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German Pages [337] Year 2011
FTS 67 Das Gelingen des interreligiösen Dialogs setzt voraus, dass neben tatsächlichen Übereinstimmungen auch unaufgebbare Spezifika wahrgenommen und ernstgenommen werden. Der vorliegende Band bietet elf Positionsbestimmungen aus christlicher Perspektive in Auseinandersetzung mit bibelexegetischen, historischen, religionsphilosophischen und -theologischen, islam- und missionswissenschaftlichen, religionspädagogischen sowie dogmatisch-spirituellen Fragestellungen, so etwa:
– Was bleibt, was ändert sich für Christen, die zum Islam, und für Muslime, die zum Christentum konvertieren? – Sieht der Dalai Lama im Christentum einen Weg zum Nirvana? – Sprechen alle Religionen von demselben Gott? – Können Inhalte anderer Religionen die der christlichen Offenbarung ergänzen? – Worin liegt das Spezifikum christlichen Betens?
ISBN 978-3-402-16055-8
Band 67
Arnold (Hg.) • Sind Religionen austauschbar?
– Haben Juden und Christen getrennte Heilswege?
FRANKFURTER THEOLOGISCHE STUDIEN
Johannes Arnold (Hg.)
Sind Religionen austauschbar? Philosophisch-theologische Positionen aus christlicher Sicht
Kolumnentitel Verfassername
Johannes Arnold (Hg.) Sind Religionen austauschbar?
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Kolumnentitel Verfassername
FRANKFURTER THEOLOGISCHE STUDIEN Im Auftrag der Professoren der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen Theologische Fakultät, Frankfurt am Main herausgegeben von JOHNNES ARNOLD, MICHAEL SCHNEIDER, ANSGAR WUCHERPFENNIG
67. Band
JOHANNES ARNOLD (HG.) SIND RELIGIONEN AUSTAUSCHBAR?
Kolumnentitel Verfassername
JOHANNES ARNOLD (HG.)
SIND RELIGIONEN AUSTAUSCHBAR? PHILOSOPHISCH-THEOLOGISCHE POSITIONEN AUS CHRISTLICHER SICHT
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© 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Münster, 2011 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-16055-8
Vorwort „Gilt die bei Teegesellschaften angebrachte Höflichkeit, religiöse Differenzen nicht in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen, auch für den […] Dialog zwischen den Religionen?“ So Martin Mosebach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Mai 2009. Der Ruf nach mehr Profil im Dialog der Religionen ist vernehmlicher geworden. Kenntnis und Anerkennung religiöser Unterschiede erweisen sich zunehmend als unverzichtbare Voraussetzungen eines respektvollen und verständnisvollen Austauschs. Sie lassen Gemeinsamkeiten umso deutlicher erkennen. Eine durch geschärfte Wahrnehmung von Übereinstimmungen und Spezifika verbesserte Dialogfähigkeit ist denn auch das primäre Ziel der philosophischen und theologischen Positionsbestimmungen aus christlicher Sicht, die in diesem Band zusammengestellt wurden. Zu Wort kommen eine Vertreterin und neun Vertreter unterschiedlicher philosophischer und theologischer Disziplinen, die zurzeit alle (zumindest auch) an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt lehren. Der Alttestamentler Dieter Böhler SJ arbeitet im ersten Beitrag die besonderen Beziehungen zwischen Christentum und Judentum heraus: Das Christentum steht nach seinem eigenen ursprünglichen Verständnis dem Judentum nicht als eine andere Religion gegenüber; die bereits von frühen christlichen Theologen vertretene These einer „Ablösung“ Israels durch die Kirche ist mit biblischen Aussagen nicht vereinbar. Als Kirchenhistoriker und Patrologe untersucht Johannes Arnold das Verhältnis zwischen christlicher und paganer Religiosität der Spätantike anhand der Auseinandersetzung des Theologen Origenes mit der These des Philosophen Kelsos, die Namen des höchsten Gottes ließen sich austauschen. Die Islamwissenschaftlerin Rotraud Wielandt fragt danach, was Christen, die zum Islam, und Muslime, die zum Christentum konvertieren, in der jeweils anderen Religion suchen, und was sich – subjektiv und objektiv – für sie ändert. Der Fundamentaltheologe Alexander Löffler widerlegt die unter Christen verbreitete Meinung, der derzeitige Dalai Lama von Tibet
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Johannes Arnold
betrachte die verschiedenen Religionen als gleichwertige und austauschbare Wege zu Buddhaschaft und Nirvana. Der Religionsphilosoph Oliver J. Wiertz untersucht, ausgehend von der Ineffabilitätsthese John Hicks, ob alle großen Religionen von demselben Gott sprechen: Sagen sie über Gott dasselbe aus? Haben ihre Glaubensaussagen denselben Referenten? Thomas M. Schmidt fragt, ebenfalls als Religionsphilosoph, in welcher Weise die Philosophie angesichts der Kantischen MetaphysikKritik und trotz bleibender inhaltlicher Differenz als Vermittlerin und Übersetzerin zwischen Religion und säkularer Vernunft (und von daher auch zwischen verschiedenen Religionen) fungieren kann. Der Fundamentaltheologe Jörg Peter Disse unterzieht den umstrittenen religionstheologischen Ansatz von Jacques Dupuis SJ einer kritischen Sichtung, um Dupuis’ Christologie im Sinn eines GedankenExperiments an einigen Punkten zu vertiefen bzw. zu präzisieren. Oliver J. Wiertz sucht in einem weiteren Beitrag eine nicht-pluralistische, mit dem religionstheologischen Inklusivismus vereinbare Erklärung für die bestehende Vielfalt der Religionen. Als Vertreter der Missionswissenschaft stellt Albert-Peter Rethmann verschiedene Beispiele und Modelle der Inkulturation des christlichen Glaubens mit ihren jeweiligen Chancen und Risiken vor. Der Religionspädagoge und Pastoralpsychologe Klaus Kießling entwirft eine Religionsdidaktik, die auf dem Weg diakonisch-mystagogischen Lernens weiterführende Begegnungen sowohl mit Fremden, das heißt nicht zuletzt mit Angehörigen anderer Kulturen und Religionen, als auch mit Gott als dem für alle Menschen prinzipiell Fremden, zugleich aber in Jesus Christus konkret Zugesagten ermöglicht. Der Dogmatiker Michael Schneider SJ schließlich identifiziert als Spezifikum des christlichen Gebets die Suche nach Teilhabe an der Glaubenserfahrung Jesu Christi, der selbst die Erfahrung Gottes des Vaters ist. Neben der Verfasserin und den Verfassern der elf Beiträge haben nicht wenige weitere Personen zur Entstehung des vorliegenden Bandes und zum Gelingen der ihm zugrunde liegenden Ringvorlesung, die zwischen Oktober 2009 und Februar 2010 an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a.M. stattfand, beigetragen. Neben den Vortragenden wirkten an der Ringvorlesung folgende Dozenten der Hochschule freundlicherweise als Moderatoren mit: Markus Luber SJ, Hans-Ludwig Ollig SJ, Christian Troll SJ, Heinrich Watzka SJ und Ansgar Wucherpfennig SJ. Für Video-Aufnahmen und Raumdekoration sorgten zuverlässig die Studierenden Martina
Vorwort
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Altendorf und Marco Hüsing, für technische Vorbereitungen die Herren Harald Florange und Michael Jung. Der Text des vorliegenden Sammelbands wurde – wie immer mit größter Sorgfalt und Umsicht – gesetzt von Frau Brigitte Domanski, die zudem noch fehlende Literaturangaben ermittelte. Das Namenregister erstellte Frau cand. theol. Lioba Kronenberger. Für wiederholte Absprachen über das Layout des Bandes stand Herr Dr. Dirk Paßmann vom Aschendorff Verlag zur Verfügung, bei dem die Frankfurter Theologischen Studien in Zukunft erscheinen werden. Hilfreiche Ratschläge erteilten mehrfach Michael Sievernich SJ und Hermann Josef Sieben SJ. Die Stiftung Hochschule Sankt Georgen und der Freundeskreis Sankt Georgen haben die vorliegende Publikation durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung ermöglicht. Allen Beteiligten sei für ihr Engagement sehr herzlich gedankt! Frankfurt a.M., September 2011
Johannes Arnold
Inhalt Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen? DIETER BÖHLER SJ
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Ist Gottes Name austauschbar? Spätantike Reflexionen JOHANNES ARNOLD
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Wechsel von einer Buchreligion in die andere? Zu Hintergründen und Tragweite von Konversionen vom Christentum zum Islam und umgekehrt ROTRAUD WIELANDT
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Sind Christen fit für das Nirvana? Wie der Dalai Lama die Austauschbarkeit von Buddhismus und Christentum sieht ALEXANDER LÖFFLER
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Sprechen alle Religionen von demselben Gott? Anmerkungen zur Austauschbarkeit der Religionen aus philosophischer Perspektive OLIVER WIERTZ
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Austauschbarkeit und Übersetzung. Philosophie als Vermittler und Interpret von Religion THOMAS M. SCHMIDT
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Jesus Christus und die Religionen. Zur Religionstheologie von Jacques Dupuis SJ JÖRG DISSE
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Warum sorgt Gott nicht für eine wahre Religion? Skizze einer inklusivistischen theistischen Erklärung der Vielfalt der Religionen OLIVER WIERTZ
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Inhalt
Aneignung fremder Götter? Gedanken zur Inkulturation des Christentums ALBERT-PETER RETHMANN
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Das prinzipiell Fremde als das konkret Zugesagte. Didaktik eines mystagogischen Religionsunterrichts an der Grundschule KLAUS KIEßLING
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„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden“ (Mt 6,7). Das Unterscheidende im christlichen Gebet MICHAEL SCHNEIDER SJ
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Anhang Schriftstellen Namenregister Sachregister
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DIETER BÖHLER SJ
Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen? Dieser Beitrag kann nicht unter das Oberthema „Sind Religionen austauschbar?“ eingeordnet werden, weil Judentum und Christentum zwar religionssoziologisch als zwei verschiedene Religionen angesehen werden, es aber aus der Sicht der christlichen Lehre nicht sind. Darum führt der Heilige Stuhl die Gespräche mit dem Judentum nicht als interreligiösen Dialog, sondern als ökumenisches Gespräch unter der Federführung des Einheitsrates. Und in der neuen Handreichung der deutschen Bischöfe „Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen“, 2. Auflage vom 24. Juni 2008, heißt es unter Nummer II. 1 auf S. 12 ausdrücklich: Christen stehen von Gott her in einer einzigartigen Beziehung zu den Juden, die für sie nicht Angehörige einer anderen Religion sind […].
Ich handle also nicht von zwei verschiedenen Religionen, sondern von der jüdischen und der christlichen Glaubensgemeinschaft, die aus unserer Sicht eine konfessionelle Differenz trennt innerhalb des einen Glaubens Abrahams, Isaaks und Jakobs, Moses, Jesajas und Esras, zu dem auch wir uns bekennen. Aber damit sind wir schon mittendrin: Wir Christen können uns von Israel, jedenfalls von den genannten Vertretern, unmöglich trennen, ohne nach unseren eigenen Maßstäben häretisch zu werden. Aber wie steht es mit ihren Kindern, der Synagoge, dem heutigen Judentum, dem Judentum der letzten 2000 Jahre? 1. FRAGESTELLUNG Am 9. März 2009 erschien eine Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken mit dem Titel „Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen“. In dieser Erklärung steht, angefangen vom Titel, sehr viel Richtiges, sehr viel, das dem Stand des Gesprächs zwischen Katho-
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Dieter Böhler SJ
lischer Kirche und Judentum entspricht. Sehr kontrovers wurde dagegen eine Grundaussage am Anfang des Dokuments diskutiert, die besagt: Wir […] betonen […], dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk einen Heilsweg zu Gott darstellt – auch ohne Anerkennung Jesu Christi und ohne das Sakrament der Taufe. 1
Praktisch ist damit zunächst einmal gemeint, dass wir Christen aus den Völkern die Juden nicht zu missionieren brauchen. Und das stimmt wohl. 2 Aber soll das darüber hinaus heißen, der Messias und die christliche Kirche einerseits und das jüdische Volk andererseits gingen zwei getrennte Heilswege, die unabhängig voneinander zu Gott führen? 3 Robert Spaemann hat in der FAZ vom 20. 4. 2009 eine scharfe Gegenrede formuliert unter dem Titel „Gott ist kein Bigamist“. Seine Grundthese ist: Es kann, nach christlicher Tradition, nicht zwei Gottesvölker geben. Gott hat am Anfang nur ein Gottesvolk gegründet und am Ende wird ihm nur eins gegenübertreten – wie auch immer sich Israel und die Kirche in der Zwischenzeit zueinander verhalten. Ich halte die These des ZdK, es gebe einen Heilsweg Israels ohne Messias und daneben für die Völker als anderen Heilsweg eben den Messias, für eine im Christentum unmögliche These. Um es mit dem berühmten Bild des Paulus im Römerbrief zu sagen: Gott hat nicht zwei Bäume gepflanzt, sondern einen einzigen Ölbaum, auf den er die wilden Zweige aufpfropft. Es gibt aus christlicher Sicht nur einen einzigen Heilsweg und der heißt Israel – Israel samt seinem Messiaskönig. Oder wie Spaemann formuliert: Nach Auffassung des ZdK gäbe es „nicht mehr, wie es die Apostel und mit ihnen die ganze christliche Tradition sahen, das eine Bundesvolk Israel, das sich in Christus nun für alle Völker öffnet und zur ‚Kirche aus Juden und Heiden‘ wird“, 1 2
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S. 5. Jedenfalls gibt das NT an keiner Stelle die Handlungsanweisung, Gojim sollten Israel, dem Licht der Völker (Jes 42,6; 49,6; 51,4), predigen. Das Äußerste, was Paulus in Röm 11 ins Auge fasst – und damals wohl auch nur fassen kann –, ist, dass der Glaube der Gojim an den Gott Israels Israel eifersüchtig machen soll (Röm 11,11). Die Aufhebung des Schismas hat sich Gott selber vorbehalten (Röm 11,25ff.). Von einem „Sonderweg für Israel“ spricht auch F. M UßNER , Dieses Geschlecht wird nicht vergehen. Judentum und Kirche, Freiburg u.a. 1991, 33-37. Mußner meint aber: „Der Parusiechristus rettet ganz Israel ohne vorausgehende ‚Bekehrung‘ der Juden zum Evangelium.“ Ähnlich M. T HEOBALD , Der Römerbrief (EdF 294), Darmstadt 2000, 278. Tatsächlich lässt Röm 11 offen, wie genau die Rettung Israels am Ende stattfinden wird. Gegen einen „Sonderweg“ argumentiert R. HVALVIK, A ‚Sonderweg‘ for Israel. A Critical Examination of a Current Interpretation of Romans 11.25-27, in: Journal for the study of the New Testament 38 (1990) 87-107.
Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen?
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sondern eben zwei getrennte Größen: ein Israel ohne Messias und daneben einen Messias ohne Israel als Heilsweg für die Völker. Spaemann lehnt das zu Recht ab. Aber der Fehler des ZdK, in christlich-dogmatischer Absicht einerseits den Messias von Israel und andererseits Israel vom Messias zu trennen, ist wesentlich älter. Er ist 2000 Jahre alt und durchzieht die ganze Adversus Iudaeos-Literatur des Christentums (und nicht nur diese). Die Trennung, die das ZdK vornimmt, ist diesmal judenfreundlich gemeint. 2000 Jahre lang war dieselbe Scheidung judenfeindlich gemeint. Für Christen annehmbar ist sie auch mit der veränderten Absicht nicht. Das heißt aber auch, dass die 2000 Jahre alte Trennung von Jesus und Judentum, von Christus als Heilsweg und Israel als Irrweg, als christliche Lehre unhaltbar ist und es immer war. Die bis ins 20. Jahrhundert weit verbreitete, vom Lehramt der Kirche aber nie formell übernommene Auffassung, die christusgläubige Kirche habe die Juden als Gottesvolk einfachhin abgelöst, sie sei als „Neues Israel“ an ihre Stelle getreten, die Juden aber seien seit Christus verworfen, widersprach immer schon den ausdrücklichen Aussagen des Alten und Neuen Testaments. Sie wurde auch von bedeutenden Kirchenlehrern nicht undifferenziert geteilt. Sie hat aber dort, wo sie vertreten wurde – und das war die weit überwiegende Mehrheit der Theologen –, dogmatische Defizite verursacht: in Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie. Die biblische und dogmatische Unhaltbarkeit der Substitutionstheorie will ich im folgenden in zwei Schritten, einem biblischen und einem dogmatischen, behandeln. Israel konnte und durfte in der christlichen Doktrin nie durch die Kirche ersetzt werden, weil es für die Kirche unersetzlich bleibt. Die beiden Größen sind nicht austauschbar und nach unserem Glauben auch nicht trennbar. Gott ist, um Spaemanns Bild noch einmal aufzunehmen, kein Bigamist, aber auch kein wiederverheirateter Geschiedener, der die Ersterwählte verstößt und den Bund mit einer anderen schließt. Hätte es eine Scheidung von Israel gegeben, wäre die Zweitehe mit der Kirche bereits beschädigt. Die sogenannte Substitutionstheorie (englisch: supersessionism) besagt, Gott habe nach Jesu Tod das bisherige erwählte Volk Israel verworfen und an seiner Stelle ein neues Volk aus den Heidenvölkern erwählt, er habe Israel durch die Heidenkirche ersetzt. Die These findet sich vielleicht noch nicht bei Ignatius von Antiochien, 4 aber sicher schon bei Justinus Martyr um 150 und Tertullian um 200. 4
IGNATIUS , Ad Magnesios 10,3: „Das Christentum ist nicht zum Glauben an das Judentum gekommen, sondern das Judentum an das Christentum“. Derselbe beurteilt
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Dieter Böhler SJ
Tertullian schreibt in Adversus Judaeos 1, die Zwillinge im Mutterleib Rebekkas, von denen der ältere schließlich dem jüngeren dienen muss, bezeichneten die Juden und die Christen. So ist das Volk oder Geschlecht der Juden der Zeit nach früher und älter (maior) durch die Gnade der ersten Gunst (dignatio) im Gesetz, das unsere aber geringer an Alter in der Zeit zu verstehen, da es in der letzten Weltepoche die Nachricht vom göttlichen Erbarmen erlangen und zweifellos nach einem Entscheid göttlicher Rede das frühere und ältere Volk, d.h. das jüdische, notwendig dem jüngeren dienen muss. Und das jüngere Volk, d.h. das christliche, muss das ältere übertreffen. 5
Nach Tertullian haben die von Gott zunächst dem Götzendienst entrissenen Israeliten sich schon bald dem goldenen Kalb und den Götzen wieder zugewandt. Unser Volk aber, das heißt das spätere, verließ die Götzen, denen es vorher diente, und bekehrte sich zu eben dem Gott, von dem Israel, wie wir oben erwähnten, abgefallen war. So hat dann das jüngere Volk, d.h. das spätere, das ältere Volk übertroffen, da es die Gnade der göttlichen Gunst (dignatio) erlangt, von der Israel verworfen wurde – a qua Israel est repudiatus. 6
Tertullian sagt ohne jede Differenzierung repudiatus. Wie ist das möglich, da doch das Neue Testament ausdrücklich das Gegenteil sagt – und zwar mit Emphase? Paulus wirft die Frage ausdrücklich auf. Er tut es nach der Ablehnung Jesu durch einen großen Teil Israels und im Hinblick auf die Juden. Er stellt die Frage, ob Israel nach Jesu Tod verworfen sei, und beantwortet sie so explizit, wie sie expliziter im ganzen NT nie mehr verhandelt wird: Ich sage nun: Hat denn Gott sein Volk verworfen? Das ist abwegig! Bin doch auch ich ein Israelit, aus der Nachkommenschaft Abrahams, dem Stamme Benjamin. Gott hat sein Volk nicht verworfen, das er ehedem erwählt hat. (Röm 11,1f.) 7
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in Ad Philadelphios 6,1 Beschnittene nicht anders als Unbeschnittene: „Wenn aber beide [der Beschnittene und Unbeschnittene] nicht von Jesus Christus reden, so sind diese für mich Grabsteine und Gräber von Toten, auf denen nur Namen von Menschen geschrieben sind“ (Übersetzung D. B.). Wie in Magn 10,1 muss am Ende alles in Christus münden. Vgl. auch Phil 9. T ERTULLIAN, Adversus Iudaeos 1 (ed. Tränkle 3,21-23; 4,1-2; Üs. D. B.). T ERTULLIAN, Adv. Iud. 1 (ed. Tränkle 4,11-15; Üs. D. B.). Üs. D. B. ËÝãù ïí, ì πσατο θες τν λαν ατο; μ γνοιτο κα γρ γ ’Ισραηλ της ε!μ , κ σπρματος ’Αβρα$μ, φυλ'ς Βενιαμ ν. οκ πóáôï èåò ôí ëáí áôï )í ðñïãíù.
Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen?
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Und kurz darauf in Röm 11,28f.: Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde Gottes, und das um euretwillen; von ihrer Erwählung her gesehen sind (!) sie von Gott geliebt, und das um der Väter willen. 29 Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.
Ausdrücklicher geht es nicht. Es gibt auch keine Stelle im NT, die mit derselben Ausdrücklichkeit das Gegenteil behaupten würde, so dass die Aussage innerhalb des NT doch relativiert wäre. 8 Paulus macht sei8
Derselbe Paulus hatte in 1 Thess 2,14-16, einem zentralen Bezugstext für „Substitutionisten“, geschrieben: „Denn, Brüder, ihr seid den Gemeinden Gottes in Judäa gleich geworden, die sich zu Christus Jesus bekennen. Ihr habt von euren Mitbürgern das gleiche erlitten wie jene von den Juden. 15 Diese haben sogar Jesus, den Herrn, und die Propheten getötet; auch uns haben sie verfolgt. Sie missfallen Gott und sind Feinde aller Menschen; 16 sie hindern uns daran, den Heiden das Evangelium zu verkünden und ihnen so das Heil zu bringen. Dadurch machen sie unablässig das Maß ihrer Sünden voll. Aber der ganze Zorn ist schon über sie gekommen.“ Mußner glaubt, zwischen 1 Thess und Röm habe Paulus seine Auffassung von der überströmenden Gnade, die am Ende siegt, konsequenter durchdacht und auch auf Israel angewandt (M UßNER , Paulinischer Antijudaismus? Zum Widerspruch zwischen 1 Thess 2,14-16 und Röm 9-11, in: Ders., Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, 73-76). M. E. ist 1 Thess 2,14-16 zwar wesentlich unfreundlicher formuliert als Röm 11, inhaltlich aber gar nicht wirklich konträr. Paulus setzt in 2,14 voraus, dass die Heidenchristen den Judenchristen, denen sie in der Christwerdung als Gleiche beigesellt wurden, nun auch noch durch die Schwierigkeiten mit ihren Landsleuten ähnlich werden. Anlässlich dessen schimpft er über seine Mitjuden als Verfolger der Propheten, Jesu und der Kirche. Das wird ein übler Topos werden. „Sie missfallen Gott und hindern uns an der Evangeliumsverkündigung“ wird später in Röm 11,28f. vervollständigt heißen: „Vom Evangelium her gesehen sind sie Feinde Gottes, und das um euretwillen; von ihrer Erwählung her gesehen sind sie von Gott geliebt, und das um der Väter willen. 29 Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt.“ Denn für Paulus ist beides wahr: Jetzt befeinden sie das Evangelium und Gottes Pläne und ziehen Zorn auf sich. Das heißt aber nicht, dass die Erwählung gekündigt ist, denn *öèáóåí ä+ ð’ áôï-ò / 0ñã å!ò ôëïò kann, muss aber nicht als endgültige Verstoßung gelesen werden (T. HOLTZ , Der erste Brief an die Thessalonicher [EKK 13], Zürich u.a., 1986, 110: „å!ò ôëïò [‚gänzlich‘] schreibt das Gericht über die Juden nicht für das Eschaton fest“). Der Aorist deutet auf ein eingetretenes Ereignis. Manche sehen darin die Zerstörung Jerusalems – dann ist der Vers eine spätere Interpolation. Das vertreten G. H AUFE , Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher (ThHK 12/1), Leipzig 1999, und E.J. R ICHARD , First and Second Thessalonians (Sacra Pagina 11), Collegeville 1995, tendenziell auch F.F. BRUCE , 1 & 2 Thessalonians (WBC 45), Nashville 1982. Andere vermuten ein unbekanntes Vorkommnis als Zeichen göttlichen Zorns. Am ehesten legt sich nahe, dass Paulus den eben thematisierten hartnäckigen Widerstand der Juden gegen die Rettung der Heiden als Zeichen für den Zorn Gottes sieht, der sich offensichtlich entschlossen hat, seine Pläne zum Einschluss der Völker in sein Heil nur noch durch einen Rest Israels zu verwirklichen (cf. Röm 11,7), Mehrheitsisrael aber nicht mehr in Dienst zu nehmen. Es ist möglich, dass Paulus dies damals als Prolepse einer endgültigen Ver-
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Dieter Böhler SJ
ne Aussage auch nicht etwa beiläufig, sondern in einem umfassenden Traktat, der die Frage ausdrücklich behandelt: Röm 9-11. Dieser Traktat wiederum ist Teil des Römerbriefs, der insgesamt eine zusammenhängende Abhandlung der Missionstheologie, Soteriologie und Ekklesiologie des Völkerapostels ist. Deren Grundthese lautet: Die Völker sollen Miterben der Heiligen, also der Israeliten, werden (vgl. Eph 3,6; Kol 1,12). Ohne Israel gibt es kein Heil für die Völker, denn „das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Von ihnen, die den Messias verworfen haben, sagt Paulus in Röm 9: 4
Sie sind Israeliten; damit haben (nicht: hatten!) sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht, er ist gepriesen in Ewigkeit. Amen.
All dies gilt nach der Verwerfung Jesu durch die Führung des Volkes. Wie kommt es dann so früh und so hartnäckig lange zu dieser Theorie von der Verwerfung Israels und seiner Ersetzung durch die Heidenkirche? Zweifellos haben die Tatsache der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr., die Tatsache, dass der Tempel und sein Kult wirklich zu einem Ende kamen, 9 und schließlich die dritte Tatsache, dass das Volk der Juden selbst spätestens seit dem Bar Kochba-Aufstand 132-135 n. Chr. in die ganze Welt ins Exil zerstreut wurde, auf beide, Juden und Christen, nachhaltigen Eindruck gemacht. Auch die Juden selbst waren der Auffassung, Gott habe sie mit dieser strengen Maßnahme für
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werfung sah, gesagt hat er es nicht. In Röm 11 bleibt er später dabei, dass Gott seine Völkerbekehrungspläne nur durch einen Rest Israels realisiert, fügt aber hinzu, dass Gott auch mit Mehrheitsisrael noch Pläne hat und von definitiver Verwerfung sowieso keine Rede sein kann. Paulus hätte demnach seine frühere Auffassung so ergänzt, dass sie völlig neu akzentuiert wurde. Kanonisch hat die katholische Kirche den Röm als hermeneutischen Notenschlüssel für das Corpus Paulinum vorangesetzt, anders als Markion, der den Gal an die Spitze setzt. J USTINUS , Dialogus cum Tryphone 116f. (ed. Bobichon 496): „Das wahre hohepriesterliche Geschlecht Gottes sind wir, wie auch Gott selber bezeugt, wenn er sagt, dass wir an jedem Ort bei den Völkern ihm wohlgefällige und reine Opfer darbringen [Mal 1,11]. Gott nimmt aber von niemandem Opfer an, außer durch seine Priester. Alle Opfer in seinem Namen also, welche Jesus Christus aufgetragen hat, dass sie dargebracht werden, das heißt die bei der Eucharistie des Brotes und des Kelchs an jedem Ort der Erde von den Christen vollzogen werden, sie – bezeugt Gott im voraus – werden ihm angenehm sein. Die aber von euch und von jenen euren Priestern vollzogen werden, lehnt er ab, wenn er sagt: Eure Opfer nehme ich nicht an aus eurer Hand […]“ [Mal 1,10] (Üs. D. B.). Ähnlich A UGUSTINUS , Adversus Iudaeos IX 12-13 (PL 42: 60-62).
Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen?
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ihre Sünden bestrafen wollen. 10 Die Christen – schon lange im doktrinären Streit mit den Juden – konnten die Geschichtsereignisse gar nicht anders deuten denn als Strafe für eine extreme Sünde Israels: die Verwerfung des Messias. Justinus schreibt dazu: Völlig zu Recht ist euch das geschehen, denn ihr habt den Gerechten umgebracht und vor ihm seine Propheten. 11
Und Tertullian: Nach dem Leiden Christi nämlich ist auch Gefangenschaft und Zerstreuung über euch gekommen, vom Heiligen Geist vorhergesagt. 12
Dass Gott nach der Kreuzigung Jesu bis zur Zerstörung Jerusalems eine Frist von 40 Jahren verstreichen ließ, musste als 40jährige Bußgelegenheit verstanden werden, die nicht angenommen wurde. 13
2. DIE SCHRIFTWIDRIGKEIT DER SUBSTITUTIONSTHEORIE 2.1 Buchstabe und Geist in der Schriftauslegung: mal so, mal so Rosemary Ruether nannte den im NT anhebenden und dann nie mehr völlig abgerissenen christlichen Antijudaismus die „Kehrseite“, “the left hand”, der frühkirchlichen Christologie. 14 Die beiden Parteien innerhalb des Judentums, die, die Jesus von Nazareth für den verheißenen Messias hielten, und die, die das ablehnten, diskutierten auf der Basis der Bibel, des Alten Testaments – es gab kein Neues.15 Die jesusgläubigen Juden lasen das Alte Testament christologisch. Mose, die Propheten und die Psalmen (Lk 24,44) sprachen für sie ganz deutlich von Jesus und seinem Geschick. Das geschah sicher oft in Form von Bildern und Andeutungen. Bisweilen musste man den bloß buchstäblichen Sinn ein wenig transzendieren, um die christologische Klarheit erblicken zu können. Wer aber im Alten Testament Jesus nicht finden konnte, der war offenbar blind oder gar bösartig, jedenfalls verstockt. So schreibt Augustinus in seinem kleinen Traktat Adversus Iudaeos: 10
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R. R UETHER , Nächstenliebe und Brudermord: die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978, 156. J USTINUS , Dial. Tryph. 16,3-4 (ed. Bobichon 224; Üs. D. B.). T ERTULLIAN, Adv. Iud. 10 (ed. Tränkle, 30,17-18; Üs. D. B.). R UETHER , Nächstenliebe und Brudermord, 136. Ebd., 67. Ebd., 113.
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Dieter Böhler SJ
Sie verstehen nicht, was sie lesen. Wenn sie nämlich verstehen würden, von wem der Prophet, den sie lesen, voraussagt „Ich habe dich zum Licht der Völker gemacht, dass du mein Heil seiest bis an die Grenzen der Erde“ (Jes 49,6), dann wären sie nicht so blind, nicht so krank, dass sie in Christus, dem Herrn, weder das Licht anerkennen noch das Heil. 16
Unvermeidliche Kehrseite kirchlicher Christologie war von den frühesten Anfängen an die Anschwärzung des Juden: Antijudaismus als “the left hand of Christology”. Dass Gott auf die Verwerfung des Messias mit der Verwerfung seines Volkes und dessen offensichtlich fortdauernder Verstockung reagiert, war bald eine ausgemachte Tatsache – zumal die Ablehnung Jesu nur der Gipfel einer Geschichte permanenter Rebellion war. 17 Hatten die Propheten nicht wieder und wieder von Israels Hartnäckigkeit und Ungehorsam gesprochen? In eigentümlicher Inkonsequenz lasen die Christen alles, was im Alten Testament positiv über „Israel“, „Jerusalem“ und „Zion“ gesagt wurde, im übertragenen geistlichen Sinn auf die Kirche bezogen 18 – aber eben nur, wenn es um lichtvolle Verheißungen ging. 19 Alle scharfen Urteile der Propheten gegen ihr eigenes Volk galten, nun buchstäblich-fleischlich, den Juden. 20 Hier war übertragener Schriftsinn offenbar nicht am Platz. Mit größter Selbstverständlichkeit formuliert um 130 der Barnabasbrief: Über ihn [Jesus] steht nämlich geschrieben, teils an Israel, teils an uns. Es heißt aber so: „Verwundet wurde er wegen unserer Übertretungen, und geschwächt wurde er wegen unserer Sünden […]“.
Dieses Wir ist auf Israel zu beziehen. Die Übertretungen sind Israels Übertretungen. Aber dann geht das Zitat weiter, und das ist auf die Christen zu beziehen: „[…], durch seine Striemen wurden wir geheilt“. 21
Die Übertretungen waren Israels Übertretungen. Die Heilung gilt der Kirche. Ähnlich schreibt in der Mitte des 2. Jh. Justinus Martyr in seinem Dialog mit dem Juden Trypho, indem er zunächst Jes 65,12 zitiert 16
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Üs. D. B.; quod legunt, non intelligunt. Nam utique si intellegerent de quo praedixerit propheta, quem legunt ‚Dedi te in lucem gentium, ita ut sis salus mea usque in fines terrae’ (Is 49,6), non sic caeci essent, non sic aegroti, ut in Domino Christo nec lucem agnoscerent, nec salutem (AUGUSTINUS , Adv. Iudaeos I 2; PL 42: 51). Angefangen von 1 Thess 2,14-16. A UGUSTINUS , Adv. Iudaeos V 6. J USTINUS , Dial. Tryph. 14. R UETHER , Nächstenliebe und Brudermord, 123. Barn 5,2 (SC 172: 104f.).
Durften die Christen Israel gegen die Kirche austauschen?
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„ich habe euch gerufen und ihr habt nicht gehorcht, ihr habt Böses getan vor mir, und was ich nicht wollte, habt ihr erwählt“. Justinus bezieht das auf die Juden: „Das sind die Worte der Schrift“, sagt er. Dann aber fährt er fort: Ihr erkennt aber auch selbst, dass es eine andere Nachkommenschaft Jakobs gibt, von der hier die Rede ist, und dass das nicht von eurem Volk gesagt wird, wie vielleicht einer meinen mag. Es kann ja nicht sein, dass denen, die aus Jakob gezeugt sind [den Juden] die, die aus Jakob gesät sind [die Christen] einen Einlassort überlassen. Auch [kann es nicht sein], dass der, der dem Volk Vorwürfe macht, dass es des Erbes unwürdig sei, wiederum, als ob er es wieder annehme, denselben Versprechungen macht. Vielmehr, wie der Prophet dort sagt: „Und nun du, Haus Jakob, kommt, wir wollen gehen im Licht des Herrn; er hat nämlich sein Volk, das Haus Jakob, entlassen, weil ihr Land, wie von Anfang an, voll war von Orakeln und Wahrsagereien (Jes 2,5f.). So müssen wir auch hier zwei Nachkommenschaften Judas verstehen und zwei Geschlechter, wie zwei Häuser Jakob – und zwar das eine aus Fleisch und Blut, das andere aber aus Glauben und Geist gezeugt. 22
Es gibt also zwei Israel, das fleischliche und das geistige. In jenem erfüllen sich die Negativaussagen der Propheten, in diesem die lichtvollen Verheißungen.23 Jene sind des Erbes unwürdig, diese übernehmen es. Justins Sicht im 2. Jh. teilen die meisten Späteren. Die alttestamentlichen Drohungen gegen Israel erfüllten sich an den Juden, die alttestamentlichen Verheißungen erfüllten sich an der Kirche. 24 Diese Verteilung legte zwar der Bibeltext selber nicht nahe, aber die geschichtlichen Umstände machten sie doch jedenfalls plausibel: die Zerstörung Jerusalems und der kometenhafte Aufstieg des Christentums im Römerreich. Durch die Brille dieser Ereignisse lasen die Christen das Alte und Neue Testament. Es lag eine Hülle auf ihren Augen, wenn sie ihre heiligen Schriften lasen (2 Kor 3,15). Sie lag auf den Augen der Christen, 2000 Jahre lang. Wenn Jesus in Lk 21,6 auf eine Frage seiner Jünger nach dem Jerusalemer Tempel sagt: Es wird eine Zeit kommen, da wird von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleiben; alles wird niedergerissen werden, 22
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J USTINUS , Dial. Tryph. 135 (ed. Bobichon, 548; Üs. D. B.); ähnlich AUGUSTINUS , Adv. Iudaeos VIII 11. A UGUSTINUS , Adv. Iudaeos VII 10; R UETHER , Nächstenliebe und Brudermord, 123. J USTINUS , Dial. Tryph. 135,3 (ed. Bobichon, 547f.): „So sind wir, aus Christi Leib herausgemeißelt, das wahre israelitische Geschlecht“ (Üs. D. B.).
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dann hat Jesus im Sinne des Lukasevangeliums die Tempelzerstörung durch Titus im Jahre 70 vorausgesagt. Diese ja, aber sonst nichts. Was aber erkennt Ambrosius in seinem Lukaskommentar zur Stelle? Nämlich die Synagoge der Juden, deren alte Struktur, wenn die Kirche aufkommt, aufgelöst wird. 25
Ambrosius entnimmt dem Text deutlich mehr, als geschrieben steht. Nach ihm spricht Jesus nicht nur von dem steinernen Tempel, sondern von Israel als Synagoge, als Gottes gottesdienstlichem Volk, das von der Kirche abgelöst und selbst aufgelöst wird. Eine bestimmte Brille lässt Ambrosius in dem Text mehr sehen, als da steht. 26 Die Theorie von der Verwerfung der Juden und ihrer Ersetzung durch das neue Israel, das die Kirche ist, wurde – über den Text der Schrift hinaus – zu einer eher selbstverständlichen Voraussetzung und wurde dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch in den Text hineingelesen. Als die Sadduzäer Jesus am Beispiel einer Frau, die nacheinander sieben Brüder ehelichte, die Absurdität der Totenauferstehung vorführen wollen (Lk 20,20-47), fragt sich Ambrosius: Wir wollen also sehen, ob diese Frau nicht die Synagoge ist, welche sieben Männer hatte, so wie der Samariterin gesagt wird „fünf Männer nämlich hast du gehabt“ (Joh 4,18), da die Samariterin nur die fünf Bücher des Mose, die Synagoge hauptsächlich sieben (Bücher) befolgt und wegen ihrer Treulosigkeit von keinem den Samen erbender Nachkommenschaft empfangen hat. Und daher wird sie nicht mit ihren Männern Anteil haben können an der Auferstehung. 27
Die Synagoge hat also die Bücher der Heiligen Schrift gehabt, ist aber daraus nicht fruchtbar geworden, hat keine Erben gezeugt und bleibt am Ende von der Auferstehung ausgeschlossen. Enterbt und ohne Hoffnung! Natürlich ist das übertragener Schriftsinn. Aber, was da hineingetragen wird, scheint von selber einzuleuchten. Es ist Gemeingut. Der 25
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A MBROSIUS , Expositio Evangelii secundum Lucam X 6 (CCL 14: 347,76f.): Synagogam scilicet Iudaeorum, cuius structura vetus, Ecclesia surgente, dissolvitur. Texte, die im Sinne der Evangelisten, oder gar auch schon Jesu selbst, vielleicht eine Verwerfung des alten Bundesvolkes androhen, wie etwa Mt 21,43 (wenn nicht doch mit 21,45 nur die Führung gemeint ist), sind genau das: eine Androhung, mehr nicht. Von ihr sagt im kanonischen Neuen Testament nach Ostern der Apostel in Röm 11: Die angedrohte Verwerfung fand nicht statt. A MBROSIUS , Expositio Ev. sec. Lucam IX 38 (CCL 14: 344,368-374, Üs. D. B.): Itaque videamus ne haec mulier synagoga sit, quae septem viros habuit, sicut Samaritanae dicitur: quinque enim viros habuisti, quia Samaritana quinque tantum libros Moysi, synagoga septem sequitur principaliter, et de nullo propter perfidiam suam hereditariae posteritatis semen accepit. Et ideo partem cum viris suis in resurrectione habere non poterit.
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Text des Neuen Testaments verlangt diese Lesung natürlich überhaupt nicht. Seit die messianisch, also christlich gewordenen Juden, und schon gar seit die aus dem Heidentum hinzugekommen Christen mit den anderen Juden über den Sinn des Alten Testaments streiten, sieht der Christ seinen jüdischen Bruder a priori in schiefem Licht und liest nicht nur ins Alte, sondern auch ins Neue Testament Dinge hinein, die da nicht stehen, und übersieht andere, die da stehen. Eine relative Sonderstellung im christlichen Antijudaismus kommt Augustinus und durch ihn dann auch Gregor dem Großen zu. Für Augustinus sind die Juden nach Christus zwar auch strafweise verworfen, er hält allerdings daran fest, dass sie in Gottes Plan bis zum Ende der Zeiten noch eine Funktion haben und daher fortexistieren sollen. Sie bezeugen nämlich den Heiden, dass die Christen die Prophetien über Christus nicht fingiert haben. 28 Diese Auffassung des Augustinus sollte die Basis für die relative Judentoleranz durch Gregor den Großen und die mittelalterlichen Päpste abgeben, durch die zu Kreuzzugszeiten unwidersprochenes Wüten ausgeschlossen war. 29 Im Lauf der Jahrhunderte setzten die Christen diese Theologie in kirchliches und weltliches Recht um: Die Juden muss man am Leben lassen und in ihrer Religionsausübung tolerieren bis zum Jüngsten Tag. Aber ihre bedrückte Existenz soll den Verworfenheitsstatus bezeugen. 30 Es wäre unseren Vorfahren gegenüber nicht fair zu behaupten, die Theologie der Substitution sei überhaupt nicht nachvollziehbar gewesen. Sie war nachvollziehbar. Israels Verwerfung und Ablösung durch die Kirche konnte man, wenn man vorher ein entsprechendes 28
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M.J. VLACH , The Church as a Replacement of Israel: An Analysis of Supersessionism (EDIS 2), Frankfurt u.a. 2009, 55f. AUGUSTINUS , De civitate Dei XVIII 46 (CCL 48: 644,16-18): eradicati dispersique per terras (quando quidem ubique non desunt) per scripturas suas testimonio nobis sunt prophetias nos non finxisse de Christo. Und D ERS ., Enarrationes in Psalmos zu Ps XL (CCL 38: 459,10-16.18-27): Nemo dicat: de Iudaeis hoc dixit. Non sum ego Israel. Magis Iudaei non sunt Israel. Maior enim filius ipse est maior populus reprobatus; minor populus dilectus. Maior serviet minori, modo impletum est: modo, fratres, nobis serviunt Iudaei, tamquam capsarii nostri sunt, studentibus nobis codices portant. Audite in quo nobis Iudaei serviunt et non sine causa […] Apud illos sunt prophetae et lex, in qua lege et in quibus prophetis Christus praedicatus est. Quando agimus cum paganis, et ostendimus hoc evenire modo in Ecclesia Christi quod ante praedictum est de nomine Christi, de capite et corpore Christi, ne putent nos finxisse illas praedictiones, et ex his rebus quae acciderunt, quasi futurae essent, nos conscripsisse, proferimus codices Iudaeorum. Nempe Iudaei inimici nostri sunt, de chartis inimici convincitur adversarius. Omnia ergo Dominus distribuit, omnia pro salute nostra ordinavit. VLACH , Church, 56. R UETHER , Nächstenliebe und Brudermord, 169-198.
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Raster auf den Text legte, aus vielen Stellen der Schrift herauslesen. Hermeneutische Voraussetzung war mal eine heilsökonomische Substitutionslehre, nach der der Typos „Israel“ von der vollendeten Wirklichkeit „Kirche“ abgelöst wird, mal eine poenale Substitutionslehre, nach der Israel seine Erwählung spätestens durch die Verwerfung des Messias verwirkt hätte, wie die Zerstörung Jerusalems zeigt.31 Aber die Substitutionslehre als hermeneutische Voraussetzung der christlichen Bibellektüre musste die Glaubensurkunde, die Bibel Alten und Neuen Testaments, auch erheblich verbiegen. Und das galt nicht nur bei der eigentümlich inkonsequenten Verteilung der Drohungen und der Verheißungen auf Juden und Kirche. Das gilt ganz massiv für die Israeltheologie des Lukas und des Paulus.
2.2 Verkennung der paulinischen Ekklesiologie Paulus entfaltet in Röm 4 seine Ekklesiologie und die Grundlagen seiner Soteriologie: Gott begründet in der Person des noch unbeschnittenen Abraham sein Volk, weil dieser glaubt, Gott könne aus Totem Leben erwecken. Durch diesen Erweckungsglauben wird der noch unbeschnittene Abraham – sozusagen als erster Goj (Nichtisraelit) – „gerechtfertigt“. Gott erschafft aus ihm nach und unter dem Bundeszeichen der Beschneidung ein Volk durch Isaak und Jakob. Abrahams leibliche Kinder, das Volk Israel, sind der Anfang von Gottes Volk. Ihnen sollen einst unbeschnittene Adoptivkinder aus den Völkern beigesellt werden, um Miterben derselben Verheißung zu werden, Miterben mit den leiblichen Nachkommen Abrahams. Zutritt zum Gottesvolk finden sie wie im Anfang der unbeschnittene Abraham: durch Auferweckungsglauben. Wenn sie an die Auferweckung Christi glauben, können sie, ohne Juden zu werden, doch in die Kirche aus Juden und Heiden eintreten. Der auferweckte Messias vermittelt den Nichtisraeliten den Zugang zu Gottes Volk und damit zum Gott Israels und zum Heil. Im Brief an die Galater 3,14 schreibt Paulus: Jesus Christus hat uns freigekauft, damit den Heiden durch ihn der Segen Abrahams zuteil wird und wir so aufgrund des Glaubens den verheißenen Geist empfangen.
Jesus Christus hat uns (Juden!) freigekauft (durch seine Stellvertretung zugunsten Israels), damit euch, den Heiden, durch ihn der Segen Abrahams zuteil wird, und wir – beide – so aufgrund des Glaubens 31
VLACH , Church, 27-32.
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den verheißenen Geist empfangen. Israel hat Abrahamskindschaft und Gottessohnschaft. Die Israeliten sind schon Gottes Volk. Aber nach ihrem Ungehorsam gegen Tora und Messias mussten sie durch den stellvertretenden Gehorsam ihres Messiaskönigs freigekauft werden. Hätte der Messias sein Volk nicht freigekauft, wäre den Völkern jeder Zutritt zu Israel und damit zu Israels Gott versperrt geblieben. 32 Selbst wenn die Kirche aus den Heiden eine Neugründung gewesen wäre, hätte sie dazu ein nach Ostern in der Erwählung bestätigtes Israel gebraucht. Selbst als Neugründung wäre sie vom nachösterlichen Israel nicht abzukoppeln gewesen. Die Theologie vom Heiligen Rest (Röm 11,7) hat das ja auch immer gewusst. Was macht Justinus aus dieser Israel-Ekklesiologie? Bei Justinus übernehmen die Christen den Israel-Titel, berauben damit Israel und verdrängen es von seinem Platz. Sie sind, im Bilde des Apostels Paulus zu bleiben, ein neuer Ölbaum, der den alten verdrängt. 33 Justinus schreibt: Das wahre, geistige israelitische Geschlecht und (Geschlecht) Judas und Jakobs und Isaaks und Abrahams, dem von Gott als noch Unbeschnittenem ein Glaubenszeugnis ausgestellt und der gesegnet und Vater vieler Völker genannt wird, das sind wir. 34
Das Problem hier ist nicht, dass Justinus wie schon Paulus in den Gläubigen aus den Völkern die dem Abraham verheißenen Adoptivkinder erkennt, sondern, dass er sie das wahre Israel nennt und sie damit die leiblichen Kinder Abrahams als unwahre verdrängen lässt. Eine solche Ekklesiologie und Soteriologie ist nach dem ganzen Römerbrief unmöglich. 35 32
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Des Königs Gehorsam tritt unmittelbar stellvertretend für sein Volk ein. Das so in seiner Erwählung wieder angenommene Volk kann dann (mit seinem Messiaskönig als totus Christus) seine menschheitserlösende Funktion (Gen 12,1-3) wieder einnehmen. Vgl. Joh 11,51f.: „Weil er (sc. Kajaphas) der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde. Aber er sollte nicht nur für das Volk sterben, sondern auch, um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln.“ Freilich hatte Paulus in Gal 4,21-31 mit seiner allegorischen Lesung von Hagar und Sara, die er auf den Sinaibund und „das himmlische Jerusalem, unsere Mutter“ (v. 26) deutet, mit v. 30 einer Enterbungstheorie Vorschub geleistet. A MBROSIUS , Epistula 20,2 (CSEL 82/1: 146,11-147,28; bei Migne Ep. 77) und Ep. 66,1 (CSEL 82/2: 160,3-14; bei Migne Ep. 78), wird sich darauf beziehen. J USTINUS , Dial. Tryph. 11 (ed. Bobichon, 212; Üs. D. B.). Röm 9,6-8 spricht zwar manchen Israeliten dem Fleische nach den geistlichen Israel-Titel ab, macht damit aber nicht einen einzigen Goj zum Israeliten, gar „wahren“ Israeliten. Am ehesten käme für die Israel-Würde von Gojim Gal 6,16 in Frage, selbst hier aber nur für den Judenchristen angeschlossene Gojim.
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In Röm 9-11 bleibt der Apostel bei seiner Auffassung, die Völker seien durch den Messias auf Gottes Volk und die Väterverheißungen „aufgepfropft“ wie wilde Ölzweige auf einen edlen Ölbaum. Und dies, obwohl ein Teil der edlen Zweige zeitweilig ausgehauen wurde. Aber, so sagt Paulus abschließend: Am Ende wird ganz Israel gerettet werden. Im ganzen Kapitel hatte „Israel“ die Juden bezeichnet. Was versteht aber Augustinus in 11,26 unter omnis Israel? Augustinus schreibt: Und so wird ganz Israel gerettet, denn die, sowohl aus den Juden wie aus den Völkern, die nach dem Ratschluss berufen sind, sie sind in einem wahreren Sinn Israel […], jene aber nennt er Israel nach dem Fleische. 36
Nachdem das ganze Kapitel bisher über „Israel dem Fleische nach“ geredet hatte, soll in v. 26 auf einmal ein „wahreres Israel“, nämlich die Kirche gemeint sein. Ambrosiaster im 4. Jahrhundert versteht unter „Israel“ in v. 26 die Juden, meint aber, es würde ihnen nur die Verblendung, der unfreiwillige Irrtum genommen, so dass sie die Freiheit der Bekehrung und damit die Chance zur Rettung wieder bekämen. 37 Eine echte Wendung bringt hier Thomas von Aquin in seinem Römerbrief-Kommentar zu 11,25f. 38 Thomas setzt die augustinische Theorie, die Juden seien aus Gottes Plänen noch nicht entlassen, voraus. Nach Thomas wird am Ende buchstäblich ganz Israel gerettet, auch die heutigen Juden, denn das hatte Gott ihren Vätern zugesagt: „Denn Blindheit liegt auf Israel“, nicht insgesamt, sondern zu einem gewissen „Teil“. […] in der Folge bestimmt er ein Ende für diese Blindheit; […] später fügt er über die Heilung der Juden hinzu, wenn er sagt: „Und dann“, nämlich wenn die Fülle der Völker eingetreten ist, „wird ganz Israel gerettet“, nicht teilweise wie jetzt, sondern insgesamt alle. […] Darauf spricht er vom Heil, das den Juden durch Christus gebracht wird: […] er sagt aber „er wendet ab die Gottlosigkeit von Jakob“, um die Leichtigkeit der Bekehrung am Ende der Welt zu zeigen. […] Sie sind aber „von Gott sehr Geliebte wegen der Väter“, und das „gemäß der Erwählung“, weil er nämlich aus Gnade gegenüber den Vätern auch ihre Nachkommenschaft erwählte. […] Gott hat seit Ewigkeit aus Gnaden die Väter und die Kinder erwählt, in der Ordnung aber, dass die Kinder wegen der Väter das Heil 36
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A UGUSTINUS , Ep. 149,19 (CSEL 44: 365,12-16; Üs. D. B.): et sic omnis Israhel salvus fiet, quia et ex Iudaeis et ex gentibus, qui secundum propositum vocati sunt, ipsi verius sunt Israhel […] illos autem dicit Israhel secundum carnem. A MBROSIASTER , In epistulam ad Romanos 11 (CSEL 81/1: 383,5-11): copia tamen admissa gentium, abstergeretur caligo ab oculis mentis eorum, ut possint credere, ut […] reddat eis arbitrium liberum voluntatis, [ut] quia non de malivolentia erat incredulitas, sed de errore, emendarentur, ut postea salvarentur. Vgl. VLACH , Church, 58.
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erlangen; nicht als ob die Verdienste der Väter genügten zum Heil der Kinder, sondern wegen eines gewissen Überfließens der göttlichen Gnade und Barmherzigkeit sagt er das, die den Vätern insofern erwiesen wurde, dass wegen der an sie ergangenen Verheißungen auch die Kinder gerettet werden. Oder das „gemäß der Verheißung“ ist zu verstehen, insofern zu den aus jenem Volk erwählten, wie oben gesagt, die Erwählung gelangte. Wenn sie aber vom Herrn Geliebteste sind, dann ist es logisch, dass sie von Gott gerettet werden. […] Und wenn er dann sagt: „Denn reuelos sind Gaben und Berufung Gottes“, dann schließt er jeden Einwand aus. Es könnte nämlich einer einwenden, dass, auch wenn die Juden einstmals Geliebteste wegen der Väter waren, wegen der Feindschaft, die sie jetzt gegen das Evangelium üben, ausgeschlossen ist, dass sie in Zukunft gerettet werden. Aber der Apostel behauptet, dass das falsch ist – hoc Apostolus falsum esse asserit. 39
2.3 Die Abwendung von der Substitutionstheorie Die im 20. Jahrhundert sich schließlich bemerkbar machende entschiedene Abkehr von einer fast 2000-jährigen gewohnheitsmäßigen Judenfeindschaft christlicher Theologie hat mehrere Ursachen, von denen ich einige nur gerade nennen will, ohne ihre Zusammenhänge aufklären zu können. Da ist zum einen eine seit dem Mittelalter stärker werdende Tendenz, bei der Bibelauslegung dem sensus litteralis oder historicus nun wirklich den Vorrang zu lassen. Thomas von Aquin schreibt in der Summa Theologiae I q1 a 10 vom ersten Schriftsinn, qui est sensus historicus vel litteralis, dass der sensus spiritualis […] super litteralem fundatur, et 39
Üs. D.B. T HOMAS VON A QUIN , In epistolam ad Romanos 11, lectio IV, Opera omnia 13, Parma 1862, 115-117: Quia caecitas contigit in Israel, non universaliter, sed ex aliqua parte […] Secundo ponit terminum huius caecitatis, […] infra subdit de futuro remedio Iudaeorum, cum dicit: Et tunc, scilicet cum plenitudo Gentium intraverit, omnis Israel salvus fiet, non particulariter, sicut modo, sed universaliter omnes. […] Secundo ponit salutem per Christum Iudaeis oblatam, […] dicit autem, Avertat impietatem a Iacob, ad ostendendum facilitatem conversionis in fine mundi. […] Sed sunt carissimi Deo propter patres, et hoc secundum electionem, quia scilicet ob gratiam patrum, eorum semen elegit […] Deus ab aeterno elegit gratis et patres et filios; hoc tamen ordine ut filii propter patres consequerentur salutem; non quasi merita patrum sufficerent ad filiorum salutem; sed per quandam abundantiam divinae gratiae et misericordiae hoc dicit, quae intantum patribus est exhibita ut propter promissiones eis factas etiam filii salvarentur. Vel intelligendum est secundum electionem, id est quantum ad electos ex illo populo, sicut supra dictum est, electio consecuta est. Si autem sunt Domino carissimi, rationabile est, quod a Deo salventur […] Deinde cum dicit, Sine poenitentia enim sunt dona et vocatio Dei, excludit obviationem. Possit enim aliquis obviando dicere, quod Iudaei, etsi olim fuerint carissimi propter patres, tamen inimicitia quam contra Evangelium exercent, prohibet, ne in futurum salventur. Sed hoc Apostolus falsum esse asserit.
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eum supponit und weiter: dass „alle Schriftsinne auf einen einzigen gegründet sind, nämlich den litteralen, aus dem allein ein Argument gezogen werden kann, nicht aber aus dem, was allegorisch gesagt ist“40. Damit ist vielen antijudaistischen Allegoresen die Basis entzogen. Der Franziskaner Nikolaus von Lyra († 1349 in Paris) hat mit seinem Akzent auf den Wortsinn und seiner Heranziehung rabbinischer Auslegungen erheblichen Einfluss auf die christliche Schriftauslegung gewonnen – bis hin zu Renaissance und Reformation. Dieser effektive Vorrang des sensus historicus, der sich sehr deutlich schon zeigt bei den Barockexegeten des 16. und 17. Jahrhunderts 41 und schließlich zur historisch-kritischen Exegese führen wird, erlaubt es einerseits nicht mehr, nun jede Stelle, wie etwa die von Rebekkas Zwillingen, per allegoriam hauptsächlich als Verwerfung Israels zu lesen. Außerdem führt der effektive Vorrang des sensus historicus dazu, dass gegenüber vielen für das Christentum vereinnahmenden allegorischen Deutungen von Texten des Alten Testaments die Berechtigung der jüdischen litteralen Auslegung erst einmal anerkannt werden musste, ohne als Blindheit angeschwärzt werden zu können.42 Sodann: Es ist offensichtlich, dass der Schock der Schoa im 20. Jahrhundert in praktisch allen christlichen Denominationen zu einer selbstkritischen Überprüfung des herkömmlichen antijudaistischen Vorurteils in der Theologie geführt hat. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt in Nostra Aetate 4: Wenn auch die Kirche das neue Gottesvolk ist, sollen die Juden doch weder als verworfen (reprobati) noch als verflucht (maledicti) dargestellt werden, als ob das aus den Heiligen Schriften folge. 43 40
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Omnes sensus fundentur super unum, scilicet litteralem; ex quo solo potest trahi argumentum, non autem ex his quae secundum allegoriam dicuntur (S. th. I q1 a 10). Der Jesuitenexeget Cornelius a Lapide (1567-1637) widerspricht in seinem Römerbrief-Kommentar Augustinus und Hieronymus, die in Röm 11,26 unter „Israel“ die Kirche verstehen: Aliqui hic Israel non carnalem, sed spiritualem accipiunt […] Ita Theod. Aug. Hier. in c. 11 Isaie […] Verum patet toto hoc capite agere de Israele carnali, non spirituali. (C.A. L APIDE , Commentaria in omnes Divi Pauli Epistulas, secunda editio Veneta, Venedig 1718, 121). Nach I.J. Y UVAL , Zwei Völker in deinem Leib: gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter, Göttingen 2007, 99, spielt sich christliche Schriftauslegung in Nachfolge Philos weitgehend als Allegorese, als „zweites Stockwerk“ über dem Buchstaben ab. Beim jüdischen Midrasch dagegen spielt alles „im Erdgeschoss“. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt in LG 9 die Kirche nicht „neues Israel“, ohne Israel auch Kirche zu nennen: Sicut vero Israel secundum carnem, qui in deserto peregrinabatur, Dei Ecclesia iam appellatur (cf. 2 Esdr. 13,1; Num. 20,4; Deut. 23,1ss), ita novus Israel, qui in praesenti saeculo incedens, futuram eamque manentem civitatem inquirit (cf. Hebr. 13,14), etiam Ecclesia Christi nuncupatur.
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Schließlich ist der uralte Verweis auf das zerstörte Jerusalem und die Zerstreuung der Judenheit über die Erde als Ausweis der Verwerfung Israels seit der Staatsgründung 1948 irgendwie historisch obsolet geworden. 44 Innertheologisch schließlich ist die “new perspective on Paul” sehr bedeutsam geworden. Die überkommene Sichtweise las den Römerbrief und das ganze Corpus Paulinum durch die Brille der Fragestellungen der Reformatoren. Diese sahen, in Fortsetzung einseitiger Fragestellungen Augustins und der mittelalterlichen westlichen Theologie, bei Paulus Fragen individueller Prädestination, Gnadenwahl und Rechtfertigung behandelt. Die “new perspective on Paul”, anhebend mit den lutherischen und reformierten Theologen Krister Stendahl (1963), E.P. Sanders (1977) und James D.G. Dunn (1982), arbeitete heraus, dass Paulus nicht so sehr Fragen der Individualsoteriologie behandelt als vielmehr die im ganzen Neuen Testament grundlegende Frage: Wie kommt der Nichtisraelit in den Segen Abrahams? Was sind die Zutrittsbedingungen des unbeschnittenen Heiden zum schon existierenden Gottesvolk der Juden? Die soteriologischen Fragen Pauli sind grundlegend ekklesiologisch. Und seine Ekklesiologie ist wesentlich Israel-Ekklesiologie. Mit Paulus ist eine israelvergessene Ekklesiologie nicht möglich. Mit Paulus ist eine israelvergessene Soteriologie nicht möglich. Mit Paulus ist eine israelvergessene Christologie nicht möglich. Und das gilt nicht nur für Paulus. Dasselbe gilt für Lukas in Evangelium und Apostelgeschichte, für Matthäus. 45 Dasselbe galt sowieso immer schon für das ganze Alte Testament – immerhin allein fast 80% der Bibel. Das Alte Testament ist zwar nach verschiedenen Spielarten des Markionismus und der Gnosis dogmatisch weniger gewichtig als das Neue. Für die Katholische Kirche definiert das Trienter Konzil aber unzweideutig: Die hochheilige ökumenische und allgemeine Trienter Synode […] nimmt an und verehrt […] alle Bücher, des Alten wie Neuen Testaments, da beider Urheber der eine Gott ist, […] mit gleicher pflichtschuldiger Ergebenheit und Verehrung. 46 44 45
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Y UVAL , Zwei Völker, 133. G. L OHFINK , Jesus und die Kirche, in: W. Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 3, Tübingen-Basel 2 2000, 27-64; ebd., 35: „Auch die Rede von der ‚Ablösung‘ Israels durch die Kirche trifft deshalb keinesfalls die Intention des Matthäus“. Üs. D. B.; DH 1501: Sacrosancta oecumenica et generalis Tridentina Synodus omnes libros, tam Veteris quam Novi Testamenti, cum utriusque unus Deus sit auctor, […] pari pietatis affectu et reverentia suscipit et veneratur. Das war seit je (gegen Markion und die Gnosis) die orthodoxe Auffassung im Christentum. Vgl. A UGUSTINUS , De utilitate credendi
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Die früh aufgekommene und in verschiedenen Variationen herrschend gebliebene Substitutionstheorie hat in Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie zu einer Israelvergessenheit geführt, die sehr zum Schaden dieser zentralen Gebiete christlicher Theologie wurde und in Vergangenheit und Gegenwart zu Fehlinterpretationen des depositum fidei durch manche Strömungen in bestimmten Herausforderungen geführt hat.
3. DIE DOGMATISCHEN PROBLEME DER SUBSTITUTIONSTHEORIE 3.1 Christologie Eine Christologie, die nur mit den extremen Größen „Gottheit“ und „Menschheit“ agiert und dabei vergisst, dass vor der partikulären Inkarnation des Logos in einem einzigen Menschen die partikuläre Erwählung Israels steht, die das universale concretum 47 seit Jahrhunderten partikulär und historisch festlegt, eine solche israelvergessene Christologie wird in der Begegnung mit philosophischen Systemen des Hinduismus und Buddhismus Probleme bekommen. Denn Inkarnationen verursachen dort zwar kein Problem, wohl aber die einmalig geschichtliche, ans konkret Partikuläre gebundene. Eine israelvergessene Inkarnationstheologie, die mit der Erwählung jede Geschichtsbindung überspringt und nur zeitlose Naturen kennt, sieht nicht, dass der Logos nicht einfach nur Fleisch angenommen hat, sondern notwendig Fleisch aus dem partikulär erwählten Israel. Er ist nicht nur Mensch geworden, sondern Israelit, Jude; und das ist keine zufällige Bestimmung des Gottmenschen, sondern eine – seit Abraham – notwendige. Karl Barth schreibt: „er war notwendig Jude“48, mehr noch: Christus […] und dieses eine Volk Israel, das sind zwei nicht voneinander zu trennende Wirklichkeiten, nicht nur damals, sondern für die ganze Geschichte, ja für alle Ewigkeit. Israel ist nichts ohne Jesus Christus, aber man wird auch sagen müssen: Jesus Christus wäre nicht Jesus Christus ohne Israel. 49
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13: Testor […] nihil me existimare prudentius, castius, religiosius, quam sunt illae scripturae omnes, quas testamenti veteris nomine catholica ecclesia retinet (CSEL 25: 17,10-13). W. L ÖSER , „Universale concretum“ als Grundgesetz der oeconomia revelationis, in: W. Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 2, Tübingen-Basel 2 2000, 83-93. K. B ARTH , Dogmatik im Grundriß, München 1947, 87. Ebd., 84.
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Augustinus macht einmal eine Bemerkung, von der ich nicht sehe, dass er ihre systematische Bedeutung voll ausgeschöpft hätte. Aber er sieht eben etwas, wie das oft bei Genies ist: Gott ist Mensch geworden – aber indem er wurde, was er nicht war, nicht indem er verlor, was er war. So trat der Mensch zu Gott hinzu, damit Mensch der sei, der Gott war, nicht damit er jetzt Mensch sei und nicht Gott sei. Wir wollen also ihn auch als Bruder hören, die wir ihn als Schöpfer hörten, Schöpfer weil das Wort im Anfang, Bruder weil geboren aus der Jungfrau Maria; Schöpfer vor Abraham, vor Adam, vor der Erde, vor dem Himmel, vor allem Körperlichen und Geistigen, Bruder aber aus dem Samen Abrahams, aus dem Stamm Juda, aus einer israelitischen Jungfrau – ex virgine Israelitica. 50
Und ähnlich Gregor der Große: Die Mutter des Erlösers dem Fleische nach war die Synagoge (Redemptoris mater iuxta carnem Synagoga exstitit). 51
Wenn die Inkarnation als zugespitzte Partikularisierung nicht in der geschichtlichen Erwählung Israels als der grundlegenden Partikularisierung gründet, wird sie prinzipiell geschichtslos, beliebig, was Ort und Zeit angeht – und warum nicht auch wiederholbar, womöglich für jedes einzelne Volk? 3.2 Soteriologie „Christos-Maschiach“, „der Gesalbte“, ist ein Wechselbegriff für den König von Israel. „König“ ist ein Relationsbegriff. Denn König ist man nicht „an sich“, sondern für ein Königreich, ein Volk. Ein König ohne Volk ist kein König, sondern ein Ex-König. Ein Maschiach ohne Israel ist kein Maschiach. Ein Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum – sine Iudaeis ist kein Rex. Der regiert niemanden und der rettet auch niemanden. Ganz richtig bemerkt einst Augustinus: Alle Nationen glauben an den König der Juden: er regiert über alle Nationen, aber eben doch als König der Juden. 52 50
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Üs. D. B.; A UGUSTINUS , In Iohannis Evangelium XXI 7 (CCL 36: 216,3-11): Deus factus est homo; sed factus quod non erat, non amittens quod erat. Ergo accessit homo Deo, ut esset homo qui erat Deus, non ut iam homo esset, et non esset Deus. Audiamus ergo eum et fratrem, qui audiebamus conditorem, conditorem quia Verbum in principio, fratrem quia natum ex virgine Maria; conditorem ante Abraham, ante Adam, ante terram, ante caelum, ante omnia corporalia et spiritalia, fratrem autem ex semine Abrahae, ex tribu Iuda, ex virgine Israelitica. GREGOR D . GR ., Moralia in Iob II 36 (CCL 143: 96f.). A UGUSTINUS , Sermo 128, 7 (PL 38: 1086): Omnes gentes credunt in regem Iudaeorum: omnibus gentibus regnat, sed tamen rex Iudaeorum.
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Auch die Gottheit des Gottmenschen kommt zu ihrem soteriologischen Ziel nur durch ein „Reich Gottes“, in das die anderen Menschen sich inkorporieren lassen können, um von der Gottheit des Gottmenschen erfasst zu werden. Ein Logos, der die Menschennatur annimmt, hat damit allein noch keinen einzigen konkreten Menschen erlöst. Dazu muss er ein konkretes kollektives Corpus haben, in das Menschen sich inkorporieren lassen können, um so vermittels der von ihm angenommenen Menschheit von der Gottheit erfasst zu werden. Eine Soteriologie, die israelvergessen den individuellen Goj solo Christo israelfrei retten will, wird am Ende eine Soteriologie ohne Ekklesiologie sein. Die Kirche hat den Fehler eines solus Christus sine populo nie gemacht. Augustinus etwa spricht von Christus nie nur als einem Individuum, sondern weiß, dass er ein Retter nur sein kann, wenn er eine kollektive Seite hat, wenn der König ein Volk, das Haupt einen Leib hat. Nur als caput cum corpore ist er totus Christus und kann membra retten durch Inkorporation. Augustinus wörtlich: Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Jenem Fleisch wird die Kirche verbunden, und so entsteht der ganze Christus, Haupt und Leib. 53
Solus Christus als Individuum kann niemanden retten. Das kann solus Christus nur als totus Christus im Sinne Augustins. Es wird aber in der Kirchengeschichte nicht an Irrlehren fehlen, die glauben, die Bibel lehre die Rettung von Individuen solo Christo sine populo Dei, indem etwa ein Individuum „Jesus als seinen persönlichen Herrn und Heiland annimmt“. Das ist unbiblisch. Die Heilige Schrift kennt keine individualistische Soteriologie, in der ekklesia nur eine nach dem Rettungsvorgang (solo Christo capite) sich sekundär und nachgeordnet ergebende Größe wäre. Dann wäre in unbiblischem Christomonismus, zu dem die westkirchliche Theologie leider immer einen gewissen Hang hatte, die Kirche nur eine Funktion des Christus, nicht aber umgekehrt der König auch eine Funktion des Volkes. Jesus hat aber das Gottesvolk nicht gegründet, sondern vorgefunden. 54 53
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A UGUSTINUS , In Iohannis epistulam ad Parthos I 2 (BA 76: 68): Verbum caro factum est et habitavit in nobis. Illi carni adiungitur Ecclesia, et fit Christus totus, caput et corpus. G. L OHFINK , Die Sammlung Israels, München 1975. Die Kammer für Theologie der EKD schreibt 2003 in ihrem Text „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ (EKD Texte 77) unter der Nr. 3.2: „Nach christlichem Verständnis ereignet sich die Wahrheit in der Offenbarung des lebendigen, von der Sünde errettenden Gottes in Jesus Christus, der durch das Wirken des Heiligen Geistes den
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Wäre die Soteriologie nicht über Jahrhunderte so israelvergessen gewesen, wäre sie nicht in manchen Irrlehren so kirchenlos geworden.
3.3 Ekklesiologie Eine israelvergessene Ekklesiologie, die davon ausgeht, Gott könne seine erste Liebe verwerfen und eine neue wählen, kann sich im Prinzip immer neue Kirchengründungen vorstellen. 55 Eine israelvergessene Ekklesiologie, die vergisst, dass Gottes Volk in Jesus gipfelt, aber nicht begründet wird, 56 wird immer in Gefahr sein anzunehmen, Kirche sei eine je neu sich konstituierende Größe. Und es kam ja auch in der Kirchengeschichte zu Auffassungen, nach denen Individuen, die ihr Jesusglaube zusammenführt, dann „von unten“ je neu Kirche bilden
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freimachenden Glauben schafft. […] Damit ist aber nicht nur ein Unterschied, sondern auch ein Gegensatz zu anderen Religionen gegeben. Er wird darin sichtbar, dass andere Religionen aufgrund anderer religiöser Erfahrungen Jesus Christus nicht als Ereignis der Wahrheit anzuerkennen vermögen, in dem sich die Rettung der ganzen Welt vollzogen hat und vollzieht. Die bleibend schmerzende Urform dieses Gegensatzes ist die Ablehnung Jesu Christi als entscheidendes, Menschen errettendes Ereignis der Wahrheit im Judentum“ (Hervorhebungen ebendort). Wenn das Judentum, das auch nach der Ablehnung Jesu „die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, das Gesetz, den Gottesdienst, die Verheißungen und die Väter“ hat (Röm 9,4f.), als eine dem Christentum gegenüber andere Religion, ja Urform des Gegensatzes zwischen Christentum und allen anderen Religionen definiert werden soll, ist damit die Bibel als Glaubensbasis verlassen. W. PANNENBERG, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen 1993, 509f.: „[Es] wurde in der Regel übersehen, dass im Neuen Testament nirgends von der Kirche als dem ‚neuen‘ Volk Gottes gesprochen wird, diese Ausdrucksweise vielmehr erst auf den Barnabasbrief (5,7; 7,5) zurückgeht […]. […] Diese Vorstellung [des Barn: sc. Israel sei gar nie Gottes Volk gewesen] wurde seit Melito von Sardes und Hippolyt von Rom gemildert zu der Auffassung einer heilsgeschichtlichen Ablösung Israels als Gottesvolk durch die Kirche in ihrer Eigenschaft als ‚neues‘ Gottesvolk. Doch auch mit dieser bis in die jüngste Zeit wirksam gebliebenen Substitutionsthese ist das Urteil verbunden, daß das jüdische Volk gegenwärtig nicht mehr als Gottesvolk zu betrachten ist. Die Ausführungen des Apostels Paulus im Römerbrief über die Erwählung Israels hatten in eine ganz andere Richtung gewiesen. Hier stellte Paulus die Frage, ob die Ablehnung des Evangeliums von Jesus Christus durch die Mehrheit des jüdischen Volkes etwa bedeute, daß Gott sein Volk verstoßen habe (Röm 11,1). Die Frage wurde nur gestellt, um sofort emphatisch verneint zu werden: Wie könnten die Christen der Dauerhaftigkeit ihrer vergleichsweise neuen Zugehörigkeit zum Kreis der Erwählten Gottes gewiß sein, wenn Gott nicht trotz des Unglaubens Israels seinerseits treu an seiner Erwählung festhalten würde?“ T HOMAS V. A QUIN , S. th. III q8 a3: Et ita Patres antiqui pertinebant ad idem corpus Ecclesiae ad quod nos pertinemus. Das war schon die Lehre Augustins in De civitate Dei.
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könnten. Im Neuen Testament aber ist Kirche aus den Heiden indispensabiliter eine Aufpfropfung auf Israel. In der Bibel ist das Volk Gottes jedem einzelnen Gläubigen präexistent. Gott hat sein Volk ein einziges Mal selbst begründet und dann nie mehr wieder. Das tat er ein für allemal in der Person Abrahams. 57 Seither ist für jeden einzelnen Angehörigen des Gottesvolkes, sei er als Jude geborenes Kind Abrahams, sei er als Völkerchrist per adoptionem hineingetauft, Gottes Volk eine vorgegebene Größe, in die der einzelne eingefügt wird. Es ist etwas Größeres, Älteres, von Gott selber seit nunmehr Jahrtausenden Vorgegebenes. Biblische Kirche kann nie eine Menschengründung sein. Ekklesiologien, die die sichtbare Gestalt der Kirche für ein dem göttlichen Erlösungsvorgang nachgeordnetes Menschenwerk halten, konnten nur entstehen, weil die ekklesiologische Reflexion der Kirche zu lange israelvergessen war. 58
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A UGUSTINUS , Adv. Iud. VI 7 (PL 42: 55): Non enim Christus aliam [vineam] plantavit, sed ipsam, veniendo, in melius commutavit. […] eandem ipsam locabit aliis agricolis. Eadem namque est sanctorum societate civitas Dei et congregatio filiorum promissionis. […] Neque quia fracti sunt infideles et superbi, ac per hoc infructuosi rami, ut insereretur oleaster Gentium, ideo perire potuit radix Patriarcharum et Prophetarum. […] Per hunc filium hominis, id est Christum Iesum, et de suis reliquis, hoc est Apostolis, et aliis multis, qui ex Israelitis in Christum Deum crediderunt, accedente plenitudine Gentium, vinea sancta perficitur. Wenn Cyrill von Alexandrien in seinem Johanneskommentar, Buch XII (ed. Pusey 130f.; PG 74: 707-710), zu Joh 20,21 das Apostelamt kommentiert und, wie der Vers es nahelegt, das Apostelamt beschreibt als Sendung durch den Gesandten Gottes, dann aber doch noch mehr Bestimmungen aus dem Evangelium heranträgt (berufene Sünder etc.), fragt man sich am Ende, ob nach dieser Definition Jesus nicht genauso gut 15 Perser hätte wählen können, um die Welt zu belehren. So israelvergessen ist der Bischof von Alexandrien, dass ihm nicht einfällt, dass das NT mit der Sammlung von zwölf Angehörigen des Zwölfstämmevolkes eine israel-ekklesiologische Aussage ersten Ranges macht. Tatsächlich hat die Kirche ihre bleibende Israelverwiesenheit unter anderen Themen, meist ohne den Namen „Israel“ zu nennen, reflektiert (und praktiziert): Das Bischofsamt in apostolischer Sukzession drückt das Wissen aller apostolischen Kirchen aus, dass sie auf dem Zwölfstämmefundament stehen und geradezu „physisch“ an Israel zurückgebunden werden müssen. Nicht einmal eine Teilkirche kann israelfrei gegründet werden. Auch ist „Mariologie“ (gerade auch als Teil der Ekklesiologie) nicht nur ein Nachdenken über die Herkunft des „Leibes Christi“, sondern auch über den israelitischen Anfang der Kirche (vgl. D. B ÖHLER , Maria – Tochter Zion. Die Bedeutung der Mutter Jesu nach der Heiligen Schrift, in: Geist und Leben 78 [2005] 401-412; G. L OHFINK /L. W EIMER , Maria – nicht ohne Israel. Eine neue Sicht der Lehre von der unbefleckten Empfängnis, Freiburg 2008). Ein Titel wie Mater ecclesiae drückt dann auch etwas über die Israelabkunft der völkerumspannenden Kirche aus. Selbst missverständliche Theologoumena wie das von Maria als Corredemptrix deuten Richtiges an, wenn bedacht wird, dass Christus caput ohne „sie“ (Israel-Ecclesia-Maria) niemanden erlöst.
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Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen dass in den Pontifikaten Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. das oberste Lehramt wieder für eine Wahrheit einsteht, die wir immer gebetet, aber lange nicht genug geglaubt haben: Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem, dann soll mir die rechte Hand verdorren. (Ps 137,5)
Literatur Quellen (Antike) AMBROSIASTER, In epistulam ad Romanos, recensuit Henricus Iosephus Vogels (CSEL 81/1), Wien 1966. AMBROSIUS, Expositio Evangelii secundum Lucam, cura et studio M. Adriaen (CCL 14), Turnhout 1957. —, Epistulae et Acta, Tom. I. Epistularum libri I-VI. recensuit Otto Faller (CSEL 82/1), Wien 1968; Tom. II. Epistularum libri VII-VIIII (sic). Post Ottonem Faller recensuit Michaela Zelzer (CSEL 82/2), Wien 1990. AUGUSTINUS, Enarrationes in Psalmos (Pss 1-50), post Maurinos textum edendum curaverunt D. Eligius Dekkers et Iohannes Fraipont (CCL 38), Turnhout 1956. —, In Iohannis Evangelium Tractatus, post Maurinos textum edendum curavit D. Radbodus Willems (CCL 36), Turnhout 1954. —, In Iohannis epistulam ad Parthos tractatus decem. Texte critique de John William Mountain. Traduction de Jeanne Lemouzy. Introduction et notes de Daniel Dideberg (BA 76), Paris 2008. —, De Civitate Dei (libri XI-XXII), ad fidem quartae editionis Teubnerianae quam […] curaverunt Bernardus Dombart et Alphonsus Kalb […] (CCL 48), Turnhout 1955. —, De utilitate credendi, recensuit Josephus Zycha (CSEL 25), Wien u.a. 1891. —, Adversus Iudaeos (PL 42: 51-64), Paris 1886. —, Sermones (PL 38), Paris 1865. —, Epistulae (epp. 124-184), recensuit et commentario critico instruxit Al. Goldbacher (CSEL 44), Wien u.a. 1904. Barnabasbrief (Épître de Barnabé). Introduction, traduction et notes par Pierre Prigent. Texte grec établi et presenté par Robert A. Kraft (SC 172), Paris 1971. CYRILL VON ALEXANDRIA, In D. Ioannis Evangelium, Tom. 3, edidit post Aubertum Philippus Eduardus Pusey, Oxford 1872. GREGOR DER GROSSE, Moralia in Iob (libri I-X), cura et studio Marci Adriaen (CCL 143), Turnhout 1979.
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Dokumente Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen. Theologische Leitlinien, ein Beitrag der Kammer für Theologie der EKD, hg. vom Kirchenamt der EKD (EKD Texte 77), Hannover 2003. Leitlinien für das Gebet bei Treffen von Christen, Juden und Muslimen. Eine Handreichung der deutschen Bischöfe, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 170), Bonn 22008. Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen. Erklärung des Gesprächskreises „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken vom 9. März 2009, Bonn 22009. (Http://www.zdk.de/ data/erklaerungen/pdf/Nein_zur_Judenmission_2009_03_09_%28Broschuere%29_1238657494.pdf)
Sekundärliteratur BARTH, KARL, Dogmatik im Grundriß, München 1947. BÖHLER, DIETER, Maria – Tochter Zion. Die Bedeutung der Mutter Jesu nach der Heiligen Schrift, in: Geist und Leben 78 (2005) 401-412. BRUCE, FREDERICK F., 1 & 2 Thessalonians (WBC 45), Nashville 1982. HAUFE, GÜNTER, Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher (ThHK 12/1), Leipzig 1999. HOLTZ, TRAUGOTT, Der erste Brief an die Thessalonicher (EKK 13), Zürich u.a. 1986.
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HVALVIK, REIDAR, A ‚Sonderweg‘ for Israel. A Critical Examination of a Current Interpretation of Romans 11.25-27, in: Journal for the study of the New Testament 38 (1990) 87-107. LÖSER, WERNER, „Universale concretum“ als Grundgesetz der oeconomia revelationis, in: Walter Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 2, Tübingen-Basel 22000, 83-93. LOHFINK, GERHARD, Die Sammlung Israels, München 1975. —, Jesus und die Kirche, in: Walter Kern u.a. (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 3, Tübingen-Basel 22000, 27-64. — /WEIMER, LUDWIG, Maria – nicht ohne Israel. Eine neue Sicht der Lehre von der unbefleckten Empfängnis, Freiburg 2008. MUßNER, FRANZ, Dieses Geschlecht wird nicht vergehen. Judentum und Kirche, Freiburg u.a. 1991. PANNENBERG, WOLFHART, Systematische Theologie, Bd. 3, Göttingen 1993. RICHARD, EARL J., First and Second Thessalonians (Sacra Pagina 11), Collegeville 1995. RUETHER, ROSEMARY, Nächstenliebe und Brudermord: die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978. SPAEMANN, ROBERT, „Gott ist kein Bigamist“, in: FAZ vom 20. April 2009. THEOBALD, MICHAEL, Der Römerbrief (EdF 294), Darmstadt 2000. VLACH, MICHAEL J., The Church as a Replacement of Israel: An Analysis of Supersessionism (EDIS 2), Frankfurt u.a. 2009. YUVAL, ISRAEL JACOB, Zwei Völker in deinem Leib: gegenseitige Wahrnehmung von Juden und Christen in Spätantike und Mittelalter, Göttingen 2007.
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Ist Gottes Name austauschbar? Spätantike Reflexionen Nach meiner Meinung macht es keinen Unterschied, ob man Zeus den Höchsten nennt oder Zen oder Adonaios oder Sabaoth oder Amun wie die Ägypter oder Papaios wie die Skythen.
Diese Worte formulierte um 200 n.Chr. der Mittelplatoniker Kelsos in seinem Alethes Logos. 1 Heute werden sie in Abhandlungen zur Kritik am Monotheismus als Ausdruck religiöser Offenheit zitiert. 2 Die inzwischen also wieder zu Ehren kommende Position des Kelsos war bereits im 3. Jahrhundert Gegenstand der Kritik, speziell der des christlichen Theologen Origenes (ca. 185-253 n.Chr.). Mit welchen Mitteln und welchem geistesgeschichtlichen Hintergrund Origenes argumentierte, soll im Folgenden untersucht werden, nachdem zunächst ein kurzer Überblick über die zentralen Thesen des Alethes Logos sowie über Aussagen weiterer antiker Verfechter der Austauschbarkeit von Gottesnamen gegeben wurde, in deren Rahmen das zitierte Kelsos-Wort sich einfügt. In einem eigenen dritten Abschnitt ist nach der Bedeutung des Glaubens an die Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte für die Lehren von der (Nicht-)Austauschbarkeit der Gottesnamen bei Kelsos und Origenes zu fragen, und schließlich nach der Relevanz ihrer Auseinandersetzung für heutige Diskussionen.
1
2
Fr. V 41 (SC 147: 122,13-15). Übersetzungen, wenn nicht anders angegeben, vom Verf. Die Fragmente des Alethes Logos sind enthalten in O RIGENES , Contra Celsum (= CC). Origenes versteht in der zitierten Aussage des Kelsos „den Höchsten“ als Objekt, „Zeus“ als Prädikatsnomen (so in der antizipierenden Paraphrase von fr. V 41 in CC I 24). Die Formulierung des Kelsos ist allerdings nicht eindeutig. Zum Alethes Logos s.v.a. H.E. LONA , Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos, Freiburg-Basel-Wien 2005 (Lit.); zu Contra Celsum z.B. G. D ORIVAL , Celso (Contro), in: Origene. Dizionario: la cultura, il pensiero, le opere, a cura di A. Monaci Castagno, Rom 2000, 67-71. Z.B. J. A SSMANN, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München-Wien 2003, 33; vgl. D ERS ., Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, Darmstadt 1998, 81.
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1. ZUR THESE DER AUSTAUSCHBARKEIT VON GOTTESNAMEN: KELSOS UND GEISTESGESCHICHTLICHE HINTERGRÜNDE Kelsos’ Aussage über die austauschbaren Namen des höchsten Gottes ist Teil eines General-Angriffs auf den jüdischen (und indirekt auch christlichen) Erwählungs-Gedanken. Nach Kelsos können die Juden keine höhere Weisheit, keine älteren Gesetze und Bräuche sowie keine stärkere Zuneigung und Zuwendung Gottes beanspruchen als andere Völker.3 Die Verwandtschaft zwischen den Überlieferungen der ältesten Völker zeige, dass eine gemeinsame „wahre Lehre“ (von Gott und dem Kosmos) existiere, an der die unterschiedlichen Völker in je eigener Weise Anteil hätten.4 Dass nach Kelsos grundsätzlich alle Menschen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, denselben höchsten Gott anrufen können, ist eine Konsequenz dieser gemeinsamen Lehre. Der höchste Gott – die erste Ursache aller Erkenntnis, all dessen, was geistig erkannt werden kann, 5 und letztlich all dessen, was existiert 6 – ist in den Augen des Kelsos absolut transzendent, „nicht mit dem Wort zu erreichen“, „nicht mit einem Namen zu benennen“ (οκ νομαστ ς)7 und nur „durch eine gewisse unaussprechliche Kraft erkennbar“8. Zwischen der Namenlosigkeit des höchsten Gottes und der Vielfalt und Austauschbarkeit seiner Namen besteht „für den Philosophen kein Widerspruch […] – im Gegenteil: Die grundsätzliche Namenlosigkeit gibt die historischen Namen der Götter als beliebig frei.“ 9 Indem Kelsos „in einer dem Hellenismus geläufigen Weise unterschiedliche Götternamen der Völker als volksbedingte Bezeichnungen ein und derselben göttlichen Wirklichkeit ansieht“, findet er „einen Weg, Philosophie und Bejahung der polytheistisch geprägten Frömmigkeit der Alten Welt miteinander zu verbinden“10. Wie für den höchsten Gott wird von Kelsos auch für untergeordnete Götter und Dämonen die Möglichkeit von Namensübertragungen 3 4 5 6
7 8 9
10
Fr. V 41. Fr. I 14. Fr. VII 45. Fr. VI 65; für die Entstehung alles Sterblichen sind allerdings Zwischenwesen zuständig, die ihrerseits dem höchsten Gott ihre Existenz verdanken (s. fr. IV 52). Fr. VI 65. Fr. VII 45. H. C ONZELMANN, Heiden, Juden, Christen: Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistisch-römischen Zeit (BHTh 62), Tübingen 1981, 94. T H . B AUMEISTER , Gottesglaube und Staatsauffassung – ihre Interdependenz bei Celsus und Origenes, in: Theologie und Philosophie 53 (1978) 161-178, 163.
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vorausgesetzt. So zitiert er Herodot mit der Feststellung, „dass die Skythen den Apollo Gongosyros nennen, den Poseidon Thagimasada, die Aphrodite Argimpasa und die Hestia Tabiti“11. Für seine Position zur Austauschbarkeit von Gottesnamen konnte Kelsos weitgehend mit Zustimmung rechnen. Nach dem Bericht des Augustinus vertrat bereits Varro (116-27 v.Chr.) die Meinung, es mache keinen Unterschied, wenn man den Gott der Juden Jupiter nenne, solange man „dieselbe Wirklichkeit (darunter) versteht“12. Die Identifikation fremder Gottheiten mit solchen des eigenen Pantheon ist in der Antike bekanntlich allgemein verbreitet. Die schlichteste Form begegnet etwa in Tacitus’ Germania, wo sich erstmals der zum terminus technicus gewordene Ausdruck interpretatio Romana findet: Hier heißt es von zwei germanischen Gottheiten, es handle sich – interpretatione Romana – um Kastor und Pollux. 13 Eine interpretatio Graeca erscheint, wie gesehen, bereits bei Herodot. Die Identifikation von Gottheiten besiegter Völker und eroberter Religionen mit eigenen Göttern – und somit ihre offizielle Anerkennung – ist ein Charakteristikum römischer Religionspolitik, der es dabei allerdings nicht nur um das Verständnis fremder Götter geht, sondern auch um deren – bei Bedarf gewaltsame – Vereinnahmung.14 Die Gleichsetzung von Gottheiten und die damit verbundene Austauschbarkeit ihrer Namen sowie ein bewusster Verzicht darauf, den höchsten Gott mit konkreten Namen zu benennen, sind schließlich Konse11
12
13
14
Fr. VI 39 (SC 147: 272,6-9); vgl. H ERODOT, Historiae IV 59. In fr. VI 39 (272,2-6) postuliert Kelsos explizit eine entsprechende Austauschbarkeit für DämonenNamen. Vgl. M. F ÉDOU , Christianisme et religions païennes dans le Contre Celse d’Origène, Paris 1988, 241f. Varro, so Augustinus, sei wohl dadurch „in Schrecken versetzt“ worden, dass Jupiter der höchste Gott ist, den die Römer verehren. Da er sich keinen höheren Gott vorstellen konnte, habe er Jupiter mit dem Gott der Juden identifiziert (De consensu evangelistarum I 22,30; CSEL 43: 28,16-20): Varro autem ipsorum, quo doctiorem apud se neminem inveniunt, deum Iudaeorum Iovem putavit nihil interesse censens, quo nomine nuncupetur, dum eadem res intellegatur, credo illius summitate deterritus. Germania 43. Vgl. F. GRAF, Interpretatio, II. Religion, in: Der Neue Pauly 5 (1998) 1041-1043, 1041. J. W EBSTER , ‘Interpretatio’: Roman Word Power and the Celtic Gods, in: Britannia 26 (1995) 153-161, 160: “Deity naming, and deity syncretism, are manifestations of power […]. Foreign gods were not simply viewed in terms of the Roman pantheon – they were converted to it by force.” Vgl. C.B. K REBS , Negotiatio Germaniae: Tacitus’ Germania und Enea Silvio Piccolomini, Giannantonio Campano, Conrad Celtis und Heinrich Bebel, Göttingen 2005, 51: „Die Grenzen zwischen dem hierin (sc. in der interpretatio Romana, speziell des germanischen Wodan als Merkur; Anm. J. A.) zum Ausdruck kommenden kulturellen Imperialismus und der wissenschaftlichen Methode zum Verständnis fremder Kulte sind zweifelsohne fließend.“
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quenzen von Bestrebungen, eine integrierende Einheitsreligion zu etablieren, wie sie insbesondere seit dem 3. Jahrhundert nachweisbar sind. Auch zur Zeit Konstantins bleiben Gottesbezeichnungen in offiziellen und panegyrischen Texten vage und für unterschiedliche Interpretationen offen – selbst wenn summa divinitas in der persönlichen Sicht des Kaisers kein „Sammelbegriff für alles Göttliche“ gewesen sein mag.15 Außer einer Relativierung einzelner Religionen folgt aus den paganen Bemühungen um eine Einheitsreligion auch eine Betonung der Unbegreiflichkeit des Göttlichen. So wird der römische Stadtpräfekt Symmachus 384 n.Chr. im Streit um den Victoria-Altar argumentieren: Es ist recht und billig, was alle verehren, für Eines zu halten, was immer es sein mag. Wir schauen zu denselben Sternen empor, der Himmel ist uns gemeinsam, dasselbe Weltall umhüllt uns. Was liegt daran, nach welcher Weisheitslehre jeder die Wahrheit sucht? Auf einem einzigen Weg kann man nicht zu einem so bedeutenden Geheimnis gelangen.16
Mit dem Zusatz: „Doch das sind Erörterungen von Leuten, die Zeit und Muße haben.“ Dass ein und dieselbe Gottheit von unterschiedlichen Völkern unter je anderem Namen verehrt wird, ist auch Grundannahme verschiedener Kulte, ganz besonders des Isis-Kults. Die Vielnamigkeit wird als solche zu einem Attribut der Göttin: in Aretalogien wird sie als polyonymos oder gar myrionymus bezeichnet.17 Dadurch, dass Isis Namen wie auch Eigenschaften und Funktionen anderer Götter an sich zieht, erhält sie quasi den Status einer Universalgöttin.18 So präsentiert sie sich in den Metamorphosen des Apuleius (ca. 125-180 n.Chr.) dem Roman-Helden Lucius mit den Worten: 15
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17
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K.M. GIRARDET, Die Konstantinische Wende. Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Konstantins des Großen, Darmstadt 2006, 96f. (ausdrücklich gegen die in der Forschung verbreitete Ansicht). Eadem spectamus astra, commune caelum est, idem nos mundus involvit; quid interest qua quisque prudentia verum requirat? Uno itinere non potest perveniri ad tam grande secretum (Relatio III 10 [CSEL 82,3: 27,90-93]; Übersetzung, geringfügig verändert, nach H. Tränkle [FC 100: 87, auch zum Folgenden]). Z.B. PLUTARCH , De Iside 53. Weitere Belege in T. H OPFNER , Plutarch über Isis und Osiris, 2. Nachdr. der Ausg. Prag 1940-41, Hildesheim-Zürich-New York 1991, Teil 2, 228f. U. Bianchi plädiert dafür, die Bezeichnung „Universalgott“ im strengen Sinn der Gottheit in einer monotheistischen Religion vorzubehalten, bei Göttern wie Sarapis dagegen von einer „kosmopolitischen Gottheit“ zu sprechen (Il dio cosmico e i culti cosmopolitici, in: Mythos. Studi in onore di M. Untersteiner, Genua 1970, 97-106, 100). Zur Übertragbarkeit auf Isis vgl. J.G. G RIFFITHS , in: Apuleius of Madauros, The Isis-Book (Metamorphoses, Book XI). Edited with an Introduction, Translation and Commentary, Leiden 1975, 144.
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Schau, da bin ich, Lucius, […] ich, die Mutter aller Natur, die Herrin aller Elemente, […] die Höchste unter den Gottheiten, […] die eine Gestalt aller Götter und Göttinnen […]: (ich,) deren Gottheit als einzige in vielerlei Form, in verschiedenartigen Riten, unter vielfältigen Namen (nomine multiiugo) der ganze Erdkreis verehrt. Daher nennen mich die erstgeborenen Phryger Pessinuntia, Mutter der Götter, daher die Ureinwohner Attikas kekropische Minerva, daher die Meer-umfluteten Zyprier paphische Venus, die pfeiltragenden Kreter dictynnische Diana, die dreisprachigen Sizilier stygische Proserpina, die Eleusinier uralte Göttin Ceres, andere Juno, andere Bellona, diese Hekate, jene Rhamnusia, und die Äthiopier und Afrikaner, die durch die ersten Strahlen des Sonnengotts bei seiner Geburt erleuchtet werden, und die Ägypter, die durch uralte Lehre hervorragen und mich in eigenen Zeremonien verehren, nennen mich mit dem wahren Namen (vero nomine) Königin Isis.19
Apuleius imitiert hier offensichtlich einen Kult-Hymnus.20 Vergleichbare Namens-Übertragungen finden sich in den schon genannten Isis-Aretalogien.21 Auch die Spannung zwischen den vielfältigen Namen und dem einen wahren Namen der Göttin entspricht verbreiteten Anschauungen, auf die später noch einzugehen ist. Zunächst ist festzuhalten, dass die Entwicklung der Isis zur Allgöttin zweifellos auch durch philosophische, speziell stoische, Vorstellungen begünstigt wurde.22 Als Gottheit, die „die Gestalt (aller) Götter und Göttinnen in einer einzigen Gestalt“ vereinigt (deorum dearumque facies uniformis), entspricht Isis der Suche nach der „‚Idee des Göttlichen‘ hinter den einzelnen Göttergestalten“23. 19
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Metamorph. XI 5 (ed. Griffiths 74,9-22): En adsum […], Luci, […] rerum naturae parens, elementorum omnium domina, […] summa numinum, […] deorum dearumque facies uniformis […]: cuius numen unicum multiformi specie, ritu vario, nomine multiiugo totus veneratur orbis. Inde primigenii Phryges Pessinuntiam deum matrem, hinc autocthones Attici Cecropeiam Minervam, illinc fluctuantes Cyprii Paphiam Venerem, Cretes sagittiferi Dictynnam Dianam, Siculi trilingues Ortygiam Proserpinam, Eleusinii vetustam deam Cererem, Iunonem alii, Bellonam alii, Hecatam isti, Rhamnusiam illi, et qui nascentis dei Solis inchoantibus inlustrantur radiis Aethiopes Afrique priscaque doctrina pollentes Aegyptii caerimoniis me propriis percolentes appellant vero nomine reginam Isidem. GRIFFITHS , Apuleius, 146. Vgl. A NONYMUS , Hymnus in Isim, in: Supplementum Epigraphicum Graecum 8 (1937) Nr. 548, Z. 23f.: „Du allein bist alle anderen Göttinnen, die von den Völkern mit Namen genannt werden“ (μο νη ε σ πασαι α π τν θνν νομαζ μεναι θεα λλαι). GRIFFITHS , Apuleius, 140: “Stoicism […] doubtless played its part in the evolution of Isis Panthea”; vgl. ebd., 141. M. GIEBEL , Das Geheimnis der Mysterien, Düsseldorf-Zürich 2000, 163f. Sofern im Blick auf den Isis-Kult von monotheistischen Tendenzen gesprochen wird, ist dies allerdings nicht uneingeschränkt zutreffend: Die anderen Götter werden nicht ne-
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Die Überzeugung, dass die Menschen unterschiedlicher Regionen und Völker eine „gemeinsame Vorstellung“ (κοιν ννοια) von der Gottheit haben und dass Götternamen austauschbar sind, ist, ähnlich wie bei Apuleius, schon bei Plutarch (ca. 45-125 n.Chr.) anzutreffen. In seinem Werk Isis und Osiris bemerkt er: (Wir unterscheiden) nicht andere Götter bei anderen Völkern, auch nicht ungriechische und griechische oder südliche und nördliche. Sondern, wie Sonne und Mond, Himmel, Erde und Meer allen Menschen gemeinsam sind, von jedem aber anders benannt werden (νομ ζεται δ’ λλως π’ λλων), so gibt es auch nur eine einzige göttliche Vernunft (λ γος), die diese Dinge ordnet, nur eine einzige waltende Vorsehung und Dienste leistende, über alles gesetzte Mächte; ihnen wurden aber bei den verschiedenen Völkern, dem Brauchtum entsprechend, verschiedene Ehren und Benennungen (προσηγορ%αι) zuteil.24
Vergleichbare Auffassungen finden sich sogar in einem antiken Text jüdischen Ursprungs, dem pseudepigraphischen Aristeasbrief (ca. 130-100 v.Chr.). Der alexandrinische Jude Aristeas setzt sich darin bei König Ptolemaios II. für die Juden ein, indem er sagt, sie verehrten „denselben Gott, den Souverän und Schöpfer aller Dinge, den auch alle (anderen) Menschen verehren, nur dass wir selbst, o König, ihn mit anderen Namen nennen: Zen und Zeus“25. Wie schon diese knappe und keineswegs vollständige Zusammenstellung zeigt, steht Kelsos’ Aussage über die Austauschbarkeit der Namen des höchsten Gottes nicht isoliert da. Sie entspricht kultischen und religionspolitischen Gewohnheiten sowie schon vorgegebenen philosophischen Konzeptionen. Doch auch die christliche Gegenposition kann an Vorgaben des geistigen Umfelds – auch des paganen – anknüpfen.
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giert, sondern in Isis als der höchsten Gottheit subsumiert, insofern also anerkannt. Richtiger ist es, hier von Henotheismus zu sprechen; vgl. GRIFFITHS , Apuleius, 144 (speziell zu Apuleius). De Iside 67 (ed. Griffiths 66,24-67,4). Übers. mit geringfügigen Änderungen nach Hopfner (Plutarch über Isis, Teil 2, 40). Aristeasbrief 16 (SC 89: 110): Τν γ'ρ π ντων π πτην κα κτ%στην θεν ο(τοι σ*βονται, -ν κα π ντες, .με/ς δ*, βασιλε0, προσονομ ζοντες 1τ*ρως Ζ3να κα Δ%α. Vgl. dazu R.M. VAN DEN B ERG, Does it matter to call God Zeus? Origen, Contra Celsum I 24-25 against the Greek intellectuals on divine names, in: G.H. van Kooten (Hg.), The Revelation of the Name YHWH to Moses: Perspectives from Judaism, the Pagan Graeco-Roman World, and Early Christianity (Themes in Biblical Narrative 9), Leiden-Boston 2006, 169-183, 175 und 178.
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2. ZUR THESE DER NICHT-AUSTAUSCHBARKEIT VON GOTTESNAMEN: ORIGENES UND GEISTESGESCHICHTLICHE HINTERGRÜNDE Während der christliche Apologet Minucius Felix sich im Octavius (vermutlich gegen 200 n.Chr.) nur recht knapp und zudem halbherzig zur Austauschbarkeit der Namen Gottes äußert,26 entwickelt Origenes in seinem Werk Contra Celsum (ca. 244-249 n.Chr.) eine umfassende und mit einiger Schärfe formulierte Widerlegung. Allerdings wird die These des Kelsos, es mache keinen Unterschied, ob man den höchsten Gott Zeus, Zen, Adonaios, Sabaoth, Amun oder Papaios nenne, auch von Origenes nicht in allen Aspekten abgelehnt. Er selbst setzt voraus, dass Gott durchaus mit unterschiedlichen Namen benannt werden kann. So sind die den hebräischen Schriften entnommenen Namen Sabaoth und Adonaios – ebenso wie Jao oder Ja und Eloaios – „Beinamen (π@νυμα) desselben und einzigen Gottes“27. Gerade die „Feinde Gottes, die das nicht verstanden“, meinten, „einer sei Jao, ein anderer Sabaoth und daneben Adonaios, den die Schriften Adonai nennen, ein Dritter, und wieder ein anderer Eloaios, den die Propheten auf Hebräisch Eloai nennen“28. Abgesehen davon, dass der eine Gott bereits bei den Juden mehrere Namen hat, kann er nach Origenes auch von den einzelnen Völkern in ihren jeweiligen Sprachen namentlich angerufen werden: Wenn Christen in ihren Gebeten von den Namen Gebrauch machen, die Gott in den göttlichen Schriften beigelegt sind,29 so gebrauchen die Griechen griechische, die Römer lateinische; und so betet jeder in seiner Sprache zu Gott und preist ihn nach Kräften. Und der Herr aller Sprachen hört die Betenden aller Sprachen, als würde er, was die be26
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Octavius 18 (ed. Kytzler 110; Übers. ebd. 111): „[…] wer Jupiter als Höchsten ansieht, der täuscht sich wohl im Namen, hinsichtlich der Vormacht eines einzigen aber stimmt er mit uns überein.“ ([…] et qui Iovem principem volunt, falluntur in nomine, sed de una potestate consentiunt.) Vgl. Octavius 20 (ed. Kytzler 118; Übers. nach ebd., 119): „Die Meinungen fast sämtlicher Philosophen von Rang habe ich dargelegt; alle haben den einen Gott gelehrt, wenn auch unter vielerlei Namen. Ja, man könnte meinen, die Christen wären die Philosophen von heute – oder die Philosophen wären schon damals Christen gewesen!“ (Exposui opi< ni>ones omnium ferme philosophorum, quibus inlustrior gloria est, deum unum multis licet designasse nominibus, ut quivis arbitretur, aut nunc Christianos philosophos esse aut philosophos fuisse iam tunc Christianos.) CC VI 32 (SC 147: 258,18-260,22). CC VI 32 (SC 147: 260,22-26). Wie Origenes anmerkt, verzichten die meisten Christen freilich sogar in ihren Gebeten darauf, den Namen Gottes auszusprechen.
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zeichneten Inhalte betrifft, sozusagen eine einzige Stimme hören, die sich aus den mannigfaltigen Sprachen klar ergibt.30
Nicht die Vielfalt der Gottesnamen überhaupt, sondern die behauptete Austauschbarkeit von Namen wie Zeus und Sabaoth ist das Problem, gegen das Origenes sich wendet. Seine Argumentation, die sich in mehreren Passagen des Werkes Contra Celsum findet und durch Aussagen aus weiteren seiner Schriften zu ergänzen ist, basiert erstens auf allgemeinen sprachphilosophischen Überlegungen, zweitens auf der Betrachtung biblischer Namensänderungen und drittens auf der Erfahrung der Wirkungen, die Gottes Namen entfalten, wenn sie in den Gebeten der Christen oder auch in Beschwörungen der Magier und Zauberer ausgesprochen werden. 2.1 Sprachphilosophische Argumente In seiner Widerlegung des eingangs zitierten Kelsos-Worts bezieht sich Origenes zunächst auf sprachphilosophische Überlegungen zum Wesen der Namen bzw. der Wortart der Nomina.31 In Contra Celsum wie auch in einem Kapitel seiner Exhortatio ad Martyrium (ca. 235-238 n.Chr.) wendet er sich vor allem gegen diejenigen, die mit Aristoteles „annehmen, dass die Namen auf willkürlicher Setzung (θ*σει) beruhten“ und nicht von ihrer „Natur“ (φ σις) her auf die Gegenstände bezogen seien, deren Namen sie sind.32 Von dieser Meinung unterscheidet Origenes die Auffassungen der Stoiker und Epikureer, die auf je eigene Weise einen natürlichen Ursprung der Namen lehren. Nach den Stoikern haben die ersten (menschlichen) Laute die Dinge nachgeahmt, die benannt werden sollten.33 Nach Epikur haben die ersten Menschen beim Anblick der Gegenstände gewisse Laute ausgestoßen,
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CC VIII 37 (SC 150: 256,8-16). Origenes fährt fort (ebd., 16-19): „Der Gott über allen Dingen ist ja nicht irgend einer von denen, die irgend eine barbarische oder griechische Sprache zugeteilt bekommen haben und von den übrigen Sprachen keine weitere Kenntnis besitzen oder keinen Gedanken mehr für die übrig haben, die in anderen Sprachen reden“. Zur hier angedeuteten Zuteilung der einzelnen Sprachen durch „Völkerengel“ s.u. bei Anm. 80. Auch wenn im Folgenden in der Regel nur von „Namen“ gesprochen wird, ist die Doppelbedeutung zu berücksichtigen, die Cνομα im Griechischen besitzt. So Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,4-6). Vgl. CC V 45 (SC 147: 130,7f.): „Wir sagen, dass die Natur der Namen nicht – wie Aristoteles meint – in den Bestimmungen derer besteht, die sie gegeben haben“; vgl. A RISTOTELES , De interpretatione 2. Deshalb, so Origenes, führen die Stoiker auch gewisse Grundregeln der Etymologie ein: CC I 24 (SC 132: 136,12f.).
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allerdings ohne sie dadurch imitieren zu wollen.34 Den philosophischen Ansätzen, nach denen die Namen von ihrer Natur her einen Bezug zu den benannten Gegenständen haben, steht Origenes zweifellos näher als dem aristotelischen. Besonders den Stoikern ist er verpflichtet. In seinem Werk De oratione (ca. 233/234 n.Chr.) definiert er im Rahmen seiner Auslegung der Vaterunser-Bitte „Geheiligt werde dein Name“: Ein Name – genauer ein Eigenname – ist eine „summarische Benennung, die die individuelle Beschaffenheit des Benannten angibt“35. Demnach zeigt ein Eigenname genau das an, was den Namensträger ausmacht und wodurch er unverwechselbar ist. So gibt es nach Origenes eine eigene, charakteristische Beschaffenheit des Paulus – seiner Seele, seines Geistes, seines Körpers. Durch die Nennung des Namens „Paulus“ werde das Eigene und anderen gegenüber Individuelle 36 dieser Beschaffenheiten zum Ausdruck gebracht. Ganz ähnlich hatte schon der Stoiker Diogenes Babylonius (2. Jh. v.Chr.) definiert: „Ein Name ist ein Teil der Rede, der eine individuelle Beschaffenheit aufzeigt, wie zum Beispiel ‚Diogenes‘, ‚Sokrates‘.“ 37 In Anbetracht dieser Definition scheint nun Gott allein unter der Bedingung benennbar zu sein, dass seine „Beschaffenheit“ von Men-
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CC I 24 (SC 132: 136,9-16). Vgl. dazu J. D ILLON , The magical power of names in Origen and later Platonism, in: R. Hanson/H. Crouzel (Hg.), Origeniana tertia, Rom 1985, 203-211, 207f. Cνομα το%νυν στ κεφαλαι@δης προσηγορ%α τ3ς Dδ%ας ποι τητος το0 νομαζομ*νου παραστατικE: De oratione 24,2 (GCS 3: 353,22f.). Dieselbe Definition später bei Didymus dem Blinden, ComPs 60,9 (zu Ps 22,3) und 264,13 (zu Ps 37,7) (ed. Gronewald II 14 und IV 162). Nach einem Katenen-Fragment zu Gen 17,5 versteht Origenes die Namen – speziell die biblischen, um deren Auslegung man sich bemühen solle – als „Anzeiger von Einstellungen, Zuständen und Beschaffenheiten“ des Benannten (τ' ν ματα Fξε@ν στι κα καταστ σεων κα ποιοτEτων δηλωτικ ); Catena in Genesim, fr. 1023 Petit = Catena Sinaitica, fr. G 61; hier zitiert nach Ori- genes: Die Kommentierung des Buches Genesis. Eingeleitet und übersetzt von K. Metzler, Berlin-Freiburg u.a. 2010, 228f.; vgl. D. C IARLO , De mutatione nominum. L’ interpretazione del cambiamento dei nomi biblici da Filone Alessandrino a Giovanni Crisostomo, in: Augustinianum 48 (2008) 149-203, 167 Anm. 62. De oratione 24,2 (GCS 3: 354,2): Hσυντρ χαστον. Nach G. W. H. Lampe’s Patristic Greek Lexicon (s. v.): “individually distinct”. Cνομα δ* στι μ*ρος λ γου δηλο0ν Dδ%αν ποι τητα, οJον Διογ*νης, Σωκρ της (Stoicorum Veterum Fragmenta III 213,30f.); vgl. Gronewald IV 163 Anm. a). Im Hin- tergrund steht die Lehre von der „Richtigkeit der Namen“; s. bereits PLATON , Kratylos 428e: „Die Richtigkeit eines Namens/eines Nomen liegt darin, dass er/es anzeigt, wie die Sache beschaffen ist (οJ ν στι)“; vgl. S.W.J. K EOUGH, Divine names in the Contra Celsum, in: Origeniana nona: Origen and the religious practice of his time. Papers of the 9th International Origen Congress Pécs, Hungary, 29 August – 2 September 2005, hg. von G. Heidl u. R. Somos, Leuven u.a. 2009, 205-215, hier 209.
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schen erkannt und ausgesagt werden kann. Nach Origenes ist hier aber zu differenzieren: Wenn nämlich (sc. mit der von Kelsos geäußerten Behauptung, Gott sei nicht benennbar) gesagt werden soll, dass nichts, was in Worten und Bezeichnungen ausgedrückt wird, die „Beschaffenheiten“ Gottes darstellen kann, ist die Aussage wahr, wie ja überhaupt zahlreiche Beschaffenheiten nicht benennbar sind. Denn wer kann mit Namen wiedergeben, wie sich die Beschaffenheit der Süße einer Dattel von der der Süße einer Feige unterscheidet? Und wer kann überhaupt die individuelle Beschaffenheit eines jeden unterscheiden und darstellen? Es ist also nichts Erstaunliches, wenn Gott in diesem Sinne nicht benennbar ist. Wenn man aber die Benennbarkeit (sc. Gottes) in dem Sinn auffasst, dass es möglich ist, (zumindest) irgend etwas, das mit ihm zu tun hat, durch Namen darzustellen, um den Hörer an der Hand zu nehmen und ihn dahin zu bringen, dass er im Maße der Aufnahmefähigkeit der menschlichen Natur in bezug auf Gott (zumindest) etwas von dem versteht, was mit ihm zu tun hat – dann ist es nicht im geringsten abwegig zu sagen, dass er benennbar ist. 38
Weitere Einflüsse stoischer Namens-Lehre sind in Origenes’ Vorgehensweise und Terminologie nachweisbar, wenn er zwischen Eigennamen wie Adonai und „gemeinsamen“ oder „Gattungs-Namen“ wie „Gott“ unterscheidet.39 So stellt er fest, dass die Christen den „gemeinsamen Namen (τ κοινν Cνομα) ‚Gott‘“ entweder allein stehend oder mit Zusätzen (z.B. in der Form „Gott, der Schöpfer des Alls“) gebrauchen.40 Und er bemerkt, die Christen lehnten es ab, den Gott über allem Papaios zu nennen, „als wäre dies sein Eigenname“ (Lς κυρ%Mω νοματι); es sei aber keine Sünde, den Gattungsnamen (τ προσηγορικ ν) „Gott“ in skythischer oder jeder anderen Sprache zur Benennung Gottes zu gebrauchen.41 Während Gattungsnamen grundsätzlich auf unzählige Träger bezogen sein können42 und nur in Verbindung mit den erwähnten Zusätzen zur unverwechselbaren Benennung eines Einzigen geeignet sind, referieren Eigennamen aus sich selbst heraus in unverwechselbarer Weise auf einen einzigen Namensträger, indem sie bestimmte Assoziationen wecken. So erläutert Origenes, dass man bei Zeus sofort mithört: der Sohn des Kronos und der Rhea und Gatte der Hera und Bruder des Poseidon und Vater der Athene und der Artemis und der, der sich mit seiner Tochter Persephone vereinte, oder 38 39 40 41 42
CC VI 65 (SC 147: 342,17-28). Vgl. (auch zum Folgenden) KEOUGH, Divine names, 209f. CC I 25 (SC 132: 144,39f.). CC V 46 (SC 147: 134,15-21). Dies gilt unabhängig davon, dass der Gattungsname „Gott“ für Origenes faktisch nur einen legitimen Träger hat (K EOUGH, Divine names, 210).
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dass man bei Apollo mithört: der Sohn der Leto und des Zeus43 und Bruder der Artemis und Bruder des Hermes vom Vater her, und was die weisen Väter der Lehren des Kelsos und die alten ‚Theologen‘ 44 unter den Griechen sonst alles berichten. Denn welche Willkür wäre es, wenn Zeus mit seinem eigentlichen Namen benannt würde, 45 ohne dass damit einherginge, dass sein Vater Kronos sei und seine Mutter Rhea?46
Sowohl die genannten „Zusätze“ zum Gattungsnamen als auch die Inhalte, die beim Hören von Eigennamen mitgedacht werden, verweisen auf ein Geflecht von Beziehungen und Ereignissen oder Handlungen, in denen der Benannte steht und die seine eindeutige Identifikation erlauben.47 Wenn nun der Name Zeus daran denken lässt, was sein Träger seinem Vater antat, oder daran, dass er seiner eigenen Tochter beiwohnte,48 so ist denen, die Zeus „Gott“ oder den wahren Gott Zeus nennen, nach Origenes der Vorwurf zu machen, dass sie die Ebenen vertauschen und Namen für Höheres dem geben, was geringer ist, und umgekehrt.49 Wer Zeus „Gott“ nennt (obwohl Zeus nach Origenes der Gattung der Dämonen angehört)50, der zieht den Namen „Gott“ herab auf etwas, dem er nicht gebührt.51 Diejenigen aber – so Origenes – die „Gott nach einer geheimnisvollen Lehre52 den Namen Sabaoth oder den Namen Adonai oder irgendeinen der übrigen Namen beilegen“, sind von derartigen Vorwürfen nicht betroffen.53 An den unter43 44 45
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Wörtliches Zitat aus H OMER , Ilias I 8. Das heißt vor allem: die Dichter Homer und Hesiod. Das Verb κυριολογε/ν ist hier nach Lampe’s Patristic Greek Lexicon (s. v.) in der Bedeutung “[to] designate by the correct name” zu verstehen. Allerdings wird die ebenfalls mögliche Bedeutung „(ein Wort) im eigentlichen, nicht-allegorischen Sinn gebrauchen“ zumindest mitschwingen; vgl. M. Borret in SC 132: 140f. Anm. 2: «Distinction de l’interpretation allégorique». Zur allegorischen bzw. tropologischen Schriftauslegung vgl. im näheren Umfeld des Zitats CC I 17, 18, 20 und 27 (SC 132: 120,4f.24; 122,9f.; 128,22f.; 150,22f.). Vgl. auch unten Anm. 113. CC I 25 (SC 132: 140,5-14). Vgl. K EOUGH, Divine names, 207. Vgl. CC I 17 (SC 132: 120,15f.). CC I 25 (SC 132: 140,3-5). Nach Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,22f.) sind es die Dämonen selbst, die ihre Namen „auf den ersten Gott übertragen, damit sie wie der erste Gott verehrt werden“. Vgl. CC V 46 (SC 147: 132,7-134,10): „Wir (sc. Christen) halten Zeus gar nicht für eine Gottheit, sondern nehmen an, dass irgendein Dämon, der weder den Menschen noch dem wahrhaften Gott freundlich gesinnt ist, sich freut, wenn er so genannt wird.“ Ähnlich ebd. (134,16f.) zu Papaios. Vgl. CC I 25 (SC 132: 140,1f.). Dazu s.u. S. 42ff. CC I 25 (SC 132: 140,15-18). Am Ende des vorliegenden Textabschnitts (144,46-52) bemerkt Origenes: Wenn schon Platon bewundert werde, der im Philebos (12 c) den
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schiedlichen Beziehungen, auf die die Namen Zeus und Adonai jeweils verweisen, ist ablesbar, dass diese Namen nicht denselben Referenten haben und daher nicht austauschbar sind.
2.2 Namensänderungen in der Heiligen Schrift Außer auf sprachphilosophische Theorien greift Origenes in seinen Erwägungen über die Namen Gottes auch auf biblische Beispiele für Namensgebungen sowie auf eine schon bestehende Tradition ihrer Auslegung zurück. Die Frage, ob es einen Unterschied macht, mit welchem Namen jemand gerufen wird, stellte sich zwangsläufig im Zusammenhang mit den Namensänderungen biblischer Personen. Hier werden von den frühen christlichen Theologen in aller Regel enge Beziehungen zwischen dem Namen der Person und ihrem Wesen (oder zumindest markanten Wesenszügen) vorausgesetzt.54 Etymologische Namenserklärungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Besonders die von Gott verfügten Namensänderungen gelten als Hinweise auf Wandlungen der betroffenen Person. Einflussreich ist in dieser Hinsicht die Namens-Lehre Philos von Alexandria. Nach ihm sind die von Gott gegebenen neuen Namen in der Regel Anzeichen dafür, dass ein Mensch sich charakterlich verbessert, dass er einen Fortschritt in Gotteserkenntnis und Tugend gemacht hat.55 So wird aus Jakob (= „der, der mit der Ferse stößt“) Israel (= „der, der Gott schaut“).56
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Sokrates sagen lässt, seine „Furcht hinsichtlich der Namen der Götter“ sei „nicht gering“, so werde man doch noch viel mehr die fromme Scheu der Christen anerkennen, da sie keinen der Namen aus den mythischen Dichtungen mit dem Schöpfer des Alls in Verbindung bringen. (Sokrates reagiert auf die Behauptung des Philebos, „Lust“ sei der wahre Name der Göttin, die Aphrodite genannt wird; 12 b.) Vgl. CC IV 48 (SC 136: 308,24-33): Da die Christen sich das zitierte Platonwort angeeignet haben, entheiligen sie das Göttliche „auch nicht dem Namen nach“ und lehnen es angesichts der schändlichen Göttermythen ab, den Gott über allem Zeus zu nennen. Ihr Respekt bezieht sich darüber hinaus auf Gottes Werke, so dass sie auch die Sonne nicht Apollo, den Mond nicht Artemis nennen. Vgl. ferner CC V 46 (SC 147: 132,2-6): Mose und die Propheten verbieten, einen „Namen anderer Götter“ (Ex 23,13) auszusprechen, wenn jemand an den allmächtigen Gott Gebete richten will. Er soll keine Erinnerung an andere im Herzen haben und nichts Nichtiges denken. Einen Überblick bietet C IARLO , De mutatione nominum. Beispiele ebd., 152-162. Die göttliche Gnadengabe liegt in erster Linie in dieser Verbesserung, nicht im verliehenen Namen: PHILO , De mutatione nominum 10,70 (ed. Wendland 169,21-23). Ausnahmen zu dieser Regel sind selten, aber nicht ausgeschlossen. Beispielsweise wird nach Philo kein Fortschritt, sondern ein Missverständnis dokumentiert, wenn
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Origenes greift die Vorstellung auf, dass durch den Austausch des Namens die Vervollkommnung einer Person symbolisiert sei. In seiner Schrift Über das Pascha setzt er sogar voraus, dass der Träger des neuen Namens nicht mehr derselbe sei, der er einst war: „Nicht Abram empfängt die Verheißungen, sondern Abraham. Und nicht Jakob empfängt Segen, sondern Israel. Und nicht Simon wird der erste Jünger des Erlösers, sondern Petrus. Jakobus und Johannes werden als Apostel gesandt, nachdem sie ‚Boanerges‘, das heißt: ‚Donnersöhne‘, geworden sind.“ Für sie alle gilt, dass diejenigen, „die die Vollendung erlangt haben und andere Namen tragen, im Vergleich zu dem, was sie waren, nicht mehr jene sind, sondern andere (1τ*ρους)“57.
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Joseph (= „Zusatz“), der in Ägypten Luxusgüter beaufsichtigt und vermittelt, vom Pharao den Namen Psonthomphanech = „in der Antwort entscheidender Mund“ erhält (vgl. Gen 41,45). Philo kommentiert: „Es glaubt nämlich jeder Unverständige, der Reiche, der im Überfluss äußerer Güter schwimmt, sei allsogleich auch gescheit, fähig, auf jede Frage zu antworten […]“ (Mutat. 15,91 [ed. Wendland 172,31-173,6; Üs. W. Theiler; vgl. D.T. R UNIA , Naming and Knowing: Themes in Philonic Theology with Special Reference to the De mutatione nominum, in: R. van den Broek/T. Baarda/J. Mansfeld [Hg.], Knowledge of God in the Graeco-Roman World [EPRO 112], Leiden 1988, 69-91, 82). Bei Hieronymus wird sich sogar ein Beispiel für eine Namensänderung finden, die einen Rückschritt andeutet: Der Name des Hethiters Ephron wird in Ephran abgewandelt, nachdem dieser dem Drängen Abrahams nachgegeben und ihm eine Grabstätte (für Sara) verkauft hat. Durch den Wegfall des Buchstabens Waw im Namen Ephron zeige die Schrift an, dass jemand, der die Erinnerungs-Stätten der Toten verkaufen konnte, nicht von vollendeter Tugend sein könne. Wenn dies für Ephron gelte, der von Abraham genötigt wurde, dann werde erst recht für die, die ohne äußeren Zwang Gräber verkaufen, gelten, dass „ihr Name verändert wird und etwas von ihrem persönlichen Wert verlorengeht“. (Hebraicae quaestiones in Genesim, zu Gen 23,16 [CCL 72: 28,5-17]: Et audivit Abraham Efron, et appendit Abraham Efran argentum, quod locutus est in auribus filiorum Heth. In hebraeo, sicut hic posuimus, primum nomen eius scribitur Efron, secundum Efran. Postquam enim pretio victus est, ut sepulchrum venderet et acciperet argentum licet cogente Abraham, vav litera, quae apud illos pro o legitur, ablata de eius nomine est, et pro Efron appellatus est Efran: significante scriptura non eum fuisse consummatae perfectaeque virtutis, qui potuerit memorias vendere mortuorum. Sciant igitur, qui sepulchra venditant et non coguntur ut accipiant pretium, sed a nolentibus quoque extorquent, inmutari nomen suum et perire quid de merito eorum, cum etiam ille repraehendatur occulte, qui invitus acceperit.) De Pascha 1,6(20)-1,7(21) (ed. Guéraud/Nautin 164,33-166,14; ed. Witte 94,30-96,80). Vgl. B. W ITTE , Die Schrift des Origenes „Über das Passa“. Textausgabe und Kommentar, Altenberge 1993, 158; C IARLO , 168 Anm. 64. Nach O RIGENES , HomGen 13,3 (GCS 29: 118,2-5) ist es geradezu erstaunlich, dass Mose und die übrigen Propheten auch von den Christen noch mit ihren ursprünglichen Namen benannt werden: Et est mirum, quod Moyses etiam apud nos Moyses appellatur et prophetae unusquisque suo nomine compellantur. Non enim Christus in iis nomina, sed intelligentiam commutavit. Dazu A.v. H ARNACK , Der kirchengeschichtliche Ertrag der exegetischen Arbeiten des Origenes, Teil 1, Leipzig 1918, 56: „(Origenes) denkt an die Na-
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Hieronymus wird später sagen, es liege in der hebraica consuetudo, dass man Namen immer ausgehend von Realitäten verleihe (ex rebus vocabula semper imponant),58 so dass „veränderte Namen eine Veränderung der Realitäten bedeuten“ (vocabula commutata significant rerum mutationem).59 Dass Namen und Namensänderungen eine unmittelbare Beziehung zu Eigenschaften bzw. zum Wesen der benannten Person haben, ist, nebenbei bemerkt, auch Voraussetzung zahlloser Wortspiele und Namensverdrehungen innerhalb spätantiker religiöser Polemik. So wird Hieronymus nicht müde, mit dem Namen seines Kritikers Vigilantius zu spielen, der κατ' Hντ%φρασιν gebraucht werde (also eigentlich das Gegenteil aussage),60 so dass Vigilantius richtiger Dormitantius heißen müsse.61 Der Beiname des Johannes Grammatikos, Philoponos (= „der sich gern bemüht“), wurde von seinen Gegnern verballhornt zu Mataioponos (= „der sich vergeblich bemüht“).62 Als Johannes Damascenus auf der Ikonoklastensynode von Hiereia (754 n.Chr.) anathematisiert wurde, verdrehte Kaiser Konstantin V. den arabischen Familiennamen des Damaszeners (Mansûr) „zum aus dem Hebräischen entlehnten Schimpfwort Μ νζηρος ‚Bastard‘“63. Dem ikonen-feindlichen Kaiser selbst erging es nicht besser: Sein „verbürgter Beiname“, den er wegen seiner Begeisterung für den Pferdesport erhalten hatte, lautete Kaballinos; erst durch die spätere, von Ikonen-
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mensänderung des Abraham und meint wohl, es hätte nahegelegen, daß, nachdem erst die Christen Moses und die Phopheten zu verstehen gelernt und diese nun eine neue Bedeutung erlangt haben, sie auch einen neuen Namen bekommen hätten, weil diese sich gegenseitig fordern“. ComIs 17,19 (ed. Gryson/Gabriel 1765,16f.); vgl. C IARLO , 189 Anm. 125. ComHier IV 63,6 (CSEL 59: 293,16f.). Eine gewisse Einschränkung gegenüber der eben zitierten Aussage aus ComIs bedeutet die hier erscheinende Bemerkung, „durch Worte und Auslegung der Namen“ würden „häufig“ Wirklichkeiten angezeigt (293,14f.: et verbis autem et interpretatione nominum saepe res ostenduntur). Zum Stilmittel der Antiphrasis s. H. L AUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 4 2008, §§ 587, 885, 904. Epistula 109,1 (CSEL 55: 352,1f.): ais Vigilantium, qui κατ' Hντ%φρασιν hoc vocatur nomine – nam Dormitantius rectius diceretur; ebd. (353,5): post multa saecula Dormitantius somniaret. Adversus Vigilantium 1 (CCL 79C: 6,9): Exortus est subito Vigilantius Dormitantius; 15 (28,11): Dormitantius vigilabit in lectulo; 17 (30,6f.): si Dormitantius […] vigilaverit; vgl. ebd., 2 (8,19); 4 (10,12); 8 (18,6 und 19,31). T. H AINTHALER , Johannes Philoponus, Philosoph und Theologe in Alexandria, in: Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 2/4: Die Kirche von Alexandrien mit Nubien und Äthiopien nach 451, Freiburg 1990, 109-149, 111 (mit Anm. 15). R. VOLK , Art. Johannes von Damaskus, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, Freiburg-Basel-Wien 3 2002, 387-389, 387. Vgl. hebr. mamzer.
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Verehrern geprägte Geschichts-Schreibung erhielt er den Beinamen Kopronymos – wörtlich: „der Kot-Namige“ –, da er „als Säugling das Taufwasser beschmutzt habe“64. Derartige Namens-Verunstaltungen waren natürlich kein griechisch-römisches oder christliches Monopol. Man denke an Simeon Bar Kozeba, dessen Name im Zuge des jüdischen Aufstands gegen die Römer (132-135 n.Chr.) zunächst in Bar Kochba (= „Sternensohn“) verändert wurde – das heißt offenbar in einen messianischen Titel 65 –, nach dem Scheitern des Aufstands aber in Bar Koziba (= „Sohn der Lüge“). Diese Namens-Änderung geht auf Rabbinen zurück.66 Zurück zu den biblischen Namen. Deren Änderungen werden in der antiken christlichen Literatur nur sehr vereinzelt anders als durch eine Wesens-Änderung des Namensträgers erklärt. So wird im Prooemium von Origenes’ Römerbrief-Kommentar darauf hingewiesen, dass in der Schrift einzelne Personen vorkommen, die zwei oder drei Namen führen – z.B. Matthäus-Levi. In gleicher Weise scheine auch Paulus einen doppelten Namen gehabt zu haben: Solange er dem eigenen Volk diente, sei er Saul(us) gerufen worden, Paulus aber wurde er genannt, als er für Griechen und Heiden Gesetze und Gebote aufschrieb.67 In diesem Fall wäre der Austausch des Namens nur im Sinne sprachlicher Anpassung verstanden.68 Ob tatsächlich Origenes der Verfasser dieser Worte ist – oder eher sein Übersetzer Rufin –, bleibt zu diskutieren.69 In seinem Werk De oratione jedenfalls stellt Origenes gerade auch am Beispiel des Saulus, der nach seiner Wandlung Paulus genannt wird, fest: „Wenn aber bei Menschen die ihnen eigenen Be64
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R. VOLK , Art. Konstantin V. Kopronymos, in: Lexikon für Theologie und Kirche3 6 (1997) 299. Vgl. Num 24,17: „Stern aus Jakob“. J. N EUSNER /W.S. GREEN (Hg.), Dictionary of Judaism in the Biblical Period: 450 B.C.E. to 600 C.E., Bd. 1, New York 1996, 77f. (s. v. Bar Kosiba, Simon), hier 77. ComRm, praef.: Invenimus igitur in scripturis aliquantos binis alios etiam ternis usos esse nominibus […]. Secundum hanc ergo consuetudinem videtur nobis et Paulus duplici usus esse vocabulo et donec quidem genti propriae ministrabat Saulus esse vocitatus, quod et magis appellationi patriae vernaculum videbatur, Paulus autem appellatus esse cum Graecis et gentibus leges ac praecepta conscribit (ed. Hammond Bammel 42,15f. und 44,34-39). Zuvor (42,8-12) wird die These referiert, Saul habe nach der Bekehrung des Prokonsuls Sergius Paulus dessen Namen übernommen, wie ein Feldherr den Namen eines besiegten Volkes annehme und sich Parthicus oder Gothicus nenne. Die gleiche Deutung H IERONYMUS , ComPhilem 1-3 (CCL 77C: 83,51-59). Vgl. C IARLO , 171 und 190. Zum Namen „Saulus“ heißt es, wie zitiert, ausdrücklich: quod et magis appellationi patriae vernaculum videbatur (ed. Hammond Bammel 44,37). T. Heither in: O RIGENES , Commentarii in epistulam ad Romanos. Liber I, Liber II. – Römerbriefkommentar. Erstes und zweites Buch (FC 2/1), Freiburg u.a. 1990, 75 Anm. 12.
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schaffenheiten (τν Dδ%ων ποιοτEτων) sich gewissermaßen ändern, so ändern sich nach der Schrift vernünftiger Weise auch ihre Namen.“70 Anschließend kommt Origenes auch explizit auf die Frage der Austauschbarkeit des Gottesnamens zu sprechen: „Bei Gott aber, der selbst unwandelbar ist und immer unveränderlich bleibt, ist der gleichsam auch bei ihm (existierende) Name immer nur einer, nämlich ‚ Seiende‘, wie es im Buch Exodus heißt71 – oder vielleicht etwas in dieser Art“72. 2.3 Die „göttliche Sprache“ und die Anrufung Gottes und der Dämonen In seiner Darstellung der „tiefen und geheimnisvollen Lehre (λ γος βαθς κα Hπ ρρητος) von der Natur der Namen“73, die ein Austauschen der Gottesnamen ausschließt, bleibt Origenes nicht bei rein sprachphilosophischen Überlegungen stehen. Die Namen Gottes entziehen sich insofern den Regeln philosophischer Lehren vom Namen oder Nomen, als sie auf eine Wirklichkeit jenseits der gewöhnlichen Dinge (πρ γματα) bezogen sind: Die Namen Sabaoth, Adonai und alle anderen, die bei den Hebräern mit viel Ehrfurcht überliefert werden, sind nicht den zufälligen und gewordenen Dingen beigelegt, sondern beruhen auf einer geheimnisvollen Theologie, die sich auf den Schöpfer des Alls bezieht.74
Während Aristoteliker, Stoiker und Epikureer, wenn auch in unterschiedlichen Theorien, den Menschen als Urheber der Namen ansehen, sind die Namen Gottes nach Origenes den Menschen von Gott selbst mitgeteilt worden – wie ursprünglich auch ihre gesamte Sprache. Diese Überzeugung steht in Zusammenhang mit „geheimnisvollen Lehren von der Verteilung der Dinge auf Erden“75, deren tieferen Sinn Origenes – vor allem anhand einer Betrachtung der Erzählung von der babylonischen Sprachverwirrung – bewusst nur andeutet.76 70 71 72
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De oratione 24,2 (GCS 3: 354,3-8). Ex 3,14 (LXX): ’Εγ@ εDμι P Qν. De oratione 24,2 (GCS 3: 354,8-11; die Überlieferung der letzten Worte des Zitats ist unsicher). CC I 24 (SC 132: 136,8f.). Vgl. Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,10f.): „Es gibt ein sehr tiefes und abseits (sc. vom Gewöhnlichen bzw. Offenkundigen) liegendes Studium (πραγματε%α βαθυτ τη κα Hνακεχωρηκυ/α) hinsichtlich der Namen“. CC I 24 (SC 132: 138,25-29). Vgl. VAN DEN B ERG, Does it matter to call God Zeus?, 177 (auch zum Folgenden). CC V 29 (SC 147: 84,1f.). Außer auf Gen 11,1-9 stützt Origenes sich auf Dtn 32,8f. („Als der Höchste die Völker zerteilte, als er die Söhne Adams zerstreute, setzte er die Grenzen der Völker
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Gottesnamen wie Adonai oder Sabaoth gehören der hebräischen – das heißt nach Origenes: „göttlichen“ – Sprache an, die zu Anfang allen Menschen gemeinsam war.77 Aufgrund ihrer Abwendung von Gott verloren die meisten Menschen diese gemeinsame Sprache. Diejenigen aber, die sich nicht von Gott entfernten und die ursprüngliche Sprache bewahrten, wurden „sein Volk Jakob“78. Die übrigen Völker übergab Gott Engeln, die ihnen auch ihre jeweiligen Sprachen zuteilten.79 Aus diesen Voraussetzungen ergibt sich für Origenes erstens, dass die unterschiedlichen Sprachen der Völker keine gemeinsame Wurzel haben. Auch deshalb können die Götternamen der verschiedenen Völker nicht ohne weiteres austauschbar sein. So „wissen die Skythen nichts davon“, dass ihre Götternamen sich auf dieselben Götter beziehen wie die Götternamen der Griechen: Welche Wahrscheinlichkeit gibt es dafür, dass Apollo bei den Skythen Gongosyros genannt wird? Ich meine nämlich nicht, dass Gongosyros, übertragen in die griechische Sprache, dieselbe etymologische Ableitung bietet wie Apollo, oder dass Apollo, übertragen in die Sprache der Skythen, den Gongosyros bezeichnet.80
Nach Origenes gingen die einzelnen Völker, als sie ihre vermeintlichen Götter benannten, von jeweils „anderen Verhältnissen und Etymologien“ aus, wobei sie – abgesehen von Israel – „nicht bei der ersten und reinen Vorstellung vom Schöpfer des Alls blieben“81. Zweitens ist vorauszusetzen, dass Gottesnamen wie Sabaoth oder Adonai durch ihre Zugehörigkeit zur ursprünglichen, von Gott mitgeteilten Sprache autorisiert sind. Wer diese Namen gebraucht, darf darauf vertrauen, den wahren Gott anzusprechen. Dämonennamen dagegen beziehen sich auf Kräfte, die nur begrenzten Einfluss haben. Dementsprechend, so Origenes, gehören ihre Namen den Sprachen
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nach der Zahl der Engel Gottes, und der Anteil des Herrn wurde sein Volk Jakob, sein Erbteil wurde Israel“) sowie auf Weish 10,5. Zitate der Textstellen: CC V 29 (SC 147: 86,23-38 sowie 18-21 und 41-43). CC V 30 (SC 147: 88,1f.). Vgl. Gen 11,1. CC V 31 (SC 147: 92,3-8). Vgl. Dtn 32,9. CC V 30 (SC 147: 90,25f.). Berührungspunkte zwischen seiner Vorstellung von Völkerengeln und Kelsos’ Vorstellung von dämonischen „Aufsehern“ einzelner Völker und Regionen erklärt Origenes damit, dass Kelsos die Lehren von der Aufteilung der irdischen Dinge, von denen auch in den Erzählungen der Griechen und Ägypter Spuren zu finden seien, falsch verstanden habe: CC V 29 (SC 147: 84,1f.). CC VI 39 (SC 147: 272,10-16). Vgl. CC I 23 (SC 132: 132,13-16): Die Ägypter „kennen in ihrer Sprache nicht Mnemosyne […] und nicht Themis […] und nicht Euronyme […] und nicht die übrigen Namen. CC VI 39 (SC 147: 272,17-22). Vgl. K EOUGH, Divine names, 211.
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des jeweiligen Volkes und der Region an, in denen sie ihre Macht ausüben. Wer sich mit den Wirkungen der Namen auch nur ein wenig auskenne, werde sich sehr davor hüten, die Namen Gottes Dämonen beizulegen oder umgekehrt die Dämonennamen auf Gott zu beziehen.82 Dass die biblischen Gottesnamen tatsächlich auf den wahren Gott referieren, zeigt sich für Origenes in der Macht, die sie in Gebeten oder Beschwörungen entfalten – sogar dann, wenn sie von Magiern oder Zauberern, die nicht an den Gott der Juden und Christen glauben, herangezogen werden.83 Zwar betont der Theologe, dass die Christen selbst keine magischen Praktiken anwenden, wenn sie Gott oder Jesus Christus zum Schutz gegen Dämonen anrufen.84 Dennoch akzeptiert er offenbar, dass auch die so genannte Magie nicht, wie die Epikureer und Aristoteliker sagen, eine gänzlich inkohärente Angelegenheit ist, sondern – wie diejenigen aufzeigen, die sich damit auskennen – ein kohärentes System, das allerdings Gesetze hat, die nur sehr wenigen bekannt sind.85
So begründet Origenes in der Exhortatio ad martyrium seine Überzeugung, dass bestimmte (also nicht beliebige) Namen von ihrer Natur her eine Wirkung haben können, durch den Hinweis auf Dämonen-Anrufungen: Wenn die Namen auf bloßer Setzung (θ*σει) beruhten, würden die angerufenen Dämonen oder sonstige für uns unsichtbare Mächte wohl nicht den Menschen gehorchen, die zwar ihre Gedanken auf sie richten, sie aber mit nur willkürlich gesetzten Namen benennen. 86
Nun sei es aber so, dass „gewisse Laute und Silben und Benennungen“ – und zwar in einer ganz bestimmten Aussprache 87 – die Gerufenen an82 83
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CC I 24 (SC 132: 138,30-39). Allerdings ist nach CC I 6 (SC 132: 90,7-10) die Anrufung des Namens Jesu zur Austreibung böser Geister „besonders“ (μ λιστα) wirksam, wenn sie „mit einer gesunden und wahrhaft gläubigen Gesinnung“ angewandt wird. Vgl. CC III 24 (SC 136: 56,15-19). CC VII 4 (SC 150: 22,17f.); vgl. I 6 (SC 132: 90,5-10; 92,26-28); VI 39 (SC 147: 274,38f.). Die Magie (die vom Volk der Magoi aus alle übrigen Völker erreichte) führt nach Origenes „zu Untergang und Verderben derer, die Gebrauch von ihr machen“: CC VI 80 (SC 147: 380,3-6). Von der christlichen Lehre wird Magie verboten: CC I 38 (SC 132:182,26), und die wahren Christen können weder durch Magie noch durch Dämonen überwunden werden: CC VI 41 (SC 147: 276,18-23). CC I 24 (SC 132: 136,21-138,24). Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,11-14). Die Rede ist speziell von vorhandener oder fehlender Aspirierung, Dehnung oder Kontraktion.
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treiben. Dies geschehe „vielleicht aufgrund einer bestimmten für uns nicht sichtbaren Natur“ der Namen.88 Nach dem Hinweis auf die Magie heißt es in der Exhortatio kurz und bündig: Wenn diese Namen also nicht durch bloße Setzung bestehen, darf man den ersten Gott mit keinem anderen Namen anrufen als mit den Namen, die sein Diener Mose, die Propheten und der Herr und Erlöser selbst für ihn heranziehen, z.B. Sabaoth, Adonai, S(ch)addai; außerdem „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ – denn dieser Name ist nach der Schrift „ewig und ein Denkmal von Geschlecht zu Geschlecht“89. In Contra Celsum wird ausführlicher argumentiert: Ob ein Name sich tatsächlich auf den Schöpfer des Alls bezieht, lässt sich anhand von Beschwörungen überprüfen, die diesen Namen enthalten. Wenn nämlich Magier zur Verwirklichung ihrer Kunst oder ihrer Absichten Dämonen anrufen, stellt sich der Erfolg nur ein, „soweit nichts Göttlicheres und Stärkeres in Erscheinung tritt oder gesagt wird als die Dämonen und als der Zauberspruch, durch den sie angerufen werden“90. Sollten die Dämonen sich also bei einem Beschwörungsversuch uneingeschränkt wirksam zeigen, kann sich unter den herangezogenen Namen keiner befinden, der auf Gott referiert. Nun seien Formeln, die Namen Gottes enthalten, „von den ‚Vätern‘ der Sprachen“ in der Weise eingeführt worden, dass sie jeweils in einer bestimmten Sprache „beheimatet“ sind und der für diese Sprache charakteristischen Aussprache der Namen entsprechen.91 Wie man aber nicht erwarten dürfe, dass ein Mensch sich angesprochen fühlt und reagiert, wenn man seinen Namen nicht in der ursprünglichen Form ausspricht, sondern übersetzt in eine andere Sprache, so würden auch Beschwörungen, die in eine andere Sprache übertragen werden, ihre Wirkung verlieren. Dies gelte auch für Beschwörungen oder Eidschwüre mit dem Namen des Gottes der Juden und Christen – etwa, wenn jemand nicht „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ sagt, sondern, übersetzt, „Gott des auserwählten Vaters des Widerhalls, Gott des Lachens 88 89 90
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Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,14-17). Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,17-22); Zitat Ex 3,15. CC I 60 (SC 132: 238,1-5). Wenn sich eine „göttlichere Erscheinung“ ereignet, werden die Kräfte der Dämonen zerstört, da sie den Anblick des göttlichen Lichts nicht ertragen (ebd., 5f.). Nach der Vermutung des Origenes verloren die Dämonen daher bei Jesu Geburt ihre Kraft, so dass die Magier im Osten durch ihre Beschwörungsformeln nicht mehr die gewohnten Wirkungen erzielten und daraufhin nach dem zu forschen begannen, den sie „für mächtiger hielten als alle Dämonen“ (ebd., 7-19 und 240,26-28). CC V 45 (SC 147: 130,10-12). Origenes verweist zurück auf CC I 24f.
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und Gott dessen, der mit der Ferse stößt“92. Entsprechend verhalte es sich mit anderen Gottesnamen. Origenes schließt diese Argumentation mit der Feststellung: Wenn nun (die Namen) Sabaoth und Adonai keine Wirkung haben, sobald sie durch Wörter der griechischen Sprache, die dasselbe zu bedeuten scheinen, übersetzt werden, um wieviel weniger wird dann ein Erfolg oder eine Wirkung bei denen eintreten, nach deren Meinung es ‚keinen Unterschied macht, ob man den Höchsten Zeus oder Zen oder Adonaios oder Sabaoth nennt‘.93
Auch wenn Origenes seine Lehre von den Namen Gottes einerseits aus der Schriftauslegung entwickelt, ist andererseits eine gewisse Verwandtschaft seiner Argumente mit solchen des nichtchristlichen Umfelds unverkennbar. So wurde von der Praxis der Magie her auch in paganen religiösen und philosophischen Schriften die Meinung vertreten, dass Gottesnamen nicht durch andere ersetzt werden dürften:94 In den Chaldäischen Orakeln (ca. 200 n.Chr.) heißt es: „Verändere niemals fremdländische Namen“ (ν ματα β ρβαρα μEποτ’ Hλλ ξης).95 Die Hermetischen Schriften (1. bis 4. Jh. n.Chr) „machen zwar keinen Gebrauch von magischen Namen und Beschwörungen“; zu Beginn eines der Traktate warnt aber Asklepios den König Ammon, diesen Traktat ins Griechische zu übersetzen (auch wenn der vorliegende griechische Text fast sicher der ursprüngliche ist!):96 Diese Sprache sei nur für logische Beweisführungen geeignet. Sie würde die Worte unwirksam machen.97
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CC V 45 (SC 147: 130,16-132,37). Zu den Namen Abrahams, Isaaks und Jakobs/Israels in Beschwörungsformeln – auch im ägyptischen Kontext – s.a. CC I 22 (SC 132: 130,5-14; u.a. Hinweis auf Abrahams Vertrautheit mit Gott) sowie CC IV 33/34 (SC 136: 266,16-270,28). CC V 45 (SC 147: 132,50-54). Zum Folgenden vgl. z.B. J. PUIGGALI, La démonologie de Celse penseur médio-Platonicien, in: Les Études classiques 45 (1987) 17-40, 31f. Fr. 150 (in: Oracles chaldaïques: avec un choix de commentaires anciens, texte établi et traduit par Édouard des Places, Paris 1971, 103). Das Gebot wird noch im 11. Jahrhundert zitiert von Michael Psellos (Expositio in Oracula chaldaica [ed. O’Meara 132,26]; vgl. Oracles chaldaïques, 169f.; D ILLON , Magical power, 209 und 211). D ILLON , 205. Corp. Herm. XVI 1f. (ed. Nock-Festugière, Bd. 2: 230-232). Der spezifische Klang (ατ τ3ς φων3ς ποι ν) der ägyptischen Vokabeln gewährleiste „die Wirksamkeit (τν ν*ργειαν) dessen, was gesagt wird“ (XVI 2: 232,7f.).
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Der Neuplatoniker Jamblichos (gestorben um 325 n.Chr.) bemerkt in seinem Werk De mysteriis, die Götter würden die assyrischen oder ägyptischen Götternamen vorziehen, da sie ihnen wesensverwandt seien. Es seien die ältesten Götternamen, die sich unverändert erhalten hätten. Was aber unveränderlich und rein sei, das passe zu den Göttern, die ja selbst ewig und unveränderlich seien. Wäre die Bedeutung der Namen durch Konvention festgelegt worden, so könnte man sie austauschen. „Aber wenn diese Namen mit dem Wesen des Benannten verbunden sind“, fährt Jamblichos fort, so sind die, welche ihm am nächsten stehen, den Göttern auch am angenehmsten, denke ich. Das zeigt, wie richtig es ist, die Sprachen der heiligen Völker zu verwenden anstatt die der anderen Menschen, denn in der Übersetzung behalten die Namen ihre Bedeutung nicht ganz.98
Von einer solchen Auffassung her wird auch verständlich, dass Apuleius einen „wahren Namen“ der Isis von den vielen – durchaus akzeptierten – anderen Namen unterscheidet. Jamblichos warnt allerdings vor einer allzu naiven Gottesvorstellung: Wie wenn der Gott, den man anruft, ein Ägypter wäre und ägyptisch redete! Sage dir vielmehr: Da die Ägypter als erste mit der Gabe beschenkt worden sind, mit den Göttern verkehren zu können, lieben es die Götter, dass man sie nach den Sprachregeln dieses Volkes anruft. Es ist jedenfalls kein Betrug der Magier!99
3. ZUR GÖTTLICHEN SELBSTOFFENBARUNG IN DER GESCHICHTE: UNÜBERWINDBARE GEGENSÄTZE ZWISCHEN ORIGENES UND KELSOS Die bisher skizzierte Argumentation des Origenes gegen eine Austauschbarkeit des Gottesnamens ist für heutige Leser nicht nur insofern erstaunlich, als der Theologe keine grundsätzlichen Zweifel an der Wirksamkeit magischer Praktiken erkennen lässt. Bemerkenswert ist auch, dass im Zusammenhang der betrachteten Aussagen die jüdisch-christliche Überzeugung von der Selbstoffenbarung Gottes in der menschlichen Geschichte zumindest nicht explizit thematisiert wird. Diese Zurückhaltung ist einerseits insofern nachvollziehbar, als 98
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De mysteriis 7,5; Übers.: Th. Hopfner; hier nach F. G RAF, Gottesnähe und Schadenzauber: die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996, 195f. (auch zum Folgenden). Vgl. D ILLON , 211f.
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Origenes sich in den Kapiteln 45 und 46 der Exhortatio ad martyrium und in Contra Celsum explizit gegen pagane Intellektuelle wendet,100 die von der Möglichkeit eines Eingreifens Gottes in die Geschichte kaum zu überzeugen gewesen wären.101 Andererseits lässt sich feststellen: der geschichtliche Aspekt ist aus Origenes’ Lehre von den göttlichen Namen nicht ausgeklammert und trotz seiner in diesem Zusammenhang eher beiläufigen Erwähnungen für diese Lehre von einiger Bedeutung.102 Zwar kommt durch den isoliert gebrauchten Gattungsnamen „Gott“ noch kein geschichtlicher Bezug ins Spiel. Durch die genannten „Zusätze“ zu diesem Gattungsnamen aber kann Gott nicht nur von allem, was nicht Gott ist, abgehoben werden („der Gott über allem“103), sondern auch in Beziehung gesetzt werden mit dem Endlichen („Gott, der Urheber aller Dinge, der Schöpfer von Himmel und Erde“104) und in diesem Zusammenhang auch mit geschichtlichen Ereignissen, Völkern und Einzelpersonen („Gott, der dem Menschengeschlecht diese und jene weisen Menschen gesandt hat“105; „der Gott, der den König der Ägypter und die Ägypter ins Rote Meer gestürzt hat“106; „der Gott Israels“ oder „der Gott der Hebräer“107; „[der] Gott Abrahams, [der] Gott Isaaks, [der] Gott Jakobs“108). Außerdem: Wenn der Eigenname Zeus nach Origenes’ Ausführungen ein Geflecht von Beziehungen und Handlungen assoziieren lässt,109 wird man analog dazu annehmen dürfen, dass Eigennamen des Gottes der Juden und Christen dessen Beziehungen zu bestimmten Ereignissen der Geschichte und menschlichen Personen „mithören“ lassen. So kann Gott sowohl durch die in Verbindung mit dem Gattungsnamen „Gott“ ausdrücklich genannten wie auch durch die bei der Nennung seiner Eigennamen gedanklich mit ihm verbundenen geschichtlichen Ereignisse und Personen in unverwechselbarer Weise identifiziert werden. Die Natur von Gottesnamen wie „Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs“ erschließt sich nach Origenes überhaupt nur durch die Kenntnis der 100
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In Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,9f.) werden Meinungen abgewehrt, die sich an bestimmten Aussagen von „Weisen unter den Griechen“ orientieren. Vgl. unten Anm. 112. Vgl. v.a. K EOUGH, Divine names, 207f. und 214f. CC IV 4 (SC 136: 194,2f.) u.ö. CC I 25 (SC 132: 144,39f.). CC I 25 (SC 132: 144,40f.). CC IV 34 (SC 136: 270,22-24). CC IV 34 (SC 136: 270,21f.). CC IV 33 (SC 136: 266,19f.); Exh. mart. 46 (GCS 2: 42,20f.) u.ö. CC I 25 (SC 132: 140,5-14).
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historischen Hintergründe, die ihrerseits eine Überlieferung von Generation zu Generation voraussetzt.110 Wenn die Christen, wie Origenes feststellt, nicht durch DämonenNamen und -Anrufungen eine Macht auszuüben scheinen, sondern durch den Namen Jesu „zusammen mit der Verkündigung der Geschichten über ihn (μετ' τν περ ατν στοριν)“111, deutet dies darauf hin, dass es auch hier historische Bezüge sind, die rekapituliert werden und so die Person Jesu vergegenwärtigen und die von ihm ausgehende Kraft wirksam werden lassen. In diesem Punkt nun scheiden sich endgültig die Geister. Konnte ein spätantiker christlicher Theologe wie Origenes im Bereich rein sprachphilosophischer Überlegungen zur Austauschbarkeit von Gottesnamen einem paganen Diskussionspartner wie Kelsos wenigstens einzelne Anknüpfungspunkte bieten, war hinsichtlich der Auffassung menschlicher Geschichte als Ort der Selbstoffenbarung Gottes keine Verständigung möglich.112 Der Name Zeus, der nach Meinung des Kelsos auf den höchsten Gott referiert, kann zwar an eine Vielfalt von Beziehungen und Handlungen denken lassen, durch die Zeus identifizierbar ist. Allerdings ist daraus keine Berührung Gottes mit der Geschichte abzuleiten. Für einen Philosophen wie Kelsos sind diese Beziehungen und Handlungen nicht historisch, sondern mythisch zu verstehen. Ihr tieferer, allgemeingültiger Sinn erschließt sich erst durch allegorische Auslegung.113 110
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S.v.a. CC IV 34 (SC 136: 268,2-8 und 270,25-28) an die Adresse derer, die diesen Gottesnamen in Beschwörungen heranziehen: „Sagt uns, ihr Leute: Wer war Abraham, wie groß war Isaak, von welcher Kraft war Jakob, dass der Name ‚Gott‘ in Verbindung mit ihrem Namen so große Krafterweise bewirkte? Von wem habt ihr erfahren oder könnt ihr erfahren, was über diese Männer zu sagen ist? Und wer hat sich der Aufgabe unterzogen, ihre Geschichte (στορ%αν) aufzuschreiben […]?“ Hier wie bei anderen derartigen Gottesnamen gilt: „Die Geschichte (στορ%αν) dessen, was namentlich angesprochen wird, und die Deutung der Namen erfahren wir von Hebräern, die diese Dinge in ihren von den Vätern überlieferten Schriften und in ihrer Landessprache rühmen und erklären.“ Vgl. auch KEOUGH, 208. CC I 6 (SC 132: 90,5-7); vgl. CC III 24 (SC 136: 56,17-19). Vgl. z.B. Kelsos, fr. V 2 (SC 147: 16,2f.): „Kein Gott nun, ihr Juden und Christen, und kein Sohn Gottes kam herab, und es dürfte wohl auch keiner herabkommen.“ Als Beispiel einer kosmologischen Mythendeutung durch Allegorese s.fr. VI 42 (SC 147: 280,45-282,58): Wenn Zeus (nach Ilias XV 18-24) seine Gattin Hera fesselte und in den Wolken aufhängte, bedeute dies, dass Gott die ursprünglich chaotische Materie nach bestimmten Proportionen fasste und ordnete. Wie Kelsos die Beziehungen des Zeus zu Menschen wie Danae oder Antiope (erwähnt in fr. I 37) interpretierte, lassen die erhaltenen Fragmente nicht erkennen. Ein Kontakt des restlos transzendenten Gottes mit Materiellem und Vergänglichem ist jedenfalls auszuschließen.
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Der Überblick zeigt, dass zwischen Origenes’ Lehre von den Namen Gottes und paganen philosophischen, speziell stoischen und (neu)platonischen, Ansätzen gewisse Berührungspunkte bestehen. Dennoch bleiben Unterschiede, die, soweit sie den christlichen Glauben an die Selbstoffenbarung Gottes in der menschlichen Geschichte betreffen, unüberbrückbar sind. Während Neuplatoniker wie Proklos (412-485 n.Chr.) auch von Gottesnamen sprechen werden, die von Menschen geschaffen wurden – ähnlich wie Götter-Statuen114 –, sind die Namen Gottes nach Origenes Ausdruck der Selbstaussage sowie gleichzeitig der Unverfügbarkeit Gottes. Gerade in diesem Punkt dürfte sich die bleibende Relevanz der referierten Gedanken des Origenes erkennen lassen. Seine Ausführungen zur Magie werden heute in erster Linie mit Verwunderung, seine sprachphilosophischen Überlegungen möglicherweise mit historischem Interesse an den Vorläufern aktueller Fragestellungen wahrgenommen werden.115 Doch auch wenn seine in diesen Bereichen geäußerten Argumente weitgehend als überholt gelten müssen, zeigt sich in seiner Auseinandersetzung mit Kelsos „etwas Grundlegendes und Exemplarisches“116: Kelsos’ Meinungsäußerung zur Austauschbarkeit der Namen Gottes, die dem Glauben an die Selbstoffenbarung des einen Gottes in der konkreten Geschichte diametral entgegengesetzt ist, berührt „das Grundproblem, das jedem christlichen Sprechen von Gott in philosophischer Sicht anhaftet“117. So ist die Aufgabe, der Origenes sich stellt – ein Nachweis der Vereinbarkeit biblischer Rede von der geschichtlichen Selbstoffenbarung und Selbstmitteilung Gottes mit philosophischem Denken – nach wie vor Aufgabe christlicher Theologie nicht zuletzt angesichts von Anfragen im Namen eines religionstheologischen Pluralismus. Dass die persönliche Annahme der göttlichen Selbstmitteilung darüber entscheidet, ob unterschiedliche Gottes-Namen und Gottes-Vor-
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PROCLUS , Theologia Platonica I 29 (ed. Saffrey-Westerink 124,22-125,2); vgl. N. J ANOWITZ , Theories of Divine Names in Origen and Pseudo-Dionysius, in: History of religions 30 (1991) 359-372, v.a. 368f.; VAN DEN B ERG, 181. Auch Ps-Dionysius bezeichnet Götternamen als „Statuen“/„Götterbilder“ (De divinis nominibus IX 1; ed. Suchla 207,8); τν θεωνυμικν Hγαλμ των: J ANOWITZ , 367, 369f. Zu letzteren vgl. in diesem Band O. W IERTZ , Sprechen alle Religionen von demselben Gott? W. KASPER , Name und Wesen Gottes. Problem und Möglichkeit des theologischen Sprechens von Gott, in: H. von Stietencron (Hg.), Der Name Gottes, Düsseldorf 1975, 176-190, 177. Ebd., 176 (vgl. auch zum Folgenden).
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stellungen austauschbar bzw. „übersetzbar“ sind,118 wird an den Aussagen des Origenes und des Kelsos deutlich. Bei aller Zeitbedingtheit der jeweiligen Argumentation zeigt sich hier ein bleibendes „Skandalon“, das auch in gegenwärtigen Diskussionen über Monotheismus und religiöse Offenheit nicht zu umgehen ist.
Eigene Abkürzungen CC ComIs (u.Ä.) HomGen (u.Ä.) SC
= Contra Celsum = Commentarius in Isaiam (u.Ä.) = Homilia in Genesim (u.Ä.) = Sources chrétiennes
Literatur Quellen ANONYMUS, Hymnus in Isim, in: Supplementum Epigraphicum Graecum 8 (1937) 97f. (Nr. 548). APULEIUS OF MADAUROS, The Isis-Book (Metamorphoses, Book XI). Edited with an Introduction, Translation and Commentary by J. Gwyn Griffiths, Leiden 1975. Aristotelis Categoriae et Liber de interpretatione, recognovit brevique adnotatione critica instruxit L. Minio-Paluello (OCT), Oxford 1949 (ND Oxford 1980). Lettre d’Aristée à Philocrate. Introduction, texte critique, traduction et notes, index complet des mots grecs par André Pelletier (SC 89), Paris 1962. Sancti Aureli Augustini de consensu evangelistarum libri quattuor. Recensuit et commentario critico instruxit Franciscus Weihrich (CSEL 43), WienLeipzig 1904. CELSUS, Alethes Logos: s. ORIGENES, Contra Celsum. Corpus Hermeticum, Bd. 2: Traités XIII-XVIII. Asclepius. Texte établi par A(rthur) D(arby) Nock et traduit par A(ndré)-J(ean) Festugière, Paris 1945. 118
Vgl. J. A SSMANN , Translating Gods: Religion as a Factor of Cultural (Un)Translatability, in: S. Budick/W. Iser (Hg.), The Translatability of Cultures: figurations of the space between, Stanford (CALIF) 1996, 25-36, 25.
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Wechsel von einer Buchreligion in die andere? Zu Hintergründen und Tragweite von Konversionen vom Christentum zum Islam und umgekehrt 1. EINFÜHRUNG „Sind Religionen austauschbar?“ So lautet das Rahmenthema dieses Sammelbandes und der ihm zugrunde liegenden Ringvorlesung der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. An einer solchen Hochschule, die sich die Heranbildung christlich-katholischer Theologen zur Aufgabe gemacht hat, kann freilich nicht davon ausgegangen werden, dass diese Frage für Lehrende und Studierende noch völlig offen ist. Wäre sie es, dann ließe sich nicht begründen, weshalb man ausgerechnet ein Studium der christlich-katholischen Theologie anbieten oder betreiben sollte. Der Einsatz für gerade diese Ausbildung beruht auf der Grundannahme, dass christlicher Glaube eben nicht ohne weiteres zugunsten anderer religiöser Optionen aufgegeben werden kann. Davon sind offenbar auch alle bisherigen Vortragenden dieser Reihe ganz selbstverständlich ausgegangen. Deshalb haben sie sich gar nicht erst mit der Frage aufgehalten, ob Religionen austauschbar sind; vielmehr haben sie aus der Perspektive ihrer je eigenen Fächer gleich eine etwas andere Frage behandelt, nämlich die, warum Religionen nicht austauschbar sind, wie weit aber trotz des Gewichts ihrer unaufhebbaren Unterschiede dennoch ihre Gemeinsamkeiten reichen und welche Art und welches Maß von Austausch angesichts dessen zwischen ihnen möglich und sinnvoll ist. Hier soll es ebenfalls um diese Frage gehen, und zwar in einer auf Islam und Christentum bezogenen Eingrenzung, die sich angesichts der religiös pluralen gesellschaftlichen Wirklichkeit Deutschlands nahelegt. Sie geht von einem empirisch feststellbaren Tatbestand aus: Es gibt hier bei uns Menschen, die vom Christentum zum Islam überwechseln, und auch solche, die vom Islam zum Christentum überwechseln; die einen wie die anderen tauschen damit faktisch ihre bisherige Religionszugehörigkeit gegen eine neue aus. Aber was be-
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deutet das? Tun sie das, weil sie Islam und Christentum für austauschbar im üblichen Sinne dieses Wortes halten, das heißt also für im Prinzip gleich wahr und richtig, gleichwertig und das Gleiche leistend, so dass es keinen großen Unterschied macht, ob sie der einen oder der anderen Religion anhängen? Damit ist nur in Fällen zu rechnen, in denen die Konversion nicht primär durch Veränderung religiöser Überzeugungen, sondern durch pragmatische Erwägungen motiviert ist. Am häufigsten begegnen Konversionen dieser Art bei Eheschließungen religiös nicht sehr tief identifizierter Christen und vor allem Christinnen mit einem muslimischen Partner. In solchen Fällen nimmt nicht selten der Christ oder die Christin den Islam an. Hier wird dem Zusammenhalt der in Gründung begriffenen Familie, der durch Religionsverschiedenheit vielleicht beeinträchtigt werden könnte, und dem Akzeptiertwerden von der Herkunftsfamilie des muslimischen Ehepartners der Vorrang vor der Zugehörigkeit zur ursprünglichen eigenen Religion eingeräumt. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, rechtfertigen dies vielfach mit Aussagen wie „Muslime und Christen glauben an denselben Gott, und bei ihnen gelten im Prinzip dieselben ethischen Werte“. Damit machen sie ihre Konversion für sich selbst und ihr Umfeld leichter annehmbar und versichern sich und andere dessen, dass ihre Identität trotz dieses Schrittes im Kern ungebrochen fortbesteht. So vermitteln sie tatsächlich das Bild einer weitgehenden Austauschbarkeit beider Religionen. Andere Konversionen, nämlich solche von Menschen, die zu dem Schluss gelangt sind, dass nicht ihre bisherige Religion, sondern die neue, je andere die wahre oder wenigstens bessere ist – man könnte sie Überzeugungskonversionen nennen –, werden gerade deshalb unternommen, weil die, die konvertieren, Islam und Christentum nicht für austauschbar halten; wären die beiden Religionen das in ihren Augen, dann wäre der Übertritt gegenstandslos, und sie würden ihn sich sparen. Welche Art und welches Maß von Veränderungen diejenigen, die aus Überzeugung den Wechsel vom Christentum zum Islam oder umgekehrt vollziehen, mit diesem Schritt genau erstreben, erreichen und zu bewältigen haben und welche Beurteilung der ursprünglichen und der neuen Religion diesem Wechsel zugrunde liegt oder sich eventuell auch erst nachträglich aus ihm ergibt, bleibt näher zu klären. Unser Bemühen, dem ein Stück weit auf die Spur zu kommen, wird sich um der gebotenen Kürze willen auf die von den Konvertiten selbst wahrgenommenen und benannten Gründe für den Religionswechsel, auf mögliche zusätzliche Funktionen, die er für sie in ihrer jeweiligen lebensgeschichtlichen Situation oder sozialen Lage erfüllt,
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und auf das Verhältnis zwischen den Glaubenslehren der alten und der neuen Religionsgemeinschaft und dessen mögliche Konsequenzen für den Konversionsverlauf beschränken. Einige andere, grundsätzlich ebenfalls untersuchenswerte Aspekte, so z.B. die Folgen des Übertritts für die Frömmigkeitspraxis, den Lebensstil und die Sozialbeziehungen der Konvertierten, müssen für jetzt außer Betracht bleiben.
2. UMFANG VON KONVERSIONEN ZWISCHEN CHRISTENTUM UND ISLAM IN DEUTSCHLAND Für eine realistische Einschätzung der praktischen Relevanz der Fragen, die uns im Zusammenhang mit solchen Religionswechseln beschäftigen werden, ist es zunächst einmal von Nutzen, einen Begriff davon zu gewinnen, in welchem Umfang sich bisher in Deutschland das Phänomen der Konversion von einer christlichen Konfession zum Islam und umgekehrt bewegt. Darüber gibt es keine ganz verlässlichen Zahlen. Fest steht aber, dass die Konversionen von Angehörigen christlicher Kirchen und mitunter auch Sekten zum Islam erheblich zahlreicher sind als diejenigen in der Gegenrichtung. Was die Gesamtzahl der Bewohner Deutschlands betrifft, die zum Islam konvertiert sind oder deren Eltern dies bereits getan haben – und zwar, wie man aufgrund der sonst bekannten Proportionen zwischen den verschiedenen Religionszugehörigkeiten und weltanschaulichen Orientierungen annehmen muss, größtenteils, nachdem sie früher Christen gewesen waren – schwankten die Schätzungen im Jahr 2009 je nach Quelle zwischen rund 13.000 und rund 100.000. 1 Das von Muhammad Salim Abdullah geleitete Islam-Archiv in Soest, das freilich über keine wissenschaftlich gesicherte Statistik verfügt, zählte bis einschließlich 2007 rund 21.000 deutschstämmige Muslime und berichtete von etwa 2.400 neu zum Islam übergetretenen Deutschen allein in diesem einen Jahr. 2 Die höchsten Gesamtzahlen von zum Islam Konvertierten werden erfahrungsgemäß von solchen Muslimen in Umlauf gebracht, die die Expansion ihrer Religionsgemeinschaft auf Kosten des Christentums offen erstreben und bejubeln und dazu neigen, deren Ausmaß aus Zweckoptimismus oder um der propagandistischen Wirkung willen zu übertreiben. Deshalb geht man wohl mit der Annahme nicht 1
2
S. H AUG/S. M ÜSSIG/A. S TICHS , Muslimisches Leben in Deutschland, Studie im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, hg. vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Forschungsbericht 6), Nürnberg 2009, S. 58. http://www.islamarchiv.de (letzter Zugriff am 29.11.2010), Nachrichten 2008.
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fehl, dass die tatsächliche Zahl der zum Islam konvertierten Deutschen, die zuvor meist einer christlichen Konfession angehört haben, erheblich unterhalb des rechnerischen Mittelwerts zwischen 13.000 und 100.000, das wären 56.500, liegt, vielleicht zwischen 30.000 und 40.000. Die Zahl der ursprünglichen Muslime, die vom Islam zur katholischen oder evangelischen Kirche konvertieren, dürfte sich nach deren Erfahrungswerten derzeit pro Jahr im unteren dreistelligen Bereich bewegen; 3 dazu kommen noch Konversionen zu evangelischen Freikirchen. Wenn man berücksichtigt, dass entsprechende Konversionen in dieser Größenordnung erst einige Zeit nach Beginn der Arbeitsmigration aus der Türkei und nach der Ankunft größerer Flüchtlingsströme aus Ländern wie dem Libanon, Iran oder Afghanistan eingesetzt haben können, ist demnach in Deutschland heute insgesamt mit der Präsenz von zwischen 5.000 und 10.000 ehemaligen Muslimen zu rechnen, die Christen geworden sind. 4
3. MOTIVE UND KONSEQUENZEN DER KONVERSION IN DER SELBSTWAHRNEHMUNG VON KONVERTITEN Auch unabhängig von der genauen Zahl der Konvertiten, vor allem derjenigen, die aus Überzeugung zur je anderen Religion übergetreten sind, lohnt es sich, einmal näher in den Blick zu nehmen, was der Religionswechsel für die, die ihn vollziehen, bedeutet, und zwar in mehrfacher Hinsicht: Islamwissenschaftlich betrachtet sind die aus dem Christentum gekommenen Neumuslime eine oft sehr aktive Sondergruppe, deren Mitglieder teilweise für extremistische Tendenzen anfällig sind; ihre spezifischen Religionsverständnisse mitsamt deren Hintergründen harren der Erforschung. Religionstheologisch ist die
3
4
Die Verfasser der Arbeitshilfe Nr. 236 der Deutschen Bischofskonferenz „Christus aus Liebe verkündigen. Zur Begleitung von Taufbewerbern mit muslimischem Hintergrund“, veröffentlicht am 24. August 2009, haben aus den vorliegenden Angaben der deutschen (Erz-)Diözesen für das Jahr 2007 eine Gesamtzahl von maximal 150 früheren Muslimen erschlossen, die zur katholischen Kirche konvertiert sind (s. dort S. 19f.). Die Zahl der Konversionen von Muslimen zur evangelischen Kirche dürfte sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegen. In einer ARD-Fernsehsendung des Magazins „Report Mainz“ mit dem Titel „Warum Muslime Christen werden“ aus dem Jahr 2008, die noch an mehreren Stellen (z.B. http://www.youtube.com/watch?v=gNbPfyEveGY, letzter Zugriff am 29.11.2010) im Internet steht, war unter Berufung auf nicht näher bezeichnete Experten von etwa 5.000 in Deutschland vom Islam zum Christentum konvertierten Muslimen innerhalb der letzten zehn Jahre die Rede.
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Art und Weise, wie diese Konvertiten den Wechsel von ihrer alten zu ihrer neuen Religion erfahren und interpretieren, ein möglicher Schlüssel zum genaueren Verständnis des Verhältnisses zwischen islamischen und christlichen Glaubensvorstellungen. Und für das pastorale Handeln der Kirche ist es durchaus von Belang, Genaueres darüber zu wissen, was die zu ihr konvertierten Muslime für die Möglichkeit des Christseins in erster Linie eingenommen und zur Aufgabe ihrer früheren Religionszugehörigkeit veranlasst hat, aber auch, wodurch sich zum Islam konvertierte frühere Mitglieder der Kirche von dieser abgestoßen und zum Islam hingezogen gefühlt haben. Darüber hinaus kommen der Katechese für muslimische Taufbewerber präzise Vorstellungen vom Verhältnis zwischen islamischen und christlichen Glaubenslehren sehr zugute. Deshalb soll hier im einzelnen folgenden Fragen nachgegangen werden: Warum tun diejenigen, die eine Konversion vom Christentum zum Islam oder umgekehrt vollziehen, aus ihrer eigenen Sicht diesen Schritt, was ändert er nach ihrer Einschätzung, was nicht? Und was bleibt dabei auf der Ebene der Überzeugungen, die von der Glaubensgemeinschaft, der sie jeweils angehören, als maßgeblich erachtet werden und deren Bejahung von ihnen erwartet wird, gleich, was verändert sich?
3.1 Konversionserzählungen: Probleme und Stand ihrer Erforschung, allgemeine Darstellungstendenzen Zunächst zur ersten Frage, der nach der Wahrnehmung der Gründe und der Konsequenzen des Religionswechsels durch die Konvertiten selbst. Was sie betrifft, so ist zur Vermeidung von Missverständnissen zunächst auf eine Einschränkung unserer Erkenntnismöglichkeiten hinzuweisen: Die subjektiven Motivationen und Deutungen des Religionswechsels sind potentiell ebenso verschieden wie die einzelnen Menschen, die sich zur Konversion entschließen, und wie deren jeweilige Biographien und Lebenssituationen. Deshalb kann hier nicht der Anspruch erhoben werden, die persönlichen Implikationen aller Einzelfälle des Übertritts von einer christlichen Konfession zum Islam oder umgekehrt adäquat zu beschreiben und zu interpretieren. Möglich ist dagegen der Versuch einer zusammenfassenden Auswertung der bisher in empirischen Studien erhobenen und in schriftlichen Selbstzeugnissen greifbaren Aussagen von Konvertiten über die Motive ihres Übertritts, ihr religiöses Selbstverständnis und ihre Befindlichkeit innerhalb der neuen Glaubensgemeinschaft.
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Ein methodisches Problem bleibt dabei, dass sozialpsychologische Arbeiten zum Teil zu unkritisch die von Konvertiten selbst genannten Motive für ihren Übertritt zur je anderen Religion mit den tatsächlichen Beweggründen für deren Konversion gleichgesetzt haben: Die Konversionserzählungen, auf die man sich stützen kann, bieten die Selbstdeutung der bereits Konvertierten dar, und diese kann in bestimmten Zügen auch erst nach der Konversion unter dem Einfluss der Sichtweisen der neuen religiösen Bezugsgruppe entstanden sein. Darauf haben im Anschluss an Bernd Ulmer, der den generell rekonstruktiven Charakter aller Konversionserzählungen herausgearbeitet hatte, 5 bereits Barbara Zschoch in einer Studie zu biographischen Erzählungen von Deutschen, die zum fundamentalistischen Islam konvertierten, und Gabriele Hofmann in einer Untersuchung über zum Islam konvertierte deutsche Frauen aufmerksam gemacht. 6 Nach ihnen hat vor allem die Soziologin Monika Wohlrab-Sahr, die Autorin einer 1999 erschienenen Habilitationsschrift über Konversionen zum Islam in Deutschland und in den Vereinigten Staaten, kritisch vermerkt, dass ältere sozialpsychologische Untersuchungen diesen Umstand zum Teil übersehen und deshalb Konversionserzählungen fälschlich als Tatsachenberichte über die objektiv für die Konversionen ausschlaggebend gewesenen, nach Darstellung der Betroffenen meist religiösen Gründe bewertet haben. 7 Umgekehrt setzt allerdings auch Frau Wohlrab-Sahr etwas zu unkritisch voraus, dass sie mit dem von ihr bevorzugten Verfahren der Korrelierung der gesamten Biographie der Konvertiten mit deren eigenen Aussagen über Gründe und Folgen des eigenen Religionswechsels den tatsächlichen Konversionsgründen objektiv auf die Spur kommen kann; die Hauptquelle der Biographieforschung dieser Autorin sind wiederum die selbsterzählten Lebensläufe der Konvertiten, die natürlich ebenfalls Elemente nachträglicher Deutung und Selbststilisierung enthalten. Dazu kommt bei dieser Forscherin trotz gegenteiliger Versicherungen auch
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B. ULMER , Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattung. Erzählerische Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses, in: Zeitschrift für Soziologie 18 (1988) 9-33. B. Z SCHOCH, Deutsche Muslime. Biographische Erzählungen über die Konversion zum fundamentalistischen Islam (Kölner Ethnologische Arbeitspapiere 6), Bonn 1994, 10f.; G. HOFMANN, Muslimin werden. Frauen in Deutschland konvertieren zum Islam (Schriftenreihe des Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie 58), Frankfurt a.M. 1997, 21-25. M. W OHLRAB -SAHR , Konversion zum Islam in Deutschland und den USA, Frankfurt a.M.-New York 1999, 19f., 364-366.
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noch die Tendenz, die von den Konvertiten genannten spezifisch religiösen Gründe für die Konversion von vornherein eher für nachträgliche Konstrukte zu halten als diejenigen Motive, die sie ihrerseits aus den geschilderten biographischen Verläufen erschlossen hat. Obgleich all diese möglichen Verzerrungsfaktoren im Auge behalten werden müssen, liefert aber insbesondere der Vergleich mehrerer Studien verschiedener Autoren zu Konversionen zusammen mit nachlesbaren Selbstzeugnissen von Betroffenen immer noch wichtige Anhaltspunkte dafür, was sich aus der Sicht von Konvertiten ändert oder auch nicht, wenn sie aus dem Christentum in den Islam überwechseln oder umgekehrt. Eine im Augenblick nicht behebbare Unausgewogenheit der verfügbaren Materialbasis resultiert daraus, dass über Konversionen von Christen zum Islam bereits ziemlich viel geforscht wurde, über solche in der umgekehrten Richtung aber noch sehr wenig. Dennoch reichen die vorhandenen Informationen dazu aus, als erstes einen Überblick über die Hauptzüge der Darstellungen zu gewinnen, die Konvertiten von Hintergründen und Konsequenzen ihres Übertritts gegeben haben. Diejenigen von ihnen, die nach eigener Auskunft aus originär religiösen Gründen beschlossen haben, in die je andere Glaubensgemeinschaft überzuwechseln, betonen in ihren Berichten gewöhnlich weniger die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede zwischen bisheriger und neuer Religion und erklären relativ genau, in welchen Hinsichten sie die bisherige nicht befriedigt hat, die neue dagegen jetzt voll und ganz zufriedenstellt und sehr viel glücklicher macht. Schließlich wollen sie den Zuhörer oder Leser davon überzeugen und auch sich selbst dessen vergewissern, dass der einschneidende Akt ihrer Konversion, der zumeist etliche Menschen ihres Umfelds überrascht, ja womöglich sogar schockiert hat, so triftige Gründe hatte, dass sie es nicht beim alten Zustand belassen konnten.
3.2 Darstellungen von zum Islam konvertierten früheren Christen und Ansätze zu ihrer Interpretation Frühere Angehörige christlicher Konfessionen, die zum Islam konvertiert sind, verweisen z.B. vielfach auf aus ihrer Sicht fragwürdige christliche Dogmen. Ein besonders häufig wiederkehrendes Motiv ist dabei die Einstufung des Trinitätsglaubens oder spezieller des Glaubens an die Gottessohnschaft Jesu als unverständlich, zu kompliziert, unlogisch oder irrational. Nach Ausweis von Konversionserzählungen ist der Übertritt zum Islam gerade solchen Christen besonders leicht
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gefallen, denen, solange sie noch ihrer Herkunftsreligion angehörten, nach eigener Darstellung der Sinn des Trinitätsglaubens nie auch nur im geringsten einleuchtend erklärt wurde 8 – was zugegebenermaßen ja auch keine ganz einfache Aufgabe ist, sondern theologische Kompetenz und didaktisches Geschick erfordert. Dem christlichen Trinitätsglauben und Verständnis der Person Jesu stellen die Konvertiten den „reinen“ oder „genuinen“ islamischen Monotheismus und die Überzeugung der Muslime, dass Jesus wie Muhammad zwar ein bedeutender Prophet, aber im übrigen nur ein Mensch gewesen ist, als erheblich plausibler gegenüber. 9 Oft wird gegen das Christentum auch der Einwand der Unzuverlässigkeit der Textgestalt der Bibel und der Zweifelhaftigkeit von deren Offenbarungscharakter erhoben. Mit ihnen wird die vermeintlich beweisbare Tatsache kontrastiert, dass jedes einzelne Wort des Koran genau so, wie es der Prophet Muhammad verkündete und wie es seit seinen Zeiten auf uns gekommen ist, nur von Gott selbst stammen kann; 10 aufgrund dessen interpretieren die Konvertiten ihren Übertritt zum Islam als Entscheidung für eine anders als das Christentum in ihrem geoffenbarten Ursprung vollkommen abgesicherte Religion. Im übrigen heben sie immer wieder als besonderen Vorzug des Islam hervor, dass dieser im Gegensatz zum Christentum durch und durch logisch und rational sei. 11 Vielfach betonen sie außerdem, dass die Aussagen des Koran und der islamischen Glaubenslehre anders als
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Sprechend diesbezüglich z.B. die Konversionsgeschichte von Yusuf Estes, im Internet unter http://www.way-to-allah.com/bekannte/yislam/html (letzter Zugriff am 01.12.2010). Siehe z.B. M.S. A BDULLAH, Geschichte des Islams in Deutschland (Islam und westliche Welt 5), Graz-Wien-Köln 1981, 46 (die Ergebnisse einer 1977 im Auftrag des Islamischen Weltkongresses durchgeführten Umfrage unter deutschen Konvertiten referierend); M. RASSOUL (Hg.), Deutsche von Allah geleitet, Köln 1982, 30 (Selbstzeugnis von Dr. Mahmud W.), 56f. (Selbstzeugnis von Ingrid Amal Lehnert); þA.A. Q. AL -A HDAL , ¼iwÁrÁt maþa muslimÍn ÚrubbÍyÍn („Dialoge mit europäischen Muslimen“), Damaskus-Beirut 1410 d. H. = 1990, 134; Z SCHOCH, Deutsche Muslime, 29; HOFMANN , Muslimin werden, 125f.; M.E. B AUMANN, Frauenwege zum Islam. Analyse religiöser Lebensgeschichten deutscher Muslimas, Diss. Regensburg 2003, 129, 150, 185, 228; J. L AU, Christian heißt jetzt Abdul, in: DIE ZEIT vom 22.12.2004; T.G. J ENSEN, Religious Authority and Autonomy Intertwined: The Case of Converts to Islam in Denmark, in: The Muslim World 96 (2006) 643-660, 649. Siehe z.B. Z SCHOCH , Deutsche Muslime, 22 und 30; H OFMANN , Muslimin werden, 125f. Siehe z.B. A BDULLAH, Geschichte des Islams in Deutschland, 46; Z SCHOCH , Deutsche Muslime, 28; HOFMANN , Muslimin werden, 141f.
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diejenigen der Bibel und der Glaubenslehre der Christen mit modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen übereinstimmten. 12 Diese Bewertungen, mit denen Christentum und Islam zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, decken sich genau mit der muslimischen Selbstdarstellung und der Interpretation des Christentums, die seit dem späten 19. Jahrhundert das gegen die letztere Religion gerichtete apologetische Schrifttum des Islam beherrschen und in islamischen Ländern inzwischen weithin Gemeingut sind. Deshalb ist zu vermuten, dass sie zumindest teilweise nicht die Vorstellungen widerspiegeln, die bei den zum Islam Übergetretenen schon zum Zeitpunkt der Konversion bestanden und sie tatsächlich zu diesem Schritt veranlasst haben, sondern dass sie von ihnen in dieser Form erst nach dem Übertritt in die neue Religionsgemeinschaft unter dem Einfluss der in dieser verbreiteten Deutungsmuster und Argumente angeeignet wurden. Abgesehen von den genannten kritischen Stellungnahmen zu Glaubenslehren des Christentums und deren biblischer Textgrundlage bewerten die zum Islam Konvertierten diese Religion verschiedentlich auch insofern negativ, als sie das Urteil äußern, die heute so genannten Christen glaubten fast alle selbst gar nicht mehr richtig an ihre eigene Religion, und ihnen sei vor lauter Egoismus und materialistischem Gewinnstreben sowohl die Brüderlichkeit der Gläubigen als auch das Interesse an Gottesdienst und anderen Formen von Frömmigkeitspraxis abhanden gekommen; bei den Christen, nicht zuletzt ihren kirchlichen Amtsträgern, stünden Lebensstil und praktisches Verhalten in einem eklatanten Widerspruch zur proklamierten Lehre 13 – eine Diagnose, die natürlich in dieser Pauschalität nicht zutrifft, aber gleichwohl eine kritische Anfrage an die Christenheit ist. Was die Konvertiten mit ihrer Hinwendung zum Islam gesucht und gefunden haben, beschreiben etliche von ihnen als eine zum Glück noch richtig lebendige Religion, in der es das Normale ist, zu glauben, zu praktizieren und sich der brüderlichen Solidargemeinschaft der Mitgläubigen zu erfreuen. Dieses Kontrastbild beruht zum Teil auf der richtigen Beobachtung, dass der Prozess gesellschaftlicher und kultureller Säkularisierung bis hin zur Extremkonsequenz des Religionsverlusts in islamischen Ländern und in relativ geschlossen muslimischen Kon12
13
Siehe z.B. AL -A HDAL , ¼iwÁrÁt maþa muslimÍn ÚrubbÍyÍn, 115; Z SCHOCH , Deutsche Muslime, 30; H OFMANN , Muslimin werden, 142f. Siehe z.B. RASSOUL , Deutsche von Allah geleitet, 21f. (Selbstzeugnis von Frank Abdullah Bubenheim); AL-AHDAL, ¼iwÁrÁt maþa muslimÍn ÚrubbÍyÍn, 106, 114 und passim; HOFMANN , Muslimin werden, 126f.; J ENSEN , Religious Authority and Autonomy, 649.
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texten der westlichen Diaspora noch nicht so weit fortgeschritten ist wie unter Europäern oder Amerikanern, die aus der christlichen Tradition kommen. Zum Teil sind in ihm aber auch Idealisierungstendenzen am Werk, wie jeder nüchterne Blick in die Wirklichkeit der islamischen Welt rasch erkennen lässt. Verschiedentlich stellen Konvertiten auch noch den egalitaristischen Grundzug und die nichthierarchische Struktur der islamischen Religionsgemeinschaft, in der niemand für sein Heil von sakramentalen Vermittlungsleistungen eines anderen Menschen abhängt, als am Islam besonders anziehend und überzeugend heraus. Manche erblicken in diesem Fehlen einer Hierarchie wie auch in der vermeintlich größeren Rationalität des islamischen Gottesverständnisses den Beweis dafür, dass der Islam die modernere Religion ist als das Christentum. 14 In einem erheblichen Teil der Fälle einer Konversion vom Christentum zum Islam darf man sich heutzutage unter dem, was in Forschung und alltäglichem Sprachgebrauch so bezeichnet zu werden pflegt, keinen Verlauf vorstellen, bei dem ein Mensch aus einer Situation ungebrochener Teilhabe an Glaubensvorstellungen und religiösen Vollzügen einer christlichen Kirche heraus Zweifel an deren Richtigkeit, Tragfähigkeit oder Geltung innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft selbst bekommt, deshalb mit ihnen zu hadern beginnt, sich daraufhin geradewegs nach einer überzeugenderen Alternative umsieht und diese schließlich im Islam findet. Vielmehr haben diejenigen, die zum Islam konvertieren, zu diesem Zeitpunkt, auch wenn sie erst direkt davor förmlich aus einer Kirche ausgetreten sind, nach eigener Aussage oft bereits eine Phase längerer faktischer Entfremdung von dieser und vom Christentum als ganzem hinter sich, in der sie diesen weitgehend gleichgültig gegenüberstanden, ja sich bisweilen sogar als Atheisten betrachtet haben. Dieser Zustand ist mitunter schon durch die Elterngeneration angebahnt worden; teils haben die Konvertiten keine reguläre christlich-religiöse Sozialisation mehr erlebt. Unter diesen Voraussetzungen ist es in Wirklichkeit weniger das eigene Unbehagen an spezifisch christlichen Glaubensinhalten, Kirchenstrukturen und Praktiken, das der Hinwendung zum Islam den Boden bereitet haben kann, als ein Orientierungsvakuum, aus dem der Islam einen überzeugenden Ausweg zu bieten scheint. Dabei eröffnet sowohl die Anbindung an eine traditionalistische, betont schariatreue Lesart des Islam als auch die an eine sufische Gruppe, in der 14
Siehe z.B. RASSOUL , Deutsche von Allah geleitet, 49f. (Selbstzeugnis von Wilfried Murad Hofmann); Z SCHOCH , Deutsche Muslime, 28 und 60.
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man sich der autoritativen Führung eines Derwischscheichs unterstellt, die Aussicht auf eine besonders sichere Orientierung. Viele Konvertiten, die den einen oder anderen dieser Wege gegangen sind, äußern denn auch Glücksgefühle darüber, mit ihrer Hinwendung zum Islam in einer umfassend geregelten Lebensordnung angekommen zu sein, in der jederzeit klar ist, was sie glauben und tun müssen oder dürfen und was nicht. Aber auch wo die Konversion zum Islam nicht im Traditionalismus oder im Sufitum endet, wird sie häufig als glücklicher Ausgang der eigenen Sinnsuche beschrieben. 15 Dass bei der geschilderten Ausgangslage Orientierung und Sinn nicht mehr in einer Rückwendung zur früheren oder einer anderen christlichen Konfession und in der erneuten Verwurzelung in dieser gesucht werden, sondern gerade im Islam, muss, wie vor allem die schon erwähnte sozialpsychologische Studie von Monika WohlrabSahr16 gezeigt hat, nicht unbedingt primär auf Vorbehalten gegen Dogma, Glaubenspraxis oder hierarchische Strukturen des Christentums und der Annahme der Überlegenheit der islamischen Alternativen zu ihnen beruhen: Auch besondere biographische Hintergründe, die zunächst einmal nichts mit Religion zu tun haben, können der islamischen Option besondere Anziehungskraft verleihen. So gehen der Konversion zum Islam vielfach Lebenskrisen voraus, die die Betroffenen als besonders verunsichernd erfahren haben, in denen sie z.B. eine wichtige mitmenschliche Beziehungen verloren haben, ihnen die bisherigen Ziele, Verhaltensmuster und Wertmaßstäbe weitgehend fragwürdig geworden sind, ja teils sogar die Fähigkeit zur Alltagsstrukturierung abhanden gekommen ist. Dieser Befund wird auch durch eine Untersuchung des muslimischen Sozialpsychologen Ali Köse 17 zu Konvertiten bestätigt, die in Großbritannien zum Islam übergetreten sind. In solchen Situationen erscheint ein stark legalistisch verstandener Islam, der mit der Vorstellung eines von Gott vorgegebenen umfassenden Regelungssystems für sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens einhergeht und schon allein auf dem Weg über das peinlich genau zu beachtende Gebetsritual für eine feste Tagesstruktur sorgt, besonders anziehend. Speziell bei Frauen steht bisweilen eine vorangegangene extreme Verunsicherung in der eigenen Geschlechtsrolle im Hintergrund, die 15
16 17
Eindrucksvolle Beispiele dafür finden sich insbesondere in den Konversionserzählungen bei R ASSOUL , Deutsche von Allah geleitet, und den bei B AUMANN , Frauenwege zum Islam, referierten und ausgewerteten narrativen Interviews. W OHLRAB -S AHR , Konversion zum Islam. A. K ÖSE , Neden Islâm’ý seçiyorlar. Müslüman Olan Ingilizler Üzerine Psiko-Sosyolojik Bir Inceleme, Istanbul 1997.
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durch den sozialen Wandel der letzten Jahrzehnte ausgelöst wurde und aus der die Selbstbindung an die tradierten islamischen Verhaltensnormen, die als Ausdruck des Gotteswillens verstanden werden, einen ehrbaren Ausweg bietet. Andere beobachtete biographische Ausgangslagen, die die Entscheidung für den Islam begünstigen können, sind z.B. schwierige Ablösungskonflikte mit praktizierend oder nur nominell christlichen Eltern, aber auch traumatische Kündigungen oder Ablehnungen durch christlich identifizierte Arbeitgeber; hier kann die Konversion das Bedürfnis befriedigen, sich symbolisch von diesen Personen abzugrenzen. Eventuell dient sie auch dem Bedürfnis nach Abgrenzung von der mehrheitlich immer noch einer christlichen Kirchen angehörenden Gesellschaft als ganzer, sofern man sich von dieser marginalisiert fühlt. Im Falle des zum Glück seltenen Anschlusses an eine gewaltbereite extrem-islamistische Gruppe kann eine derartige Selbstabgrenzung sogar in eine offene Kampfansage an diese Gesellschaft münden, wie sich etwa an der Entwicklung des bekannten Dschihadisten Eric Breininger ablesen lässt. 18 Vor allem in den an nichtmuslimischen ethnischen Minderheiten reichen USA hat sich die Option für den Islam nach den Erkenntnissen von Monika Wohlrab-Sahr unter anderem auch deshalb als besonders anziehend erwiesen, weil sie Angehörigen entsprechender Minderheiten, die sich benachteiligt fühlen, die Möglichkeit eröffnet, ihr Anderssein als die Mehrheit und damit ihren Minderheitsstatus auf dem Wege der Konversion zum Islam selbst so umzudefinieren, dass sie diese erstens als eine Angelegenheit selbstgewählter Überzeugung erfahren können, was sie leichter erträglich macht und ihnen ein Stück Stolz zurückgibt, und dass sie zweitens noch dazu das Bewusstsein haben können, zwar in ihrem eigenen Land einer Minderheit, aber in etlichen anderen Ländern der Mehrheit und im Weltmaßstab einer nach Milliarden zählenden Gemeinschaft von Glaubensgenossen mit vielen mächtigen und reichen Mitgliedern anzugehören. Lisbeth Rocher und Fatima Cherquaoui, die Selbstzeugnisse und Geschichten von Konvertiten in Frankreich und einer Reihe anderer europäischer Länder erforscht haben, erblicken eine mögliche Triebfeder für den Übertritt zum Islam jenseits individueller oder gruppenspezifischer biographischer Problemlagen auch in dem Wunsch, einer allgemeinen Verunsicherung durch die moderne Welt als solche 18
Gut zu verfolgen in seinen Memoiren mit dem Titel „Mein Weg nach Jannah (d.h. ins Paradies)“, die mehrfach ins Internet gestellt wurden (u.a. unter der Adresse https://www.islambruederschaft.com/blog/wp-content/uploads/2010/05/MeinWeg-nach-Janna.pdf, letzter Zugriff am 29.11.2010), nachdem er im April 2010 im westpakistanischen Stammesgebiet ums Leben gekommen sein soll.
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zu entkommen, die, wie sie vermuten, infolge von Glaubensschwund, Werteverlust, Zusammenbruch der großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, um sich greifendem Materialismus und hemmungslosem Individualismus insgesamt als instabil und sinnentleert erlebt werde.19
3.3 Darstellungen von zum Christentum konvertierten früheren Muslimen Was nun die Konversionsmotive betrifft, die für zum Christentum übergetretene ehemalige Muslime nach deren eigenen Erzählungen ausschlaggebend waren, 20 so manifestiert sich in diesen zum Teil eine Wahrnehmung der neuen Religion, die in einzelnen Punkten geradezu auf das Gegenteil derjenigen der vom Christentum wegkonvertierten Neumuslime hinausläuft. Die ehemals muslimischen Neuchristen begründen ihren Übertritt zum Teil damit, dass das Christentum die rationalere, besser ins Zeitalter der modernen Wissenschaft passende Religion sei. Sie beziehen diese Einschätzung allerdings nicht auf zentrale christliche Dogmen wie z.B. den Trinitätsglauben, indem sie diese etwa als besonders vernünftig einschätzen würden, sondern auf die christliche Theologie, die aufgrund ihres Offenbarungsverständnisses weniger Probleme damit hat als die islamische, die heilige Schrift der eigenen Religion und das Leben von deren Stifter mit kritischer wis19
20
L. R OCHER /F. C HERQAOUI , D’une foi l’autre. Les conversions à l’islam en Occident, Paris 1986, 11-18. Eine der bisher sehr wenigen wissenschaftlichen Publikationen, die auf solche Konversionen eingehen und daher über deren Motive Aufschluss versprechen, der 2007 erschienene Artikel von K HALIL und B ILICI “Conversion Out of Islam: A Study of Conversion Narratives of Former Muslims” (s. Literaturverzeichnis), ist wegen methodischer Mängel für den vorliegenden Zusammenhang nur sehr eingeschränkt verwertbar: Schon der Titel ist irreführend, da die Autoren auch den bloßen erklärten Austritt aus dem Islam ohne nachherigen Eintritt in eine andere Religionsgemeinschaft als “Conversion out of Islam” bezeichnen, obwohl damit nach üblichem Sprachgebrauch der Begriff der Konversion gar nicht erfüllt ist. Außerdem trennen die Verfasser die Angaben, die die nur Ausgetretenen gemacht haben, streckenweise nicht von denjenigen derer, die anschließend anderwärts eingetreten sind; nur bei der Kurzvorstellung weniger Konversionsgeschichten machen sie kenntlich, ob sich jemand nach dem Austritt aus dem Islam einer anderen Religionsgemeinschaft angeschlossen hat, und wenn ja, welcher. In den Auflistungen der festgestellten Austrittsmotive auf S. 118 und 120 wurden die Auskünfte sämtlicher Ausgetretenen in einen Topf geworfen; welche von ihnen von jemandem stammen, der Christ wurde, ist also nicht erkennbar. Deshalb konnten die dort aufgeführten Aussagen über Konversionsmotive hier nur Berücksichtigung finden, soweit durch andere Textpartien des Artikels oder durch andere Quellen bestätigt ist, dass sie auch von jemandem gemacht wurden, der eindeutig als Christ identifiziert ist.
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senschaftlicher Intelligenz zu erforschen und gleichwohl daran festzuhalten, dass das Christentum auf göttlicher Offenbarung fußt. Wegen dieser von den führenden kirchlichen Autoritäten bejahten Art von vernunftgeleitetem Studium der eigenen Glaubensgrundlagen, aber z.B. auch wegen der Tatsache, dass unter Christen heutzutage die rechtliche und soziale Gleichstellung von Mann und Frau zumeist befürwortet und gefördert wird und es mittlerweile in den großen christlichen Kirchen zur Selbstverständlichkeit geworden ist, sich zu den Menschenrechten zu bekennen und für sie einzutreten, während im Islam unter Berufung auf den geoffenbarten Gotteswillen weithin noch immer ein patriarchalisches Familienmodell hochgehalten wird und die Vorschriften von Koran und Scharia auch sonst zum Teil mit den Menschenrechten unvereinbar sind, sehen solche Konvertiten im Christentum eine Religion auf der Höhe der Zeit, wie sie sie im Islam vermisst haben. Insofern hat für sie die Konversion zum Christentum auch die Bedeutung eines Anschlusses an die Moderne in Glaubensbelangen und, soweit sie in einem westlichen Land leben, stärkerer Integration in dessen mehrheitlich dieser Religion angehörende moderne Gesellschaft. 21 Genuin religiöse und ethische Übertrittsmotive kommen bei den zum Christentum Konvertierten zur Sprache, wenn sie den Religionswechsel damit begründen, von der Person Jesu angezogen worden zu sein, 22 mit ihrer Sehnsucht nach einem liebenden Gott oder auch damit, dass sie am Islam eine, wie sie urteilen, letztlich doch in dessen Tradition verankerte Gewaltbereitschaft störe, während das Christen21
22
Zu diesen und anderen Konversionsmotiven s. Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 236, 2009, 28-34; s. außerdem z.B. das eingeschaltete Selbstzeugnis einer ehemals muslimischen Neugetauften in der ARD-Fernsehsendung „Warum Muslime Christen werden“ (wie Anm. 4) und dasjenige von Nonie Darwish bei K HALIL /B ILICI , Conversion Out of Islam, 115. Zur Bedeutung der Beziehung zu Jesus für solche Konvertiten und den Anknüpfungspunkten, die sie schon im Islam als ihrer früheren Religion findet, J.-M. G AUDEUL , Appelés par le Christ, ils viennent de l’islam, Paris 1991, 33-46; s. außerdem Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 236, 2009, 16 und 32, und den Bericht “Magdi Allam Recounts His Path to Conversion”, in dem der bekannte ägyptischstämmige italienische Journalist, der sich in der vom Papst geleiteten Osternachtfeier im Petersdom 2008 taufen ließ, die Hintergründe dieses seines Schrittes erklärte (im Internet zugänglich unter der Adresse http://www.zenit.org/article-22151?l=english, letzter Zugriff am 29.11.2010). Zahlreiche Konversionserzählungen von ehemaligen Muslimen, in denen die Beziehung zu Jesus meist eine große Rolle spielt, findet man auf der englischsprachigen Website der evangelikalen Initative “Answering Islam” unter http://www.answering-islam.org/Testimonies/ index.html; die über diese Seite erreichbaren Versionen in anderen Sprachen, auch auf deutsch, bieten einige weitere.
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tum, soweit es sich am Vorbild des sanftmütigen Jesus orientiert, eine friedfertige Religion sei. 23
4. CHRISTLICHE UND ISLAMISCHE GLAUBENSNORMEN: GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE Soviel zu den Konversionsgründen und -folgen, wie sie von den Konvertiten selbst gesehen und dargestellt werden. Für die Beurteilung der Tragweite einer Konversion in die eine oder die andere Richtung sind aber auch die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede im Bereich der für die Religionsgemeinschaften als ganze maßgeblichen Normen des Glaubens und der religiösen Praxis bedeutsam, die Islam und Christentum im Vergleich zueinander aufweisen. Denn von deren Art und Ausmaß hängt für Konvertiten die Leichtigkeit oder Schwierigkeit des Weges, den sie beim Übertritt von der einen Religion zur anderen zurückzulegen haben, sehr wesentlich ab. Sie können hier nur in großen Zügen skizziert werden. Tatsächlich gibt es zwischen Christentum und Islam einige Gemeinsamkeiten in fundamentalen Konzepten, die dafür sorgen, dass für eine Konversion die bisherige religiöse Vorstellungswelt und Wertorientierung nicht ganz und gar aufgegeben und in aller und jeder Hinsicht etwas völlig Neues angeeignet werden muss, dass vielmehr diejenigen, die den Übertritt vollziehen, einige gewichtige Elemente des Welt- und Existenzverständnisses ihrer bisherigen Religionsgemeinschaft beibehalten können. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehören der Glaube an Gott als allmächtigen Schöpfer der Welt und der Menschen und als deren barmherzigen und gütigen Versorger, der Glaube daran, dass Gott den Menschen seinen Willen durch Offenbarung kundgetan hat, und der Glaube an die Auferstehung der Toten und ein Jüngstes Gericht, obgleich Christen und Muslime sich über die Person des göttlichen Richters nicht einig sind. Zu ihnen gehört die Idee der sittlichen Verantwortung aller Menschen vor Gott ebenso wie die Vorstellung einer allgemeinen Menschenwürde, die sich nicht nur aus der Bibel, sondern auch aus dem Koran ohne weiteres begründen lässt. 24 Zu ihnen gehören aber auch grundlegende ethische 23
24
Arbeitshilfe der Deutschen Bischofskonferenz Nr. 236, 32f.; ARD-Fernsehsendung „Warum Muslime Christen werden“ (wie Anm. 4); K HALIL /B ILICI , Conversion Out of Islam, 115 (Selbstzeugnis von Nonie Darwish). Welche Koranstellen sich dafür grundsätzlich eignen und welchen Gebrauch heutige Muslime zu diesem Zweck im einzelnen von ihnen machen, hat die Verfasserin dieses Beitrags in zwei Aufsätzen dargelegt: Menschenwürde und Freiheit in der Re-
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Prinzipien, etwa die, dass die Eltern zu ehren sind, dass man nicht stehlen darf oder dass Töten von Menschen verwerflich ist, wenngleich der Koran kein absolutes Tötungsverbot kennt. 25 Gemeinsam sind Christentum und Islam auch die Gebote der Barmherzigkeit und der Wohltätigkeit gegenüber den Armen und Schwachen, obschon nicht die Forderung der Feindesliebe. Dass beide Religionen all die genannten Vorstellungen und ethischen Prinzipien miteinander teilen, heißt für diejenigen, die von der einen zur anderen konvertieren, dass sie dabei ein nicht unwichtiges Stück ihrer bisherigen Identität auch im Bereich der von ihnen bejahten Glaubensinhalte und religiös begründeten ethischen Prinzipien wahren können. Aus islamischer Sicht reichen die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Religionen in einem zentralen Punkt sogar noch weiter als aus christlicher: Muslime legen Wert auf die Feststellung, dass sie Jesus und dessen Botschaft anerkennen, tun das freilich nicht im selben Sinne wie Christen, da sie ihn nicht als Gottessohn betrachten, sondern ihm nur den Rang eines Propheten zuschreiben. Zugleich sind sie überzeugt, aufgrund der Aussagen, die der Koran über ihn macht, besser als die Christen zu wissen, wie er gelebt hat und gestorben ist und was er gelehrt hat. Nach ihrem Glauben ist der wahre Kern des Christentums im Koran enthalten und darum Bestandteil der islamischen Religion. Im Hinblick darauf haben zum Islam konvertierte ehemalige Christen verschiedentlich den Eindruck geäußert, der Eintritt in ihre neue Religion sei kein radikaler Bruch oder kein gar so großer Schritt gewesen, da ja der Islam ohnehin die älteren Schriftreligionen einschließe, was einer seiner großen Vorzüge sei. 26 Konvertieren dagegen umgekehrt bisherige Muslime zum Christentum, dann haben sie nicht die Möglichkeit, Muhammad als von Gott gesandten Propheten oder in einer anderen heilsgeschichtlich bedeutsamen Eigenschaft mit in ihre neue Religionszugehörigkeit hinüberzunehmen; insofern wird ihnen eine schärfere Trennung von der Stifterfigur ihrer bisherigen Religion abverlangt.
25
26
flexion zeitgenössischer muslimischer Denker, in: J. Schwartländer (Hg.), Freiheit der Religion. Christentum und Islam unter dem Anspruch der Menschenrechte, Mainz 1992, 210-229, und Die Würde des Stellvertreters Gottes. Zur Interpretation eines Koranworts bei zeitgenössischen muslimischen Autoren, in: R. Bucher/O. Fuchs/J. Kügler (Hg.), In Würde leben. Interdisziplinäre Studien zu Ehren von Ernst Ludwig Grasmück, Luzern 1998, 170-187. Er richtet zwar eine hohe Barriere gegen Tötungen auf, indem er statuiert, wenn jemand eine Menschenseele töte, sei er vor Gott, als hätte er alle Menschen getötet; doch wird als Ausnahme von dieser Regel das strafweise Töten von Personen, die auf der Erde Unheil anrichten, erlaubt (Sure 5/28). Z SCHOCH , Deutsche Muslime, 6.
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Diese Divergenz ist vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Konzeptionen des Islams und des Christentums davon zu verstehen, was Heilsgeschichte überhaupt ist und wie sie verlaufen ist: Für Muslime bedeutet Heilsgeschichte ausschließlich göttliche Rechtleitung der Menschen durch Offenbarung, nicht auch Erlösung, und ihre Vorstellung davon, wie diese Rechtleitung durch die Zeiten hin vonstatten gegangen ist und was sie beinhaltet, beruht auf der Vorstellung, die der Koran von der Offenbarungsgeschichte vermittelt. Nach dieser hat Gott den Menschen seit Adams Zeiten und bis hin zum Auftreten Muhammads immer wieder Propheten gesandt, die im wesentlichen durchgängig dieselbe Gottesbotschaft überbrachten, und zwar in Gestalt einer Offenbarung, die immer aus ein und derselben im Himmel verwahrten Urschrift entnommen war. Die Propheten vor Muhammad waren jeweils zu einzelnen Völkern gesandt, denen sie ihre Botschaft in deren eigener Muttersprache und teils auch in Buchform verkündeten. Der auf arabisch geoffenbarte Koran ist dagegen – so sieht es in der Spätphase von Muhammads Verkündigung aus – für die Menschen in aller Welt bestimmt und bis zum Jüngsten Tag das für sie alle verbindliche Gotteswort. Auch Moses und Jesus waren Propheten, die im Prinzip dieselbe Gottesbotschaft verkündigt haben wie Muhammad, wobei diejenige von Moses in einem Buch namens Thora und diejenige von Jesus in einem Buch namens Evangelium vom Himmel herabgesandt worden war. Wenn nun die Christen nicht einsehen wollen, dass Jesus genau dieselbe Botschaft verkündet hat wie Muhammad, und sich darum weigern, dem Islam beizutreten, dann kann das nur daran liegen, dass sie nachträglich ihr nach Art des Koran beschaffenes heiliges Buch, also das Jesus geoffenbarte Buch, das Evangelium hieß, verfälscht haben. Schon dass sie vier verschiedene Evangelien haben, während Jesus von Gott doch nur ein Buch namens Evangelium erhalten hat, beweist diese nachträgliche Verfälschung. Das Christentum ist also aus islamischer Sicht ursprünglich eine Buchreligion wie der Islam und in den Glaubensinhalten wie in Art und Inhalt der ihm zugrunde liegenden Offenbarung mit diesem identisch, nur leider nachträglich entstellt. Christen verstehen ihren Glauben aber gerade nicht als Buchreligion. Für sie ist die entscheidende, vorher so noch nie dagewesene und unüberbietbare Offenbarung Gottes die konkrete Person des Gottessohnes Jesus, dessen Verkündigung, Wirken, Leiden, Sterben und Auferweckung von den Toten im Neuen Testament durch menschliche, allerdings inspirierte Verfasser im wesentlichen verlässlich bezeugt ist. Und der Glaube, der dieser in Jesus geschehenen Offenbarung gegenüber gefordert ist, ist für Christen primär ein personaler Akt des
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Vertrauens. Der Glaube an den Koran dagegen, wie ihn Muslime verstehen, ist in erster Linie ein Akt der Kognition des beweisbarermaßen göttlichen Ursprungs dieses Textes und der Aneignung des von ihm übermittelten heilsrelevanten Wissens. Dieses gilt wegen seines göttlichen Ursprungs als völlig sicher, und es besteht nach muslimischer Überzeugung aus Glaubenswahrheiten und Verhaltensregeln, die im wesentlichen ebenso auch schon in allen früheren Offenbarungen enthalten waren. Wie man sieht, ist das islamische Konzept der Offenbarungsgeschichte im Vergleich zum christlichen erheblich statischer: Im Verlauf dieser Geschichte ändert sich an den Formen und Inhalten der Offenbarung, aber auch an den Mustern des Handelns Gottes nichts Grundsätzliches. Eine ähnliche Differenz in Bezug auf den Grad der involvierten Dynamik wiederholt sich in der eschatologischen Dimension: Die Entwicklung hin zur Endzeit ist nach islamischer Vorstellung nicht schon mit der Offenbarung des Koran angebrochen – anders als nach christlicher mit Jesus das von diesem verkündete Gottesreich; vielmehr geht fürs erste einmal alles nach der im Prinzip schon bisher bekannten, durch den Koran nur nochmals abschließend bestätigten gottgewollten Ordnung weiter. Paradies und Hölle, die nach der Auferstehung und dem Jüngsten Gericht von denen bevölkert sein werden, die nach der geoffenbarten Ordnung dorthin gehören, sind so, wie der Koran sie schildert, in wesentlichen Zügen eine Verlängerung schon hier auf Erden bekannter Möglichkeiten der Ergötzung und der Qual: Man weiß im Prinzip schon, wie es dort aussehen wird. Davon, dass Gott am Ende der Zeiten alles neu machen wird (Offb 21,5), dass ein neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden sollen (2 Petr 3,13), dass wir noch nicht wissen, was wir dann sein werden (1 Joh 3,2), ist in der islamischen Eschatologie nicht die Rede. Vom Islam zum Christentum zu konvertieren, bedeutet insofern auch, in eine neuartige heilsgeschichtliche Dynamik hineingenommen zu werden; umgekehrt wird verständlich, warum ehemalige Christen, die zum Islam konvertiert sind, verschiedentlich das Wohlgefühl der durch diesen Schritt erlangten Geborgenheit in einer völlig stabilen und verlässlichen Lebensordnung beschrieben haben, in der man zuversichtlich dem entgegensehen kann, was einen später einmal erwartet, wenn man nur nach besten Kräften tut, was sie von einem verlangt. 27
27
Siehe z.B. RASSOUL , Deutsche von Allah geleitet, 42f. (Selbstzeugnis von Fatima Heeren); HOFMANN , Muslimin werden, 43f.
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Ein zentraler Divergenzpunkt beider Religionen ist darüber hinaus der Gottesbegriff: Christlicher Glaube an die göttliche Dreifaltigkeit ist aus der schon im Koran angelegten Sicht von Muslimen Tritheismus, also ein Rückfall in die Erzsünde der „Beigesellung“ (širk), d.h. der heidnischen Vielgötterei, der sich ereignet hat, nachdem Jesus genau denselben reinen Monotheismus verkündigt hatte wie später Muhammad. Aus christlicher Perspektive könnte man dagegen durchaus die Frage stellen, ob der im Koran verankerte Monotheismus des Islam monotheistisch genug ist. Denn er geht – sieht man vom Sonderfall des 922 in Bagdad hingerichteten Mystikers al-¼allÁº und vom späteren, neuplatonisch-pantheistisch überformten Sufismus ab – davon aus, dass Gott und Mensch, Gott und Schöpfung auf immer getrennt bleiben. Gott ist und bleibt nach der koranischen Vorstellung und ebenso nach der Vorstellung, die im sunnitischen Mehrheitsislam, aber auch im größten Teil der Schia herrscht, gegenüber der Schöpfung immer rein transzendent. Er kann also nicht transzendent und zugleich in seinem geschichtlichen Handeln immanent sein, wie man das im Christentum als gegeben erachtet, nach dessen Glauben er ja nicht nur heilsrelevantes Wissen, überhaupt nicht nur etwas geoffenbart hat, sondern durch die irdische Person Jesu sich selbst. Wegen dieser auf beiden Seiten sehr unterschiedlichen Prämissen ist im Islam auch kein wechselseitiges In-Sein von Gott und Menschen vorstellbar, wie es für Christen nach dem Zeugnis des Johannesevangeliums durch und in Jesus möglich geworden ist; und die Hoffnung auf eine Zukunft, in der Gott, wie Paulus es ausgedrückt hat, einmal alles in allen sein wird (1 Kor 15,28), ist ausgeschlossen. Im Hinblick darauf ist es durchaus des Nachdenkens wert, ob der islamische Monotheismus mit seinem radikalen Festhalten an Gottes bleibender Transzendenz nicht am Ende doch auf ein dualistisches System hinausläuft. Dem stets transzendenten, sich nie auf die Ebene des Menschlichen herablassenden Gott korrespondiert im Islam das Fehlen jeglicher Sakramente und zugleich eines Standes von geistlichen Amtsträgern, auf deren heilsvermittelnde Dienste die Gläubigen angewiesen sind. Die damit gegebene Unmittelbarkeit des einzelnen Gläubigen zu Gott wird von Konvertiten, die vom Christentum zum Islam übergetreten sind, – genau wie von Autoren neuerer islamischer apologetischer Literatur – häufig als großer Vorzug der letzteren Religion dargestellt. Umgekehrt zeigen die Konversionsberichte der zum Christentum übergetretenen früheren Muslime keine Spur davon, dass diesen etwa durch kirchliche Vermittlungsdienste und Sakramentenempfang das Gefühl der Unmittelbarkeit ihrer Beziehung zu Gott verlorengegan-
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gen wäre; ganz im Gegenteil sprechen sie oft von einem sehr viel besser gewordenen Gebetskontakt zu Gott und von erheblich konkreter gewordenen Erfahrungen seiner liebenden Nähe. Ein gewichtiger Unterschied zwischen Christentum und Islam im Bereich der zentralen Glaubensinhalte besteht auch noch darin, dass Muslimen vom Menschenbild und Heilsverständnis des Koran her die Vorstellungen der Christen von Sünde und Erlösung zunächst einmal schlicht unzugänglich sind. Die Geschichte vom Sündenfall Adams und Evas, wie sie sich im Koran findet, beschreibt diesen als ein zwar bedauerliches, aber rein episodisches Ereignis, das, nachdem das Stammelternpaar bereut hat, keine weiteren Folgen nach sich zieht und keine grundsätzliche Gebrochenheit der geschöpflichen Konstitution des Menschen anzeigt, die diesen in seinem Vermögen, das von Gott gewollte Gute zu tun und sich so das ewige Leben im Paradies zu sichern, dauerhaft beeinträchtigen würde. Darum sind die Menschen aus islamischer Sicht, obgleich es ab und an vorkommt, dass sie sündigen, auch nicht prinzipiell erlösungsbedürftig, und es erscheint überflüssig, dass Gott sie seinerseits aus Liebe mit einer großangelegten heilsgeschichtlichen Rettungstat aus ihrer Verstrickung in Sünde und Tod befreit und ihnen so den Weg zur ewigen Seligkeit eröffnet. Im Koran und von daher im Islam wird davon ausgegangen, dass der Mensch grundsätzlich in der Lage ist, den Willen Gottes, der sich in dessen geoffenbarten Weisungen niederschlägt, vollkommen zu erfüllen, und das Heil besteht darin, dass Gott ihm diese seine Weisungen mittels der Propheten zur Kenntnis bringt und der Mensch sie dann getreulich befolgt, womit er sich Wohlergehen im Diesseits und einen günstigen Ausgang des Jüngsten Gerichts erwirkt. Von diesen Voraussetzungen aus empfinden Muslime das Sündenbewusstsein, das Christen haben zu müssen glauben, gewöhnlich erst einmal als hypertroph, zumal dann, wenn es unter Verwendung des missverständlichen Begriffes „Erbsünde“ zum Ausdruck gebracht wird. Umgekehrt stellen Christen die Diagnose, dass im Islam nicht hinreichend tief erfasst wird, was Sünde ist und wie es um die conditio humana steht. Das wäre aber aus christlicher Sicht die Voraussetzung dafür, dass Muslime überhaupt Sehnsucht danach entwickeln, erlöst zu werden, und so ein positives Verhältnis zu der Überzeugung der Christen gewinnen, dass die Erlösung mit Kreuzestod und Auferstehung Jesu bereits geschehen ist. Diese letzteren beiden Glaubensgegenstände der Christen sind jedoch Muslimen ohnehin von Hause aus fremd, da es nach der doketischen Interpretation, die die Kreuzigungsgeschichte im Koran erfahren hat, nur so schien, als wäre Jesus am Kreuz gestorben, während Gott ihn in Wirklichkeit lebend in den Himmel entrückte und
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statt seiner ein Double von ihm ans Kreuz geschlagen wurde. 28 Dank dieser Entrückung Jesu erscheint dann auch die Auferstehung überflüssig. Die tiefe Diskrepanz, die sich hier zwischen den Sünden- und Heilsverständnissen beider Religionen auftut, hat zur Folge, dass Menschen, die als Muslime aufgewachsen sind, sich der christlichen Erlösungsvorstellung, ohne die eine Überzeugungskonversion zum Christentum nicht möglich ist, nur anschließen können, wenn sich sowohl ihre anthropologische Grundkonzeption als auch ihre Anschauung vom Verhältnis zwischen Gott und Mensch einschneidend ändert. Das ist eine Entwicklung, die nach einer islamischen Sozialisation nicht sehr leicht in Gang kommt; es geschieht aber dennoch, wenn Menschen aufgrund ihrer Erfahrung mit sich selbst und anderen den Riss zwischen Sein und Sollen, der durch die Welt geht, lebhafter zu spüren beginnen, und vor allem, wenn sie im Blick und im Hören auf Jesus die Sehnsucht nach einem Gott in sich entdecken, der nicht nur herrscherlich hoch droben über ihnen thront, sondern ihnen aus Liebe so nahe kommt, dass er sich auf ihre Ebene begibt, um sie an sich zu ziehen und in sein Vaterhaus heimzuholen. Den Konversionserzählungen von zum Islam übergetretenen früheren Christen ist hinwiederum zu entnehmen, dass sie sich nicht selten schon in ihrer Herkunftsreligion mit dem Sündenbegriff und dem Erlösungsgedanken schwer getan haben, weil diese nicht zu ihrer Logik, ihrem Selbstbild, ihrem Begriff von individueller Verantwortlichkeit oder ihrer Gottesvorstellung passten, und dass sie sich daher ohne besondere Schwierigkeit an die koranischen Vorstellungen von Sünde und Heil anschließen konnten. 29
5. SCHLUSSBEMERKUNGEN In der Zusammenschau wird deutlich, dass Christentum und Islam sich trotz gewichtiger Gemeinsamkeiten strukturell doch tiefgreifend unterscheiden und stark divergierende Arten der Gottesbeziehung und des Lebensgefühls vermitteln können. Das heißt auch, dass Konvertiten beim Übertritt von der einen zur anderen Religion potentiell ein erhebliches Maß an Umorientierung vollziehen, die mit einem längeren Prozess des Kennenlernens und der Eingewöhnung verbunden sein kann. Zugleich ist in einigen Punkten, speziell im Hinblick 28 29
Sure 4/157f.; vgl. auch 3/55. Siehe z.B. B AUMANN , Frauenwege zum Islam, 112, und Yusuf Estes (s. Anm. 8).
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auf die Themen Trinität, Sünde, Erlösung und Kreuzestod, nicht zu übersehen, dass Konversionen zum Islam durch das Unterbleiben einer adäquaten Vermittlung zentraler christlicher Glaubensinhalte sehr erleichtert werden können: Wer in diese nie so eingeführt wurde, dass er sie als für sich selbst sinnvoll und wichtig entdecken konnte, ist kaum wirklich im Christentum angekommen, und es verwundert dann nicht, dass er sich von islamischen Konzeptionen, die für ihn leichter fasslich sind, rasch angesprochen fühlt. Ein guter Religionsunterricht, der solche anspruchsvollen Themen qualifiziert behandelt, kann dazu beitragen, das Gefühl dafür zu wecken, dass auch zunächst etwas kompliziert scheinende christliche Glaubensinhalte nicht unvernünftig sind, vielmehr ein ernstzunehmendes Sinngebungsangebot, das man nicht vorschnell zugunsten anderer Deutungsmuster ad acta legen sollte. Auf eine kompetente und gut nachvollziehbare Erschließung solcher anspruchsvollerer christlicher Glaubensinhalte sind aber in besonderer Weise auch muslimische Taufbewerber angewiesen; für ihre Verwurzelung in der neuen Religion ist es unverzichtbar, dass sie z.B. an Gottesbild, Offenbarungsverständnis und Ethik des Christentums das erkennen und verinnerlichen können, was im Vergleich zu islamischen Vorstellungen das spezifisch Christliche ist. Von daher ist zu wünschen, dass theologisch vermehrt daran gearbeitet wird, die Bedeutung zentraler christlicher Glaubensinhalte gerade im Vergleich zu abweichenden muslimischen Vorstellungen präzis zu formulieren und überzeugend zu erklären.
Wechsel von einer Buchreligion in die andere?
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Sind Christen fit für das Nirvana? Wie der Dalai Lama die Austauschbarkeit von Buddhismus und Christentum sieht Tenzin Gyatso, der 14. Dalai Lama von Tibet, ist unter den religiösen Führergestalten unserer Zeit zweifellos eine der populärsten, wenn nicht sogar die populärste. Über kulturelle und religiöse Grenzen hinweg genießt das geistliche Oberhaupt der Tibeter ein hohes internationales Ansehen. Die große Beliebtheit, deren sich der Dalai Lama gerade auch unter vielen Christinnen und Christen im Westen erfreut, hat sicherlich viele Gründe. Einer dieser Gründe dürfte konkret darin bestehen, dass in ihm nicht selten ein offener und toleranter Vertreter einer Religionsgemeinschaft gesehen wird, der im Unterschied zu anderen religiösen Führern, wie etwa dem Papst, die eigene Religion 1 nicht für besser oder überlegen hält, sondern die verschiedenen religiösen Bekenntnisse und Traditionen als gleichwertig betrachtet. Für viele Menschen stellt der Dalai Lama jedenfalls ein zukunftsweisendes Musterbeispiel für ein gelingendes interreligiöses Miteinander dar, weil er auf jeglichen Missions- und Überlegenheitsanspruch verzichten und auf diese Weise das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Religionen auf Dauer ermöglichen würde.
1. EIN ZIEL UND VIELE WEGE? Eine solche Sicht des Dalai Lama vertritt beispielsweise die Marburger Religionswissenschaftlerin Adelheid Herrmann-Pfandt in ihrem Arti1
Ich werde in meinen Ausführungen den Buddhismus als eine „Religion“ (oder „religiöse Tradition“) bezeichnen, weil auch der Dalai Lama in der Verwendung dieses Begriffs für den Buddhismus kein Problem sieht, wenn man dabei freilich akzeptiert, dass der Begriff „Religion“ nicht notwendigerweise eine theistische Wirklichkeitsauffassung, also den Glauben an einen personalen Schöpfergott, implizieren muss. Vgl. hierzu D ALAI LAMA , Beyond Dogma. The Challenge of the Modern World, Calcutta-Bombay-New Delhi 1996, 100.
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kel „Der Wert der Unterschiedlichkeit – Warum so viele Menschen im Westen den Dalai Lama als Vorbild verehren“. Darin, dass der Dalai Lama, und zwar „im Gegensatz zu den Missionaren aller Religionen“, keinerlei Bekehrungspolitik betreibe, sondern den Menschen empfehle, ihrer eigenen Tradition treu zu bleiben und nur im Ausnahmefall zum Buddhismus zu wechseln, sieht sie einen „Schritt zu interreligiösem Frieden, der weit über vieles hinausgeht, was den christlichen Kirchen (und durchaus auch vielen Buddhisten) heute möglich ist, steht dem doch die theologische Rede von der Einzigartigkeit Christi als Erlöser aller Menschen entgegen, demgegenüber andere Religionen höchstens relative Wahrheiten beinhalten können“2. Immer mehr Christinnen und Christen sehnten sich heutzutage aber nach einem Miteinander der Religionen, das den Glauben der anderen nicht nur tolerieren, sondern „als gleichwertig annehmen“ könne. Ihnen erscheine nämlich „die Vielfalt der Religionen als Teil der guten Schöpfung Gottes, ebenso schützenswert wie der Artenreichtum der Tiere und Pflanzen“. Weil nun in den Äußerungen des Dalai Lama ein solcher respektvoller Umgang mit Menschen anderer Bekenntnisse und Traditionen zum Ausdruck komme, sei er mittlerweile auch für viele Christinnen und Christen ein Vorbild für eine gelingende interreligiöse Verständigung geworden, das heißt „ein Vorbild dafür, dass es möglich ist, der eigenen Religion treu zu bleiben und zugleich den Andersgläubigen in echter, von versteckten missionarischen Wünschen und Absichten freier, Dialogbereitschaft zu begegnen und niemals die Möglichkeit auszuschließen, dass man auch und gerade von Andersgläubigen Entscheidendes für den eigenen religiösen Weg lernen kann“. Herrmann-Pfandt selbst teilt ebenfalls diese Auffassung und lädt am Ende ihres Artikels Christinnen und Christen dazu ein, „vom Dalai Lama zu lernen“, da ihr dessen Position mit dem Verzicht auf jeglichen Absolutheitsanspruch „als die einzige Haltung“ erscheint, die den Frieden unter den Religionen auf Dauer sichern und gewährleisten kann. 3
2
3
A. H ERRMANN-PF ANDT, Der Wert der Unterschiedlichkeit. Warum so viele Menschen im Westen den Dalai Lama als Vorbild verehren, in: Zeitzeichen 5 (2004) 47-49, 49. Die folgenden Zitate stammen ebenfalls von hier. Dies würde dann auch „keine Gefahr für den christlichen Glauben“ bedeuten, sondern „zutiefst der Friedensbotschaft Jesu Christi [entsprechen]“ (H ERRMANNPFANDT, Der Wert der Unterschiedlichkeit, 49). Dass Jesus nicht nur Frieden, sondern zuallererst einmal Unruhe gestiftet hat, weil er für die Wahrheit seiner Glaubensüberzeugungen eingestanden und letztlich auch gestorben ist, scheint HerrmannPfandt hier nicht im Blick zu haben.
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Mit einer solchen Sicht des Dalai Lama ist Herrmann-Pfandt aber nicht allein. Um hier nur ein weiteres Beispiel anzuführen: Auch der protestantische Theologe Horst Pöhlmann scheint die Auffassung zu vertreten, dass der Dalai Lama die verschiedenen Religionen als gleichwertig betrachtet, wenn er über das Oberhaupt der Tibeter schreibt: „[N]ach dem Dalai Lama ist [der Buddhismus] ‚ein möglicher Weg‘, aber ‚nicht der einzig mögliche Weg‘. Es gibt ‚viele Wege zum letzten Glück, dem Nirwana‘.“ 4 Doch ist dies tatsächlich die Auffassung des Dalai Lama? Ist der Dalai Lama ein religionstheologischer Pluralist, der die unterschiedlichen religiösen Wege als mehr oder weniger gleichberechtigte Wege zur Erlangung ein und desselben Zieles betrachtet? In der Tat kann man bei ihm selbst lesen: Unter den Gläubigen der Religionen hat jeder sein eigenes System, seine eigene Methode, um zum Ziel zu kommen. Ich möchte nachdrücklich betonen, dass weder alle einem einzigen Weg folgen müssen noch es einen einzigen Weg gibt. […] Man kann nicht sagen, dass es nur eine wahre Religion gebe oder dass eine Religion die beste sei. Ich zum Beispiel bin Buddhist, aber ich kann deswegen nicht behaupten, dass der Buddhismus die beste Religion sei. Obwohl für mich persönlich der Buddhismus am besten ist, kann ich daraus nicht generell auf die Überlegenheit des Buddhismus schließen. Andere wieder ziehen das Christentum dem Buddhismus vor. Für sie ist das Christentum am besten. 5
Im selben Buch finden sich noch weitere Äußerungen, die ganz ähnlich klingen. So kann man dort ebenso lesen: „Alle Glaubensrichtungen und Ideologien müssen als unterschiedliche Methoden verstanden werden, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und das ist für die meisten Menschen ein glückliches Leben. […] Wenn wir die verschiedenen Religionen als Mittel betrachten, ein gütiges Herz, Liebe und Respekt zum Mitmenschen und wahre Bruderschaft zu fördern, so sind alle Religionen gleich, denn sie stimmen grundsätzlich in dem Ziel überein, 4
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H.G. PÖHLMANN, Viele Wege zum Nirwana. Bericht über ein Gespräch mit dem Dalai Lama, in: Die Zeichen der Zeit 1 (1998) 32-34, 33 (Hervorhebung des Originals). Pöhlmann zitiert hier eine mündliche Äußerung des Dalai Lama. D ALAI LAMA , Die Weisheit des Herzens, München 3 1991, 60f. In diesem Buch ist eine Reihe von Reden, Interviews und Diskussionsbeiträgen des Dalai Lama zusammengestellt, die zwischen 1963 und 1984 in Indien, Europa und Amerika stattgefunden haben. Ich zitiere hier und im Folgenden nach der dritten Auflage der Paperback-Ausgabe von 1991, weil ich trotz intensiver Recherche nirgends die gebundene Ausgabe von 1987 ausfindig machen konnte und die dritte Auflage der Paperback-Ausgabe gegenüber ihrer identisch paginierten Erstauflage (ebenfalls 1991) einige kleinere Textkorrekturen enthält.
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den Menschen menschlicher zu machen.“ 6 Kurz gesagt: „Das Wesen des Buddhismus ist Güte und heilende Hinwendung. Dies ist das Wesen jeder Religion.“ 7 Diese (und weitere ähnliche) 8 Selbstaussagen des Dalai Lama scheinen in der Tat zu bestätigen, dass Adelheid Herrmann-Pfandt und Horst Pöhlmann mit ihrer Einschätzung richtig liegen und der Dalai Lama die Auffassung vertritt, dass es viele gleichberechtigte und damit prinzipiell wechselseitig austauschbare Wege zum letzten Ziel des Menschen gibt. Doch ist dies tatsächlich so? Bei genauerem Hinschauen lassen sich beim Dalai Lama nämlich auch solche Äußerungen ausmachen, die eine ganz andere religionstheologische Grundeinstellung an den Tag zu legen scheinen. So spricht sich nämlich das Oberhaupt der Tibeter des Öfteren entschieden gegen jegliche Vermischung von religiösen Traditionen aus und lehnt dabei ebenso vehement auch immer wieder die Gründung einer Einheits- oder Universalreligion ab. Der Dalai Lama weiß sehr wohl um solche Vorhaben und um deren gut gemeinte Absicht, auf diese Weise religiöse Harmonie und Eintracht unter den Menschen schaffen zu wollen. 9 Doch persönlich hält er nicht viel von einer solchen Strategie, und zwar deshalb nicht, weil die Unterschiede zwischen den Religionen – nun auf einmal doch – zu groß seien. Er schreibt selbst: Es ist […] unmöglich […], eine Einheitsreligion zu schaffen. […] Gewiss, man unternimmt überall in der Welt große Anstrengungen, um zu Einig6 7
8
9
D ALAI LAMA , Die Weisheit des Herzens, 46 u. 64. Ebd., 61. Der Ausdruck „heilende Hinwendung“ ist Michael von Brücks Übersetzung von karuna, das normalerweise mit „Mitgefühl“ oder „Mitleid“ übersetzt wird. Vgl. etwa D ALAI LAMA , Die Weisheit des Herzens, 118: „Die oberflächlichen Widersprüche in Dogmen und Lehrbegriffen resultieren aus den unterschiedlichen Bedingungen wie Zeit, Ort, Kultur und Sprache, die zur Entstehungszeit der betreffenden Religion vorherrschten. Betrachten wir aber die wirkliche Praxis eines jeden einzelnen Gläubigen, werden wir ein gemeinsames Ziel, das über diesen Unterschieden steht, entdecken.“ Der Dalai Lama nennt zwar keine konkreten Namen oder Werke, doch zu denken wäre etwa an W.C. SMITH, Towards a World Theology. Faith and the Comparative History of Religion, London 1981, oder auch an den Sammelband von L. S WIDLER (Hg.), Toward a Universal Theology of Religion, Maryknoll 1987. Das Anliegen einer Harmonisierung (durch Relativierung) unterschiedlicher Religionstraditionen verfolgen auch die religionstheologischen Ansätze von John Hick, Paul Knitter und Perry Schmidt-Leukel (vgl. J. H ICK, An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent, Houndmills 2 2004 [1989]; P.F. K NITTER , Jesus and the Other Names. Christian Mission and Global Responsibility, Maryknoll 1996; P. S CHMIDT -LEUKEL , Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005).
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keit und besserem Verständnis unter den Religionen zu gelangen. Das ist sehr wichtig. Wir müssen uns aber im Klaren sein, dass es keine schnellen und einfachen Lösungen gibt. Wir können nicht die Unterschiede verschweigen, die zwischen den verschiedenen Religionen bestehen, und wir können auch nicht darauf hoffen, die existierenden Glaubenssysteme durch einen universalen Glauben ersetzen zu können. 10
Bei einer anderen Gelegenheit, nämlich auf dem John-Main-Seminar im Herbst 1994 in London, in dessen Rahmen der Dalai Lama acht ausgewählte Perikopen aus dem Neuen Testament kommentierte, warnte er seine christlichen Zuhörerinnen und Zuhörer eindringlich davor, Buddhistisches und Christliches miteinander zu vermischen. 11 Ungewohnt scharfe Kritik äußerte er an denjenigen, die diesen Rat nicht beherzigen: „Wenn Sie Christ sind, ist es besser, sich innerhalb Ihrer Religion spirituell zu entwickeln und ein echter, guter Christ zu sein. Falls Sie Buddhist sind, seien Sie ein echter Buddhist. Nicht halb dies und halb das! Letzteres kann in Ihrem Geist nur Verwirrung anrichten.“ 12 Ähnlich harsch äußerte sich der Dalai Lama ein weiteres Mal, als er in einer Gesprächsrunde gefragt wurde, ob die vielfältigen Symbole und Gottheiten des tibetischen Buddhismus für Praktizierende aus dem Westen auf solche Weise verändert werden dürften, dass sie den Symbolen und der Vorstellung des Göttlichen der westlichen Kultur besser entsprechen würden. Dort gab er die klare Antwort: Das ist unmöglich. Wenn man den [sic] Buddha-Dharma folgt, sollten die meditierten Gottheiten ganz den Lehren von Buddha Vajradhara entsprechen. Sie können nicht willkürlich geschaffen oder mit denen anderer Methoden vermischt werden. Man sollte dem einmal gewählten Pfad mit Ausdauer folgen. Entscheiden Sie sich für Buddha-Dharma, dann praktizieren Sie es rein. Erreichen Sie dann Resultate, ist es gut. Wenn Sie aber verschiedene Methoden vermischen und nichts erreichen, sollten Sie nicht den Dharma dafür verantwortlich machen! 13
10 11
12 13
D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 64 u. 155f. John Main OSB (1926-1982) war irischer Meditationslehrer in der Tradition Johannes Cassians und legte die Wurzeln für die 1991 gegründete World Community for Christian Meditation, die zu seinem Gedenken alljährlich das John-Main-Seminar abhält. Der Verlauf des Seminars von 1994 ist dokumentiert in: D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins. Die Lehre Jesu aus buddhistischer Sicht, Hamburg 1997. D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 103f., ähnlich 156. D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 159f.
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Wie sind nun diese Äußerungen zu verstehen? Widerspricht sich der Dalai Lama in seinen Auffassungen? Warum legt er hier so großen Wert auf die Nichtvermischung von Traditionen, wenn doch angeblich alle religiösen Traditionen – wie er selbst sagt – nur „unterschiedliche Methoden“ darstellen, um ein und dasselbe Ziel zu erreichen, nämlich „ein glückliches Leben“? Warum sind die Unterschiede zwischen den Traditionen nun auf einmal doch zu groß, um eine Einheitsreligion zu schaffen, wenn seiner eigenen Ansicht nach „Güte und heilende Hinwendung […] das Wesen jeder Religion“ ausmachen? Ich möchte im Folgenden aufzeigen, dass sich der Dalai Lama in seinen religionstheologischen Äußerungen keineswegs widerspricht, sondern seine positiveren Aussagen über die anderen Religionen stets auf dem Hintergrund der Lehre von den „geschickten Mitteln“ (upayakaushalya) und des soteriologischen Pragmatismus des Buddhismus verstanden werden müssen, um sie richtig einordnen zu können. Der Dalai Lama betrachtet die verschiedenen Religionen weder als gleichwertig noch als wechselseitig austauschbare Wege zu ein und demselben Ziel. Für ihn stellt ganz klar die Buddhaschaft – die volle Befreiung aus dem leidvollen Geburtenkreislauf – das eine wahre Ziel des Menschen dar, und zur Erlangung dieses Zieles gilt es einen ganz bestimmten Pfad zu beschreiten, nämlich den Edlen Achtfachen Pfad, wie ihn der Mahayana-Buddhismus tibetischer Prägung lehrt. Der Dalai Lama weiß nämlich sehr wohl darum, dass sich Buddhismus und Christentum nicht nur im Ziel, sondern auch in den Methoden zur Erlangung des jeweiligen Zieles, also in den „Methoden zur Entwicklung von Liebe und zur Erlangung des Heils oder permanenter Befreiung, unterscheiden“ 14 und dass diese Verschiedenheit auch ihre Berechtigung hat, denn die Realisierung eines ganz bestimmten Zieles, wie etwa die Buddhaschaft, macht den Einsatz ganz bestimmter Mittel und Methoden erforderlich, wie im Folgenden nun genauer auszuführen sein wird.
2. UNTERSCHIEDLICHE WEGE FÜHREN ZU UNTERSCHIEDLICHEN ZIELEN Dass für den Dalai Lama die vielen verschiedenen religiösen Traditionen und Wege weder ein und dasselbe Ziel zu realisieren versuchen 14 D ALAI L AMA , Logik der Liebe. Aus den Lehren des Tibetischen Buddhismus für
den Westen, München 1989, 79 (meine Hervorhebungen). Dieser Band ist eine Sammlung von Reden, die der Dalai Lama vor allem in nordamerikanischen Städten gehalten hat.
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noch ein und dasselbe Ziel zu realisieren vermögen, geht am deutlichsten aus einem Interview hervor, das er 1981 im nordindischen Bodhgaya gegeben hat. Im Laufe dieses Interviews kommt der Fragesteller auf die im Buddhismus weit verbreitete Ansicht zu sprechen, dass nur solche Menschen die volle Befreiung aus dem leidvollen Geburtenkreislauf erlangen können, die dem buddhistischen Dharma entsprechend praktizieren, also dem Weg und der Lehre des Buddha folgen. Konkret konstruiert der Interviewer dabei den Fall eines Shiva-Anhängers, der von vielen Gläubigen seiner eigenen Tradition als ein großer Lehrmeister verehrt werde, außerdem einer strengen Disziplin folge und sich voller Liebe und Güte für seine Mitmenschen einsetze. An den Dalai Lama richtet er dann die Frage: „Ist dieser Mensch nur deshalb, weil er ein Anhänger Shivas ist, unfähig, Befreiung zu erlangen, und wenn dies so wäre, was könnte man tun, um ihm zu helfen?“ 15 Der Dalai Lama weicht einer direkten Beantwortung der Frage zweimal aus. Doch auf das dritte Nachhaken des Interviewers lässt er dann schließlich wissen, dass in der Tat nur Buddhisten Befreiung aus dem leidvollen Geburtenkreislauf erlangen können, nicht aber die Anhänger anderer religiöser Traditionen. Der Dalai Lama sagt dort wörtlich: Es ist an dieser Stelle nötig zu begreifen, was wir unter Befreiung [oder Heil 16 ] verstehen. Befreiung, in der „ein Geist, der den Bereich der Wirklichkeit versteht, alle Verunreinigungen im Bereich der Wirklichkeit zum Verschwinden bringt“, ist ein Zustand, den nur Buddhisten erreichen können. Diese Art von Moksha oder Nirvana wird nur in den buddhistischen Schriften beschrieben und wird nur durch eine buddhistische Praxis erlangt. In der Sicht anderer Religionen ist das Heil jedoch ein Ort, ein Paradies, eine Art friedvolles Tal. Um einen solchen Zustand zu erlangen, um einen solchen Zustand von Moksha zu erreichen, benötigt man nicht die Praxis der Leere, das Verständnis der Wirklichkeit. Im Buddhismus glauben wir selbst, dass man durch die Anhäufung von Verdiensten eine Wiedergeburt in himmlischen Paradiesen wie Tushita erreichen kann. 17 15
16
17
D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen. Die Gespräche in Bodhgaya, Freiburg-Basel-Wien 2 1993, 31. Ich habe hier die deutsche Übersetzung korrigiert, da im englischen Original nicht nur “liberation” („Befreiung“), sondern “liberation or salvation” („Befreiung oder Heil“) steht: D ALAI L AMA , The Bodhgaya Interviews, Ithaca 1988, 23. Der betreffende Abschnitt des englischen Originaltextes findet sich auch in der Anthologie von P.J. G RIFFITHS (Hg.), Christianity through Non-Christian Eyes, Maryknoll 1990, 169. D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 33f. Tushita ist eines von unzähligen Paradiesen (und Höllen), die der tibetische Buddhismus kennt.
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Der Dalai Lama hat also ein ganz konkretes Ziel vor Augen, zu dessen Realisierung eine ganz bestimmte Praxis und ein ganz bestimmtes Verständnis der Wirklichkeit notwendig sind. Das Ziel, das es aus seiner Sicht zu verfolgen und zu erlangen gilt, ist – wie er selbst sagt – die Entwicklung eines Geistes, der „den Bereich der Wirklichkeit versteht“ und „alle Verunreinigungen im Bereich der Wirklichkeit zum Verschwinden bringt“. Ein solcher Geist ist nun aber nichts anderes als ein erwachter Geist, ein Buddha, jemand, der zur Erkenntnis der wahren Natur der Wirklichkeit erwacht ist – und das bedeutet aus Sicht des Mahayana-Buddhismus: jemand, der die nicht-duale, also leere Natur der Wirklichkeit erkannt und durchschaut hat. Weil es zur Erkenntnis der leeren, nicht-dualen Natur der Wirklichkeit – und damit zur Realisierung der vollen Befreiung oder der Buddhaschaft – eine ganz bestimmte Praxis, nämlich die Praxis der Leere braucht, können Christen (und die Anhänger anderer Religionen), die diese Praxis weder kennen noch üben, dieses Ziel auch nicht erreichen. Ihnen ist bestenfalls – durch die Anhäufung guten Karmas – die Erlangung eines vorletzten Zieles möglich, wie etwa die Wiedergeburt in einem buddhistischen Paradies, was freilich immer noch die Gefangenschaft im Geburtenkreislauf bedeutet. Keinesfalls können Christen mit Hilfe ihrer eigenen religiösen Praxis die Buddhaschaft erlangen und damit den leidvollen Geburtenkreislauf beenden. Dazu fehlen ihnen einfach die entsprechenden Mittel und Methoden. Doch dieses Schicksal ereilt nicht nur Christen und Hindus, wie der Dalai Lama im weiteren Verlauf des Gesprächs wissen lässt. Selbst Buddhisten werden sich um die Erlangung der vollkommenen Befreiung aus dem Geburtenkreislauf vergeblich mühen, sollten sie nicht einer ganz bestimmten buddhistischen Schultradition entsprechend praktizieren. Der Dalai Lama sagt wiederum wörtlich: Moksha, wie sie im Buddhismus beschrieben wird, kann nur durch die Praxis der Leere erreicht werden, und diese Art Nirvana oder Befreiung, wie ich sie oben definiert habe, kann nicht einmal durch die Svatantrika Madhyamikas, die Cittamatras, Sautantrikas oder Vaibhasikas erreicht werden. Die Anhänger dieser Schulen verstehen nicht die wirkliche Doktrin der Leere, obwohl sie Buddhisten sind. Weil sie die Leere oder die Wirklichkeit nicht erkennen können, können sie nicht die Art von Befreiung erlangen, die ich zuvor definiert habe. 18
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D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 34f. (Hervorhebung des Originals). Vgl. auch ebd., 16f. Mit der zuvor definierten Art von Befreiung meint der Dalai Lama „ein[en] Geist, der den Bereich der Wirklichkeit versteht“ und „alle Verunreinigungen im Bereich der Wirklichkeit zum Verschwinden bringt“.
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Dem Dalai Lama zufolge ist also nicht einmal innerhalb des Buddhismus jegliche Praxis des Dharma oder der Leere zielführend. Will man tatsächlich jene höchste Befreiung (Buddhaschaft) erlangen, die aus seiner Sicht das eigentliche und wahre Ziel des Menschen darstellt, dann muss man einer ganz bestimmten philosophischen Schultradition entsprechend praktizieren. Für den Dalai Lama – und den tibetischen Buddhismus im Allgemeinen – stellt diese Schule das Madhyamaka dar, die so genannte „Schule des Mittleren Weges“, als deren Begründer der große indische Gelehrte Nagarjuna (2. Jh. n.Chr.) gilt. ‚Mittlerer Weg‘ heißt diese Schule deshalb, weil Nagarjuna in seiner „Abhandlung über den Mittleren Weg“ (Mulamadhyamakakarika) mit der Lehre von der Leerheit zwei Extreme vermeidet, nämlich „das Extrem der (inhärenten) Existenz“ und „das Extrem der (totalen) Nichtexistenz“ aller Erscheinungen. 19 Nagarjuna zufolge existieren die Erscheinungen weder ewig noch sind sie nicht-existent, sondern werden richtigerweise als „Momente des Entstehens in gegenseitiger Abhängigkeit“ verstanden. 20 Weil nun für den Dalai Lama das Madhyamaka am „tiefgründigsten und besten“ die Lehre von der Leerheit (sunyata) erfasst, nimmt es unter den vier philosophischen Hauptschulen des Buddhismus – das Vaibhasika (die Schule der Großen Darlegung), das Sautantrika (die Sutra-Schule), das Cittamatra (die Nur-Geist-Schule) und das Madhyamaka – „den ersten Platz“ ein.21 Genauer gesagt handelt es sich dabei um das Prasangika-Madhyamaka, eine der beiden Unterschulen des Madhyamaka, das dem Dalai Lama zufolge als die höchste philosophische Schule des Buddhismus gilt. 22 Der eigentliche Streitpunkt zwischen beiden Unterschulen des Madhyamaka liegt – vereinfacht gesagt – in der Frage, ob den Dingen und Erscheinungen der Erfahrungswelt eine inhärente Existenz zukommt oder nicht. Während die Svatantrika-Madhyamikas 23 diese Frage bejahen und die Ansicht vertreten, 19 20 21
22
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D ALAI L AMA , Logik der Liebe, 196 (Hervorhebungen gelöscht). Ebd., 191, ähnlich 192. D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 171. Eine detaillierte Darstellung der philosophischen Auffassungen dieser Schulen sowie der zwischen ihnen bestehenden Unterschiede würde hier zu weit führen. Vgl. dazu J. HOPKINS /L. S ÖPA , Der tibetische Buddhismus, München 9 1998 (1979), 111-207. Vgl. T IBETISCHES Z ENTRUM H AMBURG (Hg.), Buddhismus in Tibet. Der tibetische Buddhismus in seiner historischen und kulturellen Entwicklung, Hamburg 1994, 36: „Im tibetischen Buddhismus wird die Sichtweise der Prasangika-Madhyamika als die höchste betrachtet und gilt als die genaueste Darstellung der Ansicht des Buddha und des Meisters Nagarjuna.“ Der Ausdruck „Madhyamaka“ bezeichnet die philosophische Schule, während als „Madhyamika“ etwas bezeichnet wird, das in Beziehung zu dieser Schule steht, wie
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„die Dinge existierten kraft einer ihnen innewohnenden Eigenschaft“ 24, verneinen die Prasangika-Madhyamikas diese Auffassung und gehen davon aus, dass die Dinge gänzlich leer sind in Bezug auf inhärente Existenz, das heißt nicht inhärent bzw. nicht aus sich selbst heraus existieren, sondern nur in Abhängigkeit von anderem. Den Prasangika-Madhyamikas zufolge ist es daher „falsch zu glauben, die Dinge existierten so, wie sie uns erscheinen“, nämlich als selbstexistente, substantielle Ganzheiten, denn in Wahrheit sind sie nur durch den menschlichen Verstand „begrifflich festgelegte Einheiten“25. Das richtige Verständnis der Leere bzw. des Entstehens und Vergehens der Dinge in wechselseitiger Abhängigkeit, wie es aus Sicht des tibetischen Buddhismus nur das Prasangika-Madhyamaka vertritt, fasst der Dalai Lama selbst wie folgt zusammen: [Œ]ûnyatâ oder Leere meint nicht, dass da überhaupt nichts sei oder existiere […], doch beinhaltet es, dass alles, was zur Existenz gelangt ist, aufgrund einer Ursache existiert, ja dass es nur in Beziehung zu oder in Abhängigkeit von etwas anderem als es selbst existiert. Sein Ursprung ist tatsächlich gar kein Ursprung – das ist sunya. Die Dinge sind lediglich Bezeichnungen durch das Bewusstsein und nichts anderes. Sie sind nichtselbst-existierend oder nicht inhärent existierend. Alles ist von Natur aus leer (in Bezug auf inhärente Existenz), leer einer permanenten Substanz oder eines Selbst, da es nicht-selbst-existierend ist, indem es von Ursachen außerhalb seiner selbst abhängig ist. 26
Hier wird nun verständlich, weshalb der Dalai Lama so eindringlich davor warnt, Buddhistisches mit Christlichem zu vermischen. Buddhismus und Christentum haben nämlich ganz unterschiedliche Auffassungen von der wahren Natur der Wirklichkeit, das heißt davon, wie die Wirklichkeit an sich ist, und deshalb auch ganz unterschiedliche Ansichten darüber, wie die verloren gegangene Harmonie mit dieser Wirklichkeit – das „Heil“ – wiederherzustellen ist. Um es wiederum in aller Kürze zu sagen: Dem Buddhismus zufolge besteht die leidvolle Unheilssituation des Menschen darin, dass der Mensch den Dingen dieser Welt anhaftet, indem er ihnen fälschlicherweise Substantialität
24 25 26
etwa ein Anhänger oder ein Text (vgl. P. W ILLIAMS /A. T RIBE , Buddhist Thought. A Complete Introduction to the Indian Tradition, London 2000, 140). D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 17. Ebd., 20, vgl. auch 17-21. D ALAI L AMA , Weisheit des Herzens, 171, ähnlich 173: „Die Prasangika-Schule lehrt, dass das ‚Ich‘ oder ‚Selbst‘ ein bloßer Name ist, der innerhalb des Prozesses des Verstehens gebildet wird, und das trifft auf alle Objekte des Verstehens in gleicher Weise zu. Alle Objekte sind nicht-selbst-existierend, das heißt, sie existieren nicht aus sich selbst.“
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und Eigenständigkeit zuschreibt. Um nun aus diesem Leid verursachenden Verhaltensmuster Befreiung zu finden, muss der Mensch nach mahayana-buddhistischer Auffassung zu der Einsicht geführt werden, dass alle Phänomene der Wirklichkeit in Wahrheit leer sind, Dualität und Substantialität also reine Konstrukte – und zwar Fehlkonstrukte – des menschlichen Geistes darstellen. Ziel der mahayana-buddhistischen Praxis ist es daher, ein dauerhaftes, nicht-duales und nicht-begriffliches Bewusstsein der Leerheit aller Phänomene und damit der Wirklichkeit im Ganzen zu ermöglichen. Aus mahayana-buddhistischer Sicht geht es also letztlich und wesentlich darum, die scheinbar bestehende Verschiedenheit und Eigenständigkeit aller Phänomene der Wirklichkeit – der Mensch miteingeschlossen – als eine falsche Sicht der Wirklichkeit zu überwinden und stattdessen zu erkennen, dass in Wahrheit alles eins ist. Für den Menschen bedeutet dies konkret, zu erkennen, dass zwischen ihm und der Wirklichkeit an sich (dem Buddha) keinerlei Verschiedenheit oder Dualität besteht, weil der Mensch selbst schon Buddha, also die absolute Wirklichkeit ist, zu der er lediglich noch erwachen muss. 27 Das Christentum hingegen sieht die grundlegende Unheilssituation des Menschen in der Trennung von Gott und die Befreiung aus diesem leidvollen Zustand in der Wiederherstellung der verloren gegangenen Beziehung und Gemeinschaft mit ihm. Ein solches Ziel – die Liebesgemeinschaft zwischen Gott und Mensch – impliziert nun aber unweigerlich Dualität, weil aus christlicher Sicht die Realisierung echter Gemeinschaft eigenständige Beziehungspartner mit einem dauerhaften inhärenten Selbst voraussetzt. Da also das christliche Heilsziel, die (ewige) Gemeinschaft zwischen einem personalen Gott und menschlichen Personen, auf beiden Seiten Akteure mit einem eigenständigen und dauerhaften personalen Selbst voraussetzt und damit bleibende Dualität sowohl zwischen Gott und seinen Geschöpfen als auch zwischen den Geschöpfen untereinander impli27
Vgl. J. M AKRANSKY, Buddha and Christ as Mediators of the Transcendent. A Buddhist Perspective, in: P. Schmidt-Leukel (Hg.), Buddhism and Christianity in Dialogue. The Gerald Weisfeld Lectures 2004, Norwich 2005, 176-199, hier 196f., bes. 197: “Mahayana and Tantric devotional communion with the Buddhas ultimately leads to dissolution even of the seemingly separate poles of ‘self’ and ‘Buddha’ within a non-dual realization of dharmak â ya beyond such distinctions. Indeed, that non- dual realization is understood as the deepest form of devotion in Indo-Tibetan Buddhism.” John Makransky ist Professor für Komparative Theologie am Boston College und selbst ordinierter Lama in der tibetischen Tradition. Der dharmak â ya ist der Dharma- bzw. Wahrheitskörper des Buddha, verstanden als die absolute Wirklichkeit.
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ziert, kann der christliche Weg nicht zur Buddhaschaft führen, deren Realisierung gerade die Überwindung jeglicher Anhaftung an Dualität voraussetzt. Anders als von Adelheid Herrmann-Pfandt gewünscht, kann der Dalai Lama damit den christlichen Glauben an einen personalen Schöpfergott, der in traditioneller Weise von allem anderen Seienden unabhängig und autonom existierend verstanden wird, nicht als solchen wertschätzen, denn ein solcher Glaube fördert aufgrund der bleibenden (seinsmäßigen) Verschiedenheit von Gott und Geschöpfen (bzw. der Schöpfung im Allgemeinen) die Anhaftung an Dualität und Substantialität (inhärenter Existenz) und läuft damit der von Buddhisten angestrebten Realisierung der befreienden Einsicht in die (angeblich) nicht-duale, leere Natur der Wirklichkeit konträr entgegen. Folgerichtig können also für den Dalai Lama Buddhismus und Christentum nicht zwei gleichberechtigte, wechselseitig austauschbare Wege zu ein und demselben Ziel darstellen. Will man die Buddhaschaft erreichen, dann muss dazu kompromisslos jener Weg beschritten werden, der die Einsicht in die Leere ermöglicht, und das ist der Edle Achtfache Pfad, wie ihn das Prasangika-Madhyamaka bzw. der Mahayana-Buddhismus tibetischer Prägung lehrt. 28 Nur dieser eine Weg ist letztlich zielführend, um jene vollkommene Befreiung zu erlangen, wie sie der Dalai Lama versteht. Dieser eine Weg 29 ist damit dann aber auch allen anderen Wegen überlegen. Diesen Superioritätsanspruch, den der Dalai Lama für seinen eigenen Buddhismus behauptet, möchte ich jetzt noch etwas ausführlicher beleuchten und dabei aufzeigen, dass der Dalai Lama den christlichen Glauben an einen personalen Gott letztlich nicht nur zur 28
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Vgl. hierzu auch die Einschätzung des britischen Indologen Paul Williams: „Als Endziel können wir eine vollkommene Gemeinschaft in einer Liebesbeziehung zu Gott und zu unseren Mitmenschen ansetzen oder wir können nicht duale und nicht begriffliche Erfahrungen anstreben. Aber wir können nicht beides als gleichwertige Endziele verfolgen. […] Demzufolge können wir nicht sowohl den buddhistischen als auch den christlichen Glauben haben, wenn wir den christlichen Glauben in seiner traditionellen Bedeutung verstehen. […] Denn Gott mit Nichtdualismus in Verbindung zu bringen heißt, Gott zu vernichten. Es bedeutet, die Liebe zu vernichten und ipso facto die Gemeinschaft […] zu zerstören“ (P. WILLIAMS , Mein Weg zu Buddha und zurück. Warum ich wieder Christ bin, München 2006, 85f. u. 82). Williams wuchs in der Anglikanischen Kirche auf, konvertierte als junger Erwachsener zum tibetischen Buddhismus und wurde nach 20 Jahren wieder Christ, diesmal Katholik. Ich spreche hier etwas vereinfachend vom tibetischen Buddhismus als einem Weg. Selbstverständlich kennt auch der tibetische Buddhismus wiederum eine Vielfalt an unterschiedlichen Schulen und Lehrtraditionen. So gehört etwa der Dalai Lama zum Orden der Gelug (oder Geluk). Doch weil der Dalai Lama alle vier tibetischen
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Erlangung der Buddhaschaft hinderlich findet, sondern prinzipiell als eine grundlegend falsche Auffassung von der Wirklichkeit an sich betrachtet. 3. WIE DER DALAI LAMA TATSÄCHLICH DEN GLAUBEN AN EINEN PERSONALEN SCHÖPFERGOTT SIEHT „Wenn man eine tiefere Erfahrung der ‚Leere‘ und gegenseitigen Abhängigkeit aller Dinge macht, wird es schwierig, gleichzeitig auch die Vorstellung eines Schöpfergottes zu akzeptieren, der unveränderlich für sich existiert“, so äußert sich der Dalai Lama einmal in seinem Buch „Ratschläge des Herzens“30. In „Das Herz aller Religionen ist eins“ schreibt er dazu etwas ausführlicher: Die gesamte buddhistische Weltsicht basiert auf einem philosophischen Standpunkt, dessen zentraler Gedanke das Prinzip der wechselseitigen Bedingtheit ist: Ihm zufolge treten alle Dinge und Geschehnisse allein infolge von Wechselwirkungen zwischen Ursachen und Bedingungen ins Dasein. […] Innerhalb dieser Philosophie ist es nahezu unmöglich, Raum zu schaffen für eine außerzeitliche, ewige, absolute Wahrheit. Ebensowenig ist es möglich, die Vorstellung einer göttlichen Schöpfung unterzubringen. Entsprechend hat für einen Christen, dessen gesamte metaphysische Weltsicht auf dem Glauben an die Schöpfung und einen göttlichen Schöpfer beruht, die Vorstellung, dass alle Dinge und Geschehnisse aus der bloßen Interaktion zwischen Ursachen und Bedingungen entstehen, keinen Platz. Im Bereich der Metaphysik wird es also an einem bestimmten Punkt problematisch. 31
Noch deutlichere Worte zur Frage nach der Existenz eines Schöpfergottes fand der Dalai Lama bei seinem Besuch in Frankreich im Herbst 1993. In einer Runde von Wissenschaftlern und Philosophen gab er dort auf die Frage “Is there a primordial cause for all causes?” die klare
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Hauptschulen für gleichermaßen zielführend hält – sie alle basieren nämlich auf der Philosophie des Prasangika-Madhyamaka – erlaube ich mir, hier etwas allgemeiner von dem tibetischen Buddhismus zu sprechen. Vgl. D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 169f.: „In Tibet gibt es vier Hauptschulen: Nyingma, Sakya, Kagyü und Geluk. […] Alle vier führen zur Buddhaschaft. Aus diesem Grund ist es völlig falsch, eine Tradition für richtiger zu halten als eine andere oder irgendeine von ihnen geringzuschätzen.“ Vgl. auch D ERS ., Logik der Liebe, 83. Zur näheren Beschreibung dieser vier tibetischen Hauptschulen vgl. T IBETISCHES Z ENTRUM H AMBURG (Hg.), Buddhismus in Tibet, 58-68. Zürich 2003, 192f. D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 167. Auffallend ist, dass diese Aussage des Dalai Lama in völligem Widerspruch zum Titel des Buches steht, denn für den Dalai Lama ist klar, dass das Herz der Religionen gerade nicht eins ist. Auch An-
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Antwort “No”32. Aufgrund der Lehre vom Entstehen und Vergehen in wechselseitiger Abhängigkeit kann für ihn das Universum keine absolute und autonom existierende Erstursache haben. Bei einer anderen Gelegenheit nennt der Dalai Lama noch fünf weitere Gründe, warum er eine theistische Weltauffassung für problematisch hält. 33 Als ersten Grund führt er dort den rein hypothetischen Charakter des Gottesglaubens an. Theistischer Glaube steht für ihn auf einem sehr wackeligen Fundament, weil Gottes Existenz „logisch nicht begründet werden“ kann. Mit der Lehre des Buddha und der buddhistischen Weltanschauung verhalte es sich da ganz anders. Sie könne „bis in alle Einzelheiten logisch bewiesen werden“. Einen zweiten Grund, der gegen den Glauben an einen personalen Schöpfergott spricht, sieht der Dalai Lama darin, dass sich der Mensch in einer theistischen Weltauffassung „übermäßig erniedrigt fühlen kann“. Denn als Geschöpf könne der Mensch seinem Schöpfer gegenüber niemals gleichrangig sein, sondern müsse sich ihm unterordnen und „seinen Geboten blind gehorchen“. Der Dalai Lama gesteht dabei zu, dass auf diese Weise durchaus das „Ichgefühl verringert“ und die Liebe gegenüber den Mitmenschen gefördert werden könnten. Doch würden diese positiven Folgen des theistischen Glaubens aus buddhistischer Sicht immer noch die Gefahr in sich bergen – und das wäre sein drittes Argument gegen den Gottesglauben –, „dass der Mensch die volle Größe des menschlichen Potentials nicht erkennen und ausschöpfen kann“, das heißt, dass der Mensch die in ihm angelegte Buddhanatur nicht erkennen und damit auch nie die Realisierung der Buddhaschaft oder vollständigen Befreiung erlangen kann. Einen vierten Grund, der gegen eine theistische Weltsicht spricht, sieht der Dalai Lama im „Erlahmen kritischen Fragens“. Denn Anhängern theistischer Traditionen sei es nicht erlaubt, sich gegen Gottes Wort oder Gottes Willen
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dreas Grünschloß moniert, dass der Titel „Das Herz aller Religionen ist eins“ „ziemlich irreführend“ sei, „weil er der klar ausgesprochenen Intention des Dalai Lama zuwiderläuft“ (A. GRÜNSCHLOß , Buddhistische Jesusbilder. Zeitgenössische Beispiele einer buddhistischen Hermeneutik des Christentums, in: U. Berner/C. Bochinger/K. Hock [Hg.], Das Christentum aus der Sicht der Anderen. Religionswissenschaftliche und missionswissenschaftliche Beiträge [Beiheft der Zeitschrift für Mission 3], Frankfurt am Main 2005, 156). Der Titel der englischen Originalausgabe weckt hingegen keine falschen Erwartungen: D ALAI L AMA , The Good Heart. A Buddhist Perspective on the Teachings of Jesus, Boston 1996. D ALAI L AMA , Beyond Dogma, 213 (Hervorhebungen gelöscht). Dieser Band enthält die wichtigsten Reden, Interviews und Pressekonferenzen, die der Dalai Lama während seines Besuchs in Frankreich im Herbst 1993 gegeben hat. D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 27f. Die folgenden Zitate ohne Referenzangabe sind von hier entnommen.
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aufzulehnen, nicht einmal dann, wenn etwas „aller Vernunft widerspricht“. Als fünftes und letztes Argument führt er schließlich die Schaffung unnötiger „philosophische[r] Probleme“, wie etwa das Problem der Theodizee, ins Feld. Wenn der allmächtige Gott der Schöpfer von allem ist, „dann hat Er auch das Leiden und die Ungerechtigkeit hervorgebracht“, woraus man schließen könne, „dass er außergewöhnlich grausam und böse sein muss, wie eine Mutter, die vorsätzlich ein Kind zur Welt bringt, nur um es dann zu peinigen und großen Schmerzen auszusetzen“. In diesem Zusammenhang scheut sich der Dalai Lama dann auch nicht, den Buddhismus als die eindeutig vernünftigere Religion zu preisen: „Der Buddhismus ist eine außerordentlich überzeugende und tiefsinnige Religion, da er nicht ein Weg des Glaubens, sondern der Vernunft und der Erkenntnis ist.“ 34 Jedenfalls ließen sich im Buddhismus die genannten Probleme vermeiden, da nach buddhistischer Lehre „nichts anderes als die reifende Kraft unserer vergangenen Taten oder unseres Karma Schöpfer der Welt“ ist. Der Mensch sei auf sich selbst gestellt. Er sei der alleinige „Schöpfer seines Schicksals“. Auch die Buddhas seien „keine Schöpfer“, sondern „Lehrer und Führer für solche, die hören wollen“35. Auf einen Retter von außen zu hoffen, sei es ein Buddha oder ein Gott, ist aus Sicht des Dalai Lama sinnlos. Vielmehr rät er: Wir müssen die unmittelbare Verantwortung für unser eigenes spirituelles Leben übernehmen und dürfen uns von niemandem und nichts abhängig machen, denn selbst die Buddhas der Zehn Richtungen und Drei Zeiten können uns nicht helfen, wenn wir uns nicht selbst bemühen. Gäbe es ein anderes Wesen, das fähig wäre, uns zu retten, so wäre dies schon längst geschehen. […] Der Buddha sagte einst: „Du bist dein eigener Retter oder dein eigener Gegner.“ Damit sind wir alle gemeint. 36
Auch der Dalai Lama ist damit ganz dem im Buddhismus weit verbreiteten Grundsatz verpflichtet: „Man hat sich auf sich selbst zu verlassen; man hat sich auf den Dhamma zu verlassen; es gibt darüber hinaus nichts, worauf man sich verlassen kann.“ 37 In ähnlicher Weise hat er sich auch auf dem bereits erwähnten John-Main-Seminar geäußert, als 34 35 36 37
Die Weisheit des Herzens, 24. Ebd., 28. Ebd., 33 u. 30. So zitiert bei B. B UDDHADÂSA , Zwei Arten der Sprache. Eine Analyse von Begriffen der Wirklichkeit, Zürich 1967, 120. Buddhadâsa erklärt hierzu noch genauer: „Daher muss sich jeder auf sich selbst stützen und nicht auf Hilfe von außen oder auf eine Gottheit in Form eines Menschenwesens warten. […] Eine personifizierte Gottheit setzt ein anderes Wesen voraus und erfüllt daher nicht den Sinn der Rede-
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er vor seinen christlichen Gesprächspartnern klarstellte, dass es für ihn keinen personalen Richtergott geben kann, weil das Karmagesetz der einzige Richter sei. Konkreter Anlass für diese Äußerung war sein Kommentar zu Joh 12,47-48, wo Jesus von sich sagt: „[I]ch bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten. Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat schon seinen Richter: Das Wort, das ich gesprochen habe, wird ihn richten am Letzten Tag.“ Der Dalai Lama kommentierte dies folgendermaßen: Ich meine, dies spiegelt genau die buddhistische Vorstellung von Karma wider: Es gibt kein autonomes Wesen „da draußen“, das darüber richtet, welche Erfahrungen Sie machen und was Sie wissen sollten; sondern es gibt die Wahrheit, die in dem kausalen Prinzip selbst enthalten ist. Wenn Sie in ethischer, in disziplinierter Weise handeln, werden daraus wünschenswerte Konsequenzen erwachsen. Wenn Sie in negativer, in schädlicher Weise handeln, dann müssen Sie auch den Konsequenzen eines solchen Handelns ins Auge schauen. Die Wahrheit des Kausalgesetzes ist der Richter, nicht eine Wesenheit oder Person, die Urteile fällt. 38
Der Dalai Lama kann damit den christlichen Glauben nicht als solchen wertschätzen, wenngleich dies in vielen seiner Äußerungen auch immer wieder so anzuklingen scheint und er von Christinnen und Christen auch nicht selten so verstanden wird. Der christliche Glaube an einen personalen Schöpfer- oder Richtergott stellt für ihn eine grundlegend falsche Auffassung von der Wirklichkeit dar. Er kann den Glauben der Christen nur insofern wertschätzen, als er ganz bestimmte ethische Haltungen und Einstellungen im Menschen hervorruft, das heißt den Menschen dazu anspornt, ein moralisch gutes Leben zu führen, und auf diese Weise eine bessere Wiedergeburt ermöglicht. Die eigentlichen Spezifika des christlichen Glaubens, wie etwa der Glaube an den Mensch gewordenen Sohn Gottes und Erlöser Jesus Christus oder an den dreieinen Gott, die zu dieser Praxis überhaupt erst Anlass geben, kann der Dalai Lama nicht als solche wertschätzen, da sie die Anhaftung an Dualität und Substantialität fördern und damit der ersehnten Realisierung der Buddhaschaft im Wege stehen.
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wendung, ‚man hat sich auf sich selbst zu verlassen, man hat sich auf den Dhamma zu verlassen‘“ (ebd., 121). „Dhamma“ ist der Pali-Begriff für das Sanskrit-Wort „Dharma“. D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 222. Ganz ähnlich versteht der Dalai Lama die biblische Rede vom Teufel: „Wenn man an Teufel denkt […], ist es wichtig, nicht die Vorstellung von einer unabhängigen, autonomen, immerwährenden Macht zu haben, einer Art absoluten negativen Macht, die ‚da draußen‘ existiert. Das Wort sollte sich mehr auf die jedem von uns innewohnenden negativen Tendenzen und Impulse beziehen“ (ebd., 195).
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Der Dalai Lama kann also die für theistische Traditionen so zentrale Gottesverehrung nicht als solche gutheißen, sondern theistische Traditionen lediglich für ihre moralisch gute Wirkung – das heißt als Instrumente zur Förderung von Liebe, Güte und Mitgefühl – wertschätzen. Auf dem John-Main-Seminar ließ er dies seine Zuhörerinnen und Zuhörer auch in aller Deutlichkeit wissen: Eine für Buddhisten überaus schwierige Vorstellung ist das Konzept von einem göttlichen Wesen, von Gott. Natürlich kann man in dem Sinn an diese Vorstellung herangehen, hier handle es sich um etwas Unaussprechliches, das jenseits von Sprache und Begrifflichkeit liegt. Doch muss man einräumen, dass auf einer theoretischen Ebene die Vorstellungen von Gott und der Schöpfung ein Punkt sind, an dem Buddhisten und Christen unterschiedliche Wege gehen. […] Schaue ich persönlich mir die Idee der Schöpfung und den Glauben an einen göttlichen Schöpfer an, dann besteht, so meine ich, die hauptsächliche Wirkung dieses Glaubens darin, dass er ein Gefühl der Motivation vermittelt – das praktizierende Individuum empfindet, wie dringlich es ist, dass er oder sie sich dafür engagiert, ein guter Mensch, eine ethisch disziplinierte Person zu werden. 39
Ein solches rein pragmatisches und instrumentelles Verständnis des theistischen Gottesglaubens reduziert nun aber Religion gänzlich auf ihr ethisches Moment. 40 Im Grunde genommen bräuchte man dem Dalai Lama zufolge gar keiner religiösen Tradition (im engeren Sinn) anzugehören, denn Haltungen wie Liebe, Güte und Mitgefühl können prinzipiell von allen Menschen, selbst von Atheisten, hervorgebracht und gelebt werden. So schreibt er selbst einmal: „Güte und heilende Hinwendung sind die eigentlichen Werte und können von jedem Menschen auch ohne eine tiefere Glaubensüberzeugung prak39
40
D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 118f. u. 120 (meine Hervorhebungen). Dieses „Gefühl der Motivation“ zur Entwicklung von liebender Güte und Mitgefühl wird im Buddhismus als die Entwicklung von bodhicitta – die Entwicklung des altruistischen Erleuchtungsgeistes – bezeichnet, die ganz am Beginn des Bodhisattva-Weges steht: „[D]ie Entwicklung des altruistischen Strebens nach höchster Erleuchtung, auch ‚Erleuchtungsgeist‘ (Bodhicitta) genannt, […] bildet das Eingangstor zu dem System des Großen Fahrzeugs […] und besteht in dem aufrichtigen Streben nach vollkommener Erleuchtung ausschließlich zum Wohle der anderen Lebewesen“ (T IBETISCHES Z ENTRUM H AMBURG [Hg.], Buddhismus in Tibet, 32 u. 33). So auch H.A. H APATSCH , Die Rezeption von Kirche und Christentum im deutschsprachigen Buddhismus, Hamburg 2007, 234-236. Zu Recht weist Hapatsch darauf hin, dass der Begriff „Gott“ vom Dalai Lama rein pragmatisch „als Motivation für die Entwicklung ethischer Werte bzw. der individuellen Evolution“ gebraucht wird (ebd., 234). Vgl. hierzu ganz ähnlich G RIFFITHS (Hg.), Christianity through NonChristian Eyes, 137 u. 162f.
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tiziert werden, denn jeder weiß Güte zu schätzen.“ 41 Jede und jeder kann – sei es mit oder ohne Hilfe einer religiösen Tradition – ein sittlich gutes Leben führen und auf diese Weise der Möglichkeit vorbauen, in einem späteren Leben einmal als Buddhistin oder Buddhist wiedergeboren zu werden, und zwar selbst dann, wenn man gar nicht an ein Wiedergeborenwerden glauben sollte. 42 Der christliche Glaube bzw. Religion im Allgemeinen wird damit aber auf bloße Moral bzw. auf einen reinen Humanismus reduziert. Der Dalai Lama gesteht dies auch offen zu, wenn er schreibt: „Das Bemerkenswerte am Buddhismus ist, dass er sich eher als humanistisch denn als formal-religiös darstellt […] Anders als die meisten Weltreligionen gründet er nicht auf der Idee eines Gottes, sondern er hat den Menschen und seine Vervollkommnung zum Thema.“ 43 Wenn also der eingangs zitierte Horst Pöhlmann die Ansicht vertritt, dass es dem Dalai Lama zufolge „‚viele Wege zum letzten Glück, dem Nirwana‘“ gibt und der Buddhismus dazu nur „‚ein möglicher Weg‘, aber ‚nicht der einzig mögliche Weg‘“ ist,44 dann bedarf diese Aussage einer wichtigen Präzisierung. Freilich leugnet der Dalai Lama nicht, dass viele Wege zum Nirvana oder zumindest in Richtung Nirvana führen. Aber klar ist für ihn dabei auch – und das vermisst man in Pöhlmanns Ausführungen –, dass Christen dieses Nirvana keinesfalls schon am Ende ihres jetzigen Lebens und erst recht nicht mit Hilfe ihrer spezifisch theistischen Glaubensüberzeugungen und Glaubenspraxis erreichen werden. Denn selbst eine noch so aufrichtig praktizierte christliche Nächstenliebe kann – wie bereits deutlich wurde – durch die Anhäufung guten Karmas bestenfalls die Wiedergeburt in einem buddhistischen Paradies ermöglichen, nicht aber die Erlangung der Buddhaschaft, weil christliche Nächstenliebe immer einer theistischen und damit dualen Wirklichkeitsauffassung verhaftet bleibt. Mit der Befolgung des christlichen (jüdischen, muslimischen etc.) Wegs kann also lediglich ein guter Anfang gesetzt werden. Früher oder später müssen aber alle diese Wege auf den Edlen Achtfachen Pfad tibeti41 42
43 44
D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 61, ähnlich 59f. Dies geht besonders deutlich aus einem Ratschlag hervor, den der Dalai Lama einmal einem Menschen gibt, der nicht explizit religiös praktizieren will: “If you do not follow any religion whatsoever, and do not therefore take into consideration beliefs with regard to future lives, it is nonetheless of crucial importance to be a person who shows warmth, a good heart, and altruism. […] In this case you will gather and enjoy the fruit of your positive, virtuous acts in your next life, even if in this life you have paid no attention to the notion of future life, since you don’t believe in it” (D ALAI L AMA , Beyond Dogma, 158). D ALAI L AMA , Die Weisheit des Herzens, 26f. PÖHLMANN , Viele Wege zum Nirwana, 33 (Hervorhebung des Originals).
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scher Prägung führen, will man tatsächlich eines Tages in den Genuss der vollen Befreiung kommen, wie sie der Dalai Lama versteht. 45
4. DER VERZICHT AUF MISSION IMPLIZIERT NOCH KEINEN VERZICHT AUF SUPERIORITÄT Auf dem Hintergrund des bisher Gesagten dürfte dann auch nur noch sehr schwer nachvollziehbar sein, wie die ebenfalls eingangs erwähnte Adelheid Herrmann-Pfandt in den Äußerungen des Dalai Lama zur bestehenden Pluralität der Religionen einen „völlige[n] Verzicht auf jeden religiösen Absolutheitsanspruch“ erkennen kann. 46 Dass sich der Dalai Lama als guter Buddhist vor jeglicher Rede, die absolute Behauptungen oder Terminologie verwendet, hütet, ist nicht zu bestreiten, denn „[i]m Buddhismus gibt es nichts Absolutes“, wie er selbst schreibt. 47 Der Sache nach geht es Herrmann-Pfandt aber auch nicht so sehr um den Verzicht auf Absolutheitsbehauptungen, sondern um den Verzicht auf Superioritätsbehauptungen im Allgemeinen, wenn sie im selben Zusammenhang den Wunsch zur Sprache bringt, dass auch Christinnen und Christen um des interreligiösen Friedens willen die Religionen dieser Welt endlich als einander „gleichwertig[e]“ und gleichberechtigte Partner anerkennen sollten. 48 Mehr als fraglich ist allerdings, ob Christinnen und Christen tatsächlich das vom Dalai Lama lernen können, was sich HerrmannPfandt von ihm zu lernen erhofft. Im Unterschied zum Christentum und anderen theistischen Religionen besteht das große Plus des Buddhismus zweifellos darin, dass er mit Hilfe der so genannten Lehre von den „geschickten Mitteln“ (upayakaushalya) der bestehenden Vielfalt religiöser Wege zunächst einmal etwas prinzipiell Positives abgewinnen kann. Das sieht Herrmann-Pfandt in ihrem Beitrag „Der Wert der Unterschiedlichkeit“ völlig richtig. Wie im Buddhismus generell üblich, so geht auch der Dalai Lama davon aus, dass „unterschiedliche Menschen in geistiger Hinsicht unterschiedlich prädestiniert sind“ und deshalb „für einige ein bestimmtes religiöses System oder eine bestimmte Philosophie geeigneter ist als ein anderes“49. Alle Menschen dieselbe Religion praktizieren zu lassen, wäre seiner Ansicht nach ge45 46 47 48 49
So auch H APATSCH , Die Rezeption von Kirche und Christentum, 152. H ERRMANN -PFANDT, Der Wert der Unterschiedlichkeit, 49. D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 97. H ERRMANN -PFANDT, Der Wert der Unterschiedlichkeit, 49. D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 60.
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nauso unsinnig, wie von allen Menschen zu verlangen, ein und dieselbe Nahrung zu sich zu nehmen oder im Krankheitsfalle ein und dieselbe Medizin zu schlucken. „Ein geschickter Arzt stellt sich auf seine jeweiligen Patienten ein und gibt jedem die speziell für ihn geeignete Medizin, die notwendig ist, um diese besondere Krankheit zu kurieren“, so der Dalai Lama selbst. Er wird nicht bei allen Patienten dieselbe Behandlungsmethode anwenden noch allen die gleiche Medizin verabreichen, wenngleich auch alle therapeutischen Maßnahmen letztlich ein und demselben Zweck dienen, nämlich der Heilung des Patienten. 50 Für manche Menschen könnte deshalb auch die Praxis innerhalb einer theistischen Tradition, die von der Existenz eines Schöpfergottes ausgeht und alles Weitere von dessen Willen abhängig macht, „sinnvoll und gut“ sein. Für andere hingegen mag die Annahme, dass es keinen Schöpfergott gibt, sondern alles von einem selbst abhängt, man also „selbst Schöpfer ist“, „eine viel effektivere Methode“ sein, um spirituell wachsen und reifen zu können. 51 Dass unterschiedliche Religionen den unterschiedlichen religiösen Bedürfnissen von Menschen Rechnung tragen können, 52 bedeutet nun aber keineswegs, dass der Dalai Lama die unterschiedlichen Religionen und deren jeweilige Praxis – wie von Herrmann-Pfandt gewünscht – auch „als gleichwertig annehmen kann“ oder annehmen will. Vielmehr behauptet der Dalai Lama für seine eigene Tradition 50 51
52
D ERS ., Die Weisheit des Herzens, 119 (meine Hervorhebung). D ERS ., Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 16. Von Buddha wird gesagt, dass er die Anwendung der „geschickten Mittel“ perfekt beherrschte. Aufgrund seines Erleuchtungswissens konnte er nämlich die jeweilige Situation seiner Hörer sofort durchschauen und genau erkennen, was er jedem Einzelnen sagen musste, um ihn auf seinem individuellen Weg zur eigenen Erleuchtung voranzubringen. Auf diese Weise wird dann auch erklärt, weshalb sich in den überlieferten Schriften angeblich widersprüchliche Aussagen des Buddha finden sollen. Behalte man nämlich ihre Kontextbezogenheit im Auge, dann seien sie alle gleich wahr und richtig, da sie die jeweils richtige Antwort auf eine jeweils ganz bestimmte Situation der Praktizierenden darstellen. Als klassisches Beispiel wird dazu immer wieder angeführt, dass der Buddha nicht nur die wahre Lehre vom Nicht-Selbst, sondern manchmal auch die ebenso wahre Lehre von der Existenz eines Selbst gepredigt habe. „Zieht man nämlich das Auffassungs- und Verständnisvermögen seiner Zuhörer zu jenem speziellen Zeitpunkt, in jenem Umfeld und Kontext in Betracht, so war das die Wahrheit“ (D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 166; Hervorhebung des Originals). Doch das bedeutet nun freilich nicht, dass deswegen die Lehre von der Existenz eines Selbst tatsächlich wahr ist. Vgl. W ILLLIAMS /T RIBE , Buddhist Thought, 265 (Anm. 1). So zuletzt wieder D ALAI L AMA , Becoming Enlightened, New York 2009, 5-11, und D ERS. , Toward a True Kinship of Faiths. How the World’s Religions Can Come Together, New York 2010, 145-161.
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und Praxis einen ganz klaren Superioritätsanspruch, wenngleich dies bei ihm auch nicht immer in aller Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, da er die Anwendung der Lehre von den „geschickten Mitteln“ manchmal bis zum Äußersten reizt und dabei oft nur das allen Gemeinsame betont und herausstellt, wie etwa, dass alle Religionen das Glück des Menschen wollen oder zu Liebe, Mitgefühl und Frieden führen. 53 Von Christen fordert Herrmann-Pfandt, dass sie die Behauptung der „Einzigartigkeit Christi als Erlöser aller Menschen“ um des interreligiösen Friedens willen endlich aufgeben und „die Vielfalt der Religionen als Teil der guten Schöpfung Gottes“ anerkennen sollen. 54 Der Dalai Lama wird sich hingegen davor hüten, seinen einzigartigen ‚Erlöser‘, das Prasangika-Madhyamaka, preiszugeben, wenn die Realisierung der Buddhaschaft einzig und allein mit Hilfe dieser philosophischen Schule möglich sein soll, da sie allein ein adäquates Verständnis der wahren, leeren Natur der Wirklichkeit bietet. Der bloße Verzicht des Dalai Lama auf jegliche Form von Mission impliziert noch nicht den Verzicht auf jeglichen Überlegenheits- oder Einzigkeitsanspruch, wie Herrmann-Pfandt fälschlicherweise meint. Der Dalai Lama weiß nämlich sehr wohl, welche religiöse Praxis oder Tradition einzig und allein zum wahren Ziel des Menschen führt und allen anderen deshalb überlegen ist. 55 Dass der Dalai Lama keinerlei Missionseifer an den Tag legt, hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass für ihn als Buddhist der zeitliche Faktor so gut wie keine Rolle spielt. Wer nicht in diesem Le53
54 55
Vgl. hierzu die Äußerung von Lama John Makransky: “Because the Dalai Lama draws so heavily upon the Buddhist doctrine of skillful means, and emphasizes shared goals of world religions (peace, compassion, etc.), he may appear to promulgate simply a theological pluralism, as if he assumes that all world religions realize precisely the same salvific goals. But when functioning as a Buddhist systematician, he does acknowledge that different religions certainly seem to posit different salvific goals, which would require different means of practice for their attainment. In that light, he suggests that nirvana, posited as the unique ultimate goal of Buddhism, requires uniquely Buddhist means for its attainment” (J. M AKRANSKY, Buddhist Perspectives on Truth in Other Religions. Past and Present, in: Theological Studies 64 [2003] 334-361, 355). H ERRMANN -PFANDT, Der Wert der Unterschiedlichkeit, 49. Paul Knitters absurder Auffassung zufolge wäre deshalb auch der Dalai Lama als ein militanter Buddhist zu verstehen, wenn er schreibt: “If religious people come together for peacemaking dialogue but retain their claims of religious superiority (even if only in their minds and hearts), they are no different, in their fundamental religious convictions, from the militant religious people who refuse such dialogue; both such peacemakers and the militants hold that theirs is the only or the best way” (P.F. KNITTER , Introduction, in: Ders. [Hg.], The Myth of Religious Superiority. A Multifaith Exploration, Maryknoll 2005, ix).
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ben die volle Befreiung oder Buddhaschaft erlangt, für den oder die stehen noch unzählige weitere Leben zur Verfügung. 56 Für Buddhisten gibt es keine Eile. Aus ihrer Sicht genügt es, dass Menschen ein sittlich gutes Leben führen und auf diese Weise – durch die Anhäufung positiven Karmas – immer in Richtung Nirvana unterwegs bleiben. Jemanden aktiv zum Buddhismus bekehren zu wollen, würde im Grunde bedeuten, die eigene buddhistische Lehre nicht wirklich ernst zu nehmen. Denn dem Karmagesetz zufolge stellt das gegenwärtige Leben eines Menschen das unumstößliche Resultat der Taten seiner früheren Leben dar. Wenn also jemand als Christ (und noch nicht als Buddhist) wiedergeboren wird, dann ist dies kein blinder Zufall oder das bloße Resultat des vorherrschenden religiösen Umfelds, sondern aus buddhistischer Sicht konsequente Folge des eigenen Karmas aus früheren Leben. Wollte man nun einen Christen aktiv zum Buddhismus bekehren, dann würde das bedeuten, dessen karmische Determination nicht wirklich ernst zu nehmen, denn diesem Christen ist aufgrund seiner früheren Taten eben noch nicht ein Leben als Buddhist beschert, das ihn zweifellos näher an die zu erlangende Buddhaschaft heranführen würde. 57 Außerdem dürfte hier noch eine Rolle spielen, dass sich ein Buddhist durch eine aktiv betriebene Missionierung anderer zum Buddhismus der Gefahr aussetzt, nicht nur dem Bekehrten, sondern auch sich selbst Schaden zuzufügen. Sollte sich nämlich der buddhistische Weg für den Neubekehrten als zu schwer herausstellen und ihn in eine spirituelle Krise stürzen, das heißt in seiner spirituellen Entwicklung eher hemmen statt fördern, dann erwirbt sich der Missionar damit keine Verdienste, sondern schlechtes Karma, das wiederum die Erlangung seiner eigenen Buddhaschaft verzögert. Der Dalai Lama schreibt hierzu selbst: Gemäß einer der achtzehn Bodhisattva-Regeln sollte man […] nicht jemanden in der tiefgründigen Lehre von der Leerheit unterweisen, dem der rechte Sinn dafür fehlt. Falls man nämlich aus Mangel an Sensibilität darauf beharrt, solch eine Person in der Lehre von der Leerheit zu unterweisen, drohen negative Konsequenzen: Statt jener Person weiterzuhel56
57
Der Dalai Lama geht davon aus, dass man hier „in Zeiträumen von Äonen“ zu rechnen hat (Das Herz aller Religionen ist eins, 239). Vgl. auch Beyond Dogma, 159f., wo konkret die Rede von drei Äonen ist, bis ein Mensch die volle Befreiung erlangt hat. Diese Unerbittlichkeit des Karmagesetzes hat wohl auch der Dalai Lama vor Augen, wenn er im bereits erwähnten Bodhgaya-Interview von 1981 darauf hinweist, dass selbst der Buddha bezüglich der Bekehrung von Shiva-Anhängern zum Buddhismus „nicht viel tun konnte“ (Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 32).
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fen und sie auf dem spirituellen Übungsweg voranzubringen, könnte man sie oder ihn durch diese Lehre in Verwirrung stürzen oder womöglich sogar zu Nihilismus verleiten. Den Dharma zu lehren würde in solch einem Fall kein Verdienst bringen, sondern Negativität ansammeln, weil man nicht sensibel ist für das, was die andere Person benötigt und was für sie angemessen ist. 58
Nicht zuletzt wohl auch deshalb gilt im Buddhismus die generelle Einstellung: „Solange nicht jemand an einen Lehrer herantritt und um spezielle Unterweisungen bittet, hat ein Lehrer kein Recht, seine oder ihre Ansichten und Lehren einer anderen Person aufzudrängen.“ 59 Wenn also der Dalai Lama keinerlei Missionseifer an den Tag legt, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass für ihn Buddhismus und Christentum zwei gleichwertige und damit austauschbare Wege darstellen, die zu ein und demselben Ziel führen, wie Herrmann-Pfandt und Pöhlmann den Dalai Lama (miss)verstehen. Für den Dalai Lama steht die Superiorität des tibetischen Buddhismus völlig außer Frage. Seine Zurückhaltung in Sachen Mission erklärt sich aus den besagten Gründen, vor allem aus der Unumstößlichkeit des Karmagesetzes. Würde es im Buddhismus kein Karmagesetz geben, so wage ich einmal zu behaupten, dann würde auch der Dalai Lama aktiver missionieren. Kann es denn einem echten Bodhisattva wie dem Dalai Lama tatsächlich gleichgültig sein, welche spirituelle Richtung jemand einschlägt? 60 Müsste ihn sein grenzenloses Mitgefühl für alle leidenden Wesen nicht regelrecht dazu drängen, ihnen allen aus der Vielzahl der existierenden spirituellen Wege jenen zeigen zu wollen, der am schnellsten zur Beendigung des leidvollen Geburtenkreislaufs führt? Hat er nicht gerade auch aus diesem Grund sein Bodhisattva-Gelübde abgelegt, um allen fühlenden Wesen den wahren Weg zur Befreiung lehren und zeigen zu können, soweit es eben ihre karmische Determination zulässt? Zumindest unter dieser Rücksicht dürfte fraglich sein, ob die Dialogbereitschaft des Dalai Lama tatsächlich gänzlich frei von „versteckten missionarischen Wünschen und Absichten“ ist, wie Herrmann-Pfandt 58 59 60
D ALAI L AMA , Das Herz aller Religionen ist eins, 193. Ebd., 195. Bodhisattvas sind Wesen, die auf ihrem Befreiungsweg schon so weit fortgeschritten sind, dass sie bereits in das Nirvana eingehen könnten, doch aus Mitgefühl zu den anderen leidenden Wesen darauf verzichten und die erneute Wiedergeburt in Kauf nehmen, um noch möglichst vielen anderen im Samsara (Geburtenkreislauf) gefangenen Wesen durch Predigt und Belehrung helfen zu können. Im tibetischen Buddhismus gilt der Dalai Lama als eine Wiederverkörperung von Avalokiteshvara, dem Bodhisattva des Mitgefühls.
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behauptet. Denn zweifellos ist auch der Dalai Lama von dem gut gemeinten Wunsch erfüllt, dass Christen eines Tages, nach vielen weiteren Wiedergeburten, zum Buddhismus tibetischer Prägung finden und damit die Möglichkeit haben, endlich die Buddhaschaft, die volle Befreiung aus dem Geburtenkreislauf zu erlangen.
5. GIBT ES ETWAS „ENTSCHEIDENDES“ ZU LERNEN? Aus diesem Grund wage ich auch zu bezweifeln, dass der Dalai Lama vom Christentum tatsächlich etwas „Entscheidendes für den eigenen religiösen Weg lernen kann“, wie es ihm von Herrmann-Pfandt ebenfalls unterstellt wird. 61 Der Dalai Lama schreibt zwar selbst einmal: „Ich habe großes Interesse an christlicher Praxis, daran, was wir von diesem System lernen und nachahmen können.“ 62 Doch was will er vom Christentum wirklich lernen, wenn seiner eigenen Ansicht nach der Weg zur vollen Befreiung nur in den buddhistischen Schriften dargelegt und nur durch buddhistische Praxis zu erlangen ist? 63 Allem Anschein nach kann er ja nicht einmal etwas Signifikantes von seinen buddhistischen Mitstreitern lernen, wenn ausschließlich die Praxis des tibetischen Buddhismus in der Tradition des Prasangika-Madhyamaka die vollkommene Befreiung ermöglichen soll und er den tibetischen Buddhismus zudem als die Summe aller buddhistischen Wege versteht. Jedenfalls scheut er sich nicht zu behaupten: „die Praxis des Buddhismus in Tibet [stellt] die vollständige Form der Praxis aller buddhistischen Systeme dar: Kleines Fahrzeug, Sutra-Aspekt des Großen Fahrzeugs und Mantra-Aspekt des Großen Fahrzeugs“, kurz gesagt: „die tibetische Form des Buddhismus [ist] umfassend“64. Kann man aber von anderen tatsächlich noch etwas – wie von HerrmannPfandt gewünscht – „Entscheidendes“ lernen, wenn man davon aus61 62 63
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Der Wert der Unterschiedlichkeit, 49. D ALAI L AMA , Logik der Liebe, 79. In “Beyond Dogma” nennt der Dalai Lama einmal konkret zwei ganz praktische Beispiele: Tibetische Buddhisten könnten (1) vom Engagement der Christen im Bereich des Bildungs- und des Gesundheitswesens lernen und (2) auch davon, dass im Christentum Nonnen und Mönche ein langes Noviziat (als Zeit der Prüfung) zu durchlaufen hätten. Jedenfalls hat der Dalai Lama den Eindruck, dass im Buddhismus zu viele Mönche viel zu früh zur Vollordination zugelassen werden (vgl. Beyond Dogma, 101). D ALAI L AMA , Logik der Liebe, 83. Dieser leicht intolerant wirkenden Aussage folgt freilich der beschwichtigende Satz nach: „Ich sage das nicht, um uns in irgendeiner Weise selbst zu verherrlichen, sondern in der Hoffnung, dass Sie sich die Dinge anschauen werden und allmählich selbst zu diesem Schluss kommen.“
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geht, dass die eigene Tradition alle anderen buddhistischen Traditionen bereits umfasst und darüber hinaus auch noch „wirksamere Praktiken“ kennt, um ans Ziel zu gelangen? 65 Aus welchem Grund sollte der Dalai Lama hier noch etwas vom Christentum lernen wollen? 66 Immerhin gibt es Buddhisten, die öffentlich zugeben, dass sie von einem Studium des Christentums für ihr eigenes Vorankommen auf dem buddhistischen Befreiungsweg keinerlei Bereicherung erwarten. 67 Dass dies so ist, hat seinen Grund – wie deutlich wurde – konkret darin, dass durch eine Vermischung von Buddhistischem mit Christlichem die Erlangung der Buddhaschaft eher gefährdet als gefördert wäre. 68 Dass der Dalai Lama vom Christentum nicht viel „Entscheidendes“ zu lernen zu haben scheint, will hier freilich nicht als eine Kritik an seiner Person verstanden werden, denn in Bezug auf das Christentum und dessen Wahrheitsansprüche (wie etwa der einzigartigen und universalen Heilsbedeutung Jesu Christi) könnte ganz Ähnliches gesagt werden. Was hier gesagt sein will, ist lediglich dies: Eine aufrichtig geführte interreligiöse Verständigung zwischen Buddhisten und Christen dürfte sich in der Tat um einiges komplexer und schwieriger gestalten, als dies in Herrmann-Pfandts Vorschlag Berücksichtigung 65
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Vgl. D ALAI L AMA , Sehnsucht nach dem Wesentlichen, 56: „Das Fahrzeug des Tantra bietet dafür wohl wirksamere Praktiken an, denn es gibt im Tantra zahlreichere und bessere Möglichkeiten, um Samadhi, die Kombination von Samatha und Vipassana, zu erlangen.“ Ähnlich skeptisch äußert sich Gavin D’Costa: “[T]he Dalai Lama has rightly nothing to learn from other religions and from difference and Otherness. […] His doctrine of úûnya is perfectly complete. Learning may operate on a pragmatic level only” (G. D’C OSTA , The Meeting of Religions and the Trinity, Maryknoll 2000, 83f.). So schreibt etwa Grace Burford: “I honestly do not expect my predominantly Buddhist worldview to be enriched by learning more about Christianity.” Was sie hingegen befürwortet, ist eine Zusammenarbeit von Buddhisten und Christen auf praktischer Ebene, um effektiv gegen die globalen Herausforderungen wie wachsende Umweltbedrohung und soziale Ungerechtigkeit vorgehen zu können. Vgl. G.G. B URFORD , If the Buddha Is So Great, Why Are These People Christians?, in: R.M. Gross/T.C. Muck (Hg.), Buddhists Talk about Jesus, Christians Talk about the Buddha, London-New York 2000, 132 (Zitat) u. 133. Unter dieser Rücksicht scheint mir dann auch Joseph O’Learys Vorschlag viel zu optimistisch zu sein, dass sich Buddhismus und Christentum, trotz oder gerade wegen ihrer „irreduziblen Andersheit“, gegenseitig dabei helfen könnten, ihre jeweiligen „Schwachstellen […] zu heilen und zu korrigieren“ (J.S. O’LEARY, Toward a Buddhist Interpretation of Christian Truth, in: C. Cornille [Hg.], Many Mansions? Multiple Religious Belonging and Christian Identity, Maryknoll 2002, 29-43, 42). Jedenfalls scheint der Dalai Lama keine konkreten Schwachstellen des buddhistischen Befreiungsweges zu kennen, die durch christliche Praxis wirksam geheilt werden könnten.
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findet. Der bloße Verzicht auf Absolutheits- oder Superioritätsbehauptungen und die damit verbundene Relativierung des eigenen Heilsanspruchs und Heils- oder Befreiungswegs scheint für den Dalai Lama jedenfalls keine akzeptable Lösung darzustellen. Und für Christen sollte sie es auch nicht sein, wenn diese weiterhin jenem Jesus Christus die Treue halten wollen, von dem der überlieferte Glaube der Kirche Zeugnis gibt. Vielleicht könnten hier aber Christinnen und Christen (wie Adelheid Herrmann-Pfandt) etwas „Entscheidendes“ vom Dalai Lama lernen: nämlich die aufrichtige Ernstnahme der eigenen Glaubenstradition mit all ihren aneckenden Wahrheitsansprüchen. Ohne die Treue zur eigenen Glaubensüberlieferung steht nämlich jeglicher noch so gut gemeinte Dialog von vornherein in der Gefahr, zu einem „belanglosen Palaver“ 69 zu verkommen und damit für die interreligiöse Verständigung und das friedliche Zusammenleben der Religionen von keinerlei praktischem Nutzen zu sein. Gelingende interreligiöse Verständigung und wahrer Friede unter den Religionen sind heutzutage wichtiger denn je. Sie dürften aber nur dann wirklich tragfähig und von Dauer sein, wenn von allen Dialogpartnern sowohl die Andersheit des Anderen als auch die Eigenheit des Eigenen tatsächlich akzeptiert und ernstgenommen werden. 70
Literatur Publikationen des Dalai Lama The Bodhgaya Interviews, Ithaca 1988. Logik der Liebe. Aus den Lehren des Tibetischen Buddhismus für den Westen, München 1989. Die Weisheit des Herzens, München 31991. Sehnsucht nach dem Wesentlichen. Die Gespräche in Bodhgaya, FreiburgBasel-Wien 21993. Beyond Dogma. The Challenge of the Modern World, Calcutta-Bombay-New Delhi 1996. 69
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M.v. B RÜCK /J. W ERBICK , Vorwort, in: Dies. [Hg.], Der einzige Weg zum Heil? Die Herausforderung des christlichen Absolutheitsanspruchs durch pluralistische Religionstheologien (Quaestiones Disputatae 143), Freiburg-Basel-Wien 1993, 8. Zu einer ausführlicheren Behauptung der gesamten Thematik vgl. A LÖFFLER , Religionstheologie auf dem Prüfstand. Jacques Dupuis im Dialog mit dem ZenMeister Thich Nhat Hanh und dem Dalai Lama, Würzburg 2010.
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The Good Heart. A Buddhist Perspective on the Teachings of Jesus, Boston 1996. Das Herz aller Religionen ist eins. Die Lehre Jesu aus buddhistischer Sicht, Hamburg 1997. Ratschläge des Herzens, Zürich 2003. Becoming Enlightened, New York 2009. Toward a True Kinship of Faiths. How the World’s Religions Can Come Together, New York 2010.
Sekundärliteratur BRÜCK, MICHAEL VON/WERBICK, JÜRGEN (Hg.), Der einzige Weg zum Heil? Die Herausforderung des christlichen Absolutheitsanspruchs durch pluralistische Religionstheologien (Quaestiones Disputatae, 143), FreiburgBasel-Wien 1993. BUDDHADÂSA, BHIKKHU, Zwei Arten der Sprache. Eine Analyse von Begriffen der Wirklichkeit, Zürich 1967. BURFORD, GRACE G., If the Buddha Is So Great, Why Are These People Christians?, in: Rita M. Gross/Terry C. Muck (Hg.), Buddhists Talk about Jesus, Christians Talk about the Buddha, London-New York 2000, 131-137. D’COSTA, GAVIN, The Meeting of Religions and the Trinity, Maryknoll 2000. GRIFFITHS, PAUL J. (Hg.), Christianity through Non-Christian Eyes, Maryknoll 1990. GRÜNSCHLOß, ANDREAS, Buddhistische Jesusbilder. Zeitgenössische Beispiele einer buddhistischen Hermeneutik des Christentums, in: Ulrich Berner/Christoph Bochinger/Klaus Hock (Hg.), Das Christentum aus der Sicht der Anderen. Religionswissenschaftliche und missionswissenschaftliche Beiträge (Beiheft der Zeitschrift für Mission 3), Frankfurt am Main 2005, 133-166. HAPATSCH, HISCHAM A., Die Rezeption von Kirche und Christentum im deutschsprachigen Buddhismus, Hamburg 2007. HERRMANN-PFANDT, ADELHEID, Der Wert der Unterschiedlichkeit. Warum so viele Menschen im Westen den Dalai Lama als Vorbild verehren, in: Zeitzeichen 5 (2004) 47-49. HICK, JOHN, An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent, Houndmills 22004 (1989). HOPKINS, JEFFREY/SÖPA, LHÜNDUB, Der tibetische Buddhismus, München 9 1998 (1979). KNITTER, PAUL F., Jesus and the Other Names. Christian Mission and Global Responsibility, Maryknoll 1996. —, The Myth of Religious Superiority. A Multifaith Exploration, Maryknoll 2005. LÖFFLER, ALEXANDER, Religionstheologie auf dem Prüfstand. Jacques Dupuis im Dialog mit dem Zen-Meister Thich Nhat Hanh und dem Dalai Lama, Würzburg 2010.
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Sprechen alle Religionen von demselben Gott? Anmerkungen zur Austauschbarkeit der Religionen aus philosophischer Perspektive „Wir glauben alle an denselben Gott, nur die Wege zu ihm sind unterschiedlich.“ Dieser Satz beschließt als Quintessenz den Bericht einer Tageszeitung über eine Veranstaltung zum interreligiösen Dialog. 1 Laut Umfragen eines amerikanischen Instituts sind 40% der USamerikanischen Bevölkerung davon überzeugt, dass Christen, Buddhisten und andere zu ein und demselben Gott beten, den sie bloß mit unterschiedlichen Namen benennen, und 44% der Befragten glauben, dass die Bibel und der Koran nur unterschiedliche Ausdrucksformen derselben spirituellen Wahrheiten sind. 2 Die aus dem Buddhismus stammende Parabel von den Blinden, die einen Elefanten ertasten und äußerst unterschiedlich beschreiben, ist als Gleichnis der Situation der großen Weltreligionen mittlerweile Gemeingut in Diskussionen über religiöse Vielfalt genauso wie in Religionsbüchern. 3 Diese drei willkürlich herausgegriffenen Indizien deuten auf die Herausbildung eines neuen informellen Konsenses hin, dass die verschiedenen Religionen von demselben Gott sprechen und insofern zumindest grundsätzlich austauschbar sind. Auf der anderen Seite ist die reichhaltige und manchmal verwirrende Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Religionen nur allzu offen1
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Zeitungsbericht der Offenbach Post vom 26.5.2009 über eine Veranstaltung zum interreligiösen Dialog in der Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde, Offenbach; http:// www.op-online.de/nachrichten/offenbach/unterschiedliche-wege-zu-demselbengott-316660.html (Zugriff vom 15.11.2009). Die Umfragen wurden von dem kalifornischen Barna-Institut durchgeführt; die Umfrageergebnisse sind im Internet über die Homepage des Instituts zugänglich: http://www.barna.org. Siehe z.B. H. HALBFASS, Religionsbuch für das 5./6. Schuljahr, Düsseldorf 1989, 126; S. K EICHER , Gott ist für uns zu groß … Methodischer Baustein für die Sekundarstufe I, in: Hauptabteilung Schulen und BDKJ/BJA der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Hg.), Mein Gottesbild. Wer und was ist Gott für mich? Arbeitshilfe für Religionslehrerinnen und Religionslehrer, Rottenburg-Stuttgart 3 2010, 13f., 13.
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sichtlich. Interreligiöse Dialoge führen nicht nur zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und zur Entdeckung wichtiger Gemeinsamkeiten, sondern oft auch zur deutlichen Erkenntnis der Unterschiede in Lehre und Praxis der verschiedenen Religionen. Solche Erfahrungen werfen die Frage auf, ob die verschiedenen Religionen tatsächlich von demselben Gott sprechen. Diese Frage lässt sich allerdings auf zwei Weisen verstehen. Um über etwas zu sprechen, 4 eine Behauptung zu äußern, verwendet man Aussagesätze. Ein Aussagesatz besteht in logischer Sicht aus zwei unterschiedlichen Teilen: dem Subjekt der Aussage, das den Gegenstand identifiziert, und dem Prädikat, das etwas über das Subjekt aussagt. Wenn ich Wörter gebrauche, um etwas zu identifizieren, gebrauche ich sie in der Subjektstelle, und wenn ich sie gebrauche, um mit ihnen etwas über die Subjekte auszusagen, gebrauche ich sie prädikativ. Es gibt also zwei unterschiedliche Verwendungsweisen von Ausdrücken in Aussagen: erstens als Subjektausdruck, als so genannten singulären Terminus, zur Identifikation des Gegenstands der Aussage, und zweitens prädikativ als so genannten generellen Terminus, um etwas über den durch den singulären Terminus identifizierten Gegenstand auszusagen, um ihn zu klassifizieren. In dem Aussagesatz „Frankfurt liegt am Main“ legt „Frankfurt“ fest, auf was sich das Prädikat der Aussage bezieht. „Liegt am Main“ sagt etwas über diesen Gegenstand aus, ordnet ihn in die Klasse der Objekte ein, die am Main liegen. Wenn ich einen Ausdruck an Subjektstelle verwende, referiere ich mit ihm, beziehe mich auf einen Gegenstand (den Referenten des singulären Terms). Wenn ich einen Ausdruck an Prädikatstelle verwende, prädiziere ich mit ihm, sage etwas über den Gegenstand (den Referenten) aus, auf den der Subjektausdruck referiert. Um über etwas zu sprechen, um es zu beschreiben, muss man sowohl referieren als auch klassifizieren. Entsprechend lässt sich die Frage, ob die Religionen von demselben Gott sprechen, im Sinn der Frage verstehen, ob in ihnen die gleichen Prädikate von Gott ausgesagt 4
Man unterscheidet verschiedene Arten von Sprechakten. Wenn ich einen Satz äußere, kann ich mit ihm verschiedene Dinge tun: ich kann etwas befehlen oder um etwas bitten, ich kann jemanden beschimpfen oder loben, ich kann meine Gefühle ausdrücken oder ich kann bei anderen bestimmte Gefühle hervorrufen wollen; ich kann nach etwas fragen oder ich kann etwas behaupten. Alle diese Sprechakte spielen eine Rolle auch innerhalb des Sprechens in religiösen Kontexten – zumindest im christlichen Kontext. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich ausschließlich auf konstative Sprechakte – Sprechakte der Art, dass ich sage: etwas ist der Fall. Die Äußerung des Satzes „Frankfurt liegt am Main“ z.B. ist gewöhnlich ein konstativer Sprechakt.
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werden, oder im Sinn der Frage, ob die sprachlichen Äußerungen der Religionen über Gott denselben Referenten haben. Im Folgenden behandele ich zuerst die Frage, ob die verschiedenen Religionen von Gott die gleichen Eigenschaften prädizieren, bevor ich untersuche, ob sich die Glaubensaussagen der Religionen auf denselben Gegenstand beziehen können.
1. SCHREIBEN ALLE RELIGIONEN GOTT DIE GLEICHEN EIGENSCHAFTEN ZU? Diese Frage scheint eine offensichtliche und eindeutige Antwort zu haben: Die unterschiedlichen Religionen schreiben Gott unterschiedliche Prädikate zu und sprechen daher nicht vom selben Gott. 5 Gegen diese Antwort ließe sich einwenden, dass die unterschiedlichen Prädikate sich nicht notwendig gegenseitig ausschließen, sondern sich vielleicht als gegenseitige Ergänzungen, Erläuterungen oder Präzisierungen deuten lassen. Vielleicht wird dasselbe auch nur anders ausgedrückt. Wenn im Koran Gott als „Allerbarmer“ angerufen wird,6 widerspricht das sicher nicht der biblischen Rede von Gott. Daraus ergibt sich eine Begründung der Notwendigkeit und Fruchtbarkeit des interreligiösen Dialogs: es ist nicht auszuschließen, dass man auch in kognitiver Hinsicht von anderen Religionen lernen kann. Allerdings gibt es einige Aussagen über Gott im christlichen Glaubensbekenntnis,7 die mit allen anderen monotheistischen Glaubensbekenntnissen, z.B. dem islamischen, unvereinbar sind. Im islamischen Glaubensbekenntnis explizit bestritten wird die Aussage, dass Jesu Leben, Tod und Auferstehung Heilswirksamkeit besitzen, da Jesus von Nazareth, der menschgewordene Gottessohn, sowohl eine menschliche als auch eine göttliche Natur hat, 8 ebenso die Aussage, dass Gottes Natur in drei göttlichen Personen verwirklicht ist (dass Gott dreifaltig ist). Noch deutlicher sind 5
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Im Hintergrund steht die Überlegung, dass, wenn die Gegenstände A und B identisch sind, es keine Eigenschaft E geben kann, die nur einem von beiden zukommt (Gesetz der Ununterscheidbarkeit von Identischem). Siehe z.B. die erste Sure des Korans. Unter einem Glaubensbekenntnis soll die Sammlung der zentralen religiösen Aussagen einer Religion verstanden werden, über die unter den Anhängern der Religion Übereinstimmung herrscht und die erklären soll, warum die Ausübung dieser Religion ein geeigneter Weg ist, Heil zu erlangen; siehe R. SWINBURNE , Glaube und Vernunft (RIM 20), Würzburg 2009. Eine explizite Ablehnung der Gottessohnschaft Jesu findet sich z.B. in Sure 19,35 des Korans, nach der es Allah nicht ansteht, einen Sohn zu zeugen; siehe auch Sure 112,3.
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die Widersprüche zwischen den personalen Gottesvorstellungen der monotheistischen Weltreligionen und den polytheistischen Gottesvorstellungen oder apersonalen Transzendenzkonzeptionen mancher östlicher Religionen. Die verschiedenen Religionen prädizieren von Gott auch Eigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen. Daher kann höchstens ein Glaubensbekenntnis vollständig wahr sein. Allerdings wurde diese scheinbar offensichtliche und eindeutige Antwort in den letzten dreißig Jahren in Frage gestellt, zuerst in der angelsächsischen Religionsphilosophie, und hier vor allem durch John Hick. Hick bestreitet, sehr vereinfacht gesagt, dass es widerstreitende religiös bedeutsame, heilsrelevante Wahrheitsansprüche der großen Religionen gibt. 9 Grundlage dieser These ist Hicks Unterscheidung zwischen dem „Wirklichen an sich“ (Hicks Bezeichnung des absolut Transzendenten) 10 und dem phänomenalen „Wirklichen“, wie es uns erscheint. Das „Wirkliche an sich“ ist grenzenlos. Da es in seiner Unbegrenztheit über alle positiven Charakterisierungen durch menschliche Begriffe hinausgeht, kann es nicht zutreffend beschrieben werden, sondern man kann höchstens in Verneinungen von ihm sprechen. Aufgrund seiner Unbegrenztheit ist das „Wirkliche an sich“ strikt ineffabel. Allerdings bleibt es uns nicht völlig unzugänglich, sondern es ist die Ursache von religiösen Erfahrungen. 11 In diesen Erfahrungen begegnet es uns als das „Wirkliche für uns“, interpretiert durch unsere menschlichen Begriffe (und damit gerade nicht als „Wirkliches an sich“).12 Unsere Beschreibungen des „Wirklichen für uns“ treffen nicht auf das „Wirkliche an sich“ zu. Es sind keine im literalen Sinn wahre Aussagen über Gott möglich (Hicks Ineffabilitätsthese). 13 Unter literaler Wahrheit lässt sich eine Auffassung von Wahrheit verstehen, gemäß der eine wahre Aussage durch eine Tatsache wahr gemacht wird,
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Hick bestreitet weder, dass es widerstreitende historische, noch, dass es widerstreitende metaphysische Wahrheitsansprüche der Weltreligionen gibt, hält diese aber nicht für heilsrelevant. Im Folgenden gebrauche ich aus Gründen der Einfachheit manchmal den Ausdruck „Gott“ anstatt der längeren Formulierung „das Wirkliche an sich“. Das Wirkliche stellt uns Informationen zur Verfügung, die unser Geist in religiöse Erfahrungen umwandeln kann; J. HICK , Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod, München 1996, 267. H ICK , Religion, 268. Die Postulierung des „Wirklichen an sich“ ist für Hick wichtig, da dessen Existenz religiöse Erfahrungen von bloßen Illusionen unterscheidet und, vermittelt durch den menschlichen Kognitionsapparat, den Anstoß für die menschlichen Beschreibungen der phänomenalen Manifestationen gibt.
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die für den Inhalt der Aussage relevant ist. 14 Die Aussage, dass der Gegenstand vor mir aus Holz besteht, ist genau dann wahr, wenn der Gegenstand vor mir tatsächlich aus Holz besteht. Für so verstandene Wahrheitsansprüche über das „Wirkliche an sich“ können religiöse Erfahrungen keine Basis bilden. Sie können aber Grundlage eines mythologischen Redens über das „Wirkliche an sich“ sein. Die Wahrheit des Mythos liegt nicht in einer korrekten Beschreibung des „Wirklichen an sich“ – dies ist nicht möglich – sondern in seiner Fähigkeit, uns in die angemessene Beziehung zum Wirklichen zu bringen, die uns Erlösung bringt. In Bezug auf die Erlösungskonzeption besteht eine grundlegende Übereinstimmung zwischen allen Weltreligionen: Erlösung ist die Transformation von der Ich- zur Wirklichkeits-Zentrierung. Hick behauptet nicht, dass alle Religionen praktisch gleichwertig sind. Sein Beurteilungskriterium der Religionen ist ihre Förderung von Mitleid und Nächstenliebe. Anhand dieses Kriteriums sei zurzeit allerdings kein Unterschied in der soteriologischen Effektivität der großen Weltreligionen zu erkennen. Damit glaubt Hick das Problem der scheinbar unvereinbaren religiösen Wahrheitsansprüche gelöst zu haben. Da keine Aussage über das „Wirkliche an sich“ im literalen Sinn wahr sein kann, können die Religionen keine miteinander inkompatiblen literalen Wahrheitsansprüche erheben. Die Weltreligionen erheben zwar Ansprüche auf mythologische Wahrheit, aber da sie sich in Bezug auf das Ziel der Erlösung und ihre soteriologische Effektivität nicht wahrnehmbar voneinander unterscheiden, besteht kein Grund, Unterschiede zwischen den Religionen in Bezug auf ihre Mythen als Widersprüche auszulegen. Auf der anderen Seite leugnet Hick nicht, dass es tatsächlich Widersprüche zwischen den Weltreligionen gibt. Allerdings sind diese nicht religiös bedeutsam. Hicks Lösungsweg ist zweifellos elegant und faszinierend, beruht allerdings auf einer widersprüchlichen Annahme: der These der Ineffabilität des „Wirklichen an sich“. Hick begründet seine Ineffabilitätsthese vor allem mit der Unbegrenztheit des „Wirklichen an sich“, die eine Beschreibung durch menschliche Begriffe unmöglich macht. 15 Die These der strikten Un-
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Dies ist der Kern der sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit; siehe G. VISION , Veritas. The Correspondence Theory and its Critics, Cambridge (MASS)London 2004, 219. H ICK , Religion, 259.
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beschreibbarkeit des „Wirklichen an sich“ ist allerdings inkonsistent, wie die folgende reductio ad absurdum zeigt: 16 1) Da Gott und Mensch einen unterschiedlichen ontologischen Status besitzen, gibt es keine Eigenschaft, die Gott und Mensch gemeinsam haben. (Ineffabilitätsthese) 2) Gott besitzt die Eigenschaft, bestimmte Eigenschaften zu besitzen, die Wesen mit einem anderen ontologischen Status nicht haben. (aus 1) 3) Der Mensch besitzt die Eigenschaft, bestimmte Eigenschaften zu besitzen, die Wesen mit einem anderen ontologischen Status nicht haben. (aus 1) ... 4) Es gibt mindestens eine Eigenschaft, die Gott und Mensch gemeinsam besitzen: die Eigenschaft, bestimmte Eigenschaften zu besitzen, die Wesen mit einem anderen ontologischen Status nicht haben. (aus 2 und 3) Die Sätze 1) und 4) widersprechen sich. Da 4) eine notwendige logische Folgerung aus 1) ist, fügt 4) nichts Neues zu 1) hinzu. Daher muss auch 1) selbstwidersprüchlich sein. Die Ineffabilitätsthese widerspricht sich selbst und ist deshalb notwendig falsch. Hick hat angesichts ähnlicher Einwände eingeräumt, dass sich über das „Wirkliche an sich“ zumindest einige Aussagen machen lassen. Dies sei jedoch logische Haarspalterei, der man mit der Unterscheidung zwischen rein formalen und substanziellen Eigenschaften des „Wirklichen an sich“ die Basis entziehen kann. 17 Da es nicht völlig klar ist, worin für Hick der Unterschied zwischen formalen und substanziellen Eigenschaften besteht, formuliere ich Hicks Verteidigung mit Hilfe der präziseren Unterscheidung zwischen Eigenschaften erster und zweiter Ordnung: Die erwähnte Eigenschaft, die Mensch und Gott gemeinsam haben, ist eine Metaeigenschaft, eine Eigenschaft zweiter Ordnung in Bezug auf Eigenschaften erster Ordnung. Diese Metaeigenschaft besteht darin, dass Gott und Mensch jeweils Eigenschaften erster Ordnung besitzen, die sie nicht mit Wesen anderer ontologischer Kategorien (und daher auch nicht miteinander) teilen. Hicks Ineffabilitätsthese bezieht sich nur auf Aussagen über Eigenschaften erster Ordnung, z.B. dass Gott allmächtig oder moralisch vollkommen ist. Die These der Ineffabilität auf der Ebene der Eigenschaften 16
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Ähnlich auch T.V. M ORRIS , Our Idea of God. An Introduction to Philosophical Theology, Notre Dame (IND) 1991, 21f.; A. K REINER , Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen, Freiburg-Basel-Wien 2006, 47f. H ICK , Religion, 260f.
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erster Ordnung ist nicht inkonsistent. Zur Inkonsistenz kommt es erst durch die Vermischung von Aussagen über Eigenschaften Gottes erster und zweiter Ordnung. Diese Antwort Hicks wirft allerdings die Frage nach der Rechtfertigung seiner Behauptung auf, dass das „Wirkliche an sich“ die Eigenschaft zweiter Ordnung besitzt, dass sich von ihm keine Eigenschaften erster Ordnung aussagen lassen. Formal muss eine Begründung der Ineffabilitätsthese folgendermaßen aussehen: Ein Gegenstand x mit der Eigenschaft F kann nicht beschrieben werden, weil F die Grenzen menschlicher Sprache/Erkenntnis übersteigt. Diese Begründung der Ineffabilitätsthese setzt voraus, dass man mindestens eine Eigenschaft erster Ordnung des „Wirklichen an sich“ als diese Eigenschaft F nennen und erklären kann, warum F das „Wirkliche an sich“ ineffabel macht. Das heißt, dass eine Eigenschaft erster Ordnung vom Wirklichen an sich ausgesagt werden muss (das „Wirkliche an sich“ hat die Eigenschaft F), was durch Hicks Ineffabilitätsthese aber ausgeschlossen wird. Es kommt wieder zu einem Widerspruch – diesmal zwischen der Ineffabilitätsthese und ihrer Begründung: 1) Es gibt keine Aussagen über Eigenschaften erster Ordnung Gottes, die literal wahr sind. (Ineffabilitätsthese) 2) Gott besitzt die Eigenschaft erster Ordnung F, die literal wahre Aussagen über ihn unmöglich macht. (Begründung von 1) 3) Dass Gott die Eigenschaft F besitzt, ist eine Aussage über eine Eigenschaft Gottes erster Ordnung, die literal wahr ist. (aus 2) ... 4) Es gibt mindestens eine Aussage über eine Eigenschaft Gottes erster Ordnung, die literal wahr ist. (aus 3) Satz 1) und Satz 4) widersprechen sich, können also nicht beide wahr sein. Da Satz 4) notwendig aus Satz 2) folgt, widersprechen sich auch Satz 2) und Satz 1). Da Satz 2) die einzige mögliche Begründung von Satz 1) ist, impliziert die einzige mögliche Begründung der Ineffabilitätsthese deren Falschheit. Die Ineffabilitätsthese macht im Fall ihrer Wahrheit ihre eigene Begründung unmöglich und ist daher selbstentkräftend: wenn sie wahr sein sollte, lässt sie sich nicht begründen. Hicks Versuch der Entschärfung des Problems der inkompatiblen Wahrheitsansprüche der Religionen durch die Relativierung dieser Wahrheitsansprüche 18 scheitert. Daraus folgt nicht, dass die Glaubens18
Die religiösen Wahrheitsansprüche werden bei Hick einerseits auf die zutreffende Beschreibung des Wirklichen für uns und andererseits auf eine pragmatische Konzeption mythologischer Wahrheit hin relativiert.
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bekenntnisse anderer Religionen nur falsche Aussagen beinhalten. 19 Aber es gibt Widersprüche zwischen zentralen Aussagen der einzelnen Religionen über Gott bzw. das Transzendente, 20 die dafür sorgen, dass die Frage, ob alle Religionen von demselben Gott sprechen, in dem Sinn, dass sie das Gleiche von ihm aussagen, negativ zu beantworten ist. Die verschiedenen Religionen sprechen (wahrscheinlich) in dem Sinn nicht über denselben Gott, dass sie von Gott auch Eigenschaften prädizieren, die sich gegenseitig ausschließen.
2. BEZIEHEN SICH DIE GLAUBENSAUSSAGEN ALLER RELIGIONEN AUF DENSELBEN GEGENSTAND? Wenn die verschiedenen Religionen unterschiedliche und zum Teil inkompatible Eigenschaften von Gott prädizieren, stellt sich die Frage, ob wir davon ausgehen können, dass die unterschiedlichen Religionen einen gemeinsamen Referenten haben, dass sie auf denselben Gegenstand referieren. 21 Man referiert auf etwas mit Hilfe singulärer Termini, von denen es vier Arten gibt: Eigennamen, Allgemeinnamen (= Namen von Arten), Kennzeichnungen (definite Beschreibungen) und indexikalisch-deiktische Ausdrücke. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf Eigennamen und Kennzeichnungen als sprachliche Mittel der Bezugnahme auf Gott. 22 Eigennamen sind das, was wir umgangssprachlich unter Namen verstehen, wie z.B. Aristoteles, Albert Einstein oder Angela Merkel. Eine 19
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Ganz im Gegenteil muss der Vertreter einer kognitiv-realistischen Interpretation der Glaubenslehren der eigenen Religion alle Elemente fremder Glaubensbekenntnisse, die mit Teilen des eigenen Glaubensbekenntnisses übereinstimmen oder aus ihnen folgen, bei Strafe der Inkonsistenz (oder Irrationalität) für wahr halten. Eine zentrale Glaubensaussage einer Religionsgemeinschaft ist eine religiöse Lehre, deren Bejahung notwendige Bedingung der Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft ist. Dass es überhaupt einen Referenten gibt, Gott oder allgemeiner: das „Wirkliche an sich“, wird an dieser Stelle vorausgesetzt. Indexikalisch-deiktische Ausdrücke wie „ich“, „du“, „dies“ sind immer mit einer Art (manchmal bloß gedachtem) Zeigegestus verbunden. Auf Gott lässt sich aber nicht deuten. Deswegen ist diese Art von singulären Termini in unserem Zusammenhang bedeutungslos. Inwieweit auf Gott mit Hilfe eines Artnamens referiert werden kann, ergibt sich aus den nachfolgenden Ausführungen, die als relevanten Artnamen die Menge aller Entitäten voraussetzen, über die hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, und die logisch notwendig nur ein Element hat: Gott.
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Kennzeichnung, mit deren Hilfe erfolgreich auf den Gegenstand x referiert wird, ist eine Beschreibung, die so spezifisch ist, dass sie auf x und nur auf x zutrifft. Eine Kennzeichnung zur Identifizierung des Aristoteles ist z.B. „der Verfasser der Nikomachischen Ethik“. Es ist offensichtlich, dass in Religionen Kennzeichnungen wie „der Gott unserer Väter“ oder „der Schöpfer der Welt“ verwendet werden, um auf Gott zu referieren. In Religionen werden aber auch Eigennamen zur Referenz auf Gott verwendet. 23 Im Folgenden soll zuerst das Referieren auf Gott mit Eigennamen behandelt werden und danach der Bezug auf Gott mit Hilfe von Kennzeichnungen.
2.1 Die Referenz auf Gott mit Hilfe eines Eigennamens Es lassen sich ganz grob zwei Theorien über die notwendigen Bedingungen der Möglichkeit der Referenz von Eigennamen unterscheiden. Nach der Beschreibungstheorie (in ihrer schwächsten Variante) ist mit jedem Eigennamen eine Kennzeichnung bzw. ein Bündel von Kennzeichnungen verbunden, und ein Eigenname referiert genau auf das Objekt, das die mit dem Namen verbundenen wesentlichen Kenn-
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Es soll hier nicht auf die umstrittene Frage eingegangen werden, ob „Gott“ ein Eigenname ist, sondern im Folgenden wird vorausgesetzt, dass in Religionen zumindest teilweise versucht wird, auch mit Eigennamen auf Gott zu referieren, und der Einfachheit halber wird der Ausdruck „Gott“ als Beispiel eines Eigennamens behandelt, mit dem versucht wird, auf Gott zu referieren. Als Eigenname wird „Gott“ wohl in Gebeten verwendet, für die nach Richard Schaeffler die als Acclamatio nominis, Namensanrufung, bezeichnete Sprechhandlung wesentlich ist; R. S CHAEFFLER , Das Gebet und das Argument: zwei Weisen des Sprechens von Gott; eine Einführung in die Theorie der religiösen Sprache, Düsseldorf 1989, 216. Die Bibel kennt sowohl die Verwendungsweise von „Gott“ als Eigenname als auch als Kennzeichnung (z.B. als einen Ehrentitel für ein der Anbetung würdiges Wesen). Die Interpretation von Ex 3,14 als Gottes Offenbarung eines Eigennamens scheint am besten einer angemessenen Antwort auf Moses Frage zu entsprechen, denn Mose will eine Antwort auf die Frage nach dem Namen dessen, der Mose zu den Israeliten gesandt hat. Dagegen wird im zweiten Gebot „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen“ (Ex 20,7) „Gott“ sicher nicht als Eigenname, sondern als Kennzeichnung gebraucht. Im zweiten Vers von Psalm 63 („Gott, du mein Gott, dich suche ich“) scheint der Ausdruck „Gott“ innerhalb eines Satzes in beiden Verwendungsweisen vorzukommen; zu Eigennamen Gottes im Alten Testament vgl. z.B. J. E BACH , Gottes Name(n). Oder: Wie die Bibel von Gott spricht, in: Bibel und Kirche 65 (2010) 62-67.
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zeichnungen (am weitestgehenden) erfüllt.24 Die mit dem Eigennamen verbundenen Kennzeichnungen legen fest, auf welchen Gegenstand referiert wird, sie fixieren die Referenz. Zumindest nach strengen Formen der Beschreibungstheorie kann nicht mit allen Aussagen über Gott erfolgreich auf Gott referiert werden, da die Kennzeichnungen Gottes in den verschiedenen Religionen zu unterschiedlich sind. Nach der Beschreibungstheorie ist die Frage, ob alle Religionen sich auf denselben Gott beziehen, eindeutig negativ zu beantworten. Aber Beschreibungstheorien sind nicht die einzigen Theorien zur Referenz von Eigennamen. Ihnen stehen Theorien der direkten Referenz von Eigennamen gegenüber, die die Vermittlung der Bezugnahme von Eigennamen durch Beschreibungen ablehnen. Einer der bekanntesten und einflussreichsten Vertreter einer Theorie der direkten Referenz von Eigennamen ist Saul Kripke. 25 Nach Kripke sind Eigennamen (genauso wie Artnamen) so genannte rigide Designatoren. Sie bezeichnen in jeder möglichen Welt den gleichen Gegenstand, referieren also in allen möglichen Welten starr auf denselben Gegenstand. 26 Mögliche Welten sind mögliche vollständige Zustände der Welt, von denen aber nur einer aktual ist: der Zustand unserer Welt. 27 „Aristoteles“ z.B. bezeichnet nach Kripke in allen möglichen Welten Aristoteles, auch in den möglichen Welten, in denen Aristoteles nicht Philosoph oder nicht der berühmteste Schüler Platons und Erzieher Alexanders des Großen ist. Beschreibungstheorien können nach Kripke nicht der starren Referenz von Eigennamen gerecht werden und müssen deshalb falsch sein. Er argumentiert folgendermaßen: wenn der Eigenname N den Referenten x bezeichnet, referiert N auf x starr. Wenn N mit einer seine Referenz fixierenden Beschreibung verbunden wäre, würde N nicht starr auf x referieren. Also ist mit N keine Referenz-fixierende Beschreibung verbunden, sondern N referiert direkt. Dies ist der Kern einer Gruppe von Argumenten 24
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Eine solche Kennzeichnungstheorie findet sich u.a. bei J. Searle (Proper Names, in: Mind 67 [1958] 166-173). Bei G. Frege, dem „Vater“ der Beschreibungstheorie, findet sich eine deutlich anspruchsvollere Version (Über Sinn und Bedeutung, in: Ders., Funktion – Begriff – Bedeutung [hg. v. M. Textor], Göttingen 2 2007, 23-46). Siehe vor allem S. K RIPKE , Name und Notwendigkeit, Frankfurt/Main 1993. Kripke lehnt allerdings die Charakterisierung seiner Position als einer Referenztheorie im strengen Sinn ab, da er keine Menge notwendiger und hinreichender Bedingungen für das Referieren angebe. Statt dessen formuliere er nur ein besseres „Bild“ des Referierens als die Beschreibungstheorie (KRIPKE , Name, 109). Nach Kripke steht die Referenz von Eigennamen nach der Festlegung in Anwesenheit des Namensträgers (in einer Art Taufe) ein- für allemal fest. „‚Mögliche Welten‘ sind vollständige ‚Weisen, wie die Welt hätte sein können‘ […]“; KRIPKE , Name, 26.
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Kripkes gegen die reine Beschreibungstheorie, die in ihrer Gesamtheit als „Modalargument“ bezeichnet werden. 28 Kripkes Modalargument beruht darauf, dass die Eigenschaften, mit deren Hilfe wir oft Träger von Namen beschreiben, diesen Trägern nicht essentiell zukommen, d.h. keine Eigenschaften sind, die der Namensträger in allen möglichen Welten besitzt. Aristoteles ist nicht in allen möglichen Welten der berühmteste Schüler Platons, Lehrer Alexanders des Großen oder Verfasser der Nikomachischen Ethik. Wenn ein Beschreibungstheoretiker den Referenten von „Aristoteles“ mit Hilfe einer Kennzeichnung (oder eines Bündels von Kennzeichnungen) wie „der berühmteste Schüler Platons und Lehrer Alexanders des Großen“ festlegen will, wird er nicht der Rigidität des Namens „Aristoteles“ gerecht, da es mögliche Welten gibt, in denen Aristoteles nicht Lehrer Alexanders des Großen oder Schüler Platons war. Gemäß der Beschreibungstheorie referieren wir mit „Aristoteles“ in solchen kontrafaktischen Situationen nicht auf Aristoteles, sondern auf irgendjemand anderen, der diese Kennzeichnungen erfüllt. Tatsächlich gebrauchen wir den Namen „Aristoteles“ aber so, dass wir auch in solchen möglichen Welten mit „Aristoteles“ auf Aristoteles referieren und nicht auf denjenigen, wer immer es auch in dieser möglichen Welt sein sollte, der die Kennzeichnung erfüllt, der berühmteste Schüler Platons oder der Lehrer Alexander des Großen zu sein. 29 Es gibt drei Weisen, wie ein singulärer Term D nicht rigide auf x referieren kann: – es kann eine Welt geben, in der x existiert, aber nicht durch D bezeichnet wird;
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Diese Bezeichnung stammt von Nathan Salmon (Reference and Essence, Oxford-New York 1982) und findet sich u.a. bei C. Hughes (Kripke: Names, Necessity, and Identity, Oxford 2004, 7). Von der Gruppe der modalen Argumente unterscheidet Salmon die Gruppe der epistemischen und die der semantischen Argumente. Kripke formuliert seine Argumente gegen die reine Beschreibungstheorie, die er durch sechs Thesen charakterisiert. Zusammengefasst besagen diese, dass erstens die Erfüllung einer mit dem Namen verbundenen eindeutigen Kennzeichnung (bzw. eines Kennzeichnungsbündels) notwendige und hinreichende Bedingung der Referenz des Namens ist, dass zweitens die Aussage: „Wenn der Name erfolgreich auf einen Gegenstand referiert, besitzt der Referent die in der Kennzeichnung genannte Eigenschaft (die meisten der in dem Kennzeichnungsbündel genannten Eigenschaften)“ notwendig wahr ist und dass drittens dies vom Sprecher a priori gewusst wird; siehe K RIPKE , Name, 85. Dies zeigt sich bereits daran, dass wir in Bezug auf solche kontrafaktischen Situationen sagen, dass es in ihnen nicht Aristoteles war, der Alexander lehrte etc.; siehe KRIPKE , Name, 74.
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– es kann eine Welt geben, in der x existiert, aber D (auch) etwas anderes als x bezeichnet; – es kann eine Welt geben, in der x nicht existiert und D etwas anderes als x bezeichnet. Mit Hilfe dieser drei Möglichkeiten der Nichtrigidität lässt sich ein Test dafür entwickeln, ob ein Ausdruck rigide referiert und deshalb als Eigenname verwendet werden kann: Wenn D in einer dieser Weisen nicht rigide auf x referiert, kann D kein Eigenname sein bzw. die Referenz eines Eigennamens festlegen. Wenn D ein Eigenname sein soll, müssen alle drei Möglichkeiten von Nichtrigidität ausgeschlossen sein. In Kripkes Alternativbild zur Beschreibungstheorie wird der Referent eines Eigennamens nicht durch eine nicht-rigide Beschreibung festgelegt, sondern in einem ursprünglichen „Taufakt“, in dem der Gegenstand, der Referent des Namens ist, benannt wird.30 Kennzeichnend für diese Einführungssituation ist, dass die anwesenden „[…] Beteiligten in einer ausgezeichneten Beziehung zum Namensträger […]“31 stehen. Sie können den Referenten des Namens wahrnehmen. Die nicht bei diesem Taufakt anwesenden Sprachbenutzer sind als Teil der Sprechergemeinschaft, die diesen Namen verwendet, durch eine kausale Kette von „referenzerhaltenden Gliedern“ mit diesem „Taufakt“ verbunden. 32 Der Name wird von Glied zu Glied in der Sprachgemeinschaft weitergegeben. Die einzige Bedingung des erfolgreichen Referierens auf den in der ursprünglichen „Taufsituation“ mit dem Namen bezeichneten Gegenstand ist die Intention des Sprachbenutzers, den Namen zur Referenz auf denselben Gegenstand zu verwenden, auf den auch die Person, von der er den Gebrauch des Namens übernommen hat, mit dem Namen referiert. 33 Dieses Bild Kripkes ist zwar kein universal anerkanntes Dogma der Bedeutungstheorie, kommt diesem Status aber ziemlich nahe. Wenn Kripkes Bild zutreffend ist, verlieren die unterschiedlichen Auffassungen des Göttlichen in den verschiedenen Religionen ihre Brisanz für die Frage nach einem gemeinsamen Referenten der Religionen, denn nach der kausalen Namenstheorie Kripkes ist die Referenz der Namen für Gott oder göttliche Wesenheiten unabhängig von den mit 30
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Die Bezeichnung „Taufe“ ist metaphorisch zu verstehen für einen ursprünglichen Benennungsakt, in dem der Name eingeführt wird. Es ist keine Taufhandlung im religiösen Sinn erforderlich. E. RUNGGALDIER, Analytische Sprachphilosophie, Stuttgart-Berlin-Köln 1990, 116. T. B LUME /C. D EMMERLING , Grundprobleme der analytischen Sprachphilosophie. Von Frege zu Dummett, Paderborn 1998, 190ff. K RIPKE , Name, 113.
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diesen Namen in den einzelnen Religionen verbundenen unterschiedlichen Kennzeichnungen. In dem Maß, in dem es Kripke gelingt, die Referenz von Eigennamen völlig unabhängig von mit den Namen verbundenen Beschreibungen zu halten, wird die Möglichkeit wahrscheinlicher, dass in den unterschiedlichen Religionen auf denselben Gegenstand referiert wird. Im Rahmen dieses Aufsatzes ist es nicht möglich, Kripkes „Theorie“ zu diskutieren, aber es soll wenigstens auf zwei Stellen hingewiesen werden, an denen sie nicht völlig ohne Beschreibungen auskommt: zum einen im Zusammenhang der ursprünglichen Taufsituation und zum anderen im Zusammenhang des Kriteriums einer erfolgreichen Weiterführung der kausalen Kette referenzerhaltender Überlieferung. Kripke selbst weist auf die Möglichkeit der Festlegung des Referenten des Eigennamens durch eine Beschreibung beim Taufakt hin. 34 Er nennt zwar auch die Möglichkeit der Benennung durch Hinweis (dieses da soll „N“ heißen), aber solche ostensiven Benennungen setzen notwendig einen (zumindest impliziten) Konsens über die Beschreibung voraus, die die Grenzen des durch den sprachlichen oder körperlichen Zeigegestus angezielten Gegenstands festlegt und von anderen möglichen Referenzgegenständen unterscheidet. So ist etwa bei der ursprünglichen „Taufe“ des Aristoteles unklar, auf wen der Benennende sich mit dem performativen Satz „Dies da soll ‚Aristoteles‘ heißen“ und einem Zeigegestus bezieht. Referiert er auf Aristoteles, nur auf dessen Kopf oder bloß auf dessen rechte kleine Fußzehe, auf die sein ausgestreckter rechter Zeigefinger in diesem Moment deutet, oder auf Aristoteles einschließlich dessen Umgebung bis zu einem Abstand von einem Meter? Dass wir diese Möglichkeiten automatisch ausschließen, liegt nur daran, dass wir den deiktischen Ausdruck „dies“ bzw. „dieser“ im Stillen mit dem sortalen Ausdruck 35 „Mensch“ oder „Kind“ ergänzen und jeder, der dieses Sortal korrekt benutzt, auch über die Fähigkeit der korrekten Abgrenzung des Referenten verfügt. 36 34 35
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K RIPKE , Name, 112. Ein Sortal ist ein genereller Terminus, der die Art des Gegenstandes nennt, der mit diesem Sortal benannt wird, und dadurch Kriterien für dessen Abgrenzung von anderen Gegenständen angibt. Bezeichnungen für natürliche Arten, wie „Birne“ oder „Pferd“, sind genauso sortale Ausdrücke wie der generelle Terminus „Statue“ für eine bestimmte Art von Artefakten; zu einer knappen Erklärung des Begriffs der sortalen Terme siehe R UNGGALDDIER, Sprachphilosophie, 128-132. Es könnte jemand einwenden, dass die Eindeutigkeit der Identifikation des zu benennenden Gegenstands Teil der „Taufkonvention“ ist, zu der gehört, dass nur vollständige Gegenstände mit einem Eigennamen benannt werden. Abgesehen von
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Weiterhin kommen Beschreibungen bei der Überlieferungskette des Namens ins Spiel. Wenn ich „Napoleon“ fälschlicherweise für den Namen des Hundes meines Nachbarn halte, referiere ich nicht mehr auf Napoleon, sondern schere aus der Überlieferungskette aus. Es gibt ein Mindestwissen über die Art des Referenten des Namens, der mir überliefert wird, das notwendig dafür ist, dass ich mit diesem Namen referieren kann, und dieses Mindestwissen umfasst sicher das Wissen um die Art des Referenten. 37 Aber auch wenn man Kripkes Thesen und Argumenten in allem zustimmt, ist dem als Eigennamen gebrauchten Ausdruck „Gott“ offensichtlich eine Sonderrolle einzuräumen. Zumindest im Fall des Namens „Gott“ trifft Kripkes Argumentation gegen die Beschreibungstheorie nicht zu. Wenn der Sinn von „Gott“ mit einer adäquaten Kennzeichnung wiedergegeben bzw. die Referenz von „Gott“ mit Hilfe einer adäquaten Kennzeichnung festgelegt wird, ist „Gott“ auf keine der drei genannten Weisen nicht rigide. Diese adäquate Kennzeichnung Gottes ist die sogenannte famosa descriptio Gottes als „desjenigen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“38 (Anselm von Canterbury). Gott qua Gott ist so, dass seine Existenz die Existenz eines Wesens, das größer ist als er, logisch ausschließt. 39 Gott
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der Frage, ob es eine solche Konvention tatsächlich gibt, stellt sich die Frage, was als vollständiger Gegenstand zählen soll. Diese Frage lässt sich nicht ohne ein Sortal beantworten. Diese knappen Hinweise können und sollen nicht eine Referenztheorie von Namen im Sinn der reinen Beschreibungstheorie stützen, sondern nur darauf hinweisen, dass in einem schwachen Sinn bestimmte Arten von Beschreibungen notwendige (nicht hinreichende) Bedingung der Möglichkeit des erfolgreichen Referierens mit Namen sind. Aliquid quo maius nihil cogitari potest; A NSELM VON C ANTERBURY, Proslogion, II. Kapitel. Die Kennzeichnung als famosa descriptio findet sich in D UNS S COTUS , Abhandlung über das erste Prinzip (IV, 53). Zwei Überlegungen sprechen für die Wahl der famosa descriptio als adäquater Kennzeichnung Gottes. Zum einen führt am ehesten eine Explikation des Gottesbegriffs auf Basis der famosa descriptio zu einem konsistenten und einfachen Gottesbegriff, was u.a. im Hinblick auf die epistemische Rechtfertigung der Überzeugung von der Existenz eines so gekennzeichneten Gottes einen wesentlichen theoretischen Vorteil darstellt. Zum anderen ermöglicht die famosa descriptio eine überzeugende Antwort auf die Frage, welchen Gottesbegriff die (rationale) religiöse Praxis der Anbetung Gottes und der Ausrichtung des ganzen Lebens auf Gott als letzten und wichtigsten Bezugspunkt fordert. Die Kennzeichnung Gottes im Sinn der famosa descriptio ist Grundlage der besten Antwort auf die religiös bedeutsame Frage, was ein Wesen auszeichnen muss, wenn es angemessen oder sogar verpflichtend sein soll, dass wir es anbeten und ihm die wichtigste Rolle in unserem Leben einräumen. Genauer formuliert: die Wahrheit der Proposition, dass Gott existiert, impliziert die Falschheit der Proposition, dass etwas existiert, das größer als Gott ist.
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ist mit logischer Notwendigkeit das größtmögliche Wesen. 40 Die Formel Anselms lässt sich mit Hilfe des Begriffs der absoluten Vollkommenheit bzw. maximalen Größe im Sinn der so genannten “perfect being-theology” erläutern. 41 Gott verwirklicht notwendig die maximale Klasse der miteinander kompatiblen maximal verwirklichten großmachenden Eigenschaften. Eine großmachende Eigenschaft ist eine Eigenschaft, deren Besitz in sich besser ist als deren Nichtbesitz. 42 Weisheit z.B. ist eine großmachende Eigenschaft im Gegensatz zur Fähigkeit zu lügen. Wenn Gott so sein soll, dass kein größeres Wesen als er gedacht werden kann, muss Gott ein Wesen sein, das in jeder möglichen Welt die größtmögliche Menge großmachender Eigenschaften im größtmöglichen Maß verwirklicht. Daraus folgt, dass Gott, wenn er in einer möglichen Welt existiert, in jeder möglichen Welt existiert und in jeder möglichen Welt die maximale Menge solcher großmachenden Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit und moralische Vollkommenheit verwirklicht. 43 Diese großmachenden Eigenschaften sind essentielle Eigen40
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Siehe T.V. M ORRIS , Anselmian Explorations. Essays in Philosophical Theology, Notre Dame (IND) 1987, 2. D.J. H ILL /R.D. R AUSER , Art. “theology, perfect-being”, in: Dies. (Hg.), Christian Philosophy A-Z, Edinburgh 2006, 185; zur “perfect being-theology” siehe u.a. MORRIS , Our Idea of God; K.A. R OGERS , Perfect Being Theology, Edinburgh 2000. M ORRIS , Anselmian Explorations, 12. Barry Miller wendet gegen eine solche Bestimmung Gottes ein, sie werde der göttlichen Transzendenz nicht gerecht. Die Gott zugeschriebenen großmachenden Eigenschaften seien bloße Steigerungen menschlicher Vollkommenheiten, da die von Gott ausgesagten Prädikate den gleichen Sinn behielten wie in ihrer Anwendung auf endliche geschöpfliche Wesen. Der „Gott“ der perfect being-theology sei nicht absolut transzendent und nicht wirklich verehrungswürdig (B. MILLER , A Most Unlikely God. A Philosophical Enquiry into the Nature of God, Notre Dame [IND]-London 1996, 2f.). Millers Kritik übersieht, trotz der berechtigten Warnung vor möglichen Gefahren dieses Ansatzes, erstens, dass perfect being-Theologen nicht behaupten, alle Eigenschaften Gottes nennen und hinreichend charakterisieren zu können, zweitens, dass die Verwirklichung der in der perfect being-theology genannten Eigenschaften in Gott jedes geschöpfliche Maß übersteigt und wir nicht erschöpfend angeben können, was es für ein Wesen bedeutet, z.B. essentiell allmächtig zu sein, und drittens, dass sein Kriterium der radikalen Ineffabilität Gottes (M ILLER , Unlikely God, 3) in dieselben Aporien wie bei John Hick führt und die perfect being-theology deshalb gut daran tut, eine strikte Ineffabilitätskonzeption zu vermeiden. Friedo Ricken bestreitet scharfsinnig die Anwendbarkeit der Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen Eigenschaften auf Gott mit dem Argument, dass eine solche Differenzierung voraussetzt, dass wir das Wesen Gottes erkennen können, was uns nicht möglich ist. Eine Aussage wie „Gott ist die Liebe“ beziehe sich nicht auf das metaphysische Wesen Gottes, sondern stelle eine Beschreibung des freien geschichtlichen Handelns Gottes dar; siehe F. R ICKEN , Möglichkeiten und Grenzen der religiösen Sprache, in: Ders., Glauben weil es ver-
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schaften Gottes: wenn ein Wesen sie auch nur zeitweise oder in einer möglichen Welt nicht besitzt, kann dieses Wesen nicht Gott sein. 44 Da Allmacht eine großmachende Eigenschaft und damit eine essentielle Eigenschaft Gottes ist und es logisch unmöglich ist, dass es mehr als
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nünftig ist, Stuttgart 2007, 61-74, 72. Zum einen hängt die Stärke dieses Einwands davon ab, was „Wesenserkenntnis“ bedeuten soll. Versteht man darunter die umfassende und vollständige Erkenntnis dessen, was Gott ausmacht, was es heißt, Gott zu sein, ist eine solche Erkenntnis Menschen nicht möglich. Ein solcher starker Begriff von „Wesenserkenntnis“ wird von mir allerdings nicht vorausgesetzt, sondern es geht allein darum, dass wir im Kontext des theistisch-christlichen Glaubensbekenntnisses und Glaubenswegs ein Wesen nur dann mit „Gott“ bezeichnen können, wenn es bestimmte Eigenschaften notwendig besitzt, weil sonst die christliche Praxis der Gottesverehrung und Ausrichtung des ganzen Lebens auf Gott unbegründet wäre. Zum anderen trennt Ricken die Erkenntnis von Gottes geschichtlichem Handeln und die Erkenntnis seines Wesens zu sehr voneinander und unterbewertet die Möglichkeit, dass die Erfahrung des Handelns Gottes (im Zusammenspiel mit anderen Gründen) Grund ist, ihm bestimmte essentielle Eigenschaften zuzuschreiben, zum Beispiel weil deren Zuschreibung die einfachste Erklärung dieser Handlungen als Teil der besten Erklärung der Wirklichkeit im Ganzen ist. Dass die Erkenntnis bestimmter Eigenschaften Gottes (u.a.) auf dem kontingenten Handeln Gottes beruht, schließt nicht aus, dass Gott diese unter kontingenten Umständen erkannten Eigenschaften in essentieller Weise besitzt. Auch die Fallibilität unserer Bestimmungsversuche essentieller Eigenschaften Gottes spricht nicht gegen die Möglichkeit, dass wir Gott essentielle Eigenschaften korrekt zuschreiben, denn die Notwendigkeit des Wahrheitswerts einer Aussage wie „Gott ist allmächtig“ ist unabhängig von der Irrtumslosigkeit oder Sicherheit seiner Erkenntnis. Eine prinzipielle Bestreitung dieser Möglichkeit würde epistemologische und ontologische Fragen miteinander vermischen. Deswegen scheidet auch die Inkarnation Gottes als Grundlage einer rigiden Kennzeichnung Gottes aus, denn die zweite Person der Trinität inkarniert sich nicht in allen möglichen Welten. Logisch notwendig kommt es in den möglichen Welten, in denen Gott keine Menschen geschaffen hat, nicht zur Inkarnation. Da Gottes schöpferische Tätigkeit nach traditionellem Verständnis und in Übereinstimmung mit einer Konzeption Gottes als maximal vollkommenem Wesen frei ist, gibt es mögliche Welten, in denen es keine Schöpfung, daher keine Menschen und daher auch keine Menschwerdung Gottes gibt. Dies widerspricht nicht der These Thomas von Aquins, dass Gott keine akzidentiellen Eigenschaften hat (S.th. I, 3, 6), da Thomas’ Unterscheidung essentieller und akzidentieller Eigenschaften sich von dem modernen modallogischen Verständnis, für das der Begriff der möglichen Welten zentral ist, unterscheidet (zum Verhältnis der thomasischen These, dass Gottes Eigenschaften nicht akzidentiell sein können, zu modernen Modalbegriffen siehe E. S TUMP, Aquinas, London, New York 2003, 109-115). Die Ablehnung der Inkarnation als essentieller Eigenschaft Gottes bestreitet auch nicht die Bedeutsamkeit der Inkarnation für den dreifaltigen Gott (und die Menschheit), sondern weist nur auf den Umstand hin, dass Gott nicht in jeder möglichen Welt sich inkarniert. Gottes Inkarnation war Ergebnis einer freien Entscheidung. „Essentiell“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht notwendig dasselbe wie „wichtig“ oder „hervorstechend“; siehe K RIPKE , Name, 91.
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ein essentiell allmächtiges Wesen gibt, 45 kann es nicht mehr als ein vollkommenes Wesen, kann es also nur einen Gott geben – zumindest in dem Sinn, in dem die christliche Theologie an der Einheit Gottes festhält. 46 Wenn wir den Terminus „Gott“ mit Anselms famosa descriptio von Gott als notwendigerweise vollkommenstem Wesen assoziieren, hängt der Ausdruck „Gott“ in jeder möglichen Welt mit dieser Kennzeichnung zusammen, referiert also rigide. Dies lässt sich mit Hilfe des oben genannten dreiteiligen Tests der Rigidität eines Designators zeigen: – Da die großmachenden Eigenschaften essentielle Eigenschaften Gottes sind, gibt es keine mögliche Welt, in der Gott existiert und nicht die größtmögliche Menge großmachender Eigenschaften besitzt. Deshalb ist Gott in jeder möglichen Welt dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Es gibt keine mögliche Welt, in der Gott existiert, aber nicht die Kennzeichnung „das, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ erfüllt. – Gott als dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, existiert in jeder möglichen Welt als dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Es gibt keine mögliche Welt, in der Gott existiert, aber nicht durch Anselms Formel bezeichnet wird. Daher kann es auch keine Welt geben, in der Gott existiert, aber etwas anderes vollkommener ist als Gott. Da Gott essentiell allmächtig ist, ist er in jeder möglichen Welt allmächtig, und da es nur ein allmächtiges Wesen geben kann, kann es in keiner möglichen Welt ein Wesen neben Gott geben, das allmächtig ist. Dann kann aber neben Gott kein weiteres Wesen existieren, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann (da diesem Wesen die großmachende Eigenschaft der Allmacht fehlt). In jeder möglichen Welt trifft die Kennzeichnung „dasjenige Wesen, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ auf Gott und nur auf Gott zu. – Da (wenn Gott in mindestens einer möglichen Welt existiert) es keine mögliche Welt gibt, in der Gott nicht existiert, ist der Fall ausge45
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Es kann nicht mehrere essentiell allmächtige Wesen geben, weil diese sich in ihrer essentiellen Allmacht beschränken würden; zu einem ähnlichen Argument siehe J. H OFFMAN /G.S. R OSENKRANTZ , The Divine Attributes, Oxford-Malden (MASS) 2002, 168. Anders formuliert: es kann nur dann „mehr als einen Gott geben“, wenn diese Gottheit so verfasst ist, dass sie als dreifaltig zu bezeichnen ist; zur Vereinbarkeit mit der christlichen Trinitätslehre siehe R. S WINBURNE , The Christian God, Oxford 1994, 170-180; P. V AN I NWAGEN , And Yet They Are Not Three Gods But One God, in: T.V. Morris (Hg.), Philosophy and the Christian Faith, Notre Dame (IND) 1988, 243-278; zur Betonung der Einheit des dreifaltigen Gottes in der orthodoxen Trinitätslehre vgl. das sogenannte athanasische Glaubensbekenntnis (Quicumque).
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schlossen, dass in einer möglichen Welt Gott nicht existiert und ein anderes Wesen als Gott das ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, also die Kennzeichnung „dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ nicht auf Gott, sondern auf dieses andere Wesen referiert. Es ist auch der Fall einer möglichen Welt ausgeschlossen, in der Gott existiert, aber die Kennzeichnung „dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ nicht auf Gott, sondern auf ein anderes Wesen referiert. Da Gott, wenn er existiert, alle seine essentiellen Eigenschaften besitzt, ist er in jeder möglichen Welt, in der er existiert, allmächtig; und da er in jeder möglichen Welt existiert, ist er in jeder möglichen Welt allmächtig. Wenn es in keiner möglichen Welt mehr als ein allmächtiges Wesen geben kann, kann es in keiner möglichen Welt ein Wesen außer Gott geben, das allmächtig ist. Da ohne die Exemplifizierung von Allmacht ein Wesen nicht dasjenige sein kann, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, kann es in keiner möglichen Welt, in der Gott existiert, ein anderes Wesen als Gott geben, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. 47 Der im Sinn von Anselms famosa descriptio verstandene Eigenname „Gott“ besteht den modalen Rigiditätstest. Kripkes modallogische Einwände gegen die Beschreibungstheorie schließen nicht aus, dass der Ausdruck „Gott“ in rigider Weise mit einer bestimmten Kennzeichnung assoziiert ist. Der im Sinn der famosa descriptio verstandene Name Gottes ist sogar ein stark rigider Designator. 48 Die Frage nach 47
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Man könnte im Anschluss an Kripkes so genanntes epistemisches Argument gegen die Beschreibungstheorie einwenden, dass nicht alle Menschen, die den Terminus „Gott“ im theistisch-christlichen Sinn verwenden, die Überzeugung haben, dass über Gott hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, aber diese doch wohl auf Gott referieren. Auf diesen Einwand lässt sich zweifach antworten. 1. Es wird von den Gläubigen keine explizite, sondern nur eine implizite Überzeugung gefordert. Ein Gläubiger muss nicht explizit Gott als den kennzeichnen, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, aber die religiösen Überzeugungen, Einstellungen und Handlungen des Gläubigen müssen diese Kennzeichnung implizieren oder zumindest nahelegen. 2. Es herrscht auch in religiösen Angelegenheiten eine linguistische Arbeitsteilung. So wie sich die kognitiven Religionsexperten – die Theologen – in manchem auf das Urteil praktischer Religionsexperten – praktizierender Gläubiger, Heiliger etc. – verlassen müssen, können die gewöhnlichen Gläubigen bei schwierigen theoretischen Fragen auf das Urteil der Experten ihrer jeweiligen (Sprach-)Gemeinschaft verweisen, die die referenzfixierende Kennzeichnung Gottes präzise und begründet formulieren können. Ein Designator wird von Kripke als stark rigide bezeichnet, wenn er rigide auf einen Gegenstand referiert, der in jeder möglichen Welt existiert.
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der Referenz auf Gott mit Hilfe des Eigennamens „Gott“ führt so zur Frage, in welcher Weise man mit Kennzeichnungen auf Gott referiert.
2.2 Die Referenz auf Gott mit Hilfe von Kennzeichnungen Kennzeichnungen können attributiv oder referentiell verwendet werden. In der referentiellen Verwendung benutzt der Sprecher eine Kennzeichnung K, um auf ein bestimmtes Individuum zu referieren, unabhängig davon, ob dieser Gegenstand die in der Kennzeichnung genannten Eigenschaften besitzt oder nicht. Wenn ich auf Angela Merkel referieren will und dazu die Kennzeichnung „die Physikerin im Kanzleramt“ referentiell gebrauche, referiere ich auf Angela Merkel auch dann, wenn diese Kennzeichnung nicht (allein) auf Angela Merkel zutreffen sollte. Wenn ich eine Kennzeichnung attributiv verwende, steht es dagegen noch nicht fest, auf wen ich damit referiere, sondern ich referiere mit einer attributiv gebrauchten Kennzeichnung auf den Gegenstand, der diese Kennzeichnung erfüllt, gleich welcher Gegenstand dies ist. Damit ich mit einer attributiv gebrauchten Kennzeichnung K auf den Gegenstand G referiere, muss G die in K genannten (wesentlichen) Eigenschaften besitzen. In dem Satz „Die Person mit der Bombe in ihrem Aktenkoffer soll sofort den Raum verlassen“ gebrauche ich die Kennzeichnung „die Person mit der Bombe in ihrem Aktenkoffer“ wohl attributiv. Ich referiere auf den, der eine Bombe im Koffer hat, gleich wer es ist – und zur Erfüllung der Kennzeichnung würde es wohl auch genügen, wenn sich die Bombe nicht im Aktenkoffer, sondern in der Umhängetasche oder im Mantel befindet. Ein erfolgreicher Referenzakt mit Hilfe einer Kennzeichnung setzt nicht in jedem Fall voraus, dass der Referent die Kennzeichnung erfüllt. Nach Keith Donnellan, einem Vertreter der direkten Theorie der Referenz, ist der deskriptive Gehalt der Kennzeichnung bei der referentiellen Verwendung der Kennzeichnung völlig unerheblich für die Festlegung der Referenz bzw. das Gelingen des Referenzaktes. 49 Ob eine Kennzeichnung referentiell oder attributiv verwendet wird, bemisst sich vor allem am pragmatischen Kontext der Äußerung (und zu einem geringeren Teil an der Intention der Benutzer der Kennzeichnung). 49
Zumindest solange überhaupt ein Referent existiert; siehe Donnellans Aufsatz: Referenz und Kennzeichnungen, in: U. Wolf (Hg.), Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt/Main 1993, 179-207.
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Mit Hilfe dieser Unterscheidung zwischen referentieller und attributiver Verwendung von Kennzeichnungen lässt sich noch einmal neu die Frage aufwerfen, ob nicht doch (z.B. im Rahmen antiker heidnischer Religionen) mit einer Kennzeichnung auf Gott referiert werden kann, die nicht den Kriterien der perfect being-theology genügt. Auch wenn „Gott“ immer mit der Kennzeichnung verbunden sein sollte, derjenige zu sein, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, so der mögliche Einwand gegen das vorläufige Ergebnis von Abschnitt 2.1, referiere ich mit dem Ausdruck „Gott“ bzw. dieser Kennzeichnung nicht notwendig auf den, der diese Kennzeichnung erfüllt, sondern (in einer referentiellen Verwendungsweise) auf ein bereits unabhängig von dieser Kennzeichnung identifiziertes göttliches Wesen. Weiterhin könnte man behaupten, dass gewöhnliche Gläubige Kennzeichnungen in Bezug auf Gott eher referentiell gebrauchen, um das Wesen zu bezeichnen, das sich ihnen (in religiösen Erfahrungen oder ähnlichem) gezeigt hat oder von dem ihnen ihre religiöse Tradition sagt, dass es sich dem Religionsgründer oder anderen religiös bedeutsamen Mitgliedern dieser Tradition in irgendeiner Form gezeigt hat. Theologen und Philosophen qua Theologen und Philosophen, so könnte der Einwand weiter lauten, gebrauchen Kennzeichnungen in Bezug auf Gott vielleicht eher attributiv (jeder Gegenstand, der Referent von „Gott“ sein soll, muss bestimmte Bedingungen erfüllen, die in Anselms famosa descriptio festgelegt sind), aber was berechtigt Theologen und Philosophen, ihre attributive Verwendung von „Gott“ zu dogmatisieren und die Erfüllung dieser Kennzeichnung zur notwendigen Bedingung eines gelungenen religiösen Referenzaktes auf Gott zu machen und die referentielle Verwendung des Ausdrucks „Gott“ bzw. der mit ihm verbundenen Kennzeichnung durch die gewöhnlichen Gläubigen für irrelevant zu erklären? Wenn die Hypothese der grundlegend referentiellen Verwendung der mit Gott verbundenen Kennzeichnung(en) in religiösen Kontexten zutreffen sollte, könnte man auf ein göttliches Wesen auch referieren, ohne überzeugt zu sein, dass dieses der famosa descriptio gerecht wird, bzw. ohne dass dieses Wesen tatsächlich der famosa descriptio gerecht wird. In diesem Fall kann man auch mit Kennzeichnungen auf Gott referieren, die nicht der famosa descriptio gerecht werden. Die Antwort auf diesen Einwand setzt bei der Frage an, in welchen Kontexten der Gläubige in Bezug auf Gott Kennzeichnungen (vorwiegend) referentiell gebraucht. Dies wird vermutlich vor allem im Rahmen von religiösen Erfahrungen geschehen, um auf das zu referieren, was sich dem Gläubigen gezeigt hat: Gott ist der, der gestern Nacht in einem Traum zu mir gesprochen oder sich während der Morgendäm-
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merung mir gezeigt hat – gleich welche weiteren Eigenschaften dasjenige hat, das sich mir gestern Nacht oder während der Morgendämmerung gezeigt hat. Mit diesen Kennzeichnungen, so eine mögliche Hypothese, bezieht sich der Gläubige direkt auf das Gegenüber seiner religiösen Erfahrung – unabhängig von seinen weiteren Überzeugungen über dieses Gegenüber. Aber gebraucht ein Gläubiger die Kennzeichnungen tatsächlich ausschließlich referentiell? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Antwort auf die grundlegendere Frage ab, ob der Gläubige vor allem daran interessiert ist, dass seine Kennzeichnung sich auf den bezieht, den er erfahren hat (gleich, um wen es sich dabei handelt), oder ob der Gläubige vor allem auf Gott referieren möchte (gleich, ob der es war, der sich ihm in einer religiösen Erfahrung gezeigt hat). Die referentielle Verwendung der Kennzeichnung in Verbindung mit einer (eigenen oder fremden) religiösen Erfahrung setzt voraus, dass es sich bei dem Erfahrungsgegenstand tatsächlich um Gott handelt und nicht z.B. um den Teufel oder einen Dämon, der vorgaukelt, Gott zu sein. Die meisten Gläubigen im christlichen Kontext wollen wohl vor allem auf Gott als denjenigen referieren, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, auf den Schöpfer des Himmels und der Erde, auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und den Vater Jesu Christi bzw. den dreifaltigen Gott, dessen zweite Person in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Dies spricht dafür, dass Kennzeichnungen zur Referenz auf Gott faktisch meistens attributiv verwendet werden. Unabhängig von der deskriptiven Frage, ob gläubige Menschen die relevanten Kennzeichnungen Gottes tatsächlich referentiell gebrauchen, spricht einiges für die normative These, dass Gläubige die relevanten Kennzeichnungen nicht rein referentiell gebrauchen sollen. Um dies zu erkennen, genügt die Reflexion auf die Möglichkeit, dass der Gegenstand der religiösen Erfahrung, der für Gott gehalten wird, nicht Gott ist, sondern irgendein übermenschliches, aber nicht göttliches Wesen, z.B. eine Art Demiurg oder einfach eine religiöse Einbildung. Soll der Gläubige, der überzeugt ist, dass Gott in der vergangenen Nacht im Traum zu ihm gesprochen hat, mit dem Ausdruck „Gott“ auf dasjenige referieren, das tatsächlich die Bedingungen der famosa descriptio erfüllt – gleich, welches Wesen dies ist, und auch, wenn Gott nicht im Traum zu ihm gesprochen hat – oder auf das, was in der vergangenen Nacht im Traum zu ihm gesprochen hat und das der Gläubige für Gott hält – auch wenn es nicht die Bedingungen von Anselms Formel erfüllt? Es sollte in Bezug auf Gott nicht allein im Vordergrund stehen, dass er von mir oder anderen erfahren wurde, sondern dass der Referent
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des Ausdrucks „Gott“ der ist, der alle Vollkommenheiten im unüberbietbaren Maß in sich vereinigt. Dies ist wichtig, weil nur ein solcher Gott tatsächlich die höchste Wirklichkeit, das angemessene Objekt tiefster Verehrung, Liebe und Hoffnung und Mittelpunkt unseres Lebens sein kann und soll. 50 Ein Halbgott oder eine Göttergestalt wie Zeus oder gar eine bloße religiöse Illusion kann nicht letzte Realität und angemessener Gegenstand tiefster Verehrung sein. Hintergrund dieser Argumentation gegen einen rein referentiellen und für einen (auch) attributiven Gebrauch der mit dem Ausdruck „Gott“ verbundenen Kennzeichnungen ist der religiös-pragmatische Kontext des traditionellen theistisch-christlichen Gottesbegriffs: christlich-theistische Gläubige setzen in ihrem religiösen Reden und Handeln Gott als den voraus, der unüberbietbare Verehrung, unbedingtes Vertrauen und unbedingte Hingabe verdient und erfordert. 51 Religionen und Religionsanhänger, die auf eine Entität referieren, die sich überhaupt nicht als (auch nur partielle) Erfüllung der anselmianischen Kennzeichnung Gottes interpretieren lässt bzw. mit dieser Kennzeichnung in zentralen Punkten inkompatibel ist, referieren in ihren religiösen Sätzen nicht auf Gott. 52 50
51
52
W.P. Alston vertritt sehr scharfsinnig eine entgegengesetzte Position (Referring to God, in: Ders., Divine Nature and Human Language. Essays in Philosophical Theology, Ithaca-London 1989, 103-117, 113f.). Allerdings räumt Alston ein, dass, wenn der Gläubige bemerkt, dass das von ihm mittels einer referentiell gebrauchten Kennzeichnung bezeichnete Wesen nicht Gott ist, er dieses Wesen nicht mehr als „Gott“ bezeichnen wird. Dies zeigt aber, dass der Gläubige „Gott“ nicht referentiell, sondern attributiv verwendet. Eine attributiv verwendete Kennzeichnung muss folgende Bedingungen erfüllen, wenn mit ihr erfolgreich referiert werden soll: es muss genau ein Objekt existieren, das den eindeutigen deskriptiven Gehalt der Kennzeichnung erfüllt. Der beschreibende Gehalt der Kennzeichnung muss also eindeutig sein und es darf nicht der Fall sein, dass es keinen oder mehr als einen Gegenstand gibt, der diese Beschreibung erfüllt (siehe z.B. G. S IEGWART, Gott und der gegenwärtige König von Frankreich, in: F.-J. Bormann/C. Schröer [Hg.], Abwägende Vernunft. Praktische Rationalität in historischer, systematischer und religionsphilosophischer Perspektive, Berlin-New York 2004, 637-658, 641). Im Fall der Existenz des theistischen Gottes erfüllt die famosa descriptio diese Bedingungen. Es genügt die prinzipielle Möglichkeit, das als Gottheit verehrte Wesen im Sinn der famosa descriptio zu verstehen. Dazu ist keine umfassende und detaillierte Kenntnis der durch Anselms Kennzeichnung Gottes implizierten Eigenschaften Gottes notwendig. Bereits innerhalb des christlichen Theismus bestehen Meinungsverschiedenheiten über die genaue Bestimmung der großmachenden Eigenschaften Gottes, z.B. über die Zeitlichkeit oder Überzeitlichkeit seiner ewigen Existenz oder den Umfang von Gottes Wissen. Die Anwendung von Anselms Formel schließt also (begrenzte) interreligiöse Meinungsverschiedenheiten über einzelne großmachende Eigenschaften nicht aus.
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Um dieses für manche vielleicht befremdliche Ergebnis etwas plausibler zu machen, muss man sich nur fragen, was es heißen soll, dass der Referent von „Allah“ identisch ist mit dem Referenten von „Zeus“. Gemäß der (allerdings umstrittenen) relativen Theorie der Identität mit ihrer These der sortalen Relativität von Identität ist der Identitätssatz „Der Referent von ‚Allah‘ ist identisch mit dem Referenten von ‚Zeus‘“ unvollständig, denn es fehlt ein Term, der die Art bzw. Natur der bezeichneten Entitäten angibt.53 Genauso wenig wie wir einfach sagen können, dass der sechzigjährige Aristoteles derselbe ist wie der zehnjährige Aristoteles, sondern sagen müssen, dass der sechzigjährige Aristoteles dieselbe Person wie der zehnjährige Aristoteles ist, können wir nicht einfach angeben, dass der Referent des Ausdrucks „Allah“ derselbe ist wie der des Wortes „Zeus“, sondern wir müssen genauer fragen, ob es sich bei beiden Referenten um denselben Gott bzw. dieselbe Gottheit handelt. Können die beiden derselbe Gott sein? Die Antwort fällt aus der Perspektive des philosophischen Theismus negativ aus, weil Zeus überhaupt kein Gott (im Sinn der famosa descriptio) sein kann, da ihm alle essentiellen Eigenschaften Gottes fehlen. Er besitzt keine einzige großmachende Eigenschaft in maximalem Maß. Wer über Zeus spricht, referiert nicht auf Gott, sondern seine Aussage über Zeus, verstanden als über Gott intendierte Aussage, geht ins Leere.54
3. SCHLUSSBEMERKUNGEN Die Glaubensbekenntnisse der großen Weltreligionen enthalten auf den ersten Blick zum Teil miteinander unvereinbare zentrale Aussagen über Gott bzw. das „Wirkliche an sich“, die nicht alle wahr sein können. Der zurzeit prominenteste Versuch, dieses Problem zu entschärfen, John Hicks pluralistische Religionstheorie, scheitert. Die partiellen Widersprüche zwischen den Glaubensbekenntnissen sind ernst zu nehmen, und die Weltreligionen sprechen nicht in dem Sinn von demselben Gott, dass sie über ihn dasselbe aussagen oder Aussagen über ihn treffen, die miteinander kompatibel sind. Dies soll aber nicht die großen Übereinstimmungen gerade innerhalb der Familie der monotheistischen Religionen überdecken. 53
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Zur sortalen Relativität von Identitätsaussagen siehe P.T. GEACH , Identity Theory, in: Ders., Logic Matters, Berkeley-Los Angeles 1980, 238-247. Welche Bedeutung Referenzakte auf eine höhere Wirklichkeit, die als Referenzakte auf Gott fehlschlagen, und Anrufungen Gottes, in denen mit den darin enthaltenen Namen oder Kennzeichnungen nicht auf Gott referiert werden kann, für Gott haben, kann offengelassen werden.
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Weiterhin spricht einiges dafür, dass man nicht umstandslos voraussetzen kann, dass alle religiösen Glaubensbekenntnisse und religiösen Anrufungen auf Gott referieren. Bei welchen Religionen dies wahrscheinlich der Fall ist und bei welchen nicht, lässt sich nicht rein philosophisch entscheiden, sondern hängt auch von empirischen Befunden ab, deren Erhebung in das Aufgabengebiet der Religionswissenschaften fällt. Es hat sich gezeigt, dass nicht alle Religionen offensichtlich in dem hier erörterten doppelten Sinn von demselben Gott sprechen, und schon deswegen ist es alles andere als offensichtlich, dass sie austauschbar sind.
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Austauschbarkeit und Übersetzung. Philosophie als Vermittler und Interpret von Religion Die Titelfrage dieses Bandes „Sind Religionen austauschbar?“ enthält neben vielen anderen Aspekten auch eine bedeutungstheoretische Dimension. Sie lässt sich in Gestalt der Frage formulieren, ob der Inhalt einer bestimmten Religion in die Sprache einer anderen übersetzt werden kann. Unter welcher bedeutungstheoretischen Bedingung wäre dies möglich? Gibt es ein tertium comparationis der Übersetzung, das den Austausch von Bedeutung über die Grenzen der Religionen ermöglicht? Liegt den verschiedenen religiösen Überzeugungen möglicherweise ein gemeinsamer Kern geteilter Bedeutung zugrunde, referieren sie auf eine gemeinsame Wirklichkeit, von der sie in unterschiedlicher Weise sprechen? Diese Auffassung vertreten nicht zuletzt viele Konzeptionen gegenwärtiger pluralistischer Religionstheologie, die Religionen als unterschiedliche Artikulationsformen einer transzendenten Wirklichkeit begreifen. Ausgehend davon stellt sich die Frage, wie jene Realität, auf die sich die verschiedenen religiösen Sprachen beziehen, unabhängig von der jeweiligen religiösen Artikulation benannt und definiert werden soll. Ihre Beschreibung erforderte eine religionsfreie Sprache oder genauer: eine Sprache, die nicht schon die Sprache einer bestimmten Religion ist. Sie muss sich dennoch verlässlich auf jene Wirklichkeit beziehen können, von der die unterschiedlichen religiösen Sprachen handeln. Selbst wenn dies gelänge, wäre eine Theorie der Übersetzung der Religionen noch mit der hartnäckigen Frage konfrontiert, ob bei solchen Übersetzungsvorgängen nicht Wesentliches verloren ginge. Denn selbst wenn unterschiedliche Religionen von derselben – göttlichen oder transzendenten – Wirklichkeit sprechen sollten, so tun sie dies doch auf höchst unterschiedliche Weise. Bei einer Übersetzung könnte daher genau das verloren gehen, was als Besonderheit der jeweils eigenen religiösen Sprache empfunden wird. Religionen würden so im Übersetzungsvorgang ihre identitätsstiftende und gewissheitsverbürgende Funktion verlieren, die an einer bestimmten Form der eingeübten und religiösen Redepraxis hängt. Von der Philosophie wird gewöhnlich erwartet, eine solche neutrale und allgemeine Metasprache für den Inhalt der religiösen Rede
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bereitzustellen. Philosophie soll vom Inhalt des religiösen Bekenntnisses in einer nicht religiösen Weise sprechen können. Auf diese Weise bietet sie eine Plattform der Vergleichbarkeit und des Dialogs der Religionen. Sie liefert zugleich einen Maßstab der Kritik und Einschränkung unangemessener und verzerrter religiöser Kommunikation. Diese Rollenerwartung an die Philosophie im Horizont der religiösen Sprachen richtete sich traditionell an die Metaphysik. Metaphysik, genauer die metaphysica specialis einer philosophischen Gotteslehre, sollte den gemeinsamen Gehalt der Religionen auf eine rationale Weise artikulieren, die dem jeweiligen Bekenntnis und seiner sprachlichen Ausdrucksgestalt noch vorausliegt. Es ist daher nicht überraschend, dass im Zeitalter eines verstärkten religiösen und weltanschaulichen Pluralismus die metaphysisch begründete Gotteslehre wieder Konjunktur besitzt. Die realistisch verstandene Gottesrede, wie sie im Kontext analytischer Religionsphilosophie vertreten wird, verdankt ihre steigende Attraktivität nicht zuletzt dem Versprechen, einen klaren rationalen Maßstab zu liefern, der es erlaubt, den Wettstreit und die Differenzen zwischen den divergenten, zum Teil inkompatibel anmutenden religiösen Überzeugungen kognitiv zugänglich machen und rational entscheiden zu können. Interessanterweise gehen sowohl exklusivistische Modelle, welche die Überlegenheit einer bestimmten Religion unterstellen, als auch die pluralistische Religionstheologie von einem realistischen Verständnis jener göttlichen Wirklichkeit aus, auf die sich die religiös artikulierten Überzeugungen beziehen. Ein realistisches Verständnis des Gottesbegriffs wird von religionstheologischen Exklusivisten wie Pluralisten gleichermaßen vorausgesetzt, um die Frage nach Austauschbarkeit und Gleichrangigkeit von Religionen argumentativ entscheiden zu können, sei es ablehnend oder affirmativ. Die kontinentaleuropäische Religionsphilosophie ist einen anderen Weg gegangen. Seit Kants Kritik an der Leere und Überschwänglichkeit einer Gotteserkenntnis aus reinen Begriffen kann die kritische Rekonstruktion des kognitiven und semantischen Gehaltes, auf den sich die unterschiedlichen Religionen beziehen, nicht mehr mit den Mitteln einer objektiven metaphysischen Erkenntnis und Existenzsetzung geleistet werden. Die Entstehung einer „Religionsphilosophie“ genannten Disziplin im kontinentaleuropäischen Kontext ist gerade die Antwort auf die Kantische Metaphysikkritik. Statt bei der metaphysischen Gotteserkenntnis setzt die philosophische Rekonstruktion des allgemeinen, vernünftigen Gehaltes der Religion nun bei der menschlichen Praxis des Glaubens selbst an. Der Kern des Vernunftglaubens besteht in einer bestimmten gerechtfertigten Praxis, nicht
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in bekenntnisunabhängig legitimierbaren Existenzannahmen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass der Streit zwischen analytischer und kontinentaleuropäischer Religionsphilosophie sich letztlich auf die Frage konzentriert, ob die Kantische Kritik an der metaphysischen Gotteslehre stichhaltig ist und tatsächlich eine unumkehrbare Zäsur in der Geschichte des philosophischen Denkens über Religion markiert. Diese Frage kann hier nicht angemessen erörtert und schon gar nicht entschieden werden. Im Folgenden soll stattdessen, unter der Annahme der Gültigkeit der Kantischen Metaphysikkritik, diskutiert werden, welche Konsequenzen sich für die Aufgabe einer Vergleichbarkeit von Religionen im Sinne ihrer Übersetzbarkeit ergeben. In einem ersten Schritt soll daher die Übersetzungsanforderung an religiöse Sprache von einem kantianischen Standpunkt der Gegenwartsphilosophie erläutert werden (1). Die Ambivalenzen eines solchen moralphilosophisch codierten Übersetzungsprogramms, die von Jürgen Habermas aufgewiesen werden, lassen dann in einem nächsten Schritt zunächst ein Modell der Übersetzung attraktiv erscheinen, das die Differenz zwischen Religion und säkularer Vernunftmoral betont (2). Dieses Programm hat allerdings zur Folge, dass die Individuen, die moralischen wie religiösen Subjekte, dieser Semantik gerade äußerlich bleiben. Dann handelt es sich aber nicht um eine Übersetzung im Sinne des gewachsenen Verständnisses des Fremden. Daher bietet sich schließlich ein pragmatistisches Modell von Verstehen und Übersetzung an (3). Hier wird die Bedeutung religiöser Sprache auf dem Weg der Explikation impliziten Regelwissens erschlossen. Da dieses Regelwissen aber als Ausdruck habitusbildender Praktiken zu verstehen ist, kann Übersetzung nicht einfach in der Übertragung von Wissensinhalten bestehen, sondern in der Inszenierung und Habituali- sierung gemeinsamer Praktiken.
1. RETTENDE DEKONSTRUKTION. DIE MORALPHILOSOPHISCHE ÜBERSETZUNG RELIGIÖSER ÜBERZEUGUNGEN Jürgen Habermas hat bekanntlich die gegenwärtige gesellschaftliche Lage, in der „religiöse Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Umgebung“ 1 dauerhaften Bestand besitzen, mit dem Aus1
J. HABERMAS , Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt am Main 2001, 13.
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druck „postsäkular“ bezeichnet. Dieser Begriff soll der Einsicht Rechnung tragen, dass sowohl das progressiv-optimistische Verständnis von Säkularisierung als linearem Fortschritt als auch das konservativpessimistische Modell von Säkularisierung als Verfall und Entwertung religiöser Traditionen nicht mehr zu einer gesellschaftlichen Wirklichkeit passen, in der religiöse Gemeinschaften inmitten eines säkularen Milieus fortbestehen. 2 Seit seiner Friedenspreisrede von 2001 plädiert Habermas also für eine dauerhafte Koexistenz von religiösen und säkularen Überzeugungen. Danach gelten für säkulare und religiöse Bürger die gleichen diskursiven Regeln. Damit das Verhältnis zwischen religiösen und säkularen Bürgerinnen und Bürgern fair und reziprok ist, muss von der religiösen Person eine selbstkritische und distanzierende Einstellung zu ihren grundlegenden Überzeugungen erwartet werden. Dies gilt vor allem dann, wenn religiöse Überzeugungen als Begründungen von Gesetzen und Handlungen staatlicher Sanktionsgewalt herangezogen werden sollen. Unter diesen Bedingungen müssen die religiösen Überzeugungen in eine Sprache übersetzt werden, die auch den säkularen Mitbürgern nicht prinzipiell unverständlich bleiben darf. Doch im Prozess dieser kooperativen Übersetzung wird auch von der säkularen Person die Bereitschaft gefordert, ihre Überzeugungen unter einen Irrtumsvorbehalt zu stellen. Ein fairer öffentlicher Diskurs in einer postsäkularen Gesellschaft muss auch die Bedingung erfüllen, dass säkulare Bürger in einen Prozess der inhaltlichen Auseinandersetzung und übersetzenden Aneignung der religiösen Gehalte einzutreten bereit sind. Allerdings formuliert die säkulare Vernunft die Standards, unter denen Religion in einen Dialog mit anderen Religionen, mit der modernen Wissenschaft und dem demokratischen Rechtsstaat sowie der universalistischen Moral eintreten soll. Insofern Religion diese Bedingungen akzeptiert, kann sie für die säkulare Vernunft zum Bündnispartner im Kampf gegen eine einseitig rationalisierte Moderne werden, wie sie etwa in der Dominanz des naturwissenschaftlichen Paradigmas von Rationalität zum Ausdruck kommt. In einer pluralistischen Gesellschaft bleibt die säkulare Vernunft laut Habermas auf das kritische Potential der Religion angewiesen, das eine autoaggressive Moderne vor sich selbst schützen kann. Durch die Übersetzung religiöser Vorstellungen in die philosophischen Begriffe der säkularen Vernunft vollzieht sich nach Habermas eine „Säkularisierung, die nicht vernichtet“ 3. Eine solche säkulare 2 3
Ebd. Ebd., 29.
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Übersetzung stellt keine Destruktion der Religion, sondern ihre „rettende Dekonstruktion“ 4 dar. In den erwähnten Kontexten diskutiert Habermas die Frage nach der Übersetzung religiöser Gehalte mit dem Ziel, die kognitiven Voraussetzungen und verbindlichen Standards des öffentlichen Vernunftgebrauchs für religiöse und säkulare Bürger zu bestimmen. Auf diese Weise soll ein kritischer Filter installiert werden, der geeignet ist, religiöse Fanatismen und obskurantistische Vorstellungen aus der politischen Öffentlichkeit auszuschließen, falls diese mit der Prätention auftreten, zur Grundlage einer allgemein verbindlichen und mit Sanktionsgewalt versehenen Gesetzgebung zu werden. Allerdings soll dieser Filter auch durchlässig genug sein, um jene Begriffe und Gehalte einer religiösen Semantik in den öffentlichen Diskurs einfließen zu lassen, die geeignet erscheinen, die normative Selbstverständigung einer nach säkularen Rechtsprinzipien operierenden politischen Ordnung und Öffentlichkeit zu bereichern. So zeigt sich Habermas zufolge etwa in den Auseinandersetzungen mit den Bio- und Neurowissenschaften, dass bestimmte moralische Empfindungen „bisher nur in religiöser Sprache einen hinreichend differenzierten Ausdruck“5 gefunden haben. So drückt etwa die Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen „eine Intuition aus, die […] auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann“. Habermas hält ausdrücklich an jener Enthaltsamkeit fest, „die sich das nachmetaphysische Denken im Hinblick auf verbindliche Stellungnahmen zu substantiellen Fragen des guten oder nicht verfehlten Lebens auferlegt“6. Er bekräftigt zugleich die zentrale Auffassung der Diskurstheorie, dass nur solchen Argumenten der Status zwingender moralischer Gründe zukommen kann, die säkularen Charakter besitzen und somit „in einer weltanschaulich pluralistischen Gesellschaft vernünftigerweise auf Akzeptanz rechnen dürfen“7. Diese universale Vernunftmoral bleibt jedoch lebensweltlich in plurale ethische Kontexte eingebettet, wie sie durch die Religionen, „metaphysische Lehren und humanistische Überlieferungen“8 verkörpert werden. Diese Kontexte definieren unterschiedliche, kulturell variable Menschenbilder. Als partikulare Kontexte der Einbettung konstituieren sie aber nicht den Grund der universalen Geltung jener moralischen Rechte, die allen Personen qua Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung zukommen. 4 5 6
7 8
Ebd., 23. Ebd., 29. J. HABERMAS , Die Zukunft der menschlichen Natur: auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt am Main 2001, 9. Ebd., 40. Ebd., 74.
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Der von Habermas beschriebene Vorgang einer kooperativen Übersetzung stellt eine reziproke intersubjektive Beziehung dar, die unter postsäkularen Bedingungen das Prinzip der politischen Fairness für religiöse und säkulare Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen zur Geltung bringt. Unter semantischen Gesichtspunkten erscheint dieses Verhältnis jedoch nach wie vor asymmetrisch. Die inhaltliche Übersetzung erfolgt nämlich aus der Perspektive der säkularen Vernunft. Die Religion ist die Quellensprache, die säkulare Vernunft die Zielsprache der Übersetzung. Dies manifestiert sich in der von Habermas formulierten einschränkenden Bedingung, dass die säkulare Vernunft „das, wovon im religiösen Diskurs die Rede ist“, sich „nicht als religiöse Erfahrungen zu eigen machen“ kann. Dann stellt sich aber die Frage, wie die Aufforderung zu „kooperativer Übersetzung“ bzw. „rettender Aneignung“ in Einklang gebracht werden kann mit der Auffassung, dass der „opake Kern der religiösen Erfahrung“9 dem diskursiven Denken „so abgründig fremd“ sei „wie der von der philosophischen Reflexion auch nur eingekreiste, aber undurchdringliche Kern der ästhetischen Anschauung“10. Die grundbegrifflichen und operationalen Fragen nach einer angemessenen philosophischen Übersetzung religiöser Gehalte untersucht Habermas besonders eindrücklich am Musterbeispiel der von Kant in seiner Religionsschrift entwickelten Idee eines ethischen Gemeinwesens. Mit Blick auf Kants Religionsphilosophie interessiert Habermas die Frage, wie Philosophie angemessen als Übersetzer und Interpret von Religion auftreten kann.11 In der Rolle des Übersetzers kann Philosophie den moralischen, rechtlichen und politischen Zusammenhalt fördern, „wenn sie in der legitimen Vielfalt der substantiellen Lebensentwürfe von Gläubigen, Andersgläubigen und Ungläubigen aufklärend, aber nicht als der besserwissende Konkurrent auftritt“12. In der Rolle des Interpreten kann sie zudem dazu beitragen, „Sensibilitäten, Gedanken und Motive zu erneuern, die zwar aus anderen Ressourcen stammen, aber verkapselt blieben, wenn sie 9
10 11
12
J. HABERMAS , Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger, in: Ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005, 119-154, 150. Ebd. J. H ABERMAS , Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie, in Ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005, 216-257. Ebd., 249.
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nicht durch die Arbeit des philosophischen Begriffs ans Licht der öffentlichen Vernunft gezogen würden“13. Habermas interessiert sich also für „Kants Religionsphilosophie unter dem Gesichtspunkt, wie man sich die semantische Erbschaft religiöser Überzeugungen aneignen kann, ohne die Grenze zwischen den Universen des Glaubens und des Wissens zu verwischen“14. Wie Habermas darlegt, bildet die Pflicht zur Beförderung des höchsten Gutes die begriffliche Einlassstelle, in der religiöse Vorstellungen zu einem Thema der autonomen Vernunftmoral bei Kant werden. Religion erscheint als Verwirklichungsdimension eines praktischen Bedürfnisses, das vollständig autonom verstanden werden kann. Dieses Bedürfnis ist ein reines Vernunftbedürfnis, das prinzipiell auch ohne religiöse Stimulanz hätte entstehen können, denn die Moral der gleichen Achtung gilt für jeden „unabhängig von irgendeinem religiösen Einbettungskontext“15. Daher hält auch Kants moralphilosophischer Religionsbegriff daran fest, einen vernünftigen Kernbestand von Religion zu rekonstruieren, unabhängig von den auf Offenbarung gegründeten positiven Religionen, die stets im Plural auftreten. Diese moralphilosophische Rekonstruktion hat aber nicht den Charakter einer Reduktion. Kants Religionsphilosophie erschöpft sich nach Habermas nicht in Religionskritik, sondern hat „auch den konstruktiven Sinn, die Vernunft auf Quellen hinzuweisen, aus denen wiederum die Philosophie selbst eine Anregung entnehmen und insofern etwas lernen kann“ 16. Der reine Religionsglaube geht über das bloße Bewusstsein moralischer Pflichten hinaus und zielt auf die Verwirklichung eines moralischen Endzwecks. Diese Verwirklichung kann nur so gedacht werden, dass sie von einer höheren Macht herbeigeführt wird. Die Idee einer Beförderung des ethisch-gemeinen Wesens ist also Ausdruck eines praktischen Vernunftbedürfnisses, das über die bloße Einsicht in die Geltung autonomer Moral hinausreicht. Habermas weist mit Recht darauf hin, dass ein „solcher, nur indirekt aus der Summe aller moralischen Handlungen hervorgehender Idealzustand allgemeiner Glückseligkeit […] unter den Prämissen der Kantischen Moraltheorie eigentlich nicht zur Pflicht gemacht werden“ 17 kann. Dies bedeutet nicht, dass die vernünftige Geltung der Moral durch religiösen Glauben abgestützt werden müsste. Kant hat vielmehr die „Aussicht auf 13 14 15 16 17
Ebd. Ebd., 218. Ebd., 219. Ebd., 222. Ebd., 225.
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eine bessere Welt um der Moral selbst willen hinzugefügt, d.h., um die moralische Gesinnung im Vertrauen zu sich selbst zu stärken und gegen Defätismus abzuschirmen“ 18. Kant will „nicht in erster Linie religiöse Inhalte begrifflich einholen, sondern den pragmatischen Sinn des religiösen Glaubensmodus als solchen der Vernunft integrieren“ 19. Er sucht „nach einem vernünftigen Äquivalent für die Glaubenshaltung, den kognitiven Habitus des Gläubigen“ 20. Diese pragmatische Haltung eines vernünftigen Glaubensmodus ist aber auf religiöse Inhalte angewiesen, durch die sie geprägt, stabilisiert und angeregt wird. Denn ohne den „historischen Vorschuss, den die positive Religion mit ihrem unsere Einbildungskraft stimulierenden Bilderschatz liefert, fehlte der praktischen Vernunft die epistemische Anregung zu Postulaten, mit denen sie ein bereits religiös artikuliertes Bedürfnis in den Horizont vernünftiger Überlegungen einzuholen versucht“ 21. Diese „epistemische Abhängigkeit“ gesteht sich Kant aber laut Habermas nicht vollständig ein. 22 Dies führt zu grundbegrifflichen Spannungen in seinem religionsphilosophischen Ansatz, da die Vernunftmoral einerseits von einem Anregungspotential der positiven Religion zehrt, zugleich aber die verfasste Religion, insbesondere den konkreten Kirchenglauben in seinen abergläubischen Fehlformen, einer scharfen moralischen Kritik unterzieht. Daher liegt bei Kant der „Versuch einer reflexiven Aneignung religiöser Gehalte […] im Streit mit dem religionskritischen Ziel, über deren Wahrheit und Falschheit philosophisch zu richten“ 23. Kants Modell einer moralphilosophischen Übersetzung als Interpretation und Kritik der religiösen Vorstellung durch die Vernunft haftet also weiterhin die Ambivalenz eines asymmetrischen Verhältnisses von Rettung und Kritik der religiösen Gehalte durch die philosophische Vernunft an. Daher erscheint es vielversprechend, ein Modell der Übersetzung zwischen Religion und säkularer Vernunft zu favorisieren, das zwischen beiden zwar ein wechselseitiges Kommunikationsverhältnis unterstellt, aber gerade in differenztheoretischer Perspektive die Unterschiede betont. Für diesen Zweck bietet sich ein systemtheoretisches 18 19 20 21 22 23
Ebd., 229. Ebd., 230. Ebd., 229. Ebd., 231. Ebd. Ebd., 364.
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Modell von Religion an, wie es sich im Anschluss an Niklas Luhmann formulieren lässt. 24
2. FREMDREFERENTIALITÄT UND SELBSTBEZUG. EIN DIFFERENZTHEORETISCHES MODELL RELIGIÖSER SEMANTIK Die Logik der Moderne als Dynamik der Differenzierung hat sich soweit entfaltet, dass einige der strukturellen Voraussetzungen, die das Modell der kooperativen Übersetzung ermöglichen, in Frage gestellt werden. Religion besitzt im Modell der kooperativen Übersetzung die Funktion, eine soziale Integrationsleistung qua Bereitstellung semantischer Ressourcen zu liefern. Die kognitiven Anforderungen an die Religion und die Reflexionsanforderungen einer säkularen Gesellschaft, die sich in ein aufgeklärtes Verhältnis zu ihrem anderen, der Religion, setzen will, sind unter Bedingungen einer multiplen Modernität jedoch noch einmal gestiegen. Die Differenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft untergräbt gerade die Integrationsfunktion von Religion. Die gesellschaftliche Funktion der Religion besteht dann nicht mehr in der Repräsentation von Einheit und der Einbettung einer vermeintlich abstrakten Vernunftmoral und eines positiven Rechts, sondern in der Beförderung des Bewusstseins der autonomen Eigenlogik von Recht und Moral. Es ist nicht die Aufgabe religiösen Bewusstseins, diese semantische Leere der prozeduralen Vernunft und die funktionale Ausdifferenzierung der modernen Gesellschaft mit ihren autonomen Systemen der Politik, des Rechts, der Wissenschaft und Kunst durch die Bereitstellung eines Integrationsbewusstseins zu kompensieren. Religiöses Bewusstsein ist unter Bedingungen anhaltender Säkularisierung – und das bedeutet anhaltender Differenzierung – gerade Differenzbewusstsein. Diese Bestimmungen schließen erkennbar an die systemtheoretische Beschreibung Luhmanns an, der die Rolle von Religion unter Bedingungen funktionaler Differenzierung in einer spezifischen Reflexion der Einheit des Gesellschaftssystems gesehen hat. Mit der Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz leistet das Religionssystem diesen spezifischen Beitrag einer Reflexion der sozialen Einheit. Vor diesem Hintergrund wird reflexive Religiosität zum Be24
Vgl. N. L UHMANN , Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt am Main 1993, 259-357.
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wusstsein der Differenz, das die Autonomie und eigene Sachlogik der differenzierten Bereiche betont. Theologisch gesehen wird die soziologische Funktion einer paradoxen Einheit von Immanenz und Transzendenz durch den Gottesbegriff markiert. Luhmann zufolge drängt es sich auf, „die Funktionsstelle, deren Benennung die Entparadoxierung zu leisten hat, mit dem Gottesbegriff zu bezeichnen“ 25. Auch psychologisch und epistemologisch, in Bezug auf eine Theorie des religiösen Glaubens, der unter Bedingungen prononcierter Modernität die Struktur eines Glaubens an den Glauben annimmt, bietet eine Differenztheorie religiösen Bewusstseins das angemessene Mittel, um zu verstehen, warum „der Glaube an die Wirklichkeit der Transzendenz unversehens immer wieder in den Glauben an die Wirklichkeit des Glaubens übergeht“ 26. Die Funktion der Religion besteht also nicht in einer ethischen Einbettung autonomer Moral und positiven Rechts in die lebensweltlichen Kontexte dichter Beschreibungen, sondern in der Schärfung und Bearbeitung der Differenz zwischen autonomer säkularer Gesellschaft und Vernunft. Es geht um die Konstitution und Bearbeitung der paradoxen Einheit von Einheit und Differenz, also jener Art von Integration, die säkulare, also ausdifferenzierte, Gesellschaften auf reflexive Weise bilden können. Dieses differenztheoretische Modell von Religion hat nun aber in bedeutungstheoretischer Hinsicht die Konsequenz, dass der Austausch zwischen religiösen und säkularen Semantiken gerade nicht mehr als Verstehensprozess im gewöhnlichen Sinn aufgefasst werden kann. Denn die Bezugnahme auf das, was es zu verstehen gilt, wird hier als interne Konstruktion von Fremdreferentialität konzipiert. Die systemtheoretische und differenztheoretische Analyse von Religion betrachtet Fremdreferentialität als gesteigerte Selbstreferentialität, nicht als übergreifende Kommunikation mit dem anderen. Die Realität des anderen bleibt extern und wird nur als Stimulus zur Steigerung der Komplexität der Selbstreferenz verarbeitet. Ein differenztheoretisches Modell von Religion, wie es sich im Anschluss an Niklas Luhmann formulieren lässt, begreift die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Codes von Moral und Religion gerade als Steigerung der Binnenkomplexität und blendet die individuellen Überzeugungen und Erfahrungen der beteiligten Subjekte systematisch aus. Auf diese Weise konzipiert die systemtheoretische Position Semantiken vornehmlich als Vorrat an Wissen. Wenn allerdings der Ge25 26
Ebd., 315. Ebd., 314.
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halt religiöser wie nicht-religiöser Semantiken als Wissensreservoir verstanden wird, dann bleibt das komplexe Verhältnis zwischen Wissen und Handeln innerhalb eines Bedeutungssystems unterbelichtet. Es fehlt ein angemessener Begriff für die Differenz zwischen impliziter Regelkonformität und dem expliziten Befolgen einer Regel. Dann wird genau jene unvermeidliche Unschärfe in Übersetzungsvorgängen, die Tatsache, dass der Gehalt einer bestimmten Überzeugung immer nur teilweise übertragen und erfasst werden kann, theoretisch nicht adäquat beschrieben. Auch die Differenz zwischen semantischem Inhalt und kognitivem Habitus, die Habermas als notwendiges Merkmal einer an Kant anschließenden Übersetzung religiöser Gehalte in säkulare Vernunftbegriffe herausstellt, kann von einer Bedeutungstheorie nicht vollständig erfasst werden, die semantische Gehalte vorrangig als Ausdruck expliziten Wissens versteht. Die Übersetzung religiöser Vorstellungen in philosophische Begriffe kann Habermas zufolge nicht bedeuten, dass sich das säkulare Wissen die Inhalte des religiösen Glaubens als solche aneignet, sondern ein rationales Äquivalent für die Haltung des Glaubens sucht. Daher darf ein Modell des semantischen Austausches nicht schon von vorneherein auf eine Auffassung verengt werden, die begrifflichen Gehalt vorrangig als Ausdruck von Wissen versteht. Eine Alternative besteht in einer pragmatistischen Theorie der Bedeutung. Denn sie bietet einen Begriff der Übersetzung an, der auf einem bedeutungstheoretischen Modell basiert, das Verstehen nicht vorrangig als Wissensaustausch begreift und die impliziten handlungstheoretischen Voraussetzungen expliziter Bedeutung stärker thematisiert.
3. HABITUALISIERUMG UND NORMATIVITÄT. BEDEUTUNG UND ÜBERSETZUNG IN PRAGMATISTISCHER PERSPEKTIVE Eine Theorie der Übersetzung muss die Voraussetzungen klären, unter denen zu übersetzende Begriffe ihren Gehalt gewinnen. Semantische Theorien versuchen diese Frage zu beantworten, indem sie den Begriff der Wahrheit als fundamental ansehen. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu verstehen, bedeutet nach dieser Auffassung die Bedingungen zu kennen, unter denen er wahr ist. Eine formale Semantik, die eine Theorie der Wahrheitsbedingungen von Sätzen entwickelt, bildet nach diesem Verständnis den Ausgangspunkt und die Grundlage einer umfassenderen Theorie der Bedeutung. Pragmatistische Theorien sehen dagegen den Gebrauch sprachlicher Ausdrücke als fundamental an. Um zu verstehen, wie sprachliche Aus-
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drücke Bedeutung erlangen, müssen die Handlungen untersucht werden, in denen sie gebraucht werden. So kombiniert Robert Brandoms Ansatz infererentielle Semantik mit einer pragmatistischen Bedeutungstheorie. 27 Das Verfügen über einen Begriff bedeutet, sich auf eine bestimmte inferentielle Gliederung eines semantischen Gehalts festzulegen und festlegen zu lassen. Begriffe sind Normen, welche die Korrektheit von Zügen in einem diskursiven Spiel des Gebens und Forderns von Gründen bestimmen. Für eine begriffliche Bezugnahme auf etwas reicht die Fähigkeit, Stimuli klassifizieren und adäquat auf sie reagieren zu können, nicht aus. Begriffe werden inhaltlich bestimmt durch die Position, die sie als mögliche Prämissen oder Konklusionen in einem logisch-semantischen Netz innehaben. Begrifflicher Gehalt ist also primär von der Rolle her zu verstehen, die er im Prozess des Gebens und Nehmens von Gründen spielt und nicht primär als „Repräsentation“ außerbegrifflicher Gehalte. Brandom widerspricht damit einer weit verbreiteten Auffassung, die er als das „repräsentationale Paradigma“28 bezeichnet. Das repräsentationale Paradigma besitzt Brandom zufolge noch heute die Vorherrschaft in der Epistemologie, der Semantik und der Philosophie des Geistes. So zielen die meisten naturalistischen und funktionalistischen Theorien des Geistes darauf, eine allgemeine Theorie des Bewusstseins auf der Basis eines Konzepts der begrifflichen Repräsentation zu entwickeln. Brandom fasst dagegen begriffliche Tätigkeit, den Gebrauch von Begriffen, als Expression, nicht als Repräsentation. Expression ist hier nicht als Beziehung eines inneren Gehalts zum äußerlichen Ausdruck zu verstehen, etwa in Gestalt einer Geste, sondern als Explizitmachen eines Impliziten. Expression meint nicht einen Prozess, in dem etwas Inneres zu etwas Äußerem transformiert wird, wie im Falle des Ausdruckshandelns, sondern eher Explikation, die ausdrückliche Artikulation eines impliziten Regelwissens. Begriffliche Gehalte explizieren Normen der impliziten Korrektheit, das Wissen-wie etwas funktioniert. Begriffe machen einen impliziten Gehalt korrekt ausgeführter Züge in einem diskursiven Spiel des Gebens und Forderns von Gründen explizit. Einen Begriff so zu gebrauchen, dass ihm Bedeutung zukommt, heißt also einer Norm zu folgen. Brandom entlehnt dieses pragmatistische Motiv nicht nur Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung, sondern beruft sich ausdrücklich auch auf Kant. Begriffe sind 27
28
R. B RANDOM , Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus, Frankfurt am Main 2001. Ebd., 17.
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Kant zufolge Regeln des Verstandes; der Verstandesgebrauch, also die Tätigkeit des Urteilens, wird wie Handeln von impliziten Normen geleitet. Jede Bedeutung ist konstituiert durch eine soziale Praxis des Gebens und Einforderns von Gründen. Brandoms Bild der diskursiven Praxis geht von Kommunikationsteilnehmern aus, die sich in ihren Perspektiven unterscheiden, sich dabei jedoch auf objektive Wahrheitsbehauptungen festlegen und einander entsprechende Festlegungen zuschreiben. Kommunikation ist daher bestimmt durch die Gleichzeitigkeit von Verstehen, stellungnehmendem Bewerten und Rechtfertigen. Das Problem der Bedeutungstheorie Brandoms für die hier gesuchte Theorie der Übersetzung besteht darin, dass sie die Explikation begrifflichen Gehaltes – und damit die Möglichkeit seiner Übersetzung – zu stark als Explikation eines impliziten Regelwissens versteht. Gemeinsame Kommunikationspraxis darf aber nicht nur als diskursives Spiel des Gebens und Forderns von Gründen verstanden werden, sondern als ein vorbegriffliches kooperatives Weltverhältnis. Der Gehalt, der durch begriffliche Normen explizit gemacht wird, ist nicht bloß als bisher unartikuliert gebliebenes Wissen zu verstehen. Er wird vielmehr durch Haltungen und praktische Einstellungen gestiftet, die im kooperativen Umgang mit der Welt der Gegenstände und Interaktionspartner generiert werden. 29 Mit einem Blick auf die Klassiker der pragmatistischen Handlungstheorie wie Dewey und Mead können begriffliche Normen eher als Ausdruck von Habitualisierungen verstanden werden, die sich durch praktische Kooperationszusammenhänge, eben in pragmatischen Kontexten bilden.30 Geteilte Normen und Bedeutungen entstehen nach dieser Auffassung durch Habitualisierung, in der Herausbildung gemeinsamer Praktiken und Haltungen. Vor diesem Hintergrund vollzieht sich Übersetzung als ein performatives Geschehen der kooperativen Habitualisierung, nicht durch die Abgleichung von Wissensvorräten. Der expliziten Normierung eines geteilten Verstehens geht eine kooperative Habitualisierung voraus. Übersetzung bedeutet somit nicht die Übertragung des semantischen Gehaltes einzelner Ausdrücke, sondern das Erlernen einer anderen Sprache und ihrer Regeln, die Aus29
30
Vgl. J. R ENN , Übersetzungskultur. Grenzüberschreitung durch Übersetzung als ein Charakteristikum der Moderne, in: Sociologia Internationalis 36 (1998)141-169. Vgl. hierzu die Arbeiten von H. J OAS , Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead, Frankfurt am Main 1980; D ERS ., Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main 1999; DERS., Die Kreativität des Handelns, Frankfurt am Main1996; siehe auch S. SCHÖßLER , Der Neopragmatismus von Hans Joas. Handeln, Glaube und Erfahrung, Berlin 2011.
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druck ihrer impliziten und habituellen Regularitäten sind. Das Verstehen einer fremden Sprache stützt sich unter dieser Voraussetzung nicht auf die in beiden Sprachen vollzogene Bezugnahme auf eine identische Welt von Tatsachen. Stabilität und Konvertibilität der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke beruhen nicht ontologisch auf der Identität der Dinge, sondern auf den Regularitäten des Sprachgebrauchs. Der pragmatische Umgang mit Gegenständen und Interaktionspartnern bildet jenes tertium comparationis, auf das sich der Übersetzungsvorgang beziehen kann. 31 Übersetzung ist somit nicht als Übertragung von Informationen und wissensrelevanten Daten zu verstehen, sondern als Teilen eines Sprachzusammenhanges. Die wechselseitige Partizipation an einem gemeinsamen Sprachspiel ist nur auf der Basis eines kooperativen Interaktionszusammenhanges möglich.32 Diese Gemeinsamkeit wird nicht durch eine Schnittmenge geteilter Bedeutung semantisch definiert, sondern durch Habitualisierungen kooperativen Handelns pragmatisch etabliert. Daher setzt eine gelingende Übersetzung von religiösen Gehalten in säkulare Kontexte eine dauerhafte Kooperation religiöser und säkularer Personen voraus. So werden Überzeugungen auf eine Weise ausgetauscht, die sie weder als bloß äußerliche Stimulanz für Selbstreferentialität noch als störende Interferenz erscheinen lässt. Zugleich wird ersichtlich, dass gelingende Übersetzung nicht vollständige Übereinstimmung und Verschmelzung bedeuten muss. Im pragmatistisch verstandenen Prozess der Übersetzung bleibt Raum für Unbestimmtheit und Fremdheit. Authentische Übersetzung ist möglich, sie führt nicht notwendig zu Austauschbarkeit im Sinne von Beliebigkeit. Auf diese Weise wird auch der von Habermas dargelegten Rollenerwartung an die Philosophie als Übersetzerin religiöser Überzeugungen und Inhalte Rechnung getragen. Eine pragmatistische Bedeutungstheorie erläutert, wie die von Habermas geforderte kooperative Übersetzung in gemeinsamen Erfahrungen und ihrer normativen Habitualisierung wurzelt. Säkulare Vernunft und religiöser Glaube können auch als Kooperationspartner unter gleichen praktischen Normen jene inhaltliche Differenz wahren, die eine Differenztheorie religiöser Semantik postuliert. Unter dieser Bedingung kann die säkulare Vernunft das Anregungspotential der Religion zugleich gefahrlos in31
32
Vgl. J. R ENN , Übersetzungsverhältnisse – Perspektiven einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie, Weilerswist 2006. Vgl. C.M. GÓMEZ R INCÓN, Interculturality, Rationality and Dialogue. In Search for Intercultural Argumentative Criteria for Latin America, Würzburg 2012 (im Erscheinen).
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tegrieren. Dem „kognitiven Habitus des Gläubigen“ liegt nämlich ein praktischer Habitus zugrunde, der sich in der sozialen Dimension des kooperativen Handelns bildet. Unter dieser interaktionstheoretischen Voraussetzung lässt sich eine pragmatistische Theorie der Bedeutung entwickeln, die Übersetzung nicht auf die Übertragung von Wissensinhalten reduziert. Denn bei der philosophischen Übersetzung religiöser Gehalte geht es in der Tat nicht in erster Linie darum, „religiöse Inhalte begrifflich ein[zu]holen, sondern den pragmatischen Sinn des religiösen Glaubensmodus als solchen“33 in die Vernunft zu integrieren. Ein pragmatistisches Modell der Übersetzung ermöglicht so kooperativen Austausch ohne vollständige semantische Austauschbarkeit.
Literatur BRANDOM, ROBERT, Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus, Frankfurt am Main 2001. GÓMEZ RINCÓN, CARLOS MIGUEL, Interculturality, Rationality and Dialogue. In Search for Intercultural Argumentative Criteria for Latin America, Würzburg 2012 (im Erscheinen). HABERMAS, JÜRGEN, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt am Main 2001. —, Die Zukunft der menschlichen Natur: auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt am Main 2001. —, Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den ‚öffentlichen Vernunftgebrauch‘ religiöser und säkularer Bürger, in: Ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005, 119-154. —, Die Grenze zwischen Glauben und Wissen. Zur Wirkungsgeschichte und aktuellen Bedeutung von Kants Religionsphilosophie, in: Ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005, 216-257. JOAS, HANS, Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead, Frankfurt am Main 1980. —, Die Kreativität des Handelns, Frankfurt am Main 1996. —, Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main 1999. LUHMANN, NIKLAS, Die Ausdifferenzierung der Religion, in: Ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 3, Frankfurt am Main 1993, 259-357. 33
H ABERMAS , Die Grenzen zwischen Glauben und Wissen, 230.
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RENN, JOACHIM, Übersetzungskultur. Grenzüberschreitung durch Übersetzung als ein Charakteristikum der Moderne, in: Sociologia Internationalis 36 (1998) 141-169. —, Übersetzungsverhältnisse – Perspektiven einer pragmatistischen Gesellschaftstheorie, Weilerswist 2006. SCHÖßLER, SABINE, Der Neopragmatismus von Hans Joas. Handeln, Glaube und Erfahrung, Berlin 2011.
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Jesus Christus und die Religionen. Zur Religionstheologie von Jacques Dupuis SJ Wie Christen ihr Verhältnis zu den vielen anderen Religionen in der Welt denken sollen, ist eine der brennendsten Fragen, die die gegenwärtige christliche Theologie bewegt. Sie ist Thema der sogenannten Religionstheologie. Aufgrund der fortschreitenden Entwicklung der Verkehrs- und Kommunikationsmittel in den letzten zwei Jahrhunderten stehen die anderen Religionen heute direkt an unserer Türschwelle, und wir werden uns der historischen Relativität der verschiedenen Religionen und damit auch unserer eigenen zunehmend bewusst. Wir können daher theologisch nicht mehr so tun, als gingen die anderen religiösen Traditionen uns nichts an, als seien sie gegenüber dem christlichen Glauben etwas vernachlässigbar Vorläufiges oder rein menschliche Versuche der Annäherung an Gott. Vielmehr müssen wir im Kontext der fortschreitenden Vernetzung der gesamten Menschheit die anderen Religionen nicht nur besser verstehen lernen, sondern auch lernen, uns ihnen gegenüber als Christen neu zu positionieren, und zwar voraussichtlich auf eine Weise zu positionieren, die auch zum Überdenken von Aspekten der eigenen christlichen Identität führen wird. Wir werden insbesondere erkennen müssen, dass die nichtchristlichen Religionen eine weitaus positivere Rolle in der von Gott gewollten Heilsgeschichte spielen, als die christliche Tradition sich das bisher vorgestellt hatte. Es haben sich in der Religionstheologie seit den 80er Jahren drei Grundtypen von Antwort auf die Frage nach dem Stellenwert der anderen Religionen für die christliche Religion herauskristallisiert. Sie werden durch die Begriffe Exklusivismus, Pluralismus und Inklusivismus bezeichnet, die insbesondere auf den Theologen Gavin D’Costa zurückgehen. 1 Der Exklusivismus geht davon aus, dass der christliche Glaube das einzige Heilsangebot Gottes ist, und lehnt die Idee einer 1
G. D’C OSTA , Theology and Religious Pluralism. The Challenge of other Religions, New York 1986. Vgl. A. R ACE , Christians and Religious Pluralism. Patterns in the Christian Theology of Religions, London 1983.
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heilsvermittelnden Funktion anderer religiöser Traditionen strikt ab, schließt aber in seiner gemäßigten Fassung die individuelle Heilsmöglichkeit von Nichtchristen (bzw. Nichtkatholiken, Nichtprotestanten usw., je nach Standpunkt) nicht aus. Auch für den Inklusivismus ist der christliche Glaube das einzige vollkommene Heilsangebot Gottes, im Gegensatz zum Exklusivismus gesteht der Inklusivismus aber auch anderen Religionen Offenbarungscharakter und heilsvermittelnde Wirkung zu. Der religionstheologische Pluralismus schließlich behauptet, dass entweder alle Religionen (radikaler Pluralismus) oder zumindest mehrere oder viele Religionen (gemäßigter Pluralismus) als prinzipiell gleichrangig anzusehen sind, dass also alle oder mehrere Religionen gleichen Offenbarungscharakter haben bzw. gleich heilsvermittelnd sind. 2 Die Leitfrage des vorliegenden Bandes „Sind Religionen austauschbar?“ ist dabei im Grunde genommen die Frage, ob der Pluralismus, dessen prominentester Vertreter der Theologe John Hick ist, 3 Recht hat. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich denke nicht, dass dies der Fall ist. Sicherlich führt kein Weg zurück zu einer exklusivistischen Position, wie er für die katholische Kirche in ihren lehramtlichen Positionen bis zum II. Vatikanischen Konzil kennzeichnend war. Es führt m.E. aber auch kein Weg an der für den Pluralismus inakzeptablen Position vorbei, dass aus christlicher Sicht mit Jesus Christus die Fülle der Offenbarung und des Heils gegeben ist. Allerdings muss, und daran erinnern uns die Pluralisten zu Recht, zugleich der Positivität der Pluralität der Religionen angemessen Rechnung getragen werden. Ein in meinen Augen bemerkenswerter Ansatz, der all diese Forderungen einlöst, ist die Religionstheologie von Jacques Dupuis SJ. Sie stellt gewissermaßen den Versuch dar, die Öffnung auf die anderen Religionen hin, wie sie vor allem in der Enzyklika Redemptoris missio von Papst Johannes Paul II. zum Ausdruck kommt, theologisch weiterzudenken. Dabei nimmt Dupuis eine Art Zwischenposition zwischen Inklusivismus und Pluralismus ein und nennt sich dementsprechend gern einen „inklusivistischen Pluralisten“. Sein Ansatz neigt jedoch insofern dezidiert der inklusivistischen Seite zu, als auch er daran festhält, dass sich in Jesus Christus Gott auf eine jede andere Religion überbietende Weise offenbart hat. Vor etwa einem Jahrzehnt erregte Dupuis viel Aufsehen, weil das Lehramt auf ihn aufmerksam geworden war und die Erklärung Domi2
3
Vgl. ausführlich P. SCHMIDT -LEUKEL , Theologie der Religionen. Probleme, Optionen, Argumente, Neuried 1997. Zu den drei Grundtypen s.a. unten 198ff. Vgl. vor allem J. HICK, God and the Universe of Faiths, Oxford 1973 (dt.: Gott und seine vielen Namen, Frankfurt a.M. 2001).
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nus Jesus vom Jahre 2000 nicht nur den Pluralismus ablehnend ins Visier nahm, sondern auch gegen Aspekte der Religionstheologie von Jacques Dupuis gerichtet war. 4 Zudem wurde über Dominus Jesus hinaus von der Glaubenskongregation eine „Notifikation“ herausgegeben, die in recht scharfem Ton in verschiedenen Punkten gegen Dupuis Stellung nimmt. 5 Ungeachtet dessen, dass es für die theologische Auseinandersetzung nicht förderlich ist, wenn sie, kaum richtig entfacht, vom Lehramt schon wieder in enge und in diesem Fall sicher zu enge Grenzen gewiesen wird, so dass die Theologie keine Chance bekommt, im offenen und freien Disput die jeweils möglichen Positionen erst einmal richtig auszuloten, 6 traf diese Notifikation Dupuis nicht zuletzt wegen des darin herrschenden Tonfalls hart. Er hatte sich den Aufruf von Papst Johannes Paul II. bei einer Ansprache 1979 an der Gregoriana zu Herzen genommen: „Haben Sie den Mut, in aller Besonnenheit neue Wege zu gehen“. 7 Die Reaktion der Glaubenskongregation auf seine neuen Wege war bestürzend für ihn. Wie wir wissen, akzeptierte Dupuis die ihm vorgelegte Notifikation schließlich und verpflichtete sich mit seiner Unterschrift, den Ausführungen der Glaubenskongregation zuzustimmen und sich in seinem künftigen theologischen Wirken und in seinen Veröffentlichungen an die in der Notifikation enthaltenen lehrmäßigen Punkte zu halten. Dennoch denke ich, dass die Auseinandersetzung mit seiner Religionstheologie damit nicht beendet ist. Weil die Materie systematisch-theologisch noch nicht einmal ansatzweise bewältigt ist, sollte man es vielmehr zumindest im Sinn eines Gedankenexperiments wagen, Dupuis’ Ansatz in seinem Grundanliegen noch einmal aufzugreifen und in wichtigen Einzelpunkten zu vertiefen. 4
5
6
7
Erklärung Dominus Jesus: Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche [fortan = DJ]: Kongregation für die Glaubenslehre, 6. Aug. 2000, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148), Bonn 2000. Notifikation bezüglich des Buches von Jacques Dupuis „Verso una teologia cristiana del pluralismo religioso“ [fortan = Notif.]: Kongregation für die Glaubenslehre, Rom 24. Jan. 2001; abrufbar unter: http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010124_dupuis_ge.html; auch in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 155-159. Siehe auch ebd., 160-166, den „Kommentar zur Notifikation in Bezug auf das Buch von J. Dupuis ‚Verso una teologia cristiana del pluralismo religioso‘“. Vgl. die Kritik von Kardinal Franz König: Zur Verteidigung von Pater Dupuis, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 167-170. Vgl. J. D UPUIS, „Die Wahrheit wird euch frei machen“: Die Theologie des religiösen Pluralismus – noch einmal betrachtet, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 12-64, hier 14.
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Ich konzentriere mich im Folgenden auf die für Dupuis’ Ansatz 8 und für die christliche Religionstheologie überhaupt entscheidende Frage nach der Bedeutung Jesu Christi für das Verhältnis des christlichen Glaubens zu den anderen Religionen. Ulrich Winkler nennt die Christologie treffend die „Nagelprobe jeder Religionstheologie“9, und insbesondere in Fragen zur Christologie ist es zu Spannungen mit dem Lehramt gekommen. Mit drei zentralen Aspekten von Dupuis’ religionstheologischer Christologie werde ich mich auseinandersetzen: 1) das Verhältnis von Christusereignis und universaler Heilsgeschichte, 2) die Frage, ob und wie das Wort Gottes in den nichtchristlichen Religionen wirksam ist, 3) die Frage nach den Konsequenzen der Endlichkeit der Menschheit Jesu für das Verhältnis zu den anderen Religionen. Ich gestalte mein Gedankenexperiment dabei so, dass ich Dupuis’ religionstheologische Christologie in allen drei genannten Aspekten prinzipiell für zustimmungsfähig halte, sie aber an ihren neuralgischen Punkten zugleich durch ein paar begriffliche Unterscheidungen und argumentative Ergänzungen zu präzisieren versuche.
1. HEILSGESCHICHTLICHER UNIVERSALISMUS UND CHRISTUSEREIGNIS Da Dupuis’ Ansatz stark geschichtstheologisch geprägt ist, wende ich mich zunächst der Frage nach dem Verhältnis von Christusereignis und dem Status nichtchristlicher Religionen in der Heilsgeschichte 8
9
Jacques Dupuis hat seine Religionstheologie in verschiedenen Veröffentlichungen, allem voran aber in zwei Monographien dargestellt, auf die ich mich vor allem beziehen werde. Es handelt sich um die Werke „Toward a Christian Theology of Religious Pluralism“, Maryknoll 1997 (fortan = TRP, gleichzeitig erschienen auch in it. und frz. Ausgabe) und „Cristianesimo e le religioni. Dallo scontro all’incontro“, Brescia 2001 bzw. auf Englisch „Christianity and the Religions: From Confrontation to Dialogue“, Maryknoll 2002 (fortan = CR mit Seitenangaben nach der englischen Ausgabe). Ich beziehe mich weiter auf verschiedene Aufsätze von Dupuis. Es ist nebenbei bemerkt nach wie vor bedauerlich und etwas beschämend für die deutschsprachige Theologie, dass diese in viele Sprachen übersetzten Hauptwerke Dupuis’ immer noch nicht auf Deutsch vorliegen. Dankenswerterweise aber hat Ulrich Winkler eine Reihe von wichtigen Aufsätzen von Jacques Dupuis in deutscher Übersetzung in einem Band der „Salzburger Theologische Zeitschrift“ herausgegeben: U. WINKLER (Hg.), Ein Testament katholischer Religionstheologie: Jacques Dupuis: Gesammelte Aufsätze aus den letzten Lebensjahren 1999-2004. Aus dem Engl. u. Franz. übersetzt von C. Hackbarth-Johnson: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006). U. W INKLER, Jacques Dupuis’ Vermächtnis einer katholischen Religionstheologie – Editorial, in: Ders. (Hg.), Ein Testament katholischer Religionstheologie, 1-8, hier 6.
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zu. Welche Rolle spielen die anderen Religionen in Gottes Heilsplan, das heißt, welche Rolle kommt diesen Religionen mit Blick auf das Heil der Menschen zu? Haben sie eine von Gott gewollte Heilsbedeutung? Sind es Heilswege neben dem christlichen Heilsweg, die von Gott als solche eingesetzt wurden, bzw. ist die Pluralität der Religionen von Gott gewollt, und zwar nicht nur als etwas Vorübergehendes, sondern als prinzipiell legitime Pluralität? Wir müssen mit Franz Königs Worten neu „versuchen zu begreifen, was die Pläne Gottes für die unterschiedlichen Religionen sind“10.
1.1 Daniélous „Theorie der Vollendung“ Grundsätzlich grenzt sich Dupuis vom ebenfalls stark heilsgeschichtlich orientierten Ansatz des französischen Theologen Jean Daniélou ab, der einen gemäßigten Exklusivismus bzw. in Sachen Religionen eine von Dupuis so genannte „Theorie der Vollendung“ vertritt, wie sie in etwa auch bei Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar vorliegt. 11 Daniélous Exklusivismus gründet in der Überzeugung, dass die Heilsgeschichte sich auf die jüdisch-christliche Tradition beschränkt. Sie beginnt mit der Offenbarung Gottes an Israel durch Abraham und Mose, geht weiter durch die Geschichte des jüdischen Volkes hindurch und gipfelt in Gottes Offenbarung in Jesus Christus. Religionen und religiöse Erfahrung außerhalb dieser Tradition aber können nur als eine aus dem Offenbarungsgeschehen herausfallende Vorgeschichte des Heils angesehen werden. Dabei ordnet Daniélou dieser Unterscheidung zwei Bünde zu, die Gott mit den Menschen eingegangen ist: einen kosmischen Bund, der dem Bund mit Noah in Gen 9 entspricht, 12 und einen historischen Bund, das ist der heilsgeschichtliche Bund von Abraham bis hin zum Neuen Bund in Jesus Christus. Auch die Menschen, die unter dem kosmischen Bund gelebt haben, waren Gott angenehm. Als Beispiel verweist Daniélou auf den in Hebr 11 angeführten Glauben der Urväter, die noch vor dem historischen Bund gelebt haben. Es kann also durchaus viele einzelne Individuen geben, die zu diesem Bund gehört und die Heil erlangt haben. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Religionen, die unter dem Zeichen dieses Bundes stehen, für Daniélou keinerlei Element einer
10 11 12
K ÖNIG, Zur Verteidigung , 170. “Fulfillment theory”, vgl. etwa TRP 133-143. J. D ANIELOU , Essai sur le mystère de l’histoire, Paris 1953, 24.
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übernatürlichen Offenbarung enthalten und auch in keinerlei Weise das Heil vermitteln. Während der jüdisch-christlichen Offenbarung der übernatürliche Glaube entspricht, sind die anderen Religionen nichts als ein Ausdruck der natürlichen Vernunft des Menschen. 13 Die natürlichen Religionen nehmen zwar immer wieder Aspekte der jüdisch-christlichen Offenbarung vorweg, finden aber in der jüdischchristlichen Offenbarung in dem Sinn ihre Vollendung, dass es sich um den geschichtlich überholten Versuch eines rein menschlichen Sichausstreckens nach Gott handelt. 14 Der christliche Glaube hingegen versteht sich so, dass nicht der Mensch sich zu Gott erhebt, sondern dass Gott sich dem Menschen zuwendet, den Menschen mit einer göttlichen Kraft ausstattet, die ihn übersteigt. Das Christentum ist nicht eine Bewegung des Menschen auf Gott hin, sondern die durch die Inkarnation Jesu Christi gesetzte Bewegung Gottes zu dem Menschen. 15
1.2 Heilsgeschichte = Weltgeschichte Auch für Dupuis bildet das Christusereignis das unabdingbare Zentrum der Heilsgeschichte. Man kann, und das bezeugt seine grundsätzlich inklusivistische Einstellung, die neutestamentlichen Einzigartigkeitszuschreibungen des Christusereignisses nicht einfach relativieren: Jesus ist der Weg (Joh 14,6), der „einzige Mittler“ (1 Tim 2,5), der einzige „Name“ (Apg 4,12).16 Geschichtstheologisch gesehen ist Christus damit für Dupuis notwendig und in Anlehnung an Gaudium et spes die Mitte und das Ziel der Geschichte.17 Er ist die Mitte, denn er nimmt das Ziel, die Wirklichkeit des Reiches Gottes, im Sinn der hypostatischen Union auf eine Weise vorweg, wie es in keiner anderen Religion geschehen ist. Hypostatische Union bedeutet, dass sich in Jesus Christus und nur in ihm Gott in seiner ganzen Fülle offenbart hat. Die Of13
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Daniélou nennt zwar auch den kosmischen Bund gelegentlich einen übernatürlichen Bund, aber Gott teilt sich den Menschen in diesem Bund nicht in seiner übernatürlichen Wirklichkeit selbst mit, sondern ist darin nur durch die Natur hindurch für die menschliche Vernunft erschließbar. Vgl. A. SPARKS , The Fulfilment Theology of Jean Daniélou, Karl Rahner and Jacques Dupuis, in: New Blackfriars 89 (2008) 633-656. D ANIELOU , Essai sur le mystère, 116. Ebd., 113. TRP 437. Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes [fortan = GS], Nr. 10.
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fenbarung in Jesus Christus versteht Dupuis mit Dei Verbum als uneinholbar und unüberbietbar. 18 Jesus ist also entgegen John Hick nicht nur ein Religionsstifter unter anderen, der vielleicht inspirierter war als andere, aber höchstens graduell.19 Dupuis unterscheidet klar zwischen Jesus Christus, in dem allein Gott wahrhaft Mensch geworden ist, und anderen Religionsstiftern, die aus christlicher Sicht sehr wohl als von Gott erleuchtet und inspiriert angesehen werden können, die aber keine Inkarnationen im dogmatischen Sinn sein können. 20 Im Gegensatz zu Daniélous “fulfillment theory” geht Dupuis allerdings zugleich vom geschichtstheologischen Prinzip aus, wonach die Heilsgeschichte mit der Weltgeschichte insgesamt identisch bzw. mit ihr koextensiv ist. 21 Sie beschränkt sich also nicht auf den jüdischchristlichen Bereich, Gott hat sich nicht nur in der jüdisch-christlichen Geschichte den Menschen offenbart: Die gesamte Weltgeschichte ist von Anfang an und die ganze Zeit über die Geschichte Gottes mit den Menschen gewesen. 22 Wie für die Verfechter eines religionstheologischen Pluralismus ist es auch für Dupuis die Aussage von 1 Tim 2,4, wonach Gott das Heil aller Menschen will, die uns theologisch zu dieser Auffassung nötigt. Gottes allgemeiner Heilswille kann nicht als eine Art bloßer Wunsch Gottes gedeutet werden – wie auch die Enzyklika Redemptoris missio hervorhebt 23 –, sondern er muss so verstanden werden, dass Gott sich allen Menschen zu allen Zeiten mitgeteilt, also offenbart hat, und dass er ihnen damit zu allen Zeiten das Heil tatsächlich angeboten hat. Hat er sich aber schon immer und überall den
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Vgl. Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum [fortan = DV], Nr. 4. J. H ICK , The Metaphor of God Incarnate. Christology in a Pluralistic Age, London 1993, 109. Vgl. J. D UPUIS , Le pluralisme religieux dans le plan divin du salut, in: Revue théologique de Louvain 29 (1998) 484-505, hier 498. TRP 217. Schon Karl Rahner hat – auf dem Hintergrund seines Verständnisses einer transzendentalen zusätzlich zu einer kategorialen Offenbarung – die Idee einer mit der Weltgeschichte koextensiven allgemeinen Heilsgeschichte formuliert („Weltgeschichte und Heilsgeschichte“, in: Schriften zur Theologie, Bd. 5, Einsiedeln 2 1964, 115-135, insbesondere 121-125; vgl. TRP 217, 331-332) und zu verstehen gegeben, „dass vom christlichen Verständnis des allgemeinen Heilswillens Gottes und des Wesens der übernatürlichen Gnade her ein viel positiveres Verständnis auch der ausdrücklichen reflex und sozial verfassten allgemeinen Religionsgeschichte möglich wäre“ (ebd., 125). Enzyklika Redemptoris Missio: Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages [fortan = RM], hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 100), Bonn 1990, Nr. 9.
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Menschen mitgeteilt, dann kann man nicht zwischen einer natürlichen Geschichte der Menschheit im Allgemeinen und einer übernatürlichen einzig der Juden und Christen unterscheiden, sondern – das ist der Grundsatz von Dupuis’ Religionstheologie – man muss davon ausgehen, dass die gesamte Menschheitsgeschichte immer schon übernatürlichen Charakter hat. 24 Dupuis präzisiert seinen heilsgeschichtlichen Ansatz wie Daniélou mit Blick auf den Bundesbegriff. 25 In der Heiligen Schrift ist das Verhältnis Gottes zu den Menschen durch verschiedene Bünde geprägt. Neben dem Bund aber, den Gott mit Mose schließt, und dem Neuen Bund, der von Jer 31,31-34 prophezeit wird und im Neuen Testament im Christusereignis Wirklichkeit wird, ist in der Bibel zumindest von noch einem anderen Bund die Rede: dem bereits von Daniélou erwähnten Bund mit Noah (Gen 17,1-14). 26 Es handelt sich um einen Bund mit der gesamten Menschheit, ja sogar mit allen Lebewesen, „mit allen Wesen aus Fleisch auf der Erde“, wie es in Gen 9,16 heißt. Ein Bund im biblischen Sinn aber ist immer etwas, das der freien Initiative Gottes entspringt: Gott teilt sich von sich aus den Menschen mit, indem er ein persönliches Verhältnis mit ihnen eingeht. Jeder Bund ist somit Ausdruck einer Offenbarung von Seiten Gottes. Auch der Bund mit Noah ist im Gegensatz zu Daniélou eine authentische Zuwendung Gottes zu den Menschen, die auf Gottes Gnade beruht. 27 Alle heidnischen Völker leben in einem Bund mit Gott, bzw. der Bund mit Noah zeigt, dass Gott der Gott aller Völker ist. 28 Und es ist davon auszugehen, dass eine große Zahl der Menschen, die unter diesem Bund leben, dem wahren Gott in einer authentischen Gotteser-
24 25 26
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TRP 217. TRP 323-227. TRP 224. Man kann sogar noch von einem vierten Bund reden, dem Bund mit der ganzen Menschheit durch die Schöpfung Adams. Obwohl die Schöpfungserzählung selbst die Schöpfung Adams nicht als einen Bund bezeichnet, zeugt sie doch von einem engen personalen Verhältnis des Schöpfers zu Adam. Zudem ist in Sir 17,2 die Rede von einem ewigen Bund, den Gott mit Adam und Eva geschlossen hat, sowie in Jer 33,20-26 und Ps 89 von einem kosmischen Bund, der mit der Schöpfung selbst gesetzt ist. Auch Irenäus z.B. unterscheidet in der Schrift vier verschiedene Arten von Bund: „Und deshalb wurden der Menschheit vier umfassende Bünde gegeben. Einer vor der Sintflut zur Zeit Adams; ein zweiter nach der Sintflut zur Zeit des Noah; der dritte aber, die Gesetzgebung, unter Mose; der vierte schließlich, der den Menschen erneuert und alles in sich zusammenfasst […]“ (Adversus Haereses III 11,8 [FC 8/3: 115; Übersetzung N. Brox]; TRP 225f.). TRP 225. Ebd.
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fahrung begegnet sind bzw. – das lässt sich nicht voneinander trennen – das Heil erlangt haben. 29
1.3 Pluralität der Heilswege Form nimmt diese allgemeine Heilsgeschichte aber insbesondere in den verschiedenen Religionen an, das heißt, die verschiedenen religiösen Traditionen sind, weil sich Gott in ihnen tatsächlich offenbart hat bzw. weil Gott sich auch in den anderen Religionen von sich aus den Menschen zugewandt hat, von Gott gewollte Heilswege, 30 bzw. Gott vermittelt auch durch sie hindurch das Heil. 31 Dabei erlangen die Menschen in diesen Religionen nicht trotz sondern wegen ihrer Religion das Heil. 32 Das heißt, es gibt eine gottgewollte Pluralität von Heilswegen, die in ihrer Pluralität auch nach Christus berechtigt ist und damit nicht als ein vorläufiger Zustand der Menschheit angesehen werden kann. Von daher sind die nichtchristlichen Religionen als fester positiver Bestandteil des einen göttlichen Heilsplans für die Menschheit anzusehen. 33 Die Notifikation von 2001 reagiert auf diesen Ansatz etwas rundumschlagartig mit der Aussage: „Die katholische Theologie bietet […] keinerlei Anhaltspunkt dafür, diese Religionen als solche als Heilswege zu betrachten.“ 34 Diese Aussage erstaunt insofern, als die Internationale Theologische Kommission „Christentum und Weltreligionen“ 1997 zu der vorsichtigen Aussage gelangt war, es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass sie (die anderen Religionen; J.D.) als solche 29
30 31 32 33
34
Vgl. TRP 217-218, 236. Die Simultaneität von Offenbarung und Heilswirksamkeit betrachtet Dupuis als biblisch begründet. Vgl. D ERS ., Die Wahrheit wird euch frei machen, 34. TRP 305, 332. TRP 328-333. TRP 305. TRP 310. Schillebeeckx hat das Verständnis von Heilsgeschichte über die Geschichte der Religionen hinaus auf die gesamte Profangeschichte ausgeweitet, ja Heilsgeschichte als etwas bezeichnet, was sich „zuallererst in der weltlichen Wirklichkeit der Geschichte“ abspielt (E. SCHILLEBEECKX , Menschen. Die Geschichte von Gott, Freiburg i.Br. 1990, 34f.). Für Dupuis’ religionstheologischen Ansatz spielt diese noch umfassendere Perspektive keine Rolle. Y. LABBÉ , La théologie des religions entre création et révélation: Jacques Dupuis et Christoph Theobald, in: Nouvelle Revue de Théologie 125 (2004) 106-129, hier 122, bemängelt dies. Doch würde es m.E. keine Schwierigkeiten bereiten, es so zu verstehen, dass Gott für den Areligiösen das Heil durch die objektiven Werte hindurch vermittelt, die er zu verwirklichen versucht. Notif. 8.
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eine gewisse Heilsfunktion ausüben“35. Dass auch die anderen Religionen von Gott gewollte Heilswege sind, wird mit dem Ausdruck religiöser Pluralismus „de jure“ statt „de facto“ belegt. „De jure“ heißt: Die Pluralität der Religionen bildet eine legitime, weil von Gott gewollte Pluralität. Der Ausdruck „Pluralismus de jure“ ist dabei vielleicht nicht besonders glücklich gewählt – Dupuis spricht oft von einem „prinzipiellen“ religiösen Pluralismus und meint damit dasselbe. 36 Auch die Bezeichnungen „Pluralismus de jure“ oder „prinzipieller Pluralismus“ werden von Dominus Jesus ausdrücklich beanstandet. 37 Es sprechen allerdings zumindest zwei Gründe für einen prinzipiellen Pluralismus. Der erste Grund ist die Analogie, die nach Dupuis zwischen dem Verhältnis Christentum-andere Religionen und KircheIsrael besteht. Johannes Paul II., der sich, wie bekannt, für die Neuorientierung des katholischen Verständnisses, was das Verhältnis von Kirche und Israel angeht, sehr eingesetzt hat, hatte zu verschiedenen Anlässen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er den Bund mit Mose durch den Neuen Bund in Jesus als nicht aufgehoben ansieht. 38 Der Alte Bund hört mit dem Neuen nicht auf, sondern gemäß Röm 11,29 sind die Gnade und die Berufung unwiderruflich. Damit bleibt, so Dupuis, die Dualität von Kirche und Israel bis ans Ende der Zeiten bestehen – bzw. bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben, wie es in Röm 11,25 heißt. Und damit ist der Bund mit Mose auch heute noch als Heilsweg anzusehen. Analog dazu aber hat Gott auch andere Religionen neben dem Christentum als eigenständig weiterexistierend und auch heilsvermittelnd gewollt. 39 Begründet wird diese Analogie zum Verhältnis Kirche-Israel damit, dass alle Bünde, die Gott mit den Menschen eingeht, als ewige Bünde anzusehen sind: So wenig der Bund mit Mose durch den Neuen Bund aufgeho-
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36 37
38
39
Das Christentum und die Religionen: Internationale Theologenkommission, 30. Sept. 1996, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 136), Bonn 1997, § 86. CR 254. DJ 4. Allerdings trifft diese Kritik Dupuis wohl nicht wirklich, denn in dieser Erklärung wird der Pluralismus de jure mit einer „relativistischen Theorie“ gleichgesetzt, was Dupuis’ Ansatz ja offensichtlich nicht ist. Vgl. TRP 228. Dupuis knüpft auch an Geffré an. Vgl. C. GEFFRÉ , La singularité du christianisme à l’âge du pluralisme religieux, in: J. Doré/C. Theobald (Hg.), Penser la foi: recherches en théologie aujourd’hui. Mélanges offerts à Joseph Moingt, Paris 1993, 351-369, hier 359-364. TRP 228-233. Vgl. dieselbe Analogie in K. R AHNER , Das Christentum und die nichtchristlichen Religionen, in: Schriften zur Theologie, Bd. 5, Zürich 2 1964, 136-158, hier 147-154.
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ben ist, so wenig ist auch der Bund mit Noah aufgehoben; so wenig Gott seinen Bund mit Mose bereut, so wenig bereut er den mit Noah. 40 Der zweite Grund für einen prinzipiellen Pluralismus, der etwas längerer Ausführungen bedarf, ist eine Konsequenz aus der Annahme des universalen Heilswillens Gottes, wie er in 1 Tim 2,4 zum Ausdruck kommt. Schon Karl Rahner hatte darauf hingewiesen, dass der Heilswille Gottes sich auch vor der jüdisch-christlichen Offenbarung sinnvoll nur in den zu dieser Zeit existierenden Religionen gezeigt haben kann. Man muss zunächst den ungeheuren Zeitraum bedenken, der paläoanthropologisch gesehen zwischen den ersten Menschen und der mit der alttestamentlichen Zeit beginnenden Offenbarung liegt: nach neusten Erkenntnissen ca. 100.000 bis 200.000 Jahre. Sollen wir davon ausgehen, dass es in dieser ganzen Zeit keinerlei objektiv erkennbaren Heilsweg gab? Rahner ist der Auffassung, „[…] dass in einer Theologie der Heilsgeschichte, die den universalen Heilswillen Gottes ernst nimmt und dabei an den ungeheuren zeitlichen Abstand zwischen ‚Adam‘ und der alttestamentlichen Offenbarung von Moses denkt, die ganze Zwischenzeit zwischen beiden Punkten […] nicht von göttlicher Offenbarung leer gedacht werden kann. Diese aber wäre nicht einfach schlechthin getrennt von aller Geschichte der konkreten Religionen. Denn denkt man sich diese alle einmal einfach weg, dann lässt sich überhaupt nicht mehr sagen, wo denn Gott mit seiner Heils- und Offenbarungsgeschichte in der Welt noch zu finden ist.“ 41 Dies gilt jedoch sinnvollerweise nicht nur für die Menschen vor der Menschwerdung, sondern auch für alle Menschen nach Jesus Christus, die in keinem Kontakt mit der jüdisch-christlichen Heilsvermittlung standen und stehen. Wie soll man sich eine für die Menschen fassbare Konkretisierung von Gottes Heilsangebot außerhalb der jüdisch-christlichen Offenbarung vorstellen, ohne an die Objektivierungen der unterschiedlichen Religionen zu denken? Rahner äußert sich zur Notwendigkeit einer Konkretisierung mit folgenden Worten: „Bei der Einheit der Dimensionen des menschlichen Daseins und bei der Berufenheit des ganzen 40
41
TRP 233. Vgl. D UPUIS , Le pluralisme religieux, 491. LABBÉ , La théologie des religions, 122, kritisiert die Gleichstellung des Bundes mit Noah mit dem mit Mose, was deren Ewigkeit betrifft, weil dadurch die Einzigartigkeit der Verbindung von Kirche und Israel in Frage gestellt würde. Diese Einzigartigkeit aber sollte m.E. gerade nicht an der Unaufhebbarkeit dieser Bünde festgemacht werden. Und wie soll man biblisch belegen, dass nur der Bund mit Mose und der Neue Bund ewig sind? K. R AHNER , Jesus Christus in den nichtchristlichen Religionen, in: Schriften zur Theologie, Bd.12, Zürich 1975, 370-383, hier 373-374.
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Menschen zum Heil, bei der inneren Dynamik der Gnade, sich in allen Dimensionen der Menschheit heilend und heiligend und vergöttlichend auszuwirken, ist überdies zu erwarten, dass immer und überall, wenn auch in verschiedener Stärke und mit verschiedenem Erfolg, diese vergöttlichte Grundbefindlichkeit des Menschen (hier spezifisch im Sinn Rahners das übernatürliche Existential; J.D.) sich zu thematisieren sucht […], sich zu objektivieren sucht in ausdrücklichen religiösen Aussagen, in Kult, in religiösen Vergesellschaftungen […]“42. Diese Andeutungen Rahners greift Dupuis auf: Die universal gegenwärtige Heilsgeschichte muss konkret verkörpert sein in der Menschheitsgeschichte, und dies geschieht durch die verschiedenen Religionen hindurch.43 Dupuis betont, dass es keinen Sinn macht, von einer Heilswirksamkeit in Andersgläubigen auf der Ebene ihres rein subjektiven religiösen Lebens auszugehen, also im Sinn rein individueller Gnadengaben, während die Religion dieser Menschen mit ihren objektivierenden Vorstellungen und Riten keinerlei heilswirksame Bedeutung haben soll. Die menschliche Existenz ist grundsätzlich historisch geprägt, das heißt, der Mensch existiert nie als eine isolierte Monade,44 sondern in einer menschlichen Gesellschaft und Kultur, die ihn mit ihren objektiven Inhalten in allem bestimmt, was er tut, empfindet und denkt, das heißt auch in seinem inneren religiösen Leben. Subjektives religiöses Leben und objektive Religion können nicht voneinander getrennt werden, sie greifen stets ineinander. 45 Wenn Menschen anderer Religionen von Gott das Heil angeboten bekommen, geschieht dies zwangsläufig durch die Vermittlung dieser Religionen hindurch, also durch deren Vorstellungen und Praktiken.46 Das heißt: es ist davon auszugehen, dass die anderen Religionen in ihren objektiven Inhalten zur „Sichtbarkeit“ der Heilswirksamkeit Christi beitragen. 47 Die ernsthafte religiöse Praxis ihrer Anhänger ist die Wirklichkeit, „die deren Begegnung mit Gott in Jesus Christus zum Ausdruck bringt, unterstützt, trägt und enthält“48. 42 43 44 45 46 47
48
Ebd., 124. CR 100. TRP 31; vgl. CR 186f. TRP 318. CR 187. TRP 317. Wie anders soll die auf Lumen gentium aufbauende Rede der Enzyklika Redemptoris missio von den „anderen Mittlertätigkeiten verschiedener Art und Ordnung, die an seiner Mittlertätigkeit teilhaben“ (RM 5; vgl. DJ 14) zu verstehen sein? Auf diese Stelle weist auch Dupuis verschiedentlich hin (vgl. TRP 307 oder CR 168). J. D UPUIS , Eine trinitarische Christologie als Modell für eine Theologie des religiösen Pluralismus, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 65-80, hier 76.
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So gesehen macht es aber auch keinen Sinn, es abzulehnen, die religiösen Traditionen Andersgläubiger als Wege und Mittel des Heils anzusehen. 49 Und wenn zugleich im Sinn der Parallele von Israel und den anderen Religionen diese religiösen Traditionen geschichtstheologisch gesehen nicht dazu bestimmt sind, dem Christentum vor dem Ende der Zeiten zu weichen, muss von einer prinzipiellen Pluralität der Heilswege in den verschiedenen Religionen ausgegangen werden. Die Konzilstexte Ad gentes und Nostra aetate sprechen von Elementen der „Wahrheit und Gnade“ in den anderen Religionen, 50 von „Strahlen jener Wahrheit, die alle Menschen erleuchtet“ 51 bzw. von „Samen des Wortes“52. Auch wenn, wie Dupuis hervorhebt, in den Konzilstexten selbst nicht deutlich gemacht wird, und es auch nicht die Intention war, deutlich zu machen, wie die Anwesenheit dieser Elemente in den anderen Religionen genau zu verstehen ist, 53 legen die beiden genannten Gründe das Verständnis dieser Passagen als Selbstmitteilung Gottes auch in den anderen Religionen und damit die Annahme, dass auch diese anderen Religionen von Gott gewollte Heilswege sind, doch sehr nahe. Wie ein Kommentator Dupuis’ bemerkt, reicht das Verständnis der in den anderen Religionen enthaltenen Werte im Sinn der “fulfillment theory”, das heißt als rein propädeutisch auf die Offenbarung hin, nicht mehr aus.54 2. JESUS CHRISTUS, DER LOGOS UND DIE RELIGIONEN 2.1 Eine trinitarische Religionstheologie Den Kern von Dupuis’ religionstheologischer Christologie berührt man erst, wenn man sie von seinem trinitätstheologischen Offenbarungsverständnis her betrachtet. Dupuis geht davon aus – er beruft sich dabei gern auf Gregor von Nazianz 55 –, dass, wo immer Gott sich selbst offenbart, er sich notwendig trinitarisch offenbart. Jeder göttliche Bund mit der Menschheit – und wie wir wissen, befindet sich die 49 50 51
52 53 54
55
CR 188. Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, Nr. 9. Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate [fortan = NA], Nr. 2. NA 11, 15. TRP 165-170. T. M ERRIGAN , Jacques Dupuis and the Redefinition of Inclusivism, in: D. Kendall/G. O’ Collins (Hg.), In Many and Diverse Ways: In Honor of Jacques Dupuis, Maryknoll 2003, 60-71, hier 67. TRP 227.
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gesamte Menschheit über den Bund mit Noah in einem Bund mit Gott – bedeutet notwendig die aktive Gegenwart Gottes, das heißt seines Wortes und seines Geistes. 56 Jedes Mal, wenn Gott sich offenbart, offenbart er sich durch das Wort und den Geist hindurch. 57 Mit anderen Worten: Die ökonomische Trinität ist die immanente Trinität im Vollzug ihrer Selbstmitteilung. 58 Die Selbstmitteilung der immanenten Trinität kann nur trinitarisch geschehen. Dupuis nennt dies die Bedingung der Möglichkeit aller Selbstoffenbarung Gottes.59 Damit aber offenbart sich Gott auch außerhalb des jüdisch-christlichen Raumes notwendig durch das Wort und den Heiligen Geist hindurch. Dupuis beruft sich auf die Enzyklika Dominum et vivificantem von 1986, wonach auch die Gnade, die außerhalb der Kirche wirksam ist, immer sowohl einen christologischen als auch einen pneumatologischen Charakter hat. 60 Das Wort Gottes, also der Logos in Form der zweiten Person der Trinität, und der Heilige Geist sind jederzeit und überall das Medium der Selbstoffenbarung Gottes, sie sind in jeder Phase der Heils- bzw. Weltgeschichte der Menschheit anwesend. 61 Seit dem II. Vatikanischen Konzil wird, wie Dupuis hervorhebt, vom Lehramt immer wieder unterstrichen, dass der Heilige Geist auch außerhalb des jüdisch-christlichen Raumes wirksam und gegenwärtig ist, dass dessen Wirken in diesem Sinn universal ist. Dupuis bezieht sich insbesondere auf folgende Aussage der Enzyklika Redemptoris missio: „Der Geist zeigt sich in besonderer Weise in der Kirche und in ihren Mitgliedern, jedoch ist sein Handeln allumfassend, ohne Begrenzung durch Raum und Zeit […]. Die Gegenwart und das Handeln des Geistes berühren nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Geschichte, die Völker, die Kulturen, die Religionen“62. Entscheidend für Dupuis aber ist, dass dies seiner Auffassung nach auch für den Logos gilt. Trinitätstheologisch konsequent sind für ihn die Elemente von „Wahrheit und Gnade“ 63 aufgrund der 56
57 58 59 60
61
62 63
Ebd.: “This amounts to saying that every divine covenant with humankind necessarily involves the active presence of God, of his Word, and of his Spirit.” TRP 242. Ebd. TRP 242. Enzyklika Dominum et Vivificantem: Über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 71), Bonn 1986, Nr. 53; vgl. TRP 221, CR 181. TRP 221. Zur trinitätstheologischen Perspektive von Dupuis’ Ansatz vgl. neuerdings auch A. N ORONHA , Trinity and the Plurality of Religions. Jacques Dupuis’ Trinitarian Approach to Religious Pluralism, Dissertation Freiburg i.Br. 2008. RM 28. NA 2.
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vereinten Wirksamkeit sowohl des Heiligen Geistes als auch des Wortes Gottes in den anderen Kulturen und Religionen anwesend. 64 Damit aber geht Dupuis von einer universalen Gegenwart des Wortes Gottes auch vor dem Christusereignis aus. Biblisch rechtfertigt er dies vor allem mit Bezug auf den Prolog des Johannesevangeliums. In Joh 1,9 heißt es: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“. Wenn aber das Licht, der Logos, ohne Einschränkung jeden Menschen erleuchtet, so ist dies nach Dupuis – er folgt hier der Exegese etwa von Léon-Dufour 65 oder Schnackenburg 66 – über alle Zeiten hinweg gemeint, und damit auch unabhängig von der Menschwerdung des Logos. Vor allem stützt Dupuis sich auf Justin, Clemens von Alexandrien und Irenäus von Lyon. Irenäus zitiert an einer Stelle Mt 11,27/Lk 10,22: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren wird.“ Diesen Vers aber legt Irenäus wie folgt aus: „Die Aussage ‚offenbaren wird‘ ist nämlich nicht nur von der Zukunft gemacht, als ob der Logos erst dann damit begonnen hätte, den Vater zu offenbaren, als er von Maria geboren war, sondern hat ihre Bedeutung für die ganze Zeit insgesamt. Denn seit Beginn steht der Sohn seinem Geschöpf bei und offenbart allen den Vater, denen er will und wann er will und wie der Vater will“67. Seit Beginn der Schöpfung offenbart der Sohn allen den Vater, denen der Vater sich offenbaren will!
2.2 Eine Heilsordnung – zwei Wirkweisen Das Wort und der Geist sind also nach Dupuis auch außerhalb der jüdisch-christlichen Heilsgeschichte überall gegenwärtig und wirksam. Doch wie gestaltet sich dann das Verhältnis zwischen der Offenbarung in Jesus Christus und der außerbiblischen Offenbarung? Christus ist für Dupuis, wie gesagt, die Mitte und das Ziel der Geschichte, und zwar die einmalige Mitte, in der allein sich Gott in seiner ganzen Fülle offenbart hat. Jesus Christus erfüllt die Offenbarung und schließt sie ab, wie es in Dei Verbum heißt. 68 Die Offenbarung in Jesus Christus ist in diesem Sinn auch für Dupuis unüberbietbar. Die Offenbarungen in 64 65 66 67
68
CR 190. CR 142-143. TRP 319-320. IRENÄUS VON L YON , Adversus Haereses: Gegen die Häresien IV 6,7 (FC 8/4: 55; Übersetzung N. Brox). DV 4.
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den anderen Religionen aber verhalten sich zu derjenigen in Jesus Christus wie der Logos in seiner Fülle zu den in diesen Religionen enthaltenen logoi spermatikoi, ein Ausdruck der frühen Kirchenväter, insbesondere von Justin, den schon Nostra aetate aufgreift und im Anschluss daran auch Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Redemptoris missio. In der Enzyklika heißt es: „Es ist der Geist, der ‚die Samen des Wortes‘ aussät, die in den Riten und Kulturen da sind, und der sie für ihr Heranreifen in Christus bereit macht.“ 69 In den anderen Kulturen, Riten und Religionen sind Samen des Wortes vorhanden. Dupuis geht davon aus, dass es sich um nichts anderes handeln kann als um die Samen des Wortes Gottes selbst. Auch wenn die stoische Vorstellung von einem rein weltimmanenten Logos das Logosverständnis der frühen Kirchenväter sicher mitbestimmt hat, kann Dupuis aufweisen, dass bei den Kirchenvätern mit den logoi spermatikoi Manifestationen des Wortes Gottes selbst gemeint sind. 70 Es handelt sich um differenzierte Partizipationen der Menschen an dem einen göttlichen Logos. 71 Wie aber sollen diese göttlichen Samen in den anderen Religionen vorhanden sein, wenn nicht Gott sich trinitarisch auch in ihnen offenbart hat, das heißt durch den Heiligen Geist hindurch, wie Redemptoris missio deutlich zu verstehen gibt, aber mit Dupuis auch durch den Logos, durch das Wort Gottes hindurch. Der Logos ist nicht nur der Schöpfer und Erhalter des Universums, sondern alle Manifestationen Gottes in der Welt finden durch ihn statt. Diese Manifestationen sind nicht auf die christliche Heilsökonomie beschränkt, sondern es gibt sie auch unabhängig von der Menschwerdung des Logos, es gibt – in Anknüpfung an Irenäus von Lyon – auch in den anderen Religionen eine Vielzahl von Logophanien. Es ist somit das Wort Gottes selbst, das seine eigenen Samen in die religiösen Traditionen „hineinsät“72. Die Rede von den Samen des Wortes führt mit sich, dass der Logos im Gegensatz zu seiner Anwesenheit in Christus in den anderen religiösen Traditionen nur partiell und auf implizite, versteckte Weise anwesend ist. Er ist gegenwärtig in Form von noch unvollständigen Zeichen.73 Damit sind die religiösen Praktiken, die Riten, die Vorstellungen und auch die Heiligen Schriften der nichtchristlichen Religionen, in denen sich diese Samen zeigen, für Dupuis nicht als gleichwertig mit den christlichen anzusehen. Sie erweisen sich sogar in verschiedener Hin69 70 71 72 73
RM 28. CR 149, 154-156. TRP 243. TRP 320: “[…] sown in them by the Word” (vgl. CR 160). TRP 319.
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sicht für den Christen als sehr mangelhaft. Dennoch ist ihnen eine gewisse Vermittlung von Gnade und damit auch von Heil zuzusprechen.74 In den konkreten Vorstellungen und Praktiken dieser Religionen, mit wie viel aus christlicher Sicht Falschem sie auch vermengt sein mögen, ist die erlösende Macht des Logos am Werk.75 Dupuis ist vorgeworfen worden, er würde mit seiner Auffassung einer Heilswirkung des Logos in den anderen Religionen, die nicht durch die Menschheit Jesu Christi vermittelt geschieht, trennen zwischen einer Heilsordnung des ewigen Wortes bzw. Logos, die auch außerhalb der Kirche gilt, und einer an die Kirche gebundenen Heilsordnung des fleischgewordenen Wortes. Insbesondere die Erklärung Dominus Jesus sieht dies als nicht hinnehmbar an 76 und betont wie die Notifikation, 77 es gebe nur eine einzige von Gott gewollte Heilsordnung. 78 Schon in Redemptoris missio heißt es in der Tat: „Es widerspricht dem christlichen Glauben, wenn man eine wie auch immer geartete Trennung zwischen dem Wort und Jesus Christus einführt“79. Allerdings hat Dupuis eine solche Trennung niemals behauptet,80 sondern stets darauf hingewiesen, er gehe von einem einzigen Heilsplan Gottes aus und wolle keinesfalls eine Trennung zwischen einer Wirkung des ewigen Logos unabhängig von Jesus Christus, also einer Wirkung des logos asarkos, und einer Wirkung des menschgewordenen Logos durch Jesus Christus, des logos ensarkos, einführen. 81 Es sei „eine Sache, von verschiedenen zum Christusereignis parallelen Heilsökonomien auszugehen, und etwas anderes, ohne Trennung zwischen zwei 74 75
76 77 78 79 80
81
Ebd. TRP 320. Die praktische Konsequenz hieraus ist gemäß einer Stelle aus dem von Dupuis gern herangezogenen Dokument „Dialog und Verkündigung“ vom Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog von 1991, an dem er selber mitgearbeitet hat: „Die Anhänger anderer Religionen antworten immer dann positiv auf Gottes Einladung und empfangen sein Heil in Jesus Christus, wenn sie in ehrlicher Weise das in ihren religiösen Traditionen enthaltene Gute in die Tat umsetzen und dem Spruch ihres Gewissens folgen. Dies gilt sogar für den Fall, dass sie Jesus Christus nicht als ihren Erlöser erkennen oder anerkennen“ (Dialog und Verkündigung. Überlegungen und Orientierungen zum interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz [Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 102], Bonn 1991, Nr. 29). DJ 9. Notif. 2. DJ 11. RM 6. Er vermerkt vielmehr ausdrücklich: „Ich gebrauche niemals den Ausdruck ‚Trennung‘ und habe ihn zu keiner Zeit gebraucht“ (Die Wahrheit wird euch frei machen, 39). CR 139f.
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verschiedenen, komplementären Aspekten einer einzigen Heilsökonomie zu unterscheiden“82. Für Dupuis bilden die Wirksamkeit des Wortes Gottes in den anderen Religionen unabhängig von Jesus Christus und die Wirksamkeit des Wortes Gottes durch Jesus Christus untrennbare und komplementäre Aspekte des einen göttlichen Heilsplans bzw. der einen Heilswirksamkeit des Wortes Gottes. 83 Schon aufgrund der hypostatischen Union könne man den Logos und Jesus Christus nicht voneinander trennen,84 und die Aufnahme von Jesu Menschheit in die göttliche Person des Wortes Gottes setze die personale Identität zwischen dem Wort Gottes und Jesus Christus voraus. 85 Trotz dieser Untrennbarkeit gibt es ein Heilswirken des Wortes, das nicht durch die Menschheit Jesu vermittelt ist. Es gibt eine Heilswirksamkeit des Wortes Gottes als solchen, verschieden von dem Wort, das durch die Menschheit des auferstandenen und verherrlichten Jesus hindurch wirkt. 86 Sie stehen beide in einer „kreativen Spannung“ zueinander, 87 wobei das Verhältnis zwischen der Wirksamkeit des logos asarkos und des logos ensarkos genauer so zu verstehen ist: Das Christusereignis gibt Zeugnis von der umfassenden Heilswirksamkeit des Wortes,88 bzw. die Heilswirkung des menschgewordenen Wortes ist das Sakrament einer umfassenderen Wirksamkeit des Wortes, die alle Religionen der Menschheitsgeschichte umfasst. 89 Dupuis spricht einerseits „dem in Jesus Christus Mensch gewordenen Sohn Gottes das universale Heil der Menschheit“ zu, hält aber zugleich an einer uni82
83 84 85 86
87 88 89
CR 182: “[…] one thing to affirm different economies of salvation parallel to that of the Christ event, and another to distinguish without separation different complementary aspects of a single economy of salvation […].” CR 161. CR 158. CR 140. CR 139. Ich werde es aufgrund der thematischen Ausrichtung meines Aufsatzes auf Dupuis’ religionstheologische Christologie hier nicht eigens entfalten, aber dasselbe gilt natürlich auch für den Heiligen Geist: Dessen Wirken reduziert sich nicht auf seine Ausgießung in die Welt durch den auferstandenen und erhöhten Christus, sondern er wirkt auch ohne Vermittlung durch Christus überall in der Schöpfung (vgl. CR 138, 178ff. u.a.). D UPUIS , Eine trinitarische Christologie, 69. CR 138. CR 145. Dupuis zitiert wörtlich C. GEFFRÉ , La singularité du christianisme, 365f.: „In Übereinstimmung mit der traditionellen Sicht der Kirchenväter ist es daher möglich, die Ökonomie des inkarnierten Sohnes als das Sakrament einer breiteren Ökonomie zu sehen, nämlich der des ewigen Wortes, das mit der religiösen Geschichte der Menschheit korreliert“ (vgl. J. D UPUIS , Die Universalität des Wortes und die Partikularität Jesu Christi, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 [2006] 81-100, hier 98).
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versalen Wirksamkeit des Wortes Gottes unabhängig von Christus fest, wovon die Wirksamkeit in Jesus Christus das Sakrament ist. 90 Dies gilt nicht nur für die Zeit vor dem Christusereignis, sondern auch für danach: „[…] das Heilswirken Gottes durch den nichtinkarnierten Logos (logos asarkos) […] geht auch nach der Inkarnation des Logos noch weiter (Joh 1,14) […]“ 91, bzw. von einer universalen Wirksamkeit des nichtinkarnierten Logos als unterschieden von der Heilswirksamkeit durch seine Menschheit hindurch können wir „nicht nur vor der Inkarnation des Wortes, sondern auch nach der Inkarnation und Auferstehung Jesu Christi“ sprechen92. Als eine Wirksamkeit nach Christi 90
91 92
D UPUIS , Eine trinitarische Christologie, 68. Sowohl die Wirksamkeit des logos asarkos als auch die des logos ensarkos sind also als universal anzusehen. Der logos ensarkos ist trotz seiner geschichtlichen Partikularität universal, also nicht raum- und zeitgebunden tätig, die Wirksamkeit Gottes aber ist zugleich nicht begrenzt durch die menschliche Existenz Jesu Christi. Das heißt, so könnte man es ausdrücken, der logos überhaupt, gleich ob asarkos oder ensarkos, ist universal ständig und überall wirksam (vgl. D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 81). Ich verstehe hier nicht ganz den Einwand von Alexander Löffler (Theologie im Grenzbereich von Inklusivismus und Pluralismus: Zu Jacques Dupuis’ christlicher Theologie des religiösen Pluralismus, in: Zeitschrift für katholische Theologie 126 [2004] 415-442, hier 424): „[…] so bleibt dennoch fraglich, wie von einem universalen [sic!] Heilshandeln des auferstandenen Christus, an dem Dupuis zweifellos festhält, nochmals eine umfassendere, das heißt universalere [?] Ökonomie des göttlichen Wortes als solchen sinnvollerweise unterschieden werden kann.“ Es kommt ganz darauf an, was man unter universal bzw. universaler Wirksamkeit versteht. Universal wirksam kann etwas sein, das überall wirksam sein kann und dann ohne Begrenzung zu den verschiedensten Zeiten und an den verschiedensten Orten auch wirksam ist, ohne notwendig überall zugleich wirksam zu sein oder schon wirksam gewesen zu sein, oder etwas kann in dem Sinn universal wirksam sein, dass es tatsächlich ausnahmslos überall und jederzeit wirksam ist. Dupuis verwendet das Wort „universal“ mit Bezug auf die universale Heilswirksamkeit Gottes durch Jesus Christus m.E. eher im ersten Sinn, etwa wenn er formuliert, durch den verherrlichten Stand werde „das geschichtliche Heilsereignis für alle Zeiten und Orte“ gegenwärtig und wirksam (D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 96). Dupuis’ Sprache ist gewiss auch hier wieder ungenau. Nirgends legt er sein Verständnis universaler Wirksamkeit klar fest. So kann an anderer Stelle davon die Rede sein, die verherrlichte Menschheit Jesu sei „inklusiv gegenwärtig und wirksam“ in allen Zeiten und an allen Orten (ebd., 98). Ich gehe davon aus, dass man im Sinn Dupuis’ im Grunde sagen müsste, dass der eine Logos, ob asarkos oder ensarkos, überall und ausnahmslos wirksam ist, sowohl der logos asarkos als auch der logos ensarkos aber überall wirksam sein kann und an den verschiedensten Zeiten und Orten auch tatsächlich wirksam ist. Finalursächlich verstanden kann die verherrlichte Menschheit Jesu – alle Wirkweisen des Wortes Gottes zusammengenommen – auch als „inklusiv gegenwärtig und wirksam“ bezeichnet werden. TRP 298. CR 143.
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Inkarnation und Auferstehung wäre nach Dupuis’ Auffassung die Offenbarung Gottes im Islam anzusehen. 93
2.3 Teleologische Begründung Die Erklärung Dominus Jesus und die Notifikation richten sich jedoch über den Vorwurf einer Trennung von logos ensarkos und logos asarkos hinaus gegen jegliche Unterscheidung zwischen einer Heilswirksamkeit durch den logos asarkos und einer durch den logos ensarkos. In der Erklärung Dominus Jesus etwa heißt es: „Mit der Inkarnation werden alle Heilstaten des Wortes Gottes immer in der Einheit mit seiner menschlichen Natur vollbracht […]. Nicht vereinbar mit der Lehre der Kirche ist deshalb die Theorie, die dem Logos als solchem in seiner Gottheit ein Heilswirken zuschreibt, das er – auch nach der Inkarnation – ‚über‘ oder ‚jenseits‘ seiner Menschheit ausübe“94. Noch genauer: Es ist der Erklärung nach immer nur der heilshafte Einfluss des menschgewordenen Sohnes, der im Leben der Menschen Wirklichkeit wird, „ob sie (diese Menschen; J.D.) der Menschwerdung des Wortes vorausgegangen sind oder nach seinem Kommen in der Geschichte leben“95. Im Hintergrund dieser Aussage steht natürlich die Grundannahme christlicher Erlösungslehre, dass es Christi Leiden, sein Tod und seine Auferstehung sind, die allein den Menschen von Sünde und Tod zum Ewigen Leben befreit haben. Christus hat die Gnade am Kreuz erworben. Aufgrund der „Verdienste seines Leidens“, wie in der Soteriologie traditionell formuliert wurde, hat Gott die Menschheit in Jesus Christus, und nur in Jesus Christus, mit sich versöhnt. Jesus ist die einzig mögliche Ursache der Gnade und des Heils für die Menschen. Er allein kommuniziert sie. Es sieht so aus, als gelte dies nach Gaudium et spes auch für Menschen, die das Heil erlangen, ohne zum Glauben an Jesus Christus gekommen zu sein. Auch sie erlangen das Heil so, dass sie, wie dort formuliert wird, auf eine Gott bekannte Weise mit dem österlichen Geheimnis, also mit dem Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu verbunden sind.96 Ob diese Aussage allerdings 93
94 95 96
Die Idee einer Wirkung des Wortes, die auch nach Christi Menschwerdung und Auferstehung nicht durch das Christusereignis hindurch geschieht, vertritt auch der Exeget Léon-Dufour in seiner Auslegung des Johannesevangeliums. Siehe X. L ÉON -D UFOUR , Lecture de l’Evangile selon Saint Jean, Bd. 1, Paris 1988, 124. Vgl. CR 142f. DJ 10 DJ 12. GS 22.
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nicht auch anders verstanden werden kann, darauf werde ich noch zurückkommen. 97 Als einzige Möglichkeit, den Sachverhalt theologisch korrekt zu formulieren, scheint damit die Annahme zu bleiben, Gott wirke das Heil in den anderen Religionen notwendig durch Jesu verherrlichtes Menschsein, das aufgrund der Auferstehung transhistorisch und überzeitlich geworden bzw. untrennbar mit dem Logos vereinigt worden ist. Nur Christi reale geistige Präsenz kann heilswirksam sein. Genau diese Auffassung hinterfragt Dupuis mit der Bemerkung: „Dass das historische, in dem österlichen Geheimnis von Tod und Auferstehung gipfelnde Christusereignis universale Heilsbedeutung hat, bedarf keiner weiteren Erklärung. Was noch zu erklären ist, ist, wie seine Heilsmacht die Anhänger anderer religiöser Traditionen erreicht. Findet dies allein durch eine unsichtbare Wirkung der verherrlichten Menschheit statt, die durch seine Auferstehung/Verherrlichung ‚transhistorisch‘ geworden und von den Beschränkungen von Raum und Zeit befreit ist? Oder erreicht Gottes Heilswirksamkeit in Jesus Christus die Glieder anderer religiöser Traditionen durch eine gewisse ‚Vermittlung‘ ihrer eigenen Traditionen?“ 98 Mit Bezug auf die klassische Soteriologie stellt sich vor allem die Frage, wie wir uns die Heilswirksamkeit vorstellen sollen, die der Logos schon vor der Menschwerdung vollbracht hat. Wie kann Christus zeitlich rückwirkend heilswirksam sein, wenn man zugleich vermeiden will, das göttliche Wort als ein von Ewigkeit her inkarniertes Wort zu denken? 99 Von Buddha kann man aus christlicher Sicht sinnvoll sa97
98
99
Und auch in der Enzyklika Redemptoris missio bezeichnet Johannes Paul II. die Gnade, die Nichtchristen zuteilwird, als eine Gnade, die von Christus kommt (RM 10). CR 186: “That the historic event of Jesus Christ, culminating in the paschal mystery of the death-and-resurrection, has universal saving significance has no need of further explanation. What still must be explained is how his saving power reaches the adherents of other religious traditions. Does this take place solely through an invisible action of the glorified humanity which through his resurrection/glorification has become ‘transhistoric’, removed from the constraints of space and time? Or does God’s saving action in Jesus Christ reach the members of the other religious traditions through a certain ‘mediation’ of their own traditions?” Treffend ist die Bemerkung von Gerald O’Collins bezüglich des eben beschriebenen Ansatzes: “However he (Jacques Dupuis; J.D.) continues to distinguish between the Word of God in se and the Word of God precisely as incarnated. We must make such terminological distinctions. Otherwise we will finish up joining some critics in such a strange statement as ‘the Word of God as such is the Word incarnate’. Those who fail ‘to watch their language’ and use such an expression seem to attribute an eternal, real (and not just an intentional) existence to the human being created and assumed by the Word of God at a certain point in the history of the world, as well as appearing to cast doubt upon the loving freedom of the Word of God in becoming
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gen, dass er als eine von Jesus unterschiedene Manifestation des Wortes Gottes zu verstehen ist. Dupuis bezeichnet den Logos als die Quelle der Erleuchtung Buddhas.100 Inwiefern ist es jedoch sinnvoll zu sagen, es sei der menschgewordene Logos, der den doch einige Jahrhunderte vor Christus lebenden Buddha erleuchtet habe? Dupuis bemerkt dazu: „[…] es scheint unmöglich, sich vorzustellen, wie die Menschheit bei der Verleihung von Gnaden instrumental wirksam gewesen sein könnte.“101 Es stellt sich aber auch die Frage, wie es mit der Heilswirksamkeit Gottes zur Zeit der Menschwerdung selbst und danach bestellt ist. Müssen wir es nicht so verstehen, dass auch während der Logos Mensch geworden ist, er sich nicht vollständig in Jesus zurückgezogen hat, sondern zugleich überall sonst im Kosmos als ewiger Logos noch gegenwärtig blieb, und auch nach der Menschwerdung noch überall und insbesondere in anderen Religionen unabhängig vom Christusereignis bzw. nicht durch den auferstandenen und erhöhten Christus hindurch gegenwärtig ist? 102 Dupuis begründet sein Alternativmodell wie folgt: Durch die mit der Auferstehung vollzogene Aufnahme der Menschheit Jesu in Gott ist Christus zwar „metahistorisch“ oder „transhistorisch“ geworden, und der menschgewordene Logos ist aus diesem Grund überall anwesend, 103 dennoch ist das Wort auch weiterhin unabhängig vom auferstandenen Christus wirksam, denn auch wenn Jesus in seiner Menschheit mit in die Trinität hineingenommen wird, ändert dies nichts an der Beschaffenheit des Wortes Gottes. Das Wort Gottes bleibt, was es im Mysterium der Trinität immer war,104 vor, während und nach der Inkarnation. Zu keiner Zeit wird das ewige Wort Gottes von der Menschheit Jesu absorbiert.105 Es wird weder so absorbiert, dass es während der Inkarnation keine Wirksamkeit des Wortes Gottes neben der Inkarnation mehr gibt, noch so, dass nach der Inkarnation das Wort Gottes nur noch durch den auferstandenen und verherrlichten Christus hindurch wirken könnte. Die Unvermischtheit von Gott und Mensch ist gewissermaßen selbst mit der Auferstehung nicht aufgehoben. 106 Sonst
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incarnate for our salvation” (D ERS ., Jacques Dupuis’ Contributions To Interreligious Dialogue, in: Theological Studies 64 [2003] 388-397, hier 392). TRP 328. D UPUIS , Die Wahrheit wird euch frei machen, 40. TRP 298. CR 158. CR 145: “In short it means that the Word remains that which he is in the mystery of the Trinity […].” Ebd.: “The Word remains God: his divine eternity is not absorbed by his temporality as a man.” CR 159.
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besteht die Gefahr eines „umgekehrten Monophysitismus“107, einer Vereinnahmung der göttlichen Natur durch die menschliche. Die Aufnahme der Menschheit Jesu in das Wort Gottes kommt also nicht einer Einschränkung von dessen ewiger Wirksamkeit gleich. 108 Das göttliche Tun, wie es an anderer Stelle heißt, „ist nicht ‚eingegrenzt‘, ‚erschöpft‘ oder ‚reduziert‘ auf seinen Ausdruck durch die menschliche Natur“109. In Jesus Christus gelangt dessen Wirksamkeit allerdings zu ihrer höchsten historischen Dichte.110 Auch das menschgewordene Wort Gottes ist durchaus an allen Orten und zu allen Zeiten als menschgewordenes Wort wirksam,111 aber diese Wirksamkeit ist dennoch nur ein Teil der Wirksamkeit des Wortes Gottes. Dabei ist die Wirksamkeit des logos asarkos als ein Ausdruck von Gottes überschwänglicher Gnade und absoluter Freiheit zu verstehen. 112 So bedenkenswert dieses Argument auch sein mag, hätte sich Dupuis zur traditionellen Formulierung dennoch nicht so querstellen müssen, wie er es tatsächlich getan hat. Ich denke, es gibt so etwas wie eine Vermittlung zwischen beiden Positionen im Sinn einer teleologischen Begründung von Dupuis’ Ansatz, die eigentlich bei Dupuis selbst schon angelegt ist und die er nur deutlicher hätte herausarbeiten müssen. Dupuis hat in seinen Schriften wiederholt darauf hingewiesen, dass die Wirkung des ewigen Logos stets auf das Christusereignis als dessen Ziel hingeordnet ist – und zwar deutlicher noch in “Christianity and the Religions” als in “Toward a Christian Theology of Religious Pluralism”. Dabei erwähnt Dupuis ausdrücklich das Verständnis von Inkarnation und Kreuz als Finalursache der göttlichen Geistmitteilung, wie Karl Rahner es in seinem Aufsatz „Jesus Christus in den nichtchristlichen Religionen“ entfaltet hat. 113 Rahner setzt sich mit der Frage auseinander, inwiefern der Heilige Geist grundsätzlich als Geist Christi bezeichnet werden kann. Er geht einerseits davon aus, dass das Heil und damit der rechtfertigende Geist auch im nichtchristlichen religiösen Menschen gegenwärtig und wirksam ist, 114 er hält aber andererseits daran fest, dass dieser rechtfertigende Geist 107 108 109 110 111 112
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CR 144. CR 145. D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 94. “Historical density”, CR 160. Nochmals TRP 316. TRP 299: “[…] the expression of God’s superabundant graciousness and absolute freedom”. Vgl. Eine trinitarische Christologie, 74. R AHNER , Jesus Christus in den nichtchristlichen Religionen, 370-383. Auch zitiert in CR 178. Ebd., 375.
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überall und zu allen Zeiten „wegen der Verdienste Christi“ gegeben wurde und von daher notwendig als der Geist Jesu Christi anzusehen ist. 115 Damit stellt sich jedoch die Frage nach dem „Zusammenhang zwischen der überall und zu allen Zeiten gegebenen Geistesgnade einerseits und dem raumzeitlich punktförmigen, geschichtlichen Ereignis des Kreuzes“116. Da man aber schlecht sagen kann, dass das Kreuz die Ursache für Gottes Heilswillen ist, weil Gottes Heilswille notwendig dem Kreuz als dessen Ursache vorausgeht, das heißt weil Jesus Christus notwendig von vornherein durch den Heilswillen Gottes zum Erlöser bestimmt gedacht werden muss,117 muss es einen Heilswillen Gottes notwendig auch schon vor Inkarnation und Kreuz geben. Den Ausweg aus dieser „Verlegenheit“ aber sieht Rahner darin, das Christusereignis als Finalursache von Gottes Heilswillen bzw. Gottes Geistmitteilung zu verstehen. Weil das Christusereignis in der Heilsgeschichte die Finalursache der Geistmitteilung ist, also alle Geistmitteilung auf das Christusereignis in dem Sinn hingeordnet ist, dass es auf das Christusereignis zielt, muss man, wenn man das aristotelischscholastische Finalursachenverständnis heranzieht, davon ausgehen, dass der Geist auch vor dem Christusereignis schon von Christus „informiert“ ist, und von daher der vor Christus mitgeteilte Geist auch vor dem Christusereignis schon Geist Christi genannt werden kann. 118 Wie ist dieser Gedankengang genauer zu verstehen? Nach Aristoteles sind alle Abläufe in der Wirklichkeit zielgerichtet. Die Entfaltung des Samenkornes etwa ist ausgerichtet auf das Ziel des voll ausgewachsenen Baumes. Die Grundidee der aristotelischen Finalursache ist dabei, dass die Zielidee die Bewegung auf dieses Ziel hin bewirkt. Also es ist die Idee des ausgewachsenen Baumes, die den Samen auf diese Idee hin antreibt.119 Für Bäume mag dies aus heutiger biologischer Sicht eine mit Schwierigkeiten belastete Auffassung sein. Sie gilt aber nach Aristoteles’ Auffassung auch für das menschliche Handeln. Wenn ich die Absicht habe – das klassische aristotelische Beispiel –, mit dem Ziel der Gesundheit spazieren zu gehen, dann bewegt mich dieses Ziel, nämlich die Idee der Gesundheit, zum Spazierengehen. Finalursächlichkeit zeichnet sich also dadurch aus, dass die Bewegung auf das Ziel hin in gewisser Weise vom Ziel selbst bewirkt ist. Damit ist in der Bewegung des Sichrichtens auf das Ziel bzw. des Verwirklichens des Zieles 115 116 117 118 119
Ebd., 376. Ebd. Ebd., 377. Ebd., 378. Vgl. in Zusammenfassung J. D ISSE , Kleine Geschichte der abendländischen Metaphysik. Von Platon bis Hegel, Darmstadt 3 2007, 88-92.
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das Ziel selbst schon wirksam und damit anwesend. Genau dieses Verhältnis von Ziel und Wirksamkeit aber lässt sich auch auf die Geistmitteilung vor der Menschwerdung übertragen, indem man sie als auf die Menschwerdung hinzielend denkt. Das Ziel, die Ausgießung des Geistes durch den auferstandenen und erhöhten Christus, ist in der Bewegung auf das Ziel hin schon wirksam, bzw. die Zielgerichtetheit ist mit Rahners Worten schon von Christus „informiert“. Das heißt, der Heilige Geist ist auch vor dem Christusereignis der Geist Christi, weil er aufgrund seiner Zielgerichtetheit schon das Ziel in sich enthält. Diesen finalursächlichen Zusammenhang kann man nun auf die Wirksamkeit des Logos übertragen. Zunächst gilt er für Rahner auch auf der Ebene der Selbstmitteilung Gottes überhaupt: „Insofern eine geschichtliche Bewegung auch in ihrem Anlauf schon von ihrem Ende lebt, weil ihre Dynamik in ihrem eigentlichen Wesen das Ziel will, dieses als erstrebtes in sich trägt und in ihm sich in ihrem eigenen Wesen erst eigentlich enthüllt, ist es durchaus berechtigt, ja notwendig, die ganze Bewegung der Selbstmitteilung Gottes an die Menschheit, auch wo sie zeitlich vor diesem Ereignis ihres Unwiderruflichwerdens im Heilbringer geschieht, als von diesem Ereignis, also als vom Heilsbringer getragen zu denken.“120 Weiter hat Rahner die Idee einer Übertragung auf den Logos selbst angeregt: „Die alte Logos-Spekulation, die dem Logos eine vom unsichtbaren Vater verschiedene ‚vorchristlich-christusartige‘ Tätigkeit und Geschichte in der Schöpfung zuschrieb, wäre wohl wert, noch einmal […] neu durchdacht zu werden […]. In Christus ist der Logos nicht nur (statisch) Mensch geworden, er hat eine menschliche Geschichte angenommen. Diese aber ist nach vor- und rückwärts ein Teil einer ganzen Welt- und Menschheitsgeschichte, und zwar ihre Fülle und ihr Ende. Wird aber die Einheit der Geschichte und ihre Zentriertheit auf Christus ernst genommen, dann bedeutet dies eben, dass Christus immer schon als prospektive Entelechie in der ganzen Geschichte steckte.“ 121 Auf die Wirksamkeit des Logos aber lässt sich dieser Ansatz durch folgenden Gedankengang übertragen: Weil auch der logos asarkos, der nicht durch das Christusereignis hindurch wirkende Logos, in seiner Wirkung stets auf den logos ensarkos, also auf den menschgewordenen Logos als dessen Ziel hingeordnet ist, kann man sagen, dass in gewis120
121
K. R AHNER , Die Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung, in: Schriften zur Theologie, Bd. 5, Einsiedeln 2 1964, 183-221, hier 203. Dieser Aufsatz von Rahner wird von Dupuis mit Erwähnung der Finalursächlichkeit des Christusereignisses in TRP 221 zitiert. K. R AHNER , Probleme der Christologie heute, in: Schriften zur Theologie, Bd. 1, Einsiedeln 3 1958, 169-222, hier 187f.
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ser Weise immer und überall der logos ensarkos, der menschgewordene Logos wirksam ist. Mit Bezug auf die Wirksamkeit des Heiligen Geistes vor dem Christusereignis, äußert Dupuis sich recht klar im Sinn von Rahner, dass die Gabe des Geistes im Hinblick auf das Christusereignis stattfinde, 122 dass der Heilige Geist in diesem Sinn zugleich der Geist Christi sei.123 Die Heilsfunktion des Heiligen Geistes bestehe darin – hier kommt der finalursächliche Zusammenhang am besten zum Ausdruck –, die Personen auf Christus hin zu „zentrieren“124. Was die Wirksamkeit des Wortes Gottes betrifft, formuliert Dupuis ähnlich wie mit Bezug auf den Heiligen Geist und dazu noch ganz in der Ausdrucksweise Rahners: Da die Inkarnation des Logos von Ewigkeit her die Absicht Gottes ist, „informiert“ dieses Ziel die gesamte Geschichte der Beziehung zwischen Gott und der Menschheit. 125 Die Hingeordnetheit aller Wirksamkeit des nicht menschgewordenen Logos auf den menschgewordenen Logos unterstreicht Dupuis mit folgender Aussage: „[…] die antizipierte Wirksamkeit des Wortes Gottes ist bezogen auf das Ereignis Jesu Christi, in dem Gottes Vorhaben mit der Menschheit seinen Höhepunkt erreicht. Das noch nicht inkarnierte Wort und das inkarnierte Wort sind eine unteilbare Wirklichkeit. Jesus Christus, das inkarnierte Wort, bleibt im Zentrum von Gottes Heilsplan und dessen Entfaltung in der Geschichte. Logozentrismus und Christozentrismus stehen nicht im Gegensatz zueinander; sie verweisen aufeinander in einer einzigen Ökonomie.“ 126 In diesem Sinn ist es, so Dupuis, auch zu verstehen, dass die Menschen gemäß Eph 2,10 in Jesus Christus geschaffen sind. 127 Der finalursächliche Gedanke ist also im Grunde genommen bei Dupuis vorhanden. Er formuliert ihn jedoch nicht positiv aus, und von daher bleibt stets eine gewisse Zweideutigkeit bezüglich der Frage, wie er die Wirksamkeit des logos asarkos in ihrem Verhältnis zur Wirk122 123 124 125 126
127
CR 181. TRP 197; D UPUIS , Eine trinitarische Christologie, 70, 74. TRP 197. TRP 223. TRP 196: “[…] the anticipated action of the Word of God is related to the event of Jesus Christ in which God’s plan for humankind comes to a climax. The Word-to-be-incarnate and the Word-incarnate are one indivisible reality. Jesus Christ, the incarnate Word, remains at the centre of God’s plan of salvation and of its unfolding in history. Logocentrism and Christocentrism are not opposed to each other; they call to each other in a unique dispensation.” Vgl. CR 157. Vgl. auch folgende Aussage aus: Die Wahrheit wird euch frei machen, 40: „Eine rückläufige Wirksamkeit der Verdienste Jesu ist vorstellbar; jede Gnade von ihm wäre verliehen worden mit Blick und in Beziehung auf das Christusereignis.“ TRP 223.
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samkeit des logos ensarkos genau versteht. So lehnt Dupuis einerseits die Auffassung, durch sein verherrlichtes Menschsein wirke Christus das Heil unsichtbar auch in den anderen Religionen, betont ab, 128 obwohl das Verständnis eines finalursächlichen Verhältnisses von ewigem Logos und menschgewordenem Logos eine solche Redeweise genauso wenig ausschließt, wie das Verständnis des Verhältnisses von Heiligem Geist und Geist Christi es ausschließt, dass man den Heiligen Geist, soweit er auch nicht unmittelbar durch Jesus Christus wirkt, dennoch Geist Christi nennt. Andererseits heißt es an anderer Stelle wieder, jede authentische Gotteserfahrung außerhalb des Christentums sei aus christlicher Sicht gesehen eine Begegnung Gottes mit den Menschen in Jesus Christus (!). Die Menschen nichtchristlicher Religionen brächten diese Gotteserfahrung zwar mit Hilfe der Symbole und Praktiken ihrer eigenen religiösen Tradition zum Ausdruck und damit oft auf verzerrte Weise, das Mysterium Christi sei aber auch in ihnen anwesend. 129 Oder Dupuis schreibt: „Das Christus-Mysterium ist daher gegenwärtig, wo immer Gott in das Leben von Menschen in einer Erfahrung realer göttlicher Präsenz eintritt […]. Alle machen die Erfahrung des Christus-Mysteriums, aber Christen allein sind in der Lage es beim Namen zu nennen.“ 130 Wie aber soll das Mysterium Christi in den anderen Religionen bzw. den Menschen anderer Religionen anwesend sein, wenn nicht aufgrund der Finalursächlichkeit des menschgewordenen Logos? Diese gedankliche Verknüpfung mit dem Finalursachenverständnis wird in Dupuis’ Texten höchstens angedeutet, wie etwa in der folgenden, allerdings nur auf eine Auslegung Rahners bezogenen Stelle: „Für Rahner ist die konkrete Menschheit ‚auf der Suche‘ nach dem Mysterium Christi; deshalb ist es möglich, dem Mysterium sogar, bevor es im historischen Ereignis ‚kategorisch‘ oder ‚thematisch‘ erkannt wird, zu begegnen“131. Dabei würde das finalursächliche Verständnis der Wirksamkeit des Wortes Gottes zugleich Dupuis’ Redeweise rechtfertigen, wonach der Logos tatsächlich auch anders als durch den auferstandenen Christus hindurch wirkt. Und es steht dem nicht entgegen, dass er auf diese Weise nicht allein vor dem Christusereignis wirkt. Dupuis hingegen 128 129 130
131
CR 186. TRP 319. J. D UPUIS , Jesus Christ at the Encounter of World Religions. Maryknoll 1991, 92: “Christ is the mystery of God turning toward men and women in self-manifestation and self-revelation […]. All have the experience of the Christic mystery, but Christians alone are in a position to give it its name.” TRP 148: “For Rahner, concrete humanity is ‘in search’ of the mystery even before it is recognized ‘categorically’ or ‘thematically’ in the historical event.”
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formuliert den Zusammenhang zwischen beiden Wirkweisen zu unspezifisch, indem er sich immer wieder mit Beteuerungen ihrer Untrennbarkeit begnügt, etwa in dem Sinn, dass die Wirksamkeit des logos asarkos niemals vom Christusereignis „abstrahiere“132; die anderen Heilswege mit dem Christusereignis in einer „wesentlichen Bezogenheit“ stünden133; andere Mittlerschaften wesentlich auf die Mittlerschaft Jesu Christi „bezogen“ seien und auf sie „hingeordnet“ blieben134; der logos asarkos immer „in Korrelation“ zum logos ensarkos handle135; zwischen ihnen ein „Aufeinanderbezogensein und Komplementarität“ bestehe136. Solche Aussagen lassen die Frage, wie die Bezogenheit von logos asarkos und logos ensarkos näher zu qualifizieren ist, in der Schwebe. Entscheidend für die Auffassung, dass der logos asarkos vor, während und nach der Inkarnation anders als durch Christus hindurch wirkt, ist m.E. im Sinn des von Rahner her Dargelegten, dass man davon ausgehen muss, dass es keine Wirksamkeit des Wortes Gottes gibt, die nicht zielursächlich hingeordnet ist auf dessen Wirksamkeit als menschgewordenes Wort. Es ist der eine Logos, der sowohl durch den menschgewordenen und auferstandenen Christus als auch anders als durch ihn hindurch wirkt. Alles Wirken des Wortes Gottes jedoch, das nicht durch Christus geschieht, zielt auf Christus. Mit diesem finalursächlichen Verständnis lassen sich m.E. auch die kirchlichen Verlautbarungen grundsätzlich in Übereinstimmung bringen. Wenn in der Enzyklika Redemptoris missio davon die Rede ist, dass auch die Gnade, die Nichtchristen zuteilwerde, eine Gnade sei, die von Christus kommt,137 dann kann das so verstanden werden, dass sie im Sinn der finalursächlichen Ausrichtung aller Gnadenmitteilung auf das Christusereignis von Christus kommt. In ein finalursächliches Verständnis des Verhältnisses von logos asarkos und logos ensarkos aber lässt sich z.B. auch die Aussage, wonach der Geist „‚die Samen des Wortes‘ aussät, die in den Riten und Kulturen da sind, und […] sie für ihr Heranreifen in Christus bereit macht“138, integrieren: Die Wirksamkeit des Geistes – und mit ihm des Wortes – ordnet diese Riten und Kulturen auf Christus als ihr Ziel hin und lässt dieses Ziel in ihnen zugleich schon wirksam werden. Auch wenn Gaudium et spes formuliert, dass die Menschen, die das Heil erlangen, ohne zum Glauben an 132 133 134 135 136 137 138
CR 160. D UPUIS , Die Wahrheit wird euch frei machen, 30. Ebd., 48. Ebd., 42. D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 89. RM 10. RM 28.
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Jesus Christus gekommen zu sein, auf eine Gott bekannte Weise mit dem österlichen Geheimnis verbunden sind,139 kann diese Aussage als eine Verbundenheit aufgrund der finalursächlich verstandenen Anwesenheit des österlichen Geheimnisses in aller göttlichen Heilsvermittlung ausgelegt werden. Wenn in Dominus Jesus davon die Rede ist, dass mit der Inkarnation alle Heilstaten des Wortes Gottes in der Einheit mit seiner menschlichen Natur vollbracht werden, 140 kann man das so verstehen, dass gewiss die verherrlichte Menschheit Jesu zu einem untrennbaren Bestandteil des Wortes Gottes geworden ist, und damit auch das Wort Gottes, das nicht durch Jesu Menschheit hindurch wirkt, in untrennbarer Einheit mit ihr wirkt. 141 Ganz gleich, auf welche Weise das Wort Gottes wirksam ist, asarkos oder ensarkos, heilswirksam ist immer das eine Wort Gottes, welches die Menschheit Jesu ein für allemal in sich aufgenommen hat. So gesehen aber kann man mit Dupuis sagen, es sei primär das Wort, das erlöst. 142 Die Erlösung durch Jesus Christus, in der die Selbstmitteilung Gottes in unüberbietbarer Konzentration gegeben ist, ist allerdings zugleich als Höhepunkt dieser Erlösungswirksamkeit anzusehen, 143 und das Wort Gottes ist, auch wo es nicht durch Jesus Christus hindurch wirkt, so innerlich mit der Menschheit Jesu verbunden, dass nach Dupuis entgegen logozentristischen Ansätzen wie demjenigen von A. Pieris uneingeschränkt von einer Heilswirksamkeit Christi und nicht allein des Wortes die Rede sein muss. 144 3. JESU BEWUSSTSEIN UND DIE KOMPLEMENTARITÄT 3.1 „Relative“ Offenbarung Mit seiner Auffassung von der Wirksamkeit des göttlichen Logos will Dupuis nicht nur eine Theologie der gottgewollten Pluralität von Heilswegen rechtfertigen, die zugleich am Grundsatz der unüberbietbaren 139 140 141 142 143
144
GS 22. DJ 10. “[…] in ‘union’ with it” (CR 139). CR 138. Dupuis spricht im Originaltext von einer “[…] insuperable ‘concentration’ of the self-revelation of God” (CR 144) im Christusereignis. D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 88: „Herrsein und Heilskraft werden also Jesus selbst in seinem auferstandenen Zustand aufgrund der wirklichen Transformation, durch die seine menschliche Existenz gegangen ist, indem sie von Gott auferweckt wurde, zugeordnet; sie werden nicht ausschließlich dem Wort Gottes unabhängig von Jesu menschlicher Existenz zugeschrieben.“
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Einzigartigkeit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus festhält. Er geht noch einen Schritt weiter, indem er sich weigert, die in den anderen Religionen erfolgenden Offenbarungen einfach zu Momenten herabzusetzen, die ohnehin schon in der vollkommenen Offenbarung Gottes in Jesus Christus gegeben sind. Aufgrund der Begrenztheit von Jesu Bewusstsein sieht er auch die christliche Religion trotz der sich in ihm ereignenden Offenbarung Gottes selbst als nicht im Besitz der ganzen Wahrheit an und stuft die Offenbarung in Jesus Christus als „relativ“ ein, ja christliche Religion erweist sich für Dupuis, wie dann im nächsten Abschnitt thematisiert wird, als durch die anderen religiösen Traditionen ergänzungsfähig. Wenden wir uns zunächst dem Verhältnis von Christologie und Offenbarungsverständnis zu. Jesus ist für Dupuis die Fülle der Offenbarung aufgrund der Tatsache, dass er Gottes Sohn ist bzw. dass er tatsächlich Gott ist. Und er ist einzig darin, weil dies aus christlicher Sicht von keinem anderen Religionsstifter, von keinem anderen Menschen überhaupt behauptet werden kann. Dupuis spricht von einer qualitativen Fülle, weil Gott ganz und gar, ohne Abstriche, im Menschen Jesus gegenwärtig war. Das Christusereignis als Ganzes ist in diesem Sinn die Fülle der Offenbarung. 145 Damit ist jedoch nicht gesagt, dass durch den Menschen Jesus, durch die Apostel, das Neue Testament usw. Gott in seiner ganzen Fülle zum Ausdruck gekommen ist. Denn obwohl Gott in ihm totaliter anwesend war, hatte er nur ein menschliches Bewusstsein dieser Anwesenheit Gottes bzw. der Tatsache, Sohn Gottes zu sein. 146 Er lebte das persönliche Verhältnis zu seinem Vater aus seinem menschlichen Bewusstsein heraus. Obwohl nun diese menschliche Erfahrung im Fall von Jesus einmalig und unübertrefflich ist, ist die Offenbarung in Jesus Christus damit nicht, wie Dupuis es nennt, absolut.147 Es handelt sich vielmehr in dem Sinn um eine „relative“ Offenbarung, dass Jesu Bewusstsein, weil menschlich, begrenzt, ein endliches Bewusstsein war, und kein endliches Bewusstsein die Unendlichkeit des göttlichen Geheimnisses erschöpfend zum Ausdruck bringen kann.148 Das heißt, obwohl Jesus tatsächlich einzigartiger Sohn Gottes war, besteht dennoch eine „Distanz“ zwischen Jesus als Mensch und Jesus dem Sohn Gottes.149 145 146 147 148
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Vgl. insbesondere TRP 248-250; CR 173-178. TRP 249. Ebd.; CR 130. Ebd. Dupuis verweist ausdrücklich insbesondere auf Schillebeeckx’ Jesusverständnis. Vgl. CR 177f. TRP 298; CR 177.
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Die Grundlage für diese Auffassung bildet das Verständnis der Einheit von Gottes Wort und Mensch in Jesus, wie Dupuis es in seiner Einführung in die Christologie von 1994 “Who Do You Say I Am?” dargelegt hat. 150 Am Grundsatz der hypostatischen Union festhaltend, geht er davon aus, dass das Aktzentrum in Jesus Christus das Wort Gottes ist, so dass die menschlichen Handlungen Jesu wahrhaft die des Wortes Gottes sind. 151 Jesus ist sich aber zugleich als Mensch, das heißt aus einem menschlichen Bewusstsein heraus, der Anwesenheit des Logos in sich bzw. seiner Göttlichkeit bewusst.152 Mit anderen Worten: Er macht eine menschliche Erfahrung seiner Gottsohnschaft bzw. seines Verhältnisses zum Vater. Dieses menschliche Bewusstsein aber unterliegt den Gesetzen der menschlichen Psyche wie jedes andere menschliche Bewusstsein auch. 153 Jesus weiß also vom Wort Gottes in sich bzw. von seiner Beziehung zum Vater nur auf menschliche und damit aber auch nur endliche und begrenzte Weise. Dies bedeutet zunächst, dass Jesus kein Allwissen zugeschrieben werden kann – etwa aufgrund einer ständigen visio beatifica. Die Menschwerdung des Wortes Gottes kommt vielmehr einer Kenosis im Sinn eines willentlichen Aufsichnehmens menschlicher Unvollkommenheit gleich, wie die Evangelien in Form von Jesu Nichtwissen um den Zeitpunkt des endzeitlichen Gerichts (Mk 13,32), seiner Versuchung, Äußerungen von Schmerzempfinden oder Angst deutlich machen. 154 All dies sind Aspekte, die der Vorstellung einer ständigen visio beatifica widersprechen. Dieses Aufsichnehmen von menschlicher Unvollkommenheit gilt für Dupuis nicht in jeder Hinsicht: Jesus zeichnet sich gegenüber anderen Menschen zugleich dadurch aus, dass er ohne Sünde war, dass er ein Wissen von seiner Identität mit dem Sohn Gottes hatte, dass er über eine besondere Erkenntnis über den Vater verfügte oder dass er über das für seine Sendung und die Bedeutung seines Todes am Kreuz nötige Wissen verfügte. 155 Dennoch ist es grundsätzlich ein begrenztes, endliches Bewusstsein, aufgrund dessen er von seiner eigenen Logoshaftigkeit weiß. Aus dieser Begrenztheit aber folgt vor allem, dass Jesus die Erfahrung der Anwesenheit des Logos in sich bzw. die Erfahrung seiner besonderen Beziehung zum Vater so macht, dass er sie mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis- und Sprachfähigkeit nie erschöpfend fas150 151 152 153 154 155
J. D UPUIS , Who Do You Say I Am?: Introduction to Christology, Maryknoll 1994. Ebd., 117. Ebd. Ebd., 123. Ebd., 120, 130. Ebd., 121.
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sen und anderen kommunizieren kann. Kein menschliches Bewusstsein, weder das von Jesus, obwohl er wahrhaft einziger Sohn Gottes war, noch das der Glaubenszeugen aus der apostolischen Tradition, obwohl diese die Offenbarung mit Hilfe des Heiligen Geistes authentisch und normativ für die zukünftigen Generationen ausgelegt haben, noch das Neue Testament156 kann die Unendlichkeit des göttlichen Mysteriums umfassend zum Ausdruck bringen. Man kann auch nicht sagen, dass, weil das Aktzentrum Gott ist, die menschlichen Worte Jesu deshalb das Ganze des göttlichen Mysteriums enthalten können. 157 Selbst wenn menschliche Worte direkt von Gott selbst geäußert würden, könnten sie die Wirklichkeit Gottes nicht erschöpfend zum Ausdruck bringen. 158 In diesem Sinn ist die Offenbarung relativ, was aber, so betont Dupuis, nicht heißt, dass sie deshalb nicht gültig und für den Christen verbindlich ist. 159 Auch dieses Verständnis von Offenbarung wurde von Dominus Jesus und der Notifikation moniert. Die Notifikation formuliert wieder recht schroff: „Es ist fest zu glauben, dass Jesus Christus der Mittler, die Vollendung und die Fülle der Offenbarung ist. Im Gegensatz zum Glauben der Kirche steht deshalb die Meinung, die Offenbarung Jesu Christi sei begrenzt, unvollständig und unvollkommen.“ 160 Dupuis will ja gerade aufzeigen, dass das Eine das Andere nicht ausschließt, dass also aus der Tatsache, dass Jesus Christus die Vollendung und Fülle der Offenbarung ist, nicht notwendig folgt, dass die Offenbarung Jesu Christi nicht begrenzt sein kann. Das Wort „deshalb“ im Text der Notifikation erscheint von Dupuis’ Ansatz her gesehen wie eine übereilte Schlussfolgerung. Auf die Frage, wie genau diese Einheit von Fülle und Begrenztheit der Offenbarung in Jesus Christus zu verstehen ist, gibt Dupuis allerdings wieder einmal keine befriedigende Antwort. Man kann jedoch, wie ich es im Folgenden tun werde, durch eine nähere Bestimmung des Offenbarungsbegriffs ein Modell entwickeln, das Dupuis’ Intuition einholt. Ausgehend vom Verständnis des Offenbarungsgeschehens als Selbstmitteilung Gottes, wie es der Dogmatischen Konstitution Dei Verbum zugrundeliegt,161 liegt es nahe, Offenbarung in einem doppelten Sinn zu verstehen. Selbstmitteilung Gottes bedeutet diesem Text nach einerseits, dass Gott sich in seinem eigenen Sein den Menschen 156 157 158 159 160 161
TRP 249; CR 129. CR 131. Ebd. TRP 286. Notif. 3. DV 2.
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mitteilt, so dass die Menschen „teilhaftig werden seiner göttlichen Natur“162. Soll diese Mitteilung der göttlichen Natur wirklich als ein Sichoffenbaren im Sinn eines Sichzuerkennengebens Gottes verstanden werden, dann muss es sich um eine für den Menschen erfahrbare Wirklichkeit handeln. Gott teilt sich den Menschen als unmittelbar erfahrbar in seinem göttlichen Sein mit. Nur so kann die erwähnte Teilhabe als Offenbarung verstanden werden. Andererseits steht Selbstmitteilung Gottes für die Vermittlung des göttlichen durch das geschöpfliche Sein. Sie ereignet sich „in Worten und Taten“163 bzw. mit Bezug auf Jesus Christus durch dessen Worte und Taten, dessen Zeichen und Wunder, dessen Tod und Auferstehung hindurch.164 Ganz allgemein gibt Gott den Menschen „jederzeit in den geschaffenen Dingen von sich Zeugnis“165. Diese beiden nicht voneinander trennbaren Aspekte des christlich verstandenen Offenbarungsgeschehens müssen noch etwas genauer in den Blick genommen werden. Offenbarung ist einerseits die Tatsache, dass Gott im Menschen als etwas anwesend ist, was für ihn nur innerlich erfahrbar ist, da die göttliche Natur selbst sich der äußeren Wahrnehmung grundsätzlich entzieht. Innerlich erfahrbar ist sie im Sinn einer durch geschöpfliche Objektivierungen bzw. Materialisierungen hervorgerufenen, diese Objektivierungen aber übersteigenden Gotteserfahrung. Mit anderen Worten: Gott teilt sich dem Geschöpf auf der Grundlage einer inneren Erfahrung mit, für die es auf der Ebene geschöpflicher Ausdrucksmittel (Worte, Taten, Ereignisse) keinen adäquaten, keinen dieser inneren Erfahrung gemäßen Ausdruck gibt. Dupuis selbst spricht diese Seite des Offenbarungsverständnisses mit Erwähnung von Dulles und Rahner kurz an im Sinn einer Offenbarung noch vor der Annahme einer besonderen göttlichen Botschaft. 166 In diesem Sinn aber macht auch Jesus in seiner hypostatischen Einheit mit Gott die Erfahrung der Anwesenheit von Gottes Fülle, wobei Jesu Gotteserfahrung darin einzigartig ist, dass sie die innere Erfahrung der Anwesenheit Gottes in seiner ganzen Fülle ist. Offenbarung ist jedoch zugleich – zweiter Offenbarungsaspekt – Ausdruck der in Jesus Christus vorhandenen Fülle Gottes in Form von Geschehnissen, Taten und Worten, das heißt in Form von endlichen, voneinander abgrenzbaren Bestimmtheiten, die auf das Geoffenbarte – die Wirklichkeit Gottes als solche – verweisen bzw. die das Geoffenbarte durch eine ge162 163 164 165 166
Ebd. Ebd. DV 4. DV 3. TRP 239.
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schöpfliche Objektivierung hindurch zu erkennen geben. Nur über solche Objektivierungen bzw. Materialisierungen kann der Mensch die Wirklichkeit Gottes benennen, sich ihrer erinnern und sie kulturell tradieren. Die mit Bezug auf Dupuis’ Ansatz entscheidende Frage ist nun, wie sich die geschöpflichen Objektivierungen wie Worte und Werke Jesu zum Sein Gottes verhalten, von dem Jesus erfüllt ist. Gewiss werden in Joh 14,9, worauf sich die Erklärung Dominus Jesus in Anlehnung an Dei Verbum beruft, 167 Jesus die Worte zugeschrieben: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Damit kann jedoch weder gemeint sein, dass das bloße Jesus-mit-den-Augen-Anblicken Gott in seinem Sein offenbart, noch, dass die Worte und Taten – denn die sind es ja zunächst, die „gesehen“ werden – die direkte und vollständige Übersetzung der Wirklichkeit Gottes in geschöpflichen Ausdrucksformen sind.168 Das Johannesevangelium kennt für das Verhältnis von Worten und Werken und der „Herrlichkeit Gottes“, deren Ausdruck sie sind, den Begriff des Zeichens (semeîon). Ein Zeichen im Sinn des Evangelisten ist ein Geschehen, das im Rahmen des Geschöpflichen einen Sinnzusammenhang bildet, aber zugleich über sich hinausweist auf eine zweite, geistige Wirklichkeit, nämlich die Herrlichkeit Gottes, die in dem Geschehenen im übertragenen Sinn „sichtbar“ wird. Mit dem Verb „sehen“ kann zwar im Johannesevangelium auch die rein sinnliche Wahrnehmung gemeint sein, der spezifisch theologische Sinn des johanneischen Sehens aber ist ein Erkennen der Herrlichkeit Gottes an den menschlichen Vollzügen Jesu als eine wie auch immer geartete geistige Wahrnehmung. Als Zeichen lässt Jesus, wie Rengstorf es ausdrückt, seine Werke „zum Spiegel seines Wesens werden“169. Wie aber ist das Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem zu verstehen? Dieses Verhältnis kann nicht anders gedeutet werden, als dass 167 168
169
DJ 5; vgl. DV 4. Zum Begriff des Sehens im Johannesevangelium vgl. die ausführliche Studie von C. H ERGENRÖDER , Wir schauten seine Herrlichkeit: das johanneische Sprechen vom Sehen im Horizont von Selbsterschließung Jesu und Antwort des Menschen, Würzburg 1996. Vgl. auch J. D ISSE , Glaube und Glaubenserkenntnis. Eine Studie aus bibeltheologischer und systematischer Sicht, Frankfurt a.M. 2006, 104-111. K.H. R ENGSTORF, σημεον [etc.], in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 7 (1964) 199-268, hier 249. Ein Zeichen wird im Johannesevangelium selbst das Geschehen der Verwandlung des Wassers in Wein bei der Hochzeit von Kana genannt (Joh 2,1-12), die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten von Kafarnaum (Joh 4,43-54), die Brotvermehrung am See von Tiberias (Joh 6,1-15), die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9,1-12) oder die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,17-44). Im weitesten Sinn aber müssten auch die Worte Jesu als Zeichen verstanden werden.
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die wahrnehmbaren Worte und Taten Jesu auf indirekte Weise auf die nicht mehr mit den Sinnen wahrnehmbare Wirklichkeit bzw. Herrlichkeit Gottes verweisen 170 und zugleich ein partieller Ausdruck dieser Wirklichkeit sind, und nicht eine Eins-zu-eins-Übersetzung in geschöpfliche Bestimmtheiten dessen, was Gottes Herrlichkeit bzw. das für den Menschen letztlich – auch nach dem Christusereignis – nicht fassbare Geheimnis Gottes ist. Zwar heißt es im Johannesevangelium: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“, in 1 Tim 6,16 ist aber, worauf Dupuis hinweist, zugleich davon die Rede, dass Gott – und das ist aus einer Perspektive nach dem Christusereignis geschrieben – derjenige ist, „den kein Mensch gesehen hat noch je zu sehen vermag“171. Mit Hilfe dieser Bestimmung von Offenbarung als innere Erfahrung des Seins Gottes einerseits und Offenbarung als geschöpfliche Objektivierung andererseits kann auf die Einwände von Dominus Jesus und der Notifikation differenziert eingegangen werden. Wer den Sohn sieht, sieht den Vater? Gewiss, aber die Worte und Taten, das heißt der Aspekt der geschöpflichen Objektivierbarkeit, sind nicht der vollkommene Ausdruck dessen, was der Vater seinem sich aller Begrifflichkeit entziehenden Wesen nach ist, nämlich eine Wirklichkeit, die lediglich indirekt durch die Zeichen hindurch aufleuchtet. Der Mensch Jesus offenbart die Fülle Gottes? Sicher tut er es im Sinn des ersten Offenbarungsaspektes, also im Sinn einer inneren Erfahrung von Gott in seiner ganzen Fülle. Er offenbart die Fülle jedoch nicht so, dass die Menschheit Jesu, die von ihr geäußerten Worte und die von ihr vollzogenen Taten, der erschöpfende geschöpflich-objektivierende Ausdruck der Fülle Gottes wären. Gott ist in seiner ganzen Fülle in Jesus Christus offenbar, und doch ist diese Offenbarung, wie es bei Dupuis heißt, insofern von „relativer“ Natur, als die Worte und Taten die Übersetzung der Wirklichkeit Gottes in die beschränkten Formen des Geschöpflichen sind. Dass Jesus Christus die Fülle der Offenbarung ist, weil Gott in Jesus Christus seinem ganzen Sein nach anwesend ist, widerspricht daher nicht der Auffassung, dass die Offenbarung mit Blick auf ihre geschöpfliche Objektivierung in Worten, Taten oder auch Geschehnissen begrenzt bleibt. Obwohl Gott nur in Jesus Christus totaliter anwesend war und die Offenbarung in Jesus Christus von daher 170
Zur Indirektheit der Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte vgl. W. PANNENBERG , Systematische Theologie, Bd. 1, Göttingen 1988, 266f.
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CR 131. Zur Begrenztheit des Zeichens gegenüber dem Bezeichneten vgl. H. KESSLER , Pluralistische Religionstheologie und Christologie: Thesen und Fragen, in: R. Schwager (Hg.), Christus allein? Der Streit um die pluralistische Religionstheologie, Freiburg i.Br. 1996, 158-173, hier 169f.
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unüberboten und unüberbietbar ist, ist sie dennoch begrenzt. 172 Das gilt auch für die apostolische Tradition und das Neue Testament. Gewiss sind sie normativ für den Glauben der Kirche, aber damit ist nicht gesagt, dass sie „die Fülle des Wortes Gottes an die Menschen“ darstellen, 173 also dass ihre objektiven Inhalte diese Fülle auch vollkommen für den Menschen erkennbar machen. Ist, wenn man Dupuis’ Ansatz dieses doppelgleisige Offenbarungsmodell zugrunde legt, sein Verständnis der Relativität der Offenbarung in Jesus Christus bzw. der in ihr gegebenen Einheit von Fülle und Begrenztheit nicht vielleicht doch zustimmungsfähig, auch wenn der Begriff „relativ“ wohl nicht ganz glücklich gewählt ist? 174
3.2 Komplementarität der Religionen Die Begrenztheit der christlichen Offenbarung aber versteht Dupuis weiter auch dahingehend, dass andere Religionen Aspekte des Geheimnisses Gottes enthalten können, welche die christliche Religion so nicht zum Ausdruck bringt. Mit anderen Worten: Andere Religionen können das Geheimnis Gottes aus einer Perspektive betrachten, die Aspekte zum Vorschein bringt, wie sie die christliche Tradition nicht zu erkennen gibt, so dass Christen von den Erleuchteten, Propheten und Weisen anderer Religionen Offenbarungserkenntnis hinzugewinnen können. 175 Dupuis drückt diesen Sachverhalt so aus, dass die Offenbarungen in den verschiedenen anderen Religionen und die christliche Offenbarung in einem Verhältnis der Komplementarität zueinander stehen. 176 Ich greife zwei seiner Beispiele für eine solche Komplementarität heraus. Erstens sei im Koran der Sinn für die Erhabenheit und die Transzendenz Gottes größer als im Christentum, im 172
173 174
175 176
Ebd. Vom Theologen Carlo Molinari, von dessen Logozentrismus er sich zugleich distanziert, zitiert Dupuis zustimmend eine Aussage, die das Verhältnis beider Offenbarungsaspekte m. E. recht gut zum Ausdruck bringt: „Den definitiven und normativen Charakter Christi zu bekräftigen, heißt in dieser Perspektive nicht, dass alles, was im göttlichen Wort enthalten ist, schon vollständig den Menschen durch das Christusereignis bekannt gemacht worden ist […]“ (D UPUIS , Die Universalität des Wortes, 85; vgl. C. M OLINARI , Riconoscere il Dio di tutti i popoli, in: C. Cantoni [Hg.], La svolta planetaria di Dio, Rom 1992, 283-307, hier 301). TRP 249. Wie Dupuis selbst zugibt, hätte er besser getan, die Offenbarung lediglich als „begrenzt“ und „endlich“ zu bezeichnen. Vgl. D ERS ., Die Wahrheit wird euch frei machen, 36. Vgl. CR 135. Vgl. TRP 250-253, 326-329; CR 132-137.
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Hinduismus hingegen der Sinn für die unmittelbare Gegenwart Gottes in der Welt und im Herzen der Menschen.177 Zweitens führt Dupuis die Komplementarität zwischen der Erfahrung eines unpersönlich Absoluten in manchen Formen des Hinduismus und im Buddhismus sowie der Gotteserfahrung als personale Begegnung etwa im Christentum an.178 Doch wie ist diese Komplementarität näher zu verstehen? In seinem religionstheologischen Hauptwerk “Toward a Christian Theology of Religious Pluralism” äußert Dupuis sich bezüglich der genauen Beschaffenheit dieser Komplementarität nur recht vage, spricht aber schon dort von einer gegenseitigen bzw. reziproken Komplementarität, die einen Austausch und ein Teilen der Heilswerte der jeweiligen Religionen anregen soll 179 und die zu einer gegenseitigen Bereicherung und Verwandlung der religiösen Traditionen führen kann. 180 In “Christianity and the Religions” präzisiert Dupuis, die Komplementarität sei nicht so zu verstehen, dass die Offenbarung in den anderen Religionen einseitig in der christlichen ihre Erfüllung finde, dass die „Wahrheit und Gnade“ in den anderen Religionen also ohne weiteres als ein Moment des ohnehin schon in der christlichen Tradition zum Ausdruck Gebrachten anzusehen sei. Reziprozität bedeute vielmehr, dass die verschiedenen religiösen Traditionen sich gegenseitig bereichern können, insofern es in den anderen Religionen wahre und authentische Aspekte des göttlichen Geheimnisses gibt, die sie besser hervorheben (more deeply accented), als die christliche Tradition es tut. 181 In “Christianity and the Religions” qualifiziert Dupuis die Komplementarität allerdings zugleich als asymmetrisch. Diese Asymmetrie beschreibt er wie folgt: „[…] aus einer solchen reziproken Komplementarität folgt nicht die Idee eines Fehlens von etwas in der christlichen Offenbarung, dem durch irgendeine andere Offenbarung abgeholfen würde, oder die Auffassung, dass die Offenbarung einen ergänzenden Charakter hätte […]. Das würde der Idee ihrer Fülle und Transzendenz widersprechen“182. Der Begriff „asymmetrisch“ soll deutlich machen: Die Tatsache, dass andere Religionen offenbarungsmäßig als komplementär zur christlichen anzusehen sind, bedeutet nicht, dass die christliche Offenbarung durch etwas ergänzt werden könnte, was 177 178 179 180 181 182
CR 135. TRP 420-422; vgl. CR 135. TRP 326; vgl. CR 135f. TRP 389; CR 257; Die Wahrheit wird euch frei machen, 59. Ebd. CR 136.
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nicht schon in ihr enthalten ist. Die Elemente von „Wahrheit und Gnade“ in den anderen Religionen sind zwar als „autonome Gaben Gottes“ anzusehen, 183 das Christusereignis aber bestätigt zugleich alles, was Gott außerhalb dieses Ereignisses für die Menschen getan hat. 184 Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus bedarf keiner wahren Vervollständigung (true completion) durch andere Traditionen. 185 Reziprozität und Asymmetrie widersprechen sich damit nicht, wie es zunächst den Anschein hat, sondern es ist gemeint, dass die anderen Religionen zur christlichen in dem Sinn komplementär sein können, dass sie Aspekte des göttlichen Mysteriums, die auch in der christlichen Tradition zum Ausdruck kommen, stärker, besser oder eindeutiger hervorheben. Reziprozität besagt, dass nicht alles Wahre, was in einer anderen Religion zum Ausdruck kommt, in der christlichen Tradition auf mindestens ebenbürtige Weise zum Ausdruck kommen muss; Asymmetrie aber gibt zu verstehen, dass die Wahrheit in den anderen Religionen dennoch zumindest ansatzweise als in der unüberbietbaren christlichen Offenbarung angesprochen anzusehen ist. Über diese Charakterisierung von Komplementarität hinaus, die, auch wenn sie die Momente von Reziprozität und Asymmetrie miteinander zu vereinen vermag, doch letztlich recht vage bleibt, geht Dupuis nicht. Er hätte sein Komplementaritätsverständnis allerdings noch ein wenig vertiefen können, wenn er es mit der Idee der Endlichkeit von Jesu Bewusstsein in Verbindung gebracht hätte und damit mit dem in Erweiterung zu dieser Idee von mir dargestellten doppelten Offenbarungsverständnis. Es erscheint mir in der Tat sinnvoll, die von Dupuis angesprochene Asymmetrie auf der Ebene der Offenbarung als Erfahrungswirklichkeit anzusiedeln. Wenn Jesus Gottes Wirklichkeit nichtsinnlich, innerlich erfährt, offenbart sie sich ihm in ihrer ganzen Fülle. Dieser Offenbarung kann nichts ihr Fehlendes mehr hinzugefügt werden. Dupuis’ Ausführungen am Ende des Buches “Christianity and the Religions” könnten darauf hindeuten, dass er diesen Offenbarungsaspekt womöglich im Blick hatte. Er spricht dort die Fülle der Offenbarung wiederholt dem Christusereignis (Christ event) als solchem zu. Das Christusereignis enthalte die ganze Wahrheit und die Fülle der Gnade, die Anerkennung von Wahrheit und Gnade in anderen religiösen Traditionen aber bedeute nicht, dass sie eine Ergänzung zum Christusereignis darstellen könnten. 186 183 184 185 186
CR 136, 256. CR 257. Ebd. CR 256.
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Vielmehr sind die anderen Religionen – aus christlicher Sicht – dazu berufen, im Christusereignis ihre Erfüllung zu finden 187 bzw. die „Fülle ihrer Bedeutung“ zu finden. 188 Es stellt sich hier natürlich die Frage, was Dupuis genau unter Christusereignis versteht; wenn man damit aber wesentlich die sich geschichtlich real vollziehende Anwesenheit Gottes in Jesus Christus in seiner Fülle meint, dann kann es im Verhältnis zu diesem Ereignis keine Komplementarität durch Offenbarungen anderer Religionen geben. Anders jedoch verhält es sich auf der Ebene von Offenbarung als geschöpfliche Objektivierung Gottes. Gerade auf dieser Ebene sind ja Dupuis’ Beispiele anzusiedeln, etwa der Aspekt von göttlicher Transzendenz im Islam oder von göttlicher Immanenz im Hinduismus. Und tatsächlich macht erst auf dieser Ebene die Idee einer Reziprozität überhaupt Sinn, denn erst hier kann davon die Rede sein, dass andere religiöse Traditionen Wahrheit und Gnade enthalten, die nicht „mit derselben Kraft und Klarheit in der Offenbarung und Manifestation Gottes in Jesus Christus“ zum Ausdruck kommen. 189 Auf dieser Ebene erst ist es denkbar, dass „die christliche Religion nicht die gesamte Wahrheit oder das Monopol der Gnade“ besitzt, 190 bzw.: „[…] es finden sich mehr göttliche Wahrheit und Gnade, die in der gesamten Geschichte des Umgangs Gottes mit der Menschheit wirksam waren und sind, als sie in der christlichen Tradition allein zur Verfügung stehen“191. Reziprozität wird genauer dadurch möglich, dass das göttliche Geheimnis als solches durch dessen geschöpfliche Objektivierungen nicht totaliter erfasst werden kann. Weil diese Objektivierungen die verschiedenen Aspekte der einen göttlichen Wahrheit mehr oder weniger adäquat zum Ausdruck bringen, kann ihr Verhältnis zueinander als gegenseitige Ergänzung konzipiert werden. Ich präzisiere also Dupuis’ Komplementaritätsgedanken dahingehend, dass die reziproke Komplementarität auf die Begrenztheit der geschöpflichen Objektivierung der göttlichen Wahrheit zurückzuführen ist, während auf der Ebene von Offenbarung als Erfahrungswirk187 188
189 190 191
CR 257. Ebd. Der genaue Wortlaut: “He is personally […] the ‘fullness’ of revelation and the accomplishment of the mystery of human salvation. Thus, whereas other religious traditions can find, and are destined to find, in the Christ event (von mir hervorgehoben; J.D.) their fullness of meaning […] the reverse is not true: God’s self-manifestation and self-giving in Jesus Christ are not in need of a true completion by other traditions […].” CR 256. Ebd. D UPUIS , Eine trinitarische Christologie, 79.
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lichkeit im Fall von Jesus Christus die „Idee eines Fehlens von etwas in der christlichen Offenbarung“ ausgeschlossen ist bzw. eine irreduzible Asymmetrie besteht. Komplementarität bringt die gegenseitige Bereicherung der geschöpflichen Objektivierungen verschiedener Religionen zum Ausdruck, die aus christlicher Sicht gegebene Anwesenheit Gottes in seiner Fülle in Jesus Christus hingegen ist per se nicht ergänzbar. Dupuis beschränkt die Komplementarität anderer Religionen wie gesehen auf Aspekte, die auch in der christlichen Offenbarung an sich schon enthalten sind, die allerdings in den anderen Religionen besser zum Ausdruck kommen. Komplementär zur christlichen können andere Religionen sein, indem sie Aspekte der göttlichen Wirklichkeit hervorheben, die auch die christliche Tradition kennt, nur nicht in derselben Betonung. Wenn man dies als die einzig mögliche Form von Komplementarität ansieht und sie zugleich, wie ich es getan habe, auf der Ebene von Offenbarung als geschöpfliche Objektivierung ansiedelt, bedeutet dies, dass die Objektivierungen anderer Religionen gegenüber den christlichen Offenbarungsinhalten nichts objektiv Neues zum Ausdruck bringen können. Doch schränkt eine solche Auffassung den Reziprozitätsgedanken womöglich zu sehr ein? Abschließend möchte ich über Dupuis hinaus noch die Frage stellen, ob es nicht Gründe dafür geben könnte, auf der Ebene objektiver Offenbarung von einer Ergänzung der christlichen Religion durch andere religiöse Traditionen zu reden, die nicht in einer stärkeren Akzentuierung von etwas ohnehin schon in der christlichen Tradition Enthaltenem besteht. Gibt es womöglich Lehren und Praktiken in anderen Religionen, die wir grundsätzlich der in Christus geoffenbarten Fülle der Wahrheit zurechnen müssen, weil in Christus dem ersten Offenbarungsaspekt nach Gott als Inbegriff aller Wahrheit anwesend ist, die in christlichen Objektivierungen des göttlichen Geheimnisses aber nicht vorkommen? Mir fällt als Beispiel, das in diesem Zusammenhang zu diskutieren wäre, spontan die Ethik der Ehrfurcht vor allem Lebendigen ein, die im Buddhismus, aber auch im Jainismus und im Hinduismus gelehrt wird, bzw. das Gebot, welches das Töten oder Verletzen von Lebewesen untersagt oder auf ein unumgängliches Minimum beschränkt. Eine solche Ethik der Ehrfurcht schließt das Christentum zwar nicht aus, doch ist sie als Lehre in der christlichen Offenbarung nirgends ausdrücklich formuliert, also nicht Bestandteil einer geschöpflichen Objektivierung. Es ist nicht abwegig, die Frage zu stellen, ob sie nicht dennoch Bestandteil jener Wahrheit bzw. jener vollkommenen Güte ist, deren Fülle Gott dem Menschen in Jesus Christus offenbart hat. So gesehen gäbe es auf der Ebene von Offenbarung
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als geschöpfliche Objektivation durchaus Ergänzungen zur christlichen Offenbarung, Ergänzungen, die allerdings zugleich als in Jesus Christus als Sohn Gottes, also im Christusereignis selbst schon enthalten gedacht werden müssten. Sie kämen nur aufgrund der fragmentarischen Übersetzung der in Christus enthaltenen Fülle Gottes in der christlichen Tradition nicht zum Ausdruck. Was allerdings auf der Ebene der geschöpflichen Objektivation aus christlicher Sicht apriori nicht fehlen kann – und auch das hätte Dupuis deutlicher herausarbeiten können –, ist im Sinn der Notifikation, dass die Offenbarung in Jesus Christus alles bietet, „was für das Heil des Menschen notwendig ist“, und in dieser Hinsicht „keiner Vervollständigung durch andere Religionen“ bedarf. 192 Meine Überlegungen führen mich zu dem Schluss, dass man Dupuis’ religionstheologische Christologie, wenn man sie in ihrer inneren Logik konsequent weiterdenkt, in ihren drei zentralen Anliegen durchaus als berechtigt ansehen kann: dass 1) Jesus Christus zwar den Mittelpunkt der Heilsgeschichte bildet, die Pluralität der Religionen aber dennoch als eine prinzipielle, gottgewollte Pluralität der Offenbarung zu verstehen ist; dass man 2) auf dem Hintergrund eines finalursächlichen Verständnisses der Heilswirksamkeit Gottes davon ausgehen kann, dass in den anderen Religionen der logos asarkos wirksam ist; und 3) dass trotz der Fülle der in Jesus Christus ergangenen Offenbarung von einer Begrenztheit der geschöpflichen Objektivierung dieser Offenbarung in der christlichen Tradition ausgegangen werden kann und damit von einer wie auch immer näher zu verstehenden Komplementarität der religiösen Traditionen. Was ich hier vorgetragen habe, ist wie gesagt zunächst nur ein Gedankenexperiment. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass die katholische Kirche angesichts der bewusstseinsverändernden Entwicklung, die die Menschheit zurzeit durchmacht, einen zumindest ähnlichen Weg der Öffnung zu den anderen Religionen auch auf amtlicher Seite schon bald gehen könnte. Dazu bedürfte es nicht viel mehr als einer mutigen Weiterführung der mit der Enzyklika Redemptoris missio eingeschlagenen Denkrichtung.
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Notif. 3. Genauer noch kann man es vielleicht mit Hans Kessler formulieren: „Die Offenbarung in Jesus Christus ist der wesentlichen Sache nach nicht (von mir hervorgehoben; J.D.) ergänzungsbedürftig, es ist – wenn man Jesus gefunden hat – nicht nötig, noch einen andern Offenbarer und Heilsmittler zu suchen“ (DERS ., Der universale Jesus Christus und die Religionen: Jenseits von ‚Dominus Iesus‘ und Pluralistischer Religionstheologie, in: Theologische Quartalschrift 181 [2001] 212-237, hier 233).
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Literatur Publikationen von Jacques Dupuis Christianity and the Religions: From Confrontation to Dialogue, Maryknoll 2002 (= CR). Jesus Christ at the Encounter of World Religions, Maryknoll 1991. Le pluralisme religieux dans le plan divin du salut, in: Revue théologique de Louvain 29 (1998) 484-505. Ein Testament katholischer Religionstheologie. Gesammelte Aufsätze aus den letzten Lebensjahren 1999-2004. Hg. v. Ulrich Winkler. Aus dem Engl. u. Franz. übersetzt von Christian Hackbarth-Johnson: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006). Toward a Christian Theology of Religion Pluralism, Maryknoll 1997 (= TRP). Eine trinitarische Christologie als Modell für eine Theologie des religiösen Pluralismus, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 65-80. Die Universalität des Wortes und die Partikularität Jesu Christi, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 81-100. „Die Wahrheit wird euch frei machen“: Die Theologie des religiösen Pluralismus – noch einmal betrachtet, in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 12-64. Who Do You Say I Am?: Introduction to Christology, Maryknoll 1994.
Dokumente Das Christentum und die Religionen: Internationale Theologenkommission, 30. Sept. 1996, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 136), Bonn 1997. Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes: Zweites Vatikanisches Konzil, 7. Dez. 1965, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 352008, 607-653. Dialog und Verkündigung. Überlegungen und Orientierungen zum Interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi: Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog/Kongregation für die Evangelisierung der Völker, 19. Mai 1991, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 102), Bonn 1991. Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum: Zweites Vatikanisches Konzil, 18. Nov. 1965, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 352008, 367-382. Enzyklika Dominum et Vivificantem. Über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt: Papst Johannes Paul II., 18. Mai 1986, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 71), Bonn 1986.
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Enzyklika Redemptoris Missio: Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages: Papst Johannes Paul II., 7. Dez. 1990, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 100), Bonn 1990. Erklärung Dominus Jesus: Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche: Kongregation für die Glaubenslehre, 6. Aug. 2000, hg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148), Bonn 2000. Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra aetate: Zweites Vatikanisches Konzil, 28. Okt. 1965, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 35 2008, 355-359. Notifikation bezüglich des Buches von Jacques Dupuis „Verso una teologia cristiana del pluralismo religioso“: Kongregation für die Glaubenslehre, 24. Jan. 2001. Abrufbar unter: http://www.vatican.va/roman_curia/ congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20010124_dupuis_ge.html (Stand Juni 2011); abgedruckt in: Salzburger Theologische Zeitschrift 10 (2006) 155-159 (Kommentar: ebd., 160-166). Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes: Zweites Vatikanisches Konzil, 7. Dez. 1965, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 352008, 449-552.
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Jesus Christus und die Religionen
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OLIVER WIERTZ
Warum sorgt Gott nicht für eine wahre Religion? Skizze einer inklusivistischen theistischen Erklärung der Vielfalt der Religionen Ludwig XIV. von Frankreich ließ über Missionare den siamesischen König auffordern, sich zum katholischen Glauben zu bekehren. In einem Brief an den Sonnenkönig antwortete der Herrscher von Siam: „Ich muss mich darüber wundern, dass mein guter Freund, der König von Frankreich, sich so stark für eine Angelegenheit interessiert, die Gott allein angeht. Denn hätte nicht der allmächtige Herr der Welt, wenn er den Menschen Körper und Seelen von ähnlicher Art gab, ihnen auch die gleichen religiösen Gesetze, Anschauungen und Verehrungsformen gegeben, wenn er gewollt hätte, dass alle Nationen der Erde sich zu demselben Glauben bekennen sollten?“ 1 Der König von Siam argumentiert sinngemäß, dass Gott als allmächtiger Schöpfer der Welt die Menschen so schaffen kann, wie er will. Wenn er den Menschen zwar ähnliche Körper und Seelen, aber unterschiedliche Religionen gab, kann man daraus schließen, dass er gar nicht wollte, dass die Menschen sich nur zu einem religiösen Glauben bekennen. Die Antwort des siamesischen Königs wirft die Frage auf, warum Gott die Vielfalt der Religionen2 zulässt, oder in der Formulierung Wilfred Cantwell Smiths: „Die Existenz der Milchstraße erklären wir durch die Lehre von der Schöpfung. Aber wie erklären wir die Exis1 2
H.V. GLASENNAPP, Die fünf Weltreligionen, Düsseldorf-Köln 1963, 7. Die umstrittene Frage nach der Möglichkeit einer Definition des Begriffs „Religion“ kann hier offen bleiben. Auch in der aktuellen religionsphilosophischen Diskussion wird dieses Problem immer noch kontrovers diskutiert. M. Enders etwa beurteilt die Möglichkeit einer praktikablen Religionsdefinition positiv und setzt dafür bei dem universalen umfassenden „Mangel an reiner Gegenwart“ an; W. Löffler dagegen ist skeptisch gegenüber der Möglichkeit substanzialistischer oder funktionalistischer Religionsdefinitionen und bescheidet sich mit einem Familienähnlichkeitskonzept von Religion; siehe M. E NDERS , Ist ‚Religion‘ wirklich undefinierbar? Überlegungen zu einem interreligiös verwendbaren Begriff von Religion, in: Ders./ H. Zaborowski (Hg.), Phänomenologie der Religion. Zugänge und Grundfragen, Freiburg 2004, 49-87; W. L ÖFFLER , Einleitung in die Religionsphilosophie, Darm-
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tenz der Bhagavad Gita?“ 3 Dies ist die religionstheoretische Grundfrage nach einer adäquaten religiösen Erklärung der religiösen Vielfalt, die in den drei religionstheoretischen Grundmodellen, die es gibt, unterschiedlich beantwortet wird.
1. DIE DREI RELIGIONSTHEORETISCHEN GRUNDMODELLE UND IHRE ANTWORTEN AUF DIE RELIGIONSTHEORETISCHE GRUNDFRAGE In der gegenwärtigen philosophischen und theologischen Diskussion der religiösen Vielfalt hat sich die Unterscheidung zwischen drei religionstheoretischen Positionen durchgesetzt, die sich auch als unterschiedliche Antworten auf die religionstheoretische Grundfrage verstehen lassen. Diese drei Grundmodelle der Bewertung und Deutung der religiösen Vielfalt sind der Exklusivismus, der Inklusivismus und der Pluralismus. 4 Bei dieser Einteilung ist zu beachten, dass sie sich auf die epistemische Frage nach der Wahrheit bzw. Rationalität der Religionen oder auf die soteriologische Frage nach der positiven Heilsrelevanz der Religionen beziehen kann. Zusätzlich ist zwischen unterschiedlich starken Varianten der einzelnen Positionen zu unterscheiden.
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stadt 2006, 11-16. Im Folgenden setze ich voraus, dass wir einige eindeutige Beispiele von Religionen und Nichtreligionen kennen, dass dieses Wissen für die Formulierung zumindest grober Identifikationskriterien von „Religion“ ausreicht und dass diese Kriterien in unserem Kontext genügen; für eine anspruchsvollere Konzeption eines essentialistischen Religionsbegriffs siehe R. SCHAEFFLER , Auf dem Weg zu einem philosophischen Begriff der Religion, in: W. Kern/H.J. Pottmeyer/M. Seckler (Hg.), Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 1: Traktat Religion, Tübingen-Basel 2 2000, 33-46. Mir scheint allerdings, dass die von Schaeffler genannten Aufgaben (z. B. die Formulierung angemessener Kriterien zur Beurteilung von Religionen) auch ohne einen Wesensbegriff der Religion bewältigt werden können, der immer in dem Dilemma steckt, entweder zu weit-unspezifisch oder zu eng-konkret zu sein. W.C. SMITH, The Christian in a religiously plural world, in: W.G. Oxtoby (Hg.), Religious Diversity: Essays by Wilfred Cantwell Smith, New York 1976, 16; zitiert nach: P. SCHMIDT -LEUKEL , Gott ohne Grenzen. Eine christliche und pluralistische Theologie der Religionen, Gütersloh 2005, 33. Terminologisch ist zwischen „Pluralität“ und „Pluralismus“ zu unterscheiden. „Religiöse Pluralität“ ist eine rein deskriptive Bezeichnung des Umstands, dass es eine Vielfalt von Religionen gibt. „Pluralismus“ ist dagegen ein normativer Begriff, der eine positive Wertung der religiösen Vielfalt beinhaltet. Zu den drei Grundmodellen vgl. auch den Beitrag von Jörg Disse im vorliegenden Band (bes. S. 151f.).
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Exklusivismus Der Exklusivismus behauptet, dass das Christentum die einzig wahre Religion bzw. die einzige Religion ist, die Heil vermittelt. In Bezug auf den epistemischen Exklusivismus lassen sich zwei Varianten unterscheiden: die radikale These, dass andere Religionen überhaupt keine religiös relevante Wahrheit besitzen, und die gemäßigte These, die nicht ausschließt, dass sich auch in anderen Religionen Wahrheit findet, aber davon ausgeht, dass alle von den zentralen christlichen Glaubenslehren abweichenden Sätze falsch sind. Der soteriologische Exklusivismus tritt in drei Varianten auf. Der radikale Exklusivismus lehnt jede Heilsmöglichkeit für Nichtchristen ab. Der gemäßigte Exklusivismus behauptet zwar, dass auch Nichtchristen Heil erlangen können, leugnet aber jeden positiven Beitrag nichtchristlicher Religionen zum Heil. Der agnostische Exklusivist schließlich hüllt sich in Bezug auf das Heil der Nichtchristen in Schweigen. Der Exklusivismus hat in der einen oder anderen Form die Stellung des Christentums zu den anderen Religionen bis ungefähr zur Mitte des letzten Jahrhunderts bestimmt.
Inklusivismus Die Grundthese des Inklusivismus lautet, dass nicht nur das Christentum Heil und wahre Gotteserkenntnis vermittelt, dass es jedoch Heil und wahre Gotteserkenntnis in einem alle anderen Religionen überbietenden Höchstmaß enthält. Das in den anderen Religionen enthaltene Gute und Wahre ist Ergebnis der um Christi willen geschenkten göttlichen Gnade und drängt danach, in christlicher Form ausdrücklich zu werden. Obwohl der (relative) soteriologische und epistemische Wert anderer Religionen anerkannt wird, bleibt der christliche Glaube als prinzipielle Bewertungsnorm aller anderen Religionen unangetastet. 5 Der epistemische Inklusivismus rechnet mit wahrer Gotteserkenntnis auch außerhalb des Christentums. Der abgeschlossene Inklusivismus bestreitet allerdings die Möglichkeit, dass sich in anderen Religionen wahre Erkenntnisse über Gott finden, die nicht im christlichen
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Siehe z.B. K. R AHNER , Das Christentum und die nichtchristlichen Religionen, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. 5, Einsiedeln-Zürich-Köln 2 1964, 136-158.
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Glauben enthalten sind, während der offene Inklusivismus diese Möglichkeit nicht ausschließt. 6 Der Inklusivismus stellt so etwas wie den Mainstream zumindest in der gegenwärtigen Religionsphilosophie dar.
Pluralismus Der religionstheoretische Pluralismus beruht auf einer im Grunde einfachen These und wird erst durch deren Begründung und Verteidigung zu einer komplexen Position. Die Grundthese lautet, dass das Christentum nicht (notwendig) in einem höheren Maß Heil und Gotteserkenntnis vermittelt als andere Weltreligionen. Die großen religiösen Traditionen stellen zwar unterschiedliche, aber prinzipiell gleichberechtigte Wahrnehmungen des Transzendenten und Wege zur Erlösung dar. Sie sind Ergebnis von Begegnungen mit der transzendenten Wirklichkeit, die allerdings durch das Raster der unterschiedlichen kulturellen und anderen Vorgegebenheiten bestimmt und daher unterschiedlich interpretiert und überliefert werden. 7 Keine der großen Weltreligionen kann auf rationale Weise einen epistemischen oder soteriologischen Vorrang vor den anderen beanspruchen. Diese Kombination der Anerkennung der religiösen Verschiedenheit mit der prinzipiellen Möglichkeit von epistemischer und soteriologischer Gleichwertigkeit und damit die Hochschätzung von religiöser Pluralität ist das eigentlich Neue in der philosophischtheologischen Diskussion der religiösen Vielfalt. 8 Die Frage nach möglichen Gründen für die Vielfalt der Religionen deckt eine Schwäche vieler exklusivistischer und inklusivistischer Theorien auf, die keine überzeugende Erklärung für die Existenz der anderen Religionen geben und sich mit dieser Frage oft überhaupt nicht auseinandersetzen. Die Existenz anderer Religionen verlangt aber gerade in der inklusivistischen und exklusivistischen Perspektive nach einer theologischen Erklärung, da für Exklusivismus und Inklusivismus die Existenz anderer Religionen prima facie einen (mehr oder weniger gravierenden) „Mangel“ darstellt und sich daher die Frage 6
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Zu dieser Unterscheidung, die nur selten ausdrücklich gemacht wird, vgl. P.J. G RIFFITHS , Problems of Religious Diversity, Malden (MASS)-Oxford 2001, 59f. Siehe z.B. J. H ICK, Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod, München 1996. P. SCHMIDT -LEUKEL , Theologie der Religionen. Probleme, Optionen, Argumente, Neuried 1997, 243.
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nach dem Grund dieses (in einem weiten Sinn verstandenen) „Übels“ stellt. 9 Die pluralistische Religionstheorie dagegen scheint auf die Frage nach der Erklärung der Vielfalt der Religionen eine gute Antwort zu haben. Zum einen verliert die Vielfalt der Religionen in der pluralistischen Perspektive den Charakter eines Mangels, da die großen, sich in und nach der Achsenzeit (800 bis 200 v.Chr.) ausbildenden Religionen epistemisch und soteriologisch gleichberechtigt erscheinen, und zum anderen können Pluralisten wie Hick die Entstehung so unterschiedlicher Religionen wie des Buddhismus und des Islam mit den unterschiedlichen kulturellen Bedingungen erklären, unter denen es zu den Erfahrungen der transzendenten Wirklichkeit kommt, die den Weltreligionen zu Grunde liegen. Entsprechend haben Vertreter einer pluralistischen Religionstheorie (zu Recht) darauf hingewiesen, dass das Phänomen der religiösen Vielfalt eine adäquate theologische Erklärung verlangt, wenn es nicht Ausgangspunkt eines naturalistischen Arguments gegen die Wahrheit bzw. Rationalität des christlichen und überhaupt jedes religiösen Glaubens werden soll.10 Da nur die pluralistische Religionstheorie die religiöse Vielfalt plausibel erklären könne, sei sie auch aus diesem Grund den anderen religionstheoretischen Positionen überlegen. Die religionstheoretische Grundfrage wird so zur Basis eines Arguments für die pluralistische Religionstheorie, die als einziges religionstheoretisches Modell adäquat mit dieser Frage umgehen könne.
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Exklusivisten bewerten die religiöse Vielfalt offensichtlich als ein Übel, da die nichtchristlichen Religionen gar keine oder zumindest weniger Wahrheit als das christliche Glaubensbekenntnis enthalten und entweder soteriologisch irrelevant sind oder sogar negative Auswirkungen haben. Auch für Inklusivisten ist die religiöse Vielfalt zumindest ein Mangel, da auf Grund der religiösen Vielfalt nicht alle Menschen die gleichen Chancen zur Erkenntnis religiöser Wahrheit bzw. zur Erlangung endgültigen Heils zu besitzen scheinen. Außer der im vorliegenden Aufsatz behandelten soteriologischen oder „Theodizee-“ Version des Problems der religiösen Vielfalt gibt es noch eine epistemische Variante, die aus der Vielfalt der Religionen auf die Unzuverlässigkeit der Begründungen für die Wahrheit der einzelnen Religionen schließt. Die klassische Formulierung dieses Problems findet sich im zweiten Teil des zehnten Kapitels von David Humes “Enquiry concerning human understanding”. Für die Andeutung einer möglichen Antwort auf das epistemische Problem der religiösen Vielfalt siehe O.J. W IERTZ , Eine Kritik an John Hicks pluralistischer Religionstheologie aus der Perspektive der philosophischen Theologie, in: Theologie und Philosophie 75 (2000) 388-416, 402-406.
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Im Folgenden soll dagegen eine mögliche11 (nichtnaturalistische)12 nichtpluralistische Erklärung der Vielfalt der Religionen skizziert werden.13 Dazu muss zuerst das Problem der religiösen Pluralität analysiert werden. Danach werden exklusivistische Lösungsansätze vorgestellt und als unzureichend kritisiert, um schließlich eine inklusivistische Erklärung des Phänomens der religiösen Vielfalt zu skizzieren.
2. DAS PROBLEM DER VIELFALT DER RELIGIONEN Das „Problem der religiösen Vielfalt“ soll in Strukturanalogie zum „Argument aus dem Übel“ formuliert und analysiert werden. Das antithe11
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„Möglich“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die folgende Skizze zwar konsistent und epistemisch gerechtfertigt, aber nicht wahr sein muss, damit sie ihr Ziel erreicht. Der zu Grunde gelegte epistemische Möglichkeitsbegriff ist enger als der Begriff der logischen Möglichkeit, der nur logische Konsistenz voraussetzt, aber nicht Rationalität in dem Sinn, dass die Gründe für die Wahrheit der Skizze stärker als die Gründe dagegen sind. Die folgenden Ausführungen sind ein Beispiel für die Tendenz zur Aufweichung der strikten Trennung zwischen Religionsphilosophie und systematischer Theologie innerhalb der analytischen Religionsphilosophie – was nicht heißt, die Unterschiede zu leugnen. Es wird im Folgenden nicht die Wahrheit der grundlegenden, den großen christlichen Konfessionen gemeinsamen Glaubenslehren vorausgesetzt, sondern nur untersucht, ob einige von ihnen widerspruchsfrei und kohärent mit der Tatsache der religiösen Vielfalt zusammengedacht werden können. Hinweise auf Bibelstellen oder kirchliche Lehrdokumente haben keinen Begründungswert, sondern dienen nur dem Hinweis auf bestimmte christliche Positionen bzw. deren Veranschaulichung; zu dieser Art christlicher „philosophischer Theologie“ vgl. u.a. A.G. P ADGETT, The Relationship between Theology and Philosophy. Constructing a Christian Worldview, in: J.K. Beilby (Hg.), For Faith and Clarity. Philosophical Contributions to Christian Theology, Grand Rapids (MI) 2006, 25-44. Naturalistisch werden Existenz und Vielfalt von Religionen reduktiv als bloßes Ergebnis rein natürlicher Ursachen erklärt. „Erklärung“ wird hier im Sinn der Vereinheitlichungstheorie der Erklärung verstanden. Entscheidende Aufgabe von Erklärungen ist Vereinheitlichung im Sinn der Verbindung scheinbar unzusammenhängender Phänomene/Phänomenbereiche, indem diese als Teil einer größeren Einheit beschrieben werden. In Bezug auf die Frage nach einer christlichen Erklärung des Phänomens der religiösen Vielfalt heißt dies, dass gezeigt werden muss, wie dieses Phänomen in die christlichtheistische Gesamtdeutung der Wirklichkeit integriert werden kann. Zu dem Begriff einer Erklärungsskizze im Gegensatz zu einer ausgeführten Erklärung siehe u.a. C.G. H EMPEL , Explanation in Science and in History, in: H. Ruben (Hg.), Explanation, Oxford 1993, 17-41, 27: “an explanation sketch […] may suggest […] the general outlines of what, it is hoped, can eventually be supplemented so as to yield a more closely reasoned argument based on explanatory hypotheses which are indicated more fully, and which more readily permit of critical appraisal by reference to empirical evidence.”
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istische Argument aus dem Übel basiert auf der scheinbaren logischen Unvereinbarkeit folgender drei Aussagen: 1) Gott ist allmächtig. 2) Gott ist moralisch vollkommen. 3) Es existieren Übel. Da die Leugnung von Satz 3) irrational ist, 14 scheint es notwendig zu sein, mindestens eine der beiden anderen Aussagen, und damit die Behauptung der Existenz des theistischen Gottes, aufzugeben. Wenn religiöse Pluralität in nichtpluralistischen Entwürfen als Übel erscheint, stellt sich die Frage, wie ein allmächtiger und moralisch vollkommener Gott eine solche Vielfalt zulassen kann. Ausgehend von dieser Frage lässt sich ein Argument gegen nichtpluralistische Theismusversionen formulieren, das ausführlich in der Form präsentiert werden soll, wie es sich gegen die exklusivistische Variante des christlichen Glaubens richtet: 1) Gott ist moralisch vollkommen und allwissend. (Prämisse) 2) Gott will das Heil aller Menschen. (aus 1) 3) Um Heil zu erlangen, müssen Menschen an Gott und seine Offenbarung glauben. (Prämisse) 4) Gott ist allmächtig. (Prämisse) 5) Ein allmächtiges Wesen verwirklicht seinen Willen. (Def. von „Allmacht“) ... 6) Alle Menschen erreichen das Heil. (aus 2 und 5) 15 7) Es gibt sich widersprechende „Offenbarungen“, die von Menschen geglaubt werden. (Prämisse) 8) Wenn „Offenbarungen“ sich widersprechen, können nicht alle „Offenbarungen“ wahr sein. (Prämisse) 9) Manche „Offenbarungen“, die von Menschen geglaubt werden, sind nicht wahr. (aus 7 und 8) 10) Gott offenbart nichts, was nicht wahr ist. (aus 1) 11) „Offenbarungen“, die nicht wahr sind, stammen nicht von Gott. (aus 10) 12) Nicht alle „Offenbarungen“, die von Menschen geglaubt werden, stammen von Gott. (aus 9 und 11)
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Für Vertreter einer religiösen Erlösungslehre würde eine solche Leugnung darüber hinaus zur Inkonsistenz führen, da der Begriff der „Erlösung“ semantisch parasitär ist zum Begriff des Übels, von dem erlöst werden soll. ... steht für quod erat demonstrandum und kennzeichnet die Konklusion eines Arguments.
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13) Manche Menschen glauben an „Offenbarungen“, die nicht von Gott stammen. (aus 12) ... 14)Manche Menschen erreichen nicht das Heil. (aus 3 und 13) Da die Sätze 6 und 14 einander widersprechen, muss mindestens eine Prämisse (mindestens einer der Sätze 1, 3, 4, 7 und 8) falsch 16 oder mindestens eine logische Ableitung aus den Prämissen ungültig sein.
3. UNZUREICHENDE EXKLUSIVISTISCHE LÖSUNGSVERSUCHE DES PROBLEMS DER VIELFALT Wenn sich Exklusivisten beim Lösungsversuch des Problems der religiösen Vielfalt an Lösungsversuchen des Problems des Übels orientieren, könnten sie (in Anlehnung an A. Plantingas Lösungsversuch des logischen Problems der natürlichen Übel) 17 die nicht von Gott stammenden angeblichen Offenbarungen satanisch-dämonischem Wirken zuschreiben. Allerdings verlagert dieser Rekurs auf satanisches Wirken auch im besten Fall das Problem der Vielheit der Religionen nur auf eine höhere Ebene, da die Annahme unplausibel, wenn nicht sogar logisch widersprüchlich ist, dass ein allmächtiger und moralisch vollkommener Gott (der dazu noch alle Menschen liebt) das satanische Wirken zugelassen hat, auf Grund dessen Menschen ihr ewiges Heil (ohne offensichtliche eigene Schuld) verlieren. 18 Erfolgversprechender scheint es, die Vielheit der Religionen auf menschliche Bosheit zurückzuführen. Die Vielheit der Religionen wird in diesem Lösungsversuch auf die freie Entscheidung19 von Menschen 16
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Da bei zwei sich widersprechenden Aussagen die Wahrheit der einen Aussage die Wahrheit der anderen Aussage ausschließt, kann von zwei sich widersprechenden Aussagen höchstens eine Aussage wahr sein (bei kontradiktorischen Gegensätzen muss eine Aussage wahr sein). Siehe z.B. A. PLANTINGA , God And Other Minds. A Study of the Rational Justification of Belief in God, Ithaca-London 2 1994, 149-151. Zudem ist diese Option seit Vatikanum II innerhalb der katholischen Theologie nicht unproblematisch. Die Konzilsdokumente Nostra aetate und Lumen gentium sagen ausdrücklich, dass die Muslime den alleinigen Gott anbeten und die Juden die Offenbarung des Alten Testaments und den Bund mit Gott empfingen und sich auch in den anderen Religionen Wahrheit und Gutes finden (NA 4; LG 16). Wenn Gott in diesen beiden Religionen wirklich angebetet wird bzw. sich selbst offenbart, kann man den jüdischen und muslimischen Glauben nicht einfach auf satanisches Wirken zurückführen. Allerdings wird bei der Begründung der christlichen Mission in LG 16 auf das Wirken des Bösen (a Maligno decepti) verwiesen. „Freiheit“ wird im Sinn des für den libertären Inkompatibilismus charakteristischen Prinzips der alternativen Möglichkeiten verstanden, dass eine Person genau
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zurückgeführt, nicht dem wahren Gott zu folgen, sondern Einbildungen oder Lügen über Gottes Offenbarung Glauben zu schenken (und sie zu verbreiten). Da die menschliche Freiheit eine von Gott zugelassene logische Grenze seiner Allmacht bildet, scheint mit dieser Antwort das logische Problem der Vielfalt der Religionen gelöst. Es wird deutlich, dass Satz 5 ungenau formuliert und dahingehend zu qualifizieren ist, dass Gott nur logisch Mögliches verwirklichen kann. 20 Deshalb muss Satz 6 durch Satz 6’ ersetzt werden, der besagt, dass alle Menschen das Heil erreichen, soweit dies logisch möglich ist. Wenn Gott die Freiheit des Menschen respektiert, ist die Garantie, dass alle Menschen das Heil erreichen, aber logisch unmöglich. Wenn ein Mensch freiwillig einer falschen Offenbarung glaubt und sich damit freiwillig gegen Gottes wahre Offenbarung und das Heil entscheidet, muss Gott diese Entscheidung respektieren (wenn Gott die Existenz von auch in soteriologisch relevanten Angelegenheiten freien Wesen will), und deswegen widerspricht Satz 6’ nicht Satz 14. Allerdings bleibt offen, warum Gott die Ausbreitung falscher Offenbarungsbotschaften zugelassen hat. Der Exklusivist könnte antworten, dass zum einen Gott nicht zu oft in das Weltgeschehen eingreifen darf, wenn er die Autonomie des Menschen nicht gefährden will, und dass zum anderen erst die Auswahl zwischen verschiedenen Offenbarungsansprüchen dem Menschen eine tatsächliche ernsthafte Wahl für oder gegen Gott und die wahre Offenbarung erlaubt. Dies ist eine konsistente und zumindest prima facie plausible Lösung des Problems der Vielfalt der Religionen. Allerdings löst diese Antwort nicht das Problem, dass Menschen, die nicht der wahren Offenbarung Gottes begegnen, weil zu ihnen nicht die Botschaft von Jesus Christus gelangt ist, ohne ersichtliche eigene Schuld das Heil verlieren. Zudem stellt sich das Problem derjenigen Menschen, die zwar der christlichen Botschaft begegnen, bei denen diese Begegnung aber unter solchen Umständen geschieht, dass sie nach ernsthaften Überlegungen gemäß ihren religiösen und epistemischen Maßstäben völlig gerechtfertigt zu der Überzeugung kommen, dass diese Botschaft keine göttliche Offenbarung sein kann und deswegen nicht geglaubt werden darf. 21
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dann sich in der Situation S frei für x entscheidet, wenn P sich in S auch gegen x hätte entscheiden können. Auch dieser Satz stellt keine befriedigende Allmachtsdefinition dar, genügt aber im vorliegenden Zusammenhang. Die mögliche Antwort, dass diese Menschen nicht das ewige Heil „verdienen“, weil sie nicht der wahren Offenbarung, sondern ihrer eigenen Vernunft folgen und da-
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Solche Menschen scheinen allein auf Grund des von ihnen nicht zu verantwortenden Zufalls des Zeitpunktes bzw. Ortes ihrer Geburt und ihres weiteren Lebens ohne eigene Schuld nicht das ewige Heil zu erlangen. Dies ist ungerecht und ein Übel, das mit der Existenz eines moralisch vollkommenen allwissenden und allmächtigen Gottes nicht vereinbar ist. 22 Den zur Zeit ausgefeiltesten Antwortversuch auf diese Kritik stellt W.L. Craigs Hypothese dar, dass Gott auf Grund seines „mittleren Wissens“ (scientia media) schon im Voraus weiß, welche Menschen sich auch unter optimalen Umständen frei gegen die wahre Offenbarung entscheiden, und dass er ihnen deshalb seine Offenbarung in unserer tatsächlichen Welt erst gar nicht zugänglich macht. 23 Nach der auf den Jesuiten Luis de Molina zurückgehenden Lehre von Gottes mittlerem Wissen weiß Gott (vorgängig zu seiner Entscheidung über die Schöpfung einer Welt), wie sich jedes Geschöpf in jeder möglichen Situation frei entscheiden bzw. verhalten würde. 24 In der Terminologie
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mit ihre Vernunft an Gottes Stelle setzen, ist nicht überzeugend, da diese Menschen nicht zwischen Vernunft und Gott wählen (sie können ja gar nicht wissen, dass es sich um eine Entscheidung gegen Gott handelt), sondern ihre Vernunft benutzen, um Gott zu erkennen – und dies ist sicher nicht verwerflich. Man könnte einwenden, dass dieser antiexklusivistischen Kritik eine Konzeption von moralischer Vollkommenheit bzw. Gerechtigkeit zu Grunde liegt, die eine starke Unparteilichkeitsforderung impliziert: ein moralisch vollkommenes, gerechtes Wesen muss alle Menschen gleich behandeln, unabhängig von deren Eigenschaften und Handlungen. Ein so extremer Unparteilichkeitsstandpunkt sei aber weder plausibel noch mit der Deutung von Gottes Liebe zu den Menschen als Freundschaftsliebe vereinbar, die nicht unparteilich sein kann, weil der Wunsch Gottes, mit uns Gemeinschaft wie unter Freunden zu haben, auch von den menschlichen Antworten auf dieses Freundschaftsangebot abhängt (siehe S. F LOYD , Preferential Divine Love. Or, Why God Loves Some People More Than Others, in: Philosophia Christi 11 [2009] 359-376). Allerdings impliziert die vorgetragene Kritik des soteriologischen Exklusivismus keine radikale Unparteilichkeitsthese, denn es wird nicht gefordert, dass Gott alle Menschen gleich behandelt, was tatsächlich wenig überzeugend wäre, sondern nur, dass alle Menschen überhaupt die gleichen Chancen haben, sich für das Angebot der göttlichen Freundschaft (und damit das ewige Heil) entscheiden zu können (Gott also gerecht, im Sinn von fair, ist). Siehe W.L. C RAIG, No Other Name. A Middle Knowledge Perspective on the Exclusivity of Salvation through Christ, in: Faith and Philosophy 6 (1989) 172-188; D ERS ., Middle Knowledge and Christian Exclusivism, in: Sophia 34 (1995) 120-139. Siehe den neunten Abschnitt der 52. Disputation in Molinas erstmals 1588 veröffentlichter Concordia (deren vollständiger Titel lautet: Liberi Arbitrii cum Gratiae donis, Divina Praescientia, Providentia, Praedestinatione et Reprobatione Concordia). Eine zeitgenössische Darstellung, Verteidigung und Anwendung der Lehre von der scientia media dei findet sich in: T.P. F LINT, Divine Providence. The Molinist Account, Ithaca-London 1998.
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der möglichen Welten 25 ausgedrückt: Gott kennt alle möglichen Welten und damit die jeweiligen freien Entscheidungen und Handlungen, die in jeder einzelnen möglichen Welt enthalten sind, und kann auf Grund dieses Wissens entscheiden, welche zukünftigen freien Entscheidungen und Handlungen sich ereignen sollen, indem er auf der Grundlage seiner scientia media entscheidet, welche mögliche Welt (mit den in ihr enthaltenen freien Entscheidungen und Handlungen) er schafft (genauer gesagt: aktualisiert). Wenn Gott auf Grund seiner scientia media weiß, dass bestimmte Menschen sich in jeder möglichen Welt, unter besten Umständen und frei (d.h. verantwortlich) gegen Gottes Offenbarung entscheiden, ist er moralisch gerechtfertigt, eine mögliche Welt zu aktualisieren, in der diese Menschen dem Zeugnis über die wahre göttliche Offenbarung überhaupt nicht oder nicht in adäquater Weise begegnen. Dass diese Menschen kein Heil erlangen, ist nicht Ergebnis der zufälligen Tatsache, dass sie der christlichen Offenbarung nicht (in adäquater Weise) begegnet sind, sondern Ergebnis der (nichtkontingenten) Tatsache, dass sie sich in jeder möglichen Welt frei gegen die göttliche Offenbarung entscheiden würden. Die Ablehnung der christlichen Offenbarung ist eine essentielle Eigenschaft dieser Menschen, die man als „transweltliche Ungläubige“ bezeichnen kann. Allerdings wirft Craigs Theorie mehr Probleme auf, als sie löst. Ein wesentlicher Teil dieser Probleme hängt mit der Theorie der scientia media zusammen. Zum einen setzt die Möglichkeit eines mittleren Wissens voraus, dass eine Proposition über ein zukünftiges kontingentes Ereignis bereits vor dem Eintreffen bzw. endgültigen Nichteintreffen des Ereignisses einen definiten Wahrheitswert besitzt. Wenn aber bereits vor dem Eintreten des Ereignisses E zum Zeitpunkt t der Wahrheitswert der Proposition P, dass E in t eintritt, feststehen würde, wäre das Nichteintreten von E logisch unmöglich, da die Wahrheit von P voraussetzt, dass E eintritt, und wenn P vor t wahr ist, vor t feststeht, dass E in t eintreten wird. Wenn aber vor t feststeht, dass E eintritt, ist E kein kontingentes Ereignis, da es nicht mehr möglich ist, dass E in t nicht eintritt. Ein weiteres Problem betrifft die Individuierung und Aktualisierung möglicher Welten, die libertär freie Entscheidungen beinhalten. Entscheidendes Kennzeichen des Libertarianismus ist, dass die freie Person A unter sonst gleichen Umständen auch anders hätte entschei25
Sehr vereinfacht gesagt ist eine mögliche Welt eine umfassende Art und Weise, wie die Dinge sich verhalten können. Eine mögliche Welt ist ein Gebilde, in dem für jeden Sachverhalt feststeht, ob er verwirklicht ist oder nicht.
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den können, als A tatsächlich entschieden hat. Dies wirft die Frage auf, wie Gott zwischen den Umständen unterscheiden kann, unter denen A sich frei für H entschieden hätte, und denen, unter denen A sich frei nicht für H entschieden hätte, und wie Gott über die Aktualisierung einer bestimmten Situation S garantieren kann, dass A sich tatsächlich für und nicht gegen H entscheidet (ohne A in S zu H zu determinieren). Gemäß dem Libertarianismus lässt sich diese Frage nicht beantworten, da es eine mögliche Situation Snon geben muss, in der sich A gegen H entscheidet und die sich nicht auf Grund ihrer vollständigen Eigenschaften E 26 von der Situation S unterscheidet, in der P sich für H entscheidet. Wenn A libertär frei ist, muss es eine mögliche Welt Wnon-H geben, in der A sich frei gegen H entscheidet, und die sich in Bezug auf E in nichts von unserer aktualen Welt WH unterscheidet, in der sich A frei für H entscheidet. Wie kann Gott zwischen der Aktualisierung von WH und Wnon-H unterscheiden? Craig könnte antworten, dass Gott einfach die mögliche Welt WH aktualisiert, in der sich A frei für H entscheidet, und nicht die Welt Wnon-H, in der A sich frei gegen H entscheidet. Aber wie unterscheiden sich WH und Wnon-H? Gott kann nur WH anstelle von Wnon-H aktualisieren, wenn er auch die freie Entscheidung von A in S für H aktualisiert und damit die Entscheidung A’s bereits bei der Wahl der möglichen Welt, die er aktualisiert, festlegt. Dies ist aber gerade nicht möglich, wenn H in S libertär frei sein soll. Abgesehen von diesen und anderen Problemen der scientia media stellt sich die Frage, warum Gott überhaupt transweltliche Ungläubige schaffen sollte, von denen er bereits vor ihrer Erschaffung weiß, dass sie nicht das ewige Heil erlangen. Craigs Behauptung, die Existenz von transweltlichen Ungläubigen könnte notwendig sein, damit eine möglichst große Zahl von Menschen das Heil erreicht, ist unplausibel, da er keinen Grund für die Annahme dieser Möglichkeit nennt. Zudem würde Gott in diesem Fall die transweltlichen Ungläubigen als bloßes Mittel zum Zweck, als bloße Instrumente dafür gebrauchen, dass andere Menschen Heil erreichen. Dies widerspricht der grundlegenden ethischen Überzeugung von der Würde des Menschen, die es verbietet, ihn ausschließlich als bloßes Mittel zu behandeln. 27 26
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Unter den vollständigen Eigenschaften E der Situation S sollen alle Eigenschaften von S verstanden werden, außer der Entscheidung A’s für oder gegen H in S. Dieses Problem wird noch durch die Möglichkeit verschärft, dass manche Nichtchristen ein mit solchen Übeln belastetes schweres Leben führen, dass Gott unter Umständen moralisch verpflichtet ist, ihnen in einem Leben nach dem Tod eine Möglichkeit zur Kompensation dieser erlittenen Übel zu geben (zu diesen Überlegungen siehe u.a. R. S WINBURNE , The Existence of God, Oxford 2 2004). Der Exklu-
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Auch wenn sich diese Probleme lösen ließen, stellt sich immer noch die Frage nach Gründen für die Annahme, dass die Gründer und Anhänger anderer Religionen bei der Verbreitung und Annahme nichtchristlicher „Offenbarungen“ vor allem aus moralisch schlechten Motiven gehandelt haben. Auf der Grundlage der Zeugnisse über das Verhalten und den moralischen Charakter großer Religionsstifter, wie Buddha, oder hervorragender Anhänger nichtchristlicher Religionen, wie z.B. Ghandi, lässt sich kein signifikanter empirischer Unterschied zu dem Stifter und den Anhängern der christlichen Religion feststellen, der eine solche Annahme stützen würde. 28 Es scheint keine neutrale nichtzirkuläre Begründung für die These zu geben, dass vom christlichen Glauben unterschiedene Offenbarungsansprüche allein auf die Bösartigkeit von Menschen zurückgehen, die daher als unbegründete ad hoc-Hypothese gelten muss. Entgegen dem ersten Anschein stellt auch der Lösungsversuch mit Hilfe des Rekurses auf menschliche Freiheit und deren Missbrauch keine befriedigende Lösung der exklusivistischen Variante des soteriologischen Problems der religiösen Vielfalt dar.
4. EIN INKLUSIVISTISCHER LÖSUNGSVERSUCH DES SOTERIOLOGISCHEN PROBLEMS DER RELIGIÖSEN VIELFALT Es scheint, dass das soteriologische Argument aus der religiösen Vielfalt tatsächlich auf einen Widerspruch innerhalb (exklusivistischer)
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sivist müsste zur Lösung dieses Problems einen von der seligen Anschauung Gottes unterschiedenen glücklichen (zeitlich begrenzten) postmortalen Zustand annehmen, der den Nichtchristen zur Kompensation der erlittenen Übel dient. Eine solche Annahme verkompliziert allerdings die christliche Glaubenslehre, und eine Position, die ohne diese Komplikation auskommt, ist ceteris paribus vorzuziehen. Für Exklusivisten, die als Alternative zum Nichterreichen des ewigen Heils nur die ewige Verdammnis in der Hölle kennen, stellt zudem das Nichterreichen ewigen Heils ein so schweres Übel dar, dass sich Gottes Schöpfung von Menschen, von denen er weiß, dass sie sich endgültig gegen das ewige Heil (und damit für die Hölle) entscheiden werden, nicht rechtfertigen lässt. Der mögliche christliche Einwand, dass Buddha im Gegensatz zu Jesus Christus nicht (essentiell) sündenlos war, ist irrelevant, da es zur Widerlegung der These von moralischer Verdorbenheit als entscheidender Ursache nichtchristlicher Offenbarungsansprüche genügt zu zeigen, dass keine Zeugnisse dafür sprechen, dass Buddha signifikant sündiger gehandelt hat als Christus. Die Frage nach Christi Freiheit von der Erbsünde im Gegensatz zu Buddhas Belastung mit der Erbsünde spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle, da die Erbsündenlehre und die Lehre von der Sündenlosigkeit Christi die Wahrheit des christlichen Glaubensbekenntnisses voraussetzen und vor allem nicht empirisch überprüfbar sind.
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christlicher Glaubensüberzeugungen hinweist. Dieser Widerspruch kann zwei Ursachen haben: entweder ist mindestens einer der in dem Argument angeführten Sätze falsch oder eine Ableitung ungültig. Da alle Ableitungen offensichtlich gültig sind, soll im Folgenden zuerst untersucht werden, welche Prämisse aufgegeben oder modifiziert werden muss. Die Prämissen 1 und 4 im Argument aus der Vielfalt sind als Bestandteile des christlich-theistischen Gottesbegriffs nicht aufgebbar. Satz 2 ergibt sich aus 1. 29 Satz 5 (bzw. 5’ „Ein allmächtiges Wesen verwirklicht seinen Willen, soweit dies logisch möglich ist“) ist eine bloße Explikation von ‚allmächtig‘. Satz 6 (bzw. die modifizierte Fassung 6’ „Alle Menschen erreichen das Heil, soweit dies logisch möglich ist“) ergibt sich aus 2 und 5. Satz 7 ist eine empirisch sehr gut begründete Feststellung. Die bekannten Probleme pluralistischer Religionstheorien, die Bedeutung religiöser Glaubenslehren bzw. allgemein den Begriff der Wahrheit im religiösen Kontext so zu deuten, dass der substanzielle Widerspruch zwischen den Glaubensbekenntnissen der Religionen verschwindet, sprechen dafür, dass die Aussichten, durch die Aufgabe oder Modifikation von 8 das Problem der Vielheit zu lösen, gering sind. Satz 9 ergibt sich notwendig aus den Sätzen 7 und 8. Die Annahme der Wahrheit von Satz 10 ergibt sich aus der Annahme der moralischen Vollkommenheit und Allwissenheit Gottes, 30 11 folgt aus 10, 12 aus der Konjunktion von 9 und 11, und 13 ergibt sich aus 12. Satz 14 schließlich wird durch die Konjunktion von 3 und 13 impliziert. Es bleibt nur noch Satz 3 übrig. Satz 3 scheint aus dem Zeugnis der Heiligen Schrift und der Tradition der christlichen Kirchen zu folgen, aber er lässt sich unterschiedlich verstehen. Zum einen ist offen, ob Menschen zu ihrem Heil schon auf Erden an Gott und seine Offenbarung glauben müssen oder ob es sich auch um einen Glauben post mortem handeln kann. Zum anderen lässt Satz 3 offen, ob man an die einzige Offenbarung Gottes in Jesus Christus glauben muss oder ob es 29 30
Er ist auch biblisch belegt, siehe z.B. 1 Tim 2,4. Wenn Gott allwissend ist, kann er sich nicht täuschen, und wenn er moralisch vollkommen ist, will er niemanden täuschen. Wer sich weder täuschen kann noch jemanden täuschen will, teilt anderen nur wahre Aussagen mit. Allerdings ist die Bestimmung der genauen Bedeutung von Satz 10 komplizierter, als es zunächst scheinen mag; vgl. R. SWINBURNE , Revelation. From Metaphor to Analogy, Oxford 1992, 76ff. Swinburne argumentiert für die These, dass Gott moralisch gerechtfertigt ist, auch Unwahrheiten zu offenbaren, wenn diese für das Heil der Offenbarungsempfänger nicht relevant sind, aber das Verständnis des Offenbarungsinhalts erleichtern.
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noch andere Offenbarungen Gottes gibt. Wenn man Satz 3 in einer engen exklusivistischen Interpretation so versteht, dass Menschen in ihrem irdischen Leben an die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth glauben müssen, um das ewige Heil zu erlangen, führt er zu Widersprüchen innerhalb des christlichen Glaubens. So widerspricht er zum einen dem biblischen Zeugnis, dass auch Menschen, die vor Jesus von Nazareth gelebt haben, nach ihrem Tod von Gott zu sich aufgenommen wurden und bei ihm Heil gefunden haben, 31 und zum anderen der Lehre von der moralischen Vollkommenheit Gottes. 32 Vor allem führt ein solches enges Verständnis von Satz 3 zu dem soteriologischen Problem der religiösen Vielfalt. Bei der Suche nach einem plausibleren Verständnis von Satz 3 ist von der Frage auszugehen, inwieweit und vor allem warum Menschen an den dreieinen Gott und seine endgültige Offenbarung in Jesus von Nazareth glauben müssen, um Heil zu erlangen. Da die Antwort auf die Warum-Frage einen Hinweis auf die Beantwortung der Frage nach dem Inwieweit gibt, wird im Folgenden zuerst die Warum-Frage behandelt.
4.1 Die Heilsnotwendigkeit des christlichen Glaubens Als Arbeitshypothese soll Satz 3 so verstanden werden, dass heilsnotwendig allein die eschatologische Entscheidung für den dreifaltigen Gott ist, der sich in Jesus Christus letztgültig offenbart hat, aber nicht eine ausdrückliche „irdische“ Entscheidung. Um diese These darzulegen und zu begründen, muss der Begriff des Heils kurz erläutert wer31
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Beispiele sind Henoch (Gen 5,24) oder Elias (2 Kön 2,1-12). Jesus setzt in seiner Geschichte vom armen Lazarus (Lk 16,19-31) voraus, dass Abraham bei Gott im Himmel ist; vgl. auch Hebr 11. Allein der Verweis auf diese Bibelstellen ist allerdings kein schlagendes Argument gegen eine rein diesseitige Interpretation von Satz 3, da sich Erklärungshypothesen aufstellen lassen, die Satz 3 mit diesen Bibelstellen in Einklang bringen – allerdings verkomplizieren sie das christliche Verständnis der Heiligen Schrift dermaßen, dass sie nur ultima ratio sein können. Auch wenn sich der christliche radikale soteriologische Exklusivismus konsistent formulieren lassen sollte, wäre dies wohl nur um den Preis mangelnder Rationalität möglich. Zudem sprechen, wie im Folgenden gezeigt, systematische Überlegungen gegen eine Interpretation der genannten Schriftstellen im Sinn einer rein diesseitigen Interpretation von Satz 3. Weiterhin steht eine exklusivistische Interpretation von Satz 3 im Gegensatz zu Lehrtexten einzelner christlicher Kirchen, wie z.B. der Lehre des Vatikanum II, dass auch Menschen, die in ihrem irdischen Leben nicht an Gott glauben, das ewige Heil erlangen können (LG 16).
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den. Nach christlichem Verständnis besteht das Heil des Menschen nach dem Tod in der geschenkten endgültigen Teilhabe an der Liebe Gottes und der ewigen Gemeinschaft mit ihm. Allerdings setzen Gemeinschaft mit Gott und Liebe zu Gott als notwendige Bedingungen erstens voraus, dass man erkennt, dass Gott existiert bzw. wer Gott ist, und zweitens, dass man mit ihm Gemeinschaft will. Für das ewige Heil sind bestimmte Überzeugungen und ein bestimmter „Charakter“, ein bestimmter Wunsch, notwendige Bedingungen. Diese beiden Bedingungen sind keine „Anforderungen“, die man erfüllen muss, um als der Gemeinschaft mit Gott würdig angesehen zu werden, sondern sie ergeben sich notwendig aus den Begriffen der Gemeinschaft bzw. der Liebe: man kann nur Gemeinschaft mit A haben oder A lieben, wenn man davon überzeugt ist, dass A existiert und bestimmte Eigenschaften hat. Wenn ich Person A vor allem auf Grund ihrer Treue, Offenheit und Ehrlichkeit liebe, sich aber herausstellt, dass ich mich getäuscht habe, wird meine Liebe zu A aufhören oder zumindest sehr stark beeinträchtigt werden. Aber auch wenn ich nicht merke, dass ich A aufgrund von Eigenschaften liebe, die A nicht hat, entspricht diese Liebe auf keinen Fall dem Ideal von Liebe, das man sich erhofft und das der christlichen Vorstellung der vollendeten Liebe zu Gott zu Grunde liegt. Dies bedeutet, dass ich Gott nur wirklich lieben kann, wenn ich zutreffende Überzeugungen in Bezug auf Gott habe, wozu (nach christlichem Verständnis) Überzeugungen in Bezug auf seine Dreifaltigkeit und die Menschwerdung der zweiten Person der Trinität in Jesus von Nazareth gehören. Solange ich Gott nicht als den dreifaltigen Gott kenne, der sich in Jesus Christus endgültig geoffenbart hat, ist meine Liebe zu Gott noch nicht vollendet.33 Daraus folgt (in christlichem Verständnis), dass niemand endgültiges Heil, vollendete Liebe zu Gott, haben kann, der nicht glaubt, dass Gott sich in Jesus von Nazareth in endgültiger Weise geoffenbart hat. Insofern ist der Glaube an Jesus Christus als Sohn Gottes heilsnotwendig. Daraus folgt aber nicht, dass dieser Glaube schon im irdischen Leben vorhanden sein muss, sondern er ist erst als eschatologischer Glaube, als Glaube nach dem Tod, notwendig. Die zweite Voraussetzung für eine endgültige heilshafte Gemeinschaft mit Gott besteht darin, dass man eine bestimmte Art von Person mit einer bestimmten Art von Charakter sein muss: Man muss sich 33
Diese Bemerkungen reduzieren Liebe nicht auf den Besitz zutreffender Überzeugungen, sondern weisen nur darauf hin, dass vollendete Liebe den Besitz zutreffender Überzeugungen voraussetzt; siehe O.J. W IERTZ , Begründeter Glaube? Rationale Glaubensverantwortung auf der Basis der Analytischen Theologie und Erkenntnistheorie, Mainz 2003, 423f.
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die endgültige Gemeinschaft mit Gott wirklich wünschen, man muss bereit sein, sich von Gottes Liebe verändern zu lassen, sich an der Vollkommenheit Gottes zu freuen, Gottes Größe anbetend anzuerkennen etc. Nicht jede Art von Charakter ermöglicht es, sich an der Gemeinschaft mit Gott als endgültigem Heil zu erfreuen. Über die Freundschaft mit einem moralisch vollkommenen Wesen kann ein moralisch endlicher Mensch sich nur freuen, wenn er selbst bestrebt ist, ein moralisch gutes Leben zu führen, und ohne negative Gefühle anerkennen kann, dass dieses Wesen vollkommener ist als er selbst. 34 Nur wer für Gottes Liebe offen ist, wer bereit ist, sich von Gott beschenken zu lassen und darin Gottes unüberbietbare Größe anzuerkennen, kann in der eschatologischen Begegnung mit Gott Gottes Liebe annehmen und darin endgültiges Heil finden. Bestimmte zutreffende Überzeugungen über Gott und bestimmte Charakterzüge bzw. Persönlichkeitsmerkmale sind also heilsnotwendig – nicht weil sie mit der ewigen Seligkeit belohnt werden, sondern weil sie eine notwendige Bedingung der Möglichkeit endgültiger erfüllender Liebe zu Gott sind. 35 Daher muss man nicht schon im irdischen Leben diese Überzeugungen und eine solche Persönlichkeit haben, sondern sie sind erst in der eschatologischen Begegnung mit Gott heilsnotwendig. Der pluralistische Religionstheoretiker Perry Schmidt-Leukel hat gegen solche Konzeptionen einer eschatologischen Entscheidung für oder gegen Gott eingewendet, dass sie unvermeidlich alle irdischen Handlungen und Erfahrungen der Nichtchristen entwerten und „einer erschreckenden Absurdität und Irrelevanz“ 36 ausliefern. Er weist mit dieser Kritik zwar auf eine mögliche Gefahr hin, aber die vorgestellte eschatologische Konzeption muss nicht notwendig dieser Gefahr erliegen. Aus dem bisher Gesagten folgt nicht zwingend, dass irdisches Handeln und Glauben für das zukünftige Heil irrelevant sind. Ein wichtiger Aspekt des irdischen Lebens von Christen und Nichtchristen besteht in dessen Funktion als Vorbereitung auf die eschatologische Begegnung mit Gott, in der sich die Menschen endgültig 34
35
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Ein Gegenbild dazu ist Jago in Shakespeares Othello: „Wenn Cassio übrigbleibt, zeigt sein Leben täglich eine Schönheit, die mich hässlich macht“ (Akt V, erste Szene). „[…] der Himmel [ist] nicht primär eine Belohnung für gute Handlungen, sondern Heimat für gute Menschen […]“ (R. SWINBURNE , Glaube und Vernunft, Würzburg 2009, 233). P. S CHMIDT -L EUKEL , Demonstratio christiana, in: H. Döring/A. Kreiner/P. Schmidt-Leukel, Den Glauben denken. Neue Wege der Fundamentaltheologie, Freiburg-Basel-Wien 1993 (Quaestiones Disputatae 147), 49-145, 98.
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für oder gegen ihn (als ihr Heil) entscheiden. Das irdische Leben erscheint unter einem bestimmten Blickwinkel als eine Art „Propädeutik“, eine Hinführung zur jenseitigen Gottesbegegnung, die diese Begegnung mit prägt. Aus einer solchen Konzeption folgt nicht, dass es gleichgültig ist, welche Glaubensüberzeugungen man im irdischen Leben hat. Zum einen ist es prinzipiell erstrebenswert, wahre Überzeugungen zu haben, und a fortiori ist es wichtig, wahre Überzeugungen über Gott zu haben. Außerdem hängen unsere Handlungen auch von unseren Überzeugungen ab, und unzutreffende Überzeugungen über Gott können Verhaltensweisen begünstigen, die Gott unangemessen sind.37 Zudem prägen Überzeugungen die Persönlichkeit des Überzeugungsträgers. Sie entscheiden daher mit darüber, ob man eine Persönlichkeit entwickeln kann, die offen ist für die eschatologische Annahme der Liebe Gottes. Überzeugungen können so sehr zum Kern einer Persönlichkeit gehören, dass sie nicht einfach ausgewechselt werden können, ohne die Persönlichkeit zu verändern. Auch die irdischen Handlungen sind nicht unwichtig, denn sie tragen zur Prägung des Charakters des Handelnden bei. Wir bestimmen durch unsere (wiederholten) Entscheidungen, in einer bestimmten Weise zu handeln, unseren eigenen Charakter mit. Wer immer wieder gerecht und barmherzig handelt, erwirbt mit der Zeit den Charakter eines gerechten und barmherzigen Menschen. 38 Das irdische Leben bietet so die Möglichkeit, (zumindest teilweise) selbst seine eigene Persönlichkeit zu formen und (mit Gottes Hilfe) zu einer Person zu werden, die offen ist für Gottes Liebe und bereit für die ewige Gemeinschaft mit Gott. Die irdischen Entscheidungen und Handlungen eines Menschen bestimmen mit, ob dieser Mensch bereit ist für die ewige Seligkeit. Es besteht zumindest die logische Möglichkeit, dass Menschen sich irdisch auf Grund von (zumindest anfänglich) freien Entscheidungen in solche Denk- bzw. Verhaltensmuster verstricken 37
38
Der Gläubige, der Gott für einen despotischen Herrscher hält, wird sich gegenüber Gott in einer Weise verhalten, die Gott nicht angemessen ist (und dem Gläubigen und anderen Menschen nicht gut tut). Vgl. A RISTOTELES , Nikomachische Ethik, 1103ab (Übers. O. Gigon): „Die Tugenden […] erwerben wir, indem wir sie zuvor ausüben, wie dies auch für die sonstigen Fertigkeiten gilt. Denn was wir durch Lernen zu tun fähig werden sollen, das lernen wir eben, indem wir es tun: durch Bauen werden wir Baumeister und durch Kitharaspielen Kitharisten. Ebenso werden wir gerecht, indem wir gerecht handeln, besonnen durch besonnenes, tapfer durch tapferes Handeln. [...] die Eigenschaften entstehen aus den entsprechenden Tätigkeiten. Darum muss man die Tätigkeiten in bestimmter Weise formen. Denn von deren Besonderheiten hängen dann die Eigenschaften ab.“
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und so sehr an bestimmten Überzeugungen festhalten, dass sie sich immer mehr gegenüber Gott verschließen und schließlich unfähig werden, Gott zu erkennen und sich frei für Gott zu entscheiden. Das irdische Leben ist also durchaus von „eschatologischer Relevanz“. 39 Zudem formt das irdische Leben den Menschen zu der Person, die (falls sie sich für Gott entscheidet) Gott auf ihre individuelle Art liebt. Die irdischen Erfahrungen, Überzeugungen und Handlungen behalten auch im Himmel ihre Bedeutung, da sie die eigene unverwechselbare Weise der Erfahrung und Erwiderung der Liebe Gottes prägen. Das irdische Leben spielt so in alle Ewigkeit eine Rolle als ein Faktor, der mich zu der Person gemacht hat, die auf ihre einzigartige Weise an der Gemeinschaft mit Gott teilnimmt. Insofern das irdische Leben eine Grundlage für die eschatologische Entscheidung zwischen Heil und Unheil ist und die Weise der (möglichen) Partizipation am Heil mitbestimmt, ist es nicht heilsirrelevant, obwohl das Heil sich nicht (allein) im irdischen Leben entscheidet. Das bisher Erreichte lässt sich so zusammenfassen: Wenn jemand in seinem irdischen Leben nicht glaubt, dass in Jesus von Nazareth Gott Mensch geworden ist und sich unüberbietbar offenbart hat, ist er deswegen nicht notwendig vom Heil ausgeschlossen. Prämisse 3 des Argumentes aus der Vielfalt muss so modifiziert werden, dass die Heilsnotwendigkeit nur für den eschatologischen Glauben an Gott und seine Offenbarung gilt. Aus Satz 3’, dass ein postmortaler Glaube an die christliche Offenbarung heilsnotwendig ist, folgt allerdings nicht notwendig, dass Menschen, die in ihrem irdischen Leben nicht an die christliche Offenbarung glauben, nicht ihr Heil erreichen (Satz 14). 39
Gemäß der traditionellen katholischen Lehre vom Purgatorium, etwa bei Thomas von Aquin, müssen zwar bei manchen Menschen im „Fegfeuer“ Hindernisse für die endgültige vollkommene Gemeinschaft mit Gott beseitigt werden, aber es besteht keine Möglichkeit, den durch die in ihrer Gesamtheit lebensbestimmenden irdischen Handlungen und Entscheidungen geprägten Willen zum Guten (zur Anschauung Gottes als letztem Ziel) rückgängig zu machen. Menschen mit zum Zeitpunkt ihres Todes nicht vergebenen Todsünden können nicht in den Himmel gelangen, denn die Natur der Todsünde besteht darin, die menschliche Seele der Liebe zu Gott und ihrer Ausrichtung auf das letzte Ziel (die Schau Gottes) zu berauben. Auch der Wille dieser Menschen ist nach dem Tod nicht mehr veränderbar – genauso wie der Wille der Heiligen; siehe Summa contra gentiles IV, 92-95. Entscheidend dafür, dass ein Mensch zur ewigen Gemeinschaft mit Gott gelangt, ist, dass er sich nicht endgültig von seinem letzten Ziel (der Schau Gottes) abgewendet hat. Falsche Überzeugungen über die Mittel zur Erlangung dieses Ziels oder unangemessener Gebrauch dieser Mittel schließen nicht endgültig von der Gemeinschaft mit Gott aus, sondern bedürfen nur der Reinigung im Purgatorium; siehe T HOMAS VON A QUIN , Compendium Theologiae I, 182.
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Damit ist der Widerspruch zwischen den Sätzen 6 (bzw. 6’) und 14 aufgehoben.
4.2 Die soteriologische Bedeutung der Vielfalt der Religionen Auch wenn man die These akzeptiert, dass Anhänger nichtchristlicher Religionen Heil erlangen können, stellt sich dem Inklusivisten die Frage nach dem Sinn der Existenz nichtchristlicher Religionen, wenn Gott sich in Jesus Christus unüberbietbar offenbart hat. Man kann auch diese Frage in Form eines „Argumentes aus der Vielfalt“ kleiden, das sich nun gegen die inklusivistische Form des Christentums richtet: Wenn der christliche Glaube in irgendeiner Form der bevorzugte irdische Weg zum Heil ist oder sich als einzige Religion auf die endgültige/unüberbietbare Offenbarung Gottes in Jesus Christus bezieht, stellt sich die Frage, warum es überhaupt andere Religionen gibt, die der christlichen Religion epistemisch und soteriologisch „unterlegen“ sind und auch im günstigsten Fall bloß den „zweitbesten“ Weg zur Erkenntnis Gottes und zum Heil darstellen. Dies scheint gegenwärtig der eigentliche Kern der religionstheoretischen Grundfrage zu sein. Ausgangspunkt der folgenden Erklärungsskizze der soteriologischen Relevanz der Vielfalt der Religionen ist wieder die Annahme, dass das irdische Leben auch den Aspekt einer „Vorbereitung“ der endgültigen eschatologischen Entscheidung für oder gegen Gott besitzt. Vor diesem Hintergrund soll gefragt werden, ob nichtchristlichen Religionen aus christlicher Perspektive ein möglicher „propädeutischer“ Wert für die eschatologische Begegnung und Gemeinschaft mit Gott zuerkannt werden kann.40 Ziel des folgenden Abschnitts ist nicht eine ausgearbeitete Erklärung des Phänomens der Vielfalt der Religionen, sondern die Skizze einer möglichen plausiblen nichtpluralistischen Erklärung der Vielfalt der Religionen, die das antitheistische/antichristliche Argument aus der Vielfalt der Religionen neutralisieren kann. Dafür soll zwischen dem epistemischen und dem praktischen Aspekt des propädeutischen Werts der Vielfalt der Religionen unterschieden werden. Die Vielfalt der Religionen kann sowohl in Bezug auf die Erkenntnis Gottes und das Verständnis des eigenen religiösen Glaubensbekenntnisses eine positive Rolle spielen als auch in Bezug auf die Führung eines Gott angemessenen Lebens und die Entwicklung von Charakterzügen, die eine eschatologische Entscheidung für 40
Die folgenden Ausführungen wollen nicht ausschließen, dass es alternative rationale nichtpluralistische Erklärungen der Vielfalt der Religionen gibt.
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Gott und die Fähigkeit zur ewigen Gemeinschaft mit ihm fördern. Zuerst soll die Frage nach möglichen epistemischen Vorteilen der religiösen Vielfalt behandelt werden. Wenn Gott als moralisch vollkommenes Wesen das Heil aller Menschen will, wird er alles tun, was ihm möglich ist, damit alle Menschen Heil erlangen. Die im Folgenden zu skizzierende These von der epistemischen Relevanz der religiösen Vielfalt besagt, dass die Vielfalt der Religionen zumindest in manchen Fällen und unter manchen Hinsichten in Bezug auf die kognitiven Voraussetzungen für die eschatologische Entscheidung für Gott eine mögliche positive propädeutische Funktion hat. 41 Zum einen erhöht die religiöse Pluralität die Wahrscheinlichkeit, dass der größtmögliche Teil der Menschheit die größtmögliche Menge möglichst angemessener religiöser Überzeugungen hat. Jede Religion ist auch ein kulturell bedingtes Phänomen mit spezifischen Grenzen. Wegen dieser kulturellen Bedingtheit und Begrenztheit jeder Religion und aller menschlichen Überzeugungssysteme 42 ist nicht auszuschließen, dass Menschen ein Überzeugungssystem haben, das es ihnen unmöglich macht, auf eine rationale Weise den christlichen Glauben anzunehmen – sei es, dass sie weder Inhalt noch Bedeutung des christlichen Glaubens angemessen verstehen können, sei es, dass sie sich nicht in rationaler Weise für ihn entscheiden können. Wenn diese Menschen rationale Wesen bleiben sollen, können sie nicht den christlichen Glauben annehmen. Vom Christentum unterschiedene Religionen bieten diesen Menschen die Möglichkeit, trotzdem die Suche nach Gotteserkenntnis auf rationale Weise in eine religiöse Tradition und Gemeinschaft einzubetten. Auch außerhalb der christlichen Gemeinschaften müssen Menschen nicht allein auf sich gestellt bei einem „religiös-epistemischen Nullpunkt“ anfangen, sondern können sich auf die Erkenntnisse stützen, die ihnen die unterschiedlichen religiösen Traditionen zur Verfügung stellen. Die Vielfalt religiöser Überzeugungssysteme mit konfligierenden Wahrheitsansprüchen bietet so die Möglichkeit, dass auch diejenigen, die mit der christlichen Lehre 41
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Es soll weder behauptet werden, dass alle Religionen, noch, dass alle Aspekte einzelner Religionen sich so positiv interpretieren lassen. Es wird auch nicht behauptet, dass die Vielfalt der Religionen notwendigerweise positive Folgen hat, sondern nur, dass es logisch mögliche Konsequenzen der Vielfalt der Religionen gibt, die positiv zu bewerten sind, und dass diese möglichen positiven Folgen (möglicherweise) auf eine andere Weise nicht im gleichen Maß herbeigeführt werden können. Das Überzeugungssystem der Person S ist die Menge aller Überzeugungen von S, ihrer inferentiellen Beziehungen zueinander (ihrer Begründungen) und der Gewissheitsgrade dieser Überzeugungen.
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intellektuelle Probleme haben oder deren religiöse Sicht der Wirklichkeit sich nicht mit einer monotheistischen Weltsicht vereinbaren lässt, eine (gemeinschaftliche) religiöse Wirklichkeitsdeutung finden, die auf eine transzendente Dimension der Wirklichkeit hinweist, Anleitung für das Nachdenken über diese Dimension bietet und Offenheit für diese Dimension als kognitiven Wert empfiehlt. So erhöht die Vielfalt von Religionen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand auf rational verantwortbare Weise Mitglied einer religiösen Gemeinschaft werden kann und durch deren intellektuelles Erbe in seiner kognitiven religiösen Entwicklung gefördert wird. 43 Es soll nicht behauptet werden, dass jede Religion solche positiven Möglichkeiten bietet oder dass alle Aspekte einer Religion in gleicher Weise kognitiv positiv zu bewerten sind. Begrenztheit und möglicherweise Schuld spielen auch in Religionen eine Rolle. 44 Aber zumindest die gegenwärtigen Weltreligionen können Überzeugungen vermitteln, die nach christlichem Verständnis der transzendenten Dimension der Wirklichkeit nicht völlig unangemessen sind und damit einen wichtigen Vorbereitungsweg zu einer Erkenntnis Gottes darstellen.45 Die Vielfalt der Religionen kann auch für Christen eine positive Rolle bei der kognitiven Vorbereitung auf die eschatologische Begegnung mit Christus spielen. Die religiöse Pluralität schafft die Möglichkeit des gegenseitigen Austausches und der gegenseitigen Bereicherung. Andere Religionen können dem Christentum den Blick für bisher nicht oder zu wenig beachtete Aspekte Gottes öffnen, neue Wege der Gotteserkenntnis zeigen und so helfen, die eigene Glaubensüberlieferung besser zu verstehen.46 Dass das Christentum einen „epistemischen Vor43
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Religiöse Gemeinschaften begleiten Menschen nicht nur auf ihrem intellektuellen, sondern auch auf ihrem spirituellen Weg und helfen ihnen, ein Leben auf eine größere Offenheit und Liebe zu Gott hin zu führen. Das gilt natürlich auch für alle konkreten Erscheinungsformen des Christentums. Bei der Frage des kognitiven Werts der Glaubensbekenntnisse der Weltreligionen ist noch einmal zwischen monotheistischen und nichtmonotheistischen Bekenntnissen zu unterscheiden; aus christlicher Sicht kommt dem jüdischen Glaubensbekenntnis eine Sonderrolle zu; siehe dazu den Beitrag von Dieter Böhler in diesem Band. „Die Evangelisierung kann […] nicht nur jene bereichern, an die sie sich richtet, sondern auch ihre Träger sowie die ganze Kirche. […] jede Begegnung mit einer Person oder einer konkreten Kultur [kann; O. J. W] Schätze des Evangeliums aufdecken, die bisher wenig sichtbar gewesen sind, und das konkrete Leben der Christen und der Kirche bereichern“ (KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE , Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung vom 3.12.2007, Bonn 2007, Abschnitt 6). Dies heißt nicht, dass Offenbarungsinhalte aufgegeben werden müssen, sondern nur, dass die Erkenntnis der Offenbarung Gottes in Jesus Christus eine neue Tiefe erhalten und um neue Aspekte bereichert werden kann.
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teil“ gegenüber anderen Religionen hat, heißt nicht, dass Christen nichts von anderen Religionen lernen können.47 Auch stellt zumindest in der gegenwärtigen Situation der westlichen Welt, die durch eine Vielfalt unterschiedlicher Kontaktmöglichkeiten mit verschiedenen Religionen gekennzeichnet ist, die Vielfalt der Religionen Menschen – zumindest der Möglichkeit nach – in einer neuen Form vor die Entscheidung, welches Glaubensbekenntnis sie wählen bzw. ob sie an ihrem bisherigen Glaubensbekenntnis festhalten sollen. Dies kann eine intensivere Auseinandersetzung mit den eigenen und den fremden Glaubensbekenntnissen anstoßen und erweitert so zum einen beträchtlich den Spielraum einer verantwortlichen freien Entscheidung für bzw. gegen das christliche Glaubensbekenntnis und zum anderen den Spielraum, sich frei für oder gegen eine intensivere Beschäftigung mit dem kognitiven Gehalt des christlichen Glaubens bzw. der anderen Religionen zu entscheiden. Diese intensivere Auseinandersetzung mit dem eigenen und fremden Glaubensbekenntnissen kann die einzelnen Gläubigen, aber auch Religionsgemeinschaften als ganze, davor bewahren, die eigene Gotteserkenntnis mit Gott selbst zu verwechseln. Die Entdeckung religiöser Einsichten in anderen Religionen kann so zu einer Haltung „epistemischer Demut“ führen und die Einsicht fördern, dass man mit der Erkenntnis Gottes nie am Ende ist. Diese Haltung und Einsicht sind sicher grundlegende epistemische Voraussetzungen für ein eschatologisches Bekenntnis zu dem immer je größeren Gott. Schließlich bietet die Beschäftigung mit konfligierenden religiösen Wahrheitsansprüchen und die daraus (möglicherweise) resultierende epistemische Demut Gelegenheit, eine Haltung der Toleranz einzuüben, die gerade dann wichtig ist, wenn man tief von der Wahrheit des eigenen Glaubensbekenntnisses überzeugt ist. 48 47
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Ich plädiere also für einen offenen Inklusivismus. Der Katechismus der Katholischen Kirche, ein des Pluralismus oder Relativismus unverdächtiger Zeuge, schreibt, dass Christen durch den Dialog mit nichtchristlichen Religionen das besser kennen lernen können, was sich an Wahrheit und Gnade bei Nichtchristen findet; siehe KKK, 856. Es ließe sich einwenden, dass religiöse Toleranz nur unter den Bedingungen religiöser Vielfalt überhaupt ein Wert ist und daher die Rechtfertigung der religiösen Vielfalt u.a. mit dem Hinweis auf die Ermöglichung der Haltung religiöser Toleranz zirkulär ist. Dieser Einwand setzt voraus, dass religiöse Toleranz kein intrinsischer, sondern ein rein funktionaler Wert ist, der Frieden unter den Bedingungen religiöser Vielfalt ermöglichen soll. Diese Voraussetzung ist allerdings zumindest in theistischer Sicht zweifelhaft. Toleranz, grob verstanden als Duldung und geduldiges Aushalten eines Verhaltens oder einer Meinung, die man negativ bewertet, gehört in theistischer Sicht zu den Einstellungen Gottes gegenüber den Menschen.
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Damit sind wir bereits bei dem „praktischen“ Aspekt der Vielfalt der Religionen. Nicht für alle Menschen sind alle religiösen Praktiken und Werte in gleichem Maß zugänglich, verständlich oder zuträglich. Es ist nicht auszuschließen, dass jemand unüberwindliche Abneigungen gegen bestimmte christliche Praktiken und Werte hat bzw. mit ihnen nichts anfangen kann. Auf der anderen Seite kann eine Religion nicht miteinander unvereinbare Praktiken empfehlen oder eine zu große Zahl wesentlicher Praktiken in das Belieben ihrer Gläubigen stellen, wenn sie nicht in Identitätsprobleme geraten und ihre lebensprägende Funktion verlieren will. Deshalb kann es gut sein, für verschiedene Menschen in Form von verschiedenen Religionen verschiedene Gruppen religiöser Praktiken und Werte anzubieten, die (mehr oder weniger stark) eine Gott angemessene Haltung (oder Aspekte einer solchen Haltung) fördern und zur Bildung einer Persönlichkeit beitragen, die in der eschatologischen Begegnung mit Gott ausdrücklich die Liebe des dreifaltigen Gottes annehmen und in der ewigen Gemeinschaft mit ihm Erfüllung finden kann. Dies bedeutet nicht, aus christlicher Sicht den Vorrang des eigenen Wegs zu relativieren und die Entscheidung für bestimmte religiöse Praktiken der Beliebigkeit anheimzustellen, sondern nur, dass nicht alle Menschen den christlichen Weg als der Nachfolge wert einschätzen (können) und dass es gut ist, wenn diesen Menschen religiöse Gemeinschaften offenstehen, die ihnen eine Beziehung zu Gott ermöglichen und Wege zur Einübung religiöser Haltungen anbieten, die wesentlich für die eschatologische Entscheidung für Gottes Liebe sind. Zudem müssen unterschiedliche religiöse Praktiken sich nicht notwendig ausschließen, sondern können sich gegenseitig ergänzen. Nichtchristliche religiöse Praktiken können der christlichen Religion neue Aspekte eines gottangemessenen Lebens zeigen oder auf verlorengegangene eigene Traditionen neu aufmerksam machen. Die Viel-
Wer gerade in wichtigen Angelegenheiten, wie in religiösen Fragen, Toleranz übt, spiegelt darin die göttliche Toleranz gegenüber menschlichen Begrenztheiten und Verfehlungen wider – dies ist sicherlich ein hoher Wert. Zum Begriff der Toleranz und dessen historischen Wandlungen vgl. R. F ORST, Toleranz im Konflikt. Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs, Frankfurt/Main 2 2003; R. G RÖTKER /G. S CHLÜTER , Toleranz, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 10 (1998) 1251-1262; M. C RANSTON , Toleration, in: The Encyclopedia of Philosophy 8 (1967) 143-146. Zum Zusammenhang zwischen religiöser Vielfalt, epistemischer Demut und religiöser Toleranz siehe J. K RAFT /D. B ASINGER (Hg.), Religious Tolerance through Humility. Thinking with Philip Quinn, Aldershot 2008.
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falt religiöser Praktiken bietet so auch Christen die Möglichkeit, neue Aspekte eines gottgefälligen Lebens zu entdecken. 49 Diese Überlegungen setzen nicht voraus, dass alle Religionen das gleiche Ziel anstreben, das sie bloß auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen suchen, sondern es kann zugegeben werden, dass die religiösen Ziele sich zum Teil gegenseitig ausschließen: das Erreichen des Nirvana ist unvereinbar mit der Erlangung der selig machenden Schau Gottes. Aber Handlungsweisen, die um eines bestimmten Ziels willen ausgeübt werden, können auch Handlungsmuster einüben oder Fähigkeiten fördern, die zur Erreichung eines anderen, u.U. sogar inkompatiblen, Ziels notwendig oder hilfreich sind. Die langandauernde Arbeit mit den schwer entzifferbaren Handschriften eines mittelalterlichen Autors kann eine Haltung der Ausdauer, Geduld und Selbstlosigkeit fördern, die auch in der Arbeit mit Jugendlichen aus schwierigen sozialen Verhältnissen hilfreich ist. Regelmäßiges Musizieren scheint das verbale Gedächtnis bei Kindern zu verbessern, 50 was wiederum das Erinnern von gehörten Texten erleichtert, obwohl die Absicht, durch regelmäßiges Musizieren ein besserer Querflötist zu werden, nichts mit dem Ziel zu tun hat, mein Erinnerungsvermögen zu verbessern, um nach dem Hören einer Philosophievorlesung mich besser an das Gehörte erinnern zu können. So können auch Religionen, die einen Weg zu einem mit der christlichen Konzeption ewiger Gemeinschaft mit Gott unvereinbaren Ziel verfolgen, trotzdem Fähigkeiten, Einstellungen etc. vermitteln, die die Erreichung des christlichen Ziels fördern. 51 Wenn das bisher Gesagte stimmt und auch nichtchristliche Religionen Menschen zur Gotteserkenntnis und Gottesliebe anleiten und Christen zu einem besseren Verständnis ihres Glaubens und einem 49
50
51
Die möglichen Vorteile unterschiedlicher religiöser Praktiken sind eine zusätzliche Erklärung des Sinns der Vielfalt religiöser Überzeugungen, denn unterschiedliche Praktiken setzen gewöhnlich auch unterschiedliche Konzeptionen des Göttlichen voraus. Wenn Gott unterschiedliche religiöse Praktiken zulassen/anbieten will, muss er auch verschiedene religiöse Überzeugungssysteme „in Kauf nehmen“. Y.-C. H O /M.-C. C HEUNG /A.S. C HAN , Music Training Improves Verbal but not Visual Memory. Cross-Sectional and Longitudinal Explorations in Children, in: Neuropsychology 17 (2003) 439-450. Nichtchristliche Religionen können also aus christlicher Sicht in einem bestimmten Sinn als soteriologisch positiv wirksam bewertet werden, ohne dass man ihnen mit der christlichen Erlösungsvorstellung identische oder kompatible Heilskonzeptionen unterstellen muss; siehe dazu J.A. D I N OIA , Varieties of Religious Aims. Beyond Exclusivism, Inclusivism, and Pluralism, in: B.D. Marshall (Hg.), Theology and Dialogue. Essays in Conversation with George Lindbeck, Notre Dame (IND) 1990, 249-274.
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besseren christlichen Leben führen können, spricht dies dafür, dass Gott gute Gründe dafür hat, religiöse Vielfalt zuzulassen. Allerdings beziehen sich die Ausführungen zu möglichen positiven Auswirkungen religiöser Vielfalt nur auf die Vielfalt der nachaxialen Religionsformen. Was ist mit solchen Religionen wie den heidnischen polytheistischen Kulten der Antike, deren anthropomorphe und moralisch ambivalente Göttervorstellungen bereits antiken Philosophen unbefriedigend erschienen und die ein immanentes Gewaltpotenzial besitzen? Aus der Sicht einer theistischen philosophischen Theologie mit ihrer Konzeption Gottes als desjenigen Wesens, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann, kommt es zu einer diachronen Höherentwicklung des Gottesbegriffs bzw. der Religion während der Achsenzeit, sei es in Form der philosophischen Mythologiekritik in der Antike (z.B. bei Xenophanes oder Platon) oder der Entwicklung vom Henotheismus zum ethischen Monotheismus im Judentum. Warum ist eine Evolution des Gottesbegriffs bzw. der Hochreligionen notwendig, warum sorgt, vereinfacht gesagt, Gott nicht von Anfang an für eine Vielfalt der Hochreligionen, sondern nimmt den langen Entwicklungsprozess der Phase der archaischen Religionen in Kauf? 52 Naheliegend ist die Antwort, dass die Transzendenz und Vollkommenheit des theistischen Gottes sich so von allem unterscheidet, was Menschen ansonsten kennen und erfahren, dass dieser Gottesbegriff ein für sie sehr fremder, schwerverständlicher Begriff ist, und sich erst langsam die (auch kognitiven) Voraussetzungen für ein solches anspruchsvolles Verständnis Gottes entwickeln mussten. 53 Dies ist auch eine mögliche Antwort auf die Frage, warum sich Gott nicht frü52
53
Diese Frage wird noch durch den Umstand verschärft, dass wir für den Großteil der Menschheitsgeschichte nicht sicher sagen können, dass die Menschen Religion (auch im weiten Sinn) besaßen, sondern auf „ganz wenige indirekte Beweise angewiesen sind“ (P. A NTES , Grundriss der Religionsgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, 15) und dass für den Zeitraum vom Auftreten des Menschen (vor ca. 2,5 Millionen Jahren) bis zum Ende des Mittelpaläolithikums (ca. 40.000 v.Chr.) keine zuverlässigen Anzeichen für das Vorhandensein religiöser Kulte und damit von Religion bekannt sind. Grabstättenfunde aus dem Mittelpaläolithikum belegen sicher nur einen ehrfurchtsvollen Umgang des Neandertalers mit den Verstorbenen, aber nicht kultisches Verhalten (O.H. URBAN , Religion der Urgeschichte, in: J. Figl [Hg.], Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, Innsbruck-Wien-Göttingen 2003, 88-103, 88-90). Außerdem gibt die lange religiöse Evolutionsgeschichte Einzelnen die Möglichkeit, sich frei dafür zu entscheiden, die Anstrengung zu einer auch kognitiven religiösen Höherentwicklung auf sich zu nehmen und damit Verantwortung für die Vertiefung des (eigenen und fremden) Verständnisses von Gottes Natur und Handeln zu übernehmen.
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her so „eindeutig“ offenbart hat, dass es gar nicht erst zu archaischen Götter-/Gottesvorstellungen kommen konnte. 54 Vor allem ist die relative (epistemische) „Verborgenheit“ Gottes notwendig zur Wahrung des menschlichen kognitiven Freiheitsraums gegenüber Gott, der wiederum notwendige Bedingung der Möglichkeit menschlicher Liebe zu Gott ist, da Liebe Freiheit voraussetzt. Diese Verborgenheit bleibt aber nur gewahrt, wenn Gottes Existenz bzw. Natur nicht zu offensichtlich sind, die irdische Wirklichkeit in dem Sinn religiös/weltanschaulich ambivalent ist, dass sie unterschiedliche religiöse (und naturalistische) Deutungen zulässt, von denen sich (unter den gegenwärtigen Umständen) keine Deutung als offensichtlich einzig rationale von allen anderen, offensichtlich nichtrationalen Deutungshypothesen in zuverlässiger Weise abgrenzen lässt. 55 Mit der religiösen Ambivalenz der irdischen Wirklichkeit ist von vornherein die Möglichkeit (und hohe Wahrscheinlichkeit) rationaler religiöser Vielfalt gegeben. Die religiöse Vielfalt, der wir gegenüberstehen, lässt sich so auch als Folge bzw. Bestandteil der religiösen Ambivalenz unserer Welt interpretieren, die sich als wichtiges Werkzeug zur Verwirklichung von Gottes Wunsch nach der freien menschlichen Erwiderung seiner Liebe interpretieren lässt. 54
55
Das Problem einer theistisch-christlichen Erklärung des langen Entwicklungswegs zu den Hochreligionen und einer Vielzahl von in verschiedenen Hinsichten defizitären Formen von Religion stellt sich in analoger Form auch für jede nichtrelativistische Version pluralistischer Religionstheorien, da nichtrelativistische Versionen, wie die John Hicks, zwischen Formen authentischer und nichtauthentischer Religiosität unterscheiden müssen. Nach Hicks Theorie z.B. vermitteln erst die postaxialen Religionen eine authentische Begegnung mit Gott und die Möglichkeit der Transformation von der Selbst- zur Wirklichkeitszentriertheit. Daraus folgt, dass Menschen, die nicht in die postaxialen, sondern in andere Religionen hineingeboren wurden, keine oder zumindest schlechtere Chancen für eine authentische Begegnung mit Gott und die Transformation zur Wirklichkeitszentrierung haben. Die pluralistische Erklärung der religiösen Vielfalt durch kulturelle Faktoren allein reicht nicht aus, um dieses Problem zu lösen, da die Frage offenbleibt, warum Gott bzw. die transzendente Wirklichkeit eine solche ungleiche religiöse Chancenverteilung zulässt. Diese These von der religiösen Ambivalenz der irdischen Wirklichkeit besagt nicht, dass die unterschiedlichen religiösen und nichtreligiösen Deutungsversuche der Wirklichkeit alle wahr oder gleichermaßen gut begründet sind. Es sprechen vielmehr gute Gründe dafür, dass der Theismus nichttheistischen Wirklichkeitsdeutungen epistemisch überlegen ist, und auch für die bessere epistemische Rechtfertigung des christlichen Glaubensbekenntnisses gegenüber den anderen theistischen Glaubensbekenntnissen lassen sich rationale Gründe anführen. Die Behauptung der religiösen Ambivalenz schließt nur aus, dass die höhere Rationalität der christlichen Deutungshypothese evident ist.
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Dies alles heißt aber nicht, dass Gott auf Grund seiner moralischen Vollkommenheit gezwungen war, eine religiös ambivalente Welt bzw. eine Welt mit dem Maß an religiöser Vielfalt wie in unserer Welt zu schaffen. Er hätte auch eine Welt mit einem weitaus geringeren religiöskognitiven Freiheitsraum schaffen können, in der dafür der Wert der Existenz (fast) universal verbreiteter wahrer religiöser Überzeugungen mit einem hohen Gewissheitsgrad verwirklicht worden wäre. Allerdings widerspricht auch die Existenz unserer aktualen Welt mit ihrer religiösen Ambivalenz und der darauf beruhenden religiösen Vielfalt nicht der Existenz des theistisch-christlichen Gottes, weil sie ein höheres Maß an religiöser Freiheit und Verantwortlichkeit und die Verwirklichung von Toleranz und epistemischer Demut ermöglicht.
5. SCHLUSS Ich habe versucht zu zeigen, dass der Exklusivismus das antitheistische Argument aus der religiösen Vielfalt nicht entkräften kann. Dies spricht aber nicht notwendig für eine pluralistische Spielart des Christentums, denn das soteriologische Problem der religiösen Vielfalt lässt sich im Rahmen eines offenen christlichen Inklusivismus lösen. Im Rahmen des theistisch-christlichen Glaubensbekenntnisses besteht die Möglichkeit, der Vielfalt der religiösen Überzeugungen und Praktiken zumindest in manchen Fällen einen direkten oder indirekten „providentiellen“ Wert beizumessen, ohne den christlichen Anspruch auf epistemische und soteriologische Vorteile gegenüber allen anderen Religionen aufzugeben. Angesichts der hinreichend bekannten v.a. logischen und erkenntnistheoretischen Probleme pluralistischer Religionstheorien sollte man dem Inklusivismus den Vorzug vor pluralistischen Lösungsversuchen geben. Wie könnte nun eine Antwort auf die am Anfang dieses Aufsatzes erwähnte Frage des Königs von Siam lauten? Vielleicht folgendermaßen: Religiöse Pluralität ist von Gott zugelassen und insofern auch gewollt, als sie, unter den konkreten Bedingungen der Geschichte der Menschheit, ein (wenn auch nicht das einzige) Mittel zur Verwirklichung des Ziels des Heils für alle Menschen ist. Aber dies schließt nicht aus, dass es eine Religion gibt, deren Glaubensbekenntnis die insgesamt angemessenste Beschreibung Gottes und den (im Prinzip) „soteriologisch effektivsten“ Weg zum Heil anbietet. Trotz der göttlichen Zulassung der religiösen Vielfalt behält der Wunsch nach der Taufe des siamesischen Königs seine auch für den
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König rational einzusehende Berechtigung – wenn der Herrscher von Siam die Wahrheit und die besondere soteriologische Stellung des Christentums akzeptiert.
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Aneignung fremder Götter? Gedanken zur Inkulturation des Christentums Das Christentum begleitet von Anfang an eine eigentümliche Spannung: Die Botschaft Jesu Christi wird von Anfang an als universale verstanden, die an jeden Menschen in jeder Kultur und allen Zeiten gerichtet ist. Sie ist kein Ereignis von rein lokaler oder regionaler Bedeutung. In einem Prozess der Metanoia, der Bekehrung, soll sich der Mensch auf den Gott Jesu Christi existentiell und ganzheitlich einlassen, weil in ihm Heil und Leben gefunden werden. Es geht darum, das unverwechselbar Neue, das mit Jesus Christus in die Welt gekommen ist, in Wort und Leben zu bezeugen. Und damit ergibt sich schon von selbst der andere Pol dieser Spannung: Dem universalen Anspruch Jesu stehen auf der anderen Seite die unterschiedlichen individuellen, aber vor allem auch kulturell geprägten Lebensentwürfe der Menschen und Völker der Welt gegenüber. Diese Lebensentwürfe betreffen den expliziten religiösen Gottesglauben der Menschen, aber auch ihre unterschiedliche ethische Kultur. Deshalb ist es verständlich, dass wir schon in den paulinischen Briefen und den neutestamentlichen Evangelien das intensive Bemühen wahrnehmen, Anknüpfungspunkte bei den Adressaten der Botschaft zu finden, die es ihnen ermöglichen, die Botschaft und Person Jesu zu verstehen, anzunehmen und ein Leben mit ihm und aus seiner Botschaft heraus zu gestalten. Die Gottesbotschaft wird im Matthäusevangelium einer jüdisch geprägten Gemeinde nahegebracht, im Johannesevangelium einer Gemeinde, die wahrscheinlich keine jüdischen, sondern griechische, im Verständnis des Neuen Testaments „heidnische“ Wurzeln hat und vom Denken der griechischen Antike geprägt ist. Das Bemühen der Autoren der Evangelien, den Glauben an den Gott Jesu Christi in den Denkhorizonten jüdischen Glaubens bzw. griechischer Philosophie auszudrücken, vollzieht Paulus in Bezug auf das christliche Ethos, das er mit Hilfe der stoischen Philosophie den Menschen in den von ihm gegründeten und begleiteten Gemeinden auslegt. Auf diesem Hintergrund formuliert er die so genannten
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„Haustafeln“, d.h. Tugend- und Lasterkataloge, die er aus der stoischen Tradition rezipiert und denen er eine eigene, christliche, Färbung und Ausrichtung gibt. Auch die christlichen Feste knüpfen an heidnische Feiertage an: So hängt beispielsweise der Weihnachtstermin mit der Feier der Wintersonnwende zusammen; denn Jesus Christus ist von den Toten auferweckt worden und deshalb das Licht, das alle Tode der Welt erleuchtet. Er ist der wirkliche Sol invictus, den schon das römische Reich kannte. In der modernen Missionstheologie hat der Gründer des ersten missionstheologischen Lehrstuhls, der Münsteraner Missionswissenschaftler Joseph Schmidlin, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bedeutung der Konversion, der Abkehr vom bisherigen Leben, unterstrichen, und die Notwendigkeit der Predigt des Evangeliums, das den Menschen zur Umkehr und einem neuen Leben in Christus führt. 1 Er folgt in diesem Punkt dem evangelischen Missionstheologen Gustav Warneck. Der belgische Jesuit Pierre Charles 2 aus Löwen setzt den Akzent demgegenüber auf die mittelalterliche christliche Missionsdoktrin des Einpflanzens der Kirche (plantatio ecclesiae). Es geht darum, in den überseeischen Kolonien einheimische Kirchen zu pflanzen mit einheimischen Hierarchien, die den farbigen Neuchristen die Möglichkeit lassen, den Glauben mit ihren eigenen kulturellen Mitteln auszudrücken. Die Frage ist dabei – und sie begleitet Theologie und Kirche seit Beginn der christlichen Glaubens-, Kirchen- und Missionsgeschichte –: Wann stellt eine solche Inkulturation des christlichen Glaubens einen legitimen – und notwendigen – Schritt der Verwirklichung der universalen Heilsbotschaft Jesu Christi dar? Beziehungsweise auf der anderen Seite: Wann ist ein solcher Schritt eine Verfremdung, die sich aus der Gemeinschaft der Christen, die an den einen Gott, wie ihn Jesus Christus in Wort und Leben verkündet hat, glaubt, entfernt? Wann handelt es sich also um einen legitimen Schritt der Integration bisheriger Überzeugungen und bisheriger Formen einer Lebenskultur, die sich unabhängig vom Christentum entwickelt haben – und wann ist es eine illegitime, die christliche Botschaft verfälschende „Aneignung fremder Götter“? Das Missionsdekret des II. Vatikanischen Konzils Ad gentes ruft in diesem Sinn auf der einen Seite zur Inkulturation des 1
2
Vgl. J. S CHMIDLIN , Katholische Missionslehre im Grundriss, Münster 2 1923; K. M ÜLLER , Josef Schmidlin (1876-1944). Papsthistoriker und Begründer der katholischen Missionswissenschaft, Nettetal 1989. Vgl. P. C HARLES, Les dossiers de l’action missionnaire, Louvain 2 1938-1939.
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Evangeliums in alle Kulturen hinein auf, warnt aber andererseits vor Synkretismus und Partikularismus. 3
1. DIE ORTSKIRCHE ALS INKULTURATION DES GOTTESREICHS Valerian D’Souza, Bischof von Poona, betonte auf einer missionstheologischen Tagung in Eichstätt, dass es bei der weltweiten Verkündigung des Evangeliums vom Gott Jesu Christi um die Beziehung von Gottesreich, Kirche und Ortskirche geht. Er unterstrich dabei die Bedeutung der Ortskirche und der Inkulturation, die die Ortskirche zu leisten habe: Ortskirche ist die Konkretisierung der Kirche. Ohne Ortskirche bleibt Kirche eine Abstraktion. Die Aufgabe der Ortskirche ist es, das Gottesreich zu vermitteln. Diese Vermittlung heisst Inkulturation, die wie ein immerwährender Dialog zwischen Gottesreich, Kirche und Ortskirche stattfindet. 4
Diesen Gedanken führt er weiter: Von der Missions- und Proklamationsaufgabe her gesehen begegnet die Kirche den konkreten Menschen durch die Ortskirchen, das heisst, sie können Kirche nur in der Ortskirche erfahren […]. Daher muss die Ortskirche eine inkulturierte Kirche sein, und inkulturierte Kirche von Menschen guten Willens heisst eine im Umfeld irgendwie identifizierbare Anwesenheit des Gottesreiches […]. Die Ortskirche proklamiert nicht nur, sondern weist auch in einer verständlichen Weise auf die wirkende Gegenwart Gottes hin. 5
Hier ist der sakramentale Charakter der Kirche, wie ihn das Zweite Vatikanische Konzil bezeugt, angesprochen. 6 Für Poona weist D’Souza auf die Rahmenbedingungen in der Stadt selbst hin: Die Bischofsstadt ist sowohl eine alte Kulturstadt als auch eine der am schnellsten wachsenden Industriestädte Indiens. Deshalb findet sich in ihr auch eine Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Als Kulturstadt ist sie das Zentrum der traditionellen Künste. Gleichzeitig 3 4
5 6
Ad gentes 5; 10-12. V. D’S OUZA , Kirche als Inkarnation des Gottesreiches und Ortskiche als Inkulturation des Gottesreiches, in: M. Heberling u.a. (Hg.), Inkulturation als Herausforderung und Chance. Dokumentation des 1. Dialogforums der Partnerdiözesen Poona und Eichstätt, Aachen 2001, 5-13, 7. Ebd. Vgl. Lumen gentium 13, 5.
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wird sie als Universitätsstadt vom akademischen Leben geprägt. Nicht zuletzt ist sie daneben eine Industriestadt mit all den damit verbundenen negativen Entwicklungen wie den zahllosen Slums, die durch die Landflucht und die damit einhergehende massive Armut und Marginalisierung verursacht sind. Wenn der Anspruch der Inkulturation theologisch begründet und als Aufgabe der Ortskirche angenommen wird, darf nicht übersehen werden, dass sich die Frage der Inkulturation nicht auf die Begegnung und schöpferische Auseinandersetzung mit den Hochkulturen beschränken darf. Wir dürfen, wenn wir von Inkulturation sprechen, nicht nur die Kultur der Eliten im Auge haben, sondern müssen auch die Kulturen und Subkulturen der Marginalisierten, der Ausgeschlossen, Vergessenen und Armen wahrnehmen. Bischof Valerian aus Poona sagt dazu: Die Diözese Poona ist eine Art Mosaik aus hoch gebildeten Intellektuellen und einfachen Analphabeten, aus hoch technisierten Industriearbeitern wie aus Arbeitern ohne Ausbildung, aus religiösen Fundamentalisten wie aus säkularisierten professionellen Menschen, aus Naturwissenschaftlern und Geisteswissenschaftlern, aus Reichen wie aus Armen, aus Wohlsituierten wie aus Obdachlosen […]. Es sind viele Schichten, deren Anspruch wir entsprechen müssen […]. 7
In dem missionarischen Bemühen der Kirche soll eine Begegnung stattfinden zwischen dem Evangelium und dem wirklichen Leben in seinen vielfältigen Formen. „Evangelisierung“, so hat es der frühere Generalobere der Jesuiten, P. Kolvenbach SJ, ausgedrückt, „ist ohne Inkulturation nicht möglich. Inkulturation ist der existentielle Dialog zwischen einem lebendigen Volk und dem lebendigen Evangelium.“ 8 Im Prinzip sind sich auch alle, die sich mit den Fragen einer christlichen Missionstheologie beschäftigen, einig: „Unter der Voraussetzung, dass der Geist und die Botschaft des Evangeliums, niedergelegt und weiter entfaltet in der (Glaubens-) Tradition der Kirche, gewahrt bleiben, sollte doch jede Kultur das Recht haben, die ihr gemäße Form und Formulierung des Glaubens zu finden.“ 9 Wo wir uns der Fragestellung allerdings theologisch weiter nähern, nehmen wir eine 7 8
9
D’SOUZA , Kirche, 8. P.-H. KOLVENBACH, “Living People, Living Gospel”. Ansprache beim “International Workshop on Native Ministry”, Anishinabe, Kanada, 12.10.1993, zitiert in: 34. Generalkongregation (1995), in: Provinzialskonferenz der Zentraleuropäischen Assistenz (Hg.), Dekrete der 31. bis 34. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu, München 1997, 377-560, 418. K. M ÜLLER , Art. Inkulturation, in: Ders./Theo Sundermeier (Hg.), Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe, Berlin 1987, 107.
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Vielzahl von Problemstellungen und Widersprüchen wahr. Davon zeugt nicht zuletzt auch die Sprachverwirrung, die auf diesem Gebiet herrscht. Hinter den einzelnen Begriffen steht jeweils – implizit oder explizit – ein theologisches Konzept. Die verschiedenen Begriffe zeigen aber nicht zuletzt auch den Versuch, die Entwicklung aufzugreifen, dass das Christentum nicht mehr ein rein europäisches ist und seit dem 20. Jahrhundert „die Mehrheit der Christen in der südlichen Hemisphäre lebt und ihre Identität aus den Geschichten nichteuropäischer Kulturen und im Kontext nichtchristlicher Religionen zu gewinnen hat“10.
2. DIE GESCHICHTE DES BEGRIFFS „INKULTURATION“ Begriffe, die den Prozess der Ablösung der Kirche aus ihrer exklusiven Verflechtung mit der europäischen Kultur abbilden, sind „Anpassung (Adaptation)“, „Akkomodation“ oder – neueren Datums – Begriffe wie „Indigenisierung“, „Kontextualisierung“ bzw. der explizit theologische Begriff der „Inkarnation des Glaubens“ in anderen als den europäischen Kulturen. Ich möchte im Folgenden dennoch der Einfachheit halber beim Begriff der Inkulturation bleiben, auch wenn er zugegebenermaßen einige Nachteile hat, insbesondere den, dass er die Prozesshaftigkeit des damit angesprochenen Geschehens nicht so betont wie andere Begriffe. Der Begriff selbst ist noch keine 60 Jahre alt. 11 Geprägt wurde er vermutlich von dem Missiologen Pierre Charles im Jahr 1953. Ursprünglich war der Begriff „Inkulturation“ allerdings gar kein missionstheologischer Begriff. Vielmehr geht er auf den amerikanischen Kulturanthropologen Melville Herskovits zurück. Herskovits bezeichnet in seiner Kulturtheorie mit Inkulturation den Prozess, den ein Kind in der bewussten und unbewussten Auseinandersetzung mit den kulturellen Formen seiner Umgebung durchmacht. Es lernt die Gewohnheiten seines Umfeldes: vom Sprechen über die Kleidung bis zum Essen, was dem Kind Sicherheit und Orientierung in einem ihm fremden Feld ermöglicht. Diesen Prozess nennt Herskovits (amerik.) “enculturation”. Der Begriff wird im Jahr 1962 von Joseph Masson in einem Artikel in der Zeitschrift „Nouvelle Revue Théologique“ aufge10
11
G. C OLLET, Art. Inkulturation: I. Begriff und Problemstellung, in: LThK 3 5 (1996) 504f., hier 505. Vgl. zum Folgenden: M. S IEVERNICH , http://www.unifr.ch/zmr/pdf/sievernich. pdf (25.1.2011).
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griffen, in dem er die Notwendigkeit eines „vielgestaltig inkulturierten Katholizismus – catholicisme inculturé d’une façon polymorphe“ unterstreicht. 12 Im asiatischen Raum wurde der Begriff dann auf der „Ersten Vollversammlung der Vereinigten Asiatischen Bischofskonferenz“ 1974 in Taipeh aufgenommen, wo man zum ersten Mal über die „einheimische inkulturierte Kirche“ sprach. Die lokale Kirche ist eine im Volk inkarnierte Kirche, eine indigene und inkulturierte Kirche. Und das meint konkret eine Kirche im kontinuierlichen, demütigen und liebenden Dialog mit den lebendigen Traditionen, den Kulturen, den Religionen – kurz, mit all den Lebensrealitäten der Menschen, in deren Mitte sie tief Wurzel geschlagen hat und deren Geschichte und Leben sie sich freudig zu eigen macht. Sie sucht teilzuhaben an allem, was wirklich zu diesen Menschen gehört: an dem, was für sie Sinn bedeutet, an ihren Werten, ihren Sehnsüchten, ihren Gedanken und ihrer Sprache, ihren Liedern und ihrer Kunst. Sogar ihre Schwächen und Verfehlungen nimmt sie auf, damit sie geheilt werden können. Denn so hat es der Sohn getan, indem er die Ganzheit unserer gefallenen menschlichen Natur angenommen hat […], um sie sich so wirklich zueigen zu machen und sie in seinem Ostergeheimnis zu erlösen. 13
Spätestens mit dem Apostolischen Rundschreiben über die zeitgemäße Katechese aus dem Jahr 1979 ist der Begriff der Inkulturation im theologischen Raum allgemein gebräuchlich. Er verbindet das theologische Prinzip der Inkarnation mit dem sozialwissenschaftlichen Konzept der Akkulturation. Hier klingt der in der Anthropologie gebräuchlichen ethnologische Begriff ,Enkulturation‘ an, der die Annahme fremder geistiger oder materieller Kulturelemente durch ein Individuum oder eine Gruppe meint. 14 Beim Begriff der Akkulturation kommt aber gegenüber dem der Enkulturation ein entscheidender Aspekt hinzu: Wenn wir von Akkulturation sprechen, meinen wir immer auch den Aspekt und das Prinzip der Gegenseitigkeit: Es findet ein Austausch statt, der im besten Fall beide Seiten in eine Entwick12
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J. M ASSON , L’Eglise ouverte sur le monde, in: Nouvelle Revue Théologique 84 (1962) 1032-1043, hier 1038. F EDERATION OF A SIAN B ISHOPS’ C ONFERENCES, “Evangelization in Modern Day Asia”, no. 12. Statement and Recommendations of the First Plenary Assembly, Taipei, Taiwan (27.4.1974), in: G. Rosales/C.G. Arévalo (Hg.), “For All the People of Asia”: Federation of Asian Bishops’ Conferences Documents from 1970 to 1991, New York 1992. S. R EIMANN , Inkulturation – Zwischen Ritenstreit und Befreiungstheologie, in: http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/RPF/professuren/gemeindearbeit/ reader/readerHII/HF_sections/content/Inkulturation.pdf (25.1.2010), 4.
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lungsdynamik versetzt, die die Menschen unterschiedlicher Provenienz zusammenführt. Das II. Vatikanische Konzil benutzt in diesem Zusammenhang das biblische Bild vom Samenkorn. Im Missionsdekret Ad gentes heißt es unter der Nummer 22 – ein wenig kirchlich-poetisch: Das Saatkorn, das heißt das Wort Gottes, sprießt aus guter, von himmlischem Tau befeuchteter Erde, zieht aus ihr den Saft, verwandelt ihn und assimiliert ihn sich, um viele Frucht zu bringen. In der Tat nehmen die jungen Kirchen, verwurzelt in Christus, gebaut auf das Fundament der Apostel, nach Art der Heilsordnung der Fleischwerdung in diesen wunderbaren Tausch alle Schätze der Völker hinein, die Christus zum Erbe gegeben sind.
Hier ist bereits das Prinzip der Inkarnation als Bild für das gewählt, was im Prozess der Weitergabe des Glaubens, der Mission geschehen soll: Der Sohn Gottes hat menschliche Natur angenommen und ist ein konkreter Mensch geworden. In seiner Konkretheit als Jesus von Nazareth, geboren im Palästina zur Zeit des römischen Kaisers Augustus und unter seiner Besatzung, wird er in seiner konkreten historischen Gestalt als gläubiger und gelehrter Jude seiner Zeit zur Offenbarung Gottes, die in ihrer Bedeutung nicht auf die Zeit und jüdische Umgebung des historischen Jesus beschränkt ist. Vielmehr sollen Leben und Botschaft Jesu in jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Kultur neu Gestalt annehmen beziehungsweise, theologisch gesprochen, sich inkarnieren. Wie aber verläuft nun der Prozess der Inkulturation? Wie weit darf sie gehen, bis zu welcher Grenze ist sie legitim? Oder ist sie nicht doch so etwas wie eine für das Christentum gefährliche „Aneignung fremder Götter“? Wir können beispielsweise zu Recht die Frage stellen: War die Inkulturation des Glaubens in China im Bemühen Matteo Riccis nicht bereits so etwas wie eine „Aneignung fremder Götter“? Ricci sah sich diesen Vorwürfen aus Rom ausgesetzt.
3. DIE INKULTURATION DES GLAUBENS IN CHINA: DER VERSUCH MATTEO RICCIS ALS „ANEIGNUNG FREMDER GÖTTER“? Wenn China als Beispiel für die Inkulturation des Glaubens herausgegriffen wird, verweisen wir auf ein großes Land, in dem die Fragen der Inkulturation besonders konfliktiv diskutiert wurden. Das zentrale Problem bildete hier eine dem Staatskonfuzianismus entgegenkom-
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mende Missionsmethode, die auf den italienischen Jesuiten Matteo Ricci (1552-1610) zurückgeht. Für den Missionar in China ist nach Ricci das Studium von Sprache, Kultur und Gebräuchen des Landes ebenso notwendig wie das Bemühen um ein Verständnis des politischen Systems, insgesamt ein Vorgehen in Geduld und Klugheit, um zuverlässige, dauernde Kontakte zu schaffen. 15 Das klingt zunächst noch wenig strittig. Die Einwände der Kritiker Riccis beinhalteten dann aber weitergehende, theologisch bedeutsame Fragen: Dürfen Christen mit den altchinesischen Wörtern für „Himmel“ und „Höchster Herrscher“ den Gott der christlichen Offenbarung bezeichnen? Ist die chinesische Philosophie geeignet, den christlichen Glauben auszudrücken? Sind Konfuzius- und Ahnenkult mit dem Christentum vereinbar? „Handelt es sich bei diesen Riten um einen religiösen Kult oder um bürgerliche Pietäts- und Ehrenbezeichnungen, wenn auch in Formen, gegen die sich unser europäisches Empfinden sträubt?“ 16 Gelten die in Europa gültigen kirchlichen Gebote auch für China? Ricci und seine Mitbrüder wählten den Weg, der gebildeten Schicht Chinas, an die sich ihre Verkündigung primär richtete, wenigstens den Konfuzius- und Ahnenkult zu gestatten, um ihnen so eine Brücke von ihrer bisherigen religiösen Kultur zum christlichen Glauben zu bauen. In den Jahren 1704, 1710 und endgültig dann 1742 verbot der Heilige Stuhl eine Reihe von Riten, die als nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar angesehen wurden. Die chinesischen Wörter für „Himmel“ und „Höchster Herr“ wurden abgelehnt und stattdessen vorgeschrieben, Gott als den „Herrn des Himmels“ zu bezeichnen. Für Christen verboten wurden Opferriten zu Ehren des Konfuzius (etwa zur Sonnenwende und beim Amtsantritt eines Beamten) und Ahnenopfer in der Familie, da sie in der Praxis nicht vom Aberglauben zu trennen seien. Diese Verbote wurden erst im Jahr 1940 wieder aufgehoben, da viele der umstrittenen Bräuche inzwischen zu Volksbräuchen geworden waren und ihre ursprüngliche religiöse Konnotation verloren hatten. Darüber hinaus war im Rückblick deutlich geworden, dass sich im Ritenstreit mehrere Konflikte getroffen hatten: Neben verschiedenen nationalen Rivalitäten vor allem zwischen Spanien und Portugal gab es auch Konflikte zwischen Ordensgemeinschaften (Jesuiten, Domini-
15
16
H. R ZEPKOWSKI , Lexikon der Mission. Geschichte, Theologie, Ethnologie, GrazWien-Köln 1992, 367. Ebd., 366.
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kaner, Franziskaner), den von ihnen vertretenen theologischen Akzentsetzungen und Methoden der Mission. Wenn wir mit diesem Hintergrund auf die verschiedenen Methoden und Zielsetzungen der christlichen Mission als Glaubensverkündigung schauen, identifizieren wir in Geschichte und Gegenwart verschiedene Modelle, die das Verhältnis von Evangelium, christlicher Tradition und Kultur jeweils unterschiedlich bestimmen.
4. MODELLE DER INKULTURATION In Bezug auf ihr methodologisches Vorgehen lassen sich grundsätzlich drei Kategorien von Inkulturationsmodellen unterscheiden: Übertragungsmodelle, Anpassungsmodelle sowie kontextuelle Modelle. 17
4.1 Übertragungsmodelle Nach Robert Schreiter gehen die Übertragungsmodelle zweistufig vor: Danach muss die christliche Botschaft im Prozess der missionarischen Verkündigung zunächst so weit wie möglich von früheren kulturellen Zuwächsen befreit werden. Die Kernaussagen des Glaubens, die daraus gewonnen werden, können dann in eine neue Kultur übertragen werden. Im Bild gesprochen, geht eine solche Vorgehensweise von der Vorstellung des Glaubens als einer Frucht aus Kern und Schale aus: „Die grundlegende christliche Offenbarung bildet den Kern, während die früheren kulturellen Gegebenheiten, in denen sie entstanden ist, die Schale ausmachen.“ 18 Erst nachdem die Schale entfernt worden ist, kann der Kern in einen neuen kulturellen Kontext eingepflanzt werden. Schreiter stellt fest, dass diese Modelle meistens zuerst im pastoralen Bereich angewendet werden. Sie beginnen grundsätzlich bei der kirchlichen Tradition und passen diese den Gegebenheiten einer regionalen Kultur an. Vertreter dieses Vorgehens gehen grundsätzlich von der kirchlichen Tradition aus, kennen aber meist wenig die regionale Situation und stehen meist außerhalb von ihr. Die Übertragungsmodelle haben das Ziel einer missionarischen Anpassung der Ausdrucksformen des Glaubens an die regionalen Gegebenheiten und 17
18
Ich folge hier R. SCHREITER , Abschied vom Gott der Europäer. Zur Entwicklung regionaler Theorien, Salzburg 1992, 23-36. Ebd., 23.
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setzen deshalb zumeist darauf, dass sie in der ortsüblichen Sprache linguistische Äquivalenzen für die großen theologischen Kategorien wie Gnade, Erlösung, Sünde etc. suchen und verwenden. Insofern knüpfen solche Modelle an Bedürfnissen derer an, die in der Pastoral stehen und das Evangelium verstehbar verkündigen wollen. Schreiter sieht zwei wesentliche Schwächen dieser Modelle. Zum einen liegt ihnen eine positivistische Sicht von Kultur zugrunde. Vertreter der Übertragungsmodelle gehen davon aus, es sei möglich, dass Außenstehende (europäische Missionare, Theologen, Liturgieexperten, Bibelübersetzer) die Kulturanalyse betreiben. Sie meinen, die Grundmuster einer Kultur sehr schnell dekodieren und verstehen zu können. Dabei wecken sie aber den Verdacht, dass sie mit ihrer Form der Analyse lediglich „Parallelen zu einem bereits früher kontextualisierten, europäischen Christentum“ 19 suchen, ohne dass geklärt ist, ob diese Parallelen auch wirklich existieren. Mit der Anknüpfung an diese Analyse bleibt die Übertragung des Glaubens„kerns“ in die bis dahin fremde Kultur dann häufig an der Oberfläche und kann zu schwerwiegenden Missverständnissen führen, weil die tieferen Bedeutungszusammenhänge des Denkens und der Werte der fremden Denkund Erlebniswelt nicht verstanden werden. Als zweite Schwäche identifiziert Schreiter die der genannten Theorie zugrunde liegende Unterscheidung von Kern und Schale. Sie ist insofern nicht ohne weiteres einleuchtend und zutreffend, als auch in der Bibel Kern und Schale untrennbar zusammengehören. Auch die biblische Offenbarung, Äußerungen der Konzilien oder Aussagen des Lehramtes sind ja ihrerseits selbst in einem kulturellen Zusammenhang entstanden und nicht Ausdruck einer überkulturellen Sphäre, die direkt in jede beliebige Kultur übertragen werden könnte. „Kern“ und kulturbedingte „Schale“ gehören zueinander und wirken lange aufeinander ein. Theologische Aussagen, die immer auch kulturell und geschichtlich bedingte Aussagen sind, können nicht unmittelbar übertragen werden ohne eine Reflexion eben ihrer Verflechtung von (Christus-)Ereignis und dessen sprachlichem Ausdruck. Schreiter denkt daher eher an das Bild der Zwiebel, in der Schale und Kern eine Einheit bilden und nicht getrennt sind. 20 Vielmehr entwickelt sich die gesamte Zwiebel – und nicht nur der Kern einer von ihrer Schale befreiten Frucht – zur neuen Pflanze, wenn sie in fruchtbaren Boden gepflanzt wird. Im Bild der Zwiebel wird deutlich, dass der Prozess der Inkulturation immer ein ganzheitlicher Wachs19 20
Ebd., 25. Ebd., 26.
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tumsprozess ist, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem europäisch geprägten Christentum und der betreffenden Kultur voraussetzt.
4.2 Anpassungsmodelle Im Unterschied zu den Übertragungsmodellen setzen sich Anpassungsmodelle intensiver mit dem Verhältnis zwischen dem Christentum und der jeweiligen Kultur auseinander. Häufig treten sie im zweiten Entwicklungsstadium einer regionalen Theologie auf. Das erste Modell umfasst die gemeinsam von ortsansässigen und ausländischen Theologen vorgenommenen Versuche, eine klar verständliche Weltanschauung oder Philosophie der entsprechenden Kultur zu formulieren (philosophischer Kern der Kultur). „Das Ergebnis bildet eine Parallele zu den philosophischen oder kulturanthropologischen Modellen, die in den westlichen Theologien als Basis für die Entwicklung einer Theologie verwendet werden.“ 21 Das zweite Modell stellt eine verfeinerte Methode des ersten Modells dar. Einheimische Theologen werden dabei in ihrem Kontext selbst oder in westlichen Ausbildungsstätten so weit im Gebrauch westlicher Kategorien unterrichtet, dass sie wiederum aus dem Material ihrer Herkunftskultur philosophische Modelle entwerfen und so zur Formulierung der ihrem Volk eigenen Weltanschauung beitragen können. Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand: Wenn es von einheimischen Theologen praktiziert wird, kann von einer gewissen Authentizität des Verständnisses der Denk- und Wertekultur ausgegangen werden. Zudem präsentiert sich eine solche Theologie ausgesprochen westlich, da sie mit westlichen Kategorien arbeitet und auf grundsätzlich ähnlichen Denksystemen wie europäische Theologien aufbaut, was auch zu einem leichteren Verständnis zwischen Kirchen und Gläubigen des Nordens und des Südens führt. Ein Dialog wird dadurch erheblich erleichtert. Dennoch haben auch diese Modelle nicht zu vernachlässigende Schwächen: Die Anpassungsmodelle leiten das Verständnis dessen, was eine Theologie an sich ausmacht, von den Ansätzen einer Theologie ab, die im 13. Jahrhundert für europäische Universitäten entwickelt worden ist, indem es von einer Methode ausgeht, die einer systematischen Theologie ein ausgearbeitetes philosophisches Modell 21
Ebd., 27.
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zugrunde legt. Wenn nun aber kulturelles Datenmaterial aus einer anderen Welt in fremde Kategorien gezwängt wird, kann das zu tiefgreifenden Missverständnissen führen. Schreiter stellt die Frage, ob sich Menschen aus asiatischen Kulturen vor der Annahme des Glaubens zunächst von ihrer eigenen Denkweise mit ihrer konjunktiven Art (sowohl/als auch) verabschieden und sich der europäischen Denkweise mit ihrer disjunktiven Struktur (entweder/oder) zuwenden müssen, um echte Christen zu werden. Für ein drittes Modell steht Papst Paul VI., der auf der Versammlung der afrikanischen Bischöfe von 1969 in Kampala (Uganda) betont hat, dass die Ausdrucksformen des Glaubens und die Formen seiner Bezeugung dem Geist und der Kultur desjenigen, der diesen Glauben bekennt, entsprechen dürfen. Es dürfe insofern durchaus z.B. eine eigene charakteristisch afrikanische Form des Christentums geben. 22 Dieses Modell beruht damit weder auf philosophischen Modellen Europas noch auf Vorstellungen der Reformationszeit über die frühen Kirchen, vielmehr nähert es sich kontextuellen Modellen, die sich explizit und direkt mit der Beziehung und Interaktion zwischen überliefertem apostolischen Glauben und den jeweiligen Kulturtraditionen auseinandersetzen.
4.3 Kontextuelle Modelle Diese Modelle nehmen nicht nur die Beziehung zwischen kulturellem Kontext und Theologie, sondern auch diejenige zwischen christlicher Botschaft und den sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen, in denen sie formuliert wurde, wahr. Kontextuelle Modelle konzentrieren sich sogar speziell darauf. Sie setzen nicht wie die Anpassungs- und Übertragungsmodelle bei der christlichen Tradition an, sondern direkt bei dem Umfeld, in dem sich der Glaube ausdrückt bzw. ausdrücken soll. Zwei unterschiedliche kontextuelle Modelle lassen sich identifizieren, die auf jeweils unterschiedliche kontextuelle Bedingungen reagieren: die ethnographischen Modelle befassen sich vorrangig mit der kulturellen Identität, während die sogenannten „Befreiungsmodelle“ von erfahrener Unterdrückung und sozialen Konflikten ausge22
PAPST PAUL VI., Ansprache zum feierlichen Abschluss des Ersten Afrikanischen Symposiums in der Kathedrale von Rugaba/Uganda am 31. Juli 1969, in: Herder Korrespondenz 23 (1969) 424; vgl. S CHREITER , Abschied vom Gott der Europäer, 30.
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hen sowie von der damit verbundenen Notwendigkeit (gesellschaftlicher) Veränderung. Ethnographische Modelle treten besonders in der Endphase des Kolonialismus in Erscheinung mit der Forderung nach der Wiederherstellung von geraubter Identität und Würde. Sie gehen explizit die Probleme an, die durch geschlechts- und rassenspezifische Diskriminierung und Unterdrückung entstehen. Eine bemerkenswerte Stärke solch ethnographischer kontextueller Modelle liegt in ihrer Methodologie: Sie setzt unmittelbar bei den Problemen des betroffenen Menschen an. Leider handelt es sich beim ethnographischen Modell um ein Projekt, das selten über seine ersten Schritte hinauskommt. „Probleme werden zwar identifiziert, Fragen aus anderen kulturellen Traditionen werden an den christlichen Glauben gestellt, aber für eine Weiterführung des Dialogs fehlt die Zeit.“ 23 Zusätzlich führt die starke Betonung von Stabilität und Identität „des Volkes“ zu der Neigung, Konflikte im direkten Umfeld zu übersehen oder um der Harmonie willen zu leugnen. Diskontinuität in jeder Form ist unerwünscht, was eventuell notwendigen Veränderungen, z.B. in Bezug auf bestimmte unmenschliche Aspekte in der kulturellen Tradition (Diskriminierung bestimmter Gruppen der Gesellschaft, Todesstrafe etc.) im Wege steht. Ein kultureller Romantizismus kann solche Veränderungen verhindern. Ein weiteres Problem besteht darin, dass den Großteil der nötigen sozialwissenschaftlichen Analysen nur Experten vornehmen können, womit wieder diejenigen ausgeschlossen wären, die eigentlich den Hauptteil zur weiteren Entwicklung leisten sollten, nämlich die Menschen in den Gesellschaften selbst. Die heute wahrscheinlich größte Gruppe der kontextuellen Modelle bilden die Befreiungsmodelle. Sie sind dort zu finden, wo Christen politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich unterdrückt werden. Im Gegensatz zu den ethnologischen Modellen zielen Befreiungsmodelle ausdrücklich auf Diskontinuität. Ziel sind die als dringend angesehenen Veränderungen in gesellschaftlichen Systemen. Hinsichtlich einer theologischen Auseinandersetzung befassen sich Befreiungstheologen besonders mit dem Thema der Erlösung. Die ausdrückliche Stärke dieser Modelle ist die Verbindung, die sie zwischen der Realität eines Volkes, seinen Lebensumständen und dem das Heil versprechenden Wort Gottes herstellen. Durch diese Verbindung wird Hoffnung vermittelt, die zum Handeln führt, Gemeinschaftsgefühl und Kraft innerhalb einer benachteiligten Gruppe. Dieser Prozess bereichert nicht nur die betroffenen Gemeinschaften, sondern die Ge23
Ebd., 33.
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samtheit der Kirche, nicht zuletzt, weil besonders die älteren Kirchen zu glaubhafterem Zeugnis aufgerufen werden. Aber auch diesem Modell haften unübersehbar Mängel an: „Oft verstehen die TheologInnen die Schreie der Menschen besser als das biblische Zeugnis oder die Zeugnisse der anderen Kirchen.“ 24 Hinzu kommt die Kontroverse um den Marxismus, der selbst historisch an antireligiöse und unterdrückerische Gesellschaftssysteme gebunden war und zum Teil auch noch ist. Des Weiteren besteht die Tendenz, erst zu handeln und später dann zu reflektieren. Oft fällt es in ausweglosen Situationen zudem schwer, im berechtigten Kampfgeist nicht in eine „fanatische Apokalyptik“ zu verfallen. 25 Dennoch scheinen die Befreiungsmodelle die bisher wirkungsvollsten unter den kontextuellen Modellen zu sein, weil sie den Zusammenhang von Glaubensverkündigung und dem Engagement für Gerechtigkeit aufgreifen. Die Fragen, die Schreiter stellt, sollen im weiteren Verlauf aus einer spezifisch asiatischen Sicht theologisch reflektiert und diskutiert werden.
5. ASIATISCHE BEOBACHTUNGEN UND BEWERTUNGEN Der Jesuit Aloysius Pieris ist einer der führenden Theologen und Gründer eines theologischen Forschungszentrums in Colombo auf Sri Lanka. Als Indologe und Theologe untersucht er die verschiedenen Inkulturationsmodelle in Bezug auf ihre Anwendbarkeit im asiatischen Kontext. Er unterscheidet dabei vier große Modelle der Begegnung von christlicher Botschaft mit unterschiedlichen Denktraditionen und religiösen Überzeugungen:26 die lateinische Vorgehensweise, bei der sich die christliche Botschaft in eine nichtchristliche Kultur inkarnierte; das griechische Modell mit seiner Assimilierung einer nichtchristlichen Philosophie; die Inkulturation in Nordeuropa, die sich durch Anpassung an eine nichtchristliche Religiosität auszeichnet, sowie den monastischen Weg, der auf die Partizipation an einer nichtchristlichen Spiritualität setzt.
24 25 26
Ebd., 35. Ebd. A. PIERIS , Theologie der Befreiung in Asien. Christentum im Kontext der Armut und der Religionen (Theologie der Dritten Welt 9), Freiburg-Basel-Wien 1986.
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5.1 Das griechisch-römische Inkulturationsmodell Das lateinische bzw. griechische Modell ist nach Pieris für die Inkulturation in Asien am ungeeignetsten. Einen Grund dafür, dass diese Methoden in Asien nicht erfolgreich anwendbar sind, sieht Pieris in der Tatsache, dass die patristische Tradition andere Religionen tendenziell negativ bewertete. Nur die Kultur Roms und die Denkphilosophie Griechenlands seien von den Kirchenvätern als würdig erachtet worden, von Kirche und Theologie aufgenommen zu werden. Darüber hinaus ergibt die Herauslösung der Religion aus der Kultur (wie es im lateinischen Christentum der Fall war) bzw. die Herauslösung der Religion aus der Philosophie (wie im hellenistischen Christentum) in der asiatischen Gesellschaft wenig Sinn; denn im südasiatischen Kontext sind Kultur und Religion „überlappende Facetten einer unteilbaren Soteriologie, die gleichzeitig eine Lebensauffassung und einen Erlösungsweg darstellt“27. Kultur und Religion durchdringen sich gegenseitig, und für Menschen in Asien ist eine Trennung beider und die Schaffung einer von der Religion befreiten Kultur, die dann vom Christentum angenommen und geprägt werden könnte, undenkbar. Die lateinische Vorstellung von den klar getrennten Bereichen Kultur und Religion führt die Menschen des entsprechenden Kulturkreises offenbar zu der Annahme, dass Inkulturation die Einwurzelung von „christlicher Religion minus europäischer Kultur“ in einer „asiatischen Kultur minus nichtchristlicher Religion“ 28 bedeutet. Im Kontext Südasiens scheint nach Pieris eine vom griechisch-römischen Modell der Inkulturation unterschiedene „Inreligionisation“ 29 der Kirche und des christlichen Glaubens möglich und notwendig, also ein Hineinwachsen christlicher Verkündigung in die religiös-kulturelle Welt Asiens hinein. 30 Des Weiteren ist das griechisch-römische Modell für den asiatischen Kontext deshalb nicht geeignet, weil die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie dem asiatischen Kontext nicht gerecht wird. Insbesondere in Bezug auf Platon und dann bekanntermaßen mit der Scholastik seit Albert dem Großen und Thomas von Aquin in Bezug auf Aristoteles entsprach die Arbeitsweise des Theologen darin, die philosophischen Ansätze der Antike aus ihrem ur27 28 29 30
Ebd., 80f. Ebd., 81. Ebd. Vgl. C. M ENDONCA , Christliche Spiritualität im indischen Kontext. Der Beitrag einer Minderheitenreligion zum interreligiösen Lernen, Ostfildern 2009, 85f.
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sprünglichen religiösen Kontext herauszunehmen und der christlichen Religion dienstbar zu machen, als Instrument zur Formulierung der eigenen Lehre. Aus dieser Praxis schlussfolgert Pieris: „Die Eroberung einer anderen Religion und die Beschlagnahmung ihrer schönen Philosophie im Dienste der eigenen Religion: dies war das grundlegende Verfahren, aus dem die akademische Tradition der westlichen Theologie hervorgegangen ist.“ 31 Im asiatischen Kontext sei dieses Vorgehen hingegen unproduktiv, da es für die asiatische Philosophie ihren Tod bedeuten würde, wenn sie aus ihrem soteriologischen Kontext gerissen würde. Die lateinische Praxis, eine nichtchristliche Kultur im Dienste des Christentums zu verwenden, könnte sogar kontraproduktive Auswirkungen haben, weil diese zu einem „theologischen Vandalismus“ zu führen droht, der das tief verwobene Ineinander von Religion und Kultur zerstört. Zudem lasse eine derartige „Inkulturation“, die beispielsweise vorschnell sakrale Symbole des Buddhismus in der christlichen Liturgie benutzt, die nötige Ehrfurcht vor dem „soteriologischen Mutterboden der nichtchristlichen religiösen Symbole“ vermissen und laufe damit Gefahr, „als versteckte Form des Imperialismus interpretiert zu werden“. 32 Der entscheidende Grund allerdings, warum das griechisch-römische Inkulturationsmodell in Europa erfolgreich, in Asien allerdings zum Scheitern verurteilt ist, liegt laut Pieris darin, dass die historischen Bedingungen der frühen Phase der Kirche im mediterranen Raum zu denjenigen im Asien des 20. Jahrhunderts völlig verschieden waren. Im antiken Rom befand sich die imperiale Religion in Auflösung, während das Christentum im Aufstieg begriffen war. Der Weg der „Indigenisierung“, den das Christentum gewählt und durch den es die griechische und römische Kultur sogar vor dem absoluten Aussterben bewahrt hat, war ein Erfolgsmodell für den gesellschaftlichsozialen Kontext der klassischen Antike. In Asien aber wirkt das „Inkulturationsfieber“ dahingegen als verzweifelter Versuch der Kirche, sich in letzter Minute eine asiatische Fassade zu geben, ohne aber wirklich im asiatischen Boden Wurzeln schlagen zu können. Hier sind Religionen lebendiger Bestandteil der Lebenskultur und des Selbstverständnisses der Menschen. Sie sind nicht im Aussterben begriffen wie die Staatsreligion im späten Rom, die die Kultur irgendwie zurückließ, jedoch ohne ihren religiösen Kern.
31 32
Ebd., 82. Ebd.
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5.2 Das nordeuropäische Modell Das nordeuropäische Inkulturationsmodell ist nach Ansicht von Aloysius Pieris wenigstens als Analogie für das Verständnis des asiatischen Kontextes verwendbar: Zwischen der frühmittelalterlichen SippenGesellschaft in Nordeuropa und der Stammesgesellschaft des heutigen Asiens findet sich eine vergleichbare Religiosität. Beide Gruppen sind kosmisch religiös, was im Gegensatz zur metakosmischen Religiosität steht, die das Postulat einer Realität jenseits der Erscheinungen postuliert. Diese beiden Formen der Religiosität stehen nicht notwendigerweise gegeneinander, sondern sind auf natürliche Weise komplementär. So ist die feste Verwurzelung (d.h. Inkulturation) einer metakosmischen Religion (Religion, die die Welt überschreitet und nach den Gründen und dem Sinn des Kosmos fragt) in einer Stammesgesellschaft nur innerhalb des Rahmens deren kosmischer Religiosität möglich (Anknüpfungspunkte); umgekehrt gilt, dass eine kosmische Religion von ihrer spirituellen Dynamik her unabgeschlossen und geradezu auf die transzendentale Ausrichtung von seiten einer metakosmischen Religion angelegt ist.33
Beide Religiositätstypen ergänzen sich gegenseitig und bilden eine zweidimensionale Soteriologie von kosmischem Jetzt und metakosmischem Jenseits. Diese frühmittelalterliche Form der Inkulturation sei für das heutige Asien dort denkbar, wo die kosmische Religiosität in ihrer ursprünglichen Gestalt überlebt hat, ohne von einer metakosmischen Religion überlagert worden zu sein. Inkulturation wird in diesem Verständnis jedenfalls nicht mehr als kirchliche Expansion in nichtchristliche Kulturen, sondern als Aufbau einer einheimischen kirchlichen Identität im Schoß der soteriologischen Grundausrichtung der asiatischen Religionen gesehen.
5.3 Das monastische Modell Ein für den heutigen gesellschaftlich-religiösen Kontext Asiens angemessenes Modell findet Pieris in der monastischen Tradition. Sie „ist genau der Ort, an dem der Osten durch sein schöpferisches Schwei33
Ebd., 84f. Vgl. L. O VEÈKA , Evropský problém, americké zájmy, in: Jiøí Hanuš/Jan Vybíral (Hg.). Evropa a její duchovní tváø. Eseje – komentáøe – diskuse, Brno 2005, 316-320.
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gen im Westen gegenwärtig ist.“ 34 Osten und Westen werden dabei weniger als geographische Orientierungen denn als Ausdruck zweier menschlicher Grundhaltungen verstanden, die jede für sich ohne die andere unvollständig wäre. Die eine Haltung findet phänomenologisch ihren Ausdruck in der agapeischen, die andere in der gnostischen Sprache. Mit „agapeisch“ ist alles gemeint, was mit Liebe, Beziehung und gegenseitiger Hingabe zu tun hat, mit dem Begriff „gnostisch“ der Erlösungsweg durch Erleuchtung. Dem Mönchtum gelang es über die Jahrhunderte seiner Entstehung und Entfaltung, die gnostische, auf Erleuchtung bauende Spiritualität der Nichtchristen nach und nach in die agapeische Religiosität des Christentums einfließen zu lassen. Pieris weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Kirche in ihrem missionarischen Bemühen die eigenen westlichen Mönche und deren tiefe Religiosität oft zu gering geschätzt hat, was im Laufe der Zeit seiner Ansicht nach auch zu einer einseitigen Akademisierung der Theologie geführt habe. Wenn das Patriarchat des Westens sich aber heute bereit fände, „von seinen Mönchen die Verbindung der gnostischen und der agapebestimmten Sprache zu lernen, dann könnte es die Art von Inkulturation schätzen lernen, deren Asien heute bedarf“. 35 Die Verbindung agapeischer und gnostischer Elemente im christlich-monastischen Leben finde ihren Ausdruck insbesondere in einer um des Evangeliums willen und in Solidarität mit den unfreiwillig Armen gelebten freiwilligen Armut. Wahre Inkulturation des christlichen Glaubens im asiatischen Raum, bei der die Botschaft Jesu Christi in der Tiefe bei den Menschen Asiens ankommt, findet dort statt, wo die Solidarität mit den asiatischen Mönchen und ihrer Suche nach einer metakosmischen Realität gelebt wird in Verbindung mit einer noch stärkeren Solidarität mit den Armen Asiens, die sich nach einer gerechteren kosmischen Ordnung sehnen. Befreiung und Inkulturation sind dann zwei Aspekte der Verkündigung der christlichen Botschaft.
6. AUSBLICK Die Inkulturation des Evangeliums ist ebenso ein Wagnis wie ein unverzichtbarer Weg, Menschen den Gott Jesu Christi zu bezeugen. Eine kulturfreie „Kernbotschaft“ gibt es genauso wenig wie in weiten Teilen 34 35
Ebd., 87. Ebd., 88.
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Asiens ein religionsfreies Selbstverständnis der Menschen. Das Programm der „Inreligionisation“ von A. Pieris ist noch kein ausgearbeitetes Konzept einer Verkündigung des Evangeliums, die den Menschen in seiner spirituellen Tiefe anspricht. Dennoch weist es einen Weg, der den, der das Evangelium verkündet, davor bewahrt, in kultureller Überheblichkeit entweder Menschen zu europäischen Formen christlichen Lebens zu führen zu suchen oder – was genauso falsch wäre – sich vorschnell nicht-christlicher religiöser Symbolik zum Beispiel in der christlichen Liturgie zu bemächtigen. Die „Aneignung fremder Götter“ ist gerade nicht das Ziel christlicher Verkündigung, sondern die Ermöglichung der Begegnung von Menschen auf ihrem eigenen sozialen und religiösen Hintergrund mit dem Gott Jesu Christi. Die weltweite Kirche wird in diesem Prozess der Begegnung und des Dialogs mit fremden religiösen und sozialen Kontexten in Zukunft selbst noch pluraler werden und es wird die Aufgabe der Theologie in den nächsten Jahrzehnten sein, in einem geduldigen Dialog die Versuche zu würdigen, die Botschaft Jesu Christi und des Evangeliums in all ihren Facetten in einer Sprache auszudrücken, die es den Adressaten der Botschaft ermöglicht, das Evangelium zu verstehen und im Innersten anzunehmen. Eines ist nicht von der Hand zu weisen: Wenn die Einheit der Kirche gewahrt bleiben soll, muss den einzelnen Gruppen, Ethnien und Kulturen ein noch größeres Maß an Toleranz und Interesse entgegengebracht werden. Aber Toleranz allein im Sinne einer passiven Gesinnung des stillen Desinteresses reicht in der Kirche nicht aus, die sich einer universalen Berufung verpflichtet sieht. Vielmehr bedürfen die neuen Entwürfe einer Dalit-Theologie aus Indien, einer von hinduistischem Denken geprägten Christologie oder anderer kontextueller Theologien eines gesamtkirchlichen (wohlwollenden) Dialogs, der verbunden sein muss mit dem Anliegen, die christliche Botschaft in ihrer Tiefe zu verstehen und mit Blick auf die Kontexte, in denen Menschen sich bewegen, in Wort und Tat zu verkünden.
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Literatur Dokumente Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium. Zweites Vatikanisches Konzil, 21. Nov. 1964, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 352008, 123-197. Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes: Zweites Vatikanisches Konzil, 7. Dez. 1965, in: Karl Rahner/Herbert Vorgrimler (Hg.), Kleines Konzilskompendium, Freiburg 352008, 607-653. FEDERATION OF ASIAN BISHOPS’ CONFERENCES, “Evangelization in Modern Day Asia”, no. 12. Statement and Recommendations of the First Plenary Assembly, Taipei, Taiwan (27.4.1974), in: G(audencio) Rosales/C(atalino) G. Arévalo (Hg.), “For All the People of Asia”: Federation of Asian Bishops’ Conferences Documents from 1970 to 1991, New York 1992. PAPST PAUL VI., Ansprache zum feierlichen Abschluss des Ersten Afrikanischen Symposiums in der Kathedrale von Rugaba/Uganda am 31. Juli 1969, in: Herder Korrespondenz 23 (1969) 424.
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PIERIS, ALOYSIUS, Theologie der Befreiung in Asien. Christentum im Kontext der Armut und der Religionen (Theologie der Dritten Welt 9), FreiburgBasel-Wien 1986. REIMANN, STEFANIE, Inkulturation – Zwischen Ritenstreit und Befreiungstheologie, in: http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/RPF/professuren/gemeindearbeit/reader/readerHII/HF_sections/content/Inkulturation.pdf (25.1.2010). RZEPKOWSKI, HORST, Lexikon der Mission. Geschichte, Theologie, Ethnologie, Graz-Wien-Köln 1992. SCHMIDLIN, JOSEF, Katholische Missionslehre im Grundriss, Münster 21923. SCHREITER, ROBERT, Abschied vom Gott der Europäer. Zur Entwicklung regionaler Theorien, Salzburg 1992. SIEVERNICH, MICHAEL, http://www.unifr.ch/zmr/pdf/sievernich.pdf (25.1.2011).
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Das prinzipiell Fremde als das konkret Zugesagte. Didaktik eines mystagogischen Religionsunterrichts an der Grundschule 1. DAS PRINZIPIELL FREMDE Sind Religionen austauschbar? Dieser Frage stellt sich der vorliegende Band, und Michael Schneider führt in seinem Beitrag dazu aus, dass das Christentum die Erfahrung der Unsagbarkeit Gottes mit anderen Religionen gemeinsam hat.1 Gott lässt sich nicht fassen, in Worte nicht und in Bilder nicht: „Du sollst dir kein Gottesbild machen“ (Ex 20,4 und Dtn 5,8), heißt es darum, und auch das Bilderverbot ist keine christliche Erfindung. Es wirkt jedoch im Christentum weiter – bis heute. Was aber, wenn sich die Erfahrung der Unsagbarkeit Gottes zwar nicht in Worte fassen lässt, wir jedoch das Erfahrene nicht für uns behalten können und wollen? Was, wenn das Bilderverbot zwar im Christentum weiterlebt, wir jedoch nicht anders können, als uns Bilder zu machen? Was, wenn es darum geht, Fremdes fremd sein zu lassen, wir jedoch uns Fremdes zu eigen machen wollen? Was, wenn es darum geht, ein Geheimnis zu hüten, wir jedoch dazu neigen, daraus ein Rätsel zu machen, das sich lüften lässt? Auch Geheimnisse, Mysterien spielen nicht allein und nicht erst im Christentum zentrale Rollen. Mystagogische Traditionen verweisen auf das Unsagbare, das jeden Bilderrahmen Sprengende, das Fremde und fremd Bleibende. Prinzipiell Fremdes klingt bereits im Titel meines Beitrags an, den ich in religionsdidaktischer Absicht verfasst habe. Mit ihm will ich einen Bogen spannen, der mystagogisch ansetzt und gerade so Spuren legt, die auf interkulturelle und interreligiöse Lernwege führen. „Mystagogie für Kinder“ – unter diesem Namen lebt seit mehreren Jahren ein Grundschulprojekt.2 Als Leser der bisher vorliegenden Do1 2
Siehe unten S.281. Erstmals erfuhr ich von diesem Projekt, als mich im Frühjahr 2003 in Tübingen ein Brief aus dem damaligen Dezernat Schule und Hochschule des Bistums Limburg erreichte – mit der Anfrage, ob ich an einer Kooperation im Rahmen dieses Vorhabens
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kumentation 3 empfange ich in diesem Zusammenhang zahlreiche Ideen zugunsten einer Kooperation von Religionsunterricht und Katechese, von Schule und Gemeinde, und ich lerne etliche höchst spannende Praxisprojekte kennen. Aber eine Umschreibung dessen, was diese Präsentationen als mystagogische qualifiziert, finde ich darin allenfalls zwischen den Zeilen. Eckhard Nordhofen schreibt denn auch: „Wir wissen noch nicht, was der RU, der sich als mystagogischer, an der biblischen Botschaft orientierter Unterricht, um die Überführung einer anthropologischen Religiosität in biblisches Christentum bemüht, kann oder nicht kann, denn ein in diesem Sinne ganzheitlicher RU ist kaum je wirklich konzipiert worden.“ 4 Mein im Titel angekündigter Entwurf einer Religionsdidaktik setzt damit an, dass ich zunächst in mystagogische Traditionen einführe. Diese lassen sich auf diakonischen und interkulturellen Wegen entfalten, ohne dabei die Rückbindung an die mystagogischen Wurzeln jenes Entwurfs aufzugeben, welchen ich zumindest in Umrissen zu skizzieren versuche.
2. MYSTAGOGISCHE TRADITION IN VOR- UND ALTCHRISTLICHER ZEIT Mystagogische Traditionen reichen in vorchristliche Zeit zurück.5 Mystagogie war die Einführung in die Geheimnisse der Mysterienkulte. Da waren die Mysten, die in eine Kultgemeinschaft aufgenommen werden wollten, und da waren die Mystagogen, die als Führer oder Begleiter der Mysten diese mit dem jeweiligen Kult vertraut machten.
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interessiert sei. Im Zuge der entstehenden Zusammenarbeit entstand auch der Wunsch nach einem wissenschaftlich-religionspädagogischen „Überbau“ für jene „Mystagogie für Kinder“. Und da Überbau in meinen Ohren so klingt, als handle es sich um ein zusätzliches Stockwerk, das einem Haus aufgesetzt wird, welches schon längst in sich steht und eine weitere Etage doch eigentlich gar nicht braucht, habe ich versucht, für einen Unterbau zu sorgen, der sich – wie ich hoffe – nun nicht seinerseits als überflüssig erweisen möge, sondern als tragend in seiner Didaktik. Siehe D EZERNAT SCHULE UND HOCHSCHULE IM B ISCHÖFLICHEN O RDINARIAT LIMBURG (Hg.), Religionsunterricht und Gemeinde arbeiten zusammen. Ein Grundschulprojekt im Bistum Limburg (Limburger Impulse zur Religionspädagogik 1), Limburg 2004. E. NORDHOFEN, Religionsunterricht in der Grundschule – Auf der Suche nach neuen Wegen, in: Th. Schreijäck (Hg.), Werkstatt Zukunft. Bildung und Theologie im Horizont eschatologisch bestimmter Wirklichkeit. Für Hermann Pius Siller, Freiburg i.Br. 2004, 144-157, 156. Siehe H. HASLINGER, Was ist Mystagogie? Praktisch-theologische Annäherung an einen strapazierten Begriff, in: S. Knobloch/H. Haslinger (Hg.), Mystagogische Seelsorge. Eine lebensgeschichtlich orientierte Pastoral, Mainz 1991, 15-75.
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Mystagogische Traditionen lebten in altchristlicher Zeit fort. Aufgrund der frühchristlichen „Arkandisziplin“ 6, die Lehre und Bräuche der Gemeinschaft vor Außenstehenden geheim hielt, wurden die Neugetauften erst nach dem sakramentalen Vollzug ihrer Initiation in der Osternacht über die Bedeutung von Taufe, Firmung und Eucharistie unterrichtet. Diese Einweisung in die christlichen Geheimnisse und ihre Symbolik hieß „Mystagogie“. Mystagogische Texte liegen aus dem vierten Jahrhundert von Cyrill von Jerusalem vor.7 Neben Katechesen, die der Vorbereitung der Katechumenen dienten,8 sind dort solche überliefert, die ausdrücklich als mystagogische Katechesen ausgewiesen sind und nachträglich – nach dem Vollzug der Initiation – das Geschehen erläuterten. Egeria (oder Aetheria), eine fromme adlige Dame,9 erwähnt in ihrem Bericht von einer Reise als Pilgerin in das Heilige Land mystagogische Katechesen: „Während der Bischof alles einzeln deutet und berichtet, sind die Stimmen der begeisterten Zuhörer so laut, dass ihre Stimmen sogar weit draußen vor der Kirche zu hören sind. Er enthüllt ihnen nämlich alle Mysterien so, dass keiner von dem unberührt bleiben kann, was er derart erklärt hört.“ 10 Die Hinführung zu den christlichen Mysterien muss in bewegender Weise erfolgt sein, und das Erleben der Initiationsriten war den mystagogisch-katechetischen Erläuterungen vorgeschaltet. Chronologisch und hermeneutisch genoss das Erleben, das Sammeln von Eindrücken Vorrang vor der Wissensvermittlung. Anliegen der Mystagogie war es, die Katechumenen darin zu unterstützen, dass sie zu den sakramentalen Vollzügen zunächst eine persönliche 6
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„Arkandisziplin“ steht insofern in Anführungszeichen, als Christoph Jacob darin eine Geschichts-Konstruktion sieht, die in den postreformatorischen Kontroversen entstanden sei und an deren Stelle eine unbefangene Auseinandersetzung mit der altkirchlichen Praxis treten müsse; schließlich gehe es wie bei der Forderung nach einer neuen Mystagogie nicht um elitär-esoterische Elemente der Pastoral, sondern um die Frage nach dem Selbstverständnis von Theologie; s. C. J ACOB , Arkandisziplin, in: Lexikon für Theologie und Kirche 1 (1993) 990f. Siehe C YRILL VON J ERUSALEM , Mystagogicae catecheses – Mystagogische Katechesen. Übersetzt und eingeleitet von G. Röwekamp (Fontes christiani 7), Freiburg i.Br. u.a. 1992. Johannes Arnold verdanke ich den Hinweis, dass insbesondere im dritten Jahrhundert präbaptismale Katechesen lebendig waren, die dem Ziel dienten, schon vor der Initiation Wissen zu vermitteln. Siehe A ETHERIA , Eine Pilgerfahrt in das Heilige Land (Peregrinatio Aetheriae). Eingeleitet und erklärt von H. Pétré. Übersetzt von K. Vretska, Klosterneuburg bei Wien 1958, 5; E GERIA , Itinerarium – Reisebericht. Übersetzt und eingeleitet von G. Röwekamp (Fontes christiani 20), Freiburg i.Br. u.a. 1995, 15. E GERIA , Itinerarium 47,2 (Übersetzung Röwekamp 303).
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Beziehung entwickeln und diese danach reflektierend erschließen konnten – nicht umgekehrt!
3. MYSTAGOGISCHE KONZEPTION IN DER THEOLOGIE KARL RAHNERS Mystagogische Traditionen greift insbesondere Karl Rahner auf. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1959 deutet er inhaltlich an, welche Bedeutung dem Begriff der Mystagogie in seinen späteren Arbeiten zukommen wird. Innovativ wirkte und wirkt er damit über sein eigenes Fach hinaus – hinein in die Praktische Theologie, insbesondere in Pastoraltheologie 11 und Religionspädagogik 12. Rahner spricht von der Hebammenkunst, der „Maieutik eines individuellen Christentums von innen her“13. Daran knüpft er an, wenn er in seinem Werk „Einübung priesterlicher Existenz“ 14 schreibt: Wir müssen zugeben, daß wir Theologen und wir katholische Christen von heute trotz allen Redens von Gott eigentlich wenig Hermeneutik und Mäeutik für diese ursprünglichere, in der Wurzel des Daseins gegebene Gotteserfahrung haben und praktizieren […]. Halten Sie einmal still! Suchen Sie nicht möglichst Vielerlei und möglichst Kompliziertes zu denken. Lassen Sie einmal diese ursprünglicheren Wirklichkeiten des Geistes emporkommen: das Schweigen, die Angst, das unsagbare Verlangen nach Wahrheit, nach Liebe, nach Gemeinsamkeit, nach Gott. Stellen Sie sich der Einsamkeit, der Angst, der Nähe zum Tod! Lassen Sie solche letzten Grunderfahrungen des Menschen vor-kommen, beschwätzen Sie sie nicht, machen Sie darüber keine Theorien, sondern halten Sie diese Grunderfahrungen aus. Dann kann doch so etwas von einem ursprünglichen Wissen um Gott hervortreten […].
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Siehe W. S CHMOLLY, Pastoral verantworten: Praktische Theologie, in: A.R. Batlogg/P. Rulands/W. Schmolly/R.A. Siebenrock/G. Wassilowsky/A. Zahlauer, Der Denkweg Karl Rahners. Quellen – Entwicklungen – Perspektiven, Mainz 2 2004, 242-261; Pastoraltheologische Informationen 24 (2004) Heft 2: Theologie aus pastoraler Leidenschaft. Karl Rahner und die Grundfragen der Praktischen Theologie, mit zahlreichen sehr lesenswerten Beiträgen; R. Z INKEVICIUTE , Karl Rahners Mystagogiebegriff und seine praktisch-theologische Rezeption (Pastoralpsychologie und Spiritualität 10), Frankfurt am Main 2007. Siehe M. SCHAMBECK , Mystagogisches Lernen. Zu einer Perspektive religiöser Bildung (Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 62), Würzburg 2006. K. R AHNER , Sendung und Gnade. Beiträge zur Pastoraltheologie, Innsbruck-WienMünchen 1959, 122. K. R AHNER , Einübung priesterlicher Existenz, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 2 1970.
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Wenn wir nicht in dieser Weise langsam, mehr und mehr lernen, mit Gott umzugehen [...], dann reden wir über Gott, als ob wir ihm gleichsam schon auf die Schulter geklopft hätten, dann fühlen wir uns den Menschen gegenüber als die Landräte des lieben Gottes, die ungefähr dasselbe sind wie er […]. Daß diese Dinge so platt für uns bleiben, daß diese ursprünglichere, namenlose und unthematische Erfahrung durch unseren Alltagsbetrieb, durch all das, was wir sonst mit Menschen und Dingen zu tun haben, scheinbar ganz verdrängt und verschüttet ist, daß dieses ursprünglichere religiöse Gottesverhältnis sogar durch unser theologisches, aszetisches und frommes Geschwätz und Gerede noch einmal verschüttet werden kann, das beweist zwar, wie sehr wir in einem echteren, religiöseren Leben immer wieder dieses ursprüngliche Verhältnis zu Gott freikämpfen müssen, gleichsam immer wieder ausgraben müssen, aber es beweist gerade, wie ursprünglich ein Verhältnis des Menschen zu Gott ist. 15
Aus diesen Wahrnehmungen um die Gotteserfahrung zieht Rahner Konsequenzen: „In diesem Massenzeitalter, dessen Signatur gar nicht das Christentum als solches in seiner amtlichen Öffentlichkeit, heilsgeschichtlich gesehen, sein kann, muß dann der Priester viel mehr als früher der Mystagoge einer personalen Frömmigkeit sein.“ 16 Rahner betont die „Notwendigkeit einer neuen Mystagogie“ 17 – zugunsten einer „Erfahrung, in der der Mensch es immer schon mit dem absoluten Geheimnis, Gott genannt, zu tun hat, bevor er in reflexer Weise diese Gotteserfahrung in den sogenannten Gottesbeweisen abstrakt thematisiert“18. Diese Notwendigkeit einer neuen Mystagogie malt Rahner weiter aus: Wenn einer es heute fertig bringt, mit diesem unbegreiflichen, schweigenden Gott zu leben, den Mut immer neu findet, ihn anzureden, in seine Finsternis glaubend, vertrauend und gelassen hineinzureden, obwohl scheinbar keine Antwort kommt als das hohle Echo der eigenen Stimme, wenn einer immer wieder den Ausgang seines Daseins freiräumt in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein, obwohl er immer wieder zugeschüttet zu werden scheint durch die unmittelbar erfahrbare Wirklichkeit der Welt, ihrer aktiv von uns selbst zu meisternden Aufgabe und Not und von ihrer immer noch sich weitenden Schönheit und Herrlichkeit, wenn er 15 16 17
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Ebd., 18-21. Ebd., 166. K. R AHNER , Die grundlegenden Imperative für den Selbstvollzug der Kirche in der gegenwärtigen Situation, in: F.X. Arnold/K. Rahner/V. Schurr/L.M. Weber (Hg.), Handbuch der Pastoraltheologie. Praktische Theologie der Kirche in ihrer Gegenwart, Bd. 2/1, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1966, 256-276, 269. Ebd.
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dies fertig bringt ohne die Stütze der ‚öffentlichen Meinung‘ und Sitte, wenn er diese Aufgabe als Verantwortung seines Lebens in immer erneuter Tat annimmt und nicht nur als gelegentliche religiöse Anwandlung, dann ist er heute ein Frommer, ein Christ […]. Um […] den Mut eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott zu haben und auch den Mut, dessen schweigende Selbstmitteilung als das wahre Geheimnis des eigenen Daseins anzunehmen, dazu bedarf es freilich mehr als einer rationalen Stellungnahme zur theoretischen Gottesfrage und einer bloß doktrinären Entgegennahme der christlichen Lehre. Es bedarf einer Mystagogie in die religiöse Erfahrung […], einer Mystagogie, die so vermittelt werden muß, daß einer sein eigener Mystagoge werden kann. 19
Die Betonung der Notwendigkeit des Erfahrungsbezugs christlichen Glaubens führt nicht dazu, dass die Inhalte des Glaubens in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder gar ignoriert würden. Glauben in seinen Inhalten und Glauben als Beziehung,20 Credo und gelebter Glaube, Glaubenslehre („fides quae creditur“) und Glaubenspraxis („fides qua creditur“) spielen zusammen: Die Glaubenslehre lässt sich bestimmen als geronnene Glaubenserfahrung; vor aller lehrhaft formulierten Glaubensüberzeugung stehen die menschlichen Erfahrungen, die später die Gestalt etwa des Glaubensbekenntnisses angenommen haben. Dieses Zueinander von Praxis und Lehre findet in der Mystagogie die ihm entsprechende Gewichtung. Wer sich diesem nahen und doch unverfügbaren Geheimnis anvertraut, setzt damit „den ursprünglichen, alle spätere Differenzierung grundlegenden Akt des Glaubens, Hoffens und Liebens“21. In diesen Zusammenhang gehört auch das berühmte Wort Rahners: „[…] der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös Institutionelle sein kann.“ 22 19
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K. R AHNER , Frömmigkeit früher und heute, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. 7, Einsiedeln-Zürich-Köln 1966, 11-31, 21f. Siehe dazu mehrere Beiträge in R. B OSCHKI /K. K IEßLING /H. K OHLER -S PIEGEL / M. S CHEIDLER /T H . S CHREIJÄCK (Hg.), Religionspädagogische Grundoptionen. Elemente einer gelingenden Glaubenskommunikation. Für Albert Biesinger, Freiburg i.Br. 2008. K.P. F ISCHER , Gotteserfahrung. Mystagogie in der Theologie Karl Rahners und in der Theologie der Befreiung, Mainz 1986, 20. R AHNER , Frömmigkeit früher und heute, 22f.
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4. MYSTAGOGISCHE INNOVATION IN DER PRAXIS EINER GRUNDSCHULE In der Veröffentlichung zum Grundschulprojekt im Bistum Limburg heißt es: „Wenn es richtig ist, daß für die überwiegende Mehrzahl der Kinder der Religionsunterricht die einzige nachhaltige Berührungsmöglichkeit mit der christlichen Tradition darstellt, dann kann diese Diagnose nicht folgenlos für die didaktischen Ansätze des Religionsunterrichts, vor allem in der Grundschule, sein. Hier haben wir es mit einem Alter zu tun, das für ganzheitliche, körpersprachliche performative Formen der Artikulation offen ist.“23 Mystagogisches Lernen geschieht auf Wegen, die Schülerinnen und Schülern Räume und Zeiten eröffnen, mit der Wirklichkeit Gottes in Berührung zu kommen und Erfahrungen zu sammeln.24 Ein Religionsunterricht, der solche Wege bahnen und beschreiten möchte, lebt aus einer Kultur des Fragens, die nicht bloß auf richtige Antworten aus ist, sondern Fragen, die uns unbedingt angehen, aufnimmt, so dass Schülerinnen und Schüler sich auf je eigene Weise damit auseinandersetzen können – im Vertrauen darauf, dass die Geschichte ihrer Selbsterfahrung die Geschichte ihrer Gotteserfahrung ist. Eine solche Kultur braucht jedoch viel Pflege, zumal viele Kinder darin nicht erfahren sind und eine Kultur des Fragens aus ihrer Familie oder aus anderen Lebensräumen gar nicht kennen. Meditation und Kontemplation 25 – also Übungen der Achtsamkeit zugunsten eines Gegenübers ebenso wie ungegenständliche Übungen 23
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E. N ORDHOFEN , Ein Grundschulprojekt im Bistum Limburg, in: Dezernat Schule und Hochschule im Bischöflichen Ordinariat Limburg (Hg.), Religionsunterricht und Gemeinde arbeiten zusammen. Ein Grundschulprojekt im Bistum Limburg (Limburger Impulse zur Religionspädagogik 1), Limburg 2004, 3-9, 8. Siehe R. B LEISTEIN , Mystagogie und Religionspädagogik, in: H. Vorgrimler (Hg.), Wagnis Theologie. Erfahrungen mit der Theologie Karl Rahners, Freiburg i.Br.Basel-Wien 1979, 51-60; T. VAN DEN B ERK , Die mystagogische Dimension religiöser Bildung, in: W. Tzscheetzsch/H.-G. Ziebertz (Hg.), Religionsstile Jugendlicher und moderne Lebenswelt (Studien zur Jugendpastoral 2), München 1996, 211-229; M. S CHAMBECK , Mystagogisches Lernen, in: G. Hilger/S. Leimgruber/H.-G. Ziebertz (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 2001, 373-384; M. S CHAMBECK , Mit individualisierter Religiosität umgehen. Mystagogisches Lernen als religionspädagogischer Antwortversuch, in: Religionspädagogische Beiträge 50 (2003) 127-141. Siehe A. B IESINGER /K. KIEßLING , Meditation und Kontemplation als Grenzerfahrung. Ein religionspädagogischer Diskussionsbeitrag zum Konzept einer „Deautomatisierung von Kategorisierungsprozessen“, in: W. Simon (Hg.), meditatio. Beiträge zur Theologie und Religionspädagogik der Spiritualität. Günter Stachel zum 80. Geburtstag (Forum Theologie und Pädagogik 4), Münster 2002, 81-92.
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der Achtsamkeit – sorgen für eine Unterbrechung des Üblichen, auch des Schulalltags, und schaffen einen möglichen Rahmen für mystagogisches Lernen. Dabei geht es zunächst um das Wahrnehmen von Erfahrungen, also darum, aufmerksam zu werden für die provokative Kraft von Gotteserfahrung.26 Sodann erlaubt die Auslegung eine Bewegung, in der die eigene Erfahrung mit dem Erfahrungsschatz jüdisch-christlicher Traditionen in Dialog treten, letztlich als Gottesbeziehung erschlossen werden kann. Schließlich kommt es darauf an, den wahrgenommenen und gedeuteten Erfahrungen Gestalt zu verleihen, sie also ins Wort zu setzen, in ein Bild einzuzeichnen, in ein Symbol zu heben, ins Handeln zu transformieren. Zugänge dazu bieten in der Grundschule Stilleübungen, Phantasiereisen, Übungen zur Sinnes- und Körperwahrnehmung, Arbeit mit Mandalas und kreative Ausdrucksgestaltung emotionaler Regungen.27 Letztlich besteht die Chance mystagogischen Lernens darin, die Gottesfrage als existentielle Frage anzugehen, und vielen Kindern ist diese Chance nur im schulischen Religionsunterricht gegeben. Allerdings stößt diese große Chance auch an ihre Grenzen, und dies schon angesichts des 45-Minuten-Zeitdiktats der Schulen, aber auch angesichts einer schulischen Stimmung, die den Religionsunterricht bestimmt und die daran Beteiligten mitunter so verstimmt, dass sie für mystagogische Übungen nicht die dafür wünschenswerte Offenheit entwickeln können. 28 Und wenn mit Karl Rahner jene Mystagogie „so vermittelt werden muß, daß einer sein eigener Mystagoge werden kann“29, zielt ein religionspädagogischer Entwurf letztlich nicht auf „Mystagogie für Kinder“, sondern darauf, dass Kinder ihrerseits als Mystagoginnen und Mystagogen ins Spiel kommen, und dies aus guten theologischen Gründen: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ (Jes 43,1) – bei Gott hat jeder Mensch einen Namen, bevor er selbst sich einen Namen „gemacht“ hat; auch dann, wenn er für viele Mitmenschen ein „nobody“ bleibt. Wenn wir von Geburt an auf Gott geworfen sind (Ps 22,11) und Gott immer schon in unserer Nähe weilt, so können wir die Spurensuche hoffnungsvoll aufnehmen – danach, ob wir nicht in 26
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Siehe H. K OHLER -S PIEGEL , Erfahrungen des Heiligen. Religion lernen und lehren, München 2008. Siehe C. W EIGELT, Stilleübungen und Sinneserfahrungen im Religionsunterricht der Grundschule, in: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer (INFO Bistum Limburg) 30 (2001) 265-271. Siehe M. SCHAMBECK , Mystagogisches Lernen: Aufmerksam werden für Gotteserfahrungen, in: Münchener Theologische Zeitschrift 51 (2000) 221-230. R AHNER , Frömmigkeit früher und heute, 22.
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den Höhen und Tiefen unseres Lebens die Spur der Geschichte Gottes mit uns erahnen können. Dabei geht es nicht einfach um menschliche Fragen einerseits und Antworten aus der Offenbarung, die diese Fragen gleichsam „deckeln“, andererseits – damit sind weder die Fragen noch die Antworten ernst genommen –, sondern darum, den reichen Erfahrungsschatz, den wir und die Kinder mitbringen, zu heben und die darin bereits entwickelten Antworten auf Spuren der Wirklichkeit Gottes hin zu untersuchen. Eine Kindertheologie 30 – „nicht im Sinne einer Theologie, die für Kinder präpariert und vereinfacht, sondern von ihnen selbst hervorgebracht wird“ 31 – zog und zieht religionspädagogische Aufmerksamkeit auf sich: Es kommt sehr darauf an, den Fragen von Kindern ans Licht der Welt zu verhelfen und ihnen die Freude an eigenen Entdeckungen zu lassen.32 Nur so werden Erwachsene der Gefahr entgehen können, lebendige Kinderfragen mit vorgefertigten Antworten abzutöten. Denn die Lehrsätze Erwachsener können nicht annähernd so radikal sein wie die Fragen von Kindern. Kinder lassen sich nicht auf Doktrinen verpflichten. Kinder fragen nach dem Leben, sie fragen nach Gott, und sie verweigern sich mit gutem Recht denjenigen Antworten, von denen sie selbst ahnen, wie hilflos diese Antworten sind – hilflos gegenüber der Tiefe des Problems, das sie bewegt. Ich glaube nicht an eine „Glaubensweitergabe“ im wörtlichen Sinn, gleich einem Paket, das alles Lebensnotwendige gut verschnürt enthält und nur weitergegeben zu werden braucht. Sie wäre religionsdidaktisch ohnehin nicht am Platz. Ich glaube vielmehr an eine Begleitung, die hilft, dass den Kleinen etwas aufgehen kann, was sie unbedingt angeht – und dabei oft auch den Großen, wenn ich an meine eigenen Erfahrungen als 30
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Siehe A.-K. S ZAGUN , Dem Sprachlosen Sprache verleihen. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen (Kinder Erleben Theologie 1), Jena 2006; D IES. /M. F IEDLER , Religiöse Heimaten. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen (Kinder Erleben Theologie 2), Jena 2008; A. D ANNENFELDT, Gotteskonzepte bei Kindern in schwierigen Lebenslagen. Rostocker Langzeitstudie zu Gottesverständnis und Gottesbeziehung von Kindern, die in mehrheitlich konfessionslosem Kontext aufwachsen (Kinder Erleben Theologie 3), Jena 2009. G. B ÜTTNER /A.A. B UCHER , Kindertheologie – Eine Zwischenbilanz, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 57 (2005) 35-46, 35; s. auch H. SCHLUß , Ein Vorschlag, Gegenstand und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 57 (2005) 23-35. Siehe R. O BERTHÜR , Kinder und die großen Fragen. Ein Praxisbuch für den Religionsunterricht, München 1995.
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Lehrer und als Vater denke. „Wenn Gott nicht selbst gemacht ist, wird es ihn nur geben, wenn er sich offenbart.“ 33 Die Option, dass in der Grundschule nicht nur Mystagogie für Kinder entwickelt und mystagogische Wege zu Kindern gebahnt werden, sondern Kinder zu eigenen Schritten angeregt werden, korrespondiert mit der empirisch gewonnenen Einsicht, dass der Religionsunterricht in der Grundschule um so mehr zu den Lieblingsfächern zählt, „je handlungsorientierter der Unterricht aufgezogen wird, je aktiver sich die SchülerInnen in ihm verhalten können, sei es zeichnen, singen, Bilder betrachten, Geschichten zuhören, speziell biblischen“34. Neben diesen von Anton Bucher vorgelegten Ergebnissen macht die von Rudolf Englert und Ralph Güth durchgeführte Essener Umfrage zum katholischen Religionsunterricht an Grundschulen 35 deutlich, dass das wichtigste Ziel, das Religionslehrerinnen und Religionslehrer verfolgen, darin liegt, Kinder zum Nachdenken zu bringen. Dieser Absicht können mystagogische Wege weit entgegenkommen. Interessanterweise belegen die Intentionen, zu religiöser Toleranz zu erziehen und zu sozialem Engagement zu motivieren, die nachfolgenden beiden Rangplätze in der Hierarchie der Wichtigkeit, die Grundschullehrerinnen und -lehrer diesen Zielen zusprechen. Dieser Befund, diese Dreierliste aus „Kinder zum Nachdenken bringen“ – so der Titel der Studie –, „zu religiöser Toleranz erziehen“ und „zu sozialem Engagement motivieren“ spielt mit der weiteren Entfaltung einer mystagogischen Konzeption auf diakonischen und kulturell pluralen Wegen deutlich zusammen.
5. MYSTAGOGISCHE TRANSFORMATION IN DIAKONISCHER ABSICHT Schon die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland macht im Jahr 1976 darauf aufmerksam, Religionsunter33
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E. N ORDHOFEN , Diskursive und performative Mystagogie, in: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer (INFO Bistum Limburg) 36 (2007) 7-14, 9. Diese Einsicht zieht sich als roter Faden auch durch einen Roman von E. N ORDHOFEN , Die Mädchen, der Lehrer und der liebe Gott, Stuttgart 1998. A.A. B UCHER , Religionsunterricht zwischen Lernfach und Lebenshilfe. Eine empirische Untersuchung zum katholischen Religionsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 3 2001, 141. Siehe R. E NGLERT /R. GÜTH (Hg.), „Kinder zum Nachdenken bringen“. Eine empirische Untersuchung zu Situation und Profil katholischen Religionsunterrichts an Grundschulen. Die Essener Umfrage, Stuttgart 1999, 78ff.
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richt geschehe „unter diakonischem Aspekt“36. Und auch die zum Grundschulprojekt vorliegenden Materialien verweisen zugunsten einer Kooperation von Religionsunterricht und Gemeinde auf Diakonie und Caritas.37 Diakonie ereignet sich in wechselseitigem Heilen und Befreien,38 insbesondere im Umgang mit bedürftigen und benachteiligten Menschen. Ihre Quelle ist die unbedingte Solidarität Gottes, die uns Menschen geschenkt ist. Diakonie als ein Lernprozess zielt darauf, Solidarität untereinander wahr zu machen. Mystagogie versuche ich im Folgenden auf diakonischen Wegen zu orten und als diakonische Mystagogie zu qualifizieren – mit der Begründung, dass es beim religiösen Lernen um eine noch zu bestimmende „Sozialisierung“ 39 der Reichtümer Gottes geht. Dabei will ich die Bedeutung der „Maieutik eines individuellen Christentums von innen her“ 40 keinesfalls schmälern, wenn ich im Sinne dieser Sozialisierung im folgenden zu diakonischer Mystagogie hinführe und diese schließlich als religiösen Lernprozess in einer kulturell pluralen Welt verorte. Es kommt Rahner darauf an, dass „der einzelne wirklich in seiner einmaligen Einzelheit vom Christentum erreicht ist“41, und zwar – so fügt er hinzu – „nicht bloß zum Heil dieses einzelnen, sondern auch zum Segen der Kirche“ 42. Priorität kommt hier dem einzelnen Menschen zu, der in der Kommunikation mit der Gemeinschaft der Glaubenden seinem Dasein vor Gott auf die Spur kommen kann und der Kirche zum Segen gereicht, sofern dieser Prozess glückt. So sehr mir dieser Vorgang einleuchtet, so sehr liegt mir zugleich daran, Rahners berühmtes Diktum folgendermaßen zu transformieren: Der Mystagoge von morgen wird ein diakonischer sein, einer, der Gott, das beziehungsreiche Ge-
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GEMEINSAME S YNODE DER B ISTÜMER IN DER B UNDESREPUBLIK D EUTSCHLAND . Offizielle Gesamtausgabe, Bd. 1: Beschlüsse der Vollversammlung, Freiburg i.Br.Basel-Wien 1976, 141. Siehe D EZERNAT S CHULE UND H OCHSCHULE IM B ISCHÖFLICHEN O RDINARIAT L IMBURG , Religionsunterricht und Gemeinde arbeiten zusammen, 22. Siehe O. F UCHS , Heilen und befreien. Der Dienst am Nächsten als Ernstfall von Kirche und Pastoral, Düsseldorf 1990. M. S ECKLER , Die Reich-Gottes-Idee bei Johann Baptist Hirscher und in der Tübinger Schule. Zur Aktualität der Zentralidee des Christentums, in: G. Fürst (Hg.), Glaube als Lebensform. Der Beitrag Johann Baptist Hirschers zur Neugestaltung christlich-kirchlicher Lebenspraxis und lebensbezogener Theologie, Mainz 1989, 12-31, 24. R AHNER , Sendung und Gnade, 122. Ebd., 111. Ebd.
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heimnis, in der Not und in den Geringsten erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein. Menschen sind als Frauen und Männer, als Mädchen und Jungen leibhaftige Verweise auf ein Geheimnis – aber worin liegt das Wesen dieses Geheimnisses, wie wird es spürbar? Es ist das beziehungsreiche Geheimnis des trinitarischen Gottes: „Diakonische Mystagogie wird dann zum Versuch, Beziehungsstörungen, Beziehungsabbruch, Beziehungslosigkeit mit sich, mit anderen, mit Gott durch Beziehung zu heilen“43. Ein diakonischer Mystagoge, eine diakonische Mystagogin übt die Hebammenkunst aus, mit der ans Licht der Welt kommen kann, was zur Geburt drängt. Eine diakonische Mystagogin praktiziert das beziehungsreiche Geheimnis der Liebe aber auch als Anwältin und politisches Sprachrohr für Verstummte und Ungehörte, für sie Partei ergreifend und mit ihnen solidarisch. Ihr kommt in ihrer diakonischen Absicht nicht nur eine individuell sorgende, sondern auch eine gesellschaftspolitische Aufgabe zu. Diakonisch-mystagogisches Lernen trägt zur Menschwerdung von Menschen bei – zur Gestaltung einer Kultur, die im Geist des Evangeliums Leben ermöglicht. Es schafft also Rahmenbedingungen, die zum Leben erwecken, was in einzelnen Menschen angelegt ist und womit Gott sie begnadet hat: „Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch.“ (Lk 17,21) Das Reich Gottes aber „reicht […] über die punktuelle Menschwerdung Gottes hinaus, denn es geht um die wirkliche ‚Sozialisierung‘ der Reichtümer Gottes. Der christliche Gott behält seinen Reichtum nicht als Raub für sich“44. Eine solche „Sozialisierung“ ist „unausweichlich, wenn man die Menschwerdung Gottes nicht nur punktuell versteht als Fleischwerdung des Sohnes, sondern weiter ausgreifend als Selbstmitteilung Gottes, als Selbstentäußerung des göttlichen Seins, als Teilhabegewährung zum Erbe der Kinder Gottes“45. Der Begriff der Sozialisierung soll in diesem Zusammenhang zum Ausdruck bringen, dass Menschen dazu berufen sind, an der Selbstmitteilung Gottes teilzuhaben; dass sie gleichsam von innen heraus für diese Selbstmitteilung disponiert sind und darin ihre Erfüllung finden können; dass den Kirchen, den Christinnen und Christen der Auftrag zukommt, diesen Prozess der Sozialisierung zu begünstigen und voranzutreiben. Ohne diese politisch-diakonische Spielart von 43
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H. H OBELSBERGER , Im Gespräch Beziehung erleben. Diakonische Mystagogie am Beispiel der Telefonseelsorge, in: S. Knobloch/H. Haslinger (Hg.), Mystagogische Seelsorge. Eine lebensgeschichtlich orientierte Pastoral, Mainz 1991, 226-247, 226. S ECKLER , Die Reich-Gottes-Idee, 24. Ebd.
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Mystagogie können Christinnen und Christen als Kirche wohl nicht „solidarisch an der Seite Gottes“ 46 gegen Unterdrückung und Entfremdung kämpfen. Gott zu erfahren, hat dann damit zu tun, für die Geschundenen und Gequälten heute einzustehen und gegen Unrecht aufzustehen. Diakonische Mystagogie setzt darauf, dass das Geheimnis Gottes dort am nächsten sein kann, wo es am weitesten in die Ferne gerückt zu sein scheint. Auch und oft gerade dort lässt sich dieses Geheimnis entdecken und erfahren: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Und den Schwestern gebührt dieselbe Hochschätzung. Damit ist religiöses Lernen im Sinne diakonischer Mystagogie umrissen. Diakonisch-mystagogisches Lernen wird denjenigen zur Einladung, die noch nicht mit ihren Gotteserfahrungen in Berührung gekommen sind – dahingehend, ihre Lebensspur als von der Gottesspur durchzogen wahrzunehmen. „Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?“ (Lk 24,17) So fragt der Auferstandene nach biblischem Zeugnis die beiden Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus, so stellt er die Lebensfrage nach Art der Hebammenkunst. Dabei braucht der Auferstandene gar nicht das Wissen, das die beiden ihm geben können; er fragt vielmehr diakonisch. Er lebt eine Kultur des Fragens und wird mit seiner Frage nach dem Geheimnis ihres Lebens zu einem diakonischen Mystagogen – und dies nicht für Gläubige, sondern gerade für die, die angesichts ihrer Lebenserfahrung den Glauben verloren haben. Dieses Zusammenspiel von mystagogischen und diakonischen Wegen, von Gottes- und Nächstenbeziehung zeigt sich als Grundgeste des Christentums. Zur Schulkultur gehören an vielen Orten schulpastorale Angebote,47 denen sowohl eine mystagogische als auch eine diakonische Ausrichtung eigen ist: Ich denke beispielsweise an Meditation, Schulgottesdienste und Schulseelsorge, Streitschlichtung 48 und
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B. E RNSPERGER , Von innen heraus bauen. Gemeindeentwicklung, die mit dem Wirken Gottes rechnet, in: F. Weber/Th. Böhm/A. Findl-Ludescher/H. Findl (Hg.), Im Glauben Mensch werden. Impulse für eine Pastoral, die zur Welt kommt. Festschrift für Hermann Stenger zum 80. Geburtstag (Tübinger Perspektiven zur Pastoraltheologie und Religionspädagogik 7), Münster 2000, 87-100, 97. Siehe K. K IEßLING , Seel(en)sorge im Religionsunterricht? Schulpastoral als Menschwerdung in Solidarität, in: J. Eurich/Ch. Oelschlägel (Hg.), Diakonie und Bildung. Heinz Schmidt zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2008, 414-431. Siehe K. J EFFERYS -D UDEN , Das Streitschlichter-Programm. Mediatorenausbildung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 3 bis 6, Weinheim-Basel 2 2002.
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Eine-Welt-Projekte.49 Dabei entstehen diakonisch-mystagogische Wege heute in einer Welt, die sich nicht nur als säkulare, sondern insbesondere als kulturell plurale charakterisieren lässt.
6. MYSTAGOGISCHE TRANSFORMATION IN KULTURELL PLURALER WELT Schülerinnen und Schüler lernen Vertreterinnen und Vertreter anderer Religionen kennen, sie entwickeln aber auch Achtung vor der bleibenden Fremdheit des Fremden – in Zeiten nicht nur der Säkularisierung, sondern auch der religiösen Pluralisierung. Säkularisierung meint „ein allmähliches Zurücktreten von Religion und vor allem ein Schwinden ihres Einflusses im Leben der Menschen“ 50. In diesem Sinne spricht auch Renate Köcher von einer „Säkularisierung der Erwartungen an die Kirche bzw. auch an den Religionsunterricht“51. Inzwischen jedoch gewinnt die Einsicht an Boden, dass sich die Säkularisierungsthese vorwiegend auf Befunde zur Verfasstheit von Kirche stützen könne, nicht an Kirche gebundene Erscheinungsformen von Religion und Religiosität jedoch außer Acht lasse. Treffender als die Rede vom Verlust der Religion ist gewiss diejenige von einem Wandel der Religion. Dieser vollzieht sich als Pluralisierung,52 sowohl innerhalb von Religionsgemeinschaften als auch in einer Gesellschaft, die geprägt ist von Multireligiosität und Multikulturalität sowie von einem Nebeneinander religiöser und anderer Lebensorientierungen. Mit dieser Pluralisierung geht eine Individualisierung von Religion einher, die Religion nicht mehr als überkommene Bindung in Erscheinung treten lässt, sondern zu einer Frage der persönlichen Wahl werden lässt. Bei dieser Wahl kann es zu einer Verknüpfung von christlichen und nichtchristlichen, von religiösen und anderen Überzeugungen kommen. Religiöses Lernen geht also von einer Pluralität 49
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Siehe K. K IEßLING /C H . C HO /V. PIRKER , Weltkirchliche Arbeit heute für morgen – Wissenschaftliche Studie in Gemeinden deutscher Diözesen (Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz 235), Bonn 2009. F. S CHWEITZER , Pädagogik und Religion. Eine Einführung (Grundriß der Pädagogik/Erziehungswissenschaft 19), Stuttgart 2003, 88. R. K ÖCHER , Religionsunterricht – zwei Perspektiven, in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Religionsunterricht. Aktuelle Situation und Entwicklungsperspektiven. Kolloquium 23.-25. Januar 1989 (Arbeitshilfen 73), Bonn 1989, 22-59, 56. Siehe K. G ABRIEL , Christentum zwischen Tradition und Postmoderne (Quaestiones disputatae 141), Freiburg i.Br.-Basel-Wien 7 2000.
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religiöser Traditionen ebenso aus wie von der Pluralität je subjektiver Religion. Es geht nicht darum, Säkularisierungsprozesse zu leugnen, sofern diese sich auf die nachlassende Bindung an institutionell verfasste Religion beziehen. Es geht aber darum, Säkularisierung nicht mit Religionsverlust als solchem zu verwechseln. „Man versteht Heranwachsende nicht als ‚Säkularisierungsprodukte‘, die Religion ‚verloren‘ oder nie ‚empfangen‘ haben, sondern entdeckt in ihren Konstruktionsversuchen von Lebenssinn den anthropologischen Humus für eine sinnvolle und Frucht bringende Arbeit zu religiösen Fragen.“ 53 Religiöses Lernen vollzieht sich demnach nicht in einer Welt des Religionsverfalls, sondern in einer Welt des Religionswandels und der Pluralisierung. Religionspädagogisch versteht sich Pluralität nicht als Indifferenz, sondern als Differenzismus, „als eine Situation differierender Werte und Normen, Welt- und Glaubenseinstellungen“54. Religiöses Lernen zielt auf die Aufarbeitung dieses religiösen Differenzismus, also nicht auf die gegenseitige Vergewisserung eines gemeinsamen Besitzes, sondern darauf, „strukturbildend“ zu arbeiten und eine hermeneutische Kompetenz zu erwerben, „zwischen christlichen Traditionsbeständen, individualisierten Religionsstilen und allgemeinen Mustern von Kulturreligiosität zu oszillieren und Zusammenhänge herzustellen mit dem Ziel, zu religiöser Wahrnehmung, zu religiösem Sprechen und Urteilen und – unter günstigen Bedingungen – zu einer Glaubensentscheidung zu kommen“ 55. Religiöses Lernen vollzieht sich hier aufgrund der Bereitschaft Angehöriger einer religiösen und kulturellen Tradition, religiöse und kulturelle Erfahrungen anderer Traditionen „achtsam wahrzunehmen und für das eigene Leben und Glauben schöpferisch zu verarbeiten“ 56. Dieses Lernen kann als interreligiös oder als interkulturell charakterisiert werden. Wie verhalten sich interkulturelles und interreligiöses Lernen zueinander, wie lässt sich – mit anderen Worten – die Beziehung von Religion 53
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H.-G. Z IEBERTZ , Grenzen des Säkularisierungstheorems, in: F. Schweitzer/R. Englert/U. Schwab/H.-G. Ziebertz, Entwurf einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft 1), Gütersloh und Freiburg i.Br. 2002, 51-74, 52. Ebd., 70f. Ebd., 74. H.-G. Z IEBERTZ /S. L EIMGRUBER , Interreligiöses Lernen, in: G. Hilger/S. Leimgruber/H.-G. Ziebertz (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 2001, 433-442, 434.
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und Kultur bestimmen? Insoweit Religionswissenschaft sich mit dem Bemühen des Menschen befasst, mit dem ihn schlechthin Übersteigenden oder mit dem als solchem Erfahrenen in angemessener Weise zu leben, erscheint Kultur „als Selbstvollzug des Menschen innerhalb seiner Welt“ 57 sowie „als anthropologische Konstante und universales Merkmal des Menschen“ 58 in einem spannungsvollen Verhältnis zur Religion. Unter der Prämisse, dass Transzendentalität dem Menschen eigener ist als seine innerweltliche Ausrichtung, erscheint Religion als grundlegend für menschlichen Selbstvollzug und damit als Ursprung von Kultur. Im Vollzug des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens jedoch muss Religion als „Teilfunktion“ 59 von Kultur betrachtet werden. In diesem Sinne erscheint „interkulturelles Lernen“, welches „interreligiöses Lernen“ einschließt, als die weitere und darum für die Überschrift dieses Abschnitts favorisierte, „interreligiöses Lernen“ dagegen als die engere Bezeichnung. In diesem Zusammenhang denke ich auch an die pointierten Ausführungen von Hanna-Barbara GerlFalkovitz 60 am Tag der Religionspädagogik am 14. September 2004 in Limburg – und darüber hinaus wiederum an die Broschüre des Bistums zum Grundschulprojekt, die zu den Ideen und Impulsen für eine Kooperation von Religionsunterricht und Gemeinde interkulturelles und interreligiöses Lernen zählt.61 Interkulturelles Lernen „kommt ohne religiöse Bezüge und Verortungen nicht aus“ 62 und setzt auf den Umgang mit Differenz. 63 Dieser macht den „Knoten des Pluralismusproblems“ 64 aus. „Pluralität ist als Differenz auszuhalten.“ 65 57
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A.A. R OEST C ROLLIUS , Kultur, II. religions- und missionswissenschaftlich, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (1997) 515f., 515. H. J. T ÜRK , Kultur, I. philosophisch-anthropologisch, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (1997) 514f., 514. R OEST C ROLLIUS , Kultur, 515. H.-B. GERL -F ALKOVITZ , Erstaunliche Nähe – bedrängende Ferne: Der Islam im Verhältnis zum Christentum, in: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer (INFO Bistum Limburg) 33 (2004) 224-232. Siehe D EZERNAT S CHULE UND H OCHSCHULE IM B ISCHÖFLICHEN O RDINARIAT L IMBURG , Religionsunterricht und Gemeinde arbeiten zusammen, 21. D. F ISCHER /P. S CHNEIDER /G. D OYÉ /C H . T H . S CHEILKE , Auf dem Weg zur Interkulturellen Schule. Fallstudien zur Situation interkulturellen und interreligiösen Lernens, Münster-New York 1996, 21. Exemplarisch verweise ich auf signifikante Unterschiede im Schöpfungsglauben, wie sie sich zwischen Christentum und Islam auftun; s. M. K EHL , Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg i.Br. 2006, 352-357. K.E. NIPKOW, Bildung in einer pluralen Welt, Bd. 1: Moralpädagogik im Pluralismus, Gütersloh 1998, 176. Ebd., Bd. 2: Religionspädagogik im Pluralismus, Gütersloh 1998, 517.
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Ich komme auf den Gang der beiden Jünger nach Emmaus zurück. Unterwegs fragen sie den Dritten: „Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“ (Lk 24,18) Die beiden zeigen sich befremdet, denn der ihnen offenbar Fremde scheint mit ihrer Situation gänzlich unvertraut zu sein, und doch zeigt der weitere Gang der Geschichte, wie sie in der Fremde und in der Begegnung mit dem Fremden sich entwickeln und ihre eigenen Geschichten auswickeln. Im Fremden und in der Fremde finden mystagogische, diakonische und interkulturelle Wege zusammen. Mystagogisches Lernen setzt auf das Geheimnis des Lebens, führt zuerst und zuletzt in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein, der sich nicht vereinnahmen lässt und buchstäblich nicht zu fassen ist, sich zuneigt und entzieht, als der Nahe zugleich der Ferne und Fremde bleibt. Diakonisches Lernen setzt auf Solidarität, auf Beziehung mit dem Fremden („… ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“, Mt 25,35) und widersetzt sich jeder Entfremdung. Interkulturelles Lernen setzt auf den Umgang mit Fremdem und Fremden und steht in diesem Sinne in diakonisch-mystagogischer Tradition: Lernen an Differenzen können Menschen offenbar in Begegnungen mit ihnen Fremden und Fremdem. Wie kommen ihnen Fremde, wie kommt ihnen Fremdes entgegen? Und wie gehen Menschen mit Fremden und Fremdem um? Lassen sich ein philosophisch-theologischer und dann auch ein grundschuldidaktischer Zugang dazu ausmachen?
7. MYSTAGOGISCHE KONZENTRATION AUF FREMDES IN PHILOSOPHIE UND THEOLOGIE Fremd erscheint, was außerhalb der Grenzen einer Eigenheitssphäre66 liegt, wie Bernhard Waldenfels als Philosoph formuliert. Eigenheit meint dabei Zugehörigkeit, Vertrautheit und Verfügbarkeit – Eigenheit des Leibes etwa, des Bettes (wie viele Menschen freuen sich auf ihr „eigenes Bett“, wenn sie aus den Ferien, aus der Fremde zurückkehren!), Eigenheit der Heimat (als Alternative zum Leben „unter fremden Sternen“), auch der Wohnung oder Behausung („Eigenheim“), der Freunde, der Gemeinde, der Generation – selbst des Autos: Im Schwäbischen ist es bekannt als „Heilig’s Blechle“, das für Andere unantastbar sein soll; wenn es einen Kratzer abbekommt, „kratzt“ dies
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Siehe B. W ALDENFELS , Der Stachel des Fremden, Frankfurt am Main 1990, 59.
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den Fahrer persönlich. Doch nicht nur Schwaben sind mit ihrem Auto sehr „eigen“. Fremdes begegnet in Fremdsprachen, aber auch in der eigenen Sprache: – Menschen, die einst miteinander vertraut waren, haben sich inzwischen voneinander „entfremdet“, sind einander fremd geworden, gehen „fremd“. – „Verfremdung“ erfolgt etwa in der Musik, wenn beispielsweise eine klassische Melodie durch moderne Rhythmen verändert und kontrastierend gestaltet wird, so dass sie erst beim aufmerksamen Hinhören klar durchklingt. – Als „befremdlich“ gilt, was Menschen merkwürdig berührt, vielleicht sogar verärgert. – „Fremdeln“ ist in seiner klassischen Form die heftige emotionale Reaktion eines Kleinkindes beim Anblick einer ihm fremden Person, etwa Schreien oder ein furchtsamer Blick. In jedem Fall geht mit dem Fremdeln ein Absinken der Stimmung und eine Zunahme an Ängstlichkeit einher.67 Fremdeln ist auch bekannt als „Acht-Monats-Angst“, da sie in diesem Alter ganz häufig plötzlich auftritt. Ein Fremder ist ein Mensch, der nicht zu einer bestimmten Gruppe gehört, der aus einem anderen Land stammt. Er fühlt sich fremd, solange er mit der Sprache, den Menschen und ihren Gebräuchen noch nicht vertraut ist. Der Begriff „Fremde(r)“ steht oft synonym für „Gast“. So kennt die deutsche Sprache Fremdenzimmer, die in einem Gasthof verfügbar sind. Sie kennt den Fremdenverkehr, der eintritt, wenn Feriengäste kommen. In vielen Städten arbeiten Fremdenführer, die Gäste mit Sehenswürdigkeiten des Ortes bekannt machen (und Reisende so durch die Stadt führen, dass sie weniger Sehenswertes umgehen). Menschen, die beruflich in einem ihnen fremden Land tätig sind, heißen Gastarbeiter. Drückt das den Vorsatz aus, dass dort heimische Menschen mit ihnen so einladend umgehen wollen – wie mit Gästen –, oder kündigt dieses Wort an, dass sie irgendwann wieder gehen müssen – wie Gäste –? Eine besondere Geste im Umgang mit Fremden drückt sich in der Kultur der Gastfreundschaft aus. Religions- und Kirchengeschichte zeigen eine zwiespältige Rolle von Religion und Kirchen im Umgang mit 67
Siehe R. OERTER/L. MONTADA, Entwicklungspsychologie. Ein Lehrbuch, MünchenWeinheim 2 1987, 185ff.
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Fremden. Denn zum einen „sind es gerade Religionen, die Fremde produzieren, weil derjenige, der nicht zur eigenen Religion gehört, oft als um so fremder gilt“68. Zum anderen lebt aber auch eine religiös motivierte Gastfreundschaft, die Fremde unter den Schutz Gottes stellt. Diese Gastfreundschaft findet viele biblische Belege und Hochschätzung, etwa – in Gen 18,1ff. Drei Männer besuchen Abraham, der ihnen mit Saras Hilfe Gastfreundschaft gewährt. Dabei wird Abraham die Verheißung eines Sohnes zuteil, und „Sara hörte am Zelteingang hinter seinem Rücken zu“ (Gen 18,10). – in der Weltgerichtsrede: „… ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35 und unter umgekehrtem Vorzeichen Mt 25,43). – auf dem Weg der beiden Jünger nach Emmaus, die den Auferstandenen einladen: „Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben.“ (Lk 24,29 69) – in Hebr 13,2: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Auch das Christsein selbst trägt als paroikia den Würdenamen des „Fremdlingsdaseins“. Dieses griechische Wort für „Pfarrei“ bedeutet zunächst „Aufenthalt in der Fremde“. Christliche Theologie begegnet dem Fremden auf vielfältigen Wegen, auf eine besondere Weise aber „in ihrem eigenen Zentrum: in jenem Begriff, der sie zuletzt alleine definiert und in dem sie ihr Spezifikum besitzt: dem Gottesbegriff“70. Das Wort „Gott“, so Karl Rahner, „ist ja selbst das letzte Wort vor dem anbetend verstummenden Schwei-
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O. F UCHS , Offen für Fremde: eine christliche Tugend, in: R. Isak (Hg.), Wir und die Fremden. Entstehung und Abbau von Ängsten, Freiburg i.Br. 1993, 60-105, 64. Diese faszinierende Geschichte spielt auch im hessischen Rahmenplan für das Fach Katholische Religion in der Grundschule sowie im darauf Bezug nehmenden Eucharistie-Projekt des Bistums eine prominente Rolle; s. S. CHRISTE /P. E BERHARDT /U. S CHÜßLER -T ELSCHOW, Eucharistie-Projekt. Projektvorschlag im Rahmen des Grundschulprojektes im Bistum Limburg, in: Dezernat Schule und Hochschule im Bischöflichen Ordinariat Limburg (Hg.), Religionsunterricht und Gemeinde arbeiten zusammen. Ein Grundschulprojekt im Bistum Limburg (Limburger Impulse zur Religionspädagogik 1), Limburg 2004, 24-27. R. B UCHER , Die Theologie, das Fremde. Der theologische Diskurs und sein anderes, in: O. Fuchs (Hg.), Die Fremden (Theologie zur Zeit 4), Düsseldorf 1988, 302-319, 303.
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gen gegenüber dem unsagbaren Geheimnis“71. „Es ist die Öffnung in das unbegreifliche Geheimnis“ 72 – ein „Wortereignis“73, das „uns, ein Moment der Welt, zwingen will, vor das Ganze der Welt und unser selbst zu kommen, ohne daß wir das Ganze sein oder beherrschen könnten“74. Darin ist der Gottesbegriff „das prinzipiell Fremde als das konkret Zugesagte. […] christliche Theologie kann zum Fremden nicht erst sekundär eine Beziehung entwickeln, überhaupt also erst von außen ihr Verhältnis zum Fremden nachträglich bestimmen wollen, sie ist vielmehr Annahme des Fremden in ihrem eigenen Wesen. Sie verrät also nicht nur das Fremde oder den Fremden, sondern sich selbst, wo sie dies in ihrer verbalen oder non-verbalen Praxis leugnet.“ 75 Demnach erscheint das Lernen in Begegnungen mit Fremdem und Fremden nicht mehr nur als notwendige Fortschreibung diakonisch-mystagogischen Lernens in einer kulturell pluralen Welt, sondern als Zentrum mystagogischen Lernens selbst.
8. MYSTAGOGISCHE KONZENTRATION AUF FREMDES IN DER GRUNDSCHULDIDAKTIK Interkulturelles und interreligiöses Lernen zielt auf Lernen an Differenzen. Es setzt auf eine Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, denn es „umfaßt die wechselseitige Eigen- und Fremdinterpretation der eigenen und der anderen Religion“76, begnügt sich also nicht mit Toleranz des Fremden, sondern bedeutet zugleich Selbstreflexion und Selbstkritik. Eine Didaktik der Weltreligionen 77 lässt sich in fünf Schritten entwerfen: (1) Schülerinnen und Schüler nehmen religiöse Zeugnisse anderer Religionen wahr. (2) Sie versuchen religiöse Phänomene, die sie wahrnehmen, in ihrem Bedeutungszusammenhang zu erschließen. (3) Sie lernen Vertreterinnen und Vertreter bestimmter Religionen kennen und üben sich in Empathie für die jeweils andere Perspektive. 71
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K. R AHNER , Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums, Freiburg i.Br. 1976, 60f. Ebd., 60. Ebd., 59. Ebd., 60. B UCHER , Die Theologie, das Fremde, 304. Z IEBERTZ /L EIMGRUBER , Interreligiöses Lernen, 438. Siehe ebd., 439ff.
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(4) Sie lernen die bleibende Fremdheit der Zeugnisse anderer Religionen und anderer Kulturen zu respektieren. (5) Sie lernen sich zu entwickeln, indem sie sich in die Auseinandersetzung mit ihnen Fremden und Fremdem verwickeln lassen und in dieser Vielstimmigkeit zur eigenen Stimme, zu einer eigenen Position finden. Eine forschungsmethodisch 78 innovative Arbeit präsentiert dazu Barbara Asbrand, die mit ihrer im Jahr 2000 erschienenen qualitativ-empirischen Studie auf die grundschulpädagogische Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband zielt. 79 Sie stützt sich auf Ansätze der Feldforschung, indem sie durch Gespräche mit Kindern und Lehrkräften am schulischen Leben partizipiert, Unterrichtssituationen durch teilnehmende Beobachtung wahrnimmt, analysiert und interpretiert und daraus Konturen einer Didaktik entwickelt. Diese nimmt religiöse Heterogenität als Herausforderung an, macht mit fremder Religiosität und konkreter religiöser Praxis bekannt, pflegt eine Erzähl- und Gesprächskultur, die der Bewältigung der Sinnfrage zugute kommt, und zielt auf Sozialisationsbegleitung, individuelle Anerkennung und Anerkennung von Differenz: „Interreligiöse Lernprozesse ereignen sich als Prozesse des Fremdverstehens in der Konvivenz. Sie setzen Respekt, Sympathie und Empathie, die Kontextualisierung religiöser Phänomene und die sachliche Information über sie voraus.“ 80 Unstrittig erscheint gewiss die Bedeutung religiöser Toleranz, strittig aber die Frage, ob Religionsunterricht damit hinreichend umrissen ist. Ein Vergleich von Religions- und Fremdsprachenunterricht veranschaulicht, worauf es zudem ankommt: „Der Versuch, religiös zu sein, ohne eine bestimmte Religion zu praktizieren, ist genauso hoffnungslos wie der Versuch zu sprechen, ohne eine bestimmte Sprache zu benutzen.“ 81 Dieser Vergleich führt gerade an seiner Grenze 82 – 78
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Siehe B. A SBRAND , Beobachten und Analysieren einer Unterrichtsepisode. Teilnehmende Beobachtung und Qualitative Inhaltsanalyse in der empirischen Unterrichtsforschung, in: D. Fischer/V. Elsenbast/A. Schöll (Hg.), Religionsunterricht erforschen. Beiträge zur empirischen Erkundung von religionsunterrichtlicher Praxis, Münster 2003, 65-84. B. A SBRAND , Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht. Eine empirische Studie zur grundschulpädagogischen Konzeption eines interreligiösen Religionsunterrichts im Klassenverband der Grundschule, Frankfurt am Main 2000. A SBRAND , Zusammen leben und lernen im Religionsunterricht, 245. A. VERHÜLSDONK , Der Religionsunterricht der Zukunft – überkonfessionell und interreligiös?, in: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer (INFO Bistum Limburg) 30 (2001) 186-194, 191. Siehe ebd., 194, Anmerkung 44.
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und welcher Vergleich kennt keine Grenze? – weiter: Denn die Frage nach der „wahren Religion“ drängt sich unweigerlich auf – zumal in religiös pluraler Welt –, die Frage nach einer „wahren Sprache“ hingegen wirkt sinnlos. Mit anderen Worten: Die Wahrheitsfrage stellt sich im Religionsunterricht, und die daran Beteiligten sind aufgefordert, sich ihr zu stellen. Es braucht die Ergebnisoffenheit von Lernprozessen, die sich nicht gängeln lassen, und es braucht ein klar positioniertes (Identifikations-)Angebot. Gerade in und aus dieser Mischung lebt konfessioneller Religionsunterricht. Auch Leo O’Donovan SJ, Schüler von Karl Rahner SJ, setzt angesichts konkurrierender Wahrheitsansprüche nicht auf einen – wie auch immer zu bestimmenden – kleinsten gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Religionen, sondern auf eine (Religions-)Pädagogik der Differenz.83 An jenem Tag der Religionspädagogik, den das Bistum Limburg am 11. September 2007 beging, präsentierte er das Georgetown-Modell, benannt nach der Universität, deren Präsident er während der Jahre 1989 bis 2001 war: „Um die jüdischen Studenten kümmert sich ein Rabbiner, um die Moslems ein Mullah, um Baptisten und Presbyterianer jeweils ein Pastor und um die Katholiken ein Jesuit. Im Bewusstsein der Unterschiede konnten die jungen Leute toleranter und offener mit ihren Kommilitonen umgehen und lernen, Konflikte friedlich zu lösen.“ 84 Leo O’Donovan plädiert also für religiöse Identität durch Differenz und – mit ausdrücklichem Bezug auf Grundschulen – für eine Positionalität, die es allererst ermöglicht, sich mit dem Anderssein der Anderen und der Fremdheit der Fremden intensiv auseinanderzusetzen.
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„Was wir nicht nur in Amerika und in Georgetown, sondern eigentlich überall in der Welt, und nicht nur in allen Hochschulen, die mit Georgetown zu vergleichen sind, sondern in allen Kindergärten und Schulen nötig haben, ist eine Erziehung, die den zivilen Umgang mit Differenzen zum Ziel hat. Eine solche ‚Differenzpädagogik‘ rechnet nicht mit der Beseitigung der Differenzen, sie will vielmehr, dass den Kindern und Jugendlichen in Fleisch und Blut übergeht, dass man Differenzen aushalten muss, dass man sie manchmal sogar als Bereicherung des eigenen Lebens und als Chance wahrnehmen kann, und dass, wie ein Vorzeichen vor einer Klammer, in der dann ein wirklicher Dialog stattfinden kann, das Gewaltverbot steht.“ So formuliert L. O’D ONOVAN, Wir und die Anderen – Sind Differenzen zwischen den Religionen eine Chance für den Religionsunterricht?, in: Informationen für Religionslehrerinnen und Religionslehrer (INFO Bistum Limburg) 36 (2007) 168-174, 174. Meldung im Internetportal des Bistums Limburg vom 4. September 2007.
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9. DAS PRINZIPIELL FREMDE ALS DAS KONKRET ZUGESAGTE Auf interkulturellen Wegen lernen Schülerinnen und Schüler sich zu entwickeln, indem sie sich in die Auseinandersetzung mit ihnen Fremden und Fremdem verwickeln lassen. Dabei verrät christliche Theologie sich selbst, wenn sie Fremde oder Fremdes verrät: Mystagogisches Lernen in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein zielt auf „das prinzipiell Fremde als das konkret Zugesagte“85. Religiöse Lernprozesse können in einer Welt des Religionswandels und wachsender kultureller Pluralisierung gerade auf diakonisch-mystagogischen Wegen in Gang kommen. „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ (Lk 24,32) Die beiden Emmaus-Jünger entdecken im nachhinein, wie der Dritte in der Fremde diakonisch-mystagogisch wirkte und emotionales Lernen – „Brannte uns nicht das Herz …“ – zum Motor der Entwicklung der beiden Nicht(mehr)gläubigen wurde. Wer also einer mystagogischen Konzeption treu bleibt, wird auf diakonische und interkulturelle Wege geraten. In diesem Sinne möge sich ein solcher didaktischer Entwurf, ein solcher Religionsunterricht in der Grundschule als theologisch tragfähig und zugleich als zukunftsträchtig erweisen, zumal Mystagogie sowohl religionspädagogisch als auch pastoraltheologisch 86 salonfähig ist und darum auch im Zusammenwirken von Schule und Gemeinde innovativ wirken kann. Ich komme zur Eingangsfrage zurück: Sind Religionen austauschbar? Das prinzipiell Fremde lebt in verschiedenen Traditionen, und darum gilt nicht nur für Christinnen und Christen: „Du sollst dir kein Gottesbild machen.“ Aber wie erweist sich das prinzipiell Fremde, das Unsagbare als das konkret Zugesagte? Darin liegt das unterscheidend Christliche 87 – als das entscheidend Menschliche: Gott selbst erlangt in seiner Menschwerdung unüberbietbare Anschaulichkeit. Der Menschgewordene ist nach biblischem Zeugnis „das Ebenbild des un85 86
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B UCHER , Die Theologie, das Fremde, 304. Siehe B. R OOSEN, Vernetzte Kinderpastoral: Ein Erfahrungsbericht, in: Lebendiges Zeugnis 52 (1997) 112-116; W. R ÖSCH , Mystagogie unter der Herausforderung der Gemeindepraxis, in: Pastoraltheologische Informationen 17 (1997) 253-263; P.M. K IEHL , Mystagogie und Symboldidaktik – Neue Wege des religiösen Lernens, in: Lutherische Theologie und Kirche 29 (2005) 38-51. Auch Michael Schneider, auf den ich eingangs Bezug nehme, weist in seinem Beitrag zu diesem Band nicht nur darauf hin, dass das Christentum die Erfahrung der Unsagbarkeit Gottes mit anderen Religionen gemeinsam hat. Vielmehr, so formuliert er, „unterscheidet sich der christliche Glaube von jeder anderen religiösen Erfahrung dadurch, dass er immer eine Christuserfahrung ist“ (s.u. S. 281).
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sichtbaren Gottes“ (Kol 1,15), und dieses Ebenbild vergegenwärtigt den unsichtbaren Gott so, dass das prinzipiell Fremde sich als das konkret Zugesagte zeigt und unter uns waltet – ohne von uns verwaltet zu werden.
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„Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden“ (Mt 6,7) Das Unterscheidende im christlichen Gebet Wer an den Gott der Offenbarung glaubt, erfährt sich nicht mehr dem Kreislauf des immer Gleichen unterworfen, er sieht sich in eine Geschichte gestellt, welche für Neues offen bleibt, da Gott ihr seine Verheißungen gegeben hat und in ihr handelt. Gottes Anruf, der in der Geschichte an den Menschen ergeht, wird beantwortet in einem Leben aus dem Glauben, welcher im Vollzug des Gebets sein ihm eigenes Spezifikum erhält, das ihn von allen anderen Religionen bzw. mystischen und mythischen Wahrnehmungen grundlegend unterscheidet und absetzt.
1. GRUNDLEGUNG Das Gebet definiert sich im Christentum von keiner menschlichen Erfahrungswirklichkeit her. Die Norm christlicher Glaubenserfahrung ist Christus: Er selbst stellt den Grundtyp aller Erfahrung im Glauben dar, 1 er allein ist Objekt wie Subjekt christlicher Glaubenserfahrung.
1.1 Die spezifisch christliche Erfahrung Gehört es zu einem Propheten oder Religionsgründer, dass er eine besondere Erfahrung des Göttlichen macht und sie anschließend in Worte fasst, so unterscheidet sich davon Christus dadurch, dass er gewissermaßen nichts zu sagen hat; er selbst ist, was er zu sagen hat: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9). Jesus Christus ist die Erfahrung des Vaters. Diese genuin christliche Erfahrung relativiert alle weiteren Erfahrungen, die nicht Christus zum Objekt und zum Subjekt haben. 1
Vgl. R. B RAGUE , Was heißt christliche Erfahrung?, in: Internationale katholische Zeitschrift Communio 5 (1976) 481-496, hier 493f.
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Der Christ will darum selbst nichts erfahren, er sucht vielmehr Anteil zu erhalten an der Erfahrung Christi, der die Erfahrung Gottes ist. Die Teilnahme an der Erfahrung Christi gibt Anteil an der Wirklichkeit Christi: Auf dem Weg der Nachfolge wird der Glaubende selbst diese Erfahrung. 2 Von hier aus erklärt es sich, dass der Christ auf seine eigene Erfahrung keinen sonderlichen Wert legt; er braucht selbst nichts zu erfahren, ist er doch hineingenommen in eine Erfahrung, die alle innerweltlichen Grenzen übersteigt. Gegenüber allen Erfahrungen, die sich ihm anbieten, ist unvergleichlich mehr all das, was ihm geschenkt ist, nämlich dem nachzufolgen und immer ähnlicher zu werden, der die Erfahrung des Vaters ist. Paulus schreibt im Galaterbrief: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,19f.). In der Erfahrung Gottes ist der Glaubende sich selbst für immer enteignet. Diese Expropriierung bleibt wesenseigentümlich für den Weg der christlichen Erfahrung. Das Urbild aller Erfahrung im Glauben findet sich in der Trinität: „Der Sohn ist die Erfahrung des Vaters. Und zwar in dem doppelten Sinn, dass der Sohn derjenige ist, dessen Erfahrung der Vater macht, und auch derjenige, der die Erfahrung des Vaters macht. Die Einheit dieser beiden Sinne, des objektiven und des subjektiven, ist der Heilige Geist. Durch den Sohn erkennt sich der Vater, deshalb gibt er sich dem Sohn auch zum Erkennen hin. Der Vater gibt uns also keinen Ersatz seiner Gegenwart; er fordert vielmehr von uns, ihn in seinem Sohn so zu erkennen, wie er sich selbst erkennt. Der Vater erkennt den Sohn nur deshalb, weil er sich ihm vollkommen hingibt. Und entsprechend kennt der Sohn den Vater nur, indem er mit ihm zusammen den Heiligen Geist hervorgehen läßt.“ 3 Das doppelte „Erkennen im Sohn“ macht einen Wesenszug des Lebens im Glauben aus, ist aber im Leben Jesu selbst grundgelegt: „Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, wenn er den Vater etwas tun sieht. Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn. Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut, und noch größere Werke wird er ihm zeigen, so dass ihr staunen werdet“ (Joh 5,19f.). Die christologische und trinitarische Grundlegung des christlichen Glaubensweges findet ihren sichtbaren Ausdruck in der Taufe, die der Beginn des christlichen Erfahrungsweges im Glauben ist, so dass er in seinem Wesen von der Trinitäts- bzw. Tauftheologie bestimmt ist. Obwohl sich zahlreiche Gleichheiten mit anderen Formen der Mystik 2
3
Vgl. T HOMAS VON A QUIN, In Phil. 2,5f. lect. 2; siehe auch J. MOUROUX , L’expérience chrétienne, Paris 1952, 284. B RAGUE , Was heißt christliche Erfahrung?, 495.
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aufzählen lassen, unterscheidet sich der christliche Glaube von jeder anderen religiösen Erfahrung dadurch, dass er immer eine Christuserfahrung ist. Der hier deutlich werdende Vorrang des Gehaltes vor der Gestalt, der für das Christentum eigentümlich ist, lässt verständlich werden, warum „Mystik“ kein genuin christlicher Begriff ist. Als eine „christliche“ erweist sie sich erst, wenn sie sich auf das mysterion, nämlich das Heilsereignis im eingeborenen Jesus Christus, bezieht; deshalb müssen die mystischen Elemente der christlichen Erfahrung in ihrem inkarnatorischen Kontext gesehen und gedeutet werden. Die Gabe, die der Mensch in der Begegnung mit dem Menschensohn empfängt, 4 bleibt ihm nicht äußerlich, sieht er sich doch in das göttliche Drama der Heilsgeschichte mit hineingenommen, nämlich in „die jede Erkenntnis überragende Liebe Christi, um erfüllt zu werden in die ganze Fülle Gottes hinein“ (Eph 3,19).
1.2 Erfahrung jenseits des Wortes Ein Signum der Authentizität christlicher Erfahrung ist das Wort. Während das Christentum die Erfahrung der „Unsagbarkeit“ Gottes mit anderen Religionen gemeinsam hat, kennt es neben der verneinenden, apophatischen Sprechweise auch die „positiv-symbolische, rhetorisch-allegorische“ Rede von Gott. Die „Verleiblichung“ in die Form der Sprache bedeutet aber nicht, dass der Glaubende des Sagbaren und Gesagten habhaft werden will; dies lässt sich erkennen an dem, was der „Leib“ für den Menschen bedeutet: Während die Körperlichkeit eines Menschen dem Zugriff des anderen ausgeliefert ist, bleibt der Leib unverfügbar, er ist nie nur Sache, nie nur Gegenstand, son4
Keiner gelangt durch eigenes Mühen zu Gott. Hierzu schreibt Simone Weil, mit einem deutlichen Unterton: „Es gibt Menschen, die ihre Seele zu erheben versuchen, wie etwa ein Mensch unablässig mit geschlossenen Füßen springen könnte in der Hoffnung, weil er alle Tage ein wenig höher springt, werde er eines Tages nicht mehr auf die Füße zurückfallen, sondern bis in den Himmel aufsteigen. Während er damit beschäftigt ist, findet er keine Gelegenheit, den Himmel zu betrachten. Wir können auch nicht einen einzigen Schritt gegen den Himmel hinauf tun. Die senkrechte Richtung ist uns versagt. Aber wenn wir lange Zeit den Himmel betrachten, steigt Gott hernieder und hebt uns empor. […] Im Evangelium ist an keiner Stelle von einer Suche die Rede, die der Mensch unternimmt. […] Die Rolle der künftigen Braut besteht darin, zu warten. […] Die Anstrengung, durch welche die Seele sich rettet, gleicht der Anstrengung des Schauens, des Lauschens, der Anstrengung, mit welcher eine Braut ihr Jawort ausspricht. Es ist ein Akt der Aufmerksamkeit und der Zustimmung« (S. W EIL , Das Unglück und die Gottesliebe. Mit einem Vorwort von T. S. Eliot, München 1953, 208).
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dern letzter Ausdruck des persönlichen Daseins eines Menschen in der Welt, er zeigt, wie einer „leibt und lebt“. So gibt es eine Sprache, die einer zu „sprechen“ versteht, ohne sich des Ausgesprochenen zu bemächtigen, und die es ihm ermöglicht, im Wort zu „leben“, statt Wörter zu gebrauchen. In diesem Sinn kennt die Glaubenssprache – trotz aller Ohnmacht der Sprache, die sich in der Verwendung von Paradox, Negation usw. zeigt – beides, nämlich „das sprachliche Unvermögen und die Sprachkraft, die Sprachfeindschaft und die Sprachfreude, das Schweigen und die Überfülle machtvoller Beredtsamkeit“ 5. Beides, die Scheu wie auch die Notwendigkeit, über das Erfahrene zu berichten, erklärt sich aus der Erfahrung selbst: Wer Gott erfährt, weiß, dass er seine Erfahrung nicht in Worte fassen kann, und doch kann er das Erfahrene nicht für sich behalten. Was dem Menschen in solchem (Er-)Leiden am meisten zu schaffen macht, ist das Schweigen, das als ein Schweigen Gottes erfahren wird. Diese Erfahrung macht das eigentliche und tiefste Leid in der Begegnung mit Gott aus, erst recht im Gebet. Hier hilft keine Theorie weiter – der Mensch ist nun mehr als seine Gedanken und sein Reden, er ist nur noch Sehnsucht nach einer neuen Begegnung mit dem lebendigen Gott. Das Schweigen gehört aber letztlich auf die Seite Gottes. Denn der Logos, das Wort, ist von Ewigkeit her Sohn, also Empfang vom Vater her; sein Selbstsein ist „von oben Sein“, und zwar bis in seinen Urgrund hinein. Ohne den Willen des Vaters vorwegzunehmen, wartet er schweigend, bis seine „Stunde“ kommt. Diese Stunde kennt nur der Vater, nicht aber der Sohn; sie ist ihm nicht das längst schon Bekannte und Vertraute, er erhält sie vielmehr vom Vater als etwas Neues, vom Willen des Vaters herkommend. Auch innertrinitarisch gibt es also ein Schweigen, denn in den göttlichen Relationen bleibt alles ein Empfangen und ist Herkunft vom Vater. Zwar hat sich der verborgene Gott in seinem Wort geoffenbart und ist erschienen, auf dass der Mensch ihn fühlen, sehen, hören und erkennen kann, doch selbst in seinem „Erscheinen“ entzieht sich Gott, denn er selbst ist mehr als alles, was Menschen in seinem Sohn von ihm zu erkennen meinen. Mit der Inkarnation ist das göttliche Schweigen nicht gebrochen, es steigert sich sogar bis zur Passion und endet im Schweigen des Vaters zur Stunde der Kreuzigung. Das göttli5
A.M. HAAS , Sermo mysticus. Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik, Fribourg 1979 (= 2 1989), 28, Anm. 23; vgl. D ERS ., Das Verhältnis von Sprache und Erfahrung in der Deutschen Mystik, in: ebd., 136-167; D ERS ., Die Problematik von Sprache und Erfahrung in der deutschen Mystik, in: W. Beierwaltes/H.U. von Balthasar/A.M. Haas, Grundfragen der Mystik, Einsiedeln 1963, 73-104.
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che Wort schweigt, wie der Vater schweigt. 6 So steht die erste Parusie unter dem Zeichen des Schweigens, bis in das Reich des Todes, in das der Menschensohn hinabsteigt. Die Offenbarung bricht also nicht das Schweigen, sie geht als und im Schweigen weiter. 7 Erst am Ende der Zeiten wird die letzte Parusie anbrechen, nämlich die der Offenbarkeit Gottes. Erfahrungen von Dunkelheit und Abwesenheit im Glauben sind somit nicht psychologisch, sondern offenbarungstheologisch zu verstehen. Aus dem Schweigen des Kreuzes ergeht das „Wort vom Kreuz“, das neues Leben aus der Auferstehung Gottes verkündet in der Kraft des Heiligen Geistes, der selbst „jenseits des Wortes“8 wirkt: „Weil Gott dem Beter kein Wort zur Antwort gibt, sondern seinen Geist (Lk 11,13), ergeht seine Erhörung schweigend. Das Schweigen ist nicht einfach eine andere, eben göttliche Weise des Sprechens, es ist gar nicht Wort, vielmehr Geist, in dem Gott nun gegenwärtig ist. […] Das Urparadigma dieses Gebets ist Jesu Kreuzesgebet. Im Schweigen des Vaters, das dem verstummenden Aufschrei Jesu am Kreuz folgt, wird der Geist frei, der sowohl der Geist Jesu wie der Geist des Vaters ist und ein wechselseitiges Sich-Geben und Füreinander-Dasein bedeutet. Der Geist ist der Geist des Gebets, weil er selbst das schweigende Gebet zwischen Jesus und seinem Vater ist. Jesus ruft nicht mehr verbal nach Gott, sondern übergibt sich dem Vater; und Gott erhört nicht verbal, sondern gibt im Schweigen sich selbst als pneumatische, lebendige und lebendigmachende Gegenwart.“ 9 Es gibt eine Offenbarung Gottes, die – jenseits des Wortes – sich im Schweigen vollzieht und die erst endgültig offenbar wird im „Wort vom Kreuz“, das dem Menschen ei6
7 8
9
„Je mehr Gott sich dem Menschen öffnet, desto tiefer geht er in das Schweigen ein. Folgt man Origenes, dann steht erst am Kreuz mit dem dem Schweigen entrungenen und dann verstummenden Todesschrei Jesu das unaussprechliche Innere Gottes offen. Daß es sich also um ein nicht verschweigendes, sondern offenbarendes Schweigen handelt, findet seinen biblischen Anhaltspunkt im Christusbekenntnis des Hauptmanns unter dem Kreuz. In der äußersten Verdichtung des Schweigens kommt somit die Offenbarung an ihr eigentliches Ziel. Ein solches Verständnis von Offenbarung als Selbsteröffnung Gottes kann aber nicht mehr am Modell des Sprechens und Gesprächs erschlossen werden, sie geschieht wesentlich nicht durch Worte, sondern in schweigender Selbstentäußerung“ (C.E. K UNZ , Schweigen und Geist. Biblische und patristische Studien zu einer Spiritualität des Schweigens, FreiburgBasel-Wien 1996, 742). Ebd., 740f. Vgl. H.U. VON B ALTHASAR , Der Unbekannte jenseits des Wortes, in: Ders., Spiritus Creator, Einsiedeln 1967, 95-105; D ERS ., Wort und Schweigen, in: Ders., Verbum caro, Einsiedeln 1960, 135-155. KUNZ , Schweigen und Geist, 787; vgl. J. R ATZINGER , Beten in unserer Zeit, in: Ders., Dogma und Verkündigung, München 1973, 119-132, bes. 126.
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nen Blick in die „Tiefen Gottes“ (1 Kor 2,10) und die unauslotbare „Breite und Länge, Höhe und Tiefe“ (Eph 3,18) seiner Liebe gibt. Gottes Kenose im Schweigen des Menschensohnes vollendet sich am Kreuz im Schweigen grundloser Liebe. Was Liebe ist, kann nur Gott selbst sagen, und er sagt es wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, aber angesichts seiner Scherer „seinen Mund nicht öffnet“ (Jes 53,7): „Es gibt eigentlich kein Wort, das diese Liebe beschreiben könnte, weil sie nichts neben anderem ist, von dem man sie umgrenzen könnte von außen, weil sie die einigende und ursprüngliche Essenz aller Wirklichkeit ist und sie darum nichts außer sich hat als die Leere des Nichts.“ 10 Die Liebe, nicht das Wort, macht das Wesen aller Wirklichkeit im Glauben aus, sie selbst jedoch ist „jenseits des Wortes“. Gottes Selbstentäußerung aus Liebe lässt sich nicht nochmals in Worte fassen, wohl setzt sie mitliebende und mitleidende Liebe (sympathia) frei, und das genügt. So führt Gottes Schweigen – „jenseits des Wortes“ – in die Praxis tätiger Gottes- und Nächstenliebe.
1.3 Der Weg in das Innere des Herzens Die Erfahrung göttlichen Schweigens ist dennoch beredt, weil getragen vom Wirken des Heiligen Geistes. Dieser Geist schenkt kein neues Wort, er ist vielmehr jener, den Jesus in seinem Reden und Handeln meint und den er bei seiner Passion am Kreuz allen Menschen mitteilt, „übergibt“ (Joh 19,30). Er ist keine neue Mitteilung Gottes, sondern die Vollendung all seiner Kundgaben: Der Heilige Geist ist die Offenbarung Gottes schlechthin, aber auch sie ergeht aus dem tiefsten Schweigen Gottes, nämlich aus dem Abgrund des Todes des eingeborenen Menschensohnes. Gegenüber dem „Buchstaben“ des Alten Testaments steht kein neues Buch: Einzig der Geist macht lebendig, was Jesus gelebt und gelehrt hat (vgl. 2 Kor 3,6). Was der Buchstabe nicht vermag, nämlich das Herz des Menschen aufzuschließen, das schenkt und wirkt der Geist im Herzen des Menschen. Der Heilige Geist spricht nicht Worte, aber er bewirkt, dass Christus selbst ins Herz des Menschen tritt und sein Wort – inkarnatorisch – verleiblicht im Glaubenden. Gottes Offenbarung geht schließlich über die Heilige Schrift hinaus: Diese trägt „keinerlei Willen zur Selbständigkeit, zur Abschließung in die Buchstabenexegese hinein in sich, sondern kann nur bestehen innerhalb der 10
K. R AHNER , Einheit – Liebe – Geheimnis, in: Ders., Schriften zur Theologie, Bd. 7, Einsiedeln 1966, 491-508, hier 501.
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Geistwirklichkeit Jesu Christi“ 11. In der Heiligen Schrift gibt es einen Raum des Schweigens, in den der Mensch nur durch Schweigen eingeführt wird, damit sein Herz lebendig wird in der lebendigen Begegnung mit dem Auferstandenen. Was Heilige Schrift, Tradition und Dogma in diesem Sinn sogar „überflüssig macht“, ist die „unmittelbare Nähe des göttlichen Meisters im Menschen selbst“ 12. In ihr erfährt der Einzelne, was ihm weder Schrift noch Tradition sagen können, weil Gott selbst es ihm sagt: „Der aktuelle ‚Fundort‘ der im Geist gegenwärtigen Christusoffenbarung ist also nicht eine Schrift, er findet sich vielmehr ‚in den Herzen der Glaubenden‘. Der Offenbarung gewiss wird der Glaubende darum nicht auf dem Weg des Lebens und Belehrtwerdens, sondern der ‚Inspiration‘ und ‚Inkarnation‘“, und in Kontemplation und Aktion. 13 Unter ihrer Gestalt vollzieht sich die Offenbarung weiterhin in der Geschichte Gottes mit dem Menschen, doch sie ergeht nicht mehr in der Form des „Sagens“, sondern des „Ergießens“ in die Herzen der Gläubigen (vgl. Röm 5,5): „Je tiefer Gott sich selber enthüllt, desto tiefer hüllt er sich in den Menschen ein.“ 14 Verharrt der Mensch im Schweigen des Glaubens, ist er doch mit sich nicht allein oder gar in der Leere. Denn „Gott sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz“ (Gal 4,6). Er allein bewirkt das Eingehen des göttlichen Wortes in den Menschen und die Geschichte, auf dass der Mensch im Heiligen Geist das Wort Gottes aufnehmen und verstehen kann: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, […] es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet“ (1 Tim 4,5f.). Alle „Dinge“ stehen in der Heilsordnung, sie können deshalb nicht außerhalb des Glaubens betrachtet werden. Nur im gläubigen Betrachten des Gotteswortes werden die Dinge der Welt in rechter, das heißt: göttlicher Weise vom Menschen verwaltet. So geht es im Vollzug des Gebets um mehr als eine fromme, rein „geistliche“ Übung, das Gebet ist der Grundvollzug gläubiger Existenz.
2. KONSEQUENZEN Aus den dargestellten Spezifika der Glaubenserfahrung ergeben sich wichtige Hinweise für die Bestimmung des unterscheidend Christlichen im Gebet. 11
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J. R ATZINGER , Ein Versuch zur Frage des Traditionsbegriffs, in: K. Rahner/J. Ratzinger, Offenbarung und Überlieferung, Freiburg-Basel-Wien 1965, 25-69, hier 38. Ebd. K UNZ , Schweigen und Geist, 755. H.U. VON B ALTHASAR , Gott redet als Mensch, in: Ders., Verbum caro, 73-99, hier 91.
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2.1 Gespräch mit Gott? Nicht selten wird das Gebet als ein „Sprechen mit Gott“ ausgegeben. Doch eine solche Definition führt zu einem verkürzten Gebetsverständnis, das wiederum aus einem reduzierten Verständnis der Offenbarung kommt, weil es scheinen mag, dass der Mensch redet, Gott aber schweigt. Ganz anders die Aussage des Matthäusevangeliums, der Beter solle nicht viele Worte machen (Mt 6,7), auf dass Gott selbst zu Wort kommen kann. Gott und Mensch stehen nicht auf derselben Stufe, vielmehr muss der Mensch im Gebet zu Gott erhoben werden, auf dass dieser sich ihm offenbart: „Der sogenannte Stand der Gnade bedeutet auf der Ebene des Herzens tatsächlich Zustand des Gebets. Dort, im Innersten unserer selbst sind wir seither in beständiger Fühlung mit Gott. Der Heilige Geist hat uns dort ergriffen und völlig von uns Besitz genommen: er ist Atem von unserem Atem, Geist von unserem Geist. Er nimmt unser Herz sozusagen ins Schlepptau und kehrt es zu Gott. […] Diesen Gebetszustand tragen wir allezeit in uns.“ 15 In diesem Zustand des Gebets unter dem Wirken des Heiligen Geistes erfährt der Christ Gottes Gegenwart als eine „Antwort“ im Schweigen: „Das Gebet ist der einmalige Fall eines ‚Gesprächs‘ – weshalb hier alle menschlichen Analogien wegfallen –, in dem das ‚Gegenüber‘ raum-zeitlich nicht fixierbar, sinnenhaft nicht erfahrbar ist und dennoch als gegenwärtig und wirklich angesprochen wird.“ 16 Im „Gespräch“ des Schweigens offenbart sich Gott dem Menschen immer neu, und zwar, sobald der Beter in die Wirklichkeit des Lebens Jesu eintritt. Die Offenbarung ist nämlich mit dem Tod und der Himmelfahrt des Auferstandenen nicht abgeschlossen, sie wird „ohne Unterlass“ im Heiligen Geist universalisiert und aktualisiert. So schaut der Christ nicht zurück auf das Leben Jesu als historische, vergangene Wirklichkeit, vielmehr sieht er sich in dieses Leben hineingenommen: Durch die Taufe ist er mit-gekreuzigt und mit-auferstanden mit Christus, wie auch in der Feier der Liturgie das Leben Jesu und das Leben des Glaubenden miteinander gleichzeitig werden. Nicht zuletzt im Schweigen des Leidenden, des Martyrers, des Verfolgten, der verborgenen Kirche und im Schweigen verborgenen, ja verschwiegenen Lebens wird das Leben Jesu „heute“ gegenwärtig.
15 16
A. L OUF, In uns betet der Geist, Einsiedeln 1976, 17. K UNZ , Schweigen und Geist, 786.
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2.2 Das innere Gebet Kein Christ wird wohl der Überzeugung sein, dass das Gebet nur ein äußerlicher, pflichtgemäß verrichteter Vollzug ist, in dem Gott bestimmte Dinge mitgeteilt und entgegengehalten werden, obwohl er doch um all dies ohnehin schon wissen müsste. Jeder weiß: Gebet ist mehr. Mehr als Konversation und Plauderei, mehr als ein simples Gespräch zwischen Gott und der Seele. Jeder Christ wird wissen, dass sein Stammeln im Beten immer schon Antwort ist auf Gottes Reden zu ihm, so dass man sich Gott auch nur nähern kann mit der ihm eigenen Sprache. Schon das Vaterunser ist Gottes eigenes Wort, aber dies gilt ebenso von jedem anderen Gebet. Weil Gott geredet hat, deshalb beten wir – mit seinem Wort und in Antwort auf sein Wort. Doch dieses Wort ist kein bloß niedergeschriebenes, kein äußerlich verbales, sondern eine Person, sein „geliebter Sohn“ (Mt 17,5). Er, der geliebte Sohn des Vaters, betet als Gott und als Mensch, wenn er uns das „Vaterunser“ lehrt. In ihm ist das Gebet nicht mehr eine Angelegenheit zwischen Mensch und Gott, es betet hier Gott selbst zu Gott. Im innertrinitarischen „Gebet“ bittet jede der göttlichen Personen die andere um die Verwirklichung dessen, was ihr gemeinsamer Wille ist. Insofern sich nun christliches Beten innerhalb des göttlichen Lebens vollzieht, wird der Beter, sobald er den Vater in Jesu Namen und im Einklang mit dem Willen des Vaters um etwas bittet, dies gewiss (Joh 14,13), ja, sogar unfehlbar (Mt 7,11) erhalten, weiß er doch, dass er längst schon erhalten hat (Mk 11,24; 1 Joh 5,14f.), wie auch Jesus weiß, dass er vom Vater immer erhört wird (Joh 11,41f.). Der Beter darf der Erhörung seines Gebets gewiss sein, weil er mit der Taufe in das „Reich des Sohnes seiner Liebe“ (Kol 1,13) versetzt wurde und in ihr durch Christus in der Kraft des Heiligen Geistes freien Zugang zu Gott erhalten hat. Das Spezifikum christlichen Betens ist also, dass es sich trinitarisch vollzieht: Indem Jesus als Mensch mit uns zu seinem und unserem Vater betet, versetzt er als Gott uns in den göttlichen Bereich und gibt uns Anteil an seinem einmaligen Verhältnis zu seinem „Abba“. Der Meister dieses Gebets ist aber der Heilige Geist, er lässt uns sprechen: „Abba, Vater“ (Gal 4,6) und: „Jesus ist der Herr“ (1 Kor 12,3). Der Geist ist es auch, der den Menschen in Gott wohnen und selbst zu einer Wohnung für Gott werden lässt. Christliches Beten vollzieht sich jenseits aller Methodik, wie auch die Bitte: „Lehre uns beten!“ auf keine äußere Unterweisung über das Wie des Betens zielt; vielmehr will sich der Jünger hineinnehmen lassen in die einzigartige Beziehung Jesu zu seinem Vater: Betend führt
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er die Seinen in sein eigenes Gebet ein und gibt ihnen die Kraft zu solchem Gebet, nämlich durch das Geschenk des Heiligen Geistes. Solches Beten lehrt der Menschgewordene, indem er das ganze geschöpfliche Sein, mit Leib und Seele, annimmt. Ebenso hat der Christ in und mit seinem geschöpflichen Dasein zu beten und es seinem Gott hinzuhalten, auf dass er es in sich verwandeln möge. Es bedarf demnach nicht nur des Offenbarungswortes, wenn sich der Mensch auf den Weg des Gebets begibt, sondern auch der Hinwendung zu den „Dingen“, in denen Gott gesucht und gefunden werden will. Gewiss, der Mensch hat in den „Dingen“ kein gemeinsames Maß mit Gott, weshalb er weder pantheistisch noch atheistisch den Weg zu Gott ermessen kann: Hier versagen vielmehr alle Methoden und Brücken; aber ohne die „Dinge“ dieser Welt würde der Beter seines Weges zu Gott verlustig. Im rechten Gebrauch der Dinge und im gläubigen Umgang mit ihnen liegt der Segen, aber zugleich auch die Not des christlichen Gebets, denn der Beter muss aufrichtig bekennen: „Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen“ (Röm 8,26). Der Beter wird immer spüren, dass er „nur“ irdisch, nicht „göttlich“ und keineswegs schon Gott angemessen beten kann. Es scheint die tiefe Wahrheit christlichen Betens zu sein, dass es ein Versuch ist und bleibt, von dem keiner weiß, ob er gelingt und ob das Gebet überhaupt bei Gott ankommt; es gibt keinen Erweis und Beweis dafür, selbst eine mögliche Erhörung des Gebets wäre kein solcher. Aus dieser Ungewissheit und Unwissenheit erwächst die Bitte: „Herr, lehre uns beten“ (Lk 11,1). Angesichts der Not allen Gebets verwundert es, dass die Evangelien – außer Joh 17 – nur wenig vom Beten Jesu überliefern. Jesu „Belehrung“ setzt damit ein, dass sie sich nicht an Einzelne, sondern an eine Gemeinschaft, nämlich die Kirche richtet. Wenn auch der „Lehrer“ des Gebets als Einzelner betet, die Belehrung, die er erteilt, ergeht an die Gemeinschaft der zu Unterweisenden; er selbst betet nie „privat“, sondern in der Urform kirchlichen Betens. Er lehrt, was und wie er selber zuerst betet, doch – wie im Herrengebet – nicht in der Form des „ich“, vielmehr als Haupt der Kirche ein „Du“ und ein „Wir“ unterscheidend. Das Beten der Kirche vollzieht sich jenseits aller Formen von Subjektivität einer Gemeinschaft, es bleibt ja rückgebunden an die unveräußerliche Norm allen Betens, nämlich das Leben Jesu mit seinen einzelnen Mysterieninhalten. Der Mensch kann überhaupt erst zu Gott beten und ihm antworten, weil ihm Gottes Welt in der Fleischwerdung seines Sohnes eröffnet wurde. Das Leben des eingeborenen Sohnes enthält nicht nur, es ist die Weisheit des Vaters; in ihm liegt
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die ganze Wirklichkeit allen Daseins verborgen. Im Licht der Weisheit seines Vaters betrachtet der Sohn die Menschen von Ewigkeit her und findet an ihnen sein Wohlgefallen, mit dem er von Anfang der Welt an für seine Geschöpfe einsteht. Da er Mensch wurde, ist für immer offenbar, dass in ihm alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft Gottes verborgen sind und die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Wäre Gottes Wort nicht Fleisch geworden und hätte Gott selbst die Fülle seiner Weisheit und Wahrheit nicht in die Vielfalt der Aspekte von Raum und Zeit hin ausgelegt: in die Sprache menschlicher Existenz aussagend, gleichsam ausbuchstabierend in Wachsen und Sterben, Handeln und Erdulden, Leiden und Auferstehen –, so wäre alles Begreifen und Antworten des Menschen nur in den Formen der negativen, also apophatischen Mystik möglich geblieben, da Gott „an sich“ nicht gedacht, nicht geschaut, nicht erfasst und ausgesprochen werden kann. Nachdem Gott aber Mensch geworden ist, trägt alles im Leben Jesu eine „ewige Bedeutung“, und dies gilt für jedes Stadium und jeden Zustand seines Lebens: „das Wachen und das Schlafen, die Munterkeit und die Müdigkeit, die Einsamkeit und das Gespräch, die Erfahrung von Morgen, Mittag und Abend, die Arbeit und die Ruhe, das Essen und das Fasten, der Genuß und die Enthaltung, die menschlichen Affekte und Affektlosigkeiten, das Festliche und der graue Alltag: jeden dieser sich wandelnden Zustände des Menschenlebens hat Gott der Schöpfer erdacht und geschaffen und jetzt, in der Fülle der Zeit, seinen Sohn in sie hineingesandt, um sie selbst zu erproben und zu ‚Erlebnissen‘ Gottes in Menschennatur zu machen, sie auf die eigene Rechnung zu schreiben, um sie, als ein gelungenes Werk, auf diese Weise zu krönen und, auferstehend, ihre Wahrheit, ihre Quintessenz in die Ewigkeit zu überführen. Es besteht jetzt zwischen diesem Menschlichen und dem göttlichen Leben nicht mehr bloß eine vage ‚Ähnlichkeit in je größerer Unähnlichkeit‘, es besteht eine Kommunion, worin das Vergängliche zum Gefäß des Ewigen wird, das bis zum Rand und weit darüber hinaus erfüllt und überfüllt wird mit den Sinngehalten der göttlichen Liebe.“ 17 Indem Christus aus der konkreten Weltgestalt wieder zum Vater heimgekehrt ist, hat er für immer den Weg wahren „Betens im Geist“ eröffnet. Fortan belässt er die vom Vater sprechenden Bilder und Begriffe nicht, wie er sie als Mensch unter Menschen gesprochen und bestimmt hat, sondern nimmt sie aus ihrem buchstäblichen, d.h. irdischen Sinn heraus in ihre „geistige“ Erfüllung. Dazu hat der zum Va17
H.U. VON B ALTHASAR , Das betrachtende Gebet, Einsiedeln 1955, 176f.
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ter Heimkehrende den Heiligen Geist verheißen, der die Seinen in die wahre Fülle göttlicher Erkenntnis führt. Demnach verhält es sich nicht so, dass der Menschensohn menschliche Anlagen in eine erhöhte Form des Denkens und Sprechens emporgehoben hat, wie es auf verschiedenen Wegen der Mythologie und einer philosophischen Mystik geschehen ist; ansonsten wäre Christus nur derjenige, der Menschliches vollendet und zur Fülle gebracht hätte. Vielmehr hat sich Gott in den geschaffenen Kosmos hinein „kon-kretisiert“, um ihn in seinem Sohn zu sich zurückzuholen, denn in ihm hat er den ganzen Kosmos erdacht, in ihm grundgelegt und in die Wirklichkeit gesetzt. Alles bei dieser Konkretisierung des Vaters bedarf des Sohnes, um dessentwillen der ganze Kosmos geschaffen ist; nur der Sohn, das Ebenbild des unsichtbaren Gottes und sein Erstgeborener von Ewigkeit her, vermag Gottes Unendlichkeit in der weltlichen Endlichkeit abzuspiegeln und das Endliche im Unendlichen zu vollenden, indem er durch und in sich den alten Äon in den neuen wandelt, und zwar durch sein Leben, Sterben und Auferstehen, welche sein eigenes Drama geworden sind. Der Mensch kann nach christlichem Verständnis nur deshalb in das Gebet eintreten, weil Gottes Wort Fleisch geworden ist, indem er uns in sich aufgenommen und uns sich selbst als neue, nämlich göttliche Existenzform gegeben hat. Das Gebet, das der Vater uns in seinem Sohn eröffnet und geschenkt hat, ist bleibend und wesenhaft christushafter Gestalt. Der Sohn hat sich den Menschen so angeglichen, dass er sie mit seiner Göttlichkeit nicht erdrückt und vergewaltigt, er ist vielmehr derart mit ihnen in allem gleich geworden, „außer der Sünde“, dass er „unablässig betend“ für seine Geschöpfe eintritt und sie aus aller Knechtschaft der Sünde befreit zur Freiheit in Fülle. „Ohne Unterlass betend“ tritt er für die Seinen ein: „Simon, Simon! […] Ich habe für dich gebetet, damit dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,31f.; vgl. auch Joh 17,9-19). Die Kirche weiß sich demnach von Jesus nicht nur in das Gebet eingeführt, sondern ebenso von seinem Gebet getragen. Auf sein Gebet hin wandelt sich „Simon“ zu „Petrus“ wie auch „Saulus“ zu „Paulus“, denn Christus bringt in ihnen zur Vollendung, was sie aus sich heraus nicht vermochten, so dass sie sich verirrten und ihn verleugneten. Als „Petrus“ jedoch wird Simon fähig, den Herrn zu lieben, und als „Paulus“ vermag Saulus endlich Gottes Wort zu verstehen. Sobald also der Mensch in Christus wurzelt, vermag er ihm betend zu antworten. Wer „in Christus“ betet, muss sich nicht mühsam hineinwagen in ein ihm fremdes Tun, selbst wenn sein Tun nicht von dieser „Welt“ ist, da diese Gott niemals angemessen ist, viel-
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mehr hat er zu sich und seiner in ihm schon immer verborgenen Wirklichkeit in Christus heimzukehren, bis er seinen tiefsten Grund erkennt und von sich bekennen darf: „Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). Das christliche Gebet bedeutet wirklich die Umkehrung jeglicher Meditationspraxis, wie sie andere Religionen und Heilsangebote verheißungsvoll anpreisen: Christliches Beten kommt aus dem unbegrenzten, weil göttlichen Verstandenwordensein, und das heißt: aus dem Geliebtsein durch Gott in Christus.
2.3 Gebet in allen Dingen Weil alle Dinge dieser Welt in Gott gedacht und geschaffen sind, können sie zu einem Gegenstand des Gebets werden. Wie Christus sich aus der Menschheit, den Dingen und der Geschichte nicht isolieren lässt, sind alle Dinge der Welt und Geschichte auf dem Weg zu Gott mitzunehmen. Christliches Gebet vollzieht sich nicht „abstrakt“, gleichsam losgelöst von den irdischen Wirklichkeiten der Dinge menschlichen Lebens; vielmehr muss der Mensch, weil nur „in Christus“ alle Dinge zu ihrer Vollendung gelangen, im Gebet alle diese „Dinge in Gott suchen und finden“, indem er auf seine eigene Wahrheit verzichtet und Gottes Verfügung in ihnen mitvollzieht, selbst wenn die „Dinge“ durch das Kreuz hindurch müssen und die Pläne des Menschen buchstäblich „durchkreuzt“ werden. Die Wirklichkeit des Kreuzes gehört wesentlich zu jedem christlichen Gebet, es gründet in der Stunde des Kreuzes, als es aus dem Heiligen Geist freigesetzt wurde. In der Hingabe des Sohnes am Kreuz, als aus seiner Seite Blut und Wasser flossen (vgl. Joh 19,34), vollendet sich die Offenbarung Gottes und seines tiefsten Wesens als letzte und radikale Liebe und Hingabe „für“ die Menschen: In diesem Augenblick wird der Heilige Geist frei (vgl. Joh 19,30), der fortan die Geschicke aller „Dinge“, der Welt und ihrer Geschichte bestimmt. Die Geschichte bleibt – nach der Inkarnation des eingeborenen Sohnes – für immer der Ort der Begegnung mit Gott, der in den Dingen gesucht und gefunden werden will. Für Immanuel Kant ist das Historische „etwas ganz Gleichgültiges, mit dem man es halten kann, wie man will“ 18; nicht viel anders heißt 18
I. KANT, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (PhB 545), Hamburg 2003, 150; vgl. auch R. S CHNEIDER , Die Heimkehr des deutschen Geistes. Über das Bild Christi in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts, BadenBaden 1946, 31-38.
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es bei Johann Gottlieb Fichte: „Nur das Metaphysische, keineswegs aber das Historische macht selig, das letzte macht nur verständig“ 19. Aber aufgrund der inkarnatorischen Verfasstheit der Offenbarung Gottes sieht sich jeder, der glaubt und betet, zutiefst in die Geschichte hineingenommen. Der Terminus „Geschichte“ ist hier nicht mit dem gewohnten Begriff „Historie“ zu verwechseln: „Geschichte“ nach christlichem Verständnis bedeutet die durch das Denken und Handeln verwirklichte Bezogenheit aller menschlichen Denkansätze und Fragestellungen auf das die Kraft des menschlichen Begreifens übersteigende Geschehen der Ankunft und des Lebens Gottes in der Zeit. Dieses Geschehen ist der Grund für die Erkenntnis eines völlig neuen Sinnes aller Zusammenhänge der Geschichte, des Selbstverständnisses des Menschen und der ersten Schöpfung. Diesen Sinn erkennt der Mensch nicht aus seinem natürlichen Selbstverständnis, sondern durch die Annahme des Glaubens. Durch das Geschehen der Menschwerdung und Erlösung hat die natürliche Veranlagung des Menschen eine neue Gerichtetheit erhalten, durch die das im rein Natürlichen dem eigenen Selbst verfallene Streben zu seiner eigentlichen Erfüllung gelangt. Nach Aussage des christlichen Glaubens sind die vollen Ausmaße der Geschichte erst in Christus ausgelotet, also in dem Logos, der Fleisch wurde: „Das Wort Gottes ist durch die Zeit geschritten; alles an seinem Schreiten war Wort und Offenbarung des Vaters, alles aber auch Offenbarung der Wahrheit menschlichen Daseins.“ 20 Christus offenbart den Sinn menschlichen Daseins nicht als etwas rein rational oder ethisch Logisches, sondern belässt alles im Bild des Irdischen. Seither ist die Geschichte mehr als ein äußerer Ablauf einzelner Fakten, Geschehnisse und Daten, sie selbst enthält einen Anteil Gottes. In ihm liegt seit der Erlösung am Kreuz eine Art Folgerichtigkeit von Schuld und Gnade, von Sünde und Erbarmen, so dass jede verleugnete und verschleierte Schuld ein Wegsehen vom Angebot göttlichen Erbarmens ist, denn aus aller Schuld kann Gnade werden, und vielleicht lässt sich darum überhaupt so viel Schuld in der Welt ausmachen. Die Geschichte ist die Urform menschlicher Existenz, doch im Menschensohn ist Gott selbst in die Zeit eingetreten. Deshalb richtet sich die Botschaft des Glaubens nicht bloß auf das Heil der Seele, vielmehr erfährt der Mensch alles, was er im Glauben erhalten hat, geschichtlich verortet. Sein ganzes Wesen ist im Glauben unmittelbar in 19 20
J.G. F ICHTE , Die Anweisung zum seligen Leben (PhB 234), Hamburg 1954, 97. H.U. VON B ALTHASAR , Das Ganze im Fragment. Aspekte der Geschichtstheologie, Einsiedeln 2 1990, 268.
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die Geschichte eingebunden: „Es gibt keine Grenze zwischen Geschichtlichem und Subjektivem […]. Die Zeit ereignet sich in uns“, heißt es bei Reinhold Schneider.21 In die Verantwortung und Entscheidung gerufen, muss sich der Mensch mit seinem Leben und Glauben in der Geschichte bewähren; nur so kann er zu sich und seinem Gott vordringen: Er selbst muss die Zusammenhänge verantwortlich wählen und sie als Auftrag vollziehen. Dieses Muss ist der Kern der Person. 22 Um dies unüberbietbar zu offenbaren, fasst Christus in seinem Leben alle Seinsbereiche in sich zusammen, indem er alle Zustände, die kosmisch, geschichtlich und menschlich möglich sind, heimsucht und darin erlöst. In den Mysterien seines Lebens, also in Geburt, Tod, Abstieg, Auferstehung, Himmelfahrt und Geistsendung führt das Verbum incarnatum das Werk seiner Schöpfung zur Vollendung. 23 Das gilt gleichfalls für die Eschata: Sogar in der Visio bleibt der Menschgewordene der Mittler und die „Leiter“ zu Gott, wie auch die dona gloriae einzig durch die Mysterien des Lebens Jesu gegeben werden. Selbst in den alltäglichsten Dingen seines Lebens zeigt Jesus, was „von ewigen Zeiten her geheimgehalten worden war und sich jetzt offenbart“ (Röm 16,25f.). Dabei handelt es sich um keine bloß verheißene oder gar künftige Wahrheit, ist sie doch offenkundig geworden in diesem Einen und seiner in ihm „sich vollziehenden Übersetzung des Ewigen in Zeitliches, des Zeitlichen in Ewiges. Es ist seine Übersetzung, von seiner Persönlichkeit geprägt und von ihr nicht abstrahierbar. An ihm muß sie geschaut werden“ 24; so heißt es in Joh 1,50f.: „Du wirst noch Größeres sehen. […] Amen, Amen, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel geöffnet und die Engel Gottes auf- und niedersteigen sehen über dem Menschensohn.“ Keiner kann auf dem Weg des Glaubens die Menschheit des Gottessohnes bzw. sein menschenförmiges Wort hinter sich lassen. Seit der Menschwerdung des eingeborenen
21 22 23
24
R. S CHNEIDER , Verhüllter Tag, Köln-Olten 1954, 10. R. S CHNEIDER , Der christliche Protest, Zürich 1954, 31. „Deshalb ist nach Bonaventura die Welt ewig, – ewig erschaffen im Logos […]. Sie ist also schon immer im Logos geschaffen, und zugleich holt sie sich in der Geschichte ein, in den Ereignissen des Logos auf dem Weg seiner Geschichte, von der Zeugung des Sohnes bis zum Endgericht und der universalen Versöhnung (Hex I). […] Damit verbindet Christus in sich drei Momente: die exemplarische Vorzeichnung der gesamten Geschichte, das kontingent-individuelle Ereignis der Menschwerdung und den universalen Verlauf der Geschichte, in dem der Hl. Geist als Führer zur Kontemplation und Weisheit wirkt« (D. HATTRUP, Ekstatik der Geschichte. Die Entwicklung der christologischen Erkenntnistheorie Bonaventuras, PaderbornMünchen-Wien 1993, 306, 308). VON B ALTHASAR , Das betrachtende Gebet, 177f.
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Sohnes finden wir in der Geschichte Gott und einzig im „Sinnenhaften“ seinen Heiligen Geist. Alles menschliche und theologische Wissen ist immer neu auf die Mysterien des Lebens Jesu zurückzuführen: „Gott hat dies einmalige Leben auf sein Konto genommen, um der ganzen Menschenwelt Geltung bei sich im Himmel zu verschaffen. Er hat es ja nicht um seinetwillen getan (denn wie sollte der Schöpfer das Werk nicht kennen, das er erfunden und hingestellt hat? Wie sollte er, ‚der das Ohr gepflanzt, nicht hören, der das Auge gebildet, nicht sehen?‘ Ps 93, 9), sondern für sein Geschöpf, um ihm Hort und Heimat bei sich zu geben und seiner Vergänglichkeit einen bleibenden, ewigen, göttlichen Sinn“25. Dabei kann es nicht darum gehen, allen einzelnen Vollzügen des Lebens des Herrn einen göttlichen Hintersinn zuzuteilen, gilt es doch, alles auf seinen tieferen Sinn hin zu ergründen, denn jedes Detail des Lebens Jesu enthält das Unerschöpfliche Gottes, so dass er zu verschiedenen Zeiten von demselben Beter und von verschiedenen Betern unterschiedlich und immer neu erfahren werden kann, unbeschadet der Eindeutigkeit der Lehre Christi in Wort und Tat. Da sich die menschliche Abbildung des göttlichen Ur-bildes in der Freiheit der Person des Wortes vollzieht, lässt sich kein theologisches System erheben, das von dieser Freiheit absehen könnte. Weiterhin lässt sich nie vorauswissen, wie sich künftig das Ewige im Zeitlichen zur Erfahrung geben wird und welche Aspekte seines Mysteriums in den verschiedenen Epochen der Geschichte vorherrschen werden, welche bekannten sich vertiefen und welche neu zum Leuchten kommen. Alles im göttlichen Geheimnis des Lebens Jesu bleibt, auch wenn es sich im Zeitraum weniger Jahre und in einer kleinen Region vollzog, in seinem Reichtum unermesslich und erscheint zu allen Zeiten für jeden in einem neuen Licht, wie schon bei den Evangelisten deutlich wird. Der fortwährende Prozess der „Exegese“ des menschgewordenen Gotteswortes verläuft nicht ins Vage, vielmehr wird der christologische Grund aller Geschichte, der seit ihrem ersten Augenblick anwesend ist, von Epoche zu Epoche klarer 26: „Heilsgeschichte ist demnach nicht eigentlich Geschichte zum Heil, in welcher die Formulierung und Inhaltlichkeit des Heils das Thema der Geschichte darstellen würde. Eher kann man von einer heilshaften Geschichte sprechen, in der das Heil immer da und möglich war, nur eben in verschiedenen 25 26
Ebd., 178. A. GERKEN , Das Verhältnis von Schöpfungs- und Erlösungsordnung im Itinerarium mentis in Deum des Hl. Bonaventura, in: S. Bonaventura 1274-1974, cura et studio Commissionis Internationalis Bonaventurianae, Bd. 4 (Theologica), Grottaferrata 1974, 283-310, 296 und Anm. 27.
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Intensitätsgraden, entsprechend den verschiedenen Heilszeiten, von denen jede spätere nur die ausdrücklichere und klarere Form der vorigen darstellt.“ 27 Am Ende der Zeiten wird sich erfüllen, was jetzt schon da ist, denn nun wird nicht die „Natur“ in „Übernatur“, sondern das Alte ins Neue verwandelt. Der Prozess dieser Wandlung hebt in der Eucharistie an. Die Wandlungen der Gaben besagen kein „Wunder“, durch das Gott die Gesetze der Natur aufhebt, da in ihnen die letzte Wahrheit über die Welt und über das Leben, den Menschen und den Kosmos ausgesagt wird, bis Christus bei der Vollendung der Zeiten „alles in allem“ sein wird.
2.4 Das communiale Gebet Christliches Beten bedeutet keine Versenkung in das eigene Ich, ebenso wenig eine Entselbstung, sondern lässt den Einzelnen aus sich heraustreten in die Gemeinschaft derer, die an Christus glauben. Die Gemeinschaft der Gläubigen lässt sich von Jesus nie adäquat unterscheiden bzw. als ein anderes Subjekt aufbauen, ist sie selbst doch nach Aussage des Epheserbriefes (1,23) seine Fülle. Deshalb beten jene, die an Christus glauben, „in ihm“ und „durch ihn“, denn er ist und bleibt der einzig wahre Mittler zu Gott. So wird auch keiner in der Gemeinschaft der Glaubenden um innere (visionäre oder gar mystische) Erlebnisse beten oder sich in bestimmte Erfahrungen hineinbeten wollen, vielmehr wird es jedem „um ungestörte Hingabe an den Herrn“ (1 Kor 7,35) im Gebet gehen, wie auch Christus nicht „sich selbst zu Gefallen gelebt“ hat (Röm 15,3): „Die Liebe sucht nicht das Ihre“ (1 Kor 13,5). Dieses Grundgesetz christlichen Betens konkretisiert sich in der Gemeinschaft der Heiligen. Nur mit allen „Heiligen“ gemeinsam wird der Einzelne die „Breite und Länge, Höhe und Tiefe“ der Liebe Gottes ergründen. Trotz und in aller Unterschiedenheit bilden alle im Glauben den einen mystischen Leib Christi, in dem einer für den anderen ein Mittler zu Gott wird und für ihn im Gebet eintritt. Auf dem Weg des Glaubens ist nichts von privater, alles aber von persönlicher Relevanz. Gewiss, beten kann nur „ich“ als Einzelner, und würde sich der Einzelne in die Masse zurückziehen, so würde sein Gebet zum „Plappern“ und zu einem rein äußeren, nicht existentiellen Vollzug. Dennoch, 27
H. M ERCKER , Schriftauslegung als Weltauslegung. Untersuchungen zur Stellung der Schrift in der Theologie Bonaventuras, München 1971, 107f.
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Christentum ist eine Religion des Wir, vielleicht sogar die einzige Hochreligion, welche von ihrem Wesen her das Wir zu seinem Grundprinzip gemacht hat. Dieses Grundgesetz christlichen Glaubens und Betens findet sich schon in der Heiligen Schrift ausbuchstabiert, und selbst wenn Paulus in Gal 2,20 von sich und seiner Erfahrung in Christus spricht, beschreibt er eigentlich, welche Erfahrung er mit Christus in seiner Kirche macht. 28 Das Wir der Glaubenden geht über die sichtbare Gemeinschaft hinaus, denn die communicantes der himmlischen Kirche vereinen sich im Gebet der Liturgie mit der irdischen Kirche. Nach Aussage der Apokalypse werden die „Gebete der Heiligen“ der irdischen wie der himmlischen Kirche zu dem Weihrauch, den der Engel auf dem goldenen Altar vor dem Thron verbrennen sollte, um so die Gebete aller Heiligen vor Gott zu bringen, und aus der Hand des Engels wird der Weihrauch mit den Gebeten der Engel zu Gott emporsteigen (Apk 8,2-4). Auch wenn der Gedanke der „Gemeinschaft“ im Gebet in anderen Religionen anzutreffen ist, liegt das spezifisch christliche Moment darin, dass dieses Element unmittelbar in die innertrinitarische Gemeinschaft eingebunden ist, durch den Sohn im Heiligen Geist zum Vater hin ausgerichtet. Aller Dienst für- und aneinander im Glauben konkretisiert sich im Gebet: Wie Jesus für alle anderen bittet (Mk 10,35-45; Lk 13,6-9; 23,34; Joh 14,14; 15,16; 16,23f.26f.) und der Apostel für seine Gemeinde betet (Röm 1,9f.; Phil 1,3-5), so hat jeder Glaubende im Gebet vor Gott für die anderen einzutreten: „[…] niemand wird allein selig. Der Selig-Werdende wird in der Kirche selig, als ihr Glied und in der Einigkeit mit allen ihren anderen Gliedern. Wenn einer glaubt, so ist er in der Gemeinschaft des Glaubens; wenn einer liebt, so ist er in der Gemeinschaft der Liebe; wenn einer betet, so ist er in der Gemeinschaft des Gebets. […] Sprich nicht: ‚Welches Gebet soll ich dem Lebenden oder Verstorbenen zuteil werden lassen, wenn mein Gebet auch für mich selber nicht genügt?‘ Denn wenn du nicht zu beten verstehst, wozu würdest du dann auch für dich selber beten? Es betet aber in dir der Geist der Liebe. […] Wenn du ein Glied der Kirche bist, so ist dein
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„Das Programm des frühen Augustin ‚Gott und die Seele – sonst nichts‘ ist unrealisierbar, es ist auch unchristlich. Religion gibt es letztlich nicht im Alleingang des Mystikers, sondern nur in der Gemeinsamkeit von Verkündigen und Hören. Gespräch des Menschen mit Gott und Gespräch der Menschen miteinander fordern und bedingen sich gegenseitig. […] Das Wir der Glaubenden ist nicht eine sekundäre Zutat für kleine Geister, es ist in gewissem Sinn die Sache selbst« (J. R ATZINGER , Einführung in das Christentum, München 1968, 65, 69).
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Gebet für alle ihre Glieder notwendig. […] Das Blut der Kirche ist das gegenseitige Gebet […].“29 In der Gemeinschaft des Heils und in der Solidarität auf dem Weg des Glaubens ist die Heiligenverehrung begründet. Die pilgernde Kirche, die sich aus der Feier der Eucharistie aufbaut, weiß sich eins mit der himmlischen, wie auch der Dienst aneinander und füreinander im Glauben mit dem Tod nicht aufhört. Selbst wenn das Neue Testament dies nicht eigens weiter ausführt und entfaltet, glaubt die Kirche, dass sich die Gemeinschaft der Heiligen im Jenseits fortsetzt. Die Heiligen, die in ihrer Liebe vollendet und vollkommen sind (Thomas von Aquin), erfüllen im Himmel den Dienst ihrer Liebe dadurch, dass sie für die anderen beten (Origenes 30): Die Heiligen beten bei Gott in Erfüllung ihrer Nächstenliebe! 31 Der fürbittende Dienst, den die Heiligen ausüben, nimmt teil am missionarischen Auftrag und Ziel der Kirche 32 und ist auf das Heil und die Heiligung aller ausgerichtet, auf dass alle „Anteil haben am Los der Heiligen, die im Licht sind“ (Kol 1,12). Das hier angesprochene Grundgesetz des Glaubens behält seine besondere Bedeutung am Ende der Zeiten: Der Glaubende, der vor Christus, seinen Richter, tritt, wird dem ganzen Leib des Herrn und allen Gliedern dieses Leibes begegnen. Gott richtet nicht allein, sondern mit ihm auch Maria und alle „Heiligen“: Ihre Fürsprache wird im Gericht Gottes ein inneres Gewicht sein, das die Waagschale zum Sinken bringen kann. 33 29
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A.S T. C HOMJAKOV, Die Einheit der Kirche, in: N. v. Bubnoff/H. Ehrenberg (Hg.), Östliches Christentum, Bd. 2: Philosophie, München 1925, 1-27, 21, 23f. De oratione 2 (ed. Koetschau 322). Die Verehrung der Heiligen ist die besondere Gestalt der über den Tod hinaus bewahrten Verbindung mit dem Nächsten und der Liebe zu ihm; es geschieht in ihr nichts anderes als in der Nächstenliebe: Von der liebenden Verehrung der Glieder des Leibes in der pilgernden Kirche, also der konkreten Nächstenliebe, unterscheidet sich die Heiligenverehrung nicht dem Wesen nach, sondern in der Form der Realisierung. „Das Wesen des Christusgeschehens ist […] die Vereinigung, das Wiederzusammenführen der verstreuten Glieder der Menschheit zu einem Leib. Sein Zeichen ist das Pfingstgeschehen, das Wunder des Verstehens, das die Liebe schafft, die das Getrennte zur Einheit bringt. In der Mission vollzieht so die Kirche das eigentliche Wesen der Heilsgeschichte, das Mysterium der Vereinigung. Mission geschieht, um das Pfingstwunder zu vollenden, die Zerrissenheit, die den Körper der Menschheit spaltet, zu heilen […]. So wird in der Mission erst vollends sichtbar, was Kirche ist: Dienst am Geheimnis der Vereinigung, das Christus in seinem gekreuzigten Leibe wirken wollte“ (J. R ATZINGER , Wesen und Grenzen der Kirche, in: K. Forster [Hg.], Das Zweite Vatikanische Konzil, Würzburg 1963, 68). Vgl. M. S CHNEIDER , Leben in Christus. Kleine Einführung in die Spiritualität der einen Kirche aus Ost und West, St. Ottilien 1996, 30-32.
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Um den Dienst des Gebets in der Gemeinschaft aller Heiligen hat die kirchliche Tradition immer gewusst. Dies belegen zahlreiche Zeugnisse aus der Glaubensgeschichte, nicht zuletzt in der christlichen Literatur. Gertrud von Le Fort lässt Veronika im „Kranz der Engel“ sagen: „Zwar ich hatte anfangs immer noch versucht, für eine innere Wandlung Enzios zu beten, wie ich es seit langer Zeit gewohnt gewesen, allein es war mir dabei niemals eine Hoffnung auf Erhörung überkommen. Sondern es war geradezu gewesen, als schüttle der Engel des Gebetes liebreich aber streng das Haupt und spräche: bitte nicht mehr, sondern schenke, schenke, wie du es doch selber vorgehabt hast! Und dann war eben jene Wendung eingetreten. Ich hatte meine Bitte fallen lassen und mich auf die Wandlung meines eigenen religiösen Besitzes in den des Freundes gesammelt. Er besaß den Glauben nicht, aber mein Glauben konnte ihm vor Gott mitgehören. Das Christusbild, das meiner Seele eingeprägt war, es würde auch seiner Seele eingeprägt werden – aber in der meinen. Mit diesem Gedanken begleitete ich die ganze Messe. […] Und nun erschien der Raum der schönen Kirche nicht mehr leer, sondern erfüllt von dem, den ich hier so schmerzlich vermißt hatte: ich kniete ja an seiner Statt, ich feierte an seiner Statt die Messe und die Kommunion, er war gegenwärtig, wenn ich gegenwärtig war, er besaß alles, was ich besaß, denn alles, was mein war, war auch sein – mit dieser beseligenden Gewißheit verließ ich jedesmal die Kirche.“ 34 Die hier dargelegte heilssolidarische Sicht des christlichen Glaubens und Betens bedeutet in einer Zeit, wo viele Menschen kaum noch im ausdrücklichen Sinn glauben, eine große Herausforderung. Wie Gertrud von Le Fort in ihrem Werk aufzeigt, müssten die geistlichen Vollzüge des Gebets und der Liturgie viel entschiedener als Stellvertretung und Dienst an der Welt gesehen und praktiziert werden. Es kann sogar so sein, dass ein Beter Erfahrungen, Erkenntnisse, aber auch Nöte, Zweifel und Leiden erhält, die nicht ihm zugedacht sind, die er „stellvertretend“ für die anderen oder einen anderen zu tragen hat, vielleicht auch, weil sie so zu einer Frucht für die Kirche werden können, wie das Leben der Kleinen Thérèse von Lisieux bezeugt. Es stellt sich die Frage, woher die Heiligen Mut und Kraft gewannen, selbst in der Eindeutigkeit ihrer Leiderfahrung und Anfechtung des Glaubens das Angesicht Gottes zu suchen und an seine Gegenwart und Menschenfreundlichkeit zu glauben. Eine mögliche Antwort auf diese Frage findet sich im Gedanken der Solidarität, die eine Grundkategorie christlicher Leiderfahrung ist. Wie nämlich der Kampf 34
G. VON L E F ORT, Der Kranz der Engel, München 1946, 68.
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Christi mit den Mächten und Gewalten um der Erlösung der Welt willen geschah – „für die vielen“ –, so ist auch die Anfechtung in der Nachfolge und im Gebet nicht ohne deren „soziale“ Dimensionen zu verstehen. Nicht nachträglich oder von außen her verbindet sich der Weg zu Gott mit dem Dienst „für die vielen“, vielmehr gehört die apostolische Hinwendung zur Welt wesentlich in die Gottesbegegnung mit hinein. 35 In zahlreichen Zeugnissen von Heiligen wird auf die Solidarität im Gebet hingewiesen, so zum Beispiel, wenn Paulus nicht die mystischen Erfahrungsstufen, sondern die Dringlichkeit der Durchführung des irdischen Auftrags betont und Ignatius von Loyola trotz seiner Sehnsucht nach dem Himmel lieber bis zum Ende der Welt im Auftrag Christi auf Erden weiterarbeiten möchte, sogar wenn seine eigene Seligkeit dabei ungewiss bleiben mag. Johannes Tauler 36 sagt von denen, die den Weg des Glaubens gehen: Sie begeben sich alle Tage in jenen „göttlichen Abgrund und ziehen alle die Ihren mit sich, die ihnen besonders anbefohlen sind; diese dürfen nicht glauben, sie seien von jenen vergessen, gewiss nicht, sie treten alle mit ihnen ein, in einem Augenblick, ohne bildhafte Vorstellungen und im Namen der gesamten Christenheit“. Der Gedanke der Solidarität findet sich auch bei Thérèse; in ihren letzten Lebensmonaten kann sie sich der Verzweiflung nur erwehren durch ungezählte Glaubensakte und durch ihre Solidarität mit den Atheisten, damit für diese die Fackel des Glaubens aufleuchten kann.
2.5 „Praxis“ des Gebets Je verschiedener sich Menschen erfahren und auf ihren eigenen Wert, ihre Individualität und Persönlichkeit Wert legen, umso pluriformer wird ihr Verhalten im Gebet sein. Der Versuch einer Verständigung auf übergreifend „katholische“ bzw. kirchliche (Vor-)Gegebenheiten 35
36
Wenn Augustinus vom christlichen Kampf des Einzelnen spricht und die Grenzen der beiden Civitates durch das Herz des Einzelnen hindurchgehen sieht, betont er die soteriologische Bedeutung dieses Kampfes für die anderen (vgl. B. ROLAND GOSSELIN , Le combat chrétien selon S. Augustin, in: Vie Spirituelle 24 [1930] 71-94). J OHANNES T AULER , Predigten. Vollständige Ausgabe. Übertr. u. hg. von G. H OFMANN , Einsiedeln 1979, 581. – Was Tauler hier anspricht, ist auch in der modernen Literatur bezeugt. Vgl. zu Paul Claudel und seiner Auffassung vom stellvertretenden Leiden: F. W ULF, Geistliches Leben in der heutigen Welt, Freiburg-Basel-Wien 1960.
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des Gebets scheint sich nur noch in der Vereinzelung zu verlaufen. Mit einer solchen Entwicklung steht das Gebet, und zwar gerade das persönliche Gebet, in der Gefahr, eine Sache der Beliebigkeit zu werden, während ein überpersönliches Gebet als „unpersönlich“ erscheint. Ist nicht gerade das Gebet das persönlichste, was ein Mensch hat und was seine Existenz ausmacht? Das Persönlichste eines Menschen zeigt sich in seinem Tun. Nicht anders verhält es sich im christlichen Beten; sein zentraler Ausweis ist das Handeln, nach ihm werden wir und unser Leben am Ende der Zeiten beurteilt, wie Mt 25,33-46 ausführt, und es wird sich im Handeln zeigen müssen, ob der Beter seinem Gebet zu Gott entsprochen hat. Wer betet, dass Gottes „Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“, sieht sich in die Pflicht genommen, so dass es in der Bitte heißt: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unsern Schuldigern vergeben“. Wer nicht tut, was er betet, wird Gottes Handeln nicht an sich erfahren (Mt 18,21-25). Christliches Beten ist alles andere als ein „Plappern“, sein Ernstfall im Leben erweist sich vielmehr als Ausweis rechten Gebetes. Der Beter wird sich also immer in den Auftrag der Zeit hineingenommen sehen, und nie wird es ihm möglich sein, sich im Gebet aus dem „Jammertal“ dieser Erde herauszubeten. Denn die Wirklichkeit dieser Erde und des menschlichen Lebens ist nicht so schlecht, dass sie sich nicht dennoch als Ort rechter Begegnung mit Gott erweisen kann. Der „Nutzen“ des eigenen Betens kommt dem Einzelnen zu, sobald er betend zu dienen bereit und nicht auf das Seine bedacht ist. Ein wahrer Beter vor Gott sucht im Gebet nichts für sich selbst, auch will er vor und von Gott nichts nur für sich, vielmehr lässt er sich alles geben – für die anderen. Denn in ihnen will er Gott finden, weiß er doch, dass hinter ihnen Christus steht, der sich für sie in den Tod gegeben hat. Auch hierin zeigt sich das trinitarische Grundgesetz: Der Vater betrachtet jeden der Menschen einzig durch die Liebe seines Sohnes, und in ihm sieht er sie, wie sie sind; deshalb kann kein Mensch sich anders betrachten, als Gott selbst ihn ansieht. Diese „kontemplative“, nämlich göttliche Sicht des anderen macht sich der Einzelne im Gebet zu eigen, und würde das Gebet ihn dies nicht lehren, wäre es unnütz. Sobald aber der Einzelne im anderen das Antlitz Gottes entdeckt, erkennt er dies als Frucht seines Gebetes, was sein weiteres Beten befruchten wird. So lebt der Christ während des Tages, was er im Gebet betrachtet, und erfüllt auf diese Weise das Gebot, allezeit zu beten und nicht davon abzulassen (1 Thess 5,17; Kol 3,17). Gewiss, christliches Beten ohne Handeln ist unchristlich; aber – unter gegebenen Umständen – kann alles Handeln ins Gebet verlegt wer-
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den, denn reinem Beten ist eine existentielle Kraft zu eigen, wie der angenagelte Gekreuzigte zeigt, da er nicht aufhörte zu beten. Deshalb beschränkt sich die Kirche nicht auf das Handeln, sondern tritt unentwegt in das Gebet vor Gott ein. Auch die Eucharistie wird nie zur Erbauung gefeiert, will sie doch mehr sein als eine fromme Meditation, nämlich der entscheidende und allumfassende Dienst an der Sache Gottes in der Welt. Das Gebet der Eucharistie liegt sogar jedem persönlichen Beten voraus, denn das Gebet der Eucharistie ist objektive Mystik, die subjektiv immer nur ansatzweise nachvollziehbar bleiben wird; nicht die subjektive Erfahrung ist in der Eucharistie entscheidend, sondern die Bereitschaft und Offenheit für das, was sich am Menschen vollziehen will. Insofern lässt sich sagen: Da christliches Beten in der Eucharistie seine Quelle und seinen Höhepunkt hat, will es letztlich immer „objektiv“ sein. Daraus erklärt sich ein weiteres Kriterium des Betens im Sinne der Eucharistie, es schließt nämlich die Teilnahme an der Passion ein. Da Gebet ein tieferes Eindringen in die existentiellen Dimensionen des christlichen Glaubens und Betens ist, kann es kein Gebet ohne Anteil an der Passion Christi geben. Buddhistisches Meditieren kann vielleicht den Prozess der Abstraktion von den Gegenständlichkeiten des Lebens bewirken, aber nicht die Teilhabe an der Gottverlassenheit Jesu; diese lässt uns am Schluss des Vaterunsers darum bitten, nicht in Versuchung zu fallen bzw. nicht von ihr besiegt zu werden. Der Beter kann die Leiden der Kreatur nie übersteigen oder sich gleichsam über sie „hinwegmeditieren“, er muss vielmehr in das kreatürliche Leiden hinabsteigen und es mitleiden, um so der Auferstehung teilhaft werden zu können.
2.6 Irdisches Beten Menschliches Leben ist „irdische Existenz“ und damit unvollendet und „unheil“, „beladen“ mit der „Last der Geschichte“, fern von jedem „Vollbracht“. Der Mensch ist kein „reiner“ Geist, sondern bleibt eingebunden in Volk, Familie, Land, Ort und Zeit. Auch der Christ lebt kein engelgleiches Leben, er sieht sich seit der Inkarnation des Menschensohnes erst recht in die geschichtliche Konkretion der Nachfolge hineingenommen. Das Leben im Glauben und Gebet ist in die Schwere der Zeit und des Auftrags eingegraben, es vollzieht sich in all den Zufällen des Weges. In diesem Sinn gibt es kein rein „geistliches Beten“, verstanden als Absolvieren von geistlichen Übungen und Pflichten oder als Erklim-
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men einer Vollkommenheitsleiter, in dem der Mensch sich, seine Schwachheit und Mühsal letztlich zu überwinden trachten würde in eine traute, weltenthobene Gottinnigkeit, vielmehr bleibt alles stets rätselhaft und hart. Der Mensch kann sich seiner Existenz und seines Auftrags nicht äußerlich bedienen oder gar die „Dinge“ seines Lebens handhaben wie eine Fertigkeit, vielmehr muss er sich Schritt für Schritt vorwärtsführen lassen, wobei dieses Schreiten zuweilen mehr einem Fallen und Straucheln gleicht: Der Mensch vermag sein Leben nur empfangend zu „lernen“ in der Schule Christi, ohne aus eigenem Wissen und Vermögen handeln und ihm vorauseilen zu wollen bzw. zu können. Gewiss, „die Geschichte ist nicht das Letzte, um das es geht; aber es geht um das Letzte nur in der Geschichte“ 37. Denn mit der Menschwerdung des Gottessohnes ist an die Stelle von „Ideen“ einer Weltanschauung oder Philosophie das „eingeborene Wort“ getreten, das als „Inbild“ allem einwohnt und alles zu einem „Symbol“ seiner selbst macht; seither wohnt, selbst dem Leid und Tod, ein unveräußerliches Bild Gottes inne; doch bleibt ein kreatürlicher Rest, der mit der menschlichen Vernunftsprache weder erreicht noch ausgesprochen werden kann, dem man sich aber durch eine „Umkehr“ nähert. Statt alle Erdverbundenheit und Endlichkeit zu übersteigen und sich in das Ideal einer, wenn auch noch so gut gemeinten, Vollkommenheit und Frömmigkeit zu versteigen, gelangt der Beter einzig durch Annahme seiner gebrochenen und schuldhaften Kreatürlichkeit auf den Weg zu Gott. Doch der Mensch vermag seine Endlichkeit und Kreatürlichkeit nicht aus eigenem Vermögen anzunehmen, etwa indem er sich dazu entschließt, sondern nur in dem Bewusstsein, dass Gott selbst für sich die Ermangelung und den Ort aller Endlichkeit gewählt hat. Er entäußerte sich seiner göttlichen Macht und Gestalt; und indem er der Erde die Spur seiner Hingabe einprägte, wandelte er die Erde zum seligen Ort neuer Erkenntnis und Heilsgewissheit. Nun erkennt sich der Mensch in all seiner Ohnmacht und Schuld als gehalten und von Gott angenommen; ja, er sieht seine Kreatürlichkeit als von Gott selbst bestimmt und gewollt, wie Daten des Heils in harter, aber göttlicher Fügung. Glaube, Gebet und geistliches Leben allein machen den Menschen nicht „besser“ und „vollkommener“. Ist er aber bereit, sich und sein Leben zu erleiden, wird er jenes „In-Bild“ entdecken, das allem zu37
C.F. M ÜLLER , Konrad Weiss – Dichter und Denker des „geschichtlichen Gethsemane“, Fribourg 1965, 133.
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grunde liegt und das allem seinen letzten Sinn zu geben vermag. Im Leben des Glaubens geht es also um die gestalthafte Ausprägung jenes in der Geschichte offenbar gewordenen In-Bildes, wie es im Menschensohn sichtbar geworden ist. Nicht etwas in Gott, der Logos selbst ist das Modell für den Menschen und sein Leben im Glauben, so dass wir am Ende unserer Überlegungen zum Unterscheidenden im christlichen Gebet zusammenfassen dürfen: Christliches Beten geschieht in Angleichung an den Menschensohn.
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Schriftstellen Bibel Altes Testament
2 Esra (= Nehemia)
Maleachi
13,1: 16
1,10: 6 1,11: 6
Genesis 5,24: 211 9: 155 9,16: 158 11,1: 43 11,1-9: 42 12,1-3: 13 17,1-14: 158 17,5: 35 18,1ff.: 269 18,10: 269 23,16: 39 41,45: 39 Exodus 3,14: 42 117 3,15: 45 20,4: 251 20,7: 117 23,13: 38
Numeri 20,4: 16 24,17: 41
Deuteronomium 5,8: 251 23,1ff.: 16 32,8f.: 42 32,9: 43 2 Könige 2,1-12: 211
Psalmen 22,3: 35 22,11: 258 37,7: 35 40: 11 63,2: 117 89: 158 93,9: 294 137,5: 23
Neues Testament Matthäusevangelium
17,2: 158
6,7: 286 7,11: 287 11,27: 165 17,5: 287 18,21-25: 300 21,43: 10 21,45: 10 25,33-46: 300 25,35: 267 269 25,40: 263 25,43: 269
Jesaja
Markusevangelium
2,5f.: 9 11: 16 42,6: 2 43,1: 258 49,6: 2 8 51,4: 2 53,7: 284 65,12: 8
10,35-45: 296 11,24: 287 13,32: 181
Weisheit 10,5: 43
Jesus Sirach
Jeremia 31,31-34: 158 33,20-26: 158
Lukasevangelium 10,22: 165 11,1: 288 11,13: 283 13,6-9: 296 16,19-31: 211 17,21: 262 20,20-47: 10
306 20,31: 10 21,6: 9 22,31f.: 290 23,34: 296 24,17: 263 24,18: 267 24,29: 269 24,32: 273 24,44: 7
Johannesevangelium 1,9: 165 1,14: 169 1,50f.: 293 2,1-12: 184 4,18: 10 4,22: 6 4,43-54: 184 5,19f.: 280 6,1-15: 184 9,1-12: 184 11,17-44: 184 11,41f.: 287 11,51f. : 13 12,47f.: 96 14,6: 156 14,9: 184f. 279 14,13: 287 14,14: 296 15,16: 296 16,23f.: 296 16,26f.: 296 17: 288 17,9-19: 290 19,30: 284 291 19,34: 291 20,21: 22
Apostelgeschichte
Schriftstellen 9-11: 5f. 14 9,4f.: 6 21 9,6-8: 13 11: 2 6 10 11,1: 21 11,1f.: 4 11,7: 5 13 11,11: 2 11,25: 160 11,25f.: 14 11,25-27: 25 11,25ff.: 2 11,26: 16 11,28f.: 5 11,29: 160 15,3: 295 16,25f.: 293
Philipperbrief 1,3-5: 296 2,5f.: 280
Kolosserbrief 1,12: 6 297 1,13: 287 1,15: 274 3,17: 300
1. Thessalonicherbrief 2,14-16: 5 8 5,17: 300
1. Korintherbrief 1. Timotheusbrief 2,10: 284 7,35: 295 12,3: 287 13,5: 295 15,28: 75
2,4: 157 161 210 2,5: 156 4,5f.: 285 6,16: 185
2. Korintherbrief
Hebräerbrief
3,6: 284 3,15: 9
11: 155 211 13,2: 269
Galaterbrief
2. Petrusbrief
2,19f.: 280 2,20: 291 296 3,14: 12 4,6: 285 287 4,21-31: 13 6,16: 13
3,13: 74
1. Johannesbrief 3,2: 74 5,14f.: 287
4,12: 156 Epheserbrief Apokalypse Römerbrief 1,9f.: 296 4: 12 5,5: 285 8,26: 288
1,23: 295 2,10: 176 3,6: 6 3,18: 284 3,19: 281
8,2-4: 296 21,5: 74
307
Namen
Koran Sure 1: 111 Sure 3/55: 77 Sure 4/157f.: 77 Sure 5/28: 72 Sure 19/35: 111 Sure 112/3: 111
Namenregister Abraham/Abram 1 4 12f. 17-19 22 39f. 45f. 48f. 129 155 211 269 Adam 19 42 73 76 158 161 Adler, M. 53 Adonai 33 36-38 42f. 45f. Adonaios 27 33 46 Adriaen, M. 23 Aetheria s. Egeria al-Ahdal, A. A. Q. 64f. 79 Albert der Große 243 Albert, K. 226 Alexander der Große 118f. al-¼allãý 75 Allah 64-67 74 79 131 Allam, M. 70 Allievi, S. 79 Alston, W. P. 130 132 Ambrosiaster 14 Ambrosius 10 13 23 Ammon (König) 46 Amun (Gott) 27 33 Anselm v. Canterbury 122f. 125f. 128-130 Antes, P. 222 225 Antiope 49 Aphrodite 29 38 Apollo 29 37f. 43 Apuleius 30-32 47 51 Arévalo, C. G. 234 248 Argimpasa 29 Aristeas 32 51 Aristoteles 34 116-119 121 131 174 214 225 243 Arnim, J. v. 52 Arnold, F. X. 255 277 Arnold, J. 27-55 253
Artemis 36-38 Asbrand, B. 271 274 Asklepios 46 51 Assmann, J. 27 51 54 Athene 36 Augustinus 6-9 11 14 16f. 19-23 29 51 296 299 Augustus 235 Baarda, T. 39 55 Baehrens, W. A. 52 Balthasar, H. U. v. 155 282f. 285 289 292f. 303 Bar Kochba/Kozeba/Koziba, Simeon 41 Barth, K. 18 24 Basinger, D. 220 226 Batlogg, A. R. 254 278 Baumann, M. E. 64 67 77 79 Baumeister, T. 28 54 Bebel, H. 29 55 Beierwaltes, W. 282 303 Beilby, J. K. 202 226 Bellona 31 Benedikt XVI. 23 283 285 296f. 304 Benjamin 4 Berg, R. M. van den 32 42 50 54 Berk, T. van den 257 274 Berner, U. 94 107 Bianchi, U. 30 54 Biesinger, A. 256f. 274 Bilici, M. 69-71 79 Bleistein, R. 257 274 Blume, T. 120 132 Bobichon, P. 6f. 9 13 24 Bochinger, C. 94 107 Böhler, D. 1-25 218
308 Böhm, T. 263 275 Bonaventura 293-295 303 Bormann, F.-J. 130 133 Borret, M. 37 53 Boschki, R. 256 274 Brague, R. 279f. 303 Brandom, R. 146f. 149 Breininger, E. 68 Broek, R. van den 39 55 Brox, N. 165 193 Bruce, F. F. 5 24 Brück, M. v. 84 106f. Bubnoff, N. v. 297 303 Bucchi, F. 52 Bucher, A. A. 259f. 274f. Bucher, R. 72 80 269f. 273f. Buddha 91 94f. 100 105 107f. 171f. 209 Buddha Vajradhara 85 Buddhadãsa, B. 95 107 Budick, S. 51 54 Büttner, G. 259 275 Burford, G. G. 105 107 Camelot, T. 24 Campano, G. 29 55 Cantoni, C. 186 194 Celsus s. Kelsos Celtis, C. 29 55 Ceres 31 Chan, A. S. 221 226 Charles, P. 230 233 248 Cherqaoui, F. 68f. 80 Cheung, M.-C. 221 226 Cho, C. 264 276 Chomjakov, A. S. 297 303 Christe, S. 269 275 Ciarlo, D. 35 38-41 54 Claudel, P. 299 Clemens v. Alexandrien 165 Collet, G. 233 248 Conzelmann, H. 28 54 Cornelius a Lapide 16 24 Cornille, C. 105 108 Craig, W. L. 206-208 225 Cranston, M. 220 225 Crouzel, H. 35 54 Cyrill v. Alexandrien 22f. Cyrill v. Jerusalem 253 275 D’Costa, G. 105 107 151 193 D’Souza, V. 231f. 248 Dalai Lama, XIV. (Tenzin Gyatso) 81-90 92-108 Danae 49
Namen Daniélou, J. 155-158 193f. Dannenfeldt, A. 259 275 Darwish, N. 70f. Dekkers, E. 23 Demmerling, C. 120 132 Dewey, J. 147 Diana 31 Dideberg, D. 23 Didymus der Blinde 35 52 Dillon, J. 35 46f. 54 DiNoia, J. A. 221 225 Diogenes Babylonius 35 52 Dionysius Areopagita, Pseudo- 50 52 55 Disse, J. 151-195 198 Dombart, B. 23 Donnellan, K. 127 132 Döpp, S. 55 Doré, J. 160 193 Döring, H. 213 226 Dorival, G. 27 54 Doyé, G. 266 275 Dulles, A. 183 Dummett, M. 120 132 Dunn, J. D. G. 17 Duns Scotus 122 Dupuis, J. 106f. 151-195 passim Ebach, J. 117 132 Eberhardt, P. 269 275 Egeria/Aetheria 253 274f. Ehrenberg, H. 297 303 Ehrhardt, C. 79 Einstein, A. 116 Elias 211 Eliot, T. S. 281 Eloai/Eloaios 33 Elsenbast, V. 271 274 Enders, M. 197 225 Engelhardt, P. 226 Englert, R. 260 265 275 278 Ephron/Ephran (Hethiter) 39 Epikur 34 Ernsperger, B. 263 275 Esau 4 Esra 1 Estes, Y. 64 77 Eurich, J. 263 276 Euronyme 43 Eva 76 158 Fäh, H. L. 226 Faller, O. 23 Fédou, M. 29 54 Feiertag, J.-L. 52
Namen Festugière, A. J. 46 51 Fichte, J. G. 292 303 Fiedler, M. 259 278 Figl, J. 222 226 Findl, H. 263 275 Findl-Ludescher, A. 263 275 Fischer, D. 266 271 274f. Fischer, K. P. 256 275 Flint, T. P. 206 225 Floyd, S. 206 225 Forst, R. 220 225 Forster, K. 297 304 Fraipont, J. 23 Frege, G. 118 120 132 Fuchs, O. 72 80 261 269 274f. Fürst, G. 261 278 Gabriel, C. 40 52 Gabriel, K. 264 275 Gaudeul, J.-M. 70 79 Geach, P. T. 131 Geerlings, W. 55 Geffré, C. 160 168 193 Gerken, A. 294 303 Gerl-Falkovitz, H.-B. 266 276 Ghandi, M. 209 Giebel, M. 31 54 Gigon, O. 225 Girardet, K. M. 30 54 Glasennapp, H. v. 197 225 Goldbacher, A. 23 Gómez Rincón, C. M. 148f. Gongosyros 29 43 Graf, F. 29 47 54 Grasmück, E. L. 72 79 Green, W. S. 41 54 Gregor der Große 11 19 23 Gregor v. Nazianz 163 Greverus, I.-M. 79 Griffiths, J. G. 30-32 51 53 Griffiths, P. J. 87 97 107 200 225 Grillmeier, A. 40 54 Gronewald, M. 35 52 Gross, R. M. 105 107 Grötker, R. 220 225 Grünschloß, A. 93f. 107 Gryson, R. 40 52 Guéraud, O. 39 53 Güth, R. 260 275 Haas, A. M. 282 303 Habermas, J. 137-142 145 148f. Hackbarth-Johnson, C. 154 192 Hagar 23
309 Hainthaler, T. 40 54 Halbfass, H. 109 132 Hammond Bammel, C. P. 41 52 Hanson, R. 35 54 Hanuš, J. 245 248 Hapatsch, H. A. 97 99 107 Harnack, A. v. 39 55 Haslinger, H. 252 262 276 Hattrup, D. 293 303 Haufe, G. 5 24 Haug, S. 59 79 Heberling, M. 231 248 Heeren, F. 74 Hegel, G. W. F. 174 193 Heidl, G. 35 55 Heinemann, I. 53 Heither, T. 41 53 Hekate 31 Hempel, C. G. 202 225 Henoch 211 Hera 36 49 Hergenröder, C. 184 193 Hermansen, M. 79 Hermes 37 Herodot 29 Herrmann-Pfandt, A. 81-84 92 99-101 103-107 Herskovits, M. 233 Hesiod 37 Hestia 29 Hick, J. 84 107 112-115 123 131f. 152 157 193 200f. 223 225 227 Hieronymus 16 39-41 52 Hilberg, I. 52 Hilger, G. 257 265 277f. Hill, D. J. 123 132 Hippolyt v. Rom 21 Hirscher, J. B. 261 278 Ho, Y.-C. 221 226 Hobelsberger, H. 262 276 Hock, K. 94 107 Hoffman, J. 125 132 Hofmann, G. 62 64f. 74 79 299 304 Holtz, T. 5 24 Homer 37 Hopfner, T. 30 32 47 52f. 55 Hopkins, J. 89 107 Hughes, C. 119 132 Hume, D. 201 Hvalvik, R. 2 25 Ignatius v. Antiochien 3 24 Ignatius v. Loyola 299
310 Irenäus v. Lyon 158 165f. 193 Isaak 1 12f. 45f. 48f. 129 Isak, R. 269 275 Iser, W. 51 54 Isis 30-32 47 51 53 55 Ja 33 Jacob, C. 253 276 Jago 213 Jakob/Israel 1 4 9 12-15 38f. 41 43 45f. 48f. 129 Jakobus (Apostel) 39 Jamblichos 47 52 Janowitz, N. 50 55 Jao 33 Jefferys-Duden, K. 263 276 Jensen, T. G. 64f. 79 Jesaja 1 52 Jesus Christus passim JHWH 32 54 vgl. 42 117 Joas, H. 147 149f. Johannes (Apostel) 39 Johannes Chrysostomos 35 54 Johannes Damascenus 40 55 Johannes Grammatikos 40 Johannes Mataioponos 40 Johannes Paul II. 23 152f. 160 166 171 192f. Johannes Philoponus 40 54 Johannes Tauler 299 304 Joseph (Sohn Jakobs) 39 Juda 9 13 Juno 31 Jupiter 29 33 Justin d. Martyrer 3 6-9 13 24 165f. Kalb, A. 23 Kant, I. 136f. 140-142 145-147 149 291 304 Kasper, W. 50 55 Kastor 29 Kehl, M. 266 276 Kelsos/Celsus 28f. 32-37 43 45-51 53-55 Kendall, D. 163 194 Keough, S. W. J. 35-37 43 48f. 55 Kern, W. 17f. 25 198 226 Kessler, H. 185 191 194 Khalil, M. H. 69-71 79 Kiehl, P. M. 273 276 Kießling, K. 251-278 Knitter, P. 84 101 107 Knobloch, S. 252 262 276 Köcher, R. 264 276
Namen Koetschau, P. 53 Kohler-Spiegel, H. 256 258 274 276 Kolvenbach, P. H. 232 248 Konfuzius 236 König, F. 153 155 194 Konstantin der Große 30 54 Konstantin V. Kaballinos/Kopronymos 40f. 55 Kooten, G. H. van 32 55 Köse, A. 67 79 Kraft, J. 220 226 Kraft, R. A. 23 Krebs, C. B. 29 55 Kreicher, S. 109 132 Kreiner, A. 114 132 213 226 Kripke, S. 118-122 124 126 132f. Kronos 36 Kügler, J. 72 80 Kunz C. E. 283 285f. 304 Kytzler, B. 33 52 Labbé, Y. 159 161 194 Lagarde, P. de 52 Lampe, G. W. H. 35 37 53 Lau, J. 64 79 Lausberg, H. 40 53 Lazarus 211 Le Fort, G. v. 298 304 Lehnert, I. A. 64 Leimgruber, S. 257 265 270 277f. Lemouzy, J. 23 Leo XIII. 24 Léon-Dufour, X. 165 170 194 Leuenberger, S. 79 Lindbeck, G. 221 225 Löffler, A. 81-108 169 Löffler, W. 197 226 Lohfink, G. 17 20 22 25 Lona, H. E. 27 55 Löser, W. 18 25 Louf, A. 286 304 Lubac, H. de 155 Ludwig XIV. 197 Luhmann, N. 143f. 149 Lukas 12 17 Main, J. 85 Makransky, J. 91 101 108 Mansfeld, J. 39 55 Maria 19 22 24f. 165 297 Markion 6 Marshall, B. D. 221 225 Masson, J. 233f. 248 Matthäus/Levi 17 41
Namen Mead, G. H. 147 149 Melito v. Sardes 21 Mendonca, C. 243 248 Mercker, H. 295 304 Merkur 29 Merrigan, T. 163 194 Metzler, K. 35 52 Miller, B. 123 133 Minerva 31 Minio-Paluello, L. 51 Minucius Felix 33 52 Mnemosyne 43 Mohammed s. Muhammad Moingt, J. 160 193 Molina, L. de 206 226 Molinari, C. 186 194 Monaci Castagno, A. 27 54 Montada, L. 268 277 Morris, T. V. 114 123 125 133 Mose 1 7 10 27 32 39f. 45 54 73 117 155 158 160f. Mountain, J. W. 23 Mouroux, J. 280 304 Muck, T. C. 105 107 Müller, C. F. 302 304 Müller, K. 230 232 248 Müssig, S. 59 79 Muhammad 64 72f. 75 Mußner, F. 2 5 25 Nagarjuna 89 Nautin, P. 39 53 Neusner, J. 41 54 Nhat Hanh, Thich 106f. Nikolaus v. Lyra 16 Nipkow, K. E. 266 276 Noah 155 158 161 164 Nock, A. D. 46 51 Nordhofen, E. 252 257 260 276f. Noronha, A. 164 194 O’Collins, G. 163 171 194 O’Donovan, L. 272 277 O’Leary, J. 105 108 O’Meara, D. J. 46 53 Oberthür, R. 259 277 Octavius 33 52 Oelschlägel, C. 263 276 Oerter, R. 268 277 Origenes 27f. 32-39 41-55 283 297 304 Osiris 30 32 53 55 Othello 213 Oveèka, L. 245 248 Oxtoby, W. G. 198 226
311 Padgett, A. G. 202 226 Pannenberg, W. 21 25 185 194 Papaios 27 33 36f. Paul VI. 240 248 Paulus/Saulus 2 4-6 12-14 17 21 24 35 41 53 75 229 280 290 296 299 Pelletier, A. 51 Persephone 36 Pessinuntia 31 Pétré, H. 253 274 Petrus/Simon 39 290 Philebos 38 Philo v. Alessandria 38f. 53 Philokrates 51 Piccolomini, E. S. 29 55 Pieris, A. 179 242-247 249 Pirker, V. 264 276 Places, E. des 46 52 Plantinga, A. 204 226 Platon 35 37 118f. 174 193 222 243 Plutarch 30 32 53 55 Pöhlmann, H. 83f. 98 103 108 Pollux 29 Poseidon 29 Pottmeyer, H. J. 198 226 Prigent, P. 23 Proklos/Proclus 50 53 Proserpina 31 Psellos, M. 46 53 Psonthomphanech 39 Ptolemaios 32 Puiggali, J. 46 55 Pusey, P. E. 23 Quinn, P. 220 226 Race, A. 151 194 Rahner, K. 156f. 160-162 173-178 183 192-194 199 226 248 254-258 261 269f. 272 274f. 277f. 284f. 304 Rassoul, M. 64-67 74 79 Ratzinger, J. s. Benedikt XVI. Rauser, R. D. 123 132 Rebekka 4 16 Reimann, S. 234 249 Reiter, S. 52 Rengstorf, K. H. 184 194 Renn, J. 147f. 150 Rethmann, A.-P. 229-249 Rhamnusia 31 Rhea 36f. Ricci, M. 235f. Richard, E. J. 5 25 Ricken, F. 123f. 133
312 Rocher, L. 68f. 80 Roest Crollius, A. A. 266 277 Rogers, K. A. 123 133 Roland-Gosselin, B. 299 304 Roosen, B. 273 277 Rosales, G. 234 248 Rösch, W. 273 277 Rosenkrantz, G. S. 125 132 Röwekamp, G. 253 275 Ruben, H. 202 225 Ruether, R. 7-9 11 25 Rufin v. Aquileia 41 52 Rulands, P. 254 278 Runggaldier, E. 120f. 133 Runia, D. T. 39 55 Rzepkowski, H. 236 249 Sabaoth 27 33f. 37 42f. 45f. Saffrey, H. D. 50 53 Salim Abdullah, M. 59 64 79 Salmon, N. 119 133 Sanders, E. P. 17 Sara 13 39 269 Sarapis 30 S(ch)addai 45 Schaeffler, R. 117 133 198 226 Schambeck, M. 254 257f. 277 Scheidler, M. 256 274 Scheilke, C. T. 266 275 Schillebeeckx, E. 159 180 194 Schlüter, G. 220 225 Schluß, H. 259 278 Schmidlin, J. 230 248f. Schmidt, H. 263 276 Schmidt, T. 135-150 Schmidt-Leukel, P. 84 91 108 152 194 198 200 213 226 Schmolly, W. 254 278 Schnackenburg, R. 165 Schneider, M. 251 273 279-304 Schneider, P. 266 275 Schneider, R. 291 293 304 Schöll, A. 271 274 Schößler, S. 147 150 Schreijäck, T. 252 256 274 277 Schreiter, R. 237f. 240 242 249 Schröer, C. 130 133 Schüßler-Telschow, U. 269 275 Schurr, V. 255 277 Schwab, U. 265 278 Schwager, R. 185 194 Schwartländer, J. 72 80 Schweitzer, F. 264 265 278
Namen Searle, J. 118 133 Seckler, M. 198 226 261 262 278 Sergius Paulus 41 Setta, E. 80 Siebenrock, R. A. 254 278 Siegwart, G. 130 133 Sievernich, M. 233 249 Siller, H. P. 252 277 Simon, W. 257 274 Smith, W. C. 84 108 197f. 226 Sokrates 35 38 Somos, R. 35 55 Söpa, L. 89 107 Spaemann, R. 2f. 25 Sparks, A. 156 194 Stachel, G. 257 274 Stangneth, B. 304 Stendahl, K. 17 Stenger, H. 263 275 Stichs, A. 59 79 Stietencron, H. v. 50 55 Stritzky, Maria-Barbara v. 53 Stump, E. 124 133 Suchla, B. R. 50 52 Sundermeier, T. 232 248 Swidler, L. 84 108 Swinburne, R. 111 125 133 208 210 213 226 Symmachus 30 53 Szagun, A.-K. 259 278 Tabiti 29 Tacitus 29 55 Tannhof, R. 226 Tenzin Gyatso s. Dalai Lama, XIV. Tertullian 4 7 24 Textor, M. 118 132 Thagimasada 29 Theiler, W. 39 53 Themis 43 Theobald, C. 159f. 193f. Theobald, M. 2 25 Thérèse v. Lisieux 298f. Thomas v. Aquin 14f. 21 24 124 133 215 226 243 280 297 Tränkle, H. 24 30 Tribe, A. 90 100 108 Tryphon 8 24 Türk, H. J. 266 278 Tzscheetzsch, W. 257 274 Ulmer, B. 62 80 Untersteiner, M. 30 54 Urban, O. H. 222 226
313
Sachen Van Inwagen, P. 125 133 Varro 29 Venus 31 Verhülsdonk, A. 271 278 Verweyen, H. 303 Vigilantius 40 52 Vision, G. 113 133 Vlach, M. J. 11f. 14 25 Vogels, H. J. 23 Volk, R. 40f. 55 Vorgrimler, H. 192f. 248 257 274 Vretska, K. 253 274 Vybíral, J. 245 248 Waldenfels, B. 267 278 Warneck, G. 230 Wassilowsky, G. 254 278 Weber, F. 263 275 Weber, L. M. 255 277 Webster, J. 29 55 Weigelt, C. 258 278 Weihrich, F. 51 Weil, S. 281 304 Weimer, L. 22 25 Weiss, K. 302 304 Wendland, P. 39 53
Werbick, J. 106f. Westerink, L. G. 50 53 Wielandt, R. 57-80 Wiertz, O. J. 50 109-133 197-227 Willems, R. 23 Williams, P. 90 92 100 108 Winkler, U. 154 192 195 Witte, B. 39 53 Wittgenstein, L. 146 Wodan 29 Wohlrab-Sahr, M. 62 67f. 80 Wolf, U. 127 132 Wulf, F. 299 304 Xenophanes 222 Yuval, I. J. 16f. 25 Zaborowski, H. 197 225 Zahlauer, A. 254 278 Zelzer, M. 23 53 Zen 27 32f. 46 Zeus 27 32-34 36-38 42 46 48f. 54 131 Ziebertz, H.-G. 257 265 270 274 277f. Zinkeviciute, R. 254 278 Zschoch, B. 62 64-66 72 80 Zycha, J. 23
Sachregister Aberglaube 142 236 Abhängigkeit d. Dinge, gegenseitige (Buddh.) 89f. 93f. vgl. 92 Abrahamssegen 17 Absolutheitsanspruch, religiöser 82 99 106f. Achsenzeit 800-216 v.Chr. 201 222f. Achtsamkeit 257f. 281 vgl. 140 Ad gentes 163 230f. 235 248 Adversus Iudaeos-Literatur 3 Ahnenkult 236 Allegorese 37 49 (s.a. Schriftsinn) Altes Testament 3 7-9 11f. 16-18 161 204 284 (s. a. Neues Testament; Bibel) Altruismus 97f. Amtsträger, christl. 65 75 Angst 181 269 275 Anrufung v. Namen (acclamatio nominis) 117 — Gottes 44f. 131f. — Jesu Christi 44 49
— v. Dämonen 44f. 48 Anthropologie 234 239 252 vgl. 265f. 278 Antijudaismus/Antisemitismus s. Judenfeindlichkeit Antike, griechische 229 Antiphrasis 40 Apologien, islamische 65 75 Apostel 2 10 13-15 17 21f. 39 180 235 296 Aristoteliker 34f. 42 Arkandisziplin 253 276 Armenversorgung 72 Armut 72 232 242 246 249 —, freiwillige 246 Atheismus 66 97 288 299 Auferstehung 10 71 74 76f. 283 285 301 (s.a. Jesu Auferstehung) Auferweckungsglaube 12 Autonomie, menschl. (s.a. Freiheit) 205 Avalokiteshvara (= Bodhisattva des Mitge-
314
Sachen
fühls) 103 Bar Kochba-Aufstand 6 41 Barmherzigkeit (v. Menschen) 214 —, Gebote d. 72 Barna-Institut 109 Bedeutungstheorien 120 135 144-149 vgl. 118 132 Befreiung d. Menschen — (buddh.) 86-89 91f. 94 99 102-106 — (christl.) 76 91f. 170f. 246 (s.a. Heil; Erlösung; Befreiungstheologie) Befreiungstheologie 234 242 249 256 275 (s. a. Inkulturationsmodelle: Befreiungsmodelle) Begriffe als Normen 146f. Bekehrung 82 102 229f. 290 (s.a. Konversion) Bekenntnis, religiöses (s.a. Glaubensbekenntnis) 136f. Berufung 5 14f. 22 160f. 247 262 Beschneidung 12f. 17 Beschreibungstheorie/n 117-122 126 Bewusstsein, religiöses 143f. Bhagavad Gita 198 Bibel 3 7 9 12 15 17 20-22 24 32 34 38 41 44 50 54 64f. 69f. 71 73 96 109 111 117 132 158f. 161 165 184 193 202 210f. 235 238 242 252 260 263 269 273 285 296 304 (s.a. Altes Testament; Neues Testament) —: Offenbarungscharakter 64 69f. Bibelkritik, islam. 64f. 73 Bilderverbot (s.a. Gottesbild) 251 Bildung 57 109 129 142 147 205 220 232 239 252 254 257 263 265f. 274 276278 288 —, religiöse 252 254 257 263 265f. 274 276-278 Bildungswesen 104 Bischofsamt 22 Bischofskonferenz, Deutsche 1 24 60 70f. 80 153 157 160 164 167 192f. 234 264 276 —, Vereinigte Asiatische 234 248 Bodhicitta (= buddh.: Erleuchtungsgeist) 97 Bodhisattva (= buddh.: Erleuchtungswesen) 97 102f. Bräuche, regionale 28 220 236 253 Brüderlichkeit im Glauben 65 Buchreligion 57 72f. Buddhas der Zehn Richtungen 95
Buddhas der Drei Zeiten 95 Buddhaschaft 86 88f. 91-94 96 98 101f. 104f. Buddhismus 18 81 109 187 201 244 301 vgl. 221 — als Religion 81 201 —: Rationalität 94f. —/Christentum 81-108 passim Bund Gottes (allgemein) 204 — mit Israel 1 6 10 12 21 — mit Adam u. Eva 158 — mit Noah 155f. 158 161 164 — mit Abraham 12 155 — mit Mose/Sinaibund 13 158 160f. — in Jesus Christus 155 158 160 Bundesamt für Migration u. Flüchtlinge 59 79 Bürger, säkulare/religiöse 138-140 149 Caritas 261 Chaos 49 Charakter, menschlicher 214 216 Christentum passim —, hellenistisches 243 —, lateinisches 243 vgl. 244 —: Modernität 69f. —: Rationalität 64 69 78 133 256 vgl. 123f. —: Superioritätsanspruch 199 216 224f. vgl. 218 220 —: Universalität 6 8 —/Judentum 1-25 passim —/Islam 57-80 266 —/Buddhismus 81-108 passim Christentumskritik, islam. 63-65 Christologie 3 7 17-19 151-194 passim 280 293f. 303 (s.a. Messias; Soteriologie) Christomonismus 20 Christozentrismus 156 165 175f. 191 Christus passim (s.a. Jesus Christus; Messias; Leib Christi) Christus caput 20 22 Christusbegegnung 162 177 218 281 285 297 Christus-Botschaft 205 213 224 246f. vgl. 230 Christusereignis 154-163 165 167-171 173f. 176-180 186 188f. 191 238 297 Christuserfahrung 273 280f. vgl. 296 Christusglaube 170 178f. 212 214 Christusliebe 290 Christus-Mysterium 177 vgl. 281
Sachen Christusnachfolge 280 299 301 Cittamatra (= buddh. Nur-Geist-Schule) 88f. Conditio humana 76f. Dalit-Theologie 247 Dämonen 28f. 32 37 43f. 49 55 129 vgl. 204 Dei Verbum 157 165 182f. 192 Demiurg 129 Demut, epistemische 219f. 224 Dhamma/Dharma (= buddh.: Lehre d. Buddha) 85f. 89 91 95f. 103 Diakonie 252 260-264 267 276 300f. vgl. 296-299 „Dialog und Verkündigung“ (Verlautb. d. Apost. Stuhls) 167 Dialog, interreligiöser 1 24 57 79 82 100 103 105-111 133 136 138 154 167 172 219 247 vgl. 191f. 194 218 225 271 (s.a. Päpstl. Rat für d. Interreligiösen Dialog) —, jüd.-christl. 1 24 Diaspora, jüd. 6f. 17 —, islam. 66 Didaktik d. Weltreligionen 270 Diebstahl 72 Differenzierung, gesellschaftl. 143f. 148f. Differenzismus, religiöser 265 Differenzpädagogik 272 Differenztheorien 143-145 148 Diskriminierung 241 Diskurs 138-140 146f. —, öffentlicher 138f. —, religiöser 140 Diskurstheorie 139 Dogmen —, religiöse (allg.) 81 84 94 98 102 104 106 —, christliche 63 67 69 283 285 304 vgl. 17-23 157 182 192 204 227 248 Doketismus 76f. Dominikaner 236 Dominum et Vivificantem (Enzyklika) 164 192 Dominus Jesus (Erklärung) 152f. 160 167 170 179 182 184f. 191 193f. Dualismus/Dualität 75 88 91f. 96 98 Edler Achtfacher Pfad (buddh.) 86 92 98 Egalitarismus 66 Eheschließung 58
315 Ehrfurcht vor d. Lebendigen 190 Eigenheit 267 vgl. 270 Einheit, soziale 143 Einheitsrat d. Hl. Stuhls 1 Einheitsreligion 30 84-86 vgl. 197 Ekklesiologie 3 6 12-15 17f. 21-23 Eliten 232 253 Eltern: Ehrung 72 Empfängnis, Unbefleckte 22 25 Endzeit 74 Endzweck, moralischer 141 Engagement, soziales 260 Enkulturation/enculturation 233f. Entfremdung, religiöse 66 Entwicklungspsychologie 268 277 Epikureer 34 42 Epistemologie s. Erkenntnistheorie Erbarmen (s.a. Barmherzigkeit) 292 Erbsünde 76 209 (s.a. Sünde) Erfahrung/en, religiöse 21 112f. 128f. 140 155 158f. 194 256 258 273 279 281 295 vgl. 76 93 144 147f. 150 253 279f. 282 285 298 303 (s.a. Gotteserfahrung; Christuserfahrung) Erkenntnistheorie 212 224 227 293 303 „Erklärung“, Definition v. 202 225 Erleuchtung — (buddh.) 97 100 107 vgl. 172 186 — (christl.) 165 172 246 vgl. 186 Erlöser 95f. 101 167 174f. Erlösung 13f. 20f. 73 76-78 82 95 113 167 170 179 200 203 221 238 241 243 246 292-294 303 (s.a. Heil) Erstursache 93f. Erziehung, religiöse 256 Eschatologie 74f. 211-220 252 277 293 295 vgl. 283 297 300 Esoterik 253 Ethik 58 70-72 78 96-98 102 139f. 144 190 208f. 214 222 225 229 292 (s.a. Moral) Ethnologie 62 79 234 236 249 Ethos, christliches 229 Etymologie 34 38 43 Eucharistie 6 253 269 275 295 297 301 vgl. 298 Europäisierung durch Mission 231 247 vgl. 237 249 Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 20f. 24 Evangelisierung 192 218 226 232 234 248
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Sachen
Evangelium 2 5 10 15 17 19 21-23 73 75 165 167 170 184f. 192 218 229-232 237f. 246f. 262 281 Evolution 175 194 Existential, übernatürliches 162 Exklusivismus, religionstheologischer 136 151f. 155 198f. 201-204 209 211 221 224f. Extremismus 60 Fairness, politische 140 Famosa descriptio (Anselms v. Canterbury) 122f. 125f. 128-131 222 Fanatismus, religiöser 139 Feindesliebe 72 Feste, christliche/pagane 230 Finalursache 169 173-179 191 Firmung 253 Flüchtlinge 59f. 79 Franziskaner 237 Freiheit 71f. 80 204-209 215f. 219f. vgl. 211 213f. 222-224 256 293 vgl. 264 (s.a. Befreiung) Fremdheit 137 251 264 267-274 Fremdreferentialität 143-145 Friede (als Ziel v. Religionen) 81 101 —, interreligiöser 81f. 99 101 106 219 Frömmigkeit 255f. 258 277 302 304 “Fulfillment theory” 155-157 163 194 Fundamentalismus, religiöser 62 80 vgl. 232 Fundamentaltheologie 17f. 25 198 213 226 Gastfreundschaft 268f. Gaudium et spes 156 170 178f. 193 Gebet (s.a. Gottes Anbetung) — allg. 44 111 117 122 133 —, jüd.-christl. 23 38 —, christl. 33-35 38 41f. 53 76 111 279304 vgl. 255 —, islam. 67 — bei interrel. Treffen 1 24 Gebote — Gottes 94 — kirchliche 236 Geburtenkreislauf s. Samsara Geist, Heiliger 12f. 20 164-166 168 173178 182 280 283-288 290f. 293f. 303f. vgl. 296 —: Universalität 164-166 168 vgl. 177f. Geistliche 75 Gelug/Geluk (= Schule d. Tibet. Buddhismus) 92f.
Gemeinde 263 275-277 296 Gemeinschaft mit Gott 91f. 206 212215 217 221 Gemeinschaft/en, religiöse 65 81 137f. 218-220 230 253 261 264 288 295f. Gemeinschaftsgefühl 241 Gemeinwesen, ethisches 140f. Georgetown-Modell 272 Gerechtigkeit, Engagement für 242 Gericht, göttliches/Jüngstes 71 74 76 293 297 vgl. 73 (s.a. Jüngster Tag) Geschichtstheologie 154 156f. 163 292 294 303 Geschlechtsrolle, weibl. 67f. 70 Gesellschaft/en 65 137-140 143f. 147150 162 164 227 241f. 245 262 264 266 vgl. 138 —, pluralistische 138f. —, säkulare 143f. —, postsäkulare 137f. 140 Gesellschaftspolitik 262 Gesellschaftstheorien 147-150 Gesetz (Israels) 6 21 Gesetze, religiöse 197 Gesetzgebung, staatl. 138f. Gesundheitswesen 104 Gewaltbereitschaft 68 70 222 Gewaltverbot 272 Gewissen 167 Glaube passim —/Wissen 140 149 Glaubens-„Kern“ 221 228 230 237f. 246 vgl. 135f. 141 Glaubensakt, christl. 73f. 256 299 Glaubensbekenntnis/se 111f. 115f. 124f. 131f. 201 209f. 216 218f. 223f. 256 Glaubenshaltung 142 145 vgl. 147f. Glaubensnormen, christl./islam. 7177 Glaubenspraxis 35 55 59 65 67 71 84 87f. 98 100 104f. 122 126 136 142 162 166 177 190 220f. 224 256 270f. 278 280 285 298 Glaubensschwund 69 Glaubensverkündigung s. Verkündigung Glaubensvermittlung, christl. 78 259 Gleichstellung v. Mann u. Frau 70 Glück 83 101 vgl. 141 Gnade, göttliche 4f. 15 17 157f. 160 162-164 167 170-174 176 178 187-189 199 219 238 254 261f. 277 286 292
Sachen Gnosis 17 Gott — Abrahams, Isaaks u. Jakobs 45 48f. 129 — als Schöpfer 19 32 38 42f. 45 48 71 81 91-100 124 129 158 197 285 289 294 vgl. 283 290 — Vater 129 165 175 180f. 184f. 279f. 282f. 287-290 292 295f. 300 vgl. 35 77 301 (s.a. Gottessohnschaft) —, ursprüngliches Wissen um 254 Gottes — Allmacht 71 95 114 123-126 197 203-206 vgl. 210 — Allwissenheit 123 130 181 203 206f. 210 287 — Anbetung 122 204 213 269 — Barmherzigkeit 71 111 — Benennbarkeit 35f. — Bund s. Bund Gottes — Eigenschaften 111-116 122-126 130f. — Einzigkeit 122-126 — Erhabenheit 186 — Erkennbarkeit 28 36 vgl. 254 — Ewigkeit 130 — Existenz 93f. 97 100 122f. 125f. 130 203 206 208 212 223f. 226 vgl. 137 — Gegenwart 164f. 187 189f. 231 283 286 298 — Gerechtigkeit 206 — Herabkunft 75 77 — Herrlichkeit 184f. 193 — Immanenz (hinduist.) 187 — Liebe 70 76f. 92 204 206 212-215 220 223 225 284 289 291 295 vgl. 300 — Menschwerdung s. Menschwerdung d. Sohnes Gottes — Mysterium 186-190 255 261 263 270 294 — Namen 28-55 126 132 152 193 236 — Namenlosigkeit 28f. 36 — Offenbarung s. Offenbarung; Gottes Selbstoffenbarung — Personalität 81 91-99 112 187 vgl. 158 — Reich s. Reich Gottes — Selbstoffenbarung in Christus 20 27 47-51 73 75 152 155-157 165 175 177 179 183 185f. 188f. 210-212 215f. 218 262 280 282f. vgl. 164 182 190 235 285 292 — Selbstoffenbarung, trinitarisch 163f. 166 — Transzendenz 28 75 116 123 189 222f.
317 vgl. 112 187 200f. — Unaussprechlichkeit 123 251 270 273 281f. 289 vgl. 33 112f. 181 — Unbegreiflichkeit 30 97 251 255 267 270 273 289 — Unendlichkeit 182 290 vgl. 112f. — Unüberbietbarkeit (s.a. famosa descriptio) 213 222 — Unveränderlichkeit 42 93 — Unverfügbarkeit 50 — Verborgenheit 223 267 282 vgl. 283 285 — Verehrung 97 123f. 130 vgl. 197 (s.a. Anbetung) — Volk s. Volk Gottes — Vollkommenheit 114 122-126 203f. 206 210f. 213 217 222 (s.a. famosa descriptio) — Wesen/Natur 50 55 123-126 130-133 223 — Wille 68 70 76 94 100 161 174 203 210 217 224 287 300 — Wirken in Geschichte 18f. 48f. 75 123f. 205 285 — Wort s. Wort Gottes — Zorn 5 — Zuwendung 28 71 156 158f. 267 283 vgl. 281 298 302 „Gott“ — als Eigenname 117 122 126f. — als Gattungsname 36f. 48f. — als Kennzeichnung 117 Götter, untergeordnete 28 Gottesbegegnung 112 162 177 187 213f. 216 220 223 247 282 291 299f. vgl. 200 205 (s.a. Christusbegegnung) Gottesbegriff 75 122 130 136 144 210 221-223 259 269f. vgl. 275 Gottesbeweise 255 Gottesbeziehung 75-77 91f. 113 124 130 220 255f. 258f. 263 275 278 vgl. 156 162 287 302 Gottesbild 30 32 78 97 109 112 124 132f. 251 273f. 290 vgl. 120 294 (s.a. Gottesbegriff) Gottesebenbildlichkeit 139 Gotteserfahrung 76 124 129 158f. 177 183 185 187f. 194 235 251 255-258 263 275 279f. 282 vgl. 201 Gotteserkenntnis 123f. 136 184 194 199f. 215-219 221 290 vgl. 181 201 Gottesfrage 256 258
318
Sachen
Gotteslehre, philosophische 136f. Gottesliebe, menschliche 130 212f. 215 218 221 223 281 284 304 Gottesreich s. Reich Gottes Gottesrede 50 55 109-132 136 255 281 —, allegorische 281 —, apophatische 281 Gottesschau s. Gott-Sehen Gottessohnschaft — Jesu Christi 63 72f. 96 111 165 168 170 180-182 185 191 212 234f. 262 280 282 285 287-291 293f. 296 300 302 vgl. 49 — Israels 6 13 21 Gottesverständnis, islam. 66 Gottesvolk s. Volk Gottes Gottesvorstellung s. Gottesbild Gott-Sehen (s.a. visio beatifica) 184f. 193 279 282 289 Gottsuche 281 288 298 Götzendienst 4 Großes Fahrzeug (buddh.) 97 104 Gut, höchstes 141 Güte, menschliche 83f. 86f. 97f. Handeln, kooperatives 149 Handlungstheorie/n 145 Häresien, christliche 1 20f. 158 165 193 Heiden: Rettung 5f. 12f. Heil, göttliches 2f. 5f. 8 12 74-77 86f. 90f. 101 106f. 111f. 151f. 155-179 187 189 191-193 198-201 203-217 221 224f. 229 241 255 261 281 285 291 295 297f. 302 (s.a. Erlösung; Soteriologie; Unheil/ssituation) Heilige 295-299 Heilsgeschichte 21 72-74 76 151 154-165 168-171 174 189 194 255 281 294f. 297 vgl. 292 Heilsnotwendigkeit d. christl. Glaubens 211-216 Heilsplan, göttl. 167f. 176 192 vgl. 235 285 Heilsuniversalismus, christlicher 21 82 105 153-163 171f. 193 203 205 210 217 224 230 vgl. 13f. 204 215f. Heilswege, nichtchristliche? 151-179 passim 188-195 198-201 215f. 218 221 vgl. 204 217 219 Heilung 261 275 vgl. 84 86 97 Hellenismus 28 243 Henotheismus 42 222 Hermeneutik 94 107 254 265 (s.a.
Übersetzungstheorien) Hierarchie 66f. 230 Himmel 30 32 48 73f. 76 87 213 215 236 281 293f. 297 299 vgl. 129 Hinduismus 18 88 187 189f. 247 Hochkulturen 232 Hochreligionen 223 296 Hölle 74 209 Humanismus 98 139 Ich, das 90 94 113 Identität —: Wahrung bei Konversionen 58 72 —, religiöse (allg.) 135 272 —, christl. 58 69 105 108 233 —, buddh. 105 —, kirchliche 245 —, ethnische 225 —, kulturelle 240f. Ideologien 69 83 Illusionen, religiöse 112 129f. Immanenz 143f. Imperialismus, kultureller 29 vgl. 244 Indigenisierung 233 Individualismus 69 Ineffabilitätsthese J. Hicks (s.a. Gottes Unaussprechlichkeit) 112-115 Inferentialismus 146 149 Initiation 253 Inkarnation — d. göttl. Sohnes/Logos 18-20 111 124 156f. 167-174 176 178f. 193 234f. 262 281f. 284f. 288-293 301 303 (s.a. Menschwerdung) — d. christl. Botschaft 242 — d. Glaubens 233 — d. Gottesreichs in der Kirche 231 248 — d. Kirche 234f. Inklusivismus, religionstheologischer 151f. 156 163 169 194 197-225 Inkulturation 229-249 vgl. 85 233f. Inkulturationsmodelle 237-246 —: Anpassungsmodelle 237 239f. vgl. 233f. 238 242 —: Kontextuelle Modelle 237 240-242 (Befreiungsmodelle: 240-242; ethnographische Modelle 240f.) —: Übertragungsmodelle 237-240 —: Griechisch-römisches Modell 242-244 —: Monastisches Modell 242 245f. —: Nordeuropäisches Modell 242 245 Inreligionisation 243 247
Sachen Inspiration 73f. 157 230 285 Integration, soziale 70 143 vgl. 144 Interaktionstheorie 149 Interkulturalität 148f. 252 267 270 Interpretatio Romana 29 55 Interreligiosität 270f. 278 Isis-Kult 30 Islam 57-79 passim 109 111 170 189 201 204 272 —: Modernität 66 —: Rationalität 64 66 —, sunnitischer 75 —/Christentum 57-80 111 266 276 Islam Konferenz, Deutsche 59 79 Islam-Archiv Soest 59 Islamismus 68 Islamwissenschaft 60 Israel 1-25 passim (s.a. Synagoge; Judentum) — „dem Fleisch nach“/geistliches 13f. 16 —/Kirche 1-25 passim Israels — Gottessohnschaft s. Gottessohnschaft Israels — Erwählung 5f. 13-15 18 21 28 — Abrahamskindschaft 13 22 — „Verwerfung“ 3-11 13 16f. 21 — Zerstreuung 6f. 17 — Bekehrung 14 — Staatsgründung 16 — (endzeitl.) Rettung 14f. Israelvergessenheit 17f. 20-23 Jainismus 190 Jenseits 297 vgl. 245 Jerusalem —, himmlisches 13 —: Zerstörung 70 n.Chr. 6f. 9f. 12 17 Jesus v. Nazaret/Jesus Christus (s.a. Christus; Logos; Messias) — als historische Person 235 286 — als Jude 235 — als Prophet 64 72 — als Menschensohn 281 283f. 290 292f. 301 303 — als Gottmensch 18-20 64 75 111 vgl. 95f. 172 287 289 — als Mittler 91 108 293 295 — als Fülle d. Offenbarung u.d. Heils 152 165 180 182f. 185-191 vgl. 166f. — als Richter 297 — als Haupt der Kirche 288 —, Beziehung zu 70
319 Jesu/Jesu Christi — Abstieg 293 — Auferstehung 76f. 111 168-172 175 177f. 183 269 286 289f. 293 — Auferweckung 73 179 230 — Angst 181 — Bewusstsein 179-186 188 — Entrückung (nach d. Koran) 76f. — Erbsünden-Freiheit 209 — Friedensbotschaft 82 — Geburt 165 293 (s.a. Menschwerdung) — Geistsendung 293 — Gottessohnschaft s. Gottessohnschaft Jesu — Göttlichkeit 180f. vgl. 83f. 289f. — Gottverlassenheit 301 — Himmelfahrt 286 293 — Kreuzigung 76 78 282 284 286 297 301 (s.a. Jesu Tod; Kreuz) — Leben 111 286 288-290 294 (s.a. Mysterien) — Leib s. Leib Christi — Leiden 73 170 282 284 289 301 — Menschsein 154 167-173 179-181 185 289f. vgl. 175 — Mittlerschaft 178 182f. 185 191 — Passion s. Leiden — Schmerzempfinden 181 — Seele 181 — Sendung 181 — Singularität 82 101 105f. 153 156 165 170 180 186 193 211 vgl. 188 — Tod 73 76f. 111 170f. 181 183 286 289f. 293 300 — Universalität 19 82 105 153 157-159 165-169 171f. 186 193f. 229 286 vgl. 178f. 191 — Verdienste 170 174 176 — Verherrlichung/Erhöhung 168f. 171f. 175 179 — Verkündigung 73 182 184f. 294 — Versuchung 181 — Wirken 73 183-185 289 Jesuiten 16 206 232 236 242 248 272 JHWH, Offenbarung des Namens 32 42 54 117 John-Main-Seminare 85 97 „Juden und Christen“ (Gesprächskreis beim ZdK) 1 24 Judenfeindlichkeit 3 5 7f. 11 15f. 25 Judenfreundlichkeit 3 5
320
Sachen
Judenmission 1 24 Judentum 1-25 passim 32 41 54 204 218 222 272 —/Christentum 1-25 passim Jungfrauengeburt 19 Jüngster Tag 73 96 (s.a. Gericht) Kagyü (= Schule d. Tibet. Buddhismus) 93 Karma (= buddh.: die aus physischen u. geistigen Taten resultierenden Wirkungen) 95f. 98 102f. Karuna (= buddh.: Mitgefühl) 84 Katechese 61 234 252f. 275 Katechesen, Mystagogische 253 275 Katechumenen 253 Kausalgesetz 96 Kenosis 181 284 302 Kinderpastoral 273 277 Kindertheologie 259 275 278 vgl. 277 Kirche 2f. 6 11-14 22 25 40 55 82 92 97 99 106f. 167 218 230-234 239 242f. 248 255 261f. 264 275 277 288 290 296f. 299 301 303f. (s.a. Inkarnation; Pluralität) — als Sakrament 231 —: Ausbreitung 245 —: Einheit 247 297 303 —: Universalität 22 247 vgl. 153 193 — aus den Heiden 2f. 6 11-14 22 — aus den Juden 2f. 12 14 22 —, frühe 244 252 vgl. 253 —, pilgernde 297 —, himmlische 297 Kirche/Israel 1-25 passim 160f. Kirchengeschichte 21 55 230 268 Kirchengründungen 21f. Kleines Fahrzeug (buddh.) 104 Kolonialismus 230 241 Kommission „Christentum u. Weltreligionen“ 159f. Kompensation, postmortale 208f. Konfessionen 1 59-61 63 67 202 271f. 278 Konfessionslosigkeit 259 275 278 Konflikte, interreligiöse 154 192 vgl. 217 219 272 Konfuzianismus/Konfuziuskult 235f. Kongregation für d. Evangelisierung d. Völker 192 Kongregation für d. Glaubenslehre 153 193 218 226 „Konstantinische Wende“ 30 54 Kontemplation 257 274 285 293 300
Kontingenz 207 Konversion/en (s.a. Bekehrung) — zum Buddhismus 82 — zw. Christentum u. Islam 57-80 passim Konversionserzählungen 61-71 77 79f. Konzil v. Trient 17 Konzil, Zweites Vatikanisches 16 152 163f. vgl. 156f. 162 165f. 170 178f. 182f. 192f. 204 211 227 230f. 235 248 297 304 Koran 64 70-77 80 109 111 186 —: Offenbarungscharakter 64 —: Universalität 73 Kosmologie 49 kosmopolitische Gottheiten 30 Kosmos 30 36 38 42f. 45 172 246 290 295 vgl. 293 Kreislauf d. Geburten s. samsara Kreuz 170 173f. 181 283f. 291f. vgl. 280 Krise, spirituelle 102 Kult/e 29-31 54 222 236 252 Kultur/en 27 54 62 65 79 162 164 166 178 184 200f. 217f. 223 229-244 246f. 252 257 260-264 266 268 277f. — der Armen 232 Kulturanalyse 238 Kulturanthropologie 62 79 233 239 Kulturreligiosität 265 Landflucht 232 Leben —, gutes 139 —, christliches 230 255 279 300 303 vgl. 278 —, geistliches 299 302 304 —, ewiges 170 vgl. 208 —, seliges 292 303 Lebensentwürfe 140 213 Lebensgefühl, christl./islam. 77 Lebenshilfe 260 274 Lebenskrisen 67 Lebenskultur 214 244 Lebensordnung, islam. 67 74 Lebensorientierung 264 Lebenssinn 67 265 271 303 Lebenswelt 257 274 Leere —: christl. Verständnis 284f. —: buddh. Praxis 87-89 —/Leerheit d. Dinge s. Sunyata Lehramt d. kath. Kirche 3 23 152-154 164 202 238 Leib/lichkeit 281f. 284 288
Sachen Leib Christi 20-22 295 297 Leid/erfahrung 91 103 298 301f. Lernen —, religiöses 261 263 265 273 276 —, mystagogisches 254 257f. 262f. 267 270 273 277f. —, diakonisches 262f. 267 270 273 —, interreligiöses 92 104-106 111 219f. 243 248 265f. 270 275 278 —, interkulturelles 251 265-267 270 273 275 Libertarianismus (s.a. Freiheit) 207f. Liebe gegenüber Mitmenschen 83 86f. 92 94 97f. 101 106 (s.a. Nächstenliebe) Liebe, innertrinitarische 280 Liturgie, christl. 238 244 247 286 296 298 vgl. 65 238 Logoi spermatikoi 166 vgl. 163 178 Logophanien 166 Logos, göttl. 18-20 32 163-173 175-179 186 282 291-193 303 Logos asarkos 167-173 175-179 191 Logos ensarkos 167-173 175-179 (s.a. Inkarnation) Logozentrismus 176 179 186 (s.a. Christozentrismus) Lumen gentium 16 162 204 211 227 231 248 Madhyamaka (= buddh. Schule des Mittleren Weges) 88-90 92f. 101 104 —: Prasangika-M. 89f. 92f. 101 104 —: Svatantrika-M. 88f. Magie 34f. 44 46f. 50 54 Magoi 44 Mahayana-Buddhismus 86 88 91f. Maieutik 254 261f. Marginalisierung 68 232 Maria als corredemptrix 22 Mariae Empfängnis 22 Mariologie 22 Markionismus 17 Martyrium 34 44 48 53 286 Marxismus 242 Mater ecclesiae 22 Materialismus 65 69 Materie/Materielles 49 Meditation 257 263 274 291 301 Meinung, öffentliche 256 Menschen —: Entstehung 222 —: Selbstverständnis 247 —: Transzendentalität 266
321 Menschenbild/er 76f. 94f. 100 139 —, buddh. 94f. 100 —, christl./islam. 76f. Menschenrechte 70 80 Menschenwürde 71 80 208 vgl. 241 Menschlichkeit 84 Menschwerdung — d. Sohnes Gottes/Logos 18-20 96 111 124 129 157 161 165f. 168 170-173 175f. 177f. 181 212 215 235 262 273 288f. 292-294 302 (s.a. Inkarnation) — d. Menschen 262f. 275f. Messe, Heilige 298 Messias 2f. 6-8 11-14 19f. (s.a. Jesus; Christus) —: Verwerfung durch Israel 5-8 12f. 21 Messias-Königtum 2 13 9f. Metanoia s. Umkehr Metaphysik 93 112 123f. 136f. 174 193 292 vgl. 139 Metaphysikkritik Kants 136f. Midrasch 16 Migration 59f. 79 (s.a. Bundesamt für Migration) Minderheiten, ethnische 68 Missiologie s. Missionswissenschaft Mission 81f. 99-104 107 157 192f. 197 204 231f. 235-238 246-249 297 (s.a. Judenmission) —, buddh. Verzicht auf 81f. 99-104 Missionsgeschichte 230 236 249 Missionstheologie 6 230- 233 236 248f. Missionswissenschaft 94 107 230 233 248f. 266 277 Mitgefühl 97 101 103 Mitleid 113 284 301 (s.a. Karuna) Mittelpaläolitikum 222 Mittelplatonismus 27 Modalargument (S. Kripke) 119-122 126 Moderne 65f. 68f. 124 138 143f. 147 149f. 230 257 264 268 274f. 299 „Möglichkeit“, epistemische/logische 202 205 Moksha (buddh.: Erlösung, Befreiung) 87f. Mönchtum 245f. vgl. 104 242 Monophysitismus 173 Monotheismus 27 30f. 50f. 54 58 64 75 111f. 125 131 204 218 222 230 Moral 137-144 266 276 (s.a. Pflichten, Tugenden, Vernunftmoral)
322
Sachen
—, autonome 141 144 —, universalistische 138f. Moralpädagogik 266 276 Moralphilosophie 137-143 Moraltheorie Kants 141 Muhammad — als Prophet 64 — in christl. Sicht 72 — in islam. Sicht 73 Multikulturalität 264 Multireligiosität 264 Mystagogie 251-278 passim —, diakonische 252 260-263 —, interkulturelle 252 —, politische 262 Mystagogiebegriff K. Rahners 254 Mysterien —, antike pagane 31 54 251f. —, christliche 253 288 293f. — des Lebens Jesu 288 293f. (s.a. Jesu Leben) Mystik 52 256 279-282 289f. 295f. 299 301 303 —, apophatische/negative 289 — philosophische 290 Mythos 38 49 113 115 279 290 Nächstenliebe 7f. 11 25 94 98 113 284 297 vgl. 246 Namen —: Wesen 34f. 40 44f. 47 —: Ursprung 34 42 47 —: Lehre v.d. Richtigkeit 35 —: Eigen-, Art-, Gattungsnamen s. Termini, singuläre —: Doppelnamen 41 —: Austauschbarkeit von Gottesnamen 27-55 passim Namensänderungen, biblische 34f. 3842 53-55 290 Namenslehre —, aristotelische 34f. 42 —, stoische 34-36 42 50 —, epikureische 34 42 —, (neu-)platonische 50 Namensveränderungen, polemische 40f. Naturalismus 140 149 223 vgl. 146 202 Neanderthaler 222 Neues Testament 2-5 7 9-12 17 21f. 25 73 85 156 158 180 182 184 186 194 229 297 (s.a. Altes Testament; Bibel) Neuplatonismus 47 50 75
Nihilismus 103 Nirvana 81 83 87f. 98 101f. 108 221 Nostra aetate 16 163 166 193 204 227 Notifikation bzgl. J. Dupuis 153 159 167 170 182 185 191 193 Noviziat 104 Nyingma (= Schule d. tibet. Buddhismus) 93 Offenbarung 18 25 32 54 64 69-71 73f. 141 155-159 161 163-166 179-186 188 190f. 194 203-207 210f. 215f. 218 220 223 226 235 237f. 256 259f. 279 283-286 288 291-293 vgl. 25 287 (s.a. Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus) —: „Relativität“ 179-186 Offenbarungscharakter nichtchristl. Religionen 152 159 163 165f. 170 180 186f. 189-191 209 vgl. 172 Offenbarungsgeschichte, christl./islam. 73f. Offenbarungsverständnis —, christl. 69f. 78 —, islam. 73f. Öffentlichkeit 139f. 149 Opfer/riten 6 236 Ordnung, gottgewollte 74 Ordnung, kosmische 246 Ortskirche 231-233 248 Osternacht (s.a. Pascha-Mysterium) 253 Paläoanthropologie 161 Pantheismus 75 288 Pantheon, römisches 29 Päpstl. Rat für d. Interreligiösen Dialog 167 192 Paradies 74 87f. 98 Paroikia 269 Partikularismus 231 Parusie 2 283 Pascha-Mysterium 170f. 234 253 vgl. 39 53 (s.a. Christus-Mysterium) Pastoral 237f. 252-254 262 275f. 278 Pastoralpsychologie 254 278 Pastoraltheologie 254f. 263 273 277 Patriarchat 70 Paul, new perspective on 17 Pfingsten 297 Pflichten, moralische 141 Phänomene: Existenz 89-91 vgl. 202 Philosophie —, antike 243 vgl. 242 244 (s.a. Aristoteliker; Epikureer; Neuplatonismus; Pla-
Sachen tonismus; Stoa) —, asiatische 244 vgl. 236 Plantatio ecclesiae 230 Platonismus, späterer 54 Pluralisierung —, gesellschaftl. 143 —, kulturelle 273 —, religiöse 264f. Pluralismus —, religiöser/religionstheologischer 50 57 83f. 101 106-108 131 136 151-154 157 160-164 169 185 187 191-194 198 200-202 210 213 216 219 221 223-226 —, weltanschaulicher 136 138f. 266 276 278 Pluralität —, kulturelle 260f. 264-267 —, religiöse 272 —, innerkirchliche 247 vgl. 248 Pneumatologie (s.a. Geist) 164 Polemik, religiöse 40f. Polytheismus 28 75 112 222 Postmoderne 264 275 Prädestination — (christ.) 17 — (buddh.) 99 Priester 254f. 277 Propheten 5 7-9 11 22 45 64 72f. 76 186 279 (s.a. Jesus als Prophet) Psychologie 283 Purgatorium/„Fegfeuer“ 215 Recht, positives 143f. Rechtfertigung 12 17 173 Rechtleitung, göttl. 73 Rechtsprinzipien, säkulare 139 Rechtsstaat, demokratischer 138 Redemptoris missio (Enzyklika) 152 157 162 164 166f. 171 178 191 193 Referenztheorien 109-133 passim Reformation/szeit 16f. 240 Regelkonformität 145 Regelwissen 137 146-148 Reich Gottes 20 74 156 231-233 261f. 278 vgl. 287 Relationen, innergöttliche 282 Relativismus 219 223 vgl. 220 Religion passim —: Wesen 84 197f. 225f. (s.a. Religionsbegriff) —: Dekonstruktion 137-143 —: Funktion 135 143f. —: Individualisierung 264
323 —: Kooperation 199 —: Übersetzbarkeit 135-150 passim Religionen —, archaische 222 —, antike pagane 29f. 54 —, natürliche 156 —, positive 141f. —: Einheit? 93f. —: Gleichberechtigung/Gleichrangigkeit/Gleichwertigkeit? 81-84 86 92 99f. 103 113 136 152 166 199f. vgl. 98 216 222 (s.a. Superioritätsanspruch) —: Komplementarität? 179f. 186-191 245 vgl. 220 —: histor. Relativität 151 vgl. 30 —: Modernität 66 69f. —: Rationalität 64 66 69f. 78 94f. 136 141 160 198 201 212 223 225-227 vgl. 156 213 217f. —: Vielfalt 82f. 99 101 109 164 191 194 197-225 271 —: Konflikte s. Konflikte, interreligiöse Religionsbegriff 141 198 Religionsdidaktik 64 78 251-278 (s.a. Religionsunterricht) Religionsgeschichte 84 108 157 161 222 225 268 279 Religionskritik 141f. Religionspädagogik 252 254 256-259 263 265 272-274 276-278 Religionsphilosophie 112 130 133 136f. 140f. 149 197 202 226 — Kants 140f. 149 — Habermas’ 142 —, analytische 136f. —, angelsächsische 112 —, kontinentaleuropäische 136f. Religionspolitik, römische 29 32 54 Religionsstifter 69 72 128 157 180 209 257 265 274 279 Religionstheologie 50 60 83f. 86 106108 135f. 151-195 passim 198 200f. 226f. — J. Dupuis’ 151-195 passim —, pluralistische 135f. 198 226 vgl. 152 Religionstheorie 198 200f. 210 213 216 223f. Religionsunterricht 78 109 132 251278 —, interreligiöser 271 274 278 —, konfessioneller 272 vgl. 271 —, überkonfessioneller 278 Religionsverlust 65 264f.
324
Sachen
Religionswandel 264f. 273 Religionswissenschaft 81 83 94 107 132 222 226 266 277 Religiosität —, antike pagane 27-51 passim 128 —, „agapeische“ 246 —, „gnostische“ 246 —, authentische/nichtauthentische 223 —, individualisierte 257 277 —, kosmische/metakosmische 245 vgl. 246 —, reflexive 143 Richter, göttlicher 71 96 Riten, religiöse 162 166 178 Ritenstreit 234 236 249 Sakrament/e 66 75 168f. 231 253 Säkularisierung 65 138f. 143 264f. 278 vgl. 232 Säkularisierungsthese 264f. 278 Sakya (= Schule d. Tibet. Buddhismus) 93 Samsara (= buddh.: Geburtenkreislauf) 86-88 103f. Satan s. Teufel Sautantrika (= buddh. Sutra-Schule) 88f. Scharia 70 Schau Gottes s. Gott-Sehen (s.a. visio beatifica) Schia 75 Schoa 16 Scholastik 174 239 243 Schöpfung — (Erschaffung) 75 82 92f. 97 101 124 158f. 165 175 194 197 206 208f. 266 276 285 292-294 303 vgl. 74 207 (s.a. Gott als Schöpfer) — (Geschöpf) 91f. 94 165 168 176 183185 189-191 206 285 288-291 294 vgl. 301f. Schöpfungsglaube 266 Schöpfungstheologie 276 Schriftauslegung 16 46 69f. 284 294f. 304 (s.a. Schriftsinn; Allegorese) —, rabbinische 16 —, buchstäbliche 284 —, (historisch-)kritische 16 69f. Schriftsinn —, historischer/litteraler 15f. —, übertragener 1-12 15f. 37 (s.a. Allegorese)
Schuld 205f. 218 220 234 292 300 302 Schulpastoral/Schulseelsorge 263 276 Schweigen 245f. 254-256 269f. 282-286 303f. vgl. 278 Scientia media 206-208 225 Seele 281 287f. 296 (s.a. Jesu Seele) Seelsorge s. Pastoral Sekten, christliche 59 Selbst 90f. 100 223 Selbstreferentialität 143-145 148 Selbstvergewisserung 63 Selbstverständnis, menschl. 292 Selbstzentriertheit 223 Seligkeit, ewige 76 213f. 299 Semantik —, religiöse 139 143-145 148 vgl. 141 —, säkulare 144f. Shiva-Anhänger 87 102 Singularität/sanspruch —, christl. 101 160 193 199f. 220 vgl. 216 224 —, buddh. 101 104f. širk („Beigesellung“) 75 Sol invictus 230 Solidarität 65 246 261-263 267 276 297-299 — Gottes 261 — in Glaubensgemeinschaften 65 — mit Armen 246 Soteriologie 3 6 12f. 17-21 113 170f. 198-201 205f. 209-225 243-245 299 (s.a. Christologie; Heil) —, buddh. 86 Sozialisation, religiöse 66 77 271 —, christliche 66 —, islamische 77 Sozialpsychologie 62 67 79 Sozialwissenschaften 218 241 Spiel, diskursives 146f. Spiritualität 85 95 102f. 109 218 242f. 245-248 254 257 274 278 283 297 304 Sprache —, göttliche 42f. —, religiöse 117 123 133 135 137 282 Sprachen —: Aufteilung 34 43 —: Vielfalt 33f. vgl. 42 73 Sprachphilosophie, analytische 120 132f. Sprechen v. Gott s. Gottesrede Staatskonfuzianismus 235 Staatsreligion, römische 244
Sachen Stellvertretung 12f. 72 80 298-300 Stoa/Stoiker 31 34-36 42 52 166 229f. Streitschlichtung 263 276 Subjektivität 61 162 265 288 293 301 Subkulturen 216 Substantialität d. Dinge 90-92 96 Substitutionstheorie 3 5-23 25 Sufismus/Sufitum 66f. 75 Sukzession, apostolische 22 Sünde 7 22 75-78 170 181 209 238 290 292 (s. a. Schuld; Todsünde; Erbsünde) Sündenfall (nach d. Koran) 76 Sündenverständnis, christl./islam. 77 Sunniten 75 Sunyata (= buddh.: Leere d. Dinge) 8993 101f. 105 Superioritätsanspruch, religiöser 81 92 99 101 103 106 136 151 199 216 224f. vgl. 107 218 220 (s. a. Christentum; Religionen) supersessionism s. Substitutionstheorie Symboldidaktik 273 276 Synagoge (s.a. Israel) 1 10 19 Synkretismus, religiöser 29 84f. 105 231 vgl. 244 264 Synode v. Hiereia (754 n.Chr.) 40 Synode, „Würzburger“ 260f. 275 Systemtheorie 142-144 Tagesstruktur, islam. 67 Tantra (= buddh.: Lehren, Rituale u. Übungen d. Vajrayana-Buddhismus [Diamantfahrzeug]) 91 105 Taufe, christliche 2 22 60f. 78 80 224 253 280 286f. Telefonseelsorge 262 276 Teleologie 170-179 Termini, generelle 110 121f. 131 —: Sortale 121f. 131 Termini, singuläre 110 116-131 —: Allgemeinnamen 116 118 vgl. 36f. 48f. —: Eigennamen 116-127 vgl. 36f. 48 —: indexikalisch-deiktische Ausdrücke 116 121 —: Kennzeichnungen 116-120 122 124132 Teufel 96 129 vgl. 204 Theismus 81 94 97-100 124 126 130f. 197-225 (s.a. Monotheismus; Gottes Personalität) Theodizee 95 vgl. 201
325 Theologie —: Akademisierung 246 —, analytische 212 227 — d. Befreiung s. Befreiungstheologie —, kontextuelle 247 —, Perfect Being 123 128 132f. —, Praktische 254f. 277f. —, Philosophische 114 123 130 132f. 202 222 227 —, Systematische 21 25 194 202 239 Tibetisches Zentrum Hamburg 93 97 108 Tod 76 112 132 225 230 254 283f. 302 vgl. 28 (s.a. Jesu Tod) Todesstrafe 72 241 Todsünden 215 (s.a. Sünde) Toleranz 219f. 224-226 247 260 270-272 Tora 13 73 vgl. 10 Tötungsverbot 72 190 Tradition/en —, kulturelle 241 265 —, religiöse 81f. 84 101 104-106 128 138 151 155 159 163 167 171 177 180 187191 200 210 217f. 237 258 265 273 (s.a. christliche) —, jüdisch-christliche 258 —, christliche 237 240 243 245 256 258 265 275 285 298 —, kirchliche 237 298 vgl. 232 —, apostolische 186 240 —, patristische 243 —, monastische 245 —, mystagogische 252f. 267 Traditionalismus, islam. 66f. Transzendenz 84 91 107f. 135 143f. Trinität, göttliche 63f. 69 75 96 105 107 111 124f. 129 133 162-165 172 192 194 211f. 220 262 280 282 287 296 300 Tritheismus 75 Tübinger Schule 261 278 Tugenden 214 230 269 275 Tushita (= buddh.: ein Paradies) 87 Übel 202-204 206 208f. Übersetzbarkeit v. Gottesnamen 28-55 Übersetzung, kooperative 138 140 143 148 Übersetzungstheorien 145-149 Überzeugung/en —, religiöse 126 136-143 148 214 217 221 224 242 256 264 vgl. 144 215 —, säkulare 138 Überzeugungssysteme 217 221
326
Sachen
Umkehr/Metanoia 229f. 302 Umweltbedrohung 105 Ungerechtigkeit, soziale 105 Ungläubige, transweltliche 207f. Unheil/ssituation 90f. 215 301 Union, hypostatische 156 168 181 183 Universale concretum 18 25 vgl. 292 303 Universalgottheiten 30f. Universalität/Universalismus s. Christentum; Jesus Christus; Kirche; Geist, Heiliger; Heilsuniversalismus; Koran Universalreligion 84f. Upayakaushalya (= buddh.: Lehre v.d. geschickten Mitteln) 86 99 101 vgl. 100 Vaibhasika (= buddh. Schule der Großen Darlegung) 88f. Vaterunser 287 301 Verantwortung 71 77 84 95 107 222 224 256 293 Verdammnis, ewige 209 Verdienste, menschl. 15 87 102f. 205 Vergebung 300 Verheißungen, göttliche 6-10 12-15 21 279 291 293 Verkündigung —, christliche 5 49 60 73 75 80 167 192 214f. 220 226f. 230f. 236-238 242f. 246f. 283 296 304 vgl. 283 — des Mose 73 — Muhammads 73 75 Vernunft 139-142 144 148f. 156 206 291 302 304 vgl. 217f. (s.a. Religionen, Rationalität v.) —, autonome 141 —, philosophische 142 —, praktische 142 —, säkulare 138 140 145 148 Vernunftmoral 137 139 141-143 Versöhnung d. Menschheit durch Gott 170 293 Versuchung 301 Vervollkommnung d. Menschen 98 100 Victoria-Altar 30 Visio beatifica 181 209 215 221 293 Volk Gottes 2-4 9f. 12-14 16-18 20-22 25 43 vgl. 155 Völker, Aufteilung durch Gott 42f.
Völkerengel 34 43 Vollendung, Theorie d., s. “fulfillment theory” Vorsehung, göttl. 32 224f. Vorstellungen, religiöse 138 142 145 Wahrheit/sanspruch 20f. 30 58 82 91 93 96 100 105f. 108f. 112f. 115f. 122 124 131 133 145 147 163f. 180 187-190 192 198f. 201-205 207 210 214 216f. 219 223-225 254 272 288f. 292f. 295 Wahrheit, Korrespondenztheorie d. 113 133 Wandel, sozialer 68 Welten, mögliche 118-120 123-126 207f. 224 Weltgeschichte 156-159 164 175 194 vgl. 168 Weltkirche 264 276 Weltkongress, Islamischer 64 Werte 69 71 159 220 224 234 238f. 265 Wiedergeburt 87f. 96 98 104 Wirkliches an sich —, buddh. 91 — nach J. Hick 112-116 131 Wirkliches für uns (nach J. Hick) 112 115 Wirklichkeit, Einheit d. 91 Wirklichkeitsverständnis —, buddh. 87-93 96 98 101f. 105 —, christl. 71 90-93 96 98 105 124 202 218 223 284 288f. 300 vgl. 255 —, sonst. 218 Wirklichkeitszentriertheit 113 223 Wissen, mittleres s. scientia media Wissenssoziologie 143 149 Wohltätigkeit, Gebote d. 72 Wort Gottes 94 154 163-173 176 178f. 181 186 235 241 283 287 289f. 292-294 302f. (s.a. Logos) Zauberei (s.a. Magie) 34 44 54 Zeichen 183f. 194 Zeit, buddh. Verständnis v. 101f. Zentralkomitee d. deutschen Katholiken (ZdK) 1-3 24 Zeugnis, christliches 213 vgl. 182 Zufall 206f. 301