktivitäten oder Beziehungen ein, oder die Phobie verursacht erhebliches Leiden für die Person. F. Bei Personen unter 18 Jahren hält die Phobie über mindestens sechs Monate an.

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Diagnostische Kriterien

G. Die Angst, Panikattacken oder das phobische Vermeidungsverhalten, die mit dem spezifischen Objekt oder der spezifischen Situation assoziiert sind, werden nicht besser durch eine andere psychische Störung erklärt, wie z. B. Zwangsstörung (z. B. Angst vor Schmutz bei Personen, die die Vorstellung haben, kontaminiert zu werden), Posttraumatische Belastungsstörung (z. B. Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind) oder Störung mit Trennungsangst (z. B. Vermeidung von Schulbesuchen), Soziale Phobie (z. B. Vermeidung sozialer Situationen aus Angst vor Peinlichkeiten), Panikstörung mit Agoraphobie oder Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte. Bestimme den Typus: Tier-Typus, Umwelt-Typus (z. B. Höhen, Stürme, Wasser), Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus, Situativer Typus (z. B. Flugzeuge, Fahrstühle, enge, geschlossene Räume), Anderer Typus (z. B. Angst zu ersticken, zu erbrechen oder sich mit einer Krankheit zu infizieren; bei Kindern Angst vor lauten Geräuschen oder kostümierten Figuren). Spezifische Phobie (ICD-10 F40.2; Dilling et al., 2006) A. Entweder (1) oder (2): (1) Deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation, außer Agoraphobie (F40.0) oder sozialer Phobie (F40.1). (2) Deutliche Vermeidung solcher Objekte und Situationen, außer Agoraphobie (F40.0) oder sozialer Phobie (F40.1). Häufige phobische Objekte und Situationen sind Tiere, Vögel, Insekten, Höhen, Donner, Fliegen, kleine geschlossene Räume, Anblick von Blut oder Verletzungen, Injektionen, Zahnarzt- und Krankenhausbesuche. B. Angstsymptome in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit auftreten der Störung wie in Kriterium B. von F40.0 (Agoraphobie) definiert. C. Deutliche emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten; Einsicht, dass diese übertrieben und unvernünftig sind. D. Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder Gedanken an diese beschränkt. Wenn gewünscht, können die spezifischen Phobien wie folgt unterteilt werden: " Tier-Typ (z. B. Insekten, Hunde) " Naturgewalten-Typ (z. B. Sturm, Wasser) " Blut-Injektion-Verletzungs-Typ " Situativer Typ (z. B. Fahrstuhl, Tunnel) " Andere Typen

Diagnostische Kriterien

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Generalisierte Angststörung (DSM-IV 300.02; Saß et al., 2003) A. Übermäßige Angst und Sorge (furchtsame Erwartung) bezüglich mehrerer Ereignisse oder Tätigkeiten (wie etwa Arbeit oder Schulleistungen), die während mindestens sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage auftraten. B. Die Person hat Schwierigkeiten, die Sorgen zu kontrollieren. C. Die Angst und Sorge sind mit mindestens drei der folgenden sechs Symptome verbunden (wobei zumindest einige der Symptome in den vergangenen sechs Monaten an der Mehrzahl der Tage vorlagen) Beachte: Bei Kindern genügt ein Symptom: (1) Ruhelosigkeit oder ständiges »auf dem Sprung sein«, (2) leichte Ermüdbarkeit, (3) Konzentrationsschwierigkeiten oder Leere im Kopf, (4) Reizbarkeit, (5) Muskelspannung (6) Schlafstörungen (Ein- oder Durchschlafschwierigkeiten oder unruhiger, nicht erholsamer Schlaf). D. Die Angst und Sorgen sind nicht auf Merkmale einer Achse I-Störung beschränkt, z. B. die Angst und Sorgen beziehen sich nicht darauf, eine Panikattacke zu haben (wie bei Panikstörung), sich in der Öffentlichkeit zu blamieren (wie bei Sozialer Phobie), verunreinigt zu werden (wie bei Zwangsstörung), von zu Hause oder engen Angehörigen weit entfernt zu sein (wie bei Störung mit Trennungsangst), zuzunehmen (wie bei Anorexia Nervosa), viele körperliche Beschwerden zu haben (wie bei Somatisierungsstörung) oder eine ernsthafte Krankheit zu haben (wie bei Hypochondrie), und die Angst und die Sorge treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf. E. Die Angst, Sorge oder körperlichen Symptome verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. F. Das Störungsbild geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z. B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (wie z. B. Schilddrüsenüberfunktion) zurück und tritt nicht ausschließlich im Verlauf einer affektiven Störung, einer psychotischen Störung oder einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung auf. Generalisierte Angststörung (ICD-10 F41.1; Dilling et al. 2006) Beachte: Alternative Kriterien F93.80 (generalisierte Angststörungen im Kindes- und Jugendalter) A. Ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten mit vorherrschender Anspannung, Besorgnis und Befürchtungen in Bezug auf alltägliche Ereignisse und Probleme. B. Mindestens vier Symptome der unten angegebenen Liste, davon eins von den Symptomen (1) bis (4) müssen vorliegen: Vegetative Symptome: (1) Palpitationen, Herzklopfen oder erhöhte Herzfrequenz

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Diagnostische Kriterien

(2) Schweißausbrüche (3) fein- oder grobschlägiger Tremor (4) Mundtrockenheit (nicht infolge Medikation oder Exsikkose) Symptome, die Thorax und Abdomen betreffen: (5) Atembeschwerden (6) Beklemmungsgefühl (7) Thoraxschmerzen oder -missempfindungen (8) Nausea oder abdominelle Missempfindungen (z. B. Unruhegefühl im Magen) Psychische Symptome: (9) Gefühl von Schwindel, Unsicherheit, Schwäche oder Benommenheit (10) Gefühl, die Objekte sind unwirklich (Derealisation) oder man selbst ist weit entfernt oder »nicht wirklich hier« (Depersonalisation) (11) Angst vor Kontrollverlust, verrückt zu werden oder »auszuflippen« (12) Angst zu sterben Allgemeine Symptome: (13) Hitzewallungen oder Kälteschauer (14) Gefühllosigkeit oder Kribbelgefühle Symptome der Anspannung: (15) Muskelverspannung, akute und chronische Schmerzen (16) Ruhelosigkeit und Unfähigkeit zum Entspannen (17) Gefühle von Aufgedrehtsein, Nervosität und psychischer Anspannung (18) Kloßgefühl im Hals oder Schluckbeschwerden Andere unspezifische Symptome: (19) Übertriebene Reaktionen auf kleine Überraschungen oder Erschrecktwerden (20) Konzentrationsschwierigkeiten, Leeregefühle im Kopf wegen Sorgen oder Angst (21) Anhaltende Reizbarkeit (22) Einschlafstörung wegen der Besorgnis C. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für eine Panikstörung (F41.0), eine phobische Störung (F40), eine Zwangsstörung (F42) oder eine hypochondrische Störung (F45.2). D. Häufigstes Ausschlusskriterium: Die Störung ist nicht zurückzuführen auf eine organische Krankheit wie eine Hyperthyreose, eine organische psychische Störung (F0) oder auf eine durch psychotrope Substanzen bedingte Störung (F1), z. B. auf einen exzessiven Genuss von amphetaminähnlichen Substanzen oder auf einen Benzodiazepin-Entzug.

Diagnostische Kriterien

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Auswahl an Ratgebern zu sozialer Angst, Prüfungsangst und Schulangst

Ahrens-Eipper, S. & Nelius, K. (2008). Mutig werden mit Til Tiger. Ratgeber. Göttingen: Hogrefe. Ziel des Ratgebers ist es, Informationen über Schüchternheit und soziale Ängste im Kindesalter zu vermitteln und Hilfen bei der Unterstützung und Förderung der betroffenen Kinder zu geben. Eltern und andere Bezugspersonen sollen mit diesem Ratgeber ermutigt werden, gemeinsam mit den Kindern Schritte zu mehr Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit zu erproben. Boie, K. (2001). Kirsten Boie erzählt vom Angsthaben. Hamburg: Oetinger. Die Autorin erzählt in diesem Buch von den Ängsten, die Markus an einem ganz normalen Schultag einfach nicht loslassen wollen. Sie beschreibt, wie diese Ängste entstehen, wie sie wirken und wie man lernen kann, mit ihnen umzugehen. Heiderich, R. & Rohr, G. (2007). Ohne Angst in der Schule. Probleme erkennen und erfolgreich überwinden. Stuttgart: Urania. Dieser Elternratgeber erklärt, was sich hinter Schulangst verstecken kann (von Leistungsdruck bis Mobbing), wie die Symptome erkannt werden können (von Bauchschmerzen bis Schulschwänzen) und wie Eltern und Lehrer kooperieren können. Katzenberger, P. (2010). Wie ist das mit der Schule? Stuttgart: Gabriel. Die Geschichten zum Schulalltag werden von Sacherklärungen zu schwierigen Fragen und Vorschlägen, wie Schüler in der Schule gut zurechtkommen können, ergänzt. Außerdem gibt es ein Kapitel für Eltern zum Gelingen der Schulzeit ihrer Kinder. Krowatschek, D. & Domsch, H. (2006). Stressfrei in die Schule. Ängste überwinden. Düsseldorf: Patmos. Anhand von Fallbeispielen und mit praktischen Hilfestellungen wird dargestellt, wie Schul- und Prüfungsängste zu bewältigen sind. Marway, B. & Marway, G.P. (2007). Kinderängste und Schüchternheit überwinden. Weinheim: Beltz. Dieses Buch zeigt an anhand praktischer Beispiele, wie Eltern, Erzieherinnen und Lehrer Kindern helfen können, zu selbstbewussten und sozial kompetenten Kindern und Jugendlichen heranzuwachsen.

Auswahl an Ratgebern zu sozialer Angst, Prüfungsangst und Schulangst

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Richter, W. & Pieritz, R. (2005). Klassenarbeiten? Das schaff ich schon! Ein Trainingsprogramm zum Abbau von Stress und Nervosität. BELTZ Lern-Trainer. Weinheim: Beltz. Audio-CD, mit der Schüler selbstständig den Umgang mit Stress und Nervosität lernen können, um mit Ruhe und Konzentration in Prüfungssituationen arbeiten zu können. Rogge, J.-U. (2002). Geschichten gegen Ängste: So helfen Sie Ihrem Kind. Reinbek bei Hamburg: rororo. Kinder haben Ängste. Dieses Buch hilft, sie zu überwinden. Eltern und Kinder werden sich in den humorvollen und lebensnahen Geschichten schnell wiedererkennen. Ein idealer Anlass, (wieder) ins Gespräch zu kommen. Mit allgemeinen Informationen über Ängste sowie mit Hinweisen, wie Kleine und Große partnerschaftlich und lösungsorientiert miteinander umgehen können. Schmidt-Traub, S. (2010). Selbsthilfe bei Angst im Kindes und Jugendalter: Ein Ratgeber für Kinder, Jugendliche, Eltern und Erzieher. Göttingen: Hogrefe. Der Ratgeber informiert Kinder, Jugendliche und deren Eltern über verschiedene Angststörungen und gibt Hinweise, wie diese abgebaut werden können. Der erste Teil des Buches informiert Eltern und Erzieher über Ängste und Methoden der Angstbewältigung. Der zweite Teil des Buchs wendet sich an ängstliche Kinder und Jugendliche. Schneider, S. & Borer, S. (2006). Nur keine Panik! Was Kids über Angst wissen sollten. Basel: Karger. Angst kennt jeder gerade im Kindesalter. Dabei reicht das Spektrum von dem gesunden Respekt vor bissigen Hunden bis hin zu panikartigen Anfällen beim allmorgendlichen Schulbesuch. Die Autorinnen, qualifizierte Kinder- und Jugendpsychologinnen, gehen in dieser Broschüre für Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren ganz spezifisch auf Kinderängste ein und zeigen Kindern Wege auf, wie sie konstruktiv mit ihren Ängsten umgehen können. In eingängiger, kindgerechter Sprache erfahren die jungen Leser, warum Angst eigentlich sinnvoll ist, wann sie zuviel ist oder gar krank macht und was man dagegen tun kann. Schüler, D. (2011). Schüchterne Kinder stärken: Wie sie Ängste überwinden, ihre Gaben entdecken und die Persönlichkeit entfalten. Seeheim-Jugenheim: Amondis. Nach einem einleitenden Teil, in dem über kindliche Temperamente, die Entstehung der Schüchternheit und sozialer Angst informiert wird, steht die Frage im Mittelpunkt, wie Eltern ihre Kinder im Alltag wirkungsvoll unterstützen können, ihre Ängste zu überwinden. Weitere Fragen zur Selbstreflexion und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Familiensituation folgen.

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Specht-Tomann, M. (2007). Wenn Kinder Angst haben. Düsseldorf: Patmos. Dieses Buch ist in einer sehr poetischen Sprache geschrieben. Beispiele von real existierenden Kindern veranschaulichen die theoretischen Ausführungen. Eine Besonderheit der Bücher von Dr. Monika Specht-Tomann sind ihre literarischen Texte wie in diesem Buch von Rainer Maria Rilke, Ingeborg Bachmann, Christine Busta, Martin Gutl. Kinderbuchklassiker von Michael Ende, Janosch, Sendak werden als Hilfen für die Angstbewältigung angeführt. Stein, A. (2009). Keine Angst vor Klassenarbeiten. Entspannung für Kinder und Eltern. München: Kösel. Fantasiereisen kombiniert mir einem mentalen Training und Musik im Ruhepulstakt führen zur Entspannung vor dem Schreckgespenst »Klassenarbeiten«.

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Glossar Abdominelle Missempfindung. Unangenehme Empfindung im Bereich Magen und Darm. Affirmationen. Positive Zuschreibungen, Selbstinstruktionen oder Glaubenssätze. Agoraphobie. Ängste, das eigene Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, sich in eine Menschenmenge oder auf einem öffentlichen Platz zu begeben oder alleine in Zügen, Bussen oder Flugzeugen zu reisen. Das Fehlen eines sofort nutzbaren Fluchtweges ist das Schlüsselsymptom vieler agoraphobisch besetzten Situationen. Amphetamine. Psychostimulanzien, die vorwiegend eine erregende Wirkung auf die Psyche ausüben. Anorexia nervosa. Essstörung, die durch einen selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert ist. Aspirationsniveau. Anspruchsniveau. Benzodiazepine. Psychopharmaka, die Unruhe, Angst- und Spannungszustände wie auch psychosomatische Beschwerden mildern. Bulimia nervosa. Essstörung, die durch wiederholte Anfälle von Heisshunger (Essattacken) und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Cortisol. Hormon, das beim Erleben von physischem oder psychischem Stress ausgeschüttet wird. Cortisol gehört zur Gruppe der Glucocorticoide und wird in der Nebennierenrinde gebildet. Differentialdiagnose. Symptome einer Erkrankung sind nicht immer eindeutig einer bestimmten Diagnose zuzuschrei-

ben. Krankheiten mit gleichen oder sehr ähnlichen Symptomen müssen voneinander abgegrenzt werden. Dissoziales Schuleschwänzen. Nichterscheinen in der Schule erfolgt ohne Wissen der Eltern. Dyskalkulie. Rechenstörung im Rahmen einer umschriebenen Entwicklungsstörung, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung, körperliche Erkrankung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. Empathie. Einfühlungsvermögen bzw. die Fähigkeit, Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale eines anderen Menschen oder eines Tieres zu erkennen und zu verstehen. Epidemiologie. Wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den Ursachen und Folgen sowie der Verbreitung von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen in der Gesamtbevölkerung beschäftigt. Exposition. Verhaltenstherapeutische Behandlungsmethode, bei der der Patient mit den für ihn relevanten angstauslösenden Stimuli konfrontiert wird. Extraversion. Persönlichkeitseigenschaft, die durch ein nach außen gerichtetes Verhalten charakterisiert ist. Faktorenanalyse. Datenreduzierendes statistisches Verfahren zur Bestimmung der dimensionalen Struktur korrelierter Merkmale. Fremdeln. Verhaltensmuster in der normalen Entwicklung von Säuglingen/Kindern, bei dem das Kind fremden Personen mit Misstrauen, Abneigung oder Angst begegnet.

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Habituation. Gewöhnung als eine Form des Lernens. Wenn ein Individuum wiederholt einem Reiz ausgesetzt ist, so schwächt sich die individuelle Reaktion auf diesen Reiz allmählich ab, unter Umständen bis hin zum vollständigen Ausbleiben einer Reaktion. Hypothyreose. Schilddrüsenunterfunktion, bei der der Körper mit den Schilddrüsenhormonen Trijodthyronin und Thyroxin unterversorgt wird, wodurch der Stoffwechsel des Körpers reduziert wird. In sensu. Expositions- bzw. Konfrontationsübung mit einem angstauslösenden Stimulus kann im Gegensatz zu in vivo auch in der Vorstellung ablaufen. Interne Konsistenz. Statistisches Kriterium für die Güte der psychometrischen Schätzung eines Merkmals, z. B. »Angst« (Cronbachs a). Interrater-Reliabilität. Ausmaß der Übereinstimmung der Einschätzungen verschiedener Beurteiler (»Rater«). Gilt als ein Maß, inwieweit die Ergebnisse vom einzelnen Beobachter unabhängig sind. Introversion. Persönlichkeitseigenschaft, die durch ein von der Außenwelt abgewandtes Verhalten charakterisiert ist. Komorbidität. Gemeinsames Auftreten von zwei oder mehreren Problemen/ Symptomen oder Störungen bei einem Individuum. Legasthenie. Lese- und Rechtschreibstörung, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, durch Visus-Probleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Likertskala. Instrument zur Erfassung von persönlichen Einstellungen. Es ist ein eindimensionales, personenorientiertes Skalierungsverfahren, welches auf Ratingskalen aufbaut.

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Manie. Affektive Störung, die durch eine gehobene Stimmung sowie eine Steigerung in Ausmaß und Geschwindigkeit der körperlichen und psychischen Aktivität charakterisiert ist. Mobbing. Systematische Form der Schikane. Mutismus. Personen, die nicht reden, obwohl sie grundsätzlich die Fähigkeit zu sprechen haben, werden als mutistisch (schweigsam) bezeichnet – verbale Sprache wird in für sie fremden Situationen, an bestimmten Orten, bei bestimmten Themen und/oder gegenüber einem bestimmten Personenkreis nicht eingesetzt. Nausea. Übelkeit. Palpitationen. Herzstolpern oder ein kurzzeitiges Aussetzen des Herzschlages. Peer-Gruppe. Gruppe von Personen, die gleich alt oder gleich gesinnt ist. Phobischer Reiz. Angstauslösender Reiz/ Stimulus. Posttraumatische Belastungsstörung. Psychische Störung, die als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes auftritt und bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung auslöst. Prävalenz. Prozentuale Angabe über die Gesamtzahl der Fälle, die in der Population von einer bestimmten Störung betroffen sind. Progressive Muskelrelaxation. Entspannungsverfahren mit dem Ziel, durch willentliche und bewusste An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen die Entspannung des ganzen Körpers zu erreichen Projektive Verfahren. Psychodiagnostische Verfahren, die z. B. über das Zeichnen eines Bildes »Projektionshilfen« geben, um einen Einblick in die Wünsche,

Einstellungen, Erwartungen, Motivationen und Vorstellungen einer Person zu erhalten. Prüfungsangst. Eine Angstform, die sich auf die Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit bezieht. Punktprävalenzrate. Prozentuale Angabe über die Gesamtzahl der Fälle, die in der Population zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer bestimmten Störung betroffen sind. Reliabilität. Statistisches Gütekriterium, das die Genauigkeit bzw. Zuverlässigkeit eines psychodiagnostischen Maßes kennzeichnet. Retest-Reliabilität. Statistisches Gütekriterium, das die Genauigkeit bzw. Zuverlässigkeit eines psychodiagnostischen Maßes bei einer Testwiederholung kennzeichnet. Schizoide Persönlichkeitsstörung. Spezifische Persönlichkeitsstörung, die meist mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einhergeht und u. a. charakterisiert wird durch emotionale Distanziertheit, anscheinende Gleichgültigkeit gegenüber Lob oder Kritik und übermäßige Inanspruchnahme durch Phantasie und Introspektion. Schizophrenie. Tiefgreifende und charakteristische Störungen von Denken und Wahrnehmung, die auch durch inadäquate oder verflachte Affektivität und eine Störung im Antrieb gekennzeichnet sind. Schüchternheit. Ein (überdauernder) Verhaltensstil, der durch eine übermäßige Anspannung in sozialen Situationen gekennzeichnet ist, was zu ängstlichen und oftmals unangemessenen Verhaltensweisen in solchen Situationen führen kann. Schulabsentismus. Siehe Schulverweigerung.

Schulangst. Oberbegriff für Ängste mit Bezug auf die Schule. Darunter fallen sowohl Ängste vor sozialen Situationen in der Schule wie auch vor schulischen Leistungsanforderungen. Schulverweigerung. Eine vom Kind ausgehende Weigerung, die Schule zu besuchen oder sein Unvermögen, den Schulalltag durchzustehen. Scree-Test. Ein Hilfsmittel bei der Entwicklung psychodiagnostischer Tests: Identifikation der bedeutsamen Faktoren in der Faktoranalyse anhand einer grafischen Darstellung (Eigenwertdiagramm). Shame Attacks. Verhaltenstherapeutische Expositionsübung, die darauf abzielt, ein Höchstmaß an Peinlichkeit zu erzeugen. Slow-to-warm-up. Temperamentseigenschaft einer Person, die dadurch charakterisiert wird, dass eine Person eine beträchtliche Zeit braucht, um in einer neuen Situation zurechtzukommen. Soziale Isolation. Die Quantität sozialer Kontakte und zwischenmenschlicher Beziehungen ist eingeschränkt, nicht jedoch die Qualität dieser Beziehungen. Soziale Kompetenzen. Verschiedene Fertigkeiten, die einem Individuum für soziale Interaktionen nützlich sind. Soziale Phobie. Eine Angst vor prüfender Betrachtung durch andere Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen, die schließlich dazu führt, dass soziale Situationen vermieden werden. State. Vorübergehender Zustand. Stigmatisierung. Merkmal, wodurch jemand oder etwas in bestimmter (negativer) Weise gekennzeichnet ist. Systematische Desensibilisierung. Eine verhaltenstherapeutische Behandlungsmethode, bei der neben der Konfrontati-

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onsübung auch eine Entspannungsübung eingesetzt wird. Trait. Zustand, der zeitlich stabil und überdauernd ist (individuelle Disposition). Trennungsangst. Fokussierte und ausgeprägte Angst vor der Trennung von solchen Personen, an die das Kind gebunden ist. Validität. Genauigkeit, mit der erfasst wird, was psychometrisch erfasst werden soll. Der Zusammenhang des Messresultates mit dem jeweiligen Außenkriterium für das zu Messende sollte möglichst eng sein. Vegetativ. Auf das vegetative Nervensystem bezogen, welches lebensnotwendige

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Funktionen wie Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung und Stoffwechsel kontrolliert. Verhaltenshemmung. Temperamentseigenschaft bzw. ein Reaktionsstil einer Person, der durch Gehemmtheit, Vermeidung, Rückzug und ein Unbehagen in neuen Situationen charakterisiert ist. Vermeidungsverhalten. Situationen und Gedanken, die Angst oder Unbehagen auslösen, werden vermieden. Zivilcourage. Mutiges Handeln, mit dem jemand seinen Unmut über etwas ohne Rücksicht auf mögliche Nachteile für sich selbst zum Ausdruck bringt. Zivilcourage bedeutet, nicht wegzuschauen, sondern sich einzumischen.

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Sachwortverzeichnis A Angst und Leistung 46 Angst und Motivation 47 Angst und Neugierverhalten 47 Angstdiagnostik 79 Angstgedanken 99, 105 Angsthierarchie 69 Arbeitsverhalten 112 Aufmerksamkeitsumlenkung 99 Ausgleich, außerschulischer 107 Außenseitererfahrungen 49 B Bedingungen, soziokulturelle 127 Belohnung 114 Bewältigungskompetenzen 105, 108 Blackout 118 D Desensibilisierung, systematische 115 Diagnostik 79 – Leitfragen 80 – Prüfungsangst 85 – Schulangst 84 – Soziale Phobie 81 E Entspannungsverfahren 114 Entwicklungsängste, soziale 22 Exposition 94 Externalisierung 90 F Fremdeln

22

G Gegenstand zur Vertrauensbildung 91

Geschichten 91, 94 Gewalt, physische 52, 105 Gruppe, soziale 48 H Hausaufgaben

99

I Identifikationsfigur 91 Imagination 115 Institutionsangst 63 Intervention 87 Isolation, soziale 26 K Klassenmilieu, soziales 110 Kognitionen 99, 115 Kompetenz, soziale 26, 36, 100 Konfliktangst 63 Konfrontationsübungen 95 f., 116 Körperübungen 106 L Leistungsdruck 128, 132 Leistungserwartungen 119 Leistungskontrollen 55 Leistungsrückmeldungen 122 Lern- und Leistungsangst 63 Lernstrategien 113 M Mediennutzung 129 Medikation 108, 117 Mittelpunktsübungen 97 Mobbing 49 f., 105 Motivation 93 N Normen, kulturelle P Personenangst

63

128

Persönlichkeitsbereich 46 Positionen, soziale 48 Prävention 125 Prüfungsangst 40, 69, 127 – Differentialdiagnose 73 – Emotionen 71 – Epidemiologie 74 – Gedanken 71 – Intervention 111 – Komorbidität 73 – physiologische Reaktionen 72 – Symptomatik 70 – Untergruppen 69 – Verhaltensweisen 72 – Verlauf 74 Punktepläne 104 R Risikofaktoren 19, 125 Rollenspiele 95 Rückmeldungen, negative 56, 103 S Schlafregulierung 114 Schüchternheit 25 Schulangst 62, 127 – bei Lehrern 63 – Differentialdiagnose 67 – Emotionen 65 – Epidemiologie 67 – Gedanken 64 – Intervention 104 – Komorbidität 67 – physiologische Reaktionen 66 – Symptomatik 64 – Untergruppen 63 – Verhaltensweisen 65 – Verlauf 67 Schulauswahl 119 Schuleschwänzen 59 Schullaufbahnangst 63 Schulphobie 61

Sachwortverzeichnis

163

Schulverweigerung 58, 108 Schutzfaktoren 20 Selektiver Mutismus 40 Shame Attacks 97 Sorgenzeit 105 Soziale Angst – als Risikofaktor für Schulangst 45 – Begriffswirrwarr 21 – Intervention 90 – und andere Angststörungen 77 – und Depressionen 78 – und Schlafstörungen 78 – und Suchtstörungen 78 Soziale Phobie 27, 126 – Differentialdiagnose 38

164

Sachwortverzeichnis

– Gedanken 31 – Komorbidität 38 – physiologische Reaktionen 36 – Symptomatik 28 – Untergruppen 29 – Verhaltensweisen 33 – Verlauf 43 Sozialisation, geschlechtsspezifische 127 Sozialisation, schulische 131 Sprüche, formelhafte 93 Stigmatisierungsangst 63 Störung mit sozialer Ängstlichkeit im Kindesalter 38 Strafangst 63 Strafe 56

T Therapierational 94 Therapiezielvereinbarung Trennungsangst 61 U Überbehütung 56 Umfeld, sozial-familiäres Ungeselligkeit 26 Unterrichtsstil 54 V Verhaltenshemmung 24 Vermeidungs- und Sicherheitsverhalten 94 Vorbildfunktion 56, 120

94

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Schüler sozial kompetent machen

In einer immer komplexer und vernetzter werdenden Welt steigen die Anforderungen an den Einzelnen, sich sozial angemessen zu verhalten. Zugleich nehmen die Möglichkeiten ab, Sozialverhalten einzuüben. Die Schule ist ein Ort, an dem Verhaltensprobleme der Schüler besonders deutlich werden, hier kann auch eine frühzeitige und gezielte Intervention stattfinden. Das „Sozialtraining in der Schule“ übt soziale Fertigkeiten und Kompetenzen in der Schulklasse. Es ist geeignet für die Klassen 3– 6 aller Schultypen. Wissenschaftlich evaluiert bietet es schön gestaltete Arbeitsmaterialien für 24 Trainingseinheiten. Alle Materialien können online ausgedruckt und heruntergeladen werden. Franz Petermann • Gert Jugert • Uwe Tänzer • Dorothe Verbeek Sozialtraining in der Schule 2012. 237 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-621-27596-5 Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich. ISBN 978-3-621-27971-0

Verlagsgruppe Beltz • Postfach 100154 • 69441 Weinheim • www.beltz.de

Schüchterne Kinder in die Mitte bringen Manche Kinder sind zu schüchtern, um mit anderen zu spielen oder sich in der Schule zu melden. Mit dem vorliegenden Trainingsprogramm wird die soziale Kompetenz, die diesen Kindern fehlt, gezielt aufgebaut.

Ulrike Petermann • Franz Petermann Training mit sozial unsicheren Kindern Einzeltraining, Kindergruppen, Elternberatung Mit CD-ROM XVI, 301 Seiten. Gebunden ISBN 978-3-621-27709-9

Um Angststörungen im Erwachsenenalter vorzubeugen, sollte spätestens in der Grundschule therapeutisch interveniert werden. Das »Training mit sozial unsicheren Kindern« bietet ein fundiertes Konzept für die Arbeit mit dem einzelnen Kind (5 – 12 Jahre), mit Kindergruppen und mit Eltern an. Es verbindet dabei Ansätze der Kognitiven Verhaltenstherapie mit Rollenspielen und Interventionen in der Familie. Mit Überblicken über die einzelnen Trainingsstunden und umfangreichen Materialien lassen sich die Sitzungen optimal vorbereiten und durchführen. Ein Glossar erläutert zentrale Begriffe, so dass auch NichtPsychologen (z.B. Lehrer oder Erzieher) mit dem Buch hervorragend arbeiten können. Ein umfangreicher Diagnostikteil, Materialien zum Einzel- und Gruppentraining mit Schulkindern und für die Elternarbeit ergänzen das Manual. Alle Materialien können von der beiliegenden CD-ROM ausgedruckt werden. Neu in der 10. Auflage: ! deutlich erweitertes Glossar ! neue Ergebnisse zur Evaluation

des Programms

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Weg vom Schubladendenken!

Michael Kaess gibt einen Überblick über Häufigkeit sowie verschiedene Formen, Ursachen und Funktionen selbstverletzenden Verhaltens bei Jugendlichen. Die Bewertung von Selbstverletzung im Hinblick auf die Entwicklungsphase der Adoleszenz, aber auch auf Risiken und Zusammenhänge mit psychischen Erkrankungen stehen im Fokus. Praktische Hinweise zum Umgang mit selbstverletzenden Jugendlichen sowie therapeutische Möglichkeiten werden beschrieben.

Michael Kaess Selbstverletzendes Verhalten Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln 2012. 176 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-621-27795-2 Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich. ISBN 978-3-621-27967-3

Phänomen, welches in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, bis zu 15 % der Jugendlichen tun es zumindest gelegentlich. Hierbei handelt es sich meist um das sogenannte »Ritzen«, jedoch gibt es eine Vielzahl verschiedener Formen und Arten selbstverletzenden Verhaltens. Auch die Ursachen von Selbstverletzung können sehr unterschiedlich sein.

Reihe: Risikofaktoren der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter Michael Schulte-Markwort und Franz Resch (Hrsg.)

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Hilfe für Kinder mit psychisch kranken Eltern

Nach aktuellen Schätzungen wachsen ca. 3 Millionen Kinder in Deutschland mit einem psychisch kranken Elternteil auf. Für die Kinder ist dies eine schwierige Situation: Sie können das Verhalten ihrer Eltern nicht verstehen, ihnen fehlt die nötige Betreuung, sie geraten in Loyalitätskonflikte oder werden außerhalb der Familie ausgegrenzt. Es verwundert daher nicht, dass 60 Prozent dieser Kinder selbst eine psychische Störung entwickeln. Hier gilt es, sich frühzeitig mit den Problemen und Auffälligkeiten von Kindern psychisch kranker Eltern auseinanderzusetzen. Die Autorinnen erläutern, wo die Gefahren

Angela Plass · Silke Wiegand-Grefe Kinder psychisch kranker Eltern Entwicklungsrisiken erkennen und behandeln 2012. 224 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-621-27914-7 Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich. ISBN 978-3-621-27968-0

diesen entgegenwirken kann. Dabei legen sie ein besonderes Augenmerk auf die individuellen Unterschiede der Kinder sowie die besondere Beziehung zu ihren Eltern.

Reihe: Risikofaktoren der Entwicklung im Kindes- und Jugendalter Michael Schulte-Markwort und Franz Resch (Hrsg.)

Verlagsgruppe Beltz • Postfach 100154 • 69441 Weinheim • www.beltz.de