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German Pages 358 [355] Year 2022
Alexander H. Schwan Schrift im Raum
TanzScripte |Band 47
Editorial Tanzwissenschaft ist ein junges akademisches Fach, das sich interdisziplinär im Feld von Sozial- und Kulturwissenschaft, Medien- und Kunstwissenschaften positioniert. Die Reihe TanzScripte verfolgt das Ziel, die Entfaltung dieser neuen Disziplin zu begleiten und zu dokumentieren: Sie will ein Forum bereitstellen für Schriften zum Tanz – ob Bühnentanz, klassisches Ballett, populäre oder ethnische Tänze – und damit einen Diskussionsraum öffnen für Beiträge zur theoretischen und methodischen Fundierung der Tanz- und Bewegungsforschung. Mit der Reihe TanzScripte wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Tanzes als einer performativen Kunst und Kulturpraxis Rechnung getragen. Sie will Tanz ins Verhältnis zu Medien wie Film und elektronische Medien und zu Körperpraktiken wie dem Sport stellen, die im 20. Jahrhundert in starkem Maße die Wahrnehmung von Bewegung und Dynamik geprägt haben. Tanz wird als eine Bewegungskultur vorgestellt, in der sich Praktiken der Formung des Körpers, seiner Inszenierung und seiner Repräsentation in besonderer Weise zeigen. Die Reihe TanzScripte will diese Besonderheit des Tanzes dokumentieren: mit Beiträgen zur historischen Erforschung und zur theoretischen Reflexion der sozialen, der ästhetischen und der medialen Dimension des Tanzes. Zugleich wird der Horizont für Publikationen geöffnet, die sich mit dem Tanz als einem Feld gesellschaftlicher und künstlerischer Transformationen befassen. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Brandstetter und Gabriele Klein.
Alexander H. Schwan (Dr. phil.), geb. 1973, Tanzwissenschaftler und Evangelischer Theologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Rolle von Religiosität und Spiritualität in der Tanzmoderne, zeitgenössische Tanzästhetik sowie das Verhältnis von Tanzwissenschaft und Kunstwissenschaft. Die seinem Buch Schrift im Raum zugrunde liegende Dissertation wurde mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet.
Alexander H. Schwan
Schrift im Raum Korrelationen von Tanzen und Schreiben bei Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe
Dieses Buch ist die erweiterte Fassung einer Dissertation, die im Fach Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin angefertigt und eingereicht wurde. D.188
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Jan Fabre, The Dance Sections (1987), Photo: Flip Gils Korrektorat und Satz: Vito Pinto, Berlin Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3814-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3814-5 https://doi.org/10.14361/9783839438145 Buchreihen-ISSN: 2747-3120 Buchreihen-eISSN: 2747-3139 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Inhalt Dank ....................................................................................................... 11 Einleitung................................................................................................ 17 Fragestellung . . ................................................................................. 17 Vorgehen und Auswahlbeispiele . . .......................................................20 Forschungsstand..............................................................................22
Teil I 1 Korrelationen ..................................................................................35 1.1 Schrif t und Tod.................................................................................35 1.1.1 Mor tifikation . . .......................................................................35 1.1.2 Pharmakon............................................................................ 37 1.1.3 Tötender Buchstabe . . .............................................................39 1.1.4 Abwesenheit ......................................................................... 41 1.2 Schrif t und Stimme...........................................................................43 1.2.1 Oralität-Literalität .................................................................43 1.2.2 Primordialität von Schrif t........................................................46 1.2.3 Metaphonetische Sprachlichkeit .............................................48 1.3 Schrif t und Bild . . ..............................................................................50 1.3.1 Perspicuitas . . ........................................................................50 1.3.2 Opazität................................................................................55 1.3.3 Kalligraphie...........................................................................56 1.3.4 Ornament..............................................................................58 1.4 Schrif t und Körper ............................................................................60 1.4.1 Exkarnation...........................................................................60 1.4.2 Schrif tkörper.........................................................................63
1.5 Schrif t und Bewegung ....................................................................... 74 1.5.1 Spuren.................................................................................. 74 1.5.2 Animation .............................................................................78 1.5.3 Notation................................................................................82 2 2.1
Die Analogie von Schrift und Tanz ..................................................... 87 Historische Perspektiven................................................................... 87 2.1.1 Archi-Danse .......................................................................... 87 2.1.2 Attische Bühne . . ....................................................................89 2.1.3 Dante Alighieri, Divina Commedia............................................93 2.1.4 Barockbühne . . ....................................................................... 97 2.1.5 Stéphane Mallarmé, Ballets . . ................................................ 101 2.1.6 Tanzmoderne . . ..................................................................... 106 2.1.7 Runengymnastik . . ................................................................ 116
2.2 Systematische Überlegungen........................................................... 125 2.2.1 Simulakrum......................................................................... 125 2.2.2 Double Exposures . . .............................................................. 127 2.2.3 Imagination......................................................................... 130
Teil II 1 Differenzieren ............................................................................... 135 1.1 Jan Fabre, The Dance Sections (1987).............................................. 135 1.2 Stasis ........................................................................................... 147 1.3 Kontur . . .........................................................................................153 1.4 Spatium ........................................................................................ 157 1.5 Schrif tbild: Hieroglyphe .................................................................. 161 2 Iterieren........................................................................................ 167 2.1 Trisha Brown, Roof and Fire Piece (1973) . . ........................................ 167 2.2 Telegraphie.................................................................................... 174 2.3 Kopie ............................................................................................183 2.4 Appropriation................................................................................. 186 2.5 Schrif tbild: Arabeske . . .................................................................... 194
3 Codieren ....................................................................................... 201 3.1 Trisha Brown, Untitled (Locus) (1975)............................................... 201 3.2 Überdeterminierung ....................................................................... 212 3.3 Autographie . . ................................................................................. 219 3.4 Schrif tbild: Diagramm..................................................................... 226 4 Figurieren ..................................................................................... 231 4.1 William Forsythe, Eidos:Telos (1995)................................................ 231 4.2 Alphabet........................................................................................ 237 4.3 Gestalt . . ........................................................................................ 245 4.4 Algorithmus ................................................................................... 252 4.5 Schrif tbild: Graffiti . . ....................................................................... 259 5 Markieren .....................................................................................263 5.1 William Forsythe und Kendall Thomas, Human Writes (2005)..............263 5.2 Diffusion ....................................................................................... 271 5.3 Emergenz .. ..................................................................................... 274 5.4 Nomos .......................................................................................... 277 5.5 Schrif tbild: Krit zelei .......................................................................288 Ausblick ................................................................................................ 291 PaRDeS: Mehr facher Tanzschrif tsinn ................................................ 291 Zeichnen .......................................................................................293 Begehren.......................................................................................296 Geben ...........................................................................................299 Knistern ........................................................................................ 301 Bibliographie.........................................................................................303 Abkürzungsverzeichnis ...................................................................303 Literatur . . ......................................................................................303
Meinen Eltern in memoriam
Dank Schrift im Raum ist die erweiterte Buchfassung meiner tanzwissenschaftlichen Dissertation an der Freien Universität Berlin. Die Arbeit entstand im Kontext einer weltweiten Vernetzung von Institutionen und temporären Gemeinschaften, Studiengruppen, Konferenzen und Tagungsbänden. Den Menschen, die mich in diesem Netzwerk in vielfältigster Weise unterstützt haben, gilt mein großer Dank. An prominenter Stelle nenne ich Gabriele Brandstetter als Betreuerin und Erstgutachterin meiner Dissertation. Ihre Gedanken zu Tanzen und Schreiben werden in diesem Buch aufgegriffen und weitergedacht als umfassende Auseinandersetzung mit der Denkfigur der écriture corporelle. Von der Ev. Theologie auf das Feld der Tanzwissenschaft überwechselnd war es Gabriele Brandstetter, die meinen Wunsch, postmodernen und zeitgenössischen Tanz mit aktueller Schrifttheorie zusammenzudenken, von Anfang an unterstützte und förderte. Sie hat mich in meinem Ansatz bekräftigt, die theologische Idee der unabgeschlossenen Schriftauslegung auf die Wahrnehmung von Tanz als Schrift im Raum zu übertragen und hat dieses Vorhaben mit Anregungen, Fragen, Kritik und Weitsicht begleitet, bis es die Gestalt des vorliegenden Buches annahm. Ich danke den Mitforscher*innen im DFG-Graduiertenkolleg 1458 Schriftbildlichkeit. Über Materialität, Wahrnehmbarkeit und Operativität von Notationen und seiner Sprecherin Sybille Krämer. Die intensive Kollegsdiskussion zu Theorien und Phänomenen der Schriftbildlichkeit hat maßgeblich zum Reifen dieses Buches beigetragen. Hinzu kamen internationale Symposien, Konferenzen und Workshops in Europa, den USA und Israel, bei denen ich meinen Ansatz präsentieren und von Rückmeldungen und Austausch profitieren konnte. Schrift im Raum wuchs daher an so unterschiedlichen Orten wie Amsterdam, Avignon, Basel, Berlin, Cambridge, Edinburgh, Eichstätt, Florenz, Genf, Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz, Philadelphia, Princeton, New York, Stockholm, Tel Aviv und Zürich. Aus manchen dieser Zusammenkünfte entstanden erste Publikationen, die mir ge-
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S chrift im R aum holfen haben, die Gedanken zu einzelnen Aspekten meiner Forschung in Worte zu fassen. Mein Dank gilt daher allen Organisator*innen dieser Tagungszusammenhänge, den Herausgeber*innen, die meine Texte editorisch begleitet sowie den Übersetzer*innen, die sie schließlich ins Französische, Hebräische und Chinesische übertragen haben. Ich nenne hier in alphabetischer Reihenfolge: Suzanne Anker, Justine Barré, Marianne Beauviche, Liora Bing-Heidecker, Johannes Birringer, Anne Blosner, Camille Bollaert, Ora Brafman, Sarah Burkhalter, Tamar Cholcman, Uta Daur, Marie Drath, Christian Driesen, Marzia Faietti, Josephine Fenger, Sabine Flach, Corinna Forberg, Tami Gadir, Mareike Giertler, Fiona Hanley, Stefanie Heine, Elke Huwiler, Wang Jiqing, Suzanne Kooloos, Rea Köppel, Hélène LaplaceClaverie, Jan Lazardzig, Stéphanie Luzio, Dieter Mersch, Benjamin Meyer-Krahmer, Olga Moskatova, Clemens Ötzelt, Martin Puchner, Sandra Beate Reimann, Laura Rossetti, Christian Roy, Laurence Schmidlin, Kathrin Schönegg, Matthew Spellberg, Kathrin Stocker, Philipp Stockhammer, Hana Taragan, Nina Tolksdorf, Lydie Toran, Luk Van den Dries, Hanna Walsdorf, Eike Wittrock, Gerhard Wolf, Huang Xie An, Sandro Zanetti, Michael F. Zimmermann, Reto Zöllner. Dem German Department der Princeton University danke ich für die herzliche Aufnahme während eines Forschungsstipendiums, das mir die Arbeit in der Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library und die Studien in der Trisha Brown-Collection von Sikkema Jenkins & Co. ermöglicht hat. Weiterer Dank geht an die Mellon School of Theater and Performance Research an der Harvard University für die intensive Unterstützung bei der Buchfassung dieser Studie und dem Netzwerk Principles of Cultural Dynamics, das mir mit einem mehrmonatigen Stipendium am Mahindra Humanities Center der Harvard University die Möglichkeit zur konzentrierten Arbeit am Buchmanuskript gegeben hat. Umfangreiche Reise- und Konferenzstipendien habe ich außerdem von der Dahlem Research School, der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freien Universität Berlin und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst erhalten. Schließlich danke ich der Landeskonferenz der Rektor*innen und Präsident*innen der Berliner Hochschulen (LKRP), die die diesem Buch zugrundeliegende Dissertation mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichnet hat. Schrift im Raum wurde auch zum Thema mehrerer Seminare, die ich an der Freien Universität Berlin und der University of California, Santa Barbara unterrichtet habe. Studierende in Berlin und am Pazifik in ganz unterschiedlicher Weise beim Umgang mit der Denkfigur der écriture corporelle zu erleben und zu sehen, wie meine Forschung in neue Kontexte hineinwirkt, hat mein Nachdenken über Tanz als Schrift noch einmal verändert und bereichert. Ich danke den Mitgliedern meiner Promotionskommission: Susanne Strätling für das Zweitgutachten, Adam Czirak, Matthias Warstat sowie Lucia Ru-
D ank precht, die dieser Arbeit wertvolle Impulse gegeben hat. Eingeschlossen sind in meinen Dank auch Mariama Diagne und alle Mitarbeiter*innen des Instituts für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin, die meine Arbeit unterstützt haben. Gabriele Klein und Gabriele Brandstetter sei gedankt für die Aufnahme des Buches in die Reihe TanzScripte beim transcript-Verlag. Bei dessen Mitarbeiter*innen bedanke ich mich herzlich für die freundliche Hilfe im Laufe des Publikationsprozesses. Für Lektorat und Satz geht mein großer Dank an Vito Pinto. Für die Unterstützung bei Abbildungen und Bildrechten verweise ich auf Flip Gils, Babette Mangolte, Christopher-Rasheem McMillan, Dominik Mentzos, Peter Welz, das Museum für Kommunikation Frankfurt a.M., die Staatliche Bibliothek Regensburg, die Albertina Wien, die Bodleian Libraries der University of Oxford, Troubleyn/Jan Fabre Theatre Company, Trisha Brown Dance Company sowie die Galerie Sikkema Jenkins & Co. Und schließlich danke ich Dir, lieber Nils. Du hast dieses Buch von seinen ersten Gedanken an begleitet und wirst mit mir erleben, wie es seinen Weg in die Welt findet, gelesen wird und neues Schreiben anregt: Schrift auf dem Papier – und Tanz als Schrift im Raum.
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Suddenly Mrs. Coates looked up into the sky. The sound of an aeroplane bored ominously into the ears of the crowd. There it was coming over the trees, letting out white smoke from behind, which curled and twisted, actually writing something! making letters in the sky! Everyone looked up. Dropping dead down the aeroplane soared straight up, curved in a loop, raced, sank, rose, and whatever it did, wherever it went, out fluttered behind it a thick ruffled bar of white smoke which curled and wreathed upon the sky in letters. But what letters? A C was it? an E, then an L? Only for a moment did they lie still; then they moved and melted and were rubbed out up in the sky, and the aeroplane shot farther away and again, in a fresh space of sky, began writing a K, an E, a Y perhaps? [...] The aeroplane turned and raced and swooped exactly where it liked, swiftly, freely, like a skater— »That’s an E,« said Mrs. Bletchley— or a dancer—[...] So, thought Septimus, looking up, they are signalling to me. Not indeed in actual words; that is, he could not read the language yet; but it was plain enough, this beauty, this exquisite beauty, and tears filled his eyes as he looked at the smoke words languishing and melting in the sky and bestowing upon him in their inexhaustible charity and laughing goodness one shape after another of unimaginable beauty and signalling their intention to provide him, for nothing, for ever, for looking merely, with beauty, more beauty! Tears ran down his cheeks. It was toffee; they were advertising toffee, a nursemaid told Rezia. Together they began to spell t... o... f... Virginia Woolf: Mrs. Dalloway, S. 18-20.
Einleitung »Let aeroplanes circle moaning overhead Scribbling on the sky the message: He is dead.«1 »Dancing is like scribbling, you know, because of the inconsistencies of the human anatomy.«2
Fragestellung Gezeichnete und geschriebene Linien sind Resultate körperlicher Bewegung, die Spuren eines minimalen Tanzvorgangs. Doch es ist möglich und es hat seit Stéphane Mallarmé eine lange Tradition, Tanzen selbst als Geflecht von Bewegungslineaturen wahrzunehmen, als flüchtiges und in sich verschlungenes Tanz-Lineament. Im genauen Rückgriff auf die Etymologie des Begriffs Choreographie als Tanz-Schrift eröffnen sich hierfür weitreichende Perspektiven: Tanz wird betrachtbar, ja lesbar als temporäre Inskription und erscheint in Anlehnung an Mallarmé als eine écriture corporelle. Deren Bewegungslineaturen, von tanzenden Körpern flüchtig in den Raum geschrieben, ergänzen sich zu einem ephemeren Schriftbild, gleichermaßen opak wie ornamental. So wird nicht nur Schreiben als eine Art von Minimaltanz begriffen oder Tanzen als analog zum Schreibvorgang verstanden, vielmehr kann Tanzbewegung selbst als Simulakrum von Schrift verstanden werden.3 1 | Auden, Wystan Hugh/Isherwood, Christopher: The Complete Works of W. H. Auden. Plays and Other Dramatic Writings, 1928–1938, hg. von Edward Mendelson, Princeton (NJ): Princeton University Press, 1988, S. 350. 2 | Trisha Brown im Interview mit Marianne Goldberg in: Goldberg, Marianne: »Reconstructing Trisha Brown. Dances and Performance Pieces 1960–1975«, Diss. New York University, New York (NY), 1990, S. 235. 3 | Der Text dieser Einleitung geht in Teilen zurück auf Schwan, Alexander H.: »Schein-Schriftzeichen. Kritische Gedanken zur Vergleichbarkeit von Kalli-
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S chrift im R aum Dieses Schrift-Simulakrum Tanz ist dabei auf veritable Inskriptionen in einem doppelten Als-ob bezogen: Bewegung wird wahrgenommen, als ob sie so etwas wie Schrift sei, ohne es jedoch aus vielfachen Gründen je werden zu können. Denn zu der vollen Verschmelzung von Tanz und Schrift fehlen ersterem die jedem Schriftsystem inhärente Differentialität und Iterierbarkeit von Zeichen. Bewegungseinheiten könnten nur um den Preis der Stillstellung des Körpers klar voneinander abgegrenzt werden, sodass dann gerade Nicht-Bewegung und Nicht-Tanz die Analogie zur Schrift herstellen würden. Dass dabei auch der stillgestellte Körper immer ein minimal bewegter ist und damit die Differenzierbarkeit im leichten Zittern und Schwanken gehaltener Posen unterlaufen wird, argumentiert wiederum erneut gegen die vollständige Identität von Schrift und Bewegung. Auch die als Schriftzeichen wahrgenommene Stillstellung der Pose entzieht sich ihrer eigenen Skripturalität, indem jede Wiederholung so voneinander abweicht, dass die Iterabilität von Schrift im Bereich Tanz vollends zur In-Iterabiliät verwischt wird. Vor allem aber – und dies ist das entscheidende Argument gegen eine ungebrochene Wahrnehmung von bewegten oder stillgestellten Körpern als Schrift – bieten sich eben diese Körper der Wahrnehmung immer nur in ihrer Stauchung und Verzerrung dar, haben aus jeder Perspektive im Raum eine jeweils andere silhouettierte Kontur. Tanzbewegung, in der Stillstellung und erst recht in der Steigerung von Dynamik und Tempo, fehlt damit die bei einem Schriftbild notwendige Perspikuität, die eindeutige Anordnung eines konturierten Zeichens in einem Schriftgrund. So ist es nicht die Räumlichkeit von Körpern, die zu einer vermeintlichen Flächigkeit von Schrift im Gegensatz stünde, denn auch Schrift ist bereits für sich räumlich, setzt sich minimal erhöht oder vertieft vom Schriftgrund ab und bedarf eines räumlichen Abstandes, um gelesen zu werden. Vielmehr ist es die Eindeutigkeit in der Zuordnung von Zeichen und Umraum, die bei Tanz, wahrgenommen als Schrift, zu einer immer nur singulären und als solcher nicht codierbaren Inskription führt. Die vorliegende Studie widmet sich der Frage, wie die Korrelation von Tanz und Schrift, die in Stéphane Mallarmés Denkfigur der écriture corporelle eine wegweisende Formulierung gefunden hat, im Tanzen selbst sichtbar gemacht werden kann. Herangetragen wird diese Frage an herausragende Arbeiten des postmodernen und zeitgenössischen Tanzes, die sich autoreflexiv mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Tanzen und Schreiben, Schrift und Tanz auseinandersetzen und diese Korrelationen in teils hochkomplexen Verfahren benutzen, um so Bewegung als écriture corporelle zu generieren.
graphie und Tanz«, in: Drath, Maria u.a. (Hg.): Tanz/Danse/Dance, Variations 23, Bern u.a.: Lang, 2015a, S. 117-127, hier S. 117f.
E inleitung Eines der Hauptinteressen dieser Studie ist dabei der Problemaspekt, ob es sich bei den hier untersuchten Beispielen lediglich um Visualisierungen eines flüchtigen Schreibens handelt, oder ob nicht vielmehr in der Wahrnehmung von Tanz als Simulation von Schrift in Körperfigurationen selbst Symptome von Skripturalität hineingelesen werden können. Damit wäre Tanzbewegung beides, Schreiben und Schrift, analog der doppelten Bedeutung von écriture im Französischen und writing im Englischen. Möglicherweise handelt es sich bei dieser doppelten Wahrnehmung von tanzenden Körpern als schreibenden Körpern und als Simulationen von Schriftzeichen um ein Kippphänomen, bei dem beide Aspekte nicht gleichzeitig, sondern nur nacheinander wahrgenommen werden können. Grundannahme ist dabei, dass der Blick auf Körperfigurationen als einem bewegten Schriftbild ein konstruierender ist. Das Sehen mischt die wahrgenommene Materialität von Körpern mit der Imagination von Skripturalität, die sich an diese Materialität anlehnt. So ist die Schriftbildlichkeit von Tanz zu großen Teilen phantasmatisch: Ausgelöst von den Bewegungen realer Körper im Raum erscheint sie in der inneren Vorstellung derjenigen, die tanzen oder Tanzbewegungen betrachten, entweder als opakes und ornamentales Phantasma bewegter Schrift oder als Schreibbewegung, die im Raum Spuren hinterlässt. Denn anders als die weißen buchstabenartigen Spuren, die das Flugzeug bei Virginia Woolfs Mrs. Dalloway als Himmelsschreiber4 in der Luft hinterlässt und die bereits hier mit einem tanzenden Körper verglichen werden, sind die Inskriptionen von Tänzer*innen im Raum nicht sichtbar. Und mehr noch: Die ganzkörperlichen Schreibbewegungen hinterlassen nicht nur keine Spuren, sie gleiten unwillkürlich ab in ein Kritzeln, als das Andere von Schreiben und Schrift, das Setzen amorpher, uncodierbarer und undifferenzierbarer Marken. Auch die Körperfigurationen selbst neigen aufgrund der Inkonsistenz der menschlichen Anatomie dazu, die Exaktheit schriftartiger Zeichen zu verlieren, und nähern sich dem Kritzeln an. So ist die Wahrnehmung von Tanzbewegungen als écriture corporelle eine prekäre: Sie lässt den sich bewegenden Körpern in der Imagination schriftartige Spuren angedeihen, sieht in Körperfigurationen Elemente fingierter Schriftzeichen und wird dann unweigerlich gezwungen, dieses Phantasma durchzustreichen. Denn die sich bewegenden Körper entwinden sich einer reinen Wahrnehmung als Schreiben und Schrift und geben sich stattdessen Momenten von Defiguration und Dissolution anheim.
4 | Zum historischen Phänomen der Himmelsschreiber siehe Kimpel, Harald: »Dimensionen eines flüchtigen Mediums«, in: Ders. (Hg): Himmelsschreiber. Dimensionen eines flüchtigen Mediums, Katalog Ausstellung Kasseler Kunstverein (09.08.–14.09.1986), Marburg: Jonas, 1986, S. 23-103.
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Vorgehen und Auswahlbeispiele Tanz als Schrift im Raum überträgt Differenzierungen aus dem neueren literatur-, bild- und kulturwissenschaftlichen Schriftdiskurs auf das Analogon von Tanz. Leitgedanke ist es, die Verfeinerungen und Revisionen, die der Schriftbegriff in diesem Diskurs erfahren hat, für die Betrachtung von Tanzen als écriture corporelle aufzuschließen. Insbesondere die Frage nach der Materialität des Schreibens und nach der Schriftbildlichkeit erscheint dabei von hoher Relevanz; hier liegen die Stärken der Tanz-Schrift-Analogie. Ihre Grenzen sind dagegen im Bereich der Graphematik zu verorten und werden von der Studie klar benannt als im Tanz fehlende Differentialität und Decodierbarkeit einzelner Schriftmarken. Ausgehend von der Einsicht, dass die Tanzschriftbilder von écriture corporelle nur in ihrer Opazität und Ornamentalität betrachtet, nicht aber als Inskription gelesen werden können, werden die Möglichkeiten einer nicht dechiffrierenden Rezeption ausgelotet. So gliedert sich die Arbeit in zwei Teile: in einen ersten der Korrelationen, in dem zunächst das Problemfeld dargestellt wird, auf dem écriture corporelle als Schreiben und Schrift verortet ist. Einzelkorrelationen von Schrift zu Tod, Stimme, Bild, Körper und Bewegung werden dabei in systematischer Weise aufgefächert, um vor diesem Hintergrund der besonderen Problematik einer Inbezugsetzung von Tanzbewegung und Schriftlichkeit nachgehen zu können. Die Analogie von Tanz und Schrift im engeren Sinne wird dann zunächst in ihren wichtigsten historischen Stationen dargestellt, bevor – als theoretischer Kern dieser Studie – systematische Überlegungen folgen, in deren Perspektive die folgenden fünf Beispiele im zweiten Teil der Arbeit betrachtet werden sollen. Darin wird zunächst das betreffende Stück in einer Bewegungsbeschreibung und einer analytischen Darstellung präsentiert, bevor anschließend, passend zum jeweiligen Stück, ein Hauptaspekt der Simulierung von Schriftlichkeit in Tanzbewegung verhandelt wird. Primär zu nennen ist hier das Differenzieren, das Einbringen zeitlicher und räumlicher Trennungen zwischen einzelnen Bewegungsfigurationen, die diese als Simulation von Schriftzeichen erscheinen lassen. Jan Fabres The Dance Sections (1987) eignet sich dazu in besonderem Maße, da hier Bewegungen entweder extrem langsam ausgeführt werden oder zu Stillstellungen arretieren. In der Allokation der Tänzer*innen, zwischen denen immer ein Zwischenraum klafft und die sich vom Bühnenbild in harter Silhouettierung absetzen, wird das Erscheinungsbild des Stückes dem eines von Spatien strukturierten Schriftbildes angenähert. Von Trisha Brown wie auch von William Forsythe werden je zwei Arbeiten untersucht, da beide sich in besonders komplexer Weise mit der Analogie von Tanzen und Schreiben sowie ihrem Ausdiffundieren ins Kritzeln beschäftigt
E inleitung haben. Zunächst wird bei Browns Roof and Fire Piece (1973) die Iterierbarkeit von Bewegungen problematisiert: Sie stellt ein wichtiges Verbindungsglied zu Schrift als System dar, kann aber aufgrund der Inexaktheit körperlicher Kopiervorgänge nicht zur Gänze realisiert werden, sodass Tanzbewegung von einer unvermeidlichen In-Iterabilität affiziert wird. Trisha Browns Stück Locus (1975) bietet die Möglichkeit par excellence, um nach der Codierung und Dechiffrierbarkeit von Bewegungen zu fragen. Ausgehend von einem autobiographischen Text Browns werden hier Buchstaben und Bewegungen miteinander verknüpft, wobei die Mehrfachcodierung der Buchstaben zu einer Überdeterminierung führt, aufgrund derer ein Rückschluss auf die autobiographische Textsequenz der Ausgangsbasis weder möglich noch von Brown intendiert ist. Die Buchstaben-Bewegungszuordnung wird lediglich eingesetzt, um Tanzbewegung zu generieren, die so nicht in ihrer Referentialität, sondern allenfalls in ihrem opaken Autographiecharakter schriftartige Symptome wahrnehmen lässt. Die beiden Arbeiten von William Forsythe werden nicht wie die vorherigen Stücke hinsichtlich ihrer Annäherung an Schrift als System untersucht, sondern primär hinsichtlich ihrer simulierten Ikonizität von Schrift und der Auffassung von Tanzbewegungen als Schreibbewegungen befragt. Eidos:Telos (1995), das mit einer Browns Buchstaben-Bewegungszuordnung noch übertreffenden Alphabetstruktur arbeitet, kann so hinsichtlich der Figuration und Defiguration räumlich-bewegter Inskriptionen analysiert werden. Dies ist vor dem Hintergrund von Forsythes Konzept von Tanzbewegung als room writing zum einen als das Hinterlassen imaginärer Spuren vorstellbar. Zum anderen arbeitet Forsythe mit der partiellen Verkörperung inskriptionsähnlicher Elemente, wobei entgegen holistischer Modelle von Gestalt die shapes of movement, die die Tänzer*innen erzeugen und in Gebrauch nehmen, bereits zu Beginn in Transund Defiguration überführt werden. Bei Human Writes (2005), einer Arbeit von William Forsythe und Kendall Thomas, ist Tanzen schließlich Schreiben im literalen Sinne eines Markierens. Denn die Performer*innen schreiben unter partizipativer Mitwirkung des Publikums die Allgemeine Erklärung der Menschrechte (Human Rights) mit ganzkörperlichem Einsatz bis zur Erschöpfung und Beschmutzung. Doch die Markierungen, die sie mit Kohle, Bleistift, Schweiß und Spucke produzieren, sind nicht oder nur rudimentär lesbar; in den diversen Einschränkungen, mit denen sie schreiben müssen, wird sowohl die Schwierigkeit in der Realisierung der Menschenrechte deutlich als auch die Gewalt, die mit diesem Schreiben und Tanzen vor dem Gesetz verbunden ist. Allen fünf Arbeiten, die als Sprachregelung für die gesamte Studie nicht als Choreographien bezeichnet werden, um den Schriftbezug in diesem Begriff klar von dem der écriture corporelle zu unterscheiden, werden jeweils spezifische
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S chrift im R aum Wahrnehmungsmodi hinsichtlich der Ikonizität von Schrift an die Seite gestellt. Aufgegriffen werden dabei solche Modelle von Schriftbildlichkeit, die in ihrer historischen kulturellen Attribuierung entweder als opak-ornamental gewertet wurden, wie Hieroglyphen und Arabesken, oder bei denen die Ikonizität so stark im Vordergrund steht, dass sie, wie Diagramme, Graffiti und Gekritzel, vor jeder Dechiffrierung zuallererst als visuelles Phänomen wahrgenommen werden können.
Forschungsstand Die Studie basiert einerseits auf den Forschungsfragen und -positionen, die im Rahmen eines erweiterten Schriftbegriffs gestellt wurden, und greift andererseits Anregungen aus tanzwissenschaftlicher bzw. literatur- und kulturwissenschaftlicher Diskussion zu einer Analogisierung von Tanz und Schrift, Bewegung und Schreiben auf. Beide Forschungsfelder können im Folgenden getrennt voneinander dargestellt werden, da die Überschneidungen – dies ist bereits ein wichtiger Befund zum Forschungsstand – sich auf nur wenige Positionen beschränken. Von diesen sind zuvorderst die Arbeiten von Gabriele Brandstetter5 zu nennen, die Ergebnisse des erweiterten Schriftbegriffs und 5 | Gabriele Brandstetter ist der Tanz-Schrift-Analogie in zahlreichen Veröffentlichungen nachgegangen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie den Lektüren von Tanztexten, der Schriftbildlichkeit und Ornamentalität von Notation, der Körperlichkeit des Schreibens und der Bedeutung von Intervall und Spatialität speziell im postmodernen und zeitgenössischen Tanz. Sie setzt vor allem die Bewegungsvorgänge von Tanzen und Schreiben in Korrelation zueinander und spricht sich mit Bezug auf Roland Barthes für eine Differenzierung des écriture-Begriffs in den Vorgang des Schreibens und das Produkt des Geschriebenen aus. Siehe in Beschränkung auf frühe Beiträge: Brandstetter, Gabriele: »Intervalle. Raum, Zeit und Körper im Tanz des 20. Jahrhunderts«, in: Bergelt/Völckers (1991), S. 225278; Dies.: »Neue Formen der Repräsentation. Grenzgänger zwischen Tanz, Theater, Performance und bildender Kunst«, in: ballett international/tanz aktuell 8 & 9 (1994), S. 44-48; Dies.: Tanz-Lektüren. Körperbilder und Raumfiguren der Avantgarde, Scenae 1, 2. erw. Auflage, Freiburg i.Br./Berlin/Wien: Rombach, 2013a; Dies.: »graph. Den Körper schreiben«, in: ballett international/tanz aktuell 3 (1999), S. 28-29; Dies.: »Choreographie als Grab-Mal. Das Gedächtnis von Bewegung«, in: Dies./ Völckers, Hortensia (Hg.): ReMembering The Body. Körper-Bilder in Bewegung, Ostfildern-Ruit: Hatje-Cantz, 2002, S. 102-134. Wegen der hohen Relevanz gerade für diese Studie ist vor allem folgender Beitrag besonders hervorzuheben, dem sich auch die Anregung für die Fokussierung auf Trisha Brown, Jan Fabre und William Forsythe verdankt: Dies.: »Still/Motion.
E inleitung aktueller schriftphilosophischer Diskussion in ihre Auseinandersetzung mit Tanzen und Schreiben einfließen lässt. Das Gros der übrigen Arbeiten zu écriture corporelle beschränkt sich auf einen Schriftbegriff, der entweder als eine Art Common Sense nicht näher erläutert wird und so an verkürzenden Präsuppositionen von Schrift als linearem und phonographischem Kommunikationsmedium festhält. Oder aber es wird eine lose an Jacques Derrida anknüpfende Schriftphilosophie zum Ausgang gewählt, die sich auf die Formel Schrift als Spur reduzieren lässt. Hier werden dann weniger die zahlreichen visuellen, strukturellen und imaginären Analogiemomente von Tanz und Schrift behandelt, sondern lediglich die bereits ausführlich in der Tanzwissenschaft diskutierten Aspekte von Flüchtigkeit und Abwesenheit wiederholt, sofern nicht eine für diese Studie zu écriture corporelle nur am Rande relevante Konzentration auf Notation und Verschriftlichung erfolgt.6 Die lautsprachenneutrale Erweiterung des Schriftbegriffs greift die von Jacques Derrida 1967 mit gleich drei Veröffentlichungen7 vehement angestoßene Kritik an einem primär phonographischen Schriftbegriff auf, übernimmt aber in der Regel nicht dessen weitergehende Logozentrismus- und Metaphysikkritik, sondern wendet sich stattdessen seit Beginn der 1980er-Jahre der auch von Derrida nicht näher untersuchten Materialität und Ikonizität von Schrift zu. Größere monographische Arbeiten und Handbücher, die Schrift und Schriften Zur Postmoderne im Tanztheater«, in: Jeschke, Claudia/Bayerdörfer, Hans-Peter (Hg.): Bewegung im Blick. Beiträge zu einer theaterwissenschaftlichen Bewegungsforschung, Berlin: Vorwerk 8, 2000, S. 122-136. 6 | Zum komplexen Thema der Tanznotation siehe Jeschke, Claudia: Tanzschriften. Ihre Geschichte und Methode. Die illustrierte Darstellung eines Phänomens von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bad Reichenhall: Comes, 1983; Guest, Ann Hutchinson: Dance-Notation. The Process of Recording Movement on Paper, London: Dance Books, 1984; Dies.: Choreo-Graphics. A Comparison of Dance Notation Systems from the Fifteenth Century to the Present, New York (NY) u.a.: Gordon and Breach, 1989; Louppe, Laurence (Hg.): Traces of Dance. Drawings and Notations of Choreographers, aus dem Frz. übers. von Brian Holmes und Peter Carrier, Paris: Dis Voir, 1994; Brandstetter, Gabriele/Hofmann, Franck/Maar, Kirsten (Hg.): Notationen und choreographisches Denken, Scenae 13, Freiburg i.Br./Berlin/Wien: Rombach, 2010. 7 | Siehe die späteren deutschen Übersetzungen in ihren Erst- bzw. maßgeblich revidierten Neuausgaben: Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz, aus dem Frz. übers. von Rodolphe Gasché, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1972; Ders.: Grammatologie, aus dem Frz. übers. von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1974; Ders.: Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls, aus dem Frz. neu übers. von Hans-Dieter Gondek, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003.
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S chrift im R aum in ihrer historischen Entwicklung und Struktur darstellen,8 werden so ergänzt um Fragen zum Verhältnis von Schrift und Bild. Dabei kommt es zu besonderen Fokussierungen hinsichtlich Handschrift9 und Zeichnung10. Im Kontext dieser Studie sind außerdem die Randdifferenzierungen zu Aspekten wie Diagramm11, 8 | Siehe Coulmas, Florian: Über Schrift, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1981; Ders.: The Writing Systems of the World, Oxford/New York (NY): Blackwell, 1989; Harris, Roy: The Origin of Writing, London: Duckworth, 1986; Glück, Helmut: Schrift und Schriftlichkeit. Eine sprach- und kulturwissenschaftliche Studie, Stuttgart: Metzler, 1987; Haarmann, Harald: Universalgeschichte der Schrift, Frankfurt a.M./New York (NY): Campus, 1990; Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, Karl Ludwig (Hg.): Schrift, Materialität der Zeichen Reihe A, Bd. 12, München: Wilhelm Fink, 1993; Günther, Hartmut/Ludwig, Otto (Hg.) Schrift und Schriftlichkeit. Ein Interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung/Writing and Its Use. An Interdisciplinary Handbook of International Research, I & II, Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 10/1 & 2, Berlin/New York (NY): De Gruyter, 1994–1996; Coulmas, Florian: The Blackwell Encyclopedia of Writing Systems, Oxford/Cambridge (MA): Blackwell, 1996; Stetter, Christian: Schrift und Sprache, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997; Harris, Roy: Rethinking Writing, London/New York (NY): Continuum, 2001. 9 | Siehe Bernhart, Toni/Gröning, Gert (Hg.): Hand – Schrift – Bild, Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Beiheft 1, Berlin: Akademie-Verlag, 2005; Giurato, Davide/Kammer, Stephan (Hg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur, nexus 17, Frankfurt a.M./ Basel: Stroemfeld, 2006; Neef, Sonja: Abdruck und Spur. Handschrift im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Kaleidogramme 25, Berlin: Kadmos, 2008. 10 | Zum Verhältnis von Schrift und Zeichnung ist vor allem die vier Bände umfassende, von Christoph Hoffmann und Barbara Wittmann herausgegebene Serie Wissen im Entwurf zu nennen, die aus einem Forschungsprojekt des MaxPlanck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (Max-Planck-Institut) hervorgegangen ist: Hoffmann, Christoph (Hg.): Daten sichern. Schreiben und Zeichnen als Verfahren der Aufzeichnung, Wissen im Entwurf 1, Zürich/Berlin: diaphanes, 2008; Wittmann, Barbara (Hg.): Spuren erzeugen. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Selbstaufzeichnung, Wissen im Entwurf 2, Zürich/Berlin: diaphanes, 2009; Krauthausen, Karin/Nasim, Omar W. (Hg.): Notieren, Skizzieren. Schreiben und Zeichen als Verfahren des Entwurfs, Wissen im Entwurf 3, Zürich/Berlin: diaphanes, 2010; Voorhoeve, Jutta (Hg.): Welten schaffen. Zeichen und Schreiben als Verfahren der Konstruktion, Wissen im Entwurf 4, Zürich: diaphanes, 2011. 11 | Siehe dazu u.a. Schmidt-Burkhardt, Astrid: »Wissen als Bild. Zur diagrammatischen Kunstgeschichte«, in: Hessler, Martina/Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, Metabasis 2, Bielefeld: transcript, 2009, S. 163-187; Bender, John/Marrinan, Michael: Kultur des Dia-
E inleitung Spur12 und Kritzeln13 relevant. Geographisch lassen sich mehrere Zentren der Forschung zur Ikonizität von Schrift herausstellen, die sich aus der universitären Anbindung maßgeblicher Personen oder Forschungseinrichtungen ergeben, wobei – auch dies ein wichtiger Befund zum Forschungsstand – diese Zentren weitgehend parallel nebeneinander existieren, ohne dass es zu einer zukunftsweisenden Zusammenarbeit gekommen wäre. In eigentümlicher Weise ist die Forschung zu Schrift und Bild bzw. zur Erweiterung des Schriftbegriffs im Allgemeinen trotz ähnlicher Fragestellungen und materieller Basis daher aufgespalten. Sie hat sich in einer breiten, sich gegenseitig ergänzender und partiell doppelnder Literatur niedergeschlagen, die zumeist – auch dies ein Charakteristikum des Forschungsstands – weniger als Monographien, denn in wissenschaftlichen Sammelbänden und Konferenz-Proceedings publiziert wurden. Der französischsprachige Schwerpunkt zur Schriftforschung liegt deutlich im Centre d’étude de l’écriture et de l’image (CEEI), Université Paris-Diderot, das bereits 1996 gegründet wurde und in einem älteren Forschungszentrum Centre d’étude de l’écriture (Gründung 1982) sowie einem Unterrichts- und Forschungsverbund über Text und Bild (Gründung 1974) seine Vorgänger hat. Gründungsdirektorin aller drei Institutionen ist die 2014 verstorbene Literatur- und Schriftbildforscherin Anne-Marie Christin, deren Arbeiten zum Verhältnis von Schrift und Bild im französischen Sprachraum an vorderster Stelle zu nennen sind. Im Rückgriff auf Impulse Roland Barthes’ 14 prägt Christin den Begriff der Ikonizität von Schrift maßgeblich mit und setzt sich mit den im Rahmen gerade dieser Studie relevanten Aspekten von Zwischenräumlichkeit, Intervall
gramms, aus dem Engl. übers. von Veit Friemert, Actus et Imago 8, Berlin: Akademie-Verlag, 2014; Krämer, Sybille: Figuration, Anschauung, Erkenntnis. Grundlinien einer Diagrammatologie, Berlin: Suhrkamp, 2016. 12 | Siehe Fehrmann, Gisela/Linz, Erika/Epping-Jäger, Cornelia (Hg.): Spuren Lektüren. Praktiken des Symbolischen, FS Ludwig Jäger, München: Wilhelm Fink, 2005; Krämer, Sybille/Kogge, Werner/Grube, Gernot (Hg.): Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2007. 13 | Siehe hierzu speziell Driesen, Christian u.a. (Hg.): Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Zürich: diaphanes, 2012; Ders.: Theorie der Kritzelei, Wien/Berlin: Turia+Kant, 2016. 14 | Siehe u.a. Barthes, Roland: Das Reich der Zeichen, aus dem Frz. übers. von Michael Bischoff, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1981; Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Kritische Essays III, aus dem Frz. übers. von Dieter Hornig, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1990; Ders.: Variations sur l’écriture/Variationen über die Schrift. Französisch-Deutsch, aus dem Frz. übers. von Hans-Horst Henschen, Excerpta classica 2, Mainz: Dieterich, 2006.
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S chrift im R aum und Figuration auseinander.15 Die französischsprachige Forschung zu einem erweiterten Schriftbegriff wird ergänzt und mit englischsprachigen Studien verknüpft in der 1987 gegründeten Association internationale pour l’étude des rapports entre texte et image/International Association of Word and Image Studies (AIERTI/ IAWIS), die seit ihrer Gründung mit der von ihr unabhängigen Zeitschrift Word & Image. A Journal of Verbal/Visual Enquiry zusammenarbeitet. Personell ist im englischsprachigen Bereich vor allem Jeffrey F. Hamburger (Harvard University) zu nennen, der vor allem in jüngster Zeit als Autor und Herausgeber von Studien zur Ikonizität von Schrift hervorgetreten ist.16 Im deutschsprachigen Bereich, der von der zuvor genannten französischenglischen Forschung weitgehend abgekoppelt ist, ist zunächst das DFG-Graduiertenkolleg 1458 Schriftbildlichkeit. Über Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen an der Freien Universität Berlin anzuführen, in dessen Rahmen auch die vorliegende Studie entstand. Das Kolleg, dessen Schwerpunkt in einem fast gleichlautenden Sammelband17 umfassend aufgefächert ist, hat einen wichtigen Vorläufer in der Arbeit zur Sichtbarkeit von Schrift18 und teilt einige seiner Forschungsfragen und Forschungsgegenstände mit Be-
15 | Siehe in starker Auswahl unter zahlreichen Publikationen vor allem Christin, Anne-Marie: L’Image écrite ou la déraison graphique, Paris: Flammarion, 1995; Dies.: Poétique du blanc. Vide et intervalle dans la civilisation de l’alphabet, Leuven: Peeters-Vrin, 2000; Dies. (Hg.): Histoire de l’écriture, de l’idéogramme au multimédia, Paris: Flammarion, 2001; Dies.: L’Invention de la figure, Paris: Flammarion, 2011. 16 | Siehe Hamburger, Jeffrey F.: »The Iconicity of Script«, in: Word & Image. A Journal of Verbal/Visual Enquiry 27:3 (2011), S. 249-261; Ders.: Script as Image, Corpus of Illuminated Manuscripts 21, Paris/Leuven/Walpole (MA): Peeters, 2014; Bedos-Rezak, Brigitte/Ders. (Hg.): Sign and Design. Script as Image in Cross-Cultural Perspective (300-1600 CE), Washington (D.C.): Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 2016. 17 | Siehe Krämer, Sybille/Cancik-Kirchbaum, Eva/Totzke, Rainer (Hg.): Schriftbildlichkeit. Wahrnehmbarkeit, Materialität und Operativität von Notationen, Schriftbildlichkeit 1, Berlin: Akademie-Verlag, 2012. Wichtige Aspekte dieses Schriftbildlichkeitsdiskurses werden aufgegriffen und fortgesetzt in MüllerTamm, Jutta/Schubert, Caroline/Werner, Klaus Ulrich (Hg.): Schreiben als Ereignis. Künste und Kulturen der Schrift, Zur Genealogie des Schreibens 23, Paderborn: Wilhelm Fink, 2018. 18 | Siehe hierzu Strätling, Susanne/Witte, Georg (Hg.): Die Sichtbarkeit der Schrift, München: Wilhelm Fink, 2006a; sowie mit deutlichem Bildbezug Mersmann, Birgit: Schriftikonik. Bildphänomene der Schrift in kultur- und medienkomparativer Perspektive, Paderborn: Wilhelm Fink, 2015.
E inleitung reichen von eikones NFS Bildkritik, Universität Basel (2005–2017), sowie dem ERC Consolidator Project INSCRIBE, Universität Bologna (2018–2023). Des Weiteren kann unter der deutschsprachigen Forschungsliteratur zum Schriftbegriff vor allem die von Bernd Scheffer und Oliver Jahraus im AisthesisVerlag herausgegebene Reihe Schrift und Bild in Bewegung genannt werden, die das Problemspektrum der Ikonizität von Schrift mit dem von Bewegung verbindet und so in Einzelaspekten wichtige Impulse für die Fragestellung dieser Studie liefert. Mit Nachdruck zu nennen ist außerdem die von Martin Stingelin, Davide Giuriato und Sandro Zanetti herausgegebene Reihe Genealogie des Schreibens, die sich der Kulturtechnik des Schreibens widmet und für diese Studie vor allem in den Aspekten von Schreibszene, Handschrift sowie hinsichtlich des Verhältnisses von Wahrnehmung, Schrift und Bewegung bei Walter Benjamin wichtig ist.19 Schließlich ist als Anknüpfungspunkt für den aktuellen Schriftdiskurs auf den 2014 erschienenen Sammelband Buchstaben der Welt – Welt der Buchstaben des Internationalen Kollegs Morphomata zu verweisen, dem diese Studie weitere entscheidende Impulse u.a. hinsichtlich linguistischer Zugänge zur Buchstabengestalt verdankt.20 Die Forschung zur Analogie von Tanz und Schrift im engeren Sinne knüpft an Jacques Derrida an und verschränkt dessen Spurbegriff mit der Ephemeralität von Tanz. Im französischsprachigen Bereich ist dabei der von Stéphane Mallarmé eingeführte Begriff der écriture corporelle weitaus geläufiger als in englischsprachiger oder deutschsprachiger Forschung. Dies ist kongruent zu dem generell weiteren Verständnis von écriture im Französischen, wo der Begriff nicht nur Schrift und Schreiben, sondern auch Einschreibung und Prägung, ja sogar Figuration, Formgebung und Gestaltung bedeuten kann, wenn man die Begriffsverwendung von écriture im Bereich von Architektur und Landschaftsgartenbau in Betracht zieht.21 Neben Arbeiten von Daniel Sibony22 und Laurence Louppe,23 die sich Tanz und Bewegung als einer Form von écriture nähern und 19 | Siehe Giuriato, Davide/Stingelin, Martin/Zanetti, Sandro (Hg.): ›Schreiben heißt: sich selber lesen‹. Schreibszenen als Selbstlektüren, Zur Genealogie des Schreibens 9, München: Wilhelm Fink, 2008; Giuriato, Davide/Kammer, Stephan (Hg.): Bilder der Handschrift. Die graphische Dimension der Literatur, nexus 17, Frankfurt a.M./Basel: Stroemfeld, 2006. 20 | Siehe Ohashi, Ryôsuke/Roussel, Martin (Hg.): Buchstaben der Welt – Welt der Buchstaben, Morphomata 12, Paderborn: Wilhelm Fink, 2014. 21 | Siehe z.B. École nationale supérieure de paysage de Versailles (Hg.): Comme une danse, Les Carnets du paysage 13 & 14, Arles: Actes sud, 2007. 22 | Siehe Sibony, Daniel, Le Corps et sa danse, Paris: Seuil, 1995, S. 175-180. 23 | Siehe Louppe, Laurence: Poétique de la danse contemporaine, Brüssel: Contredanse, 2004; Dies.: Poétique de la danse contemporaine. La Suite, Brüssel:
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S chrift im R aum dabei insbesondere Denkaxiome Jacques Lacans aufnehmen, sind vor allem Studien von Frédéric Pouillaude zu nennen, der écriture und Tanz sowohl im Rückbezug auf Mallarmé als auch in Auseinandersetzung mit philosophischen Notationstheorien miteinander verschränkt.24 Daneben können einige wenige Studien aufgeführt werden, die die Idee einer écriture corporelle im zeitgenössischen Tanz aufzuspüren versuchen, dabei jedoch stärker die Metaphorizität des Begriffs ausspielen und so kaum auf die Materialität, Operativität und (un-) mögliche Notationalität von körperlicher Schrift bzw. körperlichem Schreiben eingehen sowie insbesondere die Frage der Ikonizität ausblenden.25 Am dezidiertesten setzen sich hierbei Canelle Pdehetazque-Chahine und Graciele Prieto mit écriture corporelle am Beispiel lettristischer Tanzexperimente Isidore Isous und Olivia Grandvilles auseinander.26 Ebenfalls primär einem Choreographen, Dominique Bagouet (1951–1992), ist die Studie Écrire la danse?27 von Bengi Ateşöz-Dorge gewidmet. Sie nähert sich der Arbeit und den Aufzeichnungen Bagouets jedoch mit einem Schriftverständnis, das auf die Ausweitung auf Ikonizität verzichtet und extrem metaphorisch-sakral aufgeladen ist. Eine ältere Dissertation von Anne-Marie Sellami-Viñas28 benutzt, lose anknüpfend an Roland Barthes, schließlich écriture als Großmetapher, um dann eine Gesamtpoetologie von Tanz unter den Gesichtspunkten Geste, Bewegung und Körper anzustreben. Der Versuch greift hoch, verbleibt aber im Wesentlichen bei der Aneinanderreihung bekannter Sachverhalte, ohne diese über die Metaphorizität von écriture hinaus mit der Komplexität historischer und zeitgenössischer Schriftdiskurse zu verbinden. Einen anders gearteten, gleichfalls jedoch stark metaphorisch vorgehenden Versuch unternimmt Françoise Bertrand29 in ihrer Contredanse, 2007; Dies.: Poetik des zeitgenössischen Tanzes, aus dem Frz. übers. von Frank Weigand, TanzScripte 17, Bielefeld: transcript, 2009. 24 | Siehe Pouillaude, Frédéric: Unworking Choreography. The Notice of the Work in Dance, aus dem Frz. übers. von Anna Pakes, New York (NY): Oxford University Press, 2017a. 25 | Eine kleine Broschüre von Philippe Verrièle führt die Begriffe écrire und danse sogar im Titel zusammen, geht dann aber doch nur auf die Geschichte von Tanznotation und Tanzbeschreibung ein. Siehe Verrièle, Philippe: Peut-on écrire la danse?, Regardez la danse! 5, Lyon/Paris: Nouvelles éditions Scala, 2019. 26 | Siehe Pdehetazque-Chahine, Cannelle/Prieto, Graciela: »La Danse, une écriture du corps«, in: Psychologie Clinique 34 (2012), S. 196-207. 27 | Siehe Ateşöz-Dorge, Bengi: Écrire la danse? Dominique Bagouet, Paris: Orizons, 2012. 28 | Sellami-Viñas, Anne-Marie: »L’Écriture du corps en scène. Une poïétique du mouvement«, Diss. Université Paris I Panthéon-Sorbonne, 1999. 29 | Siehe Bertrand, Françoise: »Corps est graphie. D’un art découvert à travers le Kata«, Diss. Université de Québec à Montréal, 2010.
E inleitung Dissertation an der Université de Québec (Montréal), indem sie Philosopheme zu japanischer Kalligraphie und Kampfkunst mit Reflexionen über Körper und Bewegung verknüpft, um das Ergebnis an eigenen graphischen Arbeiten zu exemplifizieren. Bewegung ist in diesem Zusammenhang primär die Bewegung, die in graphischen Arbeiten Form annimmt; eine Auseinandersetzung mit tanzwissenschaftlichen Fragestellungen sucht Bertrand nur am Rande. Genannt werden kann außerdem die Arbeit von Guy Ducrey,30 der unter dem Titel Corps et Graphies eine Poetik des Tanzes mit dem Schwerpunkt auf dem Ende des 19. Jahrhunderts entwirft, sich dabei u.a. mit Stéphane Mallarmé auseinandersetzt und in diesem Zusammenhang über Tanz als »langage sans paroles, écriture sans mots«31 nachdenkt. Neben Arbeiten, die sich dem Verhältnis von Tanzen und Schreiben in der Perspektive von Aufführungsbeschreibung und Tanzkritik widmen und u.a. für ein Schreiben über Tanz plädieren, dass die Flüchtigkeit dessen, was beschrieben wird, im Schreiben mitreflektiert32 und sich davon zu einem gewandelten Schreiben anregen lässt,33 stellen vor allem Arbeiten von Mark Franko, André 30 | Siehe Ducrey, Guy: Corps et Graphies. Poétique de la danse et de la danseuse à la fin du XIXe siècle, Paris: Honoré Champion, 1996. 31 | Ebd., S. 564. 32 | Siehe hierzu Wortelkamp, Isa: »Flüchtige Schrift/Bleibende Erinnerung. Der Tanz als Aufforderung an die Aufzeichnung«, in: Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (Hg.): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster: Lit, 2002, S. 597-609; Dies.: Sehen mit dem Stift in der Hand. Die Aufführung im Schriftzug der Aufzeichnung, Rombach Wissenschaften Reihe Scenae 2, Freiburg i.Br./Berlin 2006; Dies. (Hg.): Bewegung Lesen. Bewegung Schreiben, Berlin: Revolver Publishing, 2012. Wortelkamp vertritt eine an Vilém Flusser angelehnte Gleichsetzung von Schrift und Linearität und bindet Schrift zudem an Flächigkeit, ohne das espacement von écriture und, etwa mit André Leroi-Gourhan, die Strahlenförmigkeit und Nicht-Linearität von Graphismen zu berücksichtigen. Ihr Begriff von Schrift, der die Phänomenologie von Schriftikonizität außen vor lässt, ist daher primär auf Tanzbeschreibung ausgerichtet und weniger an der ausdifferenzierten Wahrnehmung von Tanzbewegung als Schrift und Schreiben interessiert. Siehe Wortelkamp (2006), S. 226; 230. Vgl. auch Flusser, Vilém: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft, Göttingen: Immatrix, 1987, S. 10. 33 | Besonders hinzuweisen wäre hier auf die lange Tradition literarischer Texte, die Tanz als Inspiration nutzen und in ihrem Schreiben widerspiegeln lassen. Siehe hierzu Brandstetter, Gabriele: Aufforderung zum Tanz. Geschichten und Gedichte, Stuttgart: Reclam, 1993; Dies.: »Steptext. Interferenzen von Tanz und Literatur«, in: Sprache im technischen Zeitalter 216, 53:4 (2015a), S. 381-392. Vgl. zu literarischen Texten über und als Libretto für Tanz auch Montandon, Alain: (Hg.): Écrire la danse, Clermont-Ferrand: Presses Universitaires Blaise Pascal,
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S chrift im R aum Lepecki und Gerald Siegmund positive Anknüpfungspunkte für Korrelationen von Tanzen und Schreiben mit besonderem Bezug zur Denkfigur der écriture corporelle dar. Franko setzt sich eingehend mit dem Phänomen von Schriftfigurationen im Barocktanz auseinander34 und unternimmt einen der wenigen Versuche, Jacques Derridas komplexe Mallarmé-Lektüre in La Double Seánce35 einschließlich ihrer Konsequenzen für die tanzwissenschaftliche Reflexion über écriture corporelle aufzuschließen.36 Lepecki wiederum lässt Tanzen und Schreiben bzw. Schrift – beides im Englischen als writing bezeichnet – vor allem vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Notation, Choreographie und Bewegung korrelieren und zeigt die politischen Dimensionen von Flüchtigkeit und das kritische Potenzial eines sich der Schriftlichkeit entziehenden Tanzens auf.37 Siegmund schließlich ist wichtiger Bezugspunkt für die Arbeiten William 1999; Nachtergael, Magali (Hg.): Danse contemporaine et littérature entre fictions et performances écrites, Pantin: Centre National de la Danse, 2015; vgl. auch Schneider, Katja: Tanz und Text. Zu Figurationen von Bewegung und Schrift, München: Kieser, 2016. Zu verweisen ist außerdem auf die jüngsten Parallelisierungen von Tanzen und Schreiben in Texten von Martina Hefter und die dadurch ausgelöste vehemente Kritik Ann Cottens, die Hefter eine versöhnlich-poetisierende Position vorwirft: Siehe Hefter, Martina: Tanzen. Verschriftlichung einer Installation mit dem Titel ›Tanzen, eine Vorratskammer‹, Edition Poeticon 6, Berlin: Frank, 2014; Cotten, Ann: »GROSZBUCHSTABEN. Ein ausgeufertes Rezensionstagebuch über die Reihe ›Poeticon‹ im J. Frank Verlag« (2015), online unter https://signaturen-magazin.de/files/grossssssyeahutor.pdf (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021); Hefter, Martina: »Replik Martina Hefter zu ›Tanzen‹«, online unter https://www.signaturen-magazin.de/replik-martina-hefter-zu--tanzen-.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Vgl. dazu Ruprecht, Lucia: »›Ich als Text‹, Ich als Tanz. Überlegungen zu Anne Juren, Martina Hefter, Monika Rinck und Philipp Gehmacher«, in: Sprache im technischen Zeitalter 216, 53:4 (2015), S. 405-416. 34 | Siehe Franko, Mark: Dance as Text – Ideologies of the Baroque Body, Cambridge/New York (NY): Cambridge University Press, 1993. 35 | Siehe Derrida, Jacques: Dissemination, aus dem Frz. übers. von HansDieter Gondek, hg. von Peter Engelmann, Wien: Passagen, 1995, S. 193-153. 36 | Siehe Franko, Mark: »Mimique«, in: Goellner, Ellen W./Shea Murphy, Jacqueline (Hg.): Bodies of the Text. Dance as Theory, Literature as Dance, New Brunswick (NJ): Rutgers University Press, 1995, S. 205-216; Ders.: »Writing for the Body. Reconstruction, and Reinvention in Dance«, in: Common Knowledge 17:2 (2011a), S. 321-334. 37 | Siehe Lepecki, André: »Manisch aufgeladene Gegenwärtigkeit«, in: body. con.text, Jahrbuch ballett international/tanz aktuell 1999, S. 82-87; Ders.: »Inscribing Dance«, in: Ders. (Hg.): Of the Presence of the Body. Essays on Dance and
E inleitung Forsythes,38 hat aber auch Einzeluntersuchungen zu Jan Fabre39 und Trisha Brown40 vorgelegt, die sich dem Verhältnis von Tanz, Schrift und Schreiben unter Einbeziehung der vierten Reflexionsgröße der Choreographie widmen.
Performance Theory, Middletown (CT): Wesleyan University Press, 2004a, S. 124139; Ders. (2008), S. 8-34 (2008b). 38 | Siehe Siegmund, Gerald: Abwesenheit. Eine performative Ästhetik des Tanzes. William Forsythe, Jérôme Bel, Xavier Le Roy, Meg Stuart, TanzScripte 3, Bielefeld: transcript, 2006. 39 | Siehe Ders.: »L’Ascension de l’écriture. Pas de danse, danse de l’écriture. A-libi, a-topie et ressemblances dans l’œuvre de Jan Fabre«, in: Littérature 112:12 (1998), S. 71-74. 40 | Siehe Ders.: »Das Andere des Tanzes. Choreographische Verfahren als Verfahren des Schreibens«, in: Wortelkamp, Isa (Hg.): Bewegung Lesen. Bewegung Schreiben, Berlin: Revolver Publishing, 2012, S. 114-128.
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1 Korrelationen 1.1 Schrift und Tod 1.1.1 Mortifikation Eine Analogisierung von Tanz und Schrift stößt auf mehrere miteinander verschränkte Vorbehalte, die sich aus der langen Tradition der Abwertung und Kriminalisierung von Schrift und Schriftlichkeit ergeben. Diese Vorbehalte deutlich zu benennen und ihnen alternative Denkmodelle von Skripturalität gegenüberzustellen, ist für eine argumentative Auffächerung der Parallelen von Tanz und Schrift unumgänglich, soll diese Analogie nicht blindlings über einen vermeintlich unüberbrückbaren Graben gespannt werden. Der erste große Vorbehalt gegen die Vergleichbarkeit von Tanz und Schrift, der als Argument immer wieder dann begegnet, wenn Tanz von Schrift abgegrenzt und positiv hervorgehoben werden soll, ist die Mortifikation von Schrift, ihre Unbeweglichkeit und vielfache Verschränkung mit Tod und Abwesenheit. Der tradierten Verquickung von Tanz mit Lebendigkeit und körperlicher Präsenz wird die angeblich starre, tote und tödliche Schrift diametral gegenübergestellt. Denn in ganz anderem Sinne als Tanz und viel umfassender steht Schrift mit Sterblichkeit im Bunde, ist von einem rapport à la mort gekennzeichnet: »Der Tod wandert zwischen den Schriftzeichen.«1 1 | Derrida (1972), S. 111. Zur Verschränkung von Tanz und Tod vgl. die ältere umfangreiche Textsammlung Link, Franz (Hg.): Tanz und Tod in Kunst und Literatur, Schriften zur Literaturwissenschaft 8, Berlin: Duncker & Humblot, 1993; sowie Ploebst, Helmut: »Tanzen [Totsein! Vanitas] Vitalität. Über das Skandalon des Verschwindens in der zeitgenössischen Choreographie«, in: Kruschkova, Krassimira (Hg.): OB?SCENE. Zur Präsenz der Absenz im zeitgenössischen Tanz, Theater und Film, Maske und Kothurn 51:1, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2005, S. 99-125.
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S chrift im R aum Schrift überdauert andere flüchtige Äußerungen und Manifestationen und eignet sich so als Medium von Notation, von Aufbewahrung, Archivierung, Dokumentierung, aber auch als Medium von Operation und Entwurf, weil in diesem Medium auf frühere Stadien eines Gedankenprozesses Bezug genommen werden kann. Gleichzeitig ist Schrift durch ihre extreme Anephemeralität und gesteigerte Bewegungslosigkeit auf den Tod bezogen. Sie profitiert geradezu von der potentiellen Abwesenheit derjenigen, die sie schreibend hervorbringen und nimmt ihren kommenden Tod vorweg. Das scripta manet, das Überdauernde von Schrift als eine gegenüber Tanz und Bewegung radikal reduzierte Flüchtigkeit, kehrt sich damit von einem zunächst scheinbaren Vorteil in dessen Gegenteil um. Zwar lassen sich bei Tod und Schrift auch in der scheinbar endgültigen Stasis Momente von Kinesis entdecken, die wiederum an Verfall und zunehmende Entropie gekoppelt sind – die Inschrift verwittert, der Leichnam verwest –, doch entheben diese Momente von Bewegung das Schriftzeichen nicht seines metaphorischen Charakters als Grabmal oder Mumie.2 Das Schriftzeichen ist potentielles Residuum von Vormaligkeit und verweist, eben weil es die Situation seines Geschriebenwerdens überdauert, auf die unüberwindbare temporale Lücke, die Differenz zwischen dem hic et nunc der Schreibszene und der Situation des Lesens. Dass stillgestellte Schrift auch das bewahrt, was in ihr geschrieben ist, macht ihren Mortifikationscharakter ambivalent. Denn zum einen überdauert Schrift in der Regel den Moment ihrer Skription, ihres Geschriebenwerdens, und antizipiert den Tod der schreibenden Person und ihrer Adressat*innen. Gleichzeitig vermag sie zum anderen, eben weil sie über die Situation ihrer Schreibszene hinausreicht, zukünftig von dieser Situation Zeugnis zu geben, sodass gerade über Mortifikation Erinnerung ermöglicht wird und damit, metaphorisch gedacht, Schrift wegen ihrer Stillstellung ›lebt‹. William Shakespeare hat diesem Paradoxon mit dem Couplet seines 63. Sonetts Worte gegeben, wenn er apodiktisch setzt, dass die Referenzperson des Gedichts, ein junger Mann, über die Mortifikation der schwarzen, stillgestellten Schrift in der Erinnerung Schönheit und Lebendigkeit bewahren wird, auch wenn er und der Schreiber selbst verge-
2 | Zur Parallele von Grabmal und Zeichen im alten Ägypten siehe Assmann, Jan: »Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur im alten Ägypten«, in: Assmann, Aleida/Ders. (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, Archäologie der literarischen Kommunikation 1, München: Wilhelm Fink, 1983, S. 64-93. Vgl. auch Böhme, Hartmut: »Der Wettstreit der Medien im Andenken der Toten«, in: Belting, Hans/Kamper, Dietmar (Hg.): Der zweite Blick. Bildgeschichte und Bildreflexion, München: Wilhelm Fink, 2000, S. 23-42.
K orrel ationen hen: »His beauty shall in these black lines be seen,/And they shall live, and he in them, still green.«3
1.1.2 Pharmakon Der Gedanke der Mortifikation von Schrift hat weitreichende Konsequenzen und fördert nicht zuletzt eine attribuierte Nähe von Schrift zu Lüge und Fälschung.4 Denn gerade weil die stillgestellte, mortifizierte Schrift auf dem Papier – oder dem Stein, dem Ton, dem Pergament – sich selbst nicht bewegt, kann sie aus der Schreibszene weggetragen und so als abgezogene, abstrahierte Schrift in Kontexten gelesen werden, die den vormaligen Sinn zu verkehren drohen.5 In Platons Dialog Phaidros, einem der ältesten und einflussreichsten Texte westlicher Schriftkritik, 385–367 v. Chr. geschrieben, wird diese Verknüpfung von Skripturalität mit Abstraktion im wörtlichen Sinne eines Abziehens aus dem primären Kontext und eines Hineinstellens in einen kontaminierenden, fremden Kontext mit Vergessenheit und Lüge in Verbindung gesetzt. Denn Schrift als mnemotechnisches Medium, so die sokratische Haltung in diesem Dialog, entkräftigt das Erinnerungsvermögen und befördert stattdessen Vergessen, Dünkel und Schein.6 Platon lässt Sokrates eine Rede des ägyptischen Königs Thamus an den Gott Theuth, den Erfinder der Schrift, zitieren:
3 | Shakespeare, William: The Complete Sonnets and Poems, hg. von Colin Burrow, Oxford u.a.: Oxford University Press, 2002, S. 507. 4 | Siehe hierzu und zum Folgenden vor allem Schmidt, Ulf: »Metaphysischer Stillstand. Die Schrift, die Idee und der Tod bei Platon«, in: Ders./Gelhard, Andreas/ Schultz, Tanja (Hg.): Stillstellen. Medien, Aufzeichnung, Zeit, Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung 2, Schliengen: Edition Argus, 2004, S. 211-228. 5 | So u.a. Krämer, Sybille: »Sprache und Sprechen, oder: Wie sinnvoll ist die Unterscheidung zwischen einem Schema und seinem Gebrauch? Ein Überblick«, in: Dies./König, Ekkehart (Hg.): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2002, S. 97-125, hier S. 119. 6 | Eine bemerkenswerte alternative Lesart Platons schlägt Eric A. Havelock in seinem wichtigen, bisher nicht ins Deutsche übersetzten Buch Preface to Plato vor. Er argumentiert im Kontext einer frühgeschichtlichen Genealogie des phonetischen Alphabets gerade für Platon als Vertreter eines schriftgeprägten Denkens, der sich bewusst von der Mnemotechnik homerischer Kultur abgrenzt. Havelock, Eric Alfred: Preface to Plato, A History of the Greek Mind 1, Cambridge (MA): Belknap Press of Harvard University Press, 1963. Vgl. auch Koschorke, Albrecht: »Platon/Schrift/Derrida«, in: Neumann, Gerd (Hg.): Poststrukturalismus. Herausforderung an die Literaturwissenschaft, DFG-Symposion 1995, Germanistische-Symposien-Berichtsbände 17, Stuttgart/Weimar: Metzler, 1997, S. 40-58, hier S. 41.
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S chrift im R aum »Die Erfindung wird den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung der Erinnerung, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für die Erinnerung, sondern nur für das Erinnern hast du ein Mittel gefunden, und von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. Denn indem sie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden sie sich auch vielwissend zu sein dünken, obwohl sie größtenteils unwissend sind, und schwer zu behandeln, nachdem sie dünkelweise geworden statt weise.«7
Mit Fremdheit, Äußerlichkeit und Schwäche ist Schrift hier konnotiert. Der Begriff φάρμακον (phármakon), den Platon in diesem Zusammenhang für die Schrift als Mittel für das Erinnern verwendet, hat denn auch in der zugespitzten Lesart Jacques Derridas nicht nur die Bedeutung von Mittel, sondern auch von Droge, Gift, und Arznei.8 So zeigt sich der Todesbezug von Schrift an dieser Stelle nicht in erster Linie in der Stillstellung von Schrift als einer toten Skriptur, sondern in ihrer schwächenden und letztlich tötenden Wirkung als στέρησις (stérēsis, Beraubung), als privatio von Unmittelbarkeit und Lebendigkeit. Schrift ist damit im dreifachen Sinne mit Abwesenheit und Abstraktion verbunden: Sie kann erstens als Schriftstück aus dem Kontext ihrer Schreibszene abgezogen, abstrahiert werden, eben weil sie stabil ist und sich nicht selbst bewegt. Den Tod ihrer Autor*innen nimmt sie dabei in Kauf und gleichsam vorweg. Schrift hat zweitens eine abstrahierende Wirkung auf diejenigen, die sie gebrauchen, indem sie Fülle, Stärke, Präsenz, Unmittelbarkeit, Weisheit usw. entzieht und so volle Lebendigkeit abtötet. Drittens ist Schrift, und dies ist das folgende Argument Platons, mit Abstraktion und Abwesenheit verbunden, weil das, was sie beschreibt, nicht identisch ist mit der Beschreibung selbst und sich zwischen Schrift und Beschriebenem eine Kluft eröffnet, deren Existenz geleugnet wird. So lässt Platon Sokrates zu Phaidros sagen: »Wer also eine Kunst in Schriften hinterläßt, und auch, wer sie aufnimmt, in der Meinung, daß etwas Deutliches und Sicheres durch die Buchstaben kommen könnte, der ist einfältig genug [...]. Denn dieses Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Ebenso auch die Schriften: Du könntest glauben, sie sprä-
7 | Platon: Phaidros. Parmenides. Epistolai, Werke V, aus dem Griech. übers. von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, hg. von Gunther Eigler, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1983, S. 602-604 [Pl. Ph. 275a-b]. 8 | Derrida, Jacques (1995), S. 69-190.
K orrel ationen chen, als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das Gesagte, so bezeichnen sie doch stets nur ein und dasselbe.«9
Die einflussreiche platonische Degradierung und Kriminalisierung der Schrift, ihre Verknüpfung mit Tod, Abwesenheit und Abstraktion, gehen einher mit einer Idealisierung von Präsenz, Lebendigkeit, Bewegtheit und Animierung, die Platon dem Nicht-Schriftlichen der mündlichen Rede zuweist. Innerhalb der Schriftreflexion ist dies die womöglich verhängnisvollste Etablierung eines Gegensatzes, der sich bis in den Vergleich von Tanz und Sprache erstreckt und hier dazu verleitet, Tanzen nicht mit der Schrift, sondern mit der Stimme zu parallelisieren, eben weil sie, wie auch der bewegte Körper, von Präsenz und Lebendigkeit zeugt. Dass dabei die Unsichtbarkeit der Stimme im Gegensatz zur Visualität von Tanz ein viel größeres Analogiehindernis darstellt, wird verdrängt zugunsten der Fokussierung auf das hic et nunc sprechender und tanzender Körper. Die todesbezogenen Aspekte, die Schrift deklassieren, ihre Unbeweglichkeit, ihre abspaltende Wirkung und die Diskrepanz zwischen Schrift und Beschriebenem, legen daher häufig die Analogiesetzung zwischen Tanz und Stimme, Tanzen und Sprechen nahe, zumal im Zusammenhang mit der seit der Tanzmoderne greifenden Idealisierung von individuellem Ausdruck in der Bewegung. Zurückführen lässt sich diese phonozentrische Sicht auf Tanz, die weit mehr Unterstützung findet als die Parallele zur Schrift, letztendlich auf die Kernaussage Platons, der der Schrift das ihr Andere der Stimme gegenüberstellt, als »lebendige und beseelte Rede des wahrhaft Wissenden, von der man die geschriebene mit Recht wie ein Schattenbild ansehen könnte.«10
1.1.3 Tötender Buchstabe Platons Idealsetzung des Behauchten, Erfüllten und Konkreten der φωνή (phonḗ, Stimme), die vor der Negativfolie einer lebensfeindlichen, toten und tötenden Abspaltung der γραφή (graphḗ, Schrift) interpretiert werden kann, führt zu einer langen Tradition von Schriftkritik und Schriftfeindlichkeit, der sich die Analogisierung von Tanz und Schrift kritisch bewusst sein muss. Dies betrifft insbesondere die Kriminalisierung von Schrift, die sich grob verzerrend nicht zuletzt auf das paulinische Diktum aus 2 Kor 3,6b (»Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.«) bezieht, das seinerseits eine Rezeption der platonischen Schriftkritik aus dem Phaidros-Dialog darstellt. Bei Paulus ist der attestierte Todesbezug des Buchstaben auf den usus elenchticus legis, den Vergehen aufdeckenden Modus der schriftlichen Torah bezogen, dem er die Belebung durch die ( רוחruach, Wind, Hauch, Atem, Geist) an die Seite stellt, die über die 9 | Platon (1983), S. 604 (Orthographie wie im Original) [Pl. Ph. 275c-d]. 10 | Ebd. S. 605 [Pl. Ph. 276a].
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S chrift im R aum in der Antike übliche Praxis des lauten und damit behauchten Lesens hinausreicht.11 Im Zuge einer späteren harten Antonymisierung von Buchstabe und Geist, die bei Paulus so nicht gegeben ist, wird aus dem tötenden Buchstaben sogar ein toter Buchstabe und damit ein Topos, der losgelöst aus dem theologischen Rahmen der innerjüdischen Diskussion des Jahres 56 n. Chr. auf das Verhältnis zwischen einem ungelesenen, toten und einem laut gelesenen und damit lebendigen, behauchten, animierten Buchstaben bezogen wird.12 Problematisch wird die Sicht auf den Todesbezug von Schrift – entweder als Kriminalisierung oder Mortifikation – insbesondere dann, wenn in Verdrehung paulinischer Argumentation eine Rivalität von Schrift und Lebendigkeit behauptet und auf das Verhältnis von Judentum und Christentum projiziert wird. Gerade die Idealisierung des Konkreten und die Pejorisierung des Abstrakten bedienen sich in problematischer Weise einer christlichen antijudaistischen Abwertung von Skripturalität, die in Verzerrung von 2 Kor 3,6b das Stereotyp eines Judentums konstruiert, das qua seiner Bindung an den Buchstaben des Gesetzes, d.h. die Schrift der Torah, angeblich vom Bereich des Real-Präsenten und Lebensvollen abgespalten ist. Vor allem der Antijudaismus des 19. und 20. Jahrhunderts setzt in Folge einer christlichen Skripturalitätsdenunziation das Judentum mit Schrift, Abstraktion und Lebensfeindlichkeit gleich und be-
11 | Siehe hierzu u.a. Saenger, Paul Henry: Space between Words. The Origins of Silent Reading, Stanford (CA): Stanford University Press, 1997; Sellin, Gerhard/ Vouga, François (Hg.): Logos und Buchstabe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike, TANZ 20, Tübingen/Basel: Francke, 1997. Zur Frage des lauten und leisen Lesens in der griechischen Antike vgl. vor allem die Arbeiten von Svenbro, Jesper: »Archaisches und klassisches Griechenland. Die Erfindung des stillen Lesens«, aus dem Frz. übers. von Bernd Schwibs, in: Chartier, Roger/Cavallo, Guglielmo (Hg.): Die Welt des Lesens. Von der Schriftrolle zum Bildschirm, Frankfurt a.M./New York (NY): Campus/Paris: Editions de la Maison des sciences de l’homme, 1999, S. 59-96; Ders.: »Stilles Lesen und die Internalisierung der Stimme im alten Griechenland«, aus dem Engl. übers. von Peter Geble, in: Kittler/Macho/Weigel (2002), S. 55-71. 12 | Zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Referenz auf 2 Kor 3,6b vgl. u.a. Kamper, Dietmar. »›Der Geist tötet, aber der Buchstabe macht lebendig.‹ Zeichen als Narben«, in: Gumbrecht/Pfeiffer (1993), S. 193-200; Geisenhanslüke, Achim: Der feste Buchstabe. Studien zur Hermeneutik, Psychoanalyse und Literatur, Literalität und Liminalität 30, Bielefeld: transcript, 2021, S. 15-75. Speziell zum Topos des toten Buchstabens vgl. Göttert, Karl-Heinz: »Wider den toten Buchstaben. Zur Problemgeschichte eines Topos«, in: Kittler/Macho/Weigel (2002), S. 93-113.
K orrel ationen zieht sich dabei auch auf eines der Hauptargumente von Schriftkritik, der Verbindung von Schrift und Tod.13 Auch die Präferenz korporealer Gegenwart, wie sie in zeitgenössischen ästhetischen Diskursen zu performativen Künsten diskutiert wird, basiert unwissentlich auf einer dezidiert christlichen Abstraktionsabwertung und nimmt so unbeabsichtigt positiven Bezug zum Theologumenon der korporealen Präsenz Christi, wie es in bestimmten Theorien des Abendmahls vertreten wird. Die in Brot und Wein angenommene korporeale Gegenwart Christi wird dabei zum Modell einer erfüllten Gegenwart und dient als Vergleichsgröße für Präsenzeffekte im Bereich von Tanz, Theater und Sport.14 In Bezug auf Schrift kann diese Präsenzfokussierung wiederum zu einer spezifischen Aufwertung des toten Buchstabens führen, etwa indem dessen Präsenz, Körperlichkeit und Materialität betont werden, die wiederum als »Nichthermeneutisches« oder »Nichtbegriffliches« abgespalten werden.15 So bleibt es bei einer eigentümlichen Spannung innerhalb des Schriftbegriffs, der in verschiedener Weise mit einer in ihn hineingetragenen Trennung auskommen muss, entweder als toter Buchstabe abgegrenzt von einem belebenden Lesevorgang oder als körperlich anwesendes Zeichen abgegrenzt von einem abwesenden Anderen, auf das es lediglich verweist. Schrift ist daher nicht nur von einem rapport à la mort, sondern trotz aller Versuche, sich auf ihre Präsenz zu konzentrieren, auch von einem Bezug zur Abwesenheit gekennzeichnet.
1.1.4 Abwesenheit Völlig ausgeräumt werden kann die argumentative Verschaltung von Schrift und Tod jedoch ebenso wenig, wie sich die Ephemeralität und Korporealität von Tanz leugnen lässt. Gerade die todesbezogenen Aspekte von Schrift bleiben Hinder 13 | Siehe hierzu vor allem die Arbeiten von Braun, Christina von: Nicht ich. Logik, Lüge, Libido, Frankfurt a.M.: Neue Kritik, 1988; Dies.: Versuch über den Schwindel. Religion, Schrift, Bild, Geschlecht, Zürich/München: Pendo, 2001; Dies.: Blutsbande. Verwandtschaft als Kulturgeschichte, Berlin: Aufbau, 2018. 14 | Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich: »Produktion von Präsenz, durchsetzt mit Absenz. Über Musik, Libretto und Inszenierung«, in: Früchtl, Josef/Zimmermann, Jörg (Hg.): Ästhetik der Inszenierung. Dimensionen eines künstlerischen, kulturellen und gesellschaftlichen Phänomens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2001, S. 63-76, hier S. 63; Ders.: Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2004. Siehe außerdem Schwan, Alexander H.: »Jesus reenacted. Authentizität und Wiederholung im Abendmahlsstreit«, in: Daur, Uta (Hg.): Authentizität und Wiederholung. Künstlerische und kulturelle Manifestationen eines Paradoxes, Bielefeld: transcript, 2013d, S. 255-272. 15 | Gumbrecht (2004), S. 17; 163.
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S chrift im R aum nisse für die Vergleichbarkeit zum Tanz. Und dennoch ließe sich als Differenzierung einwenden, dass auch Tanz wie Schrift mit Abwesenheit im Bund steht, nur in anderer Weise als über extreme Bewegungsarmut, Erinnerungsverlust und eine Kluft zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Anders als bei Schrift liegt der Grund für die Todesnähe von Tanz nicht in der Mortifikation der Zeichen, die der Schrift dazu verhilft, das Leben ihrer Schreiber*innen zu überdauern, vielmehr ist es die beschleunigte Ephemeralität von Bewegung, ihre äußerst verkürzte durée, die Tanzen unweigerlich in Bezug zu Abwesenheit, Verlust und Sterben setzen. Damit wäre es möglich, Tanzen weniger als Feier körperlicher Präsenz denn als ars moriendi zu begreifen und im Rückgriff auf einen privativen Abstraktionsbegriff die Absenz von Dinghaftigkeit und Fassbarkeit von Bewegungen zu betonen.16 Tanzen, so ließe sich in dieser Blickrichtung formulieren, wäre dann eine auf Abwesenheit und Abstraktion zielende Praxis und gerade darin der Schrift verwandt. Damit kann man im gemeinsam erreichten, aber aus diametral entgegengesetzten Richtungen der Stillstellung und der Flüchtigkeit angesteuerten Absenz- und Differenzbezug sogar ein weiteres Argument für die Analogiesetzung von Tanz und Schrift ausmachen. In der Beziehung zur Abwesenheit konvergieren beide Größen: Tanz wird schriftähnlich, weil Bewegungen sich in die Dynamik der Arbitrarität und Differentialität von Zeichen verlieren, ohne je identisch iterierbar zu sein. Und Schrift wird tanzähnlich, weil sie aufgrund der ihr inhärenten Lücken und Zäsuren von Sprunghaftigkeit und Abwesenheit ihrer selbst gekennzeichnet ist: »Jede Schrift ist aphoristisch. Keine ›Logik‹, keine Vermehrung bindender Lianen kann mit ihrer wesenhaften Diskontinuität und Unwirklichkeit [...] zu Rande kommen. [...] Sie geht nur nach Sprüngen vor. Das macht sie gefährlich.«17
16 | Vgl. zum Konnex von Tanz und Abwesenheit u.a.: Gilpin, Heidi: »Lifelessness in Movement, or How to Do the Dead Move? Tracing Displacement and Disappearance for Movement Performance«, in: Foster (1996a), S. 106-128; Siegmund, Gerald: »Erfahrung, dort, wo ich nicht bin. Die Inszenierung von Abwesenheit im zeitgenössischen Tanz«, in: Klein, Gabriele/Sting, Wolfgang (Hg.): Performance. Positionen zur zeitgenössischen szenischen Kunst, TanzScripte 1, Bielefeld: transcript, 2005, S. 59-76; Ders. (2006); sowie zu Bewegung und Präsenz: Schmitz, Hermann: »Leibliche Bewegung auf dem Grund der Zeit«, in: Alarcón; Mónica/Fischer, Miriam (Hg.): Philosophie des Tanzes. Denkfestival – eine interdisziplinäre Reflexion des Tanzes, Freiburg: FwPF, 2006, S. 18-30. 17 | Derrida, Jacques (1972), S. 111.
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1.2 Schrift und Stimme 1.2.1 Oralität-Literalität Der zweite Vorbehalt gegen eine Analogisierung von Tanz und Schrift ist die vermeintlich ausschließliche Notationalität von Schrift als Aufzeichnungsmedium gesprochener Sprache. Im Unterschied zu den Aspekten von Tod und Stillstellung kann dieses enge Schriftverständnis leicht ausgeräumt werden, vor allem wenn der Blick auf Zahlzeichen fällt, die ebenfalls zur Schrift zählen und in ihrem Gebrauch älter sind als phonographische Zeichen.18 Mit Zahlzeichen – oder mit als Buchstaben verwendeten Zahlzeichen – kann gerechnet werden, sodass sie Funktion der Operationalität als eine der wesentlichen Bedingungen von Schrift erfüllen. Zumal bei nicht-natürlichen Zahlen verfehlen sie jedoch die hohen Bedingungen, die mit Nelson Goodman an echte Notationssysteme gestellt werden können, und noch weniger sind Zahlzeichen phonographisch. Dass sie dennoch Schrift sind, stellt das womöglich stärkste Argument gegen ein phonozentrisches und notationsfixiertes Schriftverständnis dar, ohne dass damit etwas über die Wertigkeit oder zeitliche Vor- bzw. Nachordnung von Stimme und Schrift ausgesagt wäre.19 Wird im Rahmen des Phonozentrismus jedoch die Idealsetzung der Stimme in Abgrenzung von der Schrift behauptet, so ist dies für die dritte Größe Tanz von besonderer Relevanz, da im Zuge einer solchen phonozentrischen Annahme häufig Sprechen als Hauptanalogie zum Tanzen dominiert. Ein solchermaßen phonozentrisches Tanzverständnis kann sich in der Parallelisierung von Tanz und Sprache niederschlagen, wie in Friedrich Nietzsches einflussreichem Diktum aus dem Grablied Zarathustras, »Nur im Tanze weiß ich der höchsten Dinge Gleichnis zu reden«.20 Die Tanzmoderne und insbesondere Mary Wigman greifen diesen Tanzphonozentrismus auf und weiten ihn aus zur proble-
18 | Siehe Harris (1986), S. 133. Vgl. auch Mazur, Joseph: Enlightening Symbols. A Short History of Mathematical Notation and Its Hidden Powers, Princeton (NJ): Princeton University Press, 2014. 19 | Eine seltene Brücke zwischen Zahl, Schrift und Tanz schlägt Kristina Mendicino mit ihrer dichten Aristoxenos-Lektüre in Mendicino, Kristina: »Tanzschrift. Über- und Untergang der aristoxenischen Rhythmik bei Nietzsche«, in: Dies./Harst, Joachim (Hg.): Sêma. Wendepunkte der Philologie, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013, S. 83-102. 20 | Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und Keinen, Kritische Gesamtausgabe VI/1, hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin: De Gruyter, 1968, S. 140.
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S chrift im R aum matischen Annahme von Tanz als transkultureller Universalsprache oder gar Ursprache.21 Eine Abwertung von Schrift und ein Versuch, Tanz als Sprechen und eben nicht als Schreiben oder gar Schrift zu verstehen, ist aber – möglicherweise uneingestanden – auch dort vorausgesetzt, wo Schriftlichkeit in Bezug auf Tanz in einem verkürzenden Notations- und Perfomanzverständnis lediglich als Niederschrift von Bewegung verstanden wird, die es dann beim aktiven Tanzen wie eine tote Schrift zu verlebendigen gelte.22 Es ist daher notwendig, die Tanz-SchriftAnalogie auch vor dem Hintergrund der breit geführten Oralitäts-Literalitäts 21 | »Tanz ist eine Sprache, die im Menschen ureingeboren schlummert. Tanz ist Sprache des bewegten Körpers.« Wigman, Mary: »Tanz«, in: Bach, Rudolf: Das Mary-Wigman-Werk, Dresden: Reissner, 1933, S. 19f., hier S. 19; Dies.: Die Sprache des Tanzes, München: Battenberg, 1963. Vgl. auch die neueren Versuche von Bannermann, Henrietta: »Is Dance a Language? Movement, Meaning and Communication«, in: Dance Research 32:1 (2014), S. 65-80; Brenscheidt gen. Jost, Diana: »Tanz als Ursprache. Konzeptionen direkter Verständigung im modernen Tanz«, in: Kremberg, Bettina/Pełka, Artur/Schildt, Judith (Hg.): Übersetzbarkeit zwischen den Kulturen. Sprachliche Vermittlungspfade, Mediale Parameter, Europäische Perspektiven, Frankfurt a.M. u.a.: Lang, 2010, S. 143-159; sowie Sutil, Nicolás Salazar: Motion and Representation. The Language of Human Movement, Cambridge (MA): MIT Press, 2015. Anzuführen ist in diesem Zusammenhang auch die einflussreiche Verknüpfung von Sprache, Kunst und Tanz von Collingwood, Robin George: The Principles of Art, Oxford: Clarendon Press, 1938. In historischer Perspektive seien genannt: Schlapbach, Karin: The Anatomy of Dance Discourse. Literary and Philosophical Approaches to Dance in the Later Graeco-Roman World, Oxford: Oxford University Press, 2018, S. 92-103; Greenblatt, Stephen: »Toward a Universal Language of Motion: Reflections on a Seventeenth-Century Muscle Man«, in: Foster (1995), S. 25-31. 22 | So meint etwa Victoria Watts, Derridas Idee einer Primordialität von Schrift mit der Präskriptivität von Tanznotation gleichsetzen zu können: »It makes sense to me to see my work with a notation score as a form of reading in which bodily awareness is heightened. It is still ›reading‹, and exists on a continuum the other end of which is a practice in which the body has been repressed, denied, exiled. And just as Derrida suggests a form of writing that precedes speech as a strategy for overturning oppositional thinking, so too is choreography in performance preceded by a ›writing‹ in the studio.« Watts, Victoria: »Dancing the Score. Dance Notation and Différance«, in: Dance Research 28:1 (2010), S. 7-18, hier S. 15. Vgl. dagegen die Überlegungen Ludwig Jägers zur »Beziehungslogik von Prätext, Skript und Transkript: Obwohl der Prätext der Transkription vorausgeht, ist er als Skript doch erst das Ergebnis der Transkription.« Jäger, Ludwig: »Transkriptivität. Zur medialen Logik der kulturellen Semantik«, in: Stanitzek, Georg (Hg.): Tran-
K orrel ationen Debatte zu verorten, um erst in einem zweiten Schritt auf die Ikonizität des Schriftbildes einzugehen und im genauen Vergleich der referenzgenierenden Aspekte von Schriftbildlichkeit genau diejenigen zu benennen, die der Körperbewegung, wahrgenommen als ephemäre Skription, ermangeln. Die Debatte um das Verhältnis von Oralität und Literalität, die vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit teils erbitterter Vehemenz geführt wurde, reagiert auf das Konstrukt oraler, nicht-literaler Kulturen.23 Nach diesem Konstrukt taucht Schrift phylogenetisch nur in nachgeordneter Weise auf, ist aber wiederum mit einem angeblichen Sprung an Intelligibilität verbunden.24 In der Gegenüberstellung oraler und literaler Kulturen und unter Einbeziehung von Paradigmen des Primitivismus wird so die Idee einer reinen Mündlichkeit konstruiert, die wahlweise Kulturgeschichte als Verfallsgeschichte zeichnet und eine scheinbar ursprüngliche schriftlose Mündlichkeit idealisiert oder aber diese als weniger intelligibel deklassifiziert.25 Auf diese Dichotomie – nach heutigem Stand unhaltbar, da Mischformen von Oralität und Literalität alle Kulturen bestimmen – antworten Ansätze, die Formen von Schriftlichkeit bereits auf frühen phylogenetischen Stufen verorten, etwa in den strahlenförmig und nicht-linear
skribieren. Medien. Lektüre, München: Wilhelm Fink, 2002, S. 19-41, hier S. 30 (Hervorhebung im Original). 23 | Vgl. insbesondere Ong, Walter Jackson: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, aus dem Engl. übers. von Wolfgang Schömel, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1987; Olson, David R./Torrance, Nancy (Hg.): Orality and Literacy, Cambridge/New York (NY): Cambridge University Press, 1991. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere auch die frühen Arbeiten Eric A. Havelocks, vgl. Havelock (1963); Ders.: The Literate Revolution in Greece and Its Cultural Consequences, Princeton (NJ): Princeton University Press, 1982; Ders.: The Muse Learns to Write. Reflections on Orality and Literacy from Antiquity to the Present, New Haven (CO)/London: Yale University Press, 1986. 24 | So zeichnet etwa George P. Khushf folgendes idealisiertes Bild der angenommenen oralen Phase von Kultur: »Das Denken ist situativ, nicht abstrakt, additiv, nicht unterordnend, aggregativ und nicht analytisch, partizipierend, nicht etwa distanzierend.« Khushf, George P.: »Die Rolle des ›Buchstabens‹ in der Geschichte des Abendlands und im Christentum«, in: Gumbrecht/Pfeiffer (1993), S. 21-33, hier S. 25. 25 | Dieser Verfallsgeschichte der Schrift entspricht dann auch das Konstrukt einer neuen, mit den modernen technischen Medien verbundenen Oralität, sodass etwa mit Régis Debray ein historischer Dreischritt von Logosphäre, Graphosphäre und Videosphäre behauptet wird. Vgl. Debray, Régis: Cours de médiologie générale, Paris: Gallimard, 1991. Vgl. auch De Kerckhove, Derrick: La Civilisation vidéo-chrétienne, Paris: Retz/Atelier Alpha bleue, 1990.
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S chrift im R aum angeordneten Graphismen einer pré-écriture.26 Oder aber es werden im Rekurs auf Jacques Derrida Prinzipien von Schrift wie Differenzierbarkeit, Arbitrarität und Iterabilität auch in nicht-schriftlichen Bereichen bis hin zur Stimme ausgemacht, sodass schließlich eine angenommene archi-écriture allen graphischen wie nicht-graphischen Figurationen vorausgeht und auch Tanz und Bewegung anstößt und durchzieht. Hervorzuheben ist dabei, dass – anders als die Graphismen der pré-écriture nach Leroi-Gourhan – die archi-écriture oder archi-trace keine realen Spuren im Raum darstellt, sondern solche Graphien erst ermöglicht.27 Derart von der archi-trace angestoßen sind Inskriptionen im Raum von der différance, einer Dynamik aus Differenzierung und Verräumlichung affiziert, sodass nach Derrida der Begriff ›Choreographien‹ ausschließlich als Pluraletantum existiert und sich immer auf eine Mehrzahl je und je versprengter und verschriebener écritures corporelles bezieht.28
1.2.2 Primordialität von Schrift Mit Gewinn für die Frage einer Analogisierung von Tanz und Schrift kann innerhalb der jüdischen Mystik außerdem auf die Idee einer Gleichursprünglich 26 | Vgl. Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort. Die Evolution von Technik, Sprache und Kunst, aus dem Frz. übers. von Michael Bischoff, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1980, S. 140. 27 | Der Begriff der archi-écriture taucht bei Derrida mit sehr wenigen Ausnahmen nur in frühen Veröffentlichungen der Jahre 1966–1968 auf, insbesondere in De la Grammatologie (1967) und wird hier und später durch den noch umfassenderen Begriff der arché-trace ergänzt bzw. ersetzt. Vgl. aber auch: »I mean, there is what I call an ›arche-writing‹ (arche-écriture) which is implied in the spoken language, which implies that the concept of writing is transformed, of course.« Derrida, Jacques: »Excuse Me, But I Never Said Exactly So. Yet Another Derridean Interview«, Jacques Derrida im Gespräch mit Paul Brennan, Paris 1982, in: On the Beach 1, Glebe (NSW, Australien): On the Beach Collective, 1983, S. 42. Vgl. hierzu auch Thiel, Detlef: »Urschrift. Systematische und historische Bemerkungen zu Derridas Motiv der archi-écriture«, in: Gondek, Hans-Dieter/Waldenfels, Bernhard (Hg.): Einsätze des Denkens. Zur Philosophie von Jacques Derrida, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997, S. 60-98, hier S. 98; Angehrn, Emil: »Schrift und Spur bei Derrida«, in: Arburg, Hans-Georg von/Gamper, Michael/Stadler, Ulrich (Hg.): Wunderliche Figuren. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften, München: Wilhelm Fink, 2001, S. 347-363; Wetzel, Michael: »Spuren der Verkörperung – Verkörperungen der Spur«, in: Fehrmann/Linz/Epping-Jäger (2005), S. 79-88. 28 | Derrida, Jacques: »Choreographien«, in: Ders.: Auslassungspunkte. Gespräche, hg. von Peter Engelmann, Wien: Passagen, 1998, S. 99-117; vgl. auch Irwin (2010), S. 133-137.
K orrel ationen keit von gesprochenem und geschriebenem Wort hingewiesen werden, deren Grundgedanke sogar die Primordialität von Schrift impliziert. Denn der Torah in geschriebener Form (תורה שבכתב, torah she-bi-khtav) geht hier eine Urtorah voraus, von den Rabbinen ( ספר אם למקראsefer em le-miḳ ra, Mutter der Schrift) genannt, eine himmlische Urkopie, von der jede irdische Torah als abgeleitet und sekundär zu betrachten ist.29 Derart vorgängig kommt die Urtorah selbst ihrem eigenen Gelesenwerden zuvor; denn, so Gershom Scholem, »das ist die eigentliche Urtora, in der höchst bemerkenswerter Weise die Schrift, die verborgene Signatur in Gott, dem Sprechen vorangeht, so daß die Sprache letzten Endes aus der Lautwerdung der Schrift entsteht und nicht umgekehrt.«30 Und in bemerkenswerter Parallele zu Derridas Konzept der archi-écriture formuliert Scholem: »Jedes Sprechen ist in der geistigen Welt zugleich ein Schreiben [...] Der Sprechende gräbt gleichsam den dreidimensionalen Wortraum in das Pneuma ein.«31 Von hieraus könnte einerseits die Parallele zu Tanzen als dem Eingraben eines dreidimensionalen Körpers im Raum gezogen werden, als einer Figuration, die gleichermaßen Schreiben wie Sprechen wäre. Relevanter erscheint andererseits der Bezug zwischen dem immer nur sekundären Charakter von Schrift als Kopie einer vorgängigen Urschrift und der Idee, Tanzen als Kopie imaginärer Bewegung zu verstehen, auf die sich reale Bewegung wie die Marginalie eines Textes bezieht. Dieser Gedanke entbindet Tanzen von der Fiktion eines ursprünglichen, unvermittelten Ausdrucks und eröffnet so jenseits eines vouloir dire die Dimension von Tanz als Spur, als visibler, korporealer Hinweis auf eine imaginäre Schrift. Tanz, in diesem Sinne als kopierte oder umschriebene Schrift verstanden, hätte dann den Charakter einer post-écriture, deren Nachträglichkeit auch im epistemologischen Sinne zu verstehen ist: Insofern Tanz nur 29 | Bruckstein Çoruh, Almut Shulamit: House of Taswir. Doing and Un-doing Things/Zur Umordnung der Dinge. Notes on Epistemic Architecture(s)/Notizen zur epistemischen Architektur, Paderborn: Wilhelm Fink, 2013, S. 16. Ein ähnlicher Gedanke findet sich auch in islamischer Mystik, wenn als Umm al-Kitab ein UrKoran bezeichnet wird, der jeder irdischen Kopie vorausgeht, siehe ebd., S. 15. Vgl. auch Brumlik, Micha: »Die Welt der Schrift und die Schrift der Welt«, in: Tyradellis, Daniel/Friedlander, Michal S. (Hg.): 10 + 5 = Gott. Die Macht der Zeichen, Katalog Ausstellung Jüdisches Museum Berlin (25.02.–27.06.2004), Köln: DuMont, 2004, S. 103-118. 30 | Scholem, Gershom: Judaica III, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1987, S. 53 (Orthographie wie im Original). 31 | Ebd. S. 35. Vgl. auch Schmitz-Emans, Monika: Zwischen weißer und schwarzer Schrift. Edmond Jabès’ Poetik des Schreibens, München: Wilhelm Fink, 1994, S. 34f.; Idel, Moshe: »Die laut gelesene Tora. Stimmengemeinschaft in der jüdischen Mystik«, in: Kittler/Macho/Weigel (2002), S. 19-53.
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S chrift im R aum in der gewollten Wahrnehmung als Körperschrift erscheint und zudem als Spur auf imaginäre andere Spuren rekurriert, ist seine Schriftlichkeit immer Skripturalität a posteriori und wird erst nachträglich einer Bewegung attribuiert.
1.2.3 Metaphonetische Sprachlichkeit Zu historisieren und zu begrenzen ist indes die erst in der Renaissance aufkommende Vorstellung eines primär phonographischen Schriftgebrauchs, der Schrift auf eine Repräsentation des gesprochenen Wortes reduziert und dabei mit dem älteren, von Aristoteles herrührenden Verständnis von Schrift als Fixierung der grammatischen Artikulation eines Textes konkurriert.32 Die Differenz zwischen der erst spät aufgekommenen phonographischen Verkürzung und der älteren antiken Vorstellung, dass Schrift nicht die Rede festhält, sondern »das, was in dem Gesprochenen ist«,33 ist insofern bemerkenswert, als sie zum einen die Oralitäts-Literalitäts-Debatte in einem großen historischen Rahmen relativiert und zum anderen auf eben jene grammatischen Artikulationen verweist, die zu fixieren Tanz qua seiner Flüchtigkeit nicht in der Lage ist. So heißt es im Organon des Aristoteles, gleich zu Beginn des Buches über die Hermeneutik in wörtlicher Übersetzung (mit eingefügten Zusätzen, die die Relationen verdeutlichen, die im griechischen Text nur aus grammatischen Indikatoren geschlussfolgert werden können): »Es sind aber nun die in der Stimme (Enthaltenen) Zeichen für die Zustände in der Seele, und das Geschriebene (ist Zeichen) für die in der Stimme (Enthaltenen).«34 In dieser für die Philosophie von Schrift ähnlich zentralen und einflussreichen Stelle wie der platonischen Schriftkritik 32 | Siehe hierzu und im Folgenden die grundlegende Studie Maas, Utz: »›Die Schrift ist ein Zeichen für das, was in dem Gesprochenen ist.‹ Zur Frühgeschichte der sprachwissenschaftlichen Schriftauffassung: das aristotelische und nacharistotelische (phonographische) Schriftverständnis«, in Kodikas/Code. Ars Semeiotica. An International Journal of Semiotics 9:3-4 (1986), S. 247-291, hier S. 247. Vgl. auch Stetter, Christian: »Buchstabe und Zeichen«, in: Ohashi/Roussell (2014), S. 87-97. 33 | Maas (1986), ebd. 34 | Zitiert nach ebd., S. 254f. Vgl. dagegen die unter uneingestandenen phonographischen Prämissen stehende Übersetzung: »Es ist nun also das zur Sprache Gekommene Ausdruck von Vorgängen im innern Bewußtsein, so wie das Geschriebene (Ausdruck) des Gesprochenen.« Aristoteles: Kategorien, Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck (De interpretatione), Organon 2, aus dem Griech. übers., hg. und mit Einl. und Anm. versehen von Hans Günter Zekl, Philosophische Bibliothek 493, Hamburg: Meiner, 1998, S. 97 (Orthographie wie im Original). Vgl. auch die eingehende Analyse des aristotelischen Schrift-StimmeVerhältnisses aus linguistischer Sicht bei Harris (2001), S. 17-38; sowie Ders.: »Schrift und linguistische Theorie«, in: Grube, Gernot/Kogge, Werner/Krämer,
K orrel ationen im Phaidros wird also unterschieden zwischen der Stimme und dem, was »in der Stimme« ist. Nur Letzteres ist das Korrelat zu den schriftlichen Zeichen, die damit in ihrer Zusammenstellung lediglich die grammatische Artikulation einer metaphonetischen Struktur wiedergeben, die das Gesprochene wie das Geschriebene gleichermaßen durchzieht.35 Um solche metaphonetischen Strukturen klar wiederzugeben, bedarf es auf der Ebene der Schriftbildlichkeit eines hohen Maßes an Granularität, bei der die Zeichen in Differenz zueinander stehen und in Differenz vom Schriftgrund gesetzt sind. Dieser doppelte Differenzbezug steht in gewissem Zusammenhang mit den Vorgaben, die an notationale Systeme gestellt werden, ohne dass damit allerdings Schrift und Notation gleichzusetzen wären. Denn eine der notwendigen Bedingung für Notation ist die Disjunktivität, die klare Zuordnung einer Marke zu nur einem von ihr repräsentierten Charakter.36 Die Uneindeutigkeit, d.h. die mögliche Zuordnung einer Marke zu mehreren Charakteren, soll nach strengen Notationsregeln vermieden werden, widerspräche aber auch einem funktionierenden Schriftsystem. Bereits im einfachen Beispiel eines Alphabetsystems – unabhängig davon, ob es zur Wiedergabe metaphonetischer Strukturen oder zur algebraischen Mathematik verwendet wird – ist es notwendig, dass die Gestalt der Buchstaben voneinander deutlich unterschieden ist. Diese Frage berührt den entscheidenden Bereich des Schriftbildes als Teil der Verhältnisbestimmung von Schrift und Raum. Und ungeachtet der gemeinsamen Visualität von Tanz und Schrift stellt sich hierbei die fehlende perspicuitas von Tanz der direkten Vergleichbarkeit zur Schrift entgegen, als eine weitere Hürde, die ähnlich wie die der Mortifikation nicht zur Gänze ausgeräumt werden kann.
Sybille (Hg.): Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Mund, München: Wilhelm Fink, 2005, S. 61-79. 35 | Zur Idee einer metaphonetischen Sprachlichkeit als einer anthropologischen Sprachmedialität, die noch der vokal-auditiven Sprache vorausgeht, vgl. insbes. Jäger, Ludwig: »Sprache als Medium. Über die Sprache als audio-visuelles Dispositiv des Medialen«, in: Wenzel/Seipel/Wunberg (2001), S. 19-42; sowie zum Verhältnis von Sprache und Sprechen allgemein Krämer/König (2002). 36 | Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, aus dem Engl. übers. von Bernd Philippi, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1997, S. 130.
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1.3 Schrift und Bild 1.3.1 Perspicuitas Schrift ist auf allen Stufen ihrer Hervorbringung und Rezeption ein Ereignis im Raum.37 Ihre Marken werden über räumliche Bewegung gesetzt, und auch die scheinbar rein flächige Erscheinungsform auf einem Bildschirm – der Wortteil ›Schirm‹ bringt dies unfreiwillig zum Ausdruck – ist in einem espacement aufgespannt, bei dem die Marken nicht nur in einer Fläche, sondern in räumlicher Beziehung zueinander stehen. Auch die Rezeption bedarf eines adäquaten räumlichen Abstandes zum Schriftträger, um Lesbarkeit zu gewährleisten. Dass Geschriebenes dennoch meist als Konstellation in der Fläche erscheint und gelesen wird, ist ein durch Konvention etabliertes Verfahren, um die Klarheit und Deutlichkeit von Schrift als Schriftbild zu erhöhen. Die bei analogen Schriftmedien immer minimal erhöhte Aufschrift als Tintenrand und Graphitabrieb oder die vertiefte Inschrift in Stein, Pergament und Papier werden so erst sekundär zu einem flächigen Bild ohne Vertiefungen und Erhöhungen abstrahiert. Ebenso wird von der Räumlichkeitsdimension des Schriftträgers abgesehen, sodass ein immer auch voluminöser, an seiner Oberfläche beschriebener Körper als die Fläche eines Schriftbildes wahrgenommen wird.38 37 | Die im Zusammenhang mit Schrift aufgebrachte Kritik des Logozentrismus müsste daher, auch und gerade im Blick auf Schrift als Schriftbild, ergänzt werden um eine Kritik des Planozentrismus als einer Bevorzugung der Fläche und einem Ignorieren der Dreidimensionalität von Schrift. Vgl. hierzu Schröter, Jens: 3D. Zur Geschichte, Theorie und Medienästhetik des technisch-transplanen Bildes, München: Fink, 2009. 38 | Zum Problem der Flächigkeit und zur damit verbundenen Operationalität von Schrift siehe vor allem die Arbeiten von Krämer, Sybille: »›Schriftbildlichkeit‹, oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift«, in: Dies./ Bredekamp, Horst (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München: Wilhelm Fink, 2003, S. 157-176; Dies.: »›Operationsraum Schrift‹. Über einen Perspektivwechsel in der Betrachtung der Schrift«, in: Dies./Grube/Kogge (2005), S. 23-61; Dies.: »Zur Sichtbarkeit der Schrift, oder: Die Visualisierung des Unsichtbaren in der operativen Schrift. Zehn Thesen«, in: Strätling/Witte (2006a), S. 75-83; Dies.: »Notationen, Schemata, Diagramme. Über ›Räumlichkeit‹ als Darstellungsprinzip. Sechs kommentierte Thesen«, in: Brandstetter/Hofmann/Maar (2010), S. 27-45; Dies.: »Punkt, Strich, Fläche. Von der Schriftbildlichkeit zur Diagrammatik«, in: Dies./ Cancik-Kirchbaum/Totzke (2012), S. 79-100. Zum Verhältnis von Referentialität und Schriftbildlichkeit vgl. auch Glück, Helmut: »Ikonizität der Schrift?«, in: Loprieno/Knigge-Salis/Mersmann (2011), S. 67-79; sowie Loprieno, Antonio: »Vom Schriftbild«, in: ebd., S. 15-36.
K orrel ationen Diese Reduktion zur Fläche bietet die Möglichkeit zur Überschaubarkeit des Schriftbildes. Dabei werden zwei bestimmte imaginäre Wahrnehmungsformen des im Raum aufgespannten Schriftbildes ideal gesetzt, auf die sich die Lektüren beziehen. Es ist dies zum einen die frontale Aufsichtigkeit auf das Schriftbild, mit der eine räumliche Verzerrung des zu lesenden Textes vermieden wird. Der Grad an perspicuitas – in Quintilians Rhetorik eine der Tugenden bei der elocutio einer Rede und von dort aus als Ideal auf die Schrift übertragbar – ist bei einer solchen, in der Aufsicht wahrgenommenen flächigen Inskription größer, weil hier im Gegensatz zu einem räumlichen Schriftgebilde die Möglichkeit abnimmt, Zeichen mangels eines günstigen Blickwinkels zu übersehen oder zu verwechseln. Der Begriff der perspicuitas steht damit auch in einem Zusammenhang mit der Perspektive eines Bildes, wobei beide Bedeutungsstränge des lateinischen Sprachgebrauchs von perspicere (klar, deutlich sehen bzw. durchsehen) jeweils unterschiedliche Konzepte von Perspektivität beglaubigen können.39 Zum anderen wird das Ideal der perspicuitas nicht nur mit der Idee einer claritas scripturae zusammengedacht, sondern auch mit der vorgestellten Diaphanizität von Schrift als zweite ideal gesetzte imaginäre Wahrnehmungsform.40 Vor allem in der Tradition mittelalterlicher Schriftbetrachtung wird bereits das Reflexionslicht einer Pergamentseite als deren Eigenlicht und als glanzhafte Durchsichtigkeit erlebt, sodass der Kodex als diaphan (von Griech. διαφανές, diaphanés, durchscheinend) konzipiert wird:
39 | Für die Übertragung des perspicuitas-Gedanken auf das Schriftbild und dessen Zusammenhang mit Perspektivitätstheorien siehe Bader, Günter: »Protestantismus und Arabeske«, in: NZSTh 45:3 (2003), S. 346-360, hier S. 350f. Zu den unterschiedlichen Konzeptionen von Perspektivität im Rahmen des Bedeutungsspektrums von perspicere siehe nach wie vor die ältere Untersuchung von Boehm, Gottfried: Studien zur Perspektivität. Philosophie und Kunst in der Frühen Neuzeit, Heidelberger Forschungen 13, Heidelberg: Universitätsverlag Carl Winter, 1969, S. 11-23. 40 | Zur Begriffsgeschichte des Diaphanen vgl. Alloa, Emmanuel: Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Zürich: diaphanes, 2011a. Der Begriff der claritas scripturae steht zunächst reformationsgeschichtlich im Zusammenhang der protestantischen Abwehr gegen die altgläubige vierfache Schriftauslegung, der Martin Luther mit dem sola scriptura-Prinzip die Idee einer sich selbst auslegenden Schrift entgegenstellt. Der Begriff ließe sich aber auch von der Ebene der Bedeutung auf die Ebene des Schriftbildes verlagern. Zur perspicuitas scripturae, die in altprotestantischer Dogmatik sogar vorgeordnet und innerhalb des locus primus als eine der affectiones scipturae behandelt wurde, vgl. Ratschow, Carl Heinz: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung I, Gütersloh: Mohn, 1964, S. 123-132. Vgl. auch Bader (2003), S. 352.
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S chrift im R aum »Der Kodex wirkt durchscheinend. Er leuchtet von sich selbst her, und wie sehr er dies tut, mag man sich klar machen, indem man der Seite näher tritt und merkt, wie ausgelöst durch die Brechung und Spiegelung des Lichts an der Rückseite des Pergaments, Schrift und Bild auf ihrer Schreib- und Malfläche [...] zu schweben scheinen, hinterleuchtet von lauter Licht.«41
Die Diaphanizität oder Durchsichtigkeit ist bezogen auf das Ideal einer dunklen Schrift vor hellem Hintergrund, wobei entweder ein Selbstleuchten des Schriftgrundes angenommen oder aber, wie bei einem Schriftstück, das vor ein Fenster gehalten wird, der Schriftgrund als von hinten durchleuchtet vorgestellt wird. Eine solche fensterbezogene Diaphanizität des Schriftbildes steht daher auch im Zusammenhang mit dem von Leon Battista Alberti formulierten Bildverständnis der Renaissance, das die mittelalterliche Vorstellung des Eigenlichts einer Schriftseite ersetzt und verschiebt.42 In beiden idealen Beleuchtungsszenarien, dem Selbstleuchten wie dem Durchleuchten, lösen sich die Schriftzeichen imaginär von dem Grund ab, in den sie gesetzt sind, und erscheinen als ein für sich stehendes Textgewebe, ein Vorhang aus Schrift vor einem diaphanen, durchscheinenden Hintergrund. Das Konzept hinter dieser, im Kontext mittelalterlicher Skriptorien entwickelten Idee eines diaphanen Schriftbildes besteht darin, die Trennung von Schrift und Schriftgrund zuzuspitzen und die Schrift hervorzuheben. Zusammen mit dem Ideal der Aufsichtigkeit, unter dessen Maßgabe bis heute geschrieben und gelesen wird, ergibt sich eine Intensivierung der perspicuitas, die die doppelte Differenz im Schriftbild bestätigt: Die einzelnen Marken erscheinen sowohl voneinander als auch vom Hintergrund klar getrennt. Im Rahmen eines Schriftsystems kann so ein Referenzbezug ohne großen Verlust an Deutlichkeit der Zuordnung realisiert werden. Dies scheint auch der Grund für die Präferenz flacher Schriftträger oder Schriftoberflächen zu sein, die dann in der Rezeption noch einmal um die Reste ihrer Räumlichkeit reduziert werden. 41 | Bader (2003), S. 350. Siehe hierzu auch Illich, Ilan: Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild der Moderne entstand. Ein Kommentar zu Hugos ›Didascalicon‹, aus dem Engl. übers. von Ylva Eriksson-Kuchenbuch, Frankfurt a.M.: Luchterhand, 1991, S. 25-27. 42 | »In prima nel dipingere la superficie faccio un quadrato grande, quanto mi piace d’anguli dritti: il quale mi serve per una finestra aperta, onde si possa vedere l’historia.« Alberti, Leon Battista: Della pittura/Übe r die Malkuns t, aus dem Ital. übers., hg., eingel. und komment. von Oskar Bätschmann und Sandra Gianfreda, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, S. 223. Dt. Übersetzung: »Als erstes schreibe ich der zu bemalenden Oberfläche ein Viereck mit rechten Winkeln ein [...], welches nämlich für mich für ein offenes Fenster steht, aus dem die historia gesehen werden kann.« Ebd. (Hervorhebung im Original).
K orrel ationen Bei einem entsprechend hohen Maß an Granularität, an Deutlichkeit und Differenziertheit der Marken untereinander, ist durchaus – und dies leitet zum Tanzschriftbild über – ein Schriftsystem vorstellbar, bei dem auch die Dimension der räumlichen Tiefe Bedeutungsträgerin wäre und nur unter dem Verlust der Lesbarkeit verflacht werden könnte. Und mehr noch: Auch die vierte Dimension der Zeit ließe sich als graphematisch aufgeladen vorstellen, sodass über die temporale Länge eines Zeichens, ähnlich wie in der Kommunikation der Telegraphie, Codierungen vermittelt werden könnten. Doch Tanz, versuchsweise wahrgenommen als eine solche Schrift in Raum und Zeit, führt schlagartig die Begrenztheit seiner perspicuitas vor Augen, vor allem in Bezug auf die Blickrichtung. Denn tanzende Körper werden von jeder Position im Raum aus immer mehr oder weniger stark verzerrt, gestaucht und gestreckt und als sich gegenseitig verdeckend wahrgenommen. So fehlt ein deutliches Erscheinungsbild, das sich von allen Positionen im Raum als ein einheitliches darbietet. Und erst recht verhindert die Bewegtheit tanzender Körper die Deutlichkeit eines Tanzschriftbildes, da Inskriptionen sich in ihrer räumlichen Anordnung beständig wandeln, überschreiben und durchdringen. So ist ein Tanzschriftbild aufgrund der irreduziblen Räumlichkeit und der unweigerlichen Multiperspektivität seiner Wahrnehmung statt von Diaphanizität im Gegenzug von Opazität bestimmt, die entscheidend dazu beiträgt, dass selbst im Falle einer möglichen Codierung von Bewegungszeichen diese nicht eindeutig entschlüsselt werden können. Ein räumliches Schriftbild aus Bewegungszeichen ist nicht nur unleserlich, sondern generell unlesbar und aufgrund seiner An-Diaphanizität immer schon einem Jenseits von Schrift überantwortet, als verschriebene Kritzelei oder schriftartiges Ornament. Historische Modelle der Analogisierung von Tanz und Schrift haben sich dennoch um eine zumindest partielle Erhöhung der perspicuitas jenes Bildes bemüht, das im Blick auf die Bühne als ein Tanzschriftbild wahrgenommen werden kann und damit eine Sonderform des Raumbildes darstellt.43 Erreicht wird dies über die Stillstellung von Bewegung, die Arretierungen der Bewegungsfigurationen des einzelnen oder mehrerer Körper auf der Bühne zu Konstellationen. Sind diese zudem zentralperspektivisch auf einen idealen Augpunkt bezogen, etwa dem königlichen oder fürstlichen Sitz im Barocktheater, so kann, wenn auch nur für die Momente der Arretierung und nur aus der Perspektive dieser Idealposition, ein Raumbild durchaus zu einem lesbaren Schriftbild werden,
43 | Zum Problemhorizont räumlicher Bilder vgl. Glaubitz, Nicola/Schröter, Jens: »Zur Diskursgeschichte des Flächen- und des Raumbildes«, in: Winter, Gundolf/Schröter, Jens/Barck, Joanna (Hg.): Das Raumbild. Bilder jenseits ihrer Flächen, München: Wilhelm Fink, 2009, S. 283-314.
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S chrift im R aum mit jenem Maß an perspicuitas und in Annäherung an jene Aufsichtigkeit, wie sie sich beim Lesen eines Schriftstückes einstellen.44 Alle im Rahmen dieser Studie untersuchten Arbeiten unterwandern jedoch diese Aufsichtigkeit. Sie verweigern die Erhöhung von Perspikuität zur Deutlichkeit eines Schriftbildes und überantworten sich stattdessen einer entgegengesetzten Opazität von Tanz als Schrift. Das Schriftbild bleibt opak, unklar, verworren; es ist nicht nur unleserlich, sondern unlesbar. Dies gilt auch für Jan Fabres The Dance Sections, das die Arretierungen und streng spiegelsymmetrischen Bühnenpositionen des Barocktheaters zitiert, sie gleichzeitig aber ad absurdum führen, da die zentrale königliche oder fürstliche Position unbesetzt bleibt und stattdessen auf die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Augpunkte des Publikums verwiesen wird, wie sie für den postmodernen Tanz typisch ist.45 Die Opazität von Tanz als Schriftbild gilt so insbesondere für die Arbeiten, die für die Gleichberechtigung aller Publikumsperspektiven plädieren, wie die beiden Arbeiten Trisha Browns, oder die, wie William Forsythes und Kendall Thomas’ Human Writes, sogar die Trennung zwischen Szene und Publikum aufheben und sich damit so weit wie möglich von der Idee einer Aufsichtigkeit auf ein Schriftbild verabschieden. An deren Stelle wird ein immersives Raummodell gesetzt, bei dem die Zuschauer*innen nicht mehr nur das tun, was ihre Bezeichnung andeutet, zuschauen, sondern bei der sie als Akteure von Schreibprozessen in das Bühnengeschehen einbezogen werden. Die Kategorie der Schriftbildlichkeit, die auf den ersten Blick die Analogie von Schrift und Tanz zu erleichtern scheint, da sie zunächst vom Notationsaspekt und der Codierung disjunkter Zeichen absieht und sich auf die Materialität und Visualität von Schrift beschränkt, erweist sich somit in der Frage der perspicuitas als ein weiteres Hindernis für die Vergleichbarkeit von Tanz und Schrift. Ausgehend von der Bildlichkeit von Schrift können Tanz und Bewegung zunächst nur unter der Bedingung erreicht werden, dass sie einbüßen, was sie ausmacht: ihre Vierdimensionalität als Bewegung von Körpern in Zeit und Raum. Dieser Verlust ist dabei gekoppelt an das Konzept der klaren Zuordnung von Schrift und Schriftgrund, die jedoch – und dies ist wichtig herauszustellen – kein Ideal an sich darstellt, sondern ihrerseits der Notationalität und Operationalität von Schrift zuarbeitet. Suspendiert man das Ideal der claritas scripturae und vermeidet die Übertragung von Referentialitätsprinzipien von Schrift auf Tanz, bleibt die Dimension Schriftbildlichkeit ein ertragreiches und wichtiges Feld für die Analogiesetzung zu Tanz und Bewegung. 44 | Zum idealen Augpunkt siehe Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Tübingen/Basel: Francke, 1999, S. 46. 45 | Siehe hierzu auch Schwan, Alexander H.: »Opake Krakel. Tanzen zwischen Schreiben und Kritzeln«, in: Driesen, Christian u.a. (Hg.): Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Zürich: diaphanes, 2012, S. 107-120.
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1.3.2 Opazität So können innerhalb der Schriftbildlichkeit gerade diejenigen Aspekte betont werden, die statt der claritas vielmehr der obscuritas scripturae, ihrer Opazität, zuarbeiten.46 Es ist dies bereits die Materialität eines Schriftzeichens selbst, die, besonders herausgestellt oder besonders fokussiert, die Transitivität der Schriftzeichen stört. Diese fallen dann »beim Lesen nicht ab wie Schlacke«47, wobei der hier zurückgewiesene Vergleich von Schrift mit einem Abfallprodukt der Metallverhüttung einmal mehr die attribuierte Sekundarität von Schrift und die Ausmaße metaphorischer Schriftfeindlichkeit offenbart. Die Herausstellung der Störung, die Schrift als Schrift-bild verursachen kann, ist dabei ein Kerntopos der Schriftdiskussion, der zurückgeht bis zu Wilhelm von Humboldt48 und im Zuge der beginnenden Diskussion um Schriftbildlichkeit deutlich herausgestellt wurde als eine Unterbrechung »der Transitivität der Dechiffrierung«, die dazu führt, »dass Schrift zuallererst ›sich zeigt‹, statt auf etwas zu verweisen.«49 Forciert wird eine solche Sichtbarkeit von Schrift zuungunsten ihrer Lesbarkeit entweder durch eine besondere Hervorhebung ihrer Visualität in der Schriftproduktion, etwa durch ungewöhnliche Größenverhältnisse von Buchstaben und unter Einbeziehung von verzierenden Schriftergänzungen, oder aber – und dies ist für den Übertrag zu Tanz, entscheidend – die Materialität eines 46 | Vgl. zum Themenkomplex der Unlesbarkeit die umfangreiche Textsammlung Louvel, Liliane/Rannoux, Catherine (Hg.): L’Illisible, La Licorne 76, Poitiers: Maison des sciences de l’homme et de la société, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2006. Zur Opazität vgl. außerdem Rautzenberg, Markus/ Wolfsteiner, Andreas (Hg.): Hide and Seek. Das Spiel von Transparenz und Opazität, München: Wilhelm Fink, 2010; darin vor allem Lauer, David: »Sinn und Präsenz. Über Transparenz und Opazität in der Sprache«, in: ebd., S. 311-324. 47 | Benjamin, Walter: »Ursprung des Deutschen Trauerspiels«, in: Ders.: Gesammelte Schriften I.1, S. 203-430, hier S. 388. 48 | »Daß jede Bilderschrift durch Anregung der Anschauung des wirklichen Gegenstandes die Wirkung der Sprache stören muß, statt sie zu unterstützen, fällt von selbst in die Augen. […] Wenn sich das Bild zum Schriftzeichen aufwirft, so drängt es unwillkührlich dasjenige zurück, was es bezeichnen will, das Wort.« Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau, Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1824. Historisch-philologische Klasse, Berlin: F. Dümmler, 1826, S. 165 (Orthographie wie im Original). 49 | Strätling, Susanne/Witte, Georg: »Die Sichtbarkeit der Schrift zwischen Evidenz, Phänomenalität und Ikonizität«, in: Dies. (2006), S. 7-18 (2006b), hier S. 7. Vgl. hierzu auch Horák, Vítězslav: »Hybridzeichen. Konvergenzen zwischen Bild und Schrift«, in: Loprieno/Knigge-Salis/Mersmann (2011), S. 81-92.
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S chrift im R aum Schriftbildes wird in der Wahrnehmung bewusst vorangestellt, sodass es zu keiner Dechiffrierung mehr kommen kann und auch nicht zu kommen braucht. Ein Schriftbild muss dabei nicht zwingend seine eigene Visualität präsentieren; es genügt der Blick auf Schrift als Bild, entweder auf die gesamte Schriftbildkonstellation oder die Mikrofokussierung auf die Gestalt einzelner Zeichen, um die Transitivität der Dechiffrierung zu stören. Bezeichnenderweise werden denn auch in einer der frühesten theoretischen Verschränkungen von Linie, Ornament und Tanz, in William Hogarths Analysis of Beauty (1753), die Bodenwege von Tänzer*innen im Kontertanz als unlesbare Chiffre charakterisiert, die ihrerseits aus sich durchdringenden S-förmigen Figuren zusammengesetzt ist: »the figure of it altogether, is a cypher of S’s, or a number of serpentine lines interlacing, or intervolving each other.«50 Die Subelemente dieser Geheimschrift des Tanzes erinnern dabei lediglich aufgrund ihrer mehrfachen linearen Schwingung an Buchstaben, sind für sich aber konnotationslos. Und auch das Resultat ihrer wechselseitigen Durchdringung lässt nur eine Wahrnehmung als opake, undechiffrierbare Chiffre zu, deren potentielle Bedeutung grundsätzlich verstellt ist.
1.3.3 Kalligraphie Mit einer solchen bildorientierten Wahrnehmung sowie mit dem schriftinternen Hervorkehren der eigenen Materialität sind indes keine vollständige Suspendierung von Schriftlichkeit und kein glatter Übergang in bloße Ikonizität gegeben. Schrift bleibt, gerade auch als unlesbares oder unlesbar gemachtes Schriftbild bildkritisch. Der ihr innewohnende Ikonoklasmus, der dazu führt, dass die Dimension der Bildlichkeit im Lesevorgang immer wieder neu durchgestrichen wird, wirkt noch in der Konzentration auf das Schriftbild nach und verhindert unkritische Ikonodulie.51 Es ist daher bezeichnend, dass Phänomene forcierter Sichtbarkeit von Schrift gerade im Kontext religiöser Bilderverbote auftauchen, vor allem im Judentum und Islam, aber auch in bildkritischen Traditionen des Christentums, wie Calvinismus und Presbyterianismus. Relevant ist dabei auch, dass die bildzentrierte Wahrnehmung opaker Schriftphänomene aus der Perspektive einer Tradition erfolgt, die im Durchgang
50 | Hogarth, William: The Analysis of Beauty. Written with a View of Fixing the Fluctuating Ideas of Taste, London: J. Reeves, 1753, S. 150f. Zur Bedeutung des Tanzes in Hogarths Analysis of Beauty vgl. Lindberg, Mary Klinger: »›A Delightful Play upon the Eye‹. William Hogarth and Theatrical Dance«, in: Dance Chronicle 4:1 (1981), S. 19-45; Richardson, Annie: »An Aesthetics of Performance. Dance in Hogarth’s ›Analysis of Beauty‹«, in: Dance Research 20:2 (2002), S. 38-87. 51 | Siehe Strätling/Witte (2006b), S. 9.
K orrel ationen durch gleich mehrfache Bilderstreite – byzantinisch, karolingisch und reformatorisch – eine grundsätzlich ikonophile Haltung gefunden hat. Wenn daher seit dem 19. Jahrhundert Tanz mit Kalligraphie verschränkt wird und bis in die Formulierung hinein, etwa im Begriff der Arabeske, auf Konstruktionen islamisch-arabischer Schriftbildlichkeit verwiesen wird, so geschieht dies vor dem Hintergrund einer orientalistischen Begeisterung, die insbesondere arabische Kalligraphie, zumal, wenn sie für den des Arabischen Unkundigen unlesbar ist, als Schriftbildartefakt wahrnimmt.52 In genau diesen historischen Kontext der Schriftexotisierung ist auch die Analogie von Tanz und Kalligraphie gesetzt, denn bezeichnenderweise erfolgt dieser Vergleich weniger mit Referenz zur Schönschrift in westlichen Kontexten denn im fernschweifenden Blick auf Schriftbilder, die sich bereits aufgrund ungewohnter Sprachen einer Transitivität von Dechiffrierung entziehen. Im 20. Jahrhundert wird dieser Tanz-Kalligraphie-Vergleich um ein Weiteres exotisiert, wenn chinesische Tusch-Schrift als Vergleichsgröße für Tanz herangezogen wird und damit zum einen die Verknüpfung von Schrift und Bilderverbot als Argumentationshintergrund entfällt, vor allem aber das Grundkonzept von Kalligraphie als Schönschrift – von Griech. καλός (kalós, schön) und γράφειν (gráphein, schreiben) – hoch problematisch erscheint, da chinesische Tuschschrift gänzlich anderen ästhetischen Paradigmen folgt denn einer kalligraphischen Form- bzw. Figurenkonzentration.53 Für den Bezug zu Tanz und seiner Wahrnehmung als Kalligraphie und damit als materialitätszentrierte, Dechiffrierung unterwandernde Schriftbildlichkeit ist nun entscheidend, dass sich diese Parallelisierung im Kontext einer doppelten Alterisierung von Schrift vollzieht. Blendet man den hochkomplexen Vergleich zu chinesischer Tuschschrift aus, um Klarheit für die Argumentation zu gewinnen, wird deutlich, dass im Rahmen eines von Judentum, Christentum und Islam geteilten, aber höchst unterschiedlich ausgelegten und auch innerhalb der drei monotheistischen Religionen divergierend gehandhabten Bilderver-
52 | Siehe hierzu Polaschegg, Andrea: Der andere Orientalismus. Regeln deutschmorgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 35, Berlin u.a.: De Gruyter, 2005, S. 373-383; Dies.: »Enigmatische Ästhetik. Zur Kulturgeschichte unlesbarer Schrift und ihrer künstlerischen Transformation«, in: Müller-Tamm/Schubert/Werner (2018), S. 173-197. 53 | Siehe hierzu Obert, Mathias: »Tanzende Schrift: Beobachtungen zur chinesischen Schreibkunst«, in: Loprieno/Knigge-Salis/Mersmann (2011), S. 215-239; Ders.: »Chinese Ink Brush Writing, Body Mimesis, and Responsiveness«, in: Dao 12 (2013), S. 523-543; Schwan (2015a); Ders.: »Curving Lines and Morphing Marks. On the Problems of Comparing Chinese Ink-Brush Writing with Dancing«, in: Wolf/Faietti (2015b), S. 128-141.
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S chrift im R aum bots, Schrift zunächst einmal eine Art der Nicht-Darstellung ist.54 Gerade indem sie ihre Sichtbarkeit ausstellt, verfremdet sie sich selbst und verweist, zumal im religiösen Kontext, auf nicht abbildbare Alterität. In einem zweiten Schritt wird außerhalb des kulturellen Entstehungsrahmens islamischer Kalligraphie im Zuge einer Faszination für die Inkommensurabilität arabischer Kalligraphie Schrift erneut alterisiert. Texte, die eigentlich lesbar sind, werden nun primär als unlesbar wahrgenommen und damit um ein Weiteres verfremdet. Für den Übertrag auf Tanz ist vor allem die zweite Alterisierung entscheidend, denn über sie verläuft der Brückenschlag zwischen der Opazität von Tanz als Schrift und der Unlesbarkeit von Kalligraphie. Reste einer Faszination von dem, was in ikonoduler, bildkultischer Tradition zuvor vernachlässigt wurde – die primäre Fokussierung auf Schrift –, durchziehen so die Analogisierung von Tanz und Schrift. Dabei muss deutlich festgehalten werden, dass die Rede von Tanz als Schrift nicht frei von Versatzstücken des Orientalismus und Exotismus ist und sich insbesondere das Themenspektrum der Opazität in seiner Nähe zu Kategorien des Arkanen und Mysteriösen auch dieser Problematik bewusst sein muss.55
1.3.4 Ornament In vergleichbarer Weise gilt dies auch für die Ornamentalität von Tanzschrift, die innerhalb der Diskussion um Schriftbildlichkeit von Tanz eine entscheidende Rolle spielt und dabei über die Frage nach Lesbarkeit oder Opazität hinausreicht. Gerade wenn Bewegung als Figuration und Defiguration ornamentaler Kalligraphie gedeutet wird, geschieht dies vor dem Hintergrund der in sich selbst reich verzweigten Ornamentdebatte, einschließlich ihrer Konzeptionen des Arabesken als einem Scharniermotiv zwischen Tanz und Schrift.56 Hierbei geht es nicht mehr darum, dass die Transitivität der Dechiffrierung gestört wird und eine écriture corporelle in ihrer Unlesbarkeit betont wird. Vielmehr können nicht-codierte oder über-codierte Bewegungen als Simulakren von Schriftornamenten wahrgenommen werden, auch ohne Umweg über die Frage nach einer möglichen Referentialität. Dies bedeutet jedoch nicht, Ornament und Re 54 | Zum komplexen Verhältnis von Bild und Schrift in islamischer Kunst vgl. Natif, Mika: »The Painter’s Breath and Concepts of Idol Anxiety in Islamic Art«, in: Ellenbogen, Josh/Tugendhaft, Aaron (Hg.): Idol Anxiety, Stanford (CA): Stanford University Press, 2011, S. 41-55. 55 | Gerade der Gebrauch der Metapher »écriture corporelle« bei Mallarmé kann als ein Beispiel für diese Alterisierung gewertet werden. Siehe hierzu 2.1.5. 56 | Siehe hierzu vertiefend Schwan, Alexander H.: »Arabesque Vision. On Perceiving Dancing as Écriture corporelle in William Forsythe’s The Vertiginous Thrill of Exactitude«, in: Zimmermann, Michael F. (Hg.): Vision in Motion. Streams of Sensation and Configurations of Time, Zürich: diaphanes, 2016, S. 317-333.
K orrel ationen ferenz prinzipiell gegeneinander auszuspielen, wie dies in der Abwertung des Ornaments zum ἐπίθετον (epítheton, Zusatz) und πάρεργον (párergon, Beiwerk) seit Aristoteles geschehen ist und wie es erst in jüngsten Revisionen im Zuge einer Theorie des Ornamentalen aufgehoben wurde.57 Denn versteht man mit Jean-Claude Bonne das Ornamentale als einen modus operandi, so bietet sich die Möglichkeit, auch Ornamentelemente in die Generierung von Referenz einzubeziehen.58 Zwingend ist diese Referentialität jedoch nicht, sodass sich im Ornamentalen Schrift und Tanz bereits auf der visuell-strukturellen Ebene begegnen können. Beide, ornamental strukturierter Tanz und ornamental gestaltete Schriftbilder, operieren – unabhängig davon, ob sie mit ornamentalen Ergänzungen zu einem Schrifttext arbeiten oder bereits das Textbild als in sich ornamental ausstellen – mit Wiederholung und Differenz, einem scheinbar auf Endlosigkeit zielenden Rapport diskreter Einheiten und deren Transfiguration. Der Blick auf eine solchermaßen ornamentale Strukturierung, ohne den Rückgriff auf die mit dem Vorwurf des Sekundären behafteten Begriffe des Dekors und der Verzierung, befreit von der unsicheren Behelfsbrücke der Kalligraphie, auf der sich Tanz und Schrift ja nur dann begegnen können, wenn beide an dem nicht näher definierten Schönen der Kalligraphie partizipieren. Damit kann einerseits die extrem nomistische Aufladung des Kalligraphischen als striktes Befolgen von Schreibregeln umgangen werden, eine Kategorie, die gerade im postmodernen und zeitgenössischen Tanz nur bedingt greift. Andererseits können dann auch Tanzarbeiten als Figurationen einer écriture corporelle gewertet werden, wenn diese, wie etwa bei William Forsythe, untrennbar mit Defiguration und Verzerrung verbunden sind und sich so einem mit Formschönheit konnotierten Kalligraphiebegriff entziehen. Vielleicht mit Ausnahme von Forsythes/Thomas’ Human Writes spielen alle in dieser Studie untersuchten Arbeiten mit der Wiederholung und Differenz diskreter Bewegungselemente und reihen die Körper von Tänzer*innen rapportartig in synchronen und diese Synchronizität wieder negierenden Bewegungsabfolgen. Dies erhöht ihre Ornamentalität in so spezifischer Weise, dass sich der Vergleich zu einer Schriftornamentik nahelegt, die Buchstaben selbst 57 | Siehe hierzu Cohn, Danièle: »Der Gürtel der Aphrodite. Eine kurze Geschichte des Ornaments«, in: Beyer, Vera/Spies, Werner (Hg.): Ornament: Motiv – Modus – Bild, München: Wilhelm Fink, 2012, S. 149-178, hier: S. 150-152. 58 | Siehe Bonne, Jean-Claude: »L’Ornemental dans l’art médiéval (VIIe–XIIe siècle). Le Modèle insulaire«, in: Baschet, Jérôme/Schmitt, Jean-Claude (Hg.): L’Image. Fonctions et usages des images dans l’occident médiéval, Cahier du leopard d’or 5, 1996, S. 207-240, hier S. 213; sowie Ders./Denoyelle, Martine/Michel, Christian/Nouvel-Kammerer, Odile/Coquery, Emmanuel: »Y a-t-il une lecture symbolique de l’ornement?«, in: Perspective 1 (2010), S. 27-42, hier S. 30.
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S chrift im R aum als ornamentale Elemente rapporthaft reiht und transformiert. Damit wird eine besondere Nähe zwischen Buchstabe und Körper behauptet: Beide sind in eine ornamentale Struktur eingebunden, mit ihrer Singularität und ihrer Bezogenheit auf das Kollektiv anderer vergleichbarer Singularitäten sowie in der individuellen Unterteilbarkeit in wiederum ornamentale Teilsingularitäten. Als Letztere können dabei die einzelnen graphischen Strichelemente eines Buchstabens ausgemacht werden, denen in der Körperanalogie einzelne Körperglieder entsprechen. So ist es gerade keine holistische Buchstabenform, in der die opake und ornamentale Ikonizität von Tanz mit der Idee eines räumlichen Schriftbildes konvergiert. Vielmehr wird die Analogie zwischen Tanz und Schrift im Bereich der ornamentalen Wiederholung und Differenz zeichenartiger Körper- und Körperteile mehrfach aufgespalten und verläuft auf sich überlappenden Ebenen: Zu unterscheiden sind die Makroebene des Ensembles aller Tänzer*innen als ein schriftbildartiges Gefüge, die Körperebene des einzelnen Tanzenden in Analogie zu einem Schriftzeichen sowie die beliebig feine Unterteilung dieses einzelnen Körpers in Glieder als Subelemente von Zeichen. Hinzukommen zwei Prozesse, die diese Analogie in einem Höchstmaß befeuern, aber auch verhindern können. Es sind dies die unaufhörliche Transfiguration in der Bewegung, die Schriftbildkonstellationen verwischt und verschiebt, sowie die ebenfalls destabilisierende Wahrnehmung des Publikums, die ein Tanzschriftbild nicht nur erst rezipierend konstitutiert, indem sie sich bewegende Körper als Figuration einer écriture corporelle betrachtet, sondern die an diesem Schriftbild mitschreibt, indem sie es imaginär zusätzlich ornamentalisiert und ihm nichtreale Ergänzungen zufügt, etwa als Spurformen von Bewegung oder als sich in der Vorstellung verselbständigende Extensionen von Körpergliedern.
1.4 Schrift und Körper 1.4.1 Exkarnation Um eine Analogie von Tanz und Schrift zu ziehen, ist es notwendig, sich die diffizile Problematik im Verhältnis von Körper und Schrift kurz vor Augen zu führen und auf die negative Konnotation des Ausdrucks Buchstabentanz einzugehen. Perhorresziert oder zumindest parodiert wird mit diesem Ausdruck das Phantasma einer im Tanz vollzogenen Vereinigung Körper und Schrift, die die Bedeutung von écriture corporelle wörtlich oder buchstäblich nimmt. So existieren mitunter strenge Verdikte gegen die Vergleichbarkeit selbst der Aktivitäten von Tanzen und Schreiben, und erst recht werden Vorbehalte geäußert gegenüber dem Blick auf Tanz als einer Art von Schrift, die mehr ist als der Vorgang des
K orrel ationen Schreibens selbst.59 ›Seinen Namen zu tanzen‹ gilt im Common Sense in bewusster Distanzierung zu Praktiken der Eurythmie als verpönt bis lächerlich, ungeachtet der in der Populärkultur durchaus zu konstatierenden Praxis, mit Tanzbewegungen Buchstaben zu formen, wie im Fall des Y.M.C.A.-Tanzes zum gleichnamigen Discosong der Village People.60 Der parodistische Effekt, den die Idee eines Tanzens von Buchstaben auslöst, lässt sich, wie im historischen Abriss zu zeigen sein wird, bis in die nachweislich ersten Formen von Buchstabentänzen im griechischen Theater belegen. Gepaart ist die Parodie hier mit einem unverhohlen obszönen Effekt, der die direkte Analogie zwischen menschlichen Körpern und den Buchstaben des griechischen Alphabets vor allem über die Spreizung von Beinen und die Abwinkelung von Körpergliedern als erektionsartigen Extensionen in Analogie zu den Balken- und Querstrichen von Buchstaben verdeutlicht. In noch drastischerer Weise gehen schließlich die diversen Figurenalphabete seit der Frühen Neuzeit vor, bei der die Buchstaben des lateinischen Alphabets von meist nackten Körpern in teilweise akrobatischen Verrenkungen oder Kopulationsandeutungen gebildet wird, wobei nicht selten der Buchstabe V mit der Darstellung zweier gespreizter weiblicher Beine und einer entblößten Scham wiedergegeben ist. In 59 | Siehe Wittmann, Gabriele: »Tanzen ist nicht Schreiben«, in: ballet-tanz 2 (2002a), S. 40-43; Dies.: »Dancing Is Not Writing. Ein poetisches Projekt über die Schnittstelle von Tanz und Sprache«, in: Klein, Gabriele/Zipprich, Christa (Hg.): Tanz Theorie Text, Jahrbuch Tanzforschung 12, Münster: Lit, 2002b, S. 585-595. 60 | Die Tanzbewegungen zum Song der Village People, Y.M.C.A., die im originalen Musikvideo noch nicht praktiziert werden, gehen womöglich zurück auf einen Auftritt der schwulen Kultband in der US-amerikanischen Fernsehshow American Bastard am 6. Januar 1979, bei der Mitglieder des Publikums erstmals die Buchstaben des Songtitels mit ihren Armen figurierten. Siehe Pearlman, Jeff: »›Y.M.C.A.‹ An Oral History«, http://www.spin.com/2008/05/ymca-oral-history (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). In der Folge setzte sich dies als popkulturelle Praxis durch, bis hin zu Massenaufführungen der Y.M.C.A-Figurationen im Rahmen sportlicher Großveranstaltungen. Die Figurationen werden im Medium der Photographie, zumal über deren Verbreitung in Sozialen Medien, um ein Weiteres einer queeren Appropriation unterzogen, wenn Museumsbesucher*innen die Buchstaben neben Darstellungen der Kreuzigungsszene figurieren, sodass der erste Buchstabe Y von dem am Kreuz hängenden Christuskorpus eingenommen wird. Siehe https://www.ebaumsworld.com/images/ymca/939373/ (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Zu den hierauf folgenden Gegenreaktionen zählen neben dem Vorwurf der Blasphemie auch die erneut ironische Vereinnahmung dieser Appropriation im Rahmen des Evangelisationsslogans »Jesus died for your dance moves«. Siehe https://www.deviantart.com/syberklaw/art/YMCA-Jesus-Died-ForYour-Dance-Moves-272668128 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021).
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S chrift im R aum moderner Graphik stehen schließlich anonyme Pornoalphabete (um 1910) mit kamasutraartigen Körper-Konstellationen zur Bildung von Buchstaben neben den von der Erotik des Revuetheaters inspirierten Menschen- bzw. Dressurpferd- oder Leopardenalphabeten des russischen Graphikers Romain de Tirtoff alias Erté (1927).61 Gerade angesichts des umfangreichen visuellen Befundes von Menschenalphabeten mit der sich aufdrängenden Dominanz des Ungewöhnlichen und Bizarren ergibt sich der Eindruck einer tiefen Spaltung zwischen Schrift und Körper, die versuchsweise und mit einer mitunter geradezu parodistischen Überreaktion geschlossen werden soll. Offenbar stehen Körper und Schrift zunächst erst einmal in Spannung, ja im Gegensatz zueinander, denn »Schrift zieht um sich eine Grenze, jenseits derer der Körper verbleibt. Die Symbiose von Körper und Sprache wird durch die Schrift zerstört, die auf der Ablösbarkeit der Rede vom Körper des Lebenden beruht. Die Schrift ist körper-transzendent [...].«62 Bleibt man für einen Augenblick bei dieser zugegebenermaßen phonographischen Verengung des Schriftbegriffs, so vollzieht sich, mit Aleida Assmann gedacht, in jedem Verschriftungsakt »die Gegenbewegung zur Inkarnation: Konkret gelebte Erfahrung wird durch Transformation in Schrift abstrakt, d.h. abgezogen von den raum-zeitlichen Umständen, aus denen sie hervorging, herausgehoben aus der mit allem Konkreten verbundenen Flüchtigkeit und Einmaligkeit. Sinnliches Leben wird umgeformt in schwarze Lettern auf weißem Grund. Diese Übersetzung von lebendigen Körpern in abstrakte Zeichen nenne ich ›Exkarnation‹.«63
Es spricht für die Brisanz der Versuche, Tanz und Schrift in Körper-Bewegungen und nicht nur in graphischen Darstellungen statischer Körperposen zu analogisieren, wenn diese fast zwangsläufig die essayistische, aber extrem aufgeladene Wertung als Fleischwerdung des Wortes nach sich ziehen.64 Die Problematik in 61 | Zum pornographischen Aspekt von Menschenalphabeten siehe insbes. Kiermeier-Debre, Joseph/Vogel, Fritz Franz: Menschenalphabete. Nackte Models, Wilde Typen, Modische Charaktere, Marburg: Jonas, 2001. 62 | Assmann, Aleida: »Exkarnation. Gedanken zur Grenze zwischen Körper und Schrift«, in: Huber, Jörg/Müller, Alois Martin (Hg.): Raum und Verfahren, Interventionen 2, Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern; Zürich: Museum für Gestaltung, 1993, S. 133-155, hier S. 133. 63 | Ebd. 64 | Vgl. hierzu in umgekehrter literaturwissenschaftlicher Perspektive vom Körper zum Text und mit Bezug zum Theologumenon der Auferstehung Hart Nibbrig, Christiaan Lucas: Die Auferstehung des Körpers im Text, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1985; sowie in phänomenologischer Perspektive Angehrn, Emil: »Körper,
K orrel ationen der versuchsweisen Applikation des Theologumenons der Inkarnation liegt hierbei weniger in dem an diesem Punkt unverstellt christlichen Hintergrund solcher präsenzmetaphysischen Annäherung an Tanz und Bewegung als vielmehr in der mit dieser Applikation paradoxerweise einhergehenden erneuten Abwertung der Schrift. Denn in der Behauptung, dass Inszenierungen und Performances wie die hier untersuchten Arbeiten William Forsythes die Trennung zwischen Körper und Schrift überwänden, wird gleichzeitig die Diastase von Körper und Schrift und die Präferenz des Ersten erneut vorausgesetzt und bekräftigt. Es bleibt daher, gerade auch mit Blick auf die spielerische und nie vollständig erreichte Annäherung im Bereich performativer Künste, bei einer Differenz von Körper und Schrift, die jedoch, und das ist im Rahmen dieser Studie entscheidend, keine der beiden Seiten bevorzugt. So kann im Rekurs auf die Differenzierungen Aleida Assmanns hervorgehoben werden, dass Körper und Schrift zwar getrennt, aber aufeinander bezogen sind. Die Versuche einer écriture corporelle bzw. einer Betrachtung von Tanz als écriture corporelle tragen diesen Relationen und Interdependenzen Rechnung und exponieren gleichzeitig selbstreferentiell die nicht zu schließende Kluft, den Aufschub zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Der Körper, der sich selbst als Schrift schreibt, konvergiert mit der von ihm geschriebenen Schrift nur in der unterstützenden Betrachtung und auch dies lediglich in prekären Zuspitzungen. Damit ist es der Schrift erzeugende Vorgang, die Bewegung des Schreibens, der gleichzeitig verhindert, dass eben diese Bewegung vollends zur Schrift erklärt werden kann. Denn die Spannung zwischen Konkretem und Abstraktem bleibt im wörtlichen Sinne des Abstrahierens als Abziehen bestehen: Der konkrete Körper entzieht sich in der Bewegung als Zeichen, indem er seine Position im Raum verändert und so eine Ineinssetzung von Abstraktion und Konkretion verhindert. Obwohl vermeintlich eine Inkarnation, verbleibt seine écriture corporelle immer im Aufschub und damit im Schriftmodus des Exkarnierten.
1.4.2 Schriftkörper So getrennt wie Körper und Schrift auf der Ebene der Referentialität sind, so verbunden sind sie im Blick auf die Materialität von Schrift.65 Das Schriftstück Leib, Fleisch. Von den Inkarnationen der Sprache«, in: Alloa, Emmanuel/Fischer, Miriam (Hg.): Leib und Sprache. Zur Reflexivität verkörperter Ausdrucksformen, Kulturen der Leiblichkeit 1, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 2013, S. 17-44. 65 | Weitere Verschränkungen von Körper und Schrift nehmen Bezug auf körperinterne Formen von Inskription, etwa im DNA-Code. Siehe Anker, Suzanne/Nelkin, Dorothy: The Molecular Gaze. Art in the Genetic Age, Cold Spring Harbor (NY): Cold Spring Harbor Laboratory Press, 2004. Vgl. auch Rheinberger,
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S chrift im R aum einer beschriebenen Pergamentrolle besteht fast ausschließlich aus den verarbeiteten Körperresten von Tieren: aus gegerbter Tierhaut, mit getrockneten Sehnen zusammengenäht und beschrieben mit aus verbrannten Tierknochen hergestellter Tinte, die wiederum mit einem Gänsekiel aufgetragen wurde. Und auch jenseits solch organischer Korporealität ist Schrift in ihrer Existenz als Schriftstück im Raum immer auch ein körperliches Objekt, das im Raum ausgerichtet ist, insofern die Inskription in einer Richtung verläuft, die zwar wie bei der Bustrophedon-Schreibweise in ein und demselben Schriftstück wechseln kann, die aber dennoch an jedem Punkt der Inskription mit klaren Orientierungen operiert, die nicht nach Belieben ausgetauscht werden können. Ein solcher orientierter Schriftkörper ist wiederum auf einen lesenden menschlichen Körper bezogen, der diesem Schriftobjekt gegenübertritt und dessen Raumorientierung mit der eigenen Raumorientierung verschaltet. Auch die Mikroebene der einzelnen Grapheme ist von einem starken Bezug zur Körperlichkeit gekennzeichnet.66 Der Schriftkörper ist wie ein realer Körper in einzelne Glieder unterteilt,67 wobei die Analogie nicht mehr nur zum Körper eines Menschen, sondern ebenso zu einem tierischen oder pflanzlichen Körper gezogen werden kann. Im Kontext der griechischen Alphabetschrift wird das einzelne Schriftglied als γράμμα (grámma, Geschriebenes, Buchstabe) bzw. στοιχεῖον (stoicheîon, Glied einer Reihe, Element) bezeichnet, wobei beide Begriffe zunächst sowohl Buchstabe als auch Laut bedeuten können und erst später systematisch voneinander unterschieden werden.68 Vor allem mit der lateiniHans-Jörg: »Alles, was überhaupt zu einer Inskription führen kann«, in: Ders./ Haas, Norbert/Nägele, Rainer (Hg.): Im Zug der Schrift, Liechtensteiner Exkurse I, München: Wilhelm Fink, 1994, S. 295-309; Angeführt werden könnten in diesem Zusammenhang jedoch auch die jüdisch-christliche Metapher einer Herzensschrift, bei der die Weisung Gottes nicht auf Steintafeln, sondern unmittelbar in das Herz eingeschrieben ist, sowie die Phänomenologie körperlicher Inskriptionen als Tätowierungen, Brandmale usw. Siehe hierzu Hahn, Alois: »Handschrift und Tätowierung«, in: Gumbrecht/Pfeiffer (1993), S. 202-217. 66 | Siehe hierzu im Folgenden vor allem Buss, Mareike/Jost, Jörg: »Die Schrift als Gewebe und als Körper. Eine metaphorologische Skizze«, in: Birk, Elisabeth/Schneider, Jan Georg (Hg.): Philosophie der Schrift, FS Christian Stetter, Tübingen: Max Niemeyer, 2009, S. 169-181, hier: S. 173-78. 67 | Zur feineren Unterteilung von Buchstaben bzw. ihrer Zusammensetzung aus kleineren visuellen Elementen vgl. Primus, Beatrice: »Buchstabenkomponenten und ihre Grammatik«, in: Bredel, Ursula/Günther, Hartmut (Hg.): Orthographietheorie und Rechtschreibunterricht, Linguistische Arbeiten 509, Tübingen: Niemeyer, 2006, S. 5-44. 68 | Siehe Blößner, Norbert: Art »Stoicheion«, in: HWPh X, Sp. 197-200, hier Sp. 198. Vgl. auch Dornseiff, Franz: Das Alphabet in Mystik und Magie, στοιχεiα.
K orrel ationen schen Übersetzung von στοιχεῖα in articuli verdichtet sich die Körperanalogie, denn als articulus wird zunächst einmal das Gelenk eines Körpers bezeichnet. Schrift in der Artikulation ihrer einzelnen Elemente, in ihrer Zergliederung und ihrem gleichzeitigen Aneinandergefügtsein, gleicht damit auf metaphorischer Ebene einem aus Gliedern und Gelenken zusammengesetzten Körper. Diese Analogie geht wohlgemerkt nicht vom Körper als einem Ursprung von Schrift aus, wie häufig im Versuch einer Naturalisierung von Schrift und einer holistischen Überbrückung ihrer Trennung vom Körper behauptet wird. Vielmehr wird von der Seite der Schrift und ihrer Unterteilung aus der Überschlag zur Ebene des Körpers gezogen. Umgekehrte Versuche der Analogisierung, die die Körperhaftigkeit von Schrift mit der Setzung einer natürlichen Beziehung zwischen Schrift und Körper beglaubigen wollen, sind dennoch zahlreich. Sie wurden historisch vor allem im Rahmen religiöser Praktiken entwickelt sowie im Bereich von Esoterik, Weisheitslehren und Schriftmagie. Gemeinsam ist diesen hochdivergenten Ansätzen der Versuch, die Exkarnation von Schrift zu überwinden, indem im kreativen Überschwang alternative Modelle einer direkten, vermeintlich ursprünglichen und oftmals arkanen Beziehung zwischen Körper und Schrift und vor allem zwischen Körper und Buchstabe entworfen werden.69 Ein prominentes Beispiel wäre der physiologisch-sprachwissenschaftlich nicht haltbare, aber wirkungsgeschichtlich einflussreiche Versuch des Arztes, Alchemisten und christlichen Kabbalisten Franciscus Mercurius van Helmont (1612–1699), der die Gestalt hebräischer Buchstaben als kongruent zu den Stellungen der Sprechorgane behauptet und so selbst die äußere Schriftgestalt als Widerspiegelung der innerlichen Körperlichkeit von Stimme ansieht (Abb. 1).70 Studien zur Geschichte des antiken Weltbildes und der griechischen Wissenschaft 7, Leipzig/Berlin: Teubner, 1922, S. 14-17. 69 | Vgl. etwa Kallir, Alfred: Sign and Design. Die psychogenetischen Quellen des Alphabets, aus dem Engl. übers. von Richard Hölzl und Thomas Dietrich, Berlin: Kadmos, 2002. 70 | Helmont, Franciscus Mercurius van: Kurtzer Entwurff des Eigentlichen Natur-Alphabets der Heiligen Sprache. Nach dessen Anleitung man auch Taubgebohrne verstehend und redend machen kan, Sultzbach: Abraham Lichtenthaler, 1667a. Staatliche Bibliothek Regenburg, 999/Med.790, T. 1, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11106743-2. In den Bildtafeln zu van Helmonts Opusculum werden den ausgeschriebenen und vokalisierten Namen der hebräischen Buchstaben Visualisierungen der angenommenen Zungenstellungen bei ihrem Aussprechen zugeordnet, wobei jeweils der erste Buchstabe des Buchstabennamens einer gestaltähnlichen Zungenstellung entspricht. Der Kopfschmuck der Figur zeigt über der Stirn den betreffenden hebräischen Buchstaben neben frühneuzeitlichen Varianten und verwandten Lettern anderer Sprachen. Siehe Schmidt-Biggemann, Wilhelm: Geschichte der
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Abb. 1: Franciscus Mercurius van Helmont: Kurtzer Entwurff des Eigentlichen NaturAlphabets der Heiligen Sprache. Nach dessen Anleitung man auch Taubgebohrne verstehend und redend machen kan (1667), Staatliche Bibliothek Regensburg, 999/ Med.790, T. 1, urn:nbn:de:bvb:12-bsb11106743-2.
K orrel ationen Van Helmonts Kurtzer Entwurff des Eigentlichen Natur-Alphabets der Heiligen Sprache, der 1667 zeitgleich mit der von Christian Knorr von Rosenroth (1636– 1689) ins Lateinische übersetzten Fassung Alphabeti vere naturalis Hebraici brevissima delineatio erscheint,71 steht in der langen Tradition, das Hebräische als lingua adamica aufzufassen, als jene Ursprache, in der nach Gen 2,19f Adam die Tiere benennt.72 Diese Auffassung des Hebräischen als Natursprache, auf die alle anderen Sprachen zurückgehen, verbindet van Helmont mit einer Anleitung, nach der »man auch Taubgebohrne verstehend und redend machen kann.«73 Seine Grundannahme ist, »dass das hebräische Alphabet der natürlichen Zungenstellung entspricht und dass deshalb das Erlernen des Hebräischen auch für jene möglich ist, die sich nicht nach dem Gehör richten können, um Sprachen zu lernen.«74 Diese behauptete Kongruenz zwischen hebräischen Buchstaben und Zungenstellung basiert dabei nicht zwingend – und das macht sie für eine christlichen Kabbala III, Clavis Pansophiae 10.3, Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2013, S. 19-31, hier S. 26. Zu den frühneuzeitlichen Varianten der hebräischen Buchstabenformen vgl. Campanini, Saverio: »The Quest for the Holiest Alphabet in the Renaissance«, in: Vidro, Nadia/Zwiep, Irene E./OlszowySchlanger, Judith (Hg.): A Universal Art. Hebrew Grammar Across Disciplines and Faiths, Studies in Jewish History and Culture 46, Leiden/Boston (MA): Brill, 2014, S. 196-245. 71 | Helmont, Franciscus Mercurius van: Alphabeti vere naturalis Hebraici brevissima delineatio quae simul methodum suppeditat, juxta quam qui surdi nati sunt sic informari possunt, ut non alios saltem loquentes intelligant, sed & ipsi ad sermonis usum perveniant, aus dem Dt. übers. von Christian Knorr von Rosenroth, Sultzbach: Abraham Lichtenthaler, 1667b. Knorr von Rosenroth, Polyhistor, Schriftsteller und evangelischer Kirchenlieddichter (u.a. Morgenglanz der Ewigkeit, EG 420) ist nicht nur der Übersetzer des Kurtze[n] Entwurffs ins Lateinische, sondern auch an der Erstellung der deutschsprachigen Vorlage beteiligt. Deren ausführliche dreißigseitige »Vorrede an den Leser«, Helmont (1667a) n.p., ist mit dem Namenskürzel »R.V.K.C.« (ebd.) versehen, das wie im Hebräischen von rechts nach links zu lesen ist als Hinweis auf Christian Knorr Von Rosenroth. Siehe hierzu Schmidt-Biggemann (2013), S. 19f. 72 | Siehe Schmidt-Biggemann (2013), S. 19. 73 | Helmont (1667a). Zur Vorstellung eines natürlichen Alphabets und der Wirkungsgeschichte dieser Idee innerhalb der Schrifttheorie und Phonetik vgl. umfassend Gessinger, Joachim: Auge & Ohr. Studien zur Erforschung der Sprache am Menschen 1700 – 1850, Berlin/New York (NY): de Gruyter, 1994, S. 633-719, siehe zu Helmont speziell S. 633-640. 74 | Schmidt-Biggemann (2013), S. 19. Zur Rolle der Schriftbildlichkeit in jüdischer und christlicher Kabbala vgl. auch Schmidt-Biggemann, Wilhelm: »Kabbala und Schrift«, in: Krämer/Cancik-Kirchbaum/Totzke (2012), S. 183-199.
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S chrift im R aum Analogisierung von Tanz und Schrift so relevant – auf einer phonozentrischen Setzung, die Schrift als eine Wiedergabe körperlicher Stimmaspekte ansieht. Vielmehr ließe sich diese eigentümliche Setzung so interpretieren, als schrieben die Stimmorgane qua ihrer Figurierung und Transfigurierung eine innere écriture corporelle, die dann von einer äußeren Inskription auf einem Schriftstück nachgeschrieben und kopiert wird.75 Andere Versuche einer Kongruenz zwischen Körper und Schrift sind häufig im Feld eines sekundären Schriftgebrauches angesiedelt, z.B. in mantischen und schriftmagischen Praktiken, wenn in Körperteile und körperliche Figurationen, etwa von Malen, Narben oder Falten im Gesicht oder in der Hand, Buchstabenformen hineingelesen werden.76 Die Analogie setzt also auch hier im Bereich des Körpers an und versucht von dort aus, einen scheinbar direkten Konnex zur Schrift zu schlagen. Besonders deutlich werden der kreative Überschwang und die Arbitrarität solcher Schrift-Körper-Korrelationen, wenn die Analogie im Rahmen kosmologischer Konzepte auf einem Umweg über die Einbeziehung astrologischer Konstellationen getroffen wird. So argumentiert beispielsweise Irenäus von Lyon (ca. 135–202 n. Chr) in seiner antignostischen Positionierung Adversus haereses (Gegen die Häresien, ca. 180 n. Chr.) u.a. gegen die Idee, am nächtlichen Himmel den mystischen Leib der Göttin Ἀλήθεια (alḗtheia, Wahrheit) erkennen zu können, der aus den Buchstaben des griechischen Alphabets gebildet ist. Irenäus zitiert diese von ihm abgelehnte Irrlehre so genau, dass deutlich wird, wie in diesem Konzept die Buchstaben in der sogenannten Atbasch-Allokation gesetzt sind, bei der der erste Buchstabe des Alphabets mit dem letzten, der zweite mit dem vorletzten usw. korrespondiert.77
75 | Parallelen zur Vorstellung einer écriture corporelle in der Mundhöhle finden sich auch in der russischen Avantgarde, vor allem bei Andrej Belyj. Siehe hierzu ausführlich Strätling, Susanne: Die Hand am Werk. Poetik der Poiesis in der russischen Avantgarde, Paderborn: Wilhelm Fink, 2017, S. 104-123. 76 | Ergänzend zur progonostischen Schriftmantik wäre an dieser Stelle auch der Bereich der rückschließenden Graphologie anzuführen, als einer weiteren gesetzten Verbindung zwischen Körper und Schrift. Vgl. hierzu u.a. Macho, Thomas: »Lektüre der Hände. Prognostische Strategien. Von der Chiromantie bis zur Grafologie«, in: Brandstetter, Gabriele/Peters, Sybille/Eikels, Kai van (Hg.): Prognosen über Bewegungen, Berlin: b-books, 2009, S. 52-60; Hogrebe, Wolfram: Metaphysik und Mantik. Die Deutungsnatur des Menschen (Système orphique de Iéna), Berlin: Akademie-Verlag, 2013. 77 | Der Begriff ( אתבשatbasch), als Wort zusammengesetzt aus dem ersten, letzten, zweiten und vorletzten Buchstaben des hebräischen Alphabets, bezeichnet ein Ver- und Entschlüsselungsverfahren der Gematrie. Einem Buchstaben kann damit innerhalb der Kabbala immer auch ein zweiter Buchstabe aus der in-
K orrel ationen Die einzelnen στοιχεῖα fungieren hier als Körperteile und bilden in der Summe einen fiktiv-lebendigen Leib am Himmel: »›Betrachte das Haupt oben, Alpha und Omega; den Hals, Beta und Psi; die Schultern mit den Händen, Gamma und Chi; die Brüste, Delta und Phi; das Zwerchfell, Ei und Ypsilon; den Rücken, Zeta und Tau; den Bauch, Eta und Sigma; die Schenkel, Theta und Rho; die Knie, Jota und Pi; die Schienbeine, Kappa und Omikron; die Knöchel, Lambda und Xi; die Füße, My und Ny.‹ So beschreibt der Magier den Leib der Wahrheit, das ist die Gestalt des Urstoffes und der Charakter des Zeichens. Und diesen Urstoff nennt er Mensch. Hier ist die Quelle jedes Wortes, der Anfang jedes Lautes, die Aussprache des Unaussprechbaren jeder Art [...].«78
Um keine Ekphrasis eines imaginären Körpers, sondern um Visualisierungen einer Körper-Schrift-Analogie handelt es sich bei den Verfahren, die auf der Ebene realer Schriftbildlichkeit einen Körper aus Buchstaben bilden. Solche Schriftbilder wurden ebenfalls zumeist im religiösen Kontext entwickelt, und zwar in allen drei monotheistischen Religionen, da die aus Schriftzeichen gebildeten Körper keine Verletzung eines Darstellungsverbotes menschlicher Figuren bedeuten. Die Varianz solcher schriftbildlichen Körperdarstellungen reichen von Mikrographien bis hin zu Kalligrammen und Spielarten visueller Poesie, wie den barocken carmina figurata, deren Textinhalt, die Betrachtung des gekreuzigten Christus, wiederum ekphrastisch vor Augen stellt, was die kreuzförmige Textgestalt ihrerseits visualisiert.79 Ein Beispiel aus jüdischer Tradition ist die Darstellung der biblischen Figur des Samson (Ri 13-16) innerhalb eines Buches zum Omer-Zählen (Sefirat haOmer) aus dem Jahr 1795. Die von dem aus Brest-Litowsk stammenden Schreiber und Illustratoren Baruch ben Schemaria gefertigte Miniatur zeigt den »nur mit einem Lendenschurz bekleideten Samson in der Pose eines Atlanten«.80 vertierten Alphabet-Reihenfolge zugeordnet werden, sodass Texte offen werden für weitere, attribuierte Deutungen. Vgl. Dornseif (1922), S. 26f. 78 | Irenäus: Fünf Bücher gegen die Häresien, aus dem Griech. übers. von E. Klebba, Bibliothek der Kirchenväter I/3, München/Kempten: Kösel, 1912, S. 46. 79 | Siehe Ernst, Ulrich (Hg.): Visuelle Poesie. Historische Dokumentation theoretischer Zeugnisse, Bd. 1. Von der Antike bis zum Barock, Berlin/Boston (MA): De Gruyter, 2012. Vgl. auch Schaffner, Anna Katharina: »How the Letters Learnt to Dance. On Language Dissection in Dadaist, Concrete and Digital Poetry«, in: Scheunemann, Dietrich (Hg.): Avant-Garde, Neo-Avant-Garde, Avant-Garde Critical Studies 17, Amsterdam/Atlanta (GA): Rodopi, 2005, S. 149-172. 80 | Schrijver, Emile G. L./Wiesemann, Falk (Hg.): Schöne Seiten. Jüdische Schriftkultur aus der Braginsky Collection, Katalog Ausstellung Schweizerisches Nationalmuseum/Universiteit van Amsterdam, Bijzondere Collecties, Bibliotheca Ro-
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S chrift im R aum Der Körper des Samson, in rabbinischer Erzähltradition »eine mit übermenschlichen Körperkräften ausgestattete Riesengestalt«, ist dabei ganz aus hebräischer Mikroschrift gebildet (Abb. 2).81 Solche partikularen Schriftkörpermodelle, bei denen imaginär oder visualisiert ein Körper aus der Juxtaposition einzelner Grapheme konstruiert wird, können eingedenk ihrer großen Distanz zu Praktiken von Bewegungsgenerierung und Bewegungswahrnehmung im postmodernen und zeitgenössischen Tanz durchaus für eine Analogie von Schrift und Tanz fruchtbar gemacht werden. Denn gerade die Partikularität dieser Schriftkörper ließe sich heranziehen, um die Fragmentierung des Körpers einer Tänzerin oder eines Tänzers in die Analogie zur Schrift einzubeziehen, d.h. die Polyfokalisierung des Körpers und die Arbeit mit unabhängig voneinander bewegten Körperteilen, wie sie etwa bei William Forsythe praktiziert wird, als Teil einer aufgespaltenen und vervielfältigten écriture corporelle anzusehen. Unterschiedliche Figurationen mehrerer Körperteile könnten dann – als Assemblage von Assemblagen82 – in Analogie zu Darstellungen von aus Schrift gebildeten Körpern gesetzt werden, wohlgemerkt unter der Berücksichtigung, dass hier, anders als bei statischen Schriftbildern von Figurengedichten, Bewegung im Spiel ist, die die Figurationen beständig defigurieren. Vordergründiger und visuell überzeugender wäre in jedem Fall die Analogisierung tanzender Körper mit der Darstellung der von menschlichen Körpern gebildeten Buchstaben in der Tradition der Figurenalphabete. Hier werden keine Körper aus Schriftzeichen dargestellt, wie in Mikrographien oder Figurengedichten, sondern umgekehrt Schriftzeichen konzipiert, die aus menschlichen und tierischen Körpern zusammengesetzt sind.83 Der Bezug zur Bewegung ist hier oftmals bereits dadurch gegeben, dass die Körper in ungewöhnlichen Posen, senthaliana, Landesmuseum Zürich (25.11.2011–11.03.2012), Zürich: Scheidegger & Spiess, 2011, S. 162. 81 | Ebd. 82 | Siehe Gil, José: »Paradoxical Body«, in: TDR 50:4 (T192) (2006), S. 21-35, hier S. 30. 83 | Nach zahlreichen Vorläufern in Handschriften, bei denen seit dem 8. Jahrhundert Zierbuchstaben meist als Initialen aus Körpern von Pflanzen, Fabelwesen, Tieren und eben Menschen dargestellt wurden, gilt das gotische Figurenalphabet von Giovannino de’ Grassi (um 1390) als eines der ersten dezidierten Figurenalphabete, bei der in einer Art Mustersammlung die gotischen Buchstaben als Figuren-Komposite wiedergegeben werden. Ihm folgen mehrere Figurenalphabete des 15. Jahrhunderts, sodass statt einer auf die Barockzeit reduzierten Sicht das Phänomen der Figurenalphabete als ein gesamtneuzeitliches gewertet werden muss. Vgl. hierzu Harms, Wolfgang: »In Buchstabenkörpern die Chiffren der Welt lesen. Zur Inszenierung von Wörtern durch figurale oder verdinglichte
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Abb. 2: Riese Samson in Mikroschrift (1795), Sefirat ha-Omer (Omer Zählung) und andere Gebete, Abschrift und Illustrationen von Baruch ben Schemaria, Amsterdam, Pergament, 43 Blätter, 10.6 x 7.6 cm, Roter Ledereinband mit Goldprägung, Braginsky Collection B28 (Englischer Katalog Nr. 51), Photo: Ardon Bar-Hama.
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S chrift im R aum bis hin zu akrobatischen Verrenkungen dargestellt werden, die, würden sie von realen Körpern ausgeführt werden, nur als Durchgangsposen oder in äußerst kurzen Momenten des Innehaltens zu denken wären. So handelt es sich bei manchen Figurenalphabeten also bereits um die Darstellung fiktiver, sich in Bewegung befindlicher Körper, wobei wie in Peter Flötners Menschenalphabet (1534) die Grenzen zwischen Akrobatik, Erotik und dem, was aus der Perspektive zeitgenössischer Performancepraxis auch als Tanzbewegung angesehen werden könnte, fließend sind (Abb. 3).84 Neben einer solchen Zuspitzung auf Bewegung sind im Zusammenhang einer Körper-Schrift-Analogie aber auch die Parallelisierung explizit statischer Körper mit Buchstabenformen zu nennen, mit dem frühen und einflussreichen Beispiel von Geofroy Torys Champs fleury (1529), einem typographischen Renaissancetraktat, der dem protagoräischen Homo-Mensura-Satz folgend, gedruckte Buchstaben nach den Proportionen des menschlichen Körpers entwirft. Und schließlich ist die Fülle an Abecedarien und Lesefibeln anzuführen, die nach dem Schema der Akrophonie Körper unterschiedlichster Art dem Anfangsbuchstaben ihrer Bezeichnung zuordnen und mitunter eine Kongruenz in Buchstabengestalt und Gestalt des Körpers betonen oder kreieren.85 Die Theoretisierung synästhetischer Schriftanimation Walter Benjamins, der im Zusam-
Buchstaben«, in: Müller (1996), S. 575-595; sowie Debes, Dietmar: Das Figurenalphabet, München-Pullach: Verlag Dokumentation, 1968. 84 | Siehe Boeckeler, Erika Mary: Playful Letters. A Study in Early Modern Alphabetics, Iowa City (IA): University of Iowa Press, 2017, insbes. S. 53-95, hier S. 54. Flötners Menschenalphabet gilt als das erste Figurenalphabet, bei dem die lateinischen Buchstaben fast ausschließlich aus nackten menschlichen Körpern von Männern, Frauen und Kindern (Buchstaben D, G, Y) gebildet werden. Nur bei wenigen Buchstaben (L, N, Q) werden zusätzlich Kleidungs- und Stoffelemente eingesetzt, um die Buchstabengestalt zu erreichen. Anders bei vielen anderen, auf Flötner zurückgehenden Figurenalphabeten aus nackten menschlichen Körpern ist die Erotik in diesem ersten Menschenalphabet nicht ausschließlich heteronormativ: Neben dem aus einer Adam- und einer Evafigur gebildeten Buchstaben A wird der Buchstabe O von zwei weiblichen Figuren geformt, während das W aus zwei nackten männlichen Körpern besteht, deren gespreizte Beine miteinander verschränkt sind. 85 | Vgl. hierzu vor allem Massin, Robert: La Lettre et l’Image. La Figuration dans l’alphabet latin du huitième siècle à nos jours, Paris: Gallimard, 1970; Firmage, Richard A.: The Alphabet Abecedarium. Some Notes on Letters, Boston (MA): David R. Godine, 1993; Drucker, Johanna: The Alphabetic Labyrinth. The Letters in History and Imagination, London: Thames & Hudson, 1995. Zu Massin vgl. auch Barthes (1990), S. 105-109.
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Abb. 3: Peter Flötner, Das Menschenalphabet (1534), Holzschnitt, Albertina, Wien, Inv. DG1961/307.
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S chrift im R aum menhang mit Lesefibeln über das »Saltomortale des s«86 schreibt, knüpft an solche akrophonen Buchstaben-Körper-Assoziationen ebenso an wie William Forsythes Buchstabensystem für Eidos:Telos, das Buchstaben über akrophone Assoziation mit imaginierten Körpern verbindet, auf die sich dann Bewegungen beziehen können. So wird nicht nur die Struktur des Alphabets mit seiner überschaubaren Anzahl kombinierbarer Elemente für die Taxonomisierung und Generierung von Tanzbewegung herangezogen, vielmehr ist es die Pluralität an künstlich gesetzten und künstlerisch ausgestalteten Körper-BuchstabenAnalogien, die bis in den zeitgenössischen Tanz hinein Figurationen und Defigurationen von Körpern in enger oder weiter Korrelation zur Ikonizität von Schrift und Schriftfiguren beeinflussen.
1.5 Schrift und Bewegung 1.5.1 Spuren Die Aspekte von Schrift, die die Idee ihrer Analogisierung zu Tanzbewegungen in stärkstem Maße befeuern, sind naturgemäß diejenigen, die Schrift selbst mit Bewegung verknüpfen. Unter ihnen muss zuvorderst der Bewegungsvorgang des Schreibens genannt werden, mit dem Tanzen ohne Bezug zu Stillstellung und Referenz parallel gesetzt werden kann und denn auch in vielfacher Weise bereits parallelisiert worden ist.87 Gleichermaßen beliebt wie ertragreich ist dabei der Bezug zum weiten Bedeutungsspektrum des griechischen Verbums für Schreiben, γράφειν (gráphein), das zunächst einmal den Vorgang eines Kratzens, Kerbens und Ritzens bezeichnet, mithin die gewaltsame Einbringung einer Differenz in Markierungsträger wie Ton, Stein, Holz, Tierhaut oder Knochen.88 Erst über den Bezug solcher Markierungen zu Schriftzeichen kommt als weitere Bedeutung Schreiben im engeren Sinne hinzu. Hervorzuheben ist 86 | Benjamin, Walter: »Betrachtungen und Notizen«, in: Ders.: Gesammelte Schriften VI, S. 195-211, hier S. 200. Vgl. hierzu auch Giuriato, Davide: Mikrographien. Zu einer Poetologie des Schreibens in Walter Benjamins Kindheitserinnerungen (1932–1939), Zur Genealogie des Schreibens 5, München: Fink, 2006b, S. 23-27. 87 | Siehe als Beispiel Brandstetter (1999), S. 28f. 88 | Etymologisch ist das griechische Wort γράφειν sogar mit dem neuhochdeutschen Wort kerben verwandt. Siehe hierzu sowie zum Wortfeld und der Etymologie von γράφειν die Einträge in den einschlägigen Wörterbuchern: Art. »γράφω«, in: Chantraine, Pierre: Dictionnaire étymologique de la langue grecque. Histoire des mots I, Paris: Klincksieck, 1968, S. 235f.; Art »γράφω«, in: Liddell, Henry George/Scott, Robert u.a.: A Greek-English Lexicon, erg. und erw. Ausgabe, Oxford: Clarendon, 1996, S. 360; Art. »γράφω«, in: Beekes, Robert: Etymological Diction-
K orrel ationen jedoch auch, dass später hinzugekommene Bedeutungsaspekte von γράφειν sich auch auf Malen und Zeichnen beziehen und damit auf das gesamte, noch ununterschiedene Feld visueller Markierungen verweisen, jenseits jeder Diastase von Schrift und Bild. Gemeinsam ist all diesen primären Bewegungsaktivitäten, die unter γράφειν subsumiert werden und zu denen erst abgeleitet sekundäre Bedeutungen wie Anordnen, Anklagen usw. hinzukommen, der Bezug zu einer Spur, die nicht als Abdruck eines Körpers, sondern als Resultat der Verlagerung oder der Bewegung eines Körpers verstanden wird. Der britische Anthropologe Tim Ingold stellt denn auch Schreiben als Vorgang in Korrelation zum Bedeutungsspektrum von drawing, das nicht nur Zeichnen, sondern auch Ziehen und über den Vorgang des Zugs das Hinterlassen einer Spur meint.89 Ähnlich wie Roland Barthes90 differenziert Ingold dabei zwischen dem Schaffen reduktiver Spuren, die analog der primären Bedeutung von γράφειν als Ritzen und Kratzen vom Trägermaterial etwas entfernen, und dem Hinterlassen additiver Spuren, bei denen fließende Tinte zu Trägermaterialien wie Papyrus, Pergament oder Papier hinzugefügt wird.91 In beiden Fällen, als Inskription oder als Superskription, bezeugt die Spur die Bewegung, über die das spurenlegende Instrument – oder im Fall eines Schreibens mit einem Körperglied: der Finger, der Zeh, die Ferse usw. – mit dem Inskriptionsträger in Kontakt kam. Anders als bei einem Abdruck handelt es sich dabei nicht um einen punktuellen Kontakt, sondern um die Verlagerung dieses punktförmigen Abdrucks auf oder in der Oberfläche des Inskriptionsträgers. Die Spur hat daher die Gestalt einer Linie.92 ary of Greek, Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series X/1, Leiden/ Boston: Brill, 2010, S. 285f. 89 | Siehe Ingold, Tim: Lines: A Brief History, London/New York (NY): Routledge, 2007, S. 136f. Vgl. auch Ders.: Making: Anthropology, Archaeology, Art and Architecture, London/New York (NY): Routledge, 2013, S. 125-141; Ders.: The Life of Lines, London/New York (NY): Routledge, 2015. 90 | Siehe Barthes (2006), S. 30. Vgl. auch Ders.: »Schreiben, ein intransitives Verb?«, aus dem Frz. übers. von Dieter Hornig, in: Zanetti (2012), S. 240-250; White, Hayden: »Schreiben im Medium«, aus dem Engl. übers. von Karl Ludwig Pfeiffer, in: Zanetti (2012), S. 251-260. 91 | Siehe Ingold (2007), S. 136. 92 | Zur Phänomenologie und kulturgeschichtlichen Bedeutung von Spuren vgl. neben Krämer/Kogge/Grube (2007) insbes. Ginzburg, Carlo: »Spurensicherung. Der Jäger entziffert die Fährte, Sherlock Holmes nimmt die Lupe, Freud liest Morelli – die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst«, in: Ders.: Spurensicherungen. Über verborgene Geschichte, Kunst und soziales Gedächtnis, aus dem Ital. übers. von Gisela Bonz, Berlin: Wagenbach, 1983, S. 7-57; Damisch, Hubert: Traité du trait. Tractatus tractus, Katalog Ausstellung Musée du Louvre, Hall Napoléon,
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S chrift im R aum Auch die Etymologie von γράφειν kann dahingehend verfeinert werden, dass es sich bei dem zunächst mit diesem Verb verbundenen Kratzen und Kerben um das Ziehen einer Linie handelt: »le sens originel de ›tracer une ligne‹«.93 Nicht zu überschätzen ist so die Linienhaftigkeit von Skription bzw. Schrift, die nicht nur auf die Handschrift zutrifft – dort allerdings in besonderer Evidenz –, sondern sich bis in den Buchdruck hinein fortsetzt. Beim Buchdruck wird zwar die Dynamik der Spur durch die des Abdrucks ersetzt, die gedruckten Buchstaben bestehen aber weiterhin aus linearen Elementen, wobei die Formen der Lettern ihren Ursprung nicht in Handschrift, sondern in den eingravierten Schriftzeichen in Stein, Holz oder Metall haben, bei denen Linien als Spuren nicht gezogen, sondern vielmehr gebahnt werden.94 Beide Aspekte von Spur, das Ziehen wie das Bahnen, sind aufeinander bezogen: Der sich aus der Bewegung im Rückblick ergebende materielle Hinweis auf vormaligen Kontakt im Ziehen entspricht der prognostisch nach vorne weisenden Bahnung einer Spur als auf Zukunft ausgerichtete Ermöglichung von Skription.95 Wenn nun Tanzbewegung als Schreibbewegung verstanden werden soll – von der Analogie zwischen einem substantivierten Tanz und einer ebenfalls subParis (20.4.–24.7.1995), Paris: Réunion des Musées Nationaux, 1995; Brusatin, Manlio: Geschichte der Linien, aus dem Ital. übers. von Sabine Schulz, Berlin: diaphanes, 2003. 93 | Art. »γράφω«, in: Chantraine (1968), S. 236. 94 | Ingold weist darauf hin, dass die Statik von Schrift vor allem mit eingravierten und gedruckten Schriftzeichen verbunden ist, da die Bewegung des Spurenlegens oder Spurenziehens hier nicht in der Weise evident ist, wie bei einer aus Schreibbewegung sofort hervorgehenden Handschrift. Siehe Ingold (2007), S. 137-139. 95 | Zu Schrift und Linie vgl. Witte, Georg: »Die Phänomenalität der Linie – graphisch und graphematisch«, in: Busch/Jehle/Meister (2007), S. 29-54; Lüdeking, Karlheinz: »Bildlinie / Schriftlinie«, in: Busch/Jehle/Meister (2007), S. 1327; Mainberger, Sabine/Ramharter, Esther (Hg.): Linienwissen und Liniendenken, Berlin: De Gruyter, 2017. Sowie mit kunstgeschichtlichem Fokus: Busch, Werner: »Die Möglichkeit der nicht-fixierenden Linie. Ein exemplarischer historischer Abriß«, in: Ders./Jehle/ Meister (2007), S. 121-139; Butler, Cornelia H.: »Walkaround Time. Drawing and Dance in the Twentieth Century«, in: Dies./Zegher, M. Catherine de: On Line. Drawing Through the Twentieth Century, Katalog Ausstellung Museum of Modern Art, New York (NY) (21.11.2010–07.02.2011), New York (NY): Museum of Modern Art/London: Thames & Hudson, 2010, S. 137-203; Schubbach, Arno: »Linie«, in: Gründler u.a. (2012), S. 174-182; Faietti, Marzia/Wolf, Gerhard (Hg.): Linea II. Giochi, metamorfosi, seduzioni della linea, Florenz: Giunti, 2012; Dies. (Hg.): Linea III. The Power of Line, München: Hirmer, 2015.
K orrel ationen stantivierten Schrift wird später die Rede sein –, so sind beide Aspekte von Spur, das Ziehen wie das Bahnen, zu berücksichtigen.96 Sichtbar werden die linienartigen Spuren nur in besonderen Fällen, etwa durch den Einsatz von Farbpigmenten, in flüssiger, pulverisierter Form oder als von Tänzer*innen über eine Fläche gezogene und geschobene Stifte, Kohlestücke und dergleichen. Sowohl Trisha Brown als auch William Forsythe bedienen sich wie viele andere Vertreter*innen des zeitgenössischen Tanzes solcher Methoden, um dem spurenziehenden und spurenbahnenden Charakter von Tanz eine Visualisierung zu geben. Sichtbar gemacht werden können solche Spuren aber auch über verschiedene photographische, filmische- oder computergestützte Verfahren, mit denen entweder Bewegung als ein Netz linienartiger Spuren aufgezeichnet wird, etwa indem Leuchtdioden an bestimmten Punkten eines tanzenden Körpers angebracht werden, deren Bewegung im Raum dann über Langzeitbelichtung von lichtempfindlichem Filmmaterial aufgezeichnet wird. Oder aber Bewegungslineaturen werden, wie bei William Forsythe, in diversen computergestützten Verfahren nachträglich und in sich mitunter verselbständigender Weise visualisiert, wenn digital erzeugte Linien und Strukturen über filmisch aufgezeichnete Bewegungen gelagert werden.97 Und schließlich ist der gesamte Bereich der imaginären Lineamente zu nennen, dem in der Analogie von Tanzen und Schreiben die wohl größte Bedeutung zukommt. Gerade weil Tanz in der Regel, mit der Ausnahme des Pigmenteinsatzes und der technischen Visualisierung keine Spuren hinterlässt – dies ist ja gerade der Hauptaspekt der Ephemeralität von Tanz –, bedarf es zuvorderst der Einbildungskraft, um Tanzen als Schreiben, und damit als Ziehen und Bahnen von Spuren anzusehen und so den real sichtbaren Bewegungen des Körpers vorgestellte Spuren hinzuzufügen.98
96 | Einen phänomenologischen Zugang zum Verhältnis von Linie, Dynamik und Tanz bietet Sheets-Johnstone, Maxine: The Phenomenology of Dance, Madison (WI): University of Wisconsin Press, 1966, S. 86-99; Dies.: »The Imaginative Consciousness of Movement. Linear Quality, Kinesthesia, Language and Life«, in: Ingold, Tim (Hg.): Redrawing Anthropology. Materials, Movements, Lines, Farnham/ Burlington (VT): Ashgate, 2011, S. 115-128. Vgl. auch Rathgeber, Pirkko: »Linien der Figur. Bilder zwischen Aktion und Bewegung«, in: Dies./Steinmüller (2013), S. 97-130. 97 | Siehe https://synchronousobjects.osu.edu (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 98 | »Linear patterns created by movement are not perceived or perceivable but are, through and through, imaginatively constituted phenomena.« SheetsJohnstone (2011), S. 116.
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1.5.2 Animation In allen Fällen, in denen Tanz als sichtbares oder imaginäres Schreiben von Spuren betrachtet wird, werden Tanzende als Schreibende angesehen, als diejenigen, die Schrift produzieren, nicht aber als Schrift selbst. Ihre écriture corporelle ist in dieser Perspektive nur ein Vorgang, eine mit dem Körper im Raum ausgeführte Schreibhandlung. Sollen hingegen die Figuren der Tanzenden in den Transformationen ihrer Kontur oder Gestalt als Schrift und damit als Produkt von Schreibung verstanden werden, so erfolgt dies vor dem Hintergrund des Verhältnisses von Schrift und Animation, die die zur Schrift geronnene Spur mit Bewegung verknüpft. Von der Wahrnehmung des Schriftbildes als einem bewegten Bild und erst recht von der Wahrnehmung bewegter Körper als Schrift sind zunächst die Bewegungen zu unterscheiden, mit denen Schrift selbst wahrgenommen wird. Es handelt sich vor allem um die Augenbewegungen und die leicht schwankenden Bewegungen des Körpers, mit denen Leser*innen einem statischen Schriftbild gerade nicht mit gleicher Statik begegnen, sondern sich zu ihm bewegend in Bezug setzen. Da aufgrund des körperlichen Schwankens immer wieder eine Fokussierung der Augen vonnöten ist, verstärken sich Körperbewegungen und Augenbewegungen dabei gegenseitig. Besonders hervorzuheben ist hierbei, dass Lesen nicht in einem linearen Verfolgen der Inskription erfolgt, sondern ein Text allen physiologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge gleichsam springend gelesen wird. Der Blick nimmt jeweils einen kleinen Ausschnitt des Gesamtschriftbildes als Leseeinheit wahr und springt dann in einer sogenannten Sakkadenbewegung zur nächsten von ihm wahrgenommen Einheit.99 So ließe sich denn zuspitzend behaupten, dass ein lesendes Sehen einem tanzenden Sehen gleichkommt, insofern der lesend wahrnehmende Körper sich in einer Spannung aus Fokussierung und Defokussierung bewegt und dabei sowohl dem von außen kommenden Impuls eines Schriftbildes als auch eigenen Schwerpunktsetzungen folgt.100 Und schließlich kann in einem argumentum a minori ad maius rhe 99 | Siehe hierzu bereits Javal, Emile: Die Physiologie des Lesens und Schreibens, aus dem Frz. übers. von Friedrich Haass, Leipzig: Wilhelm Engelmann, 1907, S. 136-153; sowie u.a. Rayner, Keith (Hg.): Eye Movements in Reading. Perceptual and Language Processes, New York (NY): Academic Press, 1983; Ygge, Jan/ Lennerstrand, Gunnar (Hg.): Eye Movements in Reading, Wenner-Gren International Series 64, Oxford/Tarrytown (NY): Pergamon, 1994; Dehaene, Stanislas: Lesen. Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert, aus dem Frz. übers. von Helmut Reuter, München: Knaus, 2010. 100 | Nicht in der Zuspitzung auf ein tanzendes Sehen, aber mit Konzentration auf das palpable Moment von Wahrnehmung und damit auf die Bewegtheit des Sehens argumentiert Alva Noë im Rückbezug auf die Phänomenologie Mau-
K orrel ationen torisch gefragt werden: Gilt die Metapher eines tanzenden Lesens bereits für ein statisches Schriftbild, um wie viel mehr gewinnt sie an Relevanz im Blick auf als Schrift wahrgenommene Tanzbewegungen? Zu nennen ist an diesem Punkt auch ein zweiter wichtiger Bewegungsaspekt, der die Analogie von Tanz als Schrift zwar berührt, aber von ihr deutlich zu unterscheiden ist. Es handelt sich um das Kommunizieren in einer der zurzeit nachweisbaren 137 Gebärdensprachen als Systeme visuell wahrnehmbarer und auf Bewegungen basierender ›natürlicher‹, d.h. aus historischer Entwicklung hervorgegangener Sprachen.101 Anstelle von Gebärdenkommunikation wäre auch an Kommunikation über codierte Berührungen zu denken, wie sie von Menschen anwendet werden, die sowohl Hör- als auch Sehschädigungen aufweisen. Die Parallelisierung zwischen einer Kommunikation über Bewegungen von Gebärden oder Berührungen könnte zwar mit einem ausgeweiteten Schriftbegriff ebenso wie Tanz in Analogie zu Schrift und Schreiben gesetzt werden. Und zu berücksichtigen wäre dann auch das im Rahmen gerade dieser Studie positiv aufgegriffene Argument prähistorischer Forschung, Gestik und Bewegung als Kommunikationsweisen anzusehen, die der Kommunikation mit Stimme und Schrift historisch vorausgehen. Mit aller Vorsicht, gerade vor dem Hintergrund der in der Kommunikation mit Gehörlosen lange und in problematischer Weise präferierten Kommunikation über aus der oralen Sprache übernommene Lippenbewegungen, soll dennoch einschränkend gesetzt werden, dass Gebärdensprache in einer stärkeren Analogie zur φωνή denn zur γραφή steht. Begründet werden kann diese Setzung mit der hohen Anzahl divergierender Gebärdensprachen, die jeweils an eine natürliche gesprochene Sprache angelehnt sind, nicht aber an die von diesen Sprachen geteilte Schrift. Ein kaum greifendes Argument für die Ausblendung codierter Bewegungskommunikation im Rahmen der Analogie von Tanz und Schrift ist dagegen die Beschränkung der Gebärdensprachen auf in der Regel nur wenige Körperglieder, zumeist die Hände und Arme, die von einer in dieser Studie ebenfalls außen vor gelassenen Kommunikation über Gesichtsmimik begleitet werden. Gerade die hier unterrice Merleau-Pontys: »Vision is touch-like. Like touch, vision is active. You perceive the scene not all at once, in a flash. […] We gain content by looking around just as we gain tactile content by moving our hands. You enact your perceptual content, though the activity of skillful looking.« Noë, Alva: Action in Perception, Cambridge (MA)/London: MIT Press, 2006, S. 73. Vgl. auch Jeanneret, Michel: »Der Text in Bewegung«, aus dem Frz. von Tom Heithoff, in: Beyer/Cassegrain (2015), S. 248-260. 101 | Zur Anzahl der nachweisbaren Gebärdensprachen siehe Lewis, M. Paul (Hg.): Ethnologue. Languages of the World, Dallas (TX): SIL International, 162009, http://www.ethnologue.com/16 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021).
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S chrift im R aum suchten Tanzarbeiten bedienen sich, wie Jan Fabres The Dance Sections oder Trisha Browns Roof and Fire Piece, oft ebenfalls einer Beschränkung der Mobilität sich bewegender Körper und führen Tanzen nicht eng mit gesamtkörperlichen Bewegungen. Das Hauptargument für die weitgehende Ausblendung der Sprachlichkeit von Gebärden, Berührungen und Gesichtsmimik innerhalb der Korrelation von Tanz und Schrift ist jedoch der Kommunikationsaspekt, die primäre Ausrichtung an einem mit Bewegungen generierten Referenzbezug. Dieser ist nicht nur bei den hier untersuchten Arbeiten als eine lediglich rudimentäre Ausgangsbasis gegeben, die in den Bewegungsprozessen von Proben, Aufführungen und Performances bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit verlassen und zerstört wird. Verschiebt man den Fokus von der Frage der referenzbezogenen Gebärde auf Konzeptionen von Geste in der Spannung von Akt und Potenz, ließe sich mit Giorgio Agamben darüber hinaus behaupten, dass Tanz als Geste inhaltsleer sei, da die Geste »nicht in den Akt übergeht, um sich in ihm zu erschöpfen, sondern als Potenz im Akt verbleibt«.102 In diesem Sinne wäre Tanz lediglich die Mitteilung der »körperlichen Mitteilungsmöglichkeiten und -fähigkeiten selbst«103 und damit unterschieden von einem Mitteilen und Generieren von Inhalten über Bewegungen, wie sie in einer Kommunikation mit referenzgeladenen Gebärden geschieht. Im Rahmen dieser nicht zwingenden, sondern historischen Attribution, die von Agamben allerdings als ontologische Verfasstheit von Tanz ausgegeben wird, ist Tanz »nichts anderes als die Austragung und
102 | Agamben, Giorgio »Noten zur Geste«, in: Ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik, aus dem Ital. übers. von Sabine Schulz, Berlin/Zürich: diaphanes, 22006, S. 47-56, hier S. 55. Zum Verhältnis von Tanz und Geste vgl. auch Skandries, Timo: »Das Intervall der Geste oder Wann beginnt Tanz?«, in: Ders./ Görling, Reinhold/Trinkaus, Stephan (Hg.): Geste: Bewegungen zwischen Film und Tanz, Bielefeld: transcript, 2009, S. 117-145; sowie ausführlich und mit Bezug zur Tanzmoderne Ruprecht, Lucia: Gestural Imaginaries. Dance and Cultural Theory in the Early Twentieth Century, New York (NY): Oxford University Press, 2019. Eine historisch frühe Verknüpfung von Tanz und Geste aus dem Jahr 1910 bietet Udine, Jean de: L’Art et le Geste, Paris: Félix Alcan, 1910, insbes. S. 52-68. Vgl. auch Wulf, Christoph/Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Gesten: Inszenierung, Aufführung, Praxis, München: Wilhelm Fink, 2010. 103 | Fischer, Miriam: »Tanz als rein(st)e Geste. Überlegungen zum Konzept des Gestischen im Ausgang von Merleau-Ponty und Giorgio Agamben«, in: Richtmeyer, Ulrich/Goppelsröder, Fabian/Hildebrandt, Toni (Hg.): Bild und Geste. Figurationen des Denkens in Philosophie und Kunst, Image 63, Bielefeld: transcript, 2014, S. 149-169, hier S. 158 (Hervorhebungen im Original).
K orrel ationen die Darbietung des medialen Charakters von Körperbewegungen. Die Geste ist die Darbietung einer Mittelbarkeit, das Sichtbarmachen eines Mittels als solchem.«104 So ist als letzter und positiver Bezugspunkt im Bereich der Bewegtheit von Schrift auf den Komplex technisch vermittelter Animation zu verweisen. Dies lässt die Frage nach der Bewegtheit eines Schriftbildes zum einen mit der breiten film- und bildwissenschaftlichen Diskussion um bewegte Bilder und Bildbewegungen korrespondieren,105 knüpft aber zum anderen vor allem an Konzeptionen einer Animation von Schrift an. Letztere greift zurück auf die Opposition eines toten Buchstabens und stellt ihm Ideen einer Beseelung und Bewegtheit von Buchstaben entgegen. Besonders nahe an die Korrelation von Tanz und Schrift reichen hier die zahlreichen kinematographischen Einsätze bewegter Schrift, bis hin zu Schriftfilmen jenseits von Lesbarkeit und Narration, die ähnliche Fragen von Opazität und Ornamentalität aufwerfen wie die Betrachtung von Tanz als Schrift.106 Und schließlich können als womöglich größte Annäherung an die Idee, bewegende Körper als Schriftzeichen wahrzunehmen, jüngere Tendenzen des Schriftdesigns genannt werden, bei denen digitale Darstellungen dynamischer und räumlicher Schrift entwickelt werden. Zurückgegriffen wird dabei etwa 104 | Agamben (2006), S. 54 (Hervorhebungen im Original). Zur Geste des Schreibens vgl. insbes. Flusser, Vilém: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Bollmann-Bibliothek 5, Düsseldorf u.a.: Bollmann, 1991, S. 39-49. Tanz, Geste und Inskription werden schließlich zusammengedacht von Ness, Sally Ann: »The Inscription of Gesture. Inward Migrations in Dance«, in: Dies./Noland (2008), S. 1-30. Vgl. auch Roquet, Christine: Vu du geste. Interpréter le mouvement dansé, Pantin: Centre national de la danse, 2019. 105 | Vgl. hierzu z.B. Zika, Anna (Hg.): The Moving Image. Beiträge zu einer Medientheorie des bewegten und bewegenden Bildes, 23. Bielefelder Symposion über Fotografie und Medien, Weimar: VDG, 2004; Arns, Inke u.a. (Hg.): Kinetographien, Schrift und Bild in Bewegung 10, Bielefeld: Aisthesis, 2004; Paech, Joachim: »Wie kommt Bewegung in die (kinematografischen) Bilder«, in: Rathgeber/Steinmüller (2013), S. 20-53; Rathgeber, Pirkko/Leyssen, Sigrid (Hg.): Bilder animierter Bewegung/Images of Animate Movement, München: Wilhelm Fink, 2013. 106 | Vgl. Scheffer, Bernd/Stenzer, Christine (Hg.): Schriftfilme. Schrift als Bild in Bewegung, Schrift und Bild in Bewegung 16, Bielefeld: Aisthesis, 2009; hierin u.a. Packard, Stephan: »Eine Ästhetik der Überforderung. Imaginäre Lesbarkeit und Opazität in Schriftfilmen«, in: ebd., S. 167-181. Vgl. auch Stenzer, Christine: Hauptdarsteller Schrift. Ein Überblick über Schrift in Film und Video von 1895 bis 2009, Epistemata Reihe Literaturwissenschaft 693, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2010; Scheffer, Bernd u.a. (Hg.): Schriftfilme. Schrift als Bild in Bewegung, Katalog Ausstellung Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe (16.11.2013–12.01.2014), Ostfildern: Hatje Cantz, 2014.
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S chrift im R aum im Projekt der Raumstaben107 auf die stereoskopische Trennung durch rote und grüne Codierungen von Buchstabenelementen, die es ermöglichen – die Fähigkeit zu stereoskopischem Sehen vorausgesetzt –, Buchstaben auf einem Bildschirm als bewegte und dreidimensionale Gestalten wahrzunehmen. Wenn dabei konzipiert wird, dass ein Buchstabe A »dynamisch zwischen ›noch nicht A‹ und ›nicht mehr A‹«108 entsteht, so geschieht dies nicht nur in Kongruenz zu Edmund Husserls Dialektik von Retention und Protention,109 sondern überdies in großer Nähe zu tanzwissenschaftlichem Nachdenken über Bewegung und Pose, als Figuration und Defiguration sich bewegender Zeichen im Raum.
1.5.3 Notation Der naheliegendste, traditionsreichste und tanzwissenschaftlich ausführlich aufgearbeitete Aspekt im Verhältnis von Schrift und Bewegung ist zweifelsohne der der Tanznotation.110 Mit Verschriftlichungen von Bewegung in den diversen Notationssystemen – das entscheidende Fehlen einer einheitlichen Tanzschrift ist oft bemerkt und reflektiert worden111 – werden nicht nur Tanz und Schrift aufs Engste zueinander in Beziehung gesetzt, vielmehr wird die Differenz zwischen Tanz und Schrift hier in einer besonders markanten Weise bestätigt. Nahezu alle im Vorherigen durchdeklinierten Gegensätze von Tanz und Schrift in den Fragen der Stillstellung, Räumlichkeit und Körperlichkeit finden sich so im Blick auf Tanznotation noch einmal bekräftigt: Systemen arbiträrer, iterabler, 107 | Siehe http://www.raumstaben.net (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 108 | Stephan, Peter Friedrich/Lazzeroni, Claudius: »Raumstaben – Eine Schrift nach der Schrift. Ein Forschungsprojekt im Wissensdesign«, in: Scheffer/ Stenzer (2009), S. 219-241, hier S. 233. 109 | Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893– 1917), hg. von Rudolf Boehm, Husserliana X, Den Haag: Nijhoff, 1966. 110 | Siehe hierzu die grundlegenden Arbeiten Jeschke (1983); Guest (1984); Dies. (1989); Louppe (1994); Brandstetter/Hofmann/Maar (2010); sowie Cottin, Raphaél: »Danser – Écrire. Sur l’écriture du mouvement«, in: Nachtergael (2015), S. 183-203. Neben Louppe (1991) sei außerdem verwiesen auf: Amelunxen, Hubertus von/Appelt, Dieter/Weibel, Peter (Hg.): Notation. Kalkül und Form in den Künsten, Katalog Ausstellung Akademie der Künste, Berlin (20.09.–16.11.2008), Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (14.02.–26.07.2009), Berlin: Akademie der Künste/Karlsruhe: Zentrum für Kunst und Medientechnologie, 2008. 111 | Siehe Jeschke, Claudia: »Tanz-Notate. Bilder. Texte. Wissen«, in: Brandstetter/Hofmann/Maar (2010), S. 47-65, hier S. 47. Vgl. auch Brandstetter, Gabriele: »Notationen im Tanz. Dance Scripts und Übertragung von Bewegung«, in: ebd., S. 87-108 (2010a).
K orrel ationen codierter, differenzierter, stillgestellter und sich der Flächigkeit eines Schriftbildes bedienender Zeichen stehen flüchtige und in der Wiederholung divergierende Bewegungen von Körpern im Raum gegenüber. So dominiert bei allen Differenzen der einzelnen Notationssysteme und ihrer jeweiligen unterschiedlichen Ingebrauchnahme ein geradezu ontologischer Gegensatz zwischen dem Geschriebenen der Tanznotation und real ausgeführter Bewegung. Historisch wurde Tanznotation mit allen positiven und negativen Aspekten von Schriftlichkeit aufgeladen, einerseits als Möglichkeit der Transzendierung einer Tanzsituation und damit als Medium gegen Verlust, Vergessen und Vergehen, dem paradoxerweise andererseits genau das Lamento über die vor und in der Notation unwiederbringlich verlorengegangene Lebendigkeit und Körperlichkeit von Tanz gegenübergestellt wurde.112 Neben Archivierung und Reglementierung als zwei historisch besonders zentralen Ingebrauchnahmen wurden und werden Tanznotationen aber auch als ein Medium von Operativität und Analyse benutzt, mit dem existierende Bewegung im Zuge ihrer Notation aufgeschlüsselt und analysiert wird und neue Bewegungen in schriftlichen Operationsvorgängen komponiert und generiert werden können. Systeme von Bewegungsnotation vereinen damit alle Aspekte eines erweiterten Schriftbegriffs in sich. Ihr Schriftbild kann in den relevanten Aspekten der Materialität, Notierbarkeit, Operativität und Visualität, einschließlich ihres sowohl referentiellen wie ornamentalen Charakters untersucht werden, sodass Schriftbildern von Tanznotationen eine geradezu potenzierte Schriftlichkeit zu eigen ist.113 Tanznotationen sind daher vieles, aber eines nicht: Tanz. Aufgrund dieser ontologischen Differenz – Schrift kann Tanz unter Verlust vieler Parameter festhalten, gerade weil sie selbst nicht Tanz ist – besteht die Gefahr, in der Orientierung an einem phonographisch verkürzenden Verständnis von Schrift, Tanzen wiederum mit Sprechen zu parallelisieren, so als würde in der Tanznotation eine Bewegung festgehalten werden, die es in einer Art körperlichem Leseakt wieder zu verlebendigen gelte.114 Dem ist zum einen entgegenzuhalten, dass auch Alphabetschriften nicht die performative Dimension des Sprechens wiedergeben115 und dass gerade im Begriff der écriture corporelle die Umsetzung einer notierten Bewegung vielmehr einem erneuten körperlichen Schreiben gleicht. Kann bereits Tanznotation als Schrift zweiter Ordnung begriffen wer 112 | Vgl. hierzu u.a. Lepecki (1999), S. 82-87; Ders. (2004b), S. 125; Fabbri, Véronique: Danse et Philosophie. Une pensée en construction, Paris: L’Harmattan, 2013, S. 205-210. 113 | Siehe dazu grundlegend Brandstetter, Gabriele: »Schriftbilder des Tanzes. Zwischen Notation, Diagramm und Ornament«, in: Krämer/Cancik-Kirchbaum/ Totzke (2012), S. 61-78. 114 | So etwa Watts (2010), S. 15. 115 | Siehe Krämer (2005), S. 35.
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S chrift im R aum den, als Schrift von Schrift,116 so wäre Bewegung nach den Vorgaben einer Tanznotation eine erneut abgeleitete Schrift, eine écriture dritter Ordnung. Wichtig ist es außerdem, in diesem Zusammenhang auf den Begriff der Choreographie zu sprechen zu kommen, der teilweise mit einer bemerkenswerten Bedeutungsverschiebung versehen wird, die aufgrund der Etymologie des Wortes höchst missverständlich ist und dazu beiträgt, den Diskurs um Tanz und Schrift zu verunklaren. Denn der Begriff der Choreographie, der in einer Vorversion erstmals 1589 von Thoinot Arbeau als orchésographie117 gebildet wird (von Griech. ὄρχησις, órkhēsis, Tanz; γραφή, graphḗ, Schrift) und der dann im Zuge der Beauchamp-Feuillet-Notation als chorégraphie118 zum Hauptbegriff für die Beschreibung und Notation von Tanzbewegung avanciert, hat nicht nur seit 1700 einen bemerkenswerten Bedeutungswandel vollzogen. Diese Ausweitung des Bedeutungsspektrums reicht bis zum Verständnis von Choreographie als Organisation, Komposition und Anordnung im doppelten Sinne eines Präskripts und einer räumlichen Allokation.119 Daneben begegnet mitunter auch eine Verwendung von Choreographie im Sinne von Schrift im Raum, wobei der Raumaspekt in einer falschen Etymologie mit dem griechischen Wort χῶρος (chôros, Raum) verbunden wird.120
116 | »[...] l’écriture de la danse au sens technique, de Feuillet à Laban, ne serait alors que l’écriture d’une écriture [...].« Agamben, Giorgio: »Le corps à venir«, in: Les Saisons de la Danse 292 (1997), Cahier spécial: L’Univers d’un artiste. Hervé Diasnas, S. 6-8, hier S. 6. 117 | Arbeau, Thoinot: Orchésographie et traité en forme de dialogue par lequel toutes personnes peuvent facilement apprendre et pratiquer l’honnête exercice des dance, Nachdruck der Ausgabe Lengres o.J. (1588) und Danzig 1878, Hildesheim/New York (NY): Olms, 1980. 118 | Feuillet, Raoul-Auger: Chorégraphie, ou L’art de décrire la dance par caractères, figures et signes démonstratifs, Nachdruck der Ausgabe Paris 1700, Hildesheim/New York (NY): Olms, 1979. Siehe auch Lepecki (2008b), S. 16. 119 | Vgl. u.a. Phelan, Peggy: »Thirteen Ways of Looking at Choreographing Writing«, in: Foster (1995a), S. 200-210; Foster, Susan Leigh: Choreographing Empathy. Kinesthesia in Performance, London/New York (NY): Routledge, 2010a, S. 1572; Siegmund (2012); Brandstetter, Gabriele: »Anordnung als choreographisches Verfahren«, in: Horn, Eva/Lowrie, Michèle (Hg.): Denkfiguren, FS Anselm Haverkamp, Berlin: August-Verlag, 2013b, S. 35-38. Vgl. auch Mersch, Dieter: »Figuration/Defiguration. For a Dialectic of Choreo-Graphy«, in: Gansterer, Nikolaus/ Cocker, Emma/Greil, Mariella (Hg.): Choreo-Graphic Figures. Deviations from the Line, Berlin/Boston (MA): De Gruyter, 2017, S. 111-123. 120 | So im Zuge ihrer Ausführungen zu Mallarmés Begriff der écriture corporelle Jones (2013), S. 15.
K orrel ationen Hier ist zu klären: Die Wortbildung Choreographie oder chorégraphie, die im antiken Griechisch nicht belegt ist, sondern erst 1700 in Analogie zu griechischen Begriffen gebildet wurde, bezieht sich mitnichten auf das griechische Wort für Raum, χῶρος. Würde der Begriff eine Zusammenstellung aus χῶρος und γραφή darstellen, müsste er nach Regeln der Lautableitung als Chorographie gebildet werden. Interessanterweise existiert jedoch genau dieses Wort, das in der Berufs- und Tätigkeitsbezeichnung χορογράφος (chorográphos) im Korpus antiker griechischer Texte sehr gut belegt ist und als chorography im Englischen oder chorographie im Französischen ein durchaus verwendeter Begriff ist.121 Sein Bedeutungsspektrum ist das der Beschreibung eines Raumes als politischer und geographischer Bereich, mit den Chorograph*innen als Raumoder Landschaftsbeschreibenden. Das Lehnwort chorégraphie hingegen bezieht sich eindeutig auf einen anderen griechischen Begriff, nämlich χορός (chorós), der wiederum das bedeutet, was auch Feuillet in seinem Titel angibt: Tanz. Zwar wäre es möglich, zwischen beiden griechischen Begriffen χῶρος und χορός wiederum eine Verwandtschaftsbeziehung zu behaupten und sie – zumal χορός auch die Bedeutung von Tanzplatz hat – von einer gemeinsamen Wurzel abzuleiten, jedoch ist diese Hypothese unsicher und wird in gegenwärtiger gräzistischer Forschung abgelehnt.122 So kann sich der unter etymologischen Gesichtspunkten problematische Gebrauch von Choreographie in der Konnotation von Schrift im Raum nur auf den Einfluss der Metapher der écriture corporelle berufen, denn diese eröffnet die Möglichkeit, Tanzen als körperliches Beschreiben eines Raums zu verstehen. Sollte für diesen Gedanken ein griechisches Fremdwort verwendet werden, wäre es nicht das der Choreographie, sondern das einer Chorographie, mit einem entsprechenden Bedeutungsspektrum als Bewegung, die einen Raum beschreibt, in ihn Besitz nimmt, okkupiert und transformiert.123
121 | Siehe Art. »χoρoγράφος«, in: Estienne, Henri/Hase, Charles Benoît: Thesaurus Graecae linguae, Photomechan. Nachdr. der Ausg. Paris 1865, Graz: Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1954, Sp, 1815f. 122 | Siehe Art. »χορός« und Art. »χώρα«, in: Beekes, Robert: Etymological Dictionary of Greek, Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series X/2, Leiden/Boston: Brill, 2010, S. 1644, 1654f. 123 | Vgl. hierzu auch Foster, Susan Leigh: »Chorography and Choreography«, in: Haitzinger/Fenböck (2010), S. 69-75 (2010b).
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Abb. 4: »This is for the one who dances most gracefully.« Naerebout (2019), S. 34. Transkription der vermutlich ältesten Inschrift in griechischer Alphabetschrift, Dipylon-Oinochoe (Weinkanne), Athen, ca. 740 v. Chr.
2 Die Analogie von Schrift und Tanz 2.1 Historische Perspektiven 2.1.1 Archi-Danse Reflexionen über die Anfänge der Analogisierung von Tanz und Schrift sind spekulative Akte. Walter Benjamin ist diesen Weg in seinem kurzen Text »Über das mimetische Vermögen« (1933) gegangen und hat so im Rekurs auf das Ende von Hugo von Hofmannsthals lyrischem Drama Der Tor und der Tod (1893) die prominente Setzung getroffen, dass das Lesen aus Tänzen allen anderen kulturell herausgebildeten Lektüretechniken vorausgeht: »Was nie geschrieben wurde, lesen. Dies Lesen ist das älteste: das Lesen vor aller Sprache, aus den Eingeweiden, den Sternen oder Tänzen. Später kamen Vermittlungsglieder eines neuen Lesens, Runen und Hieroglyphen in Gebrauch.«1 Zweifelsohne sagt dieser spekulative Sprung über den historischen Graben hinweg und hinein in die prähistorische Vergangenheit mehr aus über das Schrift- und Mimesisverständnis Benjamins denn über tatsächliche frühe und erste Analogisierungen von Tanz und Schrift. Mit Bezug zum zitierten Text Hugo von Hofmannsthals, in dem ausgerechnet die Figur des Todes sich über einen menschlichen Drang wundert, zu lesen, »was nie geschrieben wurde«,2 ist Benjamins Spekulation über den als Schrift gelesenen Tanz auch ein später Nachtrag zur Sprachkrise 1 | Benjamin, Walter: »Über das mimetische Vermögen«, in: Ders.: Gesammelte Schriften II.1, S. 210-213, hier S. 213. 2 | »Der Tod indem er kopfschüttelnd abgeht/Wie wundervoll sind diese Wesen,/Die, was nicht deutbar, dennoch deuten,/Was nie geschrieben wurde, lesen,/ Verworrenes beherrschend binden/Und Wege noch im Ewig-Dunkeln finden.« Hofmannsthal, Hugo von: »Der Tor und der Tod«, in: Ders.: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe III, hg. von Götz Eberhard Hübner, Klaus-Gerhard Pott und Christoph Michel, Frankfurt a.M.: Fischer, 1982, S. 61-80, hier S. 80 (Hervorhebung
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S chrift im R aum um 1900. Benjamins Diktum steht im Kontext einer spezifisch modernen Aufladung der Hieroglyphe, die in ihrem hybriden Charakter aus Bild und Schrift ein Gegenmodell zur Arbitrarität von Schriftzeichen sieht. Ähnliches gilt für die Runen, die Benjamin entgegen der historischen Entwicklung den Hieroglyphen voranstellt, allerdings ohne damit wie andere Autor*innen seiner Zeit auch eine zeitliche Vorordnung der Runenentstehung zu behaupten.3 In aller Vorsicht und im Wissen, dass auch diese Reflexion eine spekulative ist, könnten jedoch tatsächlich frühgeschichtliche Darstellungen tanzender menschlicher Figuren als Hinweis auf eine pré-écriture gelesen werden, bei der Figurationen von Tanz und schriftartige Zeichen miteinander konvergieren. Die materielle Basis solcher frühen Tanzdarstellungen, die der prähistorische Archäologe Yosef Garfinkel aufbereitet hat, ist zumindest verblüffend und ließe sich als einen Hinweis auf eine mögliche frühe Parallelität zwischen Tanzfiguren und Vorformen von Hieroglyphen deuten.4 Garfinkel untersucht Tanzdarstellungen aus dem Neolithikum, mit lokalen Schwerpunkten auf dem Nahen Osten, Südosteuropa sowie Ägypten, ordnet sie nach den hier ablesbaren Stellungen von Armen und Beinen und dem Häufigkeitsgrad, mit dem diese Figurationen innerhalb des Materialkorpus vertreten sind. Gerade in dieser Klassifizierung scheinen Codierungen dieser wiederkehrenden Positionen als Körperzeichen zumindest wahrscheinlich.5 Diese vorsichtige Annahme muss freilich mitreflektieren, dass hier ein deutlicher Medienwechsel vorliegt, bei dem Körperbewegungen in Höhlenmalereien, reliefartige Materialritzungen oder skulpturale anthropomorphe Figurinen übersetzt wurden, die wiederum hieroglyphenartig strukturiert sind, ohne dass dies etwas darüber aussagte, ob die Bewegungen selbst im weitesten Sinne als codierte Zeichen verstanden wurden. Mit einem entsprechend weiten Verständnis von Schrift könnten dann auch die wie im Original). Vgl. auch Mayer, Matthias: »Der Tanz der Zeichen und des Todes bei Hugo von Hofmannsthal«, in: Link (1993), S. 351-368. 3 | Siehe hierzu Assmann, Aleida: »Alte und neue Voraussetzungen der Hieroglyphen-Faszination«, in: Dies./Assmann, Jan (Hg.): Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie, Archäologie der Literarischen Kommunikation 8, München: Wilhelm Fink, 2003, S. 261-280. 4 | Siehe Garfinkel, Yosef: Dance at the Dawn of Agriculture, Austin (TX): Texas University Press, 2003. 5 | Siehe vor allem ebd., S. 28-34. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass sich die Wertung gezeichneter Körper-, Arm- und Beinpositionen als mögliche Körperzeichen durch den erneuten Medienwechsel zur Zeichnung nahelegt und Garfinkel überdies die Positionen alphabetisch klassifiziert. Die Annahme einer Analogie von Tanzbewegungen zu Vorformen von Schriftzeichen kann nur in kritischer Berücksichtigung dieser, Codierung geradezu insinuierenden wissenschaftlichen Visualisierung erfolgen.
D ie A nalogie von S chrift und T anz zu vermutenden Bewegungen und Haltungen, also Momente von Stasis und Kinesis, als flüchtige schriftartige Zeichen verstanden werden, die sich – und damit wäre die Grenze zur rein spekulativen Herleitung von Schriftzeichen deutlich überschritten – in die Genese einzelner Zeichen von Protoschrift eingeschrieben haben könnten. Weder ist mit dieser Setzung die vermessene Herleitung aller Schrift aus Tanz noch eine anfängliche vollständige Einheit zwischen beiden Größen behauptet; angesichts der Parallelen im Material früher Tanzdarstellungen und früher Schriftfigurationen wird lediglich auch das Moment der Bewegtheit für die Verbindung von Figur und Zeichen herangezogen. Denn die statische dreidimensionale menschliche oder tierische Figur als solche ist in der Tat, so der Konsens der historischen Schriftforschung, an der Herausbildung zumindest der sumerischen Schriftkultur beteiligt gewesen in Form figurenartiger Tokens, die zunächst als Zählsteine in Tonbullen eingeschlossen und schließlich in den Ton selbst geprägt wurden als frühe Formen von Schriftzeichen.6
2.1.2 Attische Bühne Eine besondere Verbindung von früher griechischer Alphabetschrift und Tanz ist die in diesem Zusammenhang häufig angeführte sogenannte Dipylon-Oinochoe, eine Weinkanne (οἰνοχόη, oinochóe) aus dem 8. Jh. v. Chr. Die Kanne gehört heute zur Sammlung des Archäologischen Nationalmuseums Athen und ist benannt nach ihrem Fundort, einer Begräbnisstätte in der Nähe des Δίπυλον (Dípylon), dem Haupttor im antiken Athen.7 Während auf dem Hals der Kanne ein Reigentanz visualisiert ist, findet sich in der Höhe des Henkels eine Inschrift, die inhaltlich Bezug auf Tanz nimmt und für sich eines der ältesten erhalte 6 | Vgl. Cancik-Kirschbaum, Eva: »Beschreiben, Erklären, Deuten. Ein Beispiel für die Operationalisierung von Schrift im alten Zweistromland«, in: Grube, Gernot/Kogge, Werner/Krämer, Sybille (Hg.): Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Mund, München: Wilhelm Fink, 2005, S. 399-411. Zur jüngeren Schriftforschung sowie zur mehrfachen und voneinander unabhängigen Genese von Schriftkulturen vgl. Petzinger, Genevieve von: The First Signs. Unlocking the Mysteries of the World’s Oldest Symbols, New York (NY)/London/Toronto: Atria Books, 2016; Ferrara, Silvia: La grande invenzione. Storia del mondo in nove scritture misteriose, Mailand: Feltrinelli, 2019. 7 | Siehe Naerebout, Frederick G.: »Achoreutos apaideutos. Dance in Ancient Greece«, in: Fitzgerald, Clare (Hg.): Hymn to Apollo. The Ancient World and the Ballets Russes, Katalog Ausstellung Institute for the Study of the Ancient World, New York University, New York (NY) (06.03.–02.06.2019), New York (NY): Institute for the Study of the Ancient World, New York University/Princeton (NJ): Princeton University Press, 2019, S. 28-51, hier S. 34.
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S chrift im R aum nen Beispiele griechischer Alphabetschrift darstellt. Die exakte Transkription der vollständigen Inschrift ist umstritten;8 sicher ist aber, dass es sich um eine Widmung der Kanne an den Sieger eines Tanzwettbewerbes handelt – »this is for the one who dances most gracefully«9 – und sich in dieser Widmung griechische Alphabetschrift und Tanz ein frühes Mal treffen (Abb. 4).10 Die ersten expliziten Hinweise für eine direkte Analogisierung von Tanz und Schrift, die im bewegten Körper ansetzen, sind aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert überliefert und finden sich im Zusammenhang sophokleischer Dramenfragmente. In einem möglicherweise als Satyr-Spiel einzuordnenden Stück Amphiaraos, von dem sich nur einzelne Sätze erhalten haben, soll das Publikum aus den Bewegungen von Tänzern Buchstaben erraten.11 Deutlich wird dies indes nicht aus den Fragmenten selbst, sondern allein durch eine spätere antike Quelle, die sich auf Sophokles bezieht. Erst Athenaeus, griechischer Rhetoriker des 2. Jahrhunderts, weist so darauf hin, dass Sophokles in seinem Stück Amphiaraos eine Figur auftreten lässt, die Buchstaben tanzt.12 Athenaeus führt dabei unmittelbar vor diesem Hinweis eine Reihe von Szenen aus anderen, größtenteils nicht mehr überlieferten Stücken des griechischen Theaters an, in denen jeweils eine des Lesens unkundige Figur auftritt, die die 8 | Siehe hierzu ausführlich Powell, Barry B.: »The Dipylon Oinochoe and the Spread of Literacy in Eighth-Century Athens«, in: Kadmos 27:1 (1988), S. 71-94. Vgl. außerdem jüngst Binek, die Teile der Inskription als schriftbildartigen Dekor deutet: Binek, Natasha M.: »The Dipylon Oinochoe Graffito. Text or Decoration?«, in: Hesperia 86:3 (2017), S. 423-442. 9 | Naerebout (2019), S. 34. 10 | Powell (1988), S. 68. 11 | Siehe hierzu vor allem Gagné, Renaud: »Dancing Letters. The Alphabetic Tragedy of Kallias«, in: Ders./Hopman, Marianne Govers (Hg.): Choral Mediations in Greek Tragedy, Cambridge: Cambridge University Press, 2013, S. 297-316; sowie die ältere Darstellung bei Ohlert, Konrad: Rätsel und Gesellschaftsspiele der alten Griechen, Berlin: Mayer & Müller, 1886, S. 90-93. Kurze Hinweise finden sich auch bei Schenck, Eva-Maria: Das Bilderrätsel, Hildesheim/New York (NY): Olms, 1973, S. 70; Dencker, Klaus Peter: Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart, Berlin/New York (NY): De Gruyter, 2011, S. 262, Anm. 901. 12 | »In a similar way Sophocles in the satyr play Amphiaraus brings on a man who dances the letters.« Athenaeus, Deipnosophists 10, 454F, zitiert nach: Sophokles: Fragments, aus dem Griech. übers. und hg. von Hugh Lloyd-Jones, Sophocles III, LCL 483, Cambridge (MA)/London: Harvard University Press, 1996, S. 46-47. Siehe auch Sophokles: The Fragments of Sophocles I, aus dem Griech. übers. und hg. von Alfred Chilton Pearson, Cambridge: Cambridge University Press, 1917, S. 76.
D ie A nalogie von S chrift und T anz Buchstaben eines für sie unlesbaren Wortes beschreibt und darstellt. Diese Referenz lässt Rückschlüsse auf eine verbreitete Praxis des griechischen Theaters zu, bei der Buchstaben auf der Bühne in Körperstellungen und Bewegungen dargestellt bzw. getanzt wurden. Denn der Buchstabentanz bei Sophokles sei, so Athenaeus in seiner Einschätzung, einer verbreiteten Praxis ähnlich gewesen.13 Als weiterer Hinweis auf diese verbreitete Praxis ist insbesondere die γραμματική θεωρία (grammatiké theoría) zu nennen, übersetzt als »sogenannte grammatische Tragödie«14 oder ABC-Show15. Dabei handelt es sich um ein fragmentarisch erhaltenes Buchstaben-Spiel des Kallias aus Athen, vermutlich aus dem Ende des Jahres 430 v. Chr., in dessen Prolog »die 24 Buchstaben des ionischen Alphabets der Reihe nach auftreten«.16 Das Stück spielt in seinem Titel mit dem Bedeutungsspektrum des griechischen θεωρία (theoría), als Anschauung und Theorie: Gezeigt wird Schrift auf der Bühne und gleichzeitig Schrifttheorie. Den Fragmenten nach zu urteilen werden etwa Konsonanten und Vokale getrennt behandelt, sodass u.a. damit ein direkter Bezug zur damaligen zeitgenössischen Praxis des Schreibenlernens hergestellt ist.17 Doch auch eines der von Athenaeus zitierten Stücke mit BuchstabentanzBezug ist in einem prominenten Fragment erhalten. Es handelt sich um Fragment 382 aus dem Stück Theseus des Euripides, in dem ein Ausschnitt aus dem Monolog einer der erwähnten illiteraten Figuren überliefert ist.18 »Ein des Lesens unkundiger Hirt«19 beschreibt und illustriert hier die griechischen Majuskeln Θ Η Σ Ε Υ Σ des Namens Theseus:
13 | Siehe Sophocles (1996), S. 47. 14 | Ohlert (1886), S. 228. 15 | Zum Begriff der ABC Show und zur Einbindung des Stückes in den gesamten Kontext des griechischen Theaters und der Geschichte des griechischen Alphabets siehe ausführlich Wise, Jennifer: Dionysus Writes. The Invention of Theatre in Ancient Greece, Ithaca (NY): Cornell University Press, 1998, S. 15-17; 22-23; 63-65; 77. 16 | »The sound of each letter was sung by a chorus as a whole, and given physical shape through dancing by the group. It is tempting to speculate that the shape of each letter was actually produced on stage, a type of movement for which the elevated seating of the theater would create ideal conditions of perspective. The word ›choreography‹ could not be more appropriate for such a spectacle.« Gagné (2013), S. 309. 17 | Siehe Ohlert (1886), S. 229; Wise (1998), S. 77; Gagné (2013), S. 310. 18 | Siehe Schrott, Raoul: »Über die antiken Wurzeln der konkreten Poesie und die Geschichte der Schrift«, in: Schreibheft 49 (1997), S. 181-187, hier S. 183. 19 | Ohlert (1886), S. 91.
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S chrift im R aum »Mit Buchstaben kenne ich mich nicht aus, aber ich will die Formen beschreiben und deutliche Merkmale angeben: Ein Kreis, wie mit dem Zirkel gezogen und mit einer Markierung in der Mitte. Der zweite hat zunächst zwei Linien, die aber in der Mitte eine weitere, einzelne auseinanderhält. Der dritte ist wie eine Locke gekrümmt. Beim vierten wieder steht eine Linie aufrecht und drei sind schräge an sie gelehnt. Der fünfte ist nicht leicht zu beschreiben; denn da sind zwei Linien, die ein Stück auseinanderstehen, und dann laufen sie zusammen in einem gemeinsamen Ständer. Der letzte ist dem dritten gleich.«20
Eine mit Texten wie diesem verbundene Aufführungspraxis, bei der das Publikum Buchstaben raten muss, die nach ihrer Form beschrieben oder durch Tanz dargestellt wurden, ist bis in die römische Zeit überliefert.21 Offen bleibt jedoch, in welcher Weise ein solcher Text von Körperbewegungen begleitet wurde, wie also Buchstabenpantomime oder Buchstabentanz genau vorzustellen sind. Fraglich ist insbesondere, wie hier das Verhältnis von Kinesis und Stasis zu denken ist, ob also die Schauspieler*innen wie in einer Buchstabenscharade Zeichen inkorporieren und dabei womöglich in ihren Bewegungen arretieren, oder ob sie z.B. mit einem Arm imaginäre Spuren in den Raum zeichnen. Der vermutliche Zusammenhang der Satyrspiele macht zumindest deutliche Züge von Parodie wahrscheinlich, wie denn auch das Fragment des Euripides – vor allem in der Beschreibung des fünften Buchstabens (»Ständer«) – ein phallozentrisches Innuendo und eine Pornographisierung der Buchstaben-KörperAnalogie nahelegt.22 Solche Aspekte, die bereits im Hinweis auf die Tradition der Körperalphabete als relevant herausgestellt wurden, ließen sich mit einigem Recht als Gegenreaktionen auf die kulturelle Spaltung von Körper und Geist und deren Verschränkung mit Schrift interpretieren. Insbesondere im Zusammenhang der Alphabetschrift und ihrer gegenüber früheren hieroglyphischen Schriftformen ungleich gesteigerten Arbitrarität und Abstraktion werden dabei Buch 20 | Euripides: Sämtliche Tragödien und Fragmente IV, aus dem Griech. übers. und hg. von Gustav Adolf Seek, München: Artemis, 1981, S. 166f. 21 | Siehe Ohlert (1886), S. 92, Anm. 2. 22 | In vulgärer Weise lässt Kallias sogar eine schwangere Frau auftreten, die aus Scham nicht benennen kann, mit was sie schwanger geht und daher nur die Buchstaben Ψ und Ω nach ihrer Form beschreibt und darstellt, möglicherweise als Hinweis auf das griechische Wort Ψ Ω Μ A für Fäulnis. Siehe ebd., S. 90f. Zu alternativen Deutungen der Buchstaben Ψ Ω als Abkürzung der griechischen Wörter für Blähung oder Penisvorhaut, als schriftbildlicher Hinweis auf sexuelle Penetration oder als bloßer Hinweis auf eine aus zwei ionischen Buchstaben gebildete Silbe, mit der die Frau schwanger geht (»she is pregnant with a syllable«), siehe Gagné (2013), S. 308f., hier S. 308.
D ie A nalogie von S chrift und T anz staben und Schrift dem Bereich des Geistes zugewiesen und ungeachtet ihrer Materialität vom Bereich des Körpers abgespalten.23 Vor diesem Hintergrund können parodistische Buchstabentänze auch gelesen werden als Szenarien der Wiederaneignung einer ausgeschlossenen Körperlichkeit von Schrift und als Versuch, die Spaltung zwischen Körper und Buchstabe zu überwinden und zum Phantasma einer Identität von Zeichen und Bezeichnetem zurückzukehren.
2.1.3 Dante Alighieri, Divina Commedia Eine sehr spezielle literarische Verknüpfung von Tanz und Schrift, die einen markanten Schwerpunkt auf die Idee der Bewegungsarretierung zu Konfiguration von Zeichen legt, findet sich im 18. Gesang des Paradiso aus Dante Alighieris (1265–1321) Divina Commedia.24 Der Text aus dem frühen 14. Jahrhundert stellt einen besonders vielsagenden Beleg für eine Analogisierung von Bewegung und Schrift dar und greift Ideen von aus Körpern geformten Buchstaben auf, wie sie in mittelalterlichen Manuskripten vor allem in korporalen Initialbuchstaben realisiert wurden. Explizit und womöglich erstmals setzt Dante diese Körperbuchstaben nun in den Kontext einer Figurationsbildung aus Bewegen und Innehalten. Dieses Konzept ist selbst wieder einflussbildend und wird nicht zuletzt durch die Illustrationen verbreitet, die Dantes Text erfährt. Verbindungslinien lassen sich so nicht nur zu den zahlreichen in den folgenden Jahrhunderten entwickelten Körperalphabeten ziehen, sondern auch zum modernen Phänomen der Himmelsschreiber und deren Rezeption, etwa bei Virginia Woolf oder W. H. Auden. Der 18. Gesang des Paradiso beschreibt, wie Dante und Beatrice in den sechsten Himmel gelangen, in die Sphäre des Jupiter, wo sie beobachten, wie geflügelte Seelen als goldleuchtende Entitäten vor dem silbernen Horizont des Jupiterhimmels Buchstaben und Wörter bilden. Immer dann, wenn ein Zeichen gebildet ist, unterbrechen die schwebend-tanzenden Seelen nicht nur ihren Gesang, sondern halten auch in ihren Bewegungen inne. Erst in dieser Arretierung, die nicht das Fehlen jeglicher Bewegung meint, sondern ein Flattern auf der Stelle, ein In-der-Luft-Stehen, werden ihre Transformationen stillgestellt zu einem lesbaren Text. Verglichen werden diese Figurationen und Transfigurationen von Buchstaben mit dem Flug von Vögeln, die als Schwarm am Himmel schriftartige Zeichen bilden: »E come augelli surti di rivera, quasi congratulando a lor pasture, fanno di sé or tonda or altra schiera, 23 | Vgl. hierzu Assmann, Aleida (2003). 24 | Vgl. Dencker (2011), S. 262, Anm. 901.
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S chrift im R aum sì dentro ai lumi sante creature volitando cantavano, e faciensi or D, or I, or L in sue figure. Prima, cantando, a sua nota moviensi; poi, diventando l’un di questi segni, un poco s’arrestavano e taciensi.«25
Interessanterweise knüpft Dante in der Konzeption dieser Tanzschrift ein Zeichen nicht an die Figuration einer individuellen Seele, sondern lässt mehrere dieser Seelen-Entitäten einen Buchstaben als »Kollektivbild«26 formen. Die Idee, dass ein Zeichen von einer Gruppe sich bewegender Entitäten gebildet wird – der Begriff ›Körper‹ erscheint in Bezug auf Seelen inadäquat –, ist hier möglicherweise zum ersten Mal in der Literaturgeschichte formuliert.27 Zu berücksichtigen wären in diesem Zusammenhang auch die Illustrationen zum beschriebenen Abschnitt der Divina Commedia, die sich schon in frühen Illuminationen der Vision des Seelen-Schriftbildes gewidmet und dieses u.a. als Konstellation engelartiger geflügelter Wesen oder als Figuration von Köpfen und Oberkörpern dargestellt haben (Abb. 5).28 25 | Alighieri, Dante: Paradiso, La Commedia secondo l’antica vulgata IV, hg. von Giorgio Petrocchi, Opere di Dante Alighieri 7, Florenz: Casa Editrice Le lettere, 1994, S. 300f. (Hervorhebung wie im Original). Dt.: »Wie Vögel, die vom Flusse sich erheben,/Frohlockend gleichsam über ihre Fluren/In rundem oder langem Schwarme schweben,//So hier in Funken heilige Kreaturen:/Sie sangen flatternd, bildend beim Gesang/Bald D, bald I, bald L in den Figuren.//Erst sangen sie und drehten sich zum Klang;/Dann wurden sie zu einem dieser Zeichen/ Und hielten kurz und schwiegen still nicht lang.« Alighieri, Dante: Die Göttliche Komödie, aus dem Ital. übers. von Wilhelm G. Hertz, München: Artemis, 1990, S. 390. 26 | Gmelin, Hermann: Dante. Die Göttliche Komödie, Dritter Teil: Das Paradies, Kommentar, Stuttgart: Ernst Klett, 1957, S. 334. 27 | Auch die Analogie von Vogelflug und Inschrift-Lettern hat keine exakten literarischen Vorbilder, wohl aber das Vergleichen fliegender Vögel mit Buchstaben im Allgemeinen, für das sich Beispiele in der antiken Epik, etwa bei Lukrez und Lukan finden lassen. Siehe ebd. S. 343. Vgl. hierzu auch: Küsters, Urban: »Der lebendige Buchstabe. Christliche Traditionen der Körperschrift im Mittelalter«, in: Wenzel/Seipel/Wunberg (2001), S. 107-118. 28 | So etwa im MS. Holkham misc. 48, einem von nur vier vollständig illustrierten Dante-Manuskripten des 14. Jh., das sich heute im Besitz der Bodleian Libraries der University of Oxford befindet. Das Manuskript wurde im letzten Drittel des 14. Jh. in Norditalien, vermutlich in Genua in italienischer rundgotischer
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Abb. 5: Dante Alighieri, Divina Commedia, Paradiso, 18. Gesang: Beatrice und Dante betrachten das aus Seelen figurierte Schriftbild DILIGETE, Norditalien, ca. 1370–1400, MS. Holkham misc. 48, S. 136, Photo: Bodleian Libraries, University of Oxford.
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S chrift im R aum In der Übertragung dieses Kollektivprinzips auf das Verhältnis von Körper und Schrift ergibt sich zum einen eine Alternative zur Vorstellung des individuellen Körpers als einem Körperzeichen, zum anderen ist mit dieser Idee eine Subordination des einzelnen Körpers unter eine Zeichengestalt oder Bühnenkonfiguration verbunden. Einige Jahrhunderte später und vermittelt über militärische Manöveraufstellungen wird diese Unterordnung des Individuums unter ein Figurationskonzept im französischen Barocktanz eingesetzt, um auf der Tanzbühne Buchstaben via Menschenanordnung zur Erscheinung zu bringen.29 Weitreichende Analogien ließen sich außerdem ziehen zu Ornament- und Buchstabenbildungen in Massenchoreographien, vor allem bei militärischen Manöveraufstellungen und sportlichen Großveranstaltungen totalitärer Regime.30 Auch jenseits der Unterordnung des einzelnen Körpers unter das Konzept eines wiedererkennbaren und klar lesbaren Zeichens können solche Gruppenkörper-Konfigurationen als Schriftbilder gedeutet werden, die sich übersummativ aus dem Ensemble der beteiligten Tänzer*innen zusammensetzen. Entscheidend ist dabei in jedem Fall die bewusste Wahrnehmung als Schriftbild und im Falle eines buchstäblichen Lesens die imaginäre Addition oder Subtraktion der Körpergebilde zu Konturen bekannter Schriftzeichen. Die Gestalt dieser Zeichen wird nicht vollständig von bewegten und innehaltenden Körpern bzw. bei Dantes Paradiso von fliegenden Seelen gebildet, sondern ergibt sich erst, wenn Betrachter*innen die Gestalt eines Zeichens mit der aktuellen Konfiguration einer Körpergruppe vermitteln. Schrift geschrieben und von drei verschiedenen Künstler*innen illuminiert. Die Abbildung zeigt S. 136 des Manuskripts mit Text aus Paradiso, 18. Gesang, in der Illustration u.a. Jupiter sowie Beatrice und Dante, die das aus Seelen figurierte Schriftbild DILIGETE betrachten. 29 | Ein direkter und in der Tanzwissenschaft ungewöhnlich seltener Hinweis auf die Parallele zwischen dem 18. Gesang des Paradiso und den Prinzipien des Barocktanzes findet sich bei Louppe, Laurence: »Les Imperfections du papier«, in: Dies. (Hg.): Danses tracées. Dessins et notation des chorégraphes, Katalog Ausstellung Centre de la Vieille Charité, Musées de Marseille (19.04.–09.06.1991), Paris: Dis Voir, 1991, S. 9-33, hier. S. 11. Vgl. auch jüngst Kathryn Dickasons kurze tanzwissenschaftliche Annäherung an die Körperschrift im 18. Gesang des Paradiso, allerdings ohne Bezug zur komplexen Verschränkung von Konfiguration, Stillstellung und Lesbarkeit: Dickason, Kathryn: Ringleaders of Redemption. How Medieval Dance Became Sacred, New York (NY): Oxford University Press, 2021, S. 204f. 30 | Vgl. Zur Lippe, Rudolf: Der Körper – erstes Werkzeug der Kulturen. Prolog und Geometrisierung des Menschen. Eine Ausstellung des Instituts für Praktische Anthropologie, Katalog Ausstellung Berliner Festspiele 1983, Oldenburg: Bibliotheks- u. Informationssystem der Universität Oldenburg, 2., erw. Aufl., 1983, S. 13.
D ie A nalogie von S chrift und T anz Genau diese konstruierende Wahrnehmung wird auch bei Dante wieder zerstört, wenn sich die Konfiguration auflöst, da es sich ja trotz allen Innehaltens um eine Tanz- und Bewegungsschrift handelt, die sich nach einer nur kurzen Arretierung (»un poco s’arrestavano«) zu immer wieder neuen Zeichen konfiguriert. Im 18. Gesang des Paradiso bittet daher Dante die klassischen Musen, ihm bei der Erinnerung der flüchtigen Buchstaben zu helfen. Seine Bitte um Erleuchtung wird erhört, und so ist er in der Lage, den aus beweglichen Seelenentitäten geschriebenen Text zu lesen: DILIGITE IUSTITIAM, QUI IUDICATIS TERRAM, der lateinisch zitierte Beginn der Weisheit Salomos (»Habt Gerechtigkeit lieb, ihr Herrscher der Erde!« Weish 1,1a). Nachdem die Seelen den letzten Buchstaben M als gotische Letter gebildet haben, verzieren sie diesen Buchstaben als eine Allegorie auf die Monarchie, die Staatsform, in der sich für Dante die Idee der Gerechtigkeit verwirklicht, um sich danach in die Gestalt eines Adlers zu transfigurieren. Zuvor aber erscheint die bewegte Seelenschrift: »Mostrarsi dunque in cinque volte sette vocali e consonanti; e io notai le parti sì, come mi parver dette. ›DILIGITE IUSTITIAM‹, primai fur verbo e nome di tutto ’l dipinto; ›QUI IUDICATIS TERRAM‹, fur sezzai.«31
2.1.4 Barockbühne Die historisch folgende und tanzwissenschaftlich umfangreich analysierte Analogisierung von Schrift und Tanz stellen die höfischen Ballettaufführungen im Paris des 16. und frühen 17. Jahrhunderts dar.32 Hier und in folgenden Buchstabenballetten an anderen europäischen Höfen, etwa anlässlich der Thronbesteigung des polnischen Königs Stanislaus I. Leszczyński im Jahre 1704,33 werden anagrammatisch die Namen von Herrscher*innen, biblischen Figuren oder Heiligen per Konfiguration von Körpergruppen auf einer Tanzbühne visuali-
31 | Alighieri (1994), S. 302. (Hervorhebung wie im Original). Dt.: »Sie zeigten also sich in fünfmal sieben/Vokal’ und Konsonanten: ich merkt an/Die Teile so, wie ich sie sah geschrieben.//›DILIGETE IUSTITIAM‹, so begann/Die Schrift mit Zeit- und Hauptwort aufzustieben;/›QUI IUDICATIS TERRAM‹, kam sodann.« Alighieri (1990), S. 390. 32 | Siehe hierzu vor allem die grundlegende Monographie Franko (1993). 33 | Siehe Dencker (2011), S. 262, Anm. 901.
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S chrift im R aum siert.34 Hierbei sind die Sichtachsen von besonderer Bedeutung, denn nur im idealen Augpunkt, vom erhöhten und zentralen fürstlichen oder königlichen Sitz aus, bietet sich das Schriftbild der konfigurierten Körper mit dem geringsten Maß an perspektivischer Verzerrung dar. Alle anderen Personen im Publikum sehen nur ein Schriftbild von teils erheblich reduzierter Perspikuität, müssen die optischen Abweichungen ausgleichen und konstruieren so imaginär die Sicht auf das Bühnengeschehen, die sich vom zentralen Augpunkt aus ergibt. Oder aber – und diese Möglichkeit der Wahrnehmung entspräche zeitgenössischen kartographischen Verfahren – sie konstruieren aus den verzerrt wahrgenommenen Konfigurationen eine ideale Wahrnehmung, die von einer senkrecht über der Bühnenmitte gedachten Warte aus auf das Bühnengeschehen perspektiviert wird. Was aber sehen die Herrscher*innen von ihrem idealen Augpunkt aus, und wie bieten sich ihnen die Buchstaben ihres Namens und andere Zeichen dar? Zunächst einmal sind die Buchstabenkonfigurationen auf der Tanzbühne Teil eines Phänomens, das als »geometrical dance«35 bezeichnet werden kann und bei dem sich die Tänzer*innen auf der Bühne zu geometrischen Figuren anordnen, die jeweils in kurzen Momenten des Bewegungsinnehaltens als figura oder phantasmata erscheinen. In der Aufsicht auf die tieferliegende Bühne ergeben sich so aus der Überlappung mehrerer Körper Linien, die sich schneiden und Winkel bilden können. Aus diesen von Körpern gebildeten Linien, und damit in gewisser Parallele zur Idee der Kollektivfiguration der Seelenentitäten bei Dan 34 | Neben dem höfischen Bühnenkontext gibt es für das 17. Jahrhundert auch literarische Belege für Anweisungen von Buchstabentänzen im privaten Rahmen, u.a. in Georg Philipp Harsdörffers (1607–1658) Frauenzimmer Gesprechspiele, bei dem innerhalb des allegorischen Aufzugs Von der Welt Eitelkeit die Buchstaben des Wortes ›Eitelkeit‹ in einer nicht näher dargelegten Weise getanzt werden sollen. Bezeichnend ist hier wiederum die eigens hervorgehobene Verwechselbarkeit der getanzten Buchstaben durch »vier verschembärte Mumfantzen«, die »die dritte Schalthandlung/mit einem zierlichen Dantz/und durch allerhand artliche Verwechszlungen/diese Buchstaben machen sollen./E I T E L K E I T.« Der Anweisung folgen Noten für ein »Dantzspiel mit z. Geigen«, wobei die Buchstaben des Wortes ›Eitelkeit‹ jeweils Notenabschnitten in der ersten und zweiten Oberstimme zugeordnet sind, jedoch ohne nähere Anweisungen zur Buchstabenfiguration. Harsdörffer, Georg Philipp: Frauenzimmer Gesprechspiele III, hg. von Irmgard Böttcher, Nachdruck der Ausgabe 1643, Nürnberg: Wolfgang Endter, Deutsche Neudrucke Reihe Barock 15, Tübingen: Max Niemeyer, 1968, Original S. 214f., Neudruck S. 234f. (Orthographie wie im Original). Vgl. hierzu auch Liede, Alfred: Dichtung als Spiel. Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache II, Berlin: De Gruyter, 1963, S. 75. 35 | Franko (1993), S. 18.
D ie A nalogie von S chrift und T anz te, sind nun die Buchstaben zusammengesetzt. Sie werden nur dann sichtbar, wenn die Tänzer*innen arretieren, und werden, wiederum ähnlich zu Dante, aufgelöst, sobald die eingenommenen Posen verlassen und die Positionen im Raum über Schritte verändert werden. In Momenten der Arretierung aber und mit dem Tanzboden als Hintergrund können in den aus Körpern figurierten Schriftbildern Buchstaben gelesen werden. So sind geometrische Tänze überliefert, bei denen etwa Namen wie M A R I A oder M A D D A L E N A jeweils Buchstabe für Buchstabe über Konfigurationen von Körpern auf der Bühne zur Erscheinung gebracht werden.36 Bei einem der bekanntesten Beispiele, Le Ballet de Monseigneur le duc de Vandosme ou Ballet d’Alcine, uraufgeführt vor Henri IV in der Grande salle du Louvre vom 17. auf den 18. Januar 1610, wird auf diese Weise nicht nur der Name A L C I N E geschrieben. Im Grand ballet final, dem zehnten und letzten Auftritt, werden überdies zwölf Zeichen figuriert, die einem angeblichen druidischen Alphabet folgen, das, so die Behauptung des Stückes, in einem alten Dokument gefunden worden sein soll.37 Dem Publikum liegen diese Zeichen in gedruckter Form vor, einschließlich einer Legende, die die Codierung dieser Zeichen mit Ausdrücken wie peine agréable (erträglicher Schmerz), renom immortel (unsterblicher Ruhm) oder grandeur de courage (Großmut) wiedergibt. Mit diesem Supplement einer dem König und den übrigen Zuschauer*innen ausgehändigten Hilfe zur Decodierung wird es möglich, im wortwörtlichen Sinne Tanz als Schrift im Raum zu lesen (Abb. 6).38 Diese Tanzschrift basiert auf der konzeptionellen Annahme, dass die Tänzer*innen für kurze Zeit in ihren Bewegungen innehalten und ihre Körperfigurationen dann zu einem lesbaren Schriftbild einrasten. In solchen Arretierungen werden die wahrgenommenen Körper gleichsam in die Tanzfläche eingestaucht und bilden so die Konturen von Zeichen; erst im Auflösen der Haltung und im Übergang zur nächsten Position erscheinen sie wieder als vollräumliche und sich bewegende Körper. Der Blick auf die Bühne als Schriftbild kippt daher zwischen der Wahrnehmung einer Konfiguration in der Fläche und der Wahrnehmung einer sich bildenden und wieder auflösenden Konfiguration. Vor dem Hintergrund, dass solche Anordnungen in der Fläche auf einen sichtbaren Tanzboden angewiesen sind, ist es nicht verwunderlich, dass mit der Erhöhung der Tanzbühne ab 1640 dieser Einsatz geometrischer Konfigurationen wieder aus der Mode kommt.39 Denn das nun einsetzende Präferieren einer 36 | Siehe ebd. S. 200, Anm. 11. 37 | Siehe ebd., S. 18. 38 | Die graphische Zusammenstellung der einzelnen Zeichen und Decodierungen folgt ebd. 39 | Siehe McGowan, Margaret M.: L’Art du ballet de cour en France. 1581–1643, Paris: Centre National de la Recherche Scientifique, 1963, S. 37.
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Abb. 6: Zwölf Tanzfiguren und ihre Legende nach einem angeblichen druidischen Alphabet, Le Ballet de Monseigneur le duc de Vandosme ou Ballet d’Alcine, Paris, 1610.
D ie A nalogie von S chrift und T anz zentralperspektivischen frontalen Sicht auf das tableau der gesamten Bühne einschließlich ihrer rückwärtigen Begrenzung durch einen Bühnenprospekt nimmt dem Tanzboden seine ihm im geometrischen Tanz zukommende doppelte Funktion als Schreibfläche und Schriftgrund, als Fläche, auf der geschrieben wird und in der Schrift erscheint.40
2.1.5 Stéphane Mallarmé, Ballets Die historische Entwicklung der Analogie von Tanz und Schrift verläuft, adäquat zu ihren beiden Analogiebereichen, auf zwei Ebenen, einer literarischen und einer performativen. Beide sind ineinander verschränkt und beeinflussen sich gegenseitig, doch bei den einzelnen innovativen Stationen der Analogieentwicklung rückt jeweils eine der beiden Ebenen in den Vordergrund. Nach den performativen Experimenten eines buchstäblichen Schreibens im Barocktanz, die wiederum von codierenden Texten begleitet wurden, ist es nun umgekehrt ein literarischer Text, der auf performative Vollzüge Bezug nimmt und in dem mit Stéphane Mallarmés Term der écriture corporelle die entscheidende Formulierung getroffen wird, die beide Bereiche, Tanz und Schrift, korrelieren lässt. Hervorzuheben ist dabei, dass Stéphane Mallarmés Formulierung der écriture corporelle auch in einem kritischen Sinne verwendet wird und er sich mit der Idee einer körperlichen Schrift im Tanz dezidiert gegen den von ihm abgelehnten plakativen und illustrativen Gebrauch von Schrift als Element im Bühnendekor wendet.41 Diese Kritik ist insofern relevant, als sie einerseits einen mehrfach gebrochenen und womöglich erst aus der Retrospektive erkennbaren Bezug zur Himmelsschrift in Dantes Divina Commedia darstellt, wie sie auch 40 | Das Erscheinen von aus Körpern gebildeten Zeichenumrissen in einer Fläche entspricht an diesem Punkt Walter Benjamins fragmentarischen Notizen »Lesbar ist nur in der Fläche [E]rscheinendes. […] Fläche die Configuration ist – absoluter Zusammenhang.« Benjamin, Walter: »Über die Wahrnehmung in sich«, in: Ders.: Gesammelte Schriften VI, S. 32 (Orthographie und Zeichensetzung wie im Original.) Übertragen auf Tanz bedeutet dies jedoch nicht, dass Lesbarkeit nur bei flächigen Objekten möglich ist und Bewegung im Raum davon prinzipiell ausgeschlossen wäre. Gerade am Beispiel des geometrischen Tanzes wird deutlich, dass die Wahrnehmung hier eine virtuelle Flächigkeit nutzt, um über eine so entstehende Konturierung ein Schriftbild mit einer an Lesbarkeit grenzender perspicuitas zu ermöglichen. 41 | Vgl. zum Theaterkonzept Mallarmés Finter, Helga: Der subjektive Raum, Bd. 1. Die Theaterutopien Stéphane Mallarmés, Alfred Jarrys und Raymond Roussels. Sprachräume des Imaginären, Tübingen: Gunter Narr, 1990; Alcoloumbre, Thierry: Mallarmé. La Poétique du théâtre et l’écriture, La Thésothèque 30, Fleury-sur-Orne: Librairie Minard, 1995.
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S chrift im R aum gegen die Lesbarkeit von Namensfiguration im Barocktheater opponiert. Andererseits – und dies ist gerade für das Verhältnis von Schreiben und Schrift im Rahmen dieser Studie aussagekräftig – wird in der Absatzbewegung der écriture corporelle-Formulierung deutlich, dass der doppelte Sinn von écriture als Schreiben und als Schrift gerade bei Mallarmé nicht hinsichtlich einer Präferenz der reinen Schreibhandlung aufgelöst werden kann, denn die Kritik, die mit dieser Formulierung verbunden ist, richtet sich dezidiert gegen ein reales Schriftbild. Mallarmés Text Ballets (1886/91)42 mit der Emphase einer körperlichen Schrift bzw. eines körperlichen Schreibens beginnt mit der Kritik an der fünfaktigen Ballett-Féerie Viviane, uraufgeführt im Eden-Théâtre in Paris am 28. Oktober 1886.43 Mallarmé kritisiert, dass die Bühnengestaltung »dazu herablässt«, den Titel des Stückes und zugleich den Namen seiner Hauptfigur, das Wort V I V I A N E »[...] mit Sternennadeln auf eine Leinwand von blauem Grund zu sticken [...]«44 (»tracer le mot VIVIANE, enjôleurs nom de la fée et titre du poème, selon quelques coups d’épingle stellaires en une toile de fond bleue 42 | Mallarmé, Stéphane: Divagations, Paris: Bibliothèque-Charpentier/ Eugène Fasquelle, 1897, S. 171-178. Bei dem Text Ballets handelt es sich um den zweiten Teil der Notes sur le théâtre, die am 1. Dezember 1886 in der Revue Indépendante erschienen und in der Lütticher Revue La Wallonie im Juni/Juli 1890 wiederabgedruckt wurden. Nachdem der Text inkl. einiger Korrekturen erstmals 1891 unter dem Titel Ballets innerhalb der von Mallarmé herausgegebenen Textsammlung Pages erschien, wurde er schließlich kurz vor Mallarmés Tod in der Textsammlung Divagations unter der Rubrik Crayonné au théâtre zusammen mit weiteren Texten erneut herausgegeben. Zur Editionsgeschichte und zu den Stücken, auf die sich Mallarmé bezieht, siehe Steland, Dieter: Dialektische Gedanken in Stéphane Mallarmés ›Divagations‹, Freiburger Schriften zur Romanischen Philologie 7, München: Wilhelm Fink, 1965, S. 13; Brandstetter, Gabriele/Ochaim, Brygida Maria: Loïe Fuller. Tanz-Licht-Spiel-Art Nouveau, Freiburg i.Br.: Rombach, 1989, S. 202-213, insbes. Anm. 1; 4; 6. 43 | Der Text Ballets stellt überdies eine Kritik an dem Stück Les Deux Pigeons (1886) der häufig als pompös bezeichneten Mailänder Schule dar, die auf Carlos Blasis zurückgeht. Mitunter wird der Text in Ausblendung des schrifttheoretisch höchst aufschlussreichen Viviane-Bezugs auf die Kritik an Deux Pigeons reduziert. Vgl. Fischer, Miriam: Denken in Körpern. Grundlegung einer Philosophie des Tanzes, Alber-Reihe Thesen 39, Freiburg, i.Br./München: Alber, 2010, S. 288-291, hier S. 288. 44 | Die deutsche Übersetzung von Hans-Walter Schmidt findet sich in: Brandstetter/Ochaim (1989), S. 202. Vgl. auch Mallarmé, Stéphane: Kritische Schriften. Französisch und Deutsch, Werke II, aus dem Frz. übers. von Gerhard Goebel unter Mitarbeit von Christine Le Gal, hg. von Gerhard Goebel und Bettina Rommel, Gerlingen: Lambert Schneider, 1998, S. 168-179.
D ie A nalogie von S chrift und T anz [...]«45). Gegen diese von ihm als unpoetisch abgelehnte visuelle Verdoppelung eines literarischen Textes mit plakativ angewandten Mitteln von Schriftbildlichkeit stellt Mallarmé nur wenige Absätze später die von ihm bevorzugte Relation zwischen Tanz und Literatur entgegen, bei der Bewegung als écriture corporelle Poesie sui generis ist, ohne illustrativ zu einem bestehenden Text zu treten und ohne ihrerseits von sekundären literarischen Kommentaren ergänzt werden zu können: »Le jugement, ou l’axiome, à affirmer en fait de ballet! À savoir que la danseuse n’est pas une femme qui danse, pour ces motifs juxtaposés qu’elle n’est pas une femme, mais une métaphore résumant un des aspects élémentaires de notre forme, glaive, coupe, fleur, etc., et qu’elle ne danse pas, suggérant, par le prodige de raccourcis ou d’élans, avec une écriture corporelle ce qu’il faudrait des paragraphes en prose dialoguée autant que descriptive, pour exprimer, dans la rédaction: poème dégagé de tout appareil du scribe.«46
Wie ist nun diese écriture corporelle nach Mallarmé zu verstehen, insbesondere in ihrem Verhältnis von Schrift und Schreiben, Produkt und Produktion von écriture?47 Eine mögliche Antwort, die die Grundthese dieser Arbeit als einer weitgehenden Konvergenz beider modi stützt, findet sich in der bezeichnenden begrifflichen Paraphrasierung von Mallarmés Gedanken, mit der Jacques 45 | Mallarmé (1897), S. 172. 46 | Ebd., S. 173 (Kursivierung wie im Original). Deutsche Übersetzung: »Dies ist das Urteil – oder Axiom –, das in Sachen Ballett zu erhärten wäre! Daß nämlich die Tänzerin keine Frau ist, die tanzt, und zwar aus den gleichstellten Gründen, daß sie keine Frau ist, sondern eine Metapher, in der sich ein Grundaspekt unserer Formerfahrung verdichtet: als Schwert, Kelch, Blume usw., und daß sie nicht tanzt, sondern im Wunder von Raffungen und Schwüngen durch Körperschrift vermittelt, was, schriftlich niedergelegt, ganzer Absätze von Prosa, sei diese nun dialogisch oder deskriptiv, bedürfte, ein von jeglichem Zutun des Schreibers losgelöstes Gedicht.« Brandstetter/Ochaim (1989), S. 204 (Orthographie und Kursivierung wie im Original). 47 | Vgl. hierzu auch Massias, Sylvia: »Mallarmé et la Danse«, in: Peyré, Yves (Hg.): Mallarmé 1842–1898. Un destin d’écriture, Katalog Ausstellung Musée d’Orsay, Paris (29.09.1998–03.01.1999), Paris: Gallimard/Réunion des musées nationaux, 1998, S. 137-143; Townsend, Julie: »Synaesthetics. Symbolism, Dance, and the Failure of Metaphor«, in: The Yale Journal of Criticism 18:1 (2005), S. 126148; Jones, Susan: »›Une écriture corporelle‹. The Dancer in the Text of Mallarmé and Yeats«, in: Saunders/Maude/Macnaughton (2009), S. 237-253; Dies.: Literature, Modernism, and Dance, Oxford: Oxford University Press, 2013, S. 14-16.
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S chrift im R aum Rancière die Körperlichkeit in Bezug auf das Wort corporelle nicht nur auf die Bewegung einer Tänzerin oder eines Tänzers bezieht, wie es ja das primär verbale Verständnis im Sinne eines körperlichen Schreibens nahelegt. Vielmehr ergänzt Rancière diesen Körperaspekt um die beim Blick auf Tanz wahrgenommene Körperlichkeit von Formen und paraphrasiert écriture corporelle mit dem Begriff einer »écriture des formes«48, einer »Schrift der Formen«49 bzw. einer »Formenschrift«50. Körperlich ist daher nicht nur die Bewegung, die als ein Schreiben verstanden wird, körperlich sind vielmehr auch die Formen, die mit diesem Schreiben in den Raum gesetzt und als solche wahrgenommen werden.51 48 | Rancière, Jacques: Aisthesis. Scènes du régime esthétique de l’art, Paris: Galilée, 2011, S. 127; 130. Vgl. auch Ders.: Mallarmé. Politik der Sirene, aus dem Frz. übers. von Richard Steurer-Boulard, Zürich: diaphanes, 2012, S. 84-92. 49 | Rancière, Jacques: Aisthesis. Vierzehn Szenen, aus dem Frz. übers. von Richard Steurer-Boulard, Wien: Passagen, 2013, S. 137. 50 | Ebd., S. 140. 51 | Markiert sei an dieser Stelle die Divergenz unterschiedlicher Begriffe in Bezug auf das Äußere von Schriftzeichen und schriftartigen Markierungen, wobei neben dem Begriff der Figur häufig – leider durchaus synonym, mitunter aber auch mit ganz anderen Bewegungs- und Stasiskonzepten belegt – Begriffe wie Form, Gestalt oder engl. shape begegnen. Es scheint zu kurz gegriffen, alle diese Begriffe als ungeeignet für die Beschreibung von Bewegungsphänomenen zurückzuweisen, zumal gerade im Umfeld von William Forsythe Begriffe wie shape und form überaus häufig verwendet werden. Vielmehr wäre solchen Verschränkungen von Bewegungen und dem Äußeren von Markierungen und Zeichen über den Begriff der Figuration zu begegnen, der sowohl die Bewegung zu einer Figur bezeichnet und gleichzeitig als Defiguration ihre Umwandlung und Auflösung in den Blick nehmen kann, wie auch das imaginative Moment im Begriff des fingere als fingieren mitschwingen lässt. Wenn nötig, werden daher in dieser Studie scheinbar auf Stasis bezogene Begriffe wie Gestalt und Form mit besonderer Vorsicht und nur dann verwendet, wenn dieser Begriffsgebrauch sich auch bei den betreffenden Künstler*innen findet und er eigentlich Phänomene von Figuration zu bezeichnen scheint. Rein Stasis-bezogene Konzepte zum Äußeren von Markierungen sind davon zu unterscheiden. Vgl. zu diesem Problemkomplex die grundlegende Arbeit von Auerbach, Erich: »Figura«, in: Archivum Romanicum 22 (1938), S. 436-489. Wiederabdruck in: Balke, Friedrich/Engelmeier, Hanna (Hg.): Mimesis und Figura, mit einer Neuausgabe des ›Figura‹-Aufsatzes von Erich Auerbach, Medien und Mimesis 1, Paderborn: Wilhelm Fink, 2016, S. 121-188; sowie die Reflexionen von Gabriele Brandstetter, u.a. in: Brandstetter, Gabriele/Peters, Sybille: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): De figura. Rhetorik – Bewegung – Gestalt, München: Wilhelm Fink, 2002, S. 7-31; Dies.: »T®anz-Figurationen – zu einem Topos der
D ie A nalogie von S chrift und T anz Mallarmés Verständnis von Tanz wie von Poesie ist daher ein typographisches: So wie das Erscheinungsbild seiner gedruckten Texte in den visuellen Anordnungen mit Silhouetten und Formen spielt, die er als Schriftbildganzes, nicht nur in Bezug auf die einzelnen Lettern, als »des types«52 bezeichnet, favorisiert er auf der Ballettbühne anstelle psychologischer Figuren »des types graphiques«53, die Sichtbarmachung graphischer Formen über Bewegungen und die Evokation der Wahrnehmung dieser Bewegungen als graphische Formen. Daher ist Tanz für Mallarmé »comme une écriture de types, une écriture de gestes, plus essentielle que toute écriture trancée par une plume.«54 Im Begriff der écriture corporelle konvergiert beides: der Vorgang des Schreibens mit Gesten (»écriture de gestes«) und das Schreiben von Formen (»écriture de types« bzw. »écriture des formes«). Letztere werden im Blick der Selbst- und Fremdwahrnehmung hervorgebracht und unterliegen aufgrund von fortgesetzter Bewegung und beständigem Wandel der Wahrnehmung einer unaufhörlichen Metamorphose als formwandelndem Prozess.55
ästhetischen Moderne«, in: Suthor, Nicola/Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Verklärte Körper. Ästhetiken der Transfiguration, München: Wilhelm Fink, 2006, S. 145-162; Dies.: »SchnittFiguren. Intersektionen von Bild und Tanz«, in: Boehm, Gottfried/ Dies./Müller, Achatz von (Hg.): Figur und Figuration. Studien zu Wahrnehmung und Wissen, München: Wilhelm Fink, 2007, S. 13-32. 52 | Rancière, Jacques: »La Surface du design«, in: Ders.: Le Destin des images, Paris: La Fabrique, 2003, S. 103-122, hier S. 107. 53 | Ebd., S. 108. 54 | Ebd. 55 | Jacques Derrida hat diese Instabilität von écriture corporelle weitreichend ausgeführt in La Double Séance, seiner Mallarmé-Lektüre, die sich zunächst primär auf Mimique, einen anderen, zusammen mit Ballets in Divagations abgedruckten kurzen Text Mallarmés bezieht, aber auch Gedanken zu Ballets und insbesondere zum Gedanken körperlicher Schrift beinhaltet. Siehe im Rahmen dieser Studie 2.2.2. Vgl. Mallarmé (1897), S. 186f.; Derrida, Jacques: »Die zweifache Séance«, in: Ders. (1995), S. 193-322. Vgl. dazu vor allem Irwin, Jones: Derrida and the Writing of the Body, Burlington (VT): Ashgate, 2010, S. 71-96; sowie Franko (1995); Temple, Michael: »Mallarmé, par Jacques Derrida«, in: Wolfreys, Julian/Brannigan, John/ Robbins, Ruth (Hg.): The French Connections of Jacques Derrida, Albany (NY): State University of New York Press, 1999, S 1-21; Bennington, Geoffrey: »Derrida’s Mallarmé«, in: Ders.: Interrupting Derrida, London/New York (NY): Routledge, 2000, S. 47-58; Pross, Caroline/Wildgruber, Gerald: »Mimik im Spiegel der Sprache (Mallarmé, Artaud, Derrida)«, in: Fischer-Lichte, Erika/Horn, Christian/Warstat, Matthias (Hg.): Verkörperung, Theatralität 2, Tübingen: Francke, 2001, S. 53-73.
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2.1.6 Tanzmoderne Stéphane Mallarmés symbolistische Denkfigur der écriture corporelle kann auch als ein künstlerischer und ambivalenter Kommentar zur Industrialisierung verstanden werden: Mit dem Modell der Schrift begrüßt die Denkfigur einerseits Prinzipien von Depersonalisierung und Arbitrarität sowie das Fehlen von Ausdruck und Narration und spiegelt damit in gewisser Weise wirtschaftlichsoziale Tendenzen der Industrialisierung wider. Andererseits wird der écriture corporelle mit dem gesetzten Faszinosum für den Chiffrecharakter körperlicher Schrift eine kritische Funktion zugewiesen, die sie abgrenzt von Prinzipien der Zweckdienlichkeit und Kommensurabilität. Und schließlich erfährt die Beziehung von Schriftzeichen und Körperbewegung, gerade als nostalgisches Konstrukt einer angeblich früher existenten und nun vermeintlich bruchlos wiederholbaren Mimesis des Körpers an das Zeichen, eine quasi-soteriologische Aufladung. Diese Ambivalenz gilt auch für die europäische Tanzavantgarde, wenn mit der Abkehr von der Bewegungstaxonomie des klassischen Balletts Zeichenordnungen im Verhältnis von Bewegung und Schrift aufgehoben und destruiert werden.56 Daneben lässt sich aber auch das ausdrückliche Errichten neuer Zeichensysteme konstatieren; und selbst der rückwärtsgewandte Bezug auf Konstrukte vormaliger Verschränkungen von Bewegung und Schrift ist in der Tanzmoderne wirksam: als Ausdruck jener Ambiguität der Moderne, die, auf das Heute und Morgen zielend, sich zwar vom Gestrigen abwendet, aber aus einem ersonnenen Vorgestern ihre Inspiration bezieht. Dieser Rekurs auf eine konstruierte Vergangenheit, die in den Diskurs der Moderne Aspekte des Anti-Modernen einträgt, zeigt sich z.B. in den von Isadora Duncan und Ted Shawn beeinflussten Arbeiten Eva Palmer-Sikelianos’, die 1927 und 1930 mit den von ihr und ihrem Mann Angelos initiierten Delphic Festivals an die Idee der Pythischen Spiele anknüpft. Das Plakat für das Delphic Festival 1927 zeigt eine Tänzerin in griechischem Gewand, die ihre beiden Hände zu den Schläfen führt und so eine Pose einnimmt, die die Gestalt der griechischen Majuskel Δ wiederholt, während ihr nach rechts blickendes Gesicht an die Minuskel ε erinnert. Körperlich geschrieben werden so die ersten beiden ’ Buchstaben der Wörter Δελφικές ἐορτές (delphikés eortés, Delphische Festspiele), die zusammen mit einem aus eben diesen Buchstaben gebildeten Logo neben die Figur der Tänzerin gesetzt ist.57 56 | Vgl. hierzu und im Folgenden Brandstetter (2013), insbes. S. 481f. 57 | Siehe Albright, Daniel: »Knowing the Dancer, Knowing the Dance. The Dancer as Decor«, in: Macintosh, Fiona (Hg.): The Ancient Dancer in the Modern World. Responses to Greek and Roman Dance, Oxford/New York (NY): Oxford University Press, 2010, S. 297-312, hier S. 310. Zu Eva Palmer-Sikelianos vgl. die neueren Arbeiten von Prins, Yopie: Ladies’ Greek. Victorian Translations of Tragedy,
D ie A nalogie von S chrift und T anz Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Eurythmie: In Auseinandersetzung mit der Tanzmoderne entstanden, greift sie weniger deren Avantgarde-Strömungen als vielmehr die anti-modernen Tendenzen innerhalb des modernen Tanzes auf und verbirgt die Arbitrarität ihrer Analogisierungen hinter der Behauptung primordialer Grundharmonien von Körper und Sprache. Benannt nach den griechischen Begriffen εὖ (eu, gut) und ῥυθμὀς (rythmós, Rhythmus, hier jedoch in der eigentümlichen Schreibweise Rythmus) wurde dieses Konzept von Marie von Sievers, die neben und zeitlich vor Rudolf Steiner maßgeblich an der Entwicklung der Eurythmie beteiligt war.58 Nicht die Korrelation von Schrift und Bewegung steht dabei im Vordergrund, sondern die Verbindung von Klängen zu Bewegungen. Ähnlich wie bei der von Laban behaupteten uranfänglichen Einheit von Bewegung und Buchstaben59 wird hier mit der Annahme operiert, dass Klängen und Tönen bestimmte, genau festlegbare Körperbewegungen und Gebärden entsprächen (Abb. 7).60 Diese werden von Eurythmist*innen im Sinne einer ganzheitlichen Aufführung von Musik Princeton (NJ)/Oxford: Princeton University Press, 2017; Leontis, Artemis: Eva Palmer Sikelianos. A Life in Ruins, Princeton (NJ)/Oxford: Princeton University Press, 2019; sowie Dorf, Samuel N.: Performing Antiquity. Ancient Greek Music and Dance From Paris to Delphi, 1890–1930, New York (NY): Oxford University Press, 2019, S. 107-138. 58 | Vgl. hierzu in wissenschaftlicher Distanz vor allem Zander, Helmut: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884–1945, Bd. 2, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007, S. 1181-1235. Als Texte aus dem Umfeld der Eurythmie selbst seien genannt: Steiner, Rudolf: »Erster Kurs – Das dionysische Element, Bottmingen 16.–24. September 1912, wiedergegeben von Lory Maier-Smits«, in: Ders.: Die Entstehung und Entwicklung der Eurythmie, Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Vorträge über Kunst und Veröffentlichungen aus dem Nachlass, hg. von Edwin und Eva Froböse, Dornach: Rudolf Steiner Verlag, 31998, S. 19-44; Sam, Martina Maria: Eurythmie. Entstehungsgeschichte und Portraits ihrer Pioniere, Dornach: Verlag am Goetheanum, 2014. Zum Verhältnis von Eurythmie und Tanzmoderne vgl. auch Fors, Hans: Geschichte der Eurythmie im tanzhistorischen Kontext 1912–1930, aus dem Schwed. übers. von Antonius Zeiher, Wien: Edition des Centrums für Dramaturgische Studien, 2015; Amrine, Frederick: »Introduction. Eurythmy and the ›New Dance‹«, in: Steiner, Rudolf: The Early History of Eurythmy. Notebook Entries, Addresses, Rehearsals, Programs, Introductions to Performances, and a Chronology 1913–1924, aus dem Dt. übers. und hg. von Frederick Amrine, Collected Works of Rudolf Steiner 227c, Great Barrington (MA): SteinerBooks, 2015, S. XV-XLIII. 59 | Siehe Laban, Rudolf von: Die Welt des Tänzers. Fünf Gedankenreigen, Stuttgart: Walter Seifert, 1920, S. 73. 60 | Sam (2014), S. 193.
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Abb. 7: Erika Schilbach in den Lauten H, A und in der Seelengeste ›Ernst‹, St. Gallen, um 1923, Photo: Otto Rietmann.
D ie A nalogie von S chrift und T anz und literarischen Texten visualisiert, wobei das Präskriptive dieser Zuordnung durch das Phantasma von Natürlichkeit und Selbstevidenz kaschiert wird. Die Destruktion von Zeichenordnungen geschieht hingegen, wenn im Umfeld konstruktivistischer Kunst und Gestaltung Formen von Buchstaben auftauchen, etwa als Teil der Kostüm- und Bühnengestaltung der belgischen Tänzerin, Choreographin und bildenden Künstlerin Akarova (Marguerite Acarin, 1904–1999). In ihrem Stück Lettres dansantes (1923), werden Buchstaben als gestalterisches Element des Kostüms in ihrer Fragmentierung gezeigt und qua Tanzbewegung partiell animiert, ohne dass dabei die Visualisierung eines lesbaren Textes intendiert wäre.61 Und ebenfalls im Gegensatz zur Nostalgie im Sinne von Eva Palmer-Sikelianos ist die Affirmation moderner Technik und urbaner Lebensform zu sehen, die sich in der literarischen Referenz auf das Tanzen von Buchstaben wiederspiegelt, etwa wenn in Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen (1932) die Figur der Hanne emphatisch bekennt, dass sie »so gern einmal das große gebogene blauerleuchtete U der Untergrundbahnstationen getanzt hätte«.62 Prominent zu erinnern ist auch an die mit mehreren Medienwechseln verbundene Verkörperung von Buchstaben in der Abeceda-Choreographie der Laban-Schülerin Milča Mayerová: Zusammen mit Vítězslav Nezval entwickelt sie eine Choreographie zu dessen Gedicht Abeceda (geschrieben 1922, publiziert 1926), das sich mit seinen 24 Quartetten an der Abfolge des lateinischen Alphabets orientiert.63 Unter der Regie von Jiří Frejka und mit der Gedicht-Rezitation 61 | Siehe Van de Kerckhove, Fabrice: »›Lettres Dansantes‹. Akarova and the Belgian Theatrical Avant-Garde«, in: Van Loo, Anne (Hg): Akarova, spectacle et avant-gardes, 1920–1950/Akarova, Entertainment and the Avant-Garde, 1920-1950, Brüssel: Archives d’architecture moderne, 1988, S. 333-367; Andrew, Nell: »Living Art. Akarova and the Belgian Avant-Garde«, in: Art Journal 68:2 (2009), S. 26-49; Burt, Ramsay: »Breaking Into the Male Modernist World. Akarova and Margaret Morris«, in: Ders./Huxley, Michael (Hg.): Dance, Modernism, and Modernity, London/New York (NY): Routledge, 2020, S. 94-120, hier S. 115. 62 | Keun, Irmgard: »Das kunstseidene Mädchen«, in: Dies.: Das Werk I, Texte aus der Weimarer Republik 1931–1933, hg. von Heinrich Detering und Beate Kennedy, Göttingen: Wallstein, 22018, S. 232-387, hier S. 365. Vgl. hierzu auch Keck, Annette: Buchstäbliche Anatomien. Vom Lesen und Schreiben des Menschen. Literaturgeschichten der Moderne, Studien zur Kulturpoetik 5, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007, S. 226-232. 63 | Siehe hierzu vor allem Witkovsky, Matthew S.: »Staging Language. Milča Mayerová and the Czech Book ›Alphabet‹«, in: The Art Bulletin 86:1 (2004), S. 114135; sowie Sternstein, Malynne M.: »Sensuous Iconicity. The Manifestoes and Tactics of Czech Poetism«, in: Mosaic 31:2 (1998), S. 77-100; Levinger, Esther: »Czech
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S chrift im R aum von Jarmila Horáková findet die Premiere der Choreographie am 17.04.1926 auf einer Avantgarde-Soiree im Befreiten Theater (Osvobozené divadlo) in Prag statt. Parallel beauftragt Mayerová den Photographen Karel Paspa, sie zu jeder Strophe des Gedichts in Posen festzuhalten, mit denen sie, ganz in der langen Tradition der Menschenalphabete, häufig die Form des Buchstabens verkörpert, dem das jeweilige Gedichtquartett zugeordnet ist. Manche Posen sind jedoch frei von einer direkten Schriftzeichenimitation und nehmen nur einzelne Formelemente lateinischer Kapitallettern auf, spiegeln Buchstabenbalken oder variieren Rundungen und Bögen. Diese bereits sehr enge Kooperation aus Literatur, Choreographie und Photographie wird zwei Jahre später noch um die Dimension der Typographie erweitert, wenn Karel Teige Abeceda 1926 als Kunstbuch64 publiziert, bei dem den Quartetten aus dem Gedichttext Nezvals jeweils Photocollagen gegenüberstellt sind, in denen sich Paspas Dokumentationen von Mayerovás Posen mit der typographischen Gestaltung dieser Buchstaben verbindet. Bezeichnenderweise wird durch dieses Collagieren noch die Tendenz der Posen verstärkt, gerade durch ein nur partielles Verkörpern von Buchstabenteilen zur Entsemantisierung des Körpers beizutragen. Bis auf wenige Ausnahmen, etwa das notorische Spreizen der Beine zur Visualisierung des Buchstabens V, sind Körperstellungen erst zusammen mit der Typographie als Buchstabenteile zu entziffern. Wie der tanzende Körper bei Akarova, so ist auch der in Photographie und Typographie stillgestellte Körper Mayerovás als Schrift unlesbar (Abb. 8).65 Solcher avantgardistischen Tendenz zur Entsemantisierung von Schrift mit Mitteln von Tanz und Bewegung steht Rudolf von Labans Konstruktion verschiedener Bewegungsschriften gegenüber, die nicht nur versprechen, jede Bewegung aufschreiben zu können – d.h. neben Tanz- auch Sport- und Arbeitsbewegungen –, sondern die es auch ermöglichen, mit Schrift Bewegung zu komponieren und vorzuschreiben oder in einem tayloristisch-fordistischen Sinne zur Effektivitätssteigerung von Arbeitsabläufen zu verwenden.66 Dieses komplexe Feld des Avant-Garde Art. Poetry for the Five Senses«, in: The Art Bulletin 81:3 (1999), S. 513-532. 64 | Siehe Nezval, Vítězslav/Mayerová, Milča/Teige, Karel: Abeceda, Prag: Otto, 1926. 65 | Ebd. S. 38f. Engl. Übersetzung: »The drummers cast off their hats/Over seven bridges they march and rivers nine/Vrroom–Devětsil acrobats/set up their stand where the Nile flows divine.« Witkovsky (2004), S. 118. 66 | Siehe hierzu primär: Deutsche Gesellschaft für Schrifttanz (Hg.): Schrifttanz 1-4, Wien: Universaledition, 1928–1931. Nachdruck: Schrifttanz. Eine Vierteljahresschrift, mit einem Nachwort zum Neudruck von Gunhild OberzaucherSchüller, Hildesheim/Zürich/New York (NY): Georg Olms, 1991. Hieraus pars pro
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Abb. 8: Milča Mayerová in Abeceda, Prag, 1926, Text: Vítězslav Nezval, Photographie: Karel Paspa, Typographie: Karel Teige.
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S chrift im R aum Schrifttanzes ist von der Idee der funktionalen Verschriftlichung von Bewegung geprägt und arbeitet, anders als die Suspendierungen und Destruktionen von Taxonomien in der Tanzavantgarde, gerade an der Etablierung neuer Zeichenordnungen. Daneben finden sich bei Laban aber auch Versuche, Tanzen und Schreiben in metaphorisch offener Weise zu verschränken, insbesondere in Bezug auf die Wahrnehmung beider Bewegungsvorgänge. Stéphane Mallarmés Ideen der écriture corporelle vereinfachend aufgreifend formuliert er etwa 1919 anlässlich eines Auftritts Mary Wigmans: »Das Auge folgte den drängenden und besänftigenden Wogen der Bewegungsgebilde, die von der Tänzerin gleichsam in den Raum geschrieben wurden.«67 Beides, die Idee einer normierend-systematisierenden Notierbarkeit aller Bewegungen wie auch die metaphorische Deutung von Tanzen als Schreiben, basiert auf Labans holistischem Schriftverständnis.68 Laban glaubt, für den Anfang der Schriftgenese eine Einheit von Körperspannung und Schrift ausmachen zu können und nimmt an, dass »die Buchstabenformen aller Alphabete [...] der Bewegung entlehnt«69 seien und in ihrer visuellen Gestaltung zudem angeblich die Stellung der Sprechorgane bei der Bildung dieser Laute visuell widerspiegeln. Während jüdische und christliche Kabbalisten einen solchen Bezug nur zum hebräischen Alphabet als angeblicher Ursprache ausmachen,70 weitet Laban die Behauptung einer Parallelisierung von Körperlichkeit der Sprechorgane und Schriftgestalt der Zeichen so aus, dass er als deren Folge kultur- und schriftsystemübergreifende Übereinstimmungen in der Gestalt dieser
toto: Laban, Rudolf von: »Die Entwicklung der Bewegungsschrift Laban«, in: Schrifttanz 1 (1928), S. 27-30. Zum tayloristisch-fordistischen Kontext Labans vgl. Herrmann, Hans-Christian von: »Bewegungsschriften. Zum wissenschafts- und medienhistorischen Kontext der Kinetographie Rudolf von Labans um 1930«, in: Dinkla, Söke/Leeker, Martina (Hg.): Tanz und Technologie/Dance and Technology. Auf dem Weg zu medialen Inszenierungen/Moving Towards Media Productions, Berlin: Alexander-Verlag, 2002, S. 134-161. 67 | Laban, Rudolf von: »Der Tanz Mary Wigmans«, in: Mitteilungen des Zürcher Stadttheaters 4 (1919) 215, 19.05.1919, S. 1-3, hier S. 3. 68 | Vgl. hierzu auch die Deutung von Inge Baxmann, die bei Laban Taylorisierung und das Ideal synästhetischer Wahrnehmung zusammendenkt: Baxmann, Inge: »Zwischen Taylorismus und Esoterik. Inszenierungen des bewegten Körpers im frühen 20. Jahrhundert«, in: Fischer-Lichte, Erika (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation. DFG-Symposion 1999, Germanistische-SymposienBerichtsbände 22, Stuttgart/Weimar: Metzler, 2001, S. 550-573, hier S. 562f. 69 | Laban (1920), S. 73. 70 | Vgl. Schmidt-Biggemann (2013), S. 19-30.
D ie A nalogie von S chrift und T anz Zeichen konstruiert.71 Hinzukommen ebenfalls vorgeblich universale Entsprechungen grundlegender Körperhaltungen und -bewegungen mit den Formen einzelner Buchstaben, vorzugsweise solcher Zeichen, die akrophonisch am Beginn prägnanter Körperbegriffe stehen. Ideologisch breit entfaltet werden solche holistischen Analogien von Mikro- und Makrophänomenen in Die Welt des Tänzers (1920), Labans theoretischem Hauptwerk des Ausdruckstanzes. Mit Bezug zu den Buchstaben T und F heißt es hier: »Die meisten Schriftzeichen der verschiedenen Sprachen können als Abbildungen der Sprechorganstellungen gedeutet werden. Fast durch alle Schriftsysteme geht z.B. die Darstellung des ›T‹, als senkrechte Aufeinanderstellung der Zunge und des Gaumens. Der Lippenlaut ›f‹ wird fast überall als Abbild der vorne hochgebogenen Oberlippe, durch eine hochstrebende Schlinge oder Gerade dargestellt. [...] Die ›T‹-Spannung stellt den aufrecht stehenden Körper mit ausgebreiteten Armen dar. Es ist hier die Gottheit im chinesischen ›Tsi‹ (Kaiser), im ägyptischen ›Thaud‹ oder ›ToT‹-, dessen Symbol das bekannte Lebenskreuz war, des altmexikanischen ›Theotl‹-, dessen Zeichen auch das Kreuz ist, der lateinischen Anrede ›Tu‹- und vielleicht auch des alten ›Teutsch‹ dargestellt. Der fliehende, flehende, fliegende Mensch ist dargestellt in der Rune ᚠ, ›fe‹ oder ›fi‹ im griechischen ›φ‹ in unserem heutigen ›f‹«.72
Mit der Propagierung einer ursprünglichen Parallele von Schriftzeichen und Körperhaltung, insbesondere in Bezug zu germanischen Runen, greift Laban auf ältere Arbeiten zur Geschichte der Runen zurück. Indem er offenbar auch eine zeitliche Abfolge von Runen, griechischem Alphabet und lateinischen Buchstaben annimmt, scheint er die historisch falsche Auffassung zu teilen, dass die Entwicklung der Runenschrift besonders früh anzusetzen und die Genese des griechischen Alphabetes von den Runen abzuleiten sei. Deutlich formuliert wird eine solche Position im Umfeld der völkischen Runenforschung, die unter der Parole ex septentrione lux (aus dem Norden [kommt] das Licht, im Gegensatz zum üblichen ex oriente lux, aus dem Osten [kommt] das Licht)73
71 | Siehe Schwan, Alexander H.: »Runentanz als Skandalon der écriture corporelle«, in: Birringer, Johannes/Fenger, Josephine (Hg.): Tanz der Dinge/Things That Dance, Jahrbuch TanzForschung 29, Bielefeld: transcript, 2019a, S. 129-138. Die folgenden Ausführungen einschließlich von 2.1.7 greifen in Revision auf diesen Text zurück. 72 | Laban (1920), S. 29f. 73 | Siehe Wiwjorra, Ingo: »›Ex oriente lux‹ – ›Ex septentrione lux‹. Über den Widerstreit zweier Identitätsmythen«, in: Leube, Achim/Hegewisch, Morton (Hg.): Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und
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S chrift im R aum eine Ursprünglichkeit der germanischen Runenschrift behauptet und meint, alle indogermanischen Schriftsysteme von den Runen ableiten zu können.74 Laban überhöht diese Annahmen der völkischen Runenforschung über die vermeintliche Ursprünglichkeit und behauptete Höherwertigkeit der Runen, konzipiert einen essentialistischen Begriff der »Schriftrune«75 und weist dieser eigene Handlungsmacht zu. Auf erschreckende Weise wird dabei auch die Analogie von Tanz und Schrift in einen explizit rassistischen Kontext gestellt und mit antimodernen und völkischen Erlösungsphantasien verbunden. So publiziert Laban 1923, drei Jahre nach der Veröffentlichung von Die Welt des Tänzers, seine wohl deutlichsten und gleichzeitig problematischsten Interpretationen der »Tanzrune«76 als einer metaphysischen Entität von heilsbringender Wirksamkeit: »Es ist anzunehmen, dass bei allem Verfall und gärenden Chaos, das uns umgibt, irgendwelche positiven Ströme durch unsere Rassewelt fluten und daß diese, die einst die Schriftrune formten, heute die Rune in dem lebendigen Leib entstehen lassen, um uns die Möglichkeit zu geben, das ewige Gesetz zu verdichten und zu verkünden. Die Rune kehrt wieder. Nicht nur heute! In allen Zeiten prägnanter Formgebung, in der Massigkeit Ägyptens, in der Grazie der Hellenen, in der verflüchtigenden Strebung der Gotik, in der Volute des Barock und heute wieder in einem Suchen, für das uns noch Wort und Überblick fehlen. Die Rune kehrt wieder! Und diesmal den bewegten Menschenleib durchströmend. Denn was ist ein Tanz anderes, als eine ungeheuer verschlungene Rune, von einem, mehreren oder vielen Tänzern nachgeschwungen? Wenn wir den Tanz verstehen wollen, so müssen wir das Gesetz der Rune verstehen lernen.«77
Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945, Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2, Heidelberg: Synchron, 2002, S. 73-106. 74 | Zum Phänomen und zur Problematik okkulter Runen-Religiosität siehe Schnurbein, Stefanie von: Religion als Kulturkritik. Neugermanisches Heidentum im 20. Jahrhundert, Heidelberg: Winter, 1992, S. 106f.; Bäumer, Michael: »Zur völkischen Religiosität von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung der Runen-Okkultisten«, Diss. Freie Universität Berlin, 1997; Puschner, Uwe: »Die Germanenideologie im Kontext der völkischen Weltanschauung«, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 4 (2001), S. 85-97. 75 | Laban, Rudolf von: »Über Choreographie und Tanztheater«, in: Cunz, Rolf (Hg.): Deutsches Musikjahrbuch 1, Essen: Schlingloff, 1923, S. 238f., hier S. 238. 76 | Ebd. 77 | Ebd. (Orthographie wie im Original).
D ie A nalogie von S chrift und T anz In demselben, mit modernitätskritischen und kulturrassistischen Positionen angereicherten Text vergleicht Laban die »Tanzrune« mit »der kosmischen Schrift, [...] die die Gestirne in die Unendlichkeit zeichnen«.78 Damit formuliert er, wie zehn Jahre später Walter Benjamin im Text »Über das mimetische Vermögen«, die Idee, dass die Konstellationen der Sterne als Schriftzeichen gelesen werden können und verbindet dies, ebenso wie Benjamin, mit der Rezeption von Tanz als Schrift.79 Interessanterweise wertet Laben dabei herkömmliche Schrift wegen ihrer reduzierten Räumlichkeit ab und charakterisiert die »Tanzrune« aufgrund ihrer Plastizität als »viel bedeutsamer«80, ohne diese schriftkritische Verbindung von Räumlichkeit und Bedeutung näher auszuführen. Stattdessen geht der Text direkt zur Frage der Tanznotation über, die als Transformation ursprünglicher Tanzrunenschriftlichkeit in eine zweite raumreduzierte Schriftlichkeit verstanden wird: »Der Drang, die Tanzrunen des bewegten Körpers in Zeichen festzuhalten, aufzubewahren, reproduktiv wiederzubeleben, ist so alt wie die kulturbildende Menschheit. Es ward ja nicht immer verstanden, was die Tanzrune bedeutet, aber die Erlösung durch ihr Gewaltenspiel veranlaßte Begeisterte immer wieder, auch dieses Geistige – ja vielleicht Geistigste – zur Dauer zu bannen, der Vergleichung, der liebevoll versenkten Einsicht, dem Suchen nach Vorbildlichkeit zu bewahren. – Erst heute sind die Elemente zu einer natürlichen Tanzschrift gegeben, in der sich unsere Zeit, allem Pessimismus zum Trotz, ein neues Denkmal menschlicher Geistbeherrschung setzen will.«81
Bezeichnend ist hierbei, dass Laban im Konstrukt der metaphysischen Entität der Tanzrune und ihrer Transformation in Tanznotation offenbar einen Ausweg
78 | Ebd. 79 | Auffallend ist hierbei, dass auch Benjamin in seiner Formulierung »später kamen Vermittlungsglieder eines neuen Lesens, Runen und Hieroglyphen in Gebrauch«, Benjamin, Gesammelte Schriften I/1, S. 213, die »Runen« den »Hieroglyphen« vorordnet und damit der alphabetischen wie insbesondere auch der historisch korrekten Reihenfolge entgegentritt. Offen bleibt, ob daraus auch gefolgert werden muss, dass Benjamin wie Laban und andere Runentheoretiker die Annahme einer Runenursprünglichkeit vertreten habe. 80 | »[Die Rune] ist nicht mehr nur in die Fläche des Stabes geritzt, sie liegt plastisch und daher viel bedeutsamer im Raum, der kosmischen Schrift ähnlich, die die Gestirne in die Unendlichkeit zeichnen.« Laban (1923), S. 238. 81 | Ebd. (Orthographie wie im Original).
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S chrift im R aum aus der von ihm als Verfallserscheinung verstandenen Moderne sieht.82 Die Verschriftlichung von Bewegung ist dabei nicht an sich heilsbringend, sondern gewinnt ihre soteriologische Dimension aus der Bezogenheit auf die übergeordnete Tanzrune. Labans Modernitätskritik und seine Idee einer Erlösung durch die Tanzrune gehen so weit über eine Propagierung von Bewegungsverschriftlichung hinaus und lassen sich auch nicht mehr nur als eine besonders emphatische Analogiesetzung von Tanzen und Schreiben verstehen. Zu kontextualisieren und zu problematisieren sind Labans Versatzstücke einer Runenphilosophie vielmehr im Zusammenhang der völkischen Runenforschung und ihrer Umsetzung in Runengymnastik und Runentanz.
2.1.7 Runengymnastik Innerhalb des weiten Beziehungsfeldes von Tanz und Schrift lauert ein dunkles historisches Phänomen, das bis heute keine tanzwissenschaftliche Kritik erfahren hat, für die Ideengeschichte von Tanz als écriture corporelle aber entscheidend ist, werden doch hier mögliche Aporien in der Analogisierung von Tanzen und Schreiben deutlich.83 Vor allem die vorschnelle und unreflektierte Ritualisierung von Tanz als Schrift und die damit verbundene quasi-religiöse Aufladung der écriture corporelle zeigen sich hier in ihrer komplexen Problematik. Das Phänomen, zu dem im Folgenden erstmalig ein tanzwissenschaftlicher Zugang gesucht wird, ist das der Runengymnastik, die Idee und Praxis, germanische Runen körperlich nachzustellen oder sie im Runentanz mit Körperbewegung in den Raum zu schreiben.84 82 | Zur weltanschaulichen Positionierung Labans vgl. jüngst die kritische Darstellung in: Keilson, Ana Isabel: »The Embodied Conservatism of Rudolf Laban, 1919–1926«, in: Dance Research Journal 51:2 (2019), S. 18-34. 83 | Siehe hierzu und im Folgenden Schwan (2019b). 84 | Zur bisherigen, primär sport- und volkskundlichen Forschung vgl. die spezifischen Arbeiten von Wedemeyer-Kolwe, Bernd: »Runengymnastik. Zur Religiosität völkischer Körperkultur«, in: Schnurbein, Stefanie von/Ulbricht, Justus H. (Hg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe ›arteigener‹ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2001, S. 367-385; Ders.: »Runengymnastik. Von völkischer Körperkultur zu alternativen Selbsterfahrungspraktik«, in: Puschner, Uwe/Großmann, G. Ulrich (Hg.): Völkisch und national. Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert, Wissenschaftliche Beibände zum Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 29, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2009, S. 329-340; Ders.:»Völkisch-religiöse Runengymnastiker im Nationalsozialismus«, in: Puschner, Uwe/Vollnhals, Clemens (Hg.): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, Göttingen u.a.: Vandenhoeck &
D ie A nalogie von S chrift und T anz Mit dem Ziel, über die Einnahme runenartiger Posen eine in veritabler Weise lesbare écriture corporelle zu produzieren, wird die Idee der Runengymnastik, der Runenexerzitien bzw. des Runen-Yoga von völkischen Autoren der 1930erJahre entwickelt, namentlich von Friedrich Bernhard Marby (1882–1966)85 und Siegfried Adolf Kummer, eigentlich Adolf Marx Karl Kummer (1899–1977).86 Eine Dependenz von Rudolf von Labans bereits in den 1920er-Jahren publizierten Schrifttanz-Ideen lässt sich nicht nachweisen; beide, Laban wie die Runengymnastik, teilen aber fast zeitgleich zueinander die Vorstellung einer ursprünglichen Schriftgenese aus Körperhaltung und -bewegung und nutzen diese These für die Entwicklung körperkultureller Praktiken.87 Ideologisch eingebettet ist die Runengymnastik in die sogenannte Ariosophie, die Spekulationen über eine angebliche arische Menschenrasse mit okkulten Weisheitslehren
Ruprecht, 2012, S. 468-471; sowie in breiterer kulturgeschichtlicher Deutung: Ders.: ›Der neue Mensch‹. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, hier S. 174-188. Siehe ebenso: Gründer, René: »Runengeheimnisse. Zur Rezeption esoterischen Runen-Wissens im germanischen Neuheidentum Deutschlands«, in: Aries. Journal for the Study of Western Esotericism 9:2 (2009), S. 137-174; Ders.: »Runengymnastik. Die soziale Konstruktion eines esoterischen Körper-Kultes«, in: Gugutzer, Robert/Böttcher, Moritz (Hg.): Körper, Sport und Religion. Zur Soziologie religiöser Verkörperungen, Wiesbaden: Springer VS, 2012, S. 341-356. 85 | Marby, Friedrich Bernhard: Runenschrift, Runenwort, Runengymnastik. Einführung, Überblick und die ersten Runenübungen, Marby-Runen-Bücherei 1/2, 2. verb. und erw. Aufl., Stuttgart: Marby-Verlag, 1932 [unveränd. Nachdruck, Stuttgart: Spieth, 1987]; Marby, Friedrich Bernhard: Rassische Gymnastik als Aufrassungsweg, Buch 1: Weltanschaulich-religiöse Grundlagen, Marby-Runen-Bücherei 5/5, 2. verb. und erw. Aufl., Stuttgart: Marby-Verlag, 1935a [unveränd. Nachdruck, Stuttgart: Spieth, 1997]; Ders.: Rassische Gymnastik als Aufrassungsweg, Buch 2: Die Rosengärten und das ewige Land der Rasse, Marby-Runen-Bücherei 7/8, 2. verb. und erw. Aufl., Stuttgart: Marby-Verlag, 1935b [unveränd. Nachdruck, Stuttgart: Spieth, 1997]. 86 | Kummer, Siegfried Adolf: Heilige Runenmacht. Wiedergeburt des Armanentums durch Runenübungen und Tänze, Hamburg: Uranus-Verlag Max Duphorn, 1932. 87 | Im Fall von Marby sind darüber hinaus bereits für den Beginn der 1920er-Jahre Ideen nachweisbar, Runenideologie performativ umzusetzen, wenn er etwa ein »arisch-christliches Bühnenspiel« konzipiert, das jeden Bezug zum Judentum vermeidet und in einem gemeinsamen Praktizieren von Runenübungen kulminiert. Marby, Friedrich Bernhard: ›Die Kreuzesform in Fleisch und Blut‹. Arisch-christliches Bühnenspiel, Stuttgart: Selbstverlag, 1924, S. 15.
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S chrift im R aum verbindet und so Labans Versatzstücke kulturrassistischer Runenideologie zur explizit völkischen Runenmagie steigert.88 Das körperliche Nachstellen von Runen soll dabei die These beglaubigen, dass am Anfang der Runenentwicklung Bewegungen und Haltungen des Körpers gestanden hätten. Durch gymnastische und tänzerische Praxis könne, so die Annahme, diese gesetzte frühere Einheit von Körper und Schrift zurückgebracht und das angebliche Heil- und Heilungspotential der Runen genutzt werden. Theoretischer Bezugspunkt ist u.a. die frühe Runenforschung des deutschsprachigen Prager Autors August Anton Glückselig (1806–1867), der unter dem Pseudonym Gustav Thormod Legis 1829 graphische Gegenüberstellungen zur Analogie von Runengestalt und menschlichen Körperstellungen publiziert.89 Legis verwahrt sich zwar ausdrücklich gegen die Herleitung der Runengestalt aus der jeweiligen »Form des Mundes, wie sie sich aus der Aussprache der Buchstaben ergiebt«,90 und referiert so auf ältere Parallelisierungen von Buchstaben und Sprechorganen, vor allem von Franciscus Mercurius van Helmont. Doch seine Steindrucktafel (Abb. 9) zur »Idee einer mimischen Runenschrift«91 ergänzt er mit einem mehr verschleiernden denn erklärenden Hinweis, dem Nucleus der hundert Jahre später propagierten Runengymnastik: »Alles, was ich, ohne es eben gesucht zu haben, in den Zügen der Runenschrift von entsprechendem bildlichen Charakter wahrnehmen musste, besteht in der durchgängigen Ähnlichkeit der Runen mit den Umrissen der Menschengestalt. Wiewohl ich nun dem Ganzen keine weitere Bedeutung zu unterlegen gesonnen bin,
88 | Vgl. zur Ariosophie neben Schnurbein (1992) und Goodrick-Clarke, Nicholas: Im Schatten der schwarzen Sonne. Arische Kulte, esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung, aus dem Engl. übers. von Ulrich Bossier, Katharina Maier und Michael Siefener, Wiesbaden: Marix, 2009, vor allem Gründer, René: Germanisches (Neu-)Heidentum in Deutschland. Entstehung, Struktur und Symbolsystem eines alternativreligiösen Feldes, PeriLog. Freiburger Beiträge zur Kultur- und Sozialforschung 2, Berlin: Logos, 2008; Ders.: Blótgemeinschaften. Eine Religionsethnographie des ›germanischen Neuheidentums‹, Grenzüberschreitungen 9, Würzburg: Ergon, 2010. Zur Relation von Gymnastik, Tanzmoderne und nationalsozialistischer Ideologie vgl. insbes. Kant, Marion: »German Gymnastics, Modern German Dance, and Nazi Aesthetics«, in: Dance Research Journal 48:2 (2016), S. 3-25 89 | Legis, Gustav Thormod: Die Runen und ihre Denkmäler. Nebst Beiträgen zur Kunde des Skaldenthumes, Fundgruben des alten Nordens 1, Leipzig: Barth, 1829, T. II. 90 | Ebd., S. 200 (Orthographie wie im Original). 91 | Ebd.
D ie A nalogie von S chrift und T anz
Abb. 9: Gustav Thormod Legis, Idee einer mimischen Runenschrift, Leipzig, 1829.
Abb. 10: Siegfried Adolf Kummer, Schattentanz des heiligen Arahari, Hamburg, 1932.
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S chrift im R aum so hat es mir doch, gewisser Rücksichten wegen, der Bekanntmachung nicht ganz unwerth geschienen.«92
Während Gustav Thormod Legis das Runenalphabet noch als ein »erborgtes« Alphabet, abhängig von einem »phönicischen Uralphabete« versteht,93 behaupten Carl Faulmann (1835–1894)94 und vor allem Guido Karl Anton von List (1848–1919), einer der Hauptideologen der Ariosophie und des Runenokkultismus, die Wiege der menschlichen Kulturentwicklung habe in Nordeuropa gelegen und die germanische Runenschrift sei die älteste Schrift, die – ex septentrione lux – alle anderen indogermanischen Schriftsysteme beeinflusst habe.95 Auf diesem ariosophischen Gedankengut aufbauend konzipieren Marby und Kummer die Runengymnastik als Teil einer zutiefst rassistischen, völkisch-germanischen Weltanschauung und verbinden sie mit okkulten Annahmen und pseudowissenschaftlichen Ideen. Dabei werden die Runen als metaphysische Entitäten aufgefasst, denen je nach Zeichen spezifische Heilkräfte bis hin zu epigenetischer Modifikation zugeschrieben werden. Durch das Nachstellen der Runen in der Gymnastik und das langsame Aussprechen bzw. »Raunen«96 der Runennamen übertrage sich ihre Heilkraft auf die Personen, die die Buchstaben verkörpern. Lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet, vorzugsweise aber nackt und im Freien ausgeführt, sollen mit der Gymnastik diverse, auch schwere körperliche Krankheiten geheilt werden. Mit deutlichem Bezug sowohl zu Legis’ Annahme einer Ur-Harmonie von Runengestalt und Körperstellung als auch zu Lists ariosophischem Runenokkultismus formuliert Marby: »Die Runen sind mehr als eine Schrift. Ich erkannte [...], dass sie Menschen in verschiedenen Stellungen und Bewegungen darstellen! Da bekannt war, dass 92 | Ebd., S. 201 (Orthographie wie im Original, dort Hervorhebung gesperrt). Vgl. hierzu auch Gründer (2012), S. 346. 93 | Ebd. (Orthographie wie im Original). 94 | Faulmann, Carl: Das Buch der Schrift. Enthaltend die Schriftzeichen und Alphabete aller Zeiten und aller Völker des Erdkreises, Wien: Verlag der K. K. Hofund Staatsdruckerei, 1878, S. 161. 95 | Siehe List, Guido Karl Anton von: Das Geheimnis der Runen, Guido von List-Bücherei 1, Groß-Lichterfelde: Zillmann, 1907; Ders.: Die Bilderschrift der Ario-Germanen: Ario-Germanische Hieroglyphik, Guido von List-Bücherei 5, Wien: Guido von List-Gesellschaft/Leipzig: Steinacker, 1910, S. 43. Vgl. dazu vor allem Goodrick-Clarke, Nicholas: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, aus dem Engl. übers. von Susanne Mörth, Graz/Stuttgart: Stocker, 1997, S. 36-48. 96 | Marby, Friedrich Bernhard: Der germanische Einweihungsweg in Sinnbildern und Symbolen mittels der germanischen Runen-Gymnastik. Das Erbauen von Schutzmauern und Hegeformen, Stuttgart: Spieth, 1989, S. 17.
D ie A nalogie von S chrift und T anz unsere Vorfahren die Runen ›raunten‹, begann ich diese Stellungen und Bewegungen nachzuahmen und sprach dabei, leiser oder lauter, den Namen der entsprechenden Rune. So brachte ich meinen Körper, wo ich wollte, in eine feine Vibration, wurde gesunder, aktiver und geistig reger [...]. Diese Runen-Übungen waren, diese Runen-Gymnastik ist, wie es sich für mich später mehr und mehr herausstellte, überhaupt die Grundlage aller arischen und germanischen Kultur!«97
Der völkische Kontext der Runengymnastik ist dabei immer manifest, entweder als Ausschluss aller nicht-arischen Menschen von der Praxis des Runenstellens oder aber als Annahme, dass die Runen ihre Heilkraft nur bei arischen Menschen entfalteten, auf alle anderen aber negative, ja zerstörerische Auswirkungen hätten.98 In besonders perfider Weise verficht Marby gar das Nachstellen von Runen als »Aufrassungsweg«.99 Dies ist an seine Vorstellung gekoppelt, dass überall im germanischen Siedlungsraum alte und vergessene Tanzplätze, sogenannte »Rosengärten«100 existierten, an denen früher regelmäßig Runen gestellt worden seien. Indem Marby die Wörter ›Rasse‹, ›Rosen‹ und ›Runen‹ in einen konstruierten etymologischen Zusammenhang setzt, propagiert er ein Wiederaufleben dieses alten Runenstellens als Grundlage für ein Wiedererstarken der angeblichen germanischen Rasse.101 In einer ähnlich konstruierten Pseudo-Geschichtsschreibung zum germanischen Tanz spitzt Siegfried Adolf Kummer dieses Runenstellen schließlich zu Runentänzen zu. Mit fingierten Tacitus-Bezügen und einer Rückverlagerung zeitgenössisch-ästhetischer Polemik in das Konstrukt eines arischen Tanzes heißt es bei ihm: »Der arische Tanz kennt keine affenartigen Bewegungen wie das Wackeln mit dem Leib, das Schlenkern der Schenkel und Hüften, Arme und Beine, wie bei den Mode- und Negertänzen. Der arische Tanz ist frei von tierischen, sinnlichen Instinkten. Im arisch-religiösen Tanz kennt man nur den Ich-, den Hackenschritt, den seitlichen, den Stech- und Drehschritt, den Schrittwechsel und andere Runentanz- und Schrittübungen. Im arischen Tanz herrscht Ruhe, Harmonie und Rhythmus. Tacitus überlieferte uns, dass körperliche Übungen (Runenübungen), Tanzrunden, Runentänze mit zu den höchsten Mysterien der Ario-Germanen gehörten. Diese Tänze wurden [...], je nach der Einweihungsstufe der Einzelnen, vollkommen nackt getanzt. [...] Ferner pflegten sie Schattentänze zu tanzen und 97 | Ebd., S. 17-19 (Orthographie wie im Original, dort Hervorhebung gesperrt). 98 | Siehe Wedemeyer-Kolwe (2001), S. 379. 99 | Marby (1935a); Ders. (1935b). 100 | Marby (1935b). 101 | Ebd., S. 37. Vgl. hierzu auch Gründer (2012), S. 345.
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S chrift im R aum verstanden es, die entstandenen Schattenrunen zu lesen, wobei sie Aufschluss über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhielten.«102
Ausgehend von der Grundannahme, dass die Gestalt von Runen über Körperstellungen nachgeahmt werden kann, konzipiert Kummer verschiedene Runentänze mit genauen Vorgaben, wie einzelne Runen zu tanzen seien. Das Ziel ist hierbei keine künstlerisch überzeugende Bewegungsabfolge, sondern ähnlich wie beim Runenstellen eine meditativ-therapeutische Wirkung, hervorgerufen durch die als metaphysische Entitäten konzipierten Runen selbst. Im tänzerischen Vollzug, etwa im Kreisen um sich selbst mit ausgebreiteten Armen zur Visualisierung einer Kreuzrune, bewirken die Runen bei den Tanzenden angeblich spezifische Veränderungen. Solche getanzten Runen können auch gelesen werden, wobei analog zur esoterischen Aufladung des gesamten Konzepts die Körperfigurationen nicht erst im Blick der Betrachtenden als écriture corporelle wahrgenommen werden, sondern die Runen sich selbst der Wahrnehmung anbieten. So kann Kummer eine grundsätzliche Lesbarkeit der Tanzschrift »von links nach rechts« denken, der er ohne jede Problematisierung oder Erklärung eine nicht-entziffernde Rezeption zur Seite stellt, bei der »man die Runen von rechts nach links erfühlt«.103 Bei diesen in freier Natur ausgeführten Runentänzen unterscheidet Kummer kaum zwischen Produktions- und Rezeptionsebene. Auch die grundsätzliche Ausrichtung der Tanzenden mit dem Gesicht nach Norden dient nicht primär dazu, das hinter ihnen aufscheinende Sonnen- oder Mondlicht zur Silhouettierung ihrer Körper einzusetzen und so die Gestaltwahrnehmung der gestellten Runen zu erhöhen. Die Nordausrichtung der Körper ist vielmehr esoterisch-ideologisch motiviert und kann, als »höchste Mysterienart der Runenstellungen«, auch so abgewandelt werden, dass ein Tanzender sich selbst als »nordisches Sendezentrum erfühlt und dementsprechend die Runen stellt, Kraftwellen empfängt und sendet«.104 Ein instrumenteller Gebrauch des natürlichen Lichtes ist dennoch möglich, insbesondere in den Schattentänzen, bei denen die Tanzenden mit ihren Körpern und dem in ihrem Rücken scheinenden Sonnen- oder Mondlicht »Schattenrunen« auf den Boden werfen, die dann von ihnen selbst – auch dies ein Verwischen der Produktions- und Rezeptionsebene – versuchsweise »zu deuten und zu lesen« seien (Abb. 10).105 Auch wenn Marbys Ideen zur Runengymnastik und vor allem Kummers Konzeptfragmente zum Runentanz historisch nur in sehr begrenztem Maße 102 | Kummer (1932), S. 97f. 103 | Ebd., S. 104. 104 | Ebd. 105 | Ebd.
D ie A nalogie von S chrift und T anz realisiert worden sein dürften, fordert dieses abgründige ideologische Randphänomen den Diskurs der écriture corporelle in mehrfacher Weise heraus.106 Da die Parallelisierung von Runen- und Körpergestalt und die Aufladung der Runen als Heilmittel auch jenseits von Runengymnastik und Runentanz im engeren Sinne beobachtet werden kann, stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist die Idee des Runentanzes als das Skandalon der écriture corporelle zu verstehen, als jener Aspekt, der innerhalb der Tanz-Schrift-Analogie Ambivalenzen sichtbar macht, die diese Analogie immer schon bestimmen? Zeigen sich in völkisch-rassistischer Verzerrung Grundzüge einer pseudoreligiös aufgeladenen Verschränkung von Tanz und Schrift, die ohne diese Verzerrung auch für andere Verknüpfungen von Tanz und Schrift geltend gemacht werden können? Und wird gerade hier auch die Problematik einer Tanz-Schrift-Analogie sichtbar, der beständige Rekurs auf Dualismen von Schrift- und Nicht-Schrift, Weiß und Schwarz oder die Bedeutungsaufladung von Körperlichkeit, das Schrift-Werden von Körpern? Die Neigung zur kontrafaktischen Deutung realer Körperlichkeiten, das Einbeziehen von Imagination und das Operieren mit Spekulation und Potentialität durchziehen die gesamte Geschichte der écriture corporelle. Dies ist für sich genommen nicht sofort problematisch, vor allem dann nicht, wenn, wie etwa bei William Forsythe, Tanz und Schrift so verschränkt werden, dass die Behauptung einer Analogie beider Größen als solche selbstreflexiv verhandelt wird. Fehlt aber diese Selbstreflexivität und wird ohne jede kritische Distanz die Rückkehr zu einer gesetzten Ur-Einheit von Tanz und Schrift in Aussicht gestellt, so geschieht dies immer auch in Parallele zu ideologischen Präsuppositionen der Tanz-Schrift-Analogie. Umso wichtiger ist es daher nicht nur darauf zu verzichten, die Tanz-SchriftAnalogie mit soteriologischen Ideen von Heilung und Erlösung aufzuladen, wie dies bei Rudolf von Laban so überdeutlich der Fall ist. Vielmehr ist herauszustellen, dass die Idee der écriture corporelle gerade keine glatte Ästhetik von Ursprung, Identität und Lesbarkeit bedient. Tanz als Schreiben und Schrift zu 106 | Dies gilt umso mehr, als Runengymnastik bzw. Runenexerzitien auch nach 1945 weiter propagiert und die maßgeblichen Veröffentlichungen zur Runengymnastik aus den 1930er-Jahren unverändert wiederaufgelegt und durch Darstellungen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ergänzt wurden. Zusammen mit einem Seminarangebot, u.a. auf dem Monte Verità in Ascona, verhalf dies der Idee der Runengymnastik zur neuen Verbreitung im rechtsesoterischen Bereich, die bis heute anhält und in der jüngeren Gegenwart durch YouTube-Dokumentationen und -Tutorials unterstützt wird. Siehe Spiesberger, Karl: Runenmagie: Handbuch der Runenkunde, Ulm: Schikowski, 1954 [unveränd. Nachdr. Berlin: Schikowski, 1989]; Ders.: Runenexerzitien. Die Erhaltung der Gesundheit, die Erlangung von Erfolg und magischer Kräfte durch die Macht der Runen, 6., erw. Aufl., Berlin: Schikowski, 1982.
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S chrift im R aum denken, muss vielmehr heißen, Tanzen als radikal unlesbare écriture corporelle zu verstehen, als Kritzeln und Krakeln, als Verwischen fixer Formen, Einheiten und Identitäten.107 Das Insistieren auf der Differenz zur Ideologie und zum Bewegungsmaterial des Runentanzes verhindert, dass die gesamte Ideengeschichte der Tanz-Schrift-Analogie von diesem völkischen Phänomen korrumpiert wird. So offenbart sich in der Runengymnastik kein Wesenszug jeder écriture corporelle und ist Runentanz zwar ein Skandalon, aber kein Eckstein der gesamten TanzSchrift-Analogie. Vielmehr hilft das historische Phänomen der Runengymnastik das Bewusstsein für das kritische Potential dieser Analogie zu schärfen, um jene Umsetzungen der Idee von Tanzen als Schreiben und Schrift zu kritisieren, die ihren eigenen Analogiecharakter leugnen und Tanz, ganz in der Tradition der Runengymnastik, als reale Verschmelzung von Bewegung und Schrift behaupten. Eine solche Kritik essentialistischer Auffassungen von écriture corporelle steht in der Perspektive postmoderner Analogisierungen von Tanzen und Schreiben, die keine ungebrochene analogia entis von Schrift und Tanz behaupten, sondern die Arbitrarität dieser Setzungen selbstreflexiv ausstellen.108 Die postmodernen 107 | Als historisches Zwischenglied der Tanz-Schrift-Analogien zwischen der Tanzmoderne und dem Postmodern Dance sei hier auch auf die lettristischen Tanzexperimente Isidore Isous im Paris der 1960er-Jahre verwiesen. Diese wie auch die nur ein Jahrzehnt später in New York bei Trisha Brown aufgegriffenen Zuordnungen von Bewegungen zu Buchstaben des Alphabets arbeiten gerade nicht über die Behauptung einer analogia entis zwischen einzelnen Buchstaben und Bewegungen, sondern knüpfen vielmehr an die Betonung der Arbitrarität an, mit der in avantgardistischen Experimenten Buchstaben als tanzend visualisiert wurden. Vgl. Isou, Isidore: »Manifeste de la danse isouienne«, in: Revue musicale 219 (1953), S. 109-111; Ders.: Ballets ciselants, polythanasiques, hypergraphiques et infinitesimaux (1960–1964), Paris: Altmann-Isou, 1965; Lemaître, Maurice: La Danse et le mime ciselants, lettristes et hypergraphiques, Lettrisme 2, Paris: Grassin, 1960; Ders.: n+ ∑+∞ – ∞. Œuvres poétiques et musicales lettristes, hypergraphiques, infinitésimales, Paris: Lettrisme, 1972; sowie Pouillaude, Frédéric: »To the Letter. Lettrism, Dance, Reenactment«, in: Franko, Mark (Hg.): The Oxford Handbook of Dance and Reenactment, New York (NY): Oxford University Press, 2017, S. 165-176. 108 | Vgl. hierzu u.a. Jameson, Fredric: »Postmoderne – zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus«, aus dem Engl. übers. von Hildegard Föcking und Sylvia Klötzer, in: Huyssen, Andreas/Scherpe, Klaus R. (Hg.): Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986, S. 45-102, insbes. S. 5558; sowie Owens, Craig: »The Allegorical Impulse. Toward a Theory of Postmodernism«, in: October 12 (1980), S. 67-86; Ders.: »The Allegorical Impulse. Toward
D ie A nalogie von S chrift und T anz Arbeiten Trisha Browns, die zwar ebenso wie William Forsythe von Ideen Labans, etwa seines Konzepts der Kinesphären, beeinflusst ist, verfolgen so weder eine holistisch-essentialistische Schrift-Tanz-Beziehung noch propagieren sie ein starres alphabetisches Bewegungssystem. Sie zeigen vielmehr die Momente, an denen die Analogie von Tanz und Schrift brüchig wird, indem sie écriture corporelle in die Inexaktheit des Kritzelns und der Verwischung kippen lassen und so ihre bestenfalls ornamentale Opazität sichtbar machen.
2.2 Systematische Überlegungen 2.2.1 Simulakrum »Zunächst die Erscheinung einer überraschenden vielfarbigen Kalligraphie. Sie prangt verirrt in der Mitte einer Bergkristallscheibe. Man könnte sie für ein großes chinesisches Zeichen halten, eines von denen, die mit breiten Strichen von dickflüssiger und matter Tusche, die ölig und organisch geblieben ist wie das Sekret des Kopffüßers, auf Seide gemalt werden. Diese Schein-Schriftzeichen, die als Schrumpfungsgebilde unter den Tisch fallen, sind im Mineralreich keine Seltenheit. Die Möglichkeiten der Aufgabelung sind begrenzt. Dieses Trugbild stellt keine Ausnahme von der Regel dar: es erinnert an mehrere Glyphen eines entlegenen Wörterbuches, doch kommt es keiner wirklich nahe. [...] Das Zeichen ist nicht von der Hand eines Malers oder Schreibers ausgeführt worden. Es nimmt die Mitte einer Quarzscheibe ein, in deren transparente Dicke es eingelassen ist wie in das Zentrum einer behutsam niedergedrückten Blütenkrone. Die miteinander verwachsenen Prismen scheinen durch das Emblem, das sie beiseite schiebt, das sie durcheinanderbringt, zerstreut zu werden. Sie fliehen und erschöpfen sich in kurzen Flämmchen, malvenfarben wie Dahlienblütenblätter.«109
Roger Caillois’ Extemporierung zu »Schein-Schriftzeichen«, die er als eine »Schrift der Steine«110 in aufgespaltene Mineralien hineinliest und deren NichtCodierung er mit der Assoziation zu Blumen als gegenüber Steinen ungleich a Theory of Postmodernism. Part 2«, in: October 13 (1980), S. 58-80. Vgl. in tanzwissenschaftlicher Perspektive außerdem Thomas, Helen: »Do You Want to Join the Dance? Postmodernism/Poststructuralism, the Body, and Dance«, in: Morris, Gay (Hg.): Moving Words. Re-writing Dance, London/New York (NY): Routledge, 1996, S. 63-87; Waugh, Patricia: »Writing the Body. Modernism and Postmodernism«, in: Saunders/Maude/Macnaughton (2009), S. 131-147. 109 | Caillois, Roger: Die Schrift der Steine, aus dem Frz. übers. von Rainer G. Schmidt, Graz/Wien: Droschl, 2004, S. 49. 110 | Ebd. Siehe hierzu auch Schwan (2015b), S. 120f.
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S chrift im R aum flüchtigeren Entitäten zusätzlich verdeutlicht, legt den Finger in die Wunde der Analogie von Tanz und Schrift. Denn genauso wenig wie die Zeichen, die Caillois in den Steinen sieht, auch in einem lautsprachenneutralen Schriftverständnis keine Schrift sind, genauso wenig ist Tanzbewegung veritable Schrift. Die Tatsache, dass Tanz als Schrift prinzipiell unlesbar bleibt, ist dabei nicht nur der gegenüber Steinen massiv gesteigerten Ephemeralität geschuldet als vielmehr der mehrfach begründeten Unmöglichkeit, Tanzbewegung eindeutig zu codieren. Weder existiert bei Bewegungen im Raum eine wie beim aufsichtigen Blick auf eine gespaltene Bergkristallscheibe präferierte Sicht, noch lassen sich aus einem Kontinuum von Bewegung voneinander differenzierte, diskrete Zeichen herauslesen. Und selbst wenn einzelne oder, wie im Barocktanz, mehrere Körper zu codierten Zeichenkonstellationen arretiert werden, ist deren Lesbarkeit nur auf eine bestimmte Publikumsperspektive beschränkt. Vor allem aber kann die Iterierbarkeit eines Bewegungszeichens – einer Körperbewegung oder einer Bewegung in der Ruhe ihrer Stillstellung – so infrage gestellt werden, dass die Differenz, die jede Wiederholung einer Markierung affiziert, qua Individualität der Tanzenden und der Tanzsituation Überhand gewinnt. Eine solch radikal gedachte In-Iterabilität von Bewegung entbindet Tanz um ein Weiteres von der Möglichkeit, jemals vollständig Schrift zu werden. Zusammen mit der unausweichlich verzerrten Wahrnehmungsperspektive auf tanzende Körper als einem Tanzschriftbild ohne jede perspicuitas ergibt sich daher das harte Urteil, dass Tanz keine Schrift ist. Wenn also anknüpfend an Stéphane Mallarmé Bewegung als écriture corporelle betrachtet wird, so geschieht dies nicht im Sinne einer einfachen Analogie, die Tanz als Schrift wahrnimmt und dabei die Unterschiede zwischen beiden leugnet.111 Vielmehr müssen Körperbewegung und Inskription so miteinander korreliert werden, dass die Analogie von Tanz und Schrift eine doppelt gebrochene ist: Tanz wird wahrgenommen als ein Phänomen, das sich so verhält, als ob es wie eine Schrift sei. Erst mit dieser potenzierten Pseudozität eines zweifachen Als-ob wird Tanz als Simulakrum von Schrift wahrnehmbar und entspricht damit Caillois’ gebrochener Wahrnehmung der Aufgabelung mineralischer Strukturen als »Schein-Schriftzeichen«.112 Das doppelte Als-ob in der Wahrnehmung 111 | Siehe hierzu Schwan, Alexander H.: »›Dancing is like scribbling, you know‹. Schriftbildlichkeit in Trisha Browns Choreographie Locus«, in: Sprache und Literatur 107 (2011a), S. 58-70, hier S. 59f. Zu Konzeptionen des Sehen-als vgl. auch Alloa, Emmanuel: »Seeing-as, Seeing-in, Seeing With. Looking Through Images«, in: Heinrich, Richard (Hg.): Image and Imaging in Philosophy, Science and the Arts. Proceedings of the 33rd International Ludwig Wittgenstein-Symposium in Kirchberg, 2010, Bd. 1, Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society, New Series XVI, Frankfurt a.M.: Ontos, 2011b, S. 179-190. 112 | Caillois (2004), S. 49.
D ie A nalogie von S chrift und T anz von Tanz als écriture corporelle bezieht sich dabei auf die Idee, Bewegung als eine Simulation von Schreiben zu betrachten sowie, und womöglich noch stärker, auf die Wahrnehmung von Körperfigurationen als Simulakren von Schrift. Die doppelte Pseudozität von Tanz als Schrift ist daher mit einer ebenfalls doppelten Sicht auf écriture als Schreibvorgang und Schriftprodukt verschränkt. In beiden Fällen werden Figurierungen – Bewegungsprozesse oder momentan stillgestellte, aber in sich dennoch vibrierend bewegte Konstellationen, die aus Figuration hervorgegangen sind und sich wieder in Defigurationsbewegungen auflösen werden – als Schrift-Simulakren betrachtet. Das Sich-Bilden (fingere) der Figuration entspricht dem Sich-Einbilden der Simulation als einem Fingieren von Ähnlichkeit zwischen Tanz und Schrift, die als solche immer eine gesetzte ist: »Simulieren heißt fingieren, etwas zu haben, was man nicht hat.«113 Doch »simulieren ist nicht gleich fingieren«, wie Baudrillard bemerkt, sondern geht über das Fingieren hinaus, denn »jemand, der eine Krankheit simuliert, erzeugt an sich einige Symptome dieser Krankheit«.114 Übertragen auf die Analogie von Tanz und Schrift bedeutet dies, dass die Simulation von Tanz als Schrift nicht nur das Resultat eines Prozesses des Fingierens und Einbildens ist, sondern zusätzlich Symptome von Schriftlichkeit im Tanz erzeugt und sichtbar machen kann. Eben um diese Sichtbarmachung ist es, so eine These dieser Studie, dem postmodernen und zeitgenössischen Tanz zu tun, wenn dessen Selbstreferentialität, die bewusste Verhandlung von Analogiemomenten zwischen Tanz und Schrift im Tanz selbst, dazu führt, dass symptomatisch Prinzipien von Skripturalität in die Generierung von Bewegung eingebracht werden. Es handelt sich etwa um das Prinzip der Diskretheit von Bewegungsfiguren, das Jan Fabres The Dance Sections als Schriftsymptom im Tanz erzeugt, um das Prinzip der Iteration, dem sich Trisha Browns Roof and Fire Piece simulierend widmet, wie auch und vor allem um das Prinzip der Codierung, mit dem Browns Locus operiert und dabei Bewegung als Schriftsimulation hervorbringt und diese Skripturalitätssymptomatik noch in der Hervorbringung durchkreuzt.
2.2.2 Double Exposures In der Wahrnehmung von Figurationen als Schreibung und als Schrift, als écriture-Produktion und als écriture-Produkt115, sind tanzende Körper in einer 113 | Baudrillard, Jean: »Die Präzession der Simulakra«, in: Ders.: Agonie des Realen, aus dem Frz. übers. von Lothar Kurzawa und Volker Schaefer, Berlin: Merve, 1978a, S. 7-70, hier S. 10. 114 | Ebd. 115 | Zur doppelten Bedeutung von écriture siehe vor allem Barthes (2006), S. 111-113.
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S chrift im R aum doppelten Weise ausgestellt.116 Bezugnehmend auf das Oszillieren in der griechischen Medial-Form des ἀποδείκνυμαι (apodéiknumai), das in seinen Bedeutungen zwischen sich zeigen und gezeigt werden schwankt, suspendiert ein Blick auf Tanz als écriture corporelle die Spannung von Aktiv und Passiv und mischt der Subjektfunktion der oder des Schreibenden die Objektfunktion von Schrift bei. Tänzer*innen zeigen sich auf der einen Seite als aktiv Schreibende und zeigen auf der anderen Seite die Schriftsimulation, die von ihnen geschrieben wird. Indem Körper in Bewegung als Simulation einer écriture corporelle wahrgenommen werden, blitzen im Tanzschreiben Momente einer Tanzschrift auf, die sich zu sehen gibt als unlesbares Schriftornament. Wichtig ist dabei festzuhalten, dass die Konvergenz von Schreibung und Schrift nie so weit gehen kann, dass beide in eins fallen. Zwischen Skription, dem Bewegungsvorgang, und der Inskription, der Wahrnehmung körperlicher Figurationen als Glyphen einer Schein-Schrift, klafft ein ontologischer Spalt, der nicht überwunden werden kann: »Das Schreiben ist nicht das Geschriebene.«117 Écriture als Prozess und écriture als Produkt sind daher im Blick auf bewegte Körper zwei Aspekte, die als Kippphänomen nie zugleich, sondern nur nacheinander wahrgenommen werden können. So sei schließlich an Jacques Derridas Mallarmé-Lektüre in La Double Séance erinnert, die sich vor allem auf Mimique, einen kurzen, in Divagations abgedruckten Text Mallarmés bezieht und dazu weitreichende Gedanken zum Verhältnis von Schrift und Tanz ausführt. Mit Derrida ließe sich écriture corporelle als »Chiffre von Pirouetten«118 verstehen, die analog zur doppelten Bedeutung von écriture als Schreibvorgang und als Schrift »chiffriert (chiffré) in der zweiten Potenz« ist und somit nicht nur auf Bewegung als einen Signifikationsprozess verweist, sondern überdies Signifikanten als bewegt auffasst: 116 | Für das Konzept der »double exposures« und den Bezug zur Medialform des griech. Verbes ἀποδείκνυμαι, siehe Bal, Mieke: Double Exposures. The Subject of Cultural Analysis, New York (NY)/London: Routledge, 1996, S. 1-5. Zur Verknüpfung von Zeigen und Sich-Zeigen vgl. außerdem Mersch, Dieter: »Die Zerzeigung. Über die ›Geste‹ des Bildes und die ›Gabe‹ des Blicks«, in: Richtmeyer, Ulrich/Goppelsröder, Fabian/Hildebrandt, Toni (Hg.): Bild und Geste. Figurationen des Denkens in Philosophie und Kunst, Image 63, Bielefeld: transcript, 2014, S. 20-22. 117 | Barthes, Roland: »Von der Rede zum Schreiben«, in: Ders.: Die Körnung der Stimme. Interviews 1962–1980, aus dem Frz. übers. von Agnès BucailleEuler, Birgit Spielmann und Gerhard Mahlberg, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2002, S. 9-13, hier S. 13. Vgl. auch Brandstetter, Gabriele: »Un/Sichtbarkeit: Blindheit und Schrift. Peter Turrinis ›Alpenglühen‹ und William Forsythes ›Human Writes‹«, in: Schoenmakers u.a. (2008), S. 85-98, hier S. 91. 118 | Derrida (1995), S. 270.
D ie A nalogie von S chrift und T anz »Sie [die Chiffre von Pirouetten] remarkiert sich in ihrer Chiffre, indem sie, die Pirouette der Tänzerin als Chiffre oder Hieroglyphe bedeutend/zum Zeichen machend (signifiant), auch das Zeichen ›Pirouette‹ chiffriert, welches sie wie einen Kreisel Pirouetten drehen oder sich um sich selbst drehen lässt, um dieses Mal die Bewegung des Zeichens selbst zu bezeichnen. Die Chiffre der Pirouetten ist auch die Pirouette als Chiffre, als Bewegung des Signifikanten, der durch die Fiktion einer solchen sichtbaren tanzenden Pirouette hindurch auf einen anderen stets Pirouetten drehenden Signifikanten, auf eine andere ›Pirouette‹ verweist.« 119
Derrida sieht hier die sich um sich selbst drehende Tänzerin als Modell für einen gleichsam tanzenden Signifikationsprozess und überträgt so Wahrnehmungserfahrungen von Tanz auf das Analogon Schrift als einem ebenfalls nicht statischen, sondern sich permanent verschiebenden und bewegenden Signifikationsprozess. Diese Wahrnehmung von écriture corporelle erlaubt die Konzentration auf genau die beiden Modi der Chiffrierung, die Derrida in die dichte Formel bringt »Die Chiffre der Pirouetten ist auch die Pirouette als Chiffre.«120 Berührt ist damit das Kippmoment in der Wahrnehmung einer Tanzbewegung zwischen einem Schreibvorgang und einer Inskriptionsfigur, denn »die Chiffre der Pirouetten« ließe sich verstehen als Bewegungsvorgang, der Chiffren schreibt, während »die Pirouette als Chiffre« einer Wahrnehmung entspricht, die einen um sich selbst drehenden Körper als Schriftfigur wahrnimmt. Im Sinne der doppelten Exposition des Zeigens und Sich-Zeigens zeigt die pirouettierende Tänzerin sich als Schreibende und zeigt das von ihr geschriebene Zeichen einer Pirouette. Mit Daniel Sibony ließe sich daher formulieren – und seine Ausführungen wären zu ergänzen um den Hinweis auf die Wahrnehmung von Tanz als einem Kippphänomen, bei dem entweder Schreiben oder Schrift sichtbar werden – dass der Körper im Tanzen in einem narzisstischen Sinne beides ist: ein schreibender Körper und der von ihm geschriebene Text: »[...] dans la danse, le scripteur, le support et le texte, c’est le corps. La danse signifie toute situation où l’on est ce qu’on écrit, où l’on naît comme une mémoire qui prend corps et qui ›part‹. C’est une écriture narcissique.«121
119 | Ebd. 120 | Ebd. 121 | Sibony (1995), S. 175 (Hervorhebung wie im Original). »Im Tanz ist der Körper Schreibender, Schreibwerkzeug und Text gleichzeitig. Der Tanz bezeichnet eine Situation, in der man das ist, was man schreibt, in der man zu einer Erinnerung wird, die in einem selbst verkörpert ist und wieder vergeht. Der Tanz, eine narzisstische écriture.« (Übertragung A.S.)
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2.2.3 Imagination Die Wahrnehmung von Tanzen als écriture corporelle ist keine rein rezeptive Aufnahme eines Geschehens, das sich vor den Augen des Publikums abspielt.122 Vielmehr handelt es sich dabei um ein Zusammenwirken zwischen der körperlichen Aktion der Tanzenden und der ebenfalls körperlichen Aktion der Rezipient*innen. Wahrnehmung von Tanz ist selbst ein Bewegungsvorgang, ein Mittanzen der sehenden Augen und ein kinästhetischer Mitvollzug der gesehenen Bewegung.123 In der Tanzwahrnehmung der Zuschauenden und der Selbstwahrnehmung der Tanzenden kommt der Imagination eine große Bedeutung zu, da erst mit der Einbildungskraft die Anmutung einer écriture corporelle konstruiert wird.124 Reale Körperbewegungen werden mit imaginären Zusätzen verbunden, oder aber die Transformationen des konturierten Körpers werden als Metamorphosen eines simulierten Schriftzeichens wahrgenommen. Verbleibt die Wahrnehmung innerhalb von Schrift und Schreiben auf der Seite der Schreibbewegung, so können Bewegungen als Produktionen imaginärer Spuren erlebt und gesehen werden. Imagination kann aber auch, wie die folgende Anweisung John Gambles ausführt, innerhalb von Tanzimprovisation von den Tanzenden aktiv zur Hilfe der/einer Bewegungsgenese eingesetzt werden: »Imagine a writing instrument is located at the top of your head, at the soft spot, where the bones of the skull meet. Imagine you can draw with this instrument as a sky-writing plane draws in space. The space around you is a three-dimensional canvas. Allow your writing instruments to draw pathways on the canvas, letting the rest of your body be loose and responsive. Adjust your body to accommodate your drawing pathways, always letting the top of your head lead. Explore different
122 | Siehe Schwan (2012), S. 112. 123 | Vgl. Noë (2006), S. 72f. 124 | Zu Theorien der Einbildungskraft allgemein sowie mit speziellem Bezug auf das Verhältnis von Imagination und Tanz siehe umfassend Sallis, John: Einbildungskraft. Der Sinn des Elementaren, aus dem Engl. übers. von Tobias Keiling und Daniela Vallega-Neu, Philosophische Untersuchungen 24, Tübingen: Mohr Siebeck, 2010, hier zu Tanz vor allem S. 275-282. Wertvolle Bezüge zwischen Einbildungskraft, Körperlichkeit und Bewegung eröffnen überdies Villinger, Rahel: »Beschreibung eines Raumes. Zur Form der Bewegung der Einbildungskraft in Kants Kritik der reinen Vernunft«, in: Boehm, Gottfried u.a. (Hg.): Imagination. Suchen und Finden, Paderborn: Wilhelm Fink, 2014, S. 147-165; sowie Mattenklott, Gert: »Aspekte der Einbildungskraft«, in: Bernhart, Toni/Mehne, Philipp (Hg.): Imagination und Invention, Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, Beiheft 2, Berlin: Akademie-Verlag, 2006, S. 167-184.
D ie A nalogie von S chrift und T anz speeds, levels, and degrees of locomotion. Allow your eyes to scan, seeing all but focussing on nothing. Work to the point of disorientation and stop.«125
Sind in diesem Fall Bewegungen und imaginäre Spuren getrennt, so sind andererseits die Bewegungslineaturen, die ein konstruierendes Sehen im Tanzen imaginieren kann, an die reale Körperlichkeit der Tanzenden angelehnt, wenn etwa Körper und Körperglieder zu geometrischen Linien reduziert oder über die Körpergrenzen hinaus zu Extensionen von Bewegungen erweitert werden. Nehmen beispielsweise Tänzer*innen beim port de bras die Armhaltung en couronne ein, so ist es die aktive Einbildungskraft, die hierbei eine Kreisfigur ausmacht, die von den erhobenen Armen und Händen angedeutet wird, aber über diese extensionsartig hinausreicht. In gleicher Weise werden auch die Figurationen von Körperkonturen in einer Ko-Produktion von Tanzenden und Tanzsehenden hervorgebracht, indem in der Wahrnehmung die reale Kontur abstrahiert, schematisiert und idealisiert wird und so schließlich als sich wandelnde Figur eines Körperschriftzeichens betrachtet wird. Entscheidend ist bei diesem Spiel der Einbildungskraft, dass die Bewegung der Körper die konstruierende Wahrnehmung permanent unterläuft, sie durchkreuzt und mit der Widerständigkeit eines nicht zu bannenden und nicht dingfest zu machenden beweglichen Gegenübers konfrontiert. So ist Tanzen in der Wahrnehmung als Schreiben gerade keine Abfolge statischer Formen, sondern vielmehr ein Figurationsprozess,126 der die Materialität sich bewegender Körper zu einer imaginären Metamaterialität verformt. Diese Perichorese, die gegenseitige Durchdringung von Figuration und Defiguration realer und imaginativer Körperlichkeit ist es denn auch, die Tanzen als Schreiben und Schrift unweigerlich in die Wahrnehmung anderer, mit écriture verwandter Graphismen abweichen lässt. Genauso wie ein tanzender Körper sich qua seiner Bewegtheit einer bloßen Wahrnehmung entweder als Schreibwerkzeug oder als Schreibprodukt entzieht und so das Kippphänomen écriture corporelle als ein instabiles Phänomen behauptet, genauso instabil ist die doppelte Analogiesetzung von Tanz als die Simulation einer spezifischen γραφή. Sie lässt die imaginative Wahrnehmung schriftartiger Figuren zerfallen und ersetzt sie durch die mögliche Parallelisierung zu anderen Inskriptions- und Markierungshandlungen wie Kritzeln, Zeichnen, Malen, Bilden oder Bauen.
125 | Gamble, John: »On Contact Improvisation«, in: The Painted Bride Quarterly 4:1 (1977), S. 36-47, hier S. 38. 126 | Zur Differenz von Form und Figur sowie zum prozessualen Charakter von Figuration vgl. insbes. Auerbach (1938).
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Abb. 11: Jan Fabre, The Dance Sections (1987), Photo: Flip Gils.
1 Differenzieren 1.1 Jan Fabre, The Dance Sections (1987) Sechs Tänzer*innen, mit Harnischen und Metallschienen von Ritterrüstungen an Armen und Beinen bekleidet, exerzieren Bewegungsmuster des klassischen Balletts. Trotz ihres Rüstungsschutzes steigen sie auf die Spitze, gehen ins plié, bewegen die Beine zum rond de jambe und heben die Arme zum port de bras. Es folgt ein Ausfallschritt nach vorne, stechend, präzise. Das Metall der Rüstungen scheppert. Langsam schreitet die Phalanx so nach vorne, kommt drohend auf das Publikum zu. Dann plötzlich drehen sich die Tänzer*innen mit explodierender Geschwindigkeit um die eigene Achse, enden mit ihren Füßen in der dritten Position, die Arme zum port de bras erhoben. Für wenige Sekunden frieren sie in dieser Haltung ein: sechs kreuzartige Gestalten, deren Metallrüstungen im schwach beleuchteten Bühnenraum glänzen. So gleichen die Tänzer*innen chitingepanzerten Insekten, die ihre Beißzangen, Fühler und Beine ausstrecken und einziehen und sich, gefangen und am Entkommen gehindert, doch nur auf der Stelle bewegen, schabend und kratzend. Und vollends zum Ballett gefesselter Schalentiere mutiert das Stück, wenn die Tänzer*innen in einer anderen Szene in blauen Overalls auftreten, ihre Hände mit Ballettschuhen zusammengebunden wie die Scheren von Hummern. So nehmen sie erneut ihre Aufstellung in der Reihe ein, blicken ins Publikum, ohne Kontakt aufzunehmen, leer und emotionslos. Dann folgen wieder die Bewegungen der Beine, präzise voneinander getrennt, analytisch und genau, ohne jedes gezeigte Gefühl. Sachlich zergliedern die Tänzer*innen den Bewegungsfluss in kleine Segmente, sezieren ihn wie etwas Totes.1 1 | Die Tanzbeschreibungen und Analysen dieses Kapitels gehen in Teilen zurück auf Schwan (2012). Vgl. auch Ders.: »Body-Calligraphies. Dance as an Embodied Fantasy of Writing«, in: Anker, Suzanne/Flach, Sabine (Hg.): Embodied Fantasies. From Awe to Artifice, Art/Knowledge/Theory 1, New York (NY) u.a.: Peter Lang, 2013a, S. 217-227; Ders.: »Calligraphies du corps. La Danse comme fantasme incarné de l’écriture«, aus dem Engl. übers. von Anne Blosser u.a., in: Beauviche,
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S chrift im R aum Jan Fabres The Dance Sections (De danssecties/Les Sections dansées) werden 1987 im Rahmen der documenta 8 in Kassel uraufgeführt, als erste, gleich abendfüllende Tanzinszenierung Fabres, der bis dahin vor allem mit bildender Kunst und Performance hervorgetreten ist.2 Im Rahmen der sogenannten ›Flemish Wave‹3, Marianne/Van den Dries, Luk (Hg.): Jan Fabre. Esthétique du paradoxe, Paris: L’Harmattan, 2013, S. 69-77 (2013b). 2 | The Dance Sections. Konzeption, Bühne und Kostüme (unter Mitarbeit von Pol Engels): Jan Fabre. Tänzer*innen: Enrica Barbagallo, Tamara Beudeker, Hadewijch van Bommel, Renée Copraij, Jemima Dury, Susanna Gozzetti, Phil Griffin, Claudia Hartman, Marina Kaptijn, Annamirl van der Pluijm, Angélique Schippers, Maria Voortman. Performer*innen: Els Deceukelier, Maarten Koningsberger, Paul Vervoort, Peter Vervoort. Musik: Henryk Mikołaj Górecki, Symphonie Nr. 3 (Symphonie der Klagelieder). Uraufführung: Staatstheater Kassel, 18.06.1987. Der Tanzbeschreibung liegt die Videoaufzeichnung einer Aufführung von The Dance Sections im Kaaitheater Brüssel aus dem Jahr 1987 zugrunde. Zum Niederschlag der Inszenierungserfahrung in den publizierten Tagebuchaufzeichnungen Jan Fabres siehe Fabre, Jan: Nachtboek II (1985–1991), Antwerpen: De Bezige Bij, 2014, S. 118f. 3 | Zur Einordnung Jan Fabres in die sogenannte ›Flemish Wave‹ siehe Roussel, Nathalie u.a.: »Exploring the Biomedical Paradigm in the Work of Jan Fabre«, in: Performance Research 19:4 (2014), S. 45-53. Seit Beginn der 1990er-Jahre finden Fabres Arbeiten eine breite Auseinandersetzung in europäischer Tanz- und Theaterwissenschaft, häufig unter Einbeziehung poststrukturalistischer Philosophie (Jacques Derrida, Gilles Deleuze). Siehe hierzu die vorzügliche Textsammlung Bousset, Sigrid (Hg.): Jan Fabre. Texts on His Theatre-Work, Brüssel: Kaaitheater/Frankfurt a.M.: Theater am Turm, 1993. Zugänge neueren Datums bieten Banu, Georges (Hg.): L’Épreuve du risque. Jan Fabre, une œuvre en marche, Alternatives théâtrales 85 & 86 (2005); sowie insbes. Beauviche/Van den Dries (2013). Vgl. auch Cassiers, Edith: »Dancing on the Page/ Writing on the Stage. Sharing Dance Theatre Process«, in: Blades, Hetty/Meehan, Emma (Hg.): Performing Process. Sharing Dance and Choreographic Practice, Bristol: Intellect, 2018, S. 181-210; Dies. u.a.: »Redrawing Bodily Boundaries. A Look into the Creative Process of Jan Fabre«, in: Gonzalez, Madelena/Agostini, René (Hg.): Aesthetics and Ideology in Contemporary Literature and Drama, Newcastle upon Tyne: Cambridge Scholars Publishing, 2015, S. 297-320; Van den Dries, Luk: »Becoming Something Else. The Transformative Aesthetics of Jan Fabre«, in: Ders./De Laet, Timmy (Hg.): Bausch, Castellucci, Fabre, The Great European Stage Directors VIII, London u.a.: Methuen Drama, 2018, S. 147-172. Ausführliches Videomaterial zu Fabres Inszenierungen und Performances in Fabre, Jan: Performing Arts/Visual Arts (2 DVD Set), Amsterdam: Editions à Voir, 2002. Umfangreiches Bildmaterial zur Aktions- und Performance-Kunst Fabres
D ifferenzieren die seit den 1980er-Jahren belgische Tanz- und Performancekünstler*innen wie Anne Teresa De Keersmaeker, Jan Decorte, Jan Lauwers, Wim Vandekeybus, Guy Cassiers vor allem auf europäische Bühnen bringt, reüssiert Fabre trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Außenseiterrolle im Tanzbereich.4 So sind The Dance Sections denn auch nur die Vorstufe von Fabres ebenfalls erster Oper Das Glas im Kopf wird vom Glas, die 1990 in der Vlaamse Opera Antwerpen als erster Teil der Trilogie The Minds of Helena Troubleyn uraufgeführt wird.5 Jan Fabre arbeitet in diesen beiden Inszenierungen, wie auch in seinen späteren Stücken The Sound of One Hand Clapping (1990), Da un’altra faccia del tempo (1993) oder Je suis sang (2009) mit Bewegungsmaterial des klassischen Balletts. So bestehen The Dance Sections über weite Strecken aus nichts anderem als aus einzelnen Bewegungsmustern, die von den Tänzer*innen wie in einem exercice in langen Repetitionsreihen wiederholt werden. Zwischen den einzelnen Wiederholungen verharren die Tänzer*innen in langem Stillstand, um dann die nächste Bewegungssequenz in größtmöglicher Synchronizität und in Celant, Germano (Hg.): Jan Fabre: Stigmata, Actions & Performances 1976–2013, Katalog Ausstellung Museo nazionale delle arti del XXI secolo, Rom (16.10.2013– 16.02.2014), Mailand: Skira, 2014. 4 | Zur Bedeutung des anfänglichen Amateur-Status Jan Fabres im Kontext der Tanzszene in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, siehe Van Kerkhoven, Marianne: »Merging of All Boundaries. On the Autonomy of Dance/Die Grenzen verschwimmen. Zur Autonomie der Tanzkunst«, in: ballett international 1 (1989), S. 13-19. Eine ausführliche Bibliographie zu Fabres frühen Theaterarbeiten einschließlich niederländischer Rezensionen findet sich in De Brabandere, Adri: Jan Fabre. Kritisch Theater Lexicon, Brüssel: Vlaams theater instituut, 1998, S. 41-44. Vgl. außerdem Ders.: »Jan Fabre: ›Are we in the last days‹«, in: ballett international/ tanz aktuell 11 (1997), S. 40-41. 5 | Das Glas im Kopf wird vom Glas, Musik: Eugeniusz Knapik, Konzeption, Bühne und Kostüme: Jan Fabre. Uraufführung: Vlaamse Opera Antwerpen, 07.03.1990. Da es sich bei The Dance Sections (1987) um eine Vorstufe zu der Oper Das Glas im Kopf wird vom Glas (1990) handelt, wird das Stück auch unter dem längeren Titel Das Glas im Kopf wird vom Glas (De danssecties) verzeichnet, letzterer Teil des Titels mitunter auch in der eigentümlichen Groß- und Kleinschreibung the Dance sections. Siehe hierzu Van den Dries, Luk: Corpus Jan Fabre. Observations sur un processus de création, aus dem Niederl. übers. von Monique Nagielkopf, in Zusammenarbeit mit Michèle Tys, Paris: L’Arche, 2005, S. 455f.; Kulturgesellschaft Frankfurt mbH (Hg.): Jan Fabre, Programmbuch anlässlich der drei Uraufführungen von Das Interview stirbt (17.06.1989), Der Palast um vier Uhr morgens...AG (21.06.1989), Die Reinkarnation Gottes (25.06.1989), Frankfurt a.M.: Theater am Turm, 1989, o.S.
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S chrift im R aum Präzision auszuführen. Im ersten Stückteil sind die Performer*innen dabei an Beinen, Armen und Brust mit Metallelementen von Ritterrüstungen bekleidet, in anderen Partien der Inszenierung tragen sie – wie auf der Photographie Flip Gils’ zu sehen (Abb. 11)6 – schwarze Dessous, in wieder anderen einen blauen Overall. Diese Overalls und auch die Ballettschuhe der Tänzer*innen sind mit den unzähligen winzigen Strichen von blauen Bic-Kugelschreibern versehen, mit denen Fabre in seinen skulpturalen Arbeiten ganze Räume ausgestaltet und Gegenstände und Gebäude bic-blau überzieht.7 Im Fall von The Dance Sections 6 | Bei den im Text verwendeten Abbildungen handelt es sich nicht um Szenenphotos, sondern um eigens arrangierte Aufnahmen des Photographen Flip Gils, der die Tänzer*innen und Performer*innen von The Dance Sections in typischen Posen des Stückes festgehalten hat. Daneben sind 12 Arbeiten Helmut Newtons aus dem Jahr 1989 zu nennen, die die Tänzer*innen ebenfalls in typischen Posen des Stückes zeigen: Fabre, Jan (Hg.): Das Glas im Kopf wird vom Glas. The Dance Sections, Gent: Imschoot, 1990. Siehe auch Ders.: Le Temps emprunté, Arles: Actes Sud, 2007, S. 51-79. Zur bewussten Konvergenz der zentralperspektivischen Anordnung der Tänzer*innen von The Dance Sections mit den arrangierten Photographien von Flip Gils und Helmut Newton siehe Hrvatin, Emil: »The View of the Director and the Eye of the Photographer/Le Regard du metteur en scène e l’œil du photographe«, aus dem Slowen. übers. von Suzana Stancic und Laura Ule, in: Fabre (1990), S. 87-93 (1990a). Für frühe und theoretisch breit angelegte Einzelbetrachtungen zu The Dance Sections ist ebenfalls zuvorderst auf Emil Hrvatin zu verweisen, der 2007 den Namen Janez Janša angenommen hat. Zusammen mit Photographien Helmut Newtons und Zeichnungen Jan Fabres aus dem Kontext der Vorbereitung von The Dance Section sind Hrvatins Texte publiziert im besagten bibliophilen Bild- und Textband Fabre (1990), veröffentlicht anlässlich der Aufführung des Stückes am 21. und 22. September 1990 im Théâtre de la Ville, Paris. Siehe hier u.a. Hrvatin, Emil: »The Actor in a Performance and Exhibition/L’Acteur dans le spectacle de l’exposition«, aus dem Slowen. übers. von Suzana Stancic und Laura Ule, in: ebd., S. 79-82 (1990b); Ders.: »The Glass Has Cracked/Le Verre s’est brisé«, aus dem Slowen. übers. von Suzana Stancic und Laura Ule, in: ebd., S. 83-85 (1990c). Vgl. außerdem Ders.: Jan Fabre. La Discipline du chaos, le chaos de la discipline, aus dem Slowen. übers. von Moïka Žbona, Paris: Éditions Armand Colin, 1994. 7 | Zu Fabres frühen, von ihm ironisch als Bic-Art bezeichneten Arbeiten vgl. vor allem Hayes, Wim: »Die Stunde Blau«, in: Jan Fabre, Katalog Ausstellung Belgisches Haus, Köln (05.11.–05.12.1987), Köln: Belgisches Haus, 1987, o.S.; Kuspit, Donald: »Jan Fabres Blaue Zeichnung«, aus dem Engl. übers. von Doris C. Plass, in: Kunstverein Hannover (Hg.): Jan Fabre. Texte zum Werk, Hannover: Kunstverein Hannover, 1992a, S. 23-28. Wiederabdruck in: Schmidt, Johann-Karl/Zeller,
D ifferenzieren bedecken diese Striche die gesamte Rückwand der Bühne und bilden aufgrund der Dichte, mit der sie gesetzt sind, und der chemischen Zusammensetzung ihrer Kugelschreibertinte eine metallisch schimmernde Oberfläche, deren Farbe je nach Bühnenbeleuchtung zu einem Tiefblau verstärkt wird oder ins Rötliche oder Grünliche changiert.8 Vor diesem im buchstäblichen Sinne beschriebenen Hintergrund führen die Tänzer*innen scharf artikulierte Ballettbewegungen aus, die sich wie Inskriptionen in den Raum hineinschreiben und dabei Schreibung und Schrift zugleich sind. So können die Bewegungen als Permutationen eines Schriftbildes gesehen werden, das aus den blauen Strichen des Hintergrunds und den geraden oder gekrümmten Bewegungslineaturen der Tänzer*innen besteht: Tanz als Schreiben in einem Raum aus Schrift. Diese Analogie von Tanzen und Schreiben wurde früh bemerkt und hat vielfache, oft stark metaphorisierende Ausgestaltungen erfahren.9 Hervorzuheben ist dabei zum einen, dass Fabre selbst seine Tanzarbeiten weniger als Inszenierungen eines Schreibens denn als Vorgänge eines szeni-
Ursula/Galerie der Stadt Stuttgart (Hg.): Jan Fabre. Der Leimrutenmann. The Lime Twig Man, Katalog Ausstellung Galerie der Stadt Stuttgart (15.07.–03.10.1995), Ostfildern: Cantz, 1995, S. 153-158. 8 | Die Farbe Blau im spezifischen Kontext von Jan Fabre wurde in mannigfaltiger Weise ausgedeutet, vor allem in ihrem Oszillieren zwischen ihrer Verortung in Traditionen von Religion und Romantik einerseits und der Profanität ihres Materials (Kugelschreibertinte) andererseits. Vgl. hierzu ausführlich Street, Ben: »Jan Fabre. Die Blaue Stunde/Jan Fabre. The Hour Blue«, in: Haag, Sabine (Hg.): Jan Fabre. Die Jahre der blauen Stunde/Jan Fabre. The Years of the Hour Blue, Katalog Ausstellung Kunsthistorisches Museum, Wien (04.05.–28.08.2011), Wien: Brandstätter, 2011, S. 16-31; sowie Hegyi, Lóránd: »Abenteurer der blauen Stunde. Notizen zum zeichnerischen Werk von Jan Fabre/Adventurer of the Hour Blue. Notes on Jan Fabre’s Drawings«, in: ebd., S. 34-43. 9 | Zu frühen Interpretation der Körperbewegungen in Choreographien Jan Fabres als Figurationen von Schrift siehe Brandstetter (1994). Eine eigene kleine Studie mit Schwerpunkt auf dem Thema Abwesenheit hat Gerald Siegmund dem Verhältnis von Tanzen und Schreiben bei Fabre gewidmet, siehe Siegmund, Gerald: »L’Ascension de l’écriture. Pas de danse, danse de l’écriture. A-libi, a-topie et ressemblances dans l’œuvre de Jan Fabre«, in: Littérature 112:12 (1998), S. 61-74. Vor allem im französischen Kontext stellt der hugenottische Familienname Fabre überdies einen Bezug zur Wertschätzung der Schrift in evangelisch-reformierter Tradition dar. Siehe hierzu Drouhet, Geneviève: Transgression. Un trajet dans l’œuvre de Jan Fabre (1996–2003), Paris: Cercle d’Art, 2004, S. 12.
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S chrift im R aum schen Zeichnens versteht.10 »Die Art und Weise, wie ich meine Tänzerinnen sich im Raum bewegen lasse, hat auch damit zu tun, wie ich über Zeichnen denke. Das Spalten von Raum. [...] Choreographieren bedeutet ja, im Raum zu zeichnen. Und dieses Zeichnen kreist um sich selbst.«11 Neben dieser Gleichsetzung von Zeichnen, Spalten und Choreographieren ist zum anderen auf die ›Urszene‹ der bic-blauen Striche hinzuweisen, der zufolge Fabre gerade von einem über ein Papier krabbelnden Insekt, dessen Weg er mit einem Stift verfolgte, zu seinen Kugelschreiber-Zeichnungen inspiriert wurde.12 Ein Insectum, ein Kerbtier mit unterteiltem, segmentiertem Körper ebnet den Weg zur Zeichnung und findet letztlich eine transformatorische Wiederaufnahme in den partiell wie tote Insekten auf der Bühne angeordneten Tänzer*innen von The Dance Sections, die dann in den späteren skulpturellen Arbeiten Fabres wiederum Parallelen in abertausenden toten Käferkörpern finden.13 10 | Zum frühen zeichnerischen und skulpturalen Werk siehe Kunstverein Hannover (1992); Ders. (Hg.): Jan Fabre, Katalog Ausstellung Kunstverein Hannover (01.02.–15.03.1992)/Nykytaiteen museo, Helsinki (23.04.–31.05.1992), Hannover: Kunstverein Hannover, 1992; vor allem Otto, Maria/Schneider, Eckhard: »Jan Fabre und das Zeichnen«, in: ebd., S. 3-5; Schmidt/Zeller/Galerie der Stadt Stuttgart (1995). Die bisher umfangreichste Dokumentation zu Fabre als bildender Künstler ist Fabre (2007). Siehe außerdem Bernadac, Marie-Laure u.a. (Hg.): Jan Fabre au Louvre. L’Ange de la métamorphose, Katalog Ausstellung Musée National du Louvre, Paris (09.04.–07.07.2008), Paris: Gallimard, 2008; sowie Haag (2011). 11 | Fabre (1994), S. 13; S. 123. Vgl. auch De Brabandere (1998), S. 17. 12 | Siehe hierzu Puvogel, Renate: »Jan Fabre – Warum ausgerechnet Insekten?«, in: Schmidt/Zeller/Galerie der Stadt Stuttgart (1995), S. 19-24, hier S. 20. 13 | Zur immensen Bedeutung von Insekten in frühen zeichnerischen und skulpturalen Arbeiten Jan Fabres siehe Ullrich, Ferdinand/Schwalm, Hans Jürgen (Hg.): Jan Fabre. Insektenzeichnungen & Insektenskulpturen/Insect Drawings & Insect Sculptures 1975–1979, Katalog Ausstellung Ruhrfestspiele Recklinghausen/ Kunsthalle Recklinghausen (21.04.–23.06.2013), Bielefeld: Kerber, 2013. Fabres künstlerische Beschäftigung mit toten Insekten, die ihn wiederum mit seinem Urgroßvater, dem Entomologen Jean-Henri Fabre verbinden, kulminieren schließlich in der Umgestaltung des Spiegelsaales im Brüsseler Palais Royal (»Himmel der Lüste«, 2002), dessen Plafond Fabre durch 30 Helfer*innen mit über einer Millionen Deckflügeln von Juwelenkäfern bekleben lässt. Siehe dazu: Schneckenburger, Manfred: »Insekten und andere Menschen«, in: ebd., S. 5-9, hier S. 5. Zur problematischen animalisierenden Wahrnehmung der Tänzer*innen von The Dance Sections vgl. auch die Ausführungen Arnd Wesemanns: »Ich saß wie vor einem Terrarium, einem Exotarium, einem mit Pinguinen gefüllten Raum (ob sie nun nackt waren, Bikinis oder Ritterrüstungen trugen). Diese Pinguine im geschlossenen Raum, im Zoo, kennen Sie sicher.« Wesemann, Arnd: »Abenteuer
D ifferenzieren Bemerkenswert ist diese Entwicklung von der ›Urszene‹ des einzelnen krabbelnden Insekts zu der Vielzahl der Insektenkörper auch, insofern eine ähnliche Vervielfältigung und Vergrößerung im Wandel von Fabres frühen kleinformatigen bic-blauen Zeichnungen zu seinen Arbeiten aus dem Werkkomplex der Blauen Stunde konstatiert werden kann, bei denen die Kugelschreibertinte große Objekte sowie ganze Räume und Gebäude überzieht.14 Ungeachtet der Tatsache, dass spätestens diese Realisierungen – aber auch bereits die Kostüme und das Bühnenbild von The Dance Sections – auf eine Vielzahl von Assistent*innen angewiesen sind, hält Fabre dabei am Mythos der individuellen männlichen Künstlerpersönlichkeit fest. Er gibt dieser Selbstinszenierung Nahrung, wenn er behauptet, bic-blaue Schraffuren mit Vorliebe unbekleidet und allein in seinem Atelier zu produzieren, nachts oder in den frühen Morgenstunden, der angeblich von seinem Urgroßvater, dem Insektenforscher Jean-Henri Fabre so benannten ›blauen Stunde‹.15 Dass The Dance Sections bereits im Titel auf den Aspekt des Segmentierens und Differenzierens verweist, ermöglicht es, die »Spaltung von Raum«16 – bei Fabre fast ein Synonym für sein Zeichnen – mit den differenzierenden Aspekten von Schrift zu parallelisieren. Denn auch das Einkerben und Ritzen, das Schrift in ihren phylogenetischen Anfängen war, das Gravierende der graphé, setzt eine Differenz zwischen Schriftträger und Schriftlinie, es dissoziiert die geschriebene Marke von ihrem nicht-beschriebenen Kontext. Die Gewalt, mit im leeren Raum – Implosion, Architektur, Jan Fabre«, in: Bousset (1993), S. 143152, hier: S. 144f. 14 | Siehe Fabre, Jan/De Vos, Joke (Hg.): Jan Fabre. Les Années de l’heure bleue. Dessins et sculptures, 1977–1992/The Years of the Hour Blue. Drawings and Sculptures, 1977–1992, Katalog Ausstellung Musée d’art moderne de Saint-Étienne Métropole (25.02.2012–28.05.2012), Saint-Étienne: Silvana, 2012; Rossi, Melania/Ventura, Corinna (Hg.): Jan Fabre. I Castelli nell’Ora Blu/Jan Fabre. The Castles in the Hour Blue, Katalog Ausstellung Building, Mailand (22.09.–22.10.2018), Mailand: Building, 2019. 15 | Zur Kritik am Mythos des einsam und nackt kritzelnden Jan Fabre vgl. Blomberg, Katja: »Nacht des Kugelschreibers. Ins Blaue hinein: Jan Fabre in Antwerpen«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.06.1993, S. 32. Zur Herleitung der ›blauen Stunde‹ von Fabres Urgroßvater siehe Sels, Nadia: »L’Impossibilité enclose. Les ›ports pour l’Heure bleue‹ de Jan Fabre«, in: Fabre, Jan (Hg.): Kijkdozen en denkmodellen/Boîtes à images et modèles de pensée 1977–2005, Katalog Ausstellung Lokettenzaal, Flämisches Parlament, Brüssel (26.01.–24.06.2006), Waregem: Vision/Gent: MER. Paper Kunsthalle, 2006, S. 360-370. 16 | Odenthal, Johannes: »Gespaltener Raum. Innere Konflikte des Individuums als Orte des neuen Dramas«, in: ballett international/tanz aktuell 3 (1995), S. 36-43, hier S. 41.
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S chrift im R aum der das Kontinuum beschnitten wird, ist dabei eine produktive, sie markiert kein Fehlen, sondern ein auszeichnendes Additiv, das surplus von Schrift. Als Setzung einer Differenz taucht diese Beschneidung bei allen Schriftformen auf, von den frühen Eingravierungen in Stein und Lehm bis hin zur digitalen Visualisierung.17 Tanz und Schrift sind über diese markierende Inzision miteinander verbunden. Wie Zeichnen und Schreiben zerteilt auch Tanzen den Raum, zerschneidet ihn und differenziert zwischen Bewegung und nicht-bewegtem Umraum. Wie bei der Produktion einer graphé mit einem sich einritzenden oder herausmeißelnden Instrument, zerteilt ein sich bewegender Körper das, was ihn umgibt und füllt im Moment der Spaltung die entstehende Lücke körperlich aus. Gerade die Bewegungen der Tänzer*innen von The Dance Sections sind Inzisionen: Scherenartig führen sie ihre Arme zusammen und öffnen sie wie die Blätter eines Schneidewerkzeugs. Als Schreibung skarifizieren diese Bewegungen den Raum und sind gleichzeitig die in den Raum geschnittenen Schriftmarken. In Kostüm und Bühnenbild findet dieser Aspekt der Zergliederung und Dissoziation eine visuelle Verdoppelung, wenn aus dem Schnürboden 31 offene Scheren über der Bühne hängen und geschlossene Scheren in den Haarknoten der Tänzer*innen stecken – oder aber die Hände der Tänzer*innen wie Hummerscheren in zusammengebundenen Ballettschuhen stecken (Abb. 12).18 In der Inzision des Bühnenraums durch die langsam, akkurat und repetitiv ausgeführten Ballettbewegungen der Tänzer*innen konvergieren Fabres Gleichsetzung von Zeichnen und Spalten mit der Interpretation dieser Bewegungen als Schreiben und Schrift. Fabre verschränkt dabei alle vier Tätigkeiten miteinander – Zeichnen, Choreographieren, Spalten und Tanzen –, und dies erfordert einen besonders genauen Blick auf sein Verhältnis von Tanz und Choreographie. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass Fabre Tanzen als exekutierte Choreographie versteht, als Umsetzung einer männlichen Herrschaftsgeste, die sich des weiblichen Körpers wie eines Schreib- oder Zeicheninstruments bedient. Damit steht Fabre auch im Kontext einer unkritischen Phallozentrik, die auf dem einschreibenden, gleichsam penetrierenden Schreiben/Zeichnen
17 | Siehe Cancik-Kirschbaum, Eva/Mahr, Bernd: »Anordnung und ästhetisches Profil. Die Herausbildung einer universellen Kulturtechnik in der Frühgeschichte der Schrift«, in: Schneider, Birgit (Hg.): Diagramme und bildtextile Ordnungen, Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik 3.1, Berlin: Akademie, 2005, S. 97-114. 18 | Siehe Schwan (2012), S. 116. Die Zahlenangabe der 31 offenen Scheren folgt Wesemann (1993), S. 145. Zur Deutung der Tanzbewegungen von The Dance Sections als Bewegungen des Schneidens und Spaltens siehe prägnant Brandstetter (1994), S. 47. Vgl. ferner Van den Dries (2005), S. 33f.
D ifferenzieren
Abb. 12: Jan Fabre, The Dance Sections (1987), Photo: Flip Gils.
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S chrift im R aum mit dem Bic-Stift, dem Stylo, insistiert.19 Die in The Dance Sections extrem aufgerichteten Körper der Tänzer*innen, zudem teilweise in bic-blaue Overalls gekleidet, wären damit eine weitere Verkörperung dieses phallischen Inskriptionsinstruments.20 Die Ballettbewegungen, die die Tänzer*innen wie Stylographen ausführen, können dabei als präzis exekutierte Krakel wahrgenommen werden. Dies korrespondiert mit dem Status, der diesen speziellen Bewegungen in der Hierarchie des Klassischen Balletts zukommt. Denn bei den Bewegungen, die in The Dance Sections in langen Juxtapositionen wiederholt werden, handelt es sich nicht um die Posen und Sprünge, die in einer Art Bewegungsalphabet des Bal 19 | Zum Phallozentrismus von Stift und Spur vgl. Derrida, Jacques: »Sporen. Die Stile Nietzsches«, aus dem Frz. übers. von Richard Schwaderer, überarb. von Werner Hamacher, in: Hamacher, Werner (Hg.): Nietzsche aus Frankreich, Frankfurt a.M./Berlin: Ullstein, 1986, S. 129-168; zum Phallozentrismus des Spitzenschuhs vgl. Foster, Susan Leigh: »The Ballerina’s Phallic Pointe«, in: Dies. (1996), S. 17-42 (1996b). Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf die kulturgeschichtlich bedeutsame sexuelle Aufladung von Schreiben und Schrift im antiken Griechenland, bei der die homosexuelle Hierarchie innerhalb der παιδεραστία (paiderastía, Knabenliebe) mit der Differenz von Schreiben und Lesen verknüpft ist. Die Position des Schreibers wird hier der des ἐραστής (erast ḗs, Liebhaber) gleichgesetzt, während die Position des Lesers der untergeordneten Rolle des ἐρώμενος (er ṓmenos, Geliebter) entspricht. Siehe hierzu ausführlich Svenbro, Jesper: Phrasikleia. Anthropologie des Lesens im alten Griechenland, aus dem Frz. übers. von Peter Geble, München: Wilhelm Fink, 2005, S. 169-194. 20 | Zur erst in jüngster Zeit problematisierten Genderthematik bei Fabre, insbes. seiner subordinierenden Ausstellung (nackter) weiblicher Körper vgl. Heidelberger, Aurore: »Complexité et paradoxe de la figure féminine sur la scène de Jan Fabre«, in: Beauviche/Van den Dries (2013), S. 79-91. Sehr viel deutlicher ist schließlich die Kritik an Fabre im Zuge der #MeToo-Debatte: 2018 veröffentlichen 20 mehrheitlich weibliche, aber auch männliche und nicht-binäre (frühere) Mitglieder aus Fabres Troubleyn-Compagnie einen Brief mit expliziten Sexismus- und Rassismusvorwürfen gegenüber Fabre, einschließlich des Vorwurfs der sexuellen Belästigung, die von Fabre allesamt abgestritten werden. Nach Anzeigen von Opfern kommt es im Herbst 2021 zu einem Strafgerichtsverfahren, in dem Fabre des sexuellen Übergriffs gegen mindestens eine Person sowie der sexuellen Erpressung und der Anwendung psychischen Drucks angeklagt ist (Stand: August 2021). Siehe https://www.rektoverso.be/artikel/open-letter-metooand-troubleynjan-fabre (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021); https://www.lefigaro. fr/culture/l-artiste-belge-jan-fabre-sera-juge-pour-attentat-a-la-pudeur-et-harcelement-sexuel-20210628 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021).
D ifferenzieren letts geordnet sind, sondern um die hierarchisch sekundären préparations, jene Bewegungsabläufe, die im exercice den eigentlichen Sprüngen und Posen vorausgehen.21 So besteht die Choreographie in weiten Teilen aus nichts anderem als wiederholten Variationen von Grundpositionen und Grundausrichtungen des Ballettkörpers, wie en face, ecarté, effacé etc. Indem Fabre fast ausschließlich solche Bewegungsmuster des Balletts verwendet, die gegenüber den Posen und Sprüngen untergeordnet sind, gleicht die gesamte Choreographie dem fortwährenden Einüben einer noch ausstehenden und kommenden Tanzschrift, bestehend aus den zu klaren Körperschriftzeichen geronnenen Ballettposen und -sprüngen. Die Tänzer*innen setzen permanent Schwünge, die solche Schriftzeichen vorbereiten, doch die Zeichen selbst verbleiben im Aufschub und treten nie ein. Diese Analogie zu Schreiben und Schrift gewinnt an Evidenz, wenn der Blick auf das Gefüge der von mehreren Tänzer*innen gleichzeitig in den Raum gesetzten Präparationsschwünge fällt. Denn die Multiplikation dieser Schwünge verstärkt deren Wahrnehmung als Konfiguration von Linien, die wie hingekritzelte Linien auf einem Papier – oder wie die bic-blauen Kritzel des Bühnenbildes – anmuten. Im Analogieübertrag zur Schrift können die Präparationen schließlich als die ligaturartigen Verbindungsglieder zwischen Buchstaben einer Schreibschrift begriffen werden oder als die winzigen auf- oder abschwingenden Linien, die einzelnen Buchstaben vorangehen oder nachfolgen, die aber für sich genommen leeren Schnörkeln und Krakeln gleichen.22 21 | Siehe Brandstetter (1994), S. 47. Zur großen Bedeutung repetitiver Elemente im Œuvre Fabres vgl. auch Hertmans, Stefan: L’Ange de la métamorphose. Sur l’œuvre de Jan Fabre, aus dem Niederl. übers. von Monique Nagielkopf und Marnix Vincent, Paris: L’Arche, 2003, S. 48-54, speziell zu The Dance Sections auch S. 70f.; sowie Drouhet (2004), S. 75-85. Vgl. auch Hertmans, Stefan: »Engel der Metamorphose«, aus dem Niederl. übers. von Gesine van der Zanden, in: Köttering, Martin (Hg.): Jan Fabre. Engel und Krieger. Strategien und Taktiken, Katalog Ausstellung Städtische Galerie, Nordhorn (24.04.–20.06.1999)/Städtische Galerie Altes Theater, Ravensburg (03.07.–22.08.1999)/Kunsthalle, Kiel (13.09.– 07.11.1999), Städtische Galerie Nordhorn, 1999, S. 16-24. 22 | Johannes Odenthal weist Fabres Geste des Kritzelns in seinen Zeichnungen in nicht unproblematischer Weise gar als Rückgewinnung einer natürlichen Urgeste aus, die der phylogenetischen Entwicklung zur Schrift vorgelagert sei: »Mit diesem Kritzeln geht Jan Fabre hinter die Anfänge menschlicher Kultur zurück und berührt eine Dimension der Natur, die durch das Gedächtnis der Menschheit tausendfach überlagert ist.« Odenthal, Johannes: »Den Körper schreiben. Wegsein und Dasein in den Zeichnungen von Jan Fabre«, in: Schmidt/Zeller/Galerie der Stadt Stuttgart (1995), S. 173-176. Wiederabdruck in: Ders.: Tanz. Körper. Politik. Texte zur zeitgenössischen Tanzgeschichte, Recherchen 27, Berlin:
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S chrift im R aum Vor allem verschärft Fabre in The Dance Sections den Schriftcharakter von Bewegung, indem er ein unabdingbares Element jeder Schrift auf das Analogon Tanz überträgt: die Lücke zwischen einzelnen Schriftzeichen. Dieser Zwischenraum, das Spatium, differenziert die Schriftmarke untereinander und lässt sie als disjunkte, klar getrennte Grapheme hervortreten.23 Im Stück wird diese Lücke in zweifacher Weise sichtbar gemacht: Zum einen wird der Bewegungsfluss differenziert und mit Zäsuren unterteilt. Die Tänzer*innen rasten in ihren Bewegungen ein und halten ihre Posen, die dann als fixierte Körperzeichen wahrgenommen werden können. Zum anderen ist die Differenzierung in der Konstellation aller Tänzer*innen anzuführen, der Zwischenraum zwischen ihren Körpern, die aufgrund der gehaltenen Posen zu Körperschriftzeichen werden. Beide Formen der Differenzierung, die zeitliche und räumliche Zäsur, korrespondieren erneut der schon im Stücktitel erwähnten Sektion: Segmentiert wird der Bewegungsfluss und segmentiert wird das Schriftbild aller auf der Bühne angeordneten Tänzer*innen, vor allem in den langen Phasen ihrer Arretierungen. Gerade mit der doppelten Differenzierung, der zeitlichen und räumlichen Lücke, die im Folgenden ausführlich und getrennt voneinander dargestellt werden, wird die Wahrnehmung von arretierten oder extrem verlangsamten Körpern als Körperschriftzeichen unterstützt. Dies liegt daran, dass diese Differenzierung häufig bei Tanzbewegungen entfällt, wenn Bewegungen ineinander übergehen und miteinander verschliffen werden, sodass keine zeitliche Zäsur zwischen einem Bewegungsmoment und dem nächsten ausgemacht werden kann. Die räumliche Zäsur zwischen einzelnen Körpern, die sich weder berühren noch in den Sichtachsen hintereinander gestaffelt erscheinen, ergibt sich dagegen aus der streng spiegelsymmetrischen Anordnung – wobei Fabre schon
Theater der Zeit, 2005, S. 84-89, hier S. 86f. Siehe zur Ligatur vor allem Nehrlich, Thomas: »Phänomenologie der Ligatur. Theorie und Praxis eines Schriftelements zwischen Letter und Lücke«, in: Giertler, Mareike/Köppel, Rea (Hg.): Von Lettern und Lücken. Zur Ordnung der Schrift im Bleisatz, München: Wilhelm Fink, 2012, S. 13-38. 23 | Siehe Fries, Thomas: »Der weiße Zwischenraum aus typographischer und poetischer Sicht«, in: Giertler/Köppel (2012), S. 114-127. Das Spatium, die Lücke zwischen den Schriftzeichen ist bei jeder echten Schrift unabdingbare Voraussetzung ihrer Lesbarkeit, wird beim Tanzen aber in der Regel durch Verbindungselemente ersetzt, die mit den eigentlichen Graphemen ununterscheidbar verschliffen werden. Fabre zerhackt nun diese Schreibschrift, setzt die einzelnen Elemente wie Druckbuchstaben in den Raum und betont so die schriftinhärente Binarität von Buchstabenlinie und Linienumraum, von schwarzer Schrift und weißem Spatium.
D ifferenzieren mit dieser Grundsatzentscheidung zur Symmetrie den Raum in der Mitte spaltet.24
1.2 Stasis Die in bic-blaue Overalls gekleideten Tänzer*innen, die Hände in zusammengebundenen Ballettschuhen gefesselt, heben ihren linken Fuß und halten ihn mit gestrecktem Spann für einen kurzen Augenblick in der Luft. Mit feinen Verschiebungen von Körper zu Körper frieren sie in dieser Bewegung ein, verlangsamen sie so weit, dass sich die Gestalt ihres Körpers scheinbar nicht mehr verändert. Mehr ein Einschleifen in die synchrone Haltung als ein vollkommen einheitliches Einrasten ist der genaue Übergang von der Bewegung in die Nichtbewegung ungenau, im Blick auf die Gruppe und im Blick auf die Bewegung der einzelnen Tänzer*innen. Der linke Fuß bleibt angehoben, das Gewicht ruht allein auf dem rechten Bein, und so gehen die Tänzer*innen ins plié, halten auch diese Spannung für Sekunden. Jetzt wird sichtbar, dass der Körper in der angehaltenen Bewegung nicht starr ist, sondern sich auch in der Stillstellung bewegt. Denn das schwierige Austarieren der Ba-
24 | Zur Symmetrie als Charakteristikum von Fabres Theaterproduktionen, die sich daraus ergibt, dass er Sichtachsen ausschließlich auf die Position einer Königsloge bzw. auf seine Zentralsetzung als Regisseur ausrichtet, siehe ausführlich Gilpin, Heidi: »Symmetry and Abandonment«, in: Bousset (1993), S. 163-176, zu The Dance Sections insbes. S. 171f. Zum Rückbezug von The Dance Sections auf die Prinzipien von Symmetrie und geometrischer Figuralität im Bühnentanz des Barock vgl. Hrvatin, Emil: »The Discipline of Negative Dimensions/La Discipline des dimensions négatives«, aus dem Slowen. übers. von Suzana Stancic und Laura Ule, in: Fabre (1990), S. 59-67 (1990d). Hingewiesen werden kann außerdem auf den in der niederländischen Literatur zu Fabre häufig begegnenden Begriff der kijkdoos. Kijkdoos (Plural: kijkdozen) bezieht sich neben dem für Fabre ebenfalls äußerst bezeichnenden Blickkonzept einer Peep-Show auf den Guckkasten, der nur durch eine einzige Schauöffnung betrachtet wird, auf die die gesamte Innengestaltung ausgerichtet ist. Vgl. Fabre (2006); Verschaffel, Bart: »Kijkdozen en denkmodellen«, in: Ders.: Een god is vele dieren. Essays over het werk van Jan Fabre (1988–2010), Antwerpen: Meulenhoff/ Manteau, 2010, S. 71-76. Evident wird die charakteristische Symmetrie der Bühnenanordnung schließlich auch am Beispiel der ausführlichen Notation aller Positionen und Bühnengänge, wie sie für Fabres frühes Stück C’est du théâtre comme c’était à espérer et à prévoir/This is theatre like it was to be expected and foreseen (1982) publiziert sind in Fabre, Jan: C’est du théâtre comme c’était à espérer et à prévoir/This is theatre like it was to be expected and foreseen, Paris: L’Arche, 2009.
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S chrift im R aum lance und die Muskelanspannung des Haltens lassen den Körper zittern: Die Haltung ist unruhig und vibriert in minimaler, unkontrollierter Bewegung.25 Dann lösen die Tänzer*innen diese bewegte Stillstellung auf und steigen mit beiden Füßen auf die Spitze. Was aufgrund der Balance nur eine kurz gehaltene Übergangsposition sein kann, die äußerste Zuspitzung einer Elevationsbewegung, wird zu einer langen Pose verlängert, indem sich die Tänzer*innen mit winzigen Schritten auf der Stelle gegen die Schwerkraft behaupten. So werden Tanzfiguren mit kleinen schwankenden Bewegungen in den Raum gesetzt, die Pose in den minimalen Körperveränderungen immer wieder für einen kurzen Moment aufgelöst und dann im nächsten Minimalschritt erneut eingenommen, bis sie schließlich gänzlich aufgelöst wird in einem großen Schritt nach vorn. Und auch die Einheitlichkeit dieser Schrittbewegung scheint in der Folge der zitternd behaupteten Pose plötzlich in der Wahrnehmung zu ruckeln, zerlegbar zu sein in viele winzige Einzelposen, durch die der Schritt hindurchgeht, so als hätte die Arretierung auch den Fluss des Tanzes infiziert. »Pour moi, le mouvement le plus important, c’est le repos complet, l’immobilité«,26 bekennt Fabre und erkennt die Stillstellung als Konzentration von Bewegung und als Bewegung selbst.27 Im Innehalten in einer Pose verdichtet sich Tanzen, faltet sich in sich selbst zurück, um die konzentrierte Bewegung dann im Verlassen der Pose freizugeben.28 So wird gerade in der Suspendierung des 25 | Vgl. Hrvatin (1994), S. 96f. Vgl. auch Lepecki, André: »›Am ruhenden Punkt der kreisenden Welt‹. Die vibrierende Mikroskopie der Ruhe«, in: Brandstetter/Völckers (2002), S. 334-366. 26 | Zitiert nach: ebd., S. 87. 27 | Die im deutschen Sprachgebrauch unübliche Formulierung der Stillstellung, die z.B. im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm nicht verzeichnet ist, wird im Folgenden gegenüber dem Begriff Stillstand bevorzugt, um der Bewegungsdimension der stasis Rechnung zu tragen. Als prominenter Beleg für die Nominalisierung des Verbes stillstellen siehe Benjamin, GS I.3, S. 702: »Zum Denken gehört nicht nur die Bewegung der Gedanken, sondern ebenso ihre Stillstellung.« (Kursivsetzung A.S.). Vgl. hierzu auch Schmidt, Ulf/Gelhard, Andreas/Schultz, Tanja (Hg.): Stillstellen. Medien, Aufzeichnung, Zeit, Zeiterfahrung und ästhetische Wahrnehmung 2, Schliengen: Edition Argus, 2004. 28 | Zum Ineinandergreifen von Bewegen und Innehalten in der Pose vgl. Brandstetter (2007), S. 158. Zum historischen Hintergrund des Konzepts der Pose und dessen Genese aus Domenico da Piacenzas Gebrauch des Begriffs posata siehe vor allem Brainard, Ingrid: Die Choreographie der Hoftänze in Burgund, Frankreich und Italien im 15. Jahrhundert, Diss. Universität Göttingen, 1956; Zur Lippe, Rudolf: Naturbeherrschung am Menschen I. Körpererfahrung als Entfaltung von Sinnen und Beziehungen in der Ära des italienischen Kaufmannskapitals, Frankfurt a.M.: Syndikat, 2. überarb. Aufl., 1981a, S. 159-183; Ders.: Naturbeherrschung am
D ifferenzieren Bewegungsflusses, in der Pause, in der der Körper mit minimalen Bewegungen zitternd und atmend seine Pose verteidigt, die Analogie von Tanzen und Schreiben in besonders eindrücklicher Weise sichtbar. Das vorgeblich statische, in den Raum gesetzte Körperschriftzeichen der Pose ist nichts anderes als ein zittriges und damit krakeliges Neuschreiben dieses Zeichens. Sowohl die Bewegungen zur Pose hin und aus der Pose heraus als auch das Halten der Pose sind écriture corporelle, Schreibung und Schrift gleichermaßen, die gerade aufgrund der hohen körperlichen Spannung, mit der sie ausgeführt werden, vom Kontrollverlust eines Ver-Schreibens affiziert sind.29 Und doch: Wenn Fabre in The Dance Sections Tanzen als Hintereinanderschaltung von Posen organisiert, dann steigert er genau mit der bedrohten, aber dennoch dominanten Statik der gehaltenen Pose den evokativen Charakter dieses Tanzens hinsichtlich einer Wahrnehmung als Schrift im Raum. Denn die Deutung der Tänzer*innen als körperliche Schriftzeichen bezieht sich vor allem auf die Momente, in denen ihre Bewegung arretiert wird, sodass ihre Silhouette vor dem blauen Hintergrund partiell als statisches Schriftzeichen erscheinen kann, als momentan stabiler Buchstabe.30 Unter diesem Aspekt sind es weniger die langsam schneidenden Bewegungen in die Pose hinein und aus der Pose heraus, die als Schreibvorgang gedeutet werden, sondern es sind die stillgestellten Körper in ihren Posen selbst, die eine Wahrnehmung als Schriftzeichen evozieren. Hauptgrund dafür ist die kulturelle Attribuierung von Schrift mit Aspekten von Unbewegtheit, Statik und Dauerhaftigkeit, die hier für wenige kurze Momente auch im üblicherweise als flüchtig konnotierten Tanz realisiert werden. Menschen II. Geometrisierung des Menschen und Repräsentation des Privaten im französischen Absolutismus. Frankfurt a.M.: Syndikat, 21981b, S. 228-230; Ders.: »Die Posa«, in: Alarcón/Fischer (2006), S. 56-60; Ders.: Das Denken zum Tanzen bringen. Philosophie des Wandels und der Bewegung, Freiburg i.Br./München: Alber, 2010, S. 282-287. Zur Beziehung zwischen der Pose und dem Konzept der ombra phantasmatica vgl. auch Klotz, Sebastian: »Matte Identität. Beobachtungen zu Schrift- und Verhaltensformen im Quattrocento-Tanz«, in: Müller (1996), S. 429-454. 29 | Speziell zum Verhältnis von Pose, Körperbeherrschung und Kontrollverlust in The Dance Sections vgl. Laermans, Rudi: »Repetition Reveals the Master. The ›Danse Macabre‹ of Jan Fabre«, in: Lambrechts, An-Marie/Van Kerkhoven, Marianne/Verstockt, Katie (Hg.): Dance in Flanders, Brügge: Stichting Kunstboek, 1996, S. 168-189, hier S. 189; sowie De Brabandere (1998), S. 16. 30 | Zu den Stabilitätsaspekten des Wortteils -stabe und dessen Verwandtschaft mit dem althochdeutschen Verb stabên (steif werden) vgl. Grimm, Jacob/ Grimm, Wilhelm: Art. »Stab«, in: Dies.: Deutsches Wörterbuch X, Leipzig: Hirzel, 1919, Sp. 328-357, hier Sp. 328f.
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S chrift im R aum Verba volant, scripta manent. Diese dem römischen Senator Caius Titus zugeschriebene Sentenz verdeutlicht exemplarisch die Attribuierung von Schrift mit Dauer: Schrift bleibt, sie überdauert in der Stillstellung. Zwar ist sie grundsätzlich dem Verfall preisgegeben, kann verbleichen, abgeschliffen, ausgelöscht und getilgt werden, aber aufgrund ihrer üblichen Unbewegtheit hat sie eine vorübergehende Bleibe in der Zeit. Die Stasis der Schrift, die je nach Schriftträger länger oder kürzer ausfällt, vermindert das schnelle Entweichen des Geschriebenen, reduziert seine Ephemeralität. Der umfassenden Statik von Schrift als Produkt korrespondieren dabei auch Momente von Stillstellung beim produzierenden Vorgang des Schreibens selbst. So wie das Geschriebene nach dem Ende seines Gesetztwerdens erstarrt und auf die Ingebrauchnahme beim Lesen wartet, so rastet auch der Schreibvorgang immer wieder ein. Dies gilt vor allem für die manuelle Schriftproduktion mit Stift und Pinsel, wenn das Schreibwerkzeug absetzt für ein neues Wort, einen neuen Buchstaben. Aber auch alle maschinellen Erzeugungsverfahren von Schrift, vom Siegeldruck bis zum Laserdruck, operieren in unterschiedlicher Weise mit dem Element der Arretierung. Und auch graphematisch wird Schrift über Arretierungen organisiert, wenn beim Schreiben und Lesen das offene Spiel der differentiellen Verweisungsbewegungen zwischen den Zeichen notwendigerweise immer wieder stillgestellt wird. Denn erst wenn die unendlichen Möglichkeiten, eine Markierung zu produzieren und zu kombinieren, abrupt zu einer Konstellation reduziert werden, kommt es zur Lesbarkeit von Schrift. So wird in den kurzen Stillstellungen der unendlichen Semiose die Schrift als lesbares Bild ent-stellt.31 Mit Bezug zu Hölderlins Vorstellung einer »gegenrhythmischen Unterbrechung«, die er in einem theoretischen Text zu Sophokles’ König Ödipus entfaltet, ließen sich darüber hinaus die Stillstellungen als Zäsuren von Bewegung verstehen, die im Unterbrechen die Bewegung selber zum Erscheinen bringen.32 So wird »in dem Innehalten des Tanzenden als posa [...] Tanz seiner selbst gewahr.«33 Es ist dabei das Besondere von The Dance Sections, dass das Pausie 31 | Vgl. hierzu Bettine Menke in ihrer umfassenden Darstellung zum Schriftverständnis Walter Benjamins: Menke, Bettine (1991): Sprachfiguren. Name – Allegorie – Bild nach Benjamin, München: Wilhelm Fink, 1991; Dies.: »Ornament, Konstellation, Gestöber«, in: Kotzinger/Rippl (1994), S. 307-326. 32 | »Dadurch wird in der rhythmischen Aufeinanderfolge [...] das, was man im Sylbenmaaße Cäsur heißt, das reine Wort, die gegenrhythmische Unterbrechung nothwendig, um nemlich dem reißenden Wechsel der Vorstellungen, auf seinem Summum, so zu begegnen, daß alsdann nicht mehr der Wechsel der Vorstellung, sondern die Vorstellung selber erscheint.« Hölderlin, Johann Christian Friedrich: Theoretische Schriften, hg. von Johann Kreutzer, Hamburg: Meiner, 1998, S. 95 (Orthographie wie im Original, Hervorhebung dort gesperrt). 33 | Zur Lippe (1981a), S. 168 (im Original kursiv).
D ifferenzieren ren in der Pose nicht zu einer Essentialisierung von Tanz führt, sondern auch den Blick auf den Bewegungsfluss verändert.34 Vor dem Hintergrund der großen Rupturen erscheint der Tanzfluss plötzlich nicht mehr glatt und fließend, sondern ebenfalls durchsetzt von winzigen Unterbrechungen.35 So ist es der Blick auf Tanz als Schrift, der die Bewegung segmentiert, bis auch das scheinbar Kontinuierliche eines Tanzschrittes zerschnitten ist und den Anschein erweckt, eine Aneinanderreihung einzelner Bewegungsbilder zu sein, eine dichte Folge minimal unterschiedlicher Posen als Zeichen einer sich transformierenden Körperschrift.
34 | Zur Gefahr der Essentialisierung vgl. dagegen Carter, Curtis L.: »Beyond Performance«, in: Bousset (1993), S. 13-26, hier S. 23: »The dance in Fabre’s ›Das Glas im Kopf wird vom Glas. The Dance Sections‹ (1987) [...] places theatrical dance movement under a microscope and forces the dancers and the audience to reconsider the very foundations of the ballet [...]. He strips the dance to its essence [...].« 35 | Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Konzeptionen von Tanz als Bewegungsfluss erst mit der Tanzmoderne um 1900 aufkommen. Nicht zuletzt in Respons zu Friedrich Nietzsche ersetzen Tänzer*innen der frühen Tanzmoderne die bis dahin gültigen Konzeptionen von Tanz als Abfolge einzelner Positionen des Innehaltens. Anstelle der Auffassung, dass sich Tanzen im Durchgang von Pose zu Pose, von Stillstellung zu Stillstellung vollziehe, tritt ein neues Ideal fließender Bewegungen als Ausdruck von Freiheit und Individualität. Siehe Schwan (2015b), S. 135.
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Abb. 13: Jan Fabre, The Dance Sections (1987), Photo: Flip Gils.
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1.3 Kontur Der Bühnenvorhang öffnet sich wie vor einem Bild. Sichtbar wird eine blaue Fläche, in deren Mitte ein nackter weiblicher Körper gestellt ist: Els Deceukelier, Performerin in fast allen Stücken Fabres.36 Sie steht auf einem schmalen Brett mehrere Meter über dem Boden, den Rücken zum Publikum gedreht und den Blick auf die blaue Wand gerichtet. Vor dieser Fläche stehend, als würde sie auf ihr liegen, setzt sie sich mit der Farbe ihrer hellen Haut und dem Blond ihrer Haare hart von dem sie umgebenden Blau ab, der Umriss ihres Körpers ist klar vom Hintergrund abgegrenzt. Lange Zeit steht sie so vollkommen still, eine glänzende Metallbürste in ihrer rechten Hand. Allenfalls ein leichtes Wanken der Beine und kaum merkliche Muskelkontraktionen beim Atmen verändern die Kontur ihres Körpers. Dann trippelt sie mit ihren Füßen auf der Stelle, hämmert mit den hohen Absätzen ihrer Schuhe, doch ihr Oberkörper behält vibrierend seine Kontur bei. Unbewegt und aufrecht gleicht ihr Körper einer Initiale, einem einzelnen Buchstaben, groß und deutlich auf die blaue Fläche gesetzt, der Auftakt für den Text, der unter ihr auf dem Bühnenboden geschrieben wird. Über die gesamte Dauer von The Dance Sections wird sie so als isolierter Großbuchstabe vor der blauen Fläche verbleiben, als nacktes Anschauungsobjekt dem Voyeurismus des Publikums preisgegeben. 36 | Zur Performerin Els Deceukelier, die bei Fabre im Unterschied zu allen anderen Personen in seinen Stücken immer nur einzelne Figuren verkörpert und nicht, wie andere Tänzer*innen, in revueartigen Reihungen auftritt, vgl. die zeitgenössisch-essayistische Beschreibung von Urs Jenny: »Els Deceukelier, ganz blondes, kühles Geheimnis, gehört seit 1982 zu Fabres Getreuen, so einzig und unentbehrlich als Domina und Diseuse, Sex-Clown und rasende Tänzerin, daß er sie sein ›Medium‹ nennt: ›She makes me dream.‹ Nie hat er sie verdoppelt, uniformiert oder eingereiht, steht als einmalig herausgehoben [...].« Jenny, Urs: »Der Mann der blauen Wunder«, in: Der Spiegel, 24.06.1991, S. 182-190, hier S. 187 (Orthographie wie im Original). Vgl. auch Müry, Andres: »Wenn ich falle, falle ich«, Gespräch mit Els Deceukelier, in: Wesemann (1994), S. 60-70. Innerhalb der späteren Oper Das Glas im Kopf wird vom Glas erhält die von Deceukelier in The Dance Sections verkörperte Einzelfigur eine narrative Zuschreibung und wird zur Figur der Fressia, der imaginären Tochter Helena Troubleyns. Troubleyn wiederum bezieht sich auf eine reale Person, eine an Schizophrenie leidende, kinderlose Frau gleichen Namens, die Fabre in seiner Jugend trifft und deren laute Gespräche mit ihrer imaginären Tochter ihn zur Operntrilogie The Minds of Helena Troubleyn inspirieren. Siehe hierzu u.a. Wesemann (1997), S. 52f.; sowie Donker, Janny: »Clash and Compromise. Music, Language, and the Visual in ›The Minds of Helena Troubleyn‹«, in: Bousset (1993), S. 189-199, hier S. 194f.
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S chrift im R aum Mehrmals fährt sie sich mit der Bürste durch die Haare, heftig, gewaltsam, schließlich rinnt blutrote Flüssigkeit ihren Nacken entlang. Durch das Kämmen verändert sich die Umrissform ihrer Armhaltung, doch die Silhouette ihres übrigen Körpers bleibt gleich (Abb. 13). Schließlich verändert sie ihre Position doch und langsam dreht sie sich um. Gleich wird ihr nackter Körper von vorne zu sehen sein, erwarten die Blicke der Zuschauer*innen. Aber Els Deceukelier ist nicht unbekleidet. Sobald sie sich dreht, wird das Kostüm sichtbar, das sie die ganze Zeit über getragen hat, eine am Hals hochgeschlossene, bodenlange Schürze, die vordere Hälfte eines Kleides, bic-blau in der Farbe der Bühnenwand. Bis zum Ende des Stückes ist nun die Vorderseite ihres Körperschriftzeichens zu sehen. Dort, wo das Blau des Körperbuchstabens auf das Blau des Hintergrundes trifft, droht die Grenzlinie zwischen Schrift und Nicht-Schrift zu verschwimmen. Erst der genaue Blick auf diesen Körper konstruiert wieder die Kontur seiner Zeichengestalt und schneidet aus der blauen Fläche einen blauen Körperbuchstaben heraus. Ein wichtiger Aspekt der perspicuitas, der in Bezug auf die Tanzanalogie die Problematik der Aufsichtigkeit und der Stillstellung ergänzt, ist die Frage der Konturalität von Schriftzeichen, ihre Silhouettierung und die im Sinne der claritas scripturae deutliche Differenz zwischen Schrift und Schriftgrund. Bereits bei Keilschriftzeichen bringt die Inzision des Ritzens, Meißelns und Kerbens Kante und Kontur hervor, markiert schneidend eine harte Differenz zwischen Schriftzeichen und Schreibgrund. Was im Gravieren der graphé in einer räumlichen Form zutage tritt, als minimaler, aber entscheidender Niveauunterschied zwischen Inskription und Inskriptionsträger, setzt sich in der Flächigkeit des Schriftbilds fort als Konturierung des Schriftzeichens. Unabhängig davon, ob Tinte, Druckerschwärze oder Pixel die Schrift formieren, ist ihr ein bezeichnender Mangel an Diffusion zu eigen. Mögen die Ränder der Schrift auch ausfransen zu einer infinitesimalen Kontur oder zu einer liminalen Zone zwischen Schrift und Nicht-Schrift verwischt werden, Schreib- und Lesevorgang reduzieren die Vielzahl der Übergangsmöglichkeiten dennoch zu einer ikonischen Differenz von Schrift und Nicht-Schrift. Schrift ist daher von einer grundlegenden Binarität gekennzeichnet, silhouettiert vor dem Hintergrund des Schriftträgers in einem häufig zweifarbigen hell-dunklen Kontrast. Dieser muss sich nicht zwingend in einem harten unbunten Schwarz-Weiß manifestieren, sondern kann auch mit zwei oder mehreren Bunttönen operieren, wie ja auch zur besseren Lesbarkeit die Härte des Kontrastes zwischen Schwarz und Weiß in der Regel bewusst abgemildert ist, etwa in der hellen gelblichen Brauntönung von Pergament und einem dunklen Graubraun der Tinte. Trotz dieser unvermeidlichen Involvierung von Farbigkeit liegt in der Frage des Kontrastes von Schrift und Schriftgrund und der
D ifferenzieren so möglichen Konturierung eines der großen Differenzmerkmale von Schrift und Bild: Während ein Bild nicht zwingend an einer Binarität ausgerichtet ist, sondern mono- und polychrom strukturiert sein kann, ist Schrift zum Zwecke ihrer Lesbarkeit, und das heißt auch zur Erhöhung ihrer Perspikuität, auf die Orientierung am Ideal des größtmöglichen Gegensatzes zum Schriftträger angewiesen. Dieser Kontrast kann farbig realisiert sein und muss nicht zwingend im Schwarz-Weiß auftreten; doch gliche sich die Inskription ihrem Untergrund ununterscheidbar an, mit ihm monochrom verschmelzend oder unentwirrbar in eine multiple konturierte Farbigkeit eingebunden, sie wäre nicht zu entziffern. Gleichfalls ist Tanz als Schrift im Raum an die ikonische Differenz von Figur und Grund gebunden. Der tanzende Körper hebt sich von seinem Umraum und dem Hintergrund des Bühnenbildes ab. Diese Differenzierung muss nicht über den Farbkontrast erfolgen, etwa in einem tintenschwarzen Kostüm im weißen Bühnenbild oder invertiert als nackter, hautfarbener Körper im schwarzen Raum, wenngleich diese Form des harten Gegensatzes insbesondere in solchen Choreographien verstärkt eingesetzt wird, die den Graphismus im Tanz hervorheben wollen. Zur Orientierung an der Binarität des Schriftbildes genügt im Tanz bereits die Kontur des menschlichen Körpers, um die Analogie zur Schrift zu plausibilisieren. Im Blick auf den Körper als eine bewegte Silhouette, möglicherweise verstärkt durch entsprechendes konturierendes Bühnenlicht, zeigt sich daher die Schriftartigkeit des Tanzes. In den Umrissen des Körpers können dann die Umrisse fremder, unbekannter Schriftzeichen imaginiert werden, die sich durch die Körperbewegung beständig transformieren und in der Stillstellung der Pose für einen kurzen Moment klar zutage treten. The Dance Sections kommen diesem konturierenden Blick auf Tanz als Schrift entgegen, wenn die Körper frontal gehen oder stehen und sich vor allem die Veränderungen der Arme, neben dem Körper und über dem Kopf, als klare Metamorphosen der Körpersilhouette zeigen.37 Bewegungen, die die Silhouette nicht verändern würden, etwa kleine ziselierende Handbewegungen vor dem 37 | Zum Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung des Publikums und dem Bühnengeschehen, das diese Wahrnehmung initiiert und irritiert, vgl. De Vos, Laurens: »Always Looking Back at the Voyeur. Jan Fabre’s Extreme Acts on Stage«, in: Rodosthenous, George (Hg.): Theatre As Voyeurism. The Pleasures of Watching, London: Palgrave Macmillan, 2015, S. 29-49. Zum Verhältnis von Blick und Pose vgl. Owens, Craig: »Posing«, in: Ders.: Beyond Recognition. Representation, Power, and Culture, hg. von Scott Bryson u.a., Berkeley (CA)/Los Angeles (CA)/London: University of California Press, 1992, S. 201-217; sowie Silverman, Kaja: »Dem Blickregime begegnen«, aus dem Engl. übers. von Natascha Noack und Roger M. Buergel, in: Kravagna, Christian (Hg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin: Ed. ID-Archiv, 1997, S. 41-64, hier S. 47f.
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S chrift im R aum Körper oder mimische Bewegungen im Gesicht, sind selten. So dominieren die großen Konturmetamorphosen, wenn sich durch deutlich sichtbare Bewegungen der Arme und Beine die Körpersilhouette verändert. Ein Sonderfall der Bewegung innerhalb der Kontur ist der, körperlich extrem anstrengende langsame Gang vorwärts oder rückwärts, während der Oberköper der Tänzer*innen frontal zum Publikum ausgerichtet und in einer aufrechten Pose gehalten wird. Da die Füße so gesetzt werden, dass die Veränderung im Hüftbereich minimal bleibt, hat es den Anschein, als bliebe die Körpersilhouette in ihrer Form erhalten und werde entweder durch das Rückwärtsgehen verkleinert oder durch den Gang nach vorne vergrößert.38 Die Körper der Tänzer*innen können so wahrgenommen werden als sich wandelnde oder gleichbleibende Silhouetten vor dem Hintergrund des oszillierenden Blaus. Dass die Kostüme ebenfalls bic-blau gehalten sind und sie so partiell mit dem gleichfarbigen Hintergrund verschmelzen, entkräftet nicht die ikonische Differenz zwischen Figur und Grund, denn über die Beleuchtung ist gewährleistet, dass das Blau der Kostüme nicht vollständig ins Blau der Bühne übergeht und die Körperkonturen immer noch in der Wahrnehmung konstruiert werden können. Im Blick auf den Tanz als Schrift ist damit die Rezeption der stillgestellten Körpersilhouette als Gestaltform eines Schriftzeichens möglich. Die Veränderung der Silhouette durch die Bewegung modifiziert diese Gestaltform oder transformiert sie in die Form eines neuen und anderen Körperschriftzeichens. Das Besondere dieser Körperschrift ist dabei die Nicht-Existenz einer Grenze zwischen Modifikation und Transformation, da die Körperschriftzeichen in ihrer Gestaltform keiner type-token-Logik folgen. So ist nicht definitiv auszumachen, wann die Gestaltformierung eines Körperschriftzeichens beginnt oder endet und wo diese Gestaltform nur formimmanent variiert wird. Denn bei jeder noch so präzisen und isolierten Bewegung, etwa dem klaren Heben eines Armes, bleibt offen, wie viele einzelne Gestaltformen unterschiedlicher Körperschriftzeichen hier zu einer miteinander verschmolzen sind oder ob es sich etwa nur um die Vor- oder Nachbereitung einer Gestaltformierung handelt. Einmal 38 | Fabre übernimmt diese postural control, bei dem der Oberkörper starr in einer aufrechten Pose gehalten wird, während sich die Beine vorwärts oder rückwärts bewegen, als Übungselement für seine gesamte folgende Arbeit im Bereich von Tanz und Theater: »The performer’s weight must be shifted onto the supporting leg, and muscles need to stabilize the trunk while performing movements with the other leg. [...] Each performer must control both the stooped position of the trunk and the position of the standing leg, all while preparing for the next – very slow – step forward. This spatial conquest, which occurs in millimetre increments, demands tremendous physical concentration from the performers.« Roussel (2014), S. 49.
D ifferenzieren mehr liegt der ästhetische Reiz der Körperschrift in der Unentscheidbarkeit und der Erfahrung einer schillernden Wahrnehmung, die im Tanz eine momentane Formierung von Schriftkonturen zu erkennen glaubt und diese Gestaltform augenblicklich wieder verliert.39
1.4 Spatium Jede der Tänzer*inen von The Dance Sections tanzt für sich allein. Sie berühren sich nicht. Zwischen ihnen klafft ein leerer Raum, der ihre Körper voneinander trennt und gleichzeitig miteinander verbindet, ein Rest jener Leere, die war, bevor die Bewegungen begannen, und eine Vorwegnahme der Leere, die sein wird, wenn sie enden. Doch leer ist dieser Zwischenraum nur insofern, als die Körper der Tänzer*innen ihn nicht verdrängen. Bei näherem Blick vibriert er von den unzähligen Spuren, die die Kugelschreiber auf der Bühnenwand hinterlassen haben.40 Blau schimmernd und metallisch glänzend ist der Zwischenraum angefüllt mit kleinsten Graphismen, die sich gegenseitig zu einem wüsten Palimpsest überlagern. Zu eben diesem vibrierenden Zwischenraum stehen die Tänzer*innen in einem doppelten Verhältnis: Sie sind von dem Hintergrund scharf konturiert getrennt und gleichzeitig in ihn eingebunden, vor allem in den Szenen, in denen sie in bic-blauen Overalls gekleidet sind, sodass zwischen ihren Kostümen und dem Hintergrund bzw. dem Zwischenraum eine enge Beziehung besteht. Adri De Brabandere fasst diesen doppelten Bezug zum Zwischenraum als Differenz und phantasmagorischer Kontinuität unter dem Begriff des Vibrierens zusammen: »Das blaue Feld ist ein einziger Tumult. Tausende von Bic-Strichen lassen es vibrieren. Wenn die Tänzerinnen die blaugebicten Kostüme tragen, scheint es, als ob sie sich aus dem Prospekt herauslösten. Wenn Ihre Hände mit den Bändern ihrer Spitzenschuhe zusammengebunden sind, wirkt es, als ob sie durch die buchstäblich eingeschnürte Bewegungsfreiheit mit den Bic-Linien gemeinsam vibrierten.«41 39 | Vgl. zur Rolle des Imaginären im Kontext von Jan Fabre auch Kamper, Dietmar: »Die Kehrseite des Daseins«, in: Kunstverein Hannover (1992a), S. 53-58. 40 | Siehe u.a. Van den Dries (2005), S. 28: »Les vibrations de ces myriades de lignes bleues créent une sorte de mirage.« 41 | De Brabandere (1997), S. 40f. Zur Rolle des Bic-Blau in The Dance Sections vgl. außerdem Hrvatin, Emil: »Blue-Ordered Chaos/Un chaos arrangé en blue«, aus dem Slowen. übers. von Suzana Stancic und Laura Ule, in: Fabre (1990), S. 69-78 (1990e).
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S chrift im R aum Die mit unzähligen Graphismen angefüllte Zwischenräumlichkeit ist für Fabre von immenser Bedeutung. Aus ihr geht für ihn die Bewegung hervor: »The movement is generated in the spaces between.«42 Er fügt dem an anderer Stelle hinzu: »Ich wollte, dass der Raum tanzt, nicht die Tänzer.« 43Diesen beiden pointierten Aussagen korrespondieren die Reflexionen, die sich schriftphilosophisch dem Phänomen des Spatiums widmen, der Lücke zwischen den Schriftzeichen. Die Spatien, in denen der Schriftgrund sichtbar wird, sind, wie die Kontur, wichtig für die klare Strukturierung eines Schriftbildes.44 Bereits die Idee der Diaphanizität eines Schriftbildes ist wesentlich damit verbunden, dass der Schriftgrund als durchscheinend und glänzend gedacht wird und sich vor diesem zwischenräumlichen Grund die Zeichen abheben.45 Spatialität als Lücke zwischen einzelnen Buchstaben sowie die Zwischenräumlichkeit um die Buchstaben herum, ja auch die Höhlungen und Öffnungen innerhalb von Buchstaben ermöglichen so die Wahrnehmung als Schriftbild und die Lektüre im engeren Sinne. Nur weil es unbeschriebenen Raum zwischen und in den
42 | Jan Fabre, zitiert nach De Brabandere (1998), S. 17. Das kurze englische Zitat dürfte sich auf die auch auf Deutsch publizierten Gespräche mit Jan Hoet und Hugo de Greef beziehen, wo es entsprechend heißt: »Die Zeichnung und die Tänzer sind Körper voller Energie, die Ruhe ausstrahlen. Im Zwischenraum entsteht Bewegung und Vibration, sowohl im Linienspiel der Zeichnung als auch im Linienspiel der Choreographie.« Fabre, Jan: Jan Fabre im Gespräch mit Jan Hoet und Hugo De Greef, aus dem Niederl. übers. von Hansjürgen Bulkowski und Petra Serwe, Ostfildern: Cantz, 1994, S. 25. Auf diesen Gesprächen basieren auch Wesemann, Arnd (Hg.): Jan Fabre, Frankfurt a.M.: Fischer, 1994; sowie Ders.: »Jan Fabre. Belgian Theatre Magician«, aus dem Dt. übers. von Marta Ulvaeus, in: TDR 41:4 (1997), S. 41-62. 43 | Jan Fabre, zitiert nach Wesemann, Jan: »Das Schwert muß den Raum genau durchschneiden, will man den Gegner exakt treffen. Mit Zwischenrufen von Jan Fabre«, in: Ders. (1994), S. 13-51, hier S. 34. 44 | Siehe u.a. Fries, Thomas (2009): »Die Leerstelle. Der Zwischenraum«, in: Abbt, Christine/Kammasch, Tim (Hg.): Punkt, Punkt, Punkt, Komma, Strich? Geste, Gestalt und Bedeutung philosophischer Zeichensetzung, Bielefeld: transcript, 2009, S. 165-178, hier S. 167-170. 45 | Spezielle Fälle von Spatialität stellen Ligaturen zweier oder mehrerer Buchstaben innerhalb des Buchdruckes dar sowie verbundene Buchstaben handschriftlicher Kursivschrift. Eine Lücke zwischen den Zeichen ist hier nur in Bezug auf eine vorgestellte Buchstabenform auszumachen. Jedoch kann wie bei jeder Schrift auch der Umraum der ungetrennten Zeichen als Zwischenräumlichkeit verstanden werden, ebenso wie die Spatialität, die sich innerhalb von Buchstaben eröffnet. Siehe hierzu ausführlich Nehrlich (2012).
D ifferenzieren Glyphen gibt, können diese überhaupt als solche wahrgenommen und gelesen werden, »denn die Zäsur bringt den Sinn zunächst hervor.«46 Im Rahmen der Auseinandersetzung um die Differentialität einer écriture corporelle ist so neben der Zäsur der Bewegungsunterbrechung als einem temporalem Spatium und neben der konturalen Grenzziehung zwischen Schriftfigur und Schriftgrund auch als drittes Differenzmoment das räumliche Spatium zu reflektieren.47 Dieses angefüllte Spatium zwischen den Tänzer*innen kann einerseits als Resultat einer Verdrängung betrachtet werden, bei der die räumlichen Inskriptionen die Zwischenräumlichkeit hervorbringen. Umgekehrt kann aber auch die Spatialität als transzendentale Bedingung von Inskriptionen begriffen werden, sodass nur aufgrund des Spatiums eine visuelle Wahrnehmung von Schrift als Schrift überhaupt möglich ist. In diesem letzten Sinne, wie er vor allem in jüdischer Schriftmystik und hierauf rekurrierenden Schriftphilosophien transportiert wird, kehren sich die Hierarchie und die Abfolge in der Genese von Schrift um. So bringt nicht die Schrift, indem sie geschrieben wird, ihre Zwischen- und Umräumlichkeit hervor, sondern umgekehrt lässt das primäre Weiß des Schriftgrundes die Schrift als ein sekundäres Element hervortreten.48 »Die erste Aufgabe des Lesers ist es, Brüche zwischen den Wörtern einzuführen, um Wörter zu bilden; zwischen bestimmten Wörtern, um Sätze zu bilden; zwischen bestimmten Sätzen, um Kapitel zu schließen oder zu öffnen; schließlich zwischen den Kapiteln, um Bücher zum Vorschein kommen zu lassen. Die erste Arbeit ist also die Verräumlichung, das Aktivieren der Differenz, die definiert ist als ›die Bewegung, nach der die Sprache oder jeder Code, jedes System des Verweises sich im allgemeinen ›historisch‹ als ein Stoff von Differenzen bildet.‹ Um wie Mallarmé zu sprechen, sind es die ›Leerstellen‹, welche die Bedeutung sichern.«49
46 | Derrida (1972), S. 111. 47 | Die große Bedeutung der betweenness, des Einflusses von Lücke und Intervall gerade für den zeitgenössischen Tanz der späten 1980er-Jahre, hat Gabriele Brandstetter mit Bezug zu Derridas Konzept der différance u.a. dargestellt in: Brandstetter (1991), S. 225-278, hier S. 260f. 48 | Zum Denken der Lücke in jüdischer Schriftdeutung und zur Metaphorik des weißen Schriftgrundes siehe Schmitz-Emans (1994); Dies.: Schrift und Abwesenheit. Historische Paradigmen zu einer Poetik der Entzifferung und des Schreibens, München: Wilhelm Fink, 1995; Gilbert, Annette: »›Asymmetrische Typographie‹. Zu den Lücken der Schrift in der jüdischen Tradition«, in: Giertler/Köppel (2012), S. 185-205. 49 | Ouaknin, Marc-Alain: Das verbrannte Buch. Den Talmud lesen, aus dem Frz. übers. von Dagmar Jacobsen und Lutz Mai, Weinheim/Berlin: Quadriga, 1990, S. 117f.
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S chrift im R aum Im Denken jüdischer Mystik lodert im Schriftgrund ein weißes Feuer unlesbarer Schrift, auf das das schwarze Feuer der lesbaren Schrift gesetzt ist.50 In philosophischen und literarischen Positionen, die sich auf diesen Gedanken beziehen, findet diese emphatische Aufladung der Spatialität zahlreiche metaphorische Entfaltungen, die sich allesamt auf eine zwischen den sichtbaren Zeichen wirkende exzessive Pluriformität konzentrieren. So wird das Spatium etwa mit dem Sand der Wüste und mit einem weißen Rauschen verglichen, um sich so einer noch nicht zur Schrift geronnenen Potentialität des Schreibens anzunähern, an das Spiel der différance, das in der Lücke zwischen den Zeichen vibriert.51 In einer Parallelisierung von Potentialität und Messianität gibt Gershom Scholem so etwa die einflussreiche Mystik des Rabbi Levi Isaak von Berditschew (1740–1810) wieder, dessen Lehre er mit den Worten wiederholt: »Aber es verhält sich so, daß auch das Weiße, die Spatien in der Torarolle, aus Buchstaben besteht, nur daß wir sie nicht wie das Schwarze der Buchstaben zu lesen haben. In der messianischen Zeit aber wird Gott auch das Weiße an der Tora, dessen Buchstaben jetzt für uns unsichtbar geworden sind, offenbaren [...].«52
Dem weißen Spatium zwischen schwarzen Buchstaben entspricht in The Dance Sections das Bic-Blau des Bühnenbilds. Dieses ist für sich genommen bereits ein Schriftbild, eine wilde Juxtaposition von Strichen, Kritzeleien und Krakeluren auf der Fläche. Ihr Schimmern und Flirren, der polychrome Eindruck der blauen Tinte, die je nach Einfallswinkel des Lichts ins Rötliche, Grünliche oder Silberne changieren kann, lassen die vibrierende Potentialität des Spatiums sichtbar werden. In den unzähligen blauen Markierungen, analog dem metaphorischen Wüstensand und dem lodernden weißen Feuer zwischen den Schriftzeichen, zeigt sich so die ontologische Grundierung von Tanz als Schrift. Die räumliche Inskription geht aus der Fülle aller potentiellen Inskriptionen, dem Wirrwarr der unendlichen Differenzierbarkeit von Formen hervor und realisiert in jedem Augenblick nur jeweils eine Möglichkeit zur Schriftkonstellation, um im nächsten 50 | Siehe exemplarisch Rojtman, Betty: Black Fire on White Fire. An Essay on Jewish Hermeneutics, from Midrash to Kabbalah, aus dem Frz. übers. von Steven Rendall, Contraversions, Critical Studies in Jewish Literature, Culture, and Society 10, Berkeley (CA)/Los Angeles (CA)/London: University of California Press, 1998. 51 | Für die reichhaltige Beziehung zwischen dem Textverständnis jüdischer Mystik und poststrukturalistischen Modellen von Schrift sei pars pro toto verwiesen auf Idel, Moshe: »White Letters. From R. Levi Isaac of Berditchev’s Views to Postmodern Hermeneutics«, in: Modern Judaism 26:2 (2006), S. 169-192. 52 | Scholem, Gershom: Zur Kabbala und ihrer Symbolik, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1973, S. 111 (Orthographie wie im Original).
D ifferenzieren Augenblick wieder von der blauen Zwischenräumlichkeit eingesogen zu werden. Das, was zunächst war, die Offenheit des Noch-Nicht-Tanzes, erscheint in der Folge als Spatium zwischen den Tanzinskriptionen. Zwischen den Körpern als Zeichen und Zeicheninstrumenten, bewegt oder zur Pose erstarrt, wird so das Andere dieser Zeichen visualisiert, das Gestöber uncodierter, unlesbarer Kritzelei als die Herkunft und der Hintergrund von Tanz als Schrift im Raum.
1.5 Schriftbild: Hieroglyphe Mit welchem Modell von Schriftbildlichkeit lässt sich nun die écriture corporelle von The Dance Sections betrachten? Angesichts der extremen Mortifikation in den Arretierungen der Tänzer*innen bietet es sich an, die Interpretation ihrer stillgestellten Figurationen als Hieroglyphen und damit als ein Modell von Schriftbildlichkeit aufzugreifen, das in seiner Rezeptionsgeschichte durch einen ebenso großen Todesbezug gekennzeichnet ist. Hintergrund einer solchen Interpretation ist so weniger der historische Befund ägyptologischer Forschung als vielmehr die Tradition einer Hieroglyphenfaszination, die kurioserweise an der Idee der Nicht-Entschlüsselbarkeit von Hieroglyphen und deren Gleichsetzung mit Geheimnis festhielt, als die historischen altägyptischen Inschriften bereits entziffert waren.53 Es ist diese Verknüpfung von Hieroglyphizität mit Opazität oder Enigmatismus, die, unter Einbeziehung eines zweiten Aspekts der Hieroglyphenfaszination, der Aufladung mit einem Spiritualitäts- oder Transzendenzaspekt, etwa Gert Mattenklott dazu bewogen haben mag, die Tänzer*innen aus dem Ballettteil von Das Glas im Kopf wird vom Glas als »Körper-Hieroglyphen« zu bezeichnen, die im blauen Bühnenraum »Ornamente eines magischen Hermetismus« bilden.54 53 | So hielt sich auch nach dem gelungenen Entzifferungsversuch durch Jean-François Champollion eine spezifisch romantische Emphase am Geheimnischarakter von Hieroglyphen und konnte sogar, wie Friedrich Schlegel, den entzifferten ägyptischen Zeichen ihren Charakter als Hieroglyphen abstreiten, da es sich ja nunmehr um bloße Schrift handelte. Siehe Assmann, Jan/Assmann, Aleida: »Hieroglyphen. Altägyptische Ursprünge abendländischer Grammatologie«, in: Dies. (Hg.): Hieroglyphen. Stationen einer anderen abendländischen Grammatologie, Archäologie der Literarischen Kommunikation 8, München: Wilhelm Fink, 2003, S. 9-25, hier S. 10; Assmann, Jan: »Zur Ästhetik des Geheimnisses. Kryptographie als Kalligraphie im alten Ägypten«, in: Kotzinger/Rippl (1994), S. 175186; sowie Graczyk, Annette: Die Hieroglyphe im 18. Jahrhundert. Theorien zwischen Aufklärung und Esoterik, Berlin/Boston (MA): De Gruyter, 2014. 54 | Mattenklott, Gert: »›Ich bin durchtränkt mit meiner Widerspiegelung‹. Versuch über Jan Fabre«, in: Kunstverein Hannover (1992a), S. 17-22. Wiederab-
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S chrift im R aum Der Reiz dieses Lektüremodelles liegt demzufolge genau darin, dass die extremen langsamen oder arretierten Figurationen der Tänzer*innen eben gerade nicht gelesen, sondern in ihrer Schriftbildlichkeit betrachtet werden. Jenseits der Unverständlichkeit der écriture corporelle von The Dance Sections, die diese ja nicht vor anderen Arten ebenso unlesbarer Tanzschrift auszeichnet, sind es so der Bezug von Schrift und Bild und hier insbesondere der Aspekt der Figürlichkeit, die einen Vergleich zu hieroglyphischen Zeichen nahelegen. Gleichermaßen Bilder wie Schriftzeichen ist Hieroglyphen eine hybride, doppelte Natur zu eigen, wie auch die simulierten Körperzeichen in The Dance Sections ja zugleich Körperbilder und Zeichen sind. An die Reliefartigkeit und die Figürlichkeit von Hieroglyphen erinnert zudem, wie Fabre seine Körperzeichen inszeniert und vor allem arrangiert; frontal ausgerichtet und gereiht sowie – zumal als nackte Körper oder als Körper im Harnisch – vom Bühnenhintergrund scharf konturiert, wie es besonders in den Schwarz-Weiß-Photographien zu erkennen ist, die Helmut Newton von der Tänzerin Maria Voortman aufgenommen hat: Gerade die Bezogenheit auf einen Hintergrund, mit dem die Tänzerin nicht verschwimmt, in den sie aber dennoch visuell eingebunden ist, verleiht ihrem Körperzeichen in Stillstellung und Pose einen dezidiert reliefartigen Charakter (Abb. 14).55 Und schließlich sei daran erinnert, dass die Hieroglyphen-Deutung der Körper bei The Dance Sections auch im Zusammenhang eines weiteren Aspekts europäischer Hieroglyphenfaszination gesehen werden muss, die gerade nicht auf die Mortifikation und Starrheit der Hieroglyphe abhebt, sondern deren attribuierte Fremdheit und Inkommensurabilität mit Bewegung und Performativität verknüpft. So lässt sich eine Verbindung ziehen von der Hieroglyphe als Denkfigur in schauspieltheoretischen Schriften Denis Diderots56 bis hin zu Schriften Antonin Artauds57, die wiederum komplexe Deutungen erfahren haben, die die druck in: Linck, Dirck (Hg.): Ästhetische Opposition. Essays zu Literatur, Kunst und Kultur, Fundus-Bücher 189, Hamburg: Philo Fine Arts, 1992, S. 293-304, hier S. 298. 55 | Fabre (2007), S. 51. 56 | Siehe Graczyk (2014), S. 115-139, sowie Körner, Hans: »Die Sprachen der Künste. Die Hieroglyphe als Denkmodell in den kunsttheoretischen Schriften Diderots«, in: Harms, Wolfgang (Hg.): Text und Bild, Bild und Text, DFG-Symposion 1988, Germanistische-Symposien-Berichtsbände 11, Stuttgart: Metzler, 1990, S. 385-398. Verwiesen sei außerdem auf die Deutung von Tanz als einer hieroglyphenartigen, unlesbaren Signatur bei Heinrich Heine; vgl. hierzu Müller Farguell, Roger W.: Tanz-Figuren. Zur metaphorischen Konstitution von Bewegungen in Texten. Schiller, Kleist, Heine, Nietzsche, München: Wilhelm Fink, 1995, S. 262-266. 57 | Siehe Artaud, Antonin: Das Theater und sein Double. Das Théâtre de Séraphin, aus dem Frz. übers. von Gerd Henniger, Frankfurt a.M.: Fischer, 1969,
D ifferenzieren
Abb. 14: Jan Fabre, The Dance Sections, Frankfurt a.M., 1989, Tanz: Maria Voortman, Photo: Helmut Newton.
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S chrift im R aum Hieroglyphizität von Bewegungen in Bezug zur écriture corporelle treten lassen.58 Im Zentrum dieser Verknüpfungen steht dabei erneut Stéphane Mallarmé, der den Tanz geradezu auf den Namen Hieroglyphe tauft: »le nom de Danse; lequel est, si l’on veut, hiéroglyphe.«59 Das Fremde und Inkommensurable von Tanzbewegungen als simulierte Figurationen von Schrift wird hier in der Denkfigur der arkanen Glyphe (Griech. γλυφή, Eingeritztes), der unlesbaren graphischen Darstellung eines Schriftzeichens reflektiert. In Bezug auf The Dance Sections ist dabei die Verbindung von Tanzfigur und Schriftzeichen auch auf die Glyphizität der Figuren des Klassischen Balletts bezogen, die in diesem Stück in endloser Fädelung zitiert werden.60 Diese Figuren sind Elemente eines Systems kombinierbarer Einheiten und zeigen bereits aufgrund dessen an sich Symptome von Schrift.61 Bei Fabre wird nun zusätzlich zu diesem allgemeinen schriftartigen Charakter der Ballettfiguren nicht nur deren Glyphizät im Sinne der Einritzung, Segmentierung und Skarifizierung sichtbargemacht, sondern überdies ihre Unlesbarkeit ausgestellt. S. 58. Vgl. hierzu Prager, Michael: »›Lebendige Hieroglyphen‹. Bali, Artaud und das Theater der Grausamkeit«, in: Köpping, Klaus-Peter/Rao, Ursula (Hg.): Im Rausch des Rituals. Gestaltung und Transformation der Wirklichkeit in körperlicher Performanz, Performanzen 1, Münster: Lit, 2000, S. 192-207; Pouillaude (2017a), S. 157-160. 58 | Siehe Derrida, Jacques: »Die Stimmen Artauds (die Kraft, die Form, die Furche)«, aus dem Frz. übers. von Nikolaus Müller-Schöll, in: Gerstmeier, Joachim/Müller-Schöll, Nikolaus (Hg.): Politik der Vorstellung. Theater und Theorie, Recherchen 36, Berlin: Theater der Zeit, 2006, S. 12-17. 59 | Mallarmé (1897), S. 185. Vgl. Pouillaude, Frédéric: »D’une écriture l’autre. L’Alphabet et l’hiéroglyphe, ou ce qu’on peut entendre par ›choré-graphie‹«, in: Colombo, Laura/Stefano Genetti, Stefano (Hg.): Pas de mots. De la littérature à la danse, Paris, Hermann: 2010, S. 33-50, hier S. 48. 60 | Die Fädelung, die Juxtaposition von Ballettfiguren könnte ebenfalls mit Vilém Flusser als ein Hinweis auf die Skripturalität von The Dance Sections herangezogen werden. Allerdings geschähe dies im gleichzeitigen Übernehmen von Flussers Gleichsetzung von Schrift und Linearität, die, mit Leroi-Gourhan gedacht, gerade die Strahlenförmigkeit vor-alphabetischer Graphismen ausschließen würde. Vgl. hierzu Flusser (1987), S. 10; Leroi-Gourhan (1980), S. 263. 61 | Vgl. William Forsythe im Gespräch mit Paul Kaiser: »The simplicity of classical ballet is precisely what enables it to be reproduced with such ease. I sometimes think of it as an unconscious mimicry of the printing press in Gutenberg’s time. In fact, there is something extremely alphabetical about traditional ballet figures and positions – they resemble glyphs.« Kaiser, Paul: »Dance Geometry«, Interview mit William Forsythe, in: Performance Research 4:2 (1999), S. 64-71, hier S. 65.
D ifferenzieren So sind Fabres Bewegungsfiguren im mehrfachen Sinne glyphisch: Als Elemente eines taxonomisch geordneten Systems werden sie in den Raum geritzt und zelebrieren dabei ihre eigene Nicht-Entzifferbarkeit als Tanzhieroglyphe.
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Abb. 15: Trisha Brown, Roof and Fire Piece (1975) Photo: Babette Mangolte.
2 Iterieren 2.1 Trisha Brown, Roof and Fire Piece (1973) Im Hintergrund türmt sich die Stadt. Dächer stapeln sich auf, schichten sich hintereinander, durchsetzt von Rohren und Kaminen, dazwischen runde Wassertanks, aufgesetzt auf Stelzen. Die Mauern backsteinfarben und grau, vereinzelt ein helles Grün von oxidiertem Kupfer und mattem Glas, über allem ein nebliger Himmel. Dann plötzlich Rot: eine Person in weiten scharlachroten Hosen, das Oberteil in gleichem Farbton. Hinter ihr, auf Dächern anderer Gebäude, werden weitere Personen sichtbar, auch sie in feuerroten Kleidern. Mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend hebt die erste Person ihre Arme, breitet sie aus wie zum Abflug vom Dach. Sie hebt ihre Arme über den Kopf und senkt sie, zunächst gleichzeitig, dann einen Arm nach dem anderen. Sie spreizt ihre Finger, wendet den Kopf, dreht ihren Körper und streckt sich wie beim Spannen eines Bogens. Die Person auf dem Dach hinter ihr kopiert diese Bewegungen mit kaum merklicher Verzögerung und wiederholt möglichst exakt, was sie vor sich sieht. Auch sie hebt die Arme, senkt sie, gleichzeitig, nacheinander und vollzieht die Streckbewegung mit ihrem Oberkörper. Dabei wird die zweite Person von einer dritten und diese von einer vierten Person kopiert und so fort, bis alle Bewegungen, die von der ersten Person ausgingen, von Dach zu Dach weitergeleitet geworden sind, übertragen wie eine unbekannte Botschaft. Für Trisha Browns Roof and Fire Piece (1973) sind sechzehn Tänzer*innen auf Gebäudedächern im New Yorker Stadtteil SoHo positioniert.1 Sie bilden eine Kette, 1 | Roof and Fire Piece. Premiere: 420 West Broadway bis 35 White Street, New York City, 24.06.1973, Konzeption: Trisha Brown; Tänzer*innen: Carmen Beuchat, Trisha Brown, Douglas Dunn, Tina Girouard, Caroline Goodden, David Gordon, Nancy Green, Susan Harris, Elsi Miranda, Emmett Murray, Sylvia Palacios, Eve Poling, Sarah Rudner, Nanette Seivert, Valda Setterfield, Liz Thompson. Siehe Teicher, Hendel: »Chronology of Dances, 1961–1979«, in: Aeschlimann, Roland/
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S chrift im R aum die auf einem Dach an der Ecke West Broadway und Houston Street beginnt, dann sieben Blöcke auf der Nord-Süd-Achse und drei Blöcke auf der Ost-WestAchse überquert, bis sie schließlich auf einem Hausdach der White Street, Ecke Church Street enden. Die Tänzer*innen tragen dabei rote Hosen und Oberteile, deren Farbe dem Begriff Feuer im Titel Roof and Fire Piece korrespondiert. Das Stück hat einen Vorläufer im kurz Roof Piece benannten Stück aus dem Jahr 1971 mit weniger Performer*innen ohne farblich abgesetzte Kleidung.2 Beide Stücke sind strukturgleich und werden häufig gemeinsam unter dem nicht weiter differenzierten Titel Roof Piece angeführt.3 Berger, Maurice/Dies. (Hg.): Trisha Brown. Dance and Art in Dialogue, 1961–2001, Katalog Ausstellung Addison Gallery of American Art/Phillips Academy, Andover (MA) (27.09.–31.12.2002), The Tang Teaching Museum and Art Gallery at Skidmore College, Saratoga Springs (NY) (05.04.–22.06.2003), Contemporary Arts Museum, Houston (TX) (12.07.–14.09.2003), New Museum of Contemporary Art, New York (NY) (10.10.2003–10.02.2004), Henry Art Gallery, University of Washington, Seattle (WA) (25.03.–18.07.2004), Andover (MA): Addison Gallery of American Art/Cambridge (MA): MIT Press, 2002, S. 299-318. Siehe zu Roof and Fire Piece auch: Schwan, Alexander H.: »[ «מחול ככתב גוףMahol · k’chtav guf, Dance as écriture corporelle], aus dem Engl. übers. von Ora Brafman, in: מחול עכשיו [Mahol · ’akhshav, Dance Today] 27 (2014), S. 44-47; Ders.: »Scarlet Letters on the Roof. Figuration and De-Figuration in Trisha Brown’s Roof and Fire Piece (1973)«, in: Burkhalter, Sarah/Schmidlin, Laurence (Hg.): Spacescapes. Dance and Drawing Since 1962, Documents Series 24, Zürich/Dijon: JRP Ringier/Les Presses du réel, 2017, S. 60-73 (2017a). [Frz. Fassung: »Des Lettres écarlates sur le toit: Figuration et dé-figuration dans Roof and Fire Piece (1973) de Trisha Brown«, aus dem Engl. übers. von Christian Roy, in: Dies. (Hg.): Spacescapes. Danse et dessin depuis 1962, Documents Series 24, Zürich/Dijon: JRP Ringier/Les Presses du réel, 2017, S. 66-79 (2017b)]. 2 | Roof Piece, Premiere: 53 Wooster Street (Privatwohnung Trisha Brown) bis 381 Lafayette Street (Privatwohnung Robert Rauschenberg), New York City, 05.11.1971, Konzeption: Trisha Brown; Tänzer*innen: Trisha Brown und bis zu elf weitere Personen, Namen und exakte Anzahl unbekannt. Vgl. Teicher (2002), S. 312. Datum der Erstaufführung nach https://trishabrowncompany.org/repertory/roof-piece.html?ctx=date (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 3 | In ihrem eigenen Text »Three Pieces« aus dem Jahr 1975 weist Brown darauf hin, dass die Version aus dem Sommer 1973 am 17.07.1973 weitere Aufführungen im Mills College, Oakland (CA) erfuhr, hier jedoch in einer Kreisstruktur und vermutlich ohne Positionierung auf Dächern: »Instructions interpreted and directed by Rebecca Fuller. Circular format rendering the sender and receiver of the movement simultaneously visible to the audience. Indoor and outdoor versions. Public performances.« Brown, Trisha: »Three Pieces«, in: The Drama Review 19:1
I terieren In Roof and Fire Piece leiten die auf den Dächern von Loft-Gebäuden positionierten Tänzer*innen eine Bewegungssequenz weiter, indem sie Bewegungen der ihnen nächsten Person kopieren und ihrerseits von der nächsten Person hinter ihnen imitiert werden.4 So bewegt sich Trisha Brown auf dem nördlichsten Dach mit improvisierten Bewegungen, die jedoch für die Tänzer*innen, die mit ihr zusammenarbeiten, nicht in Gänze unvorhersehbar sein dürften. Diese Bewegungen werden von der Person kopiert, die auf dem nächstsüdlicheren Dach steht, den Blick nach Norden zu Trisha Brown gerichtet, und wiederum werden diese kopierten Bewegungen zum Vorbild für eine weitere Kopie auf dem nächsten Dach. So wird die Bewegungssequenz, die von Trisha Brown ausgeht, von Dach zu Dach übermittelt, bis Brown nach ca. fünfzehn Minuten mit einer tiefen Kniebeuge das vereinbarte Zeichen gibt, dass die Übertragung von Bewegung auf umgekehrtem Wege vollzogen wird. Denn ist die Kniebeuge bei Carmen Beuchat, der Tänzerin auf dem südlichsten Dach, angekommen und haben sich alle Tänzer*innen nach Süden hin ausgerichtet, geht nun von Beuchat eine neue Sequenz von Bewegungen aus, die von Dach zu Dach übertragen wird, bis sie von Trisha Brown beendet wird. Während die Vorläuferversion Roof Piece (1971) außer den Tänzer*innen selbst sowie einigen wenigen eingeladenen Personen kein öffentliches Publikum hat,5 werden für Roof and Fire Piece (1973) Zuschauer*innen mit einem eigens gestalteten Flyer eingeladen, der kartographisch die Struktur der Bewegungstransmission sowie die Positionen der Bewegungssendenden und -empfangenden verzeichnet (Abb. 16).6 Das Publikum ist gebeten, sich telefonisch (1975), S. 26-32, hier S. 26. Vgl. zu den Produktionsbedingungen von Roof Piece (1971) die detailreiche Einzelstudie: Graham, Amanda Jane: »Out of Site. Trisha Brown’s Roof Piece«, in: Dance Chronicle 36:1 (2013), S. 59-76. 4 | Die Tanzbeschreibungen dieses Kapitels beziehen sich auf die Filmaufnahmen, die Babette Mangolte von Roof and Fire Piece am 01.07.1973 anfertigen ließ, mit drei verschiedenen Kamerapositionen, die die Tänzer*innen des Stückes auf der ersten, mittleren und letzten Station der Bewegungsübertragung zeigen. Ursprünglich waren diese drei Aufnahmen für eine triptychonartige Installation bestimmt, in der alle drei Filmaufnahmen synchron gezeigt werden sollten. Diese Installation wurde erstmals 2001 im Rahmen der Ausstellung Century City in der Tate Modern, London realisiert. Siehe Blazwick, Iwona (Hg): Century City. Art and Culture in Modern Metropolis, Katalog Ausstellung Tate Modern, London (01.02.– 29.04.2001), London: Tate Publishing, 2001, S. 122. Für eine Schnittfassung mit Auszügen aus allen drei Filmaufnahmen, die auch den Tanzbeschreibungen zugrunde liegt, siehe: Brown, Trisha/Kertess, Klaus: Early Works 1966–1979 (DVD), Houston (TX): ARTPIX Notebooks, 2005. 5 | Siehe Graham (2013), S. 60. 6 | Aeschlimann/Berger/Teicher (2002), S. 298.
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Abb. 16: Trisha Brown, Einladungsflyer für Roof and Fire Piece (1975), 55.9 x 43.2 cm.
I terieren anzumelden und wird schließlich die Bewegungsübertragung von zwei Dächern aus verfolgen können. Vom Niveau der Straße aus ist die Performance nicht oder nur in sehr geringen Anteilen zu sehen. Aber auch das Publikum auf der Straße – und dies ist für die Interpretation der Bewegungstransmission als écriture corporelle entscheidend – sieht nie alle Tänzer*innen gleichzeitig, sondern erlebt die Performance nur partiell und aufgrund der Dachtopographie in extremer perspektivischer Verzerrung. Bereits diese wenigen Informationen mögen verdeutlichen, wie stark gerade dieses Stück Trisha Browns eine Umsetzung von Prinzipien des Postmodern Dance sind.7 Vor allem die Anordnung des Publikums auf Hausdächern und die damit einhergehende Aufsplitterung der Wahrnehmungsperspektiven setzen in extremer Zuspitzung die Entwicklung fort, die mit dem Judson Dance Theater zwischen 1962 und 1964 in der Judson Memorial Church am Washington Square des Greenwich Village begann: der Verzicht auf Proszeniumsbühne und
7 | Zum Postmodern Dance und zum Judson Dance Theater vgl. Janevski, Ana/Lax, Thomas J. (Hg.): Judson Dance Theater. The Work Is Never Done, Katalog Ausstellung Museum of Modern Art, New York (NY) (16.09.2018–03.02.2019), New York (NY): Museum of Modern Art, 2018; Banes, Sally: Democracy’s Body. Judson Dance Theater, 1962–1964, Studies in the Fine Arts. The Avant-Garde 43, Ann Arbor (MI): UMI Research Press, 1983; Dies.: Terpsichore in Sneakers. PostModern Dance, Nachdruck der Ausgabe Boston 1980, mit neuer Einleitung und Bibliographie, Middletown (CT): Wesleyan University Press, 1987; Dies.: Writing Dancing in the Age of Postmodernism, Middletown (CT): Wesleyan University Press, 1994; Dies. (Hg.): Reinventing Dance in the 1960s. Everything Was Possible, Madison (WI): University of Wisconsin Press, 2003; sowie Burt, Ramsay: Judson Dance Theater: Performative Traces, London/New York (NY): Routledge, 2006; LambertBeatty, Carrie: Being Watched. Yvonne Rainer and the 1960s, Cambridge (MA): MIT Press, 2008; Mazzaglia, Rossella: Judson Dance Theater. Danza e controcultura nell’ America degli anni Sessanta, Macerata: Ephemeria, 2010. Vgl. außerdem Perron, Wendy: »You Make Me Feel Like a Natural Woman. My Encounters with Yvonne, Simone, Anna, and Trisha«, in: Dies./Bennahum, Ninotchka Devorah/Robertson, Bruce (Hg.): Radical Bodies. Anna Halprin, Simone Forti, and Yvonne Rainer in California and New York, 1955–1972, Katalog Ausstellung Art, Design & Architecture Museum, University of California, Santa Barbara (14.01.–30.04.2017), Santa Barbara (CA): Art, Design & Architecture Museum/ Oakland (CA): University of California Press, 2017, S. 174-188; sowie speziell zu Aufführungsorten des Postmodern Dance Rosati, Lauren/Staniszewski, Mary Anne (Hg.): Alternative Histories. New York Art Spaces 1960 to 2010, Cambridge (MA)/ London: MIT Press, 2012.
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S chrift im R aum die Gleichberechtigung aller Blickwinkel auf das Tanzgeschehen.8 Die Körperbewegungen – und auch hierfür ist Roof and Fire Piece ein besonders markantes Beispiel – erteilen dabei den Idealen von Virtuosität, Alltagsenthobenheit und Überwältigung eine entschiedene Absage. Stattdessen operieren die Tänzer*innen mit einfachen körperlichen Bewegungen, den Grundmodi menschlichen Bewegens wie Gehen, Stehen, Liegen, Beugen, Strecken, Drehen, verbunden mit Elementen alltäglicher Handlungen. Trisha Brown, die sich selbst nicht im Zentrum des Judson Dance Theaters sieht und nach dessen Auflösung die dort zuweilen dominierende Rigidität in der Durchsetzung postmoderner Tanzprinzipien zugunsten eines spielerischen und freieren Umgangs mit Bewegungsinnovation ersetzt, wendet sich ab 1970 dem Außenraum der Stadt zu als einer urbanen Landschaft, die mit Bewegungen beschrieben und transformiert wird.9 Aspekte des Graphierens als Zeichnen und Skizzieren wie auch die von Brown immer wieder betonte Analogie von Tanzen und Schreiben begleiten dabei die Ausweitung von Tanzräumen auf Hauswände, Parkbänke, schwimmende Flöße und Dächer. In alldem zeigen Browns Arbeiten – und Roof and Fire Piece macht dies besonders deutlich –, wie im Tanzen die Möglichkeiten und Begrenztheiten von Bewegung autoreflexiv verhandelt werden können und so auch die Analogisierung von Tanz und Schrift über Bewegungen sichtbar gemacht wird.10 8 | Siehe Kraft, Susan L.: »Alternative Virtuosity in Postmodern Dance. The Proscenium and the Gymnasium«, Diss. New York University, New York (NY), 1989. 9 | Als wichtige Quelle zu Trisha Browns Arbeiten in den 1970er-Jahren sind die Arbeiten von Marianne Goldberg (1952–2015) zu nennen, allen voran ihre Dissertation (New York University, 1990), die 2019 in der Herausgabe von Christy Ann Brown in einer Memorial-Auflage von 50 Exemplaren posthum publiziert wurde. Im Folgenden wird aus der Fassung der eingereichten Dissertation zitiert, wie sie in der Bobster-Library der New York University eingesehen werden kann: Goldberg, Marianne: »Reconstructing Trisha Brown. Dances and Performance Pieces 1960–1975«, Diss. New York University, New York (NY), 1990, posthum hg. von Christy Ann Brown, Missoula (MT): Dendrite Press, 2019. Vgl. auch Dies.: »All of the Person’s Person Arriving«, Interview mit Trisha Brown, in: TDR 30:1 (1986), S. 149-170; sowie Dies.: Goldberg, Marianne: »Trisha Brown, U.S. Dance, and Visual Arts. Composing Structure«, in: Aeschlimann/Berger/Teicher (2002), S. 29-44. 10 | Die Entwicklung der Arbeiten Browns werden mit Laurence Louppe gerne als Verkettung von Zyklen beschrieben, wobei Roof and Fire Piece, aber auch Locus (1975) zum 1962 beginnenden Unstable Molecular Structure Cycle gehören. Zur Einteilung in Zyklen vgl. Louppe, Laurence: »Voyage dans l’œuvre de Trisha Brown«, in: Nouvelles de danse 17 (1993), S. 13-18; Fontaine, Geisha: »Les Bifurca-
I terieren Sowohl bei Roof and Fire Piece als auch bei Trisha Browns Locus, zu dem ebenfalls Photographien und Filmaufnahmen von Babette Mangolte vorliegen, ist zudem der mehrfache Medienwechsel zu berücksichtigen, der im Blick auf die Rekreationen von Roof Piece und ihre Widerspiegelung in Social Media (YouTube, Tumblr, Twitter etc.) sowie die medialen Appropriationen des Stückes durch andere Künstler*innen um ein Weiteres diversifiziert wird. Die Bewegungsübertragung und Transformation, die 1973 ja ihrerseits frühere Übertragungen im Jahr 1971 widerspiegelt, ist nur durch diese mehrfache mediale Brechung zugänglich und steht wiederum darin in Analogie zu Schrift, die sich auch von ihrem Entstehungskontext löst und in ein Netzwerk aus Zitaten, Kopien und Transkriptionen eingebunden ist.11 Die Analogie der Bewegungstransmission in Roof and Fire Piece zu Schrift und Schreiben hat mehrere Aspekte, von denen im Folgenden detailliert die Parallele zum System der optischen Telegraphie sowie die Frage der Iterabilität von Bewegung und Schrift erörtert werden. Letztere ist von besonderer Relevanz, da das Stück geradezu darauf aufbaut, dass die Exaktheit der Bewegungskopie tions du temps chez Trisha Brown«, in: Dies.: Les Danses du temps. Recherches sur la notion de temps en danse contemporaine, Pantin: Centre national de la danse, 2004, S. 209-224. Eine weniger an Vervollständigung und Abschluss orientierte Darstellung, wie es der Begriff der Zyklen suggeriert, unternimmt Susan Rosenberg für die frühen Arbeiten Browns. Sie konzentriert sich dabei auf die Frage, wie sich Bewegungskonzept und Bewegung zueinander verhalten und sieht die Arbeiten Browns im Sinne einer fortschreitenden Betonung der Bewegung gegenüber einem anfänglich dominierenden Konzept. Vgl. Rosenberg, Susan: »Trisha Brown. Choreography as Visual Art«, in: October 140 (2012), S. 18-44; sowie insbes. die gleichnamige umfangreiche Monographie: Dies.: Trisha Brown. Choreography as Visual Art, Middletown (CT): Wesleyan University Press, 2017a. Vgl. auch Crimp, Douglas: »You Can Still See Her. The Art of Trisha Brown«, in: Artforum 49:5 (2011), S. 154-160. 11 | Zum Verhältnis von Tanz zu Photographie und Film bei Babette Mangolte vgl. vor allem Mangolte, Babette: »Der Balanceakt zwischen Instinkt und Vernunft, oder wie man in Fotografien, Filmen und Videos von Performances Volumen auf einer Fläche organisiert«, aus dem Engl. übers. von Margarethe Clausen, in: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien/Clausen, Barbara (Hg.): After the Act. Die (Re)Präsentation der Performancekunst, Reihe Theorie 3, Nürnberg: Verlag für Moderne Kunst, 2005, S. 35-52; Köhler, Kristina: »›Nothing Looks Like Live?‹ Grenzgänge des Performativen zwischen Tanz und Film bei Maya Deren und Babette Mangolte« in: Gygax, Raphael/Munder, Heike (Hg.): Zwischenzonen. Über die Repräsentation des Performativen und die Notation von Bewegung, Zürich: JRP Ringier, 2010, S. 83-98. Speziell zum Photographieverständnis Mangoltes vgl. Mangolte, Babette: »My History (The Intracable)«, in: October 86 (1998), S. 82-106.
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S chrift im R aum im Laufe der Transmission erodiert. Als letztendlicher Fluchtpunkt könnte sogar die vollkommene Nivellierung differenzierbarer und wiedererkennbarer Bewegungen angenommen werden, die Nichtbewegung als eine potentielle Selbstauslöschung der von Trisha Brown initiierten Struktur.12 Das Spiel mit wiederholter Kopie, einschließlich der Erosion von Exaktheit und dem nicht erreichten, aber dennoch partiell antizipierten Fernziel der Strukturlosigkeit, rekurriert dabei auch auf Kommunikationsspiele wie Stille Post. Dass dieses Spiel im Englischen auch als Telephone Game bekannt ist, scheint die Analogie von Tanz und Schrift scheinbar zur Parallelisierung von Sprechen und Bewegen zu verschieben und so nolens volens erneut eine Primatstellung von Oralität gegenüber Literalität zu behaupten. Dem kann jedoch der explizite Schriftbezug der optischen Telegraphie entgegengehalten werden, auf den Brown mit Roof and Fire Piece rekurriert.
2.2 Telegraphie Die Anordnung von Roof and Fire Piece, die Positionierung der Tänzer*innen auf in Sichtweite voneinander befindlichen Dächern, die Weitergabe der Bewegungen von Dach zu Dach und nicht zuletzt der Charakter dieser Bewegungen selbst erinnern an eine frühe Form der Telegraphie. Entwickelt im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts wurden in der sogenannten Optischen Telegraphie Nachrichten mittels codierter Konfigurationen von Telegraphenstation zu Telegraphenstation weitergereicht. Nach früheren Versuchen, Nachrichten und Botschaften übersetzt in visuelle Signale (Feuer, Licht etc.) stafettenartig zu transportieren,13 gelang die optische Telegraphie erstmalig 1791 dem französischen Ingenieur Claude Chappe und seinen Brüdern Abraham and Ignace.14 Ihre 12 | Siehe Rosenberg (2012), S. 37. 13 | Zu Textberichten über Vorläufer der optischen Telegraphie und der Frage, inwiefern die Übersetzungen dieser Texte bereits die Kenntnis späterer Erfindungen auf der optischen Telegraphie voraussetzen, siehe insbes. Probst, Daniel: Evolution der Medien. Kommunikationswissenschaftliche Überlegungen am Beispiel der Telegraphie, Stuttgart: ibidem, 2004, S. 97-100. 14 | Zur Geschichte der optischen Telegraphie allgemein siehe die beiden umfangreichen Text- und Bildsammlungen Fédération nationale des associations de personnel de La Poste et de France Télécom pour la recherche historique (Hg.): La Télégraphie Chappe, Jarville-La Malgrange: Editions de l’Est, 1993; Beyrer, Klaus/ Mathis, Birgit-Susan (Hg.): So weit das Auge reicht. Die Geschichte der optischen Telegraphie, Katalog Ausstellung Museum für Post und Kommunikation Frankfurt a.M. (27.04.–30.07.1995), Frankfurt a.M.: Museumsstiftung Post und Kommunikation, 1995. Vgl. außerdem Kittler, Friedrich: »Geschichte der Kommunikationsmedien«,
I terieren Erfindung war der sogenannte Tachygraph, wörtlich Schnell-Schreiber (Griech. ταχύς, tachýs, schnell und γράφειν, gráphein, schreiben), der erst später umbenannt wurde in Telegraph, Fern-Schreiber (Griech. τῆλε, tēle, fern; γράφειν, gráphein, schreiben). Dieser optische Telegraph bestand aus einem Mast oder Semaphor, wörtlich Zeichenträger (Griech. σῆμα, sēma, Zeichen und φέρειν, phérein, tragen), mit verstellbaren hölzernen Armen, deren Positionen mit einer Codierung versehen werden konnten. Die Hintereinanderschaltung vieler solcher optischer Telegraphe ermöglichte daher über kopierte Konfiguration der Semaphorarme die Weitergabe codierter Nachrichten. Bereits 1793/94 kam es zum Bau der ersten 225 km langen Fernlinie von Paris bis Lille, und diese wurde zum Vorbild für weitere Systeme optischer Telegraphie, die parallel zu Claude Chappe und seinen Brüdern innerhalb weniger Jahrzehnte in Europa und Amerika erfolgreich Verbreitung fanden und primär militärischen und wirtschaftspolitischen Zwecken dienten. Ab den 1850er-Jahren wurde die optische Telegraphie zunehmend von der aufkommenden elektrischen Telegraphie ersetzt.15 Nur vereinzelt haben sich die zur besseren Sichtbarkeit zumeist auf Dächern und Anhöhen installierten optischen Telegraphen bis heute erhalten bzw. sind in die Namensgebung urbaner und ruraler Topographie eingegangen (z.B. Telegraph Hill, San Francisco). Der gegenüber der späteren Morsetechnik unrentable personelle Aufwand der optischen Telegraphie ergab sich aus der Tatsache, dass jede Telegraphenstation mit mindestens einer Person besetzt war, die die benachbarte Station observieren und deren Konfiguration der Semaphorarme mittels mechanischer Hebel bei der eigenen Station imitieren musste. Innerhalb des Chappe-Systems konnten dabei sechs bewegliche Zeigearme bedient werden. Da jeder dieser sechs Arme drei Positionsmöglichkeiten hatte, ergaben sich insgesamt 3567 verschiedene Konfigurationsmöglichkeiten, die zur besseren Übersichtlichkeit auf ein Set von 196 Möglichkeiten der Armposition reduziert wurden. Über die Codierung der einzelnen Positionen war es möglich, Buchstaben, Zahlen sowie ganze Wörter und Sätze verschlüsselt von der ersten zur letzten Station zu in: Huber, Jörg/Müller, Martin (Hg.): Raum und Verfahren, Interventionen 2, Zürich: Museum für Gestaltung; Basel/Frankfurt a.M.: Stroemfeld/Roter Stern, 1993, S. 180-182; Ders.: »Lakanal und Soemmering. Von der optischen zur elektrischen Telegraphie«, in: Felderer, Brigitte (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien/New York (NY): Springer, 1996, S. 286-295; Beauchamp, Kenneth George: A History of Telegraphy. Its Technology and Application, IEE History of Technology Series 26, London: Institution of Electrical Engineers, 2001, S. 6-19. 15 | Siehe Wenzlhuemer, Roland: Connecting the Nineteenth-Century World. The Telegraph and Globalization, Cambridge u.a.: Cambridge University Press, 2013, S. 63f.
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S chrift im R aum senden, wobei der Entschlüsselungscode nur in der ersten und letzten Semaphorstation bekannt war. Alle Zwischenstationen leiteten nur die Abfolge der Konfigurationspositionen der sechs Semaphorarme an die nächste Station weiter, ohne diese in den Text zurückübersetzen zu können, der an der ersten Station aufgegeben wurde. Die Ähnlichkeiten zwischen dem System der optischen Telegraphie und Trisha Browns Stück Roof and Fire Piece sind evident: Beide bedienen sich exponierter und erhobener geographischer Positionen und transmittieren über eine längere Strecke eine Sequenz unterschiedlicher linearer Konfigurationen. Deren jeweilige Gestalt ergibt sich aus der Kombination einer vertikalen Achse, der Semaphor bzw. der Körper einzelner Tänzer*innen, mit davon abzweigenden Nebenachsen, den sechs Armen des optischen Telegraphen bzw. den zwei Armen der Tänzer*innen. Der Vergleich zwischen einem Semaphor und dem menschlichen Körper als einem »Signalwesen der Glieder«16 ist dabei ein alter; bereits historische Zeichnungen zur Erklärung der optischen Telegraphie belegen eine Parallelisierung zwischen Telegraph und Körper (Abb. 17). Trisha Brown selbst zieht einen direkten Vergleich zwischen optischer Telegraphie und Roof and Fire Piece, der sich insbesondere auf die als semaphorartig beschriebenen Bewegungen der Tänzer*innen bezieht.17 Trisha Brown und Carmen Beauchat setzen denn auch in ihren initial gesendeten und dann übertragenen Bewegungen vor allem auf deutliche Modifikationen im Armbereich, während Rumpf und Beine vergleichsweise unbewegt bleiben. Damit wird die Sichtbarkeit der Bewegungen trotz der relativ großen Entfernung von Dach zu Dach gewährleistet, und gerade dieser Fokus auf Variationen der oberen Extremitäten erhöht den Analogiecharakter zur Fernschrift mit ihrem Schwerpunkt auf den differenzierbaren und codierbaren Positionen der Semaphorarme. 16 | Der Begriff »Signalwesen der Glieder« im Zusammenhang einer Parallelisierung von Semaphor und menschlichem Körper geht zurück auf Fritz Giese, der 1925 das Innovationspotential europäischer und amerikanischer Körperkultur beschreibt: »Und nun kommen weitere Dinge hinzu. Nämlich statt der Geste ein Bewußtsein. Statt Signalwesen der Glieder, statt abgewandelter Semaphorenkultur des Kriegsnachwuchses ein Wollen des Körperlichen. Eine Körperkultur. Die ›Schönheitsbewegung‹ bei uns – Isadora Duncan drüben sind zu erwähnen.« Giese, Fritz: Girlkultur. Vergleiche zwischen amerikanischem und europäischem Rhythmus und Lebensgefühl, München: Delphin-Verlag, 1925, S. 11 (Orthographie wie im Original). Vgl. auch Rieger, Stefan: Die Individualität der Medien. Eine Geschichte der Wissenschaften vom Menschen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2001, S. 309-312. 17 | Brown (1975), S. 26: »Simple, semaphor-like [sic] movement (joint articulation and perpendicular and parallel lines).« Vgl. außerdem Siegel, Marcia B.: »Dancing on the Outside«, in: The Hudson Review 60:1 (2007), S. 111-118, hier S. 115.
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Abb. 17: Französischer Optischer Telegraph, Kolorierte Tuschezeichnung, © Museumsstiftung Post und Telekommunikation/Museum für Kommunikation Frankfurt a.M.
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S chrift im R aum Der Präzision halber muss allerdings angemerkt werden, dass die Vergleichbarkeit sich weniger auf die Bewegungen selbst denn auf die Gestalt der durch diese Bewegungen hervorgebrachten Konfigurationen bezieht. Denn optische Telegraphie und Roof and Fire Piece unterscheiden sich gerade explizit in der Frage von Kinesis: Während im Chappe-System die beweglichen Arme nach vollzogener Konfigurierung jeweils kurz wie in einer Pose einrasten – darin eher den Ballettposen der Tänzer*innen Fabres aus The Dance Sections vergleichbar –, ist die Bewegung bei Trisha Brown fließender, ohne betonte Rupturen des Bewegungsflusses und ohne gehaltene Posen. Es handelt sich um die für Brown typischen einfachen Bewegungen des Streckens, Beugens und Drehens, die mit mittlerer Dynamik ausgeführt werden. Zwar verhält sich auch dieses »mouvement brownien«18 synkopisch und operiert mit unregelmäßigen, ruckartigen Beschleunigungen und Verlangsamungen, inklusive winziger Rupturen, dennoch überwiegt, anders als bei der optischen Telegraphie, der Eindruck eines kontinuierlichen Bewegungsflusses. Ein weiteres Argument gegen die Komparabilitat von optischer Telegraphie und Roof and Fire Piece, die Dreidimensionalität als vermeintliches Alleinstellungsmerkmal von Tanzbewegung im Gegensatz zur Schrift, kann dagegen entkräftigt werden: Wegen der großen Entfernung zwischen den einzelnen Dächern von SoHo können die Bewegungen der Tänzer*innen grundsätzlich nicht als dreidimensional wahrgenommen werden. Ein binokulares Sehen ist nur in einem relativ kleinen Abstand möglich, der bei den Entfernungen in Roof and Fire Piece deutlich überschritten wird.19 Damit gleichen sich die Veränderungen in der Körpergestalt der Tänzer*innen und die Transfigurationen des Semaphors: Beide werden, obgleich im Raum und damit dreidimensional hervorgebracht, nur als zweidimensionale Gefüge wahrgenommen. Anders als bei weiteren Beispielen postmodernen und zeitgenössischen Tanzes, bei denen 18 | Zum spezifischen Bewegungsstil Trisha Browns als einem »mouvement brownien«, ein von Guy Scarpetta geprägter Term in Übernahme des französischen physikalischen Begriffs für brownsche Bewegung, die ruckartige, unregelmäßige Bewegung mikroskopisch kleiner Partikel in Flüssigkeiten und Gasen, siehe Scarpetta, Guy: L’Artifice, Paris: Grasset, 1988, S. 176: »Trisha Brown [...] – invention d’un étrange mouvement moléculaire à partir des contraintes arbitraires (materialisées ou invisibles), rebondissements, chocs, percussions, battements, précipitations: une façon de ne poser des limites que pour les déjouer, ou les transgresser [...], de pulvériser la dynamique pour mieux l’exacerber.« Vgl. auch Ders.: »Trisha Brown. Le Mouvement brownien«, in: art press international 33 (1979), S. 8; Louppe, Laurence: »Le Mouvement brownien (suite)«, in: art press international 140 (1989), S. 51. 19 | Vgl. Howard, Ian P./Rogers, Brian J.: Binocular Vision and Stereopsis, Oxford Psychology Series 29, Oxford/New York (NY): Oxford University Press, 1995.
I terieren Zweidimensionalität erst bewusst in der Gestaltwahrnehmung hergestellt werden muss, um so die Analogie zur Schrift zu erhöhen, ist für alle Beteiligten an Roof and Fire Piece, Tanzende und Publikum, nur eine Bewegungswahrnehmung ohne räumliche Tiefe möglich. Die größte Differenz zwischen optischer Telegraphie und Roof and Fire Piece bleibt so das Fehlen einer Codierung der Bewegungen, die von Trisha Brown und ihren Tänzer*innen über die Dächer von Manhattan gesendet werden. Herauszustellen ist dabei, dass diese signalisierenden Bewegungen nicht nur frei von einem arbiträr zugeordneten Referenzsystem sind, sondern als Tanzbewegungen schlechterdings uncodierbar bleiben, weil hier keine Differenzierbarkeit gegeben ist. Gerade aufgrund des typischen Bewegungsstils Trisha Browns, der nicht auf Pausen und Posen basiert, sondern die Kontinuität eines Bewegungsflusses sucht, können anders als bei der mit Arretierungen von SemaphorKonfigurationen operierenden optischen Telegraphie keine disjunkten Zeichen geschrieben und gelesen werden. Die Analogie zwischen beiden Systemen der Konfigurationsübertragung gewinnt an Evidenz im Vergleich der möglichen Positionen des Chappe-Telegraphen mit Zeichnungen Trisha Browns, die zeitgleich zu Roof and Fire Piece (1973) entstehen (Abb. 18).20 In einem Set von neun Zeichnungen beschäftigt sich Brown mit der Varianz geometrischer Konfigurationen, ohne dass diese Zeichnungen jedoch im engeren Sinne als Notation oder Score zu Roof and Fire Piece zu ver 20 | Reproduktionen dieser Zeichnungen u.a. in: Musées de Marseille (Hg.): Trisha Brown. Danse, précis de liberté, Katalog Ausstellung Centre de la Vieille Charité, Marseille (20.07.–27.09.1998), Marseille: Musées de Marseille, 1998, S. 40f.; Eleey, Peter (Hg.): Trisha Brown. So That the Audience Does Not Know Whether I Have Stopped Dancing, Katalog Ausstellung Walker Art Center, Minneapolis (18.04.–20.07.2008), Minneapolis (MN): Walker Art Center, 2008a, S. 47-54; Molesworth, Helen (Hg): Dance/Draw, Katalog Ausstellung Institute of Contemporary Art, Boston (07.10.2011–16.01.2012), Frances Young Tang Teaching Museum and Art Gallery at Skidmore College, Saratoga Springs (NY) (14.07.–30.12.2012), Ostfildern: Hatje Cantz/Boston (MA): The Institute of Contemporary Art, 2011, S. 46f. Zum Verhältnis von Zeichnung und Tanz bei Trisha Brown vgl. auch: Teicher, Hendel: »Danse et Dessin/Dancing and Drawing. Interview mit Trisha Brown«, in: Musées de Marseille (1998), S. 13-33; Rosenberg, Susan: »Trisha Brown. The Sign of Gesture«, in: Trisha Brown. Drawing on Land and Air, Katalog Ausstellung Contemporary Art Museum Tampa/University of South Florida (12.01.– 03.03.2007), Tampa (SF): Contemporary Art Museum Tampa/University of South Florida, 2007, unpag.; Eleey, Peter: »If You Couldn’t See Me. The Drawings of Trisha Brown«, in: Ders. (2008), S. 18-35 (2008b).
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Abb. 18: Untitled, 1973, Graphit auf Papier, 35.9 x 43.2 cm, Detail aus einem Set von 9 Arbeiten, © Estate of Trisha Brown, courtesy of Sikkema Jenkins & Co., New York.
Abb. 19: Semaphorstellungen des Französischen Optischen Telegraphen, Tuschezeichnung, © Museumsstiftung Post und Telekommunikation/Museum für Kommunikation Frankfurt a.M.
I terieren stehen wären. Brown geht es lediglich darum, die Möglichkeiten der Konfiguration von Linien und Winkeln auszuloten und sie einer taxonomischen Ordnung zu unterstellen. Genau in dieser taxonomischen Ordnung der Varianz gleichen sie historischen Zusammenstellungen der Positionen des Chappe-Systems mit ihren aufgelisteten Positionen der Semaphorarme im Verhältnis (Abb. 19). In beiden Fällen werden Linien und Winkel in verschiedener Weise kombiniert und diese Kombinationen voneinander klar unterschieden. Browns Beschäftigung mit solchen Sets von Konfigurationen ließe sich daher deuten als künstlerische Auseinandersetzung mit Fragen der Wiederholung und Differenz von Schriftzeichen. Insbesondere die Frage nach der notwendigen Granularität von Linienkombinationen und dem Maß ihrer Differenzierbarkeit findet in Browns Zeichnungen eine visuelle Präsenz. Aus der Sicht neuerer schrifttheoretischer Überlegungen auf dem Gebiet der Neurowissenschaft und Linguistik – zeitlich nach Brown entwickelt, ihre Arbeiten aber dennoch unbewusst kommentierend – kann dabei betont werden, dass die Fähigkeit, Schrift oder schriftartige Konfigurationen wahrzunehmen, an die Art und Weise gekoppelt ist, mit der in diesen Konfigurationen Linien und Winkel kombiniert sind. Der französische Hirnforscher Stanislas Dehaene verweist in diesem Zusammenhang etwa auf die evolutionäre Herausbildung der Fähigkeit zu linearer Konfigurationswahrnehmung.21 Hierbei sind vor allem die Winkelstellungen in Schriftzeichen zu nennen, deren jeweiliger Grad und jeweilige Ausrichtung die Bedingungen der Differenzierbarkeit von Linienkonfigurationen darstellen und so letztendlich ihre Codierbarkeit ermöglichen. Parallel zu diesem synchronen Argument Dehaenes, dass sich die Fähigkeit zur Winkelwahrnehmung evolutionär aus der Orientierung im Geflecht von Bäumen, Ästen und Zweigen herausgebildet habe, ließen sich auch auf dem Feld der Linguistik Positionen anführen, die im diachronen Vergleich verschiedener Schriftsysteme wiederkehrende visuelle Differenzmerkmale herausarbeiten, welche in unterschiedlichen Systemen zum Anker für attribuierte Codierung werden können.22 Zusammen mit der zeitlichen Nähe zu Tanzarbeiten wie Roof and Fire Piece (1973) oder Locus (1975) lassen Browns rasterförmige Anordnung von Linienund Winkelkombinationen nun dezidiert nach dem Verhältnis der Zeichnun 21 | Dehaene verweist auf Versuche mit Makaken, bei deren visueller Wahrnehmung von Linien und Winkeln die gleichen Hirnareale aktiviert werden wie bei der menschlichen Wahrnehmung von Schriftzeichen, die ebenfalls aus sich in unterschiedlichen Winkeln kreuzenden Linien bestehen. Dehaene zufolge ist die menschliche Fähigkeit zur Lesbarkeit von Zeichen angeboren und hat sich im Laufe der Evolution aus der Orientierung in der Natur mit ihren Liniengeflechten aus Bäumen und Zweigen herausgebildet. Siehe Dehaene (2010), S. 135-186. 22 | Siehe etwa Förster-Beuthan, Yvonne: »Versuch einer Phänomenologie des Buchstabens«, in: Ohashi/Roussel (2014), S. 193-206.
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S chrift im R aum gen zu Tanz und Bewegung fragen. Brown liefert mit ihren Zeichnungen keine Studien für ein Bewegungsalphabet im engeren Sinne, aber sie erkundet im Medium von Zeichnung die Möglichkeiten, Linien und Winkel einander zuzuordnen und dabei wiederkehrende Punkte in variierender Weise über Linien zu verbinden. In ihren Tanzarbeiten überträgt sie diese Möglichkeiten in Bewegung und fokussiert dabei wiederum auf Wiederholung und Differenz linearer Konfigurationen. Dabei sind diese Linien nicht zur Statik geronnen, wie die aus der Bewegung der zeichnenden Hand hervorgegangenen Zeichnungen, sondern werden in zweifacher Weise in den Stadt- bzw. Bühnenraum gezeichnet oder geschrieben. Zum einen sind hier die sich transformierenden Linien zu nennen, die mit der Gestalt des menschlichen Körpers erscheinen, der aufgerichtet und mit abgewinkelten Armen dem Semaphor der optischen Telegraphie gleicht. Die Konturen der Arme können dabei zu linearen Verzweigungen abstrahiert werden in Analogie zu den Balken eines Semaphors. Zum anderen – und dies ist das Besondere in der Übertragung gezeichneter Liniensysteme auf Tanz – sind hier die imaginären Linien zu nennen, die von Bewegungen des Körpers und einzelner Körperteile hervorgerufen zu werden scheinen. In Roof and Fire Piece sind es vor allem die Arme mit zeigenden Gesten der Hände, deren Bewegung die Vorstellung evoziert, dass die Finger Punkte auf einer linearen Bahn im Luftraum verschieben oder zwei imaginäre Raumpunkte über eine Linie miteinander verbinden. William Forsythe versucht denn auch seine Sicht auf Browns Raumverständnis unter der prägnanten Formel »Points in space!«23 zusammenzufassen, wobei in der doppelten Bedeutung von Raumpunkten (points) und den deiktischen, hinweisenden Bewegungen des Zeigens (to point) Bewegung und Imagination konvergieren und zudem nachgeordnet auf den englischen Begriff für Spitzenschuh (pointe shoe) angespielt wird. So können mit Forsythe auch die Bewegungen der Tänzer*innen von Roof and Fire Piece als die transitorische Etablierung imaginärer Linien wahrgenommen werden, die zwischen ebenso imaginären Punkten gezogen oder nachvollzogen werden. Tanzen wäre in diesem Sinne ein drawing, ein Ziehen und Zeichnen vorgestellter Lineaturen im Raum. Die Verschiebung dieser vergleichsweise losen Parallelisierung von Zeichnen und Tanzen hin zur engeren Analogie von Tanz und Schrift bzw. Tanzen und Schreiben erfolgt im Fall von Roof and Fire Piece in der Kombination mit 23 | Trisha Brown berichtet im Gespräch mit Klaus Kertess, dass William Forsythe am Rande einer Veranstaltung über Raumtheorie und Notation ihr gegenüber die emphatische Äußerung gemacht habe, »Trisha, I get it. Points in space, points in space!« Zitiert nach Brown, Trisha: »A Conversation with Trisha Brown and Klaus Kertess«, in Brown (2005). Siehe auch Bither, Philip: »From Falling and Its Opposite, and All the In-Betweens«, in: Eleey (2008), S. 8-17.
I terieren der sinnfälligen Transformation der Körperkontur. Diese wird zwar auch erst in der Gestaltwahrnehmung konstruiert und ist daher ebenfalls mit Anteilen von Imagination verbunden. Im Unterschied zum primär imaginären Ziehen von Linien knüpft die Abstraktion der Körperkonturen zu einem Gefüge aus sich transformierenden Linien jedoch deutlicher an reale Körperlichkeit an. Erst das Zusammenspiel aus Körperlineatur einerseits und Bewegungslineatur anderseits lässt im Tanzen Schrift und Schreiben konvergieren. Bei Roof and Fire Piece, und darin in Widerspiegelung zu Browns Zeichnungen, wird die Skripturalität bewegter Körper zudem durch die Repetition und Varianz der Konfigurationen erhöht, die von den Körpern gebildet und gezeichnet werden. Wie im Folgenden zu zeigen ist, nähert sich Tanzen an diesem Punkt deutlich an Schrift an, weicht aber in der entscheidenden Frage der Iterabilität einmal mehr der Identifizierung mit Schrift im engeren Sinne aus.
2.3 Kopie Die Tänzer*innen von Roof and Fire Piece übertragen die von Trisha Brown bzw. Carmen Beuchat improvisierte Bewegungssequenz von Dach zu Dach, indem sie mit ihren eigenen Körpern wiederholen und somit kopieren. Die Konvergenz von Kopie und Wiederholung ergibt sich dabei aus dem Doppelcharakter von Tanz als Produktion und Produkt: Die Tanzenden imitieren die Bewegung, die sie auf der vor ihnen liegenden Dachposition sehen, und bereits dieser Vorgang korporealen Nachahmens ist eine Kopie, die nun ihrerseits zur Vorlage weiterer Kopiervorgänge wird. Ausgeschaltet ist so eine Logik von Original und Ursprünglichkeit, da die zu wiederholende Bewegung ihrerseits eine Wiederholung darstellt. Keiner der Wiederholungen kommt eine größere Authentizität zu, alle sind zu gleichem Maße Emulationen von Nicht-Eigenem.24 Und auch für den Beginn der Bewegungsübertragung bei Trisha Brown und Carmen Beuchat ließe sich eine Vorursprünglichkeit von Kopie behaupten, da die Bewegungen, die sie senden, aufgrund der relativen Limitierung menschlicher Anatomie und Bewegungsfähigkeit immer schon in gewissem Maße die Kopie früherer Bewegungen des eigenen Körpers oder anderer Körper darstellen. 24 | Zur Verschränkung von Kopie und Original siehe vor allem Elkins, James: »From Copy to Forgery and Back Again«, in: The British Journal of Aesthetics 33:2 (1993), S. 113-120. Zur Problematik von Kopie und Tanz siehe ausführlich Schwan, Alexander H.: »›Beyoncé Is Not the Worst Copycat.‹ The Politics of Copying in Dance«, in: Forberg, Corinna/Stockhammer, Philipp (Hg.): The Transformative Power of the Copy. A Transcultural and Interdisciplinary Approach, Heidelberg Studies on Transculturality 2, Heidelberg: Heidelberg University Publishing, 2017c, S. 149-165.
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S chrift im R aum Dieser prinzipiell nicht-originale Charakter von Bewegung oder die Primariät des Repetierten werden zudem dadurch verstärkt, dass es sich bei dem kinetischen Material von Roof and Fire Pice um einfache Bewegungen mit oft nur einem Fokus und einer klaren Gerichtetheit handelt. Viele Bewegungen der Arme sind deiktisch und zeigen mit der Hand oder einem einzelnen Finger auf imaginäre Punkte im Raum. Die Alltäglichkeit und Simplizität dieser einzelnen Bewegungen garantieren geradezu, dass bereits am Anfang der beiden Transmissionen Wiederholungen von Bewegungen gesendet werden, die jeweils auf eine unendliche Vielzahl früherer Ausführungen kopierend antworten. Diese Vorursprünglichkeit von Responsion kann so verbunden werden mit einer nicht-pejorativen Sicht auf Kopie. Gerade weil Kopiervorgang und Kopierprodukt in der imitierten Bewegung konvergieren, kann eine Trennung zwischen einer wertneutralen oder positiv aufgeladenen Wiederholung und einer immer bloß sekundären und mit Aspekten von Schwachheit und Fälschung verbundenen Kopie nicht aufrechterhalten werden. Zusammen mit der Fiktion eines Ursprungs ist auch der abgeleitete Charakter von Kopie durch die Vorstellung einer unausweichlichen Wiederholung bereits getanzter Bewegungen und einer immer schon geschehenen Imitation zu ersetzen. Gerade weil Roof and Fire Piece diese Kopiehaftigkeit von Tanzbewegung auf den Dächern Manhattans ausstellt, lässt sich die Bewegung, die hier wiederholt wird, nicht nur mit Vorgängen des Schreibens und Nachschreibens, sondern mit einem Schriftsystem vergleichen, dass zuvorderst auf Wiederholbarkeit angelegt ist. Wenn nach Derrida selbst scheinbar nicht-schriftartige Bereiche, wie etwa die Stimme, von skripturalen Prinzipien bestimmt sind, eben weil auch dort Iterabilität eine unhintergehbare Voraussetzung des Zeichengebrauchs ist, so ließe sich diese Affizierung durch das Schriftprinzip der Iteration erst recht für Bewegung und Tanz geltend machen. Sie gilt dann auch bei Phänomenen, die zum einen nicht umhinkönnen, immer schon mit Wiederholungen früherer Wiederholungen zu operieren, weil die kinetischen Möglichkeiten der menschlichen Anatomie nicht unendlich sind, und zum anderen, weil hier, anders als bei der Stimme, Wiederholung an Sichtbarkeit geknüpft ist. Dass nun in Roof and Fire Piece wie auch in anderen Arbeiten des postmodernen und zeitgenössischen Tanzes, die die Analogie von Schrift und Tanz autoreflexiv thematisieren, das Schriftprinzip von Iteration zum Prinzip von Inszenierung oder Bewegungsgenerierung erhoben wird, bedeutet geradezu eine Sichtbarmachung von Tanz als Schriftsimulation. Doch auch bei Schrift im engeren Sinne und erst recht im Übertrag auf die ja nur schriftähnlichen Tanzbewegungen gilt, dass die iterierte Inskription von Alterität affiziert ist, so wie auch der Begriff iter mit den beiden Bedeutungen von wieder und anders bereits auf die Verschränkung von Differenz und Wieder-
I terieren holung hinweist.25 Zwar muss eine Inskription iterabel sein und muss unabhängig vom Schreibenden in anderen Situationen so reproduziert werden können, dass sie wiedererkennbar ist, denn nur so ist ihre Lesbarkeit, ihre Decodierung gewährleistet. Doch diese Iterabilität eines Graphems in anderen Kontexten verbindet sich dabei mit der Kontamination durch die jeweilige Wiederholungssituation. Unausweichlich ist der wiederholten Inskription daher eine Differenz beigemischt, ist eine Dynamik der Alteration in das Schreiben eingegangen. Dieses ohnehin vorhandene Differenzmoment von Schrift wird nun bei Tanzbewegungen, wahrgenommen als Simulationen von Schrift, in einem ungleich extremeren Maße freigesetzt. Bei Roof and Fire Piece wird diese – pointiert als In-iterabilität zu bezeichnende Differenzierung – besonders sinnfällig, da hier die Kopiervorgänge im Vergleich untereinander verfolgt werden können. Der ungewöhnlichen Publikumsperspektive geschuldet, bei der die ebenfalls auf Hausdächern positionierten Zuschauer*innen immer nur einen Ausschnitt des Bewegungsgeschehens in einer extrem singulären Perspektive wahrnehmen können, wird die écriture in der Wahrnehmung um ein Weiteres in eine Mannigfaltigkeit multipler Facetten zersplittert.26 So führt das fortgesetzte Kopieren der scheinbar gleichen Bewe 25 | Siehe Derrida, Jacques: »Signatur Ereignis Kontext«, in: Ders.: Limited Inc., aus dem Frz. übers. von Werner Rappl, hg. von Peter Engelmann, Wien: Passagen, 2001, S. 15-45, hier S. 24. Vgl. auch Deleuze, Gilles: Differenz und Wiederholung, aus dem Frz. übers. von Joseph Vogl, München: Wilhelm Fink, 1992; Jäger, Ludwig: »Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen«, in: Krämer, Sybille (Hg.): Performativität und Medialität, München: Wilhelm Fink, 2004, S. 35-73, insbes. S. 38-41. 26 | So kann Roof and Fire Piece charakterisiert werden als »incremental, successive subtraction, which, if performed ad infinitum, would bring gesture to the point of almost completely shedding itself.« Rosenberg (2012), S. 37. Diese zunehmende Inexaktheit der wiederholten Kopien, die doch nicht vollständig Oberhand gewinnt, ließe sich wiederum als die Problematisierung einer simplen Gleichsetzung von Performance mit unvermeidbarer Selbst-Annihilierung deuten, wie sie etwa von Peggy Phelan geradezu als Definition von Performance in Abgrenzung zum Theater vertreten wird. Stattdessen wird bei Roof and Fire Piece die potentielle Selbstauslöschung von Performance in einer Bewegungsperformance selbst thematisiert. Vgl. ebd. sowie Phelan, Peggy: »The Ontology of Performance« in: Dies.: Unmarked. The Politics of Performance, London u.a.: Routledge, 1993, S. 146166. Siehe hierzu auch Rebecca Schneiders Kritik an der zu simplen Gleichsetzung von Performance und Flüchtigkeit bzw. Selbstauslöschung, die das kritische Potential von Performance zu schwächen droht: »Too often, the equation of performance with disappearance reiterates performance as self-annihilating. [...] If we adopt the equation that performance does not save, does not remain, and apply
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S chrift im R aum gung unweigerlich zu einer zunehmenden Inexaktheit und lässt die wiederholten Inskriptionen zu einer Quelle von Alteration und Potentialität werden. Das in inexakten Wiederholungen immer schon zum Kritzeln verschliffene Tanzschreiben verweist in die Zukunft und deutet einen, von Agamben im Rückbezug auf Benjamin geradezu als messianisch bezeichneten Möglichkeitsraum an. In diesem scheinen im Wechselspiel von Wiederholung und Differenz ein Anderssein von Realität und ein Anderswerden von Tanzschrift auf.27
2.4 Appropriation Erst im Rückblick auf die Wirkungsgeschichte dieser Inskription, einschließlich ihrer Rekreationen in den letzten Jahren in New York City, Los Angeles und anderen Städten, wird ihre immense politische und soziokulturelle Dimension deutlich. Denn Browns Besetzung des urbanen Raums mit Performances wie dem extensiv analysierten Man Walking Down the Side of a Building (1970),28 in it to performance generally, to what degree can performance interrogate archival thinking?« Schneider, Rebecca: »Performance Remains«, in: Performance Research 6:2 (2001), S. 100-108, hier S. 101. 27 | Giorgio Agamben entfaltet das messianische Potential von Wiederholung und Unterbrechung am Beispiel der Montagetechnik im Film. Seine Überlegungen lassen sich jedoch auch auf Repetition von Tanzbewegungen applizieren. »Die Kraft und die Gnade der Wiederholung, das Neue, das sie uns bringt, besteht in der Wiederkehr der Möglichkeit dessen, was gewesen ist. Die Wiederholung stellt die Möglichkeit des Gewesenen wieder her, sie macht es von neuem möglich, was beinahe ein Paradox ist. [...] Gemeinsam erfüllen die Wiederholung und die Stillstellung die [...] messianische Aufgabe des Films. Diese Aufgabe hat ihrem Wesen nach mit Schöpfung zu tun. Allerdings nicht mit einer auf die erste folgenden Neuschöpfung.« Agamben, Giorgio: »Wiederholung und Stillstellung. Zur Kompositionstechnik der Filme Guy Debords«, aus dem Frz. übers. von Jürgen Blasius, in: documenta GmbH/Joly, Françoise (Hg.): documenta X documents 2, Katalog Ausstellung documenta X, Kassel (21.06.–28.09.1997), Kassel: documenta/Ostfildern-Ruit: Cantz, 1996, S. 72-75, hier S. 73-75. 28 | Siehe etwa die wiederholt entfalteten Überlegungen von Wortelkamp, Isa: »Man Walking Down the Side of a Building. Zur Wahrnehmung von Stadtarchitektur in den Equipment Pieces von Trisha Brown«, in: Hardt, Yvonne/Maar, Kirsten (Hg.): Tanz. Metropole. Provinz, Jahrbuch Tanzforschung 17, Münster: Lit, 2007, S. 193-203; sowie Dies.: »Bewegte Bildräume. Zu den Fotografien der Site-Specific Performances von Trisha Brown«, in: Kelter, Katharina/Skrandies, Timo (Hg.): Bewegungsmaterial. Produktion und Materialität in Tanz und Performance, TanzScripte 44, Bielefeld: transcript, 2016, S. 353-363. Vgl. dagegen die deutlich kriti-
I terieren dessen Kontext auch Roof and Fire Piece gezählt werden kann, helfen nicht nur, urbane Architekturen zu lesen und als Inskriptionen sichtbar zu machen, die im Vergleich zu Bewegung zwar von größerer Dauer, aber ebenfalls begrenzt sind.29 Viel eher ist in einer radikalisierten Interpretation Michel de Certeaus, der die Hervorbringung von Raum durch Bewegung betont,30 auch das prägende Moment von Bewegungsmarkierung hervorzuheben. Roof and Fire Piece setzt in den Stadtraum von SoHo eine zwar flüchtige Inskription, die aber in ihrer medialen Präsenz zu einem entscheidenden Faktor im gesamten Prozess der Gentrifizierung gerade dieses Stadtteils wird.31 Browns Inskription über den Dächern von Manhattan markiert und modifiziert diese urbane Landschaft und wirkt so in emergenter Weise mit an langfristigen stadtarchitektonischen und sozialen Veränderungen. Um dies zu verdeutlichen, ist auf die architektonische und soziokulturelle Situation SoHos zu Beginn der 1970er-Jahre hinzuweisen, zu einer Zeit, in der die Modifizierung dieses seit den späten 1950er-Jahren dem Verfall preisgegebenen, vormals für Kleinindustrie genutzten Stadtteils bereits begonnen hat.32 Einen wichtigen Meilenstein in dieser Entwicklung stellt 1964 die Legalisierung der von Künstler*innen bis dahin illegal als Wohn- und Arbeitsraum genutzten Industrielofts dar. Die nun mit A.I.R. (Artist in Residence) gekennzeichneten Gebäude werden als Wohn- und Atelierflächen genutzt und ziehen Galerien und Kleingewerbe an, das sich auch auf den einsetzenden Publikumsverkehr ausrichtet, den Galerieeröffnungen und Performances im Stadtraum ermögli-
schere Auseinandersetzung mit Man Walking Down the Side of a Building als einer Appropriation von Stadtraum in: Thompson, MJ: »Doing Your Thing? Trisha Brown’s Object Lesson«, in: Women & Performance. A Journal of Feminist Theory 14:1 (2004), S. 153-163. 29 | Zur Ephemeralität von Architektur vgl. Latour, Bruno/Yaneva, Albena: »›Give Me a Gun and I Will Make All Buildings Move‹. An Ant’s View of Architecture«, in: Geiser, Reto (Hg.): Explorations in Architecture. Teaching, Design, Research, Basel: Birkhäuser, 2008, S. 80-89. 30 | Siehe Certeau, Michel de, Kunst des Handelns, aus dem Frz. übers. von Ronald Voullié, Berlin: Merve-Verlag, 1988, S. 117. Vgl. auch Kishik, David: The Manhattan Project. A Theory of a City, To Imagine a Form of Life 3, Stanford (CA): Stanford University Press, 2015, S. 229. 31 | Vgl. Thompson (2004), S. 155. 32 | Siehe Yee, Lydia: »When the Sky Was the Limit«, in: Dies. u.a. (Hg.): Laurie Anderson, Trisha Brown, Gordon Matta-Clark. Pioneers of the Downtown Scene, New York 1970s, Katalog Ausstellung Barbican Art Gallery, London (03.03.– 22.05.2011), München/London/New York (NY): Prestel, 2011, S. 13-25, hier S. 17.
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S chrift im R aum chen.33 Trisha Brown knüpft deutlich an diesen Wandel an und partizipiert an Strategien von Stadtteilentwicklungen durch geförderte künstlerische Intervention. Wie das Einladungsposter für Roof and Fire Piece handschriftlich eigens notiert wird das Stück vom National Endowment for the Arts 1973 staatlich unterstützt; in letzter Konsequenz trägt es damit zur beginnenden Gentrifizierung SoHos bei.34 Roof and Fire Piece ist also nicht nur eine poetisch-kritische Einschreibung in einen Stadtraum, die über flüchtige Tanzbewegung eine urbane Topographie anders erfahrbar macht und als subversive Avantgarde-Praxis neue Perspektiven auf die sonst weitgehend unbekannte Dachlandschaft Manhattans ermöglicht.35 33 | Vgl. Lawrence Alloway im Katalog zur großen SoHo-fokussierten Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste 1976: »What we have in SoHo is an artists’ quarter. The settlement of the area by artists was a predisposing condition, but it is not the sole reason for the area’s continuing success. This has been ensured by the establishment of art galleries and their attendant services aimed not only at the residents but at the visitors (the consumers). […] SoHo is a Bohemia very concerned with marketing of course […].« Alloway, Lawrence: »SoHo as Bohemia«, in: Block, René (Hg.): New York – Downtown Manhattan. SoHo, Katalog Ausstellung Akademie der Künste Berlin (05.09.–17.10.1976), Berlin: Akademie der Künste Berlin/Berliner Festwochen, 1976, S. 143-149, hier S. 145. Vgl. auch Perron, Wendy: »Exporting SoHo«, in: SoHo Weekly News, 30.12.1976, S. 13.29. Wiederabdruck in: Dies.: Through the Eyes of a Dancer. Selected Writings, Middletown (CT), Wesleyan University Press, 2013, S. 32-36. 34 | Im Jahr 1973 wurde Trisha Brown vom National Endowment for the Arts mit einem Betrag von $ 7.360,- gefördert. Babette Mangoltes berühmtes Photo zu Roof and Fire Piece ziert sogar den Jahresbericht des Fonds. Siehe National Endowment for the Arts/National Council on the Arts: Annual Report Fiscal Year 1973, Washington (DC): o.V., 1973, S. 45; S. 56, http://arts.gov/publications/1973-annualreport (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 35 | So argumentiert u.a. Burt, Ramsay: »Against Expectations. Trisha Brown and the Avant-Garde«, in: Dance Research Journal 37:1 (2005), S. 11-36, hier S. 25. Vgl. auch Ders.: »Interprètes et public dans ›Trio A‹ et ›Roof Piece‹«, in: Rousier, Claire (Hg.): Être ensemble. Figures de la communauté en danse depuis le XXe siècle, Pantin: Centre national de la danse, 2003, S. 231-240. Vgl. auch Browns Selbstmythisierung als subversive Künstlerin, die für Roof Piece gerade nicht die Erlaubnis der Stadt einholt: »There was a sense of being on our own down there in SoHo, we could do anything. For Roof Piece (1971) I obtained permission from the buildings’ tenants, but I didn’t seek permission from the City of New York in the form of permit.« Brown, Trisha: »All Work, All Play«, Gespräch mit Laurie Anderson, Jane Crawford, RoseLee Goldberg, Alanna Heiss und Lydia Yee, in: Yee u.a. (2011), S. 69-91, hier S. 77.
I terieren Verknüpft ist diese Transzendierung des Gewohnten auch mit der Eröffnung neuer Strategien von Vermarktung und ökonomischer Prosperität. Roof and Fire Piece hat einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Imagebildung von SoHo als einem durch künstlerische Intervention neu belebten und Attraktivität gewinnenden New Yorker Stadtteil der 1970er-Jahre, deren Konsequenzen, so die gentrifizierende Entwicklung, schließlich steigende Mieten, Austausch von Bevölkerungsstruktur und umfangreiche architektonische Modifikationen sind. Das Stück als Inskription, als zwar flüchtige, aber keineswegs spurlose Einschreibung, hat damit auch den Charakter einer Beanspruchung und Inbesitznahme und spiegelt gerade mit dieser Appropriation das Prägende und Einschneidende einer γραφή wider. Ablesen lässt sich diese prägende Mitwirkung an der Stadtteilentwicklung SoHos auch an der Photographie Babette Mangoltes, die die Tänzer*innen von Roof and Fire Piece vor dem Hintergrund der urbanen, von Rauch durchzogenen Stadtlandschaft Manhattans zeigt (Abb. 15). Durchaus als photographische Paraphrase des American Sublime früherer Landschaftsmalerei zu verstehen,36 wird die Photographie zum buchstäblichen Aushängeschild SoHos: Europäische Ausstellungen zur kulturellen Transformation SoHos 1976 in Genf und Berlin setzen die Photographie auf Plakate und das Deckblatt von Katalogen und heben damit dieses eigenständige künstlerische Dokument einer zunächst als flüchtig konzipierten Inskription in den Status einer ikonischen Verdichtung SoHos.37 Der markierende Charakter der Inskription von Roof and Fire Piece und die erheblichen Konsequenzen für den urbanen Stadtraum werden zudem deutlich, wenn die Version des Stückes in den Blick genommen wird, die 2011 am 36 | Vgl. Wilton, Andrew: »The Sublime in the Old World and the New«, in: Ders./Barringer, Tim (Hg.): American Sublime. Landscape Painting in the United States 1820–1880, Katalog Ausstellung Tate Britain, London (21.02.–19.05.2002)/Pennsylvania Academy of the Fine Arts, Philadelphia (17.06.–25.08.2002)/Minneapolis Institute of Arts (22.09.–17.11.2002), London: Tate Publishing, 2002, S. 10-37. Babette Mangolte formuliert prägnant den Zusammenhang zwischen dem telegraphischen Charakter von Roof and Fire Piece und dessen Bezug zur Tradition des American Sublime, die hier unter dem Stichwort majesty aufgegriffen wird: »For Trisha the choreography was testing how improvised movements appear at a distance and are transformed by transmission by a succession of dancers mimicking with variation what they see and how what has been transmitted at one end is different when received at the other end. The dance tested the erosion of movement by transmission as in telegraphy. It also was about revealing the majesty and privacy of downtown roofs and the sculptural effect of its water towers. Mangolte, Babette: »About Roof Piece«, 2007 (Hervorhebungen: A.S.), http://babettemangolte. org/maps.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 37 | Siehe Block (1976). Vgl. hierzu auch Perron (2013).
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S chrift im R aum südlichen Ende der High Line in Chelsea, New York City, stattfindet.38 Viel eher eine offene Rekreation als ein Re-enactment im engeren Sinne büßt das nun einfach Roof Piece genannte Stück nahezu vollständig das kritische und ironische Potential ein, das ihm noch in den Versionen der 1970er-Jahre zukommt.39 Im Gegensatz zur eingeschränkten Öffentlichkeit von Roof and Fire Piece (1973) oder der fast vollständigen Privatheit von Roof Piece (1971) kommt dem Stück in der Version von 2011 eine erheblich größere Zugänglichkeit und Sichtbarkeit im Stadtbild zu. Jetzt ist das Publikum aufgefordert, auf der High Line der Bewegungsübertragung der Tanzenden zu folgen und mit den Bewegungen mitzugehen.40 Die Bewegungen der in dieser Version neun Tänzer*innen der Trisha Brown Company scheinen detailreicher und präziser, zum einen wegen der geringeren Entfernung zwischen den einzelnen Positionen, aber auch aufgrund eines elaborierteren Körpertrainings der Tänzer*innen, deren rote Kostüme zudem stilistisch raffinierter gearbeitet sind als in der Version von 1973. Die augenfälligste Differenz liegt indes in der urbanen Topographie, in die dieses Mal die flüchtige Inskription gesetzt wird. Denn an die Stelle der auch 1973 trotz der bereits begonnenen Transformation immer noch dunklen und verfallenden Dacharchitektur mit ihren prägnanten Wassertürmen ist nun mit der High Line eine urbane Landschaft getreten, die geradezu als Sinnbild gentrifizierender Stadtgestaltung bezeichnet werden kann. Ältere umfunktionierte Industriearchitektur wird hier mit Neubauten und urbaner Landschaftsgestaltung kombiniert. Roof and Fire Piece, ursprünglich über die Dächer von SoHo geschrieben, findet damit im anderen New Yorker Stadtteil Chelsea exakt die Art gentrifizierter Topographie vor, zu der es selbst seit 1973 als markierende Inskription beigetragen hat. 38 | Roof Piece, High Line, New York City, 09.–11.06.2011. 39 | Siehe die Kritik der New York Times zur Rekreation von Roof Piece: »At its core Roof Piece at the High Line still preserved the work’s integrity, but the setting edged it precariously close to a gimmick. The work really belonged in Brooklyn. It would have been magnificent in Bushwick, with its vast sea of warehouses, and where the message could have been one about resilience.« Kourlas, Gia: »Red Chain Reactions Against the Sky«, in: New York Times, 12.06.2011, http://www.nytimes. com/2011/06/13/arts/dance/trisha-brown-dance-company-at-the-high-line-review. html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Das Narrativ eines neutralen Dialogs von Tanz und zeitgenössischer Architektur vertritt dagegen Rosenberg, Susan: »Dance and Building in Dialogue. Five Propositions on the Relationship Between Trisha Brown’s Choreography and Diller + Scofidio’s Architecture«, in: Foellmer, Susanne/Schmidt, Maria Katharina/Schmitz, Cornelia (Hg.): Performing Arts in Transition. Moving between Media, Abingdon/New York (NY): Routledge, 2019, S. 153-166. 40 | Vgl. Graham (2013), S. 73.
I terieren So ist festzuhalten, dass Roof and Fire Piece gerade aufgrund seines Inskriptionscharakters aufs Engste mit Transformation verbunden ist. Nicht nur das flüchtige Schreiben von Bewegung wirkt qua seiner medialen Repräsentation in den Photographien und Filmaufnahmen Babette Mangoltes mit an der Transformation des Stadtraums Manhattans. Und nicht nur ändert sich die Inskription unweigerlich im Vorgang des Kopierens, und dies in einer radikalen Weise, die schließlich sogar die Iterabilität von Schrift sprengt. Auch der jeweilige Kontext der Performances beeinflusst den Charakter der Version entscheidend und modifiziert die Bewegungsschrift. Diese Dependenz der Inskription von Situation und Materialität zeigt sich insbesondere an dem Einfluss der Körperlichkeit der unterschiedlichen Tänzer*innen mit ihren je eigenen inkorporierten Tanztechniken. Dies gilt bereits für die einzelne Aufführung von Roof and Fire Piece und ist hier von großer Relevanz, da die Abweichungen bei den Kopiervorgängen den besonderen Reiz des Stückes ausmachen. Die damit verbundene Singularisierung der Inskription lässt sich aber auch im kurzen Vergleich der Versionen von 1973 und 2011 feststellen: Die Version der High Line kann schlechterdings nicht die Inskription von 1973 an einem anderen Ort wiederholen, da nicht nur die Tänzer*innen andere sind, sondern auch die Bewegungssequenz in beiden Versionen erneut improvisierend hervorgebracht wird. Es wäre daher unangebracht, die Rekreationen von Roof Piece als Aufführungen eines Stückes zu bezeichnen, da jede Version von Roof Piece eine vollständig eigene, in sich alterierende Inskription bietet, die an jedem Ort der Realisierung singulär bleibt. Hinzuweisen ist hierbei nicht zuletzt auch auf die Museumskontexte, in denen weitere Versionen des Stückes gezeigt werden, u.a. im Museum of Modern Art, New York City (2011)41 oder im Getty Center in Los Angeles (2013). Der visuelle Kontext und die Rezeption dieser zuletzt genannten Version ist dem SoHo von 1973 noch unähnlicher als das Chelsea von 2011: Vor einem strahlend blauen kalifornischen Himmel und mit Tänzer*innen, die zum Schutz vor dem gleißenden Licht Sonnenbrillen tragen, finden die Bewegungen von Roof Piece spontane Imitationen bei den Zuschauer*innen, sodass es zu einer weiteren Alteration des Bewegungsmaterials kommt.42
41 | Die Version des Stückes, die die Trisha Brown Company im Januar 2011 im Museum of Modern Art, New York City, zeigt, ist betitelt mit Roof Piece ReLayed und ersetzt die Dachlandschaft von SoHo oder Chelsea durch das offene Treppenhaus des MoMa. Vgl. https://www.moma.org/calendar/performance/1582 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 42 | Vgl. Bleiberg, Laura: »Review: From Rooftops to Subways, Dancing Makes Los Angeles the Stage«, in: Los Angeles Times, 07.04.2013, http://articles.latimes.com/2013/apr/07/entertainment/la-et-cm-trisha-brown-stephan-koplowitzreview-20130407 (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021).
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S chrift im R aum Der Eindruck einer uneinholbaren Selbstdifferenzierung und unkontrollierbaren Variabilität wird noch von Roof Piece-Adaptionen und Appropriationen anderer Künstler*innen verstärkt. Einige dieser Arbeiten vollziehen dabei, ähnlich wie bereits bei Babette Mangolte, einen teilweise mehrfachen Medienwechsel, etwa indem real ausgeführte Tanzbewegungen auf Dächern filmisch aufgezeichnet werden und diese Aufnahmen Eingang in Videoinstallationen finden, die dann wiederum photographisch in Filmstills dokumentiert sind. Zu denken ist hier z.B. an Christian Jankowskis im Rahmen der performa 07 entstandene Arbeit Rooftop Routine (2007) mit einem über die Dächer von Chinatown, New York City übermittelten Hula-Hoop-Tanz.43 In Anahita Razmis Roof Piece Teheran (2011) musste dagegen aufgrund politischer und gesellschaftlicher Restriktionen im Iran die Bewegungsübermittlung auf den Dächern Teherans ohne jedes Publikum ausgeführt werden und wird erst in einer Videoinstallation im westlichen Kunstkontext für die Öffentlichkeit sichtbar.44 Beide Arbeiten verstärken den Aspekt der wirkmächtigen Einschreibung von Bewegung in einen spezifischen politischen und soziologischen Kontext mit dem Ziel, eben diesen Kontext medial unterstützt zu ironisieren (Christian Jankowski) oder zu kritisieren (Anahita Razmi). Die Loslösung vom Kontext der Dachlandschaft in SoHo, die nicht nur eng mit Roof Piece verbunden schien, sondern von diesem Stück verändert wurde, und die Einpfropfung in ganz andere urbane Außen- und Innenräume offenbaren so einen geradezu disseminativen Charakter der Inskriptionen von Roof Vgl. auch die am Beginn der COVID-19-Pandemie unter der Leitung von Amanda Kmett’Pendry and Jamie Scott entstandene Version Room/Roof Piece (2020): https://trishabrowncompany.org/virtual-programming/2020/ (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Siehe dazu Seibert, Brian: »A Home Version of Trisha Brown’s ›Roof Piece‹. No Roof Required«, in: The New York Times, 07.04.2020. 43 | Vgl. Jankowski, Christian: »Rooftop Routine«, in: Goldberg, RoseLee (Hg.): Everywhere and All at Once. An Anthology of Writings on Performa 07, Zürich: Ringier, 2009, S. 48-51. 44 | Razmi, Anahita: Roof Piece Teheran, Videoinstallation, 12 Videoschleifen, jeweils 18 Min., 11 Sek., 2011. »The choreography in Tehran was carried out by local performers creating a new ›Roof Piece version‹ within the restrictive circumstances of the city. No audience could attend the performance, instead there was video documenting. The video material was then transformed into a video installation on twelve screens, which was first shown within the framework of the Emdash Award at Frieze Art Fair 2011. The step from Tehran to London automatically produced another cultural transfer within the work, – from a hidden guerilla act to the reception of a mass audience at the art fair.« Siehe www.anahitarazmi. de/Roof-Piece-Tehran (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Vgl. auch Kan, George: »Touching without Touching«, in: The Brooklyn Rail (Mai 2020), S. 101f.
I terieren Piece. Wie es nach Derrida Choreographien nur im Plural geben kann, als je und je vereinzelte, nicht wiederholbare Schreibungen von Tanzbewegungen,45 gibt es auch diese Inskription nur in der Vielzahl ihrer Versionen und Adaptionen, die jede für sich in ihren Kopiervorgängen einem Prozess der Erosion und Alterierung unterworfen sind. Roof and Fire Piece, das primär aus Wiederholungen besteht, ist per se unwiederholbar und wiederholt gerade so Søren Kierkegaards Paradoxon von Wiederholung: »Am nächsten Tag war ich im Königsstädter Theater. Das einzige, was sich wiederholte, war die Unmöglichkeit einer Wiederholung. [...] Wie ich mich auch drehte und wendete, alles war vergeben. Die kleine Tänzerin, die mich das vorige Mal durch eine Anmut bezaubert hatte, die sozusagen auf dem Sprung stand, hatte den Sprung getan. [...] Als sich das einige Tage wiederholte, war ich so verbittert, die Wiederholung so leid geworden, dass ich mich entschloß, nach Hause zurückzureisen. Meine Entdeckung war nicht bedeutend, und doch war sie interessant; denn ich hatte entdeckt, daß es die Wiederholung überhaupt nicht gab, und hiervon hatte ich mich überzeugt, indem ich es auf alle mögliche Weise wiederholte.«46
45 | Vgl. Derrida (1998), S. 117. Den Aspekt der Wiederholung in künstlerischen Zusammenhängen entfaltet grundsätzlich Lüthy, Michael: »›Alles ist Wiederholung‹. Facetten einer Grundoperation der Kunst«, in: Huss, Till Julian/Winkler, Elena (Hg.): Kunst & Wiederholung. Strategie, Tradition, ästhetischer Grundbegriff, Kaleidogramme 150, Berlin: Kadmos, 2017, S. 27-50. Vgl. mit speziellem Fokus auf Wiederholung bei Trisha Brown, insbes. in ihren Accumulation-Pieces, Kalu, Joy Kristin: Ästhetik der Wiederholung. Die US-amerikanische Neo-Avantgarde und ihre Performances, Bielefeld: transcript, 2013, hier S. 148-153. 46 | Kierkegaard, Søren: Die Wiederholung, aus dem Dän. übers., mit Einleitung und Kommentar hg. von Hans Rochol, Philosophische Bibliothek 515, Hamburg: Felix Meiner, 2000, S. 44 (Orthographie wie im Original). Vgl. hierzu auch Strowick, Elisabeth: Passagen der Wiederholung. Kierkegaard – Lacan – Freud, Stuttgart/Weimar: Metzler, 1999; Weber, Samuel: Theatricality as Medium, New York (NY): Fordham University Press, 2004, S. 200-228; Boven, Martijn: »A Theater of Ideas. Performance and Performativity in Kierkegaard’s Repetition«, in: Ziolkowski, Eric (Hg.): Kierkegaard, Literature, and the Arts, Evanston (IL): Northwestern University Press, 2018, S. 115-129.
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2.5 Schriftbild: Arabeske Dem schweifenden Blick, der Roof and Fire Piece als Filmaufzeichnung sieht, oder der die Gelegenheit hat, kommende Rekreationen von Roof Piece live zu sehen und dabei die Figurationen und Defigurationen der Tänzer*innen bewusst als bewegte Simulakren unlesbar-ornamentaler Schriftbilder zu betrachten, werden zunächst die Ramifikationen, die Aufgabelungen von Körpergliedern, auffallen. Während die Füße auf dem Boden bleiben, sich die Knie beugen und strecken und der Oberkörper gedreht und aufgerichtet wird, winkeln sich die Arme vom Körper ab, als linienartige Abzweigungen, die in sich mehrfach geknickt sind (Abb. 20).47 Die Ordnung dieses Figurationsornaments operiert, anders als häufig bei Trisha Brown, nicht mit Bögen, Schleifen, Windungen und Wellen, sondern konzentriert sich ganz auf die beiden ornamentalen Prinzipien von Repetition und Artikulation. Der Funktionsmodus eines Ornaments über Differenzierung, Gabelung, Sich-Teilen und Sich-Spalten ist hier gebunden an die Gelenkstellen des Körpers: Im Beugen und Strecken, Anwinkeln und Spreizen der Körperglieder, vor allem der Arme und Hände erfährt das Ornament seine Artikulation.48 Auch ohne dass es zur versuchsweisen Annäherung an die Ballettposition der Arabeske kommt49 – die Tänzer*innen halten fast während der gesamten 47 | Brown/Kertess (2005). 48 | »Die Gliederung, das Gelenk als Fundament des Ornaments zu postulieren heißt, es auf einer Linie der Abzweigung zu gründen. Zur Natur des Ornaments gehört die Gabelung, das Sich-Teilen, Sich-Spalten: natürlich im Raum und in die verschiedenen Richtungen, aber auch in Formen, Gattungen, Reiche, selbst Materialien.« Prévost, Bertrand: »Das ornamentale Pathos nach Piero und Antonio Pollaiuolo«, aus dem Frz. übers. von Bernd Schwibs, in: Trivium 1 (2008), S. 15, http://trivium.revues.org/index333.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Erstveröffentlichung: »Le Pathos ornemental selon Piero et Antonio Pollaiuolo«, in: Ders.: La Peinture en Actes, Arles: Actes Sud, 2007, S. 161-181. 49 | Zur Entwicklung der Arabeske als Position innerhalb des klassischen Ballettvokabulars vgl. Blasis, Carlos: Traité élémentaire, théorique et pratique de l’art de la danse, contenant les développemens, et les démonstrations des principes généraux et particuliers, qui doivent guider le danseur, Mailand: Joseph Beati/Antoine Tenenti, 1820; Falcone, Francesca: »The Arabesque. A Compositional Design«, aus dem Ital. übers. von Irene Minafra und Brett Shapiro, in: Dance Chronicle 19:3 (1996), S. 231-253; Dies.: »The Evolution of the Arabesque in Dance«, in: Dance Chronicle 22:1 (1999), S. 71-117; Jeschke, Claudia/Wortelkamp, Isa/Vettermann, Gabi: »Arabesken. Modelle ›fremder‹ Körperlichkeit in Tanztheorie und -inszenierung«, in: Jeschke, Claudia/Zedelmaier, Helmut (Hg.): Andere Körper – Fremde Bewegungen.
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Abb. 20: Trisha Brown, Roof and Fire Piece (1975), Tanz: Trisha Brown, Film: Babette Mangolte (Filmstill).
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S chrift im R aum Performance mit beiden Füßen Kontakt zum Boden –, waltet in Roof and Fire Piece eine arabeske Struktur, eine an vegetabile Strukturen angelehnte Ornamentalisierung durch Verzweigung und Aufteilung von Lineaturen.50 Die Körper figurieren sich, gerade vor dem Hintergrund urbaner Architekturlandschaft, zu einem Geflecht aus seriell wiederholten Senkrechten, arabesziert von den abzweigenden Linien der Arme.51 In der Betrachtung als Schriftbild ist es diese Theatrale und öffentliche Inszenierungen im 19. Jahrhundert, Kulturgeschichtliche Perspektiven 4, Münster: Lit, 2005, S. 169-210; Pappacena, Flavia: Il Trattato di Danza di Carlo Blasis 1820–1830. Carlo Blasis’ Treatise on Dance 1820 – 1830, Lucca: Libreria Musicale Italiana, 2005; Dies.: »Dance Terminology and Iconography in the Early Nineteenth Century«, in: Oberzaucher-Schüller (2007), S. 95-112; sowie Wittrock, Eike: Arabesken. Das Ornamentale des Balletts im frühen 19. Jahrhundert, TanzScripte 35, Bielefeld: transcript, 2017. 50 | Vgl. zum Arabesken als ornamentalem Strukturprinzip vor allem Riegl, Alois: Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik, Berlin: G. Siemens, 1893, S. 259-346; sowie Polheim, Karl Konrad: Die Arabeske. Ansichten und Ideen aus Friedrich Schlegels Poetik, München/Paderborn/Wien: Schöningh, 1966; Kühnel, Ernst: Die Arabeske. Sinn und Wandlung eines Ornaments, Graz: Verlag für Sammler, 1977; Busch, Werner: Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, Berlin: Mann, 1985; Behnke, Kerstin: »Romantische Arabesken. Lineatur ohne Figur und Grund zwischen Ornament und (Text-)Gewebe«, in: Gumbrecht/Pfeiffer (1993), S. 101-123; Kotzinger/Rippl (1994). Vgl. auch Semin, Didier: »Die Linie der Ehelosigkeit. Der Zufall, die Arabeske und die Volute. Beitrag zu einer Geschichte des Zigloogloo«, in: Trivium 1 (2008), http://trivium.revues.org/index243.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). Die wohl umfangreichste Bildsammlung zu Phänomen des Arabesken und Grotesken bietet Zamperini, Alessandra: Ornament and the Grotesque. Fantastical Decoration From Antiquity to Art Nouveau, London/New York (NY): Thames & Hudson, 2008. Zur romantischen Arabeske siehe speziell Busch, Werner/Maisak, Petra (Hg.): Verwandlung der Welt: Die romantische Arabeske, Katalog Ausstellung Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum (01.12.2013– 28.02.2014); Hamburger Kunsthalle (21.03.–15.06.2014), Petersberg: Imhof, 2013. 51 | Zur Bedeutung von Artikulation als Verzweigung und Untergliederung für Ornamentik in islamischer Architektur jenseits des Begriffs der Arabeske vgl. vor allem Necipoğlu, Gülrü: The Topkapı Scroll. Geometry and Ornament in Islamic Architecture. Topkapı Palace Museum Library MS H. 1956, Santa Monica (CA): Getty Center for the History of Art and the Humanities, 1995. Zur Problematik westlicher Konstruktionen der Arabeske vgl. Schwarte, Ludger: »Die Kunst, das Unvernehmen anzuerkennen. Bemerkungen über die Arabeske«, in: Wulf, Christoph/ Poulain, Jacques/Triki, Fathi (Hg.): Die Künste im Dialog der Kulturen. Europa und seine muslimischen Nachbarn, Berlin: Akademie-Verlag, 2007, S. 116-128.
I terieren geometrische Strenge und Orthogonalität, verbunden mit Prinzipien eines sich fortsetzenden und transformierenden Rapports, die Roof and Fire Piece in Analogie zu Erscheinungsformen vor allem arabischer Kalligraphie treten lassen und sie damit der Namensgeberin der Arabeske visuell annähern. Die Körper der Tänzer*innen gleichen in dieser Übertragung den Hasten, den balkenartig gesetzten, senkrecht orientierten Inskriptionsformen arabischer Schrift. Beine, Torso, Arme, Hände und Kopf können als Teil dieser Hasten und damit als Elemente fingierter und sich figurierender Schriftzeichen betrachtet werden. In der arabischen Kalligraphie ist die additive Anlagerung der Hasten zu einem Schriftbild bereits für sich genommen eine Form der Arabeszierung, wenn sich die Buchstabenbalken astartig verzweigen und diese Verzweigungen wiederum miteinander verbunden sind. Eine solche Schriftarabeske kann dabei begleitet sein von Rankenwerk und feingliedrigen Blättern und Blüten, die aus den Buchstaben erwachsen und ihrerseits Buchstaben hervorsprießen lassen, kann sich aber auch selbst, wie etwa im Stil des geometrischen Kufi, als in sich arabesziertes Ornament präsentieren. In jedem Fall unterläuft die Schriftarabeske die essentialistische Zweiteilung von Werk und Parergon und zeigt Skripturalität und Ornamentalität in ihrer gegenseitigen, unauflösbaren Durchdringung. Die Betrachtung von Roof and Fire Piece als Simulation von Schriftarabesken befreit damit auch von der Aufteilung in skripturale Figuren und ornamentierende Zusätze. Die Verflochtenheit dieser urbanen Arabesken in die ebenfalls über Orthogonalität, Repetition und Artikulation strukturierte moderne Stadtarchitektur des International Style ist dabei in besonders raffinierter Weise mit einer zusätzlichen und den Blick auf die Schriftsimulation entscheidend beeinflussenden Arabeszierung verbunden.52 Denn gerade weil Roof and Fire Piece auf eine präferierte Publikumsperspektive und damit auf jede perspicuitas verzichtet, provoziert das Stück die Arabeszierung seiner Rezeption, und zwar nicht nur auf der Ebene von Imagination und Phantasie.53 Auch die Betrachtung der Figura 52 | Zur Idee einer Ornamentalisierung des Blicks vgl. Graevenitz, Gerhart von: Das Ornament des Blicks. Über die Grundlagen des neuzeitlichen Sehens, die Poetik der Arabeske und Goethes ›West-östlichen Divan‹, Stuttgart/Weimar: Metzler, 1994. 53 | Vgl. hierzu vor allem Friedrich Schlegel: »[…] gewiß ist die Arabeske die älteste und ursprüngliche Form der menschlichen Fantasie.« Schlegel, Friedrich: »Gespräch über die Poesie«, in: Athenaeum. Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Bd. 3, H. 1, Berlin: Heinrich Fröhlich, 1800, Nr. IV, S. 58-128; Bd. 3, H. 2, ebd., Nr. II, S. 169–187; hier zitiert nach Ders.: Charakteristiken und Kritiken I (1796–1801), Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe II, hg. und eingel. von Hans Eichner, München/Paderborn/Wien: Schöningh; Zürich: Thomas-Verlag, 1967, S. 284-351, hier S. 319 (Orthographie wie im Original).
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S chrift im R aum tionen der Tänzer*innen entzieht sich einer Geradlinigkeit, spreizt sich selbst und spaltet sich auf in die Vielzahl der Perspektiven, die jede Zuschauerin und jeder Zuschauer einnimmt und selbst während der Performance durch Wechsel von Blickrichtungen oder räumliche Veränderung zusätzlich variiert. Der Arabeszierung der écriture corperelle als einem Sich-Verzweigen und Sich-Gabeln korrespondiert damit ein ebenso aufgespaltenes, arabeskes Sehen.54
54 | Siehe Schwan (2016), S. 317-333.
Abb. 21: Trisha Brown, Untitled (Locus) (1975), Dritter Teil, Tanz (von links nach rechts): Mona Sulzman, Judith Ragir, Trisha Brown, Elizabeth Garren, Brooklyn Academy of Music, New York City, 1976, Photo: Babette Mangolte, Copyright © 1976 Babette Mangolte (All Rights of Reproduction Reserved).
3 Codieren 3.1 Trisha Brown, Untitled (Locus) (1975) Vier Tänzer*innen stehen, gehen in die Knie, richten sich auf, heben einen Arm, setzen einen Schritt. Sie wenden den Kopf, drehen die Schulter und zeigen mit ausgestrecktem Zeigefinger auf einen Punkt im Raum. Dann weisen sie mit einem Fuß auf einen anderen Raumpunkt hin, beugen sich und drehen ihre Oberkörper zu diesem Punkt hin. Wieder aufgerichtet strecken sie einen Arm aus, winkeln den Unterarm ab und folgen mit ihrem Körper der Richtung, die ihre Hand anzeigt. Zunächst gemeinsam, dann asynchron verschoben variieren die vier Tänzer*innen so einfache Körperbewegungen und fassen sie zusammen in klar erkennbare Bewegungssequenzen. Abstrakt und kühl mutet dieses getanzte Quartett an, ohne jede Narration, ohne erkennbaren emotionalen Ausdruck und ohne Musik. Zu hören sind lediglich die Körperbewegungen der Tänzer*innen, das Schleifen ihrer nackten Füße auf dem Boden, ihre Tritte, Sprünge und ihr Atmen. Ganz am Ende erklingt ein einziges Wort: time, gerufen vom stage-manager. Dann bricht das Stück ab.1 Trisha Browns zunächst unbetiteltes und später unter dem Namen Locus bekanntes Stück basiert auf einem schriftlich verfassten Text, der zum Ausgangs 1 | Locus. Premiere: 6. April 1975, 541 Broadway, New York City. Choreographie: Trisha Brown. Tänzer*innen: Trisha Brown, Elizabeth Garren, Judith Ragir, Mona Sulzman. Die Beobachtungen beziehen sich auf eine Aufzeichnung der Aufführung im Mills College, Oakland (CA) aus dem Jahr 1977 mit den Tänzer*innen der Uraufführung. Vgl. Brown/Kertess (2005). Der Text dieses Kapitels geht in Teilen zurück auf Schwan, Alexander H.: »Ornamentale Körperschrift. Postmodern Dance zwischen Abstraktion und Potentialität«, in: Moskatova, Olga/Schönegg, Kathrin/Reimann, Sandra Beate (Hg.): Jenseits der Repräsentation. Körperlichkeiten der Abstraktion in moderner und zeitgenössischer Kunst, Paderborn: Wilhelm Fink, 2013c, S. 143-157. Zu Abb. 21 siehe ebd. S. 150.
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S chrift im R aum punkt für die Organisierung und Generierung von Bewegung wird. In mehrfachen Übersetzungsgängen werden den einzelnen Buchstaben dieses Textes Bewegungen zugeordnet, sodass schließlich eine vorab festgehaltene Inskription von tanzenden Körpern nachgeschrieben wird. Tanzen kann hier als ein buchstäbliches Schreiben begriffen werden, das dennoch zu keinem eindeutig lesbaren Bewegungstext führt.2 Das Stück stellt in mehrfacher Hinsicht einen weiteren Wendepunkt in den Arbeiten Trisha Browns dar, indem hier erstmals die exakte Abfolge von Bewegungen vollständig in die Verantwortung der Tanzenden gelegt ist. Noch weiter als etwa in Roof and Fire Piece löst sich Brown so von Choreographiekonzepten, bei denen Choreograph*innen andere Tänzer*innen einer für sie heteronomen Vor-Schrift der Prä-Skription unterwerfen. Brown konzipiert stattdessen ein Set von Bewegungen, das von denen, die von ihm Gebrauch machen, aktiv modifiziert werden kann. Zwar steht auch hier wie bei Roof and Fire Piece eine von Brown initiierte Bewegungssequenz am Anfang, die aber in Locus einem Prozess ungleich größerer Alterierung unterworfen ist, bei dem einzelne Bewegungselemente in unvorhersehbarer Weise kombiniert werden können. Das so entstehende Bewegungsmaterial bildet schließlich die Basis für die auf Locus folgenden Arbeiten Browns, die nun allesamt für Theatersituationen mit einem klar favorisierten vis-à-vis von Tänzer*innen und einem erhöht platzierten Publikum konzipiert werden.3 Für Locus aber wählt Brown ein vorerst letztes Mal ein Studio, in dem sich die Tanzenden auf einer gemeinsamen Ebene mit den Zuschauer*innen bewegen. Locus basiert auf einer Serie von Diagrammen Trisha Browns, in denen ihre Arbeiten auf dem Feld von Tanz und Visual Art eine enge und überaus sinnfällige Verbindung eingehen. Es handelt sich dabei um Hybride aus Buchstaben, 2 | Zu Locus siehe insbes. die Beschreibung, die Trisha Brown selbst gibt in: Brown (1975). Auszüge in deutscher Übersetzung in Brown (1991). Als Einzelstudie ist vor allem die detailreiche Arbeit von Mona Sulzman zu nennen, die selbst an der Premiere des Stückes beteiligt war und Locus auf der Basis ihrer eigenen Tanzerfahrungen beschreibt. Siehe Sulzman, Monika: »Choice/Form in Trisha Brown’s Locus. A View from Inside the Cube«, in: Dance Chronicle 2:2 (1978), S. 117-130. Vgl. außerdem die Einzelstudie der Tänzerin Megan V. Nicely, die sich dem Stück aus der Perspektive der Alexander-Technik nähert: Nicely, Megan V.: »The Means Whereby. My Body Encountering Choreography via Trisha Brown’s Locus«, in: Performance Research 10:4 (2005), S. 58-69. Jüngere Gesamtdarstellungen von Locus bieten Graham, Amanda Jane: »Space Travel. Trisha Brown’s ›Locus‹«, in: Art Journal 75:2 (2016), S. 26-45; sowie Rosenberg (2017a), S. 151-182; Dies.: »Diagram, Dance, Diagram: Trisha Brown’s Locus (1975)«, in: Burkhalter/ Schmidlin (2017), S. 74-87 (2017c). 3 | Siehe Rosenberg (2012), S. 42.
C odieren Zahlen, geometrischen Formen, kleinen Skizzen zu einzelnen Bewegungen sowie erklärenden Texten. Veröffentlicht werden die Skizzen erstmals 1976, zusammen mit einem detaillierten Bericht über ihre Genese.4 Zunächst entwickelt Brown die Diagramme für sich allein, um mit ihrer Hilfe aleatorisch generierte Abfolgen von Bewegungselementen zu entwickeln und ihren eigenen Bewegungsstil zu analysieren.5 In einem zweiten Schritt fertigt sie weitere Diagramme für die Tänzer*innen an, die außer ihr an Locus beteiligt sind, um damit das Prinzip der Bewegungsgenerierung verständlich zu machen. Erst im dritten Schritt entstehen die heute bekannten Versionen mit kleinen Zeichnungen und erklärenden Texten, deren Zielgruppe die Tänzer*innen sind, die Locus in späteren Aufführungen tanzen. So handelt es sich bei allen heute bekannten LocusDiagrammen bereits um spätere Versionen anderer Zeichnungen, die entweder verschollen oder aber im noch nicht vollständig zugänglichen Archiv Trisha Browns erhalten sind.6 Brown hat ihre Diagramme, die zu ihren bekanntesten zeichnerischen Arbeiten zählen und von denen einige Exemplare Eingang in die permanente Sammlung des Museum of Modern Art, New York gefunden haben, selbst mehrfach kopiert. Von manchen dieser Zeichnungen existieren mehrere nahezu identische Exemplare. Nur mit Mühe ist heute auszumachen, in welchem Kopierverhältnis diese Diagrammversionen zueinanderstehen, welche Zeichnung eine spätere Kopie ist und welche eine Vorlage für dieselbe. Selbst scheinbare Indikatoren für eine Authentizität einer Entwurfszeichnung wie Durchstreichungen, Korrekturen, Ergänzungen, gar Radierungen wurden von Brown minutiös kopiert ebenso wie die unterschiedlichen Farbtöne von Tinte und Bleistift. Da auch die Papierqualität gleich ist – es handelt sich um Seiten eines Skizzenblocks mit Spiralbindung –, liegt der einzige Hinweis für eine mögliche Dependenz der Zeichnungen in der Art und Weise, wie die Lochleiste der Papierbögen erhalten ist: Offensichtlich wurden frühere Versionen aus der Bindung gerissen, während bei den Finalkopien die Spiralbindung so aufge 4 | Siehe Goldberg (1986). Zu den Diagrammen von Locus siehe außerdem Louppe (1991); Lammert, Angelika: »Trisha Brown – Tänze auf Papier und Zeichnungen in der Luft«, in: Avanessian, Armen/Hofmann, Frank (Hg.): Raum in den Künsten. Konstruktion – Bewegung – Politik, München: Fink, 2010, S. 147-157; Rosenberg (2012), S. 40-42. 5 | Teicher (2002), S. 317. 6 | Das Archiv Browns, das sich lange in den Räumlichkeiten der Trisha Brown Dance Company befand (341 West 38th Street, Suite 801, New York City) und nur in kleinen Teilen für die Forschung zugängig war, wurde 2020 an die Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library for the Performing Arts übergeben. Die zeichnerischen Arbeiten Browns wurden bereits zuvor von der Galerie Sikkema Jenkins & Co., New York City inventarisiert und werden dort betreut.
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Abb. 22: Trisha Brown, Drawing for Locus, 1975, Frühe Skizzenfassung, Graphit und rote Tinte auf Papier, 30.5 x 22.9 cm, © Estate of Trisha Brown, courtesy of Sikkema Jenkins & Co., New York.
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Abb. 23: Untitled (Locus), 1975, Skizzenkopie, Graphit und rote Tinte auf Papier, 30.6 x 22.9 cm, Detail aus einem Set von 8 Arbeiten, © Estate of Trisha Brown, courtesy of Sikkema Jenkins & Co., New York.
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S chrift im R aum trennt wurde, dass die Lochleiste intakt blieb. Brown zielte mit diesen Kopien auf das Resultat eines perfektionierten Entwurfsstadiums, einschließlich sichtbarer Fehler und Korrekturen. Jenseits eines Gebrauchs in der Arbeit mit Tänzer*innen scheint sie sich der hohen visuellen Attraktivität ihrer vermeintlich vorläufigen Diagramme bewusst zu sein und bereits bei ihrer Herstellung und Kopie deren Rezeption als eigenständige Artefakte im internationalen Ausstellungs- und Kunstmarktkontext zu intendieren.7 So sind es denn die finalen Kopien, die Eingang in die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art gefunden haben, während ältere Versionen mit nicht-intakter Lochleiste zunächst im Privatarchiv von Brown verblieben sind und nun im Rahmen dieser Studie erstmals in Teilen publiziert werden. Eine bislang unveröffentlichte frühe Skizzenfassung (Abb. 22) und eine fast identische Skizzenkopie (Abb. 23) können so direkt miteinander verglichen werden. In jedem Fall sind die Skizzen in der vorliegenden Form entgegen ihrem Anschein keine Produkte spontanen Entwerfens und exteriorisierter Denkbewegungen. Sie spiegeln nicht die Gegenwart von Bewegungsinvention wider, sondern haben einen grundsätzlich nachträglichen Charakter, der von den Kopiervorgängen noch verstärkt wird. Brown dokumentiert in den vorhandenen Skizzen ein bereits bestehendes Bewegungssystem, das sie mithilfe früherer, nicht mehr erhaltener oder nicht mehr zugänglicher Skizzen entwickelt hat. Als solche Dokumente eines abgeschlossenen Entwicklungsprozesses hat Brown die Diagramme benutzt, um andere Tänzer*innen außer ihr selbst mit dem System von Locus vertraut zu machen. In dieser Hinsicht werden die Skizzen zu scores und erhalten einen partiell präskriptiven Charakter, wobei die jeweilige Umsetzung in Teilen auf Entscheidungen der Tanzenden selbst beruht und dann zu einer singulären Realisierung führt.8 Genauer formuliert handelt es sich bei den Skizzen um didaktische Diagramme, die auf ein Bewegungssystem verweisen, das mithilfe dieser Zeichnungen sowie mit mündlichen Erklärungen und konkreter Probenarbeit vermittelt werden kann.9
7 | Eine erste europäische Ausstellung der Skizzen ist für 1991 im Centre de la Vieille Charité, Musées de Marseille nachweisbar (19.04.–09.06.1991). Siehe Louppe (1994), S. 89f. 8 | Zum Begriff score in Bezug auf Locus vgl. insbes. Nicely (2005), S. 58; Rosenberg (2012), S. 40; sowie Maar, Kirsten: »AnOrdnungen im postmodernen Tanz. Zum Umgang mit scores in den Choreographien von Trisha Brown, Yvonne Rainer und Lucinda Childs«, in: Czolbe, Fabian/Magnus, David (Hg.): Notationen in kreativen Prozessen, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2015, S. 145-170, hier S. 146-148. 9 | Rosenberg beschreibt die »Locus scores« als »part fabrication model, part document, and part independent artwork«, Rosenberg (2012), S. 40.
C odieren Basis des Locus-Systems, wie es auf den diagrammatischen Skizzen festgehalten wird, ist ein kurzer biographischer Text über Trisha Brown, den sie einem Programmheft entnimmt.10 Sie eignet sich damit einen bereits über sie publizierten, aber möglicherweise von ihr selbst verfassten Text als Autobiographie an und baut auf dieser autobiographischen Information das gesamte choreographische System von Locus auf. »T/R/I/S/H/A/ /B/R/O/W/N/ /W/A/S/ /B/O/R/N/ /I/N/ /A/B/E/R/D/E/E/N/ /W/A/S/H/I/N/G/T/O/N/ /I/N/ /1/9/3/6/ /S/H/E/ /R/E/C/E/I/V/E/D/ /H/E/R/ /B/A/ /I/N/ /D/A/N/C/E/ /F/R/O/M/ /M/I/L/L/S/ /C/O/L/L/E/G/E/ /A/N/D/ /L/A/T/E/R/ /T/A/U/G/H/T/ /T/H/E/R/E/ /S/H/E/ /H/A/S/ /A/L/S/O/ /T/A/U/G/H/T/ /A/T/ /R/E/E/D/ /C/O/L/L/E/G/E/ /I/N/ /P/O/R/T/L/A/N/D« 11
Eine gematrische Zuordnung der 26 Buchstaben des Alphabets zu den Zahlen 1-26 ermöglicht es, die Buchstabenfolge des Ausgangstextes in eine Abfolge von Zahlen zu übertragen, wobei das Spatium zwischen zwei Wörtern durch die Zahl 27 wiedergegeben wird. Dem ersten Wort des Textes, dem Vornamen TRISHA, entspricht so die numerische Sequenz: 20/18/9/19/8/1. Zusätzlich skizziert Brown einen Kubus mit drei parallelen Ebenen, die jeweils neun Raumpunkte umfassen, sodass insgesamt 27 Raumpunkte zur Verfügung stehen, die den Zahlen 1-27 der gematrischen Zuordnung entsprechen (Abb. 24). Die aus der Buchstabenfolge des Ausgangstextes per gematrischer Übersetzung gewonnene Zahlensequenz kann so in eine Abfolge von Raumpunkten überführt werden. Die Umsetzung der Buchstaben des Ausgangstextes in Bewegung erfolgt über die Vorstellung, dass sich die Tänzer*innen des Stückes in jeweils einem Kubus bewegen, wobei der mittlere Kubenpunkt der Körpermitte der Tanzenden zugeordnet ist. Der Kubus, leicht größer als eine menschliche Person imaginiert, existiert nur in der Vorstellung der Tanzenden, ohne dass er im Bühnenbild eine reale Gestalt gewinnt. Um die gewonnene Sequenz der Raumpunkte zu realisieren, setzen sich die Tänzer*innen zu diesen Punkten in der Reihenfolge der Sequenz in Beziehung: Sie berühren die Punkte imaginär, umtanzen sie oder verweisen auf sie mit Körperteilen, wie Knien, Füßen oder ausgestreckten Händen. Der Punkt 27, der ursprünglich für das Spatium zwischen den Wörtern stand, wird dabei durch ein kurzes Stillstehen des Körpers in der Kubenmitte repräsentiert. Als Effekt ergibt sich somit aus dem autobiographischen Ausgangstext via Buchstaben-Zahlen-Raumpunkt-Zuordnung eine Bewegungssequenz, die als Schrift im Raum gedeutet werden könnte. 10 | Zur Übernahme des Textes aus einem »performance program« siehe Graham (2016), S. 27. 11 | Zitiert nach: Sulzman (1978), S. 119. Zur typographischen Wiedergabe des von Brown handschriftlich geschriebenen Textes, siehe auch Graham (2016), S. 33.
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Abb. 24: Untitled (Locus), 1975, Graphit und Tinte auf Papier, 30.6 x 22.9 cm, Detail aus einem Set von 8 Arbeiten, © Estate of Trisha Brown, courtesy of Sikkema Jenkins & Co., New York.
C odieren Die imaginären Kuben, in denen sich die Tänzer*innen bewegen, werden als Elemente einer Gitterstruktur aus fünf Kuben in der Breite und vier Kuben in der Tiefe vorgestellt, sodass für Locus insgesamt 20 Kuben zur Verfügung stehen, zwischen denen die vier Tänzer*innen wechseln können.12 Die Kuben erinnern in gewisser Weise an Kinesphären im Sinne Rudolf von Labans, die ebenfalls einen tanzenden Körper mit einer imaginären geometrischen Struktur umgeben. Bei Laban passen diese Strukturen sich jedoch den Fortbewegungen des Körpers an und bewegen sich imaginär mit ihm im Raum mit.13 Dagegen sind die Kuben von Locus in ihrer Positionierung statisch, sodass die Tänzer*innen die Struktur eines Würfels so lange bewohnen, bis sie mit einem Sprung oder einem Schritt in einen benachbarten Würfel hinüberwechseln. Springen die Tänzer*innen von einem Kubus in den nächsten und ändern dabei ihre Raumorientierung, indem sie etwa statt mit dem Gesicht nun mit dem Rücken zum Publikum tanzen, so werden von ihnen im neuen Kubus auch die Raumpunkte als gespiegelt imaginiert. Diese an die einzelnen Tänzer*innen angepassten Kubenorientierungen wiederum stellen, trotz der Statik der Kuben, eine weitere Parallele zu Labans Kinesphären dar. Denn indem sich die Kinesphäre mit dem Körper mitbewegt, ändert sich auch ihre Ausrichtung analog der in ihr tanzenden Person. Dennoch ist zur Benennung möglicher Motivationsquellen für die Raumstrukturierung von Locus weniger auf die von Trisha Brown selbst zurückhaltend bewertete Parallele zu Laban zu verweisen. Dessen Kinesphärenkonzept nennt sie nur als eine von ihren mehreren Inspirationsquellen, zu denen sie u.a. auch Leonardo Da Vincis Le proporzioni del corpo umano secondo Vitruvio (ca. 1490) zählt.14 Vielmehr liegt in den Prinzipien und visuellen Umsetzungen der kurz zuvor in New York aufkommenden Conceptual Art ein viel naheliegender und an Relevanz dominierender Referenzrahmen für die Raumstrukturierung von 12 | Diese Gitterstruktur aus 5x4 Kuben ist auch der Größe des Loft im Gebäude 541 Broadway in SoHo, New York City geschuldet, in dem Brown Mitte der 1970er-Jahre lebt und arbeitet. Siehe hierzu Graham (2016), die diese Anpassung an die »domestic reality« des Loft als »pragmatically feminist spatial practice« interpretiert. Ebd., S. 27. Der Ausdruck »domestic reality« geht auf Brown selbst zurück und wird zitiert nach Goldberg (1990), S. 129. 13 | Siehe Laban, Rudolf von: Choreutik. Grundlagen der Raumharmonielehre des Tanzes, Wilhelmshaven: Noetzel, 1991, S. 28-36. Zum Vergleich des Kubuskonzeptes von Locus mit dem Kinesphärenkonzept Labans siehe Lampert, Friederike: Tanzimprovisation. Geschichte – Theorie – Verfahren – Vermittlung, TanzScripte 7, Bielefeld: transcript, 2007, S. 149; Dies.: »Die Neun-Punkte-Technik. Denk-Raum des Körpers«, in: Schulze, Janine/Traub, Susanne (Hg.), Moving Thoughts. Tanzen ist Denken, Berlin: Vorwerk 8, 2003, S. 63-67. 14 | So Brown im Interview mit Klaus Kertess in: Brown/Kertess (2005).
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S chrift im R aum Locus.15 So erscheinen die Würfel dieses Stückes als eine imaginäre Bühnenskulptur, die in ihrer Strukturierung durch Orthogonalität und Serialität, ihrem Spiel mit grid und cube an Positionen der Minimal Art, etwa Robert Morris oder Donald Judd, erinnern und in deutlichem Bezug zur Conceptual Art nach Sol LeWitt stehen: »The Locus scores visualize choreography as architectural construction, related in function and appearance to sculptors’ drawings, at once logical and rational and yet impenetrably personal, obsessive and mysterious, qualities that Sol LeWitt named as defining features of Conceptual art.«16
Vor allem von der Auffassung des Würfels bei Robert Morris unterscheidet sich Locus jedoch in einem entscheidenden Punkt, der eine wichtige Differenz zur Conceptual Art markiert. Morris favorisiert den Kubus aufgrund seiner Gestalt, die es ermöglicht, ihn von außen per Blick sofort und vollständig wahrzunehmen,17 während für Brown die Würfel in Locus gerade keine von außen wahrnehmbare Gestalt haben, sondern sich die Tänzer*innen in diesen imaginären Kuben bewegen. Der sofort identifizierbaren und erfassbaren Gestalt des Würfels bei Morris steht daher bei Brown die Bedeutung von Imagination und Erfahrungsbezogenheit gegenüber. So ist Locus zwar auf Skulptur als Kunstform bezogen und schöpft aus der Auseinandersetzung mit skulpturalen Arbeiten eine wichtige Anregung für seine Systemstruktur, Brown geht aber nicht so weit, das Stück selbst als eine Art Tanzskulptur zu entwerfen, sondern benutzt imaginäre skulpturale Elemente lediglich, um über sie Tanzbewegung zu generieren.18 Das Hauptinteresse des Locus-Systems liegt in den Bewegun 15 | Vgl. insbes. Kraus, Rosalind: »Grids«, in: October 9 (1979), S. 50-64. Zum Verhältnis von Trisha Browns Bewegungsästhetik und Minimal Art vgl. neben Yee (2011) vor allem Rosenberg, Susan: »Trisha Brown’s Minimalisms«, in: Lista, Marcella (Hg.): A Different Way to Move. Minimalismes, New York, 1960–1980, Katalog Ausstellung Musée d’art contemporain, Nîmes (07.04.–17.09.2017), Berlin: Hatje Cantz, 2017b, S. 136-143. 16 | Rosenberg (2012), S. 41. Zum Einfluss der Conceptual Art auf Browns Kubenkonzept in Locus vgl. auch Nicely (2005), S. 62-64. 17 | Morris, Robert: »Notes on Sculpture«, in: Battcock, Gregory (Hg.): Minimal Art. A Critical Anthology, New York (NY): E. O. Dutton, 1968, S. 222-235. 18 | Hier liegt auch einer der Hauptunterschiede zu Yvonne Rainers zeitgleicher Inbezugsetzung von Tanz und Skulptur: Während Rainer diese Verschränkung zur Seite von Skulptur hin auflöst, zielt Brown auf die Freisetzung von Bewegung qua Orientierung an imaginären Skulpturen. Vgl. dazu Rainer: »I did not want intermittent movement ›invention‹ but changes in static relationships of objects and people, which brought it into the realm of ›tableau‹ and ›task‹ rather
C odieren gen, die mithilfe dieses Systems hervorgebracht werden können, nicht in dem System selbst. Daher ist auch festzuhalten, dass Locus zwar in Parallele zur Conceptual Art tritt, deren Hauptprinzip, die Eigenständigkeit eines Konzeptes unabhängig von seiner Realisierung, jedoch überschreitet. Denn die Bewegungen in Locus sind zwar das Resultat einer Folge von Korrelationen und sequentiell-seriellen Strukturierungen, bedürfen aber in ihrer Realisierung der individuellen Entscheidungen der Tänzer*innen. Damit ist in das Konzept eine Offenheit eingebaut, die eine Prädeterminierung der Konzeptausführung verhindert, wie sie Sol LeWitt selbst in seiner Definition von Conceptual Art formuliert: »When an artist uses a conceptual form of art, it means that all of the planning and decisions are made beforehand and the execution is a perfunctory affair. The idea becomes a machine that makes art.«19 Dass die Tänzer*innen das System von Locus in jeder Stückversion jeweils unterschiedlich in Gebrauch nehmen, verhindert die Abspaltung eines hinter den Bewegungen stehenden Konzeptes und bindet dasselbe zurück an seine konkrete und jeweils differierende Ingebrauchnahme. Frühere Arbeiten Browns, die in noch engerem Bezug zur Conceptual Art stehen, scheinen die Loslösung eines Konzeptes von seiner Umsetzung zu favorisieren und sehen hierin eine Möglichkeit, der Ephemeralität von Bewegung auszuweichen und vor ihr im Überdauernden eines quasi-metaphysischen Konzeptes Zuflucht zu nehmen.20 Doch bereits mit Roof Piece (1971) stellt Brown diese eigene Idee von Vorherbestimmbarkeit infrage, weil dort das Konzept von Bewegungsübertragung und Bewegungserosion unauflöslich mit seiner jeweiligen Umsetzung verknüpft ist und kein feststehender Ablauf im Vorhinein die Wiederholung einer möglichst ähnlichen Bewegungsabfolge garantiert. In gleichem Sinne und noch stärker operiert Locus gegen die Vorherbestimmbarkeit von Tanzbewegung, denn in Teilen des Stückes bleibt es den Tänzer*innen überlassen, welche Bewegungen sie aus dem von Brown vorgegeben Set an Möglichkeiten auswählen und wie sie diese Bewegungen miteinander verknüpfen. Genau diese vom Konzept intendierte Offenheit verhindert indes die letztendliche Lesbarkeit der Bewegungen. Die Verstellung der Lesbarkeit resultiert so nicht in erster Linie aus einem fehlenden Schlüssel zur Decodierung, der aufschließen könnte, was in den jetzt kryptischen Anordnungen der Bewegungen im Raum verborgen ist. Ein solcher Schlüssel wäre ja in den Locus-Skizzen theoretisch gegeben, auch wenn nicht bekannt ist, dass den ersten Aufführungen than ›dance‹«. Rainer, Yvonne: Work 1961-73, Halifax: Press of the Nova Scotia College of Art and Design/New York (NY): New York University Press, 1974, S. 83. Siehe auch Nicely (2005), S. 63. 19 | LeWitt, Sol: »Paragraphs on Conceptual Art«, in: Artforum 5:10 (1967), S. 79-83. hier S. 79. 20 | So dezidiert Rosenberg (2012), S. 37.
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S chrift im R aum des Stückes Abdrucke der Skizzen in Programmheften, Flyern etc. beigegeben wurden. Es ist vielmehr die durch die Offenheit des Bewegungssystems bedingte Vielfalt getanzter Inskriptionen, die verhindert, dass die Bewegungen von Locus entschlüsselt und in den Ausgangstext zurückübersetzt werden können. So endet, was mit einer referentiellen Buchstabensequenz begann, aufgrund mehrfacher Übertragung und qua der konzipierten Offenheit des Bewegungssystems in der Vielzahl unentzifferbarer, opaker Körperschriften.
3.2 Überdeterminierung Locus gliedert sich in drei Teile unterschiedlicher Länge mit fließenden, zwischen den Tänzer*innen variierenden Übergängen. Im ersten, etwa acht Minuten langen Teil tanzen alle vier Tänzer*innen synchron Bewegungssequenzen, die Trisha Brown aus der Abfolge der Buchstaben ihres biographischen Textes über die Zahlen-Raumpunktzuordnung entwickelt und diagrammatisch in ihren Skizzen festgehalten hat. Insgesamt wird die Buchstabenfolge des Ausgangstextes so viermal hintereinander in Bewegungen übersetzt. Dabei haben die Tänzer*innen die Möglichkeit, jederzeit nach eigener Wahl die imaginären Kuben zu wechseln und können zudem innerhalb der Kuben ihre Körperorientierung variieren, sodass die Prädominanz einer auf den Blick des Publikums ausgerichteten Bühnenseite entfällt.21 Aufgrund des Würfel- und Ausrichtungswechsels kommt es zu Verschiebungen in der zunächst sinnfälligen Synchronizität, da diese Neupositionierungen jeweils winzige Verzögerungen im Ablauf der Bewegungssequenz nach sich ziehen. Im Folgenden gleichen die einzelnen Tänzer*innen diese Verzögerungen durch kurze Beschleunigungen aus, bis die Synchronizität wieder weitgehend hergestellt ist (Abb. 25). Warum aber stellt sich trotz der vorgegebenen Sequentialisierung nicht der Eindruck wiederholter Bewegungsmuster ein? Und warum entspricht die extrem große Variabilität von Bewegungen nicht der Erwartung, aufgrund der Korrelation zum autobiographischen Ausgangstext analog zu dort besonders häufigen Buchstaben auch eine gewisse Häufigkeit einzelner Bewegungselemente erkennen zu können? Die Antwort stellt den entscheidenden Schlüssel zur fehlenden Dechiffrierbarkeit der Tanzschrift von Locus dar, denn anders als bei einem funktionierenden Schriftsystem liegt hier der deutliche Fall einer Überdeterminierung von Zeichen vor. Trisha Brown verzichtet von vorneherein darauf, jeder Zahl immer ein und dieselbe Bewegung zuzuordnen und die 21 | Für das Publikum aber, das ja nur im Idealfall um die imaginären Kuben weiß, wird durch diese Umorientierung der Kubenausrichtung noch einmal mehr die Zuordnung von Raumpunkten und Bewegungen erschwert und die Lesbarkeit der Inskription verhindert.
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Abb. 25: Trisha Brown, Untitled (Locus) (1975), Erster Teil, Tanz (von links nach rechts): Trisha Brown, Judith Ragir, Mona Sulzman, Brooklyn Academy of Music, New York City, 1976, Photo: Babette Mangolte, Copyright © 1976 Babette Mangolte (All Rights of Reproduction Reserved).
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S chrift im R aum Zahlen in ihrer Singularität zu behandeln, die ihnen in ihrem Rückbezug zur Buchstabenschrift des Ausgangstextes eigentlich zukommen müsste. So zeigen die Skizzen schon für den Beginn der Zahlenfolge den Gebrauch von Clusterbildungen. Die ersten drei Zahlen werden zusammengefasst und mit einer skizzierten Bewegungsfolge verbunden, die zwar durch die drei betreffenden drei Raumpunkte hindurchgeht, aber mitnichten an jedem dieser drei Punkte eine klar differenzierte Bewegung ausführt, die via der BuchstabenZahlen-Korrelation dann eine exakte tänzerische Übersetzung der drei Buchstaben T R I wäre. Vielmehr entsteht eine die drei Kubenpunkte 20, 18 und 9 einbeziehende kurze Bewegungseinheit, die die Linearität des Ausgangstextes und seiner gematrischen Korrelation insofern unterläuft, als der Kopf zunächst zu Punkt 18 gerichtet wird, dann die linke Hand zum Punkt 9, bevor der rechte Fuß zum Punkt 20 bewegt wird.22 In ihrer Komposition der Bewegungssequenz, die Brown vor jedem Kontakt mit den späteren Tänzer*innen privat in ihrem Studio entwickelt und erst danach in Skizzen festhält, lässt sie sich so von der ursprünglichen Buchstaben-Zahlen-Sequenz lediglich die Raumpunkte vorgeben, zu denen dann die Tanzbewegungen in Allokation gesetzt werden, nicht aber die Linearität der Sequenzierung. Sie benutzt damit ein aleatorisches Verfahren, das eine für sich sinnvolle Buchstabenfolge lediglich als kontingenten Ausgang für eine Generierung von Raumpunkten wählt, die nun in einem zweiten, ebenfalls stark kontingenten Verfahren mit Bewegungen verbunden werden, wobei die exakte Abfolge, mit der die Raumpunkte einbezogen werden, von anderen Maßstäben als der Sequenz des Ausgangstextes bestimmt wird.23 Statt einer in beide Richtungen geltenden Eindeutigkeit der Zuordnung von Buchstabe-Zahl-Raumpunkt-Bewegung ist es bei der Komposition von Locus oberste Maxime, Bewegungswiederholungen ausdrücklich zu vermeiden.24 Dies trifft auf die einzelne Paraphrase der Buchstaben-Zahlen-Raumpunkt-Sequenz ebenso zu wie auf die vier verschiedenen Versionen dieser Paraphrase, die als Ganze das Bewegungsmaterial des Stückes ausmachen. Viermal benutzt Trisha Brown die aus ihrem autobiographischen Text aleatorisch gewonnene Reihe von Raumpunkten, um sie in jeder der vier Übertragungen in unterschiedlicher Weise zu Clustern zu verbinden und mit Bewegungen zu kombinieren. So stehen schließlich dem beschränkten Set der zu involvierenden Raumpunkte, das 22 | Vgl. Sulzman (1978), S. 120. 23 | Das aleatorische Verfahren, auf dem Locus basiert, rückt das Stück um ein Weiteres in den Kontext der Conceptual Art und stellt darüber hinaus deutliche Bezüge zu Kompositionstechniken bei John Cage und Merce Cunningham dar. Vgl. Brown, Trisha: »Systematisierter Zufall«, in: Bergelt/Völckers (1991), S. 310-312. 24 | Vgl. Brown, Trisha: »Trisha Brown«, in: Livet, Anne (Hg.): Contemporary Dance, New York (NY): Abbeville, 1978, S. 42-57.
C odieren sich aus dem Buchstabenvorkommen im Ausgangstext ergibt, ungefähr vierhundert verschiedene Bewegungselemente gegenüber.25 Der Sequentialität der ursprünglichen Buchstabenreihe und der Serialität ihrer vierfachen Wiederholung korrespondiert eine potenzierte Differentialität von Tanzbewegungen als einer radikal überdeterminierten Körperschrift. Deutlich wird, dass das gesamte System von Locus sich zwar der Analogie von Tanzen und Schreiben verdankt, diese aber nur zur allgemeinen Generierung von Bewegung benutzt, ohne an der Produktion eines dechiffrierbaren Tanztextes interessiert zu sein.26 Leitidee des Systems ist vielmehr die Generierung eines Bewegungsflusses, bei dem Körperbewegungen ineinander übergehen und so der Eindruck einer fließenden Gesamtfolge entsteht.27 Trisha Brown selbst gibt denn auch als Motivation für ihr Stück an, genau diesen Bewegungsfluss, den sie als ihren persönlichen Bewegungsstil bezeichnet, mithilfe von Locus zu analysieren, um ihn an andere Tänzer*innen weiterzugeben: »I wanted to analyze, graph the immediate space around my body in an attempt to understand my elusive movement style in order to teach it to others.«28 Schwer fassbar, undefinierbar, entweichend, so ließe sich das Wort »elusive« in Browns Statement übersetzen, und bezogen ist dies auf die direkte Kombination einfacher, alltäglicher Bewegungen wie Strecken, Beugen, Springen, Drehen, Gehen usw. Unter den vierhundert Bewegungselementen von Locus finden sich daher nach Aussage der Tänzerin Mona Sulzman nur acht Bewegungen, die so auch in einem »conventional dance«29 25 | Vgl. Sulzman (1978), S. 123. 26 | Daher führt auch der von Ji-Hyun Lee und Deedee Aram Min mit großem Aufwand unternommene Versuch in die Leere, den biographischen Text Browns in mehrere Sprachen zu übersetzen, dann nach neuen, nicht von Brown übernommenen Regeln in Bewegung zu übertragen und diese Bewegungen computertechnisch in einem Shape Grammar-Verfahren zu visualisieren. Dass diese Visualisierungen dann angeblich nach romanischen und germanischen Sprachfamilien unterschieden werden können, ist ohne jeden Bezug zu Browns Mehrfachcodierung der englischen Buchstabensequenz und der von vorneherein verhinderten Dechiffrierbarkeit ihres getanzten Textes. Vgl. Lee, Ji-Hyun/Min, Deedee Aram: »A Graphical Representation of Choreography by Adapting Shape Grammar«, in: Blackler, Alethea u.a. (Hg.): Interplay. Proceedings of the 6th International Congress on International Association of Societies of Design Research, Brisbane: Queensland University of Technology, 2015, S. 1486-1499. 27 | Zu Trisha Browns Bezug zur Fluxus-Bewegung vgl. neben Block (1976) vor allem Yee (2011), S. 13f. 28 | Trisha Brown, zitiert nach Teicher (2002), S. 316. 29 | Sulzman (1978), S. 123. Unklar bleibt, was Sulzman unter »conventional dance« versteht und von welcher etablierten Taxonomie von Tanzbewegungen sie das Körperrepertoire von Locus so scharf abgrenzt.
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S chrift im R aum vorkommen könnten. Von diesen acht Tanzbewegungen sind zwei wiederum so basal, dass sie auch im alltäglichen Bewegungsrepertoire existieren: das Setzen weniger aufeinanderfolgender Schritte sowie das aufrechte Stehen mit locker nach unten fallenden Armen, das in Locus dem 27. Würfelpunkt, d.h. der Leerstelle zwischen den Wörtern, vorbehalten ist. Die Differentialität der Bewegungsinskriptionen und ihre Überdeterminierung im System Locus lassen sich besonders gut im zweiten Teil des Stückes beobachten: Jetzt tanzen die Tänzer*innen für etwa zwei Minuten in nebeneinander liegenden imaginären Kuben und haben dieses Mal nicht die Option, die Kuben und die Ausrichtung des Körpers innerhalb der Kuben zu wechseln. Parallel tanzen sie eine der vier von Brown vorkomponierten Bewegungssequenzen und wiederholen damit jeweils einen anderen Part aus dem ersten Teil des Stückes. Alle aktivieren sie die gleichen Raumpunkte in einer mehr oder weniger gleichen Reihenfolge, nehmen zu diesen Punkten aber mit jeweils unterschiedlichen Bewegungen Bezug.30 Damit ist nun die Iterabilität von Schrift, die notwendige Wiederholbarkeit und Wiedererkennbarkeit eines Zeichens in verschiedensten Kontexten, vollständig suspendiert. Ein gleicher Buchstabe aus dem ursprünglichen Ausgangstext wird parallel durch vier verschiedene Körperaktionen wiedergegeben, und an die Stelle der Iteration von Tanzzeichen tritt deren bewusst forcierte Alliteration. Als Konsequenz dieser verschreibenden Praxis verliert sich die anfängliche Synchronizität des Tanzes um ein Weiteres, da die Ausführung der Bewegungen an jedem Raumpunkt jeweils mehr oder weniger Zeit beansprucht. Was zu Beginn der Choreographie als gleichzeitiges räumliches Schreiben begonnen hat, wird so im zweiten Teil zum individuellen Setzen von immer anderen Bewegungsmarken. Der Übergang in den dritten und letzten Teil von Locus ist fließend und findet bei den vier Tänzer*innen zeitlich versetzt statt. Jeweils dann, wenn die Bewegungssequenz aus dem zweiten Teil abgeschlossen ist, verlassen die einzelnen Tänzer*innen mit wenigen Schritten ihren bisherigen Kubus und richten in einem neuen Kubus ihren Körper zu einer anderen Seite hin aus (Abb. 26).31 Was nun für ungefähr vier Minuten folgt, ist eine improvisierende Paraphrase der vorhergehenden Teile, denn jetzt sind die Tänzer*innen frei, die Segmente aus den Sequenzen individuell zu kombinieren, ohne Rücksicht auf die vom Ausgangstext ursprünglich vorgegebene Buchstabenreihe. Ihre improvisatorische Freiheit ist allerdings begrenzt, insofern auch der letzte Stückteil weiterhin der imaginären Kubenstruktur folgt und auch die Raumpunkte weiterhin mit den ungefähr vierhundert Bewegungseinheiten versehen sind, die Brown ihnen kompositorisch zugeordnet hat. Lediglich die Abfolge dieser kleinen Bewegungs 30 | Vgl. ebd., S. 126. 31 | Graham (2016). S. 26.
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Abb. 26: Trisha Brown, Untitled (Locus) (1975), Dritter Teil, Tanz (von links nach rechts): Trisha Brown, Elizabeth Garren, Mona Sulzman, Judith Ragir, Studio Trisha Brown, New York City, 1975, Photo: Babette Mangolte, Copyright © 1975 Babette Mangolte (All Rights of Reproduction Reserved).
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S chrift im R aum einheiten ist nun nicht mehr an der Sequenz des Ausgangstextes orientiert, sondern wird von den Tänzer*innen individuell und von Stückversion zu Stückversion variierend zusammengestellt. Immer wieder kommt es jetzt auch vor, dass zwei, seltener drei und nur äußerst selten alle vier Tänzer*innen gleiche Bewegungssequenzen realisieren.32 Diese erneut auftretende, nicht vorhersehbare Synchronizität ergibt sich daraus, dass die Tänzer*innen jeweils über mehrere Kubenpunkte hinweg einer der vier Sequenzen folgen und erst dann wieder Kubus, Körperausrichtung und das Sequenzsegment wechseln. So steigert dieser letzte Stückteil die Unlesbarkeit der Bewegungsinskriptionen erneut; eine mögliche Rückübersetzung zum Ausgangstext wird nun nicht mehr nur von einer massiven Überdeterminierung des Systems beeinträchtigt, sondern gänzlich ad absurdum geführt. Dabei treibt der letzte Teil mit seinem offenen System von frei gewählten Bewegungsfolgen nur die Arbitrarität auf die Spitze, die schon in den anfänglichen kontingenten Verknüpfungen der Raumpunkte mit Tanzbewegungen wirksam ist. Die Clusterbildung von Raumpunkten, die mindestens vierfache Codierung jedes Raumpunktes mit einer in Bezug zu ihm tretenden Bewegung, der Orientierungs- und Kubenwechsel der Tänzer*innen und schließlich die freiere improvisatorische Verknüpfung einzelner Bewegungseinheiten, all dies bringt es mit sich, dass jede Eindeutigkeit einer Zuordnung von Buchstaben, Zahlen, Raumpunkten und Bewegungen von vorneherein verstellt ist. Die autobiographische Notiz Trisha Browns wird zwar in einem weitesten Sinne tanzend geschrieben, streng genommen ist diese Notiz aber nur der Generator für eine Strukturierung von Bewegung und die Öffnung dieser Struktur hin zu einem offenen System von Bewegungen im Raum. Dazu Nicely: »While it may be tempting to conclude that with Locus Brown spatializes language, this is not its function. Verbal/written language is a collaborator, and the ›random advice‹ the score provided Brown was a tool that allowed her to access a more direct dialogue between body and mind.«33
Gibt man der von Nicely benannten Versuchung nach und versteht Locus als eine Verräumlichung von Schrift und eine Bewegungsinskription, so bleibt diese hochgradig opak und aufgrund ihrer Überdeterminierung abstrakt. Die Versprengung von Referenz und Codierung und die Überantwortung eines Textes an die schiere Fülle aller möglichen Bewegungsumsetzungen führen zur Wahr-
32 | Ebd., S. 127: »Once in a while quartets miraculously occur.« Abb. 21, eine Aufnahme aus dem dritten Teil von Locus, zeigt dagegen die Vereinzelung der Tanzinskriptionen. 33 | Nicely (2005), S. 61.
C odieren nehmung des Schriftbilds von Locus als einem Phänomen kryptischer, unlesbarer Opazität.
3.3 Autographie Das Offene, das im letzten Teil von Locus bewusst geplant ist, hat sich indes bereits in die ersten Teile der Choreographie eingeschlichen. Denn fast unmerklich werden auch hier die Determinierungen von Bewegungsabläufen unterwandert und wird die Genauigkeit eines Tanzschreibens verwischt, wenn den Tänzer*innen minimale Veränderungen in den parallelen Ausführungen gleicher Bewegungen unterlaufen. Eine solche Differentialität von Tanzschrift zeigt sich so vor allem im Vergleich der Tänzer*innen untereinander. Unterschiedlich schnell, mit unterschiedlicher Dynamik und jedes Mal mit einer leicht abweichenden Gestaltform des sich bewegenden Körpers werden Bewegungen mehr verschrieben als variationsfrei iteriert. Der individuelle Körperbau der Tänzer*innen, ihr jeweiliges inkorporiertes Tanztraining, ihr Mitdenken im System des Stückes, aber auch ihr Charakter und mögliche emotionale Schwankungen während des Stückverlaufs prägen ihr Tanzen wie bei einer Handschrift. So schreiben Mona Sulzman, Judit Ragir und Elisabeth Garren, die in der Erstversion neben Trisha Brown tanzen, zwar den mit Bewegungen überdeterminiert codierten autobiographischen Text Browns, sie schreiben ihn aber mit ihrer persönlichen Körperschrift und tanzen letztendlich eine unkopierbare Autographie.34 Kleine Unexaktheiten im Ablauf, das der Individualität des Körpers geschuldete minimale Länger und Kürzer einer Bewegung, das Weicher oder Härter, Höher oder Tiefer eines Schwunges, all dies stärkt den Charakter ihres Tanzens als einer individuellen Skription. Gerade in den Abweichungen vom Präskript Trisha Browns, in den Inkonsis-
34 | Vgl. hierzu auch die Ausführungen zum Verhältnis von Signatur, Handschrift und Tanz bei Brandstetter, Gabriele: »Signatur des Tanzens. Autorschaft und Zeichnung der Bewegung mit einer Performance von Amos Hetz: ›I am drawing you are dancing. You are drawing I am dancing.‹«, in: Haitzinger/Fenböck (2010), S. 38-43 (2010b); Dies.: »Transcription – Materiality – Signature. Dancing and Writing Between Resistances and Excess«, in: Klein, Gabriele/Noeth, Sandra (Hg.): Emerging Bodies. The Performance of Worldmaking in Dance and Choreography, Bielefeld: transcript, 2011, S. 119-135. Vgl. außerdem Macho, Thomas: »Handschrift – Schriftbild. Anmerkungen zu einer Geschichte der Unterschrift«, in: Bernhart/Gröning (2005), S. 111-120.
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S chrift im R aum tenzen und unbeabsichtigten Differenzierungen, zeigt sich die Individualität der Tänzer*innen wie in einem Shibboleth.35 Eine Weiterentwicklung dieses Autographie-Charakters findet sich in den sogenannten Rinse Variations von Locus, die von Tänzer*innen unternommen werden, die größtenteils nicht an Locus selbst beteiligt sind.36 Wendy Perron, Steve Paxton und Terry O’Reilly bekommen dafür von Trisha Brown genaue schriftliche Bewegungsanweisungen zu Locus ausgehändigt, werden jedoch weder über das System noch den Stücktitel informiert. Aufgrund dieses Präskriptes eignen sie sich autodidaktisch die Bewegungen an, die Brown mithilfe des LocusSystems entwickelt hat, ohne aber zu wissen, wie genau es zu diesen Bewegungen kommt. Sowohl die imaginären Kuben mit ihren Kubenpunkten als auch der autobiographische Ausgangstext, auf den die Übercodierung dieser Punkte zurückgeht, sind den neuen Tänzer*innen offenbar unbekannt.37 Schließlich tanzen sie das Bewegungsmaterial zusammen mit Elizabeth Garren, die an der Erstversion von Locus beteiligt war. 35 | Der Begriff Shibboleth, der sich zunächst auf unwillkürliche Ausspracheeigenarten als Erkennungsmerkmal von Gruppenzugehörigkeit bezieht, wird hier als körperliche Eigenart verstanden, die sich bei der Realisierung eines vorgegebenen Bewegungstextes zeigt. Shibboleth geht zurück auf das hebräische Wort שבולתfür Getreideähre, bei dessen unpunktierter Schreibweise nicht ersichtlich ist, ob es als Shibboleth oder Sibboleth ausgesprochen wird. Nach Ri 12,5-6 wird die Aussprache dieses Wortes dazu benutzt, um zwischen den Gileaditern und Ephraimitern zu unterscheiden. Vgl. zum Begriff Shibboleth auch die ebenfalls auf Körperlichkeit bezogene Deutung Jacques Derridas: »Ein gewisses Unvermögen, das ihrem Stimmapparat zugestoßen war [...], war dafür verantwortlich, daß die Ephraimiter ihre Unfähigkeit, das auszusprechen, was – wie sie wohl wußten – Schibboleth und nicht Sibboleth lauten mußte, im Körper und am eigenen Leib zu spüren bekamen.« Derrida, Jacques: Schibboleth. Für Paul Celan, aus dem Frz. übers. von Peter Engelmann, Edition Passagen 12, Wien: Passagen, 2002, S. 126f. (Orthographie wie im Original). 36 | Siehe zu den Rinse Variations insbes. Banes (1987), S. 89. 37 | Inwieweit 1976 nicht doch eine zumindest rudimentäre Kenntnis des Locus-Systems bei den drei neuen Beteiligten vorausgesetzt werden kann, bleibt fraglich. Möglicherweise wussten Perron, O’Reilly und Paxton allgemein um die Herkunft der betreffenden Bewegungen aus dem Buchstaben–Zahlen–Raumpunkt–System, ohne diese Genese im Einzelnen nachvollziehen zu können. Eine solche allgemeine Kenntnis des Locus-Systems erscheint nicht nur auf dem Hintergrund der engen persönlichen Bekanntschaft mit Brown wahrscheinlich, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Brown bereits 1975 eine eigene Beschreibung zu Locus veröffentlicht, und bereits 1976 die Locus-Diagramme erstmals publiziert werden. Siehe Brown (1975); Goldberg (1976).
C odieren »The result was an odd, provocative distortion of the material.«38 So beschreibt Sally Banes die Verfremdung des Bewegungsmaterials von Locus durch die drei neuen Beteiligten. Brown selbst betitelt diese Locus-Paraphrase sogar als Rinse Variations, weil durch das fortwährende Imitieren der Bewegungsmuster ohne Kenntnis um deren Rückhalt im Buchstaben-Zahlen-Raumpunkt-System die Bewegungen gleichsam ausgewaschen werden wie beim Rinsing, dem wiederholten Spülen eines gefärbten Kleidungsstückes. Vor dem allgemeinen Hintergrund der Analogie von Tanzen und Schreiben und angesichts der Tatsache, dass in diesem spezifischen Stück buchstäblich ein, wenn auch aufgrund der Überdeterminierung unlesbarer Text geschrieben wird, könnte zudem nach der Differenz zwischen Schreiben und Kopieren gefragt werden. Setzt Schreiben, ob als Schrift auf dem Papier oder als Inskription von Bewegungen im Raum, eine Kenntnis um die Referenz des Geschriebenen voraus und wäre das bloße handoder körperschriftliche Kopieren eines Textes kein Schreiben mehr? Deren Beantwortung fällt, zumindest in der Folge des Schriftverständnisses Jacques Derridas, zugunsten der Option Schrift aus, als einem immer schon von Prozessen des Kopierens und Iterierens durchzogenen System, das nicht zwangsweise an das Vouloir-Dire einer bewussten Intention gebunden sein muss, wie dies in phonozentrischer Sichtweise favorisiert wird. Nur auf der Basis letzterer wäre denn auch die exakte wiederholende Skription eines geschriebenen Textes ohne Kenntnis um dessen inhaltliche Referenz ein bloßes oder blindes Kopieren. Im Fall der Rinse Variations dominieren jedoch gerade keine Aspekte von Exaktheit, sondern die Frage nach dem transformierenden Charakter des Kopierens. Anders als in mittelalterlichen Skriptorien steht nicht die Produktion möglichst fehlerfreier Kopien im Vordergrund, vielmehr zielt die Vermittlung von Bewegungselementen aus Locus ohne Systemreferenz auf die sichtbare Autographisierung der Bewegungsinskription. Indem Wendy Perron, Steve Paxton und Terry O’Reilly die Inskription ohne Kenntnis um das System kopieren und so quasi als Locus-Analphabeten schreiben, kommt das Shibboleth ihrer je eigenen Körperschreibweise ungleich stärker zum Ausdruck als in der ersten Stückversion mit genau eingewiesenen Personen. In gewissem Sinne knüpft diese Praxis an die Strukturierung von Roof and Fire Piece an, das sich ja auch der Imitation von Bewegungen verdankt, die dort jedoch in actu kopiert werden. Demgegenüber ist bei den Rinse-Variations der Präsentation des Stückes eine Phase der Bewegungsimitation vorgelagert, wenn Perron, Paxton und O’Reilly sich die Locus-Bewegungen aufgrund schriftlicher Hinweise autodidaktisch aneignen und sie so privat für sich imitieren, um sie dann der Inskription Elizabeth Garrens als einer quasi ursprünglicheren Kopie gegenüberzustellen. Und während bei Roof and Fire Piece eine Strukturnivellierung aufgrund der Kopiervorgänge nur eine theoretische Option ist, die kaum visuelle Realität wird, sind die Rinse 38 | Banes (1987), S. 89.
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S chrift im R aum Variations von Locus von vorneherein auf eine solche sichtbare Nivellierung angelegt und beziehen aus diesem Strukturverlust ihren Reiz als seltsame und provokative Störung. Als Rinse-Variations wird das transformierte und verschriebene Bewegungsmaterial von Locus in ein neues Stück eingefügt: Line Up (1976).39 Zusammen mit den Rinse Variations verarbeitet Brown in Line Up Teile aus Structured Pieces I-IV (1973–1976), die vier kurzen Stücke Sticks, Mistitled (5'' Clacker), Spanish Dance und Figure 8 sowie eine Variante von Solo Olos (1976). Line Up stellt daher eine Art Kompendium früherer Brown-Arbeiten dar. Dass Locus als verzerrtes Selbstzitat in dieses neue Stück eingebaut wird, mit Tänzer*innen, die nicht um den Ausgang von der Buchstabensequenz wissen, deren Bewegungsumsetzung aber nun als eine Autographie mit gesteigert individuellem Charakter iterieren, stärkt einmal mehr die Analogie von Tanz und Schrift. Denn bereits weil diese Bewegungen nicht nur als in actu-Kopie (wie bei Roof and Fire Piece), sondern als Zitation in einen gänzlich anderen Kontext konzipiert werden, mit teilweise anderen Tänzer*innen, an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit, kommt ihnen ein Schriftcharakter zu. In andere Kontexte hineinzitiert und dem hic et nunc der Präsenz entrissen, sind diese Versatzstücke aus früheren Arbeiten Browns Neu- und Andersschreibungen von Bewegungen, die in der Präsenz der jeweiligen neuen Situation auf die Absenz früherer Kontexte verweisen. Zumindest in einem nach Derrida ausgeweiteten Schriftverständnis müssen die transsituativen Zitationen von Abwesendem daher bereits als Schrift verstanden werden, wobei sich dies nicht nur auf die gleichsam verschriebenen Zitate von Locus bezieht, sondern auch auf die Einpfropfungen anderer Stücke und Stückteile.40 39 | Line Up. Premiere: 1. August 1976, Fêtes Musicales de la Sainte-Baume, Aix-en-Provence. Choreographie: Trisha Brown. Tänzer*innen: Trisha Brown, Elizabeth Garren, Terry O’Reilly, Steve Paxton, Wendy Perron, Judith Ragir, Mona Sulzman. Zu Line Up siehe ausführlich Banes (1987), S. 86-90. 40 | Bezeichnenderweise findet sich eine breite Praxis des Zitierens und Einpfropfens von Stücken nicht nur bei Trisha Brown, sondern auch bei den anderen beiden in dieser Studie untersuchten Choreographen, Jan Fabre und William Forsythe. Und wie bei Browns Locus sind es genau diejenigen Stücke, die sich autoreflexiv mit der Analogie von Tanzen und Schreiben auseinandersetzen, die ganz oder teilweise in andere Arbeiten hineinzitiert werden und so qua dieser Zitationspraxis erneut die Analogie von Tanz und Schrift bestärken. So ist es mehr als eine von allen drei geteilte spezifische postmoderne Zitierfreude, werden bei Fabre die Inskription von The Dance Sections in die Oper Das Glas im Kopf wird vom Glas hineinzitiert und bei Forsythe das Stück Self Meant to Govern zu einem Teil von Eidos:Telos wird. Zur Frage, inwiefern William Forsythe mit Trisha Browns Locus vertraut ist und hier mögliche Parallelen zu seinen eigenen Improvisationsmethoden sieht, vgl. Hartewig (2007), S. 211.
C odieren Der Aspekt der Autographie, die einen fremden, heteronomen Bewegungstext individuell nachschreibt, wissend um das System dieses Textes oder nicht, tritt indes noch deutlicher zutage, wenn Solo-Varianten von Locus in den Blick genommen werden. Zu nennen ist an erster Stelle Locus Solo (2000), bei dem die Tänzerin Diane Madden (*1959) das Bewegungsmaterial von Locus wiederholt und dabei Browns Bewegungsinventionen aus dem Jahr 1975 unweigerlich alteriert. So resultiert Maddens Autographisierung zum einen aus der erheblichen zeitlichen Distanz zwischen Locus und Locus Solo und zum anderen aus ihrer individuellen Körperlichkeit als älter werdender Tänzerin. Dass in der Tradition Trisha Browns die Bewegungen von Locus mit Bedächtigkeit, verminderter Dynamik und betonter Sukzessivitität auszuführen sind, erlaubt es ihr, das Stück auch Jahrzehnte nach der Erstversion weiterhin zu tanzen. Gleichzeitig wird in dieser autographischen Realisierung eines alten, fremden Bewegungstextes besonders deutlich, wie auch das Shibboleth individueller Körperlichkeit einer zeitlichen Transformation unterworfen ist und so der Text Trisha Browns gleich in doppelter Weise verändert wird, wenn er nun von einer anderen Person in einem anderen Lebensalter getanzt wird.41 Aus denselben Gründen der bei Locus üblichen verminderten Dynamik und Geschwindigkeit, die es Diane Madden ermöglichen, das Stück als älter werdender Tänzerin zu tanzen, und mit dem ähnlichen Resultat einer Diversifizierung von Locus-Inskriptionen, wird die Bewegungsabfolge auch als Trainingstool verwendet, etwa zum Warm-up.42 So trainieren Tänzer*innen mit Locus ihre Orientierung und Bewegung im Raum, unabhängig von jeder Ausrichtung auf ein Publikum. Damit wächst dem Stück eine völlig neue Dimension zu, die es wiederum erneut in die Analogie zu Schrift respektive einer Schreibübung setzt. Das Stück, das Brown einstmals dazu diente, ihren eigenen Bewegungsstil zu analysieren und an andere weiterzugeben, wird so zu einem Werkzeug, um das eigene Körpergedächtnis zu trainieren. So entwickelt das System, das mit einer geschriebenen Autobiographie begann, weitere Transkriptionen durch andere Tänzer*innen, die es nun als ihre jeweilige unwiederholbare Autographie schreiben. In den letzten Jahren kommen zu diesen divergierenden Transkriptionen von Locus zeitgenössische Appropriationen anderer Künstler*innen hinzu, die das Bewegungsmaterial Browns nicht nur neu und anders schreiben, sondern es in Kontexte rücken, von denen eine kritische Perspektive auf Browns Arbeit 41 | Nach Megan V. Nicely wird Locus im Zustand eines »Wartens« (»waiting«) getanzt, womit sie die Bedächtigkeit und Sukzessivität der Bewegungsausführung beschreibt, die im Resultat den Eindruck einer Improvisation hervorrufen, obwohl bis auf die Öffnung des Systems im dritten Stückteil die Bewegungen von Brown vorgegeben sind. Siehe Nicely (2005), S. 61. 42 | Siehe Graham (2016), S. 44.
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S chrift im R aum der 1970er-Jahre geworfen wird. Im umfangreichen Festival Ten Artists Respond to Locus (San Francisco, 2016) setzen sich zehn Künstler*innen aus verschiedenen Sparten in einem von Diane Madden geleiteten zweiwöchigen Workshop mit dem score von Locus auseinander und antworten auf ihn mit Arbeiten im Bereich ihrer künstlerischen Expertise.43 So thematisiert etwa Peiling Kao, eine aus Taiwan stammende und in Honolulu, Hawaii lebende Choreographin und Tänzerin, in ihrer Arbeit per[mute]ing (2016) die Whiteness von Trisha Browns frühen Arbeiten als die Ausblendung der Kategorie race unter der Prämisse einer normativ gesetzten, vermeintlichen Neutralität. Sichtbar wird damit auch, wie der Ausschluss von People of Colour aus dem Kreis der frühen Tänzer*innen um Trisha Brown bis heute in der Aufführungspraxis von Locus Solo und anderen Arbeiten Browns nachwirkt, wenn diese im White Cube von Museen von Tänzer*innen in vollständig weißer Kleidung getanzt werden. Ungleich dringender wird die Kritik an der Verbindung von Whiteness und Postmodernem Tanz in der Arbeit Black Lōkəs (2017) des schwarzen Tänzers, Tanzwissenschaftlers und Theologen Christopher-Rasheem McMillan formuliert.44 Unabhängig vom Festival Ten Artists Respond to Locus entstanden, benutzt McMillan Browns Zuordnung von Buchstaben, Zahlen, Raumpunkten und Bewegungen, um mit seinem Körper die Initialen schwarzer US-Amerikaner in den Raum zu schreiben, die Opfer von Polizeigewalt wurden. Indem an die Stelle der Autobiographie und des Namens Browns nun die Namen getöteter schwarzer US-Amerikaner treten, wird die nicht reflektierte Whiteness von Browns Arbeiten der 1970er-Jahre im Kontext der Black Lives Matter-Bewegung markiert. Zudem wird Browns Bewegungsstil einem zeitgenössischen Black Queering unterzogen: McMillan, der wie auch Peiling Kao dem Tanz Trisha Browns großen Respekt und Bewunderung entgegenbringt und mit Diane Madden und Shelley Senter den score von Locus minutiös erlernt hat, bescheinigt dem Stück swagger, eine als schwarz konnotierte »coolness« und »relaxedness« im Ausführen von Bewegungen: »Locus has swagger, and Black Lōkəs highlights it and brings it out more.«45 So macht Christopher-Rasheem McMillan als schwarzer Tänzer mithilfe postmoderner Strukturen die Whiteness 43 | Siehe www.bridgeproject.art/2016-bridge-project (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 44 | Siehe McMillan, Christopher-Rasheem: »In Search of Our Aunts’ Gardens. Choreographic Reconstruction, Race and Bodily Transfer in Black Lōkəs, in: Choreographic Practices 9:2 (2018a), S. 191-212; sowie Ders.: »Trisha Is My Shepherd; I Shall not Want...«, in: Movement Research Performance Journal 51, Portfolio Trisha Brown (2018b), S. 12. 45 | McMillan, Christopher-Rasheem/Sakamoto, Michael: »Brown and Black. Performing Transmission in Trisha Brown’s Locus and Hosoe Eikoh and Hijikata Tatsumi’s Kamaitachi«, in: Shiovitz, Brynn Wein (Hg.): The Body, the Dance and
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Abb. 27: Christopher-Rasheem McMillan, Black Lōkəs (2017).
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S chrift im R aum in der Arbeit der weißen Choreographin Trisha Brown Blackness sichtbar und ändert mit seiner Neuschreibung den Ausgangstext, als ein Zitieren, das rückwirkend die Zitatquelle verändert (Abb. 27).
3.4 Schriftbild: Diagramm Mit diesen Öffnungen zur weiteren Diversifizierung von Locus wächst der Denkfigur Tanz als Schrift gerade in der Inexaktheit und Inkonsistenz von Körpern ein neuer Grad an Evidenz zu. Die Abweichungen von einem zu schreibenden Bewegungspräskript, das bei Locus ja zumindest in den ersten beiden Teilen des Stückes vorliegt und aus dem sich auch der dritte Teil speist, werden zum Anzeichen individueller Inskription und lassen so jenes Spiel der différance sichtbar werden, das der Schrift vorausgeht und jede Schrift durchzieht.46 In den minimalen Abirrungen des Körpers von der Ordnung des Vorgegebenen wird die Willkürlichkeit einer Setzung deutlich gemacht, die eine bestimmte Kombination von Linien zu einem Buchstaben erhebt oder im Fall von Locus bestimmte Bewegungen zur Umsetzung dieses Buchstabens erklärt. So wie Schrift aus dem Chaos der unendlichen Differenzierbarkeit von Formen hervorgeht und permanent davon bedroht ist, wieder zu einem unlesbaren Gestöber von Zeichen zu werden, oszilliert auch Locus zwischen Schrift und pré-écriture, zwischen Schreiben und Kritzeln. »Dancing is like scribbling, you know«, sagt Trisha Brown und fährt mit der Begründung fort: »because of the inconsistencies of the human anatomy«.47 Bei aller Präzision der Körperbewegung innerhalb von Locus ist es gerade auch das Ungenaue, die Mangelhaftigkeit des Körpers als Markierungsinstrument, die Tanzen hier in die Analogiebeziehung zum Schreiben hebt. Das nichtbeherrschbare Hinüberoszillieren in den Bereich der pré-écriture ist der Hinweis auf jenen Bereich der Unlesbarkeit, aus dem jede Schrift hervorgeht. Die Anmutung von Locus als scribbling weist so zurück auf die Vergangenheit der Schriftwerdung, die Herkunft von Schrift aus dem Spiel mit noch ununterschiedenen und uncodierten Formen. Aufgrund der Mehrfachcodierung der Bewegungen und ihrer zusätzlichen Alteration im Shibboleth der individuellen Tänzer*innen ist die Inskription von Locus unlesbar: Das Tanzschriftbild des Stückes ist grundsätzlich verschleiert. Dem entspricht auf der Rezeptionsebene daher kein lesendes Sehen, sondern the Text. Essays on Performance and the Margins of History, Jefferson (NC): McFarland, 2019, S. 202-218, hier S. 208. 46 | Vgl. Derrida (1974), S. 17. 47 | Trisha Brown im Interview mit Marianne Goldberg in: Goldberg (1990), S. 235.
C odieren ein Blick, der zwischen sukzessiver und simultaner Wahrnehmung springt und so entweder die Gestalttransformationen einzelner Körper und Körperteile verfolgt oder das Schriftbildganze wahrnimmt. Dieses Kippen zwischen sukzessiver und simultaner Wahrnehmung ließe sich auch mit der Differenz von Fokussierung und Fokusverlust beschreiben: »At one point my eyes decided to get a bit out of focus«, formuliert die Tanzkritikerin Marcia B. Siegel zu Locus, »and instead of seeing individual configurations, I saw the design of the whole dancing space changing, like the stage in a big ballet ensemble.«48 Der Struktur des Stückes ist es dabei zu verdanken, dass solche Aspektwechsel zwischen der Wahrnehmung von Partikularität und Gesamtdesign von den Bewegungen der Tänzer*innen selbst ausgelöst werden. Immer wieder bilden ihre Körper oder ihre Körperteile parallele oder sich schneidende Linien, die für kurze Zeit aufscheinen, um im nächsten Moment wieder in andere, ebenso flüchtige Gesamtkonstellationen transformiert zu werden. Es sind diese geometrischen Strukturen im Tanzschriftbild, die Parallelismen und Spiegelungen von Achsen, ihre Überschneidungen und Winkel, die den Aspektwechsel zum Schriftbildganzen motivieren. Zerfallen solche kurz aufscheinenden geometrischen Strukturen, schwindet auch der Impuls zur simultanen Wahrnehmung der Inskription, und im nächsten Moment verfolgt der Blick wieder nur Singuläres: Drehungen, Beugungen, Streckungen, einzelne Schritte. Bei der Wahrnehmung solcher geometrischer Strukturen ist es nicht notwendig, dass Bewegungen zu Posen einrasten oder die Gestaltwahrnehmung sie zu solchen arretiert. Die Langsamkeit und Präzision, mit der Bewegungen in Locus gesetzt werden, begünstigt die Rezeption von Körpern und Körperteilen als Elementen von linearen Gefügen, auch ohne eine wirkliche Stillstellung, die von Brown ja nur für die Umsetzung der Zahl 27 als Verweis auf die Wortspatien des Ausgangstextes eingesetzt wird. In der Streckung eines Beines kann so der Beginn einer Diagonale ausgemacht werden, die von einem anderen Körper mit der Streckung eines Armes fortgesetzt und von Körperlinien anderer Tänzer*innen gekreuzt wird. Des Weiteren ist zu betonen: Die Lineaturen dieses mobilen Gefüges gehen zwar von der realen Körperlichkeit der Tänzer*innen aus, sind aber vor allem Produkte der konstruierenden Vorstellung der Betrachter*innen, die sie imaginär zu einem Geflecht aus Geraden und Kurven verdichten. Dabei können zum einen die gestreckten oder abgewinkelten Körperglieder der Tänzer*innen als Inkorporationen von Linien wahrgenommen werden, die sich verzweigen und kreuzen oder parallel zueinander in den Raum gesetzt werden. Zum anderen kann die Einbildungskraft der Betrachter*innen den Tanzbewegungen linienartige Spuren zufügen, die den Bewegungen eines Armes oder Beines imaginär nachfolgen. In beiden Fällen 48 | Siegel, Marcia B: »Brown Studies«, in: SoHo Weekly News, 15.01.1976, S. 15, zitiert nach Sulzman (1978), S. 117.
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S chrift im R aum ist diese Wahrnehmung eine konstruierende, die das Tanzereignis auf der Bühne mit eigenen Vorstellungen verknüpft, sodass die realen Körperbewegungen der Tänzer*innen intensiviert, ergänzt oder reduziert wahrgenommen werden. Analog zu den gezeichneten Diagrammen, mit denen Brown die Abfolge der Locus-Bewegungen entwickelt, kann so das Schriftbild von Locus als ein fluides Diagramm beschrieben werden, das – und das ist das Besondere gerade an diesem Stück – aufgrund seiner Opazität einen ornamentalen Charakter annimmt. Ein Diagramm wird hier als Schriftbild begriffen und unter einen erweiterten, lautsprachenneutralen Begriff von Schrift subsumiert, die nicht nur notationelle Funktionen übernimmt, sondern ebenso über epistemische, operative und ästhetische Potentiale verfügt. Hinsichtlich ihrer Schriftbildlichkeit betrachtet, können sowohl Diagramme in ihrem Ornamentcharakter als auch schriftornamentale Phänomene in ihrer Diagrammatizität untersucht werden, etwa in Bezug auf das Verhältnis von Zeichnung und Schriftzeichen.49 In der Wahrnehmung von Locus, die das Stück als ein fluides Diagramm im Raum betrachtet, entwickelt sich über dem Raster des Bodens in unablässiger Veränderung eine Inskription aus Linien, Winkeln, Kurven und markierten Raumpunkten, die Codierung und Lesbarkeit suggeriert, eine Aufladung mit einem chiffrierten Sinn. Die Bewegungen der vier Tänzer*innen scheinen simulierten Operationen in einem virtuellen Koordinatensystem zu gleichen, und die von ihren Körpergliedern gebildeten und mit ihren Bewegungen in den Raum geschriebenen Lineaturen könnten vorgeblich Vektorenfunktion übernehmen. Damit ist ihr Tanz aufgespannt hin zur Potentialität einer möglichen Lektüre, die jedoch zu der jetzigen Opazität des Diagramms in einem deutlichen Widerspruch steht. So ist dieses aisthetisch konstruierte Diagramm ebenso opak wie ornamental, da es ja nur in potentia lesbar ist, seine diagrammatische Struktur mit ihrem Spiel von Wiederholung und Differenz, Rapport und Disruption sowie Figur und Grund jedoch eine Würdigung als Ornament nahelegt. Festzuhalten ist dabei, dass das Ornamentale im Tanzschriftbild von Locus nicht an ein Defizit von Referenz gekoppelt ist, sondern gerade aus der potentiellen Überfülle von Referenz resultiert. Ornamental ist Locus nicht, weil es referenzlos wäre; dies zu behaupten, hieße, jene problematische Degradierung des Ornaments zu verlängern, die auf einem konstruierten gegenseitigen Ausschluss von Ornament und Referenz beruht.50 Vielmehr ist es die vom Locus-System erzeugte Überdetermi 49 | Siehe Krämer, Sybille: »Operative Bildlichkeit. Von der ›Grammatologie‹ zu einer ›Diagrammatologie‹? Reflexionen über erkennendes Sehen«, in: Hessler, Martina/Mersch, Dieter (Hg.): Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, Bielefeld: transcript, 2009, S. 94-123; sowie Dies. (2016). 50 | Vgl. Beyer, Vera/Spies, Werner: »Einleitung. Ornamente und ornamentale Modi des Bildes«, in: Dies. (Hg.): Ornament. Motiv – Modus – Bild, München:
C odieren nierung in die Buchstaben-Bewegungs-Zuordnungen, die in der Mitwirkung der sich verselbständigen Publikums-Imagination zum unlesbar-ornamentalen Charakter des Bewegungsdiagramms beiträgt. Aus der komplexen Interdependenz von System, Bewegung und Wahrnehmung resultiert so ein real-imaginäres Bewegungsdiagramm, das zwischen Opazität und Potentialität oszilliert.
Wilhelm Fink, 2012, S. 13-23; vgl. auch Hay, Jonathan: »The Passage of the Other. Elements for a Redefinition of Ornament«, in: Necipoğlu, Gülrü/Payne, Alina (Hg.): Histories of Ornament. From Global to Local, Princeton (NJ)/Oxford: Princeton University Press, 2016, S. 62-69.
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Abb. 28: William Forsythe, Eidos:Telos, Teil II (1995), Ballett Frankfurt, Photo: Dominik Mentzos.
4 Figurieren 4.1 William Forsythe, Eidos:Telos (1995) Mit scharf artikulierten Bewegungen, weit ausgestreckten oder abgewinkelten Armen, verdrehtem Rumpf und ausgestelltem Becken bewegen sich sechs Tänzer*innen im Solo, Duo oder als Gruppe.1 In kurzen Hosen und mit nackten Beinen, die Oberkörper in graublauen Trägerhemden, sind ihre Körper hell abgesetzt von dem nur mit schwachem blauem Licht beleuchteten Bühnenhintergrund. Auf dem grauen Tanzboden, dessen Bahnen und Klebestreifen wie die Lineatur eines Schreibhefts oder eines Notensystems erscheinen, stehen ein Metronom und mehrere Uhren, die statt Ziffern Buchstaben tragen und deren Zeiger springen, statt sich kontinuierlich zu drehen. Auf einer digitalen Anzeigetafel ist der ablaufende Timecode des Stückes zu sehen.
1 | Eidos:Telos. Premiere: 28. Januar 1995, Opernhaus Frankfurt am Main. Konzept und Organisation: William Forsythe in choreographischer Zusammenarbeit mit dem Ensemble (Ballett Frankfurt). Bühne und Licht: William Forsythe. Kostüme: Naoki Takizawa, Miyake Design Studio, Stephen Galloway (Teil II). Musik: Thom Willems. Kompositionsberatung, Digital Instrument Design und Performance: Joel Ryan. Assistenz: Dirk Haubrich. Ausführende: Maxim Franke (Violine), Christian Dembowski, Daniel Scherf, Mike Tetzner (Posaune). Text Teil II: William Forsythe nach Roberto Calasso, Monologtext geschrieben von Dana Caspersen. Dramaturgische Recherchen: Heidi Gilpin. Neben eigenen Aufführungsbesuchen des Stückes im Opernhaus Frankfurt am Main in den Jahren 2001–2003 bezieht sich die folgende Untersuchung auf die Aufzeichnung des Stückes, die sich im Bestand der New York Public Library, Lincoln Center, New York befindet (Performing Arts Research Collection Dance, *MGZIDVD 5-767). Es handelt sich hierbei um die Videoaufzeichnung einer Aufführung von Eidos:Telos, die am 5. Dezember 1998 in der Brooklyn Academy of Music Opera House, Brooklyn, New York im Rahmen des New Wave Festival stattfand.
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S chrift im R aum Teil I: Über die Bühne sind Metalldrähte als Saiten gespannt, die mit einem Geigenbogen in Schwingungen versetzt werden, später ergänzt durch drei Posaunen. Die Musik – eine Variation von Igor Stravinskys Apollon musagète und eine Komposition von Thom Willems – sowie die Bewegungen der Tänzer*innen scheinen aufeinander abgestimmt, doch bleibt unklar, ob Tanz oder Musik die zeitliche Priorität haben. Immer wieder entsprechen lang gehaltene Töne oder Pausen in der Musik den Verlangsamungen oder dem Innehalten in der Bewegung, doch meist sind die Ebenen von Tanz und Musik verschoben, setzen verfrüht oder verzögert ein, ohne dass es zu einer harten Disharmonie zwischen ihnen kommt.2 Auch in den Bewegungen dominiert, trotz aller Biegung und Verdrehung von Körpern und trotz Momenten schnellen Stoßens, Schlagens und Spreizens, ein Eindruck trainierter Harmonie und Disziplin. Hier tanzen Ballettkörper, aufrecht und gespannt, mit einem deutlichen Fokus auf den Abwinkelungen und Kurven von Linien, die die Körper mit Beinen, Torso und Armen sichtbar bilden oder die sie mit ihren präzis artikulierten Bewegungen als filigrane Lineamente imaginär in den Raum setzen. Dann wieder krümmen sich die Tänzer*innen, weichen zurück, umtanzen imaginäre Hindernisse. Oder sie beschleunigen ihre Bewegungen, wirbeln mit den abgespreizten Armen, wackeln mit dem ausgestellten Gesäß. Mitten im Stück setzt die Beleuchtung abrupt aus und wird sofort wieder angeschaltet. Die Tänzer*innen haben sich unterdessen weiterbewegt, haben Schritte gesetzt, sich gedreht, gestreckt und gespreizt, in ihrem synkopierten Rhythmus aus Beschleunigung, Verlangsamung und Innehalten wie beim Schreiben einer Handschrift. Schließlich fährt, während sie Tanz: Teil I (Self Meant to Govern): Regina van Berkel, Noah Gelber, Thomas McManus, Tamás Moritz, Agnès Noltenius, Crystal Pite. Teil II: Dana Caspersen, Regina van Berkel, Allison Brown, Francesca Caroti, Veronique Gaillard, Laura Graham, Francesca Harper, Irene Klein, Crystal Pite, Jone San Martin, Andrea Tallis, Timothy Couchman, Noah Gelber, Thierry Guiderdoni, Nik Haffner, Fabrice Mazliah, Thomas McManus, Tamás Moritz, Antony Rizzi, Pascal Touzeau, Sjoerd Vreugdenhil, Aaron Sean Watkin. Teil III: Regina van Berkel, Allison Brown, Francesca Caroti, Veronique Gaillard, Laura Graham, Francesca Harper, Irene Klein, Agnès Noltenius, Crystal Pite, Ana Catalina Roman, Jone San Martin, Andrea Tallis, Alan Barnes, Maurice Causey, Timothy Couchman, Thierry Guiderdoni, Nik Haffner, Fabrice Mazliah, Tamás Moritz, Antony Rizzi, Pascal Touzeau, Aaron Sean Watkin. 2 | Zur Verschaltung von Klang und Bewegung mit besonderem Bezug zu Eidos:Telos vgl. Salter, Chris: »Timbral Architectures, Aurality’s Force. Sound and Music«, in: Spier (2011), S. 54-72, insbes. S. 57f. Zu Untersuchungen des klanglichen Potentials von Tanzbewegung in späteren Forsythe-Arbeiten vgl. Vass-Rhee, Freya: »Auditory Turn. William Forsythe’s Vocal Choreography«, in: Dance Chronicle 33:3 (2010), S. 388-413.
F igurieren weitertanzen, eine schwarze Soffitte herunter, die ihre Bewegungen verdeckt und den ersten Teil von Eidos:Telos beendet. Teil II: Nach der Pause bietet sich ein weniger reduziertes Bild dar. Jetzt sind es Farben wie aus Gemälden Nicholas Poussins, die die Kostüme von Stephen Galloway und Naoki Takizawa von Issey Miyake bestimmen: Weite Röcke in Mauve, Bordeaux, Hellblau, Preußischblau, Olivegrün und Indischgelb setzen sich ab vom grauen Tanzboden. Auf der Bühne erscheint zunächst Dana Caspersen mit nacktem Oberkörper und in einem weiten orangefarbenen Rock mit ausgestelltem Cul de Paris. Neben Caspersen hängt ein heruntergefahrener HMI-Scheinwerfer, in dessen Licht sie schließlich ein großes Knäuel gelborangefarbener Scheinwerferfolie zerrt, das laut wie überdimensioniertes Bonbonpapier knistert. Tanzende Körper in weiten Röcken drehen sich zu einer verzerrten, walzerartigen Musik, die Arme erhoben, mit weit ausschwingenden Bewegungen, die Köpfe geneigt. Sie tanzen in Paaren und Gruppen, eine Person geht zu Boden, die anderen halten inne. Dann ist lautes Lachen zu hören sowie Text auf Italienisch und Spanisch, künstlich mit Hall unterlegt. Ausgestoßene Obszönitäten und Drohungen (»I’m gonna chop your head off and f**k you in the neck-hole.«3) kontrastieren die elegischen Bewegungen, die weit weniger deformiert sind als im ersten Stückteil. So schwingen die Tänzer*innen in ihren bunt glänzenden Kostümen mit ihren Armen, von oben mit kaltem, grellem Licht beleuchtet oder in ein fast vollständiges Dunkel gehüllt, das sie als dumpf-graue, mottenartige Wesen erscheinen lässt. Teil III: Der dritte Stückteil gleicht optisch dem ersten. Wieder tragen die nun bis zu dreiundzwanzig Tänzer*innen sehr kurze Hosen, dazu armfreie Oberteile in den Farben der bunten Röcke, in denen sie sich im vorherigen Teil drehten. Eine Person ist mit einem offenen, orangeroten Hemd von allen anderen abgesetzt. Die Metallsaiten hängen schlaff, statt einer live gespielten Violine sind zunächst nur eingespielte Töne zu hören sowie die Geräusche, die die tanzenden Körper verursachen. Es wird laut gezählt, Anweisungen werden gegeben. Später kommen lange, verschliffene Posaunentöne hinzu, wie Klänge eines Schofarhorns, die live und in bisweilen großer Lautstärke gespielt werden und dem Stückteil eine dräuende, mahnende Tonkulisse verleihen. Am Ende verlässt Dana Caspersen ihren orangefarbenen Rock und tritt nackt und mit konvulsivischen Zuckungen von der Bühne ab. Auch das übrige Bewegungsmaterial gleicht dem ersten Teil, ist jedoch leichter und verschliffener, mit weniger extremen Ausstreckungen der Arme und weniger forciertem Aufrichten des Oberkörpers. In manchen Phasen bewegen sich die Tänzer*innen syn 3 | Jennings, Luke: »An Abstract Fear of Dying«, in: Evening Standard, 09.11.2001.
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S chrift im R aum chron oder frieren an festgelegten Zeitpunkten zu einem tableau vivant ein, während sich nur eine einzelne Person langsam um sich selbst dreht. Auftritte und Abgänge sind minutiös festgelegt und geben dem Stückteil eine genau gebaute Struktur, in der das Kollektiv der Tanzenden und die Individualität einzelner Personen kompositionsartig variiert und miteinander verschränkt werden. Das Linienspiel der Körperglieder und ihrer imaginären, inskribierten Lineamente ist freier, weniger artikuliert als im ersten Teil und ergibt sich nicht mehr primär aus genau gesetzten Bewegungen, sondern indirekter über Bewegungsvorgänge des Schiebens, Schleifens, mitunter Springens. Hinzu kommen Bewegungen wie aus Aufwärm- und Dehnungsphasen eines Trainings: Strecken, Schütteln und Lockern der Gelenke, schnelles Gehen, Rennen, Stehenbleiben, Trippeln. Der Titel des Stückes Eidos:Telos setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern εἶδος (eîdos, Gestalt, Form, Aussehen) und τέλος (télos, Ziel, Zweck, Ende) zusammen, von denen letzterer von Kritik und Tanzwissenschaft als Synonym für Tod rezipiert wurde.4 Obwohl Tod im Griechischen mit dem Begriff θάνατος (thánatos, Tod) wiedergegeben werden müsste, und τέλος über die Bedeutung Ende zwar einen finalen Sinn hat, der aber nicht zwangsläufig mit Tod in Verbindung steht, erfolgt in der Rezeption eine eigentümliche Zuspitzung auf die Todesthematik. Diese Fokussierung dürfte sich nicht zuletzt dem ungewöhnlich inhaltsreichen Programmheft der Dramaturgin Heidi Gilpin verdanken,5 mit einer Textzusammenstellung, die die Todes- und Vergänglichkeitsthematik
4 | Vgl. Siegmund (2006), S. 282. Gerald Siegmunds Studie bietet die umfangreichste Schilderung des gesamten Ablaufs von Eidos:Telos. Eine ausführliche analytische Sicht auf die Struktur des Stückes gibt Nugent, Ann: The Architexts of Eidos:Telos. A Critical Study Through Intertextuality of the Dance Text Conceived by William Forsythe, Diss. University of Surrey, 2000. 5 | Ballett Frankfurt Intendanz (Hg): Eidos:Telos, Programmheft, Frankfurt a.M.: o.V., 32001. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass Heidi Gilpin, während der Entstehungszeit des Stückes Resident Researcher des Ballett Frankfurt, im Rahmen ihrer Dramaturgie für Eidos:Telos eine mehrere hundert Seiten umfassende Sammlung an Texten zusammenstellte (Belletristik, Lyrik, Philosophie, Mythologie, Wissenschaft, Architektur, Kulturwissenschaften), einschließlich diverser Zeichnungen und Diagramme. Dieses Konvolut, von Gilpin als »Conceptual Handbook« bezeichnet, wurde in gebundener Form allen Tänzer*innen ausgeteilt, um sie in die Entwicklung von Eidos:Telos einzubeziehen. Siehe Nugent (2000), S. 106. Vgl. auch Gilpin, Heidi Louise: »Failure, Repetition, Amputation, and Disappearance. Issues of Composition in Contemporary European Movement Performance«, Diss. Harvard University, 1993.
F igurieren weiter vertieft und geradezu zur Interpretation von Eidos:Telos als »Totentanz«6 führt. Hauptanker für diese Todeszuspitzung ist der Mythos der Persephone; auf diese griechische Göttin der Unterwelt bezieht sich Dana Caspersens Monolog, eine von ihr erstellte Bearbeitung von Roberto Calassos Text Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia, der seinerseits auf dem elften Gesang von Homers Odyssee basiert.7 Als weiterer Beleg für die Todesinterpretation des Stückes wird häufig der Tod von William Forsythes zweiter Frau, der Tänzerin Tracy-Kai Meier angeführt, die im Februar 1994, ein Jahr vor der Uraufführung des Stückes, im Alter von 32 Jahren an Krebs verstarb. Eidos:Telos sei daher, so Gerald Siegmund in wiederholten Versuchen einer psychologischen Auslegung, der Versuch, den Verlust der Verstorbenen künstlerisch zu verarbeiten.8 Kritisch zu fragen wäre, ob diese Sicht auf Tanzarbeit als Trauerarbeit nicht lediglich, wenn überhaupt auf Forsythe selbst zutrifft und die Anwendung eines solchen Interpretationsmodells auf das gesamte Stück einschließlich aller Beteiligten nicht letztendlich einer Genieästhetik und einer Fokussierung auf den Künstler Forsythe zuarbeitet. Jene Genieästhetik soll ja gerade mit Arbeiten wie Eidos:Telos überwunden werden, wenn für Konzept und Organisation nicht nur William Forsythe allein, sondern auch das Ensemble verantwortlich zeichnen.9
6 | So sehr pointiert und ausführlich Kilb, Andreas: »Ein Totentanz«, in: Die Zeit 7 (1995), http://www.zeit.de/1995/07/Ein_Totentanz (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 7 | Siehe Calasso, Roberto: Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia, aus dem Ital. übers. von Moshe Kahn, Frankfurt a.M.: Insel, 1990. Vgl. auch Siegmund (2006), S. 284. 8 | »Das Stück Eidos:Telos und, so meine These, jedes Tanzstück ist aus anthropologischer Sicht ein ›Wiederherstellungsversuch‹, der im Falle von Forsythe jedoch seinen phantasmatischen Grund, die Abwesenheit des Subjekts, seinen Tod, in die Kreation mit einbezieht und reflektiert.« Siegmund, Gerald: »Bewegung als Wiederherstellungsversuch. Hinter dem Spiegel: Tod, Tanz, Trieb«, in: Brandstetter, Gabriele/Wulf, Christoph (Hg.): Tanz als Anthropologie, München: Wilhelm Fink, 2007a, S. 260-276, hier S. 271. Vgl. auch Ders.: »William Forsythe. Räume eröffnen, in denen das Denken sich ereignen kann«, in: Ders. (Hg.): William Forsythe. Denken in Bewegung, Berlin: Henschel, 2004b, S. 9-72, hier S. 66. 9 | Als Beispiel für eine theoretische Verschränkung von Tanz und Trauer, die sich nicht auf Person und Psyche des Choreographen William Forsythe beschränkt, sondern das Verhältnis von Bewegung und Verlusterfahrung vor dem kulturtheoretischen Hintergrund der Vulnerabilität entfaltet, vgl. Ruprecht, Lucia: »Crossmapping Grief in William Forsythe’s Three Atmospheric Studies«, in: Forum for Modern Language Studies 50:3 (2014), S. 289-304, hier S. 282-291.
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S chrift im R aum Als Anreiz für die immense Aufladung des Stückes kann aber auch die Selbstvermarktungsstrategie des Balletts Frankfurt angeführt werden, die Eidos:Telos, eine der komplexesten Arbeiten William Forsythes, mit einem ideologischen Überbau versieht, der nur kurz ahnen lässt, dass sich die Bewegungsgenerierung in diesem Stück einem Alphabetsystem verdankt, das ähnlich wie bei Trisha Browns Locus Schrift zum Auslöser von Tanz werden lässt. Bezeichnenderweise wird denn auch in der knappen Alphabetreferenz der Bezug zur graphé zugunsten einer Analogisierung von Sprechen und Tanzen gekappt, wenn es in dem Text heißt, für den laut Impressum Dana Caspersen verantwortlich zeichnet: »Die Körper der Tänzer sprechen von Form, Reduktion und Klarheit, machen ein pulsierendes Bewegungsalphabet sichtbar, ihre gemeinsame Sprache.«10 Im Gegensatz zur Verknüpfung von pulsierendem Leben und Buchstabe, die sich in dem Caspersen zugeschriebenen Satz zeigen, könnte der von der Dramaturgie vorgegebene Todesbezug des Stückes jedoch auch – und ohne eine Deutung als Trauerarbeit – über die Verbindung zu Buchstabe und Alphabet hergestellt werden. Zu fragen wäre dann, wie das Starre und Unbewegte von Buchstaben zu einer Genese von Bewegung werden kann, ohne dabei den falschen, verhängnisvollen Gegensatz eines tötenden Buchstabens und eines lebendigen Körpers zu bemühen. Denn in Eidos:Telos werden vielmehr Buchstaben, gerade in ihrer Gestalt (εἶδος) zu Auslösern von Bewegung, haben also keine mortifizierende, sondern eine animierende Funktion, die in jeder Aufführung des Stückes partiell zu einmaligen und unvorhersehbaren Bewegungsfigurationen führt. Diese Bewegungsgenese über Buchstaben bestimmt vor allem den ersten, etwa 20 Minuten langen Stückteil von Eidos:Telos, der als separates Stück auch unter dem Titel Self Meant to Govern gezeigt wird.11 Der 10 | Caspersen, Dana: »Eidos:Telos«, in: Ballett Frankfurt (Hg.): Informationsbroschüre Ballett Frankfurt Saison 2003/2004, Frankfurt: o.V., 2003, o.S. Vgl. auch die metaphernschwere Beschreibung im Folgenden: »Zwei Pole von ekstatischer Besessenheit um ein tief leuchtendes Zentrum drehend, hat ›Eidos:Telos‹ sein Herz in der Unterwelt, dem Reich der Persephone, einer Spinnenfrau. Sie bewegt sich spinnend vom Reich der Toten in das der Lebenden und wieder zurück, die Welt ins Sein verflechtend. [...] Die Tänzer verwandeln sich, werden zu prächtigen Juwelen der Bewegung, wirbeln durch radikal wechselnde Lichtebenen, während die Spinnenfrau spricht, zornig, staunend, gierig vom Wesen der Zerstörung und von Wiedergeburt. Ein dionysischer Irrsinn nimmt Gestalt an, während die Tänzer zu einem komplexen Organismus verschmelzen und die Bühne mit zügellosem Leben füllen. [...] Die Tänzer ergeben sich in das, was aufbricht, werden zu einem einzigen Körper, der sich selbst immer wieder neu ins Sein verflechtet.« Ebd. 11 | Self Meant to Govern. Premiere: 2. Juli 1994, Opernhaus Frankfurt am Main. Konzept und Organisation: William Forsythe in choreographischer Zu-
F igurieren zweite Teil von Eidos:Telos (24 min.) wird nicht alphabetisch und nicht in einer von Aufführung zu Aufführung variierenden Weise generiert, sondern folgt Bewegungsvorgaben Forsythes. Im dritten Teil (31 min.) werden schließlich die Bewegungen aus dem ersten Teil von den Tänzer*innen frei paraphrasiert.12
4.2 Alphabet Im Stück ALIE/N A(C)TION (1992) wendet Forsythe erstmals ein Verfahren an, dass drei Jahre später in Eidos:Telos (1995) seinen Höhepunkt findet: die Zuordnung von kurzen, vorab von ihm festgelegten Bewegungssequenzen zu den Buchstaben des Alphabets. Diese für Forsythes Arbeitsweise und Ästhetik der sammenarbeit mit dem Ensemble (Ballett Frankfurt). Zusammen aufgeführt mit White Clouds Under the Heels, Choreographie: Saburo Teshigawara. Tanz: Ballett Frankfurt. Für Literatur zu Self Meant to Govern im engeren Sinne vgl. Boxberger, Edith: »Veitstanz der Zeit. Stücke von Teshigawara und Forsythe«, in: ballett international/tanz aktuell 8/9 (1994), S. 68-69; Brandstetter, Gabriele: »Defigurative Choreographie. Von Duchamp zu William Forsythe«, in: Neumann (1997), S. 598623; Evert, Kerstin: »Self Meant to Govern – William Forsythe’s ›Poetry of Disappearance‹«, in: Gesellschaft für Tanzforschung e.V. (Hg.): Jahrbuch Tanzforschung 9, Wilhelmshaven: Florian Noetzel, 1998, S. 140-174; Dies.: DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2003, S. 117-155. Wichtige Studien zu Eidos:Telos sind die Arbeiten Ann Nugents. Vgl. Nugent, Ann: »Eyeing Forsythe. Critical Analysis of the Choreography of William Forsythe«, in: Dance Theatre Journal 14:3 (1998), S. 26-30; Dies.: »Criticism, Intertextuality, and William Forsythe’s Eidos:Telos«, in: Society of Dance History Scholars (Hg.): Proceedings Twenty-Second Annual Conference, University of New Mexico, Albuquerque (NM), 10.06.–13.06.1999, Riverside (CA): Society of Dance History Scholars, 1999, S. 123-127; Dies. (2000); Dies.: »Seeking Order and Finding Chaos in the Choreography of William Forsythe«, in: Society of Dance History Scholars (Hg.): Proceedings Twenty-Fourth Annual Conference, Goucher College, Baltimore (MD), 21.06.–24.06.2001, Stoughton (WI): Society of Dance History Scholars, 2001, S. 81-85; Dies.: »William Forsythe, Eidos:Telos, and Intertextual Criticism«, in: Dance Research Journal 39:1 (2007), S. 25-48. 12 | Innerhalb dieser Untersuchung wird am Bezugsrahmen des gesamten Stückes Eidos:Telos festgehalten, da es aufgrund internationaler Gastspiele in einer zugänglichen Aufzeichnung dokumentiert ist und im Gegensatz zu Self Meant to Govern auch in englischsprachiger Forschung eingehende Untersuchungen gefunden hat.
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S chrift im R aum 1990er-Jahre überaus wichtige und grundlegende Zuordnung von Buchstaben und Bewegungen ermöglicht es, dass in den jeweils individuellen und voneinander erheblich differierenden Aufführungen eines Stückes über zufällig eingeblendete Buchstaben die mit ihnen verknüpften Bewegungen evoziert, untereinander kombiniert und modifiziert werden können.13 Die Buchstabenimpulse erfolgen dabei während der Aufführung von Eidos:Telos für das Publikum teilweise unsichtbar und erreichen die Tänzer*innen über zehn Monitore und zwei Videobeamer, die die Buchstaben in einer aleatorischen Folge und in modifizierter Gestalt zeigen: gekippt, gestaucht, gestreckt und partiell animiert.14 Ähnlich wie zwanzig Jahre zuvor bei Trisha Brown’s Locus geht auch bei Eidos:Telos eine festgelegte Zuordnung von Bewegungen und Buchstaben dem im Moment der Aufführung über Buchstaben generierten Tanz voraus: In der Aufführung wird so in hochkomplexer Weise eine alphabetbasierte Taxonomie in Gebrauch genommen, die bereits vorab in einem langen Prozess festgelegt und eingeübt wurde. Noch stärker als bei Locus wird allerdings die eigentliche Genese von Bewegungsfolgen als Aktivierung vorab getroffener Zuordnungsoptionen den Tänzer*innen überlassen. Während bei Brown nur im letzten Teil von Locus ein freieres Paraphrasieren mit Versatzstücken der BuchstabenZahlen-Raumpunkt-Bewegungssequenz möglich ist, gibt es in Eidos:Telos von Beginn an die Möglichkeit, sich ausgehend von Buchstabenimpulsen in dieser oder jener Weise zu bewegen und plurale Buchstaben-Bewegungszuordnungen 13 | Zum Sprachbezug, zu Arbeitsweisen und Ästhetik von William Forsythe in den frühen 1990er-Jahren vgl. insbes. die ältere Textsammlung Rauner, Gaby von (Hg): William Forsythe. Tanz und Sprache, Frankfurt a.M.: Brandes & Apsel, 1993; darin: Römer, Christel: »William Forsythes Tanzkonzeption«, in: ebd., S. 21-26; Dies.: »William Forsythe’s ›Artifact‹. Versuch einer Annäherung durch Sprache«, in: ebd., S. 27-46; sowie Boxberger, Edith: »Neuland aus der Dekonstruktion. ›Eidos:Telos‹ von William Forsythe«, in: ballett international/tanz aktuell 3 (1995), S. 20. Vgl. ferner Sulcas, Roslyn: »William Forsythe. The Poetry of Disappearance and the Great Tradition«, in: Dance Theatre Journal 9:1 (1991), S. 4-7; 32-33; Dies.: »How William Forsythe Has Both Subverted and Enlarged the Boundaries of Classical Dance through the Consistent Use of Language«, Interview mit William Forsythe, in: ballet-tanz, Jahrbuch 2004, S. 44-51; Seitz, Hanne: Räume im Dazwischen. Bewegung, Spiel und Inszenierung im Kontext ästhetischer Theorie und Praxis. Grundlegung einer Bewegungsästhetik, Edition Hermes 6, Essen: Klartext, 1996. Vgl. zu Forsythe generell, auch im Hinblick auf Human Writes (2005), die folgenden Textsammlungen: Siegmund (2004a); Spier (2011). 14 | Diese Modifikationen im Schriftbild gehen zurück auf das vom Medienkünstler Michael Saup entwickelte Programm Binary Ballistic Ballet. Siehe Evert (1998), S. 150.
F igurieren zu aktivieren. Das Maß an Fremdbestimmung ist damit geringer als in Locus, dennoch muss auch bei Eidos:Telos ein erhebliches Maß an heteronomer Systemautorität konstatiert werden: Bewegung wird in einem zwar offenen System generiert, das Entscheidungsfreiheit zwischen verschiedenen Optionen eröffnet; diese hingegen basieren auf präskriptiven Setzungen und Zuordnungen. Das Alphabet stellt dabei lediglich ein bekanntes und arbiträres Ordnungssystem dar, um das kombinatorische Spiel mit einzelnen Bewegungssequenzen zu erleichtern. Es geht nicht darum, Bewegungen und Buchstaben so gleichzusetzen, dass diese Verbindung eineindeutig nachvollzogen werden kann. Ersichtlich ist dies bereits an der Zahl der involvierten Bewegungen: Den 26 Buchstaben sind insgesamt 135 Bewegungen zugeordnet, sodass auch hier, wie bei Brown, mit einer Übercodierung gearbeitet wird. Es ist damit unmöglich, dass eine Folge von Bewegungen jemals in eine eindeutig zuordenbare Buchstabensequenz rückübersetzt werden könnte. Forsythe entwickelt die Bewegungssequenzen in der Probenarbeit mit seinen Tänzer*innen, gibt das gesamte Set und die Zuordnung zum Alphabet in Interviewäußerungen jedoch als seine eigene kreative Leistung aus: »I created a non-balletic vocabulary of 135 movements, which I then taught to my dancers until they knew it backward and forward.«15 Und auch Ensemblemitglieder wie Dana Caspersen beschreiben das Alphabet als William Forsythes Schöpfung: »a [...] movement alphabet which Bill had created (›alphabets‹ refers to a series of small gestural movements based on words).«16 In Bezug auf Forsythes Bewegungsalphabet ist zudem eine signifikante Unschärfe in der genauen Anzahl der Sequenzen und der Alphabeteinheiten zu konstatieren. So gibt es differierende Angaben von Dana Caspersen, die von nur 130 Bewegungssequenzen ausgeht, die aber einem Alphabet aus 27 statt 26 Buchstaben zugeordnet sind; andere Texte nennen sogar nur 127 Bewegungssequenzen bei wiederum 27 Buchstaben.17 Offen bleibt, wie es zu dieser abweichenden Zählung kommt. Möglicherweise bleibt die exakte Anzahl der Sequenzen variabel, und denkbar wäre zudem, dass sich die Angabe von 27 Buchstaben auf die frühere Unterteilung des englischen Alphabets bezieht, das neben den 26 heute verwendeten Buchstaben noch das sogenannte ampersand (&) als 27. Alphabeteinheit kennt. Sehr wahrscheinlich stammt die Zahl 27 je 15 | William Forsythe, zitiert nach Kaiser (1999), S. 67. 16 | Caspersen, Dana: »It starts from any Point. Bill and the Frankfurt Ballet«, in: Choreography and Dance 5:3 (2000), S. 25-39, hier S. 28. 17 | Vgl. Caspersen (2000), S. 32; Nugent (2000), S. 107. Dass selbst eingehende Darstellungen aus Tanzwissenschaft und Tanzpraxis in der Frage des Bewegungsalphabets so deutlich differieren, sagt auch etwas aus über die bewusste Arkanisierung von Forsythes Arbeitsweise, deren Komplexität und integrierte Inkongruenz sich einem direkten Zugriff entziehen.
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S chrift im R aum doch von Forsythes Arbeit mit Raummodellen im Sinne Rudolf von Labans, bei denen, ähnlich wie bei Trisha Brown, Kinesphären mit 27 Raumpunkten verwendet werden. In ALIE/N A(C)TION, das Self Meant to Govern und Eidos:Telos vorausgeht, sind diese 27 Punkte einer hier ikosaederförmigen Kinesphäre denn auch mit einem Buchstabenalphabet verbunden.18 Eine solche an Trisha Browns Locus erinnernde deutliche Koppelung zwischen Raumpunkten und Buchstaben ist in Self Meant to Govern und Eidos:Telos allerdings nicht mehr gegeben, sodass hier in der Tat von einem Alphabet mit 26 Buchstaben ausgegangen werden kann. Leitgedanke der Zuordnung von Buchstaben und Bewegungen ist die Akrophonie (von Griech. ἄκρος, ákros, oberster; φωνή, phoné, Klang): Ein Buchstabe steht dabei ein für ein ganzes Wort, das mit diesem Buchstaben beginnt. So ist beispielsweise in Forsythes Alphabet dem Buchstaben A der Name Abe zugeordnet, eine Kurzform von Abraham Lincoln, während das V mit Versace verknüpft ist.19 Jede Buchstaben-Wort-Zuordnung ist mit einer kleinen, nichtballettartigen und oft sehr alltäglichen Bewegung verbunden, etwa dem Schnappen nach einem mückenartigen Insekt (insect), das dann durch den Buchstaben I repräsentiert wird. Der Buchstabe A für Abe ist mit einer kopfbezogenen Bewegung verbunden, die den für Abraham Lincoln typischen hohen Zylinderhut beschreibt. Zur Übercodierung der 26 Buchstaben mit 135 Bewegungen kommt es, weil jeder Buchstabe mit bis zu fünf weiteren Wörtern verknüpft sein kann, die sich auf das erste Wort beziehen und jeweils eine eigene Bewegungssequenz nach sich ziehen. Diese weiteren Zuordnungen sind nur noch über Assoziation, nicht aber über Akrophonie mit dem Buchstaben verknüpft. A für Abe steht dann auch für Wörter wie Beard, Shot und Clapping, als Referenz auf Abraham Lincolns markanten Bart und seine tödliche Verletzung durch einen Schuss während des Besuchs einer Theatervorstellung. Der Buchstabe V für Versace wird außerdem in einem Italienbezug mit Pizza und in einem Modebezug mit Zipper assoziiert.20 Von den Wörtern Shelf, Flip, Table und Open, die über das
18 | Zur Bedeutung des Kinesphärenmodells für Forsythe vgl. insbes. Gilpin, Heidi Louise: »Aberrations of Gravity«, in: Spier (2011), S. 112-127. Zur Ingebrauchnahme dieses Modells in ALIE/N A(C)TION siehe Siegmund, Gerald: »Auf Biegen und Brechen. De-Formierter Tanz und manieristische Körperbilder«, in: Brandstetter/Völckers (2002), S. 136-170; Haffner, Nik: »Forsythe und die Medien. Ein Bericht«, in: tanzdrama 51:2 (2000), S. 30-35. 19 | Akrophon verwendete Wörter wie Abe, Versace, Insect etc. gelten dabei als Images; erst ein mit einem Image über Assoziation verknüpfter Begriff wird dann als Word bezeichnet. Siehe Kaiser (2000), S. 68. 20 | Gianni Versace entwarf u.a. die Kostüme für die Forsythe-Arbeiten Marion/ Marion (1991) und Herman Schmerman (1992). Siehe Nugent (2000), S. 108.
F igurieren Wort Book dem Buchstaben B zugeordnet sind, wird beispielsweise Shelf durch das Strecken des Körpers nach einem imaginären Regal verdeutlicht.21 Die Akrophonie ist als Prinzip für Eidos:Telos bisher unbeachtet geblieben, vor allem in ihrer Relevanz hinsichtlich des Verhältnisses von Körper und Schrift. Denn mit einer radikal verstandenen Akrophonie wird die Abstraktion von Schrift aufgehoben und den Buchstaben eine Körperlichkeit zugewiesen, wie sie auch für die Anfänge von Schriftentwicklung angenommen werden kann. Nach der 1913 von Alan H. Gardiner erstmals publizierten sogenannten akrophonen Theorie, die heute in der Schriftforschung fast allgemein anerkannt ist, können die im lateinischen Alphabet verwendeten Buchstaben auf frühe proto-sinaitische Hieroglyphen als piktorale Zeichen für akrophone Wörter zurückgeführt werden.22 Das bekannteste Beispiel, bei dem eine visuelle Ähnlichkeit zwischen Glyphe und früherem akrophonem Wort noch bis heute in der Gestalt des Buchstabens erkennbar ist, ist der Buchstabe A: Er geht zurück auf ein Zeichen in proto-sinaitischer Schrift, das die Gestalt eines Ochsenkopfes hatte und für den stimmlosen glottalen Plosiv (Glottisschlag) einstand, mit dem das Wort für Ochse (’alp) begann. Über das Phönizische Alphabet wurde die ochsenkopfförmige Gestalt des Buchstabens an das lateinische Alphabet weitergeben, dessen erster Buchstabe A, dreht man ihn um 180°, immer noch an einen stilisierten Ochsenkopf erinnert: . Wenn Forsythe also dem Buchstaben A die Kurzform des Vornamens Abraham zuordnet und in diesen Nexus außerdem Gesten einfügt, die auf Abraham Lincoln Bezug nehmen, so verfolgt er die Alphabetentwicklung gleichsam im Krebsgang zurück bis hin zu einer visuellen Parallele zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Wie das Zeichen für den Glottisschlag einem Ochsenkopf gleicht, der pars pro toto für das ganze Tier einsteht, dessen Bezeichnung mit einem Glottisschlaglaut beginnt, so wird nun auch eine visuelle, in diesem Fall gestische Parallele zwischen Bewegungszeichen (Hutgeste) und Bezeichnetem (Abraham Lincoln) gesetzt. Strenggenommen schaltet Forsythe die Akrophonie im Zuge dieser Setzungen und erst recht mit den zusätzlichen assoziierten Begriffen und deren Bewegungsreferenz jedoch wieder aus, da die Bewegungen selbst ja stumm sind und somit nicht akrophon sein können. Forsythe benutzt das Prinzip der Akrophonie daher nur, um so arbiträre Verknüpfungen zwischen Buchstaben und Bewegungen herzustellen, an die dann assoziativ weiA
21 | Siehe hierzu Kaiser (1999), S. 67; Caspersen (2000), S. 32; Nugent (2000), S. 107f.; Siegmund (2006), S. 289. 22 | Siehe im Folgenden Küster, Marc Wilhelm: Geordnetes Weltbild. Die Tradition des alphabetischen Sortierens von der Keilschrift bis zur EDV. Eine Kulturgeschichte. Tübingen: Niemeyer, 2006, S. 128f. Vgl. auch Morenz, Ludwig D.: »Phonozentrische Vereinseitigung und zugleich (!) ikonisches ›Rezidiv‹«, in: Loprieno/Knigge-Salis/Mersmann (2011), S. 137-165.
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S chrift im R aum tere Bewegungssequenzen angebunden werden können. Ziel ist es nicht, ein Bewegungsschriftsystem zu entwickeln, sondern die willkürliche und spielerische Kombination von Bewegungen zu ermöglichen. Die Idee einer alphabetischen Taxonomie von Bewegungen bezieht Forsythe aus dem Klassischen Ballett. Er betont explizit, dass auch dort bereits eine Art Bewegungs-ABC vorliegt, dessen Grundprinzip einer Partikularisierung und Benennung von Bewegungseinheiten er für sein System übernimmt: »I chose the alphabet because it’s simple, familiar, fixed, and arbitrary. We use it primarily as an index for a database of movements. Everyone knows alphabetical order, and the dances can navigate through its sequence easily [...]. This is not so different from traditional ballet where each motion and position has its own name.«23
Zu differenzieren ist bei dieser Parallelisierung, dass die Klassifizierung im Ballett, anders als bei Forsythe, nicht in Übercodierungen strukturiert ist. Die Systematik einzelner Schritte, Bewegungen und Posen, die jeweils eine eigene Bezeichnung tragen, gleicht daher der Partikularisierung der 135 Bewegungssequenzen bei Forsythe, nicht aber der Clusterbildung zu den nur 26 Buchstaben des Alphabets. Ersichtlich wird in dieser Übernahme von Prinzipien des Balletts, wie überaus eng Forsythe Mitte der 1990er-Jahre auf das Klassische Ballett bezogen bleibt. Es stellt nicht nur die wichtigste Trainingsgrundlage seiner Tänzer*innen dar – »We have a traditional ballet class every day.«24 –, sondern beeinflusst überdies die Strukturierung von Forsythes alphabetischer Arbeitsweise und die Fähigkeit seiner Tänzer*innen, die Partikularisierung von Bewegungssequenzen nachzuvollziehen und sich diese Taxonomie anzueignen. Ihr Vorstellungsvermögen, wenn auch nicht der Vorstellungsinhalt, steht ebenfalls in Analogie zum Ballett, vor allem hinsichtlich der Imagination geometrischer Strukturen und Raumpunkte. So sagt Forsythe über die Mitglieder seines Ensembles: »They still have all the reflexes of the traditional ballet dancer, and they have essentially the same basic mental training, which lets them picture points in space very precisely. They orient their positions very quickly within those points. Of course, the mental images we use are not traditional.«25 Dem kann Caspersens Bekenntnis hinzugefügt werden, dass die Ensemblearbeit bei Forsythe nach wie vor in großem Maße ballettbasiert ist: »Quite a bit of the work we do is
23 | Kaiser (1999), S. 67. 24 | Caspersen (2000), S. 26. 25 | Kaiser (1999), S. 66.
F igurieren classically based and requires strength and the knowledge of those forms and methods of movement connection.«26 Von den diversen Unterschieden zum klassischen Ballett ist im Zusammenhang des alphabetischen Systems vor allem hervorzuheben, dass Forsythe nicht die vollständige Ausführung der Bewegungssequenzen fokussiert, sondern sich auf den Beginn von Bewegungen konzentriert, auf das Ansetzen, das Momentum des Anfangs: »What we do differently from traditional ballet is to focus on the beginning of a movement rather than on the end.«27 Diese Konzentration steht in signifikanter Nähe zur Fädelung von Präparationen bei Jan Fabre, der in The Dance Sections zwar mit klassischem Ballettmaterial arbeitet, aber hier, ähnlich wie Forsythe, die Ansätze und Anfänge dieser Bewegungselemente in den Vordergrund stellt. Die Art und Weise, wie Forsythe mit dem Momentum des Anfangs umgeht, steht allerdings wieder in größtmöglichem Kontrast zu Fabre. Während dieser die Impulse der Bewegungsansätze ausbremst, indem er Präparation an Präparation reiht, nutzt Forsythe, wiederum im Rückgriff auf Erfahrungen aus dem Klassischen Ballett, das Abstoßen des Bewegungsanfangs mit seinem Energieüberschuss, um die alphabetisierten Sequenzen zu destabilisieren und sie einer Dynamik der Transformation zu übergeben: »We use the reflexes that we’ve learned in classical ballet to maintain a kind of residual coordination, which allows the body to acquire elastic surfaces that bounce off one another. This elasticity is derived from the mechanics of torsion inherent in épaulement.«28
26 | Caspersen (2000), S. 26. 27 | Kaiser (1999), S. 65. 28 | Ebd.
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Abb. 29: William Forsythe, Eidos:Telos, Teil I (1995), Ballett Frankfurt, Photo: Dominik Mentzos.
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4.3 Gestalt Wie aber können nun die alphabetisierten Bewegungssequenzen transformiert und kombiniert werden, und wie werden diese Vorgänge im Ereignis der Aufführung motiviert? Eine der Möglichkeiten der Transformation ist die Isometrie, bei der die Gestalt einer Bewegung (»the shape [...] of a movement«29) von einem Körperteil auf einen anderen übertragen wird. Vereinfacht und ohne den entscheidenden Bezug zum Gestaltbegriff drückt dies Nik Haffner aus: »Wir nennen es zum Beispiel ›Isometries‹, wenn ich aus dem Alphabet eine bestimmte Bewegung, die mit dem rechten Bein ausgeführt wird, auf einen anderen Körperteil übertrage, beispielsweise auf den linken Arm oder die linke Schulter. Die Bewegung führe ich dann in ihrer Position und in ihrer Richtung gespiegelt aus.«30
Schwieriger ist indes die Vorstellung, dass die Gestalt einer Bewegung von einem Körperteil auf einen anderen Körperteil verlagert wird, wie dies Caspersen im Zusammenhang des Begriffs Isometrie beschreibt: »Performing an isometry (taking the shape or path of a movement and translating it through the body so that it happens in some other area)«.31 Offensichtlich wurde der Begriff Isometrie aus der darstellenden Geometrie übernommen, bei der sich die isometrische Axonometrie, kurz Isometrie genannt, auf die Darstellung einfacher räumlicher Objekte in einer Zeichenebene bezieht, wobei die Verzerrungen aller drei räumlichen Koordinaten in der Zeichenebene gleich sind. Im Kontext des Balletts Frankfurt nimmt der Begriff Isometrie ebenfalls Bezug auf die Übersetzung einer räumlichen, imaginären Gestalt, die aus einer Bewegung resultiert und von einem Körperteil auf einen anderen übertragen wird. Forsythe lässt seine Tänzer*innen solche imaginäre Bewegungsgestalten entwickeln und sie wie Zeichnungen und kleine architektonische Gebilde in den Raum setzen, um damit neue, ungewohnte Bewegungen zu generieren. Besonders treffend bringt diese Praxis des imaginären Entwerfens Paul Kaiser auf den Punkt:
29 | Caspersen (2000), S. 33. Vgl. hierzu auch Sulcas, Roslyn: »Kinetic Isometries. William Forsythe on His Continuous Rethinking of the Ways in Which Movement Can Be Engendered and Composed«, in: Dance International 2 (1995), S. 4-9. 30 | Haffner (2000), S. 32. 31 | Caspersen (2000), S. 33.
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S chrift im R aum »I first met William Forsythe in his kitchen in Frankfurt in 1994. The first thing Bill did was to try to explain how he goes about creating new movements. He started drawing imaginary shapes in the air, and then running his limbs through this complicated and invisible geometry. As a non-dancer, I was completely lost.«32
Forsythe hat diesen Bewegungsgestalten, ihrer Etablierung und ihrem Gebrauch ein ganzes Trainingsinstrumentarium gewidmet: Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Eye, eine in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe entwickelte Computerinstallation, die in vereinfachter Form auch als CD-ROM verbreitet wird.33 Dieses Trainingstool, zunächst für neue Tänzer*innen des Balletts Frankfurts gedacht, um sich im Selbststudium in die Vorstellungswelt Forsythes einzuarbeiten, basiert in weiten Teilen auf der Grundidee, über Bewegungen imaginäre Gestaltelemente im Raum zu etablieren, diese imaginären Gestalten in Gebrauch zu nehmen und mit ihnen und um sie herum zu tanzen. Die Improvisation Technologies, deren Entwicklung in den zeitlichen Kontext von Eidos:Telos reicht, arbeiten mit im oder am Körper angenommenen Punkten, die durch Verschiebung zu Lineamenten, und diese ausgebreitet zu Flächen und räumlichen Gebilden in den Raum geschrieben werden. Bezogen ist diese Vorstellungs- und Bewegungsarbeit, trotz einer völlig neuen Begrifflichkeit und mit dem Resultat destabilisierter , taumelnder und extrem verdrehter Körper, weiterhin auf das Klassische Ballett. Denn Forsythe knüpft an die im Ballett seit Carlo Blasis tradierte Imagination eines Liniensystems an, dessen lineare Elemente durch den Körper verlaufen und die Abwinkelungen von Körpergliedern als Abwinkelung von Geraden verstehen lassen. Tanzbewegungen, in dieser Weise imaginiert und ausgeführt, werden damit in Analogie zu Strichfiguren konzipiert. Ein am Ballett geschultes linienbezogenes Imaginationsvermögen setzt Forsythe auch bei seinen Tänzer*innen voraus, die mit Vorstellungen von Punktverlagerung, dem Zeichnen gedachter Geraden und Kurven sowie dem vorgestellten Entwerfen ganzer geometrischer Körper operieren müssen:
32 | So Paul Kaiser in der Einleitung zur Online-Version des unter Kaiser (1999) publizierten Interviews, http://openendedgroup.com/writings/danceGeo metry.html (zuletzt abgerufen am 23.08.2021). In der Druckfassung des Interviews fehlt, passend zur Arkanisierung der Forsythe-Technik, diese erhellend alltagskontextualisierte Passage. 33 | Forsythe, William u.a.: Improvisation Technologies. A Tool for the Analytical Dance Eye, hg. vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe in Kooperation mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln, CD-ROM mit Begleitheft, Karlsruhe/Ostfildern: Hatje Cantz, 1999.
F igurieren »Since I work primarily with ballet dancers, I analyze what they know about space and their bodies from their intensive ballet training. I’ve realized that in essence ballet dancers are taught to match lines and forms in space. So I began to imagine lines in space that could be bent, or tossed, or otherwise distorted. By moving from a point to a line to a plane to a volume, I was able to visualize a geometric space composed of points that were vastly interconnected.«34
Um nicht nur wie bei Blasis Linien im Körper anzunehmen, sondern sie als Punktverlagerung imaginär im Raum zu etablieren, arbeitet Forsythe in den Improvisation Technologies u.a. mit der Konzentration auf einzelne Körperpunkte, die etwa im Handgelenk oder im Knie angenommen werden, sodass die Bewegung des Knies oder der Hand durch den Raum als Spur dieser Punkte und damit als Etablierung von Geraden und Kurven vorgestellt werden kann. Nicht frei von Ironie wird so in einem Kapitel der Improvisation Technologies das vorgestellte Etablieren einer räumlichen Skulptur am Beispiel eines Doughnuts verdeutlicht, dessen Gestalt über die kreisförmige Verlagerung zweier Armpunkte entsteht. Forsythe bezeichnet diese imaginäre Etablierung singulärer Formen als room writing, das er in der ihm eigenen Neigung zu Kategorisierung und Klassifizierung von einem universal writing abgrenzt, bei dem bekannte Buchstabenformen geschrieben werden.35 Wichtig ist es, gerade im Kontext von Eidos:Telos hervorzuheben, dass damit nicht das räumliche Schreiben lesbarer Buchstaben gemeint ist, sondern das imaginäre Ziehen von Spuren, die zu flächigen und räumlichen Gestalten werden, welche dann in weiteren Bewegungen als fiktive Objekte in Tanz einbezogen werden. So wird etwa innerhalb der Improvisation Technologies der in die Luft gezeichnete Doughnut in einer nächsten Sequenz mit dem Fuß aus dem Raum gestoßen. In anderen Fällen kann sich die fast pantomimische Ingebrauchnahme einer im room writing geschriebenen Gestalt als dessen Zusammenfalten, Zerlegen oder Zerknüllen vollziehen, so als nehme jemand eine selbst geschriebene Gestalt in die Hand, um sie dann zu zerstören. Möglich ist auch das Umtanzen einer gerade geschriebenen Gestalt, wenn etwa ein mit dem Körper geschriebener Kreis im Folgenden wie ein schwebender Reifen behandelt wird, durch den derselbe Körper nun hindurchsteigt.36 34 | Kaiser (1999), S. 64. 35 | »Universal writing, like room writing, deploys a rotating inscription, but uses a set group of givens, which is letters done in cursive script, and letters in block form, which are split open, and described as exploited into the room.« Forsythe u.a. (1999), S. 55. 36 | Zur Verdeutlichung werden diese geschriebenen Gestalten als alphabetische Buchstaben O und U bezeichnet. Der Vorgang, mit dem eine U-förmige Kurve über die reale Verlagerung von Körperpunkten und deren vorzustellender
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S chrift im R aum In den Improvisation Technologies werden solche Kreise und Kurven computertechnisch visualisiert, sodass für die Lernenden des Forsythe-Systems sichtbar wird, was die Tänzer*innen nur imaginieren (Abb. 29).37 Für das Publikum einer Aufführung, das ja ohne diese Visualisierung auskommen muss, wird jedoch ununterscheidbar bleiben, ob es sich bei einer Bewegung um das Schreiben einer imaginären Gestalt handelt oder nur um die Ingebrauchnahme derselben. Room writing als Schreiben und der sekundäre Umgang mit diesem Geschriebenen gehen ineinander über: Das Lineament, das geschrieben wird, und die Bewegung, mit der geschrieben wird, durchdringen sich in einer unentwirrbaren Weise. Reflektiert werden kann diese Praxis, analog zum englischen Begriff shape und zum griechischen Begriff εἶδος, im Kontext von Gestalttheorien. Hierbei ist zu unterstreichen, dass statische und rein holistische Modelle dem spezifischen Werdens- und Vergehensprozess visueller Eindrücke und Vorstellungen im Bereich von Tanzbewegung kaum gerecht zu werden vermögen. Forsythes Prinzip der Isometrie, die Transponierbarkeit von Bewegungsgestalten, scheint dennoch partiell kongruent mit Grundideen von Gestalt, die, folgt man der frühen und wegweisenden Definition Christian von Ehrenfels (»Über Gestaltqualitäten«, 1890) nicht nur durch Übersummativität, sondern insbesondere durch Transponierbarkeit gekennzeichnet ist. Ehrenfels, der Gestaltqualitäten gerade auch in temporären Dimensionen verhandelt und sie u.a. an Bewegungsvorgängen ausmacht, exemplifiziert die Transponierbarkeit am Beispiel einer Melodie, die als Gestalt in eine andere Tonart transponiert wird.38
Bewegungsspur geschrieben wird, heißt daher U-ing, der analoge Vorgang bei kreisförmigen Gestalten wird als O-wing bezeichnet. Siehe ebd., S. 56. 37 | Forsythe u.a. (1999), Videostills. 38 | Siehe Ehrenfels, Christian von: »Über Gestaltqualitäten«, in: Weinhandl, Ferdinand (Hg.): Gestalthaftes Sehen. Ergebnisse und Aufgaben der Morphologie. Zum hundertjährigen Geburtstag von Christian von Ehrenfels, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1960, S. 61-63. Vgl. außerdem Arnheim, Rudolf: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges, aus dem Engl. übers. von Henning Bock, Berlin: De Gruyter, 1965. Als Alternative zum Begriff der Gestalt bietet sich unter Umständen auch das Konzept symbolischer Formen an, wie es Ernst Cassirer entwickelt hat, der das Verhältnis von Prozessualität und Herausbildung eines εἶδος genau problematisiert als »Sein des Prozesses. Und in diesem Prozess kehren niemals wahrhaft identische Bestandteile wieder. Hier findet nur ein stetiges Fließen statt, ein lebendiges Strömen, in dem alle feste Gestaltung, kaum daß sie gewonnen, wieder zergehen muß. [...] Aus dem bloßen Werden soll sich ein Gebilde, eine Gestalt, ein ›Eidos‹ losringen.« Cassirer, Ernst: Schriften zur Philosophie der symbolischen Formen, hg.
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Abb. 30: William Forsythe, Improvisation Technologies (1999) (Videostills).
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S chrift im R aum In ähnlicher Weise verfahren auch bei Forsythe die Isometrien, wenn sie Bewegungsgestalten von einem Körperteil in einen anderen verlagern. Sie sind übersummativ, insofern sie sich nicht in einzelne partikulare Bewegungseinheiten auseinanderdividieren lassen, etwa die Bewegung eines einzelnen Fingers oder Beins, sondern immer schon den gesamten Körper involvieren. Und sie sind mehr als die Summe aller an einer Bewegung beteiligten Glieder, Muskeln, Sehnen, Nerven usw., insofern die Gestalt der Bewegung erst in der Wahrnehmung zur Erscheinung gebracht wird und sich so die visuelle, taktile und kinästhetische Rezeption fremder und eigener Bewegungen mit Imagination paart, bis hin zur Integration synästhetischer Erfahrungen.39 Die transponierbaren shapes, die hier als Gestalt verhandelt werden, sind daher mitnichten eine visuell eindeutig fixierbare äußere Form. Generell scheint der Begriff der Form in seiner seit der Metaphysik des Aristoteles verwendeten Abgrenzung vom Stoff wenig geeignet, um die imaginativen, d.h. stofflosen Additionen und Vorstellungsbilder einzubeziehen, die die Bewegungen begleiten.40 So sind die Bewegungen, gerade wenn sie bei Eidos:Telos in andere Körperteile verlagert werden, nicht nur trans-formiert, sondern in erheblichem Maße defiguriert, gestaucht, gekrümmt, zerdehnt, gefaltet usw., bis hin zur extremen Verkleinerung und partiellen Verlagerung ins Körperinnere. Eine rotierende Bewegung des Armes könnte so beispielsweise statt mit dem rechten Arm mit dem linken Fuß ausgeführt werden, ohne dass sich von außen eine sichtbare Ähnlichkeit der so transponierten Bewegung ergeben würde.41 Forsythe erinnert in diesem Zusammenhang immer wieder daran, dass Bewegungen nicht transvon Marion Lauschke, Hamburg: Felix Meiner, 2009, S. 69 (Orthographie wie im Original). 39 | Zur Komplexität der Bewegungswahrnehmung in Arbeiten Forsythes vgl. Berger, Christiane: Körper denken in Bewegung. Zur Wahrnehmung tänzerischen Sinns bei William Forsythe und Saburo Teshigawara, TanzScripte 5, Bielefeld: transcript, 2006; Hartewig, Wibke: Kinästhetische Konfrontation. Lesarten der Bewegungstexte William Forsythes, Aesthetica Theatralia 3, München: epodium, 2007. Vgl. außerdem Hagendoorn, Ivar: »Towards a Neurocritique of Dance. Why We Don’t Actually See Forsythe’s Ballet but Prefer to Be Deluded by Our Own Automatic Reactions«, in: ballet-tanz, Jahrbuch 2004, S. 62-67. 40 | Vgl. zum Formbegriff auch Lüthy, Michael: »Zwei Aspekte der Formdynamisierung in der Kunst der Moderne«, in: Avanessian, Armen u.a. (Hg.): Form. Zwischen Ästhetik und künstlerischer Praxis, Zürich/Berlin: diaphanes, 2009, S. 167-188. Vgl. auch das mit dem Formbegriff verbundene, aber davon unterschiedene, Genese und Dynamik einbeziehende Konzept von Morphomata nach Blamberger, Günter/Boschung, Dietrich (Hg.): Morphomata. Kulturelle Figurationen. Genese, Dynamik und Medialität, München: Wilhelm Fink, 2011. 41 | Caspersen (2000), S. 33.
F igurieren portabel sind wie Artefakte, dass sie den Prozess ihrer Entstehung nicht überdauern und man ihrer nicht habhaft werden kann. Wiederholte, zitierte oder isometrisch kopierte und metamorphotisch veränderte Bewegungen weichen daher immer voneinander ab. Exemplifiziert wird dies insbesondere an der Ballettfigur der Arabeske, die aus Forsythes Sicht nie erreicht und immer verfehlt wird und die seine Tänzer*innen daher nicht ausführen, sondern nur streifen, sie annähern und durch sie hindurchgehen.42 Mit den Isometrien verhält es sich ähnlich wie mit der Arabeske. Auch sie werden nie vollständig ausgeführt, sondern sind jeweils auf den Beginn einer Bewegung konzentriert, die dann in einen anderen Körperteil verlagert wird. Interessanterweise können diese Verlagerungen wiederum mit den Buchstaben in Zusammenhang gebracht werden, denen die Bewegungen ja in einem ersten Schritt zugeordnet sind. Eine nur in ihren Anfängen isometrisch transponierte Bewegung kann dabei so abgeändert werden, dass statt ihrer vollständigen Ausführung in einem anderen Körperteil der Beginn einer neuen Bewegung folgt. Deren zugeordneter Buchstabe steht dann im Alphabet vor oder nach dem Buchstaben, dessen Umsetzung zunächst anvisiert wurde. Ziel dieser bewusst gesuchten Metamorphose von Bewegungsgestalten ist die Destabilisierung des Körpers, das Ausschalten des Equilibriums und seine Dislokation im Raum. Forsythe selbst erklärt dies so: »Let me give you an example of how exactly how this works. When I cup the back of my neck with my hand, it’s as if I were swatting a mosquito — and so, using this arbitrary association, we say that I’m spelling the letter ›I‹ for ›insect.‹ Now suppose that while I’m dancing, I suddenly find my hand cupped around my knee, which reminds me of the insect element. Bearing in mind that my focus is always on the beginning of a movement rather than on its end, I will have to fold my neck down to that point in space rather than performing it standing up, as in the original alphabet. Now, keeping to the sequence of the movement alphabet, I can perform the movement either directly before or after I – that is, the movements associated with either H or J. In this kind of dancing, I can lose my equilibrium within a dance phrase, then remember everything from the point of that dislocation, so to speak.«43
In dieser permanenten Metamorphose verbleiben die Isometrien im Einfluss jener Dynamik, die Jacques Derrida als Spur bezeichnet: eine Bewegung vor der Bewegung, die zuerst Disjunktion, Ruptur, Differenz einführt und so vor jeder Frage nach Kontur, Form und Begrenzung zuallererst die Bedingungen schafft,
42 | Siehe hierzu u.a. Siegmund (2004), S. 51-53. 43 | William Forsythe in Kaiser (1999), S. 67.
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S chrift im R aum unter denen eine Markierung Gestalt annimmt.44 Dieses Vorgestalthafte und Amorphe der Spur durchzieht bei Forsythe die Bewegungen, die über Assoziationen den Buchstaben zugeordnet sind, und es affiziert noch die isometrischen Zitate von einem Körperteil zum anderen. Dennoch sind die Bewegungsgestalten der Isometrien weder vollständig imaginär noch gänzlich frei von sichtbarer Figuration. Sie bedienen Vorstellungsbilder von Linien, Flächen und räumlichen Gebilden, die mit dem Körper in den Raum gezeichnet werden, ohne diese jedoch vollständig und dauerhaft zu etablieren. Die Gestalt der Bewegungen, bei der sich reale Körperlichkeit mit imaginären, meist geometrischen Elementen mischt, ist eine Gestalt in der Genese, die nie vollendet wird. Forsythe, der anstelle der zu Ende geführten Bewegungen deren Beginn favorisiert, konzipiert damit ein bewegungsgenerierendes Verfahren, das die trace vor der Gestaltgebung weiterhin aktiv sein lässt und von ihr als einem destabilisierenden und defigurierenden Momentum profitiert.45
4.4 Algorithmus Im Rahmen von Eidos:Telos verstärkt Forsythe die von der trace affizierte Metamorphisierung von Bewegungsgestalten durch ein System, das er als kontrapunktischen Algorithmus (counterpoint algorithm) bezeichnet. Dieser Algorithmus beinhaltet Isometrien als eine Weise der Metamorphose, geht aber über sie hinaus und ist zudem von einem rekursiven Algorithmus abgegrenzt, den Forsythe dem früheren Stück ALIE/N A(C)TION zugrunde legt. Während er dort aber zu nach seiner Sicht extrem idiosynkratischen, fast narrativen Bewegungsergebnissen führt, möchte er diese Narrativität nun bei Eidos:Telos vermeiden.46 Als Algorithmus scheint Forsythe dabei im weitesten Sinne eine Handlungsvorschrift aus endlich vielen Einzelschritten zu verstehen, die zur Lösung eines 44 | Siehe Derrida (1974), S. 109. Vgl. zu dieser Frage insbes. auch Elkins, James: »Marks, Traces, Traits, Contours, Orli, and Splendores. Nonsemiotic Elements in Pictures«, in: Critical Inquiry 21:4 (1995), S. 822-860, hier S. 835. 45 | Vgl. hierzu Mark Franko: »Forsythe describes what he calls ›movement alphabets‹ to suggest the ordering and encoding of a set of procedures to generate movements that themselves have no explicit relation to lexicalization. That is, we never arrive at the word itself, which remains at the level of a metaphor or figure of grammar as organization. Franko, Mark: »Archaeological Choreographic Practices. Foucault and Forsythe«, in: History of the Human Sciences 24:4 (2011b), S. 97-122, hier S. 106. Vgl. auch Ders.:»Body-Language and Language-Body in William Forsythe’s Artifact. Michel Foucault and Louis Marin on the Baroque Body«, in: Ars Aeterna 2:1 (2010), S. 84-101. 46 | Kaiser (1999), S. 68f.
F igurieren Problems angewendet werden. Der Begriff Algorithmus geht zurück auf den choresmischen Universalgelehrten des 9. Jahrhunderts, Abu Dscha‘far Muhammad ibn Musa Chwarizmi, dessen arabischer Kurzname al-Chwarizmi in der lateinischen Übersetzung seines arabischen Lehrbuches Über das Rechnen mit indischen Ziffern zu Algorismi abgewandelt wurde. Mit diesem Umweg über das semantische Feld der Mathematik und Informatik wählt Forsythe also einen Begriff, der üblicherweise nicht für Choreographie verwendet wird, nun aber genau die Vorgänge beschreibt, die mit Bewegungsanweisung verbunden sind.47 Diese Anweisungen – Dana Caspersen spricht hier u.a. bezeichnenderweise von »directions«48 – werden den Tänzer*innen gegeben, um die mit einem Buchstaben verbundenen Bewegungen noch in ihrem Beginn abzuändern und einem Prozess der Metamorphose zu unterziehen. Die Handlungsvorschrift ist präskriptiv, jedoch in einem eher allgemein gehaltenen Sinne, sodass ihre Umsetzung eine aktive Ausgestaltung erfordert und freisetzt. Der kontrapunktische Algorithmus für Eidos:Telos umfasst nicht weniger als vier Anweisungen (directions), deren Resultat jeweils zur Grundlage für die Umsetzung der nächsten Anweisung wird, sodass die einzelnen Schritte wie in einem mathematischen Algorithmus aufeinander aufbauen. In den Worten Caspersens: »1. Effect an orientation shift: (for example, shift the relationship of your torso to the floor by 90 degrees) moving through plié […] while performing an isometry of an existing piece of the phrase. Take this result and: 2. Drop a curve, i.e. take any point on the body and guided by the skeletal-muscular mechanics inherent in the body’s position, drop that point toward the floor to its logical conclusion following a curved path […] 3. Perform unfolding with inclination extension: for example, notice the line between your elbow and hand, extend that line by leaving your forearm where it is in space and maneuvering your body to create a straight line between shoulder and hand. Take this result and 4. Perform internal analysis and extension.«49
Im Zuge der Diskussion über das Verhältnis von Tanz und Schrift ist vor allem die letzte der Bewegungsanweisungen relevant, da hier wieder auf die Buchstaben 47 | »And because I like to think algorithmically, I like to think [...] of these prescriptions as little language machines that produce these things called arabesques or tendus or pirouettes.«, William Forsythe im Gespräch mit John Tusa, zitiert nach Manning, Erin: »Propositions for the Verge. William Forsythe’s Choreographic Objects«, in: Inflexions 2 (2008), S. 22, https://www.inflexions.org/ n2_manninghtml.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 48 | Caspersen (2000), S. 33. 49 | Ebd. (Hervorhebung wie im Original).
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S chrift im R aum Bewegungsassoziation Bezug genommen werden kann. Die Bewegungsanweisung ließe sich in Beziehung setzen zu den oben zitierten Ausführungen Forsythes über die Isometrie der Bewegungssequenz, die dem Buchstaben I (insect) zugeordnet ist, also dem Schlagen nach einer Mücke im Nacken. Isometrisch verschoben wird die gleiche Bewegung des Klappens oder Schlagens nicht mehr im Nacken ausgeführt, stattdessen nimmt die tanzende Person wahr, dass sie eben diese Bewegung gerade am Knie ausgeführt hat und setzt dann an zu einer Isometrie der Bewegung in wieder einem anderen Körperteil bzw. zu Isometrie einer Bewegung, die dem Buchstaben K oder J zugeordnet ist, im Alphabet also vor oder nach dem Buchstaben I rangiert.50 So ist das alphabetische System Forsythes hier nicht nur ein Verfahren zur aktiven Produktion von Bewegung, sondern hat an dieser Stelle eine analytische Funktion: Die Tänzer*innen nehmen an sich eine soeben ausgeführte Bewegung wahr und analysieren sie im Rahmen der Buchstaben-Bewegungssequenz-Zuordnung, um sie dann wiederum aktiv in einer Isometrie zu überführen. Zur Verdeutlichung noch einmal Caspersen in ihren Ausführungen zur vierten Anweisung (internal analysis and extension): »For example, observing the workings of the knee joint could remind one of the mechanics of the gesture for ›veil‹, an alphabet letter, which involves a lifting movement of the right hand. Some aspect of that movement could then be reflected through the body to take place in the lower left hand portion of the body, as if diagonally mirrored.«51
Neben den vier Anweisungen besteht der kontrapunktische Algorithmus aus vier Beschränkungen (constraints), die indes nicht wie die vier Anweisungen konsekutiv ausgeführt werden, sondern deren Umsetzung ergänzen und vor allem unterbrechen sollen. Inwieweit die Umsetzung der Anweisung von Realisie 50 | Vgl. hierzu auch Forsythes Aussage im Programmheft von Eidos:Telos, mit direktem Bezug zum ersten Stückteil: »…since it was all alphabetic operations, which means there is access by proximity – in other words, positions suggest movements within an associative chain or organization, which is based on where the limbs are placed in relation to each other. Your kinesphere functions as a memory – say for example, your hands are near your knee, and you remember that that is where the movement sequence ›A‹ begins or ends. You then perform ›A‹ no longer in its original orientation, as it is prescribed in the movement vocabulary. The unoriginal orientation puts your body into yet another orientation, accessing some other sequence of movement; but you keep trying to re-adjust yourself back and forth between states of dis- and re-orientation.« Ballett Frankfurt Intendanz (2001), S. 39. 51 | Caspersen (2000), S. 33.
F igurieren rungen der constraints modifiziert oder ersetzt wird, ist nicht festgelegt, sondern obliegt der Entscheidung der Tänzer*innen im Moment der Aufführung, vor allem im Reagieren auf die anderen Mitglieder des Ensembles. Die constraints gleichen daher in gewisser Weise Verkehrsregeln, die das gemeinsame Navigieren auf der Bühne koordinieren. Bezeichnenderweise sind die constraints denn auch positiv als Gebote formuliert, ungeachtet ihrer Bezeichnung, die zunächst auf eine privatio von Bewegungsfreiheit schließen lässt. Die Gebote überschneiden sich partiell in ihren jeweiligen Aussagen, deren gemeinsamer Horizont jedoch eine Responsivität der Tänzer*innen untereinander ist. Sie sollen aufeinander reagieren und ihre Bewegungen einander anpassen bzw. Bewegungen von anderen in isometrischer Weise übernehmen: »The four constraints were: 1. Find directions, velocities, or shapes in your own movement that link up visually with another person, and align yourself with him or her. 2. Change your orientation, in space and in time (rate of activity). 3. Agree to wait for others. 4. Link up to another by performing an isometry of his or her movement.«52
Gerade aufgrund der Responsivität, die mit einer Erhöhung von Kontingenz und Unvorhersehbarkeit verbunden ist, ist der genaue Ablauf der Bewegungen im ersten Teil von Eidos:Telos und im dritten Teil, der die Bewegung aus dem ersten Teil noch einmal nachschreibt, nicht festgelegt. Forsythe selbst spricht daher auch von einer real time choreography, die erst im Moment der Aufführung entsteht und sich der individuellen Entscheidungen und der gemeinsamen Responsivität aller Tänzer*innen verdankt.53 Hinzu kommen eine Fülle weiterer Parameter, die diese Entscheidungen beeinflussen und unter denen immer nur einige wenige ausgewählt und umgesetzt werden können. Um dies zu verdeutlichen, hilft ein Blick auf das Diagramm, das dem Programmheft von Eidos:Telos beigegeben ist (Abb. 31).54 Die einzelnen Anweisungen dieses Diagramms, die ja die je vier directions und constraints noch ergänzen, eröffnen eine nicht zu bewältigende Fülle an möglichen Alternativen, Beeinflussungen, Ablenkungen und Informationen. Da eine vollständige Beschreibung aller Optionen dieses Diagramms in keiner der dazu publizierten Ausführungen bisher versucht, geschweige denn erreicht wurde, und Forsythe selbst in seinen sonst sehr exakten Ausführungen über das Bewegungsalphabet zur genauen Umsetzung des Diagramms schweigt, drängt sich der Verdacht auf, dass dieses Diagramm 52 | Ebd. 53 | Siehe Evert, Kerstin: »Filmschnitt und Hypertextur. Medientechnologische Analogien im choreografischen Prozess bei Merce Cunningham und William Forsythe«, in: Siegmund (2004), S. 145-157. 54 | Ballett Frankfurt Intendanz (2001), S. 41.
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Abb. 31: Choreographic System, Eidos:Telos, Teil I (1995).
F igurieren mehr eine Veranschaulichung der Überkomplexität des Bewegungssystems von Eidos:Telos denn eine auf Realisierbarkeit zielende diagrammatische Struktur bietet.55 Die Überkomplexität des Eidos:Telos-Diagramms folgt vor allem aus den Zufallsoptionen, die sich einer algorithmischen Sukzessivität entziehen und so die Diagrammatizität des Bewegungssystems von innen her aufsprengen. So heißt es entsprechend zentral im Diagramm, unter der Anweisung »con’t on to new letter«,56 die für continue on to new letter steht: »random acess [sic] by proximity«,57 eine Aussage, die an den Terminus random access (wahlfreier Zugriff) aus der Informatik erinnert und hier die arbiträre und keiner algorithmischen Diagrammlogik folgende Möglichkeit zur Veränderung von Bewegung meint. Nicht nur wird das konsekutive Pfeildiagramm aufgrund des Einbaus von Randomisierung ad absurdum geführt, auch die Einführung weist klar darauf hin, dass es sich bei diesem Diagramm eher um die Emulation von Systematik handelt, nicht um ein probates Mittel zur Systemanwendung. Eidos:Telos gibt sich so den Anschein von Mathematizität, wird aber letztendlich von seiner eigenen Inkommensurabilität und A-Logik eingeholt.58 Diese A-Logik lässt sich besonders gut anhand der Überfülle von Videoeinspielungen und Projektionen verdeutlichen, die die Tänzer*innen, unsichtbar für das Publikum, mit Buchstaben in modifizierter Gestalt konfrontiert und die es in die ihnen zugeordneten Bewegungssequenzen umzusetzen gilt. Liegt bereits bei jedem einzelnen Buchstaben eine Übercodierung vor, kann als weitere Information der Grad der Stauchung und Streckung verarbeitet werden, mit dem die Buchstaben auf den Bildschirmen erscheinen. Zusätzlich gibt es im ersten Stückteil bzw. im eigenen Stück Self Meant to Govern auf der Bühne Buchstabenuhren, bei denen die Ziffern durch Buchstaben ersetzt wurden. Die Uhrzeiger springen zwischen diesen Buchstaben hin und her und senden so neue Informationsimpulse.59 55 | Das Programmheft von Eidos:Telos bezeichnet das Diagramm als »Choreographic System«. Ebd., S. 40. 56 | Ebd., S. 41. 57 | Ebd. 58 | Als kleiner, aber bezeichnender Lapsus wird innerhalb des Diagramms das Wort access mit einem Rechtschreibfehler geschrieben: Es fehlt der Buchstabe c (acess statt korrekt access). Dies könnte darauf hindeuten, dass dem Diagramm in der Entwicklung des Stückes nicht die zentrale Bedeutung zukam, wie es der prominente Abdruck im Programmheft und die unkritische Reproduktion in Texten zu diesem Stück zunächst nahelegt. 59 | Zur tanzphotographischen Referenz auf die Buchstabenuhr von Eidos:Telos, siehe etwa Noltenius, Agnès: Forsythe detail, Issy-les-Moulineaux: Arte
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S chrift im R aum Eingeblendet werden aber auch ganze Wörter: die insgesamt 78 Begriffe, die den 26 akrophonen Buchstaben-Namen in Assoziationen zugeordnet sind, sowie technische Begriffe des gesamten Systems, wie beispielsweise Isometries. Hinzukommen neben einem sichtbar ablaufenden Timecode eingeblendete Zusammenschnitte aus Filmen, deren Bänder bei jeder Aufführung an einer anderen Stelle starten, um so eine jeweils neue Assoziationsgrundlage zu schaffen.60 Ähnlich wie im früheren Stück ALIE/N A(C)TION, bei dem Forsythe auch mit Filmeinspielungen zur Bewegungsgenese arbeitet, können den Filmsequenzen einzelne Objekte oder Figuren entnommen werden, deren Bezeichnungen oder Namen wiederum in einzelne Buchstaben aufgelöst und diese dann in Bewegungssequenzen umgesetzt werden. Eine Katze auf dem Bildschirm wird dann in Bewegungen für C, A und T umgesetzt, wobei auch die Richtungen aufgegriffen werden, in sich die Katze in der Filmsequenz bewegt.61 Die entscheidende Frage ist nun, wie die Überfülle an Informationen zusammen mit den Isometrien, dem Algorithmus sowie den directions und constraints zu einem Stück wird, das zwar an jedem Abend seiner Aufführung anders verläuft, das aber offenbar nicht zur Gänze unvorherbestimmt und unkomponiert ist. Denn im Vergleich mehrerer Aufführungsabende kann unterstrichen werden, dass die Auftritte und Abgänge der Tänzer*innen genau festgelegt sind und neben freieren Soli- und Pas de deux-Passagen, die in der Tat von Abend zu Abend erheblich variieren, die Quartett- und Oktettpassagen sowie die großen Gruppenpassagen nicht an jedem Abend vollständig anders verlaufen.62 Hierzu kann noch einmal auf Caspersen verwiesen werden, die jenseits der vorgeblichen Offenheit und jenseits des Real-Time-Choreography-Charakters Einblick in die Probenprozesse gibt, in denen Eidos:Telos entstanden ist und bei denen der beobachtende Blick Forsythe von entscheidender Bedeutung ist. Er hebt besonders gelungene Passagen der Real-Time-Choreography hervor, um sie wiederholen zu lassen und so die vollkommene Freiheit der Tänzer*innen wieder in Übereinkünften und Vereinbarungen einzugrenzen. Zunächst werden dazu in wiederum komplexen Verfahren63 Phrasierungen mehrerer BewegungssequenÉditions/Brüssel: Éditions Complexe, 2003, S. 123. 60 | Siehe hierzu Evert (1998), S. 145. 61 | Siehe Caspersen (2000), S. 32. 62 | Zum Vergleich mehrerer Aufführungen von Self Meant to Govern, siehe Evert (1998), S. 146. 63 | »The phrases were divided into sections, and each person in the group had a different order of phrase components. For example, person #1 had components a, b, c, and applied directions 1, 2, 3 respectively, person #2 had b, c, a and applied 3, 1, 2. Then, they would simultaneously perform the resulting phrases, starting at points in the phrases that coincided in terms of either the letter or
F igurieren zen herausgearbeitet, die wiederholt und abgewandelt werden, bis schließlich als finaler Entscheidungsträger doch Forsythe selbst ins Spiel kommt. Auch wenn er dabei auf die Vielzahl der Entscheidungen seiner Tänzer*innen zurückgreift, ist er doch derjenige, der die Struktur des Stückes setzt und festschreibt: »Bill worked as an outside eye to bring the smaller group dances into a larger structure. He would notice and amplify the diverse kinds of alignment that emerged among the individuals or groups. The resulting structure has a complexity that, as Bill said, could not have been created by any one person, the many simple parts having recombined in unforeseeable ways because of innumerable decisions being made by the many involved.«64
4.5 Schriftbild: Graffiti Die Bewegungsfigurationen und Defigurationen von Eidos:Telos, vor allem im ersten und letzten Teil des Stückes, lassen sich mit der Schriftbildlichkeit von Graffiti vergleichen und können sich bei dieser Parallelisierung auf eine dreifache Begründung stützen. Zunächst sind es die Isometrien selbst, die – immer nur auf den Beginn einer Bewegungssequenz konzentriert – dazu eingesetzt werden, um den Körper zu destabilisieren. Die daraus entstehenden Ausweichbewegungen, das Verschieben von Körperteilen sowie abrupte, synkopische Wechsel in der Orientierung erinnern in frappierender Weise an Prinzipien von Disruptur und Verzerrung, mit denen Schriftzüge und hybride Verbindungen mit Zeichnungen und Bildelementen in Graffiti und Street Art gestaltet sind.65 Verweisen ließe sich hierbei auf das mit den Improvisation Technologies verständlich werdende Ziehen, Verschieben, Wegstoßen und Wegtreten imaginärer Linien, die – übertragen auf das analoge Schriftbild Graffiti – den an-kalligraphisch zugespitzten Winkeln und palimpsesthaften Überlagerungen eines GraffitiGeflechts gleichen.66 the direction. They would observe each other and look for events to which the constraints could be applied.« Caspersen (2000), S. 33f. 64 | Ebd. S. 34. 65 | Vgl. hierzu u.a. Lovata, Troy/Olton, Elizabeth (Hg.): Understanding Graffiti. Multidisciplinary Studies from Prehistory to the Present, Walnut Creek (CA): Left Coast Press, 2015; Youkhana, Eva Shamiran/Förster, Larissa (Hg.): Grafficity. Visual Practices and Contestations in Urban Space, Morphomata 28, Paderborn: Fink, 2015; Ross, Jeffrey Ian (Hg.): Routledge Handbook of Graffiti and Street Art, London/New York (NY): Routledge, 2016. 66 | Vgl. Ragazzoli, Chloé/Harmanşah, Ömür/Salvador, Chiara: »Introduction«, in: Dies. u.a. (Hg.): Scribbling through History. Graffiti, Places and People
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S chrift im R aum Und so wie bei Forsythe die Bewegungsgestalt als Kippphänomen beides sein kann, Figuration oder Figur, das Schreiben eines vorgestellten Lineaments oder die Verkörperung einer Linie in Teilen des Körpers, ließe sich der Vergleich mit Graffiti dahingehend ausweiten, dass die Bewegung des räumlichen Schreibens der Tänzer*innen so wahrgenommen werden kann, als hinterließen sie mit ihrem Ziehen, Drehen, Spreizen, Sich-Ausfalten und Stauchen die Tags von Graffiti-Markierungen nicht im urbanen Stadtraum, sondern im Raum der Bühne. Oder aber die Körpersilhouette als ganze und die sich verändernde Gestalt einzelner Körperteile werden als Verkörperungen von Balkenelementen solcher Graffiti-Tags angesehen. Zweitens wäre auf die semantische Leere hinzuweisen, die zumindest in der Sichtweise Jean Baudrillards Graffiti-Zeichen zu eigen ist und diese mit den gleichfalls unlesbaren Bewegungsinskriptionen von Eidos:Telos teilen. Letztere werden zwar in einem writing-Prozess geschrieben und gehen sogar aus einem alphabetischen System hervor. Aufgrund der Mehrfachcodierungen dieses Systems und der nie zu einer vollständigen Ausführung gelangenden, sondern immer nur ansatzweise und immer schon in Transformation ausgeführten Bewegungen, gilt aber für sie genau das, was Baudrillard über Graffiti-Zeichen schreibt: »Irreduzibel aufgrund ihrer Armut selbst, widerstehen sie jeder Interpretation, jeder Konnotation, und sie denotieren nichts und niemanden: weder Denotation noch Konnotation, derart entgehen sie dem Prinzip der Bezeichnung und brechen als leere Signifikanten ein in die Sphäre der erfüllten Zeichen der Stadt, die sie durch ihre bloße Präsenz auflösen.«67
Fraglich ist dabei allerdings, ob die vorgebliche semantische Leere von GraffitiZeichen nicht nur durch eine Wahrnehmung gefüllt wird, die über Assoziationen immer auch Referenz anlagert. Zumindest bei Eidos:Telos gibt es, gestützt auf die narrative Ebene des Stückes, die partielle Wiederaufladung eigentlich opaker Figurationen von Körperschrift im Sinne eines Hineinlesens von Referentialität. Denn parallel zum writing der Tänzer*innen wird der komplexe Bezug zur Persephone-Mythologie verhandelt, einschließlich gesprochener befrom Antiquity to Modernity, London u.a.: Bloomsbury, 2017, S. 1-16, hier S. 1f.: »›Graffiti‹ was originally a scholarly term coined by the classical archaeologists who excavated Pompeii in the nineteenth century to describe an ancient and specialized form of inscription: the scribbles that liberally covered the walls of its houses and public buildings.« 67 | Baudrillard, Jean: »Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen«, in: Ders.: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen, aus dem Frz. übers. von Hans Joachim Metzger, Berlin: Merve, 1978b, S. 19-38, hier S. 26.
F igurieren deutungsgeladener Textpassagen. Und schließlich tauchen im letzten Teil von Eidos:Telos auch im Bühnenbild lesekastenartig Buchstaben- und Textelemente auf, die neben der Unterteilung von Bewegung und Raum erneut Ansätze von Referentialität suggerieren, die das unlesbare Bewegungsgraffiti gerade verneint. Als drittes Argument für die Analogie von Tanzbewegung und Graffiti bleibt daher der Hinweis auf die von beiden Seiten geteilte doppelte Exponiertheit anzuführen. Ein Graffiti ist für Mieke Bal das Paradebeispiel einer solchen double exposure, denn es ist »ein Exponat; es ist ausgestellt, und es zeigt sich selbst, es deckt seine Karten auf und zeigt seine Präsenz.«68 So wie ein Graffiti sich im öffentlichen Raum präsentiert und gleichzeitig präsentiert wird, es also auf sich als Produkt und auf den Prozess seiner Hervorbringung verweist – die Gewalt, das Extraordinäre und die Illegalität der Schreibhandlung, aus der es hervorging und die sich in den Schriftzug eingeschrieben hat –, so sind auch die Tänzer*innen bei Eidos:Telos doppelt exponiert. In der Wahrnehmung eines Blicks, der Simulationen von Schrift in ihren Körpern sucht, sind sie ausgestellt als schreibende, graphierende Körper, und sie zeigen sich selbst als die von ihnen graphierte, ornamentale Inskription im Raum.69
68 Bal, Mieke (2002): Kulturanalyse, aus dem Engl. übers. von Joachim Schulte, hg. von Thomas Fechner-Smarsly und Sonja Neef, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2002, S. 31. 69 Siehe hierzu auch Neef (2008), S. 309; sowie Schacter, Rafael: Ornament and Order. Graffiti, Street Art and the Parergon, Farnham/Burlington (VT): Ashgate, 2014, S. 70-73; Ders.: »Graffiti and Street Art as Ornament«, in: Ross (2016), S. 141-157.
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Abb. 32: William Forsythe und Kendall Thomas, Human Writes (2005), Tanz: William Forsythe und Ander Zabala, Photo: Dominik Mentzos.
5 Markieren 5.1 William Forsythe und Kendall Thomas, Human Writes (2005) Beißen, Biegen, Binden, Blasen, Bohren, Bürsten, Drehen, Drillen, Drücken, Hacken, Hämmern, Häufen, Klopfen, Kehren, Kratzen, Lecken, Mahlen, Mischen, Mörsern, Peitschen, Pressen, Pusten, Quetschen, Rammen, Reiben, Rollen, Rubbeln, Rühren, Rütteln, Schieben, Schlagen, Schleifen, Schleudern, Schmeißen, Schneiden, Schnitzen, Schubsen, Stampfen, Stechen, Stoßen, Streichen, Treten, Tupfen, Werfen, Wischen, Zerren, Zupfen. In dieser alphabetisch geordneten und erweiterbaren Liste transitiver Verben zeigt sich die Vielfalt der Bewegungsarten, mit denen in William Forsythes und Kendall Thomas’ Human Writes (2005) geschrieben wird.1 Diese Bewegungsarten werden auf reale Schreibmaterialien wie Papier, Kohle, Bleistift, Radiergummi 1 | Human Writes. Konzept: William Forsythe und Kendall Thomas. Premiere: 23. Oktober 2005, Schauspielhaus Zürich, Schiffbauhalle 1. Die Analyse bezieht sich auf den Besuch einer Aufführung von Human Writes am 27. August 2010 im Radialsystem V, Berlin. Gastspiel The Forsythe Company in Kooperation mit Tanz im August 2010 und Sasha Waltz & Guest. Bühne, Licht, Kostüme: William Forsythe. Musik: Thom Willems. Sounddesign: Dietrich Krüger, Niels Lanz, Thom Willems. Tänzer*innen The Forsythe Company: Yoko Ando, Cyril Baldy, Esther Balfe, Dana Caspersen, Ekaterina Cheraneva, Amancio Gonzalez, Josh Johnson, David Kern, Fabrice Mazliah, Roberta Mosca, Tilman O’Donnell, Yasutake Shimaji, Elizabeth Waterhouse, Riley Watts, Ander Zabala. Tänzer*innen Sasha Waltz & Guests: Jirí Bartovanec, Maria Marta Colusi, Gabriel Galindez Cruz, Delphine Gaborit, Mamajeang Kim, Sergiu Matis, Sasa Queliz, Orlando Rodriguez, Mata Sakka, Davide Sportelli. Gast-Tänzer*innen: Christine Bürkle, Billy Bultheel, Sam Forsythe, Michelle Gatta, Jared Gradinger, Silvina Grinberg, Ayman Harper, Tamas
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S chrift im R aum usw. angewendet, sodass im Unterschied zu allen anderen in dieser Studie untersuchten Tanzarbeiten die Bewegungen sichtbare Spuren hinterlassen, die die Perfomance überdauern und als eigene Kunstartefakte ausgestellt werden können. Geschrieben wird in Human Writes die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot, Paris verabschiedet wurde. Der Text der Menschenrechtserklärung wird dabei von den Tänzer*innen Wort für Wort und Buchstabe für Buchstabe nachgeschrieben, wobei sich einzelne Beteiligte in der Regel auf die Inskription einzelner Buchstaben oder Buchstabenelemente konzentrieren.2 Konzipiert wurde Human Writes von William Forsythe und Kendall Thomas, Nash Professor of Law sowie Direktor des Center for the Study of Law and Culture an der Columbia Law School. Die Zusammenarbeit von Forsythe und Kendall Moricz, Emmanuel Obeya, Georg Reischl, Vania Rovisco, Edsel Scott, Nina Vallon, Gil Viandier, Thomas Zamolo, May Zarhy. 2 | Eingehende Untersuchungen zu Human Writes bieten Brandstetter (2008), S. 85-98; Dies.: »Forsythes Human Writes. Vom widerständigen Schreiben«, in: Bruckstein çoruh, Almut Shulamit/Budde, Hendrik (Hg.): TASWIR. Islamische Bildwelten und Moderne, Katalog Ausstellung Martin-Gropius-Bau, Berlin (05.11.2009– 18.01.2010), Berlin: Nicolai, 2009, S. 98-100; Caduff, Marc: »Choreographie des Widerstandes. Zu William Forsythes Performance-Installation Human Writes«, in: Drath u.a. (2015), S. 129-140; Huschka, Sabine: »Media-Bodies. Choreographierte Körper als Wissensmedium bei William Forsythe«, in: Schoenmakers u.a. (2008), S. 309-318; Maar, Kirsten: Entwürfe und Gefüge. William Forsythes choreographische Arbeiten in ihren architektonischen Konstellationen, TanzScripte 28, Bielefeld: transcript, 2019, hier S. 245-255; Siegmund, Gerald: »Recht als Dis-Tanz. Choreographie und Gesetz in William Forsythes ›Human Writes‹«, in: Forum Modernes Theater 22:1 (2007b), S. 75-93; Ders.: »Choreographie und Gesetz. Zur Notwendigkeit des Widerstands«, in: Haitzinger,/Fenböck (2010), S. 118-129; Thurner, Christina: »Tanz – Von der Utopie einer ›universellen‹ Körpersprache zur bewegten Dystopie«, in: Sitter-Liver, Beat/Hiltbrunner, Thomas (Hg.): Utopie heute II. Zur aktuellen Bedeutung, Funktion und Kritik des utopischen Denkens und Vorstellens, 23. und 24. Kolloquien der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Fribourg: Academic Press/Stuttgart: Kohlhammer, 2007, S. 345-364. Als vermutlich wichtigste Quelle für die Konzeption und Entwicklung von Human Writes ist außerdem das Transkript eines Vortrags von Kendall Thomas mit anschließender Diskussion hervorzuheben, die am 12. Oktober 2009 im Bruno Walter Auditorium der New York Public Library for the Performing Arts, Lincoln Center stattfanden: Thomas, Kendall: »Dialogues. Genesis and Concept of Human Writes«, Gespräch Kendall Thomas, Thomas Keenan und Mark Franko. Transkribiert von EmmaGrace Skove-Epes, in: Dance Research Journal 42:2 (2010), S. 3-10.
M arkieren geht dabei auf eine Initiative des Philosophen Gary Smith, dem Geschäftsführenden Direktor der American Academy in Berlin zurück.3 Das Stück wurde 2005 in Zürich entwickelt und in der Folge in mehreren Städten Europas, in Dresden, Brüssel, Frankfurt und Istanbul gezeigt. Bei den einzelnen Aufführungen gehört jeweils nur ein Teil der Mitwirkenden der Forsythe Company an, während sich der andere Teil aus wechselnden Tänzer*innen der jeweiligen Städte zusammensetzt. Forsythe und Thomas bezeichnen Human Writes als Performance-Installation, da das Publikum sich mit den schreibenden Tänzer*innen in einem Raum und auf einer Ebene befindet, die von 48 symmetrisch in einem Raster aufgestellten Aluminiumtischen strukturiert werden.4 Geschrieben wird in der ca. zwei Stunden währenden Performance-Installation auf, an und unter den Tischen, während das Publikum frei ist, sich zwischen den einzelnen Tischen zu bewegen.5 Die Tische sind mit großen Bögen dicken Zeichenpapiers beklebt, auf denen mit Bleistift kurze Textfragmente der Menschenrechtserklärung notiert sind, die an diesem jeweiligen Tisch noch einmal neu geschrieben werden. Ein freibleibender Tisch am Rand fungiert als Ausgabestelle des Schreibmaterials, hier erhalten die Tänzer*innen zusätzliche Zeichenkohle, Graphitstifte, Bleistifte sowie Radiergummis und Reinigungstücher, außerdem die für den weiteren Stückverlauf notwendigen schwarzen Stricke. Neben dem Materialtisch befindet sich eine Mülltonne, an der Hilfspersonen damit beschäftigt sind, stumpfgeschriebene Stifte wieder anzuspitzen. Auf einem weiteren Tisch liegen Ko 3 | Siehe Thomas (2010), S. 4. 4 | Die rasterartige Anordnung von Aluminiumtischen erinnert deutlich an das Bühnenbild von Forsythes Stück One Flat Thing, Reproduced (2000), das anders als Human Writes allerdings in einer Theatersituation mit frontaler Publikumsanordnung gezeigt wird. Die Ähnlichkeit resultiert aus der Tatsache, dass Human Writes in der ersten Probenphase mit den Tischen von One Flat Thing, Reproduced erarbeitet wurde. Siehe ebd. Zu One Flat Thing, Reproduced und seiner Dokumentation mithilfe digitaler Aufzeichnungs- und Visualisierungsverfahren siehe https://synchronousobjects.osu.edu (zuletzt abgerufen am 23.08.2021); sowie De Mey, Thierry/Forsythe, William: One Flat Thing, Reproduced, DVD, Paris: Centre national de la cinématographie, 2007. 5 | Die Performances variieren von Aufführungsort zu Aufführungsort in ihrer zeitlichen Dauer. In bisherigen Analysen wird diese häufig mit drei Stunden angegeben: Thurner (2007), S. 362, nennt vier Stunden, während denen die Installation geöffnet ist und die Besucher*innen frei sind, den Raum zu verlassen und zu betreten. Die Anzahl der Tische wird darüber hinaus häufig mit 40 angegeben, statt 48 wie in der hier untersuchten Berliner Version. Vgl. Brandstetter (2008), S. 91; Siegmund (2010), S. 126. Für die ersten Performances von Human Writes in Zürich werden sogar 54 Tische erwähnt, siehe Thomas (2010), S. 6.
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S chrift im R aum pien der Menschenrechtserklärung in verschiedenen Sprachen aus, meist als Internetausdrucke, die jedoch im Verlauf der Performance nur selten eingesetzt werden, wenn die einzelnen Tänzer*innen vorgegebene kurze Textfragmente nachschreiben. Beispiele solcher Nachschriften aus früheren Aufführungen von Human Writes hängen an den Wänden des Bühnenraums: große Papierbögen, auf denen einzelne nachgeschriebene Wörter der Menschenrechtserklärung in verschiedenen Sprachen zu erkennen sind, wie article, freedom, nationalidad, tortura, pax, property.6 Zunächst dominiert das individuelle Schreiben der Tänzer*innen an jeweils einem Tisch, mit großer Akribie und ohne Publikumskontakt ausgeführt. Dabei kann nicht nur mit der Hand, sondern mit allen Körperteilen geschrieben werden: Die Kohle-, Graphit- und Bleistifte werden daher auch mit dem Mund und den Füßen gegriffen und über das Papier geführt. Oder aber Kohlestücke werden zwischen Körper und Papier geklemmt, sodass Bewegungen des Beckens, Rückens, Kopfes oder der Brust auf dem Papier sichtbare Spuren hinterlassen. Zerriebene Kohle kann außerdem als Pigment mit Zunge, Ohren, Nasenspitze, Haaren und Zähnen verteilt werden. Neben diesen individuellen Inskriptionen kommt es an manchen Tischen bald zu gemeinsamen Schreibaktionen mehrerer Personen, die gegen Ende des Stückes zunehmend das anfängliche Alleineschreiben ersetzen. Parallel dazu bilden sich Publikumscluster um diese Gruppen herum, sodass sich die Aufmerksamkeit auf bestimmte Schreibszenen konzentriert, die an die Stelle der zu Beginn der Performance vorherrschenden Enthierarchisierung der einzelnen Tische tritt. Von großer Bedeutung ist aber vor allem, dass eine Trennung zwischen Tanzenden und Wahrnehmenden im Laufe des Stückes ausdrücklich aufgehoben wird, wenn die Tänzer*innen die um ihren jeweiligen Tisch stehenden Personen aus dem Publikum zur aktiven Mithilfe beim Schreiben des ihnen vorgegebenen Textfragments bitten: »As you passed a dancer, the dancer might say, ›Help me.‹. The dancer might ask you to hold a rope that was tied to her arm and tell you, ›Every time I reach for the contact paper with my piece of carbon, I want you to pull on the rope.‹ Or: ›I want you to write a letter on my back, and I will try to recreate that on the contact paper.‹«7
6 | Die Auswahl der Blätter erfolgt durch William Forsythe nach dem Ende der einzelnen Performance-Abende. Ungefähr zwanzig Blätter werden so nach jeder Vorstellung archiviert. Einige der Blätter werden als Kunstobjekte verkauft, deren Erlös verschiedenen Menschenrechtsprojekten zugutekommt. Siehe Thomas (2010), S. 9. 7 | Ebd., S. 6.
M arkieren Aus diesen kollaborativen Situationen, die mitunter komplizierten Versuchsanordnungen gleichen, in die mehrere Personen involviert sein können, ergeben sich weitere Bewegungsmuster, die die oben aufgeführte Liste transitiver und zeichenmaterialbezogener Verben ergänzen. Denn in manchen dieser Kollaborationen erfolgt die Berührung zwischen Zeichenkarton und schwarzem Pigment in Form von Graphit oder zerriebener Kohle nicht über eine direkte objektbezogene Bewegung, etwa das Ziehen eines Stiftes über das Papier. Entworfen werden von Forsythe und seinen Tänzer*innen vielmehr Szenarien, in denen erst die Verkettung unterschiedlichster Bewegungen möglichst unter bewusster Umgehung von Kontrolle und Vorherbestimmbarkeit zu einem Kontakt zwischen Pigment und Schreibgrund führt. Die anfängliche Liste transitiver Verben müsste daher ergänzt werden um eine Auflistung intransitiver Verben, die auf Bewegungsvorgänge ohne Kontakt mit Schreibmaterialien verweisen. Neben Bewegungen wie Gleiten, Rutschen, Bücken, Strecken, Dehnen, Drehen, Halten usw. wären außerdem die mündlichen Anweisungen zu berücksichtigen, die Bewegungen dirigieren und koordinieren, denn in manchen der Schreibszenarien produzieren Tänzer*innen Teile ihrer Inskription ohne Augenkontakt zur Schreibfläche und agieren nur auf Zurufe des Publikums. Die Spuren des Kontakts von Pigment und Schreibgrund sind meist verwischt und verschmiert, nur in den seltensten Fällen können Buchstaben oder gar Wörter der Menschenrechtserklärung entziffert werden. Oft lassen sich nicht einmal einzelne Buchstaben ausmachen, sondern nur unlesbare Gefüge aus Strichen, Verwischungen und Punkten. Die an den Wänden des Bühnenraums aufgehängten Zeichenkartons mit lesbaren Wörtern, zusammengesetzt aus eben diesen Einzelgraphismen, stellen damit lediglich besondere Ausnahmen dar und sind weder Vorbilder einer zu erreichenden Perfektion von Nachschrift noch repräsentative Beispiele für das Resultat der Schreibbemühungen von Human Writes. Die Unleserlichkeit der hier entstehenden Schriftbilder, die in den meisten Fällen sogar einer Unlesbarkeit gleichkommt, resultiert aus der Bemühung der Tänzer*innen, den Text der Menschenrechtserklärung nicht direkt mit einer herkömmlichen Schreibbewegung auf das Papier zu bringen, sondern den Radius und die Kontrolle ihrer Bewegungen in vielfältiger und aufwendiger Weise zu begrenzen, sodass der Kontakt zwischen Pigment und Schreibgrund gezielt Bedingungen von Kontingenz und Restriktion unterworfen ist: »Das Niederschreiben der Erklärung der ›Human Rights‹ unterliegt jedoch einer übergeordneten Regel: Das Schreiben muss mit einer gleichzeitigen Behinderung dessen einhergehen. Kein Strich oder Punkt darf direkt entstehen. Die Performer sind somit gezwungen, indirekte Strategien zu benutzen. Jedwede Markierung,
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S chrift im R aum die zu einer Entstehung des Buchstabens beiträgt, muss aus einer physischen Einschränkung, einer Belastung oder einem Widerstand erstehen.«8
Analog zur Homophonie von Human Rights und Human Writes setzen Forsythe und Thomas diese Restriktionen des Schreibens in Zusammenhang mit dem geschriebenen Text der Menschenrechtserklärung und eröffnen der Performance damit ein ganzes Spektrum politischer Relevanz.9 So heißt es u.a. in einem Begleittext, der in verschiedenen deutschen Übersetzungen aus dem Englischen kursiert: »Das Schreiben vollzog sich so unter einem physischen Zwang, der die Schwierigkeit widerspiegelte, die Ziele eines so ehrgeizigen Dokuments tatsächlich umzusetzen.«10 In parallelen Versionen dieses Textes wird anstelle des Ausdrucks »physischer Zwang« die Übersetzungsvariante »körperliche Nötigung« verwendet, die jedoch eine vielsagende inhaltliche Verschiebung und Verzerrung des Ausdrucks »physical duress« des englischen Originaltextes darstellt.11 Denn anders als der deutsche Begriff Nötigung nahelegt, können mit duress auch selbstauferlegte Zwänge und Hindernisse gemeint sein. Dies ist für das Stück besonders relevant, denn die Beeinträchtigungen des Schreibens erfolgen nur selten als unfreiwilliger Zwang durch andere Tänzer*innen, sondern werden in den meisten Fällen von den Schreibenden selbst initiiert, als Beschränkungen der eigenen Bewegungsfreiheit, oder aber, indem andere Personen aus freien Stücken mit der Ausführung von Restriktion beauftragt werden. Ob als seltene,
8 | Programmblatt zur Performance-Installation Human Writes, hier zitiert nach Siegmund (2010), S. 126. Bei der Berliner Aufführung am 27.08.2010 lag eine Version des Programmblattes aus, bei der dieser Text durch andere Texte ersetzt war. 9 | Zu den kritischen Implikationen des widerständigen Schreibens und der beständig scheiternden Schreibbemühungen siehe pointiert Brandstetter (2008), S. 95: »Als Choreo-graphie hingegen inszeniert Human Writes den Einspruch von Kunst gegen die politische, ökonomische, juristische und medien-bestimmte Verfügbarkeit des Körpers.« 10 | Programmblatt zur Berliner Performance-Installation Human Writes am 27. August 2010. Vgl. auch Thomas (2010), S. 5f.: »For every effort, for every action, for every gesture in which they tried to write a passage from the article, they had to come up with a parallel inhibition, obstacle, or impediment. This was supposed to be hard work, work that I wouldn’t say represented, but which attempted at some level to enact the difficulty of inscribing human rights, and particularly the difficulty of creating a culture of human rights.« 11 | »The writing transpired under physical duress that mirrored the difficulty of actually implementing the goals of such an ambitious document.« Programmblatt zur Berliner Performance-Installation Human Writes am 27. August 2010..
M arkieren fremde Nötigung von außen oder als selbstinitiierte Einschränkung, in beiden Fällen haben die Tänzer*innen keine Hoheit über ihre Bewegungsfreiheit. Für die Umsetzung dieser Restriktionen werden bezeichnenderweise dünne, schwarze Stricke eingesetzt, die sich die Tänzer*innen selbst von dem Tisch holen, auf dem die Utensilien des Stückes ausliegen. Der Gebrauch der Stricke zur (Selbst-)Fesselung, Bindung und Schnürung sowie zum Peitschen und Schlagen der Schreibstifte steigert sich im Laufe der Performance bis hin zu Szenarien von Kampf, Folter, Geißelung und Strangulation, die dem Schreiben und dessen Verhinderung Momente inszenierter Narrativität beimischen.12 Die Stricke können aber auch als Extensionen des Körpers und damit als Schreibinstrument verwendet werden, etwa wenn ein Kohlestift in einen Strick verknotet ist, den ein*e Tänzer*in wie ein Springseil schlägt. Die Markierungen, die aus dem mehr zufälligen denn kontrollierten Kontakt zwischen Kohle und Papier entstehen, gehen dabei auf den springenden Körper zurück, der als ganzer ein schreibender ist. So entstehen vermittelte Bewegungsspuren, deren Gestalt kaum oder gar nicht den Buchstabenumrissen oder dem Schriftzug einer Schreibschrift gleichen, als deren Realisierung sie gedacht sein könnten. Die teilweise hochkomplexen Szenarien, in denen der Schreibprozess mithilfe von Publikumsteilnehmenden und Stricken ermöglicht und gleichzeitig verhindert wird, machen es den Tanzenden nahezu unmöglich, gekonnt geschriebene oder zumindest lesbare Grapheme zu produzieren. Andererseits stellt aber gerade das Sich-Behaupten gegen die Erschwernis neue Anforderungen an tänzerisches Können, sodass auch das Scheitern des Schreibens als eine Form von Virtuosität verstanden werden kann. Forsythe formuliert diese Spannung zwischen Unfreiwilligkeit und Virtuosität des Nicht-Schreibens so: »Die Tänzer sollen mit ihrer Bewegung Spuren hinterlassen. In ›Human Writes‹ müssen sie gut sein, um, soweit das geht, mit den Hindernissen fertig zu werden und um zumindest einige Buchstaben reproduzieren zu können.«13 Noch pointierter kann konstatiert werden, dass die Tänzer*innen das Gelingen einer lesbaren Inskription von vornherein unterlaufen. Denn ihre Intention ist es weder, den Text der Menschenrechtserklärung trotz mannigfaltiger Einschränkungen lesbar zu schreiben noch diese Lesbarkeit in einer simplen und wirksamen Weise zu verhindern. Ziel der Inventionen von Verhinderungsszenarien ist es vielmehr, 12 | So verweist z.B. Gabriele Brandstetter auf die mit diesen Fesselungen und realen Striktionen aufscheinenden Parallelen zu Passionsdarstellungen in christlicher Malerei. Siehe hierzu insbes. die erweiterte englische Fassung von Brandstetter (2008): Dies.: »Political Body Spaces in the Performances of William Forsythe«, in: Critical Studies 33 (2010), S. 57-74, hier S. 68. 13 | Forsythe, William: »›Das Publikum muss mitspielen‹. Choreograph William Forsythe und sein Standbein Zürich«, Gespräch mit Christina Thurner und Alexandra Kedves, in: Neue Zürcher Zeitung, 22.10.2005, Nr. 247, S. 55.
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S chrift im R aum die Mannigfaltigkeit von Restriktionen kreativ zu erweitern. Nicht das Schreiben der Menschenrechtserklärung steht so im Mittelpunkt, obwohl der mit ›Human Rights‹ homophone Stücktitel dies insinuiert, sondern die offene Vielfalt an Möglichkeiten, diesen Text gerade nicht in eine lesbare Inskription zu überführen. Das Konzept des Stückes räumt den Tänzer*innen dafür improvisatorische Freiheit ein, legt aber gleichzeitig fest, dass bestimmte, besonders eindrückliche oder gelungene Formen des verhinderten Schreibens in mehreren Aufführungen wiederholt werden. So hat zwar jeder Performance-Abend von Human Writes aufgrund der improvisatorischen Freiheit und der wechselnden Zusammensetzung der Tanzenden und des Publikums einen individuellen und einmaligen Charakter, gleichwohl gibt es ein wiedererkennbares Erscheinungsbild des Stückes, das vor allem von der Installation der Tische und Schreibutensilien herrührt sowie vom Grundkonzept eines aufwendig verhinderten Schreibens und bestimmter wiederkehrender Szenarien der Ermöglichung bzw. Verhinderung von Inskription. Die Verschränkung von individueller Invention mit heteronomer Vorgabe von Bewegungen sowie der in dieser Performance bedeutsame Anteil an unvorhersehbarer Kontingenz rücken so den geschriebenen und verschriebenen Text in ein neues Licht: Human Writes, ein menschliches Schreiben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, vollzieht sich in der Spannung von Freiheit und Gebundenheit und thematisiert die Menschenrechte gerade im Scheitern ihrer Umsetzung. Die Ästhetik virtuosen Scheiterns, die Ernsthaftigkeit der vergeblichen Bemühung sowie der hohe Anspruch des geschriebenen Textes, der nie lesbar in Erscheinung tritt, lösen als Publikumsreaktionen Betroffenheit, Scheu und Erfahrungen von Trauer aus.14 Zu beobachten sind aber auch Irritation angesichts der vermeintlich sinnlosen Akribie des Schreibens und Empörung über die Gewaltsamkeit, mit der die Tänzer*innen teilweise bis zur Selbstverletzung schreiben.15 Vor allem diese Gewalt ist es, die zusammen mit der extremen Beschmutzung der Schreibenden – alle sind am Ende an Haut, Haaren und Kleidung beschmiert von Kohle und Graphit – der Performance einen geradezu verstörenden Charakter verleiht: »This is not a beautiful piece, and it was intentionally so.«16 Überforderung und Unmut resultieren aber auch aus der extre-
14 | So die Wahrnehmung in der Performance am 27.08.2010. Andere Abende von Human Writes werden jedoch vergleichbar beschrieben. Vgl. z.B. Brandstetter (2008), S. 95. 15 | Berichtet werden auch negative Publikumsreaktionen, die Forsythe vorwerfen, selbst die Menschenrechte seiner Tänzer*innen zu verletzen, indem er sie einer so gewaltsamen Schreibszenerie aussetzt. Vgl. Thomas (2010), S. 9. 16 | Ebd., S. 8.
M arkieren men Partikularisierung der Performance, bei der ein umfassender Überblick über alle Schreibhandlungen unmöglich ist. Die unumgängliche Tatsache, dass jede Zuwendung zu einem einzelnen Schreibtisch die gleichzeitige Abwendung von anderen Schreibaktionen bedeutet, bringt so den Aspekt einer Missachtung von Schrift ins Spiel. Dabei ist diese Abweisung eine unvermeidbare Folge der Bemühung, ihr in Teilen Aufmerksamkeit zu schenken. Die immense Aufladung des Schreibens und die Idealisierung von Schrift als einer unerreichbaren Option kollidieren mit einer unfreiwillig zurückweisenden Haltung gegenüber Schriftlichkeit, die bei Teilen des Publikums auch auf Reste tradierter oder persönlicher Schriftaversionen stoßen dürfte. Hinzu kommt, dass die Abwendung einem äußerst bedeutsamen Schrifttext gilt, selbst wenn dieser nicht als lesbar in Erscheinung tritt. So ist es der verschriebene Text selbst, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, bei dessen Nicht-Realisierung das Publikum Zeuge wird und von dem es sich immer wieder abwendet. Die Zuschauer*innen werden damit mitschuldig an der scheiternden Umsetzung der Menschenrechte, die die Tänzer*innen in ihrem Verschreiben sichtbar machen.
5.2 Diffusion Formlosigkeit und Diffusion sind sowohl für Schrift als auch für Tanz zunächst von untergeordneter Bedeutung, sodass sich beide, Tanz und Schrift, über das von ihnen jeweils ausgeschlossene Andere des Amorphen einander annähern. Beim menschlichen Körper ist – mit einer Vereinfachung formuliert, die später zu differenzieren und aufzulösen sein wird – durch die Hülle der Haut eine Außenkontur gegeben, die es nahelegt, sich Bewegungen von Körpern im Raum zunächst über die Aspekte von Figur, Form und Gestalt zu nähern, die allesamt, wenn auch in unterschiedlichem Maße, auf Konturalität basieren. Körperöffnungen und die Frage nach dem Unabgeschlossenen des Körpers stehen dazu nicht im Wiederspruch, sondern bilden Sonderfälle von Konturalität im Sinne einer nach innen gewendeten Oberfläche oder unterbrochenen Kontur.17 Davon zu unterscheiden ist das radikal Formlose einer Diffusion im Austritt von Körperflüssigkeiten, als Ausfließen, Ergießen und Absonderung. Doch inwieweit können solche Diffusionen auf der Körperoberfläche, aber auch im Körperin-
17 | Zur Bedeutung des unabgeschlossenen Körpers im zeitgenössischen Tanz vgl. Foellmer, Susanne: Am Rand der Körper. Inventuren des Unabgeschlossenen im zeitgenössischen Tanz, TanzScripte 18, Bielefeld: transcript, 2009. Vgl. zum Begriff des Grotesken auch Edwards, Justin D./Graulund, Rune: The Grotesque, London/ New York (NY): Routledge, 2013.
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S chrift im R aum neren als Tanzereignis gedeutet werden, als unkontrollierte Extensionen oder unsichtbare Inversionen von Körperbewegungen? Für das Verhältnis von Amorphität und Schrift lässt sich ein ähnlicher argumentativer Bogen ziehen, der bei der scheinbaren Diastase von Konturlosigkeit und Zeichen beginnt und im Blick auf ausdiffundierende Fraktalität von Schriftkonturen endet. Zunächst ist phänomenologisch zu konstatieren, dass Amorphität im Bereich von Schrift nachgerade gemieden wird, da hier die klare Kontur zwischen Zeichen und Nicht-Zeichen, Schriftlinie und Linienumgebung von entscheidender Wichtigkeit ist. Die Differenzierbarkeit der Zeichen erstreckt sich nicht nur auf das Spatium zwischen den einzelnen Marken, sondern auch auf deren Konturalität.18 Nur wenn sich in einem Schriftbild Schrift und Nicht-Schrift klar voneinander unterscheiden lassen, ist dieses Bild lesbar. Diese Trennung muss dabei nicht bereits im Bild angelegt sein, sondern kann auch in der Wahrnehmung konstruiert werden, um Lesbarkeit in einem Gefüge zu erzeugen, das zunächst von Differenzlosigkeit gekennzeichnet ist und mit Verwischungen, konturlosen Übergängen oder Pluriformität arbeitet. Als besonders eindrückliches Beispiel hierfür können etwa Himmelsschreiber angeführt werden, jene Flugzeuge, die einen gasförmigen Schriftzug in den Himmel setzen, der dort nur für kurze Zeit sichtbar ist und sich dann in die Atmosphäre auflöst.19 Streng genommen ist dieser Schriftzug eine konturlose, sich im Auflösen befindliche Wolke, doch die Gestaltwahrnehmung, die in ihm lesbare Zeichen sieht, konstruiert aus der schon in Diffusion befindlichen Luftmarkierung eine konturierte Differenz zwischen Himmel als Schrifthintergrund und der so zum Zeichen werdenden Wolke. Im Übertrag auf die Ebene von Körper und Bewegung kann eine parallele Fraktalität diagnostiziert werden, die den scheinbar glatten Abschluss der Haut als Kontur aufbricht und in Poren, Rissen, Falten und Haaren einen ins Unendliche differenzierbaren, offenen Abschluss erkennt.20 Eine solche körperliche Unabgeschlossenheit ist nicht ohne die geringste Flüssigkeit zu denken, und dies bringt argumentativ erneut die Diffusion ins Spiel, als zusätzliche minimale Auflösung von Körperkontur über austretenden Schweiß oder Absonderung der Fettdrüsen. Zusammen mit Speichel und Tränen haben diese Diffusionen für Human Writes eine entscheidende Bedeutung, denn sie sind am Nachschreiben der Menschenrechtserklärung beteiligt. Schweiß, Speichel und Tränenflüssigkeiten der Tänzer*innen vermischen sich im Laufe des Stückes zunehmend mit 18 | Zu den unterschiedlichen Formen von Konturalität vgl. vor allem Elkins (1995). 19 | Siehe Kimpel (1986). 20 | Zur Haut als offener Grenze vgl. insbes. Anzieu, Didier: Das Haut-Ich, aus dem Frz. übers. von Meinhard Korte und Marie-Hélène Lebourdais-Weiss, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1996.
M arkieren der zerriebenen Kohle und hinterlassen konturlose Schmierspuren auf den Papieren der Tische und der Haut und Kleidung der Tänzer*innen. In einigen Fällen ist die Vermischung von Körperflüssigkeit und Kohle sogar so stark, dass eine dünnflüssige, schwarze Lösung entsteht, die wie Tinte verläuft und amorph in das Papier ausdiffundiert. Die zunächst so deutliche Konturbetonung von Schriftzeichen und Körpern erweist sich damit als ein nachträgliches Konstrukt, das zwar auf Fraktalität und Diffusion basiert, diese aber in das Gegenteil einer binär strukturierten Differenz von Schrift und Nicht-Schrift bzw. Körper und Körperumraum verkehrt. Denn indem in Human Writes mit schwitzenden und fettenden Körpern Markierungen ohne klare Kontur auf Papier gerieben, geschmiert, abgedrückt und verwischt werden, wird genau diese Dependenz der Form von der Formlosigkeit sichtbar gemacht. Die Zielsetzung, trotz massiver Restriktionen den Text der Menschenrechtserklärung zu schreiben, führt zu nur rudimentär lesbaren Graphismen, die kaum einem Reich der Zeichen angehören, sondern in ihrem Schmutz- und Schmiercharakter gerade eben der ungestalteten Formlosigkeit entrissen wurden, deren Existenz sich Schrift verdankt. Die Entgrenzung in der Hervorbringung rudimentärer Graphismen ist in Human Writes so radikal ausgeweitet, dass die gesamte Körperoberfläche zum Schreibinstrument wird, einschließlich von Haut und Haaren, Wimpern, Zehund Fingernägeln. Und nicht nur wird dieses Körperaußen von Flüssigkeiten weiter entgrenzt, wenn Schweiß, Tränen und Speichel sich mit zerriebener Kohle vermischen und verlaufen, auch das Innere des Körpers ist an der Produktion der graphé mitbeteiligt. Die Metapher Tanz als Schrift wird damit so ausgeweitet, dass selbst die inneren Bewegungen des Körpers, unsichtbar für den gewöhnlichen Blick von außen, als Schreiben und als Tanzen gewertet werden müssen. So kann der gesamte Komplex innerkorporaler Bewegungen als écriture corporelle reflektiert werden: die Strömungen der Magensäfte und des Blutes ebenso wie Kontraktionen der Muskeln, des Herzens, des Darms usw., denn all diese Bewegungen und Diffusionen sind im weitesten Sinne an der Produktion von graphé beteiligt.21 Besonders sichtbar wird dies im Bereich der Mundhöhle 21 | Zu älteren Vorstellungen einer im Inneren des Körpers gebildeten Schrift vgl. Schott, Heinz: »Hieroglyphensprache der Natur. Ausschnitte einer Ikonographie des Medienbegriffs«, Gespräch mit Erhard Schüttpelz, Ehler Voss und Helmut Zander, in: Albers, Irene/Franke, Anselm (Hg.): Animismus. Revisionen der Moderne, Katalog Ausstellung Haus der Kulturen der Welt, Berlin (15.03.– 05.05.2012), Zürich: diaphanes, 2012, S. 173-195, hier S. 182. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Laurence Louppes erweitertes Verständnis von Choreographie: »It is therefore above all a matter of an interior score, moving and intimate. This score is within all of us: it is the ensemble of breathings, pulsations, emotive discharges or mass displacements […] Such perhaps is the real
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S chrift im R aum als einer nach innen gestülpten Oberfläche, einem Kontaktraum von Körperinnerem und Körperäußerem. Zähne und Zunge haben in Human Writes ebenfalls eine wichtige Schreibfunktion und werden versuchsweise so koordiniert, dass ein mit dem Mund gehaltenes Stück Kohle Spuren auf einem Papier hervorbringt. Die üblicherweise betonte und nicht selten emphatisch aufgeladene Primärstellung der Hände im Vorgang des Schreibens wird damit als kulturelles Konstrukt entlarvt, denn nun schreiben nicht nur die Hände, sondern es schreibt auch der sich bewegende Mund. In vielleicht eindrücklichster Weise wird dies sichtbar, wenn einzelne Tänzer*innen von Human Writes mit ihrem Atem schreiben und damit den Luftausstoß in Skripturalität überführen, der üblicherweise der Stimme und dem Sprechen dient. Hier aber wird auf pulverisierte Kohle gepustet, die zuvor von anderen Körperteilen zerrieben wurde, und das mit dem Atem als einer gasförmigen Diffusion aus dem Körperinneren nur geringfügig zielgerichtet verteilbare Pulver hinterlässt auf dem Papier Spuren. Indem die so pustend und blasend schreibenden Tänzer*innen sich um das Papier herumbewegen, versuchen sie, diese Spuren des Pulvers zu kontrollieren und bemühen sich so, einzelnen Buchstaben oder Buchstabenelementen eine Kontur zu geben. Doch so diffusiv wie ihr Atemausstoß ist auch das Ergebnis dieses Bemühens: Das mehr verwirbelte denn exakt beförderte Pulver hinterlässt auf dem Papier nur amorphe Grautöne in unterschiedlichen Intensitäten. Die Diffusion des Atems und die Diffusion des Kohlenstaubs führen so zum ebenfalls diffusen und konturlosen Bild einer pré-écriture, die in der radikalen Entgrenzung von Schrift die sonst von ihr ausgeschlossene Amorphität sichtbar macht.
5.3 Emergenz Die Entgrenzung von Schrift betrifft in Human Writes auch die Frage nach der agency von Schrift: Wer schreibt hier und wie wird geschrieben? Denn nicht nur wird in dieser Performance-Installation Schrift entkonturalisiert und werden die schreibenden Körperteile und Körperflüssigkeiten enthierarchisiert und von der Subordination unter die Hand befreit. Schrift löst sich hier gänzlich von der Bindung an einen einzelnen schreibenden Körper und wird vielmehr als Produkt eines emergenten Prozesses inszeniert, an dem ohne Prädominanz die Körper der Tänzer*innen und der Zuschauer*innen beteiligt sind – ebenso wie die Körper der Dinge, der Tische, des Papiers, der Kohlenstifte und Stricke. Alle diese Körper haben Anteil am Schreibprozess, aus dem in kontingenter
configuration of the ›gram‹ that constitutes us: an an organic, non-figurative writing, a ›splashing‹«. Louppe 1994, S. 16.
M arkieren Weise und der Kontrolle und Vorhersehbarkeit entzogen Schriftbildlichkeit hervorgeht.22 Besonders hervorzuheben ist hierbei die Partizipation des Publikums, das von den Tänzer*innen in höchst komplizierte Schreibprozesse einbezogen wird. So instruiert beispielsweise eine Tänzerin vier Personen aus dem Publikum, zwei kreuzweise verknüpfte Stricke zu halten, in deren Knotenpunkt sich ein Kohlestift befindet. Über Ziehbewegungen an den vier Enden des Strickes wird dieser Stift dann über das Papier der Tische bewegt, wobei die Koordination der vier Personen immer wieder in Konkurrenz umschlägt, sodass die Spuren des Stiftes auf dem Papier, so es denn überhaupt zu diesen kommt, einem unlesbaren Gekrakel gleichen. In anderen Schreibversuchsanordnungen erfolgt die Produktion der Stiftspuren so, dass die Schreibunterlage des Tisches von mehreren Personen aus dem Publikum bewegt wird. Andere Personen geben derweil einem sich mit dem Rücken zum Tisch bewegenden Tänzer mündliche Instruktionen, wie genau er sich drehen möge, damit seine nach hinten zum Tisch gestreckte Hand die Buchstaben schreibt, die ein anderer Tänzer zuvor laut genannt hat. Die in die Schriftproduktion einbezogenen Publikumspersonen werden so für die Tanzenden zu Amanuenses: als Schriftgehilf*innen gehen sie ihnen zur Hand und unterstützen sie in der Produktion der graphé. Hier wird besonders deutlich, dass der Schreibprozess nicht an die Intention eines Individuums gebunden ist, sondern sich die gekrakelte Inskription dem Zusammenspiel aller beteiligten Personen verdankt. So wie bei Forsythes Eidos:Telos die Schriftfiguration auf der Bühne aus der polyfokal strukturierten Anwesenheit aller Tänzer*innen besteht und ihre jeweiligen Einzelkörper ebenfalls in polyfokaler Weise aufgespalten sind in mehrere gleichzeitig schreibende Körperteile, so sind auch bei Human Writes die Inskriptionen Resultate vieler verschiedener Akteur*innen. Doch während bei Eidos:Telos die Bewegungsakte selbst als roomwriting, als Ineinssetzung von Schreibung und Schrift wahrgenommen werden können, sind bei Human Writes Prozess und Produkt des Schreibens stärker getrennt. Die vielfach verketteten Bewegungen aller Akteur*innen sind in erster Linie ein Schreibprozess und stellen keine für sich als Schrift wahrnehmbare Figuration dar, anders als bei den anderen Arbeiten, die in dieser Studie untersucht werden. Für diese Aufmerksamkeitsverlagerung auf den Prozess des Schreibens und dessen Trennung von dem sonst mit ihm konvergierenden Produkt gibt es zwei Gründe. Die Massivität realer Spuren von Bewegung erschwert es zum einen, 22 | Zum Begriff der Emergenz vgl. u.a. Holland, John H.: Emergence. From Chaos to Order, Reading (MA): Perseus Books, 1999; Greve, Jens/Schnabel, Annette (Hg.): Emergenz. Zur Analyse und Erklärung komplexer Strukturen, Berlin: Suhrkamp, 2011.
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S chrift im R aum dass bereits diese Bewegungen als Schrift wahrgenommen werden. Zum anderen kann die Verkettung aller am Schreibprozess beteiligten Personen nicht mehr in einzelne Schreiber*innen aufgelöst werden, deren Bewegungen dann als Inskription gedeutet werden könnten. Die Entgrenzung von Schreibbewegung und deren partielle Auslagerung in andere Körper sowie die Aufmerksamkeitsverlagerung von den Tänzer*innen auf die aktive Partizipation des Publikums lassen sich nicht mehr als sich beständig transformierende Figurationen von Schrift deuten, wie dies im wahrnehmenden Blick auf Eidos:Telos noch möglich ist. Sinnvoller ist es vielmehr, bei Human Writes den Begriff Schreibakt durch den Begriff Schreibprozess zu ersetzen und dabei zu betonen, dass sich dieser Schreibprozess geradezu verselbständigt. Nicht mehr einzelne oder mehrere Personen schreiben, sondern es schreibt. Aus dem emergenten Prozess, größer als die Summe seiner Teile, geht eine Inskription hervor. Und gerade weil diese Inskription real wird in den Kohlespuren auf dem Papier, müssen die Objekte, die zu ihrer Emergenz beitragen, als gleichberechtigte Aktanten des Schreibprozesses berücksichtigt werden.23 Solche Aktanten sind in Human Writes Kohle, Stifte, Papier, aber auch die Tische als Schreibunterlage sowie Hilfsmittel wie Abwischtücher und Radiergummis, die ebenfalls, wenn auch nur in einigen wenigen Momenten, zur Verwischung der Kohle-Inskription eingesetzt werden. In einer entgrenzenden Betrachtung des Schreibprozesses, die der Entgrenzung von Kontur und Bewegungen entspricht, könnten zudem als Aktanten des Prozesses alle Gegenstände genannt werden, die an der Vorbereitung, ja selbst an der Nachbereitung des Schreibens beteiligt sind. Diese Entgrenzung könnte beliebig weit ausgedehnt werden, bis hin zu Gegenständen, die nicht mehr existieren oder deren Existenz noch in der Zukunft liegt, die aber auf die graphé-Produktion von Human Writes hinarbeiten oder darauf in ihrer eigenen Herkunftsgeschichte bezogen sind. Jede Beschränkung dieser unendlichen Materialität käme einer arbiträren Setzung gleich, die eine künstliche Trennlinie zwischen Prozessbeteiligung und Unbeteiligtsein etabliert, ohne über die Gründe dieser Setzung Rechenschaft ablegen zu können. Als alternatives Denkmodell zu einer willkürlichen Grenzmarkierung wäre auch hier die Idee einer Diffusion denkbar, als allmähliches Ausdiffundieren von Aktantenrelevanz für den Prozess des Schreibens. In jedem Fall aber bedeutet die 23 | Der Begriff Aktant geht zurück auf Bruno Latour und die AkteurNetzwerk-Theorie, in der Dinge als handelnde Akteure betrachtet werden, die zusammen mit menschlichen Akteuren in netzwerkartigen Handlungszusammenhängen agieren. Latour schlägt den Begriff Aktant für einzelne agierende Entitäten vor, um die anthropozentrische Aufladung des Begriffs Agent zu vermeiden. Vgl. Latour, Bruno: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, aus dem Engl. übers. von Gustav Roßler, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2007.
M arkieren Berücksichtigung solcher Aktanten eine Relativierung des Anthropozentrismus, in dessen Kontext auch die Erklärung der Menschenrechte steht, die in Human Writes geschrieben wird. Und schließlich: Als am Schreibprozess mitwirkende Entitäten müssten diese Aktanten darüber hinaus auch als tanzend reflektiert werden, als Partizipierende im »dance of agency«.24 In einem solchermaßen ausgeweiteten Verständnis träte Tanz nicht mehr nur als sichtbare Figuration und Defiguration von Körpern im Raum in Erscheinung, geschweige denn als körperliche Eigenbewegung. Tanz wäre vielmehr écriture corporelle als emergenter Prozess, aus dem Figuration und Defiguration erst sekundär hervorgehen.25
5.4 Nomos Human Writes eignet sich besonders, um die Beziehung von Schreiben, Tanzen und νόμος (nómos, Gesetz) argumentativ aufzuschlüsseln.26 Zum einen wird hier mit aller Anstrengung ein Gesetzestext, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, buchstäblich geschrieben und gleichzeitig verfehlt. Zum anderen folgt auch diese Performance trotz improvisatorischer Freiheit und unvorhersehbarer Kontingenz dem Gesetz einer Absprache zwischen William Forsythe, Kendall Thomas und den Tänzer*innen. Die Tanzenden realisieren ein ihnen aufgegebenes Konzept in der Dialektik von Befolgung und Übertretung des Gesetzes. Über die Menschenrechtsfrage hinaus kann damit Human Writes als ein Paradebeispiel für William Forsythes Choreographieverständnis betrachtet werden, bei dem er zwischen Tanz und Choreographie differenziert als zwei 24 | Pickering, Andrew: »Material Culture and the Dance of Agency«, in: Hicks, Dan/Beaudry, Mary C. (Hg.): The Oxford Handbook of Material Culture Studies, Oxford/New York (NY): Oxford University Press, 2010, S. 191-208. 25 | Zum erweiterten Tanzverständnis siehe Schwan, Alexander H.: »Singularitäten und Devianzen. Systematisch-ästhetische Überlegungen zur Nicht-Ritualität von Tanz«, in: Walsdorf, Hanna/Stocker, Kathrin (Hg.): Ritual Tanz Bühne, Prospektiven 3, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2019b, S. 67-85, hier S. 67f. 26 | So unternimmt etwa Susanne Baer, Rechtswissenschaftlerin und Richterin des Bundesverfassungsgerichts, eine Annäherung an Human Writes aus juristischer Sicht. Vgl. Baer, Susanne: »Getanzte Konstitutionalisierung. Human Writes und in Menschenrechten inbegriffene Ausschlüsse«, in: Kritische Justiz 43:4 (2010), S. 470-481. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Jackson, Naomi M./Shapiro-Phim, Toni Samantha (Hg.): Dance, Human Rights, and Social Justice. Dignity in Motion, Lanham (MD)/Toronto/Plymouth: Scarecrow Press, 2008; Jackson, Naomi M.: »Dance and Human Rights«, in: Kolb, Alexandra (Hg.): Dance and Politics, Oxford u.a.: Lang, 2010, S. 195-221.
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S chrift im R aum »getrennte und sehr unterschiedliche Praktiken«, die eng aufeinander bezogen sein können, aber dies nicht zwangsläufig sein müssen.27 Choreographie hat dabei eine entschieden nomistische Aufladung und gibt einen gesetzlichen Rahmen für Bewegung vor, der nach Ingebrauchnahme durch körperliche Handlung verlangt und dessen präskriptiver Charakter immer nur in der Verfehlung dieser Vorschrift umgesetzt wird: »Choreografie lockt Handlung aus Handlung hervor: ein Umfeld grammatikalischer Regeln, die von der Ausnahme geleitet werden; ein Widerspruch eines absoluten Beweises, der offensichtlich in Übereinstimmung mit seinem eigenen Scheitern steht.«28 Dass Forsythe in diesem kurzen, sehr verdichteten Statement Choreographie als Normativität grammatischer Regeln paraphrasiert und damit in der Referenz auf γράμμα (grámma, Buchstabe oder Geschriebenes) einen Bezug zu Schreiben und Schrift herstellt, führt vor Augen, wie gerade in der Frage des Gesetzes Tanzen und Schreiben in Analogie zueinander treten. Um die wichtigsten Aspekte dieser nomistischen Parallele zu entfalten, wird im Folgenden zunächst auf den Gesetzesbezug beim Schreiben eingegangen, um dann das Analogon des Tanzens in den Blick zu nehmen. Die besondere Relevanz der Trias Schrift, Gesetz und Tanz für Human Writes soll dann in einem dritten Schritt dargelegt werden. Dass dabei in Human Writes, anders als bei den anderen Stücken, die in dieser Studie untersucht werden, keine Konvergenz von Schreibung 27 | »Choreografie und Tanz sind getrennte und sehr unterschiedliche Praktiken. Wenn Choreografie und Tanz sich jedoch überschneiden, gibt Choreografie meist die Richtung an, in die sich der Wunsch zu tanzen bewegt. Man könnte sehr leicht annehmen, dass die Substanz der choreografischen Idee allein im Körper angesiedelt ist. Kann Choreografie jedoch einen autonomen Ausdruck ihrer Prinzipien entwickeln, ein choreografisches Objekt ohne Körper?« Forsythe, William: »Choreographische Objekte«, aus dem Engl. übers. von Bernd Bender und Kimi Lum, in: Weisbeck, Markus (Hg.): Suspense, Katalog Ausstellung Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal (17.05.–29.06.2008), Zürich: JRP Ringier/Kraichtal: Ursula Blickle Stiftung, 2008, S. 8-11, hier S. 9 (Orthographie wie im Original). Mit der Idee von Choreographie ohne direkten Bezug zu menschlichen Körpern und ihrer Bewegung bezieht sich Forsythe auf die von ihm als choreographic objects entwickelten Installationen bewegter Objekte wie Vögel, Staubwedel aus Straußenfedern oder Flaggen. Siehe dazu die eigene Website https://www.williamforsythe. com (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021); sowie Gaensheimer, Susanne/Kramer, Mario (Hg.): William Forsythe. The Fact of Matter, Katalog Ausstellung Museum für Moderne Kunst Frankfurt a.M., 17.10.2015–13.03.2016, Bielefeld: Kerber, 2016. Vgl. auch Brandstetter, Gabriele: »›Choreographic Objects‹. Assignments and Arrangements beyond Dance. William Forsythe and Tino Sehgal«, in: Beyer/Cassegrain (2015), S. 269-280 (2015b). 28 | Forsythe (2008), S. 8 (Orthographie wie im Original).
M arkieren und Schrift vorliegt, erleichtert die Konzentration auf Tanzen als eine Schreibhandlung, die immer vor einem Gesetz vollzogen wird. Zu betonen ist außerdem vorab, dass Gesetz und Regel, auch wenn sie nicht identisch sind, als eng aufeinander bezogen verstanden werden: Gesetz manifestiert sich in Regeln, und Regeln verweisen auf die Instanz eines ihnen übergeordneten Gesetzes, so wie die Menschenrechte die spezielle Applikation eines generellen Gesetzes darstellen.29 Der Vorgang des Schreibens folgt Schreibgesetzen. Sie regulieren, welche Gestalt ein Buchstabe annimmt und in welcher Weise er mit anderen Buchstaben kombiniert werden kann, um grammatisch regelkonforme Anordnungen von Graphen zu produzieren. Die Regelhaftigkeit von Schrift wird dabei von einer elementaren Offenheit bestimmt, der eminenten Fülle an Variationsmöglichkeiten, graphische Zeichen so oder so graphisch und graphematisch zu konfigurieren. Hierbei reicht die bloß einmalige Konfiguration durch ein Individuum nicht aus, um aus diesem Gebrauch eine Regel abzuleiten. Erst wenn mehrere Personen durch mehrfache Einübung an einen bestimmten Schriftgebrauch gewöhnt sind, lässt sich mit Recht von einer Schriftregel sprechen. Schrift ist so an eine Multiplizitäts- und Gemeinschaftsbedingung geknüpft: Das schreibende Individuum nimmt Schrift in Gebrauch, realisiert Schreibregeln, die es selbst nicht erfunden hat und hält sie damit gleichzeitig aufrecht. Schreiben ist daher heteronom und folgt einer überindividuellen Regulierung, die es rechtfertigt, von einem Nomismus der Schrift zu sprechen, einer immer schon gegebenen Bindung des Schreibens an Gesetzmäßigkeit und Vor-Schrift. Die Gebundenheit an einen Nomos gehört zu jenen Verbindungsgliedern, die die Analogie von Tanzen und Schreiben befestigen.30 So wie Schreiben Geset 29 | Vgl. hierzu die Verhältnisbestimmung des Rechtswissenschaftlers Kendall Thomas im Bericht seiner Zusammenarbeit mit William Forsythe: »Bill’s idea was somehow to figure out how to use [...] tables as the site for the practice of writing. Because, one of the conversations we had early on was about the ways in which one could think of law generally, and of human rights law in particular, in its discursive dimension, as a kind of writing.« Thomas (2010), S. 4f. 30 | Siehe hierzu im Folgenden Schwan (2012). Zum Zusammenhang von Nomos, Performativität und Ästhetik vgl. auch die Arbeiten von Cornelia Vismann, die u.a. auf die Rolle des Tanzes in Platons Nomoi eingeht: Vismann, Cornelia: Medien der Rechtsprechung, hg. von Alexandra Kemmerer und Markus Krajewski, Frankfurt a.M.: Fischer, 2011; Dies.: Das Schöne am Recht, Berlin: Merve, 2012a; Dies.: Das Recht und seine Mittel, hg. von Markus Krajewski und Fabian Steinhauer, Frankfurt a.M.: Fischer, 2012b. Vgl. Platon: Nomoi (Gesetze), aus dem Griech. übers. und komment. von Klaus Schöpsdau, Werke IX.2, Bd. 1-3, hg. von Ernst Heitsch und Carl Werner Müller, Göttingen: Vanden-
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S chrift im R aum zen und Regeln folgt, orientiert sich auch Tanzen an einem Nexus aus Absprachen, mehr oder minder festgelegten Bewegungsmustern und Körperbildern. Die Heteronomität von Tanz ist darüber hinaus komplexer zu denken als die bloße Vorschrift einer Notation, Choreographie oder Bewegungstradition und umfasst auch physiognomische Gegebenheiten des Körpers und physikalische Gesetzmäßigkeiten, denen Bewegung und Tanz unterliegen. Noch die scheinbar gesetzesfreie Improvisation mit ihrem Fehlen eines Bewegungspräskripts wird von einer »Normativität ohne Normen«31 strukturiert, die das Auseinanderfallen der Improvisation ebenso verhindert, wie sie die Verletzungsgefahr der Tanzenden eingrenzt. Und nicht zuletzt unterliegt jede Bewegung den physikalischen Gesetzen und der physiologischen Gesetzmäßigkeit des Körpers, die Abläufe und Gestaltformen von Bewegungen vorgeben, limitieren und ermöglichen.32 Die Reflexion der Eingebundenheit von Tanz in eine allgemeine Gesetzlichkeit findet sich als Denkfigur bei zwei französischen Theoretikern, die jeweils aus dem Blickwinkel einer an Jacques Lacan geschulten Psychoanalyse auf Tanzphänomene blicken. Pierre Legendre sieht Tanz in der Gefangenschaft eines Gesetzes und macht für diese Gefangenschaft umfassende gesellschaftliche und weltanschauliche Muster geltend. Das Gesetz des Tanzes ist für Legendre ein umfassender, allgemeiner Zusammenhang von Vorgaben, Normen und Disziplinierungen: die symbolische Ordnung, die einen idealen als Phallus aufgerichteten Körper produziert und an diesem Ideal alle realen Körper und ihre Bewegungen misst. Über das Fortleben des römischen Rechts und die Bekräftigung durch eine von Legendre als christlich identifizierte Moral wird diese symbolische Ordnung aufrechterhalten, auch in Kontexten einer säkularisierten und industrialisierten Gesellschaft. Aus der Gefangenschaft im Gesetz gibt es für Legendre keine Befreiung. Jeder Versuch, sich der Einbindung in die
hoeck & Ruprecht, 1994-2011; Pont, Graham: »Plato’s Philosophy of Dance«, in: Nevile, Jennifer (Hg.): Dance, Spectacle, and the Body Politick, 1250 – 1750, Bloomington (IN): Indiana University Press, 2008, S. 267-281. 31 | Bertram, Georg W.: »Improvisation und Normativität«, in: Bormann, Hans-Friedrich/Brandstetter, Gabriele/Matzke, Annemarie (Hg.): Improvisieren. Paradoxien des Unvorhersehbaren. Kunst – Medien – Praxis, Bielefeld: transcript, 2010, S. 21-39, hier S. 22 (Hervorhebung wie im Original). 32 | Zum Verhältnis von Tanz und Gesetz siehe Schwan, Alexander H.: »Tanz, Wahnsinn und Gesetz. Eine kritische relecture von Pierre Legendre und Daniel Sibony«, in: Birringer, Johannes/Fenger, Josephine (Hg.): Tanz & WahnSinn/ Dance & ChoreoMania, Jahrbuch Tanzforschung 21, Leipzig: Henschel, 2011b, S. 111-119. Die folgenden Absätze greifen in Revision auf diesen Text zurück.
M arkieren Tanznormativität zu entziehen, wird von ihm als weiterer Verrat an der unwiederbringlich verlorenen Freiheit des Körpers gewertet.33 Daniel Sibonys Auffassung des Gesetzes ist dagegen neutraler und umfasst neben der Ebene des Verbots und der Tabuisierung von Bewegung auch die Funktion der Ermöglichung und Hervorbringung von Tanz.34 Neben der Bindung und Verhinderung bestimmter und historisch bedingter Körperbilder ermöglicht das Gesetz nach Sibony zuallererst Subjektivität, ja Bewegung überhaupt.35 Tanz vollzieht sich daher immer vor dem Gesetz, d.h. in Beziehung auf all das, was Bewegung anstößt, stützt und stört. Die nomistische Dimension von Tanz ist somit keine rein prohibitive, sondern gleicht einer transzendentalen Dependenzrelation: Der Körper findet sich vor in dem immer schon gegebenen Bezug zu einem heteronomen, von außen kommenden Gesetz, das seine Bewegung strukturiert, motiviert, begrenzt und ermöglicht.36
33 | Vgl. Legendre, Pierre: »Der Tanz in der nicht-tanzenden Kultur«, in: Vismann, Cornelia (Hg.): Pierre Legendre. Historiker, Psychoanalytiker, Jurist, Tumult. Schriften für Verkehrswissenschaft 26, aus dem Frz. übers. von Walter Seitter, Berlin: Syndikat, 2001, S. 33-39; Ders.: Die Leidenschaft ein anderer zu sein. Versuch über den Tanz, aus dem Frz. übers. von Sabine Hackbarth, Schriften VII, hg. von Georg Mein und Clemens Pornschlegel, Wien/Berlin: Turia + Kant, 2014; Ders.: Das politische Begehren Gottes. Studie über die Montagen des Staates und des Rechts, aus dem Frz. übers. von Katrin Becker, Schriften VI, hg. von Georg Mein und Clemens Pornschlegel, Wien/Berlin: Turia + Kant, 2012, S. 261-263. Vgl. hierzu auch Siegmund (2006), S. 151-158; sowie Mein, Georg (Hg.): Die Zivilisation des Interpreten. Studien zum Werk Pierre Legendres, Wien/Berlin: Turia + Kant, 2012a; insbes. Ders.: »›ll faut un corps pour signifier...‹. Der Tanz im Horizont von Pierre Legendres dogmatischer Anthropologie«, in: Ders. (2012), S. 127-148 (2012b). Zum Gesetzesverständnis Legendres vgl. Pornschlegel, Clemens: »Warum Gesetze? Zu einer Fragestellung Pierre Legendres«, in: Mein (2012), S. 53-76. 34 | Siehe Sibony (1995). Vgl. zu Sibony auch Siegmund (2006), S. 42f. 35 | Siehe Sibony (1995), S. 53. 36 | In einer midraschartigen Auslegung von 2 Sam 6, 14-23 differenziert Sibony die Bezogenheit auf das Gesetz des Tanzes und entwickelt die Denkfigur eines Gesetzes, das sich dem Körper entzieht und für ihn vor allem in der Weise der Ermangelung existiert. So bewegt sich König David vor der Bundeslade mit den darin befindlichen Gesetzestafeln und tanzt buchstäblich vor dem Gesetz. Gleichzeitig bewegt sich auch die Bundeslade, die auf ihrem Wagen gezogen wird und sich so von David entfernt. Damit existiert zwischen dem Gesetz und dem sich ihm nähernden König eine unauflösbare Spannung, denn beide, König und Gesetz, treffen nie aufeinander. In der Verallgemeinerung dieser Situation steht nach Sibony jeder tanzende Körper in Bezug zu einem sich entziehenden Gesetz
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S chrift im R aum Dieses Gesetz geht über eine symbolische Ordnung hinaus und bedarf keiner Institution, um aufrechterhalten zu werden.37 So umfasst es auch parainstitutionelle Nomismen wie Naturgesetze oder die Mobilitätsbeschränkung eines menschlichen Körpers. Dass dessen Muskelstruktur, Knochenbau und neuronale Vernetzung Bewegung ermöglicht und gleichzeitig andere potentielle Bewegungen verhindert, ist damit Teil der Verfasstheit des Tanzes als Tanz vor dem Gesetz. Nicht jede Bewegung ist von jedem Körper ausführbar und ein Körperglied – ein Arm, ein Bein – nicht in allen Winkeln und allen Geschwindigkeiten bewegbar. Ferner ist die Gesetzmäßigkeit, der alle Körper unterliegen und gegen die sie allesamt in ihren Bewegungen opponieren, das Naturgesetz der Schwerkraft: Noch ohne Kontrolle taumelnd, fallend und schließlich stürzend tanzen die Körper vor dem Gesetz.38 Entsprechend weitgefasst ist daher Sibonys Begriff von Tanz, der für ihn all die Bewegungen eines physikalischen Körpers umfasst, mit denen dieser sich als eine radikal gedachte écriture corporelle selbst schreibt, wobei er ausdrücklich auf die Metapher Tanz als Schrift Bezug nimmt.39 Anders aber als Legendre, der ein unüberwindliches Zuviel an Gesetz konstatiert, geht Sibony von einem grundsätzlichen Mangel des Gesetzes aus. Tanzende Körper sind auf eine nie ganz präsente nomistische Struktur bezogen, bewegen sich vor dem immer nur im Aufschub oder Entzug befindlichen Gesetz.40 Sie ermangeln so einer umfassenden Determinierung und Vorschrift und sucht so tanzend die Erfahrung des Mangels von Struktur und Determinierung zu überwinden. Siehe hierzu insbes. ebd., S. 41-53. 37 | Siehe ebd., S. 113. 38 | »De fait, le corps dansant est toujours appel de loi et détresse du manque de loi. Même cette loi qui a vraiment le dernier mot, la loi de la ›chute‹ des corps, avec laquelle les corps luttent en jouent pour ne pas tomber (sachant qu’ils tombent en rebondissent jusqu’à ne plus se relever) – cette loi illustre bien la présence intrinsèque de la Loi, qui pour fonctionner n’a pas besoin d’institution.« Ebd., S. 110f. (Hervorhebung wie im Original). »So bewegt sich der tanzende Körper immer im Ruf des Gesetzes und in der Verzweiflung über den Mangel des Gesetzes. Selbst das Gesetz, das wirklich das letzte Wort hat, das Gesetz des ›Fallens‹ der Körper, mit dem die Körper kämpfen und spielen, um nicht zu stürzen (wissend, dass sie solange stürzen und wieder aufspringen, bis sie sich nicht mehr erheben) – dieses eine Gesetz illustriert gut die intrinsische Präsenz des Gesetzes an sich, das keinerlei Institution benötigt, um zu funktionieren.« (Übertragung A.S.). 39 | Siehe ebd., S. 175. 40 | »Il faut comprendre qu’il s’agit souvent de se libérer d’un manque de loi, de reprendre contact avec la loi qui est à l’œuvre – pour qu’elle décharge le corps d’un poids qu’il n’a pas à porter.« Ebd., S. 117.
M arkieren und sind auf sich selbst verwiesen als Körper, die sich bewegen müssen vor dem Gesetz, ohne dass dieses jemals in volle Wirksamkeit tritt. Damit stellt Sibonys Sicht eine bemerkenswerte Parallele zur Performance-Installation Human Writes dar, in der das Gesetz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte immer nur im Modus der στέρησις (stérēsis, Mangel, Beraubung) sichtbar ist, als entzogener, unlesbar verschriebener Nomos, der nie vollständig in Erscheinung tritt. Sind nach Jacques Derrida die Menschenrechte ein Bedürfnis und gleichzeitig selbst bedürftig, immer im Modus des Mangels und Fehlens (défault),41 so visualisieren die Krakel der Tänzer*innen diesen Mangel. Sie bewegen sich vor einem Gesetz und für ein Gesetz, das nie vollständig umgesetzt wird, weder in graphischer Form als Nachschrift noch in politischer und sozialer Hinsicht als Realisierung umfassender Humanität. Die Menschen, die in Human Writes tanzen und schreiben, sowohl aus der Forsythe-Company als auch aus dem Publikum, sind angewiesen auf ihre Human Rights und machen von ihren einzelnen Artikeln in der PerformanceInstallation selbst Gebrauch: Sie versammeln sich, äußern sich, bilden sich etc. und setzen vor allem Artikel 27.1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte voraus: »Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.«42 Überdeutlich wird hier die transzendentale Dependenzrelation von Gesetzlichkeit: Alle Körper, die sich in Human Writes bewegen, sind angewiesen auf eine heteronome Struktur der Human Rights, die sie selbst nicht garantieren können, die aber ihre Bewegungen in der Performance-Installation ermöglicht und sowohl lokal im Performance-Raum wie im globalen Blick weltweit ihrer vollständigen Realisierung harrt. So sind die Körper verwiesen auf ein Gesetz, das sie als Gemeinschaft auf Zeit konstituiert, das sich aber im Zustand eines Mangels befindet, den es auszuhalten und zumindest ansatzweise zu beheben gilt. »Wir müssen begreifen, dass es häufig darum geht, sich von einem Mangel des Gesetzes zu befreien und den Kontakt mit dem Gesetz wieder aufzunehmen – damit es den Körper von einem Gewicht entlastet, welches er nicht tragen kann.« (Übertragung A.S.). 41 | »Mehr denn je muss man sich auf die Seite der Menschenrechte stellen. Es bedarf der Menschenrechte. Es bedarf ihrer [il faut], d.h. es gibt immer einen Mangel, ein Fehlen [défault], die Menschenrechte reichen nie aus.« Derrida, Jacques/ Habermas, Jürgen: Philosophie in Zeiten des Terrors. Zwei Gespräche, geführt, eingel. und komm. von Giovanna Borradori, aus dem Frz. übers. von Ulrich MüllerSchöll, Berlin: Philo, 2004, S. 174 (Zeichensetzung wie im Original). Vgl. auch Thurner (2007), S. 359. 42 | Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 27.1: www.un.org/depts/ german/menschenrechte/aemr.pdf (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021).
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Abb. 33: William Forsythe und Kendall Thomas, Human Writes (2005), Photo: Dominik Mentzos.
M arkieren Die Diskrepanz zwischen transzendentaler Vorgängigkeit und Mangel des Gesetzes wird damit nicht durch die Idee überbrückt, die Menschenrechte performativ zu realisieren, wie die Schreibversuche der Tänzer*innen auf den ersten Blick interpretiert werden könnten. Dies hieße zum einen davon abzusehen, dass sich auch solche Versuche immer schon im Wirkungsraum des Gesetzes befinden, das den Bewegungen vorgängig ist. Zum anderen bedeutete dies, der Illusion einer direkten Umsetzbarkeit von Menschenrechten anzuhängen, die ja gerade von den Restriktionen der Schreibversuche konterkariert wird. Es ist daher wichtig, darauf hinzuweisen, dass Human Writes keinen Versuch einer vordergründigen Melioration von Humanität darstellt. Wollte man der Performance-Installation eine politisch-soziale Wirksamkeit zuschreiben, so läge diese eher im Bereich der Bewusstmachung von Widerständen zur Realisierung und Gewährleistung der Menschenrechte. Bezeichnenderweise stand daher am Beginn der Probenarbeit auch ein interner Reflexionsprozess, in dem die Tänzer*innen der Forsythe-Company in einer Art Seminarsituation über ihre persönlichen Erfahrungen mit mangelhaften Menschenrechtssituationen ins Gespräch kamen, etwa in China oder dem Baskenland.43 Und auch in einer zweiten Hinsicht paraphrasieren Sibonys Gedankengänge zu Gesetz und Tanz die Denk- und Arbeitsstrukturen von William Forsythe, vor allem dessen Verständnis von Choreographie als einem »Umfeld grammatikalischer Regeln, die von der Ausnahme geleitet werden«.44 Denn der Versuch, den Mangel des Tanzgesetzes zu überwinden, ist nach Sibony immer von der Transgression des Gesetzes gekennzeichnet und dem Opponieren gegen das nur defizitär wirksame Heteronome.45 Womöglich noch stärker als im Bereich von Schrift ist der Gesetzesbezug von Tanz daher von Momenten des Aufbegehrens und Affronts bestimmt. Sowohl gegen die Normierung in dezidierten Bewegungspräskripten als auch gegen den umfassenden Nomismus internalisierter Bewegungstraditionen leisten Körper in unterschiedlichster Form Widerstand. Sie brechen das Gesetz von Tanz im Abweichen von der Norm, setzen sich bewusst von der Fremdbestimmung ab oder verfehlen trotz aller Bemühung um virtuose Gesetzesbefolgung das Bewegungspräskript. Besonders deutlich ist der Gesetzesbezug für Sibony daher im Klassischen Ballett,46 denn gerade hier mischen sich in die Akkuratesse Momente der Ungenauigkeit, der Unentscheidbarkeit und des minimalen Kontrollverlustes: Tanzend wird das Gesetz von Tanz überschritten. Erneut bezieht sich Sibony dezidiert auf die Metapher Tanz als Schrift, wenn er unvermeidbare improvisierende Abweichungen von Bewegungspräskripten in den Blick nimmt: 43 | Siehe Thomas (2010), S. 5. 44 | Forsythe (2008), S. 8. 45 | Siehe Sibony (1995), S. 118. 46 | Ebd.
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S chrift im R aum »Beaucoup de chorégraphes ont ce fantasme d’écrire avec le corps des autres une ›loi‹ qu’on puisse maîtriser. Et déjà au départ, [...] le corps danseur improvise, cherche à saisir le point critique et singulier qui sert d’ancrage; ancrage de l’écriture dont son corps sera l’instrument, l’objet, le sujet. On improvise, on plonge de tout son corps dans la provision d’écriture, là où les lois secrètes de l’être attendent d’être perçues, balbutiées, articulées.«47
Gerade in Bezug auf Human Writes muss indes im Verhältnis von Schrift und Tanz noch ein weiterer Aspekt herausgestellt werden, der die Idee einer transzendentalen Dependenz vom Gesetz und dessen unweigerlicher Transgression um die Dimension der Gewalt erweitert.48 Versinnbildlicht wird dies im Gebrauch der schwarzen Stricke, die die Körper der Tänzer*innen oft mit erheblicher Gewalt binden, fesseln und einengen und mit denen sie umgekehrt auf andere menschliche Körper sowie auf die Körper der Tische, des Papiers und der Kohle peitschen und eindreschen können. Die Stricke sind so in gleich mehrfacher Weise auf Gesetzlichkeit bezogen: Sie binden menschliche Körper im doppelten Sinne eines Stützens und Haltgebens einerseits und einer Einschnürung und Einengung andererseits, so wie auch das Gesetz als transzendentale Instanz im doppelten Sinne bindet, als Support und Restriktion. Und die Stricke werden zu Instrumenten, mit denen ein Text in andere menschliche und materielle Köper gewaltsam eingeschrieben wird. Das Gesetz der écriture corporelle als nicht-institutionelle Binde- und Prägekraft von Bewegung im Sinne Sibonys wie auch das konkrete Gesetz der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind damit unauflöslich mit Gewalt verquickt. Diese manifestiert sich in den Stricken, die die Körper wie ein Gesetz einschnüren und mit denen ein Gesetz gewaltsam in Materie eingeschrieben wird. 47 | Ebd., S. 119. »Viele Choreographen haben das Phantasma, mit dem Körper anderer ein ›Gesetz‹ zu schreiben, das man meistern kann. Doch schon von Beginn an improvisiert der tanzende Körper und versucht, den kritischen und einzigartigen Punkt zu verlassen, der der Verankerung dient; der Verankerung der Schrift, dessen Körper das Instrument, das Objekt (der Gegenstand) und das Subjekt (Thema) sein wird. Man improvisiert, man springt mit seinem ganzen Körper in den Vorrat an Schrift, dorthin, wo die geheimen Gesetze des Seins darauf warten, wahrgenommen, gestammelt, artikuliert zu werden.« (Übertragung A.S.). 48 | Vgl. in diesem Zusammenhang Benjamin, Walter: »Zur Kritik der Gewalt«, in: Ders.: Gesammelte Schriften II.1, S. 179-204; Derrida, Jacques: Gesetzeskraft. ›Der mystische Grund der Autorität‹, aus dem Frz. übers. von Alexander García Düttmann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1991; Haverkamp, Anselm (Hg.): Gewalt und Gerechtigkeit: Derrida – Benjamin, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994; Hamacher, Werner: »Afformativ, Streik«, in: Hart Nibbrig, Christiaan L. (Hg.): Was heißt ›Darstellen‹?, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1994, S. 340-371.
M arkieren Es ist so höchst evident, dass Franz Kafkas Erzählung In der Strafkolonie49 und die Vorstellung einer gewaltsamen Körpereinschreibung des Gesetzes die Zusammenarbeit von William Forsythe und Kendall Thomas von Beginn an durchziehen. 50 Zusammen mit den Tänzer*innen beschäftigen sie sich mit der Ambivalenz von Gesetz, die neben der Option der Verhinderung und Eindämmung auch die gesetzliche Sanktionierung und Initiierung von Gewalt umfasst, als rechtmäßige Bestrafung von Täter*innen und als willkürliche, aber wiederum gesetzlich abgesicherte Form gewaltsamer Tötung. Anhand extremer Beispiele, wie Rony Braumans und Eyal Sivans Film The Specialist. Portrait of a Modern Criminal (1999), mit dem sich alle Beteiligte an Human Writes im Zuge des Probenprozesses auseinandersetzen, wird diese Ambivalenz deutlich: Der Film verwendet historisches Filmmaterial des Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1963 und zeigt in Adolf Eichmann einen modernen Kriminellen, der gesetzliche Anweisungen zum Morden schreibt und sich – und darin liegt die nur schwer erträgliche Provokanz des Filmes – selbst keines Unrechtes bewusst ist, weil er daran festhält, nur ihm aufgegebene Gesetze in schriftliche Anordnungen umzusetzen.51 Der Schreibtischtäter Eichmann ist so eine Verzerrung der Tanz- und Schreibhandlungen an den Schreibtischen von Human Writes, indes eine Verzerrung, die in der Performance-Installation die Gewaltdimension von Gesetz und Schreiben umso stärker in den Blick rückt. So formuliert Kendall Thomas in äußerst ungewöhnlicher Weise zu Human Writes: »[…] one might have expected that the connection between dance and human rights would be primarily around some idea of freedom, emancipation, liberation of the body, free movement in space, and so on. Seeing the dance, […] this now seems a little bit naïve or utopian. Likewise, there’s another, for lack of a better word, ›negative,‹ dimension that emerges here. The dance underlines not simply the constraints placed on the performers, and the way that those binds can enable sometimes certain kinds of movements – which would still amount to a rather classical battle between the movement of the dancer and the things that are holding him or her back – but it also reminds us that there are truly negative movements in dance as well. Movements of the body aren’t only about struggles for 49 | Kafka, Franz: In der Strafkolonie, Faks.-Nachdruck der Erstausg. Leipzig: Wolff, 1919, hg. und eingel. von Roland Reuß, Frankfurt a.M./Basel: Stroemfeld, 2009. 50 | Siehe Thomas (2010), S. 5. Vgl. zur Rolle der Einschreibung in Human Writes auch Primavesi, Patrick: »Geste und Einschreibung. Zur Frage des Politischen in der Arbeit der Forsythe Company«, in: Darian, Veronika (Hg.): Verhaltene Beredsamkeit? Politik, Pathos und Philosophie der Geste, Frankfurt a.M. u.a.: Lang, S. 95-113. 51 | Siehe ebd.
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S chrift im R aum freedom or resistance – they can also be in the service of totalitarianism or fascism or other kinds of repressive politics.«52
Auch jenseits dieser totalitären Dimension von Human Writes zeigt die Performance-Installation, dass jedes Gesetz und auch das Gesetz der Menschrechte mit Gewalt verbunden ist und in einem »field of pain and death«53 geschrieben wird: »The law itself, in a very real sense, is a structure of violence. [...] [V]iolence is always already implicated in the very idea and thus in the practice, interpretation, propagation, writing of the law.«54 Im Transfer dieses Arguments auf die Metapher Tanz als Schrift könnte schließlich gerade im Zusammenhang des Gesetzesbezuges nach der Gewaltsamkeit von écriture corporelle gefragt werden, nach der Dimension gewaltsam markierender Bewegung, die nicht nur als Schreiben, sondern auch als Marke im Raum verstanden wird. So kommt es dazu, dass die beiden Dimensionen von écriture, Produktion und Produkt von Schrift, die in der Performance-Installation Human Writes zunächst wahrgenommen werden, als verhinderte Schreibbewegung und unlesbare Inskription, in der Kippfigur der écriture corporelle wieder zusammenstoßen.
5.5 Schriftbild: Kritzelei Die Gewalt des Kritzelns, die an das Reißen und Ritzen gemahnt, das die Vorform des Wortes für schreiben, wrītan, bedeutet,55 und die mit dem Einbringen einer Scheidung in den zu bekritzelnden Schriftgrund verbunden ist,56 kennzeichnet beides: die Kritzelbilder, die aus den Schreib- und Reibhandlungen von Human Writes entstehen, und die Bewegungen, mit denen dies geschieht. Denn sowohl in der Doppelbedeutung von écriture als auch in derjenigen des Begriffes Kritzelei als Vorgang und Resultat können die Bewegungen der Kritzelnden 52 | Ebd., S. 7. 53 | Ebd. 54 | Ebd. S. 8 (Kursivierung im Original). Vgl. auch Brandstetter (2009), S. 100: »In diesen Akten eines widerständigen Schreibens wird jener Zug der Schrift sichtbar und spürbar, der im Text der ›Declaration of Human Rights‹ verborgen ist: Es zeigt sich die Gewalt in der Vor-Schrift des Gesetzes, paradoxerweise in einem Text, der die physische Unversehrtheit, die Sicherheit des individuellen Körpers vor staatlicher Gewalt verspricht.« (Kursivierung wie im Original). 55 | Art. »reißen«, in: Sebold, Elmar (Bearb.): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, Berlin/New York (NY): De Gruyter, 231995, S. 677. 56 | Die Geste des Kritzelns kann ebenfalls als das Einbringen einer Scheidung in den zu bekritzelnden Schriftgrund gesehen werden, wie auch das englische Verb to scribble (kritzeln) in einer Nebenbedeutung das Kämmen und Differen-
M arkieren selbst als Figurationen, und mehr noch als Defigurationen von Kritzelmarkierungen betrachtet werden. In Human Writes werden keine klaren Linienstrukturen imaginär gezogen oder verkörpert wie noch bei Eidos:Telos und in den Improvisation Technologies, und noch ferner ist das Bewegungsphänomen der Kritzelei von den klaren Differenzierungen bei The Dance Sections, den sichtbaren Iterierungen bei Roof and Fire Piece oder gar den Mehrfachcodierungen von Locus. Doch bereits in diesen Arbeiten war das Kritzeln je und je am Werk, als Ungenauigkeit, Zittern, Verschleifen, Nivellieren und Abirren. Tanz als écriture corporelle ist daher immer auf Kritzeln bezogen als den diffusen Rand von Schriftbildlichkeit, als das Andere sowohl von Schrift als auch von Bild, denn zu keinem der beiden Bereiche gehört die Kritzelei ganz. Sie ist vielmehr ein schriftbildliches Schwellenphänomen, bei dem die »Ränder von Distinktem und Ähnlichem unscharf« werden und beginnen, ins »Indifferente und Unähnliche zu kippen«.57 In Human Writes ist dies besonders prekär, vor allem in der Doppelung von Kritzeln als Vorgang und Kritzeln als Defiguration von Körpern, die sich vor dem Gesetz der Menschenrechtserklärung vollzieht und so Humanität gleich zweifach zerkritzelt wird: in der Erklärung, die keine lesbare Form gewinnt und sich zu keinem vollständigen Text addiert und in der Zerkritzelung von Körperfigurationen, bei denen die Tänzer*innen beschmutzt, erniedrigt und realiter in Striktionen verfangen sind. Die hohe symbolische Aufladung, die Tanzen als Schreiben und Schrift zukommen kann, und die Verbindung mit Ornamentalität oder der Potentialität von Schriftsinn sind hier verstellt. Auf écriture corporelle als Tanzbewegung, die an sich Symptome von Schriftlichkeit wahrnehmen lässt, wird daher nur per nefas, durch das Deformierende und Defigurierende der Zerkritzelung hindurch hingewiesen. Menschen kritzeln als Teil eines emergenten Prozesses, in dem auch Nicht-Menschliches zum Aktanten wird, doch dieser Prozess gerinnt zu keiner claritas scripturae. Zu sehen ist eine pré-écriture, die auch als post-écriture betrachtet werden kann und deren posthumaner Charakter sich angesichts der Human Rights in aller Ambivalenz zwischen Gewalt und Bedürftigkeit zeigt.
zieren von Wolle bezeichnet (Frz. le scriblage). Vgl. Derrida, Jacques: »SCRIBBLE. Macht/Schreiben«, aus dem Frz. übers. von Peter Krumme und Hanns Zischler, in: Warburton, William: Versuch über die Hieroglyphen der Ägypter, aus dem Engl. von Johann Christian Schmidt, hg. von Peter Krumme, Frankfurt a.M./Berlin/ Wien: Ullstein, 1980, S. VII-LV, hier S. XII. 57 | Driesen, Christian u.a.: »Einleitung«, in: Dies. (Hg.): Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Zürich: diaphanes, 2012, S. 7-21, hier S. 9.
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Abb. 34: Peter Welz, airdrawing / forsythe / study of a movement II (2004), C-Print, Permanent Marker, Gaffa Tape, Transparent PVC, 61 cm x 86 cm, © Peter Welz, Berlin.
Ausblick PaRDeS: Mehrfacher Tanzschriftsinn Die Setzung von Tanz als Simulation von Schrift, wie sie am Beispiel von fünf Arbeiten des postmodernen und zeitgenössischen Tanzes ausgeführt wurde, verlangt geradezu nach einer Entfaltung des mehrfachen Schriftsinnes von écriture corporelle. Eine solche Auslegung, die im Folgenden als ein Ausblick auf weitere Korrelationen von Körperbewegung und Inskription unternommen werden soll, bezieht sich auf die antike und mittelalterliche Lehre des mehrfachen Schriftsinns, mit der vorausgesetzt wird, »dass der buchstäbliche Sinn eines Textes nicht schon die gesamte [...] Aussage enthält oder aber der Verstehenssituation eines späteren Rezipienten nicht mehr genügt, sodass über die wörtliche Bedeutung eines Textes hinaus nach einem weiteren Sinn gefragt werden muss.«1 Die Idee eines mehrfachen Schriftsinns – häufig in zwei- oder dreifacher Aufspaltung entfaltet und erst im 5. Jh. n. Chr. zum vierfachen Schriftsinn ausgebaut – wurde zunächst als ὑπόνοια (hypónoia, Tiefenbedeutung), später als ἀλληγορία (allēgoría, Allegorie; von ἄλλος‚ állos, anders, verschieden; ἀγορεύω, agoreúō, sprechen, verkünden) bezeichnet. Anfänglich für die Auslegung älterer Dichtung (Homer, Hesiod) entwickelt, wurde ein mehrfacher Schriftsinn von Philo von Alexandrien auf den Text der jüdischen Tora übertragen und so zu einer exegetischen Zugangsweise zu biblischen Texten. Von Origenes zu einer systematischen Lehre (quatuor sensus scripturae) entwickelt, bestanden christlich-allegorische Verfahren neben rabbinischen Auslegungstraditionen, wobei sich die Stufenunterteilungen des Schriftsinns auf jüdischer und christlicher
1 | Meyer, Heinz: Art. »Schriftsinn, mehrfacher«, in: HWPh, VIII, Sp. 14311439, hier Sp. 1431.
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S chrift im R aum Seite entsprachen und Schriftauslegung jeweils von einem buchstäblichen zu einem mystischen Sinn fortschritt.2 Während der quatuor sensus scriptura noch heute von der katholischen Kirche vertreten wird und so Bestandteil ihres Katechismus ist, gelten innerhalb des Protestantismus Allegorie und mehrfacher Schriftsinn als Verdunkelung der claritas scripturae, der Klarheit der sich selbst auslegenden Schrift. Hinzukommt die Problematik einer massiv antijudaistischen Aufladung bestimmter Auslegungsweisen des mehrfachen Schriftsinns, vor allem von Typologie und Präfiguration, die Texte der hebräischen Bibel als bloße Vorankündigungen späterer christlicher Heilsdeutungen interpretieren und so, jenseits einer historisch-kritischen Rekonstruktion früherer Allegoresen, die zeitgenössische Anwendung der mehrfachen Schriftauslegung erheblich erschweren. Wenn daher nun die Schriftsimulakren von Tanz in einem mehrfachen Sinne ausgelegt werden sollen, um einen Ausblick auf weitere Korrelationsmöglichkeiten von Inskription und Körperbewegung zu geben, so geschieht dies in einem hybrid-spielerischen Umgang nicht mit der christlichen, sondern mit der jüdischen Variante eines mehrfachen Schriftsinns, wie sie sich als PaRDeSMethode bei den philosophischen und kabbalistischen Exegeten des späten Mittelalters findet. PaRDeS, nach Alt-Persisch pardes für ›eingegrenzter Garten‹ und etymologisch mit dem griechischen παράδεισος (parádeisos, Paradies) verwandt, ist ein mittelalterliches Merkwort für die analog zur Patristik herausgebildete Idee einer vierfachen Schriftauslegung, die die unbegrenzte Mannigfaltigkeit und Unabschließbarkeit von Deutungen biblischer Schriften vertritt.3 Als Akronym verweist PaRDeS auf die ersten Konsonanten der hebräischen Begriffe für die vier Arten von Interpretation: die wörtliche Auslegung (פשט, peschat), die haggadische oder homiletische Entfaltung bzw. Anspielung (רמז, remes), die ethische Anwendung (דרש, derasch) und das Eindringen in das verborgene Geheimnis (סוד, sod) eines Textes.4 Übertragen auf Tanz als Simulakrum von écriture in der doppelten Bedeutung von Schreibung und Schrift sollen diese vier Auslegungsschritte im Folgenden gesetzt werden, um so über die bereits dargestellten Aspekte der écriture-Simulation hinaus Perspektiven auf ein wörtliches Verständnis von Tanzen als Graphieren auszuführen (peschat), einen Hinweis auf die noch unausgeschöpfte Metaphorizität der Tanz-Schrift-Analogie zu geben (remes), nach ethischen Dimensionen von écriture corporelle zu fragen (derasch) und schließ-
2 | Siehe ebd. 3 | Siehe hierzu und im Folgenden Bruckstein Çoruh, Almut Shulamit: Die Maske des Moses. Studien zur jüdischen Hermeneutik, Berlin/Wien: Philo, 2001, S. 182; Dies. (2013), S. 120. 4 | Siehe hierzu auch Rojtman (1998), S. 11f.
A usblick lich den Geheimnischarakter von Tanz als Schrift (sod) in der Spannung von Opazität und Potentialität zu eröffnen.5
Zeichnen Eine wörtliche Auslegung von Tanz als écriture corporelle könnte Bewegung, vereinfachend und unter Ausblendung der im Rahmen dieser Studie vertretenen Konvergenz von Schreibakt und Schreibprodukt, als direktes Hinterlassen von Spuren verstehen, dauerhaft graphisch sichtbar gemacht durch Farbpigmente: Kohle, Kreide und Tinte, in Körperbewegungen über ein Papier gezogen. Solch ein ganzkörperliches Schreiben wäre ein Schreiben, das nicht nur, wie bei Forsythes/Thomas’ Human Writes, zu einem Kritzeln abschweift und als solches exzessiv verausgabend durchgeführt wird. Zu denken wäre in einem wörtlichen und ganz auf Sichtbarkeit und Evidenz setzenden Verständnis von écriture corporelle an den gesamten Konnex von Schreiben und Zeichnen.6 Die Ganzkörperlichkeit, die mit écriture corporelle angedeutet wird, ginge dabei über die Frage nach der »Händigkeit der Zeichnung«7 hinaus und ließe auch den Aspekt des Gestischen hinter sich als einem nach wie vor mit der Favorisierung der Hände und des Armes verbundenen reduktiven Gestenbegriff. Der jüngere Diskurs um das Verhältnis von Geste und Zeichnung, der nicht nur die Materialität des Gezeichneten betont, sondern ihre Verschränkung mit dem Akt ihrer Spurensetzung oder Spurenhinterlassung fokussiert, wäre dann auf die gesamte Körperlichkeit auszudehnen.8 5 | Vgl. hierzu auch Agamben, Giorgio: »Pardes. Die Schrift der Potenz«, aus dem Ital. und Frz. übers. von Giorgio Giacomazzi, in: Rabaté, Jean-Michel/Wetzel, Michael (Hg.): Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida, Berlin/Boston (MA): De Gruyter, 1993, S. 3-17. 6 | Verwiesen sei hier auf die im Zusammenhang von Geste, Schrift und Zeichnung häufig angeführten asemischen Arbeiten von Henri Michaux (1899–1984). Vgl. Noland, Carrie: »Miming Signing. Henri Michaux and the Writing Body«, in: Ness/Dies. (2008), S. 133-184; Mersmann, Birgit: »Nature’s Hand. Writing Abstraction in the Work of Henri Michaux«, in: Crowther, Paul/Wünsche, Isabel (Hg.): Meanings of Abstract Art. Between Nature and Theory, Routledge Advances in Art and Visual Studies 2, London/New York (NY): Routledge, 2012, S. 198-216; Mainberger, Sabine: »Die Seite als Horizont. Zu Henri Michaux’ Graphismen«, in: Müller-Tamm/Schubert/Werner (2018), S. 255-276. 7 | Gründler, Hana u.a. (Hg.): Zur Händigkeit der Zeichnung, Rheinsprung 11. Zeitschrift für Bildkritik 3 (2012). 8 | Zum Konnex aus Geste und Zeichnung, vgl. u.a. Nancy, Jean-Luc: Die Lust an der Zeichnung, aus dem Frz. übers. von Paul Maercker, hg. von Peter Engel-
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S chrift im R aum Alle drei in dieser Studie untersuchten Tanzschaffenden sind nicht nur mit Konzeptionierungen von Choreographie und Bewegung, sondern auch mit zeichnerischen Arbeiten hervorgetreten; im Fall von Jan Fabre stellen diese sogar die Ausgangsbasis für seine performative Auseinandersetzung dar. Ein Sonderfall ist in diesem Kontext William Forsythe, insofern nicht er selbst zeichnet, sondern seine Konvergenz von Tanzen und Zeichnen in Zusammenarbeit mit dem Videokünstler Peter Welz entstanden ist und zudem das Dritte des Schreibens teilweise unmittelbar beinhaltet. Welz hat Forsythe in den als airdrawings bekannten Arbeiten aus drei Kameraperspektiven gefilmt und zusätzlich Handkameras an seinen Extremitäten befestigt, deren zusammengeschnittene Aufnahmen er in großräumigen Videoinstallationen zeigt.9 Dabei stellt die airdrawing-Arbeit whenever on on on nohow on (2004) einen engen Bezug zur Verschränkung von Tanzen und Schreiben dar: Forsythe übersetzt hier mittels der von ihm entwickelten Buchstaben-Bewegungszuordnung, wie sie etwa in Eidos:Telos Anwendung findet, einen kurzen Text aus Samuel Becketts spätem Stück Worstward Ho in Bewegung. Dem lesenden Auge bietet sich Forsythes Tanzen daher als eine Kette von Bewegungen dar, die aufgrund der Häufigkeit der Buchstaben N und O im Ausgangstext eine hohe Zahl repetitiver Momente aufweist, ja sogar mit kleineren Zäsuren versehen ist, aber nicht in eine Abfolge segmentierter Einheiten zerlegt werden kann. Im Setting der Videoprojektion erscheint Forsythe dann als ein Zeichnender, dessen von oben gefilmter Körper in der Metamorphose seiner Kontur selbst Teil des projizierten airdrawings wird. In einem weiteren Schritt transformiert Peter Welz diese Überlagerungen aus Film, Zeichnung und Bewegung zu kleinformatigen Arbeiten, bei denen Typ-C-Prints von Videostills zusätzlich mit gezeichneten Linien und sichtbaren Klebestreifen versehen werden (Abb. 34). Noch direkter mit dem Medium Zeichnung verknüpft ist Bewegung in der Installation retranslation | final unfinished portrait (francis bacon) | figure inscribmann, Wien: Passagen, 2011; sowie Richtmeyer, Ulrich (2014): »Das Zusätzliche der Tat. Die gestische Konstitution des Neuen in der Performativität zeichnerischer Bildproduktion«, in: Ders./Goppelsröder, Fabian/Hildebrandt, Toni (Hg.): Bild und Geste. Figurationen des Denkens in Philosophie und Kunst, Image 63, Bielefeld: transcript, 2014, S. 85-106. 9 | Vgl. Schmidt, Eva: »Absurd und notwendig zugleich. Spielregeln statt Musik bei Peter Welz, Yuri Leiderman, Jerôme Bel, Antonia Baehr«, in: Dies./ Lebrero Stals, José (Hg.): Tanzen. Sehen, Katalog Ausstellung Museum für Gegenwartskunst, Siegen (18.02.–28.05.2007)/Centro Andaluz de Arte Contemporaneo, Sevilla (28.06.–16.09.2007), Frankfurt a.M.: Revolver-Verlag/Archiv für Moderne Kunst, 2007, S. 228-231; Schulz, Christopher Benjamin: »Filmen für Forsythe – Peter Welz und Thierry de Mey«, in: Schnitt. Das Filmmagazin 45 (2007), S. 25; Maar (2019), S. 209-214.
A usblick ing figure | [take 02], die im Rahmen der Ausstellung Corps Étrangers 2006 im Pariser Louvre zu sehen war.10 Sie setzt sich mit Francis Bacons letztem unvollendeten Bild auseinander, an dem er bis zu seinem Tod 1992 gemalt und gezeichnet hat und das in der Arbeit von Forsythe/Welz versuchsweise im Konnex aus Bewegung, Aufzeichnung und Installation weitergezeichnet wird bzw. dem die Bewegung Forsythes folgt. In der komplexen Überlagerung aus Zeichnung, Körperbewegung und medialer Repräsentation tauschen sich die Verhältnisse eines Vorher und Nachher aus: Bewusst verunklart wird, ob Forsythe die gezeichneten Linien Bacons mit seinen Bewegungen nachzeichnet oder ob nicht umgekehrt diese Linien Spuren seiner Bewegung sind.11 Auch die Arbeiten, in denen Trisha Brown Bewegung und Spur miteinander verbunden hat, sind im Sinne der wörtlichen Auslegungsmethode von peschat direkte Verhandlungen von Tanzen als Zeichnen. Hier wird zwar ebenfalls mit medialen Aufzeichnungen und Übertragungen operiert, die Körperbewegungen hinterlassen aber sofortige und bleibende Spuren in Zeichnungen, die dann als Artefakte in den Kunstmarkt eingespeist werden.12 Das Graphieren mit Füßen und Händen hat Brown dabei auch in einen performativen Kontext gestellt, u.a. in It’s a Draw/Life Feed (2002), wobei das Spurenlegen ihrer Bewegung räum-
10 | Siehe Lista, Marcella (2006): »A Figure in Space«, Interview mit William Forsythe und Peter Welz, in: Dies./Musée du Louvre (Hg.): Corps étrangers. Danse, dessin, film. Francis Bacon, William Forsythe, Peter Welz, Sonia Andrade, Samuel Beckett, Edgar Degas, Eugène Delacroix, Johann Heinrich Füssli, Charles Le Brun, Bruce Nauman, Kazuo Ohno, Katalog Ausstellung Galerie de la Melpomène, Musée du Louvre, Paris (13.10.–11.12.2006), Lyon: Fage, S. 18-36. 11 | Siehe Sennewald, Emil J.: »Linien ziehen. Räumlichkeit von Zeichnung und Handlung im Bildprozess«, in: Avanessian/Hofmann (2010), S. 137-146. Vgl. auch Huschka (2008), S. 310f; Franko, Mark: »Figurae. Re-translating the Encounter between Peter Welz, William Forsythe, and Francis Bacon«, in: Ders./Nicifero, Alessandra (Hg.): Choreographing Discourses. A Mark Franko Reader, London/New York (NY): Routledge, 2019, S. 96-102; Maar (2019), S. 221-224; De Nicola, Alessandra/Garcia Scottile, Maria Eugenia/Gómez Lozano, Sebastián: »The Drawing of Choreographers as Performances in Museum Space. Ideas and Excuses for Heritage Education«, in: Disegnarecon 12:23 (2019), S. 91-96. 12 | Zur Verbindung von Bewegung mit Spurenerzeugung und Zeichnung bei Brown vgl. u.a. Kertess, Klaus: »La main danse, le corps dessine/Feet Dancing, Hand Drawing«, in: Trisha Brown. Danse, précis de liberté, Katalog Ausstellung Centre de la Vieille Charité, Marseille (20.07.–27.09.1998), Marseille: Musées de Marseille, 1998, S. 127-133; Rosenberg (2007), Eleey (2008), Molesworth (2011), S. 46f.
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S chrift im R aum lich getrennt von der Anordnung des Publikums stattfand und dort in einer Live-Übertragung sichtbar gemacht wurde.13 Zu reflektieren wäre hier wie auch in der Performance Floor Drawing (2008) das Verhältnis von Horizontalität und Vertikalität: Brown bewegt sich auf Papieren, die auf dem Boden befestigt sind und die nach dem Prozess des ganzkörperlichen Zeichnens – ein Ziehen von Spuren und ein Abdrücken von Fingern, Füßen und Armen – in die Vertikale aufgerichtet werden.14 Entscheidend ist dabei, dass der Prozess der Aufrichtung die Zeichnung immer auch einem weiteren Ordnungssystem unterstellt, indem nun zusätzlich eine vertikale Orientierung eingeführt wird und das Resultat des spurenlegenden Bewegungsprozesses so erneut einen schriftbildartigen Charakter bekommt. Was als betanzte und bezeichnete Bodenfläche ungerichtet ist, wird in der vertikalen Aufrichtung nicht nur vom Körper getrennt, der es produziert hat; das Bild wird zudem orientiert, sodass die befindlichen Spuren wiederum in die Nähe einer simulierten Schriftlichkeit gestellt werden. Sie sind nicht mehr nur Überreste, sondern können wiederum als zeichenartige Markierungen betrachtet werden, als würden sie auf etwas anderes verweisen, das mehr ist als die Körperbewegung, die sie hervorgebracht hat (Abb. 35).15
Begehren Als Ausblick und als Entfaltung des tieferen Schriftsinns der Anspielung (remes) ließe sich auf die Begehrensstruktur von Schreiben und Schrift verweisen, die über die Vordergründigkeit einer gebahnten Spur und einer sichtbaren graphé hinausgeht. Dies berührt die Frage, inwiefern Aspekte der Aufladung, mit der Schreiben und Schrift im Bereich des Literarischen fortwährend ergänzt werden, auf Tanz als écriture corporelle übertragen werden können. Ein wichtiger Ausgangspunkt ist dabei die im Schreiben kompensierte Erfahrung von Abwesenheit, denn »die häufigste Ausgangssituation für das Schreiben ist die schmerzliche Entbehrung, der entbehrende Schmerz: gleichsam die Wirklichkeit des Mangels im Gefühl.«16
13 | Vgl. hierzu Lepecki, André: »Der Sturz des Tanzes. Die Schaffung des Raumes bei Trisha Brown und La Ribot«, in: Ders. (2008), S. 98-128 (2008c). 14 | Siehe hierzu vor allem Eleey (2008b). 15 | Rosenberg, Susan: »Accumulated Vision. Trisha Brown and the Visual Arts«, in: Walker Art Center Magazine, Minneapolis (MN), 2014, https://walkerart. org/magazine/susan-rosenberg-trisha-brown (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021). 16 | Kamper, Dietmar: »Die Schrift des Körpers«, in: Akzente. Zeitschrift für Literatur 4 (1982), S. 322-325, hier S. 324.
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Abb. 35: Trisha Brown, Floor Drawing/Performance (2008), Photo: Gene Pittman, © Walker Art Center, Minneapolis (MN).
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S chrift im R aum Im Unterschied zum Schreiben, das sich als versuchsweise Überwindung von Abwesenheit paradoxerweise gerade in eine Abwesenheit, die Einsamkeit der Schreibszene, begibt, wird écriture corporelle jedoch coram publico geschrieben, zumindest in den Phänomenen künstlerischen Tanzes, die in dieser Studie untersucht wurden. Gleichwohl wäre ein körperliches Schreiben in Einsamkeit denkbar, ein Sich-Bewegen, ohne sich dem Blick eines Publikums preiszugeben, das aber dennoch kein reiner Solipsismus wäre, sondern geschrieben würde in Auseinandersetzung mit imaginären Anderen, für die und vor denen getanzt wird. Wie auch beim Schreiben in Einsamkeit die Imagination von Adressat*innen mitspielt und eine mögliche Rezeption des Geschriebenen erwartet, befürchtet, gehofft und ersehnt wird, so wäre auch Tanz als Schrift und Schreiben auf eine antizipierte Rezeption bezogen. Roland Barthes’ Formulierung von der »Lust am Text«17 paraphrasierend entspräche die Begehrensstruktur eines körperlichen Schreibens, das auf abwesende Andere bezogen ist, einer Lust am Tanztext. Diese kann nicht nur plaisir sein, da geschriebener Tanz als Schreiben und Schrift aufgrund seiner Nichtcodierung oder Überdeterminierung zuvorderst die Suche nach Sinnstrukturen zusammenbrechen lässt. Vielmehr potenziert die Wahrnehmung von Tanzen als écriture corporelle geradezu die jouissance, die Lust am Zusammenbruch von Zeichenordnungen, und befreit zur Hingabe an das Treiben sich figurierender und defigurierender Simulakren von Schriftzeichen.18 So wäre schließlich die Wahrnehmung von Tanz als Schrift auch ein Begehren des Zusammenbruchs, der Verunsicherung, ja der Verletzung. Der Denkfigur der écriture corporelle wächst damit eine kritische Funktion zu, die in der Wahrnehmung von Bewegung Affirmation und Irritation voneinander trennt. Tanz als Schreiben und Schrift wahrzunehmen, bestätigt nicht länger die eigenen Perspektiven und Voreingenommenheiten, sondern stellt diese durch das eröffnete und offen zu haltende Begehren infrage. Mit Franz Kafkas Brief an seinen Schul- und Studienfreund Oskar Pollak könnte daher gefragt werden – und statt »Buch« wäre Tanz zu lesen: »Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht, wie Du schreibst? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, könnten wir zur Not selber schreiben. Wir brauchen aber die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt, wie der Tod eines, den wir lieber hatten als uns, wie wenn wir 17 | Barthes, Roland: Die Lust am Text, aus dem Frz. übers. von Traugott König, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1974. 18 | Siehe zur Verbindung von écriture corporelle und jouissance vor allem Pdehetazque-Chahine/Prieto (2012), S. 206.
A usblick in Wälder vorstoßen würden, von allen Menschen weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.«19
Ist bereits Kafkas Metapher vom Buch als Axt »eine radikalisierte Ausprägung der antiken Vorstellung vom rhetorischen movere« und damit für »das Bewegende der Literatur«20, so verstärkt sich dieses bewegende Momentum im Tanz: Bewegung, wahrgenommen als Simulation unlesbarer Schrift, wird in ihrer Opazität gesteigert hin zu einem notwendig inkommensurablen und gerade so Not wendenden Tanztext. Indem dieser Tanztext uns begegnet als eine nicht lesbare Quasi-Schrift – fremd, unverständlich und verstörend –, kann Tanz zu jener Axt werden, die »das gefrorene Meer«21 in uns zerschlägt.
Geben Das Anmaßende der écriture corporelle, das sich in der versuchsweisen Gleichsetzung von Buch und Tanz zeigt, ließe sich bis hin zur Forderung nach verantwortetem Handeln steigern (derasch). Das Wechselspiel aus sich bewegenden Körpern und ihrer Wahrnehmung als schreibenden Körpern oder als sich wandelnden Körperschriftzeichen erhält damit eine ethische Dimension. Hierbei wird Tanz als eine Schrift-Gabe gesehen, die von den Tanzenden an die Tanzwahrnehmenden übergeben wird und deren Inkommensurabilität in kein Tauschverhältnis eingelöst werden kann.22 Diese Interpretation von écriture 19 | Kafka, Franz: »Brief an Oskar Pollak auf Schloß Oberstudenetz bei Zdiretz, Prag, 27.01.1904«, in: Ders.: Briefe I, hg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt a.M.: Fischer, 1999, S. 35-37, hier S. 36 (Orthographie wie im Original). In dem Teil des Briefes, der dem Zitat vorangeht, berichtet Kafka über seine Lektüre der Tagebücher Gottfried Kellers. Siehe dazu auch Kohl, Katrin: »›Die Axt für das gefrorene Meer‹. Das kreative Potential der Metapher«, in: Lessing, Marie/Wieser, Dorothee (Hg.): Zugänge zu Metaphern – Übergänge durch Metaphern. Kontrastierung aktueller disziplinärer Perspektiven, München/Paderborn: Wilhelm Fink, 2013, S. 49-61, hier S. 57f. 20 | Kohl (2013), S. 58 (Hervorhebung wie im Original). 21 | Kafka (1999), S. 36. 22 | Vgl. zu diesem Abschnitt pars pro toto Derrida, Jacques: »Eben in diesem Moment in diesem Werk findest Du mich«, aus dem Frz. übers. von Elisabeth Weber, in: Mayer, Michael/Hentschel, Markus (Hg.): Lévinas. Zur Möglichkeit einer prophetischen Philosophie, Parabel 12, Gießen: Focus, 1990, S. 42-83; Ders.: Falschgeld. Zeit geben I, aus dem Frz. übers. von Andreas Knop und Michael Wetzel, München: Wilhelm Fink, 1993; Busch, Kathrin: Geschicktes Geben. Aporien der Gabe bei Jacques Derrida, Phänomenologische Untersuchungen 18, München:
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S chrift im R aum corporelle als Gabe reagiert auf das prinzipielle Ungleichgewicht zwischen Tanzgeschehen und Wahrnehmung, bei dem Tanz zwar erst im bewussten Sehen zu Schreiben und Schrift wird, die Bewegung aber dennoch der Wahrnehmung zeitlich vorausgeht und sie sich ihr zudem immer wieder entwindet. So evoziert und unterwandert Tanzbewegung ihre Wahrnehmung als écriture und wahrt gerade mit dieser Doppelung aus zeitlicher Vorordnung der Gabe und der unvermeidbaren Verunsicherung des Blicks ihre eigene Inkommensurabilität als nicht lesbare und habhaftbare Schrift. Die ethische Dimension von Bewegung als Schreiben und Schrift erwächst aus diesem Gabecharakter von Bewegung.23 Sie verlangt nach einer Antwort in der Rezeption, im Sehen sowie im Reden und im Schreiben über sie, die ihre Illegibilität respektiert und die Gabe ihres Andersseins nicht durch eine Gegengabe zu einem Tausch korrumpiert. Das Gift der écriture corporelle als Gabe, als unverständliche und irritierende Inskription, darf nicht durch das Antidot eines auf Vollständigkeit zielenden Entzifferungsversuches geschwächt werden. Die Alterität dessen, was vor den und für die Augen des Publikums geschrieben wird, muss, so ließe sich imperativisch behaupten, gewahrt bleiben. Nur um den Preis der Zerstörung des Gabecharakters wäre eine Dechiffrierung dieser écriture möglich.24 Tanzbewegung, wahrgenommen als Schriftsimulation, die nicht lesbar ist und nicht über den Moment ihrer Wahrnehmung hinaus bleibt, hätte damit einen doppelt edukativen Charakter: Denn wie ein Schriftbild immer auch ein memento mori ist, weil es das Überleben von Schrift über den Moment des Schreibens und der Lektüre buchstäblich vor Augen stellt und so den Tod der Schreibenden und Lesenden vorwegnimmt und im Prozess der Schreib- und Leseszene an diese Mortalität bereits gemahnt, so wäre umgekehrt TanzbeWilhelm Fink, 2004; Holleis, Hans: Die vergebliche Gabe. Paradoxe Entgrenzung im ethischen Werk von Jacques Derrida, Bielefeld: transcript, 2017. 23 | Zum Gabe-Charakter von Tanz im Sinne einer offrande vgl. Nancy, Jean-Luc: »Gespräch über den Tanz«, aus dem Frz. übers. von Laura Sperber, in: Ders./u.a.: Allesdurchdringung, Berlin: Merve, 2008, S. 60-88, insbes. S. 72-76; sowie Franko, Mark: »Given Moment. Dance and the Event«, in: Lepecki (2004a), S. 113-123; Hentschel, Ingrid: »Der Modus der Gabe in Kunst, Theater und Performance. Perspektiven eines Theorems«, in: Bies, Michael/Giacovelli, Sebastian/ Langenohl, Andreas (Hg.): Gabe und Tausch. Zeitlichkeit, Aisthetik, Ästhetik, Ästhetische Eigenzeiten 9, Hannover: Wehrhahn, 2018, S. 105-125. 24 | Vgl. hierzu Wetzel, Michael/Rabaté, Jean-Michel (Hg.): Ethik der Gabe. Denken nach Jacques Derrida, Berlin: Akademie-Verlag, 1993; speziell Lisse, Michel: »Zu lesen geben«, in: Ebd., S. 19-38; Wills, David: »Dem Buchstaben nach geben«, in: Ebd., S. 285-300; sowie Baross, Zsuzsa: »The (False) Gifts of Writing«, in: New Literary History 31:3 (2000), S. 435-458.
A usblick wegung als Schrift und Schreiben qua ihrer Ephemeralität ein Hinweis auf Nicht-Dauerhaftigkeit. Zwar ist dieser Aspekt bei Tanz immer gegeben und oft reflektiert worden,25 doch wird die Ephemeralität der écriture corporelle gerade im Zusammenspiel mit der Wahrnehmung als Schrift und Schreiben und im Aufzeigen der Diskrepanz zwischen dem Bleibenden von Schriftbildern und dem Nicht-Bleibenden von Bewegung besonders deutlich. Damit verbunden kann schließlich eine zweite ethische Konsequenz aus der Wahrnehmung für ein unscharfes, sich selbst zeigendes und immer wieder überschreibendes Phänomen geschlussfolgert werden. Denn die Achtung vor der écriture corporelle, die gebotene Alteritätswahrung gegenüber dem Gesehenen auf der Bühne, dem Hausdach oder dem Performanceraum, intensiviert die Wahrnehmung von Bewegung, Schrift und Alterität auch außerhalb von Aufführungssituationen. Die Gabe von Tanz als Schrift erhöht so die ethische Dringlichkeit verantwortlichen Handelns, nicht als zwangsläufige Konsequenz aus dem Tanz-Sehen, sondern als Aufforderung zu Responsibilität, die über die bewusste Wahrnehmung von Tanz als flüchtige und inkommensurable Schrift eingeübt und bekräftigt wird.
Knistern Der letzte und weitestgehende Schritt in der Entfaltung eines vierfachen Schriftsinns, der auf sod, das in der écriture corporelle Verborgene hinweist, setzt eben dort an: bei der Betonung des Opaken, Unlesbaren und Verstellten, das sich ihrer Lektüre entzieht. Dass gleichwohl ein Betrachten von Tanz als Schrift und Schreiben bereits für sich im übertragenen Sinne bereits eine Tanz-Lektüre ist, steht dazu nicht im Widerspruch, sondern geht damit einher. Denn gerade im Sehen auf Tanz als Text, im Blick, der Körperbewegungen als Simulation eines bewegten Schriftbildes liest, wird deutlich, dass eben dieses Schriftbild literaliter unlesbar ist. Trotz aller Bemühungen, in Körperbewegungen Symptome von Schriftlichkeit zu erzeugen oder über die Analogie von Tanz und Schrift Bewegung zu generieren, ist die Unlesbarkeit prinzipiell und kann nicht aufgehoben werden. 25 | Vgl. u.a. Gilbert, Annette: »Ephemere Schrift. Flüchtigkeit und Artefakt«, in: Strätling/Witte (2006a), S. 41-58; Klein, Gabriele: »Das Flüchtige. Politische Aspekte einer tanztheoretischen Figur«, in: Huschka, Sabine (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen, TanzScripte 15, Bielefeld: transcript, 2015, S. 199-208; Brandstetter, Gabriele: »Ephemer/Flüchtig«, in: Gamper, Michael/Hühn, Helmut/Richter, Steffen (Hg.): Formen der Zeit. Ein Wörterbuch der ästhetischen Eigenzeiten, Ästhetische Eigenzeiten 16, Hannover: Werhahn 2020, S. 95-103.
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S chrift im R aum Im Sinne einer Kritik an der allzuleichten Vereinnahmung von Schrift kann diese Inkommensurabilität sogar als Forderung gesetzt werden, wie es Roland Barthes in Bezug auf die Semiogramme André Massons fomuliert hat: »Damit sich die Schrift in ihrer Wahrheit offenbart (und nicht in ihrer Instrumentalität), muß sie unlesbar sein.«26 Und ebenfalls mit Bezug zu einem bildenden Künstler, Paul Klee, hat Theodor W. Adorno auf den écriture-Charakter von Kunst hingewiesen, mit Ausführungen, die auch für Tanz als Schrift im Raum fruchtbar gemacht werden können: »In jüngeren Debatten zumal über bildende Kunst ist der Begriff der écriture relevant geworden, angeregt wohl durch Blätter Klees, die einer gekritzelten Schrift sich nähern. Jene Kategorie der Moderne wirft als Scheinwerfer Licht über Vergangenes; alle Kunstwerke sind Schriften, nicht erst die, die als solche auftreten, und zwar hieroglyphenhafte, zu denen der Code verloren ward und zu deren Gehalt nicht zuletzt beiträgt, dass er fehlt. Sprache sind Kunstwerke nur als Schrift. [...] Was an den Kunstwerken knistert ist der Laut der Reibung der antagonistischen Momente, die das Kunstwerk zusammenzubringen trachtet; Schrift nicht zuletzt deswegen, weil, wie in den Zeichen der Sprache, ihr Prozessuales in ihrer Objektivation sich verschlüsselt.«27
Für Tanz als Schrift im Raum ist der Bezug zur Potentialität einer unverstellten Leküre so gerade über das An-Diaphane von écriture corporelle gegeben, über ihr permanentes palimpsestartiges Sich-selbst-Überschreiben und die Nicht-Linearität ihrer in alle Raumrichtungen ausgreifenden Inskription. Auf die Potentialität einer Lektüre, einer verstellten Dechiffrierbarkeit und nicht ersichtlichen Aufladung mit Referenz weist damit paradoxerweise genau der Bezug zu ihrer jetzigen Kryptizität hin. Aus der antagonistischen Reibung zwischen der Potentialität von Lesbarkeit und der offensichtlichen Opazität der faktischen und imaginären jetzigen écriture entsteht, mit Adorno gedacht, ein Knistern, ein metaphorischer Reibelaut, der über den Antagonismus auf die Potentialität einer unverstellten Lektüre, einer nicht mehr nur fingierten und in doppelter Pseudozität behaupteten Schriftlichkeit hindeutet. So ist Tanz als écriture corporelle gerade in Momenten der Defiguration, der Verwischung und der Unschärfe von Kritzelbewegungen aufgespannt hin zur Potentialität, einem möglichen Anders-Werdens von Realität: klarer, deutlicher und mit unverstelltem Sinn. 26 | Barthes (1990), S. 162. (Hervorhebung und Orthographie wie im Original). Vgl. dazu auch Bertram, Georg W.: »Eine ›Schrift mit gekappter oder zugehängter Bedeutung‹ – über Unlesbarkeit in der Kunst«, in: Müller-Tamm/Schubert/Werner (2018), S. 135-147. 27 | Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften VII, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1970, S. 189; 264.
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Pina Bausch's Dance Theater Company, Artistic Practices and Reception 2020, 440 p., pb., col. ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-5055-6 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5055-0
Gabriele Klein
Pina Bausch und das Tanztheater Die Kunst des Übersetzens 2019, 448 S., Hardcover, Fadenbindung, 71 Farbabbildungen, 28 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4928-4 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4928-8
Benjamin Wihstutz, Benjamin Hoesch (Hg.)
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Theater- und Tanzwissenschaft Manfred Brauneck
Masken – Theater, Kult und Brauchtum Strategien des Verbergens und Zeigens 2020, 136 S., kart., Dispersionsbindung, 11 SW-Abbildungen 28,00 € (DE), 978-3-8376-4795-2 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4795-6
Kathrin Dreckmann, Maren Butte, Elfi Vomberg (Hg.)
Technologien des Performativen Das Theater und seine Techniken 2020, 466 S., kart., Dispersionsbindung, 34 SW-Abbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-5379-3 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5379-7
Margrit Bischof, Friederike Lampert (Hg.)
Sinn und Sinne im Tanz Perspektiven aus Kunst und Wissenschaft. Jahrbuch TanzForschung 2020 2020, 332 S., kart., Dispersionsbindung, 26 SW-Abbildungen, 12 Farbabbildungen 30,00 € (DE), 978-3-8376-5340-3 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5340-7
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