Shakespeares ‘Coriolanus’ in deutscher Bearbeitung: Sieben Beispiele zum literaturästhetischen Problem der Umsetzung und Vermittlung Shakespeares [Reprint 2018 ed.] 9783110836523, 9783110039979


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German Pages 198 [200] Year 1973

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Table of contents :
VORBEMERKUNG
INHALTSVERZEICHNIS
I. STOFF- UND WIRKUNGSGESCHICHTLICHE ASPEKTE ZU SHAKESPEARES ,CORIOLANUS'
II. DER KORRIGIERTE ,CORIOLANUS'
III. ,CORIOLANUS' ALS NACHEMPFINDUNG UND NEUDICHTUNG
IV. DAS EXPERIMENT MIT ,CORIOLANUS'
Schlußbemerkung: Experiment und Spiel
Literaturverzeidinis
Register
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Shakespeares ‘Coriolanus’ in deutscher Bearbeitung: Sieben Beispiele zum literaturästhetischen Problem der Umsetzung und Vermittlung Shakespeares [Reprint 2018 ed.]
 9783110836523, 9783110039979

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Komparatistische Studien Band 3 Shakespeares ,Coriolanus' in deutscher Bearbeitung

Komparatistische Studien Beihefte zu „arcadia" Zeitschrift für Vergleichende Literaturwissenschaft Herausgegeben von Horst Rüdiger Band 3

W _G DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1973

Shakespeares ,Coriolanus' in deutscher Bearbeitung Sieben Beispiele zum literarästhetischen Problem der Umsetzung und Vermittlung Shakespeares von Martin Brunkhorst

w DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1973

© I S B N 3 11 003997 4 Library of Congress Catalog Card Number 73 — 75483 Copyright 1973 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J* Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag» Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Triibner — Veit & Comp., Berlin 30 — Printed in Germany. Alle Rechte des Nachdrucks, der Ubersetzung, der photomechanischen Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten. Satz und Druck : Franz Spiller, 1 Berlin 36

„ Werden daher fremde dramatische Werke in Scene gesetzt, so hat jedes Volk ein Recht Umarbeitungen zu verlangen. Auch das Vortrefflichste bedarf in dieser Rücksicht einer Umarbeitung. Man könnte zwar sagen, das eigentlich Vortreffliche müsse für alle Zeiten vortrefflich seyn, aber das Kunstwerk hat auch eine zeitliche, sterbliche Seite, und diese ist es, mit welcher eine Aenderung vorzunehmen ist." G. W. F. Hegel, Sämtliche Werke, Jubiläumsausgabe in 20 Bdn, hg. v. H. Glockner, Bd. 12, Stuttgart &1953, S. 372.

VORBEMERKUNG Seit der Entdeckung Shakespeares im 18. Jahrhundert haben die Bemühungen, seine Werke dem deutschsprachigen Lese- und Theaterpublikum zugänglich zu machen, nicht aufgehört. Die im 19. Jahrhundert sich entwickelnde deutsche Shakespeare-Philologie hat die freieren Adaptionsmethoden einer vorangegangenen Zeit aufs schärfste verurteilt und statt dessen die Anstrengungen für eine wort- und sinngetreue Werkübersetzung unterstützt und gefördert. Dennoch finden sich gerade wieder auf dem Theater der Gegenwart Bestrebungen, Shakespeare den veränderten Bedingungen einer veränderten Welt anzupassen. Wie diese freien Bearbeitungen das Shakespeare-Bild einer Epoche entscheidend mitprägen, so sind sie selber auch immer schon in stärkerem Maße als die eigentlichen Ubersetzungen durch ein vorgefaßtes Shakespeare-Bild sowohl ihrer Autoren als auch ihrer Entstehungszeit geprägt. Shakespeare-Rezeption und Shakespeare-Adaption als historische Phänomene sind einander wechselseitig bedingende Größen. An sieben Beispielen soll im folgenden untersucht werden, wie das Coriolan-Drama als eines der weniger bekannten Shakespeare-Werke im Lauf der Jahrhunderte den verschiedensten Gesichtspunkten einer Umarbeitung und Neufassung unterworfen wurde. Von den bühnentechnisch bedingten Änderungen bis zur völligen Integration des ShakespeareWerkes in das dichterische Schaffen und den künstlerischen Ausdruckswillen eines anderen Autors soll eine möglichst große Vielfalt von Adaptionsmöglidikeiten jeweils auf dem Hintergrund ihrer historischen Bedingtheit und ihrer theoretischen Begründung betrachtet werden. Im ersten Kapitel werden stoff- und wirkungsgeschichtliche Aspekte untersucht und neben dem Shakespeare-Stück auch andere, von ihm unabhängige Coriolan-Dramen besprochen, die jedoch später unmittelbar oder in ihren literarhistorischen Auswirkungen für die ShakespeareBearbeiter widitig werden. Die den drei Hauptkapiteln angefügten Exkurse sollen die Einzelanalysen ergänzen und versuchen, das Bild der Coriolan-Rezeption und -Adaption jeweils für ein Jahrhundert zusammenzufassen und abzurunden. Die Anregung zu dieser Arbeit, die im Oktober 1970 der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Disser-

vra

Vorbemerkung

tation vorlag, gab Herr Professor Dr. Germer, der mir auch während der Abfassung mit seinem Rat stets geholfen hat und dem ich dafür an dieser Stelle danken möchte. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Komparatistische Studien" des de Gruyter-Verlages bin ich dem Herausgeber, Herrn Professor Dr. Rüdiger, verpflichtet. Ihm sowie Herrn Professor Dr. Habicht danke ich für Korrekturen und Verbesserungsvorschläge. Die Arbeit wurde ermöglicht durdi ein Doktorandenstipendium des Landes Schleswig-Holstein und durch ein Kurzstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für Nachforschungen an der Bibliothèque Nationale in Paris. Der Druck erfolgte mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

INHALTSVERZEICHNIS I. STOFF- UND WIRKUNGSGESCHICHTLICHE ASPEKTE ZU SHAKESPEARES .CORIOLANUS'

1. 2. 3. 4. 5.

Zur Historiographie und Problematik des Coriolan-Mythos Die ersten Coriolan-Dramen Gemeinsamkeit und Divergenz zwischen Hardy und Shakespeare Von Shakespeare bis Thomson Die ersten deutschen Coriolan-Übersetzungen

1 4 8 14 17

II. DER KORRIGIERTE .CORIOLANUS*

1. Jakob Michael Reinhold Lenz 1.1 Assoziatives Übersetzen 1.2 Prosaischer Stil und Sprachkomik 1.3 Analyse der ersten Szene 1.4 Coriolan als literarisches Programm

23 23 25 28 32

2. Johann Gottfried Dyk 2.1 Selektive und kompilatorische Adaptionsmethoden 2.1.1 Vergleich von Personenzahl, dramatischem Zeitraum und Schauplatz bei Dyk und seinen Vorlagen 2.1.2 Wörtliche Entsprechungen 2.2 Charakterzeichnung und Handlungsführung 2.2.1 Die dramatische Funktion der Frauengestalten 2.2.2 Charaktertragödie und Intrigenstück 2.2.3 Der versöhnliche Schluß und die Apotheose des Helden

34 35 35 36 39 39 42 45

3. Johann Friedrich Schink 3.1 Die einzelnen Stadien der Bearbeitung 3.2 Das Vorbild Schröders 3.3 Dramatische Einzelaspekte in Figurenzeichnung und Thematik 3.3.1 Die Imaginationskraft der Veturia 3.3.2 Patriotismus und Familieninteresse 3.4 Zu Theorie und Sprache der Shakespeare-Bearbeitung 3.4.1 Die Rettung Shakespeares 3.4.2 Sprachliche Umsetzungsprobleme 3.4.3 Sprachstil und Figurenkonstellation

47 48 50 52 52 54 57 57 59 61

Exkurs A : Wolfgang Heribert von Dalberg 1. Die Verbürgerlichung Shakespeares 2. Die Unbeliebtheit Coriolans im 18. Jahrhundert

62 64 66

X

Inhaltsverzeichnis III. .CORIOLANUS' ALS NACHEMPFINDUNG UND NEUDICHTUNG

4. Johannes Falk 4.1 Hintergrund und Theorie der freien Nachdichtung 4.1.1 Die Beziehung zu Goethe 4.1.2 Die Polemik gegen die Romantiker 4.2 Der Einfluß der deutschen Klassik 4.2.1 Natürliche und moralische Zweckmäßigkeit 4.2.2 Maß und Harmonie 4.2.3 Konzentrierung und Straffung der Fabel

68 68 68 70 73 73 77 79

5. Oswald Marbach 5.1 Geschichtsverständnis und Neudichtung 5.2 Die Technik der Neudichtung 5.2.1 Änderungen des Umfangs und der Personenzahl 5.2.2 Sprachliche Neuformung 5.3 Der literarhistorische Hintergrund und der Stand der Shakespeare-Forschung als bedingende Faktoren 5.3.1 Coriolan als Heroengestalt 5.3.2 Sentimentalität und Gefühlsexzesse 5.3.3 Realistische Detailfreudigkeit 5.3.4 Die Katastrophe

82 83 84 84 85

Exkurs B: Karl Gutzkow und Eduard Devrient 1. Starrollen und Ensemblespiel 2. Die politischen Implikationen

87 87 91 92 94 97 99 103

IV. DAS EXPERIMENT MIT .CORIOLANUS'

6. Bertolt Brecht 6.1 Die Stellung des Coriolan-Dramas in Brechts Auseinandersetzung mit Shakespeare 6.1.1 E. Engels Coriolan-Inszenierung 6.1.2 Das Julius-Caesar-Projekt 6.1.3 Die drei Stadien der Bearbeitung 6.2 Zur Technik der Neueinfügungen in den Volksszenen 6.2.1 Erweiterung der Personenzahl und stärkere Konturierung der Bürgerrollen 6.2.2 Das Gleichnis des Gärtners 6.3 Das Lied von der Dankbarkeit der Wölfin 6.3.1 Der doppelte Bezugshorizont 6.3.2 Das Lied als Selbstexposition des Sängers 6.4 Änderungen in der Figurenzeichnung 6.4.1 Die Parteiung der Klassen 6.4.2 Aufwertung der Tribunen und Emanzipation des Volkes 6.4.3 Die aporetisdie Situation der Volumnia

108 109 109 113 117 119 119 122 124 124 127 128 129 131 135

7. Günter Grass 138 7.1 Stofflich-thematische Verschiebungen 139 7.1.1 Der Arbeiteraufstand 139 7.1.2 Die Theaterprobe als Trauerspiel 143 7.2 Die partielle Shakespeare-Adaption 146 7.2.1 Normative und integrale Drameneinheit 146 7.2.2 Die dramatische Funktion der Zitate und Anspielungen 148 7.3 Kontrast und Parallelität — Coriolan als Chef und Schneiderpuppe . . . . 152

Inhaltsverzeichnis Exkurs C : 1. 2. 3.

Hans Rothe und Hans Hollmann Aufführungen und Übersetzungen im 20. Jahrhundert Die Verflachung und Banalisierung Shakespeares Die Relativierung der Klassizität

XI 156 159 161 165

Schlußbemerkung: Experiment und Spiel

170

Literaturverzeidinis 1. Coriolan-Texte 1.1 Deutsche Bearbeitungen 1.2 Deutsche Übersetzungen 1.3 Deutsche Dramen 1.4 Englische Dramen 1.5 Englische Bearbeitungen 1.6 Französische Dramen 1.7 Französische Bearbeitungen

173 173 173 173 174 174 175 175 175

2. Literatur zu K a p i t e l l

175

3. Literatur zu Kapitel I I

178

4. Literatur zu Kapitel I I I

179

5. Literatur zu Kapitel I V

181

Register

185

I. S T O F F - U N D W I R K U N G S G E S C H I C H T L I C H E ZU SHAKESPEARES ,CORIOLANUSc

ASPEKTE

1. Zur Historiographie und Problematik des Coriolan-Mythos Erst Th. Mommsen hat 1870 die durch zwei Jahrtausende hindurch unbestrittene historische Authentizität der Coriolan-Figur endgültig zerstört 1 und den angeblich aus der Genese der frührömisdien Republik stammenden Stoff als Geschichtsfälschung einer späteren Zeit nachgewiesen. Obwohl das großartige Heldenbild „seines gleichen kaum in der griechischen Überlieferung, geschweige denn in der farblosen römischen Chronik" findet2, handelt es sich dennoch um ein erst später in die römischen Annalen eingefügtes und „darum in allen Stücken denselben ungleichartiges und widersprechendes Einschiebsel", das als propagandistische Fiktion sozial gestiegenen Plebejerfamilien zur genealogischen Festigung ihrer Nobilitätsansprüche dienen sollte 3 . In vielen Elementen gesteht Mommsen dem Coriolan-Stoff schon in seiner präliterarischen Existenz „lebendige Bilder und poetische Motive von tiefster Wirkung" zu, spricht aber auch gerade deswegen mit Nachdruck von seiner „zu dem poetischen Werth im umgekehrten Verhältnis stehenden historischen Geringhaltigkeit" 4 . In der Folgezeit haben historisch-ethnologische Untersuchungen5 sogar den römischen Ursprung der Coriolan-Sage als unwahrscheinlich erwiesen zugunsten einer Akkumulationstheorie disparater Gründungs- und Pa-

1

Vgl. auch S. 1 2 8 - 1 3 8 ; finden wir, endgültigen Mommsen.

W . Ihne, Römisdie Geschichte, 8 Bde., Leipzig 1 8 6 8 - 1 8 8 6 , Bd. 1, S. 1 3 4 : „Wenn wir die vorstehende Erzählung im einzelnen prüfen, so daß kein einziger Zug derselben sidi als geschichtlidi halten läßt." Den und detaillierten Nachweis dieser Behauptung erbringt jedoch erst Th.

2

Th. Mommsen, Die Erzählung von Cn. Marcius Coriolanus, in: Hermes 4, 1870, S. 1 - 2 6 , Neudruck in: Th. Mommsen, Römisdie Forschungen, Bd. 2, Hildesheim 1962, S. 1 1 3 - 1 5 2 ; S. 142.

3

Ibid. S. 149 u. S. 152.

4

Ibid. S. 143 u. S. 149.

5

E . T. Salmon, Historical Elements in the Story of Coriolanus, in: The Classical Quarterly 2 4 , 1 9 3 0 , S. 9 6 - 1 0 1 .

1 Bronkhorst, Coriolanus

2

I. Stoff- und wirkungsgeschichtliche Aspekte zu Shakespeares

,Coriolanus'

tronatsmythen außerlatinischer Völkerstämme 6 . Erst durch die Transmutation einzelner Legendenmotive und durch ihre sukzessive Annektion für die Familienchronik der Gens Martia ist die Coriolan-Sage ins römische Geschichtsgut gelangt. Seine erste literarische Erwähnung findet der so als fiktiv erwiesene kriegerisch-aristokratische Mythenheld römischer Frühzeit in sporadischen Exempelverweisen Ciceros7. Die ersten ausführlicheren Darstellungen des Gesamtstoffkomplexes stehen bei Livius, Dionys von Halikarnaß und bei Plutarch. In der undramatischen Wendung vom hohen Alter, das Coriolan in der Verbannung bei den Volskern erreicht habe, bewahrt Livius im zweiten Buch seines römischen Geschichtswerks noch archaische Motive aus den ältesten Quellen8. Plutarch dagegen erhebt für die Coriolan-Vita in seinen Parallelbiographien berühmter Griechen und Römer, die sich ausschließlich auf die 'Pwnaixr) 'ApxctioXoyia des Dionys stützt 9 , in der dramatischen Durchgestaltung auch schon dichterische Ansprüche10. Hauptsächlich die drei letztgenannten Autoren bilden Basis und Ausgangspunkt für jegliche Coriolan-Darstellung der Folgezeit, die auf detailliertere Kenntnis des Stoffes angewiesen ist. Bestimmend für die Art der literarischen Verwendung des Coriolan-Stoffes bleibt jedoch von der Antike bis hin zur ausgehenden Renaissance die bei Cicero schon vorgeprägte Form des historischen Exempels. Oft nur anspielungsweise in den Duktus der Darstellung eingefügt, oft aber auch breiter ausgeführt, dient es zur geschichtlichen Fundierung, als Beleg und Illustration der vom jeweiligen Autor vertretenen Thesen. Doch gerade die Vielfalt dieser typologischen Verwendung bringt die unterschiedlichen Möglichkeiten der Ausdeutung des Coriolan-Stoffes in ganzer Breite zur Geltung. Cicero bezeichnet Coriolans Handlungsweise als ,impius' und stellt ihn negativ als Vaterlandsverräter neben das positive Beispiel des Themistokles, der den Tod dem Verrat vorzieht 11 . Valerius Maximus dagegen • Vgl. ibid. S. 98, A. 13. 7 Cicero ad Atticum (18. 4. 49 v. Chr.), Budi 9, Nr. 10, Letters to Atticus, with an English Translation by E. O. Winstedt, Bd. 2, London-Cambridge/Mass. 6 1966, S. 226 f.; Laelius de amicitia, Kap. 36 u. 42, in: De senectute, De amicitia, De divinatione, with an English Translation by W. A. Falconer, London-Cambridge/ Mass. 8 1964, S. 146 f. u. S. 154 f.; Brutus, Kap. 41, Brutus, with an English Translation by G. L. Hendrickson, London-Cambridge/Mass. 41962, S. 44 f. 8 Tite-Live, Histoire Romaine [lat.-frz.], hg. v. J. Bayet, übers, v. G. Baillet, Buch 3, Paris 1962, Kap. 32-40, S. 47-61; S. 60 f. • The Roman Antiquities of Dionysius of Halicarnassus, with an English Translation by E. Cary, Buch 6-8, Bd. 4 u. 5, London-Cambridge/Mass. 31962. 10 Plutarch's Lives, with an English Translation by B. Perrin, 11 Bde., Bd. 4, London 4 1959, S. 117-231. 11 Ad Atticum Buch 9, Kap. 10, op. cit. S. 226: „impie Cariolanus, qui auxilium petiit a Volscis, recte Themistocles, qui mori maluit."

1. Zur Historiographie

und Problematik des

Coriolan-Mythos

3

führt Coriolan als erstes und vornehmstes Beispiel der Pietät gegenüber Eltern, Geschwistern und Vaterland an12. Obwohl diese beiden Extreme einer möglichen Wertung in der Folge der Jahrhunderte mannigfache Modifikationen erfahren, bleiben doch beide gleicherweise erhalten. Dadurch wird das Coriolan-Bild in der literarischen und historiographischen Tradition uneinheitlich und erscheint oft sogar innerhalb derselben Epoche gespalten. Der strahlende und bescheidene Held der Volsker-Kriege erweckt Rührung in seiner zu Unrecht erfolgten Verbannung durch intrigante Tribunen und undankbaren Pöbel. Doch der Vaterlandsverräter, der mit dem ganzen Zorn seines enttäuschten Ehrgeizes und gedemütigten Stolzes auch nicht durch die Bittgesandtschaften der Priester und der ehemaligen Freunde und Parteigänger von dem kategorischen Beschluß der Zerstörung seiner Vaterstadt ablassen will, erscheint widernatürlich und erweckt Abscheu. Der liebende Gatte, der zärtliche Vater und gehorsame Sohn, der den Bitten seiner Familie nachgibt, Rom verzeiht und sich damit selbst dem Untergang preisgibt, ist dagegen wiederum rührend und in seiner Haltung vorbildlich. Je nadi der jeweiligen Akzentuierung der positiven oder negativen Aspekte dieser Motivkette wird die Coriolan-Figur idealisiert zum Prototyp von Tapferkeit, Tugend, Aufrichtigkeit und Pietät, oder aber angeprangert als Inbegriff des adelsstolzen, jähzornigen, eigensinnig-egozentrischen und auf Rache bedachten Bedrohers der eigenen Heimat. Das System der Gleichsetzung von persönlichkeitsbezogenem Stoffkreis und begriffsorientiertem Problemkreis, das seinen Ursprung in den typologischen Denkformen der Spätantike und des frühen Mittelalters hat, kann im Falle Coriolans nie abschließend zur Anwendung gebracht werden. Die einander zuzuordnenden Größen sind nicht deckungsgleich. Während z. B. der Brutus-Stoff das Diskussionsmaterial für das Problem des Tyrannenmordes ergibt und der Dido-Stoff dem Thema der verlassenen Geliebten gleichzuordnen ist, fällt der Coriolan-Stoff auseinander in die Problematik des Vaterlandsverrats einerseits und die der Kindesliebe bzw. Familienbindung andererseits — um nur zwei Hauptaspekte des motivreichen Stoffes zu nennen. H a t die Gestalt des Brutus eine den geistesgeschichtlichen Strömungen entsprechende unterschiedliche Wertung erfahren, je nach dem Vorherrschen naturrechtlicher oder absolutistischtheokratischer Rechtsvorstellungen von der Staatsverfassung, so hat 18

1*

Vgl. Valerie Maximi factorum et dictorum memorabilium libri novera, hg. v. K. Halm, Leipzig 1865, Budi 5, Kap. 3, S. 243: De pietate erga parentes et fratres et patriam; vgl. auch ibid. Buch 4, Kap. 3, S. 178: De abstinentia, wo Cariolan (§ 4, S. 179) ebenfalls als positives Beispiel angeführt wird.

4

7. Stoff- und wirkungsgeschichtliche

Aspekte zu Shakespeares

,Coriolanus'

Coriolan stets eine gleichzeitige Ambivalenz der Gefühle erweckt. Der jeweilige Autor kann lediglich durch Auswahl einzelner und Unterdrückung anderer Motive in einer in ihren Einzelmomenten stets gleichbleibend ablehnend oder zustimmend bewerteten Motivkette zu einer endgültigen Wertung gelangen.

2. Die ersten Coriolan-Dramen Obwohl der Römertragödie bei der Entstehung des neueren europäischen Dramas in der italienischen Renaissance eine originäre Stellung zukommt, erfährt der Coriolan-Stoff erst relativ spät seine dramatische Gestaltung. Erst als neben der duldend-erleidenden, meist weiblichen Titelfigur - Sophonisbe, Dido, Cleopatra - am Ausgang des 16. Jahrhunderts der tatkräftigere Held an Bedeutung gewinnt13, der als aktiver Opponent der Schicksalsmächte sich kämpfend gegen das ihm zugedachte Los auflehnt, wird auch Coriolan für die Bühne aktuell. In der gleich vierfachen dramatischen Ausführung des Themas in den in unmittelbarer zeitlicher Abfolge stehenden Werken Kirchners, Thierrys, Hardys und Shakespeares bietet sich das Bild einer Entwicklungsreihe in chronologisch-perspektivischer Verkürzung. Von der lateinischen Gelehrsamkeit des humanistischen Schuldramas über den ersten sich noch eng an die neulateinische Tradition anlehnenden Versuch in der Umgangssprache führt die hypothetische Entwicklungslinie dieser zufälligen Gruppierung zu der rhetorisch-theatralischen Perfektionierung des Coriolan-Stoifes durch den ersten französischen Berufsdramaturgen und schließlich zur Vollendung der dramatischen Gestaltung bei Shakespeare. Der erste Versuch der Dramatisierung des Coriolan-Stofies durch H . Kirchner bedingt schon vom didaktischen Ansatz des Schuldramas her den moralischen Exempelcharakter des Dargestellten 14 . Als Prologus figuriert Ira, die mit dem Hinweis auf ihre menschenmordende, alles vernichtende Macht das Thema angibt für einen szenischen Traktat über die negativen Folgen unbeherrschter Leidenschaft. Doch Wut und Zorn des unrechtmäßig Verbannten zerbrechen schließlich an dem Gefühl der Sohnestreue und Mutterliebe; und mit dem Lob

13

14

Leider nur für das französische Drama wird dieses Phänomen dargestellt bei M. Sakkaroff, Le héros, sa liberté et son efficacité de Garnier à Rotrou, Paris 1967. Cariolanus tragicomica auctore H . Kirchnero, Marburg 1599, aufgef. Straßburg 1608; Inhaltsangabe bei Th. Odinga, Hermann Kirchners Coriolanus, in: Deutsche Vierteljahrssdirift 4, 1891, S. 566-578.

2. Die ersten

Coriolan-Dramen

5

der Frauen endet das Stück im Triumph über die Rettung Roms und über die Unterdrückung blindwütiger Rachgier: „Nam quod viri Nec prudentissimi omnes nec fortissimi Efficere potuerunt, mulieres fecimus. Nostris consiliis et ope urbem servavimus Iramque hostilem fregimus 15 ." In anderem Zusammenhang, aber in ähnlicher Weise findet sich diese Opposition gegen den Irrationalismus der Triebe und Instinkte eines nicht gott-, sondern tierähnlichen ,homo iratus' oder ,furiosus' auch noch bei Shakespeare in Aufidius' Einsicht in das verderblidie Moment unbeherrschter Leidenschaften: „My rage is gone, A n d I am Struck with sorrow 16 ."

Während bei Shakespeare jedoch die kathartische Wirkung des Geschehenen erst angesichts der Bluttat einsetzt, behandelt Kirchner denselben Stoff in unproblematischerer Form als Tragikomödie. Er begründet damit eine Tradition der Coriolan-Darstellung 17 , die in ihrer heroischen Dignität schnell deteriorierend über Calderons ,Las Armas de la Hermosura' - ein Hof- und Intrigenstück im feudal-galanten Milieu - bis zu dem Wiener Schwank des W. J. Trnka reicht18. Ähnlich wie Kirchner beginnt auch P. Thierry sein Drama mit dem Rachemonolog des in die Verbannung scheidenden Helden: „ A Dieu mon beau soleil, à Dieu ma diere vie, le cognoy ta19 raison: mais un désir vengeur Est desia le plus fort campé dedans mon coeur: Il faut, il faut mourir, ou auoir ma reuenche20." In der ausweglosen Alternativposition von Rache und Tod ist der Coriolan-Stoff hier zuerst in den metaphysischen Bezugshorizont der 15 16

17

18 19 80

Zitiert nach Th. Odinga, op. cit. S. 575. W. Shakespeare, The Tragedy of Coriolanus, hg. v. J. D. Wilson, Cambridge 1964, 5. 6 . 1 4 7 f. Vgl. zur komischen Gestaltung des Coriolan-Stoffes in Frankreich die musikalische Gesellschaftsfarce von Beffroy de Reigny, Coriolinet ou Rome sauvée, Folie héroi-comique, en vaudevilles et en trois actes, Paris 1786. W. J. Trnka, Coriolanus, Ein dramatischer Schwank, Wien 1849. Coriolan spricht zu seiner Frau. P. Thierry, Sieur de Mont-Justin, Coriolanus, 1600, in: Les œuvres premieres du Sieur de Mont-Iustin, Pontoise 1601, 1. 1, S. 11, zitiert nach E. Forsyth, La tragédie française de Jodelle à Corneille, Paris 1962, S. 234. Thierrys ,Coriolanus' wird zum erstenmal von E. Forsyth, ibid. S. 232-235, besprochen.

6

I. Stoff- und wirkungsgeschichtliche

Aspekte

zu Shakespeares

¡Coriolanus'

.hohen' Tragödie gestellt. Als unaufhaltsam zur Katastrophe führend werden die anfänglichen Rachegefühle zum alles beherrschenden Grundthema. Nach dem ersten freien Entschluß zur Rache verfällt das Individuum der Gesetzmäßigkeit eines blinden Vergeltungsmechanismus und ist in seinen Aktionsmöglichkeiten nur scheinbar noch frei. Indem der aktive Protagonist in gesteigerter Rachbegier zur Handlung drängt, bewirkt er nur die Beschleunigung des tragischen Geschehens: „O grand Dieu des combats, fay naistre dans mon coeur Le désir immortel d'vne haineuse vengeance, Et abba soubs mes pieds la superbe insolence De ceste hydre testu, qui mesprise les dieux, Et qui tousiours s'oppose aux hommes vallereux 21 ." Nicht mehr Terenz oder Plautus sind das Vorbild des Dramatikers 22 , sondern Seneca, der als Initiator eines Theaters des Schreckens und der Rache verstanden wird. Als Coriolan durch die an Vernunft und Römertugend appellierende Mutter in seiner Racheabsicht gehindert wird, muß notwendig die Gegenhandlung der getäuschten und jetzt ihrerseits auf Vergeltung bedachten Volsker einsetzen. Durch den reziproken Prozeß einer automatischen Rachemechanik der .tragédie de vengeance' ist der Tod des Helden als .exitus horribilis' unausweichlich. In dieser absoluten Konsequenz eines rein materiell begründeten Interessenstreites zwischen Römern und Volskern geht Coriolan zugrunde. Dem gerechten Zorn des um seinen militärischen Erfolg betrogenen Widersadiers stehen die warnend-unversöhnlichen Schlußworte zu: „Ainsi puissent périr tous ceux qui, comme toy, Perfides fausseront leur honneur et leur foy 23 ." Bei A. Hardy, einem Exponenten des französischen ,préclassicisme' oder ,pré-baroque' 24 , wird die Verhaltensweise Coriolans in der Aufschlüsselung ihrer Beweggründe zum erstenmal als menschlich-tragische Größe eines stolzen Charakters verstanden 25 . Obwohl Hardy durchaus 21 22

23 24

25

Thierry, Coriolanus Akt 2, S. 22, zitiert nach E. Forsyth, op. cit. S. 234. G. Skopnik, Das Straßburger Sdiultheater, Frankfurt/M. 1935, weist S. 87, A. 24 bei Kirchner wörtlidie Ubernahmen aus dem Plautinischen ,Miles gloriosus' nach, und Kirchner selber nennt in seiner Vorrede Terenz als stilistisches Vorbild. Thierry, Coriolanus Akt 5, S. 77, zitiert nach E. Forsyth, op. cit. S. 235. Vgl. zu dieser Terminologie K. Reichenberger, Der literarische Manierismus des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts in Frankreich, Ein Forschungsbericht, in: Romanistisches Jahrbuch 13,1962, S. 76-86; S. 77 f. A. Hardy, Coriolan, Tragédie, in: Le théâtre d'Alexandre Hardy, Parisien, B d . 2 , Paris 1625, S. 103-188; aufgef. zwischen 1605 u. 1615; vgl. zur Datierung H. C. Lancaster, A History of French Literature in the Seventeenth Century,

2. Die ersten Coriolan-Dramen

7

noch nicht auf eine theaterwirksame ,impression d'horreur' verzichtet, weicht in seinem .Coriolan' der einseitige Determinismus einer kausal verknüpften Rachehandlung jetzt schon dem Ansatz zur Psychologisierung der Charaktere. In der Vorwegnahme ,klassischer Dämpfung' einer folgenden Epoche26 liegt der primäre Akzent nicht mehr auf dem Schauder der Ermordung des Protagonisten. Vielmehr verlagert sich die Tragik der Personen in die Sphäre eines moralischen Konfliktes: „Et c'est justement ici que le dramaturge accorde au thème de la vengeance un rôle moins apparent, mais plus proprement tragique 27 ." Zwar wird noch kein charakterimmanenter Konflikt, noch nicht das Individuum im Widerstreit seiner Gefühle dargestellt, doch im Gegeneinander der Personen zeigt sich schon ein Konflikt der Meinungen und Intentionen, der über ein rein materielles Zweckdenken hinausführt. Die Absichten Coriolans und seiner Mutter stehen sich im Dialog diametral gegenüber, genauso wie die des adelsstolzen Römers und der aufgebrachten Volksmenge. O. Nadal konstatiert für dieses durch Hardy inaugurierte Theater des ,conflit de volontés' 28 den Anfang einer Dramenästhetik, „qui ne tire plus son efficacité de l'horreur ou de la pitié, mais de l'admiration" 29 . Die Bewunderung gilt jetzt dem Ideal einer heroischen Römertugend, wie sie in der glanzvollen Deklamationskunst der großen Staatsreden Hardys zum Ausdruck kommt. Coriolan ist das Bild des strahlenden Barockhelden ,en pompe solomnelle'30, dessen tragisches Scheitern in der dramatischen Analyse seiner spezifischen Situation erklärt und entschuldigt wird und der weniger durch eigenes Verschulden als durch die Intrige seiner Antagonisten einer fanatisierten Soldatenschaft zum Opfer fällt. Als heroisch-tugendhaftes Menschenideal wird Hardys CoriolanFigur zum vorbildlichen Bestandteil einer französischen Coriolan-Drama-

26 27 28 29

30

Teil 1, Bd. 1, Baltimore-Paris 1929, S. 42-45. Wegen der Unsicherheit der Datierung sowohl für Shakespeares als auch Hardys Coriolan-Drama ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden, welches früher entstanden ist. E. Rigai, A. Hardy et le théâtre français, Paris 1889, S. 75, gibt aus unsicherer Quelle 1607 als Aufführungsdatum für Hardys .Coriolan' an. O. Gareis, Die dramatischen Bearbeitungen des CoriolanStoffes in Frankreich, Diss. phil. Erlangen 1919, übernimmt S. 23 diese Angabe. Vgl. K. Reidienberger, op. cit. S. 77. E. Forsyth, op. cit. S. 338. Ibid. S. 338. O. Nadal, La scène française de l'Alexandre Hardy à Corneille, in: J. Tortel, Le préclassicisme français, Paris 1952, S. 208-217; S. 210. Hardy, Coriolan S. 105; zum allgemeinen Bild des französischen Barockhelden vgl. W. Rehm, Römisch-französischer Barockheroismus und seine Umgestaltung in Deutschland, in: Garmanisch-romanische Monatsschrift 22, 1934, S. 81-106 und S. 213-239; bes. S. 83 fi.

8

I. Stoff- und wirkungsgescbichtliche

Aspekte

zu

Shakespeares,Coriolanus'

tik, die in den folgenden drei Jahrhunderten zu einer Reihe von zwanzig selbständigen Coriolan-Dramen anwächst 31 . Weniger durch Thierry 32 als im eigentlichen Sinne erst durch Hardy wird so der Coriolan-Stoff in eine französische Tragödientradition einbezogen, die dazu beiträgt, den Rom-Gedanken weit über die folgende Klassik hinaus zur kulturell-nationalen Leitidee Frankreichs zu entwickeln33. Bereits durch seine Quantität aber wird der bis ans Ende des 19. Jahrhunderts reichende Bestand an französischen Coriolan-Dramen von größter Bedeutung für eine deutsche Coriolan-Dramatik, die selbst da, wo sie sich als Shakespeare-Bearbeitung versteht, in ihren Anfängen immer schon an einer französisch-klassizistischen Dramenästhetik orientiert ist. Gerade aber die ersten deutschen Bearbeitungen des Shakespeareschen ,Coriolanus 1 , die nicht ausdrücklich - wie bei Lenz - als Negation und Uberwindung eines ,französierenden' 34 Theaters konzipiert sind, übernehmen - wie bei Dyk, Schink und Dalberg - neben formalen Merkmalen des französischen Klassizismus auch inhaltliche Momente der französischen Coriolan-Tradition. D a Kirchners Tragikomödie ohne direkte Nachfolge bleibt, gelangt die von Thierry und Hardy begründete dramatische Tradition des Coriolan-Stoffes in Frankreich zu einer Rahmen- oder Kontrastposition gegenüber der sich in Deutschland erst allmählich durchsetzenden Shakespeareschen Version.

3. Gemeinsamkeit und Divergenz zwischen Hardy und Shakespeare Obwohl Seneca nur mittelbar, d. h. in seiner Brechung in den Werken Grévins und Garniers, für Hardy von Bedeutung wird, bleibt die Ermordung Coriolans auf offener Bühne unter dem Blickwinkel der folgenden Klassik dennoch ein Verstoß wider die Regeln der ,bienséance' und stellt Hardys Tragödie in thematische Beziehung zu einer Gruppe fran-

st

82 33

34

O. Gareis, op. cit. S. 1 f., führt 18 französische Coriolan-Dramen an; hinzu kommen das von P. Thierry und ein lateinisches Jesuitendrama, das 1683 am Collège Louis le Grand aufgeführt wurde (Theaterzettel: Bibliothèque Nationale Yf 2636). Über das bei E. Rigal, op. cit. 332, A. 1, erwähnte lateinische Stück von 1608 konnte ich nichts ausfindig machen. Er bleibt literarisch wirkungslos. Vgl. E. R. Curtius, Die französische Kultur, Eine Einführung, Stuttgart-Berlin 1931, bes. S. 178. G. E. Lessing, Sämtliche Schriften, hg. v. K . Lachmann, Bd. 8, Stuttgart 3 1892, S. 42.

3. Gemeinsamkeit

und Divergenz

zwischen Hardy und

Shakespeare

9

zösischer Dramen ,du sang, de la volupté et de la mort' 35 , die um die Jahrhundertwende ein Wiederaufleben von Elementen mysterienspielhafter Grausamkeit bezeugen. Im Hinblick auf analoge Erscheinungen des gleichzeitigen elisabethanischen Theaters hat R. Lebègue diese Dramen unter dem Titel einer ,tragédie shakespearienne en France' zusammengefaßt. Während über solche geistesgeschichtlichen Parallelphänomene hinaus f ü r Hardys ,La mort d'Achille' und Shakespeares ,Henry V' sogar direkte Abhängigkeit postuliert worden ist36, liegt die oft bis in den Wortlaut reichende Ubereinstimmung der Coriolan-Dramen beider Dichter dagegen nur in der intensiven Benutzung ihrer literarischen Quelle begründet: Beide folgen aufs engste den ihnen zur Verfügung stehenden respektiven Plutarch-Übersetzungen 37 . Während Shakespeares Coriolan, Th. North folgend, angesichts der Frauengesandtschaft ausruft: „Let it be virtuous to be obstinate" 38 , kann Hardys Vorlage f ü r die gleiche Selbstermahnung nicht sehr von Amyots Plutarch-Übersetzung abgewichen sein: „Arme toy de constance inflexible 39 ." Ähnlich wie Shakespeares Volumnia ihrem Sohn droht: „thou shalt no sooner / Mardi to assault thy country than to tread - / [ . . . ] - on thy mother's womb" 40 , tut sie es auch bei Hardy: „Sur mon corps trépafié tu passeras en armes, Conduisant à l'assaut la fleur de tes gens d'armes 41 ." 35

35

37 38

39

40

41

R. Lebègue, La tragédie .shakespearienne' en France au temps de Shakespeare, in: Revue bimensuelle des cours et conférences 38, 1937, 2" série, S. 385—404, S. 621-628 und S. 683-695; S. 388. Vgl. H. H. Lancaster, A. Hardy and Shakespeare, in: Todd Memorial Volumes, Philological Studies, Bd. 2, hg. v. J. D. Fitz-Gerald u. P. Taylor, New York 1930, S. 3-6; S. 4 f. Shakespeare benutzte Th. Norths Amyot-Übersetzung, Hardy dagegen benutzte eine andere als die Amyot-Übersetzung: vgl. O. Gareis, op. cit. S. 24. Shakespeare, Coriolanus 5.3.26; vgl. The lives of the noble Grecians und Romains, compared together by [ . . .]Plutardi of Chaeronea, Translated out of Greeke into Frendi by James Amiot [ . . .]and out of Frendi into English by Sir Thomas North [ . . . ] , London 1631, S. 238: „he determined at the first to persist in his obstinate and inflexible rancor." Hardy, Coriolan S. 167; vgl. Les vies des hommes illustres grecs et romains, Comparées l'vne auec l'autre par Plutarque de Cheronee, translatées par M. Jacqves Amyot [ . . . ] , 2 Bde., Paris 1606, Bd. 1, S. 311 b: „il voulut du commencement perseuerer en son obstinee & inflexible rigueur." Shakespeare, Coriolanus 5.3.122 f.; vgl. Th. North, op. cit. S. 239: „thou shalt no sooner mardi forward to assault thy country, but thy foot shall treade vpon thy mothers wombe"; die Differenz zwischen Plutarch, Amyot und Shakespeare gerade mit Bezug auf die Volumnia-Szene (5.3) analysiert H. Heuer, From Plutardi to Shakespeare, A Study of Coriolanus, in: Shakespeare Survey 10, 1957, S. 50-59. Hardy, Coriolan S. 169; vgl. J. Amyot, op. cit. S. 312 a: „tu n'iras iamais assaillir ny combattre ton pays, que premièrement tu ne passes par dessus le corps de celle qui t'a mis en ce monde."

10

I. Stoff- und wirkungsgescbichtliche Aspekte z« Shakespeares

,Coriolamts'

Neben solchen noch leicht zu vermehrenden Beispielen einer wörtlichen Übernahme beider Dichter aus ihrer Vorlage wird die Ähnlichkeit beider Coriolan-Dramen noch durdi eine epochal bedingte vergleichbare Benutzung klassischer Mythologie zur Poetisierung der Sprache verstärkt. Schon bei Thierry findet sich der Vergleich der rebellierenden Volksmenge mit der sagenhaften Hydra der Antike 42 , und obwohl er weder bei Plutarch noch bei seinen Übersetzern vorgegeben ist, verwendet Coriolan diesen rhetorischen Topos sowohl bei Hardy als auch bei Shakespeare43. Die entscheidende Divergenz der beiden Dichter zeigt sich jedoch in der Anlage der Charakterzeichnung ihrer Titelhelden. Aus Plutarchs Bemerkung „ovv. rjtTov &JIÖ Tüiv löywv fj rcov ojtXouv"44 leitet Hardy eine rhetorische Begabung Coriolans ab, die es ihm als Volks- und Senatsredner ermöglicht, ein ihm feindliches Publikum zumindest vorübergehend umzustimmen, „d'appaiser leur courroux,/ Par le miel distile de sa langue plus doux" 45 . Die volskische Ratsversammlung entzieht sich nur mit Mühe der,betäubenden' Redekunst des Helden 48 . Für alle folgenden Coriolan-Dramen wird diese Beredsamkeit immer wieder dort relevant werden, wo der Dramatiker auf die Selbstdarstellung des Helden zur Explikation seiner Handlungsmotive und seiner Gewissenskonflikte angewiesen ist. Shakespeare dagegen verzichtet auf eine solche direkte sprachliche Selbstexposition seiner Titelfigur. Nicht nur der Eingangsmonolog des Helden, wie ihn alle drei vorangehenden Coriolan-Dramen aufweisen, fehlt jetzt, sondern Monologe sind für Shakespeares Coriolan überhaupt ungewöhnlich47. Wo ihm aber im Gespräch längere Reden zukommen, tragen diese eher durch ihren subjektiv-emotionalen Gehalt als durch ihren faktisch-objektiven Informationswert zur Charakteristik des Protagonisten und zur Fortführung der Handlung bei. Das rhetorische Ungeschick Coriolans wird bei Shakespeare zur Basis einer komplexen

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45 46 47

Vgl. das Zitat bei E. Forsyth, op. cit. S. 234: ,hydre testu'. Vgl. Hardy, Coriolan 1.1, S. 110: „hydre cent fois testu" und S. 116: „cest hydre mutin" mit Shakespeare, Coriolanus 3.1.93: „Hydra" und 4.1.1 f.: „The beast/ With many heads"; E. Rigal, op. cit. S. 256 weist zudem noch auf eine bei beiden Dichtern vergleichbare dramatische Behandlung der Volksmenge hin. Plutarch's Lives, Kap. 27, op. cit. S. 182; vgl. ibid. S. 183: „they saw from his speech that he was as eloquent as his exploits in arms had taught them that he was warlike." Hardy, Coriolan S. 186. Hardy, Coriolan S. 180: „Le traistre n'a que trop nostre teste estourdie." Coriolan spricht nur dreimal allein auf der Bühne: 2.3.111 ff., 4.4.1 ff., 4.4.12 ff., außerdem ein Aside: 5.3.22 ff.; T. J. B. Spencer, Coriolanus, in: Shakespeare, The Writer and his Work, hg. v. B. Dobr^e, London 1964, S. 318-328, S. 321, sieht lediglich 4.4.12 ff. als eigentlichen Monolog an.

3. Gemeinsamkeit

und Divergenz

zwischen Hardy und

Shakespeare

11

Charaktergestaltung. Als Inkarnation des Soldatentyps 48 und als konsequente Ausformung des „man of action seen in action" 49 steht Coriolan, der das Handeln dem Reden vorzieht, in direkter Antithese zum gewandten, staatsklugen Redner: „when he speaks not like a citizen, You find him like a soldier 50 ." D a Shakespeare seinen Protagonisten schon vor dessen erstem Auftritt in indirekter Exposition unter dem Blickwinkel der Gegenpartei vorstellt und ihn selber dann einführt durch unmittelbare Integration in den bewegten Handlungsablauf, überwindet er nicht nur eine statischberichtende Charakteranalyse, sondern verzichtet auch auf eine Objektivität beanspruchende Selbstexplikation der Figur. Indem die dynamische Aktionsentfaltung des Titelhelden in steter Eskalation in der Alleineroberung Coriolis ihre erste Klimax findet51, behandelt Shakespeare jetzt aber auch im Vergleich mit seinen französischen Zeitgenossen und deren Nachfolgern in der Dramatisierung des Coriolan-StofFes den chronologisch breitesten Ausschnitt aus der Lebensgeschichte des römischen Helden. Während Hardy noch die tragische Konsequenz des Geschehens aus der Problematik des Rachebegehrens seines Helden ableitet 52 , versucht Shakespeare, sie aus der fundamentalen Charakterdisposition heraus zu entwickeln. Aufbau und Anlage der Charakterzeichnung, zugleich aber auch die damit identische Aufweisung einer ursächlich notwendigen Tragik erfordern jetzt den Rückgriff auf chronologisch frühere Stadien eines Geschehenskomplexes, der in seiner Gesamtheit als untrennbare Totalität verstanden wird. Die Coriolan-Dramen in der Nachfolge Hardys zielen auf eine dramatische Analyse des Kulminationspunktes einer tragischen Situation und 48

49

50 51 52

Vgl. J . D . Wilson, Introduction zu: W. Shakespeare, Coriolanus, S. X L : „this great, unselfconscious, and tempestuous soldier"; Shakespeare selber charakterisiert den Typ des Soldaten in: As You Like It, hg. v. A. Quiller-Couch und J . D. Wilson, Cambridge 1926, 2.7.148-53: „Then a soldier, / Full of strange oaths, and bearded like the pard, / Jealous in honour, sudden and quick in quarrel, / Seeking the bubble reputation / Even in the cannon's mouth." H . Granville-Barker, Prefaces to Shakespeare, 2 Bde., Princeton/N. J . 1947, Bd. 2, S. 151. Shakespeare, Coriolanus 3.3.53 f. Ibid. 1.4. Vgl. den Anfang des Eröffnungsmonologs Coriolans bei H a r d y (1.1, S. 107 f.) : „S'il est vray, Iupiter, que ta dextre équitable Soit aux actes mesdians seuere, et redoutable, Si tu portes vn foudre à vanger les mesfaits, Par vne tourbe ingrate à l'innocence faits, N e puniras-tu point l'audace criminelle?"

12

I. Stoff- und wirkungsgescbicbtlicbe

Aspekte

zu Shakespeares

,Coriolanus'

setzen daher stets erst mit der Darstellung ein „au moment où s'engage le véritable conflit tragique" 53 . Shakespeare dagegen versucht, die .ganze Geschichte' als einheitliche Synthese der den tragischen Ausgang bedingenden und verständlich machenden Einzelmotive szenisch zu vergegenwärtigen, soweit das im Rahmen eines Theaterstückes möglich ist. Unter Zurückdrängung des Rachemotivs ist die französische CoriolanDramatik des 18. und 19. Jahrhunderts stärker um die emotionale Pathetik und die rührende Situation der ihren Sohn um Versdionung Roms anflehenden Mutter zentriert: „C'est pour cette situation que tout auteur d'un Coriolan a composé ou composera sa pièce54." Eine solche durch ihre Beschränkung auf den letzten Lebensabschnitt des Helden einseitig verkürzte Geschichte des bekehrten Verräters, der seinen Abfall mit dem Tode büßt, krankt an einer gewissen Armut des Konflikts und der Handlung 55 .Voltaire soll über den Coriolan-Stoff gesagt haben: „Ce sujet ne fournit qu'une seule scène58." Shakespeare greift auf die Vorgeschichte dieser Szene zurück, komprimiert aber dennoch zugleich die bei Plutarch über einen langen Zeitraum verstreuten Höhepunkte der Lebensgeschichte in ihrer zeitlichen Entwicklung und in ihrer logischen Verknüpfung; er faßt sie zu einer neuen verkürzten Einheit zusammen und zeigt damit zuerst die eigentlichen dramatischen Möglichkeiten des Stoffes. Die Zuspitzung des Geschehens auf ein einzelnes zentrales Handlungsmotiv, das in diskursiven Dialogen erörtert wird, weicht so einer reliefartig-breiten, gerade dadurch aber auch komplexen Verkörperung der Figuren selbst. Indem er die ideelle Sukzession von Retrospektive und Reflexion weitgehend durch eine progressive Abfolge konkreter, dramatischer Handlung ersetzt, gelingt es Shakespeare jetzt, die ganze moralische Zweideutigkeit der Hauptfigur des ursprünglichen, römisch-antiken Stoffes zu bewahren. Hardys ,Coriolan' ist gerade durch die Unregelmäßigkeit' einer oft den Schauplatz wechselnden, dramatisch bewegten Handlung mit dem Terminus eines ,Shakespearehaften Stils' beschrieben worden 57 . Umgekehrt hat man an Shakespeares letztem Römerdrama, das zugleich auch seine letzte Tragödie ist, stets die klassische Strenge des Aufbaus und die

53

E. Forsyth, op. cit. S. 341, mit Bezug auf Thierrys .Coriolanus'.

54

Tronchin, Avertissement zu seinem .Coriolan', in: Trondiin, Mes dramatiques, Bd. 5, Genf 1784, S. 147.

55

Vgl. E. Frenzel, Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart 2 1963, S. 113.

56

O. Gareis, op. cit S. 230 berichtet über diesen Ausspruch Voltaires.

57

Vgl. H . H . Lancaster, op. cit. S. 3: „Resemblance between Hardy and Shakespeare has been so often noticed that it has become a commonplace to call the former a Shakespeare .manqué'."

récréations

3. Gemeinsamkeit

und Divergenz zwischen Hardy und Shakespeare

13

logische Konsequenz der Handlungsführung betont 58 . Während einerseits die dichterische Disziplin und die Ökonomie in der Verwendung dramatischer Mittel im ,Coriolanus' bewundert wird, wird andererseits eine gleichzeitige „poverty in poetic appeal" als Ausdruck der Distanz und des Disengagements Shakespeares gegenüber seinem dramatischen Helden angesehen59: „Shakespeare treats Caius Martius himself detachedly, as a judge might, without creative warmth 60 ." Positive und negative Züge sind aufs sorgfältigste ausbalanciert in einer auf Abstand bedachten, objektiven Darstellung des Protagonisten. Während gerade die folgerichtige Durchführung dieser dichterischen Haltung die Apologeten des Coriolan-Dramas als dramatische Technik fasziniert 61 und T. S. Eliot es sogar als Shakespeares „most assured artistic success" bezeichnet62, hat jedoch diese Einstellung Shakespeares seinem Stoff gegenüber dazu geführt, sein Werk zu einem ,unpopular play' werden zu lassen63. Durch die Begrenztheit und Enge seines Bewußtseinshorizontes wird Coriolan in seinem unstreitig großartigen Krieger- und Heldentum zu einer Gestalt von unsympathischer Größe. Gerade in dieser Auffassung des Stoffes hat Shakespeare die widersprüchlichen Wertungen der vorangegangenen Coriolan-Literatur zusammengefaßt. Und in dieser Form, die Shakespeare dem Stoff gab, hat er seine aktuelle Aussagekraft für eine freie literarische Bearbeitung bis zur Gegenwart behalten. Vor allem auf Shakespeare und nicht mehr direkt auf die antiken Quellen gründen sich die dichterischen Rekurse auf den Coriolan-Stoff bei T. S. Eliot, H . Döbler und G. Grass, die ihm auch heute noch eine dem lyrischen, epischen und dramatischen Bereich gleichermaßen verpflichtete Eignung bezeugen64. 58

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61

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63

64

Vgl. H. Granville-Barker, op. cit. S. 151, w o von „disciplined invention, kept to its single channel" die Rede ist. H. Heuer, op. cit. S. 50. H. Granville-Barker, op. cit. S. 153 f.; vgl. auch T. J. B. Spencer, op. cit. S. 320: „the play seems to have been written with a certain detachment, austerity and coolness." Vgl. B. J. Middleton Murry, Shakespeare, London 1936, S. 350, der .Coriolanus' bezeichnet als „a magnificent outflow of disinterested imagination, expressed through sustained poetry". T. S. Eliot, Hamlet and His Problems, in: T. S. Eliot, The Sacred Wood, Essays on Poetry and Criticism, London-New York 1964, S. 95-103; S. 99. Vgl. H. Heuer, op. cit. S. 50; vgl. auch C. B. Purdom, What Happens in Shakespeare, London 1963, S. 170: „Coriolanus has always been regarded as an important play, though it has never been a popular one because the hero though great is not presented in a favourable light." T. S. Eliot, Coriolan, I. Triumphal March, II. Difficulties of a Statesman, in: T. S. Eliot, Collected Poems 1909-1962, London 2 1963, S. 137-143; H. Döbler, gez. Coriolan, Roman, 1956; G. Grass, Die Plebejer proben den Aufstand, Ein deutsches Trauerspiel, 1966.

14

I. Stoff- und wirkungsgesdiiàitlïdie Aspekte zu Shakespeares ¡Coriolanus'

4. Von Shakespeare bis Thomson Obwohl ,Coriolanus', eines der siebzehn zuerst in der First Folio von 1623 überlieferten Dramen, eine äußerst sorgfältig redigierte und ungewöhnlich reich mit Bühnenanweisungen versehene Textgestalt aufweist, gründet seine erste bezeugte Aufführung doch schon auf einer tiefgreifenden und entstellenden Bearbeitung. Diese Adaption des Shakespeare-Werkes durch Nahum Täte bedeutet genau wie die folgende durch John Dennis - trotz entgegengesetzter Ausdeutung des Coriolan-Stoffes - einen Rückfall in die didaktisch-belehrende Darstellung eines moralischen Exempels, das sich schon in den respektiven Titelneufassungen ankündigt 65 . Während Täte vor allem durch die Einführung einer ganzen Serie von Greueltaten eine Reintensivierung des elisabethanischen Pseudo-SenecaDramas anstrebt, stellen sich John Dennis sowie James Thomson, der als nächster ein Coriolan-Drama sdireibt 68 , unter dem Einfluß der französischen Klassik schon in direkte formale Opposition zu Shakespeare. Täte versucht, die dramatisdie Spannung gegenüber Shakespeare noch zu erhöhen, und kompliziert das Geschehen durch die Einfügung einer zusätzlichen Liebeshandlung zwischen Aufidius und der Frau des Coriolan, wie sie ähnlich auch schon Abeille erfand 67 . Dennis dagegen und Thomson geht es um Vereinfachung, StrafFung und Zentrierung der dramatischen Handlung. Dennis bemüht sich, die ,wild Confusion' des Originals durch ,as much Order as we can' zu bändigen 68 . Thomson löst sich sogar vollkommen vom Shakespeare-Text und konzipiert sein Werk als implizite Antithese zu dem Shakespeares. Dennis orientiert sich an dem Modell der durch Boileaus normative Poetik gesetzten Dramentheorie 69 , und Thomson geht noch hinter die französische Klassik zurück, um sich auf die direkte Vorbildlichkeit der 65

N. Tate, The Ingratitude of a Common-Wealth: Or, The Fall of Caius Martius Coriolanus, As it is acted at the Theatre-Royal, London 1682, Cornmarket Reprints, London 1969; J. Dennis, The Invader of His Country: or, The Fatal Resentment, A Tragedy, As it is Acted at the Theatre-Royal in Drury-Lane, London 1720, Cornmarket Reprints 1969, aufgef. Nov. 1719; vgl. H. Spencer, Shakespeare Improved, The Restoration Versions in Quarto and on the Stage, New York 1927, 2 1963, S. 265 ff.

J. Thomson, Coriolanus, Tragedy, London 1749, aufgef. am 13. 1. 1749 in Covent Garden; zitiert nach: The Works of J. Thomson, 4 Bde., London 1773, Bd. 4. 87 Abeille, Coriolan, Tragédie, Paris 1676. 6 8 Dennis, The Invader of His Country, Prologue. e® Vgl. A. F. B. Clark, Boileau and the French Classical Critics in England, 1660 bis 1830, Paris 1925, S. 8: „No English critic was a greater student of Boileau than John Dennis and references to and quotations from him abound in Dennis's works."

M

4. Von Shakespeare his Thomson

15

attischen Tragödie zu berufen 70 . So erreicht die englische CoriolanDramatik in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre größte Entfernung von Shakespeare. Obwohl zu dieser Zeit neben einem ersten verstärkten Auftreten der Shakespeare-Apologeten auch schon die ersten kritischen Ausgaben der Dramen Shakespeares erscheinen, obwohl schon im Spectator Nr. 592 Shakespeare als überragender Dichter anerkannt wird 71 und auch der Theaterleiter Colley Cibber Shakespeares „creative Genius" rühmt 72 , ist es doch für die Bühnenpraxis der Zeit undenkbar, andere als verbesserte und grundlegend korrigierte Versionen der Shakespeare-Werke aufzuführen. Erst Sheridans Coriolan-Bearbeitung 73 , eine Mischung aus Shakespeare und Thomson, bezeichnet den Wendepunkt und den Beginn einer langen Entwicklung zu einem möglichst Shakespearenahen Aufführungstext. Boileau erklärt verbindlich für das klassizistische Frankreich wie audi gleichzeitig für Englands ,age of reason' und die deutsche Aufklärung: „Aimez donc la Raison" 74 . Von dieser Maxime her ergibt sich für ihn ein rational durchkonstruiertes Drama unter dem dogmatischen Zwang einer pseudo-Aristotelischen Regelstrenge : „que la Raison à ses regies engage, Nous voulons qu'avec art l'Action se menage: Qu'en un Lieu, qu'en un Jour, un seul Fait accompli Tienne jusqu'à la fin le Théâtre rempli 75 ." Neben dieser Prädominanz einer Shakespearefeindlichen, klassizistischen Dramenästhetik fällt an den drei auf Shakespeare folgenden englischen Coriolan-Bearbeitungen eine unmittelbare Einbeziehung der Tragödie in das politische Tagesgeschehen auf. Schon die erste Erwähnung der Coriolan-Figur bei Cicero bezeugt ihre Eignung für eine politische Aus70

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Vgl. D. Grant, James Thomson, Poet of ,The Seasons', London 1951, S. 179 zum Vorbild von Thomsons .Agamemnon'; zu Thomsons ,Coriolanus' vgl. audi L. Morel, James Thomson, Sa vie et ses œuvres, Paris 1895, S. 167 f. u. S. 593-600. Vgl. J. Addison, R. Steele u. a., The Spectator, hg. v. G. Smith, Bd. 4, London 1958, S. 356: „Who would not rather read one of his Plays, where there is not a single Rule of the Stage observed, than any Production of a modern Critick, where there is not one of them violated. Shakespeare was indeed born with all the Seeds of Poetry." An Apology for the Life of Colley Cibber, Comedian and Late Patentee of the Theatre-Royal [ . . . ] , London 3 1750, S. 506. [Th. Sheridan], Coriolanus: or The Roman Matron, A Tragedy, Taken from Shakespeare and Thomson, London 1755, Cornmarket Reprints 1969. Garricks um den Urtext bemühte Coriolan-Inszenierung von 1754 bleibt eine Ausnahme. N . Boileau, L'Art poétique, in: N . Boileau, Œuvres complètes, Paris 1966; Chant 1, S. 138. Ibid. Chant 3, S. 170.

16

I. Stoff- und wirkungsgeschichtliche

Aspekte zu

Shakespeares,Coriolanus'

deutung76. Obwohl der Stoff eine solche implizite Eignung zur Politisierung auch bei Shakespeare durchaus beibehalten hat, wie es in neuerer Zeit die Indizierung des Stückes für Süddeutschland durch die amerikanischen Besatzungsbehörden bezeugt 77 , versteht sich die Bedeutung der Shakespeare-Tragödie gerade nicht primär aus ihrem Bezug zur StuartPolitik, sondern aus ihrer überzeitlichen Gestaltung menschlicher Grundprobleme. Die von E. C. Pettet beobachteten Parallelen zwischen Shakespeares Darstellung aufständischer römischer Bürger und dem historischen Bauernaufstand von 1607 7 8 oder gar Vergleiche zwischen Coriolan selber und Sir Walter Raleigh reichen nicht aus, Shakespeares C o r i o lanus' als politisches Tendenzstück oder historisches Schlüsseldrama zu deuten79. Eine solche in das Shakespeare-Werk erst durch den jeweiligen Regisseur hineinzuprojizierende politische Brisanz wird dagegen von Täte aufs intensivste für seine Neufassung des ,Coriolanus' angestrebt. Parteienfehde und Volksdemagogie lassen sich nach seiner Meinung durch eine Modifikation und Umdeutung des Shakespeare-Textes in eindringlicher Weise am Coriolan-Stoff in ihrer verderblichen Wirkung dem Bürger der Restaurationszeit vor Augen führen: „Upon a close view of this Story, there appear'd in some Passages, no small Resemblance with the busie Faction of our own time. And I confess, I chose rather to set the Parallel nearer to Sight, than to throw it off at further Distance 8 0 ." Besonders durch die vordergründig-einseitige Charakterisierung der beiden Tribunen des Shakespeare-Stückes als ,popular Misleaders' wird die moralische Ermahnung des Publikums bei Täte zur naiven Propaganda für eine konservative Politik der Untertanentreue zum konstitutionellen Monarchen: „The Moral therefore of these Scenes being to Recommend Submission and Adherence to Established Lawful Power, which in a word is Loyalty 8 1 ." Wenn auch Dennis und Thomson nicht ganz so offensichtlich wie Tate auf eine explizit mitgeteilte Absicht der parteipolitischen Beeinflussung 76

77 78

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80 81

Vgl. B. Kytzler, Cajus Marcius Coriolanus, in: Shakespeare, Coriolan, Diditung und Wirklichkeit, hg. v. B. Kytzler, Frankfurt/M.-Berlin 1965, S. 9 7 - 1 6 3 ; S. 105. Vgl. ibid. S. 157. E . C. Pettet, .Coriolanus' and the Midlands Insurrection of 1607, in: Shakespeare Survey 3 , 1 9 5 0 , S. 3 4 - 4 2 . Vgl. E . K . Chambers, William Shakespeare, A Study of Facts and Problems, 2 Bde., Oxford 1951, Bd. 1, S. 479, der Vergleiche zwischen dem D r a m a und der historisch-politischen Realität seiner Abfassungszeit selbst als Datierungshilfe für unhaltbar ansieht; zum Fehlen jeder politischen' Belehrung in diesem Stück vgl. D. G. Haie, Coriolanus: The Death of a Political Methaphor, in: Shakespeare Quarterly 2 2 , 1 9 7 1 , S. 1 9 7 - 2 0 2 . Tate, The Ingratitude of a Common-Wealth, The Epistle Dedicatory, S. 2. Ibid. S. 2.

5. Die ersten deutschen

Coriolan-Ubersetzungen

17

der öffentlichen Meinungsbildung zielen, so werden doch auch ihre Dramen in einer Zeit der postrevolutionären Stabilität einer jetzt fest etablierten Regierung aufgeführt. Tates Bearbeitung entsteht nach den Unruhen des Popish Plot, Dennis' und Thomsons Werke folgen den vergeblichen Umsturzversuchen der katholischen Stuart-Bewegung: „Coriolanus seemed to be destined to be launched, with new trimmings, during or after each of England's successive politico-civie upheavels; Dennis so set it forth after 1715, and Thomson after the '4582.c< In dieser massiven Form lassen sich die politisch-historischen Aspekte des Coriolan-Stoffes für eine zeitkritische Ausdeutung in anderen dramatischen Bearbeitungen nicht mehr nachweisen. Erst sehr viel später wieder nützt R.-L. Piachaud das Moment der Politisierbarkeit des Stoffes in seiner Shakespeare-Bearbeitung für die Comédie Française83.

5.,Die ersten deutschen Coriolan-Ubersetzungen Während die englischen Coriolan-Aufführungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schon den Versuch einer Synthese von Thomson und Shakespeare anstreben84, ist es 1756 und 1760 gerade Thomsons Werk und nicht Shakespeares, das in gleich zweifacher Ubersetzung den Coriolan-Stoff zum erstenmal als Tragödie nach Deutschland bringt 85 . Zwar war schon 1741 Julius Caesar' als erstes Shakespeare-Drama von C. W. v. Borck in deutsche Alexandriner übertragen worden, doch hatte sich gerade an diesem Werk eines noch in der Legitimation seines Unternehmens unsicheren Übersetzers86 der ganze Spott und Hohn J. Ch. Gottscheds gegenüber Shakespeare entfaltet: „Die elendste Haupt- und Staatsaction unsrer gemeinen Comödianten ist kaum so voll Schnitzer und 82 83

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85

86

G. C. D. Odell, zitiert nach H . Spencer, op. cit. S. 265. La Tragédie de Coriolan, Traduite librement de l'anglais de Shakespeare et adaptée à la scène française par René-Louis Piachaud, zuerst in: La petite illustration, Revue hebdomadaire 661, Théâtre N o 341, 10. 2.1934, dann als Buch, Paris 1934, aufgef. 9 . 1 2 . 1 9 3 3 . Vgl. die Liste der Coriolan-Adaptionen mit .direct use of Shakespeares plays' bei G. C. Branam, Eighteenth-Century Adaptations of Shakespearean Tragedy, Berkeley-Los Angeles 1956, S. 181 f., in der Thomsons ,Coriolanus', eben weil er keine Bearbeitung Shakespeares ist, fehlt. Des Herrn Jacob Thomson sämtliche Trauerspiele, Aus dem englischen übersetzt, Mit einer Vorrede von G. E. Leßing, Leipzig 1756, S. 363—440 (anonyme Übersetzung); Agamemnon und Coriolan, zwey Trauerspiele aus dem Englischen Jakob Thomsons und die Geschichte Coriolans aus dem Griechischen des Dionysius von Halikarnaß, übers, u. erläutert v. Joh. Heinr. Schlegeln, Kopenhagen-Leipzig 1760, S. 141-234. Vgl. die Vorrede zu Borcks Caesar-Übersetzung, in: H . Wolffheim, Die Entdekkung Shakespeares, Deutsche Zeugnisse des 18. Jahrhunderts, Hamburg 1959, S. 92.

2 Bronkhorst, Coriolanus

18

I. Stoff- und wirkungsgeschichtliche

Aspekte

zu Shakespeares

,Coriolanus'

Fehler wider die Regeln der Schaubühne und gesunden Vernunft, als dieses Stück Schakespears ist87." Obwohl J. E. Schlegel die Rezension dieser ersten Shakespeare-Ubersetzung zum Anlaß nimmt, zum erstenmal in Deutschland das dramatische Talent Shakespeares zu bewundern 88 , und obwohl sich erste Versuche einer positiven Shakespeare-Bewertung auch in dem Schweizer Kreis um J. J. Bodmer und J. J. Breitinger zeigen, bleiben dennoch für die unmittelbare Weiterentwicklung des deutschen Theaters die Ansichten Gottscheds und sein Verdikt gegen Shakespeare allein maßgeblich89. Gottsched ist der deutsche Exponent der europäischen Aufklärung und Rationalität, des Zeitalters der Vernunft und der logisdien Klarheit, für den alles Irrationale, nicht dem Verstand Erfaßbare einer früheren, erkenntnisärmeren und daher zu überwindenden menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsstufe angehört. Sein Anliegen ist die kritische Reform und Erneuerung des deutschen Theaters auf Grund eines rational durchkonstruierten Regelkanons, wie er ihn in seiner ,Critischen Dichtkunst' analog den französischen und englischen Dramentheorien seiner Zeit entwickelt. Die Einheit der Handlung folgt aus dem der Tragödie zugrundeliegenden moralischen Axiom: „Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabsicht; nämlich einen moralischen Satz: also muß sie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwegen alles übrige vorgeht 90 ." Was Aristoteles in viel undogmatischerer Form, vor allem aber ohne einen so vordergründigen Rekurs auf die ,Moral' der dramatischen Aussage, in seiner deskriptiven Poetik konstatierte, lehrt Gottsched anhand griechischer, anhand der sich auf diese berufenden französischen und anhand eigener Mustertragödien in apodiktischen Sätzen. Aristoteles fand in den besten Tragödien, die er kannte, das Höchstmaß der dargestellten Zeitdauer auf einen Sonnenumlauf begrenzt 91 ; Gottsched dagegen schränkt auch diese Zeitspanne noch ein: „Die besten Fabeln würden also eigentlich diejenigen seyn, die nicht mehr Zeit nöthig 87 88

89

90

91

Zitiert nadi ibid. S. 92-94; S. 92. Abgedr. ibid. S. 96-115. Nach R. Pascal, Shakespeare in Germany, 1740-1815, Cambridge 1937, S. 3, ist diese Rezension u. U . von Gottsched selber angeregt worden. Vgl. E. Krießbadi, Die Trauerspiele in Gottsdieds ,Deutscher Schaubühne' und ihr Verhältnis zur Dramaturgie und zum Theater ihrer Zeit, Diss. phil. Halle/S. 1927, S. 7: „Selten stimmten ästhetische Theorien in so hohem Maße mit der gesamten Weltanschauung einer Zeit überein wie in den Tagen des Rationalismus, und niemand hat in dieser Epoche wieder die herrschenden Strömungen so ganz in sich aufgenommen wie Gottsched." J. Ch. Gottsched, Versuch einer Critisdien Dichtkunst, Leipzig 4 1751, Photomech. Nachdrudc, Darmstadt 5 1962, S. 613. Aristoteles, Poetik § 5, Abs. 3.

5. Die ersten deutschen

Coriolan-Übersetzungen

19

gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen92." Erst diese Lehrmeinung zeigt die ganze Verachtung und den Vorwurf Gottsciaeds gegen Shakespeare, die in der vorangehenden Feststellung liegen, daß Shakespeares Caesar-Handlung sich von der Ermordung des Helden bis zur Schlacht von Philippi erstrecke. Von verblüffend handgreiflicher Logik erweist sich ebenfalls das Argument für die Einheit des Ortes: „Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platz bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern 93 ." Wie an den ausgewählten Beispielen dieser klassizistischen Lehre von den drei Einheiten deutlich wird, ist die Beweisführung von Gottscheds Dramenästhetik in jeder Hinsicht einleuchtend und in ihrer logischen Folgerichtigkeit dem ,gesunden Menschenverstand* durchaus zugänglich. Wie die Simplizität der Argumentation die Wirkung und die Schlagkraft dieser Poetik in einer Krisensituation des deutschen Theaters erklärt, so liegt darin zugleich auch die Schwierigkeit ihrer Überwindung, die jedoch für eine positive Shakespeare-Rezeption unbedingt erforderlich wird. Auf dem Hintergrund der beherrschenden Stellung einer rationalen Ästhetik ist verständlich, daß Thomsons ,Coriolanus', der ihren Anforderungen genauestens entspricht, zunächst unter dem Protektorat Lessings in Prosa, dann sogar durch J. H . Schlegel in den reimfreien Jamben des Originals übersetzt wird. Die folgenden ersten Versuche einer Übersetzung des Shakespeareschen ,Coriolanus' gelangen dagegen in gleichsam literarhistorischer Bedingtheit nicht über erste fragmentarische Ansätze hinaus. Lediglich auf die erste Szene des ersten Aktes beschränkt sich die Coriolan-Übersetzung J. J. Kitts 94 , die ähnlich wie die ShakespeareÜbersetzungen Wielands95 in enger Beziehung zu Bodmer entsteht. Während Kitt sich teilweise schon um eine nicht nur wortgetreue, sondern auch metrisch getreue Wiedergabe bemüht, ist J. M. R. Lenz' Auswahlübersetzung von Shakespeares ,Coriolanus' gänzlich in der bewegten und »2 Gottsched, op. cit. S. 614. M Gottsched, op. cit. S. 615; zur Einheit des dramatischen Sprachstils und ihrer Mißachtung bei Shakespeare vgl. ibid. S. 620 ff. 94 Vgl. M. Bircher, Die früheste deutsche Coriolan-Übersetzung, Ein Fragment des Zürchers Johann Jakob Kitt (1747-1796), in: Shakespeare-Jahrbuch West 1968, S. 121-140; Abdr. des Textes ibid. S. 130-140; S. 126 behauptet M. Bircher wohl irrtümlich, daß die Übersetzung von Thomsons .Coriolanus' 1756 von Lessing stamme; zum m. E. richtigen Sachverhalt vgl. L. M. Price, Die Aufnahme englischer Literatur in Deutschland, München 1961, S. 98. 95 Ch. M. Wielands zweiundzwanzig Shakespeare-Übersetzungen erscheinen 1762-66 in Zürich.

20

I. Stoff- und wirkungsgeschicbtlicbe

Aspekte zu

Shakespeares,Coriolanus'

abrupten Prosa des Sturm und Drang abgefaßt 96 . Kitts Ubersetzungsversuch ist erst kürzlich entdeckt worden, Lenz' ,Coriolan' hat lange für verschollen gegolten 97 : Nur im Manuskript überliefert, sind beide Ubersetzungen ohne unmittelbare literarische Wirkung geblieben. Da ,Coriolanus' zu den vierzehn von Wieland noch nicht übersetzten Shakespeare-Dramen gehört, ist er zum erstenmal in der Fortführung dieses ersten großen Übersetzungsunternehmens durch J . J . Eschenburg 1777 im neunten Band der deutschen Gesamtausgabe Shakespeares erschienen98. Eine ähnlich späte Aufnahme findet diese Römertragödie auch bei Schlegel-Tieck: Erst 1831 erscheint die Coriolan-Übersetzung von Dorothea Tieck im fünften Band der Gesamtausgabe 99 . Doch die erste metrische Ubersetzung des ,Coriolanus' erfolgt schon 1812 durch Abraham Voß 1 0 0 . Mit der vollständigen Ubersetzung, die in zahlreichen abgeänderten und verbesserten Neuauflagen dem breiten Publikum zugänglich ist, sind Voraussetzung und Grundlage gegeben für eine Anerkennung und Aneignung des Coriolan-Dramas in Deutschland. Die eigentliche Auseinandersetzung mit diesem Werk Shakespeares findet jedoch erst in den Bemühungen um seine Bearbeitung für die Bühne statt. Noch weit davon entfernt, den unveränderten Originaltext zur Aufführung zu bringen 101 , geben die Theater den Dichtern und Bearbeitern Gelegenheit, einen Kompromiß zu suchen zwischen dem elisabethanischen Shakespeare-Stück und dem zeitgenössischen Publikumsgeschmack, zwischen der möglichst getreuen Verdeutschung und der eigenen Dramenästhetik. Indem sie Shakespeares Tragödie der eigenen literarhistorischen Situation anpassen, entstehen sogenannte verbesserte' Shakespeare-Versionen, die jedodi eine erste, gleichsam vorbereitende Shakespeare-Rezeption ermöglichen, die zur Auseinandersetzung späterer Generationen mit dem Originalwerk hinführt und sie erleichtert. So entsteht nach Lenz' unbeachtet gebliebe-

96

J . M. R . Lenz, Coriolan, ein Trauerspiel von Shakespeare, in: J. H . Müller. J. M. R . Lenz' Coriolan, Diss. phil. Jena 1930, S. 4 7 - 7 6 .

97

Vgl. ibid. S. 16 und E . Schmidt, Lenz und Klinger, Zwei Dichter der Geniezeit, Berlin 1878, S. 25.

98

William Shakespeare's Schauspiele, Neue Ausgabe, Von Joh. Joadi. Eschenburg, 12 Bde., Züridi 1 7 7 5 - 7 7 .

99

Shakespeare's dramatische Werke, übers, v. A . W . Schlegel, ergänzt u. erläutert v . L. Tieck, 9 Bde., Berlin 1 8 2 5 - 1 8 3 3 .

100

Schauspiele von William Shakespeare, übers, v. H . Voß u. A. Voß, 3 Teile, Tübingen 1 8 1 0 - 1 8 1 5 .

101

Vgl. J . F. Schink, Dramaturgisdie Fragmente, 3 Bde., Graz 1 7 8 1 - 8 2 , Bd. 2, S. 3 1 0 : „Uibersezzungen Shakespears für unsre Büne im eigentlichen Verstände des Uibersezzen, nüzzen der dramatischen Kunst nichts, sie schaden ihr vielmehr unendlich."

5. Die ersten deutschen

Coriolan-Ubersetzungen

21

nem Versuch einer nur am Shakespeare-Text orientierten Musterübersetzung bei Dyk und Sdhink als dem ersten Stadium der deutschen Coriolan-Bearbeitungen eine Mixtur von englischem und französischem Drama, von Shakespeare-Tragödie und klassizistischem Thomson- und La Harpe-Drama. In der Geschichte der deutschen Shakespeare-Rezeption folgt dem Sieg der möglichst wortgetreuen Dramenübersetzungen, wie sie von der in der Romantik sich konsolidierenden wissenschaftlichen Shakespeare-Philologie propagiert werden, in der zweiten Jahrhunderthälfte eine Bühnenpraxis, die ebenfalls größtmögliche historische Treue sowohl dem deutschen Wortlaut von Shakespeares Werk als auch den römischen Kulissen und Requisiten gegenüber anstrebt. Die seltener werdenden Adaptionen dieser Zeit verstehen sich schon als Versuche einer Befreiung des Shakespeare-Werkes aus seiner historisch bedingten elisabethanischen Antiquität, d. h. als Renovation eines ursprünglichen Gehalts, der in der Anpassung des Shakespeare-Textes an die gegenwärtige literarische Situation aus seiner Historizität herausgelöst und neu geformt werden muß. Das 20. Jahrhundert setzt dieses Vorgehen der bearbeitenden Neufassung in souveräner Art fort. In der Behandlung des ,Coriolanus' durch Brecht und - in Frankreich - Piachaud zeigt sich die Gegenbewegung gegen das als apodiktisch und einengend empfundene Postulat der Unantastbarkeit des Shakespeare-Textes. Mit der gleichen Schärfe wie in ihren Anfängen richtet sich auch heute noch die wissenschaftliche Shakespeare-Philologie gegen Coriolan-Bearbeiter wie damals Falk und jetzt Rothe102. Gegenüber den Anfängen der Shakespeare-Adaption jedoch liegt die Berechtigung der heutigen Bearbeitungen nicht mehr in ihrer gegenüber dem Werk Shakespeares vereinfachten Spielbarkeit oder in einem historisch fixierten Publikumsgeschmack, sondern in der Forderung nach der Entfaltung künstlerischer Eigeninitiative und nach der Aufhebung eines allzu dogmatischen Traditionsbegriffes. 102 Ygj Polemik gegen Falk in der Vorrede zu .Coriolan', in: Schauspiele von W. Shakespeare, übers, v. H . Voß u. A. Voß, Bd. 2: „Vom Coriolan ist uns, außer der wackeren Übersetzung von Eschenburg keine bekannt, die genannt zu werden verdiente. Zwar kam ein armseliger, zerlumpter, halb magerer, halb aufgedunsener Schwächling unter dem Namen Coriolan zu uns; aber er hatte sich auf der beschwerlichen Reise von Amsterdam nach Rudolstadt und Heidelberg so übernommen, daß er gleich nach der ersten Begrüßung todt niederfiel." - ; vgl. R. A. Schröder, H . Heuer, W. Clemen, L. L. Sdiücking, R. Stamm, Fünf Forscher protestieren gegen Rothes Shakespeare, in: Die Zeit 16, vom 17. 4. 1959, S. 6, wieder abgedr. u. d. Titel: In Sachen Shakespeare contra Rothe, in: Shakespeare-Jahrbuch 95, 1959, S. 248-261; S. 248: „die fragwürdigen Ziele und Methoden dieses Pseudo-Übersetzers machen seine Versionen zu einer wirklichen Gefahr für die Shakespearepflege in den Ländern deutscher Zunge."

22

I. Stoff- und wirkungsgeschichtliche Aspekte zu

Shakespeares,Coriolanus'

In der chronologischen Folge der deutschen Coriolan-Bearbeitungen läßt sich ein steter Entwicklungsprozeß beobachten, der die zunächst rein praktischen Überlegungen der Adaptionsarbeit des 18. Jahrhunderts ersetzt durch eine immer stärker hervortretende, sich auf dramaturgischästhetische Reflexion gründende Motivation der Eingriffe und Veränderungen am komplexen Kunstwerk Shakespeares.

II. DER K O R R I G I E R T E . C O R I O L A N U S '

1. Jakob Michael Reinhold Lenz Als literarische Mischform aus dramatischer Repräsentation und epischem Bericht ist Lenz' Coriolan-Übertragung keine durchgängige, wortgetreue deutsche Wiedergabe des Shakespeare-Dramas, sondern eine bruchstückhafte Auswahlübersetzung einzelner Teile, die durch stark komprimierende Zwischentexte verbunden sind. Ein solcher Text ist nicht zur Aufführung, sondern zur Lektüre oder zum Vortrag bestimmt, um eine erste Bekanntschaft mit dem Shakespeare-Werk zu vermitteln. Neben den oft infolge Sprachschwierigkeiten nicht zugänglichen Originaltexten, neben den noch seltenen vollständigen Ubersetzungen ist dieses Transpositionsverfahren jedoch in der ersten Zeit der deutschen Shakespeare-Rezeption auch im Urteil Goethes ein durchaus legitimes Verfahren: „Und so wirkte Shakespeare in unserer Straßburger Societät übersetzt und im Original, stückweise und im Ganzen, stellen- und auszugsweise 1 ." 1.1 Assoziatives Ü hersetzen Abgesehen davon, daß die Hilfsmittel der Shakespeare-Ubersetzung zur Zeit Lenz' noch äußerst beschränkt waren, entsprechen auch seine eigenen Englischkenntnisse bei weitem nicht den Anforderungen, die eine vollständige, wortgetreue Coriolan-Ubertragung gestellt hätte; dennoch waren sie „für die damalige Zeit etwas Bedeutendes" 2 . Lenz tritt wiederholt als Lehrer des Englischen auf 3 . Ein englischer Brief an Frau von Stein läßt ein genaueres Urteil über seine Sprachkenntnisse zu 4 . Weniger die Rechtschreibung, um so mehr aber die Syntax ist fehlerhaft: Die Wortstellung entspricht der deutschen. Der Wortschatz 1

2

3 4

Goethes Werke, hg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sadisen, Abt. 1, Bd. 28, Weimar 1890, S. 74. K. H . Clarke, Lenz' Ubersetzungen aus dem Englischen, in: Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte, N . F. 10,1896, S. 117-150 u. S. 358-418; S. 119. Vgl. E. Schmidt, op. cit. S. 15 u. S. 19. Datiert vom 3 . 1 1 . 1 7 7 5 , abgedr. bei K. H . Clarke, op. cit. S. 119 f.

24

II. Der korrigierte

¡Coriolanus'

ist antiquiert und allem Anschein nach am Vorbild der ShakespeareSprache orientiert: „Man sieht auf den ersten Blick, daß Lenz sein Englisch privatim und ohne systematischen Unterricht erworben hat 5 ." Zudem neigt Lenz in seinem ,Coriolan' dazu, die Bedeutung eines ihm unbekannten Wortes des flüssigeren Übersetzens wegen nicht im Lexikon nachzuschlagen, sondern zu erraten. Dennoch kann nicht alles, was K . H . Clarke unter ,Irrtümer und Mißverständnisse' aufzählt 6 , als Übersetzungsfehler gewertet werden. Offensichtlich sind die Verwechslungen ähnlich aussehender englischer Wörter untereinander: ,to beat' (schlagen) übersetzt Lenz mit ,beissen' (to bite), ,single' (einzeln, rar) mit ,possierlich' (singular) 7 und ,to owe' (schulden) mit ,weyhen' (to vow) 8 . Das erste Beispiel läßt aber auch erkennen, daß Lenz bestrebt ist, das englische Wort möglichst durch ein lautverwandtes deutsches Wort, das zumindest denselben Anfangsbuchstaben aufweist, wiederzugeben. Die deutsche Vokabel wird gleichsam durch Homophonie des Anlauts frei assoziiert. Geschieht dies teilweise aus Eilfertigkeit, so läßt sich ein ähnliches Vorgehen an anderer Stelle aber auch als voluntaristisches Stilprinzip erkennen: ,hare' erscheint als ,Hirsch', ,fellow' als,Vetter' und ,to retire' als ,retiriren'°. Manchmal allerdings führt dieses Prinzip auch zu ausgesprochen glücklichen Übersetzungen. Für: „Such a nature, / Fickled with good success, disdains the shadow / Which he treads on at noon" schreibt Lenz: „Ein Naturell wie das, wenn ihm das Glück lächelt, verachtet den Schatten, den er am Mittag tritt 1 0 ." Indem Lenz ,Naturell' übersetzt, wählt er ein Wort mit gleicher Wurzel und gibt außerdem dieselbe auf die ganze Persönlichkeitsstruktur bezogene Konnotation des Englischen wieder. Seine Nachfolger in der Übersetzung dieses Wortes geben den Bezug zum Bereich der Natur, des Gewachsenen und Kreatürlichen auf und verlagern die Aussage auf den seelisch-gedanklichen Bereich, wenn sie ,Denkungsart' oder,Gemüt' schreiben11.

8

Ibid. S. 120.

6

Ibid. S. 394 ff.

7

Shakespeare, Coriolanus 1.4.36 u. 2.1.36; Lenz, Coriolan S. 13 u. S. 23, Müller S. 54 u. S. 5 8 ; beide Beispiele werden auch von K. H . Clarke, op. cit. S. 395 angeführt.

8

Shakespeare, Coriolanus 2.2.131; Lenz, Coriolan S. 33, Müller S. 6 2 ; diesen Übersetzungsfehler macht auch noch D. Tieck: vgl. Coriolanus, Stuttgart 1968, S. 42.

9

Shakespeare, Coriolanus 1.8.7, 5.2.57 u. 1.6.50; Lenz, Coriolan S. 17, S. 56 u. S. 16, Müller S. 56, S. 72 u. S. 5 5 ; an anderer Stelle übersetzt Lenz ,fellow' aber auch mit .braver Geselle',,Schlingel' oder ,Kerl'.

10

Shakespeare, Coriolanus 1.1.258 ff.; Lenz, Coriolan S. 8, Müller S. 52.

11

J . J . Eschenburg, op. cit. Bd. 9, S. 169 und D. Tieck, Stuttgart 1968, S. 13.

1. Jakob Michael Reinhold

Lenz

25

1.2 Prosaischer Stil und Sp rachkomik „Seine Sprache ist die Sprache des kühnsten Genius, der Erd und Himmel aufwühlt, Ausdruck zu den ihm zuströmenden Gedanken zu finden12." Diese Beschreibung der Shakespeare-Sprache durch Lenz ist zugleich die Formel für sein eigenes sprachliches Bemühen. Shakespeares Sprache wird für Lenz vorbildlich als Gegenpol zur strengen Regelmäßigkeit und logisdien Schachtelung auch des Satzbaus der französischen Klassik. Lenz verwirft die „schön aufgeputzten Worte" Voltaires, seinen „äußeren Putz" ohne Echtheit und Uberzeugungskraft der Gefühle 13 . Die „Diktion, die Symmetrie und Harmonie des Verses, der Reim selbst, für den er fast zum Märtyrer wird" 14 , werden von Lenz abgelehnt, weil sie als Mittel äußerlicher Kunstfertigkeit nicht über mangelnde Charakterzeichnung hinwegtäuschen können. An einem Vergleich der Sprache zeigt Lenz die Überlegenheit von Shakespeares Caesar-Drama über das des Voltaire. Preist er bei Shakespeare die Lebensnähe und daher größere Mitteilungsfähigkeit wahrer Gefühle im Brutus-Monolog, an dem er den „Gang eines großen Entschlusses in der Seele" abliest15, so findet er an der entsprechenden Stelle bei Voltaire lediglich „eine kritisch-philosophische Glosse"16 ohne Bezug zu den augenblicklichen Gefühlen des Sprechenden. „Trockenes Stück Räsonnement" 17 , „Deklamation", „epische Trompete" und „das Predigen auf zwei Seiten"18 sind für Lenz die rhetorischstilistischen Merkmale des französischen Dramas, die er ablehnt. Bei Shakespeare dagegen begeistert er sich an den „kurzen, entsetzlichen Worten", die ihm wie „das Wehgeschrei der Gebärerin" klingen19, wenn Brutus sich zum Caesar-Mord durchringt. Gerade an den banalen Worten der Alltagssprache, die sich auf scheinbar unwichtige Details beziehen, begeistert sich Lenz: „Junge! Lucius! schläfst du so feste20?" Die Natürlichkeit dieser Szene und dieser Sprache in Brutus' Äußerung scheinen ihm der Wahrheit eines großen Charakters abgelauscht; in diesen Worten erkennt er durch ihren Kontext „die Würde menschlicher Natur" 2 1 . Stärker noch als die Ubersetzung von ,Love's 12

13 14 15 16 17 18 19 20 21

Lenz, Anmerkungen übers Theater, in: J. M. R. Lenz, Gesammelte Schriften, hg. v. F. Blei, Bd. 1, München-Leipzig 1909, S. 221-255; S. 255. Ibid. S. 246. Ibid. S. 246. Ibid. S. 248. Ibid. S. 250. Ibid. S. 247. Ibid. S. 250. Ibid. S. 248. Ibid. S. 249. Ibid. S. 249.

26

, II. Der korrigierte

,Coriolanus'

Labour's Lost' 22 ist die des ,Coriolan' Ausdruck eines solchen Shakespeare-Verständnisses, weil Lenz hier die Textteile auswählt, die ihm am besten getroffen scheinen und die sich am besten in sein eigenes Shakespeare-Bild einfügen. In bewußterer Weise als seine Vorgänger in der Geschichte der deutschen Shakespeare-Ubersetzungen verwendet Lenz die Prosa 23 . Ist J . H . Schlegels jambentreue deutsche Wiedergabe von Thomsons ,Coriolan' wichtig geworden für eine Entwicklung der Verssprache im deutschen Drama bis hin zur Klassik der Goethe-Zeit 24 , so versucht Lenz in seinem ,Coriolan' - wie Goethe schon vorher im ,Goetz' - die Alltagssprache als angemessenen Ausdruck menschlicher Daseinsproblematik für eine deutsche Dramatik zu begründen. Die Auflösung der englischen Verse in deutsche Prosa bedingt für Lenz zugleich eine Verknappung und Vereinfachung der Diktion. Schon durch geringfügige Umstellung erreicht er oftmals die größtmögliche Klarheit 25 . „I do beseech you, / [ . . .]by th' vows / We have made to endure friends 2 8 ." Die wörtliche Ubersetzung dieser Worte Coriolans wirkt umständlich und mindert ihre Eindringlichkeit, wie das Beispiel Eschenburgs zeigt: „bey den Gelübden, die wir gethan haben, ewig Freunde zu bleiben 27 ." D . Tiecks spätere Ubersetzung dieser Bittformel klingt, obwohl schon verkürzt, noch sehr pathetisch: „Bei [ . . . ] den Schwüren, / Uns ewig treu zu lieben 28 ." Lenz erreicht durch sinngetreue, aber nicht wörtliche Wiedergabe eine Natürlichkeit des Gesagten, die der Simplizität der Umgangssprache sehr nahe kommt, aber dennoch in einer emotionalen, doch unpathetischen Sprache große Uberzeugungskraft behält: „bey der Freundschaft die wir uns schworen 29 ." Diese Version gibt die Bedeutung der Shakespeare-Worte für den Handlungskontext wieder, ist aber nicht mehr Shakespeares Sprache. Die faktischen Aussagen der Shakespeare-Passagen bleiben bei Lenz erhalten, doch geht ihnen in der verkürzten Form ihr lyrischer Gehalt weitgehend verloren. Mit der Prosaübersetzung ist auch die sprachliche Abbildung des Geschehens prosaischer geworden. Von „Ere in our own 22 28

24 25

26 27 28 29

Vgl. ibid. S. 257-326: Amor vincit omnia, Ein Stück von Shakespeare. Vor Lenz* ,Coriolan' sind lediglieli je ein Shakespeare-Drama von Borck, Wieland und Eschenburg metrisch übertragen worden; alle anderen Shakespeare-Übersetzungen waren in Prosa. Vgl. L. M. Price, op. cit. S. 98 f. Das gleiche Verfahren bei Lenz' Übersetzung von .Love's Labour's Lost' hat diese zu einem in der Aufführung wirksamen und leicht sprechbaren Text gemacht: vgl. E. Genton, J . M. R. Lenz et la scène allemande, Paris 1966, S. 195. Shakespeare, Coriolanus 1.6.55, 57 f. J . J. Eschenburg, op. cit. S. 186. D. Tieck, Stuttgart 1968, S. 23. Lenz, Coriolan S. 16, Müller S. 55.

1. Jakob Michael Reinhold

Lenz

27

house I do shade my head" bleibt jetzt nur noch: „eh ich in mein Haus trete"; und ähnlich wird „Phoebus' burning kisses" zu: „die brennende Sonne"30. Die Körperlichkeit einer sinnlichen, belebten Natur, besonders aber auch die Personifikation abstrakter Begriffe wird vermieden; die metaphorische Sprechweise Shakespeares wird stark eingeschränkt. Aus dem umschreibenden wird der benennende Ausdrude. Shakespeares Bilder werden entmythologisiert und rational aufgelöst zur schlicht konstatierenden Aussage. Dieses Verfahren paßt die Shakespeare-Sprache an Lenz' Vorstellung von der ,Redeweise des Alltags' an31, wie er sie audi in seinen eigenen Dramen verwirklichen möchte. Doch gerade auch das umgangssprachliche Moment verleiht der Sprache Lebendigkeit und Bewegung, wie sie bei Shakespeare in dieser spezifischen Art nicht vorhanden ist. Interjektionen wie »meiner Six'32 oder die Wiedergabe von ,the clusters' als ,ihr Strauchdiebe'33 verlagern die Sprachkomik Shakespeares34 in den Reden der Bediensteten im Hause des Aufidius oder in den Reden des Menenius zwar auf eine andere Ebene, geben sie jedoch zugleich adäquat wieder. Aus ,On the sudden / I warrant him Consul' wird in der Bemerkung des Sicinius bei Lenz: ,Eins zwey drey und er wird Consul seyn'; und ,your bisson conspectuities' übersetzt Lenz in entsprechend gedrechselter Verhöhnung der Tribunen: ,Eure Staubbesen Herrlichkeit' 35 . Mit gleicher Sprachemphase wie die Komik des Menenius weiß Lenz aber audi den unbeherrschten Jähzorn Coriolans plastisch zum Ausdruck zu bringen. Shakespeares Wendung „Rather than fool it so, / Let the high office and the honour go" wird jetzt sogar entschieden erweitert: „Nein, eh ich mich zum Narren des Gebrauchs mache, mag lieber die hohe Würde und Ehre und all der Bettel zum Henker gehn36." Durch eine emotionale und oft dialekthaft eingefärbte Sprache von großer Unmittelbarkeit und Direktheit im sprachlichen Ausdruck und in der Mitteilungsfähigkeit versucht Lenz, die Wortspiele und Metaphern Shakespeares zu ersetzen. Was E. Schmidt schon für ,Amor vincit omnia' feststellte, nämlich daß Lenz „immer auf entsprechenden, nicht wörtlichen Ausdruck bedacht, 30

31

82 33 34

35

36

Shakespeare, Coriolanus 2.1.193 u. 2.1.215; Lenz, Coriolan S. 29 u. S. 30, Müller S. 60 u. S. 61. Vgl. P. Böckmann, Formgesdiidite der deutschen Dichtung, Bd. 1, Darmstadt 2 1965, S. 664. Lenz, Coriolan S. 51, Müller S. 70. Shakespeare, Coriolanus 4.6.129; Lenz, Coriolan S. 52, Müller S. 70. Vgl. Th. M. Parrot, Shakespearean Comedy, N e w York 1962, S. 332: „If there is little of the comedy of action in ,Coriolanus' there is plenty of the comedy of speech." Shakespeare, Coriolanus 2.1.218 u. 2.1.62 f.; Lenz, Coriolan S. 31 u. S. 24, Müller S. 61 u. S. 58. Shakespeare, Coriolanus 2.3.120 f.; Lenz, Coriolan S. 39, Müller S. 65.

28

II. Der

korrigierte,Coriolanus'

vortrefflich in derben Szenen und in der Umschreibung der Scherze" sei37, gilt auch für Lenz' ,Coriolan'. So findet Lenz eher noch als in seiner ersten Shakespeare-Übersetzung in souveräner Unabhängigkeit von Shakespeares Sprache zu seinem eigenen Stil. Indem er den hinter dem englischen Wortlaut greifbar werdenden Gedanken und Gefühlen neue dichterische Sprachgestalt gibt, tritt das Coriolan-Drama Shakespeares - in seiner verkürzten Fassung — in den eigenen künstlerischen Ausdruckswillen eines anderen Dichters über.

1.3 Analyse der ersten Szene Während Shakespeare am Anfang des Dramas im Gespräch der Bürger die revolutionäre Situation Roms, die Unzufriedenheit der Menge und ihre besondere Abneigung gegen Coriolan expositorisch darstellt, findet sich bei Lenz nur die knappe Anmerkung: „Tumult in Rom wegen des Brodmangels. Menenius sucht das Volk zu besänftigen 38 ." Es folgen zwei Sätze des Menenius und zwei ,eines' Bürgers, für die sich ziemlich genaue Entsprechungen im englischen Text finden39, jedoch nicht in zusammenhängender Folge wie bei Lenz. Aus einer längeren ShakespeareRede oder aus einem Dialog sondert Lenz nur das Bedeutungsskelett heraus und überträgt es - zur neuen, verkürzten Einheit verbunden - ins Deutsche. Als Beispiel für dieses Vorgehen kann die Rede des Menenius an die Bürger gelten 40 : „I tell you, friends, most charitable „Freunde, ich versichere Euch, care / Have the patricians of you. daß sich der Senat eure Noth For your wants, / Your suffering angelegen seyn lässet und mit in this dearth, you may as well / diesen euren rebellischen KnitStrike at the heaven with your teln könntet ihr mit eben dem staves as lift them / Against the Recht gegen den Himmel Roman state, whose course will on / schlagen als auf die Patrizier, The way it takes; cracking ten denn die Theurung schickten thousand curbs / O f more strong euch die Götter, nicht sie; eure link asunder than can ever / Appear Knie vor denen, nicht eure in your impediment. For the dearth, Arme müßt ihr brauchen, / The gods, not the patricians, make wenn ihr wollt geholfen seyn. it, and / Your knees to them (not Ihr aber wüthet gegen die so arms) must help. Alack, / You are als Väter für euch sorgen." transported by calamity / Thither where more attends you; and you slander / The helms o' th' state, who care for you like fathers, / When you curse them as enemies."

1. Jakob Michael Reinbold

Lenz

29

Die faktische Information ist in beiden Reden vergleichbar, doch die deutsche Rede bemüht sich, das zu vermindern, was schon J . E. Schlegel als Shakespeares ,Schwulst' bezeichnete41. Der Stil ist direkter und straffer in der Bezeichnung von Gegenständen und Sachverhalten; die Aussage wird möglichst prägnant gehalten ohne Umschreibung oder Verdoppelung. Die Klimax ,you are transported..., you slander..., you c u r s e . . . ' wird von Lenz durch ein einziges ausdrucksstarkes Verb wiedergegeben: ,Ihr aber wütet'. Zwei Parallelausdrücke: ,your wants, your suffering', werden zu einem Wort zusammengezogen: ,eure Not'. Neben der Absicht einer kürzenden Zusammenfassung ist es vor allem Lenz' andersgeartete Benutzung rhetorischer Mittel, die den grundsätzlich unterschiedlichen Stil willen beider Autoren zum Ausdruck bringt. Wie sich der unterschiedliche Sprachstil bei Lenz aufs engste auch mit einer gegenüber Shakespeare stark modifizierten Auffassung von der dramatischen Funktion der Figuren und des tragischen Geschehens verbindet, läßt sich deutlich an der Selektion und Gestaltung der drei von Lenz als zentral erkannten Situationen der ersten Szenen beobachten. 1. Lenz verzichtet auf Shakespeares einleitende Charakteristik Coriolans im Gespräch der Bürger. Schon auf der ersten Seite der Ubersetzung tritt der Held selber auf. Lenz führt ihn in berichtender Form ein, um dann unmittelbar in die direkte Rede des Dialogs überzugehen: „Cajus Martius kommt dazu und fährt sie [die Bürger] sehr scharf an. Unter anderem sagt er: Martius. Wer Ehre verdient, verdient euren Haß, [ . . . ] 4 2 . " Der letzte Satz stellt die zentrale Stelle einer längeren ShakespeareRede dar 43 . Nicht Coriolans ungehemmter Ausdruck seiner maßlosen Verachtung für das Volk wird hier für Lenz wesentlich, sondern aus der bei Shakespeare sehr stark emotional betonten Schimpfrede gliedert Lenz den Einzelsatz als ethische Maxime des Helden aus. Er hebt betont hervor, daß sich nach Coriolans Ansicht tugendhaftes Verhalten und Ehre nicht mit Popularität vereinbaren lassen, und wählt dieses Diktum als Ausgangspunkt für seine Shakespeare gegenüber anders akzentuierte Auffassung von der Charaktergestaltung Coriolans. Hierbei wird Shakespeares Begriff der Größe 44 von Lenz moralisierend und einseitig auf ,Ehre' festgelegt. Diese Ubersetzung ist aus dem 37 38 39 49 41

42 43 44

E. Schmidt, op. cit. S. 25. Lenz, Coriolan S. 6, Müller S. 51. Shakespeare, Coriolanus 1.1.67 ff. Ibid. 1 . 1 . 6 4 - 7 7 ; Lenz, Coriolan S. 6, Müller S. 51. J. E. Schlegel, Vergleidiung Shakespears und Andreas Gryphs, hg. v. H . Powell, Leicester 1964, S. 549 u. S. 570. Lenz, Coriolan S. 7, Müller S. 51. Shakespeare, Coriolanus 1.1.166-187. Ibid. 1.1.175.

Faksimiledruck,

30

11. Der korrigierte

,Coriolanus'

Kontext insofern zu rechtfertigen, als ,greatness' nach rückwärts in Antithese steht zu ,offence' im Sinne von ,Schandtat, kriminelles Verhalten' 45 ; unter dem Aspekt einer wortgetreuen Ubersetzung jedoch bedeutet dieses Vorgehen ein interpretierendes Abweichen vom originalen Wortlaut 48 . Aus der Häufung ähnlicher geringfügiger Freiheiten im Detail baut Lenz schließlich ein begriffliches Assoziationsfeld auf, das zu einer grundlegenden Veränderung des Shakespeareschen Coriolan-Bildes beiträgt. 2. Bei der Besprechung über das Vorgehen gegen die Volsker47 ist es das Verhältnis der beiden gegnerischen Helden, wie Coriolan es selber schildert, das Lenz am meisten interessiert. Ohne die Einwürfe des Cominius48, des Menenius49, des Titus Lartius 50 oder des ersten Senators51 bei Shakespeare zu berücksichtigen, übersetzt er lediglich fünf ausgewählte Sätze aus den Äußerungen Coriolans, wobei er weitgehend auf die Nebensätze verzichtet, und fügt sie zu einem neuen Komplex zusammen. Dadurch folgt unmittelbar auf den Vergleich des Aufidius mit einem Löwen die sarkastische Benennung des hungernden Volkes als ,Kornmäuse' 52 . Durch diesen Kontrast, der bei Shakespeare nicht vorkommt - es stehen fünfzehn Zeilen zwischen ,lion' und ,rats' 53 -, schält sich schon im antithetischen Sprachstil einzelner Bemerkungen der Charakter des Coriolan sehr deutlich heraus : seine Hochachtung und Bewunderung für kriegerischen Mut auch seiner Gegner und seine Verachtung gegenüber dem gemeinen Volk. Lenz geht sparsamer mit dem Wortmaterial um als Shakespeare, dafür aber treten die Kontraste härter hervor, und das einzelne Wort erhält mehr Gewicht. Die prägnante Ausdrucksform, wie sie sich in der Entsprechung von ,Kornmäuse' und ,rats' beispielhaft zeigt, kommt stärker zur Geltung und verleiht dem gesamten Werk seinen spezifisch markanten Sprachcharakter. 3. Das Gespräch der Volkstribunen 54 ist bei Lenz von sieben Äuße45

Ibid. 1.1.174.

4S

Nodi Esdienburg, op. cit. Bd. 9, S. 165, übersetzt ähnlich wie Lenz ,hohe Würden'; erst D. Tieck, Stuttgart 1968, S. 10, zieht sich auf die neutralere und genauere deutsche Übersetzung ,Größe' zurück. Shakespeare, Coriolanus 1.1.228 ff.

47 48

Ibid. 1.1.231, 237 u. 246.

49

Ibid. 1.1.242.

50

Ibid. 1.1.240 u. 244. Ibid. 1.1.235, 243 u. 246. Lenz, Coriolan S. 8, Müller S. 52.

51 52 53

Shakespeare, Coriolanus 1.1.234 u. 1.1.248.

54

Ibid. 1.1.251 ff.

1. Jakob Michael Reinhold

Lenz

31

rungen je Figur auf jeweils eine verkürzt worden. Der ungeheure Stolz des Coriolan und sein Spott, den er ihnen gegenüber schon bei ihrer Ernennung zeigte, sind ein wesentlicher Beschwerdepunkt der Tribunen bei Shakespeare. Indem Lenz diesen Umstand nicht erwähnt, verzichtet er auf eine engere Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit und zeigt sich damit an der Aufdeckung einer Vorgeschichte des Dramas uninteressiert. Shakespeare, nicht aber Lenz, bezieht sich auch im weiteren Verlauf des Dramas immer wieder auf Ereignisse, die vor dem Einsetzen der dargestellten Handlung liegen, und gibt so dem Geschehen eine größere historische Tiefe. Indem die gegenwärtigen Ereignisse als integrierende Bestandteile eines geschichtlichen Kontinuums, als erwachsen aus einem Vorher und hinführend zu einem Nachher, begriffen werden, wird der Kausalnexus der dramatischen Einzelteile in eine größere Geschichtsordnung einbezogen. In dem durch die Auswahltechnik bedingten Verzicht auf die Detailzüge des Originals wird oft sogar die drameninhärente Ordnungsstruktur in Frage gestellt. Die Charakterzeichnung wird flacher, und die Verzahnung der einzelnen Handlungsmomente wird oft nur notdürftig hergestellt. Menenius' bedächtiges Sprechen, seine etwas umständliche Art, so bezeichnend für sein Charakterbild, aber auch das Vertrauen, das er beim Volk besitzt, gelangen bei Lenz nicht zur Darstellung. Auch auf die enge und vertraute Freundschaft zwischen Menenius und Coriolan, wie sie in der ersten Szene schon in Begrüßung und Dialog angedeutet wird, weist Lenz erst in einer späteren Zwischenpassage von Anmerkungscharakter hin55. Handlungszusammenhang und Nebenfiguren sind für Lenz nur notwendiger Hintergrund für seine Charakteristik des Protagonisten. Sie sind auf ein Minimum reduziert und aus dem dramatischen Präsens weitgehend in den epischen Bericht verdrängt. Durch dieses isolierende Vorgehen verschiebt sich der dramatische Charakter Coriolans, den Shakespeare wesentlich aus seiner Spiegelung in den Äußerungen der anderen Charaktere und in Kontrast und Oppostion zu diesen aufbaut und entwickelt. Durch das selektive Hervorheben einzelner Passagen und Wendungen des Originals entsteht zudem eine übermäßige Betonung bestimmter Charaktereigenschaften, die in diesem Maße bei Shakespeare nicht vorgegeben sind. Durch eine solche Störung der Proportionen und vollends durch die freie Übersetzung zentraler Begriffe wird ein Coriolan-Bild geschaffen, wie es den Intentionen Lenz', aber nicht denen Shakespeares entspricht.

55

Lenz, Coriolan S. 45, Müller S. 67.

32

II. Der korrigierte

,Coriolanus'

1.4 Coriolan als literarisches

Programm

Hatte Gottsched den moralischen Lehrsatz als Grundlage für die didaktische Absicht der Tragödie dem Dichter als .prima causa' und als erstes Konstituens seines Werkes empfohlen, das sodann in historische Handlung gekleidet wird, um am augenfälligen Beispiel den ethischen Gehalt zu erläutern 56 , so vertritt auch Lessing noch die Ansicht von der Exempelhaftigkeit des historischen Geschehens und vom Primat der moralischen Lehrhaftigkeit des Theaters vor der Treue in der Geschichtsdarstellung. Der tragische Dichter solle sich historischer Namen bedienen, wenn „die Charaktere, welche ihnen die Geschichte beilegt, mit den Charakteren, die er in der Handlung zu zeigen sich vorgenommen, mehr oder weniger Gleichheit haben" 57 . Lenz dagegen entwickelt eine neue Auffassung vom historischen Schauspiel. Ihm geht es um die unmittelbare Aktualisierung der Historie. Der pädagogische Gehalt tritt zurück vor einer jetzt proklamierten Dominanz der geschichtlichen Realität. Mit der Abkehr von der Wirkungsästhetik58 wird das Drama verstanden als Reproduktion der Wirklichkeit durch Wiederbeleben der Vergangenheit und als Nachempfinden tatsächlich gelebten Lebens, wie es der Historiograph bezeugt. Shakespeare wird zum Beispiel für eine Dramenästhetik, die am Anfang des neueren deutschen Geschichtsdramas im strengen Sinne dieses theoretisch fundiert. Nach Lenz handelt es sich bei Shakespeares historischen Stücken um „die Mumie des alten Helden, die ein Biograph einsalbt und spezereit, in die der Poet seinen Geist haucht. Da steht er wieder auf, der edle Tote, in verklärter Schöne geht er aus den Geschichtsbüchern hervor, und lebt mit uns zum andernmale. [ . . . ] - und sollten wir ihnen [d. i. den auferstandenen Toten'] nicht mit Freuden nach Alexandrien, nach Rom in alle Vorfallenheiten ihres Lebens folgen [ . . . ] " 5 9 ? Shakespeares Römertragödie als vorbildliches Historiendrama ist nur ein erster Aspekt von Lenz' ,Anmerkungen übers Theater'. ,Coriolanus' als dasjenige der drei Römerdramen, das am stärksten um einen Hauptcharakter zentriert ist, illustriert in vorbildlicher Weise die weitergehende Forderung nach dramatischer Einheit. Im Gegensatz zu der französischen Griechenimitation sieht Lenz die Komplexität der dramatischen Darstellung nicht durch eine dreigliedrige klassizistische Einheitenlehre 56

57 58

59

Vgl. J . Ch. Gottsched, op. cit. S. 6 1 1 : „Hiernach suchet er [der Dichter] in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: und von diesen entlehnet er die Namen für die Personen seiner Fabel." G. E . Lessing, Sämtliche Schriften, Bd. 9, Stuttgart 1893, S. 280. Vgl. B. Titel, ,Nachahmung der N a t u r ' als Prinzip dramatischer Gestaltung bei J . M. R. Lenz, Diss. phil. Frankfurt/M. 1963, S. 12 f. Lenz, Anmerkungen übers Theater, S. 253.

1. Jakob Michael Reinhold

Lenz

33

garantiert, sondern lediglich durch die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der zentralen Figur des Protagonisten. Nicht das .Schicksal der Menschen', d. i. die Handlung, soll Gegenstand des Schauspiels sein, wie es Aristoteles fordert, sondern dem Menschen selber soll das Hauptinteresse des Dramatikers gelten wie bei den ,älteren Engländern' als dem der deutschen Mentalität angemesseneren Vorbild 60 . Doch nicht nur diesen poetologischen Maximen Lenz' - „der Held ist der Schlüssel zu seinen Schicksalen" und „fabula est una si circa unum sit" 61 - entspricht Shakespeares Coriolan-Drama, sondern von den Helden der Römertragödien kommt Coriolan als der das Stück beherrschende Charakter auch am weitesten der ,geniehaften' Vorstellung eines ,Kerls' entgegen62. Tollkühne Tapferkeit und doch zugleich Simplizität und Naivität des Gemüts begründen die Exklusivität seines Heldentums und lassen ihn über die anderen dramatischen Figuren weit hinausragen, jedoch zugleich auch an der Opposition der opportunen Menge des Volkes, am Wankelmut der Massen scheitern63. Shakespeare, von Lenz zum dramatischen Muster erklärt, wird oft lediglich zum apologetischen Vorwand der Darlegung und Propagierung eigener Dramentheorien 64 . Durch die Diskrepanz zwischen ShakespeareText und Shakespeare-Interpretation ist Lenz' ,Coriolan' jedoch nicht mehr als Shakespeare-Übersetzung, sondern schon als Shakespeare-Adaption anzusehen, die ihre spezifische Intentionalität durch ihren programmatischen Charakter erhält. Wie ,Amor vincit omnia' praktische Illustration von Lenz' Ansichten zur Komödie sein soll65, so versucht er im ,Coriolan' ein entsprechendes Beispiel für seine Tragödientheorie zu geben. Beide Werke verstehen sich von ihrem Ansatz her für Lenz als vorbildlich und richtungsweisend für ein neu zu begründendes deutsches Drama.

«® Ibid. S. 232. 61

Ibid. S. 254 u. S. 238.

62

Ibid. S. 252.

63

Vgl. die beiden Briefe Lenz' an Herder v o m 28. 8.1775 und v o m März 1776, in denen er beidemal Bezug nimmt auf Shakespeare, Coriolanus 2.3, auf den sich vor dem Volk demütigenden Helden im „Kandidatenrock", aber audi auf „den stinkenden Atem des Volkes, der sidi nie in die Sphäre der Herrlidikeit zu erheben wagen darf".

64

Zu einem ähnlichen Ergebnis - jedodi von anderen Überlegungen ausgehend gelangt H.-G. Schwarz, Lenz und Shakespeare, in: Shakespeare-Jahrbuch West 1971, S. 85-96; S. 96: „So formte er sein Vorbild nach seinen eigenen Bedürfnissen um."

85

Vgl. Lenz, Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 535: Die .Anmerkungen übers Theater' und ,Amor vincit omnia' erscheinen zusammen.

3 Brunkhorst, Coriolanus

34

II. Der korrigierte

,Coriolanus'

2. Johann Gottfried Dyk Dyks ,Coriolan' ist die erste im Druck veröffentlichte dramatische Bearbeitung dieses Stoffes in Deutschland, die mehr sein will als lediglich Thomson- oder Shakespeare-Ubersetzung. Dennoch ist sie nicht als eigenständiges Werk zu bezeichnen66. Zwar beruft sich Dyk im Vorwort zu seiner Tragödie auf ein selbständiges Quellenstudium der antiken Autoren Dionysius, Plutarch und Livius, doch zugleich gesteht er auch die enge Bindung an seine Vorgänger in der Dramatisierung des Stoffes, betont seine Verpflichtungen gegenüber Shakespeare, Thomson und La Harpe, die er für sein eigenes Werk „zu Rathe gezogen und benutzt" habe67. In der angestrebten Synthese von frei zusammengefügten und ergänzten dramatischen Einzelmomenten dreier grundverschiedener Dramenkonzeptionen wird zwar noch keine betont Shakespearehafte Bearbeitung für die Aufführung zusammengestellt, wohl aber wird Shakespeare schon unter anderen Dichtern als gleichwertiges Vorbild anerkannt. Dyk ist nicht so sehr Dichter als Literat und Ubersetzer. Seine umfangreiche schriftstellerische Produktion beschränkt sich im wesentlichen auf Ubersetzungen aus dem Französischen und auf Popularliteratur „im flachsten Geiste der Aufklärungsperiode" 68 . Nicht eigenes dramatisches Schaffen, sondern das Bekanntmachen und die Verbreitung vor allem ausländischer Dramen in Deutschland ist sein Ziel69. Zu diesem Zweck verfaßt er Besprechungen von Theateraufführungen und dramatischen Versuchen deutscher und ausländischer Dichter in C. F. Weißes ,Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste', deren Redaktion er nach Weißes Ausscheiden selbst übernimmt70. Zu diesem Zweck ediert er auch eine zehnbändige Anthologie ,Komisches Theater der Franzosen für Deutsche'71, der er sechs weitere Bände unter dem Titel,Nebentheater' folgen läßt 72 . Im ganzen sind es über fünfzig eigene 66

[J. G. Dyk], Coriolan, Ein Trauerspiel, Leipzig 1786 (in einem Sammelband von sechs Schauspielen enthalten; das erste ist: Nicolai der Jüngere, das Religions-Edikt, Ein Lustspiel in fünf Aufzügen, Thenakel 1789; ein gemeinsames Titelblatt sowie in drei Fällen auch die Autorenangabe fehlen).

67

Ibid. S. 3. Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 5, Leipzig 1877, S. 509. K. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, Bd. 4, Abt. 1, Dresden 3 1916, S. 666, Abs. 35 u. S. 926, Abs. 28, und Bd. 5, Dresden 2 1893, S. 247, verzeichnet nur vier eigene dramatische Werke Dyks; vgl. auch W. Kosdi, Deutsches Literatur-Lexikon, Bd. 1, Bern 2 1949, S. 391. Vgl. J. Minor, Christian Felix Weiße und seine Beziehungen zur deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Innsbruck 1880, bes. S. 300, S. 303, S. 314 f. u. S. 318. Leipzig 1777-1786. Leipzig 1786-1788.

68 69

70

71 72

2. Johann Gottfried

35

Dyk

oder fremde Übertragungen und Bearbeitungen von überwiegend französischen, seltener englischen Lustspielen, Possen, Schauspielen und Nachspielen, die jedoch in ihrer deutschen Gestalt den scharfen Spott Goethes und Schillers herausgefordert haben: „Französische Lustspiele von Dyk: Wir versichern auf Ehre, daß wir einst witzig gewesen, Sind wir auch hier, wir gestehn's, herzlich geschmacklos und fad 73 ." Zu den erstmalig im ,Nebentheater' zugelassenen Trauerspielen gehört im zweiten Band auch Dyks .Coriolan'. 2.1 Selektive

und kompilatorische

Adaptionsmethoden

2.1.1 Vergleich von Personenzahl, dramatischem Zeitraum und Schauplatz bei Dyk und seinen Vorlagen 1. Mit elf namentlich aufgeführten Personen reicht Dyk fast schon an das Figurenrepertoire der Shakespeare-Tragödie heran und übertrifft damit bei weitem die Zahl der bei Thomson und La Harpe 74 angeführten Personen. Anders als bei Shakespeare, der Plutarch folgt, heißt Coriolans Mutter bei Dyk Veturia, seine Frau aber Volumnia, wie es bei Dionys und Livius steht75, denen auch Thomson und La Harpe folgen. Galesus, der bei Thomson als „einer von den Abgesandten der volscischen Staaten" auftritt 76 , ist jetzt „Augur und Consul in Antium" 77 , und sein freigelassener Sklave, bei Thomson Titus genannt, heißt jetzt Priscus und nimmt die Stelle des Shakespeareschen ,Lieutenant to Aufidius' ein. Von beiden letztgenannten Namen weiß weder Shakespeare noch La Harpe zu berichten. Julia gar, die Frau des Aufidius, ist von Dyk frei hinzuerfunden. 2. Wie Thomson und La Harpe ist auch Dyk darauf bedacht, den Handlungszeitraum möglichst eng einzugrenzen. Die Geschehniskette reicht wie bei La Harpe von der morgens dem Protagonisten überbrachten Nachricht seiner ersten Verurteilung über das zwischen dem ersten und zweiten Akt erfolgende endgültige Urteil der Verbannung und Coriolans 75

74

75

76 77

3'>

Goethes Werke Abt. 1, Bd. 5,1, Weimar 1893, S. 247, Nr. 292, weitere Xenien gegen D y k : Nr. 69, gegen die .Bibliothek': Nr. 45-47, Nr. 339 f.; daraufhin beurteilt die ,Neue Bibliothek' seit 1795, Bd. 55, St. 2, S. 283, die ,Hören' abfällig. La Harpe, Coriolan, Tragédie en cinq actes et en vers, Paris 1784, in: Petite bibliothèque des théâtres, Paris 1784. The Roman Antiquities of Dionysius of Halicarnassus, Buch 8, Kap. 39 u. 40, op. cit. Bd. 5, S. 114 f.; Livius, Buch 2, Kap. 40, op. cit. S. 59. Coriolan, Ein Trauerspiel des Herrn Jacob Thomson, anon. Übers. 1756, S. 364. Dyk, Coriolan S. 2.

36

II. Der

korrigierte,Coriolanus'

Ankunft bei den Volskern am Nachmittag bis hin zu seinem Tod am Abend. Die auf strengste Befolgung der pseudo-Aristotelischen Zeiteneinheit deutenden Hinweise auf die Tageszeit sind nicht mehr so aufdringlich wie bei den Klassizisten Thomson und La Harpe 78 ; doch Menenius' abschließende Bemerkung vom „ewig merkwürdigen Tag in dieser Republik" bezieht sich nicht lediglich auf das Schlußereignis, sondern meint auch die Zeitspanne des dramatischen Gesamtgeschehens. Während Thomson und La Harpe sich einem solchen Zeitplan relativ einfach eingliedern lassen, erfordert dieser Zeitplan jedoch für Shakespeares Werk eine radikale Umstellung der ursprünglichen Handlungsdisposition. 3. Um die Einheit des Ortes zu gewährleisten, setzt bei Thomson das dramatische Geschehen erst mit Coriolans Ankunft im volskischen Lager ein und wird auch dort zu Ende geführt. La Harpe erlaubt schon großzügiger einen einmaligen Wechsel des Schauplatzes von den Innenräumen der ersten beiden Akte zum freien Lagerplatz vor den Toren Roms, doch nicht ohne sein Vorgehen durch Berufung auf Boileau abzusichern79 und es als „entschuldbar durch die Nähe der beiden örtlichkeiten" hinzustellen80. Gegenüber La Harpe wird bei Dyk die Zahl der Schauplatzänderungen sogar noch um zwei weitere vermehrt. Obwohl diese beiden zusätzlichen Bühnenverwandlungen im vierten Akt technisch unkompliziert sind, bedeuten sie doch schon eine Annäherung an eine Shakespearegerechtere Bühnenpraxis, zumal die insgesamt dritte Szenenveränderung sogar innerhalb des Aktgeschehens liegt: Der waldige Kampfplatz wird durch öffnen der Hinterbühne zum Lagerplatz der Volsker erweitert 81 . Zusammen mit den sehr bühnenwirksamen Massenarrangements 82 der Soldatengruppen lassen sich hier schon Shakespearehafte Bühneneffekte beobachten, wie sie in dieser Auffassung erst wieder der Inszenierungsstil des späten 19. Jahrhunderts verwendet. 2.1.2 Wörtliche Entsprechungen Die vergleichbare Anlage und Entwicklung der Handlung der beiden ersten Akte bei La Harpe und Dyk wird noch unterstrichen durch wörtliche Entlehnungen Dyks aus dem Drama La Harpes, die wiederum mit 78 79

Vgl. die Zeitangaben bei Dyk, Coriolan, S. 90, S. 102 u. S. 129. La Harpe, Coriolan, Préface S. XI.

80

O. Gareis, op. cit. S. 231.

81

Dyk, Coriolan 4.6, S. 91.

82

R. Bitterling, J. F. Schink, Ein Schüler Diderots und Lessings, Leipzig-Hamburg 1911, S. 23, nennt es „Operieren mit Menschenmassen".

2. Johann Gottfried

Dyk

37

nur geringfügig abgeänderten Shakespeare-Sätzen aus der EschenburgÜbertragung durchsetzt sind. Dabei sind nicht nur die Reden La Harpes gekürzt worden, sondern die Reihenfolge der Sätze ist auch oft so verändert worden, daß die der französischen Vorlage entsprechenden Passagen im neuen Kontext auch eine veränderte Bedeutung und die Worte einen veränderten Aussagewert erhalten. Als Beispiel sei Veturias Bemühen, Coriolan zu politischer Klugheit und taktischer Verstellung zu überreden, angeführt: Shakespeare 3.2.28-31: „Pray be counselled: / I have a heart as little apt as yours, / But yet a brain that leads my use of anger / To better vantage." Eschenburg 1777, S. 248: . „O! laß dir rathen. Ich hab' ein Herz, das sich eben so ungern bequemt, als das Deinige; aber doch auch einen Kopf, der mir räth, meinen Zorn auf eine vortheilhaftere Gelegenheit zu sparen." La Harpe 1.3, S. 11: " „Ecoutez, Marcius. / Mes Leçons ont instruit votre jeune courage, / Et j'ai souvent joui de mon heureux ouvrage. / Vos exploits, vos vertus, tous ces présens du Ciel / O n t répandu la joie en ce / / cœur maternel. / / Vous êtes généreux, la gloire vous enflamme; / Mais la fierté souvent égare une grande ame."

/

.J/

Dyk 1.3, S. 19: „Höre mich, Marcius! Du sagst selbst, meine Lobsprüche hätten dich zum Krieger gebildet. Such auch heute mein Lob zu verdienen. Glaube mir, ich hab ein Herz, das sich eben so ungern bequemt als das deinige; aber doch auch einen Kopf, der mir räth, in meinem Zorne mit der H a n d nicht gegen die Wand zu schlagen. Du bist tapfer, edel, groß^müthig.

/ /

/

/

/

/ Unzähligemal hab ich mich deinethalben f ü r die glücklichste Mutter gepriesen. Aber dein hoher Geist f ü h r t dich zuweilen auf Abwege."

In den ersten beiden Akten wird hauptsächlich La Harpes Werk einer solchen Umformungstechnik unterworfen, die den Text der Vorlage teils

38

II. Der korrigierte,Coriolanus'

wörtlich, teils verändert, immer aber mit Shakespeare-Ergänzungen versehen, wiedergibt. Zu Beginn des dritten Aktes ist dann jedoch das Coriolan-Drama Thomsons in der anonymen Ubersetzung von 1756 sehr deutlich als Vorlage zu erkennen83: „Bediente. Herr, ein Mann von ansehnlichem Wüchse, mit verhülletem Gesichte, hat sich auf deinen geheiligten Herd unter die gefürchtete Beschirmung deiner Hausgötter gesetzet; und sitzet allda majestätisch, in feyerlichem Stillschweigen. Tullus. Hast du ihn gefraget, woher und wer er wäre? Bediente. Herr, ich konnte nicht sprechen; ich war so erschrocken, als wenn mich die Gegenwart irgend eines Gottes ergriffen hätte. Tullus. Komme, Verzagter, laß mich diesen Mann des Schreckens sehen."

„Priscus. Sieh! da hat sich ein Mann von ansehnlichem Wüchse unter die gefürchtete Beschirmung unsers Gottes hingeworfen, und sitzt da im feyerlichen Stillschweigen: eben heute, da wir in den Krieg ziehen wollen; das ist bedenklich! Tullus. Hast du ihn nicht gefragt: woher und wer er ist? Priscus. Ich war so erschrocken, als wenn mich die Gegenwart irgend eines höhern Wesens ergriffen hätte. Tullus. Verzagter! Laß mich zu diesem Mann des Schreckens."

Längere Abschnitte aus dem Shakespeare-Text finden sich nur im vierten Akt, wo der Auftritt Menenius' im volskischen Lager fast unverändert von Dyk aus Eschenburgs Übersetzung entnommen wird84. Darüber hinaus ist aber das ganze Werk Dyks von Shakespeare-Brocken gleichmäßig durchzogen, die wie eine verstreute Zitatensammlung wirken. Die im Vorstehenden ausgeführten Beispiele eines Textvergleichs zwischen Dyk einerseits und Shakespeare, Thomson und La Harpe andererseits erweisen Dyks ,Coriolanc als bunt gemischte Anthologie, als eine notdürftig verbundene Kompilation der disparatesten dramatischen Teilabschnitte. Der Begriff der ,Stratifikation', wie T. S. Eliot ihn ungerechtfertigterweise für Shakespeares,Hamlet' aufweisen und entwickeln 83

Thomson, Coriolan 1.3, S. 371 u. Dyk, Coriolan 3.4, S. 5 7 ; die drei zentralen Ausdrücke dieser Thomson-Passage, „exaltet port", „solemn silence" und „man of terrors" (The Works of James Thomson, Bd. 4, London 1773, S. 215) übersetzt Schlegel, op. cit. S. 1 5 2 : „ein Mann von ungemeinem Ansehen", „ernste Stille" und - nicht abweichend - „Mann des Schreckens".

84

Dyk, Coriolan 4 . 6 - 4 . 8 ; Shakespeare, Coriolanus 5 . 2 ; Eschenburg, op. cit. Bd. 9, S. 2 9 6 - 3 0 1 .

2. Johann Gottfried

Dyk

39

wollte85, läßt sich mit mehr Berechtigung und ungleich größerem Erfolg an Dyks ,Coriolan' darstellen. Die Benutzung der verschiedenen Vorlagen geschieht jedoch nicht unter einheitlichem Gesichtspunkt. Shakespeare, Thomson und La Harpe sind jeweils unter einem anderen Aspekt für Dyk relevant geworden. Jeweils auf die Haupttendenz ihrer Verwendung reduziert, läßt sich von Dyks drei Vorlagen zusammenfassend sagen, daß Shakespeares sprachliche Bilder und Vergleiche als Schmuck der moralisch-sentenzenreichen Reden Thomsons verwandt werden, während La Harpe die Anordnung der Szenen und die Aktgliederung maßgeblich beeinflußt hat. Trotz solcher Versatzspielkunst gelingt es Dyk aber dennoch, sein Konglomerat von Auszügen aus den Werken zweier englischer und eines französischen Dichters aus drei verschiedenen Epochen derart zusammenzufassen, daß es dem Geschmack des zeitgenössischen Theaters entspricht, wie die mehrfache Aufführung 86 und die Kupferstiche Chodowieckis87 beweisen. 2.2 Charakterzeichnung und

Handlungsführung

2.2.1 Die dramatische Funktion der Frauengestalten Gegenüber dem Stolz und der männlichen Härte Veturias verkörpert Volumnia das Prinzip der weiblichen Empfindsamkeit, der fühlenden Frau, die vor Schicksalsschlägen und vor der rauhen Wirklichkeit politischer Tatsachen geschützt werden muß. Als Vertraute und Ratgeberin Coriolans ist sie untauglich: „Sie hat eine zu weich geschaffene Seele; sie würde mein Ohr durch Thränen betäuben; von der Nichtigkeit des Ruhms und dem Glück sich selbst zu leben schwatzen88." Zwar ist Dyks Volumnia nicht gerade als redselig zu bezeichnen, denn ihre Beredsamkeit bleibt noch immer im Umfang hinter den Diskursen der Veturia über Ruhm, Vaterlandstreue und politische Klugheit zurück. Auch die beredte Überzeugungskraft einer Julia 89 ist ihr weit überlegen, doch gegenüber Shakespeares Virgilia ist Dyks Volumnia weitaus gesprächiger. 85

86

87

88 89

T. S. Eliot, Hamlet and His Problems, in: The Sacred Wood, London-New York 1964, S. 95-103. Vgl. E. L. Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, Stuttgart 1947, S. 109, S. 171 u. S.219. In: Königl. Grosbrit. Genealogischer Kalender auf d. Jahr 1787 (die Berliner Aufführung fand am 1 8 . 1 . 1 7 8 7 statt); vgl. W. Engelmann, D. Chodowieckis sämmtliche Kupferstiche, Leipzig 1857, S. 301; die Zusammenstellung von Chodowiecki-Stichen und Tieck-Text in: W. Shakespeare, Coriolanus, Mit 12 Kupfern v. D. Chodowiecki, hg. v. F. Walther, Berlin 1924, ist sehr irritierend, da der Text nicht mit den Bildern und den Bildunterschriften übereinstimmt. Dyk, Coriolan 1.3, S. 16. Frau des Aufidius.

40

II. Der

korrigierte,Coriolanus'

In der Rolle der liebenden Gattin verkörpert sie Naivität 90 und Irrationalität des weiblichen Wesens. Nicht wie bei Shakespeare ist sie lediglich still geschäftig während Coriolans Abwesenheit, sondern harrt unruhig auf seine Rückkehr. Statt mit stoisch-ruhiger Gelassenheit zu warten, legt sie sich schließlich „mit dem Kopf in das offene Fenster und weint". Dieser bis zur Rührseligkeit gesteigerte Zug einer empfindsamverletzlichen Frauenseele, wie Dyk ihn hier zum erstenmal in Shakespeares Drama hineinträgt, verbindet die Bearbeitung nach rückwärts mit einer in den fünfziger Jahren des Jahrhunderts noch neuen Gefühlskultur 01 . Später wird das Motiv der „melancholisch" auf die Rückkehr des Mannes wartenden Frau auch von Schink aufgenommen und hält sich bis hin zu Marbachs ,Coriolan', der es dann in seiner betontesten Ausformung zur alles beherrschenden Gefühlsseligkeit steigert und schließlich in der Übersteigerung ad absurdum führt. In dem Schmerz über Coriolans Abschied zeigt sich Volumnias ganze Abhängigkeit und Angewiesenheit auf ihren Mann 92 . In ihren übersteigerten, völlig haltlosen Anschuldigungen gegen die zurückgebliebene Mutter und gegen die Freunde Coriolans weiß Dyk diesen Eindruck der verzweifelten Frau wirksam zu gestalten93. Ein einfaches, ländliches Leben in bescheidener Zurückgezogenheit von der politischen Geschäftigkeit ist ihre Wunschvorstellung. In einem völligen Disengagement gegenüber dem öffentlichen Leben sieht sie zugleich die beste und auch einfachste Lösung aller Schwierigkeiten und Probleme. Obwohl Volumnia der Bewunderung für die Lebenstüchtigkeit, die Standhaftigkeit und die Willenskraft Veturias unverhohlen Ausdruck gibt04, vermag diese sie mit ihrer Charakterstärke und ihrem rhetorischen Uberzeugungsvermögen doch nur vorübergehend zu beruhigen und zu trösten 95 . In der Simplizität ihres Charakters ist Volumnia die Notwendigkeit von Coriolans Ruhmbegier absolut uneinsichtig und von Grund auf zuwider 98 . Während Veturia in Coriolans Untergang sogar eine gewisse Befriedigung finden kann - „Er stirbt meiner würdig" kann Volumnia dagegen keinerlei Freude über die Rettung Roms empfinden, 90

1,1

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Angesichts des Verbannungsurteils gegen Coriolan macht sie 2.3, S. 42 den Vorschlag: „Lieber Coriolan! könntest du denn nicht noch einige Zeit hier im Hause versteckt bleiben? Keiner deiner Freunde würde dich ja verrathen." Vgl. F. Brüggemann, Einführung zu: Das Drama des Gegeneinander in den 60er Jahren, Trauerspiele v. C. F. Weiße, hg. v. F. Brüggemann, Leipzig 1938, S. 32. Dyk, Coriolan 2.5, S. 48: „Er geht fort und überläßt sein Weib der Verzweiflung." Ibid. 2.5, S. 48: „Was steht ihr da und laßt ihn gehn? - Ihr habt euch alle gegen ihn verschworen! - Alle gegen mich verschworen! Ibid. 2.1, S. 32. Ibid. 2.1, S. 33. Ibid. 2.1, S. 31: „O Mutter! wozu flößest du ihm diesen heißen Durst nach Ruhm ein? Er wäre glücklicher ohne solchen! Ich, du wären glücklicher!"

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sondern bekundet nur ihre haltlose Verzweiflung über den Tod ihres Mannes: „Was kümmert mich Rom, da ich dich verliere97?" Während die Frau des Coriolan bei La Harpe nicht auftritt und bei Thomson nur am Schluß wichtig wird, erweitert Dyk auch gegenüber Shakespeare die Rolle der Virgilia-Volumnia zur dramatisch tragenden Figur der Tragödie. Indem er sie in die Nähe der Tradition sentimentaler Rührstückkonventionen stellt, schafft er in ihr nicht nur einen theatralisch wirksamen Kontrast zur völlig unweiblichen Mutter Coriolans, sondern stellt sie auch antagonistisch der von ihm in der Coriolan-Tradition neugeschaffenen Julia gegenüber. Die dominierende Mutterrolle der Shakespeareschen Volumnia wird jetzt bei Dyk in eine genau ausgewogene funktionale Opposition der drei Frauenrollen gespalten. Vertritt Dyks Volumnia das Theaterfach der holden Naiven, so erhält Julia die Rolle der kalten, berechnenden Intrigantin. War Volumnia durch ihr Anlehnungsbedürfnis charakterisiert, so ist es Julia durch die Selbständigkeit ihrer politischen Ideen, die sie durch ihren Einfluß auf Aufidius in aktiver Anteilnahme an den Staatsgeschäften und Kriegsentscheidungen zu verwirklichen weiß. Nachdem Coriolan zum ,Feldherrn und Mitgehülfen' des Aufidius ernannt und feierlich in den ,Freundschaftsbund' der Volsker aufgenommen worden ist98, leitet die Intrige der Julia in dramaturgisch strenger Logik die Gegenhandlung ein. Rückhaltlos hetzt Julia, mit machiavellistischen Argumenten auf Wohl und Interessen des Vaterlandes hinweisend, ihren Mann zur verderblichen Konspiration gegen Coriolan auf. Obwohl sie ihren subjektiven Gefühlen nach Coriolan durchaus Sympathie entgegenbringt 99 , arbeitet sie doch auf seinen Untergang hin. Ähnlich wie sich Veturia um den Ruhm ihres Sohnes sorgt, ist Julia auf den Ruhm ihres Mannes bedacht. Als erste erkennt sie, welche Einbuße das Ansehen des Aufidius durch das Auftreten Coriolans und durch dessen ihm freiwillig von Aufidius konzedierte Stellung im volskischen Heer erleidet. Wenn Julia geht, ist Coriolans Untergang beschlossen. Indem sie ihrem Mann den Stolz und die Überheblichkeit des Römers darstellt und an die Schande und Unehre erinnert, die daraus für die Volsker resultieren, bringt sie Aufidius zu der entscheidenden Erklärung gegen Coriolan: „Er siege oder werde besiegt, sein Verderben ist unausbleiblich100." Aufidius ist jetzt geheimer, aber entschlossener Gegner Coriolans und zielt von nun an in seinem Handeln und Trachten auf dessen Tod. Als das die folgende 97 98 99 100

Ibid. 5,7, s. 130. Ibid. 3,8, S. 66 u. S. 70. Vgl. ibid. 3,7, S. 66: „Ich könnt ihm gut seyn, war ich nicht des Aufidius Weib." Ibid. 3.9, S. 75.

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IL Der

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Handlung vorantreibende dynamische Moment wird die Intrige zum dramatischen Zentrum des Dykschen Werkes. 2.2.2 Charaktertragödie und Intrigenstück Während Aufidius bei Shakespeare zwar am Ende des vierten Aktes erkennt, daß es zwischen ihm und Coriolan zur ,Abrechnung' kommen wird 101 , so weiß er doch bis zum Schluß des Dramas seinen Mitverschworenen gegenüber noch nicht, in welcher Form und mit welchem Ausgang für Coriolan diese Abrechnung stattfinden wird: „Sir, I cannot teil; We must proceed as we do find the people102." Bis zur Katastrophe hin ist das Geschehen noch weitgehend bestimmt vom persönlichen Verhalten des Protagonisten. Bei Dyk dagegen ist das den Helden der Katastrophe entgegentreibende Moment nicht so sehr sein eigenes Verhalten, sondern die Intrige der Gegenpartei. Sie ist sorgfältig geplant und exakt vorbereitet 103 . Der erste Auftritt des fünften Aktes ist das ,Planungsgespräch' des Malefaktors mit dem gedungenen Mörder, der letzte Anweisungen für den Mordanschlag erhält. Der ganze fünfte Akt ist sonach nur ein vorausberechnetes ,Zuschnappen der Falle'. Gemäß dem Plan des Aufidius soll sich Coriolan, durch die Bitten seiner Familie bewegt, gegen eine Eroberung Roms oder doch zumindest gegen eine Gefangensetzung seiner Mutter aussprechen, um den Verschwörern einen Vorwand für ihr Handeln und einen „Schein des Rechts" zu geben104. Um dieses vorausbedachte Verhalten Coriolans um so sicherer eintreten zu lassen, soll er ohne vorherige Nachricht plötzlich und unvorbereitet mit der römischen Frauengesandtschaft konfrontiert werden. Eine solche Akribie der Planung zeigen weder La Harpe noch Thomson oder gar Shakespeare. Audi findet sich dort keine so explizite Darstellung der Bosheit und Niedertracht des Schurken, wie Dyk sie in der Vorfreude des Aufidius auf die Gewissensqualen seines Opfers angesichts der Entscheidung über die Bitten der Mutter gibt: „Ha, Priscus! schon weidet sich meine Seele an dem Gedanken, wie überrascht er da stehen, die Augen zur Erde schlagen, und es nicht wagen wird midi anzusehen105." 101

Shakespeare, Coriolanus 4.7.18-26, übersetzt bei Dyk, Coriolan, S. 85 f. Shakespeare, Coriolanus 5.6.15 f. los Ygj z . B. Dyk, Coriolan 5.1, S. 99: Aufidius' Umsicht und Bedachtsamkeit: „So wird es gehen! ich habe lauter Antiaten herum auf die Wache ziehen lassen; die einzige Cohorte, auf deren Treu ich midi noch verlassen kann." 104 Ibid. S. 100. 105 Ibid. 5.1, S. 101. 102

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Entsprechend ist Coriolan jetzt aber auch nicht mehr der direkte, jähzornige Charakter, dem die Beherrschung so schwer fällt und dem jede Verstellung fremd ist. Zwar behauptet Menenius noch im Shakespeareschen Sinn: „Sein Herz ist sein Mund" 106 , und Coriolan selber beklagt sich noch - auch hier in Shakespeares Worten - über sein mangelndes Verstellungsvermögen dem Volk gegenüber: „Ihr habt mir izt eine Rolle aufgegeben, die ich nimmermehr nach dem Leben spielen werde 107 ." Familie und Freunden gegenüber weiß er sich jetzt aber sehr wohl zu verstellen; und seiner Frau das über ihn gefällte Todesurteil zu verheimlichen, fällt ihm nicht mehr schwer. Allein seiner Mutter will er sich anvertrauen: „Ah Veturia! Ich bedarf deiner, um mein Herz zu erleichtern! Nur du wirst mich ganz verstehen, die dieses Herz bildete108. Ich verschließ es meinen Freunden, und laße ihnen nicht meine Wehmut, sondern nur meinen Zorn sehen. Meine Aeußerungen können ihnen Prahlerey dünken: Du weißt wie weit ich davon entfernt bin109." Es entspricht dem Charakter von Dyks Drama, daß - wie der ,Bösewicht' - jetzt auch der ,gute Held' sich einen Vertrauten wählt, dem er sich rückhaltlos offenbaren kann. Auf diese Weise können beide in direkter Rede ihre geheimsten Gedanken, ihr Innerstes, diskursiv darstellen und es dem Zuschauer vorführen, ohne ihn doch direkt oder im Gedankenmonolog ansprechen zu müssen. Gegenüber Shakespeare bedeuten diese sonst verborgenen, jetzt aber .vertraulich' mitgeteilten und dadurch exponierten Wesenszüge eine dramaturgische Methode, die zu einem Bruch in der Charaktergestaltung der Coriolan-Figur führt. Trotz der von Shakespeare übernommenen Passagen werden jetzt Zorn und Unbeherrschtheit als einseitiger und unwesentlich-äußerer Zug in Coriolans Wesen verstanden. Der andere, wesentlichere Zug aber, seine innere Grundgestimmtheit, wird mit ,Wehmut' bezeichnet, die auch später immer dann durchbricht, wenn der Verbannte an seine Familie in Rom erinnert wird 110 . Wie Coriolan, so offenbart auch Veturia im vertraulichen Gespräch eine der ursprünglichen Konzeption in den Vorlagen Dyks ganz fernliegende Wesenskomponente der Melancholie. Ihr Charakter wird in äußere Härte und innere Weichheit gespalten. Ihre „Empfindungen" 111 lM

Ibid. S. 50. Ibid. 2.5, S. 26. los Vgl, L a Harpe, Coriolan 1.3, S. 10: „Ah! ce cœur est à vous, vous l'avez su former." 109 Dyk, Coriolan 1.3, S. 16. 110 Ibid. 3.7, S. 65 versichert Coriolan der Frau des Aufidius, der Gedanke an Mutter und Frau erfülle sein „Herz mit Wehmut". 111 Ibid. 2.6, S. 50. 107

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II. Der

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lassen sie zwischen resignierender „Schwermuth" und ausharrender „Standhaftigkeit" 112 schwanken. Wie sie es von ihrem Sohn wünscht, so ist sie selber jetzt auch im Grunde ihres Wesens ein „fühlbarer Mensch"113. Durch Bemerkungen wie die Veturias bei der Nachricht von der Verbannung Coriolans, sie weine „die ersten Thränen wieder, seit mein Gemahl starb" 114 , wird nicht nur die dem ganzen Werk zugrunde liegende Tendenz des Rührstücks noch erhöht, sondern auch auf solche Figuren ausgedehnt, die der Shakespeareschen Charakterkonzeption zufolge ihr am wenigsten entsprechen würden. Von dieser Grundtendenz des Dramas her erhält auch der Begriff des Heldentums für den Protagonisten seine spezifische Abtönung. Nicht so sehr das stereotype Epitheton ,stolz' oder das weniger häufige ,tapfer' sind für die Charakteristik des Helden von Bedeutung, als vielmehr der Umstand, daß seine Freunde ihn, genauso wie er es auch selber tut, für „edel" und „großmüthig" halten 115 . „Edelmuth" und „Großmuth" sind es auch, die Coriolan als Charaktertugenden an Freund und Gegner gleichermaßen lobt118. Diese beiden Eigenschaften als Basis einer bewußt ethisch-humanitär orientierten Größe treten bei Dyks Coriolan in so übersteigerter Form auf, daß sie stellenweise umschlagen in die Selbstgerechtigkeit und das Selbstmitleid des verkannten Helden: Den besorgt-fürsorglichen Fragen der Freunde entgegnet der in die Verbannung Scheidende: „Dringt nicht weiter in mich! - Thut mir den Gefallen. - Ich werde ja noch eine Freystätte finden, wo ich niemandem zur Last bin117." Paßt dieser entsagende Verzicht schon wenig zu einer heldisch-impulsiven Charakterkonzeption Coriolans, so sind die Züge des bohrenden Zweifels über die Richtigkeit seines Handelns gänzlich verfehlt: „Nun ich meinen Zweck erreicht habe, seh ich die Dinge schon in anderm Lichte als vorher. — Hab ich ihn denn erreicht118?" Solche wie auch die folgenden bangen Fragen der Ungewißheit, wie sie wenig zu einem Charakter stimmen, der sonst weit entfernt von jeder retardierenden Reflexion ist, dem spontanes, gefühlsmäßiges Handeln, nicht planende Überlegung zukommt, finden ihre Entsprechung in Coriolans Ermahnung an Aufidius zur Mäßigung und Bedachtsamkeit: „Deine Freundschaft, Tullus, ist zu 112 113 114 115 118 117

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Ibid. 2.1, S. 34. Ibid. 5.3, S. 108. Ibid. 2.2, S. 39. Z . B . ibid. 1.3, S. 19. Ibid. 1.3, S. 17 u. 3.8, S. 68. Ibid. 2.4, S. 45; vgl. La Harpe 2.3, S. 23: „Peut-être je pourrai/Trouver quelque demeure ouverte à l'infortune, / Où la vertu du moins ne soit pas importune." Dyk, Coriolan 3.7, S. 65.

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schwärmerisch. Besinne dich izt, damit dir hernach das Geschehene nicht gereut und alsdann Hader unter uns entsteht 119 ." Die bedenkende Voraussicht und umsichtige Warnung dieser Sätze führen zusammen mit den vorher erwähnten Wesenszügen Coriolans zur Uneinheitlichkeit und mangelnden Geschlossenheit seines Charakterbildes. Sie zeigen aber auch, daß es Dyk nicht vorrangig um eine konsequente Charakterzeichnung geht, sondern um eine moralisierende Grundstimmung seines ganzen Werkes, die sich in der Beispielhaftigkeit der Handlung und nicht in der dramatischen Komplexität der Charaktere manifestieren soll. Aus der klaren Konstellation typischer Theaterchargen und aus dem Gegeneinander moralisch eindeutig umrissener Positionen ergibt sich in einfacher Logik der didaktische Gehalt der dramatischen Fabel. Auf individuelle Charakterstudien wird zugunsten der Eindeutigkeit einer aus dem szenischen Geschehen resultierenden Lehre verzichtet. Im Vordergrund des Interesses steht allein die aus der Handlung ableitbare Moral. 2.2.3 Der versöhnliche Schluß und die Apotheose des Helden Am Ende von Shakespeares ,Romeo and Juliet' findet die Versöhnung der feindlichen Häuser Capulet und Montague statt, doch die Trauer über den Tod der Kinder herrscht vor: „A glooming peace this morning with it brings120." Nicht dem Zukunft weisenden Aspekt der Aussöhnung zweier großer Familien gelten die abschließenden Worte des Prinzen, sondern erstarrt in Trauer und Entsetzen über das Geschehene weist er rückblickend noch einmal auf die Tragik der Liebesgeschichte hin: „For never was a story of more woe Than this of Juliet and her Romeo121." In seiner Bearbeitung dieser Shakespeare-Tragödie stellt C. F. Weiße den Abschluß viel versöhnlicher dar. Auch noch in der Tragik des Todes wird ein positives Moment gefunden, und Monteccho122 schließt das Geschehen in optimistischem Hinweis auf den Friedensschluß der Adelsparteien mit den Worten vom Glück im Unglück: „Oh! so hat doch der Tod unserer liebenswürdigen Kinder eine gute Wirkung gehabt123!" Diesem Schluß ist der von Dyks ,Coriolan c nachgebildet. Menenius läßt in seiner Zusammenfassung des tragischen Geschehens denselben 119 120 121 122 123

Ibid. 3.8, S. 68. Shakespeare, Romeo and Juliet, hg. v. J. D . Wilson, Cambridge 3 1963, 5.3.305. Ibid. 5.3.309 f. Dieser Name kommt bei Shakespeare nicht vor. C. F. Weiße, Romeo und Julie, in: Die Aufnahme Shakespeares auf der Bühne der Aufklärung, S. 234-306; S. 306.

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IL Der korrigierte

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freudigen Optimismus hervortreten. An jedem Unglück wird immer noch eine gute Seite gefunden: „O Vermischung der Traurigkeit und der Freude! [ . . . ] Muß Rom jauchzen über den Fall eines seiner edelsten Männer 124 !" Zwischen dem Nachgeben Coriolans gegenüber den Bitten seiner Mutter und dieser oxymorischen Schlußwendung von der ,freudigen Trauer', wie sie für den um Versöhnlichkeit bemühten Ausgang des Rührstücks typisch ist125, liegen noch fünf Szenen, in denen die Verwidklungen der Handlung endgültig gelöst werden und allen Betroffenen ihre gerechte Strafe oder Belohnung zuerkannt wird, wobei jedoch das Bemühen vorherrscht, in „einem schwer zu motivierenden Ubermaß an Tugend, Edelmut und Entsagung" jedes tragische Moment weitgehend abzuschwächen und zu mildern 126 ." Am besten passen Shakespeares Worte des Aufidius in dieses Schema, in dem die Reue der Versöhnung vorangeht: „Meine Wuth ist vorüber; izt ergreift mich der Kummer 127 ." Doch weit davon entfernt, wie bei Shakespeare die Schlußworte der Tragödie einzuleiten, sind diese Worte jetzt bei Dyk lediglich der Auftakt zu einem langwierigen Prozeß, in dessen Verlauf die Stufe der strafenden Vergeltung erst die Zerstörung des volskischen Lagers durch Feuer128, den endgültigen Sieg der römischen Sache und den Selbstmord des Aufidius129 bringen muß, ehe Coriolan schließlich seinem ehemaligen Gegner und jetzt toten Widersacher vergeben kann 130 . Doch auch Veturia ist jetzt von Gefühlen der Mitschuld am Tode Coriolans ergriffen und fleht ihren todwunden Sohn um Verzeihung an131. Erst dann kann sie ihren Stolz über den Heldentod des Sohnes äußern 132 . Coriolan selber hat - indem er dem Verlangen seiner bittenden Familie nachgibt — zu seinem ursprünglichen Patriotismus zurückgefunden und versöhnt mit der Mutter und unter Fortfall seiner Schuld - denn im Endeffekt hat er Rom gerettet, nicht verraten — gelangt er zu einem friedlichen Ende: „Mir ist wohl. Ich sterb als Römer, und in euren Armen 133 ." Aber gerade weil er schließlich auf seinen durch die ungerechte Verban124 125 128 127

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Dyk, Coriolan 5.8, S. 134. Vgl. G. v. Wilpert, Sadiwörterbudi der Literatur, Stuttgart 3 1961, S. 531 f. Ibid. S. 531. Dyk, Coriolan 5.6, S. 125 f.; vgl. Shakespeare, Coriolanus 5.6.147 f.: „My rage is gone, / And I am Struck with sorrow." Dyk, Coriolan 5.6, S. 127; diese Szene wird sehr wirkungsvoll von Chodowiecki dargestellt. Ibid. 5.8, S. 132. Ibid. 5.8, S. 133. Ibid. 5.6, S. 126: „Und ich, ich hab ihn hingeopfert! Kannst du mir vergeben?" Ibid. 5.7, S. 130. Ibid. 5.6, S. 126.

3. Johann Friedrich Schink

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nung berechtigten Racheanspruch gegenüber Rom verzichtet, erhält er auch Anspruch auf göttliche Gnade und Verzeihung für den Frevel des Vaterlandsverrats: „Zeus verzeiht mir — weil ich verzieh — und läßt mich noch dieß sehen134." Was der sterbende Held aber sieht, ist eine Idylle des gegenseitigen Verzeihens und eine Szene allgemeinen Friedens. Angesichts des römischen Triumphes, umgeben von seiner Familie und seinen Freunden, gelangt der tugendhafte Krieger und edelmütige Held schließlich zur apotheosehaften Schau der in der Lichtmetaphorik erfaßten göttlichen Transzendenz: „Die untergehende Sonne winkt meinem Geiste mit den letzten Strahlen, die sie nach uns heut herabschießt, hinaus zum Urquell alles Lichts sich zu schwingen und sich auf ewig mit ihm zu vereinigen135." Coriolan stirbt mit dem scheidenden Tag, der zugleich das Ende des dramatischen Tages bedeutet, doch nicht ohne noch ein letztes Mal das Positive selbst seines Todes, das Glück im Unglück auch für seine eigene Person, festgestellt zu haben: „So freudig stürb' ich nicht - hätt' ich meiner Rachgier Genüge gethan - 136 ." Während Shakespeare und Thomson den Helden sogleich nach dem Attentat an seinen Wunden sterben lassen und dann auf einen schnellen Abschluß des Stückes drängen, bringt auch La Harpe, der die Ermordung aus Gründen der klassizistischen ,bienseancef hinter die Bühne verlegt, lediglich eine kurze Schlußszene, in welcher der zu Tode verwundete Coriolan in den Armen seiner Mutter stirbt. Dyk dagegen braucht jetzt nach dem geglückten Mordanschlag noch drei lange Szenen, in denen der sterbende Coriolan sogar noch zeitweilig „eingeschlummert" ist137, um die Handlung in seinem Sinne zu einem für alle Parteien befriedigenden Abschluß zu bringen. Durch das langandauernde Finale wird schließlich jede im Tod des Protagonisten liegende Tragik zerdehnt und im melodramatischen Ausklang aufgefangen.

3. Johann Friedrich Schink Als ,Schüler Diderots und Lessings'138 hat Schink dennoch den dramentheoretischen Bestrebungen des Sturm und Drang nahegestanden 139 . Sein 134

Ibid. 5.7, S. 130 u. Chodowiecki Bl. 12; vgl. diesen Gedanken der Vergebung in anderem Zusammenhang bei La Harpe, Coriolan 5.8, S. 62: „Je l'ai vue a mes pieds, cette Rome si fiere [ . . . ] / J'ai fait grace." 135 D y k , Coriolan 5.7, S. 129 f. 138 Ibid. 5.8, S. 134. 137 Ibid. 5.6, S. 127. las Vgl R. Bitterling, op. cit., Untertitel des Buches. lso Vgl. D . Hoffmeier, Die Einbürgerung Shakespeares auf dem Theater des Sturm und Drang, Diss. phil. Greifswald 1963; bes. S. 22 f., S. 97 u. S. 100.

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II. Der korrigierte

,Coriolanus'

Coriolan-Drama 1 4 0 kann als Synthese der aufklärerisch-klassizistischen Bestrebungen Dyks und der neuen Shakespeare-Begeisterung Lenz' verstanden werden. Obwohl erst 1790 in überarbeiteter Form gedruckt, ist Schinks ,Koriolan c in der ersten Bühnenfassung von 1781 nicht nur im Gegensatz zu Lenz die erste vollständige deutsche Bearbeitung von Shakespeares ,Coriolanus', sondern noch vor Dyk diejenige Fassung, in der Shakespeares Werk überhaupt zum erstenmal in Deutschland aufgeführt wurde 141 . In Fortführung von Lenz' Absichten ist Schinks .Koriolan' weitgehend reine Shakespeare-Bearbeitung, für die andere Coriolan-Dramen als Quelle nur eine sehr untergeordnete Bedeutung haben. In Fortführung der Absichten Dyks aber wird die kürzend-vereinfachende Handlungsführung und die moralisierende Tendenz der Aufklärung in die Tragödie Shakespeares getragen. Schon ein Vergleich der verschiedenen Stadien der Bearbeitung läßt deutlich eine jeweilige Dominanz der unterschiedlichen Einflüsse erkennen, die jedoch eine teilweise rückläufige Entwicklung vom Sturm und Drang zur Aufklärung andeuten. 3.1. Die einzelnen Stadien der Bearbeitung Nimmt man an, daß die 1783 veröffentlichten ,Scenen vor Korioli' 1 4 2 in der ursprünglichen Hamburger Bühnenfassung von 1781 enthalten waren, so ergibt sich zumindest von der Anlage her das Bild einer dem Shakespeare-Original nahestehenden breiten Gliederung der Handlung mit oft wechselndem Schauplatz. Eine solche formale Konzeption widerspricht der klassizistischen Strenge der Aufklärungsdramatik, wie sie etwa in Thomsons ,Coriolanus' vertreten ist; sie kommt aber den theoretischen Ansichten Lenz' entgegen, der Kriegs- und Volkszenen als zur Charakteristik des Helden beitragend ganz im Sinne Shakespeares verstand 143 . Die inhaltliche Betrachtung dieser sechs Szenen, von denen wiederum nur vier als eigentliche ,Lagerszenen' zu bezeichnen sind 144 , ergibt aber, daß es sich hier gerade nicht um Schlachtenszenen handelt: Kampfhandlungen, Angriff der Truppe oder Zweikampf der Helden 145 sind ausgespart und werden lediglich im Botenbericht referiert 146 oder durch „Feldgeschrei" 147 hinter der Bühne angedeutet. J. F. Schink, Koriolan. Trauerspiel in fünf Aufzügen, Graz 1790. Hamburg 21. 5 . 1 7 8 1 . 1 4 2 Abgedr. in: J . F. Sdiink. Dramatische und andere Skizzen nebst Briefen über das Teaterwesen [sie] zu Wien, Wien 1783, S. 1 3 1 - 1 4 5 . 143 Vgl Lenz, Anmerkungen übers Theater, op. cit. S. 237 f. 1 4 4 Entsprechend Shakespeare, Coriolanus 1.6-1.9. 1 4 5 Wie z. B. Shakespeare, Coriolanus 1.4 u. 1.8. 1 4 6 Schink, Dramat. u. andere Skizzen, S. 135 f. 1 4 7 Ibid. S. 140 f. 140

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3. Johann Friedrich

Schink

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"Während des nächsten Stadiums seiner Coriolan-Bearbeitung weist Schink 1788 selber auf seine Kenntnis des inzwischen entstandenen Dykschen ,Coriolan c hin 148 . Verglichen mit der Endfassung von 1790 zeigen die drei jetzt veröffentlichten Szenen 149 aus dem ersten, dritten und fünften Akt eine sprachlich ausführlichere und dem Shakespeare-Text noch näherstehende Gestalt 150 . Auch die Mutter Koriolans heißt noch Volumnia, während sie 1789 und 1790 dem Beispiel Dyks folgend Veturia genannt wird. Die Wiener Bühnenfassung von 1789 1 5 1 zeigt im wesentlichen schon den Stand des gedruckten Textes. Bis 1790 werden nur noch einige sprachliche Glättungen vorgenommen, und Verbesserungen der Zensur, die etwa „Umarmungen" durch „Anwesenheit" ersetzt hatte 152 , werden wieder rückgängig gemacht. Die einzige einschneidende Veränderung ist die Streichung einer längeren Volksszene im vierten Akt 1 5 3 . Die schließlich gegenüber der Urfassung sehr weitgehende Eliminierung der Lager- und Volksszenen rückt Schinks Bearbeitung in die Nähe des französischen Vorbildes einer aus dem Gegeneinander der Einzelfiguren lebenden Dramatik. Das bühnenwirksame Arrangieren größerer Soldatengruppen, das Dyk an Shakespeare anschließend stark ausgebaut hatte, wird bei Schink wieder rückgängig gemacht. Uberblickt man die nur jeweils fragmentarisch veröffentlichten einzelnen Fassungen sowie das vollständige Wiener Bühnenmanuskript und schließlich das gedruckte Werk, so läßt sich deutlich das Bestreben erkennen, die Sprache immer weiter auszubessern und zu glätten und das Geschehen zu komprimieren. Auf Kosten einer subtilen Nuancierung und unter Verlust der Feinheiten Shakespeares in Plot und Charakterzeichnung wird auf eine Stringenz der Hauptmomente, wie Schink sie versteht, auf absolute Klarheit und Deutlichkeit einer einfachen Sprache und

148 Neue Litteratur und Völkerkunde, Bd. 4, April 1788, S. 295 f.; obwohl Schink nach seinem eigenen Zeugnis Dyks ,Coriolan' noch nicht gelesen hat, scheint er dodi dessen Plan und Charaktere schon zu kennen. Ibid. S. 3 0 1 - 3 1 7 . 150 Vgl. z. B. Shakespeare, Coriolanus 5.3. 183 ff.: „Behold, the heavens do ope, / The gods look down, and this unnatural scene / They laugh at." - Schink 1788, S. 316: „Siehe, die Götter blicken vom hohen Olymp herab, und ladien dieses unnatürlichen Auftritts." Schink 1789 u. 1790, 5.6, S. 124 bzw. S. 184: „Sieh", die Götter ladien dieses unnatürlichen Auftritts."

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Das Ms. liegt in der österreichischen Staatsbibliothek in Wien; vgl. audi R. Genie, Gesdiidite der Shakespearesdien Dramen in Deutschland, Leipzig 1870, S. 284, dodi handelt es sich nidit, wie R. Genie meint, um das „Original-Manuscript" von Schinks ,Koriolan'. Schink, Koriolan 1.1, Ms. S. 3. Ibid. Anfang 4.5, Ms. S. 8 8 - 9 2 .

4 Bronkhorst, Coriolanus

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II. Der korrigierte

,Coriolanus'

einfacher Charaktere hingearbeitet. Eine wohl zunächst noch ,genialisch' rauhere Urfassung — soweit sie erschlossen werden kann - wandelt sich allmählich zu der fast schon perfektionistisch abgeschliffenen und geschlossenen Druckfassung von 1790. Nicht nur für diese Entwicklung, sondern für die Grundkonzeption von Schinks Coriolan-Bearbeitung überhaupt ist das Vorbild des Hamburger Intendanten F. L. Schröder von größter Bedeutung. 3.2 Das Vorbild Schröders Schröders Aufforderung an die deutschen Schriftsteller von 1775, ihm ihre Dramen einzusenden, enthält auch ein festes Preisangebot „für eine gute deutsche Ubersetzung eines guten Stücks" 154 . Hierbei geht es nicht, wie Schröder später ausführt, um ein „Meisterwerk oder Werk des Genies", sondern um „gute und brauchbare Verdeutschungen"155. Nicht die künstlerische Qualität, sondern die Eignung für eine unmittelbare Aufführung ohne übertriebene Anforderungen an Bühnenausstattung und Bühnentechnik stehen für den Hamburger Intendanten im Vordergrund. Schröder selbst verfaßt und inszeniert innerhalb weniger Jahre 156 nach diesen Richtlinien neun eigene Shakespeare-Bearbeitungen, die Hamburg in dieser Zeit, als Shakespeare gerade erst für das deutsche Theater entdeckt wird, zur führenden Shakespeare-Bühne machen und die gleichzeitig auf dem Gebiet der Inszenierung und Schauspielkunst zu den dominierenden Leistungen der Epoche zählen. Mit der dramaturgisch-schauspielerischen Analyse der ersten dieser Bearbeitungen, den Betrachtungen ,Über Brockmanns Hamlet', liefert Schink seine „erste positiv wertvolle Leistung" als Theaterkritiker 157 . Doch auch sein dramatisches Erstwerk, ,Gianetta Montaldi', war schon vorher unter dem Protektorat Schröders aufgeführt worden158. Mit seinen beiden erhaltenen Shakespeare-Bearbeitungen, ,Gasner der zweite oder die bezähmte Widerbellerin' und ,Koriolan', die Schink 1781 nach

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Abgedr. bei B. Litzmann, F. L. Schröder, Ein Beitrag zur deutschen Litteraturund Theatergeschidate, Bd. 2, Hamburg-Leipzig 1894, S. 1 4 5 - 1 4 8 ; S. 147. Hamburgisches Theater 1, 1776, S. X I I f.; zitiert nach B. Litzmann, op. cit. S. 149. 1 7 7 6 - 1 7 7 9 ; vgl. F. L. W . Meyer, F. L. Schröder, Teil 2, Abt. 2, Hamburg 1819, S. 59 f., S. 171 f.; auch B. Litzmann, op. cit. S. 190 ff. Eine kürzere Darstellung findet sich bei G. v. Vincke, Shakespeare und Schröder, in: Shakespeare-Jahrbuch 11, 1876, S. 1 - 2 9 ; auch bei E . L. Stahl, op. cit. S. 89 ff. 1778; vgl. R . Bitterling, op. cit. S. 13; vgl. auch W . Hill, Die deutschen Theaterzeitschriften des 18. Jahrhunderts, Weimar 1915, S. 77. Schink sah Schröders H a m let-Inszenierung in Berlin. 1775 als das erste Trauerspiel, das den ausgesetzten Preis erhielt; vgl. R . Bitterling, op. cit. S. 6.

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Hamburg schickt, erneuert er nicht nur seine alte Freundschaft mit Schröder 159 , sondern stellt sich auch bewußt in die Tradition von dessen Bearbeitungen. Doch während Schröder in dem ersten Werk, einer Adaption von ,The Taming of the Shrew' mit deutschen Namen und Schauplätzen, noch selbst die Hauptrolle spielt, ist er zum Zeitpunkt der Koriolan-Aufführung schon nicht mehr in Hamburg 160 . Schröders Postulat der Brauchbarkeit und Effektivität für eine unmittelbare szenische Realisation der Shakespeare-Bearbeitungen wird für Schinks ,Koriolan' verpflichtend. In dieser Forderung haben auch die gegenüber Shakespeare „kargen Dialoge und Monologe" ihren Ursprung 161 . In der ihnen von Schink gegebenen Form sind sie für den Schauspieler leichter zu sprechen und für das Publikum einfacher zu verstehen, als es eine wörtliche Shakespeare-Ubersetzung gewesen wäre. Noch 1804 fordert Schink gegenüber der bunten Vielfalt und den szenischen Freiheiten seiner eigenen Faust-Dichtung äußerste Knappheit und Kürze bei größtmöglicher Klarheit und Verständlichkeit der Handlung als Garanten einer erfolgreichen Theateraufführung 162 . Gemäß dieser Forderung ist Schinks Koriolan-Text gegenüber Shakespeare nur an wenigen Stellen erweitert, desto öfter aber gekürzt worden, um die gewöhnliche Spieldauer eines Theaterabends einhalten zu können. Trotz Schinks eigener eindringlicher Forderung nach Einheit von Raum und Zeit findet sich in seinem ,Koriolan' gegenüber der streng klassizistischen Regelmäßigkeit von Thomsons ,Coriolanus' jedoch schon eine endgültige Lockerung der pseudo-Aristotelischen Lehren. Schink vermeidet bewußt jede Zeitangabe. Bis zum Ende des dritten Aktes lassen sich die Ereignisse noch als an einem Tag geschehen begreifen; auch die Ereignisse des fünften Aktes bleiben durch die Verlegung der Ermordung Koriolans ins Feldlager der Volsker auf den Zeitraum eines Tages begrenzt; doch im vierten Akt ist von Gesandtschaften die Rede, deren Mission wie auch der folgende Marsch des Volsker-Heeres auf Rom eine Zeitspanne von mehreren Tagen beansprucht. Wichtiger noch als die Lösung des dramatischen Zeitproblems ist für Schink die Frage nach der jeweiligen Schauplatzlokalisierung. Unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Bühnenverhältnisse sind die zahl159 Vgl. zur Beziehung Schink-Schröder während der Wiener und Hamburger Zeit R. Bitterling, op. cit. S. 26 u. S. 33; 1789 geht Schink im Gefühl der Nachfolge Lessings an das Hamburger Theater unter Schröder. Zur Verpachtung des Hamburger Theaters vgl. F. L. W. Meyer, op. cit. Teil 1, S. 335 f. 1 6 1 R. Bitterling, op. cit. S. 22. 162 Y g j j p Schink, Johann Faust, Dramatische Phantasie nach einer Sage des 16. Jahrhunderts, 2 Teile, Berlin 1804, S. 332. 160



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II. Der korrigierte

,Coriolanus'

reichen Szenenwechsel Shakespeares auf höchstens eine Verwandlung pro Akt reduziert worden: 1.1 und 1.2: .Zimmer im Hause des Marzius' 1.3 bis 1.7: ,Markt zu Rom' 2.1 und 2.2: ,Das Kapitol' 2.3 bis 2.10: ,Markt zu Rom' 3.1 bis 3.6: ,Koriolans Haus' 4.1 bis 4.4: ,Haus des Tullus Aufidius' 4.5 bis 4.9: ,Der Markt in Rom* 5.1 bis 5.12: ,Volszisches Lager' Die Tribunen und das Volk sprechen ihr Verbannungsurteil in ,Koriolans Haus', und Koriolan verabschiedet sich anschließend sofort von seiner Familie, so daß das ganze zentrale Geschehen des dritten Aktes 168 ohne Kulissenwechsel auskommt 164 . Doch auch die Dekorationswechsel in den anderen Akten stellen nur minimale Anforderungen an die Bühnentechnik: Die Innenraumausstattung wird einfach weggeräumt, wenn sich das Geschehen auf den römischen Marktplatz verlagert. 3.3 Dramatische Einzelaspekte in Figurenzeichnung und Thematik 3.3.1 Die Imaginationskraft der Veturia Was Shakespeare in vielen kurzen Szenen plastisch vor Augen führt, muß bei Schink im Botenbericht referiert werden. Zu diesem Zweck führt er nicht nur Larzius, „einen alten Soldaten", als neue Dramenfigur ein, der die Taten und die Ehrung des Helden vor Corioli berichtet165, sondern auch Veturias ahnungsvolle Imaginationen ihres vor Korioli kämpfenden Sohnes erhalten einen anderen Stellenwert und viel betontere Mitteilungsfunktion, als es die entsprechenden Passagen von Shakespeares Volumnia hatten. Shakespeare läßt Volumnia zu Virgilia sagen: „Methinks I hear hither your husband's drum; See him pluck Aufidius down by th' hair 186 ." Indem Schink den sich auf Hören und Sehen berufenden Rahmen der Aussage zunächst nur auf eine visionäre Schau beschränkt, kommt dieser 163 164

1,5

166

Er entspricht Shakespeare, Coriolanus 3.2-4.1. Obwohl der 3. Akt bei Schink 6 Szenen hat: Die Szeneneinteilung bei Shakespeare - -wie sie im allgemeinen gehandhabt wird - folgt dem Ortswechsel, bei Schink dagegen der Änderung der Personenzahl auf der Bühne. Shakespeare, Coriolanus 1.4-1.9 wird bei Schink von Larzius berichtet in: Koriolan 1.2, S. 104 ff. Shakespeare, Coriolanus 1.3.30 f.

3. Johann Friedrich Schink

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im veränderten Kontext jetzt eine weitaus größere Vergegenwärtigungskraft zu. Die vorher nur subjektiv-emotionale Äußerung Volumnias muß jetzt noch zusätzlich zur Information des Zuschauers dienen. Veturia gerät nicht nur, wie die Bühnenanweisung sagt, „in Begeisterung" 167 , sondern gleichsam in eine Ekstase des beobachtenden Miterlebens. In einer eingebildeten Teichoskopie referiert sie in kurzen, abrupten Sätzen - hier wieder Shakespeare folgend - die aufeinanderfolgenden Stadien eines kontinuierlichen Handlungsverlaufes: „Mich dünkt, idi seh' ihn kämpfend mit dem Aufidius; er faßt ihn bei den Haaren, reißt ihn nieder; wie Kinder von einem Bären, fliehen die Volszier. Midi dünkt, ich hör' ihn rufen: Heran ihr Feigen! euch zeugte die Furcht, obgleich Rom euch gebahr. Jezt troknet er mit der gepanzerten Hand die Stirne, jezt— 1 6 8 ." Die Beschreibung des Geschehenen läuft nicht wie bei Shakespeare in einen Vergleich aus, der das aktuell Imaginierte in den Bereich der abstrahierenden Reflexion zurückholt und damit den Schritt zurück von der Illusion zur Tatsächlichkeit erleichtert, sondern endet sehr plötzlich und durch die Unterbrechung Virgilias als effektvolle Ellipse: Veturia wird in die Wirklichkeit zurückgerissen. Mit dem Ansatz zur anaphorischen Reihung versucht Schink den suggestiven Sprachstil der Veturia noch über Shakespeare hinaus zu steigern. Diese die Imaginationskraft der Zuschauer evozierende Spradie wird charakteristisch für Schinks Veturia. Bei Shakespeare leitet Volumnia den Auftritt ihres im Triumph nach Rom einziehenden Sohnes mit einer emblematischen Devise ein, die schon durch die Reimbindung ihren programmatischen Charakter betont: „Death, that dark spirit, in's nervy arm doth lie, Which, being advanced, declines, and then men die169." Schink gestaltet diesen Satz zu einem erweiterten allegorischen Tableau. Die direkte poetische Personifikation des Todes wird zwar aufgegeben, doch die implizite Aussage von der seine Gegner vernichtenden Kraft Coriolans wird erweitert und neu ausgeschmückt zum vollständigen Gemälde: „Um ihn her Getümmel der Schlacht, unter ihm Tod und Leichen, über ihm Freiheit und Sieg; seinen Helm voll Blut, in seinen Händen Triumf 170 . K In der ungeordneten Mischung von realen und idealen Kriegsrequisiten erhält dieser Entwurf eines Schlachtenbildes seine funktionale Auf187 168 169 170

Schink, Koriolan 1.1, S. 103. Ibid. 1.1, S. 103. Shakespeare, Coriolanus 2.1.158. f. Schink, Koriolan 1.5, S. 116.

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II. Der korrigierte

.Coriolanus'

gäbe für die spezifische dramatische Situation erst in seiner epanaleptisdien Einrahmung durch zwei irreale Wunschsätze: „ich möcht ihn gesehen haben" steht am Anfang und Ende der beschreibenden Passage. Die in pathetischer Ausdruckssteigerung nur durch wechselnde Positionspartikel aneinandergereihten Begriffe heben jedoch als Attribute des siegreichen Kriegers den Modus der Irrealität der Rahmensätze wieder auf und werden in der unmittelbaren Erwartung des Helden zur plastischen Antizipation seiner Erscheinung. Die lebendige Phantasie der Veturia findet ihren Höhepunkt am Schluß des Dramas. In visionärer, realitätstranszendierender Schau sieht die Mutter den Geist ihres Sohnes aus dessen Leiche emporsteigen: „Mein Sohn hin, mein edler Sohn! Seht ihr's, da steigt er auf, Blut in seinen Lokken, reicht mir seine Hand! seht ihr's 171 ?" Die Imaginationskraft der Veturia, die im Verlauf der Handlung des Stücks als Hilfsmittel des Dichters eingesetzt war zur Vergegenwärtigung nicht gezeigter, sich außerhalb des Bühnenraums abspielender Geschehnisse, steigert sich hier zum halluzinatorischen Wahn. Gleichzeitig dient dieses Einbildungsvermögen in seiner letzten Steigerung aber auch wieder dem Dichter als Bezugspunkt eines transzendenten Werthorizontes heroisch-moralischer Absolutheitsansprüche des tragischen Geschehens. 3.3.2 Patriotismus und Familieninteresse Hatte Dyk das Moment des Patriotischen, den bestraften Vaterlandsverrat, noch stärker als Thomson in den Vordergrund seiner Bearbeitung gestellt, so hat Schink dagegen - nach Ansicht R. Bitterlings - „das Motiv des Stolzes als strafbare Leidenschaft einseitig aus Shakespeare herausgelöst" 172 . Diese Kontrastierung ist jedoch gerade mit Bezug auf Schink zu modifizieren. Wohl tritt das Moment der nationalen Begeisterung im Charakter des Helden selber zurück. Er möchte nicht mehr — wie bei Dyk - Rom als „das Haupt der Welt" verstanden wissen173. Seine Mutter jedoch ist glühende Patriotin geblieben. Wo sie bei Shakespeare Ehre und Ruhm als die ausschlaggebenden Gründe anführt, aus denen heraus sie ihren Sohn in Krieg und Gefahr schickt174, argumentiert Schinks Veturia mit ihrer Opferbereitschaft fürs Vaterland: Schon als Kind hatte sie Koriolan 171

172 173 174

Ibid. 5.12, S. 1 9 5 ; R. Bitterling, op. cit. S. 68, A . 54 weist auf das direkte Vorbild in Shakespeares .Macbeth' 3.4 für das Motiv der blutigen Locken hin, das Schink auch schon früher verwandte. Op. cit. S. 23. Dyk, Coriolan S. 17. Shakespeare, Coriolanus 1 . 3 . 1 - 2 5 ; bes. 1.3.9 ff.

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„willig und gern dem Vaterlande opfern wollen, hätte sein Vaterland dieses Opfer gefordert. Auf diesen Armen hätt' ich ihn empor gehalten; nimm ihn mein Vaterland, hätt' ich gesagt, ich hab' ihn dazu geboren" 175 . Entsprechend erfährt jetzt auch der Schluß von Veturias Rede trotz der durchaus vergleichbaren Aussagen bei Shakespeare und Schink eine Akzentverschiebung 178 . Liegt die Betonung bei Shakespeare gerade auf dem Aspekt des „nobly", so ist bei Schink lediglich das Opfer fürs Vaterland relevant. Übertrifft der Patriotismus bei Schink in der Drastik seiner sprachlichen Äußerung denjenigen von Dyks Veturia durchaus, so bleibt er doch gerade in der konsequenten Art seiner funktionalen Verwendung auf die Exposition des Charakters der Veturia beschränkt. Er wird nicht diskutiert, er ist kein dynamischer Konfliktstoff für den weiteren Verlauf des Geschehens. Wie bei Shakespeare treten in der Bittrede der Veturia 177 Patriotismus und Mutterliebe in Widerstreit miteinander, doch die abschließende Katastrophe führt jetzt lediglich zu einem Affektausbruch der Mutterliebe; eine Ausweitung auf die Problematik des Vaterlandsverrats bleibt aus. Die dominierende Stellung des Patriotismus wird von einer gegenüber Shakespeare noch verstärkten Mutter-Sohn-Bindung überlagert. Das „Familienelement" wird nicht nur in Shakespeares Tragödie „stark hineingetragen" 178 , sondern geradezu zum zentralen Anliegen der Bearbeitung erhoben. Schon Shakespeares Werk selber versteht Schink als „Familiengemälde" eines Helden 179 . Von den Zeitgenossen Schinks verwendet Schiller diesen Terminus, um zu betonen, daß er den Vater-Sohn-Konflikt im ,Don Carlos' nicht lediglich als historisches oder politisches Faktum verstanden wissen will, sondern zugleich auch als menschlichen Grundkonflikt innerhalb eines idealen, sittlich-humanitären Werthorizontes 180 . 175

Schink, Koriolan 1.1, S. 101 f.

178

Shakespeare, Coriolanus 1.3.22 fF.: „had I a dozen sons, [ . . . ] I had rather had eleven die nobly for their country than one voluptuously surfeit out of action"; Schink, Koriolan 1.1, S. 103: „hätt" ich zwölf Söhne, [ . . . ] ich wollte sie lieber alle zwölfe für ihr Vaterland ihr Leben ausbluten, als einen einzigen in weichlicher Untätigkeit leben sehen."

177

Shakespeare, Coriolanus 5.3.94-182 u. Schink, Koriolan 5.6, S. 181 ff.

178

R. Bitterling, op. cit. S. 22.

Schink, Dramaturgische Fragmente, 4 Bde., Graz 1781-82, Bd. 4, S. 1073. iso Ygl Jen Brief an Dalberg vom 7. 6. 1784, in: Schillers Briefe, hg. v. F. Jonas, Bd. 1, o. J., S. 192: „Carlos würde nichts weniger seyn, als ein politisches Stük sondern eigentlich ein Familiengemälde in einem fürstlichen Hauße"; vgl. auch die Fußnote in der ,Thalia' von 1786, in: Schillers Sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, Bd. 16, Stuttgart-Berlin o. J., S. 51.

179

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II. Der korrigierte

,Coriolanus'

Schink jedoch gebraucht den Begriff des Familiengemäldes anders als Schiller. Er möchte eine menschlich-prosaische, auch von der Sprache her in Prosa gehaltene Schilderung alltäglicher Menschen abheben von „der idealen und akademischen Verstragödie" 181 , die das Vorbild „höherer Menschlichkeit" darstellt. Obwohl er sich bewußt ist, daß Shakespeare durchaus in Versen dichtete, urteilt Schink über .Coriolanus': „Hier sollen wir mehr mit in das Familieninteresse der Helden hingezogen, als zu ihrer Bewunderung hingerissen werden. Hier sollen wir mehr unsere Menschheit, als Malerei schönerer, höherer Menschheit, sehen. Hier sollen die Helden mehr erscheinen, wie sie sind, als wie sie sein sollten182." Nicht Schillers, sondern Lessings Begriff vom Familiengemälde wird von Schink vorausgesetzt183. Und obwohl Koriolan als römischer Patrizier in seiner plebejerfeindlichen Haltung seine Zugehörigkeit zur Adelspartei betont, erreicht Schink, der neben Diderot und Lessing der wichtigste Theoretiker des bürgerlichen Dramas ist184, auch für Shakespeares ,Coriolanus' durch die „Beseelung der familiären Beziehungen"185 in seiner Bearbeitung den Anschluß an das deutsche bürgerliche Trauerspiel des 18. Jahrhunderts. Die idealisierte Familienbindung, das Grundmotiv dieser Dramengattung, erfährt in Schinks ,Koriolan' durch den Freitod der Veturia am Schluß der Tragödie ihre Hypostasierung. Im gemeinsamen, verklärenden Tod wird die Mutter-Sohn-Beziehung verherrlicht. Das ehrende Andenken im abschließenden Nachruf des Aufidius kommt daher auch nicht mehr — wie es bei Shakespeare der Fall war 188 — dem Helden als dem heroischen Individuum zu. Vielmehr sollen Mutter und Sohn in ihrer rührenden Abhängigkeit voneinander der Nachwelt gleichermaßen als Vorbild erscheinen: „Koriolan, Veturia, größere Namen wird nie ein Römer aussprechen187." 181

Schink, Dramaturgische Fragmente Bd. 4, S. 1070.

182

Ibid. Bd. 4, S. 1076 (,als' wird in diesem Zitat in der Bedeutung v o n .anstatt' gebraucht). im Vgl. g . E. Lessings sämtliche Schriften, Bd. 9, Stuttgart 1893, Hamburgische D r a maturgie, Stück 22, S. 273 (über Gellerts Lustspiele): „Es sind wahre Familiengemälde, in denen man sogleich zu Hause ist; jeder Zuschauer glaubt, einen Vetter, einen Schwager, ein Mühmchen aus seiner eigenen Verwandtschaft darin zu erkennen." 184

Vgl. A . Wierladier, D a s bürgerliche Drama, München 1968, S. 10, A . 23. W. Schaer, D i e Gesellschaft im deutschen bürgerlichen D r a m a des 18. Jahrhunderts, Bonn 1963, S. 5, führt Beispiele für das bürgerliche Trauerspiel an, in denen weder Bürger auftreten noch die Handlung im bürgerlichen Milieu spielt.

185

L. Pikulik, .Bürgerliches Trauerspiel' und Empfindsamkeit, K ö l n 1966, S. 12.

i8« Ygl_ Shakespeare, Coriolanus 5.6. 154: „Yet he shall have a noble memory." 187

Schink, Koriolan 5.12, S. 196.

3. Johann Friedrich

3.4 Zu Theorie und Sprache der

Schink

57

Shakespeare-Bearbeitung

3.4.1 Die Rettung Shakespeares Die sich im Sturm und Drang neu herausbildende historische Betrachtungsweise188 führt zu einer ersten umfassenden deutschen ShakespeareBegeisterung. Aus diesem historischen Bewußtsein von der Individualität vergangener literarischer Epochen und einer ihnen gegenüber veränderten und eigengesetzlichen Gegenwart heraus wird jedoch auch die Apologie einer anpassenden Neubearbeitung Shakespeares abgeleitet. Die beiden wesentlichen Grundprinzipien dieser Bearbeitungen sind die moralische und ästhetische Publikumserziehung einerseits und die Bühnenwirksamkeit des Dargestellten andererseits. Schröder versteht diese beiden gegensätzlichen Forderungen durchaus zu vereinbaren. Anläßlich einer Heinrich-IV.-Aufführung geht er in seinen pädagogischen Bestrebungen sogar so weit, das befremdete Premierenpublikum durch erzieherische Maßnahmen zur ästhetischen Reife führen zu wollen: „In der Hoffnung, daß dieses Meisterwerk Shakespeares, welches Sitten schildert, die von den unsrigen abweichen, immer besser wird verstanden werden, wird es morgen wiederholt 189 ." Andererseits kommt aber auch gerade Schröder in seinen ShakespeareBearbeitungen in jeder Beziehung dem Geschmack und den Sitten seiner eigenen Zeit entgegen. Rigoros beschränkt er sich allein auf das für sein Publikum Wirksame in Shakespeares Werken und läßt das übrige, ihm überflüssig oder unverständlich Erscheinende, weg. Er verzichtet sogar auf „manches Notwendige, wenn es ihm die Wirkung auf seine Nation, auf seine Zeit zu stören schien" 190 . Schink dagegen propagiert das Werk Shakespeares nicht so sehr durch die Praxis seiner eigenen Shakespeare-Adaptionen als vielmehr durch seine theoretischen Erwägungen. Mehr als jeder andere Shakespeare-Bearbeiter seiner Zeit macht er sich Gedanken über die dramentheoretischen Begründungen seines Vorgehens. Er liefert als erster bewußt und ausführlich die ästhetisch-reflexive Durchdringung der Problematik einer aneignend-verändernden Bearbeitung Shakespeares für die Aufführungszwecke des zeitgenössischen Theaters. Durch diese Arbeit der Kritik und Analyse von Aufführungen eigener und fremder Adaptionen trägt er maßgeblich zur Verbreitung und Anerkennung Shakespeares in Deutschland bei: „Keinem anderen Kunstkritiker aber hat Shakespeare in 188 Y g j p Meinecke, Die Entstehung des Historismus, hg. v. J . C. Hinrichs, München 1959, bes. das Herder-Kapitel S. 364 f. u. S. 405 f. 189

B. Litzmann, op. cit. Bd. 2, S. 264.

190

D. Hoffmeier, op. cit. S. 52.

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II. Der korrigierte

,Coriolanus'

Deutschland seit Lessing im 18. Jahrhundert annähernd so viel zu danken gehabt als dessen bedeutendstem Nachfolger, J. F. Schink191." In den entscheidenden Grundgedanken seiner Adaptionstheorie knüpft Schink unmittelbar an L.-S. Mercier an, der zu einer Bearbeitung Molières aufforderte: „Verschiedene alte Stücke, deren Plan gut angelegt ist, verdienten da, wo sie fehlerhaft sind, wenigstens in Ansehung der Sitten oder der Sprache, ausgebessert zu werden [ . . . ] Das Werk würde nicht aus Mangel einiger Abkürzungen oder nöthiger Vermehrungen, die es der Zeit, in der es aufgeführt werden soll, mehr anpaßten, zu Grunde gehen. Wenn der Autor wieder auf die Welt zurückkäme, würde er sich nicht selbst verbessern? Warum sollten wir denn fürchten, das zu thun, was er selbst thun würde. Man fürchtet sich, wird man mir einwerfen, Hand an ein fremdes Werk zu legen. Kindische Furcht! wenn der Verfaßer gestorben ist. Alsdann gehört sein Drama dem Publikum an: Seine Manen sind ehrwürdig, aber die Vervollkommnung des Theaters, und der Sitten ist noch ehrwürdiger 192 ." In genauer Entsprechung möchte Schink die Werke Shakespeares .kultivieren'. Wie die Zeit des Sturm und Drang gerade am Leitbild Shakespeares den Begriff des Originalgenies als Inkarnation einer ästhetisch autonomen Individualität entwickelt, so zögert sie doch nicht, um ihn zu .retten', seine Dramen grundlegend zu ändern: Dies geschieht nicht nur mit Bezug auf den dramatisch-szenischen Aufbau, um eine .Vervollkommnung des Theaters' zu erreichen, sondern auch mit Bezug auf die moralische Aussage, um auf eine .Vervollkommnung der Sitten' hinzuarbeiten. Was Mercier über Berechtigung und Richtlinien einer Bearbeitung Molières ausführt, sagt Schink mit fast den gleichen Worten über eine Bearbeitung Shakespeares193: „So gewis Shakespear, wenn er mit all den unerforschlichen Kräften seines Genies, die ihn zum ersten dramatischen Dichter aller Zeiten machen, unter seinem izzigen Volk aufträte, von allen diesen Ungereimtheiten nichts, oder doch einen grossen Teil weniger haben würde: so gewis müste ein weiser Bearbeiter seiner Schauspiele, wenn er sie auf unser Teater bringen wollte, in den Stellen, wo er diese Feier begeht, ihn nicht reden lassen wie er redet, sondern wie er geredet

191 192

193

E. L. Stahl, op. cit. S. 114. L.-S. Mercier, Du théâtre ou nouvel essai sur l'art dramatique, Amsterdam 1773; Zitat nach: Mercier-Wagner, Neuer Versuch über die Schauspielkunst, Aus dem Franz., Mit einem Anhang aus Goethes Brieftasche, Faksimiledruck der Ausg. v. 1776, Heidelberg 1967, S. 167 f. Sonst urteilt Sdiink nicht sehr positiv über Mercier: vgl. Dramaturgische Fragmente, Bd. 2, S. 432 ff.

3. Johann Friedrich Sdiink

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haben würde: wenn sein Genie kultivierter, wenn er zu andern Zeiten und andern Umständen wäre geboren worden 194 ." Die „Feier wider Warscheinlichkeit, Moralität und dramatische Kunst" 1 9 5 , die Sdiink bei Shakespeare als die Auswüchse eines feurigen und unkultivierten Genies findet, schreibt er im Sinne einer emanzipierten Aufklärung der ,Ungeschlachtheit der Zeiten' 196 zu und dem ,kindischen Alter' 107 , in dem das elisabethanische Theater sich noch befunden habe. Das moderne Theater soll durch den Exempelwert des Gezeigten moralisch-pädagogische Wirkung haben, „es soll durch Darstellung der Leidenschaften unsere Leidenschaften reinigen, das ist, bessern, leiten, bändigen, und sie recht anwenden leren" 198 . D a das Shakespearesche Schauspiel solche vorbildlich kathartische Wirkung oft vermissen läßt, muß sie ihm eingepflanzt werden. In einem Prozeß der Umformung des archaisch-rauhen und ungeschlacht-urtümlichen Werkes gilt es, „all das unsern Sitten Fremde und Anstößige einheimisch und unanstößig zu machen" 199 . 3.4.2 Sprachliche Umsetzungsprobleme Nicht so sehr in der Charakterzeichnung als vielmehr im Sprachstil erblickt Schink das Hauptübel der Shakespeare-Werke. In erster Linie geht es ihm bei seinen Bearbeitungen darum, „die pomphaften Tiraden", von denen Shakespeares Sprache „strozt", auszumerzen 200 . Die Prosagestalt von Schinks ,Koriolan' ist von vornherein unproblematisch 201 . Sie ist vorgeprägt durch Wielands und vor allem Eschenburgs Ubersetzungsleistungen. Zudem hat Schröder auch schon 1775 der Prosa den Vorrang vor der metrisch gebundenen Sprache gegeben: „Ob wir gleich Trauerspiele in Versen nicht ganz ausschließen, so werden uns gleichwohl die in Prose, von sonst gleicher Güte, viel lieber seyn 202 ." Das eigentliche Problem ist die metaphorische Ausdrucksweise der Shakespeare-Sprache. Hatte schon Eschenburg gefürchtet, daß „man in vielen Stellen den Ausdruck [ . . . ] zu künstlich oder poetisch finden" werde 203 , so entschließt sich Schink zu einer radikalen Vereinfachung der Ibid. B d . 2, S. 3 0 9 f. Ibid. B d . 1 , S . 1 6 1 . 1 9 8 Ibid. B d . 2, S. 3 0 9 . 1 9 7 Ibid. B d . 1, S. 1 6 4 . 1 9 8 Ibid. B d . 1, S. 19. 1 9 9 Ibid. B d . 1, S. 1 7 6 . 2 0 0 Ibid. B d . 2, S. 3 3 4 . 2 0 1 Ansonsten m i ß t Schink der Verstragödie jedoch hohen didaktischen W e r t für die Ausbildung der schauspielerischen Rezitationskunst bei: vgl. ibid. B d . 2, S. 8 8 1 . 2 0 2 B . L i t z m a n n , op. cit. Bd. 2, S. 1 4 5 f. 20» W i l l i a m Shakespeare's Schauspiele, Neue Ausgabe, V o n J o h . J o a c h . Esdienburg, B d . 1, Zürich 1 7 7 5 , V o r b e r i d i t S. 10. 194

195

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11. Der korrigierte

,Coriolanus'

Sprache. „Reine, lebendige, korrekte Sprache" gehört für ihn neben der „Richtigkeit des Plans, Interesse der Handlung, Wahrheit der Charaktere" zu den „unendbehrlichen Eigenschaften eines Schauspiels, das ein denkendes, prüfendes und einsichtsvolles Publikum unterhalten soll" 2 0 4 . Eine „schöne, korrekte Sprache" lobt Schink vor allem anderen an Schröders Hamlet-Bearbeitung 205 . Da Eschenburg durch sein Postulat der philologischen Treue einer wörtlichen Ubersetzung an den unmittelbaren Shakespeare-Text gebunden ist 206 , sind Stellen der Übereinstimmung mit Schink sehr selten 207 . Geht es Eschenburg darum, „das eigentümliche Gepräge des großen Originals auf möglichste beyzubehalten", Shakespeares „Schreibart" möglichst genau wiederzugeben 208 , so lehnt Schink dieses Vorgehen ausdrücklich als Bewahrung eines anachronistischen Stilzuges ab: „Nicht genug, daß ich mit Hülfe meines Wörterbuchs Shakespears Worte übersezze; nicht genug, daß ich zur Not seinen Sinn treffe: ich muß ihn ohne Umschreibung, ohne Denung, ohne Schwächung, mit all der Stärke, all dem Nachdruck, all der Kürze [ . . . ] eben so bestimmt, so wahr, so Seelvoll wiedersagen, wie [ . . . ] wenn er ein Teutscher gewesen, und teutsch gedacht und geschrieben hätte 2 0 9 ." Was Eschenburg meint, als Shakespeares Eigenart entschuldigen zu müssen, versucht Schink „auszubessern" im Sinne einer Anpassung Shakespeares an den dramatischen Stil und den ästhetischen Geschmack des 18. Jahrhunderts. Wird einerseits in Shakespeares Namen um Natürlichkeit der Gefühlsäußerungen gekämpft, so muß andererseits Shakespeares Sprache erst der zeitgenössischen Vorstellung vom Genie des 204

Schink, Dramatische Monate, 4 Bde., Schwerin 1790, Vorrede.

Schink, Dramaturgische Fragmente Bd. 1, S. 166. A. v. Weilen nimmt an, Schink habe Schröders Hamlet-Bearbeitung 1795 in revidierter Form herausgegeben: H a m let, Prinz von Dänemark. Trauerspiel in 6 Aufzügen. Nebst Brockmanns Bildnis als Hamlet und der zu dem Ballett verfertigten Musik. Dritte, genau durchgesehene Auflage, Berlin 1795. Vgl. hierzu: Der erste deutsche Bühnen-Hamlet, hg. und eingeleitet v. A. v. Weilen, Wien 1914, S. X X X I I I f. u. S. X L I I I f. 208 y g j h . Schräder, Eschenburg und Shakespeare, Diss. phil. Marburg 1911, S. 63: „Als seine höchste Aufgabe sah er es an, peinlich genau zu übersetzen, Wort für Wort den Text wiederzugeben."

205

207

Daß Schink Eschenburgs Coriolanus-Ubersetzung von 1777 kannte, wird erhellt aus Gegenüberstellungen wie: Eschenburg Bd. 9, Koriolanus 3.2, S. 252: „Hinweg, meine natürliche Denkungsart, und irgend einer Buhlerin Geist komme über mich!" Schink, Koriolan 3.3, S. 147: „Gut! Weg dann, natürliche Denkungsart, und irgend einer Bulerin Geist komme über mich." In der .Neuen ganz umgearbeiteten Ausgabe' Bd. 10, Zürich 1804, S. 132, verbessert Eschenburg „Denkungsart" zu „Denkart".

209

Eschenburg, Bd. 1 , 1 7 7 5 , S. 9 f.

2,9

Schink, Dramaturgische Fragmente Bd. 2, S. 312.

3. Johann Friedrich Schink

61

großen Briten angepaßt werden. Der bearbeitende Ubersetzer muß den „unechten Ausdruck" Shakespeares durch den echten ersetzen und „den unedlen mit dem edlen zu vertauschen wissen"210. So einleuchtend Schinks „Glaubensbekenntnis über die Art, Shakespear für unsere Bühne zu übersetzen"211, zunächst von seinem rationalen Ansatz her erscheint, so fragwürdig und vage wird es, wenn von einem geheimen Sinn die Rede ist, „der oft in Shakespears falsch Pomphaften Bildern, und seinen Bombastaenlichen Deklamazionen liegt"212 und den es zu verstehen und durch Aufdeckung und Neuformung deutschen Verhältnissen anzupassen gelte. Von ,Macbeth' heißt es, daß Shakespeare „leeren Bombast und unsinnige Bravaden des Lasters für leidenschaftlichen Ausdruck und echte Menschensprache verkauft hat". Das zentrale Postulat für den Bearbeiter heißt schließlich mit Bezug auf eine sprachliche Neufassung der Shakespeareschen Diktion, die in ihrer metaphorischen Ausdrucksweise als zu langatmig und als unnatürlich-abwegig empfunden wird: „Er mus da, wo Shakespears Ausdruk unecht, schielend und kriechend, wo er dem Ton und der Spradie der Leidenschaft zuwider ist, barrok und schwülstig wird, Shakespear rauben, was seiner unwert ist; mus aus ihm wegmerzen, was nicht wahrer Ton der Natur, nicht unverfälschter Ausdruck der Leidenschaft ist213." An seinem ,Koriolan' läßt sich beobachten, was Schink unter ,wahrer Leidenschaft' und ,echtem Gefühlsausdruck' auch in sprachlich-stilistischer Hinsicht versteht. Dort zeigt er, durch welche Mittel der ,barocke Schwulst' Shakespeares zu umgehen und auszubessern ist. 3.4.3 Sprachstil und Figurenkonstellation Am Beispiel der Veturia-Figur läßt sich beobachten, wie stark Schink dem Sturm und Drang verpflichtet ist. Ihr glühender Patriotismus und ihre übersteigerte Mutterliebe geben Anlaß zur dramatischen Gestaltung von Affekt- und Leidensdiaftsausbrüdien. Ihr wild-pathetisches Eintreten für ihren Sohn „mit flammender Rede" 214 ist für Schink ,Natur', ihre Äußerungen machen für ihn „die unmittelbaren, ersten, ungeschminkten Regungen, wie sie Worte suchen und endlich finden", sichtbar215. ,Begeisterung'und ,Entzücken' sind aber auch die irrationalen Kernbegriffe der 210 211 212 213 214 215

Ibid. Bd. 2, S. 313. Ibid. Bd. 3, S. 855 A. Ibid. Bd. 2, S. 313. Ibid. Bd. 2, S. 312 f. R. Genee, op. cit. S. 285. J. G. Herder, Shakespeare, in: Von deutscher Art und Kunst, Einige fliegende Blätter, hg. y. H. Lambel, Stuttgart 1892, S. 601.

62

II. Der korrigierte

,Coriolanus'

Laudatio Koriolans durch Kominius vor dem Senat 216 . Doch gerade diese Rede des Kominius ist auch ein rhetorisches Meisterstück der klassizistischen Schule. Anfangend mit dem Bescheidenheitstopos des Redners und dem Unvergleichlichkeitstopos für den Gefeierten besteht über die Hälfte der ersten zehn Sätze aus rhetorischen Fragen. Tropen und syntaktische Figuren reihen sich eng aneinander und stellen diese Rede in die Tradition der großen Staatsrede der französichen Klassik, wie sie für das deutsche Theater der Aufklärung vorbildlich wurde. Zusammen mit der Bittrede der Veturia im fünften Akt, in der sich an einer Stelle 217 allein zehn einander folgende rhetorische Fragen finden, handelt es sich hier um zwei Musterbeispiele einer rein begrifflich-faktischen Rhetorik, die im Gegensatz zur bildlich-ausschmückenden Rhetorik der großen ShakespeareReden steht. Wie der Sprachstil der Schink-Bearbeitung deutlich die Vermischung der epochalen literarischen Tendenzen aufweist, so lassen sich diese Tendenzen in enger Verbindung auch in der Figurenkonstellation nachweisen. Dem unbändigen Kampfeseifer der Helden und Krieger tritt die auf humanitäre Tugenden ausgerichtete Besonnenheit der Galesus-Gestalt entgegen. Die „furiosen Sturm- und Drangelemente" 218 in der Charakterzeichnung der Muttergestalt werden durch die moralisierend-verflachende Zeichnung des Aufidius und der Tribunen als schurkenhafter Intriganten und als Widersacher des von Edelmut und heroischer Größe getragenen Titelhelden aufgewogen. Der Widerstreit dieser heterogenen Stilelemente wird schließlich durch eine raffend-verkürzende Handlungsaufteilung zusammengehalten; denn nicht nur die tragische Katastrophe, sondern auch Gliederung und dramatischer Plan sind „überhaupt nie Shakespears glänzende Seite, beide verraten das kindische Alter, in dem zu seinen Zeiten die dramatische Kunst lag" 219 . Exkurs A: Wolf gang Heribert von Dalberg Das einzige dem Hamburger Unternehmen Schröders vergleichbare Bemühen um die Einbürgerung Shakespeares auf dem deutschen Theater des 18. Jahrhunderts ist - jedoch mit weitaus geringerem Erfolg - die Reihe der fünf Shakespeare-Inszenierungen des Mannheimer Intendanten 219 217 218 219

Schink, Koriolan 2.1, S. 123. Ibid. 5.6, S. 181 ff.; S. 183. R. Bitterling, op. cit. S. 23. Schink, Dramaturgische Fragmente Bd. 1, S. 164.

Exkurs A

63

Dalberg 220 . Von den Dramen, die er in eigenen Bearbeitungen221 dem Vorbild Schröders nachstrebend von 1783 bis 1791 zur Aufführung bringt, ist Shakespeares ,Coriolanus' das letzte 222 . Für diese Adaption erreicht das Stemma der Abhängigkeiten durch die Verwirrung und Vermischung der als Vorlage und Quelle dienenden Coriolan-Dramen seine höchste Komplikation. Die Anfangssituation der wartenden Frauen sowie die dramatische Exposition in den ersten beiden Akten sind in den Bearbeitungen Dalbergs und Schinks durchaus vergleichbar in der Behandlung und Neugliederung des Shakespeare-Textes. Schon F. Walter weist darauf hin 223 , daß Dalberg Schinks Bearbeitung zwar kannte, jedoch „im einzelnen selbständig" vorgegangen sei, und E. Kilian bestätigt, daß „keine Uebereinstimmung" detaillierterer Art über die vergleichbare Handlungseinteilung hinaus bestehe224. Daß Dalberg jedoch auch die Bearbeitung Dyks nicht nur gekannt, sondern oft auch wörtlich kopiert hat 225 , ist der Forschung bis jetzt entgangen226. Damit ist aber auch für Dalbergs ,Coriolan c eine direkte Verbindung mit der französischen Coriolan-Tradition - durch La Harpe - und mit dem Anti-Shakespeare-Werk Thomsons hergestellt. Zugleich

220

221

222

223 224 225

226

Der Kaufmann von Venedig 1783; Julius Cäsar 1785; Macbeth 1788; Timon von Athen 1789; Coriolan 1791. In den 25 Jahren von Dalbergs Mannheimer Intendanz wurden insgesamt 8 Shakespeare-Dramen in 81 Aufführungen gegeben: vgl. H. Stubenrauch, Dalberg und Shakespeare, in: Festprogramm der Jubiläumswoche des Nationaltheaters, Mannheim 1929, S. 6-10; S. 8. Wieweit Dalberg die von H. L. Wagner stammende Macbeth-Übersetzung für die Aufführung änderte, ist nicht zu ermitteln, da das Ms. fehlt; vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 166; die Autorschaft Dalbergs an der Coriolan-Bearbeitung wird bestritten: vgl. ibid. S. 171. Vgl. F. Walter, Die Bibliothek des Grossh. Hof- und Nationaltheaters in Mannheim 1779-1839, 2 Bde., Leipzig 1899, Bd. 2, S. 118: Das Ms. der Coriolan-Bearbeitung (M 172) vom Theaterkopisten stammt von 1789, die Rollen wurden 1790 ausgeschrieben und 1791 noch erweitert; aufgeführt wurde diese Mannheimer Bearbeitung am 20. 3. 1791. Auf Anfrage teilte die Wiss. Stadtbibliothek Mannheim mit (Brief vom 6.11.1968), daß das Ms. verschollen sei. Eine ausführliche Inhaltsangabe mit Zitaten findet sich bei E. Kilian, Dalbergs Bühnenbearbeitungen des Kaufmanns von Venedig und Coriolans, in: Shakespeare-Jahrbuch 26, 1891, S. 4 bis 25; S. 18-23. F. Walter, op. cit. S. 118 A. E. Kilian, op. cit. S. 24 A. Vgl. z . B . Dyk, Coriolan 3.9, S. 76: Aufidius. „Höre! die Trompete ruft mich zu einem Schauspiele, das ich verabscheuen müßte, versprach es mir nicht in der Ferne, Roms Untergang - und Coriolans Tod." - Dalberg, Coriolan 3.9, Kilian S. 21: Aufidius. „Hör'! Die Trompete ruft zum Abmärsche, und mich zu einem Schauspiele, das ich verabscheuen möchte, verspräche es mir nicht Rom's Verheerung und Coriolan's Untergang!" Das Ausmaß einer Benutzung der Coriolan-Übersetzung Eschenburgs durch Dalberg, wie sie E. Kilian, op. cit. S. 7, konstatiert, ist mir wegen der Kürze der überlieferten Zitate zu überprüfen nicht möglich.

64

II. Der korrigierte

,Coriolanus'

werden aber auch die schon bei D y k und Schink zu beobachtenden Tendenzen einer Verbürgerlichung Shakespeares konsequent weitergeführt und entschieden verstärkt. A. 1 Die Verbürgerlichung Shakespeares Gegenüber Dyk und Schink zeigt der ,Coriolan' Dalbergs die kürzeste Liste namentlich aufgeführter Personen 227 . Die Namen sind hier zum erstenmal - sieht man von der Orthographie der Zeit ab — mit denen Shakespeares in Ubereinstimmung gebracht worden, lediglich der ,Lieutenant', bei Shakespeares namenlos, heißt noch wie bei D y k Priscus. Während bei Dyk noch keine römischen Bürger auftreten und auch bei Schink die Volksszenen noch stark eingeschränkt sind, gelangen sie bei Dalberg nicht nur zu zentraler Bedeutung, sondern stehen auch bei der Aufführung im Vordergrund des Interesses und „sollen ausgezeichnet gelungen" sein228. Während Schink zumindest den Empfang des glorreichen Siegers von Corioli durch Volk und Familie auf dem römischen Marktplatz stattfinden läßt 229 , verlegt Dalberg auch diesen Auftritt noch in die häusliche Enge des bürgerlichen Wohnzimmers. Hier bringen die Bürger ihre Beschwerden gegen Coriolan vor 230 , hier werden sie von Menenius mit der Bauchfabel beruhigt 231 , und hier entschließen sich später auch Menenius und Volumnia zu ihren Bittgängen ins volskische Lager 232 . Nicht mehr das Forum Romanum ist Schauplatz der römischen Politik, sondern das Familiendomizil des Helden. Sein sozialer Status hindert Coriolan nicht, zum Helden eines bürgerlichen Trauerspiels zu werden, für den der Hang zur Beschaulichkeit und ruhigen Zufriedenheit des Privatlebens bezeichnend ist. Nicht mehr — wie noch bei D y k und Schink — sehnt sich lediglich die Frau Coriolans nach einer bürgerlichen Idylle fern von Politik und staatsmännischer Verantwortung, sondern bei Dalberg propagiert jetzt Coriolan selber diese Ideale des Bürgerglücks: „Will der Senat meine Dienste nicht, gut, so leb' ich häuslich und zufrieden unter euch, meine werten Freunde, und geniesse des bürgerlichen Lebens [sie], frey von Sorgen des Staats, frey vom Getöse der Schlachten und von dem Undank des Volks 233 ." 227 Vgl, Jen Theaterzettel der Aufführung in der Wiss. Stadtbibliothek Mannheim. 228 228 230 231 232 233

E . L . Stahl, op.cit.S. 172. Schink, Koriolan 2.6. Dalberg, Coriolan 1.3, Kilian S. 19. Ibid. 1.5, S. 19. Ibid. 4.1 u. 4.2, S. 22. Zitiert nach F. Alafberg, W. H. v. Dalberg als Bühnenleiter und als Dramatiker, Berlin 1907, S. 89.

Exkurs

A

65

Charaktere und Sprachstil Shakespeares sind endgültig zu „hausbackener Nüchternheit" gekürzt, simplifiziert und umgedeutet in dem Bestreben, die Poesie des englischen Originals „zum Stil und Ton des bürgerlichen Familienstückes herabzudrücken" 234 . F. Alafberg analysiert das in diesem Sinne transponierte Shakespeare-Drama bis hin zum „ergreifenden Familienbild" des Schlusses, in dem Frau und Sohn sich über die Leiche Coriolans werfen 235 . Dabei sollten jedoch nicht die folgenden, die Tragödie beschließenden Worte der Volumnia übersehen werden, die zugleich als Nachspiel und Abschluß der großen Bittszene des fünften Aktes236 einen Einblick in die autoritätsorientierte Familienstruktur zulassen, wie sie für das bürgerliche Rührstück typisch ist. Während der langandauernden Aussöhnung in den drei Sterbeszenen Dyks sagt Veturia u. a.: „Er stirbt meiner würdig 237 ." Dalberg stellt diese Worte an den abrupten Schluß seiner Bearbeitung, der mit dem wortlosen, plötzlichen Tod des Helden und der folgenden schnellen Beendung des Dramas an Shakespeares Konzeption anschließt238. Als Schlußsatz zeigen diese Worte aber geradezu unverhohlen die Befriedigung Volumnias über die gelungene Reintegration ihres Sohnes in den Herrschaftsbereich der Familie. Als Oberhaupt eines hierarchisch gegliederten Familienverbandes vertritt Volumnia zugleich die höchste sittliche Appellationsinstanz. In der wiederhergestellten Integrität ihrer Familiengerichtsbarkeit bestätigt sich die Ordnung der bürgerlichen Verhältnisse, und in diesem Sinne findet auch Shakespeares Tragödie bei Dalberg noch einen matt-versöhnlichen Schluß. Indem Dalberg den Triumph der Volumnia an den Schluß des Dramas rückt, verabsolutiert er die mütterlichen Autoritätsansprüche und die Gesinnungsethik einer verinnerlichten Familienbindung zum objektiven Werthorizont seines Werkes. Durch seinen Tod als die gerechte Strafe für seinen Ausbruchsversuch aus den sozialethischen Normen des bürgerlichen Verhaltens ist Coriolan mit eben diesen Normen wieder versöhnt. „Triebstruktur der Individuen und Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft werden zur Konvergenz gezwungen, indem letztere und nicht erstere als natürliche begriffen wird 239 ." Die Allgemeinverbindlichkeit bürgerlichgesellschaftlichen Normverhaltens, seine schließliche Immunität und 234 233 236

237 238 238

E. Kilian, op. cit. S. 6 f. F. Alafberg, op. cit. S. 88-91; S. 91. Shakespeare, Coriolanus 5.3 entspricht Dalberg, Coriolan 5.3, Kilian S. 23, wird aber jetzt zur Schlußszene erweitert; F. Alafberg, op. cit. S. 90, charakterisiert diese Szene: „Sie ist bei Dalberg Familienszene, mit einem breiten Zug ins Sentimentale." Dyk, Coriolan 5.7, S. 130. Dalberg, Coriolan 5.3, Kilian S. 23; ausführliches Zitat. Vgl. H. A. Glaser, Das bürgerliche Rührstück, Stuttgart 1969, S. 10.

5 Bronkhorst, Coriolanus

66

II. Der korrigierte

,Coriolanus'

überdauernde Gültigkeit zu demonstrieren, ist Dalbergs pädagogische Intention, die — ähnlich wie bei Iffland — auf eine exemplarische „Rektifikation normwidrigen Verhaltens" hinausläuft 240 . A. 2 Die Unbeliebtheit Coriolans im 18. Jahrhundert Obwohl eingreifende Veränderungen an Shakespeares ,Coriolanus' vorgenommen werden und das Werk durch die Vermischung mit den dem ästhetischen Geschmack der Zeit adäquateren Werken La Harpes und Thomsons seinen Eigencharakter völlig aufgegeben hat, sind trotz dieser „Verbesserungen" die Coriolan-Bearbeitungen des 18. Jahrhunderts keine nachhaltigen Bühnenerfolge. Die Aufführungen von Dyks oder Schinks Bühneneinrichtungen erfahren lediglich eine oder zwei Wiederholungen an den respektiven Theatern, die sich um ihre szenische Realisation bemühen241, während Dalbergs ,Coriolan c nach dem ersten Abend in Mannheim sogar nie wieder aufgeführt wird. Die Theaterkritik ist bei aller Anerkennung und Würdigung einzelner Bühneneffekte oder schauspielerischer Leistungen stets negativ. Während Schinks erste Hamburger Shakespeare-Bearbeitung, ,Die bezähmte Widerbellerin', in ganz Deutschland fast hundertfach wiederholt wird 242 , heißt es von seinem ,Koriolan* schon bei der Premiere, daß der Menenius-Darsteller zwar „ungemein" gefallen habe, das Stüde als Ganzes aber „keinen Beifall" finden konnte 243 . Auch acht Jahre später konnte J. F. H . Brockmann in Wien trotz sorgfältigster Vorüberlegung — ein „bekannter und beliebter Dichter" 244 und ein „gewiß theatralisches Sujet" — dennoch nicht den erwarteten Erfolg mit Schinks ,Koriolan' erzielen245. Auch die Berliner Erstaufführung von Dyks ,Coriolan' fand statt, ohne „sonderlich anzusprechen"246. Für Dalbergs Mißerfolg wollte man die Wiederholung der schon durch Einfügung in die vorher aufgeführte Cäsar-Bearbeitung bekannten Volumnia-Rede verantwortlich machen, doch der eigentliche Grund mag 240 241

242 243 244 245 246

Ibid. S. 40. Obwohl die Litteratur- und Theater-Zeitung 4, Teil 3, Berlin 1781, S. 478, nur von zwei Aufführungen von Schinks ,Koriolan' 1781 in Hamburg berichtet, weiß Mersberger, Die Anfänge Shakespeares auf der Hamburger Bühne, in: ShakespeareJahrbuch 25, 1890, S. 205 ff.; S. 230, von drei Aufführungen. Schink als Bearbeiter des ,Koriolan' kennt er noch nicht. Ob die Coriolan-Aufführung 1786/87 in Kassel auf Schinks Text zurückgeht, ist nicht sicher: vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 130. Vgl. R. Bitterling, op. cit. S. 19 u. 67. Litteratur- und Theater-Zeitung 4, Teil 3, S. 478. Gemeint ist Schink. Annalen des Theaters, H e f t 6, Berlin 1790, S. 2 1 - 3 4 ; S. 30. R. Genee, op. cit. S. 282; E. L. Stahl, op. cit. S. 109, führt zwei Inszenierungen von Dyks Werk an: Leipzig 20. 5 . 1 7 8 5 und Berlin 1 8 . 1 . 1 7 8 7 .

Exkurs A

67

eher in einer emotionalen Ablehnung der Titelfigur, in einem Ressentiment gegen Coriolans überhebliche und stolze Wesensart liegen, wie es ein zeitgenössischer Rezensent zum Ausdruck bringt 247 . Der devote Kindesgehorsam, wie ihn das bürgerliche Drama verlangte und wie ihn das Publikum auf der Bühne vorgeführt sehen wollte, ließ sich der Shakespearesdien Coriolan-Gestalt nicht oktroyieren, ohne die dramatische Struktur des Werkes zu zerstören. Obgleich in den Adaptionen die ursprüngliche Shakespeare-Aussage stark verflacht wurde, blieb doch durch die Neigung zu Kompromissen in der Textarrangierung noch soviel von dem „unbändigen Stolz" Coriolans erhalten, daß er auf das Publikum unsympathisch und „zurückstoßend" wirkte 248 . Was O. H . v. Gemmingen mit Diderots ,Pere de famille' so erfolgreich gelang, die Verherrlichung autoritär-hierarchischer Familienbindungen in einem Exempel wider die „Zerrüttung bürgerlicher Ordnung", mußte an Shakespeares ,Coriolanus' scheitern249. Wo das dramatische Interesse allein um die Volumnia-Szene des fünften Aktes, die eigentliche Unterwerfung des Sohnes unter den dominierenden mütterlichen Willen, zentriert ist, kann kein in der Disposition der Handlung ausgewogenes Coriolan-Drama entstehen. Mehr als andere dramatische Werke widersetzt sich Shakespeares Coriolan-Tragödie gerade durch den Charakter ihrer Titelfigur einer Umarbeitung und einem Hineinzwängen in das Modell „einer schönen dialogisierten moralischen Predigt" von erbaulich-belehrendem Charakter 250 . Obwohl Lenz und Schink die Natürlichkeit und Wahrheit der Shakespearesdien Menschendarstellung, den „Vorrat von Menschenkenntnis und Naturstudium" begeistert loben251, ist Coriolan dem deutschen Publikum des 18. Jahrhunderts doch zu stolz, um rührend zu sein. Diesen ,Defekt' aber konnte keine noch so verändernde Bearbeitung ausgleichen.

247

Vgl. Annalen des Theaters, Heft 8, Berlin 1791, S. 61 f. » 8 Ibid. S. 61. 24 » Vgl. H. A. Glaser, op. cit. S. 23-27; Zitat ibid. S. 26 aus O. H. v. Gemmingen, Der deutsche Hausvater, 1780, 5. 7. 250 O. H. v. Gemmingen über Diderots ,Pere de famille', zitiert nach K. S. Guthke, Gemmingens .Mannheimer Dramaturgie', in: Jahrbuch des freien deutschen Hodistifts 1969, S. 1-65, Text der ,Dramaturgie' S. 20-64; S. 8; dennoch verlangt gerade Gemmingen größere Nähe zum Originaltext für die deutschen ShakespeareAufführungen: vgl. K. S. Guthke, op. cit. S. 6 und S. 15. 251 Schink, Dramaturgische Fragmente Bd. 2, S. 309. 5'

I I I . , C O R I O L A N U S ' ALS N A C H E M P F I N D U N G NEUDICHTUNG

UND

4. Johannes Falk Falks Coriolan-Drama ist die erste Bearbeitung, die allein auf der Shakespeare-Tragödie ohne Einbeziehung anderer Coriolan-Dramatik als Quelle oder Vorlage basiert 1 . Obwohl der Autor sich auf ein erneutes Studium der antiken Schriftsteller beruft, wird dieses jedoch weniger für seine Umgestaltung des Shakespeare-Werkes relevant als vielmehr für die die Quellen vergleichende Charakterstudie der Coriolan-Gestalt, die der Bearbeitung vorangestellt ist 2 . Zusammen mit der Einleitungs- und der Schlußszene stellt das Werk eine lose Folge von 29 Einzelszenen dar, die zwar der üblichen3 Anzahl von Szenen im ,Coriolanus c entsprechen4, deren Vergleich mit dem englischen Original jedoch durch Kürzungen und durch völlig neue Einschübe und Hinzudichtungen ein gänzlich verändertes Bild sowohl der Handlungsdisposition als auch der einzelnen Charaktere ergibt. Wenn auch die reimlosen Jamben noch sehr unregelmäßig sind, so bedeutet Falks Bearbeitung dennoch schon vor der ersten metrischen Coriolan-Ubersetzung durch A. Voß (1812) einen Versuch der Annäherung an Shakespeares Versmaß. 4.1 Hintergrund

und Theorie der freien

Nachdichtung

4.1.1 Die Beziehung zu Goethe Im Januar 1810 spricht Falk mit Goethe über „Motive des Coriolan" 5 , und im März 1811 liest er ihm sein fertiges Werk vor 6 . D a Falk selber 1

2 3

4

J . Falk, Coriolan frey nach Shakespeare, Amsterdam-Leipzig 1812, in: Römisdies Theater der Engländer und Franzosen in freyen Bearbeitungen, hg. v. J . Falk, Bd. 1 (Einziger Bd.), Amsterdam 1811, S. 4 3 - 2 9 8 . Ibid. S. 1 - 4 2 . Die Folioausgabe von 1623 gibt zwar eine Akteinteilung, aber keine Szeneneinteilung des .Coriolanus'; die Szeneneinteilung der folgenden Editoren ist daher gelegentlich voneinander abweichend. Die Bezifferung der Szenen bei Falk ist im Druck äußerst unsorgfältig durchgeführt: Der Beginn der 9. Szene muß erschlossen werden ( = S. 103), die Ziffern 12 und 19

4. Johannes Falk

69

schreibt, daß ihn die Bearbeitung den „Aufwand von einem Jahr Zeit und darüber" gekostet habe7 und die Vorrede zudem schon im August 1810 abgefaßt ist, ergibt sich eine ziemlich genaue Datierung der Entstehungszeit des ,Coriolan'. Obgleich die Anregung zu dieser Übertragung „frey nach Shakespeare" nicht direkt von Goethe ausgegangen zu sein scheint8, ist sie doch in einer Zeit des engen Verkehrs mit Goethe entstanden. Durch zahlreiche Besuche und Gespräche mag er nicht unwesentlichen Anteil an den Zielen und Intentionen, die Falk mit seiner Arbeit verfolgt, gehabt haben. Das fertige Werk hat er dennoch ganz entschieden abgelehnt und verurteilt 9 . Den Grund hierfür sieht Falk weniger in den Mängeln seiner eigenen Bearbeitungstätigkeit als vielmehr in einer grundsätzlichen Abneigung Goethes gegen Charaktere wie den des Coriolan, die ihn in „ein gewisses Unbehagen versetzten", weil „ihr Wesen mit dem seinigen in einem geheimen Widerspruch stand" 10 . Trotz dieser Differenz in der Beurteilung der Coriolan-Figur weist das hinter Falks Arbeit liegende Shakespeare-Verständnis durchaus Parallelen zu Goethes Ansichten auf. Uber das dichterische Talent und die überzeitliche Gültigkeit in Shakespeares Menschendarstellung haben beide Dichter weitgehend dieselbe Meinung. Wenn Falk die römischen Bürger und Soldaten im ,Coriolanus' nur als Paradigma und Folie ansehen will für „den ewigen Begriff des Volkes selbst, wie er zu allen Zeiten, bey allen Völkern, bey allen Nationen des Erdbodens vorkömmt" 11 , so spricht Goethe in ganz ähnlicher Weise von einer zeitlosen Gestaltungskunst in Shakespeares Römertragödien: „Menschen sind es, Menschen von Grund aus, und denen paßt wohl auch die römische Toga 12 ." Ganz ähnlich wie für Falk die Anachronismen Shakespeares nur akzidentelle Versehen sind, die sogar noch beitragen zur Ewiggültigkeit der dramatischen Charaktere 13 , findet auch Goethe sie später „höchst lobenswürdig", da sie in ihrer Verwischung der historischen Fixierung der darfolgen je zweimal aufeinander (S. 131 u. S. 138; S. 199 u. S. 215), und die 24. Szene fehlt ganz. 5 Goethes Werke Abt. 3, Bd. 4, S. 89; vgl. auch Goethes Gespräche, hg. v. F. v. Biedermann, Bd. 2, Leipzig 1909, S. 64. • Goethes Werke Abt. 3, Bd. 4, S. 188. 7 Falk, Coriolan S. 339. 8 Vgl. ibid. S. III f.: Zueignung an C. v. R. » Vgl. E. Witte, Falk und Goethe, Diss. phil. Rostock 1912, S. 61. 10 J. Falk, Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt, Leipzig 1832, S. 148. 11 Falk, Coriolan S. 334. 12 Goethes Werke Abt. 1, Bd. 41,1, S. 56. 13 Falk, Coriolan S. 334: „So sind denn also audi die Trommeln, Glocken, wie alle übrigen Fehler, die wider das römische Costüme in diesem Stücke unterlaufen, nur eine Erläuterung, eine Folie mer; [ . . . ] . "

70

III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

und

Neudichtung

gestellten Epoche zur Lebendigkeit der Shakespeare-Werke beitragen14. Während Falk von der Betrachtung der Dramen ausgeht und auf das über alle Zeiten und Entfernungen hinwegreichende Genie Shakespeares schließt, geht Goethe schon von einer Laudatio Shakespeares aus, um sie dann durch einzelne Beispiele zu belegen. In ihrer Argumentation sowie in der metaphysischen Begründung des dichterisch-schöpferischen Genies sind beide Autoren sich einig. Moderne und Antike dienen nach Falks Ansicht dem ShakespeareDrama nur als Material, als Arsenal seiner Stoffe, über das es in seinem eigentlichen Gehalt jedoch hinausragt, um zu den „ewigen Begriffen" und letztlich zu einer „Anschauung des Wesens aller Dinge selbst" vorzustoßen. Was Falk als den „unsterblichen Genius" Shakespeares bezeichnet und als „Blitz seines Geistes", ja schließlich sogar als das „Welt-Auge Shakespeares"15, bringt Goethe lediglich deutlicher zum Ausdruck: „Shakespeare gesellt sich zum Weltgeist; er durchdringt die Welt wie jener; beiden ist nichts verborgen 16 ." In der Dichtung wird das menschliche Leben auf ein perennierendes, stets gleichbleibendes Grundprinzip, auf den Weltgeist hin durchsichtig. Für Goethe wie für Falk ist Shakespeare die reinste Verkörperung ihres Dichterbegriffs, für den die freie, schöpferische Produktionskraft und das geniale Uberwinden des begrenzten Einzelfalls gleichermaßen konstitutiv sind. 4.1.2 Die Polemik gegen die Romantiker Die Einstellung Falks zur Aufführbarkeit seiner Bearbeitung ist zwiespältig. Einerseits leiten ihn ein plastisches Vorstellungsvermögen und eine lebendige Imaginationskraft bei seiner Arbeit. Er betont, daß sein Standpunkt dem Shakespeare-Drama gegenüber nicht „mechanisch, mit dem Buche in der Hand ausgemittelt", sondern frei von wissenschaftlichen Hilfsmitteln „durch lebendiges Wort, öffentliche Aufführung, oder doch geschickte Recitation, gesucht und gefunden" worden sei17. Zwölf Jahre praktischer Anschauung am Beispiel der Weimarer Hofbühne sind die Legitimation für seine auch auf Publikumswirksamkeit ausgehenden Umänderungen des Shakespeareschen .Coriolanus' 18 . Die zum Teil wenig erfolgreichen Aufführungen von Schlegels Übersetzungen ermutigen ihn bei seinem Vorgehen: „Alle bisherigen Versuche, 14

15 18 17 18

Goethes Werke Abt. 1, Bd. 41, 1, S. 56: „Hat man sich einmal hierauf eingerichtet, so findet man seine Anachronismen höchst lobenswürdig, und gerade daß er gegen das äußere Costüm verstößt, das ist es, was seine Werke so lebendig macht." Falk, Coriolan S. 334. Goethes Werke Abt. 1, Bd. 4 1 , 1 , S. 55. Falk, Coriolan S. 50. Ibid. S. 49.

4. Johannes Falk

71

Meister William zu deutsch, durch metrisch buchstäbliche Uebersetzungen, auf unserm Theater sprechen zu lassen", seien „durch zu ängstliches Anhängen und Kleben an mechanische Formeln, wo nicht völlig mißglückt, doch wenigstens nicht so ausgefallen [ . . . ] , daß sie nicht neue Versuche [ . . . ] wünschenswerth machen sollten 19 ." Andererseits sind es aber viel weitergehende Ziele als die praktischen Erfordernisse der Aufführbarkeit, die Falk mit seiner Bearbeitung verfolgt. Im Rahmen eines größeren Unternehmens 20 ist Shakespeares ,Coriolanus' lediglich das erste Werk, das durch eine beigefügte kritische Untersuchung, durch eine „Entwicklung der Charaktere und Zurückführung derselben zu ihren Quellen bey den Alten" 21 , auf seinen dichterischen Gehalt hin geprüft werden und zugleich auch in seiner Darstellung „römischer Sinn- und Denkart" beurteilt werden soll. Der geschichtsphilosophische Rahmen dieses Unternehmens, das in freier Folge Ubersetzungen und Bearbeitungen französischer und englischer Dramen nach antiker Stoffvorlage bringen soll, leitet sich aus Falks Uberzeugung ab, daß beide Nationen, England wie Frankreich, durch ihre Dichter zu „römischem Gehalt und römischer Größe" ermahnt 22 wurden und durch diese dramatische Nationalerziehung ihre gegenwärtige machtpolitisch-beherrschende Stellung in Europa und in der Welt erlangten. Trotz dieser Zugehörigkeit des ,Coriolan* zu einer nicht an den Bedürfnissen der Theaterpraxis, sondern an einer geschichtsphilosophischen Idee orientierten Anthologie hat doch nach A.Leitzmanns Vermutung schon Goethe vorübergehend an eine Aufführung des Werkes gedacht 23 . Und obwohl R. Genee auch aus anderen Gründen dem ,Coriolan' Falks mangelnde Eignung zur Aufführung nachsagt 24 , ist er dennoch 1811 in Berlin aufgeführt worden 25 . Doch die Frage nach der Aufführbarkeit ist für Falk sekundär gegenüber seinem Bemühen um eine Legitimation seiner Umsetzungsmethode, die er in vehementer Polemik gegen die wissenschaftliche Akribie der romantischen Shakespeare-Übersetzer verteidigt. Nicht das Bild eines „todten, farblosen, abgewaschnen, geleckten, zahmen, glattüberfirnißten, weichlich, weibisch, schriftmäßigen, fünffüßigen, neumodischen JambenIbid. S. 48 f. » Ibid. S. V - X . 2 1 Ibid. Titelblatt u. S. I X ; ähnlich weitgehende Spekulationen stellt Falk auch schon anläßlich seines ,Amphitruon' von 1804 an: vgl. H . Sembdner, Johann Daniel Falks Bearbeitung des Amphitryon-Stoffes, Berlin 1971, S. 11 u. 24 f. 2 2 Falk, Coriolan S. V. 2 3 A. Leitzmann, Goethes Gespräche mit Falk, Untersuchungen und Anregungen, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 57,1932, S. 332-366; S. 362. 2 4 R. Gen^e, op. cit. S. 303 f. 2 5 A m 6 . 1 0 . 1811, vgl. ibid. S. 304, auch K . Goedeke, Grundriß Bd. 7, S. 708. 18

2

72

III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

und

Neudichtung

helden" will Falk in seiner Nachdichtung anstreben, „sondern das eines lebendigen, kecken, männlichen, gesprochenen, zugleich jung kräftigen, und echt alterthümlichen, einheimischen Shakespear, wie der es im Original wahr und wahrhaftig ist", möchte Falk in freier Aneignung wieder neu erschaffen26. Bei einem solchen Unternehmen aber ist die Benutzung von Lexica und Konkordanzen lediglich störend und hemmt die freie Einbildungskraft und das spontane Einfühlen in das englische Originalwerk. Obgleich Falks ,Coriolan' im Vergleich mit den vorangehenden Coriolan-Bearbeitungen die geringsten Abweichungen vom Shakespeare-Drama aufweist, darf er dennoch nicht in eine Reihe mit den Shakespeare-Übersetzungen Eschenburgs oder gar Schlegel-Tiecks gestellt werden. Falk will sich hineindenken in die Absicht und das künstlerische Wollen des Dichters bei der Schaffung seines dramatischen Helden, ja sogar in die Zeitsituation des elisabethanischen England, um aus einer analogen Gestimmtheit in veränderter Zeit nicht Gleiches, sondern Entsprechendes nachzuempfinden. Der eigene Standpunkt und die Möglichkeiten der eigenen Sprache sollen gegenüber der historischen Bedingtheit des Originals ihr Recht behalten und ihre nationale und gegenwartsgebundene Eigenart behaupten. In Luthers Bibelübersetzung sieht Falk das Vorbild einer Übertragung aus fremder Sprache unter Bewahrung der Kraft und Ausdrucksstärke der eigenen Sprache27. Aus einem solchen dichterischen Transpositionsverständnis heraus behauptet Falk für seine Coriolan-Adaption: „Den Charakteren bin ich [ . . . ] überall gewissenhaft treu geblieben: mit Buchstaben, Sylben, einzelnen Metaphern und ihrer Ausbildung, bin ich, dem Genius unserer Sprache gemäß, d. h. etwas freyer verfahren 28 ." Da A. W. Schlegel das Talent des jungen Satirikers Falk gerühmt hatte, Tieck dieses Lob aber wieder rückgängig machte29, so tragen auch äußere Umstände dazu bei, daß Falks,Coriolan' als Kampfansage an die Shakespeare-Übersetzungen der Romantiker entsteht. Gegen die Bemühungen um eine möglichst wort- und zugleich auch formgetreue Übertragung richtet sich Falks ganzer Spott. Als unglücklichen Einfall bezeichnet er es, wenn der ehrliche, aber unbegabte Deutsche „dem stürmisch fortschreitenden Genius des Engländers, wie ein treuer Knecht, die Lampe überall und auf jeden Buchstaben nachträgt, und denn doch wieder in 28 27 28 29

Falk, Coriolan S. 338 f. Ibid. S. 332 u. S. 338. Ibid. S. 332. Vgl. R. Haym, Die romantische Schule, Berlin s 1914, S. 181 u. S. 305.

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jedem Augenblick vom Zuschauer, oder Leser hören muß, daß ihm wo nicht Alles, doch das Meiste, so stockdunkel ist" 30 . Falk wendet sich gegen die „mit mechanischer Kopistentreue angefertigten Uebersetzungen" 31 und dagegen, daß man Shakespeare „mechanisch, Zug für Zug, wieder nachmachen wollte" 32 . Wenn er auch keinen seiner Feinde bei Namen nennt, so ist die Richtung seiner Polemik doch eindeutig. Sein Rezensent nennt, um nur einige anzuführen, A. W. Schlegel, H . und A. Voß und H. K . Dippold 33 . Gegenüber „dieser Stelzenpoesie" bezeichnet Falk als das Element des echten Dramatikers „eine klare, gediegene Plastik, mitten im Sturm der Empfindungen, nicht aber ein geschnörkeltes, geschliffenes, tonschwaches, unruhiges, verworrenes Oden-Deutsch, das jeder selbst der Sprache [ . . . ] Kundige, sogar im Lesen sich drey bis vier Mal wiederholen muß, eh' er nur einen erträglichen Sinn hereinbringt" 34 . 4.2 Der Einfluß der deutschen Klassik 4.2.1 Natürliche und moralische Zweckmäßigkeit Über den schon bei Aristoteles beschriebenen kathartischen Effekt des tragischen Geschehens hinaus verlangt Schiller eine dauernde ,sittigende* Wirkung der Tragödie, eine moralische Festigung der Gesellschaft. Auf dem Grundsatz fußend, „daß jedes Vergnügen, insofern es aus sittlichen Quellen fließt, den Menschen sittlich verbessert" 35 , verlangt er vom Theater nicht nur eine distrahierende, unverbindliche Unterhaltungsfunktion, sondern auch die ethische Erziehung des Publikums. Diese Vorstellung zielt nicht so sehr auf eine in die abschließende ,Moral' auslaufende, exemplarische Dramenhandlung als auf die Ausrichtung des zentralen Konflikts nach einer Hierarchie moralisch-sittlicher Gebote, deren höchstes im Kampf des Helden mit sich selbst, im Gegeneinander von triebhafter Leidenschaft und humanitärer Gewissenspflicht den Sieg davonträgt. In der Exemplifikation dieses dramatischen Widerstreits der Kräfte spezifiziert Schiller die Begriffe Pflicht und Neigung auch als moralische und natürliche Zweckmäßigkeit.

31 32 38

34 35

Falk, Coriolan S. 336. Ibid. S. 340. Ibid. S. 337, auch S. 49 f. Rezension zu Falks ,Coriolan' in: Heidelbergische Jahrbücher der Litteratur 5, Nr. 2, 1812, S. 1 7 - 2 8 ; S. 18; von Tieck war erst die Ubersetzung des ,Sturm' erschienen, deshalb fehlt sein Name hier noch; die Rezension ist D. A. E. unterzeichnet, doch sie stammt wohl von H . Voß d. J . Falk, Coriolan S. 337. Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen, in: Schillers Sämtliche Werke, Säkular-Ausgabe, Bd. 11, Stuttgart-Berlin o. J., S. 1 3 9 - 1 5 4 ; S. 141.

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III. ,Coriolanus'

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Wenn die höchste Gesetzgebung der Vernunft, die klar erkannte Norm des Pflichtbewußtseins, in Opposition gerät zu den Naturkräften der Empfindungen, Triebe, Affekte, Leidenschaften, ja auch zu den physischen Notwendigkeiten, so entsteht hieraus für den Zuschauer ein schmerzliches Mitempfinden für die Uneinigkeit des Helden mit sich selbst, zugleich aber auch Schmerz über seine schließliche Absage an das nächstliegende, verständlichste und natürlichste Handlungsgebot. Schließlidi jedoch empfindet der Zuschauer im Verzicht des Protagonisten auf seine Lebensinteressen, in seinem Sieg über die niederen Instinkte, das moralische Vergnügen angesichts der Überlegenheit des ethischen Prinzips und der sittlichen Größe, die sich daraus für den Helden ableitet. Indem der tragische Held sich zum Leitbild sittlich-einwandfreien Verhaltens läutert, ist es seine Aufgabe, „durch den Schmerz zu ergötzen" und so im Zuschauer „gemischte Gefühle" hervorzurufen 36 . Unter diesem Aspekt seiner Tragödientheorie interpretiert Schiller auch Shakespeares ,Coriolanus'. In der Umstimmungsszene des fünften Aktes erkennt er wohl den Widerstreit der Empfindungen, in die der Held gerät, und den schließlichen Sieg der „Gatten- und Kindes- und Bürgerpflicht" über die niedrigen Instinkte der Rachsucht37. Die eigentlich sittliche Entscheidung jedoch erfolgt für Schiller erst in dem anschließenden Entschluß Coriolans, auf dem Posten des Heerführers auszuharren, mit der volskischen Armee in deren Heimat zurückzukehren und damit in den sicheren Tod zu gehen. „Jede Aufopferung des Lebens ist zweckwidrig, denn das Leben ist die Bedingung aller Güter; aber Aufopferung des Lebens in moralischer Absicht ist in hohem Grad zweckmäßig, denn das Leben ist nie für sich selbst, nie als Zweck, nur als Mittel zur Sittlichkeit wichtig38." Wenn Coriolan sich zum Bleiben beim volskischen Heer entschließt, ist er sich nach der Interpretation Schillers auch schon des fatalen Ausgangs seines Rechtfertigungsversuchs vor dem volskischen Senat bewußt. Indem Coriolan seine Pflicht als Gatte, Sohn und römischer Bürger über die Pflicht seines Amtes als volskischer Feldherr stellt, diese jedoch wiederum höher einschätzt als das Interesse seiner eigenen Lebenserhaltung, wird er für Schiller vorbildlich: „er verliert durch diesen Schritt nicht nur die Frucht aller bisherigen Siege, sondern rennt auch vorsätzlich seinem Verderben M

Ibid. S. 146: „Je furchtbarer die Gegner, desto glorreicher der Sieg; der Widerstand allein kann die Kraft sichtbar machen. Aus diesem folgt, daß das höchste Bewußtsein unsrer moralischen Natur nur in einem gewaltsamen Zustande, im Kampfe, erhalten werden kann, und daß das höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz begleitet sein wird." « Ibid. S. 147. J9 Ibid. S. 148.

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entgegen - aber wie trefflich, wie unaussprechlich groß ist es auf der andern Seite, den gröbsten Widerspruch mit der Neigung einem Widerspruch mit dem sittlichen Gefühl kühn vorzuziehen und auf solche Art, dem höchsten Interesse der Sinnlichkeit entgegen, gegen die Regeln der Klugheit zu verstoßen, um nur mit der höhern moralischen Pflicht übereinstimmend zu handeln 39 ?" Erst auf dem Hintergrund einer solchen Coriolan-Interpretation werden die Absichten und Ziele verständlich, die Falk mit seiner Veränderung und Umdichtung der dritten Szene des fünften Aktes verfolgt. Falk möchte dem tragischen Helden jetzt auch im Dramentext, nicht nur in seiner Ausdeutung, eine ,sittigende' Funktion beilegen, die er in dieser Form und in diesem Ausmaß im englischen Original nicht hat. Zwar kämpft Coriolan auch bei Shakespeare gegen die natürlichen Bindungen, gegen Instinkte und Leidenschaften40, doch unterliegt er in diesem Kampf. ,Great Nature', die ihm in den Bitten seines Sohnes entgegentritt 41 , und die Pflicht, die er als Sohn seiner Mutter schuldet, bewirken seinen Gesinnungswandel: Er möchte der ,unnatural scene' ein Ende machen42. Natürliche Neigung und Pflichtempfinden wirken so bei Shakespeare zusammen auf dasselbe Ziel hin. Während bei Shakespeare das ganze Umstimmungsgespräch zudem noch mit emotionalen Obertönen von Adelsstolz und Kriegerehre durchzogen ist43, verflacht Falk die Problematik in einer Melange Schillerscher BegrifFlichkeit. Der Natur kommt dabei eine zentrale Position zu, die aber durch die mangelnde Abgrenzung des Begriffs und seine fehlende Prägnanz zur Bedeutungslosigkeit zerläuft 44 . „Great Nature cries ,Deny not"*: Diese Zeile, die bei Shakespeare am Anfang der Szene steht, wird jetzt von Volumnia statt von Coriolan gesprochen und unmittelbar vor die Klimax des Gesprächs gestellt: „Allmächtig klingt der Zuruf der Natur 45 ." Da dieser Begriff jedoch durch »• Ibid. S. 147 f. 40 Shakespeare, Coriolanus 5.3.24 f.: „But out, affection! / All bond and privilege of nature, break!" u. 5.3.34 f.: „I'll never / Be such a gosling to obey instinct." 41 Ibid. 5.3.33; unmittelbar vor dem Gesinnungswechsel Coriolans bringt Volumnia dieses Argument noch einmal vor, 5.3.174: „This boy, that cannot teil what he would have." 42 Ibid. 5.3.184; vorher schränkte Coriolan noch ein, 5.3.84: „I seem unnatural." 4S Ibid. 5.3.135, 149, 164 u. 200: ,honour'; 5.3.22 u. 154: .honoured', .honourable'; 5.3.60, 72, 86, 117, 121, 145 u. 170: ,pride', ,proud', ,noble', .nobleness' und ,brave1. 44 Vgl. ibid. 5.3.40 f.: „Like a dull actor now / I have forgot my part" mit Falk, Coriolan 23, S. 260: „Fahr hin Verstellung! falsche Gauklerrolle! / Natur behaupte du dein altes Recht!"; vgl. auch ibid. 23, S. 262: „So hab' ich der Natur die Schuld bezahlt! - " 45 Shakespeare, Coriolanus 5.3.33 u. Falk, Coriolan 23, S. 270.

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III. ,Coriolanus' als 'Nachempfindung und Neudichtung

seine vorherige Verwendung in anderem Kontext schon abgenutzt ist, erscheint er hier in seiner Aussagekraft stark reduziert. Eine gänzliche Entwertung erfährt der Naturbegriff aber, wenn Volumnia jetzt wahllos weitere Begriffe assoziiert: „In den gefalt'nen Händen dieses Kindes Ist mehr Vernunft, Natur, Instinkt und Gottheit, Als in dem ganzen hohlen Wörterprunk 4 6 ." Doch gerade diese Kette von Begriffen nimmt Coriolan in geringfügiger Variation wieder auf, um damit die Kräfte, die seinen Gesinnungswandel bewirken, zu bezeichnen: „Natur, Vernunft, Instinkt, Rom und die Welt, Beflügeln mich 47 ." Abgesehen von einer solchen vagen, weil zu umfassenden Terminologie ist die Verschränkung der einzelnen dramatischen Strukturelemente jetzt auch entscheidend verlagert worden. Anders als bei Shakespeare basiert die Peripetie jetzt nicht mehr lediglich auf einem Nachgeben des Helden gegenüber den Wünschen der Mutter. Shakespeares Coriolan ist sich zwar der Gefährlichkeit seiner neuen Situation bewußt 48 , aber hofft noch auf einen guten Ausgang 49 . Falks Coriolan dagegen hebt die Tödlichkeit der Konsequenzen aus seinem Gesinnungswandel klar und unmißverständlich hervor: „Auf einer Wagschal' Rom und Capitol Und auf der andern - Cajus Marcius Tod! Und, meine Mutter, die den Ausschlag gibt! Essey!-60" Während bei Shakespeare der Wendepunkt der Handlung zunächst lediglich durch die schweigende Geste zwischen Mutter und Sohn markiert wird, arbeitet Falk die Alternativsituation, vor der der Held in seinem Gewissenskonflikt steht, in aller Deutlichkeit und Schärfe heraus. Wo bei Shakespeare im Schweigen des Helden sein innerer Kampf zum Ausdruck kommt, wo Coriolan erst wieder spricht, wenn die Entscheidung gefallen ist, da führt Falks Held die ihm scheinbar offenstehenden Möglichkeiten 46 47 48

49

50

Falk, Coriolan 23, S. 270 f. Ibid. 23, S. 272. Vgl. Shakespeare, Coriolanus 5.3.186: „You have won a happy victory to Rome; / But for your son - [ . . . ] / Most dangerously you have with him prevailed, / If not most mortal to him." Coriolan wendet sich an Aufidius, 5.3.198 f.: „and pray you / Stand to me in this cause." Falk, Coriolan 23, S. 272.

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vor Augen: Entweder er genügt seinem blinden Trieb der Rachsucht, oder aber er wählt seinen eigenen Tod. In der Anerkennung der Sohnespflicht gegenüber der Mutter, die für Falk zugleich „die sichtbare Roma" ist 51 , besiegt Coriolan nicht nur seine Rachsucht, sondern auch seine Liebe zum Leben. Ethische Werte und Normen tragen den Sieg davon über die niederen Instinkte des Menschen, die moralische siegt über die natürliche Zweckmäßigkeit: „Keine Zweckmäßigkeit geht uns so nah an als die moralische, und nichts geht über die Lust, die wir über diese empfinden 52 ." 4.2.2 Maß und Harmonie Von der Weimarer König-Lear-Aufführung im Oktober 1800, an der Schiller maßgeblich mitgearbeitet hatte 53 , berichtet Falk, daß der tragische Ausgang dieses Schauspiels durch seine Drastik abstoßend auf die Zuschauer gewirkt habe. Er will diesen Umstand, daß ein sehr gebildetes Publikum „diese Katastrophe kaum mehr aushält, weniger seiner Schwäche und Unempfindlichkeit für's Tragische, als einem sich unter uns immer mehr und mehr entwickelnden Schönheitssinn zuschreiben" 54 . Diese Ansicht, daß Shakespeare seine Werke für ein roheres und weniger erleuchtetes Zeitalter geschrieben habe, ist Allgemeingut sowohl der deutschen Aufklärung als auch noch der Klassik. Wieland und Goethe sind daher der Ansicht, daß sich wie das „disharmonische Allotria" der Rüpelszenen 55 , so auch die dargestellte Drastik von Mord und Tod, die sich bei Shakespeare bis in den tragischen Ausgang erstreckt, gedämpft und gemäßigt werden müßten. Für die Aufführungen auf deutschen Bühnen waren beide Dichter deshalb bemüht, Shakespeare einem Dramenideal von ausgewogener Harmonie der Gefühle und Empfindungen, einer klassisch-strengen Mäßigung von Sprache und Gestik soweit wie möglich anzunähern. Derbe Komik und exzessive Leidenschaftsausbrüche sollten vermieden und das tragische Geschehen möglichst im Bereich einer idealen Humanität stilisiert werden. Entsprechend diesen Vorstellungen tadelt auch Falk, daß neuere Künstler nicht immer „dieß Maaß im Ausdruck der Empfindungen gebührend zu ehren gewußt" hätten 56 . Den wilden, ungezügelten Wahn51 52 53

54

55 56

Ibid. S. 6. Schillers Sämtlidie Werke Bd. 11, S. 145. Vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 187 u. S. 189; die vorangegangenen Weimarer LearAufführungen in der Bearbeitung Schröders (vgl. Stahl S. 182 u. S. 186) fallen vor Falks Ubersiedlung nadi Weimar; er kann sidi daher nur auf die Aufführung von 1800 beziehen. J . D. Falk, Kleine Abhandlungen die Poesie und Kunst betreffend, Weimar 1803, S. 29. Goethes Werke Abt. 4, Bd. 22, S. 246, Brief an C. v. Wolzogen vom 2 8 . 1 . 1 8 1 2 . Falk, Kleine Abhandlungen S. 29.

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sinnsausbrüchen des Lear stellt er die verhaltenere, gedämpftere Verzweiflung und Umnachtung des in edler Größe verharrenden Orest in Goethes Iphigenie' entgegen. Während Shakespeare „das Gemüth mit einem schauerlichen Anhauch von Bedlam" affiziere, zeigt sich der Wahnsinnsanfall des Orest — in der zweiten Szene des dritten Aktes — nur noch als „leiser Nachhall" einer leidenschaftlichen Emotionalität, indem der Held sich „still in die Schatten weit zu Atreus, Agamemnon und Thyestes herunter phantasiert" 57 . So scheint Falk es dem gebildeten und schönsinnigen Weimar schuldig zu sein, selbst das Ende des ,Coriolanus c - obwohl es weitaus weniger schauerlich ist als das des ,Lear' — noch in seiner Wirkung mildern zu müssen. Vor allem ist es die Gestalt des Aufidius, die er einer Änderung unterzieht. Hatte Coriolan selber schon vor Rom in moralischer Größe seines Lebens entsagt zugunsten der Rettung seiner Heimatstadt, so wird jetzt auch die moralische Haltung des Antagonisten abgeändert zu einem dem soldatischen Ehrbegriff entsprechenden Verhalten. Die Rechtfertigung dazu glaubt Falk bei Shakespeare selbst zu finden, wie er gleich am Anfang seiner „Nachschrift und Rechenschaft" betont: „Statt die Ausdemwegräumung des Coriolan, durch Tullus Amfidius, meuchelmörderischer Weise vollbringen zu lassen, übertrage ich sie einer von dessen Creaturen, einem Unterbefehlshaber der Volscier, wozu die Motive auch bereits im Shakespeare verstreut lagen58." Während Shakespeares Aufidius in einem Wut- und Zornesausbruch zusammen mit den Verschwörern Coriolan ermordet und sich danach triumphierend auf dessen Leiche stellt, fordert Falks Aufidius seinen Gegner Coriolan lediglich zum Zweikampf heraus, während die eigentliche Mordtat hinterrücks von einem Verschwörer vollbracht wird. Shakespeares Aufidius kommt erst am Ende der Szene aus seinem rauschhaften Zustand wieder zur klaren und ernüchternden Besinnung. Falks Aufidius dagegen ist zu keinem Zeitpunkt einem solch unkontrollierten Ausbruch der Leidenschaften erlegen, sondern distanziert sich schon im Moment der Ausführung von der Tat des Mörders: „Halt ein! - O allzurasche blut'ge That! Unsinniger, was hatt' er dir gethan, Daß du so blindlings wider ihn entbranntest 59 ?" Die Vorstellung, daß es sich für den Heerführer Aufidius nicht ziemt, die blutige Tat selber auszuführen, ist ein Motiv, das sich auch in den " Ibid. S. 31. 68 Falk, Coriolan S. 329. 5 » Ibid. S. 289.

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französischen Tragödien schon früh findet. Bei Hardy und Chevreau 80 ist es noch die anonyme Masse der Soldaten oder Verschwörer, bei Mauger61 und später in Deutschland auch bei Marbach ist es dann der einzelne Untergebene des Aufidius, der die Tat meuchelmörderisch ausführt. Es paßt nicht in das klassizistische Menschenbild der Ausgewogenheit und Selbstbeherrschung, daß ein Mann von so hoher Stellung wie Aufidius, selbst wenn er Intrigant und Widersacher des Helden ist, sich soweit vergißt, daß er seinen Affekten ,blindlings' ergeben ist und einen gemeinen und niedrigen politischen Mord begeht. Um als vollwertiger Gegenspieler Coriolans auftreten zu können, muß auch Aufidius noch eine gewisse sittliche Größe aufweisen können. So ändert Falk die Shakespearesche Konzeption der Aufidius-Gestalt, weil ihm „eine solche Verunehrung eines an sich edeln und großen Charakters, wenn gleich eines Nebenbuhlers, völlig nutzlos" anmutet und weil er entsprechend seiner spätklassischen Dramenästhetik eine solche „auf's gelindeste gesagt, doch etwas unsoldatische Handlung" des Aufidius auf keinen Fall dulden kann. Den Tadel und die Vorwürfe der volskischen Senatoren gegen Aufidius wegen seiner raschen Tat hat Falk daher „lieber dem Aufidius selbst in den Mund gelegt"82. 4.2.3 Konzentrierung und Straffung der Fabel Anläßlich der Einstudierung von Shakespeares Julius Caesar' auf dem Weimarer Hoftheater berichtet Goethe an Schlegel, daß er sich in einer „Art von Conflict" befinde83. Einerseits lasse die „unendlich zarte Zweckmäßigkeit dieses Stücks" kein Wort des Textes entbehrlich erscheinen und nichts vermissen, was zur dramatischen Vollkommenheit des Ganzen erforderlich sei. Andererseits erfordere aber die „äußere theatralische Zweckmäßigkeit", daß man zugunsten des Bühneneffekts und der leichteren Aufführbarkeit auf einer kleinen Bühne dennoch „hie und da durch Nehmen und Geben" nachhelfe. Später hat Goethe diese Furcht, daß, sowie man am ShakespeareText „nur irgendwo zu rücken anfängt, gleich mehrere Fugen zu knistern anfangen und das Ganze den Einsturz droht" 84 , jedoch gänzlich überwunden. In seiner eigenen Bühnenbearbeitung von ,Romeo und Julia' ist fast ein Viertel des Textes Goethes eigene Dichtung65. Das der Bearbeitung 60 81

62 M M 65

Chevreau, Coriolan, Tragedie, Paris 1638, 5.6, S. 92 f. [Mauger], Coriolan, Tragedie, Représentée pour la première fois sur le Théâtre François, le 10. Janvier 1748, 5.6, S. 109 f. Falk, Coriolan S. 329. Goethes Werke Abt. 4, Bd. 16, S. 337, Brief an A. W. Schlegel vom 27.10.1803. Ibid. S. 337 f. Aufführung am 1.2.1812; vgl. H. G. Heun, Shakespeares ,Romeo und Julia' in Goethes Bearbeitung, Eine Stiluntersudiung, Berlin 1965, S. 10.

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zugrunde liegende Prinzip der Umwandlung ist die Uberzeugung von der Notwendigkeit einer Straffung und Zentrierung des Geschehens: „Die Maxime, der ich folgte, war das Interessante zu concentriren und in Harmonie zu bringen 86 ." Aus einer ähnlichen Auffassung heraus eliminiert auch Falk all diejenigen Szenen aus seiner Coriolan-Adaption, die er nicht zur Fortführung der Handlung dienlich hält oder die ihm vom Interesse der Hauptfigur abzulenken scheinen67. „Gestrichen werden die Auftritte, die ein retardierendes Moment im Entwicklungsgang der dramatischen Handlung sind 68 ." Wie Goethe sich bei der Caesar-Aufführung mit der „symbolischen Andeutung der Nebensachen" begnügt und das Theater schließlich „wie ein Basrelief, oder ein gedrängtes historisches Gemähide" erscheint, auf dem nur die Hauptfiguren hervortreten 69 , so vertraut auch Falk auf die „colossale Festigkeit der Umrisse" seiner Coriolan-Figur 70 . Die Nebenpartien treten in den Hintergrund, „was gleichsam eine Art Perspektive für das geistige Auge ausmacht". Auf jeden Fall aber erleichtert dieses Vorgehen, „wenn es sonst nichts thut, dem Leser und Zuhörer [ . . . ] wenigstens die Eindringung in die Composition, oder die Faßlichkeit" 71 . Das Zentrieren des Geschehens auf die heroische Hauptperson wird ergänzt durch die Nivellierung der sprachlichen Divergenz zwischen Plebejern und Patriziern. Der Würde des antiken Stoffes entspricht eine durchgehende feierliche Gestimmtheit aller dramatischen Figuren. Die Prosasprache der Plebejer wird daher durch sorgfältig gegliederte Syntax und Vermeidung von derben oder dialekthaften Ausdrücken in ihrer spontanen Direktheit gemildert. Viele Prosapartien Shakespeares werden sogar dem jambischen Versmaß der übrigen Szenenteile angepaßt 72 . Das Gespräch der Diener in Aufidius' Haus wird stark gekürzt, und die Begegnung des Menenius mit den Schildwachen wird in trockener, humorloser Form wiedergegeben73. Wie Goethe der Ansicht ist, daß die beiden „possenhaften Intermezzisten", Mercutio und die Amme, den 66 67

68 69 70 71

72

73

Goethes Werke Abt. 4, Bd. 22, S. 246. Es fehlen z . B . Entsprechungen zu Shakespeare, Coriolanus 1.10, 4.2 und 4 . 3 ; ebenfalls fehlen die ersten Teile von 2.1 (Menenius' Gespräch mit den Tribunen) und 2.2 (Gesprädi der Senatsdiener). H . G. Heun über Goethes Romeo-und-Julia-Bearbeitung, op. cit. S. 14 f. Goethes Werke Abt. 4, Bd. 16, S. 335. Falk, Coriolan S. 330. Ibid. S. 3 3 0 ; vgl. auch Goethes Werke Abt. 4, Bd. 22, S. 320, wo es Goethe darum geht,,Romeo und Julia' „zu einem faßlicheren Ganzen" zu organisieren. Shakespeare, Coriolanus 1.3 ist z . B . in Prosa, Falk, Coriolan 1.6, S. 8 7 f f . , als entsprechende Szene, ist dagegen zum Teil in Versen abgefaßt. Shakespeare, Coriolanus 4 . 5 . 1 - 5 2 u. 5.2 entsprechen Falk, Coriolan 19, S. 2 0 2 - 2 0 5 u. 22, S. 2 4 7 - 2 5 6 .

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,tragischen Gehalt' des Romeo-und-Julia-Werkes beinahe zerstören74, so erklärt Falk für seine Bearbeitung in ganz demselben Sinn: „Bloß humoristische Zwischendinge, Schimpf- und Scherzreden, die den Gang der Haupthandlung, die Entwicklung des ungeheuren Schicksals des Coriolan, mehr aufhielten, als weiterbrachten, habe ich, ohne Bedenken, entweder gekürzt, oder zur Seite liegen lassen76." Falks Coriolan-Bearbeitung zielt einzig auf ein Herausarbeiten der Größe und der Einmaligkeit des Titelhelden. Die sprachliche Gleichschaltung aller Figuren und die weitgehende Eliminierung der komischen Elemente, wie sie bei Shakespeare das tragische Geschehen auflockern, sollen neben einer Konzentration auf das Wesentliche zugleich eine Ausgewogenheit und Proportionierung der Teile in ihrem Verhältnis zum Ganzen bewirken, wie sie der klassischen Harmonielehre und einer „folgerechten, Übereinstimmung liebenden Denkart" entspricht78. Ebenfalls einer strengen Ökonomie der dramatischen Gliederung entspricht es, daß Coriolan in der von Falk dem Drama vorangestellten Einleitungsszene dem jungen Adel Roms seine politischen Ansichten in programmatischer Rede vorträgt. Indem Falk die bei Shakespeare in der Rede des Cominius vor dem Senat77 enthaltenen Momente der Vorgeschichte an den Anfang des Dramas stellt, versucht er, die Überschaubarkeit und Faßlichkeit des folgenden Geschehens zu erhöhen. Wenn der Autor jedoch die Schar der „edlen, römischen Jünglinge" 78 , wie sie in der Szenenanweisung der First Folio vorgegeben ist79, jetzt aktiv an der Handlung teilnehmen und den Protagonisten durch das ganze Drama begleiten läßt 80 , so bedeutet das für die zentrale Stellung Coriolans eine zusätzliche Hervorhebung seines Adels und seines jugendlichen Heldentums. In anschaulich-konkreter Form versucht Falk durch die Schar der Anhänger und Verehrer das hohe, lichte Element seines Helden nodi stärker von der erdverbundenen, gemeinen Menge des Volkes abzuheben, um auch von dieser Seite her eine idealistische Überhöhung seiner Tragödie zu erreichen. Als Einführung und als „mild beruhigender" Ausklang 81 stellen die 74 75 76 77 78 79

80 81

Goethes Werke Abt. 1, Bd. 41,1, S. 67. Falk, Coriolan S. 329 f. Goethes Werke Abt. 1, Bd. 41,1, S. 68. Vgl. Shakespeare, Coriolanus 2.2.80-120. Falk, Coriolan 1, S. 53. Shakespeare, Coriolanus 4.1 : „Enter Coriolanus [ . . . ] with the young Nobili ty of Rome." Vgl. Falk, Coriolan 15, S. 170 u. 16, S. 174. Rezension von Falks .Coriolan* in: Leipziger Literatur-Zeitung 79, 1812, Sp. 625 bis 630; Sp. 629.

6 Brunkhorst, Coriolanus

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erste und die letzte Szene gleichsam Prolog und Epilog zu der eigentlichen Tragödie dar. Der Selbstexposition am Anfang entspricht die Beisetzung des Helden in der „Väter Erbbegräbniß" 8 2 am Schluß. Volumnia führt den Trauerzug an und rezitiert als Praefica die feierliche Nänie. Neben diesem elegischen Schlußbild versucht Falk aber auch, im Gespräch der zuschauenden Senatoren noch eine historische Überhöhung seiner Titelfigur zu erreichen durch die Eingliederung von Coriolans Taten in die römischen Annalen.

5. Oswald Marbach Wie Marbach in seiner Lehrtätigkeit an der Leipziger Universität maßgeblich und mit Eifer für die Durchsetzung und Verbreitung der Philosophie Hegels eintritt 83 , so findet er in seinem Verständnis dieser Philosophie auch die theoretische Grundlegung für die Berechtigung seiner Umdichtungen und Neufassungen griechischer und Shakespearescher Werke. Die aus der Vergangenheit tradierte Dichtung muß aus ihrer historisch bedingten formalen Gebundenheit gelöst werden, um neugeformt in ihrem geistigen Gehalt für die Gegenwart lebendig und gültig zu sein und um zugleich auch zukunftsweisend einer folgenden Dichtung noch Ausgangspunkt und Grundlage zu liefern. „Nichts ist fertig, vollendet, todt; Alles was da ist, ist ein Werdendes, sich Gestaltendes, und darum lebendig sich Regendes 84 ." Doch hinter dem ewigen Wandel der Erscheinungen steht der sich stets gleichbleibende „Gedankeninhalt des Geistes", der sich in verschiedenen Epochen und in verschiedenen Kulturen immer wieder anders darstellt, doch in seinem Wesen jedesmal derselbe ist. Diesen Gedankeninhalt gilt es sowohl in der ausländischen als auch in der alten Literatur herauszufinden, um ihn dann in einer der Gegenwart adäquaten Form dem Verständnis des Publikums wieder zugänglich zu machen. Aus solchen Überlegungen heraus lehnt Marbach die wörtliche Ubersetzung Shakespeares ab, da sie die bloße Sprachform nachahmen würde auf Kosten des Gedankeninhalts. Ihm geht es vielmehr darum, „die Gedanken des Autors in einer der deutschen Sprache und Cultur angemessenen Form wiederzugeben" 85 .

82 83

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85

Falk, Coriolan S. 293. Vgl. die biographischen Einzelheiten in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 5 2 , 1 9 0 6 , S. 187-189. O. Marbach, Ueber moderne Literatur, In Briefen an eine Dame, Leipzig 1836, S. 30 f. O. Marbach, Bericht über literarische Leistungen im Königreiche Sachsen lebender Schriftsteller während der Jahre 1847-1867, Leipzig 1867, S. 163.

5. Oswald

Marbach

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Gegen den Widerspruch, den Marbach mit seinen Bemühungen um eine Regeneration der Shakespeare-Dramen notwendig erfährt in einer Zeit, „in welcher die Shakespearianer der strikten Observanz das große Wort führen" 8 6 , verweisen seine Apologeten jedoch nicht nur auf den Traditionsbegriff Hegels, sondern sie berufen sich auch auf das praktische Beispiel einer Shakespeare-Erneuerung, das Goethe mit seiner Romeound-Julia-Bearbeitung gab. Ähnlich wie bei R. v. Gottschall wird auch in K. L. Leimbachs Dichteranthologie „die freie, lebensfrische Erneuerung der Dichtung" durch Marbach positiv bewertet und als verdienstvoll gegenüber einer nur „wortgetreuen, mechanischen Nachbildung" hervorgehoben 87 . 5.1 Geschichtsverständnis und Neudichtung Die Intensität, mit der Marbach die Tragödien Shakespeares seiner eigenen Zeit anverwandelt und im dreifachen Sinn Hegels .aufzuheben' versucht, ist unterschiedlich. Während er sich im ersten Stück seiner Trilogie ,Ein Weltuntergang 1 noch sehr eng an die drei ersten Akte von Shakespeares Julius Caesar' hält, so ist in den beiden anderen Stücken, die sich stofflich mit dem Rest von Julius Caesar' und mit den in .Antony and Cleopatra' dargestellten Ereignissen dedken, nichts mehr von Shakespeare wiederzufinden 88 . Bei dieser gestaffelten Adaptionsmethode nimmt die Coriolan-Bearbeitung in ihrer Abhängigkeit von der Shakespeare-Tragödie eine Mittelstellung ein. Sie folgt nicht so eng dem englischen Text wie der Anfang der Trilogie, ist jedoch auch nicht so unabhängig von ihrer Vorlage wie das Schlußstück der Trilogie 88 . Wenn R. Genee Marbachs Julius Caesar' als „Umarbeitung", seinen ,Coriolanus' dagegen als „Originaldichtung" bezeichnet, ist die Terminologie ungenau, denn sie verwischt die Differenz im Abhängigkeitsverhältnis zu Shakespeare zwischen ,Coriolanus' und den beiden anderen Dramen der Trilogie 90 . R. v. Gottschall dagegen bezeichnet Marbachs ,Coriolanus' treffender als „Neudichtung", für die das ShakespeareWerk „die häufig durchblickende Grundlage bildet" 91 . Trotz ihrer unter86

87

88 88

90 91



R. v. Gottschall, Die deutsche Nationalliteratur des 19. Jahrhunderts, Bd. 4, Breslau «1892, S. 40. Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart, hg. v. K. L. Leimbach, Bd. 6, Leipzig 1896, S. 67. O. Marbach, Ein Weltuntergang, Leipzig 1861. O. Marbach, Coriolanus, Tragödie, Leipzig o. J.; Marbach selber gibt in seinem .Beridit über literarische Leistungen', S. 176, das Erscheinungsdatum seines .Coriolanus' mit 1866 an, in den Bücherkatalogen dagegen wird meistens 1867 angegeben. R. Genee, op. cit. S. 332. R. v. Gottschall, op. cit. S. 140.

84

III. „Coriolanus' als Nachempfindung

und

Neudichtung

schiedlichen Beziehungen zu Shakespeare bilden alle vier Römertragödien schon durch das Geschichtsverständnis ihres Autors eine zusammenhängende Einheit. Schon H. Ulrici faßt die Römertragödien Shakespeares entsprechend den Historien als zusammenhängenden Dramenzyklus auf. Nach seiner Interpretation hat Shakespeare „in zwei großen Cyklen die antike und moderne Weltgeschichte durch ihre Hauptentwicklungsstufen dramatisch durchgeführt" 92 . Während im ,Coriolanus' noch „die Entwicklung der Republik", die römische Geschichte noch in ihrer frühen Blütezeit gezeigt werde, vollziehe sich in der chronologischen Reihenfolge der Stoffe, durch den dichterischen Gestaltungswillen noch verdeutlicht, der allmähliche Niedergang der klassischen Ideale bis hin zum ,Titus Andronicus', der „endlich den gänzlich unrettbaren Verfall des antiken Geistes" darstelle93. Da sich die Shakespeare-Dramen in ihrer ursprünglichen Gestalt einer solchen Deutung nicht ohne weiteres einfügen, hat Marbach, geleitet von einem ähnlichen Geschichtsbild wie Ulrici, nicht gezögert, sie zu verändern. Während er daher in der Trilogie „den Untergang des klassischen Alterthums in seiner geschichtlichen Erscheinung zu schildern" beabsichtigt94, das „Regiment der Lüge" 95 , wie es dieses Zeitalter beherrscht, aufdecken will, hebt sich die Coriolan-Gestalt der späteren ShakespeareBearbeitung dagegen positiv ab als Held der klassisch-römischen Frühzeit, als Protagonist einer noch nicht korrumpierten Mannes- und Römertugend, dessen Wesen neben rein physischer Stärke in absoluter Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit besteht. 5.2 Die Technik der Neudichtung 5.2.1 Änderungen des Umfangs und der Personenzahl Obwohl Marbachs Coriolan-Drama fast um ein Drittel länger ist als Shakespeares96, weist es mit nur zwölf Szenen noch nicht einmal die Hälfte der Shakespeareschen Szenenzahl auf. Seinem Umfang nach ist 92

93

94 95 98

H . Ulrici, Ueber Shakespeares dramatische Kunst, Halle 1839, S. 377; Kritik an diesem Gedanken üben schon H . Hettner, Das moderne Drama, Braunschweig 1852, S. 44 f., und H . Viehoff, Shakespeares Coriolan, in: Shakespeare-Jahrbuch 4, 1869, S. 4 1 - 6 1 ; S. 42. H . Ulrici, op. cit. S. 3 7 7 ; selbst W. Oechelhausen Einführung in Shakespeares Bühnen-Dramen, Minden/Westf. 3 1895, S. 6 7 - 1 0 0 , bespricht die Römerdramen noch „in der durch die geschichtliche Chronologie, nicht durch die Abfassungszeit gegebenen Folge" (S. 67). Marbach, Ein Weltuntergang S. V. Ibid. S. VII. Uber 4000 Verse bei einem Durchschnittswert von 18 Versen pro Seite.

S. Oswald Marbach

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diese Bearbeitung als Lesedrama anzusehen97. Die Kürzung der Szenenzahl und die dadurch teilweise mitbedingte Neueinteilung der Handlung lassen jedoch deutlich die Prinzipien einer Bühneneinrichtung erkennen, wie sie G. Freytag drei Jahre zuvor am Beispiel von Shakespeares ,Coriolanus' entwickelt hatte. Er möchte die „kleinen Scenen" der Gegenhandlung unterdrückt sehen, da die Regisseure und Bühnenleiter doch nicht in der Lage seien, „diese flüchtigen Momente - mit Ausnahme der Kampfscene im Anfang der Steigerung - auf unserer Bühne wirksam zu machen"98. Zudem aber sollten auch die wichtigeren Szenen zu wenigen großen Blöcken zusammengelegt werden: „Wir werden auch den Haupthelden selbst ihre Scenen straffer zusammenfassen und ihre Bewegung in einer geringen Zahl von Situationen und deshalb in runder Ausführung darstellen müssen99." In dieser Hinsicht hat Marbach die zweimalige Verurteilung Coriolans durch die Volkstribunen zu einer einzigen Szene zusammengefaßt und auf Szenen wie den Abschied des Verbannten von seiner Familie100 oder die Begegnung des Römers mit dem Volsker verzichtet101. Livius folgend nennt Marbach die Mutter des Coriolan Veturia, seine Frau aber Volumnia. Ebenfalls treten bei ihm anders als bei Shakespeare zwei Söhne auf. Coriolan hat jetzt einen persönlichen Offizier, Lucius. Dem Volskerfürsten Aufidius sind gleich vier weitere Fürsten im Rat und im Feld zur Seite gestellt. Auch der römische Adel ist zahlenmäßig erweitert worden und tritt wie die Plebejer namentlich auf. Als neue Gruppe hat Marbach die Priesterschaft Roms - nach Livius102 - mit dem Pontifex Maximus an ihrer Spitze in das Drama eingefügt. Wiederum auf Livius kann sich auch die wichtigste Änderung in der Personenkonstellation des Dramas berufen, die durch den Tod des Menenius entsteht, von dem Coriolan nach seiner Rückkehr aus dem Volskerkrieg erfährt 103 . 5.2.2 Sprachliche Neuformung Obwohl Marbachs ,Coriolanus' gegenüber Shakespeare eine gänzlich neuarrangierte Fabel aufweist, bleiben dennoch viele vergleichbare Handm

98 89 100 101

1M 103

Hierauf wird schon hingewiesen in ,Oswald Marbach, Zu seinem 80. Geburtstag', in: Ueber Land und Meer, Bd. 4, 1889/90, Sp. 221-227; Sp. 224. Marbach selber wendet sich entschieden gegen eine Einteilung in „Bühnen-Drama" und »LeseDrama": vgl. seinen ,Bericht über literarische Leistungen', S. 174. G. Freytag, Die Technik des Dramas, Leipzig 1911 (zuerst 1863), S. 163. Ibid. S. 163. Shakespeare, Coriolanus 4.1. Ibid. 4.3; ebenfalls fehlen Szenen wie 1.2 oder 1.10, die das Lager der Gegenpartei zeigen. Livius, Buch 2, Kap. 39, op. cit. S. 59. Livius, Buch 2, Kap. 33, op. cit. S. 50, entspricht Marbach, Coriolanus 3.2, S. 115.

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III. .Coriolanus' ah Nachempfindung

und

Neudichtung

lungsmomente bestehen, die jedoch stets eine völlig neue sprachlich-syntaktische Gestalt erhalten. So ist es nicht mehr Menenius in den Straßen Roms, der zu den aufständischen Bürgern sagt: „most charitable care / Have the patricians of you" 1 0 4 , sondern Cominius versichert an der Spitze einer Adelsdelegation den auf den Möns Sacer ausgewanderten Bürgern: „Die Väter Roms sind treu und meinen's wohl Mit allen Söhnen Roms 1 0 5 ." Obwohl Marbach Shakespeares Satz nicht wörtlich übersetzt, ist nicht nur der dramatische Funktionswert beider Aussagen, nämlich der Versuch einer Besänftigung aufrührerischer Plebejer, derselbe, sondern ihr begrifflicher Inhalt stimmt weitgehend überein. Die Übereinstimmung ist nur insofern zu modifizieren, als Marbach dem mit dem Verb ,wohlmeinenc übersetzten Nominalgefüge ,charitable care' jetzt das ethische Moment der Treue hinzufügt und die Analogie zwischen Patrizier-Plebejer und Väter-Söhne explizit anführt. An anderer Stelle ergibt die Gegenüberstellung vergleichbarer inhaltlicher Einheiten oft nur eine Verflachung der Shakespeareschen Komplexität 106 : „thou shalt no sooner / March to assault thy country than to tread - / Trust to't, thou shalt not on thy mother's womb / That brought thee to this world."

Coriolan: „Ich geh nach Rom Veturia: „Wohlan so tritt auf deiner Mutter Leib, / Das ist der Weg nach Rom."

D a das Motiv des Vaterlandsverrats bei Marbach im ganzen Drama in den Hintergrund tritt, wird es auch in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Gegenüber Shakespeare ist der Redestil dieser Szene grundlegend geändert. Veturia fällt ihrem Sohn ins Wort; sie antwortet seinen nur im Ansatz geäußerten Plänen stets mit einer scharfen, kurzen Replik. Mit ihren Entgegnungen versucht sie systematisch und logisch, die Notwendigkeit der Eroberung Roms durch eine Argumentation ex contrario zu widerlegen. Bei Shakespeare wird die Härte der aufeinanderprallenden Absichten - Eroberung und Befreiung Roms - sprachlich gemildert durch die Zurücknahme in die Person der Volumnia, d. h. die oppositionellen Intentionen der beiden Gesprächspartner erscheinen in geschlossener Rede dargestellt und auf die dramatische Monologform reduziert als persön104 105 108

Shakespeare, Coriolanus 1.1.64 f. Marbach, Coriolanus 1.1, S. 14. Shakespeare, Coriolanus 5.3.122-25 u. Marbach, Coriolanus 5.3, S. 225.

J. Oswald

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lieber Konflikt des Individuums. Es entsteht kein Rededuell, das zwar die dramatische Wirkung einer dialogischen Antithetik in der szenischen Realität besser zum Ausdruck bringt, aber nicht - zumindest nicht bei Marbach - die persönliche Betroffenheit der Partner zeigen kann. Aus der späteren Äußerung Coriolans: „I have sat too long" 107 ergibt sich, daß er während der Rede der Volumnia sdiwieg, weil sie ihn beeindruckte und auf ihn wirkte. Volumnias emotionales Engagement wird sprachlich evident durch die Interjektionen und Beteuerungsformeln wie „Trust to't" 108 oder durch die Marbach gegenüber vollständigere Bildlichkeit und damit größere Eindringlichkeit des Topos des über seine Mutter schreitenden Eroberers. Durch die Aufspaltung der Volumnia-Rede in die antithetische Struktur eines oft stichischen Weschselgesprächs erzielt Marbach eine größere Bewegtheit der Szene und folglich einen scheinbar größeren dramatischen Effekt. Zugleich beraubt er sich damit aber der eingehenderen Charakterzeichnung und einer Intensivierung der Situation, die bei Shakespeare noch vom szenischen Bild der flehenden Mutter vor der schweigenden Majestät ihres scheinbar unerbittlichen Sohnes unterstützt wird. Indem Coriolan schon zu Beginn des Gesprächs aufspringt, verkennt Marbach die große dramatische Wirkung, die von der monumentalen Statik des von seinen Offizieren umgebenen, in der Würde seines Feldherrnamtes thronenden Protagonisten ausgeht, der äußerlich ruhig bis zum Ende der Volumnia-Rede sitzen bleibt. Wo Shakespeare das bewegte Geschehen in die Konfliktsituation der Personen selber verlegt hat, wollte Marbach es auch äußerlich durch hektische Dynamik der Sprachgestik sichtbar machen. Doch die Tiefe der persönlichen Problematik der Mutterfigur wird bei Marbach durch die apodiktische Kürze ihrer schlagfertigaggressiven Repliken eher verdeckt als hervorgehoben. 5.3 Der literarhistorische Hintergrund und der Stand der Shakespeare-Forschung als bedingende Faktoren 5.3.1 Coriolan als Heroengestalt In großartigem Alleingang dringt Shakespeares Titelheld in die feindliche Stadt ein und ermöglicht schließlich deren Eroberung. Erst diese Tat bringt ihm seinen Ehrennamen Coriolanus ein. Doch nicht nur hier, sondern das ganze Stück hindurch ist die Shakespeare-Forschung in der Mitte des vorigen Jahrhunderts von dem Übermenschentum des Shakespeareschen Kriegers und Feldherrn beeindruckt. 107 108

Shakespeare, Coriolanus 5.3.131. Ibid. 5.3.124.

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III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

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Neudichtung

G. G. Gervinus stellt fest, daß „die Körper- und Charaktereigenschaften Coriolans in der That, nach der Natur einer Heroenzeit, über die gewöhnliche menschliche Größe, hinauswachsen". Das „überspannte Heroenthum" sieht er als Wurzel der Tragik des dramatischen Helden 109 . Zwei Jahrzehnte später interpretiert H . Viehoff das urzeitliche Übermenschentum der Coriolan-Gestalt ethisch-geistig ins Positive gewandt als „Seelenheroismus": „Nicht eigen tlidh Stolz, [ . . . ] auch nicht Ehrgeiz ist der Grundzug seines Wesens, sondern eine edle Ruhmliebe, oder, richtiger gesagt, die aus dem Vollgefühl heroischen Muthes und unbezwinglicher Kraft entspringende Lust zu großen Thaten, wie sie dem Heroenalter der Nationen eignet110." Wie überhaupt von „löwenmuthiger Tapferkeit" der Historienhelden Shakespeares die Rede ist111, so wird dieses Epitheton auch Coriolan zuerkannt 112 . Er wird mit Helden der germanisch-nordischen Sagenwelt wie Siegfried verglichen, aber auch mit Roland 113 oder gar der GoetzGestalt Goethes114 genauso wie mit den Heroen der griechisch-antiken Frühzeit, wie sie die Ilias Homers schildert115. Marbach übernimmt die Charakteristik der zeitgenössischen CoriolanInterpretation für sein Drama und erhöht das Heroentum seines Protagonisten bis zur Ubersteigerung. Marbachs Titelfigur entwirft schon zu Beginn der Belagerung Coriolis eine apokalyptische Vision vom Untergang der Stadt 118 , so daß der Feldherr seinen Eroberungswillen glaubt einschränken und dämpfen zu müssen: „Halt ein, du kühner Held! Denn sonst eroberst du die ganze Welt, Bevor es Abend wird 117 ." Sein unbändiger Tatendrang läßt ihn schließlich gegen den ausdrücklichen Befehl des Feldherrn dennoch die feindliche Stadt mit so geringer Truppenstärke angreifen, daß seine Soldaten den Erfolg für „unmöglich" halten118, er aber das Unternehmen als „Tollheit" bezeichnet und sich selber mit Achill vor Troja vergleicht119. 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119

G. G. Gervinus, Shakespeare, Bd. 4, Leipzig 1850, S. 126. H. Viehoff, op. cit. S. 44. H. Hettner, Das moderne Drama, Braunschweig 1852, S. 18. H. Viehoff, op. cit. S. 55. G. Rümelin, Shakespeare-Studien, Stuttgart 2 1874, S. 135. H. Viehoff, op. cit. S. 47. Ibid. S. 44 u. G. G. Gervinus, op. cit. S. 126, vergleichen Coriolan mit Achill. Marbach, Coriolanus 2.1, S. 48 f. Ibid. 2.1, S. 49 f. Ibid. 2.1, S. 56. Ibid. 2.1, S. 61.

5. Oswald Marbach

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Dieser letzte Vergleich, der sich ebenfalls in neueren Coriolan-Bearbeitungen noch findet120 und darüber hinaus, nachdem er von Gervinus und Viehoff in die Forschung eingeführt wurde 121 , sich dort auch bis heute gehalten hat 122 , steht dennoch seiner Art und seiner dramatischen Funktion nach in genauer Opposition zu den Intentionen Shakespeares für den Charakterentwurf seines Titelhelden. Shakespeares Coriolan vergleicht sich nicht selber mit mythischen Helden, sondern wird nur durch hypothetische Vergleiche anderer in Verbindung mit griechischen Vorbildern gebracht. Wesentlich ist jedoch, daß diese Verbindung nicht zu Achill, sondern zu Hektor gezogen wird 123 . Nicht von den europäischen Griechen, sondern von den Trojanern leiteten die Römer, wie das elisabethanische England wußte, ihre Herkunft ab. Entsprechend ist für Coriolan Hektor der große Held seiner Vorfahren, dem es nachzueifern gilt, nicht der Pelide Achill. Zudem war Achill der Mythologie nach als Sohn der Thetis direkter Abkömmling einer Gottheit, während Hektor zwar Königssohn, aber doch ein normaler Sterblicher war. Diese zunächst unbedeutende Unterscheidung wird von Wichtigkeit, wenn man bedenkt, daß es Shakespeare im ,Coriolanus' um den menschlich-begrenzten Helden geht und daß in dieser Tragödie im Gegensatz zu der „halbgöttlichen Idealität" der Hauptcharaktere in ,Antony and Cleopatra' gerade ein „zunehmender Realismus und eine Vertiefung der menschlichen Substanz" allgemein festgestellt wird 124 . Letztlich aber kommt der Beziehung Coriolans zu Hektor und nicht zu Achill die Funktion einer tragisch-ironischen Vorausdeutung zu; denn ähnlich wie bei dem klassischen Antagonistenpaar der Mythologie Hektor von Achill getötet wird, unterliegt auch Coriolan seinem Widersacher Aufidius. An diesem Beispiel zeigt sich nicht nur die Komplexität des Shakespeare-Werkes, das eine enge Verflechtung aller Motive enthält, sondern

120 Vgl. Coriolan - The Tragedy of Coriolanus, in: H . Rothe, Der elisabethanische Shakespeare, Bd. 4, Mündien-Wien 1964, S. 291-396; 1.8 = 6. Szene, S. 314, Aufidius: „Wärst du Achill". 121

H . Viehoff, op. cit. S. 44, u. G . G . Gervinus, op. cit. S. 126.

122

Vgl. J . Kott, Shakespeare heute, Mündien-Wien 1964, S. 213: „Marcius ist von Shakespeare sichtbar und bewußt heroisiert worden. Wie Adiill verfügt er über ungewöhnliche K r ä f t e , und seine Stimme ist mächtiger als die aller gewöhnlichen Menschen."

123

Vgl. Shakespeare, Coriolanus 1.3.42 u. 1.8.11.

124

G. Weise, Shakespeare und das heldische Ideal der Renaissance, in: Shakespeare, seine Welt - unsere Welt, hg. v. G. Müller-Schwefe, Tübingen 1964, S. 42-57; S. 54.

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III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

und

Neudichtung

gerade audi die Vielfalt der Momente, die bei einer Abänderung - sei es auch nur eines mythologischen Bezugs - in ihrer Bedeutung für die Gesamtstruktur des Dramas bedacht werden müssen. Das Moment der Ubernatürlichkeit, wie es der Achill-Vergleich schon suggeriert, wird von Marbach folgerichtig weiterentwickelt. Während bei Shakespeare dem in der feindlichen Stadt Eingeschlossenen schließlich römische Soldaten zu Hilfe eilen125, gelingt es dagegen dem Helden Marbachs, nachdem er ganz allein die Stadt in Brand setzte, von der Stadtmauer aus die Römer zu erneutem Angriff aufzufordern 126 . Schließlich vergleicht Marbach seine Coriolan-Figur sogar ausdrücklich mit einem sagenhaften „Götterjüngling", der mit seiner „Allgewalt", wenn „selbst die kühnsten Männer / Mit ihrer Menschenkraft zusammenbrechen", seinem Heer noch Sieg erfechte127. Obwohl der aufklärerischpositivistische Realitätsglaube Marbachs eine unmittelbare Deifizierung seines Helden verbietet und obwohl ausdrücklich festgestellt wird: „Du bist kein Sohn der Götter, Marcius" 128 , bleibt doch das Moment einer göttergleichen Kraftentfaltung als Vergleichsfolie für die Kriegstaten Coriolans aufrecht erhalten. Ja, der Hinweis auf seinen menschlichen Ursprung unterstreicht noch das Ubernatürliche seiner Taten. Während bei Shakespeare die einzelnen Momente des Volskerkrieges in rascher Folge einander ablösen, verwenden Marbachs Feldherrn und Soldaten noch längere Zeit auf die Reflexion der unglaublichen Heldentaten des Protagonisten. „Gleich einem Wirbelwind hat Marcius / Die Stadt durchfegt" 129 , wird aus der Retrospektive berichtet. Ungläubigkeit befällt die Umstehenden: „Die Götter wissen, Ob eines Menschen Kraft so viel vermag." Was die zeitgenössische Literaturgeschichtsforschung als „Wunder der Tapferkeit" an Shakespeares Gestalt hervorhebt 130 , versucht Marbach in seiner Bearbeitung noch stärker herauszubringen. Der Heroismus Coriolans wird ins Ubermenschlich-Unmenschliche, ins Phantastisch-Unglaubhafte gesteigert und damit vom Unwahrscheinlichen ins Unmögliche verkehrt. Sieht G. Rümelin das Shakespeare-Drama schon als „eine zu125 128

127 128 129 1M

Shakespeare, Coriolanus 1.4.63 f. Marbach, Coriolanus 2.1, S. 69; vgl. dieses Motiv der Brandlegung bei Livius, Buch 2, Kap. 33, op. cit. S. 50. Marbach, Coriolanus 3.1, S. 95. Ibid. 3.1, S. 95. Ibid. 2.2, S. 74. H. Hettner, op. cit. S. 28.

5. Oswald Marbach

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sammenhängende Reihe von Undenkbarkeiten" an131, so wird Marbachs Neudichtung diesem Urteil vollends gerecht. 5.3.2 Sentimentalität und Gefühlsexzesse Deuteten schon Dyk und Schink Shakespeares Gestalt der Virgilia als zaghaft-verzagende Heldengattin sehr stark auf das Moment der Rührseligkeit um, so übertrifft sie Marbach als End- und Höhepunkt einer ungebrochenen Tradition tränenreicher Melancholie noch bei weitem. Gerade an der Gestalt der Volumnia, der Frau Coriolans, verwirklicht sidi bei Marbach die Erkenntnis K. Immermanns, daß „das enge weinerliche Familiengemälde" die „einzig naturgemäße Art" des zeitgenössischen deutschen Dramas sei132. Schon bei ihrem ersten Auftritt wird Volumnia „neben dem Herde weinend am Spinnrocken" gezeigt138; sie sorgt sich um Coriolan, der jedoch nicht einmal im Krieg ist, sondern lediglich die aufständischen Bürger befriedet. Während Veturia, die Heldenmutter, sich stolz ihres Sohnes rühmt, der keine Gefahr scheut, so fürchtet Volumnia stets für das Leben ihres Mannes: „Und darum bebt mein Herz um seinetwillen, Der zittern nicht gelernt134." Shakespeares Heldengattin wird zu Marbachs Zeit als „gefühlvolles Wesen" verstanden 135 . Doch was nach Marbadis Meinung Shakespeare nicht genügend herausgestellt hat, ist der Effekt, der entstehen soll, indem die Charaktere sich selber untereinander schon, wie Lucilius es über Marc Anton äußert, als „so herzzerreißend rührend" begreifen und vollends vom Zuschauer so begriffen sein wollen136. Ganz von einer solchen Absicht der Rührung durchzogen ist das stark rhetorisch stilisierte und in Reimstrophen gegliederte Wechselgespräch der um den verbannten Helden klagenden Frauen 137 , das in der Tradition seiner äußeren Form bis auf die französische Klassik zurückreicht138. Trotz seines strengen Formalismus läßt jedoch schon dieser Auftritt Sentimentalität und Gefühlsseligkeit als Prinzip der Neudichtung Marbachs erkennen, wenn die Szene nicht durch distanzierend-symbolhafte 131

G. Rümelin, op. cit. S. 135. Immermanns Werke, hg. v. R. Boxberger, Bd. 10, Berlin o. J., S. 109 f. 133 Marbach, Coriolanus 1.2, S. 37. 134 Ibid. 1.2, S. 41. 135 H. Viehoff, op. cit. S. 53. 136 Marbach, Ein Weltuntergang S. 162. 137 Marbach, Coriolanus 4.2, S. 155-157. IS« y g i e ; n e s trophisdi gegliederte Szene der Reflexion und Planung bei P. Corneille, Le Cid 1.6 u. Polyeucte 4.3. 132

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III. .Coriolanus'

als Nachempfindung

und

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Gestik, sondern durch ganz realistisch-vordergründige Bühnenanweisungen abgeschlossen und ergänzt wird: „Volumnia bleibt weinend und schluchzend sitzen, da läßt sich Veturia neben ihr nieder und zieht sie an ihre Brust139." Die Schwäche der Frau muß die Härte des Helden aufwiegen. Die Tatsache, „daß ein so heroischer Mann sich ein Weib von so zartbesaitetem Gemüthe" zur Frau erwählt hat140, wird von Marbach im Sinne eines Ausgleichs der beim Publikum zu erweckenden Gefühle von Furcht und Mitleid erweitert. Das Ergreifende dieser Frauengestalt soll die kriegerischen, brutalen Taten Coriolans mildern. Der angestrebte kathartische Effekt des Dramas wird in der Opposition der beiden Charaktere zu erreichen gesucht. Erregen Coriolans draufgängerisches Gebaren und seine wilde Rachsucht ehrfurchtsvolle, ja abschreckende Bewunderung, so bewirkt das geduldig-passive Ausharren im Leid die mitfühlende Bewunderung für seine Frau. Zudem ist F. Th. Vischer in seiner Ästhetik der Ansicht141, daß „weichen und passiven Naturen, leidenden Frauen, wenn sie Hauptpersonen sind, [ . . . ] tragische Würde nur dadurch zu geben [sei], daß ihnen um so mehr menschliche Teilnahme gesichert wird" 142 . In diesem Sinn versucht Marbach, Volumnias Tragik durch ihr in realistisch-naiver Tränenrührseligkeit dargestelltes Leid hervorzuheben. Im Ubermaß ihres Leidens und Duldens wird sie von vornherein als die eigentlich tragische Figur des Dramas angelegt. 5.3.3 Realistische Detailfreudigkeit Der dramaturgische Realismus, der sich in der Bühnenanweisung der Veturia-Volumnia-Szene des vierten Aktes zeigt (4.2), zieht sich als Tendenz der Neudichtung Marbachs durch das ganze Stück. Besonders deutlich läßt er sich an der Neufassung der Schlachtenszenen beobachten, in denen er in Kontrast zu der heroisch-übermenschlichen Kraftentfaltung des Protagonisten tritt. Ist man heute der Ansicht, daß Shakespeares Kriegsszenen zwar von Trommeln und Trompeten begleitet werden, es dennoch aber „darin weder zu einem rabiaten Schlachtgetümmel noch zu Getöse" komme148, 139 140 141 142

143

Marbach, Coriolanus 4.2, S. 157. H . Viehoff, op. cit. S. 49. Unter Bezugnahme auf Shakespeare. F. Th. Visdier, Ästhetik, Bd. 6, München 2 1923 ( 1 1857), S. 324; Kritik an Vischers und Gervinus' Shakespeare-Deutung findet sich bei F. Gundolf, Shakespeare und der deutsche Geist, Godesberg 1947, S. 317. J. Kott, op. cit. S. 212; diese Beobachtung, besonders was die Instrumente angeht, wird durch die Bühnenanweisung der F 1 zu Shakespeare, Coriolanus 1.7, gestützt.

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so ist Marbach dagegen sehr darauf bedacht, daß das wilde Bühnengeschehen noch durch „Kampfgetöse und Geschrei hinter der Bühne" unterstützt und verstärkt -werde144. Selbst während der Kampfpausen bleibt das Getöse „aus der Ferne" als Atmosphäre schaffende Untermalung des Geschehens bestehen, wobei realistische Details wie „das Podien des Mauerbrechers" deutlich zu unterscheiden sein sollen145. In bezug auf militärische Truppenstärke spricht Shakespeare meist nur ungenau von „a certain number", von „those centuries" und von „the rest" 146 ; die Kampfpläne werden als den Handelnden schon vertraut vorausgesetzt und daher nicht mehr auf der Bühne dargelegt oder erläutert 147 . Bei Marbach dagegen hat Coriolan genau zwei Kohorten zur Verfügung, und drei Kohorten kommen dem in Corioli Eingeschlossenen zu Hilfe 148 . Die Übermacht der Volsker ist genau zehnfach, und tausend Volsker liegen „als Leichen ausgesät im Felde"149. Die Schlachtenpläne und ihre Durchführung werden jeweils im Detail und ausführlich besprochen. Doch genauso unterhalten sich auch die Bürger darüber, daß die Konsulwahl um zehn Uhr am Vormittag stattfinde 150 . Allein die Exaktheit dieser Mengen- und Zahlenangaben läßt schon erkennen, daß der Realismus als epochales Stil- und Gestaltungsphänomen des 19. Jahrhunderts auch für Marbachs ,Coriolanusc relevant wird. Selbst über die Szeneneinschnitte hinweg bleibt die genaue Entsprechung der Zeitangaben in ihrer dramatischen Irrelevanz noch als Kennzeichen eines Sprachstils bestehen, der sieht trotz seiner metrischen Gebundenheit dennoch protokollartig an der lebendigen Sprache in ihrer Gliederung in niedere oder gehobene Umgangssprache orientiert. Berichtet Sicinius dem Volk, daß Menenius „gestern" begraben wurde, so erzählt Volumnia in der nächsten Szene, daß Menenius nun schon „seit sieben Tagen" tot sei161. Der Genauigkeit solcher Angaben entspricht es, daß Patrizier und Plebejer der Shakespeareschen Anonymität entzogen und namentlich aufgeführt werden. Den letzteren werden handwerkliche Berufe zugeordnet152, ihr Gespräch untereinander aber als einfältiges Geplänkel dargestellt. Die soziale Differenz spiegelt sich in der Sprache der einzelnen 144 145 146 147 148 149 150 151 152

Marbach, Coriolanus 2.2, S. 62. Ibid. 2.1, S. 48. Shakespeare, Coriolanus 1.6.80; 1.7.3; 1.6.81 u. 1.7.3. Ibid. 1.7.1 f. Marbach, Coriolanus 2.1, S. 54, S. 57 u. ö.; 2.1, S. 71. Ibid. 2.2, S. 79. Ibid. 3.1, S. 84. Ibid. 3.1, S. 102; 3.2, S. 116. Vgl. z. B. ibid. 3.1, S. 86.

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und

Neudichtung

dramatischen Gruppen. Der überlegen-ironische Spott des Adels wird von den Bürgern in ihrer Naivität und vertraulichen Plumpheit nicht bemerkt 153 . Für den Schneider Sartor zieht sich die Verballhornung des Namens Coriolanus zu ,Corralan' als sprachliches Erkennungszeichen und zugleich als Ausdruck einer simplen, unkomplizierten Gemütsart durch das ganze Drama hindurch154. Besonders aber faßt Marbach die Uneinigkeit und Zerfahrenheit der Masse, ihre Unfähigkeit, zu spontaner Einigkeit zu gelangen, in einem Konglomerat unentwirrbarer Einzelschreie von heterogenen Meinungsäußerungen zusammen. Unter dem Titel „wildes Geschrei" oder „wüstes, wirres Geschrei" folgt eine ungeordnete Aneinanderreihung einzelner Zwischenrufe, die den Eindruck einer brodelnden Volksmenge hervorrufen 155 . So gering die dramatische Funktion dieser Momente einer realistischen Detailzeichnung für den Handlungsablauf ist, so sehr trägt sie zur Kennzeichnung der militärischen Fachsprache, der sozialen Schichtung und auch zur Charakteristik einzelner Figuren und Typen bei. Vor allem aber bewirkt gerade auch die liebevoll-genaue Darstellung der Gewohnheiten unwichtiger Figuren, einzelner Bürger oder soldatischer Bräuche 158 die übermäßige Ausdehnung des Stoffes. 5.3.4 Die Katastrophe „Nur durch den Kampf kommen wir zum Frieden, durch das Unglück zur Versöhnung 157 ." Doch wie Marbach in der Philosophie und in der Dichtung in seinem optimistischen Lebenspositivismus „die große Aufgabe der Gegenwart" als bereits gelöst158 und die innenpolitischen Schwierigkeiten der dreißiger Jahre als endgültig überwunden ansieht159, so richtet sich auch später noch im ,Coriolanus' sein Interesse auf Ausgleich der dramatischen Konflikte und — unter weitgehender Unterdrückung eines tragischen Notwendigkeitsanspruchs - auf Harmonie und Versöhnung. In der Schlußgestaltung seines ,Coriolanus' tritt sein evolutionistisches Ausgleichsdenken besonders klar hervor. Der Kampf der Interessen zwischen Mutter und Sohn wird für Marbach zum gewaltigen Abschluß, auf dessen Höhepunkt die aus Verzweiflung über den Vaterlandsverrat ihres Mannes „blödsinnig" gewordene Ibid. 4.1, S. 124 f. Ibid. 3.1, S. 101; 4.1, S. 124 u. S. 138. 1 8 5 Ibid. 4.1, S. 144; 5.3, S. 231. 15« Ygi z jj ibid. 2.2, S. 78 die aus Livius übernommene Testamentsepisode. 1 5 7 Marbach, Ueber moderne Literatur (1836), S. 215. 1 5 8 Ibid. S. 215. 1 5 9 Ibid. S. 216. 155 1S4

5. Oswald

Marbach

95

Volumnia an gebrochenem Herzen stirbt180. Um so umfassender und vollständiger ist aber auch die abschließende Versöhnung zwischen Mutter und Sohn: „(Veturia) Dies Wiedersehn! dies selige Wiederfinden! (Sie sinkt halbohnmächtig zusammen)." Coriolan entspricht einer solchen Rührung völlig: „O meine Mutter! Meine theure Mutter! Hast du vergeben? bin dein Sohn ich wieder161." Einem solchen Einklang der Gefühle kann sich auch Aufidius nicht entziehen. Nachdem Coriolan sich als sein „Gefangener" erklärt und sein Feldherrnamt niedergelegt hat, das er aus erneuter Loyalität gegen Rom und aus beständiger Loyalität gegen den volskischen Staat nicht mehr verwalten zu können glaubt, steht der Freundschaft beider Männer auch weiterhin nichts entgegen. Der restaurierten Mutter-Sohn-Bindung schließt sich das Treuegelöbnis des Aufidius an: „Du bist ein edler Mann, ein guter Mensch; Mit Freundschaftsbanden kett' ich dich an mich - 182 ." Da eine solche friedliche Aussöhnung aller mit allen jedodi nicht dem Begriff der Tragödie entspricht, wenden sich schließlich doch noch zwei der volskischen Generäle gegen Coriolan und gegen einen Frieden mit Rom. Aus unbändigem Tatendrang und aus einem allgemeinen H a ß gegen das römische Wesen ersticht einer von ihnen Coriolan plötzlich und unvorhergesehen183. Tragisch ist dieser Untergang des Helden lediglich durch seine Zufälligkeit. Als bedauerlicher Zwischenfall ergibt sich dieses traurige Ende nicht aus der Anlage der dramatischen Handlung. Zu keinem Zeitpunkt der Belagerung Roms erscheinen Coriolan und Aufidius als offene oder geheime Widersacher. Ein „tödlicher Neid des Aufidius gegen Coriolan", auf den G. Freytag bei Shakespeare hinweist184, findet sich in Marbachs Neudichtung nicht mehr. Nach seinem Gesinnungswandel ist der Protagonist für Aufidius immer noch „mein Bruder Coriolan", und nach dem Mord verkündet Aufidius sofort die Bestrafung des Mörders165. Als Nebenfigur trägt Attius die Ermordung des Helden von außen heran an das dramatische Handlungsgefüge. Seine Tat ist weder Manifestation eines allgemeinen Volkswillens noch eines Gruppeninteresses, sondern erfolgt aus rein subjektiv-persönlichen Gründen. 160 161 162 163 104 165

Marbach, Coriolanus 5.3, S. 218. Ibid. 5.3, S. 227. Ibid. 5.3, S. 230. Ibid. 5.3, S. 234. G. Frey tag, op. cit. S. 118 f. Marbach, Coriolanus 5.3, S. 232 u. S. 235.

96

III. ,Coriolanus'

als Nachempfindung

und

Neudichtung

Anders ergibt sich dagegen der Opfertod der Volumnia mit größerer Folgerichtigkeit aus den vorangehenden Ereignissen. Allein schon durch seine moralische Sinngebung ist er gegenüber der Bedeutungslosigkeit von Coriolans Ende der eigentliche Höhepunkt und das Ende der tragischen Handlung. Seine Motivation wird nachträglich klar herausgestellt. Als Mittel zum Zweck ist Volumnia gestorben, damit sie „des Gatten Herz erschüttre und erweiche, So daß er fähig ward der Mutter Wort Als Samenkorn des Friedens aufzunehmen, Das rasch zum früchtereichen Baum gedeihe, In dessen Schatten sich die Völker weiden 166 ." Der Friede als das höchste sittliche Gut der Nationen, sein ideeller und praktischer Wert, dem persönliche Rache- und Haßgefühle sich unterordnen müssen, wird zur zentralen Aussage des Dramas. Indem Volumnia sich unbewußt diesem Ziel opfert, wird sie zur tragischen Heldin. Ihr Tod aber wird wiederum überhöht durch die Tempelgründung, die Shakespeare als Wunsch des Coriolan erwähnt, die Marbach aber den antiken Quellen folgend vom römischen Konsul beschließen läßt 167 . Nach der Bekehrung Coriolans, nach dem Opfertod der Volumnia wird die eigentliche Tragödie mit dem Epilog der Veturia abgeschlossen: „Du stehst am heiligen Ort - : das Glück der Frauen Sei über dir und schirme dich mein Sohn. Holdselig lächelt wie Volumnia Die Gottheit, aber tiefer Ernst verbirgt In ihrem Busen sich. Sie lasse dich Leben und sterben für das Vaterland: Mein theurer Sohn, auf Wiedersehen168." Mit diesem Abschied rekonstruiert Marbach, was Mommsen zwar nicht in der Shakespeare-Tragödie, wohl aber in ihren antiken Quellen zu beobachten glaubte: „Durch die ganze Erzählung geht ein romantischer und humaner Zug, vor allem aber eine Frauenhuldigung, wie sie ihres Gleichen nicht hat vielleicht in der gesamten antiken Ueberlieferung 189 ." Damit aber findet der Coriolan-StofF bei Marbach in seiner Interpretation 168 167 168 189

Ibid. 5.3, S. 229. Shakespeare, Coriolanus 5.3.207 f. u. Marbach, Coriolanus 5.3, S. 228. Ibid. 5.3, S. 229. Th. Mommsen, op, cit. S. 143.

Exkurs

B

97

als ,Frauenlob' zu seiner Darstellung in der ersten Dramatisierung durch H . Kirchner zurück. Lediglich weil der Titel Coriolan als den Helden der Tragödie bestimmt, ist sein Tod nach der Apotheose der Volumnia 170 und nach dem zusammenfassenden Abschied der Veturia noch erforderlich. Als Protokollant des Selbstverständnisses seiner Epoche erkennt schon G. Freytag die Problematik einer überzeugenden Tragik der abschließenden Katastrophe als Schwierigkeit f ü r die ,neueren 1 Dichter: „Wohl gehört unbefangenes Urteil dazu, die Versöhnung zu finden, welche dem Gefühl des Schauenden nicht widerstrebt und doch die nothwendigen Ergebnisse des Stückes sämtlich umschließt 171 ." In diesem Sinn muß bei Marbach auch das Motiv des Vaterlandsverrats noch zu einem versöhnlichen, letzten Abschluß gebracht werden. Anders als bei Shakespeare, ähnlich wie bei Falk, gehören die letzten Worte des Dramas dem sterbenden Titelhelden, der Rom um Verzeihung bittet, um im Angesicht der Stadt ruhig sterben zu können 172 . Wie es F. Th. Vischer darum geht, „daß ein letzter sittlicher Einklang über den Leichen gefunden wird, der das vereinigte Bild der Gegner in sich aufgenommen hat" 173 , so erstrebt auch Marbach einen allseitig harmonischen Ausklang seines Werkes. Exkurs B: Karl Gutzkow und Eduard Devrient Nachdem noch im 18. Jahrhundert die erste wort- und sinngetreue Coriolan-Ubersetzung entstand, bemüht sich das 19. Jahrhundert um die auch formgetreue Wiedergabe des Shakespeare-Werkes. Doch wie neben der entstehenden Shakespeare-Philologie auch die Altertumswissenschaften sich entscheidend weiterentwickeln, so zeigt sich beim Publikum neben einem ständig wachsenden Shakespeare-Verständnis auch ein neuerwachtes Interesse an den antiken Stoffen, vor allem auch an denen aus der römischen Geschichte. Die Forderung nach Shakespeare-Aufführungen, die dem Original möglichst nahe kommen, läuft zeitlich parallel mit einem direkten, unvermittelten Interesse der Dramatiker an den großen Gestalten der Antike und ihrer tugendhaften Gesinnung. Neben Bearbeitungen und Übersetzungen von Shakespeares ,Coriolanus c entstehen 1802 170

171 172 173

Marbach, Coriolanus 5.3, S. 229 gelobt Veturia, die Göttin solle „das Angesicht Volumnias" tragen. G. Freytag, op. cit. S. 121. Marbach, Coriolanus 5.3, S. 235. B. v. Wiese, Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel, Hamburg 21952, S. 551.

7 Bronkhorst, Coriolanus

98

III. ,Coriolanus'

als Nachempfindung

und

Neudichtung

und 1860 die beiden von Shakespeare völlig unabhängigen CoriolanDramen von H . J. v. Collin und K. Biltz174. In beiden Werken setzt die Handlung erst mit der Verurteilung Coriolans durch das Volk ein. Doch während Collin in Nachahmung der Weimarer Klassik einen an sich selbst verzweifelnden Helden darstellt, der sich als „Fremdling auf der Erde" empfindet 175 und schließlich Selbstmord begeht, umfaßt das Werk von Biltz nur wenige Gesprächsszenen von bürgerlich-behäbiger Breite. Das mit psychologischer Sorgfalt entworfene Charakterbild eines sensitiven Helden, der an der menschlichen Begrenztheit zerbricht176, macht Collins Werk zu dem bedeutenderen und auch erfolgreicheren der beiden Dramen. Für Collins ,Coriolan' schrieb Beethoven 1807 seine Coriolan-Ouverture 177 , die eine Zwischenaktmusik nach Motiven aus Mozarts ,Idomeneo' ersetzen sollte178 und später auch für Aufführungen von Shakespeares ,Coriolanus' übernommen wurde 179 . Neben den Ubersetzungen von A. Voß (1812), D. Tieck (1831) oder G. Herwegh (1867)180, den Bearbeitungen von Falk und Marbach und den Originaldichtungen von Collin und Biltz entstehen im 19. Jahrhundert aber auch zwei bedeutende Bühneneinrichtungen von Shakespeares ,Coriolanus£, durch die sich diese Tragödie schließlich endgültig im Repertoire der deutschen Theater behaupten kann. In der Divergenz der Auffassungen, die diesen beiden meistgespielten Bearbeitungen von K. Gutzkow und Ed. Devrient zugrunde liegen, wird der entscheidende Umschlagspunkt in der Coriolan-Interpretation des 19. Jahrhunderts 174

H . J. y. Collin, Coriolan, Ein Trauerspiel, in: H . J. v. Collin's sämmtliche Werke, Bd. 1, Wien 1812, S. 167-310; K. Biltz, Coriolan, Trauerspiel, Potsdam 1860. 175 H. J. v. Collin, op. cit. 5.6, S. 305. 178 Vgl. Kindlers Literatur Lexikon, 7 Bde., Zürich 1966, Bd. 2, S. 240; vgl. W. Münch, Collin und Shakespeare, in: Shakespeare-Jahrbuch 41, 1905, S. 22-44. 177 Vgl. M. Friedlaender, Shakespeares Werke in der Musik, in: Shakespeare-Jahrbuch 37, 1901, S. 85-122; S. 97. 178 Vgl. die Beschreibung der Uraufführung von Collins ,Coriolan' am 24. 11. 1802 im Wiener Burgtheater in: H . J. v. Collin's sämmtliche Werke, Bd. 6,1814, S. 366 ff. 179 y g i R. K. Goldschmit, Ed. Devrients Bühnenreform am Karlsruher Hoftheater, Leipzig 1921, S. 70. 180

Zu G. Herweghs Coriolan-Ubertragung vgl. W. Schoof, Dingelsteds Plan zu einer neuen Shakespeare-Übersetzung, in: Shakespeare-Jahrbudi 76, 1940, S. 137 bis 160; S. 149 u. S. 150; vgl. auch L. M. Price, Die Aufnahme englischer Literatur in Deutschland, Bern-München 1961, S. 281; zwei weitere metrische CoriolanÜbersetzungen der ersten Jahrhunderthälfte sind die von J. Fick und E. Bauernfeld, in: William Shakespeare's saemmtliche dramatische Werke, übers, im Metrum des Originals in einem Bande, Wien 1826, S. 824-834, und die in Meyers deutschem Shakespeare, 1826-1834, wieder abgedr. in: William Shakespeare's Sämmtliche Werke, Deutsche Volksausgabe, neu durchges. v. M. Moltke, in einem Band, Leipzig [1865].

Exkurs B

99

deutlich181. Der Unterschied zwischen Falks idealisierender Isolierung des Helden und Marbachs erstmaliger Hervorhebung von Schlachtenlärm und Kriegsgetümmel als gleichberechtigtem Handlungsmotiv läßt sich auch zwischen den in unmittelbarer Theaterpraxis entstandenen Werken Gutzkows und Devrients feststellen. Obwohl H. Laube, der für seine Wiener und Leipziger Inszenierungen von Gutzkows Einrichtung ausgeht, sich bitterlich über die sprachlichen Unzulänglichkeiten der deutschen Coriolan-Ubersetzungen beklagt182, sind dennoch die Bühneneinrichtungen dieser Zeit durch ihre enge Anlehnung an den Text von D. Tieck gekennzeichnet. Trotz ihrer offensichtlichen Mängel188 und trotz zahlreicher Verbesserungsversuche184 ist diese Ubersetzung noch über das 19. Jahrhundert hinaus für Lektüre und Aufführung gleichermaßen maßgeblich geblieben. B. 1 Starrollen und Ensemblespiel Als Dramaturg des Dresdener Hoftheaters hat Gutzkow schon aus persönlichen Rücksichten185 Shakespeares ,Coriolanus' ausdrücklich im Hinblick auf die am Theater vorhandenen Schauspieler für die Aufführung eingerichtet und bearbeitet. Zwar sind ihm die Volksszenen unerläßlich, und die sechs Bürger, die er namentlich aufführt, „damit die Rollen ein Ansehen kriegen", sollen von den „besten Mitgliedern mit 181

K. Gutzkows Dresdener Bühneneinriditung vom 27. 9.1847 war mir nidit zugänglich; Ed. Devrients Karlsruher Bühneneinrichtung vom 30.12.1855 ist abgedruckt in: Deutscher Bühnen- und Familien-Shakespeare, Auswahl der bedeutendsten Dramen William Shakespeares mit Benutzung der gangbarsten Obersetzungen, bearbeitet u. hg. v. Ed. und O. Devrient, Bd. 2, Leipzig 1873, S. 5-163. 182 H . Laube, Schriften über Theater, hg. v. d. Dt. Akademie d. Künste zu Berlin, ausgew. u. eingel. v. E. Stahl-Wisten, Berlin 1959, S. 530, zu ,Coriolanus': „Und die Sprache ist in unseren Obersetzungen äußerst hinderlich. Nirgends so wie hier empfindet man den Übelstand, daß unsere Shakespeare-Übersetzer keine Dramatiker sind. Bei den entscheidenden dramatischen Szenen suchen und finden sie keine entscheidenden Ausdrücke, sondern schachteln ein, und wählen unklare Worte, welche dem Schauspieler jegliche Hilfe versagen. Wochenlang habe ich vier, fünf Ubersetzungen verglichen und vergeblich nach treffender Rede gesucht. Am Ende mußte ich die Reden selbst schreiben." 183 Vgl. K. Stricker, Dorothea Tieck und ihr Schaffen für Shakespeare, in: Shakespeare*Jahrbuch 72, 1936, S. 79-92; S. 87: „Haupteigentümlichkeit ist immer für Dorotheas Arbeit, sich so eng wie möglich an das englische Original zu halten. Das ergibt von vornherein steife, schwere und ungebräuchliche Konstruktionen, die wir übrigens auch bei den Mitarbeitern, wenn auch nicht so häufig, finden." 184 Ygi s. Korninger, Shakespeare und seine deutschen Ubersetzer, in: ShakespeareJahrbuch 92, 1956, S. 19-44; S. 40. 185 Vgl. gd, Devrient, Einleitung zu seiner Coriolan-Einrichtung, S. 4, und O. Baumgard, Gutzkows dramaturgische Tätigkeit am Dresdener Hoftheater, Diss. phil. Bonn 1915, S. 10 u. S. 35; vgl. ibid. S. 28-38 das Szenarium und die Analyse der Bearbeitung mit Zitaten aus dem Ms. der Bibliothek des Dresdener Hoftheaters (Nr. 2079 c). 7"

100

III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

und

Neudichtung

gegeben werden", doch die Schlachtenszenen des ersten Aktes, die Eroberung Coriolis und die Begegnung mit Aufidius werden gestrichen 186 . Wie Gutzkow seinem Hauptdarsteller schreibt, will er die Handlung straffen und auf den Helden zentrieren, damit es ihm gelinge, „dies gigantische Stück so zu bewältigen, dass Dir daraus auch eine Rolle für Dein Gastspielrepertoire erwächst" 187 . Eingenommen für einen pathetischen Deklamationsstil, für schauspielerisches Virtuosentum und theatralische Effekte stellt Gutzkow seine Bearbeitung ganz auf das persönliche Interesse und Können seiner Hauptdarsteller ab 188 . Wichtig sind ihm allein die Hauptfiguren Shakespeares, die er zu Starrollen oder „Prachtrollen" umarbeitet, und die „dem Publikum die eigentliche Erquickung an dem Stücke geben" sollen 189 . Mit der empfehlenden Wendung „derb wie Coriolan und fast immer auf der Bühne" versucht Gutzkow, den Star seines Ensembles auch für die Mitarbeit an seiner nächsten Shakespeare-Bearbeitung zu gewinnen 190 . Nach demselben Gesichtspunkt aber urteilt auch die kritische Rezension der Aufführung: „Die künstlerische Individualität Emil Devrient's kam dem Charakter des Coriolan, wie keinem zweiten der tragischen Helden Shakespeare's entgegen 191 ." Eduard Devrient, der in dieser Aufführung die Menenius-Rolle spielte, gelangt erst später durch Gervinus' Coriolan-Interpretation zur Lektüre des originalen Shakespeare-Werkes 192 und ist empört, „wieviel unerlaubte Freiheit" Gutzkow sich mit seiner Bearbeitung genommen habe 193 . Er kritisiert, daß Gutzkow den Feldzug gegen Corioli gänzlich unterdrückt habe. Der Auszug und die siegreiche Rückkehr des Helden in unmittelbarer Aufeinanderfolge bedeute für den Zuschauer ein zu unvermitteltes Voranschreiten der Handlung, zumal „solche sprunghaften Fortschritte" im übrigen Stück nicht vorkämen. Dadurch aber, daß Aufidius jetzt erst im vierten Akt zum erstenmal auftrete, sei „ein Haupt186

187 188 189

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191

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193

Brief an Em. Devrient vom 5. 7 . 1 8 4 7 , zitiert nach H . H. Houben, Emil Devrient, Sein Leben, sein Wirken, sein Nachlaß, Frankfurt/M. 1903, S. 314 f. Ibid. S. 314. Vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 290. Brief an Em. Devrient vom 29. 6. 1848 anläßlich Gutzkows König-Johann-Bearbeitung, zitiert nach E. L. Stahl, op. cit. S. 230. Ibid. S. 2 3 1 ; zu Gutzkows Uberschätzung seiner Coriolan-Bearbeitung vgl. K. Gutzkow, Dionysius Longinus, oder: Ueber den ästhetischen Schwulst in der neuern deutschen Literatur, Stuttgart 2 1878, S. 96. R. Prölss, Shakespeare-Aufführungen in Dresden, in: Shakespeare-Jahrbuch 15, 1880, S. 1 7 3 - 2 2 1 ; S. 204. Ed. Devrient, Aus seinen Tagebüchern, hg. v. R. Kabel, 2 Bde., Weimar 1964, Bd. 1, S. 526. Ibid. Bd. 1, S. 544.

Exkurs B

101

interesse des Stückes, das Verhältnis des Coriolan zu Aufidius", vernichtet194. Mit der Polemik gegen Gutzkow setzen aber zugleich schon Devrients Pläne für seine eigene Bühneneinrichtung ein. Weil das Interesse am Drama mit der erfolgreichen Bittszene der Volumnia zu Ende gehe und „der letzte Akt hinterdrein erkaltet", möchte Devrient die Ermordung Coriolans ins Volskerlager vorverlegen: „Aufidius' Aufregung ist frischer, seine elende Tat eher dem Zorn zuzuschreiben, alles ist noch Spannung" 195 . Der historische Verlauf soll dem Konflikt der Leidenschaften aufgeopfert werden, damit die Handlung straffer und gedrängter werde und damit der „mittelalterlich epischen Form, welche Shakespeare's Dramen oft, in ihren verstreuten Scenen, zeigen"196, entgegengewirkt werde im Sinne einer die Spannung erhöhenden und die Aufführbarkeit erleichternden Zusammenziehung der Tragödie. Doch die endgültige, gedruckte Fassung von Devrients Bearbeitung zeigt keineswegs einen solch einschneidend geänderten Dramenschluß. Uberhaupt geht diese Bühnenbearbeitung sehr vorsichtig vor, kürzt lediglich einzelne Verse oder Prosazeilen der längeren Reden und verzichtet auf kurze Szenen wie 4.3 oder 5.1, die, wären sie beibehalten worden, als Grund für „unzählige Decorationsveränderungen die Stabilität des dramatischen Interesses erschüttert hätten" 197 . Devrients Coriolan-Einrichtung nimmt schon teilweise die Grundsätze vorweg, die W. Oechelhäuser am Ende des Jahrhunderts zusammenfassend und allgemeinverbindlich für alle Bühneneinrichtungen von Shakespeare-Werken aufstellen möchte. Die Quintessenz der Schwierigkeiten liegt für Oechelhäuser darin, „dass der Decorationswechsel eine bedeutende Einschränkung der Scenenzahl bedingt, also Einschnitte in den Organismus, den Bau der Stücke nöthig macht"198. Daher möchte er, daß notwendige, der Geschlossenheit der Aufführung dienliche Kürzungen vorgenommen würden, daß dabei jedoch äußerst vorsichtig verfahren würde und Einfügungen oder Umdichtungen ganz unterblieben. Indem Devrient zwar die Akteinschnitte verlegt, jedoch die Handlungsdisposition und die Figurenzeichnung ohne größere Eingriffe zu bewahren sucht, paßt er seine Einrichtung lediglich den spezifischen bühnentechnischen Erfordernissen und Gegebenheiten seiner eigenen Zeit an. Wohl kürzt er den Tieck-Text und verbessert einige Ausdrücke der 194 195 198 197 198 199

Ibid. Bd. 1, S. 402. Ibid. Bd. 1,S. 402. Ed. Devrient, Einleitung zu seiner Coriolan-Einriditung S. 3. W. Oechelhäuser, Shakespeareana, Berlin 1894, S. 219. Ibid. S. 219. Vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 417.

102

III. ,Coriolanus'

als Nackempfindung

und

Neudichtung

Übersetzung, doch verzichtet er völlig auf eigene Zusätze oder Ergänzungen. Wie kaum einer seiner zeitgenössischen Kollegen bleibt Devrient den dramaturgischen Prinzipien seines Lehrers L. Tiedk verpflichtet199 und weist zugleich auf die apodiktisch strenge Aufführungspraxis des Jahrhundertendes voraus200. Devrient macht Gutzkow zum Vorwurf, daß er Shakespeares Coriolan-Figur für seinen Hauptdarsteller zum „Ehrenkleide zugeschnitten" und daß er „alle anderen Rollen verkleinert, verdunkelt, die Tribunen jämmerlich herabgebracht, dem Menenius selbst eine Rede genommen und sie zu einem brillanten Abgange dem Coriolanus in den Mund gelegt" habe201. Er selber will diese Fehler nicht nur durch größere Ehrfurcht vor dem Shakespeare-Text vermeiden, sondern er will vor allem jetzt auch das übertriebene Herausarbeiten der Titelfigur durch ein dem Stück als Ganzem gerechter werdendes, betontes Ensemblespiel ersetzen. Der Charakter des Coriolan ergibt sich nach Meinung Devrients nicht aus der dramaturgischen Isolation des Helden, nicht durch die Beschränkung der Handlung auf die wesentlichsten Momente seiner Taten und Entscheidungen, vor allem aber nicht durch retrospektive Berichte über diese Taten und Leistungen, sondern gerade erst in der tatsächlichen szenischen Realisation und im Wechselspiel der Beziehungen zwischen Coriolan und den übrigen Figuren und Figurengruppen des Dramas: „Nur die lebendige Anschauung von Coriolans gewaltiger Tapferkeit im Gegensatz zur Feigheit der Plebejer kann bei dem Zuschauer eine Sympathie mit des Helden überspannter Verachtung des Volkes erhalten, nur das Miterleben des Kampfes zwischen Coriolan und Aufidius und dessen maßlosen Racheschwüren vermag die ganze Größe von Coriolans Entschluß zu verstehen, mit welcher er sich dem Schutze und der Kampfgenossenschaft dieses Todfeindes anvertraut 202 ." Infolgedessen sind es gerade „die großen und heftigen Ensemblescenen", auf die es Devrient bei den Proben immer wieder ankommt 203 ; und auch noch bei den Vorstellungen achtet er darauf, daß das Spiel aller „im Ensemble zusammengehe"204. Er wünscht mit äußerster Konsequenz die „unbedingte Einordnung des Einzelnen in das Ganze auf der Bühne"205. 200 Vgl. W. Oechelhausen Shakespeareana S. 221: „Festzuhalten ist nur das eine: d a ß nichts Organisches geändert, nichts Wesentliches, und namentlich nichts Unnöthiges, neu erfunden und zugesetzt werden darf." 201 202 203 204 205

Ed. Devrient, Ed. Devrient, Ed. Devrient, Ibid. Bd. 2, S.

Aus seinen Tagebüchern Bd. 1, S. 526. Einleitung zu seiner Coriolan-Einriditung S. 4. Aus seinen Tagebüchern Bd. 2, S. 156. 285.

E. L. Stahl, op. cit. S. 416.

Exkurs B

103

Ganz ähnliche Bestrebungen, wie sie zuerst W. Macready in London206, dann Devrient in Karlsruhe unternahmen, gipfeln schließlich in den glänzenden Ensembleleistungen der Meininger207, die unterstützt durch bis ins Detail historisch getreue Dekorationen und Requisiten einen „malerischen, reichen und poetischen Eindruck" 208 vermitteln und zu stimmungsvollen Ausstattungsdarbietungen von größter Geschlossenheit und Monumentalität gelangen. Entsprechend hält W. Oechelhäuser es am Ende des 19. Jahrhunderts für selbstverständlich, daß „jede Bühne, welche auf den Charakter eines Kunstinstituts Anspruch macht, den Coriolan in Architektur, Ornamentik, Waffen, Geräth und Tracht würdig und in historischer Treue ausstatten muß" 209 . Historische Treue aber bedeutet römische Antike, nicht elisabethanische Bühnenpraxis. Bei einer gleichzeitig unkritischen Einstellung dem tragischen Helden gegenüber entspricht eine solche Betonung des Optisch-Effektvollen und ein bis ins einzelne durchgestaltetes Zusammenspiel der Schauspieler der sozial differenzierenden und zugleich weitläufigen Sprache der MarbachBearbeitung genauso wie der breiten Prosa des Biltz-Dramas. Auf dem Höhepunkt des Historismus manifestiert sich als Komplementärerscheinung des poetischen Realismus eine Prädominanz des Stofflichen audi in der Aufführungspraxis der zweiten Jahrhunderthälfte. B. 2 Die politischen Implikationen Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts bedingt zugleich die revolutionären Tendenzen, die auf eine Umschichtung auch der gesellschaftlichen Zustände hinzielen. Das stete Anwachsen der Produktivkräfte einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung läßt die feudalen Verfassungs- und Regierungsformen immer anachronistischer erscheinen. Während das Bürgertum an wirtschaftlichem Einfluß gewinnt, bleibt ihm die gesellschaftliche Anerkennung und die Beteiligung an den politischen Entscheidungen auch weiterhin versagt. Angesichts des bürgerlichen Mittelstandes, der von seiner wirtschaftlichen Bedeutung aus auch auf seine

206 Vgl 2 U w . Macreadys Coriolan-Inszenierung v o n 1838 W. M. Merchant, Classical Costume in Shakespearian Productions, in: Shakespeare Survey 10, 1957, S. 7 1 - 7 6 ; S. 74. 207 Vgl. M. St. Cläre Byrne, Charles Kean and the Meininger Myth, in: Theatre Research/Redierdies Théâtrales 6, N r . 3, 1964, S. 1 3 7 - 1 5 3 ; eine Coriolan-Inszenierung findet sich bei den Meiningern jedoch nicht. 208

K. Frenzel, zitiert nach E. L. Stahl, op. cit. S. 441 ; vgl. zu ähnlichen Bestrebungen am Wiener Burgtheater H . Kindermann, Shakespeare und das Burgtheater, Wien 1964, S. 1 7 - 2 1 ; O. Baumgard, op. cit. S. 33 f. vergleicht sogar schon G u t z k o w s Coriolan-Inszenierung mit dem Stil der Meininger.

209

W. Oechelhäuser, Einführungen S. 76; 2. Aufl. 1885, 3. Aufl. 1895.

104

III.,Coriolanus'

als 'Nachempfindung und

Neudichtung

Repräsentanz im öffentlich-staatlichen Leben drängt, wird das unangemessene Verhalten einer zäh an den feudalen Privilegien festhaltenden reaktionären Aristokratie immer offenkundiger. Unter diesen Umständen ist es verwunderlich, daß die CoriolanDramen und die Shakespeare-Aufführungen der Jahrhundertmitte gerade durch ihre Darstellung vergleichbarer römischer Zustände nicht stärkere Resonanz im Publikum finden. Ed. Devrient, der sich als Menenius-Darsteller gerade in den kritischen Situationen auf der Bühne befindet, registriert jedoch selbst noch im November 1848 lediglich eine mäßige Unruhe der Zuschauer: „Das Publikum schien heute doch die üble Behandlung des Volkes in dem Stücke zu empfinden. Es ist seit sechs Monaten politisch geworden 210 ." Etwas lebhafter reagiert das Wiener Publikum. Während es 1850 von der großen Volksszene im Julius Caesar nur „elektrisiert" ist211, kommt es in der folgenden Saison wegen der Coriolan-Aufführung sogar zu Protesten gegenüber der neuen Direktion, die für die Auswahl des Stückes verantwortlich ist: „Die freche Verhöhnung demokratischer Elemente, welche den ,Coriolan c auszeichnet, war dem Publikum innerlich zuwider, und es ließ den Beifall für gut gespielte Szenen nicht heraus. Ja, ich wurde mit Vorwürfen überschüttet, in unserer Zeit solche Verhöhnung der Demokratie auf die Szene gebracht zu haben 212 ." Doch wie Hebbel sich zur gleichen Zeit ganz entschieden gegen „sogenannte politische Demonstrationen bei theatralischen Vorstellungen" gerade am Beispiel der Shakespeareschen Tribunen im ,Coriolanus' ausspricht213, so ist auch Laube zutiefst von der Autonomie der Kunst überzeugt, die in ihrer ästhetischen Eigengesetzlichkeit auch im Theater außerhalb der politischen Meinungsbildung stehe214. Trotz der negativen Reaktion auf die Coriolan-Premiere bleibt Laube davon überzeugt, „daß die weiteren Gesichtspunkte der Kunst nicht dem eben herrschenden Parteisinne geopfert werden dürfen" 215 . Er ist schließlich stolz darauf, daß es ihm gelingt, erzieherisch auf das 210 811 212 213 214

215

Ed. Devrient, Aus seinen Tagebüchern Bd. 1, S. 457. W. Oedielhäuser, Shakespeare auf dem Wiener Burgtheater, in: ShakespeareJahrbuch 4, 1869, S. 349-367; S. 356 f.; zu .Coriolanus': S. 358. H. Laube, op. cit. S. 209. F. Hebbel, Werke, hg. v. G. Fricke u. a., Bd. 3, 1965, S. 646; zu Hebbels Plänen einer Coriolan-Bearbeitung vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 265. Anderer Ansicht ist H. Kindermann, op. cit. S. 14: „Laube als erster hat die dauernd-aktuellen politischen Grundsatzfragen in Shakespeares furchtlos zupackender Weltdramatik entdeckt." H. Laube, op. cit. S. 209; dagegen ist H. Kindermann, op. cit. S. 15 der Meinung, daß Laube „die romantische Coriolan-Übertragung durch den Jungdeutschen Gutzkow ins Scharf-Aktuelle hin orientieren ließ für das Burgtheater".

Exkurs

B

105

Publikum einzuwirken, indem er es allmählich zu einer Würdigung der künstlerischen Qualitäten der Tragödie führt und ihm so unter Abstraktion von den Zeitverhältnissen einen rein ästhetischen Genuß vermittelt. Publikum und Theater sollen sich wechselseitig bilden, doch außerhalb jeglicher politischen oder sozialen Konfliktsituation. Die Kunst wird verstanden als unabhängig und herausgelöst aus jeder gesellschaftlichen Bedingtheit, das Publikum soll aus den Tagesereignissen herausgeführt werden in den Bereich der freien Phantasie und der zeitlosen Dichtung. So meint Laube, sein Ziel des unpolitischen Zuschauers erreicht zu haben, wenn er über die Wiener Coriolan-Rezeption konstatieren kann: „Nach ein paar Jahren war er [,Coriolanus c ] gewürdigt und wurde gut besucht, ja am Ende applaudierte man unbefangen jene Streitworte, welche man bei der ersten Vorstellung am liebsten ausgezischt hätte 216 ." Die deutsche Befreiungsbewegung ist durch ihren Kompromiß mit dem Feudalismus und durch ihre mangelnde Oppositionsbereitschaft gegenüber den reaktionären Kräften gescheitert. Laubes Befürchtungen um den Theatererfolg des ,Coriolanus' wegen des antidemokratischen Charakters des Stückes sind daher unbegründet 217 . Die Möglichkeiten des Dramas zur politischen Provokation bleiben auch in späteren Laube-Inszenierungen vom Publikum unbeachtet. Als Folge einer Verdrängung aus den entscheidenden Positionen des Staatsapparates und der Regierungsgremien in die Isolation des häuslichen und persönlichen Wirkungsbereiches weicht das zeitkritische Engagement des bürgerlichen Publikums einer resignierenden Gleichgültigkeit gegenüber der thematischen Aktualität der Theaterstücke, deren Auswahl ohnedies schon weitgehend der staatlichen Vorzensur unterliegt: „mit der wachsenden Reaktion trat Erschlaffung im Publikum ein218." In der freiwilligen Selbstbescheidung, vor allem aber auch in der Angst vor den zu Unruhe und Anarchie führenden radikalen Ideen schließt Biltz sein Drama gerade auch im Bewußtsein der antibürgerlichen Ausdeutbarkeit des Coriolan-Stoffes mit dem Wunsch nach „Eintracht und gegenseitiger Duldung" und richtet einen abschließenden Appell an den Versöhnungswillen des Publikums: „Möchten wir endlich aufhören, in thörichten Parteiungen unser eignes edelstes Blut zu vergießen: möchte endlich ein Band die Edlen und die Bürger dieses Staates umschließen 216 217

218

H . Laube, op. cit. S. 210. Vgl. ibid. S. 542: „Der Held des Stückes verhöhnt den ganzen Grundton unserer Zeit, er schlägt ihm ins Gesidit, und da er als Held des Stückes in den Hauptszenen siegreich dargestellt wird vom Dichter, so geht ja Hohn und Faustschlag ins Publikum selber. Wie soll da Gefallen entstehen?" F. A. Witz über die Augsburger Theaterverhältnisse von 1847/48, zitiert nach: W. Widmann, Theater und Revolution, Berlin 1920, S. 104.

106

III. ,Coriolanus' als Nachempfindung

und Neudichtung

und uns bedenken lehren, daß wir Söhne eines Landes, Kinder einer großen Familie sind 219 !" Audi in der Shakespeare-Adaption bei Marbach findet sich lediglich ein schwacher Widerhall der Bestrebungen und Tendenzen des bürgerlichen Freiheitskampfes in der geschichtsphilosophischen Antwort des Brutus an Coriolan: „Mein Tod wie deiner werden Roms Geschick Entscheiden nicht noch ändern. Ueber Leichen Schreitet ein edles Volk dem Ziele zu, Das ihm vor Augen leuchtend steht: der Freiheit 220 !" Doch die „Beziehung auf die K ä m p f e der Gegenwart", die Marbach nachgesagt wird 221 , spiegelt hier nur die apologetische Phase des bürgerlichen Liberalismus, in der sich der einzelne durch die Berufung auf den ,Gang des Geistes in der Weltgeschichte' und durch den Hinweis auf seine eigene Unmaßgeblichkeit gegenüber einer unbeeinflußbaren, notwendigen geschichtlichen Entwicklung seiner Eigeninitiative und seiner persönlichen Verantwortlichkeit entziehen will. Marbachs Einstellung ist die konsequente Folge aus einer aufgezwungenen Ohnmacht des Bürgertums gegenüber dem erfolgreichen Widerstand einer Aristokratie, welche die bisherigen Verhältnisse konservieren will. Das Ausweichen in die Idealisierung der häuslich-privaten Sphäre, wie sie Marbach in seiner Shakespeare-Bearbeitung verherrlicht, findet sich bei Biltz in noch konzentrierterer Form, indem er schon durch den Ahnenkult in der Exposition seines Dramas die Bedeutung eines institutionalisierten Familienverbandes in den Vordergrund des Interesses rückt. Doch selbst schon Collin eröffnet zu Beginn des Jahrhunderts sein Werk mit dem feierlichen Götteropfer für das häusliche Glück und mit der Apostrophe an die „guten Laren, freundliche Beschützer Des Marcischen Geschlechts, Und dieses Hauses 2 2 2 !" Die revolutionäre Explosivkraft, die sowohl in den Shakespeare-Aufführungen als auch in den Adaptionen oder den dramatischen Neugestaltungen des Coriolan-Stoffes durch eine wirkungsvolle Gestaltung der aufrührerischen römischen Bürger oder der aristokratischen Überheblichkeit 219 820 221 122

K. Biltz, Coriolan 5.7, S. 138. O. Marbach, Coriolanus 5.3, S. 213. Die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart, hg. v. K. L. Leimbach, S. 69. H. J. v. Collin, Coriolan 1.1, S. 169.

Exkurs B

107

des Helden hätte zur politischen Provokation herausgearbeitet werden können, wird im 19. Jahrhundert eher vorsätzlich unterdrückt oder überspielt. Trotz der revolutionären Tendenzen der Zeit und ihrer Bestrebung nach Demokratisierung des Staatsapparates und nach Reduzierung der feudalen Gesellschaftsstruktur ist eine Politisierung der CoriolanDramatik und ihre Nutzbarmachung für sozialreformatorische Ideen streng vermieden worden.

I V . DAS E X P E R I M E N T

MIT

.CORIOLANUS'

6. Bertolt Brecht Brecht ist Dichter und Regisseur zugleich. Seine Stücke sind unmittelbar in Hinsicht auf ihre jeweilige Inszenierung geschrieben und erhalten oft ihre endgültige Textgestalt erst auf der Bühne. Das Drama kann die ihm vom Autor zugedachte Funktion nur in seiner szenischen Realisation voll entfalten. Dabei geht es Brecht nicht primär um die dichterische Seinsweise seines Werkes, sondern um eine Aktivierung der sozialen Funktion des Theaters 1 . Der Aspekt des Künstlerischen ist dem der Wirkungskraft der Dichtung untergeordnet: „Letztes Wirkungsziel ist Lebensgestaltung als Gesellschaftsveränderung 2 ." Die zugrunde liegenden poetologischen Überlegungen sind die einer Wirkungsästhetik und müssen bei Brecht scharf getrennt werden von denen einer von ihm abgelehnten Werk- oder Schöpfungspoetik 3 . Doch erst während seiner letzten Schaffensperiode steht Brecht das eigene Theater zur Verfügung, an dem er seine dramaturgischen Vorstellungen in ständiger Korrektur durch die Praxis verwirklichen kann. Hier erst ist ihm das Instrument für seine auf unmittelbare Einwirkung und Herausforderung des Publikums ausgerichtete Arbeit in vollem Umfang gegeben4. Die dichterische Produktion dieser Zeit ist gekennzeichnet durch die Adaptionen fremder Werke für die Spielweise und den Aufführungsstil seiner eigenen Bühne. Gerade wo klassische Werke durch eine lange bürgerliche Deutungstradition in ihrer Bühnenaussage schon weitgehend fixiert sind, wird die abweichende marxistisch ausgerichtete Deutung 1

Vgl. F. Martini, Soziale Thematik und Formwandlungen des Dramas, in: Episdies Theater, hg. v. R . Grimm, Köln-Berlin 1966, S. 2 4 6 - 2 7 8 ; S. 265.

2

W . Hinck, Die Dramaturgie des späten Brecht, Göttingen 1959, S. 90.

3

Vgl. diese Begriffe bei M. Wehrli, Allgemeine Literaturwissenschaft, Bern 1951, u. a. S. 4 2 ; ihre Anwendung auf Brecht bei W . Hinck, op. cit. S. 16. Die offizielle Leitung des Berliner Ensembles hatte H . Weigel. Brecht wird lediglich unter den Regisseuren aufgeführt: vgl. Theaterarbeit, 6 Aufführungen des Berliner Ensembles, hg. v. Berliner Ensemble, H . Weigel, Düsseldorf 1952, S. 6.

4

6. Bertolt

Brecht

109

Brechts zur Grundsatzfrage der Aufführung. So findet er sich bei der Einbeziehung fremder Stücke in die sozialkritische Intentionalität seines spezifischen Aufführungsstiles mit einer Umsetzungsproblematik konfrontiert, die bei langwierigen Probenarbeiten immer auch eine tiefgreifende Textänderung erfordert. Die Möglichkeit der Transformation Shakespearescher Dramen beschäftigt Brecht nicht erst während seiner zweiten und letzten Berliner Zeit, sondern wird schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt diskutiert und seither durch sein ganzes Werk hindurch immer wieder aufgegriffen 5 . Die Frage nach der Aufführbarkeit Shakespeares auf dem Gegenwartstheater, wie Bredit es sich vorstellt, ist die Frage nach seiner Aktualität für die zeitgenössische Gesellschaft. Brechts Coriolan-Bearbeitung entsteht in den Jahren 1951-1953®, doch die erste Auseinandersetzung mit dem Shakespeare-Werk erfolgt schon 1925, als E. Engel es an Max Reinhardts Deutschem Theater inszeniert7. 6.1 Die Stellung des Coriolan-Dramas in Brechts Auseinandersetzung mit Shakespeare 6.1.1 E. Engels Coriolan-Inszenierung Als H . Ihering 1929 ein Buch über die zeitgenössische Situation des deutschen Theaters und seine künftigen Entwicklungsaussichten veröffentlicht 8 , schreibt Brecht eine Rezension in Dialogform, in der er Ihering unter Verwendung von Zitaten aus diesem Buch selbst sprechen läßt und dann dazu Stellung bezieht9. So nennt Ihering Brechts Bearbeitung und Inszenierung von Marlowes ,Edward II' (München 1924) als Beispiel, wie man ein klassisches Werk für die moderne Bühne umdichten könne, „indem man es auskältet, wie man es näherbringt, indem man es entfernt" 10 . Eingehend charakterisiert er den neuen Inszenierungs- und Bearbeitungsstil, als dessen Hauptmerkmal er die Episierung des dramatischen Geschehens herausstellt: „Sie forderten Rechenschaft über die Vorgänge. Sie verlangten einfache Gesten. 5

D i e wichtigsten Stationen v o n Brechts Beschäftigung mit Shakespeare vgl. bei H . Hultberg, B. Brecht und Shakespeare, in: Orbis litterarum 1 4 , 1 9 5 9 , S. 8 9 - 1 0 4 . • Vgl. J. Willet, The Theatre of B. Brecht, London 1959, S. 5 7 - 6 0 ; übers, v. E. Schumacher, D a s Theater B. Brechts, Eine Betrachtung, Reinbek b. Hamburg 1964, S. 55. 7 Brecht war zu diesem Zeitpunkt Dramaturg am Deutschen Theater: vgl. R. Grimm, Bertolt Brecht, Stuttgart 2 1968, S. 9. 8 H . Ihering, Reinhardt, Jeßner, Piscator oder Klassikertod?, Berlin 1929. 9 B. Brecht, Gespräch über Klassiker, Schriften zum Theater, Bd. 1, S. 146-156. 10 Ibid. S. 152; Bredit zitiert nicht ganz wörtlich nach H . Ihering, op. cit. S. 22.

110

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

Sie zwangen zu klarem, kühlem Sprechen. Keine Gefühlsmogelei wurde geduldet. Das ergab den objektiven, den epischen Stil 11 ." Doch neben dieser Art der bearbeitenden Neufassung eines Dramas läßt Brecht während seiner ersten Berliner Zeit durchaus auch eine Aufführungspraxis gelten, die ohne tiefere Eingriffe in den ursprünglichen Dramentext, lediglich durch die Art der Inszenierung, den auf antiemotionale Sachlichkeit und auf Distanz des Darstellers zum Dargestellten bedachten Stil des epischen Theaters anstrebt. Als Beispiel für diesen epischen Inszenierungsstil gilt Brecht die Coriolan-Aufführung Engels, die mit nur geringen Abänderungen dem Text der Tieck-Ubersetzung folgt. Sich auf das Zeugnis Alfred Kerrs berufend berichtet E. L. Stahl von einer Aufführung, die ganz auf den Titelhelden ausgerichtet ist. Er beschreibt F. Kortner in der Hauptrolle als „starken Menschen, der einmal, einmal (durch die Mutter) schwach wird, nachgiebig, sich untreu". Den tragischen Schluß empfindet er als „großes Herabsinken" 12 . Folgt man dieser Darstellung, so erscheint es merkwürdig, daß Brechts eigene spätere Inszenierung des Coriolan-Dramas gerade daran scheitert, daß für E. Busch, den Hauptdarsteller Brechts, „der Held nicht genügend groß etabliert war, bevor er stürzte" 13 . Doch von Anfang an geht es Brecht um ganz andere Aspekte der Engeischen Inszenierung als seinem ,Gegner' Kerr 14 . Es ist nicht die Coriolan-Verkörperung, sondern die Anlage der Szenenfolge, die Art der Handlungsverknüpfung, die Brecht hier den „entscheidend wichtigen" Versuch für eine Konsolidierung des epischen Theaters sehen läßt 15 . Darüber hinaus läßt sich aber auch eine Aufführungskritik finden, die die Widersprüchlichkeit zwischen Kerrs und Brechts Beobachtungen aufhebt. Anders als Kerr berichtet Ihering von einem objektivierenden, zurückhaltenden Spiel Kortners: „Kortner gab einen sparsamen, fast schweigsamen Coriolan, eine Darstellung, die sich nicht mehr mit einem heldischen Vorbild identifizierte, sondern die Rolle von sich abstellte, beinahe von ihr erzählte, von ihr berichtete 16 ." Brecht begreift Engel als Vorläufer Piscators, der später durch Verwendung unkonventioneller Mittel in seinen Inszenierungen eine Zerstörung des traditionellen Illusionstheaters anstrebt und durch Unter11 12

13

14 15 16

Ibid. S. 152 bzw. S. 22. E. L. Stahl, op. cit. S. 539; vgl auch S. 591; 1925 und 1928 spielt F. Kortner die Hauptrolle, 1936/37 E. Baiser. M. Wekwerth, Notate, Uber die Arbeit des Berliner Ensembles 1956 bis 1966, Frankfurt/M. 1967, S. 108. Vgl. R. Grimm, op. cit. S. 7. Brecht, Schriften zum Theater Bd. 1, S. 188. H . Ihering, op. cit. S. 21.

6. Bertolt

Brecht

111

brechungen und Verwerfungen das dramatisch-sukzessive Handlungskontinuum auflöst, um durch Rückverweise auf die historisch oder soziologisch bedingenden Faktoren das Verhalten und die Entscheidungen der Dramenfiguren auf ihre außerindividuelle Determination hin durchsichtig zu machen. Durch das Einblenden statistischen Materials, geographischer Karten oder geschichtlicher Dokumente soll dem Zuschauer Gelegenheit gegeben werden, „gewisse Vorgänge, die die Entscheidungen der handelnden Personen bilden, selbst in Augenschein zu nehmen und sie selbst zu beurteilen, ohne sie durch die von ihnen bewegten Personen sehen zu müssen"17. Brecht fordert die kritische Haltung des Zuschauers, der sich sein Urteil über die Vorgänge und Zustände, die auf der Bühne dargestellt werden, in kühler Distanz zu dem Gezeigten bildet und sich nicht durch eine voreilige Sympathie oder Parteiergreifung für den Helden beeinflussen läßt. Im Sinne einer Opposition gegen „die Einfühlung in den Schauspieler und über ihn in die Stückfigur" 18 sieht Brecht in Engels Coriolan-Inszenierung die ersten Ansätze einer verfremdenden Darstellungsweise. Er lobt das von Engel angewandte Prinzip einer losen Reihung der einzelnen Dramenteile, das im Gegensatz zum Prinzip der organischen Integration und der kausaldeterminierten Entwicklung des dramatischen Theaters für das epische Theater grundlegend wird: „Er gab die Geschichte des Coriolan so, daß jede Szene für sich stand und ihr Ergebnis für das Ganze benützt wurde. Im Gegensatz zum dramatischen Theater, wo alles auf eine Katastrophe hinsaust, also fast das Ganze einleitenden Charakter hat, stand hier Totalität unbewegt in jeder Szene19." Dies kommt dem positiven Moment entgegen, das Brecht an Shakespeare selber lobt: Die Zusammenhanglosigkeit der Akte entspreche der Zusammenhanglosigkeit eines menschlichen Schicksals, das von einem desinteressierten Erzähler berichtet werde, der seine Erzählung nicht als Exempel einer vorgefaßten Idee verstehe und sie folglich auch nicht entsprechend unrealistisch zurechtforme 20 . Die Zufälligkeit der Ereignisse wird als Natürlichkeit und Wirklichkeitsnähe der Shakespeareschen Darstellung hervorgehoben. Die ungezwungene Folge in sich geschlossener Einzelmomente ist für Brecht „das Beste bei Shakespeare", das aber außer auf dem epischen Theater, wie es Engel anstrebt, „im Widerspruch stehend zu unserer 17

18 19 20

Brecht, Schriften zum Theater Bd. 1, S. 188; zu E. Piscators Anspruch, er habe das epische Theater erfunden, vgl. E. Bentley, The Playwright as Thinker, A Study of Drama in Modern Times, N e w York 1946, S. 185 ff. Brecht, ibid. Bd. 2, S. 23. Ibid. Bd. 1 , S . 189. Ibid. S. 106.

112

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

herrschenden Ästhetik und unseren Theatern nicht faßbar, heute nicht aufgeführt werden kann" 21 . So sehr sich Brecht von der traditionellen Shakespeare-Deutung, die die dramatische Darstellung der seelischen Entwicklung des Protagonisten auf ihre psychologische Wahrscheinlichkeit hin untersucht22, distanziert, so ist er doch in seiner spezifischen Auffassung von der Renaissancestruktur der Shakespeare-Dramen durch die Forschung in manchem bestätigt worden 23 . Wie Brecht davon überzeugt ist, daß der „wirkliche", der „philosophische Gehalt" Shakespeares allein auf dem epischen Theater zu adäquater Wirkung gebracht werden kann 24 , so entwickelt er selber in seiner folgenden Theaterpraxis die in Engels Inszenierung beobachteten und auf Shakespeare selbst zurückgeführten ästhetischen Prinzipien zum tragenden Konzept der dramatischen Bauform seiner eigenen Stücke. W. Hinck beschreibt den von Brecht bei Engel gefundenen und als vorbildlich deklarierten Teilaspekt des epischen Dramas für den späten Brecht als das „Gesetz der offenen Dramaturgie", das das nach ihm gebaute Drama „auf den Anschein eines gleichsam pflanzenhaften Wachstums" verzichten läßt 28 . Obwohl Brecht in Engels Coriolan-Aufführung Grundzüge seiner eigenen dramentheoretischen Auffassungen wiedererkennt und bestätigt sieht, läßt er sich von dieser Inszenierung doch nidit zu eigener unmittelbarer Bühnenarbeit an Shakespeare-Dramen anregen26. Ihering betont ausdrücklich, daß gerade im ,Coriolanus' eher noch als in ,Romeo und Julia' oder im ,Othello' der Vorrang der Fabel vor dem Gefühl und der Leidenschaft gegeben sei und damit auch die Möglichkeit für die Herausstellung einer schon vom Original her vorhandenen objektivierenden Darstellung sich anbiete: „Coriolan - eine Historie, eine Geschichte hält heroische Leidenschaften zusammen, berichtet von ihnen, oder kann wenigstens als Bericht dargestellt werden 27 ." 21 22

23

24 25 28

27

Ibid. S. 105 f. Vgl. etwa L. L. Schücking, Shakespeare und der Tragödienstil seiner Zeit, Bern 1947, S. 71 über Macbeth: „Mit unvergleichlicher Unmittelbarkeit wird jede einzelne Phase, das Auf und Nieder, das plötzliche Zurückweichen und das Stocken im Zustandekommen seiner Entschließungen zur Anschauung gebracht." R. B. Parker, Dramaturgy in Shakespeare and Brecht, in: Univ. of Toronto Quarterly 32, 1962/63, S. 229-246, stellt S. 236 ff. das Prinzip der episdien Reihung bei Brecht und Shakespeare fest. Brecht, Schriften zum Theater Bd. 1, S. 109. W. Hinck, op. cit. S. 26. Allerdings entstehen 1927 und 1931 Rundfunkbearbeitungen von ShakespeareStücken: vgl. H . Hultberg, op. cit. S. 96. H. Ihering, op. cit. S. 19.

6. Bertolt

Brecht

113

Diese von Ihering beschriebene Möglichkeit der Coriolan-Auffassung für eine szenische Realisation mag neben anderen Gründen dazu beigetragen haben, daß Brecht später gerade ,Coriolanusc unter den Dramen Shakespeares für eine Bearbeitung ausgewählt hat, doch zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit Iherings Buch konstatiert Brecht kategorisch: „Die Bemühungen um Klassikeraufführungen sind von mir aufgegeben worden 28 ." 6.1.2 Das Julius-Caesar-Projekt Die zeitweilige Enttäuschung durch das Werk Shakespeares, wie sie das Ende der ersten Periode der Auseinandersetzung Brechts mit Shakespeares ,Coriolanus' kennzeichnet, mag mitbedingt gewesen sein durch das gescheiterte Projekt einer Julius-Caesar-Aufführung 29 . F. Sternberg, der neben Piscator mit an diesem Unternehmen beteiligt war, beschreibt es später eingehend und verweist ausdrücklich auf die Analogie dieses Projektes mit den späteren Bemühungen Brechts um eine Coriolan-Bearbeitung 30 . Ausgangspunkt ist in beiden Fällen das Unbehagen an dem zeitgenössischen Stil der Shakespeare-Inszenierungen. Im Falle des Julius Caesar' hatten alle Beteiligten „mehrfach Aufführungen gesehen", die ihnen in keiner Weise dem Drama oder dem Publikum gerecht zu werden schienen. So macht Sternberg den Vorschlag, „man müsse den .Caesar' soziologisch spielen"31. Er meint, daß der Bruch, der bei diesen Aufführungen nach dem dritten Akt auftritt, vermieden werden könne, wenn man Brutus' Hoffnung auf Beseitigung der Tyrannis in den Mittelpunkt der Darstellung rücke. Diese Hoffnung müsse dann enttäuscht werden, weil „in Wirklichkeit [ . . . ] die soziologischen Bedingungen für ein demokratisches Regime zweier Konsuln längst nicht mehr gegeben" seien32. Doch dieser Versuch, nur vom vorhandenen Text aus zu einer neuen Caesar-Deutung zu gelangen, scheitert. Sternberg muß eingestehen, daß das Stück zu viel enthalte, „was in diese soziologische Konzeption nicht hineinpaßte und von ganz anderen menschlichen Ebenen getragen war". Da selbst „eine besondere Betonung der soziologischen Punkte durch die Regie" für eine in sich stimmige Aufführung nicht ausgereicht hätte, macht Sternberg gegenüber Brecht schließlich den Vorschlag, durch Kür28 20

Brecht, Schriften zum Theater Bd. 1, S. 152. Vgl. Brecht, Schriften zum Theater Bd. 1, S. 153.

30

F. Sternberg, Der Dichter und die Ratio, Erinnerungen an Bertolt Brecht, Göttingen

51

Ibid. S. 33 u. S. 34.

32

Ibid. S. 34.

1963, S. 33-36.

8 Bronkhorst, Coriolanus

114

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

Zungen und Einfügungen die Textgrundlage im Sinne der Neuinterpretation zu ändern 33 . Zum Zeitpunkt des Caesar-Unternehmens ist Brecht nicht willens, diesem Rat zu folgen. Mehr als zwei Jahrzehnte später aber greift er ihn wieder auf. Ganz ähnlich wie damals ist er auch jetzt beim ,Coriolanus' darauf bedacht, zunächst — wie das „Studium des ersten Auftritts" zeigt34 - zu einem vereinigten' Text zu gelangen, der sowohl frei von der traditionellen Sichtweise ist als auch noch keine von ihm selber vorgenommenen Änderungen enthält. Von jeher richtet sich Brechts Polemik nicht eigentlich gegen Shakespeare selbst, sondern gegen die herkömmliche Theaterpraxis, in der seine Werke aufgeführt werden, gegen „jenen gipsig monumentalen Stil, der den Spießbürgern so teuer ist" 35 . Das einzelne Werk, das zur Aufführung auf einem kritischen Theater gebracht werden soll, muß daher zunächst einmal befreit werden von der Sterilität eines in der bürgerlichen Deutungstradition akkumulierten Vorurteils, d. h. von seiner als unantastbar geltenden Klassizität 36 . Wogegen sich Brecht im konkreten Fall der ersten Szene des .Coriolanus' wehrt, faßt M. Wekwerth in der analytischen Vorbesprechung der Aufführungsproben folgendermaßen zusammen 37 : „Für gewöhnlich wird der ganze Auftritt für eine Exposition des Charakters des Marcius benutzt, des Helden. Er wird gezeigt als ein Patriot, behindert von den eigensüchtigen Plebejern und einem feig nachgiebigen Senat. [ . . . ] Die bürgerliche Bühne macht dann nicht die Sache der Plebejer, sondern die der Patrizier zur eigenen Sache. Die Plebejer werden als komische und jämmerliche (nicht etwa als humorvolle und Jammer erleidende) Typen dargestellt 38 ." Genauso spricht auch P. Palitzsch von dem ,.üblichen" und dem „bürgerlichen" Theater, auf dem die Plebejer sich schon zu Beginn des Stückes 33

34 35 36

37

38

Ibid. S. 35: „Wenn Sie bereit sind, Shakespeare durch Überbetonung gewisser Stellen und Weglassen von anderen zu ändern; wenn Sie somit schon etwas anderes bringen als jener Dichter, der unter Elisabeth seine Stücke schrieb und inszenierte - warum können Sie dann nicht auch, wenn sie offen darauf hinweisen, neuen Text hinzufügen?" Brecht, Stücke Bd. 11, Frankfurt/M. 1959, S. 382-407. Brecht, Schriften zum Theater Bd. 6, S. 398. Brecht, Einschüchterung durdi die Klassizität, in: Brecht, Stücke Bd. 11, S. 5 - 8 ; S. 6: „Wir müssen das Werk neu sehen, wir dürfen uns nidit an die verkommene, gewohnheitsdiktierte Art halten, in der wir es auf dem Theater einer verkommenen Bourgeoisie gesehen haben." Eine Aufschlüsselung der Mitarbeitersiglen läßt sich zum Teil erreichen durch Vergleich mit Bredit, Schriften zum Theater Bd. 7, S. 336 f. Bredit, Stücke Bd. 11, S. 388.

6. Bertolt

Brecht

115

lächerlich machten; und Brecht hält dem jeweils entgegen: „nicht beim Shakespeare" 39 . Auf den eigentlichen Shakespeare-Text gestützt, entwikkelt Brecht gegenüber der Kontrastfolie der bürgerlichen Theaterpraxis seine eigene oppositionelle Ansicht der ersten Szene. Sie geht zunächst von der Analyse der Klassenschichtung der römischen Gesellschaft aus, wie sie zu Beginn des Dramas zu der politischen Situation in Beziehung tritt. Brecht möchte herausarbeiten, wie der Klassenkonflikt zwischen Patriziern und Plebejern erst einmal verdrängt wird durch den völkerrechtlichen Konflikt zwischen Römern und Volskern 40 . Diese erste „Analyse" oder auch das erste „Lesen"41 der Anfangsszene zeigt schon die Tendenz der späteren, den Text verändernden Bearbeitung. Die Plebejer müssen ernst genommen werden, ihr Anliegen muß als grundsätzlich wichtig und auch berechtigt verstanden werden. Aus dieser am noch unveränderten Text gewonnenen Konzeption resultiert aber auch schon die erste am Shakespeare-Werk vorzunehmende Änderung. Die Beruhigung der aufständischen Bürger erfolgt jetzt nicht mehr durch die überzeugende Wirkung der Menenius-Fabel, wodurch die Bürger nur als leicht umstimmbar und beeinflußbar, als lächerlich und dumm gezeigt würden, sondern durch das Erscheinen Coriolans mit bewaffneten Kriegern, was die Reaktion der Bürger keineswegs als feige, sondern als durchaus angemessen und zweckdienlich erscheinen läßt. Brecht verlegt den ersten Auftritt Coriolans vor. Dort wo Menenius in seiner Erzählung zu einem härteren Ton übergeht42, sollen jetzt, zunächst nur dem Redner sichtbar, dann aber auch dem Volk drohend, die Bewaffneten erscheinen: „nicht das Erz der Stimme, sondern die Stimme des Erzes sollte die Plebejer überzeugen43." Brecht selber meinte mit dieser Änderung, die ja keineswegs den Wortlaut betrifft, den „Shakespeareschen Text noch verstärken" zu können 44 . Er rechtfertigt seine Neuerung als Rückkehr zur eigentlichen und originalen Intention Shakespeares und zugleich als Berichtigung eines Druckfehlers der Folio-Ausgabe45. Dennoch setzt von hier aus die eigentliche 39 40

41 42 43 44 45

Ibid. S. 382 u. S. 383. Ibid. S. 390 f.: „Die Römer, ihre Stadt in Gefahr sehend, legalisieren ihre Gegensätze, indem sie plebejische Kommissare (Volkstribunen) ernennen. Die Plebejer haben das Volkstribunat erobert, aber der Volksfeind Marcius wird, als Spezialist, Führer im Krieg." F. Sternberg, op. cit. S. 35. Shakespeare, Coriolanus 1.1.147. M. Wekwerth, op. cit. S. 107 f. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 395. Vgl. M. Wekwerth, op. cit. S. 107.

116

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

Bearbeitung, die Umdichtung und Neufassung des ganzen ShakespeareDramas ein. So geringfügig diese erste Änderung erscheinen mag, so ist sie doch der Drehpunkt für den Ubergang von einem vorurteilslosen, um Objektivität bemühten Verstehen zu einer subjektiven Aneignung, die das Werk des fremden Autors den eigenen ästhetisch-dramaturgischen, aber auch weltanschaulich-propagandistischen Intentionen des Neudichters anverwandelt und es in dessen dichterischen Schaffensprozeß einbezieht. Obwohl Brecht selber diesen Umschlagspunkt verwischen möchte, läßt dieser sich doch gerade bei der Coriolan-Bearbeitung sehr deutlich fassen. Der Grenzübertritt, den Brecht in dem frühen Versuch einer CaesarNeuinterpretation nicht wagte, ist in der Coriolan-Bearbeitung vollzogen. Von seinem anfänglichen Standpunkt eines schöpferischen Interpreten, der lediglich darum bemüht ist, „aufzudecken, freizulegen, was in dem Werk steht" 46 , und der sich davor hütet, daß dem Werk Fremdes „seinem Inhalt und seiner Tendenz aufgesetzt und aufgedrängt werde" 47 , wird Brecht folgerichtig und zwangsweise sowohl durch seine historische und dramentheoretische Bedingtheit, mehr noch durch seinen ideologischen Standpunkt dazu veranlaßt, nicht vor grundlegenden Textänderungen zurückzuschrecken. Gerade weil er zu dem „ursprünglichen Ideengehalt des Werkes", wie er ihn in seinem spezifischen Geschichts Verständnis begreift, vordringen will, darf er nicht bei rein formalen, äußerlichen Neuerungen stehenbleiben, sondern muß mit seinen eigenen Mitteln versuchen, diesen ursprünglichen Ideengehalt herauszubringen und dessen Bedeutung zu fassen48. So wird Shakespeares Werk in der Bearbeitung Brechts im Sinne Hegels ,aufgehoben'. Tradition bedeutet für den Dichter wie für den Theoretiker Brecht stets aufgehobene Tradition in der dreifachen Bedeutung von Konservieren, Beendigen und Emporheben 49 . Die großen Dichter der Vergangenheit sind für Brecht nicht mehr überzeitliche und geschichtslose Genies, sondern ihr Werk steht auch nach seiner Vollendung in dialektischem Prozeß mit der ständig sich verändernden Bedingtheit des Publikums. Wie den Werken einer vergangenen Epoche in einer veränderten Gegenwart auch eine veränderte Bedeutung zukommt, so müssen diese 48

47 48

49

H. Kaufmann, Bertolt Brecht, Geschichtsdrama und Parabelstück, Berlin 1962, S. 201. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 6. Ibid. S. 6; der Aufsatz ,Einschüchterung durch die Klassizität' zielt letzten Endes nicht, wie H. Kaufmann, op. cit. S. 199 meint, auf eine werkgetreue Aufführung der Klassiker, sondern ist zu Recht von der Herausgeberin als Apologie der Bearbeitungen Brechts verstanden und diesen vorangestellt worden. H. Mayer, Bertolt Brecht und die Tradition, Pfullingen 1961, S. 12 f.

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Werke zur Erhaltung ihrer Aktualität einem simultanen Prozeß der Konservierung, Annihilierung und Umgestaltung unterworfen werden. Das Alte muß zum Teil bewahrt bleiben, und das Neue muß ihm antithetisch entgegengesetzt werden, damit dann aus der Zusammensetzung beider die komplexe Neufassung entstehen kann. Die Coriolan-Bearbeitung Brechts entsteht nach Brechts eigenen Worten 50 in einem ständigen Wechselprozeß des Herauslesens und Hineinlesens in das Werk Shakespeares, der schließlich zu einer neuen Einheit führen soll. Wie Brecht selber mit Shakespeares ,Coriolanus' verfährt, so möchte er schließlich aber auch die auf der Bühne dargestellten Ereignisse, die von ihm gezeigten geschichtlichen Vorgänge verstanden wissen: „Wir möchten den Spaß haben und vermitteln, ein Stück durchleuchteter Geschichte zu behandeln. Und Dialektik zu erleben51." 6.1.3 Die drei Stadien der Bearbeitung Brechts Coriolan-Bearbeitung ist in drei verschiedenen Stadien ihres Entwicklungsprozesses überliefert, doch in keiner Fassung liegt eine abgeschlossene und endgültige Brechtsche Bearbeitung vor. 1. Das ,Studium des ersten Auftritts in Shakespeares Coriolan' stellt einen ersten Ansatzpunkt dar, bei dem anhand der Tieckschen Übersetzung das Shakespeare-Drama .analysiert' wird. Daß von einer weiterführenden ,Auslegung' möglichst noch abgesehen werden soll52, stellt sich jedoch als illusorisch heraus. Solche Analysen sind von vielen BrechtInszenierungen ganz oder teilweise bekannt. Vom ,Coriolanus' wird jedoch nur der Anfang des Dramas im Gespräch der Regisseure auf seine Darstellbarkeit hin im Rahmen einer Idee der Umfunktionierung der wankelmütigen Plebejer Shakespeares zu klassenbewußten Unterdrückten untersucht. Wo Brecht dann anfängt, „in seinem Reclam-Bändchen mit einem roten Kugelschreiber" einzelne Auftritte zu verlegen, setzt die eigentliche Bearbeitung ein, auch wenn Brecht selber noch behauptet, „Shakespeare habe das eigentlich so gemeint" 53 . 2. Die eigentliche Brecht-Bearbeitung, wie sie im elften Band der Stücke abgedruckt ist, wird zunächst dadurch gekennzeichnet, daß ein Drittel des Shakespeare-Textes unterdrückt worden ist54. Der verbleibende 50 51

52 53 54

Brecht, Stücke Bd. 11, S. 407. Ibid. Bd. 11, S. 407; vgl. hierzu K.-D. Müller, Die Funktion der Geschichte im Werk B. Brechts, Tübingen 1967, S. 50 f. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 384 u. S. 385. Vgl. M. Wekwerth, op. cit. S. 107. Vgl. V. L. Grab, Bertolt Brecht's Adaptation of Shakespeare's Coriolanus, MA Thesis, N e w York 1965, S. 2 u. S. 3: „these omissions are often as significant to the total meaning of the work as the completely original lines."

118

IV. Das Experiment

mit ,Coriolantts'

Shakespeare-Text besteht aus revidierten Tieck-Obersetzungen und Passagen, die von Brecht selber völlig neu übersetzt wurden. Sodann aber sind die vielen Hinzudichtungen Brechts relevant, die der Bearbeitung erst ihre eigentliche Tendenz und ihre Aktualität im Sinne Brechts geben. Während Shakespeare sich für den Stoff seines Dramas hauptsächlich auf Plutarch stützt, benutzt Brecht jetzt für seine Einfügungen auch Motive der Coriolan-Sage, die nur Livius berichtet. Es lassen sich jedoch auch Zusätze finden, die auf Plutarch zurückgehen und zu stofflichen Parallelen mit der vorangegangenen Bearbeitungstradition der früheren Jahrhunderte führen 55 . Die vierte bis zehnte Szene des ersten Aktes bei Shakespeare wollte Brecht zu einer einzigen großen Schlachtenszene auf der Drehbühne zusammenfassen und in ihrem Wortlaut zugleich mit den Stellungen und Gängen der Schauspieler erst während der Probenarbeit festlegen56. Weil es jedoch Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Bühnenbildes und der Besetzung der Hauptrolle gab, brach Brecht die schon begonnene Inszenierung wieder ab 57 . So ist Brechts ,Coriolan' zu des Dichters Lebzeiten weder aufgeführt noch veröffentlicht worden und wurde daher von ihm selber auch nicht weiter überarbeitet oder vervollständigt. Obwohl Brechts ,Coriolan' als Basis für eine geplante Aufführung Fragment geblieben ist58, kommt ihm dennoch in der Auseinandersetzung mit Shakespeare besondere Bedeutung zu, da er der letzte und zugleich einzige bis zu einem hohen Grade der Vollständigkeit realisierte Versuch einer Brechtschen Bühnenfassung Shakespeares ist. 3. Die Uraufführung von Brechts ,Coriolan' fand 1962 am Frankfurter Schauspielhaus statt 59 . Doch auch im Berliner Ensemble wurde die Probenarbeit am ,Coriolan' für das Shakespeare-Jahr 1964 wieder auf's Vgl. z . B . Plutarch Kap. 6, op. cit. S. 128 u. O. Marbadi, Coriolanus, 1.1, S. 13: „Luft, Wasser und ein Grab, das giebt uns Rom, / Sonst nichts; das finden wir allüberall."; - Brecht, Coriolan 1.1, S. 231: „Wir werden Wasser dort haben, Luft und ein Grab, und mehr gibt es für uns Plebejer hier in Rom auch nicht. Dort werden wir 56

57

58

39

zumindest keine Kriege für die Reichen führen müssen." Vgl. die Anmerkung der Herausgeberin in: Stücke Bd. 11, S. 249, auch M. Wekwerth, op. cit. S. 113. Vgl. M. Wekwerth, op. cit. S. 108, aber auch A. Müller, Zwischen Shakespeare und Brecht, in: Theater der Zeit 17, 1962, H. 11, S. 25 f.; nach Brechts gescheitertem Versuch hat Giorgio Strehler 1957 am Mailänder Piccolo Teatro eine .epische' Coriolan-Inszenierung produziert: vgl. seine Bemerkungen in: S. Melchinger, Shakespeare auf dem modernen Welttheater, Velber 1964, S. 6 1 - 6 3 . Vgl. F. Dieckmann, Die Tragödie des Coriolan, Shakespeare im Brecht-Theater, in: Sinn und Form 17, 1965, S. 4 6 3 - 8 9 ; S. 4 8 4 : „wahrscheinlich hat das von ihm hinterlassene, keineswegs für den Druck vorbereitete Manuskript überhaupt nur provisorischen Charakter, dazu bestimmt, seine endgültige Form so wie die anderen Bühnenwerke erst bei der praktischen Theaterarbeit anzunehmen." 22. 9 . 1 9 6 2 ; vgl. A. Müller, op. cit.

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genommen. Regisseure und Schauspieler bemühten sich, im Sinne Brechts weiterzuarbeiten. Als nach 199 Proben die Coriolan-Premiere schließlich stattfand 60 , war die von M. Wekwerth und J. Tenschert weiterentwikkelte Textgrundlage der Aufführung jedoch gegenüber Brechts ursprünglicher Bearbeitung so verändert worden, daß, obwohl hier jetzt eine vollständige Fassung des ,Coriolan' vorliegt 61 , diese doch nicht mehr als Werk Brechts bezeichnet werden kann. Eine nochmalige Lektüre der antiken Autoren, Anleihen bei Lenz' Coriolan-Fragment und Eschenburgs Ubersetzung 62 , sowie eigene Texterweiterungen und -kürzungen und schließlich auch das Umstellen ganzer Szenen und Szenenteile haben eine Neugliederung des Handlungsablaufes und eine Veränderung der thematischen Aussage bewirkt, so daß hier nicht mehr eine Shakespeare-Bearbeitung Brechts, sondern eine Brecht-Bearbeitung durch Wekwerth und Tenschert vorliegt. 6.2 Zur Technik der Neueinfügungen in den Volksszenen 6.2.1 Erweiterung der Personenzahl und stärkere Konturierung der Bürgerrollen Wenn man davon absieht, daß Nicanor und Adrian nicht nur ihre Namen geändert haben zu Lätus und Piger 83 , sondern gleichzeitig aus Spionen zu redlichen Handwerkern — Gerber und Seiler — verwandelt worden sind, so sind es dennoch die Bürger oder Plebejer, deren Zahl Brecht in seiner Shakespeare-Bearbeitung durch das Neuhinzufügen einer weiteren Gestalt vermehrt hat. Dabei geht es ihm nicht um das Einführen neuer Charakterrollen in die Handlung, sondern lediglich darum, eine soziale Klasse der römischen Einwohnerschaft individuell aufzufalten, sie vor allem aber auch dadurch in ihrer vielfältigen Schichtung und in ihren Untergruppierungen durchzustrukturieren. So unbedeutend die Figur des ,Mannes mit dem Kind' im Gesamtkontext des Stückes auch ist, so läßt sich von ihr ausgehend doch ein erster Einstieg in das Verständnis der Absichten und Ziele erreichen, die Bredit bei seiner Bearbeitung verfolgt. Wenn Brecht zu Beginn der Bearbeitung die Einheit der Plebejer als nicht einfach gegeben, sondern als allmählich zustande kommend zeigen 60 61 62

63

Vgl. M. Wekwerth, op. cit. S. 110; Premiere 2 5 . 9 . 1 9 6 4 . Abgedruckt in: Spectaculum 8, Frankfurt/M. 1965, S. 7-70. Über das Entstehen dieser neuen Bühnenfassung und ihre intendierte Abweichung von Brecht sowie über ihre Beziehung auch zur Frankfurter Inszenierung berichtet D. Hoffmeier, Notate zu Bertolt Brechts Bearbeitung von Shakespeares ,Coriolan', zur Bühnenfassung und zur Inszenierung des Berliner Ensembles, in: ShakespeareJahrbuch Ost 103, 1967, S. 177-195. Shakespeare, Coriolanus 4.3 entspricht Bredit, Coriolan 4.1, S. 331 ff.

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IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

will84, darf für ihn das Volk keine amorphe Masse sein, sondern muß zunächst in deutlich zu unterscheidende Gruppen mit unterschiedlichen politischen Meinungen und Intentionen gegliedert sein. Aus der Sicht Coriolans und Menenius' handelt es sich zwar in jedem Fall unterschiedslos um Trupps oder Haufen aufständischer Bürger, die kollektiv auch mit den Derogativa „Blase" oder „Brut" bezeichnet werden 65 und die - wie bei Shakespeare — alle dasselbe wollen, nämlich dem Staat Unannehmlichkeiten bereiten. Doch während bei Shakespeare auch die Bürger selber sich nicht in differenzierter Gliederung der Interessengruppen darstellen, sondern im ersten Auftritt nur ungenau von „the other side of the city" sprechen, weiß der Redner bei Brecht genauer Bescheid: Es geht um den „sechsten Bezirk", der mit den auf der Bühne anwesenden Bürgern gemeinsame Sache machen will66. Wie bei Brecht später auch die Rede ist von „Bezirkslokalen" und von „Obleuten der Wahlbezirke" 67 , so sind auch schon in der ersten Szene die Gesprächspartner des Menenius anders als bei Shakespeare Mitglieder einer wohlorganisierten Bezirksgruppe, die nicht mehr spontan ihre Gefühle äußern, sondern durchaus eine verbindliche politische Kollektivmeinung vertreten. In der ersten Szene stehen sich die Absichten dieser einzelnen Gruppen noch oppositionell entgegen. Während der sechste Bezirk und die auf der Bühne anwesenden Bürger ihre Forderungen gegenüber dem römischen Senat mit Aufruhr und Gewalt durchsetzen wollen, ziehen die Bürger vom dritten Bezirk es vor auszuwandern 68 . Die Ansichten und Intentionen dieser letzten Gruppe werden dargelegt von dem ,Mann mit dem Kind', der mit seiner verpackten Habe schon fertig ist zum Verlassen der Stadt. Zum Teil übernimmt diese neue Figur Partien, die Shakespeare dem ersten Bürger zuordnet 69 , zum Teil aber hat Brecht diese Rolle wie auch die der anderen Bürger durch neue Repliken ergänzt. Das nächste Auftreten dieser Figur im zweiten Akt zeigt sie dann aber immer noch in Rom. Sie ist jetzt integrierender Bestandteil eines formierten Volkswillens, der noch mannigfaltig in seinen Absdiattierungen ist, im ganzen aber durchaus einheitlich. Der ,Mann mit dem Kind* ist jetzt eine der am Kandidaten Coriolan vorbeidefilierenden,Stimmen' 70 . 64 65

86 67 68 69 70

Brecht, Stücke Bd. 11, S. 384. Shakespeare, Coriolanus 1.1.203 ,troop' wird von Tieck, S. 11, mit .Trupp', von Brecht, S. 240, mit,Haufe' übersetzt. Brecht, Coriolan 1.1, S. 232. Ibid. 4.3, S. 352 u. 3.2, S. 316. Ibid. 1.1, S. 230. Vgl. Ibid. 1.1, S. 231, u. Shakespeare, Coriolanus 1.1.15-24. Brecht, Coriolan 2.3, S. 291.

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Diese Szene des wählenden Volkes (2.3) ist eine weitere Gelegenheit für Brecht, die bei Shakespeare schon im Ansatz vorhandene Individualisierung der einzelnen Bürger weiter auszubauen. Obwohl alle Plebejer keine selbständigen oder gar tragenden Charaktere sind, sondern eher typische Züge aufweisen - der Witzige, der Belehrende wird die Volksmenge jetzt in ihren einzelnen Repräsentanten doch differenzierter dargestellt. Zwar ist die Zahl der sprechenden Bürger auch hier wieder lediglich um einen gegenüber Shakespeare vermehrt, doch alle sieben heben sich jetzt stärker profiliert gegeneinander ab. Zunächst folgt Coriolans Kandidatenauftritt vor dem Volk dem Shakespeare-Text ziemlich genau. Gegenüber D . Tieck weist Brechts Ubersetzung sogar Verbesserungen auf 71 . Dann jedoch werden zwischen den Auftritt der ersten beiden Bürger und den der nächsten beiden drei neue Auftritte eingeschoben72. Sie dienen dazu, die bunte Vielfalt des Volkes, wie es an dem Kandidaten vorbeizieht und ihm seine Stimmen zuspricht, anschaulicher und konkreter zu machen. Die einzelne Stimme erhält jetzt nicht mehr Gewicht als bei Shakespeare, aber mehr Substanz. Es handelt sich eben nicht, wie Coriolan es möchte, lediglich um wesenlose, anonyme Wählerstimmen, sondern zu jeder gehört ein Individuum, das diesen seltenen Moment, in dem seiner Person politische Bedeutung zufällt, auskosten möchte. Hinter dem Kollektiv der Volksmenge wird die begrenzte Welt des Je-Einzelnen sichtbar73. Zunächst erscheint — unproblematisch für Coriolan - der ,Mann mit dem Kind', der jedoch nicht mit Coriolan ins Gespräch tritt, sondern lediglich in seiner für ihn schon charakteristischen, zum Kind gewandten Sprechweise diesem die Situation erklärt 74 . Ihm folgen zwei weitere Bürger, deren Dialog mit Coriolan nach fünf einleitenden Versen genau 71

So entspricht Brechts „So, da kommt / Der erste Schub." (2.3, S. 289) in seiner forschen Sprache eher der Situation von Shakespeares „So, here comes a brace." (2.3.60) als Tiecks Übesetzung: „Ach! D a kommt so'n P a a r ! " (S. 4 5 ) ; Bredit ist manchmal sogar genauer als Tieck, z. B. übersetzt er „No, s i r , . . ( 2 . 3 . 6 0 ) mit „Nein, H e r r . " (2.3, S. 289) statt wie Tieck mit „Nein, Freund!" (S. 4 5 ) ; Beispiele für schlechte Ubersetzungen finden sich bei J . Kleinstück, Bertolt Brechts Bearbeitung von Shakespeares .Coriolanus', in: Literaturwissenschaftlidies Jahrbuch, N F 9, 1968, S. 3 1 9 - 3 3 2 .

72

Zwischen Shakespeare, Coriolanus 2.3.83 und 2.3.84 befinden sich bei Brecht S. 2 9 1 - 2 9 4 . Vgl. zum Problem der Aufführbarkeit bei dieser „Individualisierung des Volkes" und dieser „Ersetzung der Masse durch eine kleine Schar typisierter Einzelner" F. Dieckmann, op. cit. S. 476. In der Bühneneinrichtung des .Coriolan' durch M. Wekwerth und J . Tenschert heißt diese Figur im 1. Bild Latus und tritt ohne Kind auf, während sie im 7. Bild mit Kind als Restio bezeichnet wird: vgl. op. cit. S. 10 u. S. 33.

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IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

dem Gespräch des Marullus mit dem zweiten Bürger in Shakespeares Julius Caesar' nachgebildet ist75. Wie schon im 18. Jahrhundert der Mannheimer Intendant H . v. Dalberg eine Rede der Volumnia in seine Cäsar-Bearbeitung eingefügt hatte, so handelt es sich auch hier bei Brecht um eine direkte Entlehnung aus einem anderen Shakespeare-Drama zur Erweiterung und Umgestaltung des ,Coriolanus' 78 . Dabei ist der Part des Marullus der Situation des um Stimmen bittenden Coriolan angepaßt und von seiner ungeduldigen Barschheit befreit worden. Für das Wortspiel, auf dem das Gespräch aufbaut, folgt Brecht der Ubersetzung Schlegels, der das Nomen Agentis ,cobbler* durch das Produkt der Tätigkeit wiedergibt: Flickwerk77. 6.2.2 Das Gleichnis des Gärtners Brauchte Brecht im Vorigen nur einzelne Wörter Shakespeares wegzulassen oder an anderen Stellen - um den entlehnten Dialog der Situation des Coriolan-Dramas anzupassen - ein Wort auszutauschen, so ist der Prozeß der Eingliederung für die folgende dritte Szeneneinheit der Bewerbungsszene in den Rahmen der Bearbeitung komplizieter. Coriolan fragt den neu hinzutretenden Bürger ebenfalls nach seinem Beruf, und als Gärtner erzählt dieser dann ein Gleichnis, das von der Sache her an das Gärtner-Gleichnis in Shakespeares .Richard II' erinnert 78 . So ist dieser Teil der Kandidatenszene zwar ebenfalls eine Entlehnung Brechts aus einem anderen Shakespeare-Drama, doch als Teil der Coriolan-Bearbeitung kann er erst nach einer völligen Umfunktionierung seiner Aussage zum integrierenden Bestandteil des Stücks werden 79 . 75 76

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79

Vgl. Shakespeare, Julius Caesar, hg. v. J. D . Wilson, Cambridge 2 1956,1.1.10-20. G. v. Vincke, Shakespeare und Schröder, in: Shakespeare-Jahrbuch 11, 1876, S. 1-29, sagt S. 18 über Schröders Erweiterungen von ,Richard II' durdi Reden der Constance aus ,King John': „Damals waren solche Entlehnungen ein beliebtes Mittel, um die Wirkung zu steigern, von dem auch Dalberg in Mannheim Gebrauch machte. Der an sich schon bedenkliche Kunstgriff wurde aber noch bedenklicher, wenn das beraubte Stück ebenfalls an die Reihe kam und dem Eigenthümer die Zwangsanleihe zu erstatten blieb." Darüber hinaus hält sich Brecht aber weder genau an Schlegels noch an Shakespeares Wortlaut: vgl. Shakespeare, Julius Caesar 1.1.10 f.: „Truly, sir, in respect of a fine workman, I am but, as you would say, a cobbler."; Shakespeare, Julius Cäsar, Tragödie, übersetzt v. A. W. v. Schlegel, Stuttgart 1962, S. 5: „Die Wahrheit zu gestehn, Herr, gegen einen feinen Arbeiter gehalten, mache ich nur, sozusagen, Flickwerk."; Brecht, Coriolan 2.3, S. 292: „Um die Wahrheit zu gestehn, Herr: im Vergleich zu einem hohen Herrn mache ich nur Flickwerk." Vgl. Shakespeare, Richard II, hg. v. J. D . Wilson, Cambridge 3 1961, 3.4.24-66; ohne auf diese indirekte Entlehnung Brechts für seinen .Coriolan' einzugehen, zeigt R. B. Parker, op. cit. S. 236 f. gerade an dieser Shakespeare-Szene Strukturparallelen zwischen Shakespeare und Brecht auf. Eine ähnliche Technik der Entlehnung stellt R. Bedkley, Adaptation as a Feature of Brecht's Dramatic Technique, in: German Life & Letters 15, 1961/62, S. 274-284;

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Brecht

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Die Gleichsetzung von Staat und Garten ist in beiden Fällen deutlich betont. Königin Isabel ist beim Auftritt der Gärtner überzeugt: „They'll talk of State"; und der Gärtnerbursche vergleicht den Schloßgarten mit „our sea-walled garden, the whole land" 80 . Die Königin belauscht die Gärtner. Diese Rolle des Horchers würde Coriolan - zumal bei Brecht - schlecht anstehen; er fordert den Gärtner auf: „Und was lehrt Euch Euer Gewerbe, was den Staat angeht 81 ." Doch die Bürger, wie Brecht sie zeichnet, hätten auch nicht nötig, sich belauschen zu lassen; sie sagen ihre Meinung stets frei und ohne Scheu. Dementsprechend hat sich auch das zugrundeliegende Vergleichsmoment zwischen Staat und Garten geändert. Shakespeare geht es um das hierarchische Gliederungsprinzip, um Unterordnung und Uberordnung, Brecht dagegen um den Grundsatz der Gleichheit aller Teile eines Staatsgebildes. Gleiche gärtnerische Tätigkeiten verlangen daher eine entgegengesetzte Ausdeutung. „Go thou, and like an executioner Cut off the heads of too fast growing sprays 82 ." Das Beschneiden der Pflanzen will Shakespeare verstanden wissen als Gleichnis für das Bestrafen der Exzesse der Untertanen durch die Obrigkeit. Das Verhältnis der Zuordnung von Baumstamm und den ihn durch ihr Gewicht niederziehenden Früchten wird als das von „sire" und „unruly children" beschrieben83. Der Regent wird als sorgender und daher auch in legitimer Weise strafender Vater seines Volkes gesehen. Wenn bei Brecht darauf hingewiesen wird, „daß selbst die edle Rose von Milet / Von allzu üppigem Wuchs beschnitten sein muß / Soll sie gedeihn", richtet sich die Kritik gegen die Exzesse gerade der Herrschenden und Privilegierten 84 . Nicht mehr das Volk und der Adel als die vom König regierten Schichten bedürfen zu ihrem eigenen Vorteil der ordnenden und lenkenden Hand des Gärtners, sondern die metaphorische Situation ist jetzt in ihr Gegenteil verkehrt: die Rose, die Königin unter den Blumen, muß in ihrem Wachstum eingedämmt werden. Sie muß sich damit abfinden, daß Kohl und Gemüse als Pflanzen „niedrer Abstam-

80 81 82 83 84

S. 277, schon für Bredits Bearbeitung von Marlowes ,Edward II' fest, und zwar bei Entlehnungen aus Schillers .Maria Stuart' und Shakespeares ,Ridiard III'; die Entlehnungen für Brechts .Coriolan' werden weder von Beddey noch von V. L. Grab, op. cit., oder H . Hultberg, op. cit., erwähnt; wohl aber werden sie erwähnt bei R. T. K. Symington, Brecht und Shakespeare, Bonn 1970; dieses Buch erschien erst nach Abschluß meiner Arbeit. Shakespeare, Richard II 3.4.27 u. 43. Brecht, Coriolan 2.3, S. 293. Shakespeare, Richard II 3.4.33 f. Ibid. 3.4.29-32. Brecht, Coriolan 2.3, S. 293.

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IV. Das Experiment

mit ¡Coriolanus'

mung" ebenfalls im „kleinen Reich der Beete und Rabatten" gedeihen müssen - und sogar mehr Anspruch auf Lebensraum haben, da sie, anders als die Rose, „doch ziemlich nützlich sind" 85 . Brechts Opposition ist die von Nutz- und Zierpflanzen, Shakespeares Opposition die von Kulturpflanzen und Unkraut. Während es Brecht darauf ankommt, daß alle „ihr Wasser abbekommen", will Shakespeare, daß das Unkraut ausgerissen werde86. Die Bildbereiche sind dieselben bei Brecht und Shakespeare, doch die Moral, auf die das Gleichnis zielt, ist jeweils eine andere. Die aus den Vergleichen zu ziehenden Schlußfolgerungen sind bei den beiden Dichtern einander entgegengesetzt. Shakespeare tadelt den nachlässigen Gärtner, den „wasteful king", und stellt ihn als warnendes Beispiel hin: „He that hath suffered this disordered spring Hath now himself met with the fall of leaf 8 7 ." Brecht dagegen möchte gerade die Herrschaftsansprüche und die Machtbefugnisse der einzelnen Person oder der einzelnen Klasse eingeschränkt und vorsorglich beschnitten sehen. Der Gärtner warnt Coriolan: „der Garten müßt verwildern, dächte man Der königlichen Rose nur 88 ." 6.3 Das Lied von der Dankbarkeit der Wolfin 6.3.1 Der doppelte Bezugshorizont Im ersten der wenigen und kurzen monologartigen Selbstgespräche Coriolans steht in der First Folio: „Why in this Wooluish tongue should I stand heere 89 ." Die meisten der neueren Ausgaben folgen G. Steevens Emendation „woolvish toge" 90 , was W. Keller mit „im schäb'gen Kleid" wiedergibt 91 . Doch Tieck übersetzt noch „Wolfsgeheul" 92 , und in freier Assoziation zu diesem Ausdruck und mit Bezug auch auf die römische Mythologie dichtet Brecht Coriolans ,Lied von der Dankbarkeit der 85 86 87 88 89

90 91

92

Ibid. 2.3, S. 293. Shakespeare, Richard II 3. 4. 37 ff. Ibid. 3.4.55 u. 48 f. Brecht, Coriolan 2.3, S. 294. Shakespeare, The Tragedy of Coriolanus, Faksimile des Textes der First Folio von 1623, eingel. u. hg. v. J . D. Wilson, London 1928, S. 12, Z. 65. Vgl. J . D. Wilson, Notes, in: Shakespeare, Coriolanus, S. 1 3 8 - 2 4 4 ; S. 192. Vgl. Shakespeare, Coriolanus, Englisch und Deutsdi, hg. v. L. L. Schücking, Leck/Schleswig 1967, S. 223, A. 48. D. Tieck, Stuttgart 1968, S. 46; vgl. dagegen Coriolan, ein historisches Trauerspiel von W. Shakspere, übers, v. A. Keller, Stuttgart 1843, S. 72.

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Wölfin'. Aus dem Monolog des Helden und aus seiner anschließenden Adresse an die hinzukommenden Bürger wird ein Song im Sinne Brechts, der gänzlich aus der privaten Sphäre des Selbstgesprächs gelöst und zur Begleitung eines Sackpfeifers öffentlich vorgetragen wird 93 . Bei beiden Dichtern stellt dieser Teil der Szene, in dem Coriolan aus der Prosa des Volkes wieder zurückfällt in die gebundene Rede, kurz vor dem Abschluß den Höhepunkt des Wahlvorganges dar. Doch während Brecht im zweiten Teil des Liedes vier Verse unverändert von Tiedk übernimmt und nur die letzten beiden etwas freier, dafür aber eindrucksvoller und verständlicher übersetzt, ist der erste Teil des Liedes von der Vorlage gelöst und völlig neu gedichtet worden. Nur noch die Übersetzung von „Hob and Dick" mit „Hinz und Kunz" stammt von Tieck 94 . Auch Shakespeares Dramen weisen eingeschobene Lieder auf, doch anders als Desdemonas ahnungsvolles Lied von der Weide ist Coriolans Lied bei Brecht nicht lediglich Bestandteil der dramatischen Situation. In epischer Manier hat das Lied anders als das im ,Othello' keine vorausdeutende Funktion und ist auch nicht Mittel der Konkretisierung einer lyrischen Stimmung 95 , sondern sprengt die fiktive Geschlossenheit der Szene, indem die Figur über sich selbst in der dritten Person berichtet. Dies geschieht in einer Art, die jeglichem Dekorum widerspricht. Der erste Teil des Liedes ist in Stil und Ton weder dem ,hohen' Charakter Coriolans noch dem feierlichen' Anlaß der Konsulatsbewerbung angemessen. Es ist eine Travestie von Person und Situation, deren Aufgabe es ist zu schockieren. Die Figur und ihr Lied sollen dem Publikum „weniger eingehen als auffallen" 96 . Brecht möchte aus gesprochenem und gesungenem Text kein harmonisches Gesamtkunstwerk herstellen, sondern die Interdependenz der Schauspielkunst und ihrer Schwesterkünste soll darin bestehen, „daß sie sidi gegenseitig verfremden" 97 . Von diesem letzten Zitat ausgehend weist R . B. Parker darauf hin, daß Shakespeare Lieder von ganz ähnlicher Funktion in seinen Dramen verwende 98 . Bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch in beiden Fällen - „the songs which end ,Love's Labour's Lost' or Feste's songs in 93 94

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96 97 98

Bredit, Coriolan 2.3, S. 295 f. ersetzt Shakespeare, Coriolanus 2 . 3 . 1 1 1 - 1 3 0 . Shakespeare, Coriolanus 2.3.115, entspricht bei Tieck S. 46 und bei Bredit, Coriolan 2.3, S. 2 9 5 ; doch diese Übersetzung findet sich auch schon bei Eschenburg in seiner Coriolan-Übersetzung von 1777, op. cit. S. 222. Zur dramaturgischen Bedeutung der Lieder bei Shakespeare vgl. W . Clemen, Shakespeare und die Musik, in: Shakespeare-Jahrbuch West 1966, S. 30—48; S. 36 ff. Brecht, Kleines Organon für das Theater § 57, Schriften zum Theater Bd. 7, S. 42. Ibid. § 74, Bd. 7, S. 56. R . B. Parker, op. cit. S. 235.

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IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

,Twelfth Night"' — um Lieder, die das Spiel abschließen und daher aus der dramatischen in die außerdramatische Realität überleiten. Keines unterbricht so abrupt und deutlich den Handlungsverlauf an zentraler Stelle wie Coriolans Lied bei Brecht. Deshalb ist es näherliegend, die dramaturgische Funktion dieses Songs mit dem artifiziellen Charakter des Shakespeareschen Monologs zu vergleichen, den er ja in seinem ersten Teil ersetzen soll. „The soliloquy in which a character gives vent to his innermost feelings is far removed from being true to life." Gerade die Haltung, auf die es Brecht in Coriolans Lied ankommt, findet W. Clemen besonders stark ausgeprägt in den Monologen der frühen Shakespeare-Stücke99: „The detached attitude in which a character describes himself as if he were an outside observer100." Eine solche Haltung des außenstehenden Beobachters nimmt Coriolan bei Brecht schon mit der ersten Zeile seines Liedes ein: „Hier seht ihr Cajus Marcius Coriolan." Der Schauspieler tritt gleichsam aus dem Illusionsraum der Bühne heraus und weist kommentierend auf seine eigene Rolle zurück. In „anaturalistischer Konzeption" wird die dramatische Rolle zum Gegenstand erklärt, um die Verhaltensweise des Kandidaten objektiv analysieren zu können 101 . Der Schauspieler verschafft sich Abstand von der Rolle, um mit ihr als Zeigender vor das Publikum treten zu können und um es zum Gespräch über die Figur des Coriolan herauszufordern. Das Urteilsvermögen des Zuschauers soll wachgehalten und zur kritischen Stellungnahme provoziert werden. Zugleich zeigen aber auch die vorherige Ankündigung des Liedes und die nachträgliche Reaktion der mitagierenden Figuren, daß der Sänger trotz seiner Publikumszugewandtheit die ganze Zeit über auch Akteur bleibt, der einbezogen ist in die dramatischen Wechselbezüge der fiktiven Bühnensituation. V. Klotz weist darauf hin, daß besonders in den späten Stücken Brechts der Song mit dem szenischen Kontext enger verschmolzen sei als in den frühen 102 . Auf diese Weise steht der Schauspieler „mit dem einen — seiner Figur geliehenen - Teil seiner schauspielerischen Existenz im dramatisch-bühnischen Geschehen, mit dem anderen daneben. Mit dem einen Teil ist er ,am' Spielpartner, mit dem anderen ,am' Publikum" 103 . Wie Coriolans Monolog bei Shakespeare beide Aspekte enthält, so99

Z. B. der Eingangsmonolog in ,Ridiard III' und die Monologe Richards II. in Pomfred Castle. 100 w . Clemen, Shakespeare's Soliloquies, The Presidential Address of the Modern Humanities Research Association, Cambridge 1964, S. 3 u. S. 10. 101 W. Hinck, op. cit. S. 101. 102 V. Klotz, Bertolt Brecht, Versuch über das Werk, Darmstadt 1957, S. 114. 103 W. Hinck, op. cit. S. 108.

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Brecht

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wohl Selbstreflexion des Helden als auch deren bewußte Mitteilung an den Zuschauer durch den Schauspieler, so bleibt auch Brechts Song über seine Funktion als musikalische Adresse ans Publikum hinaus innerhalb des Bühnengeschehens Selbstreflexion des Sängers, die jedoch durch ihren ironisch-sarkastischen Stil der Selbstanpreisung in ihrer tieferen Bedeutung von den Bürgern Roms nicht verstanden wird. Insofern es die umstehenden Adressaten nur mittelbar als unverständlicher Ausbruch erreicht, bleibt Coriolans Lied Monolog, Gespräch des Kandidaten mit sich selbst. 6.3.2 Das Lied als Selbstexposition des Sängers Der Song als Mittel der Verfremdung unterbricht den Fluß eines illusionistischen Bühnengeschehens, er unterbricht aber nicht die sich gleichbleibende geistige Haltung der Coriolan-Figur. Das Charakterbild, das die Titelfigur von ihrer Anlage her als naiv und spontan zeichnet, ist lediglich vom Standpunkt einer geschlossenen Spielweise her gestört worden. Verwerfungen vom Gesichtspunkt einer durchgehenden Charakterkonzeption her finden nicht statt, sondern das Lied trägt im Gegenteil nur dazu bei, den Charakter dieser Figur um so deutlicher hervorzuheben. Die Shakespeare-Charaktere, sagt W. Clemen, seien vom Dichter durch die Art ihrer Selbstmitteilung und durch ihre poetische Sprechweise von vornherein auf den Monolog hin angelegt: they „must soliloquize at certain moments of tension, heightened awareness or inner conflict" 104 . Abgesehen von dem dramaturgischen Effekt sind es genau diese drei Momente der Spannung, des erhöhten Selbstbewußtseins und des seelischen Konflikts, die auch Brechts Coriolan in das Lied als Mittel der ,selfexpression' treiben. Das Lied des Coriolan ist Spiegelung seiner Gemütsverfassung. „Ironhearted pride" gilt als hervorstechendster Charakterzug des Shakespeareschen Helden 105 . Und ganz ähnlich zeigt Brecht den Charakter Coriolans als stolz, überheblich und unnahbar dem Pöbel gegenüber108. Es ist für ihn die denkbar demütigendste Erniedrigung, daß er als Bittender vor eben dieses Volk, das er so maßlos verachtet, hintreten muß. Schon im Senat möchte er, daß ihm diese Sitte erlassen werde107. Noch unmittelbar vor seinem Auftritt als Kandidat bleibt ihm bei der Probe das notwendige Eigenlob des Wahlkämpfers, der Hinweis auf seine Ver104 105 106

107

W. Clemen, Shakespeare's Soliloquies S. 5. W. Knight, The Imperial Theme, London 1931, S. 156. Vgl. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 405; P. Palitzsch: „Man hat .Coriolan' die Tragödie des Stolzes genannt." Brecht, Coriolan 2.2, S. 285.

128

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

dienste um Rom, die der je angesprochene Bürger jetzt durch seine Stimme belohnen möge, „im Halse stecken" 108 . Der demokratische Gedanke der Volksabstimmung - selbst wo sie nur pro forma stattfindet — ist seiner aristokratischen Gesinnung fremd. Aus seinen Schlachtensiegen für Rom leitet Coriolan seinen Anspruch auf das Konsulat ab. Das Werben um die Zustimmung des Volkes wird für ihn daher zum „Anbetteln" 1 0 9 . Das eben ist die Dankbarkeit Roms, der Wölfin, daß er trotz seiner Verdienste um den Staat dennoch um seine Belohnung betteln muß. In einem weiteren Gedankengang wird der ganze Vorgang von Coriolan als ein Geschäft auf niederster Ebene aufgefaßt. Es ist vom Marktwert die Rede, vom „Preis" des Konsulats 110 , das in seinen Augen jetzt zu einer Ware geworden ist, um die er feilschen soll. Nationale Werte, „römische Adler", werden zum Handelsobjekt niedrigster Provenienz. Entsprechend nimmt Coriolan in seinem Lied den Grundgestus des Marktschreiers an, der seinen Dienst gegen Almosen anbietet. Terminologie und Idiomatik im ersten Teil des Liedes nehmen in syntaktisch dem Strophenbau entsprechenden und daher klappernden Verspaaren den Sensationsstil des Jahrmarktausrufers an: „Die Sprache soll die Gebärde ihres Sprechers wiedergeben 111 ." Der Wahlvorgang selber aber erscheint jetzt als „Unterhaltung" der Plebejer, wird von Coriolan als Volksbelustigung aufgefaßt. Selbsterniedrigung als Volksbelustigung: die äußerste Steigerung der Gefühlsverletzung läßt den Ausbruch Coriolans von der emotionalen Erregung in die bittere, aber distanzierende Groteske umschlagen. Dies trifft sich mit der Brechtschen Spielkonzeption, die jeden leidenschaftlichirrationalen Gefühlsausbruch verbietet. Auch in der Überspitzung muß, um die objektive Betrachtung des Zuschauers zu gewährleisten, das Dargestellte noch sachlich bleiben: „Je sachlicher (im Hinblick auf das Darzustellende, nicht im Sinne einer enthumanisierten Dinglichkeit) eine Sprache ist, um so treffender wird sie sein 112 ." 6.4 Änderungen

in der

Figurenzeichnung

Eine Umfunktionierung einzelner Teile des Dramas hat eine Verschiebung seiner ganzen Struktur zur Folge. Davon sind auch die einzel108 109 110 111

112

Ibid. 2.3, S. 288. Ibid. 2.2, S. 285. Ibid. 2.3, S. 290. V. Klotz, op. cit. S. 1 1 6 ; zu der Bedeutung der Jahrmarkt- und Karusselatmosphäre der Brechtschen Songs vgl. ibid. S. 114. W . Heinitz, Das Epische in der Sprache Bertolt Brechts, in: Neue Deutsche Literatur 5, 1957, H . 4, S. 4 9 - 5 9 ; S. 52.

6. Bertolt Brecht

129

nen Figuren in ihrer dramatischen Funktion betroffen. Oder andersherum gesehen: durch eine Änderung des Stellenwertes einzelner Figuren im Aufbau der Fabel, durch eine veränderte, umgewertete Konstellation der Charaktere wird das Dramengefüge erst wieder neu gebildet und strukturiert. Brecht spricht von dem „spezifischen Gewicht einer Figur in der Fabel"113, dessen Veränderung eine Interessenverlagerung des gesamten Stückes bedingt. Brecht selber diskutiert diese Frage - als Unterfrage des Hauptproblems „Können wir den Shakespeare ändern?" - anläßlich des Vorschlags eines seiner Mitarbeiter, die Figuren des ersten Bürgers und des Tribunen Sicinius zu einer einzigen Figur zusammenzulegen114. Die tatsächlichen Änderungen und Schwerpunktverlagerungen, die Brecht in der durchgehenden Figurenzeichnung vornimmt, sind nicht von solch radikaler Art, und doch sind sie so gravierend, daß die Änderung des spezifischen Gewichts der Shakespeareschen Charaktere eine grundsätzliche Verschiebung in der dichterischen Aussage des Dramenganzen zur Folge hat. 6.4.1 Die Parteiung der Klassen Gleich zu Beginn seines Dramas führt Shakespeare Coriolan als „chief enemy to the people" ein. Er wird von den rebellierenden Bürgern als einziges Hindernis vor dem billigen Korn betrachtet. Anschließend werden diese Feststellungen dann auf eine allgemeine Erörterung des Gegensatzes von armen Plebejern und reichen Patriziern ausgedehnt. Brecht kehrt die eröffnende Gesprächsfolge um115. Zwar bringt er die wörtliche Ubersetzung: „Hauptfeind des Volkes", doch vorher wird in einem freien Einschub betont, daß es der Senat sei, der „zugestehen" müsse, daß der Brotpreis von den Bürgern bestimmt werde. Die Opposition von reichen Senatoren und plebejischen Bürgern ist die Ausgangssituation für Brechts Bearbeitung. Erst danach wird Coriolan zum erstenmal erwähnt, doch noch nicht als Hauptfeind des Volkes, sondern lediglich als Anführer der Bewaffneten. So ergibt sich auch für die wörtlich übersetzten Shakespeare-Partien ein neuer Sinn. Indem Shakespeare von der Behauptung ausgeht, daß Coriolan der Widersacher des Volkes sei, konzentriert sich mit dem H a ß des Volkes auch das Interesse des Publikums von vornherein hauptsächlich auf die Person des Helden. Bei Brecht wird dieselbe Aussage erst auf einem Umweg erreicht: Das Volk haßt Coriolan, weil er in seiner Eigenschaft als Soldatenführer die Interessen des Senats und der Reichen ver113 114 115

Brecht, Stücke Bd. 11, S. 396. Ibid. S. 395. Shakespeare, Coriolanus 1.1.7-24 u. Brecht, Coriolan 1.1, S. 229 f.

9 Brunkhorst, Coriolanus

130

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

tritt. Von der individuellen Persönlichkeit wird abstrahiert, und das Interesse an seiner Person tritt hinter dem an seiner Funktion als Repräsentant einer Gesellschaftsklasse zurück. Der dramatische Konflikt wird nicht in Richtung auf die Gestalt des Einzelnen mehr gesehen, sondern als Beziehung zwischen Kollektivgruppen. In dieser Hinsicht nimmt auch Menenius bei Brecht eine viel stärkere parteipolitische Haltung ein: „Brecht hat die Figur des Menenius Agrippa vom üblich gespielten Witzemacher zum Realpolitiker aufgewertet" 116 - ihren Humor hat diese Figur aber dennoch weitgehend behalten. Bei Shakespeare übernimmt Menenius gern die Rolle eines Vermittlers zwischen den politischen Fronten. Besonders in den Zusammenstößen des dritten Aktes versucht er, einen besänftigenden, versöhnlichen Einfluß auszuüben. Im wesentlichen kommt ihm auch bei Brecht noch eine bedingte Sympathie des Volkes zu; doch ist Menenius jetzt ungleich klassenbewußter. Als Coriolan des Hochverrats bezichtigt wird und der vordringende Mob ihn ergreifen will, ruft Menenius: „Help Marcius, Help, You that be noble; help him, young and old!" Brecht scheint zunächst nicht wörtlich, aber doch sinngemäß zu übersetzen: „Her! / Vom Adel hier! Stellt euch um Marcius117!" Eine nähere Untersuchung der dramatischen Situation ergibt für Brecht jedoch eine frontengliedernde Entschiedenheit, die in den sprachlichen Abweichungen gegenüber Shakespeare noch ihre Verstärkung erfährt. Was bei Shakespeare ein verzweifelter Hilferuf des Menenius in höchster Not ist, wird bei Brecht zu einem klaren Befehl aus dem Überblicken und Durchschauen der Lage heraus. Zudem hat Menenius bei Shakespeare unmittelbar vorher Coriolan verboten, bewaffneten Widerstand zu leisten118, und schickt ihn unmittelbar nach seinem Hilferuf nach Hause, um weiteren Zwischenfällen vorzubeugen110. Für beide Sätze des Menenius lassen sich bei Brecht Entsprechungen finden, dodi sind sie nicht mehr Äußerungen des Menenius, sondern nur Zwischenrufe eines Senators120. Von Shakespeares Entspannungsbemühungen des Menenius bleibt bei Brecht nur noch die wirkungslose Ermahnung: „Mehr Achtung beiderseits121!" 116 117 118 119 120 121

D. Hoffmeier, Notate, op. cit. S. 183. Shakespeare, Coriolanus 3.1.226 f. u. Brecht, Coriolan 2.3, S. 306. Shakespeare, Coriolanus 3.1.225: „Down with that sword!" Ibid. 3.1.229. Brecht, Coriolan 2.3, S. 304: „Weg mit dem Schwert!" u. S. 307: „Fort! Schnell!" Ibid. S. 305 u. Shakespeare, Coriolanus 3.1.180.

6. Bertolt Brecht

131

Die zahlreichen Eingriffe des Menenius während des Zusammenpralls von Adels- und Volkspartei sind bei Brecht auf fünf reduziert worden 122 . Obwohl vier davon dem Shakespeare-Text in etwa entsprechen, zeigt doch gerade die fünfte durch Brecht von Cominius auf Menenius übertragene Äußerung noch einmal sehr deutlich die Tendenz der Umfunktionierung dieser Figur. Als Coriolan sich gegen die Verhaftung durch den Ädilen wehrt, versichern die Senatoren: „We'11 surety him", und Cominius befiehlt dem Ädilen: „Aged sir, hands off 1 2 3 ." Anstelle dieser Beistands- und Solidaritätserklärung aller steht bei Brecht nur Menenius' Unterstützung und Bekräftigung Coriolans in seiner Haltung, dadurch, daß jetzt er allein repräsentativ für die Adelspartei spricht: „Die Hand weg, alter Mann 1 2 4 !" Stärker als bei Shakespeare ist jetzt auch Menenius integrierender Bestandteil eines Kollektivs geworden. Das einzelne Charakterbild wird reduziert zugunsten einer gruppengebundenen Funktionalität der Figuren. Damit wird die soziale Opposition absolut, es gibt keine verbindenden Glieder mehr. Die Mittlerrolle ist durdi ein entschiedenes EntwederOder unmöglich geworden; denn entscheidend ist für Brecht allein „die Ausformung des Klassenantagonismus" 125 . Dieser Antagonismus aber ist totaler K a m p f , der nicht durch Kompromiß, sondern nur durch Sieg oder Niederlage der einen Partei und ihrer jeweiligen Ideologie beendet werden kann. 6.4.2 Aufwertung der Tribunen und Emanzipation des Volkes Nach der Verbannung Coriolans schimpft Volumnia den Volkstribunen Sicinius „Fuchs". Es entspricht dem englischen „thou foxship" bei Shakespeare 126 . Doch gerade durch ihre Übernahme aus der Vorlage bleibt diese Äußerung ein rudimentäres Glied einer Charakterzeichnung, die bei Brecht nicht mehr vorhanden ist. Genauso ist Volumnias Vorwurf gegen die Tribunen, sie hätten „das Pack verhetzt", zu einer rein subjektiv-polemischen Anschuldigung geworden, die des objektiven Tatbestandes entbehrt. Ihre wahre Gestalt zeigen die beiden Tribunen bei Shakespeare am deutlichsten in den Gesprädien untereinander ohne Beisein Dritter, wie sie sich oft als Szenenschluß ergeben 127 . Hier kommentieren sie das Geschehene aus ihrer Sicht, einigen sich über politische Prognosen und treffen 122 123 124 125 126 127

9*

Brecht, Coriolan 2.3, S. 3 0 3 - 3 0 7 entspricht Shakespeare, Coriolanus 3 . 1 . 1 6 2 - 3 3 4 . Shakespeare, Coriolanus 3.1.177. Brecht, Coriolan 2.3, S. 304. Brecht, Schriften zum Theater Bd. 6, S. 239. Brecht, Coriolan 3.4, S. 329 u. Shakespeare, Coriolanus 4.2.18. Shakespeare, Coriolanus 1.1, 2.1, 2.2, 2.3, 4.6.

132

IV. Das Experiment

mit ¡Coriolanus'

ihre Verhaltensabsprachen. Wo Brecht diese Dialoge nicht ganz gestrichen hat, erscheinen sie doch so verändert, daß sie ein völlig neues Charakterbild der Sprecher ergeben. Schon das erste dieser Gespräche (1.1) zeigt bei Shakespeare wie bei Brecht die Abneigung der Tribunen gegen Coriolan. Während sie sich jedoch bei Shakespeare in persönlicher Animosität gegen ihren Widersacher ergehen, die sich bis zu dem Wunsch steigert: „The present wars devour him 1 2 8 !", ist bei Brecht alles Denken der Tribunen auf das Wohl des Volkes gerichtet. Die Sphäre des persönlichen Bereiches ist aus dem Gespräch, das gegenüber Shakespeares vierzehn Einsätzen nur noch fünf beibehält, verschwunden. Die abschätzigen Blicke Coriolans beim ersten Auftreten der Tribunen werden jetzt unmittelbar auf ihre implizite Bedeutung für die Geschicke des Staates ausgelegt129. Als sich zu Beginn des zweiten Aktes Coriolans Kandidatur deutlicher ankündigt, wehren sich Sicinius und Brutus bei Shakespeare immer noch durch heimliche Verwünschungen 130 . In subjektiver Befangenheit können die Tribunen ihre soziale Inferiorität nicht überwinden und bleiben als Gegner des Helden für die tragische Grundkonzeption des Dramas sekundär. Den Kern des entsprechenden Brechtschen Dialogs bildet dagegen die Kritik an der mangelnden staatsmännischen Begabung des tollkühnen Kriegers: „(Sic.): Er nimmt Corioli. (Brut.): Und hetzt uns so Die Volsker für Jahrzehnte auf den Hals 1 3 1 ." Auf objektive Analyse der außenpolitischen Kriegskonsequenzen bedacht, urteilen die Volkstribunen im Sinne der Gemeinschaft. Es geht ihnen nicht um die Erhaltung ihres Amtes, sondern um die Verteidigung des Allgemeinwohls gegenüber den Privatinteressen einzelner. Der verschwörerisch-demagogische Plan der Shakespeare-Tribunen, wie er am Ende der nächsten Szene (2.2) entwickelt wird und in der Hetzrede der dritten Szene zur Ausführung gelangt, wird von Brecht ersetzt durch das korrekte Verfahren einer öffentlichen Befragung des noch nicht bestätigten Konsuls. Ein solches Verfahren erfordert keine vorherige Manipulation des Volkes. Der Hinweis des Brutus: „Du siehst, wie er das Volk behandeln will", genügt dem Sicinius, um eine öffentliche Stellungnahme des Kandidaten jetzt auch gerade herauszufordern 132 . 128 129 130

131 132

Ibid. 1.1.257. Shakespeare, Coriolanus 1.1.253 u. Brecht, Coriolan 1.1, S. 243. Shakespeare, Coriolanus 2.1.239 f.: „It shall be to him then as our good wills: / A sure destruction." Brecht, Coriolan 2.1, S. 276 f. Ibid. 2.2, S. 286 u. 2.3, S. 297.

6. Bertolt Brecht

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Dadurch daß für Brecht die Ausformung des Klassenkampfes in den Vordergrund der Bearbeitung tritt, wird die schillernde Vielschichtigkeit der Charaktere Shakespeares reduziert. In ihrer Rechtschaffenheit werden die Tribunen zu einsträngigen, „farblosen" Persönlichkeiten133. Ihre Rehabilitierung gegenüber der Darstellung Shakespeares bedingt zugleich auch die Verflachung ihrer Charakterzeichnung. In der großen Forumszene, die mehreren Szenen Shakespeares entspricht134, unterliegt Coriolans Führungsanspruch dem der Tribunen. Gaben Shakespeares Tribunen dem Volk Instruktionen, die Wahl so zu liquidieren, daß keine Schuld dafür auf sie selber falle, so stellt Sicinius jetzt die verfängliche Frage an Coriolan im Beisein des Senats ohne vorherige Präparation des Volkswillens. Nicht nur die offene Parteienfehde ohne jede Verschleierungstaktik wird bei Brecht betont, sondern aus Agitatoren werden die Tribunen hier zu legitimen Parlamentariern 135 . Das „neue Recht"136, vom Volk im Krieg erfochten, kann ohne Scheu und Hinterhältigkeit seine Sanktionierung durch die politische Praxis verlangen. Sicinius und Brutus bedürfen trotz Coriolans gegenteiliger Behauptung 137 nicht mehr der Intrige, um in „Volkes Namen" ihre Fragen „an den Kandidaten nach Programm und all-/Gemeiner Haltung" zu stellen138. Auch bei Shakespeare sprechen die Tribunen „upon the part o' th' people"; selbst Coriolan nennt sie „the tongues o' th' common mouth" 139 . Das Abfällige dieser Bemerkung, wie Coriolan es in seiner Verwendung des Wortes ,common' zum Ausdruck bringt, übernimmt bei Brecht Menenius mit seiner Wendung von den „Hirten des Plebejerviehs" 140 . Indem die Tribunen ihr Hirtenamt aber jetzt ernsthaft auffassen und sich dazu bekennen, wird durch ihr Verantwortungsbewußtsein der Spott und Hohn des Adels und der „höheren Stände" gegenstandslos und stößt ins Leere. Bei Brecht leiten die Tribunen aus der verantwortungsvollen Aufgabe ihres Amtes eine ganz andere Sicherheit des Verhaltens und Auftretens 138

Vgl. V. L. Grab, op. cit. S. 36. Ibid. 2.3 entspricht Shakespeare, Coriolanus 2.3 u. 3.1; schon O. Marbach, Coriolanus 4.1, hat eine ähnliche Szenenzusammenlegung durchgeführt unter Verzicht auf die Unterredung von Tribunen und Volk. 185 -y/ Wicht, Mensch und Gesellschaft in .Coriolanus', in: Shakespeare-Jahrbuch Ost 102, 1966, S. 245-297, möchte S. 258 die Tribunen schon bei Shakespeare so sehen, was ihm aber nicht überzeugend gelingt. Berechtigte Kritik an W. Wichts Arbeit findet sich in: Shakespeare Survey 21,1968, S. 139. 138 Brecht, Coriolan 2.3, S. 297. 137 Ibid. 2.3, S. 298. 138 Ibid. 2.3, S. 298 u. S. 297. 139 Shakespeare, Coriolanus 3.1.209 u. 3.1.22. 140 Brecht, Coriolan 2.1, S. 269.

134

IV. Das Experiment mit .Coriolanus'

134

ab als bei Shakespeare. Die Nachricht von der Bedrohung Roms durdi Coriolan kann sie nicht mehr ängstigen oder sie an der Richtigkeit und Berechtigung ihrer Politik zweifeln lassen141. Aus diesem Selbstbewußtsein, das auf der Überzeugung von der Gerechtigkeit der Sache des Volkes gründet, wissen die Tribunen sich als positive und aktive Führerpersönlichkeiten zu bestätigen. Uber die Vertreibung des Coriolan hinaus sind sie gewillt, das Volk in seinem Kampf gegen die Willkür des Adels auch weiterhin zu leiten. Sie brauchen nicht mehr Menenius um seine Vermittlung zwischen Rom und dem Zorn des Belagerers anzuflehen, sondern rufen das Volk zu den Waffen 142 . Nicht auf den Adel kommt es mehr an, der Rom durch Bittgesandtschaften retten will, sondern das emanzipierte Volk kann sich selber helfen: „Warum sollten nicht die Maurer die Mauern verteidigen143?" Aus dieser Haltung heraus erhält auch die große Umstimmungsszene des fünften Aktes eine ganz andere Bedeutung. Von den 209 Versen bei Shakespeare bleibt bei Brecht nicht einmal mehr die Hälfte. Die Bearbeitung ist am Gesinnungswandel Coriolans als Peripetie des Dramas nicht mehr interessiert. Die Aufgabe der Frauengesandtschaft ist nicht mehr, die Gefahr von Rom abzuwenden, indem sie die Belagerer von ihrem Vorhaben abbringt, sondern ihre einzige Funktion besteht bei Brecht noch darin, den Zeitpunkt des Angriffs hinauszuzögern: „Das Gespräch kann uns einen Aufschub verschaffen. Heute nacht und morgen den Tag über sind die Mauern schwach besetzt144." Die von den früheren Bearbeitern des .Coriolanus' in den Mittelpunkt gerückte Bittrede der Volumnia hat bei Brecht jetzt lediglich noch die Aufgabe, diesen Aufschub auch als dramatische Zeit darzustellen. Daß die Gesandtschaft der Frauen zur Aufhebung der Belagerung führt, ist ein nicht intendiertes Nebenresultat dieses Unternehmens. Es ist in dem Moment unwichtig geworden, in dem sich das Volk stark genug fühlt, selbst für die Verteidigung seines Lebensraumes aufzukommen. „Wenn diejenigen, die von Rom leben [die Patrizier], es nicht verteidigen wollen, werden wir [die Plebejer] es verteidigen, von denen Rom bisher gelebt hat 145 ." Schon während des Studiums des ersten Auftritts war das Berliner Ensemble unter Berufung auf Plutarch zu dem Schluß gekommen: „Rom ohne den Marcius war nicht schwächer, sondern stärker 146 ." 141 y g j ¡bi(L 4.3, S.352 gegenüber Shakespeare, Coriolanus 4.6.159. 142 Vgl. Shakespeare, Coriolanus 5.1.33 ff. u. Brecht, Coriolan 5.1, S. 357. 145

Brecht, Coriolan 5.3, S. 365.

144

Ibid. 5.3, S. 367.

145

Ibid. 5.3, S. 365.

146

Bredit, Stücke Bd. 11, S.398.

6. Bertolt

Brecht

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Wenn es Volumnia gelingt, ihren Sohn umzustimmen, wird der Sieg der Sohnestreue über die Rachegefühle des Verstoßenen zu einem Sieg der Bedrückten über ihre Unterdrücker. So zeigt die letzte Szene auch nicht den Untergang eines tragischen Helden, da Coriolan nidit mehr im traditionellen, positiven Sinne als tragisch verstanden wird, sondern von Brecht hinzugedichtet — die etablierte Macht des Volkes, dessen Tribunen mühelos den Antrag der Adelspartei im Senat überstimmen können. Für diese Änderung beruft sich Brecht auf Plutarch als Quelle, der schreibt: „'Pto^aloi bk TT)V TEÄ.EVTT)V nuGo^EVOI, aXko [¿EV OV8EV COTESEI|avxo QTJJAELOV OVCE TIFIFJG OVT ÖQYT)5 JTPÖG aiixöv147." Die Tragödie vom Aufstieg und Fall des Caius Marcius Coriolanus ist jetzt kein Trauerspiel mehr, sondern ist ein Schauspiel vom Triumph des Volkes geworden. 6.4.3 Die aporetische Situation der Volumnia Volumnia, bei Shakespeare die gefeierte Retterin Roms, erhält bei Brecht eine problematische Stellung. Einerseits gehört sie zur Senatspartei, ist Exponent einer adelsstolzen Überheblichkeit dem Volk gegenüber, andererseits aber ist sie Patriotin, deren höchstes Gut und höchster Wert die Heimat ist, f ü r deren Erhaltung sie alles tun wird. Brutus sagt von ihr: „Sie ist in ihrer Art eine Patriotin, indem sie uns Plebejer lieber von Römern geschunden haben will als von Volskern 148 ." Volumnia ist die Feindin des Volkes, aber da sie zugleich glühende Patriotin ist, weiß Brutus sich ihrer zu bedienen gerade zum Besten des Volkes. Weil sie nicht „dafür ist, daß in Zukunft der volskische Senat auf dem Kapitol sitzt" 149 , wird sie zum Werkzeug der Pläne des Brutus. Indem Volumnia über ihren Sohn siegt, siegt das Volk über sie. Brutus nennt sie verächtlich „die Alte" und gibt dadurch ihrer Rolle schließlich noch tragikomische Züge. Bei Shakespeare zeigt sich an der Gestalt der Volumnia die ganze tragische Größe eines Patriotismus, der überhöht wird durch die verzweiflungsvolle Geste der abgewiesenen Mutter: „This is the last: so we will home to Rome, And die among our neighbours 150 ." 147

148 149 150

Plutarch Kap. 39, op. cit. S. 216; doch während bei Plutarch die Familientrauer erlaubt wird, wird sie bei Brecht abgelehnt; ein ausführlidierer Vergleich findet sich bei J. Kuczynski, Coriolanus: Plutarch-Shakespeare-Brecht, in: Theater der Zeit 1961, H . 4, S. 4 3 - 5 2 ; vgl. auch P. Witzmann, Antike Tradition im Werk B. Brechts, Berlin 2 1965, S. 104. Brecht, Coriolan 5.3, S. 366. Ibid. 5.3, S. 366. Shakespeare, Coriolanus 5.3.172 f.

136

IV. Das Experiment mit

,Coriolanus'

Diese Resignation der kniend Flehenden verwandelt Brecht in zornige Aggression. Aus der Bitte um Verschonung der Stadt wird die Drohung gegen den eigenen Sohn. Im Bewußtsein der gerüsteten Stärke des Volkes brüstet sich Volumnia mit der nationalen Verteidigungsbereitschaft gegen die fremden Belagerer: „Wart nicht auf den Rauch Der Unterwerfung! Wenn du Rauch sehen wirst Dann aus den Schmieden steigend, die jetzt Schwerter Wider dich schmieden151." Im selben Augenblick erkennt Volumnia aber auch das Prekäre und die Ausweglosigkeit der eigenen Situation überdeutlich. Wie immer ihre Gesandtschaft ins Volskerlager oder der Kampf um Rom ausgehen werden, es wird immer zu ihrem und des Adels Nachteil sein: „Wir aber Der Glanz und Adel Roms Muß nun die Rettung von den Volskern Dem Pöbel danken oder deinen Volskern Die Rettung vor dem Pöbel152!" Dies Dilemma zwischen patrizischem Adelsstolz und patriotischer Heimatliebe ergibt für Volumnia einen hoffnungslosen Zustand ohne jede Aussicht auf Realisation ihrer Wünsche für eine national-aristokratische Herrschafts- und Staatsform in Rom. Brecht weist schon durch den Sprachstil der Volumnia von Anfang an auf ihre aporetische Situation voraus. Ohne tragfähigen ideologischen Impetus ist sie selbst nicht von ihrer eigenen persönlichen oder politischen Haltung überzeugt; ihr Pathos ist hohl, ist negatives Pathos 153 . Die Höhepunkte ihrer Reden sind durch Zitate gekennzeichnet. Brecht übersetzt den Anfang der dritten Szene des ersten Aktes fast wörtlich. Die Umfunktionierung geschieht hier lediglich durch Verwerfungen und Umbrüche in der Stilebene der Sprache Volumnias. In der fortlaufenden Rede ist die Wendung „die Schläfe beschattet vom Laub der Eiche" durch Anführungszeichen gekennzeichnet, um dem Schauspieler noch einmal anzudeuten, daß er als Zitat sprechen soll, was schon durch die gewählte Diktion aus seiner Umgebung herausgehoben ist. Das Substantiv ,oak', von Tieck mit »Eichenlaub' übersetzt, wird bei Brecht 151 152 153

Brecht, Coriolan 5.3, S. 374. Ibid. 5.3, S. 375. Vgl. zu diesem Begriff V. Klotz, op. cit. S. 38.

6. Bertolt

Brecht

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durch den poetischeren Effekt einer Genetivkonstruktion ersetzt. Diese ,hohe' Stillage wird noch unterstrichen durch ,Schläfe' für ,brows', das Tieck mit,Stirn' wiedergibt, und geschattet' für ,bound' bei Shakespeare und,um wunden' bei Tieck154. Dieser Zitatcharakter einer eingestreuten Phrase als Merkmal der Sprechweise Volumnias wird an anderer Stelle durch den direkten Hinweis auf die literarische Quelle bei Homer erreicht155. Auch metrisch kann ein Textstück als Zitat oder Diktum gekennzeichnet werden, sei es durch daktylische Gliederung eines Aphorismus als Abschluß eines Prosadialogs156, oder sei es durch Reimbindung innerhalb eines bereits jambisch gebundenen Sprachkontextes157. Bei dieser zitierenden Sprechweise, die oft sehr wirkungsvoll das Wesentliche prägnant verknappt, geht es Brecht darum, daß Volumnia sich nicht unmittelbar mit der von ihr geäußerten Meinung identifiziert, sondern gleichsam den Autor des Zitats als distanzierendes und objektivierendes Medium zwischen sich und ihre Äußerung schiebt, um als Sprechende „selbst Abstand von ihren eigenen Worten" zu erlangen158. Mit ihren Pseudozitaten wird Volumnia zu einem Exponenten des literarisierenden Theaters, das mit der Zitierbarkeit seiner Texte den Sprachgestus zum Grundelement des epischen Theaters erhebt159. Doch über ein solches Mittel der Verfremdung hinaus, das hier in gleichsam potenzierter Form nicht erst vom Schauspieler aktualisiert zu werden braucht, sondern schon der Figurenzeichnung selber zugehört, soll gerade auch der Poetizismus der zitierten Worte auf die spezielle Situation der Volumnia zurückverweisen. Durch die Berufung auf vorgeformte Meinungen und sprachliche Äußerungen anderer will Volumnia vor ihrer Umgebung, besonders aber vor Virgilia und Menenius, die Großartigkeit ihrer Person, die Versiertheit und Gewandtheit ihrer Bildung und Klugheit herausstellen, zugleich jedoch auch die Unfähigkeit zur eigenen sprachlichen Bewältigung ihrer Gefühle kaschieren. 154

Shakespeare, Coriolanus 1.3.14 f.; Tieck, Stuttgart 1968, S. 15; Brecht, Coriolan 1.2, S. 246.

155

Brecht, Coriolan 1.2, S. 247: „Wie's in der Ilias heißt: Auf seinen Hals / Setzt er den blutigen Fuß."

158

Ibid. 2.1, S. 273: „Und es erbebt unterm Tritt des Gewaltigen / Dieselbe Erde in Furdit und in Lust. / Und viele sind nicht mehr, und heimkehrt der Sieger."

157

Ibid. 3.1, S. 311: „Ich hört' dich sagen: / Im Krieg muß Ehre sich mit List vertragen. / Warum stimmt das im Frieden nicht?" Bei Shakespeare fehlt die Reimbindung: vgl. 3.2.41 ff.: „I have heard you say, / Honour and policy, like unsevered friends, / I' th' war do grow together: grant that, and teil me / In peace what each of them by th' other lose / That they combine not there."

158

W. Heinitz, op. cit. S. 50. 159 Vgl. W. Benjamin, Was ist das epische Theater? in: W. Benjamin, Versuche über Brecht, hg. v. R. Tiedemann, Frankfurt/M. 2 1967, S. 7 - 3 0 ; S. 14 u. S. 26.

138

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

7. Günter Grass Grass' Drama ,Die Plebejer proben den Aufstand' ist keine Bearbeitung von Shakespeares »Coriolanus' im eigentlichen Sinne, sondern ein Stück über das Werk Shakespeares, das sein eigenes dramatisches Anliegen durch den Bezug zur Problematik der Shakespeare-Tragödie verdeutlichen will160. Nicht der Coriolan-Stoff wird für Grass thematisch, sondern die Frage nach der Möglichkeit seiner aktualisierenden Bearbeitung: Die Probenarbeit an einer Shakespeare-Inszenierung wird durch die geschichtlichen Ereignisse des deutschen Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 unterbrochen. Doch auch die Bühnenarbeit hat historische Authentizität. Obwohl der Regisseur und Theaterleiter lediglich als ,Chef' bezeichnet wird, ergibt sich aus einer Fülle biographischer Details, daß Grass ursprünglich an eine Identifikation dieser Figur mit Brecht dachte und daß sein Drama Brechts Coriolan-Adaption für das Berliner Ensemble behandeln sollte161. Beide Ereignisse, Theaterarbeit und Arbeiteraufstand, fallen in den gleichen historischen Zeitabschnitt, doch ihre Koordination, wie sie im Drama gezeigt wird, ist weitgehend Fiktion 182 . In der Dramatisierung einer fiktiven Fabel soll das eigentliche Thema, die Konfrontation der ästhetischen Haltung des Dichters und Regisseurs mit den sozialen und politischen Fakten einer gegenwärtigen Wirklichkeit, exemplarisch durchgespielt werden. „Der Chef ist nicht Brecht, sondern nimmt eine Position ein, die vielen marxistischen Intellektuellen gemein ist; deshalb steht er für viele und also auch für Brecht163." So umstritten das Verhalten Brechts während der Juni-Ereignisse 1953 auch ist184, so geht es Grass doch über die Individualität Brechts hinaus um die generelle Problematik der Möglichkeiten eines dichterischen Engagements für die staatspölitischen Gegebenheiten einer Nation. Um ihre eigenen Ansichten deutlicher hervorzuheben, treten die dra160

G. Grass, Die Plebejer proben den Aufstand, Ein deutsches Trauerspiel, Frankfurt/M.-Hamburg 1968 (zuerst 1966). Vgl. G. Grass, Vor- und Nachgeschichte der Tragödie des Coriolanus von Livius und Plutarch über Shakespeare bis zu Brecht und mir, Rede vor der Akademie der Künste in Berlin am 22. 4. 1964, in: G. Grass, Die Plebejer, S. 101-124. 162 Yg[_ u Jenny, Grass probt den Aufstand, in: G. Loschütz, Von Buch zu Buch Günter Grass in der Kritik, Eine Dokumentation, Neuwied-Berlin 1968, S. 135 bis 140; S. 136; um eine genaue und möglichst objektive Darstellung von Brechts Verhalten bemüht sich Th. K. Brown, Brecht and the 17th of June, 1953, in: Monatshefte 63, 1971, S. 48-55. 163 Persönlicher Brief G. Grass' an mich vom 17. 2.1970. 164 Vgl. z. B. J. G. Leithäuser, Der Aufstand im Juni, Ein dokumentarischer Bericht, in: Der Monat 5, 1953, Heft 60, S. 595-624 u. 6, 1953, Heft 61, S. 45-66; Heft 61, S. 62. 161

7. Günter

139

Grass

manschen Figuren in vielfältige Relationen zu den Shakespeare-Figuren. Kontrast und Analogie verknüpfen dargestellte Geschichtsrealität und dargestellte Theaterfiktion in dialektischem Prozeß miteinander. Schon der formale Aspekt der dramatischen Spielform des ,Theaters auf dem Theater' wird zum wesentlichen Bestandteil der dargestellten Problematik. 7.1. Stofflich-thematische

Verschiebungen

7.1.1 Der Arbeiteraufstand Während der Aufstand des 17. Juni 1953 in der östlichen Welt als Anstiftung und Provokation westlicher Agenten dargestellt wird 1 6 5 , wird er im Westen als allgemeine Erhebung des unterdrückten Teiles der deutschen Bevölkerung begriffen und als Tag der deutschen Einheit gefeiert. Grass wendet sich gegen beide Darstellungen. Er möchte den 17. Juni als reine Arbeitererhebung verstehen, die gerade dadurch scheiterte, daß sich die anderen Gesellschaftsschichten, das Bürgertum und die Bauern, Beamte und Intellektuelle, distanzierten, deren Scheitern sich aber auch durch den Mangel an vorheriger Organisation und den vollkommen unpolitischen Ansatz erklärt 1 6 6 . Grass' Drama soll von seiner aktuellen und didaktischen Aufgabensetzung her dazu beitragen, die durch die Feiern zum 17. Juni in einem Teil Deutschlands und durch die Reaktion darauf im anderen Teil „zwölf Jahre lang immer mehr Speck ansetzende Lüge" aufzudecken und einer „Verfälschung des Arbeiteraufstandes" entgegenzuwirken 167 . Entsprechend sind die im Stück auftretenden Revolutionäre Handwerker, Arbeiter und kleine Angestellte, die sich anfangs noch gar nicht bewußt sind, daß sie eine Revolution beabsichtigen. „Aufstand" als Bezeichnung ihrer Intentionen ist f ü r sie bei ihrem ersten A u f t r i t t noch „zu hoch gegriffen". Sie sind unbewaffnet, wollen „geordnet" protestieren und verstehen sich als „vollkommen unpolitisch", als „Menschen nur und ohne Fahnen" 168 . 165 Vgl. Prawda vom 23. 6 . 1 9 5 3 , zitiert nach J. G. Leithäuser, op. cit. Heft 61, S. 64: „Wie aus den Aussagen der wegen Teilnahme an den Unruhen Verhafteten hervorgeht, war die Provokation unter ständiger Führung der amerikanischen Militärbehörden geplant und vorbereitet worden"; auch ibid. Heft 60, S. 616, Zitat aus der Täglichen Rundschau vom 19. 6 . 1 9 5 3 : „Tausende von Agenten provozierten die Bevölkerung zu offenen Zusammenstößen"; vgl. A. Baring, Der 17. Juni 1953, Bonn 1957, S. 69. 1«« Vgl. G. Grass, Was ist des Deutschen Vaterland? (1965), in: Grass, Uber das Selbstverständliche, Reden, Aufsätze, Offene Briefe, Kommentare, Neuwied-Berlin 1968, S. 3 7 - 4 9 ; S. 45. 167 Ibid. S. 45 u. S. 46. 1 6 8 Grass, Die Plebejer 1.6, S. 23 f.; 1.5, S. 20; 1.7, S. 28 f.

140

IV. Das Experiment

mit,Coriolanus'

Als historische Quelle für sein Drama benutzt Grass Augenzeugenberichte 169 und Ergebnisse der Geschichtsforschung 170 . W o jedoch in den Protokollen über die Demonstration der Berliner Bauarbeiter vor dem Haus der Ministerien von einem Aufstand der Gesamtbevölkerung die Rede ist, wo ein Protestredner erklärt: „Hier stehen nicht nur die Bauarbeiter, hier steht ganz Berlin, die ganze Bevölkerung!", da läßt Grass die Arbeiter über organisationstechnische Schwierigkeiten diskutieren 171 . Anstelle des politischen Aspekts in den Gedenkreden auf den 17. Juni zeigt Grass die Kopflosigkeit und den Mangel an Führungspersönlichkeiten während der Arbeiterunruhen 172 . D a Grass vor allem an dem ersten, unpolitischen Ursprung des Aufstandes interessiert ist, müssen die Maurer der Stalinallee, die zunächst nur gegen erhöhte Normen protestierten, gleich zweimal vom Anfang der Unruhen berichten 173 . Von hier aus ergibt sich die Beziehung zur Probenarbeit auf dem Theater, indem der Chef die Arbeiter in sein Bühnengeschehen einbezieht. Die Volksunruhe der römischen Plebejer soll mit ihrer Hilfe glaubwürdiger und wirklichkeitsnäher auf dem Theater dargestellt werden. Die Tonbandmontage mit „dem revolutionären Verlangen nach Kartoffeln" und den „Originalgeräuschen deutscher Arbeiteraufstände" genügt nicht mehr, sondern die revolutionäre Wirklichkeit wird jetzt durch die unfreiwillige Mitwirkung der Arbeiterdelegation direkt als Montage in die Coriolan-Tragödie eingefügt 174 . Vgl. z . B . J . G. Leithäuser, op. cit. Heft 60, S. 606: „Audi Selbmann wird mit Pfiffen begrüßt. Als Ruhe einkehrt, beginnt er: ,Kollegen . . / ,Wir sind nicht deine Kollegen!' / ,Ich bin auch A r b e i t e r . . . ' / ,Das hast du aber vergessen!' / Lautes Gelächter. Die Versammlung nimmt den Charakter einer Volksbelustigung an. Einer ruft: ,Du bist kein Arbeiter, du bist ein Arbeiter Verräter!' Selbmann streckt seine Arme nach beiden Seiten aus: ,Arbeiter, schaut meine Hände an!' / ,Mensch, deine Hände sind aber ganz schön fett!' ertönt es." - und Grass, Die Plebejer 2.3, S. 42: „Putzer [Selbmann imitierend]: Kollegen! (Die Arbeiter lachen.) / Straßenarbeiter: Wir sind keine Kollegen. / Zimmermann: Das sagten wir, er darauf: / Putzer: Arbeiter bin ich, wie ihr. (Die Arbeiter pfeifen.) / Maurer: Arbeiterverräter biste! / Putzer: Da hat er seine Hände vorgezeigt und gerufen: Sdiaut meine Hände! / Maurer, Straßenarbeiter, Zimmermann: Zu fett! Zu fett!" 1 7 0 Grass beruft sich vor allem auf A. Baring, op. cit.: vgl. G. Grass, Loblied auf Willy, in: Grass, Ober das Selbstverständliche, S. 2 2 - 3 6 ; S. 33. 171 Zitiert nach J . G. Leithäuser, op. cit. Heft 60, S. 607, entspricht dem Bericht der Arbeiter bei Grass, Die Plebejer 2.3, S. 43. 172 Ygl Schiller, Ansprache, in: Zum Tag der deutschen Einheit, Ansprachen einer Gedenkstunde des Allgemeinen Studenten-Ausschusses am 17. Juni 1961, Hamburg 1961; oder K . D. Erdmann, 17. Juni 1965, Rede in der Feierstunde der Bundesregierung [ . . . ] , Kiel 1965; beide Reden beginnen mit dem angeführten Zitat, das die Situation vor dem Haus der Ministerien - bei Grass, Die Plebejer 2.3, S. 42 f. — kennzeichnen soll. 173 Grass, Die Plebejer 1.6, S. 23 ff. u. 2.3, S. 38 ff. 174 Ibid. 1.3, S. 17; 1.2, S. 16 u. 2.3, S. 38 ff. 169

7. Günter

Grass

141

Sagt der Chef noch anfangs: „Rom trete ab. Gleich hat das Wort Berlin", so folgt aus dieser Formulierung, welche die Austauschbarkeit beider Schauplätze andeutet, ihre schließliche Identifikation 175 . Zeigt der Chef zunächst Interesse am Aufmarsch der Arbeiter, „damit wir aus ihren Gesichtern lernen" 176 , so wird aus diesem allgemeinen Interesse an der Realität als Instruktionsmittel für die Schauspieler bald ein spezifischeres Interesse, das sich auf die Verwendbarkeit der Arbeiterunruhen für die Darstellung der unzufriedenen römischen Bürger richtet: „Es wäre gelacht, wenn sich dieser Vormittag nicht retten ließe177." Mit dem Hinweis auf den vergleichbaren konkreten Anlaß für die Unzufriedenheit vermittelt der Dramaturg zwischen deutschen und römischen Arbeitern: „Das Volk im Rom hielt's mit dem Kornpreis ähnlich, am Ende war das Brot abstrakt 178 —." Normenerhöhung und Lebensmittelteuerung sind in beiden Fällen als rein wirtschaftliche Gründe die Ursache der Erhebung. Aus dieser Vergleichbarkeit heraus erkennt der Dramaturg die Beispielhaftigkeit der realen Ereignisse und damit ihre Integrationsmöglichkeit in das Bühnenkunstwerk zuerst179. Diese Anregung aufgreifend bringt der Chef in der Imitation Realität und Fiktion allmählich zur Deckung. Die Schauspieler, die als römische Bürger Shakespeare-Verse rezitieren, ahmen die Gestik der Arbeiter nach: „Das Veteranengeplauder beider Gruppen folgt einem Motto 180 ." Archetypische menschliche Verhaltensformen stellen die Verbindung her zwischen fiktiver Vergangenheit und realer Gegenwart. Doch aus der Sicht des Theatermannes und Künstlers interessiert den Chef die Wirklichkeit nicht mehr in ihrem Realitätsgehalt, sondern allein noch als Stoff für seine Inszenierungsarbeit: „So könnte es in Rom sich zugetragen haben. Es könnte einer der Plebejer sagen181." Um im Sinne einer Wirkungsästhetik auf die reale Situation des Publikums einwirken zu können, muß der Chef diese reale Wirklichkeit zunächst aufheben und negieren. Um in der Aktualität die Allgemeingültigkeit der Kunst aufrechtzuerhalten, muß zunächst von der Realität 175

Ibid. 1.6, S. 25.

176

Ibid. 1.4, S. 19.

177

Ibid. 1.7, S. 26.

178

Ibid. 1.6, S. 25. 179 Ygj ibid. 2.3, S. 38 über die Schlägerei der Arbeiter und Schauspieler: „Dabei ergibt sich beispielhaft ein Bild."

180

Ibid. 2.3, S. 41; vgl. dazu A. Baring, op. cit. S. 53.

181

Ibid. 3.2, S. 65.

IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

142

abstrahiert werden. Der historische Arbeiteraufstand gerinnt dem Chef zum Material für sein künstlerisch-ästhetisches Wollen: „Die Massen wird man auseinandertreiben; dies Material jedoch wird bleiben 182 ." Audi unter anderem Aspekt wird für die ,Plebejer' noch wichtig, daß es sich bei den dargestellten historischen Ereignissen um einen im Ursprung genuinen Arbeiteraufstand handelt ohne intellektuelle oder bürgerlich-politische Elemente, der sich erst im Laufe des Geschehens zur Volkserhebung ausweitet. Wie Brecht Shakespeares ,Coriolanus' in der Opposition von Patriziern und Plebejern als Klassenkampf interpretierte, so sieht auch der Chef bei Grass anspielungsvoll und gleichnishaft im Handgemenge der Arbeiter und Schauspieler einen Klassenkampf 183 . Doch über ironische Anspielungen hinaus werden diese Vorstellungen von sozialen Unterschieden für Grass' Drama von grundlegender Wichtigkeit. Der Regierungssprecher, der sich den protestierenden Arbeitern zur Diskussion stellt, versucht vergeblich, sich als ihresgleichen darzustellen. Er spricht die Bauarbeiter mit „Kollegen" an, gibt sich als Arbeiter „wie ihr", doch seine Bemühungen, von gemeinsamer sozialistisch-ideologischer Basis aus Einfluß auf die Revolutionäre zu gewinnen, werden abgewiesen. Als „Arbeiterverräter" wird er als Verhandlungspartner abgelehnt 184 . Dasselbe Wort findet aber auch seine Anwendung auf den Chef 185 . Doch weniger die soziale Differenz als vielmehr der geistige und intellektuelle Abstand tritt störend zwischen Arbeiter und Bühnenleiter, der trotz seiner Kleidung doch „nie Prolet" gewesen ist 186 . Adelsstolz und Patrizierhochmut der Shakespeareschen Coriolan-Figur werden bei Grass durch das intellektuelle Ästhetentum des Chefs ersetzt. Die grundlegende Opposition zwischen Plebejern und Hauptfigur wird jedoch wie bei Shakespeare, so auch bei Brecht und Grass zum konstitutiven, die Entwicklung der dramatischen Handlung bestimmenden Strukturelement. Die polare Spannung zwischen beiden Bereichen sorgt für die Weiterentwicklung des Bühnengeschehens. Dem utopischen Idealismus des Dichters und Regisseurs ist die spontan-naive Direktheit des Volkes fremd und unzugänglich. Das zitierte Diktum des Chefs: „Es habe des Coriolan Bescheidenheit, was Hemd und 182 183 184 185 186

Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.

2.6, 2.3, 2.3, 2.5, 1.8,

S. S. S. S. S.

57. 38. 42. 50 u. 1.8, S. 3 0 : „Verräter sind sie!" 31.

7. Günter

Grass

143

Hose angeht, seinen himmelstürmenden Hochmut zu belegen" wird von Grass schon expositorisch auf den Chef selber bezogen187. Dennoch möchte der Chef gerne die Isolation des Intellektuellen verlassen, um „dabei sein" und am spontanen Handeln, am unüberlegten Aktionsvermögen des Volkes teilnehmen zu können188. Doch solche Fusion der Seinsbereiche ist nur momentan möglich und wird schnell als illusorisch entlarvt. Wie Kosanke aus dem Kreis um den Chef heraus ironisch verhöhnt wird als „des Volkes Dichter" 189 , so ist dem Chef selber von seiner antagonistischen Position aus die Integration in die Arbeiterschaft ebenfalls unmöglich; sein Solidaritätsbestreben ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Daher bleibt ihm schließlidi nur die resignierende Selbsterkenntnis seiner isolierten Situation: „Ich wissend, listig, kühl, allein, war ein Gedicht lang fast dabei190." 7.1.2 Die Theaterprobe als Trauerspiel Das dramatische Geschehen in Grass' Drama spielt sich ab während der Theaterprobe zu Shakespeares ,Coriolanus'. Der Chef probt mit seinem Ensemble den Aufstand der römischen Plebejer in Shakespeares erster Szene, als die von der Straße hereinstürmenden Revolutionäre diese Arbeit unterbrechen. Doch der Chef läßt sich nicht unterbrechen. Als brauchbares und erwünschtes Material für seine Inszenierung integriert er die echten Aufrührer in das szenische Geschehen. Historische Wirklichkeit und Unmittelbarkeit sind ihm Mittel zur Aktualisierung, zur Effektivitätssteigerung seiner dramatischen Realisierung von klassischer Dichtung. Die Theaterprobe ist der Rahmen von Grass' Drama, zugleich aber auch seine thematische Aussage; denn indem die Berliner Arbeiter jetzt genötigt werden mitzuproben, wird auch ihr Aufstand notwendig zur Theaterprobe umfunktioniert. Sie selber werden zu Plebejern, die den Aufstand lediglich noch spielerisch proben, wie der Chef es für sein Theaterstück von ihnen fordert, wie er es aber auch gleichzeitig für eine künftige, wohl organisierte und ,geprobte' Revolution für notwendig hält 191 . Denn eine Revolution, soll sie Aussicht auf Erfolg haben, muß sorgfältig geplant sein: „frag, / ob sie 'nen Plan gemacht und wer sie führt!" und: „Jetzt zeig ich euch, was ihr draußen macht192." 187 188 188 190 m 192

Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid.

1.1, 3.6, 2.6, 3.9, 2.6, 1.7,

S. S. S. S. S. S.

12. 83. 52. 84. 55: „den Aufstand der Plebejer muß man proben." 29 u. 2.3, S. 47.

144

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

Doch wenn es jetzt den Berliner Plebejern nicht anders ergeht als den römischen und sie — wie diese von Menenius - jetzt vom Chef hingehalten und abgelenkt werden, scheitert mit ihrem Aufstand schließlich auch die Coriolan-Inszenierung des Chefs. Obwohl beides mit viel Energie und Idealismus begonnen wurde, hindern sich Aufstand und Bühnenarbeit in ihrem Fortkommen gegenseitig und stellen sich am Ende als gescheiterte Proben heraus. Das gemeinsame Versagen, wechselseitig bedingt, ergibt für Grass ,ein deutsches Trauerspiel': „Die Stellprobe zu einer deutschen Revolution, die Günter Grass vorführt, wird verstanden als traurige Begebenheit einer deutschen Misere 193 ." Der Chef ist lediglich kompetent für seine Theorie von der Revolution und für seine marxistische Ästhetik, die er in den Dienst dieser Revolutionstheorie stellt, indem er mit seinem Theater provozierend auf eine Gesellschaftsumschichtung hinwirken will: „Indem wir aufzeigen, was nicht sein darf, wird deutlich, was die Revolution fordert" 1 9 4 . Doch dieselbe Entschlossenheit, mit der er die Revolution vom Theater aus anstrebt, läßt er in der Praxis vermissen. Theorie und Praxis vermag er im unpoetischen, außerbühnischen Alltag nicht zu verbinden. Während der Chef in der Reflexion befangen bleibt, fehlt dagegen den Berliner Arbeitern das theoretische Konzept für ihren Aufstand. Sie setzen zwar die revolutionäre Tat in die Wirklichkeit um, doch ihnen mangelt es an Schulung und an der Fähigkeit zur Reflexion. Sie sind unfähig zur abstrahierenden Unterordnung ihrer praktischen Forderungen unter ein weiterführendes und zusammenhaltendes Ziel, das ihrem Vorgehen die Richtung angeben kann und es theoretisch fundiert. In der revolutionären Praxis äußert sich dieser Mangel ganz konkret als „ihrer Zunge Unvermögen": „Ihr Mundwerk schafft es nicht 195 ." Doch der Chef, der ihnen „mit passenden Worten" helfen soll, den sie um Formulierungshilfe bitten für ein Manifest, „kann nicht über seinen Schatten" 196 . Das mangelnde Vermögen, mit den respektiven Fähigkeiten zueinander zu gelangen, wird bei Grass als ein typisch deutsches .Trauerspiel' mit langer historischer Tradition verstanden. Ähnlich wie der Juni-Aufstand scheiterten auch schon frühere deutsche Revolutionsversuche an der fehlenden Kommunikation zwischen den sozialen Klassen, an dem Versagen einer Kollaboration der geistigen Elite mit der revoltierenden Menge des Volkes 197 . Der Versuch der Volumnia-Schauspielerin, den Chef 193

194 195 198 197

H . Mayer, Zur deutschen Literatur der Zeit, Zusammenhänge, Schriftsteller, Bücher, Reinbek b. Hamburg 1967, S. 286. Grass, Die Plebejer 2.3, S. 47. Ibid. 1.8, S. 31. Ibid. 1.7, S. 26 u. 1.8, S. 30. U. Jenny, op. cit. S. 135, spricht von dem „Trauerspiel eines Volkes, das nie in

7. Günter

Grass

145

zu überzeugen, daß der gegenwärtige Aufstand anders sei als der von „anno achtzehn", scheitert188. So schreibt Grass ein „Trauerspiel über ein Trauerspiel" 199 . Zugleich knüpft Grass mit der Dramatisierung des Berliner Arbeiteraufstandes, mit seiner Dichtung vom Versagen des Chefs, der nicht nur an Shakespeare, sondern ursächlich an seiner ästhetischen Befangenheit scheitert, an die lange Tradition eines deutschen Trauerspiels an, die er in seinem Stück nicht nur persiflierend überholen will, sondern durchaus auch ernsthaft fortsetzen möchte200. Von Lessing bis Hebbel findet sich der Begriff des Trauerspiels, wie er oft als Untertitel deutscher Dramen erscheint, polemisch gegen den der Tragödie abgesetzt. Schon für den Beginn der deutschsprachigen Dramatik verteidigt W. Benjamin die Gattung des in den Ursprüngen seiner dramatischen Struktur und tragischen Konzeption typisch barocken Trauerspiels als autochthone Dichtungsform. Nachdrücklich weist er darauf hin, daß die Vorbildlichkeit der klassischstrenger ausgeformten antiken Tragödie und der Einfluß der aus ihr deduzierten Aristotelischen Poetik auf das Drama des Barock weit überschätzt worden ist201. Im Bereich des Stofflichen aber ist es die Affinität zum konkreten historischen Ereignis, die das Trauerspiel selbst in der deutschen Klassik noch von der antiken Tragödie trennt, deren Helden dem ungeschichtlichen, zeitlosen Mythos angehören202. Wie sich schon der barocke Begriff des Trauerspiels sowohl auf die emotionale Wertung des tatsächlichen Geschichtsereignisses wie auch auf die Bezeichnung einer dramatischen Gattung beziehen kann, so verwendet auch Grass den Untertitel seines Dramas in ähnlicher Weise als Wortspiel mit mehrfacher Bedeutung203. Neben der Gattungsbezeichnung und der Wertung historischer Ereignisse ist sein Drama vor allem auf die persönliche Tragik des Theatermannes ausgerichtet, dessen Theater auf Wirklichkeitsveränderung abzielt, der jedoch in dem Moment, wo die Wirklichkeit sich zu verändern beginnt, unfähig zur Unterstützung der ändernden Kräfte ist und sie statt dessen durch sein Theater absorbiert.

188 199 200 201

202 203

seiner Geschichte eine erfolgreiche Revolution zustande gebracht hat", und H . Sdiwab-Felisch, Günter Grass und der 17. Juni, in: G. Loschütz, op. cit. S. 145 bis 149, erinnert S. 146 an 1848, 1918 und 1944. Grass, Die Plebejer 1.7, S. 29. V. Klotz, Ein deutsdies Trauerspiel, in: G. Loschütz, op. cit. S. 132-135; S. 132. Vgl. ibid. S. 132. W. Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Berlin 1928, Neudruck: Frankfurt/M. 1969, S. 48. Ibid. S. 51. Ibid. S. 53: „Wie die Benennung ,tragisch' heutzutage, so - und mit mehr Recht - galt das Wort .Trauerspiel' im siebzehnten Jahrhundert v o m Drama und historischen Geschehen gleichermaßen."

10 Bronkhorst, Coriolanus

146

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

Es geht Grass damit um die Tragik des Individuums, dessen Lebenswerk, das belehrende Theater, ihm unbemerkt zum Selbstzweck wird und dadurch sich selbst aufhebt. Indem Grass am Beispiel Brechts paradigmatische Züge einer typisch deutschen tragischen Situation zeigen will, versucht er, über die Historizität seiner dramatischen Figuren und Ereignisse hinaus zu einer Allgemeingültigkeit der dichterischen Problematik zu gelangen. Um diese Allgemeingültigkeit aber nicht auf der Ebene einer nationalen Eigenart aufhören zu lassen, sondern sie darüber hinaus zur möglichen und archetypischen menschlichen Grundsituation zu steigern, bedient er sich der Konfrontation des historischen Geschehens mit der zum Mythos erstarrten Klassizität der Shakespeare-Tragödie. Doch wie schon der Untertitel ein Spiel mit Wortbedeutungen darstellt, so tragen auch die vielfältigen und gleichsam zwanglosen punktuellen Entsprechungen zwischen Grass- und Shakespeare-Figuren einen eher spielerischen Charakter. Die Problematik einer Umsetzung des ,Coriolanus' für die deutsche Bühne wird aufgelöst in eine freie Verfügbarkeit der Sinnzusammenhänge Shakespeares. Seine formale Entsprechung findet dieses Spiel mit dem englischen Klassiker in einer Quasianerkennung klassizistischer Formzwänge für die Handlungsgliederung und den Dramenaufbau des Grass-Stückes. 7.2 Die partielle

Shakespeare-Adaption

7.2.1 Normative und integrale Drameneinheit Eine der Hauptschwierigkeiten der deutschen Coriolan-Bearbeiter des 18. Jahrhunderts war die Korrektur der Unregelmäßigkeiten Shakespeares und die Anpassung seines Dramas an die verpflichtende Norm der pseudo-Aristotelischen Einheitenlehre. Da die Einheit der Handlung im ,Coriolanus' als bemerkenswerte Ausnahme gegenüber den anderen Shakespeare-Dramen schon im englischen Original weitgehend vorgegeben ist, geht es dem 18. Jahrhundert hauptsächlich um eine Reduktion des dramatischen Zeitraumes und der zahlreichen Schauplatzwechsel. Nachdem das 19. Jahrhundert sich endgültig von solchen formalen Hindernissen der Shakespeare-Rezeption und -Wertung befreit hatte, steht das 20. Jahrhundert wieder unbefangener der engen Begrenzung von Ort, Zeit und Handlung gegenüber als einer unter vielen Möglichkeiten des Zusammenhalts eines dramatischen Geschehens. Indem Grass keine Neugestaltung des Coriolan-Stoffes versucht, sondern lediglich die Möglichkeiten einer bearbeitenden Umdeutung Shakespeares in dramatischer Form diskutiert, beschränkt er das von ihm Gezeigte auf eine Haupthandlung, einen einzigen Schauplatz und auf eine

7. Günter Grass

147

minimale dramatische Zeitdauer, die noch nicht einmal den vollständigen Arbeitstag eines Bühnenleiters ausfüllt. Die Einheiten von Zeit, Ort und Handlung sind für ihn niemals problematisch, sondern werden mit souveräner Sicherheit und zielbewußter Straffheit durchgeführt. Sie ergeben sich folgerichtig aus der Analyse eines Teilaspekts des Juni-Aufstandes. Doch in ihrer Hypostasierung schlägt hier die normative Einheitenlehre um in das dichterische Spiel mit der dramatischen Form - und als solches wird sie integrierender Teil der Gestaltung. Zwischen der Exposition des ersten Aktes und dem abschließenden, resignierenden Fazit des vierten Aktes wird in den zwei Mittelakten das zögernde Hinausschieben der Entscheidung des Protagonisten gezeigt, seine Flucht vor dem definitiven Entschluß. Auf eine dynamisch sich entfaltende aktions- und schauplatzreiche Handlung wird verzichtet. Von der Statik seiner dramatischen Situation und von der mangelnden szenischen Auffächerung des Ereignishorizontes her ist Grass' Drama einer anti-Shakespearesdien Poetik verpflichtet. Die dramatischen Konflikte des Protagonisten und seiner Gegenspieler zeigen sich im Gegeneinander der referierten Meinungen und Positionen. Die eigentlichen revolutionären Ereignisse werden nur in ihrer Brechung im Botenbericht - aus epischer Distanz - und in ihren mittelbaren Auswirkungen als momentane Unterbrechungen der Bühnenarbeit relevant. Gegenüber der Haupthandlung bleiben sie peripher und geben lediglich den Hintergrund ab für die ambivalente Einstellung des Chefs. Erst allmählich, unter dem Eindruck der Eskalation des außerbühnischen Geschehens, befreit er sich aus dem Illusionsbereich der Coriolan-Dichtung. Aber auch dann geht es ihm noch darum, daß die Arbeit am Shakespeare-Werk bewahrt bleibt und überdauert: „Archiviert die Regiebücher. Einmotten soll man Plebejerlumpen. Roms Kulissen ins Arsenal 204 ." Obwohl sie immer stärker den Charakter einer vorgeschützten Ersatzhandlung annimmt, läuft die Auseinandersetzung mit Shakespeares ,Coriolanus', vom Chef in den Vordergrund gestellt, fast bis zum Schluß neben seiner eigentlichen Konfrontation mit den Ereignissen außerhalb des Theaters einher. Selbst der schließliche Abbruch der Regiearbeit bleibt wieder Flucht in die Dichtung. Nicht der Modus der Realität wird gewechselt, es geht nicht um Übergänge zwischen Dichtung und Politik, Fiktion und Wirklichkeit, sondern lediglich um einen Wechsel der Epochen und der literarischen Gattungen. Statt mit Shakespeare will sich der Chef jetzt mit Horaz beschäftigen205. 204 205

10*

Grass, Die Plebejer 4.4, S. 94. Ibid. 4.7, S. 99.

148

IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

Auch wenn die Intentionen dieser Beschäftigung mit Klassikern in beiden Fällen unterschiedlich sind - im ersten sozialkritisch und wirkungsästhetisch, im zweiten zweckfrei und selbstbeschaulich wird der Bereich dichterischer Illusion doch nie verlassen. Selbst der einzige Moment, in dem eine Selbstüberwindung des Chefs einzutreten scheint und der zu seinem Ausbruch aus dem ästhetischen Bühnenbereich führen soll, ist nur ein Scheinversuch, der sich als Selbsttäuschung herausstellt. „Gedichtelang" nur währt diese „kurze Verlobung" mit der Außenwelt, deren sachlicher Realitätsgrad, dort wo sie den Chef überzeugt und zu sich hinüberzieht, auch wiederum zweifelhaft ist 206 . Der von Grass für dieses Drama fixierte Bühnenraum, der dramatische Ort, ist wiederum die Bühne. Wie der Dichter-Chef nie den Illusionsbereich der Theaterwirklichkeit verläßt, erfordert auch die dramatische Handlung keinen Szenen- oder Schauplatzwechsel, sondern kommt mit einem „quasi-klassischen Einortschauplatz" aus207. Aus dem Ineinanderspiel und der Verschachtelung von Real- und Fiktivbereich auf der Bühne, aus der Spannung zwischen Theater und Theater auf dem Theater entsteht eine verwirrende Uberschneidung und wechselseitige Spiegelung der Ebenen. Doch durch die so erreichte Potenzierung der Irrealität tritt die dahinterliegende historisch-faktische Realität des Arbeiteraufstandes, der in seiner Totalität und in seinen zentralen Ereignissen von der Darstellung ausgespart ist, um so dramatischer hervor und wird dem Zuschauer in ihrer Beziehung zur überzeitlichen Beispielhaftigkeit der Shakespeare-Tragödie wirkungsvoll vermittelt. Indem der Chef den realen Ansatz der Revolution übersieht und sich in der Dialektik der Anforderungen von Kunst und Wirklichkeit ausweglos verstrickt, wird der dramatische Spielort sinnbildlich für seine geistige Situation. 7.2.2 Die dramatische Funktion der Zitate und Anspielungen Die Figuren in den ,Plebejern' gliedern sich in zwei Gruppen, die unterschiedlichen Seinsbereichen zugeordnet sind: der Theaterwelt als dem Illusionsbereich des Ästhetischen und der Arbeiterwelt als der stärker realitätsverbundenen Außenwelt. Die Ubergänge und die Vermischung beider Bereiche werden nicht zuerst vom Bühnenleiter oder seinem Regiestab, sondern von den Schauspielern der Nebenrollen hergestellt. Ihren Shakespeare-Text unterbrechen die römischen Bürger plötzlich durch Berichte von tatsächlichen Berliner Geschehnissen. Trotz der Ermahnungen des Chefs vermischen sich bei den Schauspielern die geprobten Unruhen in Rom mit den gegenwärtigen Unruhen in Berlin 208 . 208 207 208

Ibid. 3.7, S. 83 u. 3.8, S. 84. V. Klotz, op. cit. S. 132. Grass, Die Plebejer 1.4, S. 19.

7. Günter Grass

149

Doch wie die Schauspieler einerseits aus dem Shakespeare-Drama heraustreten, so greift dieses andererseits auch auf die übrigen Theaterleute über. Da die Schauspieler der Hauptrollen nicht anwesend sind, zeigt der Chef Affinität zur Verkörperung der Titelfigur, sein Dramaturg zitiert und parodiert Menenius-Verse, und den Regieassistenten werden provisorisch die Tribunenrollen aufgedrängt. Mit Ausnahme des Beleuchters zitieren sämtliche Grass-Figuren des ersten, dem Theater zugehörenden Bereichs im Verlauf des Stückes Shakespeare-Verse und geben damit Anlaß zur oft nur momenthaften Identifikation mit Charakteren der von ihnen angestrebten Coriolan-Inszenierung. Den Anforderungen der Wirklichkeit wird mit Worten der Dichtung begegnet, die dadurch einen schillernden und unmittelbar gleichnishaften Sinn erhalten. Das Geschehen auf der Straße wird auf der Folie des Shakespeare-Dramas gesehen. Nicht nur werden Berliner Arbeiter jetzt als römische Bürger betrachtet, sondern auch der Antagonist des Chefs im kulturellen Leben des Staates, der ,Volksdichter' Kosanke, wird mit Shakespeares Aufidius verglichen209. Eine solche anspielungshafte Ausdehnung der Dichtung auf die Bezüge der Wirklichkeit wird zum Gradmesser der ästhetischen Befangenheit des Chefs. Wo in der zweiten Hälfte des Grass-Dramas die weiter zudringenden Arbeiter das verfügbare Rollenrepertoire der Shakespeare-Tragödie sprengen, stellt die konstatierende Anrede des Chefs an die zweite Arbeiterdelegation den diakritischen Wendepunkt dar. Der Chef vergleicht die Neuankömmlinge nicht mehr mit Coriolan-, sondern mit Hamlet-Figuren: „Damaschke, Wiebe? - Hübsche Namen, wie Rosenkranz und Güldenstem 210 ." Wenn alle weiteren neuauftretenden Figuren jetzt nicht mehr ausschließlich den Coriolan-Rollen zugeordnet werden, so manifestiert sich darin das beginnende Herauswadisen des Chefs aus dem fixierten Illusionsbereich des Römerstücks. Indem die Friseuse sich schließlich nicht mehr zu Shakespeare-, sondern zu Brecht-Figuren in Beziehung setzt211, tritt beim Chef eine Rückbesinnung auf das eigentlich revolutionäre Element seines Theaterunternehmens und seines Dichtertums ein. Durch die literarische Anspielung auf Brechts ,Mutter Courage und ihre Kinder' entsteht der notwendige Kontaktpunkt zwischen dem revolutionären Wollen der Arbeiter und dem dichterischen Ästhetentum des 209 210 211

Ibid. 4.4, S. 94. Ibid. 3.3, S. 68. Ibid. 3.7, S. 82.

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IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

Chefs. Jetzt plötzlich vermag er den aus unmittelbarer N o t der Normenerhöhung entspringenden Aufstand mit seinen Idealvorstellungen von einer Gesellschaftsreform zu verbinden. Nachdem die zuvor so eminente Wichtigkeit der Coriolan-Tragödie durch die Erwähnung eines zweiten Shakespeare-Dramas schon relativiert worden ist, kann ihr illusionärer Raum jetzt vom Chef verlassen werden. Durch die funktionale Integration der Rollenzitate einer außerhalb des Grass-Dramas liegenden Shakespeare-Dramatik wird für die GrassFiguren ein fiktiver Raum entworfen, der ihnen, solange sie an ihm partizipieren, die Realität des Arbeiteraufstandes verstellt. Erst die Friseuse findet gleichsam durch ein Gegenzitat Zugang zu diesem überrealen Raum und stellt ihren revolutionären Enthusiasmus den Idealen des Chefs entgegen. Indem sie ihre eigenen Ideale als Derivate der seinen zu erkennen gibt, gelingt es ihr, ihn in den größeren Realitätsbezug der ihren hinüberzuziehen. „Da, - da hab ich gesessen, als hier oben die Kattrin auf dem Dach saß, stumm, und hat getrommelt, wie ich jetzt schreie: Panzer kommen!" Mit dieser vehementen Deixis gelingt es der Friseuse, das Erlebnis der von der Dichtung vermittelten revolutionären Ideen auf den konkreten Ort ihres Zuschauerplatzes zu fixieren und so auf übertragener Ebene das Theater des Chefs mit seinen sozialen Belangen auf die unmittelbaren Erfordernisse der Bauarbeiter und der revoltierenden Bevölkerung zu lenken. In ihrer „unbefangenen Revolutionseuphorie" 212 vermag sie dem Chef zu suggerieren, daß die von ihm angestrebte Gesellschaftsrevolution schon begonnen habe, auch wenn sie nicht die Perfektion und die Akribie der Planung zeige, die der Chef zu Anfang voraussetzte. Wie der Chef durch ein Zitat zur Tat bewegt wird, so spricht er auch nach seinem mißlungenen Ansatz zum Mithandeln noch in Zitaten. Mit einem abgewandelten Brecht-Zitat schließt Grass sein Drama, das mit Shakespeare-Zitaten begann. In dem Maße, wie ,Coriolanus' zurücktritt, tritt das schon von Anfang an motivisch anklingende Gedicht von der Silberpappel in den Vordergrund 213 . Doch die dramatische Funktion der Reminiszenzen aus Brecht-Gedichten ist eine grundsätzlich andere als 212 213

V. Klotz, op. cit. S. 133. Der erste Hinweis auf Brechts Gedicht ,Böser Morgen' in: B. Brecht, Gedichte Bd. 7, Frankfurt/M. 1964, S. 11, das beginnt: „Die Silberpappel, eine ortsbekannte Schönheit", findet sich bei Grass, Die Plebejer 1.3, S. 17; Brechts Gedicht endet: „Unwissende! schrie ich / Schuldbewußt.", Grass' Drama endet: „Ihr Unwissenden! Schuldbewußt klag ich euch an."

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die der ironisch-mehrdeutigen Zitate des Shakespeare-Textes. Der Hinweis auf die Buckower Elegien214 gibt zwar einerseits den biographischen Hintergrund für die Chef-Gestalt ab, weist jedoch auch von vornherein auf die Alternativmöglichkeit zur Theaterpraxis hin. Statt des Lehrstücks von den geschulten Volkstribunen, die dem römischen Volk wie auch dem Publikum zeigen sollen, wie man Revolution macht, könnte der Chef auch wieder Gedichte schreiben: „Kurze. Private. Kommen Bäume drin vor. Silberpappeln womöglich - 215 ." Im Laufe des dramatischen Geschehens verstärkt sich diese Sehnsucht nach dem „kleinen Haus unter Bäumen am See"216, nach der Idyllik einer verantwortungslosen Weltabgeschiedenheit, und bildet schließlich in ihrer bevorstehenden Realisation als resignierendes Bekenntnis zur Mitschuld am gescheiterten Aufstand den elegischen Schluß des Dramas. Als literarisches Drama stellt sich Grass' Werk in die lange Tradition dieser Gattung 217 . Doch von anderen dramatischen Literaturparodien oder polemischen Farcen unterscheidet es sich durch die Vielschichtigkeit der funktionalen Verwendung seiner Zitate und Anspielungen. Während der Chef in den ersten Akten des Dramas das dynamische dramatische Zitat wählt, das in seinem Kontext den Willen zur Änderung des Überlieferten bekundet, gelangt er am Ende zur Statik des lyrischen Zitats, das zudem noch die resignierende Selbstbesinnung im Eigenzitat ausdrückt. Dieser Wechsel des Zitatcharakters als Ausdruck einer gewandelten Lebensauffassung ist nur ein Aspekt der Vielschichtigkeit, an dem sich der Spannungsbogen des Grass-Dramas zeigen läßt. Zitat und Anspielung konstituieren eine Aufbautechnik der gebrochenen Realität für den fiktiven Wirklichkeitshorizont der Dichtung. Das Dargestellte erscheint in seiner Bezüglichkeit auf ein außer ihm Liegendes als relative Repräsentation. 214

215 216

217

B. Brecht, Gedichte Bd. 7, S. 5-23; vgl. Grass, Die Plebejer 3.2, S. 66, Chef: „Möchte Horaz lesen.", mit Gedichte Bd. 7, S. 21: ,Beim Lesen des Horaz'; Grass 3.2, S. 66: „Wie sehen Tannen aus in der Frühe" - Gedidite Bd. 7, S. 17: „In der Frühe / Sind die Tannen kupfern."; Grass 3.3, S. 68, Chef: „Und wenn Dir dieses Volk nicht paßt, / dann wähl dir eins, das besser paßt." - Gedidite Bd. 7, S. 9: ,Die Lösung', über den 17. Juni: „Wäre es da / Nicht dodi einfadier, die Regierung / Löste das Volk auf und / Wählte ein anderes?"; Grass 4.7, S. 99, Chef: „Den Rudernden könnte ich zuschauen. Wie sie sich abmühen." - Gedichte Bd. 7, S. 20: .Rudern, Gespräche'. Grass, Die Plebejer 1.3, S. 17. B. Brecht, Gedichte Bd. 7, S. 15: ,Der Rauch' - vgl. Grass 4.7, S. 99: „Ich pachtete ein Haus, zwischen Pappeln, am See gelegen." R. Baumgart, Plebejer-Spätlese, in: G. Loschütz, op. cit. S. 149-153; S. 152, vergleicht Grass' Drama mit Goethes ,Götter, Helden und Wieland, Eine Farce'; weitere Beispiele dieser Gattung wären: O. Marbach, Shakespeare-Prometheus, Leipzig 1874; oder als Shakespeare-Hymne mit gestellten Bildern aus Shakespeare-Dramen: K. Gutzkow, Eine Shakespearefeier an der Ilm, Leipzig 1864.

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IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

7.3 Kontrast und Parallelität Coriolan als Chef und Schneiderpuppe Grass führt graduell an seine Hauptfigur und an die Problematik des Dramas heran. In der ersten Szene diskutieren lediglich die beiden Regieassistenten Vorhaben und Vorgehen des Chefs: warum er Shakespeares ,Coriolanus' gewählt habe und wie er ihn inszenieren wolle. Erst die zweite Szene zeigt den Chef persönlich. In gleicher Art führt das Gespräch am Ende der zweiten Szene über Tonbandaufzeichnungen von „murrenden Hausfrauen" und „Flüsterparolen" zur Forderung nach „Originalgeräuschen deutscher Arbeiteraufstände" für die Montage 218 . Erst über die Erinnerung an solche Aufstände, über die Erwähnung der Namen Liebknecht, Luxemburg und Spartakus-Aufstand in der dritten Szene219 wird in der vierten Szene von gegenwärtigen Unruhen „in der Stadt" berichtet220. So drängt sich allmählich das aktuelle Tagesgeschehen, die Unruhen auf der Straße, in das ästhetische Geschehen der Bühnenprobe hinein. Nach den ersten Berichten der Statisten folgt der Bericht der Hauptdarstellerin und schließlich der der unmittelbar Beteiligten, der Bauarbeiter221. Diesem Prinzip der Graduation, der allmählichen Entwicklung des Konfliktgeschehens, steht als Konstante von vornherein der Bezugspunkt Shakespeare gegenüber. In der uniformierten Schneiderpuppe, einem Requisit der Coriolan-Aufführung des Berliner Ensembles222, verkörpert sich die statuarische Dauerpräsenz des auf das GrassDrama „abfärbenden" Shakespeare-Helden 223 . Im expositorischen Gespräch der beiden Regieassistenten werden zwei konträre Möglichkeiten der Coriolan-Interpretation entwickelt, die auf einem grundsätzlich verschiedenen Shakespeare-Verständnis basieren. Podulla setzt sich für eine traditionelle Deutung ein und für eine Darstellung des Helden, „der stolz bis zum Hochmut, dennoch selbstlos, dabei ungerecht, starrsinnig ist, [ . . . ] aus Widersprüchen gefügt. Ein Berg, Koloß, nicht abzutragen" 224 . Er vertritt die These vom überragenden Individuum, das durch seine Charaktergröße weit über seine Umwelt hinausgehoben ist und dem seine Widersacher nicht als tatsächliche Antagonisten gefährlich werden können: „Die Plebejer sind ihm lächerlich. Hampelmänner sind ihm die Volkstribunen 225 ." Podullas Auffassung geht 818 218 220 821 222 223 224 225

Grass, Die Plebejer 1.2, S. 16. Ibid. 1.3, S. 17. Ibid. 1.4, S. 17. Ibid. 1.4,1.5 u. 1.6. Vgl. M. Wekwerth, Notate S. 117. Grass, Die Plebejer 1.8, S. 30. Ibid. 1.1, S . l l . Ibid. 1.1, S. 11.

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von der zentralen Wichtigkeit des Helden aus, die eine Inszenierung des Shakespeare-Werkes als Charaktertragödie fordert. Von der Anlage seiner Persönlichkeitsstruktur her bedingt der Protagonist seinen eigenen Untergang. Die äußeren Ereignisse sind nur Anlaß für das Scheitern Coriolans, während die eigentliche Ursache dafür in ihm selber liegt: „Er ist sich Feind genug. Coriolan besiegt Coriolan 226 ." Entsprechend möchte Podulla den unveränderten Shakespeare-Text auf die Bühne bringen und eine Inszenierung anstreben, die den ursprünglichen Intentionen des englischen Dichters durch Nachempfinden und Einfühlung so nahe wie möglich kommen will. Litthenner vertritt als Sprachrohr des Chefs die Gegenposition einer bearbeitenden Übertragung und Aktualisierung Shakespeares für ein provokatives Gegenwartstheater. Dem Zweifel in der Frage Podullas: „Warum ändern wir Shakespeare?" steht die Gewißheit der Möglichkeit und Notwendigkeit einer solchen eingreifenden und grundlegenden Änderung gegenüber. Shakespeares Plebejer und Tribunen sollen „aufgewertet" werden, „damit Coriolan auf klassenbewußte Feinde stößt" 227 . Es gilt die Sympathie für den Helden zu schwächen zugunsten einer Steigerung der Sympathie für das Volk. Roms Bürger sollen nicht „wirre Revoluzzer", sondern „bewußte Revolutionäre" sein228. Die Charaktertragödie soll durch das Drama des Klassenkampfes ersetzt werden. Coriolan wird lediglich als „Kriegsspezialist" verstanden und soll als ersetzbar gezeigt werden: „Der Chef will zeigen, daß Coriolan zu ersetzen ist229." Wie Litthenners Ausführungen zum Coriolan-Drama den Ansichten des Brecht-Ensembles entsprechen, so vertritt Podullas Interpretation die dort kritisierten und verurteilten Auffassungen. Zwar werden diese im Ensemble referiert, zugleich setzt man sich jedoch in Opposition zu ihnen. Im ,Studium des ersten Auftritts' werden diese Auffassungen mit deutlich absetzenden Kontrastwendungen eingeleitet: „Auf dem üblichen T h e a t e r . . . " oder „Für gewöhnlich.. ."2S0. Dem ,Studium des ersten Auftritts' ist Grass auch für die folgenden in seinem Drama dargestellten Theaterproben und Bühnengespräche durchgängig verpflichtet. Sein Drama führt ebenfalls nicht über die Proben zur ersten CoriolanSzene hinaus. Zitate und Anspielungen jedoch erstrecken sich im GrassDrama auf den ganzen ,Coriolanus', denn auch Brecht verlangte von seinen Mitarbeitern: „Man muß das ganze Stück gelesen haben. Man kann 226 227 228 229 230

Ibid. 1.1, S. 11. Ibid. 1.1, S . l l . Ibid. 1.1, S. 12. Ibid. 1.1, S. 12 u.S. 11. B. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 382 u. S. 388.

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IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

nicht vorn anfangen, wenn man nicht hinten gewesen ist231." Wie Brecht ursprünglich für seine Bearbeitung von der Tieck-Übersetzung ausging23*, so benutzt auch Grass in den .Plebejern' diese Ubersetzung 233 und - bis auf wenige Ausnahmen234 - nicht den daraus entwickelten Brecht-Text. Indem Grass für seine Dramenfiguren die Meinungen und Äußerungen der Shakespeare-Arbeit des Berliner Ensembles übernimmt, verändert er sie aber auch für seine eigenen dramatischen Zwecke. Damit sich in der authentischen Theateranalyse des ersten Auftritts eine dramatisch-tragische Handlungskurve abzeichnet, ist eine Verflachung und Radikalisierung der Brecht-Zitate nötig. Während Brecht selber vorsichtig formulierte und sein Unternehmen der Shakespeare-Bearbeitung als möglichen Versuch hinstellte: „Ich denke, wir können den Shakespeare ändern, wenn wir ihn ändern können" 235 , verhärtet Grass diese deutlich mit Vorbehalt gemachte Äußerung im Munde Litthenners zur apodiktischen Proklamation: „Der Chef sagt, weil wir ihn ändern können 238 ." Durch diese Verschärfung der Aussage erreicht Grass eine deutliche Akzentuierung des anmaßenden Hochmuts seiner Chef-Figur, so daß sich ihr späterer Fall in die Erkenntnis des Versagens und des Scheiterns der Bearbeitung um so deutlicher abhebt. Diese Fallhöhe aber garantiert die persönliche Tragik des Chefs, wenn er, durch die Ereignisse belehrt, bekennen muß, „daß wir, zum Beispiel, den Shakespeare nicht ändern können, solange wir uns nicht ändern" 237 . Die bittere Resignation des Chefs enthält aber zugleich auch das Eingeständnis der Fehlinterpretation des Shakespeare-Dramas: „Und wir wollten ihn abtragen, den Koloß Coriolan! Wir, selber kolossal und des Abbruchs würdig 238 ." Damit gesteht der Chef nicht nur sein Unvermögen einer Änderung Shakespeares ein, sondern schließlich auch sein Abrücken von einer eingangs durch Litthenner explizierten Vorstellung 231 232 233

834

233 236 237 238

Ibid. S. 384. Vgl. M. Wekwerth, Notare S. 107. Grass benutzte Shakespeares dramatische Werke, Übersetzt von A. W. v. Schlegel und L. Tieck, hg. u. revidiert von H. Matter, Bd. 3, Basel 1943 (Persönliche Mitteilung G. Grass' an mich vom 1 7 . 2 . 1 9 7 0 ) ; doch auch die Benutzung dieser Ausgabe erklärt nicht einige geringfügige Änderungen in den Tieck-Zitaten. Vgl. z. B. Grass, Die Plebejer 3.2, S. 65, und Brecht, Coriolan 1.1, S. 230 u. S. 240: Das Motiv vom Auswandern der Plebejer fehlt bei Shakespeare; vgl. audi Grass 3.3, S. 72: „Es war einmal, da . . B r e d i t 1.1, S. 234: „Es war einmal, da . . Tieck 1.1, Stuttgart 1968, S. 7 f.: „Einstmals geschah's, d a ß . . . " , Tieck 1.1, MatterAusgabe S. 208: „Einstmals geschahs, d a ß . . . " ; derselbe Anfang der MeneniusFabel beginnt dagegen das erstemal bei Grass, Die Plebejer 1.2, S. 14, in freier Übersetzung: „Da war's einmal, daß . . B. Brecht, Stücke Bd. 11, S. 395. Grass, Die Plebejer 1.1, S. 11. Ibid. 4.4, S. 94. Ibid. 4.4, S. 94.

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von der Ersetzbarkeit Coriolans. Er nähert sich wieder einer traditionellen Shakespeare-Auslegung, wie sie Podulla entwickelte, als er von Coriolan sprach als dem „Berg, Koloß, nicht abzutragen" und dem Giganten, „schicksalsgetrieben und umgeben von Plebs"239. Indem der Chef jetzt aber auf die vergleichbare Kolossalität Coriolans und seiner eigenen Person hinweist, betont er selber noch einmal die durchaus vorhandene Ähnlichkeit der dramatischen Konzeption beider Figuren. Wie bei Shakespeare die Bürger noch vor Coriolans erstem Auftritt schon von seinem stolzen Hochmut sprechen240, so zieht Podulla in ganz ähnlicher Weise schon gleich zu Anfang im Gespräch der Regieassistenten den Vergleich zwischen dem Chef und dem zu inszenierenden Shakespeare-Helden: „Auch er kleidet sich anspruchslos und wechselt nur notfalls das Hemd 241 ." Das Tertium Comparationis jedoch, der „himmelstürmende Hochmut", wird sofort wieder von Podulla für die Person des Chefs verneint: „Selbstverständlich bin ich nicht der Meinung242." Der Vergleich ist damit ausgesprochen und zugleich wieder zurückgenommen worden. In ähnlicher Weise zieht sich diese Möglichkeit einer Identifikation oder Opposition durch das ganze Stück. Bis zum Schluß ist sich der Chef der Parallelität seiner eigenen Situation mit der Coriolans bewußt; bis zum Schluß distanziert er sich in letzter Konsequenz aber auch immer wieder von der Shakespeare-Figur: „Zuerst sollte ich euch den Helden mimen; als es sich mir verbot, auf die Straße zu gehen, hielt man mich für eine treffliche Coriolan-Besetzung. Und wie jener den Aufidius, soll ich jetzt Kosanke umarmen. Man bietet mir Rollen an. Allzu leicht spielbare243 - . " Wie der Chef einmal in der Rolle des Coriolan steht und dessen Worte spricht, so steht er ihm, den die Schneiderpuppe vertritt, im nächsten Moment auch schon wieder gegenüber und kann ihn, sich selber kontrastierend, anreden: „Soll ich, wie jener auf dem Forum, betteln 244 ." In der räumlich-deiktischen Geste wird der Effekt der Opposition, die zugleich hypothetische Identifikation ist, visuell verstärkt. „Die Coriolan-Puppe steht auf der Bühne als das nicht abzutragende andere Ich des Chefs, [ . . . ] . Die Coriolan-Puppe ist nicht als Allegorie, also einsinnig zu verstehen, sondern sie ist in sich dialektisch, sie ist Signum für das ,Entweder' sowohl als für das ,Oder' der dialektischen Polarität 245 ." 239 240 241 242

243 244 245

Ibid. 1.1, S. 11. Shakespeare, Coriolanus 1.1.31-39. Grass, Die Plebejer 1.1, S. 12. Ibid. 1.1, S. 12; später ist Podulla dann dodh wieder dieser Meinung: „Hochmut bleibt sich treu" (1.8, S. 30). Ibid. 4.4, S. 94. Ibid. 2.3, S. 45. H. Ide, Die Geschichte und ihre Dramatiker, Coriolan als Thema für Shakespeare,

156

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

Als der Chef sich in seiner Entscheidungsnot in die Coriolan-Rolle rettet und bei Shakespeare ein Vorbild für richtiges Verhalten sucht, bemüht sich die Schauspielerin der Volumnia, auf den Chef eingehend, mit Versen ihrer Rolle, ihn zur Tat zu bewegen. Wie Coriolans Mutter die politische Laufbahn ihres Sohnes bestimmte, so setzte auch die Schauspielerin als „langgeschätzte Freundin" dem künstlerischen Wollen des Chefs erst das Ziel 246 , und in ähnlich tiefgreifender Parallelität mit Coriolan weist auch der Chef Züge einer seelischen Unterentwicklung auf 247 . Diese Stellprobe des Shakespeare-Werkes, die hier, um die Lösung für eine reale Schwierigkeit zu finden, durchgespielt wird, führt jedoch zum entgegengesetzten Ergebnis. Volumnia, die Shakespeares Coriolan in der entscheidenden Bittszene umzustimmen vermag, hat über den Chef keine Macht mehr: „Kein Mann auf Erden Verdankt der Mutter mehr; doch hier läßt er Mich schwatzen wie ein Weib am Pranger 248 ." Die Shakespearesche Wirkung dieser Worte bleibt aus. Nicht Mutter oder Freundin bewegen den Chef zur Einsicht, sondern zu spät erst wird er durch die Niederlage der Maurer vom Versagen seiner ShakespeareUmdeutung überzeugt. Sein künstlerisches Ziel, die Aktualisierung des Shakespeare-Werkes als Provokation zum Klassenkampf, ist durch die verpaßte Möglichkeit zur Unterstützung der Revolutionäre sinnlos geworden. Mit dem Scheitern des Aufstandes verliert der Chef jede Beziehung zu seiner Coriolan-Inszenierung: „Von nun an stehen wir uns im Wege. Wo eben noch fester Boden, grinsen sich schnell vermehrende Risse 249 ." Exkurs C.Hans Rothe und Hans Hollmann Auch im 20. Jahrhundert gehört ,Coriolanus' nicht zu den beim deutschsprachigen Publikum beliebtesten Shakespeare-Dramen. Die von

248

247 248

249

Bredit und Günter Grass, in: Beihefte zum Jahrbudi der Sdilesischen FriedridiWilhelms-Universität zu Breslau 7, 1967, S. 1 2 1 - 1 4 3 ; S. 136. Grass, Die Plebejer 1.5, S. 2 0 ; 2.4, S. 4 8 : „So fand idi didi [ . . . ] im Unglück paddelnd ohne Ziel"; 2.3, S. 46: „Vor Jahren besaß ich sein Ohr. Heut darfst du ihn bemuttern." Ibid. 2.3, S. 46: „Kindisch genug beträgt er sich." Ibid. 1.8, S. 31 entspricht Shakespeare, Coriolanus 5.3.158-160, Tieck, Stuttgart 1968, S. 103. Grass, Die Plebejer 4.4, S. 94. H . Ide, op. cit. S. 143 sieht die Resignation des Chefs positiver und weniger tragisch als vorübergehendes Zurückgeworfensein.

Exkurs C

157

B. Kytzler festgestellte Coriolan-Renaissance für die Jahre 1911-1920 beruht auf der Fehlinterpretation einer statistischen Tabelle250. Eine gewisse eingeschränkte Popularität erlangt dieses Drama erst in der Bearbeitung H . Rothes von 1932251. In dieser Fassung wird Shakespeares Werk auch zum erstenmal im Rundfunk gesendet252. Obwohl Rothes Bearbeitungen nur wenige Jahre später verboten werden und er selber ins Exil gehen muß253, fällt seine Coriolan-Bearbeitung in eine Zeit, in der dieser Stoff eine ideologische Aufwertung erfährt. Gleich durch drei Schulbuchverlage wird ,Coriolanus c für die Jugend aufbereitet. In den einleitenden interpretatorischen Verständnishilfen wird die Tendenz der Zeit sehr deutlich: „Unsere Jugend braucht Beispiele der Tapferkeit und des Heldenmutes, für große Männer will sie sich begeistern. Sie muß sich klar sein über das Problem Volk und Führer 254 ." Deutlicher noch bringt H . Hüsges diese Bedeutung des ,Coriolanus' für das ,neue' Deutschland zum Ausdruck. Er stellt den didaktischen Wert dieses Werkes für die Gegenwart heraus und weist auf seine Verwendbarkeit für die Bildungsziele der höheren Schule hin: „Die Bedeutung dieses letzten und reifsten Werkes Shakespeares im neuen Deutschland liegt in dem heldischen Zuge, der ihm innewohnt. Der Dichter behandelt das Problem von Volk und Führer; er zeichnet die wahre Führernatur im Gegensatz zur urteilslosen Menge; er zeigt ein falsch geleitetes Volk, eine falsche Demokratie, deren Träger den Wünschen des Volkes um egoistischer Ziele willen nachgeben. Über diese Schwächlinge ragt hoch empor die Gestalt des wahrhaften Helden und Führers Coriolanus, der das mißleitete Volk zur Gesundung führen möchte wie Adolf Hitler in unseren Tagen unser geliebtes deutsches Vaterland 255 ." 250

B. Kytzler, op. cit. S. 157. Vgl. dazu die Tabelle im Shakespeare-Jahrbuch 57, 1921, S. 163, w o .Coriolanus' mit 103 Aufführungen an 18. von 34 Stellen erscheint. Mehr als die Hälfte dieser 103 Aufführungen fallen jedoch in das Jahr 1919, weil in diesem Jahr .Coriolanus' die Rekordzahl von 47 Aufführungen allein in Berlin erreichte. Erst die nächsten beiden Jahrzehnte, 1921-30 u. 1931-40, zeigen ein deutliches und auch gleichmäßiges Ansteigen der Coriolan-Aufführungen auf jeweils 108, was jedoch die Relation der Aufführungshäufigkeit zu den anderen Shakespeare-Stücken nur geringfügig beeinflußt.

251

Shakespeare, Coriolanus, übers, v. H . Rothe, Leipzig 1932, aufgef. zuerst am 3. 3.1933 in Dessau. 252 Vgl. Shakespeare-Jahrbuch 69,1933, S. 224. 253 1934 geht Rothe ins Exil, 1936 werden seine Bearbeitungen verboten. 254

255

Einleitung zu: Shakespeare, Coriolanus [gekürzt], hg. v. M. Liening, PaderbornWürzburg 1934. Shakespeare, Coriolanus, hg. u. bearbeitet v. H . Hüsges, Braunsdiweig-BerlinHamburg o. J. [1934], Westermann-Texte, Engl. Reihe Nr. 89. Der dritte Schultext war mir nicht zugänglich: Shakespeare, Coriolanus, For the use of schools Condensed by A. Mohrbutter, Kiel 1935, Lipsius 8c Tischer, Franz. u. engl. Schullektüre, N . F. Kurze Lesestoffe Nr. 83.

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IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

Doch auch der Heroenkult nationalsozialistischer Prägung kann dem Coriolan-Drama keinen nachhaltigen Erfolg sichern. Letztlich widersetzt sidi Shakespeares Vielschichtigkeit auch in dieser Tragödie einer linearen propagandistischen Ausdeutung. Außer dem nachdrücklichen Eingang des ,Coriolanus' in den Lektürekanon der höheren Schulen läßt sich keine überdurchschnittliche Beliebtheit des Werkes in dieser Zeit feststellen, wenn man seine Aufführungszahlen mit denen anderer ShakespeareStücke vergleicht. Doch auch von pädagogischer Seite bleibt der erzieherische Wert der Coriolan-Figur, für die sich in Shakespeares Drama nur schwer Sympathie und spontane Begeisterung erwecken lassen, nicht unangezweifelt: „Die Gestalt des Coriolan, so lehrreich und lebendig er ist, ist doch unserer Gegenwart schon so weit abgerückt in seiner Problemlage, daß er mit Recht von der Jugend spontan abgelehnt wird [ . . . ] . Der edite Führer muß ein Held sein. Coriolan, der ein heldischer Kämpfer ist, muß einen Weg der Läuterung durchmachen, um reif zu werden für echtes Führertum 256 ." Auch in einem ,sozialaristokratischen' Sinne interpretiert 257 bleibt Coriolan als Vorbild für die Jugend doch ein unerfülltes pädagogisches Postulat, dem im Vorwort der Sdiullektüren eher eine apologetische Funktion für die Herausgabe des Textes zukommt. Größere Beachtung findet die latente Interpretationsmöglichkeit des Coriolan-Dramas auf eine gestörte Volk-Führer-Relation in Frankreich. An der Piachaud-Aufführung von 1934 entzündet sich eine heftige Faschismus-Diskussion, die zu Unruhen im Theater führt: „Lauter Lärm unterbrach das Spiel, in jubelnden Beifall mischten sich Pfeifen und Zischen: Kundgebungen für und gegen die Demokratie 258 ." Das Stück wurde schließlich als staatsgefährlich erklärt und für ganz Frankreich vorübergehend verboten. Diese Umstände der Rezeptionsgeschichte führen nach 1945 dazu, daß ,Coriolanus' zunächst mit Argwohn und Mißtrauen betrachtet wird. Nachdem schon H . Matter in seiner Shakespeare-Ausgabe den Umstand der seltenen Aufführung dieses Werkes auf seinen antidemokratischen Charakter zurückgeführt hatte 259 , wird es für den amerikanischen Sektor 256

R. Woesler, Der Mensch und seine Größe, in: Die Neueren Sprachen 48, 1940, S. 165-181; S. 176 f. S57 Ygi_ p_ Borgwardt, Shakespeare und seine Behandlung im heutigen Klassenunterricht, in: Die Neueren Sprachen 44, 1936, S. 197-212; S. 199 f. Vgl. auch H. Pongs, Shakespeare und das politische Drama, in: Dichtung und Volkstum 37, 1936, S. 257-281; bes. S. 279. 858 W. Deetjen, Die 70. Hauptversammlung der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, in: Shakespeare-Jahrbuch 70, 1934, S. 1-8; S. 3. 158 Bd. 3, Basel 1943, op. cit. S. VII; vgl. audi G. Grass, Vor- und Nachgeschichte der Tragödie des Coriolanus S. 102.

Exkurs C

159

im Nachkriegsdeutschland auf die Liste der verbotenen Stücke gesetzt290. Gleichzeitig mit den beiden anderen Römertragödien wird ,Coriolanus c erst sieben Jahre nach Kriegsende wieder aufgeführt, eine Aufführungspause, die für Shakespeares Tragödien nur noch von der für ,Timon von Athen' übertroffen wird 291 . C. 1 Aufführungen und Übersetzungen im 20. Jahrhundert Trotz seiner generellen Unpopularität ist ,Coriolanus' von einzelnen Regisseuren wie E. Engel 292 und M. Martersteig 293 bevorzugt inszeniert worden und erhielt durch Schauspieler wie A. Matkowski 294 , F. Kortner, E. Baiser oder W. Busch265 als überzeugende Interpreten der Titelrolle eine bedeutende Stellung in der deutschen Theatergeschichte. Während A. Bassermann das Coriolan-Drama noch ganz im effektvollen, bühnenwirksamen und historisierenden Illusionsstil der Meininger aufführt 269 , inszeniert es E. Kilian für die Eröffnungsvorstellung der neuen Münchner Shakespeare-Bühne, einer stilisierten Idealbühne, die in der „ununterbrochenen Abwicklung des dramatischen Kunstwerks, ohne jede störende Pause und ohne Anwendung eines Zwischenvorhangs", die realistische Illusion durch bloße Andeutungen einer Dekoration ersetzt 297 . Auf schmaler, reliefartiger Bühne entsteht eine Aufführung, die in der Betonung des gestisch-mimischen Elements für viele Szenen mit einer wirksamen Verteilung von Licht und Schatten auskommt 298 . Eine Weiterführung dieser Inszenierungskonzeption stellt 1922 die von A. Wildgans angeregte expressionistische Coriolan-Inszenierung des Wiener Burgtheaters dar 269 . Ungewohnte und kühne Beleuditungseffekte, überdimensionale Schattenrisse, Andeutungen, Vereinfachungen und 260 261

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268 267

288 289

Vgl. E . L . Stahl, op. cit. S. 732. .Coriolanus* wird 1952 in der Neufassung H . Rothes in Schleswig aufgeführt; vgl. W . Stroedel, Theaterschau, in: Shakespeare-Jahrbudi 89, 1953, S. 1 7 3 - 1 7 7 ; S. 173. Berlin 1925 als Gastspiel des Deutschen Theaters am Lessing-Theater u. 1928 am Deutschen Theater mit F. Kortner in der Hauptrolle; 1 9 3 6 / 3 7 am Deutschen Theater mit E . Baiser in der Hauptrolle: vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 591 u. S. 539. Vgl. ibid. S. 556. Vgl. J . Bab, Kränze dem Mimen, Emsdetten/Westf. 1954, S. 281 f., u. E . L. Stahl, op. cit. S. 523. Vgl. E . L. Stahl, op. cit. S. 6 6 2 : Bodium 1 9 3 7 ; für diese Inszenierung wählte S. Schmitt eine Ubersetzung u. Bearbeitung von Kroepelin: vgl. K . Stricker, Deutsche Shakespeare-Übersetzungen im letzten Jahrhundert, in: Shakespeare-Jahrbudi 9 2 , 1 9 5 6 , S. 4 5 - 8 9 ; S. 81. Vgl. E . L. Stahl, op. cit. S. 473. E . Kilian, Aus der Praxis der modernen Dramaturgie, München-Leipzig S. 76. Vgl. ibid. S. 7 8 ; Eröffnungsvorstellung am 22. 3 . 1 9 0 9 . In der Regie von A. Heine mit R. Aslan in der Hauptrolle.

1914,

160

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

leuchtende Symbolfarben sind charakteristisch für diesen Aufführungsstil, der den Wortlaut Shakespeares „samt seiner indirekten szenischen Bemerkung und seiner gesprochenen Kulisse'" herausarbeiten will 270 . All diesen Aufführungen liegt in den meisten Fällen die Tieck-Ubersetzung zugrunde. Obwohl heute die Forderung nach Anerkennung und Durchsetzung moderner und bühnengerechter Shakespeare-Übertragungen immer dringlicher wird 271 , bleibt Schlegel-Tieck doch in mehr oder weniger modifizierter Form die vorrangige Textgrundlage der meisten Shakespeare-Aufführungen 272 und also auch der Coriolan-Inszenierungen. Zwar gehört ,Coriolanus c zu den acht von F. Gundolf schon zu Beginn des Jahrhunderts neu übersetzten Shakespeare-Dramen 273 , doch die angestrebte „altertümliche Strenge, die heroische Herbheit des Coriolan" 2 7 4 lassen dennoch den Text wegen seiner „stilistischen Eigenwilligkeiten, sprachlichen und rhythmischen Freiheiten und Künsteleien" 275 für eine Aufführung denkbar ungeeignet erscheinen. In einer anspruchsvollen Ubersetzung 276 möchte Gundolf „die gespannte Kraft, die straffe Wölbung, die Seelenglut der Renaissance" zum Ausdruck bringen und dennoch auf der Basis „unserer heutigen Textkenntnis und unseres strafferen Sprachgefühls" zugleich auch einen Klassikertext anstreben, der in seiner idealen, gerundeten Gestalt zeitlos sein sollte 277 . So ist die einzige wirkliche Konkurrenz D. Tiecks auf den deutschen Bühnen die Coriolan-Ubertragung H . Rothes. Weniger Aufmerksamkeit bei den Regisseuren findet die Übersetzung R . Flatters 278 , der die Theater270 271

272

273

274 275 276

277 278

H . Kindermann, Shakespeare und das Burgtheater, op. cit. S. 24 f. Vgl. K. Brinkmann, Bühnenberidit 1967, in: Shakespeare-Jahrbuch West 1968, S. 2 0 7 - 2 1 6 ; S. 210 f., u. K. Brinkmann, Bühnenbericht 1968, in: Shakespeare- Jahrbuch West 1969, S. 2 4 5 - 2 5 7 ; S. 2 5 0 : „Bei einer Untersuchung der aufgeführten Obersetzungen erkennt man deutlich das stetig wachsende Unbehagen an SchlegelTieck." Vgl. ibid. S. 250: Die Hälfte aller Shakespeare-Inszenierungen basiert 1968 noch auf Sdilegel-Tiedt, 10 °/o auf H . Rothe und jeweils nur ein geringer Bruchteil der Inszenierungen auf E. Fried, R. Schaller oder R. Flatter. Coriolanus neu übersetzt, in: Shakespeare in deutscher Sprache, Neue Ausgabe in 6 Bdn., hg. v. F. Gundolf, Bd. 1, Berlin 1920, S. 9 - 1 0 3 . F. Gundolf, Vorwort, ibid. S. 5 - 7 ; S. 6. K. Stricker, Deutsche Shakespeare-Übersetzungen S. 66. F. Gundolf, Vorwort, op. cit. S. 7 : „Eine dichterische Shakespeareübertragung soll in die ganze deutsche Spradifülle greifen, die den dürftigen Wortschatz des Alltagslesers naturgemäß weit übersteigt. Ebensowenig läßt sie sich beschränken von den Lesegewohnheiten der Durchschnittsbildung und von der Zungenübung der versentwohnten Schauspieler. Unser Maß ist das Fassungsvermögen einer vorhandenen Geistergemeinschaft." Ibid. S. 6 u. S. 5. Durch freundliches Entgegenkommen des Theaterverlages Kurt Desdi, München, wurde mir die nur als Ms. vervielfältigte Coriolan-Übersetzung R . Flatters zugänglich.

Exkurs C

161

kritik 1957/58 in Essen eine allgemeine Zustimmung wegen der „zahlreichen, zu modernen Ausdrücke" versagte279. Im Shakespeare-Jahr 1964 ergibt sich daher für die Textgrundlage der drei Coriolan-Aufführungen im deutschen Sprachraum eine für die Gegenwart charakteristische Konstellation von D. Tieck, H . Rothe und B. Brecht280. C. 2 Die Verflachung und Banalisierung Shakespeares Während Tieck und Gundolf vor allem einen literarischen CoriolanText anstrebten, geht es Rothe und Flatter in erster Linie um eine leicht spielbare Bühnenversion des ,Coriolanus c , die oft die Genauigkeit einer wörtlichen Wiedergabe der englischen Wendungen, der zahlreichen Bilder und Wortspiele Shakespeares zugunsten einer leichteren Sprechbarkeit für die Schauspieler und einer leichteren Verständlichkeit für das Publikum zurückstellt281. Flatter versucht dabei jedoch, die Pausen und Zäsuren der First Folio als „Vortragszeichen und Spielanweisungen" Shakespeares beizubehalten und bemüht sich, die metrischen Unregelmäßigkeiten, die Tieck weitgehend glättete, als Shakespeares Rhythmus auch im Deutschen wiederzugeben282. Rothe dagegen geht von einer sehr viel vordergründigeren Auffassung von der dramatischen Effektivität der Sprache und der Handlung aus. Jeder Ubersetzung liegt notwendig auch immer schon eine Interpretation des zu übersetzenden Shakespeare-Dramas zugrunde 283 . Doch während Flatters Vorgehen, die Rückkehr zur rauheren, sprachlich natürlicheren Version der First Folio und ihrer dramatischen, der Deklamation dienenden Interpunktion durchaus anerkannt wird 284 , ist Rothes stete 279

Vgl. K. Brinkmann, Theaterbericht 1957/58, in: Shakespeare-Jahrbuch 94, 1958, S. 233-248; S. 240. 280 Ygl K. Brinkmann, Bühnenbericht 1964, in: Shakespeare-Jahrbuch West 1965, S. 327 ff.; S. 337; K. Stricker, Deutsche Shakespeare-Übersetzungen S. 70 spricht auch von einer vollständigen Shakespeare-Obersetzung durch Th. v. Zeynek, die mir jedoch nicht zugänglich war; bei R. A. Schröder fehlt eine Coriolan-Übersetzung, ebenfalls fand ich keine bei W. Josten, H . Schwarz oder R. Schaller. 281 Ygi_ 2 U diesem Problem bei Flatters Macbeth-Übersetzung H. Lüdeke, Gundolf, Flatter und Shakespeares ,Macbeth', in: Shakespeare-Jahrbuch 92, 1956, S. 110-127; S. 118. 282 Shakespeare neu übersetzt von R. Flatter, Wien 1952, S. 25; vgl. auch R. Flatter, Auf den Spuren von Shakespeares Wortregie, in: Shakespeare-Jahrbudi 84/86, 1950, S. 93-96; S. 95: „Bei ihm [Shakespeare] sind Sprache und Rhythmus immer die seiner Gestalten - und selbst die wediseln ihren Rhythmus je nach der seelischen Situation, in der sie sich befinden." 283 Vgl. J. Cermâk, La traduction du point de vue de l'interprétation, in: The Nature of Translation, hg. v. J. S. Holmes, Paris 1970, S. 23-42; S. 33: „L'interprétation du traducteur tend à ouvrir l'œuvre afin de la réaliser littérairement dans un système de coordonnés d'une langue, d'une individualité littéraire et de traditions littéraires différentes." 284 Ygl, M. Isler, Vor allem: Der Schauspieler, Zu R. Flatters Shakespeare-Überset11 Bronkhorst, Coriolanus

162

IV. Das Experiment

mit

,Coriolanus'

Berufung auf die Shakespeare-Forschung, die ihm angeblich die Kriterien für das Vorgehen seiner Übertragungen geliefert habe, als der unhaltbare Versuch einer wissenschaftlichen Fundierung seines Unternehmens scharf verurteilt worden: „Rothes häufige Hinweise auf wissenschaftliche Feststellungen sind nichts weiter als eine Farce285." Wenn es Rothe bei seinen Shakespeare-Übertragungen zugleich durch Emendationen und Umstellungen des Textes darum geht, daß er „die Flüchtigkeiten und Fehler wieder gutmacht, die von den alten Redaktoren begangen worden sind"286, so sind die angeführten Methoden zur Differenzierung zwischen echtem und unechtem Shakespeare-Text, wie sie Rothes hauptsächliche Gewährsleute, E. Sievers und J. M. Robertson, entwickelt haben, heute überholt und widerlegt287. Nach Sievers sind am ,Coriolanus c zwei Autoren beteiligt, doch 95 % des Textes stammen von Shakespeare; nach Robertson war Chapman beteiligt, und es finden sich „non-Shakespearean passages"288. Doch die von Rothe tatsächlich am Coriolan-Text vorgenommenen Änderungen gehen weit über die Anregungen der genannten Forscher hinaus. Obwohl Sievers z. B. das Gespräch zwischen dem Römer und dem Volsker289 für edit erklärt, gibt er doch keinen Anlaß für die Annahme Rothes, daß der Römer Nicanor der verkleidete Coriolan sei, der von seinem Gesprächspartner irrtümlich für Nicanor gehalten wird 290 . Durch Umstellung und Zusammenziehung einzelner Szenen sowie durch die sprachlich willkürliche Wiedergabe des englischen Textes geht Rothe entschieden über das für eine Ubersetzung im Dienste Shakespeares zulässige und notwendige Maß an Freiheit hinaus. Doch außer dem im Grunde unrealisierbaren Postulat einer ursprünglicheren Shakespearesdien Text- und Dramengestalt fehlt ihm ein verbindliches Konzept für die intendierte Umfunktionierung oder für die explizite Tendenz einer Bearbeitung. Die Technik der Umsetzung erinnert in manchen Zügen an die der Shakespeare-Korrektoren des 18. Jahrhunderts. Trotz dieser anazungen, in: Der deutsche Shakespeare, hg. v. R. Grimm u.a., Basel-HamburgWien 1965, S. 103-108; S. 107: „Gerade diese Unterscheidung zu Schlegel, dieses konsequente Festhalten an ,Fehlern', an Verslücken oder sonstigen Regelwidrigkeiten, machen den besonderen Reiz und auch den Wert der Flatterschen Übersetzungen aus." 285 K. Wittlinger, Hans Rothe und die Shakespeare-Forschung, in: Shakespeare-Jahrbudi 87/88, 1952, S. 158-173; S. 159. 288 Rothe-Zitat nach ibid. S. 172. 287 Vgl, w . Clemen, Rezension zu H. Rothe, Shakespeare als Provokation, in: Shakespeare* Jahrbuch 98,1962, S. 308-312; S. 310. 288 Ygi d i e s e Angaben bei K. Wittlinger, op. cit. S. 168, u. K. Wittlinger, Hans Rothes neuer Shakespeare, Diss. phil. Freiburg 1950, S. 160. 289 Shakespeare, Coriolanus 4.3 entspricht Rothe, Coriolan 14, S. 360. 290 Vgl j j Rothe, Shakespeare als Provokation, München 1961, S. 333.

Exkurs C

163

chronistischen Situation 291 wird Rothe jedoch in seiner philologischen Unbekümmertheit gegenüber dem Original vom Publikum bestätigt, und vielen Bühnenleitern ist die Unkompliziertheit seiner Texte willkommen292. Obwohl Rothe in seinem ,Elisabethanischen Shakespeare' deutlich zwischen Ubersetzungen und Neufassungen scheidet und seinen ,Coriolan c entschieden zu den Ubersetzungen zählt, liegt hier doch eher eine freie Bearbeitung als eine genaue Ubersetzung vor. Nach Meinung Rothes beabsichtigten die Herausgeber der First Folio, gegen die sich seine ständige Polemik wendet293, Shakespeares „Coriolanus' zum Lesedrama zu zerdehnen, „indem sie Schlachten ausbauten und Erläuterung und Klärung geben wollten" 294 . So haben sie das Werk zum drittlängsten Stück der ganzen Folio aufschwellen lassen, das jetzt die theatermäßige Übersetzung wieder „vom nachträglichen Beiwerk" befreien muß295, damit sich eine straffe und leichter spielbare Version ergibt. In den beiden ersten Szenen des vierten Aktes sieht Rothe daher eine Einfügung der Redaktoren, eine spätere Vervollständigung und Ausschmückung Shakespeares, die wieder rückgängig gemacht werden muß: „In den beiden Szenen wird das Ereignis der Verbannung Coriolans zerredet und zerdacht, werden verwendete Argumente von neuem gebraucht, so daß das Jähe und Schicksalhafte des Vorgangs in den Bereich der Reflexion gerät296." Indem Rothe die beiden nächsten Szenen zu Parallelszenen deklariert und sie zu einer einzigen zusammenfaßt, bleibt schließlich von den ersten vier Szenen des vierten Aktes nur noch eine erhalten. Dieses Verfahren der Raffung wird für Rothe paradigmatisch 297 . Durch zwei weitere Kürzungen, die ähnlich erklärt und begründet werden, bleiben am Ende von Shakespeares 29 Szenen in fünf Akten nur noch 22 oft 291

R. Stamm, Der elisabethanische Shakespeare? in: Der deutsche Shakespeare, hg. v. R. Grimm u. a., S. 128-140, versucht S. 132 die theatergeschichtliche Voraussetzung für Rothes Werk zu zeigen: „Die Theater der früheren Zwischenkriegszeit erhielten ihren Glanz viel weniger durch den treuen Dienst an den großen Kunstwerken, die zugleich dichterisch und theatralisch sind, als durch die Ausstrahlung kraftvoller Sdiauspieler und Regisseure, welche die Dramen nur als Rohstoff für ihr eigenes Schaffen auffaßten. Diese .entfesselten' Theater riefen nach einem .entfesselten' Ubersetzer, und Hans Rothe wurde ihr Mann." 282 Vgl. H. Gnekow, Dichtung? - Nein: Theater! in: Der deutsche Shakespeare, hg. v. R. Grimm u. a., S. 151-155. 2»3 Ygi hierzu W. Clemen, Rezension S. 309: „Rothes Abwertung der First Folio, die [ . . . ] einen Grundpfeiler für seine Thesen bildet, entspricht also nicht dem heutigen Stand der angelsächsischen Forschung, sondern längst widerlegten Irrtümern." 294 Rothe, Shakespeare als Provokation S. 332. 295 Ibid. S. 332. 286 Ibid. S. 332. 297 Ibid. S. 333. 11*

164

IV. Das Experiment mit

,Coriolanus'

locker gereihte Einzelszenen übrig298: „Alles, was schleppt, jede Wiederholung, alles, was den Zuschauer veranlassen könnte, abzuschweifen und der Sünde des Nachdenkens anheimzufallen, gehört nicht in dieses Stück299." Wie die neue Szenenstruktur die Handlung nicht wirklich umordnend verändert, sondern komprimierend und simplifizierend kürzt, so ersetzt die Sprache auch Shakespeares unterschiedliche Stilebenen durch eine einheitlich lockere und wenig differenzierte Diktion, die mit umgangssprachlichen Elementen durchsetzt ist. Um des Theatereffekts willen verzichtet Rothe auf die dichterische Eigenart Shakespeares und seine Poesie der Sprache in Bild, Klang, Rhythmus und Reim. Statt dessen ersetzt er die an künstlerischen Mitteln reiche Diktion Shakespeares durch den Konversationston moderner Durchschnittsmenschen. ,Proud' wird mit ,aufgebläht' übersetzt, und aus ,he's vengeance proud, and loves not the common people' wird: ,Ist ein tüchtiger Mann, aber hochmütig, daß es kracht, und uns kleinen Leuten ist er nicht grün' 300 . Aus ,Make way' wird ,laß dir nicht auf die Zehen treten', aus ,the weaker sort' wird ,die Schlotterknochen' und aus ,Fll say an errand for you' wird J e t z t setze ich euch in die Tinte' 301 . Aus ,Hail, lords' wird schließlich in unfreiwilliger Komik ,Da bin ich wieder!'302 Wird die Sprachkomik solcherart vergröbert, so finden sich aber auch neue gefühlsmäßig-ethische Obertöne, die durch zusätzliche, schmückende und wertende Epitheta erreicht werden: Aus ,a worthy man!' oder aus ,He's right noble' wird ,Ein wahrhaft großer Mann!' und ,ein wundervoller Mensch'303. Aus ,his deeds' wird ,seine vaterländischen Taten', aus ,your voices' wird ,eure süßen Stimmen' und aus ,you worthy tribunes' wird umdeutend ,ihr vernünftigen Tribunen' 304 . Indem der weltanschauliche Hintergrund auf wenige allgemeine Grundbegriffe reduziert wird 305 , entsteht aus der Komplexität Shake288

299 300

301

302 303 304

305

Shakespeare, Coriolanus 1.6, 1.7, 4.1, 4.2 fehlen, 1.10 u. 1.8, 4.3 u. 4.4, 5.4 u. 5.5 sind jeweils gekürzt und zusammengefaßt zu Rothe, Coriolan 6, S. 313-314; 14, S. 360-362; 21, S. 389-391. Rothe, Shakespeare als Provokation S. 333 f. Shakespeare, Coriolanus 1.1.251 u. 2.2.5 entspricht Rothe, Coriolan 1, S. 303 u. 9, S. 326. Shakespeare, Coriolanus 2.2.33, 4.6.70 u. 5.2.59 entspricht Rothe, Coriolan 9, S. 326; 16, S. 371 u. 19, S. 381. Shakespeare, Coriolanus 5.6.71 entspricht Rothe, Coriolan 22, S. 394. Shakespeare, Coriolanus 2.2.120 u. 2.2.127 entspricht Rothe, Coriolan 9, S. 329. Shakespeare, Coriolanus 2.3.6; 2.3.170 u. 3.1.264 entspricht Rothe, Coriolan 10, S. 331; 10, S. 336 u. 11, S. 347. Solche unverbindlichen Grundbegriffe sind Welt (S. 348, 284, 386, 387), Kraft (S. 322, 329, 389, 388), aber auch Pflicht (S. 368), Ideal (S. 331) und Vaterland (S. 331), die bei Rothe eine ganz spezifische, un-Shakespearesche Bedeutung gewinnen.

Exkurs C

165

speares ein verständlicher, einfacher und bequemer Text, der in seiner eingängig-schlagkräftigen Art einer Publikumswirkung sicher sein kann, von dem ursprünglichen Charakter und der Eigenart eines ShakespeareDramas aber weit entfernt ist.

C. 3 Die Relativierung der Klassizität Die Tendenz zur freieren Bearbeitung Shakespeares auf der Bühne ist in den letzten Jahren sehr deutlich geworden. Shakespeare ist in das Experimentierfeld des modernen Theaters geraten. Die Einsicht in die überdauernde Aktualität der Shakespeare-Stücke hat in der Gegenwart zum Versuch der Überwindung ihrer Klassizität geführt in einer absichtlich übersteigerten und provokativen Modernisierung. Die andauernde Gültigkeit Shakespearescher Themen und Probleme wird offensichtlich durch ihre direktere Inbezugsetzung zu Tagesereignissen, aber auch zu allgemeineren politischen Mechanismen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Gegenwart. Im Bewußtsein der Unzerstörbarkeit Shakespeares zerlegt man seine Werke unbedenklich, um sie in neuer Gestalt dem eigenen Ausdruckswillen anzupassen und ihre Aktualität von der kaschierenden Patina einer vorangegangenen Epoche zu befreien. Für diese gegenwärtige Tendenz beispielhafter als G. Klingenbergs Düsseldorfer Inszenierung, der eine eigene neuangefertigte Textfassung zugrundeliegt308, ist die radikalere Umformung und Neufassung des Shakespeareschen Coriolan-Textes durch H. Hollmann 307 : „Hollmann wollte ein Stück gegen den Krieg schreiben, aber auch tagesaktuelle gesellschaftliche Probleme behandeln. Dazu mußte Shakespeares Stück samt dem Charakter des Coriolan umfunktioniert werden 308 ." So entstand für das zunächst sehr skeptische Urteil der Theaterkritiker „ein Knäuel, in dem sich erhaltene Originalstellen, sehr freier Verschnitt und nagelneu Dazuerfundenes ineinander verschlingen"309. Mit wachsendem zeitlichen Abstand wird die Kritik an Hollmanns exemplarisch die Möglichkeiten moderner Shakespeare-Adaptoren aufweisenden Coriolan-Bearbeitung positiver: „Die Verfremdung war total. Trotz der Erhaltung eines Teiles

306

Im Schauspielhaus am 21. 3 . 1 9 7 0 : vgl. K . Brinkmann, Bühnenbericht 1970, in: Shakespeare-Jahrbudi West 1971, S. 1 9 1 - 2 0 5 ; S. 194.

307

H . Hollmann, Coriolan, ein Heldenleben, frei nach Shakespeare, in: Blätter des Bayerischen Staatsschauspiels; Premiere am 1 6 . 7 . 1 9 7 0 im Münchner Residenztheater; der T e x t im Programmheft wurde mir durdi Herrn Professor Dr. W . Habidit zugänglich gemacht.

i08

K . Brinkmann, Bühnenberi&t 1970, S. 194.

309

R . Baumgart, Hollmanns illustrierte Weltgeschichte, in: Die Zeit, N r . 30 vom 24. 7. 1970, S. 16.

166

IV. Das Experiment mit ,Coriolantts'

des Shakespearesdien Textes wurde es ein neues klassenkämpferisches Stück, das vom Lehrstück nach Brechts Muster bis zur Parodie reichte310." Shakespeares Werke an einem anderen als dem angegebenen Schauplatz spielen zu lassen, ist eine oft geübte Bühnenpraxis. Für den meistens schon von Shakespeare selber mit phantastisch-zeitlosen Zügen ausgestatteten Schauplatz der Kommödien und Romanzen wird den Bühnenbildnern viel Freiheit zugestanden, doch auch Hamlet zeigte sich schon im Frack und vor moderner Kulisse311. Größere Schwierigkeiten ergeben sich bei den Historien und mehr noch bei den Römertragödien. Obwohl die Römer der elisabethanischen Bühne in Auftritt und Kleidung ein ganz spezifisches Verständnis der Antike bezeugten, griffen die Inszenierungen des 19. Jahrhunderts in ihrem Bestreben um Originaltreue eher auf die Erkenntnisse der Altertumsforschung zurüdk als auf die der Theatergeschichte312. Seit den expressionistischen Aufführungen läßt die Bühnenpraxis in Kostüm und Dekoration zumeist ein unentschiedenes Schwanken zwischen bewußt unauthentischem Pseudorömertum und modernistischer Zeitlosigkeit erkennen. Diese Problematik umgeht Hollmann, indem er Ort und Zeit der Handlung seines ,Coriolan' ans Ende des 19. Jahrhunderts verlegt. In „klassizistisch grauer Kuppelhalle, halb Pantheon, halb Börsensaal, bewegen sich bunt und gravitätisch Kostüme von etwa 1880" 3 1 3 . Zugleich hat diese Transponierung des Schauplatzes in eine imperialistische Epoche für die veränderte Shakespeare-Handlung eine zusätzlich dekuvrierende Funktion. Eine durch Kostüme und Szenenbild an das Ende des 19. Jahrhunderts gerückte dekadente aristokratische Gesellschaftsschicht tritt in Opposition zu einem Proletariat, das deutlich frühsozialistische Züge trägt. Die Schauspieler sprechen jedoch einen Text, der trotz seiner weitgehenden Neukonzeption in unrealistischer Weise die Wortkulisse Shakespares beibehält. Die ursprüngliche Beziehung des Werkes auf die historischen Zustände und Institutionen des frührepublikanischen Rom bleibt auch noch bei Hollmann gerüsthaft bestehen. Die elisabethanischen Römer schlüpfen nur zur Hälfte in die Kostüme der wilhelminischen Ära und machen dadurch doppelt deutlich, daß die Beziehungen von Herrschenden und Beherrschten, die Privilegien der Führungsschicht und die Ausbeutung der Unterschicht, zu allen Zeiten 310

K . Brinkmann, Bühnenbericht 1970, S. 194; vgl. audi J. Kaiser, Plädoyer für Hollmanns ,Coriolan*, in: Theater heute 11, 1970, H . 9, S. 2 2 - 2 5 ; S. 23, der die Inszenierung „zu den bedeutendsten Theaterarbeiten der letzten Zeit" zählt.

311

Vgl. E. L. Stahl, op. cit. S. 615.

312

Für die Geschichte der W . M. Merchant, op. cit. R . Baumgart, op. cit. S. 16.

313

Shakespearesdien

Römerkostüme

in

England

vgl.

Exkurs C

167

gleich -waren und ihre historischen Manifestationen daher beliebig austauschbar und vermischbar werden. Zugleich hat jene historisch noch nähere Epoche durch ihre unmittelbaren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Gegenwart wie auch durch ihre bessere Eignung zur politisch-ideologischen Ausdeutbarkeit ihrer Gesellschaftsstruktur für das heutige Publikum eine größere symptomatische Relevanz, die sich in der Unvereinbarkeit von Shakespeares römischer Gesellschaft mit der von Hollmann gewählten Kostümierung offenbart. Zwischen den römischen Namen und der wilhelminischen Ausstattung der Figuren und Schauplätze spannt sich eine Kluft von zwei Jahrtausenden, in der die Geschichtlichkeit der Problematik verschwindet und die Handlung überzeitlich wird. Wie vor ihm Falk, dann Rothe, vor allem aber die Brecht-Nachfolger Wekwerth und Tenschert hat auch Hollmann seine Coriolan-Bearbeitung aufgelöst in eine Reihe von Einzelszenen. Nicht mehr die organisch-entwicklungsmäßige Handlungsstruktur der traditionellen Fünf-Akt-Gliederung wird angestrebt, sondern eine lose und unverbindlichere additive Bildersequenz, die eine lineare Abfolge des Geschehens und eine größere Selbständigkeit der einzelnen ausschnitthaften Handlungseinheiten betonen soll. Eher auf Brecht als auf Falk weist auch die Idee zurück, dem Shakespeare-Finale vom Mord an der Hauptperson und dem reuevollen Triumph des volskischen Widersachers noch eine abschließende Szene folgen zu lassen. Bei Brecht zeigt sich hier der Triumph der Volkstribunen über die Vorherrschaft der Patrizier im Senat. Bei Hollmann spielt diese Szene gänzlich im plebejischen Milieu, doch sie zeigt ein emanzipiertes Volksbewußtsein, dem die Spielregeln demokratischer Meinungsbildung vertraut sind und das sich seiner gemeinsamen Verantwortung durch seine Fähigkeit zur Selbstkritik bewußt ist: („Rom. Bei den Plebejern.) Portius: - der größte Fehler, den die Tribunen begangen haben Valerius: - und den wir begangen haben! Lenaeus: Den wir alle begangen haben 314 ." Die dramatische Funktion dieser Schlußszene, in der die Meldung vom Meuchelmord an Coriolan zur völligen Bedeutungslosigkeit geschrumpft ist und die in strenger Antithese zum Beginn des Dramas steht, bedeutet gleichsam eine Potenzierung der Brechtschen Bearbeitungsabsichten vom 314

Hollmann, Coriolan, Bild 33.

IV. Das Experiment mit ,Coriolanus'

168

Klassenkampf und Sieg des Proletariats. In einem Vorspiel wird die hohle Überheblichkeit und der sterile Ästhetizismus einer dekadenten Führungsschicht gezeigt: „Die Helden, Generäle, Senatoren, Fürsten, Komtessen, Barone, Geschäftemacher, Gräfinnen, die Damen der Gesellschaft, die Prälaten, Literaten, die Herren, die was sind, und die schönen Kinder treffen einander. Sie essen, plaudern, trinken und schreiten315." Doch während das unverbindliche Geplauder des Vorspiels in seiner inhaltlichen Nichtigkeit nicht wert der Aufzeichnung durch den Dramatiker ist, handelt es sich bei der Plebejerversammlung der Schlußszene um konkrete Anträge, deren gesellschaftliche Relevanz wichtiger ist als ihre historische Zuordnung: Anträge auf das Stimmrecht der Frauen, den Bau von Schulen und die Kontrolle der Preise durch das Volk. Beide Szenen stellen nicht nur Anfangs- und Endpunkt eines Geschehens dar, sondern schildern darüber hinaus Zustände polaren Verhaltens der sozialen Klassen316. Auf diesem Hintergrund wird die Verhaltensweise des einzelnen relativiert. Das Scheitern des Helden wird unwichtig, denn auch seine Widersacher, die Volkstribunen, werden abgesetzt317. Der Untertitel der Bearbeitung - „Ein Heldenleben" - erhält einen ironischen Beiklang, der im Verlauf der dramatischen Handlung noch verstärkt wird durch den im Vergleich mit Shakespeare viel pointierter herausgearbeiteten klassenbewußten Adelsstolz Coriolans. Gegenüber dem Gleichgestellten zeigt Coriolan bei seinem ersten Auftreten die Vertraulichkeit und Kameraderie der Kurzform des Namens, gegenüber dem sozial inferioren Volk die rüde Schroffheit der Verachtung: „[zu Menenius] Dank, Meni, Dank. - [zum Volk] Was gibt's ihr Stinker 318 ?" Die Römertragödie Shakespeares bleibt als Grundlage für Hollmanns Bearbeitung erkennbar, doch das ein tragisches Geschehen - besonders in der Ästhetik des 19. Jahrhunderts - konstituierende Moment, das ,Heldenleben' des Protagonisten, wird nicht nur in Frage gestellt, sondern klar erkennbar als ethische Fiktion einer herrschenden Elite zur Stabilisierung ihrer Machtposition.,Heldenleben' wird zu einer Vokabel, addierbar den Leitbegriffen der drei von Hollmann neu eingefügten Chorgesänge319, deren Syntax keine rationale Analyse zuläßt, deren emotionaler Gehalt jedoch zusammen mit den verfremdeten Beethoven315

Ibid. Vorspiel.

318

Bei der Aufführung fand die Plebejer-Handlung auf der Vorbühne statt, die der

317

Hollmann, Coriolan, Bild 33.

.oberen Stände' auf erhöhtem Podest weiter hinten. 518

Ibid. Bild 1.

31 »

Im 6., 10. und 14. Bild.

ExkursC

169

und Wagner-Rhythmen 320 aufklärende Funktion erhält. Wie bei Wekwerth und Tenschert — weniger bei Brecht321 - wird Coriolan zum Antihelden, dem jedoch jetzt nicht einmal mehr sein blindes Spezialistentum zu Hilfe kommt für eine — wenn auch unangebrachte - Entschuldbarkeit seines Handelns.

320 321

Vgl. J . Kaiser, op. cit. S. 24. Brecht war am ,Helden' weitgehend uninteressiert, ihm ging es ums Volk; erst Wekwerth und Tenschert stellten in ihrer Fortführung der Brecht-Bearbeitung Coriolan wieder in den Vordergrund des Geschehens; vgl. M. Wekwerth, Notate S. 109: „Um einer Reduzierung des Helden als Individuum zu begegnen, bauten wir die von Brecht eleminierten Motive wieder ein."

SCHLUSSBEMERKUNG: EXPERIMENT U N D SPIEL

Uberblickt man die Shakespeare-Aufführungen der letzten Jahre, so läßt sich eine stete Unsicherheit bei der Wahl der zugrundeliegenden Ubersetzungen und Bearbeitungen feststellen 1 . Komplementär zu dieser Erscheinung wächst dagegen die ,Lust am Experiment' mit Shakespeare. Glaubt Rothe noch mit seinen Neufassungen in der „offenen Form des Komödiantendramas", die sich in unentschlossener Weise vom Original entfernen, dem .Geiste' Shakespeares zu dienen2, so läßt sich bei F. Dürrenmatt, B. Rademaker, P. Zadek und - in England - bei T. Stoppard ein viel radikaleres Vorgehen der Adaption beobaditen 8 . In bewußter und gewollter Form findet hier von der tendenzhaften Umdichtung bis zum nur noch gelegentlichen Rekurs eine gleichsam spielerische oder oft auch parodistische Handhabung Shakespearescher Texte statt. Auf diesem Hintergrund lassen sich Brechts und Grass' Behandlung des ,Coriolanus' paradigmatisch als oppositionelle Möglichkeiten solcher Experimente bei der Verwendung Shakespeares für eine moderne Dramatik verstehen. Brecht schreibt den ,Coriolanus' lediglich um. In einem Versuch der immanenten Ausdeutung und Veränderung des Werkes bleibt er doch der dramatischen Fabel Shakespeares verbunden. Handlungsaufteilung und Figurenkonstellation werden zwar modifiziert, aber nicht aufgehoben. ,Coriolanus' wird für die Brechtsche Poetik und Dramaturgie adaptiert und einer sozialkritisch aktuellen Weltanschauung angepaßt. Gegenüber einem solchen Verfahren stellen Grass' ,Plebejer' eine entgegengesetzte Form des Experiments dar, die den geschlossenen Dramen1

Vgl. K . Brinkmann, Bühnenbericht 1967, op. cit. S. 210: „Die Unsicherheit, die bei der Wahl der Übersetzung schon seit Jahren festzustellen war, nähert sich 1967 dem Zustand der Verwirrung."

s

Vgl. die Vorbemerkung in: Der elisabethanisdie Shakespeare Bd. 8, Baden-Baden u. Genf 1958, S. 5 f.

3

F. Dürrenmatt, König Johann, Nach Shakespeare, Zürich 1968; B. Rademaker, Timon, Eine Moritat nach Texten Shakespeares, Urauff. Eßlingen 1968; P. Zadek, ,Held Henry' u. ,Maß für Maß', Bremer Inszenierungen v. 1964 u. 1967; T. Stoppard, Rosencrantz and Guildenstern Are Dead, 1966, deutsch v. H . Lunin: Rosenkranz und Güldenstern, Schauspiel, Reinbek b. Hamburg 1967.

Seblußbemerkung:

Experiment

und Spiel

171

räum der Shakespeare-Tragödie bewußt überschreitet. Grass schreibt ein eigenes Drama, das einzelne Zitate, aber auch sprachliche oder dramaturgische Stilzüge Shakespeares aufgreift, um sie in freier Umdeutung dem neuen Werk einzuordnen. Im Rahmen einer autonomen Dramenhandlung wird die Brechtsche Umfunktionierung Shakespeares verurteilt, zugleich aber stellen auch Grass' .Plebejer' eine solche Umfunktionierung in neuer und anderer Form dar. Durch sein gegen Brecht gewandtes Verständnis des ,Coriolanus' als Charaktertragödie und durch die gleichzeitige Vorbildlichkeit Shakespeares für das eigene Drama setzt sich Grass dem Vorwurf einer anachronistischen Dramaturgie aus, die von der Autonomie des Individuums und seiner freien Willensentscheidung ausgeht 4 . Auf Grund der Parallelität der Figurenkonzeption bei Grass und Shakespeare ist an den ,Plebejern' getadelt worden, daß „das zwiespältige Portrait eines zwiespältigen Chefs" das eigentliche Thema des Stüdes, den Aufstand der Plebejer, in den Hintergrund dränge 5 . Doch wenn der ironische Held in seinem gebrochenen Realitätsverhältnis auch den moralisch zweideutigen Charakter der Shakespeareschen Titelfigur bewahrt, so fehlt ihm doch der Charakter des Heroischen. Grass' Drama ist keine Tragödie mehr „mit obligatem Trauermarsch anläßlich der Ermordung eines Giganten" 6 , sondern das tragische Scheitern der problematischen Hauptfigur löst sich auf in distanzierende Resignation. Eine solche Auflösung des tragischen Untergangs in ironische Distanz ist nur möglich in dem größeren Zusammenhang einer dramatischen Konzeption, die diese Distanz erst schafft durch Zusammenspiel und wechselseitige Aufhebung literarischer Verbindlichkeiten. Wie Shakespeares Heldengestalt oder der Antiheld des Berliner Ensembles in der ironisierten Darstellung eines intellektuellen Ästhetentums aufgehoben werden, so spiegelt sich dieser Austauschvorgang in Grass' Dramenkonzeption, die in diesem Zusammenspiel der literarischen Vorbilder sichtbar wird. In gleicher Weise wie Shakespeare und Brecht in der Selbstironie des Protagonisten relativiert werden, nivelliert sich auch ihre verpflichtende Bedeutung als dramatisches Vorbild. Obwohl Shakespeares ,Coriolanus' am Ende bestehen bleibt als ,Koloß', den man nicht ,abtragen' kann 7 , steht doch seine Unverbindlichkeit als dramatisches Vorbild außer Frage. Gerade indem jedoch die Unverbindlichkeit Shakespeares für die Grundlage des Dramas feststeht, kann eine neue Form seiner funktionalen Ver4

Vgl. R. Baumgart, op. cit. S. 152.

5

U. Jenny, op. cit. S. 135.

• G. Grass, Vor- und Nachgeschichte der Tragödie des Coriolanus S. 107. 7

G. Grass, Die Plebejer 4.4, S. 94.

172

Scblußbemerkung:

Experiment und Spiel

wendung gefunden werden. ,Coriolanus c , der keinem Zweck einer geschlossenen Dramenästhetik mehr untergeordnet ist, wird als Modell gleichsam spielerisch und frei eingesetzt, um seinerseits einen neuen dramenästhetischen Spielraum zu schaffen.

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REGISTER der im Text oder mehrfach in den Anmerkungen erwähnten Namen Abeille, G. 14, 175 Alafberg, F. 64 f., 178 Amyot, J. 9, 177 Aristoteles 15, 18, 33, 36, 51, 73, 145 f.

Döbler, H. 13, 176 Dürrenmatt, F. 170, 182 Dyk, J. G. 8, 21, 3 4 ^ 9 , 54 f., 63-66, 91, 173

Baiser, E. 110, 159 Baring, A. 139-141, 181 Bassermann, A. 159 Baumgart, R. 151, 165 f., 171, 181 Beethoven, L. y. 98, 168 Benjamin, W. 137, 145, 181 Biltz, K. 98, 103, 105 f., 174 Bitterling, R. 36, 47, 50 f., 54 f., 62, 66, 178 Bodmer, J. J. 18 f. Boileau, N. 14 f., 36, 175 Borde, C. W. v. 17, 26 Brecht, B. 21, 108-137, 138, 146, 149 f., 151, 153 f., 161, 166 f., 169-171, 173, 181 Brei tinger, J. J. 18 Brinkmann, K. 160 f., 165 f., 170, 181 Brockmann, J. F. H. 50, 60, 66 Busch, E. 110 Busch, W. 159

Eliot, T. S. 13, 38 f., 176 Engel, E. 109-113, 159 Eschenburg, J. J. 20, 24, 26, 30, 36, 38, 59 f., 72, 119, 125, 173

Calderón 5 Chapman, G. 162 Chevreau, U. 79, 175 Chodowiecki, D. 39, 46 f., 174 Cibber, C. 15, 176 Cicero 2, 15, 176 Clarke, K. H. 23 f., 178 Clemen, W. 21, 125-127, 162 f., 177, 181 f. Collin, H. J. v. 98, 106, 174 Dalberg, W. H. v. 8, 55, 62-67, 122, 178 Dennis, J. 14, 16 f., 175 Devrient, E. 97-107, 173, 179 Diderot, D. 47, 56, 67 Dionysius 2, 17, 34 f., 176 Dippold, H. K. 73

Falk, J. D. 21, 68-82, 97-99, 167, 173, 179 Flatter, R. 160-162, 174, 182 Forsyth, E. 5-7, 10, 12, 176 Freytag, G. 85, 95, 97, 179 Gareis, O. 7-9, 12, 36, 176 Garnier, R. 4, 8 Gemmingen, O. H. v. 67, 178 Genie, R. 49, 61, 66, 71, 83, 179 Gervinus, G. G. 88 f., 100, 180 Goethe, J. W. v. 23, 26, 35, 58, 68-70, 77-83, 88, 151, 178, 180 Gottschall, R. v. 83, 180 Gottsched, J. Ch. 17-19, 32, 176 Grab, V. L. 117, 123, 133, 182 Grass, G. 13, 138-156, 158, 170-172, 174, 182 Gr£vin, J. 8 Grimm, R. 108-110, 182 f. Gundolf, F. 92, 160 f., 174, 180 Gutzkow, K. 97-107, 151, 180, 182 Hardy, A. 4, 6-13, 79, 157 Hebbel, F. 104, 145, 180 Hegel, G. W. F. 82 f., 116 Herder, J. G. 33, 57, 61, 178 Herwegh, G. 98, 174 Hettner, H. 84, 88, 90, 180 Heuer, H. 9, 13, 21, 176 f. Hinck, W. 108, 112, 126, 182 Hitler, A. 157 Hoffmeier, D. 47, 57, 119, 130, 178, 182 Hollmann, H. 156, 165-169, 173

186

Register

Homer 88, 137 Horaz 147, 151 Hüsges, H. 157, 174 Hultberg, H. 109, 112, 123, 182

Oechelhauser, W. 84, 101, 103 f., 180 Palitzsch, P. 114, 127 Parker, R. B. 112, 122, 125, 183 Piachaud, R.-L. 17, 21, 158, 175 Piscator, E. 109-111, 113 Plautus 6 Plutarch 2, 9 f., 12, 34 f., 118, 135, 138, 177

Iffland, A. W. 66 Ihering, H. 109 f., 112 f., 182 Immermann, K. 91, 180 Jenny, U. 138, 144, 171 Keller, W. 124 Kerr, A. 110 Kilian, E. 63-65, 159, 178, 180, 182 Kindermann, H. 103 f., 160, 180 Kirchner, H. 4-6, 8, 97 Kitt, J. J. 19 f , 175 Klingenberg, G. 165 Klotz, V. 126, 128, 136, 145, 148, 150, 182 Kortner, F. 110, 159 Kytzler, B. 16, 157, 176 La Harpe, J.-F. de 21, 34-39, 41-44, 63, 66, 175 Laube, H. 99, 104 f., 180 Lebègue, R. 9, 176 Leimbach, K. L. 83, 106, 179 Leithäuser, J. G. 138-140, 183 Leitzmann, A. 71, 180 Lenz, J. M. R. 8, 19 f., 23-33, 48, 119, 173, 178 Lessing, G. E. 8, 17, 19, 32, 47, 51, 58, 145, 159, 174, 176 Liebknecht, K. 152 Litzmann, B. 50, 57, 59, 178 Livius 2, 34 f., 85, 90, 94, 118, 138, Luther, M. 72 Luxemburg, R. 152

47,

Schiller, F. v. 35, 55 f., 73-77, 123, 179 Sdiink, J. F. 8, 20 f., 40, 47-64, 66 f., 91, 173, 177-179 Schlegel, A. W. v. 20, 70, 72 f., 79, 122, 154, 160, 162, 174 Schlegel, J. E. 18, 29, 179 Schlegel, J. H. 17, 19, 26, 38, 174 Schmidt, E. 20, 23, 27 f., 177 Schroder, F. L. 50 f., 57, 59 f., 62 f., 77, 122

67, 56,

177

Macready, W. 103 Marbach, G. O. 40, 79, 82-99, 103, 106, 118, 133, 151, 173, 180, 183 Marlowe, Ch. 109, 123 Martersteig, M. 159 Matkowski, A. 159 Matter, H. 154, 158, 174 Mauger, M. 79, 175 Meininger 103, 159 Mercier, L.-S. 58, 178 Molière 58 Mommsen, Th. 1, 96, 176 Mozart, W. A. 98 Nadal, O. 7, 177 North, Th. 9, 177

Rademaker, B. 170 Raleigh, W. 16 Reinhardt, M. 109 Rigal, E. 7 f., 10, 177 Robertson, J. M. 162 Rothe, H. 21, 89, 156-170, 173, 183 Rumelin, G. 88, 90 f., 181

Sdiiicking, L. L. 21, 112, 124, 174, 177, 183 Seneca 6, 8, 14 Shakespeare Antony and Cleopatra 83, 89 As You Like It 11 Hamlet 38, 50, 60, 149, 166, 170 Henry IV 57 Henry V 9 Julius Caesar 17, 19, 25, 63, 66, 79 f., 83, 104, 113-117, 122, 183 King John 100, 122, 170 King Lear 77 f. Love's Labour's Lost 25 f., 33, 125 Macbeth 54, 61, 63, 112, 161 Measure for Measure 170 The Merchant of Venice 63 Othello 112, 125 Richard II 122-124, 126, 183 Richard III 123, 126 Romeo and Juliet 45, 79-81, 83, 112, 179 The Taming of the Shrew 50 f., 66 Timon of Athens 63, 159, 170 Titus Andronicus 84 Twelfth Night 126 Sheridan, Th. 15, 175

Register

187

Sievers, E. 162 Spartakus 152 Spectator 15, 175 Stahl, E. L. 39, 50, 58, 63 f., 66, 77, 100 f., 102-104, 110, 159, 166, 179 Steevens, G. 124 Stein, Ch. v. 23 Sternberg, F. 113-115, 183 Stoppard, T. 170, 183 Strehler, G. 118 Stridcer, K. 99, 159-161, 181, 183

Tieck, L. 20, 72 f., 102, 154, 160, 174 Trnka, W. J. 5, 174

Täte, N. 14, 16 f., 175 Tensdiert, J. 119, 121, 167, 169, 173 Terenz 6 Thierry, P. 4-6, 8, 12 Thomson, J. 14-17, 19, 34-39, 41 f., 47 f., 51, 54, 63, 66, 174 f. Tieck, D. 20, 24, 26, 30, 98 f., 101, 110, 118, 120 f., 124 f., 136 f., 154 f., 160 f., 174

Wagner, H. L. 58, 63 Wagner, R. 169 Weiße, C. F. 34, 40, 45, 179 Wekwerth, M. 110, 114 f., 117-119, 121, 152, 154, 167, 169, 173, 183 Wieland, Ch. M. 19 f., 26, 59, 77, 151 Wildgans, A. 159

Ulrici, H. 84, 174, 181 Valerius Maximus 2, 178 Viehoff, H. 84, 88 f., 91 f., 181 Vischer, F. Th. 92, 97, 181 Voltaire 12, 25 Voß, A. 20 f., 68, 73, 98, 173

Zadek, P. 170