Soldaten-Erziehung: Eine Ergänzung zur allgemeinen Wehrpflicht 9783486744538, 9783486744521


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Vorwort
Soldaten-Erziehung
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Soldaten-Erziehung: Eine Ergänzung zur allgemeinen Wehrpflicht
 9783486744538, 9783486744521

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Soldaten-Erziehung Eine Ergänzung zur allgemeinen Wehrpflicht

Von

Dr. Emst Horneffer z. Z. Landsturmmann

München und Berlin 1918 Druck und Verlag von R. Oldenbourg By

Dem kommandierenden General eines bayerischen Reservekorps

Herrn Ritter von Hoehn General der Artillerie, Exzellenz und

Herrn Rittmeister von Sigriz gewidmet

Vorwort. Philosophie und Krieg, der weltentrückte Gedanke und die s t ä r k s t e T a t — wie weit scheinen sie voneinander geschieden zu sein! Aber zu allen Zeiten haben diese Mächte, die tiefste Verinnerlichung und die weltumwälzende Gewalt, einander gesucht, haben sich eine in der anderen bewähren wollen. Unsere vaterländische Geschichte wird als ewig denkwürdiges Zeugnis dieser Verbindung die Erscheinung Fichtes im Zeitalter der Befreiungskriege verzeichnen. Auch der gegenwärtige Weltkrieg hat die Geister aufgeregt, hat das menschliche Nächdenken vor unerhörte, erschütternde Fragen gestellt. Ich will darüber nicht rechten, ob die bisher erfolgten Versuche, dieses einzigartige Menschheitsschicksal mit dem Geist zu erfassen, der Größe des Gegenstandes gerecht geworden sind. Mir will scheinen, als ob der Krieg so übermächtig mit seinen Ereignissen und Wirkungen über die Menschheit hereingebrochen ist, daß der Geist gleichsam erst Atem schöpfen muß, längere Zeit zuwarten muß, um die Größe der Wirklichkeit einzuholen und das ungeheure Erlebnis in unsere künftige Weltanschauung einzufügen. Inzwischen sollten wir einzelne, bestimmte Aufgaben in Angriff nehmen, die der Krieg uns aufgebürdet hat, sollten uns auf den Boden der P r a x i s stellen. In dieser Weise, von verschiedenen Seiten her dem Mittel- und Kernpunkt unserer Aufgabe uns nähernd, werden wir das große Ereignis geistig auszuschöpfen am besten uns vorbereiten. Ich lege die nachfolgende Schrift den Männern der Tat und des Geistes gleicherweise ans Herz. 5

Geist und K r a f t haben in diesem Kriege in mehr d e n n ' e i n e m Sinne und einer Hinsicht einen erfolgreichen Bund geschlossen, dem wir die Ü b e r w i n d u n g aller Hindernisse, den herrlichen Sieg zu danken haben. Möge diese Vereinigung auch f ü r unsere k ü n f t i g e Friedensarbeit weiterwirken!

Dann k a n n der Segen nicht ausbleiben f ü r

unser harterprobtes, tapferes Volk!

M ü n c h e n , den 1. März 1918. Leopoldstr. 108.

Ernst Horneffer.

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er Krieg ist in der bisherigen Geschichte der große Umwälzer, Erneuerer und Erzieher der Völker gewesen. Zwar hat er stets, wie auch jetzt, zugleich sehr bedenkliche und verhängnisvolle Folgen gehabt, hat schwere Übelstände gezeitigt. Aber durch die Kraftprobe, auf die er die Völker stellte, hat er eben diese Gebrechen ans Licht gebracht. Und wenn die betreffenden Völker sich in aufsteigender Richtung befanden und über genügende K r ä f t e verfügten, haben sie dann dieser Gebrechen wieder Herr zu werden gewußt. Seine bedeutsamste Wirkung indes beruht nicht in der Abstellung von Mängeln, sondern in der Enthüllung und Aufdeckung neuer, großer Aufgaben, in der gewaltigen Hebung und E n t f a l t u n g der Anlagen, die in den Völkern schlummerten, die durch die Herausforderung der Gefahr erst ins Bewußtsein traten und ihre Ausgestaltung und Ausbildung verlangten. Man braucht nur auf die Ergebnisse unserer beiden letzten großen Kriegsepochen hinzuweisen. Die preußische Niederlage durch Napoleon I. im J a h r e 1806/7, die Wiedererhebung in den Freiheitskriegen brachten den inneren Umbau des Staates, die Bauern- und Städtebefreiung, die Verschmelzung des preußischen Staates mit dem gleichzeitig in höchster Blüte stehenden deutschen Geist unter der Führung Fichtes, was in der Gründung der Berliner Universität und dem dann folgenden großzügigen Ausbau des Schulwesens seinen Ausdruck f a n d : getreu dem Ausspruch Friedrich Wilhelms III., daß der preußische Staat, was er an materieller Einbuße erlitten habe, durch ideale Kräfte ersetzen müsse. Auf militärisch-politischem Gebiete aber brachte die erschütterte Zeit, die in kurzem Wechsel jähen Verfall und kühnen Wiederaufschwung sah, die allgemeine Wehrpflicht — was aber d a s f ü r Deutschland bedeutet, braucht nicht mehr gesagt zu werden! — und ferner die aufkeimende Sehnsucht nach der deutschen Einigung,

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eine H o f f n u n g , der zwar noch bittere E n t t ä u s c h u n g e n und schwere K ä m p f e beschieden waren, die aber doch den A n f a n g einer neuen, glückverheißenden E n t w i c k l u n g bildete. Nicht weniger f r u c h t b a r w a r die N a c h w i r k u n g des d e u t s c h französischen Krieges 1870/71. (Der schleswig-holsteinische und österreichische Krieg waren die unerläßlichen Vorstufen des großen Einigungskrieges.) Bei diesem Kriege, der die endgültige Reichsg r ü n d u n g brachte, lagen die wichtigsten Folgen hauptsächlich auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete. Zu einer staatlichen Einheit zusammengeschmiedet, k o n n t e das deutsche Volk d a n k der wirtschaftlichen Gesetzgebung der 70er und 80er J a h r e , d a n k der d a n n folgenden sozialen Gesetzgebung seine ungeheuren wirtschaftlichen K r ä f t e entfalten. Und wie gewaltig dieser w i r t s c h a f t liche Aufschwung Deutschland in die Höhe trug, haben wir und die Welt erfahren. Dieser erstaunliche Fortschritt f ü h r t e unser Volk u n m i t t e l bar in den großen Weltkrieg, den wir schaudernd erlebten. Das m u ß m a n sich immer wieder vergegenwärtigen, um sich von der U n a b w e n d b a r k e i t dieses Krieges zu überzeugen. Die alten W e l t m ä c h t e d r o h t e n durch die beispiellose E n t w i c k l u n g unserer wirtschaftlichen K r ä f t e , die sich notwendig in politische u n d Volksk r ä f t e (schon rein an Zahl) umsetzen m u ß t e n , überflügelt zu werden. Sie h ä t t e n ja wohl mit diesem Ergebnis, diesem Wechsel der weltpolitischen Z u s t ä n d e sich abfinden können. Aber sie t a t e n es nicht, was m a n begreifen wird. Wir h ä t t e n mit Engelszungen reden, h ä t t e n den Gipfel aller diplomatischen F e i n k u n s t erklimmen können —, es ist mir sehr unwahrscheinlich, ob wir d a m i t den Krieg h ä t t e n verhindern können. Dazu sprachen die harten T a t s a c h e n eine zu deutliche Sprache. Die Welt, unter der F ü h r u n g Englands, w o l l t e den W a f f e n g a n g . Die E n t s c h e i d u n g kam, ungeheuer, f u r c h t b a r e r und gewaltiger als das k ü h n s t e T r ä u m e n a h n e n konnte. Eine P r ü f u n g unseres Gehalts, unserer Volkskraft w u r d e uns auferlegt, vor der auch der Stärkste unter uns vor dem Kriege entsetzt zurückgebebt wäre. Aber wir haben die P r ü f u n g bestanden, wenn auch m ü h sam und mit unsäglichen Opfern und Leiden, wie selbstverständlich ist. Aber d u r c h g e k o m m e n sind wir. N a c h d e m im Osten der Friede sich den Weg zu bereiten beginnt, kann uns die P a l m e des Sieges nicht mehr entrissen werden.

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So können wir jetzt über die Folgen, die der Krieg hervorrufen wird, die Lehren, die er uns gebracht h a t , nachdenken. U n a b s e h b a r werden die W i r k u n g e n des Krieges sein, die wir zu gewärtigen h a b e n . Keines Menschen Scharfsinn und Weitblick wird ausreichen, die Mannigfaltigkeit und die Nachhaltigkeit dieser W i r k u n g e n zu ermessen. N u r von Gebiet zu Gebiet, von jeder Seite und jeder besonderen R i c h t u n g her werden wir die Fülle der n e u a u f g e t a u c h t e n Bedürfnisse und Aufgaben meistern können. Das W i r t s c h a f t l i c h e wird hierbei den ersten Platz b e h a u p t e n müssen, da der Krieg in ausschlaggebender Weise ein W i r t s c h a f t s krieg gewesen ist, der unserem wirtschaftlichen Leben tiefe W u n d e n geschlagen h a t . Hier gilt es zunächst, die gerissenen Lücken wieder auszufüllen, Vorsorge zu treffen vor weiterem Abbruch, neue erfolgverheißende Wege a n z u b a h n e n . Denn an dem W i r t s c h a f t lichen h ä n g t unser Dasein. Und zuerst m u ß das Dasein gesichert sein, bevor andere Sorgen und Pflichten in B e t r a c h t kommen können. Mit dem Wirtschaftlichen h ä n g t eng zusammen das S o z i a l e , die rechte A u s w e r t u n g der v o r h a n d e n e n Menschenkräfte, die nur bei gleichmäßiger Fürsorge f ü r alle Volksschichten in S t a d t und Land, von der J u g e n d bis zum Alter zur Ausschöpfung unserer gesamten Volkskraft f ü h r e n k a n n . Das Soziale wiederum ist bedingt von dem P o l i t i s c h e n , in welchem staatlichen Rechtsverhältnis die verschiedenen Volksgruppen mit ihren Leistungen stehen, in welcher S p a n n u n g sich zueinander Volk und Regierung nebst V e r w a l t u n g . befinden sollen. Die politische Bewegungsfreiheit der Gruppen und Einzelnen unter Vermeidung der Gefahr der gegenseitigen Zerreibung und d a m i t der Auflösung des Ganzen wird das Ziel dieser Bestrebungen sein müssen, um unserem Volk seine volle L e b e n s e n t f a l t u n g zu sichern. Zuletzt wird das G e i s t i g e kommen. Bei der ungemein dringlichen Wichtigkeit jener genannten drei Lebensgebiete wird man weniger eilig und eifrig die geistigen Bildungsfragen in Angriff nehmen, wenn m a n sie ü b e r h a u p t b e a c h t e t . Denn in der Zeit v o r dem Kriege hat sich unser Volk, das doch ein geistiges Volk vor allen anderen Völkern zu sein b e a n s p r u c h t , das sich das Volk der Dichter und Denker auch heute- noch gerne n e n n t , in dieser Hinsicht schwere Versäumnisse zu schulden k o m m e n lassen. Man h a t unter dem übermächtigen E i n d r u c k unserer wirtschaftlichen Aufgaben und E r folge vor dem Kriege Urteile über das innere Leben, dessen Be-

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dürfnisse und Erfordernisse, dessen W e r t oder vielmehr Unwert hören können, d a ß m a n w a h r h a f t erschrecken m u ß t e . Man k ö n n t e sich sogar auf den S t a n d p u n k t stellen, d a ß jene drei Arbeits- und Pflichtgebiete, die ich erwähnte, das Wirtschaftliche, Soziale und Politische, nur erfolgreich bearbeitet, nur d a n n mit Aussicht auf neue E r r u n g e n s c h a f t e n in Pflege genommen und a u s g e b a u t werden können, wenn ein ganz neuer G e i s t in den Herzen geweckt worden ist. Denn es sind doch l e b e n d i g e M e n s c h e n , die auf jenen praktischen Gebieten Neues und Großes leisten sollen. Wie aber sollen Menschen diesen Pflichten gerecht werden, wenn nicht der entsprechende G e i s t in ihnen w o h n t , der sie diesen Aufgaben gewachsen m a c h t , wenn nicht die Befähigung und die Entschlußk r a f t , die Einsicht und der Wille in ihnen wirksam sind, um f r e u d i g und zuversichtlich so große W e r k e auch nur a n z u f a n g e n ? Man kann die Menschen zuletzt immer nur g e i s t i g fassen. N u r durch Ü b e r z e u g u n g sind sie zu irgendwelchen Tätigkeiten zu veranlassen, auf die m a n Gewicht legt. Wir Deutsche bilden uns doch ein, in allem gründlich zu verfahren, die Dinge an der Wurzel anzugreifen. W e n n wir das bei dem N e u a u f b a u des deutschen Lebens nach dem Kriege beweisen wollen, werden wir den Fragen der geistigen Erziehung unseres Volkes keinesfalls ausweichen dürfen, werden sie vielmehr mit höchstem Ernst und gewissenhafter Aufm e r k s a m k e i t ins Auge fassen müssen. W o aber bei dem unermeßlich weiten Feld des geistigen Lebens a n s e t z e n ? Wie wir die Gesamtheit der Arbeitskreise und Betätigungsfelder, die dem deutschen Volke neue Aufgaben stellen, gesondert haben, so werden wir auch auf jedem einzelnen Gebiete nur etwas Greifbares und Besprechbares herausstellen, wenn wir diese Sonderung auf das jeweilige Feld übertragen und hier wieder nur b e s t i m m t e Bedürfnisse b e s t i m m t e r Volksschichten oder Einrichtungen in B e t r a c h t u n g ziehen. Von allen Einrichtungen unseres Volkes aber b e a n s p r u c h t eine mit vollem Recht gerade j e t z t die nachdrücklichste B e a c h t u n g und Fürsorge, das H e e r . Das Bildungswesen in unserem Heere ist der Gegenstand dieser A b h a n d l u n g . Zwar gutherzige Menschenkinder glauben, daß die allgemeine A b r ü s t u n g u n m i t t e l b a r vor der T ü r e stehe. Aus den gleichen Tatsachen und E r f a h r u n g e n können die Menschen bekanntlich ganz entgegengesetzte Schlüsse ziehen. Ich kann deshalb, u m meinen Darlegungen die Stellung zum Heer ü b e r h a u p t , welche

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ich einnehme, vorauszuschicken, hier nur ein Bekenntnis ablegen. Die vollständig schlagfertige, leistungsfähige E r h a l t u n g unseres Heeres scheint mir nach diesem Kriege eine gebieterische Notwendigkeit zu sein, hinter welcher wie bisher alles andere zurückstehen, dem alles a n d e r e sich u n t e r o r d n e n m u ß . Wir werden nach dem Kriege einen namenlosen H a ß bei unseren Feinden zurücklassen. Allerdings nicht bei allen. Wir müssen bei unseren Gegnern scharf unterscheiden zwischen Verf ü h r e r n und V e r f ü h r t e n . R u ß l a n d , Italien und alle kleineren Staaten gegen uns sind als die Verführten anzusehen. Wie wir bei R u ß l a n d einen U m s c h w u n g zu unseren Gunsten erfahren und diesem Umschwünge auch in unserer Stellung zu dem ehemaligen Feinde R e c h n u n g getragen haben, so k ö n n t e es auch bei jenen Völkern, selbst bei Italien geschehen. Die Anstifter, Schürer und Verführer zum Weltkriege sind die w e s t l i c h e n Völker gewesen, Frankreich und England. Und ich möchte hierbei die Verantw o r t u n g Frankreichs, das sein voll gerüttelt Maß an Mitschuld t r ä g t , nicht v e r k a n n t wissen. In seinem brennenden Ehrgeiz hat Frankreich es niemals verwinden können, d a ß es durch das E m p o r k o m m e n Deutschlands aus seiner kontinentalen V o r m a c h t stellung v e r d r ä n g t worden ist. Die Niederlage von 1870/71, der Verlust von Elsaß-Lothringen — es h a t sich mit alledem nicht abfinden können. So griff es nach der H a n d R u ß l a n d s , n ä h r t e dort die a u f k e i m e n d e n Regungen des Mißtrauens gegen uns, belebte die panslawistischen Welteroberungsgelüste, opferte Milliarden auf Milliarden — alles um uns in die f r ü h e r e O h n m a c h t zurückzuwerfen. Aus unserer kontinentalen Macht erwuchs d a n n durch die überraschende E n t f a l t u n g unseres Welthandels unsere Weltstellung. Das v e r s c h a f f t e uns die tödliche Feindschaft Englands. So schloß sich der Ring unserer Feinde. Und glaubt m a n nun ernstlich, d a ß die W e s t m ä c h t e , die diesen ungeheuren Weltkrieg auf dem Gewissen haben, nach ihrer Niederlage, die sie niemals für d e n k b a r gehalten h ä t t e n , w e n i g e r H a ß gegen uns hegen w e r d e n ? Man m u ß sich klar machen, mit welchen Hoffnungen die W e s t m ä c h t e in den Krieg gegangen sind, welche Verheißungen sie ihren eigenen Völkern und der ganzen Welt gemacht haben, was sie alles haben erreichen wollen und wie in diese Töne das ihnen eng v e r b u n d e n e Amerika eingestimmt, ja deren Verunglimpfungen und Ankündigungen noch weit überboten h a t .

II

Danach kann m a n sich ein Bild machen von der Empfindung, die in diesen Völkern zurfickbleiben muß, wenn sie nun nichts, gar nichts von all dem erreicht haben, ja wenn Deutschland mit erhöhter Machtstellung aus dieser Kampfprobe hervorgegangen ist. Frankreich und England waren eben lange J a h r h u n d e r t e die vorherrschenden Mächte in Europa. Daß das einst im Mittelalter Deutschland gewesen war, ist lange her und ward vergessen. Es wird auch übersehen, daß diese Vormachtstellung Deutschlands in der N a t u r der Dinge, in den geographischen Verhältnissen der europäischen Völker begründet liegt, daß dieser Zustand sich gleichsam von selbst wieder einstellen mußte, seitdem Deutschland aufgehört h a t t e , in wahnwitziger Verblendung sich selbst zu zerfleischen. Amerika aber fühlte sich schon als den künftigen Erben ganz Europas, als das wahre Land der höchsten Zivilisation und Menschenbeglückung, das mit Verachtung auf das alternde Europa herabblickte. Nicht nur die greifbare Wirklichkeit, auch die Vorstellungen und Einbildungen der Völker gehören zu den Tatsachen, mit denen die Politik zu rechnen hat. Nun erhebt sich gegen diese alten und neuen Ansprüche plötzlich in der Mitte Europas das alte Deutschland zu unbesiegbarer Macht. Wie müssen das jene Völker aufnehmen, zumal der groß angelegte, in gewissem Sinne geradezu geniale Plan der Vernichtung Deutschlands trotz aller staunenswerten Anstrengung, trotz des Aufgebots der Menschenkräfte, der Gelder, der Technik der ganzen Welt, kläglich gescheitert ist! Das m u ß ihren Haß unversöhnlich machen. Besonders England sieht zum ersten Mal in seiner Geschichte seinen Willen sich an einer unüberwindlichen Volkskraft brechen, England, das so glücklich alle seine Rivalen nacheinander niedergeschlagen hat. Was das für eine Erschütterung des englischen Selbstbewußtseins, des äußeren Ansehens der englischen Weltmachtstellung bedeutet, kann nur ein weitblickender Psychologe, der nicht Wünsche und Träume, sondern Wirklichkeiten zur Grundlage seines Urteils macht, in vollem Ausmaß erfassen. W a s folgt d a r a u s ? D a ß w i r u n s e r e W e h r m a c h t u n t e r k e i n e n U m s t ä n d e n s c h w ä c h e n d ü r f e n , d a ß w i r s i e im G e g e n t e i l in v o l l e r K r a f t a u f r e c h t e r h a l t e n , j a d a ß w i r s i e i n n e r l i c h n o c h v e r s t ä r k e n , im B e w u ß t s e i n u n d in d e r G e s i n n u n g u n s e r e s V o l k e s n o c h t i e f e r v e r a n k e r n müssen. 12

Ich m u ß t e diese allgemeinen Bemerkungen vorausschicken, weil sie die unerläßliche Voraussetzung bilden, auf der sich meine folgenden Darlegungen und Vorschläge a u f b a u e n . Nur wer das Heer schlechthin bejaht, kann diese Vorschläge, die auf seinen weiteren Ausbau nach innen abzielen, verstehen und billigen. Daß die gegenwärtigen, aufs äußerste gespannten Beziehungen der Weltmächte ewig so bleiben werden, glaube ich selbst nicht. Alles ändert sich in der Geschichte, und man soll der Z u k u n f t nicht vorgreifen. Vielleicht kommt selbst der ewige Friede einmal. Nur wie unter den g e g e n w ä r t i g e n Weltverhältnissen ein solcher Zustand auch nur einigermaßen in erreichbare Nähe gerückt sein sollte, kann ich nicht begreifen. Ich habe aus der Beobachtung der Natur und der Geschichte nur immer die eine Lehre zu schöpfen gewußt, daß alle Zusammenschlüsse zustande kommen, nicht durch gutmütige Verbindung gleichstarker, sondern durch Überund Unterordnung verschiedenartiger Kräfte, die eine gegliederte Einheit bilden. Nur die Einheit, die auf Gliederung beruht, ist organisch und verspricht Dauer. Jedes Rechtsverhältnis setzt einen stärksten Faktor voraus, der kraft seiner überlegenen Macht die Rechtssicherheit verbürgt. Ich kann deshalb ein dauerndes Rechtsverhältnis unter den Völkern nur in sehr entlegener Z u k u n f t kommen sehen, wenn die Rivalität der großen Weltmächte einmal endgültig oder doch wenigstens für große Zeiträume entschieden ist und eine wirklich weltbeherrschende Macht die Menschheit organisiert. Das Recht fließt aus der Macht, aus der Macht aber, die sich freiwillig selbst begrenzt und die schwächeren Kräfte nach Maßgabe ihres Wertes sich ein- und anzugliedern weiß. Bis dahin ist es noch weit. Inzwischen werden die Völker den gewaltigen Wettstreit ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Kräfte fortsetzen, werden weiter um den Vorrang kämpfen müssen. Auch das militärische Übergewicht ist in diesem allgemeinen W e t t eifer nicht auszuschalten. Wenn die Spannung der anderen Gegensätze, vorzüglich des wirtschaftlichen, aufs höchste gestiegen ist, wird immer als letzte Kraftprobe das Schwert in die Wagschale geworfen werden. Es scheint der Wille der Natur zu sein, nur mit Hilfe dieses zwar furchtbaren, aber auch großartigen Wettstreites, das Höchste an Kraftleistung aus dem Menschengeschlecht herauszupressen. Dieses Letzte an Kraft entbindet immer nur, wenn die 13

Gegensätze bis zum Zerspringen gediehen sind, der Krieg, die große entscheidende G e s a m t p r o b e der Völker. Solange die Völker militärisch t ü c h t i g sind, befinden sie sich in a u f s t e i g e n d e r E n t wicklung. W e n n sie ihre militärische K r a f t verfallen lassen, geben sie sich selbst den Todesstoß. Das ist die einfache, a b e r unverk e n n b a r e und ernste E r f a h r u n g der Völkergeschichte alter und neuer Zeit. So f ü h r e n die besonderen B e t r a c h t u n g e n unserer gegenwärtigen Lage wie die allgemeinen Erwägungen ü b e r den Gang der Geschichte zu dem gleichen Ergebnis, d a ß wir unser Heer in seiner vollen Leistungsfähigkeit unversehrt erhalten müssen. Das Heer ist d a s R ü c k g r a t des d e u t s c h e n S t a a t e s , w i r d es b l e i b e n , w i r d es n a c h d i e s e m K r i e g e i n e r höhtem Maße werden. Es gab eine Zeit, die Zeit, welche der R e f o r m a t i o n folgte, da h a t t e n die deutschen S t a a t e n als beherrschendes Interesse die Religion, den rechten Glauben der U n t e r t a n e n . Das w a r sehr seltsam, so d a ß wir uns in diese Anschauungsweise k a u m versetzen k ö n n e n . Aber es war so. Dann folgte die Zeit der s t e h e n d e n Heere u n t e r dem absoluten F ü r s t e n t u m . Die Fürsten schufen die Einheit ihrer Landesgebiete und b e g r ü n d e t e n d a m i t erst den S t a a t im modernen Sinne. Das stehende Heer, das B e d ü r f n i s nach diesem Heer gab ihnen sogar den entscheidenden A n s t o ß dazu, die E i n h e i t der V e r w a l t u n g in den bis dahin ständisch völlig z e r k l ü f t e t e n Landesgebieten d u r c h z u f ü h r e n , um nämlich die Kosten f ü r das Heer zu beschaffen. Also k a n n m a n noch weiter gehen u n d sagen, d a ß das Heer ü b e r h a u p t die S c h ö p f u n g des modernen S t a a t e s v e r a n l a ß t h a t . Ihm h a t der m o d e r n e S t a a t seine E n t s t e h u n g zu d a n k e n . Und das Heer blieb d a n n der A n g e l p u n k t der ganzen S t a a t s v e r w a l t u n g . Das w a r freilich ein sehr vief irdischerer Zweck als ehemals die Religion. Da wir a b e r auf der E r d e leben, wird m a n diese E n t w i c k l u n g nur als gesund b e t r a c h t e n k ö n n e n . Wie f ü r den Einzelnen so ist auch f ü r ein Staats- oder Volksgebiet das erste Erfordernis, d a ß es besteht und gesichert b e s t e h t . So-rechtfertigt es sich und liegt in der N a t u r der Dinge, d a ß das Heerwesen den Kern der S t a a t e n b i l d u n g a u s m a c h t . Man k a n n es an der inneren Geschichte Preußens, die leider viel zu wenig b e k a n n t ist — und P r e u ß e n w a r f ü r diese E n t w i c k l u n g der m a ß g e b e n d e S t a a t — verfolgen, wie die d a u e r n d e n und wachsenden B e d ü r f 14

nisse des Heeres den ständigen Anlaß gaben, von hier aus das ges a m t e Staatswesen und Volkstum durchzuorganisieren. Um das Heer und d a m i t die Sicherheit des Staates zu wahren, m u ß t e die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die S t e u e r k r a f t der Bevölkerung gehoben, zu diesem Zwecke die geordnete Verwaltung d u r c h g e f ü h r t , das Schulwesen a u s g e b a u t werden usw. Das Heer war die s t ä n d i g p r o d u k t i v e K r a f t im S t a a t e . Von der Verw a l t u n g aber griff der Einfluß immer tiefer in das Volk selbst, bis zur E i n f ü h r u n g der allgemeinen Wehrpflicht, die aber erst in diesem Weltkriege voll zur A n w e n d u n g gekommen ist. 1870/71 war noch nicht e n t f e r n t die Rede davon. Ganz ist die Verschmelzung von Heer, S t a a t und Volk erst in diesem Kriege vollzogen worden. Im Heer t r i t t die einheitlich organisierte G e s a m t k r a f t der Nation nach a u ß e n . Ludendorff hat d a f ü r den Ausdruck geprägt, d a ß nicht mehr die Heere, sondern die Völker den Krieg f ü h r t e n : ein Volk besiege das andere. W e n n m a n sich vergegenwärtigt, welche Tätigkeitsgebiete die oberste Kriegsleitung bei uns in den Bereich ihrer Arbeit, Fürsorge und V e r w e r t u n g gezogen hat, so b e m e r k t m a n s t a u n e n d , d a ß ungefähr das gesamte übrige Staats- und Volksleben mit all seinen Äußerungen und Bedürfnissen u n m i t t e l b a r oder m i t t e l b a r zur K r i e g f ü h r u n g ausgeschöpft worden ist. Das Heer ist mit dem gesamten Volkskörper in eins zusammengeflossen. Wenn dem aber so ist, und wenn dieser Z u s t a n d nicht nur vorübergehend s t a t t f i n d e t , sondern k ü n f t i g in der ganzen Anlage und dem A u f b a u des Heeres zur Geltung k o m m e n m u ß , s o m u ß auch k ü n f t i g h i n die m i l i t ä r i s c h e A u s b i l d u n g und Erz i e h u n g e i n e a n d e r e w e r d e n , d . h . sie m u ß nicht g r u n d s ä t z l i c h eine andere werden, aber sie m u ß erweitert und ausgeb a u t , e r g ä n z t werden, und zwar nach der R i c h t u n g eben dessen hin, was dem Heere zugewachsen ist, nämlich nach der R i c h t u n g des allgemeinen S t a a t s b ü r g e r t u m s . Ehemals stand das Heer geschlossen f ü r sich. Es bildete, wenn auch nicht einen S t a a t im Staate, so doch ein in sich streng abgegrenztes Sondergebiet, und sorgfältig wurden diese Grenzen gehütet. Wie ist das heute, während des Krieges anders geworden! Die Heeresverwaltung selbst h a t allen berechtigten Volkseinflüssen weit die Tore geöffnet. Sie h a t den Vertretern aller Parteien und Berufsgruppen Einblick in die gewaltige Arbeits- und K a m p f m a s c h i n e des Heeres 15

daheim und im Felde gewährt. Sie hat Rednern aller geistigen wie praktischen Berufe, Gelehrten, Künstlern, Technikern, Volkswirtschaftlern, Gewerkschaftlern und was es sonst für Führer auf den verschiedenen Lebensgebieten gibt, zu den Truppen Zugang verschafft und so dem Feldsoldaten selbst die Brücke geschlagen zu den Volkskreisen und Volkskräften, denen er e n t s t a m m t und aus denen er seine persönlichen Lebenskräfte saugt. Wenn das feste Gefüge des Heeres nicht erschüttert werden soll — und diese Festigkeit ist die Grundbedingung für den Bestand des Heeres —, d a n n m u ß d i e H e e r e s l e i t u n g s e l b s t d i e d a u e r n d e Bef r i e d i g u n g d i e s e r B e d ü r f n i s s e in d i e H a n d n e h m e n , m u ß in i h r e m G e i s t e d i e g e s t e l l t e A u f g a b e s e l b e r l ö s e n . In gewissem Sinne ist diese Aufgabe, wie sogleich erwähnt werden wird, von der Heeresleitung bereits in Angriff genommen worden. Aber es darf das nicht nur im Kriege, aus dem Drange der Not heraus, ad hoc geschehen. Es m u ß das planmäßig und systematisch geschehen und muß in die künftige Friedensausbildung des Heeres mit herübergenommen werden. Der Soldat, der deutsche Volksmann und der deutsche Staatsbürger sind nicht mehr voneinander zu scheiden. Diese Dreiheit bildet künftig eine u n t r e n n b a r e Einheit. Das eine stützt das andere. Daß der Soldat nicht vollkommen Soldat ist ohne tiefes Volksbewußtsein, ohne starkes Staatsbewußtsein, hat die Erf a h r u n g des Krieges gelehrt, auch wenn er technisch noch so hervorragend ausgebildet ist. Wenn es an der sittlichen und geistigen K r a f t und Einsicht fehlt, ist daS Technische wertlos. Unser Heer soll doch d e u t s c h e Soldaten bilden! Daß es das letztere, nämlich das rein Soldatische, glänzend leistet, ist erwiesen. Aber sollte unser Heer nicht auch das erstere, nämlich, daß es sich um » d e u t s c h e « Soldaten handelt, künftig entschiedener ins Auge fassen? Erst dann, wenn das Deutsche und alles, was es in sich schließt, gleichfalls und gleich stark zur Ausbildung kommt, kann die Erziehung in unserem Heer als vollendet gelten. Bisher hat man wohl das Deutschtum bei unseren Soldaten als selbstverständlich, als gegeben betrachtet. Und tatsächlich muß jede Erziehung die betreffende Anlage, die kultiviert werden soll, voraussetzen. Bisher aber hat man dies Deutschtum unserer Soldaten offenbar nicht nur als Anlage, sondern auch als genügend starke, von N a t u r gegebene K r a f t angenommen, um ihr nur die 16

rein soldatische Ausbildung zur Seite zu stellen. Und in Wirklichkeit h a t der Weltkrieg am Anfange einen so wuchtigen, element a r e n Ausbruch unseres Volks- und Staatsgefühls, eine so gewaltige Tiefe des nationalen Instinktes in allen Volksschichten, in dem gesamten Heer erwiesen, daß wir mit berechtigtem Stolze darauf zurückblicken können. Diesem instinktiven, u n m i t t e l b a r e n , n a t u r gewaltigen Nationalgefühl haben wir die ungeheuren Anfangserfolge im Kriege zu danken, die die Grundlage f ü r alle weiteren Siege und hoffentlich auch den großen Endsieg schufen. Aber die E r f a h r u n g e n des Krieges bei seiner A u s d e h n u n g und Dauer haben andererseits unwiderleglich und eindringlich bewiesen, d a ß dieses blos instinktive Volks- und S t a a t s g e f ü h l , und sei es von N a t u r noch so s t a r k , n i c h t ausreicht f ü r die höchsten und letzten Aufgaben, die einem Volke gestellt werden können, wenn es der härtesten Probe ausgesetzt wird. Dann m u ß sich das natürliche Vaterlands- und S t a a t s g e f ü h l umsetzen in eine unerschütterliche Volks- und S t a a t s g e s i n n u n g , in ein helles P f l i c h t b e w u ß t s e i n •des deutschen Volksgliedes und Staatsbürgers, dem sich alles z u m u t e n läßt. Ohne diese höchste Pflichttreue, die nur aus einer tief gewurzelten Ü b e r z e u g u n g entspringen kann, ist ein Volk und sein Heer im Falle der alleräußersten Gefahr nicht den zu fordernden Leistungen gewachsen. Dieses Bewußtsein aber und diese Ü b e r z e u g u n g lassen sich nicht erst unter dem Drucke und im Augenblick der zwingenden Gefaihr nachträglich erzeugen. Sie können nur in Zeiten der R u h e und des Friedens p l a n m ä ß i g herangebildet werden. Sind heute der deutsche Soldat und der deutsche Staatsbürger wirklich eine Einheit, wie ich a u s f ü h r t e und wie niemand bestreiten wird, nun, dann sind sie in diesen Eigenschaften auch gleichmäßig, mit dem nämlichen Schwergewicht auf b e i d e n Gebieten, zu erziehen. Und zwar wo zu erziehen? Im H e e r e . Neben der rein militärischen Ausbildung ist k ü n f t i g die deutsche J u g e n d im Heer zugleich nach w o h l d u r c h d a c h t e m Lehrplane in d e u t s c h e r V o l k s k u n d e u n d d e u t s c h e r Staatsbürgerkunde zu unterweisen, ihr Deutschtum ist während ihrer militärischen Dienstzeit einer gründl i c h e n P f l e g e u n d A u s b i l d u n g zu u n t e r w e r f e n . Dafür m u ß Zeit und R a u m geschaffen werden. Das ist die Forderung, die sich aus den E r f a h r u n g e n dieses Weltkrieges ergibt. Das Heer stellt die gewaltigste einheitlichste Organisation unseres Volkes 2

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d a r . Als s p ä t e r e W ä h l e r m a s s e ist das Volk bereits völlig wieder zprrissen. W e n n es d a n n sejn höchstes R e c h t der Mitarbeit am deutschen Volkstum u n d S t a a t betätigen soll, m u ß es bereits erzogen s e i n . N u r w ä h r e n d der Dienstzeit im Heere haben wir die deutsche männliche J u g e n d einheitlich u n d gerade in dem rechten, a u f n a h m e f ä h i g e n Alter in der H a n d . W e n n wir gleichzeitig mit der W e h r h a f t m a c h u n g unserer J u g e n d ihre innerlich staatsbürgerliche E r z i e h u n g vollziehen, ihre geistige W e h r h a f t m a c h u n g , so erneuern wir gleichsam die uralte W e h r v e r f a s s u n g unserer Altvordern, der alten Deutschen, wie sie uns Tacitus schildert, nur in ungeheuer a u s g e d e h n t e m M a ß s t a b , organisiert über die gesamte deutsche Nation h i n : ein gewaltiges W e r k ! D a m i t geben wir die beste A n t w o r t auf die sinnlosen Angriffe und Verdächtigungen wegen unseres »Militarismus«. Wir wissen, daß wir d e m bisherigen Militarismus eine Fülle der wertvollsten Tugenden zu d a n k e n h a b e n : O r d n u n g , P ü n k t l i c h k e i t , Gewissenhaftigkeit, Pflichttreue, welche Tugenden von hier aus in alle bürgerlichen Betätigungen unseres Volkes übergegangen sind und die große Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes m i t b e g r ü n d e t haben. V o r dem Kriege haben das auch unsere Feinde gewußt und oft b e w u n d e r n d a n e r k a n n t . Erst als dieser Militarismus ihnen gefährlich wurde, die W e h r w a r d , an der sich ihr neidvoller VernichtungsWille brach, erst seitdem haben sie ihn und uns mit den wüstesten S c h m ä h u n g e n ü b e r s c h ü t t e t . Um so fester aber sollten wir ihn halten und bewahren, indem wir ihn f o r t b i l d e n . Unser Heer h a t schon jetzt nicht n u r ein I n s t r u m e n t des Krieges, sondern auch des Friedens sein wollen, als ein mächtiges und einflußreiches Erziehungswerk am Volke. Es ist das auch zweifellos bisher schon gewesen. Aber in noch viel höherem G r a d e und viel tieferem Sinne wird ¿s das werden, wenn es in der vorgeschlagenen Weise m i t der körperlichen Wehrhaftmachung unserer männlichen Jugend gleichzeitig deren deutschnationale u n d s t a a t s b ü r g e r l i c h e B i l d u n g v e r b i n d e t . Dann w ü r d e unser Heer die große einheitliche n a t i o n a l e E r z i e h u n g des deutschen Volkes vollbringen, von der v o r a h n e n d schon Fichte gesprochen h a t . D a m i t würden wir den echten und w a h r e n deutschen »Militarismus« b e g r ü n d e n , der jeden feindlichen H o h n zu Boden schlägt. Dies erst wäre die wirkliche D u r c h f ü h r u n g , weil notwendige Erg ä n z u n g der allgemeinen W e h r p f l i c h t , indem sie vergeistigt, in

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der sittlichen Überzeugung unseres Volkes v e r a n k e r t wird. Diese E r r u n g e n s c h a f t sollten wir neben den zahlreichen hohen strategischen, technischen, organisatorischen und sonstigen Ergebnissen, die der Krieg unserem Heerwesen verschafft h a t , als vornehmsten Gewinn aus dem grausamen Kriege heimbringen. Diese f r u c h t bare, segensreiche Schöpfung, die eine d a u e r h a f t e W i r k u n g auf alle kommenden Geschlechter ausüben würde, könnte ein klein wenig die namenlosen Opfer, die uns der Krieg gekostet hat, ausgleichen. Das lebendige Blut, das wir verloren, würden wir durch erhöhte geistige K r a f t , durch innere Belebung unseres Volkes zu ersetzen suchen. Den Anspruch, auf das geistig f ü h r e n d e Volk, den wir auf Grund unserer hohen Bildungseinrichtungen mit Recht erheben, würden wir mit dieser Schöpfung w a h r h a f t befestigen, würden unser großartiges Bildungswesen hiermit vollenden und krönen. — Hier ist der Ort, wo ich diesem Gedanken, wenn er nicht graue Theorie bleiben soll, durch nähere A u s f ü h r u n g des Lehrplanes und wie dieser in die bisherige militärische Ausbildung einzugliedern ist, F a r b e und Leben geben m u ß . Doch zuvor möchte ich noch zwei Einwände erwähnen, die besonders dem f a c h m ä n n i schen Leser, dem Offizier, sich a u f d r ä n g e n werden. Der militärische Sachverständige wird geneigt sein, diesen weitreichenden, in das militärische Wesen tief eingreifenden Vorschlag als u n d u r c h f ü h r bar und deshalb als utopisch a limine abzulehnen. Die militärische Ausbildung stelle derartige Anforderungen, daß auch nicht der geringste Bruchteil der zur Verfügung stehenden Zeit f ü r einen solchen Zweck, so gut gedacht und wünschenswert er vielleicht an sich auch sein mag, e n t b e h r t werden könne. Diese Aufgabe habe die S c h u l e zu leisten. J e n e B e m e r k u n g bezeichne ich als den negativen, diese Überweisung an die Schule als den positiven Einwand, die in der T a t beide gleich naheliegen. W a s den ersteren a n b e t r i f f t , die Unvereinbarkeit des angeregten Unterrichts mit der rein militärischen Ausbildung," so b i t t e ich diesen vorläufig zurückzustellen, bis zur näheren K e n n t n i s der Lehrziele des Unterrichtes und der mir vorschwebenden Organisation, um ihn im R a h m e n der Dienstzeit zu verwirklichen. An gegebener Stelle k o m m e ich auf diese Frage zurück. W a s aber den positiven E i n w a n d anlangt, der zunächst sehr überzeugend klingt, das müsse die Schule leisten, so erwidere ich: das k a n n die Schule im allgemeinen n i c h t . Es 2

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Ist hier zu unterscheiden zwischen Volksschule und höheren Schulen. Die höheren Schulen mit 9jährigem Kursus, Gymnasien, Realgymnasien, Oberrealschulen können selbstverständlich die hier erwähnten Unterrichtsstoffe behandeln, t u n es zum Teil bereits. Aber auch die Schulen, welche mit dem Einjährigenzeugnis abschließen, werden künftig in der hier angedeutetenRichtungwesentlich mehr zu leisten sehr wohl imstande und verpflichtet sein. Die Besuchsziffer aber der höheren Schulen steht hinter dem Volksteil, der nur durch die Volksschule hindurchgeht, in so außerordentlichem Abstand zurück, daß für die Heeresbildung ausschließlich die Leistungen der Volksschule in Betracht kommen können und das Problem sich auf die Frage zuspitzt, ob die Volkschule imstande ist, dem Heere die Ausbildung des deutschen Volksund Staatsbewußtseins abzunehmen, in diesem Sinne schon hinlänglich ausgerüstete Jünglinge dem Heere zu übergeben. Und diese Frage ist mit aller Entschiedenheit zu v e r n e i n e n . Die Volksschule kann nur die allerallgemeinsten und einfachsten Elemente des menschlichen Wissens, so weit sie f ü r das praktische Leben Bedeutung haben, übermitteln. J e gründlicher sie dieses leistet, um so besser. Sie gerät in Gefahr, ihr Bestes zu verfehlen, wenn sie sich mit zu hohen Lehrzielen belastet. Sie kann gewiß allgemein-vaterländische Gesinnung schon der jüngsten Jugend einpflanzen. Aber Knaben von 14 Jahren haben weder Urteilskraft noch Interesse genug, sind entfernt nicht geistig reif genug, um ernsthaft staatsbürgerliche Lehrziele in sich aufzunehmen. Jeder Lehrer wird das ohne weiteres zugeben. Und auch die folgenden J a h r e der Fortbildungsschule sind noch nicht das rechte Alter dafür. Alle Erkenntnis fließt aus der praktischen Erfahrung, wenn das unmittelbare Bedürfnis und der Zwang des Lebens bestimmte Fragen uns aufdrängt. Während der Zeit der Fortbildungsschule steht notgedrungen der persönliche bürgerliche Beruf, zu dem die Zöglinge sich vorbereiten, im Vordergrund des Interesses. Von den allgemeinen Elementen der Volksschule her ist dies die logische Weiterbildung: was will der Junge werden und was muß er hierfür Besonderes lernen? P r a k t i s c h kommen die jungen Leute erst in der M i l i t ä r z e i t mit den Begriffen Volk und Staat in Berührung, wenn Volk und Staat etwas von ihnen f o r d e r n . Und die militärische Dienstpflicht ist keineswegs ein kleines Opfer, das Volk und Staat dem einzelnen zumuten. Er muß aus seinem 20

Beruf heraus, m u ß zwei volle J a h r e seine persönlichen Lebensziele gänzlich ausschalten, m u ß h a r t e Anstrengungen und E n t behrungen sich auferlegen. Sollte sich hier nicht mit Macht die Frage a u f d r ä n g e n , wenn vielleicht auch u n b e w u ß t : w e s h a l b , w o z u ? W a s gibt dem S t a a t ein Recht, ein so bedeutendes Opfer von den männlichen S t a a t s b ü r g e r n zu f o r d e r n ? Möchten sich doch unsere Staatslenker und verantwortlichen Volkserzieher — die Spitzen des Heeres aber b e t r a c h t e ich als die einflußreichsten Erzieher des Volkes — möchten sich alle Verantwortlichen folgendes vor Augen h a l t e n : u n s e r e g e i s t i g e E n t w i c k l u n g , unsere V o l k s b i l d u n g ist an e i n e m P u n k t e a n g e l a n g t , wo m a n u n t e r k e i n e n U m s t ä n d e n m e h r sich auf den n a c k t e n Z w a n g o d e r d e n b l i n d e n G l a u b e n — der blinde Glaube ist auch eine A r t Zwang, ein geistiger Zwang — v e r l a s s e n k a n n , sondern sich n u r noch auf, die Einsicht und Überzeugung des deutschen Volkes und aller seiner Glieder stützen k a n n . Diese Einsicht aber u n d Überzeugung m u ß m a n wecken und bilden. Das Allerverhängnisvollste wäre es, wenn unsere Staatsleiter gar zu vertrauensselig wären. Das ewige Geschrei des Auslandes wegen des deutschen Militarismus, mit dem unsere Feinde unser starkes Staatsgefüge aufzubröckeln suchen, k ö n n t e zuletzt doch einmal eine gewisse W i r k u n g üben. W e n n der deutsche Staatsbürger zu dem Opfer der militärischen Dienstpflicht herangezogen wird, sind wir ihm eine Rechtfertigung, ein inneres Verständnis f ü r diese M a ß n a h m e einfach s c h u l d i g . Das k a n n weder vorher in der Schule noch nachher im Leben geschehen. Sondern nur während und mit der Dienstzeit selbst m u ß er in den tieferen Sinn dieses seines Zustandes, den er u n m i t t e l b a r erlebt, eingeführt werden. Man m a c h t immer wieder die E r f a h r u n g : die Eindrücke, die der einzelne w ä h r e n d seiner Militärzeit e m p f ä n g t , die Gesinnung, die er sich hierbei aneignet, bleibt in der Regel maßgebend f ü r seine ganze spätere Stellung zum Staate, ob er positiv oder negativ zum S t a a t e s t e h t . Das sollte m a n bedenken und sich zunutze m a c h e n . Gerade das Alter der eintretenden Mündigkeit, wenn die Wahlberechtigung in sichtbare Nähe rückt, ist die gegebene Zeit, dem deutschen J ü n g l i n g Volk und S t a a t zu verdeutlichen, sie ihm in ihrem Wesen zu erschließen. Ausgesprochene P a r t e i m ä n n e r werden allerdings geneigt sein, in dem Vorschlag einen unzulässigen Versuch der Beeinflussung, vorzeitiger Festlegung der späteren Wähler 21

zu erblicken. Auch diesen E i n w a n d b i t t e ich vorläufig zurückz u h a l t e n , bis m a n die n ä h e r e A u s f ü h r u n g des Planes k e n n t . Denn auf die A u s f ü h r u n g k o m m t alles an. Diese aber ist mir nicht in der w e l t f r e m d e n S t u d i e r s t u b e erwachsen, sondern a u s dem u n m i t t e l b a r e n Erlebnis u n m i t t e l b a r g e s c h a u t e r Bedürfnisse h a t der G e d a n k e und seine A u s f ü h r u n g bei mir Gestalt gewonnen. Es sei mir v e r g ö n n t , in K ü r z e davon zu erzählen. Denn ganz anders s t e h t m a n einem G e d a n k e n gegenüber, den man e n t s t e h e n sieht, den gleichsam die Verhältnisse selbst vor uns erzeugen, deren F o r d e r u n g e n m a n n u r abzulesen braucht. Den ersten Anstoß, mich über diesen Gegenstand zu ä u ß e r n , n a c h d e m ich lange über alle Fragen der Volkserziehung nachg e d a c h t h a t t e , erhielt ich d u r c h eine A n f r a g e von Professor Felix Krueger, d e m Nachfolger des b e r ü h m t e n W u n d t auf dem Lehrstuhl der Philosophie in Leipzig. Als T e i l n e h m e r der Feldzüge im Westen u n d Osten h a t t e er, nicht zur U n t e r h a l t u n g und A b l e n k u n g , sondern zur B e l e h r u n g und V e r t i e f u n g auf die ihm n a h e s t e h e n d e n Manns c h a f t e n mit Vorträgen einzuwirken gesucht. U n t e r Z u s t i m m u n g des preußischen Kriegsministers setzte er sich mit einer Reihe a n d e r e r Männer in V e r b i n d u n g , um diesen Versuch zu erweitern — g e r a u m e Zeit bevor die Heeresleitung mit der E i n r i c h t u n g des s o g e n a n n t e n »Vaterländischen Unterrichtes«, von dem die Ö f f e n t lichkeit zuerst durch die V e r h a n d l u n g e n im Reichstage erfahren h a t , dieses Bedürfnis selbst a n e r k a n n t e und die e n t s p r e c h e n d e A u f g a b e in die H a n d n a h m . Die Vorschläge, die ich d a m a l s auf die A u f f o r d e r u n g hin, an jener Arbeit mitzuwirken, einreichte, b e w e g t e n sich bereits in ähnlicher R i c h t u n g wie die hier ausges p r o c h e n e n Ziele und Ansichten. Seit Beginn des Krieges h a t t e ich nach der geistigen A u s w i r k u n g des Krieges gesucht, u n d zwar nicht in Gestalt bloßer A n s c h a u u n g e n und Gesinnungen, sondern d a u e r n d e r E i n r i c h t u n g e n , die solche Gesinnungen f ü r alle Z u k u n f t e r h a l t e n und sicherstellen sollten. Der Kruegersche Plan ist d a n n wohl durch die umfassendere E i n r i c h t u n g des v a t e r l ä n d i s c h e n U n t e r r i c h t s überholt worden. Durch diesen großartigen G e d a n k e n , m i t t e n w ä h r e n d des Krieges die Soldaten zum B e w u ß t s e i n ihrer Zeit, z u m Verständnis des Krieges selbst und alles dessen, was er m i t sich bringt, zu erheben, ist der entscheidende S c h r i t t in der hier gesuchten R i c h t u n g bereits getan worden, ist der rein mili-

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tärischen Ausbildung die geistige Ausbildung als E r g ä n z u n g an die Seite gestellt worden. Ich fasse meine Vorschläge a l s d i e u n m i t t e l b a r und n o t w e n d i g sich e r g e b e n d e F o l g e r u n g a u s d i e s e m G e d a n k e n f ü r d i e F r i e d e n s z e i t a u f , die die E r f a h r u n g des Krieges in bezug auf die geistige Verfassung unserer Soldaten gezeitigt h a t . Ich h a t t e dann selbst das Glück zum L a n d s t u r m einberufen zu werden. Ich sage ehrlich und a u f r i c h t i g : das Glück, Denn in das von mir so hoch bewertete militärische System keinen unmittelbaren Einblick zu haben, h a t t e ich, zumal in dieser wildbewegten Kriegszeit, stets als großen Mangel e m p f u n d e n , besonders im Hinblick auf den von mir gewählten Beruf, praktische Philosophie zu treiben. W ä h r e n d meiner Ausbildung glaube ich Ohren und Augen offen gehabt zu haben. Sie fiel gerade in die Epoche, da der Krieg mit all seinen Zweifeln und Sorgen am schwersten auf den Gemütern lastete. Heute, n a c h d e m diese Schwierigkeiten überwunden sind, n a c h d e m durch die glänzenden, u n v e r m u t e t e n W a f f e n t a t e n unseres Heeres im letzten Herbst, den Sieg über Italien, den U m s c h w u n g zum Frieden in R u ß l a n d sich das richtige Urteil bei unserem gesamten Volk wieder eingestellt hat, kann man wohl unbefangen über jene Zeit des Zweifels und sorgenvoller Niedergeschlagenheit sprechen. Ich v e r r a t e kein Geheimnis, wenn ich sage, d a ß m a n damals in unserem Volke Urteile und Ansichten hören k o n n t e von einer bodenlosen Torheit, Ansichten, die geradezu verbrecherisch gewesen wären, wenn sie nicht zugleich so namenlos töricht und unreif gewesen wären. Es ist kein T a g vergangen, da ich nicht im eifrigen Gespräch mit den Kameraden meine Kenntnis zu erweitern versuchte. Denn wo h a t man jemals Gelegenheit unser Volk in allen seinen Schichten und Ständen so gründlich kennen zu lernen wie beim Militär, wo- das ständige v e r t r a u t e Zusammenleben, besonders bei einem strengen, mehrmonatigen Kasernenleben, wie wir es durchmachen m u ß t e n , unwillkürlich die Geister öffnet. Ein Philosoph, der nach Menschenkenntnis strebt, k a n n f ü r eine derartige Belehrung gar nicht dankbar genug sein. Gewiß habe ich auch viel verständige Ansichten gehört. Das a l l g e m e i n e Ergebnis aber war nichts weniger als erfreulich und beruhigend. J e d e r a u f m e r k s a m e Beobachter unseres Volkes wird das gleiche von seiner Stelle aus erfahren haben. Und da es gut ist, sich nicht mit u n b e s t i m m t e n Eindrücken und 23

Empfindungen zu begnügen, sondern diese zu klaren Einsichten zu verdichten, da man nur dann die Hand zur Besserung anlegen kann, so brachte ich mir meine Beobachtungen auf folgende Formel: Dank unserer vortrefflichen Schulbildung ist die B e r u f s t ü c h t i g k e i t der Deutschen ganz hervorragend. Auf seinem besonderen Gebiet ist jeder durchaus beschlagen, verständig, weitsichtig. Aber völlig mangelt es unserem Volk an der nationalpolitischen Bildung, was wir im g a n z e n als Volk und Staat zu bedeuten, zu wollen haben. Unsere gesamte Bildung ist sozusagen nur eine I n d i v i d u a l bildung, immer noch im Nachklang unserer individual gerichteten geistigen Klassiker. Das Werk Bismarcks ist erzieherisch noch glicht zu bewußter Auswertung gelangt. Das ist n i c h t zurückzuführen, wie mich meine Aussprache mit Volksgenossen jeder Art und Stufe gelehrt h a t — sie erweisen sich ernsthafter Belehrung durchaus zugänglich — ist nicht zurückzuführen auf eine ein f ü r allemal gegebene unabänderliche unpolitische Anlage, wie man oft b e h a u p t e t und noch jüngst Fürst Bülow in seinen politischen Aufsätzen angedeutet hat. Wer h ä t t e vor hundert Jahren gedacht, daß der Deutsche der beste K a u f m a n n werden würde! Die unmittelbare lebendige Beobachtung an unserem Volke lehrt zwar einen völligen M a n g e l allgemein-politischen Verständnisses, aber zugleich auch, wenn man es sich nicht verdrießen läßt, die fast durchgängige Beiehrbarkeit und Empfänglichkeit bei einer gründlichen Aufklärung. Wenigstens hat mich dies meine Beobachtung gelehrt, aus der ich meine Schlüsse gezogen habe. Ich hatte dann weiter das Glück, alsbald in dem vorher erwähnten Vaterländischen Unterricht und der Aufklärungstätigkeit in der Heimarmee seitist als Vertrauensmann und Redner verwendet zu werden und so meine Erfahrungen in wertvoller Weise auszudehnen. Allerdings war hier die Aufgabe gestellt, die aktuellen Fragen, Ursache, Verlauf, Bedeutung des Krieges und alles, was damit zusammenhängt, zu behandeln. Aber ich scheute micht nicht, gelegentlich auch durch geschichtliche Rückblicke die allgemeinen Grundlagen unseres Volkstums und unseres Staates zu berühren, weil nach meinem Dafürhalten ohne Vorstellung davon auch der gegenwärtige Krieg nicht verständlich ist, und ich habe hierbei stets sehr willige Hörer gefunden. Um sich von dem Geist dieser Betrachtungen ein Bild zu machen, verweise ich auf eine gedruckte Rede von mir: »Der Krieg und die 24

deutsche Seele« (Verlag E. R e i n h a r d t , München), wo ich den Versuch mache, die äußere und innere Geschichte unseres Volkes, unser gesamtes Volksschicksal u n t e r einen einheitlichen Gesichtspunkt zu stellen — ein Versuch, der, wie gleich zu erwähnen, f ü r mich den wichtigen A u s g a n g s p u n k t zur weiteren K l ä r u n g dieser Reformvorschläge gebildet h a t . Nämlich von entscheidendem Einfluß war, daß ich von einem bayerischen Reservekorps zu Vorträgen an der W e s t f r o n t angefordert wurde. Hier m a c h t e mich sogleich der A d j u t a n t beim Generalkommando, Herr R i t t m e i s t e r von Sigriz, mit einer Anregung b e k a n n t , die aus der betreffenden T r u p p e von Herrn L e u t n a n t Mickel ausgegangen war, anschließend an die f ü r S t u d e n t e n eingerichteten akademischen Kurse hinter der F r o n t f ü r n i c h t - a k a demische Soldaten »Feldhochschulen« zu gründen, um diese nicht hinter die Akademiker zurückzustellen. Es w a r das ein neuer Beweis, d a ß ein Bedürfnis nach dieser R i c h t u n g bei der T r u p p e unzweifelhaft v o r h a n d e n ist. Die näheren A u s f ü h r u n g e n von L e u t n a n t Mickel, der das Verdienst h a t , bei dem betreffenden Armeekorps den Gedanken in Fluß gebracht zu h a b e n , waren freitich sehr weitgehend, f a s t utopisch. Zur Gegenäußerung aufgefordert, gab ich aus meiner bisherigen E r f a h r u n g im Sinne der weiter u n t e n folgenden Darstellung einige Richtlinien. Dann h a t t e ich den Vorzug, vor dem K o m m a n d i e r e n d e n General Sr. Exzellenz von Hoehn und seinem Stabe den ebengenannten geschichtsphilosophischen V o r t r a g »Der Krieg und die deutsche Seele« halten zu dürfen. Daran a n k n ü p f e n d gab ich auf W u n s c h f ü r eine etwa zu gründende Soldatenschule f ü r die Lehrfächer Geschichte und deutsche D i c h t u n g mündlich weitere A n h a l t s p u n k t e , die den Beifall Se. Excellenz f a n d e n und zu dem A u f t r a g e f ü h r t e n , nach dieser Skizze einen Lehrplan f ü r eine »Feldbildungsschule« zu entwerfen. Der eingereichte Lehrplan wurde, w ä h r e n d ich inzwischen die vorgesehenen F r o n t v o r t r ä g e hielt, g e p r ü f t und f a n d im wesentlichen, mit einigen Zusätzen, die Z u s t i m m u n g der leitenden Stelle, und die versuchsweise S c h ö p f u n g einer derartigen Feldschule mit dreiwöchigem Kursus w u r d e angeordnet. Der herrschende Gedanke hierbei war, wie ich ausdrücklich hervorhebe, nicht, einigen Soldaten w ä h r e n d einiger Wochen einige anregende Stunden zu bieten, sondern mit dieser P r o b e einmal die D u r c h f ü h r b a r k e i t eines derartigen Lehrganges festzustellen und so zum inneren Aus25

bau unseres Heeres als einer wirklichen Erziehungseinrichtung einen Beitrag zu liefern. Unter Zuziehung einiger Offiziere, die sich am Unterrichte beteiligen wollten, wurden von Herrn Rittmeister von Sigriz auftragsgemäß alle Vorbereitungen zur Gründung der Schule getroffen. Herr Leutnant Mickel, der gleichfalls zugezogen wurde und bis dahin einen von meinen Vorschlägen stark abweichenden Plan verfolgte, nämlich sehr zahlreiche, aus den verschiedensten geistigen Gebieten ausgewählte E i n z e l t h e m a t a zu behandeln, schloß sich dem viel bescheideneren, ich möchte sagen, s c h u l mäßigeren, systematischen Lehrplan an, wie er inzwischen aufgestellt worden war und in gemeinschaftlichen Beratungen näher bestimmt wurde. Wie aber Überraschungen beim Militär, besonders im Felde, keine Seltenheit sind, mußte die Schule an demselben Tage, an dem sie in einer eigens hierfür vollständig hergerichteten kleinen Kaserne eröffnet werden sollte, plötzlich aus rein militärischen Gründen wegen Verlegung der T r u p p e n wieder abgesagt werden. Es wäre gewiß von höchstem Werte gewesen, durch ein praktisches Beispiel die Durchführbarkeit der gesteckten Lehrziele zu erproben. Dennoch glaube ich, daß diese auch an sich überzeugen werden. Und eine vorausgehende allgemeine Erörterung kann vielleicht weitere, wertvolle Gesichtspunkte f ü r den Gegenstand liefern, die den damals beteiligten Herren entgangen sind. W a r u m ich aber die Entstehungsgeschichte des Gedankens mitgeteilt habe, wird n u n m e h r begreiflich erscheinen. Zunächst geht aus diesen Erfahrungen unwiderleglich hervor, daß sich das Bedürfnis nach Vertiefung unserer Soldatenerziehung tatsächlich an vielen Orten geregt hat, und wie hier, so wird es gewiß überall im deutschen Heere stehen. Schon die Schöpfung des Vaterländischen Unterrichtes selbst beweist dies zur Genüge. DFeser aber, nur auf den zeitigen Kriegszustand eingestellt, muß notwenig über sich selbst hinaus eine dauernde Einrichtung nach sich ziehen. Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, Einblicke in die Gestaltung und Erfolge dieses Vaterländischen Unterrichtes über weitere Heeresgebiete hin zu gewinnen. Es ergibt sich klar, daß solche zeitlichen, aus den Bedürfnissen des Augenblicks geborenen Belehrungen nur Erfolg haben können, w e n n s i e a u f schon gefestigten allgemeinen Grundbegriffen und E i n s i c h t e n , d i e a l l e n b e r e i t s zu G e b o t e s t e h e n , f u ß e n

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k ö n n e n . Im Handumdrehen kann man die gewünschten Anschauungen und Vorstellungen nicht erzeugen. Das eben soll der ständige Friedensunterricht leisten. Der Hauptgrund aber, weshalb ich von jenen Erlebnissen erzählt habe, ist der, ersichtlich zu machen, daß meine Vorschläge gar nicht ausschließlich als meine unmaßgeblichen p e r s ö n l i c h e n A n s i c h t e n z u b e w e r t e n s i n d , daß sie vielmehr schon durch die Beratung anderer Männer, und zwar unmittelbar in der Praxis des Feldheeres stehender Offiziere, also Sachverständiger, hindurchgegangen sind, ja sogar die Zustimmung einer leitenden Kommandostelle gefunden haben, die die Hand zu einem Versuche in diesem Sinne geboten hatte. Das muß diesen Gedanken notgedrungen ein ganz anderes Gewicht verleihen und läßt mich hoffen, daß man sie eingehender P r ü f u n g würdigen wird. — Wenn ich nun endlich von dem Lehrplan selber spreche, sehe ich von jener versuchten Feldschule ab. Hier war der Übelstand, in eine knappe Zeit viel zusammendrängen zu müssen. Man bewegt sich viel ungezwungener, wenn man die Friedensausbildung in ihrem vollen Zeitmaß zugrunde legen kann. Es mag dahingestellt bleiben, ob die zweijährige Dienstzeit in der bisherigen Form beibehalten wird. Vorläufig müssen wir hiervon als einer gegebenen Tatsache ausgehen. Sollte sich darin ein Wechsel vollziehen, so würden sich durch Zusammendrängung oder Verkürzung des Lehrstoffes die entsprechenden Änderungen leicht vornehmen lassen. Mir scheint, v i e r geistige Lehrgegenstände wären auszuwählen, die man den Soldaten neben ihrer kriegerischen Ausbildung nahebringen sollte: 1. D e u t s c h e G e s c h i c h t e , 2. D e u t s c h e D i c h t u n g , 3. T e c h n i k , 4. V o l k s w i r t s c h a f t u n d B ü r g e r k u n d e . Wenn wir die zweijährige Dienstzeit voraussetzen, würde f ü r jeden Lehrgegenstand ein Halbjahr zur Verfügung stehen. Denn es wäre zweckmäßig, die Gegenstände nicht gleichzeitig g e m i s c h t , sondern nacheinander g e t r e n n t zu behandeln, so daß auf jedes Halbjahr e i n Unterrichtsgegenstand fällt. Die geistige Auffassung wird erleichtert, das Gedächtnis bewahrt das Vernommene fester, wenn die Aufmerksamkeit sich auf e i n e n Lernstoff konzentrieren kann, der ohne Unterbrechung zusammenhängend und eingehend behandelt wird. In jeder Woche müssten z w e i Unterrichtsstunden an die Mannschaften erteilt werden, damit der Faden niemals 27

abreißt. Eine wöchentliche Pause zwischen den einzelnen Vorträgen wäre zu lange, da ohnehin durch Urlaub, längere Feldübungen, Manöver usw. manche Stunde ausfallen wird. Ober die Methode des Unterrichtes, wer ihn erteilen soll und wie er mit der militärischen Ausbildung zu vereinigen ist, darüber später. Vorerst die Begründung dieses Lehrplanes selbst und sein näherer Inhalt. Die beiden ersten Lehrfächer »deutsche Geschichte« und »deutsche Dichtung« fasse ich unter den Begriff »deutsche Volkskunde« zusammen. Es dürfte anerkannt werden, daß der Soldat und Staatsbürger eines hochstehenden Volkes von seinem eigenen Volke eine gewisse Vorstellung haben muß. Wie soll er Opfer dafür bringen, für sein Volk arbeiten, entbehren, kämpfen, wenn es sein muß, s t e r b e n , wenn er keinen B e g r i f f von seinem Volke hat, wenn es ihm nur ein Name oder ein unbestimmtes Gefühl ist ? Was ich lieben soll, muß ich kennen. Wie aber lernt man ein Volk kennen? Einen einzelnen Menschen lernt man erfahrungsgemäß verstehen, wenn man seine Schicksale kennt, w^s er bisher durchgemacht, erfahren hat. Wenn uns jemand einen Menschen verdeutlichen will, wess' Geistes Kind er ist — was tut e r ? Unwillkürlich erzählt er uns seine Lebensgeschichte, aus welchen Verhältnissen er stammt, was er bisher getan und getrieben hat. Das gibt uns ein klareres Bild als eine allgemeine Charakterschilderung, bei der wir uns nichts vorstellen, die wir nicht anschauen können. Und genau so verhält es sich auch mit einem Volk. Darin liegt die ungeheure Bedeutung der G e s c h i c h t e eines Volkes. Sie enthält anschaulich, plastisch das Wesen des betreffenden Volkes, das in seinen Handlungen und Taten sich ausprägt. Das begreifen so viele nicht, bisweilen auch die größten Gelehrten nicht. Denn Gelehrte können manchmal sehr einseitig sein, können auf ihrem besonderen Gebiet Hervorragendes leisten und doch für andere Gebiete nicht das geringste Verständnis haben. Diese schelten dann wohl die Vergangenheit als etwas gänzlich »Totes«, als »überwunden« und wertlos. Ein Volk aber ist nicht die Summe der Einwohner eines Landes zu einer bestimmten Zeit. Zum deutschen Volke zählen Goethe und Kant, Friedrich der Große, Luther — kurz alle Helden und Führer des staatlichen wie des geistigen Lebens der Vorzeit, aber auch die mitlebende und mitstrebende Bevölkerung von ehemals. Wie töricht und eng, das Volk auf die

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jeweilige Gegenwart einzuschränken! Darauf aber läuft die Anschauung der Verächter der Vergangenheit schließlich hinaus. D e r e i n h e i t l i c h e Z u s a m m e n h a n g aller Lebenserscheinungen von den ältesten Zeiten, da diese Lebensgemeinschaft faßbar wird, bis zur Gegenwart, mit unabsehbarem Ausblick in die Zukunft — das ist ein Volk, der fortlaufende, ununterbrochene Strom dieses Lebens, der Stunde um Stunde Neues gebiert. In diesen Strom hineinleiten, diesen Strom dem geistigen Auge vorstellig machen, dem innersten Gefühle nahebringen — das ist die G e s c h i c h t e eines Volkes. Wir denken bei »Geschichte« immer an die nackten Tatsachen, Namen und Zahlen, wie wir es von der Schule her in Erinnerung haben. Das ist freilich ein toter Baiast, wenn ihm nicht eine hohe Künstlerschaft Leben einzuhauchen weiß. Kunst ist die Fähigkeit Totes lebendig zu machen, Stummes zum Reden zu bringen. Wer das nicht vermag, soll die Hände fortlassen von so zarten und feinen Dingen. Er vergreift sich an dem Heiligtum unseres Volkes. Denn unsere Geschichte ist unser Leben. Eine Erklärung möchte ich hier gleich abgeben: man darf bei diesen Vorschlägen der Volkserziehung durch das Heer nicht die Maßstäbe und Gewohnheiten der bisherigen Schulerziehung anlegen und dieser Unternehmung unterschieben. Damit würde man ein völlig falsches Bild gewinnen. Wenn die hier angeregte Volksbildung durch das Heer zur Tatsache würde, so wäre dies wohl ohne Übertreibung von einer Tragweite, wie etwa seinerzeit die Einführung der allgemeinen Schulpflicht — eine Weiterbildung und Erhöhung derselben. Es versteht sich von selbst, daß hiermit auch eine durchgreifende Reform unserer pädagogischen Lehrmethoden verbunden sein müßte. Ein neuer Zweck erfordert auch neue Mittel. Am Schluß gebe ich hierüber einige Bemerkungen ab. Nur eine künstlerisch anschauliche Darstellung kann uns unsere Vergangenheit, die Schicksale unseres Volkes lebendig, n a c h l e b b a r machen. Ohne dies aber gibt es kein Verständnis für unser Volk. Das deutsche Volk hat eine wunderbar großartige Geschichte durchlebt. Wie uns ein farbenreiches Lebensbild eines einzelnen Menschen, der durch mannigfache Kämpfe und Nöte hindurchgegangen ist, mehr fesselt als der stille gleichmäßige Wandel eines bescheidenen Mannes — sp auch bei einem Volk. Schon das ist sehr merkwürdig, daß wir unser Volk in seinem Werden von seiner 29

frühesten Jugend an belauschen kennen. Die Völker treten sonst erst in das Licht der Geschichte ein, wenn sie bereits eine ganze Reihe von Stufen ihrer Entwicklung durchlaufen, ein gewisse HOhe ihrer Entwicklung erklommen haben, daß ihnen ihr eigenes Leben merkwürdig wird und sie nun an die Aufzeichnung ihrer Geschicke gehen, während ihre unbefangene, einfache Kindheit, da sie noch des Selbstbewußtseins und der Selbstbeobachtung entbehrten, in tiefes Dunkel gehüllt bleibt. Da wir erst sehr spät in die Reihe der geschichtlichen Völker eintraten, haben die hochgebildeten Schriftsteller einer älteren Kultur, Griechen und Römer, unser Volk in der Frühzeit seiner Geschichte beobachten können, f ü r welche Beobachter unsere Vorfahren offenbar schon damals eine große Anziehungskraft bewiesen, doch wohl weil jene weitblickenden Männer eine große Bestimmung in ihnen ahnten. Vor allem die Schilderung Cäsars, des großen Überwinders der römischen Weltrepublik und Aufrichters des römischen Kaisertums (nach dessen Namen wir noch heute die höchste staatliche Würde des »Kaisers« benennen) und des genialen Menschenkenners und künstlerischen Menschenschilderers Tacitus — was für einen ergreifenden Reiz hat es für uns, die Darstellungen von unseren Vorfahren aus der Feder so vornehmer Männer zu lesen — w e n n wir ihre Schilderung zu lesen verstehen! Denn auch Lesen ist eine Kunst, mit künstlerisch nachschaffendem Blick die gezeichneten Gestalten zu schauen. Müßte nicht jeder wahre Deutsche von dieser unserer Volkfijugend ein Bild im Herzen t r a g e n ? Dann weiter: alle Völker erleben eine Zeit wildbewegter Wanderungen, bis sie den festen Platz ihrer Geschichte finden. Bei allen anderen Völkern sind uns diese Wanderungen nur in dem verhallenden Nachklang ihrer Sagen angedeutet. Von unserem Volk kennen wir sie. Und welch ein erstaunliches Bild beispielloser Volkskraft entrollt sich uns, wenn wir sehen, wie unsere Vorfahren in der sogenannten Völkerwanderung das gealterte römische Weltreich zertrümmerten, wie sie die Balkanhalbinsel, Italien, Frankreich, England, Spanien überfluteten, ja mit ihren letzten Ausläufern bis nach Nordafrika und Sizilien gelangten! Aber auch wie t r a g i s c h endete diese ungeheure Bewegung! Auf dem üppigen Boden der alten Kultur gingen die hochbegabten Wanders t ä m m e spurlos unter, wurden von dem älteren Volkstum aufgesogen. Welch ein Verlust der deutschen Volkskraft — eine ernste

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M a h n u n g für alle Zeit, auch die Gegenwart, selbst die größte Volksk r a f t nicht zu überspannen und so zu vergeuden! Das erste deutsche Staatsgebilde von längerer Dauer war das Frankenreich mit seinem Gipfelpunkt, der Weltherrschaft Karls des Großen. In Karl dem Großen kam die ganze Kultursehnsucht der jugendlichen Deutschen zum Ausdruck. Die zert r ü m m e r t e alte Kultur goß er mit dem frischen Volkstum aller deutschen Stämme zu einer machtvollen Einheit zusammen. Sein Verständnis für die Kirche, für alle Reste der alten Bildung bewies, d a ß die Deutschen gewillt und befähigt waren, auch die g e i s t i g e Erbschaft der alten Kultur zu übernehmen, auch innerlich die Welt zu erneuern. Das Weltreich Karls des Großen zerfiel, weil es zu große Gegensätze in sich barg — für unser Volk zum Heile, das es dadurch der Gefahr entrann, mit in den allgemeinen Strudel der Aufsaugung der deutschen Volkskraft durch die älteren Kulturländer hineingerissen zu werden. Jetzt erst begann die eigentlich deutsche Geschichte, jener seßhaften Stämme im westlichen Teil des heutigen Deutschland, die sich stark genug erwiesen, von hier aus nach Osten wieder vordringend, in Mitteleuropa ein geschlossenes Deutschtum nach allen Verlusten der Völkerwanderung wieder aufzurichten. Es begann die Zeit der R o d u n g . Das Wirtschaftliche muß die geschichtliche Darstellung für den hier gewollten Zweck eingehend berücksichtigen. Aus dem ehemaligen Jäger, Krieger, Wanderer aus der Zeit vor und während der Völkerwanderung war der Deutsche zum A c k e r b a u e r geworden. Mit zäher, jahrhundertlanger Arbeit wurde der Wald- und Sumpfboden Deutschlands unter der Führung der geistlichen wie weltlichen Gewalten urbar gemacht, wurde in einen blühenden Garten verwandelt. Man muß zu vergegenwärtigen suchen, welchen Leistungen unserer Vorfahren wir das, was uns als fertig wie selbstverständlich scheint, was uns in den Schoß gefallen ist, zu danken haben — Leistungen, die nicht hinter der Industrie und der Technik der Neuzeit zurückstehen. Es war die Glanzzeit des mittelalterlichen Kaisertums, der sächsischen und fränkischen Herrscher, die heraufzog. Aber wieder gingen die jugendlichen Stürmer zu weit. Indem sie das deutsche Königtum mit dem römischen Kaisertum verknüpften und so die 31

Vormachtstellung in Europa erstrebten, überspannten sie ebenfalls ihre Macht — aber wieder entschuldbar. Denn-die Kultursehnsucht, das Verlangen nach Zusammenhang mit dem Mutterlande der alten Bildung und der geistigen H a u p t s t a d t der Welt verführte sie. Aber das Reich zerfiel infolge dieses Überschwanges. Unter dem tragischen Kaisergeschlecht der Hohenstaufen vollzog sich die Auflösung. Da aber die anderen europäischen Völker sich damals auch noch nicht konsolidiert hatten und deshalb von außen kaum ein Druck auf das deutsche Reichsgebiet ausgeübt wurde, so wurde das Fehlen einer starken Zentralgewalt zunächst nicht als Mangel empfunden. Im Gegenteil, die lokalen Gewalten konnten sich um so ungehinderter in großem Reichtum entfalten. Das ausgehende Mittelalter zeigt ein üppiges Emporblühen aller partikularen Kräfte in Deutschland, die die staunenswerte Vielgestaltigkeit des deutschen Lebens — unser Vorzug vor allen anderen europäischen Völkern — begründeten. Es begann die Blütezeit der deutschen Städte, des Bürgertums. Hatten die früheren Jahrhunderte dem Ackerbau gehört, so blühten jetzt Gewerbe und Handel, alle Handwerke und Künste schwungvoll auf. Das Gildenwesen bewährte seine organisatorische Kraft. Als wunderbare Zeugen dieser städtischen Kultur ragen die mächtigen Dome empor, die die deutschen Städte in feurigem Wetteifer erbauten — wahrlich ein überwältigendes Bild deutscher Kunst u n d Arbeit. Schon Fichte forderte bei seinen Vorschlägen einheitlicher deutscher Nationalerziehung Volksbücher, die in lebendiger Darstellung die Großtaten unserer Vorfahren, voran des mittelalterlichen Bürgertums, schildern sollten. Wo sind diese Volksbücher, die jeder kennt, die allen Volksgliedern ins Herz gedrungen sind ? Und wenn sie bisher noch nicht geschaffen worden sind, müßten sie nicht jetzt geschaffen werden? Aber auch die Kolonisation drang siegreich vorwärts. Die Südostmark der Habsburger erwuchs, die Ordensritter verpflanzten das Deutschtum nach dem hohen Norden. Und wie in Stadt und Land rührige Arbeit die deutsche Losung war, so gehörte uns auch damals das M e e r . An allen Küsten der nördlichen Meere gebot stolz die Hansa. Mit der Zeit aber erwies sich das Fehlen einer starken nationalen Zentralgewalt als immer bedenklicher, besonders als das deutsche Volk von der religiösen Leidenschaft ergriffen und — zerrissen wurde.

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So sehr in diesem Weltkriege trotz der gemeinsamen Not des Vaterlandes alle anderen Gegensätze zutage getreten sind und nur mühsam niedergehalten werden: der r e l i g i ö s e Gegensatz hat glücklicherweise gar keine Rolle gespielt — ein gutes Vorzeichen der Zukunft. Es scheint, die alten Wunden sind vernarbt und der nationale Gedanke hat machtvoll und unzerreißbar unsere Einheit begründet. Deshalb kann man unbefangen auch über jene gefährliche Zeit unserer Geschichte sprechen. Beim Ausgang des Mittelalters war die Reform der Kirche der ungeteilte Wunsch der ganzen Nation, der in immer neuen Versuchen, in einem Konzil nach dem anderen deutlich zutage trat. Hierin herrschte vollständige Einigkeit. Nur über das W i e dieser Reform und dann vor allem, als schon viele Versuche gescheitert waren, ob sie sich i n n e r h a l b des Rahmens der alten großen gemeinsamen Kirche oder a u ß e r h a l b , in einer Neubildung vollziehen sollte — das trennte die Geister, und doch ward sie tatsächlich in b e i d e n Lagern vollzogen. Der Zug zur Verinnerlichung, der deutschen Gemütstiefe entsprechend, kam im Katholizismus, hervorgerufen durch die deutsche Mystik, nicht minder zur Geltung wie im Protestantismus, so daß der deutsche Katholizismus etwas Grundverschiedenes gegenüber dem romanischen Katholizismus ward und geblieben ist. Aber der Blick der Geister war damals hierfür getrübt, und furchtbar klaffte der Riß in das deutsche Volk hinein. Während im Mittelalter sich der deutsche Staat zersetzte, sich in seine Bestandteile auflöste, traten jetzt in unerhörtem, mörderischem Bruderzwist die deutschen Stämme auseinander. Das Verhängnis brach über das deutsche Volk herein. Die Zeit der tiefsten Ohnmacht unseres Volkes kam, das Elend des Dreißigjährigen Krieges. Und dies war die Zeit, da utisere Nachbarvölker, inzwischen im Gegensatz zu unserer Zersetzung in sich gefestigt, von allen Seiten über Deutschlands Grenzen herüberfluteten, ein Grenzland nach dem anderen von dem ehemaligen Reichsbau abtrennten. Von dieser Zeit unserer Ohnmacht sollte jeder Deutsche etwas wissen, das müßte man allen mit Feuerlettern in die Seele brennen. Das zahlreichste, arbeitssamste, begabteste Volk Europas, das jahrhundertelang geherrscht hatte und zum Herrschen berufen war, wurde der Spielball, sein Boden der Tummelplatz aller übrigen Völker. Langsam, stetig erhob sich aus dieser entsetzlichen Not an

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