Schulen weiterbauen: Strategische Entwicklung von Schulgebäudebeständen 9783839442944

Adding on to existing school buildings: Maja Lorbek introduces the "scenario development" as a planning instru

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German Pages 254 Year 2020

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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand
Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers
Wissen über Gebäudebestände
Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand
Szenarioentwicklung und Backcasting
Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes
Literaturverzeichnis
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Schulen weiterbauen: Strategische Entwicklung von Schulgebäudebeständen
 9783839442944

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Maja Lorbek Schulen weiterbauen

Architekturen  | Band 46

Maja Lorbek (Dr. techn.) arbeitet als Projektmitarbeiterin an der Technischen Universität Wien und erforscht soziale, materielle und mediale Transformationsprozesse in der gebauten Umwelt.

Maja Lorbek

Schulen weiterbauen Strategische Entwicklung von Schulgebäudebeständen

Mein besonderer Dank gilt meinen Betreuern Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Christian Kühn und Univ.-Prof. Arch. Dipl.-Ing. Christoph M. Achammer. Für die vielfältige Unterstützung möchte ich mich zudem bei den Interviewpartnern und Workshop-Teilnehmern bedanken. Die vorliegende Studie ist eine Überarbeitung der Dissertation, die im November 2014 an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Wien angenommen wurde.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Dr. Anna-Lena Hermelingmeier Satz: Dr. Angelika Schulz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4294-0 PDF-ISBN 978-3-8394-4294-4 https://doi.org/10.14361/9783839442944 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhaltsverzeichnis Einleitung | 7

Problemstellung und Motivation: Schulen weiterbauen | 7 Forschungsfragen | 9 Methodik und Forschungsdesign | 15 Einschränkungen | 17 Ausblick | 17 Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand | 19

Einleitung | 19 Transitionstheorie | 21 Das Schulsystem als sozio-technisches Regime | 26 Zusammenfassung | 31 Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers | 33

Einleitung | 33 Das Klassenzimmer als Konstante | 34 Vom Einzelschulraum zum seriellen Klassenzimmer | 36 Die Klasse in der Schulgesetzgebung | 39 Das Klassenzimmer in den Bauhandbüchern des 19. Jahrhunderts | 45 Das Klassenzimmer und Reformpädagogik: Innere Differenzierung und räumliche Auslagerung in der Zwischenkriegszeit | 54 Das Klassenzimmer in den Freiluftschulen | 63 Die Erweiterung des Klassenraums in der Nachkriegsmoderne: Die Klassenzimmereinheit | 68 Der Klassenraum der Großraumschulen | 71 Zusammenfassung | 77 Wissen über Gebäudebestände | 81

Einleitung | 81 Gebäudebestandsforschung | 82 Der Typusbegriff in der Architektur | 89 Schulgebäudebestand in Österreich | 94 Klassifizierung des Schulgebäudebestandes | 97 Schulgebäudetypen: Klassifizierung und Abstrahierung | 103 Zusammenfassung | 106

Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand | 107

Einleitung | 107 Erhaltungsstrategien | 113 Fallstudien Sanierungsstrategien | 118 Wien: Substanzsanierung der Pflichtschulen | 118 Graz: Schulentwicklungskonzept, Standortaufwertung und pädagogische Innovation | 128 Kapfenberg: Generalsanierungen unter Bedingungen der Stagnation | 131 Zürich: Schulerhaltung unter Gesamtstrategie »2000-Watt-Gesellschaft« | 135 Vergleichende Analyse der Sanierungsstrategien | 143 Zusammenfassung | 146 Szenarioentwicklung und Backcasting | 147

Einleitung | 147 Szenarioentwicklung: Geschichte, Methodik und Typologie | 148 Backcasting | 154 Grundlagen für die Szenarioentwicklung | 157 Forschungsdesign: detailliertes Konzept | 160 Workshop-Diskussionen | 163 Schlüsselfaktoren und Auswertung | 174 Zusammenfassung | 183 Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes | 185

Ausgangssituation Schulsystem und Schulgebäudebestand | 185 Szenariomatrix | 192 Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes | 199 Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« | 200 Szenario »De-schooling« | 207 Szenario »Differenzierte Schule« | 214 Szenario »Integrierte Schulregion« | 222 Zusammenfassung | 236 Literaturverzeichnis | 239

Einleitung

PROBLEMSTELLUNG UND MOTIVATION: SCHULEN WEITERBAUEN Bestehende Schulen prägen durch ihre räumlichen Strukturen den Unterricht und die sozialen Beziehungen in den Schulen. Sanierungsprozesse eröffnen die Chance zu räumlicher und organisatorischer Neustrukturierung. Die Sanierungen sind geprägt durch normative und gesetzliche Vorgaben in Bezug auf Energieeffizienz, Barrierefreiheit und Erdbebensicherheit. Eine Untersuchung österreichischer und insbesondere Wiener Sanierungspraxis zeigt, dass dieses Potenzial zum Teil ungenutzt bleibt. Die organisatorische und pädagogische Transformation von Schulen im Zuge von Sanierungen ist jedoch in der mittel- und längerfristigen Perspektive dennoch gegeben. Welche Rolle spielen Architektur und räumliche Struktur sowie die materielle Beschaffenheit der Lernorte bei der Erreichung der Bildungsziele? Der Einfluss der Lernumgebung auf den Lernerfolg ist eine komplexe und bis dato nur unzureichend erforschte Materie (Woolner 2010: 17). Die räumlich-funktionale Organisation in bestehenden Schulen spiegelt historisch-pädagogische Konzepte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, aus der Zeit, als das Pflichtschulsystem eingeführt wurde wider. Diese spezifische räumlich-soziale Organisation der Schule, die im 19. Jahrhundert in Preußen perfektioniert wurde, wurde zur dominanten Schultypologie in Europa. Diese historische Struktur entwickelte sich gleichzeitig mit der homogenen Lerngruppe – dem Klassenverband als dem wichtigsten schulorganisatorischen Prinzip. Jede Lehrperson steht einer Lerngruppe vor, jede Lerngruppe verfügt in der Regel über einen eigenen Raum – das Klassenzimmer. Schulgebäude bestehen demnach aus einer Reihe von seriellen, identischen Klas-

8 | Einleitung

senzimmern, die jeweils einer Lehrperson und ihrem Klassenverband zugeteilt werden. Diese spezifische räumliche Form – eine Lehrperson, ein Klassenverband und ein zugewiesenes Klassenzimmer – stellt in Österreich nach wie vor das dominante Grundelement der Schulen, so auch bei Neubauten, dar. Das Klassenzimmer wird, bedingt durch die hohe Zahl an bestehenden Schulbauten, auch in der Zukunft pädagogische und soziale Sphären von Schulen beeinflussen. Das bisherige Konzept des Klassenzimmers stützte sich auf die Idee des »nutzungsneutralen Raumes«. Die historische Genese der Schularchitektur, die im deutschsprachigen Raum auf Varianten des »seriellen Klassenzimmers« beruht, beweist jedoch, dass das Klassenzimmer keinesfalls als nutzungsneutrales Raumbehältnis betrachtet werden kann. Lehrerzentrierte Pädagogik und Frontalunterricht sind in der räumlichen Zentralität des klassischen rechteckigen Klassenzimmers eingeschrieben. Das heutige österreichische Schulsystem erscheint auf den ersten Blick nahezu statisch und unbeweglich. Bei näherem Hinsehen sieht man, dass sich die Institution »Schule« ständig verändert. Diese Veränderungen reichen von unzähligen Schulversuchen über die Schärfung des Schulprofils an den einzelnen Standorten bis hin zur Reduktion der Klassenschülerhöchstzahl und der sukzessiven Einführung der Neuen Mittelschule zwischen 2008 und 2016. Neben organisatorischen Strukturen verändert sich vor allem die pädagogische Praxis. Heute wird auf die Individualisierung und Differenzierung des Unterrichts sowie die ganztägige Betreuung gesetzt. Schulräume, die auf Frontalunterricht ausgerichtet sind und zudem einzelne Klassenverbände voneinander abschotten, sind jedoch nur mehr bedingt geeignet für diese neuen pädagogischen Prinzipien. Die Schule der Zukunft wird dennoch großenteils in Bestandsbauten stattfinden. Räumliche Organisation der Altbauten ist aufgrund technisch-konstruktiver Struktur und bedingt durch die Fluchtwegeorganisation nur teilweise auflösbar. Diese materiellen Begebenheiten müssen jedoch keinesfalls als Nachteil und Einschränkung angesehen werden. Bei näherer Analyse der vorhandenen räumlichen Ressourcen und der neuen Anforderungen in österreichischen Pflichtschulen wird augenblicklich ein erheblicher Raumbedarf im Bereich der Bildungsbauten erkennbar. Erstens: Die Unterrichtsfläche in den Klassenzimmern (dort, wo bis heute das Lernen und Lehren tatsächlich stattfinden) ist traditionell knapp bemessen. Bei einer Klassenzimmergröße von 63 m² und 26 anwesenden Personen stehen ca. 2,4 m²

Forschungsfragen | 9

einschließlich Erschließungsfläche und Stellfläche für Möbel pro Person zur Verfügung. Wie wirken sich die geänderten pädagogischen Konzepte der Individualisierung, einer Differenzierung der Lernformen und von ganztägiger Betreuung auf die Raumnutzung im schulischen Alltag aus? In welcher Form schlagen sich diese in den Raum- und Funktionsprogrammen von Schulgebäuden nieder? Sehr schnell wird offenkundig, dass innovative pädagogische Konzepte auch eine Transformation der Schularchitektur notwendig machen, da sie das Lernsetting im Raum und die Gruppierung der Akteurinnen verändern. Für die Umsetzung der Individualisierung im Unterricht, für Teamteaching und Ganztagsunterricht sind zusätzliche Flächen erforderlich. Geänderte pädagogische Konzepte wurden bisher vor allem im Neubaubereich beachtet. In den Raumprogrammen und Vorgaben bei aktuellen österreichischen Architekturwettbewerben ist gegenwärtig eine verminderte Determinierung der Raumwidmungen feststellbar. Ebenso ist der Versuch, die starke Trennung zwischen Unterrichtsräumen und den Erschließungs- und Freizeitzonen etwas zu reduzieren, erkennbar. Die Positionierung und Durchlässigkeit der Klassenzimmer zueinander spielen in den heutigen Schulraumprogrammen ebenfalls eine entscheidende Rolle. Bei flächendeckender Einführung von Ganztagsunterricht ist ebenfalls mit zusätzlichem Raumbedarf zu rechnen. Besonders ausgeprägt ist der Raumbedarf in den wachsenden Städten im Osten Österreichs wie den Städten Wien, Graz, Eisenstadt, aber auch in den urbanen Agglomerationen um diese Städte (so genannte »Speckgürtel«). In den schrumpfenden Regionen bemühen sich die politischen Akteure und die Verwaltungen, Schulstandorte möglichst zu erhalten. Diese asynchrone demografische Entwicklung, demografisches Wachstum in den urbanen und periurbanen Lagen und gleichzeitige Schrumpfung in den ländlichen Regionen und früheren Industriestandorten, ist gegenwärtig typisch für viele europäische Länder.

FORSCHUNGSFRAGEN Das Buch »How buildings learn. What happens after they’re built« von Stewart Brand (1994) ist eines der wenigen Standardwerke, die sich ausführlich mit den historischen Praktiken des Weiterbauens im Bestand befassen.

10 | Einleitung

Die vorliegende Studie wurde von Brands Fragegestellungen inspiriert: Wie lernen Schulgebäude? Was passiert während der Sanierung und welche Strategien werden im Zuge der Erhaltung und Erneuerung verfolgt? Die Vorgangsweisen in der Sanierung sind vielfach durch die Praxis und die Wiederholung tradierter Prozedere geprägt. Eine stringente Planungs- und Entwurfsmethodik für die Weiternutzung, Erhaltung und Transformation im Gebäudebestand ist kaum vorhanden. Lediglich die theoretischen Konzepte, die die Grundlage des Denkmalschutzes bilden, bieten eine Orientierungshilfe für Planungs- und Entwicklungsprozesse bei Altbauten. Allerdings hat nur ein verschwindend geringer Teil des Gebäudebestandes den Status eines Baudenkmals. In Österreich sind nur 1,5 % aller Gebäude denkmalgeschützt (Fernsebner-Kokert und Kovar 2017: 13). Für eine große Anzahl der Schulbauten, die nur teilweise unter Schutz stehen, muss demnach eine andere Erhaltungs- oder auch Umnutzungsstrategie gewählt werden. Das Postulat, dass der Gebäudebestand als eine wesentliche, nicht erneuerbare kulturelle Ressource einzustufen ist, stammt von Uta Hassler (2009: 552). Diese Annahme wurde als eine der Leitprämissen der vorliegenden Studie übernommen. Neben dem materiell-räumlichen Altbaubestand spielt bei Schulen auch der Aspekt der Institutionalisierung eine gewichtige Rolle. Ein einzelnes Schulgebäude ist immer in den reglementierten Rahmen des Schulsystems eingebettet. Eine der besten Definitionen von Schule stammt von Christel Adick und lautet: »Schule [ist] raumzeitlich und sozial abgesonderte und im Medium der Schriftlichkeit institutionalisierte, intergenerationelle Weitergabe von Kultur« (2003: 174). In diesem Satz sind einige der Themen, die in der vorliegenden Arbeit behandelt wurden, angesprochen: Neben den räumlichen Strukturen in bestehenden Schulhäusern standen vor allem die langfristige Perspektive der Nutzung sowie der institutionelle Charakter der Schule im Fokus der Untersuchung. Die Fragen, die zu Beginn und während der Forschungsarbeit immer wieder gestellt wurden, lauteten: • •

Was entwickelte sich zuerst: Das Klassenzimmer oder der Klassenverband? Wie ist die Relation von Schule als Institution und Schule als gebaute Lernumgebung strukturiert?

Forschungsfragen | 11

• •

Wie kann die Bewirtschaftung und Nutzung des Schulgebäudebestandes langfristig und standortübergreifend organisiert werden? Wie können im Rahmen von Sanierungen künftige Nutzungen antizipiert werden?

Die Beantwortung dieser Fragen fußt auf der Grundannahme, dass der Schulgebäudebestand eine wesentliche öffentliche Ressource darstellt und der öffentliche Charakter der Schulbildung erhalten werden soll. Wesentliche Vorbedingungen für die vorliegende Forschungsarbeit sind zudem der wohlfahrstaatliche Charakter der Pflichtschulbildung, der sich in bildungspolitischen Zielen, wie Chancengerechtigkeit und dem Erwerb von Kernkompetenzen für eine autonome Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, widerspiegelt. Demnach standen die sozialen Aspekte (Chancengleichheit durch Schulbildung) gleichberechtigt neben der ökologischen Seite (ressourcensensible Weiternutzung) sowie ökonomischen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit (langfristige Erhaltung der öffentlichen Infrastrukturen). Erst nachdem die vorliegende Forschungsarbeit weit fortgeschritten war, und das Thema der Schulinstitutionalisierung nach wie vor nicht zufriedenstellend beschrieben wurde, stieß ich auf einen speziellen Theorieansatz, mit dem es gelang, die Dynamik und vor allem den »lock-in«1 der Institutionalisierungsprozesse im Schulsystem plausibel zu beschreiben und zu analysieren. Der Theorieansatz heißt »transition theory« und stammt aus dem Bereich der Nachhaltigkeitsforschung. Eines der wesentlichen Elemente dieser Theorie ist, bestehend aus drei Ebenen, die so genannte Multiebenenperspektive2: Das sozio-technische Regime, die sozio-technische Landschaft und die Ebene der Nischeninnovationen. Dieses Modell wird verwendet, um die komplexe, soziale und institutionelle Genese der soziotechnologischen Systeme zu beschreiben, mit dem Ziel, diese Systeme im Sinne einer nachhaltigen Transformation zu beeinflussen. Beispiele etablierter sozio-technischer Systeme sind zum Beispiel der Individualverkehr oder das Wasserversorgungssystem. Die »Transition theory« ist demnach auch eine Governancemethode für gezielte und zukunftsfähige Übergangs-

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Als »lock-in« beschreibt Unruh eine Phase in der Evolution von Technologien, in der sich das dominante technologische System und die dazugehörigen Normen bzw. Institutionen gegenseitig bedingen und verfestigen (2000: 823–825). Siehe Kapitel »Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand.«

12 | Einleitung

prozesse bei institutionalisierten sozio-technischen Systemen. In der vorliegenden Arbeit wurde der Transitionsansatz am Fallbeispiel des öffentlichen Schulsystems angewandt. Mit den analytischen Mitteln der Transitionstheorie konnten die institutionellen Determinanten im gegenwärtig krisenhaften, und dennoch sehr stabilen Bildungssystem, sehr gut erfasst werden. Der Ansatz lieferte zudem auch eine plausible Erklärung auf die Frage, warum Veränderungen in Teilbereichen des Schulsektors zu keiner radikalen Transformation im Gesamtsystem führen. So zum Beispiel wurden in den 1960er und 1970er Jahren vereinzelt Schulen mit offenen Grundrissen errichtet, die jedoch keine wesentliche Abweichung von der bisherigen pädagogischen Praxis (Frontalunterricht) und Schulorganisation (Klassenverband) auslösten. Die Grundsätze der Transitionstheorie werden im Kapitel » Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand« vorgestellt. Die Anwendung des Theorieansatzes auf die Entwicklung der Schulorganisation, Unterrichtspraxis und Schularchitektur ist im Kapitel » Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers« ausführlich dargestellt. Die Analyse des öffentlichen Schulsektors mit den Mitteln der Transitionstheorie lieferte auch Antworten auf die Frage: Was kam zuerst, das Klassenzimmer (räumliche Form) oder der Klassenverband (soziale Gruppe)? Die Antwort lautet: Beide Strukturen entwickelten sich synchron und bilden auch heute den grundlegenden Kern des sozio-technischen Regimes der Schule. Die vorliegende Arbeit liefert eine plausible Antwort auf die Frage, warum es nicht genügt, entweder nur innovative pädagogische Konzepte zu entwickeln, oder nur radikal offen konzipierte Lernräume bereitzustellen. Die Lerntechnologie, die räumliche Konstellation, die Akteurinnen und die institutionellen Regeln bilden ein stabiles System (»sozio-technisches Regime«), das nur langsam und durch Veränderung an allen konstitutiven Elementen transformierbar ist. Die Veränderung eines einzigen Elementes im sozio-technischen Regime reicht für eine grundlegende Veränderung im Gesamtsystem nicht aus. Ebenso können weder Nischeninnovationen, noch Veränderungen, die in der Ebene der sozio-technischen Landschaft (Werte, Bedeutungen) angesiedelt sind, zur Ablöse des soziotechnischen Regimes führen. Um ein stabiles, institutionelles Regime zu verändern sind gleichzeitige Erschütterungen auf allen Ebenen erforderlich. Für die Umsetzung einer nachhaltigen Schulreform sind demnach langfristige, strategische Transformationsprozesse in allen Teilbereichen des

Forschungsfragen | 13

sozio-technischen Systems nötig. Dazu zählt auch, eingebettet in eine langfristige Perspektive, die strategische Bewirtschaftung und Nutzung des Schulgebäudebestandes. Unabhängig von der Starrheit des institutionalisierten Schulsystems kann man bei Schulneubauten, und im Zuge der Sanierungen, die bisherige räumliche Struktur im Sinne einer besseren Ressourceneffizienz transformieren. Diese Umwälzung wird nicht zwangsläufig zu einer Veränderung der organisatorischen Struktur, dem Klassenverband als Lerngruppe mit einem Lehrenden, führen. Dennoch kann eine solche Strategie entscheidend zu einer nachhaltigeren Nutzung von öffentlichen Schulbauten führen. Im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts entstanden einige Schulhäuser mit einer radikal anderen räumlich-funktionellen Struktur. Diese Schulen wurden ohne serielle Klassenzimmer und mit einer flexiblen Konstruktion und offenen Grundrissanordnung konzipiert. Auch in Österreich gibt es in den 1960er und 1970er Jahren einige experimentelle Schulbauten mit offenem Grundriss und einer neuen Positionierung der Lehrenden und Schüler im Raum. Wilhelm Schink, Wiener Senatsrat, schrieb 1973 einen bemerkenswert progressiven Text über die Grundsätze im Schulbau, die bis heute nichts an ihrer Aktualität verloren haben und darüber hinaus mit meinen Erkenntnissen über eine mögliche zukunftsfähige Schularchitektur im Rahmen der Studie übereinstimmen: »Die Problematik in Schulbau liegt darin, daß wir an der Schwelle von zum Teil tiefgreifenden Bildungsreformen stehen, die angesichts der stürmischen gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung permanenten Charakter haben. Schulneubauten entstehen gegenwärtig mit Materialien und nach Baumethoden, die eine Lebensdauer beziehungsweise Nutzungsdauer von 60 und mehr Jahren erwarten lassen. Jede neue Schule muss daher in ihrer baulichen Grundkonzeption zunächst der heutigen Schulorganisation und den jetzigen pädagogischen Anforderungen Rechnung tragen, soll aber auch künftige Schul- und Unterrichtformen (Gesamtschule, Ganztagsschule, Gruppenunterricht Kern- und Kurssystem usw.) ermöglichen. […] Wesentlich dabei erscheint es, die Schule so zu konzipieren, dass man gegebenenfalls die Raumgrößen, die derzeit durch das Jahrgangsklassensystem beziehungsweise die Klassenschülerzahlen bestimmt sind, leicht, das heißt in wirtschaftlicher Weise verändern beziehungsweise neuen Anforderungen etwa nach Großräumen oder kleinen Gruppenräumen anpassen kann. In letzter Zeit werden daher bei der Planung aller größeren Wiener Pflichtschulbauten, die für eine Verwendung als Gesamtschule in Betracht kommen können, tragende Wände so weit als möglich vermieden.« (Schink 1973: 371)

14 | Einleitung

Allerdings setzte sich die so genannte »open plan school« (siehe hierzu Kapitel »Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers«) in Österreich nicht durch. Darüber hinaus ist die Schule als Institution durch historische Schulgebäude geprägt, die nach wie vor nach dem Prinzip des seriellen Klassenzimmers organisiert sind. Wie die vergleichende Untersuchung von Sanierungsstrategien im Kapitel »Erhaltungsstrategien und Gebäudebestand« zeigt, wird im Zuge der Renovierung und Erhaltung das bestehende räumlich-funktionelle Schema der Schulen weitgehend beibehalten. Dies hat mehrere Gründe. Erstens ist die Veränderung des konstruktiv-statischen Gefüges von historischen Schulen technisch aufwändig. Zweitens sind die Mittel für die Schulsanierung begrenzt. Drittens ist es schwierig unterschiedliche Ziele und Motive in der Sanierungsplanung miteinander zu verbinden. Besonders die politischen Vorgaben in Bezug auf Energie- und Ressourceneffizienz stehen in Konkurrenz zum Raumbedarf und der Notwendigkeit von pädagogisch bedingten Umbaumaßnahmen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus der vergleichenden Analyse der Fallstudien ist der Portfolio-Ansatz, dieser kann entscheidend zu einer effizienteren Nutzung von zeitlichen und räumlichen Ressourcen in Schulen beitragen. Bei einer standortübergreifenden Bewirtschaftung kann im Rahmen der Sanierungsplanung auch der inhomogene Gebäudebestand berücksichtigt werden. Bildungspolitische Ziele, wie Chancengerechtigkeit und der Erwerb von Kernkompetenzen, werden bei Sanierungsprogrammen wenig beachtet. Die dritte Frage »Wie können im Rahmen von Sanierungen künftige Nutzungen antizipiert werden?« wurde durch die Analyse von Sanierungsstrategien sowie durch die Anwendung der Szenarioplanung, einer Foresight-Methode, beantwortet. Die vergleichende Analyse der Sanierungsprogramme in Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich zeigte, dass nur durch die Beachtung von langfristigen Zeithorizonten und eine Einbindung von strategischen Elementen in der Planung eine wertsteigernde und vorausschauende Bewirtschaftung von Gebäudeportfolios im öffentlichen Eigentum möglich ist. Die Unsicherheitsfaktoren in der langfristigen Planung, beziehungsweise die grundsätzliche Unvorhersehbarkeit bei künftigen Nutzungen, können jedoch selbst mit strategischen Planungselementen nicht adäquat bedacht werden. Szenarioplanung kann jedoch diese Lücke schließen. Ein weiterer Zugang zur gezielten Verfolgung von langfristigen Zielen

Methodik und Forschungsdesign | 15

in der Zukunft ist jener des Backcasting.3 Beide Methoden – Szenarioentwicklung und Backcasting – wurden bisher im Bereich der Sanierungsplanung kaum eingesetzt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden beide Methoden adaptiert und am Fallbeispiel des österreichischen Schulgebäudebestandes angewandt. Das Ergebnis der Szenarioentwicklung sind vier Szenarien: • •

• •

»kontrollierter Schulmarkt« (freies Schulsystem ohne staatliches Bildungsmonopol) »De-schooling« (das Krisenszenario, bei dem es zu einer sehr starken Polarisierung zwischen den privaten und öffentlichen Schulen kommt und bei dem es sehr viele Schulabbrecher gibt »Differenzierte Schule« (das Erhaltungsszenario bzw. die Fortführung der jetzigen Praxis, oft als »business as usual«-Szenario bekannt). »Integrierte Schulregion« (das transformativ-strategische Szenario, das in der vorliegenden Arbeit als Grundlage für Backcasting dient und ausführlich beschrieben wird).

Jedes der vier Szenarien beschreibt dabei narrativ die künftige Entwicklung des Schulsystems, die wesentlichen Merkmale des veränderten Schulsektors und die Auswirkung auf den öffentlichen Schulgebäudebestand.

METHODIK UND FORSCHUNGSDESIGN An dieser Stelle werden die Methoden und Theorieansätze, die im Rahmen der Dissertation zur Anwendung kamen, in aller Kürze vorgestellt. Je ein Kapitel widmet sich sowohl der Transitionstheorie als auch der Szenarioplanung und dem Backcasting. Die Transitionstheorie, die für die Analyse und Beschreibung des Schulsystems herangezogen wurde, ist im Kapitel »Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand« detailliert beschrieben. Im Kapitel »Die Geschichte des seriellen Klassenzimmers« wird

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»Backcasting« ist ein strategisches Tool, mit dem, ausgehend von einem Planungsziel in der Zukunft, rückwärts Schritte gesetzt werden, um das Ziel zu erreichen. Die Methode ist im Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting« ausführlich beschrieben.

16 | Einleitung

der Transitionsansatz angewandt, um die historische Genese der Schulklasse als räumlich-soziale Struktur und pädagogische Technologie zu beschreiben. Im Kapitel »Wissen über Gebäudebestände« wird das Schulgebäudeportfolio analysiert und mithilfe der Baualtersklassen klassifiziert. In diesem Kapitel ist zudem der interdisziplinäre methodische Ansatz »building stock research« beschrieben, der in der vorliegenden Arbeit mit dem Begriff der »Gebäudebestandsforschung« übersetzt wurde. Diese verbindet unterschiedliche Disziplinen (Bauforschung, Architekturgeschichte usw.) mit verschiedenen Datenrepositiorien (Archive, digitalisierte Gebäude- und Morphologiedaten usw.), um damit eine umfangreiche Wissensbasis über die gebaute Umgebung (Gebäude, urbane Regionen, Stadtfragmente usw.) zu generieren. Diese Wissensbasis stellt den Ausgangspunkt für alle weiteren langfristigen Planungen her. Die Gebäudebestandsforschung ist zudem eine unentbehrliche Grundlage für eine standortübergreifende beziehungsweise Portfolio-basierte Nutzung und Bewirtschaftung von großen Gebäudebeständen. Im Kapitel »Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand« werden die unterschiedlichen Sanierungsstrategien für Schulbauten in Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich vergleichend analysiert. Für die Beantwortung der Fragen nach langfristigen Nutzungen und den Unvorhersehbarkeiten in der Planung wurde auf die Methoden der Szenarioplanung und des Backcasting zurückgegriffen. Beide Methoden werden im Kapitel 6 »Grundlagen der Szenarioentwicklung« ausführlich vorgestellt. Ebenso wird die Problematik der Umsetzung im Bereich der Sanierungsplanung bei großen Gebäudebeständen diskutiert. Die Methodik der Szenarioplanung und des Backcasting wurde adaptiert und schließlich am Beispiel einiger öffentlicher Pflichtschulen angewandt. Im Rahmen der Szenarioentwicklung wurden Workshopdiskussionen durchgeführt. So genannte »key drivers« (Schlüsselfaktoren), die die zukünftige Entwicklung der Schule maßgeblich beeinflussen werden, wurden definiert und schließlich von den Workshopteilnehmern bewertet. Diese Schlüsselfaktoren sind zudem eine der Wissensquellen für die Entwicklung der Szenarien. Im Rahmen der Szenarioentwicklung wurde auch die Literaturanalyse zum Thema Zukunft der Schule herangezogen. Die Methodik und die Ergebnisse der Workshopdiskussionen, sowie die Auswertung der Schlüsselfaktoren, werden im Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting« ausführlich vorgestellt.

Einschränkungen | 17

EINSCHRÄNKUNGEN Die historische, synchrone Entstehung von Unterrichtstechnologien (Lehrerbasierte Pädagogik, Frontalunterricht, das Prinzip ein Lehrer und eine Lerngruppe) und der räumlichen Struktur (serielles Klassenzimmer, abgeschlossenes Areal der Schule) ist ausführlich beschrieben. Ebenso detailliert ist die Darstellung der Sanierungsstrategien. Dennoch gibt es bei einer vergleichenden Fallstudienanalyse einige Daten, die nicht verfügbar waren: Vor allem genaue Angaben über Sanierungs- und prognostizierte Lebenszykluskosten. Vor allem bei der Anwendung der Szenarioplanung gibt es weitere Einschränkungen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden können. Im Idealfall würde man, im Rahmen der Szenarioentwicklung, einige wesentliche Akteure über einen länger andauernden Prozess beteiligen. Dennoch wurde bewiesen, dass Szenarioplanung eine gute Methode für die Bewirtschaftung und langfristige Entwicklung von Gebäudebeständen im öffentlichen Eigentum darstellt. Besonders vielversprechend erscheint der Backcasting-Ansatz, mit dem man sich sukzessive, und durch kontinuierliche Anpassung, an einem Idealzustand in der Zukunft annähern kann.

AUSBLICK Die vorliegende Studie zeigt, dass eine erfolgreiche Reform bzw. Transformation des Schulsystems alle konstituierenden Elemente und Akteure umfassen muss. Neben pädagogischer Innovation und institutioneller Reform muss auch die räumliche Organisation, insbesondere in bestehenden Schulbauten, an sich ändernde Anforderungen angepasst werden. Ebenso ist, der Transitionstheorie folgend, die Ebene der sozio-technischen Landschaft von Bedeutung. Der Stellenwert von Bildung in der Gesellschaft muss demnach erheblich an Bedeutung gewinnen. Um sozialpolitische Ziele der Bildungspolitik zu erreichen, genügt das Beschwören von Bildung als eine der wesentlichen Faktoren für die Zukunftsfähigkeit nicht. Vielmehr geht es um Taten in Form von einer gezielten Verteilung der finanziellen, räumlichen und zeitlichen Ressourcen und um eine strategische, langfristige Planung, fernab der bloßen Verwaltung des Status quo. Besonders im Altbaubestand gibt es einen erheblichen Raumbedarf, um zukunfts-

18 | Einleitung

fähige schulische Nutzungen wie Individualunterricht, Teamteaching und Ganztagsschule, umsetzen zu können. Hier ist auch Grundlagenforschung gefordert, da erheblicher Forschungsbedarf besteht. Über eine so wesentliche öffentliche Ressource wie die vorhandenen öffentlichen Schulgebäude gibt es kaum aggregierte und evaluierte Daten. Neben der Schaffung einer detaillierten Wissensbasis über öffentliche Gebäudebestande (building stock research) muss künftig auch die komplexe Korrelation zwischen Raum bzw. Lernumgebung und dem Lernerfolg untersucht werden. Für die Planung gilt es vermehrt auf strategische und langfristige Ziele zu achten.

Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand

EINLEITUNG Die »Transitionstheorie«, besser bekannt unter den englischen Begriffen »transition«, »transition management« und »transition pathways«, befasst sich mit Veränderungsprozessen in sozio-technischen Systemen. Das Schulsystem, als ein komplexes und problembehaftetes Gefüge aus technologischen, sozialen und institutionellen Komponenten, kann mit den Mitteln der Transitionstheorie genau beschrieben und analysiert werden. Dieser theoretische Rahmen ermöglicht darüber hinaus die Beschleunigung von Übergängen und die Förderung radikaler Innovation in sozio-technischen Systemen. Der Sektor der Bildung, in dem großer Reformbedarf besteht, wird in dem vorliegenden Kapitel im Sinne eines sozio-technischen Systems interpretiert. Dadurch können vielschichtige Beziehungen zwischen dem institutionellen Rahmen des Schulsystems und dem Gebäudebestand erfasst werden. Für eine erfolgreiche Transformation der Schulen, einschließlich ihrer materiellen und räumlichen Sphären, ist die Kenntnis über den institutionellen Kontext der Schulen unabdingbar. Eine Analyse des Komplexes von Schule und institutionellem Rahmen ist anhand des methodischen Kanons der Architekturtheorie kaum möglich. Nur weitere Disziplinen wie die Organisationsforschung, science and technology studies (STS) und die Soziologie können die Relationen zwischen den sozialen Akteuren, ihrer materiellen Umgebung und den regulierenden Institutionen adäquat beschreiben. Es steht fest, dass sich die Schule als Institution ändert, doch das geschieht eher graduell und in längeren Zeiträumen. Gleichzeitig findet eine andauernde öffentliche Diskussion über den großen Re-

20 | Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand

formbedarf des Bildungssystems und über etablierte Strukturen und Prozesse, die einige Probleme nur verlagern und prolongieren, statt4. Sobald die nationalen Ergebnisse der PISA5-Evaluierung vorliegen, wird der Diskurs über die ungelösten Probleme im Schulsystem immer wieder neu geführt. Aus den Berichten der Organisation for Economic Co-operation and Development6 (OECD) geht hervor, dass Österreich zwar vergleichsweise viel in das primäre und sekundäre Bildungssystem investiert, die Testergebnisse der Schülerinnen jedoch nicht dem finanziellen Aufwand entsprechen (Nusche u. a. 2010; OECD 2017). Zudem führt das österreichische differenzierte Schulsystem laut OECD zu einer Vertiefung sozialer Unterschiede und zu Benachteiligungen von Schülern mit sozial schwachem bzw. bildungsfernem Hintergrund (OECD 2016: 53–54) . Neben der Problematik des hohen finanziellen Aufwandes, dem ungewollten Effekt der Vererbung von Bildung sowie der fehlenden sozialen Durchlässigkeit kommt hinzu, dass sich die pädagogische Praxis in vielen Teilbereichen des Schulsystems grundlegend verändert hat. Vor allem die Heterogenität der Schüler, die Individualisierung und die Rhythmisierung des Unterrichts sowie die Ganztagsschule und die Teamarbeit der Lehrenden zeigen einen Paradigmenwechsel in der Pädagogik an (Hubeli u. a. 2012: 21). Einige dieser Trends haben unmittelbare Auswirkungen auf die räumliche Organisation der Schulen, der Gebäudebestand und die Begrenztheit der finanziellen Mittel lassen allerdings nur bedingt gravierende Eingriffe in die tektonischfunktionale Struktur der Schulen zu. Die erweiterte räumliche (bedingt vor allem durch die Individualisierung des Unterrichts) und veränderte zeitliche Nutzung von Schulgebäuden (Stichwort Ganztagsunterricht) sowie steigende Bevölkerungszahlen führen zu einem zusätzlichen Gebäude- und Flächenbedarf in wachsenden Stadtregionen. Der Gebäudebestand und notwendige zusätzliche Raumressourcen zählen demnach zu den ungelösten, hartnäckigen Problemen im Bildungssystem. Solche komplexe Problemlagen sind nur durch einen Transitionsprozess zu lösen:

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In dem Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes« wird veranschaulicht, wie sich die Fortführung der gegenwärtigen Praxis auswirkt (siehe Szenario »Differenzierte Schule«). Programme for International Student Assessment, durchgeführt von der OECD ‒ Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Deutscher Name: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Transitionstheorie | 21

»Persistent problems require transitions: fundamental changes in structure, culture and ractices of societal systems […]. By structure, we mean physical infrastructure (physical stock and flows), economic infrastructure (market, consumption, production) and institutions (rules, regulations, collective actors and individual actors). By culture, we mean the collective set of values, norms, perspective (in terms of coherent, shared orientation) and paradigm (in terms of defining problems and solutions)« (Fischer-Kowalski und Rotmans 2009).

Neben der Analyse von tradierten Sanierungsmethoden und den Wechselwirkungen zwischen dem Gebäudebestand des Schulsystems geht es in der vorliegenden Arbeit um die Modernisierung und wertsteigernde Transformation der Schularchitektur. Das Ziel ist eine gerechtere Verteilung von wohlfahrtstaatlichen Bildungsressourcen. Dazu liefert die Transitionstheorie einerseits den theoretischen Rahmen für die Analyse des Schulsystems, und andererseits den Weg zu erfolgreicher Umstrukturierung. In den Niederlanden wird dieser Theorieansatz als Governance Methode für nachhaltige Übergänge bei zwei praktischen Umsetzungen bereits erprobt. In den folgenden Abschnitten wird die Theorie zunächst kurz vorgestellt sowie anschließend diskutiert und für die Anwendung im Bereich des Schulsystems adaptiert (Abschnitt »Schulsystem als sozio-technisches Regime«). Die Implikationen für die langfristige Transformation von Gebäudebeständen, insbesondere auch Schulbauten, werden im Abschnitt 2.4 »Schulgebäude und Transition« erörtert. Die Implementierung und anschließende Verfestigung der Schulklasse als gebaute Form, pädagogische Technologie und soziale Gruppierung stellt im Sinne der Transitionstheorie ein Element des sozio-technischen Regimes des Schulsystems dar. Die historische Entwicklung dieses spezifischen Elementes wird im Kapitel 3, Abschnitt 3.2 »Das Klassenzimmer als Konstante« beschrieben.

TRANSITIONSTHEORIE Geschichtliche Entwicklung Die Transitionstheorie entstand in den Niederlanden zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung. Seither werden die Struktur und die Dynamik von Übergangsprozessen in den sozio-technischen Systemen von einer Reihe von Forschenden anhand historischer Bei-

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spiele analysiert und zu einer Methodik des Transformationsmanagements systematisiert. Gleichzeitig wurden einzelne Begriffe und Thesen der Transitionstheorie einer kritischen Diskussion unterzogen und weiter präzisiert. Die Langfristigkeit der Prozesse ist für die Überführung von technischen Systemen zu einem nachhaltigen Modus Operandi von besonderer Wichtigkeit. Augenscheinlich ist, dass die effizienten und emissionsfreien Energie- und Mobilitätssysteme nicht über Nacht eingeführt werden können, auch wenn innovative Technologien bereits teilweise vorhanden sind. Ebenso rasch wurde erkannt, dass bei der Akzeptanz von Technologien die Nutzer und Akteure aus dem institutionellen Umfeld eine besondere Rolle spielen. Einmal etabliert und erfolgreich, erlangen bestehende Systeme besondere Stabilität. Wegen den erfolgten finanziellen Investitionen in vorhandene Technologien, ist eine kurzfristige Umsetzung von alternativen Modellen kaum durchsetzbar. Für die Stabilität und Trägheit des technoinstitutionellen Komplexes, der die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern perpetuiert, prägte C.G. Unruh den Begriff »lock-in«, der nun für alle stabilen und innovationsresistenten sozio-technischen Systeme verwendet wird (Unruh 2000). Das Schulsystem ist mit solchen stabilen und festgesetzten technischen Systemen in diesem Sinne vergleichbar. Allerdings geht es im Bereich der Schulsysteme nicht nur um eine nachhaltige Transformation im ökologischen Sinne. Die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit: Gerechtigkeit, Inklusion und soziale Durchlässigkeit stehen im Vordergrund. Die Frage nach erfolgreicher Transformation stellt sich dennoch gleichermaßen wie bei technischen Infrastrukturen, wie zum Beispiel bei der Energieversorgung oder dem Transportwesen. In den späten 1990er Jahren wurde von der niederländischen Politik zunehmend anerkannt, dass das Prinzip der systemischen Innovation einen der möglichen Lösungsansätze für die Umsetzung ökologischer Nachhaltigkeit darstellt (Kemp und Loorbach 2003: 3). Eine Arbeitsgruppe »Knowledge and Technological Innovation« (KETI), beauftragt von der Regierung, organisierte 1999 einen Workshop zum Thema technologischer Übergänge. In der Folge beauftragte man zwei Studien zum Thema Übergänge bzw. Transition-Management (Kemp und Loorbach 2003: 4). Die Autoren einer der Studien, die von zwei Forschungsinstituten der Maastrichter Universität durchgeführt wurde, gehören heute zu den führenden Theoretikern am Gebiet der Transitionstheorie, darunter Jan Rothman, René Kemp, und Frank W. Geels. Besonders die wissenschaftlichen

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Arbeiten von Frank W. Geels wurden für die vorliegende Zusammenfassung der Transitionstheorie herangezogen. Mittlerweile hat der TransitionsAnsatz einen etablierten Platz im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung. 2009 wurde ein Netzwerk7 zur Erforschung der nachhaltigen Transitionen mit dem Ziel gegründet, wissenschaftliche Forschung zum Thema der nachhaltigen Übergänge zu koordinieren und zu vernetzen (STRN 2017). Die Transitionstheorie wurde, wie geschildert, in den Niederlanden auch als Governanceprozess bei zwei Projekten praktisch erprobt und evaluiert: bei dem Projekt Parkstad Limburg und im Rahmen des Übergangs zu Verbesserung der Effizienz und Etablierung von nachhaltigen und erneuerbaren Energiequellen bei der nationalen Energieversorgung durch das niederländische Wirtschaftsministerium. Neben dem Wirtschaftsministerium experimentieren fünf weitere niederländische Ministerien mit der Anwendung des Transitionsmanagements. Diese Projekte befinden sich in der Anfangsphase. Außerhalb der Niederlande gibt es zunehmendes Interesse an den Transitionsprozessen in Großbritannien, Deutschland, Österreich, Finnland und insbesondere Belgien, wo im Bereich des Abfallmanagement, des nachhaltigem Wohnbaues und von Konstruktionen zwei Projekte mit Transitionsprozessen durchgeführt werden. (Fischer-Kowalski und Rotmans 2009). Wesentliche Elemente der Transitionstheorie Der Begriff »Transition« beschreibt den Prozess des Überganges von einem sozio-technischen System in ein anderes. Beispiele für solche sozio-technischen Systeme sind unter anderem die Transport- und Energiesysteme, der Wohnungsbau, die Landwirtschaft, sowie Kommunikation- und Gesundheitssysteme (Geels und Schot 2010: 11). Die Bildung, die zu den vier Säulen des Wohlfahrtstaates zählt, kann analytisch – auch wenn sie mehr von sozialen Prozessen denn von Technologien geprägt ist – ebenfalls als ein sozio-technisches Regime eingestuft werden. In der vorliegenden Forschungsarbeit stehen die materiell-räumliche Sphäre von Schulen und technologische Aspekte des Unterrichtes im Zentrum der Untersuchung. Dennoch sind technologische Aspekte des Unterrichts und der Einfluss gebau-

7

»Sustainability Transitions Research Network« (STRN).

24 | Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand

ter Umgebungen ausreichend, um den Transitions-Ansatz erfolgreich heranzuziehen und zu adaptieren. Das Transitions-Management beruht auf der Idee, gesellschaftliche Wandlungsprozesse gezielt zu beeinflussen. Wenngleich sozio-technische Transformationen nicht kontrollierbar sind, können sie dennoch strategisch in eine bestimmte Richtung gesteuert und zudem auch beschleunigt werden: »Transitions cannot be steered in a command-and-control terms, because they are too complex phenomena with many uncertainties and surprises. However, transitions can be influenced and guided, in terms of influencing the speed and directions of these processes« (Fischer-Kowalski und Rotmans 2009: 8).

Die Kernelemente der Transitionstheorie sind: Das Postulat der sozialen und technischen Co-Evolution der sozio-technischen Systeme, die Unterteilung des sozio-technischen Systems in drei Ebenen ‒ »multilevel perspective« (Geels 2010) ‒ und die Typologie der Transitionspfade (Geels 2002, 2004; Geels und Schot 2007). Die einzelnen Kernelemente werden nun folgend kurz beschrieben. Die Transitionstheorie basiert einerseits auf einer Koppelung von Theoriekonzepten aus verschiedenen Disziplinen, darunter die Actor-Network Theorie von Bruno Latour (Latour 2007), der Strukturalisationsansatz von Antony Giddens (1984) und die Theorie der Sozio-technischen Systeme – STS ‒ von Wiebe E. Bijker und Trevor J. Pinch (Bijker u. a. 2012). Geels zieht Analysen historischer Fallbeispiele für die Überprüfung der Hypothesen heran. Er analysierte den Austausch von Pferdekutschen durch das Automobil (Geels 2005), den Übergang von Propellerflugzeugen zu Flugzeugen mit Düsenantrieb (Geels 2006) und die Transformation der Agrarproduktion in den Niederlanden (Geels 2009). Ein wesentliches Element der Transitionstheorie ist die sogenannte »multi-level perspective« (MLP). Die sozio-technische Sphäre einer Gesellschaft wird in drei Ebenen unterteilt: Die sozio-technische Landschaft als die Makroebene, das sozio-technische Regime als die Mesoebene und die Nischen als die Mikroebene. Alle Ebenen beeinflussen sich gegenseitig, stellen jedoch auch autonom wirksame Sphären dar. Die Nischen sind jene Bereiche, die Innovationen hervorbringen, und die am wenigsten stabil sind. Sie stellen einen geschützten Bereich dar, der weniger von Marktmechanismen geprägt ist, sondern von kleinen Netz-

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werken engagierter Akteurinnen getragen wird, die im System oft die Rolle von Außenseitern einnehmen (Geels 2002: 1261; Geels und Schot 2007: 400). In frühen Publikationen zur Transitionstheorie wurde die Ebene von Nischen überbewertet, nach kritischer Rezeption wurde diese Annahme später revidiert (Geels und Schot 2007: 400). Die Ebene der Nischen im österreichischen Schulsystem wird konstituiert durch unzählige Schulversuche. Dazu gehören auch alternative Schulen, die vielfach von den Eltern initiiert und mitgetragen werden. Laut Geels besteht die Mesoebene der sozio-technischen Regime aus drei Elementen: den sozio-technischen Systemen, den Akteuren und den Institutionen bzw. Regeln (2004). Geels beschrieb sechs verschiedene Arten der Interaktion zwischen analytischen Elementen (Geels 2004: 903–904):

1. Die Reproduktion der Elemente und Beziehungen von Technologien durch die sozialen Akteure. 2. Die Akteurinnen werden durch die Regeln und Institutionen sowohl unterstützt als auch eingeschränkt. 3. Die Akteure reproduzieren die Regeln in ihren eigenen Aktivitäten. 4. Der materielle Kontext des modernen Lebens (Gebäude, Straßen, Aufzüge, Haushaltsgeräte usw.) sind keine neutralen Instrumente, sondern beeinflussen vielmehr unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Jede soziale Interaktion findet im technischen Kontext statt. 5. Die Regeln sind ebenfalls in technischen Artefakten und Anwendungen eingebettet. 6. Die Technologie und materiellen Artefakte sind hartnäckig und bewirken technologische Formung. Die sozio-technische Landschaft, die sowohl von den Regimen als auch von den Nischen kaum beeinflussbar ist, ist als externe Sphäre zu betrachten, mit entscheidendem Einfluss auf die Etablierung von Technologien. Zur Metaebene der sozio-technischen Landschaft gehören laut Geels (2002: 1260) der Ölpreis, wirtschaftliches Wachstum, Kriege, Migration, breite politische Koalitionen, kulturelle und normative Werte, ökologische Probleme und weiteres. Der Gebäudebestand in meiner Version der Transitionstheorie befindet sich auf der Mesoebene des sozio-technischen Regimes, zumal es zumin-

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dest inkrementell von den Akteuren, ebenfalls angesiedelt auf dieser Ebene, verändert werden kann. Aufgrund der notwendigen Instandsetzungs- und Sanierungsintervalle ist es notwendig, periodisch in die Gebäudesubstanz zu investieren. Bei jeder größeren Sanierung kann auch das funktionale Gefüge der Gebäude und die Organisationsstruktur der darin untergebrachten Institutionen verändert werden. Da in diese Prozesse auch Akteure von der Ebene der sozio-technischen Regime involviert sind, kann der Gebäudebestand ganz klar der Ebene der sozio-technischen Regime zugeordnet werden. Transitionsprozesse setzen nur dann ein, wenn alle drei Ebenen interagieren und wenn a) in der Nischenebene ein Aufschwung stattfindet (zum Beispiel durch Preis- und Performanceoptimierung, durch Lernprozesse und durch die Unterstützung mächtiger Akteure); b) wenn es Druck von oben (Metaebene der sozio-technischen Landschaft) gibt; und wenn c) gleichzeitig die Mesoebene der sozio-technischen Regime destabilisiert wird. Radikale Nischeninnovation kann sich auf der Ebene des Regimes nur dann durchsetzen, wenn es zu gegenseitiger Beeinflussung und Neuausrichtung der drei Ebenen kommt (Geels und Schot 2007: 400).

DAS SCHULSYSTEM ALS SOZIO-TECHNISCHES REGIME In der Zukunft wird sich das Schulsystem und mit ihm der Schulgebäudebestand grundlegend verändern, dieser Wandel ist bereits im Gange. Die entscheidende Frage lautet demnach: Wird dieser Wandel willkürlich und geprägt von langjährigen Traditionen stattfinden, oder kann stattdessen eine strukturierte und gezielte Modernisierung initiiert werden? Die gegenwärtigen Entwicklungen werden als Stillstand beziehungsweise als Patt-Situation zwischen den Befürwortern eines differenzierten Schulsystems und den Anhängerinnen der Gesamtschule wahrgenommen. Bei näherer Betrachtung ist die Entwicklung der Schulen und des Schulsystems jedoch kein Stillstand. Das Bildungssystem verändert sich kontinuierlich, partielle Reformen werden umgesetzt und auch die Akteurinnen selbst verändern das System »Schule«. Externe Faktoren, wie der demografische Wandel, die Segregation in urbanen Bereichen und die Schrumpfung bzw. Alterung in den ländlichen Regionen prägen die heutige Gesellschaft und mit ihr auch

Das Schulsystem als sozio-technisches Regime | 27

die Schulen. Im Vergleich zu sozio-technischen Systemen wie der Wasserversorgung und dem öffentlichen Verkehr sind Schulen weniger von den Marktmechanismen geprägt. Der Einfluss des Marktes im Schulwesen nimmt jedoch zu. In Schweden wurde 1991/1992 das Bildungsmonopol des Staates aufgegeben und ein marktorientiertes Schulsystem eingeführt, das auch als »kontrollierter Schulmarkt« (Bunar 2010) beschrieben werden kann. Ebenso sind die Technologie und die materiell-räumliche Struktur von Schulgebäuden im Unterricht weniger prägend als zum Beispiel die Verbrennungskraftmotoren im Kontext des motorisierten Individualverkehrs. Die Schulklasse als bauliche Gestalt und soziale Gruppierung ist dennoch ein sozio-technisches System, das nunmehr seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also seit mehr als 100 Jahren, das Lernen und Lehren in Schulen nach wie vor weltweit prägt. Besonders in deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) ist die Tradition der Organisation der Schule nach Schulklassen als räumliche und soziale Einheiten nach wie vor ungebrochen. Das Klassenzimmer in seiner heutigen Form besteht seit dem späten 19. Jahrhundert. Der entscheidende Impuls für die Entstehung der Schule und der Schulklasse in Österreich in der heutigen Form war die Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch Maria Theresia im Jahr1774 und das Reichsvolksschulgesetz von 1869. Im § 11 des Gesetzes vom 1869 sind einer Lehrkraft maximal 80 Schülerinnen zugeordnet, damit wird die Konstellation ein Lehrender und eine vorgegebene Anzahl von Schülern festgelegt. Das Gesetz sieht auch mehrere Lehrende vor, denn es heißt: »Die Zahl der Lehrkräfte an jeder Schule richtet sich nach der Schülerzahl. Erreicht die Schülerzahl in drei aufeinander folgenden Jahren im Durchschnitte 80, so muß unbedingt für eine zweite Lehrkraft, und steigt diese Zahl auf 160, für eine dritte gesorgt und nach diesem Verhältnisse die Zahl der Lehrer noch weiter vermehrt werden« (RGBl. 1869).

In der Praxis setzte sich der Klassenverband mit einem Lehrenden durch, diese Form wird in gebauter Form zum Klassenzimmer. Die Kontinuität des Klassenzimmers und zugleich des Klassenverbandes als räumliche und soziale Konstante ist im Kapitel »Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers«, Abschnitt »Das Klassenzimmer als Konstante« näher beschrieben. Neben formaler Merkmale ist das Klassenzimmer auch eine gebaute Unterrichtstechnologie: Die Tiefe des Raumes entspricht der Reich-

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weite der menschlichen Stimme, ohne technische Hilfsmittel zu nutzen, die Breite des Raumes ist an die maximale natürliche Belichtungstiefe angepasst. Mittlerweise gibt es technische Möglichkeiten, um die Stimme der Lehrenden zu verstärken und die natürliche Belichtung durch Beleuchtung zu ersetzen. Dennoch veränderte sich das Klassenzimmer als Kernelement der Schulgebäude im Laufe des 20. Jahrhunderts nur geringfügig. Ebenso blieb der Frontalunterricht die dominierende Unterrichtsform. Andere Formen des Unterrichtes werden eher in Sonderunterrichtsräume, in die Sammlungen oder in EDV-Räume ausgelagert. In den deutschsprachigen Ländern bleiben auch die Versuche mit offenen Grundrissen eine Ausnahme. Mittels Transitionstheorie lässt sich die Stabilität der Klassenzimmerform und der Schularchitektur in den deutschsprachigen Ländern gut erklären: Während sich im Laufe des 20. Jahrhunderts und nach der Jahrhundertwende die Erschließung und Gruppierung von Klassenzimmern verändern und die ergänzenden Pausenflächen vergrößert werden, bleibt das Klassenzimmer weitgehend gleich. Das Klassenzimmer ist wegen seiner Stabilität und aufgrund der darin eingeschriebenen Unterrichtstechnologien (Frontalunterricht) ein Kernelement im sozio-technischen Regime des Bildungssystems. Alle materiellen Artefakte, die den Unterricht unterstützen, von der Kreidetafel und dem white board, von Overheadprojektoren bis zu Power PointPräsentationen, unterstützen die räumliche Zentralität des Klassenzimmers. Die Klassenzimmerform setzt sich so unhinterfragt in der pädagogischen Praxis, ebenso wie in den meisten bisherigen Schulbaurichtlinien fort. Demzufolge ist die traditionelle differenzierte Schule mit Klassenzimmerstruktur und dem Frontalunterricht als ein sozio-technisches Regime einzustufen. Alle experimentelleren Formen, die von dieser Grundstruktur abweichen, wie Jahrgangsklassen, offene Grundrisskonzepte, flexible Raumnutzung, experimentelle Unterrichtsformen und Ähnliches, sind auf der Mikroebene der Nischen angesiedelt. Das differenzierte Schulsystem befindet sich auf der Ebene der Landschaft. In der Abbildung 1 ist eine erste grobe Einteilung der Komponenten des Schulsystems zu den einzelnen Ebenen ersichtlich. Da sich die vorliegende Forschungsarbeit jedoch vordergründig mit dem Gebäudebestand bzw. dessen Transformation befasst, ist eine umfassende Analyse des Schulsystems nicht zielführend. Die Einteilung müsste im Zuge einer interdisziplinären Analyse verfeinert werden.

Das Schulsystem als sozio-technisches Regime | 29

Abbildung 1: Sozio-technisches Regime in der Bildung, Diagramm: ML SOZIO-TECHNISCHES SYSTEM Schulgebäudebestand / Gebäudetypologie Serielle Anordnung der Klassenzimmer Klassenzimmer Verteilung im Raum Räumliche Zentralität Möblierung Belichtung Beleuchtung Lehrerzentriertes Unterrichten Technische Medien

AKTEURE Lehrer Schüler Eltern Bildungswissenschaft Gewerkschaft Politische Parteien NGOs

INSTITUTIONEN / REGELN Gesetze Richtlinien Normen Evaluierungen Standards Verhaltensregeln Schulkultur Traditionen

Ein Beispiel für radikale Innovation ist die nach der Jahrhundertwende entwickelte Reformpädagogik. In bestimmten Konstellationen beeinflusste die Reformpädagogik auch den Schulbau, so zum Beispiel in Frankfurt am Main in den 1920er Jahren. Nach einem langen Nischendasein setzten sich bestimmte Elemente der Reformpädagogik, allen voran die MontessoriMethode, besonders in der Kindergartenpädagogik und in den Volksschulen durch. Die frühe Moderne in der Architektur kann ebenfalls als radikale

30 | Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand

Tabelle 1: Ebenen des sozio-technischen Systems in der Bildung, Tabelle ML Multi-Ebenen-Perspektive im sozio-technischen System der Bildung Ebene

Komponenten

VerZeitraum änderung

Schulsystem, wohlfahrtstaatlicher Typus, pädagogische Traditionen, sozio-techkulturelle Werte, Erziehungstradinische tionen, sozialpartnerschaftliche Landschaft Institutionen, transnationale Organisationen (OECD, UNESCO)

gering

Klassenzimmerstruktur, Frontalunterricht, Schulgebäudebestand, sozio-tech- Unterrichtstechnologien, Klassennisches zimmermöblierung, Allokation Regime von Schülern, Schulinstitutionen, etablierte pädagogische Konzepte, etablierte Lehrerausbildung

lange inkremen- Zeiträume tell 25-50 Jahre

Nischen

experimentelle Schulgebäude, abweichende Raumnutzung, Alternativschulen, Schulversuche, pädagogische Innovationen

radikal

sehr lange Zeiträume, 50-100 Jahre

kurze Zeiträume

Nischeninnovation interpretiert werden. Durch einflussreiche Akteure, bedeutende Organisationen wie Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) und Union Internationale des Architectes (UIA) sowie bedingt durch die Destabilisierung des politischen Systems nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg setzte sich die Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa weitgehend durch. Die Schaffung des Wohlfahrtstaates, begleitet durch Entwicklungen im sozialen Wohnungsbau und durch die Bildungsexpansion, ging von der Ebene der sozio-technischen Landschaft aus. Die Prinzipien der architektonischen Moderne setzten sich bei der Konzeption der Gebäude als auch in der Stadtplanung durch. Entsprechend der Transitionstheorie gab es einerseits ausgereifte Nischeninnovationen, wie zum Beispiel industrielle Bauweisen, und andererseits eine Destabilisierung

Zusammenfassung | 31

des etablierten Regimes (zerstörte Gebäudesubstanz, Wohnungsnot, demografisches und konjunkturelles Wachstum sowie Bildungsexpansion in den 1960er und 1970er Jahren). Auch die sozio-technische Landschaft wurde durch Krisen und Kriege grundlegend verändert. Für eine vertiefte Re-Interpretation der architektonischen Moderne als sozio-technische Transition bietet sich eine weiterführende Forschung an. Für den Bildungssektor liefert die Transitionstheorie eine überzeugende Erklärung auf die Fragen, warum Nischeninnovationen bisher erfolglos waren und warum der Wertewandel auf der Ebene der sozio-technischen Landschaft auf der Ebene des sozio-technischen Regimes kaum Spuren hinterließ.

ZUSAMMENFASSUNG Die Transitions-Methodik und die bisher gemachten Governance-Erfahrungen eignen sich für die Anwendung im Rahmen einer grundlegenden Reform (Transition) des Schulsystems. Beispiel dafür ist die Überleitung des differenzierten Schulsystems in ein Gesamtschulsystem. In Bezug auf den Schulgebäudebestand wird eine längerfristige Strategie erforderlich, um einzelne Neubauten, die für eine innovative, individualisierte Pädagogik und für ein Schulsystem basierend auf dem Prinzip der Gesamtschule sowie für Ganztagsschulen konzipiert sind, zu errichten. Diese werden allerdings am Gesamtsystem kaum etwas verändern. Neben der Modernisierung von bestehenden Schulgebäuden sind Impulse auf allen drei Ebenen des soziotechnischen Systems notwendig. Hier können die theoretischen Ansätze der Transitionstheorie mit einigen Foresight-Methoden gekoppelt werden. Mittels »Backcasting« (als angestrebte Vision, die schrittweise umgesetzt wird) kann ein gewünschter Zielzustand definiert werden. Der Übergang des Gesamtsystems in die gewünschte Richtung wird jedoch durch das Transitions-Management unterstützt. Die Methodik des Backcasting ist im Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting« näher beschrieben, an dieser Stelle wird auch die Koppelung der Transitionstheorie mit der Technik der Szenarioentwicklung und des Backcasting erläutert.

Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers

EINLEITUNG Drei Epochen prägen die Entwicklung der europäischen Schulen ganz entscheidend: Die Zeit der Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts, die Zwischenkriegszeit mit reformpädagogischen Innovationen und sozialdemokratischen Schulreformen sowie die Zeit des Wiederaufbaus und des demografischen Wachstums nach dem II. Weltkrieg (Burke und Grosvenor 2008: 19). Für die Entstehung und die Dominanz des seriellen Klassenzimmers ist jedoch die Einführung der Schulpflicht und des staatlichen Bildungsmonopols seit dem 18. Jahrhundert ganz entscheidend. Die Schulpflicht und das zugleich entstandene sozio-technische System des Klassenzimmers beziehungsweise des Klassenverbandes stellen einen historischen Übergangsprozess im Sinne der Transitionstheorie dar. Vermehrtes Interesse an der Erforschung der sozialen, kulturellen und materiellen Geschichte des Klassenzimmers entsteht zeitgleich mit dem visual turn in den Sozial- und Geisteswissenschaften (Ventrella 2015). Der Sammelband »Silences and Images. The Social History of the Classroom«, erschienen 1999, markiert den Beginn systematischer Erforschung von Bedeutungen, Praktiken und Kulturen des Klassenzimmers in der Pädagogik. Der Titel des Buches verweist auf das Schweigen zum Thema ›Klassenzimmer‹ in der damaligen Forschung zur Bildungsgeschichte (Grosvenor u. a. 1999: 1). Die Beiträge in der Publikation »The Black Box of Schooling. A Cultural History of the Classroom« untersuchen Klassenzimmer auf Basis unterschiedlicher historischer Quellen, darunter visuelle Darstellungen, Narrative und Texte, persönliche Erinnerungen, architektonische Konzepte sowie materielle Artefakte (Braster u. a. 2012).

34 | Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers

Michel Foucault klassifizierte Klassenzimmer als ein Instrument der Kontrolle im Elementarunterricht (1989: 188–189). Martin Lawn hingegen schlägt vor, den Klassenraum als soziale Technologie anzusehen (1999). Eine Betrachtung des Klassenzimmers als sozio-technisches System im Sinne der Transitionstheorie, ergänzt um die architekturhistorische Analyse, wurde bisher jedoch noch nicht unternommen. Die Geschichte der Schulklasse als Grundelement der Schularchitektur seit dem 19. Jahrhundert, wie hier in Kapitel 3 ausgeführt, ermöglicht wichtige Erkenntnisse über historische, technologische und soziale Hintergründe des Schulgebäudebestandes. Das Schulsystem ist, einschließlich des materiellen Gebäudebestandes, wie in Kapitel 2 »Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand« beschrieben, ein sozio-technisches Regime, das durch Stabilität und Widerstand gegen Innovationen und Reformen gekennzeichnet ist. Die Schulklasse, als physischer Raum und soziale Gruppierung zugleich, spielt in dieser spezifischen Organisationsform eine besondere Rolle. Am Fallbeispiel der Mehrklassenschule mit seriellen Klassenzimmern kann sowohl die Genese und Stabilität des sozio-technischen Systems der öffentlichen Bildung analysiert, als auch die architekturhistorische Entwicklung der Schulbautypologien im deutschsprachigen Raum dargestellt werden. Das Fallbeispiel der historischen Etablierung und Dominanz des seriellen Klassenzimmers illustriert die gegenseitige Bedingtheit zwischen der baulichen Gestalt, der pädagogischen Praxis und den institutionellen Regeln. Letztere ermöglichen die Stabilität der traditionellen Schule, stehen jedoch möglichen Innovationen und einer grundlegenden Modernisierung im Wege.

DAS KLASSENZIMMER ALS KONSTANTE Das rechteckige, einseitig belichtete, seriell angeordnete Klassenzimmer bildet auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts das Kernelement der Schularchitektur. In diesem Kapitel wird, aus der Perspektive des Transitionstheorie, die architekturhistorische und sozio-technische Geschichte des Klassenzimmers seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Jetztzeit behandelt. Das Augenmerk liegt dabei auf der Darstellung der Stabilität des sozio-technischen Regimes, der eigentliche Prozess der Transition bzw. des

Das Klassenzimmer als Konstante | 35

Übergangs wird an dieser Stelle nicht behandelt. Die bereits konsolidierte dominante Form der Mehrklassenschule steht in Zentrum des Interesses, weil Schulbauten, die diesem Typus entsprechen, bis heute das Schulsystem, den Unterricht und die sozialen Beziehungen maßgeblich prägen. Die bauliche Form, das pädagogische Setting, die Akteure und die dazugehörigen Regeln, Richtlinien und Institutionen beeinflussen sich gegenseitig und erzeugen so ein sozio-technisches Regime, das nur schwer veränderbar ist. Die Abmessungen und die Gestalt des seriellen Klassenzimmers stehen am Ende des 19. Jahrhunderts fest, ebenso das Prinzip »ein Lehrender und eine Schulklasse«. Das dritte Merkmal der Mehrklassenschule ist der Ausschluss von nicht-schulischen Funktionen, vor allem der Wohnnutzung. Allenfalls die Wohnung des Schulleiters und des Schuldieners dürfen im Schulgebäude untergebracht werden. Die soziale und organisatorische Gruppe der neuen Pflichtschulen – die Schulklasse – korrespondiert mit der baulichen Gestalt und Abgeschlossenheit des Klassenraumes. Aufgefädelt entlang der Gänge, oder gruppiert um die kleinen oder großen Hallen, behält das Klassenzimmer in den deutschsprachigen Ländern seine ursprünglichen Dimensionen und seine frontale Ausrichtung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute bei. Michael Göhlich hebt ein weiteres Merkmal des räumlich getrennten Klassenzimmers hervor: In der Beziehung zwischen dem Klassenverband und dem einzigen Lehrenden gewinnt der Aspekt der räumlichen Zentralität in der pädagogischen Praxis zunehmend an Bedeutung (2009). Dieser neu eingeführte Fokus auf den einzigen Lehrer bestimmt seither neben der Pädagogik auch die bauliche Gestalt des Klassenzimmers. Die mehrklassige Schule mit den seriellen Klassenzimmern und dem Frontalunterricht, basierend auf dem Prinzip der räumlichen Zentralität, entsteht Göhlich zufolge nicht erst im 18. Jahrhundert, sondern bereits zum Zeitpunkt der Reformation im 16. Jahrhundert: »Der Vorläufer dieses Schulraumtyps reicht einige Jahrhunderte zurück. Schon der Kupferstich, der Luthers Aufruf zur Gründung christlicher (Rats-)Schulen bebildert, zeigt die gewünschte Zentralität des Lehrers und das zugleich gewünschte Hintereinander-Sitzen der Schüler von diesem an. Mit Comenius nimmt das Bemühen um räumliche Zentralisierung in Koppelung mit einer Vorstellung des Unterrichts, der allein vom Lehrer ausgeht, zu. Auch Pestalozzis Ausrichtung der gesamten Schülerschar auf die Tafel bzw. Tabelle und seine Methode des Zusammensprechens zielen auf den zentral gesteuerten Gleichtakt des Unterrichts. Aber erst in preußischen Schulbauten des 19. Jahrhunderts mit ihrem je Stockwerk von einem Flur abgehen-

36 | Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers

den, für Jahrgangsklassen vorgesehenen Klassenzimmern, die jeweils ein Lehrerpult und vor diesem ggf. aufsteigend, gereihte Schulsitze und -tische vorsehen, etabliert sich diese Form als Schulraum der Moderne« (2009: 96).

Die materiellen und technischen Artefakte, die im Unterricht eingesetzt werden, neben den Unterrichtsmitteln (von Kreidetafeln über Overheadprojektoren bis hin zu interaktiven Whiteboards) und auch die Möblierung, unterliegen von Anfang an der räumlichen Zentralität des Klassenzimmers. Das Klassenzimmer, als zentrales Element des sozio-technisches Systems der Schule, ist besonders langlebig. Ein Blick in die historischen Publikationen mit Schulgrundrissen beweist: Das zentral ausgerichtete und abgeschlossene Klassenzimmer, das sich als Standard im 19. Jahrhundert durchsetzt, wird in der Epoche der Reformpädagogik in der Zwischenkriegszeit beibehalten und überdauert die sozialdemokratischen Schulreformen der 1920er und 1970er Jahre. Die Experimente mit Großraumschulen in den 1960er und 1970er Jahren, die den Einzelschulraum der vormodernen Zeit wieder einführen, unterbrechen kurzzeitig die Dominanz der Mehrklassenschule. Die Großraumschule bleibt jedoch, anders als im angelsächsischen Raum, in Deutschland, der Schweiz und Österreich eine Randerscheinung.

VOM EINZELSCHULRAUM ZUM SERIELLEN KLASSENZIMMER Im vorliegenden Kapitel wird der Transitionsprozess vom schulischen Großraum zu räumlich abgeschlossenen, seriellen Klassenzimmern und der Mehrklassenschule kurz dargestellt. In der Publikation von Hermann Lange kann eine ausführliche Beschreibung der Entstehung des modernen Schulbaus in den einzelnen Ländern nachgelesen werden. Eine Untersuchung des Schulsystems in den europäischen Ländern seit dem 16. Jahrhundert als historischer Übergangsprozess im Sinne der Transitionstheorie steht allerdings noch aus. In der vorliegenden Analyse der Geschichte des modernen Schulbaues liegt der Fokus auf der Kontinuität und Stabilität des seriellen Klassenzimmers als dem Kern des sozio-technischen Systems der Schule. Als konsolidiertes sozio-technisches System prägt das Schulgebäude mit seriellen

Vom Einzelschulraum zum seriellen Klassenzimmer | 37

Klassenzimmern beides: Sowohl die pädagogische Praxis als auch die sozialen Gruppen (Klassenverbände). Nahezu alle Schulgebäude in Österreich, von der Gründerzeit bis heute, entsprechen dem Typus der Mehrklassenschule mit seriellen Klassenzimmern. In der Neuzeit waren die meisten Schulen in das Haus des Schulmeisters integriert (Göhlich 2009: 93). Laut Göhlich verwandelt sich die Schule, die aus einem einzigen Schulraums besteht, in dem ein Schulmeister mit seinen Assistenten unterrichtet, seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in die moderne Schule mit einzelnen, homogenen Klassen. Die Klasse als organisatorisch-pädagogische Struktur, bestehend aus einem Lehrenden und einer bestimmten Anzahl von Lernenden, gibt es Philippe Ariès zufolge vereinzelt bereits Ende des 15. Jahrhunderts. Erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts hat die Klasse, so Philippe Ariès, zu ihrer endgültigen Gestalt gefunden (1996: 269). Der Begriff »Klasse« wird Ariès zufolge erstmals 1519 von Erasmus in einem Brief an Justin Jonas verwendet (1996: 271). Nachdem die allgemeine Schulpflicht erfolgreich eingeführt wurde, ist der Transitionsprozess in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Ende und das sozio-technische Regime der Schule fest etabliert. Schulgebäude mit einer seriellen Abfolge von Klassenzimmern sind, neben dem gesetzlichen Rahmen, dem Verwaltungsapparat und Akteuren Teil des soziotechnischen Regimes. Für das sozio-technische System der Schule ist Allokation von sozialen Lerngruppen basierend auf dem Prinzip ein Lehrer ‒ eine Schulklasse ‒ ein Klassenzimmer ganz entscheidend. In Dänemark vollzog sich dieser Wandel aufgrund staatlicher Vorschriften, die eine räumliche Trennung von Klassen in den Lateinschulen verlangten, bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Lange 1967: 37, 41). In anderen europäischen Ländern erfolgte der Übergang nicht so schnell. Dennoch setzte sich das Prinzip der räumlichen Trennung nach Klassenzimmern bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durch. Neben der Einführung der allgemeinen Schulpflicht (einer Entwicklung, die auf der Ebene der sozi-technischen Landschaft angesiedelt ist und eng dem Prozess der Industrialisierung zusammenhängt) kommt es bereits in der Großraumschule (dominierendes sozio-technisches Schulregime bis Mitte des 19. Jahrhunderts) zu einer Differenzierung innerhalb der Schülerschaft. Ebenso verändert ist die Zusammensetzung der Gruppe der Lernenden. An die Stelle von unterschiedlichen Leistungsniveaus in einer großen Lerngruppe tritt die homogene Leistungs-

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gruppe. Diese Entwicklung setzt bereits viel früher, in dem großen allgemeinen Schulraum, ein. Hermann Lange beschreibt die beginnende räumliche Differenzierung anhand der Schulordnung der Stephansschule zu Wien aus dem Jahr 1446: »Die Schülerschaft wird in drei ›Teile‹ abgesondert: die Ältesten […], die Mittleren und die Jüngsten. Jeder Teil steht unter einem der drei Lokaten8, erhält seinen Platz im allgemeinen Schulraum zugewiesen und wird noch einmal gedrittelt, ›also daß allweg ebengleich an Begreiflichkeit werden zusammengesetzt‹. Auf diese Weise hat man ›in der Schul‹ neun Unterscheidungen, das macht neun ›locacein9‹ der Schüler.[…] Die Schule wird also zunächst nach der Dreizahl der Lokaten in Hauptabteilungen geteilt und dann noch einmal nach Gleichheit im Lernen unterteilt werden« (1967: 50).

Die Einteilung nach Leistungsgruppen wird durch die räumliche Separation in Form von seriellen Klassenzimmern zusätzlich vertieft. Lange zufolge geht es dabei mehr um die organisatorischen Beweggründe mit dem Ziel homogene Klassen zu bilden, als um pädagogische Werte (1967: 72). Die räumliche Trennung in den dänischen und den deutschen Schulen war, so Lange, innerhalb einer längeren Periode zunächst durchaus provisorisch (1967: 41 ,75). Der große Einzelschulraum ließ eine solche provisorische und zugleich reversible Differenzierung zu. In Schulen, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet wurden und die eindeutig durch serielle Klassenzimmer strukturiert sind, sind die Unterteilungen nicht mehr flexibel und behelfsmäßig, sondern sind Teil des statisch-konstruktiven Gefüges. Diese Art von Schulgebäuden kann nur durch erheblichen baulichen Aufwand in Schulgroßräume verwandelt werden.

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Lokat bzw. locat: Unterschulmeister, Gehilfe des Schulmeisters. Lokaten in der Stephansschule zu Wien sind laut Lange »Bakkalauren aus dem Studentenhaus in der Kernerstrasse« (Lange 1967). Unterabteilungen.

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DIE KLASSE IN DER SCHULGESETZGEBUNG Die nach Klassen gegliederte Schule setzt sich in den meisten europäischen Ländern mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht mehrheitlich durch. 1774 wird die Schulpflicht in Österreich durch die »Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen« eingeführt. Bereits das erste Schulgesetz begründet das Prinzip eines Lehrenden pro Klassenzimmer. Im Punkt 4 der Schulordnung »Wie Schulgebäude beschaffen sein sollen« wird festgehalten: »[..] Wenn neue Schulgebäude ausgeführet, oder alte eingerichtet, und verbessert werden, müssen darinn so viele Schulstuben angeleget werden, als Lehrer zugleich unterrichten, indem zween, oder mehrere zu gleicher Zeit bey der bestimmten Lehrart in einer und eben derselben Stube nicht unterweisen können: Und da es nöthig ist, daß die Schüler durch die häuslichen Geschraffte der Weiber, Kinder, und Dienstleute der Lehrer nicht gestöret werden, mithin daß die Schulstuben durchaus nicht zu irgend einem anderen Gebrauche dienen, so muß die Schulstube auch sogar auf dem Lande von der Wohnung des Schulmeisters abgesondert seyn, folglich wo diese Absonderung nicht ist, muß gleich den ersten Sommer nach Kundmachung dieses Patents, oder sobald möglich, entweder an das dermalige Schulgebäude, wenn es ohne gar zu große von der Gemeinde, oder denjenigen, denen die Erhaltung des Schulgebäudes obliegt, zu tragende Kosten geschehen kann, eine neue Stube angebauet, oder ein dazu schicklicher Raum im Hause selbst mit der Absicht auf die Zahl der zur Schule gehörigen Kinder eingerichtet werden« (Allgemeine Schulordnung 1774).

In dem 95 Jahre später erlassenen Reichsvolksschulgesetz vom 1869 wird im § 7 für die Volkschule die Einteilung der Schülerinnen in Klassen genau festgelegt: »Die Gruppierung der Schuljugend in Abteilungen oder Klassen ist durch die Anzahl der Schüler und der verfügbaren Lehrkräfte bedingt« (Reichsvolksschulgesetz 1869).

In diesem Gesetz, das die Schulorganisation in Österreich noch lange nach dem Zerfall der Monarchie prägen wird, wird das Prinzip der Klasse als räumliche Einheit mit einem Lehrenden und einer bestimmten Zahl der Schüler fortgesetzt und weiter verfeinert. Die Errichtung von Schulen in

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den Ländern wird gemäß § 59 unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtend: »§ 59. Die Verpflichtung zur Errichtung der Schulen regelt die Landesgesetzgebung mit Festhaltung des Grundsatzes, daß eine Schule unter allen Umständen überall zu errichten sei, wo sich im Umkreise einer Stunde und nach einem fünfjährigen Durchschnitte mehr als 40 Kinder vorfinden, welche eine über vier Kilometer entfernte Schule besuchen müssen« (Reichsvolksschulgesetz 1869).

Am 20. August 1870 wird eine Schul- und Unterrichtsverordnung für die allgemeinen Volkschulen erlassen, in der ein ganzer Abschnitt der »Klassenabtheilung« gewidmet ist (Schul- und Unterrichtsordnung 1870). Gemäß § 41 richtet sich die Bezeichnung der Volkschulen nach der Anzahl der Klassen, »zum Beispiel einklassige Volksschule, zweiklassige u.s.f.«. Gemäß § 42 sind alle Schüler nach der Anzahl der Lehrkräfte entweder in einer Klasse vereinigt, oder geteilt in mehrere Klassen, wobei jene Klassen, die Kinder verschiedener Alters- und Bildungsstufen enthalten, in mehrere Abteilungen zu unterteilen sind. Ab 1869 entstehen im Gebiet der ehemaligen Monarchie überall Volksund Bürgerschulen, in den Städten vor allem als mehrklassige Schulen. In Karl Hinträgers Publikation »Die Volksschulhäuser in den verschiedenen Ländern, Band 2: Volksschulhäuser in Österreich-Ungarn, Bosnien und der Herzegowina« findet man einige historische Statistiken zu Schulen. Demnach gab es 1896 gemäß amtlicher Statistik 18.433 öffentliche Volksschulen, und davon 645 Bürgerschulen und 17.788 allgemeine Volksschulen (Hinträger 1901: 5). Hinträger liefert auch eine detaillierte Statistik zu Schulbauten in Wien. 1890 hatte die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien fast 1,36 Millionen Einwohner und insgesamt 179 städtische und 12 sonstige Schulgebäude. Die Anzahl der städtischen Schulen setzte sich zusammen aus 21 allgemeinen Volks- und Bürgerschulen, 57 Bürgerschulen und 257 allgemeinen Volksschulen (Hinträger 1901: 8). Am Ende des 19. Jahrhunderts gibt es bereits eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, aber auch an Nachschlagewerken und Handbüchern, die den Schulbau regulieren und normieren. Ab 1870 erlassen der Minister für Cultus und Unterricht und die zuständigen Landesschulbehörden Verordnungen bzw. Gesetze mit Regelungen zur Errichtung, Erhaltung und zu dem Besuch der öffentlichen Volksschulen. Die gesetzlichen Bestimmungen enthalten, im Unterschied zu bisherigen Gesetzen, die in Bezug auf die

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Schulraumgestaltung vage gehalten sind, eine Reihe von organisatorischen sowie baulich-konstruktiven Bestimmungen für den Bau von Schulen. Die Verordnung für das Landesherzogtum Kärnten, die hier beispielhaft analysiert wird, enthält unter anderem auch die Bestimmungen über die strikte Trennung zwischen den Schulräumen und den (privaten) Wohn- oder Verwaltungsbereichen. Die räumliche Abgeschlossenheit der Schulnutzung, festgehalten im § 3 des Erlasses, wird zum charakteristischen Merkmal der Schulen bis heute: »Kein Schulzimmer darf mit einem Wohnraume in unmittelbarer Verbindung stehen [...] Das Schulhaus darf nur solche Räume enthalten, welche zu Schulzwecken oder zu Wohnungen der Lehrer oder Schuldiener verwendet werden. Soll daselbe Gebäude auch zu anderen Zwecken, z. B. der Gemeindeverwaltung benutzt werden, so muss das eigentliche Schulhaus von dem anderen Gebäudetheile vollständig abgesondert sein, so dass sie weder Eingänge noch Treppen gemein haben« (LBGl. Kärnten 16698 1874).

In dieser Verordnung wird die Größe des Klassenzimmers (»Schulzimmer«) in Abhängigkeit der Schülerinnenanzahl gesetzt. Die maximale Zahl der Schüler im Schulzimmer ist limitiert, pro Schüler ist ein bestimmter Flächenraum beziehungsweise ein bestimmtes Volumen einzuplanen: »Die Größe des Schulzimmers, welches, wenn möglich mit der Fensterseite nach Südosten gerichtet sein soll, ist von der Anzahl der Schüler abhängig, welche jedoch gesetzlich die Zahl von 80 nicht überschreiten darf. Für jeden Schüler ist ein Flächenraum von 0,6 Quadratmeter = 6 Quadrat-Fuß erforderlich. […] Der Gesamtluftraum für einen Schüler wird auf 3 Kubikmeter = 95 Kubikfuß bestimmt. Außerdem muß das Schulzimmer den genügenden Flächenraum für die Unterrichtserfordernisse, für den Ofen samt Zubehör sowie für die Gänge besitzen« (LBGl. Kärnten 16698 1874).

Im § 8 wird die maximale Länge des Klassenzimmers auf 12 Meter beschränkt, während die Zimmertiefe in Abhängigkeit von der Fensterhöhe festgelegt werden soll. Die vorgeschriebene Raumhöhe beträgt mindestens 12 Fuß (3,792 Meter). Für kleinere Schulzimmer wird eine nahezu quadratische Form, bei größeren Klassenzimmern wird ein Seitenverhältnis der Zimmertiefe zur Zimmerlänge von 3:5 empfohlen. Dadurch wurde ein weiteres typisches Merkmal des seriellen Klassenzimmers definiert: eine qua-

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dratische Form. Ein weiteres Charakteristikum des normierten Klassenraumes: die Ableitung seiner Dimensionen von der Aufstellung der Möblierung und Unterbringung einer maximalen Anzahl von Schülern ist in dieser Verordnung zunächst nur fragmentarisch enthalten. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts verlagern sich die Bestimmungen über die Klassenzimmerdimensionierung aus der Schulgesetzgebung in die verschiedenen Schulbaurichtlinien, die für den Pflichtschulbereich von den einzelnen Ländern erlassen werden. Die Schulbaurichtlinien des Österreichischen Schul- und Sportstätteninstitutes (ÖISS) gelten für weiterführende Schulen, die vom Bund betrieben und erhalten werden. In einer Publikation des Österreichischen Schul- und Sportstätteninstitutes kann die vergleichende Analyse der österreichischen Schulbaurichtlinien nachgelesen werden (ÖISS 2008). Eine detaillierte Evaluierung unterschiedlicher Schulbaurichtlinien im deutschsprachigen Raum10 wurde im Auftrag der »Montag Stiftung Urbane Räume« (Montag Stiftung Urbane Räume 2011a, 2011b) durchgeführt. Die Vorgaben der österreichischen Bundesländer in Bezug auf die Klassenzimmergröße und -form sind höchst unterschiedlich. Während zum Beispiel das Land Steiermark keine definitive Größe der einzelnen Räume vorschreibt, ist die Größe des Normklassenzimmers im Wiener Raumbuch für Schulen vorgegeben und beträgt 63 m² (Stadt Wien 2018). Aus der Analyse der deutschen und Schweizer Richtlinien geht ebenfalls hervor, dass die Vorgaben zu Klassenzimmergrößen höchst unterschiedlich sind. Vielfach wird eine Mindestfläche pro Schüler vorgegeben. Bei manchen Richtlinien ist zudem die maximale Größe des Klassenzimmers definiert. Bei den Werkstattgesprächen der Montagsstiftung zum Thema Schulbaurichtlinien mit Experten und Stakeholdern aus der Schulverwaltung, aus denen ebenfalls eine Studie hervorging, wurde festgestellt, dass die räumlichorganisatorische Struktur der Klassen insbesondere in der Verwaltung einen wesentlichen Faktor darstellt: »Die Diskussion über Richtlinien für die Lernräume der Schüler ist auf Seiten der Bauverwaltung stark vom Denken in Klassenräumen geprägt, deren Eignung für

10 Für die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Bremen, Baden-Württemberg sowie der Richtlinien aus dem deutschsprachigen Ausland: Zürich, Österreich, Südtirol.

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neue Unterrichtsformen als abhängig von Größe und Schülerzahl gesehen wird« (Montag Stiftung Urbane Räume 2011a: 10).

Die meisten Architektinnen erachten eine generelle Vorgabe von Nutzflächen als für die Planung von Gebäuden notwendig. Beiden Standpunkten widerspricht die Ansicht der Schulleitungen, die für eine prinzipielle Abkehr von eindeutigen Klassenzimmern plädieren: »Von Seiten der Schulleitungen wird in diesem Sinn gefordert, nicht mehr in Raumgrößen zu denken, sondern in Arrangements von Lernflächen« (Montag Stiftung Urbane Räume 2011a: 10).

Unabhängig vom Stellenwert und der Regulierungstiefe der Richtlinien existieren zwei Faktoren, die die räumliche und organisatorische Struktur auch künftig maßgeblich beeinflussen werden. Zum einen gibt es einen großen Schulgebäudebestand, der durch serielle Klassenzimmer strukturiert ist. Dieses räumliche und vor allem auch konstruktive Gefüge kann nur in bestimmten Baualtersklassen, und zum Teil allenfalls mit erheblichem Aufwand, verändert werden. Zum anderen gehört die Einteilung der Schüler in Jahrgänge und Klassen und die Zuordnung einer Klassenlehrerin zu jeweils einer Klasse nach wie vor zu den grundsätzlichen Regeln des heute geltenden österreichischen Schulgesetzes. Gemäß Paragraph 9, Ziffer (1) des Schulunterrichtsgesetzes gilt: »§ 9. (1) Die Schüler sind vom Schulleiter unter Beachtung der Vorschriften über die Schulorganisation in Klassen (Jahrgänge) einzuteilen (Klassenbildung)« (SchulUG 1986).

Im Schulorganisationsgesetz aus dem Jahr 1962 und einer späteren Novellierung sind darüber hinaus die Bestimmungen in Bezug auf die einzelnen Schulformen (Volksschule, Hauptschule, Neue Mittelschule usw.) enthalten (SchOG 1962). Gemäß dem Gesetz sind zwar Abweichungen von der klassischen Organisationsform – der Klasse – zugelassen, dennoch bilden, unabhängig vom Schultyp, die Einteilung in Klassen und die Begrenzung der maximalen Anzahl der Schülerinnen pro Klasse die Basis für die organisatorische Struktur der Schulen. Bei Volksschulen gilt zudem das Prinzip der Klassenlehrerin (§ 13; Ziffer (2)). Die Volks- und Hauptschulen, sowie die Neuen Mittelschulen, sind nach Stufen gegliedert, und sofern genug Schü-

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ler vorhanden sind, entsprechen einzelne Klassen den jeweiligen Schulstufen. Ausnahmen sind nur dann zulässig, wenn die Schülerinnenzahl zu gering ist. Die normativen Vorgaben für Klassenzimmerabmessungen, zumeist festgelegt in den Schulbaurichtlinien der Länder und des Bundes, wurden seit 2000 zunehmend reduziert. Dennoch ist die Einteilung nach Klassen und die Festlegung der maximalen und der minimalen Schülerzahl pro Klasse nach wie vor das grundlegende Organisationsprinzip für alle Pflichtschultypen in Österreich. Diese Organisationsform ist bereits in den ersten Schulgesetzen des 18. und 19. Jahrhunderts erhalten, und wird auch in allen nachfolgenden Schulgesetzen bis heute beibehalten. Um das soziotechnische System wirksam zu transformieren, sind demzufolge neben Herstellung von flexiblen und offenen Schulräumen auch Gesetzesänderungen notwendig, die vom Prinzip der Einteilung in Jahrgänge und Klassen abgehen. Schulneubauten, das zeigen Raumprogramme und Wettbewerbsausschreibungen, basieren zunehmend auf neuen Formen von Schulorganisation und zeitgenössischen pädagogischen Methoden. Andere Akteure, vor allem die Verwaltungsinstanzen, die mit der Durchführung der Schulsanierung betraut sind, halten am Prinzip der Klasseneinteilung in organisatorischer und räumlicher Hinsicht fest. Architekten können am Organisationsprinzip der Schulgebäude nach Klassen nur geringfügig etwas verändern, zumal die Raumprogramme bei Sanierung von der Verwaltung vorgegeben und bindend einzuhalten sind. Da die Klassenzimmerstruktur im Schulaltbaubestand zusätzlich durch das statisch-konstruktive Gefüge der Schulhäuser determiniert ist, wird es außerordentlich schwierig sein, einen Transitionsprozess in Richtung flexibler Raum- und Organisationsstrukturen in bestehenden Schulen zu initiieren und damit andere Schulorganisationsformen umzusetzen. Einzelne Akteursgruppen, die unabhängig voneinander Veränderungen an verschiedenen Teilsystemen der Schule (pädagogische Praxis, Organisationsform, räumlich funktionelle Struktur) initiieren, werden sich höchstwahrscheinlich als unwirksam erweisen. Oder im Sinne der Transitionstheorie: auf der Ebene der Nischeninnovationen verbleiben. Um eine Transition des Schulsystems wirksam anzustoßen, ist neben einem historisch-analytischen Verständnis des sozio-technischen Schulregimes in seiner reifen bzw. stabilen Phase auch die Definition und Befolgung einer klaren Strategie bei der Entwicklung des Schulwesens unumgänglich.

Das Klassenzimmer in den Bauhandbüchern des 19. Jahrhunderts | 45

DAS KLASSENZIMMER IN DEN BAUHANDBÜCHERN DES 19. JAHRHUNDERTS Nach der Einführung und Umsetzung der Schulpflicht in den meisten europäischen Ländern entsteht eine Reihe von Gesetzen, Verordnungen, Nachschlagewerken und Handbüchern, in denen das sozio-technische System der Mehrklassenschulen und der Klassen festgelegt und normiert wird. Zeitgleich mit unzähligen Schulneubauten entsteht ein komplexes Geflecht von Institutionen, Regeln und normativ-gesetzlichen Bestimmungen, die das System »Schule« und »Schulgebäude« detailliert regeln. Der Monarch, die Verwaltungsinstanzen, politischen Parteien im Reichsrat, die Lehrer, die Eltern und schulpflichtige Kinder konstituieren die Sphäre der Akteure im nun etablierten und konsolidierten Schulregime. In der Transitionstheorie wird von einem co-evolutionären Prozess gesprochen, in dem das sozio-technische System, die Regeln und die Akteure die Technologie gemeinsam generieren (Geels 2002: 1259). Die Statistik zu den Baualtersklassen der Schulgebäude in Österreich (siehe hierzu Kapitel »Wissen über Gebäudebestände«). Langfristige Strategien und Gebäudebestand) enthält einen hohen Prozentsatz von Schulen aus der Bauperiode 1848 bis 1919. Diese Zahl lässt vermuten, dass es am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen regelrechten Schulbauboom in den größeren Städten Österreich-Ungarns gab. Dieser Bedarf entstand aufgrund von Industrialisierung und Urbanisierung sowie durch die Etablierung der bürgerlichen Macht, zunächst in Form einer konstitutionellen und später parlamentarischen Monarchie (Seel 2010: 42, 47). Die neu eingeführte Institution »Schule« ist am Ende des 19. Jahrhunderts bereits fest verankert und auch als gebaute Form weitgehend konsolidiert. Das sozio-technische System wird durch den Schulneubau, durch die gesetzlichen Bestimmungen und Nachschlagewerke sowie durch neu eingeführte Verwaltungsstrukturen und die Lehrerausbildung stabilisiert. Bereits 1848 wird ein Ministerium für den öffentlichen Unterricht« eingerichtet sowie eine mittlere Ebene der Schulverwaltung in Form von Landesschulverwaltungen geschaffen: »[…] welche sich aus ›Schulräthen‹ für die pädagogisch-didaktischen Aufgaben einschließlich der Schulinspektion und einem Beauftragten für die administrativ-ökonomischen Angelegenheit des Schulwesens zusammensetzte« (Seel 2010: 42).

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Besonders interessant und einflussreich für die funktionelle Organisation der Mehrklassenschulen und der seriellen Klassenzimmer sind die Nachschlagewerke und Handbücher zum Thema Schulbau. Das architektonische Entwerfen ist durch die Reproduktion von gebauten Bauspielen und von funktionalen Schemata gekennzeichnet, es orientiert sich dabei an den Empfehlungen für die Dimensionierung einzelner Funktionen und Räume. Beispiele für einflussreiche Handbücher, Lehrbuchliteratur und Regelwerke zu Schulbau sind das »Handbuch der Architektur« im deutschsprachigen Raum, dessen 6. Halbband mit Gebäuden für Erziehung, Wissenschaft und Kunst erstmals 1889 publiziert wurde. Das bereits zitierte mehrbändige Werk von Karl Hinträger »Die Volksschulhäuser in den verschiedenen Ländern«, gehört ebenfalls zur Publikationsreihe »Handbuch der Architektur«. Zu Genre der Lehr- und Fachbücher gehört auch das einflussreiche Buch »School Architecture« das bereits 1874 erschien und von Edward Robert Robson verfasst wurde. Das Handbuch richtete sich an Schulgründer, -verwaltung und Architekten und basierte auf einer Untersuchung von Schulen in den USA, der Schweiz, Deutschland, Österreich, Frankreich und Belgien, die alle von Robson im Zuge einer »Grand Tour« besucht wurden (Burke und Grosvenor 2008: 41). Robson erkannte die grundlegende, auf Klassenzimmern basierende Struktur der Schulen und das Prinzip ›Lehrer-Lerngruppe-Lernraum‹ im deutschsprachigen Raum: »[…] the system in use among the whole German speaking race, from Berlin to Vienna, turns on the theory that each class should be taught in a separate room by a separate and fully-qualified master, and that the same educational treatment should be maintained from the earliest to the last moment of school life. […] The question of wide or narrow school-rooms, again, does not enter into their calculation at all, as the school-room is omitted altogether in favour of a collection of class-rooms« (1874: 12).

Robsons Handbuch enthält zudem ein Diagramm mit der Darstellung des österreichischen Bildungssystems (Abb. 2). Das Diagramm zeigt die Struktur des stark differenzierten Schulsystems, mit geringer Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schultypen, das bis heute im Primär- und Sekundarbereich weiterbesteht.

Das Klassenzimmer in den Bauhandbüchern des 19. Jahrhunderts | 47

Abbildung 2: Bildungssystem in Österreich, Holzschitt Nummer 108, ursprünglich publiziert in Baron Helferts Bericht 1862, Quelle: Robson 1874: 149.

Robsons Handbuch, seine Mitarbeit in der Londoner Schulaufsichtsbehörde und eine große Anzahl von Schulen, die er realisierte, führten zu einer radikalen Änderung der englischen Schularchitektur nach der Einführung der Schulpflicht 1870. Das große Schulzimmer, bisher typisch für die englischen Schulen, wurde beibehalten und sollte später als Versammlungshalle dienen. Als neue Elemente nach dem Vorbild deutscher Schulen übernahm Robson zellenartige Klassenzimmer und Spielplätze (Burke und Grosvenor 2008: 49). »Aldenham Street School« (Abb. 3), die Robson in »School Architecture« analysiert, weist ein gänzlich anderes Raumprogramm auf als gründerzeitliche Schulen in Deutschland und Österreich. Im Erdgeschoss der Schulanlage befinden sich eine Vorschule und eine Krippe, in den Obergeschossen sind die Schulen für Knaben und für Mädchen untergebracht. Die Schulen für das jeweilige Geschlecht befinden sich nicht in separierten Gebäudetrakten, sondern in unterschiedlichen Geschossen. Die Klassenzimmer sind in den Schulbereichen als Durchgangszimmer angelegt.

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Abbildung 3: Aldenham Street School, Grundriss 2. Obergeschoss. Quelle: Robson 1874: 330.

Das »Handbuch der Architektur« und die »Ergänzungshefte« beeinflussten auf eine ähnliche Weise den Schulbau in den deutschsprachigen Ländern. Das »Handbuch der Architektur« besteht aus vielen einzelnen Bänden, die nach vier Teilgebieten gegliedert sind. Die Schulgebäude sind im 6. HalbBand »Gebäude für Erziehung, Wissenschaft und Kunst«, der wiederum zum Teil 4: »Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude« gehört, enthalten. Der Halb-Band erschien in zwei Auflagen: Darmstadt 1889 und Stuttgart 1903 und enthält detaillierte Angaben über das Raumprogramm unterschiedlicher Schularten, die Dimensionierung der Schulklassen und Nebenräume sowie teilweise Hinweise über die konstruktive Beschaffenheit der Gebäude. In den Ergänzungsheften zum »Handbuch der Architektur«, verfasst vom österreichischen Architekten Carl Hinträger, gibt es, ähnlich wie in Robsons Handbuch, Beispiele der ausgeführten Volkschulen in verschiedenen Ländern: Darunter Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland (Band 1), Österreich-Ungarn sowie Bosnien und Herzegowina (Band 2) und Frankreich (Band 3).

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Das Klassenzimmer (das »Lehrzimmer«) ist gemäß der Schulorganisation des 19. Jahrhunderts das grundlegende Element des Schulgebäudes. Diese Gliederung ist in Hinträgers Ergänzungsheften klar erkennbar. Der Autor ordnet die exemplarisch dargestellten Schulbauten nach der Anzahl von »Lehrzimmern«. Die exemplarisch vorgestellten Realisierungen reichen von dem Volksschulhaus mit nur einem Lehrzimmer bis zu dem Schulhaus mit 20 oder mehr Lehrzimmern. In seiner Schulbaupublikation vom 1887 »Der Bau und die Innere Einrichtung von Schulgebäuden für öffentliche Volks- und Bürgerschulen» widmet Hinträger dem Klassenzimmer ein ganzes Kapitel. Die Größe der Klassenzimmer hängt, dem Autor zufolge, von: »[…] der Maximalzahl der Schüler pro Classe, von dem für den einzelnen Schüler normierten Flächen- und Cubicraum, von den zulässigen Maximalausmaßen der Lehrzimmer und von der Anordnung von Subsellien11« (Hinträger 1887: 32), ab.

Die Klassenzimmer wiederum bestimmen die Gesamtform des Schulgebäudes, denn: »In einem Schulgebäude kommen in der Regel gleich große Schulzimmer vor, besonders bei symmetrischen und mehrgeschossigen Bauten; man soll bei der Größenmessung die größte Kategorie der benöthigten Schulzimmer zugrunde legen« (Hinträger 1887: 32).

Der Bautypus der Mehrklassenschule ist leicht erkennbar an der seriellen, meist einseitigen Anordnung der Klassenzimmer entlang von Korridoren. Dieses funktionale Schema findet man sowohl bei den Volks- und Bürgerschulen, als auch bei Gymnasien. Carl Hinträger befürwortet maximal 45 Schüler12 pro Klasse. Nach seiner Einschätzung begünstigt diese Zahl die »Nutzbarkeit des Unterrichts, die Handhabung der Disziplin und die sanitären Verhältnisse« (Hinträger 1887: 32). Die Dimensionierung des Lehrzimmers ergibt sich aus dem erforderlichen Flächenmaß pro Schüler (von 0,6 bis 0,7 m²) und der erforderlichen Gangfläche. Die Länge des Klassenzimmers soll aus Gründen der

11 Anm. ML: Schulbänke. 12 Der ministerielle Erlass von 1873 für Österreich-Ungarn erlaubt sogar maximal 80 Schüler pro Klasse.

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Sichtbarkeit auf 8,5 bis 9 m beschränkt sein. Raumhöhe soll zwischen mindestens 3,2 m und maximal 4,5 m liegen. Die »Langklasse« mit einem Seitenverhältnis von 5:3 oder 4:3 ist zu bevorzugen. Die Tiefe der Schulzimmer soll 8,5 m nicht überschreiten, maximal 8 Schüler sollen in einer Reihe sitzen. Aus diesen Bestimmungen ist die Größe des Klassenzimmers, wenn auch nicht explizit angegeben, gut ableitbar. Für die Verteilung von Schulbankreihen und die Anordnung der Gangflächen (bzw. Verkehrsflächen) gibt es in Hinträgers Nachschlagewerk eine Reihe von Regeln, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Das Klassenzimmer, das gemäß Mindestbemessung und entsprechend dem Seitenverhältnis dimensioniert ist, erlaubt unterschiedliche Varianten für die Aufstellung von Schulbänken im Raum (Abb. 4). Die zentralräumliche Ausrichtung des Klassenzimmers auf die Schultafel und den Katheder wird in allen Möblierungsvarianten beibehalten. In den späteren Verordnungen und in den Nachschlagewerken für Architekten ist das Klassenzimmer zunehmend exakter dimensioniert. Hinträgers Publikation »Volksschulhäuser in Österreich, Ungarn, Bosnien und der Hercegowina« enthält zahlreiche gesetzliche Bestimmungen zum Thema Schulerrichtung. Angeführt sind zudem normative Vorgaben, die von einem Ausschuss des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereines ausgearbeitet wurden und in der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 1891 erstmals publiziert wurden. In diesen »Normativbestimmungen« (Hinträger 1901: 40) sind neben dem Raumprogramm für Volks- und Bürgerschulen auch klare Vorgaben für die Dimensionierung der Klassenzimmer enthalten: »Die Länge des Schulzimmers darf nicht mehr als 9,50 m, die Breite nicht mehr als 6,50 m betragen. Die lichte Höhe des Schulzimmers muss in Städten wenigstens 4,00 m, in Landgemeinden wenigstens 3,50 m betragen« (Hinträger 1901: 43).

Die Abhängigkeit zwischen der Klassenzimmergröße und der Möblierung, die so typisch ist für Schulbaurichtlinien des 20. Jahrhunderts, kommt in der Erstausgabe des Handbuches der Architektur, Halb-Band 6 vom 1889, deutlich zum Ausdruck. Die Größe des Klassenzimmers wird zudem von den physischen Grenzen der Wahrnehmung abgeleitet:

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Abbildung 4: Beispiele von Klassenzimmern mit »Rücksicht auf Anordnung der Fenster, der Einrichtungsgegenstände, der Heizkörper etc.«. Quelle: Hinträger 1887: 49.

»Die durchschnittliche normale Sehweite der Kinder ist auf etwa 8 m, die zulässige Sprechweite für den Lehrer, welche nur bei großen Hörsälen mitunter überschritten wird, auf etwa 10 m anzunehmen« (Behnke u. a. 1889: 25–26).

Die Abbildungen mit Klassen für 60 Schülerinnen enthalten die Bemessung der Gänge, des Bereiches für den Lehrer und die Länge und Tiefe der Räume. Alle Maße sind als Mindest-, Mittel- und Maximalmaße angegeben, wie Abbildung 5 zu entnehmen ist.

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Abbildung 5: Klasse für 60 Schüler mit einsitzigem Gestühl, Quelle: Behnke 1889: 27.

Die Anzahl von 60 Schülern pro Klasse wird zu einer normativen Vorgabe, auch wenn die gesetzlichen Bestimmungen eine höhere Anzahl von Schülerinnen zulassen würden. In einer Tabelle (Abb. 6) sind die Art der Bestuhlung (Anzahl der Reihen), die Länge, Tiefe und Höhe der Klasse und der Flächen- und Luftraum pro Kind im Durchschnitt übersichtlich strukturiert. Im »Handbuch der Architektur« zu Erziehungsbauten ist das Klassenzimmer eindeutig definiert. Nach wie vor sind das Flächenmaß und das Volumen pro Schulkind wichtige Parameter. Klar erkennbar ist das Bestreben, eine bestimmte Anzahl von Schülern samt Mobiliar im Raum effizient unterzubringen und gleichmäßig zu verteilen. Die gesetzliche Bestimmung: ein Lehrer und eine Klasse als soziale Lerneinheit erhält so ihre räumliche Entsprechung. Durch die Möblierung (Schulbänke und Katheder) hat jeder, sowohl der Lehrer als auch die Schüler, seinen zugewiesenen Platz im Raum. Diese Verteilung im Raum wurde von Foucault in seinem einflussreichen Werk

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Abbildung 6: Tabelle mit Klassenzimmerdimensionen in Abhängigkeit vom Gestühl, Behnke 1889: 29.

»Überwachen und Strafen« als eines der Prinzipien der Disziplinierung beschrieben. Foucault spricht vom Prinzip der: »[…] elementaren Lokalisierung oder der Parzellierung. Jedem Individuum seinen Platz und auf jeden Platz ein Individuum. Gruppenverteilungen sollen vermieden, kollektive Einnistungen sollen zerstreut, massive und unübersichtliche Vielheiten sollen zersetzt werden« (1989: 183).

Beides, sowohl die Schulbänke als auch das Katheder auf dem Podest, sind in der Schule des 19. Jahrhunderts fest verankert und nicht beweglich. Bewegung und Flexibilität sind in diesem Raum nicht vorgesehen. Die Machtposition ist klar gekennzeichnet durch eine Erhöhung des Podests und einen großen Tisch. Die Ausrichtung zur Schultafel ist ebenfalls vorgegeben. Der Frontalunterricht ist eingeschrieben in die Form des Raumes und die Position der Möblierung. Das Klassenzimmer, organisiert über die Dimensionierung des Raumes und die Positionierung der Möblierung, bestimmt das Verhältnis zwischen dem Lehrer und den Schülern. Die Beziehungen im Klassenverband bilden organisatorisch, sozial und räumlich eine Einheit, die auch nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie in der Zwischenkriegszeit beibehalten wird.

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DAS KLASSENZIMMER UND REFORMPÄDAGOGIK: INNERE DIFFERENZIERUNG UND RÄUMLICHE AUSLAGERUNG IN DER ZWISCHENKRIEGSZEIT In der Zwischenkriegszeit entstehen viele reformpädagogische Ideen: von Montessori-Pädagogik über Dalton- und Jenaplan (Eichelberger 1997) bis hin zur Arbeitsschule von Otto Glöckel und der Gesamtschule von Bruno Taut und Fritz Karsen in der Weimarer Republik (Radde u. a. 1993). Im Vergleich zu den Klassenzimmern aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in der Zwischenkriegszeit die Klassen flächenmäßig etwas verkleinert, die maximale Anzahl der Schüler wurde jedoch erheblich reduziert (von 60-80 pro Klasse auf 30-40 Schüler). Dennoch ist die Fläche, die pro Schüler im Klassenzimmer ‒ dort, wo der Unterricht tatsächlich stattfindet ‒ zur Verfügung steht, nach den heutigen Standards nach wie vor eher knapp bemessen. Die Unterrichtsreformen basieren weiterhin auf dem Prinzip des seriellen Klassenzimmers in der Mehrklassenschule. Die organisatorische Einheit »ein Lehrender und eine Schulklasse« wird ebenfalls nicht verändert. Das Organisationsprinzip des seriellen Klassenzimmers ist in den Grundrissen einiger bekannter Schulen dieser Bauperiode, wie zum Beispiel bei der Schule Römerstadt in Frankfurt am Main (Abb. 7) und bei der Vesna Schule in Brünn (Abb. 8), nach wie vor klar erkennbar. In der »Vesna«-Berufsschule für Mädchen in Brünn (heute Tschechische Republik), errichtet zwischen 1931 und 1932 und geplant von den Architekten Bohuslav Fuchs und Josef Polášek, werden die Geschosse mit den Unterrichtsräumen durch eine Pawlatsche13 erschlossen. Die einzelnen Unterrichtsräume sind unterteilt in einen Klassenzimmer- und einen Arbeitszimmerbereich und ausgestattet mit einer Garderobe und Sanitärzelle (Abb. 8). Der Großraum, in dem die Unterrichtsräume untergebracht sind,

13 »Pavlatsche« ist Wienerischer Ausdruck für einen offenen Laubengang. Die historischen Pläne der Schule, die in Vischers ‚Der neue Schulbau‘ publiziert wurden, enthalten zweisprachige Raumbezeichnungen auf Tschechisch und Deutsch. Die deutsche Bezeichnung im Grundriss lautet »offener Gang« und die tschechische »pavlač« (Vischer 1931: 93).

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Abbildung 7: Schule Römerstadt, Frankfurt am Main, Architekten Martin Elsaesser und Wilhelm Schütte, erbaut 1927-1928, Quelle: Vischer 1931: 73.

Abbildung 8: Vesna Mädchenberufsschule in Brünn, Tschechische Republik, Architekten Bohuslav Fuchs und Josef Polášek, erbaut 1929-1930, Quelle: Vischer 1931: 93.

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ist unterteilt nur durch »Einbauschränke, Kammern und Schiebewände zwischen Pfeilern« (BAM 2018). Trotz flexibler Unterteilung des Großraumes durch Verwendung von Schiebe- und Schrankwänden bleibt auch bei dieser Schule die räumliche Einheit des Klassenzimmers erhalten. Auch die typologische Innovation der späten 1920er Jahre: der so genannte »Schuster-Typus« (Abb. 9), entwickelt von Franz Schuster in Frankfurt am Main – basiert auf dem Klassenzimmer als dem Grundelement der Schule. Im »Schuster-Typ« gibt es pro Geschoss zwei Klassenzimmer, die an einer Halle mit integriertem Treppenlauf angeordnet sind. In der Zeit der Ersten Republik in Österreich werden nur sehr wenige Schulneubauten realisiert. Die gesetzlichen Bestimmungen aus der Zeit der Monarchie bleiben durch das »Übergangsgesetz« weiterhin in Kraft, ebenso betrifft dies die Gesetze in Bezug auf Schulorganisation und Unterricht (Seel 2010: 60). In Wien kommt es nach 1918 zu einem starken demografischen Rückgang mit gravierenden Auswirkungen auf die Schülerinnenzahlen. Die Schulstatistik im Schuljahr 1914/1915 verzeichnet 237.737 Schüler an den Volks-, Bürger-, Allgemeinen Mittelschulen und Sonderschulen der Stadt Wien (Städtewerk 1927b: 321). Im Schuljahr 1918/1919 sinkt die Zahl auf 206.814 Schülerinnen, und reduziert sich weiter bis zum Schuljahr 1925/26 auf 128.781 Schüler (Städtewerk 1927b: 321). Das ist ein Rückgang um nahezu 46 %. Der demografische Wandel ermöglicht eine zunehmende Reduktion der maximalen Zahl der Schulkinder pro Klasse: »Zunächst fällt heute dem Besucher einer Wiener Volkschulklasse auf, daß es in Wien keine überfüllte Schulklasse mehr gibt. Die Durchschnittsschülerzahl ist von 45 im Frieden auf 29,9 gesunken« (Glöckel 1927a: 226).

Während die christlich-soziale Regierung unter Lueger vor dem 1. Weltkrieg vielfach in die technischen Infrastrukturen und die Einrichtungen der Verwaltung und der Daseinsvorsorge (darunter auch Schulen) investierte, wurden in der Zeit des »Roten Wien« vorwiegend Wohnbauten gebaut und, Oskar Achs zufolge, nur vier Schulen (2012: 17). Aufgrund des demographischen Rückganges nach dem 1. Weltkrieg verfügte Wien in der Zwischenkriegszeit über eine ausreichende Anzahl von Schulen. Leerstehende Klassen in den Schulen führten, so Korthals-Altes und Faludi, zur Verlage-

Das Klassenzimmer und Reformpädagogik | 57

Abbildung 9: Volksschule Niederursel in Frankfurt am Main (sog. »Schustertypus«), Architekt Franz Schuster, erbaut 1927-1927, Quelle: Städtischer Hochbauamt Frankfurt a 1929: 26.

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rung des kommunalen Wohnbaus aus den Stadterweiterungsgebieten zu Baulücken in der Nähe von bestehenden Schulen (1995: 219). Der Überfluss an Schulraum spiegelt sich in dem § 3 des Wiener Schulgesetzes vom 27. Juni 1923, wonach die »bestehende, nicht zu den notwendigen Schulen (§ 1) gehörende öffentliche Volkschule« aufgelassen werden kann (Wiener Volkschulgesetz 1923). Das Gesetz enthält auch Bestimmungen zur Größe der Klassenzimmer. Gemäß § 6, Ziffer (2) sind »Lehrzimmer« so zu bemessen, dass auf jedes Kind eine Bodenfläche von nicht weniger als ein Quadratmeter und ein Luftraum von mindestens 3,8 Kubikmeter entfällt (Wiener Volkschulgesetz 1923). Die geringe Neubautätigkeit war nicht beschränkt auf Wien und Volksschulen. Fritz Bock, der Minister für Handel und Wiederaufbau, stellte Anfang der 1960er Jahre fest, dass in Österreich zwischen 1914 und 1945 nur eine einzige Mittelschule neu errichtet wurde (1962). In Julius Vischers Buch »Der Neue Schulbau im In- und Ausland« (1931) findet man neben den vielen deutschen Schulen nur drei realisierte Schulen aus Österreich: neben den Volksschulen in Landeck (Abb. 10) und in Ebensee (Abb. 11) wird außerdem eine gewerbliche Berufsschule in Wien Hütteldorf (Abb. 12) vorgestellt. Vischers Publikation setzt die Tradition der Kompendien mit realisierten Gebäuden, die im 19. Jahrhundert durch Robson, Hinträger und Narjoux begründet wurde (Burke und Grosvenor 2008), fort. Das Kompendium enthält ein Kapitel zu Schulsystemen in verschiedenen Ländern, ein Kapitel, das dem Raumprogramm und der Einrichtung gewidmet ist, ein Kapitel, das sich mit dem Grundstück beschäftigt sowie ein Kapitel zum Thema Baukosten. Der wichtigste Teil des Handbuches sind jedoch »Beispiele«: realisierte Schulgebäude in Europa und den USA, die mittels kurzer Beschreibung, den Grundrissen und anhand von Fotografien vorgestellt werden. Die Einführung von naturwissenschaftlichen Fächern und des handwerklichen Unterrichts sowie die Erarbeitung des Wissens durch den Schüler sind Vischer zufolge die wichtigsten Tendenzen im neuzeitlichen Schulbau (1931: 1). Das Klassenzimmer wird, so Vischer weiter, grundlegend umgestaltet, die Schulbänke verschwinden und werden durch Stühle und Tische ersetzt, die man beliebig gruppieren kann (1931: 1). Die Klasse als das Basiselement der Schule bleibt jedoch bestehen. Vischer stuft das Klassenzimmer als den wichtigsten Raum des Schulhauses ein (Vischer 1931: 10). Bei näherer Be-

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Abbildung 10: Volksschule in Landeck, Architekt Clemens Holzmeister, erbaut 1927-1929, Quelle: Vischer 1931: 74

trachtung der Schultypologien und der Grundrisse stellt man fest, dass die Mehrheit der vorgestellten Schulobjekte eine eindeutige Klassenzimmerstruktur aufweist. Die beiden Volksschulen in Landeck und in Ebensee weisen eine zentralsymmetrische Anordnung mit Klassenzimmerstruktur auf. Die Berufsschule unterscheidet sich in der Dimension und dem Raumprogramm wesentlich von den Volks- und Mittelschulen, das funktionale Schema der Werkstätten und der Zeichen- und Vortragssäle ist jedoch mit der einseitigen Anlage der seriellen Klassenzimmer entlang der Gänge weitgehend identisch. In Wien beeinflussen die schulreformerischen Bestrebungen von Otto Glöckel die organisatorisch-pädagogische Entwicklung in Richtung Einheits- und Arbeitsschule. Das räumliche Schema der Mehrklassenschule wurde jedoch bei den wenigen Schulneubauten beibehalten. Neben der bereits erwähnten Berufsschule in der Hütteldorferstraße werden in der Zeit des Roten Wien zwischen 1919 und 1934 lediglich drei weitere Schulen

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Abbildung 11: Volksschule Ebensee, Architekt Julius Schütte, erbaut 1927, Quelle: Vischer 1931: 74.

gebaut: Die Volks- und Hauptschule der Freihofsiedlung, Volksschule Aderklaaer Straße sowie die Mittelschule Veitingergasse. Das Prinzip des seriellen Klassenzimmers sowie auch die Mehrgeschossigkeit der Schulanlagen wird beibehalten, wie am Grundriss der »Volks- und Hauptschule der Freihofsiedlung« in Wien Floridsdorf (Abb. 13) klar ablesbar ist. Die nahezu quadratischen Klassen sind entlang breiter »Wandelgänge« aufgereiht. Die Gänge, die mit zahlreichen Fenstern ausgestattet sind, bieten gemäß der Beschreibung in der Publikation »auch bei schlechtem Wetter die notwendige Erholung während der Pausen (Anonym 1930: 6)«. Im Vergleich zu typologischen Innovationen im Schulbau einiger europäischer Länder in der Zwischenkriegszeit sind die wenigen österreichischen Realisierungen, sowohl in Bezug auf den Bautypus als auch in Bezug auf die Konstruktionsweise, eher traditionell und konservativ. Die historischen Fotos und Publikationen aus der Epoche des Roten Wien offenbaren allerdings ein Aufbrechen der starren, zentralräumlichen Ausrichtung durch die innere Differenzierung im Raum, durch die Flexibilisierung der Möblierung und durch die Vermeidung des Frontalunterrichts auch in den bestehenden Altbauten aus der Zeit der Monarchie. Diese Ent-

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Abbildung 12: Zweite gewerbliche Fortbildungsschule (Zentralberufsschule), Architekten Josef Hofbauer und Wilhelm Baumgarten, erbaut 1925-1927, Quelle: Vischer 1931: 94.

Abbildung 13: Volks- und Hauptschule der Freihofsiedlung, Wien Floridsdorf, Grundriss Erdgeschoss, Quelle: .Anonym 1930: 5.

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Abbildung 14: »Gruppenunterricht im II. Schuljahre«. Quelle: Städtewerk 1927a: 295.

wicklung steht im Zusammenhang mit der Wiener Schulreform unter Otto Glöckel: »[…] in vielen Schulklassen ist das Podium, von dem aus früher der Lehrer in unnahbarer Größe drohte, beseitigt, die Schulbänke sind oft halbkreisförmig angeordnet, der Lehrer steht als Freund der Jugend mitten unter den Kindern. Die Kinder sprechen zu einander, ja oft entwickelt sich ein außerordentlich lebhaftes Schulgespräch. Der Lehrer tritt scheinbar zurück, er greift nur ein, wenn er das Zerflattern der geistigen Arbeit verhindern will, er führt möglichst unauffällig und läßt die Kinder das zu Lernende selbst finden, ›erarbeiten‹. So wird die ›Lernschule‹ von der ›Arbeitsschule‹ abgelöst« (Glöckel 1927b: 226).

Diese Beschreibung des Schulalltags ähnelt heutigen pädagogischen Praktiken, die auf den Gruppenunterricht setzen. Bei der Betrachtung historischer Aufnahmen aus den »Arbeitsschulen« (Abb. 14) kann man die geänderte räumliche Ausrichtung in den Klassenzimmern, die Glöckel beschrieb, klar erkennen. Auf diesem Foto erkennt man Schüler, die an den Schultischen einzeln lernen und eine Lerngruppe unter Aufsicht des Lehrers sowie einzelne Schüler, die an eine umlaufende Schultafel schreiben oder zeichnen.

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DAS KLASSENZIMMER IN DEN FREILUFTSCHULEN Einen entscheidenden Einfluss auf die Innovation bei der baulich-räumlichen Konzeption von Schulgebäuden haben seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Freiluft- und Waldschulen, die auf die Heliotherapie als Heilmethode für die Bekämpfung von Tuberkulose zurückzuführen sind (Luc 2003: 14–18). Der Typus der modernen Pavillonschule, der sich als bevorzugter Gebäudetypus in der Nachkriegszeit in den meisten europäischen Ländern durchsetzen wird (Oberhänsli 1996; Haselsteiner u. a. 2010; Di Nallo 2013), ist unter anderem zurückzuführen auf die Tradition der Freiluft- und Waldschulen (Châtelet 2008: 300–301; Saint 2003: 78–79). Das Konzept der Freiluftschule wurde von Ärzten entwickelt und erst in weiterer Folge von der Architektur der Moderne aufgegriffen. Freiluftschulen, so Anne-Marie Châtelet, vereinten eine medizinische Überwachung mit einer besonderen Pädagogik: »Sie sind durch die Anregung besorgter Ärzte entstanden, die neue Formen der Tuberkuloseprävention suchten. Ihnen schlossen sich Pädagogen an, die sich für neue erzieherische Erfahrungen interessierten. […] Die Freiluftschulen wurden am Rande der schulischen Institutionen gegründet und hatten dadurch mehr Freiheit. Sie waren ein Experimentierfeld und wurden später zu Modellen« (2008: 283).

Einmal mehr wird die Raumkonfiguration der Schule von medizinischhygienischen Aspekten beeinflusst. Die Schulklasse ist in der Freiluftschule weiterhin eine territoriale und soziale Konstante. Die Klasse als soziale Einheit im Freien - die »Freiluftklasse« - gruppiert sich um den Lehrenden und bleibt dadurch auf ein räumlich begrenztes Terrain beschränkt. Das Klassenzimmer im Erdgeschoss erweitert mit der vorgelagerten Freiluftklasse in den Außenanlagen erstmals die räumliche Enge und ermöglicht vor allem eine andere Verteilung im Raum und damit ein anderes pädagogisches Setting. Die Lerngruppe in der Freiluftschule wird mobil und das Klassenzimmer wird so erweitert. Eine weitere Variante des Freiluftklassenzimmers ist die Öffnung der gesamten Wandfront (einer oder mehreren) durch Faltglaselemente, die erstmals 1911 in Uffculme in Großbritannien (Abb. 15) in dem ersten festen Freiluftschulgebäude eingebaut wurden (Châtelet 2008: 290–291).

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Abbildung 15: Freiluftklasse der Uffculme Schule in der Nähe von Birmingham, Großbrittanien, erbaut 1911 von Cossins, Peacock and Bewlay architects. Quelle: Vischer 1931: 87.

Die Idee der zur Gänze öffnenden Faltglaswand wird von Architekten der klassischen Moderne ab Ende der 1920er Jahre aufgegriffen. Das ist vor allem der Fall in Frankfurt am Main, wo Architekt Wilhelm Schütte neben der Belichtungsstudien und Erprobung zweiseitiger Belichtung auch mit der Faltglaswand experimentiert. 1930 wird in Frankfurt am Main ein von ihm geplanter Versuchsschulpavillon bestehend aus zwei Klassen samt Nebenräumen errichtet (Abb. 16 und Abb. 17). Die beiden Klassenzimmer sind ausgestattet mit raumhohen verglasten Falttoren, die ein vollständiges Öffnen einer Klassenraumfront ermöglichen (Schütte 1930: 466). Das Klassenzimmer wird so zur Freiluftklasse. Später, in den 1960er Jahren, wird Schütte ganz im Sinne der Rationalisierung argumentieren, dass durch das Öffnen der Faltglaswand das Herumtragen von Möbeln entfällt und die Schüler vor dem Lärm der benachbarten Schulklassen und vor der Witterung geschützt sind (Schütte 1966: 30). Im Laufe seiner Karriere ‒ in der Sowjetunion, in der Türkei, in Wien und bei den Schulprototypen, die er für

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Abbildung 16: Grundriss und Ansichten des Freiluftschulpavillons in Frankfurt am Main, 1930. Architekt Wilhelm Schütte. Quelle: Poulain 1933: 43.

Abbildung 17: Grundriss und Ansichten des Freiluftschulpavillons in Frankfurt am Main, 1930. Architekt Wilhelm Schütte. Quelle: Poulain 1933: 44.

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UNESCO Österreich mitentwickelt ‒ wird Schütte auf diesen speziellen Schultypus14 immer wieder zurückgreifen (Lorbek 2019). Auf einer Doppelseite (Abb. 18 aus der Publikation »The modern school« (Stillman und Cleary 1949: 83)) werden beide Prinzipien, die Freiluftklasse, die durch das Öffnen der Faltwände entsteht, und die Freiluftklasse im Freien, veranschaulicht. Die Autoren verwenden zwei ikonische Schulbauten der 1930er Jahre. Die obere Fotografie zeigt ein Klassenzimmer in der Freiluftschule Suresnes, Frankreich, entworfen von den Architekten Eugène Beaudouin und Marcel Lods und 1935 errichtet. Stillman und Cleary beschreiben in der Bildunterschrift das Prinzip der »inneren Freiluftklasse« wie folgt: »The classrooms are designed to be thrown completely open to the air: they stand independently and are surrounded by grass and trees (1949: 82).« Die untere Aufnahme ‒ abgebildet ist eine von den Autoren nicht näher definierte Schule von Richard Neutra in Kalifornien ‒ zeigt eine Lehrerin, die mit einem Buch in der Hand vor einer Gruppe von sitzenden Schülern steht und unterrichtet. Die Bildunterschrift lautet: »Teaching groups use outdoor spaces adjoining the classrooms which have direct access to the school grounds (Stillman und Cleary 1949: 82).« Damit verweisen die Autoren erneut auf die Einheit zwischen Raum bzw. begrenztem Territorium und der Lerngruppe.

14 Im Kapitel » Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand«, Abschnitt » Fallstudien Sanierungsstrategien (Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich)« wird die Sanierung seiner Freiluftschule (heute Sonderpädagogisches Zentrum) in Wien Floridsdorf vorgestellt und analysiert.

Das Klassenzimmer in den Freiluftschulen | 67

Abbildung 18: Zwei Fotografien der Freiluftklassen in der Publikation »The Modern School«, publiziert in 1949. Die Aufnahme unten zeigt vermutlich die Corona Schule in Los Angeles, erbaut 1935. Das obere Foto ist eine Aufnahme der Freiluftschule in Suresnes, Frankreich, geplant von Eugène Beuadouin und Marcel Lods, erbaut zwischen 1932 und 1935. Quelle: Stillman und Cleary 1949: 83.

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DIE ERWEITERUNG DES KLASSENRAUMS IN DER NACHKRIEGSMODERNE: DIE KLASSENZIMMEREINHEIT Erst in der Nachkriegsmoderne ab 1945 wird die klare Abgrenzung des Klassenzimmers ein wenig aufgelöst. Alfred Roth, ein Protagonist der Klassischen Moderne, führt das Konzept der Klasseneinheit in seinem einflussreichen Buch »The New School. Das neue Schulhaus. La Nouvelle Ecole« (Roth 1950: 43) ein. Roth bezieht sich einerseits auf zeitgenössische Prinzipien der modernen Pädagogik, wonach »allgemein heute […] nicht mehr vom Klassenzimmer, sondern von Klasseneinheit gesprochen« (1950: 43) wird, und andererseits auf den Grundsatz des Klassenzimmers als »Wohnstube des Schülers« (Roth 1950: 43), eine Idee, die auf Pestalozzi zurückgeht. Das Klassenzimmer bleibt, so Alfred Roth, das Kernelement der Schule (1950: 43). Alfred Roth formuliert in den 1950er Jahren einen wichtigen Grundsatz für die Klassenzimmereinheit, der auch für zeitgenössische, pädagogische Konzepte, insbesondere in Bezug auf die Individualisierung des Unterrichts, bedeutsam erscheint: »Die räumliche Gliederung der Klasseneinheit muß umso differenzierter und flexibler sein, je vielgestaltiger und freier der Unterricht ist« (1950: 43).

Das Prinzip der Klassenzimmereinheit und ihre räumliche Ausformung in verschiedenen Schulformen wird von Roth diagrammatisch veranschaulicht (Abb. 19). Die Größe der Klasseneinheit leitet sich von der angenommenen Schüleranzahl ab. Alfred Roth kritisiert an dieser Stelle die Praxis der normativen Bestimmung der Klassenzimmerform und -abmessungen und postuliert den Grundsatz, die Klasseneinheit so groß als möglich zu machen, denn »Die Jugend verlangt keinen Luxus, aber die braucht Raum!« (1950: 49). An dieser Stelle listet die Publikation die damaligen Normen für die Bemessung von Klassenzimmern in England und in der Schweiz auf. In England beträgt seit 1944 die notwendige Fläche pro Kind 1,6 m² und das Klassenzimmer muss mindestens 55,8 m² groß sein ‒ pro Klassenzimmer gibt es

Die Erweiterung des Klassenraums in der Nachkriegsmoderne | 69

Abbildung 19: Klasseneinheit gemäß Alfred Roth, Quelle: Roth 1950: 44.

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Abbildung 20: Theodor-Körner-Volksschule am Schirmitzbühel, Kapfenberg. Klasseneinheit bestehend aus Klassenzimmer, Freiluftklasse, Garderobenvorraum und Lernnische, erbaut 1954, Architekt: Ferdinand Schuster. Quelle: Archiv Baudirektion Stadt Kapfenberg.

30 Schüler (Roth 1950: 49). In der Schweiz sind Klassenzimmer 66,3 m² groß und die erforderliche Fläche pro Schulkind beträgt 1,84 m² und in Primarschulen gibt es maximal 36 Schülerinnen pro Klasse (Roth 1950: 49). Das Prinzip des Klassenverbandes und der organisatorischen Einheit – ein Lehrer und eine Lerngruppe – wird durch die Klasseneinheit zusätzlich verstärkt. Die ergänzenden Infrastrukturen: die Garderoben, die Sanitäreinheiten, die Pausenflächen und die Freiraumbereiche sind der Klasse direkt zugeordnet und werden nicht mehr mit den anderen Klassenverbänden geteilt. Die Grenzen der einzelnen Klasse werden erweitert, aber keinesfalls aufgelöst.

Der Klassenraum der Großraumschulen | 71

In Österreich setzt sich Roths Prinzip der Klassenzimmereinheit nicht durch. Die Theodor-Körner Schule am Schirmitzbühel in Kapfenberg, geplant von Ferdinand Schuster, ist eines der wenigen Beispiele, die nach diesem funktionalen Schema angelegt sind (Abb. 20). Die Klasseneinheiten bei der Volksschule in Kapfenberg bestehen aus Klassenzimmern, die mit einem Garderobenvorraum, einer Lernnische und einer Freiluftklasse ausgestattet sind.

DER KLASSENRAUM DER GROßRAUMSCHULEN Nach dem 2. Weltkrieg entsteht erheblicher Bedarf an zusätzlichem Schulraum, bedingt einerseits durch Kriegszerstörungen und der Notwendigkeit der Senkung der durchschnittlichen Klassenschülerzahl (Lang 1952: 9) und andererseits, ab Mitte der 1950er Jahre, durch die Demografie der geburtenstarken Jahrgänge. 1965 proklamiert der Unterrichtsminister PifflPercevic das Ziel, in jedem politischen Bezirk eine zur Matura führende Schule zu errichten (Loicht und Leinwather 1982: 16). Ähnlich wie in Deutschland und in der Schweiz ist die Planung der Schulen in der Nachkriegsmoderne und der Zeit des Kalten Krieges in Österreich geprägt durch internationale Netzwerke und Transfer von Grundplanungsprinzipien und Normen, die durch Ausstellungen, Publikationen und Konferenzen in Umlauf gebracht werden (Renz 2016; Lorbek 2019). Durch den Raumbedarf in den meisten Ländern entsteht die Motivation, Schulen kostengünstig, flächeneffizient und schnell zu bauen. Die Analyse von bauzeitlichen Publikationen zum Schulbau zeigt jedoch, dass das Klassenzimmer, auch in der Zeit des Wiederaufbaues, die zentrale soziale und räumliche Konstante der Schulen in den meisten europäischen Ländern bleibt. Mit einer Ausnahme: In Großbritannien fanden in der späteren Nachkriegszeit organisatorische, pädagogische und nicht zuletzt bautypologische Innovationen statt, eine Entwicklung, die in der Entstehung von Großraumschulen (open plan schools) kulminierte (Bennett u. a. 1980: 18–24). Die Auflösung des Klassenzimmers und die flexible Koppelung von Klassenräumen, auch als pädagogische Innovationen, gingen von kleinen, ländlichen Schulen in Herfordshire aus. Diese innovative Praxis führte später zu der »open-plan«Bewegung in den 1960er Jahren (Burke und Grosvenor 2008: 103). Die schularchitektonischen und pädagogischen Innovationen wurden 1967 in

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einem offiziellen Bericht (Plowden Report) analysiert und als modellhaft empfohlen. Die Organisation »Central Advisory Council for Education« (CACE) wurde 1963 von Unterrichtsminister Edward Boyle beauftragt die britischen Schulen im Primarbereich und den Übergang zum Sekundarbereich zu untersuchen. Aus den Analysen und Befragungen im Rahmen des Berichtes geht eindeutig hervor, dass Primarschulen in Großbritannien zu dieser Zeit mehrheitlich nach dem »Klasse-Lehrer System« (»class-teacher system«) organisiert sind, und diese Form auch von den Pädagogen, die befragt wurden, bevorzugt wird: »Most primary school work is done in classes. The children who form a class spend most of the day with their class teacher. This is what teachers are used to, and what overwhelmingly they think is right« (Plowden 1967: 273).

Im Bericht wird die Beibehaltung der Klassen und des Klassenlehrers empfohlen. Team teaching soll jedoch als ergänzende Unterrichtsmethode angewandt werden. Für ältere Kinder wird angeregt, Unterrichtsexperimente mit mehreren Lehrern und 100 Schülern durchzuführen. Besonders hervorgehoben werden experimentelle Schulbauten, in denen gekoppelte Klassenräume, gemeinsame Einrichtungen und ruhige Zonen zu Unterrichtsinnovationen führen (Plowden 1967: 275–277). Eine der Schule, die im Plowden Report als exemplarisch und modellhaft vorgestellt wurden, ist die Finmere Primary School, gebaut 1958 und entstanden durch die Kollaboration zwischen der Architektin Mary Medd und dem Vertreter der Schulverwaltung, Eric Pearson (Burke und Grosvenor 2008: 136). Die Grundrisskonfiguration der Schule in Finmere (Abb. 21) ist differenziert und zugleich flexibel. Keinesfalls geht es um einen leeren, offenen Raum, sondern vielmehr um spezialisierte Zonen. Die räumliche Ausdifferenzierung erinnert stark an Alfred Roths Konzept der Klassenzimmereinheit. Im »Plowden Report« wird die funktionale Anordnung der Schule in einen Zusammenhang mit der Individualisierung des Unterrichts und von Gruppenarbeit gebracht und wie folgt beschrieben: »The essence of the plan is that the children mostly work in small groups or individually, the two teachers sharing their time between them. The accommodation con-

Der Klassenraum der Großraumschulen | 73

Abbildung 21: Finmere Primary School, Grundriss. Quelle: Bennett u. a. 1980: 21.

sists, therefore, of a series of small working areas, all with a degree of seclusion, while still a part of the whole. One is a sitting room, with a curtained bed recess. Three are furnished as studies; two others as »workshops«, with access to a verandah. One is a »kitchen» and one a library. These open on to somewhat larger areas which in turn are linked, by means of sliding-folding doors, to a space large enough for groups of children to move about more freely. If both sets of doors are open, the whole teaching area (approximately 1,800 sq. ft.) can become one space. By closing one or both sets of doors, it can become either two or three separate rooms« (Plowden 1967: 396).

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Abbildung 22: Eveline Lowe Primary School, Grundriss, Quelle: Bennett u. a. 1980: 22.

Die flexiblen Elemente (Schiebefalttüren) in dieser Schule ermöglichen sowohl die Großraumnutzung als auch die Einteilung in einzelne Räume. Auf separate Gangflächen konnte verzichtet werden, da der gemeinsame Bereich als Erschließung benutzt wird. Durch die L-Form des gekoppelten Raumes ist jedoch die Klassenzimmerstruktur eindeutig dominanter als der Großraum. Eine weitere, jedoch größere Schule, die diesem Typus folgt, ist die Eveline Lowe Primary School in Southwark, London, gebaut 1966 (Abb. 22). Die Eveline Lowe Schule wird im Plowden-Report ebenfalls als ein exemplarisches Gebäude vorgestellt. Der Schulneubau, entworfen von Mary und David Medd (Burke und Grosvenor 2008: 140) entstand aus einer Kooperation des ministeriellen Departments of Education and Science mit der lokalen Schulbehörde. Im Plowden-Report wird die Gestaltungsintention wie folgt beschrieben: »There is no hard and fast division between these group spaces and the rest of the school, for the whole environment (both inside and out) was conceived as potential

Der Klassenraum der Großraumschulen | 75

»teaching space«, as opposed to a series of closed classrooms and ›non-teaching‹ area« (Plowden 1967: 400).

Mit dem heutigen Vokabular würde man von einer Lernlandschaft sprechen. Bei näherem Blick auf den Plan erkennt man dennoch eindeutig abgegrenzte Klassenzimmer und ausgewiesene Erschließungsflächen, ergänzt durch eine Anzahl von Nischen, Nebenräumen und Servicezonen. Diese Anordnung korrespondiert mit dem schülerzentrierten, individualisierten Unterricht. Durch die Verschränkung von Räumen und Funktionen ergibt sich eine Reduktion der Erschließungsflächen. Das entspricht auch dem klaren Bestreben der Schulbehörden in Großbritannien nach Flächenreduktion und -effizienz. Pamela Woolner stellt fest, dass die Eveline Lowe Primary School als Prototyp für ganz Großbritannien dienen sollte, und gewissermaßen trat dies auch ein: »By 1976, an architecture reference book (Mills 1976) was able to assume open planning as the norm for primary schools and all the recently build schools provided as examples in the book were designed in this way« (Woolner 2010: 9).

Eine genaue Definition der Großraumschule (open plan school, school without walls) ist kaum möglich. Stanley G. Sanders und Jean P. Wren führen eine Reihe von Beispielen für »Offenheit« (openness) an: »Some schools are called ›open‹, because they have movable walls to allow flexibility in grouping of students from classes of traditional size into larger groups. Some new schools have no interior walls to allow free-flowing adjustment of programs and groups of students. In some schools, openness implies a philosophy that embraces nonstructured and permissive programs similar to those of the British primary school« (Sanders und Wren 1976: 57).

Pamela Woolner, die vier ikonische Schulbauten (Burleigh Primary School, Finmere Primary School, Eveline Lowe Primary School und Woodlea Primary School) empirisch untersuchte und mit Lehrenden Interviews führte, stellte fest, dass die prinzipielle funktionelle Organisation der Schulen (distinkte Klassenraumstruktur oder Großraum) nach der gerade bevorzugten pädagogischen Prämisse (Frontalunterricht oder individualisierter Unterricht) beurteilt wird (2010: 13). Aus Untersuchungen von Neil Bennett et

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al. geht hervor, dass trotz offener Raumstrukturen auch in der Großraumschule am lehrerzentrierten Unterrichten festgehalten wurde und dass team teaching eine Ausnahme blieb, auch wenn offene Räume alternative Unterrichtsformen begünstigen (1980: 51). Großraumschulen in Österreich Die Analyse europäischer Schulbaupublikationen der späten 1960er und frühen 1970er zeigt, dass die Großraumschulen vordergründig in Bezug auf die funktionale Organisation flexibel angelegt sind. Allerdings gibt es eine Reihe von Elementen, die den Großraum differenzieren. Einzelne Klassengruppen sind im Großraum stets grafisch dargestellt. Inwieweit die organisatorisch-pädagogische Einheit des Klassenverbandes in der Praxis aufgelöst wurde und mit Gruppengrößen und team teaching experimentiert wurde, kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht beantwortet werden. In Österreich gibt es zudem nur wenige realisierte Großraumschulen. In der Publikation Schulbau in Österreich von 1945 bis heute wurden folgende Großraumschulen vorgestellt: • • •

das Bundesgymnasium/Bundesrealgymnasium in Völkermarkt, das Bundesrealgymnasium in Imst und die Hauptschule Wolfsberg in Schwarzautal.

Das Bundesgymnasium/Bundesrealgymnasium in Völkermarkt, von Ottokar Uhl und Herbert Thurnher 1969 als Modellschule geplant, ist die bekannteste Schule dieser Art. In der pädagogischen Praxis wurde die radikale Offenheit, die in der bauzeitlichen Axonometrie und im Grundriss vorkommt, nie umgesetzt. Im Rahmen der vergleichenden Untersuchung der Schulbauten der Nachkriegsmoderne in Österreich und Slowenien besuchten Gerhild Stosch, Peter Nageler und ich, im Rahmen des ÖGFA/WilhelmSchütte-Stipendiums, im Jahr 1999 das Gymnasium in Völkermarkt. Dabei stellten wir fest, dass die Schule über feste, abgeschlossene Klassen verfügt, auch wenn die Umbauten und Ergänzungen einfacher sind, und öfters erfolgen, als in Schulen mit eindeutig abgeschlossenen Klassenzimmern (Lorbek u. a. 2000: 134). Innovative Raumstrukturen ohne entsprechende pädagogische Konzepte werden bei gleichbleibender Organisation der Klassenverbände im Schulalltag nicht angenommen.

Zusammenfassung | 77

Abbildung 23: BG/BRG Völkermarkt, Architekten Herbert Thurner und Ottokar Uhl, Quelle: ÖISS 1982: 100.

Eine Analyse der österreichischen Publikationen über Schulbau seit 1970 bis heute weist die eindeutige Dominanz der Schulgebäude mit klarer Klassenzimmerstruktur nach. Die Auflösung der klaren Grenzen des Klassenzimmers und der Einheit »ein Lehrer- eine Klasse« stellt auch bei aktuellen Schulneubauprojekten eine seltene Ausnahme dar.

ZUSAMMENFASSUNG Die Handbücher und die Regelwerke zur Schularchitektur tragen zu einer Verbreitung des neuen Schultypus in Europa entscheidend bei. Durch die räumliche Struktur der Schulgebäude wird die inhärente Unterrichtstechnologie mittransportiert. Wie die Entwicklung der Schularchitektur im

78 | Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers

20. Jahrhundert zeigt, wird sich das Raumprogramm und Volumen von Schulgebäuden im Laufe des Jahrhunderts mehrfach verändern. Die Erschließungszonen, die Pausenfläche und die spezialisierten Unterrichtsräume ergänzen und erweitern das Raumprogramm der Mehrklassenschule. Durch neue Anordnungen von Klassenzimmern und den Verzicht auf Mehrgeschossigkeit entstehen Hallen-, Pavillon- und Atriumschulen als neue Schultypologien. Das Klassenzimmer wird in den ikonischen Schulgebäuden der klassischen Moderne jedoch beibehalten. Selbst in der Großraumschule, die eine Rückkehr zu dem Einzelschulraum der Vormoderne darstellt, besteht die Klasse als organisatorisch-pädagogische Einheit sowie durch territoriale Zuordnung und innere Differenzierung im Großraum auch weiterhin. Erst gegen Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird durch Jahrgangsklassen und das Modell »Schulen in der Schule« beim Futurum Schulmodell die organisatorische Kohärenz der Schulklasse aufgelöst. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis heute wurde das Klassenzimmer geöffnet (flexible Wände zum Gang und zum Freiraum, zweiseitige Belichtung), verlagert (Freiluftklasse, Waldschule), erweitert und ergänzt (Klassenzimmereinheit bei Alfred Roth), gekoppelt mit angrenzenden Klassenzimmern durch Verbindungstüren, immer wieder neu gruppiert (Klassenzimmercluster, Hallenschule, Schustertypus) und verformt zum Quadrat, Trapez oder einer anderen mehreckigen Form. Trotz geometrischer Variation, Ausweitung und Öffnung bleiben die charakteristischen materiellräumlichen Merkmale und die Dimensionen der ursprünglichen Anordnung des Schulraumes aus dem 19. Jahrhundert allerdings weitgehend erhalten. Gleichfalls wird auch heute kaum von dem Prinzip »ein Lehrender und eine Schulklasse« abgewichen, auch wenn die Homogenität der Lerngruppe brüchig wurde, die Heterogenität der Schüler durch Individualisierungen des Unterrichts zunahm und auch Inklusion als neues pädagogisches Prinzip anerkannt wurde. Dennoch bleiben Großraumschulen und die soziale Zusammensetzung der Klassenverbände (Mehrstufenklassen) im deutschsprachigen Raum, und insbesondere in Österreich, als Abweichungen vom dominierenden Typus der Mehrklassenschule eine seltene Ausnahme. Im Sinne der Transitionstheorie kann die Großraumschule in diesen Ländern als Nischeninnovation klassifiziert werden. Das Raumprogramm in den angelsächsischen Ländern unterscheidet sich bereits im 19. Jahrhundert von den Klassenzimmer-basierten Schulen in Deutschland, Österreich und der

Zusammenfassung | 79

Schweiz. Das Klassenzimmerprinzip wurde nach dem deutschen Vorbild übernommen, allerdings wird der größere Schulraum (school room) beibehalten. Diese ursprüngliche Tradition des Schulraumes im Kontext der Pflichtschule trug entscheidend zur Verbreitung und Akzeptanz der Großraumschule in den angelsächsischen Ländern bei. Die Schule der Zukunft wird in Bestandsbauten stattfinden. Die Raumstruktur der Altbauten ist aufgrund technisch-konstruktiver Zwänge und bedingt durch die Fluchtwegeorganisation nur teilweise auflösbar. Diese materiellen Begebenheiten müssen keinesfalls als Nachteil und Einschränkung angesehen werden. Aus Untersuchungen über die Großraumschulen (open plan schools) in Großbritannien geht hervor, dass offene Schulgrundrisse mit einem relativ großen Grad der inneren Differenzierung und funktionalen Zonierung in der Einschätzung durch die Nutzer sehr gut funktionieren und unterschiedliche Arten des Unterrichts ermöglichen. Um die Individualisierung des Unterrichts und das Teamteaching zu unterstützen, sind sowohl eine offene räumliche Organisation, als auch die organisatorisch-pädagogische Differenzierung in der Schule (unterschiedliche Zusammensetzungen der Schülergruppen, kooperatives Lehren) unumgänglich. Das stabile sozio-technische Regime der Schule, das auf dem Prinzip des Klassenzimmers und dem System Lehrerin-Klasse beruht, kann nur langfristig und mithilfe einer Gesamtstrategie verändert werden. Eine solche Modernisierung muss alle Ebenen der Bildungssystems sowie im Besonderen die einzelnen Elemente des Regimes umfassen: die Akteure, die räumlich-organisatorische Struktur der Schulen und die Regeln bzw. Institutionen. Die historische Untersuchung zeigt, dass Veränderungen nur an den einzelnen Elementen zu keiner nachhaltigen Veränderung des Gesamtsystems führten.

Wissen über Gebäudebestände

EINLEITUNG Der Schulgebäudebestand stellt zusammen mit Verwaltungsgebäuden, kommunalen Wohnbauten und Gesundheitsbauten eine wesentliche öffentliche Ressource dar. Über diese liegen jedoch kaum systematisch gesammelte Informationen vor. Die Daten über den Zustand der österreichischen Schulhäuser werden nicht zentral gesammelt. Die fragmentarisch vorhandenen Statistiken und von der Verwaltung erstellte Studien mit Teilbestandsaufnahmen sind häufig nicht öffentlich zugänglich und unterliegen der Amtsverschwiegenheit.15 Die generelle Schulentwicklungsplanung des Bundes orientiert sich vorwiegend an den prognostizierten Schülerzahlen und geht vom Fortbestand des etablierten, differenzierten Schulsystems aus. Die Flächenressourcen in den Schulen und die räumliche Verteilung der Bildungsinstitutionen werden nicht systematisch untersucht. Die zentralen Fragen in Bezug auf die Zukunft des Schulgebäudebestandes lauten: Wie wird sich das Schulsystem künftig entwickeln? Welche Schulraumressourcen sind längerfristig verfügbar und welche Potenziale und Einschränkungen sind darin enthalten? Und schließlich: Wie kann die große Anzahl von Schulbauten im heterogenen Bestand sinnvoll klassifiziert und systematisiert werden? Die Anforderungen an die einzelnen Schulstandorte und den Bestand als Ganzes sind komplex und sich teilweise widersprechend. Neben der Be-

15 Amtsverschwiegenheit ist geregelt in der Bundesverfassung, Artikel 20, Ziffer (3), sämtliche Verwaltungsorgane sind zur »Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet«. (RIS BKA 2014).

82 | Wissen über Gebäudebestände

reitstellung von zusätzlichen Flächen für geänderte pädagogische Konzepte, für Lehrerarbeitsplätze und Ganztagsnutzung müssen auch gesteigerte Anforderungen an die Baustandards (Brandschutz, Lufthygiene, Akustik, Energieoptimierung) und bei einem Teil des Bestandes auch Denkmalschutzaspekte im Rahmen von Sanierungen berücksichtigt werden. In solchen komplexen Situationen gibt es kein einfaches Optimum, weil ein generalisiertes, allgemeines Ziel nicht definiert werden kann (Kohler und Yang 2007: 358). Stattdessen soll, im Einklang mit den Potenzialen und Defiziten der Bestandsgebäude, ein sorgfältiges Abwägen zwischen den einzelnen Zielen der Sanierung definiert werden. Die Gebäudebestandsforschung (building stock research) einerseits sowie die Klassifizierung nach Baualtersklassen und Schulbautypus andererseits sind eine erste, wichtige Grundlage für spätere prognostische und strategische Bewirtschaftungen und die Entwicklung des Schulbauportfolios auf allen Verwaltungsebenen. Im vorliegenden Kapitel werden kurz die methodischen Grundsätze der Gebäudebestandforschung vorgestellt sowie eine erste, vorläufige Klassifizierung des Schulgebäudebestandes vorgenommen.

GEBÄUDEBESTANDSFORSCHUNG Vom Einzelobjekt zu Gebäudebestand16 Das singuläre Gebäude bzw. das Bauobjekt als Unikat sind fest verankerte Prinzipien in der Architekturproduktion. Die Bedeutung des Einzelobjektes dominiert nicht nur den Neubausektor. Sanierungen, auch im Rahmen koordinierter Programme, beschränken sich auf einzelne Bauten oder kleine Gebäudecluster. Der Fokus auf Einzelobjekte ist durch die traditionellen Planungsinstrumente, Bauprozesse und durch die Logistik der Baustelle bedingt.

16 Anmerkung: Teile dieses Kapitels enthalten auch Abschnitte aus dem Leitfaden des Forschungsprojektes »ReCoRe – Resource Conserving Renovation«, dieses Kapitel wurde von der Autorin alleine verfasst (Lorbek, Kovacic und Höflinger 2013).

Gebäudebestandsforschung | 83

Die Systemgrenze des architektonischen Objektes erscheint klar und eindeutig. Auf der einen Seite das Haus und außerhalb der Gebäudehülle der Freiraum, die Verkehrsflächen, die Stadt – alles, was unter dem englischen Begriff built environment subsumierbar ist. Traditionelle wie auch die thermisch-energetischen Sanierungen beruhen in der Regel auf der Betrachtung und Behandlung einzelner Objekte. Einheitliche Maßnahmen und Standardverbesserung werden unabhängig von der Konstruktion und Materialität der einzelnen Objekte bestimmt und umgesetzt. Das reduktionistische Modell wird zusätzlich, unabhängig von der Konstruktion und Materialität der einzelnen Objekte, durch normative Bestimmungen, die auf einheitlichen Standards für alle Bauperioden und Gebäudetypologien beruhen, verstärkt, Konzepte für standortübergreifende, synergetische Nutzungen für Bauten in räumlicher Nähe können bei Einzelobjektsanierungen ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Punktuelle Eingriffe im komplexen Feld urbaner Agglomerationen und Infrastrukturnetze sind in der Gesamtbilanz deshalb kaum wirksam und demnach nur sehr eingeschränkt geeignet, um eine sowohl nachhaltige als auch sozial gerechte Ressourcennutzung zu erreichen. Forschungen über die Beschaffenheit, Charakteristiken, Morphologie und Dynamik von Gebäudebeständen (building stocks) gewinnen, insbesondere im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung, zunehmend an Bedeutung. Eine wirksame Verbesserung der Gesamtenergiebilanz und Emissionsreduktion am Gebäudesektor ist nur dann möglich, wenn die Maßnahmen bei der großen Masse der Bestandsobjekte umgesetzt werden. Für diese Art der Forschung wurde insbesondere von Niklaus Kohler und Uta Hassler zunächst der englische Begriff »building stock research« etabliert (2002). In dieser Arbeit wird in weiterer Folge für diesen Begriff die Formulierung «Gebäudebestandsforschung» verwendet. In Anlehnung an die Charakterisierung von Uta Hassler und Niklaus Kohler wird Gebäudebestandsforschung als interdisziplinäre Erforschung größerer Gebäudeportfolien definiert (2002). Bei diesem Ansatz wird die klassische empirische Bauforschung mit den traditionellen und neueren Datenrepositorien verbunden, um so die Wissensbasis für eine langfristige Planung zu generieren. Der langfristige Bedarf an neuen Bauten wird u. a. aufgrund demographischer Entwicklungen in Zentraleuropa sinken. Am Planungssektor wird daher künftig das Bauen im Bestand dominieren. Aus diesem Grund sind umfassende Kenntnisse über vorhandene Gebäude-

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bestände von besonderer Bedeutung (Kohler und Hassler 2002: 226). In Bezug auf das langfristige Verhalten von Gebäudebeständen benennen die beiden Autoren die Probleme, die sich aus fehlenden, detaillierten Kenntnissen der Portfolien ergeben: »Two problems appear immediately: the building stock considered as a complex societal resource (economic, physical, cultural) has many properties, which are (better) known by other scientific disciplines than by architects. The second problem is a general lack of accurate and complete data« (Hassler und Kohler 2011: 157).

Eine konsequente Bestandsaufnahme des österreichischen Schulgebäudebestandes fehlt, ebenso gibt es kaum verlässliche, statistische Daten über die Gesamtheit des Gebäudeportfolios. Einer A-priori-Kategorisierung von Gebäuden in Form von Typologien (Kohortenmodell des Gebäudebestandes), die vor der faktischen Untersuchung der materiellen Objekte und ihrer Energie- und Stoffflüsse vorgenommen wird17, stehen Kohler und Hassler sehr kritisch gegenüber: »The typological approach is quite common in Germany and Switzerland […]. It is based on the assumption that the different age/use classes (which form the cohorts) have similar energy characteristics and similar general refurbishment intervals. […] The problems with this approach are that the proposed a priori typologies are based on expert judgment, but no statistical evidence exists to support the relation between their construction (structure and fabric) and energy consumption characteristics (e. g. through classification or cluster analysis). The detailed analysis of individual buildings does not show any systematic correspondence to the »typological« properties. […] The cohort methods suggest that it is sufficient to determine the function and age of a building and that all additional information can be derived from typological studies « (2012: 407).

In der Praxis kann Gebäudebestandsforschung nicht so konsequent umgesetzt werden. Jedes Gebäude detailliert zu erfassen und erst danach Kohorten oder Gebäudetypen zu bilden, ist angesichts der großen Anzahl von Gebäuden und auch Schulhäusern zu aufwändig. Auf den vorhandenen Portfo-

17 Typologisch vordefinierte Erfassung der nationalen Gebäudebestände wurde zum Beispiel im Rahmen von EU Projekten TABULA und EPISCOPE vorgenommen: http://episcope.eu/welcome/.

Gebäudebestandsforschung | 85

lio-Bestandsaufnahmen der Gebäudeeigentümer aufzubauen ist ebenfalls schwierig, jedoch durch zunehmende Digitalisierung des Bausektors durchaus machbar. Whyte und Hartmann betonen, dass die Nutzung von digitalen Technologien wie building information modelling (BIM), maschinelles Lernen, smarte Infrastrukturen usw. zu einer besseren Integration von Praktiken und Maßstäben führen wird, die zuvor getrennt behandelt wurden (2017: 591). Die Vermessung und Zustandserfassung von Schulen, die im Zuge von Sanierungen als digitale Daten angelegt werden, können systematisch erfasst, aggregiert und im Sinne der Gebäudebestandsforschung genutzt werden. Überblick über die möglichen Methoden und Disziplinen in der Gebäudebestandsforschung Eine ganzheitliche Erfassung und die strategische, längerfristige Entwicklung des Gebäudebestandes erfordern interdisziplinäre Methoden und transsektorale, integrale Planung. Die Disziplinen und Methoden, die einzusetzen sind, müssen die vielfältigen Aspekte der gebauten Umwelt widerspiegeln: Neben den ökonomischen und ökologischen Faktoren sind vor allem auch die den Bestand formenden kulturellen und sozialen Kräfte zu integrieren. Uta Hassler und Niklaus Kohler betonen, dass auch die komplexen Beziehungen zwischen den einzelnen Aspekten zu untersuchen sind: »Comprehensive understanding is difficult to achieve due to the structural complexity of the building stock, the uncertainty of rates of change in the future and the different views across disciplines. On the other hand, the management of building stocks cannot be improved without taking into account the interrelations between economic, physical, social and cultural aspects. Research efforts should be directed to the integration of different views (2002: 232).«

Hassler und Kohler (2002: 232) schlagen unter anderem folgende Problemfelder vor, die im Rahmen der Gebäudebestandsforschung zu berücksichtigen sind: Die Lebenszyklusanalyse, die Bauforschung, die Strategien aus dem Immobilienmanagement, die Bauproduktemodellierung und eine integrale Betrachtung von Gebäuden, Infrastrukturen und Flächennutzung. Diese Daten könnte man sinnvollerweise durch eine gründliche Erfassung der sozialen Zusammensetzung von Nutzergruppen und durch eine Analyse

86 | Wissen über Gebäudebestände

des thematischen und kulturellen Rahmens der Gebäudebestände ergänzen und anreichern. Bisher wurden die sozialen Analysen, die architekturhistorischen Untersuchungen und die Bestandsaufnahme der materiellen und energetischen Substanz von Gebäuden getrennt voneinander vorgenommen, auch wenn in den disziplinären Methoden einzelne Elemente aus den anderen Disziplinen enthalten sind, worauf im Folgenden noch eingegangen wird. In der Sozialraumanalyse, die nachfolgend näher beschrieben wird, wird zum Beispiel die bauliche Struktur der Gebäude miterfasst. In den architekturhistorischen Untersuchungen wird manchmal auch die konstruktiv-materielle Basis der Bauten thematisiert. Lediglich bei klassischen Bestandsaufnahmen, die im Vorfeld von Sanierungen18 stattfinden, erfolgt keine Erfassung der sozialen und baukulturellen Aspekte der Gebäude. Soziale Faktoren, darunter insbesondere das Nutzerverhalten, sind in der Werterhaltung und nachhaltigen Nutzung von Gebäuden von besonderer Bedeutung. Sind aufwändige Sanierungen von sozialem Wohnbau sinnvoll, wenn gleichzeitig in den sozialen Brennpunkten keine Maßnahmen zur Milderung der Segregation und der sozialen Spannungen durchgeführt werden? Wenn soziale und räumliche Verhältnisse miteinander verflochten sind, so Marlo Riege und Herbert Schubert (2012: 17), scheitern Sanierungsmaßnahmen, wenn sie einseitig auf räumliche Veränderungen, z. B. die Wohnbedingungen, ausgerichtet sind. Bei Schulen stellt sich aufgrund der zeitlich wenig intensiven Nutzung der Gebäude die folgende Frage: Macht eine Aufwertung des Gebäudes zum Passivhausstandard oder gar zum Plus-Energie-Gebäude Sinn, wenn die räumlichen Ressourcen im Tages- und Jahresverlauf unterdurchschnittlich oft genutzt werden? Architekturhistorische Gutachten sind auch bei Objekten sinnvoll, die nicht unter Denkmalschutz stehen. Denn eine erneute Evaluierung von bauzeitlichen, architektonischen Konzepten kann zu einer Verbesserung der Sanierungsplanung beitragen. Die Architekturgeschichte beschränkt sich üblicherweise auf die Interpretation von historischen Nutzungen und auf das Offenlegen von impliziten Planungskonzepten. Im Rahmen der Gebäudebestandsforschung werden, um die spezifischen Merkmale von Altbauten zu identifizieren, Methoden der architekturhistorischen Forschung einge-

18 Gebäude, die nicht unter Denkmalschutz stehen.

Gebäudebestandsforschung | 87

setzt. In einem weiteren Schritt kann man die Gebäude- und Planungsspezifika gemäß der heutigen und künftigen Anforderungen erneut evaluieren. Nachhaltige Eigenschaften von Gebäuden können so nach heutigen Kriterien freigelegt und gezielt erhalten werden. Die Prämisse der integrierten Erfassung unterschiedlicher Faktoren in der Gebäudebestandsforschung korrespondiert also mit den methodischen Grundsätzen der heute praktizierten Sozialraumanalyse: »Seither gilt als Standard einer differenzierenden Sozialraumanalyse, die sozialen und räumlichen Verhältnisse integriert zu beschreiben. Denn Interventionen der sozialen Stadterneuerung sollen die soziale und die Baugeschichte eines Quartiers genauso berücksichtigen, wie die Nutzungsstrukturen und die Machtbedingungen, damit die Maßnahmen mit den endogenen Potenzialen zusammen entwickelt werden können« (Riege und Schubert 2012: 17).

Um die Praktiken der Raumaneignung, der abweichenden Nutzungen und den Leerstand zu erfassen, eignen sich zum Beispiel traditionelle teilnehmende Beobachtung, empirische Sozialforschung und insbesondere visuelle Methoden aus der Soziologie, der Ethnografie und der Anthropologie. Zusätzliche Möglichkeiten für die Gebäudebestandsforschung bieten Raumanalyse-Instrumente wie space syntax. Mit den kulturellen Aspekten des Gebäudebestandes befassen sich sowohl die Architekturgeschichte, die klassische Bauforschung als auch die cultural studies. Um in der langfristig orientierten Gebäudebestandsforschung auch künftige, insbesondere mittelund langfristige Entwicklungen zu erfassen, können etablierte ForesightMethoden wie »Szenario-Entwicklung«, »Delphi-Befragungen«, »Backcasting« und »horizon scanning« herangezogen werden. In der vorliegenden Arbeit wird die Methode der Szenario-Entwicklung erprobt, um damit die langfristige Entwicklung des Schulgebäudebestands zu erfassen. Das Foresight-Instrument »Backcasting« wird im Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting« vorgestellt und sein mögliches Einsatzgebiet im Rahmen der Schulentwicklungsplanung kurz analysiert. Datenquellen in Gebäudebestandsforschung Statistische Daten und aggregierte Stoffflüsse spielen in der Gebäudebestandsforschung ebenfalls eine wichtige Rolle. Im Sinne eines integralen Ansatzes geht es darum, Daten und Informationen aus den unterschiedli-

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chen Datenrepositorien miteinander zu verbinden. Dabei werden empirische Daten aus diesen traditionellen Forschungsbereichen mit neuen und innovativen Datenbeständen wie zum Beispiel GIS (geographic information system), 3-D-Scanning, den Gebäudedaten in BIM-Datenbanken (building information modelling) und den Informationen aus Smart metering usw. gekoppelt. Bei den datenzentrierten Methoden gibt es, so Dietmar Offenhuber und Carlo Ratti zufolge, eine wichtige Veränderung: »Der Terminus »Big Data« bezieht sich auf die Verfügbarkeit riesiger Mengen maschinenlesbarer Information. Diese Information wird von sozio-technischen Systemen generiert, in denen sich Menschen – freiwillig oder auch weniger freiwillig – immer stärker verfangen: Mobiltelefonnetzwerke, Kreditkartensysteme oder soziale Netzwerke. Da die digitalen Spuren, die diese Systeme generieren, so eng mit unserem Alltagsleben verknüpft sind, werden sie zu wertvollen – und fast kostenlos zur Verfügung stehenden – Ressourcen für die Beobachtung von Prozessen und Interaktionen in einer Stadt. Und da diese großen Datensätze ja nicht für Forschungszwecke erzeugt und strukturiert werden, bedarf es neuer Methoden, um sie überhaupt analysieren zu können « (2013: 8).

Statistische Daten sind für die Gebäudebestandsforschung ebenfalls unentbehrlich. Die statistische Datenerfassung wurde grundlegend verändert, so auch bei der Statistik Austria. 2001 fand die letzte Volksbefragung statt und 2011 wurden die statistischen Daten bereits mit der Methodik der Registerzählung erhoben, dabei wurde auf unterschiedliche Verwaltungsregister zurückgegriffen (Statistik Austria 2014). Wichtige Grundlage für die langfristige Bewirtschaftung und Entwicklung des Schulgebäudebestandes sind einerseits demografische Daten und Prognosen sowie Statistiken über die Zusammensetzung des Gebäudebestandes. Die gesammelten Daten und Erkenntnisse aus der Gebäudebestandsforschung, generiert aus vielen unterschiedlichen Informationsquellen, ermöglichen eine aggregierte Beschreibung der materiellen, konstruktiven und energetischen Strukturen sowie der sozial-kulturellen Bedingungen in dem gewählten Teilbestand. Trotz der Zusammenführung digitaler Daten in integralen Repositorien und der systematischen Abbildung in digitalen Gebäudemodellen muss die klassische Bestandsaufnahme vor Ort einbezogen werden. Diese reicht von optischer Kontrolle des Bauzustandes einzelner Gebäudeteile über vertiefte Untersuchungen bei Bauschäden bis hin zu restauratorischen Befunden.

Der Typusbegriff in der Architektur | 89

In der Gebäudebestandsforschung ist man bestrebt, den gewählten Gebäudebestand mit Hilfe der vorhandenen Materialien (historische und zeitgenössische Planungen und Literatur zum Gebäudebestand), der Daten (statistische Daten, Sozialraumanalysen), der empirischen Recherche vor Ort und der Stoffflussanalyse ausführlich zu beschreiben. Eine solche detaillierte Beschreibung des Gebäudebestandes stellt die Wissens- und Erkenntnisbasis dar, die für die langfristigen, integralen, strategischen und werterhaltenden weiteren Entwicklungen einzelner Gebäude im Gesamtportfolio herangezogen wird. Der Gebäudebestand wird dabei als eine materiell-energetische und sozial-kulturelle Entität im Kontext seines institutionell-traditionellen Rahmens beschrieben.

DER TYPUSBEGRIFF IN DER ARCHITEKTUR Der Begriff des Typus wird in der vorliegenden Studie als ein Werkzeug für die Systematisierung und Abstrahierung des untersuchten Schulgebäudebestandes verwendet. Architekturtheorie und -geschichte verwenden bereits seit dem 18. Jahrhundert den Typus als ein Instrument für die Klassifizierung und Abstrahierung von Gebäudearten. Der heute verwendete Typusbegriff bezieht sich dabei auf vorgefundene Artefakte in der gebauten Umgebung. Das Ziel ist die Festlegung von idealen Bauformen und Raumprogrammen bei Neubauten. Bei architekturgeschichtlicher bzw. denkmalpflegerischer Betrachtung steht die Kanonisierung von bestimmten (besonders gelungenen oder für die geschichtliche Entwicklung bedeutsamen) Objekten im Vordergrund. Quatremère der Quincy verwendet als erster den Begriff ›Typus‹, der im Unterschied zum Modell wie folgend definiert wird: »The word ›type‹ presents less the image of a thing to copy or imitate completely than the idea of an element which ought itself to serve as a rule for the model. Thus, one should not say (or at least one would be wrong to say) that a statue, or the composition of a finished or rendered picture, has served as the type for the copy that one made. But when a fragment, a sketch, the thought of a master, a more or less vague description has given birth to a work of art in the imagination of an artist, one will say that the type has been furnished for him by such and such an idea, motif, or intention. The model, as understood in the practical execution of the art, is an object that should be repeated as it is; the type, on the contrary, is an object after which

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each [artist] can conceive works of art that may have no resemblance. All is precise and given in the model; all is more or less vague in the type. At the same time, we can see the imitation of types is nothing that feeling and intellect cannot recognize, and nothing that cannot be opposed by prejudice and ignorance« (1998: 618).

Quatremère de Quincy definiert den Typus als Gegensatz zum Modell. Während Modell 1:1 repliziert werden kann, fungiert der Typus als weitgehend ungefähres Regelwerk, an dem man sich orientiert um Ähnliches zu erzeugen: Durch die Abstrahierung zum Typus kann die Bedeutung eines Gebäudes noch weiter gesteigert werden als bei einer architekturhistorischen Ikone. Als modellhaftes Vorbild wird es unzählige Male reproduziert. Trotz Modifizierung und Adaptierung bleibt ein bestimmter Bautypus weiterhin erkennbar. Der Diskurs über den Typus in Architektur wird später in allen Phasen der Moderne fortgesetzt. Während der Postmoderne wird die Auseinandersetzung mit dem Typus intensiviert. Anthony Vidler identifizierte drei unterschiedliche Arten der Typologie (1998). Die erste Typologie beruht auf dem Modell der Urhütte von Abbé Laugier und natürlichen Vorbildern für die architektonischen Formen (Vidler 1998: 289–290). Die zweite Typologie, die Ende des 19. Jahrhunderts entstand, begründet die Typisierung auf Basis der industriellen Massenproduktion (Vidler 1998: 290–291). Die dritte Typologie ist Vidler zufolge, im Unterschied m naturhaften Charakter der ersten beiden, tief eingebettet in die Sphäre des Städtischen (1998: 292). Die historische Stadt und das Urbane liefern das Material für dieses neu entwickelte, andersartige Typologieverständnis: »The city, that is, provides the material for classification, and the forms of its artifacts provide the basis for re-composition« (Vidler 1998: 288). Der Typus, bisher gedacht als weitgehend singuläres, abstrahiertes Objekt, wird durch Positionierung in einen urbanen Kontext selbstreflexiv. Neue Architektur entsteht demnach einerseits auf der Grundlage des vorhandenen Wissens und andererseits basierend auf einem Fundus von bereits gebauten Artefakten. Eine weitere Typus-Definition bei John N. Habraken hebt den Werkzeugaspekt hervor, und verweist dadurch auf die kollektive Genese architektonischer Produktion und thematisiert das implizite, intuitive Wissen in den Entwurfsprozessen. Neben Typus sind nach Habraken auch Ebene, Muster und System geeignet für einen solchen intuitiven Gebrauch:

Der Typusbegriff in der Architektur | 91

»The concept of type, for instance, is important precisely because it straddles the implicit and the explicit. There is no clear dividing line between the two. As a tool, it cannot derive solely from invention or research. Like the word that denotes it, it is a collective creation that lives within a social body, a product of our need for human interaction. Such concepts were already deeply embedded within the culture of building long before the architect’s emancipation from the field« (2005: 146).

Habraken zufolge sind die materiellen Elemente des Typus untrennbar mit sozialer Konvention verbunden, die ebenfalls den Werkzeugaspekt des Typus mit konstituiert: »The house, as a type, is not just any selection of building parts and infill: its typological form derives from combining specific elements in a socially determined fashion« (1998: 279).

Der Begriff Typus wird in der vorliegenden Arbeit als generische, abstrahierte Klasse von Gebäuden und als Arbeitsmittel im Sinne eines methodischen Werkzeugs verstanden. Der Gebäudetypus als Klassifizierungswerkzeug in der Sanierung Durch den Typus wird in architekturhistorischen Untersuchungen die Klassifikation der Gebäude vorgenommen. Im Rahmen der vorliegenden Studie wird der Typus als Werkzeug eingesetzt, um sowohl eine Klassifikation als auch eine Abstraktion des Gebäudebestandes zu ermöglichen. In der Praxis der Gebäudeinstandhaltung und -sanierung spielen der Typus oder die Baualtersklassen (bzw. Bauperioden) eine nachrangige Rolle. Der Gebäudetypus und die normativ-gesetzlichen Bestimmungen Die Baualtersklassen- und die typologisch spezifischen Gebäudemerkmale werden in den normativen-gesetzlichen Bestimmungen (Normenwerke, verschiedene Richtlinien und Bauordnungen) in Bezug auf die Energieeffizienz, die Sicherheit, den Brandschutz und die Tragfähigkeit ebenfalls nicht berücksichtigt. Alle Normen und Bauvorschriften sind vordergründig am Stand der Technik für den Neubau orientiert. Detaillierte empirische Daten über einzelne Gebäude sind wichtig, dennoch kann man bei mittel-

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und langfristigen Bewirtschaftungsstrategien für Gebäudeportfolios auf die Klassifizierung und Abstrahierung nicht verzichten. Wenn man neben der Energieeffizienz auch weitere Aspekte der Modernisierung und Aufwertung, insbesondere die erhöhten Anforderungen an die Sicherheit (Brandschutz, Fluchtwege-Organisation, Tragfähigkeit) berücksichtigt, ist eine Typologisierung im Rahmen der Überprüfung der Sanierungsoptionen durchaus sinnvoll. Schulen als großvolumige, markante Gebäude, die auch für die Laien in der Stadt leicht erkennbar sind, sind der Gebäudetypus par excellence. Zu beachten ist: Der Begriff »Schulbautypus« unterscheidet sich vom Terminus »Schultyp« in Hinsicht auf das Schulorganisationsgesetz, das die Art der Schule beschreibt, wie zum Beispiel Volksschule, Hauptschule, Neue Mittelschule, Allgemeinbildende höhere Schule und so weiter. Die Subsumierung unter den Schulbautypus dient dazu, die große Anzahl von Bauten im Gebäudebestand einzelner Baualtersklassen zu kategorisieren, zu inventarisieren und zu beschreiben. Der Nutzungstypus Der untersuchte Gebäudebestand der Schulen bildet einen eigenen Nutzungstypus. Brenda Case Scheer, aufbauend auf etablierter stadtmorphologischer Forschung, definiert Gebäude, die eine Reihe übereinstimmender Merkmale (zum Beispiel Erschließung, Maßstab und Volumen, Eingangskonfiguration, Lage am Grundstück usw.) aufweisen, als »formal types« (formale Gebäudetypen), während Bauten mit identifizierbarer Nutzung wie Flughafenterminals, Schulen, Bibliotheken, Krankenhäuser usw. von ihr als »use types« bzw. Nutzungstypus klassifiziert werden (2010: 10–12). Schulen, als Gebäude, die für Bildungszwecke genutzt werden, bilden demnach einen Nutzungstypus. Einzelne, durch die Architekturgeschichte identifizierte Schulgebäudetypen mit übereinstimmenden Merkmalen wie zum Beispiel Pavillonschule, Hallenschule usw. konstituieren hingegen formale Gebäudetypen. Im Rahmen der Studie »Baustelle Schule« (Haselsteiner u. a. 2010), auf die die vorliegende Arbeit Bezug nimmt, wurden ausschließlich Grundschulen beziehungsweise Pflichtschulen in Wien und in der Steiermark (Graz und Kapfenberg) untersucht. Der Teilbestand der Pflichtschulen ist spezifisch für Österreich und entspricht der Gliederung der Schulorganisation (siehe Abb. 24).

Der Typusbegriff in der Architektur | 93

Abbildung 24: Österreichisches Bildungssystem. Die Schulen, die im Zuge dieser Arbeit untersucht wurden, gehören zum Pflichtschulbereich. Quelle: BMBWF, 2018, link: https://bildung.bmbwf.gv.at/schulen/bw/ ueberblick/bildungswege2018_grafik.pdf?6g0eth

Um strategische, werterhaltende und langfristige Konzepte bzw. Szenarien für eine große Anzahl von Bauten zu entwickeln, ist es unerlässlich, das Gebäudeportfolio nach geeigneten strukturell-morphologischen Merkmalen zu gliedern. Weitere strukturelle Kriterien, die eine systematisierte Erfassung des Teilbestandes »Pflichtschulen« ermöglichen, sind der formale Gebäudetypus und das Baualter. Beide Begriffe bedürfen einer genauen Definition.

94 | Wissen über Gebäudebestände

SCHULGEBÄUDEBESTAND IN ÖSTERREICH Was sind nun die spezifischen Eigenschaften des österreichischen Schulbauportfolios? Eine umfassende Bestandsaufnahme im Sinne der interdisziplinären Gebäudebestandsforschung liegt sowohl für den Gesamt- als auch für die Teilbestände einzelner Erhalter nicht vor. Hier besteht, vor allem für den Fall einer strukturellen Reorganisation des Schulsystems, erheblicher Forschungsbedarf. Schulgebäude im öffentlichen Eigentum, in den kleinen Gemeinden, in den Ballungszentren und zur Bundesebene zugehörige, bilden durch ihre Eigentümer und Betreiber unterschiedlich große Portfolios. Die Potenziale des Portfolio-Aspektes – des Gebäudeteilbestands als Gesamtheit – wurden bisher in der Bedarfs- und Sanierungsplanung nicht ausreichend genutzt und auch nicht ausreichend empirisch erforscht. Die Neubaurate ist gering19 und wird sich künftig nicht wesentlich verändern. Aus Publikationen über neue Schulen in Architekturmedien ist erkennbar, dass auch in wachsenden Regionen wie Wien neue Schulen vordergründig in den neu entwickelten Stadterweiterungsgebieten (Seestadt Aspern) sowie im Bereich der innerstädtischen Konversionsflächen (ehemalige Bahngelände Nordbahnhof und Südbahnhof) gebaut werden. In den schrumpfenden Regionen bemühen sich die politischen Akteurinnen und die Verwaltungen, Schulstandorte möglichst zu erhalten. Schulunterricht in der »Schule der Zukunft« wird in Altbauten stattfinden, unabhängig davon, wie sehr sich die künftige Pädagogik oder das Schulsystem verändern werden. Der historische Gebäudebestand determiniert somit zu einem hohen Grad die Zukunft der Bildung. Für die langfristige Bedarfsplanung und strategische Entwicklung ist es wichtig, umfassende Untersuchungen des Schulgebäudebestandes anhand verlässlicher qualitativer und quantitativer Quellen vorzunehmen. In einem weiteren Schritt kann eine systematisierte Typologisierung, Beschreibung und Klassifizierung des Gebäudebestandes vorgenommen werden. Eine 19 Anmerkung: Die Neubaurate wird generell mit 1–4 % des Gesamtbaubestandes angegeben. Im Jahr 2017 wurde in dem Bereich der Nichtwohnbauten, zu dem auch Schulgebäude zählen (Gebäude für Kultur, Freizeit bzw. das Bildungs- und das Gesundheitswesen, Bürogebäude, Groß- und Einzelhandelsobjekte und Hotels (Gasthöfe, Pensionen)), eine Neubaurate von 4-5 % erreicht (Statistik Austria 2017).

Schulgebäudebestand in Österreich | 95

solche Wissensbasis ist die Grundlage für die evidenz-basierte Masterplanung für Schulen, die im Kapitel » Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand« näher erläutert wird. Eine vollständige Statistik über Schulgebäude im öffentlichen Eigentum mit Angaben über Bauperiode, Nutzflächen, Ausstattung, Schulerhalter, erfolgte Umbauten und Sanierungen usw. ist nicht verfügbar. Aufgrund der großen Anzahl unterschiedlicher Schulerhalter und -eigentümer in Österreich und der scharfen organisatorischen Trennung zwischen den Schulen, die der Verwaltung entweder durch den Bund oder die Bundesländer unterliegen, existieren die Statistiken nur fragmentarisch und folgen vermutlich keiner einheitlichen Systematisierung. Lediglich die Gesamtanzahl der Schulen in Österreich ist bekannt. Im Schuljahr 2017/2018 wurden insgesamt 6.025 Schulen aller Schultypen gezählt, 4.489 davon sind allgemein bildende Pflichtschulen. Die Anzahl der Schulen kann mit der Anzahl der Gebäude nicht gleichgesetzt werden, da man davon ausgehen muss, dass bestimmte Schulstandorte mehrere Schulen in einem Gebäude oder in einem Gebäudekomplex beherbergen. Eine grobe Erfassung der räumlichen Ressourcen im österreichischen Schulsystem und eine kartografische Erfassung der regionalen Verteilung der Schulen sind für eine nachhaltige, strategische Entwicklung unerlässlich. Historische Gebäudebestandsdaten mit Angaben über die Bauperiode der Schulgebäude sind in der Literatur vorhanden, und zwar aus dem Jahre 1965, siehe Tabelle 2. Tabelle 2: Auswertung ML. Quelle: Hrsg. Österreichisches Bauzentrum: Schulen bauen, Wien 1966, S. 14. *In der Publikation wurde eine falsche Gesamtsumme (4.678 statt 4.286) angegeben. In der Auswertung wurde die Summe von mir korrigiert. Bauperiode

Anzahl

Prozentueller Anteil

Vor 1865

820

17,5 %

1865‒1900

798

17,1 %

1900‒1945

1.523

32,6 %

1945‒1965

1.145

24,5 %

Gesamtanzahl

4.286*

96 | Wissen über Gebäudebestände

Über die prozentuelle Verteilung der Schultypen (Volksschule, Hauptschule, Allgemeine Höhere Schule usw.) gibt es in dieser Aufstellung keine Daten. In der Bauperiode von 1900 bis 1945 kann man aufgrund historischer Recherche (siehe Kapitel » Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers«) davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Schulen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 2014 erbaut wurde. In der angeführten Statistik fehlen auch die Bauten der Boomjahre, der hochkonjunkturellen Phase von Mitte der 1960er Jahre bis zu Ölkrise 1973. In dieser Zeit, die durch die Schulreform des Jahres 1962 sowie durch den Wirtschaftsaufschwung und die geburtenstarken Jahrgänge gekennzeichnet ist, sind besonders viele neue Schulen gebaut worden. Die expansive Entwicklung des Schulwesens seit den 1960er Jahren wurde von Heinz Faßmann treffend zusammengefasst: »Die Gründung neuer Schulen, der Ausbau des Schulwesens und die Förderung des Schulbesuchs durch Maßnahmen wie Schülerfreifahrt oder die kostenlose Vergabe von Schulbüchern förderten die tatsächliche Realisierung des Schulbesuchs. Dazu kam eine bessere ökonomische Situation in vielen Familien, die Jugendliche nicht mehr in dem Ausmaß wie früher dazu zwang, sehr früh eine Berufstätigkeit aufzunehmen. In den 60er und 70er Jahren nahmen die Schülerzahlen um fast 25 % (im Vergleich zu 1951) zu, und die Schulbesuchsquote erhöhte sich auf fast 80 %. 1981 verzeichnete das österreichische Schulwesen mit insgesamt 1,39 Mio. Schülern und Schülerinnen den bisherigen Höchststand.« (2002: 19)

In der Gebäudestatistik sind Schulen Teil der Nutzungskategorie »Gebäude für Kultur- und Freizeitzwecke« sowie des »Bildungs- und Gesundheitswesens« enthalten. Aus der Tabelle 3 ist ersichtlich, der der Gebäudeanteil der Bauperiode 1960-1990 dieser Nutzungskategorie vergleichsweise hoch ist. Für den Pflichtschulbereich in Wien, beziehungsweise die Schulbauten im Eigentum der Stadt Wien, liegen detailliertere Daten vor, die im Rahmen des Schulsubstanz-Sanierungsprogrammes erhoben wurden. Für Forschungszwecke wurde dem Projekt »Baustelle Schule« dem Forschungsteam von der Magistratsabteilung 56 der Stadt Wien eine Statistik über die Pflichtschulen, die von der Stadt verwaltet und erhalten werden, zur Verfügung gestellt. Die originale Statistik gliedert die Gebäude nach 10-JahresSprüngen, im Rahmen des Forschungsprojektes wurden die Bauten neu zusammengefasst nach so genannten »Baualtersklassen«, die im folgenden Abschnitt »Klassifizierung des Schulgebäudebestandes« näher erläutert werden, strukturiert.

Klassifizierung des Schulgebäudebestandes | 97

Tabelle 3: Quelle: MA 56, Auswertung und Neugliederung der Baualtersklassen Robert Temel (im Rahmen des Projektes Baustelle Schule) Bauperiode

Anzahl

Prozentueller Anteil

178

59,1 %

5

1,7 %

Frühe Nachkriegsmoderne (1945‒1959)

13

4,3 %

Späte Nachkriegsmoderne (1960‒1969)

26

8,6 %

1970er Jahre

31

10,3 %

1980er Jahre

9

3,0 %

1990er Jahre

33

11,0 %

6

2,0 %

Gründerzeit (1865‒1918) Zwischenkriegszeit (1919‒1944)

2000-2005 Gesamtanzahl

301

Der hohe Anteil der vormodernen, gründerzeitlichen Schulbauten am Gesamtgebäudebestand in Wien ist bemerkenswert. Ähnliche Teilerfassungen des Schulgebäudebestandes wie das Wiener Beispiel existieren vermutlich als interne Daten im Bildungsministerium und in der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) sowie in den vielen städtischen Baudirektionen und bei Schulverwaltungen in den Bundesländern.

KLASSIFIZIERUNG DES SCHULGEBÄUDEBESTANDES Die große Zahl an Gebäuden macht es notwendig, den Untersuchungsgegenstand mit Hilfe von Kriterien einzugrenzen. Ziel der Differenzierung ist eine vorläufige Klassifizierung, die im Zuge der Gebäudebestandsforschung weiter verfeinert wird, und keinesfalls eine Einteilung in feste, vordefinierte Typologien.

98 | Wissen über Gebäudebestände

Einige mögliche Parameter für eine solche Eingrenzung sind: • • • • • • •

räumliche Nähe, zusammenhängende städtebauliche Einheiten wie Straßenzüge, Nachbarschaften, Quartiere, historische Genese (wie zum Beispiel alle Bauten des Roten Wien), Baualtersklasse (age class), Nutzungsklasse (use class) / klassische Typologien wie Schule, Kirche, Rathaus, Krankenhaus, Gebäudeportfolio, mit einem privaten Eigentümer / Eigentümerkonsortium, Gebäudebestände in Genossenschaften und anderen Trägern mit sozialem Auftrag.

Baualtersklasse (age class) Der Gebäudebestand wird in der Gebäudestatistik der Statistik Austria nach Bauperioden unterteilt. Der untersuchte Zeitraum umfasst somit folgende zeitliche Abschnitte: • • • •

vor 1919, 1919–1944, 1945–1960, 1961–1970.

Diese Einteilung ist verhältnismäßig grob. Der gesamte Gebäudebestand vor 1919 umfasst viele verschiedene Epochen und heterogene Baustrukturen, die zu einer großen Gruppe zusammengefasst werden. Die weitere Differenzierung der Bauperioden entspricht zum Teil den politischen Zäsuren in Österreich. Die Einteilung der Perioden nach 1962 erfolgt in Stufen von jeweils zehn Jahren. Diese Einteilung korrespondiert vermutlich mit periodischen Volkszählungen. Eine solche zeitliche Differenzierung der Bauten ist für die Gebäudebestandsforschung nicht geeignet. Dieser Zeitraum umfasst nämlich viele verschiedene Stilepochen vom Historismus über den Jugendstil und die klassische Moderne bis hin zur Nachkriegsmoderne. Ebenso werden in dem vorliegenden Schema der Bauperioden die konstruktiven und materiellen Merkmale der Gebäude, die größtenteils mit den Stilepochen korrespondieren, nicht berücksichtigt.

Klassifizierung des Schulgebäudebestandes | 99

In Deutschland wird der Begriff Baualtersklasse verwendet, eine Kategorie, die ebenfalls nicht normiert ist. Die Baualtersklasse spielt in der Voreinstufung der Gebäude bezüglich der Bewertung der Energieeffizienz, ebenso wie im Mietrecht, eine Rolle. Das Institut für Industrielle Bauproduktion (ifib) der Technischen Hochschule in Karlsruhe erstellte für die Klassifizierung der Gebäude in der Lebenszyklusanalyse die tabellarische Einteilung in Tabelle 4. Die Baualtersklasseneinteilung von Hassler et al. berücksichtigt die konstruktiven, baugeschichtlichen, normativen sowie sozial- und kulturhistorischen Rahmenbedingungen. Die Kombination von unterschiedlichen Faktoren für die Bildung der Baualtersklassen wurde für die Untersuchung des Schulgebäudebestandes übernommen und adaptiert. In Bezug auf den untersuchten Schulgebäudebestand in Österreich wurden die einzelnen Baualtersklassen durch zusätzliche spezifische Bedingungen der Schulorganisation und -politik ergänzt. Berücksichtigt wurden folgende Rahmenbedingungen: • • • • •

politisch-historische Merkmale, wirtschaftliche Entwicklung, Baukonstruktion, demografische Entwicklung und Änderungen in der Schulorganisation.

Tabelle 4: Quelle: unveröffentlichtes Manuskript, Forschungsprojekt ReCoRe (Hassler u. a. 2012: 69). Tabelle neu erstellt nach PDF-Vorlage von ML. Baugeschichtlich und bautechnologisch signifikante Perioden Baualtersklasse

Periode

AK i1

Vor 1835

Vorindustrielle Bauweise mit handwerklich geprägten Konstruktionen; energieintensive Baustoffe werden selten verwendet

AK i2

1835‒1870

Etablierung des Bauens mit industrialisierten Elementen der Eisenerzeugung

Baukonstruktive, soziale, politische und ökonomische Besonderheiten

100 | Wissen über Gebäudebestände

Baualtersklasse

Periode

Baukonstruktive, soziale, politische und ökonomische Besonderheiten

1871‒1918

Industrie, insbesondere Eisenindustrie gewinnt beherrschende Stellung in dt. Volkswirtschaft; Stahl vorherrschendes Material weitgespannter Konstruktionen; Beginn des Eisenbetonbaus ab 1900; beginnende Normierung; rasche Verdichtung und Verstädterung (Gründerzeit)

AK i4

1919‒1939

Bauten der Moderne, neue Bauverfahren werden ausprobiert innerhalb eines global handwerklich geprägten Bauens. Nach 1932 Weltwirtschaftskrise mit rückläufiger Produktion

AK i5

1940‒1947

Mangelwirtschaft mit Ersatzrohstoffen der Vorkriegs- u. Kriegsjahre

1947‒1964

Konstruktion und Bauweise ähnlich der Zwischenkriegsphase; bautechnische Veränderung durch Stahlbetondecken. Diversifizierung im Fabrikbau (Stahl) und Bürobau

1965‒1976

Rationalisiertes Bauen mit zunehmender Fertigteilproduktion (Fenster, Türen etc.). Vorfabrikation (Beton) im Wohnungbau bis 1978, Industriebau und Hochschulbau. Erste Vorhangfassaden und Leichtbauversuche

1977‒2000

1973: erste Ölkrise. Wärmeschutzvorschriften bewirken höhere Dämmung ohne neue Bauverfahren. Verbesserung bei Fenster- und Heiztechnik. Neue SIA Normen 380/1. Bauliche Erneuerung nimmt massiv zu und prägt Teile des Bestandes.

2001 ‒

Wesentlich reduzierter Energiebedarf durch massiv höhere Dämmung, Luftdichtigkeit, neue Isoliergläser. Beginn Niedrigenergiestandard, Minergie etc.

AK i3

AK i6

AK i7

AK i8

AK i9

Klassifizierung des Schulgebäudebestandes | 101

Tabelle 5: Baualtersklassen für Schulbauten in Österreich, erstellt von ML Baualtersklasse

Bauperiode

Baukonstruktive, schulorganisatorische, politische, demografische und ökonomische Merkmale

Transitionsphase Bildungssystem

BAK 1

bis 1848 vorgründerzeitlich, traditionelle Bauweise, Einführung der Schulpflicht 1774, sechsjährige öffentliche Staatsschule

Vor der Etablierung des sozio-technischen Systems und der sozio-technischen Landschaft, Nischeninnovation

BAK 2

1848– 1918

Gründerzeit, allgemeine Schulbildung, Industrialisierung, traditionelle Bauweise, normative Vorgaben für Schulbauten, wachsende Schülerzahlen

Durchsetzung des Pflichtschulsystems, Formierung des sozio-technischen Regimes, Beginn der stabilen Phase

BAK 3

1919– 1934

Zwischenkriegszeit, Rotes Wien, Schulreform (Otto Glöckel), traditionelle Bauweise mit modernen Elementen, geringe Schulbautätigkeit, 1922 Hyperinflation, ab 1929 Wirtschaftskrise, sinkende Schülerzahlen

Stabile Phase mit Nischeninnovation, Gleichgewicht zwischen den multiplen Ebenen

BAK 4

1934– 1944

Austrofaschismus, Nationalso- Stabile Phase und zialismus, Kriegswirtschaft, Ausnahmezustand geringe Schulbautätigkeit

BAK 5

1945– 1960

Wiederaufbauperiode, traditionelle Bauweisen mit modernen Elementen, Mangelwirtschaft nach dem Krieg, steigende Schülerzahlen

Stabile Phase mit geringer Nischeninnovation, Gleichgewicht zwischen den multiplen Ebenen

102 | Wissen über Gebäudebestände

Baualtersklasse

Bauperiode

Baukonstruktive, schulorganisatorische, politische, demografische und ökonomische Merkmale

Transitionsphase Bildungssystem

BAK 6

1961– 1970

späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweise, Vorfertigung und Rationalisierung, Wirtschaftsaufschwung (»Boomjahre«), Schulreform 1962, steigende Schülerzahlen (Babyboom)

Stabile Phase mit Nischeninnovation

BAK 7

1971– 1979

Fertigteilbauweise, SchulStabile Phase, zentren und Großraumschulen, wenig Nischeninnosteigende Schülerzahlen, vation Ölkrise, erste energieeffiziente Bauweisen

BAK 8

1980– 1999

Postmoderne, keine einheitlichen Typologien, ästhetische Experimente, Zerfall des Ostblocks, sinkende Schülerzahlen

Stabile Phase, wenig Nischeninnovation

BAK 9

2000– 2013

Fokus auf energieeffiziente Bauweisen (Niedrigenergie, Passivhaus, Plusenergie), Erhöhung der normativen Sicherheitsstandards, Sanierung, Einführung der Neuen Mittelschule, Senkung der maximalen Klassengröße, Einfluss der Migration

Zunahme der Nischeninnovation, zunehmende Destabilisierung des Gleichgewichts zwischen den multiplen Ebenen

Schulgebäudetypen: Klassifizierung und Abstrahierung | 103

SCHULGEBÄUDETYPEN: KLASSIFIZIERUNG UND ABSTRAHIERUNG Innerhalb der Nutzungsklasse »Schule« differenzierten sich im Laufe der Architekturgeschichte unterschiedliche Typen wie die Hallenschule, Kammschule, Pavillonschule, Atriumschule, der Schustertypus wie auch weitere heraus. Im Rahmen der Studie »Baustelle Schule« (Haselsteiner u. a. 2010), auf der die vorliegende weiterführende Untersuchung zum Teil basiert, wurde aus praktischen Gründen mit vorläufigen Schulbautypen gearbeitet. Pro Bauperiode wurde der bauzeitliche Gebäudebestand anhand von Literaturrecherchen grob erfasst und nach Besichtigungen und detaillierteren Bestandsaufnahmen vor Ort wurden für die vertiefte Bearbeitung die jeweils bauzeitlich spezifischen Schulbautypen ausgewählt. Die Hauptkriterien für die Klassifizierung waren dabei die Gebäudegröße (Volumen), die städtebauliche Verortung, die Verteilung der Baumasse, die Anordnung der Klassenzimmer und das Erschließungssystem. Für die bauzeitlich spezifischen Schultypen wurden auch in der Literatur bekannte Typologisierungen der Schulgebäude herangezogen. Durch die Literaturanalyse und die vielen Besichtigungen von Schulen vor Ort im Rahmen des Forschungsprojektes »Baustelle Schule« (siehe hierzu auch die dokumentierten Fallbeispiele) konnten für jede der Baualtersklassen im Untersuchungszeitraum spezifische, geradezu epochentypische, Schulbautypen identifiziert werden. Diese Systematisierung ist bis zur Epoche der Postmoderne beziehungsweise bis ca. 1980 möglich. Ab diesem Zeitraum kann kein charakteristischer Epochentypus mehr identifiziert werden. Die weitere Eingrenzung des Forschungsfeldes erfolgte durch die Identifizierung des dominanten Schulbautypus in der jeweiligen Baualtersklasse. Als Grundlage dienten dafür Literaturrecherchen (Standardwerke über österreichische Schulbauten und allgemeine Kompendien über die Architektur des 20. Jahrhunderts) und die Bestandsaufnahmen vor Ort. Den baualtersklassenspezifischen Schulbautypus bilden nach dieser Definition Schulbauten, die eine ähnliche Baumassenverteilung aufweisen, eine nahezu identische Erschließung und Anordnung der Klassenzimmer haben und über ein nahezu gleiches materiell-konstruktives Gefüge und Raumprogramm verfügen.

104 | Wissen über Gebäudebestände

Tabelle 6: Baualtersklasse und charakteristischer Schulbautypus, Tabelle erstellt von ML Baualtersklasse

Bauperiode

charakteristische Schulbautypen in Österreich

Vor 1948

Schulbautypologien in Entstehung, Übergang von Großraum zu seriellem Klassenzimmer und dem Prinzip der Schulklasse als ein Lehrender mit einer Lerngruppe in einem separierten Raum.

BAK 2

1848– 1919

mehrgeschossige, großvolumige Gründerzeitschule, in dichten städtischen Umgebungen, vielfach als Teil des gründerzeitlichen Blocks.

BAK 3

1919– 1934

Großvolumige, mehrgeschossige, gegliederte Schule, freistehend; sehr geringe Neubaurate

BAK 4

1934– 1944

geringe Neubautätigkeit, kein spezifischer Typus

BAK 5

1945– 1960

freistehende, eingeschossige Pavillonschule sowie kompakte mehrgeschossige Schulen in den ländlichen Gebieten, traditionelle massive Bauweisen, stark beeinflusst durch internationalen Schulbaudiskurs

BAK 6

1961– 1970

gegliederte Traktschule, 2–3 Geschosse, Stahlbetonbauweise, erste Versuche mit Vorfertigung

BAK 7

1971– 1980

kompakte Hallenschule; wenige Großraumschulen, teilweise Vorfertigung

BAK 8

1980‒ 1999

keine einheitliche Typologie, mehrgeschossig, kompakt

BAK 9

2000‒ 2013

Clusterschule, Campusschule

BAK 1

Schulgebäudetypen: Klassifizierung und Abstrahierung | 105

In der Gründerzeit ist der charakteristische Typus die große, mehrgeschossige, kompakte Doppelschule, die in der Stadt oft in die Blockrandbebauung integriert ist. In der Zwischenkriegszeit sind die seltenen Neubauten freistehende, mehrgeschossige Schulen mit eindeutiger Baumassengliederung. In der Zeit des Wiederaufbaus setzt sich, besonders am Stadtrand und unter dem Einfluss der funktionalen Architektur und der internationalen Netzwerke, die Pavillonschule (Flachbauschule) durch. Typisch für diese ist die Verflechtung der eingeschossigen Gebäudetrakte mit Frei- und Grünräumen. In den 1960er Jahren wird die Schularchitektur wieder kompakter und vor allem höher, wie auch Pausenflächen im Inneren an Bedeutung gewinnen. Zu Beginn der 1970er Jahre ist der dominierende Typus die Hallenschule. In der Postmoderne wird im Schulneubau nicht nur mit den stilistischen Versatzstücken experimentiert, sondern auch mit einzelnen Schulbautypen. Seit dem Jahr 2000 setzt sich der Typus der Clusterschule und Campusschule immer mehr durch. Die »Clusterung« findet innen, durch die Gruppierung von Klassenzimmern und die Auflösung der Klassenzimmergrenzen durch ergänzende Flächen, statt. Die Ansiedlung von verschiedenen Kinderbetreuungseinrichtungen an einem Standort kennzeichnet die Campusschule. Die Einteilung des Schulbauportfolios nach Baualtersklasse und nach charakteristischen Gebäudevolumen bzw. Schulbautypologie ist nur eine der Möglichkeiten für die Bildung abstrahierter Modelle. Wenn einmal eine umfassende Bestandsaufnahme aller Schulgebäude vorliegt, können auch viele weitere abstrahierte Schulbautypen mit Hilfe von wenigen, jedoch aussagekräftigen, Merkmalen und Kennzahlen gebildet werden. Im Rahmen der Gebäudebestandsforschung können solche Merkmale und spezifische Kennzahlen interdisziplinär bestimmt werden. Dadurch kann die Systemgrenze »Einzelobjekt« überwunden werden. Mit Hilfe abstrahierter Modelle können unterschiedliche Nutzungsszenarien schneller und leichter evaluiert werden.

106 | Wissen über Gebäudebestände

ZUSAMMENFASSUNG Evidenz-basierte und möglichst gesamthafte Daten zum Schulgebäudebestand sind für eine effiziente Schulentwicklungsplanung unerlässlich. Genauso wie selbstverständlich eine Bilanz über vorhandene finanzielle Mittel und eine Budgetprognose über erwartete Einnahmen erstellt wird, muss auch über Gebäude, Räume und Flächen Buch geführt werden. Gleichzeitiges demografisches Wachstum und Schrumpfung sowie die Veränderungen im Schulwahlverhalten erfordern eine ständige Anpassung der personellen, als auch der räumlichen Ressourcen im Bildungssystem. Wenn jedoch eine umfassendere Transformation des Bildungssystems angestrebt wird, ist eine genaue Erfassung des gesamten Schulgebäudebestandes umso dringender. Dazu gehören die Daten über die Flächenreserven und Stoffflüsse an allen Standorten, die räumliche Verteilung einzelner Schultypen und die räumlich-konstruktive Beschaffenheit von Schulhäusern. Ebenso erforderlich ist eine erste grobe Abschätzung über die Weiternutzung, Umnutzung oder Obsoleszenz der Schulstandorte unter den gegenwärtigen Bedingungen. Erst auf Basis einer gesamthaften Inventur des Gebäudebestandes kann eine Reihe von neuen Ansätzen, wie zum Beispiel die Einbettung der Bildung in die Quartiersentwicklung oder standortübergreifende Nutzung bzw. die Koppelung mit anderen öffentlichen Einrichtungen, erfolgreich eingesetzt werden. Die Foresight-Methoden, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit genutzt werden, sind nur bei einer großen Anzahl von Gebäuden sinnvoll anwendbar. Elaborierte Szenarienbasierte Planung und eine zielgerichtete Transformation in Richtung eines gewollten Zustands in der Zukunft (Backcasting) sind zu aufwändig, wenn nur einzelne Gebäude behandelt werden. Ebenso kann das GovernanceModell gemäß der Transitionstheorie nur im Kontext eines ganzen Sektors, wie zum Beispiel der Bereich der Bildung, für langfristige Übergangsprozesse eingesetzt werden.

Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

EINLEITUNG In der traditionellen Planungsmethodik und im Rahmen von Sanierungen wird die Länge der Gebäudenutzungsdauer kaum berücksichtigt. Erst durch die Entwicklung von neuen Instrumenten, wie zum Beispiel der Lebenszyklusanalyse, rückte eine langfristige Betrachtungsperspektive stärker in das Bewusstsein von Planenden und Gebäudeerhaltern. Während die notwendigen Investitionen bei Neubauten einer genauen Kostenschätzung und Kostenverfolgung unterliegen, werden die späteren, periodisch notwendigen Wartungs- und Instandsetzungskosten während der Gebäudenutzungsphase nur ungenau verfolgt. Die Einhaltung der Prinzipien der lebenszyklisch orientierten Planung wird zwar thematisiert und im Kontext nachhaltiger Planung eingefordert, die Lebenszyklusanalyse gehört allerdings nach wie vor nicht zum Standardprozedere im Planungsalltag. Längere Zeithorizonte bei der Wert- und Substanzerhaltung von Gebäuden findet man hingegen in den Prinzipien des Denkmalschutzes. Bei denkmalgeschützten Objekten unterliegen sämtliche Eingriffe dem Grundsatz der langfristigen Erhaltung der Originalzustände, selbst der Gebrauch wird durch Artikel 5 der Charta von Venedig eingeschränkt: »Die Erhaltung der Denkmäler wird immer begünstigt durch eine der Gesellschaft nützliche Funktion. Ein solcher Gebrauch ist daher wünschenswert, darf aber Struktur und Gestalt der Denkmäler nicht verändern. Nur innerhalb dieser Grenzen können durch die Entwicklung gesellschaftlicher Ansprüche und durch Nutzungsänderungen bedingte Eingriffe geplant und bewilligt werden« (Icomos 1964).

108 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

Der Anteil denkmalgeschützter Gebäude in Österreich ist vergleichsweise gering. Der Bestand unter Denkmalschutz stehender Objekte umfasste 2016 insgesamt 23.200 profane und 11.200 sakrale Objekte (Statistik Austria 2018). Der prozentuelle Anteil am Gesamtgebäudebestand20 betrug somit ca. 1,48 %. Unter der Prämisse der dauerhaften Werterhaltung von Gebäuden sind jedoch langfristige Aspekte des Denkmalschutzes zu überprüfen und gegebenenfalls auf den Gesamtbestand zu übertragen. Dies trifft allerdings nicht auf die Einschränkungen des Gebrauchs zu, denn nur durch eine langfristig gesicherte, ökonomische Nutzung von Gebäuden sind ausreichende Investitionen in die Erhaltung der Gebäudesubstanz gewährleistet. Einer der Schlüsselfaktoren in der langfristigen Erhaltungsperspektive von (Schul-)Gebäuden ist demnach der Gebrauch beziehungsweise die Kontinuität der wechselnden Nutzungen. Der gegenwärtige Bedarf und die bereits etablierten Raumprogramme bestimmen weitgehend die funktionale Programmierung von Gebäuden. Die Voraussagen über geänderte Gebrauchsanforderungen, über modifizierte Raumnutzungen und neue pädagogische Konzepte werden in der Planung erst zögerlich berücksichtigt. Nach wie vor dominiert die Ansicht, dass das Klassenzimmer nutzungsneutral ist. Schulplanungen, die auf flexiblen und adaptierbaren Gebäudekonzepten basieren, stellen deshalb eine Ausnahme dar. In der Sanierung kommen die Prinzipien der flexiblen Raumnutzung noch seltener zum Einsatz. Bei einer Schätzung des künftigen Schulraumbedarfs stehen die demografischen Prognosen über die Entwicklung von Schülerinnenzahlen im Vordergrund. Veröffentlichte Untersuchungen über die strategische Entwicklung des Schulbestandes in Österreich sind nicht verfügbar. Falls solche Studien als interne Unterlagen vorliegen, sind sie nicht öffentlich zugänglich, zumal in Österreich nach wie vor ein streng gehandhabtes Amtsgeheimnis praktiziert wird. Bei Schulneubauten gibt es in der Regel detailliert ausgearbeitete Vorgaben über die Raumwidmungen und die erforderlichen Flächen in Form von Raum- und Funktionsprogrammen, welche als Schulbaurichtlinien über Jahrzehnte unverändert geblieben sind, während sich die Schü-

20 Vorläufiger Gebäudebestand in Österreich am 31.12. 2016: 2.369.937 Gebäude (Statistik Austria 2017).

Einleitung | 109

lerpopulation und die Unterrichtspraxis in den Pflichtschulen stark gewandelt haben. Bei den bestehenden Schulen ‒ zum Beispiel in Wien ‒ wird im Zuge der Sanierung das Raumprogramm für Neubauten, zum Teil durch multifunktionelle Widmung von Schulklassen, an die vorhandenen räumlichen Strukturen angepasst. Außerdem wird der dringende Bedarf an zusätzlichen Klassenzimmern in den städtischen Ballungsräumen bei bestehenden Schulen durch die Aufstellung von temporären Pavillons und mobilen Klassen gemildert. Beide Strategien orientieren sich weitgehend an den gegenwärtigen Bedürfnissen und der aktuellen bzw. akuten Raumnot. Die bestehende räumlich-funktionale Anordnung in den Schulaltbauten bleibt im Zuge der Generalsanierung weitgehend unangetastet. Vor allem bei Substanzsanierungen wird die funktionale Struktur nicht verändert. Die Gründe für den geringen Grad der räumlichen Umstrukturierung liegen einerseits in den sehr knapp bemessenen Budgets für bauliche Maßnahmen und andererseits in großen Teilen des Bestandes in der traditionellen, wenig flexiblen Bauweise. Sowohl der institutionelle Rahmen (der Bildungssektor als sozio-technisches Regime bzw. sozio-technische Landschaft wird im Kapitel » Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand« beschrieben) als auch die Gebäude selbst, unterliegen einer sehr langsamen und dennoch steten Veränderung. Deshalb sind in der Planung und Entwicklung langfristige Zeithorizonte von besonderer Bedeutung. Dennoch ist das Fehlen der mittel- bzw. langfristigen Strategien in Bezug auf räumlich-materielle Ressourcen in Schulbau mehr als offensichtlich. Im europäischen Raum gibt es nur einige wenige strategische Ansätze, wie die Programme »Building Schools for the Future« (BSF) und »Primary Capital Programme« in Großbritannien, die 2006 ambitioniert begonnen und 2010 vorzeitig beendet wurden (den Besten u. a. 2011; Mahony und Hextall 2013). Neben dem Programm BSF sind die Studien zum Thema Schulsanierung des Hochbaudepartements Zürich im Rahmen der Gesamtstrategie »2000-WattGesellschaft« (Aumann 2012) ebenso als langfristige und strategische Planungen einzustufen. Das portfolio-basierte Modell aus Zürich wird detaillierter im Abschnitt 5.3 als Fallbeispiel vorgestellt. Abgesehen von neuen pädagogischen Anforderungen an Schulen sind in naher Zukunft zwei wesentliche Herausforderungen in existierenden Schulgebäuden zu bewältigen. Neben der Sanierung von vorhandenen Bauschäden an der Gebäudesubstanz und der Umsetzung gesteigerter normativer Vorgaben in Bezug

110 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

auf die Sicherheit, die Barrierefreiheit und die Reduktion der Treibhausemissionen, ist vor allem die Lösung des Raumbedarfs eine der wichtigsten Aufgaben bei der Bewirtschaftung des Schulgebäudebestandes. Die Wahl der Erhaltungsstrategie ist abhängig von den finanziellen Mitteln. Für bauliche Investitionen stehen in Österreich seit 2001 vergleichsweise geringe Mittel zur Verfügung. Nach OECD-Statistiken sind die Bildungsausgaben pro Schüler im primären und sekundären Bereich in Österreich im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch (OECD 2018: 5). Gründe dafür sind österreichische Spezifika wie hohe Lehrergehälter und kleinere Klassen (OECD 2018: 5). Wenngleich verhältnismäßig viele Mittel für die Bildung im Primar- und Sekundärbereich zur Verfügung stehen, fließen sie doch größtenteils in die Personalkosten und nur zu einem sehr kleinen Prozentsatz in den Schulneubau und die Erhaltung des Gebäudebestandes. Nach den Daten der Statistik Austria wurden 2016 bei den österreichischen Pflichtschulen 74% der Mittel für Personalkosten verwendet und lediglich 6% für Investitionen. Neben den Mitteln für den Neubau und die Gebäudeerhaltung sind in dieser Ausgabenart auch weitere Anlagegüter mit einer Lebensdauer von mehr als einem Jahr enthalten. Bevorzugt investiert wird in Schulneubauten. Ein aktueller Vergleich in Wien zeigt den höheren Stellenwert der Neubauten im Vergleich zum Altbestand überdeutlich. Im Sanierungspaket der Stadt Wien für die Schulsubstanzsanierung von 242 Wiener Pflichtschulen sind im Zeitraum von 2007 bis 2017 insgesamt 570 Mio. Euro vorgesehen. Für die Errichtung von elf neuen Campusschulen21 sind hingegen 700 Mio. Euro vorgesehen. Die Bestandsaufnahmen an den Schulen, die im Rahmen von Forschungsprojekt »Baustelle Schule« stattfanden, zeigen, dass die kontinuierliche Instandhaltung und Wartung sowie periodische Erneuerungszyklen vielfach nicht in ausreichendem Ausmaß durchgeführt werden. Dies aus einfachen Gründen: Einerseits wegen fehlender Mittel durch die Unterdotierung der Budgets für die Instandhaltung und die periodische Erneuerung, andererseits wegen des Fehlens einer langfristigen Entwicklungs- und Erneuerungsplanung.

21 Schultypus mit Volksschule, Kindergarten und Hort mit gemeinsam genutzten Einrichtungen an einem Standort.

Einleitung | 111

Im Schulgebäudebestand gibt es durch die geringen budgetären Mittel einen wiederkehrenden Sanierungsbedarf. Die Bausubstanz aus verschiedenen Baualtersklassen »verträgt« die mangelnde Instandhaltung unterschiedlich gut. Die traditionelle Bauweise, besonders die tragenden Bauteile, wie Decken und massive Außenwände, erweisen sich im Lebenszyklus als erstaunlich robust und unempfindlich gegen ungenügende Wartung. Bestimmte Bauteilkomponenten, die der Witterung ausgesetzt sind, zum Beispiel Fensterelemente, Dacheindeckung, klassische Edelputze und insbesondere die Gebäudetechnik, gelangen schneller als die tektonischen Gebäudestrukturen an das Ende ihrer Nutzungsdauer. Martin Hofer spricht von der »periodischen Instandsetzung in Schüben (2009: 205)«. Hofer zufolge gibt es mehrere Instandsetzungswellen: »Eine erste Instandsetzungswelle erfordert nach zwanzig oder dreissig Jahren grosse Investitionen, wenn die ersten haustechnischen Anlagen, die ersten Fassadenelemente für einen Umbau, eventuell einen Neubau oder einen Ersatz fällig werden. Die zweite, grössere Welle kommt nach ungefähr fünfzig Jahren, wobei diese Zahlen nicht auf jedes Gebäude und jeden Typ zutreffen« (2009: 205).

Die steigenden normativen Anforderungen an die Energieeffizienz und die Sicherheit machen ebenfalls den Austausch von Baukomponenten (Fenster, Brandabschnitte) notwendig. Der institutionelle Rahmen der Schulen, das Schulsystem, bestimmt größtenteils die materielle und räumliche Konzeption, wie auch die vorgeschriebene Nutzung der Schulen. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, führt das im internationalen Vergleich geringe Budget für bauliche Investitionen zu einem Sanierungsstau bei bestehenden Schulhäusern und zur Raumknappheit in den wachsenden urbanen Regionen, wie Wien, Wien-Umgebung oder Graz. Der durch das demografische Wachstum und die Migration in Ballungsräume bedingte Effekt der Raumknappheit in Schulen wurde zusätzlich durch die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl, das 2007 erfolgte, verstärkt. Diese Maßnahme wurde ohne ein kompensatorisches Schulbauprogramm umgesetzt. In schrumpfenden Regionen sind gering bemessene Budgets für die Erhaltung baulicher Strukturen ebenfalls problematisch, weil sich durch stagnierende Bevölkerungszahlen die Gemeindebudgets zusätzlich verringern. Die Gemeinden sind dadurch gezwungen eine möglicherweise in der Mittel- und

112 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

langfristigen Perspektive überdimensionierte soziale und materielle Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Normative und sicherheitstechnische Anforderungen an den Gebäudebestand werden seit Längerem laufend angehoben. Die Energieeffizienzrichtlinie der Europäischen Union, erlassen Ende 2012, schreibt in der Ziffer (17) den Mitgliedstaaten eine Verbesserung der Energieeffizienzstandards bei öffentlichen Gebäuden vor, wenn eine »größere Renovierung« (EU 2012: 17) durchgeführt wird. Bei dem Gebäudebestand im öffentlichen Eigentum kommt demnach eine strategische Vorgabe von außen hinzu: Die Senkung des Energieverbrauchs. Das ohnehin knappe Budget für bauliche Investitionen bei Schulen wird in der Praxis auf die Beseitigung gravierender Baumängel und schadhafter Bauteile, auf die Implementierung neuer Normen und auf die (temporären) Maßnahmen zur Reduktion des Raumbedarfs aufgeteilt. Für die (baulichkonstruktive) Umsetzung von innovativen Modernisierungskonzepten im Schulaltbaubestand bleiben keine finanziellen Mittel übrig. Ebenso gibt es kaum Budgets für neue Möblierung und Schulausstattung. Die heutige Schulsanierungspraxis ist vorwiegend reaktiv, beschränkt auf die Gebäudehülle, sicherheitstechnische Aspekte und konzentriert sich auf einzelne Standorte. Im vorliegenden Kapitel werden zuerst unterschiedliche Sanierungsund Erhaltungskonzepte und daraufhin die Sanierungsstrategien von Österreich und der Schweiz22 analysiert. Die vorgestellten Konzepte stellen einerseits allgemeine Erhaltungsmodelle für Altbauten, und andererseits langfristig orientierte sowie standortübergreifende und schulspezifische Ansätze dar. Vergleichende Analysen wurden für Schulsanierungsstrategien in Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich durchgeführt.

22 Die vergleichende Analyse der Fallbeispiele in diesem Kapitel beruht auf Untersuchungen, die im Rahmen der Forschungsprojektes »Baustelle Schule«, auf eigenen Erfahrungen bei zwei Schulsanierungen in Wien sowie zusätzlichen Interviews, Besichtigungen und Literaturrecherche in Zürich und in Graz, die im Rahmen des Promotionsvorhabens stattfanden.

Erhaltungsstrategien | 113

ERHALTUNGSSTRATEGIEN In diesem Abschnitt werden unterschiedliche, allgemeine Erhaltungsstrategien für Altbauten, innovative, lebenszyklisch orientierte Gebäudesanierungsansätze (»lebenszyklische Optionen«) sowie spezifische Planungsinstrumente für Schulgebäude (»Schul-Masterplanung«) vorgestellt. Allgemeine Erhaltungsstrategien für Altbauten Für die Klassifizierung der Erhaltungsstrategien wurde die Publikation »Lebenszyklusanalyse in der Gebäudeplanung« herangezogen (König u. a. 2009). Im Rahmen des Gebäudeunterhalts unterscheiden König et al. (2009: 27) vier verschiedene Erhaltungsstrategien: • • • •

die Werterhaltungsstrategie (Referenzstrategie); die Wertsteigerungsstrategie; die Low-Level-Unterhaltsstrategie; die Verlotterungsstrategie.

Dieser Klassifikation nach ist die Wiener Strategie der Substanzsanierung23 als eine Low-Level-Unterhaltsstrategie einzustufen, während die klassischen Generalsanierungen als Referenz- bzw. Werterhaltungsstrategie zu klassifizieren sind. Die Low-Level-Unterhaltsstrategie wird gewählt, »[… ] wenn die Mittel für eine Referenzstrategie zeitweise nicht vorhanden sind oder wenn Unsicherheit über die weitere Entwicklung der allgemeinen Lage besteht. Die Low-Level-Strategie kann nicht langfristig gewählt werden« (König u. a. 2009: 27).

Die Problematik beständiger Unterdotierung der Mittel für den Erhalt der baulichen Substanz von Schulen wird damit offensichtlich. Eine über längere Zeiträume anhaltende Bewirtschaftung, die auf nur notdürftige Instandsetzung der Gebäudesubstanz setzt, kann zu irreparablen Bauschäden beziehungsweise zu ökonomisch nicht sinnvollen Sanierungskosten führen.

23 Siehe Abschnitt Fallstudien Sanierungsstrategien (Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich).

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Bezogen auf Einzelgebäude und dazugehörige Bauteilkomponenten gilt es zudem, die unterschiedliche Lebensdauer der einzelnen Bauteile zu beachten. Portfolio-basierte Bewirtschaftung Die Potenziale standortübergreifender Bewirtschaftung und Nutzung, sowie die Implementierung unterschiedlicher technischer Standards im Gesamtportfolio, können ohne langfristig ausgelegte Planungsstrategie nicht genutzt werden. Bei Gebäuden im öffentlichen Eigentum ist es notwendig, das vorhandene Vermögen an Immobilien während sehr langer Zeithorizonte, unter möglichst effizientem Einsatz der Mittel, zu erhalten. Für die werterhaltende Nutzung des öffentlichen Gebäudebestandes müssen mehrere Voraussetzungen beachtet werden. Neben genauen Kenntnissen über die materiell-konstruktive sowie räumliche Zusammensetzung der Baustruktur ist die Einhaltung von notwendigen periodischen Instandhaltungszyklen zur Vermeidung gravierender Bauschäden ebenfalls von Bedeutung. Intervall bezogene größere Instandsetzungen wären idealerweise mit strategischen Modernisierungskonzepten zu verbinden. Innerhalb langer Zeithorizonte altert nicht nur die Bausubstanz, auch Nutzungen verändern sich und damit in Folge die räumliche Organisation der Funktionen. Werden die typischen Gründe für den Gebäudeabbruch analysiert, wird deutlich, dass der langfristige Gebäudeerhalt nur durch die Kontinuität der Nutzung, und die damit verbundenen periodischen Investitionen in die Bausubstanz, gewährleistet ist. Die Schulnutzung, als räumliche und pädagogische Organisation des Unterrichts, hat sich, trotz der Beibehaltung vieler traditioneller Merkmale, seit Beginn des 21. Jahrhunderts beachtlich verändert. Die Individualisierung des Unterrichts und ganztägige Schulformen verändern die Raumnutzung und den Raumbedarf besonders deutlich. Anzunehmen ist, dass der Wandel der pädagogischen Praxis in Zukunft fortgesetzt wird. Bisher wurden diese Veränderungen im Zuge der Sanierungszyklen kaum berücksichtigt. Neben einem baulichen Sanierungsstau und dem Raumbedarf in den Teilbeständen des öffentlichen Schulportfolios gibt es demnach beachtliche Defizite bei der Anpassung der Richtlinien (Raumund Funktionsprogramme) für die geänderten Nutzungsanforderungen, ebenso wie bei der Flexibilisierung starrer Raumstrukturen und Funktionen. Im Rahmen von periodischen Sanierungswellen ist es demnach ebenso wichtig, neben den bereits evidenten Gebrauchs- und Nutzungsveränderun-

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gen, künftige und zum Teil noch unbekannte Entwicklungen zu antizipieren und in den Planungsprozessen sowie bei der baulichen Umsetzung zu berücksichtigen. Eines der Instrumente, die mittelfristige Veränderungen berücksichtigen, sind Masterpläne für die Schulentwicklung, die zum Beispiel in Schuldistrikten in den USA eingesetzt werden. Masterplanung In den USA ist es zum Teil üblich, detaillierte Fünfjahrespläne für alle Schulen eines Verwaltungskreises (Schuldistrikt) zu entwickeln. Kelley D. Carey, ein Berater mit langjähriger Erfahrung in integraler Schulplanung, verfasste ein praktisches, anwendungsorientiertes Handbuch zum Thema Schulmasterplanung: »School District Master Planning. A Practical Guide to Demographics & Facilities Planning«. Solche mittelfristigen Masterpläne werden in den USA zum Teil auch von den administrativen Geldgebern gefordert. Die für die mittelfristige Planung der Schulstandorte zuständigen Schulinspektoren sind, so Carey, in der Praxis oft überfordert und verlassen sich deshalb auf externe Konsulentinnen, welche sich in der Praxis oft als nicht kompetent, mit nicht ausreichendem Know-how für die Schulmasterplanung, erweisen (2011: 8–9). Der Autor schrieb das Buch vordergründig für die Zielgruppe der Schulinspektoren, dennoch sind seine Ausführungen auch für die österreichische Verwaltung und für Planende, die sich mit Schulbau befassen, von Interesse und können adaptiert zum Teil übernommen werden. Das praxisorientierte Handbuch ist bewusst einfach geschrieben und enthält alle notwendigen Schritte für einen mittelfristig angelegten, portfolio-basierten Planungsprozess. Die Probleme, die durch willkürliche Entscheidungen und durch eine nicht-datenbasierte Planung der Schulgebäudebestände entstehen, sind prägnant beschrieben und wurden kritisch analysiert. Für willkürlich getroffene Planungsentscheidungen verwendet Carey den Begriff der »inkrementellen Planung«: »The track of decision-making for building schools, making additions, closing schools, and redesigning student attendance plans often follows what might be termed disjointed incremental planning. Incremental planning looks at what seems to be needed right now to put out a fire – without careful review to avoid unintended long-term consequences. It often appears to be data driven, but uses data snapshots that can be narrow and incomplete or underpinned by unsubstantial assumptions« (Carey 2011: 3).

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Abbildung 25: Planungsrahmen nach Kelley D. Carey: School District Master Planning, S. 12, Diagramm und Übersetzung ML

Planungsrahmen

Plan

Demografie Statt willkürlicher Planungsentscheidungen schlägt Carey (2011: 12) die Verwendung von drei interdependenten Kernelementen der Planung vor: • • •

Programme (jeweils spezifische pädagogische Konzepte), Demografie (einschließlich der Zuweisung der Schüler), Gebäudeinfrastruktur (Gebäudebestand).

Diese drei Kernelemente bilden ein Dreieck, das als Planungsrahmen dient (siehe Abbildung 25). Careys Buch behandelt zwei der drei Kernelemente im Detail: Sowohl die Erfassung der Gebäudeinfrastruktur als auch die Anwendung von demografischen Daten als Grundlage für die mittelfristige, strategische Bedarfsplanung werden besonders ausführlich beschrieben. Bei dem Thema der pädagogischen Programme, als drittes Grundlagenelement, verweist der Autor auf Experten auf diesem Gebiet. Die eingehende Behandlung der Demografie im Kontext von räumlich zusammenhängenden Territorien und die Verwendung von zeitgenössischen Planungsinstrumenten für das Mapping von Schülerinnen sind besonders interessant. Zusammenfassend ist hervorzuheben, dass der vorgeschlagene multifaktorielle Rahmen im Planungsprozess gut geeignet ist, mehrere

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Faktoren mit erheblichem Einfluss auf die künftige Nutzung von Schulen zu berücksichtigen. Der zeitliche Horizont von lediglich fünf Jahren ist allerdings etwas kurz angesichts der Determiniertheit der Bausubstanz, der Trägheit des institutionellen Rahmens bei Schulen und der langen Nutzungsdauer von Gebäuden. Die Frage nach dem sinnvollen Zeithorizont von Masterplänen für die Erhaltungs- und Bedarfsstrategien zeigt einen weiteren Forschungsbedarf auf. Diese Frage kann nur in Bezug auf die Verfügbarkeit von Daten und Prognosen sowie aus der Sicht verschiedener Disziplinen und Sektoren (Statistik, Raumplanung, Stadtplanung, Verkehrsplanung, usw.) beantwortet werden. Eine detaillierte Masterplanung für öffentliche Schulen, und alle weiteren Gebäude im öffentlichen Eigentum, soll zudem im Idealfall auch Informationen über mittel- und langfristig notwendige Investitionen liefern. Die Masterplanung für Gebäudeportfolios im öffentlichen Eigentum sollte sinnvollerweise mit einer Lebenszyklusanalyse bzw. Lebenszykluskostenanalyse gekoppelt werden. Lebenszyklische Optionen Neben den genaueren Kenntnissen über bestehende Gebäude und ihre heutige Nutzung ist es erforderlich, über Instrumente und Methoden zu verfügen, die eine Flexibilisierung des Gebrauchs ermöglichen, beziehungsweise Maßnahmen zu setzen, die die funktionale Überdeterminierung reduzieren. Die finanziellen Ressourcen für Schulinvestitionen sind schon lange knapp bemessen. Umso mehr wird es in Zukunft notwendig sein, strategisch vorzugehen. Um auf die langfristigen Entwicklungen reagieren zu können, und auch gegenwärtig getroffene Entscheidungen für künftige Herausforderungen zu verbessern, ist es unerlässlich, unvorhergesehene, zufällige, kontingente Ereignisse im Gebäude-Lebenszyklus zu erfassen. Ein solcher innovativer Ansatz für langfristige, strategische Immobilienbewirtschaftung ist das Konzept der »lifecycle options« (Lebenszyklus-optionen), entwickelt von Ian Ellingham und William Fawcett. Das Konzept der Lebenszyklusoptionen sieht vor, die sich verändernden Nutzungspotenziale im Lebenszyklus von Gebäuden mit Hilfe von »options thinking« besser zu nutzen, beziehungsweise Entscheidungen fundierter zu treffen. Lebenszyklisch orientierte Optionen ermöglichen das Verlagern von Entscheidungen (und Eingriffen) in die Zukunft, damit auf künftige, heute noch unbekannte, Nutzungsanforderungen besser reagiert werden kann (Ellingham und Fawcett 2006: 65).

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FALLSTUDIEN SANIERUNGSSTRATEGIEN Kleinere, mittlere und große Städte und Regionen in Europa unterliegen einem verschiedenartigen demografischen Wandel und verfügen über unterschiedliche Schultraditionen. Auch die finanziellen Ressourcen, die für die Investitionen in Schulgebäude zur Verfügung stehen, fallen höchst unterschiedlich aus. Die Analyse der verschiedenen Strategien in der Bewirtschaftung des Schulbaubestandes ist trotz der Unterschiede höchst aufschlussreich. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wird, neben der Darstellung von Sanierungsprogrammen in den österreichischen Städten Wien, Graz und Kapfenberg, auch die Strategie der Stadt Zürich vorgestellt. Anschließend werden die Fallbeispiele vergleichend und kritisch analysiert, dabei insbesondere im Hinblick auf langfristige Orientierung und strategische Elemente.

WIEN: SUBSTANZSANIERUNG DER PFLICHTSCHULEN Die Gemeinde Wien verfügt über 300 Schulgebäude für Pflichtschulzwecke mit einer Gesamtfläche von 1.723.000 m². Die Schultypen umfassen 352 allgemeinbildende Pflichtschulen (Volksschulen, Hauptschulen, Neue Mittelschulen, Sonderschulen und Polytechnische Schulen), sowie 24 berufsbildende Pflichtschulen. Die Mehrzahl der Schulen, ca. 59%, stammt aus der Zeit vor 1919. Die Mittel für Investitionen in den Wiener Schulgebäudebestand sind, wie bereits ausführlich behandelt, beschränkt. Seit 2001 wächst Wien kontinuierlich stark, im Zeitraum zwischen 2008 und 2018 stieg die Anzahl der Bewohner um 217.555 Personen beziehungsweise um 11,5 % (Stadt Wien 2019b). Auch die Bevölkerungsprognose der Magistratsabteilung 23 der Stadt Wien geht von einem weiteren starken Wachstum aus, das dem bisherigen Wachstum in den letzten 15 Jahren entspricht (Stadt Wien 2019a). Demnach wird im Pflichtschulbereich weiterhin ein Bedarf an zusätzlichem Schulraum bestehen, bedingt durch die konstante Nachfrage in den innerstädtischen Bezirken und in den Stadterweiterungsgebieten. Der Schulgebäudebestand der Stadt Wien weist auch im Jahr 2013 einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Gebäuden aus der Gründerzeit

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auf. Die Bauten dieser Baualtersklasse sind mit nahezu 60 % am Gesamtbaubestand vertreten. Nach der Durchführung einiger Generalsanierungen wurde 2007 ein Schulsanierungspaket beschlossen, das auf substanzerhaltenden Maßnahmen basiert und seit 2008 bei 242 Schulstandorten durchgeführt wird. Die geplante Fertigstellung ist für das Jahr 2017 vorgesehen. Veranschlagt ist ein Budget von 570 Millionen. 40% dieser Summe werden von der Stadt Wien bereitgestellt, die verbleibenden 60% tragen die einzelnen Wiener Bezirke (Bellak 2012: 30). Das Maßnahmenprogramm wurde entwickelt, nachdem herabfallende Deckenputze in zwei Wiener Schulen kritische Berichte in den Medien hervorriefen. In der Folge führte Kontrollamt der Stadt Wien 2006 die Überprüfung der sicherheitstechnischen Aspekte der Schulgebäude durch und kontrollierte, ob statische Gutachten vorliegen. Im Zuge der Überprüfung der statischen Tragfähigkeit, bei denen auch beauftragte Ziviltechniker beteiligt waren, wurden erhebliche Bauschäden an der Gebäudesubstanz festgestellt, darunter Mauerwerksfeuchtigkeit, Korrosion der Deckenstahlträger, Brandlasten auf Fluchtwegen, Putzschäden und schadhafte Baukonstruktionen, die saniert werden müssten, um die Gebäudesicherheit zu erhalten (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 14). Nachdem flächendeckende Generalsanierungen in Wien nicht finanzierbar waren, entschied man sich für die Durchführung notwendiger Maßnahmen zur Sicherung der Bausubstanz. Darüber hinaus wurde die Umsetzung höherer Standards, einerseits im Bereich des Brandschutzes und der Fluchtwege, andererseits auch in Bezug auf die Energieeffizienz der Gebäudehülle beschlossen. Im Zuge des Programms wurde eine Bestandsaufnahme an allen Schulstandorten durchgeführt, dabei wurde festgestellt, dass zwei Drittel der Wiener Schulen, die zwischen 1855 und 1991 errichtet wurden, substanzsichernde Maßnahmen benötigen (Bellak 2012: 16). Ursprünglich wollte die Stadt Wien die Planung in Eigenregie, d. h. durch verschiedene Magistratsabteilungen, durchführen. Aufgrund von zu geringen personellen Kapazitäten wurden jedoch externe Konsulenten beauftragt. Im Wesentlichen umfasst der Maßnahmenkatalog 17 einzelne Maßnahmen, die je nach Schadensgrad und Erfordernis durchgeführt wurden (Bellak 2012: 16). Der Maßnahmenkatalog besteht aus Einzelmaßnahmen, die in fünf große Gruppen zusammengefasst werden können:

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• • • • •

Instandsetzung und Sanierung der Gebäudehülle (Fassaden und Fassadenelemente, Dächer), Instandsetzung und Erneuerung der Gebäudetechnik (Haustechnik, Heizungsanlagen und Elektroinstallation), Erhöhung des Brandschutzes (Brandabschnitte und Fluchtwege), Sicherungsmaßnahmen an der Tragstruktur (gemäß statischer Gutachten), Schaffung von Tagesbetreuungseinrichtungen.

Zusätzlich sind weitere ergänzende Maßnahmen, unter anderem die Sanierung von Turnsälen, die Schaffung von neuen Klassen- und Funktionsräumen, die barrierefreie Erschließung der Gebäude sowie Umbaumaßnahmen wie der Dachgeschossumbau, Aufstockungen und Zubauten, möglich (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 91). Die Wiener Stadtverwaltung basiert auf vielen Magistratsabteilungen, die mit klar definierten Aufgaben betraut sind. Neben politischen Instanzen der Stadt Wien, wie dem amtsführenden Stadtrat und den politischen Vertretern aus den Bezirken waren drei Magistratsabteilungen mit der Durchführung des Schulsanierungsprogramms betraut. Magistratsabteilung 56, zuständig für die Erhaltung und Betrieb von Pflichtschulgebäuden übernahm den Vorsitz im Projekt. Magistratsabteilung 34 (MA 34) übernahm das Baumanagement bei den einzelnen Schulstandorten und die Gesamtsteuerung des Projekts. Magistratsabteilung 19 (MA 19) führte zu einem geringeren Teil Eigenplanungen durch und war zuständig für die Vergabe der Planungsleistungen an externe Planer und Konsulenten. Magistratsabteilung 56 (MA 56) koordinierte das gesamte Sanierungsprogramm. Der Stadtschulrat wurde bei der Erstellung von Raumprogrammen einbezogen. Bei Schulbauten, die denkmalgeschützt sind, würde auch das Bundesdenkmalamt, Landeskonservatorat für Wien, im Zuge der Sanierungsplanung konsultiert. Die involvierten Behörden sind im Projektorganigramm (Abb. 26) dargestellt. Aus dem Bericht des Österreichischen Rechnungshofes geht hervor, dass das Sanierungsprogramm mithilfe eines »Projekthandbuches« gesteuert wurde. Im Projekthandbuch wurden Angaben über die beteiligten

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Abbildung 26: Projektorganigramm nach Kontrollamtsbericht, Quelle: Kontrollamtsbericht KA-K 5/11, S. 26 PROJEKTAUFTRAGGEBER Amtsführende Stadträtin bzw. amtsführender Stadtrat LENKUNGSAUSSCHUSS Geschäftsgruppe Bildung, Jugend, Information und Sport Magistratsdirektion - Präsidialabteilung – Bereichsleitung für Dezentralisierung Magistratsdirektion Geschäftsbereich Bauten und Technik Magistratsabteilung 56 (Vorsitz) Magistratsabteilung 34 Magistratsabteilung 19 Wiener Stadtschulrat

PROJEKTKOORDINATOR

MAGISTRATSABTEILUNG 56 Errichtung, Erhaltung, Modernisierung und Verwaltung der öffentlichen Wiener Volksschulen, Neuen Mittelschulen, Sonderschulen, Polytechnischen Schulen sowie Berufsschulen

MAGISTRATSABTEILUNG 34 Grundsätzliche, strategische und operative Maßnahmen des Bau- und Gebäudemanagements für Gebäude und sonstige bauliche Anlagen des Magistrats

WIENER GEMEINDEBEZIRKE

MAGISTRATSABTEILUNG 19 Planung von öffentlichen Gebäuden

WIENER STADTSCHULRAT

Behörden aufgeführt, die Aufgaben der Ämter beschrieben, die einzelnen Prozesse definiert und die geplanten Maßnahmen für die Schulstandorte aufgelistet (Rechnungshof Österreich 2018: 28). Bei den Workshops und Interviews mit den Mitarbeitern der Magistratsabteilungen, die im Zuge des Projektes »Baustelle Schule« (Haselsteiner u. a. 2010) durchgeführt wurden, geht hervor, dass vor der Erstellung des Sanierungsprogramms eine Bestandsaufnahme an allen Schulstandorten durchgeführt wurde. Prüfung des Sanierungsprogramms durch Kontrollinstitutionen Das »Schulsanierungspaket« der Stadt Wien wurde gleich zweimal geprüft. Die erste Prüfung erfolgte 2012 durch das Kontrollamt der Stadt Wien, das zweite Mal wurde in den Jahren 2016 bis 2017 die Kontrolle der Abwicklung des Schulsanierungsprogramms vom Österreichischen Rechnungshof vorgenommen. Im Zuge der Prüfung durch das Kontrollamt wurde auch die Projektorganisation, die Kosten und stichprobenartig die durchgeführten Baumaßnahmen an einigen Schulstandorten geprüft. Eine der Oppositionsparteien (Rathausklub der Österreichischen Volkspartei) brachte 2011 den Antrag für die Überprüfung des Sanierungsprogramms ein. In dem Antrag wurde

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die Frage nach den langfristigen und strategischen Aspekten der Schulstandortplanung bzw. nach einem umfassenden Konzept gestellt (ÖVP 2011). In Beantwortung dieser Frage verweist das Kontrollamt in seinem Bericht auf das Instrument »Screening soziale Infrastruktur« und auf die bekannte Planungsstrategie »Stadtentwicklungsplan« (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 59). Das Instrument »Screening soziale Infrastruktur«, erarbeitet von der Magistratsabteilung 18 (Stadtentwicklung und Stadtplanung) unter Beteiligung der Magistratsabteilung 56 (Wiener Schulen), mit dem vorhandene Potenziale und geplante Vorhaben in Kombination mit den demografischen Prognosen evaluiert werden können, wurde nach Angaben des Kontrollamtes erst 2010 entwickelt. Aus der Tatsache, dass dieses Analyseinstrument erst 2010 entwickelt wurde, kann man ableiten, dass das Programm der Schulsubstanzsanierung, das seit 2008 implementiert wird, trotz einiger standortübergreifender und strategischer Elemente keine langfristigen konzeptuellen Elemente enthält. Ebenso ist auf den nicht bindenden Charakter des Stadtentwicklungsplanes (STEP) hinzuweisen. Der Kontrollamtsbericht der Stadt Wien beschreibt die Schulplanung wie folgt: »Die schulorganisatorischen Planungen erfolgen unter Bedachtnahme auf die Geburten-zahlen, die Entwicklung der Schülerinnen bzw. Schüler und der Klassenzahlen. Neben den Neubauvorhaben in Stadtentwicklungsgebieten werden auch Zubauten errichtet, um zusätzlichen Schulraum und zusätzliche Tagesbetreuungsplätze zu schaffen. Diese schulorganisatorischen Planungen basieren u. a. auf in regelmäßigen Abständen geführten Gesprächen der Magistratsabteilungen 10 und 56 sowie dem Stadtschulrat für Wien, in denen Festlegungen der erforderlichen Maßnahmen im Einvernehmen mit den betreffenden Bezirken fixiert werden« (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 62).

Eine langfristige, standortübergreifende und strategische Planung ist bei Schulen in Wien demnach weder Teil der Substanzsanierungsstrategie, noch generell für alle vorhandenen und neu geplanten Schulbauten vorhanden. Der Kontrollamtsbericht stellt zudem fest, dass in den 23 Wiener Gemeindebezirken unterschiedliche Instandhaltungsstrategien erkennbar waren (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 91).

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Bis Ende 2012 wurden 45 Schulen saniert (Bellak 2012: 17). Allerdings stellte das Kontrollamt 2012 fest, dass nicht alle in den einzelnen Schulen vorgesehenen Baumaßnahmen im vorgegebenen Zeitrahmen umgesetzt werden konnten, weil die finanziellen Mittel der Bezirke nicht verfügbar waren (Kontrollamt der Stadt Wien 2012). Aus dem Bericht des Kontrollamtes geht hervor, dass die Aufteilung der finanziellen Mittel auf zwei Verwaltungsinstanzen (Zentralbudget der Stadt Wien, dass 40% der Kosten übernahm, und auf die Bezirksbudgets, die für 60% der Kosten verantwortlich zeichneten) zu höchst unterschiedlichen Umsetzungsstandards in den einzelnen Bezirken führte. Nur in einigen Bezirken wurden energetische Maßnahmen wie die Dämmung der obersten Geschoßdecke umgesetzt, während andere Bezirke notwendige Sanierungen verzögerten oder unterließen (Kontrollamt der Stadt Wien 2012: 91–92). Zwischen 2016 und 2017 kontrollierte auch der Rechnungshof Österreich die Gebarung der Stadt Wien bei Abwicklung des Wiener Schulsanierungspaketes. Die Überprüfung zielte auf die Umsetzung und Organisation des Programms, das Zusammenwirken der Magistratsabteilungen (MA 19, MA 34 und MA 56) sowie die Wahrnehmung der Bauherrenaufgaben (Auftragsvergabe, Behördenverfahren, Monitoring der Baukosten und Termine) ab (Rechnungshof Österreich 2018: 7). Neben der gesamthaften Kontrolle der Abläufe und der Koordination zwischen den einzelnen Magistratsabteilungen wurden im Zuge der Gebarungsprüfung fünf Projekte detailliert untersucht, Bei der Auswahl berücksichtigte der Rechnungshof die Aktualität, Art der Sanierungsmaßnahmen, örtliche Situierung und das Projektvolumen (Rechnungshof Österreich 2018: 29). Die Aufteilung des Baubudgets auf Bezirksanteile und Anteile aus dem Zentralbudget erwies sich laut Rechnungshof als nachteilig, weil die Grundsatzbeschlüsse nicht verbindlich waren und dadurch Planungsleistungen für nicht erfolgte Sanierungsarbeiten erbracht wurden (Rechnungshof Österreich 2018: 7,61). Der Bericht legt zudem das Risiko bei länger andauernden Projekten offen: während der Projektlaufzeit ändern sich die normativen und gesetzlichen Vorgaben, und das würde eine kontinuierliche Aktualisierung des »Projekthandbuches« notwendig machen, was jedoch unterblieb (Rechnungshof Österreich 2018: 28). Gemäß Rechnungshofbericht änderten sich im Zuge der Durchführung die Bestimmungen für eine barrierefreie Gestaltung und die Bestimmungen

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der so genannten »OIB Richtlinien«24 (Rechnungshof Österreich 2018: 28). Kritisch angesehen wurde die eingeschränkte Rolle der Gemeindebezirke im Sanierungsprozess, gemäß Schlussempfehlungen wurde eine Evaluierung der Zuständigkeiten und Aufgabenwahrnehmung empfohlen (Rechnungshof Österreich 2018: 8,61). Aus den Stellungnahmen der Stadt Wien zu dem Bericht geht hervor, dass Schulen bei laufendem Betrieb saniert werden, die Baumaßnahmen werden vorwiegend in den Sommermonaten durchführt (Rechnungshof Österreich 2018: 26). Wichtige Schlussfolgerungen für die Planung von Schulsanierungsvorhaben, die über einen längeren Zeitraum umgesetzt werden ist einerseits die Beachtung von veränderten normativen bzw. gesetzlichen Rahmen, und andererseits die Berücksichtigung von stark eingeschränkten Bauzeiten aufgrund des Schulbetriebs.25 Erfahrungen im Rahmen der Sanierungsplanung Als Architektin war ich 2008 und 2009 in einer Partnerschaft mit VeitAschenbrenner-Architekten mit der Sanierung von zwei Schulen im Rahmen der Schulsubstanzsanierungsoffensive der Stadt Wien befasst. Diese spezielle Rolle ermöglichte mir einen zusätzlichen Einblick in die praktische Umsetzung des Substanzsanierungsprogramms. Die Sonderschule Franklinstraße wurde bereits im Rahmen eines früheren Forschungsprojektes bearbeitet. Unter dem Titel »Architekturhistorisch differenzierte, energetische Sanierung« wurde im Rahmen des Forschungsprojektes, finanziert

24 OIB-Richtlinien dienen der Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften in Österreich und können von den einzelnen Bundesländern durch entsprechende Bestimmungen in den jeweiligen Bauordnungen für verbindlich erklärt werden (OIB 2018). In Wien wurden die Richtlinien 1 bis 5 im Oktober 2015 für verbindlich erklärt. Insbesondere die OIB Richtlinie 2, die Flucht- und Rettungswege sowie Brandabschnitte in Schulgebäuden regelt, beeinflusst Sanierungsplanung bei Schulobjekten. 25 Das Wiener Schulsanierungspaket wurde 2018 verlängert, und bei der Planung wurden die Einschränkungen für die Durchführung der Baumaßnahmen durch den Schulbetrieb bereits berücksichtigt, das ‚Schulsanierungspaket II‘ sieht die Schaffung von Ersatzquartieren vor, die einerseits umfassendere Sanierungen einschließlich Generalsanierungen ermöglichen, und andererseits auch aufgrund der hohen Qualität der Ausführung auch als vollwertige, dauerhafte Schulstandorte genutzt werden können (Stadt Wien 2018).

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durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft, ein alternativer Sanierungsansatz erarbeitet. Dieser basierte auf der gezielten Erhaltung von historischen Bauteilen, auf einem kompensatorisch hohen Energieeffizienzstandard (Passivhaus) bei nicht sichtbaren Bauelementen und wurde durch die Installation der kontrollierten Lüftung ergänzt. Gleichzeitig wurde die Bedeutung des bauzeitlichen architektonischen Konzeptes bei Gebäuden aus der Moderne und der Nachkriegsmoderne hervorgehoben (Lorbek und Stosch 2003). Auf der Basis dieser Studie erfolgte die Einladung zum Verhandlungsverfahren für die Sanierungsplanung von zwei Schulen, darunter auch die ehemalige Sonderschule Franklinstraße. Während bei der Volksschule Brünnerstraße die Sanierung und die Umsetzung des neuen Raumkonzeptes mehr oder weniger problemlos abliefen, gestaltete sich die Planung in der Franklinstraße umso schwieriger. Die Schule ist ein ikonisches Objekt der Nachkriegsmoderne. Wilhelm Schütte, einer der Architekten im Neuen Frankfurt unter Ernst May, realisierte in Wien eine Freiluftschule nach den Grundsätzen der Reformpädagogik und der modernen Architektur, die um die flächenökonomischen Aspekte der frühen 1960er Jahre ergänzt wurde. Die Schule wurde als Sonderschule mit etwas kleineren Klassen (7 mal 7 m) geplant. Durch die Änderung der pädagogischen Prinzipien im Sonderschulbereich und die Einführung der Inklusion wurden die Schüler mit Förderbedarf in reguläre Volksschulen aufgenommen. So leerte sich die Sonderschule Franklinstraße in den Jahren 2002 und 2003 zunehmend. Die Schulnutzung beschränkte sich auf lediglich vier Klassen, weitere Klassen wurden an externe Nutzer wie zum Beispiel das Pädagogische Institut der Stadt Wien vergeben. Zu Beginn der Sanierungsplanung 2008 war die Situation eine vollkommen andere. Am Schulstandort befanden sich zwei Schulen, ein so genanntes Sonderpädagogisches Zentrum (SPZ) und die angestammte allgemeine Sonderschule (ASO). Am Schulstandort herrschte ein eklatanter Raummangel, da Räume für alle Schülerinnen, aber auch für zwei Lehrkollegien und zwei Schuldirektorinnen, notwendig waren. Die Schüler beider Schulen ergänzten sich, vor allem aufgrund der Altersunterschiede, keinesfalls. Aus diesem Grund wurde nachträglich eine Studie für einen zusätzlichen, freistehenden Schultrakt im Freiraumbereich beauftragt; der Bezirk entschied sich allerdings gegen eine Erweiterung. Im Zuge der Sanierungsplanung wurde die Schule vom Denkmalamt überprüft und gemäß Paragraph 2a des Denkmalschutzgesetzes unter

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Schutz gestellt. Die umfangreiche Sanierung und der Umbau gemäß des erstellten Sanierungskonzepts wurden nur teilweise durchgeführt. Umgesetzt wurden lediglich einige substanzerhaltende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Erneuerung der Dacheindeckung. Die Sanierungsproblematik bei dieser Schule liegt weniger an ihrem Denkmalschutzstatus, oder dem Zustand des Gebäudes an sich, sondern vielmehr an der Fehl- bzw. Überbelegung in der Nutzung. Später wurde die allgemeine Sonderschule (ASO) abgesiedelt, im Schuljahr 2013/2014 ist am Schulstandort nur mehr das Sonderpädagogische Zentrum untergebracht. Die Grenzen der bloßen Substanzsanierung, ohne einer umfassenden Allokation der räumlichen Ressourcen, sind an diesem Beispiel offensichtlich. Susanne Veit-Aschenbrenner und ich publizierten einen Aufsatz mit dem Titel »Freiluftschule Floridsdorf (1961)«, in dem die Erfahrungen im Zuge der Sanierungsplanung für die Stadt Wien geschildert und das Wiener Schulsanierungsprogramm am Beispiel des Sonderpädagogischen Zentrums (SPZ) Floridsdorf erneut analysiert wurde (2019). Abbildung 27: SPZ Franklinstraße, Haupttrakt, Wien, Foto: ML

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Abbildung 28: SPZ Franklinstraße, Turnsaaltrakt mit Garderobe, Foto: ML

Evaluierung Das Wiener Schulsanierungsprogram enthält keine konzeptuelle Entwicklungsstrategie und setzt auf Fortschreibung des Bestehenden. Dennoch können mehrere Aspekte positiv hervorgehoben werden: Die Bestandsaufnahme und Inventarisierung des gesamten Schulbaubestandes der Stadt Wien, das Kostenmonitoring und die Dokumentation der durchgeführten Baumaßnahmen. Positiv zu bewerten sind auch Interventionen, die über die reine Bauschadensbehebung hinausgehen, sowie Vorkehrungen für künftige Eingriffe. So werden zum Beispiel im Zuge der Sanitärgruppensanierung Toiletten für Menschen mit Behinderung geschaffen, obwohl die barrierefreie Erschließung und der Lifteinbau erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen werden. Nicht zuletzt wird durch das Programm der Substanzsanierung das Bewusstsein für die portfolio-basierte und langfristige Bewirtschaftung und Modernisierung von öffentlichen Gebäudebeständen geweckt. Nach dem Klassifizierungssystem von Gebäudeunterhaltstrategien

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gemäß König et al. (König u. a. 2009: 27) ist die Wiener Strategie der Substanzsanierung als Low-Level-Unterhaltstrategie mit vielen Elementen der Werterhaltungsstrategie einzustufen. Im Hinblick auf das Lebenszyklusoptionen-Konzept von Ellingham und Fawcett (2006) stellt der Substanzsanierungsansatz eine Verlagerung der wesentlichen Entscheidungen bzw. Eingriffe in die Zukunft dar. In Wien ist vor allem die getrennte (räumliche) Entwicklung der Nachmittagsbetreuung, d. h. der Horte, problematisch. Das Angebot für Ganztagsbetreuung im Altbestand ist nicht ausreichend. Auffällig bei der strategischen Bewirtschaftung von Schulen der Stadt Wien ist die strenge Trennung zwischen Neubau und Sanierung. Der Neubaubereich wird bei der Verteilung von finanziellen Mitteln bevorzugt, darüber hinaus setzt man in Wien bei Schulneubauten auf das so genannte »Campusmodell«. Bei dieser Lösung werden drei öffentliche Einrichtungen für Kinder an einem Standort vereint: der Kindergarten, der Hort und die Volksschule, als ganztägiges Bildungsmodell mit verschränkten Unterrichts- und Freizeiteinheiten (Leber 2012: 44). Solche räumlichen Ansätze sind an bestehenden Schulstandorten kaum umsetzbar. Dadurch ergibt sich ein zusätzliches Missverhältnis zwischen neuen Schulstandorten, die bestens ausgestattet sind, und dem Schulaltbaubestand, dessen Defizite ‒ Sanierungsstau, Raummangel, in den innerstädtischen Bezirken kaum vorhandene Frei- und Grünräume, barrierefreie Erschließung, usw. ‒ aufgrund von zu geringen finanziellen Investitionen auch mittelfristig nicht behoben werden.

GRAZ: SCHULENTWICKLUNGSKONZEPT, STANDORTAUFWERTUNG UND PÄDAGOGISCHE INNOVATION Die städtischen Schulen in Graz werden von der Abteilung »Bildung und Integration« strategisch entwickelt und verwaltet. Die Bauherren- und Facility-Management-Aufgaben obliegen der Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH (GBG), einem Tochterunternehmen der Stadt Graz. Der Pflichtschulbestand in Graz umfasst 37 Volksschulen, 18 Neue Mittelschulen, eine Polytechnische Schule und sechs Sonderschulen. Insgesamt gibt es ca. 60 Schulen an 42 Standorten. Die meisten Volksschulen sind 8klassige Schulen, gleichmäßig verteilt über die ganze Stadt. 2016 lebten in

Graz: Schulentwicklung, Standort und pädagogische Innovation | 129

Graz 286.686 Personen, die Bevölkerung stieg seit 1990 um ca. 21% (Magistrat Graz – Präsidialabteilung 2017: 7) Die nun nachfolgenden Angaben über die Schulgebäudebewirtschaftung in Graz basieren auf einem Interview mit Dr. Herbert Just, dem Abteilungsvorstand der Abteilung Bildung und Integration der Stadt Graz.26 Zu Beginn der 1990er Jahre bestand laut Dr. Just ein erheblicher Sanierungsbedarf. Nach 1993 wurden innerhalb von zehn Jahren alle Standorte saniert. Das Budget betrug ca. 73 Mio. Euro. Neben der Dacherneuerung erfolgten auch die Erneuerung der elektrischen Anlagen und der Fenster sowie die Anpassung an die Sicherheitsbestimmungen (insbesondere Umsetzung der Maßnahmen für den baulichen Brandschutz); Ausbau und Erweiterungen waren nicht vorgesehen. Im Jahr 2013 sind wieder Maßnahmen im Bereich der Substanzsanierung notwendig. Bei bestehenden Schulgebäuden gibt es nach Einschätzung von Dr. Just mehrere Probleme. Das erste, vordergründige Problem ist das demografische Wachstum in Graz und der damit verbundene Raumbedarf. Zweitens wird es in naher Zukunft notwendig, auch ganztägige Schulbetreuung anzubieten. Bei den vorhandenen Schulen gibt es kaum Raumangebote für eine solche erweiterte Schulnutzung. Es fehlen Räume für die Lehrenden, wie auch für die Freizeit- und die Essbereiche. Drittens, der Schulgebäudebestand entspricht nicht den neuen pädagogischen Anforderungen an die Räume. Zeitgenössische pädagogische Konzepte erfordern, nach Meinung von Dr. Just, Klassenzimmercluster, die als Einheiten von Klassenzimmern, Gruppenräumen und Lerninseln umzusetzen sind. An einem Standort wurde dieses neue Raumkonzept im Bestand realisiert. Es handelt sich dabei um die Erweiterung der Volksschule Gabelsberger, geplant von tpm-Architekten aus Graz. Bei diesem Projekt wurde das angrenzende alte Bad für Schulzwecke adaptiert. Der Stadtschulrat Graz legte ein Standortentwicklungskonzept für die städtischen Schulen bis zum Jahr 2020 fest.27 Im Rahmen dieser Studie wurde zuerst gemeinsam mit den Pädagogen ein anzustrebender Standard, das Raumprogramm, definiert. Danach wurde jeder einzelne Standard evaluiert. Dabei wurde erfasst, welche Räume vorhanden sind, wie sich die Schülerzahl voraussichtlich entwickeln wird und welche Maßnahmen bis

26 Das Interview fand am 7.3.2013 in Graz statt. 27 Es handelt sich dabei um eine interne Studie, die nicht weitergegeben werden konnte.

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2020 zusätzlich notwendig sein werden. Einer der Schwerpunkte war das Thema Tagesbetreuung, die künftig an nahezu allen Standorten angeboten werden soll. Im Rahmen dieser Studie wurden alle Investitionen in den Neubau und die Sanierungen erfasst. Die Stadt Graz verfügt allerdings nicht über ausreichende Mittel, um alle Maßnahmen umzusetzen. Die frühe Selektion im Alter von 10 Jahren hält Herbert Just für einen gravierenden Mangel im österreichischen Schulsystem. Langfristig wird es nach seiner Einschätzung, sowohl in Bezug auf die Lehrerinnen- als auch auf die Schülerpopulation, zu einer Angleichung der Unterstufen von Gymnasien und der Neuen Mittelschulen28 kommen. Die Standorte werden jedoch, seiner Meinung nach, entsprechend der Realität der politischen Standpunkte auch weiterhin getrennt geführt ‒ auch wenn er selbst ein Befürworter von Gesamtschulen ist. Eine gemeinsame Schule für alle 6- bis 15-Jährigen ist weder pädagogisch noch baulich-räumlich machbar, da die Volksschulstandorte zu klein sind. Wichtiger als die Schaffung von Gesamtschulstandorten ist seiner Meinung nach die Angleichung von pädagogischen Inhalten in derzeit unterschiedlichen Schulen und die Chancengleichheit aller Kinder. Die Frage, die im Vordergrund steht, ist die Erweiterung der Standorte mit zusätzlichen Räumen, etwas das sowohl bei gründerzeitlichen Standorten als auch bei Bauten der Nachkriegsmoderne nicht einfach ist. Der Vorkriegsbestand verfügt über kleine Höfe und kann mit Anstrengungen aufgestockt werden. Bei Schulen aus der Zeit des Wiederaufbaus ist die Aufstockung aus statischen Gründen, und zum Teil wegen Denkmalschutz, nicht möglich: Beispiel Volksschule Puntigam von Wilhem Aduatz, Traudl Ketterer und Wolfgang Windbrechtiger, erbaut zwischen 1949 und 1956. Eine Erweiterung würde die Freiräume für Schüler stark reduzieren.

28 Neue Mittelschulen (NMS) sind ehemalige Hauptschulen und Teil des österreichischen Pflichtschulsystems. Eingeführt wurden sie ab dem Schuljahr 2008/ 2009. Sie basieren auf der inneren Differenzierung des Unterrichts und individualisiertem Lernen. Das wesentliche Merkmal der NMS sind zwei Lehrpersonen, die gemeinsam unterrichten in sechs Lerneinheiten pro Woche in den Kernfächern Mathematik, Englisch und Deutsch (Krammer u. a. 2018: 103).

Kapfenberg: Generalsanierungen unter Bedingungen … | 131

Evaluierung Die Schulentwicklung in Graz wird mittelfristig, bis 2020, ausgerichtet und es wird versucht nicht die Substanzerhaltung in den Mittelpunkt zu stellen, sondern vor allem die Ganztagsschulbetreuung zu berücksichtigen. Wie überall in Österreich sind die finanziellen Mittel mehr als beschränkt. Das mittelfristige Strategiekonzept stellt die vorhandene Schullandschaft, bestehend aus vielen kleineren Einzelstandorten, verteilt über die gesamte Stadt, nicht in Frage. Positiv hervorzuheben ist die strategische Ausrichtung der Schulentwicklung, die Verwendung eines Masterplans samt Evaluierung der bestehenden Standorte und die Berücksichtigung von künftigen Anforderungen. Nach der Klassifikation von König et al. dominiert der Aspekt der Werterhaltung mit einigen Merkmalen der Wertsteigerungsstrategie. Wie viele von den erfassten und notwendigen Maßnahmen tatsächlich realisiert werden, hängt von den verfügbaren finanziellen Mitteln ab. Eine portfoliobasierte Planung und die standortübergreifende Nutzung von Einrichtungen sind nicht Teil des Entwicklungskonzeptes. Die Gesamtanzahl von Schulen ist überschaubarer als in Wien, auch dadurch ist die strategische Planung leichter. Bei der Entwicklung von strategischen Schulentwicklungsplänen ist demnach zu überprüfen, ob eine Gliederung in kleinere, zusammenhängende Distrikte die standortübergreifende, konzeptuelle Planung begünstigt. Gemäß dem Lebenszyklusoptionen-Konzept von Elligham und Fawcett (2006) werden im Rahmen der Grazer Sanierungsstrategie die wesentlichen inhärenten Optionspotenziale zwar beibehalten, jedoch nicht erhöht.

KAPFENBERG: GENERALSANIERUNGEN UNTER BEDINGUNGEN DER STAGNATION Kapfenberg ist eine kleine Stadt mit 25.219 Einwohnern (Stadtgemeinde Kapfenberg 2018: 23) und stagnierenden Bevölkerungszahlen.29 Die Entwicklung der Stadt ist eng mit den Böhler-Werken verbunden (Achleitner 1983: 218).

29 2015 wurde die Gemeinde Parschug mit Kapfenberg vereinigt, dies führte zu einer Gesamtzunahme von 1760 Personen.

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Die Stadt verfügt über acht Volksschulen, zwei Neue Mittelschulen, eine Polytechnische Schule und eine Sonderschule. Im Unterschied zu Graz und Wien stammt die Mehrheit der Pflichtschulen aus der frühen Nachkriegsmoderne (1950-1960) beziehungsweise aus der Wiederaufbauperiode (1945-1950). Während die Stadtgemeinde in den 1960er Jahren steigende Schülerzahlen und infolge der Schulreform 1962 die Reduktion der Klassenzimmerhöchstzahl beschäftigte, wird heute die Erhaltung der Schulstandorte und die gleichmäßige Verteilung der Schüler auf einzelne Schulen fokussiert.30 Kapfenberg besteht aus dem historisch gewachsenen Zentrum und den Stadtteilen, die bandartig an die Stadtmitte angeschlossen sind. Die Bandstruktur in der Stadtentwicklung geht auf die Planung von Ferdinand Schuster zurück ‒ Schuster entwarf zudem vier Schulen in Kapfenberg. Entsprechend dieser Ortsstruktur wurden die Schulen im Territorium verteilt, um alle Stadtteile zu versorgen: »Die räumliche Gliederung unseres Stadtgebietes lud förmlich zum Bau von Sprengelschulen ein, denen infolge Fehlens geeigneter Bildungsstätten eine zweite Funktion zukam, nämlich: kulturelles Zentrum für die Bevölkerung des betreffenden Gebietes zu sein« (Stadtgemeinde Kapfenberg 1965: 29).

Sabine Christian, Abteilungsleiterin in der Baudirektion der Stadt Kapfenberg veränderte während ihrer Zuständigkeit die Strategie für Schulsanierungen. Statt einer gleichmäßigen Verteilung der Mittel mit vielen Einzelmaßnahmen an unterschiedlichen Standorten, d. h. dem Prinzip der Gießkanne, setzte sie auf Generalsanierungen, in deren Rahmen die Energieeffizienz einzelner Schulen gleichfalls verbessert wurde. Bei der Sanierung der Theodor-Körner-Volks- und Hauptschule am Schirmitzbühel wurden vor der Umsetzung mehrere alternative Energieeffizienz-Standards miteinander verglichen. Schließlich wurde der bauordnungskonforme Standard ausgeführt, damit die Investitionen den Schülerinnen bzw. dem Unterricht selbst am meisten zugutekommen.

30 Die Informationen über die Sanierung beruhen auf dem Interview mit Sabine Christian sowie Be, Leiterin der Stadtbaudirektion, und den Besichtigungen vor Ort, die 2008 und 2009 im Rahmen des Forschungsprojektes »Baustelle Schule« stattfanden.

Kapfenberg: Generalsanierungen unter Bedingungen … | 133

Abbildung 29: Historische Aufnahme der Schulen am Schirmitzbühel, im Vordergrund die Volksschule und im Hintergrund die mehrgeschossige Hauptschule, jetzt Neue Mittelschule, Grundriss siehe Kapitel »Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers«, Quelle: Publikation Stadtgemeinde Kapfenberg 1965

Die Schule am Schirmitzbühel wurde von Ferdinand Schuster geplant und zwischen 1954–1960 realisiert. Spätere Erweiterungen bis zum Jahr1990 folgen der ursprünglichen Anlagestruktur mit Klassenzimmertrakten und Atrien mit Flächen für Freiluftunterricht. Typisch für die Schulen von Ferdinand Schuster ist, dass sie über große Schulklassen mit zusätzlichen Vorbereichen, Garderoben, und Arbeitsnischen verfügen. Die Klassenzimmergröße ist bei Ferdinand Schuster größer als der österreichische Standard von 63 m². Untergebracht im Gebäudekomplex am Schirmitzbühel sind neben einer Volksschule und einer Hauptschule, heute Neue Mittelschule, auch ein Kindergarten sowie ein Veranstaltungssaal. Die historische Schulanlage entspricht damit dem zeitgenössischen Modell der Wiener »Campusschule«. Der Schulgebäudebestand in Kapfenberg ist im Vergleich zu größeren Städten, wie Graz und Wien, eher untypisch. Die Tatsache, dass die Baualtersklasse der Wiederaufbauperiode und die Bauten der Boomjahre dominieren, ist möglicherweise charakteristisch für kleinere Industriestandorte in ländlichen Regionen. Diese Entwicklung ist durch das starke demografische und wirtschaftliche Wachstum und die Dezentralisierung der weiter-

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führenden Schulen in den 1960er und 1970er Jahren bedingt. Diese These wurde jedoch im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht überprüft und bedürfte einer weiteren Bearbeitung. Evaluierung Die Generalsanierungen der Schulen in Kapfenberg beinhalten keine Eingriffe in die räumliche Konstellation der Schulen. Diese Maßnahmen sind aufgrund der innovativen architektonischen Konzeption und räumlicher Großzügigkeit der Schulen auch kaum notwendig. An einem Standort, der sich selbst als Schulstadt definiert (Stadtgemeinde Kapfenberg 1965: 30) und dessen örtliche Verwaltung und Politik bemüht sind, die Abwanderung zu reduzieren, werden Schulen als Standortfaktor wahrgenommen und erhalten einen entsprechenden Status sowie ausreichende finanzielle Mittel. Bei einer überschaubaren Anzahl von Schulen ist es leichter, die Investitionen in die Bausubstanz kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Bei der Mehrheit der Standorte wurden Maßnahmen zu Verbesserung der Energieeffizienz der Gebäudehülle durchgeführt. Gemäß der Klassifikation von König et al. (2009) werden Schulsanierungen in Kapfenberg als Werterhaltungsstrategie eingestuft. Nach der Typologie der Lebenszyklusoptionen behält die gewählte Planungsstrategie einige der Optionen bei (Ellingham und Fawcett 2006). Diese Strategie ist anhand der Evaluierung der Sanierungsvarianten bei der Theodor-Körner-Volks- und Hauptschule klar erkennbar. Aufgrund der bereits durchgeführten thermischen Sanierung bei den meisten Bauten aus den 1950er und 1960er Jahren sind die Optionen in Bezug auf eine Verbesserung der thermisch-energetischen Werte der Gebäudehülle reduziert. Wegen der räumlichen Nähe zu Bruck an der Mur und aufgrund der steirischen Verwaltungsreformen, wie zum Beispiel Zusammenführung der Bezirkshauptmannschaften, erscheint eine gemeinsame Schulentwicklungsstrategie von Kapfenberg und Bruck an der Mur als ein denkbarer, zukunftsorientierter Weg. Am Beispiel der Stadt Kapfenberg wird deutlich, dass in kleineren Städten ganz andere Probleme als in wachsenden urbanen Gebieten zu bewältigen sind: Die Erhaltung von vorhandenen Schulstandorten steht im Vordergrund, die Raumressourcen hingegen sind ausreichend vorhanden.

Zürich: Schulerhaltung unter Strategie »2000-Watt-Gesellschaft « | 135

ZÜRICH: SCHULERHALTUNG UNTER GESAMTSTRATEGIE »2000-WATT-GESELLSCHAFT« Das schweizerische Bildungswesen fußt auf einem differenzierten Schulsystem. Der Pflichtschulbereich, die »obligatorische Schule«, ist in Primarschule und Sekundarstufe I unterteilt. Die Verwaltung der Schulen obliegt den Kantonen und den Gemeinden, so auch in der Stadt Zürich. Das Schulamt der Stadt Zürich ist für die organisatorische und strategische Schulentwicklung sowie für die Qualitätskontrolle zuständig. Im Hochbaudepartement ist die Abteilung Immobilien-Bewirtschaftung für das FacilityManagement bei Schulen zuständig. Das Hochbauamt, ebenfalls im Hochbaudepartement angesiedelt, koordiniert den Neubau und die Sanierung von städtischen Immobilien, darunter auch Schulen. Bei diesen Aufgaben werden in der Regel externe Planer herangezogen, die Auswahl der Planenden erfolgt im Rahmen von Wettbewerben. Der Bestand der Pflichtschulen in Zürich ist bestens dokumentiert. Das Dokument »Schulen der Stadt Zürich« enthält sämtliche inventarisierte, beziehungsweise denkmalgeschützte sowie »nicht inventarisierte« Primar- und Sekundarschulen der Stadt Zürich, die nach 1850 erbaut wurden. Die Schulen sind in Form von kurzen Steckbriefen dargestellt. Diese Steckbriefe umfassen die baugeschichtlichen Fakten sowie die Zusammenfassung späterer Eingriffe und Renovierungen. Die Beschreibungen der inventarisierten Objekte enthalten Angaben über die Typologie, die städtebauliche Situation und eine Evaluierung der baukünstlerischen Bedeutung (»Würdigung«). Die Schulen sind durch historische und zeitgenössische Aufnahmen und Pläne illustriert. Insgesamt gibt es 78 denkmalgeschützte (inventarisierte) Schulen und 38 nicht inventarisierte Schulen. »Von den 78 inventarisierten Schulhäusern gehören mehr als 20 der spätklassizistischen Epoche an, weitere 22 repräsentieren die Periode des Historismus und des Heimatstils. Folglich sind von den vor 1920 erbauten Schulhäusern nur sechs nicht im Inventar. Umgekehrt gelten von den 58 nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Schulbauten nur 24 als schutzwürdig, lediglich vier davon stammen aus der Zeit nach 1960« (Stadt Zürich 2008: 5).

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Von den rund 120 städtischen Schulen steht ein hoher Prozentsatz, mehr als die Hälfte, unter Denkmalschutz (Aumann u. a. 2011: 10) Für die Erfassung des Schulraumbedarfes gibt es im Schul- und Sportstättendepartement eine eigene Fachstelle für Schulraumplanung. Eine der wesentlichen Kennzahlen stellt der benötigte Schulraum pro Kind dar. Für die Prognosen über den Schulraumbedarf werden unter anderem die politisch-gesellschaftlichen, demografischen und pädagogischen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Die Stadt Zürich gehört zu den wirtschaftlich prosperierenden Regionen in der Schweiz und ist demnach stark wachsend. Das demografische und wirtschaftliche Wachstum bedingt sowohl eine Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum als auch die Erweiterung dazugehöriger sozialer Infrastrukturen, darunter auch Schulen. Zwischen 2000 und 2008 setzte die Stadt Zürich auf behutsame Sanierung von historischen Schulen und gleichzeitig auf den Bau von Schulerweiterungen in unmittelbarer Nähe bestehender Schulanlagen. Beispiele für diese Praxis sind die Schulanlagen Luchswiesen und Hirzenbach, im Stadtteil Zürich-Schwamendingen, sowie das Schulhaus Milchbuck. Bei den Schulanlagen Luchswiesen (s. Abb. 30 und 31) und Hirzenbach (s. Abb. 32 und 33) wurden historische Schultrakte aus den 1950er Jahren sorgfältig saniert und durch freistehende neue Trakte erweitert. Die neuen Trakte sind formal vom Bestand stark abweichend, das Bauvolumen und der Maßstab entsprechen dem historischen Bestand. Das Schulhaus »Milchbuck« stammt aus dem Jahr 1929 und ist Teil der Genossenschaftssiedlung im Milchbuck-Quartier(Stadt Zürich 2008: 80). Zwischen 2006 und 2008 wurde die Schulanlage saniert, die Grundsätze des Denkmalschutzes wurden dabei erfolgreich mit dem Vorsatz der Energieeffizienz gekoppelt (s. Abb. 34 und 35).

Zürich: Schulerhaltung unter Strategie »2000-Watt-Gesellschaft « | 137

Abbildung 30: Schulhaus Luchswiesen, Zürich, Bestandstrakt mit grüner Erweiterung im Vordergrund Foto: ML

Abbildung 31: Schule Luchswiesen, Atrium im Bereich des sanierten Altbaus mit neuen Gestaltungselementen, Foto: ML

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Abbildung 32: Schulerweiterungstrakt im Vordergrund, Schulanlage Hirzenbach, Zürich, Foto: ML

Abbildung 33: Atrium im Altbau, Schulanlage Hirzenbach, Zürich, Foto: ML

Zürich: Schulerhaltung unter Strategie »2000-Watt-Gesellschaft « | 139

Abbildung 34: Eingangsbereich Schule Milchbuck, Zürich. Foto: ML

Abbildung 35: Gangbereich mit schwer brennbarer Möblierung, Schulhaus Milchbuck, Zürich, Foto: ML

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Gesamtstrategie »2000-Watt-Gesellschaft« Seit 2008 ist die Bewirtschaftung des Schulgebäudebestandes in der Stadt Zürich in die übergeordnete Gesamtstrategie der »2000-Watt-Gesellschaft« eingebettet. Diese Strategie, initiiert und entwickelt von der ETH Zürich und von Novatlantis, zielt auf die Senkung des Primärenergieverbrauches pro Person von gegenwärtigen 6300 Watt auf 2000 Watt bis zum Jahr 2150 als ein gesamtschweizerisches Ziel (Bébie u. a. 2009: 11). Für das Schulhausportfolio der Stadt Zürich wurde von dem Amt für Hochbauten eine Studie ausgearbeitet, in der verschiedene »Szenarien« bzw. Varianten für die Reduktion der Energieverbräuche und der Treibhausgasemissionen überprüft wurden. Da mehr als 50 % der Schulen als Denkmale klassifiziert sind, war es wichtig, verschiedene, zum Teil widersprüchliche, Aspekte der künftigen Sanierungsstrategie, den Denkmalschutz und die Reduktion des Primärenergieverbrauches bzw. von Treibhausemissionen, zu vereinen. Besonders bemerkenswert ist in dieser Studie der Portfolioansatz, wodurch sehr früh im Planungsprozess »in interdisziplinärer Zusammenarbeit ein ganzes Portfolio über einen langen Zeitraum betrachtet wird« (Aumann u. a. 2011: 5). In der Studie wurden elf Schulen, die kurz vor der Sanierung stehen, detailliert untersucht. Diese Fallbeispiele wurden um zwei weitere hypothetische Schulmodelle ergänzt – eine fiktive Neubauschule und eine fiktive Schule aus den 1980er Jahren (Aumann 2012: 62). Zudem definierte man zunächst einige Grundannahmen für die Untersuchung: Unter anderem, dass der Flächenverbrauch pro Schüler bis 2050 nicht weiter zunehmen wird, dass alle Schulhäuser des Portfolios bis 2050 einmal instandgesetzt werden, und dass 8% der nicht denkmalgeschützten Schulen durch Ersatzneubauten ersetzt werden (Aumann u. a. 2011: 16). Gleichzeitig weisen die Autoren darauf hin, dass die Abteilung Immobilien-Bewirtschaftung eine Hochrechnung erstellte, wonach die Finanzierung der notwendigen Anforderungen im Zuge der Instandsetzungen, d. h. hindernisfreie Gebäude, feuerpolizeiliche Anforderungen, Standards der Ausstattung, der Denkmalpflege, der Energie, Nutzungsanforderungen und weiteres, nicht ausreichen würde (Aumann u. a. 2011: 4). Für die gewählten Fallbeispiele wurden drei verschiedene Varianten verglichen: Der Ist-Zustand, die minimalistische Variante der Sanierung mit möglichst wenigen

Zürich: Schulerhaltung unter Strategie »2000-Watt-Gesellschaft « | 141

Eingriffen in die denkmalgeschützte Substanz und eine Mischform aus beiden Varianten, genannt »Variante Konsens« (Aumann u. a. 2011: 17). Anschließend berechnete man die Verbräuche für die Primärenergie gesamt, der nicht erneuerbaren Primärenergie und die Treibhausemissionen. Die Daten von den elf untersuchten Schulen wurden dann auf das Gesamtportfolio hochgerechnet. Zu den Vorteilen dieser Methode zählt laut Anette Aumann insbesondere der Erhalt der wertvollen historischen Gebäude durch kompensatorische und erhöhte Effizienzanforderungen in den anderen Teilen des Portfolios. Einen weiteren Vorteil dieser Methode stellt die umfassende Evaluierung der unterschiedlichen Energieverbräuche (laufende Nutzung und Instandhaltung, die graue Energie, Energieverbrauch in Zusammenhang mit der Mobilität, die verursacht wird durch die Lage der Gebäude) und der Treibhausemissionen dar (Aumann 2012: 67). Die Schweizer Teilstudie zum Schulhausportfolio der Stadt Zürich ist keine planerische Realität, dennoch gibt es einige sehr interessante, wie auch einige problematische Aspekte. Die Bewirtschaftung des öffentlichen Schulbauportfolios ist Teil einer übergeordneten städtischen, beziehungsweise sogar gesamtschweizerischen, Strategie, der »2000-Watt-Gesellschaft«. Besonders innovativ ist der portfolio-basierte Ansatz, bei dem keine einheitlichen Zielwerte für einzelne Bauten vorgegeben werden, sondern vielmehr versucht wird, durch unterschiedliche Maßnahmen die Vorgaben für das Gesamtportfolio zu erzielen. Weniger überzeugend sind einige der Annahmen in der Studie, vor allem die Anregung nach der Flächenreduktion pro Schüler als eine notwendige Strategie zur Reduktion der Emissionen und des Energieverbrauches. Eine gewollte Intensivierung des zeitlichen Gebrauches sowie eine gemeinschaftliche, multifunktionale und standortübergreifende Nutzung von Schulanlagen können ebenfalls zu guten Ergebnissen in der Energiebilanz und Emissionsreduktion beitragen. Im Zusammenhang mit den aufgezeigten Potenzialen besteht noch weiterer Forschungsbedarf.

142 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

Evaluierung Schulbauszenarien in der Gesamtstrategie der »2000-Watt-Gesellschaft« Bei dem anvisierten, jedoch noch nicht realisierten Weg der Stadt Zürich zur Entwicklung ihres Schulbaubestandes handelt es sich nach der Klassifikation der Erhaltungsstrategien um eine Wertsteigerungsstrategie (König u. a. 2009). Allerdings ist die angestrebte Wertsteigerung vielfach auf das Energieverhalten und die Emissionen von Gebäuden sowie auf die Anforderungen der Denkmalpflege konzentriert. Die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit sind nicht im gleichen Ausmaß wie die ökonomischen, ökologischen und kulturellen Gesichtspunkte berücksichtigt. Die neuen Aufgaben der Schule, neben anderem vor allem die Ganztagsbetreuung, das bestehende knappe Raumangebot und die mögliche künftige Verbindung von Schulen mit den anderen sozialen und kulturellen Einrichtungen der lokalen Bildungslandschaft, werden in der Studie nicht berücksichtigt. Im Hinblick auf das Lebenszyklusoptionen-Konzept werden einige künftige Optionen im strategischen Programm nicht bedacht: Der Einfluss von innovativen und hocheffizienten neuen Technologien im Bereich der Gebäudedämmung, bzw. bei den Bauteilkomponenten der Gebäudehülle, wird als Annahme explizit nicht berücksichtigt. Ebenso werden die Auswirkungen einer Erhöhung der Nutzungsflexibilität nicht evaluiert. Weil es sich bei der Strategie der »2000-Watt-Gesellschaft« für den Schulbaubestand der Stadt Zürich derzeit nach wie vor um ein theoretisches Modell handelt, könnten bei einer Vertiefung der Studie weitere Maßnahmen, insbesondere die standortübergreifenden Nutzungskonzepte für Schulstandorte, analysiert werden. Ebenso wäre es aufgrund des »Prebound-Effektes« (Sunikka-Blank und Galvin 2012) für die Bewertung des Ist-Zustandes ratsam, statt der kalkulierten die tatsächlichen Energieverbräuche heranzuziehen. Realisierte Schulsanierungen in Zürich Bei den realisierten Sanierungen, den besichtigten Objekten inkl. Dokumentationen über die Schulsanierungen auf der Webseite des Hochbaudepartements, werden kleinere Standorte, vor allem Schulen aus den 1950er und 1960er Jahren, aufwändig denkmalgerecht saniert und durch freiste-

Vergleichende Analyse der Sanierungsstrategien | 143

hende Trakte räumlich erweitert. Beispiele für diese Art der Sanierung sind die bereits erwähnten Schulen Luchswiesen und Hirzenbach sowie viele weitere Schulen im Stadtgebiet von Zürich, die seit 2004 sukzessive saniert und umgebaut werden. Unter anderen sind dies der Schulpavillon Allenmoos II, die Schulanlagen Rebhügel, Döltschi und weitere. Die älteren Schulen aus dem 19. Jahrhundert und aus der Zwischenkriegszeit werden ebenfalls sensibel und denkmalgerecht saniert. Bei allen Sanierungen handelt es sich um Generalsanierungen. Die Eingriffe in die denkmalgeschützte Substanz sind minimal. Trotz der reduzierten Eingriffstiefe gelang beim Schulhaus Milchbuck die Umsetzung des Minergie-P-Standards in der Energieeffizienz. Die Sanierung wurde durch »Kunst-am-Bau«-Maßnahmen ergänzt, die den Schulaltbestand zusätzlich aufwerten. Die realisierten Sanierungen sind nach der Klassifikation von König et al. durchwegs als »werterhaltend«, beziehungsweise sogar als »wertsteigernd«, einzustufen. Die Erhöhung der lebenszyklischen Optionen findet man vor allem an Standorten mit zusätzlichem Raumangebot. Allerdings ist aufgrund der Bauweisen im historischen Bestand die räumliche Flexibilität eingeschränkt.

VERGLEICHENDE ANALYSE DER SANIERUNGSSTRATEGIEN Eine ideale Sanierungsstrategie ist portfolio-basiert und mittel- beziehungsweise langfristig orientiert, wobei sowohl Risiken als auch Ungewissheiten in der langfristigen Planung berücksichtigt werden. Keine der vier untersuchten Sanierungspraktiken entspricht diesem Ideal der strategischen Planung. Dennoch gibt es bei jedem der gewählten Wege gute Elemente, die es zu beachten gilt. Das Wiener Modell der Substanzsanierung ist auf den ersten Blick wenig ambitioniert. Allerdings lässt die »Low-Level-Unterhalt«-Strategie die meisten Optionen im Lebenszyklus der Gebäude offen. In Graz werden einzelne Standorte weiterentwickelt und es wird ausreichend in die Instandhaltung und die Erneuerung der Gebäude und der Baukomponenten investiert. Durch die gegenwärtig höheren Investitionen in die materielle Substanz werden jedoch die Potenziale der künftigen Optionen reduziert.

144 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

Tabelle 7: Zuordnung der Fallbeispiele gemäß Klassifizierung der Erhaltungsstrategien von König et al., Auswertung und Tabelle: ML. Erhaltungsstrategien gemäß König et al. (2009) Ort

Werterhaltungsstrategie

Wertsteigerungsstrategie

Wien



Graz



Kapfenberg





Zürich 2000 Watt









Zürich realisiert

Low-LevelUnterhaltstrategie

Verlotterungsstrategie



Die Stadtgemeinde Kapfenberg, mit einer vergleichsweise überschaubaren Anzahl von Schulstandorten, verfolgt eine Mischung aus hohen Investitionen und erhöhten Standards ‒ hier finden sich auch Elemente der bewussten Standardreduktion. Der Energieeffizienz-Standard der Schule am Schirmitzbühel wurde gemäß den Anforderungen der Bauordnung gewählt. Auf die höheren Ansprüche, wie den Niedrigenergie- bzw. Passivhausstandard, wurde bewusst verzichtet. Bei der Sanierungspraxis in Kapfenberg bleiben somit bestimmte Optionen für die Zukunft offen, dabei insbesondere die Potenziale künftiger innovativer Gebäudetechnologien. In Zürich wird die Sanierung und die Bewirtschaftung von Schulen künftig in einen größeren strategischen Rahmen eingebettet: in das Konzept der »2000-Watt-Gesellschaft«. Der anvisierte Weg in Zürich ist zwar portfolio-basiert und langfristig angelegt, das Thema der Reduktion des Energieverbrauchs und der Minimierung der Treibhausemissionen steht jedoch im Vordergrund. Aufgrund des Portfolio-Ansatzes wirkt sich der angestrebte hohe Standard bei der Gebäudehülle und -technik unterschiedlich auf künftige Optionen aus. Der hohe Grad des Denkmalschutzes im Gesamtportfolio ist dabei günstig für den Erhalt der Lebenszyklus-Optionen.

Vergleichende Analyse der Sanierungsstrategien | 145

Tabelle 8: Lebenszyklusoptionen gemäß Fawcett et al.; Auswertung und Tabelle ML Lebenszyklusoptionen gemäß Ellingham und Fawcett (2006) Ort

Erweiterungs-/ Wechseloption Aufwertungsoption

Wien





Graz





Kapfenberg





Zürich 2000 Watt





Zürich realisiert





Auflassungsoption 



Tabelle 9: Handlungsfelder und Ziele der Sanierung, Auswertung und Tabelle ML Handlungsfelder und Ziele der Sanierung Ort

Substanzerhaltung

Erneuerung

Wien





Graz





Kapfenberg





Zürich 2000 Watt





Zürich realisiert





Funktioneller Umbau 

Erweiterung

Energieeffizienz







 







146 | Erhaltungsstrategien und Schulgebäudebestand

ZUSAMMENFASSUNG Die Optimierung der Energieeffizienz und die Beseitigung von Bauschäden sind dominierende Ziele bei Schulsanierungen in Wien, Graz, Kapfenberg und Zürich. Die Umsetzung neuer pädagogischer Konzepte oder funktionaler Flexibilisierung spielt bei allen Modellen eine nachrangige Rolle. Keines der Sanierungsmodelle verfolgt eine längerfristige Strategie und inkludiert mehrere Handlungsfelder. Das langfristige, strategische Konzept der Stadt Zürich ist auf das Handlungsfeld der Emissionsreduktion ausgerichtet und zudem nach wie vor in der Planungsphase. Dennoch ist das Schweizer Modell, vor allem wegen seiner Portfolio-basierten Ausrichtung, bemerkenswert. Der Portfolio-Ansatz, die Auflösung der Systemgrenze »Einzelgebäude«, ist bei Schulen besonders vielversprechend. Schulen in räumlicher Nähe können durch Vernetzung und durch die Öffnung zum Quartier eine optimierte Nutzung von räumlichen und personellen Ressourcen erreichen. Bei den untersuchten Sanierungsprogrammen wurde dieses Potential noch nicht ausgelotet. Die Werterhaltungsstrategie findet man bei allen Sanierungsansätzen. Bei aufwändigen Generalsanierungen mit Erweiterungstrakten in Zürich sind sowohl die Werterhaltung als auch die Wertsteigerung besonders ausgeprägt. Die Auswertung anhand von Lebenszyklusoptionen ergibt, dass die Wiener Strategie der Substanzsanierung am besten abschneidet und bei den drei wesentlichen Optionen das Potenzial für künftige Änderungen offenlässt. Sanierungsprogramme und die Bewirtschaftung vorhandener Raumressourcen sollten in Zukunft gemeinsam mit allgemeinen Schulentwicklungsplanungen festgelegt und abgestimmt werden. Das vorgestellte Modell der Schul-Masterplanung kann für die Anforderungen im österreichischen Schulwesen adaptiert werden. Die langfristige Gebäudelebensdauer ist bei Sanierungsplanungen ebenfalls zu beachten. Der Ansatz der Lebenszyklusoptionen (Ellingham und Fawcett 2006) erlaubt die Integration von Unsicherheiten bei der Entscheidungsfindung für Sanierungen. Foresight-Methoden, die im Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting« vorgestellt werden, ermöglichen die Verankerung von unbekannten Faktoren in der Planung.

Szenarioentwicklung und Backcasting

EINLEITUNG Das Organisationsprinzip des Schulsystems und die Dynamik von Transformationsprozessen im Bildungssektor können mittels Transitionstheorie analysiert werden. Der Theorieansatz kann jedoch sowohl die mittel- bis langfristigen Folgen heutiger Entscheidungen als auch alternative Entwicklungen nicht erfassen. Das ist besonders relevant für die Bewirtschaftung bestehender Schulbauten. Aufgrund der langen Nutzdauer von Gebäuden ist es notwendig die künftigen Veränderungen und die Unvorhersehbarkeit des Gebrauches zu berücksichtigen. Bei den Schulbauten, die ein wesentlicher Teil des öffentlichen Gebäudeportfolios darstellen, können prognostische »foresight tools«, wie zum Beispiel die Methode der Szenarioentwicklung, helfen die Bewirtschaftung der Schulhäuser als langfristig werterhaltend bzw. wertsteigernd anzulegen. In der Raumplanung, einer Disziplin, in der traditionell mit langen Zeithorizonten gearbeitet wird, gibt es bereits zahlreiche Anwendungen der Szenariomethode. Die großen öffentlichen Gebäudebestände sind bestens geeignet für die Portfolio-orientierte Bewirtschaftung und standortübergreifende Nutzung. Schulhäuser, Verwaltungsgebäude und Bauten für Gesundheits- und Daseinsvorsorge werden trotz allgemeiner Privatisierungstendenzen weiterhin im öffentlichen Eigentum verbleiben und ihren gemeinnützigen Charakter beibehalten. Die Schule – als eine Institution und als Alltagsort ‒ wird sich künftig aufgrund des gesellschaftlichen, demografischen und ökonomischen Wandels, aber auch infolge von politischen Entwicklungen grundlegend verändern. Diese vielen möglichen künftigen Entwicklungen im Bildungssektor sollten akribisch analysiert werden, um dadurch in der Lage zu sein, sowohl

148 | Szenarioentwicklung und Backcasting

bei der Modernisierung als auch bei der bloßen Instandhaltung resiliente und robuste Entscheidungen für den Schulgebäudebestand treffen zu können. Nicht zuletzt gilt es, die Werterhaltung- und Wertsteigerung im Umgang mit den öffentlichen Bauten stärker zu beachten. Beginnend mit der Diagnose: »ALL BUILDINGS are predictions. All predictions are wrong« (1994: 178) schlug Stewart Brand bereits 1994 vor Szenario-Techniken auch in der Gebäudeplanung anzuwenden: »I suggest that there is a tool ready to hand, not used by the design profession before, that could be as useful to a home owner - builder as to a city planner. The tool called scenario planning, has been evolving quietly for thirty years, first in a military context, later by corporations forced to think ten years ahead by a business environment which had become so turbulent that traditional forecasting was useless. The product of a skilled scenario work is not a plan but a strategy. Where a plan is based on prediction, a strategy is designed to encompass unforeseeably changing conditions. A good strategy ensures that, no matter what happens, you always have maneuvering room« (Brand 1994: 178).

Diese Idee fand bisher wenig Beachtung.

SZENARIOENTWICKLUNG: GESCHICHTE, METHODIK UND TYPOLOGIE Geschichte Wie bereits aus dem Zitat von Steward Brand hervorgeht, entstand die Szenario-basierte Planung nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext militärisch-strategischer Planungen in den USA. Die U.S. Air Force arbeitete in dieser Zeit mit Szenarien, um sich in die Denkweise der Gegner hineinversetzen zu können. Damit wurden alternative Strategien entwickelt. Hermann Kahn, der ebenfalls am Projekt der U.S. Air Force beteiligt war, verfeinerte die Methode in den 1960er Jahren für wirtschaftliche Anwendungen (Schwartz 1996: 7). Die Entscheidungsfindungen auf der Basis der Szenarioplanung sind als eine Reaktion auf die plötzliche und extreme Unsicherheit im Klima des Kalten Krieges zu betrachten (Salewski 2012: 21). Die Verbreitung und die Popularität davon Szenarien als ein Management-

Szenarioentwicklung: Geschichte, Methodik und Typologie | 149

Tool einzusetzen, beruht auf der Weiterentwicklung der Methode durch den Royal Dutch / Shell Mitarbeiter Pierre Wack (Van der Heijden 2005: 4). In einer Studie über die künftige Entwicklung des Ölmarktes definierte Wack neben einer Prognose über die konventionelle Evolution des Marktes (stabile Ölpreise) ein weiteres Szenario, in dem der Anstieg der Ölpreise, hervorgerufen durch die OPEC, und das anschließende langsame Wachstum der Ölindustrie, beschrieben wurde. Im Unterschied zu den Mitbewerbern am Markt war das Management von Royal Durch / Shell auf die künftige Entwicklung vorbereitet (Schwartz 1996: 8–9). Statt einer singulären Strategie, die zielgerichtet verfolgt wird, verwendete man mehrere Szenarien, um die »strategische Konversation« (Van der Heijden 2005: 43-44) wesentlicher Akteure in Gang zu setzen und ungewöhnliche Ideen zu generieren sowie ausgetretene Pfade in der langfristigen Planung zu verlassen. Das »Denken in Szenarien« basiert auf der Idee einer multiplen Zukunft und auf der Beschreibung der Zukunft in komplexen Bildern (Gausemeier u. a. 1996: 83). Wichtig ist zudem die Abgrenzung der Szenarien von Prognosen. Gausemeier et al. unterteilen die »Zukunftsbilder« in Prognosen, Vorhersagen und Projektionen (1996: 33). Bei einer Prognose gibt es aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit keine Notwendigkeit für alternative Zukunftsbilder. Bei Vorhersagen gibt es keine hohe Wahrscheinlichkeit und bei Projektionen, die auch »Bilder ungewisser Zukunftssituation« enthalten, sind Eintrittswahrscheinlichkeiten nicht relevant (Gausemeier u. a. 1996: 34). Szenarien sind keine Zukunftsvoraussagen, sondern behandeln vielmehr die Wahrnehmung der Zukunft in der Gegenwart, so fasst Peter Schwartz das Konzept von Szenarien zusammen (1996: 36). Ebenso treffend formuliert es Michel Godet (2000: 18): »A scenario is not a future reality but a way of foreseeing the future, therefore throwing light on the present in terms of all possible and desirable futures.« Szenarien in disziplinären Anwendungen Szenarioplanung wurde zunächst im strategischen Unternehmensmanagement aufgegriffen. Szenariomethoden, Theoriebildung und vor allem praktische Anwendung durchlief drei Phasen, die von Spaniol und Rowland treffend analysiert und charakterisiert wurden (2018: 35–36). In der ersten Phase zwischen 1960 und 1980 wurde Szenarioplanung, inspiriert durch den Erfolg von Shell, von vielen Unternehmen und Akademikern aufgegriffen (Spaniol und Rowland 2018: 35). Die zweite Phase der Entwicklung,

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von 1980 bis Mitte der 1990er Jahre, ist gekennzeichnet durch die Vereinfachung der Methode durch die Einführung der »2  2 Szenariomatrix (Spaniol und Rowland 2018: 36). In der dritten Phase der Szenarioplanung, von der Mitte der 1990er Jahre bis heute identifizierten Spaniol und Rowland zahlreiche Studien, die auf dem »scenario planning paradox« beruhen: durch neue Theorien soll die unzureichende Theoriebildung und durch zusätzliche eingeführte Typologien soll die methodische Unzulänglichkeit der Szenarioplanung beseitigt werden (2018: 36). Die Autoren schlagen vor, diese Paradoxon auf zwei Arten zu lösen: ein Ausweg ist sich zu konzentrieren auf vertiefte empirische Studien, und der andere: die Vielfalt der Methoden und Theorien als Bereicherung zu akzeptieren (Spaniol und Rowland 2018: 33). Szenariobasierte Planung ist heute in der Forschung über Energiesysteme, in der Raumplanung und in den Umweltstudien bereits etabliert. In der Raumplanung, einem Feld, in dem traditionell mit längerfristig gefassten Zeithorizonten gearbeitet wird, wurde Szenarioentwicklung bereits in den 1970er Jahren aufgegriffen. Christian Salewski liefert in seiner Publikation über die Szenarioplanung in den Niederlanden zwischen 1970 und 2000 nicht nur eine detaillierte und kritische Analyse über die Anwendung der Methode in der niederländischen Raumplanung, sein Buch enthält auch ein ausführliches Kapitel über die historische Entwicklung der szenariobasierten Planung (2012). Der Sammelband »Szenarioplanung in Städten und Regionen«, herausgegeben von Ingo Neumann, enthält theoretische Grundlagen und Praxisbeispiele im deutschsprachigen Raum für SzenarioAnwendungen in der Raumplanung, unter den Praxisbeispielen wird auch die szenariobasierte Planung der Stadt Linz vorgestellt (2005). In einigen Studien über die künftige Entwicklung von Schulsystemen wurde ebenfalls die Szenariomethode angewandt. Das »Centre for Educational Research and Innovation« (CERI), eine OECD-Forschungseinrichtung, wendete die Methode der Szenarioentwicklung an, um verschiedene Szenarien über die Entwicklung der Schulsysteme zu generieren. Daraus resultierten zwei Publikationen: »What Schools for the Future?« (OECD 2001) und »Think Scenarios, Rethink Education« (OECD 2006), in denen jeweils sechs verschiedene Szenarien für die globale Entwicklung von Schulsystemen in einem mittel- bis langfristigen Zeithorizont (15-20 Jahre) entwickelt wurden. OECD veröffentlicht regelmäßig die Publikation »Trends Shaping Education« (2019). Nach Kategorien eingeteilten Trends in diesen OECD Veröf-

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fentlichungen sind eine wertvolle Grundlage für die Arbeit mit der Szenariomethode. Alle Szenarien- und Trenduntersuchungen der OECD befassen sich nur am Rande mit der Zukunft von Schulgebäuden, da die organisatorische Entwicklung des institutionellen Rahmens der Schulen im Vordergrund steht. Die Szenariomethode wird im Unternehmensmanagement und in der Organisationsentwicklung, in der Raumplanung, in der Energiewirtschaft und weiteren Disziplinen schon lange angewandt und verfeinert. Vorhandene Erfahrungen können genutzt werden, um die Methode erfolgreich in das Feld der Architektur zu übertragen: bei der Konzeption und Umnutzung von Gebäuden, in der Sanierungsplanung sowie bei langfristig angelegten Nutzungskonzepten für Gebäudeportfolien. Szenariotypen und -techniken Nach der Einführung der szenariobasierten Planung entstanden unterschiedliche Szenariotypen und mehrere Techniken für die Entwicklung und Generierung von Szenarien. Das 2  2 Matrix-Modell »Royal Dutch Shell / Global Business Network (GBN)«, das ursprünglich von Pierre Wack für Royal Dutch Shell entwickelt wurde und in der Folge von Peter Schwartz und Kees van der Heijden popularisiert wurde, ist eine der meist verbreiteten Technik für die Generierung von Szenarien (Bishop u. a. 2007: 5,14). Einen sehr guten Überblick über die verschiedenen Szenariotypen und -techniken bieten zwei Publikationen von Börjeson et al.: Die ausführliche Fassung »Towards a user’s guide to scenarios – a report on scenario types and scenario techniques« (Börjeson u. a. 2005) und die komprimierte Zusammenfassung unter dem Titel: »Scenario types and techniques: Towards a user’s guide« (Börjeson u. a. 2006). Beide Aufsätze bieten eine Übersicht über die bisherigen Typologien von Szenarien und unterteilen die möglichen Szenarioarten in drei Kategorien und sechs Typen. Darüber hinaus geht es um grundsätzliche Fragen, die ein potenzieller Anwender der Szenariotechnik stellt. Drei Fragen sind: »Was wird geschehen?«, »Was kann geschehen?« und »Wie kann ein spezifisches Ziel erreicht werden?« (Börjeson u. a. 2006: 725). Dadurch ergeben sich drei Typen von Szenarien: Voraussagende, explorative und normative Szenarien, denen Börjeson et al. jeweils zwei Typen zuordnen (siehe hierzu Abb. 36).

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Abbildung 36: Szenario-Typologie mit drei Kategorien und sechs Typen, Quelle: Lorbek, erstellt nach Börjeson et al. 2006 Scenarios

Predictive Forecasts

What-if

Explorative External

Strategic

Predictive Preserving Transforming

Explorative Szenarien, die im Rahmen der vorliegenden Studie (Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes«) verwendet wurden, unterteilen Börjeson et al. in strategische und externe Szenarien, die wie folgt definiert werden: »The explorative scenarios are defined by the fact that they respond to the question What can happen? We distinguish between the two types, external scenarios and strategic scenarios. External scenarios respond to the user’s question: What can happen to the development of external factors? Strategic scenarios respond to the question: What can happen if we act in a certain way« (2005: 18).

Szenario Techniken und Instrumente Die Techniken für die Szenariogenerierung werden von Börjeson et al. (2006) auf drei verschiedene Prozesse unterteilt: • • •

Ideengenerierung und Datensammlung; Integration der Ideen und Daten; Überprüfung der Übereinstimmung.

Gemäß Börjeson et al. werden in der Phase der Ideengenerierung Befragungen, Gruppendiskussionen, Workshops und die Delphi-Methode31

31 Delphi-Methode (in der klassischen Variante) sammelt und harmonisiert Meinungen von Experten zu einem bestimmten Thema. Die Methode basiert auf der Annahme, dass die Beurteilung durch informierte Menschen und Experten valide Prognosen liefert. (Börjeson, Höjer, et al., Scenario types and techniques: Towards a user’s guide. 2006).

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angewandt, um ein breites Spektrum von Ideen zu generieren (2006: 733). In der Integrationsphase kommt vor allem die Modellierung zum Tragen, um aus den Ideen und Daten umfassende und konsistente Beschreibungen zu erhalten. Die drei Modellierungstechniken sind die Zeitreihenanalyse (quantitative Technik für Prognosen basierend auf historischen Daten) sowie zwei Arten von Computersimulationen: Die explorative und die optimierende Modellierung (Börjeson u. a. 2005: 733). Szenarien und Gebäudebestandsforschung Szenarioentwicklungen für einzelne Gebäude erscheinen nicht sinnvoll, da solche prognostischen Instrumente vielmehr für die Anwendung im Zusammenhang mit Gebäudebeständen geeignet sind. Dies vor allem dann, wenn sich das Gebäudeportfolio im öffentlichen Eigentum befindet. Neben der klassischen Szenarioentwicklung können dann auch Simulationen und datenbasierte Modelle eingesetzt werden. Voraussetzung dafür sind umfangreiche, aggregierte Daten über den Gebäudebestand beziehungsweise Gebäudeportfolio. Naheliegend für die Anwendung im Gebäudesektor sind Szenarien über die Entwicklung von Lebenszykluskosten, über die künftigen Energieverbräuche sowie Szenarien über Stoffflüsse bei unterschiedlichen Bewirtschaftungsszenarien für Gebäude. Die ständige Ergänzung der Datenbasis mit Informationen über erfolgte Instandsetzungen, Sanierungen und Schadensfälle ist die notwendige Grundlage für diese prognostischen Modellierungen. Ebenso kann mittels Szenarioentwicklung eine Evaluierung des Flächenverbrauchs in Verbindung mit unterschiedlichen Szenarien zur zukünftigen Entwicklung der Gebäudenutzung durchgeführt werden. Szenario-basierte Analysen von möglichen Entwicklungen in einer längerfristigen Perspektive sind besonders geeignet für Gebäude der wohlfahrtstaatlichen Institutionen, wie zum Beispiel Gesundheitseinrichtungen sowie Bauten für Daseinsvorsorge, Verwaltungsbauten sowie Gebäudebestand des Bildungssektors: Kindergärten, Schulen und Universitäten.

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BACKCASTING Bei den klassischen Foresight-Methoden, insbesondere bei der szenariobasierten Planung, geht es um die Bestimmung plausibler und wahrscheinlicher Entwicklungen in der Zukunft. Die wahrscheinlichste Szenariovariante ist in vielen Fällen nicht das gewollte Ziel (Robinson 2003: 842). Unter den Szenarien über die Entwicklung der Schule als Institution (sozio-technisches Regime) und als Gebäudebestand ist ein sehr wahrscheinliches Szenario die Fortführung der bisherigen Politik und Traditionen (siehe hierzu auch Szenario »Differenzierung« in Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes«.) Diese Szenarioart wird auch »Business as usual«-Szenario genannt. Um jedoch eine Transformation des Schulsystems zu erreichen, sind Kenntnisse über die systemische Wirkungsweise des Bildungssektors und die plausiblen Prognosen im Rahmen von Szenarien nicht ausreichend. Die mittel- und langfristigen Ziele bei der Modernisierung von Schulen sind relativ eindeutig und leiten sich einerseits aus den heutigen Prämissen, Trends und externen Faktoren ab, vor allem aber von bereits heute bekannten längerfristigen gesellschaftlichen Zielen und Werten. In Bezug auf Bildung sind das vor allem der Grundsatz der Chancengerechtigkeit, unabhängig vom sozialen Hintergrund, und die Erfordernis des Kompetenzerwerbs für die selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Bei den langfristigen Zielen bezüglich des öffentlichen Schulgebäudebestands geht es um die Erhaltung des öffentlichen Eigentums, um die wertsteigernde Bewirtschaftung sowie um die Ermöglichung unterschiedlicher, zum Teil heute noch unbekannter, Nutzungsarten und Funktionen. Alle genannten Ziele korrespondieren zum Teil mit den gesellschaftlichen Idealen, die im Konzept der Nachhaltigkeit enthalten sind. Die Grundsätze der gleichberechtigten Teilhabe und sozialen Durchlässigkeit durch Bildung sind vor allem in sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit enthalten, die ressourcensensible und wertsteigernde Gebäudebewirtschaftung hingegen in den ökologischen, ökonomischen und kulturellen Bereichen der Nachhaltigkeit enthalten. Das etablierte Schulsystem als auch die praktizierte Schulgebäudebewirtschaftung verfehlen allerdings mehrheitlich die gesteckten Ziele. Das Schulsystem, und mit ihm der Gebäudebestand, sind mittel- und langfristig transformativ zu verändern. Dazu eignet sich eine bestimmte Art von prognostischen Instrumenten besonders. Das Backcasting ist eine spezifische Art von norma-

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tiven, transformativen Szenarien. Quist und Vegragt liefern in ihrem Aufsatz »Past and future of backcasting: The shift to stakeholder participation and a proposal for a methodological framework« eine kurze Geschichte des Backcasting (2006: 1029–1030). Laut Quist und Vergragt stammt der methodische Ansatz ursprünglich aus den 1970er Jahren: Amory Lovins entwickelte 1976 eine alternative Methode für die prognostische Berechnung des Strombedarfs, und nannte es »backwards looking analysis« (2006: 1029). Lovins schlug vor an Stelle von verschiedenen möglichen Zukunftsperspektiven eine erwünschte künftige Entwicklung bzw. ein Ziel zu beschreiben und von diesem Punkt in der Zukunft Schritte und Maßnahmen zu definieren, um das antizipierte Ziel zu erreichen (Quist und Vergragt 2006: 1029). Der Begriff ›Backcasting‹ wurde zunächst 1982 von Robinson verwendet, in einem Aufsatz mit dem Titel »Energy backcasting: a proposed method of policy analysis« (Robinson 2003: 841; Quist und Vergragt 2006: 1029, 1043). Ein wesentlicher Schritt der Methode des Backcastings ist die Untersuchung, wie ein anvisiertes Ziel bzw. ein Zustand in der Zukunft erreicht werden kann: Von einem geplanten und gewollten (End-)Zustand in der Zukunft arbeitet man rückwärts, und definiert Schritte und Maßnahmen, die notwendig sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Im Unterschied zu rein prognostischen Szenarien soll diese Methode vor allem die Machbarkeit der gewählten Ziele überprüfen (Robinson 2003: 842). Beim Backcasting muss sowohl eine Definition der bevorzugten Ziele, als auch eine ausführliche Beschreibung der komplexen sozialen oder natürlichen Umwelt vorliegen (Robinson 2003: 843). Robinson zufolge spielt bei Backcasting die Einbindung von alternativen Vorstellungen und Werten eine große Rolle (2003: 844). Die Einbindung abweichender Vorstellungen erfolgt laut Autor auf zwei Arten: einerseits durch die Berücksichtigung allgemein anerkannter Visionen, wie zum Beispiel dem ›soft energy path‹32 und der nachhaltigen Gesellschaft und andererseits durch die Einbindung von Stakeholdern und Bürgerinnen bei der Bewertung und Entwicklung von Szenarien (Robinson 2003: 844). Im Rahmen von Stakeholderworkshops, die im Rahmen der vorliegenden Studie stattfanden, artikulierten Workshopteilnehmer sowohl die erwünschten

32 Energiesysteme, basierend auf Energieeffizienz und erneuerbaren Primärenergiequellen.

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als auch die erwarteten Ziele der zukünftigen Schule (siehe hierzu Abschnitte »Workshopdiskussionen« und »Schlüsselfaktoren und Auswertung«). Durch die Beteiligung von wichtigen Stakeholdern und der Bevölkerung entwickelte sich das Backcasting Robinson zufolge im Laufe der Zeit zunehmend zu einer Form des sozialen Lernens über die erwünschte Zukunft (2003: 852–853). Backcasting führt dadurch zu strukturierten Aushandlungsprozessen über zukünftige Optionen, Konsequenzen und Kompromisse, in die gleichermaßen Expertinnen, Bevölkerung und Stakeholder involviert sind. Laut Dreborg (1996: 816), der grundlegende theoretische Annahmen im Hintergrund des Backcasting erforschte, eignet sich diese Art der Szenarioentwicklung besonders gut für langfristige und komplexe gesellschaftliche Probleme sowie für die Umsetzung tiefgreifender Änderungen. Höjer, Gullberg und Petterson (2011: 820) identifizierten beim Backcasting vier unterschiedliche Ansätze: • • • •

den partizipativen Backcasting-Ansatz mit Schwerpunkt auf sozialem Lernen; Pfad-orientierter Backcasting-Ansatz, in dem Pfade zu Zukunftsbildern verfolgt werden; Prinzipien-basiertes Backcasting mit festgelegten Prinzipien, die befolgt werden anstatt definierter Schritte und schließlich Ziel-basiertes Backcasting, dem Ziele, und Beschreibungen, wie Ziele erreicht werden können, zugrunde liegen.

Gemäß Höjer et al. kann das Backcasting in vier Schritte unterteilt werden, wobei in der ersten Phase das langfristige Ziel für das untersuchte System festgelegt wird. Das gewählte Ziel sollte bedeutsam sein und nicht einfach erreichbar. In einem weiteren Schritt wird überprüft, ob dies gemäß vorliegender Prognosen und im Rahmen bestehender Strukturen erreicht werden kann. Wenn sich herausstellt, dass bei der eingeschlagenen Entwicklung die Ziele verfehlt werden, werden in einem dritten Schritt Zukunftsvorstellungen entwickelt, die das anvisierte Ziel erreichen können. In einem vierten Schritt werden die Zukunftsvorstellungen analysiert. Dabei wird geprüft, ob die Zukunftsvorstellungen auch jenseits der Zielvorgabe erwünscht sind. Ebenso werden zudem die Wege zur Realisierung der Zukunftsvorstellungen definiert (Höjer u. a. 2011: 821).

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GRUNDLAGEN FÜR DIE SZENARIOENTWICKLUNG Einleitung Unabhängig davon, ob sich die sozio-technischen Ebenen bereits im Ungleichgewicht befinden, stellt sich die Frage, in welche Richtung sich das Schulsystem künftig entwickeln wird. Wie sieht die Schule der Zukunft aus? Was passiert, wenn keine Reformen stattfinden? Was verändert sich, wenn der Einfluss des privaten Kapitals zunimmt? Welchen Einfluss haben externe Faktoren, wie die demografische, politische und wirtschaftliche Entwicklung, Migration oder Klimawandel auf das Bildungssystem? Und am Wichtigsten: Wie kann eine Transformation des Schulsystems in Richtung Chancengerechtigkeit, dem Erreichen individueller Lernziele für die Mehrheit der Schülerinnen und ein flächendeckendes Ganztagsangebot erfolgreich umgesetzt werden? Wie kann der Schulgebäudebestand, als nicht erneuerbare kulturelle Ressource, für die Schule der Zukunft adaptiert werden? Die Zukunftsforschung hatte in der Architektur- und in der Planungstheorie (mit Ausnahme der Raumplanung) bisher keine Bedeutung. Angesicht der langen Planungshorizonte und lang andauernder Transformationsprozesse für komplexe Sektoren wie dem Schulsystem, ist es notwendig, die entwickelten Methoden anderer Disziplinen zu analysieren und für die Anwendung im Planungsbereich zu adaptieren. Das Bildungssystem, als Teil des wohlfahrtstaatlichen Regimes, ist ein entscheidender Faktor für die soziale Durchlässigkeit und Chancengleichheit sowie durch die Ausbildung von kompetenten Fachkräften ein Garant für die zukunftsfähige Entwicklung der nationalen Wirtschaft. Das Pflichtschulsystem ist, ebenso wie das Prinzip der staatlichen Finanzierung von öffentlichen und konfessionellen Schulen, rechtlich fest verankert. Privat finanzierte Schulen und private Investitionen im Schulbau gewinnen inzwischen in Teilbereichen des Schulsystems zunehmend an Bedeutung. Die Werte und die grundlegenden Ziele von Bildung sind nach wie vor anerkannt. Zu den entscheidenden und gesellschaftlich anerkannten Handlungsfeldern im Schulsystem zählen gemäß Artikel 14, Ziffer (5a) und (6) des Bundesverfassungsgesetzes (B-VG 1945), unter anderem:

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• • • • • •

die Ermöglichung bestmöglicher Bildung unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund individuelle Lernbefähigung; Erreichung individueller Bildungsziele; die Erziehung zu autonomen und toleranten Bürgern die Ausbildung von fachkundigen Arbeitnehmern und Unternehmern; die Unterstützung von Eltern in der Erziehung; die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit durch Betreuung

Die Ausbildung von Fachkräften für den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort ist eines der ältesten Ziele des staatlichen Bildungssystems. Weitere Ziele, wie die Chancengleichheit, Autonomie und Unterstützung von Familien und Frauen etablierten sich erst später. Die Analyse des Bildungssystems mit den Mitteln der Transitionstheorie (siehe Kapitel »Transitionstheorie, Schulsystem und Schulgebäudebestand« und Kapitel »Eine kurze Geschichte des seriellen Klassenzimmers«), dabei insbesondere die Multi-Ebenen Perspektive, lässt einen weitgehend stabilen Zustand des Systems auf der Ebene der sozio-technischen Landschaft erkennen. In der Frage eines Gesamtschulsystems versus eines differenzierten Schulsystems gibt es in den politischen Lagern eine starke Polarisierung. Die Ziele und Werte der sozio-technischen Landschaft weichen stark von den tatsächlichen Ergebnissen, die das Schulsystem als sozio-technisches Regime liefert, ab. Die verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze der Chancengerechtigkeit und des Kompetenzerwerbs werden trotz hoher Investitionen in das Bildungssystem teilweise verfehlt, im öffentlichen Diskurs wird davon gesprochen, dass Bildung vererbt wird. Am Faktor »Kompetenzerwerb« ist die Korrelation zwischen sozialer Herkunft und fehlenden Kompetenzen eindeutig erkennbar. Aus dem Bericht »Schlussfolgerungen aus dem nationalen Bildungsbericht 2012« geht hervor, dass Schüler mit schwachem sozialem und/oder migrantischem Hintergrund am Ende der Pflichtschulzeit stärker von Kompetenzarmut betroffen sind (Bacher und Eder 2013: 5). Zusammenfassend wird von den Autoren postuliert: »Insgesamt ergibt sich damit ein ambivalentes Bild. Der Anteil der Jugendlichen, die die Schule frühzeitig verlassen, ist im europäischen Vergleich sehr gering. Im Unterschied dazu ist der Anteil der Jugendlichen mit nicht ausreichenden fachlichen Kompetenzen für eine erfolgreiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im internationalen Maßstab sehr hoch« (Bacher und Eder 2013: 4).

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Nicht nur wird das Ziel der individuellen Kompetenz nicht erreicht, auch die Absicht, durch gut ausgebildete Fachkräfte den Wirtschaftsstandort zu stärken und zu sichern, wird verfehlt. Der geringe Anteil an schulischer Tagesbetreuung im Volksschulbereich, wie auch in den Haupt- und Neuen Mittelschulen, zeigt zudem, dass die Bildungsziele: Unterstützung der Eltern bei der Erziehung und Bildung, sowie die Förderung der Frauenerwerbstätigkeit, nicht erreicht werden. Evidenzbasierte Bildungsforschung und Vergleiche mit den OECD-Ländern zeigen deutlich, dass eine tiefgehende Umstrukturierung des Schulsystems notwendig ist. Die unzulängliche Instandsetzung und Erneuerung der Bausubstanz führt zu einem Sanierungsstau, Bauschäden und zu Wertverlusten im öffentlichen Eigentum. Im Rahmen derzeitiger Finanzierungen sind bei bestehenden Schulen umfassende Umbaumaßnahmen sowie die Anpassung der funktionalen Raumstruktur an die neuen Anforderungen notwendig: Offene Unterrichtsformen, Ganztagsunterricht und Individualisierung. Die zusätzlichen Flächen für Lehrerinnenarbeitsplätze und Ganztagsinfrastrukturen, sowie zusätzliche Klassenzimmer in den wachsenden Städten, sind in der Budgetplanung nicht ausreichend berücksichtigt. Vor allem das nicht Erreichen der Bildungsziele, beziehungsweise der Kernkompetenzen, lässt erkennen, dass das sozio-technische Regime bereits destabilisiert ist. Die Ebene der Nischeninnovation ist allerding noch zu schwach, um das etablierte Regime zu ersetzen. Dies wirft einige Fragen auf: Wie wird sich das Schulsystem in der Zukunft entwickeln? Was passiert, wenn am bisherigen Modell »Business as usual« festgehalten wird? Was passiert, wenn die Schulen in eine tiefe Krise geraten? Wie sieht die Vision einer idealen Schule aus, und wie kann eine solche Vision umgesetzt werden? Und nicht zuletzt: Wie wirken sich diese unterschiedlichen Entwicklungen auf die Eigentumsstruktur und die materielle Bausubstanz der öffentlichen Schulen aus? In diesem Kapitel vorgestellte Foresight-Methoden kommen dabei zum Einsatz und werden experimentell am Beispiel des öffentlichen Schulgebäudebestands angewandt. Die Methode der szenariobasierten Planung und des Backcasting wurden bisher im Bereich von öffentlichen Gebäudebeständen, sowohl im Neubaubereich als auch in der Sanierung, kaum verwendet. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf etablierte Instrumen-

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te und Methodiken aus anderen Disziplinen, insbesondere auf die szenariobasierte Planung in der Organisationsentwicklung, zurückgegriffen. Das Forschungsdesign basiert auf dem Typus des »explorativen Szenarios«. Verwendet wurde das klassische Matrixmodell, das auf Schlüsseltrends aufbaut und von Royal Dutch Shell / Global Business Network entwickelt wurde und im Aufsatz »Plotting Your Scenarios« von Ogilvy and Schwarz (Ogilvy und Schwartz 2004) dargestellt wurde. Die Matrixachsen für den Schulgebäudebestand basieren einerseits auf der Auswertung und Gewichtung der Schlüsselfaktoren im Rahmen von Workshops sowie auf zwei weiteren Matrixmodellen: Erstens der Gebäudebestandsmatrix entwickelt von Joe Ravetz (2008) und zweitens dem Matrixmodell für Schulsysteme von Jean-Michel Sausoiss, konzipiert im Rahmen der OECD-Studie »Think Scenarios, Rethink Education« (2006).

FORSCHUNGSDESIGN: DETAILLIERTES KONZEPT Der Text »Plotting Your Szenarios« (Ogilvy und Schwartz 2004) beschreibt den Prozess der Szenarioentwicklung, getrennt nach unterschiedlichen Phasen, anschaulich und praxisorientiert. Dieser klassische Modell der Szenarioentwicklung basiert einerseits auf der Generierung und Gewichtung von Schlüsselfaktoren (key drivers) und der daraus resultierenden Szenariomatrix, von Ogilvy und Schwartz auch als »deduktiver Ansatz« (2004: 4) klassifiziert. Das Forschungsdesign basiert größtenteils auf der von Schwarz und Ogilvy beschriebenen Methodik. Zusätzliche wichtige Quellen für die Adaptierung der Methodik waren unter anderem die Publikationen »Szenario-Management: Planen und Führen mit Szenarien« von Gausemeier et al. (1996), das Kapitel »Scenario development: a typology of approaches« von Philip Van Noten aus der OECD Studie »Think Scenarios, Rethink Education« (van Notten 2006), sowie der Aufsatz »Exploring scenarios for the future of energy management in UK property« von Parkinson et al (2012).

Forschungsdesign: detailliertes Konzept | 161

Gemäß den Szenariophasen von van Notten (2006: 79) wird der intuitive Szenarioprozess in folgende Phasen unterteilt: • • • • •

Definition des Untersuchungsgebietes, Problemstellung Identifizierung und Beschreibung relevanter Schlüsselfaktoren (key drivers) Gewichtung der wesentlichen Faktoren Festlegung einer Szenariomatrix Szenarioelaborierung

Diese fünf Phasen der Szenarioentwicklung wie vorgeschlagen von van Notten wurden in der vorliegenden Studie übernommen. Beschreibung der Methodik und der Vorgangsweise nach Phasen Definition des Untersuchungsgebietes, Problemstellung Im Mittelpunkt der Arbeit steht die mittelfristige Entwicklung der Schule als ein soziales System, das sowohl in dem institutionellen Rahmen des Schulsystems und der Pädagogik als auch in den bestehenden materiellen und räumlichen Strukturen eingebettet ist. Schulen werden sich künftig aufgrund von gesellschaftlichen, demografischen und ökonomischen, aber auch von politischen Entwicklungen grundlegend verändern. Es gilt, diese multiplen Zukünfte zu erfassen, um im Zuge der Modernisierung des Gebäudebestandes nachhaltige und robuste Entscheidungen zu treffen. Identifizierung und Beschreibung relevanter Schlüsselfaktoren Die Identifikation und Gewichtung der Schlüsselfaktoren erfolgte in drei Workshops mit Expertinnen aus Pädagogik, Verwaltung, Schulentwicklung und Planung. Gearbeitet wurde zunächst mit einer vorläufigen Liste von Schlüsselfaktoren (key drivers), diese wurden durch Literaturrecherche und einem Brainstorming und einer Diskussion mit meinem Promotionsbetreuer Christian Kühn generiert. Die Faktoren wurden nach dem Schema »STEEP« (social, technological, economical, ecological, political factors) organisiert.

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Zu Beginn der Workshops fanden jeweils zwei Diskussionen zum Thema der Zukunft der Schule statt. Die Frage an die Diskutierenden lautete: »Wie wird sich die Schule bis 2025 entwickeln?« Die Frage wurde einmal in Hinblick auf die pädagogischen Trends, und einmal mit Schwerpunkt auf Gebäude beziehungsweise den Gebäudebestand diskutiert. Die Gruppendiskussionen wurden transkribiert und die wesentlichen Aussagen zusammengefasst. Danach wurden in den Workshops die Liste der Schlüsselfaktoren diskutiert und ergänzt. Nach den Workshops wurden die Schlüsselfaktoren von den Teilnehmern bewertet. Gewichtung der wesentlichen Faktoren Als nächster Schritt ist die Identifizierung von vorbestimmten Faktoren und unvermeidbaren Entwicklungen, sowie von Faktoren mit größtem Grad der Ungewissheit und Kontingenz, notwendig (Ogilvy und Schwartz 2004: 5). Die Gewichtung der Faktoren durch die Teilnehmer erfolgte nach dem Workshop einzeln und schriftlich. Festlegung der Szenariomatrix Die Szenariomatrix ermöglicht die Reduktion von unzähligen Szenarien auf eine überschaubare Anzahl von drei bis vier Szenarien inklusive einer Beschreibung der künftigen Entwicklungen. Szenariomodelle können auch eine dritte Achse beziehungsweise Dimension enthalten. Am zielführendsten ist es, sich auf zwei Dimensionen in der Matrix zu beschränken (Ogilvy und Schwartz 2004: 8). Die Festlegung der Szenariomatrix in der vorliegenden Arbeit basierte einerseits auf der Gewichtung der Faktoren sowie der Berücksichtigung der allgemeinen Szenariomatrix für die Zukunftsaussichten von Gebäudebeständen, die von Joe Ravetz entwickelt wurde, wie ebenso der OECD Szenariomatrix für Schulsysteme und -bildung. Die vier Szenarien wurden in dieser Phase grob umrissen und in das Achsensystem der Szenariomatrix eingeordnet. Bestimmte wesentliche Trends und Schlüsselfaktoren sind Teil der Handlung in mehreren Szenarien, wie zum Beispiel demografische Entwicklungen (Ogilvy und Schwartz 2004: 9).

Workshop-Diskussionen | 163

Szenarioelaborierung Mit der Szenarioausarbeitung kann begonnen werden, nachdem die Achsen festgelegt und die drei bis vier Szenarien in die Achsen-Quadranten zugeordnet wurden. Die Systemtheorie, das diagrammatische Mapping von Schlüsselfaktoren, die Arbeit am Geschichtsaufbau sowie die Verwendung von Charakteren in den narrativen Erzählungen sind laut Ogilvy und Schwarz mögliche Methoden und theoretische Ansätze für die Ausarbeitung und Vertiefung einzelner Szenarien (Ogilvy und Schwartz 2004: 10). Für die Szenarien über die Zukunft des Schulgebäudebestandes wurde das diagrammatische Mapping von Schlüsselfaktoren aus der Gewichtungstabelle verwendet und um die Trends und zusammengefasste Einschätzungen aus den Workshopdiskussionen ergänzt. Backcasting Eines der Szenarien – das transformative Szenario »Integrierte Schulregion« (siehe Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes«) ‒ wird im Sinne des Backcastingansatzes vertieft. Bei der Entstehung des Backcastingszenarios stand die Entwicklung von Zukunftsbildern im Vordergrund. Vor allem die Darstellung des strategischen und wertsteigernden Planungsprozesses für den Schulgebäudebestand ist dabei von Bedeutung.

WORKSHOP-DISKUSSIONEN Zusammenfassung Workshop-Diskussionen33 Erste Diskussion Die Architektur von Schulgebäuden und die Funktionalität der Räume sind wesentliche Erfolgsfaktoren für den Unterricht beziehungsweise für das Lernen und Lehren in Schulen. Die Beziehung zwischen dem pädagogischen Konzept und der Schularchitektur wird von den Diskutierenden als

33 Im Idealfall der Szenarioentwicklung würden die Teilnehmer auch an den Szenarionarrativen (Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes«) mitarbeiten.

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eine Korrelation angesehen. Es handelt sich dabei aber um keine kausale Beziehung. Bei der Anpassung von Gebäuden an die pädagogischen Konzepte sollte vorsichtig vorgegangen werden, zudem sollten mehrere neue Anforderungen, die im Zuge der Sanierung, wie zum Beispiel der Denkmalschutz, integral eingebunden werden. Die Rolle der Lehrer wird als wesentlich hervorgehoben. Thematisiert wird der Unterschied zwischen den theoretisch forschenden Pädagogen und den praktisch Lehrenden. Angesichts der knappen Mittel für Investitionen wird von den Workshop Teilnehmern befürchtet, dass sich die sozialen Differenzen im Bereich der Bildung weiter vertiefen werden. Bildungsferne und -nahe Schichten werden durch die Marktorientierung und Privatisierungen weiter auseinanderdriften, wird attestiert. In Zusammenhang mit Marktmechanismen und der Vermarktung von Schulen wäre es denkbar die öffentlichen Schulen auch über den Faktor »Raum« zu positionieren. Bei Investitionen, die in Wien heute in die Sanierung fließen, wird kritisiert, dass diese weitgehend für die Anhebung der baulichen Standards, wie z. B. für den Brandschutz, verwendet werden. Die Chance Schulen im Zuge der Sanierung funktional an neue pädagogische Anforderungen anzupassen, wird nicht genutzt. Die verwaltungsorganisatorische Verteilung der Sanierungskosten auf unterschiedliche Bezirke in Wien wird ebenfalls kritisch angesehen. Die steigenden normativen Anforderungen beeinflussen die Investitionen in den Schulgebäudebestand. Nicht nur bei Schulgebäuden, auch im sozialen Wohnbau, haben neue Normen und höhere Standards (der Brandschutz, die Barrierefreiheit, die Energieeffizienz) auf die Baukosten enorme Auswirkungen. Die gesetzliche Vorgabe, wonach das gesamte Gebäude barrierefrei zu gestalten ist, wird im Workshop angezweifelt. Die Verhältnismäßigkeit der Normen sollte einer öffentlichen Diskussion fernab der Normungsausschüsse unterzogen werden, wird angemerkt. In Hinblick auf den Zeithorizont 2025 wird prognostiziert, dass sich das Wohlstandsniveau auf einer niedrigeren Ebene einpendeln wird, weshalb die normativen Standards nicht mehr ansteigen werden. Von den wesentlichen Akteurinnen, wie den Architektinnen, den Bauträgern und mittlerweile auch den Behörden, gibt es Bestrebungen die Normen zu überarbeiten und vor allem zu vereinfachen. Auch für Ressourcen wie die Klassenzimmergröße, den Flächen- und Energieverbrauch wird in Zukunft der Grundsatz »less is more« gelten. Allerdings wird von den Diskutierenden festgehalten, dass in Wien

Workshop-Diskussionen | 165

derzeit und in den nächsten Jahren sehr viele zusätzliche Klassenzimmer benötigt werden. Dabei wird von Hunderten zusätzlich notwendigen Klassenzimmern gesprochen. Die heute praktizierte Form der Bewirtschaftung wird als ein Improvisieren auf hohem Niveau bezeichnet. Trotzdem wird an der nicht sinnvollen Trennung zwischen der Schule und dem Hort, bis hin zu Unterscheidungen bei der Höhe der Geländer und der Anzahl der Toiletten, weiterhin festgehalten, so die Teilnehmer. Die Umsetzung der strategischen, langfristigen Planung für Schulen in Wien scheitert auch an der Struktur der Verwaltung (unterschiedliche Magistratsabteilung, politische Konkurrenz, Interessenskonflikte mit den Bezirken usw.) Einer der Teilnehmer ist der Meinung, dass sich in Wien künftig alternative Modelle der Finanzierung der dazugehörigen Infrastrukturen durchsetzen werden. Bei den großen Stadterweiterungszonen werden die Bauträger stärker in die Finanzierung der materiellen und sozialen Infrastrukturen, darunter auch Schulen, einbezogen werden. Einig waren sich die Teilnehmer darüber, dass unterschiedliche Bedingungen für die Schulentwicklung in ländlichen Regionen und in wachsenden Städten existieren. Während in Wien um fehlende Klassenzimmer gerungen wird, geht es in kleinen Städten um Themen wie den Schulüberhang, die Sprengelzusammenlegungen und um Schulschließungen. In der Zukunft wird die Bedeutung von Bildungsentwicklungsplänen weiterhin zunehmen, wird von dieser Workshopgruppe prognostiziert. Diese werden sowohl in der wachsenden Stadt als auch in einer stabilen oder schrumpfenden Region zu einem wichtigen Instrument der Steuerung. In den wachsenden urbanen Agglomerationen wird das Problem der zusätzlich notwendigen Raumressourcen auch durch temporäre Lösungen, erweiterbare Standorte und abschnittsweise Realisierungen gelöst werden. Zweite Workshopdiskussion Gleich zu Beginn der Diskussion wird festgestellt, dass die Zeitspanne bis 2025 nur zwölf Jahre34 umfasst. Angesichts der Trägheit der österreichischen Bildungspolitik sind in einer so kurzen Periode keine gravierenden Veränderungen zu erwarten. Noch weniger kann von visionären Entwicklungen ausgegangen werden, ist ein Befund der Gruppe. Dennoch wird es

34 Workshopdiskussionen fanden 2014 statt.

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zu entscheidenden Umgestaltungen im Schulsystem kommen. Ein Trend mit besonders starken Auswirkungen wird von neuen Lehrerinnen erwartet. Bereits in sechs Jahren wird die neue Lehrergeneration, die bereits die neue Ausbildung absolviert hat, ihren Dienst in den Schulen antreten. Neben den klassisch ausgebildeten Lehrenden werden in Zukunft ebenso zunehmend Quereinsteigerinnen tätig sein. Die Anforderungen an Schulleitungen werden sich dadurch notwendigerweise verändern. Die Attraktivität der Schulleitungspositionen hat bereits heute stark gelitten, für manche Schulbereiche gibt es kaum Bewerbungen. Um die Attraktivität des Lehrberufes und die Leitungsfunktion zu steigern, wird es notwendig, die Schulautonomie in der Praxis tatsächlich zu realisieren. Übergeordnete Hierarchieebenen, wie die Landesschulräte sollten abgeschafft werden. In Bezug auf die Schulreorganisationen dominiert bei den Diskussionsteilnehmenden eine eher pessimistische Einschätzung. In Österreich gibt es generell sehr wenig Spielraum für die Strukturreformen in der Verwaltung und für die Reduktion der föderalen Strukturen. Deshalb sind die Erwartungen der WorkshopTeilnehmer für die Umsetzung von Reformen im Schulsystem eher moderat. Die Entwicklung zur »Zwei-Schulen-Gesellschaft«, auf der einen Seite die gut ausgestatten Schulen, und auf der anderen Seite die benachteiligten Schulen, wird sich weiter vertiefen beziehungsweise sogar verfestigen. Der Trend zur segregierten Schullandschaft, mit einerseits guten und innovativen privaten und öffentlichen Schulen auf der einen Seite, und andererseits »melting pots« in den sozialen Brennpunkten, wird sich nach Meinung dieser Gruppe zunehmend verstärken. Die Teilnehmerinnen sind sich sicher, dass es in der Zukunft viele Ganztagsschulen geben wird. Diese Entwicklung erfordert die Adaptierung von bestehenden Schulgebäuden, insbesondere bei den Gründerzeitschulen. Man wird viele zusätzliche Räume, von den Aufenthaltsräumen bis hin zu den Küchen und den Speiseräumen, schaffen müssen. Für die Freizeitnutzung sollte man öffentliche Flächen für die Schulnutzung heranziehen. Eine Mehrfachnutzung von Räumen und hybride Raumstrukturen werden an Bedeutung gewinnen. Der zusätzliche Raumbedarf wird bewirken, dass Schulen verstärkt auf die räumlichen Ressourcen in der Nachbarschaft und im Stadtteil zurückgreifen. Allerdings wird nicht erwartet, dass es einen stärkeren Austausch zwischen den Schulen und ihrem räumlichen Umfeld geben wird, die Schulen werden zumindest in der Stadt ihren hermetischen Charakter beibehalten. In ländlichen Regionen mit demografischer Schrumpfung wird erwartet, dass dennoch

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weitere soziale Einrichtungen an den Schulstandorten angesiedelt werden, um diese Schulstandorte zu erhalten. Die kleinen Klassen (zum Beispiel nur zwölf Kinder in der Klasse) können von den Gemeinden auch als ein positiver pädagogischer Faktor vermarktet werden. Vom Zeitraum bis 2025 wird erwartet, dass sich Schulen in den ländlichen Regionen zu sozialen und kulturellen Zentren entwickeln. Nicht ausgeschlossen ist diese Entwicklung auch für die sogenannten »Grätzeln«35 in Wien. Der lokale Bezug zum Stadtteil wird an Bedeutung zunehmen, prognostiziert die Gruppe. Die Auswirkungen von Migration und Mehrsprachigkeit werden die Schulen der Zukunft noch stärker prägen. Sogar in einer kleinen Stadt wie Ybbs an der Donau werden an der Handelsakademie vierundzwanzig unterschiedliche Sprachen gesprochen, merkt eine Teilnehmerin an. Diese Entwicklung bewirkt eine starke Überforderung der Lehrenden, man kann sogar von Notfallpädagogik sprechen. Wenn auf die heutigen Herausforderungen, insbesondere auf die sehr unterschiedlichen Leistungsniveaus in den Klassen, nicht reagiert wird, ist der Eintritt eines Krisenszenarios wahrscheinlich. Für das Versagen der Schule aber gibt es keine Notfallpläne. Einer der Diskussionsteilnehmer ist überzeugt, dass es zu einem solchen »Crashszenario« in Wien oder in Graz kommen kann. Bereits heute kann die Konzentration von Risikoschülerinnen (Kinder mit Migrationshintergrund, Heimkinder und Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Milieus) an bestimmten Pflichtschulstandorten zu einem Systemzusammenbruch führen. Um diese Entwicklung zu verhindern, wird die Einführung einer sozialindexbasierten Ressourcenzuteilung empfohlen. Das heißt, Schulen an den sozialen Brennpunkten bekommen mehr Mittel und vor allem mehr Personal zugeteilt. In der Verteilung der Mittel dominiert derzeit noch das Gießkannenprinzip, dessen Sinnhaftigkeit angesichts der Konzentration von problematischen Schülern auf einzelne Standorte stark angezweifelt wird. Die gegenwärtige Sanierungspraxis in Wien wird in diesem Workshop stark angezweifelt: Durch die Substanzsanierung und die Umsetzung des baulichen Brandschutzes werden finanzielle Mittel verbraucht, ohne Umbaumaßnahmen im Sinne von geänderten pädagogischen Anforderungen in den Altbauten umzusetzen. Nachdem bereits viel investiert wurde, wurde

35 Wienerisch für Bezirksteil, Kiez.

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der bestehende Zustand zementiert, für einen längeren Zeitraum sind darauf folgend keine erneuten Investitionen zu erwarten. Anhand der Frage, ob 2025 die Lehrenden über einen eigenen Arbeitsplatz in der Schule verfügen werden, die mehrheitlich bejaht wird, entsteht eine Diskussion über die Zugänglichkeit der Schule, die kontrovers diskutiert wird. Ein Teil der Workshop-Teilnehmer vertritt die Meinung, dass von den Lehrern bis hin zu den Schülern alle über einen Schulschlüssel verfügen sollten. Die ehemalige Schuldirektorin steht dem symbolischen Schlüssel eher skeptisch gegenüber. Die Meinung überwiegt, dass die Öffnung der Schule zur Nachbarschaft und zum schulischen Umfeld stattfinden wird, um unerwünschte urbane Phänomene, wie die zunehmende Segregation, zu mildern. Die Schule wird sich auch für andere Arten von Lehrenden öffnen und viele Quereinsteiger werden künftig als Lehrer tätig sein, ist ein anderer Befund. Nicht, weil der Lehrerinnenberuf so unattraktiv geworden ist, sondern weil Menschen zunehmend zwei Berufe ausüben werden: Einen außerhalb der Schule und nebenher einen zweiten als Lehrender. So ähnlich wie es heute an der Höheren Technischen Lehranstalten der Fall ist. Bis 2025 wird, so die Erwartung, die Inklusion umgesetzt sein und Sonderschulen werden nicht mehr existent sein. Allerdings wird befürchtet, dass die Segregation zwischen den Schulen zunehmen wird und sich vor allem die Hauptschulen36 zu Problemschulen entwickeln werden. Durch die Zunahme der sozialen Brennpunkte in der Stadt wird die Wichtigkeit der intermediären Organisationen in der Stadtteilarbeit, wie z. B. die Gebietsbetreuungen37, die Agenda 21, Streetworkorganisationen oder die Jugendzentren, anwachsen. An Bedeutung gewinnen wird die Kooperation zwischen den Schulen und den Akteurinnen aus der Stadtteilarbeit.

36 Beziehungsweise mittlerweile Neue Mittelschulen, Anm. Autorin. 37 Gebietsbetreuungen sind Serviceeinrichtungen der Stadt Wien, die Stadtteilarbeit in Stadterneuerungs- und Stadterweiterungsgebieten leisten. Das Augenmerk liegt auf Verbesserungen im Wohnumfeld, Begleitung von Sanierungsmaßnahmen, Stärkung lokaler Wirtschaftsunternehmen und guter Nachbarschaft.

Workshop-Diskussionen | 169

Dritte Workshopdiskussion Gleich zu Beginn der Diskussion stellt einer der Diskutanten fest, dass die Methode der Szenarioentwicklung seiner Meinung nach nur für einzelne Schultypen in Frage kommt. Ein Szenario, in dem alle Schulen betrachtet werden, würde nach seiner Einschätzung das Thema verfehlen und die Ergebnisse verfälschen. Die einzelnen Schultypen, wie zum Beispiel Volkschulen und berufsbildende Schulen werden sich bis 2025 völlig unterschiedlich entwickeln. Die Szenarien sollten demnach getrennt nach Schultyp definiert werden. Im Pflichtschulbereich wird die Anzahl der privaten Schulen steigen, ist ein schon beobachteter Trend. Vor 20 Jahren lag der Anteil der privaten Pflichtschulen bei 10%, heute besuchen 18% aller Pflichtschülerinnen eine Privatschule. Bei den berufsbildenden Schulen ist der Aufwand für private Betreiber zu groß, wird angemerkt. Private Höhere Technische Lehranstalten (HTL)38 kann es nicht geben, da Ausstattung und Bewirtschaftung solcher Schulen für private Betreiber zu teuer kommen. Bildungsnahe Eltern, deren Kinder nicht in eine öffentliche Allgemeinbildende Schule gehen können, kommen oft in private Schulen, dabei vor allem in die Schulen der konfessionellen Schulerhalter. Das Angebot der privaten Schulen ist besser, sowohl bei den ergänzenden Angeboten als auch bei der Ausstattung der Schulen, da es größere Räume und großzügige Freibereiche gibt. In Zusammenhang mit der Frage nach einem gerechten Zugang zu Bildung wird die Neue Mittelschule als ein möglicher Lösungsweg zu mehr Gerechtigkeit gesehen. Das »Schulproblem« ist nicht unbedingt eines des Migrationshintergrunds, sondern vordergründig eine Frage der Milieus und steht in engem Zusammenhang mit der sozio-ökonomischen Stellung der Eltern. Bei den internationalen Schulen in Wien gibt es keine Schwierigkeiten durch Mehrsprachigkeit oder unterschiedliche kulturelle Hintergründe von Schülern. Die fehlende soziale Durchlässigkeit des Bildungssystems ist in Wahrheit ein »Klassenproblem«. Die staatliche Finanzierung der Lehrenden in den öffentlichen und konfessionellen Schulen, nicht jedoch in den staatlich anerkannten alternativen Schulen, wird in der Diskussion stark hinterfragt. 38 HTL, Abkürzung für berufsbildende Schulen in Österreich: »höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten [dienen] dem Erwerb höherer allgemeiner und fachlicher Bildung, die zur Ausübung eines höheren Berufs auf technischem oder gewerblichem Gebiet in der industriellen oder gewerblichen Wirtschaft befähigt und zur Hochschulreife führt« Quelle: (BBWF 2018).

170 | Szenarioentwicklung und Backcasting

Als heute bereits erkennbare demografische Trends werden angeführt: Sinkende Schülerinnenzahlen in den meisten Bundesländern; diese werden insbesondere in Kärnten stark fallen, während Wien weiterhin Schülerpopulationszuwächse verzeichnen wird. In kleineren Orten, in denen sich die Menschen kennen, funktioniert die Hauptschule beziehungsweise die Neue Mittelschule sehr gut. Aus diesem Grund gibt es in den westlichen Bundesländern, die politisch konservativ dominiert sind, keine Einwände gegen die Gesamtschule. Das Problem in der Großstadt Wien liegt in der Vielfältigkeit des Schulangebotes und dadurch möglichen Prozessen der Separation. Durch eine Konzentration problematischer Haushalte (z. B. durch Arbeitslosigkeit, Verlust des Lebensstandards, prekäre Lebensbedingungen, Zuwanderer mit traumatischen Kriegserfahrungen) in den bestimmten Stadtteilen, werden gesellschaftliche Spannungen zunehmen. Schulen werden diese sozialen Probleme abfedern müssen, als eine Lösungsmöglichkeit wird die Zusammenarbeit mit weiteren Organisationen, wie zum Beispiel dem Roten Kreuz, angeführt. Vielfach betrifft die Finanzierungsfrage nicht die Räume, sondern zusätzliche soziale Betreuung in den Schulen. Die Finanzierung dieser Angebote ist ungewiss, so die Teilnehmer. Die Beteiligung privater Finanzierungen an der Errichtung von Schulgebäuden wird als problematisch angesehen. Dennoch wird geschätzt, dass Finanzierungsmodelle wie ein Public-Private-Partnership (PPP) weiterhin in den unterschiedlichen Formen erprobt werden. Vielfach geht es bei den neueren Modellen der Stadt Wien um eine Auslagerung der Erhaltungskosten an private Betreiber in den ersten zehn Jahren nach der Errichtung der Objekte. Bei den Bundesliegenschaften sind bereits 83% aller Liegenschaften an die Bundesimmobiliengesellschaft verkauft worden, diese ist bisher ein 100%iges Tochterunternehmen des Bundes, eine völlige Privatisierung wäre aber theoretisch denkbar. Künftig werden alternative Finanzierungsmodelle eine große Rolle spielen. Durch die demografische Alterung kann es entweder zu einer – schwer umsetzbaren – massiven Kürzung von Sozialleistungen kommen, oder es wird in anderen Bereichen, darunter auch bei den Schulen, massiv gespart. Bei Neubauten wird man versuchen, besonders preisgünstig zu bauen. Das Abfedern der sozialen Probleme ist nach Meinung der Diskutanten eine der grundlegenden Aufgaben des Wohlfahrtsstaates und wird zunehmend auch von den Schulen mitgetragen. Dieser Aufgabenbereich lässt sich nicht privatisieren. Die Privatisierung

Workshop-Diskussionen | 171

des öffentlichen Vermögens, auch in Form von Immobilien, wird stark kritisiert. Man muss bzw. müsste sich dieser Entwicklung stark widersetzten. Die Frage der ausreichenden Finanzierung bleibt dennoch bestehen. Im Bundesschulbereich fließen die vorhandenen Budgetmittel größtenteils in die Personalkosten (94%), nur 6% kommen den Gebäuden, der Instandhaltung oder den Mietkosten zugute. Das Problem der Finanzierung lässt sich nur über die Drehschraube der Personalkosten lösen. Allerdings sind die Einsparungen bei Verwaltungspersonal, insbesondere bei Schulwarten, die nach der Pensionierung nicht nachbesetzt werden, ebenso kritisch. Dadurch entstehen zusätzliche periodische Instandhaltungskosten. Ob eine Fremdreinigung kostengünstiger ist als die Reinigung und Instandhaltung durch das hauseigene Personal (mehrere Schulwarte und Reinigungskräfte), lässt sich nicht klar beantworten. Im Bereich des sozialen und kommunalen Wohnbaues wurde der Hausmeister allerdings wieder eingesetzt. Die Veränderungsfaktoren, die sich gravierend auf den Schulgebäudebestand auswirken werden, sind erstens die Bevölkerungsentwicklung, zweitens zusätzliche Bedürfnisse, wie die Nachmittagsbetreuung und die Arbeitsplätze für die Lehrenden in der Schule, und drittens die steigenden normativen Bestimmungen, wie zum Beispiel der Brandschutz. In den innerstädtischen Bezirken werden kleine, dezentrale Standorte bestehen bleiben. Kleine Kinder werden weiterhin Schulen in fußläufiger Nähe besuchen. In den Stadterweiterungsgebieten Wiens werden künftig CampusSchulen gebaut. Weiterführende Schulen, wie die HTLs, werden zentralisiert und an den Stadträndern angesiedelt, die kleinen innerstädtischen Standorte mit nicht ausreichender Kapazität werden aufgelassen. Dieses Prinzip wurde bereits bei der HTL Schellingstraße und HTL Argentinierstraße umgesetzt, die Schulen sind an größere Standorte übersiedelt. Die aufgelassenen Standorte bekam die BIG, einer der Stadtorte wird als Ausweichquartier genutzt. Künftig werden jedoch innerstädtische Liegenschaften verwertet und der Stadtschulrat wird ein anderes, gut an den öffentlichen Verkehr erschlossenes Ausweichquartier zugeteilt bekommen. Aus dieser Entwicklung kann man einen Trend zu Peripherisierung der Schulstandorte ableiten, was allerdings nur für weiterführende Schulen gilt. Die Volksschulen bleiben dezentral in der Nachbarschaft und im Stadtteil verankert. Die Bündelung von Schulen mit aufwändiger technischer Infrastruktur an einem Standort ist darüber hinaus in der Erhaltung wirtschaftlicher. Die Größe der einzelnen Schulstandorte im Bundesbereich steht im

172 | Szenarioentwicklung und Backcasting

Verhältnis zur Anzahl der Personen in der Schulleitung. Eine Schuldirektorin kann eine Schule mit 20 Klassen gut verwalten, bei größeren Standorten funktioniert dies mit 36 Klassen, notfalls sogar mit bis zu 40 Klassen. Alles über 36 Schulklassen kann eine Leitungsperson nicht mehr allein bewältigen, wird angemerkt. Im Schulzentrum Mödling gibt es 3000 Schüler, das heißt mehr als 60 Klassen, hier gibt es eine weitere Führungsstruktur: Die Fachvorstände. Aus der derzeitigen Leitungsstruktur der Schulen ergibt sich eine maximale strukturelle Größe der Schulen. Bei kleinen Volksschulen ist die Schulleitung überfordert, da es keine administrative Unterstützung gibt. Der Vorteil des Campus-Modells mit Kindergarten, Volksschule und Hort an einem Standort ist ein gemeinsames kleines Sekretariat nutzen zu können. Wenn es mehr Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern gäbe, wäre auch eine kooperative Schulnutzung leichter umsetzbar. Mögliche weitere Finanzierungsquellen für den Schulbau sind einerseits die Bauträger und andererseits Umwidmungsgewinne. Einer der Diskussionsteilnehmer postuliert, dass das Geld für Bildung ausreichen würde, es müsse nur richtig verteilt werden. Zusätzlich sollten Umwidmungsgewinne zweckgebunden in den Schulbau fließen. Die finanzielle Verwertung, der für die Schulzwecke schlecht nutzbarer Liegenschaften (dazu zählen vor allem Gründerzeitbauten), könnte für die Finanzierung neuer Schulen verwendet werden. Im Gebäudebestand des Bundes gibt es einen 20-prozentigem Gebäudeanteil, den man nur mit einem sehr hohen Aufwand an neuen pädagogischen Anforderungen anpassen könnte. Bei diesen Bauten aus der Gründerzeit ist der Umbau nach zeitgenössischen pädagogischen Grundsätzen unwirtschaftlich. Vor allem die Eurocode Bestimmungen in Bezug auf die Erdbebensicherheit machen Aufstockungen bei Gebäuden aus dieser Bauperiode fast unmöglich. Die Fläche der gründerzeitlichen Schulen mit nur 18 Klassen entspricht nicht den heutigen Anforderungen und auch nicht der Notwendigkeit der verwaltungstechnischen Mindestgröße bei Schulen mit aufwändiger technischer Ausstattung. Zwischen öffentlichen und privaten Schulbetreibern herrscht nicht nur um die Schüler Konkurrenz, sondern auch um den Raum beziehungsweise um die attraktiven Schulstandorte. Nach Meinung der Workshop-Teilnehmer werden sich bis 2025 die Segregationstendenzen vertiefen, ebenso wird die Individualisierung zunehmen. Das Angebot an unterschiedlichen Schulmodellen wird ausgeweitet, das staatliche Monopol der Bildung wird höchstwahrscheinlich weiter auf-

Workshop-Diskussionen | 173

geweicht. Heutige gesetzliche Bestimmungen bewirken, dass die Mittel je nach Schülerzahl, Fläche und einigen anderen Faktoren verteilt werden. Der Spielraum für zusätzliche Maßnahmen und Mittel für die Schulen an sozialen Brennpunkten ist sehr eingeschränkt. Eine Änderung der Mittelverteilung wird angezweifelt. Im Bundesschulbereich in Wien werden Schülerstromanalysen, d. h. das Mobilitätsverhalten, gemacht. Hier wurde festgestellt, dass die Hälfte der Wiener Schüler an den Bundesschulen quer durch Wien fährt, um ihre bevorzugten Schulen zu erreichen. Im Unterschied dazu sind die Volkschülerinnen nach wie vor lokal verankert. Zum Schluss wurden im Workshop die möglichen Auswirkungen der Einführung der Gesamtschule für alle 10- bis 14-Jährigen diskutiert. Bei einem solchen Szenario würde eine größere Anzahl kleinerer Schulstandorte mit weniger Klassen, für die diese Schulstufen benötigt werden ‒ alle Schulstandorte wären ähnlich groß wie die Gebäude der Neuen Mittelschule. Die Oberstufe könnte man an den größeren Standorten unterbringen. Allerdings ist das derzeitige System durch die Schulgrößen, die Anzahl der Klassen an den einzelnen Schultypen, »in Stein gemeißelt«, und nur schwer transformierbar. Kleinere Klassen könnten als ein Anreiz für längere Unterrichtszeiten und den längeren Verbleib der Lehrer an der Schule genutzt werden. Möglicherweise wird es auch eine Differenzierung des Unterrichts geben, mit einem zentralen Campus und verschiedenen angedockten Raumfiguren und weniger traditionelle Klassenzimmer. Solange jedoch eine Unterrichtseinheit von 50 Minuten als Basis für die Lehrerbesoldung dient, wird die Schulklasse in ihrer heutigen Form nicht aufgelöst. Eine übermäßige räumliche Auflösung der Bildungsorte wäre kontraproduktiv, da es immer eine Anzahl von Kindern und Jugendlichen geben wird, die klar strukturierte Räume und eindeutige Vorgaben bevorzugen.

174 | Szenarioentwicklung und Backcasting

SCHLÜSSELFAKTOREN UND AUSWERTUNG Die Tabelle der Schlüsselfaktoren (key drivers) wurde als vorläufige Liste erstellt und in drei Workshopdiskussionen mit Experten und Expertinnen korrigiert und ergänzt. Die Schlüsselfaktoren waren nach dem Schema ›STEEP‹ (social, technological, ecological, economical and policy key drivers) gegliedert.

KEY DRIVERS

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

STEEP Framework

Skala 1-6

Skala 1-6

1. Sozial-kulturelle Trends (key drivers)

Legende: 1: gering 6: hoch

1.1. Soziales: Gesellschaft Demografischer Wandel Räumlich disparate Entwicklung (wachsende Städte/schrumpfende Städte) Re-Urbanisierung Veränderte Erwerbsbiografien Lebenslanges Lernen Migration Integration, Schule als »Integrationsmaschine« Segregation, Residualisierung (Restschule) Soziale Durchlässigkeit Vertiefung der gesellschaftl. Unterschiede Vertiefung der Ausbildungsunterschiede 1.2 Soziales: Bildungseinrichtungen und Umfeld Schulnetzwerke (lokale Bildungslandschaften)

Schlüsselfaktoren und Auswertung | 175

KEY DRIVERS

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

STEEP Framework

Skala 1-6

Skala 1-6

Modell Campus Schule Schule als Stadtteilzentrum (Bibliothek, Daseinsvorsorge…) Verteilte Bildungseinrichtungen / Exposituren Home Schooling Ganztagsschule Gemeinsame Schule aller 10-14-Jährigen Verlängerung der Pflichtschulzeiten Traditionelle Einzelschulstandorte 1.3 Soziales: Unterrichtskulturen Individualisiertes Lernen Lehrermangel Schulversuche Flexiblere Lehrpläne Teamteaching offener Unterricht Schülerzentriertes lehren/lernen Lehrerzentriertes lehren/lernen Auflösung Klassenverband Rhythmisierung (geänderter Tagesablauf) Lernateliers, Lernwerkstätten Reformpädagogik (Montessori, Jenaplan, etc)

176 | Szenarioentwicklung und Backcasting

KEY DRIVERS

STEEP Framework 2. Technologietrends

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

Skala 1-6

Skala 1-6

Legende: 1: gering 6: hoch

2.1 Technologie: IKT Informations- und Kommunikationstechnologien Inverted Classroom* White Boards E-Learning Internet of Things Social Media Digital by default 2.2. Technologie: räumliche Organisation Offene Raumstrukturen (open plan school) Traditionelle Klassenzimmer Cluster Schule in der Schule Neubau Schule im Gebäudebestand Temporäre Bildungsinfrastruktur Dezentralisierte Standorte im Bestand Multifunktionale Nutzung Hybride Einrichtungen (Schule, Wohnen, Einkaufszentrum) Frei- und Grünräume Steigender Raumbedarf für Bildungseinrichtungen

Schlüsselfaktoren und Auswertung | 177

KEY DRIVERS

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

STEEP Framework

Skala 1-6

Skala 1-6

Änderung der zeitlichen Nutzung Neue Elemente im Raumprogramm Umnutzung (Wohnbau, Bürobau…) Zwischennutzung Leerstand

Zusätzliche Erklärung * Passiv per E-Learning zu Hause, aktiv in der Schule)

178 | Szenarioentwicklung und Backcasting

Anmerkung: Diese Trends (grau hinterlegt) wurden nur von den Teilnehmenden mit Bezug zu Bauen bzw. Planen ausgefüllt

Key drivers STEEP Framework 2.3. Technologie: Gebäudetechnologien

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

Skala 1-6

Skala 1-6

Legende: 1: gering 6: hoch

Kontrollierte Lüftung Smart grid Dezentrale Energieerzeugung / Plusenergiegebäude Inkrementelle Verbesserung (Bau + Gebäudetechnik) Flexibilität, Adaptierbarkeit Verbrauchsmonitoring Berücksichtigung des Nutzerverhaltens Integrale Elementbauweise Kostentreiber Normen Neue Gebäudetechnik Neue Materialien / Konstruktionen 2.4 Technologie: Gebäudebewirtschaftung Einfluss Facility Management Einfluss Schulvernetzung (externer Faktor) Strategische Bewirtschaftung Energy Contracting Externe Gesamtstrategie (wie 2000 Watt Gesellschaft) Portfolio orientierte Nutzung/Bewirtschaftung Langfristige Nutzungsstrategien Lebenszyklusanalyse Strategische Widmung Ressourcen erhaltende Bewirtschaftung Zertifizierung (LEED; BREEAM, ÖGNI)

Schlüsselfaktoren und Auswertung | 179

Key drivers

STEEP Framework 3. Ökonomische Trends Stagnierende kommunale Budgets, Politik der Austerität Armut Wissensökonomie Dienstleistungssektor Beteiligung der Eltern Corporatized curricula Baukosten Neubau Baukosten Sanierung Baukosten im Lebenszyklus zu wenig Geld 4. Ökologische Trends Klimawandel: Hitze, städtische Hitzeinseln Klimawandel: Extremwetterereignisse Verfügbarkeit Energie Verfügbarkeit weitere Ressourcen Fossile Mobilität 5. Politische Trends (policy) Parteipolitischer Einfluss, Ideologie Trennung Bund, Länder Wohlfahrtsstaat Schulautonomie Differenziertes Schulsystem

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

Skala 1-6

Skala 1-6

Legende: 1: gering 6: hoch

180 | Szenarioentwicklung und Backcasting

Key drivers

STEEP Framework

Signifikanter Trend

Wahrscheinlichkeit

Skala 1-6

Skala 1-6

Gesamtschule Privatisierung Zu wenig finanzielle Ressourcen Dezentralisierung Demokratisierung Transsektorale Stadtplanung und -erneuerung EU Direktiven Energieeffizienz EU Direktiven Sicherheit (Brandschutz, Erdbeben) Marketing für die Bedeutung von Bildung Bedeutung des Raums für die Bildung Auswertung der Schlüsselfaktoren nach Bedeutung und Wahrscheinlichkeit Insgesamt neun Expertinnen aus den Bereichen Planung, Verwaltung, Pädagogik und Sozialwissenschaft füllten die Schlüsselfaktortabellen aus. Auswertungsmuster A: hohe Bedeutung, sehr hohe Wahrscheinlichkeit Diesen Trends wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von den Diskutierenden eine hohe Bedeutung in Bezug auf die Auswirkungen auf den Gebäudebestand bzw. auf die Schule der Zukunft beigemessen: • • • •

Migration; Vertiefung gesellschaftlicher Unterschiede, Armut; Lehrermangel; neu ausgebildete Lehrergeneration;

Schlüsselfaktoren und Auswertung | 181

• • • • • • • •

Informations- und Kommunikationstechnologien; Schulen im Gebäudebestand, Altbau; steigender Raumbedarf für Bildungseinrichtungen; Baukostentreiber Normen; stagnierende Kommunale Budgets, Politik der Austerität; Baukosten Neubau, Sanierung und im Lebenszyklus; Energieverfügbarkeit sowie geringe finanzielle Ressourcen.

Die Trends in dieser Kategorie sind für das Erhaltungsszenario beziehungsweise das Szenario »business as usual« ausschlaggebend, das heißt die Fortführung der derzeitigen, wenig strategisch ausgerichteten Entwicklung der Schulstandorte und der Beibehaltung des konservativen strategischen Rahmens. Die Bewirtschaftung des Gebäudebestandes in diesem Szenario ist weitgehend re-aktiv. Auswertungsmuster B: mittlere Bedeutung, sehr hohe Wahrscheinlichkeit In dieser Kategorie wurde nur ein Trend identifiziert: •

demografischer Wandel.

Dieser Faktor wurde von Umfrageteilnehmern als sehr wahrscheinlich eingestuft, die Bedeutung des demografischen Wandels auf die Schule der Zukunft erhielt Werte im mittleren Bereich. Auswertungsmuster C: hohe bis sehr hohe Bedeutung, geringe Wahrscheinlichkeit Diesen Schlüsselfaktoren wird eine hohe Bedeutung beigemessen, ihre Wahrscheinlichkeit fällt allerdings im Vergleich zur Einschätzung der Bedeutung gering aus. Dazu zählen in den Kategorien »Bildungseinrichtungen und Umfeld« sowie »Schulkulturen«: • • •

lokale Bildungslandschaften, Schule als Stadtteilzentrum; gemeinsame Schule aller 10- bis 14-Jährigen; flexiblere Lehrpläne;

182 | Szenarioentwicklung und Backcasting

• • • •

Inklusion mit ausreichenden Ressourcen; Teamteaching; Schülerzentriertes lernen/lehren; Mehrsprachigkeit.

In den Kategorien »Gebäudetechnologien« und »Gebäudebewirtschaftung« gibt es dieses Auswertungsmuster (hohe bis sehr hohe Bedeutung, geringe Wahrscheinlichkeit) in der Bewertung bei den folgenden Schlüsselfaktoren: • • • • • •

Adaptierbarkeit; Berücksichtigung des Nutzerverhaltens; Portfolio-orientierte Nutzung / Bewirtschaftung; langfristige Nutzungsstrategien; Lebenszyklusanalyse und strategische Widmung.

In der Kategorie »politische Trends« (policy) zählen zu den Schlüsselfaktoren mit hoher Bewertung der Bedeutung und niedriger Einschätzung der Wahrscheinlichkeit folgende Trends: • • • • • •

Verwaltungsreform; Gesamtschule; Sozialindex-basierte Ressourcenverteilung; transsektorale Stadtplanung und -erneuerung; Marketing für die Bedeutung von Bildung und steigendes Bewusstsein für die Bedeutung des Raums für die Bildung

Die Schlüsselfaktoren mit hoher Bedeutung und geringer Wahrscheinlichkeit sind vor allem im Rahmen von »alternativen Zukünften« zu berücksichtigen. Auswertungsmuster D: hohe Bedeutung, mittlere Wahrscheinlichkeit In dieses Auswertungsmuster fallen sehr viele Schlüsselfaktoren. Je nach Szenario können diese Trends sowohl dem Erhaltungsszenario als auch den alternativen Szenarien zugeordnet werden.

Zusammenfassung | 183

Auswertungsmuster E: geringe Bedeutung, geringe Wahrscheinlichkeit Zu den Schüsselfaktoren, denen sowohl geringe Bedeutung als auch geringe Wahrscheinlichkeit beigemessen wurde, zählen: • •

Heimunterricht (home schooling) Leerstand

Hoch gewichtete Faktoren (hohe Bedeutung, hohe Wahrscheinlichkeit) wurden in vier Gruppen zusammengefasst. Diese vier Gruppen entsprechen den vier Feldern der Szenariomatrix. Die Vorgangsweise bei der Entwicklung der Szenariomatrix und die Matrix mit vier Szenarien sind im Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes« beschrieben.

ZUSAMMENFASSUNG Sowohl in den Workshop-Diskussionen als auch bei der Auswertung der Schlüsselfaktoren dominierte bei den Teilnehmern eine eher pessimistische bzw. konservative Einschätzung der künftigen Entwicklung von Schulen. In den Diskussionen wurden dennoch weitgehend fortschrittliche Entwicklungstendenzen diskutiert. Basierend auf den bisher gemachten Erfahrungen, mit minimalen Reformen und den tiefen ideologischen Unterschieden bei den Parteien und den Sozialpartnern, wird das Schulsystem als träge und kaum veränderbar wahrgenommen. Der Spielraum für Innovationen bei den Schulneubauten und in der Sanierung ist eng. Einige grundlegende strukturelle Eingriffe in den institutionellen Rahmen werden von allen Teilnehmern als unabdingbare Prämissen für eine zukunftsfähige Schulreform eingestuft, darunter: Die Notwendigkeit der Investitionen in die Bausubstanz, die Erhöhung der sozialen Durchlässigkeit durch Bildung sowie mehr Autonomie für die Schulen. Die Erwartung, dass diese Reformen mittelfristig (in den nächsten zehn Jahren) stattfinden werden, ist eher gering. Die weitere Stagnation der kommunalen Budgets, die Fortführung der Politik der Austerität, mehr Armut und die Vertiefung gesellschaftlicher Unterschiede sind diejenigen negativen Trends, deren Wahrscheinlichkeit als besonders hoch bewertet wurde. Zu den Faktoren mit geringer Wahrschein-

184 | Szenarioentwicklung und Backcasting

lichkeit und ebenfalls geringer Bedeutung zählen der Leerstand und der Heimunterricht. In den Kategorien »Gebäudetechnologien« und »Gebäudebewirtschaftung«, die nur von Teilnehmern auszufüllen waren, die einen technisch-planerischen Hintergrund haben, fällt das geringe Vertrauen in technische Innovation durch neue Konstruktionen und Materialen sowie in hocheffiziente bzw. dezentrale Energieerzeugung auf. Auffallend ist zudem, dass der Flexibilität und Adaptierbarkeit sowie der Berücksichtigung des Nutzerverhaltens hohe Bedeutung beigemessen wird ‒ bei gleichzeitig eher geringer Wahrscheinlichkeit der Realisierung. Das Vertrauen in die technisch-konstruktiven Lösungen ist bei den Experten demnach eher gering und damit sehr weit von der Technikgläubigkeit in der Nachkriegsepoche des 20. Jahrhunderts entfernt. Die Ergebnisse der Workshops wurden mit Informationen aus der Literaturrecherche über Schultrends ergänzt. Die ermittelten Gruppen von Schlüsselfaktoren wurden den vier Achsen der Szenariomatrix zugeordnet. Diese Matrix ist im Kapitel »Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes« dargestellt. In diesem letzten Kapitel werden die Trends zu Schule und Bildung in den nächsten zwanzig Jahren, die auf der Auswertung der Schlüsselfaktoren und den Ergebnissen der Workshop-Diskussionen basieren, verdichtet als vier Szenarien zur Schule der Zukunft dargestellt.

Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Schulgebäudebestandes

AUSGANGSSITUATION SCHULSYSTEM UND SCHULGEBÄUDEBESTAND Durch die Ergebnisse der Workshop-Diskussionen (Kapitel »Szenarioentwicklung und Backcasting«), die Auswertung der Schlüsselfaktoren, der Literaturrecherche zum Thema Schulbau und Berücksichtigung von demografische Prognosen konnten einige Herausforderungen im Schulbaubereich identifiziert werden. Zu den schwerwiegenden Herausforderungen im österreichischen Schulsystem zählen vor allem die mangelnde Chancengerechtigkeit und eine geringe soziale Durchlässigkeit. Ebenso kritisch ist die wachsende Zahl von Risikoschülern ohne ausreichende Kernkompetenzen und die steigende Zahl von Schulabbrechern zu sehen. Der Fokus wurde auf die Frage des Raumbedarfs gelegt. In den wachsenden Städten gibt es keine ausreichende Anzahl an Klassenzimmern, dieses Problem betrifft vor allem die weiterführenden Pflichtschulen. Die bestehenden (Pflicht-)Schulen verfügen weder über zeitgemäße Arbeitsbereiche für die Lehrenden (Arbeitszimmer, dezentrale Räume für Teamteaching), noch über notwendige Flächen und Einrichtungen für die Ganztagsbetreuung oder für den verschränkten Unterricht. Dieser zusätzliche Raumbedarf besteht unabhängig von der demografischen Entwicklung und Migration. Ein weiterer kritischer Punkt ist das ungleichmäßige Schulangebot (räumlich disparate Schulverteilung) in den ländlichen Regionen. Gesamthafte, bundesweite Daten über den baulichen Zustand und die räumlichen Ressourcen im Schulgebäudebestand sind nicht verfügbar. Ohne ein solches Datenrepositiorium ist eine genaue Aussage über den Sanierungs- und Raumbedarf kaum möglich. Im Rahmen des Forschungs-

186 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

projektes »Baustelle Schule« wurden einzelne Gebäude aus unterschiedlichen Baualtersklassen untersucht und der Zustand evaluiert. Ebenso wurde Anhand von prototypischen Umbaukonzepten die Adaptierbarkeit der jeweiligen Baualtersklassen überprüft (Haselsteiner u. a. 2010: 56–83). Allerdings ist die Auswahl der Fallbeispiele in dieser Studie zu klein, um daraus detaillierte Aussagen über den Gesamtbestand der österreichischen Pflichtschulen ziehen zu können. Der geringe Anteil an Investitionen (Neubau- und Sanierungskosten) bei Bildungsausgaben lässt den Schluss zu, dass für notwendige laufende und periodische Instandsetzung nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen und ein erheblicher aktueller und künftiger Sanierungsbedarf besteht. Über die Berücksichtigung von Gebäudelebenszykluskosten bei der Erstellung des ministeriellen Bildungsbudgets lässt sich mangels fundierter Information nur spekulieren. Dennoch lassen sich einige Eigenschaften der Gebäude je nach Baualtersklasse, die künftige Sanierungen wie auch die Weiternutzung prägen werden, zu einigen wesentlichen konstruktiven und räumlichen Merkmalen zusammenfassen. Denn, wie in dieser Arbeit schon betont, wird die Schule der Zukunft weiterhin in bestehenden Schulhäusern stattfinden. Auch wenn die Ungewissheit und die Unvorhersehbarkeit bezüglich der Entwicklung des Schulsystems und des Unterrichts prägende Faktoren sind, ist der Einfluss des Gebäudebestandes und der bereits erfolgten Sanierungen auf die Zukunft der Schule und Organisation des Unterrichts unübersehbar. Sartori et al., die sich mit der Entwicklung des norwegischen Wohnungsbaubestandes zwischen 1900 und 2100 befassten, schreiben dazu: »The build environment is a dynamic system where past activity strongly influences future development. This dynamic is not sufficiently understood […]« (2008: 424). Basierend auf Ergebnissen aus Kapitel » Wissen über Gebäudebestände« werden an dieser Stelle die spezifischen Schulgebäudetypen der jeweiligen Baualtersklasse vorgestellt, zumal diese Merkmale der Schulbautypen einen entscheidenden Einfluss auf die künftige Bewirtschaftung und Nutzung haben.

Ausgangssituation Schulsystem und Schulgebäudebestand | 187

Tabelle 10: Baualtersklassen und Kurzbewertung nach Robustheit/Anfälligkeit, Flexibilität, Flächenreserven und Grad der Funktionsdeterminierung, Tabelle ML

Zeit

Baukonstruktive Merkmale

Potenziale zukünftige Entwicklung

Determinierung, Funktionen, Flächenreserven

Bis 1848

Vorgründerzeitlich, traditionelle Massivbauweisen

Robuste Konstruktion, eingeschränkte Flexibilität, wenig Potenzial für Entkernung

Weitgehend determinierte Funktionen, wenig innere Flächenreserven, kaum Erweiterungspotenzial in innerstädtischen Lagen

Generalsanierung

1848-1918

BAK 2

BAK 1

BAK

Schnellbewertung nach Robustheit/Anfälligkeit, Flexibilität, Flächenreserven, Grad der Funktionsdeterminierung und Sanierungsart Sanierungsart

Gründerzeit, traditionelle Massivbauweise

Robuste Konstruktion, geringe Flexibilität, aufwändige Entkernung bzw. Koppelung von Klassenzimmern

Weitgehend determinierte Funktionen, geringe bis mäßige innere Flächenreserven, kaum Erweiterungspotenzial in dicht verbauten städtischen Lagen

Generalsanierung

Zeit

Baukonstruktive Merkmale

Potenziale zukünftige Entwicklung

Determinierung, Funktionen, Flächenreserven

1919-1934

Zwischenkriegszeit, traditionelle Massivbauweisen mit wenigen modernen Elementen, geringe Schulbautätigkeit mit wenigen Realisierungen

Robuste Konstruktion, geringe Flexibilität, aufwändige Entkernung und Koppelung von Klassenzimmern

Weitgehend determinierte Funktionen, geringe bis mäßige innere Flächenreserven, moderates Erweiterungspotenzial

1934-1944

Geringe Schulbautätigkeit

Kaum Neubauten

Nicht relevant für den Gesamtbestand

1945-1960

BAK 5

BAK 4

BAK 3

BAK

188 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Wiederaufbauperiode, traditionelle Bauweisen mit modernen Elementen, Risiko aufgrund der technischkonstruktiven Obsoleszenz

Geringe statische Reserven, geringe Energieeffizienz, moderate Flexibilität, mäßiges Potenzial für Entkernung

Weitgehend determinierte Funktionen, wenig innere Flächenreserven, großzügige Erweiterungsflächen bei Schulanlagen am Stadtrand

Sanierungsart

Generalsanierung

Generalsanierung, Substanzsanierung, thermische Sanierung, Teilsanierungen, Erweiterung

Zeit

Baukonstruktive Merkmale

Potenziale zukünftige Entwicklung

Determinierung, Funktionen, Flächenreserven

Sanierungsart

1961-1970

Späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweisen, Beginn der Vorfertigung und Rationalisierung

Höhere Flexibilität, mäßige statische Reserven, geringe Energieeffizienz, teilweise Potenziale für Entkernung

Geringere Funktionsdeterminierung, moderate innere Flächenreserven, großzügige Erweiterungsflächen bei Schulanlagen am Stadtrand

Generalsanierung, Substanzsanierung, energetische Sanierung, Teilsanierung, Erweiterung

1971-1979

BAK 7

BAK 6

BAK

Ausgangssituation Schulsystem und Schulgebäudebestand | 189

Fertigteilbauweisen, Schulzentren, wenige Großraumschulen

Weitgehend robuste Konstruktion, höheres Potenzial für Entkernung, Verlust der Sichtbetonoptik bei energetischer Sanierung

Mäßige innere Flächenreserven, moderat bis flexibel festgelegte Funktionen, Flächenreserven für Erweiterung in Stadtrandlagen

Generalsanierung, Substanzsanierung, energetische Sanierung, Teilsanierungen, teilweise Passivhausstandard

Zeit

Baukonstruktive Merkmale

Potenziale zukünftige Entwicklung

Determinierung, Funktionen, Flächenreserven

Sanierungsart

1980-1999

Postmoderne, kein dominantes Schulgebäudetypus, Risiken der technisch-konstruktiven sowie formalen Obsoleszenz

Moderate bis höhere Flexibilität, Problematik der komplizierten Anschlüsse im Bereich der Gebäudehülle

Moderate Flächenreserven bei Pausenflächen und Hallenbereichen im Inneren, Flächenreserven für Erweiterung in Stadtrandlagen

Generalsanierung, Substanzsanierung, energetische Sanierung, Teilsanierungen, teilweise Passivhausstandard, Erweiterung

2000-2013

BAK 9

BAK 8

BAK

190 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Energieeffiziente Bauweisen: Niedrigenergie, geringfügig Passivhausstandard, höhere normative Sicherheitsstandards, aufwändigere Gebäudetechnik

Robuste Konstruktion, aufwändige Gebäudetechnik bei Passivhausstandard

Offenere Gestaltung, erste Klassenzimmercluster, moderate Flächenreserven bei Pausenflächen und Hallenbereichen im Inneren, Flächenreserven für Erweiterung in Stadtrandlagen

Bisher keine Sanierung erforderlich, künftig Teilsanierung, Generalsanierung, Erweiterung

Ausgangssituation Schulsystem und Schulgebäudebestand | 191

Herausforderungen und Handlungsfelder für die Schule der Zukunft Die wichtigsten Handlungsfelder sind im Folgenden stichwortartig zusammengefasst. Diese Herausforderungen gelten gleichermaßen für alle vier Szenarien. Herausforderungen und Handlungsfelder im Schulsystem •

• • •

• • • • •

Verfehlen der Chancengerechtigkeit; Vererbung der Bildungslaufbahn (sozioökonomischer Status der Eltern und frühe Selektion ausschlaggebend); Wachsende Gruppe von Risikoschülern und Schulabbrechern; Konstant hohe bzw. steigende Kosten im primären und weiterführenden Bildungsbereich; starre Reglementierung; wenig Autonomie, unklare Entscheidungsstrukturen, Bürokratie, starke Grenzen zwischen einzelnen Schulbereichen, föderalistische Struktur, ausgegliederte Erhaltungsorganisation; Zunehmende Segregationseffekte in benachteiligten städtischen Nachbarschaften und Stadtteilen; Geringe Durchlässigkeit zwischen den Schultypen; Ideologische Kämpfe in der Bildungspolitik; politische Einflussnahme; Erwarteter Lehrermangel aufgrund der Pensionierungswelle; Fehlen einer längerfristigen Strategie, kein überregionaler Masterplan oder Bildungsentwicklungsplan.

Herausforderungen und Handlungsfelder bzgl. des Schulgebäudebestands • •



Geringe Investitionen in bauliche Substanz, schrumpfende kommunale Budgets; Fehlen aggregierter Daten über Raumressourcen, Lebenszykluskosten, Emissionen, Energieverbräuche, Zustand der Bausubstanz als Basis für künftige Nutzungskonzepte; Raumbedarf: Individualisierung, neue Lernformen, Arbeitsplätze für Lehrende, Einrichtungen für die Ganztagsbetreuung, zusätzlicher Raumbedarf in wachsenden Städten, Raumbedarf aufgrund der Senkung der maximalen Klassenschülerhöchstzahl in 2008;

192 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

• •

• • • •

Geringe zeitliche Ausnutzung der Flächenressourcen in den Schulen, keine synergetischen Nutzungen; Unterschiedliche Potenziale in Bauten unterschiedlicher Baualtersklassen Sanierungsstrategien vorwiegend Substanz- bzw. werterhaltend; Sanierungsstau; Nicht ausreichendes Angebot an weiterführenden Schulen in ländlichen Regionen; Erhaltung überdimensionierter Schulstandorte in schrumpfenden ländlichen Regionen; Höhere baulich-normative Standards: Energieeffizienz, Brandschutz, Erdbebensicherheit, Barrierefreiheit, Dominanz der Energieeffizienz aufgrund der EU-Direktiven.

SZENARIOMATRIX Das weitere Umfeld der Gebäudebestände, das »built environment« (dem die deutsche Übersetzung »gebaute Umgebung« nur bedingt entspricht) ist aufgrund der langen Lebensdauer für strategische Überlegungen prädestiniert, darunter auch die Szenarioplanung. Der heutige Wissenstand über die künftigen demografischen, sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen ist zwar umfangreich, dennoch ist das Eintreffen von vielen Ereignissen und Entwicklungen gegenwärtig ungewiss. Für viele der künftigen Herausforderungen existieren gegenwärtig noch keine ökonomisch tragbaren, oder aber technisch machbaren, Lösungen für einige der Problemstellungen. Der Gebäudebestand expandiert kontinuierlich, etwas das aus der Flächenexpansion für Wohn- und Nichtwohnutzungen abgelesen werden kann (Ravetz 2008: 4463). Diese Entwicklung kann in Österreich ebenfalls aus den statistischen Daten abgeleitet werden. Ravetz versteht den Gebäudebestand nicht nur als physische Struktur und ökonomisches Kapital, wobei der materielle Bestand als irreduzibler Teil des Alltags, der Lebensstile, der Gemeinschaft, der Kulturen und somit als eine wesentliche Lebensgrundlage postuliert wird (2008: 4463). Auf Basis der Szenariomethode definiert Ravetz für den Gebäudebestand zwei kontrastierende Szenarioachsen (Abb. 37). Auf der einen Seite gibt es eine sich sehr langsam ver-

Szenariomatrix | 193

Abbildung 37: Szenarioachsen für Gebäudebestand, Diagramm ML nach Ravetz, Quelle: Ravetz 2008 SCENARIOS FOR THE BUILDING STOCK Rapid socio-economic change

“New uses for the old”

“State of flux”

Slow physical change

Rapid physical change

“Consolidation”

“Adaptation and extension”

Slow socio-economic change

ändernde materielle Struktur und eine ebenso statische Gesellschaft. Auf der anderen Seite einen schnellen Wandel der physischen Basis und komplementär eine ebenso im rasanten Wandel begriffene Gesellschaft (Ravetz 2008, S 4463). Ravetz (2008: 4496) stellt fest, dass die Zukunft des Gebäudebestandes, sowohl im Wohnbau- als auch in Nicht-Wohnbausektor, vielfach von der kontinuierlichen Aktivität, den Investitionen und der kulturellen Identität abhängt. Seine Matrix der möglichen Entwicklungen gilt mit einigen Anpassungen auch für den Bereich der Bildungsbauten. Die gegensätzlichen Achsenpaare der Matrix sind die langsame und schnelle materielle Veränderung sowie die schnelle und langsame Transformation der sozio-ökonomischen Bedingungen. Diese korrespondieren einerseits mit der physischen Beschaffenheit des Schulgebäudebestandes und andererseits mit institutionellen Bedingungen als einem Rahmen für öffentliche Schulen. Saussois entwickelte im Rahmen der OECD-Studie »Think Szenarios, Rethink Education« (2006) eine allgemeine Szenariomatrix für Schulsysteme, bestehend aus vier unterschiedlichen Szenarien:

194 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Abbildung 38: Szenariomatrix nach Saussois (2006: 64), Diagramm nach Saussois ML NORTH: Social

CONSERVATION SCENARIO

TRANSFORMATION SCENARIO

WEST: Closed

EAST: Open SURVIVAL SCENARIO

MARKET SCENARIO

SOUTH: Individual

• • • •

Transformationszenario; Konservierungszenario; Überlebensszenario und Marketszenario.

Die Achsen der Szenariomatrix umfassen folgende Paare: Offenes und geschlossenes sowie soziales und individuelles Schulsystem (siehe hierzu auch Abbildung 38). Die Ergebnisse der Workshop-Diskussionen und die Auswertung, sowie die Gewichtung der Schlüsselfaktoren, entsprechen weitgehend dieser Szenariomatrix. Die künftige Entwicklung des österreichischen Schulsystems kann ebenfalls zwischen den Polen »gemeinschaftlich/sozial« und »individuell« sowie »offen« und »geschlossen« eingeordnet werden, wie von Saussois (2006) vorgeschlagen. Die vier Szenarien zum Schulsystem nach Saussois sind auf das österreichische Schulsystem anwendbar. Diese vier Szenarien, von Saussois übernommen, sind:

Szenariomatrix | 195

• • • •

Erhaltungsszenario; Transformationsszenario; Marktszenario und Überlebensszenario

Szenariomatrix Schulgebäudebestand Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde die Szenariomatrix adaptiert, um die Auswirkungen auf den Gebäudebestand untersuchen zu können. Die Parameter »inkrementelle Entwicklung« und »strategische Planung« wurden gewählt, um die Themen der Gebäudebewirtschaftung und des Planungsprozesses bei der Szenarioentwicklung zu behandeln. Diese zwei Parameter bilden, zusätzlich zu den Faktoren »Gemeinwohl – soziale Schule« sowie »Privatisierung – Segregation«, ein gegensätzliches Matrixpaar, das die materielle und räumliche Substanz des Schulgebäudebestandes ebenfalls maßgeblich prägt. Der Begriff der inkrementellen Planung entspricht jener Definition von Carey (2011) und beschreibt die weit verbreitete Praxis der re-aktiven Bewirtschaftung und Entwicklung. Die strategische Planung hingegen ist langfristig, pro-aktiv und transformativ angelegt und beruht auf den wertsteigernden Prinzipien der Immobilienbewirtschaftung. Die erarbeiteten vier Szenarien basieren auf den Ergebnissen der Workshop-Diskussionen und der Auswertung der Schlüsselfaktoren, ergänzt wurden diese durch eine Literatur- und Praxisanalyse. Die beschriebenen Szenarien sind: • •

• •

»kontrollierter Schulmarkt« (freies Schulsystem ohne staatliches Bildungsmonopol) »De-schooling« (das Krisenszenario, bei dem es zu einer sehr starken Polarisierung zwischen den privaten und öffentlichen Schulen kommt und bei dem es sehr viele Schulabbrecher gibt »Differenzierte Schule« (das Erhaltungsszenario bzw. die Fortführung der jetzigen Praxis, oft als »business as usual«-Szenario bekannt). »Integrierte Schulregion« (das transformativ-strategische Szenario, das in der vorliegenden Arbeit als Grundlage für Backcasting dient und ausführlich beschrieben wird).

196 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Abbildung 39: Vier Szenarien Schulgebäudebestand in Österreich, Grafik: ML CHANCENGERECHTIGKEIT SCHULE ALS ÖFFENTLICHE AUFGABE

DIFFERENZIERTE SCHULE

INTEGRIERTE SCHULREGION

INKREMENTELLE ENTWICKLUNG

STRATEGISCHE PLANUNG DE-SCHOOLING

SZENARIO-MATRIX KEY-DRIVERS

KONTROLLIERTER SCHULMARKT

SEGREGATION SCHULE ALS BEZAHLTE DIENSTLEISTUNG

Die Analyse umfasste einerseits progressive Schulmodelle, wie die »lokale Bildungslandschaften«39 (Bleckmann und Durdel 2009) in Deutschland und die »Brede School«40 in den Niederlanden sowie das Modell der so genannten freien Schulen (die Aufgabe des Bildungsmonopols) in Schweden. Das erste und zugleich sehr wahrscheinliche Szenario ist die Fortführung der derzeitigen Praxis und Prozesse. Der Titel »Differenzierung« bezieht sich sowohl auf das differenzierte Schulsystem als auch auf die unterschiedlichen Flächenressourcen einzelner Schultypen bzw. Schulbautypen, wie auch auf die räumlich ungleichartige Verteilung des Gebäudebestandes.

39 Bleckmann und Durdel definieren lokale Bildungslandschaften als »langfristige, professionell gestaltete, auf gemeinsames, planvolles Handeln abziehlende, kommunalpolitisch gewollte Netzwerke zum Thema Bildung, die – ausgehend von der Perspektive des lernenden Subjekts – formale Bildungsorte und informelle Lernwelten umfassen und sich auf einen definierten lokalen Raum beziehen (2009: 12).«. 40 Groenendijk zufolge basieren »Breite Schulen« auf Verbindung des Schulunterrichts mit einer Vielzahl von weiteren Funktionen, wie zum Beispiel kommunales Zentrum oder Bibliothek, und sind besonders wichtig für kleine Ortschaften in ländlichen Gebieten (2008: 190–191).

Szenariomatrix | 197

Der Titel des Privatisierungsszenarios »kontrollierter Schulmarkt« wurde von dem Sozialwissenschaftler Nihad Bunar übernommen, der sich mit den Auswirkungen der Liberalisierung des schwedischen Schulsystems in problematischen Stadtteilen in Stockholm und Malmö befasst. Die schwedische Liberalisierung der Bildung basiert einerseits auf der Aufgabe des staatlichen Bildungsmonopols – der Staat finanziert gleichermäßen die öffentlichen Schulen als auch die Schulen privater Träger – und andererseits auf einer genauen Regulierung aller Schulen durch die Vorgabe des Curriculums und der Einhaltung der Gleichheitsgrundsätze sowie der Kontrolle durch Schulinspektionen. Der Autor nennt diese Form des Schulsystems »kontrollierter Schulmarkt« (Bunar 2010). In Österreich würde ein staatliches Bildungsmonopol (Szenario »kontrollierter Schulmarkt«) eine Mischung aus liberalen und restriktiven Regulativen hervorbringen, da davon auszugehen ist, dass die Institutionen der Sozialpartnerschaft ‒ insbesondere die Gewerkschaften ‒ weiterhin einen Einfluss auf politische Entscheidungen ausüben würden. Das Szenario »De-schooling« befasst sich mit einer krisenhaften Vertiefung der Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Schulen sowie zwischen prosperierenden, urbanen Nachbarschaften und sozialen Brennpunkten. Der Begriff »De-schooling« geht zurück auf die kritische Hinterfragung des Pflichtschulsystems in den 1960er und 1970er Jahren und wurde vor allem durch Ivan Illich geprägt. In den 2001 publizierten OECDSzenarien (OECD 2006) gibt es zwei unterschiedliche De-schooling-Szenarien. Das erste OECD-»Entschulungsszenario« basiert auf neuen Lernnetzwerken und der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien, wodurch die traditionelle Schule zunehmend zurückgedrängt wird. Das zweite OECD De-schooling-Szenario ist ein Schulversagensszenario, bei dem das Schulsystem aufgrund des Lehrendenmangels in eine Krise mit ungewissem Ausgang gerät. In der vorliegenden Arbeit basiert das Krisenszenario auf Faktoren außerhalb des Schulsystems, vorwiegend auf der krisenhaften Entwicklung der Ökonomie, einer Fortführung der Politik der Austerität und der Demontage des Wohlfahrtsstaates. Externe Einflussfaktoren Einflussfaktoren außerhalb des Bildungssektors beeinflussen sowohl die Entwicklung der Institution »Schule« als auch den Gebäudebestand und die Raumressourcen. Zu den wesentlichen vier externen Faktoren zählen die

198 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

demografische Entwicklung (Wanderungssaldo, Alterung, Fertilitätsrate), die ökonomische Entwicklung auf der Makro- und Mikroebene und der Wertewandel in Bezug auf den Stellenwert von Bildung in der Gesellschaft. Zuordnung Schlüsselfaktoren und Szenarien Signifikante Schlüsselfaktoren und in den Diskussionen oft genannte Trends (Kapitel 7) wurden in einem weiteren Schritt den einzelnen Szenarien zugeordnet, um die Kohärenz und Plausibilität der Szenarien zu erhöhen. Die Zuordnung der Schlüsselfaktoren und der Trends ist in der Abbildung 40 dargestellt. Gewählt wurden Schlüsselfaktoren, die in der Bewertung hohe Werte erreichten und Trends bzw. Entwicklungen, die in den Workshopdiskussionen besonders häufig vorkamen. Abbildung 40: Szenariomatrix mit zugeordneten Schlüsselfaktoren, Grafik: ML CHANCENGERECHTIGKEIT SCHULE ALS ÖFFENTLICHE AUFGABE

Differenziertes Schulsystem Steigende Baukosten Raumbedarf

DIFFERENZIERTE SCHULE

Neue Lehrergeneration

Heimunterricht

Leerstand

Neue Lehrergeneration Raumangebot Gesamtschule

INTEGRIERTE SCHULREGION Teamteaching Kooperative Raumnutzung

INKREMENTELLE ENTWICKLUNG Gesteigerte Mobilität

Lokale Bildungslandschaft Bildungsentwicklungsplanung

DE-SCHOOLING Lehrermangel

STRATEGISCHE PLANUNG

Public-Private-Partnership

KONTROLLIERTER SCHULMARKT

Standortmarketing

Quereinsteiger als Lehrer

Polarisierung zwischen Öffentlich und Privat Konkurrenz um Raum und Standorte

SZENARIO-MATRIX KEY-DRIVERS

SEGREGATION SCHULE ALS BEZAHLTE DIENSTLEISTUNG

Multi-Ebenen-Perspektive und Szenarioentwicklung Die Analyse der Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen des sozio-technischen Systems (sozio-technische Landschaft, sozio-technisches Regime, Nischeninnovation) mit den Mitteln der Transitionstheorie ist in jedem der vier Szenarien enthalten. Die Methodik ist im Kapitel 2 ausführlich be-

Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes | 199

schrieben. Kapitel 3 behandelt die historische Entwicklung und eine Analyse des Schulsystems als sozio-technisches Regime.

VIER SZENARIEN ZUR ZUKUNFT DER SCHULE UND DES SCHULGEBÄUDEBESTANDES Einschränkungen bei der Szenarioentwicklung In Anlehnung an den Szenarioentwicklungsprozess von Ogilvy und Schwartz wurden Experten und Workshopdiskussionen an der Generierung und Gewichtung der Schlüsselfaktoren beteiligt. Im Idealfall müsste der Szenarioprozess von einer der Akteurinnen, die mit der langfristigen Entwicklung von Schulen befasst sind, initiiert werden. Unter Beteiligung von internen und externen Expertinnen und mehreren auf einander aufbauenden Workshopdiskussionen würde auch die ausführliche Ausarbeitung von Szenarien in einer kleineren Gruppe stattfinden. Im Rahmen des Promotionsvorhabens waren die Experten nur in die Phase der Identifizierung und der Priorisierung der Schlüsselfaktoren involviert. Die Festlegung der Szenariomatrix und die Ausarbeitung der Szenarien wurden eigenständig mit Feedback von Christian Kühn vorgenommen. Besonders die Abschätzung der zukünftigen Entwicklungen des heterogenen Schulgebäudebestands ‒ getrennt nach Baualtersklassen – bleibt in der vorliegenden Arbeit fragmentarisch. Erst wenn gesamthafte Daten über den baulichen Zustand vorliegen und auch eine kontinuierlich angelegte Sammlung über die erfolgten Sanierungen sowie über die Alterung und das Versagen einzelner Bauteile vorliegt, könnte auch eine Simulation über das Verhalten des Gebäudebestandes mit verschiedenen szenariospezifischen Parametern durchgeführt werden. Die Autorin verfügt jedoch weder über die Daten, noch über das Know-how, um eine solche differenzierte Gebäudebestandsuntersuchung durchführen zu können. In diesem Bereich gibt es eindeutig Forschungsbedarf für Studien in interdisziplinärer Zusammenarbeit.

200 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

SZENARIO »KONTROLLIERTER SCHULMARKT« 41 Allgemeine Beschreibung In diesem Szenario setzt sich die marktwirtschaftliche Orientierung des Staates nach und nach durch, nachdem eine Koalition aus konservativen und liberalen Parteien die parlamentarische Mehrheit errungen hat. Im Vordergrund steht die Senkung des Staatsdefizits durch die Einschränkung von öffentlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen und einer Reduktion der Transferleistungen. Die wohlfahrtstaatlichen Leistungen werden so vielfach eingeschränkt. Sozialstaatliche Leistungen können von Menschen nur bei Einzahlung in die Sozialversicherungssysteme bezogen werden. Das Recht auf kostenlose Bildung wird zwar nicht angetastet, allerdings wird darunter nur eine grundlegende Basisausbildung verstanden. Das Bildungsmonopol des Staates wird reformiert und marktwirtschaftliche Elemente am Bildungssektor aktiv gefördert. Ein neu eigeführtes Schulsystem basiert auf unabhängigen Schulen, die staatlich finanziert werden. Als Vorbild dienten die schwedischen »independent schools«, die US-amerikanischen »Charter Schools« und die »free schools« aus dem Vereinigten Königreich. Der Staat finanziert gleichermaßen privat initiierte wie auch öffentliche Schulen. Seine Rolle ist nunmehr die Vorgabe des Curriculums und die Vorgabe und Kontrolle zentraler Prüfungen. Die Schulwahl ist frei und vom Wohnort unabhängig. Die Finanzierung erfolgt pro Kopf, wodurch ein Wettbewerb zwischen den Schulen entsteht. Die Eltern und Schüler verstehen sich als Bildungskonsumenten. Die Schulen verfügen über große Autonomie, vor allem in Bezug auf die Auswahl der Schülerinnen und Lehrenden, sowie bei der Einhebung von zusätzlichen finanziellen Mitteln von den Eltern.

41 Bunar nannte das schwedische Schulmodell mit staatlicher Finanzierung und freier Schulwahl sehr treffend »kontrollierter Schulmarkt« (2010). Diese Bezeichnung wird als Titel für das Szenario der staatlichen Deregulierung des Schulsystems übernommen.

Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« | 201

Externe Einflussfaktoren •

• •

Demografische Entwicklung: In diesem Szenario ein positiver Wanderungssaldo aus dem EU-Ausland, wachsende Städte und Stadtumland, schrumpfende ländliche Regionen; Ökonomische Entwicklung: Stabiles Wirtschaftswachstum auf einem niedrigen Niveau, Dominanz der marktwirtschaftlichen Prinzipien; Werte-Orientierung: Hoher Stellenwert von Bildung auf der Basis des Subsidiaritätsprinzips in bildungsnahen Schichten, geringer Stellenwert bei sozial schwachen und bildungsfernen Schichten;

Das Schulorganisationsmodell Die Schulautonomie erlaubt die freie Wahl zwischen den differenzierten Schul- und dem Gesamtschulsystem. Im Laufe der Zeit kommt es deshalb zu einer Zweiteilung am Bildungssektor. Während die liberalen Schulen, die von den progressiven urbanen Eltern mitinitiiert und getragen werden, vielfach auf ein Gesamtschulsystem setzen, behalten die öffentlichen Schulen, die traditionellen konfessionellen Schulen und die marktorientierten kommerziellen Schulträger das differenzierte Schulmodell bei. Schulwahl Die Schule kann frei gewählt werden. Eltern und Schüler erhalten pro Kind einen Schulvoucher. Die Schulen, egal ob in privater Trägerschaft oder öffentlich, erhalten die Finanzierung entsprechend der Zahl der Schüler. Sozio-technisches System gemäß der Transitionstheorie Der Wandel des sozio-technischen Systems vollzieht sich, bedingt durch den Wertewandel auf der Ebene der sozio-technischen Landschaft, sehr schnell. Durch die Dominanz der marktorientierten staatlichen Organisation und einem liberalen Typus des Wohlfahrtstaates wird die weitgehend deregulierte, autonome Schule sehr schnell akzeptiert. Entwicklung in den nächsten zehn Jahren Die Markt- und Konkurrenzprinzipien werden, ebenso wie die freie Wahl der Schule, zu führenden Prämissen am Bildungssektor. Die Rolle des Staa-

202 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

tes wird zugunsten von privaten Initiativen und Schulautonomie minimiert. Am Bildungssektor wird sich dadurch im Laufe der Zeit eine sehr unterschiedliche, stark polarisierte Schullandschaft entwickeln. Die Zahl der privaten Schulen wird sprunghaft ansteigen. Neben den Schulgründungen durch engagierte Elterninitiativen werden sich auch kommerzielle Schulträger mit unterschiedlichen, jedoch sehr charakteristischen, Schulkonzepten etablieren. Die »Schulen der engagierten Eltern«, etablierte konfessionelle Schulen und die marktorientierten Schulträger werden von zusätzlichen Finanzierungen durch die Eltern, als Ergänzung zu den staatlichen Basisfinanzierungen, profitieren. Dadurch werden diese privilegierten Schulen besser ausgestattet sein, als vergleichbare öffentliche Schulen. Die Rolle der öffentlichen Schulen wird auf die Grundversorgung in den peripheren Bereichen (sozial benachteiligte Stadtquartiere in den Städten und die schrumpfenden ländlichen Regionen) reduziert. Der Schulsektor wird stark segmentiert und diversifiziert. Dadurch, dass das individuelle Bestreben und die Eigenleistung gesellschaftlich einen hohen Stellenwert haben und staatliche Transferleistungen und Hilfestellungen möglichst vermieden werden, verblasst das Ideal der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit durch Bildung zunehmend. Die Segregationseffekte, verstärkt durch die Rücknahme der wohlfahrtstaatlichen Absicherungen, werden sich potenzieren. Am privaten Schulmarkt entsteht eine geringe Anzahl von Eliteschulen, eine moderate Anzahl von »engagierten Elternschulen« und eine Vielzahl von kommerziell orientierten Schulen in unterschiedlichen Qualitätsabstufungen, die von ausreichend bis exzellent reichen. Die unabhängigen Schulen mit zusätzlichen Mitteln werden die meisten guten Lehrkräfte, von den klassischen Lehrenden bis hin zu engagierten Quereinsteigerinnen, rekrutieren. In den »engagierten Elternschulen« wird ein Teil der notwendigen Leistungen wie Kochen, Zusatzunterricht, Nachmittagsbetreuung usw., um die Kosten gering zu halten, selbst erbracht. Dieser Trend wird zu einer Zunahme an Teilzeitarbeit und Reduktion der Frauenerwerbsquote in dieser Schicht führen. Die kommerziell ausgerichteten Schulen werden wahrscheinlich, um die Schulen gewinnbringend betreiben zu können, auf eine Standardisierung der Unterrichtsmethoden setzen. Das Monitoring und die permanente Evaluierung der Leistungen werden in dieser Art von Schulen eingesetzt, um die Attraktivität der Schulkette zu vermarkten und dadurch genügend Schüler anwerben zu können. Bei den öffentlichen Schulen, insbesondere in benachteiligten urbanen Be-

Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« | 203

reichen, wird die Qualität der Ausbildung ebenso wie die Aneignung wesentlicher Kompetenzen weiter abnehmen. Dies deshalb, da die Konzentration von Risikoschülerinnen und geringer kompetenter Lehrkräfte an diesen Schulstandorten hoch ist. Anders wird die Entwicklung in den suburbanen Wachstumszonen (»Speckgürteln«) und noch prosperierenden, kleineren Städten verlaufen. Durch eine gewisse Steuerautonomie der Gemeinden kommt es zu einer ergänzenden Finanzierung der Schulen durch die Kommunen, weil Schulen vielfach als wichtiger Standortfaktor gesehen werden. Auswirkungen auf den Schulgebäudebestand An allen neuen und traditionellen privaten Schulen werden die höherwertige Ausstattung der Schulen (Informations- und Kommunikationstechnologien, Möblierung, haustechnische Installationen und Akustikmaßnahmen) und das differenzierte Raumangebot (unterschiedliche Lernzonen, mehr Fläche) zum Alleinstellungmerkmal des Standortes. Zwischen den einzelnen Arten von privaten Schulen wird es durchaus auch Konkurrenz um attraktive Standorte in städtischen Lagen geben. Bei privaten Schulen wird der Schwerpunkt auf einer zeitgemäßen und mobilen Ausstattung liegen. Bei der Gebäudeerhaltung wird eher eine werterhaltende bzw. Low-Level Unterhaltstrategie gewählt, damit in die neuste unterrichtstechnische Ausstattung und das Flächenangebot der Schulen investiert werden kann. Bei öffentlichen Schulen wird ebenfalls auf das Low-Level Instandsetzungsmodell gesetzt, zumal die öffentlichen Zuwendungen vordergründig für die laufenden Personalkosten kalkuliert werden. Bei den neu gegründeten marktorientierten Schulen wird vor allem der vorhandene Gebäudebestand genutzt. Diese private Schulart wird sich vor allem an ehemaligen Bürostandorten aus den 1970er, 1980er und 1990er Jahren niederlassen. Das Überangebot an neuen, bestens ausgestatteten Büroflächen führt zu einem Leerstand in Bürogebäuden des späten 20. Jahrhunderts. Ein Umbau und die Adaptierung für die zeitgenössische Büronutzung wären zu aufwändig. Die Schulnutzung hingegen erfordert weniger Eingriffe und niedrigere Standards bzgl. Klimatisierung und technischer Infrastruktur. Vor allem niedrigere Bauten an den innerstädtischen Standorten kommen, ebenso wie campusartige Anlagen mit großzügigen Freiräumen am Stadtrand, infrage. Die privaten Schulen werden deshalb auch Transportdienste für Kinder anbieten. Aufgrund des vielfältigen Angebotes an Schulen und dem Trend zur gezielten Schulwahl in bildungsnahen Gesellschaftsmilieus wird die Perso-

204 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

nenmobilität in den Städten zunehmen, die Idee einer »Stadt der kurzen Wege« wird dadurch unterwandert. Die Zahl der öffentlichen Schulstandorte mit nicht maturafähigen Schulen wird reduziert. Die Pflichtschulen werden an den größeren Schulstandorten zusammengezogen, die Klassen werden, ebenso wie die Anzahl der Klassen pro Schule, vergrößert. Vor allem die kleineren Schulen in attraktiven urbanen Lagen werden staatlicherseits verkauft. Die Anzahl der öffentlichen Schulen in öffentlichem Eigentum wird reduziert. Aufgrund der starken Bindung des Bildungsbudgets an den privatisierten Schulmarkt werden die Mittel für Investitionen weiterhin sehr knapp bemessen, teilweise werden sie sogar stagnieren. Die Mittel werden in diesem Szenario nicht ausreichen, um die notwendigen werterhaltenden Maßnahmen am öffentlichen Schulgebäudebestand durchzuführen. Die Gebäudesubstanz der öffentlichen Schulen wird dadurch zunehmend abnehmen. In weniger robusten Baualtersklassen (vor allem die Baualtersklasse der Wiederaufbauzeit zwischen 1945–1960) wird dies zur technischen Obszoleszenz führen. Lernorte In den öffentlichen Schulen wird sich der Unterricht weiterhin auf die Kernschule konzentrieren, allerdings werden nicht-schulische Orte durch die Vernetzung mit lokalen Akteurinnen vermehrt genutzt. Bei marktwirtschaftlich geführten, privaten Schulen wird der Unterricht in gut ausgestatteten Schulen, ergänzt durch E-learning und digitale Lernmateriale, auf die in der Freizeit, im Krankheitsfall und in den teilweise flexibel wählbaren Ferien zurückgegriffen werden kann, stattfinden. Bei den von Eltern geführten Schulen wird zusätzlich auf Heimunterricht gesetzt. Entwicklung der Flächenressourcen Das Raumangebot in den öffentlichen Schulen bleibt konstant, pro Schüler stehen in der Klasse ca. 2,5 m² zur Verfügung. Bei kommerziellen Schulen werden in den Lernbereichen bis zu 10 m² zur Verfügung stehen, für Lehrende werden moderne Büroräume geschaffen. Bei den alternativen, von Eltern geführten Schulen wird aus Kostengrunden die Raumnutzung optimiert, die Lernbereiche für die Schüler werden eine Größe zwischen 2,5 m² und 5 m² pro Schüler aufweisen. Der Arbeitsplatz der Lehrer wird bei dieser Schulart in die Schülerlernbereiche integriert sein.

Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« | 205

Tabelle 11: Auswirkungen auf die Baualtersklassen bzw. den Gebäudebestand bei Szenario »Kontrollierter Schulmarkt«, Tabelle ML

Bauperiode bis 1948 1948-1918 1919-1934 1934-1944

BAK 4

BAK 3

BAK 2

BAK 1

Baualtersklasse

Szenario »Kontrollierter Schulmarkt«

Baukonstruktive Merkmale

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentumsstatus

Vorgründerzeitlich, traditionelle Massivbauweise

Erhalt nach Verkauf, mehrheitlich unter Denkmalschutz, vielfach keine Schulnutzung mehr

Trend zu Privatisierung

Gründerzeit, tra- Erhalt, mehrheitlich ditionelle Mas- Denkmalschutz, in sivbauweise dichten urbanen Lagen weiterhin Schulnutzung, Sanierungsstrategie: Substanzsanierung, Generalsanierung bei privaten Schulen

Öffentliches Eigentum, teilweise Verkauf und Umnutzung, Auflassung von öffentlichen Schulen

Zwischenkriegszeit, traditionelle Massivbauweise mit einigen modernen Elementen

Erhalt nach Verkauf, Privates mehrheitlich Denkmal- Eigentum schutz, keine Schulnutzung mehr

kaum Schulneubau

nicht bewertet

nicht bewertet

206 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentumsstatus

1945-1960

Wiederaufbauperiode, traditionelle Bauweisen mit modernen Elementen, teilw. technisch-konstruktive Obsoleszenz

Abbruch und Ersatzneubau, teilweise keine Schulnutzung mehr, Grundstücksverkauf, an einigen Standorten Ersatzneubauten durch private Schulträger

Teilweise öffentliches Eigentum, vielfach Privatisierung

1961-1970

Späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweise, beginnende Vorfertigung und Rationalisierung

Erhalt, Weiternutzung als Schulen; Sanierungsstrategie: Substanzsanierung. Übernahme von Standorten in zentralen Lagen durch Private

Öffentliches Eigentum, teilweise Privateigentum

1971-1979

Spätphase des Funktionalismus, Fertigteilbauweisen

Erhalt, Weiternutzung. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum

Abbruch und Ersatzneubau, Verkauf und Übernahme durch private in zentralen Lagen, Auflassung ländliche Regionen

Privates Eigentum

1980-1999

Postmoderne, kein dominierender Schulgebäudetypus, techn.-konstruktive Obsoleszenz Energieeffiziente Bauweisen, aufwändige Gebäudetechnik

Erhalt, Weiternutzung als Schulen. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum, teilweise Privatisierung

Bauperiode

Baukonstruktive Merkmale

2000-2013

BAK 9

BAK 8

BAK 7

BAK 6

BAK 5

Baualtersklasse

Szenario »Kontrollierter Schulmarkt«

Szenario »De-schooling« | 207

SZENARIO »DE-SCHOOLING« Allgemeine Beschreibung In diesem Szenario kommt es nach dem Zerfall der gemeinsamen Währung im Euroraum zu einer anhaltenden, tiefen ökonomischen und politischen Krise. Im Klima einer allgemeinen Verunsicherung und starker Polarisierung werden erhebliche Kürzungen im Bereich der Verwaltung und bei Transferleistungen umgesetzt. Die Arbeitslosenrate steigt kontinuierlich an, besonders hohe Arbeitslosenraten entstehen bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahren. Die Bildungspolitik wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert, ohne tatsächliche Reformbestrebungen auszulösen. Die Schulpflicht wird teilweise dereguliert, der Stellenwert von Berufsausbildungen und des Heimunterrichts steigt, der Anteil privat finanzierter Schulen nimmt stark zu. Das differenzierte Schulsystem bleibt erhalten, das neunte Schuljahr bleibt allerdings nicht mehr verpflichtend bestehen. Externe Einflussfaktoren •

• •

Demografische Entwicklung: Erheblicher Geburtenrückgang, negatives Wanderungssaldo, stagnierendes demografisches Wachstum in allen Bereichen; Ökonomische Entwicklung: Rezession und Deflation; Werte-Orientierung: Bildung wird als Privatangelegenheit bzw. als die Aufgabe von größeren Konzernen angesehen. Das Ziel der Chancengleichheit erodiert zunehmend.

Das Schulorganisationsmodell Die Schulen sind weiterhin nach dem Schema der differenzierten Schule organisiert. Die öffentliche Finanzierung der Schulen wird jedoch zunehmend reduziert. Diese Entwicklung ist einerseits durch die Etablierung von privaten Berufsausbildungen bei großen nationalen und multinationalen Konzernen, andererseits durch die Entstehung von privat finanzierten Schulen bedingt. Kleine lokale Unternehmen (Apotheken, Handwerker, Nahversorger) setzen ebenfalls auf eigene Berufsausbildungen. Die Aufgabe der öffentlichen Schulen ist es Mindestanforderungen wie Alphabetisierung und die Unterstützung der privaten Berufsschulen zu erfüllen. In der Folge

208 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

entsteht eine sehr heterogene Schullandschaft mit einem großen Anteil an privat finanzierten Berufsschulen, staatlich forciertem Heimunterricht und privat finanzierten Eliteschulen. Die öffentlichen Schulen übernehmen nur mehr Grundaufgaben. Schulwahl Es gilt nach wie vor das Prinzip der Pflichtschule, allerdings kann auch eine private Schule besucht werden. Bei Schülern, die die öffentliche »Restschule« besuchen, gibt es eine zentral gesteuerte Schülerinnenallokation. Sozio-technisches System gemäß der Transitionstheorie Die Verstärkung der ökonomischen Krise erfolgt diesem Szenario nach sehr schnell. Durch eine starke gesellschaftliche Polarisierung und das verlorene Vertrauen in staatliche Institutionen kommt es auf der Ebene der sozio-technischen Landschaft zu einem rasanten Wandel der Bildungsideale. Bildung wird zunehmend weniger als eine öffentliche Aufgabe angesehen. Im Bereich großer multinationaler Konzerne entstehen als Nischeninnovationen eigene Berufsschulmodelle, die auf spezifischen Berufsbildern nach von den Unternehmen gesetzten Standards und stark selektivem Zugang beruhen. Diese Schulform wird auch von mittleren und kleinen Unternehmen übernommen und durch Korporationen (Kammern und ähnliche Institutionen) unterstützt. Entwicklung in den nächsten zehn Jahren Das Recht auf öffentlich finanzierte Bildung verliert in diesem Szenario allmählich an Bedeutung. Die öffentliche Hand zieht sich zunehmend als regulatorische Instanz aus dem Bildungssektor zurück. Diese Entwicklung wird durch den gravierenden Lehrermangel verstärkt. Die qualifizierten Lehrenden stehen kaum noch für öffentliche Schulen zur Verfügung. Öffentliche Schulen übernehmen deshalb Mitarbeiterinnen aus der Verwaltung, die in Crashkursen für die neue Aufgabe umgeschult werden. Ebenso wird auf Lehrende aus Personalleasingagenturen zurückgegriffen. Die Qualität der Schulbildung in öffentlichen Schulen nimmt dadurch bedingt, ebenso wie das Vertrauen der sozial schwachen und bildungsfernen Milieus auf einen möglichen sozialen Aufstieg durch Bildung, beständig ab. Schulen verstärken demzufolge die Effekte benachteiligter Nachbarschaften (so

Szenario »De-schooling« | 209

genannte »Neighbourhood Effects«42). Durch die starke Segregation und Residualisierung entstehen neben »No go areas« auch »No go Schulen«. Die Zahl der jugendlichen Schulabbrecher im öffentlichen Schulsystem nimmt, ebenso wie die Anzahl der »NEET« (Not in Education, Employment or Training) genannten jungen Erwachsenen, dramatisch zu. Die bildungsnahen Schichten reagieren darauf mit dem Ausweichen auf private Schulen oder sie greifen verstärkt auf Heimunterricht zurück. Gut ausgebildete ältere Frauen, die am Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben, übernehmen diese Aufgabe. Es entstehen auch Lerncoops, solidarische Gemeinschaften, in denen Heimunterricht in kleinen engagierten Gruppen stattfindet. Der Staat toleriert diese Entwicklung zunächst, in einer späteren Phase wird darauf folgend Eigeninitiative in der Bildung als offizielle Politik anerkannt und forciert. Durch das Versagen der öffentlichen Schulen entsteht ein erheblicher Mangel an geeigneten Facharbeiterinnen. Da in den meisten europäischen Ländern ein ähnliches Versagen im Bereich des öffentlichen Bildungssystems stattfindet, reagierten die transnationalen Großkonzerne mit der Gründung von eigenen Berufsschulen. Die Curricula und Lernmethoden dieser Schulen entsprechen den internationalen Konzernstandards und setzen auf einen stark selektierenden Zugang. Die Teilnahme an diesen neuen Berufsschulen wird kostenlos, jedoch nur wenn die Schüler nach dem Ende der Ausbildung dem Unternehmen längerfristig zur Verfügung stehen. Auch mittlere und kleinere lokale Unternehmen übernehmen im Laufe der Zeit diese Praxis. Die Berufsschule wird durch ständi-

42 Nachbarschaftseffekte, ein Begriff aus den Sozialwissenschaften, bezeichnen den Einfluss der Nachbarschaft auf die individuellen Chancen, sowohl am Arbeitsmarkt, aber auch beim Bildungserfolg. Dietz definiert den Begriff wie folgt: »What is a neighborhood effect? The definition varies according to the researcher, but in general a neighborhood effect is a social interaction that influences the behavior or socioeconomic outcome of an individual. Neighborhood effect research includes, but is not restricted to, models of endogenous preference effects, peer effects, and compositional effects. Neighborhood effects also include influences on individual behavior or outcomes due to the characteristics of an individuals neighbors and neighborhood. For example, population sorting may result in exposure to dissimilar institutional influences among neighborhoods. There is also an explicit spatial aspect to neighborhood effect research. Typically, this spatial relationship is defined with respect to location of residence. However, a measure of social distance may also be appropriate (2002: 540)«.

210 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

sche Organisationen, wie Kammern und Berufsverbände, organisiert und angeboten. Eine überwachende Funktion der öffentlichen Hand wird bei diesem neuen Berufsschultypus und im Bereich des Heimunterrichts weitgehend zurückgenommen. Ebenso stark wird der private Schulsektor, der vor allem in den finanziell geschwächten Mittelstand durch Bildungskredite finanziert wird, wachsen. Bildungskredite werden mittel- und langfristig zu einer weiteren Verarmung gewisser gesellschaftlicher Milieus führen. Private Schulen mit langer Bildungstradition, dabei vor allem konfessionelle Schulen, werden die Unterstützung durch die öffentliche Hand verlieren und nur mehr privat finanziert. Ein Teil dieses Schulsegmentes wird zu Eliteschulen, ein anderer Teil wird stagnieren. Auswirkungen auf den Schulgebäudebestand Die Zahl der Schulen im öffentlichen Eigentum wird sich radikal verkleinern. Durch die dramatische Abnahme der Schülerinnenzahlen im öffentlichen Sekundarbereich, dabei insbesondere bei den maturafähigen öffentlichen Schulen ‒ die Schüler weichen auf private oder unternehmensnahe Schulen aus ‒ wird eine große Anzahl dieser Schulstandorte geschlossen beziehungsweise zentralisiert. Der verbleibende öffentliche Schulgebäudebestand wird nur notdürftig im Sinne einer Low level-Unterhaltstrategie instandgehalten. Die Schulgebäude aus dem Sekundarbereich werden verkauft, auf eine weitere Schulnutzung durch die Käufer wird dabei nicht geachtet. Da öffentliche Schulgebäude erhebliche Bauschäden aufweisen und der Gesamtzustand eher desolat ist, entsteht mit den privaten Schulträgern auch keine Konkurrenz um diese Bauten. Geschlossene Schulgebäude in unattraktiven peripheren Lagen, für die keine Käufer gefunden wurden, werden als Obdachlosenasyle genutzt oder aufgelassen und nicht weiter genutzt. Die neuen Schulträger werden nur einen geringen Teil der Schulbauten übernehmen. Die Lerncoops werden in privaten Räumen oder leerstehenden Geschäften stattfinden. Die Berufsschulen der lokalen Unternehmen werden leerstehende Verwaltungsbereiche von Kammern und Interessensvertretungen für schulische Zwecke adaptieren. Die Berufsschulen der Konzerne werden in die nationalen Konzernzentralen integriert. Da die Bildung als ein Alleinstellungmerkmal der Unternehmen gilt, werden dafür eigene Campusschulen in markantem, zeitgenössischen Architekturstil gebaut (Flagshipcampus). Das krisenhafte Versagen der öffentlichen Schule wird einerseits zum Verkauf der öffentlichen Gebäudebestände, und ande-

Szenario »De-schooling« | 211

rerseits zu Wertverlusten in Teilen des Schulportfolios führen. Die öffentlichen Schulen, vor allem im Sekundarbereich, erreichen eine funktionale sowie nach und nach auch technische Obsoleszenz, die durch den Sanierungstau und den bewussten Verfall bedingt ist. Lernorte In den verbleibenden öffentlichen Volksschulen und weiterführenden Schulen des Sekundarbereichs findet der Unterricht in traditioneller Form in Klassenzimmern statt. Der Schülerinnenrückgang an den öffentlichen Schulen führte zunächst zu ausreichendem Raumangebot. Durch den Verkauf von öffentlichen Schulen kommt es in diesem Szenario zu einer erneuten Raumknappheit und einer Erhöhung der Klassenschülerhöchstzahl. In den Berufsschulen der Konzerne und Berufsvereinigungen steht die Zugehörigkeit zum Konzern beziehungsweise zur Berufsgruppe an erster Stelle. Die räumliche Nähe zwischen dem Konzernstandort und der Zentrale der Berufsvereinigung ist dabei ganz entscheidend. Die Schulungsräume sind in die jeweiligen Campusschulen integriert. Dezentraler Unterricht und vor allem praktische Arbeit finden auch in einzelnen Konzernniederlassungen beziehungsweise in den Unternehmen statt. In diesen Schulen wird E-Learning und kollaborativen Kommunikationstechnologien eine besondere Rolle eingeräumt. Entwicklung der Flächenressourcen Die öffentlichen Schulen spielen nur mehr eine untergeordnete Rolle, in den verbleibenden Standorten wird die Fläche pro Schüler reduziert und beträgt zwischen 1 und 1,5 m². Die Konferenzräume und Sonderunterrichtsräume werden zu traditionellen Klassenzimmern, in die auch die Lehrerarbeitsbereiche integriert sind, umgewidmet. In den Berufsschulen der Konzerne sind pro Schüler ähnliche Flächen wie für die regulären Arbeitnehmerinnen vorgesehen, diese betragen zwischen 10 und 14 m² pro Person. Die Seminarräume der Berufsschulen werden multifunktional für lebenslanges Lernen und Weiterbildungen im Konzern genutzt. Analoge Flächenzuweisungen gibt es auch bei den Schulen der Berufsvereinigungen. Bei Schülern, die an Heimunterricht teilnehmen, gibt es keine spezifischen Lernräume. Die Leerncoops nutzen zusammen mit anderen Bottom-up-Initiativen billige leerstehende Lokale. Die Fläche pro Schüler ist knapp bemessen und beträgt zwischen 2 und 2,5 m².

212 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Tabelle 12: Auswirkungen auf die Baualtersklassen bzw. Gebäudebestand bei Szenario »De-schooling«, Tabelle ML

Bauperiode bis 1948

Eigentums-status

1948-1918

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Gründerzeit, Erhalt, mehrheitlich traditionelle Denkmalschutz, in dichMassivbauweise ten urbanen Lagen weiterhin teilweise Schulnutzung, Sanierungsstrategie: Substanzsanierung, Generalsanierung bei privaten Schulen

Öffentliches Eigentum, teilweise Verkauf und Umnutzung, Auflassung von öffentlichen Schulen

Zwischenkriegszeit, traditionelle Massivbauweise mit einigen modernen Elementen

Erhalt nach Verkauf, mehrheitlich Denkmalschutz, keine Schulnutzung mehr

Privates Eigentum

1919-1934

Baukonstruktive Merkmale

Vorgründerzeitlich, traditionelle Massivbauweise

kaum Schulneubau

nicht bewertet

nicht bewertet

1934-1944

BAK 4

BAK 3

BAK 2

BAK 1

Baualtersklasse

Szenario »De-schooling«

Erhalt nach Verkauf, Trend zu mehrheitl. unter Denk- Privatisierung malschutz, vielfach keine Schulnutzung mehr

Szenario »De-schooling« | 213

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Wiederaufbauperiode, traditionelle Bauweisen mit modernen Elementen, teilweise technischkonstruktive Obsoleszenz.

Abbruch, Ersatzneubau und Nachverdichtung, teilweise keine Schulnutzung mehr, Zusammenlegung an wenigen zentralen Schulstandorten, Sanierungsstrategie: low level für wenige zentrale Standorte

Verkauf von Abiturfähigen Schulen und Schulen in attraktiven Lagen

1961-1970

Späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweise, beginnende Vorfertigung und Rationalisierung

Standorte für zentrale öffentliche Schulen, zusätzliche Nutzung für soziale Vorsorge, Sanierungsstrategie: low level

Wenige zentrale Standorte in öffentlichem Eigentum

1971-1979

Spätphase des Funktionalismus, Fertigteilbauweisen

Weiternutzung an zentralen Orten. Sanierungsstrategie: low level

Wenige zentrale Standorte in öffentlichem Eigentum

Postmoderne, Abbruch und Ersatzkein dominieren- neubau, Verkauf und der SchulgeLeerstand bäudetypus, techn.-konstruktive Obsoleszenz

1945-1960

Bauperiode

Baukonstruktive Merkmale

1980-1999

BAK 8

BAK 7

BAK 6

BAK 5

Baualtersklasse

Szenario »De-schooling«

Eigentums-status

Privates Eigentum

214 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Bauperiode 2000-2013

BAK 9

Baualtersklasse

Szenario »De-schooling«

Baukonstruktive Merkmale

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentums-status

Energieeffiziente Bauweisen, aufwändige Gebäudetechnik

Abbruch und Ersatzneubau, Verkauf und Leerstand Sanierungsstrategie: low level

Wenige zentrale Standorte in öffentlichem Eigentum

SZENARIO »DIFFERENZIERTE SCHULE« Allgemeine Beschreibung Das Bildungssystem bleibt basierend auf Differenzierung und dem Föderalismus erhalten. Tiefere Reformen finden in diesem Szenario nicht statt. Die finanziellen Mittel fließen mehrheitlich in die Finanzierung von laufenden Personal- und Verwaltungskosten in privaten und konfessionellen Schulen. Die institutionellen Strukturen und Regeln verändern sich kaum. Mächtige Interessensverbände, allen voran die Lehrergewerkschaft, blockieren alle tiefergehenden Veränderungen. Durch die Pensionierungswelle kommt eine neue Lehrergeneration an die Schulen. Die bekannten Probleme des differenzierten Schulsystems, beziehungsweise der frühen Selektion der Schülerinnen im Alter von 10 Jahren, vertiefen sich zunehmend. Der sozio-ökonomische Hintergrund der Schüler bestimmt weiterhin den Bildungsverlauf. Durch die anhaltend moderate Konjunktur und ein geringes Wachstum verbleibt das Budget für Bildung auf einem hohen Niveau, allerdings werden die Ausgaben kontinuierlich reduziert. Externe Einflussfaktoren • Demografische Entwicklung: Verlangsamtes demografisches Wachstum, Abnahme der Auslandswanderung und Geburtenrückgang, verstärkte Binnenwanderung, langsam wachsende Städte und Stadtumland, stark schrumpfende ländliche Regionen;

Szenario »Differenzierte Schule« | 215

• •

Ökonomische Entwicklung: Geringes Wirtschaftswachstum; Werte-Orientierung: Hoher Stellenwert der Bildung in bildungsnahen Schichten, geringer Stellenwert bei sozial schwachen und bildungsfernen Schichten

Das Schulorganisationsmodell Das Schulsystem basiert auf dem Modell der differenzierten Schule. Die Aufteilung der Schüler auf verschiedene Schullaufbahnen erfolgt nach dem Ende der Volksschule im Alter von 10 Jahren. Die interne Schulorganisation folgt dem Prinzip der Einteilung nach Klassen mit einem zuständigen Klassenlehrer. Die Allokation der Schüler nach dem Prinzip der räumlichen Nähe wird beibehalten. Schulwahl Bei öffentlichen Schulen gibt es keine freie Schulwahl. Bedingt durch den Qualitätsverlust bei Schulen in bestimmten städtischen Randbezirken setzen bildungsnahe Milieus auf eine gezielte Wahl des Wohnortes beziehungsweise weichen auf Schulen in privater Trägerschaft aus. Sozio-technisches System gemäß der Transitionstheorie Die Politik wird im Rahmen dieses Szenarios auf eine strategische Entwicklung und Governance im Bereich der Bildung verzichten. Das Wertesystem in der sozio-technischen Landschaft bleibt erhalten. Die Ebene des Regimes befindet sich zunächst in einem labilen Gleichgewicht, zunehmend wird die Situation krisenhaft. Die Transformation und der Übergang im Bildungssystem werden willkürlich und ohne erkennbare Strategie stattfinden. Entwicklung Schulen erhalten weiterhin große öffentliche Zuwendungen, das Ausmaß der Finanzierung wird jedoch, ähnlich wie in den anderen Ressorts, zunehmend verringert. Der Einfluss der Parteien und der Sozialpartner, insbesondere der »Gewerkschaft öffentlicher Dienst« bleibt bestehen. Die Bedeutung der elterlichen Unterstützung in der Bildung, d. h. Hilfe beim Lernen oder Nachhilfe, wird zunehmen.

216 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Das Ziel der Chancengerechtigkeit wird weiterhin nicht erreicht. Die Klassengröße in bestimmten Schultypen wird angehoben. Dies betrifft vor allem maturafähige Schulen, sowohl in schrumpfenden ländlichen Regionen als auch in attraktiven urbanen Lagen. Der Anteil der Schülerinnen mit Kompetenzschwächen, insbesondere bei der Lesekompetenz, und die Zahl der Risikoschüler werden zunehmen. Diese Entwicklung findet vor allem in den sozialen Brennpunkten der größeren Städte statt. Die Segregation wird bei nicht maturafähigen Schulen und Neuen Mittelschulen in den problematischen Zonen der Stadt vertieft. Für die Probleme im Schulbau – von fehlenden Klassenzimmern über nicht ausreichende, werterhaltende Sanierung bis hin zu einem fehlenden Angebot an schulischer Ganztagsbetreuung – wird aus Gründen der fehlenden Finanzierung und Reformunwilligkeit nicht reagiert. Schüler aus der Mittelklasse und sozial aufstrebenden Milieus werden zunehmend auf konfessionelle oder privat finanzierte, alternative Schulen, sowie auf gute öffentliche Schulen in den Stadtbereichen ohne Segregation, ausweichen. Bei den Lehrenden wird ein ähnlicher Austauschprozess stattfinden. Die Schulen mit gutem Ruf und guten Schülerinnen werden besonders gute Lehrende anwerben. Schulen werden in diesem Szenario zu einem entscheidenden Faktor bei der Gentrifizierung einzelner Stadtteile und Nachbarschaften. Die Unterschiede zwischen den sozialen Brennpunkten der Städte und gentrifizierten Stadtteilen bzw. Umlandgemeinden im Speckgürtel der Städte werden sich zusätzlich vertiefen. Die integrativen Effekte des Schulsystems ‒ die Schule als Integrationsmaschine ‒ gehen weitgehend verloren. Diese Entwicklung wird zu einer weiteren Reduktion der sozialen Durchmischung im Wohnbau führen. Die bestehenden Segregationstendenzen in Teilen des kommunalen Wohnbaues, die von der Sozialraumanalyse aufzeigt wurde, werden durch die zunehmenden Qualitätsunterschiede in den lokalen Schulen weiter vertieft. Die Migration in die Städte wird weiterhin zunehmen. In den ländlichen Regionen wird sich die Polarisierung zwischen den stadtnahen Gemeinden und den schrumpfenden ländlichen Regionen vertiefen. Das bestehende, räumlich disparate Schulangebot in benachteiligten Regionen ohne gute, weiterführende maturafähige bzw. berufsbildende Schulen wird durch Schulzusammenlegungen und Schulschließung verstärkt. Die gesellschaftlichen Unterschiede und prekäre Einkommenssituationen werden sich weiter vertiefen. In den Städten entsteht ein pauperisiertes

Szenario »Differenzierte Schule« | 217

Milieu ohne berufliche Perspektive, das vielfach von sozialen Transferleistungen und prekären Jobs abhängig sein wird. Auswirkungen auf den Schulgebäudebestand Durch die knappen öffentlichen Mittel werden Bildungsausgaben weiterhin vorwiegend für die Finanzierung der Personal- und Verwaltungskosten aufgewendet. Die Sanierungsintervalle bei bestehenden öffentlichen Schulen werden nicht eingehalten. Die nicht ausreichend umgesetzte Sanierungsstrategie wird sich jeweils unterschiedlich auf die Schulgebäude aus den einzelnen Baualtersklassen auswirken. Die gründerzeitlichen Bauten (BAK 02 1948-1918)43 und die Schulen aus der Zwischenkriegszeit (BAK 03 1919-1934), die über robuste und resiliente Konstruktionen und Materialien verfügen, werden auch längere Zeiträume ohne periodische Instandhaltung mit geringem Wertverlust überstehen. Teilweise wird es zu Umsiedlungen von Schulen in weniger wertvolle Verwaltungsgebäude oder leerstehende Bürogebäude kommen. Die repräsentativen Gründerzeitgebäude werden veräußert und für private Wohn- und Büroflächen im Hochpreissegment genutzt. Bei den Teilgebäudebeständen mit weniger robuster Bausubstanz, das sind insbesondere die Schulen aus den 1950er und frühen 1960er Jahren der BAK 05 1945-1961, werden Bauschäden zunehmen. Teilweise werden diese Gebäude das Ende ihrer Lebensdauer (technische Obsoleszenz) erreichen. Diese Schulanlagen, die vor allem in peripheren Stadtlagen und ländlichen Regionen über weitläufige Freiräume verfügen, werden abgebrochen und durch kompakte, kostengünstige Schulgebäude ersetzt. Die Grundstücke werden verkleinert, die Grundflächenreserven werden, entweder durch Verkauf an private Investoren oder für die Schaffung von sozialem Wohnbau, verwertet. Bei Ersatzneubauten für diese Schulen wird auch auf die private Finanzierung in Form von PPP Modellen gesetzt. Ersatzneubauten werden in Bezug auf die Flächenressourcen möglichst optimiert, zusätzliche Flächen, wie zum Beispiel großzügige Gangbereiche und Pausenflächen, werden in den neuen Richtlinien weitgehend auf das notwendige Minimum reduziert. Diese Entwicklung wird vor allem durch die Beteili-

43 Baualtersklassen s. Tabelle 10.

218 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

gung von privaten Investoren und Betreibern an Schulraumschaffung (PPP Modelle) und Erhaltung (Energiecontracting) vorangetrieben. Bei den Baualtersklassen ab 1980 bis 2013 werden sich die verminderten Investitionen in die Gebäudesubstanz unterschiedlich auswirken. Die Bauten der Postmoderne sind aufgrund aufwändiger Details und problematischer Bauanschlüsse für Bauschäden und Wertverlust anfälliger. Die technisch-konstruktive Obsoleszenz wird schneller als bei den Gebäuden späterer Baualtersklassen, die formal und konstruktiv einfacher ausgeführt sind, erreicht. Unabhängig von der Baualtersklasse wird es in bestimmten Regionen zu weiteren Wertverlusten und Schädigungen der konstruktiv-materiellen Bausubstanz kommen. Vandalismus wird bei Schulen in sozialen Brennpunkten in benachteiligten urbanen Zonen zunehmen. In schrumpfenden, ländlichen Regionen werden Schulen aufgelassen und an den einzelnen Standorten zusammengefasst. Wenn in schrumpfenden Gemeinden an der Aufrechterhaltung der überzähligen Schulstandorte festhalten wird, wird die Bausubstanz aller Standorte aufgrund fehlender Finanzierungen zunehmend vernachlässigt. In attraktiven städtischen Lagen wird es zu einer Konkurrenz zwischen privaten und konfessionellen Schulbetreibern einerseits und den öffentlichen Schulen andererseits kommen. Schulgebäude mit guter Ausstattung und robuster Bausubstanz in hochpreisigen innerstädtischen Lagen werden an private Anbieter verkauft. Öffentliche, weiterführende Schulen mit wenig attraktivem Schulprofil, wie die Neue Mittelschule oder das Polytechnikum, werden an den Stadtrand und zum Teil in leerstehende Bürogebäude aller Bauperioden übersiedelt, die zeitgenössische Bürostandards nicht erfüllen. Lernorte In traditionell organisierten, öffentlichen Schulen wird das Klassenzimmer als der primäre Lernort beibehalten. Bedingt durch den Raummangel in städtischen Schulen werden zusätzliche schulische Flächen für Unterrichtszwecke angeeignet. Bei Sanierungen werden Pausenflächen und Sonderräume ebenfalls zu Unterrichtsräumen umgewidmet. Mobile Klassenpavillons ergänzen das Raumangebot bei Schulen mit akutem Klassenzimmermangel. Der knapp bemessene Arbeitsbereich der Lehrenden in den Schulen ist der Konferenzraum (Lehrerzimmer), die Unterrichtsvorberei-

Szenario »Differenzierte Schule« | 219

tung findet nach wie vor in den privaten Räumen der Lehrenden statt. Weil Ganztagsschule, verschränkter Unterricht und auch Horte nicht flächendeckend an allen Schulstandorten angeboten werden, werden auch Schülerinnen ihre Hausaufgaben nach wie vor zu Hause erledigen. Durch die Einbindung von externen Akteuren in den Unterricht wird dieser auch an traditionell organisierten Schulen zunehmend außerhalb der Schule stattfinden. Solche Orte wären zum Beispiel die Jugendzentren oder die Gebietsbetreuungen. Das Raumangebot in den ländlichen Regionen mit stabilen bzw. schrumpfenden Schülerzahlen stellt sich, im Unterschied zu den Städten, anders dar. Um die Schulstandorte zu erhalten, wird die in den Schulen frei gewordene Fläche für Gruppenräume und innovative Unterrichtsformen genutzt. Dieses Schulsegment wird, um seine Position am Markt besser zu behaupten und das Schulprofil zu schärfen, ebenfalls auf die Vernetzung mit nicht schulischen Organisationen und Lernorten außerhalb der Schule setzen. Entwicklung der Flächenressourcen Bei den öffentlichen Schulen wird eine unterschiedliche Entwicklung bei der Flächennutzung einsetzen, die Struktur der Klassenzimmer bleibt überall erhalten. In dichten urbanen Lagen und ländlichen Regionen mit Schulschließungen werden die Klassen vergrößert und die Fläche in Klassenraum pro Schüler wird sinken auf 1,5 bis 2 m². In Regionen mit erhaltenen Schulstandorten wird die Fläche pro Schüler auf 5 bis 10 m² pro Schüler steigen, leerstehende Klassen werden als Gruppenräume und Arbeitsbereiche für Lehrende umgewidmet. Bei konfessionellen, privaten Schulen wird das überdurchschnittliche Raumangebot weiter ausgebaut, die Fläche pro Schülerin wird kontinuierlich erhöht und bis 2025 zwischen 7 m² und 10 m² pro Schüler betragen. Für die Lehrerarbeitsplätze stehen zwischen 10 bis 14 m² zur Verfügung.

220 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

Tabelle 13: Auswirkungen auf die Baualtersklassen bzw. den Gebäudebestand bei Szenario »Differenzierte Schule« Tabelle ML

Bauperiode

Erhalt nach Verkauf, mehrheitlich unter Denkmalschutz, vielfach keine Schulnutzung mehr

Trend zu Privatisierung

bis 1948

Eigentumsstatus

1948-1918

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Gründerzeit, tra- Erhalt, mehrheitlich ditionelle Mas- Denkmalschutz, in dichsivbauweise ten urbanen Lagen weiterhin Schulnutzung, teilweise Umsiedlung in neuere Bürogebäude. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

1919-1934

Baukonstruktive Merkmale

Vorgründerzeitlich, traditionelle Massivbauweise

Zwischenkriegszeit, traditionelle Massivbauweise mit einigen modernen Elementen

Erhalt, mehrheitlich Öffentliches Denkmalschutz, weiterhin Eigentum Schulnutzung. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

kaum Schulneubau

nicht bewertet

1934-1944

BAK 4

BAK 3

BAK 2

BAK 1

Baualtersklasse

Szenario »Differenzierte Schule«

Öffentliches Eigentum, teilweise Verkauf

nicht bewertet

Szenario »Differenzierte Schule« | 221

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentumsstatus

1945-1960

Wiederaufbauperiode, tradit. Bauweisen mit modernen Elementen, teilw. techn.-konstruktive Obsoleszenz

Sanierungsstrategie: Abbruch und Ersatzneubau, Weiternutzung als Schulen

Public-Private-Partnership Modelle, Grundstücksverkauf, Miete an Investoren

Erhalt, Weiternutzung als Schulen. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum

1961-1970

Späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweise, beginnende Vorfertigung und Rationalisierung Spätphase des Funktionalismus, Fertigteilbauweisen

Erhalt, Weiternutzung. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum, Konkurrenz mit privaten Schulträgern

Teilweise Abbruch und Ersatzneubau, keine Nachverdichtung. Teilweise weiterhin Schulnutzung

PPP Modelle, Miete an Investoren

1980-1999

Postmoderne, kein dominierender Schulgebäudetypus, techn.-konstruktive Obsoleszenz. Energieeffiziente Bauweisen, aufwändige Gebäudetechnik

Erhalt, Weiternutzung als Schulen. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum

1971-1979

Bauperiode

Baukonstruktive Merkmale

2000-2013

BAK 9

BAK 8

BAK 7

BAK 6

BAK 5

Baualtersklasse

Szenario »Differenzierte Schule«

222 | Vier Szenarien zur Zukunft der Schule und des Gebäudebestandes

SZENARIO »INTEGRIERTE SCHULREGION« Einleitende Bemerkung Das Szenario »integrierte Schulregion« ist, entgegen einiger Empfehlungen aus der Szenarioliteratur, die bevorzugte langfristige Strategie in Bezug auf das Schulsystem und den öffentlichen Schulgebäudebestand. Damit kann das beschriebene Modell, beziehungsweise die gewollte und geplante Entwicklung, im Sinne eines »Backcasting«-Ansatzes44 genutzt werden. Bei diesem Szenario werden deshalb auch die Herausforderungen und Handlungsfelder, die es im Bereich des Schulsystems und bei der Bewirtschaftung des Schulbauportfolios zu bewältigen gilt, behandelt. Ebenso wird auf mögliche Strategien und geeignete Instrumente bei der mittel- und langfristigen Umsetzung des Transformationsprozesses hingewiesen. Die grundlegende Motivation in der Produktion von Architektur ist in der Regel, wie in einigen anderen Disziplinen, nicht auf die Beobachtung der Zustände beschränkt. Zum Selbstverständnis der Architekturschaffenden gehört die Lust nach Veränderung, verbunden mit dem Bestreben bessere und schönere Alltagsräume und eine lebenswerte, nachhaltig gebaute Umwelt zu schaffen. Eine zukunftsfähige Transformation des Schulgebäudebestandes verfolgt zwei wichtige Ziele: Einerseits die Ermöglichung von Chancengerechtigkeit und sozialer Durchlässigkeit durch Bildung und andererseits die Erhaltung des Schulgebäudebestandes als ein wichtiges öffentliches Kapital. Das erste Ziel entspricht weitgehend den gesellschaftlichen Zielen und Werten in Bezug auf Bildung, allerdings wird der Grundsatz der Chancengerechtigkeit durch das heutige Schulsystem vielfach verfehlt. Die Bedeutung des öffentlichen Gebäudebestandes, als wesentliche öffentliche Ressource und angelegtes Kapital, wurde bisher allerdings zu wenig beachtet und muss als gesellschaftlicher Wert erst anerkannt werden. Allgemeine Beschreibung In diesem Szenario wurde das traditionelle Schulsystem zunächst ohne tiefgreifende Reformen beibehalten. Um 2020 kam es zu einem besorgniserregenden Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die Zahl der Risikoschülerinnen und von

44 Backcasting siehe Kapitel 6.

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Schulabbrechern stieg dramatisch an. In einigen Bezirken in Wien kam es nach einem Zwischenfall zwischen Polizei und arbeitslosen Jugendlichen zu Ausschreitungen, die in Plünderungen und Vandalismus endeten. Nach dem Ende der Proteste wurde das Versagen des öffentlichen Schulsystems als eine Ursache für die große Anzahl von Schulabbrecherinnen und die Jugendarbeitslosigkeit identifiziert. Eine zivilgesellschaftliche Initiative, getragen von engagierten Eltern, kritischen Schülern, Bildungsexpertinnen, progressiven Politikerinnen und Managern aus relevanten Unternehmen und der Wirtschaftskammer, wurde gebildet. In einem Memorandum wurde festgehalten, dass einige systemische Eigenschaften des Schulsystems Grund für die hohe Versagensrate sind. Die Initiative postulierte die dringende Notwendigkeit einer grundlegenden Reform des Schulsystems und die Einführung der Gesamtschule. Vor allem die frühe Selektion und die ineffiziente Nutzung von vorhandenen personellen und räumlichen Ressourcen wurden als Ursachen für das Scheitern des Bildungssystems erkannt. In der Öffentlichkeit bekam das Memorandum eine mehrheitliche Unterstützung. Die Petition für die Reform des Schulsystems und die Einführung der Gesamtschule unterzeichneten 850.000 Bürger und Bürgerinnen. Schließlich wurden die Forderungen nach einer umfassenden Reform des Bildungssystems auch von der regierenden Koalition aufgriffen und eine Volksbefragung durchgeführt: Thema war die Reorganisation des Schulsystems nach dem Modell der Gesamtschule, basierend auf integrierten Bildungsregionen und verschränkten Ganztagsschulen. Die überwiegende Mehrheit der Stimmberechtigten entschied sich zugunsten eines öffentlich finanzierten Gesamtschulsystems und für die umfassende Modernisierung des Schulsektors. Damit setzte ein Paradigmenwechsel in der Schulpolitik ein. Auf Anraten einer Expertenkommission, in der sowohl Bildungsexperten, Praktikerinnen und Betroffene als auch Wissenschaftler aus dem Bereich der Nachhaltigkeitsforschung vertreten waren, wurde die Umsetzung eines langfristig orientierten Übergangsprozesses beschlossen. Die Methodik des Transitionsmanagements wurde gewählt, um diesen Prozess zu steuern und zu lenken. Den beteiligten Bürgerinnen, Experten und Politikerinnen war bewusst, dass eine Schulmodernisierung nicht über Nacht umgesetzt werden kann. Eine neue Schulkultur und die damit einhergehende, grundlegende Reorganisation des Schulsystems bedeutet, dass viele Zwischenphasen durchlaufen werden müssen, um die wesentlichen Problemfelder am Bildungssektor langfristig aufzulösen. Ebenso setzte begleitend

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eine dauerhafte, öffentliche Diskussion über die Aufgaben der Schule und die Werte, die in der Bildung vermittelt werden, ein. Bestehende Nischeninnovationen als auch erfolgreiche Schulmodelle aus anderen Ländern wurden evaluiert. Die Akteurinnen einigten sich auf die langfristigen Ziele der Modernisierung: Ein Schulsystem, das auf Chancengerechtigkeit und sozialer Durchlässigkeit basiert und auf Werte wie Selbstbestimmung, Verantwortungsbewusstsein und beschlussfassendes Tun setzt. Die Rolle der Lehrenden soll künftig aufgewertet werden. Die vorhandene evidenzbasierte Evaluierung der Kompetenzen wird vertieft. Durch die Einführung der Gesamtschule war es notwendig, die Schulgröße einzelner Standorte neu zu bestimmen und auf die synergetischen Ressourcen von Schulen in unmittelbarer Nachbarschaft zu setzen sowie die räumliche Verteilung der Schulen neu zu bestimmen. Deshalb wurde in einem strategischen Governance-Prozess zunächst ausführlich evaluiert: Über welche Ressourcen die Schulen verfügen (personelle und räumliche Ressourcen sowie Ausstattung) und welche Korrelationen zwischen den Ressourcen und den Ergebnissen bestehen, stand im Zentrum der Evaluationen. Die Ergebnisse dieser Analysen wurden für eine neue Verteilung der Mittel und Ressourcen herangezogen. Ebenso wurden historische Beispiele der Gesamtschuleinführung studiert. Eine Expertenkommission entwickelte ein Backcasting-Modell, in dem sowohl die Vision einer künftigen Gesamtschule klar definiert war als auch der Prozess der Umsetzung mit Zwischenschritten und -stadien festgelegt wurde. Durch die Zwischenstadien war es kurz- und mittelfristig möglich die wichtigen Defizite durch gezielte strategische Allokation von Lehrenden, Schülern und Infrastrukturen rasch zu überwinden. Während dieser Zwischenphasen akzeptierte man zeitweise erhöhte finanzielle Ausgaben und zusätzliche Lehrende in besonders förderwürdigen Schulen. Zwischennutzungen und temporäre Gebäude ergänzten diesen Prozess der Transformation. Alle notwendigen Gesamtschulen wurden neu gegründet. Die Gesamtschulen verteilte man, nach dem Prinzip der räumlichen Nähe, möglichst gleichmäßig. Die Schulen wurden als ein wesentlicher Faktor lokaler Entwicklungen erkannt und gezielt als Instrument der Stadtentwicklung eingesetzt. Die Oberstufen der Gesamtschulen wurden strategisch in den sozialräumlich problematischen urbanen Bereichen und in den ländlichen Regionen mit Abwanderung angesiedelt. Gegen eine Verringerung der Bil-

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dungschancen aufgrund des Wohnortes wurden, im Einklang mit lokalen, langfristig orientierten Raumplanungsstrategien, Maßnahmen gesetzt, um diese Defizite zu verringern. Durch die Neugründung aller Schulstandorte im Pflichtschul- wie auch im weiterführenden Bereich, wurde eine neue Verteilung der personellen und räumlichen Ressourcen möglich. So konnte auf antizipierte Standortdefizite nach einer umfassenden sozialräumlichen Analyse reagieren werden. Im Rahmen der Schulreform setzte man verstärkt auf Schulvernetzung statt Konkurrenz. Die Kooperation zwischen den Schulen wurde in Form eines Austauschs und der gemeinschaftlichen Nutzung von Lehrpersonal und Infrastrukturen bei Schulen in räumlicher Nähe organisiert. Weiter wurde ein Mentoringprogramm angeboten, um damit einen Wissensaustausch zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Schulen zu initiieren. Nach fünf Jahren war so die Gesamtschule aller 7- bis 14-Jährigen weitgehend eingeführt. Schon bald nach der Umsetzung der Gesamtschule verringerte sich die Zahl der Risikoschüler deutlich. Für die Schulabbrecherinnen und jugendliche Arbeitslose wurde ein spezielles Programm der Wiedereingliederung und Qualifizierung geschaffen, das bewusst in das Regelschulsystem integriert wurde. Externe Einflussfaktoren In der Wirtschaftspolitik kommt es ebenfalls zu einem Paradigmenwechsel. Diese basiert auf den Prinzipien des De-Growth Modells mit der Prämisse einer geringen Wachstumsrate. Die demografische Entwicklung stabilisiert sich zunehmend. Die rückläufige Geburtenrate und rückläufige Außenwanderung werden durch bessere und höhere Bildung kompensiert. Der Faktor Arbeit wird erheblich steuerlich entlastet. Möglichst viele Beitragszahlende, die durch selbständiges und unselbständiges Arbeitseinkommen zum Erhalt des Wohlfahrtssystems beitragen, ist eines der erklärten Ziele der Bildungspolitik. Über einen Teil der Steuereinnahmen, dem sogenannten »partizipativen Steueranteil«, wird in Referenden frei abgestimmt: Dazu zählen auch die Bildungsausgaben. Das Schulorganisationsmodell Das Schulsystem basiert auf dem Modell der Gesamtschule aller 6- bis 16Jährigen sowie einer verpflichtenden Vorschule. Diese Vorschule wird für

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Kinder von 3 bis 6 Jahren angeboten. Die Gesamtschule verfügt über zwei Stufen. Die niedrigere Stufe der Gesamtschule umfasst alle Jahresgruppen von 6 bis 14 Jahren, die höhere Stufe die Jahresgruppen von 14 bis 16 Jahren. Erst nach Absolvierung der Gesamtschule findet eine Differenzierung und Selektion statt. Schulwahl Die Schulwahl wird zum Bestandteil der Gesamtstrategie. Dieses Instrument wird sehr behutsam eingesetzt und laufend evaluiert. Bei den älteren Schülern wird auf die gezielte Allokation gesetzt. Für Schülerinnen bis 10 Jahren gilt das Prinzip der räumlichen Nähe bzw. der »Stadt der kurzen Wege«. Sozio-technisches System gemäß der Transitionstheorie Die Regimeebene am Bildungssektor wird in der ersten Phase zunehmend destabilisiert. Vor allem auf dieser Ebene sind die Akteure nicht mehr bereit das traditionelle System weiter zu unterstützen. Die Reforminitiative wird zunächst von bildungsnahen Eltern und Schülern getragen, darauf folgend von Bildungsforschern, Politikerinnen und Pädagogen aufgegriffen. Auf der Ebene der sozio-technischen Landschaft gibt es ein starkes Bekenntnis zu den Idealen der Chancengerechtigkeit und der Funktion von Bildung als ein Garant für den individuellen, wie auch gesellschaftlichen, Wohlstand. Die nationalen Nischeninnovationen spielen eine geringere Rolle als in klassischen Transitionsprozessen. Vielmehr werden Schulmodelle, die in internationalen evidenzbasierten Vergleichen gut abschneiden, evaluiert und für den spezifischen nationalen Kontext adaptiert. Es wird außerdem bewusst auf das Transitionsmanagement als GovernanceMethode für den Schulreformprozess gesetzt. Im Rahmen eines Backcastings wird einerseits das künftige Konzept des Schulsystems definiert. Andererseits werden Schritte geplant, die notwendig sind, um das Modell erfolgreich, und angepasst an künftige unvorhergesehene Entwicklungen, umzusetzen. Das Transitionsmanagement wird bei der Realisierung das Backcasting zusätzlich unterstützen.

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Entwicklung in den nächsten zehn Jahren Eine Expertengruppe wird mit der Entwicklung von Richtlinien für die Implementierung des Transitionsmanagements bei der Einführung der Gesamtschule und der Einführung integrierter Schulregionen betraut. Das Schulsystem wird aus einer Außenperspektive sowie aus der Perspektive involvierter Akteure analysiert. Zusätzlich werden unterschiedliche Instanzen und Akteure auf der Ebene des Regimes mit einer Bestandsaufnahme vorhandener Ressourcen beauftragt. In einem weiteren Schritt wird diese aggregierte Datenbasis evaluiert. Es wird untersucht, welche Potenziale und welche Defizite der Bestand an Schulen, Räumen, Personen, Ausstattung, zeitlichen Potenzialen und finanziellen Mitteln enthält, und wie sich die vorhandenen Ressourcen bzw. ihre räumliche Verteilung bei der Einführung der Gesamtschule und der integralen Lernregionen auswirken werden. Der Transformationsprozess wird als langfristiger, lernender Prozess kommuniziert. Im Laufe der Modernisierung werden auch viele temporäre Ressourcen benutzt, darunter leerstehende Gebäude, demontable Pavillons, freiwillige Lehrende aus dem nicht-schulischen Bereich und engagierte Quereinsteigerinnen. Die Einführung der Gesamtschule und des neuen Modells der integralen Schulregionen sowie die Veränderung der jahreszeitlichen Nutzung der Schulen (Jahreszeitenmodelle für Lernregionen) erfolgen stufenweise und werden kontinuierlich mithilfe von Indikatoren überprüft und adaptiert. Neben der Evaluierung der Kernkompetenzen wird, in Kooperation mit den Stadtentwicklungseinrichtungen, auch die Auswirkung der Schulen auf Nachbarschaften, Stadtteile sowie unterschiedliche Regionen gemessen. Die Schulentwicklung wird in die transsektorale Raumentwicklungsplanung eingebettet. Innerhalb des Schulsystems selbst werden die Übergänge besonders kritisch analysiert, und trennende und selektive Barrieren zwischen den einzelnen Stufen (Vorschule, Gesamtschule, weiterführende Schule und tertiärer Bereich sowie Berufseintritt) weitgehend abgebaut. Integrale Schulregionen beruhen auf dem Prinzip der standortübergreifenden Nutzung von Gebäuden und Infrastrukturen. Dieser Zugang dient auch dem Abbau von Barrieren sowie der verstärkten Kooperation zwischen den einzelnen Schulstandorten. Um den Prozess zu beschleunigen werden zusätzliche Mittel eingesetzt, um die benötigten zusätzlichen Flächen für die Ganztagsschule und für die modernen Lehrerarbeitsplätze, sowie für die gemeinschaftlich genutzte In-

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formations- und Kommunikationstechnologie, zu finanzieren. Dabei wird auf das Mittel der partizipativen Budgets gesetzt.45 In einem Referendum wird über die zusätzlichen Mittel für die Schulen für zusätzlichen Raum, Teamteaching und Ganztagsbetreuung entschieden. Die überwiegende Mehrheit der Stimmberechtigten entscheidet sich für die Zuweisung der partizipativen Steuern für notwendige Ressourcen im Bildungsbereich. Gleichzeitig wird die Verwendung vorhandener Mittel optimiert. Der Anteil der Verwaltungsstrukturen wird reduziert zugunsten von dezentralen Strukturen an den Schulstandorten. Die Schulen erhalten klar definierte autonome Entscheidungskompetenzen, allerdings bleibt die Steuerung und Evaluierung des Systems außerhalb des unmittelbaren Schulalltags. Bereits 5 Jahre nach der Einführung des Gesamtschulsystems und der integrierten Lernregionen gibt es erhebliche Fortschritte bei den Hauptkompetenzen und eine Verringerung der Risikoschülerzahlen. Ebenso sind Fortschritte bei der Re-Integration von Schulabbrechern zu beobachten. Auswirkungen auf den Schulgebäudebestand Der Gebäudebestand gewinnt als wichtiges öffentliches Gut an Bedeutung: Bestehende öffentliche Einrichtungen werden zu wesentlichen Elementen der langfristigen nachhaltigen Transformation: Einerseits als Institutionen des Wohlfahrtstaates, andererseits als materielle und räumliche Ressourcen sowie als öffentliche, ökonomische Veranlagungen. Die Bewirtschaftung basiert auf den Grundsätzen der wertsteigernden Erhaltung und der Anpassung an sich verändernde Nutzungskonzepte (adaptive re-use). Im Kontext des Schulsystems wird die soziale Säule der Nachhaltigkeit leicht bevorzugt. Wesentliche Indikatoren für ein erfolgreiches Schulsystem sind der Erwerb von wichtigen Kompetenzen und die erfolgreiche Teilhabe am öf-

45 Ein historisches Beispiel für die Finanzierung von Schulgebäuden und Kindergärten findet man in Slowenien, damals eine jugoslawische Teilrepublik, in den 1960er und 1970er Jahren. Bedingt durch das demografische Wachstum in den 1960er Jahren entstand ein erheblicher Bedarf an zusätzlichen Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen. In mehreren erfolgreichen Referenden wurde über die zusätzliche Besteuerung der Einkommen, in der Höhe von 1 bis max. 2 % des Einkommens bei Einhaltung einer Mindesteinkommensgrenze, entschieden. Die lukrierten Mittel waren für den Bau von Bildungseinrichtungen, in der späten Phase auch für den Bau von Betreuungseinrichtungen für ältere Menschen, zweckgebunden. Die Steuerhoheit lag auf Gemeindeebene.

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fentlichen Leben. Zunächst wird eine umfassende Bestandsaufnahme über die vorhandenen Ressourcen, die künftigen Bedingungen und Erfordernisse unter Beteiligung unterschiedlicher Akteurinnen, wie Verwaltungsebenen, Lehrenden, Eltern und Planenden, wie auch eine Evaluierung der künftigen Entwicklungen durchgeführt. Die möglichen Methoden für eine detaillierte Erfassung sind im Abschnitt »Gebäudebestandsforschung«, beschrieben. Die möglichen Entwicklungen unterschiedlicher Sanierungs- und Bewirtschaftungsmodelle werden im Rahmen von Szenarioentwicklungen überprüft. In einem weiteren Schritt wird ein spezifisches Backcasting-Modell für den Schulgebäudebestand beziehungsweise Neubau46 entwickelt. Die Zwischenstufen und -lösungen sind vor allem im Gebäudebestand von besonderer Bedeutung. Dies deshalb, weil mittelfristig die Problematik des erheblichen zusätzlichen Raumbedarfs und der ungleichmäßigen Verteilung der Schulstandorte im Raum zu lösen sind. Portfoliobasierte Nutzungen beziehungsweise Bewirtschaftungen, sowie die strategische Masterplanung, liegen der Gesamtstrategie zugrunde. Ebenso wichtig ist die kontinuierliche Erfassung der Planungs- und Sanierungsmaßnahmen, die als Basis für künftige Entscheidungen dienen. Das Mittel der Masterplanung wird auf lokaler Ebene eingesetzt. Die verschiedenen Instrumente für die langfristige Planung, Nutzung und das Facility-Management werden den einzelnen Verwaltungsinstanzen, beziehungsweise übergeordneten und lokalen Behörden, zugeordnet. Abbildung 41: Instrumente und Zuordnung zu Verwaltungsinstanzen und Regionen

46 Neubauten sind in den Szenarien stets bereits Teil des Gesamtportfolios und sollen auf jeden Fall mitberücksichtigt werden.

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Eine wichtige, durch evidenzbasierte Forschung noch zu beantwortende, Frage ist jene nach der Optimierung einzelner Schulen. Die Verbesserung der räumlichen Verteilung in den weniger besiedelten ländlichen beziehungsweise dichten städtischen Regionen ist ebenso zu bearbeiten. Durch die Umsetzung des Gesamtschulsystems wird die Frage der Größe und der Verteilung von einzelnen Schulen am Anfang des Übergangsprozesses besonders relevant. Deshalb muss eine klare Strategie und Logistik definiert und entsprechende Simulationssoftware47 genutzt werden. In den Übergangs-Zwischenphasen wird versucht alle zeitlichen und räumlichen Reserven zu nutzen. Durch die Einführung der Gesamtschule in allen gesellschaftlichen Bereichen wird das Problem des räumlich ungleichen Angebots an weiterführenden Schulen in den ländlichen Regionen deutlich entschärft. Bei Sanierungen und Neubau wird auf größtmögliche Flexibilität und Adaptabilität gesetzt. Dabei wird besonders beim Altbaubestand auf die ökonomische Wirtschaftlichkeit und innovative Lösungen nach dem Pareto Prinzip gesetzt. Insbesondere das »Open Building«48-Konzept, entwickelt von John N. Habraken in den 1960er Jahren, wird eine grundlegende Designmaxime bei Neuplanungen und Sanierungen von Schulgebäuden. »Open Building« basiert auf der systematischen Trennung der baulichen und gebäudetechnischen Elemente nach »Support« (unterstützendes Element, Träger, jedoch nicht in Sinne der Statik) und »Infill« (Füllelement, veränderbares Element) als bauliche Subsysteme für größtmögliche räumliche Flexibilität. John N. Habraken definiert den Unterschied wie folgt: »For the distinction between ›fit out‹ or ›infill‹, on the one hand, and the ›flexible building‹, or the ›support‹, or the ›base building‹, on the other, the primary criterion is control, not hardware. […]. The purpose of design for flexibility by whatever name is to enable individual control in an otherwise collective environment. The concept of distribution of control, therefore, is at the roots of flexible architecture. […] The flexible building, properly understood, becomes a collective form performing between urban space and individual inhabitation.« (Habraken 2008, 293)

47 Optimierungssoftware »More Space« für effizientes Flächenmanagement und Zeitnutzung in Gebäuden wird seit 2010 entwickelt an der TU Wien (Emrich, et al. 2012). Siehe hierzu auch: http://www.morespace.at/home.

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Im »Open Building«-Modell wird versucht, so Karl Dekker, die unterschiedlichen Entwicklungen in der Architektur, im Baukomponentenbau und der Konstruktion der letzten 30 Jahre miteinander zu verbinden. Zu den Entwicklungen, die im »Open Building« integriert werden, zählen unter anderem das systemische Bauen, die modulare Koordination, die Einbindung der Nutzerinnen in den Entwurfs- und Konstruktionsprozess, die Software für Planungen, die Realisierung und Produktion, die Industrialisierung der Bauprodukteindustrie bzw. der Bauindustrie sowie die Renovierung bestehender Gebäude und das Postulat der Nachhaltigkeit am Bausektor (Dekker 1998). Wesentliche Grundsätze des »Open Building« sind bei den heutigen Planungen von Einkaufzentren und Bürogebäuden, aber auch von Spitälern, bereits in die jeweilige Grundtypologie integriert. Durch die konsequente Beachtung der Flexibilität in der Planung können öffentliche Gebäude, auch Schulen, besser auf unvorhersehbare, künftige Nutzungen reagieren. Standortspezifischer Bedarf und Nutzerwünsche werden durch spezifische »Infills« für Schulen erfüllt. Die »Infills« werden von innovativen Trennwandlösungen über akustische Baukomponenten und schulspezifische, gebäudetechnische Komponenten (Problematik Luftwechsel und CO² Konzentration) bis hin zu innovativer Möblierung reichen. Die Partizipation der aktuellen Nutzerinnen (Lehrende, Schüler und Eltern) wird auf dieser Ebene angesiedelt sein. Bis zu einem gewissen Grad können auch bestehende Gebäude mit geringem Potenzial für Flexibilität (zum Beispiel die Baualtersklasse BAK 2 Gründerzeit: 1848-1918) entsprechend angepasst werden. Bei den Gebäuden dieser Baualtersklasse ist auch die Umsiedlung in andere Bestandsgebäude eine Option. Bedingt durch geänderte pädagogische Praktiken und unterschiedliche, wechselnde Lerngruppengrößen, wie die Individualisierung, Kleingruppenunterricht, dem Klassenverband oder Jahrgang, des Mehrstufenjahrgangs und von Schulgemeinschaften, wird die Flexibilität der Raumkonstellationen in Schulen zukünftig an Bedeutung gewinnen. Deshalb werden gründerzeitliche Schulen in andere Gebäude (Alt- wie Neubauten, die über größere funktionale Adaptabilität verfügen) übersiedelt. Schulen werden in Büro- oder Verwaltungsgebäuden aus den 1970er und 1980er Jahren, die flexibel konzipiert sind und über ausreichende statische Reserven für Schulnutzung (Deckentragfähigkeit) verfügen, übersiedelt. Eine weitere Option werden neue, offen konzipierte Gebäude sein, die Altbestände am Ende der Lebensdauer ersetzen werden. Die

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Gründerzeitschulen werden weiterhin als Verwaltungs- und Wohngebäude genutzt. Bei den Schulbauten aus der Wiederbauzeit (BAK 5: von 1945 bis 1960) muss die Problematik der technisch-konstruktiven Obsoleszenz gelöst werden. Die Schulen aus dieser Baualtersklasse sind durch die Mangelwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg gekennzeichnet. Die Schallschutz-, Akustik-, Energieeffizienzstandards und der bauliche Brandschutz entsprechen nur zum Teil, je nach Sanierungsgrad, den neuen normativen und gesetzlichen Anforderungen. Die schwerwiegendste Einschränkung für weitere Nutzung und eine Erhöhung der Flexibilität ist in diesen Gebäuden die geringe Deckentragfähigkeit. Eine Erhöhung der Deckentragfähigkeit wird sich, nach eingehender Prüfung, möglicherweise als unwirtschaftlich erweisen. Bei Schulen, die gravierende normative Defizite aufweisen und nur mit einem erhöhten wirtschaftlichen Aufwand sanierbar wären, wird es zu einer Abbruch- und Ersatzneubaustrategie kommen. Dabei wird auf die Wiederverwertung der Baumaterialien und Baustoffe ebenso großer Wert gelegt wie auf die Beibehaltung der kulturellen, pädagogischen und ökologischen Qualitäten dieser Schulanlagen. Die Schulbauten dieser Baualtersklasse, dabei vor allem die ebenerdigen Pavillonschulen, zeichnen sich durch geringe Geschosshöhen und eine große räumliche Nähe zwischen den Unterrichtsräumen und den Freiraumbereichen aus. Die Grünflächen verfügen über einen gewachsenen Baumbestand. Die Grundstücke verfügen über ausreichend Landreserven, um eine moderate Vergrößerung der Schulanlagen zu ermöglichen. Bei den Schulhäusern aus der späten Nachkriegsmoderne wird die Nutzung des Potenzials der inhärenten Flexibilität möglich sein. Die Schulen aus dieser Baualtersklasse (BAK 6: 1971 bis 1979) wurden in einer Zeit errichtet, in der Fertigteilbauweisen und flexible Grundrisskonzeptionen die dominierende Planungsideologie darstellten. Bei den Schulbauten aus der Zeit der Postmoderne (BAK 8: 1980 bis 1999) wird eine weitere Nutzung und die Strategie der moderaten Werterhaltung bis zum Ende der Lebensdauer gewählt. Bei dieser Baualtersklasse wird die Prüfung der Wirtschaftlichkeit bzgl. der Erhaltung besonders streng erfolgen. Bei den Gebäuden, die die Kriterien der ästhetisch-formalen Bedeutung nicht erfüllen, wird man auch auf die Option des Ersatzneubaus setzen. Bei energetisch hocheffizienten Schulen (Niedrigenergie- und Passivhausstandard, BAK 2000 bis 2013) wird auf eine Optimierung der Gebäudetechnik und gegebenenfalls auf den Rückbau und Austausch von Passivhauskomponenten am Ende der Bauteillebensdauer gesetzt.

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Lernorte Die Schulen in der »Integrierten Schulregion« werden primär in jenen Schulgebäuden stattfinden, die über ein flexibles und differenziertes Raumangebot verfügen. Während der Zwischenstufen im Übergangsprozess werden auch leerstehende Raumressourcen in bestehenden Gebäuden sowie demontierbare und wiederverwendbare Großraumhallen verwendet, die den jeweiligen lokalen Standortanforderungen und Nutzerinnenwünschen mit flexiblen »Infills« angepasst werden. Das Lernen und Lehren wird bewusst zum Teil auch an nicht schulischen Orten angeboten. Diese Orte werden gezielt gewählt und mit dem Unterricht selbst verbunden. Ebenso wird E-Learning in Unterrichtsabläufe und das Curriculum eingebettet. E-Learning wird vor allem in Schulen angeboten, um damit den »digital divide« für ärmere Schüler zu vermeiden. Das Fach Medienbildung wird in engem Zusammenhang mit E-Learning und den Informations- und Kommunikationstechnologien in den Schulen stehen. Entwicklung der Flächenressourcen Der mittel- und langfristige Raumbedarf wird durch temporäre und provisorische Lösungen kurzfristig gemildert. In Zwischenphasen werden demontierbare, wiederverwendbare Objekte eingesetzt, auf die synergetische Nutzung von Schulinfrastrukturen in räumlicher Nähe (lokale Bildungslandschaften) und auf die temporäre Nutzung von nicht schulischen Orten sowie Leerstände wird geachtet. Mittelfristig werden zusätzliche Flächen für differenzierte Unterrichtsformen, für Lehrerarbeitsplätze und für Ganztagsunterricht geschaffen. In urbanen Regionen werden durch Verwaltungsreformen freigewordene Verwaltungsgebäude umgewidmet. In den ländlichen Regionen werden bewusst Schulstandorte beibehalten und der frei gewordene Schulraum wegen des demografischen Rückgangs und der Abwanderung für den zusätzlichen Raumbedarf genutzt. Von Anfang an wird auf die konsequente Anwendung des »OpenBuilding«-Konzeptes im Altbau und Neubau gesetzt. Die notwendige Fläche pro Schüler wird, getrennt nach engerem und erweitertem Lernbereich, gemessen. Der engere Lernbereich wird 10–14 m² umfassen, der erweiterte bis zu 20 m².

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Tabelle 14: Auswirkungen auf die Baualtersklassen bzw. Gebäudebestand bei Szenario »Integrierte Schulregion« Tabelle ML

Bauperiode bis 1948

Baukonstruktive Merkmale

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentumsstatus

Vorgründerzeitlich, traditionelle Massivbauweise

Erhalt nach Verkauf, mehrheitlich unter Denkmalschutz, vielfach keine Schulnutzung mehr

Trend zu Privatisierung

Gründerzeit, traditionelle Massivbauweise

Erhalt, mehrheitlich Denkmalschutz, in dichten urbanen Lagen weiterhin Schulnutzung, teilweise Umwidmung zu sozialem Wohnungsbau. Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

Öffentliches Eigentum, teilweise Verkauf an Wohnbaugenossenschaften

Zwischenkriegszeit, traditionelle Massivbauweise mit einigen modernen Elementen

Erhalt, mehrheitlich Denkmalschutz, weiterhin Schulnutzung in Verbindung mit Nachbarschaftszentren. Sanierungsstrategie: wertsteigernd

Öffentliches Eigentum

kaum Schulneubau

nicht bewertet

nicht bewertet

1948-1918 1919-1934 1934-1944

BAK 4

BAK 3

BAK 2

BAK 1

Baualtersklasse

Szenario »Integrierte Schulregion«

Szenario »Integrierte Schulregion« | 235

Bauperiode

Zukünftige Entwicklung Gebäudebestand

Eigentumsstatus

Sanierungsstrategie: Öffentliches Abbruch und Ersatz- Eigentum neubau bei technischkonstruktiver Obsoleszenz, Weiternutzung und Erweiterung als Schulen, Vernetzung mit Schulen in räumlicher Nähe

Späte Nachkriegsmoderne, Stahlbetonbauweise, beginnende Vorfertigung und Rationalisierung

Erhalt, Weiternutzung Öffentliches als Schulen, VernetEigentum zung mit Schulen in räumlicher Nähe. Sanierungsstrategie: wertsteigernd

Spätphase des Funktionalismus, Fertigteilbauweisen

Erhalt, Weiternutzung und Ausbau zu Stadteilzentren. Sanierungsstrategie: wertsteigernd

Öffentliches Eigentum

Postmoderne, kein dominierender Schulgebäudetypus, technisch-konstruktive Obsoleszenz

Teilweise Abbruch und Ersatzneubau, teilweise weiterhin Schulnutzung

Teilweise Privatisierung

Energieeffiziente Bauweisen, aufwändige Gebäudetechnik

Erhalt, Weiternutzung Öffentliches als Schulen. Eigentum Sanierungsstrategie: Substanzsanierung

1971-1979

1961-1970

1945-1960

Wiederaufbauperiode, traditionelle Bauweisen mit modernen Elementen, teilweise technisch-konstruktive Obsoleszenz

1980-1999

Baukonstruktive Merkmale

2000-2013

BAK 9

BAK 8

BAK 7

BAK 6

BAK 5

Baualtersklasse

Szenario »Integrierte Schulregion«

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ZUSAMMENFASSUNG Die fiktiven Szenarien stellen die möglichen und zugleich höchst unterschiedlichen Entfaltungen des Schulsystems und des öffentlichen Gebäudeportfolios dar. Sowohl beim Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« als auch beim Szenario »Differenzierte Schule« führte dies jeweils zu einem überraschenden und eher unerwünschten Ausgang. Das Szenario »Kontrollierter Schulmarkt« setzt auf die staatliche Deregulierung und Dezentralisierung. Eine höhere Schulautonomie führt jedoch nicht zu einer generellen Verbesserung der schulischen Leistungen, sondern zu einer Zunahme des Wettbewerbsdrucks, verstärkter Segregation sowie zu einer Kommerzialisierung einer ehemals dekommodifizierten öffentlichen Dienstleistung. Das Szenario »Differenzierte Schule«, in dem die weitere Entwicklung der jetzigen Praxis beschrieben wird, hebt die ungelösten Handlungsfelder des aktuellen Schulsystems besonders deutlich hervor. Die hohen Investitionen in Bildung führen weder zur Verbesserung der Schulleistung bei Risikoschülerinnen noch zu einer Verminderung unerwünschter Effekte, wie z. B. der Vererbung von Bildungschancen oder der Zunahme von Segregation. Das Szenario »De-schooling« beschreibt die weitgehende Aufgabe des staatlichen Bildungsmonopols und den Zerfall des Bildungssektors in einzelne, mehrheitlich marktdominierte, Schulsysteme. Das Szenario »Integrierte Schulregion« stellt die angestrebte Entwicklung dar. In diesem Szenario wird die Rolle des Staates und der Zivilgesellschaft gestärkt und vorhandene öffentliche Ressourcen bestmöglich genutzt. Nur bei diesem Szenario wird die Bedeutung von öffentlichen Gebäuden als wertvolles öffentliches Kapital erkannt und eine längerfristige, standortübergreifende, sowie wertsteigernde, Bewirtschaftungsstrategie gewählt. Bei den drei anderen Szenarien führt die gewählte Entwicklung des Schulsystems beziehungsweise der Bildungspolitik ausnahmslos zu Wertverlusten im öffentlichen Gebäudebestand.

Zusammenfassung | 237

Tabelle 15: Szenario-Vergleich

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Literaturverzeichnis

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240 | Schulen weiterbauen

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