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German Pages 548 [575] Year 1900
Sell uloesiintl heitslelire. Das
Scbnlbaus und das Unterriclitswesen vom hygienischen Standpunkte für Ärzte, Lehrer. VerwaltMgslieamte und Architekten bearbeitet von
Dr. H. Eulenberg
.m.i weil. D r . T h e o d . B a c h
f! e h e i m e r O b e r - M e d i z i n a l r a t Hon n
Zweite
Direktor des Falk-Realgymnasiums Berlin
umgearbeitete
Auflage
Z w e i t e Hälfte.
B E R L I N 1900. J. J. H E I N E S
VERLAG.
Rechte — insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen bleiben vorbehalten.
Inhaltsübersicht der zweiten J^älfte. Seite
Schiilererkranknngen 1. Frühzeitige Erkennung und Anzeige von Infektionskrankheiten 2. Isolierung der Kranken 3. Das Desinfektionsverfahren I. I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n . a) Die M a s e r n Vi) Der S c h a r l a c h c) R u b e o l a , R ö t e l n d) M i l i a r i a , Schweissfieber e) Pocken, Blattern, Variola Impftechnik f) Typhus exanthematicus I I . E n d e m i s c h a u f t r e t e n d e I n f e k I i o n s k r a u kh e i t en. a) Typhus abdominales b) Typhus recurrens c) Cholera asiatica d) D i p h t h e r i e III. B e s o n d e r e I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n . a) Influenza, epidemisches Katarrlmlfieber . . . . b) Keuchhusten c) Epidemische Genickstane d) Mumps IV. I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n mit m e h r e n d e m i s c h e m Verlauf. a) Der acute Gelenkrheumatismus b) Die Ruhr V. K r a n k h e i t e n d e r L u n g e . 1) Fibrinöse Lungenentzündung 2) Lungentuberkulose V I . Augenkrankheiten Conjunctivitiden. Trorhorn. V I I . K r a n k h e i t e n der Nase, der Mundhöhle, des K a c h e n s , der Zähne und der Ohren 1. Krankheiten der Nase 2. Krankheiten der Mundhöhle 3. Krankheiten der Zähne 4. Krankheiten des Rachens Adenoide Vegetationen des Nasenrachenraums . . . 5. Krankheiten dès Ohrs Aeusseres Ohr. Aeusserer Gehörgang. Otitis externa seu Otorrhoe. Krankheiten des Trommelfells, der Paukenhöhle. 6. Erkrankungen der Tuba Eustachii 7. Krankheiten des Warzenfortsatzes Gehürprüfungen
849 849 850 853—864 864 871
882 884 886—899 899 907 909 918 920 926 941 946 954 961
963 969 976 983 1000—1018
1018 1018—1030 1030—1032 1033—1040 1040—1049 1046 1049—1070
1070 1071 1073
IV
Inhaltsübersicht der zweiten Hälfte.
VIII. Die Skoliose, die seitliche Verkrümmung des Rückgrats. IX. K o p f s c h m e r z e n u n d N e r v o s i t ä t D i e Mi g r ä n e X. Hysterische Zustände XI. Epilepsie XII. Schwachsinn und Irresein XIII. S c h ü l e r s e l b s t m o r d e XIV. Perverser Geschlechtstrieb und geschlechtliche Verirrungen XV. D i e H y g i e n e d e r S p r a c h e . S p r a c h f e h l e r . . . . Das Stottern Das Stammeln Die Hörstummheit XVI. K r a n k h e i t e n d e r H a u t u n d d e r H a a r e . . . I. Ekzema, 2. Psoriasis, 3. Liehen scrofulosorum, 4. Prurigo, 5. Acne, 6. Alopecia areata, 7. Trichorrhexis nodosa, 8. Herpes tonsurans, 9. Favus, 10. Impetigo contagiosa, II. Die Krätze, 12. Pediculus capitis, Iii. Pediculus vestimenti L. Die ärztliche Schulaufsicht 1. Fesstellung der Schulreife und Schulpflicht . . . . 2. Erholungspausen M. Die Hygiene des Unterrichts Ermüdungsbestimmung Ermüdungsmessungen Resultate bei der Griesbachschen Methode Ergographenmessungen Prüfung dieser Methoden Handfertigkeitsunterricht Häusliche Arbeiten Bedeutung der Kindergärten Schriftliche Klassenarbeiten N. Das Turnwesen Turnarten Vorsichtsmassregeln beim Turnen .Tugendspiele und Spielplätze .Jugendspiel in Görlitz Das Tanzen als Bewegungsspiel Schwimmen und Eislaufen Der Sport A u s f l ü g e , W a n d e r u n g e n und ' T u r n f a h r t e n Mädchenturnfahrten Turnräume Turnhallen Turnergymnastik Die weitere Entwickelung des Turnens und die darauf zu verwendende Zeit, Ziele und Ideale Litteratur Nachträge und Correcturen
Vorrede zur zweiten Hälfte. Die „ S c h ü l e r e r k r a n k u n g e n " , womit die „zweite H ä l f t e " beginnt, sind von den sogenannten „ S e h u l k r a n k h e i t e n " gänzlich verschieden, da man unter letztern die durch die Schule und ihre unzweckmässigen Einrichtungen hervorgerufenen Erkrankungen versteht. Es muss sehr übel um eine Schule bestellt sein, wenn nachgewiesene bauliche Schäden oder gesundheitsschädliche Einrichtungen der Schulzimmer als die Ursachen von Krankheiten der Schüler erkannt worden sind. Welche hygienische Anforderungen an die Schulbauten zu stellen sind, haben wir in der „ersten Hälfte" ausführlich dargelegt, damit vor allem der G e s u n d h e i t s s c h u t z d e r S c h ü l e r gesichert bleibt. Fehlen armen ländlichen Gemeinden die Mittel hierzu, dann muss der Staat mit seiner Hilfe eintreten, damit überall die Existenz der „Schulkrankheiten" unmöglich wird. Zu den „Schülererkrankungen" gehören in erster Linie die I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n , die seitens der Schüler in ihrem Initialstadium in die Schulen hineingetragen und dadurch ihren Mitschülern verhängnisvoll werden können. Aus diesem Grunde sind hauptsächlich die F r ü h d i a g n o s e und P r o p h y l a x i s dieser Krankheiten als Fingerzeige f ü r die Schulärzte und als Kernpunkte f ü r die Schulhygiene betont worden. Mit Rücksicht auf die Fortschritte der Medizin musste der dafür erforderliche Raum im Vergleich mit dem der ersten Ausgabe erheblich erweitert werden. Die schulhygienischen Gesichtspunkte waren hierbei die leitenden Gedanken, wodurch den bezüglichen Erörterungen ihr Sonderinteresse bewahrt wird. Dass auch alle übrigen c o n s t i t u t i o n e l l e n körperlichen und geistigen Fehler der Schüler eine eingehende Berücksichtigung finden mussten, bedarf keines nähern Beweises. Das Kapitel: „Schularzt" ist neu hinzugekommen; ein der Praxis entnommenes Beispiel zeigt die Ausführbarkeit und die weitgehenden Erfolge dieses Instituts, welches seitens der Stadtgemeinden noch weit mehr Beachtung als bisher finden sollte. Betreffs der „ H y g i e n e d e s U n t e r r i c h t s " wird auch das neue Jahrhundert nicht alle Parteien befriedigen. Das Bestreben, mehr R e a l i e n in den Schulunterricht aufzunehmen, ist schon lange rege gewesen, wofür auch die im J a h r e 1747 von J o s . J u l . H e c k e r in
VI
V o r r e d e zur zweiten H ä l f t e .
Berlin begründete R e a l s c h u l e spricht. Als Gegensatz zum humanistischen Gymnasium wurde das Realgymnasium errichtet, dessen Berechtigung man bekanntlich noch immer mehr zu erweitern sucht, ein Kampf, auf den wir nicht näher eingegangen sind, um nicht Vielbesprochenes zu wiederholen. Auch die G r i e s b a c h ' s e h e Agitation wird sich den bestehenden Unterrichtsverhältnissen unterordnen müssen, da ein radicaler Umsturz derselben nicht ausführbar ist. Hinsichtlich des „ T u r n w e s e n s " habe ich mich im Hinblick auf B a c h ' s frühere Thätigkeit als Turnlehrer und spätere Verdienste um den Turnunterricht am Falk's Realgymnasium für verpflichtet gehalten, in seine Fussstapfen zu treten und mir nur da Abweichungen zu gestatten, wo neuere Anschauungen Berücksichtigung erforderten, wobei mein College, der als Schriftsteller in der Turnkunst bekannte Dr. F e r d . Aug. S c h m i d t , mit seiner Erfahrung mir zur Seite stand. Bonn, im December 1899.
DF. Eulenberg.
Sclnilererkrankungen.
849
Schülererkrankungen. Das kindliche Alter ist zu manchen Krankheiten geneigter als das spätere Lebensalter; die Schule bedarf daher als Sammelplatz vieler Kinder besonders dann einer sorgfältigen Untersuchung, wenn I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n herrschen, d. h. solche Krankheiten, die durch das Eindringen von Mikroorganismen entstehen und durch Uebertragung derselben auf Andere ansteckend sind. Nehmen sie durch zahlreiches Auftreten einen e p i d e m i s c h e n Charakter an, so zeigt die Erfahrung, dass die Schulkinder sich leicht und häutig daran beteiligen, weil sie ganz besonders zu den e x a n t h e m a t i s c h e n I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n (Masern, Scharlach, Röteln etc.) disponiert sind. Diesen Krankheiten geht in der Regel ein Prodromalstadium voraus, das sich durch allgemeines Unbehagen. Frösteln, Husten. Rötung der Augen etc. oft kund giebt. Zeigen Schulkinder solche Vorboten einer Krankheit, so sind sie zur Zeit des Herrschens von Infektionskrankheiten um so mehr zu beachten; sie erfordern den sofortigen Ausschluss von der Schule, damit diese nicht zu einem Infektionsherd wird. Die Lehrer können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, weil man von ihnen nicht verlangen kann, sich mit den Vorläufern einer exanthematischen Infektionskrankheit bekannt zu machen Sie können nur ein Unwohlsein konstatieren, aber nicht die etwaigen Folgen desselben beurteilen. Wenn zu irgend einer Zeit die ä r z t l i c h e Bea u f s i c h t i g u n g der Schule notwendig erscheint, dann ist es das gefahrdrohende Herrschen einer Infektionskrankheit, die der Schuljugend verhängnisvoll werden kann. Ein rechtzeitiges Erkennen der Krankheit und die sofortige Benachrichtigung der betreffenden Eltern über den Zustand und die eventuelle Behandlung der Erkrankten vermag dann oft schlimmem Folgen vorzubeugen. Den Schulschluss sofort auf eine bestimmte Reihe von Tagen anzuordnen, sobald nachgewiesen worden ist, dass ein Schüler z. B. im Prodromalstadium von Masern die Schule noch besucht hat, dürfte zu weit gehen nnd auch nicht erforderlich sein, wenn in einem solchen Falle die D e s i n f e k t i o n der Schule sofort erfolgt und ä r z t l i c h e r s e i t s die Beaufsichtigung der Schule während der Epidemienzeit stattfindet. Die Mittel und Wege, die im allgemeinen zur Bekämpfung der Ausbreitung infektiöser Krankheiten geboten sind, bestehen hauptsächlich 1) in der frühzeitigen Erkennung und Anzeige von Infektionskrankheiten, wozu hauptsächlich Scharlach, Diphtherie, Typhus, Cholera und Ruhr zu zählen sind. Bei Kindern sind Masern, Röteln, 54
850
Isolierung der Kranken.
Keuchhusten und Windpocken vorherrschend. Die beiden letzteren Krankheiten kommen selten zur Anzeige, weil häufig' ärztliche Hülfe gar nicht beansprucht wird, obgleich der Keuchhusten z. B. schon an und für sich mit gefährlichen Komplikationen verlaufen kann und jedenfalls ansteckend ist. Die ersteren Krankheiten sollten sofort anzeigepflichtig sein. Die Benachrichtigung des Lehrers über das Auftreten von epidemischen Krankheiten ist notwendig, damit er über die Ursache der Schulversäumnisse, die sich hieran knüpfen, Aufklärung erhält und seine Aufmerksamkeit um so mehr auf das Befinden der Kinder richtet. E r kann höchstens unterscheiden, ob ein Schüler durch sein Verhalten auffällig erscheint, so dass er dem untersuchenden Arzte die verdächtigen Fälle bezeichnen kann, stets vorausgesetzt, dass zu diesem Zwecke Schulärzte oder beamtete Aerzte jederzeit zur Verfügung stehen. 2) Jede konstatierte ansteckende Krankheit erfordert die F e r n h a l t u n g v o n d e r S c h u l e und die sofortige Isolierung des Kranken. Die Isolierung ist der schwierigste Punkt, der selten regelrecht zur Durchführung gelangt, obgleich von jeher die Absonderung der Kranken von den Gesunden zu der wichtigsten Fürsorge gerechnet wird, um der Ausbreitung der Infektionskrankheiten Schranken zu setzen. Dieses Schutzmittel ist um so notwendiger, seitdem man die Natur der Uebertragungsweise dieser Krankheiten genauer erforscht und zur Erkenntnis gelangt ist, dass die Bekämpfung der Mikroorganismen uns den W e g an die Hand giebt, auf dem der Gefahr für Gesundheit und Leben vorzubeugen ist. Bei der besitzenden Klasse der Bevölkerung ist die Isolierung der Kranken bei der erforderlichen Aufmerksamkeit durchführbar, wenn man die Krankenstube von allen andern Räumen absondert und den Zutritt zu derselben nur von dem Flur aus gestattet; sie muss, wenn möglich, dem Sonnenschein ausgesetzt sein und überhaupt eine freie und luftige Lage haben. Ueberflüssige Möbel, namentlich Teppiche entferne man, um der Reinigung des Fussbodens durch regelmässiges feuchtes Abwischen kein Hindernis zu bereiten. Die peinlichste Sauberkeit ist das oberste Gesetz in jeder Krankenstube. Frische Luft ist ein notwendiges Bedürfnis auch für jeden Kranken, daher man es so viel als möglich zu befriedigen hat. In der wärmern Jahreszeit ist das Offenhalten der Fenster gestattet, wenn dabei jeder Zug vermieden wird, während bei kälterer oder ungünstiger Witterung vom Flur aus zu ventilieren ist. Schon aus diesem Grunde empfiehlt sich stets eine Krankenstube, die auf den Flur ausmündet; auch eine Vorstube würde hierzu zulässig sein, wenn sie keinen andern Zwecken dient und möglichst möbelfrei ist.
Schülererkrankungen. Bei Alumnaten. Krankenstube
Internaten,
851
K o n v i k t e n etc.
z u r V e r f ü g u n g gestellt
werden,
g e n a n n t e n Erfordernisse zu erfüllen sind.
kann eine wobei
besondere
dann
die oben
Ueber d i e T r e n n u n g
der
L e h r e r w o I n n i n g haben wir bereits die erforderlichen W i n k e mitgeteilt und
in Städten
Auf
dein Lande kommt einerseits
den Vorzug
einer besondern
Lehrerwohnung
betont.
die Geldfrage, andererseits die ge-
ringere Schülerzahl bei den einklassigen Schulen in B e t r a c h t , infolgedessen die L e h r e r w o h n u n g fast überall u n t e r Schule
liegt, a b e r auch um so
demselben D a c h mit
der
mehr die erforderlichen Anordnungen
erheischt, um in Krankheitsfällen die Schüler zu schützen. Eine „ A n w e i s u n g steckender
zur Verhütung
Krankheiten
durch
die
der
Uebertragung
Schulen"
liefert der
anpreu-
s s i s c h e M i n i s t e r i a l - E r l a s s v o m 14. J u l i 1884, der, wie folgt, l a u t e t : 1) Zu den Krankheiten, welche vermöge ihrer Ansteckungsfähigkeit besondere Vorschriften für die Schulen nötig machen, gehören: a) C h o l e r a , R u h r , M a s e r n , R ö t e l n , D i p h t h e r i e , Pocken, F l e c k t y p h u s und R ü c k f a l l f i e b e r * ) . b) Unterleibstyphus, kontagiöse Augenentzündung, Krätze und Keuchhusten, der letztere, sobald und so lange er krampfartig auftritt. 2) Kinder, welche an einer in Nr. 1 a und b genannten ansteckenden Krankheit leiden, sind vom Besuche der Schule auszuschliessen. 3) Das gleiche gilt von gesunden Kindern, wenn in dem Haushalte, welchem sie angehören, ein Fall der in Nr. 1 a genannten ansteckenden Krankheiten vorkommt, es miisste denn ärztlich bescheinigt sein, dass das Schulkind durch ausreichende Absonderung vor der Gefahr der Ansteckung geschützt ist. 4) Kinder, welche gemäss Nr. 2 und 3 vom Schulbesuche ausgeschlossen werden, dürfen zu demselben erst dann wieder zugelassen werden, wenn entweder die Gefahr der Ansteckung nach ärztlicher Bescheinigung für beseitigt Anzusehen oder die für den Verlauf der Krankheit erfahrungsmässig als Regel geltende Zeit abgelaufen ist. Als n o r m a l e K r a n k h e i t s d a u e r gelten bei Scharlach und Pocken s e c h s Wochen, bei Masern und Röteln v i e r Wochen. E s ist darauf zu achten, dass vor der Wiederzulassung zum Schulbesuch das Kind und seine Kleidungsstücke gründlich gereinigt werden. 5) F ü r die Beobachtung der unter 2 bis 4 gegebenen Vorschriften ist der Vorsteher der Schule (Direktor, Rektor, Hauptlehrer, erster Lehrer, Vorsteherin etc.), bei einklassigen Schulen der Lehrer (Lehrerin) verantwortlich. Von jeder Ausschliessung eines Kindes vom Schulbesuch wegen ansteckender Krankheit — Nr. 2 und 3 — ist der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. 6) Aus Pensionaten, Konvikten, Alumnaten und Internaten dürfen Zöglinge während der Dauer oder unmittelbar nach Erlöschen einer im Hause aufgetretenen ansteckenden Krankheit nur dann in die Heimat entlassen werden, wenn dies nach ärztlichem Gutachten ohne die Gefahr einer Uebertragung der Krankheit geschehen kann und alle vom Arzte etwa für notwendig erachteten *) Den hier aufgeführten Krankheiten ist durch den Erlass vom 23. November 1888 noch der e p i d e m i s c h e K o p f g e n i c k k r a m p f hinzugefügt worden. 54*
852
Schülererkrankungen.
Vorsichtsmassregeln beobachtet werden. U n t e r denselben Voraussetzungen sind die Zöglinge aui Verlangen ihrer Eltern, Vormünder oder Pfleger zu entlassen. 7) Wenn eine im S c h u l h a u s e wohnende Person in eine der unter Nr. 1 a und b genannten, oder eine ausserhalb des Schulhauses wohnhafte, aber zum Hausstande eines Lehrers der Schule gehörige Person in eine der unter N r . 1 a genannten Krankheiton verfällt, so h a t der Haushaltungsvorstand hiervon sofort dem Schulvorstande (Kuratorium) und der Ortspolizeibehörde Anzeige zu machen. Die letztere hat, wenn möglich unter Zuziehung eines Arztes, f ü r die thunlichste Absonderung des K r a u k e n zu sorgen und über die L a g e der Sache, sowie über die von ihr vorläufig getroffenen Anordnungen dem L a n d r a t (Amtshauptmann) Bericht zu erstatten. D e r L a n d r a t (Amtsliauptmann) h a t unter Zuziehung des Kreisphysikus darüber zu entscheiden, ob die Schule zu schliessen oder welche sonstigen Anordnungen im Interesse der Gesundheitspflege zu treffen sind. In Städten, welche nicht unter dem Landrat (Amtshauptmann) stehen, tritt an die Stelle des letzteren der Polizeiverwalter des Orts. Diese V o r s c h r i f t gilt auch für die in Nr. 6 bezeichneten Anstalten. 8) Sobald an dem Orte, wo die Schule sich befindet, oder in seiner Nachbarschaft mehrere Fälle einer ansteckenden K r a n k h e i t (Nr. 1) zur Kenntnis kommen, haben L e h r e r und Schulvorstand ihr besonderes Augenmerk aui R e i n h a l t u n g d e s S c h u l g r u n d s t ü c k e s und aller seiner Teile, sowie auf gehörige L ü f t u n g d e r K l a s s e n r ä u m e zu richten. Insbesondere sind die Schulzimmer und Bedürfnisanstalten täglich sorgsam zu reinigen. Schulk i n d e r n d a r f d i e s e A r b e i t n i c h t ü b e r t r a g e n w e r d e n . Die Schulzimmer sind während der unterrichtsfreien Zeit andauernd zu lüften, die Bedürfnisanstalten nach der Anordnung der Ortspolizeibehörde regelmässig zu desinfizieren. Diese Vorschrift gilt auch f ü r die in Nr. 6 bezeichneten Anstalten und erstreckt sich f ü r diese auf die Wohnungs-, Arbeits- und Schlafräume der Zöglinge. 9) Ueber die S c h l i e s s u n g v o n S c h u l e n o d e r e i n z e l n e n K l a s s e n d e r s e l b e n wegen ansteckender Krankheiten hat der L a n d r a t (Amtshauptmann) unter Z u z i e h u n g d e s K r e i s p h y s i k u s zu entscheiden. I s t G e f a h r im Verzuge, so können der S c h u l v o r s t a n d (Kuratorium) und die O r t s p o l i z e i b e h ö r d e auf G r u n d ärztlichen Gutachtens die Schliessung anordnen. Sie haben aber hiervon sofort i h r e r vorgesetzten Behörde Anzeige zu machen. Ausserdem sind sie verpflichtet, alle g e f a h r d r o h e n d e n K r a n k h e i t s V e r h ä l t n i s s e , welche eine S c h l i e s s u n g d e r S c h u l e angezeigt erscheinen lassen, zur K e n n t n i s ihrer vorgesetzten Behörde zu bringen. 10) Die Wiedereröffnung einer wegen ansteckender Krankheiten geschlossenen Schule oder Schulklasse ist nur nach voraufgegangener gründlicher R e i n i g u n g und D e s i n f e k t i o n d e s S c h u l l o k a l s zulässig. Sie darf nur erfolgen auf Grund einer vom L a n d r a t (Amtshauptmann) u n t e r Zuziehung des Kreisphysikus zu treffenden Anordnung. I n S t ä d t e n , die nicht unter dem L a n d r a t (Amtshauptmann) stehen, t r i t t an die Stelle des letzteren der P o l i z e i v e r w a l t e r des Ortes*) *) D e r Polizeiverwalter entscheidet dann nach Anhörung des Kreisphysikus und des Vorsitzenden der Schuldeputation. Die S c h l i e s s u n g i s t
Schülererkrankungen.
853
11) Die vorstehenden Vorschriften Nr. 1 bis 10 finden auch auf p r i v a t e U n t e r r i c h t s - und E r z i e h u n g s a n s t a l t e n , einschliesslich der K i n d e r b e w a h r a n s t a l t e n , S p i e l s c h u l e n , W a r t e s c h u l e n , K i n d e r g ä r t e n etc. Anwendung. Die S c h l i e s s u n g d e r S c h u l e n kann auch in Folge anderweitiger Ursachen, bezw. Schädlichkeiten notwendig- werden. Zeigt das Schulhaus gesundheitsschädliche Einflüsse, die sich auch auf die Schulzimmer erstrecken, wenn z. B. Feuchtigkeit der Wände die Gesundheit der Schüler beeinträchtigt, oder Verderbnis des Holzwerks, namentlich der Trügbalken, lebensgefährlich werden kann, so muss sofort die Schule geschlossen werden, bis alle Schäden beseitigt sind. Um den richtigen Zeitpunkt hierzu nicht zu versäumen, ist eine zeitweilige R e v i s i o n des gesamten Schulgebäudes unter sachverständiger Assistenz geboten. eiliH Aufgabe, die zunächst der Schuldeputation, bezw. Schulkommission obliegt. Der preussische M i n i s t e r i a l e r l a s s vom 9. A p r i l 1888 weist auch darauf hin, dass, „falls unter den öffentlichen Anstalten auch die S c h u l e n und W a i s e n h ä u s e r einer U e b e r s c l n v e m m u n g ausgesetzt gewesen sind, diese eine besonders sorgfältige Behandlung erheischen. Wenn sie wegen ihrer Ueberschwemmung ausser Benutzung gesetzt, bezw. geräumt werden inussten, müssen sie geschlossen bleiben, bis der Zustand derselben nach sachverständigem Gutachten kein Bedenken mehr bietet." Es springt somit in die Augen, dass die im öffentlichen Interesse getroffenen sanitätspolizeilichen Bestimmungen nicht selten auch mit dem G e s u n d h e i t s s c h u t z d e r S c h ü l e r Hand in Hand gehen, wie es namentlich bei herrschenden Epidemien stets der Fall ist, denn die dadurch veranlassten p r o p h y l a k t i s c h e n M a s s r e g e l n finden auch auf W o h n u n g e n und S c h u l e n Anwendung. Dazu gehört vor allem 3) das Desinfektionsverfahren, welches den wesentlichen Teil ° kaum übersteigt.
In diesem Kalle tritt
14. bis 18. Tage ein. das Exanthem Abschuppung
über.
Ein
ein Xachlass des Fiebers am
erblasst
ruhiger Schlaf
und geht in eine leine
und ein
kritischer
Schweiss-
ausbruch kann die Genesung herbeiführen, obgleich die Reconvaleszenz sehr langsam ständig
erfolgt, bis die körperliche und geistige Schwäche
verschwunden
ist.
Das K i n d e s -
zeigt durchschnittlich die günstigste
und
jugendliche
vollAlter
Prognose.
Die P r o p l i ) laxt! besteht in der s t r e n g s t e n I s o l i e r u n g der Kranken, die der Gesamtdauer dauern kann,
der Krankheit
entsprechend
wenn man die Reconvaleszenz
wenigstens 33 T a g e
mit 20 T a g e n
berechnet.
Die K r a n k e n w ä r t e r dürfen nicht mit anderen Personen verkehren : dass sie selbst der Gefahr der Ansteckung ausgesetzt f a h r u n g hinlänglich.
Vor allem ist
deshalb f ü r
sind, zeigt geräumige
die
Er-
Kranken-
stuben zu sorgen, welche die ergiebigste Ventilation g e s t a t t e n und die peinlichste Reinerhaltung ermöglichen.
Der Barackenbau
ist sehr
ge-
eignet, diesen Forderungen zu entsprechen. Hat
die Krankenpflege in der W o h n u n g
gefunden, so ist nicht n u r die Krankenstube,
der E r k r a n k t e n
statt-
sondern auch die ganze
W o h n u n g durch Sachverständige zu desinficieren und zwar in der vollkommensten Weise
mit Rücksicht
auf Bettzeug, Wäsche.
Kleidungs-
stücke, Möbel, die benutzten Gerätschaften pp. wie wir bereits mehrmals dargelegt haben.*) die Geschwister
Handelt es sich um e r k r a n k t e Schüler, so sind
derselben unbedingt vom Schulbesuch
bis die Genesung der e r s t e m vollständig Schüler
erfolgt ist.
auszuschliessen, Die
dürfen erst nach der sorgfältigsten Desinfektion des
genesenen Körpers
und ihrer Kleidung den Schulbesuch wieder aufnehmen. *i Die Ansteckungsgefahr, die bei allen Infektionskrankheiten auch in einer s c h l e c h t e n F ü l l u n g d e r h ö l z e r n e n F u s s b ö d e n beruhen kann, haben wir bereits S. 107 ff. erörtert. Man vergl. hierüber noch Dr. B. V a l i i n , La valeur hygiénique comparée des Planchers et des Dallages dans les habitations collectives. Revue d' Hygiène pp. N. 3. 20. Mars 1898. Verfasser empfiehlt namentlich für alle Mietwohnungen statt des hölzernen Fussbodens den zu viereckigen Platten gepressten Asphalt, dersich als sehr brauchbar bewälirthabe.
909
Typbus abdominalis.
Sind Erwachsene oder überhaupt altere Personen im Haushalt der Schüler am Flecktyphus erkrankt, so dürfen letztere insgesamt die Schule nicht besuchen, bis die Genesung erfolgt oder die Leiche aus dem Hause entfernt ist. Erst nach erfolgter vollständiger Desinfektion, die eventuell ärztlicherseits zu bescheinigen ist, ist ihre Zulassung zum Schulbesuch zu gestatten, denn die Krankheit ist nicht bloss unmittelbar. sondern auch zuverlässig durch Mittelpersonen ansteckend.
Die . B a k t e r i e n f r a g e ist bei den exanthematischen Infektionskrankheiten noch nicht erledigt. Bei T y p h u s e x a n t h e m a t i c u s hat H l a w a in 49 Fällen 2ostdiphtheritische Lähmung ist besonders die des G a u m e n s e g e l s bekannt und deshalb gefährlich, weil sie bei jungen Kindern nach so unbedeutenden Krankheitserscheinungen auftreten kann, dass letztere von den Angehörigen ganz übersehen werden, bis sich der Folgezustand dadurch bemerklich macht, dass bei dem betreffenden Kinde bei jedem Schluckversuch von flüssigen Nahrungsmitteln oder Getränken diese wieder aus der Nase herausfliessen. Alle Spuren der Krankheit im Halse können verschwunden sein, wenn ärztliche Hülfe nachgesucht wird. Höchst wahrscheinlich beruht die Erkrankung auf einer perip h e r i s c h e n N e u r i t i s , bei welcher die Prognose immer bedenklich ist. L ä h m u n g e n der innern und äussern Augenmuskeln, des N. facialis, der Ciliarnerven mit aufgehobener Akkommodation, der Stimmbänder mit der tonlosen Stimme oder die gänzlich aufgehobene Stimme ( A p h a s i e ) sind als toxische Einwirkungen auf das centrale Nervensystem zu betrachten. Die P r o g n o s e ist daher in jedem Falle mit Vorbehalt zu stellen, weil stets unerwartete Ereignisse eintreten können, die man nicht voraussehen kann. Die s e p t i s c h e F o r m ist stets die gefährlichste, kommt aber bei Erwachsenen nur. dann, ausnahmsweise vor, wenn sie sich auf einem krankhaft disponierten Boden entwickelt. Auch die A l l g e m e i n i n f e k t i o n kann von vornherein manche bedrohliche Folgezustände in sich bergen. Die Mortalität hat seit Einführung des B e h r i n g ' s c h e n H e i l s e r u m s entschieden abgenommen. Für den grossen Wert desselben lautet die ärztliche Beurteilung fast übereinstimmend günstig. Auch. 59
Diphtherie.
930
die statistischen Nachrichten aus dem deutschen Reiche und aus Oesterreich*) zeigen im allgemeinen eine Abnahme der Mortalität. Die
im Kaiserl.
Gesundheitsamte
bearbeiteten
„Ergebnisse
der
ärztlicherseits vereinbarten Saninielforschung über den E r f o l g des Heils e r u m s " lieferten auf Grund der vom April 1895 bis März 1896 eing e g a n g e n e n Berichte eine Mortalität von 15,5°/ 0 bei den mit Heilserum Behandelten, während sie vor dieser Behandlung n i e m a l s unter 23,4° h e r a b g e g a n g e n ist.
K r a n k h e i t s t a g e n Behandelten dagegen 19°
0
nur
7,9°/ 0 , von den s p ä t e r
Injicierten
starben.**)
Von Kranken, bei denen nur weisen waren,
()
Dabei ist zu bemerken, dass von den in den ersten
echte
Diphtheriebazillen
starben 14,1° (), bei der M i s c h i n f e k t i o n
kokken dagegen 1 9 , 6 % . Pseudomembran^
nachzu-
mit Strepto-
F e r n e r war auch die schnellere Lösung der
im Halse
und Kehlkopf,
so wie
das Absinken
des
Fiebers der Anwendung des Heilserums zuzuschreiben, wovon in 78,4°/ Q der F ä l l e 1000 Immunisierungseinheiten und mehr injiciert worden sind.***) Krönlein
(Zürich) constatierte
auf
dem
Chirurgenkongress
zu
Berlin (April 1898), dass f r ü h e r die Hälfte, jetzt n u r der vierte Teil aller
Erkrankten
operiert
würden.
Auch sei seit 1894
sterblichkeitsziffer sowohl in der Bevölkerung
als auch
die im
GesamtKranken-
hause ganz rapide von :-39 °/ 0 auf 12°/ 0 gesunken. B e h r i n g ist der Ansicht, dass man eine Mortalität von 5 ° / 0 erw a r t e n könne, falls die Serumbehandlung mit ausreichender, den schweren F ä l l e n entsprechender Menge Serums innerhalb der ersten 48 Stunden *) Im österreichischen Sanitätswesen (Nr. 35 u. 86, 1896) sind die Erfolge der Serumtherapie nach der vom staatlichen Institute eingeleiteten Sammelforschung mitgeteilt. **) D i e u d o n n e , Ergebnisse der Serumforschung über die Diphtherie Tom April 1895 bis März 1896. Arbeiten aus dem Kais. Gesundheitsamt. Dr. A. G l ä s e r hat ohne Rücksicht auf Heilserum seine »Mitteilungen über 20 Jahre Diphtherie im Hamburger Allgemeinen-Krankenhause" in der Zeitschrift für klinische Medizin (30. Bd., 3. u. 4. Heft) veröffentlicht. ***) Das Heilserum wird unter staatlicher Controlle in den Farbwerken zu Höchst bei Frankfurt a. M. hergestellt. Zu Immunisierungszwecken bei gesunden Kindem dient Nr. 0, Fläschchen mit gelber Etikette, die 200 Immunisierungseinheiten enthalten. Nr. 1, Fläschchen mit grüner Etikette, enthält die einfache Heildosis von 600 J.—E., die sofort nach dem Ausbruch der Krankheit durch subcutane Injektion zur Verwendung kommt. Da grössere Mengen von Heilserum, z. B. 1500 und mehr Immunisierungseinheiten bei schweren Fallen erforderlich sind, wodurch störende Nebenwirkungen entstehen können, so hat man behufs Vorbeugung derselben h o c h w e r t i g e s S e r u m hergestellt, von dem 1 ccm 500 und mehr J.—E. enthält, so dass hierdurch die Injektion von grössern Mengen Heilserums umgangen wird.
Diagnose der Diphtherie.
931
nach dem Eintritt der Krankheit erfolge. Ueber die I m m u n i s i e r u n g G e s u n d e r lässt sich noch kein bestimmtes Urteil fällen, weil es bisher an ausreichenden Erfahrungen hierüber fehlt. Es hat den Anschein, als ob dieselbe leichter Nachkrankheiten aufzuweisen hat. Als N a c h k r a n k h e i t e n der Serumtherapie treten geringe Grade A l b u m i n u r i e mit Anschwellung des Gesichts oder der untern Extremitäten auf; ausser dem masern- oder scharlachänlichen E r y t h e m ist U r t i c a r i a am häufigsten und meist über den ganzen Körper verbreitet. Nachteilige Folgen bleiben nicht zurück. T o d e s f ä l l e , die man besonders nach der Immunisieruug, d. h. nach der prophylaktischen subkutanen Injektion beobachtet hat, sind in ätiologischer Beziehung noch nicht genügend aufgeklärt. Jedenfalls liegen solchen Unglücksfällen verschiedene Ursachen zu Grunde, so dass man nur von Fall zu Fall ein Urteil gewinnen kann.*) Die Diagnose der Krankheit soll man so früh als möglich auf bakteriologischem Wege sicher stellen, bevor das klinische Krankheitsbild Gewissheit darüber gewährt, denn je frühzeitiger dies geschieht, desto eher lässt sich ein günstiger Erfolg vom Heilserum erwarten. Die hygienischen Institute sind dazu berufen, die diagnostischen Untersuchungen in die Hand zu nehmen, falls die betreffenden Aerzte keine geübten Bakteriologen oder nicht im Besitze der erforderlichen Hilfsmittel sind. v. E s m a r c h (Königsberg i. P.) empfiehlt die Einsendung von vollkommen sterilisierten Schwämmchen, womit man über die Beläge fahren soll. Die mit dem verdächtigen Material beschickten Schwämmchen verschliesst man am besten in ein kleines Glasröhrchen, das in zweckmässiger Verpackung sofort dem zunächst gelegenen Institute übersendet wird. Sind die Schwämmchen noch feucht, so können sie direkt auf den geeigneten Nährboden getupft werden; sind sie dagegen trocken geworden, so müssen sie vorschriftsmässig aufgeweicht werden. Binnen 12 Stunden können sich bei richtiger Behandlung die Bazillen entwickeln, die dann mikroskopisch zu untersuchen sind. Ueber das
*) Die amerikanischen Aerzte A. S e i b e r t und F. Schwyzer nehmen an, dass alle plötzlichen Todeställe bei der Seruminjektion auf L u f t e i n s p r i t zung in die Vene beruhen. Referat im Jahrb. f. Kinderheilkunde 1898. S. 281. F. S t r a s s m a n n ' s Bericht über einen Sektionsfall lässt vermuten, dass der Tod in diesem Fall durch Erstickung erfolgt war und zwar in Folge von Aspiration erbrochenen Mageninhalts in den Luftwegen. Mageninhalt wurde auch in den Luftwegen vorgelüoden. Berl. klio. Wochsch. Nr. 23, 1896. 59»
932
Diphtherie.
gewonnene
Resultat
wird
der
Arzt
betreffende
telegraphisch
oder
thun,
sein
telephonisch benachrichtigt. *) Hat man es nur mit Löffler's Bazillus
zu
so
ist
Nachweis schneller zu führen als bei seiner Vergesellschaft mit andern Mikroorganismen. Zu letztern gehört namentlich der P s e u d o d i p h t h e r i e bazillus.
Der Xame stammt von L ö f f l e r her.
der damit Bazillen
bezeichnete,
die er selbst und vor ihm schon v.
Hofmann-Wellen-
dorf
blos aus
nicht
den diphtheritischen Pseudomembranen,
sondern
auch aus dem Munde und Rachensekret g e s u n d e r M e n s c h e n isoliert hatte.
W i r werden noch später darlegen, dass sie auch auf der nor-
malen oder erkrankten Conjunctiva. besonders bei der X e r o s i s junctivae werden.
vorkommen,
weshalb
sie
auch X e r o s e b a z i l l e n
con-
genannt
In denselben hat E r n s t zuerst eigentümliche Körner beobachtet,
von denen je ein Körnchen an jedem Ende des Bazillus auftritt, drittes Körnchen zeigt sich mitunter in der Mitte desselben.
ein
Diese
E r n s t s c h e n Körner kommen auch in den an und für sich unschädlichen P s e u d o d i p h t h e r i e b a z i l l e n
vor, die mit den X e r o s e b a z i l l e n
identisch sind. Max X e i s s e r * * ) hat die Differentialdiagnose der e c h t e n theriebazillen
den Pseudodiphtheriebazillen
gegenüber
besondere Färbung der genannten Körner festzustellen versucht. saures Methylenblau und Bismarkbraun blau
und den Bazillus b r a u n
dingung,
dass
Serumkultur
lassen
nämlich
Diph-
durch
eine Essig-
die Körnchen
erscheinen, jedoch nur unter der Be-
verwendet
wird
und
diese
wenigstens
9 Stunden alt sein muss und nicht älter als 2 0 — 2 4 Stunden sein darf, denn nach 24 Stunden lieferten auch die Pseudodiphtheriebazillen dieselbe Färbung. Die letztere Bedingung dürfte jedoch die Methode zu einer zweifelhaften machen und zwar umsomehr, als man nach den Versuchen von C. F r a n k e l annehmen muss, dass zwar alle echten Diptlitheriebazillen das Auftreten
der E r n s t ' s e h e n
Körner zeigen, dass dies
aber auch
unzweifelhaft bei Kulturen der Fall ist, die man sicher als solche von Pseudodiphtheriebazillen
annehmen
muss.
Als
nehmen, dass letztere bei der E n t s t e h u n g
sicher
lässt
sich
der D i p h t h e r i e
annicht
beteiligt sind, aber den Krankheitsverlauf mehr oder weniger beeinflussen. Die
bisher
aufgestellten
Unterscheidungsmerkmale
zwischen
Pseudo-
*) W. H e s s e , Zur Diagnostik der Diphtherie (Zeitsch. f. Hyg. Bd. 1894), schlägt die Verwendung vou G l a s s Stäbchen vor, um damit die Mund- und Rachenschleimhaut zu betupfen. Die Schwämmchen dürften vorzuziehen sein. **) Max N e i s s e r , Die Differentialdiagnose der Diphtberiebazillen. Zeitsch. f. Hyg. 24. Bd., S. 143, 1897.
Miscbinfektion.
933
und echten Diphtheriebazillen sind nicht für stichhaltig befunden worden. Von allen übrigen Bazillen unterscheiden sich die e c h t e n D i p h t h e r i e b a z i l l e n m o r p h o l o g i s c h durchdieKeil-, Keulen- und Hantelfonn, durch die Annahme der Gramschen Färbung, die unregelmässige Färbbarkeit, k u l t u r e l l durch ihre körnigen Kolonien und das spärliche Wachstum bei niederen Temperaturen, wenn man von einzelnen variablen Verhältnissen absieht. Diese Eigenschaften reichen aber nicht aus, sie von den Pseudodiphtherie- oder Xerosebazillen zu unterscheiden. Das einzige Unterscheidungsmerkmal ist die S ä u r e b i l d u n g in Peptonbnuillon, die bei den Diphtheriebazillen kräftig auftritt, bei Pseudodiphtheriebazillen aber sehr gering ist oder gänzlich fehlt. Ausnahmen kommen aber auch bei dieser Regel vor, denn eine I m p e t i g o - und K o n j u n k t i v a k n l t u r sind eben so starke Säurebildner wie die echten Diphtheriebazillen. Vor der Hand ist nur das Thierexperiment entscheidend. Die echten Diphtheriebazillen töten nämlich Meerschweinchen bei subcutaner Einspritzung von mittlem Dosen (bis 0,5 ccm zweitägiger Bouillonkultur), während bei Pseudobazillen selbst grosse Dosen (0,5 bis 2 cem) nicht einmal einen Lokaleffekt bewirken.' 1 ) Die ätiologische Bedeutung des Diphtheriebazillus unterliegt keinem Zweifel, da er von allen Bakteriologen für den g i f t i g s t e n M i k r o o r g a n i s m u s , abgesehen vom Tetanusbazillus, gehalten wird. Welche Wirkungen die Pseudodiphtheriebazillen im menschlichen Körper erzeugen, ist bisher eine noch unentschiedene Frage. Ebenso fehlt ein strickter Beweis dafür, dass sie nahe Verwandte oder Abkömmlinge der echten Diphtheriebazillen sind oder dass sie unter Umständen virulent werden. Aus ihrer Vermehrung im menschlichen Körper könnte man vom bakteriologischen Standpunkte schliessen, dass sie nicht als indifferent anzusehen sind. Die M i s c h i n f e k t i o n der Diphtheriebazillen mit verschiedenen pathogenen Bakterien übt natürlich auch einen verschiedenen Einfluss auf den menschlichen Organismus, bezw. auf die Mortalität aus. "Wir geben hier die bezüglichen Untersuchungen von R o u x und Yersin**) wieder, die hauptsächlich die Mortalitätsverhältnisse berücksichtigen. Hiernach ielilte unter 234 Fällen 1) in 26 Fällen Löffler's Bazillus; dagegen fanden sich Staphylo- und Streptokokken, Pneumokokken und Bacterium coli. Nach Abzug eines Falles von letaler Meningitis ergab sich eiae Mortalität vo;i 3,84%. 2) In 102 Fällen fand sich Löffler's Bazillus ohne Mischinfektion; bei 28 Todesfällen betrug die Mortalität 27, 45%. *) K r u s e in Flügge s Mikroorganismen, II. Bd., S. 474 und 478. **) Annal. de 1'instit.ut Pasteur.
984
Diphtherie.
3) In 76 Fällen war Löffler's Bazillus vergesellschaftet mit Staphylokokkus pyogenes Bei 25 Todesfällen war die Mortalität gleich 32, 8 9 % . 4) I n 20 Fällen von Mischinfektion von Löffler's Bazillus mit Strepti • kokkus pyogenes und G Todesfällen war die Mortalität gleich 30°/ 0 . 5) I n 7 Fällen einer Mischinfektion von Löffler's Bazillus mit Streptokokkus und Pneumokokkus Frankel mit 3 Todeslällen betrug die Mortalitiv rnnd 43%. In 3 Fällen von Löffler's Bazillus mit Bacterium coli erlagen alle drei Aus dem Tierexperiment scheint hervorzugehen, dass die Mischinfektinn von Löffler's Bazillus mit Bacterium coli zu einem schweren Krankheitsverlauf f ü h r t , dass aber das bazillenfreie Filtrat, von Colibakteriumkulturen keine verstärkende W i r k u n g auf das Diphtherietoxin ausübt. D a s Bacterium coli, der gewöhnlich ungefährliche Parasit, des Menschen, könne als ein beständig lauernder Feind auf zweierlei Art den menschlichen Organismus gefährden; entweder entfalte es seine Virulenz in dem durch anderweitige Infektion (Löffler's Bazillus) geschwächten Körper oder es werde dem menschlichen Köiper gefährlich, nachdem ausserhalb desselben seine Virulenz erhöht worden und er nun in den Menschen hineingelangt sei. M i s c h i n f e k t i o n e n lassen Virulenz
und
folglich
auf
in den m e i s t e n F ä l l e n
einen
gefährlichem
u n d eine k u r z e I n k u b a t i o n schliessen, t r e t e n liier n i c h t u n e r w ä h n t , lassen
weshalb
auf eine
Verlauf wir
der
grössere Krankheit
i h r v i e l f a c h e s Auf-
konnten.*)
Die P r o p h y l a x i s e r f o r d e r t w ä h r e n d einer E p i d e m i e eine b e s o n d e r Pflege
des M u n d e s u n d
der Rachenhöhle,
namentlich
bei
I d i v i d u e n , die ohnehin zu H a l s a f f e k t i o n e n geneigt, sind. liche B e h a n d l u n g
der
u n d R a c h e n h ö h l e zu
IHphtherie
Verkehr
Isolierung
der
schützen
schule
der
der Erkrankten ist.
Um alle W e g e
Krankheit
Gesunden
K i n d e r n g e b o t e n , weil zu
ist als eine D e s i n f e k t i o n
betrachten.
d e n e n die U e b e r t r a g u n g jeder
mit ist
besonders
diesem
ist
zu
ist v o r
Kinder
Schule
entfernen,
zu
mit
einem
weil
verdächtigen
während
mit
b e s o n d e r s vor es n a m e n t l i c h
mit den j ü n g s t e n Insassen, die e i n e r ä r z t l i c h e n
bedarf, um
Munlallem
vermeiden.
in F a m i l i e n
ganz
Grunde
der
zu v e r s c h l i e s s e n . auf
erfolgen kann,
den K r a n k e n
die K i n d e r w e i t
Aus
denjenigen
A u c h die ört-
Halsweh
einer herrschenden
Die
jüngeni
Ansteckung die
Volks-
Ueberwachung sofort
aus
der
Epidemie
die
B e f ü r c h t u n g n a h e l i e g t , d a s s einfache A n g i n e n l e i c h t die V o r b o t e n eines
s j Zu weitern Studien eignet sich T h . E s c h e r i c h ' s Aetiologie und Pathogenese. I. Der Diphtheriebazillus. Wien 1894. Ausser der Serumtherapie ist die ä u s s e r e B e h a n d l u n g d e r e r g r i f f e n e n H a l s p a r t i e n niemals zu vernachlässigen, weshalb wir nicht unterlassen, auf die L ö f f l e r ' s c h e Mischung aus Liquor ferri sesquichlorati, Alkohol absol., Toluol und Menthol zu verweisen. D r . H ü l s (Berlin), Ueber die Lokalbehandlung der Diphtherie. Therap. Monatsblätter Nr. 9. 1896.
Prophylaxis der Diphtherie.
935
d i p h t h e r i s c h e n Leidens sein können. Dass die Geschwister des erkrankten Schülers oder der Schülerin die Schule nur dann besuchen dürfen, wenn völlige und zuverlässige Bürgschaft dafür geleistet wird, dass sie ausser allem Verkehr mit der Krankenstube oder dem W ä r t e r personal bleiben, bedarf keiner weitern Erwägung, denn bei keiner Infektionskrankheit macht sich diese Forderung so sehr geltend wie bei der Diphtherie, bei welcher die u n m i t t e l b a r e Uebertragung des Ansteckungsstoffes schon durch das A n h u s t e n seitens des Kranken erfolgen kann, wenn dabei ein Gesunder von den am Auswurf haftenden Erregern der Krankheit getroffen wird. Man braucht in dieser Beziehung nur an die bekannt gewordenen Fälle zu erinnern, in welchen Aerzte bei der Untersuchung oder bei der Ausführung des Luftröhrenschnitts dadurch inticiert wurden, dass kleine Partikelchen des ausgehusteten Auswurfs ihr Gesicht bespritzten. Ks ist daher begreiflich, welcher Gefahr sich die Mütter aussetzen, die das erkrankte Kind küssen oder den Hustenstössen sich aussetzen, da ja stets die Möglichkeit vorhanden ist. dass auch Erwachsene auf irgend eine Weise inficiert werden. Möglich ist es daher auch, dass die Diphtherie durch M i t t e l , p e r s o n e l l vertragen wird, wenn sie in Folge des Verkehrs mit Kranken in ihren Kleidern die Diphtheriebazillen beherbergen und auf andere übertragen, die alsdann erkranken, während sie selbst gesund bleiben. Wenn wegen der beschränkten Wohnungsverhältnisse, namentlich in grossen Mietwohnungen, keine besondere Krankenstube zur Verfügung steht, also auch eine Absonderung der Kranken unmöglich ist, so liegt es auf der Hand, dass die Geschwister, bezw. Schüler vom Schulbesuch auszuschliessen sind und zwar so lange, bis ein ärztliches Attest mit Rücksicht auf die Seite 937 erwähnten Cautelen die v o l l s t ä n d i g e G e n e s u n g d e r E r k r a n k t e n und die stattgefundene D e s i n f e k t i o n der Genesenen und ihrer Wohnung bescheinigt hat. Schwere Fälle sollten unter diesen Verhältnissen stets einer H o s p i t a l b e h a n d l u n g übergeben werden, was namentlich in Städten mit grossen Arbeitervierteln durch eine sanitätspolizeiliche Verordnung vorgeschrieben werden müsste. Ferner sollte jeder Ausbruch der Krankheit unter den Schulkindern ärztlicherseits dem betreffenden S c h u l i n s p e k t o r angezeigt werden, damit dieser die L e h r e r hiervon benachrichtigt und letztere erfahren, durch welche Krankheit die Beihe der Schüler etwa gelichtet wird. Hiervon in Kenntnis gesetzt können sie um so sorgfältiger das körperliche Verhalten der Schüler im Auge behalten, um eventuell den Schularzt auf verdächtige Fälle aufmerksam zu machen. Es ist bekannt, dass manche Eltern es vorziehen, die Geschwister eines erkrankten
936
Diphtherie.
Schulkindes Pflege
den T a g über in die Schule zu schicken,
des K r a n k e n
schwister übernehmen kaufsläden
nicht auch zu müssen.
verheimlichen
Ausbruch von
nicht
ansteckenden
so notwendiger,
Manche Geschäfte, namentlich Verselten
Krankheiten
K u n d e n nicht zu verscheuchen.
um neben der
noch die Beaufsichtigung seiner Getrotz in
der
Anzeigepilicht
ihren Familien,
den
um ihre
In Anbetracht solcher Fälle ist es um
dass die L e h r e r
über
den Stand
der
herrschenden
Epidemie u n t e r r i c h t e t bleiben. Ist ein Fall von Diphtherie in einer Schule ärztlicherseits festgestellt worden, so
sollte grundsätzlich
die
Desinfektion
des
be-
t r e f f e n d e n S c h u l z i m n i e r s s o f o r t erfolgen, denn der mit dem Auswurf beschmutzte Fussboden kann, falls er nicht sofort gereinigt wird, möglicherweise noch die Ansteckung vermitteln.*) bazillus unter Umständen zählebig
Dass der Diplitherie-
und an L o k a l i t ä t e n
oft f ü r längere
Zeit gebunden sein k a n n , beweist die E r f a h r u n g , indem z. B. inficierte und nicht gründlich
desinficierte Wohnungen
bei einem neuen
Einzug
von Familien das W i e d e r a u f t r e t e n der Krankheit veranlassen können. Bei der F r a g e , ob die Ü b e r t r a g b a r k e i t der Bazillen d u r c h S t a u Ii möglich ist, wird man vor allem den G r a d i h r e r A u s t r o c k n u n g , die
Geschwindigkeit
des
vorhandenen
Luftstromes
sowie berück-
sichtigen müssen.**)
*) Nach E. G e r m a n o , „die Uebertragung der Diphtherie durch die Luft" wuchsen aus einer bazillenhaltigen, der Trachea eines Kranken entnommenen Membran, die bei Zimmertemperatur gehalten wurde, noch nach vier Monaten Diphtheriebazillen aus, wogegen die Streptokokken während dieser Zeit zu Grunde gegangen waren. Der Diphtheriebazillus behalte bis zum Absterben seine Virulenz, er erhalte sich um so besser, je grösser die Menge des ihn umgebenden und ihn vor Oxydation schützenden Staubes sei. Zeitschr. f. Hygiene 27. Bd. 2. H e f t 1898. Das Experiment von G e r m a n o , welches die Uebertragbarkeit beweisen soll, bestand darin, dass von v i e r hintereinander geschalteten Kölbchen. die durch Luftleitungen verbunden waren, das erste mit s t a u b g e m e n g t e n t r o c k e n e n D i p h t h e r i e b a z i l l e n , die folgenden mit Agar gefüllt waren. Ein L u f t s t r o m verteilte den Staub über alle Gläser, so dass die Diphtheriekolonien auf ihrem Nährboden wuchsen. F l ü g g e (Zeitschr. f. Hyg. 17. Bd.) bestreitet dagegen die Uebertragung der Bazillen d u r c h d i e L u f t , weil die Bazillen bei d e m j e n i g e n G r a d der Austrocknung, der für ein V e r w e i l e n n d e r L u f t a l s S t a u b erforderlich ist, n i c h t m e h r l e b e n s f ä h i g s e i e n . **) Nach M. N e i s s e r soll die Verstäubbarkeit erst b e i G e s c h w i n d i g k e i t e n d e s L u f t s t r o m s von etwa 20 cm pro Sekunde zu constatieren sein, nicht aber bei einer solchen bis zu 5 cm. Er rechnet die Diphtheriebazillen zu den n i c h t v e r s t ä u b b a r e n B a z i l l e n . Zeitschr, f. Hyg. 27 Bd.
Diphtherie.
987
Dass beim Husten der Erkrankten feinste Partikelchen des Auswurfs sich in der Zimmerluft schwebend erhalten können, um sich schliesslich auf den Wänden der Krankenstube niederzulassen, kann leicht bei der Diphtherie stattfinden. Bei dieser Möglichkeit ist daher stets die Desinfektion der Krankenstube mit Formalin auszuführen, wodurch das Einnisten der Bazillen auf den W ä n d e n sicher verhütet und jede andere R e i n i g u n g s m e t h o d e derselben v o l l k o m m e n ersetzt wird.
Wie bei der Variola ist es auch bei der Diphtherie hauptsächlich der V e r k e h r m i t M e n s c h e n , der die Ansteckung vermittelt. Die Intensität der Epidemie ist jedocli verschieden, auch ihr Auftreten wechselnd. Im 3. Jahrzehnt unseres Jahrhunderts wurden keine Epidemien beobachtet, wohl aber im 5. Jahrzehnt; den Höhepunkt erreichten sie im 8. Jahrzehnt. Wenn einzelne Epidemien im Allgemeinen günstig verlaufen und keine schweren Fülle aufweisen, so kann dies nur von der e p i d e m i s c h e n K o n s t i t u t i o n (dein Genius epidemicus) abhängig sein, die man annehmen muss, weil uns jede andere Erklärung dafür fehlt. Unbestritten besteht eine besondere Anlage, die sog. Disposition zur Aufnahme der inticierenden Keime, wofür der Umstand spricht, dass bei der Invasion einer Familie nicht alle Mitglieder derselben erkranken und die Widerstandsfähigkeit besonders bei Individuen sich zeigt, die über das jugendliche Alter hinaus sind. Hierher gehört auch die oben erwähnte Uebertragung der Krankheit durch Mittelpersonen, die selbst gesund bleiben. Eine I m m u n i t ä t beobachtet man auch nach der iiberstandenen Krankheit; den Beweis dafür liefert die vielfach beobachtete Thatsache, dass die Diphtherie-Rekonvaleszenten, die frei von jeder Halsbeschwerde sind, noch lange nach dem Verschwinden der Pseudomembranen vollvirulente Diphtheriebazillen aufweisen können, die für die Träger ungefährlich sind, aber Andere auf irgend eine Weise inficieren können. Dies Vorkommnis ist besonders für die S c h u l h y g i e n e von grosser Bedeutung, da anscheinend vollkommen rekonvaleszente Schüler für ihre noch disponierten Mitschüler gefährlich werden können. In New-York besteht schon längst die Vorschrift, dass solche Schüler nicht eher wieder zum Schulbesuche zuzulassen sind, als bis die bakteriologische Untersuchung das Fehlen aller Diphtheriebazillen im R a c h e n und in der N a s e ergeben hat. Wenn die behandelnden Aerzte diesen Nachweis nicht liefern können, so ist auch in solchen Fällen die Hülfe der hygienischen Institute zu beanspruchen.
938
Diphtherie.
Dass man stets für die Isolation der verdächtigen Rekonvaleszenten sorgen muss, ist wegen der möglichen Uebertragung der Bazillen auf Gesunde geboten. In Frankreich ist deshalb ärztlicherseits für die Errichtung von Rekonvaleszentensälen in den Hospitälern oder für besondere Asyle ausserhalb der Stadt plaidiert worden. Sind in den concreten Fällen die Diphteriebazillen aufgefunden, so empfiehlt sich der Gebrauch von desinficierenden Gurgelwassern, bis wiederholte Untersuchungen das Verschwinden der Bazillen bestätigt haben. Nur unter dieser Bedingung kann das ärztliche Attest die Wiederzulassung der betreffenden Schüler zum Schulbesuch befürworten. Die Persistenz der Diphteriebazillen, mag es sich um echte oder Pseudobazillen handeln, kann nicht nur wochen- sondern monatelang dauern. Aus der reichhaltigen Litteratur über die „prolongierte Diphtherie" lässt sich ersehen, dflss Fülle vorgekommen sind, in denen sich virulente Bazillen noch nach 5 Monaten nachweisen Hessen, ja selbst nach 7 Monaten konnten sie in einem Falle aufgefunden werden.*) Die m i t t e l b a r e A n s t e c k u n g durch äussere Gegenstände, an denen die Diphtheriebazillen haften, ist ganz besonders im Auge zu behalten. Bettzeug, Wäsche, Kleidungsstücke der Kranken, die durch den Auswurf verunreinigt sind, so wie der damit beschmutzte Fussboden der Krankenstube sind sofort zu beseitigen, bezw. zu reinigen. S p i e l z e u g , womit sich die Kranken beschäftigt haben, darf nicht in die Hände der gesunden Kinder gelangen. Dasselbe gilt von Messern, Gabeln, Tellern und allen sonstigen Gerätschaften, die von den Kranken gebraucht werden; sie sind nach stattgefundener Reinigung apart aufzubewahren. Speisereste der Kranken dürfen nicht von den Gesunden genossen werden; sie sind auf eine für Menschen unschädliche Weise zu verwenden. Unter den N a h r u n g s m i t t e l n hat man namentlich die M i l c h in gewissen Epidemien für den Träger der Infektionsstoffe gehalten. Dies ist besonders in England der Fall gewesen, indem man sich darauf berief, dass die Ansteckung nur bei denjenigen Milchkonsumenten nachzuweisen war, die aus derselben Meierei ihre Milch bezogen, in welcher ein an einer verdächtigen Angina leidender Hausgenosse mit der Hantierung der Milch beschäftigt gewesen war. In einem solchen Fall konnte es sicli nur um die Verunreinigung der Milch mit Krankheitsstoffen, also um eine sehr unreinliche Bewirtschaftung handeln. Auf *) M. vergi. Brit, medical Journal No. 61. 1895.
Diphtherie.
939
ähnliche U r s a c h e n f ü h r t a u c h H o w a r d * ) eine grosse E p i d e m i e
zurück:
s t r i k t e B e w e i s e f ü r den Z u s a m m e n h a n g derselben mit d e r v e r u n r e i n i g t e n Milch sind a b e r nicht e r b r a c h t . In D e u t s c h l a n d
und
Oesterreich
oder in d e r S c h w e i z
mit
d e r reichen Milchproduktion sind u n s e r e s W i s s e n s nach keine D i p h t h e r i e epidemien b e o b a c h t e t hätte
bringen
wird der
worden,
können.
bekanntlich Litteratur
Der
durch
die m a n in B e z i e h u n g zum reiche
Gehalt
das A u f k o c h e n
diesfalls
beschriebenen
(1er Milch
unschädlich: Epidemien
Milchgenuss an
Bakterien
auch
wird
in
den in
oft
erwähnt,
dass diejenigen P e r s o n e n v e r s c h o n t g e b l i e b e n w ä r e n , die n u r
gekochte
Milch genossen h ä t t e n . **) Eine normale Milch k e n n z e i c h n e t Farbe,
den G e r u c h
Kochen
nicht
und Geschmack,
gerinnt.
Es gebietet
sich so wie
stets
Diphtherieepideinie in einer D o r f g e m e i n d e ,
durch
das A n s e h e n ,
dadurch,
die
dass sie
beim
die Vorsicht, w ä h r e n d
einer
welche an S t ä d t e Milch ab-
liefert, die b e t r e f f e n d e M i l c h nicht u n g e k o c h t zu g e m e s s e n .
Uelirigens
g i e b t es auch g e g e n w ä r t i g g r o s s e M e i e r e i e n auf dem L a n d e , die schon z u r B e w a h r u n g ihres R u f e s sich der müssen.
Bei
gewinnung und weilige
der
hygienischen
den
g r ö s s t e n Reinlichkeit
Wichtigkeit,
Milchverkauf
knüpft,
sanitätspolizeiliche Uebervvachung
würde
sich
an
befleissigen die
Milch-
sich indes eine zeit-
des B e t r i e b s
ebenso sehr empfehlen, wie die p o l i z e i l i c h e V e r k a u f s , die in j e d e r volkreichen S t a d t
die
der Molkereien
Controlle
des
zur Durchführung
muss, um das w i c h t i g s t e N a h r u n g s m i t t e l u n v e r f ä l s c h t
und
Milchgelangen
unverdorben
in den H a n d e l zu bringen.***)
*) W. T. H o w a r d , Tlie influence of cow' milk in the spread of dipktherie, with an account of a milk epidemie of diphtherie. The americ. Journ. of mediz. sciences. December 1897. Eiu ausführliches Referat findet sich in der Revue d'hygiène. No. 3.1898. **) Das wichtige Kapitel über die Bazillen der Milch findet sich in F l ü g g e ' s Abhandlung in der Zeitschrift f. Hygiene, 17. Bd. 2. Heft, so wie in den „Mikroorganismen" 2. Bd. S. 208 ff., worauf wir hier nur verweisen können. Feiner vergl. m. v. F r e u d e n r e i c h , Die Bakteriologie in der Milchwirtschaft. Basel 1893. ***) Beim Genuss der s a u r e n M i l c h ist noch niemals eine Gesundheitsstörung beobachtet worden ; bei gewissen Leiden der Digestion=organe kann sie bekanntlich als Heilmittel dienen, obgleich in ihrem Rahm sehr viele Bakterien sich nachweisen lassen. B a c i l l u s l a c t i c u s , der unbeweglich ist und zu zweien oder in kleinen Ketten vorkommt, ist von G ü n t h e r und T b i e r f e l d e r in der sauren Milch constant gezüchtet worden. M. s. .Mikroorganismen" 2. Bd. S. 356. Wahrscheinlich ist es die Milchsäuregährung, die auf die Bakterien^ umstimmend wirkt und sie für den Genuss unschädlich macht.
940
Diphtherie.
Das D e s i n f e k t i o n s v e r f a h r e n ist in ähnlicher Weise wie bei Scharlach und Masern durchzuführen. Bei der Oberflächendesinfektion haben die F o r m a l i n d ä m p f c eine allgemeine Anerkennung gefunden: eine Verschiedenheit der Ansichten giebt sich hauptsächlich dadurch kund, dass von der einen Seite der T r i l l a t ' s c h e Autoklav vorgezogen wird, weil dadurch a l l e Mikroorganismen getödtet. würden, während für den praktischen Gebrauch von der andern Seite bei dem gewöhnlichen Umfange der Krankenstuben der S c h e r i n g s c h e Apparat empfohlen wird. Aus eigener Erfahrung müssen wir der letztern Ansicht beitreten, wenn es sich um Privatwolinungen handelt. Der Apparat bedarf keiner besondern Wartung und entwickelt höchst intensive Dämpfe, die bei ihrem penetranten Geruch jedes Verweilen in der betreffenden Stube unmöglich machen. Werden Thür- und Fensterritzen sachgemäss verstopft, so muss in der entstandenen Atmosphäre der Untergang aller unter den gewöhnlichen Verhältnissen vorkommender Mikroorganismen zuverlässig erfolgen. Für g r ö s s e r e S c h u l r ä u m e würde allerdings der T r i l l a t s c h e Autoklav vorzuziehen sein, der eine sachverstandige Bedienung von aussen erfordert, aber auch kostspieliger in der Anschaffung ist. In den meisten Fällen wird der Schering'sehe Apparat ausreichen, da sich seifie Wirkung hinsichtlich des Luftraumes genau bestimmen lässt. Sicher werden a l l e W ä n d e eines Raumes desinficiert: versteckte Ecken können bei der F u s s b o d e n r e i n i g u n g , die stets nach der Desinfektion folgen muss, berücksichtigt werden, damit die Reinigung im vollkommensten Umfange in Wirksamkeit tritt. Bei den übrigen Utensilien, wie Bettzeug, Matratzen etc. in welche die Forinalindämpfe nicht eindringen, ist die Heisswasserdesinfektion ein notwendiges Ergänzungsmittel in Privatwohnungen. Auch in S c h u l r ä u m e n darf die Reinigung des Fussbodens und aller Utensilien nicht umgangen werden, nachdem die Formalindesinfektion vorausgegangen ist. Die persönliche Desinfektion der Schüler besteht bei allen Infektionskrankheiten in der schon erwähnten Weise in einem Bade oder in Seifenwasserabwaschung und in der Beschaffung vollständig reiner Bekleidung, vorausgesetzt, dass in den Diphtheriefällen die Abwesenheit aller Bazillen in der Mundhöhle und ihm Rachenschleim sicher constatiert worden ist. Erst nach der gewonnenen Ueberzeugung, dass alle Bazillen auf infiziert gewesenen Teilen in der Rachenhöhle und auch in den Xasengängen verschwunden sind, ist die Ansteckungsgefahr beseitigt. (M. vergl. ..die Krankheiten der Nase-.)
Influenza.
941
III. Besondere Infektionskrankheiten. a) Influenza, epidemisches Katarrhalfleber, das seine Abhängigkeit von einer Infektion durch ein fieberhaftes Allgemeinleiden und das Ergriffensein der Respiratioswege kundgiebt. Die Influenzabazillen wurden von R. P f e i f f e r im Influenzasputum entdeckt und gezüchtet. Sie stellen unbewegliche, sehr kleine (0,2—0,3 : 0,05 /28 Personen,
in l'aris
in Frankfurt a. M.
weist überall nach, dass die Mortalität beim
weiblichen Geschlecht überwiegend ist.
In Oesterreich starben in den
Jahren 1 8 7 3 — 1 8 9 2 durchschnittlich 107 von 1 0 0 0 0 Einwohnern.**) Kinder
ist der Keuchhusten
um so gefährlicher,
Leber die Volksschulen und Kinderasyle
Für
je jünger sie sind.
hinaus wird die Ausbreitung
des Keuchhustens immer eine mehr begrenzte. Aetiologie. organismen
Die im Sputum der Kranken nachgewiesenen Mikro-
sprechen
sicher für die Ansteckungsfähigkeit
des Keuch-
hustens. die schon früher auf dem W e g e der Erfahrung sicher gestellt war.
Das Aufsuchen von immunen Gegenden
ist insofern bedenklich,
als dadurch die Krankheit weiter verschleppt wird, wenn die erkrankten Kinder nicht vom Verkehr mit den gesunden abgehalten werden. derartiger Luftwechsel kann dadurch günstig stillem W e t t e r die
Ein
dass bei wind-
der Genuss einer reinen Luft vorteilhafter ist als die
Stadt- oder Stubenluft, und
wirken,
Kranklieit
vorausgesetzt,
im
Sommer
dass kein Fieber vorhanden ist
herrscht.
—
Durch
den
Verkehr
zwischen Schulkindern, also von der Schule aus wird auch am häufigsten die Krankheit versclileppt, wenn man nicht zeitig dafür sorgt, dass die verdächtigen
Schüler
vom
weit verbreitete Ansicht,
Schulbesuch
ausgeschlossen
dass der Keuchhusten
Stadium ansteckend sei, ist nicht begründet;
werden.
Die
erst im krampfhaften
man mnss vielmehr an-
* ) Deutsche mediz. "Wochenschrift 1888, S. 91: Ueber die Sterblichkeit in 31 GrossstädteD. •*) Oesterr. Sanitätswesen 1893.
951
Keuchhusten. nehmen,
dass die E r r e g e r
sich schon im Sputum
des
katarrhalischen
Stadiums befinden, wenn eine Keuchhusten-Epidemie h e r r s c h t . ilieser Zeit
muss
ilass auch bei einem scheinbar nicht
in
Während
ganz besonders in Schulen darauf gehalten
die T a s c h e n t ü c h e r ,
einfachen Bronchialkatarrh
noch
viel
weniger
auf
werden,
alle
den
Sputa
Fussboden,
sondern nur in die mit einer Chlorcaleiunilüsung gefüllten Spucknäpfe ausgehustet, werden.
Wenn
es auch weniger wahrscheinlich ist,
dass
die auf dem Fussboden eingetrockneten und etwa mit dem Staube aufg e w i r b e l t e n Sputa ansteckend w i r k e n ,
weil die lnfektionskeime
widerstandsfähig
es
sind,
so
erfordert
immerhin
Spucknäpfe ihren Zwecken dienstbar zu machen. mit dem Husten Erbrechen beseitigen
Schüler zu
für
T r i t t bei einem Schüler
ein, so ist natürlich das Erbrochene sofort
und der Fussboden
sorgfältig zu reinigen;
ein solcher
ist ausserdem infektionsverdäehtig und sofort aus der Schule
entfernen.
Husten
wenig
Sorge
in den Schulen den Fussboden rein zu erhalten und die
licinlichkeit,
zu
die
Findet
behafteten
der
Schüler
untersuchende fieberhaft,
Schularzt ferner einen das
Gaumensegel
und
mit den
Kachenraum gerötet, so muss derselbe die, Schule verlassen, auch wenn der Husten sich noch nicht im k r a m p f h a f t e n Stadium befindet, E i n t r i t t aber in einem solchen Falle sicher zu erwarten ist. husten-Epidemie
erfordert
durchaus
eine
ärztliche
dessen
Eine Keuch-
Revision
der
Schule, damit dieselbe nicht zu einem Infektionsherd wird. Die
Infektion
Diphtherie Tröpfchen werden,
von
dadurch mit
Person
erfolgen,
dem Sputum
zu Person
dass
die
ausgehustet
kann
nur
wie
Infektionskeime
als
bei
der
kleinste
und auf Gesunde ü b e r t r a g e n
weshalb das Anhusten seitens der K r a n k e n ,
also die nächste
B e r ü h r u n g mit denselben hauptsächlich die Ansteckung vermittelt.
Die
mittelbare
aus-
Infektion
durch letztere
gesunde Personen dadurch
ist
deshalb
nicht
zuschliessen,
wenn
worden sind,
dass sie von
die T r ä g e r des Contagiums
ge-
worden sind.
Ein eclatantes Beispiel hierfür veröffentlichte W h i t e s i d e
den K r a n k e n in nächster Nähe angehustet
H i r n e ; * ) auf dem Lande wohnte nämlich ganz isoliert eine Familie, die vollständig gesund war.
Die Amme des Hauses h a t t e sich eines T a g e s
beurlaubt und. eine e n t f e r n t .wohnende Familie, in welcher der Keuchhusten h e r r s c h t e , Kurz
nach
besucht und gelegentlich ein k r a n k e s Kind gestillt.
ihrer
Rückkunft
isolierten Familie am Keuchhusten. als die Bedingungen
erkrankten
sämtliche
Kinder
der
Der Fall ist um so glaubwürdiger,
der U e b e r t r a g u n g :
nächste B e r ü h r u n g mit
dem
infizierten Kinde und die k u r z e Zwischenzeit zwischen der persönlichen *] Im Biit. Med. Journ.
Keuchhusten.
952
Infektion geringen Anhaften sich aber Hause, in strengste
und der Uebertragiuig, hier erfüllt waren, denn bei der Widerstandsfähigkeit der Infektionskeime ist ein längeres derselben au Gesunden nicht anzunehmen. Um so mehr zeigt die Notwendigkeit, den Schulbesuch für Kinder aus einem dem der Keuchhusten herrscht, zu verbieten, wenn nicht die Isolierung' der Kranken besteht.
Prophylaxe. Die A n z e i g e p f l i c h t besteht weder in l'reussen noch in vielen andern Deutschen Staaten für den Keuchhusten. Kimlöbliche Ausnahme machen Baden, Hävern. Hamburg, Jieuss j. L. und die beiden Mecklenburg. In Sachsen-Weimar kann der zuständige Bezirksdirektor die Anzeigepilicht anordnen.") Im Hinblick auf die vielen schädlichen Folgen einer Keuchhusten-Epidemie halten wir dieselbe für sehr notwendig und vollkommen gerechtfertigt. Sie ist auch deshalb nötig, damit die Ansteckungsgefahr des Keuchhustens zur öffentlichen Kenntnis gelangt und die Eltern um so mehr veranlasst werden, die gesunden Kinder von den erkrankten fern zu halten. Ist ein keuchhustenkrankes Kind bettlägerig, so ist der Verkehr mit ihm seitens der Geschwister streng zu untersagen: auch Erwachsene müssen bei den Hustenanfällen die erforderliche Vorsicht verwenden und sich vor jeder Verunreinigung mit dem Auswurf des Kranken schüt/eii. Derselbe ist stets in einem besonderen Gefäss aufzufangen und iii d e s i n f i c i e r t e m Z u s t a n d e in den Abort auszugiessen. Herrscht der Keuchhusten in der Lehrerfamilie. so muss der Lehrer sich möglichst fern von den erkrankten Kindern halten und die erwähnte Vorsicht im strengsten Sinn beobachten. Gestatten die Wolmungsverhältnissf keine Absonderung der erkrankten Kinder und kommt der Lehrer mit denselben in öftere Berührung, so sollte er sich beim Unterricht durch einen andern Lehrer vertreten lassen, bis die heftigen Anfälle des Hustens verschwunden sind, weil eben die Uebertragung der Krankheitskeime durch Gesunde nicht von der Hand zu weisen ist, wenn auch nur spärliche Beobachtungen dafür sprechen. Dass die übrigen Geschwister der Erkrankten in der Lehrerfamilie die Schule nicht besuchen dürfen, wenn sie einen beständigen Verkehr mit denselben unterhalten, folgt notwendigerweise hieraus, ebenso der Nachteil, den die Lehrerwolinung in der Schule überhaupt hat. Alan soll eben Alles vermeiden, was das Einnisten der Krankheitskeime in der Schule befürchten lässt, denn der Keuchhusten-Verbreitung ist eben so sorgfältig vorzubeugen wie der der Diphtherie: beide Erkrankungen nehmen
*) W e r n i c h und S. n54. S t u t t g a r t 1894.
Wehmer,
Lelirb. des üffentl.
Gesundheitswesens.
Keuchhusten.
i)53
in p r o p h y l a k t i s c h e r B e z i e h u n g eine ebenmässige Stellung' ein.
I)ass
a l l e n E p i d e m i e n , die sich auf die S c h u l e n ausdehnen können, in Linie
eine ä r z t l i c h e R e v i s i o n notwendig- ist. um dadurch
prophylaktisch
e i n z u w i r k e n , damit i n f e k t i o n s v e r d ä c h t i g e S c h ü l e r s o f o r t e n t f e r n t m ü s s e n w i r als
selbstverständlich
tische Standpunkt Yolksklassen
lediglich
betrachten,
massgebend
weil h i e r der
sein
muss.
Bei
mit m a n g e l h a f t e n W o h n u n g s v e r h ä l t n i s s e n
Zusammenhang' der S c h u l e
mit
der W o h n u n g
bei
erster
werden,
prophylak-
den
unteren
b e d a r f a u c h der
einer
besonderen
Be-
r ü c k s i c h t i g u n g . W ü r d e die T h ä t i g k e i t der ..(I e s u n d l i e i t s k o m n i i s s i o n e n " eine p e r m a n e n t e überwachen,
und
eine
ihre A u f g a b e ,
allgemeine
herrschender
Epidemien
die
richtungen
betreffs
der
(¡esuinlen handenen Hospital
zu
ihren
Soll
Wahrheit
werden,
haus
die
das
l'ntersuchung Isolierung
damit
Wort:
so
an
Der
Vorschlag,
der
jede
häuslichen
um
je
publica
besitzen,
Stadt
Schulen
lex
die
in
ein
Weitere etc."
zur
Contagien-
die zu j e d e r Zeit für
vor-
das
ein
K r a n k h e i t e n leiden. Aufnahme
besondere
den
den
Kranken
suprema
grössere
Ein-
von
nach
der
zu
während
Kranken
..Gesundheitspolizei"
..Salus
muss
ansteckenden
im S p e z i e l l e n
der
gehören,
die
oder H o s p i t a l e i n r i c h t u n g e n
"welche
hygienischen V e r h ä l t n i s s e
könnte
sofortige T r a n s l o c i e r u n g
beantragen,
veranlasst.
die so
Obliegenheiten
l'mständen zu
sein,
Personen,
gewähren.
gesunden K i n d e r
in-
f i z i e r t e r b e d ü r f t i g e r F a m i l i e n einzurichten,
würde nicht der A n s t e c k u n g
in
Nur
der
der W o h n u n g Kranken
stattgefunden die S c h u l e
der
Eltern
vorbeugen.
und die Desinfektion hat.
können
die G e s c h w i s t e r
wieder besuchen,
des
Rekapitulieren der S c h u l e
dahin z u n ä c h s t fälle
durch
damit
er
das
kommission
oder der
Wohnung Erkrankten
w i r nochmals alle Momente, w e l c h e den
Arzt,
Ergebnis
mitteilt,
Diagnose
seiner
hier
Beobachtung
wichtigen
verbürgen,
der ersten
dessen S a c h k e n n t n i s
haben
sind.*)
vor a n s t e c k e n d e n K r a n k h e i t e n
die f r ü h z e i t i g e einen
Fortschaffung
bezw.
nachdem sie ein S c h u l b a d e r h a l t e n
und m i t r e i n l i c h e r K l e i d u n g versehen worden Schutz
wenn die
der K r a n k e n s t u b e ,
so
gehört
Krankheits-
unentbehrlich
sofort
der
die alsdann durch ihren V o r s i t z e n d e n ,
ist,
Schul-
den K r e i s -
s c h u l i n s p e k t o r , die betreffenden L e h r e r mit der e r f o r d e r l i c h e n I n s t r u k t i o n •versieht.
F e r n e r sind alle c o n s t a t i e r t e n ' K r a n k h e i t s f ä l l e
oder ä r z t l i c h e n P r a x i s ,
in
der
die sich auf die h e r r s c h e n d e E p i d e m i e
Schule
beziehen,
sofort der P o l i z e i b e h ö r d e , bezw. der , . ( j e s u i u l h e i t s k o n i m i s s i o n " a n z u z e i g e n . *) Der grosse "Wert der Schulbäder ist nicht hoch genug zu schätzen; ihre Verbreitung verdient die grüsste Beachtung. Ebenso sind alle von den K r a n k e n benutzten Kleidungsstücke sachgeniäss zu reinigen, damit sie nicht die Vermittler von Infektionen werden.
954
Genickstarre.
Wurde ein beamteter Arzt lKreisarzt) der Vorsitzende einer „Gesundheitskommission" sein, so kiinnte er als Vertreter der Gesundheitspolizei am besten die W e g e zeigen, die zur E r f ü l l u n g ihrer Aufgabe führen. Ihr W i r k u n g s k r e i s konnte noch dadurch erweitert werden, dass sie auch die Untersuchung der von einer contagiösen Krankheit Genesenen, bei welchen man noch das Vorhandensein von verdächtigen Krankheitskeimen zu befürchten hat. in die Hand nehmen, vorausgesetzt, dass auch sachkundige Iiakteriologen Mitglieder der Gesundheitskomniission sind. Auf diese Weise würde man ¡un sichersten auf einen prompten Geschäftsgang rechnen können und vor allem auch die stets wichtige Verbindung z w i s c h e n S c h u l e u n d H a u s fordern können. Das Desinf'ektionsverfahren beim Keuchhusten stimmt mit dem bei der Influenza beschriebenen überein.
c) Epidemische G e n i c k s t a r r e , Meningitis c e r e b r o s p i n a l i s epidemica. Die Krankheit ist als eine akute Entzündung der weichen Gehirnund Rückenmarkshäute erst im laufenden J a h r h u n d e r t bekannt geworden. Sie ging von Südfrankreich aus und wanderte zunächst nach den nordischen Ländern von Europa und den Siidstaaten von Nordamerika. In Deutschland fasste sie im 7. J a h r z e h n t in den Ostlichen und nördlichen Gegenden F u s s und wandte sich dann von Süddeutschland aus nach den österreichischen S t a a t e n : istrien, Dalmatien und Steiermark, und von hier aus nach der Balkanhalbinsel. Gegenwärtig ist sie in Europa und Nordamerika einheimisch geworden. Der Verlauf der K r a n k h e i t hat vorherrschend einen epidemischen Charakter, kann aber auch ein endemischer und auf geschlossene Anstalten beschränkter sein. Zu ihren P r o d r o m e n rechnet man eine allgemeine Hinfälligkeit, grosse Ermüdung, wandernde Gliederschmerzen "und namentlich einen heftigen S t i r n k o p f s c h n i e r z , der nicht selten mit einem starken Schnupfen oder gelindem Fieber auftritt. In diesem P r o d r o m a l s t a d i u m sind sich die verschiedenen Krankheitsformen gleich, aber in ihrer speziellen Symptomatologie sehr verschieden. Man unterscheidet folgende Formen. 1. Bei der acuten Form erfolgt der Ausbruch der Krankheit nach 1—2 Tagen unter starkem Schüttelfrost, gesteigertem Kopfschmerz und Erbrechen. Das anfangs hohe Fieber verläuft späterhin unregelmässig. Charakteristisch ist die bald auftretende G e n i c k s t a r r e , die in einem krampfhaften Zusammenziehen der N a c k e n m u s k e l n besteht; nimmt die Starrheit die ganze Wirbelsäule ein, so kann sich eine vollkommene O p i s t h o t o n u s (Streckung des Körpers nach hintenüber) aus-
955
Genickstarre. bilden, j e n a c h d e m die hochgradig sind.
fibrinos-eitrigen
Aussclvwitzungen mehr oder weniger
P f l a n z t sich d e r m i t d e r S t a r r e v e r b u n d e n e
von d e r W i r b e l s ä u l e a u s auf R u m p f
und Extremitäten
in F o l g e d e r H e i z u n g d e r p e r i p h e r i s c h e n N e r v e n eine lichkeit
in die L e n d e n g e g e n d sich
t r e m e n s ä h n l i c h sind, mit
der
Starre:
Delirien
entstehen
der s p i n a l e n der
gesellen,
dem
Convulsionen
Strabismus
durch
kommen
convergens
die R e i z u n g
s c h e i d u n g , w e n n die A u s s c h w i t z u n g e n
und
und
wechseln
indes
nur
im oder
einzelner Gehirnnerven.
Mit
zusammen,
ganzen K ö r p e r
gestörte,
l'rin-
einen hohen G r a d
und
zu einem S y m p t o m e n c o m p l e x b e i t r a g e n ,
oder
eine
Kotaus-
erreichen.
E s l e u c h t e t ein, d a s s diese v e r s c h i e d e n e n s e c u n d a r e n kungen
anhaltende
divergen»
H a u t s e u s i b i l i t ä t am
Extremitäten
Delirium
und K r ä m p f e
A f f e k t i o n hängen auch Depressionszustände untern
um
Rückenschmerz
die bisweilen
Auch Z u c k u n g e n
allgemeine
z. Ii. eine h e r a b g e s e t z t e Lähmung
der
i n a n d e r e n F ä l l e n z e i g t sich n u r eine
frühesten Kindesalter vor. Nystagmus
w e n n sich
c o u c e n t r i e r t . Zu d i e s e r g e s t e i g e r t e n E r r e g b a r k e i t
nächtliche
Schlaflosigkeit und Unruhe. "tt
entsteht
Ueberempfind-
der Haut, Muskeln und Gelenke, wodurch jede B e w e g u n g
so s c h w i e r i g e r u n d s c h m e r z h a f t e r w i r d , können
Schmerz
fort, so
Erkran-
der stets durch
seine
mannigfaltige Zusammensetzung auffällig erscheint. Auch der p r i m ä r e K r a n k h e i t s p r o c e s s (1er akuten Form zeigt einen häufigen Wechsel von Verschlimmerung und Besserung infolge des atypischen uiul in der Intensität stets schwankenden Fiebers. Im günstigsten Falle dauert er unter allmählichem Nachlass der Reizerscheinungen wenigstens 4—(i Wochen. In der ersten Woche zeigt sich auch der der Genickstarre eigentümliche Herpes, ein gruppenweise auftretendes Bläschenexanthem, das seineu Sitz an der Ober- und Unterlippe untl am Nasenflügel hat. A m E n d e der ersten Woche kann sich das Fieber zu einem t y p h ö s e n gestalten, das wegen des ergriffenen Sensoriums unter Sopor und Coma dem Typhus abdominalis ähnlich verläuft. Gesellt sich die T y p h u s r o s e o l a und die M i l z a n S c h w e l l u n g ' hinzu, so kann die Differentialdiagnose Schwierigkeiten bereiten, namentlich wenn oft P e t e c h i e n auftreten. Z u den Exanthemen gehören ausser der Urticaria auch E k l t h y m a (Pustelflechte), P e m p h i g u s (Blasenausschlag) und bei Kindern nicht selten ein scharlachartiges E r y t h e m (Hautröte). Nicht nur das W a n d e l b a r e in den Symptomgruppen, sondern auch die I n t e n s i t ä t des Krankheitsproeesses erzeugt verschiedene Krankheitsformen, die wir hier nur kurz erwähnen. 2. Eine p r o t a h i e r t e F o r m kann viele Monate dauern und besteht aus einer Reihe von Rückfällen, die sich aneinander anschliessen, oder von neuen Verschlimmerungen. Auch Intervalle von scheinbarer B e s s e r u n g sind von verschiedener D a u e r und unterbrechen n u r die wieder unter sich verschiedenen Krankheitssymptome, indem hauptsächlich entweder das S e n s o r i u m ergriffen ist oder der Lendenschmerz vorwaltet. Im ersten Falle kann es zu einem serösen oder pnrulenten E x s u d a t in den Gehirnhäuten, weniger in den
Genickstarre.
95G
Ventrikeln kommen, infolgedessen Coma, Erbrechen und namentlich bei Kindern Convulsionen in den Vordergrund treten. In den meisten Fällen ist u n t e r zunehmender A b m a g e r u n g und allgemeiner E n t k r ä f t u n g ein tütlicher A u s g a n g die Folge ii. Die f u l m i n a n t e F o r m ist im Gegensatz zu der protahierten eine Meningitis acutissima und charakterisiert sich durch den rapiden Verlauf der Symptome. Sie kann ganz plötzlich scheinbar Gesunde ergreifen, so dass sie wie vom Schlage getroffen in tiefen Sopor verfallen, der meist ununterbrochen und alsdann tötlich verläuft. D a u e r t dieser Z u s t a n d ä—4 Tage, so führt ein Wechsel von heftigen Delirien mit soporösen Zuständen zum Tode. 4. Die a b o r t i v e F o r m kann oft nur die Genickstarre und den Kopfschmerz aufweisen, wobei die Kranken kaum das B e t t zu hüten brauchen. Bei einer herrschenden Epidemie ist sie insofern stets beachtenswert, als die vorliandenen Symptome nur die Vorboten der K r a n k h e i t sein können. Ist dies nicht der Fall, so können kritische Fieberbewegungen zu einem günstigen Ausg a n g führen. N a c h k r a n k h e i t e n können noch dauernd schädlich einwirken und besonders das S e h - und G e h ö r v e r m ö g e n gefährden oder vernichten. Im e r s t e m Fall kann sich die E n t z ü n d u n g der Hirnhäute mittels der l l i m n e r v e n auf das A u g e fortpflanzen und E n t z ü n d u n g der H o r n h a u t (Keratitis) oder eitrige Chorioiditis verursachen, deren Folgen Blindheit herbeiführen. Eiue M i t t e l o h r e n t z ü n d u n g (Otitis media) entsteht dadurch, dass die E n t z ü n d u n g der H i r n h ä u t e mittels des N. acusticus sich einen W e g in das Ohr bahnt, hier V e r e i t e r u n g des Labyrinths und Z e r s t ö r u n g des in letzteres eintretenden Gehörnervens bewirkt, infolgedessen bei Erwachsenen totale T a u b h e i t und bei K i n d e r n nicht selten T a u b s t u m m h e i t entsteht. Auch Sprachstörungen und Abnahme der Intelligenz hat man beobachtet. Die
Prognose
nervensvsteni
bei
ist um so u n g ü n s t i g e r , w e n n das g e s a m t e G e n t r a l -
der
zustände vorwalten.
Krankheit
beteiligt
ist
oder
k ö n n e n , g e s t a t t e n n u r eine b e d e n k l i c h e anderen
akuten
Infektionskrankheiten,
rheumatismus, Typhus und Die schwankt Kindern
Mortalität aber bis
Zwischenraum
sehr
zum vom
Depressions-
Prognose.
G a n z b e s o n d e r s g e f ä h r l i c h ist die t ' o m p l i k a t i o n mit
die
D i e vielen G e s u n d h e i t s s t ö r u n g e n , die z u r ü c k b l e i b e n Genickstarre mit
Gelenk-
Pneumonie.
schätzt in
der
namentlich
den
man
durchschnittlich
auf
verschiedenen Lebensjahren
6. u n d 7. L e b e n s j a h r
am
15. bis DO. L e b e n s j a h r
grössten.
37°/u:
sie
u n d ist bei A u c h in dem
ist eine solche von 4 0 bis
5 0 ° / 0 n i c h t zu hoch g e g r i f f e n , da sie in b e s o n d e r s b ö s a r t i g e n E p i d e m i e n noch h ö h e r e Z i f f e r n e r r e i c h e n Aetiologie.
kann.
A. F r a n k e l
hat
zuerst
einen D i p l o k o k k u s
als
E r r e g e r primärer und sekundärer Cerebrospinalmeningitiden nachgewiesen. "Weichselbaum*)
liat
ihn
wegen
seiner
Lagerung
in
Kundzellen
*) W e i c h s e l b a u m , Centrlbt. f. Bacteriol. 1888. S. 308. Auf das Vorkommen des Bacillus im Nasenschleim der K r a n k e n hat er zuerst hingewiesen. Neuerdings h a t man ihn auch im Nasenschleim völlig gesunder Menschen gefunden
Genickstarre. Diplokokkus
intercellularis
957
meningitidis
vom P n e u m o k o k k u s u n t e r s c h i e d e n .
genannt
und
genauer
Seine ä t i o l o g i s c h e B e d e u t u n g
wurde
d u r c h die B e f u n d e von .T ¡ig e r * ) u n d S c Ii e r e r * * ) in s ä m t l i c h e n F ä l l e n e i n e r Epidemie
in
dem
Krankheitsherde
Kranken kulturell Die
Krankheit
tritt
nicht
selten
sernen, Gefängnissen, Waisenanstalten, stalten
auf,
statten
sollten,
die
und
in
Nasenschleim
der
mehr Menschen so
dass
man
in
und f e u c h t e
Häuserkomplexen,
in K a -
ü b e r h a u p t in H ä u s e r n u n d An-
beherbergen,
zunächst
an
W o h n u n g s v e r h ä l t n i s s e als A n s t e c k u n g s q u e l l e lässigte
im
nachgewiesen.
als
die R ä u m e es ge-
verwahrloste denken
muss.
hygienische Vernach-
Wohnungen betonen wir aus eigener E r f a h r u n g ,
denen wegen der gesundheitsschädlichen
Einflüsse besonders
Kinder
und junge L e u t e e r k r a n k e n können. Behufs E r f o r s c h u n g der ätiologischen V e r h ä l t n i s s e h a t d e r l ' r e u s s . K u l t u s m i n i s t e r u n t e r dem 11). J a n u a r die n a c h s t e h e n d e K u n d v e r f ü g u n g
1887
erlassen:
D a s seit einigen J a h r e n häufigere Vorkommen der epidemischen Genickstarre (Meningitis cerebrospinalis) in den verschiedensten Landesbezirken, lässt es wegen der hohen Gefahren, welche diese K r a n k h e i t f ü r das Leben der von ihr ergriffenen Menschen mit sich führt, wie auch wegen der schweren Gesundheitsstörungen, welche nicht selten nach ihrem Ablauf dauernd zurückbleiben, als eine wichtige Aufgabe erscheinen, festere A n h a l t s p u n k t e f ü r die sanitätspolizeiliche Bekämpfung derselben zu gewinnen. Hierzu bedarf es zunächst noch der K e n n t n i s d e r N a t u r d e r K r a n k h e i t u n d d e r B e d i n g u n g e n , unter denen sie a u f t r i t t . Insbesondere kommen hierfür die A r t der Eiuschleppung, bezw. die Umstände, unter denen sich die ersten Fälle ereignen, und die Art der Verschleppung oder der sonstigen Verbreitung der Krankheit an dem ursprünglich befallenen Orte, wie von diesem nach anderen Orten, der zeitliche oder örtliche Verlauf der Epidemie, ferner das n u m e r i s c h e V e r h ä l t n i s d e r S t e r b e f ä l l e und der bleibenden schweren Nachteile für die von der K r a n k h e i t Genesenen (Geistesstörungen, Lähmungen, Taubheit, Taubstummheit, Blindheit u. a.) zu den E r k r a n k u n g e n , namentlich auch in Beziehung der D a u e r der letzteren in Betracht, wobei auf Alter, Geschlecht und soziale Verhältnisse der Erkrankten, sowie auf alle etwaigen anderen, l^ehr oder weniger sicher festgestellten oder vermuteten ursächlichen Momente (in Boden, W a s s e r , Licht, Reinlichkeit, W o h n u n g , Schule, Verkehr n. dergl. in.) Rücksicht zu nehmen ist. Nach den vorstehend bezeichneten Richtungen bin veranlasse ich die K g l . Regierung in allen denjenigen Fällen, in denen die in Rede stehende K r a n k h e i t nicht blos vereinzelt, sondern thatsächlich epidemisch innerhalb des dortigen Verwaltungsbezirks vorkommt, eingehende E r m i t t e l u n g e n eintreten zu lassen und mir über die Ergebnisse derselben bei umfangreichen oder ") J ä g e r , Zeitschr. f. Hyg. 19. Bd. 2. H . " ) S c h e r e r , O n t r a l b l . f. Bacteiiol. 17. Bd. No. 13 u. 14. Man vergl. auch F r o s c h und K o l b e im 2. Bd. der „Mikroorganismen" S. 144.
Genickstarre.
958
schweren Epidemieu alsbald unil nach Umständen in angemessenen Zwischenräumen wiederholt besonders, im üebrigen aber am Schlüsse jedes Kalenderjahres zu berichten. Seit dieser Zeit h a b e n lassen, auf
in
denen
auf
die meisten R e g i e r u n g e n V e r f ü g u n g e n er-
die Anzeigepilicht,
die Z u r ü c k h a l t u n g
der Kinder
d e r E r k r a n k t e n gehören,
die I s o l i e r u n g d e r
Kranken,
vom Schulbesuch, die z u r Familie
sowie auf eine s t r e n g e Desinfektion aller mit
den K r a n k e n in B e r ü h r u n g g e k o m m e n e n G e g e n s t ä n d e h i n g e w i e s e n wird. S e i t d e m die K r a n k h e i t s e r r e g e r b e k a n n t g e w o r d e n sind u n d Q u i n c k e durch
die L u m b a l p u n k t i o n
der D i a g n o s e hinreichend
geliefert hat,
einen ist
man
weitern Beitrag über
zur
das W e s e n
Feststellung
der
Krankheit
unterrichtet.')
I n A n b e t r a c h t , dass der G e n i c k s t a r r e nicht selten s t a r k e r Schnupfen oder e i t e r i g e E n t z ü n d u n g der N a s e n h ö h l e v o r a u s g e h t , hat W e i c h s e l b a u n i die Nase u n d P a u k e n h ö h l e Bazillen g e h a l t e n .
t'iir die
mutmassliche
Eingangspforte
Man h a t sie auch im N a s e n s e k r e t (iesunder,
im O h r e i t e r d e r Otitis media s u p p u r a t i v a g e f u n d e n . demnach
auch im O r g a n i s m u s v o r h a n d e n
schweren
Infektion führt.
der
Erkrankten
Am
nachgewiesen
mit t u b e r k u l o s e r
Meningitis
häufigsten worden.
sein,
Der Parasit
ohne
ist er Kommt
in
dass der
er
bei
der
seltener kann
er zu der Nasenhöhle Patienten
vor, so h a n d e l t es sich n u r um
eine
Mischinfektion, bezw. u m ein E i n s c h w e m m e n aus der Nasenhöhle in die Schädelhöhle. Auch d e r F r a n k e i s c h e D i p l o k o k k u s
ist ein h ä u f i g e r E r r e g e r
p r i m ä r e r oder s e k u n d ä r e r C e r e b r o s p i n a l m e n i n g i t i d e n und als ätiologisches Moment a n g e s e h e n w o r d e n .
Man h a t ihn d a h e r vielfach a u c h f ü r den
E r r e g e r d e r als „ G e n i c k s t a r r e " b e z e i c h n e t e n Meningitis g e h a l t e n .
Der
*) Die durch die Lumbalpunktion erhaltene cerebrospinale - Flüssigkeit zeigt in den meisten Fällen dieselben Diplokokken, wie sie in den Hirn- und Rückenniarkshäuten gefunden werden. Behufs ihrer technischen Ausführung wählt mau die Verbindungslinie der beiden Darmbeiukiinime, die den 4. hintern AVirbeldorn schneidet. E . F r a n z (Wiener klinische Wochschr. Nr. 15. 1897) hat bei einem ä'/jjährigen Kinde beobachtet, dass die aus einem v e r e i t e r t e n G e l e n k e entnommene Punktionsflüssigkeit dieselben Kokken zeigte, wie die clurcli die Lumbalpunktion gewonnene cerebrospinale-Flüssigkeit. Tätlich wurde der Fall durch eine sekundäre Streptokokkussepsis im linken Ellenbogengelenke und in mehreren Gelenken der Hand. Dr. C a s s e l (Berlin), Beitrag zur Q u i n c k e ' s e h e n Lumbalpunktion bei Kindern. Jahrb. f. d. Kinderheilkunde. 47. Bd., 1. H., 1898. E. S t a d e l m a n n berichtet über die „klinischen Erfolge mit der Lumbalpunktion." Mitteilungen aus dem Zweiggebiet der Medizin und Chirurgie. I I . Bd. 3. und 4. Heft.
Genickstarre.
9Ü9
W e i c h s e l b a u m s c l i e D i p l o k o k k u s kommt jedoch auch ohne Complikation mit Pneumonie vor und charakterisiert sich stets durch seine vorherrschende L a g e r u n g - in R u n d z e l l e n , wie wir schon oben dargelegt haben. *) Prophylaxe. Die nicht seltene Komplikation der Genickstarre mit dem acuten Gelenkrheumatismus weist darauf hin. dass erliebliche Störungen der Hautfunktion in Folge von Dur:hnässungen und vor allem von f e u c h t e n W o h n u n g e n in ätiologischer .Beziehung von grossen) Belang sind, weshalb diese gesundheitsschädlichen Momente in erster Linie zu würdigen sind. l>ei Schulräuiuen mit hochgradiger Feuchtigkeit der Wände ist sofort Wandel zu schatten. Da erfahrungsgemäss die Erkrankung in dichtbesetzten Wohnräumen oder in Kasernen. Waisenhäusern u. s. w. leicht Wurzel fasst, so hat man in EpidemieZeiten auch die Notwendigkeit im Auge zu behalten, dass eine U e b e r f i i l l u n g d e r V o l k s s c h u l e n vermieden und sofort eine ä r z t l i c h e Schulrevision angeordnet wird, 11111 teils hygienische Schäden zu beseitigen, teils die Schüler auf ihren Gesundheitszustand zu untersuchen und nachzuforschen, ob nicht welche schon die Prodrome der Krankheit aufweisen und eventuell sofort aus der Schule zu entfernen sind. Ein wirklicher Erfolg - dieses Vorgehens ist zu erwarten, wenn auch in der betreffenden Familie die Trennung der Erkrankten von den Gesunden gesichert ist. Behufs der Untersuchung der W o h n u n g s V e r h ä l t n i s s e in Arbeitervierteln oder grossen Mietswolinungen grösserer Städte würde gerade hiereine „ p e r m a n e n t e G e s n n d h e i t s - K o m m i s s i o n " am besten die Aufgabe lösen können, das Ergebnis ihrer Befände der P o l i z e i b e h ö r d e zu unterbreiten, damit diese die bezüglichen Massregeln ausführt und eventuell für die Transportierung der Erkrankten in ein Krankenhaus sorgt, während der S c h u l a r z t stets in der Lage sein inuss, sofort die verdächtigen Fälle aus der Schule zu entfernen. Durch die Rücksichtnahme auf die Wohmmgsbeschaft'enheit würde dann die bereits betonte Verbindung - zwischen S c h u l e u n d H a u s hergestellt und eine P r o p h y l a x i s gesichert, die wiederum der öffentlichen Gesundheit insofernzu Gute kommt, als dadurch Infektionsherde aufgedeckt werden, die widrigenfalls fortschleichend nur Unheil stiften würden**) *) Betreffs seiner Morphologie, seines Wachstums und seiner Pathogenität verweisen wir auf F r o s c h und K o l l e loc. cit. S. 147 ff. **) Die Verbindung zwischen Schule und Haus führt R. G ü n t h e r (Mittelschullehrer in Posen) in einer kleinen Schritt: -Die V e r b i n d u n g z w i s c h e n S c h u l e nnd H a u s (Leipzig 1897) weiter aus und sucht die Notwendigkeit eines engern Verkehrs zwischen Schule und Haus aus e r z i e h l i c h e n , u n t e r r i c h t l i c h e n , s o z i a l e n , e t h i s c h e n und r e l i g i ö s e n G r ü n d e n nachzuweisen.
Genickstarre. Um
so sicherer w ü r d e
auch
der W e r t
der D e s i n f e k t i o n
der
Krankenstuben, bezw. der W o h n u n g e n zur Geltung kommen, wenn jeder Infektionsherd sobald
als möglich vernichtet wird.
Sie muss wie in
allen Fällen in der K r a n k e n s t u b e b e g i n n e n : leidet z. B. ein E r k r a n k t e r am Bronchialkatarrh, so müssen alle Spute in einem besondern Gefässe aufgefangen, werden.
desinficiert und auf
unschädliche W e i s e
vernichtet
W e g e n (1er Verbindung des Nasenrachenraums mit den Kesjii-
rationswegen
ist dieselbe Vorsicht geboten,
bei der G e n i c k s t a r r e tücher
eine
sind
deshalb
stets verdächtig. häufig
ist
vertauschen
und
erstere sofort in Kübeln mit heissem Seifenwasser unterzubringen.
Der
Meningokokkus
auch
denn das Nasensekret
Die hierzu benutzten Taschen-
mit
reinen
zu
wird f ü r v e r s t ä u b b a r gehalten;*) es ist daher um so
notwendiger, die E x c r e t a nicht auf dem Fussboden eintrocknen zu lassen, denselben vielmehr lüiutig mit heissem W a s s e r aufzunehmen.
Bettzeug,
wie M a t r a t z e n , Kissen, Steppdecken, Teppiche pp. wird man den Heisswasserdämpfen
aussetzen
müssen,
während
die
Krankenstube
nebst
ihren Utensilien (hellen durchsichtigen Gardinen, Möbel pp.) mit Formalindämpfen nach dem S c h e r i n g s e h e n Verfahren zu behandeln ist, wobei man die Thür- und F e n s t e r r i t z e n
zu verkleben
pflegt.
Der
scharfe
stechende Geruch der Formalindämpfe schwindet nach u n s e r e r E r f a h r u n g binnen 24 Stunden vollständig,
wenn ein k r ä f t i g e r L u f t z u g durch ge-
öffnete Tlniren und F e n s t e r bewirkt, wird. wenn von aussen A m m o n i a k d ä m p f e
Schneller wird er beseitigt,
in das desinticierte Zimmer
ge-
5
leitet werden.* )
Hyg.
*) Dr. Max Neisser (Breslau), Ueber Luftstaub-Int'ektion. 27. Bd., 2. Heft 1S98.
Zeitschr. f.
**) Ueber eine neue Methode der Wohnungsdesinfektion hat Dr. A r t Ii u r S c h l o s s m a n n (Dresden) in der Berliner klinisch. Wochensch. No. 25, 1898 berichtet. Sie bestellt dariu, dass man die Polymerisation des Formaldehyds durch Zusatz von G l y c e r i n u n d W a s s e r d a m p f verhindert. Die Firma L i g n e r in Dresden hat hierzu einen Ringkessel construiert, in dem Wasser zum Sieden gebracht wird. Der Wasserdampf steigt in ein Reservoir, das mit 40prozentiger Formaldehydlösung und 10% Glycerin angefüllt ist. Die Mischung wird G l y k o f o r m a l genannt. Durch vier Diisen wird das Formaldehyd durch den Wasserdampf grösstenteils vergast, gleichzeitig aber Wasser und Glycerin mitgerissen. Das Zimmer füllt sich bald mit einer M i s c h u n g von Formaldehyd, Wasserdampf und Glycerin, die gerade im Aggregatzustande der Nebel-Bildung sich befindet. Ausserdem wird noch die Bildung einer Additionsverbindung des Glycerins mit dem Formaldehyd angenommen. Binnen 10 Minuten ist ein Zimmer von tiO cbm mit einem undurchdringlichen Nebel angefüllt. N a c h 3 S t u n d e n soll das Verfahren beendet und die Abtötung aller Keime gesichert sein. Das Verfahren habe den Vorzug einer absoluten Sterilisation; Fenster und Thüren brauchten nicht verklebt zu werden: etwas
Mumps.
961
d. Mumps, Parotitis epidemica, Ziegenpeter, Bauern wetze). Die K r a n k h e i t befällt vorzugsweise Kinder und t r i t t deshalb aueli tipidemiscli unter Schulkindern auf. Lebensjahre
liefert
die
auch die W a i s e n h ä u s e r
Die Zeit zwischen dem 4. und 10.
meisten Kranken.
Wie die Schulen sind
und alle Anstalten
mit engem
es
Zusammenleben
•ler Insassen, die zur Ausbreitung diu1 Krankheit beitragen.
Ihre
Con-
t a g i o s i t ä t wird allgemein angenommen, obgleich man über die A r t der Uebertragung noch im Unklaren ist. lüikrokokkus
ist
Pneumonie.)
Heim
Ineubationsdauer
bei
Parotitis Verlauf
Der K r i e d l ä n d e r s c h e
nachgewiesen
der Krankheit
a u f , die 2 bis
Wochen
worden.
Pneumonie(Man
fällt zunächst
gesellt.
besteht,
Ein
ohne
Katarrh
legte Zunge,
dass
der
ein
erhebliches Fieber
Mundhöhle/')
üblen Mundgeruch,
Früher
nach
circa
Kieferbewegung
Tagen,
wird
die
der Ohrspeicheldrüsengegend.
oder
später,
meist
erschwert
Iieschwerden,
Halse herab.
¡schwach gerötet ist. verändert
die
Die Kieferbewegungen
als die teigige Geschwulst, Der Druck,
Sprache
ödematiisen Anschwellung
und
aber unter
Letztere nimmt z u e r s t
Stellen unter dem Ohrläppchen und vor dem Ohr ein; seltener sie sich bis zum
im
hinzu-
kann sich durch eine be-
dünnflüssige Stühle äussern. 10
oder
sich
zuweilen durch Erbrechen oder auch
durch
Schwellung
lange
lang sich ausdehnen kann
und in allgemeinem Unbehagen. Schmerzen in der Ohrgegend Kiefergelenk
vergl.
die
auf welcher
die
erstreckt
machen die H a u t
mehr nur
den sie auf die Halsorgane ausübt,
erschwert
der Schleimhaut
das
Schlingen
des Larynx
infolge und
der
Pharynx,
und z w a r um so mehr, je erheblicher letztere ist. J e hochgradiger dieser Prozess ist, desto höher kann sich die Temperatur steigern, die aber selten die Höhe von 40° erreicht, in welchem Falle besonders jüngere Kinder soporös werden oder delirieren, auch in Konvulsionen verfallen können. In dieser Beziehung ist aber der Symptomenkomplex sehr wechselnd; durchschnittlich bleibt es bei Schulkindern im Anfange der Erkrankung bei einer Temperatur von 39,5°, die während der Schwellung der Drüse auf 38,5" herabgeht und mit beginnender Abschwellung wieder normal wird. Luftzug sei sogar förderlich. Der Apparat mit höchstens */2 Atm. Druck ist billig, treibt die Dämpfe energisch an die Zimmerdecke, die dann später langsam zu Boden sinken. Auf die Desinfektion folgt eine halbe Stunde langes Oeffnen der Fenster, wonach aus einer Bombe mit flüssigem Ammoniak eine der Menge des verwandten Formaldehyds adäquate Menge Ammoniak in das Zimmer geleitet wird. Nach einer abermaligen Lüftung schwindet dann jeder (ierucli. Es wird mit Recht empfohlen, die Desinfektion von Wohnungen ausschliesslich durch hierzu a u s g e b i l d e t e P e r s o n e n ausführen zu lassen. *) Nicht selten findet sich der Friedländer sehe Bacillus auf der gesunden Schleimhaut des Mundes und der Luftwege, auch in der Luft. 61
962
Humps.
Es giebt auch leichte Fälle, in welchen ältere Schulkinder gar nicht bettlägerig werden und bei einem einfachen Watteverband die K r a n k h e i t ohne weitere Störungen zu H a u s e abmachen, wozu gewöhnlich 14 T a g e ausreichen. Beim fieberhaften Einsetzen der Krankheit dauert es bis zur Entfieberung gewöhnlich eine Woche unter allmählicher Abnahme der Drüsengeschwulst; nur wenn die P a r o t i s auf beiden Seiten ergriffen ist, kann sich die K r a n k h e i t auf mehrere Wochen ausdehuen.
Die Prognose ist im allgemeinen günstig, wenn die Krankheit glatt verläuft und mehr die altern »Schulkinder befällt. Je jünger die befallenen Kinder sind, desto erheblicher kann die Intensität der Erkrankung sein. Auch scrofulöse Kinder sind insofern mehr gefährdet, als es bei ihnen leichter zur Drüsenvereiterung kommen kann. T o d e s f ä l l e sind auch bei der schlimmsten Form im frühen Kindesalter höchst selten. Dagegen können C o m p l i k a t i o n e n die Prognose ungünstiger gestalten und namentlich das Ohr in Mitleidenschaft ziehen. Es giebt Fälle, in denen schon am ersten Tage der Erkrankung das Gehör beeinträchtigt ist und unter Ohrensausen und leichtem Schwindel binnen wenigen Tagen vollständige Taubheit auf beiden Seiten eintreten kann.*) Sie sind unabhängig von Otitis media und entstehen ohne Otorrhoe ganz schmerzlos, weshalb man sie auf nervöse, durch die Infektionskeime hervorgerufene Störungen zurückgeführt hat. Scrofulöse Kinder, deren Trommelfell durch frühere Eiterung einseitig bereits zerstört ist, scheinen hierzu am meisten disponiert zu sein. Sie bedürfen einer sorgfältigen ärztlichen Behandlung, wenn sie unter den Schulkindern angetroffen werden, weil widrigenfalls um so eher T a u b s t u m m h e i t zu befürchten ist, je jünger das Schulkind ist. Selten hat man k l e i n e B l u t u n g e n im Labyrinth beobachtet. Die H o d e n m e t a s t a s e , O r c h i t i s p a r o t i d e a , kann nur bei pubertätsreifen jungen Leuten vorkommen. I h r Auftreten ist dadurch zu erklären, dass der Infektionskeim von der Mundhöhle auf die Schleimhaut der Harnröhre, bezw. auf den Hoden übertragen wird. Ein ähnlicher V o r g a n g kann sich bei Mädchen durch V u l v o - v a g i n i t i s , Cystitis und Nephritis kund geben. Die Metastasen erfolgen in der Regel unter fieberhaftem Schüttelfrost und sind nicht selten, da man ihre Häufigkeit ungefähr auf 2 5 % der E r k r a n k t e n berechnen kann. Die Anschwellung des Hodens ist mit einem Gefühl von Druck und S p a n n u n g verbunden, wobei hauptsächlich das U r i n i e r e n schmerzhaft ist bei übrigens günstigem Verlauf der Krankheit, da sie selten E i t e r u n g herbeiführt. Entgegengesetzte Beobachtungen können nicht als Regel gelten.
Prophylaxis. Geht man von der Annahme aus, dass die Infektionskeime in der Mundhöhle vorhanden sind, so folgt hieraus, dass sie beim Husten, Niesen oder bei lautem Sprechen in feinster Tropfen'*) A l t (Wien) berichtet über einen solchen F a l l im Archiv f ü r Ohrenheilkunde. S. 131. 1898.
Gelenkrheumatismus.
963
form in die Luft verspritzt werden können und hier für mehrere Stunden in der Luft schwebend verbleiben, bis sie sich irgendwo niederlassen, weshalb jedenfalls die I s o l i e r u n g d e r K r a n k e n sich empfiehlt. Ist diese gesichert, so steht dem Schulbesuch seitens der übrigen Geschwister nichts im Wege; im entgegengesetzten Falle ist die Zurückhaltung der gesunden Geschwister vom Schulbesuch angezeigt, namentlich bei den ungünstigen häuslichen Verhältnissen der arbeitenden Klasse, die überall bei ansteckenden Krankheiten ins Gewicht fallen und deshalb stets die grüsste Berücksichtigung finden müssen, wie wir schon wiederholt hervorgehoben haben. Die D e s i n f e k t i o n d e r K r a n k e n s t u b e behufs Vernichtung der Infektionskeime ergiebt sich um so mehr als eine dringende Notwendigkeit, wenn die Vernachlässigung der Reinlichkeit offen zu Tage liegt. Ebenso verhält es sich mit der p e r s ö n l i c h e n D e s i n f e k t i o n d e r g e n e s e n e n S c h u l k i n d e r , um jeder Verschleppung der Infektionskeime in der Schule vorzubeugen und dadurch die Entstehung von .. Schulk r a n k h e i t e n u n m ö g l i c h zu machen. III. Infektionskrankheiten mit mehr endemischein Verlauf. Der akute Gelenkrheumatismus gehört in erster Linie zu den Krankheiten, deren Erreger noch einer weiteren Aufklärung bedürfen. Dass sie den Eiterkokken (Staphylo- und Streptokokken) nahe stehen, hat man bisher angenommen und deshalb den akuten Gelenkrheumatismus als eine gutartige Form von Pyämie (Blutvergiftung) aufgefasst. S i n g e r * ) steht auf Grund seiner klinischen Erfahrung auf diesem Standpunkt und hält dafür, dass man es nicht mit einem selbständigen Krankheitsbilde zu thun habe, sondern mit einem p y ä m i s c h e n Krankeitsprozess. Die Inconstanz desselben offenbare sich auch dadurch, dass die Ausscheidung der Bakterien durch die Nieren nur schubweise erfolge. **) In 57,6 °/„ der Fälle waren die Harnbefunde positiv, die Untersuchung des Blutes in 15 °/ 0 und die des Gelenkinhalts in 9 °/(). In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wurden Staphylokokken, in der Minderzahl Streptokokken gefunden; es sei daher den Eiterkokken eine wirkliche Bedeutung beizulegen. Das Wesen der Krankheit liege folglich nicht in der Gelenkaffektion, sondern jedes einzelne Symptom stelle eine rheumatische Einheit dar. Verlauf der Krankheit. Die Dauer der Incubationszeit ist unbekannt; nicht selten gehen katarrhalische Halsaffektionen, namentlich *) D r . G u s t a v S i n g e r , Aetiologie und Klinik des a k u t e n Gelenkrheumatismus. Wien 1898. **) Dass beim Typhus diese Ausscheidung reichlich i s t , erwähnen wir noch nachträglich. 61*
Gelenkrheumatismus.
9H4 Mandelentzündungen wickelt. plötzlich
mit
auftritt,
wozu
die h ä u t i g in
Frösteln,
ehe
die K r a n k h e i t sich
natürlich,
massigem
f e h l e n . so d a s s
Fieber
und
deutlich die
von
den
Fuss-
und
allgemeinem
Kniegelenken
Reihenfolge
und
aus auf
Stärke
ent-
Krankheit Unbehagen
sich d a n n a l s b a l d S c h m e r z e n in den G e l e n k e n
unregelmässiger
befallen
voraus,
Solche V o r b o t e n k ö n n e n a u c h
gesellen,
andere
Gelenke
überspringen.
Es
ist
dass d e r Z u s t a n d um so s c h m e r z v o l l e r w i r d , j e m e h r G e l e n k e sind;
dieselben
erseheinen
a b e r s c h m e r z h a f t bei j e d e r Bei
übrigens
geschwollen,
B e r ü h r u n g und
gesunden
nicht
immer
gerötet,
liewegung.
('onstitutionen
ist
das
Fieber
sehr
w e c h s e l n d , o f t g e r i n g und n u r s t e i g e n d bei neuen S c h ü b e n von Gelenkaffektioneu.
Ein
starker
Seh weiss
A u f t r e t e n von S c h w e i s s f r i e s e l , roten
umschriebenen
sprechend Wenn
ist
keine
der
Flecken
Urin
weiteren
zur
spärlich,
fehlt Folge.
Dem
sedimentös,
Komplikationen
unter den unausbleiblichen
selten
und
hat
Remissionen
eintreten,
kann
eine l ä n g e r e K r a n k l i e i t s d a u e r b e w i r k e n . sein,
affektionen
die
sehr
Rückfällen zeigen,
bei geneigt
einem sind
und
die
Krankheit
Hautorgan die
binnen
Rückfälle
]>ies k a n n d e r F a l l bei um so mehr
ent-
eiweisslialtig.
und V e r s c h l i m m e r u n g e n
empfindlichen
das oder
Kieberzustand
bisweilen
1}—4 W o c h e n einen g ü n s t i g e n A u s g a n g nehmen, w e n n n i c h t Schülern
dann
w e n i g e r häutig von N e s s e l s u c h t
zu
altern Hals-
Disposition
zu
wenn i h r e H e r z f u n k t i o n keine n o r m a l e ist.
Die häufigsten und gefährlichsten K o m p l i k a t i o n e n betreffen überhaupt, das H e r z und die s e r ö s e n H ä u t e , namentlich die P l e u r a (Rippenfell), (bis Peritonaeum (Bauchfell) und den Herzbeutel (Pericardium). Diese Beziehung zu den serösen Häuten ist deshalb erklärlich, weil sie in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Innern der mit einer serösen Membran (Synovialliaut. i ausgekleideten G e l e n k h ö h l e stehen, in welcher sich während der Krankheit eine seröse Durchtränkung und Schwellung der Synovialis zeigt. Ein eitriger E r g u s s (Empyem) ist sehr selten und kommt fast nur bei scrofulösen Kindern vor, lässt aber stets einen gefährlichen Ausgang befürchten. E n d o c a r d i t i s (Entzündung des Herzinnern) zeigt sich unter den Herz affektionen am häutigsten und bedarf einer sorgfältigen ärztlichen Untersuchung, weil häufig auffallende Symptome fehlen und die Kranken oft nur über unangenehme Empfindungen in der Herzgegend klagen. Bleibt diese Komplikation unbeachtet, so kann sie V e r d i c k u n g e n oder S c h r u m p f u n g e n d e r H e r z k l a p p e n , eventuell f ü r die übrige Lebenszeit Verengerungen an den Herzklappen und deren Schlussunfähigkeit erzeugen, Folgen, die begreiflicherweise bei jungen L e u t e n ihrer künftigen B e r u f s t ä t i g k e i t höchst hinderlich sind und in ihre Gesundheitsverhältnisse höchst störend eingreifen können. Bilden sich die Veränderungen im H e r z i n n e r n z u r ü c k , so kann die Leistungsfähigkeit des Herzens wieder zurückkehren, was auch bei Kindein vorkommen kann. Im entgegengesetzten Falle kann man namentlich bei letzteren als Arzt nur der Zeuge eines erschütternden Krankheitsbildes sein, wenn sich M y o c a r d i t i s , E n t z ü n d u n g der Herzmuskeln, hinzugesellt.
Gelenkrheumatismus. U n t e r den serösen Häuten d i t i s , nicht selten und äussert gegend. Treten diese Symptome und grosser Beklemmung, so hat zu tlmn.
965
ist die E n t z ü n d u n g des Herzbeutels, I ' e r i c a r sich durch Schmerz und Druck in der Herznicht zurück, verbinden sie sicli mit A t e m n o t mau es mit E r g ü s s e n in d e n H e r z h e u t e )
Ergüsse in die Brusthöhle in Folge von P l e u r i t i s erzeugen ebenfalls Atemnot in Folge der Einengung der Lunge, weshalb beschleunigtes Atmen und K u r z a t m i g k e i t zur sorgfältigen Untersuchung des Thorax auffordern muss. P e r i t o n i t i s tritt am seltensten auf. Bronchialkatarrhe sind weniger gefährlich als P n e u m o n i e n , die stets zu den schlimmen Komplikationen gehören. Der sog. R h e u m a t i s m u s n o d o s u s besteht in einer Knötchenbildung an Fascien, Sehnen und an der Knochenhaut, die allmählich verschwinden und ohne Folgen bleiben. Die Beziehung des Krankheitsgiftes zum G e h i r n f ü h r t zu den schlimmsten, aber seltenen Hirnerscheinungen, die unter Delirieu und Krämpfen bei einem hochgesteigerten Fieber von 42—43° tütlich verlaufen. Dieser G e h i r n r h e u m a t i s m u s tritt in Deutschland höchst selten auf; dagegen zeigen sich weit eher Geisteskrankheiten als Nachkrankheiten; diese sowohl, wie auch der die Kinderwelt befallende V e i t s t a n z (Chorea) beruhen auf einer rheumatischen Grundlage, bei welcher die H ä u t e des Gehirns, bezw. des Rückenm a r k s beteiligt sind, obgleich man über die anatomisch-pathologischen bezüglichen Befunde noch nicht aufgeklärt ist. Eiterige Meningitis hat man höchst selten angetroffen.
Die Prognose lässt sieh wegen des sehr verschiedenen Kranklicitsverlaufs nicht im allgemeinen feststellen. Günstig ist sie durchschnittlich. wenn die Krankheit auf die Gelenke beschränkt bleibt und keine bedenklichen Komplikationen zeigt. Ungünstig ist sie bei den zum Gelenkrheumatismus disponiertenlndividuen. weil sich ihre Erkrankung leichter mit Rückfällen und Herzaffektionen compliciert urd gerade zurückbleibende Herzfehler stets bedenklich sind, da derartige unvollkommene Genesungen selbst im höheren Alter noch apoplektische Zufälle erzeugen können. Am gefährlichsten ist stets der Cerebralrheumatismus. Die Mortalität ist ebenfalls von der Natur und der Intensität der Komplikationen abhängig. Die ausschliessliche Beschränkung der Krankheit auf die Gelenke weist die wenigsten Todesfälle auf, deren Zahl sich höchstens auf 2 —3° 0 beläuft. Ihr ziffermässiger statistischer Nachweis ist höchst schwierig, weil dabei eine grosse Reihe von eintiussreichen Momenten zu berücksichtigen ist, Aetiologie. Der nncomplizierte, namentlich nicht mit Erkrankung der Mandeln verbundene Gelenkrheumatismus ist nicht von Kranken auf Gesunde übertragbar. Mit den I n f e k t i o n s k r a n k h e i t e n hat er manches Gemeinsame, z. 15. ein epidemisches Auftreten in einzelnen Gegenden oder nach Infektionskrankheiten (Scharlach und Ruhr), besonders seine nachgewiesenen Infektionsträger. Die Krankheit befällt alle Stände und ist- keineswegs auf die ärmere lievölkerungsklasse be-
966
Gelenkrheumatismus.
schränkt.
Die
beteiligten
Mikroorganismen,
Singerschen
Untersuchungen die
man
auch
f ü h r e n zu bei
den
hierbei
Mandelentzündungen
a n t r i f f t , u n d die in vielen F ä l l e n ihren W e g in den K ö r p e r d u r c h die Tonsillen
nehmen
können,
wie
Jessen*)
darzulegen
sucht.
An
der
Oberfläche normal e r s c h e i n e n d e Tonsillen könnten in ihrem I n n e r n kleine Eiterherde
zeigen;
m a n müsse d a h e r in den F ä l l e n ,
wo man solche
v e r m u t e n könne, sich nicht mit A b s t r i c h p r ä p a r a t e n z w e c k s d e r bakteriologischen U n t e r s u c h u n g b e g n ü g e n , sondern aus der T i e f e der Tonsillen die Bazillen bei
exspirieren.
Auch
zeichne
sich bei
Mandelentzündungen,
denen man ein A l l g e m e i n l e i d e n b e f ü r c h t e t , die F o r m d a d u r c h aus.
dass
der Belag
nicht
lakunär
sitzt,
sondern
wie in einem
Kultur-
gläschen in l a n g e n S t r e i f e n von weissgelber oder g e l b w e i s s e r F a r b e in der R i c h t u n g
von
haben
nach
oben
Die B e z i e h u n g wir besonders
unten
der
in die T i e f e der Tonsillen
Anginen
bei S c h ü l e r n
zum
zieht.
Gelenkrheumatismus
d e r höheren Klassen
im A l t e r von
1 5 — 1 8 J a h r e n b e o b a c h t e t , was w i r nachdrücklich betonen, um namentlich bei M a n d e l a n s c h w e l l u n g e n zu b e h a l t e n
und
zwar
die möglichen F o l g e z u s t ä n d e s t e t s im Auge
auch
Alter
bei
sensibeln K o n s t i t u t i o n e n sich leichter Komplikationen hinzugesellen,
deshalb,
weil im j u g e n d l i c h e n
die
s t e t s die g r ö s s t e A u f m e r k s a m k e i t ä r z t l i c h e r s e i t s Das L e b e n s a l t e r
am meisten z u r E r k r a n k u n g 5. L e b e n s j a h r vor,
erheischen.**)
vom 15. bis zum 25. J a h r e ist durchschnittlich disponiert;
am f r ü h e s t e n k o m m t sie im
w a s a b e r höchst selten der F a l l ist.
zum 40. L e b e n s j a h r A l t e r immer s e l t e n e r .
nimmt
sie schon
wird
mit
Vom 26. bis dem höheren
man die g e s a m t e Schulzeit,
so be-
w e g t sich die K r a n k h e i t zwischen dem 15. und 20. L e b e n s j a h r e ,
gehört
zwar
im allgemeinen
Erkrankungen,
Ueberblickt
ab und
zu den s e i t n e r n ,
erfordert
aber
in
meist
allen F ä l l e n
sporadisch eine
auftretenden
um so
grössere
B e a c h t u n g , je j ü n g e r und empfindlicher die Schüler sind und j e disponierter
ihre
Constitution
zu
Erkältungen
ist.
Im
allgemeinen
sind
K n a b e n m e h r zum G e l e n k r h e u m a t i s m u s geneigt als Mädchen. *) Dr. J e s s e n (Hamburg), Ueber die Tonsilleu als Eingangspforten für schwere Allgemeininfektionen. Müncliener mediz. Wochenschrift No. 23, 1898. **) E d w a r d s (Lancett, 12. 6. i)7) teilt hinsichtlich der Aetiologie der Erkrankung noch mit, dass er bei einer Epidemie von 15 Fällen verdächtiger Anginen in einer Meierei aus der M i l c h Staphylokokkus aureus und albus isoliert und dieselben Kokken aus dem Rachen der Patienten gezüchtet, auch ebenfalls direkt aus dem E u t e r einer Kuli der Farm diese Mikroorganismen gewonnen habe, obgleich das Thier äusserlich gesund erschien. Hiernach könnte also auch der Genuss einer inficierten Milch den Eingang der Kokken in den Organismus vermitteln. Die Erfahrung lehrt, dass der Keimgehalt der Milch v e r h ä l t n i s m ä s s i g proportional mit dem Schmutzgehalt steigt.
Gelenkrheumatismus.
967
Die Prophylaxis bestellt in einer verständigen und der individuellen Constitution angemessenen Lebensweise. Vor allem hat man alles zu vermeiden, wodurch sog-, E r k ä l t u n g s k r a n k h e i t e n , d. h. solche Krankheiten entstehen, die erfalirungsgemäss durch plötzliche Abkühlung des erhitzten und mit Schweiss bedeckten Körpers erzeugt werden, namentlich wenn ein kalter Luftzug auf letztern einwirkt. Mit Rücksicht hierauf kommen bei Schülern die T u r n ü b u n g e n , T u r n m ä r s c h e und .Tugendspiele in Betracht; ihre Einwirkung auf die körperliche Kräftigung der Jugend bedarf keines weiteren Beweises, sie sind längst und allgemein als eine hygienische Errungenschaft erkannt worden, deren fundamentaler Wert für die Körperentwickelung und Gesundheit der Schüler nicht hoch genug anzuschlagen ist. Trotzdem muss man stets in Erwägung ziehen, dass der körperliche Kraftverbrauch sich bei manchen Constitutionen in bestimmten Grenzen bewegen muss. Anämische, sensible und schwach entwickelte Naturen soll man stets berücksichtigen und vor Ueberanstrengungen schützen. Aus diesem Grunde bedürfen auch die Leibesübungen einer Auswahl unter ärztlicher Beteiligung, damit nicht von den Schwächlichen dieselben Leistungen wie von den Kräftigen verlangt werden. Auch eine k ö r p e r l i c h e U e b e r a r b e i t hat stets schädliche Folgen und ist ganz besonders für die Herzthäthigkeit gefährlich, erzeugt auch in der Regel leichter eine stärkere Schweisssecretion, die um so eher zu rheumatischen Erkrankungen führt, je sensibler das Hautorgan und je grösser die Disposition zu Schwellungen und Entzündungen der Mandeln ist. Gehen sie in Eiterung über, so nisten sich nach den vorliegenden Erfahrungen die Staphylo- und Streptokokken ein, die bald ihren W e g in das Innere des Körpers finden und höchst wahrscheinlich einen nicht unerheblichen Beitrag zur Symptomatologie des Krankheitsbildes liefern. Unter diesen Verhältnissen kann man auch die Krankheit für eine ansteckende halten, denn wenn die ausgespuckten Excreta des Halses nicht in einem besonderen Gefäss gesammelt und desinticiert werden, können sie durch Verunreinigung des Fussbodens, des Bettzeuges oder der sonstigen Utensilien jedenfalls zur Ausbreitung der Erreger beitragen. Aus diesem Grunde dürfen Schulkinder die betreffende Krankenstube nicht betreten, wenn es sich um die Komplikation von Mandelvereiterung mit dem acuten Gelenkrheumatismus handelt, während der Schulbesuch bei dem blos auf die Gelenke beschränkten Rheumatismus unbehindert ist, wenn die Krankheit in einer Familie aufgetreten ist, in der sich Schulkinder befinden. D i e S c h u l e s e l b s t könnte nur ein ätiologisches Moment abgeben, wenn die Ventilation unzweckmässig gehandhabt und anhaltende Zugluft die Schüler treffen
968
Polyarthritis deformans.
würde, während im Winter eine unzweckniässige Heizung einen schroffen Wechsel von grosser Hitze und Kälte erzeugen und einen Beitrag zu den Gelegenheitsursachen liefern könnte. Der V e i t s t a n z pflegt erst n a c h dem Verlan!' des äelenkrheumatismus aufzutreten und vorwiegend neurasthenische Mädchen zwischen dem 7. und 14 Lebensjahr zu befallen. Diese Motilitats-Neurose beruht, wenn sie als Nach kraukheit des acuten Geleukrbeumatismus auftritt, vorzugsweise auf einer r h e u m a t i s c h e n A f f e k t i o n des R ü c k e n m a r k s oder seiner Häute, worauf die vorhersehenden Symptome sicher Iiiuweisen. Endokarditisehe oder perikarditische Veränderungen können das Krankheitsbild nicht hervorrufen.* Auch die leichtesten Fälle dieser K r a n k h e i t sind unbedingt vom Schulbesuche auszuschliessen, zumal da auch das physische Verhalten dieser Kinder meist Abnormitäten zeigt. Der erwähnte Fall einer Infektion der Milch mit den Eiterkokken kann nur die Folge einer groben Unreinlichkeit sein, wodurch auch die Ueber t r a g u n g dieser Mikroorganismen auf das E u t e r der K u h sich erklären lässt, wie denn überhaupt die Beobachtungen Uber Milchinfektionen sich fast immer auf eine unreinliche H a n t i e r u n g mit derselben zurückführen lassen. Dass auch in den Krankenstuben jede Beschmutzung mit den Excreta des Halses mit der grössten Sorgfalt zu verhüten ist, erheischt schon die Sorge für Reinlichkeit.
Die Desinfektion hat sich zunächst auf diese Excreta zu erstrecken, damit sie in desinficiertem Znstande auf eine geeignete Weise vernichtet werden. Ob sie auf die Krankenstube mittels Fonnalindämpfe auszudehnen ist. hängt von der Natur der Krankheit ab. Ist man zur Annahme eines pyämiselien Krankheitsprozesses berechtigt, so wird man sie nicht unterlassen dürfen, weil a l l e K o k k e n a r t e n , wir Staphylokokkus pyogenes aureus verstäubbar sind.**) Die mit den Excreten beschmutzten Gegenstände, wie Bettzeug, Leibwäsche pp. sind in der mehrmals erwähnten Weise zu behandeln mit Rücksicht auf dir in den concreten Fällen vorgefundenen Reinliclikeitsverhältnisse.
Polyarthritis deformans. E r w ä h n u n g s w e r t ist noch eine Krankheitsform, die unmittelbar an den acuten Gelenkrheumatismus sich anschliessen kann und in einer Destruktion der Gelenke besteht, und deshalb A r t h r i t i s , bezw. P o l y a r t h r i t i s d e f o r m a n s genannt wird. Dieser traurige KraDkheitsprocess befällt vorzugsweise j u n g e Mädchen im Alter von 17—20 J a h r e n und widersteht allen bisher *) G. S i n g e r hält in den meisten Fällen die Staphylo- und Streptokokken f ü r die E r r e g e r der Endocarditis. In diesem Sinne ist der Gelenkrheumatismus als eine pyämische E r k r a n k u n g aufzufassen, so dass die Eiterung.-erreger sowohl f ü r den Gelenkrheumatismus, als auch f ü r die Endocarditis an ätiologischer Bedeutung gewinnen. Wiener klinische Rundschau. Nr. 39. 1897. **) M. N e i s s e , Ueber Luftstaub-Infektion. Loc. cit.
969
Ruhr.
beim akuten Gelenkrheumatismus erprobten Mitteln. Die wohlhabende Bevölkerungsklasse ist ebenso gut wie die ärmere zur Krankheit disponiert, unsere Erfahrung erstreckt sich nun auf ein P a a r Fälle in sehr gut situierten Familien. Ihre A e t i o l o g i e ist noch nicht aufgeklärt und man steht ratlos 'len Qualen des Leidens gegenüber. Dass ihnen eine funktionelle E r k r a n k u n g l i e s N e r v e n s y s t e m s zu Grunde liegt, ist am wahrscheinlichsten. Die E r n ä h r u n g s s t ö r u n g e n , die hauptsächlich an den Oberextremitäten Fingerutul Handgelenke ergreifen und die Funktion derselben gänzlich aufheben, geben nur der Vermutung Raum, dass das Wesen der Krankheit in einer zentralen oder reflektorischen Trophoneurose beruht. Der Zusammenhang der Krankheit mit organischer oder funktioneller Erkrankung des Nervensystems harrt noch ilor näheren Aufklärung durch pathologisch anatomische Befunde. Der jahrelang sich hinziehenden Krankheit kann das Lebensglück eines jungen Mädchens /.um Opfer werden. Die Annahme, dass es sich hierbei um eine I n f e k t i o n s k r a n k h e i t handelt, bedarf noch der Bestätigung, denn der von S c h ü l l e r in mehreren Fällen durch Punktion von Gelenken gewonnene B a c i l l u s arthritidis e h r o n i c a e fand sich nur bei an chronischem Rheumatismus Erkrankten, weshalb eine solche Krankheit nicht mit der Polyarthritis deform ¡ms zusammengeworfen werden kann, da diese Krankheit noch ein grosses und schwieriges l Intersuchungsfeld zur Bearbeitung übrig lässt.*)
b. Die Ruhr, Dysenterie. Leber
die
.spezifischen
Erreger
F o r s c h u n g noch n i c h t abgeschlossen.
der
einheimischen H a h r
ist,
die
Die M a n n i g f a l t i g k e i t der P a r a s i t e n
11fingt mit den v e r s c h i e d e n e n p a t h o l o g i s c h e n Z u s t ü n d e n z u s a m m e n ,
wes-
halb die A n n a h m e b e r e c h t i g t ist, dass es sich nicht um eine ätiologisch einheitliche K r a n k h e i t h a n d e l t . man bisher
als E r r e g e r
der
Keine d e r a u f g e f u n d e n e n B a k t e r i e n Krankheit
betrachten,
kann
weil ihr A u f t r e t e n
s e h r wechselnd ist.**) I n tropischen L ä n d e r n sind bei den R u h r s e u e h e n A m o e b e n b e t e i l i g t , die R. K o c h * * * )
bei
der e g y p t i s c h e n D y s e n t e r i e
Dickdarmge schwüre scesses
gefunden
hat.
und
im I n h a l t e
des
blos
im G r u n d e
dysenterischen
der
Leberab-
Dieselbe B e o b a c h t u n g h a b e n a u c h K r u s e
und
*) M. s. Referate und Vorträge über den „chronischen Gelenkrheumatismus und seine Behandlung" in den Verhandlungen des medizinischen Kongresses zu Wiesbaden. Wiesbaden 1897, Verlag v. J . F. Bergmann. . **) G a l l i - V a l e r i o (Centralbl. f. Bacteriplogie.. 20. Bd. Nr, 1). h a t aus den Dysenteriedejektionen einen Bazillus in Form eines Kurzstäbchens mit abgerundeten Ecken erhalten, der auf dem gebräuchlichen Nährboden bei 18 bis -'0" wächst. Milch brachte er binnen 24 Stunden zum Gerinnen. F ü r Meerschweinchen, Kaninchen, Hühner und liunde war er pathogen. Bei perosinficierten Hunden zeigten sich dysenterische Erscheinungen, die den fraglichen Bacillus enthielten. ***) R. K o c h und G a f f k y , Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt 1887, 3. Bd. S. 65.
970
Ruhr.
P a s q u a l e * ) gemacht und dabei nachgewiesen, dass der Ulcerationsprozess in der Subnmcosa des Dickdarms siiiuöse Geschwüre, häufig auch Abscedierung der Leber und eine tödliche Pyämie erzeugt. In unserem Klima kommen Amöben im Darmkanal vor, ohne dass sie einen typischen Krankheitsprozess erzeugen. Die in der Litteratur verzeichneten Fälle haben wir bereits auf Seite 408 mitgeteilt. Auch die von L ö s c h beobachtete Amoebendysenterie bei einem unter dem Bilde einer Dysenterie erkrankten Manne ist nicht vereinzelt, da man ähnliche Fälle in den gemässigten Zonen von Nordamerika und in einigen (legenden Italiens beobachtet hat. Auch die n i c h t dysenterischen und nur mit Diarrhoe und Amöben verbundenen Darniaffektionen variieren in ihrer Häutigkeit nach verschiedenen Gegenden. Der Verlauf unserer einheimischen epidemisch und endemisch auftretenden Ruhr hat ein Inkubationsstadium von 2—8 Tagen, das sich durch allgemeines Unbehagen, Verdauungsstörungen, bisweilen Erbrechen oder durch eine wässerige Diarrhoe kundgiebt. Die beiden letzteren Symptome kommen nicht selten bei Schulkindern als Vorboten der Ruhr vor; werden sie rechtzeitig beobachtet, und auch in sofern gehörig beachtet, dass man sofort ein zweckentsprechendes Verhalten anordnet, so kann unter günstigen Umständen dem Ausbruch der Krankheit vorgebeugt werden. Beim vollständigen Ausbruch der Krankheit vermehren sich die flüssigen Ausleerungen unter kolikartigen Schmerzen und quälendem Stuhldrang (Tenesmus). Die Zahl der Stühle kann dabei sehr bedeutend und uin so grösser sein, je stärker der Stuhlzwang ist und die Stühle aus blutiggefärbtem Schleim und gallartigen Exsudatmassen bestehen. Auch die kräftigsten Personen, die sich noch mühsam auf den Beinen gehalten haben, sind dann genötigt, das Bett zu hiiten. Der Tenesmus erzeugt eine grosse Empfindlichkeit und Röte des Afters und die damit verbundene Reizung dehnt sich bisweileu auch auf die Urinblase aus, so dass unter grossen Schmerzen ein spärlicher und dunkler Urin entleert wird oder auch völlige Harnverhaltung entstehen kann. Bei nicht hohem Fieber ist doch ein quälender Durst vorhanden, der aus dem starken Säfteverlust entsteht, womit anch die allgemeine Erschöpfung und besonders eine Nerven- und Herzschwäche zusammenhängt. Unter günstigen Umständen, wenn es sich nicht um eine gefährliche Form der Krankheit oder um schwächliche oder schlecht genährte Patienten handelt, kann die Ruhr unter allmählicher Abnahme der quälenden Symptome binnen 2—3 Wochen in Genesung übergehen. Als eine leichte Form kann man die k a t a r r h a l i s c h e R u h r betrachten, *) W. K r u s e und A. P a s q u a l e , Unters, über Dysenterie und Leberabscess. Zeitschr. für Hygiene ff. 16. Bd. 1894. Die Amoeben sind im Stadium der Ruhe matt glänzende Kugeln, die wenig körnig erscheinen; erst bei der Bewegung tritt eine Scheidung in 2 Substanzen ein, die dann gebildete Fortsätze haben. Die Zeichnungen dazu finden sich in K r u s e ' s „Systematik der Protozoen" im 2. Bd. der Mikroorganismen.
Ruhr.
971
wobei die Schleimhaut fleckig oder streitig gerötet ist oder auch Ekchymosen enthält und auf der Schleimhautfläche eine Schicht grauen oder graurötlichen, leicht abstreifbaren Schleimes liegt, die losgestossene Epithelien in Menge enthält. Gleichzeitig ist die Mucosa aufgelockert und so morsch, dass sie sich leicht mit dem Messer abschaben lässt. Die S u b m u c o s a ist ebenfalls hyperämiseh und von feinen Ekchymosen durchzogen, dabei ö d e m a t ö s geschwollen und von Rundzellen mehr oder weniger infiltriert. Verharrt die Krankheit in diesem Stadium und geht in Heilung Uber, so bleibt in s o l c h e n l e i c h t e n F ä l l e n eine diffuse, schiefrig-bis schwärzlichblaue Pigmentierung o h n e j e d e N a j ' b e n b i l d u n g zurück. Bei einem h ö h e r e n G r a d e der Krankheit ist die Schleimhaut mit einer k l e i e n a r t i g e n S c h i c h t n e k r o t i s i e r t e n E p i t h e l s bedeckt, die mit einem rötlich-grauen eiterigen Exsudat vermischt ist. Kommt es zur Losstossung der Schleimhaut, so bildet die n e k r o t i s c h e S c h i c h t eine graue weissfarbige Auflagerung; geht die ganze Mucosa verloren, so liegt die Muscularis mucosae oder selbst die Submucosa entblösst da. T)ie folliculäre Ruhr (Dysenteria follicularis) kennzeichnet sich dadurch, dass man die Schleimhaut von feinon O e f f n u n g e n und G e s c h w ü r c h e n siebförmig durchsetzt findet und ausserdem Stecknadelkopf- oder hirsekomgrosse Grübchen antrifft, die in das subnmköse Bindegewebe reichen. Die Oeffnungen rühren von der teilweisen oder völligen Zerstörung zahlreicher D r ü s e n f o l l i k e l her, die ihren Sitz im Colon destendens und Rectum haben und rundliche Geschwüre hinterlassen; dringt die Ulceration in die Tiefe, so kann sie eine Perforation der Darmwand erzeugen. Die f o l l i c u l ä r e V e r s c h w ä r u n g kann in manchen Fällen für sich bestehen und der Hauptprozess sein; häufiger gesellt sie sich zur flächenartigen Nekrose oder zu der d i p h t e r ¡ t i s c h e n F o r m . Bilden sich aber an Stelle des Substanzverlustes bei einer nicht zu ausgebreiteten Verschwärung pigmentierte Narben, so kann Heilung erfolgen. Die d i p h t h e r i s c h e R u h r ist die gefährlichste Form, weil es sich hier um die völlige Z e r s t ö r u n g d e r S c h l e i m h a u t handelt. J e nach dem Stadium des Prozesses verwandelt sich die Mucosa auf der Höhe der Wülste und Falten in einen m i s s f a r b i g e n S c h o r f , während an anderen Stellen das subinuköse Gewebe frei gelegt ist. Die O b e r f l ä c h e d e r S c h l e i m h a u t wird vom untersten Ileum bis zum Rectum als schwärzlich, grünlich oder dunkelrot mit wellenförmigen oder den Hirnwindungen ähnlichen Anschwellungen geschildert.*) E s liegt auf der Hand, dass je nach den verschiedenen Formen der Krankheit auch die A u s l e e r u n g e n von verschiedener Beschaffenheit sind. Im Anfange der k a t a r r h a l i s c h e n R u h r wiegt der schleimig seröse, mehr oder weniger mit Blut vermischte Inhalt des Dickdarms vor; neben hyalinen Schleimmassen finden sich losgestossene Epithelien. Der e i t e r i g e oder b l u t i g e i t e r i g e Stuhl ist reich an Eiterzellen und roten Blutkörnchen, wenn die Blutung aus dysenterischen Geschwüren erfolgt, also eine Komplikation mit folliculärer Ruhr besteht. Ein m i s s f a r b i g e r , bräunlicher oder grünlicher, putrid riechender Darm*) B i r c h - H i r s e h f e l d , Lchrb. der pathol. Anatom. 2. Bd. 3. Aufl. S. 563 ff. 1887.
Ruhr.
972
iulialt, spricht für die schwerste Form der Dysenterie. Durch das Mikroskop entdeckt man verschiedene Bakterienfornien, wie Vibrionen, Stäbchenbakterien,. Diplo-, Mono- und Streptokokken. Die Beschaffenheit der Stühle kann ein Fingerzeig für die Diagnose sein. Auffällig ist auch ihr grosser E i w e i s s g e h a l t , der hauptsächlich zum Kräfteverlust mit beiträgt. Druckempfindlichkeit in der Fossa iliaca fehlt selten. Gesellt sich eine grosse Schmerzhaftigkeit des ganzen Unterleibs hinzu, so niuss man auf eine hinzugetretene P e r i t o n i t i s gefasst sein. Am gefährlichsten ist die P e r f o r a t i o n s p e r i t o n i t i s . Als X a c h k r a n k l i e i t e n können besonders bei Kindern Fissuren. Geschwüre oder L ä h m u n g
des Mastdarms, bezw. seines Schliessniuskels
zurückbleiben.
D e r a r t i g e Lähmungen rechnet man zu den neuritischen
Prozessen,
ursprünglich
die
vom
entzündeten
Darm
ausgehen
und
sekundär das Rückenmark ergreifen. Gelenkerkrankungen, sein-
ähnlich
sind,
langes Leiden
können
die
dem
akuten
sich mit der R u h r
Gelenkrheumatismus komplizieren
und ein
herbeiführen, wenn sie auf einer Secundärinfektion mit
Eiterkokken beruhen.
(M. vergl. 8. 96)5.)
Eine Komplikation mit Typhus abdominalis ist nur denkbar, wenn gleichzeitig
eine Typhusepidemie
herrscht
und
die
erkrankte
Darm-
schleimhaut f ü r die Aufnahme der Typhuskeinie einen günstigen Hoden darbietet.
Sporadische Ruhrfälle kommen höchst selten vor.
Die P r o g n o s e ist nur bei der leichten F o r m der katarrhalischen Ruin1 g ü n s t i g : bei den beiden anderen F o r m e n deuten schon die damit verbundenen Stühle auf eine bedenkliehe Prognose hin. Die Mortalität ist am grössten bei der diphteritischen R u h r und kann 40 —50°
(l
der E r k r a n k t e n
betragen.
meist vermischte K r a n k h e i t s f o r m e n zeigen,
Da
aber
die
Epidemien
so ist auch die Mortalität
von dem Vorwalten der einen oder andern F o r m abhängig.
Die Häufig-
keit der E r k r a n k u n g e n ist ebenso verschieden; in der Rheinprovinz z. B. ist, die R u h r in unserem J a h r h u n d e r t nur im ersten, dritten und vierten Decennium
epidemisch
aufgetreten.
Ein
ähnliches
periodisches
Auf-
treten h a t in den meisten preussischen Provinzen, in den süddeutschen Staaten, in der Schweiz und in den angrenzenden Teilen stattgefunden.
Endemisch
tritt
Oesterreichs
die R u h r in West- und Ostpreussen
auf; in epidemischer V e r b r e i t u n g zeigte sie sich zuletzt im J a h r e 1895 im
Regierungsbezirk
Danzig. *)
59 mit 19 Todesfällen = 32,2°, 0 ,
Im
Stadtkreise
während
die am meisten heimgesucht wurden,
Danzig
erkrankten
in den ländlichen
Kreisen,
die Mortalität sich auf 1 5 % der
*) Dr. B o r n t r ä g e r (Danzigi: Die Ruhrepidemie im Regierungsbezirk Danzig 1895—96. Zeitschr. f. Hygiene. 27. Bd., 3. Heft, S. 375. 1898. Ferner das A u f t r e t e n d e r R u h r im Regierungsbezirk Gumbinnen im Sommer und Herbst 1893. Arbeit, aus dem Kaiserl. Gesundheitsamt. 1893, S. 51.
Ruhr.
973
Erkrankten belief. In G a l i z i e n herrschte die Ruhr im Jahre 1897 mit einer Mortalität von circa 27°/ 0 der Erkrankten. Immerhin gehört die Ruhr zu den gefährlichsten Krankheiten und steht mit Cholera und Typhus auf gleicher Stufe. Aetiologie. Die Uebertragung findet bei der Ruhr noch leichter als beim Typhus statt; während letzterer zumeist vereinzelt bleibt, erzeugt jeder Ruhrfall in der nächsten Umgebung stets weitere Erkrankungen , weil die Krankheitserreger sicher an den Entleerungen haften und diese um so leichter die Uebertragung des Kontagiums veranlassen, wenn, besonders auf dem Lande, wo Aborte fehlen, die Defäkation in der Nähe der Wohnung an jedem beliebigen Orte bewirkt wird. Aus diesem Grunde ist. die Krankheit am häufigsten unter der Landbevölkerung verbreitet, wo es au sanitären Einrichtungen fehlt, die Wohnungsverhältnisse sehr beschränkt und meist unsauber sind, kaum die Trennung der Geschlechter, viel weniger die Isolierung der Kranken .möglich ist. Dass bei solchen Insassen der Wohnungen die Krankheit sich leichter verbreitet, zeigt auch der Umstand, dass überall, wo Menschen zusammengedrängt unter ungünstigen Verhältnissen leben, Erkältungen ausgesetzt oder auf eine unzureichende Ernährung angewiesen sind, die Erkrankungen erheblich befördert werden, weil die Widerstandskraft des Organismus darunter leiden muss und ganz besonders jede Art von Unredlichkeit in Wirksamkeit tritt. Diese gesundheitsschädlichen Einflüsse zeigen sich besonders im Regierungsbezirk Danzig und in einigen Teilen der Regierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen und Marienwerder bei der im Sommerhalbjahr herumziehenden arbeitenden Bevölkerung, die sich nach B o r n t r ä g e r im Regierungsbezirk Danzig jährlich auf 7000 ausländische Arbeiter beläuft, während nur 3500 Einheimische auf Arbeit ausziehen. Die primitive Unterbringung und das Zusammenpferchen dieser Leute schildert B o r n t r ä g e r in drastischer Weise. An Aborten fehlt es oft; wo sie regelrecht hergestellt sind, werden sie nicht benutzt, weil sie den Gewohnheiten der russischen Leute nicht entsprechen. In Städten ist es die ärmere Bevölkerung mit ihren beschränkten Wohnungsverhältnissen und damit verbundener Unsauberkeit, wodurch der Ansteckung Thür und Thor geöffnet wird, wenn dunkle Aborte mit beschmutzten Sitzbrettern noch hinzukommen. Die geologische Beschaffenheit des Bodens übt keinen Einfluss auf die Entstehung der Ruhr aus; nur feuchtes, sumpfiges Terrain hat man als einen günstigen Faktor bezeichnet, weil überall, wo Malaria herrscht, auch die Ruhr einen geeigneten Boden findet. Dass E r k ä l t u n g e n den Grund zur Erkrankung liefern, beweist die Erfahrung, da namentlich die Soldaten in Kriegszeiten beim Biwakieren auf freiem Felde von der Ruhr heimgesucht werden. Die Ansteckung bei der Ruhr erfolgt auf mechanische Weise durch die U e b e r t r a g u n g d e r E x k r e m e n t e , die um so leichter erfolgen muss, je unsauberer damit hantiert wird, je weniger sie desinfiziert werden, so dass Mund und After die Eingangs-
974
Ruhr.
pforten der Keime werden können. Alles, was mit den Ausleerungen in Berührung kommt, mag es sieh um Bettzeug, Leibwäsche, Geschirr, Hände und Finger oder Kleidungsstücke handeln, kann die Krankheit übertragen. Man kann daher auch die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass die Uebertragung durch dritte Personen erfolgt, bezw. durch gesunde Leute, welche die Krankheitskeime in den Kleidern beherbergen oder mit infizierten Händen mit Anderen in Berührung kommen. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Thatsache wichtig, dass S c h u l k i n d e r der ärmeren Klasse während der herrschenden Epidemie bisweilen die Mehrzahl der Kranken bilden und die Schule mit zur Verbreitung der Krankheit beiträgt. Dies ist aber nur möglich, wenn die Krankheitskeime in die Schule hineingetragen werden durch Schüler, welche dieselben auf dem Lande um so leichter an sich tragen können, wenn weder für die Isolierung der Erkrankten, noch für eine ordnungsmässige Beseitigung der Ausleerungen, noch viel weniger für ihre Desinfektion gesorgt wird. Es ist auch an die Möglichkeit zu denken, dass die Schüler noch im I n k u b a t i o n s s t a d i u m der Ruhr die Schule besuchen, dessen Dauer zwar sehr schwankend ist, aber unter Umständen sich auf 8 Tage ausdehnen kann. Unter den N a h r u n g s m i t t e l n ist es stets die Milch, die eine besondere Aufmerksamkeit verdient, damit sie nicht durch infektiöse Stoffe verunreinigt wird. Ratsam bleibt es stets, die Milch nicht ungekocht zu gemessen. Auf dem Lande, wo offene Brunnen noch vorwalten, hat man ganz besonders Alles zu vermeiden, was das T r i n k w a s s e r verunreinigen könnte. Auch in der Nähe eines geschlossenen Brunnens ist das Waschen von beschmutztem Bettzeug, von Leibwäsche pp. unzulässig, um sicher zu sein, dass das i n f i z i e r t e Schmutzwasser weder in den Brunnenkessel dringt, noch in die offenen Strassenrinnen abfiiesst. Während einer Ruhr-Epidemie sollte man überhaupt infizierten Abwässern keinen freien Abfluss gestatten, sondern sie stets einer Desinfektion unterwerfen, um jedem schädlichen Einfluss derselben vorzubeugen, denn man kann nicht alle Möglichkeiten voraussehen, wodurch undesinfizierte Krankheitskeime der Epidemie Vorschub leisten und auf mannigfache Weise zu einer längern Dauer derselben beitragen. Als H a u s k r a n k h e i t kann man die Ruhr auffassen, wenn sie auf dem Lande in beschränkten Wolinungsverhältnissen, bei fehlenden oder mangelhaften Aborten, bei grosser Unreinliclikeit oder in Städten mit grossen Mietswohnungen bei einer zusammengedrängten Bevölkerung auftritt und die Weiterverbreitung durch unsaubere Aborte und vernachlässigte Desinfektion der Exkremente erfolgt. Die Prophylaxis gipfelt stets in der D e s i n f e k t i o n d e r S t ü h l e .
Ruhr.
975
die ans obigen Gründen auch im Interesse des öffentlichen Wohls erfolgen muss, wie es auch bei Cholera und Typhus der Fall ist. Auf die grösste Sauberkeit der Aborte, besonders bei Abtrittsitze ist in S c h u l e n zwar zu jeder Zeit, aber ganz besonders der einer Ruhrepidemie hinzuwirken. Bei Erkrankungen in der Lehrerfamilie, wenn dieselbe im Schulhause wohnt, dürfen keine Exkremente undesintiziert in die Abortgrube gelangen, auch nicht in die Spülabtritte oder in Fässer und Kübel. üb der Verdacht vorliegt, dass schon krankheitsverdächtige Schüler den Abort benutzt haben, hat der revidierende Schularzt nachzuforschen und eventuell die D e s i n f e k t i o n der Abortgrube, wenn es sich um eine solche handelt, gründlich ausführen zu lassen. Ebenso verhält es sich mit Fässern und Kübeln, die den Vorzug haben, dass ihr Inhalt rascher beseitigt und unschädlich gemacht werden kann, während benutzte Wasserklosetts einer kräftigen Spülung unter Benutzung von desinfizierenden Mitteln zu unterwerfen sind, womit eine g r ü n d l i c h e R e i n i g u n g d e r S c l n i l z i n i m e r Hand in Hand gehen muss. Bei jeder Epidemie, besonders bei einer Ruhrepidemie, ist die sofortige ä r z t l i c h e S c h u l r e v i s i o n geboten, um den Gesundheitszustand der Schüler zu untersuchen, eventuell die krankheitsverdächtigen aus der Schule zu entfernen. Sind die Vorboten der Ruhr bei Schülern bestätigt worden, so muss sofort die D e s i n f e k t i o n des betreffenden Schulzimmers und der benutzten Aborte erfolgen. Die Unterbrechung des Schulunterrichts kann sich dann nur für kurze Zeit auf das verdächtige Schulzimmer beschränken. Besteht eine „ G e s u n d h e i t s k o m m i s s i o n " , so wird es ihre Aufgabe sein, auch die h ä u s l i c h e n V e r h ä l t n i s s e der verdächtigen oder eventuell erkrankten Kinder in Augenschein zu nehmen, wenn deren Eltern zur arbeitenden Klasse ge« hören und eine beschränkte Wohnung vermuten lassen, vorausgesetzt, dass der Schularzt die Gesundheitskommission über das Ergebnis seiner Untersuchung benachrichtigt und überhaupt mit ihr in geschäftlichem Verkehr während der Dauer einer Epidemie verbleibt. Wo die Wohnungsverhältnisse höchst mangelhaft sind, wird auch stets Unreinlichkeit die Verbreitung einer Ruhrepidemie befördern, wie die Erfahrung allseitig lehrt. Eine H o s p i t a l b e h a n d l u n g würde in derartigen Fällen am besten der Ausbreitung einer Epidemie entgegenwirken, namentlich wenn die e r s t e n K r a n k h e i t s f ä l l e unter den Schulkindern aus der besitzlosen Klasse der Bevölkerung sofort isoliert und behandelt würden. Dass die sofortige Behandlung der ersten Krankheitsfälle eine wichtige phropylaktigche Massnahme ist, hat sich stets bewährt, wenn sie sich auf eine rechtzeitige Anzeige des Aus-
Ruhr.
976
bruchs der Krankheit, stützen kann. Letzterer Punkt stösst aber auf viele Schwierigkeiten, weil nicht selten wässerige Stühle dem Ausbruch der Ruhr vorausgehen und die Infizierten noch heruniwandeln, bevor die Schwere der Krankheit sie bettlägerig macht. Bei der Landbevölkerung und bei den ärmeren Klassen in den Städten entspricht ausserdem die Pflege der Kranken niemals den hygienischen Vorschriften, weil die Desinfektion der Stühle und der dazu benutzten Gefässe etc. stets mangelhaft ausgeführt wird. S c h u l k i n d e r , die zum Haushalt einer Familie gehören, in der Erkrankte sich befinden, die daher auch allen schädlichen Einflüssen ausgesetzt sind, dürfen unbedingt die Schule nicht besuchen, besonders auch im Hinblick auf die Erfahrung, dass im kindlichen Alter die Disposition zur Erkrankung vorherrscht. Die Ruhr gehört überhaupt insofern zu den gefährlichsten Krankheiten, als aus der Unreinlichkeit eine vielfältige Gelegenheit zur i'bertragung und Verschleppung der Krankheit entspringt. Ein mächtiges Vorbeugungsmittel besteht stets in der B e k ä m p f u n g d e s S c h m u t z e s. Die Desinfektion, die Vernichtung der Krankheitskeime, ist damit, innigst verbunden und verfolgt dasselbe Ziel, indem, wie bei allen Infektionskrankheiten, zuerst die K r a n k e n s t u b e und nach Bedarf auch Das Indie W o h n u n g von allen Krankheitskeimen zu befreien ist. ventar der Krankenstube und überhaupt die ganze Ausführung der Desinfektion überlässt man den sachverständigen, von der Polizeibehörde angestellten Desinfektoren, soweit dies in Städten möglich ist und alle erforderlichen Apparate zur Verfügung stehen. Wie man auf dem Lande zu verfahren hat, haben wir bereits ausgeführt und bemerken noch nachträglich, dass Heilgehülfen die Desinfektion übernehmen könnten, \venn sie in einem Krankenhause die notwendige Ausbildung dazu erhalten hätten, und die Landgeineinden sich entschlössen, mit vereinten Kräften für die Anschaffung der notwendigsten Apparate Sorge zu tragen. Hierzu rechnen wir zunächst den Schering'schen Desinfektionsapparat, der billig ist, oder die auf Seite 960 erwähnte neue Verwendungsweise, die einen sehr günstigen Erfolg verspricht und für die Oberfiächendesinfektion vollständig ausreicht, während alles Waschbare der Behandlung mit Seitenlange unterliegt. Die p e r s ö n l i c h e D e s i n f e k t i o n d e r g e n e s e n e n S c h ü l e r vor dem Besuch der Schule geschieht nach den wiederholt aufgestellten Regeln. IV. Krankheiten der Lunge. Die k r u p p ö s e o d e r f i b r i n ö s e L u n g e n e n t z ü n d u n g . Diese Pneumonie ist eine Krankheit, die epidemisch auftreten und sich als kontagiös erweisen kann. Ihr K r a n k h e i t s v e r l a u f ist der 1)
977
Pneumonie.
bekannte typische, der wenige oder keine Prodronialerscheinungen aufweist, sondern in den meisten Fällen mit einem starken Schüttelfrost pinsetzt, auf den eine "bis zu 40° steigende Körpertemperatur folgen kann, die bei Kindern nicht selten sich mit Erbrechen verbindet. Brustschmerzen behindern alsbald das Atmen und mit dem sich pinstellenden Husten wird ein zäher glasiger Schleim ausgeworfen, der schon in den ersten Tagen der Krankheit durch beigemengtes lSlut r ö t l i c h erscheint. Im e r s t e n S t a d i u m handelt es sich um eine e n t z ü n d l i c h e A n s c h o p p u n g , die in einer A n s a m l u n g von wässriger Flüssigkeit in den Alveolen besteht, wodurch die L u n g e schwer, rot und weniger elastisch wird. I m zweiten Stadium entwickelt sich die Hepatisation, die in einer luftleeren u n d brüchigen Beschaffenheit der L u n g e besteht, wenn das flüssige E x s u d a t durch Ansammlung von roten Blutkörperchen, durch abgestossenes Epithel der Alveolenwände und Gerinnungen feste P f r o p f e bildet, die die Alveolen ausfüllen. Diese sog. rote H e p a t i s a t i o n geht in die g r a u e über infolge des Aust r i t t s von vermehrten Leukocyten; ist derselbe sehr reichlich, so kann eine eiterige Infiltration eintreten. E s ist begreiflich, dass die Atemnot sich um so mehr steigert, je mehr die Exsudation zunimmt, und die Beschwerden bei älteren Leuten grösser sind als im k i n d l i c h e n A l t e r , in dem der Kiankheitsverlauf meist ein günstigerer ist, auch die des Morgens eintretenden Fieberexacerbationen seltner den höchsten Grad erreichen. Beim günstigen Verlauf kommt es im d r i t t e n S t a d i u m zur Lösung, indem das Exsudat resorbiert, bezw. expektoriert wird. Beim ungünstigen A u s g a n g e ist es stets das Herz, welches bei der beschleunigten Atmung und dem frequenten P u l s e sehr in Anspruch genommen und in seiner T h ä t i g k e i t so geschwächt wird, dass seine L ä h m u n g die Todesursache wird, indem der P u l s immer kleiner und unregelmässiger bei beschleunigter A t m u n g w i r d . Die verschiedenen Stadien sind mittels der Perkussion und Auskultation seitens des Arztes s o r g f ä l t i g zu verfolgen und z w a r um so mehr, als der typische Verlauf der K r a n k h e i t sehr veränderlich und mannigfaltig ist, ein Umstand, der wahrscheinlich in den verschiedenen nachgewiesenen Krankheitserregern seinen G r u n d h a t .
Aetiologie. In den meisten Fällen ist eine E r k ä l t u n g im gewöhnlichen Sprachgebrauch*) ein ursächliches Moment und macht sich namentlich in Gegenden geltend, in denen die Witterung sehr veränderlich ist und ein schroffer Temperaturwechsel häufig vorkommt, infolgedessen häufig ein Katarrh die Krankheit einleitet nnd den Weg zum Eintritt der Mikroben vorbereitet E s giebt eine R e i h e von Pneumonieerregern, die sich an die Gruppe des Streptokokkus brevis anschliessen und k r a n k h a f t e Veränderungen in der L u n g e *) D r . J . R u h e r a a n n (Berlin), „Ist E r k ä l t u n g eine Krankheitsursache und in w i e f e r n ? " Leipzig 1898. C h e l m o n s k i , Ueber E r k ä l t u n g als Krankheitsursache. f. klin. Medizin. 59. Bd., S. 149.
Deutsch. A r c h . 62
Pneumonie.
•978
erzeugen, die besonders der k r u p p ö s e n P n e u m o n i e eigentümlich sind. Für die ätiologische Bedeutung dieser Krankheit hat A. F r a n k e l * ) den D i p l o k o k k u s l a n c e o l a t u s nachgewiesen und die Bezeichnung: „lanceolatus" deshalb gewählt, weil die einzelnen, meist paarweise angeordneten Diplokokken an ihren polaren Enden häufig zugespitzt erscheinen. Die auf gewöhnlichem Agar gewachsene Kultur der Pneumokokken erscheint, mit blossem Auge betrachtet, als zarter Belag von wasserhellein Aussehen, der sich aus feinen, aber noch wahrnehmbaren Kolonien zusammensetzt. Dass den unmittelbar dem •erkrankten Lungengewebe entnommenen Diplokokken durch Erhöhung der Zuchttemperatur ihre Virulenz vermindert oder aufgehoben wird, ist sicher nach gewiesen. Ebenso haben ausser A. F r a n k e l auch W e i c h s e l b a u m * * ) und N e t t e r * * * ) festgestellt, dass die Diplokokken, unmittelbar dem erkrankten Lungengewebe entnommen, je nach dem Stadium der Krankheit von verschiedener Virulenz sind. J e frischer der Prozess ist, um so grösser ist auch die Menge •der Bakterien, die, eingeschlossen in Leukocyten, massenhaft im zelligen Exsudat 42 ff. **) Bei altern Personen wird die Bronchopneumonie häufig verhängnisvoll, wenn eine grosse Schwäche und die U n f ä h i g k e i t , die schleimigen S p u t a auszuhusten, hinzutritt. 62*
Pneumonie.
980 weis d e r
Dämpfung'
an
beiden Seiten
der Wirbelsäule
die
Diagnose
unterstützt. S e t z t das F i e b e r
stärker
ein, s t e i g e r t
sich d e r H u s t e n
und
dir
K u r z a t m i g k e i t , so m u s s man sicli auf eine l ä n g e r e K r a n k h e i t g e f a s s t machen. Vor allem ist es notwendig, die v e r s c h i e d e n e n A r t e n d e r L o b u l ä r p n e u m o n i e auseinander zu halten, woraus sich dann bald ergiebt, dass die Lobulärpneumonie kein einheitlicher Krankheitsprozess ist, sondern sich häufig zu Infektionskrankheiten oder zur Lungentuberkulose gesellt. Im hohem Alter geht sie häufig aus einer katarrhalischen Bronchitis hervor, was auch bei geschwächten Personen der Fall ist. Anderseits können reizende Gase oder Staubarteu pp. Lungenerkrankungen erzeugen, die sämtlich in Beziehung zur Bronchitis stehen, wenn im Bereiche der feinsten Bronchien sich verschiedene Herde und Exsudate bilden. Das Exsudat der katarrhalischen Pneumonie haben wir bereits oben augedeutet. In dem transsudierten Serum sammeln sich je nach der reizenden Einwirkung gequollene Epithelien, Eiterzellen und rote Blutkörperchen an. Wird ein Bronchialzweig' mit Schleim, Eiter oder einem Fremdkörper verstopft, so fallen die betreffenden Lungenbläschen zusammen und es entsteht die sog. A t e l e k t a s e (unvollständige Ausdehnung der Lungenbläschen). Auf diese Verstopfung feinerer Luftwege lässt sich jedoch die katarrhalische Lungenentzündung nicht in allen Fällen zurückführen, da die Bronchien der infiltrierten Lobuli auch durchgängig bleiben können; denn zum Ausgang der lobulären Atelektase in Pneumonie ist es notwendig, dass noch die Wirksamkeit der Entzündung erregenden Mikroorganismen in dem atelektatischen Abschnitt hinzukommt.") Die g e w ö h n l i c h e B r o n c h o p n e u m o n i e charakterisiert sich stets durch die S e k r e t s t o c k u n g in d e n L u f t w e g e n , in welchen die Mikroorganismen einen günstigen Boden finden und je nach ihrer Natur und Wirksamkeit verschiedene Krankheitsformeu zur Entwicklung bringen. Die e i t e r i g e u n d h ä m o r r h a g i s c h e L o b u l ä r p n e u m o n i e sondern sich streng von der katarrhalischen Form ab; durch Steigerung der Entzündung gehen sie oft direkt aus letzterer Form hervor. Eine k ä s i g e L o b u l ä r P n e u m o n i e ist in vielen Fällen auf die t u b e r k u l ö s e I n f e k t i o n zurückzuführen. Die Prognose ist bei K i n d e r n
im allgemeinen g ü n s t i g e r als im
v o r g e r ü c k t e n A l t e r : ist a b e r s t e t s im allgemeinen u n g ü n s t i g , w e n n asthenische schiedenen können Opfer
Krankheitscharakter
Komplikationen
und fordert
(Pleuritis.
die B e d e n k l i c h k e i t das
vorwaltet,
epidemische
Pericarditis),
von
die
der P r o g n o s e
steigern.
Auftreten
kruppösen
die sich auf viele O r t s c h a f t e n a u s d e h n e n Prophylaxis.
abgesehen
der
hinzutreten Die
meisten
Pneumonie,
Bei d e r S c h u l j u g e n d h a n d e l t es sich h a u p t s ä c h l i c h die sich in den
Fällen mit einem s t a r k e n S c h ü t t e l f r o s t u n d B r u s t s c h m e r z e n den
der ver-
kann.
um die f r ü h z e i t i g e E r k e n n t n i s der K r a n k h e i t , und
den
Schulbesuch
unmöglich
macht.
*) B i r c h - H i r s c h f e l d , loc. cit, S. 433.
Während
einer
meisten
ankündigt Epidemie-
981
Pneumonie. entfernt man aber alle Kinder, die an einer k a t a r r h a l i s c h e n
Bronchitis
leiden, vorsichtshalber aus der Schule, weil die Erfahrung- lehrt, dass zu einer solchen Zeit k a t a r r h a l i s c h e Bronchitiden den E i n g a n g des Pneumok o k k u s begünstigen können. heftige
Kontusion
des
Selbst mechanische Ursachen,
Thorax,
können
z. B. eine
Gelegenheitsursachen
einer
kruppösen Pneumonie werden, wenn die Broncliialschleimhaut sich schon in einem gereizten Zustande befindet.*') Die S c l i u l l u f t
muss
während
s t a u b f r e i gehalten werden, damit Heizung der Respirationswege
einer Epidemie
ganz
besonders
alles vermieden wird, wodurch
veranlasst
liei der Reinhaltung der Schulzimmer
wird.
zu
eine
Die Grundsätze,
beobachten sind,
bereits dargelegt und verweisen wiederholt auf die Notwendigkeit, Fussboden
der Schulzimmer
täglich nicht
auch mit feuchten Mitteln zu behandeln, Staub sich gründlich entfernen lässt.
blos
auszukehren,
da n u r auf
die
haben wir den
sondern
diese Weise der
Der täglich in die, Schulzimmer
hineingetragene Schmutz und S t a u b soll auch täglich beseitigt werden. Die S p u c k n ä p f e sollen dazu
dienen,
die Schüler
an Reinlichkeit zu
gewöhnen. W a s die V e n t i l a t i o n
betrifft, so muss die Z u g l ü f t u n g
während
der Schulpausen regelmässig d u r c h g e f ü h r t werden, indem man. insofern es die W i t t e r u n g erlaubt. T h ü r e n und F e n s t e r der Schulzimmer öffnet, und .zwar zu jeder Jahreszeit, da im W i n t e r der geringe W ä r m e v e r l u s t nicht in Anschlag zu bringen ist. soll man
die Zuglüftung
Luftbewegung
allein
eine
Auch wo eine K a n a l l ü f t u n g vorhanden ist.
nicht versäumen, Erneuerung
weil der
die
erzeugte
Schulluft
starke
zu Stande
bringt, wozu die in den Schulen gebräuchliche K a n a l l ü f t u n g nicht ausreicht.
W i r gehen hierbei von der Voraussetzung aus. dass die S c h u l -
p a u s e n wenigstens
10 Minuten
dauern,
damit die Schüler die Klasse
verlassen und in die frische Schulatmosphäre wieder eintreten
können.
W ä h r e n d des Schulunterrichts sind die Mittel anzuwenden, die wir bei der Ventilation tungen darf.
und H e i z u n g
verhütet
Wie
sehr
näher
erörtert
haben,
wodurch
Erkäl-
werden, zu denen die Schule niemals Anlass die W i t t e r u n g s v e r h ä l t n i s s e
bei
der E n t s t e h u n g
geben und
*) Dr. E r n s t B l o c h (Nürnberg) beschreibt einen bezüglichen Fall, (Miinchener mediz. Wochensch. No. HO, 1898), in welchem indes der initiale Schiittelfrost, der sonst die Pneumonie einzuleiten pflegt, fehlte; da aber der Verletzte schon vor dem Unglücksfall an einer leichten Bronchitis litt, so Jässt sich mit dem Verfasser annehmen, dass derselbe bei der nicht intakten Schleimhaut der Bronchien den Pneumokokkus schon beherbergte, so dass die srarke Kontusion des Thorax durch Schwächung des Lungengewebes den vorher ungeeigneten Boden zur weitern Entwicklung günstig umgestaltete.
982
Pneumonie.
Verbreitung ansteckender Krankheiten von Einfluss sind, ist eine bekannte, durch die Erfahrung begründete Thatsache. Ihr Auftreten ist häufig an eine bestimmte Jahreszeit gebunden und zieht immer die S c h u l k i n d e r in ihren Bereich hinein, weshalb der Schule die Aufgabe zufällt, den Gelegenlieitsursachen zu E r k ä l t u n g e n vorzubeugen. Hauptsächlich sind es bei regnerischem Wetter D u r c h n ä s s u n g e n , die am ehesten hierzu Anlass geben. Die Unsitte in einigen Gegenden, die Schule nicht eher zu öffnen, als bis der Unterricht beginnt, wird hoffentlich ausgerottet sein. Vor allem sind die bereits erwähnten Vorkehrungen nicht zu vernachlässigen, die den entfernt wohnenden Schülern ein Wechseln von durchnässten Schuhen und Strümpfen gestatten, damit sie nicht in dem nassen Schuhwerk verweilen, wodurch; sie am häufigsten der Gefahr der Erkältung ausgesetzt werden. In Bezug auf Krankheitsursachen giebt es eine Menge von Faktoren, welche die Schule auch nach den verschiedenen Jahreszeiten in Erwägung ziehen muss. Für die heisse Jahreszeit haben wir schon auf die notwendige Abkühlung der Schulumgebimg durch Wasserbesprengung aufmerksam gemacht. Eine Wasserleitung würde für die Schule von eminentem Vorteil sein und manchen Schädlichkeiten entgegenwirken. Der Schulschluss kommt bei grosser Hitze in Frage, wenn Vorhänge, Ventilation und Ausdehnung der Schulpausen keine Erleichterung gewähren. Im Winter ist es die Regelung der Temperaturverliältnisse, welche vor schroffem Wechsel der Temperatur schützen soll; damit die Schüler nicht aus einer überhitzten Klasse in die kalte Winterluft treten müssen. Ganz besonders ist die Ueberfüllung der Schulklassen der grösste Verstoss gegen die Schulhygiene, denn es ist sonnenklar, dass das Zusammengepferchtsein die Uebertragung von ansteckenden Krankheiten am meisten begünstigt. Wegen (1er prophylaktischen Wichtigkeit dieser Punkte glaubten wir sie hier nochmals betonen zu müssen. Das Auftreten d e r k r u p p ö s e n P n e u m o n i e ist noch nicht anzeigepflichtig, wie sich aus der preuss. Zirkular-Verfügung vom 14. Juli 1884 ergiebt. Nachdem der Fränkelsche Pneumokokkus jedenfalls als bei dieser Krankheit mitbeteiligt anerkannt worden ist, wird es an der Zeit sein, in die Liste der anzeigepflichtigen Krankheiten auch die kruppöse Pneumonie aufzunehmen. S c h u l k i n d e r , die einer Familie angehören, in der ein Mitglied derselben von dieser Krankheit befallen ist, sind vom Schulbesuche abzuhalten, wenn die Wohnungsverhältnisse keine Isolierung des Kranken gestatten, und auch keine Gelegenheit zur Ueberführung in ein Hospital vorhanden ist. Die Sputa sind unter allen Umständen wie die der
Lungentuberkulose. Diphtherie, des Keuchhustens u. s. w. zu behandeln, bezw. sofort zu desinfizieren. Der Möglichkeit, dass beim Husten die feinsten Wasserteilchen des Sputums die Erreger der Krankheit enthalten können, muss ebenso gut wie bei der Diphtherie, Keuchhusten u. s. w. Rechnung getragen und die entsprechende Vorsichtsmassregel beobachtet werden. Der Pneumokokkus und Diphtheriebazillus stimmen auch darin überein, dass sie bisweilen auch in der Mund- und Rachenhöhle nachzuweisen sind. Bei der k a t a r r h a l i s c h e n oder L o b u l ä r p n e u m o n i e ist der Friedländersclie Bazillus selten aufgefunden worden: sein Vorhandensein gestaltet den Krankheitsverlauf bösartiger und gefährlicher; in einem solchen Falle sind dann auch die Sputa verdächtig und demgemäss zu desinfizieren. Die Desinfektion der Krankenstube, bezw. W o h n u n g ist nach denselben Gesichtspunkten, wie bei der Diphtherie, auszuführen. Hieraus folgt, dass auch Schulkinder, wenn sie die kruppöse Pneumonie oder die gefährliche Form der Lobulärpneumonie überstanden haben, nur nach der Reinigung des Körpers und ihrer Kleidung zum Schulbesuch wieder zuzulassen sind. Unter Umständen wird man sich auch davon überzeugen müssen, dass die Mund- und Rachenhöhle frei von verdächtigen Mikroorganismen sind.
2. Lungentuberkulose, Lungenschwindsucht. Die Krankheit ist in den ersten 5 Lebensjahren selten und erst im Zeitraum vom 15. bis zum 30. Jahre fordert sie die meisten Opfer. Die Volksschule ist daher am wenigsten hierbei beteiligt; eher sind es die Schüler der liühern Schulklassen, die nicht verschont bleiben. Wegen ihrer Verbreitung über alle Länder der Welt ist sie immer der Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen gewesen und in der neuern Zeit auch in den Kreis der Humanitätsbestrebungen hineingezogen worden. Das Dunkel der Krankheit ist durch die von R o b e r t Koch entdeckten B a z i l l e n der T u b e r k u l o s e in mancher Beziehung- aufgeklärt worden. Es sind aber bei der Entstehung der Krankheit noch andere Faktoren thätig, die ein neues Forschungsgebiet eröffnet haben. Die Bazillen sind unbewegliche schlanke Stäbchen von 0,2—0,4 :1,5—4 ¡.i. Wenn sie vereinzelt auftreten, sind sie etwas gekrümmt. Sie sind durch die (Bramsche Methode färbbar. Die gewöhnlichen Anilinfarben bedürfen einer längern Zeit zur Färbung; schneller erfolgt sie nach Zusatz von Anilinöl oder Karbolsäure. Charakteristisch ist es, dass die gefärbten Bazillen sich schwer durch Säuren, Alkohol oder Gegenfärbung entfärben lassen, eine Eigenschaft, die den Nachweis der Tuberkelbazillen in einem Gemisch von Bazillen ermöglicht. Sie widerstehen im trocknen Zustande einer Erhitzung von 100°, im feuchten
Lungenschwindsucht. Zustande, z. B. in der Milch, werden sie bei 50° in 4 Stunden, bei 80° in 5 Minuten und bei 95° in 1 Minute getötet. Im Sputum verhindern dessen Schleimballen das Eindringen von chemischen Desinfizienten, unter denen sich 10%iges Lysol bewährt hat, wenn es mit dem Sputum verrührt wird. Ohne Umrtlhrung ist eine 12stündige Einwirkung erforderlich. Die verschiedenen ausgeführten Inhalationsversuche bei Kaninchen und Meerschweinchen mit trockenem tuberkulösen Material sind selten gelungen. Die Inhalationstuberkulose erzeugt nicht die Lungenphthise mit Kavernen, wie sie bei Menschen vorkommt. Auch nach K o c h erinnert sie nur an die lobuläre, käsige Pneumonie des Menschen. Hinsichtlich d e r e r s t e n A n f ä n g e der L u n g e n t u b e r k u l o s e kann man die F r a g e a u f w e r f e n , ob die K r a n k h e i t mit lobulärpneumonischen oder mit i n t e r s t i t i e l l e n V e r ä n d e r u n g e n beginnt.
W i r h a l t e n beides j e
nach
d e r N a t u r der äussern E i n w i r k u n g e n f ü r möglich.
Der letztere Fall wird
eintreten,
den P r o z e s s
w e n n Inhalationen von F r e m d k ö r p e r n
einleiteu
und eine Disposition z u r L u n g e n s c h w i n d s u c h t vorhanden ist. E i n e direkte. I n f e k t i o n durch i n h a l i e r t e Bazillen ist beim Menschen noch nicht positiv nachgewiesen worden.
Infektionskeime
können n u r in g e r i n g e r Menge
in die L u n g e n gelangen, es w i r d d a h e r auch d e r Beginn der K r a n k h e i t von l o b u l ä r e r A u s b r e i t u n g sein. denken,
Es
ist auch
an
die Möglichkeit
zu
dass Infektionskeime aus den Alveolen in die L y m p h b a h n ge-
langen
und
haben.
Als anatomische G r u n d l a g e k a n n man die
e r s t w i r k s a m werden,
wenn
sie sich
erheblich v e r m e h r t
Milliartuberkulose
bezeichnen, die a u s kleinen g r a u e n K n ö t c h e n besteht und im Z e n t r u m kleine Rundzellen
und grössere
epithelicide
oder vielkernige
Riesen-
zellen zeigen. Die M i l l i a r t u b e r k u l o s e kann eine lokalisierte sein, wenn sie auf einzelne Herde beschränkt ist, oder als a l l g e m e i n e M i l l i a r t u b e r k u l o s e auttreten. Die tuberkulöse Lungenschwindsucht beginnt gewöhnlich mit der Entwicklung milliarer Knötchengruppen im interstitiellen Lungengewebe oder mir. der sekundären durch die L y m p h b a h n vermittelten Eruption milliarer Tuberkelknötchen. Die allgemeine Milliartuberkulose beruht auf den im Blute kreisenden Tuberkelbazillen, die W e i c h s e l b a u m nachgewiesen hat. Im kindlichen Alter tritt sie am häufigsten infolge tuberkulöser Herde in den Mesenterial- oder Lymphdrüsen auf, wobei der Krankheitsprozess durch die lymphatischen, bezw. venösen Bahnen vermittelt wird. Wird in den ersten Kinderjahren das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen, so ähnelt das Krankheitsbild dem des Hydrocephalus acutus, weshalb die tuberkulöse Meningitis häufig als akuter Wasserkopf aufgefasst und die richtige Diagnose erst durch das Sektionsresultat, durch das Auffinden der tuberkulösen Herde festgestellt wird. Im Anschluss an Lungentuberkulose wird die Milliartuberkulose fast nur im jugendlichen oder Mannesalter beobachtet. Sie kann alsdann bisweilen einen Typhus abdominalis vortäuschen, wobei behufs der Differentialdiagnose die genaue Untersuchung der Brustorgane, die Schwere des Allgemeinleidens, die Agglutination des Blutes, eventuell auch die im Blute kreisenden Tuberkelbazillen zu Hülfe kommen müssen.
Lungenschwindsucht.
985
Nach dem Verlauf der Krankheit unterscheidet man die c h r o n i s c h e und die flnride Lungentuberkulose. Letztere nennt man auch die gallopierende Schwindsucht. Die Phthisis florida tritt im reifern Lebensalter, seltner während der Schulzeit auf; sie charakterisiert sich durch die rapide Entwicklung des Krankbeitsprozesses, wobei jeder Stillstand fehlt, so dass unter hohem Fieber, starken Nachtschweissen, durch Lungenblutungen und anhaltenden quälenden Husten, durch Durchfall und gänzlich darnieder liegende Ernährung der letale Ausgang binnen wenigen Monaten erfolgen kann. Die c h r o n i s c h e P h t h i s e kann bisweilen einen Nachlass aller Symptome zeigen, wenn die Krankheitsherde in ler Lunge zurückgehen, sich verkleinern oder verschrumpfen, womit dann das Allgemeinbefinden sich bessert und die Körperkräfte zunehmen. Ein derartiges günstiges Ereignis kann man erwarten, wenn die Kranken i echtzeitig ärztlich behandelt oder in eiu Sanatorium versetzt werden, auch späterhin nicht den etwaigen schädlichen Einflüssen der Beschäftigung sich wieder aussetzen. Eiu wechselvolles Bild von Stillstand und Verschlimmerung 'ler Krankheitssymptome kann sich auch nicht, selten einstellen, wenn sicli Komplikationen hinzugesellen, wozu vor allem die t u b e r k u l ö s e P l e u r i t i s gehört, die leicht zu purulenten oder hämorrhagischen Exsudaten führt, deren Resorption meist eine lange Behandlung erfordert. Auf Grund ärztlicher Erlahrung beobachtet man auch nicht selten eine Mi s c h i n f e k t i o n , w e n n sichStreptonnd Pneumokokken zu den Tuberkuiosebazillen gesellen, wodurch die Prognose >:ch stets ungünstig gestaltet. Die A e t i o l o g i e
der Lungentuberkulose.
Eine ererbte
Ali-
lage zu dieser K r a n k h e i t ist von jeher angenommen worden, wenn z. Ii. der V a t e r oder die .Mutter oder beide der Lungentuberkulose zum Opfer gefallen
sind.
Die E r f a h r u n g
spricht
dafür,
dass
diese
angeborene
Disposition sieh oft durch gewisse äussere Eigenschaften des Körperwuchses offenbart, die man u n t e r der Bezeichnung „phthisischer Habit u s - zusammenfasst.
Daliin gehören junge Leute, bei denen die Aus-
bildung des Thorax im Gegensatz zu den langen L'nterextremitäten zurückgeblieben i s t : er ist schmal und flach, hat riefe Interkostal-Räuine und nicht selten eine sehnige Stellung des Schlüsselbeins: die unterhalb schmalem
Halse,
zarter
schwacher Muskulatur. ie letztere Form ist selten und kommt mehr in nördlichen, als in südlichen Gegenden vor. Als typische Form soll sie z. B. in Italien, auch in Paris und London sehr selten vorkommen. Zur Schrumpfung und Atrophie des Auges gesellt sich eine starke Schwellung der Lider mit livider Röte und Härte, wobei ihr Umstülpen kaum ausführbar ist. Die graue Infiltration der Schleimhaut hat die Zerstörung der Hornhaut zur Folge. Es ist uns kein Fall dieser Art bekannt geworden, der bei Schulkindern vorgekommen wäre. Bei K i n d e r n zeigt sich hauptsächlich nur die mildere Form in Verbindung mit Ekzem des Gesichts und der Lider, da bekanntlich in Sekreten dieses Exanthems Diphtheriebazillen nachgewiesen worden sind. Man muss dabei die bereits oben erwähnte Erfahrung nicht unbeachtet lassen, dass die D i p h t h e r i t i s c o n j u n c t i v a e bisweilen auch unter dem Bilde der k r u p p ö s e n C o n j u n c t i v i t i s auftritt und in diesem Falle auch Anlass zur Ausbildung einer R a c h e n diphtlierie geben kann. Vorkommenden Falles ist alsdann auch das Produkt der örtlichen Schleimhautaffektion nicht als echt d i p h t h e r i s c h anzuerkennen. Um jede Verwirrung in dieser Beziehung zu vermeiden, hat schon L ö f f l e r vorgeschlagen, als „ D i p h t h e r i e " die spezifische Infektionskrankheit zu bezeichnen, dagegen als „ D i p h t h e r i t i s " die pathologisch-anatomische Gewebsveränderung, die zwar auch bei der Diphtherie vorkommt, a b e r k e i n e s w e g s d i e s e r I n f e k t i o n s k r a n k h e i t a u s s c h l i e s s l i c h a n g e h ö r t . Bei der Frage nach dem Unterschiede zwischen kruppöser und d i p h t h e r i s c h e r Conjunctivitis muss man jedenfalls auf die bakteriologische Untersuchung zurückgreifen. Ausserdem kann der B i n d e h a u t k r u p p , der nicht auf der Invasion von Diphtheriebazillen beruht, möglicherweise durch Infektion von Pneumo-, Strepto- und Staphylokokken entstehen. Jedenfalls gehört die Infektion mit virulenten Diphtheriebazillen zu den Seltenheiten, da sie in manchen Gegenden gar nicht beobachtet wird. von
Die p r o p h y l a k t i s c h e n M a s s r e g e l n bei diesen beiden Formen Diphtheritis sind daher nicht im allgemeinen festzustellen,
1011
Follikularkatarrh.
sondern
nur von
der
bakteriologischen
Untersuchung
der
konkreten
F ä l l e abhängig'. !). C o n j u n c t i v i t i s f o l l i e u l o s a . K r a n k h e i t an
der
äussern,
Am häutigsten
aber auch
an der
findet sich
innern
diese
Uebergangsfalte
des untern Lides, wo man kleine Lymphfollikeln in Form sehr kleiner, r u n d l i c h e r , blassroter und d e r Regel
promenierender Bläschen beobachtet,
ohne alle Beschwerden
bestehen.
W i r haben sie
die in auch im
beginnenden Mannesalter noch angetroffen, ohne dass die betreffenden Individuen Kenntnis von ihrem Vorhandensein hatten. beträgt unter
höchstens
einen
1662 Schülern
halben
mm.
Ihr Durchmesser
Schmidt-Rimpler*)
bei 566 ( = 3 4 ° / 0 ) gefunden.
hat
sie
Ihre fehlende An-
s t e c k u n g s f ä h i g k e i t bei direkter U e b e r t r a g u n g hat M a y w e g mit Bestimmtheit nachgewiesen. **)
Findet sich also an den Augen nichts Abnormes,
fehlen die Zeichen des a k u t e n S c h w e l l u n g k a t a r r h s , findet sich kein (>edem der Lider, kein T h r ä n e n , keine eiterige Absonderung und keine R ö t e der (.'onjunctiva, fehlt ü b e r h a u p t jede Beschwerde, so handelt es sich n u r um die u n s c h ä d l i c h e F o l l i k e l s c h w e l l u n g in der t'onjunctiva. F ü r diese blosse Follikelschwellung ohne K a t a r r h schlägt G r e e f f (Berlin) die Bezeichnung „ S c h u l f o l l i c u l a r i s -
vor.***)
Kompliziert
sich
die
Follikelschwellung mit dem schon von v. G r ä f e geschilderten S c h w e l l u n g k a t a r r h , so t r e t e n Schwellung der Lider, der Conjunctiva Chemosis, s t a r k e R ö t u n g der Augen, s t a r k e s T h r ä n e n oder schleimig-eiterige Absonderung
nebst Lichtscheu
als
h e r v o r r a g e n d e Symptome
hat es alsdann mit dem F o l l i k u l a r - K a t a r r h , vom Trachom
auf.
Man
einer selbständigen und
zu unterscheidendeil K r a n k h e i t zu tlmn, die u n t e r den
Augenepidemien am häufigsten vorkommt und unzweifelhaft
ansteckend
ist,
Massregeln
daher
auch
die
geeigneten
prophylaktischen
•erfordert. Ueber die A e t i o l o g i e dieses A u g e n k a t a r r h s ist noch nichts Sicheres bekannt.
N u r E y r e f ) will in 12 Fällen in Reinkulturen Xerose- oder
*) S c h m i d t - R i m p l e r , Die Schulkurzsichtigkeit und ihre Bekämpfung. **) M a y w e g , Die follikuläre Bindehautentzündung in der Volksschule zu Hägen. Wiesbaden 1893. ***) G r e e f f , Ueber akute Augenepidemien. Berliner klin. Wochenschr. iSi\ 19, 20, 1898. — Im klinischen Jahrbuch 1898. f ) E y r e, Das Referat aus d. Jour. of pathol. and bacter., Juli 1896, findet sich in der Hygien. Rundschau Nr. 2, 1897. Der von G e l p k e aufgefundene B a c i l l u s s e p t a t u s (Archiv für Ophthalmol. 42. Bd., 42. Abt., 1896) soll der Erreger des akuten Schwellungkatarrhs sein, gehört aber mehr zu den Pseudodiphtheriebazillen. 64*
1012
Follikularkatarrh.
Pseudodiphtheriebazillen nachgewiesen haben. J e reichlicher die Follikeln vorhanden sind, desto länger ist auch die Dauer der Krankheit. Der S c h u l s c h l u s s ist nur bei grosser Verbreitung der Krankheit angezeigt. Einzelne unter Schülern angetroffene Fälle brauchen den Schulbesuch nicht zu stören. Bricht die Krankheit in Internaten aus, so ist es ratsam, die Schüler nach Hause zu schicken und ihre Angehörigen über die Natur der Krankheit zu unterrichten und ihnen Anweisung über die zu beobachtende Vorsicht zu erteilen, die hauptsächlich in der sorgfältigen Vermeidung des gemeinsamen Gebrauchs von Waschbecken und Handtüchern besteht, vorausgesetzt, dass eine allgemeine Reinlichkeit im Verhalten der Kranken beobachtet wird, damit das Sekret auf keine Weise Verbreitung findet. Die S c h u l z i m m e r sind möglichst frei von Staub zu halten, dürfen nicht überfüllt sein und überhaupt hygienische Schäden, die nachteilig auf die Augen einwirken, nicht aufweisen. Die Erfahrung lehrt, dass die Krankheit in manchen Gegenden an gewisse Jahreszeiten gebunden ist, auch nicht überall in gleicher Intensität auftritt. Sobald sich die Zeichen einer drohenden Epidemie kund geben und augenkranke Schüler bereits angetroffen werden, dann ist sofort eine a u g e n ä r z t l i c h e U n t e r s u c h u n g anzuordnen, damit alle verdächtigen Augenkranken aus der Schule entfernt werden. Eine frühzeitige ärztliche Diagnose der Krankheit ist die beste prophylaktische Massregel und schützt die Schule vor dem Vorwui'fe, eine Infektionsquelle zu sein; denn je früher man die Natur der Krankheit kennen lernt, desto leichter wird natürlich ihrer Verbreitung eine Grenze gesetzt. Die Follikularschwellungen werden bei einem günstigen Ausgange in der Regel resorbiert, ohne dass sie eine Spur von S c h r u m p f u n g hinterlassen, was dagegen beim Trachom mehr oder weniger stets der Fall ist. Der Follikularkatarrh bedarf auch keiner energischen Mittel, wozu Aerzte oft geneigt sind, wenn sie die Differenzial-Diagnose zwischen Trachom und Follikularkatarrh nicht ausreichend berücksichtigen*) Geheilte Schüler brauchen ein ärztliches Attest über ihre vollständige Wiederherstellung, die gesichert ist, wenn alle Symptome des Schwellungkatarrhs vollständig beseitigt sind. 10. Conjunctivitis granulosa, Trachom (TQU/V: rauh), C o n j . t r a c h o m a t o s a , a e g y p t i a c a , m i l i t a r i s s e u c o n t a g i o s a , ist eine Krankheit, die schon H i p p o k r a t e s kannte, die auch im alten Egypten geherrscht hat. Gegenwärtig ist sie in Ost- und Westpreussen endemisch, *) M. vergl. hierüber Dr. L. P i c k (Berlin) „Ueber Trachom und Follikularkatarrh." Therapeut. Monatsblätter Nr. 12, 1896, S. 644.
Trachom.
1013
während sie in den übrigen deutschen Staaten in verschiedener Häufigkeit auftritt.*) Zu ilirer Verbreitung t r ä g t vor allem der Zug ausländischer, namentlich russischer Arbeiter bei, der von Osten nach W e s t e n geht, wobei dann Posen, Schlesien, Sachsen, Hannover n. s. \vnicht verschont bleiben. In Europa betrachtet man gewisse Flussniederungen, Sumpf- und Moorgegenden als ihre Verbreitung begünstigend, während sie bei 600 Meter E r h e b u n g über dem Erdboden nicht vorkommt, weshalb Schweiz und Tyrol davon befreit sind. In Ungarn ist die Zahl der Trachomatösen am grössten zwischen Donau und Theiss. Die K r a n k h e i t charakterisiert sich durch die Bildung der runden oder ovalen T r a c h o m k ö r n e r , die ihren Sitz im adenoiden Gewebe der Conjunctiva haben, und als gelbliche, gelblichgraue oder bläulichgraue Gebilde durchschimmern, die dadurch entstehen, dass sich die lymphoiden Rundzellen anhäufen und ihrer Umgebimg gegenüber abgegrenzt erscheinen. Nach dieser Körnerbildung bezeichnet man diese Augenerk r a n k u n g auch als K ö r n e r k r a n k h e i t . Bei dieser Infiltration und Wucherung der Bindehaut der Lider erscheint dieselbe verdickt mit unebener, rauher oder höckeriger Oberfläche, von der die B e z e i c h n u n g „Trachom' herrührt. Auch der Nauie Conjunctivitis granulosa (grauulum Körnchen) bezieht sich hierauf. Verläuft dieselbe a k u t mit entzündlichen Erscheinungen, so treten die gewucherten Papillen**) und Lymphfollikeln als akute Granulationen (akutes Trachom) auf, und zwar mit geröteten und am Bande geschwollenen Lidern, die mit runden, rötlichen und wenig hervorragenden Körnern bedeckt sind. Weit häufiger ist die c h r o n i s c h e F o r m (chronisches Trachom). Bei chronischen Granulationen sind die Tarsalteile der Conjunctiva sammetartig geschwollen und mit den rundlichen, zusammengedrängten Körnern bedeckt, die man auch wegen ihrer durchscheinenden gallertigen Beschaffenheit als s a g o - oder f r o s c h l a i c h a r t i g e bezeichnet. Man hat zwischen und auf den Körnern ein reiches Lymphgefässnetz nachgewiesen, woraus man auf ihre Zugehörigkeit zum Lymphsystem geschlossen hat, so dass der Anatom M e r k e l sie geradezu als Lymphgeschwülste, L y m p h o n e , bezeichnet hat.***) Der Beginn der Krankheit ist oft ganz schmerzlos, weshalb auch bei S c h u l u n t e r s u c h u n g e n häufig leichte trachomatöse Fälle bei Schülern angetroffen werden, welche sich nicht krank fühlen. Daraus erklärt sich, *) Dr. J . H i r s c h b e r g „Ueber die Körnerkrankbeit in Ost- und Westpreussen" äussert sich ausführlich über die geographische Verbreitung. Berliner . klin. Wochenschr. Nr. 10, 1897. Dr. H. S c h m i d t - R i m p l e r , Trachom und Conjunctivitis folliculosa, ihre Behandlung mit der Rollpinzette. Berl. klin. Wochenschr. Nr. 1, 1895. Dr. A. P e t e r s (Bonn), Beitrag zur pathologischen Histologie der Conjunctiva. Centralbl. für prakt. Augenheilkunde. 1897. Novemberheft. **) P a p i l l e n nennt man kleine, umschriebene Hervorragungen in der gesunden Bindehaut. ***) M. s. H. C o h n ' s Augenhygiene.
1014
Conjunctivitis.
dass die Krankheit monatelang unbeachtet bleiben kann, bevor man ärztliche Hülfe nachsucht, während die inzwischen fortwuchernde Krankheit die Mitschüler gefährdet, wenn ein Katarrh hinzukommt oder auch ohne diesen ein s c h l e i m i g - e i t e r i g e s S e k r e t sicher die üebertragung der Krankheit vermittelt. Die T r a c h o m k ö r n e r findet man n u r in der untern Uebergangsfalte reichlich, oft wulstartig; auf den oberen Lidern fehlen sie meistens. J e d e s Korn bewirkt schliesslich an der befallenen Stelle eine S c h r u m p f u n g d e r B i n d e h a u t , infolgedessen sie bei zahlreichen Körnern eine erhebliche Einbusae an ihrer normalen Ausdehnung erleiden kann. D a s S t a d i u m der S c h r u m p f u n g gewährt schon eine ungünstige Prognose, weil alsdann eine vollständige Heilung nicht mehr zu erwarten ist. Durch die Vernarbung kann E n t r o p i u m (Einwärtswendung des Lides) entstehen nebst T r i c h i a s i s (unregelmässige Stellung der Cilien). Durch die Mitbeteiligung der Hornhaut kann sich P a n n u s t r a c h o m a t o s u s am oberen Hornhautrande entwickeln. P a n n u s (Lappen, ein Stückchen Tuch) bestpht aus der Auflagerung eines neuge bildeten, sehr g e f ä s s r e i c h e n s u l z i g e n G e w e b e s unter dem Epithel der H o r n h a u t . Durch seiue Ausdehnung bis zur Mitte derselben erscheint ihre Oberfläche sehr gefässreich und dadurch trübe und uneben. J e weiter der Prozess fortschreitet, desto mehr droht eine vollständige Trübung der Hornhaut, die dann natürlich zur E r b l i n d u n g und E r w e r b s u n f ä h i g k e i t führt. Statt des Pannus können auch G e s c h w ü r e auf der Hornhaut auftreten, die entweder am Rande derselben sichelförmig ihren Sitz haben oder sich nach dem Centrum der Hornhaut ausbreiten, und stets sehr hartnäckiger Natur sind, so dass sie die Gefahr des Pannus teilen. Nach
Hirschberg
(Augenfell). —
kommt
es in 3 O ° / 0 clev F ä l l e zum
In keiner Schule Ost- uiul W e s f p r e u s s e n s
weiliger als 5 ° / 0 der Kürnerkrankheit. das Verhältnis
etwas besser,
aber
In den S t a d t s c h u l e n
immer
Schüler mit 1 bis 2°/,, schweren F ä l l e n ,
Pannus
fanden
noch
10 bis 1 5 ° / 0
g e g e n ü b e r den
mit 2 0 bis 4 8 " / 0 sämtlicher Schüler nebst 3 bis 1 0 %
sich
fand er kranker
Dorfschulen
schweren
W e g e n des häufigen Sclmlsclilusses kommen in den östlichen
Fällen.
Provinzen
auch die meisten Analphabeten vor. Aetiologie. Sekret
lind in
Beim
Trachom
der
Conjunctiva
den Trachomkürnern K o k k e n
X ä h r g e l a t i n e züchten Hessen
hat
Sattler
im
gefunden,
die sich
auf
und deren l T e b e r t r a g u n g auf
die normale
Conjunctiva jedoch nur bläschenavtige K ö r n e r ohne pathologische S e k r e t i o n und ohne einer
subjektive Beschwerden
erzeugte.
im A s c h a f f e n b u r g e r W a i s e n h a u s e
in vielen F ä l l e n K o k k e n isoliert, Sattlerschen Trachoms
Mikroorganismus
und
A u c h M i c h e l * ) hat bei
ausgebrochenen
Augenepideniie
die er s e l b s t f ü r identisch mit dem für
den
spezifischen
Erreger
des
hält.
Der Beweis dieser Behauptung ist nach F r o s c h und K o l l e * * ) nicht einwandsfrei. denn die angewandten Kulturmethoden seien unzulänglich (nur * ) Archiv f. Augenheilkunde, 1(!. Bd. * * ) Im 11. Bd. der „Mikroorganismen", S. 100.
Trachom.
1015
Stichkulturen, dann erst von diesen Platten- und Strichkulturen); die Konstanz des Vorkommens sei nicht erwiesen, und endlich habe auch der L'ebertragungs versuch einer Reinkultur der M i c h e l s c l i e n Kokken auf die menschliche Bindehaut bei dem einzigen Male, wo er angestellt wurde, nicht zur Entwicklung eines ausgebildeten Trachoms geführt. Auch anderweitige Versuche mit Mikrokokken haben sich nicht bestätigt. Besonders haben K o c l i , K a r t u l i s u. A. in den Zeilen der Trachomfollikel weder mit der Graafschen noch mit einer andern Färbmethode Kokken oder überhaupt Mikroorganismen nachweisen können. In G e g e n d e n ,
wo die K r a n k h e i t p a n d e m i s c h ist,
j u n c t i v i t i s o d e r ein ä h n l i c h e s A u g e n l e i d e n Trachom
dasselbe zum A u s b r u c h
schlechten Wohnungsverhältnisse, Kaum z u s a n m i e n g e f e i ' c h t behält.
sind
und
bringen.
Conzum
Am g e f ä h r l i c h s t e n
sind die
bei w e l c h e n g a n z e F a m i l i e n in einem der grösste Schmutz
die
Oberhand
K i n d e r g e h e n u n g e w a s c h e n in die S c h u l e und u m die R e i n i g u n g
und l ' t l e g e
der Augen b e k ü m m e r t man
hygienische
Verhältnisse
leicht
k a n n eine
bei einer P r ä d i s p o s i t i o n
ansteckende
bereiten
sich n i c h t .
den Hoden vor,
Augenkrankheiten
Solche auf
entwickeln.
Beim
dem
ungünstige sich
dann
Mangel
einer
g e s u n d e n W o h n u n g , bei A n h ä u f u n g des S c h m u t z e s , bei V e r n a c h l ä s s i g u n g ' der k ö r p e r l i c h e n P f l e g e u n d beim C n t e r g a n g e eines g e r e g e l t e n F a m i l i e n lebens, w o b e i o f t j e d e T r e n n u n g d e r t i e s c h l e c h t e r f e h l t u n d die häusliche k a n n es
Einrichtung
nicht
nicht befremden,
den
sanitären Anforderungen
dass die G e s a m t h e i t
gesamte
entspricht,
dieser F a k t o r e n
einen
Krankheitsherd schafft. Prophylaxe.
D a s T r a c h o m als V o l k s k r a n k h e i t e r f o r d e r t die Mit-
hilfe des S t a a t e s , um es g r ü n d l i c h zu
bekämpfen.*)
Es handelt sich stets um eine r i c h t i g e D i a g n o s e und B e h a n d l u n g d e r K r a n k h e i t , . Zu diesem Zwecke sind wenigstens 14-tägige Kurse tür Aerzte eingerichtet worden, an denen sich 20 Aerzte beteiligen können die dafür Tagegelder und Reiseentschädigung aus der Staatskasse erhalten. Sie finden planmässig z. B. in Königsberg, Gumbinnen, Thorn, Greifswald u. s. w. statt. Der zweite Hauptpunkt besteht in der u n e n t g e l t l i c h e n B e h a n d l u n g der mittellosen Augenkranken. In allen Universitätsstädten bieten die Polikliniken hinreichende Gelegenheit hierzu. Erfordern schwere Fälle die Aufnahme der betreffenden Kranken, so wird man stets eine besondere Abteilung der Klinik dazu wählen, um jede Gemeinschaft mit andern Augenkranken zu vermeiden. Reichen die Lokalitäten zu einer gesonderten Krankenabteilung nicht aus, so muss man in der Nachbarschaft passende und zweckmässig eingerichtete Räume für ein Vorzimmer und Behandlungszimmer einrichten, die eine strenge Absonderung gestatten. Reicht das Wärterpersonal nicht aus, so verwende man Barbiere, bezw. Hilfschirurgen hierzu und unterweise sie in den notwendigen Handleistungen und vor allem in allen Vorkehrungen, die sich auf die V e r m e i d u n g d e r A n s t e c k u n g beziehen. ") Dr. M. K i r c h n e r (Berlin), Die Bekämpfung der Berl. klinische Wochenschr. Nr. 9, 1S9T.
Körnerkrankheit.
Conjunctivitis.
1016
In K r e i s s t ä d t e n , wo sich K r a n k e n h ä u s e r befinden, kann man in ähnlicher Weise verfahren. Fehlen diese und erfordern einzelne stark verseuchte Ortschaften eine besondere Berücksichtigung, so richte man für die Sprechstunden die dazu erforderlichen Räume ein, deren Auswahl sich natürlich nach den örtlichen Verhältnissen richten muss. Wenn das G e m e i n d e h a u s dieselben gewähren kann, so würde es die geeignetste Stelle für eine Poliklinik sein, vorausgesetzt, dass Vor- und Sprechzimmer von jedem anderweitigen Verkehr ausgeschlossen sind. Diese sanitätspolizeilichen Gesichtspunkte stehen in nächster Beziehung z u r S c h u l h y g i e n e , Erkenntnis
denn
der Augenkrankheit
es ist offenbar,
dass
die
rasche
bei der Schuljugend, und die ihr dar-
gebotene Gelegenheit, sich ärztlich behandeln zu lassen, die ausschlaggebenden
Momente
sind,
um
der Epidemie
eine Grenze
vorausgesetzt, dass eine systematische ä r z t l i c h e
zu
setzen,
Schulrevision
W e g ebnet, der zur E r r e i c h u n g dieses Ziels zu beschreiten ist. e r l e d i g t sich die F r a g e der Schulärzte von selbst, seuchten Gegend liegt es auf der Hand, untersuchung
das Haupterforderiiis i s t ,
der trachomatischen verfolgen.
Erkrankungen
denn in einer ver-
dass eine regelmässige Sclmlum den Stand und die
kennen
zu
lernen
Natur
und weiter
U n t e r den obwaltenden Verhältnissen ist folglich die
s t e l l u n g von S c h u l ä r z t e n ,
den Hiev
zu An-
die über das A u f t r e t e n und das W e s e n
des Trachoms hinreichend u n t e r r i c h t e t sind, eine dringende Notwendigkeit, die an die Spitze der zu treffenden Massregeln zu stellen und f ü r ein Uebel, wie das Trachom ist, durchaus geboten ist.
Am E i n g r e i f e n
seitens des Staates hat es nicht gefehlt.*) Der S c h u l s c h l u s s kommt bei Schulkindern in F r a g e und sollte so viel als möglich beschränkt w e r d e n , Schulunterricht
thatsäclilicli
die
Zahl
weil der häufig unterbrochene der
Analphabeten
bisher
*) Neuerdings hat das preuss. Kultusministerium wieder neue statistische Aufnahmen angeordnet, die im „Klinischen Jahrbuch von 1S98" veröffentlicht worden sind. Die „ T r a c h o m e p i d e m i e u n d i h r e B e k ä m p f u n g im R e g i e r u n g s b e z i r k G u m b i n n e n " ist vou Dr. J u l i u s H o p p e (Elberfeld) in statistischer Beziehung ausführlich bearbeitet, worauf wir nur verweisen können. Er tritt dem A u s s c h l i e s s e n der Tracliomerkrankten vom B e s u c h e d e r S c h u l e entgegen; d e r s e l b e s e i z w a r b e i d e r K r a n k h e i t s ü b e r t r a g u n g e i n b e a c h t e n s w e r t e r U m s t a n d , spiele a b e r g e g e n ü b e r d e r I n f e k t i o n i n n e r h a l b der F a m i l i e eine u n t e r g e o r d n e t e Rolle. „ S t u d i e n ü b e r e p i d e m i s c h e A u g e n k r a n k h e i t e n " und „Ceber Trachom mit Berücksichtigung des jetzigen Zustandes der Seuche in Westpreussen" rühren von Dr. G r e e f f (Berlinl her. Der Bericht erstreckt sich über T r a c h o m k u r s e , über die Ausbreitung und das Wesen des Trachoms in Westpreussen, über die Massnahmen zur Bekämpfung der Seuche und über die Therapie des Trachoms, Erörterungen, die für den praktischen Arzt von grossem Belang sind.
Trachom. schon vermehrt
hat.
Als Gradmesser
1017
für
die Ausbildung' einer
völkerung liefere sie stets einen traurigen Beweis; f ü r den einer unvollkommenen Schulbildung'. Trachom
ohne
unbedenklich. Grad
Sekret
behaftet,
Trachom
Beim
Sind die Schulkinder so
ist
mit
ihre
mit
Zulassung
Sekret
kommt
Be-
Abschluss einem
zur es
der Krankheit an, der bei massiger .Sekretion u n t e r
Schule
auf
den
Umständen
noch den Schulbesuch gestattet und zwar s t e t s u n t e r d e r Bedingung, dass
alle verdächtigen
erhalten.
reber
die
Schüler Frage,
einen besonderen ob
es
oder schwere Fälle handelt, hat der in
einer
sich
um
Sitz
in der
massige
S c h u l a r z t zu so
leichte
entscheiden, was
verseuchten Gegend, die fortwährend neues
material einliefert, häutig der Fall sein wird,
Schule
und
Untersuchungs-
dass
die Zulassung
oder Ausschliessung der Kinder vom Schulbesuch in der H a n d des Schularztes liegen muss.
Dahin gehört auch ganz besonders noch die Unter-
suchung d e r n e u e i n t r e t e n d e n S c h ü l e r betreffs der Augen.
Häufen
sich die s c h w e r e n F ä l l e , so kommt der S c h u l s c l i l u s s in F r a g e , der, wenn
die
fordert, meiden.
Umstände um Da
eine das
ihn
gebieten,
eine
rasche Desinfektion
lange Unterbrechung Kontagiuin kein
dämpfe nicht erforderlich.
er»
des S c h u l u n t e r r i c h t s zu ver-
flüchtiges
ist,
so
sind
Formalin-
Das D e s i n f e k t i o n s v e r f a h r e n k a n n
sich
beschränken auf die gründlichste Reinigung des Fussbodens,
der Sub-
sellien und sämtlicher Utensilien und zwar u n t e r U m s t ä n d e n
m i t Hilfe
der desinfizierenden Flüssigkeiten.
In g r o s s e m S t ä d t e n w ü r d e n hiermit
sachverständige Desinfektoren
beschäftigen
so notwendiger zieht,
dass
sein,
mittels
Schreibhefte Zustande
noch
fahrung.
dass
tüchern,
die
wenn
zu mau
der Finger
übertragen seine
noch das
werden
infizierende
z. P>. durch noch Keste
den
sein.
Augensekret kann.
Wirkung
in E r w ä g u n g
auf B ü c h e r
und
Dass es auch im trocknen behält,
gemeinsamen
des Sekrets
Dies w ü r d e um
die Möglichkeit
enthalten,
beweist
Gebrauch
die
von
Er-
Hand-
die A n s t e c k u n g
er-
folgen kann. Die Möglichkeit, dass durch Bücher Ansteckungsstofie ü b e r t r a g e n werden können, haben wir schon früher besprochen und die A n w e n d u n g von Formalindämpfen zwecks Desinfektion f ü r g e e i g n e t g e h a l t e n . so notwendiger dürfte
Um
sie beim Trachom sein, w e n n B ü c h e r und ähn-
liche Gebrauchsgegenstände der leichten Uebertragung
mit
seinem Sekret
desselben ist deshalb
auf welche dieselbe erfolgen kann, sorgfältig zu
b e s c h m u t z t sind.
Bei
jede A r t und Weise, berücksichtigen.*)
*) Die Ausführung der Desinfektion von Büchern pp. kann im F r e i e n geschehen und zwar mittels eines hölzernen Kastens, in welchem die Bücher u. s w. auf einem durchlöcherten Boden ruhen, während die Formalindämpfe
1018
Nasenkrankheiten.
Ausserdem kommt der wichtige Umstand in Betracht, dass die wegen Augenkrankheit vom Schulbesuch ausgeschlossnen Schüler zu Hause keinen bessern Schutz finden, so lange die Familien- und Wohnungsverhältnisse in den meisten Füllen die schulhygienischen Bemühungen illusorisch machen, so lange nämlich Schmutz und die Nachteile des Hauses die < Iberhand behalten und eine unversiegbare Quelle von Ansteckungsstoffen liefern, Unter diesen schädlichen und unhygienischen Verhältnissen wird es sich bei der Bekämpfung der Körnerkrankheit um eine Sisyphosarbeit handeln. In dieser Beziehung muss die s t a a t l i c h e M i t w i r k u n g in Thätigkeit treten und Massregeln anordnen, wodurch einerseits die E i n w a n d e r u n g a u i r e n k r a n k e r A r b e i t e r sorgfältiger überwacht und andererseits den A r b e i t g e b e r n die Verpflichtung- auferlegt wird, ihrem gesamten Arbeitspersonal Wohnungen zu verschaffen, die einem Aufenthalt für .Menschen entsprechen, die Trennung der Geschlechter, die Beseitigung des l'nrats und die Handhabung der Reinlichkeit ermöglichen. Audi an besonderen Waschbecken und Handtüchern darf es nicht fehlen: die Taschentücher könnten wenigstens durch leinene Lappen ersetzl werden, die sich häufig auswaschen lassen und verhüten können, dass das Augensekret nicht an den Fingern haften bleibt und weiter übertragen wird.
VI. Krankheiten der Nase, (1er Mundhöhle, der Ziihne, des Rachens und der Ohren. 1) Krankheiten der Nase. Die Nase ist ein sehr wichtiges Organ, insofern sie mit dem Respirationsprozess in Verbindung- steht, zur Atmung beiträgt und den W e g der Luft zur Lunge ebnet. Die in der Inspirationsluft enthaltenen Mikroorganismen und die staubigen Fremdkörper werden durch die Berührung mit einem normalen Nasensekret unschädlich gemacht ; eine normale Nase übt folglich eine Schutzwirkung aus: fehlt sie in Folge krankhafter Zustände, so muss die Nasenatmung durch die Mundatmung ersetzt werden, die unter gewissen Umständen gesundheitsschädliche Folgen hat, weil eben die Schutzwirkung der Nase dabei verloren geht. Ausserdem kommen die wichtigen Beziehungen zwischen Nasen- und Augen-, Lungen- und Gehirnkrankheiten in Betracht. von unten mittels der Scheringschen Lampe und Tabletten eingeführt werden. G e s c h u l t e D e s i n f e k t o r e n sind hierzu erforderlich, da sie überhaupt bei diesem Geschäfte sich stets nach den lokalen Besonderheiten zu richten haben, und allgemeine Abschriften nicht überall anwendbar sind.
1018
Nasenkrankheiten.
Ausserdem kommt der wichtige Umstand in Betracht, dass die wegen Augenkrankheit vom Schulbesuch ausgeschlossnen Schüler zu Hause keinen bessern Schutz finden, so lange die Familien- und Wohnungsverhältnisse in den meisten Füllen die schulhygienischen Bemühungen illusorisch machen, so lange nämlich Schmutz und die Nachteile des Hauses die < Iberhand behalten und eine unversiegbare Quelle von Ansteckungsstoffen liefern, Unter diesen schädlichen und unhygienischen Verhältnissen wird es sich bei der Bekämpfung der Körnerkrankheit um eine Sisyphosarbeit handeln. In dieser Beziehung muss die s t a a t l i c h e M i t w i r k u n g in Thätigkeit treten und Massregeln anordnen, wodurch einerseits die E i n w a n d e r u n g a u i r e n k r a n k e r A r b e i t e r sorgfältiger überwacht und andererseits den A r b e i t g e b e r n die Verpflichtung- auferlegt wird, ihrem gesamten Arbeitspersonal Wohnungen zu verschaffen, die einem Aufenthalt für .Menschen entsprechen, die Trennung der Geschlechter, die Beseitigung des l'nrats und die Handhabung der Reinlichkeit ermöglichen. Audi an besonderen Waschbecken und Handtüchern darf es nicht fehlen: die Taschentücher könnten wenigstens durch leinene Lappen ersetzl werden, die sich häufig auswaschen lassen und verhüten können, dass das Augensekret nicht an den Fingern haften bleibt und weiter übertragen wird.
VI. Krankheiten der Nase, (1er Mundhöhle, der Ziihne, des Rachens und der Ohren. 1) Krankheiten der Nase. Die Nase ist ein sehr wichtiges Organ, insofern sie mit dem Respirationsprozess in Verbindung- steht, zur Atmung beiträgt und den W e g der Luft zur Lunge ebnet. Die in der Inspirationsluft enthaltenen Mikroorganismen und die staubigen Fremdkörper werden durch die Berührung mit einem normalen Nasensekret unschädlich gemacht ; eine normale Nase übt folglich eine Schutzwirkung aus: fehlt sie in Folge krankhafter Zustände, so muss die Nasenatmung durch die Mundatmung ersetzt werden, die unter gewissen Umständen gesundheitsschädliche Folgen hat, weil eben die Schutzwirkung der Nase dabei verloren geht. Ausserdem kommen die wichtigen Beziehungen zwischen Nasen- und Augen-, Lungen- und Gehirnkrankheiten in Betracht. von unten mittels der Scheringschen Lampe und Tabletten eingeführt werden. G e s c h u l t e D e s i n f e k t o r e n sind hierzu erforderlich, da sie überhaupt bei diesem Geschäfte sich stets nach den lokalen Besonderheiten zu richten haben, und allgemeine Abschriften nicht überall anwendbar sind.
Rhinitis a) R h i n i t i s
(oi:,
acuta
durch E r k ä l t u n g
entstandene
gifö:,
die N a s e )
Sekrets,
{/.uiuQÖt vt, h e r u n t e r f l i e s s e n ) s t a m m t , lung der N a s e n s c h l e i m h a u t besteht, Exsudation
gewöhnliche,
Abgesehen
von
wir b e r e i t s fluiden, Hause
J e n a c h der H e f t i g k e i t d e s S c h n u p f e n s g e r ö t e t und
und
geschwollen.
hervorgehoben
gepflegt, bezw.
haben.
Werden
ärztlich behandelt
wird man
Schulkinder
den
der N a s e n s c h l e i m h a u t meisten
kommen.
im B e r e i c h e Fällen
zu
die m a n h ä u f i g a u c h in e i n e r oder weniger
an Uefässen,
der Schleimhaut
Hypertrophie
führen kann,
Herz- u n d L u n g e n l e i d e n Im l e t z t e r n F a l l
kann
ein
auch
geben,
in
der
Regio
wird
es in
Hyperämie
die
der v e n ö s e durch
teil weiser
zu
einer
derselben
oder
durch eine polypösen
Riickfluss
e i n e n Kropf gänzlicher
dem
dem Reich-
durch ein
behindert
ist.
Verschluss
der
w o d u r c h d i e m i t der b e h i n d e r t e n N a s e n a t m u n g -
verbundenen Beschwerden Stockschnupfen
wenn
oder
Xase zu Stande kommen, mit
Bei
der besonders
kongestiven kund
zu
normalen
a u c h in
u n t e r n M u s c h e l n sicli z e i g t ,
einer
sie
werden.
solche mehr
der
damit
Andererseit kann sich eine S t a u u n g s h y p e r ä m i e
Schwellung
man
fieberhaft be.
zu e n t f e r n e n ,
wässerig-schleimigen Sekret beim Schnupfen antreffen.*) respiratoria
so hat
zu tlimi, d e r e n D i f f e r e n t i a l d i a g n o s e v o n d e r Influenza,
1 Sei d e n v i e l e n M i k r o b e n ,
tum
tritt Fieber
starkem Stirndruck,
so sind s i e s o f o r t a u s d e r S c h u l e
Nasenhöhle findet,
Dispo-
Infektionskrankheiten
( i e s e l l t s i c h ein K a t a r r h d e r R e s p i r a t i o n s o r g a n e h i n z u , es m i t der G r i p p e
einer
thermischen
oder e i n e r i n d i v i d u e l l e n
oft d i e e x a n t h e m a t i s c h e n
Unwohlsein
mit
im z w e i t e n S t a d i u m
ist die ä u s s e r e N a s e m e h r oder g e r i n g e r
auf m i t a l l g e m e i n e m
Absonde-
„Katarrh"
der in e i n e r e n t z ü n d l i c h e n S c h w e l die
auftritt.
durch einen Schnupfen eingeleitet.
der
reichlichen
w o h e r der N a m e
oder a u c h v u n m e c h a n i s c h e n E i n f l ü s s e n , sition w e r d e n bekanntlich
ist
Schnupfen mit einer
rung' e i n e s s c h l e i m i g - w ä s s e r i g e n
schleimig-eiterigen
1019
zu
entstehen,
die
bezeichnen
chronisches Nasenleiden zu Grunde
man pflegt,
im
gewöhnlichen
dem
jedoch
Leben
stets
ein
liegt.**)
D a s sog. H e u t i e b e r oder H e u a s t h m a befällt nur ältere P e r s o n e n zu einer bestimmten Jahreszeit, meist zur Z e i t der Heuernte, woher der Name stammt. D i e Schrift von P h i l i p p P h ö b u s , „Der typische Frühsommer-Katarrh'oder das Heufieber," (Giessen 1826) beschreibt die bekannt gewordenen Fälle ausführlich. Durch die s p ä t e m bakteriologischen U n t e r s u c h u n g e n wurde der B a c i l l u s s u b t i l i s (Ehrenberg), der gemeine Heubazillus, nicht blos während der Heublüte, sondern auch in der A u s s e n w e l t sehr verbreitet gefunden. Ob er in ätiologischer B e z i e h u n g zum Heufieber steht, wird v e r m u t e t . E s z e i g t sich bei den dazu disponierten Individuen zu einer bestimmten J a h r e s z e i t , oft sogar a u e i n e m bestimmten T a g e (meist im Juli). **) F i r n i i
u n d B r e t s c h n e i d e r fanden sowohl in der g e s u n d e n N a s e
1020
Rhinitis.
Aus der Ueberfüllung der Blutgefässe der Nasenschleimhaut kann N a s e n b l u t e n (Epistaris) entstehen, wenn es sich um Blutandrang zum Kopf oder um gestörten Blutabfluss handelt, wobei in jedem konkreten Fall nachzuforschen ist. Bei S c h u l k i n d e r n tritt das i d i o p a t i s c h e N a s e n b l u t e n in den Vordergrund, das bei Knaben vor oder während der Pubertätszeit, bei Mädchen als vikariierende Menstruation auftritt. Ausserdem ist häufig vornehmlich eine B l u t s c h w ä c h e mit verminderter Widerstandskraft der Gefässwände im Auge zu behalten, die notwendigerweise eine ärztliche Behandlung erfordert, da es sich sehr oft um schwächliche und skrofulöse Kinder handelt, die durch jeden Blutverlust noch mehr herunter kommen. Ob noch viele andere ätiologische Momente zu Grunde liegen, kann natürlich nur durch eine sorgfältige Diagnose seitens eines Arztes festgestellt werden. b) Rhinitis chronica simplex kann eine Folge der akuten Rhinitis sein oder mit konstitutionellen Leiden, namentlich mit Skrofeln, in ätiologischer Beziehung stehen. Das Sekret ist von eiteriger oder käsiger Beschaffenheit, das sich auch als ein schmutzig-grünes zu Borken zusammenballen kann. Entfernt man die kleinen Borken an der Scheidewand der Nase, so bleiben oft kleine Geschwürchen zurück, die sich nicht selten erweitern und alsdann zur Durchbohrung der Scheidewand führen können. Der Krankheitsverlauf ist oft sehr schleichend, so dass die betreffenden Nasenkranken erst durch die Perforation der Scheidewand auf den krankhaften Vorgang in der Nasenhöhle aufmerksam gemacht werden. Auf das knöcherne Gerüst kann sich die örtliche Zerstörung nur dann fortpflanzen, wenn Tuberkulose oder Syphilis zu Grunde liegt. Durch Geschwürsprozesse kann sich die Rhinitis sehr in die Länge ziehen, wobei die anatomische Veränderung der Schleimhaut wegen der erweiterten venösen Gefässe in einer hochgradigen Schwellung und in einer Vergrösserung der secernierenden Drüsen besteht, woraus sich dann schliesslich eine zellige Hyperplasie der Mucosa und Submucosa entwickelt. Am stärksten ist die Schleimhaut der untern und mittlem Muscheln und die Scheidewand befallen. Bei jahrelangem Bestehen dieser Hyperplasie kann die hyperplastische, katarrhalische Entais auch bei der R h i n i t i s c a t a r r h a l i s die als unschädlicher Sapropliyt bekannte S a r c i n a alba, die sich blos durch die Farblosigkeit von der Sarcina lutea und aurentiaca unterscheidet. Es sind Mikrokokkusarten, die aus rundlichen oder viereckigen Zellen von 1 a Grösse besteben. Während der congestiven Periode der Rhinitis fanden sie auch häufig S t a p h y l o k o k k u s p y o g e n e s a u r e u s (Archivo italiano di otologio 1895—1896, Pag. 29). S t r a u s s (Arch. de m i d . experm. T. 97 p. Bu.) hat in der Nase von 29 durchaus gesunden Individuen, die häuftg mit P h t h i s i k e r n in B e r ü h r u n g kamen, 9 mal virulente Tuberkelbazillen gefunden.
Ozaena.
1021
ziindung den Ausgang in A t r o p h i e nehmen, indem die Drüsenzellen degenerieren, das Lumen der Gefässe durch Verdickung ihrer Wände sich verengert und auf diese Weise ein S c h l e i m h a u t s c h w u n d entsteht, der die Grundlage der Ozaena bildet, und wobei man selten Pseudodiphtheriebazillen und Staphylokokken vermissen wird. Eine üble Komplikation der Rhinitis chronica kann in einer a n g e b o r e n e n p a t h o l o g i s c h e n E r w e i t e r u n g d e r N a s e n h ö h l e bestehen, die deshalb eine besondere Beachtung verdient, weil sie bei Schulkindern häufig angetroffen wird. S ä n g e r * ) hat nämlich unter 261 sonst gesunden Schülern 63 gefunden, die mit dieser Anomalie behaftet waren. Unter den von ihm in den letzten 5 Jahren behandelten Kranken zeigte sie sich in .'51° 0 aller Fälle. Fehlt demnach die Schutzwirkung der Nase, die unter normalen Verhältnissen die Erwärmung und Anfeuchtung der hindurchströmenden Inspirationsluft bewirkt, so wird die Nasenhaut anämisch und trocken, infolge dessen sie wie mit einem Firnis überzogen erscheint. Beim Herabfliessen des spärlichen Sekrets verfilzen sich die Nasenhaare an der Innenfläche der Nasenflügel, wobei sowohl hier, als auch in der weichen Scheidewand der Nase Borken und ekzemartige Heizungen entstehen. Im weiteren Verlauf epidermisiert die Schleimhaut und erscheint gänzlich trocken, wodurch dann die Funktion der Nasenhöhle vollends aufgehoben wird/1'*) Die hierbei entstehenden Beschwerden bestehen in einem lästigen Gefühl von Trockenheit und Spannung am Naseneingang und an der Scheidewand, wodurch die Aufmerksamkeit der Schüler sehr gestört wird, so dass ihr Zurückbleiben im Unterricht zu einem guten Teil auf das Nasenleiden geschoben werden kann. c) Rhinitis foetida atrophica s e u Ozaena siinplex charakterisiert sich durch eine hochgradige A t r o p h i e d e r S c h l e i m h a u t und durch ein damit verbundenes höchst übelriechendes Sekret. Die Ansichten über das Wesen und die Aetiologie der Krankheit sind ebenso verschieden, wie die über die dabei beteiligten wirksamen Ozaenabazillen. Löwenberg***) hat die Ursache der Ozaena in einer, durch ihre Grösse *) Dr. S ä n g e r (Magdeburg), „Ueber die Schutzwirkung einer gesunden Xase gegen Schädlichkeit in der Inspirationsluft," Vortrag im Kongress für Medizin in Wiesbaden am 13. u. 16. April 1898. **) P. S i e b e n m a n n , „Der trockene Katarrh und die Epithelmetaplasie der knorpligen Nase". (Rhinitis sicca anterior). Münchener med. Wochenschr. No. 14. 1895. ***) Les annal. de 1' Institut Pasteur. 1894.
Ozaena.
1022
auffallenden Mikrokokkenart gesucht, nachdem schon F r o s t * ) und B a b e s * * ) bei Ozaena Bakterien gefunden hatten, die dem F r i e d l i i n d e r s c h e n Pneumokokkus ähnlich waren. Ein Unterschied zeigte sich hauptsächlich in den Kulturen. Den Bacillus, den A b e l " " ) aufgefunden hat, nannte er B a c i l l u s m u c o s u s O z a e n a e , der sich durch bestimmte Merkmale vom Pneumokokkus unterscheiden soll. Es sind Stäbchen von 1,25 u Breite und von einer L ä n g e die das 4—5fache des Breitedurchmessers erreichen kann. Die Bazillen sind, meist von einer Kapsel umgeben, die doppelt so breit i s t , wie das Stäbchen werden kann. S i e sind färbbar durch eine alkalische Methylenblaulösung oder eine wässerig alkalische Fuchsinlösung. A b e l hält die Krankheit für eine infektiöse; sie könne auf den Nasenrachenraum übergreifen oder dort beginnen sie könne sich ferner in die Nebenhöhlen, in das innere Ohr, in den Kehlkopf und die Trachen fortpflanzen. Der Umstand, dass häufig, fem vom Primärsitz in der Trachea und im Larynx sich neue Herde bilden könnten, spräche ebenfalls für eine infektiöse Krankheit. Auch könnten mehrere Mitglieder einer Familie damit behaftet sein; ausserdem sei es einmal gelungen, durch Einstreichen einer Reinkultur in die Nase eines Menschen einen oza e n a ä h n l i c h e n P r o z e s s zu erzeugen. E s ist a b e r noch nicht gelungen, rien g e n a u
von
einander
die b i s h e r aufgefundenen B a k t e -
zu u n t e r s c h e i d e n ,
deren Geschwiirsprozessen v o r k o m m e n . y ) nach
der
ätiologischen
noch für u n e r l e d i g t , wenn
auch
vorkommen
Bedeutung
der
auch d i e K r a n k h e i t
manchmal
Familie vorkämen.
Kruse
mehrere
Fälle
da sie
auch bei
Ozaenabazillen
nicht
derselben
für
vorläufig
übertragbar,
gleichzeitig
in
einer
D a s s ein einzelner F a l l in einer z a h l r e i c h e n F a m i l i e
kann,
ohne
dass
eine
Uebertragung
auf
die
Geschwister
s t a t t f i n d e t , haben wir mehrmals in einem r e i n l i c h e n H a u s h a l t e D a s s bei
an-
halt deshalb die F r a g e
der Z e r s e t z u n g des N a s e n s e k r e t s
sich
auch
beobachtet.
Fäulnisbakterien
einnisten werden, ist l e i c h t begreiflich; t h a t s ä c h l i c h ist auch der P r o t e u s vulgaris, worden,
der
gemeine
Fäulnisbazillus.
der an und für sich unschädlich
bei ist.
l i c h e n B e i t r a g zum fötiden Geruch liefern wird. in 7 F ä l l e n 6 m a l fötide Die
Ansicht,
dass
Ozaena
nachgewiesen
a b e r sicher einen
erheb-
Baurowicz-j-y)
fand
Bakterien. das W e s e n t l i c h e
lind
Primäre
des
Ozaena-
p r o z e s s e s auf einer E r n ä h r u n g s s t ö r u n g des k n ö c h e r n e n G e r ü s t e s
der
N a s e b e r u h e und besonders von der u n t e r n M u s c h e l a u s g e h e , demnach als * ) F . , Deutsche mediz. Wochecschr. No. 10. 1886. * * ) B., Centralbl. f. Bakteriol. 1888. ***) A., Ueber die Aetiologie der Ozaena. Zeitschr. f. Hygiene. 31. Bd. 2. H. 1895. f ) So hat F a s c h i n g (Sitzungsber. der "Wiener Akademie. 100) bei zwei Fällen von eitrigen Geschwüren der Nasenrachenhöhle, die mit schweren Allgemeinerscheinungen verbunden waren, den Abelschen Bazillus gefunden, f f ) B . , Archiv für Ohrenheilkunde. 41. Bd. 1. Hft, S . 103.
102'-?
Ozaena.
eine O s t e s m a l a c i e
(Knochenerweichung) aufzufassen sei,*) steht noch
vereinzelt da und bedarf einer w e i t e m
Begründung.
Die O z a e n a s i m p l e x verläuft nach den bisherigen Erfahrungen in
der Regel
ohne H c e r a t i o n des knorpligen oder knöchernen Nasen-
ererüstes, aber häufig auf skrofulösem Boden. frühzeitig
der Geruchssinn
bestellen,
bevor
hinzu,
darunter;
Bei Schulkindern leidet
die Krankheit
sie den Mitschülern
lästig
kann aber lange
wird.
Tritt Tuberkulose
so kann sich der Ulcerationsprozess auf das knöcherne Nasen-
geriist fortpflanzen, infolgedessen eine sehr langwierige Behandlung erforderlich wird,
wobei
auch nach erfolgter Heilung ein eingesunkener
Nasenrücken fast stets mehr oder weniger zurückbleibt.
Diese gefähr-
liche Komplikation entwickelt sich ganz besonders auf einem skrofulösen Boden und meist in gänzlich vernachlässigten Fällen unter der Herrschaft der Armut und gänzlich vernachlässigten Körperpflege. Die mit entwickelter Ozaena simplex behafteten Schulkinder sind vom Schulbesuch
so
Geruch sich soweit leiden
und
die
lange zurückzuhalten, gebessert hat,
Schulluft
nicht
bis wenigstens der fötide
dass die Mitschüler nicht darunter
dadurch
verpestet
wird.
Die
vom
Schulärzte aufgefundenen Fälle sind sofort einer ärztlichen Behandlung zu
überweisen;
sie
zeigen
vor allem die Notwendigkeit einer Beauf-
sichtigung des Gesundheitszustandes die Krankheitsverdächtigen Folgen
vorbeugen
seitigung
kann.
der Borken
auf
der Schulkinder,
ins A u g e
fasst
Bekanntlich
weil
und dadurch
gelingt
es
der Nasenschleimhaut
sie
schon
schlimmeren
häufig,
durch Be-
den Foetor erheblich
zu vermeiden, so dass ihre baldige Entdeckung einen um so g ü n s t i g e m Erfolg
verspricht.
Die soweit gebesserten Schüler können den Schul-
besuch wieder aufnehmen, wenn ihnen ein besonderer P l a t z angewiesen, und einer
die
ärztliche Behandlung
völligen Heilung würde
fortgesetzt eine
wird,
denn
das Abwarten
zu lange Schulversäumnis
herbei-
führen, da man es stets mit einem hartnäckigen und schwer zu heilenden Uebel zu thun hat. In den Volksschulen Fälle mit
beobachtet man am ehesten sehr versäumte
fötidem Geruch, der bei empfindlichen Mitschülern Uebelsein
und Erbrechen
hervorrufen
kann,
jedenfalls
aber
einen B e i t r a g
zur
*) C h o l e w a und C o r d e s (Berlin) haben ihre Ansichten über die Aetiologie der Ozaena in dein gedachten Sinn im Archiv f. LaryDgol. und Rhinolog. (8. Bd., 1. Heft) weiter ausgeführt. Man vergl. auch M. S ä n g e r , „ U e b e r d i e m e c h a n i s c h e D i s p o s i t i o n z u r O z a e n a . " Wiener mediz. Presse 1895, No. 39. Der Zusammenhang zwischen d e r k o n s t a n t e n abnorm e n "Weite der N a s e n h ö h l e und der E r k r a n k u n g soll die Grundlage •bilden. Jedenfalls ist auch diese Anomalie zu berücksichtigen.
1024
Rhinitis.
Verschlechterung der Sclmlluft liefert, ein Uebelstand, der besonders ins Gewicht fällt und auf jede Weise stets zu bekämpfen ist, da alle Bestrebungen darin gipfeln müssen, die S a l u b r i t ä t d e r S c h u l l u f t zu schützen und zu erhalten. In Anbetracht, dass die Uebertragbarkeit der Ozaena nicht sicher bewiesen ist, wird man den Geschwistern der erkrankten Schüler den Schulbesuch nicht verwehren, so lange sie selbst gesund bleiben und mit den Erkrankten nicht dadurch in Berührung kommen, dass sie deren Taschentücher mit benutzen, denn diese werden wegen des bakteriellen Gehaltes des Nasensekrets auch gesondert von der übrigen Wäsche zu reinigen sein, wenn ein geregelter Haushalt vorhanden ist. Sehr häufig fehlt dieser aber und das Elend im Hause zerstört oft die besten Vorsichtsmassregeln, falls die Beziehung zwischen Schule und Haus nicht in Wirksamkeit tritt. So lange in grösseren Städten „Gesundheitskommissionen" nicht bestehen, muss der Schularzt wenigstens auf die bezüglichen prophylaktischen Massnahmen hinweisen und zur Beachtung empfehlen, damit seine Ratschläge über die Schule hinaus wirken. d) Rhinitis scrofulosa, dieselbe hat ihren Sitz hauptsächlich im untern Abschnitt der Nasenhöhle und ist häufig mit ekzematösen Ausschlägen an der Oberlippe und auf der benachbarten Gesichtshaut verbunden. Die Krankheit charakterisiert sich durch derbe zellige Infiltration der Schleimhaut und durch Bildung von Krusten, die durch das Eintrocknen des eitrigen Sekrets entstehen, auch zur Bildung von Geschwüren Anlass geben. Die Tuberkulose kann hier in verschiedenen Formen auftreten; im Sekret dieser skrofulösen Coryza (:VMQV'IU Schnupfen) hat man wiederholt Tuberkelbazillen nachgewiesen. Auch das Stroma von p o l y p ö s e n W u c h e r u n g e n in der Xasenschleimhaut kann von tuberkulöser Neubildung gebildet sein. Sicher ist auch die m i l l i ä r e T u b e r k u l o s e in der Nasenschleimhaut nachgewiesen worden. T u b e r k u l ö s e G e s c h w ü r e , die sich in der Nasenschleimhaut entwickeln, können auf die knöcherne Wand übergehen und dann die Perforation des Septum bewirken. In den meisten Fällen dieser tuberkulösen Erkrankungen der Nasenschleimhaut entstehen dieselben vorzugsweise secundär bei verbreiteter Tuberkulose in anderen Organen.") Die lymphatischen Follikeln im Nasenrachenraum gehen übrigens auch primär in tuberkulöse Verkäsung und Ulceration über. Auch der L u p u s geht von der äusseren Haut der Nase direkt in die Nasenhöhle *) B e r c h - H i r s c h f e l d . 1. c. S. 380.
Rhinitis
über.*) Iii den Volksschulen ist wichtiges l'ntersuchungsobjekt.
1025
tibrinosa.
daher
die
Rhinitis
scrofulosa
ein
e) Rhinitis iibrinosa ist in den achtziger J a h r e n zuerst beschrieben worden, deren Hauptsymptom als eine t o t a l e N a s e n Vers t o p f u n g geschildert wird. Dieselbe besteht in der Bildung grauweisser bis gelbliclnveisser, der Schleimhaut anhaftender fibrinöser Häute, welche mehrere Autoren nur für eine Steigerung der einfachen Rhinitis halten. H a r t m a n n stellte sie dagegen als eine Krankheit sui generis auf. Die dabei aufgefundenen Bakterien wurden einerseits f ü r Pneumokokken, andererseits f ü r Staphylokokken gehalten. Auch erhoben sich Stimmen f ü r die Anwesenheit von L ö f f l e r s Bazillen, die aber von Andern vermisst wurden. Mehr Stütze fand die Auffassung, dass die Rhinitis tibrinosa in der Mehrzahl der F ä l l e , wenn auch nicht in allen, eine abgeschwächte Diphtherie sei. in welchem Falle man sicher auf die (¡egenwart von Pseudodiphtheriebazillen schliessen kann. Vergleicht man die C o n j u n c t i v i t i s c r o u p o s a mit dieser A r t von Rhinitis, so lässt sich die Aehnlichkeit im anatomisch-pathologischen Befunde nicht verkennen; denn die Auflagerungen bei der Rhinitis tibrinosa werden ebenfalls als leicht abziehbare und der Schleimhaut nur anhaftende geschildert; man h a t es folglich mit einem k r u p p ö s e n M a t e r i a l zu tlran, also mit der sogenannten p s e u d o m e m b r a n ö s e n l ' h i n i t i s . bei welcher sich Strepto- und Staphylokokken nachweisen lassen, aber weit seltener echte Diphtheriebazillen. Man wird letztere weit eher antreffen, wenn die Rachendiphtherie sich auf die Nase fortpflanzt und es sich um hochgradige Halsdiphtherie handelt, welche die Nase in ihren Bereich zieht. Nach der Ansicht der meisten Autoren kann man annehmen, dass bei der p s e u d o m e m b r a n ö s e n R h i n i t i s in der Mehrzahl der Fälle echte Diphtheriebazillen zu den Seltenheiten gehören.**) E s ist uns nur e i n Fall bekannt geworden. *) Dass auch bei L e p r a im vordem Abschnitt der Nasenschleirahaut besonders am knorpeligen Teil des Septum, ihn; Primäraffektion zu suchen ist, erwähnen wir hier nur beiläufig und verweisen auf G. S t i c k e r ' s Mitteilungen über Lepra und Erfahrungen in Egypten und Indien in der Münchener mediz. Wochenschr. No. 39 und 40, 1897. Die Nase wird für den Ort gehalten, von welchem aus die Leprakranken den Leprabazillus regelmässig an ibre Umgebung abgeben. Eine kurze, aber übersichtliche Schilderung dieser Krankheit liefert Dr. J e s s n e r (Königsberg i. Pr.) in „der P a t h o l o g i e d e r L e p r a . " 1. Heft 109 der Berliner Klinik. Berlin, 1897. **) E. M e y e r . „Bakterienbefund bei R h i n i t i s f i b r i n o s a " hält die Krankheit für keine einheitliche; sie könne als Symptom einer diphtheritischen Infektion auftreten, aber auch durch andere Krankheitserreger vertreten sein. l T nter 22 Fällen fand er 9mal Streptokokken von geringer Virulenz. In 13 (¡5
Rhinosklerom.
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f) R h i n o s k l e r o m ( bei jährlicher sogar 1 •> Jahr, „ausnahmsweise" nachgelassen werden, wenn die körperliche Kräftigkeit des Aufzunehmenden ausdrücklich bezeugt ist. Wenn nun, wie in Preussen und Frankreich, seit 1882 der Schulzwang mit vollendetem 6. Lebensjahr eintritt, so ist das Gesetz nicht so drakonisch, dass es nicht Ausnahmen gestatten und nötigenfalls einen Ausstand bis zum 7. Lebensjahr bewilligen sollte. Das Recht ?,u Individualisieren wird man hier nicht streitig machen können; besonders wo ein S c h u l a r z t thätig ist, wird es seine Aufgabe und Pflicht sein, die neu aufzunehmenden Schüler auf ihren körperlichen und geistigen Gesundheitszustand genau zu prüfen und je nach dem Ausfall der Untersuchung sein Votum entweder f ü r einen Ausstand oder eventuell f ü r die Ausschliessung vom Schulbesuche abzugeben. In der preussischen Landesvertretung hat 1889 der Abgeordnete
Schulpflicht.
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H. R i c k e r t die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Frage der Schulpflichtigkeit, beziehungsweise die Beschränkung des Schulzwr.nges auf das vollendete siebente Lebensjahr gerichtet. Nach de:: veröffentlichten Berichten nahm die Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses und dieses selbst den Antrag, b e t r e f f e n d die Regelung der Schulpflicht, in der Fassung an, die Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen der Beginn und das Ende der Schulpflicht f ü r den preussischen Staat geregelt wird, und zwar mit der Massgabe, f ü r den Beginn das vollendete sechste und f ü r das Ende das vollendete 14. Lebensjahr festzusetzen, mit der Befugnis f ü r die Schulaufsichtsbehörde, aus örtlichen oder persönlichen Gründen den Termin hinauszuschieben. Bei der Beratung des Antrags in der Kommission wurde die Anregung, den Beginn der Schulpflicht bis zum vollendeten siebenten J a h r e hinauszuschieben seitens; der R e g i e r u n g s k o m m i s s a r i e n damit zurückgewiesen, dass es sich hier um „neue, unerprobte, also auch unbewährte Theorien" handle, mögen diese auch noch so g u t gemeint sein. Ein bezügliches Bedürfnis sei schon darum nicht vorhanden, weil überall da, wo sich die vorgeschlagene Massregel im einzelnen Falle rechtfertige, die Ausnahme g e s t a t t e t werde; die allgemeine, gesetzliche Hinausschiebung des Termins habe gegen sich, dass die Mehrzahl der Kinder in den Schulen einen besseren, gesünderen, angenehmeren Aufenthalt hätten, als in den engen, o f t recht ungesunden Wohnungen des elterlichen Hauses, dass f e r n e r u n b e a u f s i c h t i g t e K i n d e r e i n e G e f a h r f ü r d a s H a u s sind, in welchem sie zurückgelassen werden. Die Statistik der Brandstiftungen durch Kinder gebe die Beweise; es sei ausserordentlich bedenklich, den erwachenden Geist der Kinder ohne Nahrung zu lassen, das unbeschäftigte Kind stumpfe eben so ab, wie das zu sehr a n g e s t r e n g t e ; es beruhe auf hundertjähriger E r f a h r u n g und Beobachtung, d a s s u n s e r e K i n d e r m i t d e m E i n t r i t t in d a s s i e b e n t e J a h r das Bedürfnis und die Empfänglichkeit f ü r die Schule hätten. Von besonderer Bedeutung aber sei es, dass die Not des Lebens verleite, die schwachen K r ä f t e der Kinder f ü r den Diensterwerb des Hauses auszunutzen. Die vorgetragenen Gründe sprechen überzeugend f ü r den Vorzug des 6. Lebensjahres, stets vorausgesetzt, dass es sich um gesunde und k r ä f t i g e Kinder handelt und die Schwächlinge ausgeschlossen bleiben. Der T r i e b n a c h T h ä t i g k e i t giebt sich bei allen Kindern kund und wird am besten durch den Schulbesuch befriedigt, wenn der Unterricht ihrem Begriffsvermögen entspricht. Auch wirkt der Umgang mit Altersgenossen wohlthätig auf den Charakter ein. Von Ueberanstron-
1 ü^O
Schulpflicht.
gung kann hier keine Rede sien, wenn die Dauer des Unterrichts zweckmässig ist und die Erholungspausen dem jugendlichen Alter entsprechen. Die Entlassung aus der Volksschule tritt in Preussen gesetzlich mit dem 14. Lebensjahr ein. Die höheren Bürgerschulen, in Preussen auch M i t t e l s c h u l e n genannt, entlassen ihre Zöglinge in der Hegel mit 16 und 17 Jahren, die höheren Lehranstalten mit neunjährigem Kursus erteilen das Zeugnis der Reife durchschnittlich im Alter von 18 bis 20 Jahren. Die Frage ist unmöglich im allgemeinen zu erledigen, ob die Schüler, wenn sie erst mit dem siebenten Lebensjahr in die Volksschule, bezw. mit dem zehnten Lebensjahr in höhere Schulen eintreten, frischer und kräftiger die Schularbeit übernehmen. Selbstverständlich ist diese Frage doch stets von der körperlichen Entwicklung abhängig, denn mancher sechsjährige Knabe kann den siebenjährigen an Grösse und K r a f t übertreffen. Der einzig sichere Weg, der bei dieser Frage einzuschlagen ist, bleibt das Individualisieren bei der Aufnahme neuer Schüler, ein Akt, der ganz besonders auf die Notwendigkeit der Schulärzte hinweist.
2. Die E r h o l u n g s p a u s e n sind f ü r die ABC-Schützen von grosser Bedeutung, wenn sie ausserhalb der Schulstuben abgehalten und durch einfache Spiele ausgefüllt werden. Das E l s a s s - L o t h r i n g i s c h e G u t a c h t e n von 1882 verlangt dafür zehn Minuten, zwischen der zweiten und dritten Vormittagsstunde aber 15 Minuten. In H e s s e n - D a r m s t a d t ordnet ein Erlass vom 25. Mai 1883 f ü r a l l e Klassen der höheren Knaben- und Mädchenschulen zwischen den einzelnen Unterrichtsstunden Pausen von je 15 Minuten an, eine Bestimmung, der wir uns auch hinsichtlich der u n t e r e n K l a s s e n der Volksschule gern anschliessen würden. Sie würde auch ohne Störung der übrigen Klassen ausführbar sein, da die unteren Klassenzimmer f a s t überall zur ebenen Erde liegen. Da aber aus administrativen Gründen eine Verschiedenheit in der Länge und Lage der Pausen f ü r undurchführbar erklärt wird, so hat das preussische Kultusministerium unter dem 10. November 1884 Folgendes angeordnet: „1. Bei vierstündigem Vormittags- und zweistündigem Nachmittagsunterricht und gleicherweise bei Zusammenlegung des Unterrichts auf fünf V o r mittagslektionen hat die Gesamtdauer der Erholungspausen nicht weniger als 40 Minuten zu betragen und darf 45 Minuten nicht überschreiten. A n den Tagen, an welchen der Vormittagsunterricht sich auf drei Stunden beschränkt, ist die Gesamtdauer der Erholungspausen in entsprechender Weise zu vermindern.
Schulpausen.
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2. Die Verteilung der Gesamtdauer der Erholungspausen eines Lektionstages auf die einzelnen Lektionsweehsel bleibt den K. Prov.-Scliulkollegien überlassen. Als Grundsatz ist bei dieser Verteilung einzuhalten: in den Fällen des vierstündigen Vormittags- und zweistündigen Nachmittagsunterrichts, dass die Hauptpause vormittags nach der zweiten Lehrstunde fällt, während nach der ersten und nach der dritteu nur kürzere Unterbrechungen eintreten, und dass zwischen den beiden Naehmittagsstunden ebenfalls eine grössere Pause eintritt: in den Fällen einer Beschränkung des Unterrichts auf f ü n f V o r m i t t a g s s t u n d e n . dass die Hauptpausen nach der z w e i t e n und v i e r t e n , dagegen nur kürzere Unterbrechungen nach der e r s t e n und d r i t t e n Lehrstunde eintreten. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass der aus den Hauptpausen sich ergebende Ausfall an Lektionszeit nicht eine einzelne Lektion treffe, sondern auf die gesamten Lehrstunden in angemessener Weise verteilt werde. 3. Für die grösseren Pausen, also bei Vor- und Nachmittagsunterricht für die Pause nach der zweiten Vormittags- und nach der ersten Nachmittagsstunde. bei ausschliesslichem Vormittagsunterricht, für die Pause nach der zweiten und nach der vierten Lektion, ist a l s R e g e l e i n z u h a l t e n , d a s s a l l e S c h ü l e r d i e L e h r z i m m e r zu v e r l a s s e n h a b e n u n d d i e s e i n zwischen gelüftet werden. 4. Der von der Wiss. Deputation f. d. Medizinalw. empfohlenen Unterscheidung der unteren und der höheren Klassen bezüglich der Gesamtdauer der Erholungspausen ist eine theoretische Berechtigung nicht abzusprechen: da aber mit der Ausführung einer solchen Unterscheidung für den Beginn des L'nterrichts in den oberen Klassen unvermeidlich so erhebliche Störungen verbunden sind, dass dadurch die für die höheren Klassen bestimmten Pausen thatsächlich auf das den unteren Klassen bewilligte Mass verlängert würden, so ist hiervon Abstand zu nehmen. Dies unterliegt um so weniger einem Bedenken, da die für alle Klassen bestimmte Gesanitdauer der Erholungspausen grösser ist, als die von der Wiss. Deputation f. d. Medizinalw. für die unteren Klassen in Aussicht genommene. Für die mit höheren Schulen verbundenen Vorschulen kommt überdies in Betracht, dass sie, da ihr Unterricht um e i n e S t u n d e s p ä t e r zu b e g i n n e n p f l e g t , schon nach der ersten Lektion an der grösseren Pause teilnehmen. 5. An manchen Anstalten besteht infolge des Mangels an künstlicher Beleuchtung oder der Mangelhaftigkeit derselben die Einrichtung, dass während der dunkelsten Wochen des Winters der Nachmittagsunterricht, um ungefähr eine Viertelstunde früher geschlossen, zum Ersatz dafür aber die :;>vischen beide Lehrstunden fallende Unterbrechung auf die zum Lektionsweehsel unumgänglich erforderliche Zeit beschränkt, eventuell die erste Lektion etwas früher begonnen wird. Gegen eine solche zeitweilige Einrichtung ist unter der Voraussetzung einer dabei fest eingehaltenen Ordnung nichts einzuwenden. r ß. Durch die in No. 1 und 2 enthaltenen Bestimmungen über die Zeitdauer der Erholungspausen und über die Grundsätze für ihre Verteilung ist dem Erfordernisse körperlicher und geistiger Erholung angemessen Rechnung getragen. Nicht bloss im Interesse des Unterrichts, sondern eben so sehr behufs Gewöhnung der Schüler an pünktliche Ordnung ist erforderlich, dass die Dauer der Pausen nicht überschritten und dass unmittelbar nach ihrem Schlüsse der Unterricht begonnen wird. Bei der ersten Vormittagsstunde (bezw. bei der derselben vorausgehenden Andacht) oder der ersten Naclimittagsstunde ist zu einem Aufschübe des Anfangs ein Anlass nicht vorhanden, vielmehr sind diese Lektionen mit dem Gloekenschlage zu beginnen. Die Direktoren (Rektoren) der höheren Schulen sind darauf aufmerksam zu machen, dass es zu ihren Obliegenheiten gehört, für strenge Einhaltung der bezüglich der Erholungspausen seitens des K. Prov.-Schulkollegiums getroffenen oder genehmigten Einrichtungen Sorge zu tragen." Wir sind aus hygienischen Gründen der Ansicht, dass nach j e d e r U n t e r r i c h t s s t u n d e eine E r h o l u n g s p a u s e von s o l c h e r D a u e r
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Erholungspausen.
e i n t r i t t , dass die S c h ü l e r die S c h u l z i m m e r v e r l a s s e n k ö n n e n und w ä h r e n d d i e s e r Zeit l e t z t e r e durch A u f s p e r r e n d e r Thür und der F e n s t e r g r ü n d l i c h g e l ü f t e t w e r d e n , damit die S c h a l e r beim W i e d e r b e g i n n des U n t e r r i c h t s wirklich eine r e i n e L u f t a n t r e f f e n . Hierzu sind wenigstens zehn Minuten nötig, die nach zwei Stunden Unterricht auf wenigstens 15 Minuten auszudehnen sind, wenn das mitgenommene Frühstück genossen wird. Wir haben schon f r ü h e r hierauf aufmerksam gemacht, können aber nicht umhin, dies Verfahren nochmals zu betonen, weil nicht bloss eine Erfrischung des Geistes, sondern auch ein körperliches Wohlbehagen durch die reine Schulluft bewirkt wird. Wenn im Winter durch diese L ü f t u n g auch ein wenig Wärme verloren geht, so lässt sich diese wieder leicht ersetzen. Wenn manche nervenschwache Kinder durch den Schulbesuch krank werden, dann ist es hauptsächlich die schlechte Schulluft, die deprimierend auf das Nervensystem einwirkt, während andere Kinder mit grösserer Widerstandskraft hiervon anscheinend weniger berührt werden, namentlich wenn eben der Austausch mit reiner L u f t häufig erfolgt, wie es bei zweckmässig eingerichteten Erholungspausen der Fall sein soll. Die frische Luft, das Pabulum vitae, ist das unersetzbare Agens, das hier mächtig eingreift und körperliche und geistige Erfrischung erzeugt, dem also alle anderen Gesichtspunkte unterzuordnen sind, weil der geistigen Ausbildung gegenüber das körperliche Wohlbefinden nicht unterschätzt werden darf. Mit diesem hygienischen Grundsatze sind die pädagogischen Massnahmen in Einklang zu bringen, ohne dass ihnen ein Nachteil daraus erwächst. Während der kurzen Pausen sind nur Spiele oder im Winter Schneeballschlachten ausführbar; alle Turnübungen ermüden und empfehlen sich nicht; noch viel weniger zweckmässig ist ihr Einschieben zwischen die Unterrichtsstunden. Bei schlechtem regnerischem Wetter kann die Turnhalle Aushilfe gewähren; wo diese fehlt, sollte wenigstens ein bedeckter Raum auf dem Spielplatz sie ersetzen, damit die Erholungspausen als „ R e s p i r i e n " in allen Fällen thatsächlich zur Geltung kommen. Diese Benennung deutet schon ihren wesentlichen Zweck an, den wir oben als den wichtigsten geschildert haben, weshalb wir auch einen besonderen Wert darauf legen, dass die Schüler bei j e d e r P a u s e das Schulzimmer verlassen. Bleiben sie in einer Pause von nur fünf Minuten in der Schulklasse sitzen, so kann darin keine Erholung gefunden werden. Ein Plus von fünf Minuten ersetzt vollkommen den Verlust an der Unterrichtszeit, wenn die Schüler mit neuer Erfrischung sich wieder am Unterricht beteiligen.
Erholungspausen.
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Eine Beschränkung des Unterrichts auf f ü n f V o r m i t t a g s s t u n d e n mit W e g f a l l des Nachmittagsunterrichts kommt, soweit unsere Erfahrung reicht, nur bei Gymnasien und höheren Lehranstalten vor. Wir kommen an einer anderen Stelle auf diese Frage wieder zurück; einstweilen haben wir es mit dem v i e r s t ü n d i g e n V o r m i t t a g s und z w e i s t ü n d i g e n N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t zu thun. In manchen Städten wird der Nachmittagsunterricht f ü r die u n t e r s t e K l a s s e auf eine Stunde beschränkt, was wir für zweckmässig erachten. Für die übrigen Klassen dürfte der zweistündige Nachmittagsunterricht beizubehalten sein, da namentlich die Knaben hierdurch zweckmässig beschäftigt und abgehalten werden, Ungehörigkeiten aus Langeweile zu treiben. Nur wegen g r o s s e r H i t z e kann der Nachmittagsunterricht ausfallen, besonders in stark besetzten Schulzimmern. Die Bestimmungen hierüber sind ziemlich übereinstimmend. In W ü r t t e m b e r g ist seit 1870 angeordnet worden, dass die Einstellung des Nachmittagsunterrichts erfolgen soll, wenn das Thermometer vormittags im Schatten über 20° R zeigt. In Preussen überlässt man die erforderlichen Anordnungen den Direktoren, bezw. Rektoren behufs pflichtmässigen Ermessens, inwiefern nach dieser Seite die S c h o n u n g d e r G e s u n d h e i t d e r S c h ü l e r im Auge behalten werden muss. Da es sich hierbei um eine hygienische Frage handelt, so würde auch der S c h u l a r z t die geeignete Persönlichkeit sein, sich mit den Lehrern hierüber in Einverständnis zu setzen. Die s t ä d t i s c h e S c h u l d e p u t a t i o n in B e r l i n bestimmte unter dem 1. April 1886, dass an heissen Sommertagen in allen Gemeindeschulen der Unterricht von 11 Uhr vormittags an auszusetzen ist, wenn das Thermometer um 10 Uhr vormittags 25° C im Schatten zeigt. Diese Anordnung stimmt demnach mit der würctembergischen vollkommen überein, was auch in anderen Staaten der Fall ist. L o r i n s e r , H a r t w i c h , R h a y d t und G ü s s f e l d * ) wünschen überhaupt eine V e r m i n d e r u n g d e r S t u n d e n z a h l , damit der Nachmittag der Erledigung der Schulaufgaben, sowie der kräftigen Bewegung im Turnen und Spielen, im Baden und Schlittschuhlaufen und anderen freien Künsten gewidmet werde. Demgemäss soll nach H a r t wich der Vormittag dem Geiste, der Nachmittag dem Körper und Gemüt angehören. Das sind ideale Wünsche, die der praktischen Erfahrung widersprechen, denn erstlich sind die Schulaufgaben bei den Volksschulen so gering, dass sie in kurzer Zeit absolviert werden können, zweitens *) P a u l G ü s s f e l d , Die Erziehung' der deutschen .Tupfend.
Berlin 1890.
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Schulpflicht.
würde die Ausfüllung der f r e i e n Zeit nicht selten f ü r das Elternhaus eine schwierige A u f g a b e sein, zumal da die Schüler der Volksschule in allen grösseren S t ä d t e n mehr zu losen Streichen als zu einer angemessenen und nützlichen B e s c h ä f t i g u n g geneigt sind. Wir würden sogar von jedem d e r a r t i g e n Versuch entschieden a b r a t e n . Nach dem N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t von 2 — 4 Uhr bleibt im Sommer noch Zeit genug übrig f ü r Turn- und Spielbevvegungen, während im W i n t e r die Benutzung der Turnhalle einen Ersatz bietet und an allen f r e i e n Nachmittagen auch Zeit g e n u g f ü r winterliche V e r g n ü g u n g e n gegeben ist. Auch der H a n d f e r t i g k e i t s u n t e r r i c h t könnte an einzelnen Nachm i t t a g e n eine nützliche B e s c h ä f t i g u n g gewähren.
M. Die Hygiene des Unterrichts. Versteht man im allgemeinen unter H y g i e n e des U n t e r r i c h t s dem Wortlaut gemäss eine der G e s u n d h e i t s l e h r e entsprechende Unterrichtsmethode, so muss dieselbe bei jedem Schulunterricht Platz greifen, sowohl in k ö r p e r l i c h e r als in g e i s t i g e r Beziehung. Bei der V o l k s s c h u l e ist indes die Erhaltung und Befestigung der körperlichen Gesundheit das überwiegende Moment, während der Geist den Schulaufgaben gemäss weniger angestrengt wird und auch die häuslichen Schulaufgaben leichter zu lösen sind. Bei allen höheren Lehranstalten dagegen soll das pädagogische Bestreben darin gipfeln, dass nur solche Schüleraufgaben gestellt werden, die der durchschnittlichen geistigen Begabung der Schüler entsprechen und jede g e i s t i g e U e b e r a n s t r e n g u n g ( S u r m é n a g e i n t e l l e c t u é l ) vermeiden, weil es sich hier um die Erwerbung vielseitiger Kenntnisse handelt. Die Geschichte der Pädagogik lehrt hinreichend, wie ausgezeichnete Männer schon vor Jahrhunderten auf eine harmonische Entwicklung des Geistes und Körpers hingewirkt haben. Als L u t h e r mit seiner „Sächsischen Schulordnung" den Schulzwang angebahnt und die Selbständigkeit der Schule und der Kirche geschaffen hatte, empfahl er auch die M u s i c a und das Ritterspiel mit F e c h t e n und R i n g e n . Epochemachend wirkten auch die von L o r i n s e r erwähnten J o h a n n e s H e u r n i u s * ) und G r e g o r i u s H o r s t * * ) , an die sich A d a m C o n t z e n und H i e r o n i m u s H i r n h a i n anreihen. Der Jesuit C o n t z e n (+ 1635) schildert in seinem „Politicorum libri 10" die Schäden des überschwänglichen Lern- und Schuleifers und äussert sich folgendermassen: Causa tanti mali confusa discentium multitudo, in qua quisque, quamvis ingenio deficiat, eniti ad eruditionis fastigium contendit Cum vero plerosque vires deserant, necesse est multos in ipsis principiis, alios in medio, alios in fine prope ipsam metam concidere. *) Seine Schrift lautet: D e morbis. qui in singulis partibus humani capitis insidere consueverunt. 1594. **) Tractatus de tuenda sanitate litteratorum. 1615.
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Hygiene des Unterrichts.
Der Prager Praemonstratenserkanonikus H i r n h a i n drückt sich noch schärfer in seiner Satire: de typho generis humani (1676) aus, wenn er s a g t : Occurcunt passim hodierno etiam tempore multa similium exempla, quos natura indociles progenuit et idiotas jussit vivere, qui tarnen tanto sciendi desiderio aestuant, ut, si studiis applicentur, capita sua pertinaci, sed irrito labore f r a n g a n t ac cerebrum inaniter consumant et per multas litteras, quibus omnino sint inhabiles, ad insaniam frequenter perducantur. Im übrigen müssen wir auf unsern „Historischen Ueberblick" verweisen, woraus hervorgeht, dass es nicht an Warnungen gefehlt hat, die geistige Ausbildung mit der körperlichen Erziehung in Einklang zu bringen und jede Uebertreibung in den Ansprüchen an die lernende Jugend zu vermeiden. Grosses Aufsehen erregte seiner Zeit H a s s e * ) durch seine Abhandlung: „ U e b e r d i e U e b e r b ü r d u n g d e r S c h ü l e r m i t h ä u s l i c h e n A r b e i t e n " , worin er mit einem besonderen Nachdruck die von ihm gemachte E r f a h r u n g hervorhob: „dass Schüler der obersten Gymnasialklassen, bei welchen der Anlass zur G e i s t e s s t ö r u n g nur in den ü b e r t r i e b e n e n A n f o r d e r u n g e n d e r S c h u l e gesucht werden könne, gegenwärtig einen hohen Prozentsatz in der Anzahl der Geisteskranken bildeten." Das preussische Kultusministerium veranlasste die Vorsteher der ö f f e n t l i c h e n I r r e n a n s t a l t e n zu einer Aeusserung über die Ilasse'sche Behauptung, die durchaus negativ ausfiel, und ihr entschieden gegenüber trat. Wahrscheinlich würde man zu einem andern Ergebnis gelangt sein, wenn man auch die Leiter der I r r e n p r i v a t a n s t a l t e n b e f r a g t hätte, da es zu erwarten war, dass man in diesen weit eher als in den öffentlichen Heilanstalten jugendliche Geisteskranke würde angetroffen haben. Für diese Annahme sprechen schon die bereits früher erwähnten besonderen Heilanstalten f ü r geistig erkrankte Schüler der Gymnasien. Man wird bei dieser wichtigen Frage, die das J u g e n d i r r e s e i n b e t r i f f t , niemals einseitig von einem einzelnen Gesichtspunkte ausgehen dürfen, sondern noch viele andere Faktoren in Betracht ziehen müssen, die hierbei von ausschlagender Bedeutung sind. (M. v. das Kapitel: Jugendirresein.) Man wird dann die Ueberzeugung gewinnen, dass man dem Schulunterricht und den Schularbeiten nicht allein die Schuld der geistigen Erkrankung aufbürden darf. M e y n e r t * * ) urteilt hierüber vorsichtiger und weist zunächst nach, *) H a s s e in der Zeitschrift f ü r Psychiatrie. 37. Bd. **) T h e o d o r M e y n e r t ( W i e n ) : ..Die durch U e b e r b ü r d u n g in den Mittelschulen bedingten Nerven- und Geisteskranken." W i e n e r mediz. Blätter, X. 1887.
Geistige Ueberanstrengung'.
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dass unter 68 die Mittelschulen (Gymnasien) besuchenden Schülern sich nur 3 im Alter von 15—20 Jahren (2 Realschüler und 1 Gymnasiast) befanden, bei denen keine andern Ursachen zu bestehen schienen, als g r o s s e r F l e i s s und N a c h t w a c h e n . Letztere sind schon an und f ü r sich wegen der Abkürzung des Schlafes als die Gehirnfunktion beeinträchtigende Ursachen zu betrachten, die nicht in direkter Verbindung mit der Schule stehen. Sie können aber um so nachhaltiger in ihrer Wirkung sein, wenn Schwachbegabte sich der Beraubung des Schlafes aussetzen. Bei allen übrigen Schülern Hessen sich andere Schädlichkeiten nachweisen, wodurch der Beweis, dass U e b e r b ü r d u n g , bezw. die g e i s t i g e U e b e r a n s t r e n g u n g ausschliesslich zur Geistesstörung führe, gänzlich hinfällig wurde. M e y n e r t verwahrt sich indes dagegen, jeden schädlicher. Einfluss einer geistigen Ueberbürdung im jugendlichen Alter abzulehnen, denn die grösste Zahl der dadurch veranlassten Störungen sei nicht in Irrenanstalten aufzusuchen, man werde sie bei den N e u r a s t h e n i k e r n mit den verschiedenen Angstzuständen und der Unfähigkeit, sich längere Zeit geistig zu beschäftigen, finden. Zum Zustandekommen der Neurasthenie gehört eine k ö r p e r l i c h e Anlage, die a n g e b o r e n sein kann, aber auch durch eine unvernünftige Erziehung, namentlich durch übermässige häusliche Arbeiten und dadurch bedingten M a n g e l a n S c h l a f , sowie durch eine unzweckmässige Ernährung oder einen zu frühen Genuss von geistigen Getränken hervorgerufen wird. Derartige schädliche Faktoren fallen dem Elternhause zur Last und sind von den nachteiligen Einflüssen des Schulunterrichts zu unterscheiden.*) Es giebt auch Schüler mit mittelmässigen Geistesanlagen, die aber den Ehrgeiz haben, ihren Mitschülern nicht nachstehen zu wollen, und deshalb mit grösster Anstrengung des Geistes sich abmühen, um ihren Zweck zu erreichen; in solchen Fällen werden die schlimmen Folgen nicht ausbleiben und zwar um so sicherer, wenn auch die körperliche Gesundheit darunter gelitten hat. Eltern fehlen nicht selten darin, dass sie die Ansprüche an die Leistungen ihrer Söhne auf Kosten deren Ge*) D r . L . L ö w e n f e l d , Die moderne B e h a n d l u n g der Nervenschwäche, der Hysterie und verwandter Leiden. 3. Auflage. Wiesbaden 189(i. Verf. fasst den Zustand der N e r v o s i t ä t als Aeusserung der zu den funktionellen Neurosen, der H y s t e r i e und N e u r a s t h e n i e , disponierenden Anlagen mit beiden letzteren K r a n k h e i t s f o r m e n zu einer Gruppe der „nervösen Schwäcliezuständc" zusammen. E r betont die enge Verwandtschaft der H y s t e r i e und N e u r a s t h e n i e als zwei ihrem Wesen nach zum grössten Teil sich (lec-kcn li- K r a n k h r i t s f o r n i r n .
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Hygiene des Unterrichts.
sundheit übertreiben. In den meisten Fällen wird durch U e b e r a n s t r e n g u n g des G e h i r n s der Grund zur N e r v e n s c h w ä c h e (Neurasthenie) gelegt, und zwar um so eher, wenn es sich um ein jugendliches Gehirn handelt, bei dem schädliche Eindrücke um so leichter haften und ein typisches Krankheitsbild erzeugen können, bei welchem auf die Dauer in erster Linie eine quälende S c h l a f l o s i g k e i t entsteht, die dann wie bei manchen Formen der Hysterie weiterhin eine allgemeine Hinfälligkeit zur Folge haben muss, denn der Einfluss der gestörten Gehirnfunktion auf das übrige Nervensystem kann dabei nicht ausbleiben. Derselbe kann sich bei h ö h e r e n G r a d e n der N e r v e n s c h w ä c h e auch durch sprungweise auftretende, den Neuralgien ähnliche Schmerzen in den verschiedensten Körperteilen äussern. Wie sehr das Nervensystem hierbei beteiligt ist, beweist auch ein nicht selten auftretendes H a u t j u c k e n , dessen Ursache jedenfalls in Ernährungsstörungen des peripherischen Nervensystems zu suchen ist. Ob jemals der Schulunterricht an und für sich derartige höhere Grade der Neurasthenie herbeiführen kann, dürfte zweifelhaft sein, es sei denn, dass man es mit einer ausgeprägten a n g e b o r e n e n A n l a g e zu thun hat.*) Unter dem 11. April 1882 stellte der damalige Statthalter von Elsass-Lothringen in seinem die U e b e r b ü r d u n g s f r a g e betreffenden Erlass den Satz an die Spitze: „Die k ö r p e r l i c h e G e s u n d h e i t und g e i s t i g e F r i s c h e d e r S c h u l e n b e s u c h e n d e n J u g e n d d a r f nicht g e f ä h r d e t w e r d e n . Die Frage, welche Bedingungen innezuhalten sind, damit die Pflege der körperlichen Entwicklung der Schüler in den höheren Unterrichtsanstalten nicht gehemmt werde, ist eine w e s e n t lich medizinische.**) Ich halte es deshalb für nötig, zunächst von einer Kommission m e d i z i n i s c h e r S a c h v e r s t ä n d i g e n ein motiviertes Gutachten darüber einzuziehen, welche Minimalforderungen auf dem Gebiete des höheren Schulwesens zur Erhaltung und F ö r d e r u n g d e r W e h r b a r k e i t und der g e i s t i g e n Frische der Nation von der *) Das grosse Kapitel der N e u r a s t h e n i e , das wir hier nur streifen konnten, hat Th. Z i e h e n (Jena) in Eulenburg's Real-Encyklopädie (3. Aufl.) ausführlich behandelt, worauf wir verweisen müssen. **) G u s t a v R i c h t e r (Unterricht und geistige Ermüdung. Halle a. S. 1895) betont dagegen, dass keiner einzelnen Fachwissenschaft als solcher, sondern nur der P ä d a g o g i k als der allgemeinen Wissenschaft von der Erziehung, das Recht zugesprochen werden könne, das Ziel und die Mittel der Schulerziehung zu bestimmen; aber er erkenne doch an, dass ihr bei diesem Werke die F a c h w i s s e n s c h a f t e n hülfreiche Hand zu leisten haben.
Ueberbiirdung'.
1229
ärztlichen Wissenschaft erhoben werden." Das Ergebnis der Beratung war die Anerkennung des Vorhandenseins der U e b e r b ü r d u n g und die Kommission findet den Grund dafür in der von den Schulbehörden zur Bewältigung der häuslichen Arbeit für erforderlich erachteten Zeit: 2 Stunden täglich für die unteren, 3 Stunden f ü r die mittleren und 4 Stunden für die oberen Klassen, häuslicher Arbeit, bilden mit den Schulstunden 8—9 Tagesstunden Arbeit, noch dazu grösstenteils in sitzender Haltung verbracht, sie würden für den arbeitskräftigen Mann eine Leistung, die sich nicht ohne ermüdende Anstrengung und nur, wenn volle Sonntagsruhe gewährt werde, längere Zeit hindurch ohne Schaden ausführen lassen. Die Kommission glaubte nun erklären zu müssen, dass eine solche Ueberfüllung mit Unterrichtsstunden und häuslichen Aufgaben vorhanden sei, welche zum mindesten „Zustände g e i s t i g e r E r m ü d u n g nebst nervöser Ueberreizung und Schwäche" zur Entwicklung bringe.*) Das G u t a c h t e n d e r „ W i s s e n s c h a f t l i c h e n D e p u t a t i o n " vom 13. Dezember 1883 zieht alle Punkte in Betracht, welche als Unterlage f ü r die B e a n t w o r t u n g d e r U e b e r b ü r d u n g s f r a g e dienen können und rechnet dazu: 1. Das Verhältnis der zum Militärdienst untauglichen Schüler, 2. Den Selbstmord unter den Schülern, 3. Geisteskrankheiten, 4. Die Kurzsichtigkeit, 5. Kongestionen zum Kopf, Kopfweh, Nasenbluten, 6. Allgemeine Schwächzustände. Ueber diese Punkte haben wir uns bereits unter den Schülerkrankheiten geäussert und zwar unabhängig von der Ueberbürdungsfrage, mit welcher sie nur in gewissen Fällen im Zusammenhange stehen können. Als u r s ä c h l i c h e M o m e n t e werden hervorgehoben: 1. Ueberfüllung der einzelnen Schulklassen, 2. Der Mangel genügender Fürsorge, 3. Die Erholungspausen zwischen den Lehrstunden, 4. Die Dauer der Schul- und Arbeitszeit. Hiervon können No. 1 und 2 nur in den untersten Klassen der Gymnasien, besonders aber in den Klassen der Volksschulen in Betracht kommen, während 3 und 4 die wichtigsten Punkte hinsichtlich der U e b e r b ü r d u n g s f r a g e sind, auf die wir noch ausführlicher eingehen werden. Wir betonen hier nur vorläufig die ausdrückliche Erklärung der Deputation im Gutachten, „dass die Bedeutung der h ä u s l i c h e n A r b e i t e n für die Entwicklung des Geistes zu selbständigen Arbeiten sehr hoch zu veranschlagen sei, und dass der leider nur zu häufig hervortretende Mangel an Unabhängigkeit im Denken und Ur*) D i e reichsliindischen G-yranasial- und Reallehranstalten sind durch Regulativ vom 10. J u l i 1873 im wesentlichen nach preussischem Muster eingerichtet worden.
1230
l'eljiTbi'mluiifi.
teilen vorzugsweise
der geringen
geschrieben werden müsse.
Uebung
in eigener
Thätigkeit
Freilich sei es nicht gleichgiltig,
zu-
welche
A u f g a b e n der häuslichen Arbeit gestellt werden. Die bloss mechanischen Leistungen, z. B. das Abschreiben,
das einfache Memorieren,
tragen
wenig oder nichts dazu bei, die K u n s t zu entwickeln, sich selbst f o r t zuhelfen in geistiger
Beschäftigung.
Der
einzelne müsse
vor
allem
lernen, seine Lexika, Grammatiken und sonstigen Lehrbücher selbständig zu benutzen und zu R a t e zu ziehen; er müsse sein Gedächtnis mit einer gewissen Ruhe ordnen, um das, was er braucht, zu rechter Zeit zu reproduzieren und in die gehörige Verbindung zu bringen; er müsse selbst die verschiedenen Möglichkeiten des einzelnen Falles aufsuchen und ihren Wert kritisch feststellen lernen.
Hier erst entwickle sich in
vollem Masse die Fähigkeit und damit auch die L u s t zum Arbeiten. Gewiss habe die Schule die A n r e g u n g dazu zu geben und die Wege zu zeigen, aber stecken,
es hiesse
wenn
man
den
höheren
ihnen
die
Schulen
Aufgabe
enge
Ziele
vorzeichne,
sehr
alles
W e s e n t l i c h e in d e n U n t e r r i c h t s t u n d e n s e l b s t zu e r r i n g ' e n . " Die Deputation betrachtet wesentliche
Ergänzung
demnach die h ä u s l i c h e
des
Schulunterrichts,
Arbeit
vornehmlich in
den höheren Klassen und hält es f ü r geboten, d a s s sowohl im samten
Lehrplan,
als
als auch von dem einzelnen Lehrer das
geMass
d e r g e i s t i g e n B e l a s t u n g d e r S c h ü l e r unter gleichzeitiger Berücksichtigung beider Seiten der Thätigkeit geschehe. Sie weist es d a g e g e n ihrerseits von der Hand, die häusliche Arbeitszeit in gleicher WTeise zu fixieren wie die eigentliche Schulzeit; j a sie ist im Zweifel, ob sich die Zeit f ü r die häuslichen Arbeiten bestimmen lässt, d e n n d i e g e i s t i g e B e g a b u n g , gens
und d e r
Fleiss
jedes
einzelnen
der G r a d des Schülers
Denkvermö-
entscheiden
darüber, wie viel Zeit er zur Vollendung eines bestimmten nötig hat.
zuletzt Pensums
Die Deputation glaubt als das allgemein zulässige Mass f ü r
die höheren Klassen
eine Summe
von 8 Schul- und
Arbeitsstunden
täglich oder 4 8 Stunden wöchentlich fixieren zu sollen, während sie f ü r die unteren Klassen ein bescheidenes Mass begehrt und im allgemeinen 6 Stunden f ü r zutreffend erachtet.
Bis zu Ende der achtziger J a h r e war es die p e r s ö n l i c h e rung der P ä d a g o g e n
und A e r z t e ,
Erfah-
die bei der Ents&heidung- der
F r a g e über die Schädigung durch Ueberbürdung massgebend war.
Im
letzten Dezennium des 19. J a h r h u n d e r t s hat man angefangen, auf das psychophysiologische
G e b i e t sich zu begeben, um ein M a s s
für
llebcrbiirdmigsfrage.
1231
die G r a d e d e r E r m ü d u n g zu finden, da letztere sich nach Verlauf einer Stunde auch bei aufmerksamen Schülern durch Gähnen und die ganze Körperhaltung kundgebe. B u r g e r s t e i n * ) war einer der ersten, der experimentell der F r a g e hinsichtlich der geistigen Ueberbürdung näher zu t r e t e n suchte. 1 1 — 1 8 j ä h r i g e Realschüler wurden dazu benutzt, vier Reihen A d d i t i o n s - u n d M u l t i p l i k a t i o n s a u f g a b e n zu lösen, von denen jede Reihe etwa zehn Minuten erforderte. Eine Pause von fünf Minuten lag zwischen den einzelnen Arbeitszeiten, so dass der Versuch 40 Minuten dauerte. Die Gesamtzahl der beteiligten Schüler belief sich auf 162. K u r g e r s t e i n erkennt an, dass die einschlägigen Arbeiten bei der Neuheit einer derartigen Behandlung des Gegenstandes zunächst voraussichtlich an Unvollkommenheiten leiden werden. Ein exakteres Studium der ganzen F r a g e müsste schliesslich doch zu klareren Resultaten führen, als jene F o r m d e r E r f a h r u n g im gewöhnlichen Sinne. Schon vor B u r g e r s t e i n h a t t e ein russischer Arzt, Dr. S i k o r s k v , * * ) den Versuch gemacht, die F r a g e hinsichtlich den geistigen Ueberbürdung der Schuljugend experimentell zu prüfen. Die Resultate stützen sich auf 1500 Diktatproben = 10000 Buchstaben. Der wesentliche Unterschied zwischen der Leistung am Morgen und nach 4—5 stündigem Unterricht liege in einer Exaktheitsdifferenz von durchschnittlich HO»». Laser***) folgte der Methode von B u r g e r s t e i n und liess in den ersten zehn Minuten jeder Stunde eines fünfstündigen Schultages von 13—14 Knaben und Mädchen Additions- und Multiplikationsaufgaben rechnen. Hier zeigte sich ebenfalls, dass die Leistungsfähigkeit von der ersten bis zweiten Stunde anwuchs, wogegen in der vorletzten und letzten Stunde die Arbeitsgeschwindigkeit abnahm. Die Zahl der fehlerlosen Arbeiten sank beständig. Aehnliche Resultate erhielten H ö p f n e r f ) und E b b i n g h a u s t t ) mit dem Anfertigen von D i k t a t p r o b e n . Es ist begreiflich, dass auch
*i Dr. L e o B u r g e r s t e i n . Oberrealsehulprofessor in Wien. D i e A r b e i t s k u r vc e i n e r S c h u l s t u n d e . Separatabdruck aus der Zeitsch. f. Schulgesundheitspfl. H a m b u r g und Leipzig. 1891. :i: ) S i k o r s k y . Anna!, d'liyg. publ. ete. Paris. I I I . ser. A. I I 1879. ***) L a s e r (Königsberg). Ueber geistige E r m ü d u n g beim Schulunterricht. Zeitsch. f. Sclmlgesdhtspf. 189-1. S. 2. •f) H ü p f n e r . Ueber geistige E r m ü d u n g von Schulkindern. Zeitsch. f. Psychol. u. Physiol. der Sinnesorgane. X I . 1894. f f E b b i n g h a u s . Ueber eine neue Methode zur P r ü f u n g geistiger Fähigkeiten und ihre A n w e n d u n g bei Schulkindern. Loc. eocl. 1897.
1232
H y g i e n e «les I ' i i t e n ' i e h t s .
auf diese Weise sich ein immer rascher fortschreitendes Anwachsen der Fehler zeigte. Im J a h r e 1895 richtete der Magistrat der Stadt Breslau das Gesuch an die Schlesische Gesellschaft f ü r vaterländische Kultur, ihm ein Gutachten über die E i n w i r k u n g ' d e s f ü n f s t ü n d i g e n V o r m i t t a g s u n t e r r i c h t s auf die Kinder abzugeben, da man an den einzelnen Kindern eine Abspannung angetroffen habe, die den Wunsch nach der Rückkehr zum g e t e i l t e n U n t e r r i c h t nahe lege, da man ihn f ü r vorteilhafter gefunden habe. Aus diesem äusseren Anlass entstanden die Versuche von E b b i n g h a u s , die sich zunächst den B u r g e r s t e i n ' s c h e n Versuchen anschlössen, jedoch mit dem Unterschiede, dass er nach der Methode von S i k o r s k v am Anfange und Ende der Unterrichtsstunden kurze Rechnungen anfertigen liess, ausserdem noch eine andere Methode hinzufügte, die er die „ G e d ä c h t n i s p r o b e " nannte, wobei den Kindern eine Reihe einsilbiger Zahlen mit einer gewissen Geschwindigkeit vorgesagt wurden, die rasch nachgeschrieben werden mussten. Da E b b i n g h a u s selbst zur Einsicht gelangte, dass sowohl das Rechnen, als das Memorieren von Zahlen eine e i n s e i t i g e B e t h ä t i g u n g d e r g e i s t i g e n K r ä f t e sei, so suchte er nach einer Methode, die eine k o m p l i z i e r t e r e G e i s t e s a r b e i t verlangte, und glaubte sie in der K o m b i n a t i o n s a r b e i t gefunden zu haben. Diese bestand darin, dass er den Kindern ihrem Fassungsvermögen entsprechende Prosatexte vorlegte, deren Veränderung darin bestand, dass einzelne Buchstaben, Silben oder Worte ausgelassen und durch einen Strich ersetzt waren, die von den Kindern sinnvoll ergänzt werden sollten. Sie hatten auf diese Weise eine schwierige Aufgabe zu lösen, denn die rasche Ergänzung der fehlenden Buchstaben und Silben, sowie die Herstellung des Sinns des Ganzen erforderten immerhin ein längeres Nachdenken, so dass die Kombinationsmethode nicht als ein brauchbarer G r a d m e s s e r f ü r d e n E r m ü d u n g s w e r t erachtet werden kann. Jedenfalls ist durch die vorstehenden Experimente die U e b e r b ü r d u n g s f r a g e nicht gelöst worden. Man hat auch den Einwurf erhoben, dass die Bedingungen des wissenschaftlichen Versuches nicht im Einklänge ständen mit denen einer wirklichen Schulstunde. Man sei daher auch nicht berechtigt, die Ergebnisse der Versuche ohne weiteres auf die Verhältnisse des Unterrichts zu übertragen.*) K r ä p e l i n * ) hat das Ergebnis mitgeteilt, welches das Addieren ein-
*) D . E m i l K r i i p e l i n 1897.
(Heidelberg).
..Zur U e b e r b i u T l u n g s f r a g e " .
Jena
D i e s e S c h r i f t b e h a n d e l t die bisherigen A r b e i t e n auf diesem G e b i e t .
Hygiene des Unterrichts.
1233
stelliger Zahlen lieferte. Die Versuchspersonen waren Studenten oder Assistenten, die in eigens dazu gedruckten Heften ohne Unterbrechung längere Zeit die untereinander stehenden Ziffern zu addieren hatten. Wenn die Summe über 100 gestiegen war, wurden die Hunderter fortgelassen und es wurde zu dem Ueberschuss von Einern weiter hinzuaddiert. Bei dem alle fünf Minuten ertönenden Glockensignal wurde hinter der zuletzt addierten Zahl ein Strich gemacht. Nach Beendigung war leicht festzustellen, wie viele Zahlen in je fünf Minuten von den einzelnen Personen addiert wurden. Aus diesen Versuchen ergab sich nur die G e s c h w i n d i g k e i t , mit der verschiedene Menschen arbeiten, bezw. die Verschiedenheit der p e r s ö n l i c h e n L e i s t u n g s f ä h i g k e i t . Auch die U e b u n g ist hierbei von Einfluss. „Die fortschreitende Steigerung der Arbeitsfähigkeit durch die Uebung findet aber einen mächtigen Gegner in den noch rascher anwachsenden Wirkungen der E r m ü d u n g . " Stets kommt man auch bei diesen Versuchen zur Erkenntnis, dass die E r m ü d b a r k e i t sich nicht mit der gleichen Sicherheit bestimmen lässt, wie die Grösse der U e b u n g s t h ä t i g k e i t . R i c h t e r * ) macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die geistige Ermüdung nicht allein von der Arbeitsleistung an sich abhängig ist, sondern auch von den begleitenden Z u s t ä n d e n d e s G e m ü t e s ; denn es sei eine bekannte psychologische Thatsache, dass Unlustempfindungen die Ermüdung begünstigen, Lustgefühle dieselbe hemmen. „Das innere Verhältnis des Individuums zu der Arbeit, welche dasselbe zu leisten hat, ist also ein Faktor, der bei Untersuchung der Ermüdbarkeit in Anschlag zu bringen ist.**) Ein stundenlang fortgesetztes Addieren einstelliger Zahlen ist eine so öde Thätigkeit, dass sich bei derselben Unlustgefühle einstellen müssen, die das Eintreten der Ermüdung jedenfalls beschleunigen und die geistige Spannkraft beeinträchtigen." Freilich muss man sich, wie R i c h t e r sich äussert, stes bewusst bleiben, „dass das geistige Leben aus so verwickelten Vorgängen zusammengesetzt ist, dass jeder Versuch einer mechanisierenden Erklärung von vornherein die Unzulässigkeit durchblicken lässt."
Die Schülerversuche, die R i c h t e r in Jena anstellte, sollten zu einem Vergleich der Leistungsfähigkeit in der e r s t e n und l e t z t e n *) Dr. G u s t a v R i c h t e r , Gymnasialdirektor in Jena, „ U n t e r r i c h t und g e i s t i g e E r m ü d u n g " . Halle a. S. 1895. **) Dahin gehört auch der H u n g e r , namentlich der n e r v ö s e H u n g e r , der das Denkvermögen schwächt, wenn er nicht sofort befriedigt wird. 78
1234
Hygiene des Unterrichts.
V o r m i t t a g s s t u n d e führen. Zu diesem Zweck wurde in der Untertertia während der ersten Vormittagsstunde die Lösung einfacher gleichartiger a r i t h m e t i s c h e r A u f g a b e n verlangt, die in drei Abschnitten in fast drei Viertelstunden Zeit erledigt werden sollten. Für manche Schüler, die schneller arbeiteten, lagen zwischen den einzelnen Abschnitten jeweils Pausen von verschiedener Länge, während andere fast ohne Unterbrechung rechnen mussten, wodurch die Einheitlichkeit und damit auch der Wert der Versuche beeinträchtigt wurde. Das Ergebnis war eine allgemeine Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit mit jedem Teilstücke; im letzten Teilstücke nahmen die Fehler zu und die Verbesserungen ab. Ein ähnlicher Versuch wurde in der vierten Vormittagsstunde des nächsten Tages angestellt. Auch bei den Versuchen mit der Bildung griechischer Verbalformen zeigten sich deutliche Zeichen einer fortschreitenden Ermüdung. Auffallend war der Unterschied in der persönlichen Ermüdung. Bei einigen trat bald eine starke Ermattung ein, während andere fast ebenso frisch wie beim ersten Versuche arbeiteten. Dass auch die A l t e r s s t u f e n zu berücksichtigen sind, ist eine dringende Forderung. Im ganzen und grossen kann man diese Experimente nur als Bestätigung des allgemein bekannten Erfahrungsgesetzes betrachten, dass jede Arbeit, mag sie körperlicher oder geistiger Natur sein, auf die Dauer um so leichter Ermüdung erzeugt, wenn sie keine geeignete Unterbrechung erfährt. F r i e d r i c h in Würzburg*) wollte den Einfluss der gegenwärtigen U n t e r r i c h t s d a u e r auf die L e i s t u n g s f ä h i g k e i t und die Wirkung von e i n g e s c h o b e n e n A r b e i t s p a u s e n untersuchen. Zu diesem Zwecke Hess er zehnjährige Schüler einmal zwölf Sätze von annähernd gleicher Buchstaben- und Zeichenzahl und gleicher Schwierigkeitsstufe schreiben, andererseits je fünf Additions- und Multiplikationsaufgaben lösen; für die erstere Aufgabe stellte er 30, für die letztere 20 Minuten zur Verfügung. Die Prüfungsarbeiten wurden vor Beginn des Unterrichts, dann aber nach der 1., 2. oder 3. Stunde ausgeführt. Dabei waren zwischen den einzelnen Stunden bald gar keine, bald kürzere, bald längere Pausen bis zu 15 Minuten eingeschoben. Die Ergebnisse fasst F r i e d r i c h dahin zusammen, dass durch l ä n g e r e U n t e r r i c h t s d a u e r die geistige Leistungsfähigkeit der Schüler herabgesetzt werde; das zeigte sich in einer Erhöhung der Fehlerzahl und in einer Abnahme der fehlerfrei arbeitenden Schüler. *) Zeitseh. für Phvsiol. u. Psychol. der Sinnesorgane. Bd. X I I I .
S. 6.—53.
Hygiene des Unterrichts.
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Die P a u s e n waren durchweg' von günstiger Wirkung, namentlich W i e d e r h o l u n g derselben nach jedem Abschnitte. Er nimmt deshalb an, dass die üblichen Unterrichtsabschnitte zu lang wären und durch P a u s e n von m i n d e s t e n s z e h n M i n u t e n D a u e r u n t e r b r o c h e n w e r d e n m ü s s t e n , die durch R u h e o d e r N a h r u n g s a u f n a h m e auszufüllen wären. Im Nachmittagsunterricht müssten nach seinem Vorschlage nur leichtere Gegenstände, wie Singen und Schönschreiben, behandelt werden. Wir erwähnen noch die Untersuchung von S c h u l z e , * ) der prüfen wollte, ob im h a l b s t ü n d i g e n oder im g a n z s t ü n d i g e n Unterricht mehr geleistet werde. Er Hess deshalb bei Mädchen von 12—13 Jahren an zwei Tagen in wechselnder Anordnung einstellige Zahlen addieren und Buchstaben abschreiben. Am ersten Tage wechselten beide Thätigkeiter. in Abschnitten von je 25 Minuten untereinander ab; am zweiten wurde zunächst zweimal gerechnet und dann zweimal geschrieben. Zwischen je zwei Versuchsabschnitten lagen regelmässig fünf Minuten Pause. K r ä p e l i n * * ) hält diese Anordnung von vornherein für ungeeignet. Alle Verfechter k ü r z e r e r U n t e r r i c h t s z e i t e n hätten dieselben in Gegensatz gestellt zu der üblichen ununterbrochenen Lehrstunde, während hier sämtliche Arbeitsabschnitte nur 25 Minuten dauerten. Die Versuche berührten daher die Frage gar nicht, ob wir h a l b e oder g a n z e Stunden unterrichten sollen; sie sind höchstens geeignet, die Vorteile des A r b e i t s w e c h s e l s zu beleuchten, ein Umstand, mit dem wir im Leben täglich rechnen müssen. Wir haben die bisherigen Untersuchungen, welche die Ueberbürdungsfrage e m p i r i s c h zu erledigen suchten, nur im grossen und ganzen im historischen Interesse zu schildern gesucht, da wir der Ansicht sind, dass der bisherige Weg nicht zur Aufklärung der Ermüdungsfrage führen wird. Als das wichtigste Ergebnis der bisherigen Arbeiten auf diesem Gebiet behufs Vermeidung der Ermüdung betrachten wir die V e r k ü r z u n g d e r S c h u l s t u n d e n d u r c h e i n e e n t s p r e c h e n d e V e r l ä n g e r u n g d e r P a u s e n , wozu wir noch eine n a t u r g e m ä s s e *) S c h u l z e , (Leipzig). 50000 Rechenaufgaben. Der prakt. Schulmann. 44. Bd. S. 340. **) K r ä p e l i n . Zur Ueberbürdungsfrage, s. S. 20. wo die S c h u l z e ' s c h e n Untersuchungen noch weiter beurteilt werden. Sie sind keineswegs geeignet, die von ihm aufgeworfene Frage zu beantworten, ob die jetzige U n t e r r i c h t s e i n h e i t als eine Ursache der geistigen Ueberbürdung bezeichnet werden könne. Hierzu sind ausgedehnte Versuche an den verschiedensten Altersstufen notwendig, die eine d a u e r n d e E r m ü d u n g d u r c h e i n e l a n g e U n t e r r i c h t s z e i t in Betracht ziehen. 78*
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Hygiene des Unterrichts.
A u f e i n a n d e r f o l g e d e r U n t e r r i c h t s s t u n d e n rechnen möchten, eine Frage, die wir heim Entwurf eines Lektionsplanes noch näher erörtern werden. Es erübrigt nunmehr, auf das von G r i e s b a c h und K e m s i e s angewandte Verfahren näher einzugehen. G r i e s b a c h * ) hat die P r ü f u n g der H a u t e m p f i n d l i c h k e i t mittels des T a s t e r z i r k e l s zum Nachweis der Ermüdung angewandt. Er geht vom Begriff der physiologischen Empfindungskraft der Haut aus. Jedes von einer Nervenfaser versorgte Hautgebiet stellt nach W e b e r , der die erste Untersuchung und Messung des O r t s s i n n e s vorgenommen hat, einen a n a t o m i s c h e n E m p f i n d u n g s k r e i s dar. Der p h y s i o l o g i s c h e E m p f i n d u n g s k r e i s ist das Vorstellungsbild des erregten Hautgebietes in unserem Bewusstsein, das infolgedessen ein Tastfeld von bestimmter Ausdehnung fühlt. Alle U m s t ä n d e , die in i r g e n d e i n e r W e i s e d a s B e w u s s t s e i n b e e i n f l u s s e n , m ü s s e n d a h e r a u c h die p h y s i o l o g i s c h e n E m p f i n d u n g s k r e i s e v e r ä n d e r n . U e b u n g und A u f m e r k s a m k e i t e r höhen d a s U n t e r s c h e i d u n g s v e r m ö g e n des T a s t s i n n s , verk l e i n e r n a l s o die E m p f i n d u n g s k r e i s e ; A b s t u m p f u n g d e r A u f m e r k s a m k e i t wirkt dem Einfluss der Uebung entgegen; es müssen danr. die Spitzen immer weiter von einander entfernt werden, um getrennte Eindrücke zu erzeugen, d. h. die E m p f i n d u n g s k r e i s e m ü s s e n s i c h e r w e i t e r n . Bei den Prüfungen wurden kleinste Abstände von mehreren festbestimmten gewonnen, z. B. besonders von der S t i r n und J o c h b e i n , dann auch vom Daumenballen, der Zeigefingerkuppe, der Nasenspitze und dem Rot der Unterlippe. Zur Ausübung der Versuche dient ein Zirkel mit scharfen und ein solcher mit kugelförmig abgeschliffenen Spitzen. Mit letzteren ist der von H . W e b e r angegebene Tasterzirkel versehen, den man als A e s t h e s i o m e t e r (aibdeoto die Empfindung, Wahrnehmung (des Ortsinns der Haut), f u(_iv Mass) bezeichnet. Geistig ermüdete Personen, die mit zunehmender Abspannung auch weniger aufmerksam sind, werden eine entsprechende Vergrösserung der Empfindungskreise haben. Man wird die geistige Ermüdung um so sicherer messen können, wenn man die Grösse des Empfindungsvermögens im Zustande des physiologischen Gleichgewichts kennt. G r i e s b a c h * * ) versucht das Zustandekommen der Veränderlichkeit der physiologischen Empfindungskreise mittels einer Theorie des Physiologen *) Prof. Dr. G r i e s b a c h , Energetik und Hygiene des Nervensystems in den Schulen. München 1895. **) M. vergl. die Abhandlung im Archiv f. Hygiene. 24. Band, 3. und 4. Heft. Ferner: V i c t . H e n r i , Ueber die Raumwahrnehmungen des Tastsinns. Berlin 1898.
Hygiene des Unterrichts.
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L . H e r m a n n zu erklären, nach welcher diese V e r ä n d e r u n g durch mangelh a f t e Isolation der E r r e g u n g e n — vermöge dessen ein erregter P u n k t als erregtes K r e i s f e l d erscheinen muss — zu stände kommt, u n d f ü h r t diese E r k l ä r u n g an der H a n d einiger schematiseher Zeichnungen im Detail aus. Verf. f ü h r t e seine Versuche bei Schülern verschiedener Klassen der Oberrealschule u n d des Gymnasiums zu Mülhausen im Elsass, auch zum Vergleiche bei Lehrlingen und jungen M ä n n e r n in mechanischen Webereien und in Maschinenwerkstätten aus. Experimentiert wurde beim Beginn und nach dem Schluss der Arbeit. Z u r "Wiederherstellung des normalen Empfindungsvermögens der H a u t nach dem A u f h ö r e n angestrengter Arbeit war je nach dem Grade der E r m ü d u n g und den individuellen Verhältnissen eine verschieden lange Zeit erforderlich, so dass in vielen Fällen die gebräuchlichen Erholungspausen zur H e r b e i f ü h r u n g nicht ausreichten. Auch der U n t e r r i e h t s s t o ff und die B e h a n d l u n g d e s S t o f f e s sind auf die geistige E r m ü d u n g nicht ohne Eiufluss.
Die vergleichende Untersuchung an den oben näher bezeichneten Personen lehren, dass bei diesen eine so bedeutende Ermüdung, wie sie während des Schulbesuches beobachtet wird, nicht eintritt. Mit Recht betont G r i e s b a c h , dass einigermassen gute Resultate sich nur dann erzielen lassen, wenn ein und derselbe Experimentator die Untersuchung vornimmt. Die zahlreichen Tabellen und Diagramme zeigen eine auffallende Uebereinstimmung, dass nach geistiger Anstrengung eine Vergrösserung der Empfindungskreise eintritt. Die Ausnahmefälle, wo die Werte morgens 7 Uhr höher sind, als nach der 1. und 2. Unterrichtsstunde, erklärt G r i e s b a c h damit, dass der betreffende Schüler am Tage der Messung schon um 5 Uhr aufgestanden war, also entschieden zu wenig geschlafen hatte, was ebenfalls die Sensibilitätsgrösse beeinflusst. In einem anderen Falle, wo schon um 7 Uhr morgens ziemlich hohe Werte gefunden wurden, vermutete G r i e s b a c h nur, dass die Nachtruhe des Schülers eine ungenügende gewesen war. Umgekehrt fanden sich trotz sehr hoher Belastung auch relativ niedrige Zahlen. Die Schlüsse, die G r i e s b a c h selbst aus den Ergebnissen seiner Untersuchungen zieht, geben wir hier wieder, können sie aber nicht billigen, weil seine Beurteilung des Schulunterrichts auf einer zu grellen Schilderung beruht. Er sagt: „Kein Schulkind und kein Erwachsener kann ohne Gefahr f ü r seine Gesundheit Tag ein und Tag aus so lange arbeiten, wie es der jetzige Unterricht bei strenger Durchführung erheischt. Es entstehen nervöse Symptome; diese vererben sich von Geschlecht zu Geschlecht und verschlimmern sich in jeder neuen Generation." Bei Ansetzung von Nachmittagsunterricht, durch den die Ermüdung oft einen noch höheren Grad erreicht, als durch den Vormittagsunterricht, müsse mit der grössten Vorsicht verfahren werden. Jedenfalls erfolge der Beginn des Unterrichts nach Ausdehnung des Morgenunterrichts bis 1 Uhr um' 2 Uhr zu früh. G r i e s b a c h bezeichnet es als das
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Hygiene des Unterrichts.
richtigste, wenn alle wissenschaftlichen Nachmittagsstunden beseitigt würden, was übrigens nicht bloss in Mülhausen, sondern auch in vielen anderen preussischen Städten geschieht, damit der Nachmittag der körperlichen Pflege, bezw. den häuslichen Arbeiten vorbehalten bleibt. Ganz besonders tadelt er die jetzt übliche Handhabung der P r ü f u n g e n und spricht sich besonders gegen die Einführung der mündlichen und schriftlichen Abschlussprüfung für Untersekunda aus, die pädagogisch gar nicht zu rechtfertigen sei. Bei den H a u s a u f g a b e n und beim F a c h l e h r e r s y s t e m stimmt er mit den allgemein angenommenen Forderungen der Schulhygiene überein, lässt aber auch die U e b e r b ü r d u n g d e r L e h r e r nicht unberücksichtigt, wobei er sich auf die Arbeit von A l t s c h u l (Prag), „Ueber die Ueberbürdung unserer Jugend", bezieht, auch den hygienischen Unterricht in den Lehrerseminarien und die Anstellung von Schulärzten für notwendig erachtet. Was seine U n t e r s u c h u n g s m e t h o d e betrifft, so bestreitet er selbst nicht, dass sie noch nicht vollständig dies schwierige Probkm löst, wobei man auch nicht übersehen darf, dass alle Methoden, die den Experimentator von den s u b j e k t i v e n Angaben der Versuchspersonen abhängig machen, nicht in allen Fällen zuverlässige Ergebnisse liefern können. Wenn auch die G r i e s b a c h ' s c h e M e t h o d e in sehr vielen Fällen übereinstimmende Ergebnisse liefert, so kann es sich doch ereignen, dass die Erweiterung der Empfindungskreise auch aus andern Ursachen als durch den Schulunterricht entstehen kann. Bei sensiblen Kindern kann z. B. eine durch die Respirations- und Perspirationsprodukte verunreinigte Schulluft das körperliche Befinden schon nachteilig beeinflussen. Ausserdem kommt die sehr v e r s c h i e d e n e R e i z b a r k e i t d e r H a u t in Betracht, die in einzelnen Fällen einen sehr hohen Grad erreichen und dadurch auch auf die Gestaltung der Empfind ungskreise mit einwirken kann, so dass Fehlerquellen nicht ausgeschlossen sind.*) Ebenso ist die Unbefangenheit oder Befangenheit der V e r s u c h s p e r s o n e n zu berücksichtigen. *) Ein neues Instrument zur Prüfung verschiedener E m p f i n d u n g s q u a l i t ä t e n der Haut hat Dr. A l y - O e y n h a u s e n konstruiert und in der Berliner Wochenschrift (Nr. 3 1898) beschrieben, auch durch Abbildungen erklärt. Das Instrument, welches auf den Prinzipien des Aesthesiometers beruht, soll die Vorrichtung zum Feststellen sämmtlicher E m p f i n d u n g s q u a l i t ä t e n d e r H a u t umfassen, mit Ausnahme der Prüfung der Temperatur. -.Wir bemerken nur, dass es aus einer Metallhülse von 13 cm besteht, deren Durchmesser 5 mm beträgt. Erfahrungen über die Brauchbarkeit des Instruments liegen noch nicht vor.
Hygiene des Unterrichts.
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Gehen wir zur Betrachtung der praktischen Untersuchungen über, die nach der G r i e s b a c h ' s c h e n Methode angestellt worden sind, so zeichnet sich unter denselben die Arbeit von Dr. L u d w i g W a g n e r * ) durch Ausführlichkeit aus. Bei unserer diesbezüglichen Mitteilung müssen wir uns jedoch auf das Hauptergebnis aller Messungen beschränken. Betreffs der „ K e n n z e i c h e n von U e b e r b ü r d u n g " kann man hiernach einen Schüler als r e l a t i v ü b e r b ü r d e t betrachten, wenn er wiederholt hohe Anfangszahlen zeigt; dauernd herabgesetzte Sensibilität ist also ein Zeichen von U e b e r a n s t r e n g u n g . Ob diese Ueberbürdung dann d i r e k t e F o l g e d e s S c h u l b e t r i e b e s ist ( a b s o l u t e U e b e r b ü r d u n g ) oder d u r c h a n d e r e M o m e n t e (zu f r ü h e s A u f s t e h e n , bezw. u n g e n ü g e n d e r S c h l a f als A u s w ä r t i g e r , A b e n d a r b e i t und f o l g e n d e M o r g e n d e p r e s s i o n , zu s p ä t e s Z u b e t t gehen, Nervosität, unhygienische Lebensweise, unpassende E r n ä h r u n g ) bedingt ist, muss stets berücksichtigt werden. Nimmt man die im arithmetischen Hauptmittel aller Messungen gefundenen Zahlen als N o r m an, also vor d e m U n t e r r i c h t 10 mm, S t e i g e r u n g durch den Unterricht um 4 bis 5 mm, so ergiebt sich eine Ueberschreitung der Anfangszahlen hauptsächlich bei Auswärtigen, sodann bei einigen n e r v ö s e n S c h ü l e r n . Ein allgemeines Vorkommen hoher Anfangszahlen wurde natürlich nicht beobachtet. Es wird auf die bekannte Thatsache hingewiesen, dass eine gewisse Anzahl Schüler jene f ü r höhere Berufe erforderliche Beanlagung nicht besitzt. Dadurch, dass sie durch erhöhte Thätigkeit die Mängel ihrer Begabung ausgleichen müssen, verfallen sie in eine gewisse IJeberarbeitung und sind deshalb vor einer gewissen Ueberbürdung nicht zu schützen, eine Erfahrung, auf die wir schon mehrmals hingewiesen haben. Von Bedeutung f ü r die Ueberbürdungsfrage ist auch die U n t e r r i c h t s m e t h o d e . Der Unterricht muss Lustgefühl erwecken und darf deshalb nicht langweilig sein. Bei undankbaren Stoffen (Grammatik) kann eine psychologische Methodik, die durch Heranziehung geeigneter Assoziationen das Interesse der Schüler für den behandelten Gegenstand wachruft, doch von grossem Werte sein. Werden dabei durch Anwendung d e r f r a g e n d e n U n t e r r i c h t s f o r m , k l a r e D i s p o s i t i o n , möglichste Anschaulichkeit die Schüler zur S e l b s t t h ä t i g k e i t angeregt, so dass die Stunde unter Lustgefühl, zum mindesten ohne Unlustgefühl verläuft, so ist durch eine solche Methodik offenbar pädagogischen und hygienischen Zwecken gedient. Jene Unterrichtsweise, die man kurz *) Dr. L u d w i g A V a g n e r , U n t e r r i c h t u n d E r m ü d u n g . Ermüdungsmessungen an Schülern des neuen Gymnasiums in Darmstadt. Berlin 1898.
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Hygiene des Unterrichts.
als H e r b a r t ' s c h e M e t h o d e bezeichnet, dürfte besonders geeignet sein, ausgedehnte Haus- und Gedächtnisarbeit entbehrlich zu machen. Die Vorzüge eines h y g i e n i s c h b e t r i e b e n e n S c h u l w e s e n s können aber erst dann zur vollen Geltung kommen, wenn auch seitens des E l t e r n h a u s e s entsprechend verfahren wird. In dieser Richtung ist auf die schon oft erörterten Punkte: E r h o l u n g , S c h l a f und E r n ä h r u n g hinzuweisen. M u s i k s t u n d e n gewähren solchen Kindern keine Erholung, die an sich schwächlich und nervös sind, auch dem Unterricht mit Mühe folgen. Unter den musiktreibenden Schülern gehören viele zu den schwächsten ihrer Klasse. Ob dabei der Zufall oder die causale Beziehung eine Rolle spielen, bedarf der spezieilen Untersuchung. Hinsichtlich der S c h l a f z e i t ist die Unsitte zu erwähnen, wenn kleine Kinder von 11 Jahren im Winter schon vor 6 Uhr aufstehen müssen, um in die Kirche zu gehen. Fehlerhaft ist es ferner, elfjährige Jungen, die um 7 Uhr aufstehen müssen, erst um 11 Uhr ins Bett zu schicken. Wenn von elf- bis zwölfjährigen Schülern fast mehr als 50°,o am Abend regelmässig B i e r oder sogar W e i n als Getränk erhalten, so beweist dies die Unkenntnis hygienischer Lehren. Dass a l l e diese Alkohol geniessenden Schüler für den Laien erkennbare n e r v ö s e S y m p t o m e hätten, was nach den Darlegungen von S c h u s c h n y vielleicht erwartet werden könnte, war nicht zu bestätigen. Immerhin waren solche innerhalb dieser Gruppe bei der H ä l f t e wahrnehmbar, von der a n d e r e n G r u p p e dagegen bei keinem einzigen, ausgenommen bei einem Schüler, bei dem eine organische chronische Erkrankung (Herzaffektion) als Ursache verantwortlich zu machen war. Dass ein frühzeitiger Alkoholgenuss die N e r v o s i t ä t erzeugen kann, ist zweifellos; eine kräftige Konstitution wird indes oft diesen Nachteil überwinden, wobei jedoch stets zu berücksichtigen ist, dass die Diagnose auf N e r v o s i t ä t oft schwierig ist, wenn es sich um die l e i c h t e r e n F o r m e n handelt, in welchem Falle gerade die Entscheidung oft nicht leicht ist, ob eine noch in physiologischer Breite liegende, *) S c h u s c h n y rechnet zu den Symptomen der Nervosität: Pupillenweite. eigentümliche m o t o r i s c h e S t ö r u n g e n , wozu das R o s e n b ach'sche S y m p t o m : m a n g e l h a f t e r L i d s c h l u s s beim Stehen mit geschlossenen Füssen gehört, was indess von andern Autoren nicht für pathognomisch gehalten wird. Die R e f l e x e sind oft hei Nervösen gesteigert; auch S t ö r u n g e n d e r S t i m m e und S p r a c h e kommen vor. Ausserdem kommt besonders der K o p f sclim e r z in Betracht, ferner N a s e n b l u t e n , S c h w i n d e l . Z i t t e r n an der Z u n g e oder den a u s g e s t r e c k t e n H ä n d e n , sowie ein g e s t ö r t e r S c h l a f . Die Figur ist schlank, die Haut weiss und zart.
Messungsresultate.
1241
etwas e r h ö h t e E r r e g b a r k e i t des G e f ä s s s y s t e m s etc. oder ein p a t h o l o g i s c h e r Zustand vorliegt. Wagner's S c h l u s s ä t z e stimmen im allgemeinen mit den vorstehenden Ausführungen überein und lauten wie folgt: 1. Die G r i e s b a c h'sche Methode ist geeignet, Ermüdungsgrade zu messen. 2. Die p h y s i o l o g i s c h e n N o r m e n in der Gegend der Jochbeine sind bedeutend niedriger als bisher angegeben. Sie betragen v o r n ca. 2—5. h i n t e n 10 mm. 3. Manche Schüler zeigen schon vor dem Unterricht gegen die Norm e r h ö h t e Z a h l e n . Bs sind dies besonders Auswärtige, Nervöse und gelegentlich Indisponierte. 4. Hohe Ermüdungszahlen treten nach dem. Unterricht bei sehr a u f m e r k s a m e n S c h ü l e r n auf, besonders niedrige bei u n a u f m e r k s a m e n . Nach anstrengenden Stunden, besonders nach K l a s s e n a r b e i t e n , zeigen sieh wiederholt h ö h e r e Z a h l e n als nach für wenig anstrengend bekannten Stunden; dabei ist d i e Z a h l der deutlich ermüdeten Schüler nach Klassenarbeiten grösser als nach andern Stunden. 5. Unter sonst gleichen Umständen (gleicher Aufmerksamkeit) scheinen b e g a b t e S c h ü l e r weniger zu ermüden als minderbegabte. 6. A u s w ä r t i g e S c h ü l e r beginnen oft mit erhöhter Anfangszahl, die dann weiterhin gewöhnlich nur wenig Aendcrung erleidet (geringe Aufmerksamkeit infolge Schläfrigkeit, veranlasst durch zu frühes Aufstehen). Werden sie aber (durch schriftliche Arbeiten z. B.) zu energischer Arbeit gezwungen, so zeigen sich oft abnorm hohe Ermiidungsgrade ( U e b e r m ü d u n g ) . 7. N e r v ö s e S c h ü l e r beginnen ebenfalls oft mit erhöhter Anfangszahl, werden aber allmählich oft frischer, so dass niedrigere Zahlen auftreten als am Schulbeginn (Morgendepression der Nervösen und Abendarbeiter), beteiligen sich dann lebhafter am Unterricht, so dass jetzt höhere Zahlen sich ausbilden und endigen nicht selten mit recht hohen Ermüdungszahlen ( n e r vöse E r s c h ö p f b a r k e i t ) . 8. Sehr a u f m e r k s a m e S c h ü l e r , besonders solche von nicht sehr kräftiger Konstitution, zeigen häufig hohe Endzahlen. Erfolgte Uebermüdungen scheinen bisweilen mehrere Tage zu ihrer Ausgleichung zu bedürfen (wiederholte hohe Anfangszahlen bei solchen Schülern). 9. Aus irgend einer Ursache (Katarrh, Erkältung, verdorbener Magen) u n d i s p o n i e r t e S c h ü l e r haben häufig eine erhöhte Anfangszahl, die durch fast alle Stunden hindurch unverändert beibehalten wird. (Der Erschlaffungszustand macht Aufmerksamkeitsanspannung und damit Ermüdung unmöglich.) 10. F ü r die Grösse der Ermüdung macht die P e r s o n des Lehrers viel mehr als der S t o f f ; die Wirkung der verschiedenen Stoffe, soweit vorhanden, ist wenig verschieden. Wenn man M a t h e m a t i k = 100 setzt, so ergiebt sich folgende Reihenfolge: M a t h e m a t i k = 100, L a t e i n = 91, G r i e c h i s c h — 90, T u r n e n = 90, G e s c h i c h t e = 85, G e o g r a p h i e = 85, R e c h n e n = 82, F r a n z ö s i s c h = 82, D e u t s c h = 82, N a t u r k u n d e = 80, Z e i c h n e n = 77, R e l i g i o n = 77. 11. T u r n s t u n d e n unterschieden sich in ErmüdungsWirkung nicht wesentlich von andern Unterrichsstunden und können nicht erholend wirken. 12. Selbst S p i e l s t u n d e n wirken nicht unbedingt erholend; energisch spielende Schüler erreichen vielmehr hohe Ermüdungszahlen; erholt zeigen sich die unthätigen Schüler.*) 13. Turn- und Spielstunden werden zweckmässig auf Schluss des Unterrichts oder noch besser auf den Nachmittag gelegt. *) Der Grad der Ermüdung hängt jedenfalls von B a l l s p i e l wird z. B. am ehesten Ermüdung bewirken.
der
Spielart
ab.
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H y g i e n e des U n t e r r i c h t s .
14. D e r N a c h m i t t a g ist aus hygienischen und pädagogischen Gründen von wissenschaftlichem U n t e r r i c h t frei zu machen. 15. D e r V o r m i t t a g s u n t e r r i c h t bietet allbekannt grosse hygienische V o r t e i l e dem N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t gegenüber. 16. D e r N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t ist p ä d a g o g i s c h wertlos, da er m i t ermüdeten S c h ü l e r n arbeitet, h y g i e n i s c h bedenklich, da er eine zu starke I n a n s p r u c h n a h m e des G e h i r n s v e r l a n g t und zu wenig Zeit für Erholurfg neben den H a u s a u f g a b e n übrig lässt. 17. D i e E r w e r b u n g h y g i e n i s c h e r K e n n t n i s s e sollte L e h r e r n und Gebildeten in höherem M a s s e als seither ermöglicht werden. F ü r L e h r e r dürfte P r ü f u n g in S c h u l h y g i e n e , H ö r e n v o n V o r l e s u n g e n ü b e r H y g i e n e (wo sich G e l e g e n h e i t dazu bietet), am besten praktisch-hygienische S c h u l u n g im S e m i n a r (bezw. auf der Universität) empfehlenswert sein. F ü r V e r b r e i t u n g hygienischer K e n n t n i s s e unter den Gebildeten möchte H y g i e n e - U n t e r r i c h t in P r i m a sich dienlich erweisen. A u c h in den anderen Schulen sollte solcher U n t e r r i c h t eingeführt werden.
W a g n e r s Schlussurteil lautet dahin, dass sich als Hauptresultat mit zweifelloser Gewissheit die Thatsache herausgestellt habe, dass ä s t h e s i o m e t r i s c h e M e s s u n g e n ein vorzügliches, wenn nicht das wichtigste diagnostische Hilfsmittel bei Untersuchungen auf U e b e r b ü r d u n g sind. Bei dem Mangel sonstiger entscheidender objektiver Symptome sollte daher diese Untersuchungsmethode niemals unterlassen werden. Urteilen über das Vorhandensein oder Fehlen von U e b e r b ü r d u n g ohne diese Grundlage könne nur bedingter W e r t zukommen, stets vorausgesetzt, dass man Fehlerquellen und die Disposition der zu untersuchenden Schüler sorgfältig berücksichtigt. Bestätigt wurden die G r i e s b a c h ' s c h e n Ermüdungsmessungen durch V a n n o d*) an Schülern des Gymnasiums und der Realschule zu Bern. Auch das Resultat in Bezug auf die Ermüdungswirkung der einzelnen Lehrgegenstände stimmte mit dem Griesbach'schen überein mit Ausnahme des Z e i c h e n u n t e r r i c h t s , der in einem Falle ermüdend wirkte, während nach W a g n e r das Z e i c h n e n die geringste Ermüdung erzeugt. Man muss die Art des Zeichnens: Freihandzeichnen,
Körperzeichnen,
Linearzeichnen, unterscheiden. M. vergi. S. 1257. V a n n o d suchte mittels eines einfachen und für weitere Untersuchungen sehr wohl geeigneten A l g e s i m e t e r s * * ) Ermüdung auf die S c h m e r z e m p f i n d l i c h k e i t
die Wirkung der
zu ermitteln.
Bei den
meisten Schülern ergab sich H y p e r a l g e s i e , zusammentreffend mit der Herabsetzung
der T a s t e m p f i n d l i c h k e i t -
Der Gang der Unter-
* ) T h e o d . V a n n o d , L a fatique intellectuelle et son influence sur la sensibilité cutanée.
T h è s e inaugurale.
* * ) D e r von B j ö r n s t r ö m
Genève
1896.
erfundene A l g e s i m e t e r (âXyoç S c h m e r z ) be-
steht aus einer K n e i f z a n g e , die mittels einer S k a l a die B e s t i m m u n g des zur E r zeugung
von
Schmerzempfindung
gerade
erhobenen H a u t f a l t e n a c h Gewichtsgrössen
erforderlichen
gestattet.
Druckes
einer
Pendelästhesiometer.
1243
suchung ist auf mehreren Tafeln in Kurven dargestellt. Das Verfahren verdient noch ausführlichere Untersuchungen.
Z i e h e n * ) ist der An-
sicht, dass die bisher gebräuchlichen A e s t h e s i o m e t e r von G r i e s b a c h , F r e y und E u l e n b u r g keine direkte Messung des D r u c k r e i z e s
er-
lauben, da sie besten Falls nur das G e w i c h t ( p = m g ) , nicht aber die lebendige K r a f t Das
von
ihm
auf welche es doch ankomme, messen.
konstruierte
P e n d e l i i s t he s io 111 e t e r
helfe diesem
Missstande ab.**) Das P e n d e l besteht aus einem Blechstreifen, an dessen unterm Ende ein zweiter senkrecht zur Schwingungsebene des Pendels befestigt wird. Der zweite Blechstreifen trägt zwei vorspringende Knöpfchen, die fast in ganzer Länge des Bleichstreifens verschiebbar sind. Handelt es sich nur um Peststellung, wie weit überhaupt Reize bestimmter Intensität empfunden werden ( I n t e n s i t ä t s m e s s u n g e n ) , so wird nur eins der Knöpfchen verwandt. Die Intensität des D r u c k r e i z e s wird variiert, indem man entweder den Schwingungswinkel des Pendels vergrössert oder das Pendel durch Zusatzgea
wichte beschwert.
(E = 2 s i n 2 -p-, g. m 1).
Die
Reduktion
des
physischen
Pendelästhesiometers auf das mathematische, — mit Hülfe der Formel T JV — erlaubt zum ersten Mal eine a b s o l u t e R e i z m e s s u n g . 1 = g ( Derselbe Apparat kann auch zur Bestimmung der R a u m s c h w e l l e verwandt werden. Dann kommen beide Knöpfchen in w e c h s e l n d e m Ali s t ä n d e zur Verwendung. In letzterem Falle hat der Versuch so stattzufinden, dass an der zu prüfenden Hautregion für verschiedene Abstände der Knöpfchen einzeln der Prozentsatz der richtigen Fälle festgestellt wird. Die so sich ergebende Kurve giebt ein exaktes Bild der Raumschwelle. Reizungen mit einem Knöpfchen werden zur Kontrolle allenthalben eingeschalten. Die hierbei sich ergebenden falschen Fälle (Doppelempfindungen) werden als Mass des Einflusses der Autosuggestion nii ; verwertet. Auch die Reizungen mit 2 Knöpfchen haben nicht in steigenden Abständen, sondern promiscue mit verschiedenen Abständen stattzufinden. So vermeidet man die sogenannten V e x i e r f e h 1 er. Zur Bestimmung der Reizschwelle lässt Z i e h e n abgewogene Mengen einer pulverförmigen Substanz durch ein Glasrohr auf eine umschriebene Hautstelle fallen. Praktische Versuche mit diesem Instrumente sind noch nicht veröffentlicht worden; wir müssen daher abwarten, ob es sich bewährt. Griesbach
hält j a selbst seinen Aesthesiometer f ü r
verbesserungs-
bedürftig. Der E r g o s t a t
(egyov, Arbeit, axaxos, gestellt) wurde ursprünglich
von Professor G ä r t n e r in Wien konstruiert, um die Muskelarbeit zu messen und therapeutisch zu verwenden.***) M o s s o , Professor der Physiologie in Turin, hat einen E r g o g r a p h e n konstruiert, bei dem auf einer vorübergeführten berussten Platte *) Z i e h e n (Jena), Ueber ein neues Aesthesiometer und die Methoden zur Bestimmung der Raumschwelle. Münch, mediz. "VVochenschr. Xo. 5. 1899. **) Das Instrument ist beim Mechaniker Gesecke zu Jena zu haben. ***) Ursprünglich besteht die Arbeit darin, dass der Kranke mit beiden Händen an einer Kurbel eine Eisenscheibe dreht und zwar in einer gebückten
1244
Ergostat.
in senkrechten Ordinaten die G r ö s s e d e r B e u g b e w e g u n g des mit einem Gewicht belasteten Mittelfingers unter Fixierung der übrigen Finger, der Hand und des Vorderarmes verzeichnet wird. An der Abnahme der bezeichneten Höhen beobachtet man die E r m ü d u n g , wenn die betreffenden Muskeln durch den Impuls des Willens oder künstlich durch einen elektrischen Strom zur Zusammenziehung gebracht, bezw. die Finger gebeugt werden. In der Kurve, welche die Gipfelpunkte der Ordinatenhöhe verbindet, findet die E r m ü d u n g ihren direkten Ausdruck, worüber Mosso in seinem Buche: „Die Ermüdung" das Nähere mitgeteilt hat.*) Es ist allgemein bekannt, wie verschieden die Menschen nach körperlicher und geistiger Arbeit ermüden, daher auch jedes Individuum eine von anderen verschiedene E r m ü d u n g s k u r v e hat, die aber doch, wie wir schon früher gesehen haben, aus sehr verschiedenen Ursachen Schwankungen zeigen kann, je nachdem die verschiedenen Einflüsse auf den Organismus eingewirkt haben, ein Umstand, der bei allen Ermüdungsmessungen die grösste Beachtung verdient. Es ist ferner Thatsache, dass a n g e s t r e n g t e G e i s t e s a r b e i t eben so gut wie ü b e r m ä s s i g e M u s k e l a n s t r e n g u n g auf die Muskeln zurückwirkt und Ermüdung erzeugt, indem der physiologische, vom Gehirn ausgehende zentrale Nervenimpuls im ersteren Falle d i r e k t auf die Muskeln wirkt, im anderen Falle i n d i r e k t i n Mitleidenschaft gezogen wird,, wenn grosse Muskelarbeiten den ganzen Körper angreifen, denn im Organismus ist jeder Teil von dem andern abhängig und wirkt darauf zurück.
Auf diesen Prinzipien beruhen die vom Oberlehrer K e m s i e s in Berlin angestellten Untersuchungen mit den Ergographenmessungen.*) Stellung. Durch einen Bremsapparat kann die bei jeder Kurbelumdrehung zu leistende Arbeit beliebig verändert werden. An dem empirisch geaicliten Apparat lässt sich die geleistete Arbeit in Kilogrammmetern ausdrücken; auch die Zahlen der gemachten Kurbeldrehungen lassen sich direkt ablesen, so dass eine genaue Dosierung der zu leistenden Muskelarbeit stattfinden kann. *) A n g e l o M o s s o , Körperliche Erziehung der Jugend. Uebersetzt von Johanna Glinzer. Hamb. Leipzig 1894. — D i e Ermüdung. Uebers. v. J. Glinzer. Leipzig 1892. **) K e m s i e s vorläufige Mitteilungen sind in der Deutsch, mediz. Wochensch. 1896 S. 433 veröffentlicht worden. Seine „ A r b e i t s h y g i e n e d e r S c h u l e " auf Grund von Ermüdungsmessungen erschien in der Sammlung von S c h i l l e r und Z i e h e n 1898.
Ergostat.
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Der E r g o g r a p h soll eben die jeweilige physiologische Leistungsfähigkeit dadurch feststellen, dass er die mechanische Arbeit einer bestimmten Muskelgruppe bis zu ihrer totalen Erschöpfung direkt verzeichnet. Den Apparat, der die Hand unbeweglich festhält, nennt man den F i x i e r a p p a r a t , während der R e g i s t r i e r a p p a r a t die periodischen Kontraktionen des sich frei bewegenden und belasteten Mittelfingers auf dem berussten rotierenden Cylinder graphisch angiebt.. Die dadurch entstehende Linie heisst E r m ü d u n g s k u r v e , die nach Mosso f ü r jede Person charakteristisch ist, d. h. im ausgeruhten Zustande entsteht bei einem g e w i s s e n G e w i c h t und d e m s e l b e n R h y t h m u s die gleiche Linie. Wenn aber ein grösseres oder geringeres Gewicht gehoben werden soll oder der Rhythmus der Kontraktionen sich ändert oder die Person d u r c h v o r h e r g e g a n g e n e A r b e i t m e h r o d e r w e n i g e r e r m ü d e t ist, so muss sich auch die Kurve verändern, weil sie aus einem Komplex von Ursachen entsteht, die nicht nur auf die Muskeln, sondern auch auf die N e r v e n z e n t r e n und den B l u t k r e i s l a u f wirken und ausserdem von der Zusammensetzung des Blutes und der Gesamtkonsistenz des Organismus abhängig sind.*) Mosso hält die E r m ü d u n g f ü r einen Vorgang chemischer Natur, wenn sich im Blute Zerfallstoffe, deren wichtigster die M i l c h s ä u r e sein soll, anhäufen, eine Hypothese, die auch für den Eintritt des Schlafes aufgestellt wird. Es ist nicht unmöglich, dass bei der Ermüdung wie beim Schlafe eine Veränderung in der Gehirnsubstanz vor sich gehen kann, die wir noch nicht kennen und uns wahrscheinlich f ü r immer unbekannt bleiben wird. Der Schlaf ist jedenfalls das wichtigste Mittel, die Ermüdung zu beseitigen, indem er einen Gleichgewichtszustand des Gehirns darstellt, weshalb die Auffassung, dass der S c h l a f eine E r m ü d u n g s - und E r h o l u n g s - E r s c h e i n u n g ist, die einfachste und natürlichste Erklärung ist. Die geistige Thätigkeit ist es nicht allein, die m u s k u l ä r e E r m ü d u n g erzeugt, der Schlaf und die Nahrung sind sehr wichtige Momente, wenn ihr Mangel sich äussert; Gemütsaufregungen und anstrengende körperliche Arbeiten und viele andere Ursachen, die die Gehirnthätigkeit nachteilig beeinflussen, gehören hierher. Es müssen also die p h y s i o l o g i s c h e n B e d i n g u n g e n erfüllt sein, wenn die Frage nach dem Ermüdungswert einer bestimmten geistigen Arbeit beantwortet werden soll. *) Neuerdings hat der Ergograph eine weitere "Umgestaltung erhalten, die von K e m s i e s (S. 37 seiner Arbeit) durch eine Zeichnung veranschaulicht worden ist.
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Ergograph.
Einwendungen gegen die Anwendung des Ergographen können nach der Ansicht von K e m s i e s nicht das Prinzip, sondern nur die Empfindlichkeit desselben zur Messung der Ermüdung treffen. Dieselben könnte man durch Messungen selbst und den Vergleich mit anderen Momenten widerlegen. Nachstehende Zahlen, welche K e m s i e s an seiner eigenen Person gefunden, um den Wert des Ergographen zu illustrieren, sollen die muskuläre Leistung des Mittelfingers in K i l o g r a m m m e t e r n vorstellen und wurden berechnet, indem man sämtliche Hubhöhen der Ermüdungskurven addierte und die Summe mit dem aufgehobenen Gewicht (4,20 kg) multiplizierte. 3. J a n u a r 1896. 3 U h r n a c h m i t t a g s 4 , 5 7 8 (um diese T a g e s z e i t liegt ein p e r i o d i s c h e s M i n i m u m ) , 8 U h r 30 M i n u t . 5 , 0 0 0 ( D u r c h s c h n i t t s l e i s t u n g ) . 4. J a n u a r 1896. 8 U h r 4 5 M i n . v o r m i t t a g s (nach n e u n s t ü n d i g e m S c h l a f , f r i s c h ) 5,418. 10 U h r 45 M i n u t e n 5,657 (nach Z e i t u n g s l e k t ü r e u n d e i n h a l b s t ü n d i g e r A r b e i t a n g e r e g t ) . 3 U h r 15 Min. n a c h m i t t a g s 4 , 0 8 6 (nach f o r t g e s e t z t e r g e i s t i g e r A r b e i t , m ü d e ) . 6 U h r 15 M i n . 5 , 2 8 2 (nach S p a z i e r e n u n d B a d e n , f r i s c h ) ; 2 U h r 30 M i n . n a c h t s 4 , 4 9 4 ( E r m ü d u n g nach einem g e s e l l s c h a f t l i c h e n Abend). 5. J a n u a r 1896. 10 U h r 30 M i n . v o r m i t t a g s 4 , 8 6 8 ( n a c h s i e b e n s t i i n d i g e m S c h l a f , w e l c h e r n i c h t a u s g e r e i c h t h a t t e , die E r m ü d u n g f o r t z u s c h a f f e n ) . 1 U h r 30 M i n . n a c h m . 2 , 9 8 2 ( n a c h f o r t g e s e t z t e r geistiger B e s c h ä f t i g u n g , U e b e r m ü d u n g ) . 6. J a n u a r 1896, 8 U h r 30 M i n . v o r m i t t a g s 5 , 1 2 4 ( n a c h z e h n s t ü n d i g e m S c h l a f , die U e b e r m ü d u n g a u s g e g l i c h e n ) : 2 U h r 45 M i n . n a c h m i t t a g s 3 , 4 4 4 ( t r i t t w i e d e r h e r v o r ) . 5 U h r 30 M i n . 4 , 6 2 0 (nach e i n s t ü n d i g e m S c h l a f ) ; 8 U h r 15 M i n . 5 , 2 9 2 ( n a c h B a d e n , Spazieren u n d N a h r u n g s a u f n a h m e , frisch). 7. J a n u a r 1896. 1 U h r 30 M i n . 4 , 8 7 2 (nach Schulschluss)^ 8. J a n u a r 1896, 8 U h r m o r g e n s 5 , 9 6 4 ( M a x i m u m ) . 5. F e b r u a r 1896, 8 U h r a b e n d s 4 , 2 4 2 ( m ü d e ) ; 12 U h r n a c h t s 4 , 1 1 6 (nach e i n e r V e r e i n s s i t z u n g m ü d e , doch g e i s t i g a n g e r g t ) . 6. F e b r u a r 1896, 7 U h r 30 M i n . m o r g e n s 3,948 ( E r m ü d u n g noch nicht ausgeglichen, obwohl geistig angeregt). D i e n a c h s t e h e n d e V e r s u c h s a r b e i t f ü r v e r s c h i e d e n e P e r s o n e n e n t h ä l t je nach den verschiedenen Verhältnissen: der V o r b i l d u n g , der B e f ä h i g u n g , d e m p h y s i o l o g i s c h e n Z u s t a n d e u n d d e m A r b e i t s t y p u s , eine v e r s c h i e d e n s t a r k e B e l a s t u n g , w e l c h e m u s k u l ä r zur E r s c h e i n u n g k o m m t . Ein R e c h e n v e r s u c h v o n 70 M i n u t e n D a u e r . I I 2 5 bis 1 2 3 ' (von 10 3 0 bis I I 2 3 R u h e pause), an w e l c h e m zwei T e r t i a n e r K . u n d St.. sowie zwei Q u a r t a n e r H . u n d M . t e i l n a h m e n , e r g a b die f o l g e n d e n D i f f e r e n z e n : bei K . St. H. M. Gewicht: 4,200 k g 3.570 k g 2.550 k g 2.550 k g 10 3 u : 3,318 k g m 1.714 k g m 1.122 k g m 1.097 k g m 12 3 5 : 3.612 ,. 1.607 .. 0.638 „ 0.536 ., D i f f e r e n z : - f - 0,294 „ — 0,107 „ — 0.484 „ — 0,561 „
Nach der Ansicht von K e m s i e s charakterisiert der Befund die Versuchspersonen sehr treffend. K., ein befähigter Schüler von grosser Widerstandskraft, wird durch die bezeichnete Arbeitsleistung subjektiv und objektiv angeregt. Sein Klassengenosse St. büsst einen kleinen Prozentsatz an Muskelkraft ein; die beiden Quartaner erleiden dagegen eine beträchtliche Einbusse von 43 bezw. 51 °'o und sind subjektiv stark deprimiert.' Man müsse sich diese Thatsache vergegenwärtigen,
Ergograph.
1247
wenn bei den Messungsergebnissen Verschiedenheiten sich zeigten. Im Klassenunterricht sei zudem die Anstrengung der einzelnen Schüler verschieden gross. Unter s u b j e k t i v e r E r m ü d u n g wird die Vorstellung verstanden, welche von der eigenen Ermüdung auf Grund der Ermüdungsempfindungen entsteht. Diese zeigen sich, wenn die Ermüdung schon einen gewissen Grad erreicht hat und gehören zu den Gemeinempfindungen, deren Quelle in den N e r v e n z e n t r e n gelegen ist. Die Bezeichnungen f ü r subjektive Ermüdung lauteten: „sehr frisch", „frisch", „ziemlich frisch", „etwas müde", „müde". Das Kriterium der U e b e r b ü r d u n g ist in der andauernden M u s k e l d e p r e s s i o n zu finden und entsteht, sobald der Organismus durch Mangel an S c h l a f , N a h r u n g und h i n r e i c h e n d e r B e w e g u n g im F r e i e n , durch U e b e r a r b e i t u n g oder k r a n k h a f t e S t ö r u n g e n in einen Schwächezustand gerät, der kürzere oder längere Zeit anhält. Die Depressionen, die am folgenden Tage durch die Schulanstrengung noch zunehmen, verschwinden häufig durch vermehrten Schlaf, geringere Arbeitsleistung und namentlich durch die Elastizität der Jugend, durch Bäder, Turnen und Spiele im Freien. Ob sich jedoch durch wiederholte starke und anhaltende Hemmungen vitaler Prozesse nicht dauernde Nachteile f ü r die physische und psychische Entwicklung ergeben, ist eine Frage, die K e m s i e s bejahen möchte. Der Schule müssten die meisten tiefen Werte zur Last gelegt werden; ohne ihr Zuthun würden viele Depressionen nicht stattfinden, sicher sich schneller ausgleichen. Aus weiteren Beispielen, die nur einen Teil der vorgenommenen Messungen repräsentieren, glaubt Kemsies die Frage der z e i t w e i l i g e n U e b e r b ü r d u n g der Schüler unserer höheren Lehranstalten im bejahenden Sinne beantworten zu sollen. Dies kann unter gewissen Umständen gewiss der Fall sein, wenn man die verschiedene Begabung der Schüler in Betracht zieht. Die Lösung mancher Aufgaben ist f ü r den begabten Schüler oft eine Geringfügigkeit, f ü r manche weniger denkfähige Schüler aber eine Ueberanstrengung, eine Ueberbürdung. Z e i t w e i l i g e U e b e r b ü r d u n g e n bei e i n z e l n e n S c h ü l e r n werden daher je nach der schwächeren Begabung unvermeidlich sein und durch Müdigkeit sich äussern. Dass auch noch viele andere Verhältnisse hierauf einwirken, geht schon aus den wichtigsten Ergebnissen hervor, die K e m s i e s schliesslich zusammenfasst:
1248
Ergograph.
Die b e s t e n A r b e i t s t a g e der Woche sind der Montag und Dienstag, sowie jeder erste und zweite Tag nach einem Ruhetage. Sie eignen sich infolgedessen zur Vornahme von Prüfungsarbeiten. Die am Sonntag erworbene körperliche und geistige Frische hält vielfach nur bis Dienstag nachmittag an. Deshalb dürfte sich empfehlen, den Mittwoch oder Donnerstag an höheren Schulen stark zu entlasten, eventuell einen Ruhetag einzurichten.*) Die b e s t e A r b e i t s z e i t d e s S c h u l t a g e s sind die beiden ersten Schulstunden, in denen die Mehrzahl der Schüler ihr Arbeitsoptimum besitzt; nur am M o n t a g dürften die 3. und 4. Stunde bessere Arbeitswerte ergeben; der Ergograph indiziert für diese Zeitlagen in der Regel den besten physiologischen Zustand. Der d r e i s t ü n d i g e N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t der höheren Lehranstalten wirkt überaus anstrengend und müsste auf den Montag verlegt werden. (Sein gänzlicher Ausfall ist entschieden vorzuziehen.) P a u s e n von längerer Dauer sind nach zweistündigem Unterricht, sowie nach jeder folgenden Stunde einzuschieben. (Dies Thema haben wir schon mehrmals besprochen und werden auch noch auf dasselbe zurückkommen.) F e r i e n üben sicher eine kräftige Wirkung aus, deren, Folgen jedoch kaum länger als v i e r W o c h e n nachweisbar sind; auch aus diesem Grunde erscheint öftere Einschiebung von Ruhetagen in die Arbeitszeit wünschenswert. Der L e k t i o n s p l a n hat die einzelnen Lektionen nach ihrem E r m ü d u n g s w e r t so zu gruppieren, dass ein gewisser Ausgleich beginnender Ermüdung entsteht. Die Fächer ordnen sich nach ihrem ergographischen Index folgendermassen: 1. 2. 3. 4.
Turnen. Mathematik. Fremdsprachen. Religion.
5. 6. 7. 8.
Deutsch. Naturwissenschaft und Geographie. Geschichte. Singen und Zeichnen.
Die S t u n d e n z a h l des S c h u l t a g e s soll ohne Not für Kinder von 10—12 Jahren nicht vier Stunden überschreiten; für 12—14jährige Kinder dürften fünf Stunden Maximum sein. Auf l e i c h t e r m ü d b a r e K i n d e r ist im Unterricht so viel als *) I n den französischen Schulen ist der Donnerstag freigegeben, um am religiösen Unterricht der Konfession teilnehmen zu können. Der Schulunterricht fällt dann aus.
124a
Ermüdungsprüfung.
möglich Rücksicht zu nehmen. Als weitere geeignete gungen
Arbeitsbedin-
erscheinen nach den Ermüdungsmessungen immerhin
kräf-
t i g e E r n ä h r u n g , h i n r e i c h e n d e r S c h l a f und S p a z i e r g ä n g e .
Einzelne Einwendungen gegen die Ermüdungsmessungen haben wir schon gestreift; man kann annehmen, dass man in vielen Fällen zu den aus denselben gezogenen Schlüssen auch auf empirischem Wege gelangen kann. Dass z. B. kräftige Ernährung, hinreichender Schlaf und Spaziergänge für die Schulleistungen fundamentale Bedingungen sind, wissen v i r längst auf Grund der täglichen Erfahrung. Namentlich die von K e m s i e s an seiner eigenen Person ausgeführten Prüfungen lassen sich auch ohne den Ergographen erklären. Das geistige und körperliche Verhalten der zu Prüfenden ist in allen Fällen sorgfältig zu berücksichtigen, da es hinreichend bekannt ist, dass der Ausfall bei der Lösung der Schulaufgaben hiervon wesentlich abhängig ist. Alle bisherigen Versuche mittels der bereits detailliert beschriebenen Experimente leiden, wie der Pädagoge Professor S c h i l l e r * ) sich ausdrückt, an dem gemeinsamen Fehler, dass sie dem g e w ö h n l i c h e n S c h u l u n t e r r i c h t d u r c h a u s n i c h t e n t s p r e c h e n ; jeder auf ihre Ergebnisse begründete und daraus ohne bedeutende Einschränkung und Korrektur auf die Thätigkeit ir. der Schule gezogene Schluss widerstreite durchaus der Wirklichkeit. Ein zweites Moment biide die g r o s s e E i n f ö r m i g k e i t d e r A u f gaben.
Dass Schüler im Alter von 1 1 — 1 2 Jahren durch stunden-
langes Rechnen einfacher, also in ihrem jetzigen Interessenkreise nicht liegender Aufgaben oder durch zweistündiges Diktieren
von Sätzen,
von denen dasselbe gilt, besonders angeregt werden, werde wohl niemand im Ernst behaupten.
Wenn sie also diese Thätigkeit doch ausführen,
so geschehe es unter mehr oder minder starkem Zwange und unter intensiver Willensspannung, die natürlich sehr rasch zur Abspannung und Ermüdung führen müsse. Im Grunde erführen wir hieraus nicht v i e l m e h r , a l s w a s w i r bis j e t z t
auch
schon
wüssten,
dass nämlich der Schüler
nach
*) H . S c h i l l e r (Ofiessen), D e r S t u n d e n p l a n . E i n Kapitel aus der pädagogischen Psychologie und Physiologie. 1. B a n d 1. Heft. Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie und Physiologie. Berlin 1897.
79
1250
Schulunterricht.
mehrstündiger Schularbeit nicht mehr so leistungsfähig ist, wie irr. Anfang. S c h i l l e r schätzt die zuerst von M o s s o eingehender nachgewiesenen nahen Beziehungen zwischen k ö r p e r l i c h e r und g e i s t i g e r E r m ü d u n g sehr hoch, weil sich auch umgekehrt zeigen lasse, dass längere körperliche Arbeit ein sehr deutliches S i n k e n d e r g e i s t i g e n L e i s t u n g s f ä h i g k e i t zur Folge habe, obgleich die Erklärungsversuche noch vieles zu wünschen übrig Hessen. Wir folgen hier den weiteren Ausführungen von S c h i l l e r , der es nicht bestreiten will, dass im Schulunterricht wie bei jeder körperlichen und geistigen Arbeit Ermüdung stattfinde. Das wichtige Zeichen der Ermüdung sei ein f o r t s c h r e i t e n d e s S i n k e n d e r A r b e i t s l e i s t u n g , wie auch K r ä p e l i n s Versuche nachgewiesen haben. Es sei indes auch hier die grösste Vorsicht in der Beurteilung geboten. E i n f a c h e H e r a b s e t z u n g d e r L e i s t u n g s f ä h i g k e i t berechtige nicht dazu, Ermüdungswirkungen anzunehmen; sie könne durch körperliches Unbehagen, Gefühlsvorgänge, Ablenkung von innen oder von aussen veranlasst sein, worauf wir schon oben hingedeutet haben. Wo aber die Leistungsfähigkeit bei f o r t g e s e t z t e r Thätigkeit fortdauernd und in nur verstärktem Grade abnehme, handle es sich jedenfalls neben anderen Einflüssen auch um die Wirkung der E r m ü d u n g , die von der H e r a b s e t z u n g d e r A u f m e r k s a m k e i t begleitet sei. Als ein vollkommenes Ausgleichmittel der Ermüdung bleibt unbestritten nur der S c h l a f , wodurch allein die Leistungsfähigkeit wieder hergestellt wird. Das S c h l a f b e d ü r f n i s ist verschieden; f ü r k r ä f t i g e Naturen mögen 7 Stunden genügen. Ein sehr beschäftigter Lehrer, der nur 5 bis 6 Stunden schlief und auf diesen Schlafmangel aufmerksam gemacht wurde, erwiderte uns: „Mein Schlaf ist ein sehr intensiver und reicht mir aus." Die Folgen zeigten aber, dass er sich hierin getäuscht hatte. Die grössten Denker haben bekanntlich stets 8 Stunden auf den Schlaf verwandt. Auch f ü r Lehrer ist der Schlaf das beste Mittel, ihre K r a f t zu erhalten.*) *) F r i e d . S c h ä f e r , L e h r e r in F r a n k f u r t a. Main. „Arbeitskraft und Schule" zitiert J e r e m i a s G o t t h e i f . der das richtige W o r t f ü r die Bedeutung des Schlafes habe, wenn er sagt: „Die K i n d e r verlieren einen Tau', wenn der L e h r e r eine Xacht verloren hat.' ! Die neuerdings aufgetretene Auffassung, dass der L e h r e r frühzeitiger als andere Menschen ihrem B e r u f e unterliegen, hat keine allgemeine Bedeutung, da hierbei persönliche Verhältnisse und die etwa vorhandenen Krankheitsanlagen zu berücksichtigen sind.
Schulunterricht.
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Je jünger die Kinder sind, desto mehr Schlaf bedürfen sie. A x e l K e y verlangt 10—12 Stunden für Kinder von 6—11 Jahren. S c h i l l e r verlangt deshalb, dass f ü r die drei ersten Schulklassen der Unterricht nicht vor 9 Uhr beginne. S c h u l a n f a n g und S c h u l s c h l u s s sind noch nicht einheitlich geordnet. In G l e s s e n setzt der Sommerstundenplan den Unterrichtsanfang um Pfingsten auf 7 Vi Uhr fest. Dies würde in Bonn wegen der auswärtigen Schüler nicht ausführbar sein. Am Bonner Gymnasium beginnt im Sommersemester der Unterricht um 8 Uhr und dauert bei freiem Nachmittag bis 1 Uhr. Im Winter beginnt der Unterricht um y 2 9 und dauert bis 12 Uhr, während der Nachmittagsunterricht umVä3 Uhr beginnt und bis 4 Uhr dauert, so dass im Sommer und Winter die Unterrichtszeit 5 Stunden umfasst, wobei aber zu beachten ist, dass diese Zeit durch P a u s e n unterbrochen wird. Die P a u s e n o r d n u n g * ) halten wir für den wichtigsten Akt. In Giessen ist sie seit 1883 in folgender Weise angeordnet: Die V o r s c h u l e n und die Klassen VI. und V. haben nach der e r s t e n Stunde 10 Minuten, a l l e K l a s s e n nach der z w e i t e n Stunde 15 Minuten, nach der dritten und vierten 10 Minuten. D e m n a c h mind e r t s i c h die D a u e r d e r S t u n d e n , j e w e i t e r d e r V o r m i t t a g vorrückt. Beim S c h u l a n f a n g um 8 U h r ist die e r s t e Stunde nur für die Schüler von Klasse IV aufwärts voll; für alle übrigen beträgt sie 55 Minuten, die z w e i t e beträgt für die kleineren Schüler 48 Minuten, für die grösseren 53, die d r i t t e f ü r alle Schüler 47 Minuten, die v i e r t e 50, die f ü n f t e 40 Minuten. Der Unterricht schliesst um 12 3 4 Uhr, so dass um 1 Uhr, der gewöhnlichen Essenszeit, alle Schüler zu Hause sind. Im W i n t e r , d. h. vom 1. November bis zum Schlüsse des Wintersemesters beginnt der Unterricht um 8V2 Uhr. Dabei währt die e r s t e Stunde f ü r die Schüler bis Klasse V einschliesslich 50 Minuten, f ü r die übrigen 55, die z w e i t e f ü r alle Schüler 50, die d r i t t e eben so lange, die v i e r t e nur 45 und die f ü n f t e nur 40 Minuten. Schluss des Unterrichts präzise 1 Uhr. Man muss diese Einrichtung der nach o b e n abnehmenden Arbeitsdauer und der v i e r - , bezw. d r e i m a l eingeschobenen R u h e p a u s e für die allein richtige halten. Dass auf dem Bonner Gymnasium die erste Pause von 5 Minuten in unzweckmässiger Weise in der Schulstube ver*) D e r Philosoph K a n t pflegte sein Schnupftuch auf einen entfernt stehenden Stuhl zu legen, um dadurch zum Aufstehen und zur U n t e r b r e c h u n g seiner A r b e i t genötigt zu sein, wenn er das Sehupftuch gebrauchte.
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Pausen.
verbracht wird, müssen wir als unhygienisch bezeichnen. Sollen die Pausen ihren hygienischen Zweck, d. h. die richtige Unterbrechung der Arbeit erreichen, so müssen sie a u s s e r h a l b des S c h u l z i m m e r s verbracht werden und zwar unter Ausschluss jeder geistigen Thätigkeit, aber unter der Bedingung, dass die Schulzimmer jedesmal gründlich durch Oeffnen der Thür und Fenster gelüftet werden. Es würden demnach während des Sommers die beiden e r s t e n Stunden 50 Minuten, die d r i t t e 45 Min. und die beiden letzten zwei Stunden wiederum 50 Min. dauern, und zwar der Dauer der Pausen von 10 bezw. 15 Minuten entsprechend, worüber Einigkeit herrschen sollte. Die Pausen müssen frei von jeder anstrengenden Körper Übung sein; weder Marschier- noch Freiübungen sind zu gestatten. Herumschlendern oder l e i c h t e Spiele können sich abwechseln je nach dem Belieben der Schüler. Körperliche Ruhe beim Genuss des Frühstückes würde am geeignetsten sein, um auch dem Hungergefühl Rechnung zu tragen. „Plenus venter non studet libenter" ist ein bekanntes Sprüchwort, aber der leere Magen kann weit störrischer werden und auf jede geistige Beschäftigung störend einwirken. Die Speisung armer Kinder in Schulen verfolgt daher einen doppelten Zweck: E r n ä h r u n g und die von ihr ausgehende Belebung des N e r v e n s y s t e m s . Die Nahrungsaufnahme in der grösseren Pause trägt sicher mit zur Beseitigung der Ermüdung- bei und ist das b e s t e E r s a t z m i t t e l , w e n n die P a u s e n dazu n i c h t a u s r e i c h e n s o l l t e n . Wenn K r ä p e l i n s Versuche ergeben haben, dass h a l b - o d e r g a n z s t ü n d i g e P a u s e n höchstens einmal genügten, um die Ermüdungskurven vollständig auszugleichen, so sucht er den Grund dafür in dem Umstände, dass die P a u s e n für unser Seelenleben keineswegs wirkliche Ruhe bedeuten. S c h i l l i n g sieht hierin mit Recht kein grosses Bedenken, denn beim W e g f a l l des N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t s * ) wird *) D i e V e r f ü g u n g des Kultusministeriums vom 12. Mai 1890 sagt hierüber F o l g e n d e s : Auf den Bericht vom 20. April ¿1. J . erwidere ich dem Königl. Prov.-Schulkollegium, dass für die Entscheidung der t h u n l i e b s t e n B e s e i t i g u n g d e s N a c h m i t t a g s u n t e r r i c h t s an höheren Schulen nicht lediglich allgemein pädagogische und didaktische Gesichtspunkte in Betracht kommen, sondern ebenso sehr die konkreten Verhältnisse des betreffenden Ortes. Liegen in dem bestimmten Falle die Verhältnisse so. dass die Schulwege sehr weit sind, dass die Thätigkeit der Familienhäupter und die Lebensgewohnheiten des Ortes die Verlegung der Hauptmahlzeit auf eine spätere Stunde gestatten, so habe ich, obgleich ich einen 5 stündigen Vormittagsunterricht f ü r die kleineren Schüler nicht f ü r empfehlenswert halte, im allgemeinen nichts dagegen zu erinnern, wenn das K. Prov.-Schulkollegium auf A n t r a g des Lehrerkollegiums und nach A n h ö r u n g der Gemeindevertretung
Schulunterricht.
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es bei der Tageseinteilung, welche die Hauptmahlzeit in die Mitte der Tageszeit verlegt, den Schülern ermöglicht, die der Verdauungsthätigkeit förderliche Ruhe nach dem Essen zu gewinnen. Die N a h r u n g s a u f n a h m e beseitigt, wenn sie eine ausreichende ist, nicht bloss zum Teil, sondern in der Regel vollständig die Ermüdung. Jedenfalls bringen die nächsten Stunden bis zum Abend eine neue Steigerung der Arbeitskraft, die f ü r die h ä u s l i c h e n A r b e i t e n wieder notwendig ist. Was soll nun mit dem f r e i e n N a c h m i t t a g e g e s c h e h e n ? Im Sommer werden Jugendspiele, Baden und Schwimmen Beschäftigung gewähren, während im Winter der Eislauf eine zweckmässige körperliche Uebung ist. Auch der H a n d f e r t i g k e i t s u n t e r r i c h t würde besonders im Winter eine angenehme und nützliche Beschäftigung gewähren, wenn der Aufenthalt im Freien durch die Witterung gestört ist. Wir halten es aus hygienischen Gründen f ü r geboten, dass dieser Unterricht nicht alle freien Nachmittage einnimmt und den Genuss der frischen Luft mit Freiübungen gänzlich behindert. Die Bestrebungen für die Verbreitung dieses Unterrichts sind berechtigt und finden auch bei den staatlichen Stellen Anerkennung und Förderung. Neben dem grossen deutschen Verein f ü r K n a b e n h a n d a r b e i t unter dem Vorsitz von S c h e n k e n d o r f f ' s , existieren zahlreiche örtliche Vereinigungen, die gegen 800 Schulwerkstätten unterhalten; inzwischen haben sich auch besondere Landes- und Provinzialverbände in der Rheinprovinz und Westfalen wie im Königreich Sachsen gebildet. Ueber diesen Verband hat der Oberpräsident der Provinz Westfalen im Juli 1899 dem Provinzial-Schulkollegium und den Regierungspräsidenten eine Verfügung folgenden Inhalts zugesandt: „Der Vorsitzende des Westphälischen Provinzialverbandes für Knabenarbeit hat an mich die Bitte gerichtet, die in Betracht kommenden staatlichen Behörden der Provinz der Teilnahme am Verbände und der Förderung seiner Thätigkeit zu empfehlen. Gern entspreche ich diesem Ansuchen, da ich der Verbandsleitung darin nur zustimmen kann, dass die Sache des K n a b e n Handf ertigkeitsunterrichts vom pädagogischen, gesundheitlichen und v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n G e s i c h t s p u n k t e jede thunliche Unterstützung verdient Ich verweise hierbei auf die Erklärung, welche die in dem vorjährigen deutschen Kongresse für erziehliche Knabenarbeit zu
seine Genehmigung zur Verlegung des wissenschaftlichen Unterrichts auf den Vormittag erteilt. Dabei setze ich voraus, dass nur vorgängige Verständigung mit der betreffenden Königlichen-Regierung bezüglich der etwa am Orte befindlichen höheren Töchterschulen stattgefunden hat, da es nicht angängig ist, die höheren Schulen für die männliche und für die weibliche Jugend nach dieser Richtung verschieden zu behandeln. Letztere Vorschrift wird nicht überall befolgt; immerhin ist auch hier der Nachmittag für leichtere Unterrichtsgegenstände bestimmt.
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Handfertigkeitsunterricht.
Dresden entsandte Kommission des preussischen Unterrichtsministers in Bezug auf die Stellungnahme der Unterriclilsvenvaltung zu den verdienstvollen Bestrebungen des deutsehen Vereins f ü r Knabenarbeit abgegeben hat."
Im Jahre 1899 wird der deutsche Verein bereits seinen 15. Kongress vom 30. September bis 2. Oktober und zwar in Karlsruhe abhalten, mit welchem eine grössere südwestdeutsche Ausstellung von Erzeugnissen des Handfertigkeitsunterrichts verbunden sein wTird. S c h i l l e r ist gar nicht für diese Beschäftigung eingenommen und beruft sich dabei auf seine Erfahrung am eigenen Leibe, denn er habe tveder an sich selbst, noch an Anderen eine besondere manuelle Fertigkeit bemerkt, weil die im Laufe von 2—3 Jahren erreichte Uebung viel zu gering sei, als dass sie nachhaltig wirken könnte, auch werde keine k ö r p e r l i c h e oder g e i s t i g e A u s s p a n n u n g dadurch erreicht. Aus eigener Erfahrung können wir ebenfalls bezeugen, dass die Arbeitsräume oft überfüllt sind und keine reine Luft haben, die in den Pappräumen oft unerträglich ist. Die K e r b a r b e i t e n strengen oft die Augen sehr an, namentlich wo die Helligkeit keine genügende ist. Soll der hygienische Zweck erreicht werden, so ist vor allem für geräumige, der Schülerzahl entsprechende und mit Ventilation versehene, * ollkommen helle Lokalitäten zu sorgen. Als ein g y m n a s t i s c h e s M i t t e l ist das R a d f a h r e n bei rationeller Verwendung zu betrachten. Die wissenschaftlichen Untersuchungen von Zuntz*) haben den physiologischen Prozess klar gelegt und bewiesen, dass das Radfahren eine a u s g e z e i c h n e t e A t m u n g s g y m n a s t i k bei gesunden Personen ist. Wegen des starken Sauerstoffverbrauches und der höheren Pulsfrequenz ist die Gefahr des Radfahrens für Herz- und Lungenkranke erklärt und fordert zu grösserer Vorsicht auf.**) Die h ä u s l i c h e n A r b e i t e n der Schüler verdienen noch eine besondere Betrachtung, da man sie bekanntlich hauptsächlich zu den Ursachen der Ueberbürdung rechnet. In der preussischen Zirkularverfügung vom 10. November 1884 wurde bereits f ü r das Steigern der zulässigen Zeitdauer der häuslichen Arbeit festgestellt: Klasse VI 1 Stunde, V i y 2 Stunden, IV und U l l i 2 Stunden, Olli und U l i 21/2 Stunde, OII und I 3 Stunden. Da heisst es ferner: „Bedrückend und überbürdend wirken die Aufgaben f ü r häuss*) D r . L e o Z u n t z , U n t e r s u c h u n g e n über den (-rasvvechsel und E n e r g i e umsatz des R a d f a h r e n s . M i t 2 Abbildungen im Text. Berlin 1899. **) M. vergl. auch M a t t h a n (Danzig), D a s S p o r t a t m e n , e i n h y g i e n i s c h e s „ A l l h e i l " . D e u t s c h e militärärzt. Mitteilungen. 7. H e f t , 1899.
Häusliche Arbeiten.
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liehe Beschäftigung nicht ausschliesslich, wohl nicht einmal hauptsächlich durch die Zeitdauer, welche sie in Anspruch nehmen. Bei einer Arbeit, welche mit Interesse an der Sache begonnen, mit dem Bewusstsein der eigenen Kraft und mit steigender Sicherheit ausgeführt wird, macht sich die Z e i t d a u e r wenig bemerklich, vielleicht w e n i g e r a l s die R ü c k s i c h t a u f die k ö r p e r l i c h e E r f r i s c h u n g und g e i s t i g e E r h o l u n g u n b e d i n g t e r f o r d e r t ; wird dagegen eine Arbeit mit Gleichgültigkeit unternommen im vergeblichen Ringen mit unbesiegbaren Hindernissen und mit dem Gefühl des Misslingens fortgesetzt, so wird selbst eine massige Zeitdauer zu einer drückenden abspannenden Last. Der entschiedenste Schutz liegt daher zunächst darin, dass d u r c h den U n t e r r i c h t das Interesse an der Sache geweckt und die häusliche Arbeit vorbereitet ist. Es wird als zweifellose Forderung an das Unterrichtsverfahren anerkannt, dass beispielsweise im sprachlichen Unterricht die Einprägung der Formen und des Wortschatzes einer zu erlernenden fremden Sprache im wesentlichen durch die Lehrstunden selbst herbeizuführen ist und der häuslichen Beschäftigung nur der Abschluss der sicheren Aneignung zuzufallen hat, dass zur Präparation auf die fremdsprachliche Lektüre, wo sie zuerst eintritt, bestimmte Anleitung zu geben ist, dass die häuslichen Aufgaben zu schriftlicher Uebersetzung in eine fremde Sprache durch die mündlichen Hebungen in den Lektionen vollständig vorbereitet sein müssen; ebenso ist auf mathematischem Gebiete zu verlangen, dass die zur häuslichen Bearbeitung g e s t e l l t e n A u f g a b e n d u r c h die L e h r s t u n d e n v o l l s t ä n d i g v o r b e r e i t e t , in keiner Weise das durch den Unterricht entwickelte K ö n n e n der Schüler überschreiten. Ueberhaupt ist zu fordern, dass die häusliche Beschäftigung der Schüler in keinem Falle als E r s a t z d e s s e n b e n u t z t w e r d e n d a r f , w a s die L e h r s t u n d e n b i e t e n k ö n n e n u n d s o l l e n , sondern nur als F o r t s e t z u n g und e r g ä n z e n der A b s c h l u s s des E r f o l g e s der L e h r s t u n d e n . " Die Sprache im Erlass ist so überzeugend und sachgemäss, dass jeder Kommentar dazu überflüssig erscheint. Die dort vertretenen Gesichtspunkte kommen auf den meisten Gymnasien noch gegenwärtig zur Geltung. Durch langjährigen Verkehr mit den Schülern des Bonner Gymnasiums haben wir uns von der strikten Ausführung des Erlasses häufig überzeugt, auch niemals Aeusserungen über Ueberbürdung vernommen. Allerdings wird es nicht ausbleiben, dass minder Begabte nicht selten längere Zeit beschäftigt bleiben und zwar eventuell bis zur Ermüdung. Besonders macht solchen Schülern ausser dem mathematischen Pensum besonders der „Deutsche Aufsatz" o f t Schwierigkeiten, da er selbständiges Denken erfordert und gerade deshalb zu den nützlichsten
J 256
Unterrichtsmethode.
Schulaufgaben gehört. Da für die Ausarbeitung desselben aber ein Zeitraum von acht Tagen gewährt wird, so ist damit eine Uebung des Denkvermögens gegeben, die der geistigen Entwickelung zu gute kommt.
Betreffs des Lehrplans im allgemeinen erinnert B a c h an W i e s e , der schon im Jahre
1873 darauf hingewiesen hat, dass die Haupt-
sc.hwierigkeit in der G e s t a l t u n g d e r L e h r p l a n e und in der Handhabung der P r ü f u n g e n liege; führe der Lehrplan zur U e b e r b ü r d u n g der Schüler, so seien alle abwehrenden Verordnungen in betreff der Ausführung
eines
solchen vergeblich.
In seinen
„pädagogischen
I d e a l e n und P r o t e s t e n " (1884) blickt er sogar mit einer gewissen Wehmut auf das bis
in die Zwaiizi^erjalire dieses Jahrhunderts in
Uebung gewesene F a c h s y s t c m 7Airück, nach welchem ein Schüler j e nach seinen Fortschritten und seiner Befähigung in verschiedenen Unterrichtsgegenständen verschiedenen Klassen angehören konnte. Nach der Lehrordnung von A. H. F r a n c k e galt das Fachsystem neben einer massigen Schülerzahl als die C o r o n a p a e d a g o g i i . Gesner,
Heyne
und F. A. W o l f
J . M.
hatten sich gleichfalls für dies
System ausgesprochen, weil durch die m ö g l i c h s t
gleichnuissifre
A u s b i l d u n g d e r S c h ü l e r an Tiefe verloren gehen müsse, was etwa an Breite gewonnen werde, und weil dadurch bei vielen die Energie des Naturtriebes und die produktive Selbstthätigkeit geknickt werde. Bei
dem streng
durchgeführten
Klassensystem
Pensa für alle in allem werde dagegen, wie W i e s e
der
gleichen
vermeint,
der
wegen Zurückbleibens in dem einen oder anderen Gegenstände nicht Versetzte leicht verzagt und missmutig; es sei die Sache auch dadurch erschwert, dass ein an sich schärfer gesondertes Fachlehrertum entstanden sei, das dem pädagogischen Gemeinsinn Abbruch thue. Wir
verfolgen
diese
pädagogischen
Fragen
hier nicht
und treten der Betrachtung der wichtigsten h y g i e n i s c h e n näher, die beim L e k t i o n s p l a n
weiter
Momente
im allgemeinen zu betrachten
sind
und in der Untersuchung gipfeln, welche Unterrichtsgegenstände am meisten Ermüdung erzeugen. Dass M a t h e m a t i k und a l t e
Sprachen
am meisten ermüden, ist unbestritten, weshalb sie in den ersten Stunden zu unterrichten sind.
Im allgemeinen ist S c h i l l e r der Ansicht, dass
in unserem Unterricht das H ö r e n , d. h. der Unterricht von Mund zu Ohr eine viel grössere Ausdehnung gewinnen müsste, da er das Auge nicht schädigt und den jungen Menschen im Erfassen des Gesprochenen und in seiner raschen Verarbeitung übt, einer Uebung, die man eben für das Leben für sehr wertvoll halten muss.
Schulunterricht.
1257
Dass die Unterichtsstunden eines Vormittags oder die eines Vormittags und des daran sich anschliessenden Nachmittags nicht sämtlich g l e i c h w e r t i g sind, was die A r b e i t s f ä h i g k e i t d e r S c h ü l e r bet r i f f t , ist eine bekannte Thatsache, die auch durch die Ermüdungsmessungen bestätigt worden ist. Ganz besonders ermüden die s c h r i f t l i c h e n K l a s s e n a r b e i t e n ; dasselbe ist bei vorwiegend g r a m m a t i s c h e r , also a b s t r a k t e r Thätigkeit der Fall. Sie müssen also in die e r s t e M o r g e n s t u n d e verlegt werden, weil das durch den Nachtschlaf regenerierte Gehirn am meisten leistungs- und widerstandsfähig ist. Dass T u r n u n t e r r i c h t die gleiche Stufe bezüglich der Ermüdung mit den Fremdsprachen einnimmt, beruht auf der allgemeinen Erfahrung und stimmt auch mit den Ermüdungsmessungen überein. Zu den Disziplinen mit geringer Ermüdung gehören: G e s c h i c h t e , G e o g r a p h i e , N a t u r k u n d e , wenn sie gelehrt wird, D e u t s c h , Z e i c h n e n und Religion. F r a n z ö s i s c h würde unter die Fremdsprachen am Nachmittag zu setzen sein, da auch W a g n e r Deutsch und Französisch hinsichtlich der Ermüdung für gleich hält. Das gewöhnliche H a n d z e i c h n e n ist nicht anstrengend und gehört zu den nicht ermüdenden Arbeiten. Ein p ä d a g o g i s c h e r Z e i c h e n u n t e r r i c h t verlangt aber, wie S c h i l l e r vermeint, dass der Schüler ebensoviel denke und spreche als zeichne, da es ihm darauf ankomme, an die Betrachtung der dem Schüler zum Zeichnen vorgelegten K ö r p e r seine Selbstthätigkeit zu erwecken, sie zu verwerten, um ihn s e h e n zu lehren und das G e s e h e n e darlegen zu lassen; dann erst zeichnet er. Um dies aber zu erreichen, müssten beständig Verstand, Phantasie, Gedächtnis und innere Anschauung in Anspruch genommen werden. So sei der pädagogische Zeichenunterricht ebenfalls eine geistige Arbeit, weshalb er sich zur Ausfüllung der R u h e p a u s e n , die ja doch ein Ausruhen von geistiger Thätigkeit herbeiführen sollen, nicht eignen würde. Diese Aeusserung knüpft sich an den Vorschlag von K r ä p e l i n an, der l ä n g e r e P a u s e n mit Zeichnen und „dem nicht hoch genug zu schätzenden Handfertigkeitsunterricht" ausfüllen will. Auf den Wert des letzteren kommen wir noch zurück, halten aber dafür, dass a l l e Pausen frei von körperlicher und geistiger Arbeit zu halten sind. Der von S c h i l l e r beschriebene pädagogische Z e i c h e n u n t e r r i c h t kann besonders beim K ö r p e r z e i c h n e n und L i n e a r z e i c h n e n ermüdend sein, während das F r e i h a n d z e i c h n e n nach einfachen Vorlagen in der Regel nicht anstrengend ist, vielmehr eine geistige Erfri-
1258
Schulunterricht.
schling gewähren kann, wenn man es mit Lust betreibt. U e b e r h a u p t m u s s m a n bei a l l e n U n t e r r i c h t s g e g e n s t ä n d e n die S u b j e k t i v i t ä t , d a s L u s t - o d e r U n l u s t g e f ü h l d e r S c h ü l e r m i t in Ans c h l a g b r i n g e n , wenn es sich um die F r a g e e i n e r e r m ü d e n d e n A r b e i t h a n d e l t . Das Interesse am Zeichnen, an der Geschichte, der Geographie und an der Naturkunde verscheucht alle geistige Ermüdung und erzeugt sogar eine geistige Anregung, wenn der Vortrag des Lehrers ein lebendiger und packender ist. Der E i n f l u s s der p s y c h i s c h e n V o r g ä n g e bei den Schülerarbeiten und bei der Aufmerksamkeit der Schüler überhaupt verdient immer die grösste Beachtung; er iässt s i c h n i c h t m e s s e n und g i e b t sich n u r d u r c h die W i r k u n g k u n d . Für schläfrige und faule Schüler ist kein Lektionsplan ein Besserungsmittel, vielmehr ist der M a n g e l an W i l l e n s e n e r g i e die Ursache ihres Zurückbleibens ihren Mitschülern gegenüber. Von der P e r s o n des L e h r e r s hängt sehr vieles ab, ob die Teilnahme am Unterricht eine angeregte bleibt, insofern es sich um fleissige und aufmerksame Schüler handelt, da faule Schüler auch hierauf nicht reagieren, denn überall, wohin wir auch blicken, macht sich die I n d i v i d u a l i t ä t d e r S c h ü l e r das L u s t - o d e r U n l u s t g e f ü h l geltend und ist bei der Beurteilung ihrer Leistungen stets in den Vordergrund zu stellen, worauf man ja auch bei den Ermüdungsmessungen Rücksicht zu nehmen gezwungen ist. Wenn K r ä p e l i n das A u s w e n d i g l e r n e n zu den anstrengendsten geistigen Arbeiten zählt, so gilt diese Auffassung nicht allgemein, denn hierin bestehen grosse Unterschiede zwischen Erwachsenen, die bei K r ä p e l i n die zu Prüfenden waren, und zwischen den verschiedenen Schülern, denn wie S c h i l l e r bemerkt, werden in den unteren Klassen die meisten Gedichte vom grössten Teil der Schüler schon im Unterricht bei der Besprechung und Erklärung, bei der Einübung der richtigen Betonung durch Vor- und Nachlesen, durch Chorsprechen im Wortlaute festgehalten; es könne dies also keine grosse Anstrengung fein. Hier liege die Erklärung auf dem Gebiete des G e f ü h l s l e b e n s , weil der Schüler F r e u d e am wörtlichen Auswendiglernen finde. Das ist namentlich deshalb der Fall, weil, wie S c h i l l e r weiter ausführt, die Assoziationen, wie meist bei Gedichten, sich leicht vollziehen; der Erwachsene entschliesse sich dazu nur, wenn er müsse; denn er müsse seine selbständige Denk- und Ausdrucksweise dabei aufgeben, überhaupt unselbständig werden, was natürlich dem Schüler leichter werde. Was sich also bei diesem unter L u s t g e f ü h l e n vollziehe, errege bei dem andern U n l u s t g e f ü h l e ; diese müssten durch Willensspannung überwunden werden und dieser Umstand führe im letzteren Falle E r m ü d u n g herbei, während im ersteren diese Wirkung
Schulunterricht.
1259
nicht beobachtet werde. Natürlich ermüde auch der Schüler und zwar bei seiner geringeren Uebung in der Anspannung des Willens und bei den häufiger andringenden Störungen durch äussere und innere Reize rascher als der Erwachsene, wenn er widerwillig an das Auswendiglernen herantritt, was bei h ä u s l i c h e n A r b e i t e n oft genug der Fall ist. Am wichtigsten bleibt immer die A u s b i l d u n g d e s D e n k v e r m ö g e n s , wozu sich nach S c h i l l e r s Ansicht am besten Extemporierübungen im Uebersetzen fremdsprachlicher Schriftsteller, sowie zusammenziehende Referate über einen bekannten Gegenstand, einfache Beschreibungen und Dispositionen eignen. Ebenso einflussreich sind Uebungen, bei denen sich die A u f f a s s u n g s f ä h i g k e i t und damibdie Möglichkeit unverminderter Aufmerksamkeit feststellen lässt f ü r etwas, was der Lehrer ohne Benutzung eines Buches vorspricht, vorerzählt, erklärt und zeigt, womit aber noch nicht alle möglichen Aufgaben erschöpft sind. Wir möchten an die Spitze aller Denkübungen wiederholt die Bearbeitung des d e u t s c h e n A u f s a t z e s setzen, da er zum selbständigen Denken zwingt. Bei dem Umstände, dass zur Zeit so viel von der N e r v o s i t ä t d e r K i n d e r gesprochen werde, stellt S c h i l l e r zur Erwägung, ob nicht der U e b e r g a n g von dem bisher wesentlich in Spiel, Bewegung, Lernen ohne Zwang und Phantasiethätigkeit verlaufenen Leben des Kindes zu der Thätigkeit des Lesens, Schreibens, Zählens, richtigen Sitzens, Aufmerkens und Aufnehmens nicht zu unvermittelt, zu schroff erfolge. Nun sei es ja richtig, dass die Kinder das im allgemeinen aushalten und unter dem Drucke nicht erliegen, aber ebenso sicher sei es, dass nicht selten in dieser Zeit der Grund zu n e r v ö s e r U e b e r r e i z u n g gelegt werde, und wenn hierzu der Unterricht vielleicht nur bei n e r v ö s e r D i s p o s i t i o n der Kinder in deutlich erkennbarer Weise beitrage, so dürfe man doch wohl schliessen, dass er auch bei den übrigen mindestens keine vorteilhaften Wirkungen auf das geistige Verhalten ausübe. In dieser Hinsicht könnten gut geleitete und gut gelegene K i n d e r g ä r t e n eine zweckmässige Ueberleitung zu dem eigentlichen Unterrichte bilden, indem sie durch Verbindung von Bild, Lied und Erzählung die Phantasie pflegen und anregen, auch durch stete Vereinigung von k ö r p e r l i c h e r u n d g e i s t i g e r T h ä t i g k e i t eine Wechselwirkung von Körper und Geist herbeiführen.*) *) Wir beziehen uns auf die von D r . B a c h citierte H e n r i e t t e S c h r ä d e r , (die im 1. H e f t des Volksgartens) die Ansicht äussert, dass der K i n d e r g a r t e n seine Einr i'chtun g" und L e i t u n g nicht der S c h u l e
1260
Kindergärten.
Ein K i n d e r g a r t e n , w i e e r s e i n s o l l , geht aus der Schilderung desselben hervor, und es ist nur zu bedauern, dass sein hoher W e r t noch nicht allseitig genug Anerkennung gefunden hat. Für die Ausbildung sondern dem s i t t l i c h - r e l i g i ö s e n F a m i l i e n l e b e n entlehnen müsse. Die Kinder finden demgemäss in der Anstalt, wie P e s t a l o z z i verlangt, alle Anreize, ihre Anlagen und Kräfte durch den Gebrauch derselben zu entwickeln, aber nicht nur zum eignen Nutzen, sondern auch im liebevollen Dienste für Andere. So wollten es P e s t a l o z z i und F r ö b e l . Wichtig sind zweckmässige Räumlichkeiten, die zur Zeit 3 Arbeitsräume. 1 Spielzimmer, das auch als Esszimmer dient, ein Zimmer zu häuslichen Beschäftigungen, eine Küche und Zubehör umfassen, an die sich Hof und Garten anschliessen. Ein Gartenplatz steht zur freien Benutzung für die Kinder mit Sand und Schaufeln, Graben etc., und ein Garten zu regelrechter Gartenpflege. B e s c h ä f t i g u n g s m i t t e l sind: Der Garten mit seinen Pflanzen und Blumen, manche Jiaturgegenständc. wie Sand. Holz, Steine. Tannzapfen, Moos, Muscheln, Stroh, Heu etc.; ferner Industriegegenstände, z. B. Papier, Zeugflickchen, Töpferthon, Schüsseln. Töpfe, Kochapparat, Hausgerät etc., Vögel, Fische, Tauben, Hühner, etc. Das F r ö b e l sc he Beschäftigungsmaterial: Baukästen, Legetafeln, Stäbchen. Bälle u. dergl. mehr. Einfache Puppen und verschiedenes einfaches Spielzeug. Gute Bilder. Musikinstrumente, Lieder und Erzählungen. Die B e s c h ä f t i g u n g e n : Freies Spiel, gymnastische TJebungen, verschiedene Kleinkinderarbeit, Spaziergänge, Musik, Instrumentalmusik und Gesang, Erzählungen, Liederlernen und Hersagen, Bilderbesehen etc. Das S p i e l : Freispiel einzelner Kinder, freies Spiel mehrerer Kinder, Gesamtspiel der Kinder unter Leitung der Kindergärtnerin (Fröbel'sches Bewegungsspiel). K l e i n k i n d e r a r b e i t : Hilfe bei häuslichen Beschäftigungen, Gartenarbeit, systematisch geordnete Fröbelsche Beschäftigungen. ( J e jünger die Kinder sind, desto mehr waltet das freie Spiel vor: die Nötigung zu regelrechter Beschäftigung und Kleinkinderarbeit tritt nur sehr leise und allmählich auf, je nach Entwicklung und Bedürfnis der Kinder). D i e E n t w i c k l u n g d e r K i n d e r : Diese geschieht nach Altersstufen, dem geselligen Triebe der Kinder entsprechend, mit Altersgenossen zu verkehren. (Ein wichtiger Umstand für die Ausbildung des Charakters.) Der Kindergarten mit Vermittelungsklassen zerfällt in 5 Abteilungen, zeitweise nach Gruppen, in denen verschiedene Alterstufen vertreten sind, dem Familiensinne der Kinder entsprechend. Z e i t d a u e r : Die meisten Kinder verweilen in der Anstalt von 9—12 morgens und von 2—4 nachmittags, mit Ausnahme von Mittwoch und Sonnabend. Diejenigen Kinder, die ihr Mittagsmahl in der Anstalt bekommen, bleiben daselbst von 9—4, am Mittwoch und Sonnabend von 9—1. Leitende P e r s ö n l i c h k e i t e n : Zwei geprüfte Kindergärtnerinnen führen mit den Schülerinnen des Kursus zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen den Kindergarten, so dass durchschnittlich auf eine Persönlichkeit 15—20 K i n d e r zur Beaufsichtigung und Leitung kommen: eine dritte geprüfte Kindergärtnerin leitet die V e r m i 11 e l u n g s k 1 a s s e . Der S t u n d e n -
Kindergärten.
1261
der Kindheit in geistiger und körperlicher Beziehung ist er von der grössten Tragweite und ein ausgezeichnetes Mittel, die Kinder für den Schulunterricht vorzubereiten und s c h u l u n t e r r i c h t s f ä h i g zu machen, indem der Uebergang aus dem harmlosen Kinderleben in den Schulzwang auf die nützlichste Weise vermittelt wird.
Zu den Ursachen, die zu einer frühen N e r v o s i t ä t beitragen können, gehört auch der zu f r ü h e M u s i k u n t e r r i c h t , der bei Mädchen nicht vor dem 12. Jahre beginnen sollte. Dr. B a c h beruft sich auf den früheren Direktor der Elisabethschule zu Berlin, Dr. W a e t z h o l d t , der im Programm von 1889 den Eltern und Hausärzten zu bedenken giebt, wenn er sagt: „Während die Eltern unbedenklich den Hausarzt veranlassen, aus gesundheitlichen Gründen die Befreiung von einem oder dem anderen p l a n richtet sieh nach den Jahreszeiten, besonderen Vorkommnissen und Bedürfnissen der Kinder. L e i t e n d e G r u n d s ä t z e d e r B e s c h ä f t i g u n g e n : Neben dem Bedürfnis des Kindes, sich frei und ungestört im Spiel zu beschäftigen, liegt auch der Trieb in ihm, sich hilfreich zu erweisen und kleine, seinen Kräften angemessene Arbeiten zu verrichten. Dazu wird den Kindern in folgender Weise Gelegenheit gegeben: Sie werden angehalten zum Beinhalten, Schonen, Ordnen, Erhalten und Verwenden verschiedener Dinge im Haushalte des Kindergartens; sie verteilen und räumen z. B. das Arbeitsmaterial weg, helfen beim Reinigen der Zimmer, Möbel und Beschäftigungsmittel, stellen Ordnung und Sauberkeit her, indem sie zerrissene Tapeten und Bilder kleben, Umschläge um Bücher machen, beim Kochen und bei der Vorbereitung derselben, beim Tischdecken, Abwaschen des Geschirrs etc. helfen. Die K i n d e r g e w i n n e n d a d u r c h e i n f a c h e , a b e r wichtige G r u n d l a g e n f ü r die w i r t s c h a f t l i c h e T h ä t i g k e i t u n d l e r n e n , dies e l b e in d e n D i e n s t a n d e r e r zu s t e l l e n . — Durch eine systematische Behandlung der Eröbelschen Beschäftigungen werden die i n t e l l e k t u e l l e n F ä h i g k e i t e n d e r K i n d e r gepflegt, doch nicht in abstrakter Weise, sondern durch Thun. — D a s K i n d w i r d auf d i e S c h u l e v o r b e r e i t e t . Durch Verbindung von Bild, Lied und Erzählung aus den Erlebnissen des Kindes wird die P h a n t a s i e d e s K i n d e s n a t u r g e m ä s s g e p f l e g t u n d e i n e h e i t e r e u n d p o e t i s c h e E r f a s s u n g d e s L e b e n s a n g e r e g t . Durch s t e t e V e r bindung von k ö r p e r l i c h e r und geistiger T h ä t i g k e i t wird der G r u n d g e l e g t zu h a r m o n i s c h e r W e c h s e l w i r k u n g z w i s c h e n K ö r p e r und G e i s t e s l e b e n . Der K i n d e r g a r t e n hat betreffs der A n g l i e d e r u n g an die V o l k s s c h u l e eine wichtige Aufgabe zu lösen, welcher er bei richtiger Einrichtung und Leitung durch einen naturgemässen Uebergang des kindlichen Spiels in eine geregelte Schulthätigkeit zu entsprechen vermag.
1262
Häusliche Arbeit.
L e h r g e g e n s t a n d e der Schule zu befürworten, lassen sie o f t den M u s i k unterricht stehen.
ihrer Töchter und die Uebungsstunden ruhig weiter be-
Wir bemühen uns, damit den Mädchen die in der Grossstadt
so unentbehrliche Zeit zur Ruhe, zum Spiel und zur körperlichen Bewegung
gewahrt
bleibe,
die
häuslichen
Arbeiten
auf
das
geringste
Mass zu beschränken, eine h a l b e S t u n d e täglich f ü r die Unterstufe, e i n e S t u n d e f ü r die Mittelstufe und e i n e u n d e i n e h a l b e durchschnittlich kindlichen
f ü r die Uberstufe.
Kräfte
bezeichnet
Stunde
Es muss als ein Missbrauch
werden,
wenn
für einen
der
Luxus-Gegen-
stand, wie Klavierspiel, täglich ebensoviel, o f t mehr Zeit beanspracht wird, als f ü r die Schularbeiten. streuten
Schülerinnen,
Fast a l l e s c h w a c h e n , m a t t e n ,
das ergab die Aufnahme,
1—2 S t u n d e n auf dem Klavier.
übten
zer-
täglich
Wurde der Klavierunterricht auf-
g e g e b e n oder auch nur erheblich beschnitten, so waren die Mädchen frischer, nahmen r e g e r e n Anteil und leisteten Besseres.
Keine Uebung
s t e l l t an das N e r v e n s y s t e m h ö h e r e Ansprüche als das Klavierspielen. D e m Musikgötzen, dem thörichten Modevorurteil, dass Klavierspiel zur Bildung g e h ö r e , bringt manche Mutter die Gesundheit der Tochter zum Opfer. Man s o l l t e zum Grundsatz machen,
dass nur ganz gesunde
und
musikalisch g u t b e g a b t e Mädchen die Musik p f l e g e n sollten, denn wir bedürfen keine mittelmässige
und schlechte Klavierspielerinnen,
son-
dern körperlich und g e i s t i g gesunde und frische Mädchen.
S p e z i e l l e V o r s c h r i f t e n über die B e s c h ä f t i g u n g in den Schulen, die h ä u s l i c h e n von
Arbeiten
Elsass-Lothringen
Kommission erlassen,
8 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18
die
Turnstunden
Grund
der
hat
schon
der
Statthalter
erwähnten
Expert-
die. wie folgt. lauten und b e a c h t e n s w e r t
Sitz-
W ä h r e n d der Lebensjahre 7
und auf
Stunden
IX VIII VII VI V IV III II I
18 20 24 26 30
Silieren 9 !•) 2/2 o 2
Arbeitsstunden
Turnen 4/2—5/2 i 4/2—5,2 i 2—3 1
6 '2 5—6 8
2
i
2
| 12—18 in der "Woche
12
sind.
Im Ganzen 24—24 1 /., 28—29 1 /ö 36—37" 42 46—52
1. Zwischen je 2 Lehrstunden. auch am Nachmittag, finden je 10 Min. Pausen statt. Folgen mehr als zwei Lehrstunden aufeinander, so ist zwischen der 2. und 3. eine Pause von 15 Minuten, zwischen der 4. nnd 5. eine solche von 20 Minuten.
Stundenplan.
1263
2. Die Schulwoche wird von einem freien Nachmittag unterbrochen, von einem zweiten geendet. 3. V o m Vormittag zum Nachmittag desselben Tages dürfen keine Arbeiten aufgegeben werden. D e r Sonntag ist von allen Schularbeiten frei zu halten. 4. Die Herbstferien beginnen Anfang August und währen bis Mitte September. W ä h r e n d der Pfingst- und Weihnaohtsferien sind keine Arbeiten aufzugeben. 5. Die Einrichtung' der Hitzeferien ist beizubehalten. Ii. Die höchste zulässsige Schülerzahl der einzelnen Klassen ist nach der von P e t t e n k o f e r aufgestellten Norm zu bemessen. 7. Einschränkung in der Handhabung des C e r t i e r e n s . sowie Vermeidung der einseitigen Betonung der E x t e m p o r a l l e i s t u n g e n und jeder Ueberanstrengung bei den Vorbereitungen für die Reifeprüfung. 8. Die Lehrstunden. welche starke Anforderungen an Nachdenken und Gedächtnis stellen, sind auf den Vormittag zu verlegen. 9. Ausser den obligatorischen Turnstunden sind Schwimmülmngen, Spielt* im Freien. Ausflüge. Schlittschuhlauf dringend zu empfehlen.
Eine Verordnung der Grossherz. Hessischen Regierung
bestimmt
die D a u e r d e r h ä u s l i c h e n A r b e i t s z e i t f ü r die V o r s c h u l e n auf 3 0 — 4 0 Minuten den Tag oder 3 — 4 Stunden die Woche, für
VI
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und
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auf 1 Stunde den T a g oder (> Stunden die "Woche,
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3 11 „ H 1< !> ,1 ,1 Warum die Stunden für die h ä u s l i c h e n A r b e i t e n nicht immer I I
„
I
!,
innegehalten werden können, ist eine Frage, die bereits in der Zirkularverfügung vom 10. November 1 8 8 4 eine erschöpfende Erledigung gefunden hat. Um die Leistungen der Schüler beim beurteilen zu können, gehört e i n p s y c h o l o g i s c h
Schulunterricht richtig
ange-
l e g t e r S t u n d e n p l a n . Wir wählen hierzu den in der Anlage A. mitgeteilten Stundenplan des Giessener Gymnasiums, der sich nach der Erfahrung von S c h i l l e r schon
in
empfohlen, prägtem
seinem für und
seit längerer Zeit bewährt hat. Derselbe hat
„Handbuch
fremdsprachliche vorbereitetem
der
praktischen
Extemporalien
Stoffe
bei
in den unteren
Pädagogie" genau und
einge-
mittleren
Klassen in der Regel höchstens 2 0 — 2 5 Minuten zu beanspruchen und auf keiner Stufe über 4 0 Minuten hinauszugehen, eine Praxis, die seit langer Zeit am Giessener Gymnasium beobachtet wird.
Ferner giebt
es dort keine sogenannte R a n g o r d n u n g ( L o k a t i o n ) , und nach einer den Eltern und Schülern bekannten Verordnung des Ministeriums dürfen die Ergebnisse der Extemporalien, Probe- und Prüfungsaufgaben nie zum N a c h t e i l e eines Schülers bei Beurteilung seiner Reife verwendet werden. Stunden, in denen s c h r i f t l i c h e
Klassenarbeiten
angefertigt
werden, erhöhen die Ermüdungsziffer am beträchtlichsten wegen des
1264
Stundenplan.
mangelnden Interesses; dasselbe ist der Fall bei Stunden mit
vor-
wiegend grammatischer, also abstrakter Thätigkeit, worauf wir schon hingewiesen haben. Sie gehören jedenfalls in die erste Morgenstunde, nach welcher solche Gegenstände folgen, die mehr die Ergebnisse des gesamten Unterrichts inhaltlich verwerten, wie R e l i g i o n , D e u t s c h , G e s c h i c h t e , G e o g r a p h i e und d u r c h den S t o f f f ü r sich i n t e r e s s i e r e n .
schon an und
Am leistungsfähigsten wird ausser in der
ersten der Schüler in der d r i t t e n , da diese nach der g r ö s s t e n E r h o l u n g s p a u s e (zum wenigsten von 15 Minuten, besser von 20 Minuten) liegt und letztere meist eine bedeutende Herabsetzung der Ermüdung herbeiführt.*) Aus diesem Grunde können in die d r i t t e Stunde diejenigen Gegenstände verlegt werden, welche die Thätigkeit des abstrakten Denkens häufiger und intensiver in Anspruch nehmen. In der f ü n f t e n S t u n d e wird der Schüler natürlich am wenigsten leistungsfähig sein, weshalb sie von der kürzesten Dauer sein sollte und solche Unterrichtsgegenstände in sie zu verlegen sind, „die durch eine grössere Zahl leicht reproduzierter, mit der erforderlichen Klarheit und Lebhaftigkeit ausgestatteten Vorstellungen die Verknüpfung neu hinzutretender rasch und leicht ermöglichen, ohne ihre Stärke und Dauerhaftigkeit zu beeinträchtigen, d. h. Disziplinen, die den Schüler besonders interessieren."
Dahin gehören Geographie, Geschichte, Physik
und Naturkunde. Letztere wird auf den meisten Gymnasien zu dürftig gelehrt, da man nicht selten Primaner antrifft, die nicht die Spur von Verständnis in der Naturwissenschaft zeigen. Bei der Verlegung der f ü n f t e n S t u n d e auf den Nachmittag werden der v i e r t e n V o r m i t t a g s s t u n d e die minder anstrengenden und mechanischen Gegenstände zugewiesen, während dem allerdings recht geringwertigen
Nachmittagsunterrichte
Sprachstunden und
hauptsächlich
die
zweiten
zufallen müssen, die eine vorwiegend befestigende
wiederholende
Thätigkeit
gestatten, sowie diejenigen Stunden,
welche mehr das Facit des Vormittagsunterrichts ziehen und die gewonnenen Resultate verbinden.
Sind für einen Gegenstand nur zwei
Wochentage bestimmt, so empfiehlt S c h i l l e r diese zur Erleichterung der
Verknüpfung
auf
zwei nach einanderfolgende Tage zu legen,
wenn man nicht vorzieht, sie unmittelbar hintereinander anzusetzen. In Frankreich legt man diesem Zusammenlegen derselben Unterrichtsstunden eine so grosse Bedeutung bei, dass sogar in den amtlichen Lehrplänen
obligatorisch
die
Stunden
für Geschichte,
Geographie,
Zoologie, Zeichnen etc. statt in zwei getrennten Stunden in H/o zusammenhängenden * ) Auch
schon
gekräftigt sind.
erteilt deshalb,
werden. weil
die
Diese Schüler
Einrichtung
empfiehlt
durch das Frühstück wieder
Stundenplan.
1265
S c h i l l e r unbedingt aus methodischen Gründen f ü r die oberen Klassen der höheren Lehranstalten. In den oberen Klassen des G i e s s e n e r Gymnasiums sind seit vier Jahren derartige Zusammentragungen versuchsweise durchgeführt und auf ihre Wirkung geprüft worden. Alle Schüler stimmten darin überein, dass die häusliche Arbeit dadurch erleichtert und die Thätigkeit in der Schule vereinfacht werde; nach dem ersten Jahre wurden die Versuche weiter ausgedehnt und die meisten Lehrer, sowie die Schüler dieser Klassen wünschen keine andere Einrichtung mehr. S c h i l l e r hebt wiederholt hervor, dass in allen Stunden, die sprachlich-historischen so gut wie die mathematisch-naturwissenschaftlichen, die A n s c h a u u n g die Grundlage oder wenigstens ein unentbehrliches Hilfsmittel des Unterrichts werde. Auch wende sich der U n t e r r i c h t mehr als früher zu ausschliesslich an den V e r s t a n d , während G e f ü h l and W i l l e zu wenig berücksichtigt würden. Alle diese Ziele vermöge nur ein vorwiegender S a c h u n t e r r i c h t zu erreichen. Jedenfalls giebt sich das Bemühen kund, in jeder Richtung der geistigen Ermüdung vorzubauen. Durch einen zweckmässigen Wechsel der verschiedenen Disziplinen kann die Aufmerksamkeit der Schüler rege gehalten und der L a n g e w e i l e , der Hauptursache der Unaufmerksamkeit, vorgebeugt werden. Um so mehr wird dann auch die Leistungsfähigkeit der Schüler eine angeregtere sein, wenn jede Einförmigkeit des zu behandelnden Gegenstandes ausgeschlossen ist. Der freie Nachmittag in der besseren Jahreszeit gereicht auch den L e h r e r n zum Vorteil, wenn sie ihn zur weiteren Ausbildung in ihrem Fache und zur Kräftigung ihres Körpers verwenden. Das Siechtum unter den Lehrern wird oft in zu grellen Farben geschildert und dabei nicht berücksichtigt, ob nicht eine angeborene Krankheitsanlage demselben zu Grunde liegt. Durchschnittlich zählt man die Lehrer zu den Langlebenden, wofür die Statistik den Beweis liefert. Die h ä u s l i c h e n A r b e i t e n werden, wie schon erwähnt worden ist, dadurch erleichtert, wenn sie in der Klasse durch den Lehrer in ihren Grundzügen besprochen und auf diese Weise vorbereitet werden. Wir müssen indes stets wiederholen, dass durch den Unterschied zwischen begabten und weniger begabten Schülern eine grosse Verschiedenheit in der Lösung solcher Aufgaben sich zeigen wird. Was den ersteren mühelos gelingt, wird den letzteren nur unter dem Aufwand ihrer ganzen Denkthätigkeit gelingen, so dass Ermüdung, eventuell auch Ueberanstrengung die Folge sein kann. 80
1266
Ueberbiirdung.
Dass Schüler von verschiedener Fassungskraft und Leistungsfähigkeit gemeinsam zu unterrichten sind, hat man schon längst als ein den Unterricht erschwerendes Moment erkannt. Diese Erkenntnis führte zu der Massnahme, dass man für V o l k s s c h u l e n besondere Unterrichtsklassen für Schwachbegabte schuf, worüber wir uns bereits S. 1137 geäussert haben. Der M i n i s t e r i a l e r l a s s vom 24. O k t o b e r 1837, betreffend die Gesundheitspflege in den Schulen, hob indes hervor, „dass die gesetzliche und herkömmliche Zahl wöchentlicher Lehrstunden, sowie die ganze G y m n a s i a l e i n r i c h t u n g e b e n s o w e n i g auf s c h w a c h e , a l s auf v o r z ü g l i c h b e g a b t e , v i e l m e h r auf S c h ü l e r von g e w ö h n l i c h e n g e i s t i g e n und k ö r p e r l i c h e n K r ä f t e n berechnet und nach dem Urteil von Aerzten täglich vier Stunden des Vormittags und an vier Tagen der Woche zwei Stunden des Nachmittags nicht zu viel sei, zumal da in a l l e n G y m n a s i e n nach der zweiten Stunde des V o r m i t t a g s und nach der ersten Stunde des N a c h m i t t a g s den Schülern eine viertelstündige Erholung im Freien gegönnt werde, zwischen jeder der übrigen Lehrstunden eine Pause von wenigstens fünf Minuten erlaubt sei und zwischen dem vor- und nachmittäglichen Unterricht eine grössere Pause von wenigstens zwei Stunden eintrete, welche in der Regel nicht zu Geistesarbeiten verwandt werde. Ferner gewährten die zwei freien Nachmittage, die Sonntage und die verschiedenen Hauptferien, die etwa den s e c h s t e n Teil des Jahres einnehmen, kleinere und grössere Ruhepunkte und lassen den Schülern zur Ausspannung des Geistes und zur l'ebung des Körpers Zeit genug übrig. Bei solchen regelmässigen Unterbrechungen der Lehrstunden, wie bei der ganzen mehr oder weniger erotematischen (frageweison) Art und Weise des Schulunterrichts ist ein vier- oder sechsstündiger Aufenthalt in hellen, luftigen, geräumigen und mit zweckmässigen Tischen und Subsellien versehenen Schulzimmern der naturgemä3sen Entwicklung des Körpers nicht hinderlich und wird überhaupt f ü r die Gesundheit der Jugend keine andere Gefahr haben als die, welche von jeder sitzenden Lebensart unzertrennlich ist." Als Normalmass wurden 32 wöchentliche Lehrstunden berechnet. Abgesehen von der Schilderung der Beschaffenheit und Ausstattung der Schulzimmer, die noch heute in vielen Fällen berechtigte Wünsche übrig lassen, ist nicht zu verkennen, dass die „Leibesübungen", die 1842 als ein notwendiger und unentbehrlicher Bestandteil der männlichen Erziehung anerkannt und allmählich in den Kreis der Volkserziehungsmittel aufgenommen wurden, eine neue Epoche im Schulleben bildeten und ihre Wiederbelebung eine unverkennbare günstige Wirkung hervorrief, indem sie die körperliche Entwicklung förderten
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