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German Pages 210 [216] Year 1976
Martin Bartels · Selbstbewußtsein und Unbewußtes
W G DE
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Band 10
Walter de Gruyter · Berlin · New York
1976
Selbstbewußtsein und Unbewußtes Studien zu Freud und Heidegger
von Martin Bartels
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1976
D 7 Heidelberger philosophische Dissertation
CIP-Kurztitelaufnähme
der Deutschen
Bibliothek
Bartels , Martin Selbstbewußtsein und Unbewußtes : Studien zu Freud u. Heidegger. — Berlin, New York : de Gruyter, 1976. (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 10) ISBN 3-11-005778 6
© 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J . Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrotopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Printed in Germany Satz und Druck: Walter Pieper, Würzburg Bindearbeiten: Wübben 8c Co., Berlin
Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die umgearbeitete und erweiterte Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1970/71 unter dem Titel „Selbstbewußtsein als interessegeleiteter Vollzug. Der psychoanalytische und der existenzialontologische Beitrag zum Selbstbewußtseinsproblem" von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen worden ist. Erste Einführungen in die Selbstbewußtseinsproblematik und die Existenzialontologie erhielt ich in Vorlesungen und Seminaren von Helmut Fahrenbach, Dieter Henrich und Ernst Tugendhat. Das Entstehen der Arbeit hat Ernst Tugendhat mit stetigem Interesse und sachlich ergiebiger Kritik begleitet. Günther Patzig, Wolf gang Wieland und Erhard Scheibe ermöglichten die Drucklegung der Arbeit. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Heidelberg im August 1976
Μ. B.
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Einleitung: Die Rechtfertigung einer bewußtseinstheoretischen Interpretation der Psychoanalyse 1. Die Kritik konkurrierender Interpretationsansätze . . . . a) Die behavioristische Reformulierung der psychoanalytischen Theorie b) Die sprachphilosophischen Ansätze zur Reformulierung der psychoanalytischen Theorie 2. Der bewußtseinstheoretische Ansatz der Interpretation . . a) Die psychoanalytische Theorie als Explikation des praktischen' Selbstbewußtseins b) Fichtes Theorie des interessegeleiteten Selbstbewußtseins als leitender Vorbegrifi der Interpretation
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Erster Teil: Die Psychoanalyse Sigmund Freuds als ,empirische' Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins I. Die psychoanalytische Gliederung der Psyche als ,verdinglichende' Interpretation des Selbstbewußtseinsvollzugs 1. Die Psychoanalyse als „Deutungskunst" und als „Naturwissenschaft a) Der deskriptive Ansatz der psychoanalytischen Deutungskunst: Der Vollzug des Selbstbewußtseins als ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' b) Der methodische Ansatz der Psychoanalyse als Naturwissenschaft: Die Uminterpretation des bewußtseinsumgrenzenden Handelns in die Wirkung von psychischen K r ä f t e n . . . . c) Die Verdinglichung des bewußtseinsumgrenzenden Handelns in der „analytischen" Gliederung des „psychischen Apparats" . 2. Das psychologische Modell der Psyche als Veranschaulichung des bewußtseinsumgrenzenden Handelns a) Die psychologische Konzeption der „psychischen Zensur": Die
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Inhaltsverzeichnis Annahme oder Verdrängung unbewußter Akte als bewußtseinsumgrenzendes Handeln b) Der Ursprung der psychologischen Konzeption „psychischer Zensur" in Freuds Deskription bewußter Selbstkontrolle . . c) Der unzureichende Bewußtseinsbegriff des psychologischen Modells der Psyche bedingt die ,Verdinglichung' des bewußtseinsumgrenzenden Handelns 3. Das naturwissenschaftliche Modell der Psyche als ,Mechani-
sierung' des bewußtseinsumgrenzenden Handelns . . . . a) Die naturwissenschaftlichen Grundannahmen der „analytischen" Psychologie entspringen der Psychologisierung' neurophysiologischer Hypothesen b) Die naturwissenschaftliche Interpretation der psychischen Zensur scheitert an der „Verdrängung": Das bewußtseinsumgrenzende Handeln läßt sich nicht in die Wechselwirkung mechanischer Kräfte umsetzen 4. Zusammenfassung: Die theoretische Aporie der psychoanalytischen Interpretation des bewußtseinsumgrenzenden Handelns
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Tl. Die psychoanalytische „Ichpsychologie" als genetische Interpretation der leitenden Interessen des Selbstbewußtseinsvollzugs .
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1. Der erste Ansatz zur psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds „Psychologie der Traumvorgänge" a) Die Ableitung des Ich aus der Triebdimension· Das Ich als System der Triebhemmung im Dienste des Lustprinzips . . b) Die Beschreibung des Ich im Verhältnis zur Triebdimension: Das Ich als selbständige Gegeninstanz zum triebhaften Luststreben 2. Der zweite Ansatz zur psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds Untersuchungen zur Triebstruktur und -entwicklung . a) Freuds Triebtheorie: der Trieb als „Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem" b) Die Ableitung des Ich aus der Triebdimension: Das Ich als Zusammenhang der Selbsterhaltungstriebe, die das Luststreben der Sexualtriebe hemmen 3. Die Ausarbeitung der psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds „strukturpsychologischen" Untersuchungen . . . a) Einleitung: Die Fragestellung der Interpretation. Freuds „strukturpsychologische" Methode b) Die strukturpsychologische Umformung der Triebtheorie als Bestimmung der Triebhaftigkeit „jenseits des Lustprinzips" . . c) Die Ableitung des Ich aus dem Es: Das Ich als System der „Selbsterhaltung", das die infantilen „Urverdrängungen" vollzieht
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Inhaltsveßeidinis d) Die Ableitung des Überich aus dem Ich: Das Überich als System der normativen Ichtendenzen e) Die Neubestimmung des Ich in der Ableitung des Überich: Das Ich als „Organisation", die vom „Streben nach Einheitlichkeit" geleitet wird f) Die zeitliche Struktur des „integrierenden" Ich: Das leitende Ichinteresse bestimmt die ,Präsenz' des eigenen Lebenszusammenhangs 4. Zusammenfassung: Die Leistung und die Grenzen der psycho-
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analytischen Aufklärung des interessegeleiteten Selbstbewußtseins
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Zweiter Teil Die Daseinsanalytik Martin Heideggers als ontologische Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse 1. Die formale Struktur des interessegeleiteten Selbstbewußtseins Vollzugs a) Der methodische Ansatz der Selbstbewußtseinsproblematik: Die Frage nach dem „Sinn von Sein" ermöglicht die Frage nach der ursprünglichsten Selbsterfahrung des „Daseins" . . . b) Die existenzialontologische Selbstbewußtseinskonzeption: Das Verhältnis zu sich selbst als Vollzug des eigenen „Zu-sein" in der „Hin- oder Abkehr" gegenüber sich selbst . . . . c) Das Problem des Verhältnisses zwischen der existenzialontologischen Selbstbewußtseinskonzeption und der psychoanalytischen Gliederung der Psyche 2. Die Konkretion der formalen Selbstbewußtseinsstruktur: Das
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Selbstbewußtsein als Auseinandersetzung mit der „Unheimlichkeit" des Daseins a) Das Selbstverhältnis der Abkehr: In der „Flucht" vor sich selbst verdeckt sich das Dasein seine Unheimlichkeit . . . . b) Die theoretische Relevanz der existenzialontologischen Verdekkungskonzeption für die psychoanalytische Verdrängungstheorie c) Das Selbstverhältnis der Hinkehr: In der Übernahme der eigenen Unheimlichkeit überwindet das Dasein die alltägliche Verdeckungstendenz. Die Grenze der existenzialontologischen Interpretation der Verdeckung 3. Die Zeitstruktur des Selbstbewußtseins: Das Selbstbewußtsein als Auseinandersetzung mit der zeitlichen „Endlichkeit" des Daseins
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Inhaltsverzeichnis a) Die zeitliche Verfassung des ,ich-bin': Der Vollzug des eigenen „Zu-sein" als zeitliche „Erstreckung" des Daseins . . . b) Die Zeitlichkeit der Hinkehr: Die ekstatische Erschlossenheit der eigenen Endlichkeit als Begründung zeitlicher ,Identität' . c) Die Zeitlichkeit der Abkehr: Das ekstatische Verdecken der eigenen Endlichkeit als Begründung des zeitlichen ,Identitätsverlusts' d) Die Relevanz der existenzialontologischen Konzeption zeitlicher Identität für das Verständnis der psychoanalytischen Integrationstheorie 4. Schluß: Der psychoanalytische und der existenzialontologische Beitrag zum Verständnis des interessegeleiteten Selbstbewußtseins
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Register
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Einleitung Die Rechtfertigung einer bewußtseinstheoretischen Interpretation der Psychoanalyse Die vorliegende Arbeit interpretiert die psychoanalytische Theorie als begrifflich unangemessene Explikation des praktischen' Selbstbewußtseins, in dem das Individuum jeweils selbst noch entscheidet, in welchen Grenzen es sich seine eigene faktische Existenz und seine ,Welt' erschließen will. Die unzureichend geklärten Grundbegriffe, von denen Freud sich leiten läßt, führen zu theoretischen Schwierigkeiten, die nicht mehr durch empirische Forschung ausgeräumt, sondern nur durch einen neuen begrifflichen Rahmen für die Theoriebildung bereinigt werden können. In ihrer Kritik und ihrem Neuvorschlag orientiert sich die vorliegende Arbeit an Heideggers Selbstbewußtseinstheorie, die das praktische* Selbstbewußtsein in seinem Spielraumcharakter und seiner Interessengebundenheit analysiert. Die Interpretation untersucht, inwieweit diese Selbstbewußtseinskonzeption eine Basis bietet, um die Schwierigkeiten der analytischen Theoriebildung auszuräumen und zugleich den systematischen Zusammenhang der verschiedenen Theorieanteile durchsichtig zu machen. Das hier skizzierte Programm knüpft an eine Diskussion an, die schon die Entstehung der psychoanalytischen Theorie begleitet hat. Schon Freud hatte sich mit den bewußtseinstheoretischen Einwänden seiner Zeitgenossen auseinanderzusetzen, die sich gegen die Existenz eines „unbewußten Psychischen" richteten, und er forderte seine Kritiker auf, auf andere Weise als mit den psychoanalytischen Grundbegriffen von seiner Entdeckung Rechenschaft zu gebenInzwischen ist jedoch die bewußtseinstheoretische Auseinandersetzung von zwei konkurrierenden philosophischen Konzeptionen beinahe verdrängt worden, die von anderen theoretischen Ansatzpunkten ausgehen und damit die Berechtigung einer bewußtseinstheoretischen Reformulierung der Psychoanalyse infragestellen. Der Behaviorismus lehnt die Annahme von Bewußtseinsvorgängen prinzipiell ab und versucht, Freuds ι Vgl. S. Freud: Gesammelte Werke, Band XI; S. 286 £. Die Werkausgabe Freuds wird ini folgenden Text lediglich mit Band- und Seitenzahl zitiert.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
Entdeckungen konsequent in einem theoretischen Rahmen zu explizieren, der die Beziehungen von Umweltfaktoren und Verhaltensvariablen als Untersuchungsfeld festlegt. Die sprachphilosophische Reformulierung der Psychoanalyse leugnet zwar die Existenz einer psychischen ,Innerlichkeit' nicht, aber sie klärt diesen Bereich nicht mehr im Rahmen einer Bewußtseinstheorie auf, sondern untersucht die Art und Weise, wie wir über .innere Zustände' sprechen. Damit interpretiert sie Freuds Entdeckungen im Rahmen der „Sprachzerstörung" und der „Rekonstruktion" sprachlicher Kompetenz und sieht in der Bewußtseinstheorie nur die metaphorische Darstellung sprachlicher Strukturen. Angesichts dieser konkurrierenden Ansätze ist die bewußtseinstheoretische Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse nicht mehr selbstverständlich, sondern muß sich erst in der Kritik ihrer Konkurrenten rechtfertigen. Eine solche Kritik ist nicht das Thema der vorliegenden Arbeit, aber sie soll wenigstens so weit geführt werden, daß die Berechtigung einer bewußtseinstheoretischen Reformulierung einleuchtend wird. Die folgende Einleitung soll zeigen, daß gegenwärtig weder ein Verhaltenskonzept noch ein Sprachbegriff verfügbar sind, die Freuds Entdeckungen voll gerecht werden. Von daher erscheint es berechtigt, eingehend zu fragen, ob die Möglichkeiten zur bewußtseinstheoretischen Reformulierung der Psychoanalyse bisher schon voll ausgeschöpft sind. Für die grobe und skizzenhafte Auseinandersetzung mit den beiden konkurrierenden Positionen orientiert sich die Interpretation am Verdrängungsphänomen, das Freuds zentrale Entdeckung darstellt, zugleich aber auch die größten Schwierigkeiten für die Theoriebildung aufgeworfen hat. Die Interpretation wird, bevor sie sich später eingehend mit diesem Phänomen beschäftigt (s. u. S. 64 ff.), im vorliegenden Zusammenhang prüfen, wieweit die Sprachtheorie und der Behaviorismus von der Verdrängung theoretisch Rechenschaft geben können.
1. Die Kritik konkurrierender
Interpretationsansätze
a) Die behavioristische Reformulierung der psychoanalytischen Theorie Die radikalste Kritik an Freuds Strukturmodell der Seele hat der Behaviorismus entwickelt, indem er Freuds Annahme eines „psychischen Apparats" als irreführende Fiktion ablehnt und damit überhaupt den Bereich der psychischen ,Innerlichkeit' für den Menschen leugnet. Diese Position
1. Die Kritik konkurrierender Interpretationsansätze
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hat Skinner in seinen Arbeiten theoretisch am weitesten entwickelt und zugleich am konkretesten auf die Freudsche Theorie bezogen2. Für Skinner bleibt Freud mit der Annahme eines strukturell gegliederten Seelenlebens noch in unwissenschaftlichen Unterstellungen der philosophischen Tradition befangen. Diese Tradition hatte das unvorhersehbare Verhalten des Menschen dadurch zu erklären versucht, daß sie mit dem „Ich" ein innerpsychisches Aktzentrum einführte, das das beobachtbare Verhalten des Individuums determiniert. Damit hatte sie jedoch lediglich eine unzulässige ad-hoc-Erklärung für das spontane Verhalten des Menschen gegeben: die Handlungsweise des innerseelischen Aktzentrums (Ich) läßt sich nämlich gar nicht unabhängig von seinen angeblichen Äußerungen im Verhalten nachweisen und kann deshalb nicht als selbständige Ursache beobachteter Wirkungen in Anspruch genommen werden. Diesen Mangel vermeidet Freud, indem er das beobachtbare Verhalten von Erwachsenen zu bestimmten prinzipiell dokumentierbaren Schlüsselsituationen der Kindheit in Beziehung setzt und damit Umweltgegebenheiten als Ursachen für menschliche Verhaltensweisen einführt. Doch er bleibt für Skinner dem traditionellen Ansatz zugleich auch noch verhaftet, indem er die Seele als Bindeglied zwischen den Umweltfaktoren der Kindheit und dem untersuchten Verhalten des Erwachsenen festhält: Bestimmte „traumatische" Umweltkonstellationen verändern für Freud die jeweilige innerpsychische Konstellation von Wünschen, Gefühlen und Vorstellungen; diese Veränderungen bleiben innerhalb der Seele fixiert und können sich, nach langen Zeiträumen innerhalb des Erwachsenenlebens in beschreibbarem Verhalten wieder zum Ausdruck bringen. Für Skinner ist dieses Konzept einer psychischen Innerlichkeit eine überflüssige und die Theorie vielfach belastende Fiktion, die Freud lediglich annahm, „um die räumliche und zeitliche Lücke zwischen den Ereignissen zu überbrücken, deren Kausalzusammenhang er nachgewiesen hatte" 3. Skinner versucht diese Lücke ohne unausweisbare theoretische Annahmen zu überbrücken, indem er das klassische Reiz-Reaktionsschema des Behaviorismus um den Mechanismus der „positiven bzw. negativen Verstärkung" erweitert. Innerhalb des klassischen Schemas ist menschliches Verhal2 Zu seiner Kritik einer psychischen ,Innerlichkeit' und zur Erläuterung seiner eigenen Grundbegriffe vgl. B. F. Skinner: Wissenschaft und menschliches Verhalten. München 1973; Kap. 1—8. Eine populäre Einführung in seine Theorie gibt Skinner in Jenseits von Freiheit und Würde" (Reinbek 1973); S. 9—36, 42—46. 3 B.F. Skinner: Kritik psychoanalytischer Begriffe und Theorien. In: E. Topitsch (Hrsg.): Logik der Sozialwissenschaften. Köln und Berlin 21965; S. 456.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
ten immer dann zureichend erklärt, wenn es als Reaktion auf aktuelle, eindeutig identifizierbare Umweltreize aufgefaßt werden kann. In diesem Rahmen läßt sich aber nicht das spontan auftretende Verhalten erklären, für das keine bestimmten und aktuellen Reize mehr angegeben werden können. An diesem Punkt führt Skinner die Unterscheidung zwischen Reizen und „Verstärkern" für menschliches Verhalten ein: während Reize bestimmte Reaktionen auslösen, verändern Verstärker die Wahrscheinlichkeit, mit der sich das Verhalten des Individuums innerhalb analoger Situationen wiederholen wird. Durch die positiven bzw. negativen Verstärkungen wirkt die Umwelt selektiv auf das Verhalten des Individuums ein: sie fixiert diejenigen Verhaltensweisen als relativ stabile Verhaltensmuster, die in bestimmten Situationstypen für das Individuum überwiegend zum gewünschten Erfolg geführt haben. Innerhalb der Gesamtheit der Verstärker unterscheidet Skinner zwischen Verstärkern, die ζ. B. in experimentellen Situationen durch Versuchsleiter willkürlich festgelegt sind, und den Verstärkern innerhalb der zwischenmenschlichen Interaktion, die einfach in den sozial festgelegten Folgen eines bestimmten Verhaltens liegen. Von der bisher skizzierten theoretischen Basis aus versucht Skinner den Zusammenhang zwischen traumatischer Kindheitssituation und abnormem Erwachsenenverhalten zu erklären, ohne auf den „psychischen Apparat" als überbrückendes Zwischenglied zurückgreifen zu müssen 4 . Für Skinner muß das unverständliche Agieren des Neurotikers als spontanes Verhalten beschrieben werden, für das sich keine zureichenden aktuellen Auslöser angeben lassen und das von den zu erwartenden situationsbezogenen Verhaltensweisen abweicht. Es wird zureichend erklärt, indem die analogen Kindheitssituationen angegeben werden, in denen das gegenwärtig zu beobachtende Verhalten durch Verstärkung selegiert und festgelegt wurde. Da diese Situationen und ihre kausale Verknüpfung vom Handelnden in der Regel vergessen, d. h. nicht beschreibbar sind, bedarf das neurotische Verhalten der psychoanalytischen Untersuchung. Skinners differenzierte Analysen vereinfachend, läßt sich die frühkindliche Konditionierung des neurotischen Erwachsenenverhaltens folgendermaßen beschreiben: das „erbgenetisch verstärkte" d. h. triebhafte Verhalten 4 Zur Auseinandersetzung Skinners mit der Psychoanalyse vgl. „Wissenschaft und menschliches Verhalten"; S. 270—272 und S. 344—348. An diesen Textstellen gibt Skinner eine Ubersicht über die für die Psychoanalyse relevanten Partien des Buches. Zusammenfassungen seiner Freudkritik und seiner eigenen Verdrängungskonzeption finden sich in „Freiheit und Würde"; S. 66—84 und in dem Aufsatz „Kritik psychoanalytischer Begriffe und Theorien".
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des Kindes löst innerhalb seiner sozialen Umwelt aversive Reize, ζ. B. Ablehnung oder sogar Bestrafung durch die Eltern aus. Sind diese Reize intensiv genug, dann veranlassen sie das Kind, sein triebhaftes Verhalten aufzugeben und zugleich nach dem Schema von Versuch und Irrtum ein neues Ersatzverhalten zu suchen, das die aversiven Reize der sozialen Umwelt vermeidet. Ist ein solches Verhalten gefunden, dann wird es sogleich massiv durch das Ausbleiben der befürchteten Bestrafung verstärkt und in den Wiederholungen der ursprünglichen Konfliktsituation als Verhaltensmuster fixiert. Für das Ersatzverhalten lassen sich zwei graduell verschiedene Verhaltenstypen unterscheiden. Entweder kann das ursprüngliche triebhafte Verhalten unter dem Druck der aversiven Reize vollkommen ausgelöscht und durch das genau gegensätzliche Verhalten ersetzt werden; das primäre Verhalten ist dann „verdrängt" und durch eine „Reaktionsbildung" ersetzt. Oder aber das primäre Verhalten wird nur soweit modifiziert, daß es die Bestrafung vermeidet, zugleich aber auch noch deskriptive Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Verhalten aufweist. Hier handelt es sich gleichsam um ein taktisches, getarntes Verhalten, eine „Kompromißbildung" zwischen der Tendenz des triebhaften Verhaltens und der Tendenz der aversiven Umweltreize. Das Verhaltensmuster, das auf die beschriebene Weise in bestimmten Konfliktsituationen ausgebildet wird, wird nach dem Schema der Konditionierung auf mehr oder weniger analoge Situationen des Erwachsenenlebens übertragen, in denen die ursprünglichen aversiven Reize nicht mehr drohen. An die Stelle der drohenden aversiven Reize treten ursprünglich unbedeutende Kennzeichen der Konfliktsituation, die nur durch ihre frühere ständige Verbindung mit den ursprünglich signifikanten aversiven Reizen selbst ihren signifikanten Charakter gewinnen. Auf diese Weise geht die Kontrolle und Einschränkung des triebhaften Verhaltens durch die soziale Umwelt über in die neurotische Selbstkontrolle und Selbsthemmung. Der bisher skizzierten behavioristischen Theorie kann man zunächst den grundsätzlichen Vorwurf machen, sie klammere die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aus, auf denen sie selbst beruhe, und gebe damit zugleich ein falsches Bild vom Zusammenhang zwischen Umweltfaktoren und menschlichem Verhalten5. Das menschliche Verhalten wird nämlich nicht unmittelbar von beobachtbaren Umweltgegebenheiten bestimmt, sondern ist immer von der Auffassung abhängig, die der Handelnde von seiner eigenen Situa5 Vgl. J. Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften. Frankfurt 1970; S. 138—156. Außerdem zentral: P. Ricoeur: Die Interpretation. Frankfurt 1969; S. 352—385, 15—32, 50—70.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
tion hat. Diese Auffassung artikuliert sich in der ,situativen Bedeutung', die Umweltfaktoren für ihn gewinnen, und in den Handlungsalternativen, die sich für ihn als situationsangemessen bieten. Eben diese Auffassung der Handlungssituation muß aber auch dem ,Beobachter' vertraut sein, wenn er aus der unübersehbaren Anzahl aktueller Reize die jeweils relevanten Stimuli auswählt und ihnen eine Handlung als angepaßtes, erwartbares Verhalten zuordnet. Nur weil wir beobachtbares Verhalten immer schon in dem angedeuteten Sinne ,verstehen', können wir überhaupt zwischen unangepaßtem „neurotischem" und realitätsgerechtem Verhalten unterscheiden und damit den Phänomenbereich ausgrenzen, um dessen Aufklärung sich die Psychoanalyse bemüht. Auf diesen häufig wiederholten Einwand gegen den methodischen Ansatz des Behaviorismus braucht sich die bewußtseinstheoretische Kritik jedoch nicht zu beschränken. Sie kann sich vielmehr auf die verhaltenstheoretischen Grundannahmen einlassen und nach Zusammenhängen innerhalb des menschlichen Verhaltens suchen, die in diesem theoretischen Rahmen nicht mehr deskriptiv angemessen dargestellt und erklärt werden können. Für eine solche immanente Kritik bietet sich Freuds Entdeckung des Verdrängungsphänomens an, das den Rahmen der Verhaltenstheorie zu sprengen scheint und damit die Annahme einer psychischen ,Innerlichkeit' nahelegt. Im folgenden sollen drei Kritikpunkte skizziert werden. 1. Skinners Reformulierung des Verdrängungsvorgangs unterscheidet nicht zwischen motivierendem Trieb und triebhaft bedingtem Verhalten und interpretiert deshalb das kindliche Vermeidungsverhalten auch schon als abnormes Verhaltensschema des Neurotikers. Für Freud führt dagegen die „Reaktionsbildung" auf das triebhafte Verhalten keineswegs schon zu abnormen und auffälligen Verhaltensweisen, sondern nur zu Verhaltensmustern, die im Gegenzug zu den ursprünglichen Verhaltensweisen ausgebildet werden und das ursprüngliche triebhafte Verhalten unterdrücken. Zur Symptombildung kommt es dagegen erst durch die „Wiederkehr des Verdrängten, das sich in der Symptombildung gegen den Druck der Reaktionsbildungen durchsetzt und damit das ursprüngliche triebhafte Verhalten in verwandelter und verschleierter Form fortsetzt. Damit ist ein Verhaltenstyp eingeführt, der weder durch aktuelle Umweltreize noch durch frühkindlich erlernte Verhaltensmuster der Vermeidung erklärt werden kann. Vielmehr ist das abnorme Verhalten des Erwachsenen in der Tatsache begründet, daß er bestimmte „erbgenetisch verstärkte" Verhaltensweisen unter dem Druck aversiver Reize aufgeben mußte, ohne damit auch schon den ,inneren Antrieb' zu diesem Verhalten aufzugeben. Wenn nämlich der Verzicht auf trieb-
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haft verstärktes Verhalten selbst die Ursache für abnorme Verhaltensänderungen werden kann, dann zeigt sich damit, daß der „Triebwunsch" nicht einfach mit dem „erbgenetisch verstärkten Verhalten" gleichgesetzt werden kann, sondern als selbständiges „innerpsychisches" Phänomen aufgefaßt werden muß. Die „Wiederkehr" der ursprünglichen, verdrängten Verhaltensweisen ist doch nur möglich, wei] der Triebwunsch nicht zugleich mit dem triebhaften Verhalten ausgelöscht worden ist, sondern nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten drängt, nachdem ihm seine ursprünglichen Artikulationsformen entzogen worden sind. Diese Selbständigkeit des Triebes gegenüber seinen Manifestationen im Verhalten betont Freud, indem er innerhalb seines „energetischen" Konzepts der Psyche den Trieb metaphorisch als psychische Kraft mit einer bestimmten Kraftrichtung und Energiemenge faßt. 2. Indem Skinner das abnorme Verhalten des Erwachsenen als Fortsetzung des kindlichen Vermeidungsverhaltens auf faßt, verdeckt er nicht nur den Trieb als Ursache für das neurotische Verhalten, sondern verfälscht auch die genuine Beziehung zwischen der kindlichen Konfliktsituation und der entsprechenden Situation des abnormen Erwachsenenverhaltens. Das Kriterium für ihre Zusammengehörigkeit liegt für Skinner darin, daß das abnorme Erwachsenenverhalten partielle, aber signifikante Züge des triebbestimmten kindlichen Verhaltens wiederholt; nur unter dieser Voraussetzung ist die Relation zwischen beiden Verhaltenseinheiten der einfachen Beobachtung zugänglich. Freud dagegen konstatiert zwischen beiden Situationen eine „symbolische" Beziehung: das neurotische Verhalten steht für das ursprüngliche und vertritt es im Erwachsenenleben, indem es auf das ursprüngliche Verhalten anspielt. Diese verschleierte Relation ist der einfachen Beobachtung gar nicht mehr zugänglich; sie stellt sich nämlich erst dadurch her, daß eine alltägliche Handlungssituation für den Neurotiker eine unbewußte, ,private' Bedeutung gewinnt, auf die er mit seinem abnormen Verhalten reagiert. Diese Bedeutung ist zwar für andere Menschen nur deshalb verständlich, weil sie noch an das intersubjektiv vertraute Verständnis der wahrnehmbaren Situationsaspekte anknüpft. Aber selbst die Deutungen des Therapeuten sind auf eine Bestätigung des Patienten angewiesen, die angibt, in welcher Weise wahrnehmbare Situationsaspekte für die private Deutung der Handlungssituation relevant geworden sind. So ist z . B . dem Federbett eines Bettzeremoniells seine Beziehung auf die gravide Mutter nicht einfach anzusehen; erst nachdem die Patientin das unbewußte ,tertium compara-
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Die Rechtfertigung der Interpretation
tionis' gefunden hat, ist die symbolische Beziehung aufgedeckt und allgemein verständlich geworden 6 . Der Anhaltspunkt an sichtbaren Situationsaspekten entfällt dagegen für alle symbolischen Beziehungen, die auf sprachlichen Mehrdeutigkeiten oder festen Sprachwendungen beruhen. So kann für eine junge Frau der Tisch an die Stelle ihres Ehebetts treten, weil dieser Zusammenhang in der stehenden' Wendung von ,Tisch und Bett', die gemeinsam die Ehe ausmachen, bereits vorgeprägt ist 7 . Von der hier beschriebenen „symbolischen Wiederkehr" des Verdrängten im abnormen Verhalten gibt Freud in seinem „topischen" Modell theoretisch Rechenschaft, indem er einen innerpsychischen Zusammenhang von „Vorstellungen" postuliert, innerhalb dessen die Energie des Triebes verschoben werden kann. Als wirkende Kraft ,bewegt' sich der Trieb also in einem System inhaltlich zusammengehöriger Symbole und findet seinen Ausdruck im Verhalten nur dann, wenn er sich innerpsychisch mit bestimmten Symbolen verknüpft hat, die die individuelle Bedeutung der abnormen Handlungssituation festlegen. 3. Indem Skinner die symbolische Beziehung zwischen traumatischer Situation und abnormem Erwachsenenverhalten verkennt, kann er auch Freuds Unterscheidung zwischen bewußt und unbewußt motiviertem Verhalten verwischen und die verhaltensverändernde Kraft des Bewußtseins übersehen. Weil das menschliche Verhalten für Skinner ausschließlich von Umweltvariablen determiniert wird, hat das Bewußtsein des eigenen Verhaltens und seiner Ursachen keinen Einfluß auf das Verhalten selbst. Bewußtsein des eigenen Verhaltens besteht ausschließlich in der Fähigkeit, die eigenen Verhaltensweisen in ihren jeweiligen Kausalzusammenhängen angemessen zu beschreiben8. Dieses verhaltenstheoretische Konzept des Bewußtseins wird m. E. durch die symbolische Beziehung des Symptoms infragegestellt. Natürlich ist der Neurotiker wie jeder andere Beobachter in der Lage, sein abnormes Verhalten in einer bestimmten Situation zu beschreiben; was ihm unbewußt ist, ist nicht sein aktuelles Handeln, sondern die Bedeutung seiner Handlungssituation und der Sinn dieses Handelns selbst. Darüber hinaus können ihn theoretische Aussagen der Psychoanalyse und Berichte aus seiner Kindheit darüber aufklären, in welchen Kausalzusammenhängen das aktuelle abnorme 6 Dieses Beispiel gibt Freud (XI, 275 f.). 7 Das Beispiel stammt ebenfalls von Freud (XI, 269 f.). 8 Zu Skinners Bewußtseinskonzeption vgl. „Kritik psychoanalytischer Begriffe und Theorien"; S. 461 ff.
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Verhalten steht. Aber von dieser Fähigkeit, Zusammenhänge zu beschreiben, unterscheidet Freud die Einsicht, in der sich dem Patienten der Sinn seines abnormen Verhaltens konkret erschließt und ihm zugleich die zugehörigen traumatischen Situationen wieder in der Erinnerung zugänglich werden. Dieses Wissen um das eigene Verhalten verändert das Verhalten selbst, indem es den Zwang des abnormen Verhaltens aufhebt und das Verhalten wieder der Selbstbestimmung des Individuums unterstellt. Den hier skizzierten Unterschied zwischen dem Unverständnis und dem Verständnis des eigenen Verhaltens hat Freud in seinem theoretischen Modell aufgenommen, indem er innerhalb des innerpsychischen Bereichs der „Vorstellungen" zwischen den Teilbereichen des Unbewußten und des Bewußten unterschied. Ohne den universellen Determinismus der seelischen Prozesse infragezustellen, beschrieb er die bewußt motivierten Verhaltensweisen als Abläufe, die ich jeweils als selbstbestimmt erlebe und um deren Sinn ich weiß; das unbewußt motivierte Verhalten wird dagegen als zwanghaft erlebt und ist von sinnstiftenden „Vorstellungen" bestimmt, die meinem Wissen entzogen sind. Die vorangegangene Auseinandersetzung mit der behavioristischen Freudkritik hat Freuds Entdeckung des Verdrängungsphänomens herangezogen, um die Annahme einer Innerlichkeit' zu rechtfertigen, von der das beobachtbare Verhalten des Menschen irgendwie abhängig ist. Zugleich ist die Struktur dieser Innerlichkeit noch ganz unbestimmt geblieben: Freuds metaphorische Annahmen über den „psychischen Apparat" verlangen nach einer theoretisch befriedigenden Rekonstruktion, die den Bereich der Innerlichkeit nicht einfach leugnet. An diesem Punkt setzt die sprachphilosophische Kritik und Rekonstruktion der psychoanalytischen Theorie ein. b) Die sprachphilosophischen Ansätze zur Reformulierung der psychoanalytischen Theorie Die sprachphilosophische Kritik der Psychoanalyse richtet sich nicht prinzipiell gegen Freuds Annahme einer psychischen ,Innerlichkeit', sondern gegen Grundannahmen des theoretischen Modells, innerhalb dessen Freud die „inneren Zustände" des Menschen expliziert. Freud faßt Bewußtseinsphänomene als psychische Vorgänge, von denen das Subjekt jeweils unmittelbar weiß, und interpretiert diese Wissensrelation als innere Wahrnehmung, für die der psychische Vorgang in absoluter Transparenz zugänglich ist (s.u. S. 51 ff.). Zugleich sieht sich Freud durch seine Entdeckung der Verdrängung gezwungen, neben den bewußten audi unbewußte psychische Vorgänge zu-
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Die Rechtfertigung der Interpretation
zulassen, und führt damit neue Entitäten ein, die nicht mehr durch die Wissensrelation des Bewußtseins definiert sind, sondern in einem ungeklärten Sinne real existieren sollen, ohne beobachtbar zu sein. Beide Annahmen lehnt die sprachphilosophische Kritik der Psychoanalyse a b S i e sieht in Freuds Auffassung bewußter seelischer Vorgänge nur eine Fortsetzung der philosophischen Tradition, die das Modell der äußeren Wahrnehmung auf den Bereich der Innerlichkeit' übertragen hat, um das unmittelbare Wissen der Person um ihre inneren Zustände theoretisch fassen zu können. In der neuen Konzeption psychischer Innerlichkeit tritt die sprachliche Äußerung von inneren Zuständen an die Stelle der inneren Wahrnehmung: wir erfahren unsere inneren Zustände ursprünglich in der Tendenz, sie sprachlich zu äußern. Wenn wir dieser Tendenz nachgeben, dann beschreiben wir keine inneren Gegebenheiten, sondern bringen unsere Zustände direkt zum Ausdruck. Gefühle, Absichten und Empfindungen sind zwar nicht mit ihrem sprachlichen Ausdruck identisch, aber sie bestehen für uns nur, sofern wir sie äußern können 10 . Damit wird der Sprache die fundamentale Rolle für die Konstitution des Seelenlebens eingeräumt: die Möglichkeiten individueller Selbsterfahrung werden durch die Möglichkeiten sprachlicher Artikulation eröffnet und eingegrenzt. Für diese Auffassung kann die psychische Innerlichkeit nicht mehr als Bereich bewußter Seelenvorgänge gelten, die unabhängig von ihrem sprachlichen Ausdruck bestehen und vorsprachlich zugänglich werden. Genauso muß sie Freuds Konzeption unbewußter Prozesse ablehnen: statt eine neue Klasse von psychischen Entitäten einzuführen, muß sie die Verdrängung als ,Sprachverlust' untersuchen. Dabei stellt sich die Aufgabe, genau zu klären, welche Strukturen der Sprache eines Sprechers betroffen werden, wenn ihm Ausdrucksmöglichkeiten für bestimmte Wünsche oder Gefühle entzogen werden. Diese Aufgabe haben Habermas und Lorenzer in ihren sprachtheoretischen Arbeiten zur Psychoanalyse zu lösen versucht, indem sie gemeinsam den Sprachverlust der Verdrängung als Verlust von Bedeutungsaspekten 9 Vgl. A. C. Maclntyre: Das Unbewußte. Frankfurt 1968; Kap. III und IV, bes. S. 76—78, 106—109. Die hier angedeutete Konzeption hat Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen" (Schriften, Band 1. Frankfurt 1963) §§ 243—315 umrissen. Die zentralen Thesen Wittgensteins hat S. Shoemaker in seinem Buch „Self-Knowledge and SelfIdentity" (Cornell 1963) weiterentwickelt. Zur Problematik des Ausdrucks von ,inneren Zuständen' vgl. W. P. Alston: Expressions. In: M. Blade (Ed.): Philosophy in America. London 21967; S. 15 ff.
1. Die Kritik konkurrierender Interpretationsansätze
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sprachlicher Ausdrücke charakterisieren. Damit wird für ihre Theorie die traditionelle Unterscheidung von denotativer und konotativer Bedeutung eines Wortes relevant: Worte können als Mittel intersubjektiver Verständigung fungieren, weil ihre Bedeutung relativ bestimmt und allgemeinverbindlich ist. Zugleich läßt sich jedoch die Verdrängung individueller Konfliktsituationen nur dann als Verlust von ]We«ta»giaspekten auffassen, wenn die relevanten privaten Erfahrungen des Individuums in die Wortbedeutungen seiner Sprache eingehen und in ihnen festgehalten werden. Habermas und Lorenzer stehen also vor der Aufgabe, eine Sprachtheorie zu entwickeln, in der die Allgemeinheit und Besonderheit der Wortbedeutungen so miteinander vermittelt sind, daß die Verdrängung als ,Bedeutungsverlust' einsichtig werden kann. Habermas gewinnt seinen Sprachbegriff, indem er Wittgensteins Sprachspielkonzept aufnimmt und weiterentwickelt11. Er versucht den Zusammenhang von Sprache und „Lebensform" aufzuklären, indem er die natürlichen Sprachen als differente Möglichkeiten auffaßt, „die Wirklichkeit in verschiedene Lebensformen (zu) integrieren" n . Die Sprache gibt also den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft eine umfassende Interpretation der Wirklichkeit vor, die ihrerseits von den Grundintentionen der gesamtgesellschaftlichen Praxis und ihren wesentlichen Herrschaftsverhältnissen bestimmt ist. Herrschaftsinteressen können sich also unbemerkt durchsetzen, indem sie im Medium der Sprache eine Weltsicht inter subjektiv verbindlich machen, die ihnen entgegenkommt. Mit der Interpretation der ,Welt' legt die Sprache zugleich auch die Möglichkeiten individueller Selbsterfahrung für die einzelnen Sprecher fest. Weil 11 Die vorgelegte Interpretation stützt sich auf folgende Arbeiten von J. Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften. Frankfurt 1970; S. 148—164, 229—245, 297—305. — Erkenntnis und Interesse. Frankfurt 1968; S. 262—300, 310—314. — Ohne Zweifel ist die Interpretation einseitig, weil sie sich auf die frühen Arbeiten von Habermas zur Sprachtheorie beschränkt und dabei den Zusammenhang von Sprache und Emanzipation ausklammert. Für Habermas ist die Sprache der Garant für eine mögliche Mündigkeit des Menschen, weil wir mit unseren Aussagen eine Verständigung anstreben, die nicht auf der Anwendung von Gewalt beruht. Damit ist ein ganz formaler Charakter von Sprache angegeben, dem die jeweils herrschaftsbedingte, semantische Begrenztheit des Sprachsystems gegenüber steht. Die Vermittlung beider Aspekte scheint mir solange schwierig zu sein, wie Sprache als „öffentliche Kommunikation" aufgefaßt wird, die im vorhinein das Einverständnis von Partnern über ihren Handlungsspielraum garantiert. — Die Antizipation einer herrschaftsfreien Lebensform in der Sprache hat Habermas in verschiedenen Texten zu klären versucht; vgl. „Technik und Wissenschaft als .Ideologie'"; S. 163 f. und „Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz". 12
J. Habermas: Zur Logik der Sozialwissenschaften; S. 231.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
das Bewußtsein ,innerer Zustände' an deren sprachliche Artikulationsmöglichkeit gebunden ist, bestimmt die Sprache jeweils den Umfang und die Grenzen der persönlichen Selbsterfahrung und entscheidet damit auch schon über das Ausmaß individueller Triebbewältigung. Das angeborene Triebpotential des Menschen kann nämlich nur in dem Ausmaß verarbeitet werden, wie es in artikulierbaren Motiven oder Emotionen „interpretiert" und damit zum Bewußtsein zugelassen wird. Unter dieser Perspektive erscheint der Spracherwerb als „repressiver" Vorgang: das unstrukturierte und „überschießende" Triebpotential des Individuums wird im Erlernen von Artikulationsmöglichkeiten kanalisiert und innerhalb herrschaftsbestimmter Gesellschaften nur unzureichend zur Bewältigung zugelassen13. Indem die Sprache die individuelle Selbsterfahrung einschränkt, sichert sie zugleich die fundamentale Übereinstimmung der Sprecher über ihre zulässigen Absichten und Gefühle. In ihrer semantischen Struktur zeichnet sie den Spielraum derjenigen Motive und Emotionen vor, die inter subjektiv geäußert werden können und damit zur öffentlichen Diskussion zugelassen sind. Interessenkonflikte basieren damit schon auf einem grundsätzlichen Konsens über ,diskutable' Wünsche und Absichten. Auf der Basis dieses Sprachbegriffs läßt sich, soweit ich sehe, die Verdrängung gar nicht mehr als individueller und ,empirischer' Vorgang ansetzen. Die Verdrängung vollzieht sich immer schon in der Art und Weise, wie eine natürliche Sprache das menschliche Triebpotential interpretiert und damit das Ausmaß seiner bewußten Bewältigung festlegt. Auf der Basis dieser kollektiven und transzendentalen' Verdrängung scheint eine individuelle Verdrängung gar nicht mehr denkbar zu sein: die semantische Struktur der Sprache umgrenzt schon den Spielraum grundsätzlich diskutierbarer Motive und Emotionen und läßt damit unzensierte Triebwünsche gar nicht mehr zu. Freud dagegen faßt die unbewußten Motive und Emotionen als psychische Gegebenheiten, die für die soziale Umwelt so ,unerträglich' sind, daß sie gar nicht erst zur Debatte gestellt werden können sondern in ihrer Existenz geleugnet werden müssen14. Rückblickend kann man festhalten, daß der skizzierte Sprachbegriff einseitig die Allgemeinheit und intersubjektive Verbindlichkeit sprachlicher Be13 Zu der These einer „repressiven Interpretation" der vorgegebenen Triebdisposition vgl. J. Habermas: Erkenntnis und Interesse; S. 277, 279, 292—296. — Zur Logik der Sozialwissenschaften; S. 305. Trotz der Eingeschränktheit seines Sprachbegriffs hat Habermas eine sprachtheoretisch orientierte Verdrängungstheorie vorgelegt, die sich fast völlig mit der Konzeption von Lorenzer deckt. Ich beziehe sie deshalb in meine Darstellung Lorenzers mit ein, s. u. S. 15 ff.
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deutungen akzentuiert und deshalb die Verdrängung als individuellen Vorgang nicht mehr verständlich machen kann. Der Zusammenhang von Sprache und Lebenspraxis wird von Habermas nur auf der transzendentalen Ebene diskutiert, auf der gejöwjfgesellschaftliche Interessen die
allgemeinvzrbind-
liche semantische Struktur der Sprache festlegen. Die hier sichtbare Schwierigkeit vermeidet Lorenzer, indem er von der systematisch entgegengesetzten Position ausgeht und die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke durch ihre lebensgeschichtliche Genese erklärt 1 5 . Dabei orientiert er sich vorrangig an den Ausdrücken, die zugleich Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnen und Eigennamen sind (,Vater', ,Mutter' usw.). In wechselnden Situationen seiner Entwicklung macht das Kind jeweils unterschiedliche emotional bedeutsame Erfahrungen mit seinen zentralen Partnern. Die jeweils besondere relevante Erfahrung schlägt sich für das Kind in einem psychischen „Symbol" nieder, das den Partner in seiner emotionalen situativen Bedeutung festhält. Zugleich faßt das Kind die verschiedenen psychisch fixierten Erfahrungen zu einem einheitlichen, umfassenden Symbol zusammen, das als „Objektrepräsentanz"
für den jeweiligen Partner
steht 1 6 . Diese „Objektrepräsentanzen" sind nicht innerlich wahrnehmbar, 15 Für die Interpretation seines Sprachbegriiis berücksichtige ich folgende Texte von A. Lorenzer: Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriiis. Frankfurt 1970; Kap. IV. — Sprachzerstörung und Rekonstruktion. Frankfurt 1970; Kap. I I I . Eine kurze und einfache Darstellung seines sprach theoretischen Konzepts gibt Lorenzer in seinem Aufsatzband „Perspektiven einer kritischen Theorie des Subjekts" (Frankfurt 1972); S. 150—155. Lorenzers Weiterführung seiner Sprachtheorie in seiner Arbeit „Zur Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie" bleibt unberücksichtigt, weil sie m. E. die Probleme der früheren Position nicht ausräumt. Lorenzer bemüht sich zwar, die lebensgeschichtlich gebundene Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken plausibler zu machen, indem er die Verwandtschaftsnamen nun als Bezeichnungen für bestimmte Interaktionsformen einführt; aber dadurch entstehen nur neue Schwierigkeiten: Es bleibt unklar, wie ein Name für eine Interaktionsform ostensiv eingeführt werden kann, obwohl eine solche Form keine anschauliche reale Gegebenheit, sondern ein theoretisches Konstrukt ist, das erst in einem Abstraktionsvorgang gebildet wird. Ebenso bleibt es unklar, wie sich die untersuchten Namen von Bezeichnungen für verschiedene Interaktionsformen zu Bezeichnungen für identische Personen wandeln können. Hier liegt die Vermutung nahe, daß das Kind mit dem Namen immer schon eine identische Person verbindet und gerade deshalb seine emotional unterschiedlichen Interaktionserfahrungen mit dieser Person untereinander verbinden kann. 1 6 Lorenzers Annahme von Symbolen, die sich zu Objektrepräsentanzen zusammenfügen, wirft die Frage auf, wie weit er überhaupt über Freuds Unterscheidung von vorsprachlichen „Sachvorstellungen" und den zugeordneten „Wortvorstellungen" hinauskommt. Auch die Symbole sind für ihn noch vorsprachliche „psychische Gebilde", „die als selbständige Einheiten Gegenstand der Denk- und Erkenntnisprozesse werden". (Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs; S. 91). Der Grund für diese Auffassung liegt wohl darin, daß Lorenzer Freuds Konzeption triebhafter Besetzun-
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Die Rechtfertigung der Interpretation
sondern werden für das Kind in der komplexen Bedeutung der Ausdrücke zugänglich, mit denen es seine zentralen Interaktionspartner benennt. Der Ausdruck ,Vater' ist also gleichsam der Sammlungspunkt der vielfältigen emotional relevanten Erfahrungen, die der Sprecher mit seinem Vater gemacht hat. Weil das Kind sich in seinen bedeutsamen Erfahrungen immer in Beziehung auf seine Partner erlebt, ist mit der jeweiligen Objektrepräsentanz auch immer schon eine „Selbstrepräsentanz" verbunden: dem gewalttätig und bedrohlich erlebten Vater entspricht ζ. B. das Gefühl eigener Ohnmacht und Schwäche, das sich im komplexen Selbstverständnis des Sprechers niederschlägt. Ebenso soll mit der emotionalen Erfahrung des Partners auch schon ein möglicher Handlungsspielraum für das Kind festgelegt sein: vor dem bedrohlichen Vater muß man sich ζ. B. zu schützen versuchen. So zeichnen die komplexen Wortbedeutungen für den Sprecher auch immer schon mögliche Absichten und Verhaltensweisen gegenüber den entsprechenden Partnern vor. Der hier schematisch dargestellte Bedeutungsbegriff akzentuiert die Besonderheit der Wortbedeutungen, indem er das Sprachsystem einer Person als Niederschlag ihrer Lebenserfahrung deutet. Für diese Auffassung ergeben sich jedoch drei Schwierigkeiten: 1. Der skizzierte Bedeutungsbegriff ist nicht in der Lage, die Allgemeinheit und inter subjektive Verbindlichkeit von sprachlichen Ausdrücken zu begründen. Für Lorenzer beruht die denotative Bedeutung sprachlicher Ausdrücke auf den identischen Sozialisationserfahrungen der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft und wird damit zu einem sozialen und entwicklungspsychologischen Faktum. Diese Konzeption wird jedoch der intersubjektiven Geltung von Bedeutungen nicht gerecht: sie beruht auf Regeln, die die Sprecher zu befolgen haben, wenn sie verstanden werden wollen. 2. Der skizzierte Bedeutungsbegriff basiert auf der Konfusion von zwei verschiedenen Bedeutungsaspekten: Lorenzer gewinnt seinen Bedeutungsbegriff, indem er die situative Bedeutung, die ein Partner für mein Erleben hat, mit der Bedeutung des Namens gleichsetzt, mit dem ich diesen Partner bezeichne. Unter der situativen Bedeutung eines Partners verstehen wir die gen übernimmt und damit reale psychische „Gebilde" unterstellen muß, die Träger von Besetzungen werden können. Habermas führt dagegen seinen sprachtheoretischen Ansatz konsequent durch, indem er Triebbesetzungen als Charaktere von Sätzen darstellt; vgl. „Erkenntnis und Interesse"; S. 295—300. Zu Lorenzers problematischer Symbolkonzeption s. „Zur Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffs"; S. 87—93. Zu Freuds ,Sprachtheorie' vgl. G. Jappe: über Wort und Sprache in der Psychoanalyse. Frankfurt 1971; bes. Kap. 4.
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jeweilige Rolle, die unser Partner für unser Wollen und Fühlen spielt. In diesem Sinne kann der Vorgesetzte für seinen Untergebenen in einer bestimmten Situation die Rolle des überlegenen und bedrohlichen Vaters annehmen. Das Korrelat solcher „Rollenbedeutungen" sind jedoch niemals Wortbedeutungen, sondern immer Sätze, in denen wir die situative Bedeutung eines Partners artikulieren. Für die Äußerung solcher Sätze sind wir aber gerade auf eine relativ bestimmte und allgemeingültige Bedeutung der Ausdrücke angewiesen, mit denen wir unsere situative Erfahrung ausdriikken. Nur unter dieser Voraussetzung können wir unsere individuellen Erfahrungen überhaupt anderen Menschen mitteilen, statt unreflektiert in ihnen befangen zu bleiben. Die entsprechende Überlegung läßt sich für Gegenstände durchführen, die uns in bestimmten Situationen begegnen. Ihre situative Bedeutung besteht in ihrer spezifischen Funktion, die sie für unser Handeln gewinnen. Diese Funktion geht nicht unmittelbar in die Bedeutung des Ausdrucks ein, mit dem wir den Gegenstand bezeichnen, sondern kann nur in Sätzen expliziert werden, für deren Verständlichkeit schon die Allgemeinheit des entsprechenden Ausdrucks vorausgesetzt ist. 3. Mit der beschriebenen Konfusion verbindet sich bei Lorenzer ein Mißverständnis des Zusammenhangs von Sprache und Handeln. Weil Lorenzer nicht zwischen situativer Bedeutung und sprachlicher Bedeutung trennt, kann er unsere Praxis von unseren verfügbaren Wortbedeutungen abhängig machen. In Wirklichkeit reagieren wir jedoch in unserem Handeln auf relevante Aspekte unserer Handlungs Situationen und sind in diesem Sinne von der situativen Bedeutung abhängig, die Personen oder Gegenstände für uns haben. Diese Bedeutung ist zweifellos sprachlich vermittelt, aber nicht einfach mit den entsprechenden Namen situativer Gegebenheiten identisch. Den bisher skizzierten problematischen Bedeutungsbegriff macht Lorenzer zur Grundlage seiner sprachtheoretischen Verdrängungskonzeption17. Die emotional belastende Erfahrung mit einem Partner wird verdrängt, indem der entsprechende situative Bedeutungsaspekt seines Namens der bewußten Verfügung und Artikulation entzogen wird. Mit dem Bedeutungsverlust gehen dem Sprecher zugleich die zu der Beziehung gehörigen Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten gegenüber dem Partner verloren. Der „abgespaltene" und aus der inter subjektiven Kommunikation ausgeschlossene Bedeutungsaspekt ist jedoch nicht vollständig aus dem Zusam17
Für die Darstellung dieser Verdrängungstheorie habe ich herangezogen: A. Lorenzer: Sprachzerstörung und Rekonstruktion; S. 90—102. — J. Habermas: Erkenntnis und Interesse; S. 273—280, 291—296, 312—314.
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menhang sprachlicher Bedeutungen ausgestoßen. Vielmehr sind es „syntaktische" Regeln, die die „Wiederkehr des Verdrängten" bestimmen, indem sie festlegen, mit welchen anderen Wortbedeutungen sich die abgespaltene Bedeutung neu verbindet. In ihrer neuen Verbindung bleibt die verdrängte Bedeutung zwar weiter unbewußt, aber sie behält ihre ursprüngliche Funktion, die Handlungsmöglichkeiten des Sprechers zu regeln. Allerdings zeigt sich der unbewußte Charakter der Bedeutung nun darin, daß sie ein starres, reizstimuliertes Verhaltensmuster festlegt, das Lorenzer als „Verhaltensklischee" bezeichnet. Den abstrakt dargestellten Vorgang illustriert Lorenzer an Freuds Beispiel der Pferdephobie des Kleinen Hans: der abgespaltene Bedeutungsaspekt ,bedrohlicher Vater' geht unbewußt auf den Ausdruck ,Pferd' über, so daß die Pferde, die dem Kleinen Hans begegnen, nun automatisch Angst und phobisches Verhalten auslösen, ohne daß das Kind dafür die wahren Gründe angeben könnte. Die bisher skizzierte Verdrängungstheorie ist der Versuch, Freuds unangemessene Verdinglichung unbewußter Vorgänge zu vermeiden und die Verdrängung stattdessen als „Operation" aufzufassen, „die an und mit der Sprache durchgeführt wird" 18 . Wenn man innerhalb dieses Konzepts konsequent auf die Annahme unsprachlicher psychischer Gegebenheiten verzichtet, ergeben sich drei Schwierigkeiten, die Lorenzers Versuch problematisch machen: 1. Die Verdrängungstheorie läßt die Frage offen, in welcher Weise Bedeutungsaspekte existieren, die nicht mehr sprachlich artikulierbar sind. Lorenzer löst mit seiner sprachtheoretischen Verdrängungskonzeption das ontologische Problem des „unbewußten Psychischen" gar nicht, sondern formuliert es nur auf der semantischen Ebene neu als Problem der „nicht artikulierbaren, sprachlich unverfügbaren Bedeutung". 2. Ebenso ungeklärt bleibt der Vorgang, in dem ein abgespaltener Bedeutungsaspekt nach syntaktischen Regeln mit einer neuen Bedeutung verknüpft wird. Zwar legen syntaktische Regeln die Kombination sprachlicher Ausdrücke zu wohlgeformten Sätzen fest, aber diese Art der Verknüpfung scheint sich doch wesentlich von der Beziehung zu unterscheiden, die zwischen dem ursprünglichen und dem sekundären ,Platz' eines abgespalteten Bedeutungsaspektes besteht. Die Verschiebung eines Bedeutungsaspektes innerhalb des semantischen Systems soll nämlich die verschleierte „symbolische" Beziehung zwischen „traumatischer" Situation und dem abnormen 18
J. Habermas: Erkenntnis und Interesse; S. 294.
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Verhalten erklären und damit eine Relation verständlich machen, die sich offensichtlich von der Verbindung von Satzteilen unterscheidet. 3. Schließlich läßt die sprachtheoretische Verdrängungstheorie den Zusammenhang von Sprache und Handeln ungeklärt (s. o. S. 15) und verschärft dieses Problem noch, indem sie vor die Frage stellt, wie unbewußte Bedeutungsaspekte automatisch ablaufende Verhaltensmuster bestimmen und strukturieren können. überblickt man die Schwierigkeiten der sprachtheoretischen Verdrängungstheorie, dann scheinen sie sich im wesentlichen daraus zu ergeben, daß Lorenzer keinen neuen, genuin sprachtheoretischen Zugang zur Verdrängungsproblematik gewinnt. Zwar ersetzt er Freuds problematische Konzeption des „psychischen Vorgangs" durch seine Auffassung sprachlicher Bedeutungen, aber zugleich überträgt er die formalen Strukturen des Verorängungsvorgangs von den „psychischen Vorgängen" auf die Bedeutungsaspekte·, genau wie der „unverträgliche" psychische Vorgang wird der Bedeutungsaspekt aus einem geordneten Zusammenhang ausgeschlossen und auf dem Wege der „Verschiebung" neu mit anderen, passenden Elementen des Systems verknüpft. Dabei werden die Aspekte sprachlicher Bedeutungen letztlich immer noch nach dem Modell real existierender Gegenstände aufgefaßt. Die bisherige Kritik an Lorenzers Bedeutungskonzeption läßt sich stützen, wenn man genauer untersucht, wie Lorenzer die Aufhebung von Verdrängungen in der analytischen Therapie beschreibt19. Seinem systematischen Ansatz entsprechend, sieht er die Aufgabe des Therapeuten darin, in den vielfältigen Interaktionen des Patienten die starren, ständig wiederholten Beziehungsmuster herauszuheben und von ihnen her die unbewußten Bedeutungsaspekte der Ausdrücke zu ermitteln, die das Verhalten des Patienten steuern. Voraussetzung für diesen Interpretationsvorgang ist das gemeinsame System von Wortbedeutungen und die Vertrautheit mit den intersubjektiv verbindlichen Regeln, nach denen Wortbedeutungen das Handeln der Sprecher bestimmen. In der eingehenden Analyse des therapeutischen Verstehens macht Lorenzer jedoch selbst deutlich, daß der Analytiker nicht Bedeutungsaspekte von Ausdrücken, sondern die situativen „Rollenbedeutungen" von Partnern aufzuklären versucht. Diese Bedeutungen zeigen sich für das ,einfühlende' Verstehen, das sich in die Rolle des unbewußt agierenden Patienten oder seiner fiktiven Partner versetzt und dabei die Gefühle und Wünsche nach vollzieht, die dem Patienten verborgen bleiben. Basis für die19
Lorenzers Darstellung der psychoanalytischen Therapie umfaßt die Kapitel V und VI in „Sprachzerstörung und Rekonstruktion".
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ses Verstehen ist die gemeinsame Erfahrung grundlegender menschlicher Beziehungskonflikte, die der Analytiker bewußt aufgearbeitet hat und nun in jeweils individueller Ausprägung in den neurotischen Verhaltensmustern des Patienten wiederentdeckt. Im Rückblick auf die skizzierte Neufassung psychoanalytischer Grundannahmen lassen sich die Vorzüge und Schwächen dieses Konzepts zusammenfassen. Im Unterschied zum Behaviorismus sehen Habermas und Lorenzer, daß menschliches Verhalten immer von der Bedeutung bestimmt wird, die Handlungssituationen für uns gewinnen. In dieser Bedeutung sind mir meine Interaktionspartner und meine eigene Person in einer bestimmten, emotional geprägten ,Rolle' zugänglich, und damit ist zugleich der Spielraum festgelegt, der mir für mein situationsbezogenes Handeln offensteht. Ebenso zeigen beide Autoren zu Recht, daß diese Bedeutung immer durch Sprache vermittelt und bestimmt wird. Aber ihr Sprachbegriff und die Art der Vermittlung bleiben unzureichend; vielleicht deshalb, weil sie von der Bedeutung von Worten statt von der Bedeutung von Sätzen ausgehen. Während Habermas und Lorenzer sich an Wittgensteins Sprachspielkonzept orientieren, hat Lacan versucht, Freuds Theorie auf der Basis des strukturalistischen Sprachbegriffs zu reformulieren 20 . Lacan faßt die Sprache als eine Gesamtheit von unterschiedlichen Elementen auf, die einer umfassenden Struktur entsprechend angeordnet sind. Die Ordnungsstruktur bestimmt mit dem ,Ort' jedes Elements seine Bedeutung und seine semantischen Beziehungen zu den anderen Elementen. Auf diese Weise legt sie die semantisch zulässigen Kombinationsmöglichkeiten der Elemente in der gesprochenen Sprache fest. In dieser Konzeption ist Sprache wieder als ein System von einzelnen Sprachzeichen interpretiert und zugleich extrem formalisiert: Sprache fungiert als ein umfassendes Ordnungssystem, das von „Signantien", aber auch von anderen Elementen erfüllt werden kann. Diesen Sprachbegriff zieht Lacan heran, um nun auch das Unbewußte als 20
Die folgende Skizze greift nur einen der drei Problemkreise heraus, die Lacan beschäftigen. Lacans zentrale These von der Sprachstruktur des Unbewußten hat S. Leclaire in seiner Arbeit „Der psychoanalytische Prozeß" (Ölten 1971) aufgenommen. Einen ersten Einblick in die strukturalistische Auffassung der Psychoanalyse vermittelt J.-B. Pontalis: Nach Freud. Frankfurt 1968; S. 21—65. — Zur folgenden Darstellung s. J. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. In: Schriften I. Ölten 1973; S. 71—169. — H. Lang: Die Sprache und das Unbewußte. Frankfurt 1973; S. 108—134, bes. 128 f., 234—304. Einen klaren Überblick über Lacans Gesamtkonzeption geben S. und H. C. Goeppert: Sprache und Psychoanalyse. Reinbek 1973; S. 100—126.
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„Struktur" zu interpretieren, „die der Sprachstruktur gleichzusetzen ist" 21. Damit ist zunächst nur behauptet, daß die Inhalte des Unbewußten selbst noch durch die umfassende Ordnungsstruktur der Sprache organisiert sind und deshalb überhaupt von der gesprochenen Sprache her zugänglich werden können. Lacan geht aber noch einen Schritt weiter, indem er die Inhalte des Unbewußten selbst als „Signantien" auffaßt, die durch die Verdrängung in die Rolle von „Signata" geraten sind. Mit dieser These räumt er den verdrängten Wünschen den ontologischen Status von ,Zeichen' ein, obwohl sie sich von Zeichen dadurch linterscheiden, daß sie selbst keine Bedeutung haben. Damit scheint Lacan die Frage auszuklammern, in welcher Weise unbewußte Inhalte sich von sprachlich artikulierbaren ontologisch unterscheiden. Der extrem formalisierte Sprachbegriii bezieht nicht nur das Unbewußte in den Bereich der Sprache ein, sondern erlaubt es auch, die Phänomene als sprachliche Artikulationen aufzufassen, in denen verdrängte Wünsche sich zum Ausdruck bringen (Symptom, Traum, Fehlleistung). Wenn Lacan behauptet, „daß der Traum die Struktur eines Satzes hat" 22, dann interpretiert er ihn damit als eine geordnete Abfolge von „signifikanten Elementen", die auf ein Signatum bezogen sind. Nun ist es unbezweifelbar, daß Träume und entsprechende Phänomene eine Bedeutung haben, die durch Interpretation aufgedeckt werden kann. Aber es erscheint doch problematisch, wenn Lacan diese Bedeutung ohne weiteres als sprachliche Bedeutung hinstellt. Damit wird er dem „Sinn der Symptome" und dem analytischen Deutungsverfahren nicht gerecht. Nachdem Lacan den verdrängten Inhalten und ihren bewußten Ausdrucksformen Sprachcharakter zugesprochen hat, kann er nun die symbolische Beziehung zwischen unbewußten Wünschen und abnormen Verhaltensweisen durch rhetorische Regeln begründen: die „Verdichtung" verschiedener unbewußter Inhalte in einem ,Symbol' interpretiert er als „Metonymie", die „Verschiebung" als „Metapher". Die Voraussetzung dieser Auffassung, der Sprachcharakter von Unbewußtem und Symptom, bleibt jedoch fraglich. Auch Lacans Konzeption gegenüber läßt sich vielleicht der Einwand wiederholen, daß sie keinen genuin sprachtheoretischen Zugang zu Freuds Theorie findet. Der formalisierte Sprachbegriif, der von dem geordneten Zusam21
J. Lacan: Ecrits; S. 444; zitiert nach H. Lang: Die Sprache und das Unbewußte; S. 234. 22 J. Lacan: Schriften I; S. 107.
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menhang von Elementen ausgeht, erlaubt es nämlich, Freuds Konzeption eines „Assoziationszusammenhangs" von psychischen Elementen einfach auf eine semantische Basis zu übertragen und für Freuds energetische und räumliche Annahmen semantische Entsprechungen zu suchen. Eine dritte Möglichkeit, sich sprachtheoretisch mit der Psychoanalyse auseinanderzusetzen, wird von der Sprachphilosophie des angelsächsischen Sprachraums vertreten. Sie verbindet zumeist die sprachanalytische Untersuchung der Unbewußtheit von Motiven mit der Frage nach dem logischen Status und der wissenschaftstheoretischen Überzeugungskraft von Freuds Theorie. Als charakteristisches Beispiel für dieses Vorgehen soll die Arbeit von A. Maclntyre: „Das Unbewußte" kurz besprochen werden23. Maclntyre untersucht Freuds Gebrauch der Worte ,unbewußt' und ,das Unbewußte', um zu klären, inwieweit Freud sich in seinem Sprachgebrauch an entsprechenden, umgangssprachlich ausgewiesenen Wortbedeutungen unserer Alltagssprache orientiert. Dabei zeigt sich, daß Freud sich in der Verwendung des deskriptiven Ausdrucks ,unbewußt' im Rahmen des umgangssprachlichen Gebrauchs hält, mit dem Begriff ,das Unbewußte' dagegen einen erklärenden Terminus einführt, der in der Umgangssprache fehlt und deshalb eine eigenständige wissenschaftstheoretische Rechtfertigung verlangt. Die philosophische Kritik hat zu prüfen, welche einsichtigen Gründe Freud für seine begriffliche Neuerung anführen kann. Innerhalb dieses wissenschaftstheoretischen Programms stößt Maclntyre auf den Zusammenhang von Sprache und Handeln, indem er zu klären versucht, was Freud unter dem unbewußt motivierten Handeln des Neurotikers versteht. Maclntyre zeigt, daß Freud dem abnormen Verhalten des Neurotikers eine leitende Absicht unterstellt, die sich einerseits an dem immer noch relativ kohärenten Verhaltensmuster der Person ablesen läßt, zugleich aber audi prinzipiell vom Handelnden selbst angegeben werden kann, wenn die Schwierigkeiten beseitigt sind, die ihn an dem Ausdruck seiner Absicht hindern. Für die Aufklärung dieses ungewöhnlichen Verhaltens hat Freud zweierlei geleistet: zunächst ist es ihm gelungen, die abnormen Verhaltensmuster auf eine verborgene Absicht hin zu interpretieren und damit zu entschlüsseln. Darüber hinaus hat er zur Erklärung der entschlüsselten Verhaltensformen beigetragen, indem er Hypothesen aufstellte, die regelmäßige Zusammenhänge zwischen gewissen vergessenen Kindheitserlebnissen und abnormen 23 Weitere wichtige Texte sind: St. Toulmin: The Logical Status of Psycho-Analysis. In: Μ. MacDonald (Ed.): Philosophy and Analysis. Oxford 1954; S. 132—139. — R. S. Peters: The Concept of Motivation. London 21960; S. 52—94.
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Verhaltensweisen behaupten. Um diese überprüfbaren „empirischen Verallgemeinerungen" selbst noch zu erklären, hat er den Begriff des Unbewußten eingeführt und damit eine Dimension der Seele postuliert, in der die unterdrückten infantilen Absichten real existieren und als Ursachen auf das Verhalten des Erwachsenen einwirken. Wissenschaftstheoretisch betrachtet besitzt dieser Begriff keine Erklärungskraft, weil er weder empirisch ausweisbar ist noch bestimmte Folgerungen zuläßt, die ihrerseits empirisch überprüfbar wären. Deshalb sollte der Begriff aufgegeben werden 24 . In seiner Kritik an Freuds verdinglichender Auffassung unterdrückter Motive ist Maclntyre mit Habermas, Lorenzer und Lacan einig. Zugleich verzichtet er aber darauf, einen neuen angemesseneren Erklärungsrahmen für Freuds empirisch prüfbare Entdeckungen anzugeben. Damit befreit er die Psychoanalyse aber nicht von einem unfunktionalen Überbau, sondern entzieht ihr eine theoretische Dimension, die Antworten auf wichtige Fragen gibt. In Maclntyres eingeschränktem Rahmen bleibt nämlich ungeklärt, worin die Schwierigkeiten bestehen, die jemanden daran hindern, verdrängte Motive anzugeben. Genauso bleibt es offen, warum die Unfähigkeit, sein Motiv einzugestehen, mit dem zwanghaften Ausagieren dieser Motive verbunden sein kann. Beide Fragen hat Freud mit seiner Verdrängungstheorie und der zugehörigen Konzeption des „Unbewußten" zu beantworten versucht. Auch Lorenzer, Habermas und Lacan beantworten diese Fragen, indem sie das System sprachlicher Bedeutungen als Struktur ansetzen, von der unser aktuelles Verständnis unserer Handlungssituationen und -möglichkeiten abhängt. Für Maclntyre kommt Sprache dagegen nur als beschreibbares Moment der Lebenspraxis, nicht aber als ihr »transzendentaler Horizont' in den Blick. Auch die folgende Untersuchung bemüht sich darum, Freuds Konzeption des Unbewußten nicht einfach aufzugeben, sondern in einem theoretisch angemessenen Rahmen zu entwickeln Da ihr kein zureichender Sprachbegriff zur Verfügung steht, erscheint es berechtigt, den bewußtseinstheoretischen Ansatz wieder aufzunehmen und zu prüfen, inwieweit die Möglichkeiten einer bewußtseinstheoretischen Reformulierung der Psychoanalyse bisher schon ausgeschöpft sind.
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Zur Unterscheidung der beiden Ebenen einer wissenschaftlichen Erklärung vgl. K. R. Popper: Das Ziel der Erfahrungswissenschaft. In: Objektive Erkenntnis. Hamburg 1973; S. 213 ff. — St. Toulmin: Voraussicht und Verstehen. Frankfurt 1968; S. 54— 75. — E. Ströker: Einführung in die Wissenschaftstheorie. München 1973; S. 60— 76.
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2. Der bewußtseinstheoretische Ansatz der Interpretation a) Die psychoanalytische Theorie als Explikation des praktischen' Selbs tbewußt seins Die bewußtseinstheoretische Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse steht in der Gefahr, von demselben Bewußtseinsbegriff auszugehen, der Freud bei seiner Theoriebildung leitet und der auch schon in der philosophischen Tradition maßgeblich gewesen ist 25 . Diese Auffassung interpretiert das „cogitare" des „ego" als „cogito me cogitare" und begründet damit das Bewußtsein von Gegenständen in dem unmittelbaren Wissen des Ichs um die entsprechenden Bewußtseinszustände. Wie schon angedeutet, wird dieses Wissen als „innere Wahrnehmung" verstanden, für die die eigenen Zustände in uneingeschränkter Durchsichtigkeit' und Gewißheit gegeben sind 26 . Der hier skizzierte Bewußtseinsbegriff ist jedoch gänzlich ungeeignet, um Freuds „topisches" Modell des „psychischen Apparats" zu reformulieren. Die eingehendere Interpretation wird vielmehr zeigen, daß dieser Begriff weitgehend für die theoretischen Schwierigkeiten verantwortlich ist, die sich für die Verdrängungstheorie und den Status des Unbewußten ergeben. Deshalb liegt es nahe, an einen anderen Traditionsstrang anzuknüpfen, der das Bewußtsein nicht in der ,transparenten' Selbst Wahrnehmung, sondern in einem praktischen' Selbstbezug begründet. Diese Tradition hat Fichte geschaffen, indem er das Selbstbewußtsein als Handlung auffaßt, in der das Subjekt selbst erst entscheidet, in welcher Perspektive und in welchem Umfang es die Welt und sich selbst in seinen ,empirischen' Bestimmungen sehen will. In solchem Handeln sieht Fichte die Grundstruktur der Subjektivität': indem der Mensch seinen eigenen Bewußtseinsspielraum umgrenzt, konstituiert er sich als ,Selbst' (s. u. S. 26 ff.). Mit seinem Neuansatz hat Fichte jedoch nur den ersten Schritt zu einer neuen Bewußtseinskonzeption getan, weil er weiterhin die praktische Selbstbeziehung als transparente Selbstgegebenheit interpretiert: das Sein des Subjekts ist innerhalb seiner Theorie selbstverständlich transparentes „Für-sichsein" (s. u. S. 29). Erst Heidegger ist es gelungen, den Bewußtseinscharakter des praktischen Selbstbezugs angemessen aufzuklären. Er betont den Spiel25 Dieser Gefahr ist ζ. B. Sartre erlegen, der seine Freudkritik auf der unzureichenden Basis des cartesianischen Bewußtseinsbegriffs entwickelt. Vgl. dazu E. Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. Berlin 21970; S. 325. 26 Als eindrückliches Beispiel für diese Auffassung des Selbstbewußtseins kann Husserls Begriffsklärung von .Bewußtsein' in der V. Logischen Untersuchung dienen; s. E. Husserl: Logische Untersuchungen I I / l . Tübingen 51968; S. 345—363.
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raumcharakter des Bewußtseins von „Selbst" und „Welt" und zeigt, daß das „Dasein" sich diesen Spielraum nur dann angemessen eröffnet, wenn es seine wesentliche „Verdeckungstendenz" überwindet. Die folgende Interpretation rückt Freuds Werk in den sachlichen Zusammenhang dieser philosophischen Tradition27. Damit betrachtet sie die Psychoanalyse nicht als Erfahrungswissenschaft, die an den Regeln wissenschaftlicher Theoriebildung geprüft werden muß. Vielmehr faßt sie die Tiefenpsychologie als unausdrücklichen Versuch auf, die Grundstruktur des Menschen als ,Subjekt' zu entfalten. Diese Einschätzung widerspricht Freuds eigenem methodischen Anspruch: er betrachtete die Psychoanalyse als Naturwissenschaft, die von empirischen Befunden ausgeht und sie in theoretischen Hypothesen und Konstruktionen zusammenfaßt und ordnet. Zugleich sah er aber auch selbst, daß jede methodische Beobachtung und alle Theoriebildung ein unausdrückliches und vortheoretisches Vorverständnis ihres Gegenstandes voraussetzen, das den Zugang zu den empirischen Sachverhalten festlegt (vgl. X, 210 f.). Dieses leitende ,Vorverständnis' soll sich im folgenden als praktische' Auffassung des Selbstbewußtseins erweisen. Mit dieser These stellen sich für die Interpretationen zwei zusammengehörige Aufgaben: einerseits muß gezeigt werden, daß Freud seinen eigenen Ansatz und sein eigenes Vorgehen mißversteht, wenn er die Psychoanalyse als eine Naturwissenschaft auffaßt, die den wissenschaftlichen Ansprüchen an Systematik und Kohärenz der Theoriebildung gerecht werden kann. Andererseits muß deudich werden, daß die Struktur des praktischen Selbstbewußtseins eine Basis bietet, um Freuds einzelne Hypothesen und Konstruktionen in einen systematischen Zusammenhang zu bringen. Für eine erste grobe Charakterisierung der sachlichen Beziehungen steht 27 Zwischen den drei interpretierten Autoren bestehen in der Tat nur sachliche Beziehungen. Freuds philosophische Kenntnisse waren, wie er selbst betont (XV, 189 f.), bescheiden und haben sich primär auf Theorien bezogen, die direkte inhaltliche Beziehungen zu seinen Forschungen aufweisen (Nietzsche, Schopenhauer u. a.). Heidegger scheint wiederum keine genauere Kenntnis der Psychoanalyse gehabt zu haben. In seinem Kantbuch führt er die Psychoanalyse lediglich einmal in einer Reihe anthropologischer Wissenschaften mit auf, ohne sie näher zu charakterisieren (Kant, 189). In SZ wendet er sich gegen eine Selbsterfahrung, in der „das Selbst einer .analytischen' Begaffung von Seelenzuständen und ihrer Hintergründe" (SZ, 273) zugänglich wird. Mit diesem Verdikt scheint Heidegger jede produktive Aneignung der Psychoanalyse für sich ausgeschlossen zu haben. Auch mit der Wissenschaftslehre Fichtes scheint Heidegger während der Arbeit an SZ nicht näher vertraut gewesen zu sein. Fichte wird, soweit ich sehe, in keiner seiner frühen Arbeiten erwähnt. Im Jahre 1929 behandelt Heidegger die Wissenschaftslehre von 1794 zum ersten Male in einer Vorlesung mit dem Titel: Der deutsche Idealismus und die Problemlage der Gegenwart.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
die Psychoanalyse zwischen Fichtes und Heideggers Konzeption des Selbstbezugs. Mit Fichte teilt Freud die Auffassung des Selbstbewußtseins als uneingeschränkter Selbstdurchsichtigkeit des Subjekts. Zugleich entdeckt er aber in den verdrängten Wünschen und Emotionen die Phänomene, die sich in diese Auffassung des Selbstbezugs nicht mehr einfügen lassen. Weil Freud trotz seiner Entdeckungen an der Transparenz des Selbstbewußtseins festhält, muß er den Bereich unbewußt wirksamer Wünsche und Gefühle scharf vom Bereich bewußter Zustände des Subjekts abtrennen und verwickelt sich damit in theoretische Schwierigkeiten, die im Rahmen der psychoanalytischen Theoriebildung nicht mehr zu lösen sind. An diesem Punkt kann Heideggers Interpretation fruchtbar werden, die den Spielraumcharakter des Bewußtseins hervorhebt und damit die Selbstgegebenheit des Subjekts von vornherein in der Spannung von Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit des eigenen „In-der-Welt-seins" interpretiert. Zugleich gelingt es Heidegger auch, die fundamentalen Interessen zu klären, die das Subjekt bei der Umgrenzung seines Bewußtseinsspielraums leiten und damit festlegen, in welchem Umfang es für sein Sein offen ist. Der Vergleich zwischen Freud und Heidegger wird zeigen, in welchem Maße diese Neukonzeption des Selbstbezugs die immanenten Schwierigkeiten der Psychoanalyse lösen und die einheitliche Grundstruktur der analytischen Theorie plastisch machen kann. Umgekehrt wird auch zu fragen sein, was die Psychoanalyse ihrerseits zur Kritik einer Position beitragen kann, die die Triebgebundenheit menschlicher Existenz weitgehend ausklammert. b) Fichtes Theorie des interessegeleiteten Selbstbewußtseins als leitender Vorbegriff der Interpretation Innerhalb der philosophischen Tradition hat der deutsche Idealismus zum ersten Mal das Selbstbewußtsein als konstitutive Struktur des ,Subjekts' differenziert entfaltet. Deshalb liegt es für eine Analyse der Subjektivität nahe, ihren leitenden Vorbegriff aus idealistischen Selbstbewußtseinstheorien zu gewinnen. So sollen in der folgenden Interpretation der Theorie Fichtes die formalen Kategorien herausgehoben werden, auf die hin die Psychoanalyse und die Existenzialontologie in der weiteren Untersuchung befragt werden. Gerade in ihrer Formalisierung dienen die Begriffe Fichtes nur der Formulierung der Frage, auf die die Psychoanalyse und die Existenzialontologie von sich her antworten sollen. Zugleich soll die Interpretation der Fichteschen Konzeption so weit geführt werden, daß die Aspekte der Theorie deut-
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lieh werden, gegen die sich Freud sachlich in seiner Kritik der ,transparenten' Selbstgegebenheit wendet 28 . Die philosophische Theorie, die Fichte in seiner „Wissenschaftslehre" entfaltet, entspringt dem Widerspruch, der den Standpunkt des „Lebens" bestimmt. Sofern wir handeln, verstehen wir uns als freie Wesen, sofern wir erkennen, als Wesen, die von vorgegebenen Objekten abhängig sind (1,423). Innerhalb dieser widersprüchlichen Selbsterfahrung ergreift das Ich für den Aspekt der Freiheit Partei: „Es ist in mir ein Trieb zu absoluter, unabhängiger Selbsttätigkeit. ( . . . ) Diesen Trieb fühle ich, sowie ich nur mich selbst wahrnehme" (11,249). Der unmittelbare Anspruch des Individuums, frei zu sein, und die unabweisbare Erfahrung der eigenen Bedingtheit, die alle Freiheit als Täuschung hinstellt, nötigen zu der philosophischen Frage nach dem „Grund aller Erfahrung" (1,423). Die Philosophie hat die Aufgabe, in der transzendentalen Deduktion der Erfahrung das theoretische Recht des Anspruchs auszuweisen, den der Trieb zur Selbsttätigkeit unmittelbar an das Ich stellt. Das „Interesse" an der „Selbständigkeit", das die Fragestellung der Philosophie begründet, gibt ihr zugleich die Antwort vor. Für die Deduktion der Erfahrung bieten sich theoretisch zwei Möglichkeiten: die Theorie kann von „der Selbständigkeit des Ich" oder der Selbständigkeit des Dinges gegenüber dem Ich (1,432) ausgehen. Der Trieb zur Selbsttätigkeit fordert den Ansatz bei der Selbständigkeit des Ich (1,433) und zeichnet zugleich die Aufgabe vor, diesen Ansatz in der konkreten Selbsterfahrung auszuweisen. Damit intendiert er eine Weise des Selbstbewußtseins, in der das Ich sich selbst in absoluter Selbsttätigkeit zugänglich wird. In der kritischen Auseinandersetzung mit dem Reflexionsmodell Kants zeigt Fichte nun, daß die bisherigen Selbstbewußtseinstheorien diese Weise der Selbstgegebenheit gar nicht thematisiert haben. Indem die Reflexionstheorie nämlich das Ich schon als Subjekt für die ,Reflexion' auf sich als Objekt voraussetzt, setzt sie zugleich ein ursprüngliches Selbstbewußtsein voraus, indem das Ich sich schon hat, um sich im Vollzug der Reflexion über28 Die folgende Darstellung der Selbstbewußtseinstheorie Fichtes ist als selbständige Interpretation unzureichend. Sie beschränkt sich fast ausschließlich auf die .populären' Schriften Fichtes, die die Strukturen des Selbstbewußtseins deskriptiv auszuweisen und in ihrer Relevanz für den Lebensvollzug aufzuklären versuchen. Eine Untersuchung, die das Strukturproblem des Selbstbewußtseins ins Zentrum stellt und für die ganze Entwicklung der „Wissenschaftslehre" untersucht, hat D. Henrich vorgelegt: Fichtes ursprüngliche Einsicht. Frankfurt 1967. — Die Zitate Fichtes sind folgender Ausgabe entnommen: J. G. Fichte: Sämmtliche Werke. Hrsg. von I. H. Fichte. Berlin 1834—1846.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
haupt „zum Ziele eines Handelns machen zu können" (1,459). Zugleich setzt die Reflexionstheorie den Selbstbezug nach dem Modell der „sinnlichen Anschauung" an, die stets nur auf ein „Beharren" (1,471) geht, und kann darum nur ein Selbstbewußtsein erklären, in dem ich mich als „leidend" erfahre, als „der ruhende Schauplatz, auf welchem Vorstellungen durch Vorstellungen abgelöst würden, nicht aber ((als)) das tätige Prinzip, welches sie hervorbrächte" (1,465). Damit sind die beiden Motivationen für Fichtes Selbstbewußtseinskonzeption sichtbar geworden. Der Anspruch des Interesses an der Selbständigkeit bildet das ,existenzielle' Motiv, die Kritik am Reflexionsmodell dagegen das theoretische Motiv für die Frage nach der ursprünglichen Selbstgegebenheit des Ich. Fichte deckt die gesuchte Weise des Selbstbezuges auf, indem er den Akt des Sich-selbst-Bewußtwerdens interpretiert, den das Ich „willkürlich und mit Freiheit" (1,460) auf eine Aufforderung hin vollzieht. In diesem Vollzug kann der Denkende „inne werden, daß, indem er zu diesem Denken aufgefordert wird, er zu etwas von seiner Selbsttätigkeit Abhängigem, zu einem inneren Handeln aufgefordert werde, und, wenn er das Geforderte vollbringt, wirklich durch Selbsttätigkeit sich affiziere, also handle" (1,461 f.). Sofern sich dieses Handeln aber nicht auf Objekte richtet, sondern wesentlich .SWtobewußtsein ist, ist der Denkende sich im Vollzuge seines Handelns dessen bewußt, daß „seine Tätigkeit, als Intelligenz, in sich selbst zurückgehe, sich selbst zum Gegenstande mache" (1,458). So wird sichtbar, daß „der Gedanke seiner selbst nichts anderes sei, als der Gedanke dieser Handlung, ( . . . ) daß Ich und in sich zurückkehrendes Handeln völlig identische Begriffe sind" (1,462). Im „Gedanken der Handlung" ist aber der Vollzug nicht etwa Gegenstand für ein selbständiges Denken des Vollzugs. Vielmehr entspringt der Gedanke des Handelns unmittelbar im Vollzuge selbst als „intellektuelle Anschauung". Sie „ist das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle, und was ich handle: sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue" (1,463) 29 . 29
Die vorangegangene Darstellung der Selbstbewußtseinsstruktur nimmt keine Rücksicht auf die Entwicklung, die sich in den drei Einleitungsschriften vollzieht. In der „Zweiten Einleitung" faßt Fichte das in sich zurückgehende Handeln noch in dem Modell einer tätigen Kraft, ohne genügend zu berücksichtigen, daß diese Tätigkeit ein Wissen ist. Die Anschauung der Tätigkeit wird zunächst lediglich als hinzutretendes Moment verstanden, das in der Aufmerksamkeit des Philosophen begründet ist (vgl. 1,458; 461). Dann aber faßt Fichte die intellektuelle Anschauung selber als konstitutive Struktur des Selbstbewußtseins, indem er behauptet, daß „das Bewußtsein Ich . . . lediglich aus intellektueller Anschauung kommt" (1,464). Diese Neubestimmung wird erst voll aus dem „Versuch" verständlich, in dem Fichte die intellektuelle Anschauung selber als in sich zurückkehrendes Handeln versteht, das überhaupt erst
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Diese Weise des Selbstbewußtseins ist für Fichte das ursprüngliche Bewußtsein meiner selbst, weil in ihr die intellektuelle Anschauung noch den Vollzug des „Sich-Setzens" und darin die unmittelbare Einheit von Subjekt und Objekt im Selbstbewußtsein erfaßt (vgl. 1,91—101). Zugleich ist das ursprüngliche Selbstbewußtsein auch das Bewußtsein der absoluten Selbsttätigkeit des Ich: Die in sich zurückgehende Tätigkeit wird von Fichte als die ,Urhandlung' der Intelligenz verstanden, die für ihre Möglichkeit weder ein „Handeln überhaupt" (1,459) noch ein Objekt voraussetzt. Sie ist vielmehr Tätigkeit, die sich im Handeln selbst erst hervorbringt und sich darin auch schon ihre bestimmte Richtung gibt. So kann Fichte sie als „Tathandlung" ansetzen, d. h. als reine „Tätigkeit, die kein Objekt voraussetzt, sondern es selbst hervorbringt, und wo sonach das Handeln unmittelbar zur Tat wird" (1,468). Ein solches Handeln aber ist absolut spontan. So erfüllt das Selbstbewußtsein als „Tathandlung" den Anspruch des Interesses an der Selbständigkeit und überwindet zugleich die theoretischen Schwierigkeiten des ,Reflexionsmodells'. Indem das Ich den spontanen Akt des Selbstbewußtseins vollzieht, verwandelt sich sein Verhältnis zu seiner konkreten Umwelt. Unmittelbar existiert es als „Produkt der Dinge" (1,433), das in seinem Verhalten wesentlich von seiner Umwelt abhängig ist. In dieser Abhängigkeit von mannigfaltigen und sich wandelnden Bedingungen gründet die ,Widersprüchlichkeit' (vgl. VI, 297) des eigenen Verhaltens. Indem das Ich jedoch dem Trieb zur Selbsttätigkeit folgt und sich spontan seiner selbst bewußt wird, nimmt es sich aus seiner unmittelbaren Umweltgebundenheit zurück und befreit sich so selbst von der Abhängigkeit von seinen mannigfaltigen Vorgegebenheiten. In dieser Abstraktionsbewegung bringt es sich gegenüber seinen Vorgegebenheiten in die Schwebe, in der es sich die Möglichkeiten seines Verhaltens noch offen hält, um je selbst über es zu entscheiden. Zugleich gibt es sich die eigene absolute Spontaneität, die es im Selbstbewußtseinsvollzug erfährt, als die Norm alles konkreten, umweltbezogenen Verhaltens vor (vgl. 1,466; 515 f.). Aber Fichte versteht das Selbstbewußtsein nicht nur als Erfahrung absoluter Spontaneität, sondern auch als Erfahrung absoluter Identität: „Nämlich, das reine Ich kann nie im Widerspruche mit sich selbst stehen, denn es ist in ihm gar keine Verschiedenheit, sondern es ist stets ein und ebendasjede objektive Gegebenheit des eigenen Handelns ermöglicht: Die intellektuelle Anschauung „ist ein sich Setzen als setzend (irgendein Objektives . . . ) " (1,528). Damit gewinnt sie nun selber die Struktur des Selbstbewußtseins, das die reine Subjektseite in der Selbstbewußtseinsrelation zwischen dem Subjekt und dem Objekt bildet.
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Die Rechtfertigung der Interpretation
selbe" (VI, 296 f.). So stellt der Vollzug des Selbstbewußtseins die folgende Forderung an das Ich: „Der Mensch soll stets einig mit sich sein; er soll sich nie widersprechen" (VI, 296). Beide Forderungen an das „empirische Ich" gehören unmittelbar zusammen: nur sofern das Ich in allen seinen Verhaltensweisen allein durch sich selbst bestimmt ist, kann es mit sich identisch sein. In der Orientierung an den Normen des eigenen Selbstbewußtseins bemüht sich das konkrete Ich um die Integration seiner verschiedenen ,Kräfte': „Nicht etwa bloß der Wille soll stets einig mit sich selbst sein, . . . sondern alle Kräfte des Menschen . . . sollen zu vollkommener Identität übereinstimmen, und unter sich zusammenstimmen" (VI, 297). Weil das konkret existierende Ich ständig von den Bedingungen seiner Umwelt mitbestimmt wird, auch wenn es nicht mehr ihr „Produkt" ist, läßt sich seine vollständige Übereinstimmung mit sich selbst nur in der „Übereinstimmung aller Dinge außer ihm, mit seinen notwendigen praktischen Begriffen von ihnen" erreichen (VI, 299). So bleibt die Aufgabe der Selbstbefreiung und der Identitätsbildung ein unabschließbarer Prozeß, der durch die im Selbstbewußtsein erschlossenen Normen geleitet wird. Der Erfahrung absoluter Selbständigkeit und Identität ist eine Weise des Selbstbezugs entgegengesetzt, in der das Ich sich gegen die Möglichkeit des spontanen Selbstbewußtseins sperrt. Sie gründet in dem Interesse, die eigene Umweltgebundenheit festzuhalten (1,433), und findet ihren theoretischen Ausdruck im „Dogmatismus", der von der „Selbständigkeit des Dinges" statt des Ich ausgeht (s. o. S. 25). Im Ausweichen vor dem spontanen Selbstbewußtsein wird das Ich „notwendig Fatalist" (1,430) und erreicht „nur jenes zerstreute, auf den Objekten haftende, und aus ihrer Mannigfaltigkeit zusammenzulesende Selbstbewußtsein" (1,433). So gibt das Ich mit der Möglichkeit der Freiheit auch die der Identität auf. Beide Weisen der Selbsterfahrung stehen für Fichte in einem inneren Zusammenhang: Der Dogmatiker kann sein Interesse an der Selbständigkeit niemals ganz zum Schweigen bringen, der Idealist kann dieses Interesse nur in der Überwindung der Tendenz zur Unselbständigkeit freisetzen (1,434). Damit ist der Strukturzusammenhang der Subjektivität entfaltet, an dem sich die folgenden Analysen orientieren. Fichte stellt dem formalen, indifferenten Selbstbezug des Reflexionsmodells den inneren Zusammenhang gegensätzlicher Selbstbewußtseinsweisen gegenüber, die von widersprechenden Interessen geleitet sind und in denen das Individuum jeweils selbst noch die Weise festlegt, wie es sich in seinen Grundcharakteren der Subjektivität zugänglich werden will: Das Interesse an der Selbständigkeit und Identität eröffnet eine Weise des Selbstbewußtseins, in der das Ich von seiner konkre-
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ten Umweltgebundenheit abstrahiert und sich darin die eigenen Grundcharaktere seiner Ichheit, nämlich Selbständigkeit und Identität, als Normen seines Verhaltens vorgibt. Im Gegeninteresse an der Unselbständigkeit und Diskontinuität weicht das Ich dagegen vor dem abstrahierenden Selbstbewußtseinsvollzug aus, indem es in seiner konkreten Umweltgebundenheit befangen bleibt und seine Grundbestimmungen der Subjektivität' als Orientierungen unausdrücklich negiert. Es wird sich zeigen, daß Freud und Heidegger diese Konzeption des interessegeleiteten Selbstbewußtseins im Rahmen ihrer eigenen Ansätze verwandelt entfaltet haben30. Bevor dieser Zusammenhang jedoch untersucht wird, soll die spezifische Bewußtseinsweise der Selbstgegebenheit aufgeklärt werden, die in Fichtes Theorie des interessierten Selbstbewußtseins impliziert ist. Im Ausgang von der „Selbständigkeit des Ich" (s. o. S.25) setzt Fichte in seiner transzendentalphilosophischen Deduktion die „Tathandlung" als den spontanen Vollzug an, in dem sich ursprünglich die Dimension des Bewußtseins überhaupt eröffnet und gliedert (vgl. 1,91—123). In diesem Ansatz legt Fichte die deskriptive Struktur des Bewußtseins grundsätzlich fest. Weil die Tathandlung die unmittelbare und absolut evidente Anschauung der eigenen Tätigkeit einschließt, muß in ihr die Dimension des Bewußtseins als ,Bereich' absoluter Transparenz eröffnet sein. Entsprechend müssen auch die empirischen Bestimmungen des Bewußtseins für das Ich vollständig durchsichtig sein. So kann Fichte sagen: „Die Intelligenz, als solche, sieht sich selbst zu·, und dieses sich selbst Sehen geht u n m i t t e l b a r a u f a l l e s 3 1 , was sie ist, und in dieser unmittelbaren Vereinigung des Seins und des Sehens besteht die Natur der Intelligenz. Was in ihr ist, und was sie überhaupt ist, ist sie für sich selbst" (1,435). Diese Bestimmung des Bewußtseins als absoluter Selbstdurchsichtigkeit werden Freud und Heidegger auf je verschiedene Weise in Frage stellen.
Der Versuch, die Psychoanalyse auf Fichtes Theorie des interessegeleiteten Selbstbewußtseins hin zu befragen, ist durch Habermas' Freudinterpretation angeregt worden (J.Habermas: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt 1968; Teil III). Habermas versucht den Zusammenhang zwischen Fichte und Freud ausschließlich in der Untersuchung der analytischen Praxis aufzuweisen (vgl. S. 280 ff.), während er von Freuds Konzeption des „psychischen Apparats" sagt: „das Strukturmodell verleugnet die Herkunft der eigenen Kategorien aus einem Aufklärungsprozeß" der „Selbstreflexion" (300). Die vorliegende Interpretation versucht dagegen zu zeigen, wie in Freuds eigener Theorie diese ,Herkunft' noch sichtbar bleibt und für sein Strukturmodell wesentliche Bedeutung hat. 31 Die hier und in folgenden Zitaten benutzten Sperrungen kennzeichnen Hervorhebungen von mir. 30
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Die Rechtfertigung der Interpretation
Mit dem Ansatz bei der Tathandlung als Deduktionsprinzip der faktischen Erfahrung begründet Fichte diese selbst im „System" der „Handelnsgesetze der Intelligenz" (1,441), das schon im Ansatz der Tathandlung impliziert ist. Damit klammert Fichte konsequent die Möglichkeit einer Realität aus, von der das Bewußtsein in seinen konkreten Bestimmungen noch abhängig sein könnte (1,435). Diese Konzeption wird Freud in seiner Theorie des „psychischen Apparats" in Frage stellen.
Erster Teil Die Psychoanalyse Sigmund Freuds als ,empirische' Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins
I.
Die psychoanalytische Gliederung der Psyche als ,verdinglichende' Interpretation des Selbstbewußtseinsvollzugs Die Interpretation der idealistischen Selbstbewußtseinstheorie hat den Vorbegriff der Subjektivität' entfaltet, auf den hin die Psychoanalyse im ersten Teil der vorliegenden Arbeit befragt werden soll. Fichtes Konzeption des interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzugs zeichnet der folgenden Untersuchung zwei Schritte vor: 1. Der erste Abschnitt versucht zu zeigen, daß die psychoanalytische Gliederung der Psyche als ,verdinglichende' Interpretation eines Selbstbewußtseinsvollzugs verstanden werden kann, in dem das Individuum noch selbst entscheidet, wie es sich selbst zugänglich werden will. Für diesen Interpretationsansatz erweist sich Freuds Konzeption des „psychischen Apparats" als Theorie, die das Phänomen des Selbstbewußtseinsvollzugs entscheidend über Fichtes Ansatz bei der transparenten Selbstgegebenheit hinaus erweitert, indem sie den Prozeß aufklärt, durdi den das Individuum selbst den Umkreis seiner transparenten Selbsterfahrung erst umgrenzt. Dieses Verständnis der Psychoanalyse muß sich ausweisen, indem die Interpretation zunächst zeigt, daß Freud selbst deskriptiv von der Untersuchung des umgrenzenden ,Selbstbewußtseins' ausgegangen ist, und dann einsichtig macht, warum Freud seinen deskriptiven Ansatz nur in ,verdinglichender' Form theoretisch entfalten konnte. Sie wird zu zeigen versuchen, daJß Freuds naturwissenschaftliche Methode und seine Gebundenheit an den traditionellen Begriff des transparenten Selbstbewußtseins ihn daran hinderten, die genuine Bewußtseinsstruktur zu explizieren, die im Phänomen des umgrenzenden Selbstbewußtseins impliziert ist. Diese Begrenzung der eigenen Theorie zwang Freud dazu, für die theoretische Ausarbeitung seiner Entdeckung /verdinglichende' Hilfsvorstellungen heranzuziehen. 2. Nach der Untersuchung des psychoanalytisch entdeckten Selbstbewußtseinsvollzugs fragt die Interpretation im zweiten Abschnitt danach, ob und inwieweit Freud die Interessen aufgeklärt hat, die den Vollzug des Selbstbewußtseins begründen können. Mit dieser Frage thematisiert die In-
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I. Die psychoanalytische Gliederung der Psyche
terpretation die psychoanalytische „Ichpsychologie" und versucht zu zeigen, daß Freud die leitenden Interessen des Selbstbewußtseins inhaltlich in weitgehender Entsprechung zu Fichtes Konzeption bestimmt hat, zugleich aber für sie eine formale Struktur angesetzt hat, die der Erweiterung des Selbstbewußtseinsvollzugs über den Bereich transparenter Selbstgegebenheit hinaus entspricht: Für Freud sind die „Ichinteressen" nicht mehr die leitenden Interessen eines transparenten Selbstbewußtseinsverhältnisses, sondern Tendenzen, in denen das Individuum noch an der Umgrenzung des transparenten Selbstbewußtseins interessiert ist. Dieses Verständnis der „Ichinteressen" versucht die Interpretation zu begründen, indem sie die Entwicklung der psychoanalytischen Ichpsychologie nachzeichnet. Sie zeigt, daß Freud zunächst zwei unzureichende Ichbegriffe entwickelt, ehe es ihm gelingt, die Ichinteressen als Tendenzen zu entfalten, in denen die spontane Aktivität des umgrenzenden Selbstbewußtseinsvollzugs begründet werden kann. Dabei wird sich wiederum der naturwissenschaftliche Ansatz der Psychoanalyse als Grund für die theoretischen Schwierigkeiten der „Ichpsychologie" aufweisen lassen. In den skizzierten zwei Schritten der Interpretation versucht die vorliegende Arbeit die psychoanalytische Konzeption des interessegeleiteten Selbstbewußtseins in ihren deskriptiven Aspekten aufzuzeigen und zugleich die theoretischen Schwierigkeiten sichtbar zu machen, die über die Grenzen der psychoanalytischen Fragestellung hinausweisen. Damit gewinnt sie den Ubergang zu der Interpretation des existenzialontologischen Selbstbewußtseinsbegriffs, der im zweiten Teil der Arbeit daraufhin befragt werden soll, inwieweit er zur Lösung der psychoanalytischen Probleme beitragen kann.
1. Die Psychoanalyse als „Deutungskunst"
und als
„Naturwissenschaft"
a) Der deskriptive Ansatz der psychoanalytischen Deutungskunst: Der Vollzug des Selbstbewußtseins als ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' Die psychoanalytische Konzeption des „psychischen Apparats" ist als empirische Theorie auf einen bestimmten, empirisch zugänglichen Erfahrungsbereich bezogen, der sich einer bestimmten Fragestellung und Untersuchungsmethode erschließt. Von dieser ,Beziehung' geht die folgende Interpretation aus, indem sie untersucht, inwieweit die Psychoanalyse ihre ,analytische Erfahrung' mit theoretischen Mitteln und in theoretischen Modellen expliziert,
1. Psychoanalyse als Deutungskunst und Naturwissenschaft
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die der Erfahrung selbst noch angemessen sind. Für diese Untersuchung muß sie sich die psychoanalytischen Sachverhalte' selbst schon in ihrer psychoanalytischen Deskription vorgeben lassen, ohne diese selbst noch in eigener analytischer Erfahrung in Frage stellen zu können. So bleibt die philosophische Interpretation darauf beschränkt, nur die Unterschiede herauszuheben, die zwischen der Beschreibung der analytischen Erfahrung und ihrer theoretischen Explikation innerhalb der psychoanalytischen Forschung selbst sichtbar werden. Um nach solchen Diskrepanzen fragen zu können, muß die Interpretation zunächst den deskriptiven Ansatz der Psychoanalyse in möglichst weitreichender Unabhängigkeit von den theoretischen Grundvoraussetzungen Freuds zu fassen versuchen. Freud entwickelt die Problemstellung der Psychoanalyse aus der Deskription der Selbsterfahrung. Er versteht das ,Seelenleben' als die Abfolge „psychischer Reihen" (XI, 33), die durch den Zusammenhang „psychischer Akte" (XI, 55) gebildet werden. Dieser Zusammenhang gründet in der einheitlichen Bezogenheit der psychischen Akte auf die leitende „Absicht", die sich in der Abfolge der Akte realisiert. Die zweckmäßige Bezogenheit eines Aktes auf die jeweils leitende Absicht und die entsprechende Stellung in einem teleologischen Zusammenhang psychischer Vorgänge machen seinen „Sinn" aus: „Unter dem ,Sinn' eines psychischen Vorganges verstehen . . . ((wir)) nichts anderes als die Absicht, der er dient, und seine Stellung in einer psychischen Reihe" (XI, 33). Diese Sinnstruktur gilt auch für die jeweils leitenden Absichten selber: auch sie sind ,sinnvoll', wenn sie sich dem Zusammenhang des ganzen Seelenlebens einordnen und so die ,Identität' des Individuums erhalten (s. u. S. 82). So erweist sich das bewußte Seelenleben als teleologisch bestimmter, umfassender ,Sinnzusammenhang', mit dem das Individuum „sich einig fühlt" (XI, 142). Die Psychoanalyse gewinnt nun ihren eigenen Phänomenbereich, indem sie auf die Bewußtsein&vorgänge aufmerksam wird, die diesen Sinnzusammenhang durchbrechen. Sie haben für die Selbsterfahrung des Individuums „den Charakter des Unmotivierten" (XI, 55) und erscheinen ihm darin als „sinnlos" (VII, 132). „Solche Akte sind nicht nur die Fehlhandlungen und die Träume bei Gesunden, alles was man psychische Symptome und Zwangserscheinungen heißt, bei Kranken — unsere persönlichste tägliche Erfahrung macht uns mit Einfällen bekannt, deren Herkunft wir nicht kennen" (X, 265). Sofern diese „sinnlosen" Akte überhaupt auf eine leitende Absicht schließen lassen, wird diese Absicht vom Individuum „oft genug ((als)) ihm völlig fremd, gegensätzlich . . . abgelehnt" ( X I I I , 243). Zugleich erweisen sie sich als Bewußtseinsphänomene, die nicht im spontanen Willen des Indi-
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viduums begründet sind oder sich sogar gegen den eigenen Willen zwanghaft in den eigenen Bewußtseinszusammenhang eindrängen können (XII, 9 f.). Als solche ,zwanghaften' Vorgänge sind sie „resistent gegen alle Einflüsse des sonst normalen Seelenlebens" und bilden „einen besonderen, vom übrigen abgeschlossenen Bezirk des Seelenlebens" (XI, 287). Obwohl die beschriebenen Bewußtseinsakte, die die Psychoanalyse thematisiert, in der unmittelbaren Selbsterfahrung als extreme Gegenphänomene zum Sinnzusammenhang des eigenen Bewußtseinslebens erfahren werden, geht die Psychoanalyse davon aus, daß alle ,sinnlosen' psychischen Vorgänge einen für das Individuum selbst „verborgenen Sinn" (XI, 83) haben. Sie gewinnt also ihre eigene Fragestellung, indem sie nach dem ,Sinn' ,sinnloser' Phänomene der Selbsterfahrung fragt. Damit ist die Psychoanalyse als „Deutungskunst" (V, 7) eingeführt, denn „Deuten heißt einen verborgenen Sinn finden" (XI, 83). Von diesem ,hermeneutischen' Ansatz her muß das sinnlose Bewußtseinsphänomen jeweils „selbst als ein vollgültiger psychischer Akt, der auch sein eigenes Ziel verfolgt, als eine Äußerung von Inhalt und Bedeutung aufgefaßt" (XI, 28) werden. Die Deutungsarbeit, bei der sich der Psydioanalytiker der „freien Einfälle" des Analysierten bedient, stellt einen Sinnzusammenhang zwischen dem unverständlichen Bewußtseinsphänomen und einer Tendenz her, die selbst für die Selbsterfahrung unzugänglich ist, während sie sich in dem ,sinnlosen' Phänomen zum Ausdruck bringt. Der Zusammenhang zwischen der „unbewußten" Tendenz und dem ,sinnlosen' Akt kann also nur sichtbar werden, sofern im unverständlichen Phänomen die Sinnbezüge zu der unzugänglichen Absicht erkannt werden. Diese Erkenntnis fordert eine besondere „Deutungskunst", weil sich die unbewußte Tendenz nicht unmittelbar in dem Akt, den sie begründet, zum Ausdruck bringt, sondern zumeist nur in „symbolischen Beziehungen" (s. 1,83) zu ihm i . Der symbolische' Ausdruck unbewußter Tendenzen unterliegt aber einer eigenen „primitiven" und „irrationellen" (XV, 81) ,Logik', deren Gesetze die analytische Deutungskunst in der Traumdeutung selbst erst aufgedeckt hat. Außerdem setzen sich in den ,sinnlosen Akten' auch immer die abwehrenden, bewußten Tendenzen mit durch und begründen so die „Entstellung" der unbewußten Absicht. Audi diese Abhängigkeit der unverständlichen Akte von den bewußten leitenden Absichten läßt sich nur in der Aufklärung von ,verborgenen Sinnbeziehungen' aufdecken. Aufgrund dieses dop1
Das Problem symbolischer' Verweisungszusammenhänge innerhalb der psychischen Akte hat A. Lorenzer in seiner „Kritik des psychoanalytischen Symbolbegrifis" (Frankfurt 1970) genauer untersucht und dabei die Schwierigkeiten der psychoanalytischen Symbollehre aufgewiesen.
1. Psychoanalyse als Deutungskunst und Naturwissenschaft
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pelten Sinnzusammenhangs mit der bewußten und der unbewußten Tendenz interpretiert Freud das sinnlose Bewußtseinsphänomen jeweils als das Ergebnis „eines Kompromisses zwischen den beiden seelischen Strömungen, und bei einem Kompromiß ist den Anforderungen eines jeden der beiden Teile Rechnung getragen worden; ein jeder Teil hat aber auch auf ein Stück dessen, was er durchsetzen wollte, verzichten müssen" (VII, 78). Dieser Charakter der Kompromißbildung und die primitive Logik der symbolischen Ausdrucksformen machen die spezifische Sinnlosigkeit' der unverständlichen Akte aus und fordern eine selbständige „Deutungskunst" 2 . Freud erweitert seine Aufklärung ,sinnloser' Akte über den Aufweis ihrer Sinnbezüge hinaus, indem er dem Verhalten des Analysierten bei der Deutung des „verborgenen Sinnes" Rechnung trägt. Der Analytiker macht bei der Deutungs arbeit die Erfahrung, daß sich der Analysierte gegen die Aufdeckung der zurückgedrängten Tendenzen sträubt und sich weigert, eine gewonnene Deutung anzuerkennen und die aufgedeckte Absicht als eigene zu akzeptieren (XI, 59). Aus diesem „Widerstand" (1,269) gegen die unbewußte Tendenz gewinnt Freud die Annahme einer dynamischen Beziehung zwischen der unbewußten und den bewußten „Intentionen" ( X I , 56 f.) des Individuums (1,268 f.). Den zumeist nur erschlossenen „Widerstand" kann Freud für bestimmte Fälle auch unmittelbar nachweisen, wenn sich der Analysierte selbst noch an seine bewußte Bemühung erinnert, bestimmte eigene Tendenzen zu vergessen (1,62; 89; 386). So erweist sich das „Nichtwissen", das die sinnlosen Akte begründet, aufgrund des Widerstandes als „ein — mehr oder minder bewußtes — Nichtwissenwollen" (1,269), in dem die unbewußte Absicht ständig „zurückgedrängt" wird ( X I , 60). In der ununterbrochenen „Abwehr" (1,268 u. o.) der unbewußten Tendenz erweist sie ihre eigene bedrängende Dynamik. Unter dieser Perspektive kann nun auch die Kompromißbildung als Phänomen verstanden werden, in dem die abwehrenden Tendenzen der Dynamik des Zurückgedrängten partiell Rechnung tragen. Damit sind nun die unzugänglichen Sinnbezüge der sinnlosen Bewußtseinsphänomene zugleich als dynamische Beziehungen gefaßt. Die dargestellte analytische Erfahrung impliziert eine spezifische Konzeption der Selbsterfahrung und ihrer Bewußtseinsstruktur. Für die psychoanalytische Aufklärung ,sinnloser' Bewußtseinsphänomene erweist sich das ,Selbstbewußtsein' als Vollzug, in dem das Individuum selbst noch den Um2
Die vorangegangene Interpretation des Zusammenhangs zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten orientiert sich an den einfachen Verhältnissen der Fehlleistung, die aber doch für die Beziehung zwischen den bewußten und unbewußten Aspekten der Psyche exemplarisch sind (vgl. X I , 18—76).
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kreis dessen umgrenzt, was es als sein eigenes Sein akzeptieren will. Die Selbsterfahrung „unterliegt so der Beeinträchtigung durch eine Willenstendenz, gerade so wie irgendein Stück unseres auf die Außenwelt gerichteten Handelns" (1,526). Der Selbstbezug muß also als ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' verstanden werden, das jeweils von Interessen geleitet ist. Dieses Handeln entfaltet Freud als kontrollierende Leistung der „Zensur" (s.u. S.44). In diesem Ansatz des Selbstbewußtseins ist zugleich eine spezifische Bewußtseinsbeziehung zwischen den ,unbewußten' und den bewußt akzeptierten Tendenzen des Individuums impliziert. Solange das Individuum die Intentionen, die sich seiner Kenntnis entziehen, ständig noch „zurückdrängen" muß, sind sie noch so weit für es zugänglich, daß es weiß, wogegen es sich sperrt. Der dynamische Bezug zwischen der bewußten und der ,unbewußten' Tendenz schließt also immer noch eine ,Sicht' des Abgedrängten ein. Eben diese Sicht ist auch für die ,Sinnhaftigkeit' der sinnlosen Akte vorausgesetzt. Nur sofern die leitende ,unbewußte' Absicht noch offengehalten ist, sind Bewußtseinsphänomene möglich, in denen sich diese Absicht zum Ausdruck bringen kann. Diese Bewußtseinsstruktur scheint die Psychoanalyse auch selber vorauszusetzen, indem sie die Richtigkeit ihrer Deutung an der Zustimmung des analysierten Individuums ausweist. Der Analysierte soll in den aufgedeckten psychischen Vorgängen gerade nicht ihm völlig unbekannte Tendenzen kennenlernen, sondern sie als nur vergessene Intentionen wiedererkennen. Das Wiedererkennen schließt aber doch eine unausdrückliche Kenntnis des Vergessenen ein, gerade um es als Vergessenes wiedererkennen zu können. Dieses unausdrückliche Wissen wird exemplarisch in der Aussage des Analysierten faßbar: „Das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht daran gedacht" (X, 127 f.) 3 . Die bisher umrissene analytische Erfahrung bildet das ,Fundament' für die psychoanalytische Theoriebildung, indem sie offenbar selbst schon bestimmte Aufgaben für ihre theoretische Explikation stellt. Die psychoanalytische Theorie müßte den spezifischen Bezug zwischen den ,unbewußten' und den bewußt akzeptierten Aspekten des individuellen psychischen Lebens aufklären, der im Vollzug des „Zurückdrängens" selbst eingeschlossen ist und 3
Schließlich hat Freud in seiner Interpretation der Fehlleistungen die Unzugänglichkeit „unbewußter" Tendenzen als Grenzform der Zugänglichkeit eingeführt. Er zeigt, daß die stufenweise fortschreitende Unzugänglichkeit der störenden Intentionen schließlich auf die „unbewußten" Absichten als deren äußerste Konsequenz führt (XI, 58 f.).
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einheitlich als dynamisches Verhältnis und als Bewußtseinsbeziehung verstanden werden muß. Damit stände sie vor der Aufgabe, ein ,Sehen' verständlich zu machen, das sich im Sehen das Gesehene selbst verbirgt. Zugleich müßte sie die Eigenart des ,Kräfteverhältnisses' aufklären, das in diesem Sehen als „Zurückdrängen" impliziert ist. Die folgende Übersicht über den eigenen theoretischen Ansatz Freuds wird jedoch zeigen, daß Freud seine analytische Erfahrung in einem theoretischen Rahmen expliziert, der der Erfahrung selbst gar nicht mehr angemessen ist und die theoretischen Probleme, die sich von ihr her stellen, gerade verdeckt. b) Der methodische Ansatz der Psychoanalyse als Naturwissenschaft: Die Uminterpretation des bewußtseinsumgrenzenden Handelns in die Wirkung von psychischen Kräften Während Freud die Psychoanalyse in seinem deskriptiven Ansatz bei der analytischen Erfahrung als Aufklärung der unverständlichen Selbsterfahrung einführt, bestimmt er sie in seinen methodischen Überlegungen als Wissenschaft, die es „gestattet, die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere auszugestalten" (XVII, 80). Die Analogie der Psychoanalyse zur Naturwissenschaft hat Freud am ausführlichsten im „Abriß der Psychoanalyse" (XVII, 126 f.; 80 f.) durchgeführt. „Hier wie dort besteht die Aufgabe darin, hinter den unserer Wahrnehmung direkt gegebenen Eigenschaften (Qualitäten) des Forschungsobjektes anderes aufzudecken, was von der besonderen Aufnahmsfähigkeit unserer Sinnesorgane unabhängiger und dem vermuteten realen Sachverhalt besser angenähert ist" (XVII, 126). In dieser Problemstellung beschränkt sich die Psychoanalyse gerade nicht mehr auf die Deutung der Selbsterfahrung, sondern gebraucht den in unmittelbarer Selbstwahrnehmung gegebenen Bewußtseinszusammenhang selbst nur noch als „Forschungsobjekt", von dem ausgehend nach der „Realität" des Psychischen gefragt werden muß. Diese Realität untersucht die Psychoanalyse im Ausgang von der „Auffassung, das Psychische sei an sich unbewußt" (XVII, 80) und könne nur unter bestimmten Bedingungen bewußt werden (vgl. X V I I , 144). Nun erscheinen die zurückgedrängten Aspekte des je eigenen Seins als „das eigentlich reale Psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt, und uns durch die Daten des Bewußtseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben unserer Sinnesorgane" ( I I / I I I , 617 f.). In dieser Konzeption, die zwischen ,Erscheinung' und „unerkennbarer Realität" trennt, ist der genuine
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Bewußtseinsbezug zwischen den bewußten und den unbewußten Aspekten des eigenen Seins, der im „Nichtwissenwollen" als solchem liegt, auseinandergerissen. Entsprechend wird auch der dynamische Bezug zwischen den beiden Aspekten umgedeutet: Die bedrängende Dynamik der unbewußten Absicht zeigt sich nicht mehr allein in der Notwendigkeit des Zurückdrängens und im partiellen Eingehen auf sie; vielmehr wird die Absicht nun vom „Widerstand" als eine selbständige Kraft losgelöst, deren „entfernte psychische Wirkung" ( I I / I I I , 617) der jeweilige sinnlose Akt ist. Indem Freud den Bewußtseinsbezug und die dynamische Beziehung zwischen bewußten und unbewußten psychischen Akten auflöst, interpretiert er die Verborgenheit der zurückgedrängten Tendenzen für die Selbsterfahrung als „Lückenhaftigkeit" (vgl. X, 265) des Bewußtseinszusammenhangs: „Sowohl bei Gesunden als bei Kranken kommen häufig psychische Akte vor, welche zu ihrer Erklärung andere Akte voraussetzen, für die aber das Bewußtsein nicht zeugt" (X, 265). Damit kann der Sinnzusammenhang des Bewußtseins jetzt als die streng kausalgesetzlich determinierte Kette von Akten verstanden werden (XI, 104 f.), in der bestimmte Glieder fehlen. Die Psychoanalyse steht vor der Aufgabe, in der Thematisierung der unbewußten psychischen Vorgänge die Lücken des Bewußtseinszusammenhangs auszufüllen (XVII, 127). Dabei bleibt das Unbewußte als solches „unerkennbar" (XVII, 80), „denn wir sehen, daß wir alles, was wir neu erschlossen haben, doch wieder in die Sprache unserer Wahrnehmungen übersetzen müssen, von der wir uns nun einmal nicht freimachen können" (XVII, 126). Die „Wissenschaft vom Unbewußten" kann ihren Gegenstand also überhaupt nur thematisieren, nachdem er „eine Umsetzung oder Übersetzung in Bewußtes erfahren hat" (X, 264). Damit aber hat die „unerkennbare Realität" des Psychischen schon ihre genuinen Charaktere verloren und ist ein Phänomen der Selbsterfahrung geworden. So erfaßt die Psychoanalyse das Unbewußte niemals als solches, sondern bleibt in ihrer „Übersetzungsarbeit" darauf beschränkt, für die psychischen Vorgänge „die Gesetze festzustellen, denen sie gehorchen, ihre gegenseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten über weite Strecken lückenlos zu verfolgen" (XVII, 80) und so ihre strenge Determiniertheit aufzuweisen (XI, 104 f.). Die Übersetzung des Unbewußten in Bewußtes leistet die analytische Technik, ohne dabei schon das Verhältnis zwischen den beiden Aspekten der Psyche theoretisch zu explizieren. Mit der Gegenüberstellung des deskriptiven und des methodischen Ansatzes der Psychoanalyse ist die Spannung angegeben, innerhalb derer sich die theoretische Explikation der analytischen Erfahrung vollzieht. Zugleich ist auch das Recht und die Notwendigkeit einer philosophischen Analyse der
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psychoanalytischen Theoriebildung aufgewiesen. Sie steht vor der Aufgabe nachzuprüfen, inwieweit sich der ,hermeneutische' und der naturwissenschaftliche Ansatz der Psychoanalyse in den tiefenpsychologischen Theoremen durchdringen 4. Dabei muß sich zeigen, inwieweit die naturwissenschaftliche Konzeption die ursprüngliche Interpretation verborgener Sinnbezüge einschränkt und umgekehrt der naturwissenschaftliche Ansatz in der Interpretation von Sinnbeziehungen durchbrochen wird. c) Die Verdinglichung des bewußtseinsumgrenzenden Handelns in der „analytischen" Gliederung des „psychischen Apparats" Die bisher dargestellte naturwissenschaftliche Interpretation der psychoanalytischen Erfahrung hat Freud konsequent ausgebaut, indem er die „Wissenschaft vom Unbewußten" als „analytische" Psychologie entfaltete. In seinem naturwissenschaftlichen Ansatz interpretiert Freud die dynamische Spannung zwischen den gegensätzlichen Tendenzen, die deskriptiv im „Zurückdrängen" zugänglich wird, als die Wechselwirkung zweier selbständiger Kräfte (s. o. S.40). Diese unphänomenale Uminterpretation der psychoanalytischen Erfahrung führt er fort, indem er den jeweils deskriptiv in „sinnlosen" Bewußtseinsakten faßbaren Gegensatz zwischen je bestimmten Tendenzen jetzt als Ausdruck des umfassenden Gegensatzes zwischen zwei allgemeinen psychischen Kraftrichtungen versteht. Diese Kraftrichtungen ordnet er den beiden verschiedenen „Organisationsformen" (vgl. ζ. B. X, 288) der psychischen Vorgänge zu. Er unterscheidet zwischen einer unbewußten, primitiven und einer bewußten, rationalen Organisationsform psychischer Akte und kann sich bei dieser Trennung auf die Erfahrung der „irrationalen" und „primitiven" Ausdrucksform zurückgedrängter Tendenzen im Gegensatz zu dem geordneten Sinnzusammenhang der „sinnvollen" Bewußtseinsphänomene stützen (s. o. S. 36 f.). Aber er geht entscheidend über 4
Den hier angedeuteten Gegensatz hat P. Ricoeur in seiner groß angelegten Untersuchung „Die Interpretation. Ein Versuch über Freud" (Frankfurt 1969) als Gegensatz zwischen der „Energetik" und „Hermeneutik" in der Psychoanalyse entfaltet. Ricoeur versucht diesen Gegensatz in einer philosophischen Interpretation zu überwinden, die „das Ich denke, ich bin ((als)) die reflektive Basis einer jeden Aussage über den Menschen" (429) festhält. In diesen Ansatz kann Ricoeur die psychoanalytische Energetik und Topik nur einbringen, indem er die Reflexion des Subjekts als dialektischen Prozeß der „Entäußerung des Bewußtseins" und seiner „Wiederaneignung" interpretiert. Hier tritt die dialektische Bewegung offenbar an die Stelle einer deskriptiven Bewußtseinsstruktur, die Freuds mechanistische Aussagen noch als ,hermeneutische' Aussagen über Aspekte des Bewußtseins fassen könnte. Eine solche Struktur scheint Heidegger in seiner Kritik an dem Ansatz beim „cogito sum" zu entfalten (s. u. S. 133 f.; 136 ff.).
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diese Erfahrung hinaus, indem er den deskriptiven Unterschied zwischen rationalen und irrationalen Bewußtseinsphänomenen heranzieht, um generell zwei Organisationsformen für alle psychischen Akte zu unterscheiden und sie als zusammengehörige Entwicklungsstufen der psychischen Prozesse anzusetzen. Aufgrund dieser Umwandlung seines phänomenalen Ansatzes kann Freud annehmen, „daß jeder seelische Vorgang . . . zunächst in einem unbewußten Stadium oder Phase existiert und erst aus diesem in die bewußte Phase übergeht" (XI, 305). Die psychische Organisation, die die Bildungen der primitiven Organisation umfaßt und damit die „Vorstufe der höheren Organisation" (X, 288) bildet, bezeichnet Freud als „das Unbewußte" ( = Ubw). Inhaltlich bestimmt er es als den Bereich der genuinen Triebregungen und ihrer triebhaften Umwandlungen. Die Kraftrichtung des Ubw charakterisiert er als das ungehemmte Drängen nach „Umsetzung" der primitiven psychischen Bildungen in die höhere Organisationsform des Bewußtseinszusammenhangs. Dieser Zusammenhang wird nun ebenfalls als eigene Organisation der psychischen Bildungen bestimmt, die die höhere Organisationsform erreicht haben und zwar nicht ständig bewußt, „wohl aber bewußtseinsfähig" sind, d.h. „ohne besonderen Widerstand beim Zutreffen gewisser Bedingungen Objekt des Bewußtseins werden" können (X, 272). Dieser Organisation ordnet Freud nun die ,Gegenkraft' gegen die andrängenden unbewußten Vorgänge als universale Kraftrichtung zu, die über die deskriptiv anweisbaren Phänomene des Zurückdrängens hinausreicht. Das Kräftespiel der beiden Organisationen soll die jeweils aktuellen Phänomene der Selbsterfahrung begründen. Für diesen Ansatz unterscheiden sich die ,sinnlosen' Bewußtseinsphänomene gar nicht mehr grundsätzlich von den ,sinnvollen'; der Unterschied ist nur „dynamisch aufzuklären durch Stärkung und Schwächung der Komponenten des Kräftespiels, von dem so viele Wirkungen während der normalen Funktion verdeckt sind" ( I I / I I I , 614), das aber auch ihr zugrundeliegt. Sinnvolle Akte sind darin begründet, daß das verdrängende Bewußtsein die zurückgedrängten unbewußten Tendenzen vollständig niederhalten kann oder beide Tendenzen für bestimmte Lebenssituationen zusammenfallen. Sinnlose Phänomene dagegen werden immer dann bewußt, wenn sich die niedergehaltenen Tendenzen so gegen die verdrängenden Absichten durchsetzen, daß sie ihr ursprüngliches Ziel noch in gewissen Grenzen festhalten (s. o. S. 36 f.). Indem Freud nun die Bewußtseinsphänomene im Hinblick auf die für sie vorauszusetzenden Tendenzen „zerlegt", gewinnt er seinen genuinen „analytischen" Ansatz: „Wir wollen die Erscheinungen nicht bloß
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beschreiben und klassifizieren, sondern sie als Anzeichen eines Kräftespiels in der Seele begreifen, als Äußerung von zielstrebigen Tendenzen, die zusammen oder gegeneinander arbeiten. ( . . . ) Die wahrgenommenen Phänomene müssen in unserer Auffassung gegen die nur angenommenen Strebungen zurücktreten" ( X I , 62). In seiner „analytischen" Konzeption hat Freud die Dimension der Selbsterfahrung grundsätzlich überschritten: Mit der Annahme einer unbewußten psychischen Organisation psychischer Vorgänge führt er reale psychische ,Substanzen' ein, die unabhängig vom Erleben bestehen und Träger einer selbständigen realen Kraft sein sollen. Damit verdinglicht er die Dimension des Unbewußten zu einer vorhandenen psychischen Struktur, die von der Selbsterfahrung unabhängig ist. Diesem Ansatz entsprechend faßt Freud die zurückgedrängten Tendenzen nur noch als Teil des Unbewußten und beschreibt sie gar nicht mehr aus der Dynamik des Zurückdrängens heraus. Das „Verdrängte" erscheint vielmehr unabhängig von der Selbsterfahrung als psychischer Vorgang, der auf der primitiven, unbewußten „Stufe stehen bleiben und doch den vollen Wert einer psychischen Leistung beanspruchen kann" (11/111,617). In Analogie zum „Unbewußten" führt Freud nun auch für den Bewußtseinszusammenhang eine universale und real wirksame Gegenkraft ein, die von psychischen Bildungen dieses Zusammenhangs ausgeht, so daß nun auch der Umkreis unmittelbarer Selbsterfahrung den Charakter einer dinglichen Struktur der Psyche gewinnt. Diese Struktur bestimmt Freud als „das Vorbewußte" ( = Vbw), das den Bereich der je aktuell bewußten Akte ( = Bw) einschließt. Den dargestellten verdinglichenden Ansatz der Psyche führt Freud unter drei methodischen Gesichtspunkten, dem „dynamischen", dem „ökonomischen" und dem „topischen", durch ( X , 2 7 2 ) und bezeichnet diese Betrachtungsweise als „Metapsychologie" (X, 281). In der topischen Interpretation faßt er die beiden Organisationen der psychischen Vorgänge als räumlich getrennte Bereiche der Seele und bezeichnet sie als „Systeme" (X, 272). Unter dynamischem Gesichtspunkt untersucht er das Kräfteverhältnis der beiden Systeme zueinander und versucht in ökonomischen Annahmen ihre relative Stärke zu bestimmen, die über Sinnlosigkeit und Sinnhaftigkeit von Bewußtseinsphänomenen entscheidet. Die bisher dargestellte „analytische" Explikation der psychoanalytischen Erfahrung verwandelt den deskriptiven Ansatz Freuds grundlegend. Indem Freud aus der aufweisbaren Spannung zwischen bewußten und unbewußten Tendenzen die Unterscheidung von Entwicklungsstufen psychischer Akte ge-
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winnt, kann er der aufweisbaren Spannung zwischen den Tendenzen einen realen Vorgang der „Abwehr" voraussetzen, in dem die andrängende Tendenz von der Gegentendenz ins Unbewußte zurückgeschoben wird. Entsprechend ist er nun auch zur Annahme der Gegenmöglichkeit berechtigt, die in der Aufnahme unbewußter Tendenzen ins Bewußtsein besteht, aber deskriptiv nicht faßbar wird, weil dieser Vorgang die ,normalen' Bewußtseinsakte begründet, deren Genese verborgen bleibt (s. o. S. 42 f.). In diesem Zusammenhang führt Freud das ,bewußtseinsumgrenzende Handeln' als die Leistung der unbewußten „Zensur" zwischen Ubw und Vbw ein. Die Zensur ist die „prüfende Instanz . . welche darüber entscheidet, ob eine auftauchende Vorstellung zum Bewußtsein gelangen darf" oder nicht (VIII, 397). Sie leistet die beständige Kontrolle und Kritik der ungehemmten, noch unbewußten Tendenzen, in der sie entweder inhaltlich unverändert zum Vbw zugelassen oder für die bewußte Befriedigung abgewandelt (sublimiert) oder überhaupt abgewiesen (verdrängt) werden. Die Zensur ist also die psychische Instanz, die zwischen den gegensätzlichen Bereichen der Seele vermittelt und sie darin verbindet. Im Ausgrenzen von Tendenzen stellt sie die Spannung zwischen bewußten und unbewußten Anteilen der Psyche her, in der Annahme vermeidet sie diese Konflikte. Innerhalb des dargestellten naturwissenschaftlichen Ansatzes hat Freud zwei Modelle entwickelt, die das Verhältnis zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten theoretisch zu erfassen versuchen und darin die Struktur und Funktion der „Zensur" näher bestimmen. 1. In seinem ersten Modell der Psyche bezieht Freud die unbewußten psychischen Prozesse noch prinzipiell in die Dimension des Bewußtseins ein, indem er Termini auf sie anwendet, die die Psychologie zur Bezeichnung von Bewußtseinsphänomenen entwickelt hat. So gebraucht er Begriffe wie „unbewußter Affekt" (X, 215 ff.) oder „unbewußte Erinnerung" (XVII, 127) für psychische Prozesse, deren „Realität" an sich unerkennbar ist, die sich aber unter menschlichen Erkenntnisbedingungen nur als Grenzphänomene des Bewußtseins in Begriffen der Selbsterfahrung explizieren lassen (s.o. S. 40). In dieser Konzeption ist das Bewußtsein noch prinzipiell als die einheitliche Dimension festgehalten, innerhalb derer die Abgrenzung und die Beziehung zwischen dem Bewußten und Unbewußten möglich ist. Entsprechend führt sie die „Zensur" als die Instanz ein, die in einem ,unausdrücklichen' Wissen um das Unbewußte die gegensätzlichen Bereiche der Psyche aufeinander bezieht und sie zugleich trennt. Dieses theoretische Modell kann nur den Wert einer „Veranschaulichung" (vgl. X,274) haben, weil es dem Zwang entspringt, auch unbe-
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wußte Vorgänge noch „in der Sprache unserer Wahrnehmungen" zu explizieren und darin gerade ihre unerkennbare Realität zu verfehlen (s. o. S. 40). Sofern es an der Einheit des Bewußtseinsmediums festhält, bestimmt es die Leistungen der Zensur als spontane Vollzüge und bietet gar keine Möglichkeit, die psychischen Vorgänge als streng determinierte Abläufe sichtbar zu machen (vgl. u. S. 48 f.). — Weil Freud innerhalb dieses Modells ausschließlich Begriffe der Bewußtseinspsychologie übernimmt und modifiziert, wird die „veranschaulichende" Konzeption der Psyche im folgenden auch als psychologisches' Modell bezeichnet. 2. Von Freuds „veranschaulichenden" Annahmen läßt sich ein Modell der Psyche unterscheiden, das die unerkennbare Realität des Unbewußten nicht mehr „in die Sprache unseres normalen Denkens zu übersetzen" (XV, 96), sondern sich ihr selbst als Wirklichkeit zu nähern versucht. Dieses Modell abstrahiert vollständig von der Selbsterfahrung und orientiert sich daran, daß die psychischen Prozesse „auch eine organisch-biologische Seite" (XVII, 125) haben. Dabei entwickelt es ein Konzept des Zusammenhangs zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten, in dem überhaupt vom Medium des Bewußtseins als einheitstiftender Struktur abgesehen wird: Der psychische Vorgang erscheint unter dieser Perspektive als „gewiß nicht bewußter oder vorbewußter Vorgang zwischen Energiebeträgen an einem unvorstellbaren Substrat" (XV, 96). In diesem Modell, das psychische Vorgänge „wie alle anderen Vorgänge in der Natur, von denen wir Kenntnis gewonnen haben" (XVII, 144; vgl. XVII, 86), erfaßt, kann das Seelenleben als streng kausaler Zusammenhang angesetzt werden. Entsprechend ist in diesem Zusammenhang „Zensur" nur ein Terminus für Wechselwirkungen zwischen Energiebeträgen, die kausal gesteuert sind (vgl. u. S. 65). — Weil diese Konzeption der Seele die psychischen Vorgänge in den Zusammenhang mechanischer Naturprozesse einordnet, wird sie im folgenden als ,naturwissenschaftliches' oder ,mechanisches' Modell der Psyche bezeichnet. Innerhalb seiner Theoriebildung hat Freud keines der beiden dargestellten Modelle systematisch ausgearbeitet und auch nirgends exakt zwischen ihnen unterschieden. Die Differenz zwischen den Modellen gewinnt erst Gewicht für eine methodologische Interpretation, die ausdrücklich zwischen dem .hermeneutischen' und dem naturwissenschaftlichen Ansatz innerhalb der Psychoanalyse unterscheidet. Unter dieser Perspektive erscheint nämlich das psychologische' Modell der Psyche als Konzeption, die grundsätzlich, wenn auch unzureichend, die Selbsterfahrung als den Gegenstand psychoanalytischer Untersuchung festhält und damit den, wenn auch eingeschränkten ,hermeneutischen' Ansatz innerhalb der psychoanalytischen Theoriebil-
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dung repräsentiert. Von dieser Konzeption muß die methodologische Interpretation das naturwissenschaftliche Modell streng unterscheiden, weil es das Seelenleben ganz unabhängig von der Selbsterfahrung als mechanisch gesteuertes Kräftespiel zu explizieren versucht. Der theoretische Wert der beiden Modelle muß danach bestimmt werden, inwieweit sie jeweils das deskriptiv faßbare Phänomen des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' theoretisch angemessen entfalten. Die beiden folgenden Kapitel versuchen, diesen Wert für die verschiedenen Modelle zu klären. 2. Das psychologische Modell der Psyche als Veranschaulichung des bewußtseinsumgrenzenden Handelns Die Frage nach der spezifischen Beziehung zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten, die im ,bewußtseinsumgrenzenden Handeln' impliziert ist, soll zunächst in einer Interpretation beantwortet werden, die Freuds psychologische' Annahmen über die Struktur der Psyche heraushebt und systematisch zu entfalten versucht (a). Dabei soll gezeigt werden, daß Freud für die kontrollierende Arbeit der unbewußten „Zensur" veranschaulichend den einheitlichen Bewußtseinsraum der Selbsterfahrung festhält, in dem die gegensätzlichen Aspekte des psychischen Lebens einheitlich zugänglich werden. Anschließend wird der Ursprung dieses Modells in der deskriptiv a n weisbaren psychoanalytischen Ausgangserfahrung der bewußten „Zensur" unverträglicher Bewußtseinsakte (s. o. S. 37 f.) aufgezeigt (b). Zuletzt soll in der Analyse des psychoanalytischen Bewußtseinsbegriffs gezeigt werden, warum Freud die Strukturen unbewußter Zensur nicht phänomenal angemessen in Analogie zur bewußten Zensur entfalten konnte, sondern in seinem psychologischen' Modell der Psyche nur eine veranschaulichende Konzeption des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' erreichte (c). a) Die psychologische Konzeption der „psychischen Zensur": Die Annahme oder Verdrängung unbewußter Akte als bewußtseinsumgrenzendes Handeln Für die Frage nach der spezifischen Beziehung zwischen Ubw und Vbw, die Freud in seinen theoretischen Modellen entwickelt, tritt die Struktur und Funktion der „psychischen Zensur" ins Zentrum. Wie sich schon zeigte (s. o. S. 44), führt Freud sie als die Instanz ein, die zwischen beiden Systemen vermittelt, indem sie unbewußte Akte niederhält oder zum Bewußtsein zuläßt.
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Die beiden Modelle der Psychoanalyse implizieren zwei verschiedene Ansätze zur Bestimmung der kontrollierenden Zensur. Während das veranschaulichende Modell sie als selbständige „Instanz" bestimmt, die sich in ihrer Kontrollfunktion zu den leitenden Tendenzen des Vbw und den ubw Triebansprüchen verhält, führt das exakt naturwissenschaftliche Modell ,Zensur' nur als Bezeichnung für bestimmte „Vorgänge zwischen Energiebeträgen" (s. o. S. 45) des Ubw und Vbw ein. Beide Bestimmungen der Zensur sind aber bei Freud nicht streng getrennt. Audi ohne ausdrücklich auf seine mechanischen Voraussetzungen zurückzugreifen, bestimmt er innerhalb seiner Veranschaulichungen die Zensur primär unter dynamischem Gesichtspunkt als eine Funktion der gegensätzlichen innerpsychischen Kraftrichtungen: ,Zensur' ist für ihn „vorläufig nichts weiter als ein gut brauchbarer Terminus für eine dynamische Beziehung" (XI, 141) zwischen dem Vbw und dem Ubw. Den „Zielvorstellungen" ( I I / I I I , 609) des Vbw, mit denen sich das Individuum in seinem bewußten Lebenszusammenhang „einig fühlt" (XI, 142), stehen die ubw Triebansprüche gegenüber, die den leitenden Normen des Vbw noch nicht unterworfen sind oder ihnen sogar widersprechen. Die Zensur ist innerhalb dieses Gegensatzes „keine besondere Macht", sondern die dem Ubw „zugewandte Seite der das Ich ((= Vbw)) beherrschenden, verdrängenden Tendenzen" (X, 165). Das kontrollierende Verhältnis zum Ubw, das in der ,Zuwendung' des Vbw liegt, wird hier unausdrücklich schon als mechanischer ,Gegendruck' des Vbw gegen das ,andrängende' Ubw gefaßt, in dem die primäre Kraftrichtung der Triebansprüche durch die Gegenkraft „analog der Bildung einer Resultierenden im Kräfteparallelogramm" (1,536) modifiziert wird. Dieses ,dynamische' Modell genügt aber offenbar nicht, um die angegebene Leistung der Zensur verständlich zu machen, weil es die Abgeschlossenheit des Vbw gegen das Ubw unberücksichtigt läßt 5 . Indem die vbw „Zielvorstellungen" durch ihre Geltung einen bestimmten Umkreis vbw Vorstellungen umgrenzen, grenzen sie zugleich alle anderen Tendenzen, die nicht unter ihrer Kontrolle entstanden sind oder ihnen selbst widersprechen, aus dem Zusammenhang des Vbw aus. Es scheint also unverständlich zu bleiben, wie die leitenden Tendenzen des Vbw in ihrer ausgrenzenden Funktion 5 Die folgende Interpretation ist durch die Kritik Sartres an der psychoanalytischen Theorie der Zensur angeregt worden (J. P. Sartre: Das Sein und das Nichts. Hamburg 1966; S. 91 ff.). Im Unterschied zu Sartre berücksichtigt sie jedoch, daß Freud seine Konzeption der selbständigen Zensur nur als Veranschaulichung verstanden hat, die durch das exakt naturwissenschaftliche Modell der Psyche aufgehoben wird. Erst seine Kritik dieses Modells könnte Sartres Einwände rechtfertigen (s. u. S. 64 ff.).
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selbst noch für das Ausgegrenzte offen und ihm ,zugewendet' sein können. Entsprechend scheint es unverständlich, wie das Vbw dem Ubw noch zugewendet' sein kann, ohne es damit schon in den eigenen Zusammenhang aufgenommen und darin als Ubw aufgehoben zu haben. Beide Einwände legen ein Verständnis der Zensur nahe 6 , das sie als eigene Instanz der Vermittlung zwischen den beiden Systemen ansetzt. Diese Instanz muß für das Ubw und Vbw offen sein, um auf dem Grunde dieser Offenheit selbst zu entscheiden, ob sie einen Triebanspruch akzeptieren und damit in den Umkreis des Vbw einbeziehen oder ob sie ihn zurückdrängen und darin vom Umkreis „bewußtseinsfähiger" Akte fernhalten will. So erweist sich die Umgrenzung des eigenen Vbw als die fundamentale Leistung der Zensur, in der sie entweder den Zusammenhang „bewußtseinsfähiger" Akte im Gegenzug zu den ausgrenzenden Tendenzen erweitert oder das Vbw in der zwanghaften Bindung an diese Tendenzen gegen das Ubw abschließt. In der Aufnahme noch unzugänglicher Interessen und Einstellungen ins Vbw-Bw eröffnet sich das Individuum die Möglichkeit, sich bewußt mit den akzeptierten Vorgegebenheiten auseinanderzusetzen, sie an den bewußt leitenden Zielvorstellungen zu prüfen und sie zu korrigieren oder sogar ausdrücklich abzuweisen (XI, 304; X, 248). Umgekehrt entzieht es sich in der Verdrängung die Möglichkeit bewußter Auseinandersetzung und bleibt darin von unbewußten Zwängen abhängig. Der hier angedeuteten Konzeption der Zensur hat Freud in seiner topischen Veranschaulichung wenigstens in Ansätzen Rechnung getragen. Er setzt die Zensur als selbständige „Instanz" an, die nichts „passieren" läßt, „ohne ihre Rechte auszuüben und die ihr genehmen Abänderungen am Bewußtseinsbewerber durchzusetzen" ( I I / I I I , 149) oder ihn überhaupt vom Bewußtsein abzuhalten (VIII, 397). Die Selbständigkeit dieser Zensur macht Freud topisch dadurch sichtbar, daß er sie nicht ins Vbw einordnet, sondern ihm vorordnet. Bildhaft beschreibt er die kontrollierende Instanz als den „Wächter" auf der „Schwelle" zwischen Ubw und Vbw (X,255; XI, 305), der in seiner Zwischenstellung beide Systeme aufeinander beziehen kann. Indem Freud die unbewußte Zensur veranschaulichend als selbständige Kontrollinstanz bestimmt, die für die gegensätzlichen Aspekte der Psyche 6 Der Mangel der folgenden Interpretation liegt darin, die angemessenen Strukturen der Zensur nur konstruktiv in der Abhebung gegen Freuds unzureichenden Ansatz und im Anhalt an bestimmten Veranschaulichungen einzuführen. Er kann erst in der Interpretation der ausgearbeiteten Ichtheorie Freuds wettgemacht werden, in der die konstruktiv eingeführten Annahmen als Freuds eigene Einsichten ausgewiesen werden (s. o. S. 116 f.).
2. Das psychologische Modell der Psyche
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offen ist, scheint er sich unausdrücklich am bewußten ,Reflexionsvollzug' zu orientieren, in dem das Individuum über die Geltung bewußter konkurrierender Motivationen spontan entscheidet. In der Tat läßt sich zeigen, daß Freud den Begriff der „Zensur" in der Entwicklung seiner Theoriebildung zunächst als Bezeichnung für die bewußte Kontrolle und Kritik des eigenen Bewußtseinszusammenhangs eingeführt hat. Dabei ging er von dem deskriptiv aufweisbaren Phänomen der bewußten Bemühung aus, bestimmte „ichfremde" Tendenzen aus dem eigenen Bewußtsein zu verdrängen (s.o. S. 37). So liegt die Vermutung nahe, Freud habe sein veranschaulichendes Modell der Psyche in der Übertragung der Strukturen bewußter Selbstkontrolle auf die Ebene unbewußter Zensur gewonnen. Diese Vermutung soll in der genaueren Untersuchung der psychoanalytischen Konzeption bewußter „Zensur" geprüft werden. b) Der Ursprung der psychologischen Konzeption „psychischer Zensur" in Freuds Deskription bewußter Selbstkontrolle In seinen frühen klinischen „Studien" (I) hat Freud eine Konzeption des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' entwickelt, die die „psychische Zensur" zunächst auf die bewußte Kontrolle der bewußten psychischen Vorgänge einschränkt. In dieser Untersuchung bewußter Selbstkontrolle gewinnt er deskriptiv die Unterscheidung zwischen der „Annahme" und der „Abwehr" „auftauchender" Vorstellungen, die er später für die unbewußte Zensur ausgearbeitet hat. In den „Studien" interpretiert Freud den bewußten Lebensvollzug als Zusammenhang von „assoziierten Vorstellungen", der unser „normales Ich" bildet (1,13). Diese „Assoziationskette" (1,13) erweitert sich nicht schon durch das bloße Bewußtwerden, sondern nur durch die ausdrückliche „Annahme" (1,269) einer neuen Vorstellung. Diese Annahme schließt den „Vorgang der Zensur" (1,269) ein, in dem über die „Realität" der neuen Vorstellung entschieden wird. Die Entscheidung ist abhängig „von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen" (1,269). Damit hat Freud bereits die Grundstruktur der Zensur angesetzt: In der Orientierung an den im Ich vereinigten Vorstellungen (und unter ihnen primär an den normativen Tendenzen des Ich) leistet das Individuum die Kontrolle und Kritik der neuauftauchenden Vorstellungen, indem es ihre „Verträglichkeit" mit den bereits assoziierten Akten prüft. Diese Kontrolle des eigenen Bewußtseinszusammenhangs läßt zwei Möglichkeiten offen. 1. Das Individuum kann den auftauchenden Vorstellungen „Realität"
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zuerkennen und sie damit grundsätzlich in den eigenen Assoziationszusammenhang einbeziehen. Sofern die Vorstellung sich diesem Zusammenhang nicht ohne weiteres einfügt, kann es diesen „Widerspruch . . . durch Denkarbeit zu lösen" (I, 62) versuchen. Diese Lösung erreicht das Individuum in der „assoziativen" Verarbeitung, in der die widersprechenden Vorstellungen korrigiert werden (I, 87). Damit entfaltet schon die Einführung der bewußten „Zensur" die beiden Aspekte gelungener Kontrolle: das zensierende Individuum akzeptiert die auftauchenden Vorstellungen, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen (s. o. S. 48). 2. Umgekehrt kann das Ich sich in der Zensur aber auch der Auseinandersetzung mit bestimmten „unverträglichen" Akten entziehen. Dieses Ausweichen faßt Freud als „Verdrängung", die das Individuum als bewußten Willensakt vollzieht (I, 62, 89, 386; X V I I , 12). In dieser Verdrängung begründet Freud die psychische Krankheit seiner Patienten. Er geht davon aus, daß „ein Fall von Unverträglichkeit in ihrem Vorstellungsleben vorfiel, d.h. . . . ein Erlebnis, eine Vorstellung, Empfindung an ihr Ich herantrat, welches einen so peinlichen Affekt erweckte, daß die Person beschloß, daran zu vergessen, weil sie sich nicht die Kraft zutraute, den Widerspruch dieser unverträglichen Vorstellung mit ihrem Ich durch Denkarbeit zu lösen" (1,61 f.). Weil das Ich starr an die leitenden Ziel Vorstellungen seines bewußten Lebens Vollzuges gebunden ist, gelingt es ihm nicht, sich für die faktisch vorgegebene Vorstellung offen zu halten und sie in der ausdrücklichen Auseinandersetzung mit ihr zu negieren. In dieser Konzeption hat Freud die Struktur der verdrängenden Zensur (s. o. S. 48) noch als Struktur der bewußten Auseinandersetzung mit eigenen Erlebnissen beschrieben. In den „Weiteren Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen" spricht Freud zum ersten Male von dem „psychischen Mechanismus der (unbewußten) Abwehr" (1,379). In der weiteren Aufklärung des Verdrängungsvorgangs zeigt sich dann, daß die bewußte Abwehr von „ichfremden" Vorstellungen nur die am ehesten zugängliche Grenzform der Verdrängungsprozesse ist, die sich zumeist „vom Ich unbemerkt" (XI, 304) vollziehen und der infantilen Lebensphase des Individuums angehören. Für die Bestimmung der unbewußten Zensur und ihrer Leistungen scheint Freud nun aber ohne weiteres die Strukturen bewußter Selbstkontrolle und -kritik in Strukturen unbewußter Zensur umgesetzt zu haben. Gerade die Entdeckung einer unbewußten Zensur, die selbst noch um das Unbewußte ,wissen' muß, damit sie es vom Bewußtsein fernhalten oder es ins Bewußtsein einbeziehen kann (s. o. S. 48), hätte aber doch zur Frage nach einer Bewußtseinsstruktur führen müssen, die das ,bewußtseinsumgrenzende Handeln' der Zensur theo-
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retisch durchsichtig machen kann. Diese Frage stellte Freud jedoch nicht, weil er in dem empirischen Nachweis unbewußter Aspekte des psychischen Seins selber an den traditionell leitenden Begriff des Bewußtseins als transparenter Selbstgegebenheit gebunden blieb. In dieser Abhängigkeit von der traditionellen Bewußtseinstheorie trennte er das Unbewußte radikal vom Bewußtsein ab und konnte beide Dimensionen der Psyche nur noch veranschaulichend innerhalb der Dimension des Bewußtseins in Beziehung setzen. Die Fixierung der Psychoanalyse an den Begriff des transparenten Bewußtseins soll im folgenden konkret aufgewiesen und in ihrer Konsequenz für das »psychologische' Modell der unbewußten Zensur sichtbar gemacht werden. c) Der unzureichende Bewußtseinsbegriff des psychologischen Modells der Psyche bedingt die ,Verdinglichung' des bewußtseinsumgrenzenden Handelns Freud hat zwar selbst die fundamentale Bedeutung der Unterscheidung zwischen ,bewußt' und ,unbewußt' für den Ansatz seiner Forschungen gesehen (z.B. X I I I , 2 4 5 ) , aber er hat doch niemals einen deskriptiven Begriff dessen, was ,bewußt' eigentlich meint, entfaltet. Er stellt die „Qualität" des Bewußtseins als „einzigartige, unbeschreibliche aber auch einer Beschreibung nicht bedürftige" ( X V I I , 143) „Tatsache" der Selbsterfahrung hin: „Spricht man von Bewußtsein, so weiß man . . . unmittelbar aus eigenster Erfahrung, was damit gemeint ist" ( X V I I , 79). Genauso wie der deskriptive Sinn von ,Bewußtsein' bleibt auch seine Struktur ungeklärt. In seinen Hinweisen auf die ,Erkenntnismöglichkeit' des Bewußtseins scheint Freud, genau wie Breuer in den „Studien über Hysterie" (179), die Struktur des Bewußtseins als Selbstbewußtsein zu fassen. So kann er sagen: „Bewußt sein ist zunächst ein rein deskriptiver Terminus, der sich auf die unmittelbarste und sicherste W a h r n e h m u n g beruft" ( X I I I , 240). In seinen Analysen der Bewußtseinsstruktur faßt Freud das Bewußtsein dann aber entweder als „Sinnesorgan" ( I I / I I I , 620), für das psychische Vorgänge „Objekt" (X, 272) werden und damit bewußt werden können, oder als bloßen „Charakter der Bewußtheit" ( X V I I , 143), d.h. als eine Qualität des Psychischen neben anderen. Im ersten Ansatz ist offenbar die Struktur des Selbstbewußtseins bloß veranschaulichend zur Begründung der Gegebenheit von Bewußtseinsphänomenen herangezogen, ohne daß damit für Freud die deskriptive Struktur dieser Gegebenheit selbst thematisiert wäre, im zweiten Ansatz hat Freud überhaupt auf eine Strukturbestimmung der Gegebenheit der eigenen Bewußtseinsphänomene verzichtet.
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Trotz dieser Einschränkungen der psychoanalytischen Fragestellung scheinen Freuds Charakterisierungen des Bewußtseins einen ganz bestimmten deskriptiven Sinn der Selbstgegebenheit zu implizieren. Einerseits sind „Bewußt sein" und, wie man ergänzen darf, die Bewußtseinsphänomene für „die unmittelbarste und sicherste Wahrnehmung" zugänglich (s. o. S.51). Andererseits ist die Gegebenheit der Bewußtseinsphänomene nur die »„psychische Beleuchtung'", das bloße ,Hellwerden' eines psychischen Akts, ohne daß sich darin „an ihm selbst, an seiner Folgerichtigkeit, dem Zusammenhang seiner einzelnen Teile, etwas ändern würde" (1,306). In diesem Hellwerden unbewußter Akte wird bloß das Ergebnis des unbewußten psychischen Kräftespiels sichtbar: Darum gibt „der Akt der Wahrnehmung selbst . . . keine Auskunft darüber, aus welchem Grund etwas wahrgenommen wird oder nicht wahrgenommen wird" (XIII, 242). In den beiden Bestimmungen scheinen zwei Grundcharaktere der Selbsterfahrung angegeben zu sein. Einerseits vollzieht sich die Selbstgegebenheit als ,unmittelbarste Wahrnehmung' offenbar im Medium einer absolut transparenten Bewußtseinsdimension. Zugleich ist diese Selbstgegebenheit auch das absolut ,passive Hinnehmen' von in sich selbst bestimmten psychischen Gegenständlichkeiten, das für deren Konstitution vollständig bedeutungslos ist. Von diesem Ansatz her ist es offenbar unmöglich, die Zensur noch als Prozeß der Aneignung oder Abweisung ,unbewußter' Triebwünsche zu beschreiben. Darin würde nämlich das ,unbewußte' Kräftespiel noch als der Vollzug des Umgrenzens gefaßt, in dem erst die transparente ,Sicht' eigener Bewußtseinsphänomene festgelegt würde. Für eine solche Konzeption ist aber der Begriff des Bewußtseins als transparenter Selbstgegebenheit im passiven Hinnehmen auftauchender' Akte gar nicht zureichend. Weil dieser Bewußtseinsbegriff auch für das veranschaulichende Modell der Vermittlung zwischen Ubw und Vbw vorausgesetzt ist, kann es den fundamentalen Unterschied zwischen den beiden Aspekten des psychischen Seins nicht mehr als Unterschied in ihrer Zugänglichkeit einsichtig machen. Vielmehr greift Freud auf die topische Verdinglichung der psychischen Strukturen zurück (s. o. S. 43), um diesem Unterschied Rechnung zu tragen. Dabei zeigt sich, daß diese Verdinglichung die genuinen Strukturen des ,umgrenzenden Handelns' weitgehend verdeckt. Die Offenheit der vermittelnden Zensur für das Ubw und das Vbw erscheint in der topischen Veranschaulichung als ,Zwischenstellung' der kontrollierenden Instanz, in der sie einerseits an das Ubw, andererseits an das Vbw ,anstößt*. Dieses Modell verdeckt aber, daß die Offenheit der Zensur nicht als räumliche Verbindung zwischen Ubw und Vbw bestimmt werden
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kann, sondern als einheitliche Offenheit für Bewußtseinsphänomene verstanden werden muß, die in gegensätzlicher Weise ,gegeben' sind. Dem Ansatz der Zensur entsprechend bestimmt das topische Modell den Unterschied zwischen vbw und ubw Akten nicht im Hinblick auf ihre Gegebenheitsweise, sondern unterscheidet beide Arten psychischer Prozesse als räumlich getrennte Bereiche der veranschaulichend eingeführten einheitlichen Bewußtseinsdimension. Der jeweilige Vollzug des Umgrenzens bewußtseinsfähiger Gegebenheiten erscheint innerhalb des topischen Rahmens entweder als Ortswechsel ubw Akte innerhalb des einheitlichen Bewußtseinsraums, der mit der Verwandlung des triebhaften Drängens beim Durchgang durch die Zensur verbunden ist, oder als örtliche Fixierung im Unbewußten, durch die zugleich das triebhafte Drängen der ubw Wünsche fixiert wird. Dagegen müßte im Ausgang von Freuds deskriptivem Ansatz die „Zensur" als die Entscheidung über die Gegebenheitsweise von vorgegebenen Akten verstanden werden, die auch als ,unbewußte' für die Zensur nicht völlig unzugänglich sind. Die Untersuchung hat die Grenzen des veranschaulichenden Modells der Psyche auf den leitenden Bewußtseinsbegriff zurückgeführt, den Freud unbefragt aus der Tradition übernommen hat. Damit ist aber nur der primäre sachliche Grund für die unzureichende Konzeption der Zensur angegeben. Freud scheint sein Bewußtseinsbegriff gerade deshalb nicht problematisch geworden zu sein, weil er sich in der Veranschaulichung psychischer Strukturen schon unausdrücklich auf sein exakt naturwissenschaftliches Modell stützte, das er für das theoretisch angemessene hielt. Die folgende Interpretation soll diese Annahme auf ihr Recht hin prüfen. Dabei fragt sie, ob sich Zusammenhänge der Selbsterfahrung angemessen in „Wechselwirkungen zwischen Energiebeträgen an einem Substrat" (s. o. S. 45) umsetzen lassen.
3. Das naturwissenschaftliche Modell der Psyche als ,Mechanisierung' des bewußtseinsumgrenzenden Handelns Dem psychologischen Modell der Psyche, das bisher untersucht wurde, soll im folgenden Kapitel die naturwissenschaftliche Konzeption seelischer Prozesse gegenübergestellt werden. Diese Interpretation verfolgt eine dreifache Absicht: Sie soll zunächst die naturwissenschaftlichen Grundlagen für die ,Verdinglichung' der Psyche sichtbar machen, die bisher allgemein gekennzeichnet (s. o. S. 41 ff.) und in ihrer Relevanz für das veranschaulichende Modell aufgewiesen worden ist (s. o. S . 5 2 f . ) . Dabei soll zugleich sichtbar
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werden, welche umfassende Einheit für den Zusammenhang von Ubw und Vbw im naturwissenschaftlichen Modell an die Stelle des einheidichen gegliederten Bewußtseinsraumes tritt (a). Diese Einheit muß dann daraufhin befragt werden, ob sie den deskriptiv aufgewiesenen Zusammenhang der beiden ,Bereiche' des Seelenlebens theoretisch einsichtig machen kann (b). a) Die naturwissenschafdichen Grundannahmen der „analytischen" Psychologie entspringen der Psychologisierung' neurophysiologischer Hypothesen Die beiden ersten Probleme, von denen die Interpretation des naturwissenschaftlichen Modells der Psyche ausgeht, sollen in der Darstellung und Kritik des VII. Kapitels der „Traumdeutung" beantwortet werden (II/III, 513—626). In diesem Text ist die naturwissenschaftliche Konzeption Freuds am ausführlichsten und umfassendsten dargestellt. Freuds naturwissenschaftliche Annahmen orientieren sich daran, daß die psychischen Vorgänge „auch eine organisch-biologische Seite" haben (s. o. S. 45). In seinem frühesten theoretischen Versuch, „eine naturwissenschaftiiche Psychologie zu liefern" (Anfänge 305), setzt Freud „psychische Vorgänge . . . als quantitativ bestimmte Zustände aufzeigbarer materieller Teile" (305) an, die er im Anschluß an die Histologie (vgl. 307) als „Neuronen" bestimmt. Unter dieser Grundvoraussetzung charakterisiert er die bewußte Selbsterfahrung als „die subjektive Seite eines Teiles der physischen Vorgänge im Neuronensystem" (320). Diesen Ansatz korrigiert Freud in der „Traumdeutung", indem er seiner bisher neurophysiologisch begründeten Psychologie ihr organisches Fundament entzieht und sie damit als eigenständigen Forschungsbereich einführt. Seine methodische Forderung lautet nun: „Wir wollen ganz beiseite lassen, daß der seelische Apparat uns auch als anatomisches Präparat bekannt i s t . . . Wir bleiben auf psychologischem Boden" (11/111,541). Die genauere Untersuchung der psychoanalytischen Grundannahmen zeigt jedoch, daß Freud seine psychologische' Konzeption der Psychoanalyse nicht aus einer selbständigen, umfassenden Analyse der psychischen Phänomene, sondern aus der bloßen Psychologisierung' seiner neurophysiologischen Hypothesen gewonnen hat 7 . 7 In seinen späteren Untersuchungen zum Verdrängungsvorgang (X, 248—303) hat Freud streng an der Selbständigkeit der psychoanalytischen Psychologie gegenüber neurophysiologischen Fundierungen festgehalten (VIII, 398; 410; X,273). In der anschließenden Ausarbeitung seiner Strukturpsychologie bemühte sich Freud dagegen erneut um die Anknüpfung seiner Psychologie an die Physiologie und Biologie (XIII,
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Das VII. Kapitel der „Traumdeutung" verbindet drei theoretische Ansätze miteinander, die nacheinander interpretiert werden sollen. Zunächst entwikkelt Freud eine vorläufige topische Konstruktion der Psyche (1.), anschließend leitet er den dynamischen Gegensatz von Ubw und Vbw ontogenetisch aus der „Not des Lebens" ab (2.), schließlich korrigiert er das vorläufige topische Modell durch den Einbezug der psychischen Dynamik (3.). 1. In seinem ,topischen' Modell der „Traumdeutung" (11/111,541— 547) 8 bestimmt Freud die Seele als „psychischen Apparat", der aus verschiedenen Bestandteilen, den „psychischen Lokalitäten" oder „Systemen" zusammengesetzt ist. Die Bewußtseinsvorgänge sind jeweils Gesamtleistungen dieses Apparats, die aus den Teilleistungen der verschiedenen Systeme bestehen. Die Psychoanalyse stellt sich die Aufgabe, „die Komplikation der psychischen Leistung verständlich zu machen, indem wir diese Leistung zerlegen, und die Einzelleistung den einzelnen Bestandteilen des Apparats zuweisen" (11/111,541). In dieser ,analytischen' Konzeption hat Freud grundsätzlich an seinem frühen, neurologisch fundierten „Entwurf einer Psychologie" (Anfänge 297 ff.) festgehalten, der die psychischen Vorgänge aus dem Zusammenwirken anatomisch verschieden lokalisierter, räumlich ausgedehnter „Neuronensysteme" erklärte. In der Freisetzung der Psychologie gegenüber neurophysiologischen Hypothesen unterscheidet Freud die verschiedenen Systeme des psychischen Apparats jetzt nicht mehr unter hirnanatomischen Gesichtspunkten, sondern in der Orientierung an psychologisch feststellbaren oder erschlossenen unterschiedlichen ,Organisationsformen' psychischer Akte (s. o. S. 41 ff.). Indem Freud die verschiedenen Akte als Funktionen der verschiedenen Systeme versteht, kann er von ihnen aus auf den topischen Aufbau des Apparats zurückschließen (vgl. I I / I I I , 542 ff.; XIV, 221). Zugleich faßt Freud den Apparat und seine Teilsysteme doch weiterhin als nichtpsychische Strukturen, die psychische Vorgänge hervorbringen. Er vergleicht den Apparat mit einem optischen „Instrument" ( I I / I I I , 541), das die psychischen Vorgänge als seine Bilder entwirft. Entsprechend gilt von den Teilbereichen: „Die Systeme . , . , die selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psychischen Wahrnehmung zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen gleich den Linsen des Fernrohrs" ( I I / I I I , 616). So hält Freud also auch in der Freisetzung seiner Psychologie grundsätzlich an einer nicht-
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23—32; 65; 246—251; XV, 5—8) und verstand sie als „Uberbau, der irgendeinmal auf ein organisches Fundament aufgesetzt werden soll" (XI, 403; vgl. XIII, 65). Zum Folgenden vgl. die vorzügliche Arbeit von R. Spehlmann: Sigmund Freuds neurologische Schriften. Heidelberg 1953.
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psychischen, organischen Topik fest, aber er verzichtet aus erkenntnistheoretischen Gründen auf deren genauere Erforschung (X, 273) und orientiert sich bei der Unterscheidung der nichtpsychischen Systeme an den psychischen Vorgängen selbst. Deshalb hat seine Topik lediglich den Wert einer theoretischen Fiktion, die solange die entsprechende organische Topik ersetzen muß, bis die anatomische Lokalisation psychischer Vorgänge zweifelsfrei gelungen ist. Aber auch in diesem Ausgang von den psychischen Phänomenen selbst bleibt Freud grundsätzlich an seinen neurophysiologischen Ansatz gebunden. Diese Abhängigkeit zeigt sich darin, daß Freud psychische Phänomene überhaupt unter dem Gesichtspunkt einer primitiven und einer höheren Entwicklungsstufe' betrachtet und dabei ein einheitliches Entwicklungsschema für alle psychischen Akte voraussetzt (s. o. S. 41 f.). Diese Konzeption entspringt offenbar nicht der umfassenden Deskription der Selbsterfahrung sinnvoller und sinnloser Akte, sondern wird durch Freuds hirnanatomische Hypothesen nahegelegt. Freud entfaltet seinen topischen Grundansatz, indem er zunächst von dem Schema eines „Reflexapparats" ausgeht: „an dem sensiblen Ende befindet sich ein System, welches die Wahrnehmungen empfängt, am motorischen Ende ein anderes, welches die Schleusen der Motilität eröffnet" ( I I / 111,542). Indem er den Unterschied zwischen aktuellen Wahrnehmungen und Erinnerungen mit einbezieht, führt Freud „Erinnerungssysteme" ( = ErSysteme) ein, in denen die aktuellen Bewußtseinsvorgänge jeweils eine „Erinnerungsspur" (11/111,543) hinterlassen. Diesen Er-Systemen ordnet er im Ausgang von den Ergebnissen der Traumanalyse das Ubw und das Vbw zunächst noch parallel, ohne sichtbar zu machen, daß die Er-Systeme selbst den Bestand des Ubw und Vbw bilden ( I I / I I I , 545). Innerhalb dieser topischen Konstruktion führt Freud den dynamischen Aspekt psychischer Prozesse ein, indem er die Bewußtseinsphänomene als aktuelle Abläufe psychischer „Erregung" innerhalb des Wahrnehmungssystems bestimmt. Diese Energieverschiebungsprozesse setzen sich in die ErSysteme fort und werden in den „Erinnerungsspuren" fixiert, bevor die psychische Erregung am „motorischen Ende" des Apparats wieder „abgeführt" (vgl. I I / I I I , 604) wird. Die „Erinnerungsspuren" bestehen „in bleibenden Veränderungen an den Elementen der Systeme" (11/111,543). Diese „Veränderungen" bestimmt Freud als „Widerstandsverringerungen und Bahnungen" (11/111,544) zwischen den Elementen, die von der psychischen Erregung durchlaufen worden sind. Die jeweiligen Bahnungen zeichnen nachfolgenden Energieverschiebungsprozessen ihre Verschiebungswege mit vor, weil die psychische „Besetzungsenergie" ( I I / I I I , 599) für ihren Ablauf die
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bestgebahnten Leitungswege bevorzugt. Zugleich verändert jeder aktuelle Energieablauf aufgrund seiner eigenen Quantität und Abiaufrichtung wiederum auch die vorgefundenen Bahnungen. Damit hat Freud ein Modell gewonnen, das die strenge Determination aller psychischen Vorgänge anschaulich macht. Jeder aktuelle Erregungsablauf vollzieht sich auf den Bahnungen entsprechender vorangegangener Abläufe und bedingt in der Modifikation der vorgefundenen Bahnungen die nachfolgenden analogen Verschiebungsprozesse mit. In dieser Konzeption ist der psychische Vorgang mechanisch als die aktuelle „Besetzung" (11/111,599) einer Erinnerungsspur mit psychischer Energie bestimmt. Diesen Ansatz hat Freud vollständig aus seinem neurophysiologischen „Entwurf" (Anfänge 307—311) übernommen. Dort bestimmte er psychische Prozesse als Erregungsabläufe, in denen bestimmte „Kontaktschranken" zwischen „distinkten" organisch verbundenen Neuronen jeweils herabgesetzt werden. In der psychologischen Konzeption hat Freud die Neuronen nun in Elemente psychischer Systeme umgewandelt und die Nervenerregung als psychische Energie bestimmt. Die Unterscheidung zwischen der „Erinnerungsspur" und dem je aktuellen Erregungsablauf geht nicht mehr primär auf Hypothesen der Histologie zurück, sondern soll psychologisch durch die Unterscheidung von „Vorstellung" und „Affektbetrag" (X, 255) einsichtig werden. Aber in dieser Umwandlung gewinnt die psychologische Konzeption nur eine scheinbare Selbständigkeit. Freud setzt gerade nicht die gespeicherten Vorstellungen selbst als die Elemente der Erinnerungssysteme an, sondern bestimmt sie als „Veränderungen a η den Elementen der Systeme" (s. o. S. 56). Darin hält er die Elemente und ihre Verbindungen selbst noch als nichtpsychisches Fundament der psychischen Vorgänge fest. Auch die psychische Erregung darf nicht selbst als ein psychischer Akt verstanden werden, sondern nur ihr jeweiliger Ablauf. So zeigt sich, wie schon bei der Untersuchung der psychischen Topik (s. o. S. 55 f.), daß Freud die psychischen Vorgänge weiterhin in unpsychischen Bestandteilen des seelischen Apparats begründet und damit wiederum nur eine heuristische Fiktion entwickelt, die ihre Umwandlung in gesicherte neurologische Erkenntnis erfordert. Die Abhängigkeit von der Neurophysiologie bleibt auch in der Weiterbildung dieses Ansatzes noch grundsätzlich erhalten, in der Freud das nichtpsychische Fundament der psychischen Prozesse ganz auszuklammern versucht. Dabei bestimmt er nun die „Vorstellung" (X, 254 f.) selbst als das psychische Substrat, mit dem der „Affekt" als der jeweilige „Betrag von psychischer Energie" (X, 254 f.) verbunden ist (vgl. auch 1,63). Auch diese Kon-
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zeption entspringt nicht einer umfassenden Deskription des ,affektiven Bewußtseins von . . . ' , sondern einem physikalischen Modell. Solange Freud Psychologie als Hirnphysiologie betrieb, konnte er aufgrund seines methodischen Ansatzes die psychischen Vorgänge „wie alle anderen Vorgänge in der Natur" betrachten und für ihre Erklärung auf physikalische Modelle zurückgreifen. So orientierte er sich für die Unterscheidung von „Erregungsablauf" und „besetztem Element" an der physikalischen „Annahme des strömenden, elektrischen F l u i d u m s " , das sich über einen Körper verbreitet (1,47). Diese Konzeption hält er grundsätzlich fest, indem er an den Bewußtseinsphänomenen einen puren Affektanteil und einen bloßen Vorstellungsanteil als trennbare Bestandteile unterscheidet und sogar auf ihre verschiedenen Schicksale innerhalb des psychischen Lebens hin befragt9. Als ursprüngliches Regulationsprinzip der Energieverschiebungsprozesse im psychischen Apparat führt Freud in der „Traumdeutung" das „Lustprinzip" ein ( I I / I I I , 580). Dieses Gesetz der Energieverteilung zeichnet die möglichst rasche und vollständige „Abfuhr" aller einströmenden psychischen Erregung am „motorischen Ende" des Apparats vor. Der aktuelle Erregungsablauf vollzieht sich unter der Herrschaft dieses Prinzips also auf den bestgebahnten Leitungswegen, die am direktesten zum motorischen Ende des Apparats führen (s. o. S. 56f.). Diese Prinzip hat Freud ebenfalls aus dem neurophysiologischen „Entwurf" übernommen, wo er es als das „Prinzip der Neuronen-Trägheit" (Anfänge 305) faßt. In dieser Kennzeichnung erweist es sich noch als die neurologische Formulierung des allgemeinen physikalischen Gesetzes der Konstanzerhaltung der Energie (so wie es die klassische Physik bestimmte). In seiner Freisetzung der Psychoanalyse gegenüber der Hirnphysiologie hat Freud auf eine physikalische Formulierung dieses Prinzips verzichtet und es am Erleben von Lust und Unlust plausibel zu machen versucht. Er vollzieht den Überschritt von seinen neurologischen Hypothesen zur psychologischen Deskription, indem er die Unlust mit der Erhöhung, die Lust mit der Verringerung der Besetzungsenergie im psychischen Apparat in Verbindung bringt. Daß für Freud aber überhaupt Lust und Unlust die zentrale Stellung in der teleologischen Beschreibung des Seelenlebens gewinnen und unter dem Gesichtspunkt von ,Entspannung' und .Gespanntheit' betrachtet werden, scheint primär in dem neurophysiologischen Ansatz der Psychoanalyse begründet zu sein. So zeigt sich, daß 9 Konkrete Einwände gegen Freuds neurologisch bestimmten Ansatz hat D. Wyss im Ausgang von Deskriptionen psychologischer Erfahrungen entwickelt; vgl. D. Wyss: Die tiefenpsychologischen Schulen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Göttingen 1966; S. 331 ff., 347 ff.
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Freud seine naturwissenschaftliche Konzeption der Psyche gerade nicht in der Auswertung seiner Erfahrungen bei der Aufklärung von „verborgenem Sinn" (s. o. S. 36) gewonnen, sondern in der bloßen Umsetzung neurophysiologischer Hypothesen in psychologische Grundannahmen eingeführt hat. Natürlich wäre es unberechtigt, die neurophysiologische Theorie der Psyche radikal von der Interpretation der Selbsterfahrung abzutrennen. Auch die Hirnphysiologie bleibt für ihre Hypothesenbildung grundsätzlich auf die Selbsterfahrung angewiesen (vgl. Studien 149) und kann nur von ihr aus physiologische Analogien bilden. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden theoretischen Ansätzen scheint darin zu liegen, daß die neurologisch orientierte Psychologie in ihren ,Deskriptionen' schon von dem Interesse an der Verwendung mechanischer Grundannahmen geleitet ist und sich von diesem Interesse die Perspektive für ihre Beschreibung und die Grenzen der von ihr erfaßten Phänomene vorgeben läßt. Darin steht sie aber in der Gefahr, die genuinen Gegebenheiten der Selbsterfahrung gerade zu verdecken. Dieser Mangel kann jedoch innerhalb der Theoriebildung verborgen bleiben, weil das leitende Interesse nicht mehr die möglichst umfassende und ursprüngliche Selbsterfahrung als Ausweisungshorizont der Theoreme vorgibt, sondern gerade die mechanische Anschaulichkeit zum Maßstab für die Brauchbarkeit der Hypothesen macht. Das bisher untersuchte topische Modell der Psyche bleibt in dreifacher Hinsicht theoretisch uneinsichtig: a. Das Schema des erweiterten Reflexapparats trägt nur den Außenweltreizen Rechnung und vernachlässigt damit die im Ubw ansetzenden endogenen Triebreize, die nicht im Wahrnehmungssystem aufgenommen werden. b. In der Einordnung von Ubw und Vbw in den Reflexapparat legt Freud das Mißverständnis nahe, die im Wahrnehmungssystem aufgenommenen Reize durchliefen erst Ubw und Vbw, ehe sie in die Motilität abgeführt werden könnten. c. Die Gleichordnung der Er-Systeme mit Ubw und Vbw verdeckt die entscheidende Tatsache, daß die Er-Systeme nicht getrennt neben Ubw und Vbw bestehen, sondern ihre Erinnerungsspuren selbst das gespeicherte Vorstellungsmaterial der beiden psychischen Teilbereiche bilden. 2. Die Mängel des topischen Modells korrigiert Freud zunächst, indem er zwei verschiedene Arten des Erregungsablaufs, die für die Unterscheidung von Ubw und Vbw maßgebend sind, ontogenetisch ableitet ( I I / I I I , 5 7 0 — 572; 604 f.). Dabei fragt er nicht mehr, wie im topischen Modell, nur nach der Aufnahme und Abfuhr von Außenweltreizen, sondern untersucht „die vom inneren Bedürfnis ausgehende Erregung", die nicht, wie der Außenwelt-
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reiz, „einer momentan stoßenden, sondern einer kontinuierlich wirkenden Kraft" entspricht und nur in realen Befriedigungserlebnissen abgeführt werden kann. Die Verschiebung dieser endogenen Erregung folgt ganz dem Lustprinzip, indem sie ausschließlich die Bahnungen des vorangegangenen Befriedigungserlebnisses benutzt und sich in der Befriedigungserinnerung gleichsam staut. Diese Form des Erregungsablaufs bezeichnet Freud als die „freiströmende, nach Abfuhr drängende . . . Besetzung der psychischen Systeme" ( X I I I , 31) und nennt sie den „Primärvorgang" (11/111,607; vgl. X , 286). Damit gibt Freud eine energetische Beschreibung des ungehemmten „realitätsblinden" triebhaften Drängens nach Befriedigung, das an seine jeweilige „Triebrepräsentanz" (X, 254) als Ziel gebunden ist (s. u. S. 75 f.). Die bloße Energiestauung in der Befriedigungserinnerung und die dadurch bedingte halluzinatorische Befriedigung ermöglichen keine reale Aufhebung der Quelle des Triebreizes und führen zu extremen Unlusterlebnissen. Daher ,lernt' der psychische Apparat, nach Abfuhr drängende, endogene Energie zu „binden" (vgl. X I I I , 31) und damit „eine Hemmung dieses Abströmens, eine Verwandlung in ruhende Besetzung" (11/111,605) herbeizuführen. Diese Form der Energieverteilung nennt Freud den „Sekundärvorgang" ( I I / I I I , 607). In der Umwandlung freier in gebundene Energie werden die Leitungswiderstände zwischen den ruhend besetzten Elementen stark herabgesetzt, so daß eine einheitliche Organisation weitgehend miteinander assoziierter Er-Elemente entsteht (vgl. Anfänge 332—336). Diese Organisation ist aufgrund ihrer Energieverteilungsverhältnisse in der Lage, neu einströmende freie Energie zu binden ( X I I I , 30) und zugleich in kleinen Energiequantitäten auf den verschiedensten Assoziationsbahnen zu verschieben ( I I / I I I , 605; V I I I , 233). Die skizzierte Energieumwandlung versteht Freud psychologisch als Einsetzung des „Realitätsprinzips" (VIII, 232), unter dessen Herrschaft es Anteilen des psychischen Apparats gelingt, „Lustbefriedigungen aufzuschieben und Unlustempfindungen für eine Weile zu ertragen" (XIV, 302). In der Annahme einer „ruhenden Besetzung" charakterisiert Freud also das ,realitätsgerechte' Verhalten, das die vorgegebenen Umweltbedingungen für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse berücksichtigt (s. u. S. 76 f.). Die Verschiebungsprozesse mit kleinen Energiequantitäten, die aufgrund der Energieumwandlung möglich werden, stellen für Freud die intellektuellen Leistungen der Umwelterfahrung dar ( I I / I I I , 605). Auch die hier skizzierte Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärvorgang findet sich schon in Freuds frühem „Entwurf" (Anfänge 306, 3 3 2 — 336). Ebenso hat Freud im Entwurf auch schon ausdrücklich die „biologische
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Belehrung" als Ableitungsprmzip des Sekundärvorgangs angesetzt (Anfänge 329). Dieses Prinzip wird noch zu untersuchen sein (s. u. S. 74 ff.). 3. Die Unterscheidung zwischen dem Primär- und Sekundärvorgang verwendet Freud zur Korrektur seines vorläufigen topischen Modells ( I I / I I I , 614—616). Vbw und Ubw sind nicht mehr selbständige topische Systeme neben den Er-Systemen, sondern die Teilbereiche der Psyche, die alle ErElemente umfassen und durch die zwei Energiearten differenziert werden. So läßt sich nun folgende naturwissenschaftliche Konzeption der Psyche abschließend festhalten: Freud setzt den psychischen Apparat als den einheitlichen, universalen Zusammenhang nichtpsychischer distinkter Elemente an, die durch nichtpsychische Leitungsbahnen miteinander verbunden sind. Psychische Akte sind Energieverschiebungsprozesse auf den vorhandenen Bahnen, durch die Leitungs wider stände zwischen den Elementen eingeschränkt und so Assoziationsbahnungen hergestellt werden. Die fundamentale Gliederung des Zusammenhangs der Er-Elemente entspringt den zwei verschiedenen Formen psychischer Energie: Das Ubw umfaßt alle die Er-Elemente, die mit freier, nach Abfuhr drängender Energie besetzt sind; das Vbw umfaßt alle die Elemente, die mit ruhender Energie besetzt und damit zu einer einheitlichen Organisation zusammengeschlossen sind. Der Übergang von einem System zum anderen besteht darin, „daß eine Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt oder von ihr zurückgezogen wird, so daß das psychische Gebilde unter die Herrschaft einer Instanz gerät oder ihr entzogen ist« (11/111,615). In dieser mechanischen Konzeption wird das Bewußte (Bw) als der Teilbereich des Vbw bestimmt, dessen Elementen es gelingt, „die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf sich zu ziehen" ( I I / I I I , 622). Das Bewußtsein hat hier die Rolle eines „Sinnesorgans zur Wahrnehmung psychischer Qualitäten", für das der psychische Apparat selbst die „Außenwelt" ( I I / I I I , 620 f.) ist. Die ,Wahrnehmungen' dieses Sinnesorgans sind die Umsetzungsvorgänge unbewußter Energiequantitäten in bewußte Qualitäten. Sie haben selbst wieder eine Steuerungsfunktion für die unbewußten Verschiebungsvorgänge im Apparat, indem das Bewußtsein den Vorgängen, die es ausgelöst haben, neue Quantitäten, die „Aufmerksamkeitsbesetzungen", zuführt ( I I / I I I , 621). Damit ist das Bewußtsein nun innerhalb der mechanischen Konzeption der Psyche konsequent als das passive Hinnehmen von fixierten psychischen Gegenständlichkeiten angesetzt, das nur einen beschränkten Ausschnitt der psychischen Vorgänge erfaßt und für das die Dynamik des Seelenlebens völlig unzugänglich ist (vgl. o. S. 52). Zugleich fügt Freud das Bewußtsein der
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eigenen psychischen Akte in den streng determinierten Zusammenhang der Psyche ein: die Bewußtseinsphänomene, die mechanisch durch Energieverschiebungen ausgelöst werden, leisten selbst wiederum einen Energiebeitrag zu den unbewußten Verschiebungsvorgängen. Die Interpretation der „Psychologie der Traumvorgänge" (11/111,513) hat die naturwissenschaftliche Gegenkonzeption zu dem psychologischen Modell der Psyche dargestellt. An die Stelle der veranschaulichend eingeführten einheitlichen Dimension der Selbstgegebenheit tritt hier der Zusammenhang nichtpsychischer Elemente, die durch nichtpsychische Leitungsbahnen miteinander verbunden sind. Dieser Zusammenhang bildet das räumlich ausgedehnte ,Gerüst' für alle psychischen Vorgänge. Dabei setzt Freud die inhaltliche Bestimmtheit einer ,Vorstellung' in eine je bestimmte Lokalisation ihres Erregungsablaufs und der entsprechenden Erinnerungsspuren um. Der Sinnzusammenhang bestimmter Vorstellungen geht in die Bestimmung ihrer Lage zueinander und der Bahnungsverhältnisse zwischen ihnen ein. Die Gliederung des Neuronenzusammenhangs in Ubw und Vbw entspringt der Verteilung unterschiedlicher Energieformen innerhalb des statischen ,Gerüstes' der distinkten Elemente. So hebt die Gliederung nicht verschiedene Gegebenheitsweisen des eigenen psychischen Lebens heraus, sondern unterscheidet Teilbereiche der Psyche, die durch die Einheitlichkeit ihrer Besetzungsenergie gebildet werden. In dieser Konzeption fällt die Zensur zwischen Ubw und Vbw als vermittelnde Instanz vollständig aus. An ihre Stelle treten die nichtpsychischen Leitungsbahnen, die unabhängig von der jeweiligen Energieverteilung alle Er-Elemente miteinander verbinden. Die kontrollierende Leistung der Zensur wird in den mechanischen Vorgang der Wechselwirkung zwischen Energiequantitäten umgewandelt, in der frei besetzte Elemente ruhende Energie auf sich ziehen und damit ins Vbw eingehen oder ruhende Energie sich von Elementen ihres eigenen Zusammenhangs zurückzieht und sie damit verdrängt (s. u. S. 64 f.). Das Bewußtsein wird, seinem deskriptiven Sinn entsprechend, nur noch als das ,Hellwerden' der ,Ergebnisse' der psychischen Dynamik gefaßt. Damit spricht Freud dem Bewußtsein jede Bedeutung für den Zusammenhang des psychischen Lebens ab und reduziert es auf eine Eigenschaft des Psychischen, die an einer bestimmten Stelle des psychischen Apparats zu den schon vorhandenen Eigenschaften der Akte hinzutritt. Mit dem naturwissenschaftlichen Modell der Psyche sind auch die neurophysiologischen Grundlagen für die ,Verdinglichung' der Psyche (s.o. S. 41 ff. und 52 f.) sichtbar geworden:
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Der Bewußtseinsraum, der für die Zensur eröffnet und in zwei Bereiche gegliedert ist, hat offenbar sein Vorbild in dem räumlich erstreckten Gerüst der psychischen Elemente, das durch die zwei Arten der Besetzungsenergie zweigeteilt ist. Die Interpretation der zensierenden Leistungen als Ortsverschiebungen bzw. -fixierungen entspringt offenbar der räumlichen Bestimmung von Sinnzusammenhängen. Aber auch die naturwissenschaftliche Verdinglichung der Psyche, die unausdrücklich auf die organischen Grundlagen des Seelenlebens zurückgreift und mechanische Gesetzmäßigkeiten für psychische Prozesse einführt, scheint darin doch noch an die Erfahrung des Selbstbewußtseinsvollzuges gebunden zu bleiben: Der Vollzug, in dem die Zensur den Spielraum der Selbsterfahrung umgrenzt, erscheint als streng kausalgesteuerte Energieverschiebung, die Elemente besetzt oder ,verläßt'. Die bedrängende Dynamik der Triebansprüche, denen die zensierende Instanz ausgesetzt ist, wird zur Eigenschaft der primären psychischen Energie umgewandelt: Die freie, nach Abfuhr drängende Energie, die bestimmte Vorstellungen als ihre „Triebrepräsentanzen" besetzt, ist offenbar nur die energetische Fassung eines isolierten, ungehemmten und „imperativen" Drängens nach Befriedigung, das für das Individuum erlebbar ist. Umgekehrt scheint in der ruhenden Erregung, die die einheitliche Organisation des Vbw besetzt, die Kraft zur „Triebhemmung" gefaßt zu sein, in der das Individuum seine Triebwünsche der eigenen Kontrolle unterwirft. In der „Bindung" freier Energie durch ruhende Besetzung scheint dann der Prozeß der Triebhemmung selbst mechanisch bestimmt zu sein, in dem das Individuum bedrängende Ansprüche akzeptiert, ohne sich damit schon in seinem Verhalten von ihnen abhängig zu machen (vgl. dazu oben S. 79). Die Gegenüberstellung des veranschaulichenden und des mechanischen Modells der Psyche hat die beiden Gründe aufgeklärt, die für die psychoanalytische Uminterpretation der ursprünglichen analytischen Erfahrung entscheidend sind. Der primäre sachliche Grund scheint in Freuds selbstverständlicher Orientierung am traditionellen Bewußtseinsbegriff zu liegen, der gar keine Explikation des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' zuläßt (s. o. S. 52). Diese Orientierung wurde für Freud niemals fragwürdig, weil er seine Theorie im Ausgang von neurophysiologischen Untersuchungen entfaltete. Dadurch, daß die neurophysiologischen Voraussetzungen des veranschaulichenden Modells sichtbar geworden sind, hat das naturwissenschaftliche Modell der Psyche entscheidendes theoretisches Gewicht innerhalb der psychoanalytischen Theoriebildung gewonnen. Kann es als das systematisch leitende Konzept der Psychoanalyse den spezifischen Zusammenhang zwi-
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I. Die psychoanalytische Gliederung der Psyche
sehen bewußten und unbewußten Aspekten des eigenen Seins, der bisher theoretisch undurchsichtig geblieben ist, befriedigend aufklären? b) Die naturwissenschaftliche Interpretation der psychischen Zensur scheitert an der „Verdrängung": Das bewußtseinsumgrenzende Handeln läßt sich nicht in die Wechselwirkung mechanischer Kräfte umsetzen Die naturwissenschaftlichen Grundannahmen der Psychoanalyse sind so weit dargestellt worden, daß die leitende Frage (s. o. S. 53 f.) wieder aufgenommen werden kann, ob es Freud gelingt, die kontrollierende Leistung der Zensur als „Vorgang zwischen Energiebeträgen an einem unvorstellbaren Substrat" (s. o. S. 45) verständlich zu machen und damit die veranschaulichende Annahme eines einheidichen Bewußtseinsspielraums für alle psychischen Akte und der spontanen Aktivität der Zensur zu destruieren. Diese Frage soll in der Untersuchung des mechanisch interpretierten Verdrängungsvorgangs beantwortet werden. An diesem Vorgang hatte Freud deskriptiv seine Konzeption des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' gewonnen und die ,Beziehung' zwischen unbewußten und bewußten Aspekten der Psyche sichtbar gemacht. So bietet die Verdrängung das Phänomen, an dem sich am besten prüfen läßt, ob die Struktur des „Nichtwissenwollens" in die Wechselwirkung von Energiequantitäten umgesetzt werden kann. In der thematischen Analyse des Verdrängungsvorgangs (X, 248—303; I I / I I I , 609 ff.) unterscheidet Freud zwischen zwei Phasen der Abwehr: In der „Urverdrängung" wird einer ubw „Triebrepräsentanz", die aufgrund ihrer Besetzungsintensität ins Vbw aufgenommen werden müßte, diese Übernahme „versagt" (X, 250). Obwohl sich in der ubw Vorstellung die freie, nach Abfuhr drängende Energie staut, kann sie doch keine Besetzung mit „ruhender" Energie auf sich ziehen und dadurch ins Vbw eingehen. Die zweite Stufe der Verdrängung, das „Nachdrängen" (X, 250,279), „betrifft psychische Abkömmlinge der verdrängten Repräsentanz, oder solche Gedankenzüge, die, anderswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr geraten sind" (X, 250). Diese „Abkömmlinge" des „Urverdrängten" sind selbst vbw oder sogar bw Vorstellungen. Ihre Verdrängung besteht darin, daß ihnen „die (vor)bewußte Besetzung entzogen wird, die dem System Vbw angehört" (X, 279). Der Grund für die beiden Phasen der Verdrängung liegt in der „Unverträglichkeit" (vgl. 1,62) der ubw Triebrepräsentanz bzw. ihrer Abkömmlinge mit den leitenden Zielvorstellungen des Vbw, die den Umkreis zugelassener Vorstellungen umgrenzen (vgl. I I / I I I , 609).
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In dieser mechanischen Konzeption der Verdrängung ist die Zensur als selbständige Vermittlungsinstanz zwischen dem Ubw und Vbw ausgefallen. Wie sich schon zeigte, besteht die Beziehung zwischen Ubw und Vbw lediglich darin, daß die vbw „Energiebesetzung auf eine bestimmte Anordnung verlegt, oder von ihr zurückgezogen wird" (s. o. S.6lff.). Über die vbw Energieverschiebungen entscheiden direkt die vbw Zielvorstellungen, die damit die Instanz der Zensur ersetzen. Diese leitenden Tendenzen können eine umfassende Kontrolle über das Vbw ausüben, weil die vbw Vorstellungen eine weitreichende Organisation bilden, in der sich die Vorstellungen wechselseitig beeinflussen (s. o. S. 60). Zugleich wird aber auch deutlich, daß sich die Realität und die Qualität eines ubw Akts überhaupt nur zeigen können, nachdem er durch die eigene Besetzungsintensität mechanisch eine vbw Besetzung ausgelöst hat und nun innerhalb des Vbw reale Wirkungen auf die anderen psychischen Vorgänge ausüben kann. Nur in der realen Einwirkung auf die vbw Vorstellungen ist der ubw Triebanspruch für die vbw Kritik und Kontrolle wirklich, aber eben damit ist er auch kein ubw Triebanspruch mehr, sondern grundsätzlich in den Bereich „bewußtseinsfähiger" Akte einbezogen. Dieser Problematik hat Freud selbst bei der Untersuchung der Urverdrängung und des Nachdrängens partiell Rechnung getragen. Er sieht, daß die Urverdrängung gar nicht als Ausschluß einer realen Vorstellung aus dem Vbw verstanden werden kann, denn „in diesem Falle liegt . . . eine unbewußte Vorstellung vor, die noch keine Besetzung vom Vbw erhalten hat, der eine solche also auch nicht entzogen werden kann" (X, 280). Die Erklärung des Nachdrängens stellt vor die entsprechende Schwierigkeit: Gerade weil dem „Abkömmling" des urverdrängten Triebanspruchs nur seine vbw Besetzung entzogen wird, die ubw aber völlig erhalten bleibt, „ist nicht einzusehen, warum die besetzt gebliebene . . . Vorstellung nicht den Versuch erneuern sollte, kraft ihrer Besetzung in das System Vbw einzudringen. Dann müßte sich die Libidoentziehung an ihr wiederholen, und dasselbe Spiel würde sich, unabgeschlossen fortsetzen, das Ergebnis aber nicht das der Verdrängung sein" (X, 280). Auch hier kann die Verdrängung nicht als bloßer Ausschluß einer realen vbw Vorstellung aus dem Vbw erklärt werden. Die beiden Schwierigkeiten versucht Freud durch die „Annahme einer Gegenbesetzung" zu lösen, „durch welche sich das System Vbw gegen das Andrängen der unbewußten Vorstellung schützt" (X, 280). Für die Urverdrängung besteht diese Gegenbesetzung in der „Reaktionsbildung durch Verstärkung eines Gegensatzes" innerhalb des Vbw gegenüber der zurückge-
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drängten Vorstellung (X, 260). Doch die Möglichkeit einer solchen Reaktionsbildung wird von Freuds naturwissenschaftlichen Voraussetzungen her gar nicht verständlich. Um bestimmte ,reaktive' Tendenzen innerhalb des Vbw begründen zu können, müßte das Urverdrängte selbst ins Vbw eingehen, um sich in seinen Qualitäten zeigen und bestimmte ,reaktive' Energieverschiebungsprozesse auslösen zu können. Doch das Urverdrängte ist gerade dadurch definiert, daß es noch nicht ins Vbw eingegangen ist (s. o. S. 65), und deshalb kann es auch keine Energieverschiebungsprozesse im Vbw begründen. So scheint Freuds naturwissenschaftliche Konzeption der Urverdrängung einen Widerspruch zu implizieren: Einerseits kann der mechanische Ansatz Freuds nur die Verdrängung von »Vorstellungen' aufklären, die schon als reale Ursachen für Energieverschiebungsprozesse ins Vbw eingegangen sind. Andererseits weist Freud aber deskriptiv „Reaktionsbildungen" gegen das Unbewußte auf, die den dynamischen Widerstand gegen das Verdrängte einschließen und damit eine Beziehung zu ihm gewinnen, ohne daß das Verdrängte dadurch schon in den Zusammenhang des Vbw einbezogen wäre. In dieser dynamischen Beziehung muß das Verdrängte so weit für das Vbw zugänglich sein, daß dieses aus der individuellen Bestimmtheit des Zurückgedrängten die Orientierung für die eigenen Tendenzen gewinnt, die es im Gegenzug zu dem niedergehaltenen Unbewußten ausbildet. So scheint die „Reaktionsbildung" das ,Verhältnis' zu einer Vorstellung einzuschließen, die selbst noch gar nicht bewußtseinsfähig geworden ist, trotzdem aber ständig in einem ,unausdrücklichen' Wissen zugänglich werden muß, um aus dem Umkreis des Vbw ausgeschlossen bleiben zu können. Diese spezifische Beziehung zwischen Vbw und Ubw, die sich offenbar nicht auf mechanische Wechselwirkung reduzieren läßt, hatte Freud wohl im Blick, als er die „Zensur" in seinem psychologischen Modell als selbständige Instanz einführte, die im ,Wissen' um das Ubw und das Vbw jeweils entscheidet, ob beide Aspekte der Psyche getrennt bleiben oder unbewußte Triebwünsche ins Vbw eingehen können. Untersucht man die „Gegenbesetzung" auf der Stufe des „Nachdrängens", dann scheint sich eine befriedigende Konzeption auf der Basis der eigenen Voraussetzungen Freuds zu ergeben. Freud bezeichnet sie als „Ersatzvorstellung" (X, 281 ff.), die einerseits eine Abwehrfunktion erfüllt, andererseits aber „die Stelle einer Überleitung aus dem System Ubw in das System Bw" (X, 282) einnimmt, indem sie freiströmende Energie des ver-
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drängten Abkömmlings ins Vbw aufnimmt 10 . Die Möglichkeit dieser Ersatzbildung scheint auf folgende Weise verständlich zu werden: Mit der Aufnahme ins Vbw können die Abkömmlinge der urverdrängten Vorstellung ihre Eigenschaften durch reale Wirkungen innerhalb des Vbw äußern und sich dabei auch in ihrer „Unverträglichkeit" zeigen. Werden sie dann durch die Entziehung vbw Energie aus dem Vbw ausgeschlossen, so bleiben doch die Assoziationsbahnungen innerhalb des Vbw zurück, die durch die Verschiebungen der Energie des Abkömmlings entstanden waren, solange er dem Vbw angehörte. Diese Assoziationsbahnungen zeichnen offenbar die Verschiebungswege für die vbw Besetzung vor, die im Nachdrängen von den „Abkömmlingen" zurückgezogen wird und die Ersatzbildung besetzt. Zugleich machen sich die verdrängenden Tendenzen des Vbw in diesem Verschiebungsvorgang so weit geltend, daß die „Ersatzvorstellung" inhaltlich weit genug von dem verdrängten Abkömmling unterschieden ist (X, 281). So scheint sich der Ausgleich der verdrängenden Tendenzen mit dem Triebanspruch und seinen Abkömmlingen in der Tat als mechanischer Vorgang verstehen zu lassen: die Ersatzbildung „hat sich auf dem Wege der Verschiebung längs eines in bestimmter Weise determinierten Zusammenhanges hergestellt" (X, 258). Als der Ausgleich zwischen verdrängenden und verdrängten Tendenzen ist die „Ersatzbildung" der ,Kompromiß' zwischen Ubw und Vbw, der als „Symptom" den Sinnzusammenhang des Bewußtseins zerstört (vgl. VIII, 25). Weil es Freud jedoch nicht gelingt, die „Urverdrängung" mechanisch zu erklären, bleibt im Rahmen seiner naturwissenschaftlichen Konzeption die Grundstruktur der Zensur als Umgrenzung des eigenen Bewußtseinsspielraums unverständlich. Wie sich zeigte, ist es doch der Vollzug des Umgrenzens selbst, in dem das Abgedrängte noch in der Weise des „Zurückdrängens" offengehalten ist und sich gerade darin noch in seiner ,bedrängenden* Wirklichkeit zeigen kann, die die Reaktionsbildung als ,Gegenbewegung' herausfordert (s. o. S. 38 f.). Dieser Vollzug der „Urverdrängung" aber läßt sich nicht in die topische Trennung und dynamische Verbindung zweier Systeme auseinanderlegen. Die bisher entwickelte immanente Kritik am mechanischen Modell der io Während die „Reaktionsbildung" als die einheitliche Form der Urverdrängung verstanden werden muß, die den verschiedenen neurotischen Störungen gemeinsam zugrunde liegt (XIV, 190), hebt die Interpretation des Nachdrängens nur die Verhältnisse der „Angsthysterie" heraus, an denen Freud selbst die Verdrängung exemplarisch verdeutlicht (vgl. X, 281 ff.). Dabei geht die Interpretation auf die Umwandlung ubw Energie in Affekte nicht weiter ein.
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Psyche läßt sich erweitern und grundsätzlicher fassen, wenn man die naturwissenschaftliche Konzeption der analytischen Erfahrung gegenüberstellt. Dann erweisen sich die mechanischen Annahmen des Nachdrängens ebenfalls als bloß sekundäre Umsetzungen ,unausdrücklich' bewußter Sinnbezüge in energetisch-topische Hypothesen. Für die „Abkömmlinge" urverdrängter Triebregungen scheint nämlich nicht allein der inhaltliche Unterschied gegenüber den genuinen vbw Vorstellungen wesentlich zu sein, sondern primär die Bewußtseinsstruktur der Urverdrängung, in der das Individuum sich das Urverdrängte noch oflenhält und darum unausdrücklich die Sinnbezüge zwischen dem Urverdrängten und seinem Abkömmling versteht und ihn eben darin als Abkömmling erfaßt. Diese Bewußtseinsstruktur scheint Freud vorauszusetzen, wenn er auf Abkömmlinge hinweist, die sich „von den Bildungen dieses Systems ((Bw)) kaum unterscheiden" und behauptet: „Ihre H e r k u n f t bleibt das für ihr Schicksal Entscheidende" (X,289). Diese einheitliche Bewußtseinsstruktur, in der der Abkömmling als Abkömmling zugänglich wird, wird mechanisch in die topische Zugehörigkeit des Abkömmlings zum Vbw und seine Energiebesetzung vom Ubw her auseinandergelegt. Sofern vom jeweiligen Abkömmling her der niedergehaltene und darin noch zugängliche Triebanspruch ausdrücklich bewußt zu werden droht, muß das Individuum auch den Abkömmling aus dem Umkreis der Selbsterfahrung ausklammern und sich gegen sein Bewußtwerden schützen. Dabei macht es nun selbst von seinem unausdrücklichen und niedergehaltenen Verständnis des Verdrängten Gebrauch, indem es in der „Ersatzbildung" partiell auf dessen genuinen Sinn eingeht und damit seiner bedrängenden Dynamik partiell Rechnung trägt. In diesem „Kompromiß" der Symptombildung wird es sich selbst fremd, weil es die andrängende Vorstellung als eigene abweist und darin vor sich selbst verbirgt. Dieses Sich-Fremdwerden in der Kompromißbildung interpretiert Freud mechanisch als Energieabfuhr des Unbewußten, die vom Vbw nicht mehr kontrolliert werden kann (X, 281). Überblickt man die vorangegangene Darstellung des naturwissenschaftlich erklärten Verdrängungsvorgangs, dann scheint sich auch das mechanische Modell der Psyche als Interpretation der analytischen Erfahrung zu erweisen, das seinen eigenen Ursprung verdeckt. Das Problem des deskriptiv aufgewiesenen Bezugs zwischen dem unbewußten und bewußten Aspekt des psychischen Lebens bleibt weiterhin theoretisch ungeklärt.
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4. Zusammenfassung: Die theoretische Aporie der psychoanalytischen Interpretation des bewußtseinsumgrenzenden Handelns Die vorangegangene Interpretation versuchte zu zeigen, daß die analytische Erfahrung die tiefenpsychologische Theoriebildung vor die Aufgabe stellt, die Selbsterfahrung des Individuums als Vollzug zu explizieren, in dem es noch darüber entscheidet, welche Aspekte seines Seins es als eigene anerkennen will. Diese Problemstellung rückt die Psychoanalyse in sachliche Nähe zur idealistischen Selbstbewußtseinstheorie. Fichte hatte zum ersten Male in der philosophischen Tradition das Selbstbewußtsein als Vollzug bestimmt, in dem das Ich noch darüber entscheidet, wie es sich selbst sehen will. Diese Entscheidung bezieht sich für Fichte auf die eigene absolute Spontaneität, die das Ich sich verdecken oder zugänglich machen kann. Dieses gegensätzliche Verhältnis zur eigenen Freiheit schließt ein unterschiedliches Verhältnis zur eigenen gegenständlichen Konkretion ein: in der befreienden Reflexion distanziert sich das Ich gegenüber seiner individuellen Bestimmtheit, im Ausweichen vor der Reflexion geht es in ihr auf. Für dieses Verhältnis zu sich selbst ist schon eine absolut transparente Dimension der Selbstgegebenheit vorausgesetzt, innerhalb derer die eigene Konkretion des Ich vollständig durchsichtig gegeben ist (s. o. S. 26 ff.). Indem Freud abgedrängte Aspekte der individuellen Konkretion entdeckte, die für die unmittelbare Selbsterfahrung gar nicht zugänglich sind, destruierte er die idealistische Gleichsetzung von subjektivem Sein und ,Fürsich-sein' und erschloß Strukturen der Selbsterfahrung, die für die traditionellen Selbstbewußtseinstheorien unzugänglich geblieben waren. Er zeigte, daß jede transparente Selbstgegebenheit schon das bewußtseinsumgrenzende Handeln des Individuums voraussetzt, das die Grenzen der transparenten Selbstgegebenheit festlegt. Von diesem Ansatz her erscheint der Selbstbewußtseinsvollzug im Medium des transparenten Bewußtseins nur noch als unselbständiger und sekundärer Aspekt des vollen Selbstbewußtseinsphänomens, das wesentlich die Bestimmung der eigenen Selbstzugänglichkeit miteinschließt. Die Erweiterung des Selbstbewußtseinsphänomens über die Dimension transparenter Selbstgegebenheit hinaus stellt auch die Möglichkeit freier Selbstbestimmung im Medium des Bewußtseins in Frage. Die Selbständigkeit des Ich ist nicht mehr, wie für Fichte, vom Verhältnis des Ich zu der eigenen transparenten Konkretion abhängig, sondern entscheidet sich wesentlich daran, inwieweit sich das Individuum für unbewußte Aspekte seiner Konkretion aufschließt und sie damit aneignet.
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In der Erweiterung des Selbstbewußtseinsphänomens bleibt Freud aber noch an den Bewußtseinsbegrifi gebunden, den die philosophische Tradition im Ausgang von der transparenten Selbsterfahrung entwickelt hatte. So entfaltet Freud die Strukturen des bewußtseinsumgrenzenden Handelns in seinem psychologischen Modell', indem er lediglich die Strukturen des transparenten Sich-Gegebenseins auf die Ebene des Umgrenzens der eigenen transparenten Selbsterfahrung überträgt. Innerhalb dieser theoretischen Konzeption kann er die psychoanalytische Entdeckung des Verhältnisses zwischen bewußten und unbewußten Aspekten der Psyche nur explizieren, indem er Ubw und Vbw als Teilbereiche einer einheitlichen Bewußtseinsdimension ansetzt, die sich für die vermittelnde Zensur eröffnet. In dieser topischen ,Verdinglichung' der Seele griff er, wie sich zeigte (s. o. S.62f.), unausdrücklich auf eine naturwissenschaftliche Konzeption des räumlich ausgedehnten „psychischen Apparats" zurück. Dieser Konzeption gegenüber erschien das mechanische Modell als bloßes ,Negativ' zur Veranschaulichung. Gerade weil der traditionelle Bewußtseinsbegrifi für die Explikation des Umgrenzens der Selbsterfahrung unzureichend bleibt, kann Freud das Bewußtsein überhaupt als Medium der Vermittlung zwischen den unbewußten und bewußten Aspekten des eigenen Seins aufgeben und den Vollzug des Umgrenzens in die Wechselwirkung von Kräften umwandeln, ohne dabei die spezifische Bewußtseinsstruktur dieses Umgrenzens mechanisch konstruieren zu können 11. Das mechanische Modell erwies sich so als Konzeption, die ständig von ,Sinnbezügen' innerhalb des Bewußtseins Gebrauch macht, sie aber unangemessen als kausalbestimmte, mechanische Beziehungen ausgibt. In der dargestellten wechselseitigen ,Hilfsfunktion', die die beiden theoretischen Modelle füreinander haben, bleiben die theoretischen Schwierigkeiten jedes einzelnen weitgehend verdeckt. So kann die Frage nach der spezifischen Bewußtseinsstruktur des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' ungeklärt bleiben. Sie kann erst faßbar werden, wenn das Bewußtsein nicht mehr als statische Dimension reiner Transparenz bestimmt, sondern als je neu zu umgrenzender ,Spielraum' der Selbstgegebenheit verstanden wird, 11 Über der primären sachlichen Begründung für die unzureichende psychoanalytische Konzeption des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' soll nicht der sekundäre Grund übersehen werden, der in Freuds eigener wissenschaftlicher Entwicklung liegt. Weil Freud seine analytische Gliederung der Psyche im Ausgang von neurophysiologischen Hypothesen entwickelte, konnte er die sachliche Problematik, vor die ihn der Aufweis des „Nichtwissenwollens" stellte, übersehen und für die Gliederung der Psyche auf Hilfsvorstellungen zurückgreifen, die ihm aus seinen neurophysiologischen Forschungen vertraut waren (s. o. S. 53 ff.).
4. Die theoretische Aporie
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dessen ,Weite' und ,Helligkeit' im Umgrenzen selbst festgelegt werden. Die Interpretation wird zeigen, inwieweit Heidegger mit seiner Konzeption der „Erschlossenheit" den gesuchten Begriff des Bewußtseins entfaltet hat.
II. Die psychoanalytische „Ichpsychologie" als genetische Interpretation der leitenden Interessen des Selbstbewußtseinsvollzugs Die vorangegangene Interpretation hat in der Orientierung am psychologischen' Modell der Psyche eine Konzeption der kontrollierenden Zensur entwickelt, die die ,unbewußte' Kontrollinstanz als selbständige und spontan agierende Vermittlungsinstanz einführte. Diese Konzeption ergab sich bisher ausschließlich aus der spezifischen Bewußtseinsstruktur der ,unbewußten' Zensur: Wenn die Zensur in der „Abwehr" von Triebansprüchen immer noch weiß, wogegen sie sich sperrt, dann muß sie offenbar als Instanz verstanden werden, die in ihrem ,unausdrücklichen' "Wissen um das Unbewußte jeweils entscheidet, welche Aspekte des Unbewußten sie niederhalten und welche sie zum Bewußtsein zulassen will. Zugleich hatte aber die Untersuchung der ,unbewußten' Zensur auch schon die Problematik der Annahme einer selbständig vermittelnden psychischen Kontrollinstanz sichtbar gemacht. In der Unterscheidung zwischen „UrVerdrängungen" und dem „Nachdrängen" hatte Freud dem „Nachdrängen" „bewußtseinsfähiger" Akte die „Urverdrängungen" vorausgesetzt, in denen das Individuum Vorstellungen niederhält, die ihm niemals zugänglich waren und deshalb nicht wie die bewußtseinsfähigen Akte aufgrund eines Entschlusses zur Aneignung bewußt werden können. Ist es sinnvoll, im Hinblick auf diese unterschiedlichen Formen der Zensur noch die Charakteristik der Kontrollinstanz festzuhalten, die sich aus der Bewußtseinsstruktur der Zensur ergab? Die folgende Interpretation versucht diese Frage nach der Selbständigkeit und Spontaneität der Zensur zu klären, indem sie die ,Interessen' untersucht, die das ,bewußtseinsumgrenzende Handeln' der Kontrollinstanz leiten. Wenn sich zeigen läßt, daß die Zensur in ihren Funktionen von Interessen bestimmt wird, die weder aus dem triebhaften Drängen des Unbewußten noch aus den Zielvorstellungen des Vbw begründet werden können, dann kann die Selbständigkeit der Vermittlungsinstanz gegenüber ihren Vorgegebenheiten als erwiesen gelten. Die Frage nach den leitenden Interessen der Zensur verweist die Inter-
Die Fragestellung
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pretation auf die psychoanalytische „Ichpsychologie". Sie untersucht das psychische System, das bisher unter dem Gesichtspunkt seiner Bewußtseinsstruktur als „Vorbewußtes" bezeichnet worden war, auf seine spezifische „Organisationsform", seine „Funktionen" und seine leitenden „Tendenzen" hin und bezeichnet es als „Ich". Unter dieser Perspektive erscheint die „psychische Zensur" „als eine der großen Institutionen des Ichs" neben dem realitätsgerechten Umweltbezug (X, 424). Auf die Frage nach der Selbständigkeit der leitenden Ichinteressen, von der die Interpretation ausgeht, gibt Freud schon durch seinen methodischen Ansatz eine eindeutige Antwort: Aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Grundkonzeption, die die psychischen Phänomene als Naturvorgänge interpretiert, setzt er die Triebdimension des Unbewußten als die ursprüngliche Realität des Psychischen an, aus der sich die anderen psychischen Strukturen unter dem Einfluß der Umwelt entwickelt haben. Damit sind auch die Ichtendenzen von vornherein als Modifikationen des triebhaften Strebens angesetzt, die genetisch erklärt werden können. So kann die Frage nach der Selbständigkeit der Ichinteressen nur festgehalten werden, wenn die Interpretation zeigen kann, daß Freud in der genetischen Begründung des Ich seinen naturwissenschaftlichen Ansatz nicht konsequent entfalten konnte, sondern die Selbständigkeit des Ich indirekt sichtbar gemacht hat. Dieser Nachweis wird auf zweierlei Weise versucht: Einerseits werden die theoretischen Schwierigkeiten gezeigt, die sich bei der Ableitung des Ich ergeben, andererseits wird auf die psychoanalytisch interpretierten Phänomene hingewiesen, die aus einer genetischen Begründung der Ichinteressen und -funktionen gar nicht verständlich werden. Bei dieser Kritik greift die Interpretation auf ihre Unterscheidung zwischen dem naturwissenschaftlichen' und dem psychologischen' Modell der Psyche zurück und versucht zu zeigen, wie Freud in der Beschreibung und Erklärung konkreter Phänomene ständig beide Ansätze vermischt und so Schwierigkeiten verdeckt, die sich bei einer methodisch exakten Untersuchung der Phänomene zeigen würden. Die kritische Untersuchung der psychoanalytischen Ichpsychologie thematisiert drei verschiedene Positionen der Freudschen Theorie: Sie geht von der Position der „Traumdeutimg" aus (1. Kapitel), interpretiert anschließend die Konzeption der ,triebpsychologischen Schriften' (2. Kapitel) und entfaltet zuletzt die ausgearbeitete Ichtheorie der „strukturpsychologischen" Untersuchungen (3. Kapitel). Diese Theorie erlaubt es, die Frage nach der Selbständigkeit und Spontaneität der Zensur im Hinblick auf die zwei verschiedenen Stufen der psychischen Kontrolle zu beantworten (s. o. S. 72).
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
1. Der erste Ansatz zur psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds „Psychologie der Traumvorgänge" In die Konzeption des ,Ich', die Freud in der „Traumdeutung" als Theorie des „Vorbewußten" entwickelt, sind zwei verschiedene Ichbegriife eingegangen, die Freud zunächst in seinen beiden verschiedenen Ansätzen der Psychoanalyse eingeführt und dann in die „Traumdeutung" übernommen hat. Den systematisch leitenden Begriff gewinnt Freud in seinem neurophysiologischen „Entwurf einer Psychologie", die sekundäre Konzeption ergibt sich für ihn aus den klinischen „Studien" zur Hysterie und Neurosenlehre (vgl. I). Die folgende Interpretation untersucht zunächst den leitenden Ichbegriff, den Freud innerhalb der „Traumdeutung" in der Ableitung des Vbw aus dem Ubw einführt. Anschließend interpretiert sie die sekundäre Konzeption des Ich, auf die Freud in der Verdrängungstheorie der „Traumdeutung" zurückgreift. a) Die Ableitung des Ich aus der Triebdimension: Das Ich als System der Triebhemmung im Dienste des Lustprinzips In der Ableitung des Vbw aus dem Ubw, die Freud in seiner „Psychologie der Traumvorgänge" durchführt (s. o. S.59f.), orientiert er sich an seiner frühen Position des „Entwurfs", indem er seine neurophysiologische Konzeption des „Ich" in eine psychologische überträgt. Auch im „Entwurf" führt Freud das „Ich" genetisch ein, indem er annimmt, das „Trägheitsprinzip" der Neuronentätigkeit (s. o. S.58) werde durch die besonderen Abfuhrbedingungen der Bedürfnisreize modifiziert. Triebreize können nicht durch „Reizflucht" bewältigt werden, sondern „sie hören auf nur unter bestimmten Bedingungen, die in der Außenwelt realisiert werden müssen" (Anfänge 306). Diese Anforderungen der Triebreize stellen für Freud die „Not des Lebens" dar. Das Neuronensystem bewältigt sie, indem es durch die Unlusterlebnisse ausbleibender Triebbefriedigung „biologisch belehrt" wird (Anfänge 329). In diesem ,Lernvorgang' wird „das Neuronensystem gezwungen, die ursprüngliche Tendenz zur Trägheit, d. h. zum Niveau = Ο aufzugeben. Es muß sich einen Vorrat von Quantität gefallen lassen, um den Anforderungen zur spezifischen Aktion zu genügen", durch die es die Befriedigungsbedingungen in der Außenwelt herstellt (Anfänge 306). Innerhalb dieses Ansatzes wird das Ich als die „Gruppe von Neuronen" eingeführt, „die konstant besetzt ist, also dem durch die sekundäre Funktion erforderten Vorratsträger entspricht" (Anfänge 330). Das Ich gewinnt seine
1. Der erste Ansatz in Freuds Traumpsychologie
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konstante Besetzung aus der Energie derjenigen Triebansprüche, die niemals vollständig und anhaltend befriedigt werden können und darum ständig über ein Mindestquantum endogener Erregung verfügen. Diese einheitliche, konstante Besetzung setzt die Widerstände unter den Neuronen des Ich herab und ermöglicht die leichte Verschiebung der gemeinsamen Erregung auf bestimmte Neuronen des Ich. Damit ist das Ich „als ein Netz besetzter, gegeneinander gut gebahnter Neuronen" (Anfänge 331) angesetzt, das eine eigene „Organisation" (330) innerhalb des gesamten Neuronensystems bildet. Diese Konzeption erweist sich von der „Traumdeutung" aus betrachtet als neurophysiologische Bestimmung des Vbw (s. o. S. 60 f.). Das Ich gebraucht seine konstante Energie für „Seitenbesetzungen", durch die es freie, nach Abfuhr drängende Quantitätsabläufe hemmt, die dem Neuronensystem Unlust bringen würden (331). Damit erfüllt es, genau wie das Vbw, die Aufgabe der Bindung freier Erregung. In dieser Konzeption hat Freud nicht nur schon alle wesentlichen Bestimmungen des Vbw und seines „Sekundärvorgangs" entfaltet, sondern zugleich auch das Entwicklungsprinzip des psychischen Apparats eingeführt, das für die folgenden genetischen Ansätze leitend bleibt. Mit der Annahme ,biologischer Belehrung' bestimmt Freud die Entwicklung der psychischen Strukturen als Prozeß, in dem der psychische Apparat die besten Mittel zur Durchsetzung seines primären Luststrebens unter vorgegebenen Umweltbedingungen ausbildet. Indem Freud die psychische Entwicklung unproblematisch als ,Belehrung' faßt, läßt er die Frage offen, ob das primäre Luststreben aufgrund seiner deskriptiven Charaktere überhaupt von sich her für zielgerichtete Modifikationen seiner selbst offen ist. Die Konzeption des „Entwurfs" wiederholt Freud in der Ableitung des Vbw aus dem Ubw (vgl. o. S. 59 f.). Freud versteht das Ubw als das „System des Primärvorgangs", das die triebhaften Wünsche des Individuums umfaßt. Seinem naturwissenschaftlichen Ansatz entsprechend führt er dieses System als die Ursprungsdimension aller psychischen Aktivität ein, indem er annimmt, daß „nichts anderes als ein Wunsch unseren seelischen Apparat zur Arbeit anzutreiben vermag" ( I I / I I I , 572). Für die Charakterisierung des einheitlichen Tendenzcharakters der Triebwünsche geht Freud von der unmittelbaren Erfahrung triebhaften Drängens aus. Er bestimmt den Triebwunsch als „von der Unlust ausgehende, auf die Lust zielende Strömung" (11/111,604), die auf ein vorangegangenes „Befriedigungserlebnis" als Triebziel ausgerichtet ist (11/111,571). Die eigentümlichen Charaktere dieser ,Strömung' hebt Freud in der genaueren Bestimmung des „Primärvorgangs" heraus (vgl. o. S. 59f.). Dabei interpretiert er
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
offenbar deskriptive Charaktere des erfahrbaren triebhaften Drängens in objektive Eigenschaften psychischer Energie um. Mit seiner Annahme, den Triebansprüchen liege freie, nach Abfuhr drängende Energie zugrunde, die ausschließlich Befriedigungserlebnisse besetze, bestimmt Freud das triebhafte Drängen als von sich her völlig ungehemmtes Streben: im System des Primärvorgangs gibt es „keine Negation, keinen Zweifel, keine Grade von Sicherheit" (X, 285). Zugleich ist in dieser Annahme auch der Absolutheitsanspruch der Triebregungen herausgehoben, der mit ihrer Isolation verbunden ist: In dem Drängen nach Abfuhr, das nur das Triebziel besetzt, ist der jeweilige Anspruch gegenüber anderen, nicht aktivierten Triebansprüchen und der ganzen Umwelterfahrung „blind" (s. XIV, 231). Darum sind die Triebregungen „einander koordiniert, bestehen unbeeinflußt nebeneinander, widersprechen einander nicht" (X, 285). „Ebensowenig kennen die UbwVorgänge eine Rücksicht auf die Realität" (X r 286) 11 . In ihrem ungehemmten Drängen nach Lust benutzen die Triebe von sich her den „kürzesten Weg zur Wunscherfüllung" (s. I I / I I I , 571), nämlich die halluzinatorische Wiederbelebung der Befriedigungswahrnehmung. Aber dieser Versuch des direktesten Lustgewinns scheitert an der objektiven Angewiesenheit aller Triebbefriedigung auf die Befriedigungsbedingungen in der Umwelt, für deren „Realisierung" der „blinde" Trieb von sich her gar nicht offen ist. Aufgrund dieser faktischen Bezogenheit der Triebe auf die „Realität" erweist sich die „Halluzination . . . als untüchtig, das Aufhören des Bedürfnisses, also die mit Befriedigung verbundene Lust, herbeizuführen" (11/111,604). In dieser „Enttäuschung" (VIII, 231) des triebbestimmten Individuums begründet Freud die Entstehung des Vbw: „Eine bittere Lebenserfahrung muß diese primitive Denktätigkeit ((d.h. den Primärvorgang)) zu einer zweckmäßigeren, sekundären modifiziert haben" (11/111,571). Mit dieser These nimmt Freud seine Hypothese der biologischen Belehrung' aus dem „Entwurf" wieder auf. Kann sie die deskriptiven Charaktere des Vbw verständlich machen? Freud klärt die Funktionen des Sekundärvorgangs seinem teleologischen Ansatz entsprechend (s. o. S. 74 f.) auf, indem er sie als die besten Mittel zur Erreichung des ursprünglichen Ziels der Psyche hinstellt, das mit dem primären Luststreben vorgegeben ist, aber aufgrund der „Not des Lebens" (s. o. S. 74) nicht direkt erreicht werden kann. Entsprechend versteht er das leitende Interesse des Vbw auch nur als Einschränkung des Luststrebens, die durch die Umweltgebundenheit der Triebbefriedigung erzwungen ist. Für diesen Ansatz erscheint der Sekundärvorgang nur als die Konsequenz des
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primären, uneingeschränkten Luststrebens selbst. Wenn die Triebwünsche ausschließlich auf Lustgewinn ausgerichtet sind, auf dem ,kürzesten Wege' der Wunscherfüllung aber gerade keine Lust gewinnen, dann muß durch die Unlust der Unbefriedigung selbst im uneingeschränkten Luststreben die Tendenz entstehen, die direktesten Wege der Befriedigung aufzugeben. So versteht Freud den Sekundärvorgang nur als einen „durch die Erfahrung notwendig gewordenen Umweg zur Wunscherfüllung" (11/111,572). Dieser ,Umweg' erfordert die „Triebhemmung" (XIII, 286; vgl. I I / I I I , 604 f.), in der das Vbw die „blinde" Dranghaftigkeit der Triebansprüche bewältigt und, energetisch gesprochen, in ruhende Besetzung umwandelt. Mit der Triebhemmung ist der positive Umweltbezug des Vbw verbunden, in dem es durch „probende Denkarbeit" ( I I / I I I , 605) die realen Befriedigungsbedingungen in der Umwelt ermittelt und die gebundene Triebenergie schließlich in „spezifischen Aktionen" (s. o. S. 74) abführt (vgl. VIII, 233). In dieser Beschreibung der zusammengehörigen zentralen Funktionen des Vbw stellt Freud die Leistungen dar, durch die die ,realitätsblinden' Triebansprüche mit den vorgegebenen Umweltbedingungen vermittelt werden. Diese Vermittlung vollzieht sich, indem das Vbw den Absolutheitsanspruch und die Isolation des aktivierten Triebwunsches in der Triebhemmung aufhebt und ihn darin in den Zusammenhang der Erfahrung realer Umweltbedingungen (und eigener nichtaktivierter Triebhaftigkeit) einbezieht, um so über seine Befriedigungsmöglichkeit zu entscheiden. Die Perspektive auf die eigene Erfahrung wird dadurch bestimmt, daß das Vbw in seiner „Denkarbeit" nach Befriedigungsmöglichkeiten des je aktuellen Triebanspruchs sucht. So scheint in Freuds Bestimmung des Sekundärvorgangs ein ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' beschrieben zu sein, in dem das Individuum sich von der Isolationstendenz des Triebes löst, sich aber in seiner Offenheit für Aspekte der Umwelt (und seiner selbst) seine Perspektive doch noch durch den Triebwunsch vorzeichnen läßt. Die beiden Grundfunktionen des Vbw sind durch das „Realitätsprinzip" geleitet (11/111,573 Anm.), das dem Vbw die realitätsgerechte Triebbefriedigung als Ziel seiner Leistungen vorgibt. Mit der Rücksicht auf die Realität ist die Einschränkung oder sogar der Verzicht auf bestimmte aktuelle Befriedigungsmöglichkeiten verbunden, deren Realisierbarkeit unsicher ist. Damit erweist sich die leitende Tendenz des Vbw jedoch nicht als eine „Absetzung des Lustprinzips, sondern nur ((als)) eine Sicherung desselben", die im ursprünglichen Luststreben selbst angelegt ist: „Eine momentane, in ihren Folgen unsichere Lust wird aufgegeben, aber nur darum, um auf dem neuen Wege eine später kommende, gesicherte zu gewinnen" (VIII, 235 f.). In
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dieser Modifikation des Lustprinzips ist nun auch die Fähigkeit „erlernt, . . . Unlustempfindungen für eine Weile zu ertragen" ( X I V , 302), wenn dadurch schließlich Lust gewonnen werden kann. Die bisherige Interpretation ist Freuds teleologischem Ansatz gefolgt, der zeigte, daß die Funktionen des Vbw und sein leitendes Interesse für die Realisierung des ursprünglichen Luststrebens unerläßlich sind. Nun aber soll geprüft werden, ob das Interesse und die Funktionen des Vbw auch tatsächlich aus der Selbstmodifikation des ursprünglichen Strebens der Triebe verständlich gemacht werden können. Unter dieser Perspektive scheinen sich nun sowohl für das mechanische wie für das psychologische Modell der Psyche Schwierigkeiten zu ergeben, die die genetische Theorie in Frage stellen. 1. Im Zusammenhang seiner „Psychologie der Traumdeutung" hat Freud die Ableitungsmöglichkeit des Vbw nach mechanischen Prinzipien offengelassen: „Ich nehme lediglich an, daß der Ablauf der Erregung unter der Herrschaft des zweiten Systems an ganz andere mechanische Verhältnisse geknüpft wird als unter der Herrschaft des ersten." „Die Mechanik dieser Vorgänge ist mir ganz unbekannt" (11/111,605). Es scheint aber fraglich, ob Freuds mechanisches Modell überhaupt die Voraussetzungen bietet, um die Modifikation des Primärvorgangs verständlich zu machen. Die bloße Steigerung der endogenen Erregungsquantität eines Triebes in dem zugehörigen „Element" seiner Befriedigungserinnerung ist offenbar noch kein hinreichender Grund für die Umwandlung der freien Energie in gebundene. Genausowenig scheint aber auch die Unlustwahrnehmung, die mit der Erregungssteigerung verbunden ist, die Umwandlung begründen zu können. Mechanisch betrachtet, kann sie selbst nur ein bestimmtes Energiequantum der „Aufmerksamkeitsbesetzung" zu den Besetzungsprozessen im psychischen Apparat beisteuern (s. o. S. 61 f.), das zwar Verschiebungsvorgänge abändern, aber offenbar die verschobene Energie selbst nicht umwandeln kann. 2. Betrachtet man die Genese des Vbw dagegen als psychologisch aufzuklärenden ,Lernvorgang', dann erscheint sie als eine Selbsthemmung der nach Lust strebenden Triebe, die durch das Ausbleiben der Lustempfindung bzw. durch die Unlustwahrnehmung hervorgerufen wird. Die „Enttäuschung" des Luststrebens müßte also dazu führen, daß die von sich her ungehemmten und isolierten Triebansprüche ein kontrollierendes Verhältnis zu sich selbst gewinnen, in dem sie sich zugleich für die realen Umweltgegebenheiten öffnen würden. Nun ist es zwar einleuchtend, daß ein bloß triebbestimmtes Individuum grundsätzlich eine Tendenz zur Vermeidung von Unlust hat, die etwa in der „Reizflucht" (s. u. S. 80) sichtbar wird. In der Triebhemmung muß
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aber doch die bloße Erwartung von Unlust, die sich auf vorangegangene Unlusterlebnisse stützt, gegen den ungehemmten Absolutheitsanspruch und die Isolationstendenz der Triebansprüche durchgesetzt werden. Für diese Leistung kann offenbar der Trieb nicht selbst in Anspruch genommen werden, wenn nicht die Grundstruktur triebhaften Strebens überhaupt aufgegeben werden soll. Aber selbst wenn man die Möglichkeit der Selbsthemmung der Triebe zugesteht, ist damit noch nicht die einheitliche Instanz des Ich gewonnen. Vielmehr müßte noch gezeigt werden, wie aus der Selbsteinschränkung bestimmter Triebe die einheitliche, zentralisierte und formalisierte Tendenz zur Triebhemmung entstehen kann. Das bloße ,Zusammenwachsen' der bestimmten selbstgehemmten Ansprüche genügt offenbar nicht, um ein universales und zentralisiertes Interesse an der Triebhemmung und die entsprechende Leistung zu begründen, die sich auf jeden nur möglichen Triebanspruch bezieht, der im psychischen Apparat entsteht. Freud konnte die Problematik selbstgehemmter Triebe und die Begründung einer universalen Triebhemmungstendenz ausklammern, indem er im Rückgriff auf sein mechanisches Modell das kontrollierende Verhältnis zu den ungehemmten Triebansprüchen einem eigenen, räumlich vom Ubw abgetrennten System zuschrieb, das über eigene psychische Energie verfügt. Damit ist jedoch das Verhältnis nur als mechanisch gesteuerte Wechselwirkung von Kräften, nicht aber als psychologisch einsichtige Kontrolle eigener Motivationen eingeführt. Die vorangegangene Kritik der genetischen Ichpsychologie hat ergeben, daß der Sekundärvorgang, obwohl er der Intention des Lustprinzips zu folgen scheint, doch in einem eigenständigen und universalen Interesse des Individuums, das sich gar nicht aus vorgegebenen einzelnen Triebregungen ableiten läßt, begründet werden muß. Dieses Interesse erscheint selbst als Gegewtendenz zur Triebhaftigkeit und begründet Leistungen, in denen sich das Individuum von Triebansprüchen distanziert (Triebhemmung) und ihre Isolationstendenz überwindet (Umweltbezug). Freud konnte die Eigenständigkeit und Unableitbarkeit dieses Interesses vielleicht deshalb übersehen, weil er zeigen konnte, daß der Sekundärvorgang die notwendige Voraussetzung für den Lustgewinn der realitätsblinden Triebansprüche darstellt. Diese teleologische Betrachtungsweise verdeckt aber die Selbständigkeit des Ich gegenüber dem Es. Bezieht man Freuds bisher entfaltete Konzeption des Ich auf die vorangegangene Analyse der psychischen Zensur zurück (s. o. S.46ff.), dann zeigt sich, daß das Ich als modifiziertes Luststreben die spezifischen Leistungen der Zensur gar nicht begründen kann. Wie sich zeigte, setzt die Ver-
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drängung aktueller, bedrängender' Triebansprüche den inhaltlichen und dynamischen Widerspruch zwischen den Triebzielen und den leitenden Normen des Ich voraus, der die „Unverträglichkeit" der Triebansprüche begründet und den Vollzug des Zurückdrängens ermöglicht. Die Ableitung des Ich aus den Bedingungen der „Not des Lebens" scheint aber diesen Widerspruch zwischen dem Ich und dem Es grundsätzlich auszuschließen. Als System der Triebhemmung folgt das Ich ausschließlich den Zielen, die ihm durch die Triebkonstitution des Individuums vorgegeben werden, und modifiziert sie durch seine eigenen Leistungen nur so, daß ihre reale und dauerhafte Erreichung garantiert wird. Das Ich ist keine Gegenmstanz zum Es, sondern nur eine notwendige Entwicklungsstufe der Triebe auf dem Wege zur Befriedigung, die durch die Umweltgebundenheit der Triebbefriedigung erzwungen wurde. Darum kann Freud in der bisher entwickelten Konzeption des Ich nur eine Vorform der Verdrängung begründen, die er als „Wiederholung der einstigen Flucht vor der Wahrnehmung" (11/111,606) kennzeichnet. Der psychische Apparat entzieht sich unter der Herrschaft des Lustprinzips allen äußeren Reizeinwirkungen, die eine Unlustempfindung hervorrufen (Reizflucht). Entsprechend werden auch die Erinnerungen an umweltbedingte Unlusterlebnisse nicht durch den Primärvorgang besetzt, weil sich dadurch die früher erlebte Unlustempfindung wiederholen würde. „Vielmehr wird im primären Apparat die Neigung bestehen, dies peinliche Erinnerungsbild sofort, wenn es irgendwie geweckt wird, wieder zu verlassen" ( I I / I I I , 606). Die Leistung des Ich gegenüber dieser Verdrängungstendenz des Es liegt gerade darin, die Unlusterinnerungen in den Erfahrungszusammenhang mit einzubeziehen, weil das Ich „die Verfügung über alle in der Erfahrung niedergelegten Erinnerungen braucht" (11/111,606), um die Triebansprüche realitätsgerecht befriedigen zu können. Der beschriebene Verdrängungsvorgang geht also gar nicht, wie der oben analysierte, vom Ich selbst, sondern vom uneingeschränkten Luststreben der Triebwünsche aus und soll gerade durch den Sekundärvorgang rückgängig gemacht werden. Nur sofern das Ich selbst noch als modifiziertes Luststreben dem Lustprinzip verhaftet bleibt, klammert es eine Vorstellung aus, wenn es nicht „imstande ist, die von ihr ausgehende Unlustentwicklung zu hemmen" (11/111,607). Mit dieser Vorstufe der Verdrängung ist lediglich die Eingrenzung des eigenen Bewußtseinsspielraums angegeben, die in der partiellen Gebundenheit des Ich an das triebhafte Luststreben begründet ist. Die Verdrängung, in der sich das zensierende Ich gegen das Luststreben der andrängenden Triebe durchsetzt, ist damit gar nicht gefaßt.
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Diesen fundamentalen Aspekt der Verdrängung führt Freud ein, indem er von „unzerstörbaren und unhemmbaren Wunschregungen" ausgeht, „deren Erfüllungen in das Verhältnis des Widerspruchs zu den Zielvorstellungen des sekundären Denkens getreten sind" (11/111,609). Damit geht Freud von dem Ich als Gegeninstanz zur Triebdimension aus, die Ziele verfolgt, die den Triebzielen inhaltlich widersprechen. Zugleich nimmt er an, daß Lust und Unlust nicht mehr ausschließlich von der Erhöhung oder Verminderung triebhafter Energie im psychischen Apparat abhängig sind (s. dagegen o. S. 58): Obwohl die Erfüllung der wider sprechenden Wünsche energetisch betrachtet lustvoll sein müßte, würde ihre Befriedigung „nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustaffekt hervorrufen, und eben diese Affektverwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als ,Verdrängung' bezeichnen" ( I I / I I I , 609). Wie hat Freud dieses Verständnis des Ich und der Affektivität gewonnen, das der bisher entwickelten genetischen Ichtheorie widerspricht? b) Die Beschreibung des Ich im Verhältnis zur Triebdimension: Das Ich als selbständige Gegeninstanz zum triebhaften Luststreben Der Ichbegriff der „Traumdeutung", den Freud für die Erklärung der Verdrängung heranzieht, weist auf die frühen „Studien" zur Hysterie und Neurose zurück, in denen Freud seine ersten klinischen Erfahrungen darstellte und theoretisch verarbeitete. Innerhalb seiner klinischen Deskriptionen führt Freud das „Ich" als Hilfsbegriff für das Verständnis der Verdrängung ein, ohne es selbständig zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Innerhalb dieses deskriptiven Ansatzes verzichtet Freud auf die Ableitung des Ich aus den Bedingungen der „Not des Lebens" und bemüht sich deshalb nicht um eine teleologische Betrachtungsweise der Ichfunktionen und ihres leitenden Interesses. Zugleich unterscheidet er in seinen Arbeiten zwischen ausweisbaren Beschreibungen von Bewußtseinsphänomenen und mechanischen Hypothesen (1,66) und bemüht sich um möglichst weitreichende Deskription. Damit befreit er sich weitgehend von den methodischen Vorurteilen des genetischen Ansatzes seiner Ichpsychologie (vgl. o. S. 78 f.). Die theoretische Konzeption der „Studien" ist schon bei der Untersuchung der „Zensur" dargestellt worden (s. o. S. 49 ff.) und soll hier nur noch um zwei Aspekte ergänzt werden. Einmal soll geklärt werden, welche Interessen die „Zensur" leiten, zum anderen soll sichtbar werden, wie das
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Individuum seine Interessenbestimmtheit unmittelbar in der Affektivität erlebt. Das Ich wurde schon bei der Untersuchung der Zensur als die „Assoziationskette" akzeptierter Vorstellungen gekennzeichnet. Ihnen stehen die „Kontrastvorstellungen" (1,8 ff.) des Individuums gegenüber, die normalerweise unbewußt bleiben (1,9) und sich für die ausgearbeitete Verdrängungstheorie bereits als „Abkömmlinge" urverdrängter Triebansprüche erwiesen (s. o. S. 64). Sie drängen, wie sich zeigte, aufgrund ihrer triebhaften Besetzung zum Bewußtsein und können für die Zensur als „auftauchende Vorstellungen" zugänglich werden. Der „Vorgang der Zensur" ist, wie schon erwähnt, „von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen" abhängig (1,269). In dieser Bindung an die bisher akzeptierten Vorstellungen ist das zensierende Ich offenbar von dem Interesse bestimmt, „widerspruchsfrei" (1,63) zu bleiben. Dann aber muß die leitende Ichtendenz als Interesse an der Identität verstanden werden, das selbst schon an einen bestimmten Zusammenhang von Vorstellungen gebunden ist, die die Grenzen der eigenen Identität vorzeichnen. Allein aus diesem Interesse kann nun auch die „Abwehr" auftauchender Vorstellungen in der bewußt vollzogenen Verdrängung verständlich werden (s. o. S. 50). Diese Abwehr entspringt der „Abneigung des Ich" (I, 269) gegenüber Vorstellungen, die im „Widerspruch" zu den im Ich vereinigten stehen und so innerhalb des einheitlichen Zusammenhangs „unverträglich" sind. Die „Abneigung" muß also als die Form des Interesses an der Identität verstanden werden, in der das Ich sich gegen die Vorstellungen wendet, die die jeweils fixierte Identität sprengen. Für die Abwehr einer Vorstellung sind also nicht schon ihre inhaltlichen Bestimmungen als solche, sondern erst deren Widersprüchlichkeit und Unverträglichkeit im Gesamtzusammenhang der akzeptierten Vorstellungen entscheidend. Die „Abneigung des Ich" versteht Freud als die „psychische Kraft", die die unverträglichen Vorstellungen aus dem Bewußtseinszusammenhang „drängt". Damit ist das Ich als dynamisch selbständige Gegeninstanz zu den triebhaften Kontrastvorstellungen angesetzt. Die hier eingeführte Kraft scheint sich aber nicht auf verfügbare Energiequantitäten des psychischen Apparats zurückführen zu lassen. Ihre Intensität scheint wesendich von der Widersprüchlichkeit der zu verdrängenden Vorstellung und dem Wunsch, sie völlig auszuklammern, bestimmt zu sein und so von der spontanen Aktivität des Ich abzuhängen. Das Individuum verfügt ursprünglich nicht über eine theoretische Kenntnis seines Interesses an Identität, sondern erlebt es unmittelbar in dem
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„peinlichen Affekt" (1,62) des „Vorwurfs" (vgl. 1,387), mit dem das Auftauchen der unverträglichen Vorstellung verbunden ist. In diesem Affekt zeigen sich die „Unverträglichkeit" der Vorstellung und die zugehörige „Abneigung" des Ich ganz unmittelbar, und ihm entspringt der Willensakt der „Abwehr". Diese Form der ,Unlust' kann gar nicht aus Freuds triebhaftenergetischer Begründung der Affektivität, sondern nur aus der Interessebestimmtheit des Ich verstanden werden: Die „Abkömmlinge" des Urverdrängten drängen gerade nach „Ausdruck im Bewußtsein" (vgl. I I / I I I , 558), so daß ihr Bewußtsein, rein energetisch betrachtet, als lustvoll erlebt werden müßte. Das Ich empfindet dagegen nur deshalb einen peinlichen Vorwurfsaffekt, weil es durch ein Interesse an Einheitlichkeit bestimmt wird, das selbst an bestimmte, normative Vorstellungen gebunden ist. Diese Unlust ist für das interessegebundene Individuum im Unterschied zur rein triebhaft begründeten Unlust unerträglich, weil sie einem „Konflikt" (VIII, 21) entspringt, den das Ich in seiner Gebundenheit nicht auflösen kann. Das Ich erscheint als selbständige Gegeninstanz zur Triebdimension, deren Verhalten zu den Triebansprüchen wesentlich durch das unableitbare eigene Interesse bestimmt wird. Damit ist das „Lustprinzip" als universales Regulationsprinzip aller psychischen Vorgänge eingeschränkt: Dem Luststreben der Triebansprüche steht das Ichinteresse an der Übereinstimmung mit sich selbst gegenüber. Mit diesem Ansatz befreit sich Freud zugleich von der bisherigen mechanisch-energetischen Konzeption, die der genetischen Theorie zugrunde lag. Die Affektivität ist nicht mehr psychische Umsetzung von Verschiebungen triebhafter Energie im Apparat, sondern Ausdruck des Widerspruchs zwischen dem leitenden Interesse des Ich und den vorgegebenen Triebansprüchen. Entsprechend wird auch die Verdrängung nicht energetisch aus dem Lustprinzip begründet (s. o. S. 80 f.), sondern aus dem eigenständigen Interesse des Ich verständlich gemacht, das sich in der „Abwehr" gegen das Luststreben der Triebe durchsetzt12. Trotz dieser Weiterentwicklung der Ichpsychologie ist auch der Ichbegriff der „Studien" noch nicht in der Lage, die deskriptiv aufgewiesenen Leistungen der Zensur (s. o. S.37f.; 46 ff.) voll einsichtig zu machen. 12 Die bisher dargestellte Theorie hat Freud in der Deskription von Bewußtseinsphänomenen gewonnen (s. 1,66 f.). Er greift erst auf seine medianisch-energetischen Hypothesen zurück, um den .unbewußten' Vorgang der Symptombildung verständlich zu machen (1,67). So kann der bisher entfaltete Begriif des Ich in der Tat als selbständiger deskriptiver Gegenbegriff zu Freuds energetisch-mechanischer Konzeption verstanden werden.
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Der Mangel dieses Ichbegriffs liegt darin, daß Freud das formale Interesse an der Identität unmittelbar an den Zusammenhang inhaltlich bestimmter, normativer Vorstellungen bindet, die die Grenzen der Identität vorzeichnen. Damit trägt er der Möglichkeit der Zensur keine Rechnung, in der Annahme widersprechender Triebansprüche die leitenden Normen des Ich zu modifizieren und darin ein neues Verhältnis zwischen der Triebhaftigkeit und dem Ich herzustellen, das die Realität der Triebhaftigkeit angemessener als das alte Verhältnis berücksichtigt (s. o. S. 48). Erst die Trennung zwischen den bestimmten Zielvorstellungen des Ich und dem leitenden Interesse an der Identität wird diesen Mangel beheben (s. u. S. 108 ff.). Die bisher dargestellten gegensätzlichen Ichbegriife stehen in der „Traumdeutung" noch unvermittelt nebeneinander und werden jeweils zum Verständnis der psychischen Phänomene herangezogen, aus deren Analyse sie selbst deskriptiv gewonnen sind. Die Interpretation muß nun die weiteren Konzeptionen der psychoanalytischen Ichpsychologie daraufhin befragen, ob und in welcher Weise sie diesen Gegensatz auflösen.
2. Der zweite Ansatz zur psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds Untersuchungen zur Triebstruktur und -entwicklung In den Untersuchungen Freuds, die sich an die „Traumdeutung" anschließen und mit dem Aufsatz „Jenseits des Lustprinzips" ihren Abschluß finden, steht das Problem des Triebes und seiner ,Schicksale' im Mittelpunkt. Innerhalb dieser Fragestellung hat Freud eine zweite genetische Theorie des Ich entwickelt, die den Widerspruch der ersten jedoch nicht löst, sondern nur weiter verschärft. In der Konzentration auf die Triebproblematik hat Freud versucht, das Ich nun selbst als eine bestimmte Gruppe von Trieben einzuführen, die sich durch die „Not des Lebens" aus dem Gesamtzusammenhang der Triebe differenziert. Damit radikalisiert er den genetischen Ansatz der Traumdeutung, der das Ich als universales System der Triebhemmung abgeleitet hatte. Zugleich faßt Freud in seinen Untersuchungen zur Verdrängung die spezifischen Bedingungen des Verdrängungsvorgangs noch präziser als in den frühen „Studien" und macht dadurch ihre Unerklärbarkeit innerhalb einer genetischen Ichpsychologie noch deutlicher. Die Widersprüchlichkeit seiner genetischen Konzeption, die sich aus ihren verschiedenen Fragerichtungen ergab, versuchte Freud in seiner „Einführung des Narzißmus" (X, 137 ff.) aufzulösen. Diese Theorie wird in der folgenden Interpretation nicht mehr untersucht, weil Freud sie selbst nur
2. Der zweite Ansatz in Freuds Triebtheorie
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als Durchgangsstufe der Theoriebildung verstanden hat (vgl. XIII, 258) und sich ihre theoretischen Probleme bei der Analyse der ,Überichbildung' (s. u. S. 102 ff.) plastischer aufweisen lassen. Die Interpretation beschränkt sich auf eine kurze Darstellung der Triebproblematik, die Untersuchung der genetischen Ichtheorie und schließlich der Verdrängungsbedingungen. a) Freuds Triebtheorie: Der Trieb als „Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem" 13 Freuds Untersuchungen zur Triebstruktur und -entwicklung erweitern die mechanische ,Triebtheorie' der „Traumdeutung" (s. o. S. 59 f.; 75 f.) um wesentliche deskriptive Aspekte und scheinen dabei ein zentrales Problem zu lösen, das in der „Traumdeutung" ungeklärt blieb: In der Definition des Triebwunsches als einer „Strömung" und in deren weiterer Charakteristik als „Primärvorgang" war noch offen geblieben, ob die eingeführten Begriffe Aspekte der Selbsterfahrung oder Eigenschaften einer mechanisch gesteuerten Energie kennzeichnen sollten. In der Ausarbeitung des Triebbegriffs klärt Freud nun das Verhältnis von Trieb und Selbsterfahrung. Der Triebbegriff ist für Freud kein deskriptiver Begriff unmittelbarer Selbsterfahrung; vielmehr bietet „das Studium des Trieblebens vom Bewußtsein her kaum übersteigbare Schwierigkeiten" (X, 218). Trotzdem kann auch der Begriff des Triebes nur im Ausgang von der Selbsterfahrung eingeführt werden. Er bezeichnet jedoch nicht bestimmte, isolierte Phänomene der Erfahrung, sondern gehört zu den psychoanalytischen Grundbegriffen, deren systematische Funktion darin liegt, daß durch sie die einzelnen Erscheinungen „gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden" (X, 210). Diese Zusammenhänge werden jedoch nicht erst unter der Voraussetzung des Triebbegriffs entdeckt, sondern ursprünglich in der psychoanalytischen Deutungsarbeit als verdeckte Sinnzusammenhänge aufgewiesen (s. o. S. 35 ff.). Der Triebbegriff dient lediglich dazu, den aufgedeckten Sinnzusammenhang theoretisch zu erklären und darin als Kausalzusammenhang anschaulich zu machen. Dieses Verhältnis zwischen „Deutungskunst" und theoretischer Erklärung läßt sich am besten in den frühen „Studien" auf weisen. Hier führt Freud die mechanische Fassung des Triebbegriffs ein (1,67; 74), um den 13
Die folgende Skizze der Triebtheorie Freuds kann in keiner Weise Vollständigkeit beanspruchen. Sie bemüht sich vielmehr nur darum, die deskriptiven Charaktere des Triebbegriffs herauszuheben und als Grundlage der mechanischen Annahmen Freuds verständlich zu madien.
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Zusammenhang zwischen dem Verdrängten und dem Symptom mechanisch zu erklären, den er ursprünglich als „symbolische Beziehung" (1,83) in der Deutungsarbeit aufgedeckt hat. Als Begriff „zur Zusammenfassung und Erklärung mannigfaltiger psychischer Zustände" (1,74) ist ,Trieb' nun zugleich ein „Grenzbegriff zwischen Seelischem und Somatischem" (X, 214), der mechanisch-energetisch expliziert werden muß. Freud kann die jeweils aufgedeckte symbolische Beziehung' und ihre deskriptiv faßbaren dynamischen Verhältnisse nur kausal erklären, indem er den Trieb als selbständiges, real bestehendes und somatisch begründetes Energiequantum versteht, das von bestimmten Energieträgern aus verschoben werden und dabei ganz verschiedene Ausdrucksformen finden kann. Die mechanisch-energetische Konzeption des Triebes faßt Freud als zureichende Bestimmung ,unbewußter' Triebe und führt sie damit als reale Vorkommnisse innerhalb des psychischen Energiehaushalts ein. Entsprechend versteht er den „Kompromiß" des Symptoms als den Ausgleich zwischen realen Kraftquanten. Aber auch diesen mechanischen Annahmen gegenüber muß man festhalten, daß Freud sie selbst in Analogieschlüssen aus Phänomenen der Selbsterfahrung gewonnen hat. In seiner expliziten Analyse der Triebstruktur faßt er den Trieb wesentlich als ein ,Drängen', ein „Stüde Aktivität" (X, 214), das auf Objekte als Befriedigungsziele ausgerichtet ist (X, 215). Dieses Drängen versteht er dann auch als „Summe von Kraft" (X, 214), durch die der somatische Reiz in der Psyche repräsentiert wird. So führt er die psychische Energie in Analogie zur Erfahrung von Dranghaftigkeit ein. Ganz entsprechend gewinnt er auch die Einsicht in die Triebquellen nicht durch unmittelbare Erkenntnis: „Obwohl die Herkunft aus der somatischen Quelle das schlechtweg Entscheidende für den Trieb ist, wird er uns im Seelenleben doch nicht anders als durch seine Ziele bekannt." Die Kenntnis der Triebquellen ist nur durch „Rückschluß aus den Zielen des Triebes auf dessen Quellen" möglich (X, 216). In diesem Rückschlußverfahren gewinnt Freud eine physikalische' Konzeption, die den Trieb als psychischen Repräsentanten eines somatischen Reizes versteht, dessen psychische Kraftsumme in psychischer Arbeitsleistung' (vgl. X, 214) bewältigt werden muß. Mit der methodischen Klärung des Triebbegriffs ist bei Freud eine deskriptive Neufassung der Triebansprüche verbunden, die den unphänomenalen Ansatz der „Traumdeutung" (s. o. S. 59 f.) wesentlich modifiziert, ohne aber darin die mechanische Konzeption des Triebs aufzugeben. Freud versteht den Triebanspruch nicht mehr als psychischen Akt, in dem das Individuum vollständig gegen die Umwelt verschlossen ist und sich halluzinatorisch Befriedigung verschafft, sondern er interpretiert ihn nun unter dem
2. Der zweite Ansatz in Freuds Triebtheorie
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Gesichtspunkt der „Polarität Ich-Außenwelt" (X, 229). Dabei erscheint er als „Objektbesetzung" (X, 141), die von sich her noch nicht auf bestimmte Objekte festgelegt ist (X, 215). In diesem Ansatz scheint Freud den Trieb nun unausdrücklich als den psychischen Akt zu fassen, der von sich her einen Umweltbezug intendiert und so dem Individuum ursprünglich ein Umweltverhältnis eröffnet 14 . Diesen triebbestimmten Umweltbezug charakterisiert er näher, indem er die ,affektive Verblendung des Intellekts' hervorhebt, die im ,affektiven Streben nach . . l i e g t (s. u. S. 92). Indem es den Umweltbezug eröffnet, zeichnet das triebhafte Streben also selbst eine extrem eingeschränkte und durch das Drängen nach Lust verzerrte Umwelterfahrung vor, die erst noch zu korrigieren ist. Weil der Trieb die primäre Sicht der Umwelt vorgibt, können in ihr die Objekte in ihrer Bedeutung für die Triebbefriedigung zugänglich werden: sie werden zur „Quelle von Lustempfindungen", sofern sie der Triebbefriedigung dienen, oder zur „Quelle von Unlustempfindungen", sofern sie ihr schaden (X, 229). Damit werden Lust und Unlust nicht mehr primär unter dem Gesichtspunkt von Energieabfuhr oder -erhöhung betrachtet, sondern bedeuten nun „Relationen des Ichs zum Objekt" (X, 229). Ebenso beschreibt Freud auch die triebhafte Aktivität des Individuums nun unter der Perspektive des Umweltbezugs. Sie erscheint nicht mehr als Abfuhr von Energiequantitäten am motorischen Ende des Apparats (s. o. S. 56), sondern als Umweltverhalten des Individuums: gegenüber dem lustbringenden Objekt erweist sich der Trieb als „motorische Tendenz . . . , welche dasselbe dem Ich annähern, ins Ich einverleiben will" (X, 229). Dieser Tendenz zur „Anziehung" steht die Tendenz zur „Abstoßung" gegenüber unlustbringenden Objekten gegenüber (X, 229). Mit dieser Erweiterung der theoretischen Perspektive auf den Umweltbezug gewinnt Freud die Möglichkeit phänomenaler Deskription von Bewußtseinszusammenhängen und Verhaltensweisen des Individuums und bleibt nicht daran gebunden, sie primär als innerpsychische Besetzungsabläufe und Abfuhraktionen zu interpretieren. Innerhalb dieser allgemeinen Charakteristik der Triebe unterscheidet Freud nun zwei verschiedene Triebarten, die „Selbsterhaltungs-" und die „Sexualtriebe", im Hinblick auf ihren Umweltbezug. Während die Sexualtriebe sich in ihrer frühen Entwicklungsphase autoerotisch befriedigen und erst sekundär einen (relativ losen) Umweltbezug gewinnen, sind die Selbst1+ Die zentrale Funktion der Triebansprüche für die Eröffnung der Selbst- und Welterfahrung hat A. Mitscherlich hervorgehoben (A. Mitscherlidi: Auf dem Wege zur vaterlosen Gesellschaft. München 1968; S. 124).
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erhaltungstriebe von Anfang an an die Befriedigungsbedingungen der Umwelt gebunden und passen sich daher der „Realität" der Umwelt an (XI, 368 fi.). Den Unterschied zwischen den beiden Triebarten faßt Freud energetisch in der Unterscheidung von „Libido" und „Interesse" (XI, 430). Damit zieht er gegenüber der Unterscheidung von Primär- und Sekundärvorgang jetzt die inhaltliche Zielgerichtetheit der Triebe mit für die Bestimmung ihrer freien Erregung heran. b) Die Ableitung des Ich aus der Triebdimension: Das Ich als Zusammenhang der Selbsterhaltungstriebe, die das Luststreben der Sexualtriebe hemmen Freud entwickelt seinen zweiten genetischen Ansatz des Ichbegriiis, indem er den Unterschied der beiden genannten Triebarten mit dem Unterschied zwischen dem Ich und der ursprünglichen Triebdimension der Psyche gleichsetzt. Für diese Gegenüberstellung orientiert sich Freud neben biologischen Gesichtspunkten (vgl. X I , 418; X, 219; X, 143) an den unterschiedlichen Befriedigungsmöglichkeiten, die für die beiden Triebrichtungen aufgrund ihres Umweltbezuges bestehen. Die Selbsterhaltungs- oder Ichtriebe sind für ihre Befriedigung an die je bestimmten ,lebenserhaltenden' Befriedigungsobjekte gebunden, die die Umwelt vorgibt. In dieser Beschränkung auf die gebotenen Befriedigungsmöglichkeiten stellt sich für die Selbsterhaltungstriebe die „Aufgabe, Unlust zu verhüten, . . . fast gleichwertig neben die des Lustgewinns" (XI, 370). Die Sexualtriebe dagegen sind im Hinblick auf ihre Befriedigung „außerordentlich plastisch" (XI, 357 f.) und „kennen zu Anfang die Objektnot nicht" (XI, 369). Erst in der Pubertät gewinnen sie eine Außenweltrichtung, die sie unter bestimmten Bedingungen der Versagung aber stets wieder aufgeben können. Gegenüber diesem unterschiedlichen Umweltbezug muß aber die einheitliche ursprüngliche Triebstruktur für beide Triebarten festgehalten werden: Triebe drängen nach uneingeschränkter und direkter Befriedigung, ohne von sich her auf die selbständigen Befriedigungsbedingungen in der Umwelt oder die Folgen der Befriedigung Rücksicht zu nehmen (s. o. S. 75 f.). Sie sind also pure ,Objektbeziehungen', die kein ,Verhältnis zu sich selbst' einschließen, das die Voraussetzungen und Konsequenzen der Befriedigung in der Außenwelt prüfen würde. Wie schon in der „Traumdeutung" begründet Freud die innerpsychische Differenzierung von Ich- und Sexualtrieben in der Situation der „Versagung" (XI, 257 f.) und hält so die Funktion „der Lebensnot als des Motors der Entwicklung" (XI, 368) weiterhin fest. Aufgrund des unterschiedlichen Um-
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weltbezuges der beiden Triebarten gewinnt die Situation der äußeren Versagung für ihre ontogenetische Entwicklung unterschiedliches Gewicht: Die „Selbsterhaltungstriebe . . . lernen es frühzeitig, sich der Not zu fügen und ihre Entwicklungen nach den Weisungen der Realität einzurichten" ( X I , 368). Weil die Sexualtriebe sich dagegen „mit einem so lockeren Verhältnis zur Realität" ( X I , 370) begnügen, ist es für sie charakteristisch, „daß sie zu Anfang wie zu Ende ihrer Entwicklung auf Lustgewinn arbeiten; sie behalten diese ursprüngliche Funktion ohne Abänderung bei" ( X I , 370). Indem sich die Selbsterhaltungstriebe der Not des Lebens „fügen", geben sie ihren ursprünglichen Charakter des ungehemmten Drängens auf und passen sich den Umweltbedingungen an. Freud versteht damit den Übergang vom puren Luststreben zum realitätsbezogenen Triebanspruch wiederum als Selbsthemmung der von sich her ungehemmten Triebe, die durch den äußeren Zwang der „Versagung der Realität" ( X I , 368) entsteht. Doch die Interpretation zeigte schon, daß die Distanzierung von dem unmittelbaren Drängen des Triebes und seine kritische Kontrolle nicht selber als Leistung des unmittelbaren Triebanspruchs verstanden werden kann (s. o. S. 78 ff.). Vielmehr scheint der Triebhemmung ein eigenständiges Interesse zugrundezuliegen, das ein Verhältnis zum eigenen triebhaften Drängen impliziert und als Tendenz zur Vermittlung zwischen der Triebgebundenheit und Umweltabhängigkeit des Individuums verstanden werden kann. Mit der Annahme gehemmter Triebansprüche gibt Freud zugleich das neue Ziel dieser Tendenzen an, das sich von dem bloß triebhaften Telos uneingeschränkter und direkter Befriedigung unterscheidet: Die realitätsbezogenen Triebe streben nach dem „Nutzen" ( V I I I , 235; X I , 428 f.) für das Individuum. Dieses Ziel wird offenbar erreicht, wenn die jeweils aktuellen Triebansprüche nur soweit befriedigt werden, daß ihre Befriedigung keine Schädigung durch die Umwelt hervorruft oder die Befriedigung anderer zu erwartender Triebansprüche ausschließt. Damit erweist sich das Streben nach Nutzen als das modifizierte Luststreben, das den Umweltbedingungen Rechnung trägt (s. o. S. 77 f.). Die gehemmten, der Realität angepaßten Triebansprüche, die einheitlich nach „Nutzen" streben, übernehmen in Freuds Interpretation nun auch die hemmende Kontrolle über die Sexualtriebe, die ihren ursprünglichen Triebcharakter erhalten haben: Das Ich ist bestrebt, „mit seiner . . . Sexualorganisation im Einklang zu bleiben und s i e s i c h e i n z u o r d n e n " ( X I , 364). Selbst wenn man zugesteht, daß die Selbsterhaltungstriebe in der Versagungssituation ein kontrollierendes Verhältnis zu sich selbst gewinnen, bleibt die Erweiterung dieser Kontrollfunktion auf die Sexualtriebe unver-
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ständlich. Als Selbsterhaltungstriebe (ζ. B. Hunger, Durst, Atmung) sind sie inhaltlich von den Sexualtrieben verschieden, und aufgrund ihres spezifischen Umweltbezuges müßten sie auf die hemmende Kontrolle ihrer selbst beschränkt bleiben. Freud dagegen identifiziert die Interessenrichtung dieser bestimmten realitätsbezogenen Triebart unmittelbar mit der umfassenden Tendenz zur Triebhemmung und radikalisiert damit den genetischen Ansatz der „Traumdeutung" nur noch weiter. In der früheren Konzeption des Ich ließen sich noch zwei verschiedene Phasen der Genese unterscheiden: die Hemmung einzelner Triebe führte schließlich zu einem eigenständigen, zentralisierten und universalen System der Triebhemmung, das jeden entstehenden Triebanspruch hemmen kann (s. o. S. 78 f.). In der Radikalisierung dieser Position bleibt die zweite Phase ausgeklammert: der inhaltlich bestimmte Zusammenhang der Selbsterhaltungstriebe soll die Funktion der universalen Triebhemmung übernehmen. Indem Freud die Triebhemmung selber noch bestimmten Trieben zuschreibt, die durch die „Verinnerlichung" der äußeren Versagungssituation modifiziert sind, aber dabei doch reine „Objektbesetzungen" bleiben, hat er die Hemmung weiterhin in dem Gegensatz zwischen zwei Kräften begründet, deren Aufeinanderwirken kausal bestimmt wird (s. o. S. 62). Die modifizierten Triebe gewinnen eben durch den Druck der Versagungssituation die Eigenschaften und die Stellung zu den ungehemmten Wünschen, daß sie die Sexualtriebe kontrollieren und hemmen können. So scheint sich auch diese genetische Konzeption letztlich nur als Theorie von Energieumwandlungsprozessen verstehen zu lassen, die durch unlustbringende Außenweltreize innerhalb des psychischen Apparats ausgelöst und dann fixiert werden. Obwohl Freud die Genese des Ich in psychologischen Termini beschreibt, scheint er dabei nur auf sein mechanisches Modell zurückzugreifen. Der Ichbegriff, den Freud in dem zweiten Ansatz seiner Ichpsychologie eingeführt hat, bleibt nicht nur im Hinblick auf seine Ableitung problematisch, sondern ist auch nicht in der Lage, den zentralen Aspekt der Verdrängung zu erklären (s. o. S. 81). Das Streben nach Nutzen kann Triebansprüche niemals aufgrund ihrer Ziele ablehnen, sondern nur im Hinblick auf die bestehenden Befriedigungsbedingungen in der Umwelt hemmen. Die „Unverträglichkeit" von Triebwünschen, die sich erst aus den vorgegebenen Umweltbedingungen ergibt, führt jedoch nicht zur Verdrängung: „Der Fall der Verdrängung ist . . . gewiß nicht gegeben, wenn die Spannung infolge von Unbefriedigung einer Triebregung unerträglich groß wird" (X, 249). Dieser Möglichkeit der „äußeren Versagung" der Befriedigung stellt Freud die der „inneren Versagung" gegenüber, die allein die Verdrängung von Trieb-
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ansprüchen begründen kann (XI, 362 f.). Sie bezieht sich auf Triebansprüche, deren Befriedigung in der Außenwelt „wohl möglich und . . . auch jedesmal an sich lustvoll wäre", deren Ziele aber „mit anderen Ansprüchen und Vorsätzen unvereinbar" sind (X, 249). Für die Verdrängung, die sich ausschließlich an den Triebzielen orientiert und jeweils einen „psychischen Konflikt" zwischen den widersprechenden Interessen des Ich und der Triebdimension löst, ist das Ich wiederum als Instanz angesetzt, die selbständige Tendenzen verfolgt und sie gegen den triebhaften Drang nach Lustgewinn durchsetzt. Diese inhaltliche und dynamische Selbständigkeit des Ich kann aber nicht aus dem Interesse am Nutzen verständlich werden, das sich bei der Ableitung des Ich als leitende Ichtendenz ergab. Vielmehr führt Freud jetzt die „Selbstachtung" des Individuums als Motiv für die Verdrängung ein (X, 160). Sie ist an die Befolgung von normativen „kulturellen und ethischen Vorstellungen" gebunden, die Freud als „Ideal" des Ich charakterisiert (X, 160 f.). Dieser Ansatz weist auf die Ichtheorie der frühen „Studien" zurück und deutet zugleich den Weg an, auf dem Freud die Selbständigkeit der Zielvorstellungen des Ich gegenüber den Triebzielen begründen wird: Die Ziele des Ich dürfen nicht mehr einfach als modifizierte Triebansprüche verstanden werden, sondern werden dem Ich aus seiner sozialen Umwelt als soziale Anforderungen vorgegeben (X, 163) (s. u. S. 102 if.). Damit aber ist das bisherige genetische Schema der Ichentstehung grundsätzlich gesprengt. Die „Selbstachtung" des Ich führt Freud hier noch als Motiv für die Geltung des Ichideals ein, das libidinösen Triebansprüchen entspringen soll (X, 160 ff.). Diese Auflösung des leitenden Ichinteresses in Triebwünsche hat Freud selbst bald wieder aufgegeben. So wenig wie die genetische Ichtheorie die Selbständigkeit des Ich verständlich machen kann, so wenig kann sie die spezifische Unlust erklären, die sich aus dem Widerspruch zwischen den Ichzielen und den Triebwünschen ergibt. Freud betont, daß die Befriedigung der widersprechenden Triebansprüche nicht einfach unlustbringend ist, sondern „Lust an der einen, Unlust an anderer Stelle erzeugen" würde. „Zur Bedingung der Verdrängung ist dann geworden, daß das Unlustmotiv eine stärkere Macht gewinnt als die Befriedigungslust" (X, 249). Diese Unlust, die nicht aus dem Anwachsen „ungebundener" Triebenergie verständlich werden kann, wird von Freud selbst als Phänomen gekennzeichnet, das für die Psychoanalyse problematisch ist ( X I I I , 7). Zugleich deutet er eine Lösung an, die von zentraler Bedeutung zu sein scheint: „Das wesentliche ist wohl, daß Lust und Unlust als bewußte Empfindungen an das Ich gebunden sind" ( X I I I , 7). Damit räumt Freud grundsätzlich ein, daß die Affekte nicht bloß von der Verän-
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derung triebhafter Energiequantitäten abhängig sind, sondern das leitende Interesse des Ich immer noch mitentscheidet, in welcher Weise das Individuum affektiv auf Phänomene der Selbsterfahrung und auf Umwelterlebnisse reagiert. Erst dieser Ansatz scheint verständlich zu machen, warum verschiedene Individuen verschieden auf entsprechende Erfahrungen reagieren können: „Dieselben Eindrücke, Erlebnisse, Impulse, Wunschregungen, welche der eine Mensch in sich gewähren läßt . . . , werden vom anderen in voller Empörung zurückgewiesen" (X, 160). Die Konzeption der Affektivität, die hier angedeutet ist, hat Freud nicht weiter ausgearbeitet, weil sie seinem energetischen Ansatz widerspricht. Sie ist aber, wie sich zeigen wird, für die Theoriebildung der Psychoanalyse von wesentlicher sachlicher Bedeutung (s. u. S. 115). Die bisher betrachtete Verdrängung von Triebwünschen, die einem selbständigen Gegeninteresse des Ich gegen das triebhafte Streben entspringt, muß weiterhin von der Form des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' unterschieden werden, die in der Abhängigkeit des Ich vom Luststreben der Triebwünsche gründet (s. o. S. 80; 87). Indem Freud den Triebanspruch als „Objektbesetzung" einführt, kann er ihn als ursprünglichen Umweltbezug verstehen, in dem „nur vorgestellt wird, was angenehm ist" (vgl. VIII, 232). Weil das Ich in seinen Funktionen der Umwelt- (und auch Selbst-)wahrnehmung von der Basis triebhaften Luststrebens ausgeht, nimmt die „Psychoanalyse das Primat im Seelenleben für die Affektvorgänge in Anspruch" und kann für die Welt- und Selbsterfahrung den „Nachweis eines ungeahnten Ausmaßes von affektiver Störung und Verblendung des Intellekts bei den normalen nicht anders als bei den kranken Menschen" erbringen (VIII, 402). Freud hebt die Irrtümer hervor, die nicht einfacher Unkenntnis der Realität, sondern eigenen Wünschen entspringen, und charakterisiert sie als „Illusionen" (XIV, 353), die Aspekte der Realität verdekken. „Illusionen empfehlen sich uns dadurch, daß sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer Statt Befriedigungen genießen lassen" (X, 331). Damit ist die Form der Täuschung über sich selbst und die Umwelt herausgehoben, die in der Triebgebundenheit des Ich impliziert ist. Im Rückblick auf die bisher dargestellten Ansätze der psychoanalytischen Ichpsychologie soll der Widerspruch zwischen der Selbständigkeit und der Unselbständigkeit des Ich zusammenfassend herausgehoben werden, der für Freuds ,frühe' Ichtheorien kennzeichnend ist. 1. In seinen beiden genetischen Konzeptionen führt Freud das Ich als abgeleitete und unselbständige Instanz der Psyche ein, indem er das leitende Ichinteresse als realitätsbezogenes Luststreben ansetzt, in dem das Lustprin-
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zip der Triebansprüche zwar modifiziert, aber nicht aufgehoben ist. Für den psychischen Apparat bleibt die Tendenz leitend, einströmende Triebenergie in Befriedigungsaktionen wieder abzuführen (s. o. S. 58). Für diesen Ansatz sind Lust und Unlust nur Umsetzungen der Abnahme oder der Zunahme „ungebundener Erregung" im psychischen Apparat. Das Luststreben des Ich begründet ein ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln', in dem das Ich die Aspekte der Welt- und Selbsterfahrung ausklammert, deren Berücksichtigung aktuellen Lustgewinn verhindern, dabei aber keine reale Schädigung des Individuums vermeiden würde. 2. Die Problematik dieses genetischen Ichbegriffes wurde einerseits an den aufgezeigten theoretischen Schwierigkeiten der Ableitung, andererseits in Freuds eigenen Analysen der „Verdrängung" sichtbar. Für die Begründung der Verdrängung erweist sich das Ich als unableitbares System, das von einem selbständigen Gegeninteresse zum triebhaften Luststreben bestimmt wird und dabei an eigene „Zielvorstellungen" gebunden ist. In dieser Konzeption ist die regulative Funktion des triebhaften Lustprinzips wesentlich eingeschränkt: Unlust gründet nicht mehr allein in der Stauung von triebhafter Energie, die nach Abfuhr drängt, sondern entspringt dem Widerspruch zwischen dem leitenden Ichinteresse und den „unverträglichen" Triebansprüchen. „Unverträglichkeit" erweist sich dabei als Charakter der Triebansprüche, der von ihrer Energiequantität unabhängig ist. Das eigenständige Ichinteresse begründet ein ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln', in dem das Ich aktuelle Triebansprüche und Umwelterlebnisse abdrängt, deren volle Berücksichtigung zwar Befriedigungslust gewähren, aber die Unlust ihrer „Unverträglichkeit" hervorrufen würde. Eine Konzeption, die diese Verhältnisse zwischen Ich und Es verständlich machen kann, hatte Freud bisher nur in seinem deskriptiven Ansatz der Ichtheorie in seinen frühen „Studien" entwickelt. Der aufgewiesene Widerspruch zwischen den beiden Konzeptionen des Ich stellt die Weiterentwicklung der psychoanalytischen Ichtheorie vor die Aufgabe zu klären, in welcher Weise die gegensätzlichen Aspekte des Ich zusammengehören. Dabei muß sich entscheiden, ob das Ich grundsätzlich als selbständig oder unselbständig gegenüber der Triebdimension bestimmt werden muß.
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3. Die Ausarbeitung der psychoanalytischen Ichpsychologie in Freuds „strukturpsychologischen" Untersuchungen a) Einleitung: Die Fragestellung der Interpretation. Freuds „strukturpsychologische" Methode Nach seinen verschiedenen Ansätzen zur Ichpsychologie hat Freud in seinen „strukturpsychologischen" Arbeiten seit „Massenpsychologie und IchAnalyse" das Problem des Ich als ein zentrales Thema seiner Untersuchungen aufgenommen und eine Ichtheorie entwickelt, die den bisher entfalteten Gegensatz zwischen der Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Ich lösen kann. Freud gewinnt seine Lösung, indem er eine Möglichkeit des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' untersucht, in der das zensierende Ich weder an das triebhafte Streben nach Befriedigung noch an seine eigenen „Zielvorstellungen" gebunden ist, sondern als pures Streben nach Einheitlichkeit selbst darüber entscheidet, wie es Triebansprüche und eigene Zielvorstellungen miteinander vermittelt. In dieser Konzeption ist das Ich als autonome „Zentralinstanz" der Psyche eingeführt, die für alle vorgegebenen, inhaltlich bestimmten und „objektgerichteten" Interessen des Individuums offen ist. Damit erscheinen jetzt „Triebgebundenheit" und „Triebabwehr" des Ich, die bisher einander entgegengesetzt worden waren, gemeinsam als unterschiedliche Formen der Unselbständigkeit der zensierenden Instanz. Auch für seinen „strukturpsychologischen" Ichbegriff hält Freud seinen genetischen Ansatz fest, indem er das Ich als modifizierten Teilbereich der Triebdimension einführt und seine Entwicklungsstadien in der konkreten Untersuchung der Lebensphasen des Individuums unterscheidet. Diese genetische Analyse ordnet die „Urverdrängung" und das „Nachdrängen" in den Ablauf der psychischen Entwicklung ein und gibt damit die Möglichkeit zu untersuchen, inwieweit das Ich seine verschiedenen Verdrängungen spontan vollzieht und aufrechterhält. Zugleich läßt der Überblick über die Genese des Ich auch die Frage zu, inwieweit sich die Ichinteressen aus vitalen Bedürfnissen des Individuums begründen lassen und ob sie sich gegenüber ihrem ,biologischen' Ursprung freisetzen. So erlaubt es der strukturpsychologische Ichbegriff, die Problematik der Selbständigkeit des Ich, die einleitend angedeutet wurde (s. o. S. 72 f.), genauer zu entfalten und zu klären. Die beiden genannten Probleme der Ich-Selbständigkeit hat Freud aufgrund seines naturwissenschaftlichen Ansatzes eindeutig gelöst: Er begründet die Verdrängungen des Ich in dessen Abhängigkeit von triebhaften
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Zwängen und erklärt das selbständige Einheitsstreben des Ich aus der Sublimierung des Sexualstrebens. Damit schließt er die Möglichkeit spontaner Verdrängung und die nicht mehr biologisch begründbare Selbständigkeit des Ich aus. Dieser Konzeption gegenüber kann die Interpretation ihre Fragestellung nur festhalten, wenn sie innerhalb der psychologischen Konzeptionen Freuds die unausdrücklichen naturwissenschaftlich-mechanischen Konstruktionen aufdeckt und kritisiert. Darin gewinnt sie, wie sich zeigen wird, die Möglichkeit, Freuds deskriptive Ansätze herauszuarbeiten und auf die Problematik der Ich-Selbständigkeit hin zu befragen. Freud konnte seine Konzeption des selbständigen Ich nur gewinnen, weil er für die Ausarbeitung seiner Ichpsychologie einen neuen methodischen Grundansatz gegenüber der „Traumdeutung" gewann. In seinem frühen Hauptwerk hatte sich Freud für die Gliederung des „psychischen Apparats" an den verschiedenen Modi der „Bewußtheit" orientiert und ihnen die topischen und dynamischen Unterschiede innerhalb der Psyche gleichgeordnet. Aber in der Untersuchung der Verdrängung zeigte sich dann, „daß nicht nur das psychisch Verdrängte dem Bewußtsein fremd bleibt, sondern auch ein Teil der unser Ich beherrschenden Regungen, also der stärkste funktionelle Gegensatz des Verdrängten" (X, 291). Aufgrund dieser Erfahrung orientierte sich Freud in seinen analytischen Untersuchungen jetzt nicht mehr primär an dem Gegensatz zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten: „Wir müssen für diesen Gegensatz aus unserer Einsicht in die strukturellen Verhältnisse des Seelenlebens einen anderen einsetzen: den zwischen dem zusammenhängenden Ich und dem von ihm abgespaltenen Verdrängten" (XIII, 244). Für die Untersuchung der psychischen „Strukturverhältnisse" (XV, 84) gewinnen nun statt der Bewußtseinsmodi der psychischen Vorgänge die Konflikte innerhalb des psychischen Lebens zentrale Bedeutung, weil sich an ihnen die möglichen Spaltungen innerhalb des psychischen Apparats ablesen lassen (vgl. XIV, 124). Damit wird der dynamische Gesichtspunkt für die Psychoanalyse leitend. In der Analyse der möglichen psychischen Konflikte untersucht Freud die verschiedenen Energiearten der psychischen Vorgänge und ihre energetischen Eigenschaften genauer als bisher. Die methodische Neuorientierung der Psychoanalyse führt zur strukturpsychologischen Neuformulierung der leitenden psychoanalytischen Grundbegriffe. Das „Ubw" bezeichnet Freud nun als „Es", um den „Hauptcharakter dieser Seelenprovinz, ihre Ichfremdheit, auszudrücken" (XV, 79). Die Charaktere des Es werden in den Konflikten zwischen Triebansprüchen und Ichtendenzen zugänglich, von denen die Psychoanalyse in der Untersuchung
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
der Symptombildung ausgegangen war. Das Vbw, dessen unbewußte Anteile Freud entdeckt hatte, kennzeichnet er als das Ich und bestimmt es damit als die Instanz der Psyche, „in der wir am ehesten uns selbst erkennen" ( X V I I , 129) und die „mit dem Ich der populären Psychologie zusammenfällt" (XV, 63). Die leitenden Zielvorstellungen des Ich faßt Freud unter dem strukturellen Gesichtspunkt als eigene „Stufe im Ich" ( X I I I , 147). Im Ausgang von Gewissenskonflikten (vgl. X , 162 ff.; X V , 65 ff.) erkannte Freud, daß die normativen Tendenzen des Ich „eine gewisse Selbständigkeit" genießen (XV, 66) und die Fähigkeit haben, „sich dem Ich entgegenzustellen und es zu meistern" ( X I I I , 277). Diese Selbständigkeit' und Überlegenheit der normativen Tendenzen hob Freud in der Bezeichnung „Über-Ich" hervor. Diese Unterscheidung innerhalb des Ich kann sich gar nicht mehr auf Unterschiede von Bewußtseinsweisen stützen, sondern entspringt allein der Untersuchung psychischer Konflikte. Das Überich schließt, genau wie das Ich, unbewußte Anteile ein (XV, 76). Sie unterscheiden sich dadurch von den unbewußten Esanteilen, daß sie nicht dem „Primärvorgang" folgen, also nicht „die nämlichen primitiven und irrationellen Charaktere" (XV, 81) wie die Esinhalte besitzen. Der Überblick zeigt, daß Freud im Ausgang von den innerpsychischen Konflikten ein differenzierteres Verständnis der Energieformen innerhalb der Psyche gewinnt und dadurch eine differenziertere „Topik" des psychischen Apparats entwickeln kann, als dies im Ausgang von den Modi der „Bewußtheit" möglich war. b) Die strukturpsychologische Umformung der Triebtheorie als Bestimmung der Triebhaftigkeit „jenseits des Lustprinzips" In der Untersuchung der psychischen „Strukturverhältnisse" entfaltet Freud eine neue Triebtheorie, die die möglichen ,Spaltungen' im psychischen Apparat dynamisch verständlich machen soll. E r korrigiert seine bisherige Definition des Triebes (s. o. S. 85 if.) in der deskriptiven Orientierung am „Wiederholungszwang" der neurotischen Patienten: „Beim Analysierten . . . wird es klar, daß der Zwang, die Begebenheit der infantilen Lebensperiode in der Übertragung zu wiederholen, sich in jeder "Weise über das Lustprinzip hinaussetzt" ( X I I I , 37; vgl. X I I I , 18—20). Darum kann der Trieb nicht zureichend als affektives Streben nach Lust bestimmt werden; ursprünglicher verstanden, ist er „ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies
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Belebte unter dem Einflüsse äußerer Störungskräfte aufgeben mußte" (XIII, 38). Damit sind die Triebe als Ausdrucksformen „der konservativen Natur des Lebenden" (XIII, 38) eingeführt und erfordern „die historische Erklärung" (XIII, 39). Zusammen mit der formalen Neubestimmung der Triebe führt Freud in der deskriptiven Orientierung am Gegensatz zwischen Liebe und Haß (XIII, 57; 271; XV, 110) zwei widersprechende Triebarten ein: den „libidinösen (Ich- und Objekt-) Trieben" stehen die „Destruktionstriebe" (XIII, 66) bzw. Aggressionstriebe (XV, 110) gegenüber. Die ersteren streben nach Erhaltung und Erneuerung des Lebens durch die Tendenz, „zu vereinigen und zu binden" (XIII, 274), die letzteren dagegen drängen auf Zerstörung und Vernichtung des Lebewesens (vgl. XVII, 70 f.). Diesen beiden Triebarten ordnet Freud zwei verschiedene Formen freier, nach Abfuhr drängender Energie zu. Der „Eros" (XIII, 66) arbeitet mit libidinöser, die Aggression mit destruktiver psychischer Erregung 15 . Das jeweilige Triebleben eines Individuums ist der Ausdruck des ,Kampfes' zwischen den beiden widersprechenden Triebrichtungen, der energetisch als ,Vermischung' und ,Entmischung' (XIII, 269 f.) der beiden Energiearten gefaßt wird (s. u. S. 98). Freud verbindet seinen formalen Ansatz der Triebstruktur mit seiner Annahme zweier Triebarten, indem er ihre gegensätzlichen Triebziele in „der historischen Erklärung" auf verschiedene vergangene Zustände des organischen Lebens zurückführt. In den Destruktionstrieben sieht er die Tendenz, wieder „zum Leblosen zurückzukehren" (XIII, 40), und interpretiert sie daher als „Todestriebe" (XIII, 40 f.). Die libidinösen Triebe dagegen streben in ihrer Tendenz zur Vereinigung und Verschmelzung einen ursprünglichen Zustand des organischen Lebens an (XIII, 42 f.; 63), in dem es Unvergänglichkeit gewinnt. Darum versteht Freud den „Eros" als „Lebenstrieb" (XIII, 42 f.). In welchem Verhältnis steht nun der Kampf zwischen den widersprechenden Triebarten zum Lustprinzip? Freud entwickelt seine energetische Konzeption der Affekte entscheidend weiter, indem er die Lustempfindungen nicht mehr von der Energiequantität innerhalb des psychischen Apparats abhängig macht, sondern annimmt, „daß wir Zunahme und Abnahme der Reizgrößen direkt in der Reihe der Spannungsgefühle empfinden" (XIII, 372). Lust und Unlust sind dagegen nicht durch den „quantitativen Faktor" bedingt, sondern hängen „an einem Charakter desselben, den wir nur als 15
Freud selbst hat noch keinen eigenen Terminus für die Bezeichnung destruktiver Energie. Er gebraucht „Destruktion" als Bezeichnung für Ziel und Leistung der Triebe und zugleich als Gegenbegriff zu „Libido" (s. XIII, 285).
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qualitativ bezeichnen können" (XIII, 372). Aufgrund dieser Trennung kann Freud nun „lustvolle Spannungen und unlustige Entspannungen" (XIII, 372) theoretisch berücksichtigen. Er ordnet die Tendenz zur möglichst umfassenden Abfuhr aller psychischen Energie des Apparats den Todestrieben zu und bezeichnet diese Tendenz als „Nirwanaprinzip" (XIII, 371 ff.). Das Nirwanaprinzip wird aber ständig durch das Streben der Lebenstriebe nach möglichst großem Lustgewinn durchbrochen, in dem sie dem „Lustprinzip" folgen. Aufgrund der Lebenstriebe drängt das Individuum nach lustvollen Spannungen und bevorzugt die Wege der Entspannung, die ihm Lustmöglichkeiten bieten. In diesen Abfuhrwegen setzt sich die Tendenz zur Erhaltung und Erneuerung des Lebens gegen die destruktiven Todestriebe partiell durch. Keines der beiden Prinzipien „wird eigentlich vom anderen außer Kraft gesetzt. Sie wissen sich in der Regel miteinander zu vertragen" (XIII, 373). Dieser Zustand muß energetisch als angemessene ,Vermischung' (s. XIII, 269) der beiden Energiearten bestimmt werden, in der keine die Abfuhr der anderen hemmt. Weil aber die Geltung des Lustprinzips in der Verbindung ursprünglich widersprechender Tendenzen gründet, besteht auch immer die Möglichkeit des Konflikts zwischen den beiden Triebarten, in dem das Lustprinzip außer Kraft gesetzt wird. Diese Möglichkeit faßt Freud energetisch als „Triebentmischung" (XIII, 269 f.), in der sich die aggressiven Tendenzen des Individuums gegenüber den libidinösen Trieben freisetzen und sich in der unlustvollen Schädigung und Zerstörung des Individuums befriedigen (vgl. XIII, 377 ff. und u. S. 105). In dieser ,Zergliederung' des Lustprinzips hat Freud eine ursprüngliche Polarität der Triebhaftigkeit aufgedeckt, die in der bisherigen Interpretation des Trieblebens noch unzugänglich blieb. Sie kann nun begründen, warum Triebansprüche in einen solchen Widerspruch zueinander geraten können, daß sie ihre Befriedigung gegenseitig ausschließen. Auf diesen Gegensatz greift Freud zurück, um die verdrängenden „Zielvorstellungen" des Ich als triebhafte Tendenzen ansetzen und in ihrer Widersprüchlichkeit zu den Triebansprüchen verständlich machen zu können. Zugleich kann die aufgewiesene Polarität der Triebhaftigkeit auch einsichtig machen, daß die Unlust des Konflikts, der zur Verdrängung führt, dem triebhaften Streben nach Lust nicht grundsätzlich widerspricht. Vielmehr kann das Erleben von Unlust, in dem das Ich auf möglichen, triebhaft begründeten Lustgewinn verzichtet, selbst zum Ziel der Destruktionstriebe werden, die sich gegenüber den libidinösen Tendenzen freigesetzt haben (s. u. S. 105). Damit hat Freud nun den triebhaften Anteil am Verdrängungs-
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Vorgang aufgeklärt, der unter der Voraussetzung des „Lustprinzips" gar nicht verständlich werden konnte. Die neue Triebtheorie stellt aber noch vor die Aufgabe, die selbständigen Ichinteressen aufzuklären, die jeweils darüber entscheiden, welche der gegensätzlichen triebhaften Vorgegebenheiten jeweils das Übergewicht über die andere gewinnt, oder die „Synthese" zwischen ihnen herbeiführen. Diese Interessen sollen nun in der folgenden Interpretation des strukturpsychologischen IchbegrifEs aufgewiesen werden. c) Die Ableitung des Ich aus dem Es: Das Ich als System der „Selbsterhaltung", das die infantilen „Urverdrängungen" vollzieht Nachdem Freud den konservativen Charakter der Triebansprüche herausgehoben hatte, konnte er sie nicht mehr, wie in seiner frühen Theorie, „als die eigentlichen Motoren der Fortschritte" des Nervensystems (X, 213) in Anspruch nehmen. Vielmehr sind es nun die Umwelteinflüsse, die als „äußere Störungskräfte" ( X I I I , 38) das Lebewesen zwingen, seinen ursprünglichen Zustand zu verlassen. So setzt Freud nicht mehr die „Situation der Versagung" als Ursprung der Entwicklung des Ich aus dem Es an, sondern begründet die Entstehung des Ich in der Einwirkung unlustbringender Außenweltteize auf das Es. „Die Auffassung bedarf kaum einer Rechtferti gung, daß das Ich jener Teil des Es ist, der durch die Nähe und den Einfluß der Außenwelt modifiziert wurde, zur Reizaufnahme und zum Reizschutz eingerichtet, vergleichbar der Rindenschicht, mit der sich ein Klümpchen lebender Substanz umgibt" (XV, 82; vgl. X I I I , 252). Als System der Reizbewältigung arbeitet das Ich im Dienste des Lustprinzips, indem es der Tendenz folgt, den psychischen Apparat möglichst reizlos zu erhalten und alle „traumatischen" Außenweltreize zu vermeiden ( X I I I , 29). Die traumatische „Überschwemmung des seelischen Apparates mit großen Reizmengen" ( X I I I , 29) interpretiert Freud psychologisch als „Gefahr" ( X I V , 168). Unter dieser Perspektive erscheint nun das Ich als das System, „das sich die Aufgabe der Selbsterhaltung" stellt ( X V I I , 130), indem es das Es vor Gefahren schützt (vgl. X V , 8 2 ) 1 6 . Mit der Bewältigung der Außenweltreize ist 16
Mit der Einführung des Selbsterhaltungsinteresses hat Freud nur seine frühe Konzeption des „Realitätsprinzips" erneut modifiziert. Die Realitätsbezogenheit des Ich erwies sich bisher schon als Streben nach „Nutzen", in dem sich das Ich vorrangig die Aufgabe stellt, „sich gegen Schaden zu sichern" (VIII, 235). Dieses Sicherungsbedürfnis interpretiert Freud nun als Selbsterhaltungsinteresse im primären Hinblick auf die Umweltgefahren für das Individuum.
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aber die „Fürsorge für die Selbsterhaltung" (XIV, 168) noch nicht hinreichend bestimmt. Das Ich schützt das Es auch dadurch, daß es im Hinblick auf die Umweltbedingungen die Triebansprüche des Es kontrolliert (vgl. XIV, 228), „zum Heil des Es, das ohne Rücksicht auf diese übergewaltige Außenmacht im blinden Streben nach Triebbefriedigung der Vernichtung nicht entgehen würde" (XV, 82). Für diese Kontrolle kann nun auch der Triebanspruch „zur (inneren) Gefahr" werden, „weil seine Befriedigung eine äußere Gefahr herbeiführen würde" (XIV, 201; vgl. XVII, 130). Die Möglichkeit solcher „inneren Gefahren" ist für Freud in dem Widerspruch angelegt, der für die frühkindliche Entwicklungsstufe des Ich charakteristisch ist: Einerseits ist das Ich „in den Jahren der Kindheit schwächlich und vom Es wenig differenziert" (XIV, 230), so daß es dem ,realitätsblinden' Drängen seiner Triebwünsche weitgehend hilflos ausgesetzt ist. Andererseits ist es für die Befriedigung dieser Triebwünsche weitgehend auf die Hilfe und das Entgegenkommen seiner Umwelt angewiesen, weil es noch nicht selbst die Bedingungen für seine Triebbefriedigungen in der Umwelt herstellen kann. Diese doppelte Abhängigkeit des Ich begründet Situationen, in denen es sich der bedrängenden Triebstärke schädigender Triebansprüche nur dadurch entziehen kann, daß es diese Ansprüche verdrängt. Als relativ einheitlicher „Assoziationszusammenhang" seiner Erlebnisse (s. o. S. 60) ist das frühkindliche Ich in der Lage, die mögliche Wiederholung erinnerter Gefahrsituationen vorherzusehen, die durch die Befriedigung aktuell bedrängender Triebansprüche in der Außenwelt herbeigeführt würde. Es reagiert auf die Voraussicht dieser äußeren Gefahr mit dem „Angstaffekt" (XIV, 229) gegenüber dem unhemmbaren Triebanspruch und entzieht sich durch diese affektive Hemmung seiner bedrängenden Dynamik 17 . Die hier skizzierte Theorie führt eine Möglichkeit der „Verdrängung" ein, die Freud früher ausdrücklich ausgeschlossen hatte. Freud behauptet nicht mehr, nur die „innere Versagung" könne die Verdrängung auslösen (s. o. S. 90 f.), sondern nimmt nun an, auch die unhemmbare Dynamik von Triebwünschen, die der „äußeren Versagung" unterliegen, fordere die Abwehr des Ich heraus. Den letzteren Mechanismus nimmt er für die Er17 Die hier angedeutete späte Verdrängungstheorie, die sich wesentlich von der früheren unterscheidet, hat Freud XIV, 162 ff. und X V , 91 ff. ausführlich dargestellt. Sie bleibt in der vorliegenden Interpretation unberücksichtigt, weil sie für die Aufklärung der Bewußtseinsstruktur des verdrängenden „Nichtwissenwollens" keine neuen Gesichtspunkte erbringt. Auch in der späten Theorie bleibt es unverständlich, wie das Ich ein Verhältnis zu Es-Vorgängen gewinnt, ohne sie ins Ich einzubeziehen.
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klärung der „Urverdrängungen" in Anspruch, während er das „Nachdrängen" in der Einwirkung der normativen Zielvorstellungen des Ich, also in der „inneren Versagung", begründet (XIV, 121). Befragt man die dargestellte Konzeption des infantilen Ich auf die Selbständigkeit und Spontaneität der psychischen Kontrollinstanz, so scheinen sich für die beiden Aspekte des Ich verschiedene Antworten zu ergeben. Freuds genetische Konzeption geht davon aus, daß das Ich mit seinem „Selbsterhaltungsinteresse" immer noch im Dienste des Lustprinzips der Triebe steht, sofern es die Schädigung der Triebe durch traumatische Umwelteinflüsse verhindert. Aber wiederum berücksichtigt diese Ableitung nicht, daß das Ich diese Schutzfunktionen nur ausüben kann, sofern es die Voraussicht der äußeren Gefahr gegen das „realitätsblinde" Drängen der Triebansprüche durchsetzen kann. Für diesen Widerstand gegen das triebhafte Drängen ist offenbar die Selbständigkeit des Ich gefordert (s. o. S. 79). An den „Urverdrängungen" des infantilen Ich läßt sich aber nun die enge Grenze dieser Selbständigkeit ablesen. Diese Abwehraktionen können offenbar nicht in der Spontaneität des Ich begründet werden, sondern entspringen notwendig einer bestimmten dynamischen Konstellation innerhalb der Psyche. Wenn das Ich schädigenden Triebansprüchen ausgesetzt ist, die einen „Angstaffekt" in ihm hervorrufen, der die Grenze seiner Angsttoleranz überschreitet, dann verdrängt es solche Ansprüche ,automatisch' aufgrund seiner Angstentwicklung. Berücksichtigt man diese Begründung der Urverdrängung, dann läßt sich die Frage nach der Spontaneität dieser Abwehr nur festhalten, wenn man sieht, daß Verdrängungen über die Situation ihres Ursprungs hinaus ständig aufrechterhalten werden müssen, um bestehen zu können. Freud betont selber, daß sich die Situation des Ich in der Entwicklung über die infantile Lebensphase hinaus grundsätzlich ändert. In seinem Reifungsprozeß gewinnt das Ich die „Ichstärke", durch die es sich auch intensiven Triebansprüchen durch die Negation widersetzen kann und zugleich immer größere Selbständigkeit innerhalb seiner Umwelt gewinnt. Damit eröffnet es sich grundsätzlich die Möglichkeit, „die Schranken der Verdrängung, die es selbst aufgerichtet, wieder einzureißen, seinen Einfluß auf die Triebregung wiederzugewinnen und den neuerlichen Triebablauf im Sinne der geänderten Gefahrsituation zu lenken" (XIV, 185). Wenn aber das „erstarkte" Ich weiterhin seine „Urverdrängungen" aufrechterhält, dann scheint es dabei nicht mehr allein von zwingenden Motiven bestimmt zu sein. So scheint die Frage nach der Spontaneität der Verdrängung gegenüber der Fixierung von Urverdrängungen im weiteren Verlauf der Entwicklung noch sinnvoll zu sein. Sie soll
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im folgenden bei der Untersuchung der ausgezeichneten und von Freud ausführlich analysierten Urverdrängung der infantilen ödipuswünsche gestellt werden. d) Die Ableitung des Überich aus dem Ich: Das Überich als System der normativen Ichtendenzen Während Freud in der dargestellten Neubestimmung des Ich nur seine frühere Konzeption modifiziert, erweitert er mit der Einführung des Überich sein bisheriges Modell des psychischen Apparats um ein System, das überhaupt erst unter strukturpsychologischer Perspektive sichtbar werden konnte (s. o. S. 96). Auch dieses System führt Freud genetisch ein, indem er die psychische Konfliktsituation analysiert, die durch die überichbildung bewältigt wird. Dabei greift er wiederum unausdrücklich auf seine medianische Konzeption der Psyche zurück, um Probleme seiner psychologischen Ableitung zu lösen (vgl. o. S. 90). Die Konfliktsituation, der das über ich entspringt, entsteht durch die frühkindliche Sexualentwicklung. Mit der Entstehung und Ausbildung der genitalen Sexualorganisation des Kindes entwickeln sich im Es die „ödipuswünsche", die ständig an Intensität zunehmen. Sie stehen im Widerspruch zum Interesse an der Selbsterhaltung, weil ihr Befriedigungsversuch den „Liebesverlust" der Eltern zur Folge haben und das Kind dadurch ungeschützt den Gefahren der Umwelt aussetzen würde (XIV, 483; XV, 68) 1 8 . Das eigene Interesse an der Selbsterhaltung erlebt das Kind unmittelbar in der „Angst vor dem Liebesverlust" (XIV, 483), für die die ödipuswünsche als ,innere Gefahren' erscheinen, die durch die Verdrängung beseitigt werden. Das Kind leistet die Verdrängung der ödipuswünsche, indem es die libidinösen Objektbesetzungen der Eltern in Identifikationen mit ihnen verwandelt und damit die bereits bestehenden Identifikationen wesentlich verstärkt (XV, 70). Freud führt die Identifikation als einen typischen Mechanismus ein, durch den die verschiedensten Objektbesetzungen aufgegeben werden können (s. X I I I , 257). Er bestimmt sie deskriptiv als „eine Angleichung eines Ichs an ein fremdes, in deren Folge dies erste Ich sich in bestimmten Hinsichten so benimmt wie das andere, es nachahmt, gewissermaßen in sich 18
Die für den kleinen Jungen spezifische Form der Angst, die Kastrationsangst, bleibt in der vorliegenden schematischen Darstellung ausgeklammert (vgl. X I V , 169 f.; X I I I ,
393 ff. u.ö.).
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aufnimmt" (XV, 69). Diese Imitation faßt Freud genauer als „Aufrichtung des Objekts im Ich" (XIII, 257; vgl. XV, 69). Der Identifizierungsvorgang in der ödipussituation unterscheidet sich dadurch von anderen, daß die „Introjektion" der besetzten Objekte zur Verdrängung der Objektbesetzungen dient, für deren Beseitigung das infantile Ich selber noch zu „schwach" ist (XIII, 277). In seinem Interesse an der Selbsterhaltung ist das Ich zwar an der Auflösung der ödipuswünsche interessiert, aber es gelingt ihm noch nicht, durch die ,Kraft' seines eigenen Interesses die ungehemmten, ,andrängenden' Triebansprüche abzuwehren (XIV, 230). Das Ich vergrößert die Intensität seines Abwehrstrebens, indem es die erwartete reale Konfliktsituation mit den Eltern als ,äußere Gefahrsituation' vorwegnimmt und damit die „Angst vor dem Liebesverlust" hervorruft. In dieser Angst ist das Ich bereit, sich dem „fremden Einfluß" der mächtigen Elterninstanz „zu unterwerfen" (s. XIV, 483). Diese Unterwerfung vollzieht es, indem es die hindernde und bedrohende Stellung der Eltern zu den ödipuswünschen vergegenwärtigt und sich so weit mit ihnen identifiziert, daß es den erwarteten elterlichen Druck für die eigene zwanghafte Einschränkung der Triebwünsche antizipiert (XIII, 263) 19. Dieses Abwehrstreben kann aber offenbar nur deshalb zum Ziel führen, weil die Identifizierung selbst noch eine eingeschränkte Befriedigung der verdrängten Triebansprüche ermöglicht und damit dem triebhaften Drängen wenigstens partiell entgegenkommt: „Mit dem Auflassen des Ödipuskomplexes mußte das Kind auf die intensiven Objektbesetzungen verzichten, die es bei den Eltern untergebracht hatte, und z u r E n t s c h ä d i g u n g f ü r d i e s e n O b j e k t v e r l u s t werden die wahrscheinlich längst vorhandenen Identifizierungen mit den Eltern in seinem Ich so sehr verstärkt" (XV, 70). In dieser affektiv begründeten Identifikation bindet sich das infantile Ich zwanghaft an die elterlichen Gebote und Verbote (XIII, 262). „Die Angst" ist also „Ursache des Triebverzichts" (XIV, 488), den das Ich in der strengen ,Imitation' der elterlichen Normen erreicht und aufrechterhält. Diese Interpretation scheint Freud grundsätzlich abzuwandeln, indem er die affektiv begründete Identifikation als Vorgang faßt, in dem „die äußere Abhaltung verinnerlicht wird" und „an die Stelle der Elterninstanz das Über-Ich tritt, welches nun das Ich genau so beobachtet, lenkt und bedroht, wie früher die Eltern das Kind" (XV, 68). In diesem Ansatz begrünFür die hier dargestellte überichbildung ist Freuds späte Verdrängungstheorie vorausgesetzt, die S. 100 skizziert worden ist. Die „Gefahr", die das Ich voraussieht, ist der Konflikt mit den Eltern; die „Angst", mit der es reagiert, ist die „Angst vor dem Liebesverlust".
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det Freud die zwanghafte Geltung der elterlichen Normen für das Kind dadurch, daß er das reale Verhältnis zwischen Eltern und Kind vollständig in die innerpsychische Spaltung des Ich in zwei Teilsysteme überträgt: „Die Beziehung zwischen Über-Ich und Ich ist die . . . Wiederkehr realer Beziehungen zwischen dem noch ungeteilten Ich und einem äußeren Objekt" (XIV, 489; vgl. XIII, 145). Genau wie die Eltern besitzt das Überich seine „Selbständigkeit" , verfolgt „seine eigenen Absichten" (XV, 66) und „behält . . . zeitlebens . . . die Fähigkeit, sich dem Ich entgegenzustellen und es zu meistern" (XIII, 277). Das ,dynamische' Verhältnis des Überich zum Ich bestimmt Freud zugleich als Bewußtseinsbezug, der an die Stelle der sinnlichen Wahrnehmung zwischen Individuen tritt (XIII, 145) und möglicherweise als das Phänomen des Selbstbewußtseins verstanden werden muß (X, 165 Anm.). In diesem Bezug sind „Selbstbeobachtung" und „Selbstkritik des Gewissens" unmittelbar miteinander verbunden (X, 164 f.; XV, 65). Dieser Kritik und Strafandrohung ist das Ich weitgehend passiv ausgeliefert und reagiert auf sie mit dem „Schuldgefühl" (XIII, 265; 280; XV, 67). In der „Gewissensangst" versucht das Ich den Anforderungen des Überich zu genügen und so seiner unlustbringenden „Aggression" (XIV, 487) zu entgehen. Diese Interpretation des Verhältnisses zwischen Ich und Überich ist offenbar als psychologische Deskription nicht mehr einsichtig. Obwohl Freud sein mechanisches Modell der Psyche gar nicht ausdrücklich als Voraussetzung seiner Analyse einführt, muß sie als Veranschaulichung mechanischer Vorgänge verstanden werden. Indem Freud die Identifikation nicht mehr als affektiv begründete Imitation, sondern als „Introjektion" ansetzt, setzt er das topische Modell der Psyche voraus. Er nimmt offenbar an, daß die Wahrnehmungen der Elterninstanz in einem bestimmten Assoziationszusammenhang von Er-Elementen innerhalb des räumlich ausgedehnten Ich gespeichert und damit die ,Objekte' der ödipuswünsche im Ich „aufgerichtet" werden. Diese topische Gliederung ist für Freud mit einer Veränderung der dynamischen Verhältnisse im psychischen Apparat verbunden, für deren Bestimmung er auf seine modifizierte Triebtheorie zurückgreifen kann (s.o. S. 96 ff.; vgl. XIII, 268—276). Bei der Introjektion der Elternobjekte wird die libidinöse Objektbesetzung, deren Ziel die sexuelle Besitznahme der Eltern ist (XV, 69), in „desexualisierte Libido" (XIII, 274) umgewandelt, die nicht mehr in realer Triebbefriedigung abgeführt zu werden braucht, sondern dem Ich für seine eigenen Funktionen zur Verfügung steht (s.u. S. 108). Bei dieser „Sublimierung" der Ödipuswünsche, die deren Befriedigung' in den Ichleistungen ermöglicht, vollzieht sich zugleich die „Ent-
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mischung" der destruktiven und libidinösen Anteile der ödipuswünsche ( X I I I , 284 f.). Dabei wird destruktive Triebenergie frei, die primär den Assoziationszusammenhang der „verinnerlichten" Elterninstanz besetzt und ihn damit energetisch selbständig macht (XV, 66). Damit ist das Überich topisch und energetisch als eigenständige „Stufe im Ich" ( X I I I , 145) eingeführt. Der kritische Bewußtseinsbezug zwischen Überich und Ich erweist sich als bloße Veranschaulichung der dynamischen Wechselwirkung zwischen gegensätzlichen Energieformen, die auf verschiedene Teilbereiche des Ich verteilt sind. Damit ist das mechanische Modell grundsätzlich festgehalten, das Freud schon in der „Traumdeutung" entwickelt hatte (s. o. S. 61 ff.). Die Besetzung des Überich mit destruktiver Energie begründet für Freud „den harten und grausamen Zug" ( X I I I , 284 f.) des Überich in der zwanghaften Vorgabe der moralischen Gebote und in der kritischen Funktion des Gewissens. In den Überichfunktionen befriedigen sich also die freigesetzten „Todestriebe" in der „Aggression gegen das Ich", indem sie die Befriedigung von Triebansprüchen des Es weitgehend einschränken und die Unlustempfindungen der Gewissensangst und des Schuldgefühls hervorrufen (vgl. X I V , 486 f.). Die psychologische Unverständlichkeit der dargestellten Theorie gewinnt nicht erst für die Frage nach der theoretischen Einsichtigkeit analytischer Theoriebildung Gewicht, sondern hat für die analytische Deskription selbst wesentliche Relevanz. Durch den unausdrücklichen Rückgriff auf seine mechanischen Annahmen kann Freud nämlich den Fortbestand des Überich über die Phase der frühkindlichen Abhängigkeit hinaus in der Fixierung der Bahnungsverhältnisse und Abfuhrwege begründen, die sich in der ödipussituation neu herstellen. So kann Freud das Überich als das „Denkmal der einstigen Schwäche und Abhängigkeit des Ichs" verstehen, das „seine Herrschaft auch über das reife Ich" fortsetzt ( X I I I , 277): „Die Sonderung des ÜberIchs vom Ich . . . verewigt . . . die Existenz der Momente, denen sie ihren Ursprung verdankt" ( X I I I , 263). Diese Erklärung scheint aber für eine psychologische Begründung des Überich nicht vollständig zu genügen. Freud betont, daß „jedem Entwicklungsalter eine bestimmte Angstbedingung, also Gefahrsituation, als ihm adäquat zugeteilt ist" (XV, 95). So muß sich das Interesse an der Selbsterhaltung nur während „der Unselbständigkeit der ersten Kinderjahre" in der affektiv begründeten Imitation der Eltern gegen die Triebwünsche des Es durchsetzen. Aber „mit dem Lauf der Entwicklung sollen die alten Angstbedingungen fallen gelassen werden, da die ihnen entsprechenden Gefahrsituationen durch die Erstarkung des Ichs entwertet werden" (XV, 95). Für die psychologische Deskription zeigt
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sich jedoch, daß auch das „gereifte und erstarkte Ich" (XVI, 71) in individuell verschiedenem Maße durch die Gewissensangst an die normativen Tendenzen des Überich gebunden bleibt, obwohl es den Liebesverlust der Eltern nicht mehr zu fürchten hat. Indem Freud auf die grundsätzliche ,Realitätsbezogenheit' der menschlichen Angst hinweist, legt er auch gegenüber der „Gewissensangst" des „gereiften" Ich die Frage nahe, welche Gefahr das Ich fürchtet, wenn es seine ödipuswünsche niederhält und sich zwanghaft an seine Überichgebote bindet. Die mechanistische Begründung des Überich hatte dagegen die Gewissenskritik und den Gewissenszwang ausschließlich in der Fixierung von Energieverteilungsverhältnissen im psychischen Apparat begründet, die der Beeinflussung durch das „erstarkte" Ich entzogen sind. Orientiert man sich diesem Gegensatz gegenüber an Freuds psychologischer Beschreibung der Überichbildung, dann legt es sich nahe, den Fortbestand des Überich aus dem Zusammenwirken von realitätsbezogenem Ichinteresse und triebhaft begründeten ,Zwängen' zu erklären. Wie sich zeigte, steuert das Ichinteresse an der Selbsterhaltung die Umwandlungen der triebhaften Dynamik innerhalb der Psyche, während diese Prozesse selbst wieder das Ichinteresse stützen und fixieren (s. o. S. 103). Hält man diese deskriptive Struktur auch für die Erklärung des Xhhe.ti0\bestandes fest, dann muß man einerseits die von Freud aufgewiesene energetische Begründung des Überich festhalten, kann aber andererseits auch nach dem aktuellen Interesse des Ich an der Verdrängung der ödipuswünsche und an der zugehörigen Angst vor dem Überich fragen 20 . Dieses Interesse des Ich wird sich bei der Untersuchung des Strebens nach Einheitlichkeit zeigen, das für das Ich charakteristisch ist. Für dieses Streben hat das Überich eine gewisse Entlastungsfunktion, sofern es durch seine zwanghafte Geltung dem Ich bestimmte selbstverständliche Normen seiner Einheitlichkeit vorgibt und ihm so die ständige Umwandlung seiner Einheitlichkeit im Hinblick auf die aktuellen Umweltbedingungen erspart 20
Obwohl Freud das Interesse des Ida an der zwanghaften Geltung des Überich nicht ausdrücklich zum Problem seiner Ableitung gemacht hat, hat er doch wenigstens eine Lösung angedeutet. Er bestimmt das Ich, das mit desexualisierter Libido arbeitet, als „Vertreter des Eros", der „leben und geliebt werden" will (XIII, 287). Dieses Interesse bezieht sich primär auf das Verhältnis zum eigenen Überich (XIII, 288) und begründet die weitgehende Gefügigkeit des Ich gegenüber seinen normativen Tendenzen. — Diese Begründung des Überich bleibt in zweifacher Weise psychologisch uneinsichtig. Erstens hält Freud seine topisch-mechanisdhe Konzeption fest, die das Überich als selbständiges System der Psyche bestimmt, zu der das Ich sich verhalten kann. Zweitens greift Freud für die Bestimmung dieses Verhältnisses auf seine genetische Theorie zurück und faßt das Ichinteresse als sublimierte Triebtendenz.
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(s. u. S-113 f.; 115). Diese Struktur eines Einheitsstrebens, das auf bestimmte Normen festgelegt ist, hatte Freud schon in seinem deskriptiven Ichbegriff der „Studien" aufgewiesen, ohne nach dem leitenden Ichinteresse an der festgelegten Identität zu fragen. Gerade dieses positive Interesse des „gereiften" Ich könnte aber das aktuelle, spontane Motiv für die Aufrechterhaltung der Verdrängung und des zugehörigen überichzwanges bilden, nach dem bei der Einführung der „Urverdrängung" gefragt worden war (s.o. S.101). Über den Schwierigkeiten, die mit der Einführung des Überich verbunden sind, darf der theoretische Gewinn der dargestellten Konzeption nicht übersehen werden. Die Aufklärung der Überichbildung korrigiert Freuds frühere Theorie, die die „Zielvorstellungen des Ich" als inhaltlich und dynamisch modifizierte Triebansprüche einzuführen versuchte, ohne den Gegensatz zwischen den Triebzielen und den Normen des Ich verständlich machen zu können (s. o. S. 92 f.). Die Theorie des Überich zeigt aber nun, daß die ,Zielvorstellungen' des Ich inhaltlich als „ R e a k t j ο η s b i 1 d u η g auf die Triebvorgänge des Es" (XIII, 286) verstanden werden müssen, die dem triebbestimmten Individuum durch den Einfluß seiner sozialen Umwelt vorgegeben wird. Diesem inhaltlichen Gegensatz ordnet die Theorie den dynamischen zu, indem sie zwischen libidinösen und destruktiven Trieben unterscheidet und die Funktionen des Überich als Leistungen der destruktiven Triebe versteht (s. o. S. 104 f.). Damit hat Freud den triebhaften Anteil an der Bildung und am Bestand des Überich aufgewiesen, indem er die soziale Umweltgebundenheit des Individuums und die Polarität des Trieblebens aufdeckte. Diese Konzeption kann nun auch den triebhaften Anteil der spezifischen Unlust verständlich machen, die dem Widerspruch zwischen Zielvorstellungen und Triebansprüchen entspringt und in den früheren Theorien unaufgeklärt blieb. Indem Freud sie als „Gewissensangst" und „Schuldgefühl" bestimmt, begründet er sie in der triebhaften „Aggression" des Überich, der das Ich ausgeliefert ist (s. o. S. 104 f.). Der wesentliche Gewinn der Einführung des Überich liegt aber in der strukturellen Trennung zwischen den genuinen Ichinteressen und den leitenden Zielvorstellungen des Ich. Sie ermöglicht eine Neubestimmung des Ich und seiner Interessen, die die verschiedenen Möglichkeiten des ,interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzuges' verständlich machen kann.
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e) Die Neubestimmung des Ich in der Ableitung des Überich: Das Ich als „Organisation", die vom „Streben nach Einheitlichkeit" geleitet wird Mit der Einführung des Überich hat Freud das Ich gegenüber seinen „Zielvorstellungen" freigesetzt und damit eine grundsätzliche Neubestimmung des Ich und seiner genuinen Interessen ermöglicht. Auch für diese Neubestimmung hält Freud seinen genetischen Ansatz fest und entfaltet ihn im Rahmen seines mechanischen Modells der Psyche. Wenn das frühkindliche Ich die libidinösen Objektbesetzungen der ödipussituation durch die Introjektion auflöst und in die Besetzung eigener Ichanteile umwandelt (s. o. S. 104 f.), vollzieht sich die „Umsetzung von Objektlibido in narzißtische Libido", die „offenbar ein Aufgeben der Sexualziele, eine Desexualisierung" mit sich bringt (XIII, 258). Auf diese Weise „bemächtigt" sich das Ich libidinöser Triebenergie, die nicht mehr in bestimmten Befriedigungsaktionen abgeführt werden muß, sondern die das Ich für seine eigenen Funktionen verwenden kann (XIII, 258; 274 f.; XV, 83). Diese dem Ich verfügbare, „desexualisierte Libido . . . darf . . . auch sublimiert heißen, denn sie würde noch immer an der Hauptabsicht des Eros, zu vereinigen und zu binden, festhalten, indem sie zur Herstellung jener Einheitlichkeit dient, durch die — oder durch das Streben nach welcher — das Ich sich auszeichnet" (XIII, 274). In dieser Ableitung der „Ichlibido" aus den Energieumsetzungsprozessen bei der Überichbildung sind zwei fundamentale Bestimmungen des Ich genetisch eingeführt: Mit dem „Streben nach Bindung und Vereinheitlichung" (XIV, 125), dem „Zug zur Synthese" (XV, 82) ist das genuine Grundinteresse des Ich zum ersten Male angemessen gefaßt. Es bedingt die formale Struktur des Ich, die Freud als „Organisation" bestimmt: „Das Ich ist eine Organisation, es beruht auf dem freien Verkehr und der Möglichkeit gegenseitiger Beeinflussung unter all seinen Bestandteilen" (XIV, 125; vgl. XIV, 223; XV, 82 f.). Die Neubestimmung des leitenden Ichinteresses unterscheidet es grundsätzlich von allen inhaltlich bestimmten Tendenzen des Es und des Überich. Im „Streben nach Einheitlichkeit" geht es dem Ich nicht mehr um bestimmte, einzelne Triebziele, sondern um die Koordination seiner konkreten Interessen selbst. Darum kann Freud das Ich als „diejenige seelische Instanz" bezeichnen, „welche eine Kontrolle über all ihre Partialvorgänge ausübt" (XIII, 243) und sie im Hinblick auf ihre ,Synthetisierbarkeit' überprüft. Damit ist das leitende Ichinteresse nun angemessen als Tendenz bestimmt, in der das Individuum sich zu sich selbst verhält und
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die so den Vollzug des ,Selbstbewußtseins' begründen kann (s. o. S. 72 f.). Entsprechend wird auch das Ich nicht mehr durch die Angabe seiner Inhalte bestimmt, sondern als die „umfassende Einheit" (s. XIII, 7) „integrierter" Vorstellungen ((vgl. X I I I , 85) aufgefaßt. Damit kennzeichnet Freud das Ich als den Umkreis von Einstellungen und Interessen, den das Individuum im Streben nach Einheitlichkeit als eigenen akzeptiert hat und der seine je erreichte Identität bildet. Von diesem endgültigen Ichbegrifi her lassen sich die vorangegangenen Konzeptionen des Ich unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammenfassen. Das frühkindliche Ich scheint in seinem Selbsterhaltungsinteresse ebenfalls vom Streben nach Einheitlichkeit bestimmt zu sein, in dem es Umwelt und Triebhaftigkeit (XIV, 230), Gegenwart und Zukunft miteinander vermittelt (s. o. S. 100). Eben diese Vermittlungstendenz zeigte sich auch schon deskriptiv in der Analyse des „Realitätsprinzips" (s. o. S. 77 f.) und des Interesses am eigenen „Nutzen" (s. o. S.89). Aber das Streben nach Nutzen bzw. das Selbsterhaltungsinteresse erfordern nur einen Grad von Einheitlichkeit der seelischen Prozesse, der gesicherten Lustgewinn bzw. Schutz vor Schädigung des Individuums garantiert. So bleibt das Interesse an der Synthese in den beiden Tendenzen des Ich noch vital gebunden. Erst mit der Reifung des Ich kann sich das Streben nach Einheitlichkeit von dieser Gebundenheit freimachen und kann nun die „Integration" (XIII, 85) aller psychischen Vorgänge als das absolute Ziel der Ichleistungen vorgeben. Damit scheint aber der „Zug zur Synthese" als Tendenz eingeführt zu sein, die sich gar nicht mehr biologisch begründen läßt, sondern über die vitalen Interessen des Individuums grundsätzlich hinausgeht. Trotzdem hat Freud auch für die Ableitung des Strebens nach Einheitlichkeit seine genetische Methode festgehalten und es als Modifikation von Triebansprüchen zu fassen versucht. Diese Ableitung steht vor einer doppelten Aufgabe: Sie muß einmal zeigen, wie das Interesse an sexueller Vereinigung und Bindung in das Interesse an der Integration psychischer Inhalte übergehen kann. Zum anderen muß sie einsichtig machen, wie in diesem Übergang die objektgerichteten, auf Umweltgegebenheiten bezogenen Tendenzen des Es in das Reflektierende' Interesse an der Kontrolle der eigenen psychischen Inhalte umschlagen können. Betrachtet man die Genese zunächst psychologisch, so zeigt sich, daß diese Erklärungsmethode die beiden Umwandlungen nicht befriedigend begründen kann. Um die „Sublimierung" der libidinösen Triebansprüche verständlich machen zu können, abstrahiert Freud zunächst von dem ,besetzten Objekt' als dem Triebziel und behält so die objektlose Tendenz zur Vereinigung
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und Bindung übrig. Diese Tendenz formalisiert er nun so weit, daß er ihr die Synthese psychischer Vorgänge als neues Ziel zuordnen kann. Dabei treten die psychischen Akte des Individuums an die Stelle von Umweltobjekten. Es scheint aber sehr problematisch, die Strukturmomente des Triebes in dieser Weise zu trennen und auszutauschen und dabei die psychischen Vorgänge wie reale Objekte zu behandeln. Die genetische Theorie wird dagegen voll einsichtig, wenn man sie im Rahmen des mechanischen Modells der Psyche interpretiert. Den verschiedenen Tendenzen des Individuums liegen, wie sich zeigte, verschiedene Formen freier Energie zugrunde, die sich dadurch unterscheiden, daß sie „selbst aus Mischungen von zwei Urkräften (Eros und Destruktion) in wechselnden Ausmaßen zusammengesetzt" sind ( X V I I I , 128). Unter dieser energetischen Grundvoraussetzung ist es verständlich, daß Sexualtriebe durch die Änderung des Mischungsverhältnisses der beiden ,Urkräfte' in das desexualisierte Streben nach Einheitlichkeit übergehen können. Diese dynamische Ableitung wird durch das topische Modell ergänzt, das das Verhältnis des Ich zu Es und Überich als Beziehung zu räumlich getrennten ,Objekten' ansetzt. So können den sublimierten objektgerichteten Tendenzen des Ich nun die psychischen Prozesse des Es und Überich als Objekte der Vereinigung vorgegeben werden. Damit verdeckt die Ableitung aufgrund ihrer mechanischen Voraussetzungen den fundamentalen Unterschied zwischen objektgerichteten libidinösen Interessen, die die Tendenz zur „Anziehung" begründen (s. o. S. 87), und dem Interesse, in dem es dem Individuum um die Einheitlichkeit seines eigenen ,objektgerichteten' Interessiertseins geht. Wenn auch die abschließende genetische Theorie des Ich unzureichend bleibt, dann scheint der Schluß berechtigt, das leitende Ichinteresse lasse sich überhaupt nicht aus der Triebdimension ableiten. Freud scheint in seinen verschiedenen genetischen Ansätzen nur die Aktivierung eines Interesses beschrieben zu haben, das nicht selbst erst au,s vitalen Interessen entsteht, sondern durch biologisch begründete Konflikte nur geweckt wird. Dabei scheinen die empirisch aufweisbaren Bedingungen der Aktivierung zugleich audi die jeweiligen Grenzen vorzuzeichnen, in denen sich die genuine Grundrichtung des eigenständigen Ichinteresses durchsetzt. Die Entwicklung des Ich erscheint dann wesentlich als fortschreitende Freisetzung und Verselbständigung des Ichinteresses gegenüber seinen auslösenden Bedingungen. Mit der Neubestimmung des Ich verbindet Freud eine Neuinterpretation der „psychischen Zensur", die er als „eine der großen Institutionen des Ichs" gekennzeichnet hatte (s. o. S. 73). In der Orientierung am universalen „Synthesisstreben" des Ich beschreibt Freud die gegensätzlichen Leistungen
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der Zensur unter dem Gesichtspunkt der Einheitsbildung bzw. Spaltung der Psyche (vgl. XIII, 7) und faßt sie so als gelungene bzw. mißlungene „Integration" vorgegebener psychischer Akte (vgl. XIII, 85) auf. In diesen Analysen bestimmt Freud die „Urverdrängung" der ödipuswünsche als den Akt der infantilen „Triebabwehr", der die Aufgabe und die Problematik des lebenslangen Integrationsvollzugs für das Ich begründet. In der Aufgabe seiner intensiven Elternbesetzungen entzieht sich das infantile Ich die Kontrolle über wesentliche Anteile seiner Triebkonstitution und setzt sich damit unbewußten triebhaften Zwängen aus, die in immer neuen Ausdrucksformen Zugang zum Bewußtsein suchen. Zugleich entspringt der Abwehr der ödipuswünsche die moralische Zwangsinstanz des Überich, die im Gegenzug zu den ödipuswünschen gebildet wird und durch die sich „das Ich gegen die Wiederkehr der libidinösen Objektbesetzung versichert" (XIII, 399). Als Widerstand gegen die ödipuswünsche bleibt das Überich selbst in wesentlichen Teilen unbewußt (XV, 75 f.). So ist das Ich sein Leben hindurch einerseits dem bewußten Druck seines Gewissens ausgesetzt, zugleich aber von unbewußten Widerständen gegen das Es abhängig, die es gar nicht durchschaut und die sich unbewußt in Situationen des „Nachdrängens" durchsetzen können. Der fundamentale innerpsychische Widerspruch zwischen dem Verdrängten und dem Überich begründet die Aufgabe der ständigen Integration für das erstarkte und selbständige Ich und schränkt dessen „Souveränität" zugleich wesentlich ein: Sofern das selbständige und spontan integrierende Ich unbewußten Zwängen des Es und des Überich unterworfen ist, muß es sich im Integrationsvollzug ständig fortschreitend von diesen Abhängigkeiten befreien und so erst eine immer größere Autonomie gewinnen. Aufgrund der „Urverdrängungen" hat sich das integrierende Ich ständig mit „Abkömmlingen" des Verdrängten bzw. mit Ansprüchen auseinanderzusetzen, „die, anderswoher stammend, in assoziative Beziehung" zum Unbewußten geraten sind (X, 250; s. o. S. 64). Diese Vorgegebenheiten, die dem Es entspringen, sind durch ihre Isolationstendenz und durch ihren Absolutheitsanspruch bestimmt: Sie „drängen auf sofortige, rücksichtslose Befriedigung" (XIV, 228) und „verfolgen" dabei „ihre Absichten unabhängig und ohne Rücksicht aufeinander" (XIV, 223) 21 . 21 Neben den triebhaft begründeten „Abkömmlingen" des Unbewußten bleibt das Ich auch dem Drängen grundsätzlich akzeptierter Triebansprüche ausgesetzt, die ständig neu im Es ansetzen (XIII, 36) und ständig neu im Hinblick auf die sich wandelnden realen Umweltbedingungen „ichgerecht" befriedigt werden müssen. Auch sie sind durch den triebhaften Absolutheitsanspruch und die zugehörige Isolationstendenz bestimmt.
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Den ,blinden' Triebansprüchen stehen die zwanghaften Tendenzen des Überich gegenüber, die die moralischen und kulturellen Anforderungen an das Individuum repräsentieren. Sie widersprechen als sozial vorgegebene „Reaktionsbildung gegen die Triebvorgänge des Es" ( X I I I , 286) inhaltlich und dynamisch weitgehend den Triebansprüchen. Zugleich tragen sie der gegenwärtigen sozialen und materiellen Umwelt nur unzureichend Rechnung, weil sie aufgrund ihrer Entstehung zum „Träger der Tradition" werden, „die den Einflüssen der Gegenwart, neuen Veränderungen, nur langsam weicht" (XV, 73). In ihrem Widerspruch zu den Triebansprüchen und den aktuellen Umweltgegebenheiten folgen die überichtendenzen der gleichen Isolationstendenz und dem gleichen Absolutheitsanspruch wie die Triebwünsche, weil auch sie ihre Dynamik aus Triebregungen gewinnen. So hält das Überich dem Ich die Normen seines Verhaltens vor, „ohne Rücksicht auf die Schwierigkeiten von Seiten des Es und der Außenwelt zu nehmen" (XV, 84). Den beiden triebhaft begründeten innerpsychischen Motivationen des Verhaltens stehen die aktuellen Umweltgegebenheiten gegenüber, von denen zwar die Möglichkeiten des individuellen Verhaltens jeweils entscheidend abhängen, die aber selber keine unmittelbare Motivationskraft für das Individuum besitzen. So steht das Ich im Interesse an der Snythesis seiner Vorgegebenheiten zugleich vor der Aufgabe, die „Anforderungen der Außenwelt zu vertreten" (XV, 84) und gegen die innerpsychischen Motivationen zur Geltung zu bringen. Die vorangegangene Aufstellung macht die Schwierigkeit sichtbar, die „Ansprüche und Forderungen" der verschiedenen Vorgegebenheiten „in Einklang miteinander zu bringen. Diese Ansprüche gehen immer auseinander, scheinen oft unvereinbar zu sein" (XV, 84). Ihnen gegenüber steht das Ich vor der „Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen" (XV, 84 f.). Es leistet die geforderte Synthese, indem es die Isolationstendenz und den Absolutheitsanspruch der innerpsychischen Vorgegebenheiten überwindet und sie zusammen mit der aktuellen Umwelterfahrung in die je gewonnene Organisation einbezieht, um sie so zu überprüfen und zu korrigieren. So gilt für die ,blinden' Triebansprüche: „die ,Bändigung' des Triebes . . . will heißen, daß der Trieb ganz in die Harmonie des Ichs aufgenommen, allen Beeinflussungen durch die anderen Strebungen im Ich zugänglich ist, nicht mehr seine eigenen Wege zur Befriedigung geht" (XVI, 69; vgl. XV, 83). Ganz entsprechend ist auch das Überich erst „normal ausgebildet", wenn es „genügend unpersönlich geworden" ist und dem Ich nicht mehr „wie der strenge Vater dem Kind" gegenübersteht
3. Die Ausarbeitung in Freuds Strukturpsychologie
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(XIV, 254). Damit beschreibt Freud einen Zustand, in dem die Überichgebote ihre Selbständigkeit und Zwanghaftigkeit für das Ich dadurch verloren haben, daß sie durch die Integration in die Organisation des Ich einbezogen sind. Dieser Synthese der innerpsychischen Motivationen entspricht ein Umweltbezug, in dem das Ich sich die aktuelle Realität seiner Umwelt nicht durch die eigenen Wünsche verstellt (s. o. S. 92 f.), sondern sie in den Zusammenhang der schon gewonnenen Umwelterfahrung einbezieht (vgl. X V I I , 129) und sich als Korrektiv der innerpsychischen Motivationen offenhält. Nachdem sich die Aufgabe psychischer Zensur als Aufgabe umfassender Vermittlung zwischen widersprechenden Vorgegebenheiten und der je erreichten Ichorganisation erwiesen hat, lassen sich „Triebabwehr" und „Triebgehorsam" des Ich (s. o. S. 92 f.) als verschiedene Formen mißlungener Integration verstehen. Freuds späte Triebtheorie begründet beide Formen der gescheiterten Synthese in der Triebgebundenheit des Ich. In der Triebabwehr ist das Ich so sehr an den triebhaften Zwang des Überich gebunden, daß es widersprechende Trieb wünsche nicht aneignen kann; im Triebgehorsam dagegen ist es einem so starken ,Druck' der Triebansprüche des Es ausgesetzt, daß es sich seine überichgebundenheit und seine reale Situation verdecken muß. Diese Begründung mißlungener Integration erscheint aber unbefriedigend, wenn man berücksichtigt, daß Freud das Ich als selbständige und spontane Integrationsinstanz einführt und zugleich die Belastung für das Ich deutlich macht, die in der Synthesisaufgabe liegt. In dieser Belastung könnte ein Motiv für das Ich liegen, in bestimmten Situationen auf die Vermittlung von Vorgegebenheiten zu verzichten, die es grundsätzlich integrieren könnte. Die Synthesisaufgabe verbietet es dem Ich, sich jeweils der stärksten, unmittelbar vorgegebenen Motivation für sein Verhalten zu überlassen, und verlangt von ihm, den Widerspruch zwischen den isolierten, unmittelbaren Motivationen im Austragen der Konflikte zwischen ihnen aufzulösen. Weil das Ich diese Konflikte nur durch die Integration der Vorgegebenheiten in die jeweils gewonnene eigene Organisation bewältigen kann, steht es vor der Aufgabe, in der Vermittlung zwischen den Vorgegebenheiten die eigene erreichte Identität wieder in Frage zu stellen und sie in der Auseinandersetzung mit den vorgegebenen Motivationen u. U. selber neu herzustellen. So schließt die Aufgabe der Konfliktbewältigung immer schon die Forderung einer selbstbestimmten Modifikation der je erreichten Identität mit ein. Dann aber könnte das Scheitern der Integration in dem Interesse des Ich begründet sein, Konfliktbildungen zu vermeiden und damit die je erreichte
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
Identität zu fixieren und sich der Aufgabe ihrer ständigen Neubestimmung zu entziehen (vgl. o. S. 106 f.). Diesem Gesichtspunkt ordnen sich Freuds Analysen der Triebgebundenheit und der überichgebundenheit des integrierenden Ich vollständig unter. Dabei zeigt Freud zugleich, daß das Ich im Interesse an der konfliktfreien Identität die eigene Selbständigkeit gegenüber den Vorgegebenheiten aufgibt. Im „Triebgehorsam" überläßt sich das Ich der Motivationskraft ,bedrängender' Triebansprüche, ohne aber dabei auf die eigene Einheitlichkeit zu verzichten. Beide Absichten verbindet das Ich, indem es versucht, „die ubw Gebote des Es mit seinen vbw Rationalisierungen zu bekleiden" (XV, 84). In der Rationalisierung begründet das Ich sein ausschließlich triebhaft motiviertes Verhalten dadurch, daß es sich einerseits die wahren Motive seines eigenen Verhaltens verdeckt, andererseits die eigenen normativen Tendenzen und die Umweltbedingungen nur so entstellt in den Blick bringt, daß sie sein Verhalten rechtfertigen. In dieser Form der ,Vermittlung' erspart sich das Ich die Auseinandersetzung mit den widersprechenden Vorgegebenheiten für sein Verhalten: es „spiegelt den Gehorsam des Es gegen die Mahnungen der Realität vor, auch wo das Es starr und unnachgiebig geblieben ist, vertuscht die Konflikte des Es mit der Realität und wo möglich auch die mit dem Über-Ich" (XIII, 286). Im Ausweichen vor dem Konflikt täuscht sich das triebbestimmte Ich zugleich die Erhaltung seiner gewonnenen Identität vor, indem es den Widerspruch des eigenen Triebwunsches zu den leitenden Normen ,vertuscht'. So erspart es sich in der Vermeidung von Konflikten die selbstbestimmte Neubildung der eigenen Identität in der Auseinandersetzung mit der jeweiligen identitätsauflösenden Triebforderung. Zugleich spiegelt es sich in der scheinbaren Integration seine Selbständigkeit gegenüber den unmittelbaren Vorgegebenheiten vor, obwohl es seine „Souveränität" (XIV, 185) im Triebgehorsam gerade aufgegeben hat. Die gleichen Verhältnisse wie beim Triebgehorsam werden auch bei der Überichbindung des Ich sichtbar. Im „Nachdrängen" von Triebansprüchen folgt das Ich dem triebhaft begründeten Zwang des Überich, indem es vor widersprechenden Triebwünschen „flieht" (vgl. XIV, 230). Je weniger diese Bindung des Ich im triebhaften Zwang des Überich begründet werden kann, um so mehr kann sie aus dem Interesse an der Konfliktlosigkeit erklärt werden, in dem das Ich starr an den triebhaft vorgegebenen, inhaltlich bestimmten Grenzen seiner Identität festhält und so jede selbstbestimmte Modifikation der Überichnormen vermeidet. In der Flucht vor den eigenen Triebansprüchen hat das Ich dem Triebwunsch aber jeweils „ein Stück Un-
3. Die Ausarbeitung in Freuds Strukturpsychologie
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abhängigkeit gegeben und auf ein Stück seiner eigenen Souveränität verzichtet" (XIV, 185). Das Verdrängte ist „ausgeschlossen aus der großen Organisation des Ichs" (XIV, 185), dessen „Synthese" dadurch „gestört" (XIV, 230) ist. In dieser Einschränkung der eigenen Einheitlichkeit und Selbständigkeit täuscht sich das Ich zugleich die Erhaltung der je gewonnenen Identität weiter vor, indem es den widersprechenden Triebanspruch überhaupt aus dem Umkreis bewußtseinsfähiger Interessen ausklammert und damit die Aufgabe einer selbstbestimmten Neuformulierung der eigenen Einheitlichkeit verdeckt. So steht das Ich auch in der Verdrängung noch unter dem „Zwang zur Synthese" (XIV, 125), indem es zugleich deren Last ausweicht. Weil sich das Ich in der Rationalisierung und Verdrängung selbst noch das Scheitern der eigenen Integrationsleistung verdeckt, verdeckt es sich zugleich sein eigenes leitendes Interesse an der Konfliktlosigkeit und täuscht sich das Interesse an der umfassenden Integration seiner Vorgegebenheiten vor. Das bisher charakterisierte Interesse an der ,Konfliktlosigkeit' hat Freud nicht selbst ausdrücklich hervorgehoben und dem Streben nach Vereinheitlichung gegenübergestellt. Zwar sieht Freud, daß in der „Mittelstellung" des Ich zwischen seinen Vorgegebenheiten das Motiv liegt, im Widerspruch zur Synthesisaufgabe „opportunistisch und lügnerisch zu werden" ( X I I I , 286), aber er interpretiert dieses Interesse lediglich als Luststreben: „Das Ich strebt nach Lust, will der Unlust ausweichen" (XVII, 68). Dieses Luststreben kann aber nun nicht mehr primär triebhaft-energetisch verstanden werden. In der Rationalisierung weicht das Ich nicht nur vor der Unlust einer ungelösten Triebspannung aus, sondern vermeidet ebenso die Unlust, die im Ertragen von Konflikten und in der selbständigen Identitätsbildung liegt. Entsprechend verzichtet das Ich in der Verdrängung auf möglichen Lustgewinn, um zugleich der Aggressionsunlust des Überich und der Unlust des ,Identitätsverlustes' zu entgehen. Damit ist nun neben dem triebhaft begründeten Anteil möglicher Unlust auch der Anteil sichtbar geworden, der sich ausschließlich aus dem leitenden Interesse des Ich an der Konfliktlosigkeit ergibt. Diesem Interesse an der Fixierung der eigenen Einheitlichkeit steht als Gegentendenz ein Interesse gegenüber, in dem das Ich nach einer „ i m m e r w e i t e r g r e i f e n d e n Integration der Persönlichkeit" ( X I I I , 8 5 ) strebt. Im so verstandenen Synthesisinteresse ist das Ich immer schon über die je erreichte Einheitlichkeit hinaus und hält sich für neu zu integrierende Vorgegebenheiten offen. Es kann die jeweils geforderte Synthese nur so leisten, daß es sowohl von dem Absolutheitsanspruch der widersprechenden Vorge-
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
gebenheiten als auch von der je bestehenden Einheitlichkeit abstrahiert und sie damit in den einheitlichen Umkreis „bewußtseinsfähiger" Akte zusammenschließt. Eben damit setzt es sich den psychischen Konflikten zwischen den Vorgegebenheiten und der bestehenden Identität aus und übernimmt die Aufgabe, selbständig über ihre Lösung in der Neubestimmung der eigenen Identität zu entscheiden. In dieser Erweiterung der eigenen Einheitlichkeit eignet das Ich bisher relativ selbständige Motivationen des eigenen Verhaltens an und erweitert so zugleich seine eigene „Souveränität". Diese Integrationsleistung erfordert aber die Fähigkeit des Ich, die Unlust der ungelösten Triebspannung, die Unlust der Überichaggression und die Unlust der ,Schwebe' zu ertragen, die in der Abstraktion von den unmittelbaren Vorgegebenheiten und der eigenen Identität entsteht 22 . Blickt man auf die Analysen der „psychischen Zensur" zurück (s. o. S. 46 if.), dann zeigt sich, daß mit dem jetzt eingeführten Interessengegensatz die Tendenzen aufgewiesen sind, die die gegensätzlichen Leistungen der Zensur begründen. In der Abwandlung seiner frühen Auffassung charakterisiert Freud die Zensur jetzt nicht mehr nur als topisch, sondern auch als dynamisch selbständige Instanz, die nicht auf inhaltlich bestimmte Interessen festgelegt ist, sondern der es in verschiedener Weise um die Vermittlung von triebhaft vorgegebenen Tendenzen geht. In den verschiedenen Syn22
In der Freisetzung des fundamentalen Interesses an der Identitätsbildung gegenüber allen Vorgegebenheiten des Ich scheint mir der wesentliche Gewinn der Theorie Freuds auch gegenüber der psychoanalytischen Identitätstheorie Eriksons zu liegen, die Ansätze der Forschungen Freuds weiterführt. Erikson bestimmt die Identitätsbildung als unabschließbaren Prozeß der sozialen Anpassung, in dem sich das Individuum mit einer sozialen Rolle identifiziert, in der es von der Gesellschaft bestätigt wird. Identität stellt sich also erst in dem Wechselverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft her, in dem die Gesellschaft selber durch die Anerkennung des Individuums eine identitätsstiftende Funktion hat (vgl. Ε. H. Erikson: Identität und Lebenszyklus; S. 124,140). In dieser Identifikation mit einer Rolle hebt das Ich jeweils die vorangegangenen Identitätsbildungen in einer neuen auf, die der (sich ständig wandelnden) gesellschaftlichen Realität besser als die vorangegangenen angepaßt ist. Zwar betont Erikson, daß die Identität nicht in bedingungsloser gesellschaftlicher Einordnung gebildet werde, aber er gibt gerade keine Orientierung des Individuums für eine kritische Distanz zur Gesellschaft an, sondern behauptet nur vage, die vorgegebenen sozialen Rollen würden „anderen Ichprozessen" angepaßt und damit verwandelt (Ε. H. Erikson: Kindheit und Gesellschaft; S. 402 Anm.). Freud dagegen setzt die „synthetische Funktion des Ich" (XVII, 60) so an, daß sie für alle Vorgegebenheiten des Ich in gleicher Weise offen ist und keine von ihnen bereits die Orientierung für den Synthesisvollzug des Ich vorgeben kann. So scheint Freuds Ichbegrifi im Unterschied zu Eriksons Konzeption grundsätzlich die Möglichkeit der kritischen Distanz des Individuums zu seiner Gesellschaft offen zu lassen, ohne aber selbst noch diese Möglichkeit theoretisch auszuarbeiten. Die Gründe für diese Einschränkung werden sich im Vergleich der Psychoanalyse mit der Existenzialontologie zeigen (s. o. S. 155 ff.).
3. Die Ausarbeitung in Freuds Strukturpsychologie
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thesisinteressen sind die gegensätzlichen ,Umgrenzungen' des eigenen Bewußtseinsspielraums begründet, in denen sich das Individuum entweder jeweils für die vorgegebenen Aspekte seines Seins offenhält oder bestimmte Aspekte ausklammert, die es sehen könnte. Für diese spontane, interessegeleitete Aktivität des Ich ist aber auch im strukturpsychologischen Modell der Psyche, das auf die Analyse von Bewußtseinsstrukturen verzichtet, unausdrücklich noch der spezifische Bewußtseinsraum vorausgesetzt, den Freud nur veranschaulichend thematisiert hatte (s. o. S . 4 4 f . ; 51 ff.). So läßt sich die voll entfaltete Strukturpsychologie als Theorie der Selbsterfahrung fassen, die das Phänomen des interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzugs in den Grenzen der psychoanalytischen Theoriebildung aufklärt. Es wäre jedoch unberechtigt, die bisherige psychologische Interpretation des strukturpsychologischen Ichbegriffs absolut zu setzen. Auch in dieser Konzeption überwindet Freud seinen mechanischen Ansatz nicht, sondern scheint selbst seine psychologischen Deskriptionen primär als Veranschaulichungen medianischer Verhältnisse verstanden zu haben (vgl. XV, 96). Unter dieser Perspektive erscheint die späte Ichtheorie nur als Modifikation der frühen mechanischen Theorie. In der Kennzeichnung des Ich als umfassender Organisation seiner Vorgänge nimmt Freud die Definition wieder auf, die er schon im „Entwurf" gegeben hatte, als er das Ich als „Organisation" (Anfänge 330) „gegeneinander gut gebahnter Neuronen" (331) einführte (s. o. S. 74 f.). Die „ruhende Besetzung" dieses „Assoziationszusammenhangs" wird nun präziser als „desexualisierte Libido" bestimmt, ohne daß damit die Funktion dieser Energieform grundsätzlich neu gefaßt wäre. Sie ermöglicht auch in der strukturpsychologischen Theorie den „Sekundärvorgang", den Freud jetzt genauer als Integration von frei besetzten psychischen Elementen in den Zusammenhang des Ich ansetzt. Die freie Energie der (gegensätzlichen) Triebarten stellt die Einheitlichkeit des Ich dadurch in Frage, daß sie jeweils nur bestimmte Er-Elemente innerhalb des umfassenden Assoziationszusammenhangs (Befriedigungserinnerungen, Überichgebote) besetzt und von ihnen her nach Abfuhr drängt (s. o. S. 59 f.)· Damit nimmt sie die besetzten Elemente in gewissem Maße aus dem Integrationszusammenhang heraus und begünstigt deren isolierte Motivation für das Verhalten des Individuums. Dieser Isolation wirkt die desexualisierte Libido entgegen, indem sie die triebhaft begründeten Trennungen innerhalb des Ich durch die Bindung der freien Energie und durch die Beseitigung von Assoziationswiderständen wieder aufhebt. So arbeitet das Ich „im Dienst des Lustprinzips . . . , um Stauungen zu vermeiden und Abfuhren zu erleichtern" ( X I I I , 273). In dieser Konzeption sind die Ichinteressen, in denen sich das
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I I . Die psychoanalytische Ichpsychologie
Individuum zu sich selbst verhält, indem es sich um die Einheitlichkeit seiner konkreten objektgerichteten Tendenzen bemüht, selbst wieder nur die kausal gesteuerten Energiequanten eines bestimmten Zusammenhangs von ErElementen, die in Wechselwirkung mit den gegensätzlichen triebhaften Energiegrößen stehen 23 . 23
Von den Ansätzen zur weiteren Ausarbeitung der Ichpsychologie muß Freuds späte Korrektur seines genetischen Ansatzes berücksichtigt werden, weil sie die vorgetragene Kritik in Frage zu stellen scheint. Freud nimmt nicht mehr an, daß das kontrollierende und hemmende Verhältnis zu den Triebansprüchen diesen Trieben selbst durch die Einwirkung von Außenweltreizen entspringen kann, sondern geht von der „Existenz . . . ursprünglicher, mitgeborener Ichverschiedenheiten" (XVI, 86) aus, durch die „das einzelne Ich von vornherein mit individuellen Dispositionen und Tendenzen ausgestattet ist" (ebd.). Zwar hält er weiter daran fest, daß das Ich zu Beginn der psychischen Entwicklung empirisch noch nicht als System faßbar ist, geht aber zugleich davon aus, „daß Es und Ich ursprünglich eins sind" (ebd.) und durch den Einfluß der Außenweltreize erst nach und nach differenziert werden. Damit setzt Freud nun die Interessen des kontrollierenden Ich ζ. T. als ererbte Dispositionen an, die durch Umwelteinflüsse aktiviert werden. Aber auch diese Korrektur überwindet den Gegensatz zwischen dem,psychologischen' und ,mechanischen' Modell der Psyche nicht. Das interessierte Verhältnis zu sich selbst, in dem das Individuum noch über seine konkreten Interessen entscheidet, wird aus der mechanischen Einwirkung eines Reizes auf eine vorhandene Disposition begründet. Darin sind die Interessen wiederum nur als kausal determinierte, objektgerichtete Kraftrichtungen angesetzt. Im Ausgang von diesem späten Neuansatz Freuds hat H. Hartmann eine Konzeption des Ich entwickelt, die die biologisch begründete Selbständigkeit des Ich gegenüber dem Es und den Außenweltreizen hervorhebt. Im Anschluß an Freud bestimmt H. das Ich als „,Organ' der Anpassung" (Hartmann, 1964; S. 17) an die Umwelt und weist auf „objektiv zweckmäßig funktionierende Apparatstrukturen" und auf „psychische Dispositionen" des Ich hin, „die der Bewältigung der Außenwelt dienen" und dem Ich angeboren sind (1960, S. 44 f.). Den Bereich dieser triebunabhängigen Strukturen bezeichnet er als Bereich der „primären Ich-Autonomie" (1960, S. 44 f.; 1964, S. 17 ff.) und hebt ihn als „konfliktfreie Ich-Sphäre" (1960, S. 14) gegen Strukturen des Ich ab, die sich im Konflikt mit Triebansprüchen gebildet haben („sekundäre Ichautonomie") (1960, S. 27; 1964, S. 20). Die Entwicklung des Ich beschreibt H. als das fortschreitende Zusammenwachsen der zunächst isolierten Apparate und Strukturen des Ich zu einer einheitlichen Organisation. In diesem Prozeß entwickelt sich als die höchste nicht triebhafte Funktion des Ich die „zentralisierte Funktionskontrolle . . . , die die verschiedenen Teile der Persönlichkeit miteinander und mit der Außenwelt integriert" (1964, S. 137). Damit führt H. die „synthetische Funktion" des Ich im Gegensatz zu Freud als Struktur ein, die nicht triebhaft begründet werden kann. Zugleich hält er aber die biologische Betrachtungsweise für die Begründung dieser Funktion fest: „Es ist wohl nicht möglich, die Funktionen der Anpassung und Synthese (wir können auch sagen: Integration und Organisierung; d. h. die zentralisierte Kontrolle der Funktionen) als nicht biologisch zu bezeichnen, die wir doch beide dem Ich zurechnen" (1955, S. 12). Die biologisch verstandene „zentralisierte Funktionskontrolle" identifiziert H. ohne weiteres mit der menschlichen Vernunft: „Vielleicht dürfen wir den Namen Vernunft gerade für die . . . organisierende Funktion ((des Ich)) vorbehalten" (I960, S. 62). Die hier skizzierte Konzeption betont zwar stärker als Freud selbst die Autonomie
3. Die Ausarbeitung in Freuds Strukturpsydiologie
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Orientiert man sich trotz der mechanistischen Verständnismöglichkeit der Integration primär an Freuds psychologischen Aussagen, dann läßt sich der strukturpsychologische Ichbegriff als Konzeption verstehen, die einerseits die Triebgebundenheit des selbständigen Ich hervorhebt, andererseits aber auch die Möglichkeit des befreienden Integrationsvollzugs sichtbar macht, in dem sich das Ich gegen seine Triebzwänge durchsetzt. f) Die zeitliche Struktur des „integrierenden" Ich: Das leitende Ichinteresse bestimmt die ,Präsenz' des eigenen Lebenszusammenhangs Obwohl Freud sich in der systematischen Interpretation des Integrationsvollzugs ausschließlich an seinem topisch-dynamischen Modell der Psyche orientiert, hat er in bestimmten Deskriptionen auch die spezifische Zeitstruktur der psychischen Akte berücksichtigt. Für diesen Ansatz zeigt sich die einheitliche „Organisation" des Ich als der eigene zeitlich erstreckte Lebenszusammenhang des Individuums, der in der jeweiligen Situation des Integrationsvollzugs zugänglich ist. Ihm stehen die faktisch vorgegebenen Ansprüche des Es und des Überich als jeweils aktuelle Motivationen gegenüber, die im Integrationsvollzug mit der jeweils gewonnenen Einheitlichkeit des Lebenszusammenhangs vermittelt werden müssen. Unter dieser Perspektive erscheint die Integration als der Vollzug, in dem das Individuum noch selbst entscheidet, in welchem Umfang ihm die eigene Lebensganzheit bzw. die je aktuellen Vorgegebenheiten zugänglich werden können. So kann Freud das „Nachdrängen" als das „Vergessen" von jeweils aktuellen und prinzipiell zugänglichen Interessen und Einstellungen interpretieren, die damit aus dem zeitlichen Zusammenhang des Lebensvollzugs ausgeschlossen bleiben. Das Verdecken aktueller psychischer Akte weist auf das „Vergessen" zurück, in dem die Individuen infantile Triebansprüche niederhalten und damit „an ein bestimmtes Stück ihrer Vergangenheit fixiert" (XI, des Ich, aber klammert zugleich die Frage aus, ob und inwieweit sich Aspekte dieser Autonomie aufweisen lassen, die überhaupt den Rahmen biologischer Begründungsmöglichkeiten sprengen. Die Problematik dieser Konzeption zeigt sich besonders in H.s Hinweis auf die „Vernunft", die sich wohl kaum noch befriedigend unter der Perspektive der „Erhaltungsgemäßheit" für das Individuum aufklären läßt. Auch Freuds Theorie des Synthesisstrebens war von dem biologischen Ursprung des Synthesisstrebens ausgegangen, aber er hatte in seiner Konzeption des absolut offenen Integrationsvollzugs unausdrücklich die Möglichkeit einer nicht mehr biologisch begründbaren Synthese eingeräumt. Diese Möglichkeit wird die vorliegende Interpretation zu entfalten versuchen, indem sie Heideggers Begründung des individuellen Einheitsstrebens in die psychoanalytische Konzeption einbezieht (s. u. S. 183 ff.).
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
282) bleiben, ohne sich in dieser Gebundenheit durchsichtig zu sein (Urverdrängung). Neben dieser triebhaften Abhängigkeit von der unbewußten Vergangenheit scheint für das Nachdrängen auch das aktuelle Interesse des Ich wesentlich zu sein, die eigene, je erreichte Identität nicht in der Integration von „Abkömmlingen" des Unbewußten in Frage zu stellen. — Richtet sich das „Nachdrängen" auf aktuelle Interessen, so klammert das Individuum in seinen „Rationalisierungen" primär die zugängliche Lebensganzheit aus oder verfälscht sie in „affektiver Verblendung" (s. o. S.92f.). In beiden Möglichkeiten gescheiterter Integration erweist sich die „reproduzierende Funktion" als abhängig von der „Einmengung eines parteiischen Faktors, einer Tendenz . . . , welche die eine Erinnerung begünstigt, während sie einer anderen entgegenzuarbeiten bemüht ist" (IV, 54). Das Gedächtnis unterliegt also „der Beeinträchtigung durch eine Willenstendenz, gerade so wie irgendein Stück unseres auf die Außenwelt gerichteten Handelns" (1,526). Die Tendenzen, von denen das „Handeln" des Sich-Erinnerns und des Vergessens abhängig ist, zeigten sich schon in der systematischen Interpretation des Integrationsvollzugs (s. o. S. 113 ff.). Indem Freud diese Interessen nun im Hinblick auf ihre zeitliche Erschließungsfunktion thematisiert, interpretiert er das ,bewußtseinsumgrenzende Handeln' des Individuums als Eröffnung und Umgrenzung des Zugangs zum eigenen zeitlich erstreckten Lebenszusammenhang. Den Gegensatz zwischen den verdrängten Interessen und der je akzeptierten Lebenseinheit hat Freud innerhalb seiner ,zeitlichen' Interpretation der Integration durch die Unterscheidung zwischen der Zeitstruktur des Ich und des Es herausgearbeitet. Er begründet die „zeitliche Anordnung" der psychischen Akte in deren Aufnahme in die Organisation des Ich (X, 287) und versteht das Ich damit als zeitlich geordneten Zusammenhang von bewußtseinsfähigen Vorstellungen. Diese zeitliche Ordnung scheint einen wesentlichen Aspekt der ,Organisiertheit' des Ich auszumachen. Sie verbindet die psychischen Vorgänge miteinander, indem sie jedem seine bestimmte Zeitstelle zuweist und damit die Möglichkeit begründet, jederzeit auf ihn als identischen zurückzukommen. Zugleich bestimmt die zeitliche Fixierung der Vorstellungen auch mit darüber, welches Gewicht sie für die je gegenwärtige Integrationsleistung haben: je länger Vorstellungen zurückliegen und je weitgehender sie durch andere ergänzt und mitbestimmt sind, um so weniger haben sie als einzelne Akte Einfluß auf die aktuelle Situation der Integration (vgl. 1,88). Dieser zeitlichen Anordnung der Ichinhalte stellt Freud die spezifische „Zeitlosigkeit" (X, 286) des verdrängten Unbewußten gegenüber: „Die Vor-
3. Die Ausarbeitung in Freuds Strukturpsychologie
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gänge des Systems Ubw sind zeitlos, d. h. sie sind nicht zeitlich geordnet, werden durch die verlaufende Zeit nicht abgeändert, haben überhaupt keine Beziehung zur Zeit" (X, 286). Diese Zeitlosigkeit des Unbewußten scheint einen wesentlichen Aspekt seines „chaotischen" (vgl. XV, 80) Charakters auszumachen24. Weil die verdrängten Triebwünsche nicht in ein festes Zeitgefüge eingeordnet und durch es ,organisiert' werden, wird ihre Geltung für die je aktuelle Gegenwart nicht durch ihre Zeitstelle bestimmt, sondern ist ausschließlich von der jeweiligen Besetzungsenergie abhängig, mit der das Verdrängte zum Bewußtsein drängt (X, 285). Die unbewußte ,Präsenz' der niedergehaltenen Triebansprüche für das verdrängende Ich bestimmt sich also allein aus der bedrängenden Triebhaftigkeit des Unbewußten. Diese Freiheit von aller zeitlichen Ordnung zeigt sich einerseits darin, daß das Verdrängte „virtuell unsterblich" (XV, 80) ist. Ohne die Fixierung an eine bestimmte Zeitstelle kann der verdrängte Wunsch unabhängig von seinem Ursprung in einer bestimmten Situation der Lebensgeschichte ständig lebendig bleiben und ist dabei von allen übrigen Wünschen des Individuums inhaltlich unbeeinflußbar. Andererseits begründet die zeitliche Ungeordnetheit des Verdrängten die Möglichkeit, daß alle unbewußten Inhalte zu gleicher Zeit nach Ausdruck im Bewußtsein streben. Weil im Ubw nicht VergangenAeit una1 Gegenwart aurcn c£e Zertstruitur voneinander getrennt werden, sind die verdrängten Triebwünsche in eine spezifische Gleichzeitigkeit gerückt und können alle zugleich nach Aufnahme ins Ich drängen. Diese Gleichzeitigkeit zeigt sich ζ. B. im Traum, wo die „Tagesreste" aktuellen Erlebens unmittelbar mit den Ausdrucksformen von Triebwünschen ganz verschiedener Lebensphasen zu einem Bewußtseinsphänomen verbunden sind. Der Versuch, sich immer und überall gleichzeitig im zeitlich geordneten Zusammenhang des Ich zum Ausdruck zu bringen, macht die spezifische Zeitlosigkeit des Verdrängten aus. Die zeitliche Interpretation des Ich und des Es eröffnet auch ein bestimmtes zeitliches Verständnis der psychoanalytischen Therapie. Freud faßt sie als Prozeß, in dem die zeitlosen Triebansprüche des Verdrängten wieder an ihre ursprüngliche Zeits teile im Lebenszusammenhang zurückversetzt werden und darin als vergangene erkannt und entwertet werden (XV, 80 f.). Dieser Prozeß vollzieht sich in der „Ausfüllung aller Erinnerungslücken" (vgl. XI, 292) des Individuums. Die Bewältigung des Verdrängten erweist 24
Die hier angedeutete Unterscheidung des Ich und des Es unter dem Gesichtspunkt von »Ordnung* und ,Ungeordnetheit' hat H. Ey in seinem Buch „Das Bewußtsein" (Berlin 1967) ausgearbeitet, ohne allerdings die zentrale Funktion der Zeitstruktur für diesen Unterschied hervorzuheben und ihn auf das Problem der Identität zu beziehen.
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
sich damit wesentlich als dessen Einordnung und Fixierung innerhalb des zeitlich geordneten Lebenszusammenhangs, aus dem es durch die Verdrängung ausgeschlossen worden war. Die bisher dargestellte Konzeption der psychischen Zeitstrukturen hat Freud in der Deskription empirisch faßbarer seelischer Prozesse gewonnen, ohne selbst zu fragen, inwieweit das traditionelle Verständnis der Zeit die Möglichkeit bietet, die neu entdeckten Strukturen theoretisch durchsichtig zu machen. Wenn man diese Frage stellt, zeigt sich ein doppelter Mangel des Zeitbegriffs, den Freud für seine Deskriptionen selbstverständlich voraussetzt: 1. Das traditionelle Verständnis bestimmt die Zeit als die Abfolge isolierbarer Zeitphasen, von denen jeweils nur eine als Jetztpunkt' aktuell ist, während die anderen noch nicht oder nicht mehr gegenwärtig sind (vgl. SZ, §65). Diese Konzeption scheint auszureichen, um die Ordnungsfunktion der Zeit für die Ichinhalte verständlich zu machen. Die kontinuierliche Abfolge von Gegenwartsphasen kann die Anordnung und Organisation der psychischen Akte in psychischen Reihen hinreichend begründen. Aber Freuds Beschreibung der Integration zeigt darüber hinaus, daß die zeitlich geordneten psychischen Akte der Ichorganisation für die Vermittlung mit aktuellen vorgegebenen Ansprüchen selbst im ganzen vergegenwärtigt werden müssen. Die Möglichkeit der Präsenz des zeitlich erstreckten Lebenszusammenhangs scheint die traditionelle Konzeption eines ,Zeitflusses' nicht mehr begründen zu können, weil sie die zeitliche Erstreckung des psychischen Lebens selbst als die sukzessive Erweiterung des Lebenszusammenhangs um je ,präsente' Erlebnisse versteht. Freuds Beschreibung der Integration fordert aber einen Zeitbegriff, für den Vergangenheit und Zukunft nicht bloß ,nicht mehr' oder ,noch nicht' gegenwärtige Zeitabschnitte sind, sondern den präsenten Horizont bilden, innerhalb dessen die je aktuellen vorgegebenen Interessen und Gebote vom Ich kritisch geprüft und angeeignet werden können. 2. Weil das traditionelle Verständnis der Zeit nur die zeitliche Anordnung der bewußtseinsfähigen Akte verständlich macht, ist es nicht in der Lage, die zeitliche Struktur des Zusammenhangs' zwischen dem „zeitlosen" Verdrängten und dem zeitlich geordneten Ich einsichtig zu machen. Sofern das Verdrängte im Widerstand gegen es noch offengehalten wird, schließt die Verdrängung ein „Vergessen" ein, in dem das ,Vergessene' gerade deshalb ständig präsent bleibt, weil es vergessen werden soll. So scheint die Vergegenwärtigung des eigenen Lebenszusammenhangs im Integrationsvollzug auch die Präsenz des Vergessenen einzuschließen, gerade weil die je ak-
4. Leistung und Grenzen der psychoanalytischen Theorie
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tuelle Umgrenzung der Zugänglichkeit des eigenen Lebenszusammenhangs das Ausgegrenzte im Niederhalten mitvergegenwärtigt. Diese Zeitstruktur, die sich aus dem bewußtseinsumgrenzenden Handeln des zensierenden Ich ergibt, scheint als selbständiger Aspekt zu Freuds Description der Präsenz des Unbewußten hinzuzutreten und erst den Zusammenhang zwischen Es und Ich voll verständlich machen zu können. Sie muß als die spezifische Zeitstruktur verstanden werden, die im Interesse an der Konfliktlosigkeit begründet ist, das als „Nichtwissenwollen" das Vergessene immer noch offenhält. Berücksichtigt man die beiden Mängel der für Freud leitenden Zeittheorie, dann fordert Freuds Deskription der psychischen Zeitverhältnisse die Entfaltung eines Zeitbegriffs, der die Präsenz der zugänglichen und der niedergehaltenen Aspekte des zeitlich erstreckten Lebenszusammenhangs in der je aktuellen Situation der Integration verständlich machen kann. Diesen Begriff hat Heidegger in seiner zeitlichen Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins entwickelt.
4. Zusammenfassung: Die Leistung und die Grenzen der psychoanalytischen Aufklärung des interessegeleiteten Selbstbewußtseins Die vorangegangene Interpretation der Psychoanalyse hat zwei verschiedene Ansätze entwickelt, um den psychoanalytischen Begriff des interessegeleiteten Selbstbewußtseins aufzuklären. Zunächst ging sie von Freuds Konzeption des „psychischen Apparats" aus und fragte nach der spezifischen Bewußtseinsstruktur der kontrollierenden Instanz, die das Vbw und das Ubw miteinander vermittelt. Anschließend untersuchte sie Freuds Theorie der Ichinteressen, die die kontrollierende Leistung der Zensur leiten und bestimmen. Für beide Ansätze erwies sich die zensierende Kontrolle grundsätzlich als spontaner Vollzug der Vermittlung zwischen den vorgegebenen Aspekten der Psyche, den das Ich als (relativ) selbständige „Zentralinstanz" der Psyche leistet 25 . In der Verbindung der beiden Ansätze zeigt sich das einheitliche Phänomen des interessegeleiteten Selbstbewußtseins, dessen Strukturen Freud in seiner Theoriebildung unausdrücklich entfaltet hat. Freud bestimmt das 25 Für diese hier abstraktiv herausgehobene Selbstbewußtseinsstruktur ergeben sich wesentliche Differenzierungen, wenn die Triebgebundenheit des Ich mit berücksichtigt wird (s. u. S. 124 f.).
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II. Die psychoanalytische Ichpsychologie
Selbstbewußtsein als Zugang zu sich selbst, der sich in den leitenden Interessen des Ich eröffnet und durch sie in seiner Bewußtseinsstruktur bestimmt wird. So begründet das „Nichtwissenwollen" eine Selbsterfahrung, in der bestimmte Aspekte des eigenen konkreten Seins unzugänglich bleiben, aber gerade in dem Interesse, sie nicht zu sehen, doch noch offengehalten werden. Umgekehrt kann das universale Synthesisstreben eine Selbsterfahrung begründen, in der das Individuum auf bestimmte bisher undurchsichtige Zwänge und Hemmungen aufmerksam wird und sie im Austragen von Konflikten überwindet. Diese psychoanalytische Konzeption des Selbstbewußtseins impliziert nicht nur, wie sich schon zeigte (s. o. S. 46 ff.), eine neue Bewußtseinsstruktur, sondern auch eine Konzeption des Interesses, die in der philosophischen Tradition bisher nicht entwickelt werden konnte. Von den (bewußten oder unbewußten) unmittelbar „objektgerichteten" Interessen unterscheidet Freud die leitenden Ichinteressen als Tendenzen, in denen das Individuum noch entscheidet, welche seiner vorgegebenen Interessen es überhaupt als eigene sehen will. Weil die ,Zensur' von solchen ,bewußtseinsumgrenzenden' Interessen geleitet ist, kann die Selbsterfahrung mit Recht als spontanes „Handeln" verstanden werden, das vom Selbstbewußtsein als der transparenten Selbstdurchsichtigkeit grundsätzlich unterschieden ist. Diese Selbstbewußtseinskonzeption fordert aber, wie sich zeigte, gegenüber den konkreten Phänomenen der Verdrängung bestimmte Differenzierungen. Für die „Urverdrängungen" konnte das aktuelle Interesse an der Aufredhterhaltung infantiler Widerstände nur hypothetisch als untergeordneter Faktor für die Triebabwehr eingeführt werden (s. o. S. 113 ff.; 106 f.). Die triebhaft begründeten Widerstände gegen das Urverdrängte halten nämlich die infantilen Wünsche des Individuums so weit nieder, daß das gereifte Ich seine Urverdrängungen niemals spontan wiederaufheben könnte. Für das Nachdrängen dagegen schien sicih dasselbe Interesse an der „Konfliktlosigkeit" als wesentliches Motiv für die „Abwehr" bewußtseinsfähiger Akte zu erweisen. Im Nachdrängen verhält sich das gereifte Ich nämlich zu Vorgegebenheiten, die es prinzipiell sehen könnte, wenn es bereit wäre, innerpsychische Konflikte auszutragen, die es sich aber mit aus dem Interesse verdeckt, die Unlust der Konfliktspannung zu vermeiden. Mit dem Einbezug der Triebhaftigkeit in die Selbstbewußtseinsstruktur zeigte sich, daß das Ich in seinem Interesse an der Konfliktlosigkeit wesentlich triebhaften Zwängen unterworfen bleibt und sie umgekehrt gegen Umwandlungen schützt. Das Synthesisstreben erwies sich dagegen als Tendenz, in der das Ich sich gegenüber seinen triebhaften Zwängen zu verselbständigen sucht
4. Leistung und Grenzen der psychoanalytischen Theorie
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und darin die Konflikte zwischen seinen vorgegebenen widersprechenden Motivationen aufzulösen versucht. Die volle Herausarbeitung der psychoanalytischen ,Selbstbewußtseinskonzeption' legt den Versuch nahe, den Vergleich mit dem Selbstbewußtseinsbegriff Fichtes wieder aufzunehmen und zu prüfen, wie weit Freuds Konzeption sachlich in die Tradition dieser Theorie einzuordnen ist. Der engste sachliche Bezug zwischen beiden Ansätzen ergibt sich in der Bestimmung der Interessen, die den Selbstbewußtseinsvollzug leiten. Die Entfaltung seiner Ichtheorie hat Freud schließlich dahin geführt, die Ichinteressen in Entsprechung zu Fichtes Konzeption als Interessen an der „Souveränität" und „Einheitlichkeit" des Individuums zu bestimmen. Entsprechend verstehen Fichte und Freud den Selbstbewußtseinsvollzug, der in diesen Interessen gründet, als den unabschließbaren Prozeß der Selbstbefreiung und Einheitsbildung. Im Gegeninteresse an der Unselbständigkeit und Uneinheitlichkeit bleibt das Individuum für Freud und Fichte dagegen an die disparate Mannigfaltigkeit seiner unmittelbaren Vorgegebenheiten gebunden und kann ihnen gegenüber keine Souveränität gewinnen. Der fundamentale Unterschied zwischen beiden Theorien zeigt sich jedoch, wenn man beachtet, daß Freud das ,Selbstbewußtsein' über den Bereich transparenter Selbstdurchsichtigkeit erweitert und es gerade als den Vollzug bestimmt, in dem sich erst der Umkreis transparenter Selbsterfahrung umgrenzt. Die Konsequenz dieser Erweiterung ist schon im Hinblick auf die Bewußtseinsstruktur des ,Selbstbewußtseins' gekennzeichnet worden (s. o. S. 69 ff.). Dieser Struktur entsprechen ,bewußtseinsumgrenzende' Interessen, in denen sich das Individuum nicht schon zu seiner transparent gegebenen unmittelbaren Konkretion verhält, sondern selbst erst im Hinblick auf die eigene Einheitlichkeit und Selbständigkeit bestimmt, in welchen konkreten Interessen es sich überhaupt zugänglich werden will. Diesen fundamentalen Aspekt der Interessen an der eigenen Selbsterfahrung konnte Fichte in der Beschränkung auf die transparente Selbstgegebenheit nicht mehr in seinen Ansatz einbeziehen. Damit entzog sich ihm zugleich die Einsicht in die fundamentale Dimension der Einheitsbildung und Selbstbefreiung, die Freud in der Erweiterung des ,Selbstbewußtseinsphänomens' ins Zentrum seiner Untersuchung rückt. Im Ausgang von den Verdrängungen zeigt Freud, daß die Gebundenheit des Individuums an unmittelbare' Vorgegebenheiten die weitgehende Undurchsichtigkeit dieser Gebundenheit einschließt. So steht das Ich in seinem Streben nach Einheit und Selbständigkeit stets noch vor der Aufgabe, sich die undurchschauten Zwänge aufzudecken, die so lange ungebrochen blei-
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II. Die psychoanalytische Idipsychologie
ben, als sie unbewußt sind. Die Selbstbefreiung und Einheitsbildung erweist sich damit wesentlich als Selbstaneignung, in der dem Individuum erst die faktische Konkretion zugänglich wird, zu der es sich bewußt verhalten kann. Zugleich gewinnt es erst in diesem unabschließbaren Prozeß fortschreitend die Selbständigkeit und Einheitlichkeit, die es ihm ermöglicht, immer neue Anteile seiner undurchsichtigen Konkretion anzueignen. Die je konkret geleistete Integration erweist sich so als Vollzug, durch den das integrierende Ich jeweils selbst als integrierende Instanz verwandelt wird. Umgekehrt konnte Freud das Ausweichen vor dem Integrationsvollzug als Selbsterfahrung verstehen, in der das Individuum sich nicht einfach bewußten vorgegebenen Motivationen seiner ,Unmittelbarkeit' überläßt, sondern sich die Gebundenheit an Vorgegebenheiten selbst verschleiert. Damit täuscht es sich seine Einheitlichkeit und Selbständigkeit vor, indem es alle die faktischen Interessen und Einstellungen ausklammert, die die eigene Gespaltenheit und Unselbständigkeit offenbaren würden. Darin fixiert es die eigene Triebgebundenheit, ohne daß diese Fixierung als solche sichtbar werden könnte; sie ist nur indirekt in der Starrheit des eigenen Verhaltens und in der Begrenztheit seiner Möglichkeiten faßbar. In der Einschränkung seiner Analysen auf die transparente Selbstgegebenheit konnte Fichte im Gegensatz zu Freud die Integration nur als die Überwindung der Motivationskraft transparent gegebener unmittelbarer Interessen verstehen. Die ,Kraft' zu dieser Überwindung gewinnt das Subjekt in dem Vollzug der Tathandlung, durch die sich das Verhältnis des Individuums zu seiner durchsichtigen Konkretion im ganzen ändert. Indem es die universale Distanz zu allen unmittelbaren Motivationen und Einstellungen gewinnt, kann es den Prozeß ihrer Umwandlung in Gang bringen und ihm zugleich die absolute Selbständigkeit und Einheitlichkeit, die es in der Tathandlung antizipiert, als leitendes Ziel der Verwandlung vorgeben. Dieser Konzeption der Selbstbefreiung stellt Freud seine Analyse der unabschließbaren Selbstaneignung, die das integrierende Ich fortschreitend verwandelt, gegenüber. Freuds deskriptive Erweiterung des ,Selbstbewußtseinsphänomens' ist nicht mit der theoretischen Aufklärung der formalen Strukturen verbunden, die seine empirischen Analysen voraussetzen. So konnte die vorangegangene Interpretation drei theoretische Schwierigkeiten aufweisen, die sich aus Freuds Analysen ergeben: 1. In seiner deskriptiven Analyse der Verdrängung bleibt Freud an den traditionellen Begriff des Bewußtseins als transparenter Selbstdurchsichtigkeit gebunden, obwohl seine Beschreibungen des ,bewußtseinsumgrenzen-
4. Leistung und Grenzen der psychoanalytischen Theorie
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den Handelns' die Frage nach einem ,Sehen' nahelegen, in dem sich jeweils erst der Umkreis transparenter Selbstgegebenheit umgrenzt (s. o. S.51ff.; 69 ff.). 2. In seiner Aufklärung des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' als gelungener oder mißlungener Integration setzt Freud einen Zeitbegriff voraus, den die philosophische Tradition nicht entwickeln konnte, weil sie die Zeit nicht im Ausgang von der Vermittlung zwischen Lebensganzheit und aktuellen Interessen bestimmte. Das Problem dieser Zeitstruktur bleibt bei Freud ungelöst (s. o. S. 119 ff.). 3. In seiner Analyse des Integrations Vollzuges, der sich allen seinen Vorgegebenheiten gegenüber offenhält, scheint Freud eine Form der Synthese beschrieben zu haben, die sich nicht mehr zureichend aus biologischen Voraussetzungen erklären läßt (s. o. S. 108 ff.). Dann aber bleibt die Frage offen, welchen Interessen das Individumm folgt, wenn es über die Grenzen biologischer Zweckmäßigkeit hinaus nach Einheitlichkeit und Selbständigkeit strebt. Die drei genannten Probleme scheinen über den methodischen Ansatz der Psychoanalyse als empirischer Wissenschaft hinauszuweisen und fordern die Ergänzung der psychoanalytischen ,Selbstbewußtseinskonzeption' durch eine Analyse, die die strukturellen Implikationen der von Freud beschriebenen Phänomene aufklärt.26
26 Die folgende Interpretation unterscheidet sich wesentlich von den Versuchen L. Binswangen und M. Boss', die Existenzialontologie für die Psychoanalyse fruchtbar zu machen. Beide Autoren orientieren sich an Heideggers ontologischen Analysen des menschlichen „Seinsverständnisses", um neue Perspektiven für die phänomenal zureichende Beschreibung konkreter psychologischer und psychopathologischer Prozesse zu gewinnen. Indem sie Heideggers apriorische Strukturanalysen zur Beschreibung und Ordnung empirischen Materials heranziehen, verwischen sie den grundsätzlichen Unterschied zwischen der apriorischen Untersuchung von ,Bewußtseinsstrukturen' und der Beschreibung und Klassifizierung von konkreten Bewußtseinsphänomenen. — Boss hat seine Konzeption, die sich an Heideggers später Theorie des „Seinsgeschehens" orientiert, in seinem Buch „Psychoanalyse und Daseinsanalytik" (Bern und Stuttgart 1957) entwickelt; Binswangers „Daseinsanalyse", die die „Daseinsanalytik" Heideggers aus SZ aufnimmt, findet sich in „Ausgewählte Vorträge und Aufsätze Bd. 1 und 2" (Bern 1947 und 1965) und in seinem Buch „Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins" (Zürich 1953).
Zweiter Teil Die Daseinsanalytik Martin Heideggers als ontologische Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse
Die vorangegangene Interpretation hat Probleme der psychoanalytischen Theoriebildung aufgewiesen, die über den methodischen Ansatz der Tiefenpsychologie hinausweisen. Die folgende Untersuchung versucht nun zu zeigen, daß die existenzialontologische Analyse des interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzuges diese Probleme theoretisch angemessen lösen kann. In seiner ontologischen ,Selbstbewußtseinstheorie' hält Heidegger den formalen Zusammenhang zwischen dem Selbstbewußtsein und den gegensätzlichen leitenden Interessen des Ich grundsätzlich fest, aber entfaltet ihn neu auf der ursprünglicheren Ebene des vorgegenständlichen Selbstbewußtseinsvollzugs. Diese Dimension gewinnt Heidegger in seiner grundsätzlichen Kritik des traditionellen Ansatzes der Selbstbewußtseinsproblematik, die zwar daran festhält, daß das Sein des ,Ich' wesentlich ,Für-sich-sein' ist (s. o. S. 29), aber zugleich zeigt, daß dieses Für-sich-sein nicht als transparentes, objektivierendes Vorstellen verstanden werden kann. Diesen Grundansatz Heideggers entfaltet die folgende Untersuchung in der Interpretation von „Sein und Zeit". Das erste Kapitel klärt die formale Struktur des vorgegenständlichen, spielraumartigen Selbstbewußtseins, das sich für Heidegger im Interesse des ,Ich' an seinem Sein eröffnet und jeweils umgrenzt. Dabei wird sichtbar, daß die existenzialontologische Erweiterung des Selbstbewußtseins über das objektivierende Vorstellen hinaus das theoretische Fundament für die psychoanalytischen Deskriptionen bieten kann, ohne Freuds unphänomenale radikale Trennung zwischen Bewußtem und Unbewußtem übernehmen zu müssen. Die beiden folgenden Kapitel zeigen, daß Heidegger die leitenden Interessen des ,Ich' wie Freud als Interessen an der Selbständigkeit und Identität versteht und dabei eine Konzeption des bewußtseinsumgrenzenden Handelns entwickelt, die die „Verdrängung" als Gliederung eines einheitlichen Spielraums der Selbsterfahrung verständlich macht und hinsichtlich ihrer Zeitstruktur aufklärt. In der Kritik an Heideggers Position wird aber zugleich deutlich, daß die bloße Erweiterung des Selbstbewußtseins noch nicht ausreicht, um die Aspekte der Selbsterfahrung, die Freud in seinen Theorien der „Triebe" und „Triebschicksale" faßt, vollständig zu begründen.
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Die Daseinsanalytik und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse
1. Die formale Struktur des interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzugs a) Der methodische Ansatz der Selbstbewußtseinsproblematik: Die Frage nach dem „Sinn von Sein" ermöglicht die Frage nach der ursprünglichsten Selbsterfahrung des „Daseins" Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit" stellt „die Frage nach dem Sinn von Sein" (SZ, 1). Mit dieser Problemstellung weist Heidegger auf ein grundlegendes ,Versäumnis' der philosophischen Tradition hin. Seit der antiken Ontologie bestimmt die Philosophie nämlich den Sinn von Sein selbstverständlich und zumeist unausdrücklich als „Vorhandensein" (42), d.h. als ,Gesetztsein' bzw. gegenständlich Vorliegen' (ύπάρχειν). Damit ist ,Sein' unbefragt als Korrelat eines objektivierenden Vorstellens angesetzt, das seine Gegebenheiten als ,Gegenständlichkeiten' erfaßt. In der Entfaltung seiner eigenen Fragestellung hält Heidegger den Ansatz der traditionellen ,Bewußtseinsphilosophie' noch insofern grundsätzlich fest, als er ,Sein' als Korrelat des „Seinsverständnisses" einführt (372). Zugleich eröffnet er sich aber mit der ausdrücklichen Frage nach dem Sinn von ,Sein' die Möglichkeit, andere „Seinsweisen" außer dem „Vorhandensein" und andere Zugangs arten außer dem objektivierenden Vorstellen aufzudekken. So entfaltet Heidegger denn auch in seiner „Analytik des Daseins" (15) einen selbständigen Seinssinn, „der wesentlich (ich) ,bin'-Sinn ,ist', der nicht im theoretischen Meinen genuin gehabt wird, sondern gehabt im Vollzug des ,bin'" Dieser Sinn von ,Sein' ist deshalb der ursprünglichste, weil sich Seinsverständnis überhaupt nur im Sein des Ich als Verständnis des ,ichbin' eröffnet: „Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins" (12). Dem genuinen Verständnis des ,ich-bin' gehört ein ursprüngliches Verständnis des Seins der ,Umweltobjekte' zu, in dem sie ebenfalls nicht als vorhandene Gegenständlichkeiten erfaßt, sondern in ihrer „Zuhandenheit" (69) zugänglich werden. Damit erweist sich nun die Vorhandenheit als sekundärer Seinssinn, der in der philosophischen Tradition zu Unrecht verabsolutiert worden ist. Die „Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt" (372) steht nun vor der Aufgabe, den einheitlichen Verständnishorizont der verschiedenen deskriptiv faßbaren Seinsweisen aufzuklären und so den für alle gemeinsamen ,Sinn' verständlich zu machen. ι Das Zitat ist der unveröffentlichten Rezension Heideggers „Zu Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen" entnommen, die mir E. Tugendhat zur Verfügung gestellt hat.
1. Die formale Selbstbewußtseinsstruktur
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Mit der Frage nach dem genuinen Sinn des ,ich-bin' und der zugehörigen Verständnisweise hat Heidegger einen Ansatz für die Selbstbewußtseinsproblematik' gewonnen, den die philosophische Tradition grundsätzlich nicht erreichen konnte. Solange nämlich auch für das Sein des Ich selbstverständlich der ,Seinssinn' der „Vorhandenheit" festgehalten wird, ist auch schon die Zugangsweise des Ich zu sich selbst unbefragt auf das theoretische Vorstellen einer Gegenständlichkeit festgelegt. Damit aber vollzieht sich die traditionelle Untersuchung des Ich lediglich als „Blickwendung vom Objekt zum Subjekt; mit dieser kantianistischen Umwendung ist nur der Gegenstand vom Objekt ins Subjekt gezogen; das Erkennen qua Erkennen bleibt dasselbe unerkannte Phänomen"2. Indem Heidegger aber nun nach dem genuinen, eigenständigen Sinn des ,ich-bin' fragt, kann er die spezifische ,Erkenntnisart' des Ich ausdrücklich zum Problem machen und nach der ursprünglichsten Weise des ,Sich-Gegebenseins' fragen, in der der Sinn des ,ich-bin' zugänglich wird. Für diesen Ansatz wird das ,Selbstbewußtsein' als Zugangsweise zu sich selbst faßbar, die im puren faktischen Sein des Ich liegt und für dieses Sein selbst konstitutiv ist (s. u. S. 136 ff.). Dieser ontologisch bestimmte Ansatz der Selbstbewußtseinsproblematik zeichnet der Daseinsanalytik ihre Methode vor. Weil sie nach einem Verständnis fragt, in dem das Ich sich schon unausdrücklidi hält, sofern es überhaupt ist, muß sie als „Hermeneutik" angesetzt werden, in der „dem zum Dasein selbst gehörigen Seinsverständnis der eigentliche Sinn von Sein und die Grundstrukturen seines eigenen Seins kundgegeben werden" (37). Für diese „Auslegung" hält Heidegger grundsätzlich das transzendentalphilosophische Verständnis philosophischer Methode fest. Er stellt der „ontischen Auslegung" (199), die die empirisch faßbaren Bestimmungen eines Seienden thematisiert, die philosophische „Aprioriforschung" (50) gegenüber, die die „Bedingung der Möglichkeit" (199) ontischer Phänomene aufklärt. Heidegger unterscheidet sich aber von der Transzendentalphilosophie dadurch, daß er als ,apriorische' Bedingung der Möglichkeit die „je schon zugrunde liegende Seinsverfassung" (199) des Seienden ansetzt, die im Seinsverständnis zugänglich wird. Damit ist die „Hermeneutik" als „apriorisch-ontologische" Forschung eingeführt (199). Die grundsätzliche Kritik der traditionellen Selbstbewußtseinstheorien, die in Heideggers ontologischem Ansatz der ,Selbstbewußtseinsproblematik' impliziert ist, hat Heidegger selbst nur sehr summarisch in der Auseinander2
Das Zitat ist einer Nachschrift der Vorlesung „Ontologie (Hermeneutik der Faktizität)" entnommen, die Heidegger im SS 1923 gehalten und bisher noch nicht veröffentlicht hat. Die Kenntnis des Textes verdanke ich E. Tugendhat.
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Die Daseinsanalytik und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse
setzung mit den wesentlichen Positionen der traditionellen Reflexionstheorie durchgeführt 3 . Dabei bleibt die Selbstbewußtseinskonzeption Fichtes, die selbst schon im Gegenzug zum Reflexionsmodell Kants entwickelt wurde (s. o. S.25f.), unberücksichtigt. Der Vergleich zwischen dem idealistischen und dem existenzialontologischen Ansatz des Selbstbewußtseinsproblems scheint aber zu zeigen, daß Heideggers ontologischer Neuansatz auch Fichtes Konzeption prinzipiell überwindet und als Theorie sichtbar macht, die den traditionellen Sinn des ,ich-bin' und die Zugangsweise zu ihm in ihren theoretischen Modifikationen des Reflexionsmodells immer noch festhält. Heidegger stößt mit seiner ontologisch bestimmten Frage nach dem Selbstbewußtsein in einen Phänomenbereich vor, den Fichte zwar als Ursprungsdimension der philosophischen Problemstellung in Anspruch genommen, aber nicht mehr selbst aufgeklärt hat. Fichte geht in der Entfaltung der philosophischen „Spekulation" von den gegensätzlichen Grundinteressen des empirischen Ich aus, die aller Theoriebildung vorausgehen und die Praxis des faktischen Lebensvollzugs selber leiten. „Idealismus" und „Dogmatismus" sind lediglich Versuche, die gegensätzlichen Interessen, die den Standpunkt des „Lebens" bestimmen, audi theoretisch zu rechtfertigen. Zugleich sieht Fichte, daß diese Interessen des Ich schon eine Weise des ,Selbstbewußtseins' einschließen, weil sie wesentlich Interessen „für uns selbst" (1,433) sind. Im Interesse an sich selbst ist das Ich unmittelbar an einer bestimmten ,Sicht' seiner selbst interessiert, die den Lebensvollzug leitet. So gilt für den „Idealisten": „Er glaubt an seine Selbständigkeit aus Neigung, er ergreift sie mit Affekt" (1,434). Diese vortheoretische Dimension des ,Sich-Habens' untersucht Fichte jedoch nicht. Er beschränkt sich auf das Selbstbewußtseinsphänomen, das zwar durch das vortheoretische Interesse an der Selbständigkeit begründet wird, ihm aber doch nur insofern entspringt, als dieses Interesse sich theoretisch zu rechtfertigen versucht. So ist die „Tathandlung" kein Phänomen des vortheoretischen Lebensvollzugs mehr, sondern wird erst für das Interesse an der Rechtfertigung des ,Triebes zur Selbständigkeit' sichtbar. Entsprechend expliziert es Fichte auch schon im Hinblick auf die theoretisch gewonnene Antinomie zwischen Denken und Handeln und das in ihr implizierte Verständnis der Selbständigkeit als Spontaneität (s. o. S. 25ff.), ohne zu fragen, ob sich diese Antinomie überhaupt innerhalb der Lebenspraxis stellt. So orientiert sich die philosophische 3
In „Sein und Zeit" setzt sich Heidegger nur mit Descartes (45 f., 24), Kant (318 ff.) und unausdrücklich mit Husserl (115, 136, 265, 373) auseinander und faßt dabei die Kritik zusammen, die er in seinen frühen Vorlesungen ausführlich entfaltet hatte, über den Deutschen Idealismus hat Heidegger erst 1929 gelesen.
1. Die formale Selbstbewußtseinsstruktur
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Rechtfertigung der vortheoretischen Interessen schon an Phänomenen und Problemstellungen, die nicht mehr aus dem Phänomenbereich der Lebenspraxis geschöpft sind. Heidegger hält den Grundansatz Fichtes insofern fest, als er das Selbstbewußtsein' als interessegeleiteten Vollzug versteht, in dem das Ich selbst noch über die eigene ,Selbstgegebenheit' bestimmt. Aber er thematisiert nun die Zugangsweise zu sich selbst, die in den vortheoretischen Interessen des Ich „für sich selbst" impliziert ist, sofern diese Interessen die faktische Lebenspraxis leiten. Dabei versucht er zu zeigen, daß sich in diesen unmittelbaren Interessen mit dem ,Selbstbewußtsein' überhaupt erst die je verschiedene vortheoretische ,Sicht' eröffnet, die die faktische Lebenspraxis leitet. Die Interessen und die zugehörigen Sichtweisen der Lebenspraxis Rechtfertigt* Heidegger in der Aufklärung ihres Ursprungs im Lebensvollzug selbst. Diese Untersuchung des faktischen Lebensvollzugs gibt den methodischen Anspruch der Selbstbewußtseinstheorie Fichtes nicht auf. Indem Heidegger die deskriptiven Analysen der vortheoretischen Interessen und ihrer Sicht als Aufklärung der „Seinsverfassung" des Ich durchführt, untersucht er in Entsprechung zu Fichte die Bedingung der Möglichkeit der faktischen ,Erfahrung' (s. o. S. 133). Heidegger unterscheidet sich aber dadurch von Fichte, daß er in seinem ontologischen Ansatz das Apriori des ursprünglichen, faktischen Lebensvollzugs aufweist (vgl. SZ, 229). Dem dargestellten Unterschied zwischen dem thematisierten Phänomenbereich entspricht der Unterschied in der explizierten Struktur des Selbstbezuges. Indem Fichte das Selbstbewußtsein schon im Interesse an theoretischer Ausweisung untersucht, überwindet er die transparente und objektivierende Zugangsweise des Ich zu sich selbst gar nicht grundsätzlich, sondern modifiziert sie nur im Hinblick auf theoretische Schwierigkeiten des Reflexionsmodells. Fichte sieht zwar, daß das reflektierende Sich-Vorstellen das Ich nur als fixierte Gegenständlichkeit erfaßt, die vom vorstellenden Subjekt abgetrennt ist (s. o. S. 25 f.). Aber er gibt für das Selbstbewußtsein nicht grundsätzlich die Konzeption einer ,Relation' zwischen Subjekt und Objekt auf, die sich im ,Vorstellen von . . . ' herstellt. Vielmehr führt er mit der „intellektuellen Anschauung" nur eine Weise des Vorstellens ein, in der das Vorstellen unmittelbar mit dem ,Vorgestellten' verbunden ist und so die unmittelbare Einheit von Subjekt und Objekt ermöglicht. In dieser Konzeption ist das Ich natürlich nicht mehr als fixierte Gegenständlichkeit, als ,res cogitans' oder ,Aktpol' bestimmt, aber es wird doch grundsätzlich noch als Gegebenheit für ein transparentes Wissen gefaßt, auch wenn diese Gege-
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Die Daseinsanalytik und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse
benheit nun der lebendige Vollzug des „in sich zurückkehrenden Handelns" ist. Heidegger bestimmt dagegen das ursprüngliche Selbstbewußtsein als die Zugangsweise des Ich zu sich selbst, in der das Ich noch im Interesse für sich selbst die leitende ,Sicht' seiner Lebenspraxis festlegt. In diesem Selbstbezug wird nicht eine Gegebenheit vorgestellt, sondern die eigene ,Gelichtetheit' der Lebenspraxis ,vollzogen' (s. u. S, 138 ff.). Damit erreicht Heidegger eine Dimension der Selbsterfahrung, für die der Ansatz einer ,Subjekt-Objekt-Beziehung' sinnlos wird. So scheint sich zu zeigen, daß Heideggers ontologisch begründete Kritik der Tradition auch Fichtes Selbstbewußtseinstheorie trifft und sie überwindet. Damit erreicht Heidegger, wie sich zeigen wird, eine theoretische Konzeption, die den Deskriptionen der Psychoanalyse ihr theoretisches Fundament bieten kann. b) Die existenzialontologische Selbstbewußtseinskonzeption: Das Verhältnis zu sich selbst als Vollzug des eigenen „Zu-sein" in der „Hin- oder Abkehr" gegenüber sich selbst 4 Nachdem der ontologische Neuansatz der ,Selbstbewußtseinsproblematik' umrissen und gegen die philosophische Tradition abgehoben ist, soll im folgenden Heideggers ontologisch bestimmte Konzeption der ursprünglichen Selbstgegebenheit ausdrücklich entfaltet werden. Heidegger definiert die genuine Seinsweise des ,Ich', indem er sie als „Vollzug des ,bin"' (Jaspers-Rezension) bestimmt, der dem ,Ich' vor- und aufgegeben ist (SZ, 284). Damit ist das ,Ich' als Seiendes eingeführt, das „je sein Sein als seiniges zu sein hat" (12). Das Sein, das stets noch zu vollziehen ist, stellt Heidegger als das „Zu-sein" des „Daseins" (42) dem „Vorhandensein" des gegenständlich erfaßten ,Subjectum' gegenüber (114). Wenn das Dasein sein Sein ständig noch zu vollziehen hat, dann ist es überhaupt nur, indem es sich im Interesse an seinem Sein zu diesem Sein verhält. „Das Dasein ist ein Seiendes", dem es „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht" (12). „Das Dasein ist so, daß es umwittert seiner existiert" 4
Die folgende Interpretation des existenzialontologischen ,SelbstbewußtseinsbegrifF kann nicht den Anspruch einer selbständigen Analyse erheben. Sie übernimmt vielmehr nur die Interpretation, die E. Tugendhat vorgelegt hat, und bezieht sie auf das leitende Problem des interessegeleitetfen Selbstbewußtseinsvollzugs. Daher bemüht sie sich um eine möglichst kurze Darstellung. Die ausführlichere und deskriptiv ausweisende Interpretation findet sich in E. Tugendhat: Der Wahrheitsbegrifi bei Husserl und Heidegger. Berlin 1970; S. 299—309.
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(WG, 37). Das interessierte Verhältnis zu sich selbst bezeichnet Heidegger zunächst als „Bekümmerung" (Jaspers-Rezension), dann als „Sorge" (SZ, 57). Weil es dem Dasein in diesem Verhältnis immer um das eigene Sein als solches geht (42), sind alle „an diesem Seienden herausstellbaren Charaktere . . . je ihm mögliche Weisen zu sein und nur das. Alles So-sein dieses Seienden ist primär Sein" (42). Der „Vollzug des ,bin'", der dem Dasein aufgegeben ist, läßt sich in zweifacher Hinsicht betrachten. Sofern das Sein des Daseins für das interessierte Verhältnis zu ihm noch offen und bestimmbar ist, ist das Dasein Möglichsein: „Das Seiende, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht, verhält sich zu seinem Sein als seiner eigensten Möglichkeit" (42). Diesen Möglichkeitscharakter des „Zu-Sein" nennt Heidegger „Existenz" (42) bzw. „Entwurf" (145). Als Möglichsein steht das Dasein immer schon in einem Spielraum von Möglichkeiten seines Seins, unter denen es wählen muß (285). — Sofern das Interesse des Daseins an seinem Sein aber schon der Aufgabe des „Zu-sein" entspringt, ist das Dasein „seinem eigenen Sein überantwortet" (42). Diese überantwortung des Daseins an sein „,Daß es ist und zu sein hat'" (134) bezeichnet Heidegger als die „Faktizität" (135) oder „Geworfenheit" (135) des Daseins. Diese beiden Aspekte des „Zu-sein" dürfen nicht als isolierbare Strukturen verstanden werden, aus denen das „Zu-sein" gleichsam zusammengesetzt' wäre 5 . Vielmehr ,überschneiden' sie sich gewissermaßen und bilden so die untrennbaren Seiten der einheitlichen Seins weise des ,ich-bin'. So ist das Dasein in der „überantwortung" an sein Sein immer schon „in die Existenz geworfen" (276). Darin ist dem Dasein auch immer schon ein bestimmter „Spielraum des faktischen Seinkönnens" (145) vorgegeben. Umgekehrt „entwirft" das Dasein im interessierten Verhältnis zu seinem Sein auch noch die Weise, wie es sich mit der Aufgegebenheit dieses Seins konfrontiert. Auch in diesem ,Entwurf' der eigenen Faktizität existiert es „so, daß es sich auf Möglichkeiten entwirft, in die es geworfen ist" (284). In der Explikation der genuinen Seinsweise des ,ich-bin' ist die formale Struktur des Selbstbezugs sichtbar geworden, die für Heidegger leitend ist: Im interessierten Verhältnis zum eigenen „Zu-sein" verhält sich das Dasein schon zu der Aufgegebenheit dieses „Zu-sein", die das Interesse überhaupt motiviert und die im Interesse immer schon so oder so übernommen ist. 5 Dieses Verständnis wird durch Heideggers Entfaltung des „Zu-sein" als „Sorge" (§ 41) nahegelegt, in der das Sein des Daseins als in sich gegliederte „Strukturganzheit" (vgl. 196) interpretiert wird. Darin ist aber der deskriptive Grundansatz Heideggers aufgegeben (s. u. S. 148 ä.).
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Die Daseinsanalytik und ihr Verhältnis zur Psychoanalyse
In dieser ,Bekümmerung" um das eigene Sein eröffnet sich für Heidegger ursprünglich die ,Sicht' des Daseins auf sein Sein. Sofern es dem Dasein „in seinem Sein um dieses Sein selbst geht", „versteht ((es)) sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein. Diesem Seienden eignet, daß mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist" (12). Gerade weil sich das Dasein sein Sein ursprünglich nur im und für das Interesse am eigenen „Zu-sein" aufschließt, ist in der „Erschlossenheit" dieses Seins das „Zu-sein" nicht vorgestellt, sondern selbst vollzogen. Dann aber muß das Sein des Daseins selbst als „Erschlossenheit" verstanden werden, die im interessierten Erschließen so oder so ,vollzogen' wird. Indem Heidegger diese Erschlossenheit als das „Da" des Daseins bezeichnet, kann er sagen: „Das Sein, darum es diesem Seienden in seinem Sein geht, ist, sein ,Da' zu sein." „Das Dasein ist seine Erschlossenheit" (133). Für das Verständnis des „Zu-sein" als „Erschlossenheit" zeigt sich die „Geworfenheit" des Daseins nun als die „Überantwortung" an die eigene „Unverschlossenheit" (132). Das interessierte Verhältnis zur eigenen Faktizität ist deshalb wesentlich die „Erschlossenheit des Seins des Da in seinem Daß" (135), das im interessierten Erschließen selbst schon so oder so vollzogen wird. — Im „Entwurf" übernimmt das Dasein sein „Da", das ihm zu vollziehen vorgegeben ist, „als Da eines Seinkönnens" (145). Das interessierte Verhältnis zur eigenen Existenz ist deshalb wesentlich die „Erschlossenheit des Da als Da eines Seinkönnens" (145), das im interessierten Erschließen selbst schon auf bestimmte faktische Seinsmöglichkeiten entworfen wird. Das „Da", das das Dasein im Vollzug seines Seins vollzieht, versteht Heidegger als die umfassende und ursprüngliche „Unverschlossenheit" (132) des Daseins, in der es vorgängig für alles, was ihm in irgendeiner Weise zugänglich werden kann, geöffnet ist. Darum bezeichnet Heidegger diese „Lichtung" (133), die das Daisein selbst ist, als „In-der-Welt-sein" (133) des Daseins. „Durch sie ist dieses Seiende (das Dasein) in eins mit dem Dasein von Welt für es selbst ,da"' (132). Im interessierten Vollzug der eigenen Erschlossenheit eröffnet und umgrenzt das Dasein also selbst noch den einheitlichen Lichtungsspielraum, innerhalb dessen es sich in seinen eigenen Möglichkeiten zugänglich wird und darin die eigene Sicht und das eigene Verhältnis zur Umwelt festgelegt (s. u. S. 139ff.) 6 . Damit ist nun die 6 Indem die Interpretation das „Da" als den einheitlichen Spielraum des Begegnens überhaupt einführt, radikalisiert sie die Ansätze zu dieser Konzeption, die sich schon in SZ finden, aber erst in den Schriften nach der „Kehre" ausgearbeitet sind (s. E. Tugendhat: Wahrheitsbegrifi; S. 272—277, 313, 3 9 9 - 4 0 2 ) . Den für Heidegger selbst
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spezifische ,Bewußtseinsstruktur' sichtbar geworden, die Heidegger im ontologischen Ansatz der Selbstbewußtseinsproblematik gewinnt: Der Vollzug, in dem das Dasein sich in der „Bekümmerung" um sich selbst zu seinem eigenen Sein verhält, muß wesentlich als der Vollzug verstanden werden, in dem das Dasein im Interesse an seinem „In-der-Welt-sein" selbst noch den eigenen ,Lichtungsspielraum' der konkreten Selbst- und Welterfahrung umgrenzt und bestimmt. In diesem interessierten Vollzug verhält sich das Dasein immer schon zu der Aufgabe des eigenen „Zu-sein", d.h. zu seiner Überantwortung an das „Daß des Da" und ,bewältigt' diese Aufgabe, indem es die vorgegebene unbestimmte „Unverschlossenheit" in dieser oder jener Weise umgrenzt und bestimmt. In der Überantwortung an die eigene Unverschlossenheit sind zwei gegensätzliche Interessen des Daseins angelegt, in denen es sich mit dem „Daß des Da" auseinandersetzt. Heidegger unterscheidet sie als „An- und Abkehr" von der eigenen Geworfenheit (135). Sofern dem Dasein das eigene Da in der Geworfenheit selbst überlassen wird, entspringt der Geworfenheit das Interesse des Daseins, „sich zueigen" (42) zu sein und sein Zu-sein selbständig zu vollziehen (s. u. S. 162 ff.). Sofern das Dasein diese radikale Selbstüberlassenheit auch immer schon als „Last" (134) erfährt, entspringt der Geworfenheit auch immer das Interesse an der ,Unbelastetheit' durch die eigene Selbstüberlassenheit. In diesem Interesse „besorgt" das Dasein, „seiner selbst als In-der-Welt-sein ledig zu werden" (172) und die eigene Selbständigkeit aufzugeben (§ 27). Innerhalb der Spannung dieser beiden untrennbaren Grundinteressen am „Zu-sein" vollzieht das Dasein jeweils die Umgrenzung und Bestimmung des eigenen ,Lichtungsspielraums', der dem Dasein in seiner Geworfenheit als unbestimmte faktische Unverschlossenheit vorgegeben ist. Die bisherige Interpretation hat die formalen Strukturen des ursprünglichen ,Selbstbewußtseins' konstruktiv aus der eigenständigen Seinsweise des ,ich-bin' entwickelt. Diese Konstruktion fordert ihre deskriptive Ausweisung an Erschlossenheitsweisen des faktischen Daseins, in denen das eigene „Da" als „Da" des „Zu-sein" zugänglich und zugleich schon in der Weise der „Hin- oder Abkehr" vollzogen wird. Für die „Erschlossenheit des Seins des Da in seinem Daß" (135) nimmt Heidegger die „Stimmung" in Anspruch, in der dem Dasein jeweils so oder so ,zumute' ist. Das „Gestimmtsein" betrachtet Heidegger als ontologisches leitenden Begriff des „Da" als der „gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz" (137) berücksichtigt sie nur in der Kritik der unangemessenen sekundären Selbstbewußtseinskonzeption Heideggers (s. u. S. 148 ff.).
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Grundphänomen und bezeichnet es als „Befindlichkeit" (134). „In diesem ,wie einem ist' bringt das Gestimmtsein das Sein in sein ,Da'" (134), indem es das Da als den einheitlichen LichtungsSpielraum des In-der-Welt-seins eröffnet (137). In diesem stimmungsmäßigen Sich-Öffnen für das „Seiende im Ganzen" (vgl. WM, 27 f.) ist das „Da" auch immer schon in seinem „Daß" erfahren. Der spezifische ,Affektcharakter' der Stimmung liegt nämlich im „Charakter des Betroffenwerdens" (137), das Heidegger als ursprüngliche „Betroffenheit" durch die „Last" des Zu-sein (134) interpretiert (141, § 40). In dieser Betroffenheit durch die Last des vor- und aufgegebenen „Da" wird die „Geworfenheit" dieses Seienden in sein „Da" ursprünglich ,erlitten' und eben darin als Geworfenheit erfahren, die „in einem Anschauen nie vorfindlich" werden könnte (135). Weil dem Dasein in seinen Stimmungen jeweils so oder so ,zumute' sein kann, schließt die „Betroffenheit" durch die Last des „Da" auch immer noch die Möglichkeit ein, sich im Interesse an der eigenen Geworfenheit zu ihr zu verhalten: „Die Stimmung erschließt nicht in der Weise des Hinblickens auf die Geworfenheit, sondern als An- und Abkehr. Zumeist kehrt sie sich nicht an den in ihr offenbaren Lastcharakter des Daseins, am wenigsten als Enthobensein in der gehobenen Stimmung. Diese Abkehr ist, was sie ist, immer in der Weise der Befindlichkeit" (135). Im interessierten Verhältnis zum eigenen „Daß des Da" eröffnet und umgrenzt das Dasein nun auch immer schon den jeweiligen Spielraum seiner faktischen Existenzmöglichkeiten. In dem „,wie einem ist'" ist das Dasein immer schon für Möglichkeiten des In-der-Welt-seins .aufgeschlossen' oder ,verschlossen': „In der Weise der Gestimmtheit ,sieht' das Dasein Möglichkeiten, aus denen her es ist" (148). Indem Heidegger das „Woraufhin des Entwurfs" als „Sinn" interpretiert (151 f.), nimmt er die Stimmung als die Erschlossenheitsweise in Anspruch, in der das Dasein sich ursprünglich die faktischen Sinnhorizonte seines Existenzvollzuges zugänglich macht (vgl. 383). Zugleich überläßt er „ontologisch grundsätzlich die primäre Entdeckung der Welt der ,bloßen Stimmung'" (138), die die „unstete, stimmungsmäßig flackernde" (vgl. 138) „Angänglichkeit" (137) des Daseins durch das „innerweltliche Seiende" begründet. Damit ist für die Befindlichkeit deskriptiv sichtbar geworden, wie das interessierte Verhalten zum eigenen Zu-sein selbst die Weise ist, in der das Dasein den jeweils konkreten Lichtungs Spielraum seines faktischen Existenzvollzugs umgrenzt und bestimmt. Das konkrete Existieren erscheint so als die ständig neu zu leistende ,Bewältigung' der eigenen Geworfenheit in der Bestimmung der konkreten Selbst- und Welterfahrung (s. u. S. 142).
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Das Dasein übernimmt sein „Da", das ihm in der Stimmung vor- und aufgegeben ist, indem es sich auf Möglichkeiten der „Weltoffenheit" entwirft. Diese Erschlossenheitsweise des „Entwurfs" bezeichnet Heidegger als „Verstehen". Für ihre deskriptive Einführung orientiert er sich an dem „Ausdruck ,etwas verstehen' in der Bedeutung von ,einer Sache . . . gewachsen sein',,etwas können'" (143). Im Verstehen als Seinscharakter ist das Dasein aber nicht nur bestimmten Handlungsvollzügen gewachsen', sondern es versteht sich auf sein Dasein als solches, das ihm zu vollziehen aufgegeben ist: „Das im Verstehen als Existenzial Gekonnte ist kein Was, sondern das Sein als Existieren" (143). Entsprechend erschließt das Verstehen jeweils den einheitlichen Lichtungsspielraum des In-der-Welt-seins immer schon als „Da eines Seinkönnens" (145). Sofern sich das Dasein im Erschließen des „Da" auf sein Sein als Vollzug versteht, muß dieses Verstehen den Erschlossenheitscharakter des ,Wissens wie' haben. In dieser Weise des Wissens ist das eigene „Da" nicht gegenständlich und „thematisch erfaßt" (145), sondern als noch offenes und unbestimmtes In-der-Welt-sein auf ein mögliches Wie entworfen. So verhält sich das Dasein im Verstehen schon zu seinem eigenen Sein als Möglichsein, indem es dieses Sein auf Möglichkeiten hin erschließt. „Als solches Verstehen ,weiß' es ((das Dasein)), woran es mit ihm selbst, das heißt seinem Seinkönnen ist. Dieses ,Wissen' ist nicht erst einer immanenten Selbstwahrnehmung erwachsen, sondern gehört zum Sein des Da, das wesenhaft Verstehen ist" (144). Im Entwurf von Möglichkeiten des In-der-Welt-seins entscheidet das Dasein jeweils auch noch über die Weise seines Verstehens und damit über die Weise seines Seinkönnens als solche: „das Verstehen hat als Seinkönnen selbst Möglichkeiten" (146). Das Dasein kann „sich verlaufen und verkennen" (144), indem es sich den genuinen Möglichkeitscharakter seines Seins verdeckt und sich darin von sich ,abkehrt'. Es kann sich aber auch in seinem Seinkönnen „durchsichtig" (146) werden und es damit ursprünglich übernehmen. So liegt im ,Wissen wie' immer schon das interessierte Verhältnis zum genuinen Möglichsein, das dem Dasein in der Geworfenheit vorgegeben ist. In diesem Verhältnis legt das Dasein die einheitliche ,Perspektive' fest, die sein Verhalten zu seiner Umwelt leitet und die Gegebenheitsweise der Umweltgegebenheiten für dieses Verhalten festlegt: Weil das Dasein sich im Verstehen auf Möglichkeiten des In-der-Welt-seins entwirft, um die es ihm geht, wird das „innerweltliche Seiende" ursprünglich für den „besorgenden Umgang" (vgl. 57) mit ihm als das Seiende zugänglich, was ,zu et-
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was da' ist. Diesen Seinscharakter des ,Um zu' (vgl. 68) faßt Heidegger als die „Zuhandenheit" des innerweltlichen Seienden. Mit dem „Zuhandenen" erschließt die Perspektive des Entwurfs auch immer das „Mitdasein" der anderen (§ 26), mit denen oder gegen die das Dasein je sein Seinkönnen vollzieht. Die Perspektive, die sich im Verstehen von Möglichkeiten eröffnet, interpretiert Heidegger als „Sinn": „Sinn ist das . . . Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird" (151). Dieses Verständnis umfaßt einheitlich das eigene Verhalten und das in ihm begegnende Seiende. Während sich das Dasein in der Befindlichkeit das „Da" als Sinnhorizont vorgibt, legt es sich im Entwurf einer Möglichkeit des Daseins auf ein bestimmtes Verständnis seiner selbst und der Umwelt fest. Die vorangegangene Interpretation hat die Weise des ,Selbstbewußtseins' aufzuweisen versucht, die im ,ich-bin' selbst impliziert und für diese Seinsweise selbst konstitutiv ist. Dabei wurde sichtbar, daß für die Gegebenheit des „Zu-sein" die Struktur des reflexiven ,Sich-Denkens' grundsätzlich irrelevant bleibt. Vielmehr zeigte sich, daß der Vollzug des ,ich-bm' vor aller Reflexion auf das ,Ich' in sich selbst „gelichtet" (133) ist und nur darum überhaupt als Vollzug möglich wird, den das Dasein je selbst zu bestimmen hat. Zugleich hat die Selbstbewußtseinsinterpretation den für Heidegger grundlegenden Zusammenhang' zwischen dem Verständnis des eigenen Seins und der konkreten Erschlossenheit des jeweiligen In-der-Welt-seins aufgeklärt. Weil das Dasein in allem konkreten So-sein primär sein Sein vollzieht (s. o. S. 137) bestimmt sich die konkrete Selbst- und Welterfahrung aus der primären Auseinandersetzung mit dem eigenen „Zu-sein". In allen konkreten Verhaltensweisen und Interessen geht es dem Dasein primär im Interesse an der Hin- oder Abkehr darum, das eigene „Zu-sein" hinsichtlich der Geworfenheit und des Entwurfs zu bewältigen. Damit begründet Heidegger den konkreten Seinsvollzug in der apriorischen Seinsverfassung des Daseins. c) Das Problem des Verhältnisses zwischen der existenzialontologischen Selbstbewußtseinskonzeption und der psychoanalytischen Gliederung der Psyche Die vorliegende Interpretation ist von der Erwartung ausgegangen, der existenzialontologische ,BewußtseinsbegrifP könne zur Lösung der theoretischen Schwierigkeiten beitragen, vor die Freuds Annahme einer ,unbewuß-
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ten' Zensur zwischen den unbewußten und den bewußten Aspekten des psychischen Lebens führt. Die vorangegangene Darstellung der existenzialontologischen ,Selbstbewußtseinskonzeption' laßt eine erste Prüfung dieser Erwartung zu, indem sie die deskriptiven Entsprechungen zwischen beiden Theorien in der formalen Bestimmung der Bewußtseinsstrukturen sichtbar macht. In der Kritik am objektivierenden und transparenten Selbstbewußtsein hat Heidegger ein Modell der Selbstgegebenheit entwickelt, das weitgehende formale Entsprechungen zu Freuds dynamisch-topischer Gliederung der Psyche aufweist. Heideggers Begründung der „Erschlossenheit" des Daseins in der „Bekümmerung" um das eigene Sein setzt die Selbsterfahrung als ein ,Sehen' an, das sich im und für das Interesse des Daseins an einer bestimmten Sicht seines Seins eröffnet und von ihm her bestimmt. Darum ist für ihn die Selbsterfahrung ein „Vollzug", in dem das interessierte Dasein jeweils den Umkreis seiner Selbstzugänglichkeit umgrenzt und darin alle die Perspektiven möglicher Selbsterfahrung ausklammert, die dem leitenden Interesse widersprechen. Auf diese Weise gewinnt Heidegger eine Konzeption des Bewußtseins, die zwischen „durchsichtigen" und „undurchsichtigen" ,Bereichen' des eigenen Bewußtseins unterscheidet und diesen Unterschied zugleich als dynamischen Gegensatz zwischen niedergehaltenen und vom Dasein akzeptierten Sichtmöglichkeiten seiner selbst entfaltet. Dieses Modell einer interessegeleiteten Selbsterfahrung scheint prinzipiell in der Lage zu sein, Freuds Entdeckung des „dynamisch unbewußten Verdrängten" (s. X I I I , 241) theoretisch angemessen zu explizieren. Freud hatte seine Konzeption des Unbewußten gewonnen, indem er in der Deutung „sinnloser" Bewußtseinsakte auf Tendenzen des Individuums stieß, die zwar den aktuellen Bewußtseinszusammenhang bestimmen, gegen deren Bewußtwerden sich das Individuum aber unbewußt sperrt (s. o. S. 34 ff.). Die Entdeckung dieses „Widerstandes", der mit dem Verdrängten zugleich sich selbst als Widerstand verdeckt, führte zu Freuds dynamischer Betrachtungsweise der Psyche: Innerhalb des großen Bereichs aktuell nicht bewußter psychischer Akte unterschied er die „latenten", d. h. „jederzeit bewußtseinsfähigen" Akte ( X I I I , 240) und die verdrängten Vorgänge, gegen deren Bewußtwerden sich das zensierende Ich wehrt. Aufgrund dieser prinzipiellen Unterscheidung hat sich Freud stets gegen die Angleichung des Unbewußten an das bloß „Unbemerkte" gewehrt und von jeder Theorie, die das Verdrängte noch in den Spielraum des Bewußtseins einzubeziehen versucht, gefordert, sie müsse „zwei Tatsachen" gerecht werden: „erstens, daß es sehr schwierig ist, großer Anstrengung bedarf, um einem solchen Unbemerkten
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genug Aufmerksamkeit zuzuführen, und zweitens, daß, wenn dies gelungen ist, das vordem Unbemerkte jetzt nicht vom Bewußtsein anerkannt wird, sondern oft genug ihm völlig fremd, gegensätzlich erscheint" (XIII, 243). Beiden Tatsachen scheint Heideggers Modell der Selbsterfahrung Rechnung zu tragen. Das Interesse, sich so und nicht anders sehen zu wollen, scheint einen Widerstand' gegen jede andere mögliche Sichtweise einzuschließen, den das Dasein erst überwinden muß, ehe es sich in anderen Perspektiven zugänglich werden kann. In diesen Perspektiven muß es sich notwendig „fremd" erscheinen, weil es sich in seinem leitenden Interesse gerade im Gegenzug zu anderen Sichtmöglichkeiten ,definiert' und darin je einen bestimmten Umkreis möglicher Interessen als den ,eigenen' akzeptiert, dem gegenüber andere mögliche Tendenzen als ,unverträglich' erscheinen. Die bisher hervorgehobene Entsprechung zwischen den beiden Konzeptionen wird aber grundsätzlich problematisch, wenn man berücksichtigt, für welch verschiedene Dimensionen der Selbsterfahrung Heidegger und Freud die dynamischen Strukturen des ,psychischen Lebens' entwickelt haben. Die Deutung „sinnloser" Bewußtseinsakte führte Freud auf verdrängte Interessen und Erfahrungen, die dem Sexualleben der Analysierten angehören (1,66). Aus dieser Erfahrung zog Freud den Schluß, die ,bedrängende' Kraft der abgewehrten Tendenzen sei triebhafte Energie, die nach „Abfuhr" in Befriedigungserlebnissen dränge. So verstand er den Widerstand des Ich als Widerstand gegen die triebhafte Dynamik des Verdrängten und fand diese Dynamik in dem unbeeinflußbaren Zwangscharakter der „sinnlosen" Bewußtseinsakte wieder. Diese analytische Erfahrung entfaltete Freud in einem theoretischen Modell, das die deskriptiv aufweisbaren Spannungen innerhalb des psychischen Lebens als das Wechselspiel verschiedener Energiequantitäten interpretiert. Damit verstand er die andrängenden Interessen des Individuums und den Widerstand gegen sie nur noch als Erscheinungsformen von Energieverschiebungsprozessen auf psychischen Leitungsbahnen. — Freud gewinnt also seine Einsicht in die dynamische Gliederung der Psyche in der Beschränkung auf den seelischen Bereich triebhaft begründeter Tendenzen und Affekte und expliziert diese Erfahrung in einem Modell, das die seelischen Prozesse im ganzen als energetisch-topische Vorgänge faßt. Für diesen Ansatz weicht das Ich in der Verdrängung primär vor der triebhaft begründeten Dranghaftigkeit seiner Triebansprüche aus und ist in dieser Abwehr selbst von bestimmten psychischen Energiequantitäten und -Verteilungen abhängig. Heidegger dagegen entfaltet die dynamische Gliederung des ,Bewußtseins', indem er die triebhafte Gebundenheit des Seinsvollzuges prinzipiell
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ausklammert und die Dynamik der „Erschlossenheit" ausschließlich aus den gegensätzlichen Interessen des Daseins an seinem „Zu-sein" begründet. Die Bereitschaft, das eigene aufgegebene Möglichsein selbständig zu vollziehen, oder das Interesse, sich dieser Selbständigkeit zu entziehen, bestimmen jeweils die Perspektive und den Umkreis der Erfahrbarkeit konkreter Existenzmöglichkeiten. In dieser Konzeption bildet die „Geworfenheit" des Daseins in sein „Zu-sein" das Motiv für die verdeckende Flucht vor möglichen eigenen Tendenzen und Einstellungen7. Gegenüber dem aufgewiesenen Unterschied zwischen der Psychoanalyse und der Existenzialontologie stellt sich die Frage, inwieweit die beiden theoretischen Konzeptionen trotz ihrer formalen Entsprechung miteinander vergleichbar sind. Thematisieren Heidegger und Freud völlig verschiedene Phänomenbereiche oder hebt jede der beiden Positionen einen bestimmten Aspekt eines einheitlichen Phänomenzusammenhangs heraus? In der Antwort auf diese Frage wird die Interpretation auf Freuds deskriptiven Ansatz beim „Widerstand" des Individuums gegen „unverträgliche" Tendenzen zurückgehen und prüfen, ob Freuds Erklärung des Widerstands schon dem vollen Phänomen der Abwehr von eigenen Tendenzen gerecht wird. Diese Untersuchung ist schon durch die vorangegangene Freudinterpretation vorbereitet, die zu zeigen versuchte, wie Freud selbst Motivationen des zensierenden Ich aufdeckt oder wenigstens andeutet, die in seinem eigenen mechanisch-energetischen Ansatz nicht mehr angemessen ver7 Die Gegenüberstellung der verschiedenen Phänomenbereiche, für die Heidegger und Freud die Verdeckungstendenz des Individuums entfalten, weist letztlich auf den methodischen Gegensatz der beiden theoretischen Konzeptionen zurück. Indem Heidegger die ontologische Analytik des Daseins als „Hermeneutik" seines „Seinsverständnisses" durchführt, hält er die ursprüngliche Selbsterfahrung des Individuums als das Thema der Philosophie fest. Freud dagegen geht methodisch von der „Lückenhaftigkeit" des Bewußtseinszusammenhangs aus und fragt nach den unzugänglichen triebhaften Determinanten, die die ,Bewußtseinslücken' bedingen. Mit dieser Fragestellung überschreitet er die Dimension der Selbsterfahrung und thematisiert das Individuum in naturwissenschaftlich objektivierender Perspektive. Trotz dieses methodischen Gegensatzes scheinen aber Existenzialontologie und Psychoanalyse nicht unvergleichbar zu sein. Freud gewinnt seine naturwissenschaftliche Konzeption nämlich erst im Ausgang von bestimmten Phänomenen der Selbsterfahrung, die Heidegger in seiner Analytik unbeachtet ließ und von seinem Ansatz her gar nicht verständlich machen kann: Zwar kann die Existenzialontologie zeigen, wie sich das verfallende Dasein bestimmte mögliche Interessen und Einstellungen verdecken kann, aber sie kann grundsätzlich nicht mehr begründen, wie sich solche Interessen gegen die Fluchttendenz durchsetzen und sich in sinnlosen, ζ. T. zwanghaften Bewußtseinsphänomenen Ausdruck verschaffen können. Hier liegt der phänomenale eigenständige Ansatz der Psychoanalyse, der sie auf die Annahme von Triebabhängigkeiten des freien Lebensvollzugs führt.
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ständlich gemacht werden können. Läßt sich für das Verständnis dieser Aspekte des Widerstandes Heideggers Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins heranziehen? Diese Frage läßt sich nicht befriedigend beantworten, solange nicht ein konkreterer Begriff der leitenden Interessen des Daseinsvollzuges und der zugehörigen Dimension der Erschlossenheit gewonnen ist. Zunächst wird die Interpretation das Interesse des Daseins an der „Abkehr" von sich selbst untersuchen, weil Heidegger in dieser Tendenz die dynamische Gliederung des ,Bewußtseins' begründet.
2. Die Konkretion der formalen Selbstbewußtseins struktur: Das Selbstbeivußtsein als Auseinandersetzung mit der „IJnheimlichkeit" des Daseins a) Das Selbstverhältnis der Abkehr: In der „Flucht" vor sich selbst verdeckt sich das Dasein seine Unheimlichkeit Der erste Vergleich zwischen der Psychoanalyse und der Existenzialontologie hat vor die Frage geführt, ob Heideggers Konzeption des interessegeleiteten ,Selbstbewußtseins' zur theoretischen Klärung der dynamischen und topischen Verhältnisse innerhalb der Psyche beitragen kann, die Freud in der Gliederung des „psychischen Apparats" heraushebt. Diese Frage erfordert die konkrete Interpretation der „Hin- und Abkehr" des Daseins gegenüber seinem eigenen Sein. Schon die Bezeichnung der beiden Selbstbewußtseinsweisen des Daseins als „Hin- und Abkehr" zeigt, daß Heidegger das ,Selbstbewußtseiri wesentlich als dynamisches Verhältnis zum eigenen Sein, nämlich als „Bewegtheit" des ,Hin zu . . u n d des ,Weg von . . . ' versteht. Weil das Dasein im Verhältnis zum eigenen Sein immer schon den Spielraum konkreter Existenzmöglichkeiten umgrenzt und bestimmt, kann die Analyse der beiden Selbstbewußtseinsweisen die Dynamik des Ausgrenzens und Einbeziehens der eigenen Interessen sichtbar machen. Damit entfaltet sie die Strukturen eines ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns', das der „psychischen Zensur" in wesentlichen Aspekten zu entsprechen scheint. Für den deskriptiven Aufweis der gegensätzlichen Selbstbewußtseinsweisen geht Heidegger nicht schon von der konstruktiven' Einführung dieses Gegensatzes aus (s. o. S. 139), sondern orientiert sich an der „Indifferenz der Alltäglichkeit des Daseins": „Das Dasein soll im Ausgang der Ana-
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lyse gerade nicht in der Differenz eines bestimmten Existierens interpretiert, sondern in seinem indifferenten Zunächst und Zumeist aufgedeckt werden" (SZ, 43). „Die durchschnittliche Alltäglichkeit" (43) Heidegger als „die beruhigte Selbstsicherheit, hause-Sein'" (188) in der jeweiligen Umwelt. traute In-der-Welt-sein" (189) überhaupt noch nen „Zu-sein" verstanden werden?
des Daseins charakterisiert das selbstverständliche ZuKann dieses „beruhigt-verals Erschlossenheit des eige-
In den Stimmungen des alltäglichen ,Beruhigtseins' setzt sich das Dasein offenbar gar nicht mehr der Konfrontation mit der Last der eigenen Geworfenheit aus und erschließt damit gar nicht mehr primär das Sein des Daseins. Vielmehr läßt sich das Dasein in den alltäglichen Stimmungen hauptsächlich vom innerweltlichen Seienden „angehen" und „betreffen" und erschließt darin das eigene Seinkönnen in seiner faktischen „Angewiesenheit auf Welt" (137). So erscheint die alltägliche Befindlichkeit des Daseins als „die existenziale Seinsart, in der es sich ständig an die ,Welt' ausliefert, . . . derart, daß es ihm selbst in gewisser Weise ausweicht" (139). Doch die alltägliche „Beruhigtheit" schließt die Furcht als Stimmungsmöglichkeit der ,Beunruhigung' ein, an der der Bezug zur ursprünglichen Last des Zu-sein exemplarisch sichtbar wird (§ 30; 341 f.). Auch die Furcht erschließt nicht das Sein des Daseins; vielmehr ist „das Wovor der Furcht, das ,Furchtbare', . . . jeweils ein innerweltlich Begegnendes" (140). Die „Bedrohlichkeit" dieses innerweltlichen Seienden gründet immer darin, daß es eine bestimmte Existenzmöglichkeit, die das Dasein je schon ergriffen hat, in Frage stellt (vgl. 341). So erschließt die Furcht vor . . . das Dasein „in seiner Gefährdung, in seiner überlassenheit an es selbst" (141). Die Gefährdung wird aber wesentlich deshalb erfahren, weil das Dasein sich in der Furcht zugleich an die je ergriffene Möglichkeit „klammert" (191) und sie als die einzig mögliche festhält. Darin scheint es aber vor der Erfahrung des eigenen Möglichseins als solchem auszuweichen, in der sich ihm die Unbestimmtheit seines Seinkönnens und die radikale Fragwürdigkeit aller gewählten Möglichkeiten erschließt (s. u. S . 1 5 2 f f . ) . S o scheint sich das Dasein auch in der Furcht vor innerweltlich Begegnendem pimär vor der Bedrohung durch das eigene Sein zu fürchten, obwohl es sich diesen Aspekt seiner Furcht in der Furcht vor dem „Bedrohlichen" verdeckt. Damit ist die Bedrohung durch das eigene Sein zwar „abgedrängt" (184), aber sie wird doch im spezifischen Affektcharakter der Furcht immer noch für das Dasein offengehalten. Diese Interpretation der Furcht ermöglicht auch ein Verständnis der „gehobenen" (345) Stimmung aus ihrem Bezug zur Last des „Zu-sein". Die
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gehobene Stimmung konfrontiert das Dasein gerade nicht mit der bedrückenden Last des selbstüberlassenen „Zu-sein", sondern „erleichtert" ( 3 4 5 ) das Dasein dadurch, daß es ihm die Selbstverständlichkeit und Fraglosigkeit der eigenen faktischen Möglichkeiten erschließt. Indem diese Fraglosigkeit aber gerade als „Erleichterung" erfahren wird, bleibt das Dasein auch in den gehobenen Stimmungen auf die Last des „Zu-sein" bezogen (vgl. 1 3 4 ) . So ist auch im stimmungsmäßigen „Fliehen" ( 1 3 5 ) vor dem eigenen Sein dieses selbst noch als Bedrohung off engehalten. Der alltäglichen Befindlichkeit, die das Dasein in seiner „Angewiesenheit" auf seine Umwelt erschließt, entspricht ein „Verstehen", in dem das Dasein sich seine Möglichkeiten durch das Verhalten der anderen innerhalb der eigenen Umwelt vorgeben läßt (§§ 2 6 , 2 7 ) 8 . Damit „steht ((es)) als all8
Heideggers Versuch, das alltägliche Existieren als „Aufgehen bei der besorgten ,Welt"' (SZ, 175) zu interpretieren, scheint von seinem Grundsatz her nur in beschränktem Maße einsichtig. Er wird dagegen voll verständlich, wenn man berücksichtigt, daß Heidegger ihn auf dem Grunde einer eigenen Selbstbewußtseinskonzeption durchführt, die sich von seinem Grundansatz wesentlich unterscheidet. Diese sekundäre Selbstbewußtseinstheorie bleibt in ihrer Kritik des traditionellen Reflexionsmodells selbst noch weitgehend an die Tradition gebunden. In der primären Orientierung an Husserls scharfer Trennung zwischen dem Selbst- und dem Weltbezug (vgl. ζ. B. Erste Philosophie II, 88 ff.) wirft Heidegger der Tradition vor, sie habe Selbst und Welt als »Subjekt' und ,Objekt' auseinandergerissen und dabei das Phänomen des „Inder-Welt-seins" übersehen, in dem Selbst und Welt immer schon innerhalb eines gegliederten Erschlossenheitsspielraums miteinander verbunden seien (vgl. SZ, 60 ff., 132). In diesem Ansatz übernimmt Heidegger aber nun selber die Unterscheidung von Selbst und Welt und behauptet lediglich, beide ,Bezüge' des Daseins ließen sich nicht voneinander trennen. Ihre Zusammengehörigkeit versucht Heidegger deskriptiv einsichtig zu machen, indem er die Geworfenheit als Spannung zwischen Selbst- und Weltbezug charakterisiert: „Geworfen ist zwar das Dasein ihm selbst und seinem Seinkönnen überantwortet, aber doch als In-der-Welt-sem. Geworfen ist es angewiesen auf eine Welt und existiert faktisch mit Anderen" (383). Entsprechend versteht Heidegger die Befindlichkeit als die „existenziale Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz" (137), die zwei gegensätzliche Möglichkeiten des „Gestimmtseins" offenläßt: In den alltäglichen Stimmungen wird das Dasein vom „innerweltlichen Seienden" „angegangen" (137) und „benommen" (176). Sie bilden also die Erschlossenheitsweisen, in denen das Dasein „sich ständig an die ,Welt' ausliefert, . . . derart, daß es ihm selbst in gewisser Weise ausweicht" (139). Während sich das Dasein also alltäglich in seinen Weltbezug „verlegt" (s. 146), hält die „Angst" die ursprüngliche Spannung zwischen Selbstüberlassenheit und Angewiesenheit auf die Welt offen: Sie erschließt mit der „Unbedeutsamkeit des Innerweltlichen" (187) „die Möglichkeit von Zuhandenem überhaupt, das heißt die Welt selbst" (187), die das Dasein „beengt" (187). Darin wird das Dasein von seiner Angewiesenheit als solcher betroffen, ohne sich schon an bestimmtes Seiendes „klammern" (191) zu können und erfährt so sein pures Seinkönnen in seiner grundsätzlichen beengenden Abhängigkeit von Welt. Diese Abhängigkeit, die dem Seinkönnen des Daseins keinen
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,Halt' bietet, bezeichnet Heidegger als das „Unzuhause" der „Unheimlichkeit" (188 f.). Die Spannung zwischen Selbst- und Weltbezug, die sich ursprünglich in der Befindlichkeit eröffnet, begründet zwei gegensätzliche Möglichkeiten des „Verstehens": „Das Verstehen hat als Seinkönnen selbst Möglichkeiten, die durch den Umkreis des in ihm wesenhaft Erschließbaren vorgezeichnet sind. Das Dasein kann sich primär in die Erschlossenheit der Welt legen, das heißt, das Dasein kann sich zunächst und zumeist aus seiner Welt her verstehen. Oder das Verstehen wirft sich primär in das Worumwillen, das heißt das Dasein existiert als es selbst" (146). Während das Dasein im ,Selbstbezug' seine Möglichkeiten selbständig entwirft, versteht es sich in seinem ,Weltbezug' „aus dem, was das Besorgte ergibt oder versagt" (337). Diese Möglichkeit des alltäglichen Entwurfs versucht Heidegger einsichtig zu machen, indem er die „Um-zu"-Struktur der Verweisung vom „Zuhandenen", mit dem das Dasein besorgend umgeht, auf das jeweilige „Worumwillen" des Besorgens selbst überträgt: auch das im Besorgen „Verwirklichte . . . bleibt, wenngleich verwirklicht, als Wirkliches ein Mögliches für . . . , charakterisiert durch ein Um-zu" (261). So sollen also die je erreichten Möglichkeiten des Besorgens selbst neue Ziele für das Besorgen vorgeben und so dem Dasein die selbständige Wahl abnehmen. Die Spannung, die in der Geworfenheit liegt, kann das Dasein zunächst und zumeist nicht ertragen. Es „wird in der Geworfenheit mitgerissen, das heißt als in die Welt Geworfenes verliert es sich an die ,Welt' in der faktischen Angewiesenheit auf das zu Besorgende" (348). Das Sich-Verlegen in den Weltbezug interpretiert Heidegger als „Verfallen an die Welt", in dem das Dasein „von ihm selbst . . . abgefallen" ist (175). Damit versteht Heidegger die Abkehr vom eigenen Sein als ,Verengung' des eigenen Erschlossenheitsspielraums, in der sich das Dasein primär auf seine Weltoffenheit versteift und den Selbstbezug abblendet. Aber auch im_primären Weltbezug „löst" sich das Dasein nicht von seinem Selbst „ab" (348), sondern erschließt immer noch die eigene Geworfenheit und eigene Möglichkeiten, auch wenn es die Selbstüberlassenheit abblendet. Umgekehrt muß die ursprüngliche Erschlossenheit des Daseins als Sich-Verlegen in den Selbstbezug verstanden werden, aus dem her das Dasein das eigene Weltverhältnis bestimmt. So ist auch der Selbstbezug kein isoliertes Verhältnis zu sich: Das „Verstehen der Existenz als solcher ist immer ein Verstehen von Welt" (146). Die skizzierte Theorie interpretiert das dynamische Verhältnis von An- und Abkehr als „Sich-Verlegen" auf den einen Aspekt des In-der-Welt-seins, das die Erschlossenheit des anderen nicht „ablegt" (vgl. 146). Sofern der Weltbezug auch noch den Selbstbezug offenhält, ist die Abkehr immer noch Hinkehr; sofern der Selbstbezug sich nicht vom Weltverhältnis ablöst, ist in der Hinkehr auch noch die Möglichkeit der Abkehr eingeschlossen. Der grundsätzliche methodische Mangel dieser Konzeption liegt darin, daß sie den „apriorisch-ontologischen" Ansatz der Daseinsanalytik nicht festhält. Als Untersuchung der „Seinsverfassung" des Daseins fragt die Existenzialontologie nach der „existenzialen Bedingung der Möglichkeit" (s. 199) des Existierens. Entsprechend klärt Heidegger in der Interpretation von Befindlichkeit und Verstehen die vorgängige Offenheit auf, innerhalb derer erst je konkrete Gegebenheiten des Selbst und der ,Welt' zugänglich werden können. Für das „Verfallen an die Welt" ist aber nun seinerseits schon die Erschlossenheit einer je konkreten ,Welt' vorausgesetzt, um vom innerweltlichen Seienden „benommen" werden zu können und die Möglichkeiten zu übernehmen, die „das Besorgte ergibt". Dann aber kann die alltägliche Erschlossenheit nicht mehr als Weise des vorgängigen „Seinsverständnisses", das den konkreten Existenzvollzug ermöglicht, einsichtig werden. Dieser methodische Mangel verstärkt sich in Heideggers Versuch, für die Selbstbewußtseinsweisen eine einheitliche Struktur aufzuweisen, aus der sie in ihrer Wi-
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tägliches Miteinandersein in der Botmäßigkeit der Anderen. Nicht es selbst ist, die Anderen haben ihm das Sein abgenommen" (126). Dabei orientiert es sich jedoch nicht an bestimmten gesellschaftlichen Vorbildern, sondern hält sich in den Möglichkeiten, die ,man' für die richtigen hält. So bildet sich im alltäglichen Miteinandersein das „Man", die „.Öffentlichkeit'" (127), in der alle Möglichkeiten übernehmen, die niemand mehr ausdrücklich entwirft. „Das Man . . . schreibt die Seinsart der Alltäglichkeit vor", indem es das einzelne Dasein auf die „Durchschnittlichkeit" des alltäglichen Seinkönnens festlegt und damit „die Einebnung aller Seinsmöglichkeiten" begründet (127). Diese „Nivellierung" (194) der Existenzweisen auf den begrenzten Umkreis selbstverständlicher, gesellschaftlich legitimierter Möglichkeiten schließt „eine Abblendung des Möglichen als solchen" (195) ein. Im Aufgehen im Man verschließt sich das Dasein also nicht nur vor bestimmten Möglichkeiten seines Seins, sondern zugleich vor seinem Seinkönnen als solchem. Darum „entlastet" das Man „das jeweilige Dasein in seiner Alltäglichkeit" (127). Indem es „alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab" (127), in der das Dasein sein eigenes Möglichsein in seiner Selbstüberlassenheit und Fragwürdigkeit übernehmen würde. Das Dasein, das vor seiner Verantwortlichkeit ausweicht, bezeichnet Heidegger als „das Man-selbst" und unterscheidet es „vom eigentlichen, das heißt eigens ergriffenen Selbst" (129). dersprüchlichkeit und Zusammengehörigkeit verständlich werden können. Diese Struktur entfaltet Heidegger als „Sorge" (§ 41). In ihr sind Selbst- und Weltbezug innerhalb eines „Strukturganzen" (191) verbunden, das „in sich noch struktural gegliedert ist" (196). Innerhalb dieser Struktur repräsentiert nun der Entwurf als das „Sich-Vorweg" des Daseins „das Sein zum e i g e n s t e n Seinkönnen" (191) und steht so für den reinen Selbstbezug des Daseins, in dem sich die Tendenz zur Selbständigkeit und Verantwortlichkeit durchsetzt. Diesem Strukturmoment steht das „Sein bei innerweltlich begegnendem Seienden" (192) gegenüber, das als die ontologische Struktur des „Besorgens" (vgl. 193) den Weltbezug des Daseins darstellt. Weil Heidegger die Flucht vor der Unheimlichkeit als Verfallen an die Welt interpretiert, kann nun das „Sein-bei . . . " die Tendenz zur Unselbständigkeit einschließen. Die Spannung zwischen Selbst- und Weltbezug eröffnet sich ursprünglich in der Geworfenheit, die darin liegt, daß das Dasein „ i h m s e l b s t überantwortet, je schon in eine Welt geworfen ist" (192). Die verschiedenen Seinsweisen des Daseins ergeben sich nun aus dem wechselnden Vorrang des „Sich-Vorweg" oder des „Seinbei", durch den jeweils die übrigen Strukturmomente ,modifiziert' werden (vgl. 179). Hier hat Heidegger den besorgenden Umgang mit innerweltlichem Seiendem, der für seine eigene Möglichkeit das befindliche Verstehen voraussetzt und sich jeweils aus ihm her in seinem Wie bestimmt, als selbständiges Strukturmoment neben Geworfenheit und Entwurf eingeführt und ihm sogar die Grundtendenz zur Abkehr vom eigenen Sein zugeordnet. Die Konsequenz dieses methodischen Mangels wird sich in der Zeitanalyse Heideggers zeigen
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In seiner Entlastung von der Verantwortlichkeit für seine eigenen Möglichkeiten gewinnt das Dasein seine „beruhigte Selbstsicherheit", die für die Alltäglichkeit bestimmend ist (s. o. S. 147). Kann diese Weise des Verstehens noch als Erschlossenheit des eigenen Seins in Anspruch genommen werden? Heidegger deckt den Bezug des alltäglichen Verstehens zum belastenden „Zu-sein" auf, indem er die „Zerstreuung" und das „Unverweilen" (s. 172) hervorhebt, die für das Aufgehen im Man charakteristisch sind und exemplarisch an der „Neugier" (§§ 36, 68 c) sichtbar werden. „Die Neu gier ist eine ausgezeichnete Seinstendenz des Daseins, gemäß der es ein Sehenkönnen besorgt" (346). Im Entwurf des eigenen Sehenkönnens legt sich das alltägliche Dasein aber gar nicht mehr auf bestimmte Vollzugsmöglichkeiten seines Sehens fest. Es ist vielmehr „so wenig an die ,Sache' hingegeben, daß es im Gewinnen der Sicht auch schon wegsieht auf ein Nächstes" (347). Die Neugier „sucht das Neue nur, um von ihm erneut zu Neuem abzuspringen" (172). Dieses „Unverweilen" läßt sich nicht mehr ,empirisch' begründen: „Nicht die endlose Unübersehbarkeit dessen, was noch nicht gesehen ist, ,bewirkt' die Neugier . . . Auch wenn man alles gesehen hat, dann erfindet gerade die Neugier Neues" (348). Dann aber muß die Seins tendenz des Unverweilens offenbar aus der Seinsverfassung des Daseins begründet werden. In der Neugier weigert sich das Dasein, „in das Nichtverstehen gebracht zu werden" (172) und darin die grundsätzliche Fragwürdigkeit des eigenen Seinkönnens, das immer auch die Möglichkeit des „Scheiterns." (178) miteinschließt, zu übernehmen. So zeigt sich, daß in der alltäglichen „Entlastung" des Daseins das eigene Möglichsein immer noch in seiner Selbstüberlassenheit und Fragwürdigkeit als die ,Last' offengehalten wird, vor der das Dasein in der Zerstreuung auszuweichen versucht. Damit erweisen sich die alltägliche „Zerstreuung" und das „Unverweilen" als „Flucht des Daseins vor ihm selbst" (184), die ihm in der alltäglichen „Beruhigtheit" undurchsichtig bleibt. Mit der Seinstendenz der Zerstreuung ist das Interesse des alltäglichen Daseins an der „Zweideutigkeit" (§ 37) seines Verstehens verbunden, in der das Dasein die ,Unruhe' aufzufangen versucht, die mit der Steigerung der Zerstreuung in das alltägliche Dasein gebracht ist. In der Zweideutigkeit des Verstehens „ist nicht mehr unterscheidbar, was in echtem Verstehen erschlossen ist und was nicht" (173). Indem das alltägliche Dasein so den Gegensatz zwischen verantwortlichem Entwurf und selbstverständlicher Übernahme von Möglichkeiten nivelliert, versucht es die Differenz zu verdecken, die zwischen dem unausdrücklichen Anspruch des eigenen Seins und dem all-
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täglichen Seinsvollzug besteht und in der Zerstreuung immer noch erschlossen ist. In dieser Nivellierung bringt die Zweideutigkeit eine „Beruhigung" (177) in das Dasein, die in der ,Unruhe' des alltäglichen „Unverweilens" noch nicht gewonnen ist. Die ständige Notwendigkeit zweideutigen Verstehens zeigt aber gerade, daß das alltägliche Dasein die ursprünglich erschlossene Differenz niemals vollständig verwischen und damit die ,Beunruhigung' durch das selbstüberlassene Seinkönnen aufheben kann. Überblickt man die existenzialontologische Interpretation der „durchschnittlichen" Befindlichkeit und des „durchschnitdichen" Verstehens, dann erweist sich die „Alltäglichkeit" des Daseins einheitlich als „Flucht des Daseins" vor seinem eigenen Sein. Die spezifische „Bewegtheit" (177) dieser Flucht bezeichnet Heidegger als „Verfallen" (§ 38). Die Dynamik des „,weg von'" (185), die für die Alltäglichkeit konstitutiv ist, zeigt, daß das Dasein niemals von sich loskommt, sondern gerade in seiner Bewegtheit noch der Bedrohung durch sein „Zu-sein" ausgeliefert bleibt. Die ,Fluchttendenz' der Alltäglichkeit, die in Befindlichkeit und Verstehen sichtbar wurde, gibt der ontologischen Interpretation die Möglichkeit, das Sein des Daseins als das „Wovor der Flucht" (185) zu bestimmen und seine Charaktere im Gegenzug zum alltäglichen Existenzvollzug zu gewinnen (184 f.). Damit sichert sich die Interpretation dagegen, sich in der Bestimmung des Seins des Daseins „einer künstlichen Selbsterfassung des Daseins" auszuliefern (185). Das Wovor der alltäglichen Flucht in das „beruhigt-vertraute In-derWelt-sein" bestimmt Heidegger als die „Unheimlichkeit" des Daseins (188 f.) 9 . Mit diesem Terminus charakterisiert er die „Endlichkeit der Freiheit" (WG, 47) des Daseins, die jede „Selbstsicherheit" des Existierens ausschließt. Als Seinkönnen, das sein Sein selbst zu sein hat, ist sich das Dasein absolut selbst überlassen und darin radikal vereinzelt (SZ, 187 f.). Mit dieser Selbstüberlassenheit ist aber zugleich die Entzogenheit der ,Selbstverfügung' verbunden, die die „Nichtigkeit" (283 ff.) des Daseins ausmacht. Sofern das Dasein in sein Seinkönnen geworfen ist, ist ihm immer schon die Entscheidung darüber entzogen, ob es überhaupt als Möglichsein sein will. „Nicht durch es selbst, sondern an es selbst entlassen" existiert es als Seinkönnen (284 f.). Dieser Nichtigkeit der Geworfenheit gehört eine Entzogenheit des eigenen Seins zu, die im Entwurf als solchem liegt. Als Möglichsein muß das Dasein unter Alternativen wählen und sich dabei auf eine bestimmte Möglichkeit festlegen. Zugleich kann es sich aber niemals voll in seinen 9 Vgl. zum folgenden E. Tugendhat: Wahrheitsbegriff; S. 312 f.
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Möglichkeiten durchschauen und dadurch einer Möglichkeit als der einzig richtigen sicher sein. Die Entzogenheit der eigenen Selbstdurchsichtigkeit macht die wesendiche Fragwürdigkeit aller gewählten Möglichkeiten aus (285). In seiner wesenhaften Undurchsichtigkeit wird das Seinkönnen ständig durch die Möglichkeit des Todes bedroht, der dem Dasein überhaupt die Möglichkeit seines Seinkönnens entzieht (262). Dieser radikalen Selbstüberlassenheit und „Nichtigkeit" des geworfenen Seinkönnens entzieht sich das alltägliche Dasein, indem es vor der „Verantwortlichkeit" für seine eigenen Möglichkeiten flieht und sich sein Seinkönnen vom „Man" abnehmen läßt. Damit läßt sich nun das Interesse konkret fassen, das die Alltäglichkeit als Abkehr vom eigenen Sein leitet (s. o. S. 139). Als „Tendenz zum Leichtnehmen und Leichtmachen" (128) ist es wesentlich Interesse an der „Unselbständigkeit" (128; 323), in der das Dasein vor der Last seiner endlichen Freiheit ausweicht. Weil die Seinsverfassung des Daseins „als existenziale nie vorhanden, sondern selbst immer in einem Modus des faktischen Daseins, das heißt einer Befindlichkeit ist" (189), muß auch der Grundaspekt dieser Verfassung, die „Unheimlichkeit", in einer „Grundbefindlichkeit" (188) konstituiert und erschlossen sein. Als „Stimmung der Unheimlichkeit" nimmt Heidegger die „Angst" in Anspruch (§§ 40, 68 b). Sie erschließt mit der „Nichtigkeit des Besorgbaren" (343) die radikale Bedeutungslosigkeit der alltäglichen Möglichkeiten des Besorgens und konfrontiert das Dasein darin mit der „Welt als Welt" (187), d.h. mit seiner puren unbestimmten Offenheit als solcher, die es je als Seinkönnen zu sein hat. So erfährt das Dasein in der Angst gerade nicht mehr seine „Angewiesenheit" auf das Besorgbare, sondern sein Sein „als vereinzeltes, reines, geworfenes Seinkönnen" (188). Zugleich erschließt die Angst als Angst vor dem Tode (251, 265 f.) mit dem puren vorgegebenen Seinkönnen auch die Bedrohung durch das Nicht-mehr-Seinkönnen. Gerade indem sich das Möglichsein als solches zeigt, kann als die einzige Alternative zum reinen Seinkönnen die Möglichkeit des Todes sichtbar werden, die alltäglich hinter den „zufällig sich andrängenden Möglichkeiten" (264) verdeckt bleibt (vgl. 258). Umgekehrt nivelliert auch die Erfahrung der Bedrohung durch das Nicht-sein alle bestimmten Möglichkeiten des Daseins und bringt es damit vor das Möglichsein als solches. Die Erschlossenheit des Todes und die Erfahrung der „Welt als Welt" bedingen sich gegenseitig und konfrontieren das Dasein einheitlich mit der Entzogenheit seines Möglichseins. Nach der vorangegangenen inhaltlichen Charakteristik der ,Fluchttendenz' soll jetzt nach der spezifischen »Selbstbewußtseinsstruktur' gefragt wer-
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den, die im „Fliehen" impliziert ist. Mit der Erweiterung des ,Selbstbewußtseins' zur Erschlossenheit des eigenen Seins hat die existenzialontologische ,Selbstbewußtseinstheorie' die Möglichkeit geschaffen, die deskriptiv faßbare „Bewegtheit" (178) der ,Flucht vor . . . ' selbst noch als die genuine Erschlossenheit des „Wovor" zu interpretieren. Die Analyse der alltäglichen Befindlichkeit und des alltäglichen Verstehens zeigte, daß in beiden Erschlossenheitsweisen das eigene Sein des Daseins „verschlossen und abgedrängt" ist (184). Indem Heidegger aber den spezifischen „A^e&icharakter" (vgl. 341) alltäglicher Stimmungen als solchen auf seine Erschließungsfunktion befragt und als unausdrückliches Verständnis des eigenen Seins interpretiert (341), kann er die alltäglichen Stimmungen noch als Weisen des Zurückweichens vor der eigenen Unheimlichkeit verstehen (s. o. S. 147f.). Entsprechend befragt Heidegger auch die „Seinstendenz" der „Zerstreuung", die im nivellierenden Verstehen liegt, auf die Erschlossenheit des eigenen Seinkönnens, die in dem Te«i/e«zcharakter des ,zerstreuten' Verstehens als solchem impliziert ist. Dabei nimmt Heidegger die spezifische „Bewegtheit" (178) dieser Tendenz, ihr ,Hin zu . . a l s die Erschlossenheit in Anspruch, in der die eigene Unheimlichkeit noch als ständiger ,Anstoß' für das pusseln auf' offengehalten wird. So kommt in der Bewegtheit der Flucht v o r . . . „das Dasein gerade ,hinter' ihm her" (184). Im Ausgang vom Affektcharakter und dem Tendenzcharakter des alltäglichen befindlichen Verstehens hat Heidegger eine Selbstbewußtseinsstruktur aufgedeckt, die sich grundsätzlich vom theoretischen Vorstellen unterscheidet: in der „Abkehr ist . . . das Wovor der Flucht nicht erfaßt, ja sogar auch nicht in einer Hinkehr erfahren. Wohl aber ist es in der Abkehr von ihm erschlossen ,da'" (185). Damit zeigt sich das „beruhigt-vertraute Inder-Welt-sein" als ein „Modus der Unheimlichkeit des Daseins" (189), in dem es sich sein eigenes Sein nur verdeckt. Das Interesse an der Unselbständigkeit, das die alltägliche Erschlossenheit leitet, erscheint so als „Verdeckungstendenz" (256). In der alltäglichen „Bewegtheit" des „,weg von'" ist das „Wovor der Flucht" immer schon so erschlossen, daß es sich in seiner bedrängenden „Bedrohlichkeit" (189) zeigen kann. In dieser ,Dynamik' der „Unheimlichkeit" zeigt sich phänomenal die ,Kraft' des Gegeninteresses zur Verdeckungstendenz, in dem es dem Dasein um die eigene endliche Freiheit geht (s. u. S. 163; SZ, 276 f.). Indem das alltägliche Dasein in seiner Fluchttendenz diese Dynamik der Unheimlichkeit aufzufangen versucht, geht es selbst auf sie ein und öffnet sich damit der ,Stoßkraft' des Gegeninteresses nur noch weiter. Aus dieser dynamischen Beziehung der beiden Interessen kann der Durch-
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bruch der Unheimlichkeit im alltäglichen Dasein verständlich werden, den Heidegger als „Gewissensruf" interpretiert (§§ 54—57). Mit dem Aufweis der Spannung zwischen den gegensätzlichen Grundinteressen des Daseins, die die alltägliche Erschlossenheit in ihrer „Bewegtheit" begründet, ist die formal angesetzte ,Selbstbewußtseinsstruktur' des Daseins für die „Abkehr" von sich selbst deskriptiv ausgewiesen (s. o. S. 139). b) Die theoretische Relevanz der existenzialontologischen Verdeckungskonzeption für die psychoanalytische Verdrängungstheorie Die vorangegangene Interpretation hat die „Abkehr" des Daseins von sich selbst als „Bewegtheit der Flucht" entfaltet, die von der „Verdeckungstendenz" gegenüber der eigenen endlichen Freiheit geleitet wird. Für diese Konzeption des „uneigentlichen" Selbstbezuges gilt zunächst die gleiche Charakteristik, die schon allgemein für das Verhältnis zwischen der psychoanalytischen und der existenzialontologischen Theorie der interessegeleiteten Selbsterfahrung gegeben wurde (s. o. S. 142 f£.): Heidegger entwickelt ein Modell der spezifischen Bewußtseinsstruktur, die in der ,unbewußten' Zensur des Ich impliziert zu sein scheint, aber dieses Modell bleibt auf einen Phänomenbereich eingeschränkt, den Freud gar nich ausdrücklich thematisiert. Heidegger gewinnt sein Modell „verdeckender" Erschlossenheit, indem er das alltägliche Interesse des Daseins, den nivellierten Horizont selbstverständlicher Einstellungen und Absichten festzuhalten, auf seinen spezifischen Erschlossenheitscharakter befragt. Dabei zeigt sich, daß das Dasein, indem es sich auf bestimmte Sichtweisen seines In-der-Welt-seins versteift, den Umkreis widersprechender Tendenzen und Einstellungen ausklammert und sich gegen ihre Zugänglichkeit sperrt. So trennt die Absicht des verfallenden Daseins, sich so und nicht anders zu sehen, den Umkreis zugänglicher Interessen von dem Horizont verdeckter Möglichkeiten und begründet die dynamische Spannung zwischen den beiden Aspekten des eigenen Seins: In der Flucht vor den „abgedrängten" Möglichkeiten offenbart sich deren bedrängende „Bedrohlichkeit" für den alltäglichen Existenzvollzug. Die Bewegtheit der Flucht, die die gegensätzlichen Aspekte des eigenen Seins voneinander scheidet, bezieht sie aber zugleich auch aufeinander. Gerade weil die Verdeckung eigener unverträglicher Möglichkeiten nur als ,Nichtwissenzi>o//era' möglich ist, werden diese Möglichkeiten in der Dynamik des „Weg von . . . "
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immer noch offengehalten und bedrohen den beruhigten Existenzvollzug unausdrücklich. Nur diese Offenheit des Verdeckten kann die Einschränkungen verständlich machen, die das Dasein sich in der fortschreitenden Nivellierung seiner alltäglichen Möglichkeiten auferlegt, um nicht von den bedrohlichen, abgedrängten Möglichkeiten „überfallen" zu werden. Im Vollzug seiner nivellierenden Fluchtbewegung macht sich das verfallende Dasein diese Bewegung selbst unkenntlich, indem es zusammen mit den unverträglichen' Möglichkeiten die Bewegung der Abkehr selbst verdeckt und darin seine „alltägliche Beruhigtheit" gewinnt. Diese Erschlossenheitsstruktur der „Abkehr von . . . " scheint die theoretischen Schwierigkeiten zu lösen, vor die Freuds deskriptiver Aufweis einer ,unbewußten' Zensur führte. Freuds Entdeckung stellte das Problem, wie sich Zugänglichkeit und Unzugänglichkeit des Verdrängten miteinander vereinbaren lassen. Die prinzipielle Zugänglichkeit des Verdrängten scheint erfordert zu sein, weil die Verdrängung nicht ein einmaliger Akt der Beseitigung unverträglicher Tendenzen ist, sondern den ständigen Widerstand gegen das Bewußtwerden des andrängenden Unbewußten einschließt. Für diesen kontinuierlichen Widerstand des zensierenden Ich scheint aber doch ein ,Wissen' vorausgesetzt zu sein, in dem das zensierende Ich weiß, gegen welche Tendenzen es sich sperren muß. Nur ein solches Wissen scheint auch verständlich zu machen, wie das Ich in „Reaktionsbildungen" auf die Ansprüche des Verdrängten eingehen kann. Erst die Kenntnis des Verdrängten kann dem Ich die Orientierung für die Ausbildung ganz bestimmter Reaktiver' Einstellungen vorgeben, die im Gegenzug zu den verdrängten Ansprüchen das bewußte Verhalten des Individuums leiten. — Andererseits muß das Verdrängte auch für das Ich unzugänglich sein, damit verständlich werden kann, warum es so großer Mühe bedarf, unbewußte Aspekte des eigenen Seins aufzudecken. Mit der Unzugänglichkeit des Verdrängten ist zugleich auch die Zensur des Ich selbst verdeckt, weil mit dem ,Wogegen' des Widerstandes dieser selbst als Widerstand unkenntlich geworden ist. — Die dargestellte widersprüchliche Erschlossenheitsstruktur der Zensur scheint in Heideggers Modell der „Flucht" vor unverträglichen Aspekten des eigenen Seins grundsätzlich aufgeklärt zu sein. Der vorangegangene Vergleich zwischen der Zensur des Ich und der Fluchttendenz des Daseins zeigt sich in seiner Problematik, wenn man den Phänomenbereich einbezieht, für den Heidegger seine Konzeption der „Flucht vor . . ." entwickelt hat. Wie sich zeigte, thematisiert Heidegger das Individuum, dem durch sein „Mitsein mit Anderen" je schon ein bestimmter gesellschaftlich legitimierter Möglichkeitshorizont vorgegeben ist,
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in dessen Übernahme es sich die Aufgabe und die Problematik seines selbstverantwortlichen Möglichseins verdecken kann (s. o. S. 148 ίί.). In der Nivellierung des eigenen Möglichkeitsspielraums auf die Einstellungen des „Man" hält das alltägliche Dasein nicht vorgegebene, unverträgliche Triebansprüche nieder, sondern flieht vor der Möglichkeit, in der Befreiung vom „Man" die eigene Selbständigkeit und Verantwortlichkeit übernehmen zu müssen. In dieser Flucht verdeckt es mögliche Einstellungen und Interessen, die für das verfallende Dasein sichtbar werden würden, sofern es sich mit seiner Selbständigkeit konfrontieren und darin nach Alternativen für seine alltäglichen Verhaltensweisen fragen würde. Freud dagegen thematisiert das Individuum, sofern es eigenen Triebansprüchen und ihren infantilen „Triebschicksalen" ausgesetzt ist und vor der Aufgabe steht, eigene Verdrängungen soweit aufzuheben, daß es sich ohne triebhaft begründete Einschränkungen und Zwänge innerhalb seiner sozialen Umwelt aktiv und passiv ,anpassen' kann. In dieser Auseinandersetzung mit Verdrängtem hat es das Individuum mit wirklich bestehenden Triebwünschen zu tun, die organische Bedürfnisse des Individuums repräsentieren, aber nicht mit Sinnhorizonten, die sich für die Selbständigkeit des Individuums eröffnen. Die Problematik, von der Heidegger ausgeht, indem er nach der Selbständigkeit des einzelnen innerhalb seiner Gesellschaft fragt, hat Freud gar nicht mehr interessiert. Er hat vielmehr kritiklos die kulturellen Ansprüche seiner Gesellschaft bejaht, sofern sie nicht die psychische Gesundheit des einzelnen schädigen und dadurch seine Teilnahme an der „Kulturarbeit" einer Gesellschaft zerstören. Macht die vorangegangene Konkretisierung der verschiedenen Phänomenbereiche, auf die sich Freuds und Heideggers Deskriptionen der ,Abkehr von . . b e z i e h e n , nicht endgültig einen Vergleich der beiden Konzeptionen sinnlos? Vielleicht läßt sich doch ein einleuchtender Zusammenhang zwischen beiden Theorien herstellen, wenn man Heideggers Konzeption der Verdekkungstendenz als die Verabsolutierung eines Aspekts der Zensur versteht, den Freud aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Grundorientierung nicht als selbständige Struktur entfaltet, aber doch in der empirischen Untersuchung der Psyche noch mit in den Blick gebracht hat. Diese These der Interpretation muß sich gegenüber der differenzierten Konzeption der Verdrängung bewähren, die sich für Freud in der Ausbildung seiner analytischen Technik ergab. Wie sich zeigte (s. o. S. 64 ff.), unterscheidet Freud zwischen frühkindlichen „Urverdrängungen" und späteren Formen des „Nachdrängens". Die Urverdrängungen stellen die früheste Form der Triebabwehr dar, in der das noch schwache Ich sich energetisch
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überstarken Triebansprüchen entzieht, die es nicht befriedigen kann (s. o. S. 99 ff.). Die hervorragendste Urverdrängung, die der ödipussituation entspringt, begründet den Gegensatz zwischen dem Es und dem Überich und setzt das Individuum damit für sein ganzes Leben der Spannung zwischen triebhaft begründeten widersprüchlichen Zwängen aus. Diese Zwänge kann das Individuum auch im Zustand der „Ichstärke" nicht unmittelbar aufheben, weil ihm seine verdrängten infantilen Triebwünsche aufgrund der infantilen triebhaften Widerstände unbewußt sind. Zugleich bleiben ihm auch Anteile des Überich unzugänglich, die den Widerstand gegen die Triebwünsche aufrechterhalten, durch deren Verdrängung sie selbst entstanden sind (s. o. S. 111 f.). DieseÜberichzwänge bestimmen das Verhalten des Individuums, ohne daß es selbst über sie entscheiden könnte. In der weitgehend undurchschauten Abhängigkeit des Ich vom Es und Überich gewinnt das Individuum seine Prägung, die grundsätzliche Verhaltensweisen zur Welt und zu sich selbst festlegt. Den „Urverdrängungen" stellt Freud die Formen des „Nachdrängens" gegenüber, die er als energetisch begründete Konsequenzen der Urverdrängungen verstellt. Die ödipussituation setzt das Ich der Spannung zwischen Es und Überich aus und stellt es vor die Aufgabe, die Anteile dieser innerpsychischen Vorgegebenheiten immer umfassender anzueignen und der eigenen Kontrolle zu unterwerfen. In diesem Aneignungsprozeß gewinnt das Ich immer größere Selbständigkeit, indem es seine frühkindliche Prägung in eine „Einheitlichkeit" umformt, die den Gegebenheiten der Umwelt und den eigenen triebhaften Vorgegebenheiten immer umfassender Rechnung trägt. Nun zeigte sich aber schon, daß das Es und partiell auch das Überich gar nicht unmittelbar für das gereifte Ich zugänglich sind, sondern nur in Konflikten zwischen ihren bewußtseinsfähigen ,Abkömmlingen' erfahren werden (s. o. S. 111 ff.). So vollzieht sich der Aneignungsprozeß der unbewußten Vorgegebenheiten für das gereifte Ich als „Integrationsleistung", in der die selbständigen und gegensätzlichen Abkömmlinge in die je erreichte „Einheitlichkeit" des Ich einbezogen werden. Die „Last" der Integrationsaufgabe liegt für Freud darin, daß das vermittelnde Ich jeweils die triebhaft begründete Dynamik der widersprechenden psychischen Vorgänge bewältigen muß. An dieser Aufgabe scheitert es immer dann, wenn es innerhalb des Lebensvollzugs mit eigenen aktuellen Einstellungen oder Interessen konfrontiert wird, die assoziativ mit dem Urverdrängten verbunden sind und deren Aneignung die infantilen Konflikte mit dem Verdrängten wieder erneuern würde. So gibt das erstarkte und selbständige Ich eigene Interessen und Einstellungen auf, weil es unbewußt weiterhin an seine infantilen Ab-
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wehrmechanismen fixiert bleibt und sie in den aktuellen Abwehraktionen des Nachdrängens weiter schützt. Damit begründet Freud das Meßlingen der Integrationsleistung des Ich noch in dessen unbewußter Abhängigkeit von triebhaft begründeten Zwängen. Diese Konzeption begründet das Ichinteresse an der „Konfliktlosigkeit" ausschließlich in der Triebgebundenheit des Ich und interpretiert es als die Weise, in der sich die unbewußten triebhaften Bindungen im Lebensvollzug des Individuums durchsetzen. Der bisher dargestellten energetischen Begründung der Verdrängungen gegenüber muß die Interpretation fragen, ob und inwieweit sich die „Flucht" vor der eigenen endlichen Freiheit als eigenständiger Aspekt des psychoanalytisch beschriebenen Verdrängungsvorgangs einsichtig machen läßt und darin die Einseitigkeit einer bloß energetischen Erklärung der Verdrängung sichtbar wird. Untersucht man zunächst die „Urverdrängung", dann scheint sich zu zeigen, daß diese Form der Abwehr sich einer existenzialontologischen Interpretation entzieht. Freud weist die „Urverdrängungen" als Vorgänge auf, die notwendig in der frühkindlichen Entwicklungsphase der Psyche angelegt sind und der Bewältigung überstarker Triebansprüche dienen. So erscheint es sinnlos, für die infantilen Abwehraktionen schon einen Freiheitsspielraum wählbarer Möglichkeiten vorauszusetzen und die Urverdrängung in der Flucht vor der eigenen Selbständigkeit zu begründen. Freud hat aber selber darauf aufmerksam gemacht, daß auch das gereifte und relativ selbständig gewordene Ich noch an seinen infantilen Verdrängungen festhält, obwohl es von seinen objektiven „Angstbedingungen" her betrachtet die Möglichkeit hätte, die frühkindlichen Zwänge für das eigene Verhalten aufzuheben (s. o. S. 105 f.; 101). Diese Fixierung des gereiften Ich an seine infantilen Zwänge begründet Freud ausschließlich in der Fixierung der energetischen Verhältnisse, die sich bei der Urverdrängung in der Psyche hergestellt haben. An diesem Punkt hat die Interpretation des psychoanalytischen Ichbegriffs jedoch schon zu zeigen versucht, daß auch das gereifte und selbständige Ich noch ein positives Interesse an der Fixierung der infantilen psychischen Strukturen haben kann. In der „Abwehr" unverträglicher infantiler Wünsche, mit der die Bildung des Überich verbunden ist, gewinnt das Individuum nämlich für sein ganzes Leben eine triebhaft begründete und gesicherte Prägung, durch die es in eine Gesellschaft einbezogen und von ihr akzeptiert wird. An dieser „habituell gewordenen Haltung" 10 kann auch 10 G. Β ally: Einführung in die Psychoanalyse. Reinbek 1968; S. 221. Bally deutet die positive Bedeutung der Widerstände für das gereifte Ich an, indem er die Widerstände nicht primär aus ihrer Relation zu bestimmten verdrängten Triebansprüchen versteht, sondern als Grundeinstellungen des Individuums zur Welt faßt. Solche habi-
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das selbständige Ich noch ein positives Interesse haben, sofern sie ihm die verantwortliche und jeweils situationsbezogene Entscheidung über das eigene Verhalten erspart und es von der Übernahme der eigenen endlichen Freiheit entlastet. Diese ,Fluchttendenz' gegenüber der eigenen Freiheit, die im Zusammenhang der psychoanalytischen Theoriebildung im Interesse an der Konfliktlosigkeit in den Blick kam, scheint ein zwar nur sekundäres, aber doch selbständiges Motiv für die Fixierung der infantilen psychischen Strukturen zu sein. Mit der Einführung eines genuinen Ichinteresses an der Unselbständigkeit und Unfreiheit in die psychoanalytische Theorie der „Urverdrängung" ist noch keineswegs geklärt, ob dieses Interesse auch für die Erschlossenheitsstruktur der Urverdrängung konstitutiv ist und so den Widerspruch der ,unbewußten' Zensur (s. o. S. 156) theoretisch durchsichtig machen kann. Wenn man den primären Anteil berücksichtigt, den die Triebvorgänge an der Fixierung der Urverdrängungen haben, erscheint es nicht sinnvoll, für diese Fixierung eine Erschlossenheitsstruktur in Anspruch zu nehmen, die sich nur in und für die Flucht vor der eigenen Freiheit ergibt. Diesem Argument kann man jedoch entgegenhalten, daß Verdrängungen eines selbständigen Ich nur als Verdrängungen möglich sind, sofern das verdrängende Ich prinzipiell die Möglichkeit hätte, die niedergehaltenen Interessen als eigene anzueignen, sich aber gegen diese Aneignung sperrt. Für diese Möglichkeit ist aber offenbar schon der Erschlossenheitsspielraum eines freien Selbstverhältnisses vorausgesetzt, den Heidegger als die Grundstruktur des Bewußtseins aufklärt. Eindeutiger als für die „Urverdrängung" läßt sich der existenzialontologische Beitrag zum Verständnis des „Nachdrängens" und der zugehörigen Einschränkungen und Hemmungen des gereiften Ich bestimmen. Auch für das „Nachdrängen" hält Freud an seiner energetischen Erklärung psychischer Prozesse fest, indem er es als Konsequenz der Urverdrängungen interpretiert (s. o. S. 76 f.; 158). Die Problematik dieser Erklärung wird aber sichtbar, wenn man das Nachdrängen gegen die Urverdrängung abhebt. Die Urverdrängungen werden durch das energetische Übergewicht' der Widerstände gegenüber den unverträglichen Tendenzen des Es aufrechterhalten, durch das diese Tendenzen überhaupt vom Bewußtsein abgeschnitten und der unmittelbaren Kontrolle des erstarkten Ich entzogen sind. Für die Situation tuellen Grundeinstellungen haben über ihren triebhaft begründeten Ursprung hinaus offenbar positive Funktion für die selbstverständliche Orientierung des Individuums in seiner Welt und widersetzen sich auch deshalb jeder Umprägung in der analytischen Kur.
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des Nachdrängens dagegen ist ein relatives Gleichgewicht der triebhaften Besetzung unter den Vorgegebenheiten für das integrierende Ich vorausgesetzt, aufgrund dessen die widersprechenden psychischen Vorgänge überhaupt gemeinsam bewußtseinsfähig sind und die Entscheidung des Ich über ihre Motivationskraft für das Verhalten des Individuums verlangen. So eröffnet sich in dem Gleichgewicht der triebhaften, prinzipiell zugänglichen Vorgegebenheiten der Freiheitsspielraum für das integrierende Ich, innerhalb dessen es selbst noch mitentscheiden muß, inwieweit es seine Vorgegebenheiten sehen und als eigene Interessen bzw. Normen anerkennen will. Unter dieser Perspektive wird ein neuer Aspekt der „Last" sichtbar, die in der Integrationsaufgabe liegt und das Interesse an der „Konfliktlosigkeit" begründet: Die volle Offenheit des Ich für seine widersprechenden Vorgegebenheiten schließt die Bereitschaft ein, die je erreichte eigene „Einheitlichkeit" durch diese noch nicht integrierten psychischen Vorgänge in Frage zu stellen und darin die eigene grundsätzliche ,Undefinierbarkeit' zu akzeptieren. Diese Undefinierbarkeit stellt das Ich immer neu vor die Aufgabe, selbst noch die Gestalt der je modifizierten Einheitlichkeit zu bestimmen. Der Erfahrung dieser Undefinierbarkeit und der zugehörigen Aufgabe selbständiger Identitätsbildung scheint sich das gereifte Ich zu entziehen, indem es sich den triebhaft begründeten Zwängen seiner Prägung überläßt und darin alle die triebhaft motivierten Vorgegebenheiten ausklammert, die die Erweiterimg und Umwandlung der je gewonnenen Prägung erfordern würden. In dem so verstandenen Interesse an der Konfliktlosigkeit läßt sich auch die Gegenmöglichkeit zur Verdrängung, nämlich die „Rationalisierung" begründen (s. o. S. 114). In ihr weicht das Ich vor der selbständigen Identitätsbildung aus, indem es die je erreichte Prägung verdeckt und verfälscht, um sich uneingeschränkt bestimmten Triebwünschen überlassen zu können. Wird das Interesse an der Konfliktlosigkeit als ,Flucht' vor der eigenen Unbestimmtheit verstanden, dann scheint die existenzialontologische Verdekkungstheorie diese Tendenz in ihrer Erschlossenheitsstruktur durchsichtig machen und zugleich begründen zu können 11 . Heideggers ontologische Analyse des freien Selbstverhältnisses zeigt, daß jedes freie Verhältnis zu bestimmten eigenen Tendenzen und Einstellungen schon das Verhältnis zum Faktum der eigenen Freiheit einschließt. In diesem Verhältnis entscheidet das freie Individuum, ob es sich vor seiner faktischen Freiheit verschließt, indem es sich auf seinen jeweils selbstverständlichen Umkreis von Interes11
Den im folgenden dargestellten Aspekt des Verhältnisses zwischen Psychoanalyse und Existenzialontologie hat E. Tugendhat im Ausgang vom Wahrheitsproblem entfaltet (E. Tugendhat: Wahhrheitsbegriff; S. 321 ff.).
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sen und Einstellungen versteift, oder ob es seine Freiheit akzeptiert, indem es sich für die Alternativen zu seinen selbstverständlichen Einstellungen offenhält. Sofern jede Entscheidung über die Zugänglichkeit bestimmter Möglichkeiten strukturell schon die Entscheidung über die Erschlossenheit der eigenen Freiheit voraussetzt, kann die Erschlossenheitsstruktur der „Fluchttendenz" des Daseins als die Bewußtseinsstruktur in Anspruch genommen werden, die in der psychischen Zensur des „Nachdrängens" impliziert ist und sie strukturell ermöglicht. Mit der verdeckenden „Flucht" vor der eigenen endlichen Freiheit hat Heidegger einen Aspekt der Verdrängung sichtbar gemacht, der nicht mehr aus triebhaften Bedingungen aufgeklärt werden kann, sondern nur noch aus der Konfrontation mit der eigenen Freiheit als „Unheimlichkeit" verständlich wird. Die Aufgabe, unter vorgegebenen Alternativen selbständig wählen zu müssen, schließt eine spezifische ,Belastung' ein, die unabhängig von den bestimmten Alternativen und deren Herkunft besteht. Vor dieser Last scheint das Individuum auszuweichen, indem es seinen jeweils akzeptierten Umkreis von Einstellungen und Interessen als den einzig möglichen festhält. Damit ist in ersten Umrissen sichtbar geworden, wie sich in der wechselseitigen kritischen Ergänzung der Existenzialontologie und der Psychoanalyse ein ausgearbeiteter und differenzierter Begriff der menschlichen Verdeckungstendenz ergibt.12 c) Das Selbstverhältnis der Hinkehr: In der Übernahme der eigenen Unheimlichkeit überwindet das Dasein die alltägliche Verdeckungstendenz. Die Grenze der existenzialontologischen Interpretation der Verdeckung Sofern das „beruhigt-vertraute In-der-Welt-sein" vor der „Unheimlichkeit" des eigenen Seins flieht, drängt es die Möglichkeit der „Hinkehr" zu sich selbst ab und verschließt sich vor ihr. Sofern aber die „Flucht des Daseins vor ihm selbst" (SZ, 184) für ihre eigene Dynamik ständig noch die Offenheit der eigenen „Unheimlichkeit" voraussetzt, schließt die Flucht ständig noch die Möglichkeit der „Hinkehr" ein, in der sich das Dasein mit seinem Sein konfrontiert. Die „Bezeugung" (267) dieser Möglichkeit findet Heidegger im „Gewissensphänomen" (§§ 54—57). In der Interpretation des „Ge12
Die Konsequenzen der eingeschränkten Fragestellung Heideggers für seine eigene Theorie werden sich in der existenzialontologischen Konzeption der ,Aufhebung' von ,Verdeckungen' zeigen (s. u. S. 167).
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wissensrufs" analysiert Heidegger die Weise, wie die „Angst" als „Stimmung der Unheimlichkeit" (190) im alltäglichen Dasein „aufbricht" (s. 136) (s. o. S. 153). Weil das alltägliche Dasein vor seiner „Unheimlichkeit" flieht, ist ihm durch seine eigene „Bewegtheit" immer schon die Möglichkeit entzogen, sich selbst frei seinem eigenen Sein zuzuwenden und es darin zu übernehmen. Es ist vielmehr darauf angewiesen, „wider Erwarten und gar wider Willen" (275) von seiner Unheimlichkeit „überfallen" (228) zu werden. Diese Betroffenheit durch das eigene Sein interpretiert Heidegger als „Anruf" des Gewissens. Der Gewissensruf erschließt das In-der-Welt-sein, indem er den vom Man vorgegebenen, alltäglichen Verständnishorizont des Daseins „übergeht" (273) und darin die totale „Bedeutungslosigkeit" (273) der alltäglichen Möglichkeiten offenbart. Indem so „das Man in sich zusammensinkt" (vgl. 273), wird das Dasein mit seinem ihm selbst überlassenen, unbestimmten Seinkönnen als solchem konfrontiert (§57; vgl. auch 186 f.). In dieser Erschlossenheit der eigenen Unheimlichkeit wird das alltägliche Dasein sich selbst fremd (277), weil es sich alltäglich gerade im Gegenzug zu seinem eigenen Sein versteht; zugleich aber erfährt es durch „die sichere Einschlagsrichtung des Rufes" (274) das ihm fremde Sein als eigenes. In diesem Anruf des Gewissens setzt sich das alltäglich zurückgedrängte Interesse des Daseins an seiner endlichen Freiheit als der „Rufer" durch: „das im Grunde seiner Unheimlichkeit sich befindende Dasein" ruft sich „in der Angst um das eigenste Seinkönnen" (276) zu seiner „Eigentlichkeit" auf, „um die es ihm einzig geht" (277; vgl. auch 287) 13 . Sofern das alltägliche Dasein sich in der Betroffenheit durch den Gewissensruf selbst entfremdet wird, muß es sich erst, noch selbst mit dem eigenen Sein ,identifizieren', das ihm im Anruf erschlossen ist. So gehört zum „Anruf" das „Anrufverstehen" (279), in dem das Dasein die eigene Unheimlichkeit als das Sein übernimmt, um das es ihm existierend geht. „Anrufverstehen besagt: Gewissen-haben-wollen" (288). Dieser „Entwurf" auf das eigene nichtige Seinkönnen begründet die Seinsweise der „Eigentlichkeit", 13 Die existenzialontologische Begründung des Gewissensrufs, die Freuds genetischer Erklärung des Überich und des Gewissens entgegengesetzt ist, scheint sich mit Neuansätzen in der Psychoanalyse sachlich zu berühren. So unterscheidet E. Fromm in seinem Buch „Psychoanalyse und Ethik" (Zürich 1954) zwischen einem „autoritären Gewissen", das Freuds Überich entspricht, und einem „humanistischen Gewissen", das er als „Stimme unserer liebenden Besorgtheit um uns selbst bezeichnet" (174). In dem zweiten Gewissensbegriff scheinen sich Beziehungen zu Heideggers Konzeption des Gewissens als „Ruf der Sorge" (SZ, 277) zu ergeben.
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in der das Dasein „sich selbst zueigen" ist (s. o. S. 139; SZ, 13). Ihr kann Heidegger nun die Alltäglichkeit als die Seinsweise der „Entfremdung" (178), der „Uneigentlichkeit" gegenüberstellen. Weil das Dasein sein „nichtiges Seinkönnen" ursprünglich nur in der „Angst" als „Stimmung der Unheimlichkeit" erfahren kann, ist das „Gewissenhabenwollen" wesentlich „Bereitschaft zur Angst" (296). Sofern die Angst immer schon Angst vor dem Tode ist (s. o. S. 153), ist die Bereitschaft für sie das „Vorlaufen in den Tod" (§ 53), in dem sich das Dasein für die „unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit" (258 f.) des ,Nicht-mehr-seinkönnens' offenhält. „Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst" (266). Diese Übernahme der eigenen endlichen Freiheit interpretiert Heidegger als die Wahl, in der das Dasein „das wahllose Mitgenommenwerden" vom Man „rückgängig" macht und sich für die selbstverantwortliche Wahl seiner Existenzmöglichkeiten entscheidet (268). Diese Seinsweise des ,Wählenwollens' nennt Heidegger „Entschlossenheit" (§ 60). In seiner Offenheit für die Möglichkeit des Todes läßt sich das Dasein immer schon „auf sein faktisches Da . . . zurückwerfen" (385). Gerade weil dem Dasein in jedem Augenblick die Möglichkeit des Wählens durch den Tod entzogen werden kann, weist die Erschlossenheit des eigenen puren Seins das Dasein in seine je konkrete „Situation" (299). So gilt vom Gewissensruf: „Den Ruf eigentlich hören, bedeutet, sich in das faktische Handeln bringen" (294). Zugleich mit dem faktischen Spielraum wählbarer Möglichkeiten gibt der Tod als die höchste „Instanz" (313) für das Dasein diesem die Orientierung für die jeweilige Wahl vor: „Das Freiwerden für den eigenen Tod befreit von der Verlorenheit in die zufällig sich andrängenden Möglichkeiten, so zwar, daß es die faktischen Möglichkeiten, die der unüberholbaren vorgelagert sind, allererst eigentlich verstehen und wählen läßt" (264) 14 . 14 Die Interpretation des vollen „Gewissensphänomens" hat die existenzialontologisdie Konzeption des befreienden Selbstbewußtseinsvollzuges sichtbar gemacht, den Fichte zum ersten Male entfaltet hat (s. o. S. 26 f.). Für Fichte erfährt das Individuum im frei vollzogenen Selbstbewußtsein seine absolute Selbständigkeit und Spontaneität und reißt sich darin von seiner unmittelbaren Umweltgebundenheit los. In dieser Abstraktionsbewegung negiert das Individuum aber seine eigene Konkretion nicht einfach, sondern distanziert sich nur von ihr, um sie sich als ,Objektivität' gegenüberzustellen und sie in der Orientierung an der Idee der Selbständigkeit und Identität zu verwandeln. Ganz entsprechend erwies sich auch die Übernahme der nichtigen Freiheit als A-bstraktionsbewegung', in der sich das Dasein von seiner Umweltgebundenheit löst und eben darin das eigene Seinkönnen in seiner vorgängigen Unbestimmtheit erfährt. Weil die .Abstraktion' von der eigenen Konkretion aber gerade mit
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In der Interpretation des sich ängstigenden Seins zum Tode zeigt Heidegger für die „Hinkehr", wie in der Erschlossenheit des eigenen Seins jeweils der Spielraum des konkreten „In-der-Welt-seins" erschlossen ist. Die „Entschlossenheit" ist kein „leerer Habitus" (s. 300) oder eine „freischwebende Verhaltung" (309), sondern als Wille zur "Wahl stets die Weise, in der das Dasein sich voll für seinen Spielraum konkreter Möglichkeiten öffnet und damit „erst das faktisch Mögliche entdeckt" (s. 299). In der Übernahme der Unheimlichkeit ist also das je konkrete „Da" nicht nur insoweit erschlossen, daß das Dasein verantwortlich nach der „je eigensten, faktischen Möglichkeit des In-der-Welt-sein-könnens" (s. 295) fragen kann; vielmehr ist in der Entschlossenheit für das eigene Sein immer schon „der jeweilige faktische Bewandtnischarakter der Umstände" (300) der jeweiligen Situation erschlossen. Der pure Wille zur Wahl sichert also die unverstellte Zugänglichkeit der faktischen situationsgebundenen Möglichkeiten. Die so verstandene Hinkehr läßt insofern die Möglichkeit der Fluchttendenz niemals hinter sich, als sich je neu in den konkreten Situationen entscheidet, ob sich das Dasein in ihnen die Last seiner endlichen Freiheit ofEenhalten kann. „Ihrer selbst sicher ist die Entschlossenheit nur als Entschluß" (298) für die jeweilige faktische Möglichkeit. Deshalb „hält sich das Dasein offen für die ständige, aus dem Grunde des eigenen Seins mögliche Verlorenheit in die Unentschlossenheit des Man" (308). Sofern das Dasein aber jeweils den Willen zur Wahl festhalten kann, kann es der vollen Offenheit seines Möglichkeitsspielraums sicher sein. Die Bereitschaft zur Wahl garantiert aber nicht nur die volle Offenheit des konkreten „Da", sondern leitet als „Freisein für den Tod" auch immer schon die Wahl der eigensten Möglichkeit. Das entschlossene Dasein „entdeckt erst das faktisch Mögliche", indem es auch schon die eigenste Möglichder Endlichkeit des eigenen Seinkönnens konfrontiert, stößt sie das Dasein auch schon in seine konkrete Situation zurück. In diesem Rückstoß gewinnt das Dasein mit der vollen Offenheit für seine Situation zugleich die Endlichkeit des eigenen Seinkönnens als Orientierung für sein Verhalten in ihr. über diesen formalen Entsprechungen darf nicht übersehen werden, daß beide Interpretationen verschiedene Dimensionen des Selbstbezugs thematisieren. Fichte untersucht den Vollzug, in dem der schon vorausgesetzte „Trieb zur Selbsttätigkeit" für das Individuum theoretisch durchsichtig wird und darin ein objektivierendes distanziertes Verhältnis zur eigenen Unmittelbarkeit eröffnet, die für das Ich transparent gegeben ist. Heidegger dagegen untersucht den Prozeß, in dem sich der „Trieb zur Selbsttätigkeit" innerhalb der vortheoretischen Lebenspraxis freisetzt und darin nicht bloß ein neues Verhältnis zu einer transparent gegebenen Konkretion begründet, sondern den Spielraum der vortheoretischen Selbstgegebenheit über die Grenzen des unfreien Existierens hinaus erweitert und so erst den ,Blick' auf die volle faktische Konkretion des eigenen Seins freimacht.
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keit „ergreift" (299). Die bloße Bereitschaft zur Verantwortlichkeit rechtfertigt also schon den je kronkreten Entschluß. In dieser Konzeption des „Sich-Zueigenseins" gibt Heidegger den Ansatz der Hinkehr auf, der in seiner Deskription der Abkehr impliziert ist und den er selbst noch grundsätzlich gesehen hat. Sofern das alltägliche Dasein in der Flucht vor sich selbst seine „eigentlichen" Möglichkeiten abdrängt und darin die Fluchttendenz selbst verdeckt, „enthüllt" die Übernahme des nichtigen Semkönnens „erst die faktische Verlorenheit in die Alltäglichkeit des Man-selbst" (263). So ist dem entschlossenen Dasein mit der Erschlossenheit seines Seins zunächst nur die alltägliche Verdeckungstendenz als Verdeckungstendenz durchsichtig. Darin eröffnet sich aber doch nur der Spielraum, innerhalb dessen das Dasein über den Umkreis seiner selbstverständlichen, nivellierten Möglichkeiten hinaus nach seinen eigentlichen fragen kann. Für diese Frage zeigt sich erst die faktische Undurchsichtigkeit des eigenen konkreten Möglichkeitsspielraums, dessen vollen Umkreis sich das Dasein immer schon mit den nivellierten Möglichkeiten des Man verstellt hat. So vollzieht sich das verantwortliche Erschließen konkreter Möglichkeiten nur „als Wegräumen der Verdeckungen und Verdunkelungen, als Zerbrechen der Verstellungen, mit denen sich das Dasein gegen es selbst abriegelt" (129). Damit erweist sich nun die „Hinkehr" als der unabschließbare Prozeß der Überwindung des begrenzten Möglichkeitshorizontes, den das Dasein als Man-selbst je schon übernommen hat. Dieser Prozeß der Selbsterhellung kann allerdings nur dadurch in Gang kommen, daß das Dasein in der Erfahrung seines unbestimmten, puren Möglichseins auch schon die alltäglichen Einschränkungen dieses Seinkönnens erfährt, die es sich in der alltäglichen Verdeckungstendenz gerade als Einschränkungen verdeckt (s.o. S. 151 f.). Aber in seiner Interpretation des Gewissensrufs behauptet Heidegger darüber hinaus, die Erschlossenheit des nichtigen Seinkönnens hebe auch schon alle faktischen Einschränkungen des konkreten Seinkönnens auf und garantiere dem entschlossenen Dasein mit der vollen „Durdisichtigkeit" seines konkreten Möglichkeitsspielraums auch schon die Angemessenheit seiner je bestimmten Wahl. So verschleiert Heideggers leitende Konzeption der „Hinkehr" die Problematik der „Durchsichtigkeit" der eigenen Existenz (146), obwohl Heidegger sie im Ausgang von der alltäglichen Fluchttendenz grundsätzlich gesehen hat I 5 . 15 Wenn „Erschlossenheit" und „Seinsvollzug" für die Eigentlichkeit nicht mehr zusammenfallen, sondern das Seinsverständnis erst die Frage nach eigentlich vollziehbaren Seinsmöglichkeiten eröffnet, dann scheint der entschlossene Existenzvollzug selbst das objektivierende Selbstbewußtsein einzuschließen, in dem das Dasein die
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Befragt man diese Konzeption der „Hinkehr" auf ihre Relevanz für die Psychoanalyse, so ergibt sich für die beiden Ansätze der „Selbstdurchsichtigkeit" , die sich in Heideggers Theorie unterscheiden lassen, ein je verschiedener Bezug zu Freuds Konzeption der Aufhebung von Verdrängungen. Im Vergleich zur Psychoanalyse erweist sich Heideggers leitender Begriff der Selbstdurchsichtigkeit als die Konsequenz des Versuchs, die volle Konkretion der jeweiligen Existenz aus dem Verhältnis des Daseins zu seiner endlichen Freiheit verständlich zu machen und darin die triebhafte Gebundenheit des Lebensvollzugs auszuklammern. Wenn die Bereitschaft zur verantwortlichen Wahl auch schon die Beseitigung aller konkreten ,Verdekkungsleistungen' des Individuums einschließt, dann bleibt kein Raum mehr für die Frage nach Bindungen und Zwängen, die gar nicht primär in der Flucht vor der Freiheit, sondern in der triebhaften Gebundenheit des Ich gründen und deshalb in der Übernahme der Unheimlichkeit noch gar nicht durchsichtig werden. Solange diese Frage aber nicht gestellt ist, bleibt dem entschlossenen Dasein die Problematik seiner Selbständigkeit verborgen: In der Bereitschaft, den selbstverständlichen Möglichkeitshorizont der eigenen Gesellschaft in Frage zu stellen, kann es selbst noch von ,asozialen' Triebwünschen abhängig sein, ohne diese Gebundenheit zu durchschauen. Dann aber ist individuelle Selbständigkeit nur Abhängigkeit von triebhaften Vorgegebenheiten, die den Möglichkeitshorizont der eigenen Gesellschaft sprengen. So zeigt sich, daß zur Selbständigkeit gegenüber der eigenen Gesellschaft notwendig die möglichst weitreichende Durchsichtigkeit der inhaltlichen Bestimmtheit des eigenen Seins gehört, in der das Dasein sich gegenüber undurchschauten Zwängen seiner Triebbasis befreit. Der unzureichenden Konzeption möglicher Selbstdurchsichtigkeit steht ein Ansatz gegenüber, der die Übernahme der „Unheimlichkeit" als die Bereitschaft des Daseins versteht, universal nach der Verantwortbarkeit der eigenen faktischen Einstellungen zu fragen. Sofern Heidegger auch für diesen Ansatz die triebhafte Gebundenheit des Lebensvollzugs ausklammert, bleibt konkrete Situation in der Distanzierung von ihr erfaßt, um sie sich durchsichtig zu machen. Dann aber scheint das von Fichte entfaltete ,Vor-sich-Hinstellen' der eigenen Konkretion für den Existenzvollzug selbst relevant zu werden. Doch diese Form der ,Reflexion' setzt immer schon den ursprünglichen Selbstbewußtseinsvollzug voraus, in dem das Dasein sich überhaupt den vollen Spielraum seines je konkreten „Da" eröffnet, in den das Dasein reflektierend hineinfragen kann. Diese Konzeption der Reflexion als Mittel zur Selbstaufklärung konnte Heidegger nicht mehr in den Blick bringen, weil er das objektivierende Selbstbewußtsein als „Erfassen" verstand, das nur noch ,„Erlebnisse' vorfinden kann" (136) und darin das Dasein in ein Vorhandenes verfälscht.
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für ihn diese Frage auf den selbstverständlichen Möglichkeitshorizont der eigenen Gesellschaft eingeschränkt und sucht nach Möglichkeiten, die in der Destruktion dieses Horizonts aufgedeckt werden können. Aber dieser Ansatz ist trotzdem noch in der Lage, den spezifisch psychoanalytischen Aspekt der Verdeckungstendenz miteinzubeziehen. Die Psychoanalyse macht sichtbar, daß sich die Flucht vor der eigenen Selbständigkeit nicht erst auf den Möglichkeitshorizont der eigenen Gesellschaft bezieht, sondern auch schon triebhafte Vorgegebenheiten betrifft, darin aber selbst noch von triebhaften Bindungen mit abhängig ist (s. o. S. 160 ff.). Dieser spezifische Aspekt der eigenen Fluchttendenz wird dem entschlossenen Dasein indirekt dadurch zugänglich, daß es bei der Frage nach seinen verantwortbaren Möglichkeiten auf faktische Einstellungen und Interessen stößt, die sich durch affektive Hemmungen der Infragestellung widersetzen. Sofern diese Hemmungen nicht durch die Bereitschaft zur Selbständigkeit aufgehoben werden können, offenbaren sie Widerstände, die nicht mehr aus der Flucht vor der Unheimlichkeit aufgeklärt werden können, sondern auf Triebzwänge und -hemmungen hinweisen. Diese Zwänge kann das entschlossene Dasein abzubauen versuchen, indem es sich psychoanalytischer Methoden und Einsichten bedient. So zeigt sich, daß die universal angesetzte Frage nach der Verantwortbarkeit eigener Einstellungen die Möglichkeit eröffnet, die alltäglich verdeckten, primär triebhaft motivierten Verdrängungen als Hemmungen der eigenen Selbstbestimmbarkeit zu erfahren und sie damit als undurchschaute „Widerstände" gegen Verdecktes zu begreifen. So eröffnet die Übernahme der Unheimlichkeit für einen bestimmten Umkreis triebhaft begründeter „Icheinschränkungen" die Frage nach ihren Gründen und motiviert die Bereitschaft des Individuums, sich psychoanalytischer Aufklärungsmethoden zu bedienen, um sich von seinen Triebzwängen zu befreien. Diese Methoden lassen sich nicht mehr in der Bereitschaft zur Verantwortlichkeit gewinnen, sondern können offenbar nur in konkreter, empirischer psychoanalytischer Forschung aufgedeckt werden. Diese Forschung orientiert sich nicht an dem Phänomenbereich der Hemmungen, der von Heideggers Ansatz her zugänglich wird, sondern geht von den „sinnlosen" Bewußtseinsakten aus, in denen sich der Gegensatz zwischen den Widerständen des Ich und dem Verdrängten unmittelbar zeigt. Zusammenfassend kann man festhalten, daß Heideggers Analyse der Hinkehr zu sich selbst die Möglichkeit und die Motivation für die Frage nach dem triebhaften Verdrängten im Ausgang vom ungestörten ,Sinnzusammenhang' des Lebensvollzugs verständlich machen kann, während sich für Freud die konkreten Mechanismen der Verdrängung im Ansatz bei „sinn-
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losen" Bewußtseinsphänomenen ergaben. Für ihn entspringt auch die Motivation zur Aufklärung des Unbewußten primär dem „Leidensdruck", der mit den zwanghaften, sinnlosen Bewußtseinsakten für das Individuum verbunden ist. Aber dabei sieht er doch, daß die Überwindung der unlustbringenden Verdrängungen eine grundsätzliche Einstellungsänderung des Patienten gegenüber seiner Krankheit fordert: „ Die Krankheit selbst darf ihm nichts Verächtliches mehr sein, vielmehr . . . ein Stück seines Wesens, das sich auf gute Motive stützt" (X, 132). In dieser Einstellungsänderung scheint der Patient sein genuines Interesse an Selbständigkeit und Einheitlichkeit zu aktivieren, das die Symptome in ihrer Zwanghaftigkeit und Ichfremdheit aufzuheben bestrebt ist. So scheint Freud die Motivation für die Frage nach Verdrängungen, die Heidegger isoliert heraushebt, in ihrer Verflochtenheit mit dem Interesse an psychischer Gesundheit aufzuweisen. In dieser Verbindung ist das Streben nach Selbständigkeit aber keine universale Seinstendenz des Individuums mehr, sondern bleibt auf den Umkreis unlustbringender Bewußtseinsakte eingeschränkt. Die bisherige Interpretation hat den Vergleich zwischen der psychoanalytischen und existenzialontologischen Konzeption des interessegeleiteten Selbstbewußtseinsvollzuges im Hinblick auf das Interesse an Unselbständigkeit und Selbständigkeit durchgeführt und dabei zu zeigen versucht, wie diese Interessen ein ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' begründen, in dem das Individuum sich für Aspekte seines Seins verschließt oder öffnet. In der Orientierung an dem leitenden Selbstbewußtseinsbegriff Fidites soll der bisher untersuchte Interessengegensatz im folgenden Kapitel als Gegensatz zwischen dem Interesse an der Uneinheitlichkeit und an der Einheitlichkeit des Lebensvollzugs interpretiert werden. Dabei fragt die Interpretation nach den Beziehungen, die sich zwischen Freuds Konzeption der einheitlichen „Ichorganisation" und ihres „Synthesisstrebens" und Heideggers zeitlicher Analyse des Existenzvollzuges ergeben.
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3. Die Zeitstruktur des Selbstbewußtseins: Das Selbstbewußtsein als Auseinandersetzung mit der zeitlichen „Endlichkeit" des Daseins a) Die zeitliche Verfassung des ,ich-bin': Der Vollzug des eigenen „Zu-sein" als zeitliche „Erstreckung" des Daseins Die bisherige deskriptive Entfaltung des „,ich-bin"' hat das „Zu-sein" des Daseins als ,nichtiges Seinkönnen' charakterisiert und sich so als ontologische Interpretation der „endlichen Freiheit" des Menschen erwiesen. In der „temporalen" Interpretation des „Zu-sein" hebt Heidegger nun die zeitliche Verfassung des ,ich-bin' heraus, die schon im Ansatz des „Zu-sein" impliziert ist. Damit klärt er die spezifische Zeitstruktur auf, die der endlichen Freiheit des Menschen strukturell zugrunde liegt. Diese Struktur begründet die genuine ,Identität' des Daseins, die sich ontologisch grundsätzlich von der Identität eines Vorhandenen unterscheidet. So klärt die temporale Interpretation den spezifischen Charakter der „Selbstheit des Daseins" (SZ, 318) auf (332). Diese Interpretation der „Selbigkeit" (130) soll daraufhin befragt werden, inwieweit sie die spezifische Zeitstruktur sichtbar macht, die in den psychoanalytischen Interpretationen der (zeitlichen) Identität des Menschen intendiert ist (s. o. S. 119 ff.; vgl. auch S. 108 ff.). Das Sein, das das Dasein stets noch zu sein hat, schließt eine zweifache zeitliche „Erstreckung" (375) ein: Sofern das Dasein sein Sein immer erst noch vollzieht, steht es ihm immer noch als Möglichsein bevor und kann nur im „Sich-vorweg-sein des Daseins" (192) vollzogen werden. Das Dasein gewinnt die Bestimmtheit seines „So-seins" immer nur aus dem „Woraufhin", auf das es sich im „Sich-vorweg" (192) „entwirft". Das Dasein „ist, was es wird" (145). Die zeitliche „Erstreckung", die in diesem „Sich-vorweg" liegt, interpretiert Heidegger als „Zukunft": „Zukunft meint . . . nicht ein Jetzt, das, noch nicht ,wirklich' geworden, einmal erst sein wird, sondern die Kunft, in der das Dasein in seinem . . . Seinkönnen auf sich zukommt" (325). Die Zukunft ist die Dimension des „,Auf-sich-zu"' (328). Weil sich das Möglichsein des Daseins nur als der ,Seinssinn' des „Verstehens" konstituiert (s. o. S. 138 f.), ist mit der Zeitlichkeit des Seinkönnens die zeitliche Erstreckung des Verstehens interpretiert. Das Verstehen ist als ,Sich-Werfen auf . . . ' selber das erschließende Ausgreifen auf . . . , in dem sich die „Erstreckung" der Zukunft als der Lichtungsspielraum des Möglichseins eröffnet und zugleich auf eine bestimmte Möglichkeit festgelegt wird.
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Das Sein, das dem Dasein immer noch bevorsteht, ist ihm als faktisches zugleich auch vor- und ^«/gegeben. Sofern das Dasein sein „Daß es ist und zu sein hat" (134) niemals „einholen" und erst „aus seinem Selbstsein entlassen" kann (284), geht es dem Seinsvollzug immer schon ,voraus' und kann nur im .„Zurück auf'" (328) so oder so ,erlitten' werden. Diese Erstreckung des „Zurück auf", die für den Lastcharakter des eigenen Seins konstitutiv ist, bestimmt Heidegger als „Gewesenheit": .„Solange' das Dasein faktisch existiert, ist es nie vergangen, wohl aber immer schon gewesen im Sinne des ,ich bin-gewesen' (328). Weil sich die „Geworfenheit" nur als ,Seinssinn' der Befindlichkeit konstituiert, muß die Stimmung als das ,Geworfenwerden in . . v e r s t a n d e n werden, in dem sich die zeitliche „Erstrecktheit" der Gewesenheit als der Lichtungsspielraum der Faktizität eröffnet und in seinem Wie bestimmt wird. Sofern das Dasein sich in Befindlichkeit und Verstehen einunddasselbe Sein hinsichtlich seiner Vorgegebenheit und als Möglichsein erschließt, existiert das Dasein, zeitlich verstanden, nur als „Auf-sich-zu", indem es darin auch schon „auf sich zurückkommt" (vgl. 326). In diese Einheit von Zukunft und Gewesenheit bezieht Heidegger die „Gegenwart" ein, indem er die „gewesene . . . Zukunft" (326) als die zeitliche Erschlossenheit des eigenen Seins interpretiert und die Offenheit des je konkreten „Da" in der Gegenwart begründet: „das handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden ist nur möglich in einem Gegenwärtigen dieses Seienden" (326). So soll in der Einheit der Zeitdimensionen der Zusammenhang* zwischen der Erschlossenheit des eigenen Seins und der je konkreten Sinnhorizonte des „Da" begründet werden, der bisher deskriptiv aufgewiesen war (s. o. S. 165 f.; 142). Im ,. Auf-sich-zu", in dem das Dasein auch immer schon auf sich „zurückkommt" (326), eröffnet sich das Dasein mit seinem Möglichsein und mit seiner Faktizität je schon den „Horizont" (348), innerhalb dessen es „gegenwärtigend" „erst das faktisch Mögliche" (299) der Situation entdeckt (s. o. S. 165). Dem Dasein wird also sein je konkretes „Da" nur so zugänglich, daß „die gewesene . . . Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt" (326). Mit der Einheit der Zeitdimensionen ist „der ekstatische Charakter der ursprünglichen Zeitlichkeit" (329) aufgewiesen, die für das jeweilige Jetzt' des „Zu-sein" selbst konstitutiv ist. Das Dasein kann nur aktuell existieren, indem es immer schon „zukünftig" und „gewesend" über sein aktuelles Sosein hinaus ist und es sich „gegenwärtigend" als „Sein in einer Welt" eröffnet. So ist die Zeitlichkeit die dreifache „Erstreckung" des Jetzt', in der Zukunft und Gewesenheit das Seinkönnen und die Faktizität des Daseins
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vergegenwärtigen und darin die „Entrückung" (338) an das umweltlich Anwesende bestimmen. Die Zeitdimensionen können also ursprünglich gar nicht als die Abschnitte eines kontinuierlichen Zeitflusses verstanden werden, der seine ,Erstreckung' in der kontinuierlichen Abfolge von Gegenwartsphasen gewinnt. Sie sind vielmehr „Ekstasen" des Jetzt', das als Jetzt immer schon ,ausgespannt' ist. Die „Zeitlichkeit des Daseins" erweist sich so als „das ursprüngliche ,Außer-sich' an und für sich selbst" (329). Die bisher dargestellte Konzeption der ekstatischen Zeitlichkeit scheint zwei theoretische Schwierigkeiten einzuschließen: 1. Heideggers Versuch, die Erschlossenheit des jeweiligen „Da" auf das „Gegenwärtigen" von „Anwesendem" festzulegen, scheint deskriptiv gar nicht unmittelbar einsichtig. Heidegger hat gezeigt, wie das Dasein sich in der eigentlichen oder uneigentlichen Erschlossenheit seines Seins immer schon sein „Da" als den vollen oder nivellierten Spielraum faktischer Möglichkeiten eröffnet. Dann aber scheint sich das Dasein im Erschließen des „faktisch Möglichen" doch nur in dem OfEenheitsspielraum der „gewesenen Zukunft" zu halten, den es sich in der zugehörigen Erschlossenheit seines eigenen Seins überhaupt eröffnet. So kann Heidegger denn auch seine Interpretation der Gegenwart nur rechtfertigen, indem er das Entdecken des faktisch Möglichen als das „handelnde Begegnenlassen des umweltlich Anwesenden" (326) interpretiert. Das „handelnde Begegnenlassen" kann aber gar nicht als die genuine Erschlossenheit faktischer Möglichkeiten in Anspruch genommen werden, weil es selbst schon den Entwurf einer Möglichkeit des „ Inder-Welt-seins" voraussetzt, in dem das Dasein einheitlich die Weise seines ,Handelns' und die ,Begegnisart' des umweltlich Zuhandenen fesdegt (s. o. S. 139 ff.). Heideggers konstruktive Einführung der „Gegenwart" weist auf seine unangemessene Interpretation der Erschlossenheit zurück, die sie als die Einheit von Selbst- und Weltbezug ansetzt (s. o. S. 148 ff.). Diese Einheit soll nun zeitlich in der Untrennbarkeit der Zeitdimensionen begründet werden. Dabei steht die gewesene Zukunft für den Selbstbezug, die Gegenwart für das Weltverhältnis. 2. Die Einheit von gewesener Zukunft und Gegenwart trägt für Heidegger die Spannung in sich, die die Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit des Daseins begründet. Als die „Entrückung" an die jeweilige Umwelt schließt das Gegenwärtigen die Tendenz ein, sich ungehemmt den nivellierten Möglichkeiten zu überlassen, die dem Dasein mit der „,durchschnittlichen' öffentlichen Ausgelegtheit" (383) seines „Da" durch das Man vorgegeben sind. So begründet das Gegenwärtigen die alltägliche Fluchttendenz des Daseins.
3. Die Zeitstruktur des Selbstbewußtseins
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Umgekehrt repräsentiert die gewesene Zukunft als zeitliche Erschlossenheit des eigenen Seins das Interesse an der Übernahme der Unheimlichkeit, in dem das Dasein die Nivellierung seines Möglichkeitshorizontes überwindet. Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit unterscheiden sich nun durch den „Vorrang" (329) der einen Zeitdimension vor der anderen (s. u. S. 178; 174). Auch diese zeitliche Interpretation von Entschlossenheit und Alltäglichkeit scheint deskriptiv uneinsichtig. Als „Hin- und Abkehr" vom eigenen Sein scheinen sich doch beide Seinsweisen dadurch zu unterscheiden, wie sie das Dasein in Zukunft und Gewesenheit mit der eigenen Unheimlichkeit konfrontieren und darin die gegensätzliche Offenheit für das jeweilige Da bestimmen. Dann aber kann die Tendenz zur Abkehr nicht in der „Verführung" des Daseins durch das „gegenwärtigend" erschlossene Man, sondern nur in der Last der Unheimlichkeit begründet werden. Auch diese konstruktive Analyse weist auf Heideggers unangemessene Interpretation der Erschlossenheit zurück (s. o. S. 148 ff.). Heidegger faßte die Flucht des Daseins vor sich selbst als Sich-Verlegen in den Weltbezug, das den Selbstbezug jedoch niemals ganz hinter sich lassen kann. Umgekehrt setzte er die Hinkehr zu sich selbst als Selbstverhältnis an, das den Weltbezug aber niemals ablegt und so immer noch die Möglichkeit des Fliehens in sich trägt. Diese Zusammengehörigkeit der Tendenz zur Hinund Abkehr in der Erschlossenheit des eigenen Seins wird nun in der Einheit der Zeitdimensionen begründet: Gewesene Zukunft ist nicht ohne Gegenwart. Die vorgetragene Kritik an Heideggers Einführung der „Gegenwart" als eigenständiger Ekstase der Zeitlichkeit führt vor die Frage, ob Heidegger mit der ekstatischen Erstreckung des „Zu-sein" überhaupt die „ursprüngliche Zeitlichkeit" (329) aufgeklärt hat, aus der die Erschlossenheit der Zeit als ,nivelliertem Zeitfluß' entspringt (vgl. 329). Dieser Frage geht die folgende Interpretation jedoch nicht mehr nach. Sie versucht vielmehr zu zeigen, welchen Sinn Heideggers Ansatz der „Gegenwart" gewinnen kann, wenn man die ekstatische Erstreckung des Daseins als Begründung seiner eigentlichen oder uneigentlichen Identität versteht. b) Die Zeitlichkeit der Hinkehr: Die ekstatische Erschlossenheit der eigenen Endlichkeit als Begründung zeitlicher ,Identität' Als die Zeitlichkeit der „Hinkehr", in der das Dasein sein ursprüngliches Zu-sein übernimmt, offenbart die ,eigentliche' „Zeitigungsweise" die ursprüngliche Struktur der Zeitlichkeit überhaupt (329). In der Einheit der
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Zeitekstasen begründet die eigentliche Zeitlichkeit die Einheit von „Entschlossenheit" und „Entschluß", die schon in der Interpretation des „Gewissenhabenwollens" deskriptiv sichtbar wurde (s. o. S. 165). Im sich-ängstigenden Vorlaufen in den Tod erstreckt sich das Dasein so in Gewesenheit und Zukunft, daß es sich mit seinem puren Sein als Unheimlichkeit konfrontiert. Die Angst, die wesentlich Angst vor dem Tode ist (s. ο S. 153), „bringt" das Dasein „zurück auf das pure Daß der eigensten, vereinzelten Geworfenheit" (343) und erschließt so das nichtige Seinkönnen des Daseins in seiner Vor- und Aufgegebenheit. In diesem „Zurück auf" eröffnet sich die Gewesenheit ursprünglich. Dieses vorgegebene Sein übernimmt das Dasein als nichtiges Möglichsein, indem es den Tod als „äußerste und eigenste Möglichkeit" (326) übernimmt und darin zukünftig auf sich zukommt. In diesem Sein zum Tode eröffnet sich Zukunft überhaupt erst: „Das die ausgezeichnete Möglichkeit aushaltende, in ihr sich auf sich Zukommen-lassen ist das ursprüngliche Phänomen der Zukunft" (325). So ist in Zukunft und Gewesenheit das „Zu-sein" in seinen untrennbaren Aspekten ekstatisch eröffnet: „Das Vorlaufen in die äußerste und eigenste Möglichkeit ist das verstehende Zurückkommen auf das eigenste Gewesen" (326). Die Erschlossenheit des eigenen Seins eröffnet den „ekstatischen Horizont" (348), innerhalb dessen sich das Dasein gegenwärtigend für seine Situation öffnet, und bestimmt damit schon die Weise, wie es sich den Spielraum des faktisch Möglichen erschließt. Sofern die eigentliche Existenz nichts ist, „was über der verfallenden Alltäglichkeit schwebt, sondern existenzial nur ein modifiziertes Ergreifen dieser" (179), bringt sich das entsdblossene Dasein gegenwärtigend gerade vor den nivellierten Möglichkeitshorizont des Man, ohne aber in ihm aufzugehen (vgl. 383). Die eigentliche Gegenwart ist vielmehr als „Augenblick" die „in der Entschlossenheit gehaltene Entrückung des Daseins an das, was in der Situation . . . begegnet" (338). Wie aber kann die „ekstatische" Erschlossenheit des eigenen Seins die kritische Distanz des Daseins zu seinen ,unmittelbar' mit der Situation vorgegebenen Möglichkeiten des Man begründen? Heidegger nimmt für die kritische Funktion der gewesenen Zukunft gegenüber dem alltäglichen Möglichkeitsspielraum die „Endlichkeit" der ursprünglichen Zeitlichkeit in Anspruch. Das Vorlaufen eröffnet die Dimension der Zukunft, indem es in der einheitlichen „Bewegtheit" (374 f.) des zukünftigen Sich-Erstreckens die Möglichkeit des Nicht-mehr-Seinkönnens als die Grenze alles Seinkönnens absolut vergegenwärtigt. „Der ekstatische Charakter der ursprünglichen Zukunft liegt gerade darin, daß sie das Seinkönnen schließt, das heißt selbst
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geschlossen ist und als solche das entschlossene existenzielle Verstehen der Nichtigkeit ermöglicht" (330). Nur aufgrund der Zukunft, die mit der Erstreckung des eigenen Möglichkeitsspielraums auch schon seine Grenze offenhält, ist es möglich, daß der Tod „in jedes faktisch ergriffene Seinkönnen des Daseins . . . hereinsteht" (302). Dieser Endlichkeit der Zukunft entspricht für Heidegger die Verschlossenheit der Gewesenheit: „Die Geworfenheit, vor die das Dasein zwar eigentlich gebracht werden kann, . . . bleibt ihm gleichwohl hinsichtlich ihres ontischen Woher und Wie verschlossen. Diese Verschlossenheit . . . konstituiert die Faktizität des Daseins. Sie bestimmt den ekstatischen Charakter der überlassenheit der Existenz an den nichtigen Grund ihrer selbst" (348). Gerade weil das „Zurück auf", das die Gewesenheit eröffnet, vor die Nichthinterfragbarkeit der eigenen Geworfenheit bringt, konfrontiert es im Eröffnen der Zeitdimension schon mit ihrer Verschlossenheit. In dieser Vergegenwärtigung der Endlichkeit des „Gewesen" gewinnt die Ekstase genau wie die Zukunft erst ihre spezifische ,Spannweite', die nicht in der Abstufung von vergangenen Jetztpunkten, sondern in der Unüberholbarkeit der vergegenwärtigten ,Grenze' liegt. Nur weil die Gewesenheit ständig die .Grenze' ihrer eigenen Offenheit ekstatisch vergegenwärtigt, kann das Dasein so existieren, daß es, „solange es ist, was es ist, im Wurf bleibt" (179). Das sich-ängstigende Vorlaufen, das das Dasein mit der „Endlichkeit" seiner Zeitlichkeit konfrontiert, erschließt darin auch schon die ,Identität' des Daseins mit sich selbst als „Selbständigkeit" (322 f.): Im sich ängstigenden „Sein zum Tode" konfrontiert sich das Dasein mit seiner „eigensten, unbezüglichen" (263) Möglichkeit, „darin es um das Seinkönnen des Daseins schlechthin geht" (263). Darin wird es ursprünglich von der radikalen „Überlassenheit" seines Seinkönnens „an es selbst" (141, 384) betroffen und übernimmt es zugleich als Möglichsein in seiner absoluten „Unvertretbarkeit" (vgl. 239 f.) und „Vereinzelung" (188). In dieser Betroffenheit von seiner Vereinzelung und ihrer Übernahme erfährt das Dasein ursprünglich seine ,Identität' mit sich selbst (252) als eigene „Selbständigkeit" . In der Aneignung dieser „Selbständigkeit" kann sich dem Dasein „die faktische Verlorenheit in die Alltäglichkeit des Man-selbst" enthüllen (263) und sich darin der selbstverständliche Möglichkeitshorizont des Man entziehen (263). Damit „holt" sich das Dasein aus dem ,unmittelbar' vorgegebenen alltäglichen Möglichkeitshorizont „zurück" (268). Weil das Dasein seine „Selbständigkeit" nur in der Konfrontation mit der „Endlichkeit" der eigenen Zeidichkeit erfahren kann, ist in der Erschlossenheit der eigenen ,Identität' auch immer schon der Zeitspielraum eksta-
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tisch eröffnet, der die ,Kontinuität' des Daseins und die ,Übereinstimmung' mit sich selbst innerhalb des zeitlichen ,Lebenszusammenhangs' begründet. Heidegger entfaltet diese Beziehung, indem er die zweiseitige Verschlossenheit' der endlichen Zeitlichkeit mit der zweiseitigen ,Begrenztheit' des Lebensvollzuges identifiziert: „Das faktische Dasein existiert gebürtig, und gebürtig stirbt es auch schon im Sinne des Seins zum Tode. ( . . . ) In der Einheit von Geworfenheit und flüchtigem, bzw. vorlaufendem Sein zum Tode ,hängen' Geburt und Tod daseinsmäßig ,zusammen'" (374). So eröffnet sich das Dasein mit seiner endlichen Zeitlichkeit immer schon das eigene Sein „in seiner unüberholbaren Ganzheit" (265; 373 f.). In diesem ,Ganzsein' gewinnt das Dasein eine ,Kontinuität', die nicht erst in der kontinuierlichen Abfolge von Gegenwartsphasen entsteht und sich darin kontinuierlich erweitert. Vielmehr ist dem Dasein in seiner „Ganzheit" ständig der einheitliche Zeitspielraum offengehalten, innerhalb dessen es seine konkreten Möglichkeiten vollzieht, solange es überhaupt ist. Diese ständige Offenheit der Lebensganzheit garantiert die zeitliche ,Kontinuität' des Daseins. Zusammen mit der „Ganzheit" begründet die endliche Zeitlichkeit auch schon die „Ständigkeit" (390 f.) des Daseins. Indem das Dasein sich den Tod als Begrenzung seines Existenzvollzugs erschließt, gibt es sich seine „eigenste, unüberholbare Möglichkeit" als das einheitliche, für das Leben im ganzen leitende „Woraufhin" vor, von dem her es sich seine je konkrete „eigenste" Möglichkeit bestimmen kann (s. o. S. 164 f.). Zugleich hält das Ganzsein in der ekstatischen Vergegenwärtigung der Geburt die volle Gewesenheit als den Spielraum vorgegebener, wiederholbarer Möglichkeiten offen. In dieser Vergegenwärtigung der einheitlichen „Instanz seines Seinkönnens" (313) und des einheitlichen Möglichkeitsspielraums der eigenen Gewesenheit begründet das Dasein seine Übereinstimmung mit sich selbst in der Mannigfaltigkeit seiner konkreten Entschlüsse. Diese Übereinstimmung, die die ,Sinnhaftigkeit' des Lebensvollzuges ausmacht (s. o. S. 35), nennt Heidegger die „Ständigkeit" bzw. „Stätigkeit" des Daseins (390 f.). Die vorangegangene Interpretation der ,Identität' kann nun sichtbar machen, inwiefern sich das Dasein in der Erschlossenheit seines Seins gegenüber dem Möglichkeitshorizont des Man distanziert (s. o. S. 174). Indem das Dasein seine radikale Vereinzelung übernimmt und sich damit „aus der Verlorenheit in das Man zurückholt zu ihm selbst" (268), eröffnet es sich in seiner „Ganzheit" auch schon den eigenen Möglichkeitsspielraum für die entschlossene Wahl. In seinem Ganzsein zerbricht das Dasein die Eingrenzung seines Seinkönnens auf die situationsgebundenen Verhaltensschemata
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des Man und gewinnt die volle Gewesenheit und die endliche Zukunft als Horizont seines je konkreten Seinkönnens in der Situation. Sofern auch die individuelle Gewesenheit immer schon wesentlich von den nivellierten Möglichkeiten des Man beherrscht ist, fordert der „Rückgang" in die eigene Gewesenheit primär die Vergegenwärtigung der eigenen Tradition', der das alltägliche Seinkönnen unausdrücklich verhaftet ist. Diese Aneignung von „Möglichkeiten des dagewesenen Daseins" (385) interpretiert Heidegger als „Geschehen der Geschichtlichkeit" (§§ 72—77). In seiner Analyse der „Geschichtlichkeit" untersucht Heidegger den Prozeß der Identitätsbildung konkret, in dem das entschlossene Dasein die Ansprüche seiner „Gegenwart" mit dem Möglichkeitshorizont der eigenen Tradition vermittelt. In seinem „Rückgang in Möglichkeiten des dagewesenen Daseins" (385) vollzieht das entschlossene Dasein eine „Entgegenwärtigung des Heute und eine Entwöhnung von den üblichkeiten des Man" (391). In dieser kritischen Distanzierung von den unmittelbar vorgegebenen Möglichkeiten der Gegenwart überläßt sich das Dasein aber nicht einfach einer Tradition: „Die Wiederholung des Möglichen ist weder ein Wiederbringen des ,Vergangenen', noch ein Zurückbinden der ,Gegenwart' an das ,überholte"' (285 f.). Vielmehr macht sich das eigentliche Dasein erst in seinem „Rückgang" den Blick frei, um die eigene „Gegenwart" in ihrer geschichtlichen Eigenart und Unterschiedlichkeit zu der Tradition, der sie entspringt, sehen zu können. So bringt sich das Dasein im „Geschehen der Geschichtlichkeit" selbst in die ,Schwebe' gegenüber der eigenen Gegenwart und Vergangenheit und stellt sich damit die Aufgabe, jeweils noch selbst zu entscheiden, wie es beide Aspekte seines (geschichtlich gebundenen) Seins miteinander vermitteln will. In dieser Vermittlung kann es seine Identität bewahren, wenn es in der „Wiederholung" ,dagewesener' Möglichkeiten das Überlieferte so verwandelt, daß es den bestimmten Bedingungen der eigenen „Gegenwart" entspricht. So gilt: „Die Wiederholung erwidert ... die Möglichkeit der dagewesenen Existenz" (386). Die „temporale" Interpretation des „Sich-zueigenseins" klärt mit der zeitlichen Erstreckung der Eigentlichkeit zugleich den zeitlichen Aspekt des Interesses auf, das die Erschlossenheit der Eigentlichkeit leitet und bestimmt. Bisher hatte es sich als Interesse an der „Selbständigkeit" erwiesen, in dem es dem Dasein darum geht, seine Möglichkeiten selbst zu wählen und zu verantworten. Nun erscheint es als Interesse daran, sich die eigene „Ganzheit" offenzuhalten und darin die eigene „Ständigkeit" durchzuhalten. So ist nun für die Hinkehr der Zusammenhang erreicht, den Fichte in seiner Interpretation des Selbstbewußtseins aufgewiesen hatte. Das Inter-
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esse, das den befreienden Selbstbewußtseinsvollzug leitet, ist als Interesse an der Freiheit auch schon das Interesse an der Identität. Dabei hat Heidegger diesen Zusammenhang auf der ursprünglicheren Ebene seiner Interpretation noch konsequenter erfaßt, indem er zeigt, daß die ,Identität' nichts anderes als die zeitliche Struktur der endlichen Freiheit ist. Gerade weil die ,Identität' des Daseins ,nur' in einem Interesse gründet, das noch dazu ständig das Gegeninteresse niederhalten muß, ist die existenzial verstandene Identität keine unaufhebbare, „apriorische" Bestimmtheit des Daseins, sondern ist ständig noch im Offenhalten der eigenen „Ganzheit" gegen die Fluchttendenz des Daseins durchzusetzen. Die existenzialontologische Konzeption der „Selbigkeit" macht einen Zusammenhang unter den verschiedenen Aspekten der subjektiven' Identität sichtbar, den die philosophische Tradition bisher nie zureichend entfalten konnte. Sie setzte im Ausgang vom objektivierenden Vorstellen eines Vorhandenen den Selbstbezug immer schon als das zeitlose, transparente Beisich-sein „im Sinne der absoluten Gegenwart" 16 an und führte die Kontinuität und Übereinstimmung des Ich mit sich selbst erst als sekundäre zeitliche Charaktere des Subjekts ein. Zugleich bestimmte sie die Struktur der Zeit ebenfalls im Ausgang vom objektivierenden Vorstellen eines ,präsenten' Vorhandenen als die kontinuierliche Abfolge je präsenter Gegenwartsphasen. So verstand sie die Kontinuität und Übereinstimmung des Ich in der Zeit aus dem dauernden Sioh-Durchhalten des ,zeitlosen' Selbstbezugs im kontinuierlichen Zeitfluß (SZ, 114). Damit erscheint nun in der zeitlichen Interpretation der Vorhandenheit die „Beharrlichkeit" (vgl. 373) als Grundcharakter des Subjekts. Indem Heidegger jedoch die ,Zeit' als ekstatische Struktur des existenziellen Jetzt' entfaltet, muß er das Ich nicht mehr als ,beharrendes Vorhandenes' ansetzen, sondern kann die Identität des Daseins in der vorgängigen Erstrecktheit des Daseins, die im Sein des Daseins als solchem liegt (374), begründen. In der vorangegangenen Interpretation der eigentlichen Zeitlichkeit hat sich schon ein spezifischer Sinn der „Gegenwart" gezeigt, der darin liegt, daß sich das Dasein dem nivellierten Möglichkeitshomont des Man überläßt (s. o. S. 174). Indem das Dasein die Gewesenheit und Zukunft als Horizonte seines konkreten Seinkönnens abblendet, versteift es sich auf die bloß situationsbezogenen Verhaltensschemata des Man, die es in analogen Situationen ständig wiederholt, ohne nach einer Übereinstimmung mit sich 16 G. W. F. Hegel: Die Vernunft in der Geschichte. Hrsg. von J. Hoffmeister. Hamburg 1955; S. 182.
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selbst zu fragen. Diese Existenzform des ,Identitätsverlustes' hat Heidegger genauer in der Analyse der ..uneigentlichen' Zeitlichkeit entfaltet. c) Die Zeitlichkeit der Abkehr: Das ekstatische Verdecken der eigenen Endlichkeit als Begründung des zeitlichen ,Identitätsverlustes' In seiner Analyse der uneigentlichen Zeitlichkeit orientiert sich Heidegger primär an seiner problematischen Interpretation der Erschlossenheit, in der das „In-der-Welt-sein" als die Einheit von Selbst- und Weltbezug angesetzt wird (s. o. S. 148 ff.). Entsprechend begründet er die Zeitlichkeit der Abkehr im „Vorrang" der „Gegenwart", die der Zukunft und Gewesenheit „entspringt" (347) und als „ungehaltenes Gegenwärtigen" (347) die ursprüngliche gewesene Zukunft modifiziert (s. o. S. 172 f.). Zugleich hält Heidegger aber auch an seinen deskriptiven Interpretationen der Alltäglichkeit fest. Er zeigt, daß nicht der ekstatische Weltbezug des „Gegenwärtigens", sondern die Endlichkeit der ursprünglichen Zeitlichkeit die Bewegtheit der Flucht des Daseins begründet: „Der Zeitigungsmodus des ,Entspringens' der Gegenwart gründet im Wesen der Zeitlichkeit, die endlich ist. In das Sein zum Tode geworfen, flieht das Dasein zunächst und zumeist vor dieser mehr oder minder ausdrücklich enthüllten Geworfenheit" (348). In dieser Flucht überläßt sich das Dasein nicht seinem bloßen Weltbezug, sondern verdeckt sich die Last seines nichtigen Seinkönnens, indem es sich die Endlichkeit seiner ekstatischen Zeitlichkeit verdeckt. So interpretiert Heidegger die uneigentliche Gewesenheit als das „Vergessen", das sich „auf das geworfene, eigene Sein" (339) bezieht. Dieses Vergessen verschließt sich vor der Endlichkeit des „eigensten Gewesen" und macht sich darin als Fluchttendenz unkenntlich: „Die Ekstase (Entrückung) des Vergessens hat den Charakter des sich selbst verschlossenen Ausrückens vor dem eigensten Gewesen, so zwar, daß dieses Ausrücken vor . . . ekstatisch das Wovor verschließt und in eins damit sich selbst" (339). Der Gewesenheit, in der das Dasein sich vor seiner ursprünglichen Geworfenheit verschließt, gehört eine Zukunft zu, die dem „flüchtigen . . . Sein zum Tode" (374) zugrundeliegt. Sofern sich das Dasein in dieser Flucht die Endlichkeit seiner Zukunft verdeckt, hat sie den Charakter des „verhüllenden Ausweichens" (254) vor dem Tod 1 7 . 17
Statt des „flüchtigen Seins zum Tode" führt Heidegger das „Gewärtigen" als Grundcharakter der uneigentlichen Zukunft ein: im uneigentlichen Verstehen ist das Dasein „besorgend seiner gewärtig aus dem, was das Besorgte ergibt oder versagt" (337). Diese Konzeption scheint aber Heideggers eigenem Grundansatz zu widersprechen.
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Mit der Endlichkeit der Zeitlichkeit ist auch immer schon ihr genuiner ekstatischer Charakter aufgelöst. Er liegt, wie sich zeigte, gerade darin, mit der ,Begrenztheit' der eigenen zeitlichen Offenheit den Tod als „unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit" (258 f.) zu vergegenwärtigen und zugleich die eigene Gewesenheit als vorgegebenen Spielraum faktischer Möglichkeiten zu erschließen, an den das Dasein in seinem Seinkönnen gebunden bleibt (s. o. S. 175). Indem das alltägliche Dasein sich die Verschlossenheit seiner ekstatischen Zeitlichkeit verdeckt, klammert es den Tod aus seinem je vergegenwärtigten Möglichkeitshorizont aus und verwandelt ihn „im besorgten Erwarten seiner" (337) in ein „ankommendes Ereignis" (254). Entsprechend verliert die (individuelle und gesellschaftliche) Gewesenheit für das alltägliche Dasein ihren findenden' Möglichkeitscharakter: es verhält sich zur Vergangenheit, indem es nur noch das „,Wirkliche'" vergangener Ereignisse „behält" (391) und dabei die „,Vergangenheit' aus der ,Gegenwart'" versteht (391). Im ,Ausrücken' vor dem eigenen Sein, in dem das Dasein den ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit auflöst, eröffnet sich das Dasein sein konkretes „Da" im Horizont nivellierter Zukunft und Gewesenheit und kann so gegenwärtigend in den Möglichkeiten des Man aufgehen. Der spezifische Gegenwartscharakter des alltäglichen Möglichkeitshorizonts scheint darin zu liegen, dem Dasein für die Mannigfaltigkeit seiner Situationen stets nur bestimmte, auf die jeweilige Situation bezogene Verhaltensmuster vorzugeben, die in analogen Situationen wiederholt werden 18 . Darin bleiben Zukunft und Gewesenheit als „Horizont" des Entwerfens ausgeklammert. In der Übernahme seiner endlichen Zeitlichkeit dagegen versteht das Dasein, daß es im konkreten Entwurf nicht nur über eine isolierbare Situation, sondern möglicherweise über sein Sein im ganzen entscheidet und in diese Entscheidung auch je die eigene Gewesenheit im ganzen aufnehmen muß (vgl. 348 f.). Die Endlichkeit von Zukunft und Gewesenheit läßt sich aber nur in der ständigen Bemühung des „Ausrückens" vor ihr abblenden, weil sich die ZeitlichWenn das Dasein sich im Verständnis seines eigenen Seins immer erst den Lichtungsspielraum eröffnet, innerhalb dessen ihm konkrete Möglichkeiten zugänglich werden können, dann setzt das „Gewärtigen" selbst strukturell noch ein Ausgreifen in die Zukunft voraus, in dem die Zukunft überhaupt als Spielraum uneigentlichen SichVerstehens eröffnet wird. Dieses Sich-Erstrecken, das die Endlichkeit der Zukunft verdeckt, muß aber als „flüchtiges Sein zum Tode" verstanden werden. Diese Struktur uneigentlicher Möglichkeiten hatte Heidegger vielleicht vor Augen, als er das „verfallende" Verstehen als „Entwerfen" interpretierte, in dem das Dasein sich seine Möglichkeiten durch die jeweiligen Umstände seiner je konkreten Situation vorgeben läßt.
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keit überhaupt nur in der Erschlossenheit ihrer Endlichkeit zeitigt. Damit ist die Unabschließbarkeit der alltäglichen Fluchttendenz in dem ekstatischen Charakter der Zeitlichkeit selbst begründet. Indem das Dasein die Endlichkeit der gewesenen Zukunft abblendet, verschließt es sich auch schon vor seiner ursprünglichen zeitlichen Identität. I m „vergessenden" „Ausrücken vor dem Tode" verdeckt das Dasein sich die radikale Überlassenheit seines Seinkönnens an es selbst und entzieht sich so seiner Vereinzelung. Damit überläßt es sich den nivellierten Möglichkeiten des Man und existiert so in der „Unselbständigkeit" ( 3 2 3 ) . Mit der Verdeckung der eigenen Identität verfällt das Dasein auch schon der Diskontinuität: Statt sich ständig in der eigenen „Ganzheit" zu halten und darin gerade die Orientierung für die je konkrete, situationsbezogene W a h l zu gewinnen, existiert das alltägliche Dasein in der „Zerstreuung" ( 3 9 0 ) , in der es die jeweils „nächstliegenden" (vgl. 2 5 8 ) , mit der je aktuellen Situation vorgegebenen Möglichkeiten des Man unkritisch übernimmt. In dieser „Seinsart seiner selbst verliert es sich so, daß es sich gleichsam erst nachträglich aus der Zerstreuung zusammenholen und für das Zusammen eine umgreifende Einheit sich erdenken muß" ( 3 9 0 ) . So entspringt für Heidegger die Frage nach der Kontinuität des Ich im Wechsel seiner Erlebnisse selbst erst der Flucht vor der eigenen ursprünglichen Identität 1 9 . 19
Im alltäglichen zweideutigen „Ich-sagen" (318) liegt für Heidegger der Ursprung des traditionellen philosophischen Selbstbewußtseinsbegriffs. Dabei ist für Heidegger das „Ich-sagen" nicht mehr, wie für die Tradition, der Ausdruck einer absolut evidenten, unsinnlichen Wahrnehmung, sondern eine „Selbstauslegung" (318), in der das Dasein sich seine spezifische Seinsweise zu verstehen gibt: „Im Ich-sagen spricht sich das Dasein als In-der-Welt-sein aus" (321). Diese Selbstauslegung des verfallenden Daseins hat nun selbst verdeckende Funktion für den alltäglichen Exisfcenzvollzug: „Das Man-selbst sagt am lautesten und häufigsten Ich-Ich, weil es im Grunde nicht eigentlich es selbst ist und dem eigentlichen Seinkönnen ausweicht" (322; vgl. 115 f.). Das alltägliche Dasein kann aber nur deshalb ein Interesse am „Ich-sagen" haben, weil es alltäglich noch vor der ursprünglichen „Selbst-ständigkeit" flieht und sie sich gerade im Ichsagen vorzutäuschen versucht. In dieser Flucht nimmt das Dasein dem Selbstsein seinen ursprünglichen Aufgabencharakter: Für das „Verfallen" an die jeweilige ,Welt' erscheint das Ich als „das ständig selbige, aber unbestimmt-leere Einfache. Ist man doch das, was man besorgt" (322). Diese alltäglich verdeckende Selbstauslegung setzt sich auch in der philosophischen Interpretation des Selbst durch, die es als „das je schon und ständig Vorhandene, das in einem vorzüglichen Sinne zum Grunde liegende, als das Subjectum" (114) ansetzt, das „keinen explikablen Inhalt" hat (Husserl: Ideen I, 195). In der Verdeckung des Lastcharakters, der im „Zu-sein" impliziert ist, spricht sich das alltägliche Ichsagen nun auch die eigenen ontologischen Grundcharaktere, die im eigentlichen Vollzug des eigenen Seins ständig noch durchgehalten werden müssen, als unaufhebbare Eigenschaften des Ich zu. Diese Interpretation kommt philosophisch darin zum Ausdruck, daß Identität, Kontinuität und Übereinstimmung mit sich selbst als transzendentale' Grundbestimmungen der Sub-
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In seiner „Zerstreuung" überläßt sich das Dasein auch immer schon dem „Unzusammenhang" (390) seines Seinkönnens, der die „Un-ständigkeit" (390) des Daseins ausmacht. In der Übernahme der nächstliegenden, bloß situationsbezogenen, nivellierten Möglichkeiten des Man klammert das Dasein die Frage nach ihrem .Zusammenstimmen' innerhalb des eigenen, individuellen Lebensvollzugs aus und entzieht sich darin der Aufgabe, in der Mannigfaltigkeit seiner Entschlüsse mit sich übereinzustimmen. In der alltäglichen „Unselbständigkeit" gibt das Dasein aber nicht überhaupt seine Identität mit sich auf, sondern entzieht sich nur dem Lastcharakter seiner ursprünglichen „Selbigkeit". Darin gewinnt es eine sekundäre Form der ,Selbigkeit', die darin gründet, daß sich das verfallende Dasein ständig mit seiner sozialen Umwelt identifiziert. Die innere Widersprüchlichkeit und Beliebigkeit der je übernommenen Möglichkeiten bleibt in der Gewißheit, in ihnen mit allen anderen übereinzustimmen, für das alltägliche Dasein verdeckt (vgl. § 27). Darin legt sich das Dasein auf einen mehr oder weniger fest umrissenen Spielraum gesellschaftlich legitimierter Verhaltensmuster fest, die es in analogen Situationen wiederholt. So gewinnt es in der Identifikation mit der sozialen Umwelt eine sekundäre Identität mit sich selbst, die in der Konstanz bestimmter Einstellungen durch das ganze Leben hindurch liegt. In dieser Weise der Kontinuität flieht das Dasein gerade vor der Offenheit seines selbstüberlassenen Seinkönnens, das die Möglichkeit und Notwendigkeit ständiger Wandlungen, in denen die Vergangenheit bewahrt wird, begründet. In der vorangegangenen zeitlichen Interpretation der „Abkehr" hat nun auch das erschließende Interesse, das die Flucht des Daseins vor sich selbst leitet, einen neuen Sinn gewonnen (s. o. S. 153). Für die Deskription der Alltäglichkeit erwies es sich als Interesse an der ,Unselbständigkeit', in der das Dasein vor seiner Freiheit und Verantwortlichkeit ausweicht. In der zeidichen Interpretation zeigt es sich nun als Interesse an der „Unständigkeit" , in dem das Dasein sich vor der vollen ekstatischen Offenheit seiner endlichen Zeitlichkeit verschließt und darin eine alltägliche ,Scheinidentität' gewinnt. Damit ist jetzt auch für die „Abkehr" der Zusammenhang erreicht, den Fichte in seiner Interpretation des Selbstbewußtseinsvollzuges aufgejektivität angesetzt werden, die gegenüber dem konkreten Existenzvollzug indifferent sind (vgl. 318). So gründet der ,formale', ,transzendentale' Begriff des Ich für Heidegger darin, daß sich das Dasein seine eigentlichen Seinsbestimmungen vortäuscht, ihnen darin aber gerade ihren belastenden Aufgabencharakter nimmt und darin den Unterschied zwischen eigentlichem und uneigentlichem Selbst nivelliert. So ist das alltägliche Selbstbewußtöein ein Phänomen der „Zweideutigkeit" (s. o. S. 151 f.).
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deckt hatte. Das Interesse, in dem das Dasein vor dem Selbstbewußtseinsvollzug ausweicht, ist als Interesse an der Unselbständigkeit zugleich die Tendenz zur „Zerstreuung" (s. o. S. 28). Aber auch in seiner „Un-ständigkeit" und „Zerstreuung" kann sich das alltägliche Dasein noch als ,Ich' verstehen, weil es im Identitätsverlust nur vor seiner ursprünglich erfahrenen ,Identität' flieht und sie darin noch so weit offenhält, daß es sich im „Ichsagen" seine zweideutige' Identität zusprechen kann (s. 318ff., 114 iE.). Sofern die Fluchttendenz aber das Gegeninteresse an der ,eigentlichen' Identität niemals endgültig niederhalten kann, wird das fliehende Dasein immer noch von seiner ursprünglichen belastenden Identität bedroht. In seiner „temporalen" Interpretation des interessegeleiteten Selbstbewußtseins hat Heidegger nun den Aspekt der bewußtseinseröffnenden Interessen herausgehoben, der für die psychoanalytische Interpretation der ,Ichtendenzen' leitend war (s. o. S. 108 ff.). Die folgende Darstellung soll zeigen, inwieweit die existenzialontologische Interpretation der Identität und Diskontinuität Freuds zeitliche und topische Analysen der Integration und ihres Scheiterns theoretisch durchsichtig machen kann. d) Die Relevanz der existenzialontologischen Konzeption zeitlicher Identität für das Verständnis der psychoanalytischen Integrationstheorie Der Versuch, Heideggers Begriff der zeitlichen Identität des Daseins für die psychoanalytische Konzeption des individuellen Integrationsprozesses (s. o. S. 111 ff.) fruchtbar zu machen, kann sich an der vorangegangenen Gegenüberstellung der beiden Positionen orientieren, die vom Problem individueller Selbständigkeit ausging (s. o. S. 155 ff.). In dieser Gegenüberstellung zeigte sich schon die gemeinsame Basis, die den Vergleich zwischen den beiden theoretischen Konzeptionen ermöglicht: In seiner Theorie des Integrationsvollzuges, den das gereifte und selbständige Ich zu leisten hat, thematisiert Freud unausdrücklich den Freiheitsspielraum, den Heidegger in seiner ontologischen Analyse untersucht. Von dieser Basis ausgehend, kann der Vergleich zwischen den beiden Theorien individueller Identitätsbildung eine grundsätzliche Gemeinsamkeit feststellen. Heidegger und Freud begründen die Identität des Individuums innerhalb seines Lebensvollzugs nicht in der „Beharrlichkeit" eines identischen ,Aktpols', der sich in der Mannigfaltigkeit der ,psychischen Erlebnisse' durchhält (s. o. S. 178), sondern verstehen sie gemeinsam als kontinuierliche Übereinstimmung des Individuums mit sich selbst, die sich im Zusammen-
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stimmen der ,Erlebnisse' untereinander zeigt. Diese Übereinstimmung ist niemals endgültig erreicht, sondern muß jeweils neu im Prozeß der Identitätsbildung gewonnen werden, in dem das Individuum neue Interessen und Einstellungen mit der je erreichten Einheitlichkeit des Lebensvollzugs vermittelt. Der Vollzug dieser Vermittlung wird vom Interesse an Einheitlichkeit geleitet, das sich ständig gegen das Gegeninteresse an der ,Diskontinuität' und der zugehörigen Isolationstendenz der zu vermittelnden Vorgegebenheiten durchsetzen muß. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden theoretischen Konzeptionen werden jedoch sichtbar, wenn man wiederum berücksichtigt, daß ihr gemeinsames Modell der Identitätsbildung für ganz verschiedene Phänomenbereiche entwickelt wurde (s. o. S. 157; 144 f.). Heidegger gewinnt seine Konzeption der Identität, indem er nach der zeitlichen Struktur des ,Bewußtseinsspielraums' fragt, der sich für die Freiheit des integrierenden Ich eröffnet. Sofern sich das Individuum immer schon in seiner Freiheit vorfindet, ist es bei seiner Entscheidung über mögliche Interessen und Einstellungen immer schon an die eigene Vergangenheit und die schon festgelegte Zukunft gebunden und steht vor der Aufgabe, sie in den Erschlossenheitsspielraum der eigenen aktuellen Entscheidung miteinzubeziehen. Damit impliziert die Struktur der vorgegebenen Freiheit selbst die Struktur der „ekstatischen" Zeitlichkeit, die die eigene Lebensganzheit für die aktuelle Entscheidungssituation voll vergegenwärtigt. Diese Zeitstruktur der endlichen Freiheit ermöglicht den Prozeß der Identitätsbildung, weil sie die eigene Vergangenheit und Zukunft als den Horizont eröffnet, innerhalb dessen die je aktuellen, unmittelbaren' Einstellungen und Interessen geprüft und zur Entscheidung gestellt werden können. Im Ansatz bei der formalen Struktur endlicher Freiheit klärt Heidegger also die Zeitlichkeit des Daseins auf, in der sich die je erreichte Identität und die neu eröffneten Interessen des Individuums gegenseitig in Frage stellen und die selbständige Entscheidung über ihre Geltung verlangen. Sofern das Dasein aber jeweils noch selbst entscheidet, inwieweit es sich mit seiner endlichen Freiheit konfrontiert, bestimmt es jeweils noch selbst, in welchem Umfang es sich in seiner zeitlichen „Erstreckung" für die eigene Lebensganzheit öffnet. Im „gegenwärtigenden" Verfallen an das „Man" blendet das Dasein die eigene endliche Lebensganzheit ab, hält sie sich aber immer noch in der Flucht vor ihr offen. Damit erweist sich die Fluchttendenz des Daseins als das Interesse an der „Unständigkeit", in dem das Dasein jeweils einen eingegrenzten Erschlossenheitsspielraum aktueller ,Präsenz1 gegen die zeitlich erstreckte Lebensganzheit abgrenzt, sie aber im ständigen
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Widerstand gegen ihre Zugänglichkeit immer noch vergegenwärtigt. Umgekehrt erweist sich die Übernahme der endlichen Freiheit als Interesse an der „Ständigkeit", in dem das Dasein sich die Lebensganzheit voll als präsenten ,Integrationshorizont' seiner je aktuellen Einstellungen und Interessen offenhält. Indem Heidegger die Zeitlichkeit der gelungenen und gescheiterten Integration im Ausgang von der endlichen Freiheit als solcher entfaltet, klammert er den Aspekt der Identitätsbildung, den die Psychoanalyse ins Zentrum rückt, in seinem Ansatz aus. In seiner Untersuchung der triebhaften Gebundenheit des integrierenden Ich kann Freud zeigen, daß sich das Ich aufgrund seiner infantilen Urverdrängungen je schon unbewußt gegen einen Bereich von Triebansprüchen absetzt, die die eigene Einheitlichkeit total sprengen würden, und dabei zugleich von Zwängen des Überich abhängig ist, die ihm partiell unbewußt sind. Für das Verhältnis des verdrängenden Ich zum Es greift Freud auf eine Zeitstruktur zurück, die im Ausgang von der Freiheit des integrierenden Ich gar nicht faßbar wird. Wie sich zeigte (s. o. S. 119 ff.), versteht Freud die Anteile des Es als unzugängliche Interessen und Erlebnisse der Vergangenheit, aber er zeigt, daß diese psychischen Akte in der Verdrängung ihre zeitliche Fixierung und Anordnung vollständig verlieren. Der „chaotische" Charakter des Es (vgl. XV, 80) liegt wesentlich darin, daß die verdrängten Triebansprüche in keinem zeitlichen Zusammenhang mehr stehen und sich darum ihr ,Gewicht' für die je aktuelle Gegenwart allein aus ihrer triebhaften Besetzung bestimmt, sich darin aber nicht mehr nach dem Grade ihrer Vergangenheit richtet. Diese „Zeitlosigkeit" des Verdrängten begründet eine unbewußte Präsenz der niedergehaltenen Triebansprüche, in der sie alle gleichzeitig (je nach Besetzungsintensität) in jeder Phase des vom Ich bestimmten Bewußtseinsablaufs nach Ausdruck suchen. Die spezifische Verdrängungsleistung, in der das Ich das Verdrängte überhaupt aus dem Bereich zeitlicher Ordnung ausschließt, kann offenbar nicht mehr aus dem Interesse an der „Unständigkeit" des Daseins einsichtig gemacht werden. Zwar kann Heidegger zeigen, wie sich das Dasein vor bestimmten Aspekten seiner zeitlich geordneten Lebensganzheit verschließt und sie darin aus dem Umkreis aktueller Präsenz ausklammert. Darüber hinaus macht er verständlich, wie die verdeckten Aspekte der eigenen zeitlichen Erstrecktheit gerade dadurch noch präsent bleiben, daß das Dasein sie ständig niederhalten muß. Aber damit ist noch nicht die spezifische Präsenz des Verdrängten verständlich gemacht, die darin liegt, daß es überhaupt jeder zeitlichen Ordnung entzogen ist und damit ,zeitlos' gegenwärtig sein kann.
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Berücksichtigt man diese triebhafte Zeitstruktur zunächst im Hinblick auf die „Urverdrängung", dann scheint sich dieser Prozeß und seine Fixierung zu Recht durch triebhaft begründete Prozesse und Strukturen der Psyche erklären zu lassen, für die die zeitliche Erschlossenheitsstruktur endlicher Freiheit irrelevant ist. Sofern aber auch das gereifte Ich noch ein positives Interesse an der Aufrechterhaltung der Urverdrängungen hat und die Möglichkeit des „Widerstandes" gegen das Verdrängte immer noch eine ,Zugänglichkeit' des Verdrängten erfordert (s. o. S. 159 f.), scheint die von Heidegger aufgewiesene Erschlossenheitsstruktur der „Unständigkeit" noch als sekundärer Aspekt in dem triebhaft begründeten Widerstand des gereiften Ich gegen das Urverdrängte impliziert zu sein und einen spezifischen Aspekt seiner unbewußten ,Präsenz' zu begründen (s. o. S. 122 f.). Die Urverdrängungen und die zugehörige Überichbildung begründen die Problematik der Identitätsbildung, die das Ich den ganzen Lebensvollzug hindurch zu lösen hat: Das Ich kann seine Einheitlichkeit nur erreichen, indem es ständig die triebhaft begründeten, widersprechenden Vorgegebenheiten aneignet, die dem Gegensatz zwischen dem Es und Überich entspringen und die je erreichte Identität in Frage stellen. In diesem Aneignungsprozeß bezieht es immer neue Anteile des Es und des Überich in seine Organisation ein und gewinnt darin die Möglichkeit, im Prozeß der Einheitsbildung den Gegebenheiten der realen Umwelt immer umfassender Rechnung zu tragen. In der ständigen Erweiterung der eigenen Identität öffnet sich das Ich auch immer weitgehender für seine triebhaften Vorgegebenheiten und kann so in immer neuen Konflikten neue ,Abkömmlinge' seiner triebhaften Basis aneignen, für deren Aufnahme die bisherige Identität jeweils noch zu eingeschränkt war. In dieser Konzeption der Identität beschreibt Freud einen Prozeß der Einheitsbildung, der durch reale, triebhaft begründete Vorgegebenheiten ausgelöst und in Gang gehalten wird und in dem es dem Ich darum geht, dem Drängen des Es und des Überich die eigene Einheitlichkeit abzugewinnen. Dieser Integrationsprozeß kann scheitern, wenn sich das vermittelnde Ich unter dem Druck je aktueller Trieb wünsche seine je erreichte Identität (und möglicherweise die Anprüche des Überich) verdeckt und sich in „Rationalisierungen" seine Integrationsleistung nur vortäuscht. Umgekehrt kann das Ich im „Nachdrängen" aber auch aktuelle Triebansprüche ausklammern, wenn es unbewußt an seine infantilen Abwehrmechanismen fixiert bleibt und starken Überichzwängen erliegt. Audi darin täuscht es sich seine Ein-
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heitlichkeit nur vor, indem es die identitätsauflösenden Vorgegebenheiten verdeckt. Die beiden Arten gescheiterter Integration führen zu zwei verschiedenen Arten der Diskontinuität im Lebensvollzug des Individuums. Indem sich das Ich in Rationalisierungen vorgegebenen Triebansprüchen überläßt, gibt es Interessen nach, die nicht durch den Einfluß der je erreichten Identität mitbestimmt sind und auch diese ihrerseits nicht mitbestimmen. So zerbricht die Kontinuität des Lebensvollzugs, indem die kritische Funktion der Lebensganzheit für bestimmte Situationen außer Kraft gesetzt wird und umgekehrt aktuelle Interessen nicht auf die Identität einwirken. Der Identitätsverlust dagegen, der im Nachdrängen gründet, läßt sich nicht unmittelbar im Lebensvollzug nachweisen. Das Nachdrängen begründet zunächst nur bestimmte „Icheinschränkungen" und Hemmungen, die dem Individuum zwar bestimmte Entwicklungsrichtungen nehmen, aber damit noch keine Widersprüchlichkeiten innerhalb des Lebensvollzugs hervorrufen müssen. Dieser latente Identitätsverlust wird aber unmittelbar sichtbar, wenn sich das Verdrängte in „sinnlosen" Bewußtseinsakten durchsetzt und darin den Sinnzusammenhang des Lebensvollzuges sprengt. Die bisher beschriebenen Formen des Identitätsverlustes hat Freud in der triebhaften Gebundenheit des integrierenden Ich begründet. Sofern das Ich sich aber im Integrationsvollzug relativ selbständig zu Vorgegebenheiten verhält., die es prinzipiell sehen könnte und die sich in einem relativen Gleichgewicht halten, muß zur triebhaften Motivation des Identitätsverlustes noch das spezifische Interesse des Daseins an seiner „Unständigkeit" hinzutreten, in dem es sich der Last seiner Schwebesituation zwischen Lebensganzheit und aktueller Situation entzieht. Dieses Interesse richtet sich in der Rationalisierung auf die Verdeckung der Lebensganzheit des Individuums, die damit ihre kritische Funktion für die aktuellen Interessen der jeweiligen Situation verliert. Im Nachdrängen dagegen bezieht es sich auf die neu eröffneten Interessen der jeweiligen Situation, um die je erreichte Einheitlichkeit unverändert in der Gegenwart festhalten zu können. Beide Formen der Verdeckung scheint Heidegger von seinem Ansatz her in ihrer Erschlossenheitsstruktur durchsichtig machen zu können, weil er die Zugänglichkeit des Lebenszusammenhangs in einer zeitlichen „Erstreckung" des Daseins begründet, in der das je aktuelle leitende Interesse an „Ständigkeit" oder „Unständigkeit" noch darüber entscheidet, in welchem Umfang die eigene Lebensganzheit und die aktuelle Situation für das wählende Dasein zugänglich und damit gegenwärtig werden können. Aber auch wenn Heideggers Ansatz die Erschlossenheitsstruktur der ge-
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scheiterten Integration im Ausgang von der Zeitlichkeit der Freiheit verständlich machen kann, muß man doch beachten, daß ein wesentlicher Aspekt des „Nachdrängens" in dieser Konzeption nicht erfaßt wird. Für das Nachdrängen ist entscheidend, daß es aktuelle Interessen und Erlebnisse wegdrängt, indem es sie in den Bereich zeitlicher Ungeordnetheit zurückschiebt. Damit fixiert sich das Individuum an eine Vergangenheit, die in der Verdrängung „zeitlos" wird und nun ständig und überall im zeitlich geordneten Lebensvollzug nach Ausdrucksmöglichkeiten sucht, die es am auffälligsten in den „sinnlosen" Bewußtseinsakten des Ich gewinnt. Diese spezifische Präsenz des Verdrängten, die nicht im Widerstand gegen es begründet ist, sondern der Aufhebung seines Zeitbezugs entspringt, kann Heidegger, wie sich schon zeigte, nicht mehr theoretisch durchsichtig machen. Heideggers .zeitliche' Interpretation der endlichen Freiheit hat sich für Freuds Analyse der „Ichsynthese" fruchtbar machen lassen, weil Freud die Integrationsleistung des erstarkten „Ich" als bewußtseinsumgrenzendes Handeln auffaßt, in dem das „Ich" selbst noch entscheidet, in welchem Umfang es die je erreichte eigene „Organisation" und die andrängenden „Abkömmlinge" des Es bzw. die zwanghaft geltenden Ansprüche des Überich in seinen Blick bringt (s. o. S. 108 ff.). Heidegger hat die Zeitstruktur dieses Entscheidungsvorgangs sichtbar gemacht und damit Freuds räumliche Auffassung der je gewonnenen Ichidentität und ihrer Beziehung zu noch ausgeschlossenen bewußtseinsfähigen Vorgegebenheiten kritisiert. Trotz dieser Beziehung beider Konzeptionen darf nicht übersehen werden, daß Heidegger seine Struktur zeitlicher Identität entwickelt hat, um eine ganz andere Ebene des praktischen' Selbstbezuges aufzuklären. Seine Zeitanalysen begründen die Möglichkeit des Daseins, im Interesse an Selbständigkeit und Einheitlichkeit einen Zugang zur Geschichte zu gewinnen, der die Tradition als Spielraum der „eigensten" Lebensmöglichkeiten im Gegenzug zu den aktuell gängigen erschließt. Er fragt also gar nicht danach, wie das Individuum sich von den verinnerlichten sozialen Bindungen seiner Kindheit (Überich) befreien kann, um seine Selbständigkeit in der Aneignung „ichfremder" Triebaspekte zu realisieren. Ihm geht es vielmehr um die zeitliche Struktur einer ,Selbstbefreiung', in der das Dasein die „nivellierten" Lebensmöglichkeiten der gesellschaftlichen Gegenwart hinter sich läßt, um im Gegenzug zu ihnen seine Identität in der Wahl „überlieferter" Möglichkeiten zu gewinnen. Trotz dieser hervorstechenden Unterschiede haben sich zwischen beiden Theorien sachliche Beziehungen ergeben, die letztlich nur verständlich werden können, wenn man annimmt, daß beide Konzeptionen verschiedene,
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aber strukturell zusammengehörige Aspekte der menschlichen Selbständigkeit und Identität beschreiben. Damit würde verständlich, warum jede der beiden Theorien ihren genuinen Phänomenbereich untersucht, beide sich aber doch in der Struktur des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' treffen. Für den Zusammenhang der beiden Aspekte menschlicher Selbständigkeit macht die abschließende Zusammenfassung der Arbeit einen Vorschlag.
4. Der psychoanalytische und der existenzialontologische Beitrag zum Verständnis des interessegeleiteten Selbstbewußtseins Nach Abschluß der vergleichenden Einzelinterpretationen liegt es nahe, auf das Programm der Arbeit zurückzugehen und zu prüfen, inwieweit es durch die einzelnen Analysen erfüllt worden ist. Dabei orientiert sich die Interpretation an zwei Fragen: zunächst untersucht sie, inwieweit sich die Psychoanalyse als Explikation des praktischen Selbstbewußtseins' erwiesen hat und was diese Bewußtseinsstruktur zur Durchsichtigkeit des Zusammenhangs unter den einzelnen Theorieanteilen beigetragen hat. Anschließend faßt sie zusammen, welchen Beitrag Heideggers Konzeption des interessierten Vollzugs der eigenen „Erschlossenheit" für die Lösung der theoretischen Probleme geleistet hat, die in Freuds Begrifflichkeit nicht mehr gelöst werden können. Im Rahmen der psychoanalytischen Theorie ergibt sich die Notwendigkeit des praktischen' Selbstbewußtseins aus dem fundamentalen ,Selbstverlust', der das menschliche Leben bestimmt: In seinen frühen Entwicklungsphasen sah sich das kindlich schwache Ich überstarken Triebquantitäten ausgesetzt, die es nicht bewältigen konnte und die es deshalb in „Urverdrängungen" von seiner eigenen „Organisation" fernhielt. Dabei wurde es von seinem elementaren Interesse an „Selbsterhaltung" geleitet, das die Unversehrtheit der Person und die Erhaltung der „Ichorganisation" sicherstellte. Dieser frühe ,Selbstverlust' schlägt sich doppelt innerhalb der weiteren Lebenspraxis des Menschen nieder: zunächst legt sich das Ich in seinen Urverdrängungen auf bestimmte „Widerstände" („Reaktionsbildungen") fest, die als grundlegende Interessen oder Einstellungen das Verhalten des Individuums bestimmen. Damit ist auch immer schon ein Umkreis von Lebensmöglichkeiten abgesteckt, die das Individuum unbewußt meidet, weil durch sie die verdrängten Triebwünsche aktiviert und damit die sichernden Widerstände infragegestellt würden. Außerdem ist das Ich auch ständig den bewußtseinsfähigen „Abkömmlingen" des Urverdrängten ausgesetzt, die als
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Phantasien, Gefühle, Affekte und Wünsche eingestanden oder selbst wiederum verdrängt werden können. Damit ist die Situation umschrieben, in der das Ich des erwachsenen Individuums entscheiden muß, in welchem Umfang es sich unbewußte Widerstände aufdeckt und sich bewußtseinsfähige „Abkömmlinge" eingesteht. Von seiner „Gewissensangst" und seiner Angst vor unbewältigten Trieben bestimmt, kann es sich vor den Äußerungen des Unbewußten verschließen und damit auf der starren Einheitlichkeit beharren, die es unter dem Zwang des Überich ausgebildet hat. Andererseits hat es aber auch die Möglichkeit, sich den bewußtseinsfähigen Abkömmlingen zu stellen und sich die Reaktionsbildungen als Widerstände durchsichtig zu machen. Darin folgt das Ich offensichtlich einer Tendenz zur Selbständigkeit gegenüber Es und Überich, in der sich das Interesse an Selbsterhaltung zum Interesse an Selbstbestimmung gewandelt hat. Indem das Ich sich seinen prinzipiell entdeckbaren Abhängigkeiten von verdrängten Triebwünschen öffnet, gibt es partiell seine je erreichte Einheitlichkeit wieder auf und läßt ,Triebrepräsentanzen' zu, die innerhalb der je erreichten Synthese noch fremd sind. Zugleich vergrößert es aber auch ständig die Konsequenz und Kontinuität seines Verhaltens, weil es fortschreitend die ichfremden, zwanghaften Widerstände abbaut. In seinem Interesse an Selbständigkeit ist das Ich also immer neu bereit, eine je erreichte Identität wieder infragezustellen, um so den Prozeß der Einheitsbildung voranzutreiben. Darin erweist es seine „Ich-Stärke", die sich mit dem fortschreitenden Selbstaneignungsprozeß ihrerseits vergrößert und dem Ich die Möglichkeit bietet, sich immer weitgehender für die Folgen seiner ursprünglichen Verdrängungen in seiner Lebenspraxis zu öffnen. Der hier beschriebene Prozeß eines praktischen' Selbstbezuges ist zweifellos unabschließbar und vollzieht sich systematisch wohl nur in einer gelingenden Analyse. Doch auch innerhalb unserer alltäglichen Lebenspraxis werden wir ständig mit Situationen konfrontiert, die unsere je erreichte Identität bedrohen oder sogar „Identitätsdiffusionen" erzwingen. Damit stellt sich für uns audi im Alltag die Aufgabe der Selbstaneignung, die wir im praktischen' Selbstbezug so oder so lösen. Deshalb versteht Freud die Therapie auch lediglich als eine „Nacherziehung": sie soll das Ich stärken und es damit in den Stand setzen, selbständig die Erfahrungen zu bewältigen, die eine (partielle) Neudefinition der eigenen Identität erfordern. Im Rückblick auf Freuds Theorie läßt sich das ,bewußtseinsumgrenzende Handeln' als Vollzug verstehen, in dem das Individuum immer neu entscheidet, ob es sich den ,Äußerungen' seiner verdrängten Triebbasis aussetzen
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oder seinen fundamentalen Selbstverlust fixieren will. Sofern es sich seine „ichfremde" Triebdimension verdeckt, bleibt es zwanghaft vom Überich abhängig und definiert von seinen Geboten her die eigene starre Identität. Damit bleibt es an die Forderungen fixiert, die dem Kind die elterliche Liebe gesichert und ihm eine erste Orientierung in der sozialen Umwelt geboten haben. In den Zielen des „Ich-Ideals" und den Geboten des Überich bleibt diese schützende und sichernde Bindung des Kindes auch für das Erwachsenenleben erhalten und verleiht ihm eine problematische Stabilität. Für das selbständige Ich dagegen werden auch die Forderungen des Überich zu ,Vorgegebenheiten', die genau wie die Ausdrucksformen des Es einer kritischen Prüfung und Aneignung bedürfen. Damit legt das Ich keine inhaltlich bestimmten Normen für seine Identitätsbildung fest, sondern folgt bei seiner Integrationsleistung dem formalen Ziel möglichst umfassender Kontinuität und Konsequenz des eigenen Verhaltens. Nach diesem Überblick läßt sich die Frage beantworten, was die bewußtseinstheoretische Interpretation der Freudschen Theorie für das Verständnis des systematischen Zusammenhangs einzelner Analysen beigetragen hat. Der erste Teil der Freudinterpretation (s. o. S. 33 ff.) versuchte zu zeigen, daß sich das ,mechanische' und das ,bewußtseinstheoretische' Modell der gegliederten Psyche als systematisch zusammengehörige Versuche verstehen lassen, die ,bewußtseinsumgrenzende' Leistung der psychischen Zensur theoretisch zu erfassen. Die bewußtseinstheoretische Veranschaulichung der seelischen ,Topik' mußte unbefriedigend bleiben, weil Freud alle theoretischen Mittel fehlten, um die Unterscheidung des „Bewußten" von den abgedrängten Aspekten des Seelenlebens innerhalb einer einheitlichen Bewußtseinsstruktur einsichtig zu machen. Das mechanische Modell der Seele ist die sachliche Konsequenz dieser Aporie: es gibt die Struktur des Bewußtseins überhaupt auf und versucht vergeblich, die Beziehung zwischen dem zugänglichen und dem verdeckten Bereich der Seele als mechanische Wechselwirkung zwischen Kräften darzustellen. Nachdem die Arbeit der psychischen Zensur als ,bewußtseinsumgrenzendes Handeln' charakterisiert worden war, konnte die Interpretation im zweiten Teil der Freuddarstellung nach den Interessen fragen, die das Handeln der Zensur leiten (s. o. S. 72 ff.). Auf diese Weise hob sie den Zusammenhang zwischen Freuds Verdrängungstheorie und der Entwicklung seiner Ichpsychologie heraus: mit der Entdeckung der Verdrängung stand Freud vor der Aufgabe, die Interessen des Ich aufzuklären, von denen her die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten der Zensur verständlich werden können. Diese Aufgabe hat Freud zu lösen versucht, indem er sich in seinen
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verschiedenen Ansätzen zur Ichtheorie schrittweise von dem Vorurteil befreit, die leitenden Ichinteressen seien biologisch gebunden und könnten als modifizierte Trieb tendenzen aufgefaßt werden. In seiner späten Ichtheorie deutet Freud schließlich die Selbständigkeit des integrierenden Ich gegenüber seinen triebhaften Vorgegebenheiten (Es und Überich) und der Außenwelt an, ohne allerdings die zugehörigen Ichinteressen noch unterscheiden und identifizieren zu können. Mit diesen Gesichtspunkten zur Systematisierung der Freudschen Theorie sind auch schon die beiden wesentlichen Schwierigkeiten benannt, zu deren Lösung Heideggers Daseinsanalytik beitragen sollte. Nach diesem Beitrag soll abschließend gefragt werden. Wie Freud geht auch Heidegger in seiner ,Selbstbewußtseinstheorie' von einem fundamentalen ,Selbstverlust' aus, der die Lebenspraxis des Menschen bestimmt. Dieser Selbstverlust betrifft jedoch im Gegensatz zu Freud keine elementaren Triebwünsche, sondern die belastende Erfahrung der eigenen endlichen Freiheit: in seiner alltäglichen Existenz hat das Dasein sich immer schon der „Unheimlichkeit" seines „Zu-sein" entzogen und eine Gegentendenz nach Geborgenheit und „Vertrautheit" mit der Welt ausgebildet. Das Dasein kann sich deshalb nur „wiedergewinnen", wenn es seine genuine Fluchttendenz überwindet und sich in der „Angst" und im „Gewissensruf" mit seiner Freiheit konfrontiert und sie als Selbstverantwortung übernimmt. Die Möglichkeit zu dieser Selbstaneignung ist dem Dasein dadurch offengehalten, daß ihm in der alltäglichen Fluchttendenz selbst das „Wovor der Flucht" noch unausdrücklich miterschlossen ist. In der Übernahme seiner „Unheimlichkeit" läßt sich das Dasein von seinem fundamentalen Interesse an Selbständigkeit und Einheitlichkeit leiten, das von der Tendenz nach Entlastung und Geborgenheit niedergehalten worden war. Mit der generellen „Wahl" der eigenen Freiheit hat das Dasein jedoch keinen neuen Status erhalten: in je konkreten Situationen muß sich in bestimmten Entscheidungen zeigen, wie weit es sich gegen seine Geborgenheitstendenz durchsetzen kann. Die hier rekapitulierte Konzeption beschreibt zwar wie Freud einen ,Verdeckungsvorgang' und die Möglichkeit seiner Aufhebung, aber es ist zugleich doch deutlich, daß beide Theorien sich auf verschiedene Aspekte der menschlichen Existenz beziehen. Der Zusammenhang zwischen beiden Theorien stellt sich jedoch durch zwei weitere Schritte der Daseinsanalytik her: 1. Das Dasein verhält sich in der Weise zu seiner belastenden Freiheit, daß es sich jeweils einen bestimmten Spielraum konkreter Handlungsmöglichkeiten eröffnet. In seiner Verdeckungstendenz gesteht es sich nur solche Absichten und Interessen zu, die seine Geborgenheit und Vertrautheit mit
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der Welt nicht infragestellen. Übernimmt es dagegen seine Freiheit, dann konfrontiert es sich gerade mit den Lebensmöglichkeiten, die eine selbständige Entscheidung verlangen. Damit ist die Struktur des ,bewußtseinsumgrenzenden Handelns' innerhalb der „Daseinsanalytik" deutlich geworden: im Verhältnis zur eigenen Freiheit entscheidet das Dasein erst selbst, in welcher Perspektive und in welchem Umfang es sich selbst in seinen Handlungsmöglichkeiten ,sehen* will. Dabei geht es ihm konkret immer um die Frage, ob und inwieweit es seine Verdeckungstendenz; überwinden und darin seinen konkreten Möglichkeitsspielraum um zunächst abgedrängte „eigenste" Möglichkeiten erweitern kann. Diese Möglichkeit besteht nur deshalb ständig, weil in dem Wunsch nach Geborgenheit die „Unheimlichkeit" und ihr Spielraum verdeckter Möglichkeiten noch offengehalten werden. 2. Das Dasein findet seine Geborgenheit und Entlastung immer in der Orientierung an den Möglichkeiten, die innerhalb der sozialen Umwelt sanktioniert sind: es tut also das, was „man" tut, und entzieht sich darin der selbständigen Entscheidung. Weil Heidegger an einer konkreten Analyse der Schutzfunktion der sozialen Umwelt nicht interessiert war, hat er sie nur auf ihrer allgemeinsten Ebene analysiert: Der nivellierte, von niemandem verantwortete Handlungsspielraum einer ganzen Gesellschaft bietet dem einzelnen alltäglichen Dasein Entlastung und Sicherheit; umgekehrt gewinnt das „entschlossene" Dasein auf dieser Ebene seine eigensten Möglichkeiten nur im Rückgang in die Geschichte, die in produktiver Aneignung „unzeitgemäße" Möglichkeiten zugänglich macht. Auf dieser allgemeinsten Stufe scheint sich das Problem der Selbständigkeit und Verantwortlichkeit jedoch gar nicht primär zu stellen: Autonomie gewinnt das Dasein doch auch schon dadurch, daß es sich aus den sozialen Beziehungen löst, in denen sich seine kindliche Prägung vollzogen hat und die ihm eine elementare Geborgenheit vermitteln. Damit ist dann die Ebene erreicht, auf der Freud das Interesse an Selbständigkeit und Unselbständigkeit analysiert. Das Individuum beweist „Ich-Stärke", indem es sich von seinen verinnerlichten sozialen Bindungen befreit und sich selbständig mit den bisher niedergehaltenen Aspekten seiner Triebhaftigkeit konfrontiert. Umgekehrt dokumentiert es seine Schwäche, wenn es nicht auf die Geborgenheit verzichten kann, die ihm die verinnerlichten Bindungen an seine primären Bezugspersonen bieten. Nun wäre es zweifellos unzulässig, den kindlichen Geborgenheitswunsch mit der Entlastungstendenz des Daseins gleichzusetzen. Der Geborgenheitswunsch ist im wesentlichen Ausdruck libidinöser Beziehungen, während das
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Dasein in seiner Entlastungstendenz die pure Aufgabe selbständiger Entscheidung vermeiden will und insofern Anhalt bei den anderen sucht. Aber in der Konkretion des bewußtseinsumgrenzenden Handelns scheinen sich doch beide Aspekte der Geborgenheitstendenz zu verschränken und zu verstärken: die affektiven Bindungen können das Individuum hindern, nach eigenen Möglichkeiten zu fragen; umgekehrt geht der Lastcharakter selbständiger Entscheidung auch in die Schwierigkeiten ein, die frühen emotionalen Beziehungen zu lösen. Dagegen eröffnen die bisher uneingestandenen Wünsche und Gefühle genauso wie die verleugneten Widerstände gerade einen Bereich von Handlungsmöglichkeiten, die für das Individuum neu sind und eine Entscheidung verlangen, die nicht mehr von den Maßstäben der bisher prägenden sozialen Umwelt ausgehen kann. Wenn sich das Individuum bei diesen Entscheidungen nicht sofort neuen sozialen Zwängen bestimmter Gruppen unterwirft, gewinnt es eine relative Selbständigkeit und Verantwortlichkeit für sich selbst. Wenn diese Verknüpfung von Daseinsanalytik und Psychoanalyse legitim ist, dann kann Heideggers Erschlossenheitsbegriff in Anspruch genommen werden, um den Prozeß in seiner Bewußtseinsstruktur verständlich zu machen, in dem das Individuum sich bewußtseinsfähige Abkömmlinge des Unbewußten zugänglich macht oder verdeckt. Das Dasein kann Wünsche und Widerstände verleugnen und sie zugleich eingestehen, indem es empfindlich vor Situationen ausweicht, in denen es mit ihnen konfrontiert werden könnte. Diesem ,Bereich' des eigenen Bewußtseins kann es sich jedoch audi zuwenden, indem es seine eigenen Abneigungen auf ihren Erschlossenheitscharakter hin befragt. Bei seiner „Hin- oder Abkehr" gegenüber der eigenen Triebbasis wird das Individuum von Interessen bestimmt, die sich unter dem Gesichtspunkt biologischer Selbsterhaltung nicht mehr voll verständlich machen lassen (s. o. S. 108 ff.). Zur Aufklärung dieser Interessen trägt die Daseinsanalytik dadurch bei, daß sie die leitenden Tendenzen des praktischen' Selbstbezugs aus dem widersprüchlichen Verhältnis des Menschen zu seiner endlichen Freiheit begründet und die Freiheitsinteressen zugleich in ihrer zeitlichen Struktur als Identitätsinteressen interpretiert (s.o. S. 170 ff.). Mit dem Gewinn sind zugleich jedoch auch die Grenzen der daseinsanalytischen Verdeckungstheorie sichtbar geworden: Für die Aufklärung der „Urverdrängungen", die das Individuum vor die Aufgabe der Selbstaneignung stellen, trägt der Erschlossenheitsbegriff nichts aus. Dagegen macht er die Situationen des Lebensalltags (und der Therapie) verständlich, in denen
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das Individuum vor der Wahl steht, ob es sich bisher „ichfremde" Aspekte seiner selbst aneignen oder sie weiter verdeckt halten soll, um seine je erreichte Sicherheit und Einheitlichkeit nicht zu gefährden.
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Sachverzeichnis Angst 100, 103, 105 f., 153, 163 f., 174, 190 Bedeutung situative — 6—8, 13—18 sprachliche — 10 f., 13—19 Bewußtsein 9 f., 44 f., 51—53, 61 f., 143 Transparenz des —s 22, 29, 52, 70, 125—127, 135 Deutungskunst Diskontinuität 181 f., 187
36 f., 85 f. (vgl. auch:
Identität)
Energie, psychische 45, 56—61, 76, 97, 104 f., 110, 144 Entwurf 137, 149, 163 f., 170 Erschlossenheit 138—142, 154, 165 f., 172, 194 f. Flucht vor sich selbst 148, 151, 154—156, 179—182, 184 f. Freiheit 152 £., 160—162, 170, 178, 184 f. Geschichtlichkeit 177, 188 Gewissen 104, 162—164, 166, 173 f. Geworfenheit 137, 148 f., 171, 175 Handeln, bewußtseinsumgrenzendes 22, 37 f., 52, 67, 93, 116 f., 122 f., 191 f. Ich 3, 25—29, 49 f., 74 f., 81—84, 88 f., 92 f., 99, 112—118, 120, 181 f. Integrationsleistung des — 109, 111—116, 119, 158 f., 161, 186— 188, 190 f. Organisation des — 75, 82, 100, 108—110, 112 f. Identität (vgl. auch: Diskontinuität) 27— 29, 109, 158, 170, 175 f., 178, 183 f., 190 f.
Interesse an — 82—84, 106—110, 125 f., 178 Interesse 33 f., 72 f., 79, 124, 134, 136—139, 191 f. Lust (vgl. auch: Unlust) 75 f., 87, 91—93, 97 f. —prinzip 58, 60, 83, 98 Psychoanalysekritik behavioristische — 2—9 sprachphilosophische — 9—18, 20 f. strukturalistische — 18—20 Realitätsprinzip
60, 76 f., 89
Selbständigkeit (vgl. auch: Unselbständigkeit) 25—29, 163 f., 167, 175 f., 193 f. Interesse an — 25, 114, 125 f., 145, 154, 177 Selbstbewußtsein 1, 22—30, 33 f., 37 f., 51, 69 f., 104, 123—127, 131, 133— 136, 143, 148—150, 164 f., 169, 181 f., 189—195 Sinn 35—37, 42, 68, 142, 171 Stimmung 87, 92, 139 f., 147 f., 153 f., 171 Symbol 13, 19 —ische Beziehung 7 f., 36, 86 Tod 153, 164, 174—176, 180 f. Trieb 6—8, 59 f., 75 f., 78 f., 85—90, 96—98, 100, 185 Selbsthemmung der —e 78 f., 89 f. Überich 102—107, 111—113, 193 unbewußt 10, 21, 36—39, 96 Uxibewußte, das 20 f., 39 f., 42—45, 75, 95 f., 120 f., 143 Unheimlichkeit 148 f., 152 f., 162—164, 174, 192 Unlust 91—93, 107, 115
200 Unselbständigkeit 181 f., 193
Sachverzeichnis 28, 114 f., 148, 150 f.,
Verdeckungstendenz (vgl. auch: Flucht vor sich selbst) 23, 154 f., 166 f., 192 Verdinglichung 9 f., 21, 33, 43, 52 Verdrängung 6—8, 12 f., 15—17, 37, 42 f., 50, 64—67, 79—83, 90—92, 100—103, 111, 114 f., 119 f., 124, 157—162, 185—188
Verstehen 179 f.
141 f., 148—152, 163, 170,
Vorbewußte, das Wahl
42 f., 47 f., 76 f.
164 f., 167, 176 f., 192
Zeit —fluß 122, 172, 178 —lichkeit 170—175, 179—181 Zensur, psychische 44, 46—50, 52 f., 72, 110 f., 156 Zu-sein 132 f., 136—138, 170 f.
Namenverzeichnis Alston, W. P. Bally, G. 159 Binswanger, L. Boss, M. 127 Breuer, J. 51 Descartes, R.
Lacan, J. 18 f. Lang, H. 18 Leclaire, S. 18 Lorenzer, A. 10—18, 36
10
127
Maclntyre, A. C. 10, 20 f. Mitscherlich, A. 87 134 Nietzsche, F.
Erikson, Ε. H . Ey, H. 121
Fichte, J . G . 22—30, 33 f., 69, 125 f., 134—136, 167 Fromm, Ε. 163 Goeppert, S. und Η. C.
18
Habermas, J. 10—16, 18, 29 Hartmann, H. 118 Hegel, G. W. F. 178 Henrich, D. 25 Husserl, E. 22, 134 Jappe, G. Kant, I.
14 134
23
116 Peters, R. S. 20 Pontalis, J.-B. 18 Popper, K. R. 21 Ricoeur, P.
5, 41
Sartre, J. P. 22, 47 Schopenhauer, A. 23 Shoemaker, S. 10 Skinner, Β. F. 3—8 Spehlmann, R. 55 Ströker, E. 21 Toulmin, St. 20 f. Tugendhat, E. 22, 132 f., 136, 138, 152 Wittgenstein, L. Wyss, D. 58
10 f.
w DE
G
Vfälter de Gruyter Berlin-Newark Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Bisher erschienen:
Gerold Prauss
Erscheinung bei Kant Ein Problem der „Kritik der reinen Vernunft" Gr.-Okt. 339 S. 1971. Lwd. DM 78 — (Bd. 1) ISBN 3 11 006427 8
Michael Wolff
Fallgesetz und Massebegriii Zwei wissenschaftshistorische Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus Gr.-Okt. X, 159 S. 1971. Lwd. DM 36,— (Bd. 2) ISBN 3 11 006428 6
Burkhard Tuschling Metaphysische und transzendentale
Dynamik in Kants opus postumum Gr.-Okt. XII, 224 S. 1971. Lwd. DM 54 — (Bd. 3) ISBN 3110018896
Hans Werner Arndt Methodo scientifica pertractatum Mos geometricus und Kalkülbegriii in der philosophischen Theorienbildung des 17. und 18. Jahrhunderts Gr.-Okt. VIII, 170 S. 1971. Lwd. DM 72,— (Bd. 4) ISBN 3 11 003942 7 Preisänderungen vorbehalten
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G
Wiltser de Gruyter Berlin-Newark Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Klaus Wurm
Substanz und Qualität Ein Beitrag zur Interpretation der plotinischen Traktate VI, 1, 2 und 3. Gr.-Okt. X I I , 294 S. 1973. Lwd. DM 68 — (Bd. 5) ISBN 3 11 001899 3
Lorenz Krüger
Der Begriff des Empirismus Erkenntnistheoretische Studien am Beispiel John Lockes Gr.-Okt. X , 283 S. 1973. Lwd. DM 6 8 — (Bd. 6) ISBN 3 11 004133 2
Barbara Loer
Das Absolute und die Wirklichkeit in Schellings Philosophie Mit der Erstedition einer Handschrift aus dem Berliner Schelling-Nachlaß Gr.-Okt. V I I I , 288 S. 3 Abb., 2 Ausschlagtafeln. 1974. Lwd. DM 108,— (Bd. 7) ISBN 3 11 004329 7
Kurt Röttgers
Kritik und Praxis Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx Gr.-Okt. X , 302 S. 1975. Lwd. DM 9 2 — (Bd. 8) ISBN 311004604 0
Rainer Stuhlmann-Laeisz
Kants Logik Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß Gr.-Okt. V I I I , 123 S. 1976. Lwd. DM 5 2 — (Bd. 9) ISBN 311005840 5 Preisänderungen vorbehalten